Genozid: Völkermord in der Geschichte 380623664X, 9783806236644

Genozid oder Völkermord ist das schlimmste aller Verbrechen im Völkerstrafrecht, im Englischen deshalb auch als 'cr

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German Pages 224 [226] Year 2018

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Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung
Die Antike
Kriegergenozide
Die spanische Eroberung
Siedlergenozide
Moderne Genozide
Kommunistische Genozide
Antikommunistische Genozide
Genozide nach dem Kalten Krieg
Schluss
Chronologie
Anmerkungen
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Genozid: Völkermord in der Geschichte
 380623664X, 9783806236644

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Friedhof und Gedenkstätte für den Genozid von Srebrenica in Potocˇari, 2003 von Bill Clinton eingeweiht.

Norman M. Naimark

GENOZID Menschheitsverbrechen in der Geschichte Aus dem Englischen von Claudia Kotte

Abbildungsnachweis: akg-images: S. 43, 49, 62, 73, 97, 103, 115, 138; Edward S. Curtis Collection: S. 80; Peter Palm, Berlin: S. 64, 172; picture alliance: S. 2, 179, 185, 188; wiki: S. 35

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Genocide. A World History bei Oxford University Press 2017 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und ­Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG. © 2018 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Dirk Michel, Mannheim Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3664-4 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3719-1 eBook (epub): 978-3-8062-3720-7

Inhalt Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Die Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Kriegergenozide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Die spanische Eroberung . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Siedlergenozide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Moderne Genozide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Kommunistische Genozide . . . . . . . . . . . . . . . 119 Antikommunistische Genozide . . . . . . . . . . . . 144 Genozide nach dem Kalten Krieg . . . . . . . . . . 169 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Webseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

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Einleitung

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enozide sind seit je Teil der Menschheitsgeschichte. Es gibt wenig Grund zu der Annahme, unsere vorgeschichtlichen Vorfahren seien bei der Begegnung mit anderen Völkern und mutmaßlichen Feinden oder bei deren Vernichtung mehr oder weniger zivilisiert gewesen als wir. Großfamilien, Clans und Stämme beteiligten sich regelmäßig an genozidalen Aktionen gegen ihre Rivalen, so, wie antike Reiche und moderne Nationalstaaten ihren mörderischen Hass auf imaginierte oder reale Feinde durch Massenmorde zum Ausdruck brachten. Genozide haben im Lauf der Jahrhunderte interne und externe Dimensionen gehabt. Führende politische Akteure kleiner und großer, primitiver und moderner Gesellschaften haben sich gegen interne Gruppen – Stammesangehörige, ethnische, religiöse und soziale Gruppen  – gewandt und diese zu vernichten versucht, um so ihre Privilegien zu wahren, Opposition zu vermeiden, ihre Macht zu konsolidieren und Reichtümer anzuhäufen. Aus unterschiedlichsten imperialen Gründen haben sie benachbarte (oder entfernte) Gebiete erobert und die indigenen Völker dieser Regionen getötet, unterdrückt oder für ihre Zwecke vereinnahmt, um Macht über sie auszuüben und sich ihres Bodens und ihrer Ressourcen zu bemächtigen. Jede Betrachtung der Weltgeschichte des Genozids muss sich mit der Frage seiner Definition auseinandersetzen, denn, um den Völkermord von anderen im Lauf der Jahrhunderte verübten entsetz­ lichen Gräueln gegen Menschen zu unterscheiden, müssen wir seinen spezifischen Charakter als „Verbrechen aller Verbrechen“ verstehen. Genozid fällt in eine andere Verbrechenskategorie als etwa Kriegsverbrechen, die ursprünglich von der Haager Friedenskonferenz von 1898 definiert wurden und deren Bestimmung dann bei den Nürnberger Prozessen 1946 und von der Genfer Konvention 1949 weiterentwickelt wurde. Zu Kriegsverbrechen zählen 7

Einleitung

etwa kriegsspezifische Verbrechen wie Plünderungen, die Ermordung von Geiseln, die Verwendung von Gas und das Töten von Kriegsgefangenen. Völkermord unterscheidet sich auch von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, die das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (1998) als vorsätzliche Tötung, Ausrottung, Versklavung, rechtswidrige Vertreibung oder Überführung der Bevölkerung, Folter und verschiedene Sexualverbrechen, darunter Vergewaltigung, klassifiziert.1 Der Genozid hat seine eigene Geschichte, deren Beschreibung auf das Denken und Wirken des polnisch-jüdischen Juristen Raphael Lemkin zurückgeht. Ihm und seinen Bemühungen um die Verbreitung der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 verdankt die internationale Gesellschaft heute das Konzept des Genozids. Lemkin war zudem der Erste, der einen weltgeschichtlichen Ansatz für den Genozid entwickelte. Raphael Lemkin wurde 1900 im polnischen Teil Russlands geboren und studierte in den 1920er-Jahren in Lemberg (dem heutigen Lwiw) und Heidelberg.2 Bereits als junger Anwalt war Lemkin im Warschau der frühen 1930er-Jahre auf Massenmord als internationales Verbrechen fixiert. Er beschäftigte sich mit dem Völkermord an den Armeniern 1915 ebenso wie mit dem Massaker von Semile 1933 an assyrischen Christen im Nordirak. Die einzige Möglichkeit, ähnliche Verbrechen zu vermeiden oder abzuwenden, sei internationales Recht, so Lemkins Überzeugung. Er verfasste daraufhin einen Aufsatz, den er auf einem vom Völkerbund finanzierten Treffen internationaler Anwälte 1933 in Madrid präsentierte. Darin definierte er zwei Verbrechen, die durch internationales Recht verboten werden sollten. Das erste nannte er „Barbarei“ – Lemkins erster Versuch, das später von ihm als „Genozid“ bezeichnete Konzept zu definieren. „Wer aus Hass gegen eine rassische, religiöse oder soziale Gruppe oder zum Zwecke ihrer Ausrottung eine strafbare Handlung gegen Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Würde oder wirtschaftliche Existenz einer Person, die einer solchen Gruppe angehört, unternimmt, macht sich des Verbrechens der Barbarei schuldig.“ Lemkin entwickelte auch eine Vorstellung dessen, was man als kulturellen 8

Einleitung

Genozid betrachten kann und was er damals als „Vandalismus“ bezeichnete. „Wer aus Hass gegen eine rassische, religiöse oder soziale Gruppe oder zum Zwecke ihrer Ausrottung ihre Kunst- oder kulturellen Werke vernichtet, macht sich des Verbrechens des Vandalismus schuldig.“3 Der Völkerbund schenkte Lemkins Ideen wenig Beachtung und sah sich bald mit der Bedrohung durch die Nazis konfrontiert, die Lemkins Leben für immer verändern sollte. Am 1. September 1939 überfiel Hitler Polen, ermordete Zehntausende Polen und trieb die Juden des Landes in Ghettos zusammen, wo sie bald massenhaft an Hunger und Krankheit starben. Lemkin erkannte die Zeichen der Zeit und floh über Schweden in die USA, wo er eine erste Anstellung als Dozent an der Duke University Law School erhielt. Bald darauf wurde er als Berater für die Carnegie Peace Foundation und das US-Kriegsministerium in Washington engagiert. In der amerikanischen Hauptstadt sammelte er weiteres Material über die Besetzung Europas durch die Nazis, darunter die Gesetze und Erlasse, die die Grundlage der nationalsozialistischen Repressalien in Europa bildeten. 1944 veröffentlichte Lemkin seine Recherchen in einem Buch mit dem Titel Axis Rule in Occupied ­Europe [Herrschaft der Achsenmächte im besetzten Europa], in dem er die Herleitung des Begriffs „Genozid“ erläuterte: „Mit ‚Genozid’ meinen wir die Vernichtung einer Nation oder einer ethnischen Gruppe. Der von dem Autor geprägte Neologismus, der eine alte Praxis in ihrer modernen Entwicklung bezeichnet, besteht aus dem griechischen Wort genos (Rasse, Stamm) und dem lateinischen cide (Mord) und entspricht damit seiner Bildung nach Wörtern wie Tyrannizid [Tyrannenmord], Homizid [Mord], Infantizid [Kindstötung] usw.“4 Lemkin hatte offenbar einen Begriff gefunden, der angesichts des Holocaust und anderer ungeheuerlicher Verbrechen von Massenmorden in der öffentlichen Meinung des Westens Widerhall fand. Angesichts seiner Erfahrungen mit den Nazis und seiner berechtigten Angst vor dem, was seiner eigenen Familie in Polen widerfahren war – viele seiner Familienangehörigen wurden ermordet –, konzentrierte sich ein Großteil seiner Bemühungen auf das Bekanntmachen der dramatischen Lage der Juden. 9

Einleitung

Als unermüdlicher Lobbyist war Lemkin im Spätherbst 1946 in Nürnberg, um die Kläger davon zu überzeugen, den Völkermord in die Anklage gegen die vor Gericht stehenden Nazikriegsverbrecher mit aufzunehmen. Der internationale Militärgerichtshof war hin­ gegen viel mehr daran interessiert, einen Angriffskrieg als den ­Massenmord an Juden oder anderen zu verurteilen. Lemkin betrieb daraufhin Lobbyarbeit bei den neu gegründeten Vereinten Nationen, um die Verabschiedung eines internationalen Gesetzes zum Genozid zu forcieren. Hier war ihm mehr Erfolg beschieden, da Vertreter der Sowjetunion, Polens, Jugoslawiens und einiger anderer Länder sich mit jüdischen Gruppen zusammenschlossen und die Generalversammlung von der Verabschiedung einer Resolution im Dezember 1946 überzeugten, die das Verbrechen des Genozids  – „ganz gleich, ob er aus religiösen, rassischen, politischen oder irgendwelchen anderen Gründen begangen wurde“  – verurteilte und den sechsten Hauptausschuss (Rechtsausschuss) der Vereinten Nationen mit dem Entwurf einer Völkermordkonvention beauftragte.5 In den anschließenden Verhandlungen über die Abfassung dieser Konvention bestanden die Sowjetunion und ihre Verbündeten neben anderen Ländern darauf, soziale und politische Gruppen nicht explizit zu erwähnen. Die einstimmig von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 9. Dezember 1948 verabschiedete Konvention über die Verhütung und Bestrafung von Völkermord – Lemkin saß während der Versammlung auf der Zuschauertribüne  – definierte Völkermord bekanntlich als eine Vielzahl von „Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“.6 Bei der Auslegung der Konvention wird häufig übersehen, dass ihre Präambel Lemkins Auffassung von der Allgegenwart von Genoziden in der Geschichte der Menschheit bekräftigte: „In Anerkennung der Tatsache, dass der Völkermord der Menschheit in allen Zeiten der Geschichte große Verluste zugefügt hat.“ Tatsächlich beteiligte sich Lemkin an einem breit angelegten eigenständigen Projekt, in dessen Rahmen er zu den weltgeschichtlichen Dimensionen des Genozids recherchierte und über sie schrieb. 10

Einleitung

Die von Lemkin in seinem Buch von 1944 vorgelegte und in der Konvention von 1948 präzisierte Definition bleibt bis zum heutigen Tag die grundlegende, von Wissenschaftlern und internationalen Gerichten in ihrer Arbeit zu Genoziden in Vergangenheit und Gegenwart anerkannte Definition von Völkermord. Dieser Definition schließt sich der vorliegende Band an, wenngleich in veränderter Form, um Lemkins ursprünglicher Idee bei Genoziden Rechnung zu tragen, auch die gezielte Vernichtung sozialer und politischer Gruppen einzubeziehen. Die adjektivische Form genozidal wird hier verwendet, um „wie Völkermord oder Völkermord betreffend“ auszudrücken, wobei sie nicht notwendigerweise das Äquivalent zu einem Genozid als solchem ist. Die in diesem Buch verwendete Definition von Genozid stützt sich ebenfalls auf die spätere Weiterentwicklung des Begriffs, wie sie von verschiedenen internationalen Tribunalen vorangetrieben wurde.7 Die internationale Rechtsprechung hat es beispielsweise nützlicher gefunden, sich bei der Bewertung von Völkermorden auf die zentrale Bedeutung von Massentötungen zu fokussieren als auf andere damit verknüpfte und in der Konvention geächtete Aspekte wie „Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind“, oder „gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“. Diese Handlungen, die sich von Massentötungen unterscheiden, werden vor Gericht im Allgemeinen nicht als Genozid anerkannt, sondern gelten in Verbindung mit vorsätzlichem Massenmord als Beleg für genozidale Absichten, Methoden und Folgen. Angesichts der Auseinandersetzungen darüber, ob ein bestimmter Ereigniskomplex ein Genozid ist oder nicht, ist die Enttäuschung mancher Wissenschaftler, Juristen und Entscheidungsträger nachvollziehbar, denn bereits die Verwendung des Wortes hat Auswirkungen darauf, wie wir die Frage von Interventionen in Krisensituationen angehen. Diskussionen über die Verwendung des Begriffs prägen auch die historischen Forderungen zahlreicher Völker nach Anerkennung der mörderischen Tragödien oder Angriffe auf Kulturen, unter denen ihre jeweilige ethnische Gruppe oder Nation zu 11

Einleitung

leiden hatte. In beiden Kontexten ist wichtig, die Definition von Genozid weder zu breit und vage noch zu eng und restriktiv zu fassen. Manche Kommentatoren würden Völkermord – wie auch „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Kriegsverbrechen“ – gern unter die allgemeine Kategorie „Gräuel“ subsumiert sehen.8 Gräuel hingegen können eine Vielzahl von Verbrechen abdecken, von Verbrechen von Drogenbanden an unschuldigen Schulkindern bis hin zu Verbrechen, die von einzelnen Soldaten oder Soldatengruppen in einer Besatzungs- oder Bürgerkriegssituation begangen werden. Ähnlich können und sollten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom Völkermord unterschieden werden, wenngleich sie sich an den Rändern zweifellos überlappen. Viele finden das Wort Genozid außerdem zu allgemein und zu weitgehend verwendet. Sie würden je nach Situation und dem genauen Charakter der Zielbevölkerung präzisere Wörter wie Soziozid, Politizid, Ethnozid, Demozid, ja sogar Genderozid bevorzugen. Die Bezeichnung Genozid hat sich jedoch in der Praxis wie nur wenige andere in jüngster Zeit erfundene Begriffe bewährt. Die wissenschaftliche und juristische Fachliteratur ist umfangreich genug, um eine gängige Bedeutung und ein gemeinsames Verständnis festzulegen, wiewohl Behauptungen eines Genozids mitunter von der Berufung auf einen Sonderfall missbraucht werden und Regierungen wie Einzelpersonen Genozid durch definitorische Winkelzüge leugnen. Lemkin fand einen Begriff für vorsätzlichen Massenmord, der aussagekräftig und nachhallend, effektiv und von Dauer ist. Dieses Buch geht ebenfalls davon aus, dass Genozid ein weltweites historisches Phänomen ist, das mit dem Beginn der menschlichen Gesellschaft in die Welt kam. Fälle von Völkermord müssen in ihrem zeitlichen Verlauf und ihrem jeweiligen Kontext untersucht werden. Sie sind mitunter auch als Ereignisse in einem zusammenhängenden Narrativ verknüpft, in dem frühere Fälle Einfluss auf spätere haben können. In manchen Fällen kann man von direkten Beispielen sprechen; in anderen sind diese Einflüsse in speziellen Kulturen verwurzelt. Das Alte Testament dient als Gründungstext für den Genozid in der abendländischen Kultur und seine Dramaturgie findet im Lauf 12

Einleitung

der Jahrhunderte ihren Nachhall in Kommentaren und literarischen Darstellungen, die die vom Gott Israels verlangten Zerstörungsmuster widerspiegeln. Ähnlich begründeten die Schriften Thukydides über die Eroberung von Melos durch die Athener und über die verschiedenen Formen der Kriegsführung und Vernichtung der Spartaner philosophische Auseinandersetzungen über das Wesen des Genozids  – in Abgrenzung zur Kriegsführung –, die in römische, mittelalterliche und frühneuzeitliche Texte Eingang fanden.9 Kein klassischer Fall eines Genozids hat sich vielleicht stärker in die abendländische Erinnerung der Neuzeit eingebrannt als die Erstürmung Karthagos durch die Römer, die durch die Reden Catos und die Werke Vergils in die Geschichte eingegangen ist. Schriftliche Aufzeichnungen aus der Zeit der genozidalen spanischen Eroberung der Neuen Welt beriefen sich wiederholt auf die alten Griechen und Römer. Unterdessen wurde die spanische Conquista zum Modell für die Politik späterer Kolonialregierungen, so, wie Gegner der Auslöschung von Ureinwohnern in Australien und Nordamerika häufig auf die Schriften von Bartolomé de Las Casas, dem spanischen Dominikanermönch und Kritiker des brutalen Vorgehens der Spanier in der Neuen Welt, verwiesen. Eine der ersten Beobachterinnen der Verflechtungen von verschiedenen Fällen von Völkermord war Hannah Arendt, die auf die Rolle kolonialer Brutalität und kolonialen Rassismus für die Entwicklung von Hitlers völkermörderischer Politik in Europa hingewiesen hat.10 Das weitverbreitete Töten der Ureinwohner in den französischen, britischen, italienischen und insbesondere deutschen Kolonien fand in gewisser Weise in den Massenmorden des Zweiten Weltkriegs seinen Niederschlag.11 Eine Reihe von Historikern hat auf die Kontinuität von Personal und Politik beim Vernichtungsfeldzug der deutschen Armee gegen die Herero und Nama in Südwestafrika (1904–1907), ihre beratende Rolle beim Völkermord an den Armeniern (1915) und die Rolle der Wehrmacht im Holocaust ­hingewiesen.12 Kurz vor dem Überfall auf Polen höhnte Hitler in seiner Rede vor Wehrmachtsgenerälen: „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier.“ In derselben Rede führte Hitler das 13

Einleitung

leuchtende Vorbild Dschingis Khans als Staatengründer an. Seine Botschaft war klar: Die deutsche Kriegsführung solle bei dem Angriff nicht vor der Ermordung einer großen Anzahl von Polen und Juden zurückschrecken.13 Nicht alle Genozide sind gleich. Manche werden innerhalb von Tagen oder Wochen verübt, andere dauern Jahrzehnte. Manche ­widerfahren Millionen Menschen, andere Tausenden. Manche sind stark zentralisiert, andere sind eher dezentral und sporadisch. Jeder Fall von Genozid ist in gewisser Weise einmalig, doch ebenso wahr ist, dass sie räumlich und zeitlich in mehr oder weniger ähnliche Arten von mörderischen Ereignissen eingeteilt werden können. Zu unterschiedlichen Zeiten fanden verschiedene Arten und Typen von Tötungen statt. Natürlich wissen wir sehr viel weniger über Genozide in der fernen Vergangenheit, in entlegenen Regionen und an den Peripherien großer Weltreiche ohne relativ umfangreiche schriftliche Aufzeichnungen. Dennoch besteht eine bemerkenswerte, ja geradezu beängstigende Ähnlichkeit im Hinblick auf die völkermörderische Gewalt der letzten drei Jahrtausende Menschheitsgeschichte.

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Die Antike

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s lässt sich unmöglich mit Bestimmtheit sagen, ob die Vorgeschichte der Menschheit genozidale Situationen hervorgebracht hat. Aus der Untersuchung von ausgehobenen Gräbern schließen Archäologen und Anthropologen, dass es in vorgeschichtlicher Zeit zu Massakern und in einzelnen Fällen zu verschiedenen Formen von Folter und Kannibalismus kam. Homo sapiens, der Vorläufer des modernen Menschen, so wird mitunter behauptet, habe die letzten Spuren der Neandertaler-Population physisch ausgelöscht. Grabstätten haben zudem Hinweise auf Massentötungen durch Stämme und Clans von der Steinzeit bis zum Ende der Bronzezeit gegeben, was uns etwa bis ins Jahr 1200 v. Chr. führen würde. Vorgeschichtliche Grabstätten sind gleichwohl so verstreut und selten, dass es schwierig ist, zu verbindlichen Schlussfolgerungen über den Genozid als inhärentes Element der menschlichen Zivilisation vor den ersten schriftlichen Aufzeichnungen zu gelangen. Die ersten Berichte von Völkermorden in der Antike sind uns durch schriftliche Zeugnisse überliefert, die Ereignisse von Jahrhunderten zuvor beschreiben. Die hebräische Bibel (das Alte Testament), die in verschiedenen Büchern und Schriften am Ende des 7.  Jahrhunderts v.  Chr. während der Herrschaft von König Joschija geschrieben wurde und angeblich Ereignisse um das Jahr 1200 v. Chr. beschreibt, kann selbstverständlich nicht als historische Quelle dienen, die das Leben der Israeliten korrekt wiedergibt. Wie das zweite Buch von Vergils Aeneis, das den legendären Untergang Trojas durch die Achäer um 1200 v. Chr. beschreibt, sollte die hebräische Bibel als literarisches Werk und als Mischung aus Fakt und Fiktion betrachtet werden, die den religiösen und politischen Zwecken der ­Gesellschaft, in der sie geschrieben wurde, diente. Der Nutzen der Archäologie ist sehr begrenzt, was insbesondere den Charakter und das Ausmaß an Massenmorden zu biblischen Zeiten angeht. 15

Die Antike

Leichter rechtfertigen lassen sich die historische Richtigkeit von Thukydides’ Peloponnesischem Krieg und seiner Schilderung der Unterwerfung von Melos (416–415 v.  Chr.) sowie der Wahrheits­ gehalt von römischen Berichten über die Zerstörung von Karthago (ca. 140 v. Chr.). Auch sie wurden jedoch wie die hebräische Bibel nicht so sehr als Geschichte geschrieben und rezipiert, sondern vielmehr als Möglichkeit, die Herausforderungen und Probleme für die Autoren, ihr Publikum und ihre Kulturen zu interpretieren. Diese Darstellungen wurden noch Jahrhunderte und Jahrtausende später von Generationen von Staatenlenkern zur Rechtfertigung und als Modell für ihre eigenen Neigungen zum Völkermord verwendet. Diese Art von Bildern und Metaphern, die die Bibel und die „Klassiker“ durchdrangen, ist in den weltweiten Diskurs über Tötung und Vernichtung eingegangen. Der Auszug der Juden aus Ägypten, ihre Wanderschaft durch die Wüste und die Eroberung des Landes Israel stellen den zentralen Erzählstrang des Alten Testaments dar. Als Gegenleistung für die Führung seines auserwählten Volkes und seine Zusicherung, die Israe­ liten gegen zahlenmäßig überlegene und mächtigere unheilvolle Feinde zu unterstützen, verlangte Gott Gehorsam. Insbesondere die Amalekiter, in der Wüste lebende Halbnomaden, zogen sich durch Angriffe auf die Israeliten den Zorn Gottes zu. Moses beauftragte Josua und seine Männer, gegen diese Feinde anzugehen, und sicherte den Sieg, indem er, gestützt von seinem Bruder Aaron und seinem Schwager Hur, von einem Hügel aus die Hand emporhielt. Dem Gott Israels reichte der militärische Sieg jedoch nicht und er sprach zu Moses: „Halte das zur Erinnerung in einer Urkunde fest und präg es Josua ein! Denn ich will die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel austilgen.“ Und Moses sprach: „Krieg ist zwischen Jahwe und Amalek von Generation zu Generation.“1 Zum Abschluss der Schilderung von der Zerstörung Amaleks erzählt das Buch Samuel eine der eindringlichsten Geschichten von Völkermord im Alten Testament, ja der Menschheitsgeschichte überhaupt. Der Prophet Samuel kam zu Saul, um ihn zum ersten König des Volkes Israel zu salben. (Saul soll von 1079 bis 1007 16

Die Antike

v. Chr. gelebt haben.) Wie Samuel erklärte, habe Gott Saul angewiesen, die Amalekiter aufgrund ihrer Übergriffe auf die Israeliten bei der Flucht aus Ägypten anzugreifen und zu töten. „Darum zieh jetzt in den Kampf und schlag Amalek! Weihe alles, was ihm gehört, dem Untergang! Schone es nicht, sondern töte Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel!“2 Dem Buch Samuel zufolge versammelte Saul daraufhin 200.000 Mann Fußvolk und 10.000 Soldaten aus Juda  – zweifellos maßlos über­ triebene Zahlen – und griff die Amalekiter in ihrer Hauptstadt an. Dabei weihte Saul „das ganze Volk […] mit scharfem Schwert dem Untergang“, verschonte jedoch den edlen König Agag und erlaubte seinem Volk, die besten der Schafe und Rinder zu behalten. Diese Ausnahmen erzürnten den Gott Israels; Saul hatte seine Befehle nicht vollständig ausgeführt. Aus Verärgerung hieb Gott Samuel vor den Augen des „Agag in Stücke“, entriss Saul das Königtum und ersetzte ihn schließlich durch David,3 denn Saul war der Anweisung des Herrn nicht gefolgt und hatte nicht alles restlos der Vernichtung geweiht. Später führte König David selbst Feldzüge gegen die Amalekiter, steckte ihre Städte in Brand, tötete Knaben und Männer und nahm ihre Frauen gefangen. Einmal gelang es ihm, seine zwei Frauen vor ihnen zu retten und ihre Beute aus dem Land Juda zurückzugewinnen. Als er die Räuberbande eingeholt hatte, fiel David „im Morgengrauen über sie her [und der Kampf dauerte] bis zum Abend des folgenden Tages; keiner von ihnen entkam, außer vierhundert jungen Männern, die sich auf ihre Kamele setzen und fliehen konnten.“4 Die Amalekiter waren nicht das einzige Volk in der Region, das den Zorn Gottes und seines auserwählten Volkes auf sich zog. Der Gott Israels versprach den Israeliten, viele Völker  – die Amoriter, Hethiter, Perisiter, Kanaaniter, Hiwiter und Jebusiter  – „auszutilgen“. So lesen wir im Alten Testament: „Wenn der Herr, dein Gott, sie dir ausliefert und du sie schlägst, dann sollst du sie der Vernichtung weihen. […] Ihr sollt ihre Altäre niederreißen, ihre Steinmale zerschlagen, ihre Kultpfähle umhauen und ihre Götterbilder im 17

Die Antike

Feuer verbrennen.“5 Hier spricht der Gott Israels nicht nur von Genozid, sondern auch von kulturellem Genozid. Diese Völker ­ konnten die Israeliten potenziell mit ihren Religionen und Bräuchen verderben und mussten daher ausgelöscht werden. „Sie sollen nicht in deinem Land bleiben. Sonst könnten sie dich zur Sünde gegen mich verführen, sodass du ihre Götter verehrst; denn dann würde dir das zu einer Falle.“6 Die Sprache der Massentötung im Deuteronomium ist sogar noch schärfer. „Wenn der Herr, dein Gott, sie [die in Kanaan lebenden Völker] dir ausliefert und du sie schlägst, dann sollst du sie der Vernichtung weihen. Du sollst keinen Vertrag mit ihnen schließen, sie nicht verschonen.“7 Das Deuteronomium ruft die Israeliten außerdem nachdrücklich zum kulturellen Genozid auf: „So sollt ihr gegen sie vorgehen: Ihr sollt ihre Altäre niederreißen, ihre Steinmale zerschlagen, ihre Kultpfähle umhauen und ihre Götterbilder im Feuer verbrennen.“8 Als wäre dies nicht genug, versprach Gott, den Überlebenden und Flüchtigen dieser Völker eine Seuche aufzuerlegen und sie so zu zerstören. Um diese und andere Fälle von „Vernichtungsweihe“ zu beschreiben, verwendet das Alte Testament das hebräische Wort herem, das sowohl physische als auch metaphysische Vernichtung bezeichnet.9 Das Schicksal der Bewohner innerhalb der Grenzen der neuen Heimat der Israeliten war damit besiegelt: „Aus den Städten dieser Völker jedoch […] darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen.“10 Völker in entlegeneren Regionen, in denen die Israeliten keine direkten Hegemonieansprüche stellten, konnten mit mehr Nachsicht behandelt werden. Wenn ihre Städte zur Kapitulation bereit waren, konnten ihre Einwohner zum „Frondienst“ verpflichtet werden. Andernfalls würden ihre Städte belagert, ihre Männer erschlagen und ihre Frauen, Kinder und ihr Vieh als Beute genommen.11 Obwohl die Zerstörung Jerichos selten als Genozid behandelt wird, ist sie die vielleicht bekannteste Kriegserzählung der Bibel. Bei der ersten Begegnung der Israeliten mit ihrem neuen Gebiet, ein manchmal auf 1200 v.  Chr. datiertes Ereignis, sandte Gott Josua, um die Hochburg der Kanaaniter, Jericho, „die Palmenstadt“ westlich des Jordans, zu zerstören. Nach der anschaulichen Schilderung 18

Die Antike

der Schlacht im Alten Testament marschierten Josua und seine Krieger, angeführt von Hörner blasenden Priestern, siebenmal um die Stadtmauer herum, bis der Hörnerschall die Mauer zum Einstürzen brachte. In typischer Manier weihten Josuas Krieger dann „mit scharfem Schwert alles, was in der Stadt war, dem Untergang, ­Männer und Frauen, Kinder und Greise, Rinder, Schafe und Esel“.12 Jericho wurde bis auf die Grundmauern niedergebrannt und dem Erdboden gleichgemacht. Josua beendete seinen Feldzug mit einem schaurigen Eid, der den Wiederaufbau der Stadt verbietet. Damals schwor Josua: Verflucht beim Herrn sei der Mann, der es unternimmt, diese Stadt Jericho wiederaufzubauen. Seinen Erstgeborenen soll es ihn kosten, wenn er sie neu gründet, und seinen Jüngsten, wenn er ihre Tore wiederaufrichtet.13 Es gibt nur wenige archäologische Zeugnisse oder damit verbundene Textstellen, die irgendeinen dieser vermeintlichen Vorfälle von Genozid im Alten Testament als geschichtliches Ereignis stützen.14 Wichtiger als die Historizität der beschriebenen Zerstörung von Völkern und Städten ist jedoch das, was die biblischen Genozid­ darstellung über die Vorstellungswelt von Männern und Frauen in der Antike sowie die möglichen oder gar wahrscheinlichen Beziehungen zwischen Nationen aussagen und welche Vorbilder, Muster und Normen sie für die Zukunft schufen. Die Anführer der Israeliten – Moses, Samuel, David und Josua – führten bei ihren Massenmorden Gottes Willen aus. In manchen Fällen waren die Tötungen Vergeltungsakte für angebliche Taten gegen das Volk Israel. In den meisten Fällen wurden Menschen jedoch angegriffen und vernichtet, weil sie in dem Gelobten Land lebten, dass Gott den Israeliten versprochen hatte. Die Getöteten seien selbst schuld an ihrem Schicksal, hieß es – ein weitverbreitetes und im Lauf der Jahrhunderte wiederkehrendes Phänomen bei Massenmorden. Frauen und Kinder wurden mitunter verschont und zu Sklaven und Konkubinen oder Ehefrauen gemacht. Kultureller Genozid war ebenfalls ein wichtiger Teil der biblischen Erzählung. So wurden nicht nur ganze Völker ausgelöscht, sondern auch ihre Tempel niedergerissen und ihre Städte in Schutt 19

Die Antike

und Asche gelegt. Sicherlich betrifft keine dieser in der hebräischen Bibel beschriebenen Handlungen ausschließlich die Israeliten der Antike (oder späterer Zeiten). Wie Wissenschaftler des alten Israel anhand von archäologischen Funden festgestellt haben, beteiligten sich die Nachbarn der Israeliten – die Philister, Phönizier, Aramäer, Moabiter und Edomiter – an vielen ähnlichen Aktionen.15 Der Gebrauch bestimmter literarischer Stilmittel in der hebräischen Bibel lässt sich außerdem besser verstehen, wenn wir ihn mit anderen großen historischen, mythenschweren Dokumenten aus der Zeit und der Region vergleichen: mit der Lehre des Amenemope, dem Gilgamesch-Epos und den Archiven von Ugarit.16 Von überragender Bedeutung für die weitere Geschichte des Genozids waren jedoch die Vorstellungen und Bilder, die über die Jahrtausende fortdauerten und Leser unabhängig von ihrer Wahrheitstreue bei Massentötungen an ein biblisches Ausmaß denken ließen. Der schockierende moralische Imperativ, der mit dem Beharren des Gottes Israels auf Massenmord verbunden ist, hat auch die Geschichte des Genozids in Kulturen gefärbt, die von den ersten Anfängen bis zur Neuzeit der jüdisch-christlichen Tradition zuzuordnen sind. Auch in der Kultur des alten Griechenlands von der mykenischen Zeit im zweiten Millennium v. Chr. über die klassische und hellenistische Zeit bis zur Eroberung durch die Römer 146 v. Chr. war Genozid kein unbekanntes Phänomen. Das grundlegende Modell der Zerstörung stammt dort aus den gesammelten mythologischen Erzählungen und Geschichten über den Trojanischen Krieg, wie sie in den Werken Homers und anderer griechischer Dichter im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. auftauchen. (Der Trojanische Krieg wird von den klassischen Griechen, selbst dem vorsichtigen Thukydides, auf das 13 oder 12. Jahrhundert v. Chr. datiert.) Homers Beschreibungen des letzten Jahrs der Belagerung Trojas am Ende der seit beinahe zehn Jahren immer wieder aufflammenden Kämpfe in der Ilias sind blutrünstig und voller Brutalität. Agamemnon, der König von ­Mykene und Heerführer der Achäer gegen Troja, ermahnt seinen Bruder Menelaos (den Ehemann der entführten Helena): 20

Die Antike

O Lieber! o Menelaos! Was sorgst du dich so sehr um diese Männer? Oder ist dir zu Haus von den Troern das Beste geschehen? Nein, von denen soll keiner entgehen dem jähen Verderben Und unseren Händen. Auch nicht, wen im Leib die Mutter Trägt als einen Knaben: auch er soll nicht entrinnen! Sondern allesamt Sollen sie gänzlich vertilgt sein aus Ilios, unbestattet und spurlos!17

Die Achäer metzelten daraufhin die heroischen Verteidiger Trojas nieder. Niemand durfte sich ergeben; trojanische Kämpfer wurden getötet, die Frauen vergewaltigt und ermordet, ihre Kinder vom Erdwall geworfen. Homer schildert eine große und reiche Stadt, deren Bewohner massakriert und deren Reichtümer geplündert und beschlagnahmt wurden. Die Stadt wurde schließlich in Schutt und Asche gelegt und viele Bewohner kamen in den Flammen ums Leben. Vergils Aeneis, die die Geschichte des letzten Trojaners, Aeneas, und seiner Flucht aus Kleinasien bis zu seiner Gründung von Rom erzählt, zeichnet ein ähnliches Bild des trojanischen Blutbades. „Oh, wer kann das Gemetzel der Nacht und die Menge der Leichen schildern? Wer hat für die Not und Qual hinreichende Tränen? […] Rings in den Straßen und Häusern umher, auf der Götter geweihten Schwellen zerstreut sieht man hilflos die Gefallenen liegen. […] Rings grausiger Jammer, rings Entsetzen und ringsum Tod in tausend Gestalten!“18 Ob diese Darstellung der erfolgreichen Unterwerfung Trojas durch die Achäer (Archäologen bezeichnen sie als Troja VII) ein Fall von Völkermord war, ist historisch nicht abgesicherter als die Beschreibung von Josuas mörderischer Zerstörung Jerichos in der hebräischen Bibel. Wie die biblischen Ereignisse wurde die blutige Gewalt des Trojanischen Krieges jedoch von späteren Kulturen, die diese Verse lasen, vortrugen und ihre Schönheit sowie ihren Schmerz noch einmal durchlebten, abgerufen, erinnert und übernommen. Thukydides schrieb seine Geschichte des Peloponnesischen Kriegs im Lauf des 27-jährigen Konflikts zwischen Athen und Sparta gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. Der zu Recht als der erste „kritische Historiker“ geltende Thukydides war als Stratege an dem Krieg ­beteiligt gewesen und hatte aus dem langen und bitteren Kampf 21

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wichtige Lehren in Militärgeschichte und internationaler Politik ­gezogen. In dem Melierdialog aus dem 16. Kriegsjahr erzählt er eine Geschichte von Völkermord, die den „rationalen“ Charakter seiner Wurzeln in der Antike betont. Die Athener nutzten ihre mächtige Marine, um nach und nach ihre Herrschaft auf alle ägäischen Inseln auszuweiten. Das Athenische Reich verlangte die Unterwerfung der Insel Melos, einer Kolonie der Lakedämonier (Spartaner). In ihrer Wechselrede mit den Anführern von Melos betonten die Athener, aufgrund der historischen Rechte ihres Reiches oder „aufgrund des uns durch euch zugefügten Unrechts“ (die Melier hatten im Krieg strengste Neutralität gewahrt) hätten sie kein Interesse daran, ihre Forderung nach Unterwerfung zu rechtfertigen. Vielmehr hielten sie es für vorteilhaft, ihre Vorherrschaft auf die Inseln, insbesondere die ehemaligen Kolonien von Sparta, auszudehnen. Sollte Melos sich nicht unterwerfen, würden die Athener ihre Bewohner vernichten. Fragen von Identität spielten auch im Konflikt mit den Meliern eine zentrale Rolle. Die Unterwerfung der Insel war für die Anführer der Athener von entscheidender Bedeutung, um in den Augen ihres eigenen Volkes und in denen des Feindes stark und unbezwingbar zu erscheinen. Wie die Athener erklärten, würden ihre Bürger sie für schwach halten, wenn sie den Meliern ihre Unabhängigkeit ließen, und sie fügten hinzu: „Abgesehen von der Vergrößerung unserer Herrschaft würdet ihr uns daher auch Sicherheit durch eure Unterwerfung bieten, wenn ihr als Insel, noch dazu eine der schwächsten, euch uns Seebeherrschern gegenüber nicht behaupten könnt.“ Die Melier hofften vergeblich auf Hilfe von den Lakedämoniern oder auf ein Einlenken der Athener in einem Friedensvertrag und lehnten eine Unterwerfung ab. Es kam, wie es kommen musste, schreibt Thukydides: Die Athener „töteten alle erwachsenen Männer, die sie ergreifen konnten, die Kinder und Frauen verkauften sie in die Sklaverei. Sie selbst gründeten den Ort neu und schickten etwas später 500 Siedler dorthin.“19 Man darf davon ausgehen, dass die Maßnahmen der Athener den Aktionen ihrer Rivalen, der Spartaner, einer militaristischen Sklavenhaltergesellschaft aus Kriegern und Eroberern, in nichts nachstan22

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den. Bei Thukydides lesen wir etwa, dass die Spartaner während des Peloponnesischen Krieges „ziemlich alle, die sie auf dem Meer ergriffen, als Feinde [umbrachten], sowohl die Kampfgenossen der Athener als auch die Parteilosen“. Sie massakrierten die Einwohner von Feindesstädten, die sie belagerten und eroberten. Bei der Eroberung der Stadt Hysiai „töteten sie alle freigelassenen Sklaven, die ihnen in die Hände fielen“. Die grausame Behandlung ihrer Sklaven (Heloten) kannte keine Grenzen. Innere Unruhen und Rebellionen wurden mit den entsetzlichsten Strafen geahndet.20 Sowohl die Athener als auch die Spartaner waren laut Thukydides deutlich befremdet vom eigenartigen Wesen der eroberten und ermordeten sowie in den schlimmsten Fällen völkermörderisch ausgelöschten Feinde. Alle großen Reiche zehren anscheinend von ihrer Rivalität und schöpfen aus ihr Kraft. Dies galt für Rom und Karthago ebenso wie für Athen und Sparta. Die Römer waren die legendären Erben von Aeneas, dem letzten Trojaner, während die Karthager vom Seefahrervolk der Phönizier abstammten, die um rund 1000 v. Chr. die Stadt Karthago am Ort des heutigen Tunis gegründet hatten. In den ersten beiden Punischen Kriegen zwischen Rom und Karthago 264–241 v. Chr. und 218–202 v. Chr. wüteten die Kämpfe im gesamten westlichen Mittelmeer; die Karthager brachten ganz Nordafrika und Spanien unter ihre Kontrolle und besetzten mit Hannibals bemerkenswerter Überquerung der Alpen weite Teile des italienischen Stiefels, wenngleich sie nie Rom einnahmen. Gegen Ende des Zweiten Punischen Kriegs (201 v. Chr.) war Karthago gezwungen, sich aus Sizilien und Italien zurückzuziehen und sich auf eine relativ kleine Ecke in Nordafrika zu beschränken. Die Stadt war dennoch groß  – Schätzungen zufolge hatte sie bis zu 750.000 Einwohner – und geschäftstüchtig; sie trieb Handel im gesamten Mittelmeer und verkehrte über den Atlantik sogar mit dem heutigen Großbritannien. Karthago konnte mit Rom leben; Rom jedoch konnte Karthago nicht dulden. Das Mittelmeer war nach Sicht der Römer nicht groß genug für beide.21 Marcus Porcius Cato, der Zensor, soll jede seiner Reden im römischen Senat mit den Worten Delenda est Carthago („Karthago muss zerstört werden“) beendet haben. Er hegte einen 23

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glühenden Hass auf diesen so empfundenen giftigen Stachel im ­Fleische Roms. Der vordergründige casus belli für den Dritten Punischen Krieg, auf den der römische Senat – und nicht nur Cato – gedrängt hatte, waren die Feindseligkeiten zwischen den Karthagern und dem numidischen König Massinissa, der mit Unterstützung Roms Forderungen an Karthago stellte. Als Karthago auf gewaltsame Strafe gegen die Numidier drängte, erklärte Rom im Jahr 149 v. Chr. Karthago den Krieg. Die Karthager gingen zunächst auf die römischen Forderungen ein, bis die Römer verlangten, Karthago müsse vollständig zerstört werden und seine Bewohner müssten sich außerhalb einer Zone von zehn Meilen um das Meer neu ansiedeln. Zu diesem Zeitpunkt setzten sich die Karthager durch, die auf Ungehorsam drängten, und begannen eine zweijährige Verteidigung der Stadt unter römischer Belagerung. Anfang 146 v. Chr. drangen die römischen Legionen unter Scipio Aemilianus schließlich in die Stadt ein und kämpften Straße für Straße mit den Verteidigern. Tausende Karthager wurden ermordet, bevor die Stadt vollständig besiegt wurde. Die Überlebenden wurden in die Sklaverei verkauft und die Stadt gemäß Catos Anordnung bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Bis heute findet man Verweise auf das nicht belegte „Salzen“ der Stadt durch die Römer, damit sie nie wieder auferstehe. Ob Wahrheit oder Legende, trifft die Geschichte den Geist der genozidalen Absichten der Römer in Karthago. Die Menschen sollten beseitigt, ihre Stadt sollte dem Erdboden gleichgemacht und ihre Kultur nicht länger geduldet werden. Nach der Niederlage bezeichnete der römische Senat die Gebiete Nordafrikas außerdem nicht mehr als Karthago, sondern nur noch als eine provincia namens „Afrika“.22 Ähnlich sollte die Erinnerung an Karthago getilgt werden. Wie die legendäre Zerstörung Trojas, die zur Erbauung Roms führte, sollte Karthago der totalen Herrschaft Roms im Mittelmeer geopfert werden. Die hier skizzierten Narrative der Zerstörung scheinen weit entfernt von unserer heutigen Welt und den Genoziden, über die wir heute sprechen. Das Salzen der Erde, das Halten von Sklaven oder Konkubinen, die Allgegenwart von Rachemotiven, die Tieropfer für 24

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die Götter (und Gott) und die Unmenschlichkeit des Lebens selbst befremden in der Moderne mit ihrer Strafverfolgung von Krieg und Massenmord, ganz zu schweigen von der täglichen Routine von ­A rbeit und Freizeit. Das Wesen des Genozids zeichnet sich jedoch zeitübergreifend durch zahlreiche gemeinsame Merkmale aus. Armeen von Männern töten identifizierbare Menschengruppen, darunter Frauen, Kinder und Nichtkombattanten auf Geheiß ihrer ­politischen Führer, die sich in ihren Gründen für die Zerstörung häufig auf Ideologien, Götter und Gott berufen. Die Tötungen sind vorsätzlich, vollständig und zielen auf Vernichtung ab. Genozide wurden in der Antike oft jenseits der nur vage definierten Grenzen des Staatsgebiets der Täter verübt, um wie im Fall der Athener und Römer neues Herrschaftsgebiet zu erobern oder aber wie im Fall der Israeliten potenzielle Feinde auf Gebieten zu eliminieren, auf die die Invasoren Anspruch erhoben. Auch Vergeltung für angebliche Rechtsverletzungen in der Vergangenheit dient wie im Fall der Römer in Karthago und der Israeliten mit den Amalekitern als Rechtfertigung für Völkermord. Völkermordkampagnen sind von imperialem Ruhm, Stolz und Überlegenheitsgefühlen durchdrungen. Die Athener, die in Thukydides’ Darstellung der ­Belagerung von Melos rein rationales Denken für sich beanspruchen, können kaum die Hybris eines Reichs verdecken, das sich durch jegliche Opposition gekränkt fühlte und bereit war, seine eigenen Hegemonievorstellungen durch Massentötungen durchzusetzen. Kulturelle Genozide haben tiefe Spuren in den Mustern von Kriegen und Konflikten in der Antike hinterlassen. Die Städte und Kulturen von Jericho, Troja und Karthago wurden geplündert und niedergebrannt. Alles musste vernichtet werden: Tempel, Statuen, alle Spuren einstigen Ruhms. Sofern sie verschont blieben, wurden Frauen und Kinder mit Gewalt in die Kulturen der Täter assimiliert. In den wenigen Fällen, wo Knaben und Männer die Angriffe überlebten, mussten sie in den Armeen der Sieger dienen. Es lässt sich nur ahnen, wie viele Kulturen und Völker durch Genozid und kulturellen Genozid in der Antike ausgelöscht wurden, doch ihre ­A nzahl war zweifellos erheblich. 25

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„S

ie kamen, sie zerstörten, sie brandschatzen, sie töteten, sie plünderten und sie zogen weiter.“1 Diese Beschreibung der Einfälle der Mongolen von einem Zeitgenossen deutet die enge Verflechtung von Genozid und Krieg im gesamten Verlauf der Geschichte an. Selbst in Friedenszeiten kann ein drohender Krieg oder die augenscheinliche Notwendigkeit, sich auf einen Krieg vorzubereiten, genozidale Situationen entfesseln. Krieg ist keine notwendige Voraussetzung für Genozid und nicht in jedem Krieg kommt es zu einem Genozid. Dennoch wird Genozid im Allgemeinen mit Kriegsabsichten, Kriegspolitik und Kriegshandlungen in Verbindung gebracht.2 Dies gilt für die Antike ebenso wie für die Gegenwart. Tatsächlich trägt die allgemein sinkende Anzahl an Kriegen und zivilen Konflikten im Lauf der Jahrhunderte zweifellos zu einem Rückgang an Genoziden bei. Die enge Verknüpfung von Krieg und Genozid macht eine Unterscheidung zwischen der militärischen Vernichtung von Feinden im Krieg und einem Völkermord bisweilen äußerst schwierig. Die Vorstellung von Krieg als einem begrenzten Urkonflikt zwischen zwei aufeinandertreffenden Armeen trifft nur einen Teil dessen, was Krieg ist und was er bedeutet. Selbstverständlich gibt es eine ­Geschichte von Zusammenstößen auf dem Schlachtfeld und eine Geschichte strategischer und taktischer Entscheidungen, ganz zu schweigen von Fragen des Kampfgeistes und der Ausrüstung, die in eine Kriegsentscheidung einfließen. Doch auch die Heimatfront spielt im Krieg eine nicht zu unterschätzende Rolle. Unter der Zivilbevölkerung kommt es fast immer zu schweren Verlusten und Frauen, Kinder sowie alte Menschen sind hiervon aufs Engste betroffen. Von den Kriegen der Antike über die napoleonischen Feldzüge zu Beginn des 19. Jahrhunderts (die mitunter als der erste „totale“ Krieg gelten) und den Gräueln des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurde die Grenze zwischen militärischer Front und 26

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­ eimatfront immer fließender. Es wird mitunter behauptet, nur im H 20.  Jahrhundert habe der Krieg mehr Zivilisten als Soldaten das Leben gekostet. Diese Behauptung lässt sich allerdings schwerlich verteidigen, wenn man den kriegsbedingten Hunger, die Krankheiten und Epidemien in früheren Zeiten hinzurechnet. In den Kriegergesellschaften des Mittelalters ist es häufig äußerst schwer, das Töten von Feinden im Gefecht von völkermordähnlichen Aktionen zu trennen. Im Westen vermischten sich Vorstellungen von Ritterlichkeit auf dem Schlachtfeld mit der barbarischen Bereitschaft, ganze Gruppen von Feinden auszulöschen, was häufig mit religiösen („christlichen“) Argumenten gerechtfertigt wurde. Im Osten metzelten mongolische Krieger aufgrund von vermeintlichen Kränkungen oder Widerstand gegen die unvermeidbare Oberhoheit der Mongolen mitunter ebenfalls ganze Gruppen von Feinden nieder. Beobachter aus dem 21. Jahrhundert sollten jedoch auf der Hut sein und die Besonderheiten einer fernen Welt, in diesem Fall der Welt der Kreuzfahrer und mongolischen Krieger, nicht allzu leicht mit denen ihrer modernen Entsprechungen vermengen. Zugleich sollten die weitreichenden Massaker an Zivilisten in einstigen Kriegergesellschaften nicht grundsätzlich von den Genoziden der modernen Welt getrennt werden. Das Mongolenreich, das riesige Gebiete zwischen dem Pazifik im Osten und Zentraleuropa im Westen, den Ländern Arabiens und Indien im Süden sowie Sibirien und die russische Tundra im Norden beherrschte, war eines der erfolgreichsten politischen Gebilde der gesamten Menschheitsgeschichte. Zum Zeitpunkt seiner größten geografischen Ausdehnung im 13. und 14. Jahrhundert war es das größte zusammenhängende Reich in der Weltgeschichte und herrschte über 100 Millionen Menschen. In ihren Ursprüngen waren die Mongolen jedoch ein Nomadenvolk, das sich durch Reitkunst und Kämpfe hervorgetan und wenig mit Industrie oder städtischem Leben und städtischer Kultur im Sinn hatte. Dieser Geist prägte noch immer seine Machthaber. Das Reich entwickelte zudem die außergewöhnliche Fähigkeit, sich der Begabungen anderer für seine Verwaltung und seine wirtschaftlichen Interessen zu bedienen 27

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und die Fertigkeiten von Handwerkern und Kriegsexperten aus den zahlreichen eroberten Stämmen und Völkern zu nutzen. Mit seinem überlegenen Nachrichten- und Geheimdienstsystem sowie seiner militärischen Stärke, die sowohl auf der wohlüberlegten Organisation seiner Armee als auch auf der Selbstgenügsamkeit seiner Reiterkrieger gründete, trieb das Mongolenreich wirtschaftlich weitaus komplexere und kulturell weiter entwickelte König- und Kaiser­ reiche vor sich her. Historiker beurteilen das Mongolenreich aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Manche betonen die positiven Dimensionen der Pax Mongolica, innerhalb derer sich Handel, Gewerbe und Ideen ungehindert entfalten konnten, unter anderem entlang der Seidenstraße, der sagenumwobenen Verbindung zwischen Europa und Asien, die etwa Marco Polo vom Italien der Renaissance nach Beijing und wieder zurück führte. Die Mongolen tolerierten im Allgemeinen religiöse Unterschiede und förderten damit den Austausch zwischen den kulturell vielfältigen Glaubensgemeinschaften in Zentral- und Südasien, Europa und dem Nahen Osten. Rassische, ethnische oder sprachliche Unterschiede interessierten sie kaum, was sich letztlich positiv auf das Nachrichtennetz und die Durchmischung von Völkern und Kulturen in ihrem riesigen Reich auswirkte. Die Vertrauten von Generälen und Beamten repräsentierten zumeist eine breite Vielfalt an Nationalitäten und Religionen Eurasiens. Wie neuere Forschungsergebnisse zeigen, kommt ein dominantes Y-Chromosom bei einem Achtel der Bevölkerung eines größeren eurasischen Gebiets vor, was darauf hindeutet, wie häufig die mongolischen Khane – die Nachfahren des ersten großen Mongolenherrschers Dschingis Khan  – in die Königsfamilien von eroberten oder einverleibten Gebieten einheirateten und zugleich Konkubinen aus unterschiedlichsten Völkern hatten. Andere Historiker betonen den hohen Blutzoll, den die Eroberungen der Mongolen forderten. In zwei Jahrhunderten Mongolenherrschaft kamen über 30 Millionen Menschen in Kriegen und bei Vergeltungsmaßnahmen ums Leben.3 Die Bevölkerung des ungarischen Königreichs dezimierte sich nach dem Mongolensturm von 28

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zwei Millionen auf eine Million. In den 50 Jahren mongolischer Herrschaft soll sich auch die Bevölkerung Chinas um die Hälfte von 120 Millionen auf 60 Millionen reduziert haben. Kritiker dieser Zahlen haben jedoch darauf hingewiesen, dass die Chinesen schwerlich von den mongolischen Volkszählungen erfasst wurden, sodass sich solche Zahlen nicht verifizieren ließen. Ähnlich streitet man darüber, ob das „mongolische Joch“, wie es in Russland noch immer heißt, zu einer ähnlichen Entvölkerung und Beeinträchtigung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in der von den Ostslawen besiedelten Region führte. Seine Entstehung verdankte das Mongolenreich einem bis dahin relativ unbekannten Stammeschef, Temüdschin, dem es aufgrund geschickter Diplomatie und Waffengewalt gelang, eine Reihe von Mongolen- und Turkstämmen unter seiner Führung zu einen. Als Herrscher über ein riesiges geografisches Gebiet im Herzen von ­Eurasien wurde Temüdschin 1206 zum Dschingis Khan ernannt – dem „furchtlosen Führer“. Die von Dschingis Khan und seinen Kriegern verübten Massentötungen folgen drei unterschiedlichen, teilweise überlappenden Mustern. Ähnlich den Athenern in Melos stellte eine Variante das ins Visier genommene Volk vor die Wahl, sich der mongolischen Oberherrschaft zu beugen oder vollständig ausgelöscht zu werden. Das galt für den Einfall der Mongolen in Russland, wo Fürstentümer wie Rjasan und Susdal zerstört wurden und Kiew geplündert wurde, bevor die Russen sich dem Khan ergaben, den geforderten Tribut zahlten und in das mongolische Rechtsgebiet übergingen. Einem einzigen aller russischen Fürsten wurde der Jarlyk vorgelegt, ein Vertrag, der ihn berechtigte, im Namen der Mongolen Tribut von anderen Fürstentümern einzutreiben. Wurde dieser pflichtgemäß bezahlt, ließen die Mongolen die Russen in Frieden. Die zeitweilige Vergabe des Jarlyk an das Fürstentum Moskau war ein entscheidender Grund für seine spätere Rolle als „Sammler russischer Länder“. Mit der zweiten Variante mongolischer Gewalt wurden jene politischen Gebilde vor allem in China und Indien konfrontiert, die sich mit militärischen Mitteln gegen die Unterwerfung wehrten. Dies 29

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war eine unkluge Entscheidung, da ihnen die Streitkräfte der Mongolen in Planung und Kampfkraft im Allgemeinen haushoch überlegen waren. Insbesondere die berittenen Bogenschützen, die in beweglichen Kavallerieeinheiten organisiert waren, konnten es spielend mit vergleichbaren Truppen aufnehmen. Die Mongolen verleibten sich außerdem mühelos Militäreinheiten aus bereits eroberten Gebieten ein. Neben ihrer hoch entwickelten Belagerungstaktik nutzten sie die neuesten Techniken zum Bau von Rammböcken und einer Flammenwerferartillerie, wobei ein Großteil ihres technischen Know-hows von chinesischen Schießpulver- und Waffenexperten stammte. Wo immer die mongolischen Armeen sich aufhielten, rekrutierten sie befähigte Experten für ihre eigenen Technikbataillone. War der Feind besiegt, wurden die Unterlegenen gewöhnlich in verschiedene Gruppen eingeteilt. Hochgeschätzte Handwerker blieben häufig verschont und wurden in die mongolischen Hauptstädte zurückgeschickt, um dort ihrem Gewerbe nachzugehen. (Während des Völkermords an den Armeniern verschonten die Osmanen später aus ähnlichen Gründen manchmal armenische Handwerker.) Frauen und Kinder wurden mongolischen Soldaten als Sklavinnen und Ehefrauen anheimgegeben und in die mongolische Gesellschaft eingegliedert. Alle anderen wurden getötet, und zwar häufig in Gruppen, die einzelnen mongolischen Soldaten zur Hinrichtung zugewiesen wurden. Einige Tage nach den Massakern an ihren Gefangenen wurden mongolische Truppen zurück in die Ruinen der zerstörten Städte geschickt, um mögliche Überlebende oder versteckte Personen zu töten. Zogen die Mongolen durch die Orte ihrer Feinde, so wurden diese „zur Behausung von Eule und Rabe; dort antworten nur die Schreieulen einander, und in den Hallen ächzt und stöhnt der Wind.“4 Das Reich der Mongolen breitete sich durch bloßen Terror aus. Welcher Fürst und welche Bevölkerung waren schon bereit, sich den Mongolen zu widersetzen, wenn sie wussten, dass ihnen dann der Untergang drohte? Es gab noch eine dritte Variante für das Morden Dschingis Khans und seiner Nachfolger in Eurasien, und zwar „völlige Vernichtung“. Diese Form von Massentötung der Mongolen kann ohne 30

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Zweifel als Genozid gelten, wenngleich man betonen muss, dass die Mongolen andere Gruppen nicht aus Hass oder aus Ressentiments gegen ihre Religion oder Ethnie angriffen. Bei diesem Muster drohte mitunter ganzen Gemeinschaften aufgrund einer vermeintlichen Beleidigung oder eines Vergehens der Untergang. Dschingis Khan und seine Nachfolger duldeten keine Gegner, die in irgendeiner Weise ihre Ehre kränkten. Dies galt insbesondere für jene Gemeinschaften, die den Fehler machten, mongolische Anführer oder Botschafter zu töten oder die Friedensangebote der Mongolen auf andere Weise abzulehnen. In diesen Fällen wurden ganze Städte einschließlich aller Männer, Frauen und Kinder vernichtet. Anders als im Fall von Karthago oder Troja hielten es die Mongolen aber gewöhnlich nicht für nötig, die besiegten Städte als solche zu zerstören, wenngleich bekannte architektonische Zeugnisse der jeweiligen Kultur und Wahrzeichen eines Ortes tatsächlich verbrannt oder abgerissen wurden. In diesen Fällen ‒ wie in so vielen anderen in der Geschichte des Völkermords ‒ machten die Mongolen ihre Gegner für ihren eigenen Tod und die Zerstörung verantwortlich. Das persischsprachige islamische Reich Choresmien, das sich südlich des Aralsees in Zentralasien rund um die Hauptstadt Samarkand gegründet hatte, umfasste so beachtliche Handels- und Kulturzentren wie Buchara und Urganch und breitete sich rasch bis ins Iranische Hochland und in die westlichen Regionen Afghanistans aus. Der Schah ʿAlāʾ ad-Dīn Muhammad von Choresmien (Regierungszeit 1200–1220) widersetzte sich den Mongolen, indem er ihren Friedensvertrag ablehnte und ihre Gesandten erniedrigte oder hinrichten ließ. Dem gut informierten persischen Gelehrten und mongolischen Beamten ʻAlāʼ al-Dīn ʻAt ạ̄ Malik al-Dschuwainī zufolge wurden die wichtigsten Städte Choresmiens daraufhin in völkermordartigen Aktionen angegriffen und Samarkand, Buchara und Urganch brutal erobert und dem Erdboden gleichgemacht. Insbesondere die Gebiete Choresmiens im heutigen Iran erlebten eine dramatische Entvölkerung, da die Mongolen Handelsstädte und landwirtschaftliche Flächen zerstörten (und in Weideflächen verwandelten). Manchen Wissenschaftlern zufolge erholte sich die 31

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Region erst in der Neuzeit von der dem Einfall der Mongolen geschuldeten Entvölkerung. Die zentralen Städte Choresmiens galten für Angreifer aus dem Norden als uneinnehmbar und sie verteidigten sich in der Tat sehr gut. Der fortschrittlichen Belagerungsausrüstung, der militärischen Überlegenheit und dem ausgeprägten Kampfgeist der Mongolen vermochten die Choresmier jedoch nicht standzuhalten. Wie wir bei al-Dschuwainī lesen, brachen die Mongolen ihr Versprechen, die Turksoldaten zu verschonen, die die Garnison in der Hauptstadt Samarkand verteidigten, und brachten sie alle um. Nachdem die Mongolen die besten Kunstgewerbler und Handwerker in die Mongolei geschickt hatten, befahlen sie den Stadtbewohnern, sich am Stadtrand zu versammeln, wo sie kurzerhand massakriert und ihre Schädel als Siegessymbol in Pyramiden um die Stadt angeordnet wurden. Buchara erging es ähnlich. In beiden Städten zielten die Mongolen insbesondere auf königliche Bauten und legten diese in Schutt und Asche. Nachdem die Mongolen in Urganch Frauen und Kinder unter den eigenen Soldaten verteilt hatten, massakrierten sie den Rest der Bevölkerung nach gängiger Praxis. Jeder mongolische Soldat musste 24 Männer und Frauen aus Urganch umbringen, was, wenn diese Zahlen stimmten – und wahrscheinlich handelt es sich um eine Übertreibung –, ein Massaker an über einer Million ­Menschen bedeutet hätte. In Termiz am Fluss Oxus wurden laut al-Dschuwainī „alle, Männer und Frauen, in die Ebene hinausgetrieben, entsprechend ihrer üblichen [mongolischen] Gepflogenheit eingeteilt und dann allesamt umgebracht“.5 Die Stadt Merw im heutigen Turkmenistan fiel im Februar 1221 an Tolui, den jüngsten Sohn Dschingis Khans, der 700.000 Menschen niedergemetzelt, dabei aber rund 80 Handwerker verschont haben soll.6 Auch die Stadt Nischapur im heutigen Nord­ osten des Iran ereilte die Rache der Mongolen. Dort gaben die Mongolen die gesamte Bevölkerung der Vernichtung anheim, weil Dschingis Khans Schwiegersohn von einem von den Wallanlagen der Stadt abgeschossenen Pfeil getötet worden war. Die Köpfe der 32

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ermordeten Männer, Frauen und Kinder wurden in Pyramiden rings um die eroberte Stadt aufgestapelt. Herat im heutigen Afghanistan wurde vollständig zerstört, nachdem eine Woche zuvor bereits seine Bewohner massakriert und auch die rund 2000 Überlebenden des Massakers in Merw getötet worden waren, die in Herat Zuflucht gesucht hatten.7 Auch der Mongolensturm in Osteuropa war von Tötungen und Völkermord begleitetet. Insbesondere die Magyaren zahlten bei der Invasion des Königreichs Ungarn 1241 einen hohen Blutzoll. Seit Jahrzehnten befürchtete König Béla IV. einen möglichen Angriff, da russische Adlige nach Ungarn gekommen waren und vor der militärischen Stärke und Brutalität der Mongolen gewarnt hatten. Freilich verstand niemand wirklich, wer die Mongolen waren oder was sie letztlich trieb.8 Der König selbst empfing verschiedene Gesandte von Ögedei Khan, dem Lieblingssohn und Erben von Dschingis Khan, die ihm mit der völligen Zerstörung seines ­Königreichs drohten, falls er es nicht den Mongolen überlasse. Die nomadischen Kumanen waren bereits von den Mongolen besiegt worden und hatten in Ungarn Zuflucht gesucht. Béla hoffte nun, die Kumanen dafür einzuspannen, um die renitenten ungarischen Barone im Zaum zu halten. Er ließ die Kumanen christianisieren und gliederte sie in das ungarische Ständesystem ein. Doch anstatt zu mehr Sicherheit in seinem Königreich beizutragen, entfremdete Béla die Barone nur noch mehr und stieß außerdem die ungarischen Bauern vor den Kopf, die schockiert feststellten, dass sie „Barbaren“ aus dem Osten Reverenz erweisen sollten. Beim Einfall der Mongolen unter der Führung von Ögedeis Sohn Batu waren die Gebiete Ungarns bereits in Auflösung begriffen. Als die Armeen Batus von Norden her in Ungarn eindrangen, ­begann der Anführer der Mongolen laut Berichten von Magister ­Rogerius, dem großen Kirchenchronisten und Zeugen des Mongolensturms, „Dörfer zu brandschatzen[,] und nahm keine Rücksicht auf Geschlecht oder Alter. Er rückte, so rasch es eben ging, gegen den König vor.“ Béla zog sich nach Pest zurück und weigerte sich, gegen die Mongolen vorzugehen, die marodierten und mordeten, 33

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wie es, so Magister Rogerius, „ihre angeborene Bosheit gebot“. Als sie die Stadt Waitzen eroberten, flüchteten sich die Stadtbewohner und Bauern aus den umliegenden Dörfern in die Kathedrale und die kirchlichen Paläste, „die wie eine Burg befestigt waren“. Umsonst. Nachdem die Mongolen sich des Kirchenschatzes bemächtigt hatten, „metzelten [sie] Domherren und andere Personen, Frauen und Mädchen nieder und verbrannten sie“.9 Auf Drängen der Kirchenväter, die Plünderungen in den länd­ lichen Gebieten Ungarns zu stoppen, rückte Béla schließlich aus und traf die zahlenmäßig unterlegenen Mongolen im Gefecht. Seine Adligen waren jedoch zerstritten und hofften teilweise sogar auf seine Niederlage. Der König der Kumanen war von aufgebrachten ungarischen Bürgern getötet worden, die ihm die Schuld an dem Überfall gaben. Die Mongolen umzingelten Bélas Armee mit Bogenschützen und fügten den Ungarn erhebliche Verluste zu. Letztere flohen in Richtung Donau, um eine Atempause von den Eroberern zu haben, berichtet Magister Rogerius: „Unter denen, die auf der großen Straße nach Pest flohen, und unter den im Heer Verbliebenen wurde ein solches Gemetzel angerichtet und kamen so viele Tausende um, dass eine Schätzung über die Höhe der Verluste kaum möglich ist und man denen, die darüber berichten, wegen des unübersehbaren Gemetzels kaum Glauben schenken darf.“ Die Mongolen verstümmelten die Körper aller, derer sie habhaft wurden, und verbrannten andere, die in Kirchen oder Dörfern auf dem Weg Zuflucht zu finden versucht hatten. Bei Magister Rogerius lesen wir weiter: „Die Leichen lagen so [zahlreich] am Boden, wie sich Rinder, Schafe und Schweine an Weidestellen in der Wüste und Steine zu Hauf in Steinbrüchen sammeln.“10 Der ungarische König bat nun den Herzog von Österreich um Schutz, der hohe Entschädigungssummen von ihm verlangte und überdies Westungarn auf der Jagd nach Beute plünderte, während die Mongolen das Gebiet östlich der Donau besetzten und ihre Massentötungen fortsetzten. Die Stadt Großwardein wurde eingenommen, geplündert und niedergebrannt. „Sie verschonten außerhalb der Burgmauern nichts, plünderten und erschlugen auf den 34

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Die Mongolenschlacht bei Liegnitz 1241 aus der Chronik der heiligen ­Hedwig (14. Jh.).

