Gemeine Bescheide: Teil 1: Reichskammergericht 1497-1805. Eingeleitet und herausgegeben von Peter Oestmann 9783412211943, 9783412210625


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Gemeine Bescheide: Teil 1: Reichskammergericht 1497-1805. Eingeleitet und herausgegeben von Peter Oestmann
 9783412211943, 9783412210625

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QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR HÖCHSTEN GERICHTSBARKEIT IM ALTEN REICH HERAUSGEGEBEN VON ANJA AMEND-TRAUT, FRIEDRICH BATTENBERG, ALBRECHT CORDES, IGNACIO CZEGUHN, peter oestmann und Wolfgang Sellert

Band 63,1

Gemeine Bescheide Teil 1: Reichskammergericht 1497–1805

Eingeleitet und herausgegeben von Peter Oestmann

2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Dieser Band ist im Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Gemeiner Bescheid vom 5. Juli 1689 (Bundesarchiv, Außenstelle Berlin AR 1/Misc. 381) Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Bundesarchivs. © 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-21062-5

Vorwort Der Gegenstand dieses Buches ist weithin unbekannt: Gemeine Bescheide. Kaum jemand hat das Wort gehört, kaum jemand verbindet eine nähere Vorstellung damit. Die auf zwei Teile angelegte Edition will Abhilfe schaffen. Wer sich für das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit vor Gericht interessiert, wird ebenso fündig wie derjenige, dem es um die Beziehung von Richtern und Anwälten in der frühen Neuzeit geht, um frühe Formen der Entscheidungsbegründung gegenüber den Parteien, um Finanzprobleme, Korruptionsskandale – schlechthin um das bunte Rechtsleben des Alten Reiches auf der Grenze zwischen Gesetzgebung, Verwaltungsanordnung und Einzelfallentscheidung. Die Einleitung schlägt einige Schneisen in das Quellengestrüpp. Das Werk ist mein Beitrag zum Münsteraner Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“. Die starren Audienzordnungen frühneuzeitlicher Gerichte, umrahmt von Kleidervorschriften, vorgegebenen Worthülsen und anderem Zeremoniell schaffen hoffentlich die inhaltliche Brücke zum Rahmenthema des inzwischen ausgelaufenen Forschungsverbundes. Rechtshistorisch sind durch diese Quellensammlung zudem zum ersten Mal die Veränderungen des Kameralprozesses nach 1555 engmaschig greifbar. Aus den Mitteln des Sonderforschungsbereichs stammt auch der großzügige Druckkostenzuschuss Die Bearbeitung geriet schwieriger, als ich zunächst gehofft hatte. Alles in allem zog sich die Sache über vier bis fünf Jahre hin. Die Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts sind zwar in zeitgenössischen Drucken dicht überliefert. Doch zum einen unterscheiden sich die Ausgaben voneinander, manchmal kaum merklich, gelegentlich aber deutlich. Dann tauchten handschriftliche Vorlagen und Abschriften im Bundesarchiv auf, Separatdrucke in zahlreichen Archiven und Bibliotheken und immer wieder neue Sammeldrucke, die nirgendwo verzeichnet waren. Während der Quellenerschließung drohte allzu leicht der Überblick verloren zu gehen. Zum Glück war ich nicht auf mich allein gestellt. Die erste Hilfe leistete Bernhard Diestelkamp. Er stellte mir eine Sammlung Gemeiner Bescheide zur Verfügung, die er in mühsamer Arbeit angelegt hatte. Damit war ein Grundstock gelegt. Dann ging es um die Suche in verschiedenen Bibliotheken und Archiven. Hier erhielt ich Unterstützung durch Ines Zandek im Bundesarchiv Berlin und Jan Lokers im Archiv der Hansestadt Lübeck. Zahlreiche Bibliotheken haben auf meine Anfragen hin ihre Gemeinen Bescheide digitalisiert und teilweise im Internet zugänglich gemacht. Erfreulicherweise hatte ich mit Tanja Brüggemann, Anna Meiwes und Sandro Wiggerich wissenschaftliche Mitarbeiter, die zeitaufwendige und technische Arbeiten bündelten und jeweils mehrere Hilfskräfte anleiten konnten. Diese Studenten kann ich hier nicht alle nennen. Doch in der

VI Schlussphase leisteten vor allem Jonas Stephan, Jan Philipp Kampmann und Björn Czeschick wertvolle Dienste. Auch auf die Adleraugen von Steven Kensy war Verlass. Viele Anregungen konnte ich aufnehmen und berücksichtigen. Zunächst bin ich als Quereinsteiger in die dritte Förderphase des SFB 496 hineingerutscht und hatte dort mehrfach die Möglichkeit, mein Thema vorzustellen. Bei den Zürcher Ausspracheabenden für Rechtsgeschichte bot ich einige Quellen zur Diskussion, beim Methodenworkshop unseres Münsteraner Exzellenzclusters Teile der Einleitung. Darüber hinaus las Barbara Stollberg-Rilinger große Auszüge des Manuskripts. Und das ungezwungene Gespräch mit Kollegen wie Nils Jansen, Sebastian Lohsse oder Gerd Althoff hat mir immer wieder neue Einsichten eröffnet. Die vielfältigen Rückmeldungen, gerade auch die kritischen Nachfragen, waren für mich besonders wertvoll. In methodisch-editionstechnischer Hinsicht stellt das Buch dennoch einen leicht faulen Kompromiss dar, der mich selbst nicht voll befriedigt. Die ganz unterschiedlichen Wünsche und Interessen an buchstabengetreue Transkription, vorsichtige Normalisierung für heutige Leser, kritische Erfassung abweichender Lesarten und Schreibweisen in den Fußnoten werden leicht zu Fallstricken für denjenigen, dem es in erster Linie um Inhalte geht. Anregungen hierzu erhielt ich zuhauf, etwa von Friedrich Battenberg, Wilfried Reininghaus oder von Jürgen Macha. Der letztlich eingeschlagene Mittelweg ist anfechtbar und nicht konsequent. Es sind in den Anmerkungen alle Sinnunterschiede und Wortabweichungen verschiedener Vorlagen nachgewiesen. Aber nicht jede bloße Schreibvariante wurde in sämtlichen Parallelüberlieferungen nachgeprüft, sondern teilweise nur in einigen wichtigen Ausgaben. Damit bietet diese Edition zwar die Vielfalt der zeitgenössischen Drucke und Handschriften. Es ist aber nicht möglich, aus den Fußnoten verlässlich eine bestimmte Ausgabe zu rekonstruieren. Die Editionsrichtlinien in der Einleitung erläutern die hiermit verbundenen Schwierigkeiten. An dieser Stelle gerät die Rechtsgeschichte an die Grenzen ihrer handwerklichen Möglichkeiten. Ich danke also für vielfältigen Rat, für Kritik und Anregungen. Das gilt auch für die Mitherausgeber, die das umfangreiche Manuskript für unsere Grüne Reihe angenommen haben. Der Böhlau-Verlag mit Dorothee Rheker-Wunsch erwies sich wieder als verlässlicher und unkomplizierter Partner. Auch meine Frau und unsere Kinder haben es tapfer ertragen, wenn ich mich manchmal etwas zu tief in die „fiesen Bescheide“ vergraben hatte. Diesem sehr umfangreichen ersten Halbband soll Ende 2014 der wesentlich kürzere zweite Teil zum Reichshofrat folgen. Darin wird auch das Register für beide Bände enthalten sein. Vorläufig stelle ich das Register für den ersten Teil bei Interesse gern elektronisch zur Verfügung. Auf eine digitale Fassung der Edition habe ich verzichtet, um ganz altmodisch ein Bekenntnis zum gedruckten Buch abzugeben. Münster, im Mai 2013

Peter Oestmann

Inhalt Einleitung: Zwischen Gerichtsurteil und Gesetzgebung – die Gemeinen Bescheide von Reichskammergericht und Reichshofrat ....................... 1 I. Gemeine Bescheide und andere Quellengruppen ................................................... 2 1. Reichskammergericht ............................................................................................ 2 2. Reichshofrat ............................................................................................................ 9 II. Gemeine Bescheide frühneuzeitlicher Gerichte .................................................. 11 III. Gesetzliche Rahmenbedingungen am Reichskammergericht und Reichshofrat ...................................................................................................... 19 1. Reichskammergericht .......................................................................................... 20 2. Reichshofrat .......................................................................................................... 30 IV. Das Verfahren zum Erlass Gemeiner Bescheide ............................................... 35 1. Reichskammergericht .......................................................................................... 35 2. Reichshofrat .......................................................................................................... 40 V. Regelungsgehalt der Gemeinen Bescheide ........................................................... 41 1. Der äußere Rahmen ............................................................................................ 43 2. Vorschriften zum Verfahrensalltag ................................................................... 52 3. Disziplinarmaßnahmen gegen Prokuratoren ................................................... 64 4. Policeyrechtliche Regelungen ............................................................................ 68 5. Rang- und Ehrenfragen, Zeremoniell ............................................................... 73 VI. Überlieferung der Gemeinen Bescheide .............................................................. 77 1. Reichskammergericht .......................................................................................... 78 2. Reichshofrat .......................................................................................................... 84 VII. Editionsgrundsätze ................................................................................................ 85 VIII. Anhang: Quellen .................................................................................................. 93 1. Gemeine Bescheide des Reichskammergerichts ............................................. 94 a) Archivalische Überlieferung ......................................................................... 94 b) Gedruckte Sammlungen ............................................................................... 95 2. Gemeine Bescheide des Reichshofrats ........................................................... 103 Edition Teil I: Reichskammergericht 1497-1805 .......................................................... 105 Teilband 2 Edition Teil II: Reichshofrat 1613-1798 Abkürzungsverzeichnis Register

Einleitung: Zwischen Gerichtsurteil und Gesetzgebung – die Gemeinen Bescheide von Reichskammergericht und Reichshofrat Die obersten Gerichte des römisch-deutschen Reiches, Reichskammergericht und Reichshofrat, haben zwischen 1497 und 1805 insgesamt über 430 Gemeine Bescheide erlassen. Diese Bescheide sind hier erstmals vollständig versammelt, textkritisch und inhaltlich kommentiert und, soweit nötig, ins Deutsche übersetzt. Damit gerät eine bisher stark vernachlässigte Quellengruppe in den Blick. In ihrer unscharfen Verortung im gemeinrechtlichen Rechtsquellengestrüpp ist sie geradezu typisch für das frühneuzeitliche Recht. Es geht um Normsetzung durch die Gerichte selbst. In einer Zeit kaum scharf geschiedener Staatsgewalten erließen nicht nur der Herrscher, Reichstage, Ständeversammlungen und andere Institutionen Gesetze, sondern eben auch Gerichte. Die klare Abgrenzung derartiger Gemeiner Bescheide bzw. Decreta communia von anderen Äußerungen der Gerichte fällt nicht leicht. Conclusa pleni und Senatusconsulta verdunkeln den Blick und erschweren die Einordnung. Die Annäherung an Begriff und Sache umreißt damit zugleich den Gegenstand dieses Buches (dazu sogleich I.). Gemeine Bescheide sind freilich keineswegs auf die obersten Gerichte des Alten Reiches beschränkt. Der zweite Abschnitt der Einleitung führt das näher aus (dazu unten II.). Doch im Gegensatz zu anderen europäischen und deutschen Gerichten hatten die obersten Reichsgerichte mit einer besonderen Schwierigkeit zu kämpfen. Die Gesetzgebung war hier nämlich bekanntermaßen schwerfällig, der Drang, notwendige Änderungen selbst zu besorgen, ungleich größer (dazu unten III.). Auf welche Weise Reichskammergericht und Reichshofrat Gemeine Bescheide erließen, behandelt ein weiteres Kapitel (dazu unten IV.). Nach diesen eher formalen Fragen geht es um die Inhalte. In den Regelungsgegenständen zeigen sich nämlich deutliche Schwerpunkte. Sie erleichtern die Zuordnung und werfen zugleich grelle Schlaglichter auf die Gebrechen im Verfahrensalltag der Reichsgerichte (dazu unten V.). Zeitgenössische Autoren haben die Gemeinen Bescheide und Decreta communia mehrfach gesammelt und in recht verschiedenen Zusammenhängen veröffentlicht. Diese Ausgaben weichen teils erstaunlich weit voneinander ab (dazu unten VI.). Immerhin sind über viele Jahrzehnte die Urschriften oder authentische Einblattdrucke erhalten. Da der Urtext aber bei über der Hälfte der kammergerichtlichen Quellen verloren ist, steht die Edition vor der Schwierigkeit, aus zahlreichen zumeist nicht authentischen Druckwerken einen möglichst verlässlichen Text zu rekonstruieren. Auf welche Weise sich ein gangbarer Mittelweg finden lässt, deuten die Editionsrichtlinien am

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Ende der Einleitung an (dazu unten VII.). Der Anhang bietet einen Überblick über die recht verworrene Quellenlage (dazu unten VIII.).

I. Gemeine Bescheide und andere Quellengruppen Die Gemeinen Bescheide fallen in eine Grauzone zwischen Gesetzgebung, Verwaltungsanordnung und Rechtsprechung, also genau in das Spannungsfeld von allgemeiner Norm und Einzelfallentscheidung. Schon die Zeitgenossen hatten ersichtlich Schwierigkeiten mit der näheren Einordnung. Bereits die zeitgenössischen Publikationsorte sprechen Bände. Ein moderner Versuch, den Quellentyp näher zu bestimmen, kann genau hieran anknüpfen.

1. Reichskammergericht Die Kameralautoren Raphael Seyler 1572 und vor allem Christian Barth 1604/05 nahmen die Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts ohne weiteres in ihre umfangreiche Urteilssammlung auf. Barth fügte dem Werk folgenden Untertitel hinzu: „Jetzund aber mit vielen andern/ insonderheit aber zum Prozeß und stylo itziger zeit/ fast nützlichen praeiudiciis vermehret/ und locupletirt“1. Auf den ersten Blick waren die Gemeinen Bescheide damit den sonstigen Gerichtsurteilen gleichgestellt. Freilich wollte Barth auch zugleich die fast nützlichen Präjudizien bewahren. „Fast“ ist hier im alten Sinne von „fest“ zu verstehen2. Es handelte sich also um die besonders wichtigen Entscheidungen. Präjudizien freilich bedeuteten im frühneuzeitlichen Deutsch „nichts anderes, als einige vormals in gleichen Fällen erörterte und verurtheilte Sachen“3. Es ging also gerade nicht um allgemeine Regelungen. Genau den entgegengesetzten Eindruck vermittelt das „Corpus Juris Cameralis“ von Georg Melchior von Ludolff von 1724. Als „Gesetz-Buch“ titulierte der seinerzeit weithin bekannte Wetzlarer Assessor seine Sammlung, wies aber im Untertitel auf die verschiedenen Arten von Regelungen hin, die er unterschiedslos berücksichtigt 1 2 3

R a p h a e l S e y l e r / C h r i s t i a n B ar t h , Urtheil Und Beschaydt Am Hochlöblichen Kayserlichen Cammergericht, 3. Teil, Speyer 1604. Zu den Wortbedeutungen: Deutsches Rechtswörterbuch III (1938), Sp. 511. III, allgemein: J a c o b G r i m m / W i l h e l m G r i m m , Deutsches Wörterbuch, Band III (1862), Sp. 1348-1353. S a m u e l O b e r l ä n d e r (Hrsg.), Lexicon Juridicum Romano-Teutonicum, hrsg. v. Rainer Polley, Köln, Weimar, Wien 2000 (Nachdruck der 4. Aufl. Nürnberg 1753), S. 546.

Einleitung

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hatte4. In Ludolffs Werk hat man es also bei den Gemeinen Bescheiden mit einer Art von Gesetzen zu tun, bei Seyler und Barth mit einer Art von Urteilen. Dennoch wussten sie als Zeitgenossen und Kameralautoren, wovon sie sprachen. Bei einzelnen Quellen mochte unklar sein, ob es sich um Gemeine Bescheide handelte5. Aber Verwechslungen mit anders betitelten Entscheidungen oder Erlassen waren vor allem durch die jeweiligen Überschriften ausgeschlossen. Ganz eindeutig äußerte sich auch der Kammergerichtsprokurator Johann Deckherr. In seiner Sammlung Gemeiner Bescheide von 1688 nannte er die Erlasse kurzerhand „legislatio“ und „lex“6. Sehr präzise zum Reichskammergericht arbeitete 1878 Georg Wilhelm Wetzell. Er definierte Gemeine Bescheide als „allgemeine Verfügungen, vom R. K. Gericht den Betheiligten entweder zufolge höheren Auftrags (...) oder kraft seines autonomischen Rechts publicirt“7 . Eine inhaltliche Verschiebung beobachtete er durchaus. Zunächst sei der Erlass Gemeiner Bescheide „von jeher“ für richterliches Ermessen anerkannt gewesen, dann seit 1555 aber immer stärker auf die Ordnung des Prozessrechts bezogen worden. Solche Gemeinen Bescheide grenzte Wetzell von zwei anderen Quellenarten ab, von den Conclusa pleni und den Dubia cameralia. Conclusa pleni nannte er in Anlehnung an den Reichsabschied von 1570 „,mit Approbation des ganzen Raths angenommene opiniones‘ über streitige Rechtsfragen, welche in ein besonderes Protokollbuch geschrieben, und copeilich dem Reichstag zum Zweck der Ratifikation zugeschickt wurden“8. Als Dubia cameralia bezeichnete er demgegenüber „Controversen, über welche man sich im R. K. G. selbst nicht einigen konnte, und die deshalb der Entscheidung des Reichstags vorzulegen waren“9. 4

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G e o r g M e l c h i o r v o n L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, das ist/ des Kayserlichen CammerGerichts Gesetz-Buch, Frankfurt am Main 1724. Der Untertitel lautet: „Darinnen alle CammerGerichts-Ordnungen/ samt dem Anno 1613. verfertigten Concept Einer neuen Ordnung/ so dann die Visitations-Recesse und Memorialien, nicht weniger die gemeine Bescheide und RathsSchlüsse/ auch was in denen Reichs-Satzungen und Friedens-Schlüssen von höchst-erwehntem Gericht oder dessen Personen, Sachen, und Process enthalten, nach der Jahr-Zahl wie jedes abgefasset worden/ mit dienlichen Marginalien und Randweisungen derer vor und nach ergangener Verordnungen vermehrt, und mit dienlichen Registern versehen. So dann allen des Heil. Röm. Reichs Churfürsten/ Fürsten/ und Ständen ertheilten Kayserl. Privilegien de non appellando in ihrem völligen Enthalt/ auch zum Gebrauch behöriger Anweisung/ Allen, so an bemeldtem Höchsten Gericht zuthun haben/ oder dessen gründlicher Wissenschafft begierig sind, zum besten/ samt einer ausführlichen Vorrede heraus gegeben.“ Unklare Überschriften etwa beim frühesten Bescheid vom 31. Mai 1497 (unten RKG Nr. 1). J o h a n n D e c k h e r r , Rerum in supremo Camerae Imperialis judicii senatu judicatarum duodecennalis periodus, Frankfurt und Speyer 1688, S. 482 (zum 7. Juli 1671), 487 (zum 30. September 1672). G e o r g W i l h e l m W e t z e l l , System des ordentlichen Zivilprozesses, Neudruck Aalen 1969 der 3. Aufl. Leipzig 1878, S. 5. W e t z e l l , System (wie Anm. 7), S. 5-6. W e t z e l l , System (wie Anm. 7), S. 6.

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Über die Inhalte war damit nichts gesagt, die Abgrenzung selbst aber doch klar und verständlich. Gemeine Bescheide setzten eine Entscheidung des Kammergerichts voraus, ebenso die Conclusa pleni, die Dubia dagegen waren gerade die ungeklärten, noch offenen Fragen. Gemeine Bescheide sollten der Visitationskommission vorgelegt werden10, Conclusa und Dubia dem Reichstag. Für Conclusa gab es eigene Protokollbücher, für Gemeine Bescheide und Dubia nicht. So begriffsgenau und scharf, wie es der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts auch sonst entsprach, gelang es Wetzell, seinen Stoff zu ordnen. Das alles war für ihn nur mehr ein historisches Problem. Die Bindungswirkung der frühneuzeitlichen Gemeinen Bescheide hatten die meisten deutschen Prozessrechtler zwar bis weit in die 1820er Jahre hinein bejaht. Doch spätestens mit Hans Carl Briegleb (1859) und dann auch Wetzell selbst (1854/1878) lehnte man jede auch nur subsidiäre Geltung der Reichskammergerichtsordnungen und damit auch der Gemeinen Bescheide ab11. Wetzells Genauigkeit war damit rechtshistorische, nicht juristisch-dogmatische Arbeit. Überdies blieb seine Differenzierung unvollständig. Eine weitere Quellengattung, die sog. Senatsschlüsse oder Senatusconsulta, hatte er an dieser Stelle schlichtweg übersehen. Aus normengeschichtlicher Perspektive bietet die 1981 erschienene Dissertation von Bettina Dick, wie in vielen anderen Fragen, auch bei den Gemeinen Bescheiden Wegweisung. Sie definiert Gemeine Bescheide als interimistische Entscheidungen des Reichskammergerichts über unklare Rechtsfragen zum Prozessgang 12 . Nicht verallgemeinerungsfähig ist freilich ihre Beobachtung, das Gericht habe sich mit Gemeinen Bescheiden vor allem in Zeiten der Stagnation und unvollkommener Gesetzgebung beholfen13. Für die ersten Jahrzehnte bis 1555, die Dick behandelt, mag man so formulieren. In der Tat folgten ja zu dieser Zeit zahlreiche förmliche Reichskammergerichtsordnungen Schlag auf Schlag. Aber bis zum Ende des Alten Reiches rissen die Gemeinen Bescheide nie ab, unabhängig davon, wie es dem Reichskammergericht oder der Reichsgesetzgebung ansonsten erging. In der Abgrenzung zu den Conclusa pleni und den Dubia cameralia zieht Dick zunächst dieselbe Linie wie Wetzell: Dubia cameralia heißen bei ihr die Zusammenstellungen von ungeklärten Schwierigkeiten in materieller und prozessualer Hinsicht. 10 11

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Zur Prüfung Gemeiner Bescheide im Rahmen der Visitation vgl. unten ab Anm. 110. H a n s - P e t e r H a f e r k a m p , Fortwirkungen des Kameralprozesses im gemeinen Zivilprozess des 19. Jahrhunderts, in: Peter Oestmann (Hrsg.), Zwischen Formstrenge und Billigkeit. Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 56), Köln, Weimar, Wien 2009, S. 293-310 (300-302). B e t t i n a D i c k , Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 10), Köln, Wien 1981, S. 2. D i c k , Entwicklung (wie Anm. 12), S. 10.

Einleitung

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Das Gericht entschied diese Dubia nicht selbst, im Gegensatz zu den Gemeinen Bescheiden und den Conclusa pleni, die jeweils eigene Regelungsgehalte hatten. Um diese letztgenannten Gruppen voneinander zu trennen, lehnt sich Dick wörtlich an das „Corpus Juris Cameralis“ von 1717 an: „Der Unterschied aber zwischen Gemeinen Bescheiden und Consultis Camerae kan kürtzlich darin gesetzt werden/ daß jene den Process vornehmlich angehen/ diese aber quaestiones juris, jene werden in Audientia judiciali publicirt/ und denen Procuratoren zu beobachten anbefohlen/ diese aber werden nicht solenniter publicirt/ sondern nur pro norma in denen Senatibus beybehalten.“14 In der Tat ist das eine wichtige Belegstelle. Trotz des gleichlautenden Titels und desselben Nachnamens des Herausgebers handelt es sich um ein anderes Werk als das bekanntere „Corpus Juris Cameralis“ von Georg Melchior von Ludolff von 1724. Das „Corpus Juris Cameralis“ von 1717 war eine Zusammenbindung mehrerer kammergerichtlicher Werke von Johann Wilhelm Ludolff, zu dieser Zeit Advokat, später dann Prokurator am Reichskammergericht 15 . Die Teile erschienen zunächst 1716 separat, darunter auch der hier interessierende Anhang. Als jahrzehntelang in Wetzlar praktizierender Anwalt war Johann Wilhelm Ludolff ein verlässlicher Quellensammler. 1714 war er in Erfurt zu einem reichsgerichtlichen Thema promoviert worden16, und schon im selben Jahr erschien eine von ihm betreute Sammlung von Visitationsabschieden 17 . Seine Definition ist verlässlich und genau. Gemeine Bescheide und Conclusa pleni unterschieden sich also in der Art der Veröffentlichung und nach Ludolff zudem auch in ihrem rechtlichen Gehalt. Gemeine Bescheide betrafen vor allem prozessrechtliche Fragen, Conclusa pleni dagegen „quaestiones juris“, also Rechtsfragen. Diese Unterscheidung ergibt nur dann Sinn, wenn die Rechtsfragen der Conclusa pleni gerade nicht das Prozessrecht einschlossen. Aber genau das blieb bei Johann Wilhelm Ludolff in der Schwebe. Und die von Wetzell 1878 erwähnten „streitigen Rechtsfragen“18 ließen denselben Punkt ebenfalls offen.

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J o h a n n W i l h e l m L u d o l f f , Anhang zu dem Concept Der Cammer-Gerichts Ordnung, Wetzlar 1716, Vorrede § 8 am Ende; auch mit leichten Abweichungen zitiert bei D i c k , Entwicklung (wie Anm. 12), S. 10. Ludolff war bis mindestens 1765/66 als Prokurator in Wetzlar tätig; Nachweise etwa C l au d i a K a u e r t z (Bearb.), Akten des Reichskammergerichts im Hauptstaatsarchiv Hannover. Hochstift Hildesheim und benachbarte Territorien 1495-1806 (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung. Das Niedersächsische Landesarchiv und seine Bestände 1), Hannover 2009, Teil 4, S. 3253; A n e t t e B a u m a n n , Advokaten und Prokuratoren. Anwälte am Reichskammergericht (1690-1806) (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 51), Köln, Weimar, Wien 2006, S. 190. J o h a n n W i l h e l m L u d o l f f , Tractatus, de differentiis processus judiciarii Camerae Imperii a processu judiciorum Saxoniae, Diss. jur. Erfurt 1714. J o h a n n W i l h e l m L u d o l f f , Visitations-Abschiede Und Memorialien Ihrer Röm. Kayserl. Majestät, Wetzlar 1714. W e t z e l l , System (wie Anm. 7), S. 5.

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Johann Ulrich von Cramer bemühte sich 1768 ebenfalls um die Begriffsbestimmung. Gemeine Bescheide bezögen sich „hauptsächlich auf den Process“19. Sie „werden in Pleno gemacht, und in den Audientien publicirt, und zwar nach Verlesung der Urthel; daher fangen sie gemeiniglich an: Ferner ist der gemeine Bescheid; folglich sind die alle Judicial“20. Die Senatusconsulta beträfen demgegenüber „hauptsächlich den Judicem“, Decreta pleni dagegen im wesentlichen Personalfragen. Sowohl Senatusconsulta als auch Gemeine Bescheide hätten „vim Legis provisionalem“21. Zweimal zog sich Cramer also auf ein „hauptsächlich“ zurück. Eine gewisse Unschärfe blieb demnach bestehen. Eine recht genaue Einordnung bot 1795 auch Wilhelm August Friedrich Danz. Als ehemaliger Hofmeister des Reichskammergerichtspräsidenten verfügte er über jahrelange Wetzlarer Erfahrung22 . Er unterschied vier Arten vorläufiger kammergerichtlicher Gesetze. An erster Stelle standen die Gemeinen Bescheide, nämlich „Verordnungen des Kammergerichts, die über Prozeßgegenstände errichtet, und, weil sie hauptsächlich den Partien und Prokuratoren zur Norm dienen, auf öffentlicher Audienz bekannt gemacht werden“ 23 . „Schlüsse des vollen Raths“ schlossen sich an, wie Danz an zweiter Stelle die Senatusconsulta und Conclusa pleni zusammenfasste. Sie ergingen sowohl über Prozessgegenstände als auch über streitige Rechtsfragen. Den Unterschied zu Gemeinen Bescheiden sah Danz in der Bindungswirkung und der daraus folgenden Publikationsform. Senatusconsulta und Plenarschlüsse richteten sich an die Assessoren selbst und bedurften deshalb keiner öffentlichen Verkündung24. Danach kamen drittens die streitigen Rechtsfragen, über deren Lösung sich das Assessorenkollegium nicht einigen konnte. Das waren die Dubia cameralia, die Antworten darauf die Resolutionen25. Zum Schluss seiner kleinen Auflistung erwähnte Danz an vierter Stelle die „Praejudicia cameralia“. Hier schwankte er aber selbst in seiner Einschätzung. Die Bindung des Gerichts an den Stilus curiae und an löbliche Gebräuche befürwortete er, sah ihn zugleich durch mehrere Gesetze befestigt, hielt dies aber nicht für Präjudizienrecht im engeren Sinne. Die „Entscheidungen einzelner Senate“ waren nämlich für folgende Rechtssachen nicht „als verbindliche Regeln“ anzusehen. 19

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J o h a n n U l r i c h v o n C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden, worinnen auserlesene beym Höchstpreißlichen Cammergericht entschiedene Rechts-Händel zur Erweiter- und Erläuterung der Deutschen in Gerichten üblichen Rechts-Gelehrsamkeit angewendet werden, 128 Teile, Ulm 1755/1772, hier: Teil 76 (1768), S. 16. C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 76 (1768) (wie Anm. 19), S. 19. J o h a n n U l r i c h v o n C r a m e r , Systema processus Imperii seu supremorum Augustissimorum tribunalium, pars prima, Wetzlar 1764, S. 9. Kurz zu Danz R o d e r i c h v o n S t i n t z i n g / E r n s t L a n d s b e r g , Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, Abt. III, Halbband 1, 2. Neudruck Aalen 1978 der Ausgabe München 1898, Noten S. 289. W i l h e l m A u g u s t F r i e d r i c h D a n z , Grundsäze des Reichsgerichts-Prozesses, Stuttgart 1795, S. 132. D a n z , Grundsäze (wie Anm. 23), S. 132-133. D a n z , Grundsäze (wie Anm. 23), S. 133.

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Allgemein verbindlich für die Rechtsprechung sollten nur die Plenumsschlüsse sein26, also die in der zweiten Rubrik bereits erwähnten Conclusa pleni. Ganz ähnlich haben sich solche zeitgenössischen Abgrenzungen in der kammergerichtlichen Forschungsliteratur bis in die Gegenwart erhalten, selbst in kleinste Formulierungen hinein. Anja Amend-Traut greift die Wendung von den streitigen Rechtsfragen auf, mit denen sie die Conclusa pleni kennzeichnet, und beschränkt andererseits die Gemeinen Bescheide auf Prozessrecht und Verfahrensgang 27 . Teilweise werden die Unterscheidungen allerdings vermengt. Dann entstehen Unklarheiten. Ulrike Müßig spricht bewusst unscharf von „allgemeinverbindlichen Rechtsregeln“28. Terminologische Widersprüche will sie bereits bei den Zeitgenossen ausmachen29. Doch dann gerät sie selbst in die Fallstricke. Kammergerichtliche Präjudizien, meint sie, dürfe man nicht überschätzen. Denn die Sammlung Gemeiner Bescheide von 1714 enthalte keine materiellrechtlichen Entscheidungen. Deswegen seien Präjudizien wohl nur im Bereich der Gerichtsverfassung oder des Prozessrechts von Gewicht 30 . Doch das kann so nicht überzeugen. Gemeine Bescheide regelten generell keine materiellrechtlichen Fragen. Wenn man in einer Bescheidsammlung nicht fündig wird, belegt das eher die weitgehende Klarheit31 der zeitgenössischen Abgrenzung und gerade keine Begriffsverwirrung. Und warum prozessuale Normen weniger bedeutsam sein sollten als materiellrechtliche, bleibt ebenfalls unbeantwortet. Gerade dieses Beispiel legt es nahe, auf die Bezeichnung „Präjudizien“ in diesem Zusammenhang ganz zu verzichten. Der Gewährsmann von Müßig ist übrigens der Göttinger Jurist Georg Wilhelm Stock, 1758 Doktorand

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D a n z , Grundsäze (wie Anm. 23), S. 133. A n j a A m e n d - T r a u t , Wechselverbindlichkeiten vor dem Reichskammergericht. Praktiziertes Zivilrecht in der Frühen Neuzeit (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 54), Köln, Weimar, Wien 2009, S. 9; Hinweise auf die Quellengattungen auch S. 117 und S. 430, dort aber ohne nähere Ausführungen; im Ergebnis genauso bereits W e r n e r Ki r c h n e r , Generell bindende Gerichtsentscheidungen im reichsdeutschen und österreichischen Recht (Untersuchungen zur deutsch-österreichischen Rechtsangleichung 8), Leipzig 1932, S. 1215. U l r i k e M ü ß i g , Höchstgerichtsbarkeit als Motor des frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozesses: Frankreich und das Heilige Römische Reich im Vergleich, in: Tiziana J. Chiusi/Thomas Gergen/Heike Jung (Hrsg.), Das Recht und seine historischen Grundlagen. Festschrift für Elmar Wadle zum 70. Geburtstag, Berlin 2008, S. 703-731 (723). Insoweit übernommen von S t e f an A n d r e as S t o d o l k o w i t z , Das Oberappellationsgericht Celle und seine Rechtsprechung im 18. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 59), Köln, Weimar, Wien 2011, S. 85 Anm. 156. M ü ß i g , Höchstgerichtsbarkeit als Motor (wie Anm. 28), S. 725; ähnlich d i e s . , Superior courts in early-modern France, England and the Holy Roman Empire, in: Paul Brand/Joshua Getzler (Hrsg.), Judges and Judging in the History of the Common Law and Civil Law: From Antiquity to Modern Times, Cambridge 2012, S. 209-233 (227-228). Eine Ausnahme bilden etwa der Gemeine Bescheid vom 12. Februar 1620 (unten RKG Nr. 107) und das Senatusconsultum vom 3./31. März 1660 (unten RKG Nr. 148).

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bei Johann Stephan Pütter 32 . Seine zeitgenössische Einschätzung besitzt ganz augenscheinlich erheblich weniger Gewicht als die Veröffentlichungen der langjährigen Kammergerichtsmitglieder. Freilich sind die üblichen frühneuzeitlichen Übergänge zu berücksichtigen. So erließ das Reichskammergericht etwa im März 1660 ein Senatusconsultum und regelte darin die ordnungsgemäße Sollizitatur sowie die Verpflichtung der Prokuratoren, an einem Repertorium entscheidungsreifer Fälle mitzuarbeiten 33 . Als der Beschluss aber keinen Erfolg zeitigte, wiederholte das Gericht seine Anordnung kurzerhand als Gemeinen Bescheid34. Ein besonderes Abgrenzungsproblem besteht zwischen Gemeinen Bescheiden und Verfügungen des Reichskammergerichts. Die Schwierigkeit ist vor allem an einer „Kaiserlichen Kammergerichts Verfügung über die bisherige Schatzung-Irrungen“ ersichtlich. Diese in der Audienz vom 2. Dezember 1785 verkündete Verfügung betrifft die Grundsteuerpflicht der Kameralpersonen in der Reichsstadt Wetzlar 35 . Erst 1778 war dazu ein Gemeiner Bescheid ergangen36. Schon 1620 hatte das Kameralkollegium einen Gemeinen Bescheid zur Erhebung der Türkensteuer erlassen, damals zugleich in Form eines Conclusum pleni37. Wo der Unterschied zu einer Verfügung liegen sollte, bleibt offen. Dennoch ist die Überlieferung eindeutig. Direkt an die Verfügung von 1785 schließt sich in der Ausgabe von Vahlkampf ein Gemeiner Bescheid an, der auch genauso überschrieben ist38. Auch in den sonstigen Quellen zu den Gemeinen Bescheiden fehlt die Verfügung von 1785. Für die Zeitgenossen gab es also einen erkennbaren Unterschied in der Normsetzung, obwohl das Regelungsproblem sich im Vergleich zu 1778 nicht geändert hatte. Hier stößt die Quellenkunde an ihre Grenzen. Nähere Aufschlüsse sind nicht möglich. Jedenfalls konnte das Gericht ein und dieselbe Frage durch verschiedene Arten von Erlassen lösen.

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J o h a n n S t e p h a n P ü t t e r (Präses)/G e o r g W i l h e l m S t o c k (Respondent), De iure et officio summorum Imperii tribunalium circa interpretationem legum Imperii, Diss. jur. Göttingen 1758. Senatusconsultum vom 3. oder 31. März 1660, bei L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), S. 905-906 (unten RKG Nr. 148). Gemeiner Bescheid vom 24. Mai 1660 (unten RKG Nr. 150); nochmals wiederholt am 23. Januar 1741 (unten RKG Nr. 273). Bei J o s e p h A n t o n V a h l k a m p f , Reichskammergerichtliche Miscellen, Wetzlar und Gießen 1805/06, Teil II Titel XI Nr. 4, S. 200-202; zur Sache gab es auch eine Verordnung vom 14. Mai 1734. Es ist unklar, ob es sich um eine städtische Verordnung oder um eine Verordnung des Reichskammergerichts an die Stadt Wetzlar handelte. Bei K a r l H ä r t e r / M i c h ae l S t o l l e i s (Hrsg.), Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit. Band 10: Reichsstädte 4: Speyer, Wetzlar, Worms (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 251), Frankfurt am Main 2010, S. 535, findet sich kein einschlägiger Nachweis. Gemeiner Bescheid vom 2. Oktober 1778 (unten RKG Nr. 304). Gemeiner Bescheid vom 12. Februar 1629 (unten RKG Nr. 107). V a h l k a m p f , Miscellen II (wie Anm. 35), Titel XI Nr. 5, S. 202.

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2. Reichshofrat Für den Reichshofrat ergeben sich andere Abgrenzungsfragen als für das Reichskammergericht. Auf eine Gemeinsamkeit machte zunächst bereits Danz aufmerksam. Auch der Reichshofrat kannte Plenarschlüsse, sog. Conclusa pleni. Sie betrafen wie am Reichskammergericht die richterliche Tätigkeit der Reichshofräte und fanden deshalb für den inneren Dienstgebrauch Aufnahme in ein sog. rotes Buch. Auch die Bindungswirkung für spätere Gerichtsmitglieder soll gleich gewesen sein. Allerdings hatte der Kaiser die Möglichkeit, jederzeit Änderungen vorzunehmen39. Eine besondere Schwierigkeit hat Wolfgang Sellert hervorgehoben. Am Reichshofrat gab es nämlich den Unterschied zwischen kaiserlichen Dekreten und Gemeinen Bescheiden. Gerade in der lateinischen Fassung hießen beide Decreta, einmal die Decreta Caesarum, einmal Decreta communia40. Die kaiserlichen Dekrete waren „prozessuale und gerichtsverfassungsrechtliche Anordnungen“, also gerade nicht die Entscheidung von Einzelfällen, sondern abstrakt-generelle Anordnungen. Genau dasselbe regelten die Gemeinen Bescheide ebenfalls, freilich gerichtet an die Prokuratoren und Agenten. Diese feinste Spitzfindigkeit zeigt sich für den aufmerksamen Leser in den Einleitungsworten. Kaiserliche Dekrete ergingen von der römischen kaiserlichen Majestät „wegen deroselben Reichs-Hoffrathes-Präsidenten, Vicepräsidenten und Reichs-Hoffräthen in Gnaden anzuzeigen“. Gemeine Dekrete dagegen waren von der römischen kaiserlichen Majestät dazu bestimmt, „wegen denen sambtlichen an dero Kayserlichen Hoff anwesenden Procuratorn, Agenten und Sollicitatoren hiemit in Gnaden anzuzeigen“41. Hier liegt tatsächlich ein auf den ersten Blick unscheinbarer, in der Sache aber entscheidender Unterschied zwischen den Gemeinen Bescheiden des Reichskammergerichts und denen des Reichshofrats. Die reichshofrätlichen Decreta communia richteten sich fast ausnahmslos an die Anwälte. Die Einleitungsformeln konnten manchmal ein wenig schwanken 42 . Doch selbst wenn die Anfangsworte nicht erhalten sind, lässt sich die Adressierung an die Agenten entweder aus der Überschrift oder aus dem Inhalt zweifelsfrei erschließen43. Nur ganz wenige Zweifelsfälle sind nicht eindeutig zuzuweisen. So sprach der Bescheid vom 28. Juli 1681 das 39 40

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D a n z , Grundsäze (wie Anm. 23), S. 149-150. W o l f g a n g S e l l e r t , Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte. Neue Folge 18), Aalen 1973, S. 88-92. Formulierungen bei S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 88 Anm. 206, S. 89 Anm. 207. Decretum commune vom 11. Januar 1679 (Teilband II, RHR Nr. 29); Decretum commune vom 11. Juni 1681 (Teilband II, RHR Nr. 37). Beispielsweise im Decretum commune vom 17. August 1798 (Teilband II, RHR Nr. 102).

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Kanzleipersonal des Reichshofrats an. Der Sache nach ging es aber ebenfalls um ein Verbot gegenüber den Agenten, nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis das Archiv oder die Kanzlei zu betreten44. Am 3. Oktober 1684 erging ein Dekret zum Umgang mit Druckprivilegien. Darin war unter anderem die Abgabe von Pflichtexemplaren ausländischer und erlaubnisfreier Literatur an den Reichshofratssekretär geregelt45. Schließlich ist ein offener Brief des Kaisers vom 18. Juli 1715 überliefert. Er behandelte ein Verbot von Schmähschriften in Glaubens- und Staatssachen. Kaiser Karl VI. befahl dem Reichsfiskal, bei Verstößen Strafverfahren am Reichskammergericht und Reichshofrat anhängig zu machen46. Es fällt schwer, so etwas als Gemeinen Bescheid anzusehen. Die kammergerichtlichen Sammlungen überliefern die Entscheidung denn auch in anderer Form47. Freilich hatten Privilegienerteilungen und -entziehungen, speziell Druckprivilegien, ohnehin eine erheblich engere sachliche Nähe zum Reichshofrat als zum Reichskammergericht 48 . Deshalb haben Zeitgenossen den offenen kaiserlichen Brief wohl kurzerhand als Decretum commune des Reichshofrats vereinnahmt. Die wenigen Ausnahmen dürfen den erheblichen Unterschied zwischen Reichskammergericht und Reichshofrat in diesem Punkt nicht verdecken. Am Reichskammergericht gab es praktisch keinerlei unmittelbare kaiserliche Gesetzgebung. Die Visitationen verliefen schleppend, und förmlich-gesetzliche Reformen der Gerichtsordnung kamen nach 1555 bzw. 1654 praktisch nicht mehr zustande. Deshalb hatten die Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts einen sachlich umfassenderen Anwendungsbereich und zugleich teilweise auch einen größeren Adressatenkreis. Dennoch bietet die vorliegende Edition lediglich die Decreta communia des Reichshofrats, nicht aber die Decreta Caesarum. Der Grund besteht in der verschiedenen Provenienz der Quellen, nicht in ihrem Regelungsgegenstand. Bei den Gemeinen Bescheiden handelt es sich um eine Art gesetzgeberischer Tätig44 45 46 47 48

Decretum commune vom 28. Juli 1681 (Teilband II, RHR Nr. 39). Decretum (commune?) vom 3. Oktober 1684 (Teilband II, RHR Nr. 53). Decretum vom 18. Juli 1715 (Teilband II, RHR Nr. 72). Gemeiner Bescheid vom 18. September 1715 (unten RKG Nr. 254). Der Wortlaut des kaiserlichen Dekrets war hier eingekleidet in übliche Formulierungen eines Gemeinen Bescheides. Aus der Fülle der Literatur: E l m ar W ad l e , Privilegia Impressoria vor dem Reichshofrat. Eine Skizze, in: Leopold Auer/Werner Ogris/Eva Ortlieb (Hrsg.), Höchstgerichte in Europa. Bausteine frühneuzeitlicher Rechtsordnungen (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 53), Köln, Weimar, Wien 2007, S. 203-213; H a n s - J o ac h i m K o p p i t z , Zur Form der Anträge auf Bewilligung kaiserlicher Druckprivilegien durch den Reichshofrat und zu den Gründen ihrer Ablehnung, in: Barbara Dölemeyer/Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), Das Privileg im europäischen Vergleich. Band 1 (Ius Commune. Sonderheft 93), Frankfurt am Main 1997, S. 347375; daneben U l r i c h E i s e n h a r d t , Die kaiserliche Aufsicht über Buchdruck, Buchhandel und Presse im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (1496-1806). Ein Beitrag zur Geschichte der Bücher- und Pressezensur (Studien und Quellen zur Geschichte des Deutschen Verfassungsrechts A 3), Karlsruhe 1970, dort S. 40-41 zum kaiserlichen Edikt von 1715.

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keit durch die Gerichte selbst. Die persönliche Gesetzgebung durch den Gerichtsherrn war daneben niemals ausgeschlossen. Sie funktionierte in der Praxis beim Reichshofrat nur ungleich besser als am Reichskammergericht. Das Reichskammergericht hat sich gegen kaiserliche Anordnungen sogar immer ausdrücklich verwahrt 49 . Typologisch sind die kaiserlichen Bescheide und die Gemeinen Bescheide des Reichshofrats daher zwei grundverschiedene Quellengattungen, so millimeterscharf ihre Inhalte auch aneinandergrenzen mögen. Zugleich dürfte im Nebeneinander kaiserlicher und Gemeiner Dekrete auch ein wesentlicher Grund für die im Vergleich zum Reichskammergericht erheblich geringere Zahl reichshofrätlicher Gemeiner Bescheide liegen. Damit bestätigt sich die oben bereits geäußerte Vermutung: Die hohe Fülle reichskammergerichtlicher Gemeiner Bescheide verweist zugleich auf erhebliche Schwächen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens. So mag das Reichskammergericht also in seiner funktionalen Ausdifferenzierung und Trennung vom Herrscher durchaus einen zukunftsweisenden und modernen Typ von Gericht verkörpert haben50. In seiner gesetzlichen Feinsteuerung war es zugleich allein gelassen. Institutionell hatte man es vom Kaiserhof getrennt, damit aber auch vom üblichen frühneuzeitlichen Gesetzgeber abgeschnitten. Die Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts zeigen damit den Spagat zwischen einer weitgehend unabhängigen Gerichtsbarkeit und einer praktisch nicht vorhandenen gesetzgebenden Gewalt.

II. Gemeine Bescheide frühneuzeitlicher Gerichte Gemeiner Bescheid ist inzwischen ein weithin unbekannter Begriff. Im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte sucht man das Schlagwort in beiden Auflagen vergeblich. Der Blick in ältere Nachschlagewerke ändert an diesem Befund kaum etwas. Selbst der sonst zuverlässige Samuel Oberländer hält sich in seinem Lexikon bedeckt. Unter dem Lemma „Decretum“ behandelt er lediglich das Decretum Gra49

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Am Beispiel der Promotorialen P e t e r O e s t m a n n , Rechtsverweigerung im Alten Reich, in: ZRG Germ. Abt. 127 (2010), S. 51-141 (68, 123-124); d e r s . , Geistliche und weltliche Gerichte im Alten Reich. Zuständigkeitsstreitigkeiten und Instanzenzüge (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 61), Köln, Weimar, Wien 2012, S. 299-300; W o l f g a n g S e l l e r t , Richterliche Unabhängigkeit am Reichskammergericht und am Reichshofrat, in: Recht und Verfassung in Hessen. Vom Reichskammergericht zur Landesverfassung (Kleine Schriftenreihe zur Hessischen Landeskunde 3), Wiesbaden 1995, S. 39-47 (41). Dazu B a r b a r a S t o l l b e r g - R i l i n g e r , Die Würde des Gerichts. Spielten symbolische Formen an den Höchsten Reichsgerichten eine Rolle?, in: Oestmann, Formstrenge (wie Anm. 11), S. 191216 (212-213).

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tiani und dann ergänzend einen „Schluß, welchen der Fürst nach erkannter Sache unter streitenden Partheyen giebt“ 51 . Die Gemeinen Bescheide gehen aber gerade über den Beschluss zu einem Einzelfall hinaus. Abseits der oben erwähnten Spezialliteratur zu den obersten Reichsgerichten wird man also kaum fündig. Auch das umfassende Zedlersche Lexikon kennt wie Oberländer unter „Decretum“ lediglich den gerichtlichen Beschluss im Gegensatz zum Endurteil52. Und unter „Bescheid“ erfährt man ebenfalls nur etwas zur Einzelfallregelung53. Eine Ausnahme bildet die eher unbekannte Enzyklopädie von Köster von 1782. Sie teilt mit: „Decretum commune, gemeiner Bescheid, wird bey dem Kaiserlichen Reichscammergericht diejenige Verordnung des Cammergerichtscollegium genannt, durch welche gewisse Zweifel, welche bey dem cammergerichtlichen Processe vorkommen, entschieden und darüber Verordnungen gemacht werden; sie haben die Kraft eines Gesetzes so lange, als nicht von Kaisern und Reichsständen ein anders verordnet wird; es fehlt auch nicht an Beyspielen, daß durch Kaiser und Stände, oder durch deren Visitationsdeputierte cammergerichtliche gemeine Bescheide aufgehoben, oder abgeändert worden sind; sie dürfen insbesondere niemals den Reichsgesetzen zuwider gemacht werden.“ 54 Freilich konzentrierte sich das allgemeine Lexikon ganz auf das Reichskammergericht. Eine kurze Rundschau über zeitgenössische Editionen und Buchtitel vermittelt freilich einen deutlich anderen Eindruck. In der frühneuzeitlichen deutschen Terminologie war Gemeiner Bescheid die deutsche Entsprechung des lateinischen Decretum commune. Ob und inwieweit der lateinische Begriff in anderen europäischen Ländern gebräuchlich war, lässt sich ohne aufwendige Vertiefungen nicht klären. An dieser Stelle muss eine erste Durchsicht von Buchtiteln genügen. Im deutschsprachigen zeitgenössischen Schrifttum finden sich Gemeine Bescheide etwa am Wismarer Tribunal 55 , am Kaiserlichen 51 52

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O b e r l ä n d e r , Lexicon (wie Anm. 3), S. 206. J o h a n n H e i n r i c h Z e d l e r (Hrsg.), Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Band 7, Halle und Leipzig 1734, Sp. 377; so auch im Hinblick auf das mittelalterliche gelehrte Prozessrecht W i e s ł aw L i t e w s k i , Der römisch-kanonische Zivilprozeß nach den älteren ordines iudiciarii, Krakau 1999, Band II, S. 457; keine Begriffsklärung bei K n u t W o l f g a n g N ö r r , Romanisch-kanonisches Prozessrecht. Erkenntnisverfahren erster Instanz in civilibus, Heidelberg 2012, S. 193. Z e d l e r , Universal-Lexicon (wie Anm. 52), Band 3 (1733), Sp. 1465-1466. H e i n r i c h M a r t i n G o t t f r i e d Kö s t e r (Hrsg.), Deutsche Encyclopädie oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften, Band 6 (Coa-Dec), Frankfurt am Main 1782, S. 841-842. Zur Frage nach dem Herausgeber bzw. Verfasser der Enzyklopädie H e i n r i c h M a r t i n G o t t f r i e d K ö s t e r , Historische Encyclopädie. Gesammelte Artikel über Historik und Didaktik aus der „Deutschen Encyclopädie“, hrsg. von Horst Walter Blanke und Dirk Fleischer (Wissen und Kritik 9), zwei Teile Waltrop 2003, S. XI-XXIII. Abschied/ So bey solenner Visitation des Königlichen Hohen Tribunals in Wißmar errichtet Von dem Durchläuchtigsten Großmächtigsten Fürsten und Herrn/ Herrn Carl, Der Schweden/ Gothen und Wenden Könige (…). Confirmiret und zu observiren befohlen/ Wie derselbe publiciret Anno 1692; Wobey auch angehänget die gemeine Bescheide/ so von Anfang des Königl. hohen Tribunalis ergangen, Wismar 1692 (nachgewiesen bei vd17: 1:017312D); dazu

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Landgericht Nürnberg56, in Mecklenburg57, im Hochstift Osnabrück58, Fürstbistum Paderborn 59 , in Lübeck 60 , Stralsund 61 , Jülich-Berg 62 , Württemberg 63 und Braunschweig-Lüneburg 64 bzw. Kurhannover mit dem Oberappellationsgericht Celle 65 . Doch ist das nur die Spitze eines Eisberges. Zahlreiche Gemeine Bescheide

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H e i n z M o h n h a u p t , Organisation und Tätigkeit des „Hohen Königlichen Tribunals zu Wismar“, in: Nils Jörn/Bernhard Diestelkamp/Kjell Åke Modéer (Hrsg.), Integration durch Recht. Das Wismarer Tribunal (1653-1806) (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 47), Köln, Weimar, Wien 2003, S. 215-237 (230-231). Bundesarchiv AR 1/Misc. 388: Gemeiner Bescheid vom 27. Februar 1730. Gemeine Bescheide/ Welche Bey dem Hoch-Fürstl. Mecklenburgischen Land- und HoffGerichte/ Von Anno 1575. nach und nach/ biß auff den 24. April, Anni 1716. inclusive, publiciret/ Und nach Vorgängiger Revision und Collation Mit dem Jüngsten Reichs-Abscheide [sic!] de Anno 1654. Und andern Neuen Hoch-Fürstl. Verordnungen Zur möglichsten Abkürtzung aller Rechts-verzögernden Process-Weitläufftigkeit/ und förderlicher Handhabung der heilsamen Justice, Renoviret/ und/ durch öffentlichen Druck/ zu jedermännigs Wissenschafft und pflichtmäßiger genauen Beobachtung wieder gebracht worden, Güstrow 1716 (nachgewiesen bei vd18: 10901833); kurzer Hinweis auf Mecklenburg auch bei W e r n e r S c h u b e r t , Die Geschichte des Notariats in Schleswig-Holstein, Lübeck, Mecklenburg und Neuvorpommern, in: Marju LutsSootak/Sanita Osipova/Frank L. Schäfer (Hrsg.), Einheit und Vielfalt in der Rechtsgeschichte im Ostseeraum (Rechtshistorische Reihe 428), Frankfurt am Main 2012, S. 235-251 (239). J u s t u s F r i e d r i c h A u g u s t L o d t m an n (Hrsg.), Codex constitutionum Osnabrugensium, oder Sammlung von Verordnungen, gemeinen Bescheiden, Rescripten und anderen erläuterenden Verfügungen, welche das Hochstift Osnabrück betreffen, Band 1, Osnabrück 1783. Hinweis bei T h o r s t e n S ü ß , Das beneficium trium instantiarum, in: ZRG Germ. Abt. 130 (2013), S. 381-405 (386). Eines Hochedlen und Hochweisen Raths der Kaiserl. freyen und des Heil. Röm. Reichs-Stadt Lübeck Gemeine Bescheide, die Taxam der Gebühren der Advocatorum, Ober- und NiederGerichts-Procuratorum und Notariorum, wie auch einige das Justitz-Wesen und die Abstellung einiger bemerkten Gerichts-Mängel betreffend, Lübeck 1756. Der Stadt Stralsunde Revidirte Gerichts-Ordnung. Publiciret den 7. Octobris Anno 1670. Auffs neu aber/ wegen Mangel der Exemplarien, Mit ein und anderer Erläuterung/ und Beyfügung derer Gemeinen Bescheiden auffgelegt und zum Druck befordert, Stralsund 1720. Ordnung Des HochFürstlichen Gülich- und Bergischen Hoffgerichts zu Düsseldorff/ Sambt denen am gemeltem Hoffgericht nach und nach publicirten gemeinen Bescheiden (…), Düsseldorf 1684. G e o r g H e i n r i c h H ä b e r l i n (Hrsg.), Rerum in supremo Ducatus Wurttembergici appellationum quod Tubingae est, tribunali per XLVI. Annos Judicatarum et transactarum continua recensio. Oder: Urtheile/ Bescheide/ Arbitramenten und Vergliche [sic!]/ So von dem HochFürstl. Württemberg. Hofgericht zu Tübingen/ von Anno 1672. biß 1718. eröffnet und bestättiget worden (…) Samt einer Zugabe von XXXIII Stücken ergangener Hochfürstl. Rescriptorum, Hoffgerichtlicher Gemeiner Bescheide und Decretorum, auch Formularien/ so wohl von Extrajudicial Expeditionen/ als auch den Modum Procedendi und Petendi der Advocatorum betreffend; Denen Richtern und Practicanten zu Dienste zusammen getragen, Stuttgart 1720. Sämtliche Hochfürstl. Braunschw. Lüneb. Cellischen Theils Gerichts-Ordnungen/ Gemeine Bescheide und sonsten zu Administration der justitz gereichende Mandata und Verordnungen/ Nebst denen Dahin und zu behuff der Landes-Verfassung gehörigen Landtags Abschieden/ Fürstl. Kriegs-Recht/ Post-Ordnung und willkührlichem Statt-Recht Der Fürstl. Residentz-Statt Cell, Celle und Leipzig 1698. S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht Celle (wie Anm. 29), S. 83-84, dort Anm. 149 mit Hinweisen auf weitere territoriale Gemeine Bescheide.

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frühneuzeitlicher Gerichte sind nämlich auch in Sammlungen nachgewiesen, deren Titel den ausdrücklichen Hinweis nicht enthalten 66 . Teilweise gibt es auch archivalisch überlieferte Sammlungen selbst für städtische Gerichte 67 . Gemeine Bescheide in diesem Sinne waren also zumeist prozessuale Rechtssetzungen durch die Gerichte selbst. In diesem Sinne kannte man sie flächendeckend in den deutschsprachigen Territorien. Freilich gab es auch Gemeine Bescheide abseits der Gerichtsbarkeit, offenbar als spezielle Ausprägung obrigkeitlicher Policeyordnungen68. Auch Zweifelsfälle scheint es aus heutiger Sicht gegeben zu haben, etwa einen Gemeinen Bescheid aus Holstein über das artikulierte Zeugenverhör 69 . Bei näherem Hinsehen stammt dieser Bescheid allerdings aus der königlich-herzoglichen Kanzlei und markiert damit gerade keine Rechtssetzung durch ein Gericht70. Der zeitgenössische Sprachgebrauch umfasste also verschiedene Quellentypen.

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Beispielsweise für Hannover T h e o d o r H a g e m an n (Hrsg.), Die Ordnung des Königlichen Ober-Appellations-Gerichts zu Celle von neuem herausgegeben und mit erläuternden Anmerkungen begleitet, Hannover 1819, S. 229-275 (insgesamt 77 Nummern). Stadtarchiv Stralsund Rep. 03: Das Gerichtswesen der Stadt Stralsund, 01: Die Organisation des städtischen Gerichtswesens, Nr. 0005: Ordnungen und gemeine Bescheide 1593-1705 (nach dem Online-Findbuch); Stadtarchiv Wismar, Ratsakten 1.7 Nr. 23 (lfd. Bestellnr. 0164): Ablehnung des Rechts von Waisengericht und anderen Untergerichten zum Erlass allgemeiner Bescheide durch Gerichtsprokuratoren und Notare 1765/66 (nach dem Online-Findbuch). Eines Erbaren Raths der Stadt Wißmar Gemeiner Bescheidt, Demnach sich befindet, welcher Gestalt hiesige Bürgere, wann Sie an ein ander ihre Immobilie-Güter an Häusern, Buhden, Eckern, Wiesen und Gärten vereusern oder verpfänden (vom 14. September 1692), Wismar 1692; C h r i s t o p h L u d w i g Kl e i n s c h m i d (Hrsg.), Sammlung Fürstlich Hessischer Landes-Ordnungen und Ausschreiben Nebst dahin gehörigen Erläuterungs- und anderen Rescripten, Resolutionen, Abschieden, gemeinen Bescheiden u. dergleichen, (Teil 1) Kassel 1767; moderne Einordnungen sind schwer. Bei K ar l H ä r t e r / M i c h ae l S t o l l e i s , Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Repertorium der Policeyordnungen der frühen Neuzeit. Band 1: Deutsches Reich und geistliche Kurfürstentümer (Kurmainz, Kurköln, Kurtrier), hrsg. v. Karl Härter (Ius Commune. Sonderheft 84), Frankfurt am Main 1996, S. 1-36 (12-14), fehlen Gemeine Bescheide in der Typologie der Policeyordnungen; ebenfalls ohne Hinweis G e r h ar d I m m e l , Typologie der Gesetzgebung des Privatrechts und Prozeßrechts, in: Helmut Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte. Zweiter Band: Neuere Zeit (1500-1800), zweiter Teilband: Gesetzgebung und Rechtsprechung, München 1976, S. 3-96 (4-7). Gemeiner Bescheid/ Betreffend die bey einem Zeugen-Verhör zu formirende und zu übergebende Articulos und Interrogatoria, sub dato Glückstadt, den 8. Octobr. Anno 1698; auch abgedruckt im Sammelwerk: Der Käyserlichen freyen Reichs-Stadt Lübeck Statuta, Oder (…) Stadt-Recht (…) So dann Mit beygefügten Königl. Constitutionibus, Als nemlich (…) Wie auch Gemeiner Bescheid vom Zeugen-Verhör. Mit Dero zu Dennem. Norweg. u. Königl. Majestät Allergnädigstem Consens vermehret und verbessert, Glückstadt 1705. W o l f g a n g W a g n e r , Schleswig-Holstein, in: Ditlev Tamm (Hrsg.), Danmark og Slesvig-Holsten (= Härter/Stolleis, Repertorium (wie Anm. 68), Band 9 [Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 239], Frankfurt am Main 2008), S. 469-1164 (550), Holstein Nr. 327, dort auf den 3. Oktober 1698 datiert.

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Eine gleichartige Suche nach Decreta communia erweitert die Ergebnisliste kaum. In den Blick geraten die Gemeinen Bescheide von Reichskammergericht 71 und Reichshofrat72 in den lateinisch betitelten Sammlungen und Werken. Aber die gedruckten Gerichtsordnungen etwa aus Italien, bis weit in die Neuzeit auf Latein veröffentlicht, enthalten in ihren Titeln keinerlei Hinweise auf derartige Decreta communia. Die begriffliche Nähe zu den päpstlichen Dekretalen, die ebenfalls in die Grauzone zwischen Einzelfallentscheidung und Normsetzung fallen73, liegt auf der Hand, ist in frühneuzeitlichen Quellen aber schwer greifbar. Heinz Mohnhaupt hat darauf aufmerksam gemacht, nach landessprachlichen Entsprechungen zu suchen, etwa nach arrêts des règlements in Frankreich und assentos in Portugal74. Ob und inwieweit man es hier mit der auch in Deutschland gebräuchlichen Form gerichtlicher Normsetzung zu tun hat, bedürfte genauerer Untersuchungen. Zu Frankreich immerhin existiert neuere Literatur75. Doch war règlement dort wohl auch als Begriff für herrscherliche Verordnungen gebräuchlich76. Aus Portugal gibt es eine Sammlung von assentos von 1791 77 , ähnlich wie die zeitgleichen Zusammenstellungen Gemeiner Bescheide der beiden Reichsgerichte. Diese assentos betrafen aber keineswegs nur Verfahrensfragen, sondern erstreckten sich auf alle streitigen Rechts71

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J a c o b B l u m , Processus cameralis, ex ordinationibus cameralibus, recessibus imperii, recessibus & memorialibus visitationum, Consultis Camerae, ejusdemque communibus Decretis ac praecipuis rerum Cameralium Scriptoribus, imprimis autem ex concepto renovatae Ordinationis Cameralis (…) exhibitur, edition novissima, Köln 1718. R h u b a n u s H e r m a n n u s d e B e r t r am , Breviculum praxis imperialis aulicae ex Aurea Bulla, recessu imperii de anno 1654, capitulatione imperatoris Josephi, Concordatis Germaniae et decretis communibus collectum, Frankfurt am Main 1709; zweisprachiger Titel: Gemeine ReichsHofraths-Bescheide, Communia Decreta genandt So noch niemahl in Druck außgegangen, und nunmehr wie sie im Reichs-Hoffraths-Buch eingeschrieben sich befinden, fidelissimè communicirt werden, Wien 1683, eingebunden in: J o h an n C h r i s t o p h v o n U f f e n b a c h , Tractatus singularis et methodicus de excelsissimo Consilio Caesarae-Imperialis Aulico. Vom Kayserl. ReichsHoff-Rath, Wien 1683. Definition bei C h r i s t o p h L i n k , Kirchliche Rechtsgeschichte, 2. Aufl. München 2010, § 6 Rn. 5 Anm. 5, S. 38. M o h n h a u p t , Organisation (wie Anm. 55), S. 230. P h i l i p p e P a y e n , Les arrêts de règlement du Parlement de Paris au XVIII è siècle. Dimension et doctrine, Paris 1997; d e r s . , La physiologie de l'arrêt de règlement du Parlement de Paris au XVIIIè siècle, Paris 1999. E d m e d e L a P o i x d e F r é m i n v i l l e , Dictionnaire Ou Traité De La Police Générale Des Villes, Bourgs, Paroisses, Et Seigneuries De La Campagne. Dans lequel on trouvera tout ce qui est nécessaire de sçavoir & de pratiquer en cette Partie, par un Procureur Fiscal, dans toute l'étendue de sa Justice, & où l'on a rapporté toutes les Ordonnances, Arrêts & Réglements à ce sujet, pour s'y conformer sur chaque objet, Paris 1758 (auch 1771); Recueil Des Édits, Déclarations, Lettrespatentes, Arrêts du conseil, Ordonnances, & autres Réglements émanés du Roi & de son Conseil, concernant l'Administration des Etats de Bourgogne, Dijon 1784. Collecção chronologica dos assentos das casas da supplicação e do civel, Coimbra 1791; dieselbe Begriffsverwendung bei F a n c i s c o d e A l m e i d a e A m a r a l B o t t e l h o , Discursos juridicos, em que se contém varias materias Uteis a os principiantes com os assentos da caza da supplicaçaõ, Lissabon 1790.

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probleme. Die Richter der Casa da Supplição konnten auf diese Weise allgemeinverbindliche Präjudizien nach Art einer authentischen Interpretation abfassen. De facto, seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch offiziell, genossen die assentos Gesetzeskraft78. Doch die Annahme, hier liege eine gesamteuropäische Erscheinung vor, könnte sich als vorschnell entpuppen. Soweit nämlich der Erlass Gemeiner Bescheide im Wege einer Art Ersatzgesetzgebung erfolgte, mag das zugleich ein Zeichen für Schwächen und Mängel im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gewesen sein. Falls es Länder gab, in denen die Gesetzgebung nicht so schwerfällig organisiert war wie im Heiligen Römischen Reich, könnten dort Gemeine Bescheide erheblich geringere Bedeutung erlangt haben. Selbst innerhalb Deutschlands ist das augenfällig. Die meisten territorialen Gerichte erließen erheblich weniger Gemeine Bescheide als etwa das Reichskammergericht. Und selbst wenn sie Gemeine Bescheide kannten, blieb ihr Regelungsgehalt doch bescheiden. Bekannt dafür ist Kurhannover. Die Gemeinen Bescheide des Oberappellationsgerichts Celle beschränkten sich im Wesentlichen auf die Einschärfung der Gerichtsordnung und hatten mit Rechtsfortbildung kaum etwas zu tun 79 . An den Reichsgerichten war das ganz anders. Möglicherweise haben zeitgenössische Gerichte ihre Gemeinen Bescheide ausgetauscht. Mindestens teilweise scheint dies der Fall gewesen zu sein und ist auch heute noch nachweisbar. Im untrennbaren Bestand des Reichskammergerichts im Bundesarchiv (z. Zt. Berlin-Lichterfelde) befindet sich ein handschriftlicher „Gemeiner Bescheid des Kaiserlichen Landgerichts Burggraftums Nürnberg betr. die Abstellung mehrerer Mißbräuche der Prokuratoren und Advokaten“ vom 27. Februar 173080. Diesen Sammelbescheid mit 25 Artikeln dürfte das Nürnberger Gericht unmittelbar an das Wetzlarer Reichskammergericht gesandt haben. Vielleicht hat man es hier mit einer Ausnahme zu tun. Das Landgericht Nürnberg übte im Rahmen seiner Zuständigkeit ebenfalls reichsunmittelbare Gerichtsbarkeit aus81. 78

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J o h a n n e s M i c h a e l S c h o l z , Portugal, in: Helmut Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte. Band 2: Neuere Zeit (1500-1800). Das Zeitalter des Gemeinen Rechts. 2. Teilband: Gesetzgebung und Rechtsprechung, München 1976, S. 1319-1342 (1328-1329). P e t e r J e s s e n , Der Einfluß von Reichshofrat und Reichskammergericht auf die Entstehung und Entwicklung des Oberappellationsgerichts Celle (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N. F. 27), Aalen 1986, S. 124-125; M at t h i a s M i e r s c h , Der sogenannte référé législatif. Eine Untersuchung zum Verhältnis Gesetzgeber, Gesetz und Richteramt seit dem 18. Jahrhundert (Fundamenta Juridica 36), Baden-Baden 2000, S. 108-110; S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht Celle (wie Anm. 29), S. 84. Bundesarchiv AR 1/Misc. 388, im maschinenschriftlichen Findbuch irrtümlich auf 1731 datiert. Literatur gibt es fast nur zur spätmittelalterlichen Zeit: H e i n z D a n n e n b au e r , Die Entstehung des Territoriums der Reichsstadt Nürnberg (Arbeiten zur deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte 7), Stuttgart 1928; S. 135-148; H an s E r i c h F e i n e , Die kaiserlichen

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Oder es zeigt sich hier noch eine innere Verbundenheit der althergebrachten Reichsgerichte bis ins 18. Jahrhundert hinein. Näheres ist nicht bekannt. Jedenfalls könnte die genauere Untersuchung anderer Gerichte weiteren Aufschluss versprechen. Die Kammergerichtsordnungen ihrerseits beeinflussten zahlreiche territoriale Prozessgesetze. Das ist seit langem bekannt82. Bei den späteren Verfeinerungen in Form der Gemeinen Bescheide scheint es diese Ausstrahlungswirkung möglicherweise nicht gegeben zu haben. Doch hier bleibt manches unklar. Die Auflösung des Alten Reiches bedeutete keineswegs das Ende für den Gemeinen Bescheid als Quellentyp. Noch 1824 erschien eine Sammlung Gemeiner Bescheide der Justizkanzlei Stade und des dortigen königlichen Hofgerichts83. Das Ende des Begriffs wird erst in den Jahren nach der Revolution von 1848 greifbar, schön sichtbar in einer jährlichen Publikation des oberhessischen Hofgerichts. Die Serie trägt den Titel „General-Ausschreiben des Großherzoglich Hessischen Hofgerichts der Provinz Oberhessen“. Dann folgt der Hinweis auf das Jahr des Erlasses. Der erste Band erschien 1849 für das Jahr 1848, der letzte 1855 für das Jahr 1854. Die ersten vier Jahrgänge trugen einen leicht veränderten Titel, nämlich „GeneralAusschreiben und Gemeine Bescheide des Großherzoglich Hessischen Hofgerichts der Provinz Oberhessen“. Der Band für 1852, veröffentlicht 1853, zeigt den Hinweis auf die Gemeinen Bescheide dann nicht mehr84. Generalausschreiben war als Begriff zunächst keineswegs gleichbedeutend mit Gemeinen Bescheiden85. In Hessen unterschied man bis 1840 Generalien von den Gemeinen Bescheiden des Hofgerichts86. In der Dekade danach verschwand zumindest der Begriff des Gemei-

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Landgerichte in Schwaben im Spätmittelalter, in: ZRG Germ. Abt. 66 (1948), S. 148-235 (220223); spärliche neuere Hinweise bei U l r i c h E i s e n h ar d t , Art. Appellations- und Evokationsrecht, in: Appellations- und Evokationsrecht, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http:// www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_45011 (vom 27. August 2010; besucht am 16. Juli 2012); P e t e r O e s t m a n n , Art. Hofgerichte, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte II (2. Aufl. 2012), Sp. 1087-1091 (1088). Beispiel Hannover: J e s s e n , Einfluß (wie Anm. 79); S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht (wie Anm. 29), insbes. S. 138-139; dagegen sollen die Gerichtsordnungen der Kurpfalz angeblich frei von Einflüssen der Reichsebene geblieben sein: B e r n d - R ü d i g e r K e r n , Die Gerichtsordnungen des Kurpfälzer Landrechts von 1582 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 23), Köln, Wien 1991, S. 393. E r n s t W i l h e l m G u s t a v S c h l ü t e r (Hrsg.), Gemeine Bescheide und gerichtliche Verordnungen der Königlichen Justiz-Canzlei und des Königlichen Hofgerichts zu Stade, Stade 1824. Gemeiner Bescheid aus Stade von 1825 in: Sammlung der Gesetze, Verordnungen und Ausschreiben für das Königreich Hannover (1825), III. Abtheilung Nr. 11 vom 14. Dezember 1825, Nr. 96, S. 284-287. General-Ausschreiben des Großherzoglich Hessischen Hofgerichts der Provinz Oberhessen im Jahre 1852 erlassen, Gießen 1853. General Ausschreiben der Ro: Ku: Ma: an alle Stenndt des Kunigreichs Behem zu Leytmeric ausganngen [vom 3. Juni 1547], Bogendruck ohne Ort und Jahr (bei vd 16 B 6318). Generalien und Gemeine Bescheide des Großh. Hess. Hofgerichts der Provinz Oberhessen vom Jahre 1805-1840. Officielle Ausgabe, Giessen 1843.

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nen Bescheides. Davor war er noch 1830 im Untertitel einer Quellensammlung zum Oberappellationsgericht Jena aufgetaucht87. Ob damit zugleich die Sache ihr Ende fand, ob also Gerichte nach 1848 ihre Prozessordnungen nicht mehr selbst fortbilden konnten, vielleicht sogar wegen der verfestigten Gewaltentrennung gar nicht durften, muss als ungeklärte Frage im Raum stehen bleiben. Die bereits erwähnte hessische Sammlung deutet aber genau in diese Richtung. Für das Jahr 1853 sind 53 Generalausschreiben überliefert. Fast immer geht es um die bloße Umsetzung ministerieller Erlasse. Lediglich ein einziger Gemeiner Bescheid, den das Hofgericht von sich aus an die „öffentlichen Anwälte“ erließ, stand dem noch gegenüber88. Als Zwischenergebnis genügt festzuhalten: Der Quellentyp Gemeine Bescheide überdauerte Reichshofrat und Reichskammergericht um mehrere Jahrzehnte. Hohe Gerichte konnten wesentliche Verfahrensfragen eigenständig klären, ohne auf den Gesetzgeber warten zu müssen. Das ist nicht auf die frühe Neuzeit oder das beginnende 19. Jahrhundert beschränkt. Vielmehr drängt sich der Vergleich mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht geradezu auf. 1975 gab sich das Karlsruher Gericht eine erste Geschäftsordnung, ohne auf eine gesetzliche Regelung, geschweige denn Ermächtigung zu warten. Von den insgesamt 68 Paragraphen betrafen nicht weniger als 42 sog. verfahrensergänzende Vorschriften 89 . 1993 verabschiedete das Gericht abermals ohne Ermächtigungsgrundlage „Einstweilige Rahmenbedingungen für Pressevertreter“90. Und auch die Grenze zwischen Gerichtsentscheidung und Gesetz ist wie bei frühneuzeitlichen Gemeinen Bescheiden schwer zu ziehen. Manche Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts besitzen ausdrücklich gesetzesgleiche Geltung91. Normsetzung durch Gerichte ist also keineswegs eine allein vormoderne 87

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G u s t a v A d o l p h M a r t i n (Hrsg.), Provisorische Ordnung des gemeinschaftlichen OberAppellations-Gerichtes zu Jena für die Großherzogl. und Herzogl. Sachsen-Ernestinischen auch Fürstlich Reußischen Lande mit Hinzufügung der vom 1. Januar 1817 bis 1. Juli 1830 ergangenen Erläuterungen, authentischen Interpretationen und Zusätze dazu; nebst einem Anhange, enthaltend: die Publications-Patente zur Ober-Appellations-Gerichts-Ordnung (...) und gemeinen Bescheide des Ober-Appellations-Gerichtes, Jena 1830. General-Ausschreiben und Gemeiner Bescheid des Großherzoglichen Hofgerichts der Provinz Oberhessen vom Jahre 1853, Gießen 1853, darin: Gemeiner Bescheid vom 26. März 1853 unter Nr. 13. Auch im Register (unter „Advocaten“) findet sich der ausdrückliche Hinweis, dass es sich hierbei um einen Gemeinen Bescheid handele. Zur ersten Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts: BGBl. I 1975, S. 2515-2522; weitere Einzelheiten bei T h e o R i t t e r s p a c h , Die Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts, in: EuGRZ (= Europäische Grundrechte-Zeitschrift) 1976, S. 57-60. Dazu G e r h a r d W o l f , Die Gesetzwidrigkeit von Fernsehübertragungen aus Gerichtsverhandlungen, in: NJW (= Neue Juristische Wochenschrift) 1994, S. 681-687 (dort S. 682 der Wortlaut der Rahmenbedingungen). Seit 1998 ist das Problem durch § 17a BVerfGG gesetzlich geregelt. § 31 Abs. 2 BVerfGG, dazu etwa H an s L e c h n e r / R ü d i g e r Z u c k , Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Kommentar, 6. Aufl. München 2011, § 31 Rn. 36-40; D i e t e r U m b a c h /

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Besonderheit aus einer Zeit ohne Gewaltentrennung. Möglicherweise besitzen alle Institutionen, wenn sie eine bestimmte Größe übersteigen, immer auch ein gewisses Maß an Organisationshoheit über die eigenen Angelegenheiten. Die Frage mag nur sein, welche Gegenstandsbereiche davon erfasst waren und wie stark derartige Regeln an Gesetze angenähert waren oder sind. Epochenübergreifende Vergleiche könnten die Gemeinen Bescheide in diesem Feld verorten. Allerdings dürften sowohl die Regelungsbreite als auch die engmaschige Regelungsdichte der obersten Reichsgerichte außergewöhnlich gewesen sein.

III. Gesetzliche Rahmenbedingungen am Reichskammergericht und Reichshofrat Das Reichskammergericht erließ im zeitgenössischen Vergleich eine ungewöhnlich große Zahl Gemeiner Bescheide, nämlich 334. Auf den Reichshofrat mit seinen knapp über 100 Dekreten ist im Anschluss daran einzugehen. Eine Zusammenschau der bloßen Zahlen macht die verschiedenen Größenordnungen sofort klar. So verkündete das Wismarer Tribunal in den gut 60 Jahren zwischen 1654 und 1715 insgesamt 27 Gemeine Bescheide92. Beim Reichskammergericht waren es im selben Zeitraum 129 Gemeine Bescheide, und das trotz der Schließungen des Gerichts während des Umzugs nach Wetzlar93 und später in der sog. Ingelheim-Affäre94. Die übrigen Vergleichszahlen kommen aus Hannover. Die calenbergische Justizkanzlei veröffentlichte insgesamt nur sieben Gemeine Bescheide, das calenbergische Hofgericht ebenso95 . Die Justizkanzlei Celle ist mit 41 Gemeinen Bescheiden bis 1686

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T h o m a s C l e m e n s / F r a n z - W i l h e l m D o l l i n g e r , Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 2. Aufl. Heidelberg 2005, § 31 Rn. 54-87 (bearb. v. A n d r e a s H e u s c h ). M o h n h a u p t , Organisation (wie Anm. 55), S. 230; S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht (wie Anm. 29), S. 83 Anm. 147. R u d o l f S m e n d , Das Reichskammergericht. Geschichte und Verfassung, Neudruck Aalen 1965 der Ausgabe Weimar 1911, S. 215-216; G e o r g S c h m i d t -v o n R h e i n , Das Reichskammergericht in Wetzlar (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammer-gerichtsforschung 9), Wetzlar 1990, S. 5-6. S m e n d , Reichskammergericht (wie Anm. 93), S. 218-220; S c h m i d t - v o n R h e i n , Reichskammergericht in Wetzlar (wie Anm. 93), S. 23-26; H e i n z D u r c h h a r d t , Reichskammerrichter Franz Adolf Dietrich von Ingelheim (1659/1730-1742). Eine biographische Skizze, in: Nassauische Annalen 81 (1970), S. 173-202, K ar l O t m ar v o n A r e t i n , Das Alte Reich 1648-1806, 4 Bde. Stuttgart 1993/2000, Bd. I S. 144-145, Bd. II S. 175-176. Alle Zahlen zu Hannover nach S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht (wie Anm. 29), S. 83-84 Anm. 149.

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vertreten sowie mit 19 weiteren im Zeitraum von 1708-1730. Das Hofgericht Celle erließ von 1686 bis 1731 insgesamt 15 Gemeine Bescheide. An der Spitze steht das Oberappellationsgericht Celle. Seit der Eröffnung 1711 verkündete das Gericht in den 92 Jahren bis 1803 zusammen 71 Gemeine Bescheide. Stodolkowitz bescheinigt dem Oberappellationsgericht „umfangreichen Gebrauch“ von der Möglichkeit, Verfahrensfragen eigenständig zu klären96. Doch selbst diese beachtliche Zahl reicht an die Quellenmasse des Wetzlarer Reichsgerichts nicht heran. Das Reichskammergericht erließ im selben Zeitraum nämlich 89 Gemeine Bescheide. Auch ohne vollständigen Abgleich mit anderen deutschen Territorien dürfte damit das Reichskammergericht als dasjenige zeitgenössische Gericht feststehen, das die meisten Gemeinen Bescheide überhaupt erlassen hat. Ob das ein Anzeichen für besondere praktische Probleme war, die an den vermutlich besser organisierten und durchsetzungsstärkeren Oberappellationsgerichten gar nicht bestanden, muss offen bleiben. Wenn freilich die Literatur teilweise von 1000 kammergerichtlichen Gemeinen Bescheiden allein in der Zeit bis 1666 spricht97, ist das viel zu hoch gegriffen. Die Zahl beruht auf einem Missverständnis eines zeitgenössischen Buchtitels von Jacob Blum98.

1. Reichskammergericht Die wesentliche normative Grundlage zum Erlass Gemeiner Bescheide durch das Reichskammergericht stammt aus der Gerichtsordnung von 1555, bekanntlich der wichtigsten Prozessordnung des Kammergerichts überhaupt. Bis zu diesem Zeit96 97

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S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht (wie Anm. 29), S. 84. J ü r g e n W e i t z e l , Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht. Zur politischen Geschichte der Rechtsmittel in Deutschland (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 4), Köln, Wien 1976, S. 321. J a c o b B l u m , Chilias sententiarum cameralium, Das ist: Tausend der fürnemsten und merckwürdigsten/ auf das Concept der erneuerten Kammergerichts-Ordnung/ Reichs-Abschied de Anno 1654. letztere gemeine Bescheide/ auch jetzigen Stylum gerichteter und von besagten 1654. biß 1664. Jahre am hochlöblichen Kays. Cammergericht gerichtlich eröffneter durch ernanten authorem außerlesener Urteilen. Denen hiebey gethan eine Zugabe von hundert dergleichen Urtheilen Anno 1665. ergangen (...) Und die Gemeine Bescheide/ so an höchstgedachtem Kammergericht von desselben Anfang biß Anno 1666. einschließlich in und ausserhalb Gerichts ertheilt/ sampt jeder Urtheil und Bescheide vorgesetzten Summarien beygefügten Annotaten und angehängten Judicibus (...), Frankfurt am Main 1676. – Blum veröffentlichte also nicht 1000 Gemeine Bescheide, sondern 1000 sowie weitere einhundert Entscheidungen insgesamt, dazu auch kurzer Hinweis bei H e i n r i c h G e h r k e , Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur Deutschlands. Charakteristik und Bibliografie der Rechtsprechungs- und Konsiliensammlungen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (Ius Commune. Sonderheft 3), Frankfurt am Main 1974, S. 80 lfd. Nr. 3.

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punkt hatte es in schneller Folge seit 1495 bereits neun verschiedene Reichskammergerichtsordnungen gegeben 99 . Trotz der insgesamt unruhigen und oft geänderten Gesetzeslage stammen aus diesen ersten 60 Jahren immerhin knapp 50 Gemeine Bescheide. Eine Ermächtigungsgrundlage im modernen Sinne dafür war ausdrücklich nicht vorhanden. Die erste Kammergerichtsordnung von 1495 blieb im Ungefähren: „Item so hienach am Camergericht fürfiel, das verrer Versehung, Ordnung oder Satzung oder Declaracion bedörffen wurd, dasselb söllen Camerrichter und Urtailer yegklichs Jars an Uns, auch Unser Churfürsten, Fürsten und Samblung, die desselben Jars durch sich selbs oder ir Anwalt bey ainander komen werden, bringen, das Wir mit Rat und Willen derselben Samblung darinn zu handeln haben zu Fürdrung und Aufnemen des Camergerichts und Erfindung des Rechten und Gerechtigkait.“100 Mit dieser Bestimmung endete zugleich die Gerichtsordnung. Offenbar sollte das Reichskammergericht für notwendig gehaltene Gesetzesänderungen sammeln und einmal jährlich an den Reichstag oder eine Kommission bzw. Deputation weiterleiten. Ohne dass das Wort auftaucht, scheint die Quelle die zunächst wohl jährlich angesetzten Visitationen anzudeuten 101 . Von der Normsetzung durch das Gericht sprach die Kammergerichtsordnung von 1495 nicht. Doch wäre es anachronistisch, an der Wende zur frühen Neuzeit nach einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage zu suchen. Es entsprach dem Stilus curiae, wenn das Reichskammergericht die notwendigen Regelungen vorläufig selbst traf. Auch sollte man im Gegensatz zu Ulrike Müßig lieber nicht vom Gleichheitsgrundsatz sprechen, wonach das Gericht verpflichtet gewesen sein soll, sich im Hinblick auf künftige gleichgelagerte Fälle durch Gemeine Bescheide selbst zu binden 102 . Eine Rechtspflicht zum Erlass Gemeiner Bescheide bestand nicht. In einer Zeit des sog. usualen Rechtsdenkens103 konnte man Rechtsprobleme eben nicht nur durch förmliche Normsetzung, sondern auch auf vielfach andere Weise lösen. Schlagwörter wie Herkommen, Observanzen, Gerichtsgebrauch, Stilus curiae zeigen genau 99 100 101

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D i c k, Entwicklung (wie Anm. 12), S. XVII-XXIV. Die genaue Zahl hängt ganz von der Zählweise ab, andere Nennungen daher bei Dick, ebd., S. 2. RKGO 1495 § 32, bei Ka r l Z e u m e r (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl. Tübingen 1913, Nr. 174, S. 284-291 (291). Zur Visitation K l a u s M e n c k e , Die Visitationen am Reichskammergericht im 16. Jahrhundert. Zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Rechtsmittels der Revision (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 13), Köln, Wien 1984. M ü ß i g , Höchstgerichtsbarkeit als Motor (wie Anm. 28), S. 724 (etwas unklar auch zu Conclusa pleni und Präjudizien einzelner Senate; ebd. S. 725 verwechselt sie Präjudizien und Gemeine Bescheide); übernommen von S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht (wie Anm. 29), S. 84 Anm. 155. T h o m a s S i m o n , Geltung. Der Weg von der Gewohnheit zur Positivität des Rechts, in: rg. Rechtsgeschichte 7 (2005), S. 100-137 (102-120); B a r b ar a S t o l l b e r g -R i l i n g e r , Verfassungsgeschichte als Kulturgeschichte, in: ZRG Germ. Abt. 127 (2010), S. 1-32 (15-27); d i e s . , Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008, S. 79, 83-85; O e s t m a n n , Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 49), S. 33.

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diese Grauzone zwischen Norm und Praxis. Die rückwärtsgerichtete Suche allein nach Gesetzesvorbehalt und Gleichheitsgrundsatz vermag das nicht zu erkennen. Auch die Auffassung von Bettina Dick trifft nicht zu. Sie meint, die Reichskammergerichtsordnungen hätten dem Gericht „von Anbeginn an“ das Recht eingeräumt, Gemeine Bescheide zu erlassen104. Genau das war nicht der Fall. Es gab zu dieser Zeit keinen Gesetzesvorbehalt, und deshalb sollte die rechtshistorische Literatur ihn auch nicht suchen. Die Reichskammergerichtsordnung von 1500 wandelte die Bestimmung von 1495 ab: „Item: was ferner Ordnung der Proceß halben deß Cammer-Gerichts nothdürfftig, und hierinn nicht geordnet und versehen ist, befehlen Wir hiemit Unserm Reichs-Regiment, mit sampt Unserm Cammer-Richter und Beysitzern, mit der Zeit nothdürfftiglich ihres besten Verständnuß zu ordnen, fürzunehmen, zu setzen, und zu machen.“105 Es handelt sich um eine der wenigen gesetzlichen Vorschriften, die dem ersten Reichsregiment ausdrücklich die Zuständigkeit zur Fortbildung der Kammergerichtsordnung zuweisen. Genau in diesem Augsburger Reichsabschied von 1500 geschaffen 106 , sollte fortan das Reichsregiment gemeinsam mit den Mitgliedern des Kammergerichts die Gerichtsordnung ändern. Von Gemeinen Bescheiden oder eigenmächtigen Regelungen des Gerichts allein ist keine Rede. Größere Bedeutung kann die Bestimmung ohnehin nie erlangt haben. Schon zwei Jahre später stellte nämlich das Reichsregiment seine Arbeit ein. Die Reichskammergerichtsordnung von 1521 wiederholte sodann die Augsburger Formulierung nahezu wörtlich. Die Zuständigkeit lag jetzt bei „Unserm Stadthalter und Regiment“ zusammen mit den richterlichen Gerichtsmitgliedern 107 . Das neugeschaffene zweite Reichsregiment sollte also wie das Regiment von 1500 abermals für die Reichskammergerichtsordnung zuständig sein. Ausdrücklich hinzugefügt war die Kompetenz „zu ändern, zu declariren“, die in der Ordnung von 1500 noch gefehlt hatte. Doch auch das zweite Reichsregiment konnte nicht ernsthaft das 104 105

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D i c k , Entwicklung (wie Anm. 12), S. 9 mit Anm. 22 auf S. 229 (dort u. a. die RKGO 1495 zitiert). RKGO 1500 Tit. 32, in: J o h a n n J ac o b S c h m a u ß / H e i n r i c h C h r i s t i an v o n S e n c k e n b e r g (Hrsg.), Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Nachdruck Osnabrück 1967 der Ausgabe Frankfurt am Main 1747, Teil II S. 72; auch bei D an z , Grundsäze (wie Anm. 23), Stuttgart 1795, S. 129. A d o l f L a u f s , Art. Reichsregiment, in: HRG, IV (1990), Sp. 739-742; ergänzend D i e t m a r W i l l o w e i t , Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, 6. Aufl. München 2009, S. 106-107; V i c t o r v o n Kr au s , Das Nürnberger Reichsregiment. Gründung und Verfall 1500-1502. Ein Stück deutscher Verfassungsgeschichte aus dem Zeitalter Maximilians I., Nachdruck Aalen 1969 der Ausgabe Innsbruck 1883; W o l f R ö m i s c h , Das Reichsregiment - eine verfassungsrechtsgeschichtliche Studie, Diss. jur. München 1970. – Die neuere Literatur behandelt das erste Reichsregiment viel stiefmütterlicher als das zweite. RKGO 1521 21, 2, in: S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung II (wie Anm. 105), S. 187.

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Reichskammergericht reformieren 108 . Immerhin einmal wurde es aber tätig. Die Reichskammergerichtsordnung von 1527 wurde nach der Verkündungsformel gemeinsam von „Statthalter, Regiment, auch Cammer-Richter und Beysitzer (...) beschlossen“ 109 . Die Ordnung von 1527 zitiert genau an dieser Stelle die Wormser Reichskammergerichtsordnung von 1521 wörtlich. Obwohl das vorgesehene Verfahren zur Überarbeitung der Kammergerichtsordnung augenscheinlich funktionierte, hatte das Reichskammergericht zwischenzeitlich, also seit dem Wormser Reichstag 1521, schon über zehn Gemeine Bescheide selbst erlassen. Nach dem Ende des zweiten Reichsregiments waren die Bestimmungen von 1500, 1521 und 1527 gegenstandslos. Der Regensburger Reichsabschied von 1532 wiederholte die älteren Regelungen daher nicht. Stattdessen findet sich eine Vorschrift über die Visitationskommission. Sie hatte „etliche zweiffelhafftige Articul und Fäll“ behandelt, die ihr Kammerrichter und Beisitzer übergeben hatten110. Da aber die Visitatoren nicht berechtigt waren, „etwas von neuem zu setzen oder zu statuiren, sondern allein zu reformiren“, erließ der Reichstag selbst die neuen Paragraphen in einem eigenen Hauptteil des Reichsabschieds. Erneut gibt es keinen Hinweis auf irgendwelche Normsetzungen durch das Gericht selbst. Die neue Redeweise von den zweifelhaften Artikeln und Fällen deutet möglicherweise eine Zweiteilung an. Vielleicht ging es zum einen um Veränderungen der Prozessordnungen, zum anderen aber um Reformen oder Leitlinien im materiellen Recht. Vielleicht deutet sich hier die Scheidung zwischen prozessualen Neuerungen und den später sog. Dubia cameralia an. Vermutlich verstanden Schmauß und Senckenberg den Reichsabschied von 1532 genauso. In ihrer Anmerkung verwiesen sie nämlich zum einen auf eine Bestimmung des Jüngsten Reichsabschieds von 1654. Dort waren kammergerichtliche Zweifelsfälle ausdrücklich aufgeteilt „Ratione Dubiorum Cameralium (sowohl den Proceß als die Jura selbsten betreffend)“111. Zum anderen zitierten Schmauß und Senckenberg den Visitationsabschied von 1713. Dieser sprach ausdrücklich von Gemeinen Bescheiden des Reichskammergerichts 112 . Jedenfalls aus der Rückschau des 18. Jahrhunderts begann der Reichsabschied von 1532 also damit, Gemeine Be-

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Kurzer Hinweis dazu bei C h r i s t i n e R o l l , Das zweite Reichsregiment 1521-1530 (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 15), Köln, Weimar, Wien 1996, S. 154. RKGO 1527, Einleitung, in: S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung II (wie Anm. 105), S. 289. RA 1532 III § 8, in: S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung II (wie Anm. 105), S. 358. JRA 1654 § 135, in: A r n o B u s c h m an n (Hrsg.), Kaiser und Reich. Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806. Teil II: Vom Westfälischen Frieden 1648 bis zum Ende des Reiches im Jahre 1806, 2. Aufl. Baden-Baden 1994, S. 240. Visitationsabschied 1713 § 14, in: S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung (wie Anm. 105), Teil IV, S. 264.

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scheide von den Dubia cameralia113 und den Kammergerichtsvisitationen zu trennen. Ausdrücklich gesagt war das freilich nicht. Vor allem findet sich zur eigenständigen Normsetzung durch das Gericht kein einziges Wort. Das blieb dem Augsburger Reichstag von 1555 vorbehalten. Die ausdrückliche Regelung von 1555 beschließt den zweiten Teil der Reichskammergerichtsordnung. Sie lautet: „XXXVI. Von gewalt, ferrer fürsehung und declaration des cammergerichts ordnung, sovil den proceß belangt. Item ob diser ordnung deß proceß halben deß cammergerichts zweifel einfallen oder weitere ordnung und fürsehung zu thun vonnöten sein würde, wöllen wir cammerrichter und beisitzern bevolhen haben, jederzeit, wann es die notturft erfordert, des proceß halb dise ordnung ires besten verstendtnuß zu declariren, zu bessern, auch weitere notwendige fürsehung und ordnung fürzunemen und zu machen und dieselbig also biß zu der jerlichen visitation des keyserlichen cammergerichts zu halten bevelhen und alßdann dieselbigen sampt andern mengeln den verordneten commissarien und visitatorn fürzubringen, die dann dieselbig approbirn oder sunst derhalben gebürlichs einsehen thun sollen.“114 Im Vergleich zu allen früheren Regelungen war das eine echte Neuerung. Dem Reichskammergericht war die eigene Normsetzung nicht nur erlaubt. Nein, sie war sogar ausdrücklich befohlen. Beschränkt war die Befugnis allerdings auf prozessuale Fragen, wohl abermals ein Hinweis auf die anders zu behandelnden Dubia cameralia. Jederzeit durfte das Kameralkollegium tätig werden. Die Bindungswirkung dieser vorläufigen Regelungen sollte bis zur jeweils nächsten Visitation befristet sein. Die Verfasser der Ordnung gingen dabei von einer jährlichen Visitation aus. Der Idee nach sollten die Kammergerichtsmitglieder ihre Änderungswünsche also nicht wie nach den früheren Ordnungen einmal pro Jahr der Visitationskommission übergeben. Vielmehr konnten sie die Änderungen einfach selbst beschließen. Die Visitatoren hatten dann zu prüfen, was mit den Neuerungen zu geschehen hatte. Sie konnten sie bestätigen oder aber verwerfen. Von Gemeinen Bescheiden sprach die Gerichtsordnung an dieser Stelle nicht. Nichts anderes aber war gemeint. Wie bereits erwähnt, etwa 50 Gemeine Bescheide gab es zu dieser Zeit bereits. Eine zeitliche Befristung für den Fall seltener stattfindender Visitationen sah die Kammergerichtsordnung von 1555 nicht vor. Und wie man die Bestimmung verstehen sollte, wenn gar keine Visitationen mehr zustande kamen, blieb ebenfalls ungeregelt. Nur ein Jahr später erfolgte die erste Klarstellung. Falls sich das Kameralkollegium nämlich in einer streitigen Frage der Gerichtsordnung oder der Reichsgesetze 113 114

Hierzu unten im Abschnitt IV. RKGO 1555 2, 36, in: A d o l f L au f s (Hrsg.), Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 3), Köln, Wien 1976, S. 217; auch bei D a n z , Grundsäze (wie Anm. 23), S. 130; Ki r c h n e r , Generell bindende Gerichtsentscheidungen (wie Anm. 27), S. 14 Anm. 16.

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nicht einigen könne, sollte es die unklaren Rechtsfragen dem Mainzer Erzkanzler und Kurfürsten mitteilen. Er hatte diese Punkte sodann dem Kaiser und den Ständen vorzulegen115. 1557 wiederholte ein weiterer Visitationsabschied inhaltlich dasselbe 116 . In einem Detail erfolgte eine Präzision. Die offenen Fragen, die zur Vorlagepflicht führten, sollten „nicht die Process, sondern Articulos decisivos“ betreffen. Ob sich der eine Fall auf Gemeine Bescheide bezog, der andere auf Dubia cameralia, geht aus dem Abschied selbst nicht unmittelbar hervor. Aber diese beiden Stränge lassen sich auch in späteren Normierungen unterscheiden. Vielleicht zog auch der Reichsabschied von 1570 noch die Lehren aus der unklaren Regelung von 1555. Hier gab es in einer gemeinsamen Vorschrift Maßregeln, wie das Gericht streitige Zulässigkeitsvoraussetzungen sowie zweifelhafte Rechtsmeinungen zu handhaben hatte 117 . Die „substantial qualitates“ sollten die Gerichtsmitglieder zusammentragen und nach einhelligem Brauch und altem Stilus „endlich vergleichen“. Der Sinn lag auf der Hand. Die Hürden bis zur förmlichen Eröffnung eines Kameralprozesses sollten für jedermann gleich hoch sein. In diesem Zusammenhang taucht die Formulierung auf, wonach „in gleichen Fällen/ gleich recht“ gelten müsse118. Bei streitigen Rechtsfragen sollte das Gericht sich auf eine einheitliche Linie festlegen, wenn mit Zustimmung des „gantzen Raths“ eine Entscheidung gefallen war. Dafür war ein gesondertes Protokollbuch vorgesehen. Hierbei ging es wohl nicht um unwesentliche Details. Der Reichsabschied sprach nämlich von „opiniones, so bey den Rechts-Lehrern gantz streitig“. Damit passen beide Bestimmungen nicht wirklich zum Regelungsproblem der Gemeinen Bescheide. In den Gemeinen Bescheiden ging es gerade nicht darum, die offenen Rechtsfragen der gelehrten Literatur zu entscheiden. Und ferner regelten sie keineswegs nur die Prozesseröffnung. Wenn die neuere Forschung diese Vorschrift zu einer Rechtsgrundlage der Gemeinen Bescheide erhebt119, ist das von der Quelle selbst kaum gedeckt. Bei der Durchsicht der normativen Vorgaben fällt auch ein Blick auf das Konzept der Kammergerichtsordnung von 1613. Bekanntlich erlangte es nie Gesetzeskraft, prägte aber doch die kammergerichtliche Praxis des 17. Jahrhunderts nachhaltig120. Auch Anwälte zitierten das Konzept mit schöner Regelmäßigkeit bis weit ins 18. Jahrhundert121. Hier gab es nunmehr zwei Vorschriften. Die bisher behandelten 115 116 117 118 119 120

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Visitationsabschied 1556 § 7, in: L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), S. 200. Visitationsabschied 1557 § 2, in: L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), S. 225. RA 1570 § 77, in: S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung (wie Anm. 105), Teil III, S. 297298; dazu auch D a n z , Grundsäze (wie Anm. 23), S. 130-131. RA 1570 § 78, in: S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung (wie Anm. 105), Teil III, S. 298. So etwa S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht (wie Anm. 29), S. 84 Anm. 150. J o h a n n C h r i s t o p h S c h w a r t z , Vierhundert Jahre deutscher Zivilprozeß-Gesetzgebung. Darstellungen und Studien zur deutschen Rechtsgeschichte, Neudruck Aalen 1986 der Ausgabe Berlin 1898, S. 116. Beispiele bei O e s t m a n n , Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 49), S. 514, 570, 575.

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Regelungen mit ihrer je unterschiedlichen Zielsetzung waren nun äußerlich klar voneinander getrennt. Zunächst wiederholte die Einleitung des Schlusstitels zum zweiten Teil praktisch im Wortlaut die Parallelstelle aus der Reichskammergerichtsordnung von 1555. Bei Zweifeln über die Gerichtsordnung und das Prozessrecht waren Kammerrichter und Beisitzer gehalten, zunächst selbst vorläufige Anordnungen zu erlassen. Die Visitationskommission hatte dann über deren weitere Geltung zu entscheiden122. Gemeint sein konnten damit nur die Gemeinen Bescheide. Ein anderer Paragraph griff die Bestimmungen der Visitationsabschiede von 1556 und 1557 auf. Bei Zweifeln nicht über den Prozess, sondern über Dezisivartikel, sollten diese Sachen über den Erzbischof von Mainz an Kaiser und Stände zur verbindlichen Entscheidung gelangen123. Ob die gemeinten Dezisivartikel mit den Dubia cameralia gleichzusetzen sind, kann an dieser Stelle offen bleiben. Unnötig war die Vorlage an Kaiser und Stände jedenfalls immer dann, wenn Kammerrichter und Assessoren sich „in pleno Consilio“ über die Antwort einig waren. Vielleicht handelte es sich dann um einen Plenarschluss oder ein Senatusconsultum. Die technischen Schlagwörter fehlten weiterhin in den normativen Quellen. Die gespaltene Vorschrift war dennoch unmissverständlich. Es existierten zwei Regelungsprobleme. Nur das erste war durch Gemeine Bescheide lösbar, und zwar durch gerichtliche Ersatzgesetzgebung. Die verschiedenen Wege, offene Fragen zu klären, blieben weiterhin im Visier der Gesetzgebung. Der Jüngste Reichabschied von 1654 warf beides nämlich wieder zusammen: „Ratione Dubiorum Cameralium (sowohl den Proceß als die Jura selbsten betreffend,) sollen die Assessores dieselbe hierzwischen zusammen tragen, reiflich überlegen, und das hierüber gemachte Conclusum, nicht weniger zur Mayntzischen Cantzley zu dem End überschicken, damit von daraus den verordneten Visitatoren und Revisorn davon bey Zeiten Communication beschehen, dieselbe sich darinnen der Nothdurfft ersehen, und bey bevorstehender Visitation die befundene Mängel um so viel besser examiniren, und denselben abhelffen können.“124 Zunächst fallen die veränderten Zuständigkeiten ins Auge. Nur noch die Assessoren selbst waren berufen, die Zweifelsfragen zusammenzustellen. Die Mitwirkung des Kammerrichters, zuvor jeweils ausdrücklich genannt, war entfallen. Sodann sollte die Reichskanzlei diese Dubia nicht mehr an Kaiser und Reich, sondern gleich an die Visitationskommission weiterleiten. Von jährlichen Visitationen war im Übrigen nicht mehr die Rede. Gewichtiger ist freilich die Zusammenfassung der zuvor 122

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COC 1613 II 38 pr., in: L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), S. 704; Hinweis auf das COC 1613 als „Sedes“ der Gemeinen Bescheide auch bei C r am e r , Wetzlarische Nebenstunden 76 (1768) (wie Anm. 19), S. 17. COC 1613 II 38 § 1, in: L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), S. 704. JRA 1654 § 135, in: B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II (wie Anm. 111), S. 240.

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aufgespaltenen Regelungsmechanismen. Ausdrücklich bezog sich die Vorschrift nach dem Klammerzusatz auf Fragen des Prozessrechts sowie auch auf die „Jura“, also wohl materiellrechtliche Fragen. Von vorläufigen Rechtssetzungen durch das Kammergericht selbst war nicht weiter die Rede. Sollte es fortan keine Gemeinen Bescheide mehr gegeben haben dürfen? Die Praxis spricht klar dagegen, denn allein bis zum Ende des Jahrzehnts erließ das Speyerer Reichsgericht mehr als zwanzig weitere Gemeine Bescheide. Aber auch beim Blick auf die normative Rechtslage ist Vorsicht geboten. Der Jüngste Reichsabschied setzte die Fortgeltung der Kammergerichtsordnung von 1555 durch Verweise und ähnliches stillschweigend voraus 125 . Inwieweit das 1555 vorgegebene Verfahren zum Erlass Gemeiner Bescheide überhaupt angetastet war, muss daher offen bleiben. Keineswegs muss der jüngere Normtext die ältere Gerichtsordnung verdrängt haben. An zwei versteckten Stellen sagte das der Jüngste Reichsabschied sogar für die Gemeinen Bescheide. Das erste Zitat befindet sich in der bekannten Vorschrift, durch die der Reichsgesetzgeber das Positionalverfahren 126 abschaffte. In diesem § 34 geht es in einer umfangreichen Einleitung zunächst um zahlreiche „Mängel und Gebrechen“ des Kameralprozesses. Dann folgt der Hinweis: „zumahlen aber nicht wohl müglich, alle und jede Umständ bey den Processen und Handlungs-Terminen auf einmahl vorzusehen, sondern deren dißfalls künfftig erscheinenden Mängel und deren Verbesserung halber dem arbitrio Iudicis, nach Anleitung der Ordnung P[arte] 2. tit[ulo] 36. und Reichs-Abschied zu Speyer Anno 1557. §. Ferner nachdem hierbey, etc. anheim zu geben (...)“. 127 Nach diesem überleitenden Halbsatz folgt die eigentliche Regelung: Die artikulierten Libelle waren fortan verboten. Nur noch „Summarischer Weiß“ sollten die Parteien ihre Schriftsätze abfassen. Die vorläufige Normsetzungsbefugnis durch das Kammergericht selbst war hier nicht ausdrücklich erwähnt. Aber der Verweis war unmissverständlich. Der angesprochene Titel der Reichskammergerichtsordnung von 1555 erlaubte den Erlass Gemeiner Bescheide und galt durch gesetzgeberische Anordnung eindeutig fort. Auch der Hinweis auf den Reichsabschied von 1557 war wohlbedacht. Hatte er doch die Vorlagepflicht an Kaiser und Stände nur auf sog. Dezisivartikel beschränkt und streitige Fragen zum Prozessrecht hiervon ausgenommen. Die Zweispaltung, die auch das Konzept 1613 deutlich anzeigte, lässt sich an schwer auffindbarer Stelle also doch im Jüngsten Reichsabschied finden. Die oben 125

126 127

JRA 1654 § 34, in: B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II (wie Anm. 111), S. 197; weitere Beispiele: § 35 (S. 199), § 36 (S. 197), § 38 (S. 200), § 44 (S. 203), § 47 (S. 204), § 50 (S. 205), § 54 (S. 207), § 58 (S. 208), § 61 (S. 210), § 69 (S. 212), §§ 72-73 (S. 213), § 79 (S. 215), § 92 (S. 220), § 93 (S. 221), § 97 (S. 222), § 128 (S. 236), § 132 (S. 239), § 141 (S. 242), § 160 (S. 248), § 162 (S. 249), § 165 (S. 251), § 167 (S. 252). Dazu P e t e r O e s t m a n n , Art. Artikelprozess, in: HRG I (2. Aufl. 2008), Sp. 313-314. JRA 1654 § 34, in: B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II (wie Anm. 111), S. 197; zitiert auch bei S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 89.