Straßen, in den Häusern und auf den Feldern Männer und Frauen von vornehmer wie niedriger Abkunft. Was weiter? Sie nahmen keine Rücksicht auf Geschlecht oder Alter“, kommentiert Magister Rogerius.11 Die Mongolen zogen sich daraufhin aus der Stadt zurück und ermunterten jene, die in der Burg Zuflucht gesucht hatten, in die Stadt zurückzukehren. Dann griffen sie erneut an und setzten diesmal Belagerungsgeschütz ein, um die Mauern der Burg zu durchbrechen und alle zu töten, derer sie habhaft wurden. Bei Magister Rogerius lesen wir weiter: „In anderen Kirchen aber begingen sie so viel Verbrechen an den Frauen, dass es besser ist, darüber zu schweigen, um den Menschen nicht Anreiz zu den verworfensten Schandtaten zu geben.“ Die Mongolen zogen sich erneut zurück und die Menschen strömten aus den Wäldern hervor, um in der Stadt nach etwas Essbarem zu suchen. Daraufhin kehrten die Soldaten plötzlich zurück und töteten alle, die noch am Leben waren. „So fanden bis zuletzt täglich neue Gemetzel statt. Da sie [die Mongolen] keine Opfer mehr fanden, rückten sie endgültig ab.“12 35

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Unter diesen Umständen half Magister Rogerius selbst die Zuflucht auf eine Festungsinsel in der Donau nicht. Die Mongolen überlisteten die Verteidiger und drangen ungehindert aus einer völlig unerwarteten Richtung ein. Magister Rogerius schreibt: „Als man die Beute fortgeschleppt hatte, blieben nur die entblößten ­Leichen von Frauen und Männern auf dem Platz, die einen zum Hohn zerstückelt, andere noch ganz unversehrt.“13 Einmal mehr täuschten die Mongolen den Abzug vor und kehrten zurück, um dem Rest der Bevölkerung den Garaus zu machen. Die Mongolen nahmen auch die eisern verteidigte ungarische Hauptstadt Gran ein und nahmen bittere Rache an den Adligen der Stadt, die den Befehl zum Niederbrennen der Holzhäuser und Vororte um die Burg gegeben und den Mongolen so die erhoffte Beute vorenthalten hatten. Anstatt sich die vornehmen und schön gekleideten Frauen zu nehmen, wie die Frauen gehofft hatten, ließen die Mongolen ihnen alle Wertsachen abnehmen und sie enthaupten. Nach Schätzungen von Magister Rogerius überlebten nicht mehr als 15 Menschen die Tötungsorgie, bei der Menschen bei lebendigem Leib verbrannt wurden.14 Im Frühjahr 1242 starb Ögedei Khan und einer der Anwärter auf seinen Thron, Batu, kehrte mit seinen Armeen in die Mongolei zurück, um sich seinen Platz in der Nachfolge zu sichern. Kaum war er angekommen, zogen die Mongolen aus Ungarn ab, töteten die meisten Gefangenen und nahmen andere mit sich. Abgesehen von einigen steinernen Festungen und Burgen, die den Angriffen der Mongolen standhielten, war Ungarn durch den Einmarsch und die Okkupation seiner Gebiete im Lauf des Jahres vollständig verwüstet worden. Gut die Hälfte seiner Bevölkerung kam bei der Katastrophe ums Leben. Worum ging es bei den Morden und dem Völkermord der Mongolen? Warum kamen so viele Menschen durch den Gründer der Mongolendynastie Dschingis Khan und seine Nachkommen ums Leben? Diese Frage lässt sich nicht so leicht beantworten. Sicherlich war das Töten von echten oder vermeintlichen Feinden für die Anführer der Mongolen kein Grund zu großer Besorgnis. Es schien 36

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keinen Moralkodex zu geben, der das Töten von politischen Rivalen oder ihres Volkes verurteilte. Massaker waren ein fester Bestandteil der Eroberungen und Herrschaft über andere Länder. Sie waren ­a llerdings nicht einfach ein Teil der Kriegsführung. Nach ihrer Unterwerfung wurden die beteiligten Völker unter einzelnen mongolischen Kämpfern aufgeteilt, die dann ihre jeweilige Quote hinrichteten. Die Mongolen betrieben insofern Vernichtung, als sie an den Ort der Massenmorde zurückkehrten und dafür sorgten, dass alle eventuell Überlebenden getötet wurden. Sicherlich fügten die verheerenden Verwüstungen der Mongolen in den ländlichen Gegenden und das mitunter jahrelange Abschneiden von der Nahrungs- und Wasserzufuhr den Feinden, die sich in Burgen und Festungen verschanzten, enormes Leid und Tod in Form von Hunger oder Krankheiten zu. Als die Mongolen in den 1230er-Jahren China zu erobern versuchten, war dies außerdem mit Hungersnöten und Seuchen verbunden. Hinzu kamen Naturkatastrophen: Die chinesische Bevölkerung sank um bis zu 25 Prozent und die Entwicklung Chinas fiel um Jahrhunderte zurück.15 Zahlreiche Historiker verweisen auf den vorsätzlichen und geplanten Charakter der Tötungen der Mongolen. In den Königreichen Ungarn und Choresmien betrieben die Mongolen Völkermord. Als Teil ihrer imperialen Politik massakrierten sie einen Großteil der Zivilbevölkerung, wohin sie auch kamen. Sie schienen zu verstehen, welche Rolle Terror und psychologische Kriegsführung bei der ­Zerstörung der Widerstandsfähigkeit des Feindes spielen konnten. Magister Rogerius beschreibt die entsetzliche Furcht, die die überlebenden Ungarn – und er selbst – erlebten, als sie von den mongolischen Armeen umzingelt wurden und nach Verstecken im Wald Ausschau hielten: „Ich stelle mir vor meinem inneren Auge die Schlächter vor, und mein Körper wurde kalt vom Todesschweiß. Ich sah Menschen, die den Tod erwarteten und weder die Hände und Waffen ruhig halten noch die Arme heben, zur Verteidigung schreiten und zu Boden blicken konnten. […] Ich erblickte Menschen, die vor panischer Furcht halbtot waren.“16 Diese Art von Terror erleichterte den Mongolen ihre Eroberungen und ihre Herrschaft ungemein. 37

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Unter Dschingis Khan, Ögedei Khan und deren Erben bezogen die Mongolen ihre Macht aus ihren Streitkräften und der Fähigkeit, in erbitterter und geordneter Manier auf ausgedehnten Territorien zu kämpfen. Aufgrund von internen Machtkämpfen unter den Nachkommen des Großen Khans zerfiel das einheitliche Reich schließlich in verschiedene politische Einheiten, die sich je nach Glück, Möglichkeit und Ort in eigene Richtungen entwickelten. Die Mongolen sollten somit nie wieder Europa bedrohen und nie wieder in der Lage sein, dieselbe geschlossene Kriegsmaschinerie in Gang zu setzen, die seinerzeit mit so viel Macht und Gewalt Choresmien und Ungarn eroberte. Wie die Mongolen waren auch die Kreuzfahrer berittene Krieger, wenngleich sich ihre Kampftraditionen und Waffen sehr von denen der Mongolen unterschieden. Die Kreuzfahrer kämpften als Soldaten Christi mit einer allumfassenden mittelalterlichen römisch-­ katholischen Ideologie, die in dem Blut Christi schwelgte und die kriegswütigen Anweisungen des Alten Testaments auf all jene übertrug, die dem Volk Gottes Jerusalem verweigerten. Das Kreuz auf sich zu nehmen, bedeutete für einen Kreuzfahrer, seine Ergebenheit gegenüber dem Papst auszudrücken und seinem Aufruf zum Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen zu folgen. Bei einem möglichen Tod auf dem Kreuzzug bedeutete es auch den Erlass aller Sünden und die Befreiung von allen Schulden und Eigentumsansprüchen. In derartigen Kriegen konnte ein Kreuzfahrer nach Belieben vergewaltigen, plündern und töten, da es laut päpstlichem Beschluss in einem von Christus gesegneten Feldzug keine Sünde geben konnte. Zudem eröffnete eine Teilnahme die Möglichkeit materieller Bereicherung, die sich trotz mancher Proteste gegen ihre ungeheuerlichsten Auswüchse bestens mit dem festen Glauben an das heilige Projekt, die Feinde des Herrn auszumerzen und Jerusalem in seinem Namen einzunehmen, kombinieren ließ. Im November 1095 rief Papst Urban II. zu einem Kreuzzug in den Nahen Osten auf, zum sogenannten Ersten Kreuzzug. Der Papst stand vor einer Reihe von Problemen. Zunächst ereilte ihn ein Hilfegesuch des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos, ihn gegen 38

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die seldschukischen Türken zu unterstützen. Die Seldschuken hatten die Byzantiner in der Schlacht bei Manzikert 1071 geschlagen und rückten immer näher an Konstantinopel heran; 1081 belagerten sie bereits Nicäa. Zudem war eine „Reconquista“, eine Wiedereroberung Spaniens, dringend geboten, um das Vorrücken des Islam und des bereits den Großteil der Iberischen Halbinsel umfassenden alAndalus rückgängig zu machen. Nicht zuletzt war der Papst aufgrund von Berichten über muslimische „Freveltaten“ gegen Pilger in Jerusalem und von Schauergeschichten über Angriffe der Seldschuken auf die Christen der Ostkirche zutiefst beunruhigt: „Und deshalb ermahne ich, nein, nicht ich, ermahnt Gott euch als inständige Herolde Christi mit aufrechter Bitte, Männer jeglichen Standes, ganz gleich welchen, Ritter wie Fußkämpfer, reiche und arme, wiederholt aufzufordern, diese wertlose Rasse in unseren Ländern auszurotten und den christlichen Bewohnern rechtzeitig zu helfen.“17 Robert der Mönch predigte, die Mohammedaner seien ein grausames und unsauberes Volk, „eine verfluchte Rasse, eine vollkommen von Gott entfremdete Rasse“, während Balderich von Bourgueil sie für „abscheulicher als die Jebusiter“ hielt, ein von Kanaan abstammendes Volk, das von den Israeliten vernichtet wurde.18 Die Sarazenen (ein seinerzeit generischer Name für alle Muslime aus dem Nahen und Mittleren Osten) hätten jeden Christen grob beleidigt, predigte Odo von Châteauroux. Um Mattatias in 1 Makkabäer 2 zu zitieren: „Ach, warum bin ich geboren, dass ich erleben muss, wie man mein Volk vernichtet und die heilige Stadt zerstört? Ohnmächtig musste man zusehen, wie sie in die Gewalt ihrer Feinde geriet, wie die heilige Stätte Fremden in die Hände fiel. […] Seht, unser Heiligtum, unsere Zierde und unser Ruhm, liegt verödet; fremde Völker haben es entweiht. Wozu leben wir noch?“ Wie Mattatias rief der Prediger seine Zuhörer dazu auf, sich um jeden Preis für die Befreiung Israels einzusetzen.19 Diese und andere katholische Kleriker stellten eine Vision des Nahen Ostens als das biblische Land in Aussicht, wo „Milch und Honig fließen“, wo das Leben im Gegensatz zum kargen Boden Frankreichs sorgenfrei und vielfältig war, während dort Knappheit und Armut zu ständigen Kriegen führten. 39

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Auch in Europa machte man sich Sorgen um die Gewalt von fahrenden Rittern, die nach dem Zusammenbruch des Karolingerreichs im 10.  Jahrhundert Stadt und Land gleichermaßen zerstörten. Die Päpste entwickelten die Doktrin von „Frieden und Gottvertrauen“, um christliche Ritter davon zu überzeugen, von internen Kämpfen abzulassen und die von Rom ergangenen Aufrufe zu einem Waffenstillstand zu befolgen. Zugleich suchten die Päpste jedoch nach Mitteln und Wegen, diese Ritter vom Kampf gegen die Feinde des Christentums zu überzeugen, sei es in Spanien, dem Nahen Osten oder Europa, wo sich gewisse Fürsten des Heiligen Römischen Reiches gegen die Einmischung des Papstes in die Politik wehrten. Mit anderen Worten: Päpstliche Vorstellungen vom Heiligen Krieg entsprangen zu Beginn des neuen Millenniums einer Vielzahl von Gründen, die mit der Reformbewegung innerhalb der Kirche in Verbindung standen.20 Im Juli 1095 reiste Urban II. in seine Heimat Frankreich und verurteilte auf dem Konzil von Clermont nicht nur die Gewalt in Europa, sondern berichtete auch von Folter und Misshandlungen der Pilger im Heiligen Land. Sein Aufruf, freiwillig in den Kampf zu ziehen, fand überwältigenden Anklang. Namhafte Persönlichkeiten wie Raimund IV., Graf von Toulouse, und Bischof Adhemar von Le Puy waren ebenso zum Aufbruch bereit wie Hunderte von Angehörigen des niederen Adels und sogar des gemeinen Volks, die sich infolge einer Mischung aus großer Frömmigkeit, der Begeisterung des Moments und der Hoffnung auf Flucht aus ihren wirtschaftlichen Nöten anschlossen. Der sogenannte Volkskreuzzug unter der Führung des charismatischen Predigers Peter des Einsiedlers erreichte Konstantinopel Monate vor dem Hauptheer des Ersten Kreuzzugs. Angesichts ihrer gewalttätigen und zügellosen Aktionen wurde die hauptsächlich aus Bauern bestehende Armee jedoch von Alexios II. zum Verlassen der Stadt gezwungen und damit dem Tod durch die türkischen Seldschuken überlassen. Das Gros der Kreuzritter – rund 30.000 bis 35.000 Kämpfer, darunter 5.000 Reiter  – schaffte es ebenso bis nach Konstantinopel, wo Alexios II. aus Sorge vor möglichen Unruhen angesichts des Bedarfs an Nachschub und Ausrüstung rasch ihre Ausreise erleichterte. 40

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Für Alexios eroberten die Kreuzritter Nicäa von den Seldschuken zurück und belagerten dann am 20. Oktober 1097 die große und prächtige Stadt Antiochia. Dort kämpften sie acht Monate bis zur endgültigen Kapitulation. Die Schilderung der Kampfszenen durch Raimund von Aguilers, den Domherrn von Notre Dame de Puy, offenbart trotz zahlreicher eingeflochtener Verweise auf die Gegenwart Gottes die Brutalität der Kreuzritter. Über die Einnahme einer der Festungsanlagen in Antiochia schrieb er: „Als der Kampf und die Beute gewonnen waren, trugen wir die Köpfe der Ermordeten ins Lager und steckten sie als düstere Mahnung an die dramatische Lage ihrer türkischen Verbündeten und an das künftige Elend der Belagerten“ auf Pfähle. Dies war selbstverständlich „Gottes Gebot“, denn „die Türken hatten einst Schande über uns gebracht, als sie die Spitze des erbeuteten Banners der Heiligen Jungfrau in den Boden rammten“. Nach dem Fall von Antiochia am 3. Juni schrieb Raimund von Aguilers, die Zahl der gefallenen Türken und Sarazenen sei unermesslich „und es wäre sadistisch, von den neuartigen und vielfältigen Tötungsmethoden zu berichten“.21 Im Streit um das Schicksal Antiochias fiel die Stadt schließlich an Bohemund von Tarent, der sich weigerte, sie an die Byzantiner zurückzugeben, und stattdessen einen Kreuzfahrerstaat im Umland errichtete. Die übrigen Kreuzritter zogen zur Belagerung von Jerusalem nach Süden. Auf dem Weg dorthin marschierte Raimund IV. durch Syrien und eroberte al-Bara, die erste Stadt der Sarazenen auf seinem Weg. Nach den Berichten von Raimund von Aguilers „brachte er Tausende um, schickte weitere Tausende zurück, die in die Sklaverei nach Antiochia verkauft wurden, und befreite jene Feiglinge, die vor dem Fall von al-Bara kapitulierten“.22 Die Plünderungen und Hinrichtungen gingen weiter, während die Kreuzfahrer aufgrund des Widerstands der Garnisonen der Seldschuken und Sarazenen gleichzeitig an entsetzlicher Nahrungsmittelknappheit litten. Kannibalismus wurde zu einem weitverbreiteten Phänomen, da „die Christen mit Begeisterung viele verweste Leichen der Sarazenen aßen, die sie zwei oder drei Wochen zuvor in die Sümpfe geworfen hatten“. Unter den Kreuzfahrern kam es erneut zum Streit, ob man 41

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bis nach Jerusalem vorrücken oder die Plünderungs- und Belagerungszüge auf andere Städte ausweiten solle. „Warum sollen wir gegen die ganze Welt kämpfen?“, fragte Tankred. „Sollen wir die gesamte Menschheit töten? Überlegt doch mal; von 100.000 Rittern bleiben kaum weniger als 1000, und von 200.000 Mann bewaffnetem Fußvolk sind weniger als 5000 noch kampfbereit. Sollen wir herumtrödeln, bis wir alle umgebracht worden sind?“23 Trotz der zahlreichen Ablenkungen auf dem Weg, die üblicherweise von der Hoffnung auf Beute und Reichtümer befeuert wurden, belagerten die Kreuzfahrer schließlich Jerusalem. Hier stießen andere Gruppen von Kreuzfahrern zu ihnen, die auf dem Seeweg ins Heilige Land gelangt waren. Selbst nach den Berichten von Raimund von Aguilers, der zu übertriebenen Zahlen neigte, waren die Truppen der Kreuzfahrer minimal: „Wir hatten nicht mehr als 12.000 kriegstüchtige Männer neben zahlreichen Behinderten und Armen und, wie ich glaube, nicht mehr als 1200 bis 1300 Ritter.“ Ihnen gegenüber standen „60.000 Kämpfer in Jerusalem und unzählige Frauen und Kinder“.24 Die Belagerung Jerusalems erwies sich angesichts der zahlreichen schützenden Festungen als schwierig und kompliziert und die Kreuzritter sorgten sich um die Truppenverstärkungen, die zur Unterstützung der Verteidiger angeblich von Ägypten aus losmarschiert waren. Der Legende nach soll der Priester Peter Dibelius eine Vision gehabt haben, in der der kurz zuvor verstorbene Bischof Ademar die Kreuzfahrer anwies, zu fasten und dann – ähnlich wie bei der Eroberung Jerichos im Buch Josua – in einer Barfußprozession um Jerusalem zu marschieren. Auf diese Weise durchbrachen sie im Juli 1099 die inneren Mauern von Jerusalem, fielen über die Stadtbewohner her und töteten neben ihrer Hauptzielgruppe, den Muslimen, auch Christen und Juden. „Einige der Heiden“, schrieb Raimund von Aguilers, „wurden gnädigerweise enthauptet, andere von aus Türmen abgeschossenen Pfeilen durchbohrt und wieder andere, die lange gefoltert worden waren, wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Berge von Köpfen, Händen und Füßen lagen in den Häusern und Straßen umher 42

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Die Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer 1099. Illustration aus Guillaume de Tyr, Histoire d‘Outremer.

und die Männer und Ritter rannten über den Leichen hin und her.“ Im Tempel Salomons, so berichtet Raimund von Aguilers unter Rückgriff auf einen biblischen Verweis aus der Offenbarung des ­Johannes, „ritten Kreuzfahrer bis zu den Knien und Zügeln ihrer 43

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Pferde in Blut“.25 Muslimische Überlebende des Gemetzels wurden gezwungen, die Leichen vor die Tore der Stadt zu tragen, wo sie zur Verbrennung „haushoch“ aufgetürmt wurden.26 Nach Ende der Gefechte wurde Gottfried von Bouillon zum König von Jerusalem gewählt; das Ziel des Ersten Kreuzzugs war erreicht. In den Jahren nach der Eroberung Jerusalems versuchte das Pontifikat, den Reform- und Einigungswillen in der Kirche für das Bezwingen der Feinde in Europa zu nutzen. Der Papst berief sich auf Vorstellungen eines Heiligen Krieges, um eine ganze Fülle von Pro­ blemen zu bekämpfen, darunter den weitverbreiteten Ämterkauf innerhalb der Kirche und die zunehmende Bedrohung durch routiers, Banden von gesetzlosen Söldnern, die insbesondere im südfranzösischen Okzitanien und Aquitanien den Handel unterbrachen. In den 1170er- und 1180er-Jahren überlagerte sich das Problem der routiers mit dem der so empfundenen Bedrohung durch den Katharismus.27 Die sich von Südfrankreich nach Norditalien und Nordspanien ausbreitenden Katharer, eine radikal dualistische Strömung des Christentums, lehnten die – in ihren Augen diabolische – Autorität des Papstes ab, verweigerten die Sakramente (einschließlich der Ehe) und betonten den Kampf zwischen Gut und Böse in der Seele des Einzelnen. Fürsten im Süden Frankreichs betrachteten die Katharer meist wohlwollend und schützten die arbeitsamen und friedfertigen ­„Häretiker“ vor päpstlichen Repressalien, so wie sie häufig ebenfalls die routiers vor der wachsenden Macht des Königs von Frankreich und seinen Versuchen bewahrten, den Verkauf ihrer Dienstleistungen an die aufsässigen Feudalherren im Norden zu unterbinden. Insbesondere im Languedoc und im umliegenden Okzitanien schien es dem lokalen Adel von Vorteil, die Unabhängigkeit der Katharer und das Militärpotenzial der routiers zu fördern. Ganz besonders ärgerte sich der Papst über Raimund VI. von Toulouse, der die routiers nicht nur untergebracht, sondern sogar auf seinem Land beschäftigt und die Katharer darin bestärkt hatte, sich zu vermehren und in seinen Städten zu prosperieren. Papst Innozenz III. sandte zunächst Diplomaten und Prediger, um die Katharer für die Sache der römischen Kirche zu gewinnen. 44

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Als er die Andersgläubigen jedoch nicht mit Argumenten über­ zeugen konnte, griff der Papst zu gewalttätigen Mitteln. 1204 stellte er dem König von Frankreich, Philipp II. August, bei einer Intervention denselben Ablass in Aussicht, den er den Kreuzfahrern in Nahost gewährt hatte: „Damit das physische Schwert für alle sichtbar die Unzulänglichkeit des geistigen Schwertes wettmache und Ihr, ganz abgesehen von dem zeitweiligen Ruhm, den Ihr durch so fromme und lobenswerte Arbeit erwerben werdet, denselben Sündenerlass erringen mögt, den wir jenen gewähren, die zur Unterstützung ins Heilige Land ziehen.“28 Der König war jedoch nicht willens, selbst einzurücken oder die Leitung des Feldzugs seinem Sohn Louis zu übertragen. Zu Beginn des Jahres 1208 traf der päpstliche Legat Pierre de Castelnau mit dem unbeirrbaren Raimund VI. zusammen. Ihr Gespräch endete mit der Exkommunikation Raimunds VI., da dieser sich weigerte, seine Schutzherrschaft gegenüber den Katharern aufzugeben. Auf seiner Rückreise nach Rom wurde Pierre de Castelnau  – höchstwahrscheinlich von einem von Raimunds Rittern  – ­getötet. Innozenz III. rief nun zu einem Großkreuzzug gegen die ­K atharer auf, zum sogenannten Albigenserkreuzzug (benannt nach einer wichtigen Diözese, Albi, in der zahlreiche Katharer lebten), und gewährte den teilnehmenden Rittern alle Ablässe und Vorzüge, die die Kreuzfahrer genossen hatten. Ein noch wichtigerer Anreiz zum Einrücken war vielleicht das Angebot des Papstes, den Kreuzrittern die Gebiete der Katharer und ihrer adligen Schutzherren zu überlassen. Die Ritter hatten so die Möglichkeit, sich Lehen im Süden zu sichern, was die Adligen aus Nordfrankreich mit Unterstützung des Königs nur allzu beflissen taten. Sie legten das Kreuzzeichen an und versammelten sich in Montpellier zum Kampf, angeführt von dem Earl of Leicester Simon de Montfort, einem militanten Katholiken, sowie dem päpstlichen Legaten Arnold Amalrich, dem Abt des Klosters Citeaux. Montpellier war eine der wenigen Städte im Süden mit einem unerheblichen Anteil an Katharern. Zu ihnen hinzu stießen Gruppen von routiers, die getreu ihrem Beruf bereit waren, ihre Dienste meist45

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bietend zu verkaufen, obwohl sie bislang zusammen mit den Katharern von den Fürsten im Süden beschützt worden waren. Während Raimund VI. von Toulouse den Papst durch die Abtretung verschiedener seiner besten Burgen zu beschwichtigen versuchte, waren Raimunds Vasallen, der Vizegraf Raimund-Roger Trencavel und die Grafen von Foix und Comminges, zum Widerstand entschlossen.29 Die Kreuzfahrer belagerten daraufhin Béziers, während Raimund-Roger sich in seine wehrhafte Stadt Carcassonne zurückzog. Der Bischof von Béziers drängte nun die Bürger der Stadt, 222 Häretiker – zumeist Familienoberhäupter – an die Kreuzfahrer auszuliefern, damit diese im Gegenzug die Belagerung auf­ gäben. (Einige von ihnen waren Waldenser, eine kleinere, aber verwandte Gruppe von Häretikern.) Katholische Bürger hatten außerdem die Möglichkeit, die Stadt zu verlassen. Beide Optionen lehnten die Stadtbewohner ab. Wie die italienischen Stadtstaaten pflegten die südfranzösischen Städte einen leidenschaftlichen Geist der Unabhängigkeit und des Widerstands gegen den Herrschaftsanspruch des Papstes. Als die Bürger von Béziers fatalerweise versuchten, die Kreuzritter in einen Kampf zu verstricken, ließen sie jedoch die Stadttore offen. Die Kreuzfahrer und ihre Verbündeten drängten daraufhin in die Stadt und verübten eines der schlimmsten Massaker in der Geschichte des mittelalterlichen Europa. Einer der päpstlichen Legate wurde angeblich gefragt, wie man die Katharer in den Kämpfen von den Katholiken unterscheiden könne. Seine Antwort: „Tötet sie alle, denn Gott wird die Seinen schon erkennen.“30 Ob diese Aussage wahr ist oder nicht: In jedem Fall töteten die Kreuzfahrer Tausende von Stadtbewohnern; sie zerrten die Katholiken ­regelrecht aus den Kirchen  – Männer, Frauen und Kinder  – und brachten alle um. So notierte ein Chronist: „Nichts konnte sie retten, weder das Kreuz noch der Altar. Frauen und Kinder wurden getötet, Priester wurden von diesen verrückten, schändlichen Fußsoldaten getötet. Niemand entkam ihnen; möge Gott, so er will, ihre Seelen im Paradies aufnehmen. Ich glaube nicht, dass jemals ein so ungeheures und grausames Massaker stattgefunden hat, noch nicht einmal zur Zeit 46

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der Sarazenen.“31 Es war eine entsetzliche Orgie der Gewalt; vor ihrem Tod wurden die Opfer geblendet, gefoltert und verstümmelt. Die Ritter erhoben nur dann Einspruch, wenn es zu exzessiven Plünderungen durch die Armee kam. Waren die Einwohner niedergemetzelt, wurde die Stadt in Brand gesteckt. Zufrieden mit ihrem Werk, schrieben die Legaten Milo und Arnold Amalrich an Papst Innozenz III.: „Unsere Männer haben ohne Rücksicht auf Rang, Geschlecht oder Alter niemanden verschont und fast 20.000 Menschen mit dem Schwert gerichtet. Nach diesem großen Gemetzel wurde die gesamte Stadt geplündert und in Brand gesteckt, während Gottes Rache wunderbar wütete.“32 Die Nachricht von den in Béziers erlebten Gräueln verbreitete sich rasch im gesamten Languedoc. Die Kreuzfahrer zogen von Stadt zu Stadt, nahmen katharische Häretiker fest und töteten sie. In Lavaur wurden an einem einzigen Tag rund 400 Katharer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.33 Unterdessen stellten sich anfangs widerständige Adlige nun den Kreuzrittern und verzichteten zur Rettung des eigenen Lebens und das der Katholiken auf ihre Schlösser und darauf, die Katharer weiterhin zu schützen. Raimund VI. von Toulouse, der seine Entourage in Carcassonne verteidigt hatte, ergab sich schließlich den Kreuzfahrern, um sein Leben und das der Stadtbewohner zu retten. In diesem Fall durften die Katharer zwar die Stadt verlassen, doch es kam zu organisierten und systematischen Plünderungen. Raimund-Roger wurden seine Ländereien zugunsten des Grafen Simon de Montfort aberkannt und er verbrachte die Jahre bis zu seinem Tod 1209 im Gefängnis. De Montfort starb während der Belagerung von Toulouse, das er als sein Lehen beanspruchte. Raimund VII. von Toulouse erzielte unter­ dessen eine Übereinkunft mit dem Papst: Er durfte seine Ländereien behalten, im Gegenzug dafür aber würde er sich der Kirche anschließen, die Häretiker verfolgen und die Inquisition in Toulouse unterstützen. Folter, Terror und Hinrichtungen sollten die nächsten 50 Jahre das Schicksal der Katharer und ihrer Unterstützer prägen. Papst Innozenz zeigte sich äußerst zufrieden. Er besaß nun eine Waffe, mit der er aufständischen Städten drohen und sie unter seine 47

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Kontrolle bringen konnte. Für sein Selbstverständnis und sein Machtstreben war die von Häretikern und Andersdenkenden ausgehende „innere Bedrohung“ für das Christentum ebenso wichtig wie die „äußere Bedrohung“ durch den Islam im Nahen Osten und in Spanien. In einem Brief vom Oktober 1212 drohte der Papst den Mailändern das Schicksal der Städte im Languedoc an, wenn sie weiterhin Häretikern in ihrer Mitte Unterschlupf gewähren sollten: „Keine Schar kann dem Herrn der Heere widerstehen, wenn man von Beispielen [der Vernichtung!] aus dem Alten Testament absieht. Genau so, wie er kürzlich die Häretiker in der Provence unterworfen hat“ und die Muslime im Sieg von Las Navas de Tolosa (Juli 1212) vernichtend schlug, „so hat er die Macht, eure Stadt in Schutt und Asche zu legen.“34 Die Vorstellung eines „Heiligen Krieges“ in den Kreuzzügen enthielt im Kern bereits den Genozid. Christliche Ritter waren aufgerufen, auf Geheiß des Stellvertreters Christi auf Erden, des Papstes, eine „niederträchtige und verachtenswerte Rasse“ im Namen der Reinheit der katholischen Kirche zu vernichten. Diese mächtige Ideologie verschmolz mühelos mit Ambitionen auf materielle Vorteile und dem Traum von Reichtum, was eine Generation an Rittern und Faktoten zu gefährlichen Missionen im Nahen Osten und zu einer Reihe von Feldzügen gegen die Feudalherren im Languedoc aufbrechen ließ. Der Papst und sein Legat planten einen Angriff auf die Katharer, der sie und ihre Sympathisanten restlos auslöschen sollte. Eingeleitet hatte den Prozess ein Kreuzzug nach dem Modell des Kreuzzugs im Nahen Osten. Die folgende Inquisition brachte die Vernichtung einer religiösen Gruppierung, die sich von ihren Nachbarn vor allem durch ihre Glaubenslehre unterschied, zum Abschluss. Die Raubzüge und das Gemetzel der Kreuzfahrer im Nahen Osten nahm genozidale Ausmaße an, war aber häufig so wahllos – bei der Eroberung von Béziers und Jerusalem kamen Menschen unterschiedlicher Religionen ums Leben –, dass die Verbrechen den groß angelegten Massakern an ganzen Stadtbevölkerungen durch die Mongolen ähnelten. Manche Kritiker finden es problematisch, das mörderische Vorgehen der Mongolen trotz seines weitverbreiteten und gehäuften 48

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Die Vertreibung der Katharer nach der Belagerung von Carcassonne durch die Kreuzritter unter Simon IV. de Montfort 1209. Buchmalerei (14. Jh.) aus der Grandes Chroniques de France.

Auftretens als Genozid zu bezeichnen. Doch die Mongolen planten ihre Offensiven gegen ihre Feinde häufig mit großer Akribie und dem klaren Ziel, alle oder einen Teil der betroffenen Bevölkerung zu vernichten. Die Mongolen löschten widerständige Gruppen en masse aus und kehrten sogar in zerstörte Städte zurück, um die letzten Überlebenden zu ermorden. Ja, die Mongolen identifizierten keine einzelne Gruppe oder Ethnie, die ausgemerzt werden sollte. Tatsächlich blieb keine Gruppe verschont, wenngleich Handwerker, 49

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Kaufleute und Bauarbeiter häufig ein neues Zuhause bei den ­Mongolen fanden. Völker wie die Ungarn, die Choresmier und die Chinesen wurden mit einem genozidalen Furor angegriffen, der große Bevölkerungsgruppen drastisch auf einen Bruchteil ihrer einstigen Anzahl dezimierte. Die Gruppe „als solche“ sollte ausgelöscht werden. Anders als die Kreuzfahrer waren die Mongolen von keiner Ideologie motiviert, die Zerstörungen rechtfertigte. Das Morden war vielmehr eine Form des „Empire Building“ – ein Mittel der Gebietsvergrößerung, der Terrorisierung von Gegnern und der Einverleibung zahlreicher Völker und Kulturen in ein ausgedehntes Territorium, das an manchen Stellen vom Mittelmeer zum Pazifik reichte. Massenmorde, in manchen Fällen Völkermorde, bedurften keiner Rechtfertigung. Sie waren ein Faktum mongolischer Macht und Herrschaft.

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Die spanische Eroberung

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ie Ankunft der Spanier in der Neuen Welt nach Christoph Kolumbus’ abenteuerlicher Reise 1492 war für die Völker Zentralund Südamerikas und der Karibik ein absolutes Desaster. Egal, welche Stärken und Fähigkeiten die Kulturen Amerikas hatten, gegen die Spanier mit ihrer Mischung aus katholischem Eifer, materieller Raffgier und überlegenen Kriegswaffen  – Stahlschwertern, Rüstungen, tödlichen Hakenbüchsen und furchterregenden Schlachtrossen –, die nichts als Tod und Zerstörung über die Region brachten, waren sie machtlos. Die Völker Amerikas wurden von den Spaniern pauschal mit dem Namen „Indios“ belegt, da Kolumbus zunächst meinte, das sagenumwobene Indien erreicht zu haben. Unter den Konquistadoren, die ihm in die Region folgten, waren entfernte Verwandte aus der Extremadura: Hernán Cortés, der Eroberer des Aztekenreichs, und Juan Pizarro, der Eroberer des Inkareichs. Sie waren Abenteurer auf der Suche nach Status und Reichtum, die im Auftrag der spanischen Krone zu ihren Expeditionen aufbrachen. Begleitet wurden sie von einer bunten Schar von Soldaten, die nach Abschluss der Reconquista 1492 in Spanien keine Aufgabe mehr hatten, und von Priestern, die die Indios missionieren wollten. Die Konquistadoren waren keine Kreuzfahrer im engeren Sinn; sie erhielten keinen besonderen päpstlichen Dispens für ihre Dienste. Ihre Einstellungen und Praktiken ähnelten jedoch sehr den päpstlichen Feldzügen im Nahen Osten und in Südfrankreich. Cortés, der die Azteken besiegte und Mexiko für Spanien eroberte, hatte ein Bild der Muttergottes bei sich und kämpfte und eroberte unter dem Kreuzbanner, das den Wahlspruch der Kreuzfahrer trug: in hoc signo vinces – „in diesem Zeichen sollst du siegen“.1 Die Konquistadoren brachten auch eine Form von Protorassismus mit sich, die sich aus den Vorurteilen der Post-Reconquista-Ära gegen missionierte Muslime und Juden speiste.2 Für die Indigenen der Neuen Welt bedeutete 51

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die Hybris religiöser und rassischer Überlegenheit, verbunden mit materiellen Anreizen, den Untergang. Manche Wissenschaftler betrachten die Anfangsphase der spanischen Eroberung – von Kolumbus’ erstem Landgang auf den Bahamas bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts – als die Zeit, die den ungeheuerlichsten Fall von Genozid in der Geschichte der Menschheit darstellt. Die Anzahl der Toten in dieser Zeit könnte sich auf rund 70 Millionen Indigene (von insgesamt 80 Millionen) belaufen.3 Millionen Indios starben an Krankheiten  – insbesondere Pocken, Masern, Grippe und Typhus –, die im Zuge der Conquista nach Amerika gelangten. Fremde Mikroben breiteten sich schneller als die ­europäischen Eroberer aus und töteten den höchsten Schätzungen zufolge rund 95 Prozent der präkolumbischen Ureinwohner Amerikas, den niedrigsten Schätzungen zufolge rund die Hälfte.4 Uns liegen keine Belege dafür vor, dass die Spanier die indigene Bevölkerung vorsätzlich ansteckten. Die Spanier erlegten den Indios jedoch Bedingungen auf, die sie anfälliger für die eingeschleppten Krankheiten machten. Sie wurden als Zwangsarbeiter ausgebeutet und in Arbeitslagern zusammengepfercht, da insbesondere die Suche nach Gold und Silber ein frenetisches Interesse der Spanier an der Förderung von Edelmetallen entfesselte. Die Indios wurden gewaltsam aus ihren Häusern geholt und an fremde Orte gebracht, um dort lokale indigene Arbeitskräfte zu ersetzen, die inzwischen gestorben waren. Die Neuankömmlinge mussten ohne Wasser und Nahrung auskommen und wohnten, wenn überhaupt, in unhygienischen provisorischen Unterkünften. Sie wurden von ihren Familien und ihrem natürlichen Lebensumfeld getrennt, geschlagen, misshandelt und ihrer Freiheit beraubt. Wie Bartolomé de Las Casas, der Dominikanermönch und Kritiker der Conquista, in seinen Schriften betonte, führten die Bedingungen der Zwangsarbeit häufig direkt zur Auslöschung der Indios. Seine Beschreibung der Arbeit in den Minen von Hispaniola kann stellvertretend für ähnliche Szenen in allen von den Spaniern besetzten Gebieten Amerikas gelten. „[Frauen wie Männern] gaben sie nur Kräuter und andere gehaltlose Dinge zu essen. Den Wöchnerinnen versiegte die Milch in den 52

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Brüsten und in kurzer Zeit starben deshalb alle kleinen Kinder. Und da die Ehemänner weit entfernt waren und niemals die Frauen sahen, hörte bei ihnen die Fortpflanzung auf. Die Männer starben an Mühsal und Hunger in den Bergwerken und die Frauen in den estancias oder Landgütern ebenfalls und so ging die ganze große Volksmenge zugrunde, die auf jener Insel gelebt hatte, und so hätte man auch alle Menschen der Erde zugrunde richten können.“5 Die Formen brutaler Misshandlung waren vielgestaltig. Aufgrund der schwierigen Bedingungen töteten Sklavinnen mitunter ihre eigenen Kinder (und sich selbst). Ohne irgendwelche Bedenken gegenüber den Opfern und ihren in den Minen arbeitenden Ehemännern, Brüdern oder Söhnen vergewaltigten die Minenaufseher häufig Frauen oder beuteten sie sexuell aus. Die Sterblichkeit war zum Teil so hoch, dass niemand sich die Mühe machte, die Leichen zu begraben, woraufhin wilde Tiere und Vögel über sie herfielen. Erkrankten die Indios an der einen oder anderen Seuche, gab es niemanden, der sich um sie kümmerte oder ihnen etwas zu essen brachte. So starben sie schließlich „haufenweise, wie Wanzen“ (so der Franziskanermönch Motolinía)6 Die Spanier infizierten die Indios also vielleicht nicht absichtlich, doch war es eine Folge der von den Spaniern auferlegten extremen Bedingungen, dass so viele an diesen Krankheiten starben. Obwohl Krankheiten möglicherweise die relevanteste Todesursache für Millionen von Indios waren, die Amerika vor der Ankunft von Kolumbus dicht besiedelten, töteten die Spanier die Ureinwohner auch in einer Reihe von völkermordähnlichen Aktionen. Sie bestanden auf ihrer angeborenen Überlegenheit, der zufolge sie das Recht hatten, über die Indios zu herrschen und nach Belieben über ihr Leben zu verfügen – oder ihren Tod. So erklärte einer der damaligen Verfechter der Vernichtung der Indigenen, der Philosoph und Theologe Juan Ginés de Sepúlveda: „Zwischen ihnen [„diesen Barbaren“] besteht ein ebenso großer Unterschied wie zwischen wilden, grausamen Menschen und solchen von großer Sanftmut, zwischen vollkommen maßlosen und solchen, die maßvoll und enthaltsam sind, und fast möchte man sagen wie zwischen Affen und Menschen.“7 Sogar die Azteken, so Sepúlveda weiter, die ihre Kultur für 53

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überlegen hielten, Städte bauten und Handel trieben, besäßen kein Eigentum und seien vollkommen von der Gnade ihres Königs abhängig, was „den unterwürfigen und niederträchtigen Geist dieser Barbaren“ beweise. Insbesondere die religiösen Praktiken der Azteken, darunter Menschenopfer, beleidigten die Spanier und verletzten ihr Anstandsgefühl. „Der Krieg gegen diese Barbaren [diese unmenschlichen kleinen Männer] ist nicht nur aufgrund ihres Heidentums rechtens, sondern mehr noch aufgrund ihrer abscheulichen Unzüchtigkeit, ihrer ungeheuren Menschenopfer, dem extremen Leid, das sie unschuldigen Menschen zufügen, ihren entsetzlichen Banketten mit Menschenfleisch und der frevlerischen Verehrung ihrer Götzen.“8 Menschenopfer waren zweifellos Teil des religiösen Lebens der Azteken. Die Azteken beteiligten sich mitunter auch an extremen Gewalttaten gegen ihre Feinde. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass sie ähnlich wahllos und brutal vorgingen wie die Spanier. Sepúlveda schloss seine Rechtfertigung eines Kriegs gegen die Indios mit einem Verweis auf den Papst ab, der der spanischen Expedition nach Amerika seinen Segen gegeben hatte. Die Pflicht zur Missionierung begleitete diese neue Art von Kreuzfahrern auf dem Weg nach Amerika. Die mitreisenden Priester waren mitunter aufrichtige Männer Gottes, die die Verstümmelungen und Morde an den Indios um sich herum nicht duldeten. In seinem Brief an Philipp II. über die spanische Herrschaft in der Neuen Welt beklagte de Las Casas, die Anzahl der Priester sei zu gering und sie ständen zu sehr unter dem Einfluss der Raffgier der Gouverneure und des Militärs. Die Spanier behandelten die Indios schlimmer als Vieh, schrieb er, eher wie „den Kot auf den Straßen. Und geradeso haben sie für deren Leben und Seele gesorgt und darum sind all diese vielen, ja Millionen Leute ohne Glauben und ohne Sakramente gestorben.“9 Es gab Priester, die missionierte Indios mit dem Argument zu verteidigen suchten, diese seien nun Untertanen der spanischen Krone und könnten daher nicht auf Zwangsarbeit und Sklaverei durch die Gouverneure reduziert werden. Die spanische Krone zeigte ihrerseits wenig Begeisterung für die Sklaverei. Kolumbus’ Bemühungen, seine gewaltsamen Gebietsaneignungen in einen florierenden Sklavenhan54

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del für Spanien zu verwandeln, lehnte die spanische Krone ab und er landete sogar für kurze Zeit im Gefängnis. Als Königin Isabella I. von Kastilien versuchte, die Situation für die Indios durch encomiendas zu verbessern (ein System der Fron oder vertraglich verpflichteter Arbeit für einen Landbesitzer, in dessen Rahmen die Indio-„Bauern“ theoretisch vier Tage die Woche das Land der Spanier bestellen mussten und sich den Rest der Woche um ihre eigenen Parzellen kümmern konnten), wehrten sich die Spanier in den Kolonien erfolgreich gegen sämtliche Richtlinien, die sie bei der Ausnutzung der ­A rbeitskraft und des Lebens der Indios eingeschränkt hätten.10 1504 starb Isabella und rief in ihrem Testament dazu auf, die Indios „gut und gerecht zu behandeln“. König Ferdinand, ihr Ehemann, hielt jedoch am Recht auf Versklavung der Krone fest und die Behandlung der Indios wurde nach dem Tod der Königin nur noch schlimmer, wie de Las Casas anmerkt.11 1530 schaffte Karl V. die Sklaverei unter den Indios ab und 1542 wurden in den spanischen Kolonien neue Gesetze gegen die Sklaverei erlassen. In seiner päpst­ lichen Bulle von 1537 erklärte Paul III., die Indios seien „wahre Menschen“, die „die Fähigkeit zum christlichen Glauben besitzen“, und dürften daher nicht „ihrer Freiheit und ihres Besitzes […] beraubt werden“.12 Mitte des 16. Jahrhunderts wandelten sich also allmählich europäische Vorstellungen über den Umgang mit den Indios. Zugleich hatte das schlimmste demografische Desaster bereits stattgefunden. Die Spanier brachten nun afrikanische Sklaven mit in die Neue Welt, um die harte Arbeit zu erledigen, die man bislang den Indios auferlegt hatte. Die Anzahl der Afrikaner überstieg bald die ihrer spanischen Herren. Dennoch duldeten die Gouverneure der Kolonien und ihre Vertreter weiter die brutale Ausbeutung der Indios. Sepúlveda unterschlägt in seiner Abhandlung geflissentlich ein weiteres Charakteristikum der spanischen Eroberung, das zum Tod von Millionen Indios führte, und das war die pure Raffgier. Nach Ansicht von de Las Casas war sie die zentrale Triebfeder hinter der verbrecherischen Herrschaft der Spanier. „Der Grund, warum die Christen so viele und gerade diese Seelen in so unendlich großer Anzahl getötet und vernichtet haben, bestand 55

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allein darin, dass sie dem Gold als ihrem letzten Ziel nachjagten, innerhalb kürzester Zeit Schätze ansammeln und in einen sehr hohen Stand aufsteigen wollten, der nicht im mindesten ihrer Person entsprach […].“13 Der Franziskaner Motolinía stimmte ihm zu: „Wenn einer fragte, welches der Grund für all diese Übel gewesen ist, so würde ich sagen, die Habgier, der Wunsch, für ich weiß nicht wen ein paar Gold­ barren in der Schatulle zu haben.“14 Als Gold und Silber schließlich durch die Übernahme der von den Azteken und Inka betriebenen Minen in greifbare Nähe rückten, nahm die „unersättliche Gier“ (de Las Casas) der Spanier ein Ausmaß an, das alle möglicherweise vorhandenen Vorbehalte hinsichtlich der Ausbeutung der Ureinwohner aus dem Weg räumte. Ein Chronist bemerkte über die Eroberer der Inka: „Täglich dachten sie an nichts anderes als an das Gold und das Silber und die Schätze der Indios von Peru. Sie benahmen sich wie Verzweifelte, Wahnsinnige, Verrückte, waren völlig außer sich in ihrer Gier nach Gold und Silber.“15 Vor diesem Hintergrund bedeutete das Leben der Indios so gut wie nichts. Als Kolumbus zunächst auf der Bahamas-Insel Santa Maria de la Conception (dem heutigen Rum Cay) an Land ging und dem friedfertigen Stamm der Lucaya begegnete, ließen die ersten Einträge in seinem Bordbuch ein Interaktionsmuster erkennen, das zum Muster für die kommenden Jahrhunderte werden sollte. Sein Eintrag für Samstag, den 13. Oktober 1492, handelt von dem kleinen und unnützen Nippes, der das Interesse der Lucayas weckte. Er dagegen begeisterte sich für die kleinen Goldringe in den Nasen der Indios und versuchte, sie dazu zu bringen, ihn zur Quelle des Edelmetalls zu führen, die seinen Berechnungen zufolge auf der Südseite der Insel liegen musste. Auch die Gastlichkeit und Freundlichkeit der Ureinwohner kommentierte er. Sein Eintrag für Sonntag, den 14. Oktober 1492, lautet: „[…] diese Leute sind ganz unerfahren im Gebrauch von Waffen, wie es Eure Hoheiten an den sieben Männern sehen werden, die ich an Bord holen ließ, um sie mitzunehmen und sie unsere Sprache zu lehren und sie danach zurückzubringen, unbeschadet dessen, dass Eure Hoheiten, wenn sie es nur befehlen, sie alle nach Kastilien 56

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b­ ringen lassen oder sie auf der Insel selbst gefangen halten können, denn mit fünfzig Mann kann man sie alle in Botmäßigkeit halten und alles mit ihnen machen, was man will.“16 Kolumbus kam nicht nach Westindien, um die Bewohner zu versklaven oder zu vernichten. Er kam wegen Gold und Reichtum. Doch in Ermangelung des Vermögens, das er für sich und seine ­Regentin Isabella zu entdecken hoffte, nutzte er die Indios und ihre Arbeitskraft als Quelle zur Bereicherung. Die Indios, dachte er, könne er leicht erobern und sie zur Feldarbeit, Ernte und Arbeit in den Minen sowie als Sklaven und Schuldknechte in der Neuen Welt oder zu Hause in Spanien einsetzen. Doch auch hier machte die Realität Kolumbus einen Strich durch die Rechnung. Die Arawak, darunter die Lucaya, die Taíno und andere Stämme, die die Insel in großer Anzahl besiedelten, waren für Zwangsarbeit an anderen Orten wenig geeignet. Je mehr die Ureinwohner sich den von den Spaniern verhängten Auflagen zu entziehen versuchten, umso bestialischer wurden die Strafen ihrer Aufseher. Die Ureinwohner lebten in der Zeit vor Kolumbus nur knapp über dem Existenzminimum. Nun mussten sie auch noch die neue spanische Bevölkerung mit ihrer Arbeit und ihrem Nahrungserwerb unterstützen. Bald schon begannen sie, in großer Anzahl zu sterben. Die genaue Anzahl der Inselbewohner in der Karibik, die in den ersten 50 Jahren spanischer Herrschaft ums Leben kamen, lässt sich nicht genau beziffern. Die indigene Bevölkerung von Hispaniola (der heutigen Dominikanischen Republik und Haitis) belief sich nach Angaben de Las Casas bei Ankunft der Spanier auf rund drei Millionen; Mitte des 17. Jahrhunderts war sie auf 200 gesunken. Gänzlich entvölkert wurde Kuba durch die Zwangsumsiedlung von rund 500.000 Ureinwohnern nach Hispaniola, wo sie die ausgestorbenen Indios ersetzen sollten. Die einheimische Bevölkerung der Bahamas wurde im Wesentlichen ausgemerzt. Ähnlich verloren die rund 30 Inseln in und um Puerto Rico während der Eroberung durch die Spanier ihre einheimische Bevölkerung. „All diese Inseln“, so de Las Casas, „sind entvölkert und ihrer Einwohner beraubt“.17 Selbst unter Berücksichtigung einiger Übertreibungen seitens des prominentesten spanischen 57

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Kritikers des Umgangs mit den Indios kann man festhalten, dass ­sowohl die karibischen Taíno- als auch Lucaya-Völker im Zuge der ­spanischen Besiedlung beinahe vollständig ausgelöscht wurden. Nach seinem ersten Landgang auf den Bahamas „entdeckte“ Kolumbus eine Reihe von Inseln. In seinem Briefwechsel mit dem ­spanischen Monarchen rühmt er die fruchtbaren und üppigen Böden von Hispaniola und Kuba und entwirft die Vision einer ungewöhnlich produktiven, mit indigenen Sklaven besetzten Landwirtschaft. 20 Taíno-Sklaven brachte er mit nach Spanien und versprach dem spanischen Königspaar, er werde ihnen solchen Reichtum bringen, dass sie die Kreuzzüge und die Eroberung Jerusalems davon finanzieren könnten. Als Kolumbus im November 1493 nach Hispaniola ­zurückkehrte, musste er feststellen, dass die kleine Garnison, die er zurückgelassen hatte, dem Erdboden gleichgemacht und ihr Fort als Reaktion auf die Vergewaltigung der Frauen vor Ort durch die ­Spanier und auf Angriffe auf die Besitztümer der Indios zerstört worden war. Dies führte zu Vergeltungsaktionen, Entführungen und Morden an den Ureinwohnern. 1509 segelten spanische Expeditionen unter der Leitung von Juan Ponce de León bzw. Juan de Esquivel auf die Inseln Puerto Rico und Jamaika. Ähnlich wie in den fünf Königreichen von Hispaniola ermordeten Kolumbus und seine Gefolgsleute die indigenen Eliten und zwangen die Bevölkerung zur Arbeit in den Minen und auf den Feldern. Hier wie anderswo wurden spanische Mastiffs  – furchterregende Kriegshunde – auf die Einheimischen gehetzt, die sie häufig in Stücke rissen. Unter Diego Velázquez brachten die Spanier 1511 auch das dicht besiedelte Kuba unter ihre Kontrolle. De Las Casas nahm als Feldkaplan an dem Feldzug teil und beschrieb einmal mehr die entsetzlichen Gräuel der Spanier. „Als sie [die Einheimischen] uns einmal zehn Meilen von einer großen Ortschaft entgegenkamen, um uns mit Proviant und Geschenken zu empfangen, und uns bei der Ankunft eine große Menge Fisch, Brote und andere Speisen gaben, alles, was sie nur konnten, fuhr plötzlich der Teufel in die Christen und in meiner Gegenwart ließen sie (ohne dass sie hierfür irgendeinen Grund oder eine Ursache 58

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gehabt hätten) mehr als dreitausend Menschen über die Klinge springen, Männer, Frauen und Kinder, die mit uns zusammensaßen. Dabei sah ich solch große Grausamkeiten, dass andere Sterbliche nie so etwas gesehen oder für möglich gehalten haben.“18 Ein anderes Mal gelang es de Las Casas, einer Reihe von lokalen Häuptlingen das Leben zu retten; sie hatten sich auf seine Bitte hin versammelt und ihre Situation mit den Anführern der Spanier erörtert. Die Spanier wollten schlicht alle auf dem Scheiterhaufen verbrennen, da sie befürchteten, die Häuptlinge würden früher oder später Widerstand leisten. Den Häuptlingen gelang jedoch die Flucht in die Berge. Die verbleibenden Indios hatten die Wahl zwischen Tod und Zwangsarbeit und Letztere erwies sich als ebenso qualvoll wie andernorts in der Karibik. Auf Kuba begingen die Ureinwohner regelmäßig Selbstmord, um dem ungehemmten Vorgehen der Spanier zu entgehen. „Es erhängten sich die Ehemänner und Ehefrauen und zusammen mit sich selbst erhängten sie die Kinder“, schrieb de Las Casas. „Auf diese Weise kamen unzählige Menschen um.“ Nach seinen Zählungen starben über 7000 Kinder an Hunger, da ihre Eltern zur Zwangsarbeit in die Minen geschickt wurden.19 War Kolumbus ein Forscher und Verwalter, so war Hernán Cortés ein Konquistador, der nach Ruhm und Reichtum in der Neuen Welt trachtete. Nach der Eroberung von Hispaniola beteiligte er sich zusammen mit dem Befehlshaber der spanischen Truppen, Diego Velázquez de Cuéllar, dem späteren Gouverneur Kubas, an der Invasion und Eroberung der Insel. Cortés wurde für Velázquez rasch zu einem unschätzbaren Stellvertreter und verdiente eine ansehnliche encomienda für seine Dienste als Sekretär und Bürgermeister von Santiago, der Kolonialhauptstadt der Insel. Velázquez ernannte Cortés auch zum Kommandanten einer Expedition, die das Landesinnere Mexikos erkunden und erobern sollte. Cortés versammelte daraufhin ein Geschwader von elf Schiffen, 500 Mann, 13 Pferden und einigen kleinen Geschützen und bereitete sich auf die Reise nach Mexiko vor. Seine Beziehung zu Velázquez hatte sich zwischenzeitlich jedoch erheblich abgekühlt, weswegen der Gouverneur ihm das Kommando entzog. Cortés stach dennoch mit seiner Armee in See und erreichte 59

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im April 1519 die Küste Yucatáns. Dort beanspruchte er einen Teil des größeren aztekischen Gebiets von Anáhuac für die spanische Krone, brach offiziell mit Velázquez und versprach Karl V. die Lehns­ treue. Damit niemand aus seiner Armee meutern oder zurückkehren konnte, versenkte er seine Flotte vor der Küste von Vera Cruz. Cortés unternahm erste Schritte, um mit dem Aztekenkönig Moctezuma in Kontakt zu treten, der in der sagenumwobenen ­ Hauptstadt Tenochtitlán, einer imposanten Stadt inmitten von Seen, residierte. Dessen Emissäre berichteten dem Aztekenkönig unterdessen von den seltsamen, mächtigen Spaniern: ihren Schusswaffen („die wie Donner dröhnten, sodass die Menschen sogar niederstürzten“), ihren Pferden („Hirsche, die sie trugen […] hoch wie ein Dach“) und ihren wilden Hunden („mit hängender Zunge hechelnd […] Augen wie feurige Kohlen“). Moctezuma reagierte angeblich mit berechtigter Sorge und Angst.20 Da er von Moctezuma keine befriedigende Antwort erhielt, drang Cortés mit seiner Armee, verstärkt durch Rekruten der Küstenstämme, im Spätsommer 1519 ins Landesinnere vor. Er stieß zunächst auf die Otomi, die sich gegen seine Übergriffe zu wehren versuchten. Cortés reagierte mit der schrecklichen Gewalt, die er auf Hispaniola und Kuba erprobt hatte; er griff die Otomi an und massakrierte etliche von ihnen. In einem Bericht eines Ureinwohners heißt es, die Spanier „vernichteten die Otomi von Tecoac, die vollständig aufgerieben wurden. Sie töteten sie mit Lanzen und Dolchen, sie erschossen sie mit Gewehren, Eisenbolzen und Armbrüsten. Nicht nur einige von ihnen, sondern eine große Anzahl wurde niedergemacht.“21 Daraufhin marschierte Cortés Richtung Süden in die Provinz Tlaxcala, die sich gegen Moctezuma erhoben hatte und sich dessen Herrschaftsansprüchen entgegenstellte. Auch der Oberherrschaft der Spanier widersetzten sich die Tlaxcalteken. Cortés griff erneut an und zersprengte die tlaxcaltekische Armee. Er brannte Städte und Dörfer nieder und tötete Männer, Frauen und Kinder, die vor seinen Reitern zerstoben.22 Dann sandte Cortés Vertreter an die Häuptlinge der Tlxcalteken und drohte ihnen mit vollständiger ­Vernichtung  – „dann werde er als Eroberer nach ihrer Hauptstadt 60

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kommen, jedes Haus dem Erdboden gleichmachen und jeden Einwohner über die Klinge springen lassen“ –, sollten sie sich nicht unterwerfen und sich seinem Feldzug gegen Moctezuma anschließen.23 Die ­Tlaxcalteken stimmten seinen Bedingungen zu und entsandten rund 5000 Indios, die sich dem spanischen Feldzug anschlossen. Nur die mächtige Stadt Cholula stand zwischen Cortés und ­Tenochtitlán. Cortés lockte die Häuptlinge von Cholula zu einem ­Treffen in einen Saal. Dem spanischen König schilderte er den Hergang wie folgt. „Ich ließ einige Häuptlinge zu mir rufen, weil ich mit ihnen zu reden hätte, und sperrte sie dann in einen Saal. Unterdessen hatte ich unseren Leuten befohlen, sich in Bereitschaft zu halten und auf das Signal eines Büchsenschusses über die Indianer herzufallen, die sich sehr zahlreich im Quartier und in der Nähe versammelt hatten. Und also geschah es.“24 Ein entsetzliches Massaker war die Folge. Ohne ihre Anführer hatten die Cholulteken nicht die geringste Chance gegen die Spanier, die ihre Häuser und Gebäude brandschatzten und die Einwohner der Stadt niedermetzelten. Dem spanischen König schrieb Cortés: „Und wir führten eine solche Hand, dass in zwei Stunden mehr als 3000 Menschen zu Tode kamen.“25 Die Tlaxcalteken, die nicht mit den Cholulteken verbündet waren, setzten das Massaker Seite an Seite mit den Spaniern fort. Einige Frauen und Kinder blieben verschont und flohen in die Berge. Die Spanier, so Cortés’ Sekretär, „wateten in Blut und mit ihren Füßen traten sie auf nichts als Leichen.“26 Tausende, möglicherweise Zehntausende Cholulaner kamen ums Leben.27 Zu dem Zeitpunkt, da Cortés die Berge nach Tenochtitlán überquerte, hatte er eine große Armee aus spanischen und indianischen Rekruten versammelt. Moctezuma erklärte sich bereit, Cortés und den Spaniern Zugang zur Stadt zu gewähren, um so ihre Absichten und Schwächen zu verstehen und sie notfalls festzunehmen. Cortés befürchtete jedoch Probleme und kam ihm zuvor; er überrumpelte Moctezuma und nahm ihn in seinem Palast gefangen, von dem aus die Spanier die Stadt fortan regierten. Die Spanier zeigten sich tief beeindruckt von der Schönheit und Kultiviertheit von Tenochtitlán – 61

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Die Eroberung Mexikos durch Hernán Cortés 1519. Detail aus einer Zeichnung von Miguel Gonzàlez (1698).

ganz besonders hatte es ihnen die naturkundliche Sammlung des Herrschers angetan –, was sie allerdings nicht davon abhielt, verstecktes Gold und Edelsteine anzuhäufen  – dank ihrer Kontrolle über den Herrscher, dessen Passivität in dieser Situation Beobachtern seit je Rätsel aufgibt.28 In Cortés’ Abwesenheit von der Hauptstadt ließ einer seiner Stellvertreter, Pedro de Alvarado, während eines zeremoniellen Fests eine Gruppe von aztekischen Adligen umbringen, die in seinen Augen eine Gefahr für die Spanier darstellten. Cortés eilte nach Tenochtitlán zurück, doch es war bereits zu spät. Das Massaker löste in der Stadt einen Aufstand aus, bei dem eine Gruppe ­wütender Azteken Moctezuma tötete, den sie des Mordes an ihren Adligen beschuldigten. Cortés musste sich aus der Stadt zurück­ ziehen, um seinen nächsten Schritt zu planen. Diesen unternahm er im Januar 1521, als er Tenochtitlán erneut belagerte und die umliegenden Städte überfiel. Die Spanier bauten Brücken über die Seen und griffen die Stadt an. Erneut zeigten die 62

Die spanische Eroberung

Spanier und ihre indianischen Verbündeten keinerlei Skrupel und töteten rund 6000 Bewohner der an einem See gelegenen Stadt Iztapalapa, bevor sie in die Stadt selbst eindrangen und über deren Einwohner herfielen. Cortés ließ den neuen Herrscher Cuauhtémoc zusammen mit den Herrschern der mit ihm verbündeten Königreiche hängen, während er seine Bluthunde auf die aztekischen Priester hetzte. Die überlebenden Frauen und jungen Männer wurden gefangen genommen und mit einem Brandmal als Besitztum gekennzeichnet.29 Die Männer mussten für Cortés arbeiten und aus den Ruinen eine neue Stadt – das heutige Mexiko-Stadt – aufbauen. Bücher und Aufzeichnungen des Aztekenreichs sowie seine Bauwerke – die Inbilder seiner Pracht  – ließ Cortés verbrennen. Ebenso zerstörte er die Götzenbilder in den Tempeln und ließ die Kultstätten reinigen sowie von den Resten von Opfergaben säubern, um sie zu Gotteshäusern für Katholiken zu machen. Dem König schrieb der Eroberer der Azteken: „In Anbetracht des Umstandes, dass die Stadt Tenochtitlán so berühmt war und weithin solches Ansehen genossen hatte, schien es uns angelegen, sie neu zu besiedeln […]. So wie sie früher Hauptstadt und Herrin all dieser Provinzen gewesen ist, wird sie es auch fürderhin sein.“30 Karl V. ernannte Cortés zum Gouverneur Neuspaniens und der Konquistador machte sich daran, sein Territorium durch die Eröffnung neuer Minen, die Förderung der Landwirtschaft und die erste Zuckersiederei der Neuen Welt zu entwickeln. Daneben verbreitete er in seinem gesamten Herrschaftsbereich das encomienda-System und zwang etliche Indios in die Indentur; andere mussten als Sklaven in den Minen arbeiten. Ein Indikator für den in Mexiko verübten Genozid war die Tatsache, dass die Einwohnerzahl nach der Übernahme des Gebiets von Moctezuma durch Cortés und die Spanier in der Phase von 1519 bis 1521 um bis zu 85 Prozent auf eine Million im Jahr 1600 sank.31 Die Eroberung Mexikos durch Cortés und die spanischen Übergriffe auf Guatemala waren hinsichtlich der beteiligten Personen und der angewandten Gewalt eng miteinander verflochten. Der Hauptunterschied bestand darin, dass die Königreiche der Maya, die den 63

Die spanische Eroberung

Tlatlauhquitépec

HIDALGO

Texiuhuitlan (Texiutlán) Xallatzinco (Xalacingo) Altotonga

Golf von Mexiko

Villa Rica de la Vera Cruz MÉXICO

Itztapallapan Cuitláhuac (Tláhuac) Míxquic Ayotzinco

Chalco-Atenco (Chalco) Iztaccíhuatl

Amaquemecan (Amecameca)

(San Juan Ayotzingo)

Tzompantzinco Tizatlan

(Xalapa-Enríquez)

Nauhcampantépetl

Coatépec

(Cofre de Perote)

Xicochimalco

Huexotzinco (Huejotzingo)

Zempoala I. de San Juan de Ulúa

Chalchiuhcueyecan Río Jamapa

Matlacueye

Tollan-Chollollan (Cholula)

Popocatépetl

MORELOS

Atotonilco

TLAXCALA

Quiahuiztlán

Xallapan

Ixtacamaxtitlan

MexicoTenochtitlan

Ixhuatlan

PUEBLA Atlitzin

(Sierra Negra)

Citlaltépetl

I. de Sacrificios

VERACRUZ

(Pico de Orizaba)

Hernán Cortés’ Marsch nach Tenochtitlán, 1519.