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angesprochene Vereinheitlichungsvorschrift, die in § 135 alles wieder zusammenwarf und auch für prozessuale Fragen den Weg über die Mainzer Kanzlei an die Visitationskommission wies, wurde also bereits im Reichsabschied selbst eingeschränkt. Das genaue Verhältnis beider Regelungen ist unklar. Aber jedenfalls hatte der Jüngste Reichsabschied von 1654 den bisher üblichen Erlass Gemeiner Bescheide in keiner Weise verboten. Der Begriff kam abermals im Gesetzestext nicht vor. Dafür sprach der Reichsabschied an dieser Stelle vom Arbitrium iudicis. Zum einzigen Mal in den normativen Quellen tauchte dieser Terminus hier auf. Rückblickend ist das ein reiner Glücksfall. Die große Schwierigkeit, Gemeine Bescheide als Quellentyp in die Grauzone zwischen Gerichtsurteil und Gesetzgebung einzuordnen, beschränkt sich offenbar nicht auf die moderne Rechtsgeschichte. Auch die Zeitgenossen taten sich schwer. Das Arbitrium iudicis, am besten wohl als richterliches Ermessen übersetzt, ist ein schillernder Begriff des gemeinen Rechts im Spannungsfeld von Rechtsprechung, Normsetzung und Billigkeit128. Besser konnte man kaum ausdrücken, wie sehr sich Gemeine Bescheide einer voreiligen Zuordnung als Einzelfallregelung oder als abstrakte Bestimmung entzogen. Massimo Meccarelli hat das auf den Punkt gebracht: Die Norm wurde „auf der konkreten Ebene definiert“. Deswegen brauchten Gesetze nicht förmlich geändert zu werden. In der Theorie konnten Normen gültig sein. In der Praxis allerdings erfolgte die Anwendung „in relativem Sinne“129. Das war eine der vielen Facetten des usualen Rechtsdenkens. Das genaue Verhältnis von Arbitrium, Observanz und Stilus curiae interessiert hier nicht. Festzuhalten bleibt vielmehr das versteckte, aber deutliche Bekenntnis des Jüngsten Reichsabschieds zum eigenständigen Erlass der Gemeinen Bescheide durch das Kameralkollegium. Für ein Detailproblem sagt der Jüngste Reichabschied genau dies ausdrücklich. Das ist zugleich die zweite, soeben angedeutete Ausnahme von der Vereinheitlichungsvorschrift. In § 94 JRA ging es um die Übergabe von Schriftsätzen in den Audienzen. Offenbar kam es hier zu Verzögerungen, denn die Vorschrift beklagt, es sei nicht leicht, „schleunigen Lauff“ in diesen Verfahrensabschnitt zu bringen 130 . 128

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Dazu umfassend M a s s i m o M e c c ar e l l i , Arbitrium. Un'aspetto sistematico degli ordinamenti giuridici in età di diritto comune (Università di Macerata. Pubblicazione della Facoltà di Giurisprudenza II 93), Mailand 1998; deutsche Kurzfassung von d e m s . , Arbitrium iudicis und officialis im ius commune: Ein Instrument für die Vermittlung zwischen einem allgemeinen Recht und der örtlichen Realität (XIV.-XVI. Jahrhundert), in: ZRG Germ. Abt. 115 (1998), S. 552-565; zum normsetzenden Arbitrium G i o v a n n i C as s an d r o , Art. Signoria, in: Novissimo Digesto Italiano, hrsg. v. Antonio Azara und Ernesto Eula, Bd. 17 (1970), S. 323-339 (328). M e c c a r e l l i , Arbitrium iudicis (wie Anm. 128), S. 558. JRA 1654 § 94, in: B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II (wie Anm. 111), S. 221; zur Sache auch J o h a n n A d a m T h e o p h i l K i n d i u s , Quaestiones forenses observationibus, Teil 4, 2. Aufl. Leipzig 1807, S. 342-343.

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Deswegen sollte das Kameralkollegium festlegen, zu welcher Uhrzeit es erlaubt war, Schriftsätze zu übergeben. Hilfsweise wollte man es sogar gestatten, Schriftsätze extrajudizial131 einem Protonotar, Notar oder Leser132 zu übergeben. Diese Regelung hatte das Reichskammergericht „durch gemeine Bescheide zu publiciren, einzuführen, und bis auf künfftiger Visitatorn, und darauf einer allgemeiner Reichs-Versammlung erfolgende Ratification oder Änderung darob zu halten“ 133 . Hier gab es also eine gesetzliche Ermächtigung zum Erlass Gemeiner Bescheide, nicht in einer Generalklausel, sondern beschränkt auf ein Einzelproblem. Aber die Befugnis des Reichskammergerichts, offene Verfahrensfragen weiterhin durch Gemeine Bescheide zu klären, war durch die grundsätzliche Pflicht, alle Dubia zunächst den Visitatoren vorzulegen, ganz offenkundig nicht berührt. Für diese letzte Erwägung spricht eine abschließende Bestimmung aus dem frühen 18. Jahrhundert. Nach langen Jahrzehnten ohne ordentliche Visitation griff der Visitationsabschied von 1713 das Thema erneut auf, vielleicht letztmals: „Da man auch bißhero wahrgenommen, daß obbemeldts Cammer-Gericht die Ordnung und andere ReichsSatzungen, durch gemeine Bescheide jezuweilen geändert; Als wird demselben hiemit anbefohlen, dißfalls fürohin nicht weiter, als gedachte Ordnung und Reichs-Satzungen in gewisser Maaß erlauben, zu gehen.“ 134 Durch die ausdrückliche Wiederholung des Verbs „befehlen“ knüpfte die Bestimmung unverkennbar an die Reichskammergerichtsordnung von 1555 an. Zum ersten Mal tauchten die Gemeinen Bescheide wörtlich in einem Gesetz auf. Zugleich weitete der Visitationsabschied die gesetzliche Geltung der Gemeinen Bescheide erheblich aus. Die zeitliche Befristung bis zur nächsten Visitation entfiel nämlich jetzt. Unklar blieben die sachlichen Grenzen der gerichtlichen Normsetzungsbefugnis. Das erlaubte „Maaß“ gaben die Reichsgesetze und die Gerichtsordnung selbst vor. Vielleicht dachte man an bloße Ergänzungen der Ordnung, nicht aber an echte Widersprüche und Abweichungen. In der zeitgenössi131

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Zum extrajudizialen Teil des Kameralverfahrens S m e n d , Reichskammergericht (wie Anm. 93), S. 327-328; D i c k , Entwicklung (wie Anm. 12), S. 85- 148-150; F i l i p p o R an i e r i , Recht und Gesellschaft im Zeitalter der Rezeption. Eine rechts- und sozialgeschichtliche Analyse der Tätigkeit des Reichskammergerichts im 16. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 17), Köln, Wien 1985, Teilband I, S. 77; W o l f g an g P r a n g e , Vom Reichskammergericht in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Urteile in Christian Barths Edition; Kammerbote und Zustellung der Gerichtsbriefe (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 42), Köln, Weimar, Wien 2002, S. 53-54. – Die Literatur behandelt das Extrajudizialstadium zumeist als Vorverfahren vor der Erkennung der Ladung. Es konnten aber auch einzelne Prozesshandlungen während eines laufenden Rechtsstreits extrajudizial erfolgen. Zum Kanzleipersonal S m e n d , Reichskammergericht (wie Anm. 93), S. 322-341. JRA 1654 § 94, in: B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II (wie Anm. 111), S. 221. Visitationsabschied 1713 § 14, in: S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung (wie Anm. 105), Teil IV, S. 264; Hinweis darauf auch bei W e t z e l l , System (wie Anm. 7), S. 5; Ki r c h n e r , Generell bindende Gerichtsentscheidungen (wie Anm. 27), S. 14 Anm. 17.

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schen Gewohnheitsrechtsdoktrin war ein ähnliches Konzept bekannt. Die consuetudo praeter legem erlangte neben dem fortgeltenden Gesetz dennoch die Kraft von Gewohnheitsrecht, weil beides sich nicht gegenseitig ausschloss135. Der Gang durch die normativen Quellen des Kameralprozesses kommt damit an sein Ende. Er zeigt erst in der Endphase den Gemeinen Bescheid als Gesetzesbegriff. Aber spätestens seit 1555 war die Normsetzung durch das Reichskammergericht ausdrücklich geregelt, wenn auch zunächst begrenzt auf den Zeitraum bis zur nächsten Visitation. Die Unterscheidung unklarer prozessualer und sonstiger Rechtsfragen deutete sich nach 1555 in den Quellen schnell an und fand ihren Höhepunkt im Konzept der Kammergerichtsordnung von 1613. Trotz einer unscharfen Vermischung im Jüngsten Reichsabschied war nicht in allen Fällen die Vorlage von Dubia an die Visitationskommission vorgesehen. Verfahrensrechtliche Punkte durfte und sollte das Gericht weiterhin selbst entscheiden, wie es das in der Praxis seit je getan hatte. Das galt als Ausfluss des Arbitrium iudicis. So wie das gemeine Prozessrecht subsidiär am Reichskammergericht weitergalt136, waren auch die Gemeinen Bescheide in ihrer Einordnung als Arbitrium iudicis noch mit der gemeinrechtlichen Denkweise verbunden. Je seltener also die Kammergerichtsvisitationen stattfanden, umso bedeutender wurde die eigenständige Ersatzgesetzgebung durch das Gericht. Die riesige Masse Gemeiner Bescheide des Reichskammergerichts ist damit zugleich Gradmesser für Regelungsprobleme, die weder die Reichsgesetzgebung noch die Visitationskommissionen lösen konnten.

2. Reichshofrat Der normative Ausgangspunkt beim Reichshofrat unterscheidet sich deutlich von der Rechtslage am Reichskammergericht. Zunächst hatten sich die römisch-deutschen Kaiser stets das Recht vorbehalten, die Reichshofratsordnung „jederzeit (...) zu

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Zur consuetudo praeter legem R o y G a r r é , Consuetudo. Das Gewohnheitsrecht in der Rechtsquellen- und Methodenlehre des späten ius commune in Italien (16. – 18. Jahrhundert) (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 183), Frankfurt am Main 2005, S. 47, 82, 104, 135; allgemein zur Doktrin des Gewohnheitsrechts J an S c h r ö d e r , Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit (1500-1933), 2. Aufl. München 2012, S. 16-17, 108-110; speziell zur frühen Neuzeit S i e g f r i e d B r i e , Die Stellung der deutschen Rechtsgelehrten der Rezeptionszeit zum Gewohnheitsrecht, in: Festgabe für Felix Dahn zu seinem fünfzigjährigen Doktorjubiläum, 1. Teil: Deutsche Rechtsgeschichte, Breslau 1905, S. 129164. So auch RKGO 1555 3, 54, 1, in: L au f s , Reichskammergerichtsordnung (wie Anm. 114), S. 279.

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mindern, zu mehren und zu endern“ 137 . Die unmittelbare Herrschernähe verlangte Beweglichkeit, und genau dafür ist der Reichshofrat noch heute bekannt. Das gesamte Verfahrensrecht war im Gegensatz zum Reichskammergericht nicht so engmaschig normiert. Es gab viel weniger Hofratsordnungen als Reichskammergerichtsordnungen, und sie waren auch durchweg kürzer. Der strenge römischkanonische Zivilprozess konnte die freie und zum Teil eher politische Tätigkeit des Reichshofrats nicht einschnüren138. Der Spielraum von Parteien und Gericht, soweit man den Reichshofrat als Gericht ansieht, war bewusst offen gehalten. Hierzu fügt sich passgenau eine Beobachtung von Wolfgang Sellert. In dem Maße nämlich, wie die Stände den Reichshofrat seit dem frühen 17. Jahrhundert immer stärker als Gericht wahrnahmen und seine richterliche Funktion über die Erledigung politischer Aufgaben stellten, nahm die Zahl der Gemeinen Bescheide deutlich zu 139 . Jetzt waren offenbar Regelungen notwendig, auf die man im 16. Jahrhundert noch verzichtet hatte. Eine zweite Vorbemerkung ist ebenfalls angebracht. Der Reichshofrat kannte zahlreiche Regelungsprobleme überhaupt nicht, die Anlass für kammergerichtliche Gemeine Bescheide boten. Vor allem gab es nach einer kurzen Anfangsphase keine öffentlichen Audienzen mehr140. Die Ordnung in den Audienzen, die Disziplin der Anwaltschaft, die Abgrenzung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit 141 – all diese Fragen beschäftigten das Reichskammergericht ungleich stärker als den Reichshofrat. Wenn die Zahl kammergerichtlicher Gemeiner Bescheide mehr als dreimal so hoch war wie die des Reichshofrats, kann das also nicht ernstlich überraschen. Auch die normativen Grundlagen am Reichshofrat sahen ganz anders aus als am Reichskammergericht. Die erste Regelung erfolgte in der Reichshofratsordnung von 1617. Dort heißt es: „Waß nun ausserhalb der urtheil und decreten sonsten andere in unserm reichshofrath beschloßene und obangedeutermassen hinfüro ad protocollum annotierte gemeine bescheidt angelangt, wellche bishero alleinig dem reichshofrathsprotocollo einverleibt, auch, wie oben vermeldt, den partheyen oder ihren mandatariis durch die secretarios gemeiniglich nur mündtlich 137

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RHRO 1654 7, 26, in: W o l f g a n g S e l l e r t (Hrsg.), Die Ordnungen des Reichshofrats 1550-1766 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 8/I-II), Köln, Wien 1980/90, 2. Halbband, S. 260; zur Sache d e r s . , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 89-90. Allgemein S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 50, 93; E v a O r t l i e b , Das Prozeßverfahren in der Formierungsphase des Reichshofrats (1519-1564), in: Oestmann, Zwischen Formstrenge und Billigkeit (wie Anm. 11), S. 117-138 (117). S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 94. S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 133-134; Beispiel für eine der wenigen Audienzen zur Urteilsverkündung bei S t e f a n E h r e n p r e i s , Kaiserliche Gerichtsbarkeit und Konfessionskonflikt. Der Reichshofrat unter Rudolf II. 1576-1612 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 72), Göttingen 2006, S. 39-40. Hierzu B e r n h a r d D i e s t e l k a m p , Beobachtungen zur Schriftlichkeit im Kameralverfahren, in: Oestmann, Formstrenge (wie Anm. 11), S. 105-115.

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angezeigt worden seind, die sollen hinfüro nit allein durch ein signatur (wellche derjehnige reichshofrathssecretarius, in dessen expedition sollches gehörig, nur mit seinem undterschriebenen namen authentisirn solle) den partheyen oder ihren gewaldthabern zugestellet, sondern auch angeregte bescheidt alßobaldt in oder doch gleich nach dem rathsiz, in wellchem dieselbe ergangen, auf die schrifften, supplicationes oder memorialia, darauf sie seind erkhandt worden, durch obgedachte reichshofrathssecretarios formaliter signiert und geschrieben werden, damit also dergleichen gemeine beschaidt gleich sowoll alß die ergangene decreta und rescripta zu der referenten desto bessern nachrichtung bey den actis zu finden seyen.“142 Die Bestimmung unterscheidet sich deutlich von den oben behandelten Regelungen der Reichskammergerichtsordnungen. Zunächst benutzte die Reichshofratsordnung ohne weiteres den Begriff Gemeiner Bescheid. Am Reichskammergericht vermied man ihn lange. Erst 1713, ein volles Jahrhundert später, tauchte er in den gesetzlichen Quellen auf. Stillschweigend schafft die Reichshofratsordnung auch in einem anderen Punkt Klarheit. Die Literatur vermittelt gelegentlich den Eindruck, am Reichshofrat seien die Gemeinen Bescheide üblicherweise als Decreta communia bezeichnet worden. Schon die zeitgenössischen Sammlungen begannen mit der Latinisierung 143 . Tatsächlich aber ist Gemeiner Bescheid der selbstverständliche gesetzliche Terminus der Reichshofratsordnung. Wenn einzelne Gemeine Bescheide auch in der vorliegenden Edition mit Decretum commune oder ReichshofratsDecretum überschrieben sind, kann es sich hierbei um nicht authentische Kurztitel eines zeitgenössischen Herausgebers gehandelt haben. Die Gesetzessprache jedenfalls war in diesem Punkt Deutsch. Ein weiterer Unterschied zum Reichskammergericht fällt sofort ins Auge. Mit keinem Wort erläutert die Reichshofratsordnung, wann überhaupt Gemeine Bescheide ergehen durften. Genau hier lag der Schwerpunkt der kammergerichtlichen Regelungen. Am Reichshofrat findet sich dazu überhaupt nichts, wie ohnehin die Grundzüge des Verfahrens in den Ordnungen merkwürdig blass bleiben144. Der Befund ist schwer erklärlich. Möglicherweise sollte man 142 143

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RHRO 1617 4, 13, in: S e l l e r t , Ordnungen I (wie Anm. 137), S. 217-218. Gemeine Reichs-Hofraths-Bescheide 1683 (wie Anm. 72); ebenso auch der vollständige Titel von J o h a n n C h r i s t i a n L ü n i g (Hrsg.), Des Teutschen Reichs-Archivs Partis Generalis, oder Corporis Juris Publici Romano-Germanici Continuatio II. worinn nicht alleine Viele vortreffliche zu des H. Röm. Reichs allgemeinen Verfassung gehoerige Documenta, und zwar in einer richtigen Ordnung derer Röm. Kayser/ von Carolo M. an, bis auf die jetzt höchstlöbliche regierende Kayserliche Majestaet Carolum VI. sondern auch Die merkwürdigsten Dinge/ welche auf dem noch währenden Reichs-Tage zu Regenspurg in Religions- Kriegs- und Friedens- auch Justiz- und andern wichtigen Sachen, bis uf dieses 1720te Jahr, vorgegangen, ingleichen Alle Kayserliche Reichs- Hof- Raths-Decreta Communia und Cammer-Gerichts-Visitations-Abschiede, so bis hieher publiciret worden, wie nicht weniger Chur-Fürsten und Stände des Heiligen Römischen Reichs Privilegia de non appellando, davon unterschiedene niemahls zum Vorschein kommen, enthalten, Nebst Elencho und einem vollkommenen Register. Dem Publico zum Besten ans Licht gegeben, Leipzig 1720. Allgemein S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 81.

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sich die Reichskammergerichtsordnung als subsidiär geltendes Prozessrecht einfach hinzudenken. So jedenfalls hatte es später eine Klausel des Westfälischen Friedens von 1648 bestimmt 145 . Vielleicht war auch jedermann bekannt, was ein reichshofrätlicher Gemeiner Bescheid war. Dann fehlte es schlicht an der Erläuterungsbedürftigkeit. Wir wissen es nicht. Dagegen regelte die Reichshofratsordnung ein anderes Problem. Die Bekanntgabe der Gemeinen Bescheide war nämlich umständlicher als am Reichskammergericht. In Speyer konnte man sie in der Audienz verkünden 146 . Das war am Reichshofrat mit seinem rein schriftlichen Verfahren undenkbar. In der Hofratsordnung von 1617 ging es zunächst um die Bekanntgabe der Bescheide an die Parteien bzw. ihre Agenten. Die Sekretäre147 hatten die Gemeinen Bescheide bis dahin offenbar den Agenten lediglich mündlich bekanntgegeben. Nunmehr sollten Parteien und Agenten schriftliche Ausfertigungen erhalten. Außerdem sollten die Sekretäre die Gemeinen Bescheide zu denjenigen Parteischriftsätzen hinzufügen, die den Anlass für die Neuregelung oder Einschärfung gegeben hatten. Auf diese Weise hatte der Referent, der später die Einzelfallentscheidung vorbereitete, immer die aktuellste Rechtsgrundlage vor Augen. Eng verbunden mit diesem Regelungsproblem war eine spätere Vorschrift über Gemeine Bescheide in der Reichshofratsordnung von 1654. Hier ging es darum, bei der schriftlichen Fassung der Gemeinen Bescheide die Verlässlichkeit der Sekretäre zu überprüfen: „Waß sachen dann in ermeltem unßerm reichshofrath, auch unßerer erledigung, wie obstehet, beschlossen, darauf ladungen, mandata, urtheil, gemeine bescheidt oder rescripta zu verferttigen, solche sollen unßere secretariy in derienigen teutschen oder latheinischen expedition es gehöret mit höchstem fleiß verständtlich aufsezen und alßdann daß concept dem referenten oder demienigen gelerten, welchen unser praesident hierzu deputiren wirdt vorhero zu verlesen zuestellen.“148 Die Reichshofratssekretäre sollten also den schriftlichen Entwurf der jeweils neuen Gemeinen Bescheide dem Referenten oder einem anderen Reichshofrat zur Korrektur vorlegen. Erneut verzichtete die Ordnung auf jeden Hinweis darauf, wann und zu welchem Zweck Gemeine Bescheide überhaupt ergehen durften. Dagegen war die Art und Weise der Verschriftlichung und Bekanntgabe jetzt noch ausgefeilter vorgegeben als 1617. Nunmehr hieß es: 145

146 147

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IPO V 55, in: Z e u m e r , Quellensammlung (wie Anm. 100), S. 414: „Quoad Processum iudiciarium Ordinatio Camerae Imperialis etiam in Iudicio Aulico servabitur per omnia (...)“; zur Sache S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 73-74. D i c k , Entwicklung (wie Anm. 12), S. 9. Zu den Reichshofratssekretären O s w al d v o n G s c h l i e ß e r , Der Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehörde von 1559 bis 1806 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte des ehemligen Österreich 33), Wien 1942, S. 86; L o t h a r G r o s s , Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559 bis 1806 (Inventar österreichischer staatlicher Archive 5), Wien 1933, S. 99-106, 441-449, 468-469. RHRO 1654 6, 1, in: S e l l e r t , Ordnungen II (wie Anm. 137), S. 217.

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„[7] Die gemaine und geringe beschaidt aber sollen von dem secretario aus dem reichshofrathsprotocollo nach inhalt iedwedern in die feder gegebenen und in das protocoll aufgezaichneten schluess geschrieben und den partheyen oder deren gewaldthabern ausgelieffert und auff den original suppliciren neben dem tag der geschehenen auslieferung verzaichnet und sowohl alle obgemelte approbirte concepta der processen, mandaten und rescripten als publicirter urtheil und memorialien, darauf der gemeine bescheidt signirt, dem prothonotario, damit er solche den actis beylege und numerire, auch die referenten iederzeit deren richtige nachricht ersehen und finden können und, wan solches in iedwedern actis volzogen, dem registratori zugestellet und aller orten in obgemeltem buch aufgeschrieben werden. [8] Sobaldt nun die verfaste beschaidt oder urthel verlesen und dem prothocoll einverleibt worden, sollen unsere secretarien in acht oder, da die sachen wichtig weren, in vierzehen tagen dieselbe zu expediren und den partheyen die expedition ohne einige andere erkandtnus oder geschenk, als was die taxordnung mit sich bringt, abfolgen zu lassen schuldig sein.“149 Erneut drehte sich alles um die Niederschrift und Bekanntgabe. Die Gemeinen Bescheide hießen gleichzeitig „Geringe Bescheide“. Möglicherweise versuchte man sie auf diese Weise von den kaiserlichen Dekreten abzugrenzen, die am Reichshofrat ebenfalls Fragen der Gerichtsverfassung und des Prozessrechts regelten150. Neben dem Hinweis auf die Sekretäre erläuterte die Reichshofratsordnung von 1654 auch, welche Aufgaben die Registratoren und Protonotare bei der Sicherung der Gemeinen Bescheide erfüllten. Die Protonotare151 sollten nach der Bekanntgabe der Bescheide an die Parteien und Agenten die Gemeinen Bescheide mitsamt den zugehörigen Schriftsätzen geordnet in die Prozessakten einfügen. Am Ende des umständlichen Verfahrens oblag es den Registratoren152, in das Protokollbuch, in dem sich bereits der Urtext des Gemeinen Bescheides befand, sämtliche Verkündungstermine aufzunehmen. Inhaltlich fällt ein Unterschied zwischen den Bestimmungen von 1654 und den älteren Regelungen von 1617 auf. In der Reichshofratsordnung von 1617 war das Verkündungs- und Verschriftlichungsverfahren bei den Gemeinen Bescheiden ausdrücklich von Urteilen und sonstigen Dekreten abgegrenzt. Die Ordnung von 1654 näherte dagegen Gemeine Bescheide den übrigen Entscheidungen des Gerichts deutlich an. Urteil, Mandat und Reskripte nannte die Eingangsvorschrift zum sechsten Titel im selben Atemzug. Auch wenn nähere Ausführungen fehlten, entspricht das im Ergebnis dem Befund der reichskammergerichtlichen Quellen. Inwieweit die Gerichtsordnungen die Gemeinen Bescheide als Gerichtsentscheidungen ansahen, muss abermals offen bleiben. 149 150 151 152

RHRO 1654 6, 7, in: S e l l e r t , Ordnungen II (wie Anm. 137), S. 222-223. S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 88-90. Zu den Protonotaren G s c h l i e ß e r , Reichshofrat (wie Anm. 147), S. 86-87; G r o s s , Geschichte (wie Anm. 147), S. 106-107, 470-471. Zum Registrator G s c h l i e ß e r , Reichshofrat (wie Anm. 147), S. 87; G r o s s , Geschichte (wie Anm. 147), S. 110-111, 456-464, 470.

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Weitere reichshofrätliche Bestimmungen über Gemeine Bescheide gibt es nicht. Der Vergleich zwischen den reichskammergerichtlichen und reichshofrätlichen Verfahrensnormen belegt wie in vielen anderen Fällen abermals die erheblich geringere rechtliche Regulierung des Reichshofratsprozesses. Der Erlass Gemeiner Bescheide beruhte hier ganz auf dem Stilus curiae oder Gerichtsgebrauch, wenn man nicht die subsidiäre Geltung der Reichskammergerichtsordnung bemühen will. Demgegenüber war das Kameralverfahren auch im Hinblick auf die Gemeinen Bescheide engmaschiger normiert.

IV. Das Verfahren zum Erlass Gemeiner Bescheide Der Blick auf das genaue Verfahren zum Erlass Gemeiner Bescheide führt zu einem erstaunlichen Befund. Diese Frage war am Reichshofrat nämlich sehr viel feinmaschiger geregelt als am Reichskammergericht. So unvollständig das hofrätliche Verfahren auch normiert war, genau in diesem Punkt schrieb die Ordnung detailgesättigt alles vor. Am Reichskammergericht hingegen waren derartige Einzelheiten gesetzlich nicht vorgegeben. So ist es erheblich schwieriger, das Verfahren am Reichskammergericht im Einzelnen zu rekonstruieren als dasjenige des Reichshofrats.

1. Reichskammergericht Eine Diskussion um den Erlass eines Gemeinen Bescheids hat Steffen Wunderlich anhand eines privaten Protokollbuchs des Reichskammergerichtsassessors Mathias Alber nachgezeichnet153. Der Vorgang zeigt anschaulich, wie schwierig es ist, die Einzelheiten aufzuhellen. Bei einer Extrajudizialberatung ging es im Januar 1533 um die Frage, ob eine Appellantin die Appellationsfrist eingehalten hatte. Die Reichskammergerichtsordnung von 1523 hatte den Zeitraum zwischen der untergerichtlichen Einlegung und der Einführung am Kammergericht auf sechs Monate

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S t e f f e n W u n d e r l i c h , Das Protokollbuch von Mathias Alber. Zur Praxis des Reichskammergerichts im frühen 16. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 58), Köln, Weimar, Wien 2011, Bd. 1 S. 624-625, Bd. 2 S. 1178-1183, ergänzend Bd. 1 S. 86-87, 128, 142-146, 165, 222.

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begrenzt 154 . Im fraglichen Fall hatte die Appellantin sich aber acht Monate Zeit gelassen. Trotzdem war die Rechtslage verworren. Das Städtekollegium hatte dem entscheidenden Reichsabschied nicht zugestimmt, Kaiser Karl V. ebenfalls nicht155. Die Ordnung soll „durch das Kayserlich Regiment zu Nürnberg 1523. aufgericht“ worden sein156, also durch das zweite Reichsregiment. Inwieweit das Gesetz Verbindlichkeit erlangt hatte, war unter den Speyerer Assessoren auch zehn Jahre später noch umstritten. Deshalb sprachen sich mehrere Beisitzer für eine ausdrückliche Klarstellung aus. Es solle „hinfuran ordnung gemacht“ werden bzw. es sei „ordnung hinfuran zemachen“, protokollierte Alber die Äußerungen seiner Kollegen. Er selbst betonte ebenfalls, er habe „geraten, das man sich dess entschliessen“ solle 157 . Die Gerichtsmitglieder beabsichtigten also, ihre künftige Praxis allgemein zu klären und das auch so zu verkünden. Der Sache nach diskutierten sie über den Erlass eines Gemeinen Bescheids 158 . Obwohl eine Mehrheit sich für einen solchen Bescheid aussprach, erging er aber nicht. Ob sich solche Diskussionen auch in den Senatsprotokollen finden, ist unklar. Albers Aufzeichnungen sind bekanntlich persönliche, nicht amtliche Mitschriften. Und die erhaltenen Senatsprotokolle aus der Wetzlarer Zeit enthalten soweit erkennbar keine Hinweise auf Gemeine Bescheide (dazu unten VI.). Wie das Kameralkollegium also über die Gemeinen Bescheide beriet und sie beschloss, dürfte sich damit nicht mehr klären lassen. Einige Verkündungsformeln zeigen immerhin die Art und Weise der Bekanntgabe. Einen Bescheid von 1535 hatte man offenbar „Den Procuratorn vorgelesen, wie sich dieselben deß contumacirns halber verhalten sollen“ 159 . Bei umfangreicheren Regelungen mag das zu umständlich gewesen sein. Jedenfalls erging 1550 ein „Visitations-Memoriale, oder gemeiner Bescheid denen Procuratoren zugestellt“160. Offenbar hatten die Assessoren hier auf die Verlesung verzichtet und den Prokuratoren sogleich Abschriften zur Verfügung gestellt. Auch ein Gemeiner Bescheid, der den Sonderurlaub von Beisitzern beendete, die vor einer Seuche geflohen waren, erging ausschließlich schriftlich161. Eine aufschlussreiche Beobachtung zum Erlass Gemeiner Bescheide und zugleich zur Abgrenzung von den Dubia cameralia steuerte 1662 der Zeitgenosse Ludolf Hugo bei, später Vizekanzler in Hannover. Kurz vor der Veröffentlichung 154 155 156 157 158 159 160 161

RKGO 1523 IV § 2, bei S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung (wie Anm. 105), Teil 2 S. 249; Hinweis auch bei D i c k , Entwicklung (wie Anm. 12), S. 39. W u n d e r l i c h , Protokollbuch (wie Anm. 153), Bd. 2 S. 1183. S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung (wie Anm. 105), Teil 2 S. 247. W u n d e r l i c h , Protokollbuch (wie Anm. 153), Bd. 1 S. 624-625. So auch W u n d e r l i c h , Protokollbuch (wie Anm. 153), Bd. 1 S. 146, Bd. 2 S. 1182. Gemeiner Bescheid vom 27. Januar 1535 (unten RKG Nr. 26) mit Überschrift bei S e y l e r / B a r t h , Urtheil Und Beschaydt (wie Anm. 1), Bd. II S. 312-313. Gemeiner Bescheid vom 28. November 1550 (unten RKG Nr. 44). Gemeiner Bescheid vom 22. Januar 1667 (unten RKG Nr. 172).

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seines Buches war Hugo einige Zeit als Praktikant am Reichskammergericht gewesen und kannte den Kameralprozess aus eigenem Erleben162. Es ging um ein typisches Problem, nämlich um Möglichkeiten, Weitschweifigkeiten und Sachverhaltswiederholungen in der Appellationsinstanz zu begrenzen. Das Reichskammergericht formulierte dazu 1585 ein Dubium camerale. Es übertrug dem Appellaten die Obliegenheit, solche Überflüssigkeiten zu prüfen und dem Gericht anzuzeigen 163. Die Visitationskommission hielt diese Verfahrensweise allerdings nicht für Erfolg versprechend und erhob das Dubium nicht zum Gesetz164. Das Regelungsproblem hatte sich damit aber keineswegs erledigt. Deshalb erließ das Reichskammergericht am 13. Dezember 1593 einen Gemeinen Bescheid. Darin verpflichtete es den Appellanten, zukünftig in den Gravamina ausdrücklich anzugeben, wo genau seine Beschwerdepunkte lägen und welche neuen Beweismittel er vorbringen wolle 165 . Diesen Gemeinen Bescheid legte das Reichskammergericht angeblich 1594, also bereits im folgenden Jahr, dem Regensburger Reichstag vor. Ludolf Hugo verwies hierfür auf den Regensburger Reichsabschied von 1594166. Die einschlägige Vorschrift sprach tatsächlich davon, es seien „dubia (...) einkommen“, ohne sie aber genauer aufzulisten167. Der Sache nach hatte Hugo aber Recht, denn die umfangreichen Dubia cameralia von 1595 enthalten genau die Regelung des Gemeinen Bescheids von 1593 168 . Die gesammelten Dubia erhielt jetzt der Kurfürstenrat zur Prüfung vorgelegt. Er akzeptierte das fragliche Dubium 97 und damit zugleich den Gemeinen Bescheid von 1593. Der Fürstenrat allerdings erklärte, die Reichskammergerichtsordnung sei „denen beschriebenen Rechten/ und dem Stylo gemäß“ beschaffen. Deshalb solle der Gemeine Bescheid „durch den künfftigen Abschied cassirt“ werden 169 . Beide Stellungnahmen gelangten an die Kaiserlichen Kommissare 170 . Hinter diesem Namen verbarg sich die Speyerer Visitationskommission. Sie fällte aber keine Entscheidung. Die Reichskammergerichtsvisitation von 1600 führte dann 162

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164 165 166 167 168 169 170

Einzelheiten bei P e t e r O e s t m an n , Ludolf Hugo und die gemeinrechtliche Appellation, in: Ludolf Hugo, Vom Missbrauch der Appellation, eingeleitet und hrsg. von Peter Oestmann, übersetzt von Bernd-Lothar von Hugo (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 62), Wien, Köln, Weimar 2012, S. 1-43 (18-22). H u g o , Vom Missbrauch (wie Anm. 162), S. 99-100. Als Beispiel für die Arbeit, die das Reichskammergericht mit dem tatsächlichen Vorbringen der Appellanten hatte, zitierte Hugo u. a. A d r i a n G y l m a n n , Symphorematis Tom. III Supplicationum pro processibus (…) impetrandis, Frankfurt am Main 1610, Votum XL, S. 291-295. H u g o , Vom Missbrauch (wie Anm. 162), S. 100. Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1593, § 2 (unten RKG Nr. 92). H u g o , Vom Missbrauch (wie Anm. 162), S. 100. RA von Regensburg 1594, § 98, bei: S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung III (wie Anm. 105), S. 437. Dubium Nr. 97, bei L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), Nr. 332, S. 508-509. Stellungnahmen bei L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), Nr. 332, S. 509. Begriff nach L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), Nr. 332, S. 522.

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letztlich doch zum Ergebnis. Der Reichsdeputationsabschied von 1600 hob den Gemeinen Bescheid vom 13. Dezember 1593 förmlich auf und lehnte sich dabei wörtlich an den Vorschlag des Fürstenrates an171. Das Beispiel aus der Praxis zeigt das Schicksal eines Gemeinen Bescheids in seiner typisch frühneuzeitlichen Umständlichkeit. Das Reichskammergericht machte den Anfang mit einem Gesetzgebungsvorschlag in Gestalt eines Dubium. Nachdem es damit gescheitert war, erließ es selbst einen Gemeinen Bescheid. Dieser wurde sodann seinerseits wieder zum Dubium und doppelt schriftlich begutachtet. Letztlich hoben die Visitatoren den Gemeinen Bescheid auf und setzten in diesem Punkt die Reichskammergerichtsordnung von 1555 wieder in Kraft. In der Mitte des 17. Jahrhunderts bestätigte der Jüngste Reichsabschied von 1654 den Deputationsabschied von 1600 172 . Doch nur ein Jahr später erließ das Reichskammergericht abermals einen Gemeinen Bescheid und erlegte den Schriftsatzverfassern auf, ihre Gravamina, Beweismittel und neuen Tatsachen „in margine“, also sichtbar am Seitenrand, hervorzuheben173. Und weil jetzt keine ordentlichen Visitationen mehr stattfanden, blieb diese Regelung in Kraft. Der erwähnte Ludolf Hugo zeigte sich verwundert, um nicht zu sagen erheitert. Denn der Sinn des Bescheids war 1593 derselbe gewesen wie 1655, da war er sich sicher174. Solches Hin und Her blieb kein Einzelfall. So gab es oftmals Diskussionen über die Verkürzung des Rezessierens. Weithin scheinen die Prokuratoren in den Audienzen des 16. Jahrhunderts ihre zu den Schriftsätzen gehörigen Prozesserklärungen nicht einfach übergeben oder vorgelesen, sondern diktiert zu haben175. Ein Gemeiner Bescheid vom 22. Februar 1595 versuchte diesen Missstand abzustellen. Ab jetzt sollten die „Recess, wie ihnen sie sonst dictirt werden sollen, geschrieben werden“176. So leicht ließ sich die Praxis aber wohl nicht ändern. Nicht einmal zwei Monate später nahm ein weiterer Gemeiner Bescheid von diesem Vorhaben wieder Abstand. Es sei „dieser Zeit und in gegenwärtiger Verhäuffung der Handlungen, solches alsobald und unversehens oder plötzlich ins Werck zu bringen, nicht wohl thunlich“, erklärten die Assessoren in der Einleitung ihres Dekrets. Vielmehr sei „zu hoffen, die Visitation nunmehr in kurtzem einen Fortgang erreichen möchte; Als ist aus dieser und andern mehr Ursachen für gut angesehen, dieses Werck noch zur Zeit einzustellen“177.

171 172 173 174 175 176 177

DA Speyer 1600, § 114, bei L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), Nr. 346, S. 554; H u g o , Vom Missbrauch (wie Anm. 162), S. 102. JRA 1654, § 73, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II (wie Anm. 111), S. 213-214. Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655, § 7 (unten RKG Nr. 127). H u g o , Vom Missbrauch (wie Anm. 162), S. 102-103. Zur Sache M e n c k e , Visitationen (wie Anm. 101), S. 120-121. Gemeiner Bescheid vom 22. Februar 1595, § 2 (unten RKG Nr. 93). Gemeiner Bescheid vom 11. April 1595, Prinzipium (unten RKG Nr. 94).

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Schon diese einleitenden Worte verweisen auf den engen Zusammenhang von Gemeinen Bescheiden und Visitationen. In der Tat hätten die Visitationskommissionen die vom Gericht erlassenen vorläufigen Regelungen ja mit dauerhafter Verbindlichkeit versehen können. Besondere Hoffnung darauf bestand wohl nicht, denn der Gemeine Bescheid regelte das Problem dann doch selbst: „§. 1. Damit aber doch mittlerweil gedachter Umfrag in etwas geholffen, die befördert, und nicht so gantz bestecken bleibe, sollen darzu künfftig beneben den gewöhnlichen Sambstägigen und andern noch zwo vormittägige Audientzien von 8. biß 10. Uhren, wochentlich, Dienstags und Donnerstags angestellt und gehalten, und wie bißhero dictando gehandelt werden, doch zum kürtzesten.“178 Die Visitation von 1595 griff zahlreiche Fragen rund um mündliche und schriftliche Rezesse auf, traf aber keine gesonderte Regelung über diktierte Rezesse179. Immerhin sollten mündliche Rezesse nicht länger als drei oder vier Linien lang sein. Noch nach dem Jüngsten Reichsabschied hielt ein Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655 die Sache in der Schwebe. Ein Prokurator sollte in der Audienz „in derselben aller seiner Principalen Nothdurfft der Gebühr münd- oder schrifftlich vorzubringen schuldig seyn“180. Erst nach weiteren vier Jahren fand das Kameralkollegium eine klare Lösung. Nunmehr wurde 1659 „so wohl in Ordine Terminorum, als in der gemeinen Handlung Novarum genandt, das mündliche Recessiren und Andictiren der Procuratorum im Gericht gäntzlich abgeschafft und verbotten“181. Inwieweit die Praxis sich daraufhin änderte, lässt sich schwer abschätzen. Ein Gemeiner Bescheid von 1718 jedenfalls klagte, dass die „Procuratores denen so oft wiederholten Verordnungen zuwider, nicht allein bey öffentlichen Audienzien unnöthige, mehrmalen hitzige, und darzu weitläuftige anzuhören beschwerliche Contradictions-Recessen den Proto- und Notariis in die Feder zu dictiren“ und kündigte an, sie dafür in Zukunft zu bestrafen182. Doch nur drei Jahre später nannte ein Gemeiner Bescheid gleich an erster Stelle die „Dictirung der ungescheuten Contradictions-Recessen“ als schwersten Missbrauch im Verfahrensalltag183. Genützt zu haben scheint auch das nur wenig. Schon 1723, nur zwei weitere Jahre später, klagte abermals ein Gemeiner Bescheid, die Prokuratoren würden „respective den Proto- und Notariis in die Feder zu dictiren sich anmaßen“184. 1737 erhöhte ein Gemeiner Bescheid die Strafdrohung für

178

179 180 181 182 183 184

Gemeiner Bescheid vom 11. April 1595, § 1 (unten RKG Nr. 94); ungenau D i e s t e l k am p , Beobachtungen zur Schriftlichkeit (wie Anm. 141), S. 108. Er meint, am 11. April 1595 habe das Gericht das Diktieren ganz abgeschafft. Dubia cameralia mitsamt Antworten bei L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), Nr. 332 S. 494-495 Dubium 60. Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655, § 1 (unten RKG Nr. 127). Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1659, § 5 (unten RKG Nr. 144). Gemeiner Bescheid vom 26. Januar 1718 (unten RKG Nr. 256); dazu auch D i e s t e l k am p , Beobachtungen zur Schriftlichkeit (wie Anm. 141), S. 109. Gemeiner Bescheid vom 4. April 1721, Ziff. 1 (unten RKG Nr. 261). Gemeiner Bescheid vom 4. April 1721, Präambel (unten RKG Nr. 261).

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Prokuratoren, die „unnöthiger Weise Contradictions-Recessus dictiren, solches aber denen Reichs-Satzungen und gemeinen Bescheiden zuwider ist“185. Wie bereits die von Ludolf Hugo angesprochenen Weitschweifigkeiten bei der Appellation war also auch die zum bloßen Diktat erstarrte Mündlichkeit Gegenstand ständiger Überlegungen und Normsetzungen. Die vom Kameralkollegium erlassenen Gemeinen Bescheide wirken wie Versuchsballons. Je nach ihrem Erfolg ließen sie sich abändern, aufheben oder wiederholt einschärfen. Es ging also keineswegs um bloße ständige Wiederholungen nicht beachteter Anordnungen, jedenfalls nicht vor 1659. Im Zusammenspiel mit dem unübersichtlichen Visitationswesen erscheint es zweifelhaft, ob Gemeine Bescheide in ihrer punktuellen Streuung unklare Rechtsund Verfahrensfragen ernsthaft entscheiden konnten. Für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts neigt Wunderlich dazu, die Frage zu verneinen. Selbst wenn die Speyerer Assessoren über Rechtsfragen berieten, die bereits in Gemeinen Bescheiden entschieden waren, bezogen sie sich nicht ausdrücklich darauf186. Diestelkamp scheint hier eine Ursache für die nach und nach beliebteren Sammelbescheide zu sehen. Sie boten wenigstens Übersicht und „handhabbaren Ersatz“ für fehlende Reformen der Prozessordnung 187 . Die ständigen Klagen über nicht beachtete Vorschriften geben freilich nicht zu allzu großen Hoffnungen Anlass.

2. Reichshofrat Die Verfahrensweise am Reichshofrat war wie bereits erwähnt in den normativen Quellen erheblich engmaschiger geregelt als am Reichskammergericht. Aus der Spätzeit des Alten Reiches lieferte Wilhelm August Friedrich Danz 1795 einen Blick auf die Praxis: „Die Gemeinen Bescheide. Sie sind Namens des Kaisers von dem Reichshofrathe, nach vorgängiger Relation, über den Prozeß, und der Agenten Pflichten erlassene Vorschriften. Ihre Verbindlichkeit beruht auf den nämlichen Gründen, aus welchen die kammergerichtlichen provisorischen Geseze fliessen (...). Sie werden von dem Reichshofvicekanzler und einem Reichshofrathssekretär unterschrieben, und im Original in der Agentenstube eine Zeitlang angeschlagen. Da sie in des Kaisers Namen ergehen; so fangen sie gewöhnlich mit den Worten an: Von der Römisch Kaiserlichen Majestät N. Unsers allergnädigsten Herrn, wegen, den sämtlichen kaiserlichen 185

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Gemeiner Bescheid vom 16. Juli 1723 (unten RKG Nr. 262). – Der von D i e s t e l k am p , Beobachtungen zur Schriftlichkeit (wie Anm. 141), S. 109, in diesem Zusammenhang erwähnte Gemeine Bescheid vom 13. Mai 1785 (unten RKG Nr. 317) beschäftigt sich zwar mit der Abgrenzung von Schriftlichkeit und Mündlichkeit, nicht aber mit diktierten Rezessen. W u n d e r l i c h , Protokollbuch (wie Anm. 153), Bd. 1 S. 142-145. B e r n h a r d D i e s t e l k a m p , Die Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts. Unausgewertete Quellen zum Verfahrensalltag, in: Liber Amicorum Kjell Å. Modéer, Lund 2007, S. 143148 (147).

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Reichshofrathsagenten und Prokuratoren hiermit anzuzeigen u. Vom Reichshofrathsthürhüter kann man gegen die Gebühr Abschriften erhalten.“188 Das im Unterschied zum Reichskammergericht abweichende Bekanntmachungsverfahren lässt sich leicht erklären. Der Reichshofrat kannte seit dem frühen 17. Jahrhundert keine Audienzen mehr 189 . Verlesungen und mündliche Verkündungen der Decreta communia waren daher nicht möglich. Die übliche Publikation erfolgte nach Danz durch Aushang in der Agentenstube. Von Amts wegen scheint der Reichshofrat die Bescheide nicht vervielfältigt zu haben. Wenn man gegen Gebühr Abschriften beim Türhüter erstehen konnte, musste der erste Schritt immer vom Agenten selbst ausgehen. Freilich sind wie beim Reichskammergericht ebenfalls Separatdrucke reichshofrätlicher Decreta communia bekannt, doch handelt es sich hierbei wohl um Ausnahmen190. Ganz handfest und praktisch zeigt sich das Verfahren zum Erlass hofrätlicher Bescheide in der archivalischen Überlieferung. Die große Sammlung im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv enthält nämlich nicht nur den Text der Dekrete selbst. Vielmehr ist umfassend der vorbereitende Schriftverkehr überliefert. Damit sind Einblicke in die einzelnen Schritte der Normentstehung möglich, wie sie für das Reichskammergericht ausscheiden. Der untrennbare Reichskammergerichtsbestand im Bundesarchiv Berlin enthält lediglich die Bescheide selbst, teilweise mehrfach, gelegentlich auch mit überarbeiteten Entwürfen. Darüber hinaus gehende Materialien, wie sie das Wiener Archiv für den Reichshofrat bewahrt, sind für das Reichskammergericht nicht erhalten.

V. Regelungsgehalt der Gemeinen Bescheide Über den Inhalt der Gemeinen Bescheide finden sich in der bisherigen Literatur eher unklare Andeutungen. Georg Wilhelm Wetzell definiert lediglich die Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts als Quellentyp, geht aber auf den Reichshofrat nicht ein. Zum sachlichen Gehalt äußert er sich nicht191. Auch andere Annäherungen bleiben blass. Bernd Schildt meint vage, Gemeine Bescheide gingen deutlich 188 189 190

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D a n z , Grundsäze (wie Anm. 23), S. 149. Beispiel für eine Verkündungszeremonie von 1597 bei E h r e n p r e i s , Kaiserliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 140), S. 39-40. Gedruckter Bescheid vom 28. November 1752, in: Österreichisches Staatsarchiv/Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Verfassungsakten des Reichshofrats, Karton 51. Die Überlieferung ist unklar, weil der separat im Bestand liegende Bescheid zugleich die gedruckten Seitenzahlen 109-110 trägt. W e t z e l l , System (wie Anm. 7), S. 5.

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über Geschäftsordnungen im modernen Sinne hinaus192. Eine erste Typologie hat Bernhard Diestelkamp vorgeschlagen, freilich auf der Grundlage weniger, dafür aber vergleichsweise umfangreicher Sammelbescheide. Er sieht zwei deutliche Schwerpunkte: Zum einen regelten die Gemeinen Bescheide Disziplinarmaßnahmen gegen Prokuratoren, zum anderen den genauen Ablauf der Audienzen193. Tatsächlich ist die Bandbreite noch erheblich größer. Für das Reichskammergericht betonte Johann Ulrich von Cramer 1768, es gebe sieben „Haupt-Decreta“ 194 . Am wichtigsten erschien ihm der Gemeine Bescheid, wonach die Revision gegen kammergerichtliche Entscheidungen keinen Suspensiveffekt haben sollte195. Sodann verwies Cramer auf die Reform des Kameralprozesses durch die Bescheide vom 13. Dezember 1659, 9. Januar 1660 und 12. Januar 1660 196 . Dadurch seien „des alten Cameral-Processes Weitläuftigkeiten abgeschnitten worden“197. Danach lobte er die Gemeinen Bescheide von 1669 und 1671 über den Eid bei der Restitutio in integrum und das verschärfte Novenrecht 198 . Für ebenfalls zentral hielt Cramer den Gemeinen Bescheid zur Neueröffnung des Kammergerichts in Wetzlar 1693199 . Der Zeitgenosse, selbst Assessor in Wetzlar, fand also besonders die prozessualen Weichenstellungen durch die Gemeinen Bescheide bemerkenswert. Im rechtshistorischen Rückblick ist das Bild aber noch viel bunter. Die folgenden Schlaglichter verstehen sich nicht als systematische Auffächerung. Sie wollen lediglich die Vielfalt und den inhaltlichen Reichtum der Quellen andeuten. Auf der Grenze zwischen Gesetz und Gerichtsurteil, zwischen Theorie und Praxis ermöglichen die Gemeinen Bescheide nämlich faszinierende Einblicke in die frühneuzeitliche Gerichtstätigkeit. Gleichzeitig spiegeln sie auch wichtige Wegmarken der römisch-deutschen Verfassungsgeschichte.

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B e r n d S c h i l d t , Reichskammergericht – Geschichte, Verfassung und Überlieferung, in: Jura 2006, S. 493-501 (498). D i e s t e l k a m p , Die Gemeinen Bescheide (wie Anm. 187), S. 145. C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 76 (1768) (wie Anm. 19), S. 17-18. Gemeiner Bescheid vom 11. März 1613 (unten RKG Nr. 104). Unten RKG Nr. 144, 145 und 146. C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 76 (wie Anm. 19), S. 18. Gemeine Bescheide vom 7. Juli 1669 und 7. Juli 1671 (unten RKG Nr. 179 und 184); Kritik am zu großzügigen Novenrecht auch bei H u g o , Missbrauch (wie Anm. 162), S. 100-103 zu den älteren Gemeinen Bescheiden des Reichskammergerichts. Gemeiner Bescheid vom 15./25. Mai 1693 (unten RKG Nr. 233).

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1. Der äußere Rahmen Zu den allgemeinen Problemen, die in den Gemeinen Bescheides des Reichskammergerichts immer wieder zur Sprache kamen, zählte die unzureichende finanzielle Ausstattung des Gerichts. Mit dem Kammerzieler gab es eigentlich eine Reichssteuer, die zum Unterhalt des Reichsgerichts bestimmt war 200 . Wenn aber der politische Wille fehlte, die fälligen Zahlungen zu leisten, stand das Gericht mit leerem Geldbeutel da. Oft genug war das der Fall. Grundsätzlich gab es zwei Wege, sich um Abhilfe zu bemühen. Zum einen konnte der Fiskal im Rahmen eines Monitoriumsverfahrens die rückständigen Kammerzieler anmahnen und einklagen. Das war prozessual angelehnt an das Mandatsverfahren sine clausula. Zum anderen konnte das Gericht auf die ständigen Prokuratoren der Reichsstände zugreifen und sie anhalten, sich bei ihren Mandanten um pünktliche Zahlung und Begleichung der Rückstände zu bemühen. Beide Wege schlug das Reichskammergericht ein. Doch es war erforderlich, solche Anordnungen ständig zu wiederholen201. Selbst wenn der Kaiser dem Gericht ausdrücklich zu Hilfe kam wie etwa im Februar 1636, stand dahinter kein ernsthafter Druck, sondern kaum mehr als eine butterweiche Ermahnung. Mehr als ein Schreiben der reichsständischen Prokuratoren an ihre säumigen Mandanten ließ sich nicht erzwingen 202 . Zwischenzeitliches Aufatmen gab es nach dem Jüngsten Reichsabschied. Dort hatte man sich dazu aufgerafft, verbindliche Zahlungstermine festzusetzen, im Vierwochenabstand jeweils vor der Frankfurter Fastenmesse und Herbstmesse 203. Aber die Rückstände stiegen weiter. Die Gemeinen Bescheide notierten geradezu kleinlaut, wie die ausstehenden Kammerzieler seit der nur knapp zurückliegenden Reform von 1657 bis 1658, also nicht einmal innerhalb von zwei Jahren, von sechs auf zwölf Raten gestiegen waren204. Mit dem Prozessrecht als solchem hatte all das nichts zu tun. Aber die jämmerliche Ausstattung des Gerichts, verschuldet von säumigen Reichsständen, spiegelt sich überdeutlich in den Gemeinen Bescheiden. Wenn überhaupt Zahlungen eingingen, verhinderten Privatgeschäfte und Schlampigkeiten des

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Überblick bei A n j a A m e n d - T r au t , Art. Kammerzieler, in: HRG 2. Aufl. 15. Lieferung 2012, Sp. 1567-1569. Einige Beispiele: Gemeiner Bescheid vom 16. Oktober 1634 (unten RKG Nr. 109); 6. August 1635 (unten RKG Nr. 111); 17. August 1635 (unten RKG Nr. 112); 20. Februar 1636 (unten RKG Nr. 113); 7. Juni 1636 (unten RKG Nr. 113); 2. Januar 1656 (unten RKG Nr. 129); 6./16. Februar 1657 (unten RKG Nr. 133); 4. Dezember 1658 (unten RKG Nr. 137). Gemeiner Bescheid vom 20. Februar 1636 (unten RKG Nr. 113). JRA §§ 9-21, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II (wie Anm. 111), S. 189-193. Gemeine Bescheide vom 6./16. Februar 1657 und 4. Dezember 1658 (unten RKG Nr. 133 und 137).