Großteil des heutigen Guatemala  – das Hochland ebenso wie die Küstenregionen – beherrschten, erbitterte Gegner waren und es keine zentrale Hauptstadt wie Moctezumas Tenochtitlán einzunehmen gab. An der Spitze einer Armee aus rund 500 spanischen Soldaten sowie großen Kontingenten verbündeter Tlaxcalteken und Cholulteken stand nun Pedro de Alvarado, der in Cortés’ Abwesenheit in Tenochtitlán zum Schlächter des aztekischen Adels geworden war. Er wurde 1523 zur Eroberung der Gebiete im Süden entsandt. De las Casas bezichtigte ihn später der „unmenschlichen Metzelei“ an den Maya-Völkern Guatemalas – und das trifft auf Alvarados Feldzüge gewiss zu.32 Der von Francisco Pizarro, einem entfernten Cousin von Cortés, geleitete Feldzug gegen die Inka in Peru führte die beängstigende technische Überlegenheit der spanischen Truppen gegenüber den weitaus zahlreicheren Indios deutlich vor Augen. In diesem Fall griffen die Spanier das große und hoch entwickelte Inkareich unter der Regentschaft von König Atahualpa an, der weltlicher Führer und Gott seines Volkes zugleich war. Pizarro orientierte sich in seiner Taktik bewusst an Cortés und führte, berauscht aufgrund angeb­ licher Goldvorkommen und Schätze im Land der Inka, 1524 und 1526 zwei kurze Feldzüge in Peru durch, bevor er mit Erlaubnis des 64

Die spanische Eroberung

spanischen Königs 1530 einen dritten unternahm. In Begleitung ­seiner Brüder Hernando und Pedro und des Konquistadoren Her­ nando de Soto marschierte Pizarro ins Landesinnere auf die Inkastadt Cajamarca zu, wo Atahualpa, sein Gefolge und seine Armee sich an den nahe gelegenen heißen Quellen ausruhten. Pizarro sandte Emissäre zu Atahualpa und verlangte von ihm die Unterwerfung unter die spanische Krone, was Atahualpa empört zurückwies. Dank verschiedener Schilderungen von spanischen Zeitgenossen, darunter die Brüder Pizarros, ist die Konfrontation zwischen Pizarro und den Inka in Cajamarca gut dokumentiert.33 Pizarro folterte die Indios, um Atahualpas Aufenthaltsort bei den nahe gelegenen heißen Quellen in Erfahrung zu bringen. Die winzige Armee des Konquistadoren mit ihren 62 Kavalleristen zu Pferd und 106 Infanteristen marschierte auf Cajamarca zu, wo ihnen der Anblick einer am Fuß der Berge hinter der Stadt lagernden InkaArmee von 40.000 bis 80.000 Kämpfern Angst und Schrecken einjagte. Als Vertreter Atahualpas die Spanier begrüßen wollten, lud Pizarro den König zu einem Treffen in sein Lager ein, wo ihm, wie er versprach, „kein Haar gekrümmt“ werde. Daraufhin plante er einen Überfall aus dem Hinterhalt, versteckte seine Reiter und sein Fußvolk und bereitete sein mageres Geschütz vor, um das Zentrum des größeren Platzes zu treffen, wohin er den König zu locken hoffte. Die List ging auf. Der Inkakönig hatte eindeutig nicht damit gerechnet, dass ihn eine so kleine Truppe überwältigen könnte, zumal er mit mehreren Tausend unbewaffneten Kriegern und Adligen in feinsten Gewändern erschienen war. Atahualpa selbst war „sehr edel gekleidet, trug eine Krone auf dem Haupt und einen smaragdbesetzten Kragen um den Hals“. Er ließ sich in einer prachtvollen goldverzierten Sänfte von 80 der führenden Adligen des Landes tragen, während andere hohe Adlige ebenfalls in Sänften und Hängematten, begleitet von „mehrere[n] Abteilungen von Indianern mit Kronen aus Gold und Silber“, befördert wurden. Auf Bitten Pizarros versuchte der Dominikanermönch Vicente de Valverde Atahualpa davon zu überzeugen, sich „dem Gesetz unseres Herrn Jesus Christus zu unterwerfen und sich in den Dienst seiner 65

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Majestät des Königs von Spanien zu stellen“. Der Mönch näherte sich dem Inkakönig mit einem Kreuz in der einen und einer Bibel in der anderen Hand und erklärte ihm, all dies sei in Gottes Buch bestimmt. Von den nun folgenden Ereignissen gibt es verschiedene Versionen. Sie alle stimmen jedoch in dem Punkt überein, dass der König sich das Buch ansah und verächtlich auf den Boden warf. Über dieses Sakrileg war der Priester so empört, dass er den Inkakönig öffentlich beschimpfte und dem Gouverneur zurief: „Marschiert gegen ihn, denn ich erteile euch Absolution!“ Unter dem Klang der Hörner feuerte Pizarros Kanone auf die riesige Menge Indios auf dem Platz. Die spanischen Reiter stoben mit Schwertern und Lanzen in die Menschenmasse; den Pferden hatten die Soldaten Rasseln angebunden, die anscheinend ein so schreckliches Getöse machten, dass sie die Indios in „Schrecken und Verwirrung“ versetzten. „So voller Furcht waren die Indianer, dass sie aufeinander kletterten und sich gegenseitig erstickten“, schrieb ein Berichterstatter. Da die Inka unbewaffnet waren, kamen fast alle von ihnen durch Pizarros Truppen ums Leben. Atahualpas Sänftenträger wurden von den spanischen Soldaten in Stücke geschnitten, behaupteten aber auch ohne Gliedmaßen ihre Stellung. Wenn einer von ihnen umkam, nahm ein anderer Adliger seinen Platz ein. Einigen spanischen Reitern gelang es schließlich, die Sänfte Atahualpas auf die Seite zu werfen, sodass ­Pizarro den König lebendig gefangen nehmen konnte. Das Gemetzel hielt bis zum Einbruch der Dunkelheit an, da die Spanier allen Flüchtigen nachsetzten und keinen Adligen entkommen ließen. Rund 7000 Inka starben in der Schlacht „und viele weitere hatten einen Arm verloren und waren verwundet“. Keiner der in einer Sänfte Getragenen und keiner der Sänftenträger überlebte. Dem gefangenen König Atahualpa erklärte Pizarro, das entsetz­ liche Massaker vom 16. November 1532 sei eine unweigerliche Folge von Gottes Willen: „Um unserer guten Mission willen lässt Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde und aller Dinge und Lebewesen darauf, zu, dass dies geschieht, damit du ihn annehmen mögest und aus dem Leben in Finsternis und Barbarei, das du führst, befreit werdest.“ Die Indios würden letztlich begreifen, „dass wir dir Gutes 66

Die spanische Eroberung

taten“, als die Konquistadoren auf Geheiß des Königs von Spanien ihr Land eroberten. Pizarros Anrufung Gottes und des Königs konnte selbstverständlich seine ungeheuerliche Gier nicht verbergen. So kam es zu der Vereinbarung, Atahualpa könne sich freikaufen, wenn seine Untertanen einen rund 6,5  x  5 Meter großen und 2,5 Meter hohen Raum mit Edelsteinen, Gold und Silber füllten. Als der König tatsächlich diesen immensen Schatz anhäufen ließ, erfand ­Pizarro fadenscheinige Anschuldigungen und ließ Atahualpa dennoch am 26. Juli 1553 hinrichten. In den Monaten zwischen dem Gemetzel von Cajamarca und der Hinrichtung des Königs versammelte Pizarro weitere spanische Truppen in seinem Lager und fand Verbündete unter den Indios, um Verstärkung für die Eroberung Cuscos zu gewinnen; 1533 eroberte er die Hauptstadt des Inkareiches. Die Spanier waren überwältigt von der Schönheit und Kultiviertheit der Stadt, was sie nicht davon abhielt, diese zu plündern und kostbare Werke der Inka zu zerschlagen, um an das eingeschlossene Gold und Silber zu gelangen. Nach der Eroberung Cuscos gingen alle ehemaligen Gebiete der Inka an die Spanier über. Insbesondere in den Minen von Potosí im heutigen Bolivien fanden die Spanier, wonach sie suchten – eine reiche und tiefe Silberader, die den europäischen Kontinent schließlich mit spanischem Reichtum überflutete. Dieser ging natürlich zulasten der indigenen Bevölkerung, die unter entsetzlichen Bedingungen in den Minen arbeiten musste. So notierte ein späterer ­spanischer Besucher 1638: „Jeder in Potosí geprägte Peso hat zehn Indios das Leben gekostet.“34 Manche behaupten, das Ermorden der indigenen Bevölkerung durch die Konquistadoren und die hohe Sterblichkeit durch die von den Spaniern eingeschleppten Krankheiten können nicht als Genozid gelten, da die spanische Krone nicht die Absicht gehabt habe, die Indios der Karibik, Mexikos oder Südamerikas auszulöschen.35 Als Argument für diese These wird häufig der Ausgang des Disputs von Valladolid 1550–1551 vorgebracht, als die Kirche sich gegen Sepúlvedas Vorstellung aussprach, die Indios verdienten Versklavung und Enteignung. Wenn Kolumbus, Cortés und Pizarro im Namen des 67

Die spanische Eroberung

Königs und des Kreuzes töteten, dann ohne deren Mandat, lautete nunmehr die Schlussfolgerung der Kirche. Die Konquistadoren agierten jedoch unter Rahmenbedingungen, die die spanische Krone geschaffen hatte. Ihre Bereitschaft, Männer, Frauen und Kinder nach Belieben zu töten und ganze Städte und Dörfer dem Erdboden gleichzumachen, entsprang ihrer pathologischen Geisteshaltung gegenüber den indigenen Bewohnern der Neuen Welt. Sie waren fernab der Heimat und fernab jeglicher Zwänge, die ihre eigene Gesellschaft ihnen möglicherweise auferlegte. Auch reisten sie fast immer ohne die Begleitung von Frauen und machten regelmäßig Frauen und Töchter von Häuptlingen und Königen zu ihren Mätressen. Dennoch sahen sie auf die indigenen Völker Amerikas herab und betrachteten sie als Untergebene, deren Leben nichts wert war und deren Blut ohne irgendwelche moralischen Bedenken vergossen werden konnte. Sie bewunderten die Inka- und Aztekenstädte und bemerkten sogar, dass diese in gewisser Hinsicht den spanischen Städten überlegen seien. Dies schien jedoch keinerlei Auswirkungen auf ihre Sicht der Indios zu haben, die sie für verabscheuungswürdig und nur als Sklaven für lebenswert hielten. Ihre Folter- und Tötungsmethoden spiegelten eine tiefe Ablehnung der bloßen Existenz ihrer Opfer als Menschen. Diese rührte zum Teil aus ihrem Verständnis der katholischen Kirche und dem fremden Charakter all jener, die nicht Teil ihres Bundes waren. Sie waren ihre eigene Art von Kreuzfahrern, obschon sie kein Jerusalem zu befreien hatten. Die Konquistadoren hackten und brannten sich ihren Weg durch Amerika, töteten nach Belieben und mit unvorstellbarer Grausamkeit, erwiesen sich als skrupellose Völkermörder, die bereit waren, ganze Städte und Dörfer, Stämme und Völker auszu­ löschen, um sich des Bodens und des Reichtums der Neuen Welt zu bemächtigen. Sie waren „Gouverneure“, die im Namen der spanischen Krone regierten und im Namen der Kirche die vermeintlichen Wilden ermordeten, die das Kreuz verweigerten. Das Morden geschah im Namen einer besseren spanisch-katholischen Welt für die Indios, denn die Welt, die diese besaßen, interessierte die Konquistadoren nicht im Geringsten. 68

Siedlergenozide

D

ie Gründung von Überseeimperien begann mit den Erkundungen der Neuen Welt und Afrikas durch die Spanier und Portugiesen im 16. und 17.  Jahrhundert und setzte sich vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg mit dem Entstehen von britischen, französischen und später deutschen und italienischen Ansprüchen weltweit fort. Mit Überseeimperien kamen Kolonien und mit Kolonien kamen Siedler. Die Konquistadoren und ihre ­A rmeen waren die Träger von Völkermorden in der Neuen Welt. Viele von ihnen übernahmen auf ihren Kolonialgebieten nun die Rolle von Gouverneuren. Bald darauf folgten die Siedler, was die Angriffe auf die indigenen Völker Lateinamerikas nicht weniger werden ließ. Und die Ureinwohner Zentral- und Südamerikas waren bereits auf einen Bruchteil der Anzahl dezimiert worden, die sie am Vorabend von Kolumbus’ erster Reise dargestellt hatten. In den Gebieten, die die Briten und Franzosen übernommen hatten  – Nordamerika, die Antipoden (Australien und Neuseeland) und Afrika –, gingen Fälle von Genozid selten dem Zuzug von Siedlern voraus, sondern schlossen sich meist an ihn an. Die Kolonialmächte machten sich letztlich des Völkermords schuldig, weswegen dieses Phänomen auch als kolonialer Genozid bekannt ist. Der Begriff Siedlergenozid ist in diesem Zusammenhang jedoch sinnvoller, um anzudeuten, dass die meisten Tötungen von bewaffneten Zivilisten, organisierten Milizen und Hilfstrupps ausgingen. Die imperialen Regierungen in der Heimat waren teilweise gar nicht beteiligt oder gingen sogar gegen Angriffe auf die Indigenen vor. In manchen Fällen ging dieses ungehemmte Vorgehen ohne Expansionen in Übersee vor sich wie etwa in den kontinentalen Weiten der USA oder des zaristischen Russlands, die in gewisser Hinsicht als selbstkolonisierte Länder gelten können. Wissenschaftler haben auf die tiefe Widersinnigkeit einer Situation hingewiesen, in der die europäischen Neuankömmlinge die in69

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digenen Völker als Eindringlinge angriffen und in manchen Fällen ausrotteten. Europäische Siedler verbreiteten eine Weltanschauung, der zufolge sie die natürlichen Erben des Landes der Indigenen waren und diese Menschen – seien es die Aborigines in Australien, die Ureinwohner Nordamerikas oder die Bantustämme in Südafrika – die Fremden. Ihre Ideologie stützte sich auf Rassenvorstellungen, nach denen „kleine und dunkle“ Völker, nomadische und ignorante Menschen, kein Recht auf Land hatten, selbst wenn sie es denn offiziell beanspruchten, was nur selten der Fall war. Ein Teil dieses ideologischen Überbaus stammte aus der Zeit vor der Ankunft der Siedler und entsprang britischen Eigentumsvorstellungen aus dem 17. Jahrhundert, denen zufolge das Land denen gehörte, die es bestellten und die Ernte einbrachten, Häuser und Zäune bauten und aus dem Boden Wert schöpften. Die größte Konfliktquelle war jedoch keine ideologische, sondern eine reale: die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Weidewirtschaft betreibenden europäischen Siedlern, die Rinder und Schafe hüteten, den Boden aber dennoch als den ihren kennzeichneten, und den indigenen Jägern und Sammlern, die zum Teil seit Jahrtausenden von der Natur und im Einklang mit ihr lebten. In seiner reinsten Form handelte es sich um einen Landkonflikt. Die Siedler wollten Land, auf dem ihr Vieh weiden konnte, während die Ureinwohner dieses zum Sammeln von Beeren, Wurzeln und Larven, zum Jagen von großen und kleinen Tieren und als Stätte unterschiedlichster sozialer Bedürfnisse, von Heilpflanzen bis hin zu religiösen Symbolen, benötigten. Zu den gewalttätigsten Auseinandersetzungen kam es im Zuge der aufkommenden Moderne, das heißt der Französischen Revolution, der industriellen Revolution und der Entwicklung des Nationalstaats gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts.1 Das damit einhergehende rasante Wachstum von Ballungszentren in Europa führte zu einer steigenden Nachfrage nach Wolle (für Textilien) und Fleisch (zum Verzehr), die wiederum neue Wellen an Siedlern in den amerikanischen Westen, nach Australien und Südafrika zog. Auch neue Bodenschätze in diesen Gebieten lockten Siedler an und führten zu einem Städtewachstum, das die Nachfrage nach 70

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­ rodukten von Bauern und Viehzüchtern ankurbelte. Immer häufiP ger kam es zu Übergriffen auf die weitläufigen Gebiete der Jäger und Sammler, was die Spannungen verschärfte und zu regelrechten Kriegen führte, die fast überall asymmetrischer Art waren. Ihre geografische Abgeschiedenheit und der relativ unterentwickelte Charakter der örtlichen Behörden bedeutete in den meisten Fällen, dass die Siedler „das Gesetz in die eigene Hand nahmen“, was zu Massakern und Völkermord führte. Die Behörden gingen immer entschlossener vor, um die Siedler vor dem Widerstand der indigenen Bevölkerung zu schützen. Zwar versuchte der Staat in manchen Fällen auch die indigene Bevölkerung vor den Siedlern zu schützen, allerdings in einer Art und Weise, die den individuellen ökonomischen und kulturellen Bedürfnissen der betroffenen Völker kaum Rechnung trug. Die Ureinwohner wurden „zu ihrem eigenen Schutz“ auf Reservate der ein oder an­ deren Art umgesiedelt, was ihre Fähigkeit zum Jagen, Sammeln und Feldbau sowie ihre jahrhundertealte Lebensform zumindest einschränkte, wenn nicht gar ganz unmöglich machte. Der Staat steckte ihre Kinder zwangsweise in Schulen und entriss sie dabei in manchen Fällen sogar ihren Familien und Kulturen. Die Prämisse vom unausweichlichen Ende „primitiver“ Kulturen erwies sich für die politischen Führer als selbsterfüllende Prophezeiung und bestärkte sie, ungeachtet ihrer möglicherweise humanitären Absichten, noch in ihrem Vorgehen. Der Sieg der amerikanischen Kolonisten über ihre britischen Herrscher im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen Ende des 18. Jahrhunderts brachte neue Gefahren für das Überleben der indigenen Indianerstämme mit sich. Auch die australischen Aborigines gerieten zunehmend in Bedrängnis. Auf der Suche nach neuen ­Zuwanderungsländern für ihre wachsende Bevölkerung, für Freie wie für Strafgefangene, gründeten die Briten 1788 offiziell ihre erste Kolonie in den Antipoden, New South Wales. Obwohl die Franzosen ebenfalls Anstrengungen unternahmen und Australien zur gleichen Zeit erkundeten, verstanden die Briten vielleicht aufgrund ihrer Erfahrungen in Nordamerika, wie wichtig die Beförderung der 71

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Kolonisten war, um in dem neuen Land Fuß zu fassen. Wunderbare Häfen und fruchtbares Land in Australien bestärkten sie zudem, Schiffsladungen von Sträflingen und freien Bürgern zu schicken, um die neuen Gebiete zu entwickeln. Gegen die neuen Siedler hatten die Stämme der in Australien ­lebenden Aborigines, die Jäger und Sammler waren, nicht die geringste Chance, zumal Erstere sich auf Militäreinheiten und bewaffnete Milizen stützen konnten. Trotz der Beteuerung der Briten, den Aborigines nichts Böses tun und ihre Rechte schützen zu wollen, kam es insbesondere zwischen Viehzüchtern und den Aborigines unweigerlich zu Konflikten, die bald in gewaltsamen Widerstand übergingen. In den meisten Siedlungen der australischen Küstenregionen folgten die Konflikte dem gleichen Muster: Um ihr Land zu schützen, stahlen und töteten die Aborigines das Vieh der Eindringlinge, während die Siedler Massaker an den Aborigines verübten. Von rund einer Million Aborigines, die vor der Kolonisierung in Australien lebten, hatten 1911 nur 31.000 überlebt, eine verheerende Dezimierung um 97 Prozent.2 Die britische Inselkolonie Van Diemen’s Land (1856 in Tasmanien umbenannt) wurde am 14. Juni 1825 gegründet, wenngleich hier ab dem Ende des 18. Jahrhunderts Siedler gelebt und häufig als Robbenfänger auf den umliegenden Inseln gearbeitet hatten. Bescheidene Handelsverbindungen zwischen den Robbenfängern und den Aborigines führten dazu, dass manche Aborigines-Frauen bei den Robbenfängern wohnten und ihnen als Ersatzfrauen und Arbeitskräfte dienten. Um die Siedlungen der Robbenfänger entstand nach und nach eine kleine Gruppe von Kreolen, die sich auf der gesamten Insel ausbreitete. Rund 150 Meilen vom Festland durch die Bass-Straße getrennt, wurde Van Diemen’s Land aufgrund seines europäischen Klimas, ausgiebiger Niederschläge und saftiger Wiesen zu einem immer attraktiveren Außenposten der Briten. 1804 gründeten die Kolonialherren mit der Stadt Hobart erfolgreich die erste Siedlung und schickten von 1812 bis etwa 1850 Schiffladungen von überwiegend männlichen Strafgefangenen zur Besiedelung und als Arbeitskräfte für die freien Bürger auf die Insel. 72

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Englische Siedler im Kampf mit Aborigine. Lithografie, um 1840.

Obwohl die Robbenfänger eine dauerhafte Beziehung zu den Aborigines aufbauten  – und die australischen Ureinwohner mal mehr, mal weniger ausbeuteten –, lebten die ersten Siedler und Sträflingsarbeiter zu Beginn der Kolonisierung der Insel relativ harmonisch mit den Aborigines zusammen. Es gab genug Land und Ressourcen für alle und die Neuankömmlinge stellten keine ernst zu nehmende Gefahr für die Lebensgrundlage der Aborigines dar. In dieser Phase galten die Aborigines gemeinhin als sanftmütige, freundliche, einladende und harmlose Seelen, selbst wenn man von der unvermeidlichen Idealisierung des „edlen Wilden“ in vielen zeitgenössischen Berichten absieht. Zu Beginn der britischen Kolonisierung lebten im Jahr 1800 rund 6000 bis 8000 Aborigines auf ­Tasmanien, wobei ihre Anzahl infolge von bis dahin unbekannten Krankheiten bereits leicht zurückgegangen war. Die Aborigines gliederten sich grob in fünf „Stämme“ und lebten in sogenannten settled districts im Osten der Insel.3 Entflohene Sträflinge und umherziehende Gelegenheitsarbeiter machten jedoch regelmäßig Jagd auf die Aborigines und bedienten 73

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sich ihrer Frauen für ihre eigenen finsteren Absichten. Die sanfte und herzliche Gesinnung der Aborigines schlug bald um.4 Besonders wichtig für die Entwicklung der Kolonie war das enorme Wachstum der Schafzuchtbetriebe – die Australier bezeichneten sie als Wollindustrie –, das nicht nur von den Gaben der Natur, dem Weideland der Insel, sondern auch von dem britischen Zollgesetz von 1822 ausgelöst wurde, das die Kosten für den Import australischer Wolle erheblich senkte. 1851 produzierten die australischen Schafzuchtbetriebe die Hälfte des Bedarfs an Rohwolle der nordenglischen Textilfabriken.5 Zwischen 1816 und 1823 vervierfachte sich die Anzahl der Schafe in Tasmanien auf 200.000; 1830 belief sie sich auf 682.000 und 1836 auf 911.000. Im selben Zeitraum wuchs die europäische Bevölkerung auf der Insel von anfangs 2000 Menschen – in etwa so viel wie die Bevölkerung der Aborigines – auf 23.5000.6 Als sich die wachsenden Schafherden nach Gründung der Kolonie zu Beginn der 1820er-Jahre negativ auf die Jagdgebiete der Aborigines auswirkten, kühlten sich die Beziehungen zwischen Siedlern und Aborigines merklich ab. Henry Melville, einer der ersten und führenden Zeitungsmacher aus Tasmanien, schilderte diesen rasanten Wandel der Beziehungen zwischen Kolonisten und Ureinwohnern ebenso wie die Versuche der örtlichen Behörden, das Problem in den Griff zu bekommen. „In diesem Jahr [1824] begannen die Aborigines der Insel die Siedler in einem Maße zu verärgern, das aktive Maßnahmen der Behörden erforderte, um die Empörung dieser vom Unglück verfolgten Menschenrasse zu besänftigen. Diese armen, verwirrten Geschöpfe waren übler behandelt worden als irgendein amerikanischer Stamm von den Spaniern. Angenehm, ruhig, gutmütig und der weißen Bevölkerung wohlgesinnt, konnten sie nicht länger die Behandlung durch die Eindringlinge in ihrem Land dulden. Ihre Jagdreviere wurden ihnen entzogen und sie selbst wie Unbefugte von den Lieblingsplätzen vertrieben, für die ihre Vorfahren geblutet und die sie durch Eroberung für sich reklamiert hatten. […] Die Viehzüchter können als Zerstörer beinahe sämtlicher Aborigines gelten – den ordnungsgemäßen, recht74

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mäßigen Eigentümern des Bodens; diese Schurken nutzten ihre Sanftmut derart aus, dass sie schließlich wenig oder keine Hemmungen hatten, die Männer zu zerstören, um die Frauen der Stämme zu ihren Hütten zu tragen; und wenn es in einem Werk wie diesem möglich wäre, nur ein Zehntel der Morde an diesen armen, harmlosen Geschöpfen festzuhalten, würde das Blut des Lesers bei der bloßen Aufzählung gefrieren. In Notwehr wurden diese armen, harmlosen Geschöpfe zu verzweifelten Maßnahmen getrieben, ihre schönen Känguru-Reviere wurden ihnen entzogen, sodass sie ohne ihre gewohnte Nahrung dastanden; und als man ihnen alle anderen Mittel zur Sicherung ihres Lebensunterhalts vorenthielt, zwang sie die blanke Not, sich die Nahrung ihrer Plünderer zu beschaffen.“7 Wie Melville weiter schildert, war der für die Insel zuständige Vizegouverneur Colonel George Arthur genau wie Melville den Aborigines im Allgemeinen wohlgesinnt, doch gab es faktisch keine Möglichkeit, die Lage unter Kontrolle zu halten. „Das Böse war viel zu sehr verwurzelt“, schrieb Melville, und sei zu „einem Kampf bis aufs Messer“ geworden, in dem die Aborigines die Siedler nach Möglichkeit töteten, während die Siedler daraufhin die Aborigines systematisch vernichteten. „Dieser mörderische Krieg“, so Melville, „zerstörte innerhalb weniger Jahre Tausende Aborigines, während ihm nur einige wenige europäische Bewohner zum Opfer fielen.“8 Melville unterschlägt allerdings, dass Arthur das ungebührliche Töten von Aborigines zwar ablehnte, zugleich aber maßgeblich für die Entwicklung Tasmaniens zum Motor der Schafzuchtindustrie verantwortlich war. Er baute Straßen, unterstützte die Landbesitzer und profitierte selbst nicht unerheblich vom Wachstum der tasmanischen Wollindustrie wie auch von seinen eigenen Ländereien. Sein Ruf in der Geschichte muss auch durch seine enge Verbindung zu dem einflussreichen Grundbesitzer Roderic O’Connor infrage gestellt werden, der die Bewaffnung von Kopfgeldjägern (ehemaligen Sträflingen) befürwortet hatte und sie dazu drängte, den überlebenden Ureinwohnern den Garaus zu machen.9 Da es Vizegouverneur Arthur nicht gelang, den als „Black War“ bezeichneten anhaltenden Konflikt zwischen den Siedlern und den 75

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Aborigines zu beenden, verlangte er Militäraktionen gegen die Stämme Big River und Oyster Bay, die eine Räumung ihres Gebiets auf seine Nachfrage hin verweigert hatten. Zwischen November 1826 und April 1828 kamen rund 400 Aborigines bei Angriffen und Massakern ums Leben. Als die Aborigines im Oktober 1828 auf die Entführung und Ermordung zweier ihrer Frauen mit der Entführung und Ermordung von drei weißen Frauen reagierten, spitzte sich die Situation zu.10 Für Arthur war dies die ultimative Demütigung: Er rief umgehend das Kriegsrecht auf der Insel aus und bezeichnete die Angehörigen der Big-River- und Oyster-Bay-Stämme als „offene Staatsfeinde“.11 Im Rahmen einer sorgfältig geplanten Militäraktion vertrieb er alle Aborigines in den Südosten der Tasman-Halbinsel, wo sie von den Weißen und deren wirtschaftlichen Aktivitäten isoliert waren. Die Städte und Weidegebiete von Van Diemen’s Land, so die unter den tasmanischen Grundbesitzern und Stadtbewohnern weitverbreitete Vorstellung, sollten dauerhaft von „den Schwarzen“ gesäubert werden. So schrieb der Launceston Advertiser: „Es ist wirklich höchste Zeit, dass sie entweder von der Insel entfernt oder mit Waffengewalt in unbewohnte Bezirke vertrieben werden.“12 Dies freute die Viehzüchter, da sie die Insel nun ganz für ihre Rinder- und Schafherden hatten. Wie viele gute, fortschrittliche Viktorianer war auch Vizegouverneur Arthur überzeugt, eine solche Maßnahme böte den Aborigines die Möglichkeit, sich friedlich an britische Normen und Lebensweisen zu akkulturieren. Im Herbst 1830 entwickelte Arthur den Plan, die settled districts, ein Gebiet von rund 100 Meilen, mit einem Netz aus sich kreuzenden Menschenketten aus bewaffneten Männern zu überziehen, um so die übrigen freien Aborigines einzufangen. Über 2000 Soldaten, Siedler und Strafgefangene – fast alle körperlich tauglichen Männer der Insel – durchkämmten das Gebiet, um die Aborigines von ihren traditionellen Stammesgebieten in den Ostteil der Insel zur TasmanHalbinsel zu treiben. Tatsächlich gingen allerdings nur vier Aborigines in das aufwendige Netz, von denen zwei getötet und zwei gefangen genommen wurden. Das Fiasko war umso größer, da vier britische Soldaten bei der Aktion tödlich verunglückten. Das ge76

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samte Unternehmen verängstigte die indigenen Stämme jedoch derart, dass sie schließlich bereit waren, ihr angestammtes Gebiet zu verlassen und auf Flinders Island in der Bass-Straße umzusiedeln. Zu diesem Zeitpunkt hatten nur rund 200 Aborigines die „Black Wars“ und die verschiedenen von den Kolonisten eingeschleppten Krankheiten überlebt. Syphilis war unter den Frauen der Aborigines stark verbreitet – sie hatten sich bei den Siedlern und Sträflingen infiziert  – und hatte die Geburtenziffer der indigenen Bevölkerung dramatisch gesenkt. Tötungen, Strapazen und die Ausbreitung von Krankheiten hatten unzählige Opfer unter der indigenen Bevöl­ kerung gefordert. Auf Flinders Island mussten die Aborigines die religiöse und kulturelle Unterweisung des durchaus aufrichtigen presbyterianischen Predigers George Augustus Robinson über sich ergehen lassen und dezimierten sich aufgrund der miserablen Lebensbedingungen immer mehr. Ende der 1840er-Jahre waren nur noch 47 Aborigines am Leben. Flinders Island wurde 1847 aufgegeben und die Überlebenden nach Oyster Cove unweit von Hobart auf dem tasmanischen Festland umgesiedelt. Der letzte „Vollblut“-Tasmanier, ein Mann namens Truganini, starb 1876.13 Obwohl manche Nachkommen der Robbenjäger und indigenen Frauen sowie andere Kreolen sich bis heute mit ihren indigenen Wurzeln identifizieren, wurden die Sprachen und Kulturen der indigenen Völker Tasmaniens praktisch ausgelöscht. Wie bei den Ureinwohnern auf dem australischen Festland lassen sich bei den Aborigines Tasmaniens verschiedene Gruppen unterscheiden, die jedoch als separate ethnonationale Einheit gelten können und – mit Unterstützung und mitunter auf Initiative der örtlichen Behörden – von den Siedlern zur Auslöschung bestimmt und damit Opfer eines Genozids wurden. Sie starben an den durch die koloniale Besiedlung bedingten Krankheiten und Strapazen.  Jahrzehntelang wurden sie jedoch auch in großer Anzahl massakriert. Allein zwischen 1823 und 1834 fanden 37 bestätigte Massaker statt, bei denen jeweils zwischen sechs und 40 Aborigines getötet wurden. Insgesamt kamen 870 Aborigines auf Befehl der Regierung von Van Diemen’s Land ums Leben, die Hälfte davon bei einem Massaker.14 77

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Die meisten Massaker fanden bei Nacht oder im Morgengrauen in den Lagern der Aborigines statt. Die Verantwortlichen waren bewaffnete Soldaten, Sträflinge, Polizisten und Siedler. In manchen Fällen gab es einen „Grund“ wie etwa die Ermordung eines Züchters oder eines Schafhirten, in anderen Fällen war dieser „Grund“ ein bloßer Vorwand, um Schwarze zu töten. Das Ergebnis war dasselbe: die Vernichtung der tasmanischen Aborigines. Das Schicksal der nordamerikanischen Indianerstämme ähnelte häufig dem der australischen Aborigines. Europäische Siedler trafen auf ihren angestammten Gebieten ein und reklamierten das Land für sich. Als die Indianer Widerstand leisteten, beeilten sich die Siedler mit Unterstützung ihrer kolonialen, nationalen, regionalen oder lokalen Regierungen, die Indianer und ihre Familien zu vertreiben, zu töten oder auf Reservate zwangsumzusiedeln, wo sie in fremder Umgebung ihr Dasein fristeten. Wie im Fall der Aborigines wurden Kinder den Familien der Ureinwohner entrissen, die Frauen entführt und vergewaltigt, Friedensversprechen gegeben und ge­ brochen, während rassische und zivilisatorische Überlegenheit als Rechtfertigung für Landraub und Tötungen galt. Wie die Aborigines waren die nordamerikanischen Ureinwohner äußerst anfällig für die von den Siedlern eingeschleppten Krankheiten und Alkoholmissbrauch, was die Siedler bewusst ausnutzten, um ihren Widerstand zu brechen. Siedler, die Viehzucht betrieben und vor allem Rinder und Schafe hielten, gerieten im Allgemeinen in die schwersten Konflikte mit den Indianern; sie provozierten Massaker und regelrechten Krieg zwischen den verschiedenen Stämmen, der Obrigkeit und Bürgermilizen. Die Tendenz nordamerikanischer Siedler, die Indianer für hoffnungslos primitiv und unfähig zur Bodenbewirtschaftung zu halten, gab ihnen das „Recht“, diesen Indianern die begehrtesten Böden und Gebiete zu rauben. Es ist schwierig, das Wort „Genozid“ auf sämtliche Erfahrungen der Aborigines in Australien anzuwenden. Gewiss trifft Genozid auf die Geschichte der Aborigines in Tasmanien wie auch zweifellos auf die von Victoria und Queensland zu. Andere Gruppen von Aborigines in Australien hatten unter Diskriminierung, Druck zur Flächen78

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nutzung, Ausbeutung und Phasen von Zwangsassimilierung zu ­leiden, waren aber nicht zwangsläufig Opfer eines Genozids. Ähnlich muss man auch im Zusammenhang mit den nordamerikanischen Stämmen verschiedene Erfahrungen von Genozid von denen anderer Formen von strafbarer Diskriminierung, Mord und Unter­ drückung unterscheiden. Obwohl Indianer wie Aborigines mit konstantem Rassismus, Ausbeutung und Landraub durch die Siedler zu kämpfen hatten, waren sie nicht ausnahmslos Opfer eines Völkermords.15 Einer der ersten dokumentierten Fälle von Massenmord an den nordamerikanischen Indianern war die Vernichtung von 3000 bis 4000 Pequot in Neuengland zwischen 1637 und 1640. Bei einem entsetzlichen Angriff im Jahr 1637 wurden die Pequot „ganz und gar vernichtet, in einer Zahl von 600 bis 700“, schrieb ein Teilnehmer, Captain John Mason aus Connecticut, in Anlehnung an das Alte Testament: „Es gab nur sieben Gefangene, und vielleicht sieben gelang die Flucht. […] So ward Gott auf dem Berg [Sinai] gesehen, […] wie er sie im Feuer seines Zorns verbrannte und den Boden mit ihrem Fleisch düngte.“ Bei den folgenden Angriffen wurden die Männer massakriert, Pequot-Frauen und -Kinder zu Sklaven gemacht oder aber in die Karibik und andere Kolonien deportiert oder zur Assimilation an andere Stämme gezwungen. Die Generalversammlung Connecticuts verkündete, „dass der Fluss, den man bisher den Pequot genannt hat, die Themse genannt werden soll und dass der Ort Pequot nicht mehr so genannt, sondern in Neu-London geändert werden soll“.16 Obwohl zahllose Cherokees – bis zu 8000 von insgesamt 18.000 – zwei Jahrhunderte später an den Folgen von Internierung, Krankheit, fehlender Behausung und Hunger starben, kann das „Entfernen“ der Cherokees aus Georgia im Jahr 1838 und ihr Zwangsmarsch auf dem „Zug der Tränen“, einem „800 Meilen langen Albtraum“, quer durch die Südstaaten zu einem Reservat in Arkansas nicht als Genozid gelten.17 Hier ist es angemessener, die historische Terminologie der „ethnischen Säuberung“  – die gewaltsame Vertreibung eines Volkes von seinem Territorium ohne das Ziel der Vernich79

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tung – anzuwenden. Das unglückliche Schicksal unter anderen der Komantschen, Apachen und Sioux, die sich bekanntlich gegen die Übergriffe des „weißen Mannes“ wehrten und den Siedlern und ihren Familien in den Great Plains und im Südwesten erhebliche Schäden zufügten, bevor sie besiegt, von der Armee zum Teil massakriert und auf Reservaten festgesetzt wurden, spiegelt das allgemeine Muster der Siedlergenozide wider, obwohl ihm das entscheidende Element der Intentionalität mit dem Ziel der Auslöschung fehlt. Die Ausrottung der Yuki-Indianer des kalifornischen Round Valley in der Nähe von Mendocino stellt eine weitere Episode ­

Eine alte Yuki-Frau in Trauerkleidung auf einem Foto von Edward S. Curtis aus dem Jahr 1924. Vor den Angriffen durch Siedler und Ranger Anfang der 1850er-Jahre lebten rund 10.000 Yuki in Kalifornien; heute gibt es auf dem Round Valley Reservat nur noch rund 100 Yuki. (Edward S. Curtis ­Collection/Library of Congress LC-USZ62-11580)

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g­ ewalttätiger Zusammenstöße zwischen Siedlern und Natives dar. Dieser relativ kleine Stamm von 7000 bis 11.000 Angehörigen vor Ankunft der Siedler Ende der 1850er-Jahre wurde zwischen 1856 und 1864 vollkommen ausgelöscht. Genozidale Angriffe und das Verbot, das Reservat zu verlassen, reduzierten die Anzahl der Yuki auf 85 Männer und 215 Frauen.18 Ende des 19. Jahrhunderts sank die Anzahl aufgrund von Hunger und Krankheit sowie zeitweiligen Kämpfen mit den Siedlern weiter. Auf dem Round Valley Reservat leben heute rund 100 Yuki sowie verschiedene andere kalifornische Stämme. Einige wenige Yuki-Sprecher leben bis heute.19 Die Yuki waren ein Stamm von Jägern und Sammlern, die sich von Wurzeln, Beeren, Eicheln, Klee, wildem Gemüse und Kräutern ernährten; all dies war im (mitunter auch als Nome Cult ­Valley bekannten) Round Valley rund 200 Meilen nördlich von San Francisco im Überfluss vorhanden. Die Indianer jagten auch Wild und Vögel und angelten Lachs und Forelle. Das Round Valley, so heißt es in einem zeitgenössischen Bericht, „ist eine schöne, kreisförmige Ebene von gut 1000 Hektar Land, die fast gänzlich in hohem Maße kultivierbar sind; in den Bergen im nordöstlichen Teil von Mendocino County gelegen, kann sie bei kluger Bewirtschaftung rund 25.000 Indianer versorgen.“20 Mit der Ankunft der Siedler änderte sich dies. Am 2. Februar 1848 wurde der Vertrag von Guadalupe Hidalgo unterzeichnet, mit dem der mexikanisch-amerikanische Krieg endete und Kalifornien an die USA überging. Ungefähr zur gleichen Zeit, am 24. Januar 1848, wurde in Sutter’s Mill in Coloma in den Ausläufern der Sierra Nevada Gold entdeckt. Der anschließende Goldrausch führte rund 300.000 Menschen sowohl von der Ostküste der Vereinigten Staaten als auch aus dem Ausland nach Kalifornien. Während die Goldsucher in die Gebirgsausläufer ausschwärmten, ließen sich viele der Neuankömmlinge in der Boomtown San Francisco nieder. Die Stadt benötigte deutlich mehr Nahrungsmittel und Wohnraum und einheimische Rancher und Siedler waren auf der Suche nach neuen Weideflächen für ihre Tiere. Das Round Valley war das perfekte Ziel für die Hirten, was zu 81

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­ nmittelbaren Konflikten mit den Bewohnern des Round Valley, u den Yuki, führte. Die Rinder- und Pferdeherden zertrampelten die traditionelle Nahrung der Yuki und die Siedler und griffen den Stamm gewaltsam an. Für sie waren die Indianer bestenfalls „Wilde“ und schlimmstenfalls wenig mehr als Tiere. Die Yuki unternahmen erste Vergeltungsaktionen, verjagten die Pferde und töteten das Vieh der Siedler, um sich zu ernähren. 1850 wurde Kalifornien als Bundesstaat in die Vereinigten Staaten von Amerika aufgenommen und seine neue Regierung beschloss 1856, ein Reservat für die Yuki im nördlichen Teil des Tals bereitzustellen, um so Konfrontationen zwischen Siedlern und Indianern zu vermeiden. Rund 3000 Indianer zogen auf das Reservat, während andere ins Tal und in die Wälder im Norden und Osten ausschwärmten und sich dort zum Teil mit anderen in der Region lebenden Stämmen zusammenschlossen.21 Um Wild zu jagen oder Wurzeln und Eicheln zu sammeln, kehrten die Indianer jedoch ins Tal zurück, nur um von den immer aggressiver auftretenden Siedlern vertrieben zu werden, die auf die Yuki schossen und ihre Frauen entführten und sexuell ausbeuteten. Die Siedler reklamierten das Gebiet nicht nur für sich und trennten ihre Ranches durch Zäune ab, sondern machten sich auch in Stoßtrupps auf, um die Yuki für Viehdiebstähle zu bestrafen. Die Yuki töteten im Gegenzug gelegentlich Weiße, wenngleich in viel geringerer Anzahl, als sie selbst Opfer zu beklagen hatten. Einer der Siedler, Dryden Laycock, erklärte 1860 vor einem Untersuchungsausschuss des kalifornischen Senats: „1856 fand die erste Expedition von Weißen gegen die Indianer statt, die sich seitdem fortsetzt; diese Expeditionen entstanden durch die Versammlung einiger weißer Männer, wann immer die Indianer Verwüstungen anrichteten [normalerweise Viehdiebstahl]; es gab so viele dieser Expeditionen, dass ich mich an ihre Anzahl nicht mehr erinnere; schlussendlich töteten wir im Durchschnitt 50 oder 60 Indianer bei jedem Streifzug und nahmen andere gefangen, die wir immer ins Reservat brachten, häufig mussten wir zwei- bis dreimal pro Woche ausrücken.22 82

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Die Situation auf dem Reservat war nicht besser als die der Yuki, die verstreut am Fuß der Sierra Nevada und um das Tal lebten. Die Regierungsvertreter auf dem Reservat waren außerstande, die Siedler an der Nutzung des Weidelands auf dem Reservat zu hindern. Unterdessen nahmen Mangelernährung und Hunger unter den Yuki bedrohliche Ausmaße an. Manche starben an Krankheiten, darunter Geschlechtskrankheiten, viele andere waren durch Krankheiten geschwächt. Innerhalb und außerhalb des Reservats starteten die Siedler ständig neue Überfälle auf die Indianer, vergewaltigten ihre Frauen, töteten die Männer und entführten zahlreiche Kinder. Nur mit Pfeil und Bogen bewaffnet, hatten die Yuki gegen diese Trupps nicht die geringste Chance. Einem Zeitungsbericht der Zeit zufolge vergewaltigen mit Syphilis infizierte Siedler bei verschie­ denen Überfällen 500 bis 600 „Squaws“ der nahe gelegenen Clear Lake Indians – „keine Einzige wurde verschont – und sie weihten so den gesamten Stamm dem Untergang“.23 Die Kinder der Yuki wurden häufig als Halbsklaven und Diener entführt, da die Indentur bis 1863 legal war. So berichtete der Vertreter eines Indianerreservats, Vincent Geiger, 1857: „Die Indianer […] haben sehr wenige Kinder, da die meisten zweifellos gestohlen oder verkauft wurden.“24 Vereinzelte Vergeltungsschläge der Yuki auf die Überfallkommandos brachten die Siedler nur noch mehr gegen sie auf, sodass manche zur Vernichtung aller Yuki aufriefen. Der Diebstahl eines einzelnen Hengstes führte zu einem Massaker an 240 Yuki. Ein Farmer behauptete, 20 Schweine verloren zu haben, und erschoss drei Indianer; vier weitere wurden auf dem Reservat für das Verbrechen gehängt.25 Als der kalifornische Gouverneur, John Weller, 1859 die Gründung der sogenannten Eel River Rangers genehmigte, an deren Spitze der Siedler und bekannte „Indianerkiller“ William S. Jarboe stand, schlugen die Kriege im Round Valley in einen offenen Genozid um. Jarboe und seine Bürgerwehr waren bereits für den Mord an rund 63 Yuki-Männern, -Frauen und -Kindern verantwortlich gewesen.26 Nun beauftragte ihn der Gouverneur, sich der Angelegenheit anzunehmen. Wie Jarboe seinen Rangers darlegte, lautete sein 83

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Lösungsvorschlag: „Alle Männer, die sie finden konnten, zu töten und die Frauen und Kinder gefangen zu nehmen“.27 Für Jarboe und seine Männer waren die Indianer weniger als Menschen; sie waren Ungeziefer, das stahl und versteckte, sich verschanzte und davonlief  – keineswegs würdige Gegner der Siedler. Rund 300 Indianer kamen durch Jarboes Aktion ums Leben; weitere 300 wurden auf das Reservat verbannt. Für seinen Einsatz präsentierte Jarboe dem Bundesstaat Kalifornien eine Rechnung über 11.143 Dollar.28 Eine Untersuchung der Mendocino-Kriege durch die kalifornische Regierung offenbarte die Einstellungen der Siedler und ihrer Vertreter gegenüber den Widerstandsaktionen der Yuki. Viele fanden die Morde gerechtfertigt, da sie der einzig mögliche Umgang mit den „räuberischen und blutdürstigen“ Yuki seien. Selbst diejenigen, die über die Tötungen nicht erfreut waren, taten sich schwer, die Yuki als ebenbürtig anzusehen. The Majority Report bemerkt zum Beispiel, man solle „durch den Begriff ‚Krieg’ nicht dem Gemetzel an Wesen Würde verleihen, die zumindest menschliche Gestalt besitzen und keinen Widerstand leisten und weder die Person noch den Wohnort von Bürgern angreifen“.29 „Ich betrachte sie nicht als Feinde“, erklärte George W. Jeffress vor Gericht, der ebenfalls die Arglosigkeit der Yuki hervorhob, „sondern vielmehr für eine feige räuberische Bande an Vagabunden: Ich halte es nicht für mutig, wenn zwei weiße Männer 25 von ihnen vertreiben können und sie beim Weglaufen niederstrecken.“30 Das Ergebnis der bundesstaatliche Untersuchung des Mendocino-Kriegs lautete: „Die Geschichte lehrt uns, dass das unabwendbare Schicksal des roten Mannes totale Ausrottung oder Isolierung von den tödlichen und verderblichen Einflüssen der Zivilisation ist.“31 Die Mehrheit des Ausschusses sprach sich klar für den Schutz der Indianer auf dem Reservat und für eine Trennung von den Siedlern aus. Allerdings setzten sie bei diesen Maßnahmen auf die Unterstützung der Bundesregierung; die Armee stand einer Intervention jedoch skeptisch gegenüber. So berichtete etwa das San Francisco Bulletin: „Darstellungen zufolge verfolgen die in jener Region [Mendocino] ansässigen Truppen der Vereinigten Staaten während all dieser Unruhen einen ‚meisterhaften’ 84

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Kurs der Untätigkeit.“32 Einige Armeeeinheiten wurden sogar auf dem Reservat stationiert. Den fortwährenden Überfällen auf Indianerdörfer konnten sie jedoch keinen Einhalt gebieten und sie hatten keine Befugnis, die Verbrecher außerhalb des Reservats zu verfolgen.33 Die ständigen Überfälle auf das Reservat setzten sich somit fort, während die Yuki in großer Anzahl an Hunger und Krankheiten starben. So bemerkte der zuständige Armeeoffizier Captain Johnson: „Ich halte es für das feste Bestreben zahlreicher Einwohner [Siedler], die Indianer auszurotten.“ Es gebe „keine Möglichkeit, dies zu verhindern“.34 Auch in den europäischen Kolonien Afrikas kam es zu Siedler­ genoziden. Die zuvor abfällig als Buschmänner (vom niederländischen „Bosjesman“ und dem späteren Afrikaans-Wort „Boesman“) bezeichneten San zogen vor der Ankunft der Niederländischen Ostindien-Kompanie 1652 als Nomadenvolk durch weite Teile Südafrikas. Vertreter der Kompanie bauten und betrieben sodann einen kleinen Versorgungsstützpunkt für ihre Schiffe in der Tafelbucht. Um den Nachschub an Fleisch und Gemüse zu gewährleisten, lud die Kompanie niederländische Siedler ein, die Flächen in unmittelbarer Nachbarschaft des späteren Kapstadt zu bewirtschaften. Für die Umsiedlung nach Südafrika winkte den Interessenten – darunter auch Hugenotten und deutsche Protestanten  – eine kostenlose Schiffsreise, billiges Land (zumeist zur Pacht) und das Anfangskapital zur Gründung eines Gehöfts. Da Wasser und gutes Weideland jedoch knapp waren, zogen die später als Treckburen bezeichneten Siedler von Ort zu Ort, was sich auch auf die Gebiete der San und der Khoikhoi auswirkte, ein Bantu sprechendes Volk, das vor allem Wanderweidewirtschaft betrieb. Trotz ihrer geringen Anzahl – Schätzungen zufolge gab es 1770 bei einer niederländischen Gesamtbevölkerung von etwa 15.000 rund 600 unabhängige Viehzüchter, die verstreut am westlichen Kap lebten  – durchstreiften die Treckburen ein immenses Gebiet und ihre Herden und Jagdgewohnheiten wurden bald zu einem ernsten Problem für die San und die Khoikhoi.35 Während sie die Khoikhoi überwältigten und sie mehr und mehr als Hirten, Diener 85

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und Angestellte in ihre eigene Wirtschaft eingliederten, setzten sich die San anfangs nur gelegentlich, dann auf immer gewalttätigere und entschlossenere Weise zur Wehr. Mitunter beteiligten sich die Khoikhoi an den Aktionen der San, um die Treckburen an der Übernahme ihrer traditionellen Stammesgebiete zu hindern. Erschwerend kam jedoch hinzu, dass es keine klare Unterscheidung zwischen den San und den Khoikhoi gab, die manchmal schlicht unter dem Namen Khoisan zusammengefasst wurden. Uns liegen nur wenige Dokumente vor, die Aufschluss über die Sichtweise der San auf die Übergriffe der Treckburen geben. Ihr eigensinniger, erbitterter Widerstand liefert jedoch ähnlich wie bei den Yuki und den Aborigines gewisse Einblicke in ihre Mentalität. Die Herden der Treckburen zertrampelten die Felder, auf denen die San-Frauen Wurzeln, Knollen und anderes wild wachsendes Gemüse sammelten, und zerstörten das Weideland, auf dem wilde Tiere, vor allem Gazellen und Strauße, grasten – Tiere, die von den San gejagt und anschließend zubereitet wurden. Die Treckburen machten nun ebenfalls und mitunter aus purem Vergnügen Jagd auf diese Tiere und dezimierten so die Vorräte der San an Wildfleisch und anderen Tierprodukten. Die Treckburen stellten ein (gepökeltes, gesalzenes oder geräuchertes) Trockenfleisch aus Elenantilopen namens Biltong her, das in den Siedlergemeinden und auch in ­K apstadt auf große Beliebtheit stieß. Nun jedoch dezimierten sich die Herden dieses für die Ernährung und das spirituelle Leben der San äußerst wichtigen Tieres rapide.36 Die San-Kämpfer waren wütend, insistierten auf ihrer Gebietshoheit, verhöhnten und bedrohten die Siedler. In einer Art Guerillakrieg attackierten sie die Treckburen und ihre Siedlungen, stahlen oder töteten Tiere, steckten ihre Häuser in Brand, vergifteten die Wasserstellen und ermordeten Siedler. Ein Reisender berichtete von einem Farmer, der ihm gesagt habe, „als er morgens aus dem Haus gegangen sei, habe er in der Nähe seines Hauses die gesamte Herde bestehend aus 40 Ochsen und 200 Schafen, mehreren Hunden und Pferden und einige als Wächter angestellte Hottentotten [Khoikhoi] allesamt ermordet vorgefunden und kein Einziger sei verschont geblieben“.37 86

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Die Reaktion der Treckburen war nicht überraschend. Anfangs führten Vertreter der Niederländischen Ostindien-Kompanie in „Kommandos“ organisierte Siedlergruppen in das Hinterland, um Gruppen der San anzugreifen und auszulöschen. Mit der Zeit hatten die Verwalter der Kapkolonie jedoch andere Sorgen und überließen die Strafexpeditionen den Siedlern. Gegen Ende des 18.  Jahrhunderts kam es alljährlich zu Aktionen dieser Art; bis zu 250 Treckburen zu Pferd machten mitsamt ihren Verbündeten, darunter waren ihre Khoikhoi-Hirten, Jagd auf die San. Mitunter wurden in ihrer Form nicht festgelegte Überfallkommandos aufgestellt, um vermeintliche Übeltäter ausfindig zu machen. Wie bei den Angriffen auf Aborigines oder die amerikanischen Indianer fanden diese Angriffe zumeist im Morgengrauen statt, da die Stoßtrupps die Lagerfeuer der San aufspürten, sie bei Tagesanbruch angriffen und dabei in der Regel alle Männer töteten und Frauen und Kinder gefangen nahmen. Die Frauen dienten in der Landwirtschaft der Treckburen und verrichteten niedere Tätigkeiten auf den Gehöften. Gelegentlich wurden sie einem Khoikhoi-Bedienstetem zur Frau „gegeben“. Die San-Kinder waren von den Familien der Treckburen abhängig, was auf Sklaverei hinauslief, außer dass sie nicht ge- oder verkauft werden konnten und ab ihrer Volljährigkeit theoretisch keine Verpflichtungen mehr hatten. Richtig ist aber auch, dass die Überfallkommandos der Treckburen häufig Frauen und Kinder auf grausamste Weise töteten. Es wird von Fällen berichtet, bei denen die Brüste der San-Frauen zur Herstellung von Tabaksbeuteln dienten und Kinderschädel gegen Felsen geschlagen wurden. Im August 1775 tötete ein Kommando der Treckburen eine Reihe von Nilpferden und ließ ihre Kadaver als vermeintliches Geschenk für die San am Flussufer zurück. Als Stammesmitglieder kamen, um sich an dem frischen Fleisch zu laben, überfielen die Treckburen sie aus dem Hinterhalt, töteten 122 Stammesangehörige und nahmen 21 gefangen.38 Das Ermorden der San wurde unter den Treckburen zur Routine; ein San galt, wie ein Beamter vor Ort bemerkte, „eigentlich nicht als Mensch, aber zugleich kann er nicht direkt den Tieren zugeordnet werden. Er ist daher eine Art Geschöpf, die andernorts nicht 87

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­bekannt ist.“39 Ein Reisender bemerkte 1775, die Treckburen jagten die San häufig wie Wild: „Erspäht ein Kolonist zu irgendeinem Zeitpunkt einen Buschmann, so entbrennt er auf der Stelle und spornt sein Pferd und seine Hunde an, ihn mit mehr Leidenschaft und Furor zu jagen, als er einen Wolf oder ein anderes wildes Tier jagen würde.“40 Die rassistischen Siedler prahlten voreinander, wer wie viele San erschossen habe, als wenn es um Rebhühner ginge, schrieb ein anderer Beobachter.41 In fast jeder Hinsicht waren die San den Treckburen ein Dorn im Auge: als Heiden unter Christen, als Schwarze unter Weißen, als Jäger und Sammler unter Farmern und Ranchern, als „Primitive“ unter den Zivilisierten. Damit war ihr Volk zur Vernichtung bestimmt. Wenn zu Beginn der Überfallkommandos davon die Rede war, nur die San zu töten, die sich an Feindseligkeiten beteiligt hatten, so stimmte der Politikrat gegen Ende des 19.  Jahrhunderts jedweden Tötungen, wann und wo immer möglich, zu und sanktionierte damit im Wesentlichen einen Genozid.42 Es lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, wie viele der 30.000 am Kap lebenden San noch am Leben waren, als die Briten erstmals 1795 und dann dauerhaft 1806 die Niederländische OstindienKompanie übernahmen, um die Gebiete nicht ihren französischen Rivalen zu überlassen. Man darf jedoch davon ausgehen, dass nicht mehr als ein Drittel überlebte. Das Vorgehen der Briten unterschied sich deutlich von dem der Niederländer. Die Briten hatten die Sklaverei in ihrem Empire abgeschafft und versuchten mit humanitärem und missionarischem Eifer die verbleibenden San in die Gesellschaft am Kap einzugliedern. Zum Schutz des San-Volkes und zum Abbau der Spannungen zwischen den Siedlern und den Jägern und Sammlern sprachen sie ihnen ein als Bushmanland bezeichnetes Schutz­ gebiet im Norden zu. Daneben unterstützten sie Bestrebungen, das San-Volk durch die Einrichtung von Missionsstationen an der Grenze zu christianisieren. Der britische Gouverneur George ­Macartney versuchte zudem, die Treckburen im Rahmen eines Programms davon zu überzeugen, den San Ziegen, Schafe und Rinder zu überlassen, um die Natives so zu einer sesshaften Weidewirtschaft zu bewegen. Er wollte sie „beeindrucken mit einem Eindruck der 88

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Vorteile, die aus dauerhaftem Eigentum erwachsen, welches zufälligen und räuberischen Vorräten vorzuziehen ist“.43 Die Anzahl der San nahm jedoch weiter ab. Inoffizielle Überfallkommandos der Treckburen attackierten und zerstörten weiter die Lagerplätze der San. Als Reaktion auf den Viehdiebstahl oder andere Versuche der San, ihr Gebiet zu verteidigen, genehmigten die Briten sogar einige Überfallkommandos. Eine Missionarsstation nach der anderen wurde geschlossen, da die San wenig Interesse an einem „Übertritt“ zum Christentum zeigten und die Stationen eher zum Schutz vor den Überfallkommandos und als Anlaufstelle bei den regelmäßig auftretenden Dürreperioden und bei Hunger nutzten. Das Programm, das die San durch die Bereitstellung von Viehherden zur Sesshaftigkeit bewegen sollte, fruchtete kaum, da die hungrigen San die Tiere meist schlachteten und alles überschüssige Fleisch mit anderen Stammesangehörigen teilten.44 Das Bushmanland war ein Halbtrockengebiet und die San hatten Schwierigkeiten, ihre traditionelle Lebensweise beizubehalten. Trotzdem war die Regierung der Kapkolonie außerstande, die San vor den Übergriffen der Treckburen zu schützen, die ständig auf der Suche nach neuem „herrenlosen“ Weideland waren. Die wachsende Anzahl der Treckburen übte außerdem demografischen Druck auf jene Flächen aus, die angeblich für die San abgesteckt worden waren. Neue Methoden der Brunnenbohrung ermöglichten es den Treckburen, ihre Herden im Bushmanland und in anderen halbtrockenen Gebieten grasen zu lassen, auf denen die San bislang abgeschieden von den Treckburen gelebt hatten. Mit der Einführung von Merinoschafen in der Kapkolonie in den 1850er-Jahren – ungefähr zur gleichen Zeit verwandelten diese sehr anpassungsfähigen Tiere die Landschaft Tasmaniens – wurde das Bushmanland zur Heimat der stetig wachsenden Herden der Treckburen. Zu allem Überfluss wuchs der Druck aus dem Norden, da das Volk der Griqua die San anzugreifen und zu töten begann  – weil die San angeblich ihre ­Herden überfallen hätten. Vorschläge von Reformern, innerhalb des Bushmanlands Schutzgebiete für die San einzurichten, fanden bei der Regierung wenig Unterstützung. 89

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Mitte des Jahrhunderts war es für unabhängige Gruppen von ­Jägern und Sammlern aus dem San-Volk immer schwieriger geworden, ihren Lebensstil im Bushmanland oder an irgendeinem anderen Ort in der Kapkolonie zu verteidigen. Die San litten unter denselben Stereotypen, die zu Beginn der Konfrontation mit den Siedlern aufgekommen waren. So schrieb der Standard and Mail 1873: „Er pflügt nicht und sät nicht, er züchtet weder Rinder noch Schafe, er ist in Wahrheit ein wildes Tier in Menschengestalt, das auf alles Jagd macht, was er zu fassen bekommt, mal stiehlt er Schafe, dann wieder rodet er Wurzeln aus oder ernährt sich von bloßem Abfall, wenn ihm nichts anderes begegnet.“45 Ohne große Skrupel töteten die Treckburen und Griqua (und gelegentlich andere Wanderweidewirtschaft betreibende Stämme) Mitglieder der San beim bloßen Anblick. Da Wild und traditionelle Nahrungsmittel aufgrund der wachsenden Herden der Treckburen nun knapp waren und die San immer weiter in die trockensten Regionen des ohnehin schon kargen Bushmanlands getrieben wurden, litten sie außerdem an Hunger und Durst. Auch die Grenze im Osten war keine Hilfe. Die einzige Überlebenschance bestand darin, sich als Arbeitskraft bei den Treckburen zu verdingen  – Tiere hüten, etwas Landwirtschaft betreiben, Brennholz tragen und so weiter  – und dafür im Gegenzug Nahrung, Werkzeug und Decken zu erhalten. Wie an der Grenze seit der Ankunft der Treckburen üblich, wurden San-Kinder getauscht, obwohl die Briten diese Praxis offiziell abschafften. In ihrer Verzweiflung kombinierten die San ihre Existenz als Restesammler mit einer Arbeit für die Treckburen. Da ihre Frauen und Kinder häufig im Haushalt der Treckburen aushalfen, blieb den Männern nicht viel anderes übrig, als ihr Dasein in einer Art Knechtschaft zu fristen. Alkohol und Krankheiten gehörten zum Alltag. Während sich die San nach und nach von ihrem Leben als Jäger und Sammler entfernten, verschwand auch ihre Besonderheit als Volk. Diejenigen, die überlebten, wurden zu einer Art Unterschicht von „Coloreds“ in der südafrikanischen Gesellschaft, während es einzelnen Gruppen bis ins 20. Jahrhundert gelang, als Nomaden in der Kalahari-Wüste zu überleben. Von den ursprünglich 90

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am Kap lebenden San gibt es heute nur noch rund 30 „nicht hybridisierte“ Mitglieder.46 Dank der Zuwanderung von San aus Angola und Namibia ist ihre Anzahl in Südafrika heute jedoch weitaus höher. Das San-Volk am Kap war Opfer eines Genozids. Die Niederländische Ostindien-Kompanie und die Treckburen beteiligten sich an der mörderischen Vernichtung eines Volks von Jägern und Sammlern, das sich gegen Übergriffe auf ihre angestammten Gebiete zur Wehr gesetzt hatte. Obwohl die Politik der Briten nicht so unmittelbar auf Völkermord ausgerichtet war, trug auch sie zur Tötung des San-Volkes bei und drängte sie tiefer in Gebiete, auf denen das Überleben immer schwieriger wurde. Unterdessen stürzte die Assimilationspolitik der Kapkolonie die San in noch größeres Elend; viele starben an Krankheit, Hunger und den Strapazen, die mit der schweren körperlichen Arbeit auf den Farmen der Treckburen verbunden waren. Weder das Volk der San am Kap noch ihre Lebensweise konnten überleben.