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Pfennigmeisters eine zügige und zutreffende Verbuchung 205 . Der Wechsel nach Wetzlar änderte an diesen Zuständen kaum etwas. Die Ausstattung des Reichskammergerichts blieb kümmerlich und ungelöst 206 . Wenn nichts als „leere Vertröstungen“ zu erwarten waren, musste es letztlich „zerfallen“, wie das Kameralkollegium hellsichtig voraussagte 207 . In den 1760er Jahren, vor allem nach 1764, scheint sich die finanzielle Lage des Gerichts dann aber deutlich gebessert zu haben208. Für 1785 ist sogar von einem Überschuss in Höhe von 100.000 Talern die Rede209. Ein Spezialproblem innerhalb der wirtschaftlichen Schwierigkeiten betraf den geplanten Neubau eines Kammergerichtsgebäudes in Wetzlar. Das Reich hatte 1729 die Baukosten bewilligt. Die Stände sollten einen zusätzlichen Römermonat dafür bereitstellen 210 . Das Geld kam aber nie beim Gericht an. Mehrere Gemeine Bescheide zeigen die verzweifelten Versuche des Kameralkollegiums, die Reichsstände und ihre ständigen Prokuratoren zur Zahlung zu bewegen. Der Hubertusburger Friede nach dem Siebenjährigen Krieg oder die Aufstockung der Assessorenzahl von 17 auf 25 schienen dafür geeignete Zeitpunkte zu sein. Doch so sehr das Gericht an die reichspatriotischen Gefühle appellierte und bereits Gebäude angekauft hatte, die Baukosten kamen nie zusammen. Die Gemeinen Bescheide markieren die einzelnen Stationen der Misserfolgsgeschichte211. Andere Gemeine Bescheide ergingen vor dem Hintergrund kriegerischer Auseinandersetzungen und verknüpften auf diese Weise den Kameralprozess mit äußeren politischen Rahmenbedingungen. Die früheste Erwähnung von Kriegshandlungen in den Gemeinen Bescheiden des Reichskammergerichts datiert vom 24. April 1525. Damals setzten das Reichsregiment und das Reichskammergericht die Gerichtstätigkeit für vier Wochen aus. Sie begründeten das mit der „Empörung“ durch die „gemeine Bauerschafften“212. Ein geordneter Betrieb war wegen der Unruhen

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Dazu z. B. Gemeine Bescheide vom 23. März 1667 (unten RKG Nr. 173); 10. April 1669 (unten RKG Nr. 178); 5. Dezember 1671 (unten RKG Nr. 185). Ständige Ermahnungen an die Prokuratoren, z. B. am 15. März 1690 (unten RKG Nr. 222); 2. März 1691 (unten RKG Nr. 226); 17. Februar 1692 (unten RKG Nr. 228); 8. August 1692 (unten RKG Nr. 231); 28. November 1703 (unten RKG Nr. 243). Gemeiner Bescheid vom 16. Juli 1717 (unten RKG Nr. 255). A r e t i n , Das Alte Reich (wie Anm. 94), Band 3 S. 143; darauf deutet auch der Gemeine Bescheid vom 1. Februar 1765 hin (unten RKG Nr. 287). Gemeiner Bescheid vom 3. Juni 1785 (unten RKG Nr. 318). Einzelheiten bei J u l i u s F r i e d r i c h M al b l a n k , Anleitung zur Kenntniß der deutschen Reichsund Provinzial-Gerichts- und Kanzleyverfassung und Praxis, 2. Teil, Nürnberg und Altdorf 1791, S. 406-486. Gemeine Bescheide von 12. Januar 1757, 11. Mai 1765, 21. März 1766, 17. Mai 1782 (unten RKG Nr. 279, 288, 289 und 308). Gemeiner Bescheid vom 24. April 1525 (unten RKG Nr. 9).

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wohl nicht möglich. Kurze Zeit später kam es 1526 dann zur Verlegung des Reichskammergerichts nach Speyer213. Unmittelbare Hinweise auf den Dreißigjährigen Krieg sucht man weitgehend vergeblich. Der Gemeine Bescheid des Reichskammergerichts vom 24. Oktober 1651 benennt die Verwerfungen der vergangenen Jahrzehnte214. Ansonsten gingen die Auseinandersetzungen seit 1618 an den normativen Quellen erstaunlicherweise spurlos vorüber. Zwischen dem 12. Februar 1620 und dem 12. November 1647 erließ das Reichskammergericht sogar 14 Gemeine Bescheide. Sie beschäftigten sich mit dem Verfahrensalltag, nicht aber mit dem Kriegsgeschehen. Selbst wenn Verschleppungen in den Audienzen zur Sprache kamen215, handelte es sich stets um Vorwürfe gegen die Anwaltschaft. Am Reichshofrat ergingen zwischen 1618 und 1648 ohnehin nur zwei Gemeine Bescheide216. Der Krieg hat dort in den Quellen keinen Niederschlag gefunden. Der Reichskrieg gegen Frankreich von 1674217 bildet dagegen den Hintergrund eines Gemeinen Bescheides vom 29. April/9. Mai 1674. Wegen zahlreicher Flüchtlinge befürchtete das Kameralkollegium „contagiöse Seuchen“ und schärfte allen Gerichtsmitgliedern unbedingte Sauberkeit ein. Offenbar hatten die Zugezogenen auch Vieh mit in die Stadt Speyer gebracht. Ein „sehr übler Geruch“ war die Folge218. Von Kampfhandlungen blieben sowohl die Stadtbevölkerung als auch die Kameralen zunächst verschont. Das sollte sich zum Ende des nächsten Jahrzehnts aber bereits ändern. Die französische Belagerung von Speyer wird in den Gemeinen Bescheiden des Reichskammergerichts unmittelbar greifbar. Ein französischer Kommissar hatte das Kameralpersonal gezwungen, einige Kompanien Soldaten mitsamt verwundeten und kranken Offizieren zu versorgen. Vergeblich hatte das Gericht gegen diese Anmaßung protestiert. Mit dem Gemeinen Bescheid vom 29. November 1688 gab man 213

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RA Speyer 1526 § 23, bei L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), S. 66; allgemein zur Beschäftigung des Reichskammergerichts mit dem Bauernkrieg S m e n d , Reichskammergericht (wie Anm. 93), S. 134; M a l t e H o h n , Die rechtlichen Folgen des Bauernkrieges von 1525. Sanktionen, Ersatzleistungen und Normsetzung nach dem Aufstand (Schriften zur Rechtsgeschichte 112), Berlin 2004, S. 279-316. Gemeiner Bescheid vom 24. Oktober 1651 (unten RKG Nr. 123). Gemeiner Bescheid vom 12. November 1647 (unten RKG Nr. 120). Decreta communia vom 4. März 1637 und 22. Oktober 1637 (Teilband II, RHR Nr. 2 und 3). Hinweise zur Lage des Reichskammergerichts in dieser Situation bei J o h a n n C h r i s t o p h A d e l u n g , Beilagen zu Johann Christoph Adelungs pragmatischer Staatsgeschichte Europens, auf die Jahre 1758. und 1759. (= Adelung, Pragmatische Staatsgeschichte des letztern Krieges bis auf den Hubertsburg. Frieden, Bd. III/2), Gotha 1767, dort S. 110: Brief des Kameralkollegiums an den Kaiser vom Januar 1759 mit zahlreichen Beilagen und Ausführungen zum Krieg von 1674; allgemein zum Reichskrieg H e i n z D u c h h a r d t , Europa am Vorabend der Moderne 1650-1800 (Handbuch der Geschichte Europas 6), Stuttgart 2003, S. 235. Gemeiner Bescheid vom 29. April/9. Mai 1674 (unten RKG Nr. 191).

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klein bei. Alle Kameralen sollten im Einklang mit der „Königlichen Ordinance“ die Franzosen verpflegen. Das galt sowohl für die „anwesende, als auch abreißende Cameral Persohnen“219. Damit wirft der Gemeine Bescheid grelles Licht auf die Zustände in Speyer. Schon lange vor der Einäscherung der Stadt befand sich das Gericht in heller Auflösung. Wie auch bei der Pestepidemie220 waren zahlreiche Kameralen auf der Flucht. Ein geregelter Gerichtsbetrieb musste damit zum Ende gelangen, wenn die Versorgung französischer Offiziere die wesentliche Aufgabe der Gerichtsmitglieder war. Nur wenige Tage später beschäftigte sich ein Gemeiner Bescheid mit der „Reparirung der Quartier“ 221 . Der Krieg machte einen regulären Gerichtsbetrieb offenbar unmöglich. Das Reichskammergericht flüchtete zunächst nach Frankfurt, dann folgte die Übersiedlung nach Wetzlar. Der unsichere Verbleib der Prozessakten gab mehrfach Anlass zur Verabschiedung Gemeiner Bescheide, sogar schon gleich im Sommer 1689222. Erst nach vier Jahren konnte der reguläre Audienzbetrieb erneut beginnen. Nunmehr war klar, dass das Reichskammergericht „ad interim und biß zu erfolgendem ferneren allgemeinen Reichsschluß, und dessen Bewerckstelligung förderlichst eröffnet werden“ 223 sollte, und zwar in der Reichsstadt Wetzlar. Der Wechsel nach Wetzlar bot zugleich die Gelegenheit, Vorschriften gegen Überteuerungen zu erlassen (dazu im Abschnitt 4)224. Spiegelt sich auf diese Weise in den reichskammergerichtlichen Gemeinen Bescheiden die Verlegung des Gerichts von Speyer nach Wetzlar, zeigen die Decreta communia des Reichshofrats das zweite oberste Reichsgericht auf ständiger Wanderschaft. Wenige Beispiele können das verdeutlichen. Der Reichshofrat reiste in geradezu mittelalterlicher Manier mit dem Kaiser durch das Reich und hatte auf diese Weise keinen festen Sitz. Am 12. August 1680 kommentierte ein Decretum commune die inzwischen beendete reichshofrätliche Tätigkeit in Prag und die Wiedereröffnung in Wels im Juli 1680. Offenbar hatten sich dort aber nur wenige Agenten eingefunden 225 . Auch die Bescheide vom 15. August und 6. September 1680 beschäftigten sich mit Wels als neuem Sitzungsort226. Am 10. März 1681 gab der Reichshofrat durch Gemeinen Bescheid seine Verlegung nach Wien bekannt. 219 220 221 222 223 224 225 226

Gemeiner Bescheid vom 29. November 1688 (unten RKG Nr. 217). Dazu unten bei Anm. 368. Gemeiner Bescheid vom 3. Dezember 1688 (unten RKG Nr. 218). Gemeine Bescheide vom 5. Juli 1689 (unten RKG Nr. 220); 31. März 1690 (unten RKG Nr. 223), 13. April 1692 (unten RKG Nr. 229) und 17. April 1695 (unten RKG Nr. 234). Gemeiner Bescheid vom 15./25. Mai 1693 (unten RKG Nr. 233). Gemeine Bescheide vom 10. Februar 1690 (unten RKG Nr. 221) und 4. Oktober 1690 (unten RKG Nr. 225). Decretum commune vom 12. August 1680 (Teilband II, RHR Nr. 32). Decreta communia vom 15. August 1680 (Teilband II, RHR Nr. 33) und 6. September 1680 (Teilband II, RHR Nr. 34).

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Bereits am 11. März endeten die Geschäfte in Wels, am 18. März sollten sie in Wien beginnen227. Schon im Oktober 1683 allerdings erfolgte eine abermalige Übersiedlung nach Wels228. Am 11. Juli 1684 kündigte sodann ein Gemeiner Bescheid das Ende der Welser Epoche für den 5. August 1684 an. Ab Ende des Monats sollte der Reichshofrat wieder in Wien residieren229. Offenbar kam es aber zu Verzögerungen, denn die die Eröffnung in Wien fand erst am 4. September 1684 statt230. Das alles sind nur Schlaglichter. Sie zeigen freilich die im Vergleich zum Reichskammergericht ganz andere gerichtsverfassungsrechtliche Einbindung des Reichshofrats. Das mittelalterliche Reisekaisertum zeigte hier seine spätesten Früchte. Nicht nur die Reichshofräte selbst, auch ihre Akten wurden ständig hin und her transportiert. Wenn die Gemeinen Bescheide die anwaltliche Trägheit beklagten, wirft auch das ein bezeichnendes Licht auf den kaiserlichen Reichshofrat. Offenbar waren viele Agenten gar nicht bereit, ständig ihren Dienstort zu verlegen. Sie konnten ja nie wissen, für welchen Zeitraum sie sich auf die neuen Verhältnisse einrichten mussten. Deswegen hielt sich ihre Begeisterung für die häufigen Umzüge sichtbar in Grenzen. Die Gemeinen Bescheide waren zwar als normative Quellen gedacht. Sie zeigen aber ebenfalls solche vielfachen praktischen Schwierigkeiten und sind damit immer auch wertvolle Zeugnisse für die Rechtswirklichkeit. Zugleich waren solche äußeren Gegebenheiten eng mit prozessualen Fragen verknüpft. Was geschah etwa mit den gemeinrechtlich vorgegebenen Fristen wie beispielsweise den Appellationsfatalien, wenn der Reichshofrat auf Wanderschaft ging? Genau dazu gaben die Decreta communia Anweisungen231. Auch das Ende des Alten Reiches wird in den Gemeinen Bescheiden greifbar. Schon in einem Dekret vom Sommer 1689 hatte das nach Frankfurt geflohene Kameralkollegium erstmals von der Zerstörung des Gerichts gesprochen, diese kühne Formulierung vor der Verkündung dann aber wieder gestrichen232. 1703 war unverblümt vom „gäntzlichen Abgang“ die Rede, wenn sich die finanzielle Ausstattung nicht besserte233. Aber erst einhundert Jahre später war es soweit. Die letzten vier Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts fielen dann auch deutlich aus dem Rahmen. Sie zeigen das gesamte Reich im freien Fall. Nach dem Reichsdeputationshauptschluss versuchten die Assessoren in Wetzlar verzweifelt, einen geregelten 227 228 229 230 231 232 233

Decretum commune vom 10. März 1681 (Teilband II, RHR Nr. 35). Decreta communia vom 5. Oktober 1683 (Teilband II, RHR Nr. 44) und 8. November 1683 (Teilband II, RHR Nr. 45). Decretum commune vom 11. Juli 1684 (Teilband II, RHR Nr. 50). Decretum commune vom 7. September 1684 (Teilband II, RHR Nr. 51). Decretum commune vom 15. August 1680 (Teilband II, RHR Nr. 33). Gemeiner Bescheid vom 5. Juli 1689 (unten RKG Nr. 220). Gemeiner Bescheid vom 28. November 1703 (unten RKG Nr. 243); ähnlich Gemeiner Bescheid vom 16. Juli 1717 (unten RKG Nr. 255).

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Gerichtsbetrieb aufrechtzuerhalten. Das aber war nicht einfach. Die Gemeinen Bescheide bereichern die Diskussion um die zeitgenössische Wahrnehmung des Reichsendes 234 mit kleinen, aber bezeichnenden Einzelheiten. Am 5. September 1803 erging ein Gemeiner Bescheid an die Advokaten und Prokuratoren. Er gab ihnen auf, künftig den Inhalt bestimmter „Urkunden als gesetzliche Vorschrift“ zu beachten235. Bereits am 27. Juli hatte Kaiser Franz II. diese vier Urkunden mitsamt einem Reskript nach Wetzlar übersandt. Es handelte sich erstens um eine Ausfertigung des Lunéviller Friedensvertrages von 1801 236 , zweitens um den Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803237, drittens das Reichsgutachten 238 zum Reichsdeputationshauptschluss vom 24. März 1803 239 und viertens schließlich das Kaiserliche Ratifikationsdekret vom 27. April 1803240. Das war geradezu tragikomisch. Genau der Reichsdeputationshauptschluss schlug nämlich die ehemalige Reichsstadt Wetzlar in Form einer Grafschaft zur „Ausstattung“ des Kurfürst Erzkanzlers, also des neugegründeten Dalberg-Staates. Als Sitz des Reichskammergerichts sollte Wetzlar allerdings „unbedingte Neutralität“ behalten241. Die territorialen Veränderungen in Deutschland führten zu ganz handfesten und praktischen Fragen im Wetzlarer Prozessbetrieb. Die säkularisierten geistlichen Territorien waren ebenso wie die mediatisierten weltlichen Herrschaften an den Reichsgerichten parteifähig gewesen. Sie hatten auch zahlreiche Prozesse geführt. 234

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W o l f g a n g B u r g d o r f , Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806, 2. Aufl. München 2009; d e r s . , Finis Imperii – Das Alte Reich am Ende. Ein Ergebnis langfristiger Entwicklungen?; in: Stephan Wendehorst/Siegrid Westphal (Hrsg.), Lesebuch Altes Reich (Bibliothek Altes Reich 1), München 2006, S. 13-20; E r i c -O l i v e r M a d e r , Die letzten „Priester der Gerechtigkeit“. Die Auseinandersetzungen der letzten Generation von Richtern des Reichskammergerichts mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (Colloquia Augustana 20), Berlin 2005. Gemeiner Bescheid vom 5. September 1803 (unten RKG Nr. 331). Leicht zugänglich bei U l r i c h H u f e l d (Hrsg.), Der Reichdeputationshauptschluss von 1803. Eine Dokumentation zum Untergang des Alten Reiches, Köln, Weimar, Wien 2003, S. 57-64; auch bei H a n n s H u b e r t H o f m a n n (Hrsg.), Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1495-1815 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit – Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 13), Darmstadt 1976, S. 323325. Bei H u f e l d , Reichsdeputationshauptschluss (wie Anm. 236), S. 69-119; Z e u m e r , Quellensammlung (wie Anm. 100), S. 509-528; H o f m an n , Quellen (wie Anm. 236), S. 329-358. Zur Typologie der Reichsgesetze D i e t m a r W i l l o w e i t , Deutsche Verfassungsgeschichte (wie Anm. 106), S. 176. Bei H u f e l d , Reichsdeputationshauptschluss (wie Anm. 236), S. 120-121, dort in der Überschrift zusätzlich mit dem Ausfertigungsdatum 26. März 1803; Z e u m e r , Quellensammlung (wie Anm. 100), S. 529. Bei H u f e l d , Reichsdeputationshauptschluss (wie Anm. 236), S. 122-125, dort auch mit Ausfertigungsdatum 28. April 1803; Z e u m e r , Quellensammlung (wie Anm. 100), S. 529-531. Reichsdeputationshauptschluss § 25, bei H u f e l d , Reichsdeputationshauptschluss (wie Anm. 236), S. 88-89; zu Dalberg jetzt H e r b e r t H ö m i g , Carl Theodor von Dalberg. Staatsmann und Kirchenfürst im Schatten Napoleons, Paderborn 2011.

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Einige dieser Streitigkeiten waren mittlerweile spruchreif, zum Urteil beschlossen oder angenommen, wie es im Kameralprozess hieß. Deswegen stellte sich die Frage, ob die Urteile ohne weiteres für und gegen die Rechtsnachfolger der aufgelösten Territorien ergehen durften. Das Reichskammergericht verkündete am 14. November 1803 hierzu einen Gemeinen Bescheid. Die Prokuratoren sollten sich trotz der verfassungsrechtlichen Umbrüche „der Ordnung bedienen“, hieß es dort242 . Das war sichtbar rückwärtsgewandt und wohl als Anspielung auf den Jüngsten Reichsabschied gemeint. Dort befand sich eine Regelung zum Tod von Parteien. Üblicherweise kam ein Verfahren durch Tod zum Stillstand und sollte durch eine Citatio ad reassumendum 243 weitergeführt werden. Der Jüngste Reichsabschied schwächte das ab. Wenn die Anwaltsvollmachten gleich die Rechtsnachfolger mit umschlossen, konnten die Anwälte auch im Todesfall ihre Tätigkeit fortsetzen244. Genau darauf spielte der Gemeine Bescheid an. Die Prokuratoren sollten „gegen die neuen Besitzer um eine Ladung ad reassumendum“ ansuchen245. Hier sieht man, wie das Reichskammergericht versuchte, die Verfassungsumwälzungen mit den altbewährten Mitteln des Zivilprozesses einzufangen. Rechtlich galten die aufgelösten Territorien oder ihre ehemaligen Landesherren schlichtweg als tot. Eben deswegen war das Verfahren nun dasselbe wie beim Tod einer Partei. Sicherlich unbeabsichtigt stellten die Wetzlarer Assessoren damit die Lage überdeutlich klar. Das Reich lag wirklich im Sterben. Die aufgelösten Territorien waren sogar bereits verstorben. Rechtlich ist das moderner, als es auf den ersten Blick aussehen mag. Jedenfalls hat die neuere Rechtsgeschichte auch die Diskussion um den Fortbestand des Deutschen Reiches nach 1945 mit derselben Brille betrachtet 246 . Der Tod von Staaten war für das Reichskammergericht 1803 also keine rechtliche Unmöglichkeit, sondern schlichte Realität. In diesen Strudel gerieten die Mitglieder des Kammergerichts selbst mit hinein. Davon zeugt der nächste Gemeine Bescheid vom 17. Dezember 1804. Vor allem die Kammerboten hatten weiterhin die Aufgabe, durch das kleiner gewordene Reich zu reisen und dort Mandate, Urteile und Ladungen zuzustellen. Noch im letzten Jahr

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Gemeiner Bescheid vom 14. November 1803 (unten RKG Nr. 332). Begriffsklärung bei O b e r l ä n d e r , Lexicon (wie Anm. 3), S. 128: „ein Actus, dadurch der Successor ermahnet wird den Process zu reassumiren, weil sein Antecessor solchen nicht mehr fortführen kan“. JRA 1654 § 99, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II (wie Anm. 111), S. 223-224; Erläuterungen am Beispiel des Reichshofrats bei S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 122-123. Gemeiner Bescheid vom 14. November 1803 (unten RKG Nr. 332). J o a c h i m R ü c k e r t , Die Beseitigung des Deutschen Reiches – die geschichtliche und rechtsgeschichtliche Dimension einer Schwebelage, in: Anselm Doering-Manteuffel (Hrsg.), Strukturmerkmale der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 63), München 2006, S. 65-94.

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1806 gab es zwölf reitende Boten und zwölf Fußboten247. Doch ihre Reisen waren zunehmend unerfreulich. Der Gemeine Bescheid spricht von „mehreren Zoll- und Chausseestätten zwischen hier und Frankfurt“, in denen es Schwierigkeiten gebe248. Die dortigen Kontrolleure nahmen auf „Kaiserliche Kammergerichts-Pässe“ keine Rücksicht mehr. Die Begründung ist interessant. Angeblich waren nämlich „öfters Personen, die nicht in die Classe der Kameralpersonen gehören“, mit solchen Ausweisen ausgestattet und versuchten, dadurch Zollfreiheit zu ergattern. Offenbar hielten die Assessoren Missbrauch für möglich und versuchten, „allenfallsigen Unterschleifen“ einen Riegel vorzuschieben. In Zukunft sollten alle Pässe nach „gemachtem Gebrauch“ zurück an den Kanzleiverwalter gegeben werden. Falls die Vorwürfe der Zollbehörden zutrafen, reichten die Kammerboten ihre Ausweise also einfach an Bekannte weiter. Diese wiederum ergaunerten sich Zollfreiheit bei ihren Reisen durch das zersplitterte Reich. Gerade in der Zeit der Auflösung bot die scheinbare Zugehörigkeit zum Kammergericht also handfeste Vorteile. Wenn die Kammerboten auf ihren letzten Reisen durch das zerfallende Reich Schmähungen erdulden mussten, hatten sie immerhin noch Arbeit. Der letzte Gemeine Bescheid des Wetzlarer Reichsgerichts beseitigte auch diese Illusion. Das Gericht gab am 25. Oktober 1805 freimütig bekannt, „daß die in der Audienz vorkommenden gerichtlichen Geschäfte sich gegen die Vorzeit überaus gemindert haben“ 249 . Mit den Entschädigungsansprüchen der aufgelösten Territorien mitsamt ihrer Landesherren gab es zwar neue Betätigungsfelder 250 . Gleichzeitig war das Reich aber geschrumpft, und zahlreiche Parteien waren weggefallen. Das Reichskammergericht hatte weniger zu tun und befürchtete nun „überflüssige Audienzen“. Angeblich dauerten die ehedem feierlichen Auftritte zu dieser Zeit ohnehin kaum noch zehn Minuten. Selbst in diesem letzten Gemeinen Bescheid stellte sich das Gericht aber ganz in die Tradition des frühneuzeitlichen Prozessrechts. Zum ersten erinnerte der Gemeine Bescheid an den Jüngsten Reichsabschied von 1654. Dort waren drei Audienzen pro Woche festgeschrieben, jeweils von 7.00 bis 10.00 Uhr sowie von 13.00 bis 17.00 Uhr 251 . Diese 21 Stunden wöchentlich waren 1805 aber längst nicht mehr erforderlich. Der Gemeine Bescheid senkte daher die Verhandlungstage auf zwei

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Übersicht bei E r i c - O l i v e r M a d e r , „Soldateske“ des Reichskammergerichts. Das kammergerichtliche Botenwesen am Ende des Alten Reichs, in: Anette Baumann/Peter Oestmann/ Stephan Wendehorst/Siegrid Westphal (Hrsg.), Reichspersonal. Funktionsträger für Kaiser und Reich (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 46), Köln, Wiemar, Wien 2003, S. 265-290 (284-288). Gemeiner Bescheid vom 17. Dezember 1804 (unten RKG Nr. 333). Gemeiner Bescheid vom 25. Oktober 1805 (unten RKG Nr. 334). S m e n d , Reichskammergericht (wie Anm. 93), S. 240. JRA 1654 § 88, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II (wie Anm. 111), S. 218.

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Audienzen pro Woche, jeweils am Montag und Sonnabend. Und sie begannen auch erst um 12.00 Uhr mittags252. Die letzte Bestimmung des Gemeinen Bescheids und damit die letzte allgemeine Regelung des Reichskammergerichts überhaupt betraf Versäumnisprobleme. Die Assessoren änderten ihren Gemeinen Bescheid vom 17. August 1574253 und passten die Zahl der „Contumacial-Gerichtstage“ von sechs auf vier an. Ganz am Ende des Alten Reiches wirft das ein bezeichnendes Licht auf das Reichskammergericht. Ohne mit der Wimper zu zucken, sahen die Beisitzer noch im Herbst 1805 ihren Gemeinen Bescheid aus dem 16. Jahrhundert als weiterhin geltendes Recht an. Die zweieinhalb Jahrhunderte Zeitunterschied spielten augenscheinlich keine Rolle. Rechtlich war das Reich mitsamt seinen höchsten Gerichten damit noch am Leben, selbst wenn 1803 einige Territorien bereits verstorben waren. Das ermöglicht Rückschlüsse auf das Rechtsquellenverständnis der Kammergerichtsmitglieder am Ende des Alten Reiches. Ganz deutlich sahen sie bis zuletzt die im Laufe von drei Jahrhunderten erlassenen Gesetze als immer noch geltendes Recht an. Wenn es 1805 notwendig schien, einen Gemeinen Bescheid von 1574 zu ändern, war es nicht schwierig, daraus den Umkehrschluss zu ziehen: Alle Gemeinen Bescheide und prozessrechtlichen Vorschriften, die nicht ausdrücklich aufgehoben waren, galten fort – und zwar bis zum bitteren Ende 1806. Die späten Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts stellten sich damit ganz in die Tradition der Reichsreform von 1495. Geradezu rührend verstanden sich die Wetzlarer Assessoren bis zuletzt als Juristen „als solche“254. Mochte um sie herum auch das Reich und damit die Grundlage ihrer Tätigkeit untergehen, stellten sie sich unverdrossen in ein dreihundertjähriges Herkommen. Ein ähnlich unglaubliches Beharren am überlieferten Prozessrecht hat die Literatur auch Wilhelm August Friedrich Danz bescheinigt, einem der letzten Streiter für das reichsgerichtliche Verfahren255. Das Alte Reich war also wirklich alt, als es unterging. Die Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts bestätigen diesen bekannten Befund abermals.

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Gemeiner Bescheid vom 25. Oktober 1805 Ziffer 1 (unten RKG Nr. 334). Gemeiner Bescheid vom 17. August 1574 (unten RKG Nr. 72). Zum geflügelten Wort J o a c h i m R ü c k e r t , Methode und Zivilrecht bei Bernhard Windscheid, in: ders./Ralf Seinecke (Hrsg.), Methodik des Zivilrechts von Savigny bis Teubner, 2. Aufl. BadenBaden 2012, S. 97-122 (110-111); d e r s . , Bernhard Windscheid und seine Jurisprudenz „als solche“ im liberalen Rechtsstaat (1817–1892), in: Juristische Schulung 1992, S. 902–908; U l r i c h F a l k , Der wahre Jurist und der Jurist als solcher. Zum Gedenken an Bernhard Windscheid, in: Rechtshistorisches Journal 12 (1993), S. 598–633; d e r s . , Ein Gelehrter wie Windscheid. Erkundungen auf den Feldern der sogenannten Begriffsjurisprudenz, Frankfurt am Main 1989, S. 2 Anm. 10. S t i n z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte III/1 (wie Anm. 22), S. 454.

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2. Vorschriften zum Verfahrensalltag Fragen des Verfahrensalltags stehen im Mittelpunkt der meisten Gemeinen Bescheide, beim Reichshofrat noch stärker als bei den breiter gefächerten Regelungen des Reichskammergerichts. Diese Gruppe ist nur schwer abzugrenzen von den ebenfalls sehr zahlreichen Disziplinarmaßnahmen gegenüber den Prokuratoren bzw. Agenten. Die angedrohten Strafen waren nämlich zumeist die Folgen von Pflichtverstößen. Es gibt allerdings genügend Gemeine Bescheide, die bloße verfahrensrechtliche Anordnungen treffen, ohne zugleich anwaltliche Pflichtwidrigkeiten anzuprangern. Beim Reichskammergericht ging es hierbei mehrfach um Fragen der Audienzen, also um ein Regelungsproblem, das der Reichshofrat gar nicht kannte. Ohne Umschweife kommen die Regelungen selbst unmittelbar auf die entscheidenden Punkte zu sprechen. Das fällt schon beim ältesten Gemeinen Bescheid des Reichskammergerichts vom 31. Mai 1497 auf. Er legte Einzelheiten für die Urteilsausfertigung und die damit verbundenen Kosten fest. Offenbar handelt es sich um die erste Entscheidungsverkündung des frisch nach Worms übergesiedelten Gerichts256. Georg Melchior von Ludolff scheint später geschwankt zu haben, ob es sich tatsächlich um einen Gemeinen Bescheid handelte. Ganz offen überschrieb er ihn mit „Conclusum Pleni Camerale, oder gemeiner Bescheid“257. Andere Bescheidsammlungen verzichteten auf einen Titel, nahmen die Bestimmung aber immer mit auf258. Das Kanzleipersonal und die Prokuratoren, an die sich der Bescheid ausdrücklich richtete, scheinen also gewusst zu haben, worum es sich handelte, auch wenn sie es mit dem ersten Anwendungsfall einer neuen Quellengattung zu tun hatten. Irgendwelche Erläuterungen, welche Verbindlichkeit ihre Anordnung hatte, hielten die Assessoren jedenfalls nicht für erforderlich. Der sehr knappe Gemeine Bescheid ist zugleich der einzige des Reichskammergerichts, der in lateinischer Sprache erging. Mehrere Gemeine Bescheide des Reichskammergerichts versuchten, das nicht klar geregelte Verhältnis zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit in den Griff zu bekommen259. Der gemeinrechtliche Grundsatz Quod non est in actis non est in mundo 256

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So die Überschrift von R a p h a e l S e i l e r , Camergerichts Bei unnd end urthail. (...) Die fürnembsten und herrlichsten an dem hochlöblichsten des heiligen Römischen Reichs in Deutscher Nation, Keyserlichen Chammergericht, vom Jar 1495. biß auff das Jar 1570. (alles einschließlich) eröffnete Bey und Endurtheil: In zwey Theil verfasst, Frankfurt am Main, Bd. 1 S. 9; zum gleichzeitigen Wormser Reichstag S m e n d , Reichskammergericht (wie Anm. 93), S. 78. L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), S. 12 Nr. IV. Nachweise unten beim Gemeinen Bescheid vom 31. Mai 1497 (unten RKG Nr. 1). Hinweis auf diesen Problembereich auch bei D i e s t e l k am p , Beobachtungen (wie Anm. 141), S. 107-109.

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war jedenfalls in der täglichen Praxis stark durchlöchert. Ob die mündlichen Rezesse ausreichten, um als förmliche Prozesshandlung Anerkennung zu finden, ist unklar. Allenthalben kamen sie vor, und zwar in einer für das Gericht unerträglichen Weitschweifigkeit260 und versehen mit spitzen Worten und Beleidigungen 261 . Hier zeigt sich ein unauflösbares Problem des Kameralprozesses. Ein Gerichtsverfahren, das öffentliche Audienzen kannte, in dem Anwälte feierlich im Angesicht der Zuschauer ihre Schriftsätze überreichten, ließ sich nicht durch gesetzliche Anordnung als Stummfilm abspielen. Die Gemeinen Bescheide hatten hier nur begrenzten Erfolg und wurden entsprechend häufig wiederholt. Freilich gab es in der Praxis auch Mündlichkeit dort, wo sie besonders unerwünscht war und das Ansehen des Gerichts gefährdete. Wenn etwa ein Prokurator während der Urteilsverkündung lautstark zu protestieren begann, verhängte das Kameralkollegium dagegen empfindliche Geldstrafen262. Bei dieser Gelegenheit gilt es, ein naheliegendes Missverständnis auszuräumen. In zahlreichen älteren normativen Vorschriften sprach der Reichsgesetzgeber oder auch das Reichskammergericht davon, die Prokuratoren hätten ihre Rezesse mündlich zu halten und den Protokollführern in die Feder zu diktieren263. Diese Rezesse bildeten den Rest an erlaubter Mündlichkeit in den Audienzen264. Solche Rezesse sind allerdings streng zu unterscheiden von den Schriftsätzen und den zugehörigen Anlagen. Ein mündlicher Rezess, selbst wenn er diktiert war265, bedeutete also ganz und gar nicht, dass die Anwälte in den Audienzen ihre Schriftsätze vorlasen. Einige Gemeine Bescheide stellen das sehr deutlich klar266. Unter Rezessen verstand das Reichskammergericht also lediglich die Begleitäußerung, mit der ein Prokurator seine Schriftsätze und andere Dokumente in den Audienzen zu den Akten reichte. Kam es hierbei auf den Inhalt des Schriftsatzes an, lag es nahe, die zusätzlichen mündlichen Rezesse weitestmöglich zu beschneiden. Falls freilich Schriftsatzwechsel überflüssig oder gar verboten war wie etwa beim Beschluss der Sache267, behielt die 260 261 262 263 264 265 266

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Gemeiner Bescheid vom 29. November 1536 (unten RKG Nr. 28). Gemeiner Bescheid vom 19. Juni 1532 (unten RKG Nr. 19). Gemeiner Bescheid vom 27. Februar 1538 (unten RKG Nr. 34). Z. B. Gemeine Bescheide vom 27. November 1539 § 13 (unten RKG Nr. 38) und 26. März 1675 (unten RKG Nr. 194). Allgemein D i c k , Entwicklung (wie Anm. 12), S. 123; D i e s t e l k am p , Beobachtungen (wie Anm. 141), S. 110-115. So nach einem gescheiterten Versuch, das Diktat abzuschaffen, der Gemeine Bescheid vom 11. April 1595 (unten RKG Nr. 94). Aus der frühen Zeit Gemeine Bescheide vom 18. Juni 1533 (unten RKG Nr. 20), 31. August 1537 (unten RKG Nr. 31) und 27. November 1539 §§ 10-11 (unten RKG Nr. 38), später u. a. vom 16. Juli 1723 (unten RKG Nr. 262); ebenso der Entwurf der Praefixa-Ordnung vom 22. Februar 1595 § 6-7 (unten RKG Nr. 93). Dazu Gemeine Bescheide vom 8. Mai 1573 (unten RKG Nr. 69), 7. Juli 1585 (unten RKG Nr. 84) und 13. Dezember 1593 § 4 (unten RKG Nr. 92).

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isolierte Mündlichkeit ihren bescheidenen, aber nicht unwichtigen Anwendungsbereich. Peinlich achtete das Kameralkollegium darauf, mündliche Rezesse nicht zu mündlichen Verhandlungen ausarten zu lassen. Die Prokuratoren verspürten offenbar den Drang, sich zur Sach- und Rechtslage selbst zu äußern. Ihre Rezesse wurden länger und länger, Hinweise auf die sog. Merita causae flossen in die bloßen Mitteilungen über die Prozesshandlungen mit ein. Das provozierte Gegenäußerungen. Zahlreiche Gemeine Bescheide bekämpften solche angeblich hitzigen Gegenrezesse und beklagten gleichzeitig die mangelnde Aufmerksamkeit der Anwälte und ihrer Mitarbeiter. Bis ins späte 18. Jahrhundert reichte diese Auseinandersetzung268. Die Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts zeigen auch bisher gänzlich unbekannte Reformbemühungen. So versuchte der Kammerrichter im Februar 1595, in Zusammenarbeit mit der Anwaltschaft das schwerfällige Audienzwesen mit seinen umständlichen Umfrageordnungen zu erneuern. Er legte einen systematischen und scharf formulierten Entwurf vor und bat die Advokaten und Prokuratoren ausdrücklich um Stellungnahmen 269 . Die Prokuratoren hatten aber Bedenken und trugen diese auch schriftlich vor. Letztlich ließ das Gericht das Reformprojekt dann fallen, angeblich allerdings aus anderen Gründen270, und kam auch später nicht mehr darauf zurück 271 . Die kurzzeitig geplante Zusammenarbeit zwischen dem richterlichen und dem anwaltlichen Personal bei der Normsetzung war damit ebenso gescheitert wie die einvernehmliche Reform der Umfrageordnungen. Umfrage scheint man in dieser Beziehung getrost wörtlich nehmen zu dürfen. Die Prokuratoren wurden gefragt, wer etwas in diesem Audienzabschnitt zu handeln habe. Überhaupt zeigen die Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts an allen Ecken und Enden, wie schwerfällig und umständlich die gesetzlich vorgesehenen Umfragen in der Audienz abliefen. Die Theorie sah noch halbwegs verständlich aus. Die Frühzeit schwankte in der Anordnung der Umfragen, wie auch die Gemeinen Bescheide zeigen272. Jedenfalls ab 1555 sollte es sechs Umfragen geben273. Zunächst verkündete das Gericht selbst seine Urteile. Das zählte nicht als Umfrage. Hierauf folgte als erste Umfrage der Ordo sententiarum. In diesem Abschnitt sollten 268 269 270 271 272 273

Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1782 als Wiederholung des Gemeinen Bescheids vom 26. Januar 1718 (unten RKG Nr. 310 und 256). Gemeiner Bescheid vom 22. Februar 1595 (unten RKG Nr. 93). Gemeiner Bescheid vom 11. April 1595 (unten RKG Nr. 94). Ein weiterer Versuch, die Prokuratoren in Reformbemühungen einzubinden, datiert erst vom 10. Februar 1659 (unten RKG Nr. 138). Gemeine Bescheide vom 27. Januar 1524 (unten RKG Nr. 6) und 4. September 1525 (unten RKG Nr. 10). Übersichtliche Zusammenstellung bei D i c k , Entwicklung (wie Anm. 12), S. 83-87.

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Prozesshandlungen erfolgen, die auf zuvor ergangene Urteile oder Bescheide hin vorzunehmen waren. Die Reihenfolge der Antworten war ebenfalls festgelegt. Der Fiskal genoss Vorrang vor allen. Die Prokuratoren selbst hatten nach Anciennität, also nach Dienstzugehörigkeit am Gericht, zu antworten. Als zweiter Abschnitt schloss sich die Umfrage in novis an. Sie betraf neue Rechtsstreitigkeiten, in denen es noch keine Urteile gegeben hatte, auf die man hätte reagieren müssen. Danach kam an dritter Stelle die Ordnung in praefixis. Hier ging es um bereits laufende Verfahren, in denen die Parteien oder das Gericht Termine gesetzt hatten, um Prozesshandlungen vorzunehmen. Gab es dagegen Handlungen, für die ein fester Termin nicht ausdrücklich vorgeschrieben war, griff die vierte Ordnung ein, die sog. Ordnung in ordinariis. Immer dann, wenn Handlungen in „Zeit der Ordnung“ vorzunehmen waren, gehörten sie in diesen Verfahrensabschnitt. Zuletzt waren zwei Ordnungen, also die fünfte und sechste, für das Versäumnisverfahren vorgesehen. Sie griffen ein, wenn Parteien nicht erschienen waren oder Prozesshandlungen zu spät vorgenommen hatten. Davon abgetrennt, aber nicht als Umfrage gerechnet, waren Beweisverhandlungen vor den sog. Deputaten. Wenn eine kommissarische Zeugenvernehmung angeordnet war, aber auch bei der Prüfung von Siegeln, Notarsigneten und Handschriften274, verschob man solche Handlungen in einen gesonderten Abschnitt. Hier saß auch nicht mehr das gesamte Kameralkollegium 275 , sondern lediglich ein verkleinerter Ausschuss, eben die sog. Deputaten oder Deputierten. Bereits die beiden letzten regulären Ordnungen, die sich mit Kontumazialsachen beschäftigten, fanden vor verkleinertem Assessorenkreis statt. Zusätzlich verkomplizierte sich das Modell dadurch, dass innerhalb der jeweiligen Umfragen zunächst noch nach eilbedürftigen Extraordinarsachen und regulären Ordinarsachen getrennt werden musste. In der Theorie sollte es also in jeder Audienz mindestens zwölf Umfragen geben. Bettina Dick hat den in der Gerichtsordnung vorgesehenen Rahmen für das 16. Jahrhundert getreu nachgezeichnet276. Die Gemeinen Bescheide werfen an der Grenze von Rechtsnorm und Rechtspraxis nunmehr ein ganz anderes Licht auf den Audienzverlauf. Ständig gab es Reformbedarf, weil sich das schwerfällige Umfragewesen praktisch eben nicht bewährte. Kleine kosmetische Korrekturen fanden ab und zu statt. Das Kameralkollegium sah sich zu größeren Veränderungen aber außer Stande und schob stattdessen immer den Anwälten die Schuld für die Mängel in die Schuhe. 274 275 276

Dazu u. a. Gemeine Bescheide vom 9./19. März 1526 (unten RKG Nr. 13) und 5. Juni 1584 (unten RKG Nr. 82). In späterer Zeit nahmen an den regulären Audienzen ohnehin nicht mehr sämtliche Assessoren teil. Die bildlichen Darstellungen der Wetzlarer Zeit entsprechen insoweit nicht den Tatsachen. D i c k , Entwicklung (wie Anm. 12), S. 104-108.

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Lediglich ihre Geschwätzigkeit führe zu den täglichen Gebrechen277. Es dauerte bis zum März 1651, bis die Beisitzer den Reformbedarf offen zugaben. Zu diesem Zeitpunkt war die Praefixa-Ordnung bereits seit vier Jahren gescheitert. Die Umfragen gelangten lediglich bis zum dienstältesten Prokurator, gingen aber nicht darüber hinaus. Außerdem wusste niemand mehr, wo genau der Unterschied zwischen Ordinar- und Extraordinarsachen liegen sollte. In ihrer Verunsicherung versuchten die Prokuratoren, ihre Streitsachen jeweils so früh wie möglich anzubringen, notfalls auch in verschiedenen Abschnitten der Audienz. Immerhin rang das Kameralkollegium sich in dieser Lage dazu durch, die Trennung von Ordinaria und Extraordinaria in den Praefixa- und Ordinaria-Ordnungen aufzuheben278. Andere Reförmchen waren kaum der Rede wert. So legten Gemeine Bescheide für einige Umfragen verbindliche Uhrzeiten fest oder führten besondere Termine ein, um Rückstände abzuarbeiten279. Das Grundübel bekam niemand in den Griff. Die Reste von Mündlichkeit in einem ansonsten im Wesentlichen schriftlichen Verfahren, dazu die öffentliche Inszenierung des Gerichts als Organ des Alten Reiches verfolgten ganz unterschiedliche Zielsetzungen und ließen sich nicht unter einen Hut bringen. Für die Anwälte wurde so etwas leicht langweilig, vor allem, wenn absehbar war, dass sie an einem Audienztag nichts zu tun haben würden. Dennoch bestand das Gericht in zahlreichen Bescheiden auf pünktlichem und vollzähligem Erscheinen280. Trotz der vielfachen Ermahnungen mussten die Gemeinen Bescheide aber kleinlaut ihre eigenen Misserfolge eingestehen. So platzte am 22. September 1638 eine Audienz, weil gleich acht Prokuratoren gar nicht erst gekommen waren281. Solche offenen Proteste gegen das Umfragesystem schwächten die Würde des Gerichts, wenn alle Zuschauer die versammelte Richterschaft unverrichteter Dinge aus dem Audienzsaal wieder abziehen sahen. Dennoch war das Alte Reich nicht in der Lage, das Grundübel zu beseitigen. Vielmehr ging man nach dem Jüngsten Reichabschied sogar noch dazu über, die jeweiligen Umfrageordnungen gleich ins Protokollbuch

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Dazu Gemeine Bescheide vom 21. Juni 1625 (unten RKG Nr. 108) und 13. Dezember 1782 (unten RKG Nr. 310). Gemeiner Bescheid vom 3./13. März 1651 (unten RKG Nr. 122). Dazu u. a. Gemeine Bescheide vom 12. Juni 1571 (unten RKG Nr. 64), 15. Juni 1571 (unten RKG Nr. 66), 3./13. März 1651 (unten RKG Nr. 122) und 30. Oktober 1655 (unten RKG Nr. 127). Z. B. Gemeine Bescheide vom 3. November 1568 (unten RKG Nr. 61), 21. Juni 1625 (unten RKG Nr. 108), 4. Oktober 1638 (unten RKG Nr. 117), 16. Januar 1652 § 1 (unten RKG Nr. 124), 30. Oktober 1655 § 10 (unten RKG Nr. 127), 12. März 1680 (unten RKG Nr. 203) und 16. Juli 1723 (unten RKG Nr. 262). Gemeiner Bescheid vom 4. Oktober 1638 (unten RKG Nr. 117).

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einzutragen. Noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts gibt es eindeutige Belege dafür282. Immerhin hatte das Reichskammergericht nach dem Jüngsten Reichabschied die Umfrageordnung neu gegliedert283 und dabei das im Wesentlichen seit 1555 bestehende System verabschiedet. Mit Gemeinem Bescheid vom 30. Oktober 1655 wertete es den Ordo novarum mit zwölf Stunden pro Woche zum allgemeinen und universalen Audienzabschnitt auf284. Als neue Audienzabschnitte traten der Ordo reproductionis sowie der Ordo paritionis daneben, der erste je nach Jahreszeit mit sechs bis zwölf Stunden, der zweite begrenzt auf zwei Stunden pro Woche285. Die Audienz vor den Deputierten sollte bestehen bleiben, ebenso der abgespeckte Ordo sententiarum und der Verkündungstermin als solcher286. Insbesondere beließ man es bei den Umfragen im wörtlichen Sinne. Das Recht, Prozesshandlungen vorzunehmen und zu rezessieren, ging also wirklich nach Dienstalter von Prokurator zu Prokurator und langte nach einer Runde wieder am Anfang an. Trotz der vergleichsweise deutlichen Änderungen von 1655 blieb der Kameralprozess jedenfalls in den Audienzen schwerfällig und nur mühsam zu durchschauen. Schon am 10. Februar 1659 gestand das Reichskammergericht kleinmütig ein, die Audienzen mit ihren Umfragen seien auch nach der Reform immer noch viel zu lang. Es bat die Prokuratoren daher um Mithilfe bei weiteren Straffungsversuchen287. Ende 1659 erging eine erneuerte Audienz- und Umfrageordnung 288 , abermals mit zweifelhaftem Erfolg. Jedenfalls hieß der erst kurz zuvor eingeführte Ordo paritionis nunmehr Ordo terminorum und hatte auch einen veränderten Inhalt 289 . Sowohl in den Bescheiden von 1655 als auch von 1659 versuchte das Kameralkollegium, einzelne Audienzabschnitte als allgemein und universal auszuflaggen. Das sollte die übersubtilen Binnengliederungen aufheben. Dennoch blieb alles recht schwerfällig. An kurioser Stelle zeigte das Reichskammergericht sogar einen überforschen Reformeifer. In einem Memorial an den Pedellen von 1666, das zeitgenössisch unproblematisch als Gemeiner Bescheid galt, ver282

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Beispiele bei P e t e r O e s t m a n n , Ein Zivilprozeß am Reichskammergericht. Edition einer Gerichtsakte aus dem 18. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 55), Köln, Weimar, Wien 2009, S. 23-43. Kurzer Hinweis bei J u l i a M a u r e r , Der „Lahrer Prozeß“ 1773-1806. Ein Untertanenprozeß vor dem Reichskammergericht (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 30), Köln, Weimar, Wien 1996, S. 265-266; zu Fristen und Terminen unter Rückgriff auf die späteren Gemeinen Bescheide H e i n r i c h W i g g e n h o r n , Der Reichskammergerichtsprozeß am Ende des alten Reiches, Diss. jur. Münster 1966, S. 151-158. Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655 § 1 (unten RKG Nr. 127). Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655 § 2 und § 5 (unten RKG Nr. 127). Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655 §§ 3-4 (unten RKG Nr. 127). Gemeiner Bescheid vom 10. Februar 1659 (unten RKG Nr. 138). Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1659 (unten RKG Nr. 144). Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1659 § 1 (unten RKG Nr. 144).

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suchten die Assessoren, die Öffentlichkeit der Audienzen ganz abzuschaffen. Lediglich Prokuratoren sollten sich neben den Gerichtsmitgliedern im engeren Sinne noch in der Audienzstube aufhalten dürfen290. Dieser radikale Schnitt stand im Zusammenhang mit dem Kampf gegen aufdringliche Sollizitanten. Inwieweit der Bescheid praktische Bedeutung erlangte, ist unbekannt. Zeitgenössische bildliche Darstellungen zeigen immer gutbesuchte Audienzen, mögen die Realität aber ebenso verzerren wie normative Quellen. Bekanntlich sind auf solchen Audienzszenen auch regelmäßig erheblich mehr Assessoren abgebildet, als tatsächlich in der Audienz saßen291. Eine winzige Reform gelang immerhin in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Wenn das Reichskammergericht eine Supplikation abschlägig beschied und den beantragten Kameralprozess nicht eröffnete, musste es dieses Dekret seit 1769 gegenüber dem Antragsteller begründen 292 . Der Gemeine Bescheid betraf nicht die Endurteile. Von einer echten Pflicht zur Urteilsbegründung lässt sich also nicht sprechen 293 . Doch ein Anfang war gemacht. War ein Klageantrag zu unbestimmt, lehnte das Wetzlarer Gericht es ab, eine Zitation zu erkennen. Zugleich wies es den Kläger darauf hin, wo sein Fehler lag. Er konnte anhand der Begründung also seine Supplikation verbessern und einen zweiten Anlauf unternehmen. Ein deutlicher Hinweis darf an dieser Stelle nicht fehlen. Allein aus den Gemeinen Bescheiden ergibt sich kein vollständiges Bild des Kameralprozesses für die Zeit nach 1555, nach dem Konzept von 1613 oder nach dem Jüngsten Reichsabschied von 1654. Solange noch einigermaßen zuverlässig Visitationen stattfanden, ergänzten sie mit ihren Memorialien und Abschieden die Gerichtsordnung ebenso wie die Gemeinen Bescheide. Als die Visitationen dann nach und nach einschliefen294, stieg 290 291 292 293

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Gemeiner Bescheid vom 3./13. August 1666 (unten RKG Nr. 169). Zu den Audienzdarstellungen etwa M ad e r , Priester der Gerechtigkeit (wie Anm. 234), S. 13-17. Gemeiner Bescheid vom 11. Januar 1769 Ziff. 1mo (unten RKG Nr. 297). Dazu S t e p h a n H o c k s , Gerichtsgeheimnis und Begründungszwang. Zur Publizität der Entscheidungsgründe im Ancien Régime und im frühen 19. Jahrhundert (Rechtsprechung. Materialien und Studien 17), Frankfurt am Main 2002; W o l f g an g S e l l e r t , Zur Geschichte der rationalen Begründung zivilrechtlicher Entscheidungen gegenüber den Parteien am Beispiel des Reichskammergerichts und des Reichshofrats, in: Hugo de Schepper (Hrsg.), Höchste Gerichtsbarkeit im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit (Verzamelen en Bewerken van de Jurisprudentie van de Grote Raad, Nieuwe reeks 9), Amsterdam 1984; S. 61-70; d e r s . , Zur Geschichte der rationalen Urteilsbegründung gegenüber den Parteien insbesondere am Beispiel des Reichshofrats und des Reichskammergerichts, in: Gerhard Dilcher/Bernhard Diestelkamp (Hrsg.), Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie. Symposion für Adalbert Erler, Berlin 1986, S. 97-113; D i e t e r W e r k m ü l l e r , Art. Urteilsbegründung, in: HRG V (1998), Sp. 611-614. Letzte ordentliche Visitationen fanden 1707-1713 und 1767-1776 statt; dazu u. a. die Gemeinen Bescheide von 1711-1713 (unten RKG Nr. 245-253) und vom 21. November 1766 (unten RKG Nr. 290); S m e n d , Reichskammergericht (wie Anm. 93), S. 219; A r e t i n , Das Alte Reich III (wie Anm. 94), S. 135-159.