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ahlreiche Aspekte der Moderne leisteten einigen der schlimmsten Ausprägungen von Genoziden Vorschub. Das in Jules Vernes In 80 Tagen um die Welt (1873) gefeierte Kleinerwerden der Welt bedeutete, dass Streitkräfte rasch und effizient an Orte im In- und Ausland gebracht werden konnten, wenn die Führung eines modernen Staates die vermeintliche Bedrohung durch fremde Völker niederzuschlagen beschloss. Mit modernen Kommunikationsmitteln – Telegrafen, Fernschreibern und Telefonen – konnte der Befehl zum Völkermord in kürzester Zeit über weite Strecken übermittelt werden. Die Entwicklung moderner Eisen-, Stahl- und Maschinenbauindustrien begünstigte rasche Innovationen in der Waffentechnik. Politische Eliten, die bestrebt waren, feindliche Völker durch Krieg oder Genozid auszulöschen, verfügten über neue Tötungsmethoden. Der Einfluss moderner Medien auf Politik und Regierungen erlaubte es extremistischen politischen Parteien, ihre Botschaft des Hasses und der Zerstörung unter immer mehr Menschen in immer größeren Gebieten zu verbreiten. Die moderne Politik mit ihrem Wettstreit verschiedener politischer Parteien um die Gefolgschaft von Menschenmassen schuf Situationen, in denen ethnische und religiöse Minderheiten und andere „unerwünschte“ Gruppen isoliert, zur „Vernichtung“ vorgesehen oder gar ausgelöscht werden konnten. Der moderne Staat erleichterte diese Vorgänge überdies durch das ihm eigene Bedürfnis, seine Bevölkerung zu zählen, im Auge zu behalten und zu ordnen. Der panoptische Staat hatte wenig Verständnis für Anomalien oder alternative Identitäten unter seinen jeweiligen Völkern.1 Parallel zum Reifungsprozess moderner Nationalstaaten entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein integraler Nationalismus, eine neue und virulentere Form politischen Denkens, die rassische und ethnische Unterschiede zwischen Völkern als wesenhaft verstand. 92

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Nach dieser Art von pseudowissenschaftlichem politischen Denken, einem Menetekel für das noch Kommende, befanden sich biologisch definierte Nationen in einem darwinschen Kampf um die Vorherrschaft. An diesem Punkt begann der Nationalstaat, wie ein Kritiker es formulierte, „zu hassen“.2 Verschiedene Wissenschaftler haben auf die wichtige Verbindung zwischen der rassisch begründeten Gewalt der Siedlergenozide und der anschließenden Entwicklung von gewalttätigen Staatsideologien und ebensolchen staatlichen Praktiken auf dem Kontinent hingewiesen.3 Der im vorangehenden Kapitel beschriebene Siedlergenozid wurde von einer neuen und gefährlicheren Form von Massenmord abgelöst, die die Macht des modernen Staates zu mörderischen Zwecken nutzte. Der letzte bedeutende Siedlergenozid der Kolonialzeit vor dem Ersten Weltkrieg – der Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika  – kann in gewisser Weise als erster Genozid der Moderne gelten, da der deutsche Staat und die deutsche Armee sich direkt an ihm beteiligten und die Interessen der Siedler selbst eine relativ untergeordnete Rolle in der Geschichte der Massentötung spielten. Die Deutschen traten relativ spät in den Wettlauf um die Kolonien ein. Erst um 1885 gelangten sie nach Südwestafrika, in das heutige Namibia. Durch verschiedene Geschäfte mit den Weidewirtschaft betreibenden und überwiegend sesshaften Herero- und Nama-Stämmen (Letztere sind mitunter auch als Namaqua bekannt) gelang es ihnen, Gebiete für deutsche Siedler abzustecken. Anders als das San-Volk am Kap besaßen die Herero und Nama fest etablierte Häuptlinge, die mit den Deutschen verhandeln konnten, um so das Tempo und Ausmaß der kolonialistischen Vorstöße auf ihre Stammesgebiete zu kontrollieren. Zum Leidwesen der Herero und Nama unterschieden sich die Deutschen in ihrer Wortbrüchigkeit und der Gier ihrer Siedler, mehr als die zugeteilten Flächen und Ressourcen in Anspruch zu nehmen, nicht von den übrigen Imperialmächten, insbesondere dann nicht, wenn dies zulasten der „minderwertigen“ schwarzen Einheimischen der Region ging. Den Deutschen ging es zuvörderst darum, ihre Kolonie in Südwestafrika zur Demonstration ihrer Macht und ihres Engagements 93

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gegenüber den rivalisierenden Weltmächten, den Briten und Franzosen, zu nutzen. Bald schon schmiedeten sie Pläne für eine Eisenbahnlinie von Ost nach West, die das Gebiet der Herero zweiteilen sollte, um  – so wurde spekuliert  – die Ureinwohner auf Reservate abzuschieben. Überdies gerieten die Hirten der Herero zunehmend in die Schuld deutscher Händler, was die Spannungen zwischen der lokalen Regierung unter dem relativ progressiven Gouverneur in Südwestafrika, Major Theodor Leutwein, und den Herero verschärfte. Um die Wogen zu glätten, forderte Leutwein die Zahlung aller Schulden und ein Begleichen der Rechnungen, was angesichts der fehlenden Geldökonomie unter den Herero schlichtweg unmöglich war. Als die Händler das Vieh der Herero in Zahlung zu nehmen begannen, zettelte der Häuptling der Herero, Samuel Maharero, im Januar 1904 einen Aufstand gegen die Deutschen an. Er rief seine Männer gegen die Deutschen zu den Waffen, instruierte sie jedoch wohlweislich, keine deutschen Frauen oder Kinder, Missionare, Briten oder Buren umzubringen. Bei den ersten Kämpfen starben rund 120 bis 150 Deutsche (und einige Buren). Gouverneur Leutwein war außerstande, dem Aufstand der Herero mit seinen begrenzten Truppenkontingenten Herr zu werden, und wandte sich daher mit der Bitte um Unterstützung an die deutsche Reichsregierung. Der deutsche Generalstab bestand, sekundiert vom Kaiser, darauf, Härte im Umgang mit den Rebellen zu zeigen, und entsandte im Juni 1904 General Lothar von Trotha mit 14.000 Mann starken regulären Truppen nach Südwestafrika. Leutwein und von Trotha lagen in ihren Ansichten über den Umgang mit den Einheimischen gänzlich über Kreuz. Der Gouverneur hoffte, die Anwesenheit deutscher Soldaten werde die Herero schon dazu bringen, sich mit der Kolonialregierung zu einigen und einen Vertrag zu unterzeichnen. Von Trotha dagegen, geschult in der deutschen Militärtradition, den Gegner durch das Töten seiner Kämpfer und das Niederwalzen seiner Gesellschaft in die Knie zu zwingen, wollte die Herero in toto auslöschen.4 Die größte Konfrontation mit den Herero fand vom 11. bis 12. August 1904 in der Schlacht am Waterberg statt, wo von Trothas Trup94

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pen rund 3000 bis 5000 Krieger der Herero bezwangen und sie in die Wüste im Osten drängten. Der Generalstab der Deutschen hatte eine Studie des anstehenden Krieges erstellen lassen und diese Fluchtroute erwartet. „Sollten die Hereros indessen doch versuchen, hier durchzubrechen, so musste ein solcher Ausgang der deutschen Führung umso erwünschter sein, als der Feind dann freiwillig in sein Verderben rannte. Denn in dem wasserlosen Sandfelde musste er verdursten.“5 Von Trothas berüchtigter Schießbefehl war ein Aufruf zum Völkermord: Alle Herero-Männer sollten getötet, auf die Frauen und Kinder solle geschossen werden, damit sie sich möglichst rasch entfernten. „Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder, der einen der Kapitäne an eine meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält 1000 Mark, wer Samuel Maharero bringt, erhält 5000 Mark. Das Volk der Herero muss jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot-Rohr dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Dies sind meine Worte an das Volk der Hereros.“6

Zugleich wies von Trotha seine Truppen an, nicht alle Frauen und Kinder zu töten, da dies dem guten Ruf der deutschen Armee schaden werde. Während sich die entkräfteten Herero immer weiter in die Wüste zurückzogen, litten sie immer mehr unter Hunger und Durst. Als die Deutschen sie einholten, töteten sie die Herero – häufig auch Frauen und Kinder – an Ort und Stelle. Dem Oberhäuptling Maharero gelang es, mit rund 1000 Herero die Wüste Kalahari zu durchqueren und in Bechuanaland Zuflucht zu suchen, wo sie dem lokalen Häuptling die Treue schworen. Auf die übrigen Herero in der Kolonie gingen die deutschen Soldaten los, attackierten, er95

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schossen oder erhängten sie. Im Anschluss richtete von Trotha seine Aufmerksamkeit auf das kleinere Volk der Nama, denen er dasselbe Schicksal – Verhungern oder Ermordung durch die Deutschen – androhte: „Dies tue ich Euch kund und sage ferner, dass es den wenigen [Nama], welche sich nicht unterwerfen, ebenso ergehen wird, wie es dem Volk der Hereros ergangen ist, das in seiner Verblendung auch geglaubt hat, es könne mit dem mächtigen deutschen Kaiser und dem großen deutschen Volk erfolgreich Krieg haben.“7 Leutwein war angesichts des in seinen Augen irrationalen und unmoralischen Mordes an den unschuldigen Herero, die seiner ­A nsicht nach als Arbeitskräfte in der Kolonie hätten genutzt werden können und sollen, außer sich. Sein Standpunkt fand schließlich in Berlin Unterstützung; von Trotha wurde im November 1905 abberufen und für seine Verdienste mit zahlreichen militärischen Ehren ausgezeichnet. Die Herero wurden zwar nicht im Kampf getötet, starben schließlich jedoch an der Einkesselungspolitik sowie an Gefangenschaft und Zwangsarbeit. Das auf der Haifischinsel eingerichtete Arbeitslager – bis April 1907 kamen hier rund 1700 Herero und Nama ums Leben – erwies sich als Todeslager, das rund 80 Prozent der Internierten nie wieder verlassen sollten. Täglich starben zwölf bis 14 Gefangene. Sie litten unter Mangelernährung, waren Wind und Wetter ausgesetzt, wurden mit der berüchtigten Sjambok (einer schweren Lederpeitsche) geschlagen und als Sklaven an Privatfirmen verliehen. Rückkehrende Transportarbeiter schilderten die Gräuel in Südwestafrika in einer Reihe von Interviews, die in der südafrikanischen Zeitung Cape Argus erschienen. Buren und Engländer zeigten sich angesichts der Ermordung und des Auspeitschens von Frauen und Kindern bestürzt. In der Ausgabe vom 25. September 1905 berichtete ein junger Afrikaander, die Deutschen hätten im Februar 1905 25 Frauen und Kinder getötet, vor allem „am Hals an Bäume gebunden und dann erschossen“. Weiter schilderte er: „Die Deutschen sagten, sie seien Spione, aber sie wurden mit den Einheimischen gefangen genommen, mit denen wir gekämpft hatten, und manche Kinder können nicht älter als fünf gewesen

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„Hererohäuptling Bandju. Verdurstet auf der Flucht im Hereroaufstand“. Foto aus dem Album: „Deutsch-Südwest-Afrika, Kriegs- und Friedens­ bilder“, 100 Originalaufnahmen von Friedrich Lange.

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sein. Ein Leutnant gab die Befehle. Fünf Soldaten nahmen sich abwechselnd eine Frau und ein Kind vor, legten ihnen eine Schlinge um den Hals, hängten sie über einem Ast auf und erschossen sie dann. Nein, die Frauen schrien nicht um Gnade. Sie sagten keinen Ton. Sie waren froh, von ihrem Leiden erlöst zu werden, denn sie waren qualvoll behandelt worden. Auch die Kinder gaben normalerweise keinen Ton von sich. Wie die Frauen hatten sie immer wieder ein Bajonett in der Seite gehabt und waren auf andere Weise übel behandelt worden.“8

Von 1904 bis 1907 wurden die Herero, einst rund 80.000 kräftige Viehhirten, mitsamt ihren Familien auf etwa 15.000 hungrige und krankheitsanfällige Flüchtlinge dezimiert, die von den Deutschen von ihrem Land vertrieben und in Arbeitslagern interniert wurden. Von Trothas Vorgehen war Ausdruck einer besonders mörderischen Form von militärischer Repressionspolitik. Er war von 1894 bis 1897 an der Niederschlagung von Widerständen der Einheimischen in Deutsch-Ostafrika und im Jahr 1900 an der Unterdrückung des Boxeraufstands in China beteiligt gewesen. Seine rassistischen Neigungen und die Vorstellung, nur die vollständige Vernichtung der Herero und Nama werde dem Aufstand ein Ende setzen, mündeten unmittelbar im Völkermord. Obwohl der Schauplatz des Völkermords an den Armeniern gegen Ende des Osmanischen Reiches mehrere Tausend Kilometer von Deutsch-Südwestafrika entfernt lag und die Umstände des ­Massakers gänzlich andere waren, gab es interessante und wichtige Querverbindungen zwischen beiden Ereignissen. Namentlich waren die deutsche Armee und der deutsche Staat in beide involviert.9 Deutsche Armeeoffiziere waren zum Beispiel direkt an den Maßnahmen der osmanischen Türken gegen die Armenier beteiligt, insbesondere fungierten sie als Berater der osmanisch-türkischen Behörden beim Umgang mit dem Aufstand von Van im April/Mai 1915. Allerdings waren die Deutschen im Fall des Völkermords an den Armeniern keine Täter, obschon die deutsche Armee und diplomatische Vertreter von der Verfolgung und Tötung von Armeniern wussten und wenig bis nichts taten, um das aufzuhalten. 98

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Wie bei den Siedlergenoziden gab es auch beim Völkermord an den Armeniern einen Wettlauf um Land und Reichtum, der zwischen den Türken und Kurden auf der einen und den Armeniern auf der anderen Seite ausgetragen wurde und zu dem aufkommenden Konflikt beitrug. Die Muhadschir, neue muslimische Flüchtlinge vom Balkan und aus dem russischen Zarenreich, sahen ebenfalls mit gierigem Blick auf die Besitztümer der Armenier und eigneten sich nach der Vertreibung armenischer Familien häufig deren Besitz an. Unmittelbar während der Deportationen behandelten die Muhadschir die Armenier häufig mit besonderer Hartherzigkeit und Brutalität. Die Beseitigung der Armenier aus Anatolien war das Ergebnis eines besonderen Aufeinandertreffens von internen und externen Faktoren. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs war insofern ein entscheidender Faktor für den Genozid, als die osmanisch-türkische Regierung ihre Maßnahmen gegen die Armenier unter dem Deckmantel von Sicherheitsvorkehrungen zu Kriegszeiten ergreifen konnte. Angesichts der diplomatischen Entwicklung vor dem Krieg waren die Osmanen zudem mit den Zentralmächten (Deutschland und dem Habsburgerreich) und nicht mit den Ententemächten (Großbritannien, Frankreich und Russland) verbündet. Dass die ­A rmenier überhaupt zur Zielscheibe der türkischen Behörden wurden, hing zumindest teilweise damit zusammen, dass die Armenier insbesondere für die Russen, Briten und Franzosen ein internationales Sorgenkind waren. Mit Artikel 61 des Berliner Vertrags (1878) hatten die Alliierten das Osmanische Reich zum Schutz der armenischen Bevölkerung verpflichtet. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs zwangen die Alliierten auf Appell der armenischen Führung das Osmanische Reich zur Unterzeichnung des „armenischen Reformplans“ vom 8. Februar 1914. Dieser verpflichtete die jungtürkische Regierung, die Anwesenheit internationaler Inspektoren auf osmanischem Gebiet zu akzeptieren, um eine faire Behandlung der Armenier zu gewährleisten. Türkischen Beamten galt dieses Abkommen als Treuebruch seitens der Armenier und als Beleidigung der Würde und Souveränität der Osmanen.10 99

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Während der langen Herrschaft des aufgrund seiner angeb­ lichen Blutrünstigkeit auch als „roter Sultan“ bekannten Abdül­ hamid II. (1876–1909) waren die Armenier zudem zur Zielscheibe von osmanisch-türkischen Pogromen geworden. Zwischen 1894 und 1896 kam es zu entsetzlichen Massakern an den Armeniern in Sason, Trabzon (Trapezunt), Zeitoun und anderen Orten. Bei diesen Ausschreitungen, die von den sogenannten Hamidiye-Regimentern  – kurdischen Freischärlern des Osmanischen Reiches  – unterstützt wurden, wurden rund 200.000 Armenier getötet oder verwundet. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam es regelmäßig zu Gemetzeln an den Armeniern. Der schlimmste Übergriff fand 1909 in der Provinz Adana statt, wo bei Aufständen von hungrigen und obdachlosen Wanderarbeitern und unzufriedenen Muslimen rund 20.000 Armenier mit Unterstützung der örtlichen Beamten des Osmanischen Reiches ermordet wurden.11 Das jahrhundertealte Millet-System, das den größten religiösen Gruppierungen (den Armeniern, Juden und griechisch-orthodoxen Christen) im Osmanischen Reich ein Mindestmaß an Sicherheit und Autonomie innerhalb ihrer Gemeinschaften gewährte, wiewohl es sie auf den zweiten Rang hinter den Muslimen verwies, begann Mitte des 19. Jahrhunderts auseinanderzubrechen. Die vom Islam proklamierte Überlegenheit über christliche Gemeinden nahm gewalttätige Züge an. Obwohl die meisten politischen Führer der Jungtürken und Armenier während der Jungtürkischen Revolution 1908 einhellig eine moderne, konstitutionelle Regierung für das Osmanische Reich befürworteten, nahm die intellektuelle Entwicklung der Jungtürken ab der Gründung ihrer politischen Partei – des Komitees für Einheit und Fortschritt – 1906 und dem Eintritt des Osmanischen Reiches in den Ersten Weltkrieg im Oktober 1914 zunehmend ethnonationalistische türkische und antiarmenische Züge an.12 Als das Osmanische Reich aufseiten der Deutschen und Österreicher in den Krieg eintrat, ärgerte das allgemeine Sympathisieren der Armenier mit Russland, Großbritannien und Frankreich die Führung der Jung­ türken. Zu allem Überfluss beschwor die direkte Gefahr einer russi100

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schen Invasion von Osten das Schreckgespenst einer Kollaboration in der stark von Armeniern besiedelten Region um den Vansee in Ostanatolien herauf. Obwohl es nur wenige Anzeichen dafür gab, dass die Armenier des Osmanischen Reiches sich aktiv an einem russischen Angriff beteiligen würden, nutzten die Jungtürken die russische Offensive und die gelegentliche Kollaboration der Armenier als Vorwand für die Deportation sämtlicher Armenier aus dem Osmanischen Reich. Ausgenommen waren einzig die Armenier in den kosmopolitischen Städten Konstantinopel, Smyrna und Aleppo, die intensive Kontakte zu Kaufleuten aus dem Westen und zu diplomatischen Vertretern hatten. Der Beginn des Völkermords an den Armeniern wird traditionell auf die Nacht vom 24. auf den 25. April 1915 datiert, als rund 250 führende Köpfe der armenischen Gemeinde Konstantinopels inhaftiert und ins Exil geschickt wurden; die meisten von ihnen wurden schon auf dem Weg dahin hingerichtet. Unterdessen wurden armenische Soldaten in der osmanischen Armee von ihren normalen Einheiten entfernt, entwaffnet und in Arbeitsbataillonen zusammengefasst. Viele dieser Soldaten wurden schließlich ebenfalls hingerichtet. Beschleunigt wurde der völkermörderische Prozess durch den Aufstand der Armenier in Van im April und Mai 1915. Als Berichte in die Stadt drangen, die Armenier aus den umliegenden Dörfern würden entwaffnet und aus ihren Häusern und Wohnungen deportiert, entschieden sich die Armenier in Van zum Widerstand. Der Aufstand wurde zwar letztlich von der türkischen Armee und auf Rat des deutschen Generals Otto-Liman von Sanders niedergeschlagen und die Armenier in Van wie alle anderen deportiert, doch die türkische Regierung war angesichts ihres Widerstands erzürnt und ging bei der Deportation der in Anatolien verbliebenen Armenier mit zunehmender Brutalität vor.13 Die Jungtürken übermittelten ihre Befehle gewöhnlich an lokale osmanische Beamte, die gelegentlich von Mitgliedern der „Sonderorganisation“ Verstärkung erhielten, um „ihre“ Armenier zu entwaffnen und zu deportieren. Die „Sonderorganisation“ bestand aus einer bunt zusammengewürfelten Schar aus ehemaligen Kriminel101

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len, glühenden Nationalisten, Polizisten, Muhadschir und reinen Abenteurern, die ihre Macht über die Armenier – und mitunter über örtliche Beamte – nutzten, um sich an ihren Opfern auszulassen und armenische Männer und Frauen auf niederträchtigste Weise zu foltern, zu erpressen und auszubeuten. Als die Armenier vorab über die anstehenden Deportationen informiert wurden, verkauften sie ­häufig eilig ihren Besitz zu herabgesetzten Preisen in der Hoffnung, genügend Bargeld für die kommenden Strapazen zusammenzubekommen. Unterwegs wurden sie jedoch nicht nur ihres Geldes, sondern häufig auch ihres Fortbewegungsmittels, ihrer Nahrungsvorräte und sogar ihrer Kleidung beraubt. Die Männer wurden in der Regel separat abgeführt und an entlegenen Orten erschossen. Frauen und Kinder, Ältere und Kranke wurden auf Zwangsmärsche durch den glühend heißen Sand der mesopotamischen Wüste und über den Euphrat im Süden geschickt. Ihre Bewacher quälten sie und verschonten sie nicht. Ohne Nahrung, Wasser und Schutz vor den Elementen starben mehrere Hunderttausend Armenier bei den Deportationen. Viele wurden verrückt und zogen nackt in der Wüste umher; andere ertränkten sich und ihre Kinder im Euphrat. Die Türken des Osmanischen Reiches wussten zudem, dass der Marsch der Armenier zu bestimmten Zielen im Süden – Deir ez-Zor ist das bekannteste Beispiel – zu ihrem Tod führen würde, da es dort schlicht keine Ressourcen gab, um zusätzliche Bewohner zu versorgen.14 Die äußerste Brutalität der Gräuel an den Armeniern brannte sich in das Gedächtnis der überlebenden Männer und Frauen ein. Ein solcher Überlebender, der armenische Geistliche Krikor Balakian, berichtete von zahlreichen Vorfällen, bei denen Menschen von ihren Mördern in eine Falle gelockt und auf grausamste Weise niedergemetzelt wurden. Vieles erfuhr er vom türkischen Befehlshaber seiner Karawane, Kapitän Shukri, der ihm vom Massaker in Yozgat berichtete. Dort habe man die armenischen Männer auf der einen und die armenischen Frauen und Kinder auf der anderen Seite aufgestellt. „Habt ihr sie erschossen oder mit dem Bajonett aufgespießt?“, wollte Balakian von Shukri wissen. 102

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„,Es ist Krieg und Kugeln sind teuer. Deshalb rissen die Dorf­ bewohner an sich, was sie nur konnten – Äxte, Beile, Sensen, Sichel, Knüppel, Hacken, Spitzhacken, Schaufeln – und töteten entsprechend.‘ Es ist mir unmöglich zu vermitteln, was mit diesen 6400 wehrlosen Frauen, Jungfrauen und Bräuten sowie Kindern und Säuglingen geschah. Ihre herzzerreißenden Schreie und traurigen Hilferufe brachten das taube Himmelszelt zu Fall. Die uns begleitenden Polizeisoldaten in Yozgat und Boghazliyan prahlten sogar vor einigen von uns mit ihren Folterungen und Enthauptungen, wie sie Körperteile mit Äxten abgetrennt und abgehackt hätten und Säuglinge und Kinder zerstückelt hätten, indem sie ihnen die Beine auseinanderzogen oder sie auf Felsen schlugen. Ach, es ist sinnlos, ein solches Gemetzel zu schildern zu versuchen.“15

Obwohl die Jungtürken die schlimmsten Auswüchse der Deporta­ tionen und des Genozids zu verschleiern versuchten, gab es zu viele westliche Beobachter im Reich, um die Gräuel vor den Augen der

Circa 1915, während des Genozids an den Armeniern: Eine armenische Frau kniet vor dem Leichnam ihres Kindes in der Nähe von Aleppo.

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i­nternationalen Öffentlichkeit zu verbergen. Insbesondere Missionare und Diplomaten konnten das Leid der Armenier mit eigenen Augen sehen. Henry Morgenthau, der amerikanische Botschafter im Osmanischen Reich, sammelte entsprechende Schilderungen und hinterließ einen unvergesslichen Bericht vom Schicksal der Armenier. „Das Wüten der Gendarmen nahm anscheinend mit fortschreitender Reisedauer zu, denn sie schienen sich beinahe darüber zu ärgern, dass ein Teil ihrer Schützlinge weiterlebte. Häufig wurde jeder, der auf die Straße fiel, auf der Stelle mit dem Bajonett aufgespießt. Die Armenier begannen zu Hunderten zu verhungern und zu verdursten. Selbst, wenn sie an Flüsse gelangten, ließen die Gendarmen sie mitunter nicht trinken, nur um sie zu quälen. Die heiße Wüstensonne verbrannte ihre nur notdürftig bekleideten Körper und ihre bloßen Füße, die durch den heißen Wüstensand stapften, waren so wund, dass Tausende hinfielen und starben oder dort, wo sie lagen, getötet wurden. Was eine Prozession normaler Menschen gewesen war, wurde so in wenigen Tagen eine strauchelnde Schar staubbedeckter Skelette, die heißhungrig nach Essensresten suchten, alle Abfälle aßen, die sie am Wegesrand fanden, wahnsinnig wurden angesichts der abscheulichen Anblicke, die jede Stunde ihres Lebens füllten, krank mit all den Krankheiten, die mit solchen Strapazen und Entbehrungen einhergehen, und dennoch immer weiter vorwärtsgetrieben wurden von den Peitschen und Knüppeln und Bajonetten ihrer Peiniger.“16

Nach Morgenthaus Schätzungen starben bei dem Exodus 600.000 bis eine Million Armenier. Die echten Zahlen liegen wahrscheinlich höher, wenngleich Morgenthau die damalige Lage vor Ort erstaunlich gut erfasste. Ebenso wichtig für Morgenthaus Verständnis der Deportationen von Armeniern waren seine Unterredungen mit Talât Pascha, dem führenden Mitglied des „Triumvirats“ jungtürkischer Herrscher. Nach einem solchen Gespräch mit Talât berichtete Morgenthau unter Verweis auf seinen Tagebucheintrag vom 3. August: „Er machte auf mich den Eindruck, als ob [er] Talât derjenige sei, der die armen Armenier vernichten will.“ Talât erklärte Morgenthau außer104

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dem, die Deportation der Armenier sei offizielle Politik, der man nach langen Diskussionen zugestimmt habe. In einer anderen Unterredung nannte Talât, Morgenthau die „Gründe“ für die Deportationen: „Erstens haben sie [die Armenier] sich auf Kosten der Türken bereichert. Zweitens sind sie entschlossen, uns zu tyrannisieren und einen separaten Staat zu gründen. Drittens haben sie offen unsere Feinde unterstützt. […] Wir sind daher zu der unwiderruflichen Entscheidung gelangt, sie vor Ende dieses Krieges zu entmachten.“ Keiner dieser Vorwürfe ergebe Sinn, protestierte Morgenthau. „Ihre Argumente können Sie sich sparen“, antwortete Talât. „Wir haben bereits drei Viertel aller Armenier ausgeschaltet. In Bitlis, Van und Erzurum gibt es überhaupt keine mehr. Der Hass zwischen Türken und Armeniern ist inzwischen so groß, dass wir mit ihnen Schluss machen müssen. Andernfalls werden sie Rachepläne schmieden.“ Aus diesem Grund würden die Türken nicht zulassen, „dass es irgendwo in Anatolien Armenier gibt. Sie können in der Wüste leben und sonst nirgends.“ Talât müsse die Armenier als Gruppe wahrhaft verachten und sie vernichten wollen, schloss Morgenthau. Auf seine Bitte, einen bestimmten Armenier zu schützen, der ein Freund der osmanischen Regierung sei, antwortete Talât: „Kein Armenier kann nach dem, was wir ihnen angetan haben, unser Freund sein.“17 Der Völkermord an den Armeniern hatte kein klares und definierbares Ende. Viele Zehntausende Armenier starben 1916 weiterhin an Hunger, Krankheiten und Kälte, während die Überlebenden der Deportationen versuchten, sich mit spärlichen Vorräten in Lagern und vorübergehenden Unterkünften in Städten wie Deir ez-Zor und Ra’s al-‘Ain im Süden über Wasser zu halten. Einigen Armeniern gelang es, in den Libanon und nach Ägypten zu fliehen, wo sie und ihre Familien Unterstützung fanden. Als die Franzosen im November 1919 die zuvor von den Engländern okkupierte Region Kilikien besetzten, kehrten einige Armenier in ihre Häuser zurück in der Hoffnung, sich unter dem Schutz der Alliierten erneut in ihrer Heimat niederzulassen. Unter Mühen versuchten sie, die armenischen Frauen und Mädchen zurückzuholen, die zum Islam konvertiert waren und aus Furcht vor den drohenden Strapazen und dem 105

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Tod in türkische und kurdische Harems eingetreten waren. Als Mustafa Kemal (Atatürk) 1921–1922 nach einem erfolgreichen Feldzug der türkischen Armee die türkische Kontrolle über Ana­ tolien wiederherstellte, flohen die zurückgekehrten Armenier aus Angst um ihr Leben oder wurden von den Behörden der neuen Türkischen Republik vertrieben. Viele Tausend Armenier starben außerdem im Grenzland Ostanatoliens, wo sie 1917/1918 zwischen die Fronten der Türken und des russischen Bürgerkriegs gerieten. Nicht nur gegen die Armenier richtete sich die völkermörderische Politik der jungtürkischen Regierung, sondern auch gegen die assyrisch-orthodoxe Bevölkerung Südostanatoliens – eines Gebiets entlang der heutigen Grenzen der Türkei, Syriens, des Irak und des Iran. Unterdessen kam es zwischen 1916 und 1922 zu zahlreichen Deportationen, Pogromen und Massakern an den an der Schwarzmeerküste lebenden Pontosgriechen, bei denen 300.000 bis 350.000 Menschen ihr Leben verloren.18 Gegen Ende des Griechisch-Türkischen Kriegs wurde Anatolien 1922 von allen Griechen aus der Ägäis „ethnisch gesäubert“; gemäß den Bestimmungen des Vertrags von Lausanne von 1923 wurden die verbleibenden orthodoxen Griechen in der Türkei gegen die muslimische (zumeist türkische) Bevölkerung Griechenlands getauscht. Die Nazis wussten sehr gut über den Völkermord an den Armeniern und das allgemeine Desinteresse der Welt am Schicksal der Armenier Bescheid. Talât Pascha, der nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland Zuflucht gesucht hatte, wurde 1921 auf den Straßen Berlins von einem armenischen Nationalisten und Überlebenden des Völkermords, Soghomon Tehlirian, erschossen. In einem von den Medien viel beachteten Prozess sprach das Gericht Tehlirian aufgrund von „vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit“ angesichts des Leidens seines Volkes frei. Kurz vor dem Überfall der Nazis auf Polen erklärte Hitler seinen versammelten Oberbefehlshabern am 22. August 1939, „dass das Kriegsziel nicht im Erreichen von bestimmten Linien [im Osten], sondern in der physischen Vernichtung des Gegners besteht. […] Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“19 Mit seinem Aufruf wollte er die 106

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Wehrmacht auf den bevorstehenden Konflikt mit Polen einschwören, in dem sie keine Gnade walten lassen sollte. Flammender Antisemitismus war von Anfang an ein integraler Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie. Hitlers berüchtigtes Buch Mein Kampf, die „Bibel“ der Nationalsozialisten, war mit Anschuldigungen gegen die Juden durchsetzt, sie gefährdeten die Gesundheit des deutschen Volkes, stählen ihren Reichtum und unterwürfen sie den katastrophalen Zielen einer jüdischen Weltverschwörung, die teils von Moskau (da die Juden das Herz und die Seele des Kommunismus seien), teils von der Wall Street (da die Juden auf der Kontrolle des Weltkapitalismus beharrten) gesteuert würden. Hitlers Darstellung des Kampfes mit dem Weltjudentum beruhte auf einer pseudoreligiösen Endzeitvision seines eigenen Auftrags: „So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“20 Er machte die Juden außerdem für den „Dolchstoß“ verantwortlich, der die Deutschen die erniedrigende Niederlage im Ersten Weltkrieg und die ungerechte Behandlung in der Versailler Friedenskonferenz gekostet habe. Die Juden seien das Grundübel der wirtschaftlichen und politischen Misere der Weimarer Republik, die mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre besonders gravierende Ausmaße annahm. Der seelenlose, staatenlose Jude stelle mehr noch eine biologische Gefahr für den deutschen Staat dar, da schon allein seine „Rasse“ den Unrat des Untermenschen trage. Mischehen seien der Untergang der Deutschen und Deutschlands.21 Hitler kam 1933 primär durch Versprechen an die Macht, Deutschland aus seinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisen zu führen. Die Nazis versprachen den Deutschen Arbeitsplätze, als die Weltwirtschaftskrise zu hoher Arbeitslosigkeit führte. Sie versprachen Stabilität, als Streiks und Straßenkämpfe das Leben der großen Städte und Industriezentren bestimmten. Für Hitler und die Nazis war die „Judenplage“ untrennbar mit den unzähligen Problemen Deutschlands verflochten. Die Botschaft des unversöhnlichen Antisemitismus schien bei Millionen Deutschen anzukommen, 107

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wenn auch gewiss nicht bei allen. Auf Mitglieder der deutschen Wirtschafts-, Finanz- und Militärelite, die aufseiten Hitlers standen und seine Ernennung zum Reichskanzler duldeten, mag seine antijüdische Hetze wie ein kleiner und unbedeutender Teil seines Parteiprogramms gewirkt haben. Wenige Deutsche konnten sich 1933 das Ausmaß der Zerstörungswut und des Grauens vorstellen, das Hitlers antisemitische Pläne über das Land und die Welt bringen sollten. Hitlers „Weg zum Völkermord“ erfolgte schrittweise und war ebenso wie sein Weg zur Macht von Zufällen geprägt, doch er beharrte unablässig, willentlich und monomanisch auf der „Bedrohung durch die Juden“. In den 1930er-Jahren wurde der Druck auf die Juden in Deutschland immer unerträglicher, da die außerrechtlichen Angriffe auf ihre Geschäfte und ihr öffentliches Leben unter den Nazis sodann legal wurden. Die nationalsozialistische Politik gegenüber den Juden war, wie der Wissenschaftler Victor Klemperer in seinem geheimen Tagebuch schrieb, „Bedrückung, Bedrückung, Bedrückung“.22 Die von den Nazis im Juli 1935 verkündeten Nürnberger Gesetze machten es Juden so gut wie unmöglich, einen Beruf auszuüben und normalen Umgang mit der deutschen Gesellschaft zu pflegen. Die Gesetze definierten Juden nicht nur nach erblichen („rassischen“) Kriterien, sondern entzogen ihnen auch die deutsche Staatsbürgerschaft und damit bürgerlichen Schutz und rechtliche Handhabe. So schrieb Klemperer: „Man ist ‚artfremd’ bei fünfundzwanzig Prozent nichtarischen Blutes. […] Limpieza de la sangre wie im Spanien des sechzehnten Jahrhunderts. Aber damals ging es um den Glauben, und heute ist es Zoologie + Geschäft.“ Wie Klemperer später in seinem Tagebuch notierte, habe die gerichtliche Verfolgung der Juden durch die Nazis auch Gewalt geschürt: „Die Judenhetze und Pogromstimmung wächst Tag für Tag.“23 Während der „Reichspogromnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 heizten die Nazis umfassende Ausschreitungen gegen die Juden in Deutschland und Teilen von Österreich an, bei denen Synagogen in Brand gesteckt, Juden auf den Straßen verprügelt und jüdische Geschäfte verwüstet und geplündert wurden. 91 Juden wurden getötet, weitere 30.000 wurden verhaftet, bevor die aus dem 108

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Ruder laufenden Unruhen die Kritik einiger Nazifunktionäre (allen voran Hermann Göring) hervorriefen und von den Behörden eingestellt wurden. Die Botschaft war klar: Juden waren in Deutschland nicht willkommen und sollten das Land verlassen. Wer die nötigen Mittel hatte, floh zumeist ins benachbarte Frankreich oder nach England, in manchen Fällen auch in die USA oder nach Palästina. Als Hitler am 1. September 1939 in Polen einmarschierte (und die Sowjets am 17. September Ostpolen besetzten), verschärfte sich die Dynamik der „Judenfrage“ radikal. Innerhalb weniger Monate fielen Millionen Juden unter die direkte Herrschaft der Nazis und ein Großteil von ihnen waren traditionelle orthodoxe und chassidische Juden – die Ostjuden, für die die Nazis und viele Deutsche nichts als Verachtung übrighatten. Auf Hitlers Überfall auf Polen folgten die Kriegserklärungen Frankreichs und Englands, was bedeutete, dass die öffentliche Meinung in den westeuropäischen Demokratien bei der Politik der Nazis gegenüber den Juden nicht mehr die Zurückhaltung an den Tag legte, wie sie es vor Ausbruch des Krieges getan hatte. Hitlers neuer Partner im Osten, Josef Stalin, indes würde ganz gewiss nicht zugunsten der Juden intervenieren. Hitlers völkermörderische Politik in Polen richtete sich sowohl gegen die Polen als auch gegen die Juden. Im Unternehmen Tannenberg zu Beginn der Okkupation identifizierten die Nazis rund 60.000 führende polnische Politiker, Geistliche, Lehrer, Juristen, Schriftsteller und andere prominente Mitglieder der polnischen Elite, die verhaftet und „liquidiert“ werden sollten. Der polnische Staat sollte seiner Intelligenzija beraubt und der Rest der Bevölkerung in die unterwürfige Rolle entstaatlichter Heloten im Dienst des Dritten Reichs gezwungen werden. Manche polnischen Kinder wurden als „Arier“ ins Reich verschleppt, um dort von Deutschen aufgezogen zu werden. Die sowjetische Politik im besetzten Polen wies in diesem Zusammenhang große Ähnlichkeit mit der Politik der Nazis auf. In drei Verhaftungs- und Deportationswellen versuchten die Sowjets zwischen 1940 und 1941, Polen von der in ihren Augen „bürgerlichen“ Elite  – der Führungsschicht und den polnischen „Pans“ (den 109

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­ dligen und Großgrundbesitzern)  – zu befreien. Rund 380.000 A Polen – Männer, Frauen und Kinder – wurden in entlegene Regionen in Sibirien und Zentralasien deportiert, während zumeist ukrainische, weißrussische und örtliche jüdische Kommunisten ihre Positionen in führenden Regierungs-, Bildungs- und zivilgesellschaftlichen Institutionen übernahmen. Im Zuge dieser Vernichtung der polnischen Eliten wurden beim Massaker von Katyn im April und Mai 1940 rund 22.000 gefangene polnische Offiziere, Reserveoffiziere und Regierungsvertreter durch Genickschuss ermordet. Der Überfall der Nazis auf Polen war das Fanal für Aktionen, die eine Spur des Leids und des Todes unter den Juden hinterließen und in Auschwitz, Treblinka und auf den Schlachtfeldern des Ostens endeten.24 Die polnischen Juden wurden ihres Besitzes und ihrer Lebensgrundlage beraubt und in überfüllten Ghettos in dem von den Nazis verwalteten Generalgouvernement Polen zusammengepfercht. Dort erhielten sie ein Minimum an Nahrung mit so wenig Kalorien pro Tag, dass sie körperlich immer schwächer wurden, verhungerten und starben. In den Ghettos der gesamten Region brachen Seuchen aus. Die Menschen starben in immer größerer Anzahl an dem, was ein Opfer, Dawid Sierakowiak, in seinem Tagebuch aus Łódź als „Ghettokrankheit“ bezeichnete. Er schreibt: „Ein Mensch wird dünn (eine ‚Sanduhr’) und blass im Gesicht, dann kommt das Anschwellen, einige Tage im Bett oder im Krankenhaus und das war’s. Der Mensch lebte, der Mensch ist tot; wir leben und sterben wie Vieh.“25 Am 23. Mai 1941 veröffentlichte das Informationsbulletin des polnischen Untergrunds einen Bericht der Zustände im Warschauer Ghetto: „Die zunehmende Überfüllung hat in einem Maße zu Gesundheitsschäden, Hunger und monströser Armut geführt, das jeder Beschreibung spottet. Gruppen von bleichen und ausgemergelten Menschen wandern ziellos durch die überfüllten Straßen. Bettler sitzen und liegen an den Mauern und häufig sieht man Menschen, die vor Hunger zusammenbrechen. Das Asyl für verlassene Kinder nimmt täglich ein Dutzend Säuglinge auf; Tag für Tag

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sterben mehr Menschen auf den Straßen. Infektionskrankheiten, insbesondere Tuberkulose, breiten sich aus. Die Deutschen plündern unterdessen weiter die reichen Juden aus. Die Art und Weise, wie sie die Juden behandeln, ist immer äußerst unmenschlich. Sie quälen sie und treiben ständig ihren zügellosen und bestialischen Spaß mit ihnen.“26

Als der Propagandaminister des Dritten Reiches, Joseph Goebbels, Filmaufnahmen aus dem Warschauer Ghetto sah, war er von dem, wie er sagte, schmutzigen und pathologischen Zustand der dort lebenden jüdischen Untermenschen angewidert: „Dieses Judentum muss vernichtet werden“, forderte er. Nach einem Besuch des Ghettos in Łódź im Oktober 1939 schrieb Goebbels: „Das sind keine Menschen mehr, das sind Tiere. Das ist deshalb auch keine humanitäre, sondern eine chirurgische Aufgabe. Man muss hier Schnitte tuen, und zwar ganz radikale.“27 Die Nazis schufen kurzum in den Ghettos eben jene Bedingungen, die ihre eigenen völkermörderischen Neigungen bestätigten. Am 22. Juni 1941 griffen Wehrmachttruppen im Unternehmen Barbarossa die Sowjetunion an und fügten der Roten Armee in einer Reihe von spektakulären Kesselschlachten schwere, wenn nicht gar verheerende Rückschläge zu. Nach Einschätzung Hitlers und seiner Generäle war der Krieg so gut wie vorbei. Viele im Westen teilten diese Ansicht. Millionen Soldaten der Roten Armee wurden gefangen genommen und in Lager gesteckt, die sich zu völkermörderischen Höllen entwickelten. Jüdische Offiziere wurden an Ort und Stelle erschossen. Rund 3,3 der 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen starben in deutschen Lagern. Am Vorabend des Überfalls hatte Hitler den SS-Einsatzgruppen seinen berüchtigten Kommissarbefehl übersandt, der die Oberkommandos des Heeres und der Wehrmacht berechtigte, die politische Führung der Roten Armee – die Hitler mit den Juden gleichsetzte – „nach durchgeführter Absonderung zu erledigen“. Alle „jüdischen Bolschewisten“ waren zur Vernichtung freigegeben. Hitler gab den SS-Einheiten de 111

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facto die Lizenz zum Töten von Juden, die diese im Gefolge der ­vorrückenden Wehrmacht geflissentlich nutzten. In den ersten Monaten nach dem Überfall forderten die Nazis die einheimischen Bevölkerungsgruppen – die Litauer, Polen, Ukrainer, Weißrussen und andere – auf, sich an den Pogromen gegen ihre jüdischen Nachbarn zu beteiligen. Propagandameldungen der Nazis über die Minderwertigkeit und Niederträchtigkeit von Juden heizten den traditionellen Antisemitismus unter Teilen dieser Gruppen nur noch weiter an. In den zuvor sowjetisch besetzten Gebieten Ostpolens und dem Baltikum hatten einige Juden seinerzeit den Einmarsch der Sowjetunion begrüßt und bereitwillig an den neuen ­Regierungen unter kommunistischer Führung mitgewirkt. In der Bevölkerung hatte sich die Vorstellung festgesetzt, die Juden sympathisierten mit den Sowjets – eine Sicht, die weitaus einflussreicher als die tatsächliche jüdische Kollaboration war. Vor der Evakuierung Ostpolens erschoss das Volkskommissariat für innere Angelegen­ heiten (NKWD) zahlreiche in ihren Gefängnissen inhaftierte poli­ tische Gefangene. Als die einheimische Bevölkerung die mitunter ­gefolterten und entstellten Leichen der Opfer fand, machte sie die Juden für die Gewalttaten verantwortlich und sann auf Rache. In Kaunas (Kovno), Lwiw (Lemberg), Vilnius (Wilno) und zahlreichen kleineren Städten auf dem weiten Gebiet, das zunächst von den ­Sowjets und dann von den Deutschen besetzt worden war, kamen Tausende Juden bei schweren Pogromen ums Leben. Die bloße Opferzahl der Pogrome sagt nichts über die Schrecken von Verfolgung, Erniedrigung, Misshandlung, Vergewaltigung und Folter aus, die den Juden von Landsleuten unterschiedlicher Nationalitäten widerfuhren. Die Täter waren zum Teil Mitglieder nationalistischer Milizen, die sich eilig gebildet hatten, um die Interessen der einheimischen Bevölkerung unter der NS-Herrschaft durchzusetzen.28 Wie bei dem Massaker von Jedwabne im Nordosten Polens, bei dem die jüdische Bevölkerung des Ortes bei lebendigem Leib verbrannt wurde, waren die Täter mitunter einfache Bürger der Stadt, Männer, Frauen und sogar Kinder.29 Die an den Juden verübten Gräuel waren von unvorstellbarer Brutalität. Gleichzeitig dien112

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ten sie der einheimischen Bevölkerung in den von den Nazis besetzten Gebieten als Vorbild. Die jüdischen Opfer fürchteten mitunter weniger die Deutschen als vielmehr die Polen, Ukrainer, Weißrussen, Litauer, Letten oder andere. Im weiteren Verlauf des Sommers 1941 häuften sich die Hinrichtungen von Juden durch SS-Sonderkommandos in den von den Deutschen besetzten Gebieten immer mehr. Obschon sich Tempo und Ausmaß der Tötungen je nach Fanatismus und Eifer der örtlichen Armee und SS-Befehlshaber unterschieden, zog der Völkermord zu Beginn des Herbstes 1941 immer breitere Kreise und betraf nun auch Frauen, Kinder und alte Menschen. Wie in Polen waren die Juden in der Ukraine, in Weißrussland und Litauen in Ghettos interniert und zu Misshandlungen und langsamem Hungertod verurteilt. Zugleich führten die Wehrmacht, die SS und ihre Erfüllungsgehilfen vor Ort Juden zu Hinrichtungsstätten, zwangen sie mitunter, ihre eigenen Massengräber auszuheben, und erschossen sie zu Hunderttausenden in der gesamten Region. Im Dezember 1941 berichtete Standartenführer Karl Jäger von den Tötungsaktionen seiner SS-Gruppe: „Ich kann heute feststellen, dass das Ziel, das Judenproblem für Litauen zu lösen, vom EK 3 erreicht worden ist. In Litauen gibt es keine Juden mehr, ausser den Arbeitsjuden incl. ihrer Familien. […] Die Durchführung solcher Aktionen ist in erster Linie eine Organisationsfrage. Der Entschluss, jeden Kreis systematisch judenfrei zu machen, erforderte eine gründliche Vorbereitung jeder einzelnen Aktion und Erkundung der herrschenden Verhältnisse in dem betreffenden Kreis. Die Juden mussten an einem Ort oder an mehreren Orten gesammelt werden. An Hand der Anzahl musste der Platz für die erforderlichen Gruben ausgesucht und ausgehoben werden. […] Die Juden wurden in Abteilungen zu 500, in Abständen von mindestens 2 km, an den Exekutionsplatz transportiert. […] Nur durch geschickte Ausnutzung der Zeit ist es gelungen, bis zu 5 Aktionen in einer Woche durchzuführen und dabei doch die in Kauen anfallende Arbeit so zu bewältigen, dass keine Stockung im Dienstbetrieb eingetreten ist.“30

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Was die noch vorhandenen Arbeitsjuden und -jüdinnen anging, die dringend gebraucht würden, so notierte der Standartenführer: „Ich bin der Ansicht, dass sofort mit der Sterilisation der männlichen ­A rbeitsjuden begonnen wird, um eine Fortpflanzung zu verhindern. Wird trotzdem eine Jüdin schwanger, so ist sie zu liquidieren.“31 Es gab nicht den einen Befehl Hitlers, alle Juden zu töten, doch die Signale Hitlers und die der nationalsozialistischen Führung waren ab Mitte Herbst 1941 mehr als deutlich. Die Lebensmittelknappheit in den besetzten Gebieten machte sich ab dem Spätsommer immer deutlicher bemerkbar und verstärkte den Eindruck von NS-Funktionären, die Juden und andere „unnütze Esser“ müssten eliminiert werden.32 Daneben gab es den vorauseilenden Gehorsam, „dem Führer entgegenzuarbeiten“: NS-Führer an der Front meinten, durch die Hinrichtung von Juden Hitlers Wünschen entsprechend zu handeln und seine zahlreichen Prophezeiungen hinsichtlich der Vernichtung der Juden im Kriegsfall zu erfüllen.33 Sicherlich wurden die Massenmörder nicht instruiert, ihre Aktionen abzubrechen. Ganz im Gegenteil ernteten die für die Ermordung von Juden verantwortlichen SS- und Wehrmachtsoffiziere noch Anerkennung und wurden für ihre Taten befördert. Das Vorrücken der Nazis auf Moskau geriet im November und Dezember 1941 ins Stocken, was darauf hindeutete, dass der Krieg sich deutlich mehr in die Länge ziehen würde, als Hitler zunächst erwartet hatte. Die Rote Armee erwies sich als hartnäckiger Gegner. Angesichts der deutschen Besetzung von weiten Teilen der Ukraine und Weißrusslands, in denen der Großteil der sowjetisch-jüdischen Bevölkerung lebte, setzte die Tötungsmaschinerie der Nazis die Vernichtung der Juden 1942 und 1943 fort, bis die Rote Armee die Wehrmacht aus den sowjetischen Gebiete zurückdrängte. Im Januar 1942 fand die berüchtigte Wannseekonferenz am Rand von Berlin statt, auf der das Schicksal der europäischen Juden besiegelt wurde. Mit Vertretern unterschiedlicher Stellen, darunter dem gefürchteten Reinhard Heydrich und Adolf Eichmann von der SS, wurde ein Plan zur Koordination der „Endlösung“ entworfen, um die Juden durch ganz Europa in Todeslager im besetzten Polen, nach Chełmno, 114

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Massenerschießungen durch die deutsche Wehrmacht in der Ukraine; Fotografie 1941.

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Bełżec, Sobibor, Auschwitz-Birkenau, Majdanek und Treblinka, zu deportieren, wo sie in Gaskammern getötet und ihre Leichen in Öfen verbrannt werden sollten. Die damit verbundenen Gräuel der Todeslager und der Angriff auf die menschliche Persönlichkeit sind in der Literatur über den Holocaust häufig beschrieben worden. ­Wenige Bilder sind berührender als Primo Levis Beschreibung des „Muselmann“, einer in den Lagern verwendeten Bezeichnung für Levis Mithäftlinge in Auschwitz, die kurz vor dem Tod standen. „All die Muselmänner, die im Gas enden, haben die gleiche Geschichte, besser gesagt, sie haben gar keine Geschichte; […] Im Lager kamen sie auf Grund der ihnen eigenen Untüchtigkeit oder durch Unglück oder durch irgendeinen banalen Umstand zu Fall, noch bevor sie sich hätten anpassen können; […] Ihr Leben ist kurz, doch ihre Zahl ist unendlich. Sie, die Muselmänner, die Untergegangenen, sind der Kern des Lagers: sie, die anonyme, die stets erneuerte und immer identische Masse schweigend marschierender und sich abschuftender Nichtmenschen, in denen der göttliche Funke erloschen ist und die schon zu ausgehöhlt sind, um wirklich zu leiden. Man zögert, sie als Lebende zu bezeichnen; man zögert, ihren Tod, vor dem sie keine Angst haben, als Tod zu bezeichnen, weil sie zu müde sind, ihn zu begreifen. Sie bevölkern meine Erinnerung mit ihrer Gegenwart ohne Antlitz; und könnte ich in einem einzigen Bild das ganze Leid unserer Zeit einschließen, würde ich dieses nehmen, das mir vertraut ist: ein verhärmter Mann mit gebeugter Stirn und gekrümmten Schultern, von dessen Gesicht und Augen man nicht die Spur eines Gedankens zu lesen vermag.“34

In der grauenvollen „industriellen“ Phase des Holocausts starben rund zwei Millionen Juden in den Gaskammern; die genaue Anzahl ist bis heute umstritten.35 Weitere 3,5 Millionen Juden wurden erschossen, verhungerten oder starben an Krankheiten. Selbst als klar wurde, dass die Deutschen den Krieg verloren hatten, ging das Morden an den Juden weiter. Die Nazis ließen nicht nach, deportierten ungarische und griechische Juden nach Auschwitz und jagten Juden auf entlegenen Inseln im Mittelmeer und in den Bergen, wo diese 116

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sich zu verstecken versuchten. Während die Sowjetarmee sich gen Westen bewegte, ermordeten die Nazis Juden, die nicht transportiert werden konnten, und zwangen andere zu Todesmärschen, die zahllose weitere das Leben kosteten. Hitlers Völkermord an den Juden fand im Kontext seiner Angriffe auf geistig und körperlich Behinderte, Homosexuelle und Sinti und Roma statt. Neben den Juden, die den Nazis als Erzfeinde des deutschen Staates galten, wurden diese anderen Gruppen beschuldigt, die Gesundheit und Intaktheit des „deutschen Volkskörpers“ zu gefährden. Behinderte waren die Ersten, die im Rahmen der sogenannten Aktion T-4 oder im Euthanasieprogramm ins Visier genommen wurden; sie wurden in sehr großer Anzahl – man geht von bis zu 200.000 Opfern aus – zumeist vor dem Einmarsch in die Sowjetunion ermordet. Der erste Einsatz von Gas – meist aus Flaschen mit Kohlenmonoxid  – gegen Opfer des NS-Regimes wurde 1939 verzeichnet, als Behinderte in Gaskammern und Gaswagen getötet wurden. Hätten nicht die Eltern und Familien der Opfer angesichts des Todes ihrer Verwandten durch medizinische Einrichtungen unbequeme Proteste gegen die Regierung gerichtet, wäre die Auslöschung von Menschen mit geistigen und körper­ lichen Behinderungen im nationalsozialistischen Deutschland zu Ende geführt worden. Sinti und Roma erlitten ein ähnliches Schicksal wie die Juden und auch dieses sollte wie die versuchte Auslöschung von Behinderten als Genozid bezeichnet werden. Die von den Nationalsozialisten als rassisch minderwertig eingestuften Sinti und Roma wurden von Deutschland in Lager im Osten deportiert. Obwohl sie anders als die Juden aufgrund des Überfalls auf die Sowjetunion nicht umgehend zur Vernichtung vorgesehen waren, wurden sie verbreitet zu medizinischen Experimenten herangezogen, starben an Hunger oder wurden an Ort und Stelle erschossen. In Auschwitz wurde ein Sonderlager für Sinti und Roma eingerichtet, in dessen Gaskammern viele Tausende ums Leben kamen. Von den rund 20.000 Sinti und Roma, die vor dem Krieg in Deutschland lebten, überlebten nur 5000. In ganz Europa töteten die Nazis rund 200.000 Sinti und 117

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Roma und verübten zudem furchtbarste Grausamkeiten an den Überlebenden. Die Anzahl der Menschen, die bei den Völkermorden der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts ums Leben kamen, stieg exponentiell, während die Brutalität deprimierend gleichzubleiben scheint. Mit immer effizienterer und komplexerer Technik stiegen auch die ­Opferzahlen der Massenmorde. Die deutsche Armee in DeutschSüdwestafrika ließ Herero und Nama hinrichten, doch die meisten Toten waren auf Hunger und Krankheit zurückzuführen, so wie es auch bei den im vorigen Kapitel erörterten Siedlergenoziden der Fall war. General von Trotha trieb seine Feinde bewusst in die Wüste, damit sie an Hunger, Durst und Kälte starben, ganz wie es die jungtürkische Regierung mit den Armeniern und syrischen Christen machte. Die Nazis nahmen selbstverständlich eine Sonderstellung auf der langen Liste der Völkermörder ein, da sie bewusst Methoden industrieller Tötung entwickelten – den Einsatz von Gaswagen, Gaskammern und Krematorien zur Beseitigung der Leichen –, die in der Geschichte des Völkermords beispiellos und seitdem nie ­wieder angewandt worden sind. Sie waren unter anderem deshalb zur Tötung so vieler Menschen in der Lage, weil sie von gut ausgerüsteten, von der SS eingesetzten paramilitärischen Truppen Gebrauch machten, die sich speziell der mörderischen Aufgabe annahmen. Darüber hinaus verwendeten sie ein ausgeklügeltes Eisenbahnsystem, um die Opfer in die Todeslager zu transportieren, wobei die Lager wiederum so organisiert waren, dass ein Höchstmaß an Menschen in minimaler Zeit ermordet werden konnte. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Mehrzahl der Juden in Gruppen hingerichtet und in Massen­ gräbern verscharrt wurde  – eine Methode, die den Genozid von ­seinen ersten Anfängen an kennzeichnete.

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ie UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948, die die juristische Grundlage für die Definition von Genozid bildet, beschränkte die Opferkategorien auf nationale, ethnische, religiöse oder rassische Gruppen. Versuche, soziale und politische Gruppen in die Konvention aufzunehmen, wurden zum großen Teil von der sowjetischen Delegation bei den Vereinten Nationen blockiert, die befürchtete, die Unterdrückung sozialer und politischer Gruppen im eigenen Land könne als Völkermord gewertet werden.1 Seitdem ist es schwierig, Genozid als Verbrechen gegen eine soziale oder politische Gruppe oder auch gegen andere identifizierbare Gruppen von Landsleuten wie etwa Homosexuelle oder Behinderte im Fall der Nazis zu betrachten. Wie also geht man mit dem Völkermord in Kambodscha (1975– 1979) um, bei dem fast 1,7 Millionen Kambodschaner (insgesamt 21 Prozent der Bevölkerung) von den Roten Khmer auf das Land deportiert, in entsetzlichen Gefängnislagern interniert wurden und massenhaft an Hunger, Krankheit und mangelnder Behausung starben?2 Wie passen die Millionen ermordeter Chinesen während des Großen Sprungs nach vorn – Schätzungen gehen von 30 bis 47 Millionen Todesopfern aus – in eine Geschichte von Massentötung und Genozid?3 Wie lassen sich Stalins Kampagnen gegen die „Kulaken“ (die als wohlhabend geltenden Bauern), politische Gegner, ukrainische Bauern und „soziale Schädlinge“ in vergleichender Perspektive begreifen? Um diese Ereignisse zu verstehen, schlage ich die Kategorie „kommunistische Genozide“ vor. Ab Mai 1922 erlitt der Anführer der bolschewistischen Revolution und russische Regierungschef Wladimir Iljitsch Lenin eine Reihe von Schlaganfällen, die ihn regierungsunfähig machten und 119

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im Januar 1924 zu seinem Tod führten. Josef Stalin, ein geschickter parteiinterner Machtkämpfer und überzeugender Parteigenosse, gelang es, die anderen Mitglieder des Politbüros durch wohlüberlegte Winkelzüge auszuschalten, darunter den brillanten, wenn auch politisch ungeschickten Leo Trotzki. Damit übernahm Stalin die Kontrolle über die Geschicke der bolschewistischen Partei. Den Machtkampf gewann er mit brutaler Stärke und Entschlossenheit, die seine Regierungszeit von den 1920er-Jahren bis zu seinem Tod im März 1953 charakterisieren sollte. Daneben bewies er die Fähigkeit, sich Verbündete zu schaffen, wenn er sie brauchte, und diese dann ohne ein Wimpernzucken fallen zu lassen, wenn sie entbehrlich wurden. Insbesondere während der entscheidenden Phase der Zwangsindustrialisierung und Kollektivierung von Ende 1928 bis 1933 nutzte Stalin seine politische Klugheit und Skrupellosigkeit, um seine Gegner im Politbüro zu isolieren und ihr Prestige und ihren Einfluss systematisch zu untergraben.4 Stalins gewalttätiges Vorgehen gegen das sowjetische Volk manifestierte sich in brutalen Vergeltungsmaßnahmen für ihr mangelndes Verständnis und ihren Widerstand gegen seine vermeintlich kluge Politik. Die Schuld am Versagen der Kollektivierung gab man den Kulaken, angeblich wohlhabenden Bauern, die – so hieß es – die Armen ausbeuteten und die Kampagne zur Kollektivierung sabotierten. Die Kulaken waren per definitionem Klassenfeinde, ebenso wie (reiche und arme) unzufriedene Bauern, Dorfpriester und andere Dorfbewohner, die sich der Kollektivierung widersetzten. Am 15.  März 1931 erklärte die OGPU (die Geheimpolizei) in einem ­Memorandum zur Kulakenfrage, das Ziel der Kulakendeportation bestehe darin, alle landwirtschaftlichen Gebiete „gänzlich von Kulaken zu befreien“. Die gefährlichsten Kulaken seien „sofort zu liquidieren“, während die anderen in die Verbannung zu schicken seien. „Wir werden die Kulaken zu Tausenden deportieren und, wenn nötig, die Kulakenbrut erschießen“, lautete eine der Parolen auf dem Land. „Wir werden Seife aus Kulaken machen“, bekräftigte eine zweite. „Unser Klassenfeind muss vom Erdboden getilgt werden“, erklärte eine dritte.5 Banden aus Parteimitgliedern, armen 120

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Landbewohnern und Schlägertypen vor Ort griffen (vermeintliche) Kulaken auf brutalste Weise an. So heißt es in einem OGPU-­ Bericht: „Diese Leute trieben die Entkulakisierten nackt auf die Straßen, schlugen sie, organisierten Saufgelage in ihren Häusern, schossen über ihre Köpfe hinweg, zwangen sie, sich ihr eigenes Grab zu schaufeln, zogen Frauen aus und durchsuchten sie, stahlen Wertgegenstände, Geld usw.“6 Rund 30.000 Kulaken wurden erschossen, bis zu 10 Millionen wurden zwangsumgesiedelt und vielleicht zwei Millionen von ihnen in die Verbannung geschickt. Für sowjetische Beamte nahm die soziale Kategorie der Kulaken erbliche und sogar rassische Züge an. Ganze Familien von Kulaken wurden deportiert (und starben) und die überlebenden Kinder und sogar Enkel trugen zeitlebens das Kainsmal. Darin bestand laut ­Solschenizyn der Kernpunkt von Stalins Plan: „Die Nachkommenschaft der Bauern sollte zusammen mit den Erwachsenen zugrunde gehen.“7 In offiziellen Denunziationen wurden die Kulaken als „Volksfeinde“ tituliert und als „Schweine“, „Hunde“ und „Kaker­ laken“ entmenschlicht; sie waren Abschaum, Ungeziefer und Dreck, den es zu säubern, unschädlich zu machen und zu vernichten galt. Der Schriftsteller Maxim Gorki bezeichnete sie als „halbe Tiere“, während die sowjetische Presse sie häufig als Affen darstellte.8 Als Stalin verkündete, er wolle die Kulaken als Klasse liquidieren, war das durchaus wörtlich gemeint. Die Sondersiedlungen, in die sie deportiert wurden, waren – wenn überhaupt – schlecht ausgestattet. Baumaterialien für Wohnungen waren knapp; es fehlte an medizinischer Versorgung und die Kälte konnte überall ungehindert eindringen; wer floh, bezahlte dafür häufig mit dem Leben. Ein frustrierter Beamter der Lagerverwaltung sprach im Januar 1932 über seine unglücklichen Versuche, dem Parteichef des Bezirks Lebensmittel für sein Lager abzuringen. „Wütend sagte er mir: ,Genosse Schpek, Sie verstehen nicht von der Politik unseres Staates. Glauben Sie wirklich, diese Elemente seien zur Umerziehung hierhergeschickt worden? Nein, Genosse, wir müssen es so einrichten, dass alle bis zum Frühjahr umgekommen sind. Aber wir müssen geschickt vorgehen – sie so klei-

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den, dass sie noch ein bisschen Holz fällen, ehe sie krepieren. Sie sehen ja selbst, in welchem Zustand sie hier ankommen, völlig zerlumpt, geradezu nackt, lädt man sie am Flussufer ab. Wenn der Staat sie wirklich umerziehen wollte, würde er sie ohne unsere Hilfe einkleiden!‘ […] Nach diesem Gespräch habe ich es abgelehnt, das Lager zu leiten. Ich hatte begriffen, dass man dorthin Leute schicken würde, die ich umkommen lassen sollte.“9

Viele Zehntausende Kulaken starben in der Verbannung an Hunger, Kälte und Krankheit. Im Januar 1932 waren nach Schätzungen der OGPU beinahe eine halbe Million Kulaken, rund 30 Prozent der zum damaligen Zeitpunkt deportierten Kulaken, gestorben oder ­geflohen.10 Eine zweite Welle der „Repressionsmaßnahmen“ gegen die Kulaken erfolgte im Juli 1937 in Zusammenhang mit dem Befehl 00447, der auch die Liquidation von „asozialen“ Elementen (angebliche Prostituierte, Dauerarbeitslose, Alkoholiker, Spieler, Obdachlose und andere) und „Ehemaligen“ vorsah, das heißt Menschen, die mit dem vorherigen Regime in Verbindung gestanden hatten: Adlige, ehemalige Regierungsbedienstete und Mitglieder nichtbolschewistischer politischer Parteien. Kulaken, denen es gelungen war, der Verfolgung zu entgehen und auf das Land zu fliehen oder die Arbeit in den Städten gefunden hatten, wurden festgenommen, teilweise hingerichtet oder in den Gulag geschickt – in Straf- und Arbeitslager, in denen viele an Hunger, Krankheiten und Kälte starben. Entkulakisierung und Zwangskollektivierung verschärften die Lage auf dem Land dramatisch. Dennoch ließen die staatlichen Forderungen nach Getreidebeschaffung nicht nach. Grundgedanke war, das Getreide im Ausland zu verkaufen, um den Ausbau der Industrie gemäß dem ersten Fünfjahresplan zu finanzieren. Als es auf dem Land zu akuter Getreideknappheit kam und die Bauern ihr Getreide für den Eigenbedarf horteten, reagierten die Behörden mit drakonischen Maßnahmen und konfiszierten unter anderem Saatgut oder beschlagnahmten die Vorräte der Kolchosen. Dies löste wiederum eine landesweite Hungersnot aus, die zu Massenelend und zahlrechen Toten führte. 122

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In der Ukraine war die Hungersnot besonders dramatisch. Das Problem bestand unter anderem darin, dass ukrainische Bauern erbitterte Gegner der Kollektivierung waren und sich auf jede nur erdenkliche Weise gegen die Requirierung wehrten. Stalin war erzürnt und erließ besonders drakonische Maßnahmen, die sich gegen ganze Teilregionen und ausgewählte Dörfer in der Ukraine richteten. Zu dem gefährlichen genozidalen Mix hinzu kam Stalins Groll gegen das ukrainische Nationalbewusstsein, das die sowjetische Führung auf die Rückständigkeit der ukrainischen Bauern zurückführte. In den 1920er-Jahren hatte die sowjetische Politik der korenisazija („Einwurzelung“), der Einbindung nichtrussischer Völker, die Ukrainer darin bestärkt, durch Betonung ihrer Kultur, Sprache und historischen Eigenart die Integration der revolutionären Ukraine in die neue Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken voranzutreiben. Anfang der 1930er-Jahre wurde Stalin und seinen Stellvertretern jedoch klar, dass diese Politik ein ernsthaftes Hindernis für die Kontrolle der Republik durch den Kreml und die Durchsetzung der ihrer Meinung nach richtigen sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen darstellte. Zwar gab die sowjetische Führung die korenisazija nicht ganz auf, bemühte sich jetzt aber, diese Politik von ernsthaften politischen Folgen abzukoppeln. Die Getreidekrise in den ländlichen Gebieten der Ukraine überlagerte sich mit Stalins Vorhaben, den Ukrainern jegliche Kompetenz als unabhängige Einheit zu verwehren. Die ukrainische Partei dürfe sich nicht von den kollektiven Normen zurückziehen, forderte Stalin: „In keiner Weise können – sowohl was den Umfang als auch die festgelegten Fristen der Getreidelieferungen betrifft  – Abweichungen vom Plan gestattet werden, der für Ihre Region festgelegt wurde.“ Als sich der Hunger auf den Dörfern verschärfte, ordnete Stalin einen „K.-o.-Schlag“ gegen jene Kolchosen an, die sich weiter der Requirierung widersetzten. Wer nicht arbeite – die sogenannten Müßiggänger –, verdiene den Hungertod.11 Bauern, die ihre Dörfer, in denen Hunger herrschte, zu verlassen suchten, mussten zurückkehren; die Grenzen zu den anderen Republiken wurden abgeriegelt und Straßensperren sollten verhindern, dass Bauern in den Städten 123

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nach Nahrung suchten. In den ländlichen Gebieten der Ukraine litten Millionen Bauern an Hunger und Krankheit, doch der Kreml ignorierte schlicht den Überlebenskampf. Als der Schriftsteller Michail Scholochow angesichts der Hungersnot an Stalin zu appellieren versuchte, schrieb ihm der sowjetische Führer: „Die Tatsache, dass es eine stillschweigende und offensichtlich friedliche Sabotage (ohne Blutvergießen) war, ändert nichts an der grundsätzlichen ­A ngelegenheit, nämlich dass Ihre geschätzten Bauern einen Zermürbungskrieg gegen die Sowjetmacht geführt haben. Einen Kampf auf Leben und Tod, lieber Genosse Scholochow!“12 Das entsetzliche Schicksal des Hungertods war die wesentliche Realität der Menschen im Holodomor (der „Tötung durch Hunger“, wie die Ukrainer sagen). Stalin und seine Gehilfen im Kreml wie auch ukrainische Parteiführer erreichten Berichte, wonach Menschen vor Hunger wahnsinnig wurden und es zu Fällen von Kannibalismus und Nekrophagie kam. Auszüge aus einem Bericht des italienischen Konsuls in Charkiw vom Juli 1933 geben einen Eindruck vom Elend auf dem Land. „Die gegenwärtige Situation in der Ukraine ist entsetzlich […] die ländlichen Regionen versinken in Hunger, Typhus und Ruhr. Es gibt auch Fälle von Cholera und sogar Pest. […] Was die hygienischen Verhältnisse angeht, könnten sie schlimmer gar nicht sein. Ärzte werden daran gehindert, über Typhus und Hungertod zu sprechen. Menschen, die nicht in der Lage sind, sich Brot (sehr schwarzes Brot mit verschiedenen Zusatzstoffen) zu beschaffen, werden immer schwächer und sterben an Herzversagen ohne irgendwelche Krankheitssymptome. […] Es gibt zahlreiche Fälle von Halluzinationen, bei denen Menschen ihre Kinder für Tiere halten, sie töten und essen. Diejenigen, denen es gelang, mit solcher Nahrung wieder zu Kräften zu kommen, erinnerten sich nicht, ihre eigenen Kinder essen zu wollen, und bestritten, jemals eine solche Absicht gehegt zu haben.“13

Die Ukrainer gaben jegliche Hoffnung auf; die Hungersnot wurde noch nicht einmal als solche anerkannt; Hilfsangebote aus dem Ausland wurden von der Regierung als unnötig abgewiesen. 124

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Die furchtbaren Auswirkungen auf die ländlichen Gebiete der Ukraine, der sogenannte Holodomor, sollten als Genozid gewertet werden. Stalin legte es darauf an, die ukrainischen Bauern – für ihn die tragende Säule des ukrainischen Nationalbewusstseins – zu vernichten. Alle konnte er nicht an Hunger sterben lassen. In der Ukraine gab es schlicht zu viel Land, das bewirtschaftet werden musste. Er konnte jedoch das Rückgrat des ukrainischen Widerstands brechen, indem er die Bauern auf eine winselnde Masse von hungernden und sterbenden Menschen reduzierte. Und dies tat er ohne das geringste Bedauern oder irgendwelche Bedenken. Stalins Angriff auf die ukrainischen Bauern wies verschiedene Merkmale auf, die auch Stalins völkermörderische Politik gegenüber den Polen und Deutschen – neben zahlreichen anderen Volksgruppen der Sowjetunion  – in den 1930er- und frühen 1940er-Jahren kennzeichneten. Angesichts seiner Paranoia, die Polen könnten in Heerscharen über die sowjetische Grenze strömen, ließ Stalin Anfang der 1930er-Jahre zahlreiche Polen in den Grenzregionen verhaften sowie hinrichten und alle übrigen nach Sibirien deportieren. Seine Kampagne gegen die Polen setzte sich in den gesamten 1930erJahren fort. Während des Großen Terrors von 1937/38 nahm Stalin die Polen erneut ins Visier und unterzog sie besonderen Repressionen. Berichten zufolge durchforstete das Leningrader NKWD das örtliche Telefonbuch, um Bürger mit polnischen Namen zu identifizieren und festzunehmen. Rund 144.000 Menschen wurden bei der polnischen Operation schließlich inhaftiert; 110.000 wurden erschossen, darunter auch zahlreiche polnische Kommunisten.14 Seit Katherina die Große Ende des 18.  Jahrhunderts Deutsche eingeladen hatte, sich im Zarenreich niederzulassen, gab es auf russischem und ukrainischem Gebiet sowjetisch-deutsche Gemeinden. Wie die Polen galten die Sowjetdeutschen Anfang der 1930er-Jahre als Feinde des sowjetischen Volkes und waren von Zwangsdeportation und Hinrichtung bedroht. Bei der deutschen Operation 1937/38 wurden bis zu 68.000 Menschen verhaftet und 43.000 von ihnen zum Tod verurteilt. Während des Krieges wurden die Volksgruppen des nördlichen Kaukasus der Kollaboration mit den Deut125

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schen beschuldigt und aus ihrer Heimat nach Kasachstan und ­Usbekistan deportiert. Im Fall der Tschetschenen / Inguschen nahmen die Bedingungen der Deportation genozidale Ausmaße an, da Hunderttausende durch die erschreckende Indifferenz der Behörden hinsichtlich des Wohls der „bestraften Völker“ zu Tode kamen. Rund 75.000 der 189.000 deportierten Krimtataren, die wie die Tschetschenen und Inguschen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus ihrer Heimat auf der Krim in die unwirtlichen und fremden Gebiete Zentralasiens umgesiedelt wurden, starben an Hunger, Krankheit und Kälte.15 Der „Große Terror“ von 1937/38 lässt sich nur schwer als Genozid bezeichnen, da ethnische, nationale, rassische, religiöse oder auch sich als soziale oder politische Zusammenschlüsse verstehende Gruppierungen nicht als solche angegriffen wurden. Stalin zielte vielmehr auf vermeintliche politische Gegner (einschließlich ihrer Freunde, Verwandten und angeblichen Anhänger), die von dem Regime als Geheimbanden politischer Feinde bezeichnet und auf dieser Basis eliminiert wurden. Sowjetbürger waren gehalten, ihre Nachbarn, Freunde und sogar Verwandte zu verdächtigen und sie als „Volksfeinde“ zu denunzieren. Männer wie Frauen wurden auf der Straße aufgegriffen oder mitten in der Nacht aus ihren Wohnungen geholt, um verhört, gefoltert und zur Unterzeichnung falscher Geständnisse gezwungen zu werden. Gewisse Kategorien bei sogenannten Klassenfeinden führten automatisch zu Festnahmen und Schnellverfahren, Tod oder Verbannung in den Gulag. Stalin gab die Richtung des Terrors vor. Als Reaktion auf einen Trinkspruch auf „den ­Großen Stalin“ am 7. November 1937 brachte er in Kliment Woroschilows Wohnung seinen eigenen Toast aus. „Deshalb ist jeder, der versucht, diese Einheit des sozialistischen Staates zu zerstören, der danach strebt, einzelne Teile und Nationalitäten von ihm abzutrennen, ein Feind, ein geschworener Feind des Staates, der Völker der UdSSR. Und wir werden jeden dieser Feinde vernichten, sei er auch ein alter Bolschewik, wir werden seine Sippe, seine Familie komplett vernichten. Jeden, der mit seinen Taten und in Gedanken einen Anschlag auf die Ein-

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heit des sozialistischen Staates unternimmt, werden wir erbarmungslos vernichten. Auf die Vernichtung aller Feinde, ihrer selbst, ihrer Sippe – bis zum Ende! (Zustimmende Rufe: Auf den Großen Stalin!)“16

Einer neueren Schätzung zufolge wurden innerhalb der 16 Monate des Großen Terrors rund 800.000 Menschen hingerichtet: Das sind 50.000 Hinrichtungen pro Monat oder 1700 pro Tag über einen Zeitraum von fast 500 Tagen.17 Weitere Hunderttausende verschwanden in dem System von Gefängnissen, Sondersiedlungen und Zwangsarbeitslagern des Gulag. Stalin starb im März 1953 und sein Nachfolger, Nikita Chruschtschow, leitete mit seiner „Geheimrede“ vom 25. Februar 1956, in der er die Verbrechen des Diktators und seinen „Personenkult“ verurteilte, eine Welle der Entstalinisierung ein. In China reagierte Mao Zedong auf die Ereignisse zunächst mit der Aufforderung zur Kritik im Rahmen der im Mai 1956 gestarteten „Hundert-Blumen“-Kampagne. Es war seine Art, die Bürokratisierung des Staatsapparats zu kontrollieren, die Partei auf soziale Belange hinzuweisen und die Unterstützung von Intellektuellen und Wissenschaftlern für seine Modernisierungsprogramme zu gewinnen. Die unter anderem durch Chruschtschows Rede ausgelösten Aufstände in Osteuropa im Jahr 1956, die Schärfe der internen Kritik in China, Streikbewegungen und Studentenproteste bewogen ihn Mitte 1957 zu einer Kursänderung. Mao rief nun eine Kampagne gegen rechts aus, die jeglichen offenen Widerstand gegenüber dem Regime im Keim erstickte. Unterdessen schienen ihn Chruschtschows Bemerkungen, die Sowjetunion habe die Endphase des Kommunismus erreicht und überhole die Stahlproduktion der USA, zu noch radikaleren Zielen anzustacheln. Im November 1957 verstieg sich Mao zu der Prognose, China werde in zehn Jahren die Stahlproduktion Großbritanniens übertreffen. Chruschtschows Beteuerung, die Sowjetunion werde das Stadium des Kommunismus erreichen, weckte bei Mao jedoch auch einen gewissen Neid. Anstatt die sowjetische Führung zu akzeptieren, lancierte er im Frühjahr 1958 eine Kampagne zur vollständigen Kollektivierung 127

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der Landwirtschaft, die Privatparzellen abschaffte, chinesische Bauern in riesige Kommunen zwang und ihren persönlichen Besitz im Namen eines gemeinschaftlichen Egalitarismus beschlagnahmte. So verkündete ein enthusiastischer Parteichef: „Die utopischen Träume unserer Vorgänger werden verwirklicht sein und noch übertroffen werden.“18 Maos Programm sah auch den Bau zahlreicher kleiner Hinterhofstahlgießereien in den Kommunen vor, die eine Verdopplung der Stahlproduktion binnen eines Jahres erlauben sollten. Um die Nahrungsaufnahme der Bauern zu kontrollieren und die Familie als Produktionseinheit auszuschalten, wurden kommunale Küchen eingerichtet. Örtliche Parteifunktionäre beschlagnahmten die Küchenutensilien, Töpfe und Pfannen der Bauern, um diese in den Hinterhofstahlgießereien einzuschmelzen. Bereits im Oktober hatte die Partei über 90 Prozent der Bauern in rund 26.000 Kommunen gedrängt, die aus durchschnittlich 5000 Hauhalten bestanden. Innerhalb eines Jahres wurden 99 Prozent der Bauern in Kommunen transferiert. Als ob diese massiven Veränderungen für die Wirtschaft im ländlichen Raum nicht zerstörerisch genug gewesen wären, brachte Mao außerdem eine Reihe von gigantischen Wasser-, Damm- und anderen Infrastrukturprojekten auf den Weg, die Hunderte Millionen Arbeiter aus der Provinz aus der Landwirtschaft abzogen und zugleich Millionen Hektar von Ackerland zerstörten. Die Chinesen übernahmen zudem einige der schlimmsten Methoden aus der sowjetischen Landwirtschaft, die unter dem pseudowissenschaftlichen Agronom Trofim Lyssenko bekannt geworden waren. Insbesondere seine Vorstellungen von dichter und tiefer Bepflanzung, die im Widerspruch zur traditionellen extensiven chinesischen Landwirtschaft standen, waren eine Verschwendung von Saatgut und fruchtbarem Land. Die ersten Anzeichen einer Hungersnot, die sich aus der Kombination dieser Maßnahmen des Großen Sprungs ergaben, machten sich im Frühherbst 1958 bemerkbar, als die Ernte bei Weitem nicht ausreichte, um die Bauern in vielen Teilen des Landes auch nur minimal zu versorgen. Nach allen bisherigen Erkenntnissen 128

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war das Wetter in den Jahren der Hungersnot normal, obwohl in manchen Berichten von einer Vernichtung der Ernten durch Heuschreckenplagen die Rede war. Als Stimmen aus der Partei laut wurden, die Höhe der angeforderten Mengen Ende 1958 und Anfang 1959 zu senken, beschuldigte Mao – ähnlich wie Stalin während der Hungersnot 1932/33 – die Bauern, Getreide zu verstecken, und ordnete eine Erhöhung der zu beschaffenden Mengen an. In seiner Rede auf dem Shanghai-Plenum vom 25. März 1959 machte Mao aus seiner Gleichgültigkeit gegenüber dem unsäglichen Leid der Bauern – mehrere zehn Millionen Tote, weitverbreiteter Kannibalismus, Massenselbstmorde, Krankheiten und mehr – keinen Hehl. Auf den Einwurf von Parteiführer Li Xiannian, es sei doch eine gute Idee, der heimischen Landwirtschaft den Vorzug gegenüber ausländischen Märkten zu geben, antwortete Mao: „Es gibt Zeiten, in denen der Handel im Inland dem Exportbedarf folgen sollte. […] Wir sollten weniger essen und konsumieren. Wir sollten genügsam leben, um die Exporte zu gewährleisten.“ Maos sprach sich dafür aus, Chinas Schulden an die Sowjetunion so bald wie möglich zurückzuzahlen.19 Auf dem Shanghai-Plenum versprach Mao außerdem stillschweigend, die chinesischen Eliten, insbesondere die Parteikader, würden nicht unter Nahrungsmittelknappheit leiden müssen; die Bauern hingegen würden in großer Zahl sterben und sollten vielleicht sogar sterben: „Eine gleichmäßige Ressourcenverteilung wird den Großen Sprung nach vorn nur ruinieren. Wenn es nicht genug zu essen gibt, verhungern die Menschen. Wir lassen besser die Hälfte der Menschen sterben, damit die andere Hälfte genug zu essen hat.“20 Mehr als drei Jahre gingen Berichte über das entsetzliche Leid der chinesischen Bauern aus Provinzen im ganzen Land in der Hauptstadt ein. Ganze Regionen wurden von der Hungersnot dahingerafft, viele mit Todesraten von weit über 50 Prozent. Während der Hunger die ländlichen Gebiete heimsuchte, wurden Bauern mancherorts zu Kannibalen, nur um zu überleben. So lapidar sich die dokumentierten Fälle von Kannibalismus auch lesen, enthält doch jeder eine entsetzliche Geschichte verzweifelten Hungers. 129

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„Datum: 25. Februar 1960. Ort: Kommune Hongtai, Dorf Yaohejia. Name des Täters: Yang Zhongsheng. Status: Armer Bauer. Zahl der beteiligten Personen: 1. Name des Opfers: Yang Ershun. Beziehung zum Täter: jüngerer Bruder. Zahl der betroffenen ­Personen: 1. Art des Verbrechens: Getötet und verspeist. Grund: Lebenserhaltung.“21

Ein Inspektor des zuständigen Gesundheitsamts, Liang Zhiyuan, dokumentierte die Sterblichkeit in den Dörfern des Kreises Bo ausführlich und berichtete von zahlreichen Fällen von Kannibalismus, „deren flächenmäßige und zeitliche Ausdehnung und Anzahl in der Tat ihresgleichen sucht. Nach dem, was ich selbst in drei Jahren […] untersucht habe und was mir zu Ohren und Augen gekommen ist, gibt es absolut keine Volkskommune, in der es nicht zu Fällen von Kannibalismus gekommen ist, in manchen Produktionsbrigaden ist nicht eine einzige Ortschaft verschont geblieben.“22 Ausgehungerte Bauern vertilgten jede nur erdenkliche Nahrungsquelle  – Baumrinden, Baumwurzeln, Laub, Gras, Ratten, Wandfarbe und sogar die bloße Erde. „In manchen Gegenden“, schrieb ein Medizinexperte, „wurden die Rinderknochen, die nach dem Verenden der Tiere mehrere Jahre außerhalb der Häuser verstreut gewesen waren, gesammelt, zermahlen und zu einer Suppe gekocht“ – in der verzweifelten (wenngleich vergeblichen) Hoffnung auf Nahrung.23 Nicht selten verendeten die Bauern an dieser Nahrung. Zahllose starben am Verzehr giftiger Pflanzen und Pilze. Andere gingen an den typischen Hungerkrankheiten – Typhus, Dysentrie, Durchfall und anderen – zugrunde. Familien veräußerten ihr gesamtes Hab und Gut, nur um an Lebensmittel zu kommen. In manchen Fällen machten sie sogar ihre Kinder zu Geld. Insbesondere Töchter wurden als Kinderbräute an Familien verkauft. Viele Mädchen zogen in die Stadt und prostituierten sich, um etwas zu essen zu haben.24 Auf dem Land wurde der Hunger von Vergewaltigungen und anderen Formen sexuellen Missbrauchs begleitet. Frauen und Mädchen waren der tyrannischen Macht der Kader hilflos ausgeliefert und wurden gelegentlich gezwungen, sich nackt auszuziehen und vor den Oberen zu defilieren.25 130

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Ähnlich wie in der Ukraine 1932/33 wurden sogenannte Abschreckungsposten an Eisenbahnlinien und Flussübergängen, auf Bahnhöfen und Busbahnhöfen aufgestellt, um hungrige Bauern von der Flucht aus ihren Dörfern abzuhalten. Als einige Parteichefs gegen die Politik zu protestieren versuchten, die überhaupt erst zu dem Elend und den vielen Toten geführt hatte, reagierte Mao mit einer Verschärfung der Kampagne gegen rechts, die jegliche Kritik im Keim erstickte. Obwohl er über die Hungerproblematik ausführlich informiert war, schwang er häufig große Reden über die Erfolge des Großen Sprungs nach vorn. In einem Gedicht über seinen Geburtsort Shaoshan verknüpfte Mao die romantischen Verdienste der Gegenwart mit dem Bauernaufstand 1927 in Hunan. „Fern ist Erinnerung kaum, gebannt der vergängliche Strom: meine Heimat zweiunddreißig Jahre zuvor. Rote Fahnen rotten zusammen der Fronbauern Speere, Schwarze Hände halten oben der Zwingherren Peitsche. Weil sie sich opfern, opfern zu vielen, erstarkt ihr Wille, wagt Befehle an Sonne und Mond: schaffe neue Tage. Freudenblick: Reis und Bohnen, ein tausendfaches Gewoge; rings im Lande die Helden, herab im Abenddunst.“26

Gegen eben jene „Helden“ lancierte er außerdem eine Kampagne, um versteckte Vorräte aufzuspüren und das vermeintlich vor der Partei versteckte Getreide und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse einzutreiben. Noch im November 1960 behauptete Mao steif und fest, an den Problemen auf dem Land seien versteckte Feinde schuld, die in einem erneuerten „Klassenkampf“ aufgespürt und vernichtet werden müssten.27 Dass Mao die Bauern für ihr eigenes Elend verantwortlich machte, verleitete örtliche Kader zu noch größerer Rohheit: Sie prügelten die Bauern bis zur völligen Unterwerfung, als würde ihre Pein in irgendeiner Weise das allgemeine Leid lindern. „In manchen Kommunen ist der ‚Prügelwahn’ wie ein böser Wind, der von oben nach unten durch die Gesellschaft fegt“, hieß es in einem Bericht.28 Zum Prügeln wurden meist schwere Knüppel eingesetzt, die in 131

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manchen Fällen zum Tod der Opfer führten. In einer Kommune wurden Berichten zufolge über 70 Prozent der Bauern bei der Kampagne zum Aufspüren versteckter Vorräte verprügelt. „Jeder kommunale Parteisekretär oder Brigadeleiter oder gar Verwalter kann Menschen verprügeln, ihnen Nahrung verweigern und ihre Häuser plündern. Viele Dorfbewohner sind zu Tode geprügelt worden oder verhungert. Niemand wird verschont, weder ältere Menschen noch junge Arbeiter, noch nicht einmal fünfoder sechsjährige Kinder. Die Kader haben die Leute nicht nur selbst tätlich angegriffen, sondern Dorfbewohner dazu aufgefordert, andere Bewohner zu verprügeln, und Kinder dazu aufgefordert, andere Kinder zu verprügeln. In manchen Gegenden gibt es sogar spezielle ,Prügeltrupps‘.“29

Im Kreis Daoxian in Hunan kamen einem Untersuchungsteam ­zufolge zehn Prozent der vielen Tausend Toten durch Prügel, ein Begräbnis bei lebendigem Leib oder andere Misshandlungen von Milizen und Parteimitglieder ums Leben. In der Kommune Fengle starben in einem Jahr 17 Prozent der Bevölkerung; 61 Prozent der Toten kamen durch Misshandlung und Nahrungsentzug ums Leben oder wurden von örtlichen Kadern in den Selbstmord getrieben.30 Die ständigen Züchtigungen wurden mitunter auch von Folter begleitet. So heißt es in einem Bericht aus der Provinz Sichuan von 1961: „Unter den Foltermethoden waren Aufhängen, Verprügeln, das Zwangsknien auf glühenden Kohlen, das Durchbohren der Münder, das Abschneiden von Fingern, das Zusammennähen der Lippen, das Durchbohren der Brustwarzen mit Nadeln, das Zwangsfüttern mit Fäkalien, das Hinunterwürgen von trockenen Bohnen und so weiter.“ Die Parteikader, so der Bericht weiter, „versuchten mit allen Mitteln, die Bauern emotional und körperlich zu brechen.“ Manchmal verwehrten sie ihnen die vorhandene spärliche Kost und ließen sie verhungern, nur um ihre Macht über die Dörfer auszuspielen. Örtliche Parteifunktionäre teilten durchaus Maos Auffassung über Leben und Tod: „Einige wenige Tote sind nichts. […] In unserem Land gibt es zu viele Menschen; je mehr sterben, umso mehr haben wir zu essen.“31 132

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Obwohl die Städte vor Lebensmittelknappheit und Hunger – und der zwangsläufig damit einhergehenden Korruption und dem moralischen Verfall – nicht gefeit waren, versanken die ländlichen Gegenden Chinas in einem Sumpf aus Brutalität, Hunger, Vergewaltigungen, Verzweiflung und Tod. Als der chinesische Staatschef Liu Shaoqi im April 1961 in sein Heimatdorf in der Provinz Hunan reiste, war er von den dortigen Zuständen und den durch die Regierungspolitik angerichteten Verheerungen in den Kommunen erschüttert. Zurück in Beijing, nahm er sich vor, die Not auf dem Land zu lindern, konzentrierte sich allerdings auf die Probleme der Umsetzung des Großen Sprungs nach vorn, nicht auf die Probleme der Parteilinie. Dennoch machte Liu Shaoqi in seiner Rede vor führenden Parteifunktionären des Zentralkomitees am 31. Mai 1961 und in seiner dreistündigen Rede auf der „Konferenz der 7000 Kader“ im Januar 1962 deutlich, dass die Probleme auf dem Land auf Parteiirrtümer zurückzuführen seien. Die Hungersnot sei nicht einfach das Ergebnis von Naturkatastrophen oder Zuwiderhandlungen der Bauern, wie zuvor behauptet. „Das Problem der letzten Jahre entstand durch unrealistische Sammelquoten für Getreide, unrealistische Schätzungen, unrealistische Beschaffungszahlen und unrealistischen Arbeitsaufwand. […] War das Desaster [der letzten Jahre] eine Naturkatastrophe? In Hunan sagen die Leute, 30 Prozent sei durch Naturkatastrophen und 70 Prozent vom Menschen verursacht. […] Im ganzen Land wurden bei der Umsetzung [der Politik] mancherlei Fehler gemacht. Obwohl das Desaster mancherorts tatsächlich eine Naturkatastrophe ist, glaube ich nicht, dass die Zahl der Rückschläge nur einem Finger entspricht“32 [Mao benutzte gern den Ausdruck „9 von 10 Fingern“, um das Verhältnis von Erfolgen und Rückschlägen zu beschreiben].

Das Publikum war angeblich schockiert, dass Liu die Misere auf dem Land schonungslos als „vom Menschen verursachtes Desaster“ bezeichnete.33 Obwohl Mao vor einer Änderung seiner Politik zurückschreckte und dem Leiden und Sterben in den ländlichen Regionen Chinas 133

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gleichgültig zusah, ebneten Liu Shaoqis Bemühungen den Weg, damit andere Parteiführer Vorschläge zu Verbesserungen hinsichtlich der Anforderung von Lebensmitteln machen konnten und gewisse Marktanreize für die Bauern geschaffen wurden. Die Bauern erhielten ihre Privatparzellen zurück und die Stahlgießereien in den Hinterhöfen wurden geschlossen. 1962 ging die Hungersnot schließlich zu Ende. Die Geburtenraten stiegen wieder und die Todesraten fielen nach den haarsträubenden Zahlen der Vorjahre rapide nach unten. „Das Bevölkerungswachstum hat ein mehr oder weniger normales Maß erreicht“, hieß es in einem Dokument aus der Provinz Sichuan.34 Da Mao seine Popularität und Position in der Partei fraglos eingebüßt hatte, musste er seine Maßnahmen zurücknehmen. Rückblickend steht jedoch fest, dass er nur den richtigen Augenblick abwartete. In einer Konfrontation mit Liu konnte er seinen tiefen Unmut nicht verbergen. Im Juli 1962 bestand Liu in einer privaten Unterredung mit Mao darauf, zwei Kritikern des Großen Sprungs nach vorn die Möglichkeit zur Darlegung ihrer Vorstellungen von Landverteilung zu geben. Mao schäumte vor Wut, doch Liu gab nicht nach: „So viele Menschen sind verhungert! […] Die Geschichte wird über Sie und mich urteilen, sogar der Kannibalismus wird in den Büchern stehen.“35 Ähnlich wie die Erfahrungen der Sowjetunion eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der chinesischen Revolution und ihres Großen Sprungs nach vorn gespielt hatten, waren die Ideen und Programme der Kommunistischen Partei Kambodschas (der KPK) und ihres Führers Saloth Sar (Pol Pot) maßgeblich vom Modell und der aktiven Unterstützung der Chinesen beeinflusst. Die Roten Khmer betrachteten es als ihre Aufgabe, den Sozialismus in einem „schnellen Sprung nach vorn“ zu errichten.36 Auch der apokalyptische Millenarismus, der Maos Denken beim Übergang zur Phase des Großen Sprungs geprägt hatte, hatte anscheinend weitreichenden Einfluss auf die kambodschanischen Kommunisten. Ihr überwältigendes Engagement für die Schaffung einer neuen Welt, die mit den angeblich verkommenen Realitäten der Vergangenheit nichts mehr zu tun hat, übertraf sogar noch den Eifer der Chinesen. Alle drei „Experi134

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mente“, eine Gesellschaft auf völlig neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Grundlagen zu stellen – das stalinistische, das maoistische und das polpotistische –, scheiterten kläglich und führten zum Tod von Millionen Menschen in den jeweiligen Ländern. Das Flächenbombardement der USA auf die Rückzugsorte der Nordvietnamesen in Kambodscha 1969 polarisierte die Regierung von Prinz Norodom Sihanouk und isolierte jene, die wie Sihanouk versuchten, sowohl zu den Amerikanern als auch zu den Nordvietnamesen auf Distanz zu gehen. General Lon Nol, ein langjähriges Mitglied im Kabinett Sihanouk, putschte sich 1970 an die Macht und errichtete mit der sogenannten Khmer-Republik eine entschieden proamerikanische Pseudodemokratie. Während Sihanouk nach China floh, führte Lon Nol einen ausgedehnten, brutalen Bürgerkrieg gegen die kommunistischen Roten Khmer. Je größer die Anzahl der von den USA bombardierten kambodschanischen Dörfer und je größer die Anzahl der amerikanischen Interventionen vor Ort waren, umso mehr Unterstützung schienen die Roten Khmer von den kambodschanischen Bauern zu erhalten. Dank der Zusammenarbeit und Unterstützung der vietnamesischen Kommunisten besiegten Pol Pot und die Roten Khmer 1975 Lon Nol und nahmen Phnom Penh ein. Lon Nol entging nur um Haaresbreite den Fängen der Roten Khmer, die ihn und seine Regierung hinzurichten drohten, und floh in die USA. Die meisten Mitglieder seiner Regierung und ihre Familien hatten nicht so viel Glück und wurden von den Roten Khmer ermordet. Die extreme Radikalität der Roten Khmer machte sich sogleich bemerkbar. Nachdem die Roten Khmer im letzten Jahr des Bürgerkriegs Phnom Penh von der Versorgung abgeschnitten und die Stadt mit Artillerie bombardiert hatten, verlangten sie nun die völlige Evakuierung der Stadt. Die Einwohner, die heute rund zwei Millionen betragen und während des Bürgerkriegs um mehrere Hunderttausend Flüchtlinge angewachsen waren, wurden aus ihren Häusern vertrieben und zu „säubernder“ Arbeit auf das Land ­geschickt. Sie würden bald zurückkehren können, erklärte man manchen; anderen sagte man, sie müssten aufgrund anstehender 135

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amerikanischer B-52-Angriffe die Stadt verlassen; wieder anderen kündigte man unverhohlen ihre Hinrichtung an.37 „Die Vertreibung der Bevölkerung aus Phnom Penh ist eine Maßnahme, die man in keiner anderen Revolution auf der Welt findet“, prahlten die Roten Khmer. „Dies ist eine außergewöhnliche Maßnahme, die auf den vollständigen Umsturz des Feudalsystems und des kapitalistischen Systems zielt. Mit der Verteilung der Stadtbevölkerung auf dem Land versetzen wir der alten Ordnung einen Schlag und verwandeln alle Städte des Landes in Arbeiterstädte. Das ist besser als je zuvor.“38 Phnom Penh, die einst schöne und elegante „Perle Asiens“, wurde zur Hauptstadt des Roten-Khmer-Regimes und zur Heimstatt von Folter und Tod. Einem Zeugen zufolge wurde die Eroberung von Phnom Penh durch die Hinrichtung von 2000 Lon-Nol-Soldaten markiert; „um Kugeln zu sparen“, wurden sie mit Bambusstöcken zu Tode geprügelt. Die Opfer wurden daraufhin in Massengräbern verscharrt.39 Viele ältere und schwächere Menschen starben auf den Zwangsmärschen in die ländlichen Regionen. Mitglieder der Regierung Lon Nol sowie Angehörige von Armee und Polizei wurden von den Roten Khmer festgenommen und umgehend ermordet oder in das berüchtigte Gefängnis S-21 im ehemaligen Gymnasium Tuol Sleng gesperrt. Die politische Elite der Vorgängerregierung wurde entweder hier oder auf verschiedenen dafür vorgesehenen „Killing Fields“ außerhalb der Stadt exekutiert, nachdem sie zuvor brutal im S-21 gefoltert worden war. Geleitet wurde das Folterlager von Genosse Duch, Kaing Guek Eav, der gemäß dem Roten-KhmerTribunal für eine Vielzahl von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich war, darunter medizinische Experimente an Gefangenen, das Abnehmen von Blut, die systematische Folter und Erpressung von Zwangsgeständnissen, die Vergewaltigung weiblicher Gefangener und die Überwachung von Massenhinrichtungen. Ein ehemaliger ­Gefängnisangestellter beschreibt die Hinrichtungen wie folgt. „Nach dem Verhör wurden alle Gefangenen, ob sie gestanden hatten oder nicht, direkt vor dem Gefängnis oder in einem Reisfeld im Dorf Prey So getötet. […] Für diese Tötungen wurden vorab

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Gruben ausgehoben […] jede 4 Meter lang, 2 Meter breit und 1,5 Meter tief. Sie befahlen uns, die Gefangenen nacheinander in die Nähe der Gruben zu bringen, wo sie mit einer fast einen Meter langen Eisenstange einen Schlag ins Genick oder auf den Kopf bekamen. Danach schnitten Pol Pots Männer ihnen die Kehle durch oder schlitzten ihnen den Leib auf, um die Leber herauszureißen. Die Leichen wurden daraufhin in die Gruben geworfen und verscharrt. Zu Beginn wurden täglich fünf bis sechs Menschen getötet, doch die Zahl schnellte Tag für Tag mehr in die Höhe und 1977 ordnete die Bande um Pol Pot und Ieng Sary die Tötung von 130 bis 150 Gefangenen pro Tag an.“40

Die Roten Khmer und ihre „Angkor“-Regierung, die sich auf die ruhmreiche Vergangenheit des mittelalterlichen Kambodschas berief, befürworteten eine Politik der vollständigen Autarkie ab einem sogenannten Jahr null. Es sollte nicht nur keine Importe und Exporte mehr geben, sondern Geld und Binnenhandel sollten verboten sein. „Wir verwenden kein Geld mehr“, hieß es in einem Parteidokument, „und werden nie mehr daran denken, Zahlungsmittel wieder in Umlauf zu bringen.“41 Das kultivierte „Neuvolk“ – also Kambodschaner, die mit Geldwirtschaft, Rechtsdenken, moderner Technologie und Kommunikation zu tun hatten und sich der übrigen Welt bewusst waren – sei im Gegensatz zur reinen, dörflich verwurzelten Landbevölkerung durch seine Vergangenheit „infiziert“. Das bloße „Bewusstsein von Privateigentum ist ein Feind der Revolution“, stellte ein weiteres Parteidokument fest.42 Das Rote-Khmer-Regime wusste, dass das „Neuvolk“ in den dörflichen Arbeitslagern, in die sie geschickt wurden, leiden und sterben würde. Selbstverständlich wurde mit keinem Wort erwähnt, dass Pol Pot und etliche Parteiführer aus Mittelklassefamilien stammten und in Paris studiert hatten. Das hatte offenbar keinerlei Auswirkungen auf ihre paranoiden Anschuldigungen gegen Lehrer, Geschäftsleute, Journalisten, Schriftsteller, Ärzte, Krankenschwestern, Buchhalter und Rechtsanwälte im Allgemeinen  – tatsächlich jeden gebildeten Menschen, der mit dem westlichen Lebensstil in Berührung gekommen war. Brillenträger waren automatisch ver137

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Gefangene aus dem berüchtigten Tuol-Sleng-Gefängnis der Roten Khmer in der Hauptstadt Phnom Penh: hier Chan Kim Srung, die Frau des Außenministers Puk Suvann mit ihrem Kind. Die Opfer wurden bei ihrem Eintreffen im Gefängnis fotografiert, bevor man „Geständnisse“ von ihnen erpresste und ihnen ihren Besitz abnahm. Die Personen auf den Fotos überlebten die Gefängnisfolter in der Regel nicht. Tuol Sleng Genocide Museum.

dächtig, da sie als Leser und Denker galten. Diese Menschen – die „Intellektuellen“  – wurden entweder sofort getötet oder mitsamt ihrer Familien in Arbeitslager auf die Dörfer geschickt, wo sie häufig starben. Während der gut vierjährigen Herrschaft der Roten Khmer wurden Regelschulen geschlossen und als Düngerlager genutzt. Bibliotheken wurden verriegelt und seltene Bücher verbrannt. Universitäten mussten den Betrieb einstellen, Dozenten durften nicht mehr unterrichten.43 Als ein Roter-Khmer-Funktionär Anfang 1977 verschiedene Gruppen von Feinden in der nördlichen Zone identifizierte, waren nach seiner Aussage die meisten Banden bereits ausgelöscht. Die „fünfte Bande bestehend aus Intellektuellen, Studierenden, 138

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Mönchen, Lehrern und Menschen, die für das alte Regime arbeiteten, [wurde] fast vollständig vernichtet.“44 Die Kambodschaner, die zu Schwerstarbeit und Umerziehung auf das Land geschickt worden waren, litten unter grausamen Strafen, extremen Arbeitsbedingungen und massiver Nahrungsmittelknappheit. Generationen von Familien wurden kollektiv in Lager geschickt, wo sie „gesunden“ Dorfbeamten unterstellt waren. Kinder kamen in Vorbereitung auf ihre Tätigkeit als Soldat mitunter zur Indoktrination in andere Lager als ihre Eltern. Ein Zeuge beim Prozess gegen Pol Pot und Ieng Sary gab zu Protokoll: „Nach dem 17. April 1975 [der Eroberung von Phnom Penh] zwangen sie meine Familie dazu, in das Dorf Cham Roa im Kreis Mong Russey in der Provinz Battambang zu gehen. Meine Familie bestand aus 48 Mitgliedern und nur mein Sohn hat überlebt. Alle anderen sind an Krankheiten oder Hunger gestorben.“45 Die im Dorf Internierten gingen jämmerlich an Hunger und ernährungsbedingten Krankheiten zugrunde. Ein Überlebender des kambodschanischen Genozids, dessen „Neuvolk“-Familie zur Zwangsarbeit auf die Dörfer geschickt worden war, zeichnet ein Bild, das ebenso auf die ländliche Ukraine oder die chinesischen Dörfer während des Großen Sprungs nach vorn zutreffen könnte. „Wenn man durch das Dorf fährt, hängt deutlich der Geruch von verwesendem Fleisch und menschlichen Exkrementen in der Luft. Viele Dorfbewohner werden durch Krankheit und Hunger immer kränker. Ganze Familien liegen zusammen in ihren Hütten, un­ fähig, sich zu bewegen. Hohle Gesichter sehen so aus, wie sie einmal aussehen werden, wenn das Fleisch verwest. Andere haben geschwollene, wächserne und aufgedunsene Gesichter und ähneln einem dicken Buddha, nur dass sie nicht lächeln. Ihre Arme und Beine sind bloße Knochen, an denen fleischlose Finger und Zehen hängen. Sie liegen dort, als seien sie nicht mehr von dieser Welt, so schwach, dass sie die Fliegen auf ihrem Gesicht nicht zerquetschen können. Gelegentlich zucken Teile ihrer Körper unwillkürlich zusammen und man weiß, dass sie am Leben sind. Wir können allerdings nichts tun, außer sie dort liegen zu lassen, bis sie sterben.“46

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Hunderttausende siechten auf diese Weise dahin. Die Roten Khmer behaupten hartnäckig, die heimischen Bauern auf dem Land besäßen genügend Kenntnis in traditioneller Medizin, um Volkskrankheiten zu behandeln. Es bestehe kein echter Bedarf an „verdorbener“ westlicher Medizin oder westlichen Arzneimitteln, die ohnehin nicht verfügbar waren. So starben noch viel mehr Menschen an Krankheiten, als es ansonsten der Fall gewesen wäre. Die Roten Khmer hegten nicht nur tiefstes Misstrauen gegenüber allen, die möglicherweise Kontakt zum Westen hatten, sondern hatten auch krankhafte Angst vor dem Einfluss Vietnams und Russlands. Die rund 175.000 Kambodschaner vietnamesischer Abstammung galten als „rassisch“ suspekt und politisch unzuverlässig, da sie angeblich von Hanoi manipuliert werden konnten. Einer der Kernpunkte im Programm der Roten Khmer war die „Ausweisung der gesamten ethnischen vietnamesischen Bevölkerung“.47 Bis September 1975 wurden bis zu 150.000 Vietnamesen aus Kambodscha vertrieben und viele von ihnen unterwegs getötet. Angesichts der sich verschlechternden Beziehungen zu Hanoi durften die verbleibenden Vietnamesen das Land nicht verlassen und fielen Massentötungen durch die Roten Khmer zum Opfer. Männer wurden zur Ermordung ihrer vietnamesischen Frauen gezwungen und bei Befehlsverweigerung selbst ermordet. Örtliche Beamte mussten alle ethnischen Vietnamesen und alle Khmer festnehmen lassen, die Vietnamesisch sprachen oder vietnamesische Freunde hatten. Darüber hinaus kam es zu Massakern an den Vietnamesen; bei dem größten wurden im Mai 1977 in der Provinz Kompong Chhnang 420 vietnamesische Männer, Frauen und Kinder ermordet.48 Wer nicht auf der Stelle getötet wurde, wurde in notdürftig ausgestattete Arbeitslager geschickt, in denen nur wenige überlebten. Bei dem Versuch, eine vollkommen egalitäre und nicht hierarchische Kollektivgesellschaft zu schaffen, attackierten die Roten Khmer sämtliche Gruppen und Menschen, die sich von der Masse abhoben. Unter anderem gingen sie gegen zahlreiche Mitglieder der kambodschanischen Cham vor und vernichteten große Teile dieser eigenständigen muslimischen Gruppe, deren Größe auf 140

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rund 250.000 Personen geschätzt wurde. Die Cham konzentrierten sich auf rund 70 Dörfer überwiegend im Osten des Landes an den Ufern des Mekong und seinen Seitenflüssen49 und bestanden auf ihrer spezifischen Identität, ihren Sitten und ihrer Religion. Damit wurden sie rasch zu einer Volksgruppe, die es zu eliminieren galt. Wie die Vietnamesen wurden sie in Arbeitslager deportiert, wo viele von ihnen starben. Sie mussten ihre Religion verunglimpfen und Allah abschwören. Frauen wurde verboten, ihre traditionellen Sarongs oder ihre langen Haare zu tragen. Sie durften nicht länger ihre Sprache sprechen sowie ihre Bräuche lehren und mussten in Gemeinschaftsspeisesälen essen, wo man ihre Essensvorschriften gegen Schweinefleisch ignorierte. So erinnerte sich ein Überlebender: „Tatsächlich bekamen wir nie Schweinefleisch zu Gesicht, aber für die Roten Khmer war es eine Ausrede, um Menschen zu töten, die sagten, sie würden es nicht essen.“50 Die Cham sollten als Gruppe beseitigt werden. „Es gab keine Politik, die nationale Minderheiten zuließ. Alle wurden in einen Topf geworfen. Es gab nur eine Rasse  – die Khmer […] ab der Befreiung 1975. […] Pol Pot traute den Muslimen nicht. Nach 1975 gab es in den Augen der Staatsorganisation überhaupt keine Muslime.“51

Die Roten Khmer drohten auch anderen Nationalitäten – Thailändern, Laoten, Chinesen, kambodschanischen Katholiken und so weiter – mit dem Tod, falls sie nicht ihre jeweilige Kultur aufgaben. Diese Gruppen wurden zu großen Teilen ausgelöscht: 50 Prozent der Chinesen, 40 Prozent der Laoten, 40 Prozent der Thailänder und 36 Prozent der Cham – insgesamt über 300.000 Menschen kamen ums Leben.52 Es sollte nur noch eine einheitliche Masse an Werktätigen geben – die traditionellen Khmer-Bauern und die Khmer-Arbeiter –, die unter der Führung der Parteizentrale standen. Die Roten Khmer zerstörten nicht nur das religiöse Leben der Minoritäten, sondern griffen auch den Buddhismus in Kambodscha an. Die offizielle Haltung war unerbittlich: „Der Buddhismus ist eine politisch reaktionäre Religion, die es abzuschaffen gilt. Bud141

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dhistische Mönche tun nichts als essen und schlafen und beuten die Bevölkerung seit über 2000 Jahren aus. Sie sind Egel, die das Blut des Volkes aussaugen.“ Von den Mönchen verlangte das Regime, „ihre Gewänder abzulegen, ihr religiöses Leben aufzugeben und zu einem weltlichen Leben zurückzukehren. Wer dies ablehnte, galt als Feind und wurde ins Totenreich geschickt.“53 Buddhistische Tempel wurden geplündert, während Mönche einen Schwur auf die neue Lebensweise ablegen mussten oder getötet bzw. zur Arbeit in den Minen verpflichtet wurden. Viele begingen Selbstmord; andere versuchten, sich zu verkleiden und im Dschungel zu überleben.54 Nur 3000 von ursprünglich mindestens 5000 Mönchen überlebten das Pol-Pot-Regime. Als sich das Pol-Pot-Regime erst einmal sicher vor Feinden des ehemaligen Regimes und fremden Ethnien und Religionen fühlte, wandte es sich gegen seine inneren Feinde. Wie ihre sowjetischen und chinesischen Pendants suchten und fanden die Roten Khmer Feinde innerhalb der Kommunistischen Partei. „Unsere Feinde werden nun schwächer und werden sterben“, konstatierte ein Mitarbeiter des Außenministeriums  – höchstwahrscheinlich der Minister Ieng Sary – im Januar 1977. „Die Revolution hat ihre Wurzeln ausgerissen und die Spionagenetzwerke wurden zerschlagen. Was Klassen anbelangt, sind sämtliche unserer Feinde verschwunden. Allerdings haben sie noch immer die amerikanischen Imperialisten, die Revisionisten, den KGB und Vietnam. Obwohl sie besiegt wurden, machen sie weiter. Außerdem müssen wir bedenken, dass die Feinde auf unserem Körper sind, im Militär, unter den Arbeitern, in den Genossenschaften und sogar in unseren eigenen Reihen. Um die sozialistische Revolution tiefgreifend und nachdrücklich fortzusetzen, müssen diese Feinde schrittweise beseitigt werden.“55

Die Partei nahm interne Säuberungen vor, die insbesondere auf jene zielten, die Beziehungen zu Vietnamesen gehabt hatten und angeblich noch immer mit ihnen sympathisierten. „Der Feind muss vernichtet werden“, hieß es im kambodschanischen Rundfunk. „Was 142

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infiziert ist, muss herausgeschnitten werden.“ „Was zu lang ist, muss auf die richtige Länge gestutzt werden.“56 Bei kommunistischen Völkermorden verdinglichten revolutionäre Regierungen unter der Führung von diktatorischen Führern Gruppen vermeintlicher Klassenfeinde und politischer Gegner und eliminierten sie als Gruppe. Die Täter belegten diese Feinde häufig mit Eigenschaften, die regelmäßig ethnischen, religiösen und nationalen Gruppierungen zugeschrieben wurden, und beseitigten sie dann „als solche“, wie es in der Völkermordkonvention heißt. In den Köpfen der Täter vermischten sich Fragen von Klassenzugehörigkeit und politischer Ausrichtung häufig mit ethnischen, religiösen und nationalen Kategorien, was es nur noch schwerer macht, eine Art der Massentötung von einer anderen zu unterscheiden. Die Frage, ob die Cham nun als Ethnie oder als „islamische Khmer“ (so die bevorzugte Bezeichnung des Regimes) getötet wurden oder ob man die ukrainischen Bauern verhungern ließ, weil sie Ukrainer oder weil sie Bauern waren, ist für die Bedeutung des Genozids weniger relevant als die Frage, ob die jeweiligen Regime gezielt auf die Vernichtung der Menschen dieser Kategorien hinwirkten.

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it dem Kalten Krieg trat ein Element globaler Rivalität in die Geschichte von Genozid und Massenmord ein. Die neue bipolare Welt nach dem Zweiten Weltkrieg, die von der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten dominiert wurde, schuf die Bedingungen für Genozide, bei denen kommunistische Regime ihr Morden oftmals mit dem Verweis auf den Kampf gegen den Kapitalismus – sei es gegen interne Reste einer angeblich kapitalistischen Vergangenheit oder gegen äußere Feinde – rechtfertigten. (Dieses Schema trifft auch auf Stalins Genozide zu.) Eine analoge Situation herrschte nach 1945 in gewissen rechtsgerichteten Diktaturen, in denen Genozide von der Rhetorik und den Realitäten innerer Bedrohungen durch kommunistische Aufstände oder äußerer Übergriffe durch kommunistische Mächte durchdrungen waren. In beiden Fällen wurden die Bedrohungen durch ideologische Gegner verzerrt dargestellt und maßlos übertrieben. Vielerorts diente die vermeintliche Bedrohung auch Zielen, die auf andere Weise nicht zu erreichen waren. Linke unterschiedlichster Couleur, darunter auch Sozialdemokraten, landeten in derselben kommunistischen Schublade, damit man ihre Ermordung rechtfertigen konnte. Das soll nicht heißen, dass Moskau (oder Beijing und Havanna) sich nicht häufig an den Kampfansagen an antikommunistische Regierungen beteiligte oder dass die USA Antikommunisten nicht zur Niederschlagung angeblich kommunistischer Aufstände ermunterten. Die meisten antikommunistischen Genozide fanden in einer Zeit großer amerikanisch-sowjetischer Rivalität in der Dritten Welt statt; Stalin, der wenig Interesse an einem weltweiten Konflikt mit den Amerikanern hatte, war inzwischen gestorben. Für seine Nachfolger im Kreml, Nikita Chruschtschow und Leonid Breschnew, hatte die 144

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Konkurrenz zu den USA einen anderen Stellenwert. Die USA wurden zu einer Interventionsmacht, während die Sowjetunion mit Schützenhilfe insbesondere Kubas revolutionäre Aufstände unterstützte, sofern dies opportun war. Völkermorde erwuchsen vor allem aus partikularistischen lokalpolitischen Interessen und Rivalitäten; ein Großteil ihres rhetorischen Kontextes und ihrer rhetorischen Schärfe resultierte jedoch aus dem Kalten Krieg. Die Wurzeln des Genozids in Guatemala reichen bis tief in den Kalten Krieg und seine Folgen für Zentralamerika zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg pochte eine Reihe von linksgerichteten Regierungen zum ersten Mal in der Geschichte Guatemalas auf soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und verurteilte insbesondere den US-amerikanischen Lebensmittelkonzern United Fruit Company wegen seiner kolonialistischen Haltung zum Land, zu seinen Ressourcen und Menschen. Auch Linke innerhalb und außerhalb der Regierung richteten ihren Blick immer häufiger auf den weitreichenden Einfluss des US-amerikanischen Neokolonialismus in ihrem Land und setzten sich nachdrücklich für nationalistische Entwicklungsplattformen ein. Den Beamten in Washington gefiel es ganz und gar nicht, dass der neu gewählte guatemaltekische Präsident Jacobo Árbenz Guzmán 1953 und 1954 die Kommunistische Partei legalisierte und offen um ihre Mithilfe bei Programmen zur Landreform und der Verstaatlichung ausländischer Firmen – allen voran der United Fruit – bat. In der Operation PBSUCCESS begann die CIA mit Billigung von Präsident Dwight D. Eisenhower, in der benachbarten und Washington wohlgesinnten Militärdiktatur Honduras Militäreinheiten der guatemaltekischen Opposition auszubilden und zu organisieren. Das der CIA hierfür zugewiesene Budget von 2,7 Millionen Dollar war für „psychologische Kriegsführung und politische Aktivitäten“ sowie „Subversion“ gedacht. Im Zuge der Vorbereitung des Staatsstreichs erstellte die CIA eine Liste der „Spitzenkommunisten“, die von der neuen Regierung zu beseitigen waren.1 Mit der Rückendeckung und Unterstützung Washingtons marschierten die gut ausgerüsteten guatemaltekischen Streitkräfte in Honduras unter der Führung des rechtsgerichteten Oberst Carlos 145

Antikommunistische Genozide

Castillo Armas in Guatemala ein und baten um die Unterstützung der guatemaltekischen Armee. Die erfolgreiche Desinformationskampagne der CIA, die Árbenz als Kommunisten hingestellt hatte, sowie die von den Amerikanern für die rechtsgerichtete Kampagne gewährte Luftsicherung waren ein derartiger Schlag für den Präsidenten Guatemalas, dass er am 27. Juni 1954 kampflos abtrat. Der Militärputsch in Guatemala gab nicht nur den Kräften der lateinamerikanischen Linken neuen Auftrieb (Che Guevara befand sich zur Zeit des Putsches in Guatemala-Stadt und führte seine Radikalisierung auf diese Erfahrung zurück), sondern bestärkte auch rechtsgerichtete Militärdiktaturen in der Region. Der als Erfolg der US-amerikanischen Politik verbuchte Putsch in Guatemala begründete ein Modell US-amerikanischer Politik in Zentral- und Südamerika, das sich in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen sollte. Unter einer Reihe von rechtsgerichteten Militärdiktatoren legten Militärs, konservative Landbesitzer, führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kirche in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren Guatemala in gesellschaftlicher Hinsicht auf Eis, sodass die breite Mehrheit der Bevölkerung  – die indigenen Mayas, Mestizen und Ladinos (Guatemalteken europäischer oder gemischt europäisch-­ indigener Abstammung) – zu einem Leben in extremer Armut, Arbeitslosigkeit und sogar Zwangsarbeit verdammt war. Oberst Castillo und seine Truppen nahmen Unterstützer von Árbenz fest und ließen sie verschiedentlich sogar hinrichten. Der daraus entstehende Teufelskreis der Gewalt sollte 30 Jahre lang anhalten. Noch immer ist nicht abschließend geklärt, ob die vor dem Putsch von der CIA aufgestellten Listen Castillos Regierung als Anregung für die Morde an vermeintlichen Kommunisten dienten oder nicht.2 Anfang der 1960er-Jahre schlossen sich unzufriedene junge Guatemalteken mit Linken und Gewerkschaftsaktivisten zusammen, um einen Aufstand im Ostteil des Landes zu planen. Auf Anraten der CIA und der US-Spezialkräfte leitete die Regierung eine umfassende Kampagne zur Aufstandsbekämpfung ein, deren Politik der „verbrannten Erde“ sich die Taktik der Amerikaner in Vietnam zu eigen machte. Zum ersten Mal in der Geschichte Guatemalas wur146

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den Militärkampagnen von auffälligen Fällen von Entführung, Folter, Mord und dem „Verschwinden“ von Menschen durch die guatemaltekischen Sicherheitskräfte begleitet. Je heftiger die Rebellen bekämpft wurden, umso mehr nahmen auch die Massaker an unschuldigen Zivilisten und die Zerstörung von Dörfern zu, die als Teil des Hilfsnetzes der Rebellen galten. Halblegale Sondereinheiten aus Armee und Polizei agierten als Todesschwadronen, die Regimegegner töteten und ihre Familien unter Druck setzten. Überwacht wurden sie von der im Januar 1967 gebildeten „Sonderkommandoeinheit“, die „Entführungen, Bombenanschläge, Morde auf offener Straße und Hinrichtungen von echten und vermeintlichen Kommunisten […] und anderen vage definierten ‚Regierungsgegnern’“ organisierte.3 Wie die spätere Kommission für Historische Aufklärung feststellte, war „extreme Grausamkeit eine Ressource, die bewusst eingesetzt wurde, um ein Klima der Angst unter der Bevölkerung zu schüren“. Ziel war es, „die Gesellschaft insgesamt einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, um den Willen zur Umgestaltung zu brechen“.4 Die Wahl von Fernando Romeo Lucas García zum Präsidenten im März 1978 verschärfte die Spannungen, da sich die Fronten zwischen Armeeführern und indianischen Regimegegnern verhärteten. Bei dem „Massaker von Panzós“ am 29. Mai 1978 eröffneten die Spezialkräfte das Feuer auf eine Gruppe von rund 700 indigenen Minenarbeitern und ihren Familien aus dem Volk der Kekchí, die friedlich für bessere Arbeitsbedingungen demonstrierten. Schätzungen zufolge kamen 150 Männer, Frauen und Kinder ums Leben. Im Januar 1980 protestierte eine Gruppe indianischer Bauern gegen ihre Zwangsumsiedlung aus Gebieten, die für Probebohrungen an Ölgesellschaften gegangen waren, und zog zur spanischen Botschaft in Guatemala-Stadt. Die Polizei ging mit Brandsätzen gegen die Bauern vor, tötete 36 Menschen und löste eine weitere Protestwelle aus. Insgesamt wurden zwischen 1978 und 1980 Tausende politischer Gegner und Oppositionsführer getötet oder zum „Verschwinden“ gebracht. Laut Amnesty International wurden zwischen 1966 und 1981 über 30.000 Menschen „entführt, gefoltert und ermordet“.5 147

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Friedlicher Wandel, Arbeiterproteste und demokratische Gestaltung waren angesichts des gewaltsamen Vorgehens von Regierung und Militär unmöglich. Die von den Quiché – einer zu den Mayas gehörenden Volksgruppe  – bewohnte Region entwickelte sich zu einem wichtigen Zentrum der Aufstandsbewegung unter Führung der linksgerichteten Armee der Armen (EGP). Die EGP war von einer kleinen Gruppe aus gut einem Dutzend Männern im Jahr 1972 auf eine Organisation mit rund 5000 Kämpfern und 10.000 örtlichen Freischärlern im Jahr 1982 angewachsen.6 Aktiv wurde sie von Kuba unterstützt, das logistische Beratung und Ausbildung anbot.7 Nach den ermutigenden Erfolgen der Sandinistas im Kampf gegen das Regime von Anastasio Somoza im benachbarten Nicaragua gingen die Aufständischen Anfang 1981 zum Großangriff über, der mitunter einem ausgewachsenen Bürgerkrieg ähnelte. Die Anzahl der Unterstützer aus den indigenen Gemeinschaften belief sich auf bis zu eine halbe Million. Die von der Regierung lancierte Kampagne zur Aufstandsbekämpfung war radikal und brutal; grausige Massaker signalisierten die Bereitschaft des Militärs, unschuldige Zivilisten insbesondere unter den Mayas zu töten. Die linksgerichteten Regimegegner schlugen zurück und verübten oftmals ihrerseits Gräuel in Form von Morden und Vergeltungsschlägen, wenngleich sich die Anzahl der Menschen, die durch sie ihr Leben verloren, im Vergleich zum Blutzoll der Regierung geradezu verschwindend ausnahm. In den Jahren 1981–1983 ging der brutale Kampf gegen die Aufständischen in einen Völkermord über. Mit der rückhaltlosen Unterstützung der US-amerikanischen Reagan-Regierung startete die guatemaltekische Armee Mitte 1981 die „Operation Ceniza“ (Asche), die sich bis ins Frühjahr 1982 erstreckte. Sie war de facto eine Politik der verbrannten Erde, die darauf zielte, den Aufständischen ihre ländliche Basis insbesondere in den Provinzen Quiché und Huehuetenango zu entziehen. Die Anzahl der Todesopfer überstieg alle bisherigen Ausmaße; Berichten zufolge wurden bis zu 35.000 Menschen getötet, darunter überwiegend Zivilisten.8 Wie es in einem Bericht der CIA vom Februar 1982 148

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heißt, gehe die Armee angesichts zahlreicher Belege davon aus, dass das „gesamte indianische Ixil-Volk“ aufseiten der Aufständischen stehe; Befehlshaber der Einheiten wurden daher angewiesen, „alle mit der Guerilla-Armee der Armen (EGP) kooperierenden Städte und Dörfer zu zerstören und alle Widerstandsquellen auszuschalten“.9 Damit wurden alle Mayas einschließlich der Frauen und Kinder faktisch zum Feind und potenziellen Angriffsziel. Die Armee legte Mayadörfer in Schutt und Asche, tötete das Vieh der Bauern und zerstörte ihre Felder, damit niemand zurückkehrte. Diese Kampagne war nur der Auftakt zu einer zweiten Etappe der Aufstandsbekämpfung durch das Militär, die auf den 23. März 1982 datiert werden kann  – den Staatsstreich von General Efraín Ríos Montt, der 2013 in Guatemala wegen Völkermord verurteilt, später aber freigelassen wurde. Kurz nach Amtsantritt verzichteten der General und seine Berater unter anderem deshalb auf die wahllose Gewalt der Operation Ceniza, weil sie die Mayavölker noch tiefer in die Berge oder die Grenzregionen zu Mexiko trieb. Stattdessen unternahm Ríos Montt, den Washington als lupenreinen Demokraten und wiedergeborenen Christen hinstellte, eine Reihe von gezielten Operationen, um den Widerstand der Mayas zu brechen  – ja die Mayas als unabhängiges Volk auszulöschen. Seine Pläne mit den Namen „Operation Sofia“ und „Victoria 82“ sahen vor, zusätzlich zu den Kampagnen mutwilliger Zerstörung die Mayas durch Anreize in „strategische Dörfer“ (die von der Armee betrieben und kontrolliert wurden) umzusiedeln und sie so von den Aufständischen zu trennen.10 Diese im Juli 1982 gestartete sogenannte Gewehre-und-Bohnen-Politik entpuppte sich als wenig mehr als der Versuch, die Mayas ihrer Autonomie zu berauben und ihren Widerstand zu brechen. Armee und Polizei gingen selbst nach Maßstäben des bereits seit zwei Jahrzehnten anhaltenden brutalen Bürgerkriegs mit beispielloser Gewalt vor. Die Befehlshaber hatten freie Hand, Aufständische und ihre aktiven Unterstützer zu ermorden. Wer in die Berge floh, wurde aus der Luft beschossen. Weite, fruchtbare Landstriche wurden im Rahmen der Politik der verbrannten Erde in Brand gesteckt. 149

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(„Wir praktizieren keine Politik der verbrannten Erde“, behauptete Ríos Montt nach einem Treffen mit Ronald Reagan. „Wir praktizieren eine Politik verbrannter Kommunisten.“11) Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Die Soldaten zerstörten selbst unbewohnte Dörfer und brachliegende Felder, da dies darauf hindeutete, dass die ehemaligen Bewohner die Aufständischen unterstützt hatten. Ein großer Teil der Gewalt richtete sich gegen Frauen und Kinder. Frauen wurden einzeln und in Gruppen vergewaltigt, um die Mayas als Volk zu entwürdigen und zu zerstören. Kinder wurden als delincuentes subversivos oder kriminelle Aufwiegler ermordet.12 Die dem Obersten Gerichtshof Spaniens im Februar 2008 vorgelegten Berichte von Opfern liefern ein herzzerreißendes Bild des Elends. Eine Zeugin erinnerte sich, nach den ersten Übergriffen der Soldaten in ihr Dorf zurückgekehrt zu sein. „Manche Leute standen vor ihrem Haus und weinten. Als wir in der Mitte ankamen, sah ich einen riesigen Haufen Asche und Schlacke, einen Haufen Leichen, die zur Hälfte noch brannten. […] Der Platz war voller Blut. Überall waren Patronenhülsen verstreut. Wir gingen wieder zurück zu meinem Haus, um Wasserbehälter zu holen und um das Feuer zu löschen. […] Es brannte weiter und der Geruch von brennenden armen Menschen war wie der von verbrannten Hühnerfedern.“