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zweifellos die Bedeutung der Gemeinen Bescheide für die Praxis des Kameralprozesses. Doch auch im 18. Jahrhundert gab es noch zwei Visitationen. Für einen zeitlich gestaffelten genaueren Einblick in den Kameralprozess sind diese Quellen unbedingt mit zu berücksichtigen, rechtshistorisch aber bisher nicht erschlossen. Eine Edition der Gemeinen Bescheide, selbst wenn sie mit Anmerkungen versehen ist, kann diese Lücke nicht schließen. Allerdings wird man zukünftig die wertvolle Arbeit von Bettina Dick für Einzelfragen aus dem Kameralrecht des 17. und 18. Jahrhunderts nur sehr behutsam heranziehen können, weil sie die spätere Zeit nicht erfasst. Aber gerade im Audienzbetrieb gab es ständige Neuerungen, dazu mit dem Jüngsten Reichabschied von 1654 eine wichtige Zäsur auch in anderen Bereichen. Der Kammergerichtsprozess war zwar allzeit schwerfällig und kompliziert, jedoch keineswegs über lange Zeiten unverändert. Die normengeschichtliche Untersuchung Bettina Dicks betrifft eben wirklich nur die Zeit bis 1555, wie der Buchtitel auch klar ausflaggt. Am Reichshofrat setzten die Gemeinen Bescheide erst 1613 ein, hier begleitet von umfangreichen Selbsterläuterungen. Inhaltlich ging es ebenfalls um den Alltagsbetrieb, vor allem um die ordnungsgemäße Zulassung der Agenten. Gleich in der Einleitung heißt es aber, der Kaiser habe nach Antritt seiner Regierung gemerkt, „daß an Ihrem Kaiserlichen Hofe, bey dem Reichs- und Justiz-Rath, wegen den anwesenden Procuratoren, Agenten, und Sollicitatorn, so sich dieser Orten gebrauchen lassen, allerhand nicht geringe Mängel und Unordnungen vorhanden“ seien295. In der Tat war Matthias erst im Juni 1612 zum römisch-deutschen Kaiser gewählt worden 296 . Der Gemeine Bescheid steckte also sein Reformprogramm zur Verbesserung des Reichshofrates ab. Jedenfalls hatten die Verfasser das Dekret so formuliert. Der Bescheid verlangte von den Agenten nicht nur den täglichen Besuch der Audienzstunde. Vielmehr ermahnte er sie zugleich, unnötige Weitschweifigkeiten zu unterlassen. Ausdrücklich sprach die Anordnung von „mündlichen Vorbringen und Recessen“. Das reichshofrätliche Verfahren war zu dieser Zeit also noch nicht vollständig auf bloße Schriftlichkeit beschränkt. Vielmehr durften die Agenten ihre Rezesse den Protokollisten „in die Feder reden“297. Doch insgesamt hatte es der Reichshofrat mit prozessualen Anordnungen leichter als das Reichskammergericht. Zum einen gab es bis ins 18. Jahrhundert hinein Ergänzungen und Reformen der Reichshofratsordnung298. Die Ersatzgesetzgebung durch den Hofrat war damit von vorherein nicht so dringlich wie beim Reichs295 296

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Decretum commune vom 15. Oktober 1613 (Teilband II, RHR Nr. 1). M o r i t z R i t t e r , Art. Matthias, österreichischer Erzherzog und deutscher Kaiser, in: ADB 20 (1884), S. 629-654 (644); V o l k e r P r e s s , Matthias, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hrsg.), Die Kaiser der Neuzeit 1519-1918. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland, München 1990, S. 112-123; d e r s . , Art. Matthias, in: NDB 16 (1990), S. 403-405. Decretum commune vom 15. Oktober 1613 (Teilband II, RHR Nr. 1). Übersicht bei S e l l e r t , Ordnungen (wie Anm. 137).

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kammergericht. Dann spielten feinmaschige Gesetze beim Reichshofrat ohnehin eine erheblich geringere Rolle als am Reichskammergericht. Die Reichshofratsordnungen blieben bewusst knapp, verwiesen eher pauschal auf den Kameralprozess und beließen ganz bewusst große Freiräume für den Stilus curiae299. Schon in formaler Hinsicht unterscheiden sich die reichshofrätlichen Decreta communia erheblich von den Gemeinen Bescheiden des Reichskammergerichts. Sie sind insgesamt einheitlicher, eher gleich lang und weniger grundsätzlich. Nur selten erließ der Reichshofrat umfangreiche Sammelbescheide. Die Erlasse von 1746, 1751 und 1766 stellen ersichtlich Ausnahmen dar300. Das Reichskammergericht verkündete dagegen 1659/60 und nochmals 1785 umfangreiche Reformbescheide und führte damit zahlreiche Neuerungen im Verfahrensrecht ein301. Doch am Reichshofrat gab es hierfür keinen Bedarf. Audienzordnungen benötigte man nicht, weil im Gegensatz zum Reichskammergericht zumindest ab dem 17. Jahrhundert keine Audienzen mehr stattfanden. Botenordnungen erübrigten sich, weil der Reichhofrat von vornherein auf das schwerfällige Botenwesen verzichtete und Zustellungen erheblich praktischer, schneller und billiger per Post oder notfalls durch Notare erledigte 302 . Viele tägliche Schwierigkeiten, mit denen das Reichskammergericht schon in Speyer, aber bis zum Schluss auch in Wetzlar zu kämpfen hatte, stellten sich für den Reichshofrat gar nicht. Die erheblich knapperen Dekrete, auch in ihrer deutlich geringeren Zahl, zeigen den Reichshofrat zugleich in ruhigerem Fahrwasser, längst nicht so krisengeschüttelt, finanziell besser abgefedert und politisch stärker unterstützt. Die Nähe zum Kaiser, die sich typologisch leicht als noch fehlende funktionale Ausdifferenzierung ankreiden lässt303, führte im Alltag offenkundig zu mehr Sicherheit und Ruhe. Spiegelbildlich lässt sich das an den Decreta communia gut ablesen. Zahlreiche Gemeine Bescheide wiederholten ältere gesetzliche Anordnungen und schärften sie ein. Teilweise kam es auch zu Änderungen früherer Vorgaben. Wenige Beispiele mögen das erläutern. So verwies der Gemeine Bescheid des Reichskammergerichts vom 11. März 1613 auf den Deputationsabschied von 1600 304 . Der Gemeine Bescheid vom 17. August 1635 verwies gleich auf vier 299 300 301

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S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 93-95, 50-51; O r t l i e b , Prozeßverfahren (wie Anm. 138), S. 117. Decreta communia vom 7. Februar 1746, 19. Juli 1751 und 7. August 1766 (Teilband II, RHR Nr. 81, 85 und 94). Gemeine Bescheide vom 13. Dezember 1659 (unten RKG Nr. 144), 9. Januar 1660 (unten RKG Nr. 145), 12. Januar 1660 (unten RKG Nr. 146), 18. März 1785 (unten RKG Nr. 316) und 13. Mai 1785 (unten RKG Nr. 317). Zu den reichshofrätlichen Zustellungen S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 220-226. S t o l l b e r g - R i l i n g e r , Würde des Gerichts (wie Anm. 50), S. 212-216. Gemeiner Bescheid vom 11. März 1613 (unten RKG Nr. 104); Deputationsabschied von 1600 bei S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung III (wie Anm. 105), S. 471-498.

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Memorialien305. Andere Bescheide wiederholten die Reichskammergerichtsordnung von 1555306. Auch die wegweisende Bedeutung des Jüngsten Reichsabschieds von 1654 zeigen die Gemeinen Bescheide an. Am 7. September 1654 übernahm ein Gemeiner Bescheid den Jüngsten Reichsabschied von 1654 als neue Reichskammergerichtsordnung. Nach einer Übergangsfrist von knapp einem Monat sollten die neuen Prozessgesetze vom 2. Oktober 1654 an gelten 307 . Auch spätere Gemeine Bescheide bekräftigten die Verbindlichkeit des Jüngsten Reichsabschieds308. Das galt ebenso für den Reichshofrat, wenn auch nicht in dieser Grundsätzlichkeit. Aber gemeine Dekrete von 1674 und 1766 verwiesen in mehreren Punkten ausdrücklich auf den Jüngsten Reichsabschied als Rechtsgrundlage auch des reichshofrätlichen Verfahrens309. Es waren aber nicht nur die zentralen Prozessordnungen, deren Beachtung die Gemeinen Bescheide immer wieder anmahnten. Auch die Gemeinen Bescheide selbst ergingen teilweise mehrfach, sowohl am Reichskammergericht als auch am Reichshofrat. Immer wieder schärfte etwa das Kammergericht den Anwälten ein, bereits ergangene Bescheide auch wirklich zu befolgen310. Wenn es hierbei um Normen ging, die schon über einhundert Jahre alt waren311, wirft das ein bezeichnendes Bild auf die Rechtskenntnis der Assessoren, aber auch der Anwälte. Offenbar verlangte das richterliche Personal von den Prokuratoren die vollständige Beherrschung und Beachtung der in früheren Zeiten ergangenen Gemeinen Bescheide. Die zahlreichen Querverweise wären anderenfalls wirkungslos verpufft. Damit stellt sich zugleich die Frage, auf welche Weise die Anwälte die Gemeinen Bescheide kennen konnten. Eine eigene Bibliothek des Reichskammergerichts bestand erst seit dem

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Gemeiner Bescheid vom 17. August 1635 (unten RKG Nr. 112), mit Verweis auf die Memorialien von 1560, 1562, 1572 und 1586. Gemeiner Bescheid von 12. November 1647 (unten RKG Nr. 120); Gemeiner Bescheid vom 3. September 1653 (unten RKG Nr. 125); Gemeiner Bescheid vom 9. Juni 1747 (unten RKG Nr. 276). Gemeiner Bescheid vom 7. September 1654 (unten RKG Nr. 126). Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655 (unten RKG Nr. 127); Gemeiner Bescheid vom 23. Mai 1656 (unten RKG Nr. 130); Gemeiner Bescheid vom 28. Januar 1657 § 7 (unten RKG Nr. 132); Gemeiner Bescheid vom 1. Februar 1748 (unten RKG Nr. 277); weitere Nachweise im Sachregister. Decreta communia vom 11. Juni 1674 und 25. April 1766 (Teilband II, RHR Nr. 25 und 93). Gemeiner Bescheid vom 12. Dezember 1637 (unten RKG Nr. 116): Verweis auf den Gemeinen Bescheid vom 6. Juli 1637 (unten RKG Nr. 115); Gemeiner Bescheid vom 15. Mai 1640 (unten RKG Nr. 118): Verweis auf die Gemeinen Bescheide vom 6. Juli 1637 (unten RKG Nr. 115) und 12. Dezember 1637 (unten RKG Nr. 116); Gemeiner Bescheid vom 16. Oktober 1641 (unten RKG Nr. 119): Verweis auf den Gemeinen Bescheid vom 21. Juni 1625 (unten RKG Nr. 108). Gemeiner Bescheid vom 22. April 1659 (unten RKG Nr. 141): Verweis auf den Gemeinen Bescheid vom 18. Juni 1563 (unten RKG Nr. 56).

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18. Jahrhundert312. Gedruckte weitgehend vollständige Sammlungen der Gemeinen Bescheide gab es am Reichskammergericht offenbar frühestens seit 1661313. Vielleicht aber kursierten genügend Abschriften. Und möglicherweise waren die Urteilssammlung von Christian Barth 314 oder die Sammlung von Peter Ferrarius 315 auch bekannt genug, um den Zugang zu den Gemeinen Bescheides des 16. Jahrhunderts zu gewährleisten. Jedenfalls setzten die Gemeinen Bescheide die umfassende anwaltliche Rechtskenntnis stillschweigend voraus. Erstaunlich ist der Widerhall des Konzepts einer Reichskammergerichtsordnung von 1613. Die zeitgenössische Kameralliteratur hat den Wortlaut oftmals ediert316. In der Praxis hatte dieser Entwurf durchaus auch Bedeutung. Das wusste man in der Forschung bereits317. Ob er allerdings „ohne weiteres als Quelle der Kameraljustiz“ galt318, ist reichlich unsicher. Die Gemeinen Bescheide vermitteln ein differenziertes Bild. Sehr spät nämlich tauchte dort das Konzept als Quelle des Kameralprozesses auf. Zwischen 1785 und 1800 griffen die Gemeinen Bescheide mehrfach das 312

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I n g r i d S c h e u r m a n n , „Wezlarische Beiträge zu einer pragmatischen allgemeinen Rechtsgelehrsamkeit…“. Die Geschichte der kameralen Bibliothek von der Gelehrtenstube zur Universität, in: Winfried Speitkamp (Hrsg.), Staat, Gesellschaft, Wissenschaft. Festschrift für Hellmut Seier zum 65. Geburtstag, Marburg 1994, S. 229-244. Gemeine Bescheyde Welche bey dem Hochlöblichen Käyserlichen Cammer-Gericht, von desselben Anfang biß Anno 1660. einschließlich, so wohl inner- als ausserhalb Gerichts eröffnet: Und Benebenst einigen SenatusConsultis ac Resolutionibus, zu sampt jedem Bescheyde vorgesetzten Summarien, wie auch einem nothwendigen Register, allen des Cammer-Rechts beflissenen zum besten in Truck verfertiget worden, Speyer 1661 S e y l e r / B a r t h , Urtheil Und Beschaydt (wie Anm. 1); zu dieser Sammlung G e h r k e , Entscheidungsliteratur (wie Anm. 98), S. 79-80 Nr. 2. P e t e r F e r r a r i u s , Abschied, Aller und jeder deß Hochlöblichen Keyserlichen Cammergerichts zu Speyer, Ordinarien und Extraordinarien Visitationen, seithero die Erste Visitatio, anno 1531. gehalten worden, beneben denen darauff folgenden Reichs unnd Deputations Recessen, so viel hochgedacht Keyserlich Cammer gericht berühren thut, sampt eynverleibten Memorialn, Herren Cammerrichtern, Praesidenten, Beysitzern (...) jedesmals zugestellet. Denen in richtiger Ordnung der Jahren und Zeit nach eynverleibt seyn die gemeine Bescheid, in offentlichen Audientien, und sonsten vor unnd nach den Visitationen jederzeit ergangen und publiciret. Allen unnd jeden, die entweder vor sich selbsten, oder von anderer wegen, an hochernannten Keyserlichen Cammergericht zu thun unnd zu handeln haben, zum besten an tag gegeben, Frankfurt am Main 1605. Beispiele: J o h a n n W i l h e l m L u d o l f f , Concept Der neuen Cammer-Gerichts-Ordnung, Wetzlar 1717; J a c o b B l u m , Concept Dern auß Befelch der Kayserlichen Mayestät durch Cammer-Richter, Praesidenten und Beysitzere des Kayserlichen Cammergerichts (...) Anno 1613 ernewerten und verbesserten Cammergerichts Ordnung, Speyer 1663. B e r n h a r d D i e s t e l k a m p , Einige Beobachtungen zur Geschichte des Gesetzes in vorkonstitutioneller Zeit, in: ders., Recht und Gericht im Heiligen Römischen Reich (Ius Commune. Sonderheft 122) Frankfurt am Main 1999, S. 503-543 (538); O e s t m an n , Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 49), S. 575. So B e r n d S c h i l d t , Die Entwicklung der Zuständigkeit des Reichskammergerichts. Von der Kayserlichen Cammer-Gerichts-Ordnung Anno 1495 zum Concept der Cammer-Gerichts-Ordnung vom Jahr 1613 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung 32), Wetzlar 2006, S. 27.

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Regelungswerk von 1613 auf 319 . Das mag als Selbstverständlichkeit erscheinen. Interessant ist deshalb der Umkehrschluss. Die normativen Quellen vor 1785 erwähnen das allseits bekannte Konzept eher am Rande, nämlich in den Botenordnungen 320 . Hier zeigt sich offenbar der Übergang von einem usualen frühneuzeitlichen Rechtsdenken321 zu einem modernen, auf Gesetze und ausdrücklich gesetzte Normen bezogenen Verständnis. In der Spätzeit des Alten Reiches erlangte das Konzept von 1613 auf diese Weise gesetzliche Geltung, die zuvor wohl nicht erforderlich gewesen war. Der Rückbezug nach über 170 Jahren markiert deshalb ein neues und modernes Gespür für den Gesetzesvorbehalt. Am Reichshofrat zeigt sich ein ähnliches Bild. Wenig überraschend verwiesen einige Decreta communia auf die Reichshofratsordnung322. Gleichzeitig lehnten sich manche Gemeine Bescheide auch an die Reichskammergerichtsordnung an323. Auch der Jüngste Reichsabschied findet sich als Bezugspunkt324, sogar noch im späten 18. Jahrhundert325. Die Gemeinen Bescheide des Reichshofrats zeigen damit, wie eng verzahnt die reichsgerichtlichen Quellen zum Prozessrecht für die Zeitgenossen waren. Einschärfungen und Wiederholungen Gemeiner Bescheide gab es ebenfalls 326 , genauso wie am Reichskammergericht. Dabei zeigen sich freilich terminologische Schwierigkeiten. So verwies das Decretum commune vom 10. November 1672 auf ein kaiserliches Dekret vom 10. Mai 1667327. Die neuere Literatur 319

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Gemeiner Bescheid vom 13. Mai 1785 (unten RKG Nr. 317): Lit. b) und d) sowie 4.to, 9.no und 11.mo; Gemeiner Bescheid vom 10. März 1786 (unten RKG Nr. 320): 1.mo, 5.to und 6.to; Gemeiner Bescheid vom 21. Mai 1798 (unten RKG Nr. 324); Gemeiner Bescheid vom 12. Februar 1800 (unten RKG Nr. 327). Botenordnung vom 3. September 1653 (unten RKG Nr. 125). Dazu S i m o n , Geltung (wie Anm. 103), S. 102-120; B ar b ar a S t o l l b e r g -R i l i n g e r , Verfassungsgeschichte (wie Anm. 103), S. 15-27; dies., Des Kaisers alte Kleider (wie Anm. 103), S. 79, 83-85; O e s t m a n n , Geistliche und weltliche Gerichte (wie Anm. 49), S. 33. Beispiele: Decretum commune vom 16. Juli 1654 (Teilband II, RHR Nr. 6); Decretum commune vom 24. September 1654 (Teilband II, RHR Nr. 7); Decretum commune vom 20. Oktober 1666 (Teilband II, RHR Nr. 17); Decretum commune vom 26. Mai 1671 (Teilband II, RHR Nr. 21); Decretum commune vom 21. April 1766 (Teilband II, RHR Nr. 92); Decretum commune vom 20. Mai 1783 (Teilband II, RHR Nr. 96). Beispiele: Decretum commune vom 4. März 1649 (Teilband II, RHR Nr. 4); Decretum Commune vom 4. März 1652 (Teilband II, RHR Nr. 5); Decretum commune vom 24. September 1654 (Teilband II, RHR Nr. 7). Decretum commune vom 24. September 1654 (Teilband II, RHR Nr. 7); Decretum commune vom 12. April 1683 (Teilband II, RHR Nr. 43). Decretum commune vom 15. April 1766 (Teilband II, RHR Nr. 90); Decretum commune vom 16. Dezember 1785 (Teilband II, RHR Nr. 98). Decretum commune vom 22. September 1670 (Teilband II, RHR Nr. 20): Verweis auf ein Dekret vom 17. April 1665 (wohl Teilband II, RHR Nr. 15; Datierungsproblem); Decretum commune vom 20. Mai 1783 (Teilband II, RHR Nr. 96): Verweis auf Gemeine Bescheide vom 16. Juli 1654 und 19. Mai 1690; Decretum commune vom 16. Dezember 1785 (Teilband II, RHR Nr. 98); Verweis auf mehrere Gemeine Bescheide. Decretum commune vom 10. November 1672 (Teilband II, RHR Nr. 23).

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unterscheidet freilich durchaus zwischen kaiserlichen und Gemeinen Dekreten 328 . Doch die Zeitgenossen haben den Erlass vom 10. Mai 1667 gerade als Gemeinen Bescheid und nicht als kaiserliches Dekret angesehen329. Die zweifelsfreie Zuordnung der einzelnen Bestimmungen ist im Einzelfall also immer wieder schwierig.

3. Disziplinarmaßnahmen gegen Prokuratoren Die obersten Reichsgerichte beanspruchten jederzeit die Disziplinargewalt über die Anwälte, ob sie sich nun Advokaten, Prokuratoren oder am Reichshofrat Agenten nannten. Gleich der älteste Gemeine Bescheid des Reichshofrats legte 1613 ein besonderes Zulassungsverfahren für die Agenten fest. Nur wer in den „gemeinen Rechten, Reichs-Constitutionen, des Reichs-Hofraths, und Cantzley-Ordnungen (...) und darzu gehörender Praxi, also genugsam fundiret“ war, sollte anwaltlich tätig sein dürfen. Das Bild, das die Gemeinen Bescheide von den Anwälten zeichneten, war wenig schmeichelhaft. Hier ist freilich mit erheblichen Verzerrungen zu rechnen, denn ordnungsgemäßes Verhalten hinterließ keine Spuren in den Quellen. Unbotmäßigkeiten dagegen führten zu Strafdrohungen. Einige Beispiele zeigen, worum es gehen konnte. Schon 1523 sagte ein Kammergerichtsprokurator in der öffentlichen Audienz, er wolle „dem Chammergericht den hindern zu weisen“330. Das Gericht entfernte ihn mitsamt seinem Allerwertesten gleich aus dem Amt, allerdings nicht durch Gemeinen Bescheid. Doch ähnliche Vorfälle lassen sich in späterer Zeit in den Gemeinen Bescheiden ebenfalls nachweisen. Zunächst kämpften die Gemeinen Bescheide gegen beleidigende Äußerungen von Anwälten an. Vor allem religiöse Verunglimpfungen waren heikel. Deswegen verlangte das Reichskammergericht, konfessionelle Beschimpfungen mit „denen Reichs-Abschieden ungemäßen Wörtern, Praedicaten und Titulationen“ bleiben zu lassen331 . 1688 hatten die Assessoren „zum öfftern verspühret, daß verschiedene dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratores in denen gerichtlichen Audientien mit an sich selbsten unzuläßigen in der Ordnung verbottenen Recessen einander anzäpffen, und dadurch den ihnen an solchem Orth zu tragen obliegenden Respect beyseit setzen“. Ein Gemeiner Bescheid untersagte das und drohte auch Strafen für künftige Verstöße an 332 . Die Anwälte durften sich auch 328 329

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S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 88-92. So auch die Eingruppierung von R e n at u s K ar l v o n S e n k e n b e r g , Sammlung der den kaiserlichen Reichshoftath betreffenden Ordnungen und Verordnungen wie auch Reichskanzley Ordnungen und gemeine Bescheide des Reichshofraths, Gießen 1800, Nr. 17 S. 348-349. S e i l e r , Camergerichts Bei unnd end urthail (wie Anm. 256), Entscheidung vom 17 Juni 1523, Teil 1, S. 79. Gemeiner Bescheid vom 7. Juli 1665 (unten RKG Nr. 167). Gemeiner Bescheid vom 30. März 1688 (unten RKG Nr. 216).

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nicht eigenmächtig über die Schwerfälligkeiten des Prozessrechts hinwegsetzen. Ein Decretum commune des Reichshofrats führte Klage über Agenten, die es gewagt hatten, sog. Kommunikationsdekrete333 untereinander zuzustellen, ohne hierfür den Reichshofratstürhüter einzuschalten. Damit drohte offenbar bereits „Confusion und Verhinderung der heilsamen Justitz“334. Bei Strafe von zwei Mark lötigen Silbers mussten die Agenten die ordnungswidrige Neuerung in Zukunft unterlassen. Am Reichskammergericht gab es teilweise Sammelbescheide, die ausschließlich Ordnungswidrigkeiten zusammenstellten, mit denen Prokuratoren und Advokaten angeblich den Lauf des Verfahrens behinderten 335 . Die Vorwürfe wiederholten sich. Besonders unerwünscht und mehrfach verboten waren Weitschweifigkeiten in Schriftsätzen336 oder Gebührenschinderei. Durch übermäßig breite Seitenränder und zu großen Zeilenabstand ergaunerten sich reichshofrätliche Agenten eine hohe Zahl beschriebener Bögen, die sie sodann ihren Mandanten berechneten 337 . Das Reichskammergericht wurmte dasselbe Problem. Hier sollte die Bezahlung nicht von der Seitenzahl der Schriftsätze, sondern vom Arbeitsaufwand und Schwierigkeitsgrad der Sache abhängen 338 . Auch taktische Prozessverzögerungen waren nach den Gemeinen Bescheiden beider Reichsgerichte nicht zulässig339. Besonders spektakulär war die förmliche Entziehung von Anwaltszulassungen. Schon aus der Speyerer Zeit ist dazu ein Gemeiner Bescheid überliefert. 1586 entfernte das Reichskammergericht einen Prokurator aus seinem Amt. Er hatte es gewagt, in einem Rechtsstreit mit hochadliger Beteiligung einen schwer beleidigenden Schriftsatz einzureichen. Auch der Advokat, der den Inhalt konzipiert hatte, erhielt eine scharfe Strafe. Ihn schloss das Kameralkollegium dauerhaft von jeder Zusammenarbeit mit dem Kammergericht aus 340 . Besonders bekannt wurde sodann der Fall des Wetzlarer Reichskammergerichtsprokurators Damian Ferdinand Haas. Nach siebenjähriger Advokatur hatte er im Juli 1762 den Prokuratoreneid geschworen und war seitdem als postulationsfähiger Parteivertreter zugelassen341. Seit 1775 333 334 335 336 337 338 339 340 341

Bei S e l l e r t , Prozeßgrundsätze (wie Anm. 40), S. 191-194, als eigenständige Verfahrensart Kommunikationsprozess angesehen. Decretum commune vom 6. April 1663 (Teilband II, RHR Nr. 14). Gemeiner Bescheid vom 4. April 1721 (unten RKG Nr. 261). Dagegen etwa Decretum commune vom 15. April 1766 (Teilband II, RHR Nr. 91). Dagegen Decretum commune vom 14. Mai 1763 (Teilband II, RHR Nr. 88). Gemeiner Bescheid vom 11. Januar 1769 Ziff. 2do (unten RKG Nr. 297); noch nicht so eindeutig Gemeiner Bescheid vom 15./25. Mai 1693 § 6 (unten RKG Nr. 233). Etwa Decretum commune vom 15. April 1766 (Teilband II, RHR Nr. 91): frühzeitige Vorlage von Beweisurkunden. Gemeiner Bescheid vom 20./28. Januar 1586 (unten RKG Nr. 87). Das Datum der Aufschwörung ist in der Literatur unklar. J ü r g e n W e i t z e l , Damian Ferdinand Haas (1723-1805) – ein Wetzlarer Prokuratorenleben (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung 18), Wetzlar 1996, S. 18, nennt den 21. Juli 1762. B au m an n , Advokaten und Prokuratoren (wie Anm. 15), S. 189, gibt den 1. Juli 1762 an.

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kam es jedoch zu ständigen Konflikten mit dem Assessorenkollegium. Angeblich hatte er einen offenbar juristisch unfähigen Präsentatus bei der Anfertigung seiner Proberelation unterstützt342. Daraufhin suspendierte das Kameralkollegium ihn für drei Monate vom Dienst. Einige Jahre später verschärften sich die Auseinandersetzungen. Zu dem Gemeinen Bescheid vom 19. Mai 1783343 verfasste Haas eine anonym veröffentliche Stellungnahme344. Ende 1783 gesellten sich Vorwürfe hinzu, Haas habe sich in einem Ehekonflikt des Grafen Spaur ungehörig betragen und damit den Kammerrichter beleidigt345. Am 13. Februar 1784 suspendierte das Reichskammergericht Haas von seinem Amt346. Diese Maßnahme gab das Gericht durch Gemeinen Bescheid allen Anwälten bekannt. Der Bescheid selbst ist auffallend knapp gehalten. Die Überschrift weist aber auf die Auseinandersetzung hin. Wegen „schmähsüchtiger Druckschriften“ hatte man Haas suspendiert 347 . Hiergegen verfasste Haas eine Gegendarstellung, die er wie immer ohne Angabe des Druckorts veröffentlichte348. In der Tat erreichte Haas schon im März 1784 seine Rehabilitierung349. Er blieb aber ein Störenfried. Als im Mai 1785 ein Gemeiner Bescheid zur „Verbesserung des Judicialprocesses“ erging350, trat Damian Ferdinand Haas abermals auf den Plan und verfasste dazu eine kritische Denkschrift351. Dieses Druckwerk enthielt handfeste Beleidigungen, und erneut schloss sich ein Disziplinarverfahren an. Mit Urteil vom 22. Oktober 1787 entfernte das Kameralkollegium Haas endgültig von seinem Prokuratorenamt352. Diese Entscheidung erging allerdings im Gegensatz

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W e i t z e l , Haas (wie Anm. 341), S. 21; B au m a n n , Advokaten und Prokuratoren (wie Anm. 341), S. 134. Gemeiner Bescheid vom 19. Mai 1783 (unten RKG Nr. 313). D a m i a n F e r d i n a n d H a a s , Freymüthige Gedanken über die dermalige Taxirrungen zwischen der Kanzley und den Kammergerichtsprokuratoren, besonders über die, wegen Kollationirung der Produkten und Beylagen jüngst eröfnete gemeine Bescheide, 1783 [ohne Angabe des Druckorts]. W e i t z e l , Haas (wie Anm. 341), S. 24-25; B a u m a n n , Advokaten und Prokuratoren (wie Anm. 15), S. 134. Suspensionsdekret („Decretum in Consilio pleno“) bei J o h an n A u g u s t R e u ß , Teutsche Staatskanzley. Band 7, Ulm 1784, S. 127. Gemeiner Bescheid vom 13. Februar 1784 (unten RKG Nr. 315). D a m i a n F e r d i n a n d H a a s , Unterthängste weitere Defension mit submissester Bitte um gerechteste Wiederaufhebung der, den 13. Februar 1784. gegen mich vehängten Suspension ab officio Procuratore, 1784 [ohne Ort]. Wortlaut bei R e u ß , Staatskanzley VII (wie Anm. 346), S. 179-180; W e i t z e l , Haas (wie Anm. 341), S. 6, 25. Gemeiner Bescheid vom 13. Mai 1785 (unten RKG Nr. 317). D a m i a n F e r d i n a n d H a a s , Etwas über den Kammergerichtlichen Gemeinen Bescheid vom 13. May 1785. oder Verbesserungsvorschläge wie selbiger mit ältern Gesetzen zu verbinden – und nach diesen die ganze Gerichtsverfassung erst einzurichen sey, wenn er einen Justizbeförderlichen Endzweck und Nutzen haben solle, 1786 [ohne Angabe des Druckorts]. W e i t z e l , Haas (wie Anm. 341), S. 6, 31 Anm. 7; B au m a n n , Advokaten und Prokuratoren (wie Anm. 341), S. 134.

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zu 1784 nicht als Gemeiner Bescheid, sondern als Sententia und fand auch Eingang ins Urteilsbuch353. Wie scharf die Disziplinargewalt der obersten Reichsgerichte über die Anwaltschaft ausgeprägt war, lässt sich anhand der Gemeinen Bescheide schwer beurteilen. Jedenfalls hatte das Reichskammergericht erhebliche Schwierigkeiten, die verhängten Ordnungsstrafen auch tatsächlich einzutreiben. Wenn Prokuratoren nicht zur Audienz erschienen oder aus anderen Gründen Strafgelder gegen sie fällig waren, sollte der Pedell diese Summen eintreiben. Damit scheiterte er aber regelmäßig, weil die Prokuratoren verschiedene Ausreden vorschützten. Zahlreiche Gemeine Bescheide aus der Mitte des 17. Jahrhunderts zeigen, wie schwer das Problem wog und wie wenig das Reichskammergericht gegenüber den eigenen Anwälten ausrichten konnte354. Am Reichshofrat scheint es im späten 18. Jahrhundert ähnliche Auseinandersetzungen wie im Fall Haas gegeben zu haben. Dort erging laut Danz angeblich ein Gemeiner Bescheid, veranlasst „durch die traurige Erfahrung des Freiherrn von Quod, der eine durch seinen gewesenen Agenten von Humler veruntreute nahmhafte Summe Strafgelder ohne alle Nachsicht bezahlen mußte“355. Hier allerdings unterlag Wilhelm August Friedrich Danz wohl einem Irrtum. Er berichtete 1795 die aufregende Episode als Beispiel für den jüngsten Gemeinen Bescheid des Reichshofrats. Die einschlägigen Quellen waren freilich schon drei Jahre zuvor im Druck erschienen. Soweit die Tenorierungen zuverlässig wiedergegeben sind, handelte es sich ausnahmslos um Entscheidungen in einem konkreten Rechtsfall. Graf Wilhelm Otto Friedrich von Quadt zu Wickerad hatte in der Tat Pech gehabt und musste 15.000 Gulden Strafgelder nachzahlen, die sein ehemaliger Agent Hummler 356 veruntreut hatte. Hummler war kurzerhand nach Amerika ausgewandert und hatte sich damit allen Verfolgungen spitzbübisch entzogen357 . Der Reichshofrat war mehrfach mit dem Fall beschäftigt. Auch Kaiser Joseph II. mischte sich persönlich ein und bestand auf strengen Geldforderungen gegen den Grafen. Die Entscheidungen ergingen aber 353 354

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Quellenangabe bei W e i t z e l , Haas (wie Anm. 341), S. 31 Anm. 7. Gemeine Bescheide vom 6. November 1655 (unten RKG Nr. 128); 2./12. Mai 1658 (unten RKG Nr. 136); 24. März 1659 (unten RKG Nr. 140); 1. Dezember 1659 (unten RKG Nr. 143); 21. Mai 1660 (unten RKG Nr. 149); 17. August 1661 (unten RKG Nr. 154); 10. Oktober 1670 (unten RKG Nr. 182). D a n z , Grundsäze (wie Anm. 23), S. 150. Offenbar Franz Lambert Hummler, als Agent nachgewiesen u. a. im Landesarchiv NordrheinWestfalen, Abteilung Westfalen (Münster), A 450 II: Gesamtarchiv von Landsberg-Velen (Dep.), Gemen Akten, 3. Streit mit dem Stift Münster über die Reichsunmittelbarkeit Gemens bzw. über die Gerechtsame, Nr. 30318: Denkschrift von 1772. [Anonymus], Ueber die Reichsfreye Herrschaft (oder Herrlichkeit) Wickerad, (im Westphälischen Kreis) und deren leztere Belehnung an den Herrn Grafen Otto Friedrich Wilhelm von Quadt zu Wickerad, in: H e l w i g B e r n h a r d J au p / A u g u s t F r i e d r i c h W i l h e l m C r o m e (Hrsg.), Journal für Staatskunde und Politik, 1. Jahrgang, Frankfurt am Main 1792, S. 651-663 (657).

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jeweils in Form einer „Resolutio Caesarea“ und gerade nicht als Gemeiner Bescheid oder Decretum commune358. Trotz der anderslautenden Mitteilung von Danz sind diese Resolutionen daher in die vorliegende Edition nicht aufgenommen.

4. Policeyrechtliche Regelungen Eine weitere Gruppe Gemeiner Bescheide des Reichskammergerichts enthält der Sache nach Policeyordnungen für Gerichtsmitglieder. Die Angehörigen des Kammergerichts genossen Kameralfreiheiten, unterstanden also nicht der Obrigkeit des reichsstädtischen Rates von Speyer, später von Wetzlar359. Die von den Städten Speyer und in erheblich geringerem Ausmaß auch von Wetzlar erlassenen Policeygesetze 360 entfalteten für das Kammergerichtspersonal also nicht unmittelbar verbindliche Wirkung. Ganz handfest zeigt das ein Gemeiner Bescheid des Reichskammergerichts vom 7. September 1666. Wegen „hin und wieder grassierenden Seuchen“ hatte es zwischen dem Kameralkollegium und dem Rat der Reichsstadt Speyer „verschiedene Conferentien und Schickungen“ gegeben, wie es in der Präambel heißt. Deswegen durften Personen aus betroffenen Orten nicht nach Speyer einreisen361. Umgekehrt verwehrte man der Speyerer Bevölkerung den Besuch von Märkten und Messen in seuchengefährdeten Gegenden. Zur Vorbeugung musste jeder die Schweine aus der Stadt treiben und durfte auch „kein Urin auf offene Gassen“ schütten. Ausgestorbene Häuser sollten versiegelt bleiben, für Kranke richtete man einen Hilfsdienst ein. Der Gemeine Bescheid schärfte den „Cammergerichts anverwandten Persohnen“ ernstlich ein, sich an der „sie selbsten mit concernirenden Verordnung“ auszurichten. Bei Verstößen drohte das Kameralkollegium mit „ohnaußbleiblichem scharffen Einsehen“362. In moderner Rechtssprache handelte es sich um eine Transformation. Nur weil das Reichskammergericht die seuchenpoliceyliche Anordnung der Stadt Speyer wiederholt und für verbindlich erklärt hatte, galt sie nunmehr auch für Gerichtsangehörige.

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Abdruck bei J a u p / C r o m e , Journal (wie Anm. 357), S. 661-663. Umfassend J o s t H a u s m a n n , Die Kameralfreiheiten des Reichskammergerichtspersonals. Ein Beitrag zur Gesetzgebung und Rechtspraxis im Alten Reich (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 20), Köln, Wien 1989, vor allem S. 13 (Überblick), 71-74 (Bürgerrecht) 188-189; kurzer Hinweis auch bei D i e s t e l k am p , Die Gemeinen Bescheide (wie Anm. 187), S. 148. Zusammenstellung bei H ä r t e r / S t o l l e i s , Repertorium der Policeyordnungen 10/4 (wie Anm. 35): Speyer, bearb. von Thomas Rölle, S. 1-471; Wetzlar, bearb. von Sigrid Schieber, S. 473550. Ähnlich bereits der Gemeine Bescheid vom 26. September 1607 (unten RKG Nr. 100), mit einem Beherbergungsverbot. Gemeiner Bescheid vom 7. September 1666 (unten RKG Nr. 170).

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Einen knappen Monat später erging ein zweiter Gemeiner Bescheid in derselben Sache. Ein Heinrich Spanmann, offenbar ein Sollizitant363, lebte leichtsinnig in einem von der Seuche („Contagion“) betroffenen Haus, mitten in einer der letzten großen Pestepidemien in Europa. Dennoch hatte er es gewagt, persönlich bei der Kammergerichtskanzlei zu erscheinen. Bei Strafe des Weißen Turms, also Haft in der Stadtmauer, verbot ihm ein Gemeiner Bescheid, während der grassierenden Seuche nochmals persönlich vor Gericht zu erscheinen. Vielmehr solle er seine Sollizitationen künftig seinem Advokaten und Prokurator überlassen und sich „ohnverzüglich“ aus der Stadt Speyer entfernen364. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen konkret-individuellen Befehl, gemünzt auf den erwähnten Heinrich Spanmann. Trotzdem war die Anordnung als Gemeiner Bescheid ausgeflaggt. In der Tat gab es zwei Verallgemeinerungen, die den Bescheid über eine Einzelfallregelung hinaushoben. Zunächst haben die späteren Herausgeber die Überschrift im Plural formuliert: „Personae vel Domus Lue contagiosa infectae à frequentatione Cancellariae et Sollicitatura Camerae planè abstinento.“365 Nicht nur ein bestimmter Sollizitant, sondern alle Bewohner pestverseuchter Häuser sollten sich also vom Gericht fernhalten. Falls es sich sogar um eine amtliche Überschrift handelte, mochte der Erlass vom Gericht durchaus von Anfang an als allgemeine Regelung gedacht gewesen sein. Die zweite Verallgemeinerung betrifft die Legaldefinition im Text selbst. Das Gericht verwies nämlich auf den vorangegangenen Bescheid vom 7. September und fügte hinzu, unter den Kameralen seien „in diesem Fall die Partheyen und Sollicitanten gleicher gestalt gemeynt“. Bei Sollizitanten war der genaue Status als Kameralperson immer unklar, und auch aus diesem Grunde enthielt der Gemeine Bescheid eine abstraktgenerelle Anordnung. Das Seuchenproblem scheint in Speyer längere Zeit angedauert zu haben. Wenige Wochen später beschloss das Gericht am 26. Oktober 1666 ein „gemeines Conclusum“366. Was darunter genau zu verstehen ist, muss an dieser Stelle offen bleiben. Die Sammlungen der Gemeinen Bescheide jedenfalls enthalten diese Quelle nicht. Der Sache nach räumte das Gericht den Assessoren damals einen dreimonatigen bezahlten Sonderurlaub ein, um die Stadt Speyer verlassen zu können und damit für sich selbst jede Ansteckungsgefahr auszuschließen. Die meisten Beisitzer sollen davon keinen Gebrauch gemacht haben. Einige ausgewichene Assessoren beantragten allerdings, die Urlaubszeit auch über den Januar 1667 hinaus zu verlängern. Aus diesem Grunde erging am 22. Januar 1667 ein Gemeiner Bescheid, der den Son363

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Zur Sollizitantenwesen B e n g t C h r i s t i an F u c h s , Die Sollicitatur am Reichskammergericht (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 40), Köln, Weimar, Wien 2002. Gemeiner Bescheid vom 5. Oktober 1666 (unten RKG Nr. 171). Schreibweise nach L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), S. 915 Nr. 439. Begriff nach dem Gemeinen Bescheid vom 22. Januar 1667 (unten RKG Nr. 172).

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derurlaub beendete. Die Seuche sei deutlich zurückgegangen, meinte das Kameralkollegium. Deswegen sollten vom 1. Februar an „die tägliche Rathsgäng“ wieder „ohnunterbrochen“ gehalten werden 367 . Hinzu trat sofort eine Besonderheit der Verkündung. Der Bescheid musste zwar „förderlichst communiciret werden“, aber gerade die Adressaten befanden sich ja gar nicht vor Ort. Deswegen scheint dieser Gemeine Bescheid ausnahmsweise rein schriftlich ergangen zu sein. Die genannten drei Gemeinen Bescheide gehören inhaltlich eng zusammen. Dazwischen erließ das Gericht auch keine weiteren Anordnungen. Dennoch zeigen sie schlaglichtartig, wie verschieden allein die Regelungstechniken im Zusammenhang mit der Seuchenbekämpfung ausfallen konnten. Zunächst übernahm das Gericht die städtische Policeyordnung und erklärte sie auch für die Kameralen für verbindlich. Dann nahm es einen konkreten Verstoß zum Anlass, die Anordnung nochmals zu verdeutlichen. Schließlich markierte der letzte, nur an die Assessoren gerichtete Bescheid die Rückkehr zur Normalität. Erstaunlich wirkt freilich, warum die Gewährung des Sonderurlaubs in anderer Weise erfolgte als die Beendigung der Freistellung. Im Übrigen flammte die Seuchengefahr mit Beginn des Reichskrieges gegen Frankreich 1674 erneut auf. Auch hier zeigt ein Gemeiner Bescheid drastisch das Leben in Speyer mitsamt den Flüchtlingen, dem Vieh auf den Straßen und dem üblen Gestank368. Die Verzahnung mit dem Policeyrecht der Stadt Speyer zeigt sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert übrigens noch nicht. Mehrere Gemeine Bescheide von 1542 und 1554 regeln die Unterbrechung des Gerichtsbetriebes wegen einer Pestepidemie in Speyer369. Dort geht es aber nur um den Gerichtsstillstand, die Verlegung und Unterbrechung der Verjährung, nicht jedoch um Vorsichtsmaßnahmen und anderes. Deshalb handelt es sich bei diesen Bescheiden nicht um Policeyrecht. Ein weiterer policeyrechtlicher Gemeiner Bescheid war eng mit der Verlegung des Gerichts von Speyer nach Wetzlar verbunden. Im Februar 1690 fand in Wetzlar die erste Extrajudizialsitzung des Reichskammergerichts statt370. Offenbar genau aus diesem Anlass erging ein Gemeiner Bescheid, der mehrere policeyrechtliche Vorschriften der Stadt Wetzlar für das Kameralpersonal transformierte. Ebenso wie die städtische Obrigkeit ihre Einwohner verpflichtete, so hielt nun auch das Reichskammergericht seine Mitglieder dazu an, „den durch sie, oder die ihrige in oder an ihren Wohnungen allhier verursachenden Kummer oder Dung jedesmahl ohngesaumt, aus der Stadt“

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Gemeiner Bescheid vom 22. Januar 1667 (unten RKG Nr. 172). Gemeiner Bescheid vom 29. April/9. Mai 1674 (unten RKG Nr. 191). Gemeine Bescheide vom 3. November 1542 (unten RKG Nr. 40), 18. November 1542 (unten RKG Nr. 41), 22. Dezember 1542 (unten RKG Nr. 42), 19. Februar 1554 (unten RKG Nr. 47). S m e n d , Reichskammergericht (wie Anm. 93), S. 216. Das angegebene Datum „20. Februar“ mag mit der Kalenderdifferenz zu erklären sein.

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schaffen zu lassen371. Außerdem ordnete der Gemeine Bescheid an, dem städtischen Schornsteinfeger dieselben Kontrollrechte einzuräumen, die er auch gegenüber der Wetzlarer Bevölkerung besaß372. Insbesondere war es verboten, feuchtes Grünholz vor den Öfen zu trocknen, weil dadurch die Gefahr eines Stadtbrandes erheblich zunehme. Nur wenige Monate nach dem von den Franzosen gelegten Brand der Stadt Speyer373 wusste das Gericht nur zu gut, wovon es sprach. Nach zeitgenössischer Auffassung ebenfalls Policeyrecht, wenn auch eher zivilrechtlicher Natur, waren Einschränkungen der Vertragsfreiheit aus wohlfahrtsstaatlicher Bevormundung. Derselbe erste Wetzlarer Gemeine Bescheid schärfte allen Kameralen ein, Lebensmittel und Haushaltsgegenstände zum „rechten Werth zu bezahlen“ und sie nicht überteuert zu kaufen. Auf diese Weise wollte man „keine Theuerung verursachen“. Falls ein Gerichtsmitglied befürchtete, ein Händler wolle „mit allzu grosser Forderung“ seinen Gewinn steigern, sollte der städtische Marktmeister eingeschaltet werden374. Das war nicht nur ein Problem der Wetzlarer Zeit. Bereits 1607 hatte das Gericht bezogen auf die Speyerer Verhältnisse einen ähnlichen Gemeinen Bescheid verkündet. Damals hatte das Gericht seinen Angehörigen unter anderem verboten, an Teuerungsgeschäften mitzuwirken, die „denen gemeinen Rechten und der Billigkeit zuwider“ seien375. Sieht man die Bücherzensur als Policeymaterie an 376 , so gibt es auch dazu einschlägige Gemeine Bescheide. Im Mai 1693 beklagte sich das Wetzlarer Assessorenkollegium, dass Gerichtsangehörige mit ihren gedruckten Publikationen Dritte verunglimpft und Nachteiliges über andere behauptet hatten. Deshalb sei es an der Zeit, das „schädliche Wesen“ abzustellen. Für die Zukunft, so kündigte der Gemeine Bescheid an, sollten alle kammergerichtlichen Druckwerke vom Gericht selbst „ordentlich censurirt“ werden. Bei Verstößen drohten die Beschlagnahme der Drucke sowie eine zusätzliche Bestrafung377. Die Funktion des Reichskammergerichts als Policeyobrigkeit über seine Angehörigen hatte auch gerichtsverfassungsrechtliche Folgen. 1713 bildeten einige Gerichtsmitglieder zusammen mit zwei Syndizi und vier Wetzlarer Ratsherren ein 371 372 373 374 375 376

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Gemeiner Bescheid vom 10. Februar 1690 § 1 (unten RKG Nr. 221). Gemeiner Bescheid vom 10. Februar 1690 § 2 (unten RKG Nr. 221); feuerpoliceyliche Anordnung auch im Gemeinen Bescheid vom 6. März 1676 (unten RKG Nr. 198). Zeitgenössisches Flugblatt bei I n g r i d S c h e u r m a n n (Hrsg.), Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, Mainz 1994, S. 196 Nr. 148. Gemeiner Bescheid vom 10. Februar 1690, Einleitung (unten RKG Nr. 221). Gemeiner Bescheid vom 22. August 1607 (unten RKG Nr. 99). So die Systematik von H ä r t e r / S t o l l e i s , Einleitung, in: dies., Repertorium der Policeyordnungen 1 (wie Anm. 68), S. 23 Ziffer 2. 3; ebenso H a u s m a n n , Kameralfreiheiten (wie Anm. 359), S. 149; H e r m a n n C o n r ad , Deutsche Rechtsgeschichte. Band II: Neuzeit bis 1806, Karlsruhe 1966, S. 259-260. Gemeiner Bescheid vom 15./25. Mai 1693 § 8 (unten RKG Nr. 233).

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gemeinsames Policeykollegium. Die Zusammenarbeit fiel offenbar nicht leicht. Deshalb schuf das Reichskammergericht bereits 1716 eine eigene Policeydeputation. Erst in der letzten Visitation ab 1767 trat das gemischte städtische und kammergerichtliche Policeykollegium wieder zusammen378. Offenbar fühlte sich das Kammergericht manchmal sogar als Policeyobrigkeit gegenüber dem reichsstädtischen Rat selbst. Im Juni 1747 klagte ein Gemeiner Bescheid jedenfalls über „die Hazartspiele mit Würfeln und Charten“. Deswegen befahl die Vorschrift dem „hiesigen Stadtmagistrat“, dafür zu sorgen, die Sperrstunde in allen Wirtshäusern streng zu beachten. Nicht länger als bis 22.00 Uhr im Sommer, im Winter nur bis 21.00 Uhr, sollte der Ausschank an „sitzende Gäste“ erfolgen379. Zwanzig Jahre später rügte das Gericht fortwährende Verstöße der Stadt Wetzlar dagegen und wiederholte den älteren Bescheid 380 . Ob dieser zweite Befehl mit der Visitation und der wiederbelebten Policeydeputation zusammenhängt, ist unklar. Von kulturgeschichtlicher Bedeutung ist der zweimalige Hinweis auf italienische Wirte in Wetzlar. Besonders sie nahmen es mit den Öffnungszeiten wohl nicht so genau. Ob man Vormundschaftsfragen mit der zeitgenössischen Sicht als Policeyrecht auffasst, mag fraglich sein, weil es eng mit dem Familienrecht und so mit dem Zivilrecht verknüpft war381. Aber solche Grenzen sind nicht scharf zu ziehen, und daher verbucht die neuere Policeyforschung die Vormundschaftssachen ebenfalls als Gegenstand der guten Policey 382 . Wenn man es so nennen möchte, war das Reichskammergericht im Rahmen einer von Amts wegen ausgeübten freiwilligen Gerichtsbarkeit mit der Aufsicht über das kammergerichtliche Vormundschaftswesen beschäftigt. Hinterbliebene Kinder verstorbener Gerichtsmitglieder sollten einen Vormund erhalten, der gegenüber dem Gericht rechenschaftspflichtig war. Doch häufig weigerte sich die Verwandtschaft, einen Vormund zu benennen. Selbst wenn der Vormund benannt und bekannt war, ließ er es oft an seiner Verpflichtung hapern, die Vermögensverhältnisse des Mündels gegenüber dem Gericht offenzulegen. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts bot das häufig den Anlass, Gemeine Bescheide des Reichskammergerichts zu erlassen. Teilweise sollte der Pedell die noch offenen 378 379 380 381

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Einzelheiten bei H a u s m a n n , Kameralfreiheiten (wie Anm. 359), S. 105-106. Gemeiner Bescheid vom 9. Juni 1747 (unten RKG Nr. 276). Gemeiner Bescheid vom 5. Juni 1767 (unten RKG Nr. 291). Zu den privatrechtlichen Bezügen H e l m u t C o i n g , Europäisches Privatrecht. Band I: Älteres Gemeines Recht (1500 bis 1800), München 1985, S. 246-260; U r s u l a F l o ß m a n n , Österreichische Privatrechtsgeschichte, 6. Aufl. Wien, New York 2008, S. 122-128; G e r h ar d W e s en b e r g / G u n t e r W e s e n e r , Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte im Rahmen der europäischen Rechtsentwicklung, 4. Aufl. Wien, Köln, Graz 1985, S. 133. Beispiele bei W o l f g a n g W ü s t , Die „gute“ Policey im Reichskreis, Band II: Der Fränkische Reichskreis, Berlin 2003, S. 607-621; H är t e r / S t o l l e i s , Repertorium I/Deutsches Reich (wie Anm. 68), Sachregister S. 911; Hinweis zur Zwitterstellung auch bei A d a l b e r t E r l e r , Art. Vormundschaft, in: HRG V (1998). Sp. 1050-1055 (1053).

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Fälle erfassen, teilweise setzte man auf die Mitwirkung der Verwandten. In kleinen Abständen musste das Gericht seine Anordnungen wieder und wieder verkünden383. Unfreiwillig zeigen die Quellen daher, wie schwer es war, selbst solche Anordnungen in der Praxis durchzusetzen. Das Vormundschaftsrecht blieb eine ständige Baustelle.