Nachdem sie verschiedene Überlebende in zerrissener Kleidung bemerkt hatte, die mit leerem Blick langsam den Weg entlanggingen, fragte sie eine ihrer Nachbarinnen, was vorgefallen sei. „Sie sah mich nur an und sagte nichts, weil man ihr die Lippen abgeschnitten hatte. Die arme Frau war vergewaltigt worden. Sie hatte keinen Rock, deshalb zog ich ihr einen an und bot ihr Wasser an. Sie war wie ein Kind.“

Ihre Schilderung endet mit einer Beschreibung der auf dem Weg verstreuten und zum Teil von Hunden angefressenen Leichen.13 Die Kommission zur Historischen Aufklärung fasste die entsetzliche Gewalt gegen die Mayas folgendermaßen zusammen. 150

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„Bei den meisten Massakern kam es nachweislich mehrfach zu barbarischen Akten, die dem Tod der Opfer vorausgingen, ihn begleiteten oder sich an ihn anschlossen. Akte wie das Töten von wehrlosen Kindern, die oftmals gegen die Wand geschlagen oder bei lebendigem Leib in Gruben geworfen wurden, in die danach die Leichen von Erwachsenen gestoßen wurden; das Amputieren von Gliedmaßen; das Aufspießen der Opfer; das Verbrennen von in Benzin getränkten Menschen; das Entnehmen der Eingeweide von noch lebenden Opfern in Gegenwart anderer; das Einsperren von grausam gefolterten Menschen, die tagelang mit dem Tode rangen; das Aufschneiden der Gebärmütter schwangerer Frauen und andere ähnliche Gräuel.“14

75.000 Menschen kamen innerhalb von 18 Monaten auf grausamste Weise ums Leben, die meisten von ihnen in den ersten acht Monaten der Kampagne. Schätzungen zufolge wurde ein Drittel der einheimischen Bevölkerung im Ixil-Dreieck ausgelöscht.15 Der Versuch, „Modelldörfer“ einzurichten  – der „Bohnen“-Teil der „Gewehre-und-Bohnen-Strategie“  – mündete ebenfalls in Gewalt, da zwangsrekrutierte Männer im wehrfähigen Alter in Zivilistenkommandos dienen mussten und mitunter bei dem geringsten Verdacht gefoltert und ermordet wurden. Das Leben in den Dörfern wurde streng von der Armee reglementiert und kontrolliert. Es gab genaue Regeln, wie viel man essen, welche Kleidung man tragen und wann man sein Haus verlassen durfte. Den Mayas war es untersagt, ihre traditionelle Kleidung zu tragen, ihre kulturellen Aktivitäten auszuüben oder ihre Feste zu feiern.16 Ihre heiligen Stätten wurden zerstört und sämtliche Zeremonien verboten. In Übereinstimmung mit „Victoria 82“ wurden alle politischen Treffen von der Armee überwacht. Das Militär kontrollierte ebenfalls die Lagerung und Verteilung von Lebens- und Arzneimitteln sowie jegliche Fortbewegung, da sie entsprechende Papiere ausstellte und diese an Wachposten in Städten und auf Straßen regelmäßig kontrollierte.17 Zu dieser Doppelstrategie von Ríos Montt gehörten auch die undurchsichtigen Aktivitäten von geheimen Todeskommandos, die Gewerkschaftsführer, Studierende, Erzieher, Maya-Aktivisten und 151

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andere Regierungsgegner ins Visier nahmen. Die Anzahl der von rechtsgerichteten Todesschwadronen getöteten Menschen, die „in Gräben und Rinnen“ auftauchten, nahm stetig zu; es handelte sich, wie der US-Botschafter bemerkte, um „Hinrichtungen, die von dem Präsidenten Ríos Montt nahestehenden Offizieren der Streitkräfte in Auftrag gegeben wurden“.18 Obwohl Ríos Montt selbst in einem Putsch am 8. August 1983 abgesetzt wurde, hielten die Aktionen der Todeskommandos bis weit in die 1980er-Jahre an. Die gefürchtete Gruppe „El Archivo“ führte von 1983 bis 1985 ein „Todeskommandotagebuch“, das später von Wissenschaftlern entdeckt wurde.19 Als das Militär die Kontrolle über die Gebiete der Mayas herstellte und die Aufständischen tiefer in die Berge oder nach Mexiko flüchteten, nahm die Anzahl der Massaker deutlich ab. Erst der Mitte der 1990er-Jahre begonnene Friedensprozess setzte dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg schließlich ein Ende. Die Kommission zur historischen Aufklärung, die Teil des Friedensprozesses war, kam zu dem Ergebnis, dass die Regierung Guatemalas einen Genozid an den Mayas verübt und sie als politisch von vornherein suspekte Gruppe und als feindliches Volk angegriffen habe. Ziel sei es gewesen, indigene Völker ihrer Kultur und ihrer Lebensweise zu berauben. Der Staat sei für 93 Prozent der Morde verantwortlich, von denen die meisten vom Militär begangen wurden. Nur drei Prozent der Todesopfer des Bürgerkriegs gingen auf das Konto der Guerillas. Es handelte sich anders gesagt nur auf dem Papier um einen Bürgerkrieg; tatsächlich waren die Geschehnisse eine Folge von Massakern, die von der Armee und Paramilitärs organisiert worden waren und sich vor allem gegen die Mayas in El Quiché richteten, wo es zu 344 dokumentierten Fällen von Mord kam. Ziel der Täter war, „die größtmögliche Anzahl an Gruppenmitgliedern zu töten“, Frauen und Kinder eingeschlossen. Diese Massaker waren nicht beliebig, sondern folgten in der Sprache der Kommission „einer höheren, strategisch geplanten Politik, die sich in logisch und kohärent aufeinander abgestimmten Aktionen manifestierte“.20 Rund 200.000 Menschen starben im guatemaltekischen Bürgerkrieg; eine Million oder mehr wurde vertrieben. 152

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Ungefähr zur selben Zeit, als der Bürgerkrieg in Guatemala begann  – und in einem ähnlichen, wenngleich speziell asiatischen Kontext des Kalten Kriegs –, griff das indonesische Militär 1965 und 1966 mit Unterstützung seiner Verbündeten in der indonesischen Gesellschaft (vor allem islamistischer politischer Kräfte) die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) an. Es zerstörte ihre ­Organisationsstruktur und massakrierte in einem Taumel des Antikommunismus mindestens 500.000 indonesische Männer, Frauen und Kinder. Anders als in Guatemala hatten diese Tötungen jedoch weniger mit Rassenhass zu tun. Zwar griffen das indonesische Militär und indonesische Milizen chinesische Zivilisten und chinesische Mitglieder der PKI an, da sie Verbindungen zwischen den indonesischen Kommunisten und der Kommunistischen Partei Chinas vermuteten. Hinzu kamen die Ressentiments und der Rassismus vieler Indonesier gegenüber chinesischen Kaufleuten. In Indonesien waren aber sowohl Angreifer als auch Opfer mehrheitlich Muslime, die 90 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachten. „Antikommunistisch“ bedeutete im indonesischen Kontext also etwas anderes als in Guatemala. Indonesien lehnte den Kommunismus nicht so sehr aus ideologischen Gründen ab; die Bevölkerung stand der PKI vielmehr als Konkurrenzorganisation zur Armee feindlich gegenüber.21 Die Basis von Präsident Sukarnos Herrschaft – die er als „gelenkte Demokratie“ bezeichnete – war die allgemein beliebte Idee des „Nasakom“: Nationalismus, Religion und Kommunismus. Viele Motive für den Genozid an den indonesischen Kommunisten liegen bis heute im Dunkeln. Zweifellos gab es Spannungen zwischen der Armee und der PKI, die auf den Unabhängigkeitskrieg (1945–1949) gegen die Niederländer zurückgingen. Der kommunistische Einfluss in der Armee war stark ausgeprägt und Berufssol­ daten ärgerten sich über die Politisierung des Militärs durch die Kommunisten.22 Die Islamisten störte zudem der Einfluss der PKI, der – so befürchteten sie – zu einem militant säkularen Regime in Jakarta führen würde. Als Symbol des antikolonialistischen Unabhängigkeitskampfes und als Gegner US-amerikanischer Ziele in Südostasien wurde Sukarno noch immer von breiten Kreisen seiner 153

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Landsleute respektiert. Aufgrund seines zunehmenden Kokettierens mit den chinesischen Kommunisten und seines Vertrauens in die PKI und bekannte kommunistische Sympathisanten hatten die Spannungen zwischen Regierung und Armee jedoch zugenommen. Die Unterstützung der PKI für die Bodenreform insbesondere in Ostjava rief mit der Armee verbündete muslimische Landbesitzer und Geistliche auf den Plan. Mit rund 300.000 engagierten Führungskadern und etwa zwei Millionen Mitgliedern insgesamt war die PKI ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor. Sie war die drittgrößte kommunistische Partei der Welt und die größte kommunistische Partei eines nicht kommunistischen Landes. Die Gegner der PKI hatten also allen Grund zu der Sorge, dass Sukarno zum Erfüllungsgehilfen kommunistischer Ziele werden könne. Diese Art von gesellschaftlichen Spannungen führt jedoch nicht notwendigerweise zu einem Völkermord. In der Regel kommen die Interessen politischer Führer hinzu und Indonesien war keine Ausnahme. Die maßgeblichen treibenden Kräfte hinter der Kette von Ereignissen, die zum Völkermord führten, verbergen sich noch immer hinter dem undurchsichtigen Schleier des Übergangs vom Sukarno- zum Suharto-Regime Ende 1965 und Anfang 1966. Anders als in Guatemala wurden die US-Amerikaner in Indonesien auf die Rolle des unauffälligen Cheerleaders am Rand der Unterdrückung der PKI reduziert. Beamte im State Department räumten seinerzeit ein, die Beziehungen zwischen den USA und Indonesien seien „von einem Meer des Hasses vergiftet gewesen“; die Vereinigten Staaten seien im öffentlichen Bewusstsein „zu sehr als Feind nationaler indonesischer Hoffnungen und Ambitionen verankert ­ gewesen“, als dass sie entscheidenden Einfluss auf den Gang der Dinge hätten nehmen können.23 Fest steht jedoch, dass Oberstleutnant Untung sich in der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 1965 an die Spitze einer Gruppe junger Offiziere der Palastwache stellte, die sogenannte Bewegung 30. September, die sechs Generäle – überwiegend rechtsgerichtete Antikommunisten  – entführte und ermordete. General Suharto, eine der führenden Figuren in der Armee und ein wider154

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williger Verbündeter Sukarnos, übernahm das Kommando über die Armee und gab die Niederschlagung der Verschwörung gegen den Staat bekannt; er und die Armee hätten Jakarta fest im Griff. Es ist gut möglich, dass Sukarno an der Verschwörung des 30. September beteiligt war, um die Anzahl der PKI-nahen Mitglieder in der Armeeführung zu erhöhen und somit seine Macht zu stärken.24 Wahrscheinlich war eine kleine Clique des geheimen Vorstands der PKI an der Verschwörung beteiligt.25 In jedem Fall distanzierte Sukarno sich rasch von dem Putschversuch, wurde jedoch von Suharto überlistet, der nun eine breite und wirksame Propagandakampagne einleitete. Ihr Ziel war es, die PKI und die Kommunisten für den Mord und die angebliche Verstümmelung der Generäle, die schweren Verletzungen der Tochter eines Generals – eine spätere Cause célèbre – und die versuchte Machtergreifung verantwortlich zu machen. Gezielt wurden Gerüchte gestreut, Mitglieder der mit den Kommunisten verbündeten indonesischen Frauenbewegung, der Gerwani, hätten erotische Tänze um die Leichen der Generäle aufgeführt, sie dann kastriert und eine Orgie mit den Verschwörern gefeiert.26 Derlei agitatorische Gerüchte über die PKI und die Gerwani verbreiteten sich in Windeseile in ganz Indonesien. Aktivistinnen wurden als kommunistische Verführerinnen hingestellt, die ihre Umgarnungskünste nur für Mord, Verstümmelung und die Kastration der Mitglieder von Armee und Polizei nutzten.27 Für die konservativen Generäle, die sich angesichts der Macht der PKI und ihrer Allianz mit Sukarno immer unwohler fühlten, war der Putsch fast zu schön, um wahr zu sein.28 Suharto startete nun einen breiten Angriff auf die Partei, ließ ihre Führungskader in Jakarta festnehmen und ihre Stützpunkte zerstören. Führende Militärs organisierten Demonstrationen in der Hauptstadt, während von der Armee finanzierte Jugendgruppen unter den örtlichen Kommunisten und ihren Anhängern wüteten. Die nationalistische Partei PNI und ihre militanten Jugendgruppen waren ebenfalls beteiligt. Das Militär ergriff schließlich den Vorsitzenden der PKI, Aidit, zusammen mit anderen Parteispitzen in Zentraljava. Sie alle wurden in Verbindung mit der Bewegung 30. September festgenommen und 155

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hingerichtet. Aidit war möglicherweise an dem ursprünglichen Putschversuch beteiligt, eindeutige Beweise liegen jedoch nicht vor. Der offene Angriff der Armee auf eine der drei Säulen von Sukarnos Herrschaft – den Kommunismus – bestärkte verschiedene Gegner der PKI, sich dem Kampf anzuschließen. Unterdessen wiegelte die antikommunistische Hetze in Presse und Fernsehen die öffentliche Meinung gegen PKI-Anhänger auf.29 Indonesien ist eine sehr vielfältige Gesellschaft und lässt sich vielleicht besser als Kaleidoskop von Gesellschaften beschreiben, die über die zahllosen Inseln seines Hoheitsgebiets verstreut sind. Die PKI hatte sich in verschiedenen Regionen Feinde gemacht, angefangen von Aceh, wo die vornehmlich konservativen islamischen Herrscher und die muslimische Bevölkerung die Kommunisten verachteten, bis hin zum überwiegend hinduistischen Bali, wo die den Großteil der Insel beherrschenden oberen Kasten der PKI und ihren Verbündeten meist feindlich gegenüberstanden. Auf Bali war noch nicht einmal anhand der Kastenzugehörigkeit vorhersehbar, wer getötet werden würde.30 Simple soziale oder religiöse Erklärungen für Massentötungen greifen oftmals zu kurz im Fall von Situationen, wo Ressentiments zwischen (sogar innerhalb von) Familien, Clans und anderen Mikrogemeinschaften im gewalttätigen Kontext der Anti-PKI-Kampagne Ausdruck finden konnten. In einer besonders angespannten Situation schlossen sich manche den Morden an, die vielleicht meinten, man könne sie im Fall von Tatenlosigkeit selbst für Kommunisten halten, was tatsächlich oft geschah. Während spontane Pogrome durchaus stattfanden, wurden Kommunisten insgesamt nur nach der Entsendung von Armeeeinheiten in die verschiedenen Ortschaften getötet. In Bali ordnete der regionale Befehlshaber des Militärs erst dann einen umfassenden Angriff auf die PKI an, als klar war, dass dieser mit den Angriffen in anderen Regionen in Einklang stand.31 Armeeeinheiten beteiligten sich mancherorts direkt an den Festnahmen und Tötungen von Kommunisten. In den meisten Fällen dienten sie allerdings durch ihre bloße Präsenz – und durch die Ausbildung und Bewaffnung von örtlichen Bürgerwehren zum Aufspüren und Vernichten von PKI-Organisationen und ihrer Mitglie156

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der – als Legitimation und Rahmen für die Massaker und Hinrichtungen. In manchen Fällen reichte es schon, dass sie den Transport von Killerkommandos übernahmen. So berichtete ein niederländischer Journalist aus Bali Folgendes. „In Polizeiwagen drangen balinesische Soldaten in Dörfer ein, in denen Kommunisten lebten. Die Kommunisten wurden zusammengetrieben und mit dem Wagen in ein anderes Dorf gefahren, wo sie mit Messern [klewang] erstochen oder in Polizeigefängnissen erschossen wurden. Um spätere Racheakte zu vermeiden, wurden in den meisten Fällen die ganze Familie oder sogar die weiteren Verwandten getötet.“32

Die Armee erschien in den Regionen häufig mit Listen der betreffenden PKI-Mitglieder, während sie in anderen Regionen bei ihrem Besuch entsprechende Listen sammelte. Welche Rolle die US-amerikanische Botschaft bei der Weiterleitung von 5000 Namen führender kommunistischer Kader an das indonesische Militär spielte, ist bis heute umstritten. Fakt ist, dass die Armee diese Listen erhielt. Umstritten ist allerdings, ob die Listen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg der Operation hatten. Sicherlich wussten die US-Amerikaner über die Geschehnisse in den verschiedenen Teilen der Inselgruppe Bescheid. Am 29. Oktober berichtete die Botschaft: „Fanatische Moslems in Aceh setzten offenbar alle bis auf einige wenige PKI außer Gefecht. Die Bewohner Acehs haben PKI enthauptet und ihre Köpfe auf Pfähle am Wegesrand gesteckt. Die Leichen von PKI-Mitgliedern wurden Berichten zufolge in Flüsse oder ins Meer geworfen, da die Bewohner Acehs sich weigerten, den Boden zu ‚verseuchen’.“ Am 8. November sprach die Botschaft von „Massentötungen“ im nördlichen Sumatra und in Aceh. Wie ein örtlicher Polizeichef in Zentral- und Ostjava US-amerikanischen Beamten berichtete, „wurden jede Nacht 100 bis 150 PKI-Mitglieder von antikommunistischen Bürgerwehren mit dem Segen der Armee getötet“. In Surabaya, der Hauptstadt Ostjavas, wurden einem Missionar zufolge zwischen dem 4. und 9. November 3500 PKI-Mitglieder in Kediri und 200 im 157

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nahe gelegenen Paree getötet. In anderen Berichten hieß es, PKIAnhänger in Zentraljava würden von der Armee „auf der Stelle erschossen“. Wie die Botschaft bemerkte, belief sich die Anzahl der Todesopfer in Bali auf 80.000 und ein Ende sei „nicht in Sicht“. „Wir wissen offen gesagt nicht, ob die wirkliche Anzahl näher an 100.000 oder 1 Million liegt“, so die Botschaft, „glauben aber, dass es klüger ist, insbesondere bei Fragen der Presse im Zweifel von niedrigeren Schätzungen auszugehen.“33 Wie die relativ wenigen Augenzeugenberichte der Tötungen zeigen, betraf der Terror weite Teile der indonesischen Bevölkerung – und nicht nur die ins Visier genommenen PKI-Mitglieder und ihre Familien.34 Alle Reporter erwähnen die wachsenden „Spannungen“ und die in indonesischen Städten und Dörfern – in der tiefsten Provinz wie in bekannteren Städten – allgegenwärtige Angst. Randalierer raubten chinesische Händler aus, töteten viele und entführten andere, um Lösegeld zu erpressen. Die Büros und die Zentrale der PKI wurden niedergebrannt. Wer versuchte, das Eigentum der Partei zu schützen, wurde ermordet. Nationalistische und muslimische Jugendgruppen attackierten ihre eigenen speziellen Feinde, während die Polizei tatenlos zusah oder den Tötungen sogar Vorschub leistete. Die überwiegend jungen Angreifer nahmen die Posen der Helden von Martial-Arts-Filmen ein, die ihren Mut und Einsatz durch Morde unter Beweis stellen wollten. Manche Christen fielen den muslimischen Bürgerwehren zum Opfer; andere schlossen sich den Mörderbanden an. Auf Bali waren die Killer zumeist hinduistische Nationalisten, denen ihre Anführer eingeschärft hatten, die PKI sei ein Feind der Religion und müsse „von Grund auf beseitigt und zerstört werden“.35 Lokale Bürgerwehren, häufig begleitet von teils sehr jungen und politisch naiven, teils älteren und „professionelleren“ Mördern, schnitten Menschen Kopf und Körperteile ab und sammelten die Köpfe wie eine Art Trophäensammlung in Taschen. Den Angehörigen blieben mitunter nur die Eingeweide der Opfer, deren Leichen andernorts deponiert worden waren. Wie ein Zeuge schrieb, quollen die Flüsse über vor Leichen. 158

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„Und in der Regel waren die Leichen nicht mehr als menschliche Leichen zu erkennen. Kopflos. Die Mägen offengerissen. Der Gestank war unglaublich. Damit sie auf keinen Fall untergingen, wurden die Kadaver absichtlich an Bambuspfähle gebunden oder auf sie aufgespießt. Und der Start der Leichen in der Region ­Kediri erreichte den Brantas hinunter seinen Höhepunkt, als die Leichen auf Flößen übereinandergestapelt wurden, auf denen ­ stolz die PKI-Flagge wehte.“36

Das Abschneiden und spätere Zurschaustellen von Körperteilen säte nicht nur Angst und Schrecken unter den Einheimischen, sondern machte ein ordnungsgemäßes Begräbnis unmöglich, was in vielen Kulturen Indonesiens einer Entwürdigung und Verhöhnung des Feindes gleichkam. Die Verantwortlichen für den Genozid an den indonesischen Kommunisten waren dieselben wie die Verantwortlichen für den Genozid in Osttimor: General Suharto, das indonesische Militär und Regierungsmilizen. Ihre Rechtfertigung für die Massaker lautete ähnlich: Man müsse das Übel des Kommunismus bekämpfen und ihr heimtückisches – und im Fall Osttimors – sezessionistisches Potenzial zerstören. Das war allerdings die einzige Gemeinsamkeit. Der Genozid in Osttimor ähnelte sehr viel mehr dem in Guatemala als dem an den indonesischen Kommunisten. Er erstreckte sich über einen längeren Zeitraum  – von der Invasion der indonesischen Armee 1975 bis Ende 1999, als die Vereinten Nationen eine multinationale Einsatztruppe unter Führung der Australier nach Osttimor entsandten; 2002 wurde Osttimor unabhängig. Obwohl sich Leid und Tod des Völkermords in Osttimor über Jahre und Jahrzehnte erstreckten und fast 25 Prozent der 650.000 Einwohner Osttimors ums Leben kamen, gab es wie beim Genozid in Guatemala große Schwankungen; die mit Abstand größten Opferzahlen – rund 100.000 Tote – wurden zwischen 1977 und 1979 verzeichnet.37 Analytisch ist das zentrale Anliegen der Völkermordkampagne in Osttimor wie in Guatemala schwierig von der Taktik zur Aufstandsbekämpfung zu trennen, die alle Maße des Notwendigen überstieg. Vergewaltigung, Folter, Massaker, das Anzünden von Dörfern und 159

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die Zerstörung von Ernten mit darauf folgender Hungersnot  – sie alle widerfuhren sowohl den Osttimorern als auch den Guatemalteken. In beiden Fällen richteten die jeweiligen Armeen „strategische Dörfer“ bzw. Transitlager ein, um die Zivilbevölkerung von den Aufständischen zu trennen bzw. um Kommunisten und kommunistische Sympathisanten aufzuspüren. In Osttimor waren die Täter vor allem Muslime von der Insel Java – die Osttimorer bezeichneten die Indonesier schlicht als Javaner –, während die Opfer fast ausnahmslos römisch-katholische Timorer waren (Osttimor war zum damaligen Zeitpunkt zu 90 Prozent katholisch), die ihrerseits aus einer polyglotten Mischung aus rund 30 einheimischen Ethnien und Immigranten bestanden.38 In Wirklichkeit war der Genozid in Osttimor jedoch weder religiös noch ethnisch motiviert, obwohl beide Merkmale osttimoresischer Identität bei der Verfolgung eine Rolle spielten.39 Jakarta war fest entschlossen, Osttimor zu annektieren und seiner Bevölkerung Suhartos „neue Ordnung“ aufzuerlegen – eine Konsensgemeinschaft, die von der indonesischen Armee regiert und vertreten wurde. Die Indonesier wollten die Osttimorer somit als „nationale“ Gruppe mit nationalen Bestrebungen zerstören, wenngleich es zahlreiche Timorer gab, die das indonesische Programm unterstützten. Unmittelbarer Hintergrund der Krise in Osttimor war die jäh sinkende Bereitschaft Portugals, sein bröckelndes Kolonialreich einschließlich Osttimor zu erhalten. Da Portugal bereits genügend Probleme im eigenen Land hatte und sich in Afrika immense Herausforderungen stellten, war es Anfang der 1970er-Jahre bereit, Osttimor in die Unabhängigkeit zu entlassen. Die Osttimorer organisierten sich in verschiedenen politischen Parteien, um Einfluss auf den Gang der Dinge zu nehmen. Die stärkste unter ihnen war Fretilin (die Revolutionäre Front für ein Unabhängiges Osttimor), eine linksgerichtete Partei, bestehend überwiegend aus Sozialdemokraten, in der sich jedoch auch einige Kommunisten engagierten. Die UDT (Timoresische Demokratische Union) rekrutierte sich vor allem aus der ehemaligen Kolonialelite Osttimors und befürwortete einen langsamen Weg zur Unabhängigkeit und eine Form von fort160

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gesetzter Verbindung zum Mutterland. Die dritte wichtige Partei war die Apodete (Demokratische Volksvereinigung der Timorer), die für eine Union mit Indonesien eintrat und bei dem intensiven politischen Ringen in Osttimor von den Indonesiern für deren eigene politische Ziele genutzt wurde. Jakarta fokussierte sich auf die Sympathien Fretilins für den Kommunismus und trieb damit erfolgreich einen Keil zwischen Fretilin und die UDT, sodass es bei dem Putsch der UDT Mitte August 1975 im Vorgriff auf den Abzug der Portugiesen zu einem Bürgerkrieg mit Fretilin kam. Fretilin hatte jedoch mächtige Fürsprecher innerhalb der ehemaligen timoresischen Armee, die den Portugiesen gedient hatten; bei kurzen, aber heftigen Zusammenstößen mit über 2000 Toten setzte sie sich erfolgreich durch und übernahm die Kontrolle über die Hauptstadt Dili.40 Da die internationale Gemeinschaft (und Portugal) dem Schicksal Osttimors mit einer Mischung aus Desinteresse und Unentschlossenheit gegenüberstanden, erklärte Fretilin das Land für unabhängig in der Hoffnung, eine Invasion der Indonesier abzuwenden und den Schutz der UN zu gewinnen. Suharto diente das Vorgehen der Partei jedoch als Casus Belli; 1975 marschierte die indonesische Armee in Osttimor ein und brachte trotz heftigem Widerstand von Fretilin den Großteil des noch jungen Landes unter ihre Kontrolle. Mit stillschweigendem Einverständnis der USA, dem nur auf den eigenen Vorteil bedachten „Realismus“ der Australier und der generellen Zustimmung oder Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft marschierte das indonesische Militär in der Operation Komodo im Dezember 1975 in Osttimor ein und griff die Truppen von Fretilin mit erschreckender Brutalität an. Es kam zu erbitterten Kämpfen, da die Indonesier zur Vernichtung des osttimoresischen Feindes ihre hoch entwickelte Luftwaffe, ihre Stärke zu Wasser und ihre Artillerie einsetzten. In Operationen mit Namen wie „Umzingelung und Vernichtung“ verwendeten sie sogar chemische Entlaubungsmittel, um den Gegner aufzuspüren und zu vernichten.41 Von Beginn der Invasion an kam es zu Massakern durch die indonesischen Truppen. Als die Armee die Hauptstadt Dili unter ihre Kon­ 161

Antikommunistische Genozide

trolle brachte, wurden Einwohner aller Altersklassen niedergemetzelt, über 2000 Menschen starben, darunter 700 Chinesen. Die Massaker weiteten sich bis in die Küstenstädte aus, wo Berichten zufolge mancherorts die gesamte Bevölkerung bis auf Kleinkinder ausgelöscht wurde.42 Die Maßnahmen zur Aufstandsbekämpfung nahmen sogar noch tödlichere Ausmaße an, als die Indonesier Milizen unter den Ost­ timorern organisierten und Einheimische unter Androhung von ­Gewalt oder auch aus Überzeugung rekrutierten. „Jorge“, ein ost­ timoresischer Milizionär, der von den Indonesiern bereits als Gymnasiast eingezogen worden war, berichtete später Folgendes. „Wir wurden gewarnt; wer sich nicht der Armee anschloss, hatte die Folgen zu tragen. Das heißt, sie sagen, du bist ein Kommunist. Keiner von uns wollte zur Armee, aber es gab keine Möglichkeit, sich dem Kampf zu entziehen. Wer nicht kämpfte, bezahlte dafür mit dem Leben. Ich nahm an Einsätzen zur Ermordung anderer Timorer teil, normale Leute, danach fühlte ich mich komisch. Niemandem von uns war wohl dabei. Zu Anfang waren wir traurig, wir hatten ein schlechtes Gewissen, aber nach zwei, drei Jahren war es leicht. Man gewöhnt sich an das Töten.“43

Die indonesischen Militäroperationen gingen somit mit Brudermorden einher. Ein Großteil des mörderischen Treibens während der Besetzung Osttimors geht auf das Konto der Timorer selbst, die von der indonesischen Armee in Milizen und Banden eingeteilt wurden. Als klar wurde, dass die in einer revolutionären Militärformation namens Falintil organisierten Fretilin-Kämpfer bis zum Patt mit der indonesischen Armee und ihren Milizen kämpfen konnten und zur Verteidigung der „freie Zonen“ im östlichen Hochland durchaus imstande waren, richteten sich die Maßnahmen der Indonesier verstärkt auf eine Trennung zwischen der Zivilbevölkerung des Landes und den „Rebellen“. Ganze Dörfer wurden der Sympathien mit der Fretilin bezichtigt und in andere – häufig weniger fruchtbare – Landesteile an der Küste fernab des Hochlands zwangsumgesiedelt. Mit rund 40.000 Kampftruppen und Milizen in den Jahren 1977/78 162

Antikommunistische Genozide

startete die Armee Sichten-und-vernichten-Missionen, die die verbleibende Bevölkerung Osttimors um den Berg Matebian zu konzentrieren versuchten, wo rund 30.000 Menschen um ihr Leben kämpften. Der Anführer der Fretilin, Xanana Gusmão, beschrieb die Lage wie folgt. „Ich besuchte alle am Kampf beteiligten Fronten. Es gab keinen Platz für die Menschen. Es gab Bombenangriffe, Explosionen, Tod, Blut, Rauch, Staub und endlose Schlangen von Menschen, die warteten, bis sie an der Reihe waren und ein bisschen Wasser für ihre Kinder bekamen. […] Alles war völlig außer Kontrolle. […] Die Kampfflugzeuge verbreiteten den ganzen Tag nichts als Tod.“44

Andere von Fretilin kontrollierte Dörfer wurden ebenfalls bei Tiefflugeinsätzen unter Beschuss genommen. Zahlreiche Dörfer wurden in Brand gesetzt und Lebensmittelläden geplündert oder zerstört. Indonesische Soldaten verwüsteten das Land und verfolgten, töteten, entführten, folterten und vergewaltigten ihre Opfer. Zivilisten, die sich dem Aufstand mit der Fretilin anschlossen, litten furchtbar unter Hunger und Krankheiten und kapitulierten fortan in großer Anzahl. Die Indonesier steckten sie daraufhin in sogenannte Transitlager, wo sie verhört, gefoltert und mitunter auch getötet wurden. Kollaborierende Spione der Apodete dienten den Indonesiern zum Aufspüren von Fretilin- und Falintil-Mitgliedern in den Lagern zur „Sonderbehandlung“. Informanten bereinigten mitunter private Streitigkeiten, indem sie ihre timoresischen Landsleute als Kommunisten hinstellten. Die Zustände in den Internierungslagern waren katastrophal; für viele Timorer waren Bäume das einzige Obdach. Hygienische Standards gab es nicht. Die Nahrungsrationen waren so minimal, dass die Menschen verhungerten. Die von der Armee auf dem Land angerichteten Schäden führten zu einer entsetzlichen Hungersnot. Osttimor litt unter massiver Mangelernährung und den damit einhergehenden Krankheiten Dysenterie, Ödemen, Durchfall und Cholera, denen Zehntausende zum Opfer fielen. 163

Antikommunistische Genozide

Wer die Transitlager überlebte, wurde von der Armee in eine der rund hundert Siedlungen geschickt, in denen die Bedingungen wenig besser waren. Innerhalb der Siedlungen gab es keine echte Möglichkeit, sich frei zu bewegen, und Ackerbau war für die Timorer nahezu unmöglich. Um ein wenig Nahrung zu erhalten, verkauften sie ihre letzten Wertsachen an korrupte Armeeangehörige oder Milizionäre. 1979 hatte die indonesische Armee zwischen 300.000 und 370.000 Timorer in diese Siedlungen verbannt.45 Dahinter stand unter anderem der Gedanke, die rebellionsfördernden sozialen Netze aufzubrechen, die Solidarität von Familien und Clans zu untergraben und zugleich Indonesier zu importieren, um die demoralisierten und sterbenden Timorer zu ersetzen.46 Als eine Journalistendelegation Anfang 1978 nach Osttimor reisen durfte, beschrieb ein Teilnehmer das Umsiedlungslager in Remexio, in dem bereits zu Beginn der Okkupation ein furchtbares Massaker stattgefunden hatte. „Wie in den meisten anderen Städten sind die Menschen in Remexio fassungslos, trübsinnig und mutlos. Von Not und Entbehrungen ausgemergelt haben sie Mühe, dem albtraumhaften Zwischenspiel einen Sinn abzuringen, bei dem bis zu 50 Prozent der Bevölkerung umgesiedelt wurde. […] Die Stadtbewohner sind unterernährt und benötigen dringend medizinische Hilfe.“47

Ende der 1970er-Jahre waren die indonesischen Armeechefs sich des Erfolgs ihrer brutalen Strategie zur Aufstandsbekämpfung sicher. Zudem war es ihnen am 31. Dezember 1978 gelungen, den Anführer der Fretilin (und den 1975 für kurze Zeit als Präsidenten Osttimors amtierenden) Nicolau Lobato aufzuspüren und zu ermorden. Im März 1979 erklärte die indonesische Regierung Osttimor für „befriedet“.48 Bis zu diesem Zeitpunkt ließen die Indonesier trotz zunehmendem Druck von außen keine Hilfsorganisationen in das Land, die sich der entsetzlichen Lage unzähliger Timorer annehmen wollten. Im Oktober 1979 konnte endlich humanitäre Hilfe in das Land dringen. Rund 300.000 Timorer sollen zu diesem Zeitpunkt „ernsthaft oder kritisch unterernährt“ gewesen sein.49 Indonesien 164

Antikommunistische Genozide

b­ egann unterdessen, rund 150.00 Indonesier mit ihren Familien neu in Osttimor anzusiedeln, um die timoresische Kultur zu verwässern und den Ruf nach Unabhängigkeit zu unterdrücken. Behauptungen zufolge zielte dieser Schritt darauf ab, neben der anhaltenden systematischen Vergewaltigung von timoresischen Frauen timoresisches Blut „herauszuzüchten“.50 Trotz der humanitären Katastrophe unter ihren Landsleuten gelang es den Falintil, in kleinen Zellen zu überleben und ausgewählte Guerillaaktionen gegen Einrichtungen der indonesischen Armee durchzuführen. Als die Angriffe insbesondere in den 1980er-Jahren zunahmen, reagierte das indonesische Militär mit aller Härte und nahm mutmaßliche Sympathisanten fest, tötete vermeintliche Falintil-Mitglieder und ihre Anhänger oder ließ diese „verschwinden“ und deportierte ganze Familien, oftmals Frauen und Kinder, nach Atauro. Fretilin hatte sich selbst als „marxistisch-leninistische Partei“ deklariert und Suharto damit die nötige Munition geliefert, um hoch entwickelte Ausrüstung zur Aufstandsbekämpfung von den USA anzufordern und die Kritik von katholischen Menschenrechtsorganisationen zurückzuweisen, die auf die dramatische Lage der Timorer hinwiesen. Die Indonesier testeten verschiedene Strategien, um die verbleibenden Falintil-Truppen zu vernichten und ihren charismatischen Anführer Xanana Gusmão gefangen zu nehmen, der später Präsident und im Anschluss Premierminister des unabhängigen Osttimor wurde. Mitte 1981 wurden Zehntausende, manche sprechen sogar von 145.000, timoresische Jungen und Männer von der Armee zur Bildung eines „Zauns aus Beinen“ zwangsrekrutiert, der mit Unterstützung von 12.000 Soldaten den Busch nach Guerillas durchkämmen sollte. (Man fühlt sich an die tasmanische Menschenkette von 1830 oder die „Schwarze Linie“ erinnert, die Aborigines aufspüren sollte, die der örtlichen Regierung durchs Netz geschlüpft waren.) De facto bewirkte die Strategie wenig mehr als eine weitere Schädigung der Landwirtschaft in einer Zeit des Hungers, da nun viele Bauern ihr Land nicht mehr bestellen konnten. Ergriffen wurden einige ­wenige Frauen und alte Menschen, die sich im Busch versteckten.51 165

Antikommunistische Genozide

In den 1980er- und frühen 1990er-Jahren kam es darüber hinaus zu einer Reihe entsetzlicher Massaker, die die anhaltende völkermörderische Vorgehensweise der Indonesier in Osttimor drastisch vor Augen führten. Im August 1983 banden Indonesier in Malim Luro an der Südküste eine Gruppe von 60 Timorern aneinander – darunter zahlreiche Frauen und Kinder –und planierten sie zu Tode.52 Im September wurden die Bewohner des Dorfes Bibileo, die vor der Verfolgung durch die Armee geflüchtet waren, in einer Reihe von Massakern in Kraras ausgelöscht: 55 Menschen im Alter von einem bis 61 Jahren wurden in einem Erdloch zusammengetrieben und ermordet. In Buikarin wurden schätzungsweise 141 Männer von den Frauen getrennt und erschossen. Die Frauen und Kinder wurden in ein unbewohntes Gebiet im Kreis Viqueque (Vikeke) namens Lalerek Mutin geschickt. Der katholische Prälat Carlos Belo besuchte kurz darauf die Region und berichtete dem Gouverneur von Ost­ timor Folgendes. „Ich werde Ihnen etwas erzählen, das Sie vielleicht nicht glauben. Ich fuhr nach [Lalerek] Mutin. Es gab dort keine Männer, nur Frauen und Kinder. Häuser gab es dort auch nicht. Als das Militär sie nach [Lalerek] Mutin brachte, nahm das Militär den Dorfbewohnern ihren gesamten Besitz weg. Sie haben keine Häuser – sie leben auf dem Feld. Sie haben alle erwachsenen Männer getötet, alle ohne Ausnahme. Einige wenige rannten in den Wald. Und sie wurden alle in der Nähe des Flusses Luca verscharrt.“53

Das Santa-Cruz-Massaker vom 12. November 1991 ist der vielleicht bekannteste Gewaltexzess der Armee zu dieser Zeit, weil er von einem britischen Filmemacher auf Video aufgezeichnet und im Westen verbreitet wurde. Rund 200.000 junge Menschen marschierten durch Dili, die Hauptstadt Timors, zum Grab eines Jugendlichen, der eine Woche zuvor von proindonesischen Milizen getötet worden war. Indonesische Soldaten umringten die Menschenmenge und eröffneten ohne Vorwarnung das Feuer. Rund 270 junge Menschen starben, viele von ihnen in einem Militärlaster oder sogar später im Krankenhaus.54 Zahlreiche Quellen bestätigen Gerüchte, wonach 166

Antikommunistische Genozide

die festgenommenen Jugendlichen geschlagen, gesteinigt, mit Gift umgebracht oder von Lkws zu Tode gefahren wurden.55 Die Situation in Osttimor stand während der gesamten 1990erJahre auf der Agenda von Menschenrechtsgruppen und katholischen Aktivisten, allerdings mit geringen konkreten Ergebnissen außer gelegentlicher Hungerhilfe. Die „Ninjas“ oder „Bufo“ genannten Todesschwadronen der Timorer kooperierten mit dem Militär, um bekannte oder mutmaßliche Befürworter der Unabhängigkeit zu ermorden oder „verschwinden“ zu lassen. Gusmão, eine Art timoresischer Nelson Mandela, wurde 1992 von den Indonesiern inhaftiert und in ein Gefängnis in Jakarta gesteckt. Die zunehmende internationale Beachtung der Situation in Osttimor, darunter ein Besuch von Papst Johannes Paul II. 1989, bewirkte, dass Gusmão am Leben bleiben musste und somit weiter Einfluss auf seine Anhänger ausüben konnte. Die Gewalt hielt jedoch selbst dann noch an, als Suharto im Mai 1998 zum Rücktritt gezwungen wurde und sich die Osttimorer in einem Referendum im September 1999 mit 78,5 Prozent für die Unabhängigkeit entschieden. Nach 24 Jahren despotischer Herrschaft durch die Indonesier hatte die internationale Gemeinschaft genug. Zutiefst besorgt, dass sich die Massentötungen von Timorern ausweiten könnten, setzten die USA und ihre Verbündeten ihre Militärhilfe für Jakarta aus. Die Vereinten Nationen bewilligten die Entsendung einer multinationalen Einsatztruppe unter australischer Führung, die die Indonesier vom Rückzug aller Truppen und Milizen und von der Wiederherstellung der Ordnung im Land überzeugte. Am 21. Mai 2002 wurde Osttimor ein unabhängiges Land, regiert vor allem von Mitgliedern der Fretilin und Falintil-Veteranen. Die Situation in Osttimor wirft ein Schlaglicht auf einige allgemeine Merkmale von antikommunistischen Genoziden. Die Opfergruppe war vor allem politisch definiert. In Osttimor waren dies Fretilin, ihre Mitglieder, deren Familien und ihre vermeintlichen Anhänger. Wie im Fall der Mayas in El Quiché wurde ganzen ­timoresischen Dörfern zugeschrieben, was die Verantwortlichen für Widerstandsgemeinschaften hielten, und sie wurden der völligen 167

Antikommunistische Genozide

Auslöschung anheimgegeben. Dies bedeutete nicht nur den Tod ­unschuldiger Männer, Frauen, Kinder und künftiger Generationen von Gegnern, sondern auch die Zerstörung ihrer Häuser und Felder. So wird ein indonesischer Soldat mit den Worten zitiert: „Wenn ihr eure Felder vorbereitet, tötet ihr dann nicht auch alle Schlangen, ob groß oder klein?“56 Wie den Mitgliedern der guatemaltekischen EGP und der kommunistischen PKI sowie ihren angeblichen Sympathisanten wurden den Fretilin-Mitliedern von ihren jeweiligen Schlächtern die biologischen Eigenschaften von minderen Wesen zugeschrieben, die in ihrer Gesamtheit auszurotten waren, damit „gesunde“ neue Ordnungen überleben und gedeihen konnten.

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Genozide nach dem Kalten Krieg

A

b Mitte der 1990er-Jahre trug die mediale Präsenz der Pro­bleme in Osttimor zu einem explosionsartig anwachsenden Interesse an Genoziden bei und lenkte die Aufmerksamkeit auf das internationale Verbrechen des Völkermords. Die letzten drei Jahrzehnte lassen sich als Ära der Bewusstseinsbildung, der Diskussionen über Menschenrechte und der Aktionen für Menschenrechte beschreiben, die sich in beachtlichem Maß auf die globalen Probleme von Genoziden konzentrierten. Die durch den Eichmann-Prozess 1961 und den Sechstagekrieg 1967 ausgelöste Bewusstseinsbildung über den Holocaust in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren trug zweifellos zu einem intellektuellen und emotionalen Klima bei, das die Menschen stärker für Genozide sensibilisierte. Es waren jedoch insbesondere der Krieg im ehemaligen Jugoslawien (1991–1995), der Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 und die Intervention im Kosovo 1999, die das zuvor marginalisierte Thema Völkermord ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit rückten. Diese Ereignisse weckten im Gegenzug nur noch größeres Interesse von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an Menschenrechtsfragen und bewogen Beamte der Vereinten Nationen, der USA und Europas in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre zur Einsetzung verschiedener Sondergerichte, so des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag und des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (ICTR) im tansanischen Arusha. Das 1998 von 120 Ländern verabschiedete Römische Statut sah die Installation eines Internationalen Strafgerichtshofs vor, der 2002 seine Tätigkeit aufnahm, um gezielt Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Genozid zu verfolgen. Auslöser eines Großteils dieser Aktivitäten in Sachen Menschenrechte war der tragische Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Der Viel169

Genozide nach dem Kalten Krieg

völkerstaat auf dem westlichen Balkan zerfiel Anfang der 1990erJahre mit genozidalen Folgen. Die intensive Beschäftigung westlicher Medien und Politiker mit den Ereignissen in Jugoslawien lenkte erhebliche Aufmerksamkeit auf die Gewalt. Bilder der eingefallenen Gesichter der in Lagern auf dem Balkan Internierten machten der europäischen und amerikanischen Öffentlichkeit bewusst, dass an der Schwelle zum 21. Jahrhundert erneut grausige Verbrechen in Europa möglich waren. Die komplexen Probleme, vor denen der Westen beim Umgang mit den Balkankriegen und den damit einhergehenden Verbrechen stand – und die eine maßgebliche Intervention bis zum Spätsommer/Frühherbst 1995 verzögerten –, erinnerten an die frühere unbeholfene Reaktion des Westens gegenüber dem Holocaust. Die wachsende Erkenntnis, dass der Völkermord in Ruanda 1994 mit minimalen Anstrengungen hätte verhindert werden können und dass die Vereinten Nationen und die USA ihre Beteiligung durch bürokratisches Taktieren hinausgezögert hatten, machte der internationalen Gemeinschaft umso mehr bewusst, dass Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bekämpft werden können und sollten. Das Prinzip der Schutzverantwortung, wonach Staaten eine international anerkannte Verantwortung haben, ihre Völker vor Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen, setzte sich nach der erfolgreichen Intervention im Kosovo Ende der 1990er-Jahre durch. Offiziell angenommen wurde es auf dem Weltgipfel der Vereinten Nationen 2005. Der Tod des kommunistischen Staatschefs Jugoslawiens, Marschall Josip Broz Tito, setzte 1980 eine Kette von Ereignissen in Gang, die letztlich zur Auflösung des jugoslawischen Staats führten. Das Versagen der kommunistischen Ideologie und des sozialistischen Staates bei der komplexen Aufgabe, einen Vielvölkerstaat mit einer stagnierenden Wirtschaft zu lenken, führte in den 1980er-Jahren zu einer gewaltigen Zunahme von nationalistischen Ideologien. Jede der Teilrepubliken der jugoslawischen Föderation fühlte sich auf ihre Weise von der Zentralregierung in Belgrad missbraucht. Selbst serbische Politiker beschwerten sich zunehmend über die Unterwanderung ihrer nationalen Sache durch die kommunistische 170

Genozide nach dem Kalten Krieg

Herrschaft und schlugen einen nationalistischen Kurs ein. Slobodan Milošević, ein ehemaliger kommunistischer Bankdirektor, wurde zum Anführer der nationalistischen Wende in der serbischen Politik. In Kroatien setzte sich der Historiker Franjo Tuđman für eine kroatisch-nationalistische Politik ein und drängte seine Landsleute, sich hinter die nationalistischen (häufig faschistischen) Symbole und das Programm kroatischer Unabhängigkeit aus dem Zweiten Weltkrieg zu stellen und sich der Vorherrschaft Belgrads zu entziehen. Auf seine Weise verwendete der bosnisch-muslimische Führer Alija Izetbegović ebenfalls eine bosnisch-nationalistische Rhetorik, um die 1989 von ihm mitbegründete Partei der demokratischen Aktion aufzubauen. Er war jedoch weit von dem „islamischen Fundamentalisten“ entfernt, als den ihn kroatische und insbesondere serbische Kritiker hinstellten. Obwohl die ersten Anzeichen eines schwerwiegenden Konflikts im Juni 1991 aus Slowenien kamen, war es der kurz darauf ausbrechende Krieg zwischen Serbien und Kroatien, der sich als erster Vorbote eines Genozids ankündigte. Anders als in Slowenien gab es in Kroatien eine große serbische Minderheit von rund 580.000 Personen, die zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachten. Sie lebten vorwiegend in kompakten serbischen Gemeinschaften in Krajina, einer ehemaligen Grenzstadt des österreichisch-ungarischen Kaiserreiches. Während Tuđmans Partei HDZ (Kroatische Demokratische Union) Pläne zur Unabhängigkeit Kroatiens vorantrieb, protestierten die kroatischen Serben und gründeten ihre eigene Republik: Serbische Krajina. Sie säuberten die Region von Kroaten und errichteten bewaffnete Straßensperren auf den Straßen nach Zagreb und an die Küste. Angesichts eines drohenden serbischen Großangriffs auf Vukovar im Osten Kroatiens Ende August 1991 mobilisierten die Kroaten ihr noch junges Militär, ihre Polizei und Milizen, um sich gegen die serbischen Milizen und die jugoslawische Armee zur Wehr zu setzen. Dennoch fiel Vukovar nach dreimonatigen Bombenangriffen und erbitterten Kämpfen am 20. November an die Serben. Bei dem Beschuss wurden so viele Menschen getötet und Gebäude zerstört, dass 171

Genozide nach dem Kalten Krieg

ÖSTERREICH

Die Bevölkerung Jugoslawiens 1991 0

UNGARN

50

100 km

Ljubljana

SLOWENIEN

Zagreb

RUMÄNIEN

K R O AT I E N

Belgrad

BOSNIENHERZEGOWINA SERBIEN

Sarajevo

BULGARIEN

Adria Anteile in % Albaner Bulgaren Kroaten Ungarn Mazedonier Montenegriner Moslems Serben Slowaken Slowenen keine Mehrheiten

MONTENEGRO Priština

Podgorica

keine Angaben

Kosovo Skopje

MAZEDONIEN Tirana keine Angaben 3,9 % Andere 5 10 15 20

ALBANIEN 25

30

GRIECHENLAND

35 %

5,4 % Jugoslawen Die ethnische Zusammensetzung Jugoslawiens zu Beginn der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts.

die Stadt einem „Hiroshima unserer Tage“ ähnele, schrieb ein Beobachter.1 Hinter den serbischen Linien verfolgte Milošević jedoch weiter seine Pläne, die besetzten kroatischen Gebiete in ein neu gebildetes, serbisch dominiertes Jugoslawien einzugliedern. Željko Ražnatović alias Arkan und seine paramilitärischen Kämpfer, die Tiger, wüteten unter den kroatischen Zivilisten, bestohlen, bedrohten, ermordeten und vergewaltigten sie. 172

Genozide nach dem Kalten Krieg

Mit der Eroberung Vukovars und der Besetzung Ostslawoniens trat das Element des Völkermords in die ethnischen Säuberungen ein. Am 19. November 1991 drangen Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee (JVA) und serbische Paramilitärs in ein Krankenhaus in Vukovar ein. Die meisten Kranken und Verwundeten wurden in ein „Internierungszentrum“ in einem nahe gelegenen Lagerhaus gebracht, wo die Gefangenen ausgeraubt und geschlagen wurden. Ein Teil der Verwundeten wurde daraufhin in ein Gefängnis in Sremska Mitrovica verlegt. Am nächsten Morgen trennten JVA-Offiziere laut dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) die Frauen und Kinder von den verbliebenen, häufig noch auf Bahren liegenden Männern und transportierten sie aus dem Internierungszentrum ab. Viele der Männer, Soldaten wie Zivilisten, wurden gefoltert und bewusstlos geschlagen, zwei von ihnen so schwer, dass sie starben. Ein Ermittler des ICTY sprach später von einer regelrechten „Prügelorgie“ in Vukovar.2 200 Gefangene wurden danach auf die Ovčara-Schweinefarm außerhalb von Vukovar gebracht, ermordet und in einem Massengrab verscharrt.3 Es war das erste, aber gewiss nicht das letzte Mal in diesem Krieg, dass die ethnische Säuberung von genozidalen Aktionen begleitet wurde. Die Ereignisse in Slowenien und Kroatien blieben nicht ohne Auswirkungen auf die übrigen Volksgruppen der jugoslawischen ­Föderation. Die Mazedonier, Montenegriner, Kosovo-Albaner und am verhängnisvollsten die Bosnier wollten ihre eigenen Pläne zur ­Unabhängigkeit vorantreiben, während die Serben ein von Belgrad dominiertes „Großserbien“ innerhalb der zerbröckelnden Grenzen Jugoslawiens zusammenzuhalten versuchten. Die Bewohner Bosnien-Herzegowinas waren überwiegend muslimisch (43 Prozent), es gab jedoch auch eine große serbische (31 Prozent) und kroatische Minderheit (17 Prozent). Vor dem Krieg zwischen Serben und Kroaten hatten sich Milošević und Tuđman darauf geeinigt, Bosnien unter sich aufzuteilen und eine kleine Enklave um Sarajevo für die Muslime zurückzulassen. Als Izetbegovićs muslimische „Partei der demokratischen Aktion“ ihren Willen zur Unabhängigkeit bekundete, rüsteten sich sowohl die bosnischen Serben als auch die bosni173

Genozide nach dem Kalten Krieg

schen Kroaten, um „ihre“ jeweiligen Ballungszentren in Bosnien innerhalb ihrer „Heimatgebiete“ zu behalten/verteidigen. Unter der Führung des aggressiven Nationalisten Radovan Karadžić (der später in Den Haag vor Gericht gestellt und unter anderem wegen Völkermords verurteilt wurde) gründeten die bosnischen Serben im Januar 1992 eine bosnisch-serbische Republik. Trotz Izetbegovićs anfänglicher Hoffnung, die Serben und Kroaten zur Beteiligung an einem neuen demokratischen Bosnien zu bewegen, kam es Anfang April zu offenen Feindseligkeiten zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen Bosniens. Besonders zu Beginn waren die Serben weit überlegen. Schlecht ausgerüstete bosnischmuslimische Polizeieinheiten hatten gegen die von der JVA ausgerüsteten serbischen Truppen und die Panzerfahrzeuge der noch jungen bosnisch-serbischen Armee kaum eine Chance. Die ethnischen Säuberungskampagnen der bosnisch-serbischen Armee und ihrer (von Belgrad unterstützten) verbündeten Milizen richteten sich gegen 3600 Städte und Dörfer in Bosnien-Herzegowina und Hunderttausende bosnischer Muslime.4 Ziel war es, die Muslime  – Männer, Frauen und Kinder  – aus ihren Häusern auf Gebiete zu treiben, die die Serben für sich beanspruchten. Die Säuberungsmaßnahmen unterschieden sich je nach Ortschaft und Größe der muslimischen Bevölkerung. In manchen Fällen gingen den Säuberungen von Städten direkte militärische Angriffe, unter anderem mit Panzer und Artillerie, voraus. In der Regel wurde das „Befreien“ von allen muslimischen Einwohnern jedoch den Milizen überlassen, die zum Teil nicht mehr waren als bewaffnete Banden rechtsgerichteter nationalistischer Schläger. Sie töteten, verstümmelten, vergewaltigten und schlugen Dorfbewohner zusammen, setzten ihre Häuser in Brand und verjagten sie, teils zu Fuß, teils in extra hierfür bereitgestellten Bussen. Den serbischen Paramilitärs schlossen sich ortsansässige Rekruten an, die in der Nähe ihrer Städte und Dörfer im Einsatz waren.5 So wurde die Gewalt unmittelbar und persönlich, da nun alte Rechnungen beglichen sowie neue erfunden wurden und Nachbarn sich gegenseitig angriffen.6 Serben, die ihren bosnischen Freunden zu helfen versuchten, wurden ausgesondert 174

Genozide nach dem Kalten Krieg

und von anderen Serben attackiert. Ziel war es, die muslimische Bevölkerung so zu terrorisieren, dass sie um ihr Leben fürchtete. Das völkermörderische Treiben gegen die muslimische Bevölkerung in den ersten Kriegsmonaten konzentrierte sich auf eine Reihe von provisorischen Gefangenenlagern und Gefängnissen, die die bosnischen Serben für ihre Opfer eingerichtet hatten. Bei ethnischen Säuberungen geht es ebenso sehr um Bestrafung wie um Vertreibung. Nirgendwo wurde dies deutlicher als in dem grauenhaften Gefängnislager Omarska, in dem rund 6000 Menschen Höllen­ qualen erlitten.7 Zwischen Mai und August 1992 „töteten, vergewaltigten, folterten, schlugen [die Wachen] die Gefangenen regelmäßig und offenkundig und setzten sie ständiger Demütigung, Erniedrigung und Todesangst aus“, so das Haager Tribunal.8 Željko Mejakić, der Lagerkommandant von Omarska, wurde vom Tribunal als Erster wegen Völkermords angeklagt.9 In Keraterm, einem Lager außerhalb von Prijedor, schienen die serbischen Wachen und Aufseher sich einen Spaß daraus zu machen, die Gefangenen regelmäßig mit jedem nur erdenklichen Gegenstand blutig zu schlagen: „Holzlatten, Metallstangen, Baseballschlägern, Stücken von dickem Industriekabel mit Metallkugeln am Ende, Gewehrkolben und Messern“.10 Bei den Prügelorgien kamen regelmäßig Menschen ums Leben. Die ethnischen Säuberungen gingen vielerorts mit Vergewaltigungen an Ort und Stelle einher, teils auch auf dem Transportweg und teils in speziell dafür vorgesehenen Vergewaltigungslagern, um die bosnischen Muslime zu schikanieren. So stellt der auf Interviews mit zahlreichen Vergewaltigungsopfern basierende Bericht von Helsinki Watch über Bosnien Folgendes fest. „Soldaten haben beim Angriff auf die Dörfer Frauen und Mädchen in ihren Häusern, vor Familienmitgliedern und auf dem Dorfplatz vergewaltigt. Frauen wurden festgenommen und während der Verhöre vergewaltigt. In einigen Dörfern und Städten wurden Frauen und Mädchen an Sammelstellen wie Schulen oder Turnhallen gebracht, wo sie wiederholt und mitunter tage- oder gar wochenlang zu Opfern von Vergewaltigung, Gruppenvergewaltigung und Missbrauch wurden. Andere Frauen wurden an-

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scheinend wahllos aus ihren Gemeinschaften oder aus einer Flüchtlingsgruppe herausgeholt und von Soldaten vergewaltigt.“

Wie es in dem Bericht weiter heißt, schilderten die interviewten Frauen, „wie sie von mehreren Männern vergewaltigt, wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit beschimpft und von ihren Vergewaltigern verflucht wurden, die offen zugaben, sie gewaltsam schwängern zu wollen, um so quälende Erinnerungen an die Vergewaltigung zu hinterlassen und das Trauma noch zu verschlimmern.“11 Für manche serbische Täter war Vergewaltigung eine Methode, um muslimische Identität zu zerstören und das gute „serbische Blut“ wiederherzustellen, das durch die lange Besetzung durch die Osmanen verunreinigt worden sei. Bosnische Frauen und Mädchen in ihrer Gewalt zu haben, entfesselte mitunter die sadistischen pornografischen Fantasien der von den Paramilitärs problemlos rekrutierten Fußballrowdys.12 Die Angriffe auf die bosnischen Muslime endeten zudem tödlich. Der Artilleriebeschuss von den Hügeln um Sarajevo kostete zahlreiche Muslime das Leben. Die ethnischen Säuberungen der bosnischen Serben gingen regelmäßig mit Morden und Hinrichtungen einher. Rund 100.000 Menschen verloren in Bosnien ihr Leben, 2,2 Millionen wurden bei den Kämpfen und ethnischen Säuberungen vertrieben, die weitaus größte Gruppe darunter Muslime. Bis General Ratko Mladić und die bosnisch-serbische Armee im Juli 1995 Srebrenica eroberten, hätte man jedoch nur schwer von einem „Genozid“ in Bosnien sprechen können, da die serbischen Aktionen gegen muslimische Zivilisten, so brutal und ­verwerflich sie auch waren, nicht die Art von zielgerichteten, geplanten Massenmorden waren, die man aus anderen Fällen von Völkermord kennt. Mit Srebrenica änderte sich dies deutlich. Die UN hatten die Region im April 1993 zur „Sicherheitszone“ erklärt, ihre Zivilbevölkerung wurde also theoretisch von einem Kontingent an UN-Soldaten geschützt  – in diesem Fall dem „Dutchbat“ oder niederländischen Bataillon von 570 leicht bewaffneten Soldaten unter der Flagge der 176

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UNPROFOR, der UN-Schutztruppe. Die Unfähigkeit der UNTruppen, sich angesichts der fehlenden Luftunterstützung oder ernsthafter Verstärkung dem bosnisch-serbischen Militär entgegenzustellen, war eklatant. Die Niederländer legten bemerkenswerte Gleichgültigkeit und mangelnden Mut an den Tag, als es am 2. Juli 1995 zu den ersten Übergriffen durch das Drina-Korps bosnischer Serben kam.13 Als die Serben ungehindert in die „Sicherheitszone“ eindrangen, hatte die Bevölkerung Srebrenicas aufgrund der vom Land fliehenden Muslime bereits stark zugenommen. Andere Muslime verließen die Stadt in Flüchtlingstrecks über die Berge in Richtung Žepa. Die meisten Muslime aus Srebrenica strömten zum Hauptquartier des Dutchbat in einer riesigen Batteriefabrik in Potočari im Norden. Trotz der Versuche niederländischer Soldaten, die Flüchtlinge nicht hereinzulassen, drangen mehrere Tausend Frauen und Männer, Junge und Alte, durch den Zaun auf das Gelände und in die Gebäude ein in der Hoffnung, Schutz vor den Truppen der bosnischen Serben zu finden. An die 20.000 hungrige und elende Flüchtlinge versammelten sich um die Umzäunung des ­Fabrikgeländes, ebenfalls in der Hoffnung, von den UN-Truppen gerettet zu werden. Das bosnisch-serbische Drina-Korps drang rasch nach Potočari vor. Ein Journalist beschrieb die Szene am Morgen des 12. Juli folgendermaßen. „Serbische Soldaten tauchten gegen Mittag auf dem Feld auf, zuerst nur fünf oder sechs, dann mehrere Dutzend. Die meisten waren sauber rasierte Männer mittleren Alters oder jünger. Sie trugen Armee- und Polizeiuniformen. Niederländische Truppen bildeten einen Gürtel um die Muslime, doch nachdem serbische Soldaten Gewalt angedroht hatten, wurden die Tore der UN-Basis geöffnet und die niederländischen Truppen erlaubten den Serben, sich ihre Waffen zu nehmen und ungehindert umherzuwandern. […] Frauen weinten. Von Sliwowitz betrunkene Soldaten stießen Lieder mit vulgären Texten aus. Sie feuerten Kugeln in die Luft und trugen die Männer fort.“14

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Für diejenigen außerhalb des Geländes bedeutete dies Prügel, Vergewaltigung und Chaos. Serbische Soldaten nahmen muslimische Männer gefangen und transportierten muslimische Frauen und Kinder in Bussen und Lkws in das muslimisch regierte Bosnien. Diese Transporte waren kein sicheres Geleit. Bosnisch-serbische Milizen hielten die Busse regelmäßig an, belästigten die Frauen und Mädchen auf der Suche nach Geld und Schmuck auf brutale Weise und holten gelegentlich ältere Jungen und Frauen heraus und führten sie ab. Ein Gericht in den Niederlanden befand das niederländische Bataillon und die niederländische Regierung im September 2013 für schuldig, die muslimischen Flüchtlinge den Serben überlassen zu haben, und machte sie für den Tod der Muslime mitverantwortlich.15 Als am selben Tag der Abtransport der Muslime fast beendet war, erschien der Befehlshaber der bosnisch-serbischen Armee, General Ratko Mladić. Männer und ältere Jungen wurden verhöhnt und erniedrigt, in manchen Fällen geschlagen und gefoltert und dann zu einer sogenannten Überprüfung in Internierungslager gesteckt. Dort wurden sie entweder erschossen, ihnen wurde die Kehle durchgeschnitten oder sie wurden per Lkw an andere Orte gebracht, wo sie schließlich hingerichtet und in Massengräbern verscharrt wurden. So schilderte ein Augenzeuge des Massakers in Srebrenica, Dražen Erdemović, wie Busladungen voller Männer mit verbundenen Augen und auf dem Rücken zusammengebundenen Händen auf die Killing Fields rund um die Stadt Potočari gefahren wurden. Dort wurden sie von Erschießungskommandos hingerichtet und in Massengräbern verscharrt. Erdemović beschreibt den Vorgang so: „Bald traf ein weiterer Bus ein. In jedem saßen etwa 60 Männer. Im Lauf des Vormittags musste das Erschießungskommando ständig weiterrücken, während sich das Feld reihenweise mit Leichen füllte.“ Die Toten wurden mit Planierraupen begraben. Schätzungen zufolge kamen in Srebrenica 7000 bis 8000 Menschen ums Leben.16 Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Madeleine ­A lbright, verurteilte die Tötungen im folgenden Monat im UN-­ Sicherheitsrat. Aufgrund von Luftaufnahmen von US-Aufklärungs178

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Menschliche Überreste werden noch am Fundort vorsortiert: Rippen, Schienbeine, Beckenknochen liegen nach der Exhumierung von Leichenteilen aus dem Bürgerkrieg (1992–1995) in Bratunac bei Srebrenica in ­Bosnien-Herzegowina auf einem Tuch (10. Juni 2010).

satelliten, auf denen Massengräber zu sehen waren, forderte sie eine Intervention der Vereinten Nationen. Srebrenica war in der Tat ein Wendepunkt, was die Interventionsbereitschaft des Westens nach Jahren des Zauderns anging. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag entschieden schließlich, dass das Massaker von Sreb­ renica als Genozid zu werten sei, da die bosnischen Serben versucht hatten, die bosnisch-muslimische Bevölkerung der Stadt durch die 179

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Vertreibung und Ermordung eines großen Teils von ihnen zu ­vernichten.17 Da die Militärhierarchie der bosnischen Serben direkt an der Kette von Ereignissen beteiligt gewesen sei, die zum Genozid führten, und Slobodan Milošević sowie Radovan Karadžić anscheinend in die Morde eingeweiht waren, stelle das gezielte Töten einer klar umrissenen Gruppe bosnischer Muslime in Srebrenica einen Genozid und kein wahlloses Massaker dar, so die Strafgerichtshöfe. Zur selben Zeit, als es auf dem Balkan zu Völkermord und ethnischen Säuberungen kam, erlebte das in der Region der Großen Seen in Subsahara-Afrika beheimatete Ruanda einige der schlimmsten Massaker des 20. Jahrhunderts. Das Gebiet der Großen Seen ist die Heimat der beiden größten Bevölkerungsgruppen, der Hutu und der Tutsi, die die politischen Systeme von Ruanda und Burundi beherrschen. Nach der von den deutschen und belgischen Kolonialbehörden propagierten „Hamitentheorie“ stammten die überwiegend viehzüchtenden Tutsi ursprünglich aus dem Norden, waren hochgewachsen, von anmutiger Gestalt, intelligent und in „rassischer Hinsicht“ den Ackerbau betreibenden Hutu überlegen, die als kleinwüchsig, gedrungen, „negroid“ und rückständig galten. Angesichts dieser Stereotype überrascht es kaum, dass die einheimischen Herrscher und die auf sie angewiesenen Kolonialregierungen die TutsiElite bevorzugten, der es sozial und wirtschaftlich weitaus besser ging als den entsprechenden Hutu. Die Belgier stellten Tutsi und Hutu Personalausweise, aus denen ihre ethnische Zugehörigkeit eindeutig hervorging, aus und untergruben so die relativ fließenden interethnischen Kontakte zwischen ihnen, darunter Mischehen und wirtschaftliche Verflechtungen.18 Vor dem Kolonialismus beruhten die Unterscheidungen zwischen Hutu und Tutsi eher auf ihrer Abstammung als auf ihrer ethnischen Herkunft. Durch Heirat oder zunehmenden Wohlstand konnte sich die eigene Bezeichnung ändern. Obwohl Tutsi und Hutu viele Gemeinsamkeiten hatten, darunter Sprache und religiöse Überzeugungen, wurden die Unterschiede zwischen ihnen durch die Erfahrung mit dem Kolonialsystem indirekter Herrschaft durch die örtlichen Tutsi-Eliten festgeschrieben. 180

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Die Brudermorde zwischen den Hutu und Tutsi, die einen so großen Teil der Geschichte der Region um die Großen Seen seit der Unabhängigkeit Anfang der 1960er-Jahre prägen, muss man sich als einheitliches Narrativ mit zahlreichen komplexen und sich überlappenden Geschichten vorstellen. Es gibt nicht den einen Anfang und es gibt leider kein abschließendes Ende. In den mündlichen Traditionen der beiden Völker wurden Geschichten von einstigen Misshandlungen und Massakern seitens des jeweils anderen Volkes in Liedern und Gedichten weitergegeben, sei es an den Orten dieser Massaker oder in einem der anderen Länder der Region um die ­Großen Seen im Exil.19 Über weite Strecken seiner 40-jährigen Geschichte herrschte in Ruanda vor dem Jahr 1994 ethnischer Frieden und kein ethnischer Konflikt.20 Die mehrheitsentscheidenden Hutu in Ruanda waren sich jedoch durchaus der Gefahren bewusst, die angesichts der postkolonialen Geschichte aggressiver Tutsi in Burundi von einem von den Tutsi dominierten Militär für sie ausgingen.21 Zu diesen Befürchtungen kam hinzu, dass es in Burundi nach verschiedenen Aufständen der Hutu 1993 zu Angriffen der Tutsi-Armee gekommen war und bis zu 300.000 verängstigte Hutu-Flüchtlinge von Burundi nach Ruanda geflohen waren.22 Abgesehen von diesen regionalen Wirren, hatten die aus Ruanda stammenden Tutsi-Flüchtlinge in Uganda die Ruandische Patriotische Front (RPF) gebildet, deren militärischer Flügel in der Phase des Bürgerkriegs (1990–1993) wiederholt in Ruanda eingedrungen war. Die Hutu hatten Angst, dass die  – wegen ihrer nächtlichen grenzüberschreitenden Angriffe als inyenzi (Kakerlaken) und wegen ihres angeblich heimtückischen Vorgehens als „Schlangen“ bezeichneten  – Tutsi die Macht in Ruanda übernehmen und ihre Felder wieder in Besitz nehmen würden, die zwischenzeitlich an die Hutu gegangen waren. Die Angriffe der RPF dienten den Hutu somit als bequeme Ausrede, um die Tutsi im eigenen Land festzunehmen, zu verfolgen und zum Teil zu töten. Das Arusha-Abkommen vom August 1993 sah eine Waffenruhe zwischen der den Norden Ruandas beherrschenden RPF und der 181

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Hutu-Regierung in der Hauptstadt Kigali vor. Bis zur Abhaltung von Wahlen forderte es außerdem einen Übergangsprozess der Machtteilung zwischen Hutu und Tutsi. Darüber hinaus sah es die Einrichtung einer UN-Truppe (UNAMIR) für Ruanda unter der Leitung des kanadischen Generals Roméo Dallaire vor. Diese Ereignisse riefen Hutu-Extremisten auf den Plan, die dem langjährigen Präsidenten Juvénal Habyarimana – einem moderaten Hutu – kritisch gegenüberstanden; sie verlangten von ihm den Schutz ihrer Privilegien gegen ein mögliches Vordringen der Tutsi. Zugleich gründete der radikale Jugendflügel der Präsidentenpartei zu Beginn der 1990er-Jahre von der ruandischen Armee und Polizei ausgebildete Milizen namens Interahamwe („diejenigen, die zusammen kämpfen“), die eine entscheidende Rolle beim Völkermord spielen sollten. Einige von ihnen erstellten Todeslisten von Tutsi, die im Fall eines Konflikts ermordet werden sollten.23 Der wachsende Nationalismus der „Hutu-Power“-Bewegung und die Anti-Tutsi-Propaganda des wichtigen Radiosenders extremistischer Hutu trugen trotz der offiziellen Fortschritte des Arusha-Abkommens zu den Spannungen im Land bei. General Dallaire war angesichts der ihm von einem Informanten der Interahamwe zugespielten Angriffspläne auf belgische Soldaten und Parlamentsabgeordnete sowie des Aufdeckens eines Waffenverstecks so besorgt, dass er seine Vorgesetzten bei den UN am 11. Januar 1999 per Fax um die Erlaubnis zur Beschlagnahmung der Waffen bat. Seine Bitte wurde abgelehnt. Dallaires Informant ließ außerdem durchsickern, dass die Milizen der Interahamwe dafür ausgebildet worden seien, bis zu 1000 Tutsi in 20 Minuten zu töten.24 Das Land war in einem derart zerrüttetem Zustand, dass das Flugzeug mit dem ruandischen Präsidenten Habyarimana und dem burundischen Präsidenten Ntaryamira an Bord auf dem Rückweg von Friedensgesprächen in Daressalam am 6. April 1994 über dem Flughafen von Kigali abgeschossen wurde; wer die Täter waren, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Fast unmittelbar nach der Nachricht von Habyarimanas Tod begann die Präsidentengarde – vermutlich auf Befehl der improvisier182

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ten Interimsregierung von Hutu-Power unter Führung von Oberst Théoneste Bagosora –, wichtige Tutsi-Politiker und Hutu hinzurichten, die bekanntermaßen einer Koalitionsregierung wohlwollend gegenüberstanden. Unter den ersten Toten waren Minister der Koalitionsregierung, darunter die Premierministerin, der Präsident des Obersten Gerichtshofes und fast alle Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei. Genau wie Dallaire vorhergesagt hatte, erschossen ruandische Armeesoldaten zehn belgische UN-Soldaten, woraufhin sich das belgische Kontingent aus UNAMIR zurückzog und die Schlagkraft der UN zur Eindämmung des Konflikts faktisch zum Erliegen brachte. Unterdessen flammten die Kämpfe zwischen den Truppen der Ruandischen Patriotischen Front (RPA) und der ruandischen Armee erneut auf; das Vorrücken der RPA zwang die Interimsregierung zur Flucht nach Gitarama, wo das Blutbad an den Tutsi und den gemäßigten Hutu weiterging. In den Regionen wurden Straßensperren errichtet, die von der Interimsregierung kontrolliert wurden und mit ruandischen Armeeangehörigen und Milizen besetzt waren. Tutsi wurden entweder auf der Stelle getötet oder verhaftet und inhaftiert. Unter den Milizen kursierten Todeslisten von Tutsi und moderaten Hutu, die daraufhin verfolgt und ermordet wurden. Die militante Hutu-Propaganda verbreitete das Gerücht, die Tutsi hätten Habyarimana ermordet; normale Hutu-Bürger wären als Nächstes an der Reihe, wenn sie die Tutsi nicht vorher aus dem Weg räumten. Das Massaker von Hutu-Milizen und mit Macheten bewaffneten Zivilisten an den Tutsi „entwickelte sich zu einem Flächenbrand“.25 Militante riefen patriotische Hutu nun dazu auf, ihre Tutsi-Feinde niederzumetzeln. Als Radio Ruanda am 12. April 1994 folgende Durchsage machte, brauchte es die Tutsi nicht namentlich zu nennen: „Wir müssen uns gegen den Feind verbünden, den einzigen Feind, und dies ist der Feind, den wir schon immer gekannt haben. […] Es ist der Feind, der die einstige Feudalmonarchie wiederherstellen will.“26 Das Massaker an Tutsi-Männern und -Frauen aller Altersklassen war barbarisch und radikal. Ein Propagandist der Hutu wetterte, beim früheren Abschlachten der Tutsi seien Tutsi183

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Kinder versehentlich am Leben geblieben; ein anderer Hutu-Extremist verkündete, die Tutsi würden vollständig vernichtet werden, damit „ihre Kinder später einmal ein Geschichtsbuch aufschlagen müssen, um zu wissen, wie ein Tutsi aussieht“.27 Da die ruandische Gesellschaft nach väterlicher Erbfolge organisiert ist, wurden die Tutsi-Frauen von Hutu und ihre Kinder gelegentlich verschont, die Hutu-Frauen von Tutsi mancherorts ebenfalls, ihre Kinder wurden jedoch in der Regel umgebracht. Falls Hutu sich weigerten, sich an dem Morden zu beteiligen, wurden sie von ihren Landsleuten geschlagen und schikaniert. Hutu, die die Täter zu beschwichtigen versuchten, wurden ebenfalls bedroht. So bemerkte ein Augenzeuge: „Sie nannten dich einen Komplizen und, wenn du den Namen hattest, wurdest du wie alle anderen umgebracht.“28 Hutu, die Tutsi-Freunde oder -Verwandte vor den Milizen versteckten, wurde häufig ebenfalls umgebracht und mussten zum Teil ihre Freunde, Nachbarn und Verwandten eigenhändig töten. Die Gemetzel gingen mit Plünderungen einher, da die Täter offenbar das Bedürfnis hatten, das Eigentum der Tutsi zu stehlen, ihr Vieh zu töten und zu verspeisen sowie ihre Häuser niederzubrennen, um eine Rückkehr der Tutsi zu verhindern. Die Massentötungen waren häufig von Vergewaltigungen und der sexuellen Versklavung von Tutsi-Frauen und -Mädchen begleitet. Frauen wurden vor ihrem Tod gefoltert und auf grausamste Weise missbraucht. Vergewaltigungen waren so weit verbreitet und wurden so systematisch eingesetzt, dass der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda sie in der Anklageschrift nicht nur als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (zu denen Vergewaltigung, Folter, Zwangsdeportation und ähnliche Verstöße offiziell gehören), sondern explizit als Völkermordhandlung aufführte. Die Ankläger fanden Beweise dafür, dass die Interahamwe Tutsi-Frauen nackt umherführten, um „deren Schenkel“ zur Schau zu stellen, und spekulierten, „wie eine Tutsi-Frau wohl schmeckt“. „Diese sexualisierte Darstellung ethnischer Identität verdeutlicht auf anschauliche Weise, dass Tutsi-Frauen sexueller Gewalt ausge-

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setzt waren, weil sie Tutsi waren. Sexuelle Gewalt war ein Schritt auf dem Weg zur Vernichtung der Tutsi als Gruppe  – der Vernichtung des Geistes, des Lebenswillens und des Lebens selbst.“29

Zwischen dem Absturz des Präsidentenflugzeugs am 6. April und dem Sturz der Interimsregierung sowie der Machtergreifung der RPF in Ruanda am 18. Juli 1994 wurden über 800.000 Menschen getötet, rund 8000 pro Tag. Drei Viertel der Tutsi in Ruanda wurden ausgelöscht. Unter den Opfern waren bis zu 50.000 Hutu.30 Hätte die RPF nicht interveniert, wäre wohl kein Tutsi den Fängen des völkermörderischen Programms der ruandischen Regierung entkommen. Bei ihrer Machtübernahme in Ruanda forcierte die RPF unter Führung des Tutsi Paul Kagame ein Programm weitverbreiteter Ver-

18. Juli 1994: ein Mädchen vor Opfern eines Angriffs von Tutsi-Rebellen in Goma in Zaire. Bei den Massakern in der Folge des Bürgerkriegs zwischen ruandischen Regierungstruppen (Hutu) und den Rebellen der Patriotischen Front (FPR), die von der Minderheit der Tutsis dominiert wurde, wurden innerhalb von 100 Tagen mehr als 800.000 Menschen ermordet.

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geltungsmorde an den Hutu. Die Hutu waren angesichts möglicher Angriffe seitens der Tutsi ohnehin so in Angst, dass Millionen von ihnen nach Tansania, Uganda und insbesondere Zaire (seit 1997 Demokratische Republik Kongo, DRC) flohen. Rund eine Million (manche sprechen von 1,5 Millionen) Hutu-Zivilisten sowie die mehr oder weniger intakte Zivilregierung und Armeestruktur flohen nach Ostzaire westlich von Ruanda. Bis zu einer Million Hutu flüchteten wahrscheinlich nach Tansania im Osten. Unter den nach Zaire Fliehenden befand sich auch die Führung der Interahamwe, darunter viele der eifrigsten Drahtzieher des Genozids in Ruanda. Die Flüchtlingslager in Nord- und Südkiva, den östlichen Provinzen von Zaire, verwandelten sich rasch in Zentren, die unter der Kontrolle der Hutu und ihrer politischen Ambitionen standen. „Der Feind war noch nicht besiegt“, kommentierte ein hellsichtiger Journalist. „Er war nur fortgelaufen.“31 Die Schrecken der brüdermörderischen Angriffe zwischen Tutsi und Hutu setzen sich bis heute im Ostkongo fort, wo Unterentwicklung, verlockende Bodenschätze, die territorialen Ambitionen der ruandischen Regierung und das Versagen der militärischen und rechtlichen Institutionen des Kongo erschwerend hinzukommen. So wie Tutsi und Hutu nicht als fixe ethnische Kategorien gelten können und doch zu Markern für Mord und Genozid wurden, so prägten widersprüchliche Identitäten zu Beginn des 21.  Jahrhunderts auch die Massaker im westsudanesischen Darfur. Die Täter waren zumeist Angehörige der sogenannten Dschandschawid-Milizen, einer mehrheitlich arabischen Volksgruppe. (Sowohl Täter als auch Opfer waren Muslime.) Dschandschawid bedeutet „bewaffnete Männer [Teufel] auf Pferden“, was bereits darauf hindeutet, dass diese Milizen überwiegend aus Pferde- bzw. Kamelreitern bestanden. Die Dschandschawid griffen vor allem drei Stämme schwarzafrikanischen Ursprungs an und bezeichneten ihre Opfer als „Schwarze“ oder „Sklaven“: die Fur, die Zaghawa und die Masalit. Diese Volksgruppen waren unterschiedlicher ethnischer Herkunft; ihre auffälligsten Unterschiede waren jedoch nicht notwendigerweise ethnischer, sondern vielmehr sozialer und ökonomischer Art. 186

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Die schwarzafrikanischen Gruppen in Darfur betrieben überwiegend dörfliche Landwirtschaft, während die Dschandschawid mehrheitlich aus arabischen Hirtennomaden bestanden, die über Wasser, Land und andere Ressourcen mit den Dorfbewohnern in Konflikt gerieten. Wie in andern Gegenden Nordafrikas verwandelten sich die Anbau- und Weideflächen Darfurs zunehmend in Wüste. Wie in Ruanda verfestigten sich auch in Darfur ethnische Kategorien durch den Kampf, der sich erstmals 2002 und 2003 mit der Bildung von Rebellengruppen unter den schwarzafrikanischen Stämmen abzeichnete. Ihr Ziel war es, die Ressourcen des Sudan gerechter unter der Hauptstadt Khartum bzw. ihrem unmittelbaren Umland und dem Rest des riesigen Landes – vor der Unabhängigkeit des Südsudan 2011 das größte Land Afrikas – zu verteilen. Als verschiedene Dürren und Nahrungsmittelknappheit die Landund Wasserkonflikte in den 1990er-Jahren verschärften, eskalierte die Gewalt zwischen den arabischen Nomadenhirten und schwarzafrikanischen Bauern. Im Frühjahr 2003 griffen die Rebellen sudanesische Militär- und Polizeieinrichtungen an. Die sudanesische Regierung unter dem Präsidenten Omar al-Baschir reagierte mit aller Härte, nämlich mit einem totalen Krieg gegen die schwarzafrikanischen Stämme Darfurs. „Die Niederschlagung der Rebellion hat von nun an für uns Vorrang“, so al-Baschir im Dezember 2003, „und jedes gesetzlose Element ist unser Ziel. […] Wir werden die Armee, die Polizei, die Mudschaheddin, die Reiter dazu einsetzen, um uns von der Rebellion zu befreien.“32 Aus der Sicht Khartums hatten die rebellischen Stämme die Kämpfe in Darfur begonnen, sodass man ihnen mit entsprechenden Gegenmaßnahmen begegnete. Die von al-Baschir erwähnten „Mudschaheddin“ waren die Dschandschawid-Milizen, die von der sudanesischen Regierung bewaffnet und bezahlt wurden, um die Rebellen anzugreifen, schwarzafrikanische Ortschaften zu säubern und den Widerstand der Einwohner zu brechen. Da man den Dschandschawid unter anderem Land aus dem Besitz ihrer Opfer versprochen hatte, gingen sie bei den ethnischen Säuberungen entsprechend „gründlich“ vor.33 Im Herbst 2003 und Anfang 2004 nahmen diese Angriffe ein besonders 187

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Sudans Präsident Omar Hassan al-Baschir bei einem Treffen mit Ägyptens Präsident Hosni Mubarak 2009 in Kairo. 2010 erhob der Internationale Strafgerichtshof gegen ihn wegen des Vorwurfs des Völkermords Anklage.

bedrohliches Ausmaß an. Neben der Luftunterstützung unter anderem mit Kampfhubschraubern eröffnete die sudanesische Armee gelegentlich den Konflikt, indem sie vermeintliche Zentren der Rebellenunterstützung attackierte. Die Angriffe fanden in der Regel in den frühen Morgenstunden statt und wurden von Überfällen der Milizen begleitet, die die Dörfer verwüsteten, Häuser in Brand steckten, Frauen vergewaltigten und die Bewohner wahllos erschossen. Es kam zu entsetzlichen Szenen, da die Regierung es den Dschandschawid offenbar überließ, nach Belieben zu plündern und zu vergewaltigen. Etliche Mädchen und Frauen wurde Opfer von Entführungen, Gruppenvergewaltigungen und fortgesetzten Vergewaltigungen. Auf diese Weise wollten die „überlegenen“ arabischen Dschandschawid die vorgeblich minderwertigen Schwarzafrikaner wohl auf besonders perfide Weise beleidigen und erniedrigen. Viele Frauen und Mädchen wurden schwanger; manchen wurde gesagt, sie würden überlegene arabische Babys gebären. So berichtete ein Opfer: „Sie töten unsere Männer und verdünnen unser Blut durch Vergewaltigung. [Sie] wollen uns als Volk auslöschen, unsere Ge188

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schichte beenden.“34 Die dörfliche Infrastruktur wurde zerstört; landwirtschaftliche Geräte und Ernten wurden dem Erdboden gleichgemacht, Bewässerungspumpen gesprengt und Brunnen vergiftet, damit niemand zurückkehrte. In manchen Fällen suchten die Dschandschawid den Ort des Angriffs erneut auf, um sicherzustellen, dass die Überlebenden nicht zurückkehrten oder Einzelne dort verblieben  – eine übliche Taktik von Völkermördern. Über 700 Dörfer wurden ganz oder teilweise zerstört.35 Um zu entscheiden, ob die Gewalt in Darfur als Genozid bezeichnet werden soll, interviewte das US-Außenministerium 1136 zufällig ausgewählte Flüchtlinge aus einer Gruppe von rund 200.000 Flüchtlingen im Tschad. Die Ergebnisse belegen das Ausmaß der Gewalt, unter der die Flüchtlinge bei Angriffen der Dschandschawid litten. 61 Prozent der Befragten berichteten von der Ermordung eines Familienmitglieds; 16 Prozent hatten Vergewaltigungen mit angesehen oder persönlich erlebt (häufig nicht nur einmal); 81 Prozent berichteten von der Zerstörung ihrer Dörfer.36 In einem Interviewbericht aus dem Flüchtlingslager Gaga im Osten des Tschad beschreibt ein Befragter die Angriffe folgendermaßen. „Die [sudanesische] Regierung griff uns mit Flugzeugen und Lkws an und die Dschandschawid kamen auf Pferden und Kamelen und zu Fuß. Sie kamen in den frühen Morgenstunden vor Sonnenaufgang, als ich noch schlief. Ich wusste, dass es sich um einen Angriff handelte, weil ich das Geräusch von Waffen aus den Flugzeugen und Lkws hörte. So wie ich die Geräusche hörte, stand ich auf und lief von der Hütte weg. Während wir wegliefen, hörte ich den Schrei eines Dschandschawid: ,Nuba afnine‘ [Nuba-Drecksstück]. Ich weiß nicht, wie viele Dschandschawid und Soldaten dort waren, vielleicht um die 200. Mehr als ich zählen kann. Vielleicht 20 grüne und schwarze [getarnte] Land Cruiser und Hunderte von Pferden und Kamelen. Die Soldaten und Dschandschawid verfolgten uns und schossen immerfort auf Männer und Jungen. Viele verloren ihr Leben. Sie nahmen Männer auch gefangen und schlitzten ihnen mit langen Messern Arme und Beine auf und trennten diese ab. […] Manche der Männer ohne Beine konnten sich bewegen, andere nicht.“37

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Das Problem vieler Fur-, Masalit- und Zaghawastämme bestand darin, dass sie von ihren Gebieten in Städte oder Auffanglager in Darfur vertrieben wurden, die schutzlos den Dschandschawidund Regierungssoldaten ausgeliefert waren. Fast 1,65 Millionen (von insgesamt 6 Millionen) Menschen wurden zu Binnenvertriebenen innerhalb Darfurs. Die UN-Kommission beschrieb das Schicksal der Menschen von Kailek, eines überwiegend von Fur besiedelten Dorfes im Süden von Darfur. Das Dorf hatte für die aus ihren Häusern vertriebenen Bewohner der Umgebung als Treffpunkt gedient. Die Dschandschawid kehrten zurück, vertrieben die Bewohner und brachten sie bei ihrer Flucht über die Berge „zur Strecke“. Dem UN-Bericht zufolge wurden die „Menschen erschossen, als sie vor Durst ihre Verstecke verließen, um zu den Wasserstellen zu gehen“. Wer kapitulierte, wurde „kurzerhand erschossen und getötet“. Wer nach Kailek zurückkehrte und festgenommen wurde  – und dies waren insgesamt rund 30.000 Menschen –, wurde auf engstem Raum zusammengepfercht. Viele fielen Folter und Hinrichtungen zum Opfer. „Männer, die in Kailek eingesperrt waren, wurden aufgerufen und vor allen anderen erschossen.“ „Es gibt Berichte von Menschen, die auf Feuer geworfen wurden, damit sie bei lebendigem Leib verbrannten. Es gibt Berichte von Menschen, denen teilweise die Haut abgezogen wurde oder die andere Verletzungen erlitten und dem Tod überlassen wurden.“38

Ähnlich wie in Bosnien und in Ruanda war Vergewaltigung für die vertriebenen schwarzafrikanischen Frauen in Darfur eine ernste und ständige Bedrohung. In Tawila in Süddarfur wurde im Februar 2004 ein Mädcheninternat angegriffen. Die Dschandschawid verschafften sich gewaltsam Zutritt zur Schule, „richteten die Gewehre auf die Mädchen und zwangen sie, sich auszuziehen“, während sie ihre Sachen und Wertgegenstände an sich nahmen. Daraufhin wurden alle 110 Mädchen vergewaltigt und missbraucht.39 In anderen Orten entführten die Dschandschawid Mädchen und Frauen tage-, manchmal wochenlang, um sie in Dschandschawid-Lagern sexuell 190

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zu misshandeln. In Wadi Tina in Norddarfur berichtete eine Frau von wiederholten Vergewaltigungen. „Im Lauf einer Woche wurde ich 14 Mal von verschiedenen Dschandschawid vergewaltigt. Ich sagte ihnen, sie sollten aufhören. Sie sagten: ,Ihr seid Frauen von Tora Bora und wir werden nicht damit aufhören.‘ Sie nannten uns Sklavinnen und schlugen uns häufig mit Lederriemen oder mit der Faust und gaben uns Ohrfeigen. Ich hatte Angst um mein Leben, wenn ich nicht mit ihnen schlief.“40 Manchmal brandmarkten die Dschandschawid die von ihnen vergewaltigten Mädchen sogar, um sicherzustellen, dass sie ausgestoßen und erniedrigt wurden.41 Wiederholte Verhandlungen über ein Ende des Darfur-Konflikts scheiterten von vornherein am fehlenden Interesse der Regierung in Khartum und der mangelnden Geschlossenheit der Rebellentruppen, die sich über ihre Forderungen an die Regierung häufig uneins waren. Obwohl seit dem Höhepunkt in den Jahren 2003–2004 ein Rückgang der Gewalt in Darfur zu verzeichnen ist, ist die Region für Schwarzafrikaner keineswegs sicher. Viele Hunderttausend Schwarzafrikaner leben noch immer in Flüchtlingslagern im Tschad sowie in Darfur und leiden unter unzureichender Ernährung und lebensgefährlichen Bedingungen. Unterdessen hat Khartum mit völkermörderischen Anschlägen auf Schwarzafrikaner eine weitere Front zur Rebellenbekämpfung eröffnet. Diese befindet sich in den Nuba-Bergen an der Grenze zum neu geschaffenen Südsudan. Dort kämpften Rebellentruppen jahrelang unter der Flagge der Sudanesischen Befreiungsarmee um die Kontrolle ihrer eigenen Ressourcen und politischen Struktur. Die sudanesische Armee hatte bereits Mitte der 1990er-Jahre völkermörderische Angriffe gegen die Nuba unternommen.42 Da die Nuba in den Friedensgesprächen zur Gründung des Südsudan nicht berücksichtigt wurden, nahm die sudanesische Luftwaffe sie zeitweise in Tiefflugeinsätzen unter Beschuss. Das Ergebnis war nur noch mehr Gewalt, mehr Hunger und Krankheiten, mehr Todesfälle und mehr Vertreibungen. Die Anzahl der Opfer, die im Darfurkonflikt „getötet“ wurden, ist äußert schwierig zu beziffern. Angesichts der harten Lebens­ 191

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bedingungen als Binnenflüchtlinge oder Flüchtlinge im Tschad starben so viele Menschen an Strapazen und Krankheit, dass ihre Anzahl schwer abzuschätzen ist. Verschiedene Quellen gehen davon aus, dass von 2003 bis 2010 zwischen 300.000 und 400.000 Menschen ihr Leben infolge von Angriffen der sudanesischen Armee und der Dschandschawid verloren.43 80 Prozent von ihnen starben an Krankheit, Mangelernährung und fehlender Behausung.44 Als die Verheerungen in Darfur zum ersten Mal ins Blickfeld der internationalen Aufmerksamkeit rückte, kam die US-amerikanische Regierung von Präsident George W. Bush, angeführt von Außenminister Colin Powell, im September 2004 zu dem Schluss, dass es sich bei den Morden in Darfur um Völkermord handele, für den die sudanesische Regierung von General Omar al-Baschir verantwortlich sei.45 Die UN erklärten sich bereit, al-Baschirs Politik als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verurteilen, wiesen jedoch explizit die Forderung zurück, das Vorgehen Khartums in Darfur als Genozid zu werten.46 Im März 2009 erhob der Internationale Strafgerichtshof Anklage gegen al-Baschir wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und stellte einen Haftbefehl gegen ihn aus. Die Staatsanwaltschaft kam später jedoch zu dem Schluss, dass er sich zudem des Völkermords schuldig gemacht habe, und überzeugte im Juli 2010 den Gerichtshof, einen zweiten Haftbefehl wegen Völkermords auszustellen. Viele Hintergründe der Motive al-Baschirs und der Befehlskette von Khartum zu den Dschandschawid-Mördern liegen noch immer im Dunkeln. Die Anklage des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Völkermords stützt sich auf umfangreiches Dokumentationsmaterial. Al-Baschir weigert sich jedoch, sich und andere sudanesische Angeklagte der Zuständigkeit des Gerichtshofs zu unterwerfen und ist auf seinen Auslandsreisen bislang nicht verhaftet worden. Die Morde und Vergewaltigungen in Bosnien haben ein Ende gefunden. Die Gründung einer serbischen Teilrepublik als eigener Entität innerhalb der Föderation Bosnien-Herzegowina – das Ergebnis des Dayton-Abkommens von 1995 – hat zu unzähligen Problemen für eine effiziente Regierungsführung in Bosnien geführt. Eine ähn192

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liche Mammutaufgabe für die Einheit Bosniens sind die unverheilten Wunden der ethnischen Säuberungen, des Völkermords und der Massenvergewaltigungen der Opfer. Die Täter – in diesem Fall die bosnischen Serben  – leugnen weitestgehend den Völkermord und beharren darauf, ebenso sehr zu den Opfern zu gehören wie die bosnischen Muslime. Das macht jegliche Versöhnungsbereitschaft oder Aussöhnung nur noch schwieriger für die bosnischen Muslime, die um ihre in Srebrenica umgekommenen Männer und Jungen trauern und noch immer Leichenteile aus Massengräbern in der ganzen Region identifizieren. Die Erinnerung an die Militärschläge der Tutsi auf die Hutu in Burundi war ein wichtiges Motiv für die Schaffung der „HutuPower“-Bewegung in Ruanda, die sich dann mit außergewöhn­ lichem Furor gegen die Tutsi wandte und innerhalb weniger Monate Hunderttausende tötete. Die Tutsi-Führung in Ruanda verwendete Bilder jenes Genozids, um ihre eigenen Übergriffe auf die Demokratische Republik Kongo zu rechtfertigen – mit der Begründung, man schütze nur das eigene Volk vor erneuten Angriffen der Hutu und ihrer Verbündeter. Die Folgen dieser über Jahre andauernden ethnisch aufgeladenen Morde, Vergewaltigungen, Vertreibungen und Aktionen krimineller Banden sind unabsehbar. Die Gewalt in Darfur hat zwar nach ihrem Höhepunkt 2003/2004 nachgelassen, die Auswirkungen der Gewalt bestimmen das Leben der Bevölkerung jedoch bis heute. Zwar sind manche Opfer in Darfur aus den Flüchtlingslagern „nach Hause“ zurückgekehrt, doch wurden ihre Dörfer und Felder größtenteils zerstört. Sporadische Bemühungen um Aussöhnung zwischen der sudanesischen Regierung und der schwarzafrikanischen Bevölkerung werden durch anhaltende Angriffe einiger Rebellenparteien auf staatliche Einrichtungen und vereinzelte Vergeltungsschläge der Regierung und ihrer Dschan­ dschawid-Verbündeten konterkariert. Die Fälle von Bosnien, Ruanda und Darfur sind zwar aus den Schlagzeilen verschwunden, doch die Nachwirkungen des Völkermords sind bis heute spürbar.

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enozide sind ein geradezu allgegenwärtiger Bestandteil zahlreicher Gründungsdokumente der menschlichen Zivilisation. Das Alte Testament, Homers Ilias und Thukydides’ Geschichte der Peloponnesischen Kriege schildern Völkermorde, obwohl diese Ereignisse schwach und historisch unzureichend dokumentiert sind. In der Antike war das Blutvergießen, das mit dem  – politisch, religiös oder ­sozial motivierten – Aussondern und Angreifen bestimmter Gruppen von „anderen“ einherging, sogar noch stärker verbreitet als in neuerer Zeit. Eine der Grundaussagen dieser kurzen Studie ist die, dass die Genoziddefinitionen des ausgehenden 20. Jahrhunderts bei der Theoretisierung des Problems des Massenmordes zu Unrecht den „modernen“ Genozid in den Vordergrund rücken und die longue durée unberücksichtigt lassen. Dies gilt ausdrücklich nicht für Raphael Lemkin, der den Begriff „Genozid“ prägte, eine fundierte Definition und die erste weltgeschichtliche Studie des Phänomens vorlegte. Die Eroberung Amerikas durch die Spanier sollte als genozidales Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung betrachtet werden. Wie bei den Genoziden der Antike wurden seine Opfer häufig versklavt und starben an Auszehrung und Krankheit. Die Spanier führten eine neue rassische Komponente in das Denken über die Ureinwohner ein. Die Indios waren minderwertige Wesen und keine wirklichen Menschen, die man mit gutem Recht ihrer Freiheit und ihres Lebens berauben durfte. Im eurasischen Mongolenreich zwei Jahrhunderte zuvor hatten rassische Überlegungen keine Rolle gespielt. Die Völkermorde der Mongolen waren vielmehr vom mörderischen Imperativ unangefochtener Herrschaft motiviert: Unterwerft sie euch als Volk oder vernichtet sie – wie es vielerorts geschah. Mit der Expansion europäischer Imperien kam ein weiteres entscheidendes Element zur Geschichte des Genozids hinzu: der Konflikt zwischen den Weidewirtschaft betreibenden Siedlern, die den 194

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Weg des Imperiums begleiteten oder ihm folgten, und der Subsistenz­ wirtschaft der Ureinwohner, die als Jäger und Sammler oder als Hirtenvolk lebten. Die Frage, wer Anrecht auf das Land hatte, entschieden die Siedler nachdrücklich und gewaltsam zu ihren Gunsten. Damit sahen sich die nordamerikanischen Indianer, die Abo­rigines in den Antipoden, afrikanische Eingeborenenstämme und andere völkermörderischen Angriffen und einem Kampf ums nackte Überleben ausgesetzt. Koloniale Methoden des Völkermords  – Konzentrationslager, Zwangsdeportationen, Landnahme, Hungertod und rassistische Kategorisierungen – fanden im Ersten Weltkrieg ihren Weg zurück auf den europäischen Kontinent. Der Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika war in vielerlei Hinsicht ein Vorbote der Massenmorde, die den europäischen Kontinent während des Ersten und Zweiten Weltkriegs ereilen sollten. Der Angriff der osmanischen Regierung auf die armenische Bevölkerung im Jahr 1915, der sich kürzlich zum hundertsten Mal jährte, sollte in erster Linie vor dem geschichtlichen Hintergrund des Untergangs des Osmanischen Reiches, dem Aufstieg der Jungtürken und der existenziellen Bedrohung durch den Ersten Weltkrieg betrachtet werden. Hitlers Bekämpfung der Juden, Sinti und Roma, sowjetischer Kriegsgefangener und anderer leitete sich vor allem aus innerdeutschen Umständen ab und ging insbesondere auf den Ersten Weltkrieg und seine enormen psychologischen, emotionalen, territorialen, wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen auf die Deutschen zurück. Natürlich spielte auch der deutsche Antisemitismus  – in seiner traditionellen Form wie auch in seiner virulenten Neuauflage durch die Nazis – eine entscheidende Rolle. Hitler war sich bekanntlich des Völkermords an den Armeniern und der mangelnden internationalen Reaktion auf ihn bewusst. Ihm war klar, dass die internationale Gesellschaft sich seinen mörderischen Plänen nicht entgegenstellen würde. Mit einer etwas weiter gefassten Definition von Genozid als der der UN-Konvention von 1948, einer Definition nämlich, die die 195

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vorsätzliche Vernichtung von sozialen und politischen Gruppen einbezieht, können und sollten kommunistische und antikommunistische Massentötungen in einer narrativen Geschichte des Genozids berücksichtigt werden. Rein zahlenmäßig sind die kommunistischen Genozide Stalins und Maos im 20. Jahrhundert beispiellos. Pol Pots Morde an den Kambodschanern waren prozentual gesehen singulär. Kommunistischen Genoziden, die sich zum großen Teil aus den unerreichbaren Utopien mächtiger marxistisch-leninistischer Diktatoren ableiteten, standen häufig antikommunistische Genozide gegenüber, die ihnen in Heftigkeit und Mordgier in nichts nachstanden. Der Kalte Krieg und der vermeintliche „unausweichliche“ Kampf zwischen kommunistischen und kapitalistischen Ländern schuf einen idealen Nährboden für kommunistische wie antikommunistische Genozide. Das Ende des Kalten Kriegs führte nicht zum Ende der Geschichte des Genozids und ebenso wenig zum unangefochtenen Aufstieg liberaler und kapitalistischer Vorstellungen von gesellschaft­ licher Ordnung. Die Balkankriege der 1990er-Jahre und der Konflikt um das Schicksal Jugoslawiens zogen Völkermord, ethnische Säuberungen und die Zerstörung multinationaler Gesellschaften nach sich. Die Tragödie in Bosnien wies die internationale Gemeinschaft auf die Gefahren ethnischer Konflikte und das Potenzial von Abriegelung und Intervention hin. Trotz der Entschlossenheit der Vereinten Nationen, die Schutzverantwortung („Responsibility to Protect“) als völkerrechtliche Norm einzuführen, war insbesondere Darfur ein schockierendes Beispiel für einen Genozid im 21. Jahrhundert, an dem jegliche weltweite Kritik abprallte. Auch wenn sich die internationale Gemeinschaft heute aufgrund verschiedener Umstände nur eingeschränkt zum gemeinsamen Handeln in der Lage sieht, um die Massentötungen in Syrien zu verhindern, wird das Assad-Regime vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Rechenschaft ablegen müssen. Der IStGH nahm seine Arbeit am 1. Juli 2002 auf, um sich mit ebensolchem Vorgehen gerichtlich auseinanderzusetzen. Während die Nachrichten aus Syrien besorgniserregend sind, scheint sich die Lage im Ostkongo und im 196

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Gebiet der Großen Seen dank des koordinierten Einsatzes von Vereinten Nationen und Afrikanischer Union beruhigt zu haben. Die Genozide der letzten drei Jahrtausende weisen zahlreiche Ähnlichkeiten auf. Allem voran dient Krieg als Nährboden für Völkermord. Militärische Auseinandersetzungen und Zerstörung gehen häufig nahtlos in einen Genozid über. Die Entmenschlichung vermeintlicher Feinde – externer Feinde im Fall von Krieg oder möglichem Krieg, interner Feinde im Fall des Ringens um die politische Vormachtstellung – geht genozidalen Aktionen voraus und begleitet sie. Die Vergewaltigung von Frauen, darunter auch die gewaltsame Verschleppung von Frauen, ihre Versklavung und Zwangsheirat mit einem der Täter, kehren ebenfalls in vielen Fällen von Völkermord im Lauf der Geschichte wieder. Der Versuch von Imperien, ihr Hoheitsgebiet auszudehnen und das Errungene durch Kolonisierung und Besiedlung zu festigen, ging mit der Beseitigung indigener Völker einher, die allzu häufig in Völkermord mündete. Als besonders tödlich hat sich im Lauf der Zeit die Beimischung von Imperialismus und Rassismus für jene Völker erwiesen, die ursprünglich auf Gebieten lebten, die dann unter koloniale Herrschaft fielen. Eine explosive Halbwertszeit hat sie auch in der postkolonialen Ära, in der selbst nach der Unabhängigkeit eines Landes die Vergangenheit Einfluss auf den Ausbruch völkermörderischer Gewalt nimmt. Wie Rassendenken haben Religion und Ideologie häufig das Substrat von Völkermorden gebildet und willkommene Stereotype der Opfer sowie Rechtfertigungen für die Täter geliefert. Haben veränderte internationale Normen uns nach Mitteln und Wegen suchen lassen, um die Wahrscheinlichkeit eines Genozids durch das Identifizieren und Bekämpfen seiner Komponenten zu reduzieren? Können wir dank unserer „besseren Engel“ von einem Ende der Weltgeschichte des Genozids sprechen?1 Wahrscheinlich nicht. Doch ein Verständnis seiner Geschichte kann uns helfen, dorthin zu gelangen.

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Chronologie Ca. 1020–930 v. Chr.: Königreich Israel 800 v. Chr.: Aufstieg der griechischen Stadtstaaten 431–404 v. Chr.: Peloponnesischer Krieg 149–146 v. Chr.: Dritter Punischer Krieg zwischen Rom und Karthago 1095: Papst Urban ruft zum Ersten Kreuzzug auf 1206: Gründung des Mongolenreichs unter Dschingis Khan 1208: Papst Innozenz III. ruft zum Albigenserkreuzzug gegen die Katharer auf 1492: Christoph Kolumbus erreicht die Neue Welt 1519–1521: Eroberung Mexikos unter Hernán Cortés 1524–1530: Francisco Pizarro zieht gegen die Inka zu Felde 1824–1832: „Black War“ gegen die Aborigines in Van Diemen’s Land (Tasmanien) 1856–1864: Vernichtung der Yuki im Round Valley (Mendocino County, Kalifornien) 1904–1907: Kriege gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika 24. April 1915: Tag des Völkermords an den Armeniern; die ersten Opfer werden in Istanbul festgenommen 1932–1933: Hungersnot in der Ukraine (Holodomor) 1. September 1939: Hitlers Überfall auf Polen; Beginn der Ermordung von Juden und Polen 20. Januar 1942: Auf der Wannseekonferenz wird die „Endlösung“ der „Judenfrage“ beschlossen Januar 1958: Mao setzt zum Großen Sprung nach vorn an 30. September 1965: Bei einem Putschversuch in Indonesien kommt es zu einem Massaker an den Kommunisten 12. April 1975: Phnom Penh fällt an die Roten Khmer; Beginn des Völkermords in Kambodscha 7. Dezember 1975: Das indonesische Militär marschiert in Osttimor ein 6. April 1994: Abschuss des Flugzeugs mit dem ruandischen Präsidenten Habyarimana an Bord; Beginn des Völkermords in Ruanda Juli 1995: Völkermord in Srebrenica 2003–2010: Darfur-Krise 2009–2010: Präsident Omar al-Baschir wird vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord angeklagt

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Anmerkungen Einleitung, Seite 7–14 1 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (mit nachträglichen Berichtigungen vom 10. November 1998 und 12. Juli 1999). 2 John Cooper, Raphael Lemkin and the Struggle for the Genocide Convention, New York 2008; Samantha Power, „A Problem from Hell “: America and the Age of Genocide, New York 2002; Norman M. Naimark, Stalin’s Genocides, Princeton, NJ, 2010, 15–29. 3 Zitiert in: Power, „A Problem from Hell “, 521 FN 6. 4 Raphael Lemkin, Axis Rule in Occupied Europe: Laws of Occupation, Analysis of Government Proposals for Redress, Washington, DC, 1944, 79. 5 Nehemiah Robinson, The Genocide Convention: A Commentary, New York 1960, 17–18; meine Hervorhebung. 6 „The Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide“, in: Totally Unofficial: Raphael Lemkin and the Genocide Convention, Hrsg. Adam Strom u. a., Brookline, MA, 2007, 38. 7 William A. Schabas, Genocide in International Law, 2. Auflage, Cambridge 2009, 95–116. 8 Vgl. David Scheffer, All the Missing Souls: A Personal History of the War Crimes Tribunals, Princeton, NJ, 2012. 9 Vgl. Ben Kiernan, Erde und Blut. Völkermord und Vernichtung von der Antike bis heute. Aus dem Englischen von Udo Rennert, München 2009, 65–103. 10 Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 1986, 217. Vgl. die Arbeiten von Jürgen Zimmerer, darunter „Krieg, KZ und Völkermord in Südwestafrika: Der erste deutsche Genozid“, in: Völkermord in Deutsch-Südwestafrika: Der Kolonialkrieg (1904–1908) in Namibia und seine Folgen, Hrsg. Jürgen Zimmerer und Joachim Zellar, Berlin 2003, 45–63.

11 Eric Weitz, A Century of Genocide: Utopias of Race and Nation, Princeton, NJ, 2003, 46. 12 Isabel Hull, „Military Culture and the Production of ,Final Solutions’ in the Colonies“, in: The Specter of Genocide: Mass Murder in Historical Perspective, Hrsg. Robert Gellately und Ben Kiernan, Cambridge 2003, 141–144. 13 Vgl. Norman M. Naimark, Flammender Hass. Ethnische Säuberung im 20.  Jahrhundert. Aus dem Amerikanischen von Martin Richter. München 2004, 77.

Die Antike, Seite 15–25 1 Exodus 17:14, 17:16. Dieses Zitat und alle weiteren Bibelstellen sind der Einheitsübersetzung entnommen. 2 1 Samuel 15:3. 3 1 Samuel 15:8, 1 Samuel 15:33. 4 1 Samuel 30:17. 5 Deuteronomium 7:2, 7:5. 6 Exodus 23:33. 7 Deuteronomium 7:2. 8 Deuteronomium 7:5. 9 Douglas S.  Earl, The Joshua Delusion? Rethinking Genocide in the Bible, Eugene, OR 2010, 53–54. 10 Deuteronomium 20:16. 11 Deuteronomium 20:18. 12 Josua 6:21. 13 Josua 6:26. 14 Vgl. Philip R. Davies’ Einleitung zu Thomas L. Thompson, Biblical Narrative and Palestine’s History: Changing Perspectives 2, Sheffield 2013. 15 Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman, The Bible Unearthed: Archaeology’s New Vision of Ancient Israel and the Origin of Its Sacred Texts, New York 2002, 5. 16 Thompson, Biblical Narrative and Palestine’s History, 154. 17 Homer, Ilias, 6. Gesang, 55‒57. Übersetzt von Wolfgang Schadewaldt, Düsseldorf 2002, 98. 18 Vergil, Aeneis, Zweiter Gesang, Z. 361 ff.

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Anmerkungen 19 Thukydides, Der Peloponnesische Krieg. Übersetzt und hrsg. von Helmuth Vretska und Werner Rinner, Stuttgart 2000, 453 und 460. 20 Ebd. Zitiert in: Kiernan, Erde und Blut, 69. 21 Fernand Braudel, Les mémoires de la Méditerranée, Paris 1998, 316. 22 Mary T. Boatwright, Daniel J. Gargola und Richard J.  A. Talbert, A Brief History of the Romans, Oxford 2006, 77.

Kriegergenozide, Seite 26–50 1 Zitiert in: Morris Rossabi, The Mongols and Global History, New York 2011, 1. 2 Steven Pinker, Gewalt: Eine Neue Geschichte der Menschheit. Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel. Frankfurt 2011, 290–321. 3 R. J. Rummel, Death by Government, New Brunswick, NJ, 2004, 51. 4 Yaqut al-Hamawi, zitiert in: Ian Morris, Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden. Aus dem Englischen von Klaus Binder, Frankfurt 2012, 377–378. 5 ʻAlāʼ al-Dīn ʻAt ạ̄ Malik Juvaynī, aus dem Text von: Mirza Muhammad Qazvini, The History of the World Conqueror [Die Geschichte des Welteroberers], ins Englische übersetzt von John Andrew Boyle, Bd. I, Cambridge, MA, 1958, 123–129. 6 J. J. Saunders, The History of the Mongol Conquests (London: Routledge und Kegan Paul, 1971), abgedruckt in: Frank Chalk und Kurt Johansson, The History and Sociology of Genocide: Analyses and Case Studies, New Haven 1990, 105. 7 Ebd., 106. 8 Morris, Wer regiert die Welt? Why the West Rules, 391. 9 Rogerius von Torre Maggiore, „Klagelied“, 127‒223, in: Der Mongolensturm. Berichte von Augenzeugen und Zeitgenossen. Hrsg. Hans-Gerd Göckenjan und James R. Sweeney, Graz u. a. 1985 (Ungarns Geschichtsschreiber Bd. 3), 155– 156. 10 Ebd., 164–165. 11 Ebd., 171. 12 Ebd., 172.

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13 Ebd., 175. 14 Ebd., 182. 15 Vgl. Ian Morris, Wer regiert die Welt, 381. 16 Rogerius von Torre Maggiore, „Klagelied“, 174. 17 Fulcher von Chartres, in: August C. Krey, The First Crusade: The Accounts of Eye-Witnesses and Participants, Princeton, NJ, 1921, 29. 18 In: Krey, The First Crusade; vgl. Robert der Mönch, 30, und Balderich von Bourgueil, 35. 19 Odo von Châteauroux, Sermon I, in: Christoph T. Maier, Crusade Propaganda and Ideology: Model Sermons for the Preaching of the Cross, Cambridge 2000, 141. 20 Vgl. Norman Housely, „Crusades Against Christians: Their Origins and Early Development, c. 1000–1216“, in: The Crusades: The Essential Readings, Hrsg. Thomas F. Madden, Oxford 2002, 71–72. 21 Raymond D’Aguilers, Historia Francorum Qui Ceperunt Iherusalem, übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen von John Hugh Hill und Laurita L. Hill, Philadelphia 1968, 40, 48. 22 Ebd., 73. 23 Ebd., 81–84. 24 Ebd., 125. 25 Ebd., 128 Fußnote 22. 26 Zitiert in: Thomas F. Madden, „Rivers of Blood: An Analysis of One Aspect of the Crusader Conquest of Jerusalem in 1099“, Revista chilena de Estudios Medievales 1 (Januar–Juni 2012), 29. 27 Housley, „Crusades Against Christians“, 85–88. 28 Ebd., 91. 29 Malise Ruthven, Torture: The Grand Conspiracy, London 1978, in: Frank Chalk und Kurt Johansson, The History and Sociology of Genocide: Analyses and Case Studies, New Haven 1990, 126. 30 Ebd., 126. 31 Zitiert in: Joseph R. Strayer, The Albigensian Crusades, in Chalk und Johansson, The History and Sociology of Genocide, 119.

Anmerkungen 32 The Chronicle of William of Puylaurens, The Albigensian Crusade and Its Aftermath, übersetzt von W. A. Sibly und M. D. Sibly, Woodbridge 2003, 128. 33 Ruthven, Torture, 126. 34 Zitiert in: Housely, „Crusades against Christians“, 91.

Die spanische Eroberung, Seite 51–68 1 J. M. Roberts, The Penguin History of Europe, London 1997, 234. 2 George M. Fredrickson, Racism: A Short History, Princeton, NJ 2002, 31–42. 3 Tzvetan Todorov, Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen. Aus dem Französischen von Wilfried Böhringer, Frankfurt 1982, 161. 4 Jared Diamond, Arm und Reich: die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Aus dem Amerikanischen von Volker Englich, Frankfurt 2003, 69. Bartolomé de Las Casas, Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder, Hrsg. Michael Sievernich. Aus dem Spanischen von Ulrich Kunzmann, Frankfurt 2006, 19. 5 De Las Casas, Kurzgefaßter Bericht, 34. 6 Todorov beruft sich bei der Beschreibung dieser Gräuel in Die Eroberung Amerikas, 162–176, auf unterschiedliche Quellen. Zu Motolinias zehn Plagen, an denen die Indios starben, vgl. 165–168. 7 Juan Ginés de Sepúlveda, „On the Reasons for the Just War among the Indians (1547)“, www.history.ubc.ca/sites/default/files/courses/documents/%5Breal name%5D/sepulveda_1547.pdf (Abruf: 17.11.2017). 8 Ebd. 9 De Las Casas, Kurzgefaßter Bericht, 20. 10 Vgl. Mark Levene, The Rise of the West and the Coming of Genocide, Bd. 2, London 2005, 13. 11 Ben Kiernan, Erde und Blut. Völkermord und Vernichtung von der Antike bis heute. Aus dem Englischen von Udo Rennert. München 2009, 115. 12 Todorov, Die Eroberung Amerikas, 195. 13 De Las Casas, Kurzgefaßter Bericht, 19. 14 Zitiert in: Todorov, Die Eroberung Amerikas, 172.

15 Antonio de la Calancha (1638), in: Ian Morris, Wer regiert die Welt?, 445. 16 Christoph Columbus, Schiffstagebuch. Aus dem Spanischen von Roland Erb. Leipzig 1980, 27. 17 De Las Casas, Kurzgefaßter Bericht, 18. 18 Ebd., 39‒40. 19 Ebd., 40‒41. 20 Kiernan, Erde und Blut, 124. 21 Zitiert in: Kiernan, Erde und Blut, 125. 22 Hernán Cortés, Letters from Mexico, übers. und hrsg. von A. R. Pagden, New York 1971, 59–62. 23 Zitiert in: Kiernan, Erde und Blut, 126. 24 Ebd., 126. 25 Ebd., 127. 26 Ebd., 128. 27 Pagden, in: Cortés, Letters, 465–466. 28 Vgl. Todorov, Die Eroberung, 88–97. 29 Kiernan, Erde und Blut, 129. 30 Todorov, Die Eroberung, 77. 31 Kiernan, Erde und Blut, 124/125. 32 De Las Casas, Kurgefaßter Bericht, 67– 78. 33 Jared Diamond zitiert Passagen aus diesen Berichten in Arm und Reich: die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Aus dem Amerikanischen von Volker Englich. Frankfurt 2003, 71–76. Auf diesen beruhen diese Abschnitte über die Inka. 34 Zitiert in: Morris, Wer regiert die Welt?, 445. 35 Frank Chalk und Kurt Jonassohn, The History and Sociology of Genocide: Analyses and Case Studies, New Haven 1990, 178.

Siedlergenozide, Seite 69–91 1 Mark Levene misst der Rolle des modernen Nationalstaats in der Geschichte des Genozids große Bedeutung bei, datiert seine Anfänge aber auf das Ende des 17.  Jahrhunderts, vgl. sein Genocide in the Age of the Nation-State. Bd.  1: The Meaning of Genocide, London 2008, 15– 22. 2 Nigel Penn, „The Destruction of Hunter-Gatherer Societies on the Pastoralist Frontier; The Cape and Australia Compared“, in: Mohamed Adhikari,

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Anmerkungen Genocide on Settler Frontiers: When Hunter Gatherers and Commercial Stock Farmers Clash, Cape Town 2014, 159. 3 Lyndall Ryan, „,No Right to the Land’: The Role of the Wool Industry in the Destruction of Aboriginal Societies in Tasmania (1817–1832) and Victoria (1835–1851)“, in: Adhikari, Genocide on Settler Frontiers, 189. Andere Schätzungen gehen von niedrigeren Zahlen aus und setzten die Zahl der Aborigines bei 3000 bis 4000 an. 4 Mark Levene, The Rise of the West and the Coming of Genocide, Bd.  2, London 2005, 38. 5 Lyndall Ryan, „,No Right to the Land’“, 188–189. 6 Levene, The Rise of the West, 38. 7 Henry Melville, The History of Van Diemen’s Land from the Year 1824 to 1835, Inclusive: During the Administration of Lieutenant-Governor George Arthur, Sydney 1965, 30–31. 8 Ebd., 32–33. Hervorhebung im Original. 9 Levene, The Rise of the West, 40. 10 Ryan, „,No Right to the Land“, 236. 11 Ebd. 12 James Morris, „The Final Solution, Down Under“, Horizon 14, Nr. 1 (Winter 1972), abgedruckt in: Frank Chalk und Kurt Jonassohn, The History and Sociology of Genocide: Analyses and Case Studies, New Haven 1990, 214. 13 Ann Curthoys, „Genocide in Tasmania: The History of an Idea“, in: Empire, Colony, Genocide: Conquest, Occupation, and Subaltern Resistance in World History, Hrsg. A. Dirk Moses, New York 2008, 230. 14 Ryan, „,No Right to the Land’“, 203– 204. 15 Vgl. Benjamin Madley, „Reexamining the American Genocide Debate: Meaning, Historiography, and New Methods“, American Historical Review 120 (1), 98–139. 16 Zitiert in: Ben Kiernan, Erde und Blut, 304–308. 17 Vgl. Robert V. Remini, Andrew Jackson and His Indian Wars, New York 2001, 169. 18 Lynwood Carranco und Estle Beard, Genocide and Vendetta: The Round Valley

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Wars in Northern California, Norman 1981, 126. 19 Benjamin Madley, „Patterns of Frontier Genocide 1803–1910: The Aboriginal Tasmanians, the Yuki of California, and the Herero of Namibia“, Journal of Genocide Research 6, Nr. 2 (Juni 2004), 181. 20 Majority and Minority Report of the Special Joint Committee on the Mendocino War, Charles T. Botts, State Printer, 1860, 6. 21 Virginia P. Miller, Ukomno’m: The Yuki Indians of Northern California, Socorro, NM 1979, 46. Carranco und Beard, Genocide and Vendetta, 14. 22 Majority and Minority Report, 49. 23 „Newspaper article, San Francisco, 1860“, und „Indian Butcheries in California“, in: The Destruction of the California Indians: A Collection of Documents from the Period 1847 to 1863 in Which Are Described Some of the Things that Happened to Some of the Indians of California, Hrsg. Robert F. Heizer, Santa Barbara und Salt Lake City 1974, 255. 24 Carranco und Beard, Genocide and Vendetta, 61. Madley, „Patterns of Frontier Genocide“, 178. 25 Carranco und Beard, Genocide and Vendetta, 59, 64–65, 82. 26 Benjamin Madley, „California’s Yuki Indians: Defining Genocide in Native American History“, Western Historical Quarterly 39 (2008), 179. 27 Miller, Ukomno’m, 66. 28 Madley, „California’s Yuki Indians“, 179. In The California Farmer erschien am 27. März 1861 ein Artikel, dem zufolge „300–400 Männer, Squaws und Kinder von den Weißen getötet wurden“, in: Exterminate Them! Written Accounts of the Murder, Rape and Enslavement of Native Americans during the California Gold Rush 1848–1868, Hrsg. Clifford E. Tratzer und Joel R. Hyer, East Lansing 1999, 130. 29 Majority and Minority Report, 6; meine Hervorhebung. 30 Ebd., 64. 31 Ebd., 3. 32 „Indian Troubles in Mendocino, San Francisco Bulletin, 21. Januar 1860, in:

Anmerkungen Tratzer and Hyer, Exterminate Them!, 128. 33 Madley, „Patterns of Frontier Genocide“, 180. 34 Carrasco und Beard, 90. 35 Mohamed Adhikari, The Anatomy of a South African Genocide: The Extermination of the Cape San Peoples, Athen 2010, 33. 36 Ebd., 36. 37 Ebd., 38. 38 Adhikari, The Anatomy, 48. 39 Ebd., 52. 40 Anders Sparrman, zitiert in: Adhikari, The Anatomy, 53. 41 Ebd., 54. 42 Ebd., 57. 43 Ebd., 62. 44 Vgl. Mohamed Adhikari, „,The Bushman is a Wild Animal to be Shot at Sight’: Annihilation of the Cape Colony’s Foraging Societies by Stock-Farming Settlers in the Eighteenth and Nineteenth Centuries“, in: Adhikari, ­ Genocide on Settler Frontiers, 51–58. 45 Adhikari, The Anatomy, 77. 46 Ebd.

Moderne Genozide, Seite 92–118 1 James C. Scott, Seeing Like a State: How Certain Schemes to Improve the Human Condition Have Failed, New Haven 1998, 406; und Zygmunt Bauman, Dialektik der Ordnung: Die Moderne und der Holocaust. Aus dem Englischen von Uwe Ahrens, Hamburg 2002, 76. 2 Brian Porter, When Nationalism Began to Hate: Imagining Modern Politics in Nineteenth Century Poland, New York 2000. 3 Vgl. etwa Eric Weitz, A Century of Genocide: Utopias of Race and Nation, Princeton, NJ 2003. 4 Isabel Hull, Absolute Destruction: Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany. Ithaca, NY 2005, 26–28. Vgl. auch Jürgen Zimmerer, Genocide in German South-West Africa: The Colonial War of 1904–1908 and its Aftermath, London 2008.

5 Die Kämpfe der deutschen Truppen in Südwestafrika. Erster Band: Der Feldzug gegen die Hereros. Berlin 1906, 132. 6 Vgl. www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumente/00663/ index-14.html.de (Abruf: 16.11.2017). 7 Proklamation des Generals v. Trotha an das Volk der Hottentotten vom 22. April 1905, in: Die Kämpfe der deutschen Truppen in Südwestafrika. Bearbeitet von der Kriegsgeschichtlichen Abteilung I des Großen Generalstabes. Zweiter Band: Der Hottentottenkrieg. Berlin 1907, 186. 8 „The German Operations: British Subjects as Combatants: Further Evidence: Women and Children Hanged and Shot: Sensational Allegations“, 25. September 1905, Cape Argus, in Words Cannot Be Found: German Colonial Rule in Namibia, An Annotated Reprint of the 1918 Blue Book, Hrsg. Jeremy Silvester und Jan-Bart Gewald, Leiden 2003, 342. 9 Vgl. Vahakn N. Dadrian, German Responsibility in the Armenian Genocide: A Review of the Historical Evidence of German Complicity, Watertown, MA, 1996. 10 Vgl. Norman M. Naimark, Flammender Hass. Ethnische Säuberung im 20.  Jahrhundert, München 2004, 41 f. 11 Vgl. ebd., 36. 12 Ronald Grigor Suny, „They Can Live in the Desert but Nowhere Else“: A History of the Armenian Genocide, Princeton, NJ, 2015. 13 Ebd., 246–280. 14 Fuat Dündar, „Pouring a People into the Desert: The ,Definitive Solution’ of the Unionists to the Armenian Question“, in: A Question of Genocide: Armenians and Turks at the End of the Ottoman Empire, Hrsg. Ronald G. Suny, Fatma Müge Göçek und Norman M. Naimark, New York 2011, 276–287. 15 Grigoris Balakian, Armenian Golgotha: A Memoir of the Armenian Genocide, 1915–1918. Aus dem Armenischen von Peter Balakian und Aris Sevag, New York 2009, 145. 16 Henry Morgenthau, The Murder of a Nation, New York 1974, 45–46. 17 Ebd., 66–68. 18 Zum Genozid an den Pontosgriechen, vgl. Adam Jones, Genocide: A Compre-

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Anmerkungen hensive Introduction, 2. Auflage, London 2006, 244. 19 Zitiert in Naimark, Flammender Hass, 77. 20 Adolf Hitler, Mein Kampf, München 1933, 69 f. Hervorhebung im Original. 21 Michael Burleigh und Wolfgang Wipperman, The Racial State: Germany 1933–1945, Cambridge 1993, 36–43. Michael Wildt, Geschichte der Nationalsozialismus, Göttingen 2008. 22 Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933– 1941. Hrsg. Walter Nojowski unter Mitarbeit von Hadwig Klemperer, Berlin 1999, 15 (Eintrag vom Montag, 27. März 1933). 23 Ebd., 21, 209 (Einträge vom 10. April 1933 und 21. Juli 1935). 24 Zu den Anfängen des Holocaust vgl. Christopher R. Browning mit Beiträgen von Jürgen Matthäus, The Origins of the Final Solution: The Evolution of Nazi Jewish Policy, September 1939–March 1942, Lincoln 2004. 25 The Diary of Dawid Sierakowiak: Five Notebooks from the Łódź Ghetto, ed. Alan Adelson, trans. Kamil Turkowski, New York / Oxford 1996, 173. 26 Zitiert in: Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden. Bd.  2, Die Jahre der Vernichtung: 1939‒1945. Aus dem Engl. von Martin Pfeiffer, München 2006, 401. 27 Zitiert in: Peter Longerich, Joseph Goebbels, Biographie, München 2010, 462, 434. Meine Hervorhebung. 28 John-Paul Himka, „The Lviv Pogrom of 1941; The Germans, Ukrainian Nationalists, and the Carnival Crowd“, Canadian Slavonic Papers 53, Nr. 2, 3, 4 (Juni, September, Dezember 2011), 209–238. 29 Jan T. Gross, Neighbors: The Destruction of the Jewish Community in Jedwabne, Poland, Princeton, NJ 2001. 30 „The Commander of Security Police and Security Service, Kovno, December 1, 1941“, in: Documents of Destruction: Germany and Jewry 1933–1945, Hrsg. Raul Hilberg, Chicago 1971, 46–57. 31 Ebd. 32 Ulrich Herbert, „Vernichtungspolitik: Neue Antworten und Fragen zur Ge-

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schichte des ,Holocausts’“, in: Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939– 1945: Neue Forschungen und Kontro­ versen, Hrsg. Ulrich Herbert, Frankfurt a. M. 1998, 50; Christian Gerlach, „Deutsche Wirtschaftsinteressen, Besatzungspolitik und der Mord an den Juden in Weißrussland 1941–43“, in: Nationalsozialistische Vernichtungs­politik, 289, 313–315. 33 Vgl. Ian Kershaw, Hitler 1889–1936: Hubris, New York 1998, 529–531. 34 Primo Levi, Ist das ein Mensch? Aus dem Italienischen von Heinz Riedt. München 2001, 86–87. 35 Timothy Snyder, Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin. Aus dem Englischen von Martin Richter. München 2011, 261–266.