5. Rang- und Ehrenfragen, Zeremoniell Rang- und Ehrenfragen der ständischen Gesellschaft waren nach zeitgenössischer Ansicht ebenfalls policeyrechtlicher Regulierung zugänglich 384 . Hierfür bietet sich dennoch ein eigenständiger Abschnitt an, weil die Zielrichtung der Gemeinen Bescheide sich doch deutlich von anderen policeylichen Vorschriften unterschied. An der Frage des Degentragens und der Kopfbedeckung entzündete sich nämlich heftiger Streit zwischen den Prokuratoren und Advokaten auf der einen sowie zwischen den Assessoren auf der anderen Seite. Diestelkamp hat die Vermutung geäußert, es habe für diese Auseinandersetzung keinen konkreten Anlass gegeben 385 . Die genauere Durchsicht der Gemeinen Bescheide legt eher das Gegenteil nahe. Am 16. Juni 1675 empörte sich nämlich das Beisitzerkollegium über die Prokuratoren und Advokaten. Die Anwälte hatten sich angeblich wenige Tage zuvor heimlich in der Audienzstube getroffen und verabredet, „gleich denen Herrn Cammer-Richter, Praesidenten und Assessoren, mit ihren Degen unter den Mänteln in denen öffentlichen Audientzien zu erscheinen“ 386 . Diese Anmaßung sollen die Advokaten und Prokuratoren am 15. Juni dann auch wahrgemacht haben. Auf offener Gasse hatten sich einige in Speyer wohl sogar ohne Mantel und mit blankem Degen gezeigt. Der Mantel war bereits seit einem Deputationsabschied von 1557 und einem Visitationsmemorial von 1575 vorgeschrieben387. Die nunmehrige symbolische Gleichstellung mit den Assessoren388 erschien aber als nicht hinnehmbar. Deswegen ordnete der 383

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Einige Beispiele: Gemeine Bescheide vom 26. März 1658 (unten RKG Nr. 135); 22. Februar 1659 (unten RKG Nr. 139); 17. November 1659 (unten RKG Nr. 142); 22. Januar 1664 (unten RKG Nr. 162); 1. November 1668 (unten RKG Nr. 176); 5. Januar 1670 (unten RKG Nr. 181). H ä r t e r / S t o l l e i s , Einleitung (wie Anm. 68), S. 21: Kleidung, S. 23: Waffenführung, Duell. D i e s t e l k a m p , Die Gemeinen Bescheide (wie Anm. 187), S. 148. Gemeiner Bescheid vom 16. Juni 1675 (unten RKG Nr. 195). Deputationsabschied von 1557 § 21, bei L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis (wie Anm. 4), S. 228; ebd. S. 327: Visitationsmemorial 1575 § 1. Zeitgenössische Abbildungen der Amtstrachten bei S c h e u r m a n n , Frieden durch Recht (wie Anm. 373), S. 207, mit Abbildungsbeschreibung von H ar t m u t S c h m i d t ebd. S. 206 Nr. 166; zum gesellschaftlichen Abstand zwischen Assessoren und Prokuratoren auch S m e n d , Reichskammergericht (wie Anm. 93), S. 353-354; B au m a n n , Advokaten und Prokuratoren. (wie Anm. 15), S. 2; J ü r g e n W e i t z e l , Anwälte am Reichskammergericht, in: Friedrich Battenberg/ Filippo Ranieri (Hrsg.), Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa. Festschrift für Bernhard

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Gemeine Bescheid an, die Anwälte hätten sich künftig solcher Provokationen zu enthalten. Sicherheitshalber fügte die Vorschrift hinzu, das gelte ebenfalls für Kopfbedeckungen. Nicht nur bei Urteilsverkündungen, sondern während der gesamten Audienzen sollten Advokaten und Prokuratoren „zu gebührender Ehr dieses höchsten Gerichts“ ihre Hüte abnehmen. Die Gemeinen Bescheide selbst geben Auskunft über den Fortgang des Streits. Die Advokaten und Prokuratoren verfassten nämlich ein Protestschreiben und reichten es umgehend bei den Assessoren ein. Diese waren sichtbar beunruhigt und antworteten noch am selben Tage mit einer hinhaltenden „Resolutio“, die in dieser Edition ebenfalls als Gemeiner Bescheid eingeordnet und ediert ist389. Doch nur drei Tage später, am 21. Juni 1675, gaben die Assessoren nach. Sie beschränkten das Degenverbot auf die Audienzen und Urteilsverkündungen im engsten Sinne. Ansonsten war es fortan „aller Orthen“ ausdrücklich erlaubt. Selbst innerhalb der Audienz konnten die Anwälte einen Teilerfolg für sich verbuchen. Bereits dann nämlich, wenn der Kammerrichter „sich von dannen würcklich erhoben“ hatte, konnten sie die zuvor abgegürteten Degen wieder anlegen. Ein angebliches Verbot des Degentragens für Advokaten und Prokuratoren hat es in dieser Schärfe also gar nicht gegeben390. Der dafür herangezogene Gemeine Bescheid vom 29. Juli 1678391 enthält tatsächlich eine andere Bestimmung: „Dann sollen der Procuratoren und Advocaten Protocollisten und Scribenten, nicht allein in denen Gerichtlichen Audientzien, sondern auch auff denen Straßen und an allen Orthen hiesiger Stadt, wie sichs gebühret, mit Mänteln erscheinen, und sich des Degentragens bey Vermeidung anderwerten Einsehens enthalten.“392 Das Verbot richtete sich also nicht gegen „die“ Prokuratoren und Advokaten, sondern lediglich gegen ihr Hilfspersonal, nämlich Protokollisten und Schreiber. Nur diese untergeordneten Bediensteten durften in der Öffentlichkeit keine Degen tragen. Für sie galt auch die Pflicht, sich ständig mit Mänteln zu bekleiden. Der Konflikt schwelte aber weiter. 1691 erließ das Reichskammergericht einen weiteren Gemeinen Bescheid. Die Advokaten und Prokuratoren durften nunmehr bei ihren Besuchen in der Ratsstube, Kanzlei und Leserei keinen Degen mehr tragen. Auch wenn sie als Sollizitanten die Wohnungen des Präsidenten und der Beisitzer besuchten, war die ritterliche Aufmachung fortan verboten393.

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Diestelkamp zum 65. Geburtstag, Weimar, Köln, Wien 1994, S. 253-269 (261-266); A n d r e a s Kl a s s , Standes- oder Leistungselite? Eine Untersuchung der Karrieren der Wetzlarer Anwälte des Reichskammergerichts (1603-1806) (Rechtshistorische Reihe 260), Frankfurt am Main 2002, S. 7273. Gemeiner Bescheid vom 18. Juni 1675 (unten RKG Nr. 196). Unzutreffend D i e s t e l k a m p , Die Gemeinen Bescheide (wie Anm. 187), S. 148. Bei D i e s t e l k a m p , Die Gemeinen Bescheide (wie Anm. 187), S. 148, irrtümlich 23. Juli 1678. Gemeiner Bescheid vom 29. Juli 1678 (unten RKG Nr. 200). Gemeiner Bescheid vom 8. Juli 1691 (unten RKG Nr. 227).

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Offenbar gab es abermals einen konkreten Vorfall, der das Gericht dazu bewog, einen Gemeinen Bescheid zu erlassen. Es hatten sich nämlich „eine Zeithero“ Streitereien, Schlägereien und Duelle mit entblößtem Degen zugetragen. Verantwortlich waren angeblich Leute, die sich „in Praxi“ oder als Sollizitanten in Speyer aufhielten, also Studenten bzw. Praktikanten und Parteien selbst. Das Assessorenkollegium hatte bereits „Inquisitiones“ gegen sie eingeleitet. Anwälte waren wohl nicht betroffen, denn lediglich gegen „Practicanten, Sollicitanten, Protocollisten, Scribenten“ erging der Befehl, zukünftig solche Exzesse bleiben zu lassen 394 . Sämtliche Kameralpersonen waren verpflichtet, Verstöße an den Kammerrichter oder seinen Vertreter zu melden. Von dem Verbot des Degentragens für Anwälte bleibt also nur wenig übrig. Dafür werfen die Gemeinen Bescheide offenbar lebensnahe Schlaglichter auf Gewalttätigkeiten innerhalb der Stadt sowie auf die Reibereien zwischen Prokuratoren und Assessoren. Am Reichshofrat gab es ebenfalls Auseinandersetzungen um das Recht zum Degentragen. Hierüber ergingen 1713 und 1753 Kaiserliche Dekrete, „an den Reichshofrat, dass die Bedienten weder Degen, noch sonstige Seitengewehre tragen dürfen“395. Die Unterscheidung Kaiserlicher Dekrete und Gemeiner Dekrete verzerrt damit ein wenig den Blick. Am Reichshofrat scheint man zahlreiche Probleme, die das Reichskammergericht durch Gemeine Bescheide regelte, gleichfalls gekannt zu haben. Nur löste man sie dort auf andere Weise. Andere Ehrkonflikte sind ebenfalls überliefert. In Wetzlar begannen die Reichskammergerichtsprokuratoren damit, sich von ihren Mandanten und Bediensteten als Exzellenzen anreden zu lassen. Das wollte das Kameralkollegium nicht hinnehmen 396 . Außerdem legten einige Prokuratoren ihre bisherigen schwarzen Amtstrachten ab und erschienen bunt gekleidet zur Audienz. Das Reichskammergericht sprach von einem großen „Uebelstand“ und versuchte, durch einen Gemeinen Bescheid die alte Kleiderordnung wieder herzustellen397. Aus der Spätzeit des Reichshofrats ist sodann ein Gemeiner Bescheid erhalten, der sich ebenfalls mit Zeremoniellangelegenheiten beschäftigt. Diese Kaiserliche Signatur vom 7. Januar 1788 war Teil der Auseinandersetzungen um das förmliche Verfahren bei Belehnungsakten. In den reichshofrätlichen Gemeinen Bescheiden taucht das Thema in verschiedenen Schattierungen immer wieder auf. Schon am 28. August 1688 führte ein Gemeiner Bescheid Klage über einige Reichsstände, vor allem über Kurfürsten und Fürsten. Offenbar hatten viele „Stände des Reichs ihre Lehen 394 395 396 397

Gemeiner Bescheid vom 29. Juli 1678 (unten RKG Nr. 200). Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Reichsarchive, Reichhofrat, Aktennummer 8-9-3-1 (gemäß Onlinefindbuch www.archivinformationssystem.at). Gemeiner Bescheid vom 27. Oktober 1713 (unten RKG Nr. 252). Gemeiner Bescheid vom 16. Juli 1723 (unten RKG Nr. 262).

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und Regalien nicht durch Herren- oder Ritterstands-Personen an Dero Kaiserlichem Hof suchen und empfangen lassen“ 398 . Wenn schon die Lehensnehmer nicht mehr in Person anreisten, sollten sie sich wenigstens durch „vornehme Ministros“ vertreten lassen. Auch andere Gemeine Bescheide des Reichshofrats kreisten um lehensrechtliche Fragen399. Eine Zäsur bedeutete der Bescheid vom 7. Januar 1788. Der Reichslehensverband befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Auflösung. Unter anderem weigerten sich zahlreiche Fürsten, allen voran die Kurfürsten, seit Jahrzehnten beharrlich, bei der Belehnung einen Kniefall vor dem Kaiserthron zu vollführen400. Joseph II. kam ihnen jetzt weitestmöglich entgegen. 1787 schaffte er den Kniefall der Untertanen grundsätzlich ab, doch scheint sein allgemeines Dekret nicht unmissverständlich klar gewesen zu sein. Im Januar 1788 erklärte er deshalb, „daß das Niederknieen bey allen Gelegenheiten, mithin auch bey den Thron- und Italienischen vor dem Kaiserlichen Reichshofrath zu empfangenden Belehnungen unterbleiben solle“ 401 . Diese Kaiserliche Signatur erging an sämtliche „Reichsständischen Bevollmächtigten, auch den bey Kaiserlichem Reichshofrath aufgenommenen Agenten und Procuratoren“. Sie war etwas anders adressiert als sonstige Decreta communia, nannte aber ausdrücklich auch die Agenten und Prokuratoren. Deswegen handelt es sich zweifelsfrei um einen Gemeinen Bescheid 402 . Interessant ist die Quelle nicht nur, weil hier ganz am Ende des Reiches das überkommene Zeremoniell zum Erliegen kam. Vielmehr zeigt es zugleich die im Unterschied zum Reichskammergericht umfassenderen Aufgaben des Reichshofrats. Ob der Reichshofrat das alleinige Reichslehensgericht war, blieb bis zum Ende des Alten Reiches streitig 403 . Rein tatsächlich nahm er diese Funktion oftmals wahr404. Allein die gedruckte Sammlung von Weingarten von 1728 enthält in ihren 398 399

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Decretum commune vom 28. August 1688 (Teilband II, RHR Nr. 56). Decreta communia vom 10. Mai 1707 (Teilband II, RHR Nr. 62); 26. Februar 1714 (Teilband II, RHR Nr. 68); 23. März 1714 (Teilband II, RHR Nr. 69); 8. August 1737 (Teilband II, RHR Nr. 80); 7. Februar 1746 (Teilband II, RHR Nr. 81); 18. April 1749 (Teilband II, RHR Nr. 82). Einzelheiten bei S t o l l b e r g - R i l i n g e r , Des Kaisers alte Kleider (wie Anm. 103), S. 295-297; A r e t i n , Das Alte Reich III (wie Anm. 94), S. 51-52. Decretum commune vom 7. Januar 1788 (Teilband II, RHR Nr. 99). So auch bereits D a n z , Grundsäze (wie Anm. 23), S. 150. W o l f g a n g S e l l e r t , Über die Zuständigkeitsabgrenzung von Reichshofrat und Reichskammergericht insbesondere in Strafsachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N. F. 4), Aalen 1965, S. 72. Fallstudie bei T o b i a s S c h e n k , Reichsjustiz im Spannungsverhältnis von oberstrichterlichem Amt und österreichischen Hausmachtinteressen. Der Reichshofrat und der Konflikt um die Allodifikation der Lehen in Brandenburg-Preußen (1717-1728), in: Anja Amend-Traut/Albrecht Cordes/Wolfgang Sellert (Hrsg.): Geld, Handel, Wirtschaft. Höchste Gerichte im Alten Reich als Spruchkörper und Institution, Berlin/New York 2013 (im Erscheinen); zahlreiche Nachweise zu Lehensangelegenheiten bei W o l f g an g S e l l e r t (Hrsg.), Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats. Serie I: Alte Prager Akten. Band 1: A-D, Berlin 2009, Register S. 620 (Belehnung), 636 (Reichslehen).

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75 mitgeteilten Decreta communia neun Vorschriften zum Lehensrecht 405 . Vor allem war der Reichshofrat zugleich für Belehnungen selbst zuständig und wurde insoweit nicht als Gericht, sondern als kaiserliche Behörde tätig406. Der Gemeine Bescheid vom Januar 1788 stellte das noch einmal in aller Deutlichkeit fest. Wenn freilich Joseph II. den Befehl aussprach, die Reichshofratsagenten hätten ihre „Principalen zu unterrichten, und hiernach die ruckständige Reichsbelehnungen gebührender Massen zu befördern“407, blieb das ein frommer Wunsch. Nach einem halben Jahr gab der Kaiser auf und beendete seine Bemühungen, das Lehenswesen zu erneuern408.

VI. Überlieferung der Gemeinen Bescheide Die Quellenlage zur Überlieferung der Gemeinen Bescheide ist erstaunlich undurchsichtig. Die zeitgenössische Literatur hat die Gemeinen Bescheide beider Reichsgerichte oftmals abgedruckt, teilweise in Urteilssammlungen, in Gesetzessammlungen, in eigenständigen Sammelwerken oder als Anhang anderer Werke. Der Überblick am Ende der Einleitung zeigt diese Vielfalt (unten VIII.). Dabei bleibt freilich ein wichtiger Punkt unklar: Woher hatten die Herausgeber dieser Bücher ihre Kenntnis? Die Antwort auf diese Frage knüpft unmittelbar an das Verfahren zum Erlass der Gemeinen Bescheide an. Je genauer man weiß, auf welche Weise Gemeine Bescheide Verbreitung fanden, desto leichter lässt sich die Quellenkenntnis der Praktikerliteratur erklären. Abermals ist es geboten, Reichskammergericht und Reichshofrat getrennt zu behandeln.

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A d o l p h v o n W e i n g a r t e n , Verzeichnuß Derer bey dem Kaiserlichen höchst-preislichen Reichs-Hof-Raht, Von dem Jahr 1613. bis ad Annum 1725. ergangenen, Die Agenten, Procuratoren, Und Partheyen Betreffenden Decretorum communium, Wien 1728, leicht nachzuvollziehen in der Übersicht S. 95-100. G s c h l i e ß e r , Reichshofrat (wie Anm. 147), S. 23-25; S i e g r i d W e s t p h a l , Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648-1806 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 43), Köln, Weimar, Wien 2002, S. 91. Decretum commune vom 7. Januar 1788 (Teilband II, RHR Nr. 99). S t o l l b e r g - R i l i n g e r , Des Kaisers alte Kleider (wie Anm. 103), S. 297.

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1. Reichskammergericht Eine amtliche Sammlung der Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts ist lediglich für den Zeitraum von 1689 bis 1787 überliefert. Es handelt sich um eine Mappe ungebundener handschriftlicher Bescheide, teilweise ergänzt von Einblattdrucken 409 . Im untrennbaren Bestand des Reichskammergerichts trägt die falsch datierte Akte die Bezeichnung „Sammlung allgemeiner Bescheide verschiedensten Inhalts 1693-1787“410. In dieser Sammlung sind einige Gemeine Bescheide mehrfach enthalten. Das gilt auch für handschriftliche Bescheide 411 . Offensichtlich hat die Kanzlei des Reichskammergerichts also die Bescheide in Abschriften vervielfältigt und dann an die Prokuratoren, vermutlich ebenfalls an die Advokaten 412 weitergeleitet. Nachweisbar sind weiterhin Gemeine Bescheide, die sowohl handschriftlich als auch gedruckt überliefert sind413. Diese Einblattdrucke bzw. gefalteten Druckbögen sind offenbar unmittelbar nach Erlass der Gemeinen Bescheide von Wetzlarer Druckern verbreitet worden. Wenn die Kammergerichtsmitglieder diese Drucke in ihre offizielle Sammlung einfügten, scheinen sie derartige Blätter als ebenfalls authentisch und maßgeblich angesehen zu haben. Offenbar bestand sogar eine längerfristige Zusammenarbeit zwischen dem Kameralkollegium und denjenigen Druckern, die mehrfach Gemeine Bescheide publizierten. Besonders anschaulich ist das Beispiel von Christoph Olff. Er war zunächst als Drucker in Speyer tätig und veröffentlichte hier die Sammlungen Gemeiner Bescheide von 1678, 1686 und 1688. Wenig später ist er in Wetzlar nachweisbar, ebenfalls als Drucker Gemeiner Bescheide, unter anderem der Sammlungen von 1695 und 1696414. Dieser Drucker hatte sich offenkundig dem Umzug des Gerichts von Speyer nach Wetzlar angeschlossen und war somit in offizieller oder zumindest halbamtlicher Stellung tätig.

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E g i d J o s e p h K a r l v o n F a h n e n b e r g , Litteratur des Kaiserlichen Reichskammergerichts, Wetzlar 1792, S. 25, nennt lediglich neun einzeln gedruckte Gemeine Bescheide vom 24. April 1782 bis zum 4. Juni 1787. Bundesarchiv AR 1/Misc. 381; das maschinenschriftliche Findbuch entstellt den Titel zu „Sammlung allgemeiner Schreiben“ (so beim Archivbesuch im Juli 2012). So etwa der Gemeine Bescheid vom 4. April 1721: Bundesarchiv AR 1/Misc. 381: drei Abschriften, u. a. Nr. 14, aber auch auf Rückseite des Bescheids vom 23. Dezember 1720 und unter einer weiteren Fassung des Bescheids vom 23. Dezember 1720. Der Unterschied war in der Wetzlarer Zeit weitgehend eingeebnet: W e i t z e l , Anwälte (wie Anm. 388), S. 256-259, Kl a s s , Standes- oder Leistungselite (wie Anm. 388), S. 182-190; G e r h a r d B u c h d a / A l b r e c h t C o r d e s , Art. Anwalt, in: HRG II (2. Aufl. 2008), Sp. 255-263 (258259). Z. B. Gemeine Bescheide vom 6. Juli 1770 (unten RKG Nr. 298) und 14. Februar 1783 (unten RKG Nr. 312): Handschrift und vier Separatdrucke. Zu ihm auch die Anmerkung zum Gemeinen Bescheid vom 7. Juni 1686 (unten RKG Nr. 212).

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Teilweise tragen die Gemeinen Bescheide der amtlichen Sammlung authentische Titel. In den Handschriften sind sie meist auf der ersten Seite oben links vermerkt – ähnlich wie die Prozessbezeichnungen auf den Aktendeckeln der Protokollbücher415. Die teilweise sehr umfangreichen Überschriften in den Bogendrucken416 finden sich in der handschriftlichen Überlieferung dagegen nicht. Der Beginn der amtlichen Sammlung 1693 dürfte unschwer zu erklären sein. Im Mai 1693, das genaue Datum ist etwas unklar, fand nach mehrjähriger Pause mit einer feierlichen Audienz die erste öffentliche Veranstaltung des Reichskammergerichts in Wetzlar statt417. Gemeine Bescheide ergingen zwar bereits 1689 bis 1692, als das Gericht nur extrajudizial tätig war418. Zwei bisher unbekannte, lediglich handschriftlich erhaltene Bescheide fallen sogar in die kurze Frankfurter Zeit im Sommer 1689 419 . Aber erst ab Mai 1693 konnte das bewährte Verfahren zur mündlichen Verkündung der Bescheide in den Audienzen wieder stattfinden. Genau dies geschah auch. Gleich in der ersten Wetzlarer Audienz erging ein umfangreicher Sammelbescheid mit der Einleitung, „daß die seither dem Frantzösischen Feindlichen Einbruch ins Reich nun ins fünffte Jahr, bey diesem Kayserlichen- und des Reichs Cammer-Gericht unterbliebene Judicialia in hiesiger Stadt Wetzlar ad interim und biß zu erfolgendem ferneren allgemeinen Reichs-Schluß, und dessen Bewerckstelligung förderlichst eröffnet werden sollen, zu dieser des Gerichts wieder Eröffnung der heutige Tag beliebt, und angesetzt worden, worzu der Allerhöchste seinen mildreichsten Göttlichen Segen gnädiglich verleihen wolle“420. Der Gemeine Bescheid stellte zahlreiche Einzelheiten zur künftigen Wetzlarer Gerichtspraxis fest und ordnete zudem die Befolgung mehrerer bereits älterer Gemeiner Bescheide an. Die Sammelakte im Untrennbaren Bestand des Bundesarchivs belegt damit Kontinuität von diesem Datum an. Ob es in der Speyerer Zeit des Gerichts ebenfalls bereits eine amtliche Sammlung Gemeiner Bescheide gegeben hat, ist unbekannt. Vermutlich ist die Quellenlage hier nicht besser als bei den Senatsprotokollen 415 416

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O e s t m a n n , Zivilprozess (wie Anm. 282), S. 22 Anm. 2. Abdruck Der Am Hochlöblichen Kayserl. und Reichs Cammer-Gericht In Sachen dessen Unterhalt betreffend/ Freytags den 16. Julii Anno 1717. publicirter Fiscalischen Urthel/ Wie auch Gemeinen Bescheids Und Des Cammer-Gerichts Pfenningmeisters Specification Sambt Denen im Gemeinen Bescheid vermeldten Formularien, Wetzlar 1717. Das Datum wird verschieden überliefert, mag aber mit der Kalenderdifferenz zu erklären sein: S m e n d , Reichskammergericht (wie Anm. 93), S. 216: 25. Mai 1693, ebenso B e r n h ar d D i e s t e l k a m p , Ein Kampf um Freiheit und Recht. Die prozessualen Auseinandersetzungen der Gemeine Freienseen mit den Grafen zu Solms-Laubach, Köln, Weimar, Wien 2012, S. 237, 244; anders S c h m i d t - v o n R h e i n , Reichskammergericht (wie Anm. 93), S. 6: 15. Mai 1693; noch anders H a n s S c h e n k , Reichskammergericht. Bestand AR 1. Urteilsbücher (Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs 52), Koblenz 1995, S. 6: feierliche Sitzung am 4. Mai 1693, erste reguläre Audienz am 17. Juli 1693. Nachgewiesen unten RKG Nr. 219-232. Gemeine Bescheide vom 1./11. Juli 1689 (unten RKG Nr. 219) und 5. Juli 1689 (unten RKG Nr. 220). Gemeiner Bescheid vom 15./25. Mai 1693 (unten RKG Nr. 233).

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und den Urteilsbüchern421. Der Stadtbrand von Speyer und die Umzugswirren dürften auch bei den Gemeinen Bescheiden zu erheblichen Quellenverlusten geführt haben. Weshalb die Sammlung 1787 abbricht, lässt sich nicht zweifelsfrei klären. Immerhin scheint vom Juni 1787 bis zum Juni 1790 in einem Dreijahreszeitraum kein neuer Gemeiner Bescheid ergangen zu sein. Diese Unterbrechung führte offenbar zugleich zu Änderungen bei der Aufbewahrung. Die letzten Gemeinen Bescheide zwischen 1790 und 1805 scheinen jedenfalls im untrennbaren Bestand nicht geschlossen überliefert zu sein. Zufallsfunde sind bei der zur Zeit noch schlechten Erschließung weiterhin möglich. Die Grenze 1787 stimmt auffällig mit den von Fahnenberg 1792 nachgewiesenen Bogendrucken überein. Auch er kannte nur Gemeine Bescheide bis zum Juni 1787422. Ob es danach keine weiteren Separatdrucke gab, ist unklar. Weitere authentische Sammlungen sind im Bundesarchiv nicht vorhanden. Die zeitgenössischen Bogendrucke finden sich freilich mehrfach in verschiedenen deutschen Bibliotheken423. Wie hoch die damaligen Auflagen waren, lässt sich nicht sagen424. Möglicherweise handelt es sich um Exemplare, die seinerzeit einzelne ständige Prokuratoren von Reichsständen erhalten hatten. Vielleicht gab es auch größere Stückzahlen, die man käuflich erwerben konnte. Gegenproben wären möglich, sind aber aufwendig. In den territorialen Regierungsarchiven müssten sich beim allgemeinen Schriftverkehr mit Reichskammergerichtsprokuratoren ebenfalls Gemeine Bescheide finden lassen. Tatsächlich gibt es dafür Belege425. In einigen Archiven sind 421

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Überlieferung der Urteilsbücher ab 1684: S c h e n k , Reichskammergericht (wie Anm. 417), S. 6; Senatsprotokolle ab ca. 1711, im Bundesarchiv AR 1/I und AR 1/II; Überblick über die Quellenlage auch bei P e t e r O e s t m a n n , Leitfaden zur Benutzung von Reichskammergerichtsakten, in: ders.,/Wilfried Reininghaus, Die Akten des Reichskammergerichts. Schlüssel zur vormodernen Geschichte (Veröffentlichungen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen 44), Düsseldorf 2012, S. 6-20; S ö n k e L o r e n z , Das Reichskammergericht. Ein Überblick für den angehenden Benutzer von Reichskammergerichts-Akten über Geschichte, Rechtsgang und Archiv des Reichsgerichtes mit besonderer Berücksichtigung des südwestdeutschen Raumes, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 43 (1984), S. 175-203; A n e t t e B au m an n , Der Aufbau einer Reichskammergerichtsprozessakte, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 3, [13.12.2004] (www.zeitenblicke.de/2004/03/baumann1/index.html [besucht am 26. Januar 2013]). F a h n e n b e r g , Litteratur (wie Anm. 409), S. 25. Zahlreiche Funde in den jeweiligen Rubriken „Weitere Ausgaben“. Eine umfassende Sichtung der größeren Bibliotheken war freilich nicht zu leisten. Überblick über die Anzahl der Kameralpersonen zwischen 1693 und 1805 einschließlich Advokaten und Prokuratoren bei S i g r i d J a h n s , Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich. Teil I: Darstellung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 26/I), Köln, Weimar, Wien 2011, S. 102. Zufallsfund etwa: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen (Münster), Fürstabtei Herford A 230 II Akten/Kaiserliche Edikte Best.-Nr. 57: Gemeiner Bescheid des Reichskammergerichts von 1715 (im Online-Findbuch), gedruckte Repertoriumsmitteilung bei W i l l f r i e d R e i n i n g h a u s (Bearb.), Territorialarchive von Minden, Ravensberg, Tecklenburg, Lingen

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sogar Sammlungen Gemeiner Bescheide erhalten, so etwa in Lübeck für die Zeit von 1577 bis 1764426. Auch in Prozessakten können Gemeine Bescheide überliefert sein. Leider geben die Repertorienbände im Einzelfall aber nicht zweifelsfrei an, ob es sich um Quellen der Reichsgerichte oder der landesherrlichen Gerichte handelt 427 . Die flächendeckende Suche lässt sich an dieser Stelle freilich nicht leisten. Der Heuhaufen enthält aber unzählige Nadeln. Ein Gemeiner Bescheid gibt sogar selbst einen Hinweis auf die eigene Verbreitung. Es handelt sich um eine Anordnung von 1667, mit der das Gericht die Form notarieller Instrumente vereinfachte. Die Prokuratoren sollten Abschriften des Gemeinen Bescheids erstellen und an diejenigen Advokaten und Notare versenden, mit denen sie zusammenarbeiteten428. Das geschah auch. In den Akten zeigen die Appellationsinstrumente daraufhin tatsächlich die neu vorgegebene Gestalt. Ob freilich alle Gemeinen Bescheide auf diese Weise reichsweite Verbreitung fanden, lässt sich nicht feststellen429. Wenn aber die Prokuratoren Gemeine Bescheide an die kreisausschreibenden Fürsten verteilen sollten und diese ihrerseits für die Verbreitung an die zugehörigen Reichsstände zu sorgen hatten 430, dürften jedenfalls einige Gemeine Bescheide weit verbreitet und bekannt gewesen sein. Im untrennbaren Bestand des Reichskammergerichts sind zwei weitere handschriftliche Sammlungen aus dem 16. Jahrhundert überliefert. Beides sind nicht Urschriften, sondern Kompilationen verschiedener normativer Quellen. Offenbar handelt es sich um Anleitungen zur ordnungsgemäßen Tätigkeit der Gerichtsmitglieder. Ein kleineres, recht lieblos zusammengeschustertes Heft stammt aus den Jahren um 1580/85 und führt auf etwa fünf Seiten knapp zwanzig Gemeine Bescheide im

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und Herford (Das Staatsarchiv Münster und seine Bestände A 5), Münster 2000, S. 200 (aber ohne Hinweis auf den Gemeinen Bescheid); Negativbefunde etwa bei P e t e r V e d d e l e r (Bearb.), Domkapitel Münster. Akten (Veröffentlichungen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen 5), Teil 2 Münster 2006, S. 980-982 (Angelegenheiten des Fürstbistums Münster/Reichskammergericht); Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen (Münster), A 60 Fürstbistum Münster, Kabinettsregistratur, 15.2.1 Reichskammergericht (nach Online-Findbuch). Archiv der Hansestadt Lübeck Best. 01.1-01 Altes Senatsarchiv Interna/ 012 Camera Imperialis/ 012.001 Organisation, lfd. Nr. 02681: Gemeine Bescheide 1577-1764; ebd. unter 012.005 Unterhaltung, lfd. Nr. 02705: Gemeiner Bescheid von 1717. Zweifelhaft etwa H a n s - Ko n r a d S t e i n - S t e g e m a n n (Bearb.), Inventar der Mecklenburger Reichskammergerichtsakten (Findbücher, Inventare und kleine Schriften des Landeshauptarchivs Schwerin 6), Schwerin 2001, S. 467 lfd. Nr. 797, S. 468 lfd. Nr. 800, S. 577 lfd. Nr. 577. Gemeiner Bescheid vom 29. Juli 1667 (unten RKG Nr. 174). Ähnliche Anordnung immerhin im Gemeinen Bescheid vom 10. April 1669 (unten RKG Nr. 178): Mitteilung der Prokuratoren an ihre Mandanten; Gemeiner Bescheid vom 6. März 1782 (unten RKG Nr. 306): Einsendung an die Reichsstände; Gemeiner Bescheid vom 16. März 1803 (unten RKG Nr. 330): Mitteilung an alle Parteien. Gemeiner Bescheid vom 5. Dezember 1671 (unten RKG Nr. 185); ähnlich Gemeiner Bescheid vom 1. März 1672 (unten RKG Nr. 186); 28. Januar 1673 (unten RKG Nr. 189).

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Wortlaut auf. Sie stammen aus dem Zeitraum von 1560 bis 1580431. Die nachlässige Handschrift und ein leicht verblichenes Schriftbild deuten auf persönlichen, vermutlich intensiven Gebrauch hin. Eine zweite Sammlung ist ungleich repräsentativer. Der dickleibige Prachtband enthält wie die schmalere Zusammenstellung ebenfalls Rechte und Pflichten der Kameralpersonen in systematischer Gliederung. Der erste Teil der Handschrift umfasst 123 Blatt. Nach einer Lücke beginnt eine Fortsetzung mit dem Jahr 1600. Im ersten Teil, der vor 1600 zu datieren ist, finden sich an den jeweils einschlägigen Stellen die Abschriften von etwa 30 Gemeinen Bescheiden in vollem Wortlaut. Sie decken den Zeitraum vom 16. September 1560 bis zum 19. Oktober 1585 ab432. In diesem Zeitraum scheinen insgesamt 33 Gemeine Bescheide ergangen zu sein, wobei diese Zahl angesichts möglicher Datierungsfehler der späteren Drucke mit Vorsicht zu genießen ist. Jedenfalls spricht die weitgehende Übereinstimmung für den Anspruch auf Vollständigkeit innerhalb der handschriftlichen Sammlung. Weitere Sammlungen sind zur Zeit nicht bekannt. In den Nachlässen von Assessoren oder Prokuratoren mag man aber durchaus noch fündig werden. Einige Negativbefunde verdienen ausdrückliche Erwähnung. Zunächst sind Gemeine Bescheide soweit ersichtlich nicht in den Urteilsbüchern des Reichskammergerichts enthalten. Für die Speyerer Zeit ist die Beweisführung unmöglich. Die Sammlung von Seyler und Barth heißt zwar ausdrücklich „Urteil und Bescheid“ und enthält zahlreiche Gemeine Bescheide433. Auch Jacob Blum entschied sich in seiner Zusammenstellung für dieselbe Vorgehensweise434. Doch ob die Herausgeber den Wortlaut der Gemeinen Bescheide den Urteilsbüchern entnehmen konnten, erscheint zweifelhaft. In der Frühzeit scheinen sich Gemeine Bescheide teilweise unmittelbar an die Tenorierung von Urteilen angeschlossen zu haben 435 . Doch dürfte diese Gepflogenheit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach und nach verschwunden sein436. Einleitungsfloskeln wie „letztlich“ oder „endlich“ am Beginn eines Gemeinen Bescheids können freilich Anzeichen dafür sein, dass 431

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Bundesarchiv AR 1/Misc. 775: Memorabilia zur Organisation und Prozeßführung des Reichskammergerichts zusammengetragen ca. 1580-1585 aus den Kammergerichtsordnungen, Reichstags- und Visitationsabschieden, Bescheiden und Beschlüssen des Reichskammergerichts, dort fol. 29v-31v. Bundesarchiv AR 1/Manuskripte 1: Liber ad communem Collegii Imperialis Camerae usum destinatus quae ad expeditione causarum tam ordinariarum vel iudicialium quam extrajudicialium magis necessaria sunt complectens, fol. 22v-23r, 25r-25v, 40r-43v, 81r-84r, 94v-95r, 105r-105v. R a p h a e l S e y l e r / C h r i s t i a n B a r t h , Urtheil Und Beschaydt Am Hochlöblichen Kayserlichen Cammergericht, 5 Bände, Speyer 1604/05. J a c o b B l u m , Chilias sententiarum cameralium, Frankfurt am Main 1676 (erstmals 1667). Beispiele unten: Gemeine Bescheide vom 8. Mai 1523 (unten RKG Nr. 3), 3. Juni 1523 (unten RKG Nr. 4), 5. Juni 1523 (unten RKG Nr. 5), 19. Juni 1532 (unten RKG Nr. 19). Späte Fälle sind die Gemeinen Bescheide vom 28. Januar 1586 (unten RKG Nr. 87) und 7. April 1608 (Nr. 101).

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jedenfalls in den Audienzen die Gemeinen Bescheide unmittelbar im Anschluss an die Urteile verlesen wurden. Eine Überprüfung der Urteilsbücher ist nur für die Wetzlarer Zeit möglich. In der gedruckten Urteilssammlung des Reichskammergerichts von 1800 bis 1804 sind die in diesem Zeitraum ergangenen sieben Gemeinen Bescheide wie selbstverständlich enthalten 437 . Die Gegenprobe in den erhaltenen Urteilsbüchern ergibt ausschließlich Fehlanzeigen 438 . Das gilt auch für die in diesen Zeitraum fallenden Judizialsenats- 439 und Extrajudizialsenatsprotokolle 440 wie auch für sog. Bescheidtischprotokolle 441 . Selbst wenn die Verkündung der Gemeinen Bescheide in den Audienzen und teilweise wohl in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Urteil erfolgte, scheint die Kammergerichtskanzlei diese verschiedenen Arten gerichtlicher 437

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Vollständige Sammlung aller im Jahre [1800-1801] bey dem Höchstpreislichen Kaiserlichen und Reichs-Kammergerichte ergangenen Urtheile und Decrete, auch gemeinen Bescheide und entweder in den Proceß einschlagenden, oder sonst zur Bekanntmachung geeigenschafteten conclusorum consilii pleni, Wetzlar 1800/01; danach unter dem Titel: Sammlung aller im Jahre [1802-1804] bey dem höchstpreislichen kaiserlichen und Reichs-Kammergerichte ergangenen Haupt- oder sonst eine praktische Ansicht gewährenden Urtheile und Decrete, auch gemeinen Bescheide und entweder in den Proceß einschlagenden, oder sonst zur Bekanntmachung geeigenschafteten conclusorum consilii pleni; nebst fordersamster Bemerkung des Kammergerichtlichen Personale und der sich dabey von Zeit zu Zeit ergebenden Veränderung, Wetzlar 1802/04, hier im Jahrgang 1800, S. 96; 1801, S. 530; 1803, S. 99-101, 287, 357-358; 1804, S. 449. Im gedruckten Urteilsbuch ist das Jahr 1805 nicht mehr erfasst. In den handschriftlichen Urteilsbüchern des Bundesarchivs fehlt der Bescheid vom 25. Oktober 1805 ebenfalls. Die gedruckte Sammlung ist allerdings auch nicht vollständig, dazu E r n s t H o l t h ö f e r , Die Literatur der Kameraljurisprudenz am Ende des Alten Reichs. Die reichskammergerichtliche Literatur von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1806, in: Bernhard Diestelkamp (Hrsg.), Das Reichskammergericht am Ende des Altes Reiches und sein Fortwirken im 19. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 41), Köln, Weimar, Wien 2002, S. 189215 (214). Überprüft wurden Bundesarchiv AR 1/III 4 (Urteilsbuch 1685), fol. 72v-73r; AR 1/III 5 (Urteilsbuch 1686), fol. 48r-74v; AR 1/III 111 (Urteilsbuch 1801), fol. 137r-153v; AR 1/III 113 (Urteilsbuch 1803), fol. 57r-59v, 180r-184a v, 249r-250r; AR 1/III 114, fol. 295r-300r; AR 1/III 115, fol. 209r-219r. Überprüft wurden Bundesarchiv AR 1/I 384 (Judizialsenatsprotokolle 1803, 1. Senat, Teil 1), fol. 22r-27r; AR 1/I 385 (Judizialsenatsprotokolle 1803), fol. 25v-26r; AR 1/I 386 (Judizialsenatsprotokolle 1803, 2. Senat, Pars 1), fol. 35r-44v; AR 1/I 387 (Judizialsenatsprotokolle 1803, 2. Senat, 2. Teil): nur Aktenauszüge; AR 1/I 388 (Judizialsenatsprotokolle 1803, 3. Senat), fol. 63v68v; AR 1/I 389 (Judizialsenatsprotokoll 1803, 2. Hälfte). Überprüft wurden Bundesarchiv AR 1/II 418 (Extrajudizialsenatsprotokolle, 1. Senat 1803, 1. Teil), fol. 60r-64r; AR 1/II 419 (Extrajudizialsenatsprotokolle, 1. Senat 1803), fol. 25r-35v; AR 1/II 420 (Extrajudizialsenatsprotokolle 1803), fol. 22r-23r; AR 1/II 421 (Extrajudizialsenatsprotokolle 1803, 2. Senat), fol. 32r-33v, 39r-39v; AR 1/II 422 (Extrajudizialsenatsprotokolle 1803, 2. Senat inter Medios, Teil B), fol. 29r-30r; AR 1/II 423 (Extrajudizialsenatsprotokolle 1803, 3. Senat), fol. 50r-54v; AR 1/II 424 (Extrajudizialsenatsprotokolle, 1803, 3. Senat, Teil B), fol. 15r21r; AR 1/II 425 (Extrajudizialsenatsprotokolle, 4. Senat inter Immediatos 1803), fol./Nr. 24-33. Überprüft wurden AR 1/V 13 (Bescheidtischprotokolle Extrajudizialsachen 1803-1804), Jahrgang 1803, fol. 39v-42r; AR 1/V 21 (Bescheidtischprotokolle Judizialsachen 1801-1806), Jahrgang 1803, fol. 6r-7r, 27r-28r.

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Entscheidungen nie vermengt zu haben. Diese Konsequenz ist besonders erstaunlich in einer Zeit, die feste Begrifflichkeiten und rechtlichen Scharfsinn nur selten einforderte. Einige wenige Negativbefunde seien noch angefügt. Nicht einschlägig für die Suche nach Gemeinen Bescheiden ist ein von den Referenten geführtes Register der zum Bescheid übertragenen Streitsachen442 ebenso wie eine zusammengefasste Erörterung von Rechtsfragen 443 . Auch ein Überblick über die Jurisdiktion des Reichskammergerichts bietet nicht mehr als ein handgeschriebenes Inhaltsverzeichnis444. Angesichts der Quellenverluste von über zwei Dritteln der Urschriften beruht die Erschließung der kammergerichtlichen Gemeinen Bescheide zu wesentlichen Teilen auf der frühneuzeitlichen Kameralliteratur. Erfreulicherweise ist die Überlieferung aber sehr reichhaltig. Auf diese Weise dürften sich Lücken und Ungenauigkeiten der einzelnen Sammeldrucke weitgehend ausgleichen. Tatsächlich ist fast jeder Gemeine Bescheid mehrfach zeitgenössisch ediert, zumeist in drei oder noch mehr Werken. Etwas schwieriger sieht die Quellenlage für diejenigen Bescheide aus, die zeitlich nach Ludolffs „Corpus Juris Cameralis“ von 1724 ergingen. Gerade hier greift freilich die Sammlung aus dem Bundesarchiv für die Jahre bis 1787 ein. Die wenigen Jahre bis zum Beginn der amtlichen gedruckten Urteilssammlung 1800 überbrückt sodann die Zusammenstellung des kammergerichtlichen Protonotars Joseph Anton von Vahlkampf von 1806. Wirklich unklar bleibt damit nur das letzte Jahr 1806. Ob nach dem jüngsten bei Vahlkampf nachgewiesenen Gemeinen Bescheid vom 25. Oktober 1805 bis zur Auflösung des Gerichts noch ein weiterer Gemeiner Bescheid erging, dürfte sich nicht mehr erhellen lassen. Nach Auskunft von Eric Mader erschienen Vahlkampfs hier einschlägige Miszellen erst im Herbst 1806, also nach dem Ende des Reiches445. Doch wie dem auch sei: In jedem Fall hätte eine allerletzte Anordnung keine Auswirkungen mehr entfalten können.

2. Reichshofrat Die Überlieferungslage beim Reichshofrat ist erfreulicherweise erheblich günstiger als beim Reichskammergericht. Im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv ist ein umfangreicher Bestand mit dem vielsagenden Titel „Reichshofratsagenten und Reichshofratstürhüter: Decreta communia an die Agenten, Prokuratoren und Par442 443 444 445

Bundesarchiv AR 1/Misc. 485: Verzeichnisse der verschiedenen Assessoren zum Referat überwiesenen Sachen, der angefertigten Bescheide etc., von den Referenten selbst geführt, 1597-1622. Bundesarchiv AR 1/Manuskripte 43: Erörterung von Rechtsfragen. Verschiedenes 1501-1699. Bundesarchiv AR 1/Misc. 379: Miscellanea jurisdictionem camerae betreffend, 1626-1731. M a d e r , Priester der Gerechtigkeit (wie Anm. 234), S. 40.

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teien (1613-1798)“ überliefert446. Die bereits oben angesprochene Unterscheidung von Gemeinen Bescheiden und kaiserlichen Dekreten setzt sich hier fort. Die kaiserlichen Dekrete an den Reichshofrat sind gesondert von den Gemeinen Bescheiden verzeichnet und somit archivalisch streng getrennt447. Es erweist sich damit abermals als sachgerecht, die Decreta communia auch in der Edition gesondert zu behandeln. Einzelheiten zur reichshofrätlichen Überlieferung wird die kurze Einleitung zum zweiten Teilband bieten.

VII. Editionsgrundsätze Die Edition der Gemeinen Bescheide von Reichskammergericht und Reichshofrat sieht sich vor erheblich schwierigere Probleme gestellt als bisherige Quellenveröffentlichungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich. Vergleichsweise einfach hatte es etwa Adolf Laufs mit der Reichskammergerichtsordnung von 1555. Es gab einen offenbar authentischen Erstdruck448, der als Vorlage von Beginn an feststand. Ein Abgleich von Zweifelsfällen beschränkte sich auf die Sammlung der Reichsabschiede von Schmauß und Senckenberg 449 . Methodisch dasselbe gilt für Handschrifteneditionen, die sich auf eine einzige Vorlage stützen können. Die von Battenberg und Diestelkamp herausgegebenen Urteils- und Protokollbücher des Königlichen Kammergerichts aus dem 15. Jahrhunderts bieten hierfür ein ebenso gutes Beispiel450 wie das von Wunderlich veröffentlichte private Protokollbuch eines Reichskammergerichtsassessors aus dem 16. Jahrhundert 451 . Für die Edition von Prozessakten gilt das allemal, von spärlichen Parallelüberlieferungen der Urteile oder ausnahmsweise gedruckten Schriftsätzen abgesehen452. 446 447

448 449 450

451 452

Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien/ Reichsarchive/ Reichshofrat, Konvolut 51, einsehbar auch bei www.archivinformationssystem.at, eingesehen am 30. Juli 2012. Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien/ Reichsarchive/ Reichshofrat, Konvolut 5: Kaiserliche Dekrete an den RHR, Reisen (1625-1798), ebenso Konvolute 6-7 (inclusive Proberelationen), wietere Dekrete in den Konvoluten 8-13. Wiedergabe des Titelblatts bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung (wie Anm. 114), S. 57. L a u f s , Reichskammergerichtsordnung (wie Anm. 114), S. 53. Überlieferung und Editionsgrundsätze bei C h r i s t i n e M ag i n , Einleitung, in: Friedrich Battenberg/Bernhard Diestelkamp (Hrsg.), Die Protokoll- und Urteilsbücher des Königlichen Kammergerichts aus den Jahren 1465 bis 1480. Mit Vaganten und Ergänzungen (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 44), Köln, Weimar, Wien 2004, S. 1-13. W u n d e r l i c h , Protokollbuch (wie Anm. 153), Bd. 1 S. 291-294. Solche Ausnahmen etwa bei O e s t m an n , Zivilprozeß (wie Anm. 282), S. 575-577, dort auch S. 267-300, 307-472 Edition der gedruckten Werke von Krohn und Bacmeister mit Nachweis der Abweichungen in den handschriftlichen Fassungen.

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Bei den Gemeinen Bescheiden fehlt dagegen oftmals eine authentische oder amtliche Erstfassung. Das macht die Quellenerschließung noch schwieriger als bei den von Wolfgang Sellert herausgegebenen Reichshofratsordnungen. Dort ließen sich immerhin Kriterien für amtliche Texte festlegen453. Die Gemeinen Bescheide sind in zahlreichen Fällen aber nur in frühneuzeitlichen Sammeldrucken überliefert, deren Zuverlässigkeit nicht restlos geklärt ist. Teilweise gibt es handschriftliche Urfassungen, manchmal, vor allem beim Reichshofrat, sogar in mehreren Exemplaren. Gelegentlich finden sich auch Handschriften und fast zeitgleiche Bogendrucke derselben Bescheide. Die Überschriften zu den Gemeinen Bescheiden scheinen teilweise vom Kameralkollegium bzw. vom Reichshofrat selbst zu stammen, möglicherweise aber auch auf der Entscheidung der zeitgenössischen Herausgeber zu beruhen. Es gibt also erstaunlich viele Unsicherheiten, vor allem beim Reichskammergericht. Das hat Konsequenzen für die Textgestaltung der Edition. Das bekannte Spannungsfeld zwischen vorsichtiger Normalisierung 454 und philologischer Genauigkeit 455 ist wie folgt gelöst. Bei jedem Gemeinen Bescheid folgt im Anschluss an die Wiedergabe der Hinweis, an welche Vorlage er sich anlehnt. Über weite Strecken handelt es sich bei reichskammergerichtlichen Quellen um das Corpus Juris Cameralis von Georg Melchior von Ludolff von 1724. Wegen der großen Bedeutung von Ludolffs Werk ist das gerechtfertigt, auch wenn die gedruckten Bescheidsammlungen selbst noch sechs Jahrzehnte weiter zurückreichen. Aber nach 1724, also nach dem Erscheinen des Corpus Juris Cameralis, ka453 454

455

S e l l e r t , Ordnungen des Reichshofrats I (wie Anm. 137), S. 6-9. J o h a n n e s S c h u l z e , Richtlinien für die äußere Textgestaltung bei Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 98 (1962), S. 1-11; Empfehlungen zur Edition frühneuzeitlicher Texte, in: Jahrbuch der historischen Forschung, Berichtsjahr 1980, S. 85-96; aktuelle Fassung von 2012: Arbeitskreis „Editionsprobleme der Frühen Neuzeit“, in: www.ahf-muenchen.de/Arbeitskreise/empfehlungen.shtml [besucht am 26. Januar 2013]; W e r n e r B e s c h , Editionsprinzipien in interdisziplinärer Abstimmung. Annäherungen bei der Herausgabe deutscher Texte der frühen Neuzeit, in: Marlene NikolayPanter/Wilhelm Janssen/Wolfgang Herborn (Hrsg.), Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Regionale Befunde und raumübergreifende Perspektiven. Georg Droege zum Gedenken, Köln, Weimar, Wien 1994, S. 467-489. Beispiele bei J ü r g e n M a c h a / W o l f g a n g H e r b o r n (Bearb.), Kölner Hexenverhöre aus dem 17. Jahrhundert (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 74), Köln, Weimar, Wien 1992, S. XVIII-XX; J ü r g e n M a c h a / E l v i r a T o p al o v i ć / I r i s H i l l e / U t a N o l t i n g / A n j a W i l l k e (Hrsg.), Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit. Band 1: Auswahledition, Berlin, New York 2005, S. XXI-XXIV; für weitgehende Vorlagentreue auch S i g r i d S c h m i t t , Die Edition ländlicher Rechtsquellen. Vergleichende Betrachtung landesgeschichtlicher Quellenpublikationen, in: Werner Buchholz (Hrsg.), Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme - Analyse - Perspektiven, Paderborn 1998, S. 439-451 (447, 450-451); übertrieben erscheint demgegenüber der übermäßige Gebrauch graphischer Zeichen, um in der Edition zugleich eine Bildbeschreibung der Vorlage zu liefern, so aber: W o l f g a n g W e b e r / G e r h a r d L i n g e l b a c h (Hrsg.), Die Statuten der Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen, Köln, Weimar, Wien 2005, S. XXXI.

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men die Sammeldrucke schlagartig zu ihrem Ende. Deutlicher konnten die Zeitgenossen gar nicht zeigen, wie sehr Ludolffs Werk die Praxis des 18. Jahrhunderts beherrschte. Für die spätere Zeit dient in dieser Edition oftmals die Sammlung von Balemann von 1779456 als Vorlage, zuletzt dann das Werk von Vahlkampf457 und die amtliche Urteilssammlung für die Jahre ab 1800458. Die Decreta communia des Reichshofrats folgen regelmäßig der vollständigen Sammlung von Senkenberg459 und sind damit erheblich leichter zu erschließen. Die weiteren Überlieferungen der Gemeinen Bescheide sind mit dem Vermerk „weitere Ausgaben“ im Anschluss an die Vorlage angegeben. Zu diesen sonstigen Ausgaben zählen auch die amtlichen Erstausfertigungen in handschriftlicher Form oder die wohl authentischen Einzelblatt- und Bogendrucke. Dennoch wählt die Edition diese Originale nicht immer als Vorlage für die Transkription. Die Erklärung liegt auf der Hand. Dann nämlich, wenn mehrere handschriftliche Ausfertigungen desselben Gemeinen Bescheids erhalten sind, weichen bereits diese Urschriften orthographisch deutlich voneinander ab. Genauigkeit in der frühneuzeitlichen Rechtschreibung und Zeichensetzung zu erwarten, wäre nichts weiter als ein Anachronismus. Deswegen ist die buchstabengetreue Wiedergabe der schwankenden Erstfassungen keineswegs zwingend notwendig 460 . Wenn der Abgleich der verschiedenen frühneuzeitlichen Ausgaben keine erheblichen Textabweichungen zeigt, ist die Liste der „weiteren Ausgaben“ zwar zumeist vollständig, doch finden sich nicht alle kleinsten Abweichungen in den Fußnoten. Angesichts der unübersichtlichen gedruckten Sammlungen mitsamt ihren diversen Auflagen und Fortsetzungen beschränkt sich der Abgleich häufig auf die zuverlässigsten, umfangreichsten und bekanntesten Sammlungen. Zu Fehlern führt das nicht. Die archivalische Überlieferung bürgt dafür, dass die jeweils bestmögliche Textüberlieferung in jedem Falle erfasst ist.

456 457 458

459 460

G e o r g G o t t l i e b B a l e m a n n , Visitations-Schlüsse, die Verbesserung des Reichs-Kammergerichtlichen Justizwesens betreffend, Lemgo 1779. J o s e p h A n t o n V a h l k a m p f , Reichskammergerichtliche Miscellen, Wetzlar und Gießen 1805/ 06. Reichskammergerichtskanzlei (Hrsg.), Vollständige Sammlung aller im Jahre [1800-1801] bey dem Höchstpreislichen Kaiserlichen und Reichs-Kammergerichte ergangenen Urtheile und Decrete, auch gemeinen Bescheide und entweder in den Proceß einschlagenden, oder sonst zur Bekanntmachung geeigenschafteten conclusorum consilii pleni, Wetzlar 1800/01; danach unter dem Titel: Sammlung aller im Jahre [1802-1804] bey dem höchstpreislichen kaiserlichen und ReichsKammergerichte ergangenen Haupt- oder sonst eine praktische Ansicht gewährenden Urtheile und Decrete, auch gemeinen Bescheide und entweder in den Proceß einschlagenden, oder sonst zur Bekanntmachung geeigenschafteten conclusorum consilii pleni; nebst fordersamster Bemerkung des Kammergerichtlichen Personale und der sich dabey von Zeit zu Zeit ergebenden Veränderung, Wetzlar 1802-1804. S e n k e n b e r g , Sammlung (wie Anm. 329). Ähnlich bei Doppelüberlieferungen S e l l e r t , Ordnungen des Reichshofrats I (wie Anm. 137), S. 10.

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Grundsätzlich folgt die Edition den Schreibungen der angegebenen Vorlagen mit folgenden Vereinfachungen: Diakritische Zeichen bei einzelnen Buchstaben fallen konsequent weg461. Sie sind in den zeitgenössischen Ausgaben teilweise bei lateinischen Endungen (planè, respectivè), aber auch in anderen Fällen gesetzt. Umlaute, wenn sie über den Vokalen angezeigt sind (hochgestelltes e), sind grundsätzlich in der modernen Schreibweise ä, ö und ü wiedergegeben462. Teilweise fehlt in der Vorlage die Umlautierung bei Großbuchstaben am Wortanfang. In diesen Fällen ist sie nicht ergänzt. Nasalstriche sind stillschweigend aufgelöst, auch bei Konsonantverdoppelungen („zwischē“ wird „zwischen“). Die typisch frühneuzeitlichen Konsonantverdoppelungen als solche sind allerdings erhalten („auff, ge-betten“)463. Groß- und Kleinschreibung sind an die heutigen Gepflogenheiten angenähert 464 . Das rechtfertigt sich vor allem durch den teilweise recht großen zeitlichen Abstand der Vorlagen zum Verkündungsdatum des Bescheids. Auch die Interpunktion ist an das Verständnis des modernen Lesers angepasst 465 . Zusammenhängende Substantive sind als Komposita ohne Bindestrich oder Zusammenschreibung wiedergegeben (also „Cammergericht“ und nicht „Cammer-Gericht“ oder „CammerGericht“). Je nach Lautung sind u und v ebenfalls normalisiert466. Ebenso ist häufig das j durch ein i ersetzt, wenn es nicht eindeutig stimmhaft zu verstehen ist (wie etwa bei „jurisdictio“). Abkürzungen in der Vorlage sind stillschweigend aufgelöst, wenn sie zweifelsfrei verständlich sind467. Aus „Kays.“ wird also „Kayserlich“. Das kann durchaus zu verschiedenen Schreibungen führen. „Lic.“ ist etwa zu „Lizentiat“ ergänzt, auch wenn parallele Drucke statt der vorlagengetreuen Abkürzung die zeitgenössische Langfassung „Licentiat“ verwenden. Das Sonderzeichen „&“ ist als Wort „et“ wiedergegeben, das zeitgenössische Abkürzungszeichen „u.“ je nach Verwendungszusammenhang als „usw.“ in deutschen oder als „etc.“ in lateinischen Passagen. Einige besonders häufige Abkürzungen sind nicht im Haupttext aufgelöst (wie etwa p./part; t./tit.). Sie befinden sich im Abkürzungsverzeichnis im zweiten Teilband. Die lateinischen Schreibungen folgen grundsätzlich den klassischen Gewohnheiten und blenden frühneuzeitliche Besonderheiten weithin aus. Hier gilt also die gemäßigte Kleinschreibung, durchbrochen freilich bei Satzanfängen, Orts- und 461 462 463 464 465 466 467

Anders u. a. S c h m i t t , Edition (wie Anm. 455), S. 450 Nr. 7. Anders u. a. S c h m i t t , Edition (wie Anm. 455), S. 450 Nr. 7. Ebenso S c h m i t t , Edition (wie Anm. 455), S. 450 Nr. 1. Diese und die folgenden Vereinfachungen beruhen auf gemeinsamen Beratungen mit F r i e d r i c h B a t t e n b e r g im Herbst 2011. Ich danke Herrn Battenberg sehr herzlich für seine Unterstützung. Ebenso S c h m i t t , Edition (wie Anm. 455), S. 451 Nr. 17. Ebenso S c h m i t t , Edition (wie Anm. 455), S. 450 Nr. 8-9. Anders (Klammerzusätze) u. a. W i l f r i e d R e i n i n g h au s , Die Essener Ordnungen für den Steinkohlebergbau (1575-1725), in: Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen 123 (2010), S. 57-87 (69).

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Eigennamen, Monatsnamen sowie bei Hervorhebungen wie „Imperator“ oder „Camera Imperialis“. Falls die lateinischen Passagen in der frühneuzeitlichen Mischsprache freilich den Charakter von Fachbegriffen oder Fremdwörtern annehmen, folgen die Rechtschreibung sowie Groß- und Kleinschreibung den deutschen Gepflogenheiten. Zur besseren Benutzbarkeit der Edition sind die im Original lateinisch überlieferten Gemeinen Bescheide zusätzlich in einer deutschen Übersetzung wiedergegeben. Das betrifft vor allem den Reichshofrat. Offensichtliche Druckfehler der Vorlage sind stillschweigend korrigiert (also „Gericht“ statt „GerTcht“). Die dargestellten Vereinfachungen entlasten zugleich die textkritischen Anmerkungen. Soweit die frühneuzeitlichen Ausgaben bloße Datumsangaben als Überschrift enthalten, sind sie nie nachgewiesen. Lediglich dann, wenn es Zusatzinformationen gibt, werden sie erfasst. Lateinische Zusammenfassungen sind als Zwischentitel beibehalten und gehen dem Wortlaut der Bescheide voran. Welcher Herausgeber diese Titel eingefügt hat, lässt sich meistens nicht feststellen. Teilweise schwanken die Überschriften zwischen den diversen Ausgaben. Einige zeitgenössische Kameralautoren scheinen lediglich die lateinischen Zusammenfassungen aus älteren Werken übernommen zu haben. Authentische Überschriften sind dagegen in jedem Fall dokumentiert. Bloße Schreibvarianten der verschiedenen Editionen oder Handschriften sind nicht vollständig nachgewiesen. Lediglich dann, wenn Sinnunterschiede denkbar erscheinen, zeigen die Fußnoten die Textabweichungen immer an. Teilweise ergeben sich freilich Veränderungen in der Sprache, dialektale Färbungen und anderes. Die Buntheit und Bandbreite der Schreibungen sind in diesen Fällen gelegentlich nachgewiesen, freilich ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Auslassungen in anderen Ausgaben als der Vorlage sind in den Anmerkungen angezeigt. Hinzufügungen erkennt man dagegen häufig an den eckigen Klammern in der Edition. Abweichender Satzbau ist ebenfalls nachgewiesen. Ab wann unterschiedliche Druckvarianten Sinn- oder Ausspracheunterschiede enthalten, ist im Einzelfall schwer zu entscheiden. Selbst minimale Veränderungen können bereits auf verschiedenen Interpretationen beruhen 468 . Im Zweifel ist also Genauigkeit gefordert. Schwankungen zwischen Indikativ und Konjunktiv sind deswegen berücksichtigt („wurde“ und „würde“), ebenso abweichende Formulierungen im Singular und im Plural („Process“ und „Processe“). Getrenntschreibung kann zu Sinnverschiebungen führen („zu kommen“ anstatt „zukommen“). In diesen Fällen gibt es ebenfalls Nachweise in den Fußnoten. Hundertprozentige Genauigkeit ist aber hier nicht erzielbar. Fast jeder Gemeine Bescheid berücksichtigt allerdings

468

Zu diesem Dilemma S e l l e r t , Ordnungen des Reichshofrats I (wie Anm. 137), S. 10.

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mehrere zeitgenössische Handschriften und Ausgaben. Der Wortlaut als solcher dürfte also feststehen. Die Fußnoten beziehen sich im Text grundsätzlich nur auf das unmittelbar vorangehende Wort. Sofern sich Abweichungen nicht von selbst verstehen, sind die im Vergleich zur Vorlage verschiedenen Passagen in den Anmerkungen doppelt ausgewiesen. Vor der Belegstelle steht dabei grundsätzlich die Textfassung der Vorlage, danach folgt die abweichende Lesart der weiteren Ausgaben. Den unerbittlichen editorischen Idealen der rechtshistorischen Romanistik, der Sprachwissenschaft oder gar der kritischen Bibelausgaben wird der hier verfolgte Mittelweg also nicht gerecht. Eine streng historisch-kritische Edition liegt nicht vor. Doch handelt es sich bei den Gemeinen Bescheiden um Massenware. Der textkritische Abgleich hat schnell seinen Grenznutzen erreicht und ist nicht auf den Vergleich sämtlicher Überlieferungen angewiesen. Zudem zeigen die hier vorgenommenen Untersuchungen, wie ähnlich sich beispielsweise viele Textfassungen der anonymen kammergerichtlichen Bescheidsammlungen sind. Hier gab es feste Traditionen der Drucker, sicherlich auch Vorbilder und Druckplatten, die in späteren Auflagen weitgehend wiederverwendet wurden. Buchwissenschaftliche Vertiefungen könnten solche Fragen aufklären, doch darum geht es hier nicht. Dennoch erreichen die in den Anmerkungen nachgewiesenen Varianten eine Genauigkeit, die frühneuzeitliche Rechtsquelleneditionen nur selten aufweisen. Die kaum vermeidbaren Inkonsequenzen bei der jeweiligen Verzeichnungstiefe waren demgegenüber hinnehmbar. Ein besonderes Problem stellen Unsicherheiten bei der Datumsangabe sowie bei Personennamen dar. Zunächst enthalten vor allem ältere Gemeine Bescheide des Reichskammergerichts Hinweise auf Prokuratoren, deren Nachname regelmäßig abgekürzt ist. Wie Wolfgang Prange gezeigt hat, ist es in vielen Fällen möglich, die Verschlüsselungen von Christian Barth 469 aufzulösen. Fast immer genügt es, die Anfangsbuchstaben um ein oder zwei Stellen im Alphabet rückwärts zu verschieben470. Die angesprochenen Anwälte könnten also namhaft gemacht werden, auch wenn die Parallelüberlieferung in einigen Fällen die vollständigen Namen nicht angeben sollte. Anhand der Prokuratorenverzeichnisse in den Repertorienbänden471 oder familiengeschichtlicher Quellen472 lassen sich sogar die Dienst- und Lebensda469 470 471

472

In der Sammlung von S e y l e r / B a r t h , Urtheil Und Beschaydt (wie Anm. 1). P r a n g e , Vom Reichskammergericht (wie Anm. 131), S. 28. Beispiel etwa bei M a r t i n A r m g ar t / R a i m u n d J . W e b e r (Bearb.)/J o s t H au s m an n (Hrsg.), Inventar der pfälzischen Reichskammergerichtsakten. Landesarchiv Speyer Best. E 6 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 111/4), Band 4: Indices, Koblenz 2009, S. 607-660. G ü n t h e r G r o h , Das Personal des Reichskammergerichts in Speyer. 1. Teil: Familienverhältnisse, in: Pfälzische Familien- und Wappenkunde II (1955/57), S. 101-111, 129-141, 150194.

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ten recht genau bestimmen473. Dennoch wäre der Aufwand für die vorliegende Edition nicht zu rechtfertigen. Die Gemeinen Bescheide enthalten ja gerade allgemeine Anordnungen und sind ihrem eigenen Anspruch nach vom einzelnen Rechtsstreit gelöst. In der Tat mag es möglich sein zu erhellen, weshalb zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Gemeiner Bescheid erging. Derartige Tiefbohrungen sprengen aber den Rahmen einer Quellenerschließung und Edition und müssen späteren Verfeinerungen vorbehalten bleiben. In wenigen besonders spektakulären Fällen enthalten die Anmerkungen aber Hinweise auf vorhandene Prozessakten und anderes. Bei ausgeschriebenen Personennamen weisen die Anmerkungen sämtliche Schreibvarianten nach, ebenso bei Ortsnamen. Schwierig zu handhaben sind Datumsabweichungen. Die teilweise deutlich sichtbaren Verschiebungen um zehn Tage sind leicht mit der frühneuzeitlichen Kalenderdifferenz zwischen evangelischen und katholischen Territorien erklärbar. In diesem Fall entscheidet sich die Edition für das Datum der Vorlage oder für das am häufigsten genannte zeitgenössische Datum. Problematisch sind dagegen andere Unklarheiten. Teilweise handelt es sich um offensichtliche Fehler, etwa wenn ein Bescheid des Reichskammergerichts von 1782 die Befolgung eines älteren Dekrets von „1802“ einschärft474. Auch wenn die Überschrift und der Text verschiedene Jahreszahlen enthalten, liegt der Irrtum offen zu Tage475. Wenn aber die Datumsdifferenz nicht klar als fehlerhaft erkennbar ist, mag es sich durchaus um die mehrfache Verkündung desselben Gemeinen Bescheids gehandelt haben. Aus den Forschungen zur frühneuzeitlichen Policey ist das nur allzu vertraut. Häufig ergingen dieselben Verordnungen und Befehle immer wieder, weil die Untertanen sie offenbar nicht befolgten 476 . Bei den Gemeinen Bescheiden war es nicht anders 477 . Ob also Datumsabweichungen mehrmalige Bekanntmachungen anzeigen oder schlicht nachlässige zeitgenössische Editoren mit ihren Unsauberkeiten überführen, lässt sich nicht eindeutig klären. Im Zweifel sind solche Bescheide hier mehrfach wiedergegeben. Selbst die amtlichen Sammlungen können lückenhaft sein. Deswegen ist abschließende Gewissheit nicht zu erlangen. Neben den textkritischen Fußnoten enthalten die edierten Gemeinen Bescheide auch Sachanmerkungen. In der Frühzeit des Reichskammergerichts sind sie 473 474 475 476

477

Weitere Listen bei B a u m a n n , Advokaten und Prokuratoren (wie Anm. 15), S. 186-193; K l a s s , Standes- oder Leistungselite (wie Anm. 388), S. 209-362. Gemeiner Bescheid vom 1. Juli 1782 (unten RKG Nr. 309). Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1782 (unten RKG Nr. 310). Nachweise bei J ü r g e n S c h l u m b o h m , Gesetze, die nicht durchgesetzt werden - ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates?, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 647-663; A c h i m L a n d w e h r , „Normdurchsetzung“ in der Frühen Neuzeit? Kritik eines Begriffs, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000), S. 146-162. Ganz deutlicher Hinweis beim Gemeinen Bescheid vom 2. März 1691 (unten RKG Nr. 226): wiederholte Verkündung am 17. Februar 1692 (unten RKG Nr. 228) und am 8. August 1692 (unten RKG Nr. 231).

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ausführlicher, dünnen dann aber ein wenig aus. Manchmal beschränken sie sich auf erste und kurze Hinweise und verzichten durchweg auf den Nachweis der einschlägigen neueren Literatur. Auch wenn die Gemeinen Bescheide teilweise Eingang in die Arbeiten zur höchsten Gerichtsbarkeit des Altes Reiches gefunden haben 478 , ist deren Verzahnung mit der Edition verzichtbar. Genau diejenigen Werke, die mit diesen Quellen bisher gearbeitet haben, beschränken sich nämlich an den einschlägigen Stellen auf bloße inhaltliche Hinweise. Die Edition dagegen bietet genau dieselben Inhalte und zugleich eine verlässlichere Textgrundlage. Die Sachanmerkungen setzen die vorherigen Lektüre der Quellen zwingend voraus. Es handelt sich dabei nicht um eine verkappte Monographie. Viel wichtiger als die Sachkommentare ist für die praktische Arbeit freilich ein gut handhabbares Sachregister. Damit machte bereits der Wetzlarer Verleger Georg Ernst Winckler479 1724 Werbung für seine Gesamtausgabe der kammergerichtlichen Gemeinen Bescheide. In der Tat wird das Register „um so viel angenehmer seyn, je größere Mühe angewendet worden“ 480 . Kleinmaschig sind in der vorliegenden Edition alle Betreffe nachgewiesen. Auf diese Weise ist es möglich, sachlich zusammenhängende Gemeine Bescheide zu ermitteln und damit Einzelfragen des frühneuzeitlichen Prozessrechts zu vertiefen. Das Gesamtregister befindet sich am Ende des zweiten Teilbandes. In einem weiteren Punkt schien Verzicht ebenfalls unumgänglich. Die Edition der Gemeinen Bescheide kann nicht gleichzeitig eine Konkordanz sämtlicher Reichskammergerichtsordnungen ersetzen. Die zeitgenössischen Ausgaben, insbesondere das „Corpus Juris Cameralis“ von Georg Melchior von Ludolff, haben durch umfangreiche Marginalien und Randglossen die verschiedenen Reichskammergerichtsordnungen, Reichsabschiede und Gemeinen Bescheide miteinander verflochten. Dies nachzuprüfen, wäre unter hohem Aufwand möglich, aber hier kaum zu rechtfertigen. Für die Zeit bis 1555 bietet Bettina Dick immerhin einen Überblick, in welcher Reihenfolge die einzelnen Regelungen ergingen 481 . Die wesentlichen späteren Quellen wie die Reichskammergerichtsordnung von 1555 und 478

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Beispielhafte Nachweise bei H a u s m an n , Kameralfreiheiten (wie Anm. 359), S. 223 (unter Reich/Kammergericht/Gemeiner Bescheid); D i c k , Entwicklung (wie Anm. 12), S. XVII-XXIV (für die Zeit bis 1555); vorbildlich S e l l e r t , Ordnungen des Reichshofrats II (wie Anm. 137), S. 341-342 (mit chronologischer Auffächerung). Zur Wetzlarer Druckerfamilie Winckler H a n s - W e r n e r H a h n , Altständisches Bürgertum zwischen Beharrung und Wandel. Wetzlar 1689-1870 (Stadt und Bürgertum 2), München 1991, S. 75-76. G e o r g E r n s t W i n c k l e r , Vorrede vom 15. April 1724, in: Des Hochlöblichen Kayserlichen Und Heiligen Reichs Cammer-Gerichts Gemeine Bescheide (...), Wetzlar 1724. D i c k , Entwicklung (wie Anm. 12), S. XVII-XXIV; hilfreich sind auch die Querverweisungen, ausgehend von der Reichskammergerichtsordnung von 1555 ebd. S. 388-432. Dort sind auch einige Gemeine Bescheide berücksichtigt, freilich nur, wenn es ihren Regelungsgegenstand in der Ordnung von 1555 noch gab.

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der Jüngste Reichsabschied von 1654 sind bereits modern ediert482. Ein Abgleich ist dort also auch jetzt bereits möglich. Zudem sind die Gemeinen Bescheide in späterer Zeit erheblich ausführlicher als in den Anfangsjahren des Gerichts. Deswegen bietet die vorliegende Ausgabe für die älteren Gemeinen Bescheide teilweise etwas umfassendere Erläuterungen.

VIII. Anhang: Quellen Das Quellenverzeichnis enthält zum einen die archivalische Überlieferung, vor allem aus dem Bundesarchiv Berlin (Reichskammergericht) sowie aus dem Haus-, Hofund Staatsarchiv Wien (Reichshofrat). Andere Archivalien sind ebenfalls nachgewiesen, soweit sie bekannt sind. Die gedruckten Quellen beschränken sich an dieser Stelle auf Sammelwerke. Separatdrucke gibt es daneben in größerer Zahl. Soweit sie in leicht zugänglichen Katalogen nachgewiesen sind, finden sich bibliographische Hinweise in den Erläuterungen zu den einzelnen Bescheiden (unter der Rubrik: weitere Ausgaben).

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L a u f s , Reichskammergerichtsordnung (wie Anm. 114); B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II (wie Anm. 111), S. 180-273. Nicht empfehlenswert für den Jüngsten Reichsabschied ist die gesonderte Ausgabe von A d o l f L a u f s (Bearb.), Der jüngste Reichsabschied von 1654 (Quellen zur neueren Geschichte 32), Bern/Frankfurt am Main 1975. Sie ist sprachlich stark modernisiert und überschreitet teilweise die Grenze zwischen Edition und Übersetzung. Ganz bewusst deutlich modernisiert ist die Reichsnotariatsordnung von 1512 von H e r b e r t G r z i w o t z , Kaiserliche Notariatsordnung von 1512. Spiegel der Entwicklung des Europäischen Notariats, München 1995, S. 19-34.

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1. Gemeine Bescheide des Reichskammergerichts a) Archivalische Überlieferung [AHL Slg.] (Nichtamtliche Sammlung 1577-1764): Gemeine Bescheide 15771764 (Archiv der Hansestadt Lübeck Best. 01.1-01 Altes Senatsarchiv Interna/ 012 Camera Imperialis/ 012.001 Organisation, lfd. Nr. 02681): 17 Gemeine Bescheide von 1577 bis 1764, allesamt handgeschrieben. Die beiden Bescheide vom 7. Juli 1585 sind zu einem Bescheid zusammengefasst, der Bescheid vom 30. März 1593 ist doppelt vorhanden. 13 der 17 Stücke entfallen auf den Zeitraum 1577 bis 1593. Der Gemeine Bescheid vom 3. Juli 1577 ist nur in dieser Sammlung im gekürzten Wortlaut enthalten. Vermutlich wurde er genau ein Jahr später in einer Langfassung wiederholt. [BA Slg. 1585] (Handschrift um 1585): Memorabilia zur Organisation und Prozeßführung des Reichskammergerichts, zusammengetragen ca. 1580-1585 aus den Kammergerichtsordnungen, Reichstags- und Visitationsabschieden, Bescheiden und Beschlüssen des Reichskammergerichts (Bundesarchiv AR 1/Misc. 775), fol. 29v-31v: 18 Gemeine Bescheide von 1560 bis 1580. [BA Slg. 1600] (Handschrift vor 1600): Liber ad communem Collegii Imperialis Camerae usum destinatus quae ad expeditione causarum tam ordinariarum vel iudicialium quam extrajudicialium magis necessaria sunt complectus (Bundesarchiv AR 1/Manuskripte 1), fol. 22v-23r, 25r-25v, 40r-43v, 81r-84r, 94v-95r, 105r-105v: 32 Gemeine Bescheide von 1560 bis 1585, darunter fünf Bescheide von 1579 bis 1585 zweifach enthalten. [BA Slg. 1693-1787] (Amtliche Sammlung 1693-1787): Sammlung allgemeiner Bescheide verschiedensten Inhalts 1693-1787 (Bundesarchiv AR 1/Misc. 381): 113 Gemeine Bescheide, teils mehrfach, handschriftlich und gedruckt. Entgegen dem Titel beginnt die Sammlung bereits 1677. Sie enthält vier Bescheide zwischen 1689 und 1703, die in den gedruckten Sammlungen fehlen. Zieht man die Dubletten ab, handelt es sich um 72 verschiedene Bescheide. Sie sind teilweise fortlaufend nummeriert oder paginiert, teilweise enthalten sie auf dem Titelblatt eine amtliche Überschrift. Einige Entwürfe mit Korrekturen sind ebenfalls vorhanden. Am Ende der nummerierten Bescheide folgt ein kurzes handschriftliches, alphabetisch sortiertes Sachregister. Es schließt direkt an den Gemeinen Bescheid vom 21. November 1766 an, der die letzte Visitation des Reichskammergerichts ankündigte. Vermutlich legte die Kanzlei483 diese amtliche Sammlung der Visitationskommission zur Prü-

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Unterschrift unter dem Register (BA Slg. 1693-1787) „Kayserlichen Cammer-Gerichts-Cantzley Handschrift G. Mathiowitz manu propria Ingross manu propria“.

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fung vor. Bei einem Bescheid findet sich die Randbemerkung, er sei suspendiert484. Möglicherweise hatte die Visitationskommission also die Sammlung überprüft485. b) Gedruckte Sammlungen [Seiler 1572] Raphael Seiler , Camergerichts Bei unnd end urthail. (...) Die fürnembsten und herrlichsten an dem hochlöblichsten des heiligen Römischen Reichs in Deutscher Nation, Keyserlichen Chammergericht, vom Jar 1495. biß auff das Jar 1570. (alles einschließlich) eröffnete Bey und Endurtheil: In zwey Theil verfasst, Frankfurt am Main 1572486. Die Sammlung enthält lediglich einige Gemeine Bescheide ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Das Register (am Ende von Buchstabe G) ist sehr unzuverlässig. [Seyler/Barth] Raphael Seyler/Christian B arth , Urtheil Und Beschaydt Am Hochlöblichen Kayserlichen Cammergericht, 5 Bände, Speyer 1604/05487: Die Gemeinen Bescheide sind chronologisch zwischen die Entscheidungen des Reichskammergerichts eingeordnet. [Ferrarius 1605] Peter Ferrarius , Abschied, Aller und jeder deß Hochlöblichen Keyserlichen Cammergerichts zu Speyer, Ordinarien und Extraordinarien Visitationen, seithero die Erste Visitatio, anno 1531. gehalten worden, beneben denen darauff folgenden Reichs unnd Deputations Recessen, so viel hochgedacht Keyserlich Cammer gericht berühren thut, sampt eynverleibten Memorialn, Herren Cammerrichtern, Praesidenten, Beysitzern (...) jedesmals zugestellet. Denen in richtiger Ordnung der Jahren und Zeit nach eynverleibt seyn die gemeine Bescheid, in offentlichen Audientien, und sonsten vor unnd nach den Visitationen jederzeit ergangen und publiciret. Allen unnd jeden, die entweder vor sich selbsten, oder von anderer wegen, an hochernannten Keyserlichen Cammergericht zu thun unnd zu handeln haben, zum besten an tag gegeben, Frankfurt am Main 1605488: Die Sammlung bindet die Gemeinen Bescheide in die Visitationsmaterialien des 16. Jahrhunderts ein. Sie endet 1555. Die Hinweise auf zugrundeliegende konkrete Streitigkeiten sind gestrichen. Starke Abweichungen zu den späteren Drucken zeigen die unklare Überlieferung der Bescheide aus dem 16. Jahrhundert.

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Gemeiner Bescheid vom 28. Februar/4. März 1711 (unten RKG Nr. 244). Der genaue Zusammenhang ist unklar. Eine Abänderung des Gemeinen Bescheids erfolgte bereits durch das Visitationsdekret vom 27. November 1713 (Anlage A in GB 1724, S. 245). Benutzt wurde das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München 2° J. publ. 378 – 1/3 (auch digital verfügbar). Benutzt wurde das Exemplar der Universitätsbibliothek Düsseldorf 21 R. R. II 5 (2°) [1-5]. Benutzt wurde das Exemplar der Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel 35.25 Ju 2° (auch digital verfügbar).

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[Cisner 1605] Nikolaus Cisner , Der Römischen Kayserlichen Mayestat Und gemeiner Ständen deß heiligen Reichs angenommene, und bewilligte Cammergerichts-Ordnung, zu beförderung gemeines Nutzens, auß allen alten Cammergerichts Ordnungen und Abschieden (...) biß auff das jetzt ablauffend M. D. LXXX Jahr/ Ordinarien und extraordinarien Deputation und Visitation Abschieden, Deßgleichen der Bescheiden, so von Anno XXXII. biß auff gegenwertigs Jar, in den öffentlichen Audientzen ergangen, Mainz 1605489: Auszüge aus den Gemeinen Bescheiden finden sich im Anschluss an den edierten Text der Reichskammergerichtsordnung. Das Werk ist schwer benutzbar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dafür bietet es einen für das Jahr 1605 aktuellen Stand der normativen Rechtsquellen. [GB 1661] Gemeine Bescheyde Welche bey dem Hochlöblichen Käyserlichen Cammer-Gericht, von desselben Anfang biß Anno 1660. einschließlich, so wohl inner- als ausserhalb Gerichts eröffnet: Und Benebenst einigen SenatusConsultis ac Resolutionibus, zu sampt jedem Bescheyde vorgesetzten Summarien, wie auch einem nothwendigen Register, allen des Cammer-Rechts beflissenen zum besten in Truck verfertiget worden, Speyer 1661: erste Ausgabe der bis ins 18. Jahrhundert immer wieder erweiterten Sammlung, verlegt von Jacob Siverts. Die Ausgabe enthält umfangreiche lateinische Summarien als Überschriften, die in den folgenden Ausgaben von Olff wieder fehlen. Die späteren gedruckten Wetzlarer Sammlungen haben diese Summarien teilweise abgewandelt. [GB 1661 Suppl.] Supplementum Gemeiner Bescheide, welche bey dem Hochlöblichen Kayserlichen Cammergericht zu Speyer publicirt, und Anno 1661 daselbst in Truck verfertiget worden, in: GB 1661, S. 57-61. Die Sammlung enthält sieben Gemeine Bescheide von 1659-1661. [GB 1665] Gemeine Bescheyde Welche bey dem Hochlöblichen Käyserlichen Cammer-Gericht, von desselben Anfang biß uff den Monat Julii Anno 1665. einschließlich, so wohl inner- als ausserhalb Gerichts eröffnet, Sampt Einigen SenatusConsultis ac Resolutionibus. Allen deß Cammer-Rechts beflissenen zum besten in Truck verfertiget Mit Des Hochpreißlichen Cammer-Gerichts erneuerter Gnädigster Bewilligung, Editio secunda et correctior Speyer 1665. [GB 1665 Suppl.] Supplementum und Continuatio Der Gemeinen Bescheide, welche bey dem Hochlöblichen Kaiserlichen Cammergericht zu Speyer publicirt, biß ad Annum 1671 sambt den Namen der jetzigen Herren Cameralen, Speyer [ohne Jahr]: Fortsetzung von GB 1665 bis zum 29. Oktober 1670. 489

Unklar D i e s t e l k a m p , Die Gemeinen Bescheide (wie Anm. 187), S. 144 Anm. 6. Offenbar verwechselt er hier die von Cisner herausgegebene Reichskammergerichtsordnung mit dem Werk: N i k o l a u s C i s n e r , Visitation Abschiede (...), Frankfurt am Main 1570. Dieses zweite Buch enthält im Untertitel keinen Hinweis auf Gemeine Bescheide. – Von der Edition der Reichskammergerichtsordnung gibt es auch Auflagen von 1580, 1588 und 1594.

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[Blum 1667] Jacob Blum, Chilias sententiarum cameralium, Das ist: Tausend der fürnemsten und merckwürdigsten/ auf das Concept der erneuerten Kammergerichts-Ordnung/ Reichs-Abschied de Anno 1654. letztere gemeine Bescheide/ auch jetzigen Stylum gerichteter und von besagten 1654. biß 1664. Jahre am hochlöblichen Kays. Cammergericht gerichtlich eröffneter durch ernanten authorem außerlesener Urteilen. Denen hiebey gethan eine Zugabe von hundert dergleichen Urtheilen Anno 1665. ergangen (...) Und die Gemeine Bescheide/ so an höchstgedachtem Kammergericht von desselben Anfang biß Anno 1666. einschließlich in und ausserhalb Gerichts ertheilt/ sampt jeder Urtheil und Bescheide vorgesetzten Summarien beygefügten Annotaten und angehängten Judicibus (...), Frankfurt am Main 1667 490 : Gemeine Bescheide im Anhang, S. 517-638. Die Sammlung bietet zugleich eine lateinische Kommentierung der Gemeinen Bescheide. Im Gegensatz zur Titelangabe endet die Reihe bereits 1665. [GB 1671] Gemeine Bescheide. Welche Bey dem Hochlöblichen Kaiserlichen Cammergericht, von desselben Anfang biß auff den Monath Octobris Anno 1670. einschließlich, so wohl inner: als ausserhalb Gerichts eröffnet, Sambt Einigen SenatusConsultis et Resolutionibus, und verschiedenen dem Pfenningmeister und Cammerpoten ertheilten: auch der Cameral Vormundschafften, und der ahn dictirter Straffen halber ergangenen Decreten; und wegen deß Tax Chur Manitzische [sic!] Verordnung. Allen deß Cammer-Rechts beflissenen zum Besten in Truck verfertiget: Mit Deß Hochpreißlichen Cammergerichts erneuerter Gnädigster Bewilligung. Editio tertia et correctior, Speyer 1671: Erweiterung und Fortsetzung von GB 1665. [GB 1671 Suppl.] Supplementum und Continuatio Der Gemeinen Bescheide, welche bey dem Hochlöblichen Kaiserlichen Cammergericht zu Speyer publicirt , biß ad Annum 1671. sambt den Namen der jetzigen Herren Cameralen, in: GB 1671, nach S. 50 neu S. 1-10. Im Gegensatz zum Titel reicht die Sammlung von 1613-1672. [GB 1678] Gemeine Bescheide Welche bey dem Hochlöblichen Kaiserlichen Cammer-Gericht, von desselben Anfang biß auff den Monat Julii 1677. einschließlich, so wohl inner- als ausserhalb Gerichts eröffnet, Sampt Einigen SenatusConsultis ac Resolutionibus, Allen deß Cammer-Rechts Beflissenen zum besten in Truck 490

Nachweis der verschiedenen Auflagen bei G e h r k e , Entscheidungsliteratur (wie Anm. 98), S. 80 lfd. Nr. 3. Die Ausgabe von 1720 enthält keine Gemeinen Bescheide. − Nicht einschlägig ist ein zweites Werk desselben Verfassers: J ac o b B l u m , Concept Dern auß Befelch der Kayserlichen Mayestät durch Cammer-Richter, Praesidenten und Beysitzere des kayserlichen Cammergerichts. Auff Ihrer Mayestät und der sämptlichen des Heil. Reichs Ständen Approbation Anno 1613. ernewerten und verbesserten Cammergerichts Ordnung. Welches anjetzo mit Freiß übersehen (...) verbessert, dazu (...) Reichs-Abschiede und gemeine Bescheide an einem und andern Orth geendert/ vermehret/ weiter erkläret und bestettiget nebenst (...) Register (…) abermahlen in Truck verfertiget, Speyer 1663; zur Auflage von 1686 vgl. den Gemeinen Bescheid des Reichskammergerichts vom 7. Juni 1686 (unten RKG Nr. 212).

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verfertiget Mit Deß Hochpreißlichen Cammer-Gerichts erneuerten Gnädigster Bewilligung, Editio tertia, auctior et correctior, Speyer 1678: Fortsetzung von GB 1665 und GB 1671. [GB 1686] Gemeine Bescheide Welche bey dem Hochlöblichen Käiserlichen Cammer-Gericht, von desselben Anfang biß auff den Monat Octobr. 1682. einschließlich, so wohl inner als ausserhalb Gericht eröffnet, Sampt Einigen SenatusConsultis ac Resolutionibus, Allen des Cammer-Rechts Beflissenen zum besten in Truck verfertiget Mit Deß Hochpreißlichen Cammer-Gerichts erneuerter Gnädigster Bewilligung, Editio tertia, auctior et correctior Speyer 1686: Fortsetzung von GB 1678, bis S. 68 (Gemeiner Bescheid vom 1. März 1672) identisch mit GB 1678. [GB 1686 Suppl.] Supplementum, anders als in den Sammlungen GB 1661 Suppl., GB 1665 Suppl. und GB 1671 Suppl. ohne eigenen Titel, lediglich mit anderer Kolumne, nicht paginiert, acht Gemeine Bescheide vom 30. September 1672 bis 30. Oktober 1682. [Deckherr 1688] Rerum In Supremo Camerae Imperialis Iudicii Senatu Iudicatarum Duodecennalis Periodus: Das ist: Von dem Hochlöblichen Käyserlichen und des H. Röm. Reichs Cammer-gericht zu Speyr von dem ein tausend sechshundert sechs und sechzigsten; In welchem sich weyl. Hn. Johann Blumen publicirte eilf hundert Urthel enden, biß auff das sieben und siebenzigste Jahr, einschließlich, publicirte Gemeine; wie auch tausend fürnehme und merckwürdige besondere Urtheil und Bescheid in gedachten Jahren Gerichtlich eröffnet: Auß welchen hochgedachten Iudicii Stylus und Observanz; und was gestalten des H. Reichs Allgemeine so wohl; als absonderliche; Rechte, Verfassungen und Ordnungen so in administrirung durchgehender heylsamer Justitz biß anhero observiret, und in acht genommen worden, zusehen und zuerlernen, Frankfurt am Main 1688 491 : Am Ende (S. 473-492) enthält die Sammlung 14 Gemeine Bescheide von 1667 bis 1682. [GB 1688] Gemeine Bescheide, Welche Bey dem Hochlöblichen Käyserlichen Cammergericht, Von Desselben Anfang, biß auff den Monat Octobris, Anno 1687. einschließlich, so wohl inner- als ausserhalb Gerichts eröffnet worden, Samt Einigen Senatusconsultis ac resolutionibus: Allen des Cammer-Rechts Beflissenen zum bes491

Benutzt wurde das Exemplar der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 8° J. Cam. 305/152. - Die spätere Ausgabe von 1725 enthält den Hinweis auf die Gemeinen Bescheide im Untertitel nicht mehr: J o h a n n D e c k h e r r , Rerum in supremo Camerae Imperialis judicii senatu judicatarum duodecennalis periodus; Das ist: An dem Hochlöblichen Kayserlichen und des Heiligen Römischen Reichs Cammer-Gericht von dem 1666sten Jahr, in welchem sich Weyland Herrn Jacobi Blumen publicirte 1100. Urtheil enden, biß auff das 1677ste Jahr einschließlich, publicirte und Gerichtlich eröffnete Tausend fürneme und merckwürdige Urtheil. Aus welchen hochgedachten Judicii Stylus und Observantz, und was gestalten des Heiligen Reichs allgemeine so wohl, als absonderliche Rechte, Verfassungen und Ordnungen so in Administrirung durchgehender heilsamer Justiz biß anhero observiret und in acht genommen worden, zu sehen und zu erlernen (...), Wetzlar 1725.

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ten in Druck verfertiget. Mit Röm. Kays. Mayst. allergnädigstem Privilegio, Heidelberg 1688492: Abweichend vom angegebenen Erscheinungsjahr endet das überprüfte Exemplar mit dem Gemeinen Bescheid vom 15./25. Mai 1693. Anders als bei den vorigen Sammlungen enthält die Ausgabe keinen Hinweis, um welche Auflage es sich handelt. [GB 1695] Gemeine Bescheide, Welche Bey dem Hochlöblichen Käyserl. Kammer-Gericht, Von Desselben Anfang, bis auff den Monat Aprill 1695. einschließlich, so wohl inner- als ausserhalb Gerichts eröffnet worden. Samt einigen SenatusConsultis ad resolutionibus: Allen Des Kammer-Rechts Beflissenen zum besten in Druck verfertiget, Wetzlar 1695: Fortsetzung von GB 1686 durch denselben, nun in Wetzlar tätigen Drucker Olff (z. B. vd 17 23:279109X = Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel L 877.4° Helmst.). [GB 1696] Gemeine Bescheide, Welche Bey dem Hoch-löblichen Kayserl. Kammer-Gericht Von Desselben Anfang, bis auff den Monat Aprill 1695. einschließlich, so wohl inner- als ausserhalb Gerichts eröffnet worden. Samt einigen SenatusConsultis ac resolutionibus: Allen Des Kammer-Rechts Beflissenen zum besten in Druck verfertiget, Wetzlar 1696: weitgehend Nachdruck von GB 1695 (z. B.: in vd 17 3:305137P 493). [GB 1707] Gemeine Bescheide, Welche Bey dem Hochlöbl. Kays. und des Heil. Reichs Kammer-Gericht Von desselben Anfang biß ad annum 1704. einschließlich so wohl inner- als ausserhalb des Gerichts eröffnet worden: Sampt einigen SenatusConsultus ac Resolutionibus, Allen des Kammer-Gerichts so hohen als niederen Angehörigen höchst nöhtig und anderen Außwärtigen ebenfalls ohnvermeydlich, diensam, und ersprießlich, Wetzlar 1707: Fortsetzung von GB 1695 und GB 1696, trotz des neuen Verlegers (Martin Grescher statt Christoph Olff) bis S. 184 (Mai 1693) weitgehend identisches Druckbild, aber zahlreiche Abweichungen 494 . Im Gegensatz zum Titel reicht die Sammlung nur bis 1703. [GB 1710] Des Hochlöblichen Käyserlichen Und Heiligen Römischen Reichs Cammer-Gerichts Gemeine Bescheide Und andere Raths-Schlüsse, Welche Von desselben Anfang an bis ad Annum 1704. sowohl in- als ausserhalb des Gerichts eröffnet worden. Allen des Cammer-Gerichts Angehörigen Höchst-nöthig und anderen Außwärtigen zur Nachricht sehr diensam und ersprießlich, Frankfurt und

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Benutzt wurde das Exemplar: Bayerische Staatsbibliothek München 2° J. publ. g. 90 (digital verfügbar). Benutzt wurde das Exemplar: Universitäts- und Landesbibliothek Halle AB 155504 (3). Z. B. auf S. 6, 13, 15, 23, 25, 52, 57, 60, 67, 78; benutzt wurde das Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin 1 an: Gx 5736.

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Wetzlar 1710495: Im Gegensatz zum Titel enthält die Sammlung die Gemeinen Bescheide nur bis zum 23. November 1703. [GB 1714] Des Hochlöblichen Kayserlichen Und Heiligen Römischen Reichs Cammer-Gerichts Gemeine Bescheide Und andere Raths-Schlüsse Vom Jahr 1497. biß 1711. inclusive, Welche Zum Theil zwaren vorhin schon - zum Theil jedoch noch nicht in offentlichen Druck kommen; Nun aber zusammen cum Notis, Und dem darüber Von der Höchstansehentlichen Kayserlichen Commission Und Hochlöblichen Visitation, An das Hochpreißliche Kayserliche und Reichs CammerGericht Ergangenem Decreto, nebst jedem Bescheide vorgesetzten kurtzen Summarien, und neuen vollständigen Register/ herausgegeben und gedruckt worden, Wetzlar 1714: auch angebunden an CJC 1717496. [CJC 1717] Johann Wilhelm Ludolff , Concept Der neuen Kayserlichen und Reichs-Cammer-Gerichts-Ordnung, Welchem bey dieser Edition nicht nur die Fontes, woraus dasselbe hergenommen, nemlich die so genanten Dubia Cameralia, Reichs- und Deputations-Abschiede de Annis 1570. 1576. 1594. und 1600. wie auch Visitations-Abschiede und Memorialien, und dann die Cammer-Gerichtliche Gemeine Bescheide und Raths-Schlüße; Sondern auch die neuern Constitutiones, wodurch die in obgedachtem Concept enthaltene Verordnungen vermehret, erkläret, bestättiget oder geändert worden, als der jüngste Reichs-Abschied de Anno 1654. samt demselben einverleibten Instrumento Pacis, ingleichen der Visitations-Abschied de Anno 1713. die Gemeine Bescheide des 17ten und lauffenden 18ten Seculi, wie nicht weniger die Cammer-Gerichts-Cantzley-Ordnungen, statt eines Anhangs beygelegt: Welches demnach zusammen füglich als ein Corpus Juris Cameralis kan gebraucht werden, Wetzlar 1717: enthält angebunden die GB 1714, nach dem Register allerdings auch noch den Gemeinen Bescheid vom 18. September 1715. [GB 1717] Des Hochlöblichen Kayserlichen Und Heiligen Römischen Reichs Cammer-Gerichts Gemeine Bescheide Und andere Raths-Schlüsse/ Vom Jahr 1497. biß 1711. inclusivè, Welche Zum Theil zwaren vorhin schon - zum Theil jedoch noch nicht in offentlichen Druck kommen; Nun aber zusammen cum Notis, Und dem darüber Von der Höchstansehentlichen Kayserlichen Commission, Und Hochlöblichen Visitation, An das Hochpreißliche Kayserliche und des Reichs CammerGericht Ergangenem Decreto, nebst jedem Bescheide vorgesetzten kurtzen Sum495 496

Benutzt wurde das Exemplar: Bayerische Staatsbibliothek München 4° J. publ. g. 162 (digital verfügbar). Nach F a h n e n b e r g , Litteratur (wie Anm. 409), S. 25, identisch mit dem Winklerschen und dem Ludolffschen Corpus Juris Cameralis. Das Winklersche Werk stammt freilich ebenfalls von Ludolff, nämlich von Johann Wilhelm Ludolff. GB 1714 ist also eingebunden in CJC 1717. Das CJC 1724 (Georg Melchior von Ludolff) ist demgegenüber eigenständig und enthält die GB 1714 nicht.

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marien, und neuen vollständigen Register/ herausgegeben und gedruckt worden. Allen des Cammer-Gerichts Angehörigen höchst-nöthig/ und anderen Außwärtigen zur Nachricht sehr diensam und ersprießlich, Wetzlar 1717: erweiterte Neuausgabe von GB 1714. Im Gegensatz zum Titel reicht die Hauptsammlung bis zum 27. Oktober 1713497. [GB 1717 Suppl.] Fernere Continuation Des Hochlöblichen Kayserl. und Reichs Cammer-Gerichts Gemeiner Bescheiden: Ohne Ort und Jahr angebunden an GB 1717. Auf 16 Seiten noch 10 weitere Bescheide vom 18. September 1715 bis zum 9. Februar 1733. [GB 1724] Des Hochlöblichen Kayserlichen Und Heiligen Römischen Reichs Cammer-Gerichts Gemeine Bescheide Und andere Raths-Schlüsse, Vom Jahr 1497. biß 1711. inclusivè, Welche zum Theil zwaren vorhin schon – zum Theil jedoch noch nicht in offentlichen Druck kommen; Nun aber zusammen cum Notis, und dem darüber von der Höchstansehentlichen Kayserlichen Commission und Hochlöblichen Visitation, an das Hochpreißliche Kayserliche und Reichs CammerGericht ergangenen Decreto, nebst jedem Bescheide vorgesetzten kurtzen Summarien, und vollständigen Register/ herausgegeben und gedruckt/ auch anjetzo mit der Continuation und ferneren Supplementis nachhero ergangener Gemeiner Bescheiden vermehret worden. Allen des Cammer-Gerichts Angehörigen höchstnöthig/ und anderen Außwärtigen zur Nachricht sehr diensam und ersprießlich, Wetzlar 1724: erweiterte Neuausgabe von GB 1714 und GB 1717. Im Gegensatz zum Untertitel reicht die Sammlung bis 1724, im benutzten Exemplar 498 mit handschriftlichem Anhang bis 1765. [CJC 1724] Georg Melchior von Ludolff , Corpus Juris Cameralis, das ist/ des Kayserlichen Cammer-Gerichts Gesetz-Buch, Frankfurt am Main 1724. [Cramer NSt.] Johann Ulrich von Cr amer , Wetzlarische Nebenstunden, worinnen auserlesene beym Höchstpreißlichen Cammergericht entschiedene Rechts-Händel zur Erweiter- und Erläuterung der Deutschen in Gerichten üblichen Rechts-Gelehrsamkeit angewendet werden, 128 Teile, Ulm 1755/72: Gemeine Bescheide in den Teilen 21, 34, 77, 78, nur einzelne Bescheide, keine Sammlung; Hinweise auch in den Registern: J. M. Schneidt, Hauptregister I (1768), S. 57, 116, 196, 393; Friedrich Balthasar Sonntag, Hauptregister II (1774), S. 45-46, 90.

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Benutzt wurde das bei Google-Books zugängliche Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek München 2 J. publ. G. 418. Pfälzische Landesbibliothek Speyer 11.5250 Rara. Bei Leseproblemen diente zusätzlich das Exemplar der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 8° J. Cam. 299/80 (1) als Vergleichsdruck.

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[Cramer Obs.] Johann Ulrich von Cr amer , Observationes juris universi ex praxi recentiori supremorum imperii tribunalium haustae, Tom. I, Wetzlar 1758: nur einzelne Bescheide, keine Sammlung. [Harpprecht 1758] Johann Heinrich von Harppr echt , Staats-Archiv Des Kayserl. und des H. Röm. Reichs Cammer-Gerichts Oder Sammlung Von gedruckten und mehrentheils ungedruckten Actis publicis, Archival-Urkunden (…), Ulm 1757/60. Die Sammlung enthält einige Gemeine Bescheide, allerdings verstreut und nicht vollständig, z. B. Bd. II, S. 80, 123. Lediglich Zufallsfunde sind berücksichtigt (in der Rubrik: weitere Ausgaben). [Balemann 1779] Georg Gottlieb Balemann , Visitations-Schlüsse, die Verbesserung des Reichs-Kammergerichtlichen Justizwesens betreffend, Lemgo 1779499. Sammlung der Bescheide ab dem 29. Januar 1702 mit der Vorbemerkung (S. 197 Anm. *): „Die Sammlung dieser Gem. Besch. kommt von der Kammergerichtlichen Cantzley her, welche sie ad Sess. 149 vom 18. April 1768 sub Num. 256 der Visitat. Anlagen übergeben hat. Warum sie von 1702 anfängt? kann ich nicht sagen, denn das Visitat. Mem. vom 21. May 1767 verlangte nur jene, welche nach der Zeit der damals letzten Visitation ertheilt worden.“ [Selchow 1782] Johann Henrich Christian von Selchow , Concepte der Reichskammergerichtsordnung auf Befehl der jüngsten Visitation entworfen, 3 Teile, Göttingen 1782, Teil 1, S. 1045-1100: „Auszug aus denen Gemeinen Bescheiden ergangen bey dem Kayserlichen und Reichs-Cammer-Gericht vom Jahr 1702 bis 1770 inclusive“. Insgesamt 48 Gemeine Bescheide, eingeleitet mit der Vorbemerkung: „Weil, vermöge des Conclusi der hohen Visitation, Deputato nicht verstattet gewesen ist, von den, nach dem Visitationsrecesse de 1713, oder besser vom Jahre 1702, in Camera ergangenen gemeinen Bescheiden Gebrauch zu machen: so folget hier, weil darinnen dennoch manches Gute enthalten ist, ein Auszug aus denselben.“500 [Reuß, Staatskanzley] Johann August Reuß , Teutsche Staatskanzley. 39 Bände, Ulm 1783-1800 (danach noch nicht nummerierte Bände bis 1801/03): verstreut einzelne Gemeine Bescheide (z. B. in Bd. VII (1784), S. 129). Nur Zufallsfunde sind nachgewiesen (in der Rubrik: weitere Ausgaben). [Reuß, Beiträge] Johann August Reuß , Beiträge zur neuesten Geschichte der Reichsgerichtlichen Verfassung und Praxis, mit litterarischen Nachrichten, 3 Bände, Ulm 1785/90: verstreut einzelne Gemeine Bescheide (z. B. in Bd. III, S. 202-205). Nur Zufallsfunde sind nachgewiesen (in der Rubrik: weitere Ausgaben). [RKG-Urteilssammlung] Reichskammergerichtskanzlei (Hrsg.), Vollständige Sammlung aller im Jahre [1800-1801] bey dem Höchstpreislichen Kaiserlichen und 499 500

Bei F a h n e n b e r g , Litteratur (wie Anm. 409), S. 25. J o h a n n H e n r i c h C h r i s t i a n v o n S e l c h o w , Concepte der Reichskammergerichtsordnung I, Göttingen 1782, S. 1045.

Einleitung

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Reichs-Kammergerichte ergangenen Urtheile und Decrete, auch gemeinen Bescheide und entweder in den Proceß einschlagenden, oder sonst zur Bekanntmachung geeigenschafteten conclusorum consilii pleni, Wetzlar 1800/01; danach unter dem Titel: Sammlung aller im Jahre [1802-1804] bey dem höchstpreislichen kaiserlichen und Reichs-Kammergerichte ergangenen Haupt- oder sonst eine praktische Ansicht gewährenden Urtheile und Decrete, auch gemeinen Bescheide und entweder in den Proceß einschlagenden, oder sonst zur Bekanntmachung geeigenschafteten conclusorum consilii pleni; nebst fordersamster Bemerkung des Kammergerichtlichen Personale und der sich dabey von Zeit zu Zeit ergebenden Veränderung, Wetzlar 1802/04. [Vahlkampf] Joseph Anton Vahlkampf , Reichskammergerichtliche Miscellen, Wetzlar und Gießen 1805/06.

2. Gemeine Bescheide des Reichshofrats Eine detaillierte Übersicht befindet sich in der Einleitung zum zweiten Teilband.

Edition

Die Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts 1497-1805

Text und Anmerkungen

RKG Nr. 1 1497 Mai 31

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RKG Nr. 1 1497 Mai 31 Conclusum pleni camerale oder Gemeiner Bescheid vom 31. Maii Anno 1497.1 [Pro interlocutoriis etiam aliquid taxator et literae seu documenta sententiarum in praesentia procuratoris partis victae a cancellaria taxentur.]2 [Taxandae etiam mediae sententiae inter expensas.]3 [Mediae sententiae etiam inter expensas taxantor.]4 [Nota:]5 Conclusum in consilio, quod in taxatione expensarum debeat haberi ratio mediarum sententiarum, nec literae sententiarum seu illarum documenta taxentur a cancellaria, nisi in praesentia procuratoris partis victae et in expensas condemnatae6. Vorlage: CJC 1724, S. 12 Nr. IV. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 9 (ohne Hinweis darauf, dass es sich um einen Gemeinen Bescheid handelt); Seyler/Barth I 1604, S. 55 A; GB 1661, S. 1; GB 1665, S. 1; Blum 1667, S. 517; GB 1671, S. 1; GB 1678, S. 1; GB 1686, S. 1; GB 1688, S. 1; GB 1695, S. 1; GB 1696, S. 1; GB 1707, S. 1; GB 1710, S. 1 Nr. I; GB 1714, S. 1 Nr. I; CJC 1717, S. 1 Nr. I; GB 1717, S. 1 Nr. II; GB 1724, S. 1 Nr. I; Harpprecht II 1758, S. 123; fehlt in Ferrarius 1605. Übersetzung: Ist beschlossen im Rat, dass es bei Festsetzung der Kosten gehalten werden soll nach Art der mittleren Urteile, dass nämlich Urteilsbriefe oder deren Ausfertigungen von der Kanzlei nur im Beisein des Prokurators der unterlegenen und in die Kosten verurteilten Partei festgesetzt werden sollen. Anmerkung: Nach einheitlicher Überlieferung handelt es sich um den ältesten Gemeinen Bescheid des Reichskammergerichts. Mit dieser Verkündung eröffnete das frisch nach Worms verlegte Gericht seine dortige Tätigkeit. Offenbar ergingen an diesem Tag keine weiteren Urteile (so jedenfalls die Überlieferung bei Seiler 1572). Zugleich ist dies der einzige in lateinischer Sprache überlieferte Gemeine Bescheid des Reichskammergerichts. Am Reichshofrat waren lateinische Decreta communia zwar auch nicht häufig, kamen aber doch gelegentlich vor (Teil 2, RHR Nr. 11, 12, 16, 52, 1 2 3 4 5 6

Fehlt in Seiler 1572; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Pro … taxentur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; auch Blum 1667, aber nur pro ... aliquid taxator. Taxandae … expensas in Seyler/Barth I 1604. Mediae ... taxantor in GB 1661. Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Nec literae … condemnatae fehlt in Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695GB 1696; Harpprecht II 1758.