Kommunistische Genozide, Seite 119–143 1 Vgl. Norman M. Naimark, Stalin und der Genozid, Berlin 2010, 22–36. 2 Ben Kiernan, The Pol Pot Regime: Race, Power, and Genocide in the Cambodia under the Khmer Rouge, 1975–79, 3. Aufl., New Haven 2008, ix. 3 Frank Dikötter, Maos großer Hunger: Massenmord und Menschenexperiment in China (1958–1962), Stuttgart 2014, 419–431. Andrew G. Walder, China under Mao: A Revolution Derailed, Cambridge, MA, 2015, 333–334, 364 Fußnote 63. 4 Vgl. Hiroaki Kuromiya, „Stalin in the Light of the Politburo Manuscripts“, in: The Lost Politburo Transcripts, Hrsg. Paul Gregory und Norman M. Naimark, New Haven 2008, 41–57. 5 Zitiert in: Lynne Viola, Peasant Rebels under Stalin: Collectivization and the Culture of Peasant Resistance. New York 1996, 37. 6 Zitiert in: Andrea Graziosi, The Great Soviet Peasant War: Bolsheviks and Peasants, 1917–1933, Cambridge, MA, 1996, 49. 7 Zitiert in: Lynne Viola, The Unknown Gulag: The Lost World of Stalin’s Special Settlements, Oxford 2007, 55.

Anmerkungen 8 Viola, The Unknown Gulag, 96; Anne Applebaum, Der Gulag. Aus dem Englischen von Frank Wolf. München 2005. 9 Zitiert in: Nicolas Werth, Die Insel der Kannibalen: Stalins vergessener Gulag, München 2006, 85 f. 10 Robert Gellately, Lenin, Stalin und Hitler: Drei Diktatoren, die Europa in ­ den Abgrund führten. Aus dem Englischen von Heike Schlatterer und Norbert Juraschitz, Bergisch Gladbach 2009, 251. 11 Vgl. Naimark, Stalin und der Genozid, 77. 12 Zitiert in: Gellately, Lenin, Stalin und Hitler, 324. 13 Holodomor of 1932–33 in Ukraine: Documents and Materials, Kiew 2008, 114– 115. 14 Vgl. Naimark, Stalin und der Genozid, 85–90. 15 Vgl. Naimark, Flammender Hass, 111– 137; Naimark, Stalin und der Genozid, 84–102. 16 Georgi Dimitroff, Tagebücher 1933‒ 1943. Bd. 1, Berlin 2000, 162 f. 17 Nicholas Werth, „The Crimes of the Stalin Regime: Outline for an Inventory and Classification“, unveröffentlichtes Manuskript, in: Naimark, Stalin und der Genozid, 114. 18 Lu Dingyi auf der zweiten Vollversammlung der achten Tagung des Zentralkomitees, 19. Mai 1958, in: Yang Jisheng, Grabstein: die große chinesische Hungerkatastrophe 1958–1962. Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann, Frankfurt 2012, 412. 19 Dikötter, Maos großer Hunger, 155. 20 „Chairman Mao’s words at the Shanghai Conference, March 25, 1959“, in: The Great Famine in China, 1958–1962: A Documentary History, Hrsg. Zhou Xun, New Haven 2012, 24–25. 21 Dikötter, Maos großer Hunger, 416 f. 22 Zitiert in: Jisheng, Grabmal, 336. 23 Ebd., 347. 24 „Report on the problem of an increasing number of prostitutes and disorderly girls in the city … August 1962“, in: The Great Famine in China, 135–136. 25 Dikötter, Maos großer Hunger, 339–341.

26 Jonathan Spence, Mao. Aus dem Eng­ lischen von Susanne Hornfeck, Berlin 2003, 202. 27 The Great Famine in China, 175. 28 „A preliminary report to the Hunan Provincial Party Committee … June 2, 1960“, in: The Great Famine in China, 32. 29 „A report by the Shizhu county branch of the Rectification Campaign Working Team … January 1961“, in: The Great Famine in China, 33–34. 30 Dikötter, Maos großer Hunger, 386. 31 The Great Famine in China, 21. 32 „Speech by Comrade Liu Shaoqi [in Beijing], May 31, 1961“, in: The Great Famine in China, 164. 33 Dikötter, Maos großer Hunger, 433. 34 „Report on population figures in 1962 … Sichuan Province Bureau of Public Security, February 23, 1963“, in: The Great Famine in China, 165. 35 Dikötter, Maos großer Hunger, 434. 36 „Documents on Consciousness (30-111976)“, in: Ieng Sary’s Regime: A Diary of the Khmer Rouge Foreign Ministry, 1976– 79, übers. Phat Kosal und Ben Kiernan mit Sorya Sim, New Haven 1998, 29. 37 Mr. Sok Ros, 2.1.5.25, in: Genocide in Cambodia: Documents from the Trial of Pol Pot and Ieng Sary, Hg. Howard J. De Nike, John Quigley und Kenneth J. Robinson, Philadephia 2000, 213. 38 „Document of the Central Committee of the Communist Party of Kampuchea Addressed to the Zone Administrative Committees After April 1975“, 2.5.01, in: De Nike, Quigley und Robinson, Genocide in Cambodia, 379. 39 Mr. Men Khoeun, 2.01, in: De Nike, Quigley und Robinson, Genocide in Cambodia, 220. 40 Mr. Vang Pheap, 2.1.4.02, in: De Nike, Quigley und Robinson, Genocide in Cambodia, 158. 41 „View of the Situation of the Contemporary Kampuchean Revolution“, in: Ieng Sary’s Regime, 32. 42 „The Current Political Tasks of Democratic Kampuchea“, in: Ieng Sary’s Regime, 13.

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Anmerkungen 43 Proum Duch Borannan, 28. Mai 1979, in: De Nike, Quigley und Robinson, Genocide in Cambodia, 85. 44 „Report on the General Political Tasks of the Party in the Northern Zone for the First Quarter of 1977 …“, in: De Nike, Quigley und Robinson, Genocide in Cambodia, 387–388. 45 Mr. Ung Pech, 2.1.01, in: De Nike, Quigley und Robinson, Genocide in Cambodia, 81. 46 Loung Ung, First They Killed My Father: A Daughter of Cambodia Remembers, New York 2000, 82. 47 Kiernan, The Pol Pot Regime, 55. 48 Ebd., 296–297. 49 Ebd., 255. 50 Ebd., 273. 51 Ebd., 265–266. 52 Ebd., 458. 53 De Nike, Quigley und Robinson, Genocide in Cambodia, 362. 54 Ung, First They Killed My Father, 67. 55 Ieng Sary’s Regime, 3. 56 Zitiert in: Samantha Power, „A Problem from Hell“: America in the Age of Genocide, New York 2002, 110.

Antikommunistische Genozide, Seite 144–168 1 Kate Doyle und Peter Kornbluth, Hrsg., „CIA and Assassinations: The Guatemala 1954 Documents“, National Security Archive Electronic Briefing Book Nr.  4, www2.gwu.edu/~nsarchiv/NSAE BB/NSAEBB4/ (Abruf: 16.11.2017); Gerald K. Haines, „CIA and Guatemala Assassination Proposals 1952–1954“, CIA History Staff Analyses, Juni 1955, w w w2.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/ NSAEBB4/docs/doc01.pdf (Abruf: 16.11.2017), 1–2. Odd Arne Westad, The Global Cold War, Cambridge 2007, 147. 2 Doyle und Kornbluth, „CIA and Assassinations“. 3 Thomas Hughes, INR, „Guatemala: A Counter-Insurgency Running Wild“, 23. Oktober 1963, in: www2.gwu. edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB11/ docs/doc04.pdf (Abruf: 16.11.2017)

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4 Commission on Historical Clarification (CEH), Guatemala: Memory of Silence, 1999, www.documentcloud.org/docu ments/357870-guatemala-memory-of-silence- the-commission-for.html (Abruf: 16.11.2017), 26–27. 5 Benjamin Valentino, Final Solutions: Mass Killing and Genocide in the 20th Century, Ithaca, NY, 2004, 208. 6 Ebd., 209. 7 CEH, Guatemala: Memory of Silence, 21. 8 Valentino, Final Solutions, 210. 9 Februar 1982, Geheimtelegramm der CIA, www2.gwu.edu/~nsarchiv/NSAE B B / N S A E B B11 /d o c s /d o c14 . p d f (Abruf: 16.11.2017). 10 „Operation Sofia: Documenting Genocide in Guatemala“, NSA Electronic Briefing Buch Nr.  297, 2. Dezember 2009, www2.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB297/ (Abruf: 16.11.2017). 11 Zitiert in Adam Jones, Genocide: A Comprehensive Introduction, 2. Auflage, London 2006, 142–143. 12 Zu den überall stattfindenden Vergewaltigungen vgl. „Summary of Genocide Proceedings before the Spanish Federal Court: Round One, February 4–8, 2008“. Zur Ermordung von Kindern vgl. insbesondere die Berichte des Reporters Allan Nairn, Dienstag, 5. Februar 2008. www2.gwu.edu/~nsarchiv/guatemala/ genocide/round1/summary1.pdf (Abruf: 16.11.2017). 13 Zeugenaussage, Freitag, 8. Februar 2008, in: „Summary of Genocide Proceedings“. 14 CEH, Guatemala: Memory of Silence, 34. 15 Valentino, Final Solutions, 210. 16 Zeugenaussage, 4. Februar 2008, in: „Summary of Genocide Proceedings“; CEH, Guatemala: Memory of Silence, 35. 17 „The Final Battle: Rios Montt’s Counterinsurgency Campaign: U.S. and Guatemalan Documents Describe the Strategy Behind Scorched Earth“, 9. Mai 2013, Hrsg. Kate Doyle, www2.gwu. edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB425/ (Abruf: 16.11.2017). 18 „U.S. Policy in Guatemala“, Geheimtelegramm der CIA, Februar 1983, www2. g w u.edu/~nsa rchiv/NSA EBB/NSA-

Anmerkungen EBB11/docs/doc18.pdf (Abruf: 16.11. 2017). 19 „Operation Sofia: Documenting Genocide in Guatemala“, NSA Electronic Briefing Book Nr.  297, www2.gwu. edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB425/ (Abruf: 16.11.2017). 20 CEH, Guatemala: Memory of Silence, 39–40. 21 Foreign Relations of the United States (FRUS) 1964–68, Bd.  26: Indonesia: Malaysia-Singapore: Philippines, www2. gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB 52/#FRUS (Abruf: 16.11.2017). 22 Robert Cribb, „The Indonesian Massacres“, in: Century of Genocide: Critical Essays and Eyewitness Accounts, Hrsg. Samuel Totten, William S.  Parsons und Israel Charny, 2. Auflage, New York 2004, 235–236. 23 FRUS 1964–68, „Telegram from the Department of State, October 22, 1965“, 26:333, und „Memorandum from the Director of the Office of Southwest Pacific Affairs“, 26:351. 24 „Memorandum from the Director of the Far East Region ([Admiral] Blouin) to the Assistant Secretary of Defense, 4. Oktober 1965, FRUS 1964–68, 26:306. 25 Cribb, „The Indonesian Massacres“, 237. 26 Leslie Dwyer und Degung Santikarma, „,When the World Turned to Chaos’: 1965 and Its Aftermath in Bali, Indonesia“, in: The Specter of Genocide: Mass Murder in Historical Perspective, Hrsg. Robert Gellately und Ben Kiernan, Cambridge 2003, 298. 27 Geoffrey Robinson, The Dark Side of Paradise: Political Violence in Bali, Ithaca, NY, 1995, 293. 28 John Roosa, Pretext for Mass Murder: The September 30th Movement and Suharto’s Coup d’Etat in Indonesia, Madison 2006, 22. 29 Die US-amerikanische Botschaft rechnete es sich als Verdienst an, „die Geschichte über Schuld, Verrat und Brutalität der PKI“ über den Radiosender Voice of America und andere Kanäle verbreitet zu haben. „Telegram from the Embassy in Indonesia to the Department of State“, 5. Oktober 1965, FRUS 1964–65, 26:307.

30 Dwyer und Santikarma, „,When the World Turned to Chaos’“, 294. 31 Robinson, The Dark Side of Paradise, 288. 32 Zitiert in: ebd., 298. 33 „Editorial note“, FRUS 1964–68, 26:338–339. „Intelligence Memorandum“ CIA, Office of Current Intelligence, 22. November 1965, 26:375. 34 Vgl. die drei Berichte aus erster Hand in Cribb, „The Indonesian Massacres“, 249–260. 35 Robinson, The Dark Side of Paradise, 300. 36 Zitiert in: Cribb, „The Indonesian Massacres“, 53. 37 Clinton Fernandes, The Independence of East Timor: Multi-Dimensional Perspectives ‒ Occupation, Resistance, and International Political Activism, Brighton 2011, 47. Ben Kiernan, Genocide and Resistance in Southeast Asia: Documentation, Denial & Justice in Cambodia and East Timor, New Brunswick, NJ, 2008, 277. 38 Kiernan, Genocide and Resistance, 111. 39 Ben Saul, „Was the Conflict in East Timor ,Genocide’ and Why Does it Matter?“ Melbourne Journal of International Law 2 (2001), 497–500. 40 Geoffrey Robinson, „If You Leave Us Here We Will Die“: How Genocide was Stopped in East Timor, Princeton, NJ, 2010, 6. 41 Saul, „Was the Conflict in East Timor ,Genocide’“, 513. 42 Kiernan, Genocide and Resistance, 118– 119. 43 Robinson, „If You Leave Us Here“, 54. 44 Zitiert in: Kiernan, Genocide and Resistance, 128. 45 Fernandes, The Independence of East Timor, 49. 46 Saul, „Was the Conflict in East Timor ,Genocide’“, 515. 47 Robinson, „If You Leave Us Here“, 51. 48 Fernandes, The Independence of East Timor, 55. 49 Ebd., 55. 50 Andrea Katalin Molnar, Timor Leste: Politics, History, and Culture, London 2010, 50. 51 Robinson, „If You Leave Us Here“, 55.

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Anmerkungen 52 Kiernan, Genocide and Resistance, 130. 53 Fernandes, The Independence of East Timor, 75. 54 Robinson, „If You Leave Us Here“, 66. Das Video des Santa-Cruz-Massakers ist zu finden auf www.youtube.com/ watch?v=8NYdGad-0bs (Abruf: 16.11. 2017). 55 Molnar, Timor Leste, 51–52. 56 Zitiert in: Kiernan, Erde und Blut, 747.

Genozide nach dem Kalten Krieg, Seite 169–193 1 Zitiert in: Marcus Tanner, Croatia: A Nation Forged in War, New Haven 1997, 88. 2 The New York Times, 21. März 1996. 3 IWPR Tribunal Update, 2.‒6. Februar 1998. 4 David Sheffer, All the Missing Souls: A Personal History of the War Crimes Tribunals, Princeton, NJ, 2010, 38. 5 United Nations General Assembly, „Report of the Secretary-General Pursuant to General Assembly Resolution 53.35“, The Fall of Srebrenica (veröffentlichter UN-Bericht), 15. November 1999, 9. 6 The New York Times, 7. Februar 1993. 7 Roy Gutman, A Witness to Genocide, New York 1993, 44–52. Vgl. auch Louis Sell, „Slobodan Milosevic: A Political Biography“, Problems of Post-Communism 46, Nr.  6 (November–Dezember 1999), 25. 8 IWPR Tribunal Update, 6.–11. April (1998). 9 Er wurde 2008 für verschiedene Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 21 Jahren Gefängnis verurteilt. 10 IWPR Tribunal Update, 7.–13. Juni 1999. 11 Helsinki Watch, War Crimes in BosniaHercegovina, Bd. 2, New York 1993, 21. 12 Catherine A. MacKinnon, „Turning Rape into Pornography: Turning Rape into Genocide“, in: Mass Rape: The War against Women in Bosnia Herzegovina, Hrsg. Alexandra Stiglmayer, Übers. Marion Faber, Lincoln 1994, 73–81. 13 Norman M. Naimark, „Srebrenica in the History of Genocide: A Prologue“, in: Memories of Mass Repression: Narrating

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Life Stories in the Aftermath of Atrocity, Hrsg. Nanci Adler, Selma Leydesdorff u.  a., New Brunswick, NJ, 2009. Vgl. auch Norman M. Naimark, Flammender Hass, 205–206. 14 Chuck Sudetic, Blood and Vengeance: One Family’s Story of a War in Bosnia, New York 1998, 292–293. 15 „Dutch Peacekeepers Are Found Responsible for Deaths“, The New York Times, 6. September 2013. 16 David Rohde, Endgame: The Betrayal and Fall of Srebrenica, Europe’s Worst Massacre since World War  II, New York 1997, 313; Sudetic, Blood and Vengeance, 317; Jan Willem Honig und Norbert Both, Srebrenica: Record of a War Crime, New York 1996, 65. 17 Naimark, „Srebrenica“, 13–14. 18 Mahmood Mamdani, When Victims Become Killers: Colonialism, Nativism, and the Genocide in Rwanda, Princeton, NJ, 2001, 76–103. 19 Liisa Malkki, Purity and Exile: Violence, Memory, and National Cosmology among Hutu Refugees in Tanzania, Chicago 1995, 91–93. 20 Scott Strauss, The Order of Genocide: Race, Power, and War in Rwanda, Ithaca, NY, 2006, 175. 21 Jacques Sémelin, Säubern und Vernichten: die politische Dimension von Massakern und Völkermorden. Aus dem Französischen von Thomas Laugstien. Hamburg 2007, 136. 22 Zur Bedeutung der Zusammenstöße zwischen Tutsi und Hutu in Burundi für die Ereignisse in Ruanda vgl. Rene Lemarchand, „Genocide in the Great Lakes: Which Genocide? Whose Genocide?“, African Studies Review 41, Nr.  1 (April 1998), 3. 23 Strauss, The Order of Genocide, 27–28. 24 Dallaire an Baril, 11. Januar 1994, National Security Archives, www2.gwu. edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB53/ rw011194.pdf (Abruf: 16.11.2017). 25 Defense Intelligence Report, 9. Mai 1994, „Rwanda: The Rwandan Patriotic Front’s Offensive“, NSA, www2.gwu. edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB53/ rw050994.pdf (Abruf: 16.11.2017).

Anmerkungen 26 ICTR, „The Prosecutor versus Akayesu“, Abschnitte 109, 110. 27 Ebd., Abschnitte 100, 118. 28 Strauss, The Order of Genocide, 83. 29 ICTR, „The Prosecutor versus Akayesu“, Paragraf 732. 30 Manche Schätzungen gehen von niedrigeren Zahlen aus. Vgl. Strauss, The Order of Genocide, 51. 31 Philip Gourevitch, „We Wish to Inform You that Tomorrow We Will Be Killed with Our Families“: Stories from Rwanda, New York 1998, 220. 32 International Crisis Group, Darfur Rising: Sudan’s New Crisis, ICG Africa Report Nr.  76, Nairobi/Brüssel, 25. März 2004, 16. 33 Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the United Nations Secretary-General, 25. Januar 2005, 60. 34 David Scheffer, „Rape as Genocide“, The New York Times, 3. November 2008. 35 Documenting Atrocities in Darfur, Veröffentlichung Nr. 11182 des State Department, September 2004, http://20012009.state.gov/g/drl/rls/36028.htm (Abruf 17.11.2017). 36 Ebd. 37 Gespräch mit Samuel Totten am 6. Juni 2007, in: Century of Genocide: Critical Essays and Eyewitness Accounts, Hrsg. Samuel Totten und William S. Parsons, 2. Auflage, New York 2004, 597–598.

38 Report of the International Commission of Inquiry, 75. 39 Ebd., 89. 40 Ebd., 91. 41 International Crisis Group, Darfur Rising, 17. 42 Vgl. Samuel Totten, Genocide by Attrition: The Nuba Mountains of Sudan, New Brunswick, NJ 2012. 43 Nicholas D. Kristof, „The Death Toll in Darfur“, The New York Times, 14. August 2007. 
 44 Olivier Degomme and Debarati GuhaSapir, „Patterns of Mortality Rates in Darfur Conflict“, Lancet 375 (23. Januar 2010): 297, www.thelancet.com 45 Archiv des US-Außenministeriums, „The Crisis in Darfur“, Außenminister Colin
L. Powell, Anhörung vor dem Außenpolitischen Ausschuss des US-Senats, 9. September 2004, http://20012009.state.gov/secretary/former/powell/ remarks/36042.htm. 46 Report of the International Commission 
of Inquiry, 4.

Schluss, Seite 194–197 1 Steven Pinker, The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined, New York 2011, 696.

209

Weiterführende Literatur Adhikari, Mohammed (Hrsg.). Genocide on Settler Frontiers: When HunterGatherers and Commercial Stock Farmers Clash. Cape Town: University of Cape Town Press, 2014. Bartov, Omer. Mirrors of Destruction: War, Genocide, and Modern Identity. New York: Oxford University Press, 2000. Bloxham, Donald. Genocide, the World Wars, and the Unweaving of Europe. New York und Portland, OR: Valentine Mitchell, 2008. Chalk, Frank und Kurt Jonassohn. The History and Sociology of Genocide: ­Analyses and Case Studies. New Haven: Yale University Press, 1990. Diamond, Jared. Arm und Reich: die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Aus dem Amerikanischen von Volker Englich. Frankfurt: Fischer 2003. Diner, Dan. Das Jahrhundert verstehen: eine universalhistorische Deutung. München: Luchterhand, 1999. Fredrickson, George M. Racism: A Short History. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2002. Gellately, Robert. Lenin, Stalin und Hitler: Drei Diktatoren, die Europa in den Abgrund führten. Aus dem Englischen von Heike Schlatterer und Norbert Juraschitz. Bergisch Gladbach: Lübbe, 2009. Gellately, Robert und Ben Kiernan (Hrsg.). The Specter of Genocide: Mass Murder in Historical Perspective. Cambridge: Cambridge University Press, 2003. Jones, Adam. Genocide: A Comprehensive Introduction, 2. Auflage. London: Routledge, 2006. Kiernan, Ben. Erde und Blut. Völkermord und Vernichtung von der Antike bis heute. Aus dem Englischen von Udo Rennert. München: DVA 2009. Kiernan, Ben. Genocide and Resistance in Southeast Asia: Documentation, Denial & Justice in Cambodia and East Timor. New Brunswick, NJ: Transaction, 2008. Kuper, Leo. Genocide: Its Political Use in the Twentieth Century. New Haven: Yale University Press, 1981. Lemarchand, Rene (Hrsg.). Forgotten Genocides: Oblivion, Denial and Memory. Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2011. Levene, Mark. Genocide in the Age of the Nation-State. Bd. 1, The Meaning of Genocide; Bd. 2, The Rise of the West and the Coming of Genocide. London: I. B. Taurus, 2005. Levene, Mark. The Crisis of Genocide. Bd. 1, Devastation: The European Rimlands 1912–1938; Bd. 2, Annihilation, The European Rimlands 1939–1953. Oxford: Oxford University Press, 2013. Lieberman, Benjamin. Terrible Fate: Ethnic Cleansing in the Making of Modern Europe. Chicago: Ivan R. Dee, 2004.

210

Weiterführende Literatur

Madley, Benjamin. An American Genocide: The United States and the Californian Indian Catastrophe, 1846‒1873. New Haven: Yale University Press, 2016. Mann, Michael. The Dark Side of Democracy: Explaining Ethnic Cleansing. Cambridge: Cambridge University Press, 2005 Melson, Robert F. Revolution and Genocide: On the Origins of the Armenian Genocide and the Holocaust. Chicago: University of Chicago Press, 1992. Midlarsky. Manus I. The Killing Trap: Genocide in the Twentieth Century. Cambridge: Cambridge University Press, 2005. Moses, A. Dirk. Empire, Colony, Genocide: Conquest, Occupation, and Subaltern Resistance in World History. New York: Berghahn Books, 2010. Naimark, Norman M. Flammender Hass. Ethnische Säuberung im 20. Jahrhundert. Aus dem Amerikanischen von Martin Richter. München: C. H. Beck, 2004. Pinker, Steven. Gewalt: Eine Neue Geschichte der Menschheit. Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel. Frankfurt: Fischer, 2011. Power, Samantha. „A Problem from Hell“: America and the Age of Genocide. New York: Basic Books, 2002. Rummel, R. J. Death by Government. New Brunswick, NJ: Transaction, 2004. Sémelin, Jacques. Säubern und Vernichten. Die Politik der Massaker und Völkermorde. Aus dem Französischen von Thomas Laugstien. Hamburg: Hamburger Edition, 2007. Sheffer, David. All the Missing Souls: A Personal History of the War Crimes ­Tribunals. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2012. Snyder, Timothy. Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin. Aus dem Englischen von Martin Richter. München: C. H. Beck, 2011. Suny, Ronald Grigor. „They Can Live in the Desert but Nowhere Else“: A History of the Armenian Genocide. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2015. Totten, Samuel, William S. Parsons und Israel Charny (Hrsg.). Century of ­Genocide: Critical Essays and Eyewitness Accounts, 2. Auflage. New York: Routledge, 2004. Valentino, Benjamin. Final Solutions: Mass Killing and Genocide in the 20th Century. Ithaca, NY: Cornell University Press, 2004. Weitz, Eric. A Century of Genocide: Utopias of Race and Nation. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2003.

211

Webseiten Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) www.icty.org www.unictr.org/en/tribunal Der ICTY und der ICTR sind von den Vereinten Nationen eingesetzte Adhoc-Gerichtshöfe, um Straftäter in Zusammenhang mit Kriegsverbrechen und Völkermord im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda zu verurteilen. Ihre Webseiten bieten Informationen zu ehemaligen und laufenden Verfahren, Kurzberichte über Verfahren und Angeklagte, Dokumentationen über die ­A rbeit der Tribunale und weitere öffentliche Informationen. Der ICTR wurde am 31. Dezember 2015 geschlossen, seine Webseite ist jedoch weiter online. International Crisis Group www.crisisgroup.org/ Ziel der International Crisis Group ist es, Gräueltaten stärker ins internationale Bewusstsein zu rücken und auf entsprechende Vorfälle zu reagieren. Die Webseite enthält Berichte, Zusammenfassungen, Material zur Krisenüberwachung, Interviews und Warnungen vor Gräueltaten. Die International Crisis Group verfolgt eine dreigleisige Strategie, bestehend aus Feldforschung und Analyse, politischen Empfehlungen und Lobbyarbeit. International Network of Genocide Scholars www.inogs.com Das Forschernetzwerk wurde 2005 in Berlin gegründet, um interdisziplinäre Forschung und Analysen zu verschiedenen Aspekten von Völkermorden voranzutreiben. Es gibt das Journal of Genocide Research heraus und organisiert Konferenzen und Symposien zur Völkermordforschung. The Enough Project www.enoughproject.org/ Das Enough Project wurde von Aktivisten und politischen Entscheidungs­ trägern gegründet, die angesichts der anhaltenden Gräuel in Afrika in Sorge waren. Ziel der Organisation ist es, durch Maßnahmen gegen gewalttätige ­Organisationen „Hebeleffekte für Frieden und Gerechtigkeit in Afrika“ zu ent­ wickeln. Ihre Webseite enthält Berichte über Massengräuel in Afrika, aktuelle Nachrichten über anhaltende Konflikte und Informationen zur Lobbyarbeit des Enough Project.

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Websites

UN-Büro des Sonderberaters für die Verhütung von Völkermord www.un.org/en/preventgenocide/adviser/ Die Rolle des UN-Sonderberaters für die Verhütung von Völkermord besteht darin, „als Impulsgeber zu agieren, um das Bewusstsein für die Ursachen und Dynamiken von Völkermord zu schärfen, maßgebliche Akteure auf potenzielle Völkermorde hinzuweisen und sich für entsprechende Maßnahmen einzusetzen bzw. diese zu mobilisieren“. Die Webseite des Büros liefert Informationen über UN-Maßnahmen zur Verhinderung von Völkermord, völkerrechtliche Bestimmungen zum Völkermord und zu Massengräueln sowie vom Büro ergriffene Maßnahmen zur Verhütung von Völkermord. United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) www.ushmm.org/ Das United States Holocaust Memorial Museum ist ein lebendiges Denkmal an den Holocaust, um „Bürger und führende Persönlichkeiten in aller Welt anzuregen, Hass zu begegnen, Völkermord zu verhindern und die mensch­liche Würde zu fördern“. Neben dem Museum an der National Mall in Washington stellt das Museum umfassende Onlineressourcen zur Verfügung. Hierzu zählen die Holocaust Encyclopedia, Unterrichtsmaterialien zum Thema Holocaust für Lehrer, Schüler und Experten sowie Archive mit Primärquellen, darunter Bilder, Karten und Berichte von Überlebenden. United to End Genocide http://endgenocide.org/ United to End Genocide ist ein Zusammenschluss von Organisationen wie der Save Darfur Coalition, dem Genocide Intervention Network und der Sudan Divestment Task Force, die sich für die Verhütung von Genozid und Massengräueln weltweit einsetzen. Die Webseite enthält Informationen über die Definition von Genozid, Berichte über Gräuel in heutiger Zeit, aktuelle Nachrichten zu Konflikten und Vorschläge für ein mögliches Engagement. Yale Genocide Studies Program (GSP) http://gsp.yale.edu/ Das Genocide Studies Program am MacMillan Center for International and Area Studies der Universität Yale wurde 1998 gegründet, um die Aktivitäten des Cambodian Genocide Program der Universität auszubauen. Die Webseite umfasst Fallstudien, Audio- und Videomaterial, wissenschaftliche Artikel zum Thema Genozid, Protokolle von Prozessen und Zeugenaussagen sowie Landkarten und Satellitenbilder von Völkermorden. Das GSP führt außerdem ­Forschungsvorhaben zu Konflikten wie dem Holocaust, dem Völkermord in Srebrenica, Darfur und kolonialen Völkermorden durch.

213

Dank

D

as Gebiet der Völkermordstudien ist in den letzten zwei Jahrzehnten rasant gewachsen, was zu einer Vielzahl von akademischen Publikationen geführt hat. Manche von ihnen verfolgen einen komparativen und weltgeschichtlichen Ansatz, die meisten beziehen sich jedoch auf Einzelfälle wie den Holocaust, den Völkermord an den Armeniern oder den Genozid in Ruanda. Ich bin dieser Literatur zu großem Dank verpflichtet, denn ohne sie wäre mir das Verfassen dieser Studie nicht möglich gewesen. Angesichts des kurzen, synoptischen und selektiven Charakters dieses Buchs konnte ich weder die gesamte von mir konsultierte Literatur zitieren noch auf historiografische Diskussionen eingehen. Zugleich ist mir daran gelegen, die wichtigen Beiträge zumindest einiger Autoren zu würdigen, die für meinen „weltgeschichtlichen“ Ansatz von zentraler Bedeutung waren: Mohammed Adhikari, Donald Bloxham, Mark Levene, Dirk Moses, William Schabas, Jacques Sémelin, Eric Weitz und ganz besonders Ben Kiernan. In den über vier Jahrzehnten meiner Forschung und meiner Publikationen hatte ich das Glück, Freunde und Kollegen zu haben, die meine Arbeit bereitwillig gelesen und kommentiert haben. Das war für dieses Buch besonders wichtig, da ich unmöglich Kulturen und Epochen gerecht werden konnte, die so weit außerhalb meines Spezialgebiets der russischen und europäischen Geschichte lagen. Für ihre Bereitschaft, Abschnitte aus ihrem jeweiligen Fachgebiet einer kritischen Lektüre zu unterziehen, danke ich Donald Emmerson, Jorge Ramón González, Caitlin Monroe, Andrew Walder und Steven Weitzman. Ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich zwei lieben Freunden und langjährigen Kollegen, die sich zum gesamten Manuskript geäußert haben: David Holloway und Ronald Suny. Die beiden Gutachter der Oxford University Press waren sorgfältig und hilfreich und in einem Fall genügend scharfzüngig, um mich die 214

Dank

Präsentation von Teilen des Materials überdenken zu lassen. Nancy Toff, die Herausgeberin der Reihe in Oxford, schenkte dem Manuskript einen Teil ihrer kostbaren Zeit, wofür ich ihr zutiefst dankbar bin. Meine Frau und Partnerin bei den Mühen der Klio, Katherine Jolluck, hat sich einmal mehr als außerordentlich hilfreiche Kritikerin meiner Arbeit erwiesen. Darüber hinaus möchte ich die Institutionen erwähnen, die dieser Arbeit eine Heimat und interessierte Kollegen geboten haben, mit denen ich mich austauschen konnte: das Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences, die American Academy in Berlin, das Center for International Security and Cooperation, das Freeman-Spogli Institute, die Hoover Institution (mit ihren Archiven und ihrer Bibliothek) und das Institut für Geschichte der Universität Stanford. Ohne die Freisemester, die lebhaften Seminare und die vielen informellen Gespräche wäre diese Arbeit niemals auf den Weg gebracht oder zu Ende geführt worden. Anstoß zu diesem Buch gegeben haben die sechs Jahre, in denen ich das Einführungsseminar „Eine Weltgeschichte des Genozids“ an der Universität Stanford unterrichtet habe. Ich möchte allen Studierenden für ihre Fragen, ihre Kommentare, ihre Kritik und ihre schriftlichen Arbeiten danken. Mein besonderer Dank gilt den Tutorinnen Caitlin Monroe, Melanie Lange und Alina Utrata für ihre vielfältigen Beiträge zu diesem Buch wie auch zum Kurs. Zu meinem Verständnis der verschiedenen Aspekte der Geschichte des Genozids und Problemen der Intervention haben auch die Studierenden beigetragen, die mit mir am „Summer Research College“ in Internationalen Beziehungen der Universität Stanford gearbeitet haben. Dieses Buch ist allen Bachelor-Studierenden der Universität Stanford gewidmet, deren Leidenschaft für eine Welt ohne Genozid ein Lichtstreif am Horizont einer relativ düsteren historischen Landschaft ist.

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Register Abdülhamid II.  100 Aborigines 70–79, 86–87, 165, 195, 198, 202 Aceh 156–157 Achäer  15, 20–21 Adana 100 Adhemar de Monteil  40 Aemilianus, Scipio  24 Aeneas  21, 23 Aeneis  15, 21 Afghanistan  31, 33 Afrika 13, 23–24, 55, 69–70, 85, 90–91, 93–94, 96–98, 118, 160, 180, 186–188, 190–191, 193, 195, 197–198 Afrikaander 96 Afrikaans 85 Ägäis  22, 106 Agamemnon 20 Aguilers, Raimund von  41–43 Ägypten  16–17, 42, 105 Aidit, Dipa Nusantara  155–156 al-Andalus 39 al-Baschir, Omar Hassan  187, 192, 198 Albaner 173 al-Bara 41 Albigenserkreuzzug  45, 198 Albright, Madeleine  178 al-Dschuwainī, ʻAlāʼ al-Dīn ʻAt ạ̄ Malik 31–32 Aleppo  101, 103 Alexios I. Komnenus  38 Alexius II.  40–41 Altes Testament  12, 15–19, 38, 48, 79, 194 Alvarado, Pedro de  62, 64 Amalek(iter)  16, 17, 25 Amalrich, Arnold  45, 47 Amenemope 20 Amerika(ner)  13, 51–54, 67–71, 78–79, 81– 82, 87, 135, 142, 144–146, 148, 153– 154, 157, 170, 192, 194–195, 207 Amoriter 17 Anáhuac 60 Anatolien  99, 101, 105–106 Angkor 137 Angola 91 Antiochia 41 Antipoden  69, 71, 195 Antisemitismus  107–108, 112, 195 Apachen 80

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Apodete  161, 163 Aquitanien 44 Araber 186–188 Arabien 27 Aralsee 31 Aramäer 20 Arawak 57 Arendt, Hannah  13 Arier 109 Arkan  siehe Ražnatović, Željko Armee 13, 25–26, 28, 30, 33–34, 36–37, 40, 47, 59–61, 64–65, 69, 80, 84–85, 93, 95, 98, 101, 106, 111, 113–114, 117– 118, 136, 146–149, 151–166, 171, 173– 174, 176, 178, 181–183, 186–188, 191– 192 Armenier  8, 13, 30, 98–106, 118, 195, 198 Arthur, George  75–76 Arusha  169, 181–182 Asien  28, 31, 110, 126, 136, 153 Assad-Regime 196 Assyrer  8, 106 Atahualpa 64–67 Atatürk, Mustafa Kemal  106 Atauro 165 Athen(er)  13, 21–23, 25, 29 Atlantik 23 Aufstände  47, 62, 94, 97–98, 100–101, 127, 131, 144–146, 148–150, 152, 159–160, 162–165, 181 Augenzeugen  158, 178, 184 Ausbeutung  55–56, 79 Auschwitz  110, 116–117 Australien, Australier 13, 69–74, 77–78, 159, 161, 167 Azteken  51, 53–54, 56, 60, 62–63, 68 Bagosora, Théoneste  183 Bahamas  52, 56–58 Bali(nesen) 156–158 Balkan  99, 170, 180, 196 Baltikum 112 Bantu  70, 85 Bartolomé, de Las Casas  13, 52, 54–59, 64 Bass-Straße  72, 77 Battambang 139 Batu Khan  33, 36 Bauern 33–34, 40, 55, 71, 119–125, 128– 135, 140–141, 143, 147, 149, 165, 187

Register Bechuanaland 95 Befehlshaber  59, 102, 106, 113, 149, 156, 178 Beijing  28, 133, 144 Béla IV.  33–34 Belagerung  20, 24–25, 30, 32, 35, 41–42, 46–47, 49 Belgien, Belgier  180, 182–183 Belgrad  170–171, 173–174 Belo, Carlos  166 Bełżec 116 Berlin  96, 99, 106, 114 Béziers 46–48 Bibel  15–16, 18, 20–21, 66 Bibileo 166 Bitlis 105 Boğazlıyan 103 Bohemund von Tarent  41 Bolivien 67 Bolschewisten  111, 119–120, 126 Bombenangriffe  163, 171 Bosnien, Bosnier 173–176, 178–179, 190, 192–193, 196 Boxeraufstand 98 Brantas 159 Breschnew, Leonid  144 Briten  69, 71–72, 88–91, 94, 99 Brudermord  162, 181, 186 Buchara 31–32 Buddhismus 141–142 Bufo 167 Buikarin 166 Buren  94, 96 Burundi(er)  180–182, 193 Buschmann (Bosjesman), Bushmanland  85, 88–90 Bush, George W.  192 Byzantiner  38–39, 41 Cajamarca  65, 67 Cape Argus  96 Carcassonne  46–47, 49 Carnegie Peace Foundation  9 Castillo Armas, Carlos  145–146 Cato, Marcus Porcius  13, 23–24 Ceniza, Operation  148–149 Cham  140–141, 143 Cham Roa  139 Charkiw 124 Che Guevara  146 Chełmno 114 Cherokee 79

China, Chinesen  29, 37, 50, 98, 119, 127– 129, 133–135, 139, 141–142, 153–154, 158, 162 Cholula 61 Choresmien, Choresmier  31–32, 37–38, 50 Christen(tum) 8, 39–42, 44, 48, 55, 58, 88–89, 100, 118, 149, 158 Chruschtschow, Nikita  127, 144 CIA  145–146, 148 Clermont 40 Coloma 81 Connecticut 79 Cortés, Hernán  51, 59–64, 67, 198 Cuéllar, Diego Velázquez de  59 Cusco 67 Dallaire, Roméo  182–183 Daoxian (Kreis in China)  132 Daressalam 182 Darfur  186–187, 189–193, 196, 198 David  17, 19 Dayton-Abkommen 192 Deir ez-Zor  102, 105 Demokratie  109, 135, 153 Demokratische Republik Kongo (DRC)  186, 193 Demozid 12 Den Haag  7, 169, 174, 179 Deportation 79, 99, 101–106, 109–110, 116–117, 119–122, 125–126, 141, 165, 184, 195 Deutsche, Deutschland  13–14, 69, 85, 93– 101, 106–109, 111–118, 125, 180, 195, 198 Dichter 20 Diktator, Diktatur  127, 143–146, 196 Dili  161, 166 Dominikanische Republik  57 Donau  34, 36 Drina-Korps 177 Dschandschawid 186–193 Dschingis Khan  14, 28–33, 36, 198 Edomiter 20 EGP (Guerilla-Armee der Armen)  148–149, 168 Eichmann, Adolf  114, 169 Eisenhower, Dwight D.  145 El Archivo  152 El Quiché, Quiché  148, 152, 167 encomienda  55, 59, 63 England, Engländer  96, 105, 109 Entente 99

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Register Entführung  20, 58, 76, 78, 82–83, 147, 154, 158, 163, 188, 190 Enthauptung  36, 42, 103, 157 Erdemović, Dražen  178 Erzurum 105 Ethnizität  7, 9–11, 28, 31, 49, 79, 92, 106, 119, 126, 140, 142–143, 160, 172–176, 180–181, 184, 186–187, 193, 196 Ethnozid 12 Euphrat 102 Eurasien 28–30 Europa, Europäer 33, 38, 40, 44, 46, 52, 55, 67, 69–70, 72, 74–75, 78, 85, 109, 114, 117, 127, 146, 169–170, 194, 195 Euthanasie 117 Exil  101, 183 Extremadura 51 Extremisten  92, 182, 184 Falintil  162–163, 165, 167 Familie  7, 9, 28, 46, 52, 71, 78, 80, 87, 98– 99, 105, 113, 117, 121, 126, 128, 130, 135, 137–139, 147, 156–158, 164–165, 167, 175, 189 Faschismus 171 Fengle 132 Ferdinand II.  55 Flinders Island  77 Folter 8, 15, 40, 42, 47, 65, 68, 102–103, 112, 126, 132, 136, 138, 147, 151, 159, 163, 173, 175, 178, 184, 190 Frankreich, Franzosen 13, 39–40, 44–46, 51, 69–71, 88, 94, 99–100, 105, 109 Franziskaner  53, 56 Fretilin  160–165, 167–168 Frondienst  18; siehe auch encomienda Führer  19–20, 22, 25, 29, 31, 33, 36, 59, 61, 64, 71, 100, 113–114, 119, 124, 129, 134, 137, 143, 147, 151, 154, 158, 163– 165, 171 Fundamentalisten 171 Gaga 189 Gefangene, Gefangenschaft 8, 17, 30, 36, 57, 61, 63, 66, 71–72, 76, 79, 82, 84, 87, 95–96, 110–112, 136–138, 165, 173, 175, 178, 189, 195 Gefängnis  47, 55, 112, 119, 127, 136, 138, 157, 167, 173, 175, 208 Gemetzel  21, 32, 34–35, 44, 47–48, 66–67, 84, 100, 102–103, 162, 184 Genderozid 12 Generalgouvernement 110

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Genosse Duch  siehe Kaing Guek Eav Gerwani (indonesische Frauenbewegung)  155 Gesetze  9–10, 55, 65, 71, 74, 108 Ghetto  9, 110–111, 113 Gilgamesch-Epos 20 Gitarama 183 Goebbels, Joseph  111 Gold  52, 56–57, 62, 64–65, 67, 81 Göring, Hermann  109 Gorki, Maxim  121 Gouverneur  54–55, 59, 63, 66, 68–69, 75– 76, 83, 88, 94, 166 Gräber 15, 113, 118, 121, 132, 136, 159, 166, 173, 178–179, 193 Gran 36 Grenzen  18, 23, 25, 88, 90, 95, 106, 123, 125, 173, 191 Griechen(land)  13, 20, 106 Griqua 89–90 Großer Terror  125–127 Großwardein 34 Guadalupe Hidalgo, Vertrag von  81 Guatemala, Guatemalteken  63–64, 145–149, 152–154, 159–160, 168 Guerilla  86, 149, 152, 165 Gulag  122, 126–127 Gusmão, Xanana  163, 165, 167 Guzmán, Jacobo Árbenz  145 Habsburg 99 Habyarimana, Juvénal  182–183, 198 Haiti 57 Hakenbüchsen 51 Hamidiye-Regimenter 100 Hamitentheorie 180 Hannibal 23 Hanoi 140 Havanna 144 HDZ (Kroatische Demokratische Union)  171 Heidelberg 8 Heiden(tum)  42, 54, 88 Helsinki 175 Herat 33 Herero  13, 93–98, 118, 195, 198 Herzegowina  173–174, 179, 192 Hethiter 17 Heydrich, Reinhard  114 Hindu  156, 158 Hinrichtungen 30, 41, 47, 67, 113–114, 125, 127, 136, 147, 152, 157, 176, 190 Hiroshima 172

Register Hispaniola  52, 57–60 Hitler, Adolf  9, 13, 106–109, 111, 114, 117, 195, 198 Hiwiter 17 Hobart  72, 77 Holocaust  9, 13, 116, 169–170 Holodomor  124–125, 198 Homer  20–21, 194 Homizid 9 Homosexuelle  117, 119 Honduras 145 Hottentotten (Khoikhoi)  86 Huehuetenango 148 Hugenotten 85 Hunan 131–133 Hunger(tod)  9, 27, 37, 53, 59, 79, 81, 83, 85, 89–91, 95–96, 104–105, 110, 113, 116– 119, 122–126, 128–134, 139, 143, 160, 163, 165, 167, 191, 195, 198 Hutu  180–185, 193 Iberische Halbinsel  39 Ideologie  25, 38, 48, 50, 70, 93, 107, 144, 153, 170, 197 Ieng Sary  137, 139, 142 Ilias  20, 194 Imperialismus, Imperium  7, 25, 37, 69, 93, 142, 194–195, 197 Indianer, Indios  51–59, 61, 63–68, 71, 78– 85, 87, 194–195 Indien  27, 29, 51 Indigene  7, 51–53, 57–58, 67–71, 77, 146– 148, 152, 197 Indonesien, Indonesier 153–156, 159–167, 198 Infantizid 9 Inguschen 126 Inka(reich)  51, 56, 64–68 Inquisition 47–48 Interahamwe  182, 184, 186 Internationaler Strafgerichtshof (ICC) 8, 169, 179, 188, 192, 198 Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY)  169, 173, 179 Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR)  169, 184 Internierung  79, 96, 98, 113, 119, 139, 163, 170, 173, 178 Invasion, Invasoren  25, 33, 59, 101, 159, 161 inyenzi 181 Irak  8, 106 Iran  31–32, 106 Isabella I.  55, 57

Islam(isten)  31, 39, 48, 100, 105, 143, 153, 156, 171 Israel(iten)  13, 15–20, 25, 39, 198 Italien(er)  13, 23, 28, 44, 46, 69, 124 Ixil  149, 151 Izetbegović, Alija  171, 173–174 Iztapalapa 63 Jäger, Karl  113 Jakarta  153, 155, 160–161, 167 Jamaika 58 Jarboe, William S.  83–84 Jarlyk 29 Java(ner)  154–155, 157–158, 160 Jebusiter  17, 39 Jedwabne 112 Jeffress, George W.  84 Jericho  18–19, 21, 25, 42 Jerusalem  38–39, 41–44, 48, 58, 68 Johnson, Edward (Captain)  85 Jordan 18 Josua  16, 18–19, 21, 42 Juda 17 Juden  9–10, 14, 16, 42, 51, 100, 107–114, 116–118, 195, 198 jüdisch-christlich 20 Jugoslaw(i)en  10, 169–173, 179, 196 Jungtürken  100–101, 103, 195 Kagame, Paul  185 Kailek 190 Kaing Guek Eav  136 Kalahari-Wüste  90, 95 Kalifornien  80–82, 84, 198 Kambodscha(ner)  119, 134–135, 137, 139– 142, 196, 198 Kampagne gegen rechts  127, 131–132 Kanaan(iter)  17–18, 39 Kanadier 182 Kannibalismus  15, 41, 124, 129–130, 134 Kap(stadt)  85–91, 93 Kapitalismus  107, 136, 144, 196 Karadžić, Radovan  174, 180 Karibik  51, 57, 59, 67, 79 Karl V.  55, 60, 63 Karolingerreich 40 Karthager, Karthago  13, 16, 23–25, 31, 198 Kasachstan 126 Katharer  44–49, 198 Katholiken, Katholizismus 38–39, 45–48, 51, 63, 68, 141, 160, 165–167 Katyn 110 Kaukasus 125

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Register Kaunas (Kovno)  112 Kediri  157, 159 Kekchí 147 Keraterm 175 KGB (Komitee für Staatssicherheit)  142 Khane 28 Khartum  187, 191–192 Khmer  135, 140–141, 143; siehe auch Rote Khmer Khoikhoi 85–87 Kiew 29 Kigali 182 Kilikien 105 Kinder  9, 11–12, 17–19, 21–22, 25–26, 30– 33, 42, 46, 53, 59–61, 68, 71, 78–79, 83–84, 87, 90, 94–96, 98, 102–103, 109–110, 112–113, 121, 124, 130, 132, 138–140, 147, 149–153, 162–163, 165– 166, 168, 173–174, 178, 184 Kiva 186 Klemperer, Victor  108 Kollaboration  101, 112, 125, 163 Kollektivierung  120, 122–123, 127 Kolonialismus 13, 69, 72, 77–78, 93–94, 145, 153, 160, 180, 195, 197 Kolumbus, Christoph 51–54, 56–59, 67, 69, 168 Komantschen 80 Kommandos  83, 87–89, 113, 147, 151–152, 157, 178 Kommission für Historische Aufklärung (Guatemala) 147 Kommunismus, Kommunisten 107, 110, 112, 119–147, 150, 153–157, 159–163, 168, 170–171, 196, 198 Komodo, Operation  161 Kompong Chhnang  140 Kongo  186, 193, 196 Konquistadoren  51, 59, 63, 65, 67–69 Konstantinopel  39–40, 101 Konventionen  7–8, 10–11, 119, 143, 195 Konzentrationslager 195 korenisazija  123 Kosovo  169–170, 173 Kovno 112 KPK (Kommunistische Partei Kambodschas)  134 Krajina 171 Krankheit  9, 27, 37, 52–53, 67, 73, 77–79, 81, 83, 85, 90–91, 98, 104–105, 110– 111, 116, 118–119, 122, 124, 126, 129– 130, 139–140, 163, 191–192, 194 Kraras 166

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Kreml  123–124, 144 Kreolen  72, 77 Kreuzzug  38, 40, 44–45, 48, 58, 198 Krim 126 Kroat(i)en 171–174 Kuba(ner)  57–60, 145, 148 Kulaken 119–122 Kultur(en) 8–9, 11, 12,16, 18–21, 24–25, 27–28, 31, 50–51, 53, 71, 76–77, 123, 141, 151–152, 159, 165 Kumanen 33–34 Kurden  99–100, 106 Ladinos 146 Lager 41, 52, 96, 98, 111, 114, 116–119, 121–122, 127, 136–141, 160, 163–164, 170, 175, 178, 186, 189–191, 193, 195 Lakedämonier 22 Lalerek Mutin  166 Landwirte, Landwirtschaft 31, 58, 63, 87, 90, 120, 128–129, 131, 165, 187, 189 Languedoc  44, 47–48 Las Navas de Tolosa  48 Lausanne, Vertrag von  106 Lavaur 47 Leicester 45 Leichen  21, 34, 36, 41, 43–44, 53, 61, 112, 116, 118, 137, 150–151, 155, 157–159, 178–179, 193 Lemberg (Lwiw)  8, 112 Lemkin, Raphael  8–12, 194 Lenin, Wladimir Iljitsch  119 Leningrad 125 Letten 113 Leutwein, Theodor  94, 96 Levi, Primo  116 Libanon 105 Liman von Sanders, Otto  101 Linke 144–146 Litauen, Litauer  112–113 Liu Shaoqi  133–134 Li Xianninan  129 Lobato, Nicolau  164 Łódź 110–111 Lon Nol  135–136 Lucas García, Fernando Romeo  147 Lucaya 56–58 Macartney, George  88 Madrid 8 Magyaren 33 Maharero, Samuel  94–95 Mailänder 48

Register Majdanek 116 Makkabäer 39 Malim Luro  166 Mandela, Nelson  167 Manzikert, Schlacht bei  39 Mao Zedong  127–129, 131–134, 196, 198 Marxismus-Leninismus  165, 196 Masalit  186, 190 Mattatias 39 Maya  63–64, 146, 148–152, 167 Mazedonier 173 Mein Kampf  107 Mejakić, Željko  175 Mekong 141 Melier, Melos  13, 16, 22, 25, 29 Melville, Henry74–75 Mendocino (County)  80–81, 84, 198 Menelaos 20–21 Merw, Massaker von  32–33 Mesopotamien 102 Mestizen 146 Mexikaner, Mexiko  51, 59, 62–63, 67, 81, 149, 152, 198 Milizen  69, 72, 78, 112, 132, 153, 159, 162, 164, 166–167, 171, 174, 178, 182–184, 186–188 Milošević, Slobodan  171–173, 180 Missionare, Missionierung 51, 54, 88–89, 94, 104, 157 Mittelmeer  23–24, 50, 116 Mladić, Ratko  176, 178 Moabiter 20 Moctezuma 60–64 Mohammedaner 39 Mongolei, Mongolen 26–38, 48–50, 194, 198 Mong Russey  139 Montenegriner 173 Montfort, Simon de  45, 47, 49 Montpellier 45 Morgenthau, Henry  104–105 Moses  16, 19 Motolinía (Toribio de Benavente)  53, 56 Mudschaheddin 187 Muhadschir  99, 102 Muselmann 116 Muslime  39, 42, 44, 48, 51, 99–100, 106, 140–141, 153–154, 156, 158, 160, 171, 173–180, 186, 193 Mykene 20 Nama  13, 93, 96, 98, 118, 195, 198 Namibia  91, 93

Nasakom 153 Nationalismus, Nationalisten  92, 100, 102, 106, 112, 145, 153, 155, 158, 170–171, 174, 182 Nationalsozialismus, Nazis  9–10, 106–114, 116–119, 195 Nekrophagie 124 Neuseeland 69 New South Wales  71 Nicäa  39, 41 Nicaragua 148 Nichtregierungsorganisationen (NGOs)  169 Niederlande, Niederländer 88, 153, 177– 178 Ninjas 167 Nischapur 32 NKWD (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten)  112, 125 Nome Cult Valley  81 Notre Dame de Puy  41 Ntaryamira, Cyprien  182 Nuba  189, 191 Numidier 24 Nürnberg  7, 10, 108 Offiziere 85, 98, 110–111, 114, 152, 154, 173 Ögedei Khan  33, 36, 38 OGPU (Geheimpolizei)  120–122 Okkupation  36, 105, 109, 164 Okzitanien 44 Omarska 175 Opfer  35, 47, 53–54, 68, 75, 77, 79, 82, 91, 102, 110, 112–113, 117–119, 130, 132, 136, 138, 140, 148, 150–153, 158–160, 163, 167, 175, 185–188, 190–191, 193– 194, 197–198 Orthodoxie  100, 106, 109 Osmanen, Osmanisches Reich  30, 98–102, 104–105, 176, 195 Österreich(er)  34, 100, 108 Österreich-Ungarn 171 Ostindien-Kompanie  85, 87, 91 Ostjuden 109 Otomí 60 Ovčara 173 Oxus 32 Palästina 109 Panzós, Massaker von  147 Papst  38–40, 44–48, 51, 54–55, 167, 198 Paramilitärs  118, 152, 172–174, 176 Paul III.  55

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Register Pax Mongolica  28 Pazifik  27, 50 PBSUCCESS, Operation  145 Peloponnesischer Krieg  16, 21, 23, 194, 198 Pequot 79 Perisiter 17 Perser 31 Peru  56, 64 Pest  33–34, 124 Philipp II.  54 Philipp II. August  45 Philister 20 Phnom Penh  135–136, 138–139, 198 Phönizier  20, 23 Pizarro, Francisco  64–67, 198 Pizarro, Juan  51 PKI (Kommunistische Partei Indonesiens)  153–159, 168, 207 PNI (Indonesische Nationalpartei)  155 Pogrome  100, 106, 108, 112, 156 Polen 106–107, 109–110, 112–114, 125, 198 Politbüro 120 Politik 13, 22, 26, 37, 40, 91–92, 96, 98, 105–106, 108–109, 120–121, 123, 125, 131, 133, 137, 141, 146, 148–150, 152, 171, 192 Polo, Marco  28 Pol Pot  134–135, 137, 139, 141–142, 196 Portugal, Portugiesen  69, 160–161 Potočari 177–178 Potosí 67 Powell, Colin  192 Presbyterianer 77 Prijedor 175 Propaganda  111–112, 155, 182–183 Protestanten 85 Puerto Rico  57–58 Puk Suvann  138 Punische Kriege  23–24, 198 Putsch  135, 146, 152, 155–156, 161, 198 Queensland 78 Raimund IV.  40–41 Raimund VI.  44–47 Ra’s al-‘Ain  105 Rasse, Rassismus  8–10, 13, 28, 39, 48, 51– 52, 70, 74, 78–79, 88, 92–93, 98, 107– 108, 117, 119, 121, 126, 140–141, 153, 180, 194–195, 197 Ražnatović, Željko  172 Reagan, Ronald  148, 150

222

Rebell(ion)  23, 94, 147, 162, 164, 185, 187– 188, 191, 193 Reconquista  39, 51 Regierung 12–13, 69, 77–78, 82–84, 89, 92, 94, 99–101, 105–106, 110, 112, 117– 120, 122, 124, 133, 135–137, 143–148, 152, 154, 159, 164–165, 170, 178, 180, 182–183, 185–193, 195 Reichspogromnacht 108 Religion 7–10, 15, 18, 27–28, 31, 48, 52, 54, 70, 77, 92, 100, 107, 119, 126, 141– 143, 153, 156, 158, 160, 180, 194, 197 Remexio 164 Repression  98, 122, 125 Revolution 70, 100, 119, 123, 134, 136– 137, 142–143, 145, 160, 162 Ríos Montt, Efraín  149–152 Rjasan 29 Robinson, George Augustus  77 Rogerius (Magister)  33–37 Rom, Römer  13, 20–21, 23–25, 40, 45, 198 Roma  117–118, 195 Römisches Statut des Internationalen Gerichtshofs  8, 169 Rote Khmer  119, 134–138, 140–142, 198 RPA (Ruandische Patriotische Armee)  183 RPF (Ruandische Patriotische Front) 181, 185 Ruanda, Ruander 169–170, 180–187, 190, 193, 198 Rum Cay  56 Russen, Russland  8, 27, 29, 33, 69, 99–101, 106, 119, 125, 140 Saloth Sar  siehe Pol Pot Samarkand 31–32 Samuel  16–17, 19 San  85–91, 93 Sandinistas 148 San Francisco  81, 84 Santa-Cruz-Massaker 166 Sarajevo  173, 176 Sarazenen  39, 41, 47 Sason 100 Saul 16–17 Schah ʿAlāʾ ad-Dīn Muhammad  31 Schießbefehl (von Trotha)  95 Scholochow, Michail  124 Selbstmord  59, 129, 132, 142 Seldschuken 39–41 Semile, Massaker von  8 Sepúlveda, Juan Ginés de  53–55, 67 Serb(i)en  170–180, 192–193

Register sexuelle Ausbeutung  53, 82, 130, 184, 191– 192 Shanghai-Plenum 129 Shaoshan 131 Sibirien  27, 110, 125 Sichuan  132, 134 Siedlungen  72, 86, 121, 127, 164 Sihanouk, Norodom  135 Sinti  117, 195 Sioux 80 Sizilien 23 Sklave(rei) 19, 22–24, 41, 54–55, 57–58, 63, 68, 79, 83, 87–88, 96, 186 Slawen 29 Slawonien 173 Slowenien  171, 173 Smyrna 101 Sobibor 116 Soldaten  12, 17, 27, 30, 32, 35, 38, 46, 51, 64, 66, 76, 78, 94–95, 98, 101, 103, 111, 136, 139, 150, 153, 157, 163, 165–166, 168, 173, 175–178, 182–183, 189–190 Solschenizyn, Alexander  121 Somoza, Anastasio  148 Soto, Hernando de  65 Sowjetunion 10, 111–112, 117, 125, 127, 129, 134, 144–145 Sozialismus  123, 126–127, 134, 142, 170 Soziozid 12 Spanien, Spanier 13, 23, 39–40, 44, 48, 51–67, 69, 74, 108, 150, 194 Sparta(ner)  13, 21–23 Srebrenica  2, 176–180, 193, 198 Sremska Mitrovica  173 SS  111, 113–114, 118 Stalin, Josef 109, 120–121, 123–127, 129, 144 Stalinismus 135 Strafgerichtshof  siehe Internationaler Strafgerichtshof Sträflinge  72–73, 75, 77–78 Strafverfolgung 25 Sudan(esen)  186–189, 191–193 Suharto  154–155, 159–161, 165, 167 Sukarno 154–156 Sumatra 157 Surabaya 157 Sutter’s Mill  81 Synagogen 108 Syrer, Syrien  41, 106, 118, 196 Taíno 57–58 Talât Pascha  104, 106

Tansania  169, 186 Tasmanien, Tasmanier  72–78, 89, 165 Tataren 126 Technik, Technologie  30, 64, 92, 118, 137 Tecoac 60 Tehlirian, Soghomon  106 Temüdschin 29; siehe auch Dschingis Khan Tenochtitlán 60–64 Termiz 32 Thukydides  13, 16, 20–23, 25, 194 Tiger 172 Timorer 160–167 Tito, Josip Broz  170 Tlaxcalteken  60–61, 64 Tötungen  8–9, 11, 14–16, 18–20, 25, 29– 30, 33–34, 36–37, 41, 68–69, 77–78, 84, 88, 91–93, 98, 113–114, 118–119, 124, 136–137, 140, 143, 153, 156–158, 167, 178, 184, 196; siehe auch Gemetzel Toulouse  40, 44, 46–47 Trabzon 100 Treblinka  110, 116 Treckburen 85–91 Trencavel, Raimund-Roger  46–47 Trotha, Lothar von  94–96, 98, 118 Trotzki, Leo  120 Troja, Trojaner  15, 20–21, 23–25, 31 Truganini 77 Truppen  30, 42, 59, 64–67, 84, 94–95, 111, 118, 146, 159, 161–162, 165, 167, 174, 177, 182–183, 185, 191 Tschetschenen 126 Tuđman, Franjo  171, 173 Tunis 23 Tuol Sleng  136, 138 Türkei, Türken  39, 41, 98–99, 102, 105– 106 Turkmenistan 32 Tyrannenmord 9 Überlebende  18, 24, 30, 33, 37, 44, 49, 63, 71, 75, 77, 90–91, 102, 105–106, 118, 121, 129, 139, 141–142, 150, 165, 189 UdSSR 126; siehe auch Sowjetunion UDT (Demokratische Union Timor)  160– 161 Uganda  181, 186 Ugarit 20 Ukraine(r) 112–115, 123–125, 131, 139, 143, 198 Unabhängigkeit 22, 44, 46, 71, 153, 159– 161, 165, 167, 171, 173, 181, 187, 197

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Register UNAMIR (Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für Ruanda)  182–183 Ungarn  28, 33–34, 36–38, 50, 116, 171 UNPROFOR (Schutztruppe der Vereinten Nationen) 177 Unternehmen Barbarossa  111 Unternehmen Tannenberg  109 Untung bin Syamsuri (Oberstleutnant)  154 Urganch 31–32 Usbekistan 126 Valladolid, Disput von  67 Valverde, Vincente de  65 Van Diemen’s Land  72, 76–77, 198 Vera Cruz  60 Verbrechen, Verbrecher 7–10, 12, 35, 48, 55, 83, 85, 119, 127, 130, 136, 169–170, 184, 192 Verfolgung  47, 84, 98, 108, 112, 122, 160, 163, 166, 181, 183, 189 Vergil  13, 15, 21 Verhör  126, 136, 163, 175 Vernichtung  7, 9, 11, 13, 16–19, 22, 25–26, 30–32, 37, 39, 48–49, 53, 55, 57, 60, 75, 78–79, 83, 88, 91–92, 98, 104–106, 110–111, 114, 117, 121, 125–127, 129, 131, 139–140, 142–143, 156, 161, 163, 165, 180, 184–185, 194, 196, 198 Versailler Friedenskonferenz  107 Verschwörung  107, 155 Versklavung  8, 55, 57, 67, 184, 194, 197 Vertrag  18, 22, 29, 31, 55, 81, 94, 99, 106

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Victoria 78 Vietnam(esen)  135, 140–142, 146 Vilnius (Wilno)  112 Viqueque (Vikeke)  166 Völkerbund 8–9 Vukovar  171, 173 Wadi Tina  191 Waitzen 34 Waldenser 46 Wannseekonferenz  114, 198 Warschau  8, 110–111 Washington, D. C.  9, 145, 149 Waterberg, Schlacht am  94 Wehrmacht  13, 107, 111–115 Weimarer Republik  107 Weißrussen, Weißrussland  110, 112–114 Weller, John  83 Westindien 57 Woroschilow, Kliment  126 Yaohejia 130 Yucatán 60 Yuki  80–86, 198 Zaghawa  186, 190 Zagreb 171 Zaire 185–186 Žepa 177 Zeytoun 100 Zivilisten 27, 69, 147–148, 151, 153, 163, 172–173, 176, 183, 186

Informationen zum Buch In seinem Buch wagt Norman N. Naimark, der sich um die Analyse von Völkermord verdient gemacht hat wie kaum ein anderer, einen Gesamtüberblick über den Genozid von der Alten Welt über den europäischen Kolonialismus bis hin zu den verheerenden Massakern im 20. Jhr. Geschliffen formuliert, mit dem Mut zur großen Synthese, ist dies ein schmerzhaftes wie notwendiges Buch.

Informationen zum Autor Norman M. Naimark, Professor an der Stanford University, ist ein hoch anerkannter Spezialist für Osteuropäische und Russische Geschichte sowie für die europäische Geschichte im 20. Jahrhundert. Besonders beschäftigt er sich mit der Geschichte von Völkermord und ethnischer Säuberungen. Dem auch in Deutschland gefeierten Historiker wurde für seine herausragende Forschungsleistung das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.