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RKG Nr. 2 1508 November 6

67 und 74). Ob die sehr knappe Anordnung tatsächlich ein Gemeiner Bescheid war, scheint Georg Melchior von Ludolff unklar gewesen zu sein. Nach seiner Überschrift kann es sich auch um ein Conclusum pleni gehandelt haben. Möglicherweise waren die einzelnen Arten gerichtlicher Entscheidungen am Reichskammergericht in dieser frühen Zeit noch nicht so klar voneinander geschieden wie später, als auch die Kameralliteratur sich um die Typologisierung bemühte. Die zahlreichen Sammlungen Gemeiner Bescheide haben den Erlass von 1497 jedenfalls immer als erste Quelle aufgenommen. Der Sache nach geht es um die Kosten für die Ausfertigung von Urteilsbriefen im Spannungsfeld von Prokuratoren und Kanzlei. Erstaunlicherweise enthielt die sehr kurze erste Reichskammergerichtsordnung von 1495 in ihren 27 Artikeln bereits differenzierte Anordnungen über die Kosten (RKGO 1495 Tit. 17, bei Ludolff, CJC 1724, S. 4). Es gab unterschiedliche Gebührensätze für Zitationen, Zitationen mitsamt Inhibitionen, Kompulsorialbriefe, Kommissionen, Kommissionen zur endgültigen Erledigung von Streitigkeiten sowie für Kommissionen in Appellationssachen. Eher generalklauselartig erwähnte die Ordnung „auch andere Gebott- oder andere Brief“ (RKGO 1495 Tit. 17 § 1). Für sie gab es im Gegensatz zu den genannten vorigen Ausfertigungen keine festen Geldsätze. Vielmehr sollten sie „nach ziemlicher leidlicher Weiß und Erkäntniß des Cammergericht taxiret“ werden. Die Taxordnung selbst sah also bereits künftigen Verfeinerungsbedarf. Und genau diese Lücke füllte der Gemeine Bescheid vom 31. Mai 1497 aus. Ob sich die Regelung wirklich auf Interlokute, also Zwischenurteile, bezieht, wie eine Überschrift andeutet, ist unklar. Die Sammlung von Blum 1667 und einige spätere Editionen gingen jedenfalls davon aus. Die „ratio mediarum sententiarum“ ist freilich kein prozessrechtlicher Terminus. Die gelehrte Literatur sprach üblicherweise von Interlokuten. Ludolff selbst fügte im „Corpus Juris Cameralis“ eine Randglosse an die Edition der Ordnung von 1495 und verwies auf genau diesen Gemeinen Bescheid. Er hielt den Bescheid also für eine nähere Erläuterung der 1495 erlassenen Ermessensvorschrift. Der Wortlaut selbst ist im Übrigen recht unzuverlässig überliefert. Einige Ausgaben beschränken sich auf den ersten Halbsatz.

RKG Nr. 2 1508 November 6 Gemeiner Cammerbescheid von 6. Novembris 1508.1 [In puncto formalium et declinatoriarum, siquidem causae ordinariae, in ordinariis procedendum.]2 [In formalibus et declinatoriis causarum ordinariarum ordinarie procedatur.]3 1 2 3

Ohne Überschrift, nur Datum in Seyler/Barth I 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. In … procedendum in Seyler/Barth I 1604; GB 1661; Blum 1667. In … procedatur in GB 1710; GB 1714; GB 1717; GB 1724.

RKG Nr. 2 1508 November 6

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[Item]1 Die Procuratores sollen in Formalibus et Declinatoriis2, wo sonsten die Sachen ordinariae seind, ordinarie procediren. Vorlage: CJC 1724, S. 38 Nr. X. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth I 1604, S. 239 C; GB 1661, S. 1; GB 1665, S. 1; Blum 1667, S. 517; GB 1671, S. 1; GB 1678, S. 1; GB 1686, S. 1; GB 1688, S. 1; GB 1695, S. 1; GB 1696, S. 1; GB 1707, S. 1; GB 1710, S. 1 Nr. II; GB 1714, S. 1 Nr. II; CJC 1717, S. 1 Nr. II; GB 1717, S. 1 Nr. II; GB 1724, S. 1 Nr. II; fehlt in Seiler 1572, S. 35; Ferrarius 1605. Anmerkung: Mit diesem Gemeinen Bescheid beginnt die umfangreiche Serie der rein deutschsprachigen Erlasse des Gerichts. Lateinische Bescheide kamen nach 1497 nie wieder vor. Wie die vorherige Verkündung war auch dieser Bescheid äußerst knapp gehalten. Der Sache nach ging es um die Frage, in welchem Abschnitt einer kammergerichtlichen Audienz die Prokuratoren ihren Vortrag einzubringen bzw. ihre Schriftsätze zu übergeben hatten. Der Kameralprozess unterschied in dieser Zeit zwischen den regulären Ordinar- und den eilbedürftigen Extraordinarsachen (Bettina Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 10), Köln, Wien 1981, S. 31, 33). Zu den extraordinaren Angelegenheiten gehörten offenbar auch Zulässigkeitsfragen. Der Gemeine Bescheid spielt damit auf Fragen des Appellationsprozesses an. In der Reichskammergerichtsordnung von 1517 erfolgte dazu eine Klarstellung, also erst einige Jahre nach diesem Gemeinen Bescheid. Wenn die entscheidenden Rechtsfragen im Appellationsverfahren extraordinarer Art waren, gehörten auch die Zulässigkeitsstreitigkeiten ins Extraordinarverfahren. Waren dagegen die Kernpunkte ordinar, sollten in diesem Abschnitt auch die Vorfragen mit abgehandelt werden. Die Ordnung von 1517 unterschied hier zwischen den Formalien und der Desertion (RKGO 1517 Tit. 3, bei Ludolff, CJC 1724, S. 38). Hierbei ging es um Frist- und Formverstöße sowie deren Rechtsfolgen. Die Formalien im Sinne der Gerichtsordnung von 1517 waren die sog. Fatalien bei der Appellationseinlegung (fatalia interponendae appellationis). Die Desertion trat dagegen ein, wenn der Appellant die Fatalien bei der Anhängigmachung am Reichskammergericht selbst versäumt hatte (fatalia introducendae appellationis). In diesem Fall wurde die Appellation gegenstandslos und fiel weg. Der Gemeine Bescheid von 1508 sprach demgegenüber nicht von den Fatalien, sondern unbestimmter von Formalien, aber auch ganz allgemein von „Declinatoriis“. Möglicherweise war damit dasselbe gemeint wie 1517 (so auch die Randglosse von Ludolff, CJC 1714, S. 38, 43). Vielleicht dachte man 1508 aber auch allgemeiner an sonstige Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Appellation, insbesondere wegen fehlender Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Das gemeine Recht kannte die Exceptio fori declinatoria, auf die der Gemeine Bescheid womöglich 1 2

Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Nach Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 Declinatoris.

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RKG Nr. 2 1508 November 6

anspielte. Für die Normsetzung selbst zeigt sich im Vergleich zum älteren Bescheid von 1497, wie verschieden Gemeine Bescheide und die Kammergerichtsordnung miteinander verknüpft sein konnten. 1495 erwähnte die Ordnung ausdrücklich Kostenfragen, die das Kameralkollegium künftig noch entscheiden musste. Der Gemeine Bescheid von 1497 war damit klar erkennbar rückgebunden an die Gerichtsordnung. 1508 war das anders. Das Gericht sah sich zu einer Klarstellung veranlasst, die erst später in die Gesetzgebung einging. Gleichzeitig verwies die Kammergerichtsordnung von 1517 an dieser Stelle aber darauf, dass der Sache nach dieselbe Regelung bereits „hievor durch Kayserliche Mayestät, der Ständen Räth und die Commissarien auch gesetzt und geordnet“ worden sei. Das war ein Rückgriff auf den Entwurf einer Reichskammergerichtsordnung von 1508. Diese nicht in Kraft getretene Ordnung kannte umfassende Vorschriften über das Appellationsverfahren mitsamt den zulässigen Exzeptionen, damals auf deutsch „Auszüge“ genannt. Sie unterschied peremptorische von dilatorischen Einreden und Einwendungen und listete zugleich die einschlägigen Extraordinarsachen auf (RKGO-E 1508 Tit. 4-6, bei Ludolff, CJC 1724, S. 3638). Wenn Bettina Dick (a. a. O., S. 28) davon ausgeht, spätere Gerichtsordnungen hätten sich nie auf den Entwurf von 1508 bezogen, trifft das also nicht zu. Auch hier war Ludolff als Zeitgenosse genauer. Seine Marginalie (a. a. O, S. 43) enthielt nämlich den Verweis von 1517 auf 1508. Der Gemeine Bescheid setzte der Sache nach also eine Vorgabe des Entwurfs in die Praxis um und fand neun Jahre später selbst Eingang ins Gesetz.

RKG (ohne Nr.) 1517 Dezember 7 Seiler 1572 weist für dieses Datum im Register (Stichwort „Gemeiner bescheyd“ am Ende von Buchstabe G) einen Bescheid nach. Unter dem angegebenen Datum finden sich aber nur drei Urteile.

RKG Nr. 3 1523 Mai 8

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RKG Nr. 3 1523 Mai 8 [Tempus ordinationis dehinc1 intelligendum de nova ordinatione.]2 [Tempus ordinationis intelligendum de nova.]3 In Sachen N. N.4 ist der Bescheid, daß Dr. J. T. in Zeit laut der neuen Ordnung zu handlen schuldig sey,5 auch hinführo in der Gemein6: Wann Zeit laut der Ordnung begehrt, erhalten7 oder angesetzt wird8, daß solches laut der neuen Ordnung verstanden werden solle. Vorlage: CJC 1724, S. 62-63 Nr. XXI. Weitere Ausgaben: Seiler/Barth I 1604, S. 630 A; GB 1661, S. 1; GB 1665, S. 1; Blum 1667, S. 518; GB 1671, S. 1; GB 1678, S. 1; GB 1686, S. 1; GB 1688, S. 1; GB 1695, S. 1; GB 1696, S. 1; GB 1707, S. 1; GB 1710, S. 2 Nr. III; GB 1714, S. 1 Nr. III; CJC 1717, S. 1 Nr. III; GB 1717, S. 1 Nr. III; GB 1724, S. 2 Nr. III; fehlt in Seiler 1572, S. 77-78 (Audienztag nicht nachgewiesen); Ferrarius 1605. Anmerkung: Der dritte Gemeine Bescheid zeigt das Reichskammergericht bereits im Alltag der Normerläuterung und Normsetzung. Bis 1528 und dann wieder ab 1531 ergingen nun jährlich Gemeine Bescheide, zumeist sogar mehrere pro Jahr. Formal zeigt sich eine in der Frühzeit oft anzutreffende Zweiteilung. Die erste Hälfte des Erlasses war auf einen konkreten Streitfall bezogen. Der zweite Teil weitete die Anordnung dann allgemeinverbindlich aus. Der Sache nach ging es hier um Fristprobleme in der Audienz. Wenn ein Prokurator einen Schriftsatz übergeben hatte, erhielt der Widerpart bestimmte Zeit, hierauf zu reagieren. Auf diese Weise vollzog sich der schriftliche Kameralprozess mit seinem bekannten Hin und Her von Klageschrift, Exzeption, Replik, Duplik und so weiter. Hier gab es aber ein Problem. Im selben Jahr war eine Reichskammergerichtsordnung ergangen, vermutlich am 2. Februar 1523 (auf dieses Datum deutet hin: Johann Heinrich von Harpprecht, Geschichte des Kaiserlichen und Reichs-Cammer-Gerichts unter der Glorwürdigsten Regierung Kaisers Carl des Fünften als eine Fortsetzung des Cammergerichtlichen Staats-Archivs, 5. Teil, Frankfurt am Main 1767, § 45 und 49, S. 46 und 49; ohne genaues Datum abgedruckt bei Ludolff, CJC 1724, S. 57-62 Nr. XX; Johann Jacob Schmauß/Heinrich Christian von Senckenberg (Hrsg.), Neue und vollständigere Sammlung der 1 2 3 4 5 6 7 8

GB 1661 abhinc; Blum 1667 ab hinc. Tempus … ordinatione in Seyler/Barth I 1604; GB 1661. Tempus … nova in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1710 Sachen usw. In … sey fehlt bei Seyler/Barth I 1604. GB 1717 Gemeind. Seyler/Barth I 1604 behalte; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1695 behalten. Seyler/Barth I 1604: würd.

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RKG Nr. 4 1523 Juni 3

Reichsabschiede, Frankfurt am Main 1747, Teil II S. 247-252). Wegen zahlreicher Unzulänglichkeiten im Gesetzgebungsverfahren war allerdings unklar, ob die Ordnung förmlich galt oder nicht. Das gab am Reichskammergericht über fast zehn Jahre hinweg immer wieder Anlass zu Auseinandersetzungen (dazu die Einleitung bei Anm. 153-158). In einem Punkt jedenfalls schuf der Gemeine Bescheid vom 8. Mai 1523 Sicherheit. Soweit es um gerichtliche Fristen ging, sollte sich der pauschale Verweis auf die Ordnung immer auf die Reichskammergerichtsordnung von 1523 beziehen. Hier sieht man, wie das Reichskammergericht mit einem Gemeinen Bescheid die Gelegenheit ergriff, die undeutliche Rechtslage zumindest in einem Punkt zu klären. Die Normsetzung durch das Gericht funktionierte offenbar einfacher als die schwierige Gesetzgebung des Reichsregiments zu dieser Zeit. Die zahlreichen Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts aus der Folgezeit zeigen genau dasselbe. Das Gericht war jetzt in der Lage, die anfallenden Verfahrensfragen zügig zu entscheiden und allgemeinverbindlich zu regeln. Nach und nach verfeinerte das Kameralkollegium auf diese Weise die vor 1555 noch recht lückenhaften und allgemein gehaltenen Prozessordnungen.

RKG Nr. 4 1523 Juni 31 [Procuratores utrinque sufficientia mandata, cum ratificatione producant; et fiet quod iuris.]2 [Sine mandato de hinc nemo procuratorum in causa agito.]3 [Procuratores sine mandato non agunto.]4 [Sine mandato dahinc nemo procuratorum in causa agito.]5 In Sachen E. von T. wider N. von T.6 ist der Bescheid, [daß]7 beeder Theile Procuratores zur Sachen gnugsamen Gewalt mit Bekräfftigung beschehener Hand-

1

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Datum nach Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 G. B. vom 8. Junii eodem. Procuratores … iuris in Seyler/Barth I 1604. Sine ... agito in Blum 1667. Procuratores … agunto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Sine ... agito in GB 1661. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1710 Sachen usw. GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695.

RKG Nr. 4 1523 Juni 3

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lung einbringen sollen, und alsdann auff beschehenen Recht-Satz ergehen was Recht ist, [Sine mandato dehinc nemo procuratorum in causa agat.]1 und ferner in der Gemein: daß sich die Procuratores in allen Sachen hinführo ohne Gewalt bey Vermeidung der Poen, in der Ordnung begriffen, einzulassen enthalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 63 Nr. XXII. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth I 1604, S. 632 B, C; GB 1665, S. 1; GB 1661, S. 1; Blum 1667, S. 518; GB 1671, S. 1; GB 1678, S. 1; GB 1686, S. 1; GB 1688, S. 1; GB 1695, S. 1-2; GB 1696, S. 1-2; GB 1707, S. 1-2; GB 1710, S. 2 Nr. IV; GB 1714, S. 1-2 Nr. IV; CJC 1717, S. 1-2 Nr. IV; GB 1717, S. 1-2 Nr. IV; GB 1724, S. 2 Nr. IV; fehlt in Seiler 1572, S. 78 (zum 3. Juni 1523 nur Zwischenurteil überliefert); Ferrarius 1605. Anmerkung: Wie der vorige Bescheid vom Mai ist auch der Gemeine Bescheid vom 3. Juni 1523 zweigeteilt in ein Zwischenurteil zu einem Rechtsstreit und die allgemeinverbindliche Anordnung. Hier kommt auch die Doppeldeutigkeit des frühneuzeitlichen Wortes „Bescheid“ klar zum Vorschein. Das Interlokut selbst war nämlich durchaus ein Bescheid im Rechtsstreit, nur eben kein Gemeiner Bescheid. Der Sache nach ging es zum ersten Mal um einen Ordnungsverstoß der Anwälte, modern gesprochen um die Frage der Postulationsfähigkeit. Mit der „Gewalt“ oder dem in der Überschrift angesprochenen „Mandatum“ meinte das Gericht in solchen Fällen immer die Vollmachten der Prokuratoren. Offenbar waren in dem genannten Prozess gleich beide Prokuratoren in der Audienz aufgetreten, hatten aber ihre ordnungsgemäße Legitimation nicht nachgewiesen. Der Gemeine Bescheid untersagte jetzt allen Prokuratoren Auftritte vor Gericht, wenn sie sich nicht durch ihre Vollmachten ausweisen konnten. Anderenfalls drohten Geldstrafen. Wie schon im Mai 1523 verwies der Gemeine Bescheid erneut auf die Ordnung. Hier blieb allerdings unklar, welche Gerichtsordnung das Kameralkollegium meinte. Ein deutlicher Hinweis auf die Nürnberger Ordnung vom Februar 1523 fehlte jedenfalls. Möglicherweise deutet sich hier bereits die Ausweitung zu einem allgemeinen kammergerichtlichen Verfahrensrecht an. Wie auch im späteren Usus modernus verschmolzen in der Folgezeit die gesetzlichen Vorgaben mit dem praktischen Stilus curiae zu einem einheitlichen Prozessrecht, das man schlechthin als Ordnung bezeichnen konnte. Ob dies schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts so einsetzte, also in einer Zeit noch ohne Kameralliteratur, muss offen bleiben. Georg Melchior von Ludolff ging ohne weiteres von der Rückbindung an die Ordnung von 1523 aus (CJC 1724, S. 63). Das ist aber unsicher, wie die jahrelangen Debatten über die Geltung gerade dieser Reichskammergerichtsordnung belegen.

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Sine … agat in Seyler/Barth I 1604.

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RKG Nr. 5 1523 Juni 5

RKG Nr. 5 1523 Juni 5 [Substitutus procuratoris si agere volet, sese legitimet ad prox. Alias fiet quod iuris.]1 [Substituti sine mandato et instructione sufficienti non comparento.]2 [Substituto dehinc sine mandato et instructione sufficienti ne comparento; ne mora partibus fiat.]3 In Sachen Bürgermeister und Rath der Statt E. gegen K. von K.4 ist der Bescheid: Will Lizentiat Roth5 als Substitutus Doctor Schwappachs6 von wegen gemeldten K.7 auf Lizentiaten Hißhofers8 am 18. [Tag]9 Maji jüngst beschehenes Begehren, wie sich gebühret, handlen, daß er sich ad proximam darzu geschickt machen, und so er das nicht thäte, [daß]10 alsdann auff [des]11 Gegentheils ferner Anruffen ergehen solle, was recht ist: [Substituti dehinc sine mandato et instructione sufficienti ne compareant ne mora partibus fiat.]12 weiter auch in der Gemein: daß die Procuratores, so als Substituirte im Namen anderer Zuhändler13 vermeynen, hinführo mit gnugsamen Gewalten und Bericht zur Sachen geschickt erscheinen sollen14, damit Partheyen und Sachen wieder die Ordnung nicht auffgehalten werden. Vorlage: CJC 1724, S. 63 Nr. XXIII. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth I 1604, S. 633 C, D; GB 1661, S. 1; GB 1665, S. 1; Blum 1667, S. 518-519; GB 1671, S. 1; GB 1678, S. 1; GB 1686, S. 1; GB 1688, S. 1; GB 1695, S. 2; GB 1696, S. 2; GB 1707, S. 2; GB 1710, S. 2 Nr. V; GB 1714, S. 2 Nr. V; CJC 1717, S. 2 Nr. V, GB 1717, S. 2 Nr. V; GB 1724, S. 2 Nr. 5; fehlt in Seiler 1572; Ferrarius 1605. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Substitutus … quod iuris in Seyler/Barth I 1604. Substituti … comparento in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Substituto ... fiat in GB 1661; Blum 1667. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696 Sachen usw. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1695; GB 1696 Lt. R. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1678. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1661; GB 1695 Licentiaten H. GB 1661; Blum 1667; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696. GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1696. GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1696. Substituti … fiat in Seyler/Barth I 1604. Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 zu handlen. sollen fehlt bei Seyler/Barth I 1604.

RKG Nr. 5 1523 Juni 5

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Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ist eng mit dem nur zwei Tage älteren Bescheid vom 3. Juni 1523 verbunden. In beiden Fällen geht es um Anwaltsvollmachten. Gerade in ihrer inhaltlichen Verknüpfung ermöglichen es die Anordnungen, den Erlass Gemeiner Bescheide weiter zu erhellen. Es ging hier offenbar wirklich nur darum, eine Einzelfallregelung für allgemeinverbindlich zu erklären. Regelungen ohne konkreten Anlass erließ das Gericht im Gegensatz zur späteren Zeit in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch nicht. Damit handelt es sich also ausdrücklich nicht um geplante, keineswegs gar um systematisierende Gesetzgebung. Nein, immer waren es nur punktuelle Klarstellungen, die für das Kameralkollegium erforderlich schienen. Ein Glücksfall der Überlieferung hat die Namen der beteiligten Prokuratoren erhalten. In einem Rechtsstreit zwischen einer Stadt und einem Adligen hatte sich der Prokurator Dr. Schwappach vom Lizentiaten Roth vertreten lassen. Solche Sitzungsvertretungen, zeitgenössisch Substitutionen oder Substituierungen genannt, waren alltägliche Praxis in zahlreichen Audienzen. Die gedruckten modernen Repertorien der Reichskammergerichtsakten weisen sie detailgenau nach. Hierbei stellte sich das Vollmachtsproblem, das bereits der wenig ältere Vorgängerbescheid behandelt hatte. Selbst wenn der Prokurator von seinem Mandaten, der kammergerichtlichen Partei, ordnungsgemäß bevollmächtigt war, erstreckte sich diese sog. Gewalt nicht auf die jeweils substituierten Sitzungsvertreter. Gerade Städte hatten üblicherweise über einen längeren Zeitraum denselben Prokurator. Er mochte damit alt geworden sein und jüngere Verwandte oder Kollegen gehabt haben, denen er den Audienzbesuch übertrug. Wenn der Substitut seinerseits keine Vollmacht vorweisen konnte, war er nicht postulationsfähig, selbst wenn der Hauptprokurator die Vollmachtsurkunde zu den Akten gereicht hatte. Der Gemeine Bescheid belegt zugleich die Geltung der Dispositionsmaxime im Kameralprozess. Das Reichskammergericht kannte eine ausgeprägte Parteiherrschaft. Wenn nämlich der Vertretungsanwalt keine Vollmacht vorzuweisen hatte, konnte auf Antrag des Gegners ergehen, was Recht war. Nur wenn der Prozessgegner eine ausdrückliche Rüge erhob, sollte das Gericht also tätig werden. Die Androhung, es werde ergehen, was Recht ist, war weit verbreitet und bezog sich oftmals auf die Präklusion. Eine Frist galt dann als versäumt, bestimmte Handlungen waren abgeschnitten. Das konnte bis hin zur Fiktion der Säumnis gehen. Der Gemeine Bescheid, also der zweite Teil der Quelle, weist knapp auf diesen Zusammenhang hin. Es ging darum, den Parteien überlange Verzögerungen zu ersparen. Falls das Gericht im kurz bemessenen Zeitraum vom 3. bis 5. Juni 1523 die angedrohten Rechtsfolgen konsequent staffelte, fällt ein Unterschied sofort ins Auge. Der Bescheid vom 3. Juni drohte Konsequenzen an für den Prokurator, der vollmachtslos auftrat. Hier ging es um eine Geldbuße für ihn selbst. Der Bescheid vom 5. Juni spricht dagegen eher für prozessuale Nachteile, die nicht den Prokurator, sondern die Partei selbst trafen. Das beißt sich freilich mit dem am Ende ausdrücklich genannten Ziel der Regelung. Wenn es darum ging, die Parteien gegen anwaltliche Nachlässigkeiten zu schützen, erwies man ihnen einen Bärendienst, wenn sie dennoch die Rechtsfolgen des Anwaltsverschuldens selbst zu tragen hatten. Vielleicht waren die Formulierungen in den Gemeinen Bescheiden auch nur nachlässig gewählt.

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RKG Nr. 6 1524 Januar 27

RKG (ohne Nr.) 1523 Juni 8 siehe 1523 Juni 3

RKG Nr. 6 1524 Januar 27 [Recessus, ut contra ordinationem, ex officio reiicitur.]1 [Procuratores recessibus ordinationi contrariis [[sub poena iudicis]]2 abstinento.]3 [Jetzt gedachts]4 Lizentiaten Rothens5 jüngster Receß in Sachen E. von E.6 als der Ordnung zuwieder gehalten, ist hiemit von Amtswegen verworffen, [Citatione decretum: Ut eiusmodi recessibus procuratores sub poena iudicis, omnino abstineant.]7 und [ist]8 darauff ins gemein dieser Bescheid: daß sich gemeldter und sonst alle andere Kayserliche9 Cammergerichts Procuratores solcher und dergleichen Fürträge fürter bey Poen und Straf [Cammerrichters und der Beysitzer]10 in alle Wege enthalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 63 Nr. XXIV. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth I 1604, S. 681 F, G; GB 1661, S. 1-2; GB 1665, S. 1; Blum 1667, S. 519; GB 1671, S. 1; GB 1678, S. 1; GB 1686, S. 1; GB 1688, S. 1; GB 1695, S. 2; GB 1696, S. 2; GB 1707, S. 2; GB 1710, S. 3 Nr. VI; GB 1714, S. 2 Nr. VI; CJC 1717, S. 2 Nr. VI; GB 1717, S. 2 Nr. VI; GB 1724, S. 3 Nr. VI; fehlt in Seiler 1572; Ferrarius 1605. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Recessus … reiicitur in Seyler/Barth I 1604. Sub ... iudicis in GB 1661; Blum 1667. Procuratores … abstinento in GB 1661; Blum 1667; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Jetzt gedachts in Seyler/Barth I 1604. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696 R.; CJC 1724 Lten. R. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696 Sachen usw. Citatione … abstineant in Seyler/Barth I 1604. Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1661; GB 1671 Käyserlichs. Cammerrichters … Beysitzer in: Seyler/Barth I 1604; GB 1661; Blum 1667 und GB 1671 (jeweils mit Beysitzern); GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

RKG Nr. 7 1524 März 18

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Anmerkung: Der Gemeine Bescheid erging höchstwahrscheinlich im selben Rechtsstreit wie die zuvor erlassene Anordnung vom 5. Juni 1523. Abermals bot das Verhalten des Lizentiaten Roth den Anlass, eine allgemeine Norm zu verkünden. Der adlige Mandant ist zwar mit anderen Buchstaben abgekürzt. Das aber tut nichts zur Sache und ist leicht mit dem Verschlüsselungssystem von Raphael Seyler und Christian Barth zu erklären. Der Bescheid bietet ein frühes Beispiel für die Offizialmaxime im Kameralverfahren. Prokurator Roth hatte nämlich einen ordnungswidrigen „Recess“ gehalten, und das Gericht verwarf ihn von Amts wegen. Rezesse waren in der zeitgenössischen Rechtssprache die mündlichen Handlungen in der Audienz. Inwieweit auch Schriftsätze als Rezesse galten, ist unklar. Jedenfalls entfalteten die Schriftsätze wohl nur Wirkungen als „Handlung“, wenn sie mit solch einem Rezess in der Audienz „produziert“ wurden. Nun waren sie rechtlich in den Rechtsstreit eingebracht. Wogegen Roth verstoßen hatte, lässt sich nicht feststellen. Möglicherweise hatte er immer noch keine Untervollmacht vorzuweisen. In diesem Fall hätte ihm das Gericht über ein halbes Jahr Zeit gelassen, den bereits bekannten Mangel zu beheben, bevor es zu Sanktionen schritt. Georg Melchior von Ludolff schlug diese Brücke zum älteren Bescheid übrigens nicht, sondern verwies hier nur auf die Reichskammergerichtsordnungen von 1521 und die spätere von 1555 (CJC 1724, S. 63). Ein Rückverweis im „Corpus Juris Cameralis“ vom 4. September 1525 auf diesen Gemeinen Bescheid (CJC 1724, S. 65) könnte einen Zusammenhang mit dem Ablauf der Audienz andeuten. Alles das bleibt unbekannt. Der Umfang der Offizialmaxime im Kameralprozess ist nicht erforscht. Vielleicht konnte das Kameralkollegium kleinere Verstöße wie Anwaltsversäumnisse von Amts wegen ahnden, die großen Klippen der Prozesse dagegen nur auf Antrag der Parteien. Solche Fragen können die Gemeinen Bescheide selbst nicht aufhellen. Sie beschränkten sich gerade zu dieser Zeit auf punktuelle Anordnungen und verzichteten auf umfassende Erläuterungen. Später sollte sich das erheblich ändern.

RKG Nr. 7 1524 März 18 [Assessores, fiscalis ac procuratores in vacantiis his non discedunto.]1 [In hoc decreto memoratae feriae ne transferuntor.]2 [Assessoribus et procuratoribus in feriis hic memoratis in profectio interdicta fuit.]3 Ist durch [den]1 Herrn Cammerrichtern vor der Audientz denen Herren Assessoribus, Fiscaln und Procuratoribus angesagt2 worden, es seye der Stände Meynung, daß sie sich3 selbige Vacantz nicht verrücken sollen. 1 2 3

Assessores … discedunto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. In ... transferuntor in GB 1661. Assessoribus ... fuit in Blum 1667.

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RKG Nr. 7 1524 März 18

Vorlage: CJC 1724, S. 63 Nr. XXV. Weitere Ausgaben: Ferrarius 1605, S. 1; GB 1661, S. 2; GB 1665, S. 1; Blum 1667, S. 519; GB 1671, S. 1; GB 1678, S. 1; GB 1686, S. 1; GB 1688, S. 1; GB 1695, S. 2; GB 1696, S. 2; GB 1707, S. 2; GB 1710, S. 3 Nr. VII; GB 1714, S. 2 Nr. VII; CJC 1717, S. 2 Nr. VII; GB 1717, S. 2 Nr. VII; GB 1724, S. 3 Nr. VII; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid befasst sich erstmals mit den Gerichtsferien. Wohl deswegen erging er auch nicht nur an die Prokuratoren. Vielmehr verkündete der Kammerrichter die Regelung bereits vor der Audienz. Offenbar gab es damit offizielle Versammlungen des gesamten richterlichen und anwaltlichen Personals auch außerhalb der Audienzen, also mündliche Verkündungen ohne gleichzeitigen Prozessbetrieb. Eingeschlossen war der Fiskal, nicht hingegen das mittlere und untere Personal. Für die niederen Bediensteten galten die Ferienregelungen wohl ohnehin nicht. Tatsächlich kann eine solche Zusammenkunft der Anwälte und Assessoren wenige Minuten vor Beginn der Audienz im selben Raum geschehen sein. Doch Belege dafür gibt es nicht. Auch in seiner formalen Überlieferung ist der Gemeine Bescheid vom Audienzbetrieb gelöst. Die sonst in dieser Zeit übliche Zweiteilung in konkrete und allgemeine Bescheide fehlt nämlich. Warum die Gerichtsferien ausgerechnet 1524 entfielen, sagt der Gemeine Bescheid nicht. Vielleicht findet sich die Ursache im nur einen Monat später verkündeten Nürnberger Reichsabschied vom 18. März 1524 erwähnt. Formuliert aus der Sicht des nicht im Reiche weilenden Kaisers Karl V. bezog sich der Abschied auf eine Anordnung des Reichsregiments mitsamt Statthalter und Orator. „Aus beweglichen Ursachen“ verlegte man das Reichskammergericht von Nürnberg nach Esslingen. Mitsamt Akten und Personen sollte das Gericht noch vor Pfingsten in Esslingen eintreffen. Die „Veränderung solcher Mahlstatt“ war freilich zeitaufwendig. Deshalb setzte der Reichsabschied den Gerichtsbetrieb bis Dienstag nach Pfingsten aus (RA Nürnberg 1524 § 2, bei Ludolff, CJC 1724, S. 64). Hier tauchte übrigens in frühneuzeitlichem Zusammenhang der bereits aus der Lex Salica bekannte Malberg weiterhin als Bezeichnung des Gerichtsortes auf. Wegen der Notwendigkeit, den Gerichtsbetrieb einige Zeit zu unterbrechen, war die Urlaubssperre offenbar der notwendige Ausgleich, die liegengebliebenen Sachen abzuarbeiten. Zusammen mit dem älteren Bescheid vom 31. Mai 1497 ist also auch dieser Gemeine Bescheid ein Spiegelbild der häufigen Ortswechsel des Reichskammergerichts in seinen ersten drei Jahrzehnten.

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Ferrarius 1605; GB 1661; Blum 1667; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1707; GB 1710. Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1678; GB 1710 gesagt. Fehlt in Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1678; GB 1710.

RKG Nr. 8 1524 Juni 27

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RKG Nr. 8 1524 Juni 271 [Procuratores sese legitiment: Et allegatum privilegium producatur: Et fiet quod iuris.]2 [Procuratores procuratoria sua nondum producta ad primam post vacantias exhibento.]3 Zwischen E. O. eines, Burgermeister und Rath der Stadt W. andern Theils, sollen beeder Theil Procuratores sich mit Gewalt zur Sache geschickt machen und Doctor Jacob Kreil4 die gerühmte5 Freyheit einbringen, [und]6 alsdann ferner ergehen solle, was recht ist: [Procuratores omnes mandata sua, nondum producta, ad I. post ferias exhibeant; Sub poena Ordinationis]7 und darneben ein Gemein Bescheid, daß alle Procuratores ihre Gewält zur8 Sachen, so sie bißhero nicht fürbracht hätten, ad primam9 post vacantias zu Förderung10 der Sachen bey Poen der Ordnung darthun sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 65 Nr. XXVII. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 87; Seyler/Barth I 1604, S. 701 F, G; GB 1661, S. 2; GB 1665, S. 2; Blum 1667, S. 519-520; GB 1671, S. 2; GB 1678, S. 2; GB 1686, S. 2; GB 1688, S. 1-2; GB 1695, S. 3; GB 1696, S. 3; GB 1707, S. 3; GB 1710, S. 3 Nr. VIII; GB 1714, S. 2 Nr. VIII; CJC 1717, S. 2 Nr. VIII; GB 1717, S. 2 Nr. VIII; GB 1724, S. 3 Nr. VIII; fehlt in Ferrarius 1605. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid steht in engem Zusammenhang mit dem vorigen Erlass vom 18. März 1524. Erneut tauchten die Gerichtsferien auf, in denen der Umzug von Nürnberg nach Esslingen über die Bühne ging. Hier bot allerdings wieder ein konkreter Rechtsstreit Anlass für die Regelung. In einem Prozess zwischen einer Stadt und einer Einzelperson hatten offenbar beide Prokuratoren noch keine Vollmachten beigebracht. Ob sich dazu einfach keine Gelegenheit ergeben hatte, ist unklar. Immerhin stand das Gericht für einige Monate still. Deswegen fanden keine 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Datum unklar, Seiler 1572 XX. Iunii. Procuratores … iuris in Seyler/Barth I 1604. Procuratores … exhibento in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; auch GB 1661 und Blum 1667, aber mit der Abweichung primam post ferias sub poena ordiunationis exhibento. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1661; GB 1695 Dr. J. K. ; CJC 1724 D. J. K. Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 berümbte. GB 1661; GB 1678; GB 1695. Procuratores … Ordinationis in Seyler/Barth I 1604. Seiler 1572 gewalt in. Seiler 1572 proximam. Seiler 1572 fürderung; GB 1661; GB 1678; GB 1710 Forderung.

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RKG Nr. 9 1525 April 24

Audienzen statt, in denen die Anwälte sich hätten legitimieren können. Möglicherweise handelt es sich aber auch um ein bereits länger zurückliegendes Versäumnis. Das ist sogar gut denkbar. Vermutlich nämlich blieben in der Umzugszeit zahlreiche Prozesse liegen. Warum es ein Legitimationsproblem dann nur in diesem Fall gegeben haben sollte, wäre schwer erklärlich. Andererseits hätte das Gericht für eine allgemeine Regelung mit hoher Anwendungsbreite nicht das Zwischenurteil eines Einzelfalls hinzusetzen müssen. Es würde freilich gut ins Bild passen, wenn das Gericht mit dem Bescheid ordnungsgemäßes anwaltliches Verhalten hätte anmahnen wollen. Bereits in den 1520er Jahren gab es schon mehrere Anordnungen über die Legitimation der Prokuratoren (3. und 5. Juni 1523, oben RKG Nr. 4 und 5). Die Einschärfung könnte dann nichts anderes bedeuten als die vielfachen Querverweise auf bereits zuvor ergangene Befehle, die auch aus den zeitgleichen Policeyordnungen bekannt sind. Bei dieser Auslegung wäre der Gemeine Bescheid zugleich ein sehr früher Beleg für die nur beschränkt erfolgreiche Verhaltenssteuerung durch gerichtliche Erlasse. Auch die Sanktion war dieselbe, aber es kam nicht zur Verhängung einer Strafe. Im Ergebnis verlängerte das Gericht vielmehr die Frist und drohte lediglich für die abermalige Widersetzlichkeit eine Geldstrafe an. Auf welcher Gerichtsordnung die Buße fußen sollte, blieb erneut offen. Das Zwischenurteil erwähnt im Übrigen noch eine „gerühmte Freyheit“, die der Prokurator Kreil vorlegen sollte. Das war die deutsche Übersetzung des lateinischen privilegium, vielleicht ein Gerichtsstandsprivileg der im zugrundeliegenden Verfahren beteiligten Stadt. Die gesetzten und hier verlängerten Fristen waren damit nicht lediglich auf Vollmachten begrenzt. Sie umschlossen offenkundig auch Beilagen zu Schriftsätzen, die als Beweismittel im Verfahren dienen konnten. Die Floskel, nach Vorlage des Privilegs solle ergehen, was Recht sei, dürfte hier im Gegensatz zur früheren Verwendung nicht als Androhung negativer Konsequenzen zu verstehen sein. Ganz im Gegenteil: Wenn die Prokuratoren die gesetzten Fristen einhielten, konnten sie noch auf Berücksichtigung ihrer Schriftstücke hoffen. Teilweise geschah so etwas durch neuerliches Zwischenurteil. In diesem Fall hätte das Gericht also eine weitere förmliche Entscheidung in dieser Sache angedeutet.

RKG Nr. 9 1525 April 24 [Iustitium ob seditiones rusticorum indictum.]1 [Iustitium ob rebelliones rusticas concessum.]2 Ist auff endliche1 Unterhandlung des Regiments und Camergerichts dem Kayserlichen Camergericht vier Wochen Stillstand gegeben und solches durch den Herrn 1 2

Iustitium … indictum in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Iustitium ... concessum in GB 1661; auch Blum 1667 mit Institium.

RKG Nr. 9 1525 April 24

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Cammerrichter denen [Herrn]2 Procuratorn angesagt, darbey auch des Regiments Befehl, daß der Herr Cammerrichter, ob sich3 mittlerzeit die Empörung, so sich dero Zeit durch die gemeine Bauerschafften erhoben [und erhalten]4, nicht stillen würde, eine Woche vor Ausgang solcher vier Wochen beym Kayserlichen Statthalter oder Regiment, wo das der Zeit seyn wird5, umb fernern Bescheid ansuchen solle. Vorlage: CJC 1724, S. 65 Nr. XXVIII. Weitere Ausgaben: Ferrarius 1605, S. 1; GB 1661, S. 2; GB 1665, S. 2; Blum 1667, S. 520; GB 1671, S. 2; GB 1678, S. 2; GB 1686, S. 2; GB 1688, S. 2; GB 1695, S. 3; GB 1696, S. 3; GB 1707, S. 3; GB 1710, S. 3-4 Nr. IX; GB 1714, S. 2-3 Nr. IX; CJC 1717, S. 2-3 Nr. IX; GB 1717, S. 2-3 Nr. IX; GB 1724, S. 3-4 Nr. IX; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Die beiden vorigen Gemeinen Bescheide von 1524 betrafen den Stillstand des Reichskammergerichts wegen der Verlegung von Nürnberg nach Esslingen. Jetzt kam es 1525 erneut zu einer Unterbrechung der gerichtlichen Tätigkeit. Während des Bauernkrieges war an einen ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb in Esslingen nicht zu denken. Der Gemeine Bescheid kündigte daher ganz förmlich eine vierwöchige Ruhepause an. Der Aufstand der Bauern erscheint im Text als ungestillte Empörung, ist aber doch eher nüchtern als bloßer Hintergrund für die Anordnung genannt. Die Entstehungsumstände des Gemeinen Bescheides lassen sich wenigstens erahnen. Wegen der unruhigen Verhältnisse in Südwestdeutschland hatte das Kameralkollegium mit der Leitung des Reichsregiments Verhandlungen geführt. Als Ergebnis der Verhandlungen verkündete man den vorübergehenden Stillstand der Rechtspflege. Bei weiter Auslegung des Gemeinen Bescheides könnte man von einer Abänderung der Reichskammergerichtsordnung sprechen. Der vorgeschriebene Audienzbetrieb kam ja zum Erliegen. Das wäre aber wohl nicht zeittypisch. Vielmehr handelt es sich um einen besonderen Eingriff, dessen Reichweite zunächst unklar blieb. Wenn nämlich der Bauernkrieg länger als erhofft andauern würde, konnte das Reichskammergericht beim Statthalter und dem Reichsregiment mit weiteren Anträgen vorstellig werden. Das sah die Vereinbarung ausdrücklich vor, und dies konnte nur eine Verlängerung der unfreiwilligen Ruhepause bedeuten. Weitere Gemeine Bescheide dazu ergingen allerdings nicht. Das spätere äußere Schicksal des Gerichts wird daher nicht aus den Bescheiden, sondern aus dem Reichsabschied von Speyer vom 27. August 1526 deutlich. Er kündigte die Verlegung des Gerichts nach Speyer an und gewährte für den Umzug eine Unterbrechung bis Michaelis 1526 (RA Speyer 1526 § 23, bei Ludolff, CJC 1724, S. 66). Keineswegs lückenlos bildeten die Gemeinen Bescheide also das äußere Geschick des Reichskammergerichts ab. Dennoch ist gerade dieser Gemeine Bescheid von 1525 aus zwei anderen Gründen bemerkenswert. Zum einen zeigt er ungewöhnliche Normgeber. Schon der 1 2 3 4 5

Ferrarius 1605; GB 1710; GB 1724 etliche. Ferrarius 1605. Ferrarius 1605 sie. Und erhalten bei Ferrarius 1605. Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 würde.

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RKG Nr. 10 1525 September 4

Gemeine Bescheid vom 18. März 1524 enthielt einen Verweis auf die Reichsstände. Dennoch war es der Kammerrichter selbst, der ihn verkündete. Hier dagegen sind das Reichsregiment und Kammergericht im selben Atemzug als Verordnungsgeber genannt. Der Inhalt des Gemeinen Bescheides stammt materiell also keineswegs vom Reichskammergericht selbst. Zum anderen ist die getreue Überlieferung der Quelle in den späten Drucken bis ins 18. Jahrhundert hinein erstaunlich. Mit dem Ende des Bauernkrieges, spätestens mit der Wiedereröffnung in Speyer, hatte sich der Regelungsgehalt des Bescheides vom 24. April 1525 ein- für allemal erledigt. Dennoch war er wieder und wieder in allen Sammlungen enthalten. Das spricht für das zeittypische Bestreben der oftmals anonymen Herausgeber nach Vollständigkeit. Hätten sich die Sammeldrucke auf die noch einschlägigen Bestimmungen beschränkt, wäre es ein Leichtes gewesen, diesen offensichtlich gegenstandslosen Gemeinen Bescheid herauszuwerfen. Das geschah aber nicht. Die zahlreichen Sammlungen Gemeiner Bescheide konnten damit genau genommen nicht beanspruchen, das jeweils geltende Kameralrecht aktuell zu präsentieren. Vielmehr blieb es dem seinerzeitigen Benutzer aufgegeben, selbst zu prüfen, ob etwas noch einschlägig war oder nicht. Die Grenzlinien zwischen Quellendokumentation, frühgermanistischem Sammeleifer und einem Corpus Juris des geltenden Kameralrechts waren damit noch unscharf gezogen, wenn auch zwei umfangreiche Sammelwerke von 1717 und 1724 genau diesen Titel für sich beanspruchten.

RKG Nr. 10 1525 September 4 [Recessus contra ordinationem reiicitur. Communiter procuratores dehinc ante novas non nisi ad sententias, eadem audientia publicatas. Quo ad alias vero, suo quisque ordine, deinde agant.]1 [Procuratores ante ordinem novarum non nisi ad sententias tunc publicatas, quoad alias vero quisque ordine suo agunto.]2 In Sachen K. [de]3 B. Priesters gegen Herrn F. Graffen zu M. den jüngern4 ist der jüngste Process5, als der Ordnung zuwieder [gehalten]6, hiemit verworffen, und darneben in dieser und allen andern Sachen an diesem Kayserlichen Cammergericht 1 2 3 4 5 6

Recessus … agant in Seyler/Barth I 1604. Procuratores … agunto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; auch GB 1661 und Blum 1667, aber mit anderem Ende sententias eadem audientia publicatas, ast quoad alias suo quisque ordine dehinc agunto. Seiler 1572. Auflösung nach Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1710 Sachen usw. Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Recess. Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

RKG Nr. 10 1525 September 4

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[anhengig]1 der Gemeine Bescheid: Daß alle Procuratores fürter bey Vermeidung gebührlicher Straff zu allen künfftigen Gerichts Tägen vor Einführung der neuen Sachen auff keine andere2 Urtheil oder Bescheid, dann die desselbigen Gerichtstags eröffnet worden3, und dann sonst auff alle4 vorergangene Urthel5 oder Bescheid in ihren Ordnungen, so die nach Gelegenheit einer jeden Sache an sie kommt wie sich gebührt, handeln sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 65 Nr. XXIX. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 94; Seyler/Barth I 1604, S. 772-773 G; GB 1661, S. 2; GB 1665, S. 2; Blum 1667, S. 520-521; GB 1671, S. 2; GB 1678, S. 2; GB 1686, S. 2; GB 1688, S. 2; GB 1695, S. 3; GB 1696, S. 3; GB 1707, S. 3; GB 1710, S. 4 Nr. X; GB 1714, S. 3 Nr. X; CJC 1717, S. 3 Nr. X; GB 1717, S. 3 Nr. X; GB 1724, S. 4 Nr. X; fehlt in Ferrarius 1605. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft das Verhalten der Prokuratoren in der Audienz, genau genommen die Reihenfolge, in der sie Prozesshandlungen zu bestimmten Verfahren vornehmen durften. Diese Abschnitte, oftmals geändert und neu geordnet, teils Umfragen, teils Ordnungen genannt, sollten in den Audienzen jeweils streng voneinander getrennt sein. Anlass für den Gemeinen Bescheid bot der ordnungswidrige Rezess eines Prokurators. Genau wegen des Verstoßes gegen die Audienzordnung verwarf das Gericht seine Prozesshandlung. Die Verallgemeinerung zum Gemeinen Bescheid legte dann die Reihenfolge innerhalb der Audienzordnung fest. Die Einzelheiten sind in Parallelquellen schwer greifbar. Georg Melchior von Ludolff sah möglicherweise einen Querbezug zu einem älteren Gemeinen Bescheid vom 27. Januar 1524 (CJC 1724, S. 65; oben RKG Nr. 6). Dort war in der Tat von der Ordnung die Rede, der genaue Ablauf aber völlig im Dunkeln. Ein ausgefeiltes Terminsystem hatte der Entwurf der Kammergerichtsordnung von 1507 sehr schwerfällig vorgeschlagen (CJC 1724, S. 30-38). Die Reichskammergerichtsordnung von 1527 schließlich, die erste der Speyerer Zeit, von Ludolff ebenfalls als Vergleichsquelle genannt, enthielt eine auf den ersten Blick einfache Regelung. Die Prokuratoren durften nur auf diejenigen Urteile und Bescheide handeln, die genau am selben Audienztag verkündet wurden (RKGO 1527, bei Ludolff, CJC 1724, S. 67). Wer dagegen verstieß, sollte einen Gulden Strafe zahlen. Damit standen am Beginn die Urteilsverkündungen und danach erst die Rezesse der Prokuratoren. Der Gemeine Bescheid vom 4. September 1525 bildete eine Vorstufe dieser Regelung, war aber bei weitem nicht so klar. Sprachlich verwickelt zeigt er eine Vierteilung der Audienz. Am Anfang stand die Verkündung von Urteilen und Bescheiden, wobei „Bescheid“ hier sicherlich ganz allgemein auch Zwischenurteile mit einbegriff. Daran schlossen sich die anwaltlichen Handlungen zu genau diesen Urteilen an. Falls die Prokuratoren also nicht im Voraus wussten, was dort zur 1 2 3 4 5

Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572; GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688 kein ander. Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604 werden. Seiler 1572 alte. Seiler 1572 Urtheile.

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Verkündung anstand, konnten sie kaum mehr unternehmen, als sich bestimmte Antwortfristen auszubedingen. Genau solche Fristengesuche durchtränken, ja durchseuchen geradezu die Protokollbücher der Reichskammergerichtsakten. Später versuchten Gemeine Bescheide, die überhand nehmenden Terminbitten zurückzudrängen (z. B. Gemeine Bescheide vom 18. Juni 1533, 29. August 1533, 22. Juni 1573, unten RKG Nr. 20, 22, 70). Als dritter Schritt schloss sich 1525 die Einführung der neuen Sachen an, später auf Latein Ordo Novarum genannt. Erst danach stand es den Prokuratoren frei, auch auf bereits ältere Urteile und Bescheide zu handeln. Auf diese Weise konnte es vorkommen, dass Prozesshandlungen zum selben Rechtsstreit in getrennten Abschnitten der Audienz vorzunehmen waren. Erging ein aktuelles Urteil, war eine sofortige Reaktion gefragt. Stand dagegen noch ein Rezess zu einer bereits älteren Entscheidung aus, musste derselbe Prokurator bis ganz zum Ende der Audienz damit warten. Vielleicht war diese Schwerfälligkeit ein Grund, warum in der Praxis so viele substituierte Prokuratoren die Audienzen bevölkerten. Auf diese Weise konnten die Prokuratoren ihren eigenen Zeitaufwand wohl ein wenig begrenzen.

RKG Nr. 11 1526 Februar 19 [Ad ulteriora adhuc 8 dies ex officio praefig[itur]]1 [Procuratores incerta terminorum tempora non petunto.]2 [Petitiones incertorum terminorum (ad nuntiorum adventum usque) sub poena ordinationis abhinc prohibitae.]3 In Sachen J. W.4 gegen F. L.5 seynd Doctor Cristoff Hossen6 von Amtswegen noch acht Tage die nechsten zu fernerer Handlung angesetzt, [Incertorum terminorum (ad adventum nuntiorum usque) petitiones generaliter prohibentur: Sed ex causis non nisi certum tempus petendum.]7 und ist8 darneben dieser Gemeine1 Bescheid: Daß sich2 alle Procuratores fürter3 bey Poen der Ordnung in allen und jeden ihren Sachen ungewisser Termin bis auff 1 2 3 4 5 6 7 8

Ad ulteriora … praefig[itur] in Seyler/Barth I 1604. Procuratores … petunto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Petitiones ... prohibitae in GB 1661; Blum 1667. Seiler 1572 I. W. Auflösung nach Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1710 Sachen usw. Auflösung nach: Seyler/Barth I 1604; dagegen Seiler 1572 D. I.; anders GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696 Seyn Dr. C. H. Incertorum … petendum in Seyler/Barth I 1604. Fehlt in GB 1661.

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Ankunfft4 der5 Botten, so sie je zu Zeiten ausschicken, zu bitten6 enthalten, sondern wo sie dessen7 gebührliche Ursachen8 haben, allwegen benennte gewisse Zeiten bestimmen9 sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 65 Nr. XXX. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 99; Seyler/Barth I 1604, S. 804 F, G; Ferrarius 1605, S. 1; GB 1661, S. 2; GB 1665, S. 2; Blum 1667, S. 521; GB 1671, S. 2; GB 1678, S. 2; GB 1686, S. 2; GB 1688, S. 2; GB 1695, S. 4; GB 1696, S. 4; GB 1707, S. 4; GB 1710, S. 4 Nr. XI; GB 1714, S. 3 Nr. XI; CJC 1717, S. 3 Nr. XI; GB 1717, S. 3 Nr. XI; GB 1724, S. 4 Nr. XI. Anmerkung: Der abermals zweigeteilte Bescheid behandelt Probleme des Terminsystems und ist schwer verständlich. Zunächst gewährte das Reichskammergericht durch Zwischenurteil dem Prokurator Christoph Hoß eine Frist von acht Tagen zu fernerer Handlung. Offenbar hätte der Prokurator in der Audienz eine Prozesshandlung vornehmen sollen, war dazu aber nicht in der Lage gewesen. Deswegen hatte er um eine Fristverlängerung gebeten. Er erhielt sie auch, allerdings von Amts wegen. Vermutlich hatte er eine längere oder unbestimmte Frist beantragt, als das Gericht ihm dann zugestand. Der Zusammenhang mit dem folgenden Gemeinen Bescheid legt die Lösung nahe. Offenbar wartete Prokurator Hoß auf die Rückkehr des Kammerboten und wollte bis dahin seinen Rezess verschieben. Das Gericht dagegen setzte einen festen Termin an. Der unmittelbar daraufhin verkündete Gemeine Bescheid zog daraus allgemeine Konsequenzen. Zukünftig war es den Prokuratoren verboten, pauschale Fristverlängerungen bis zur Rückkehr des Kammerboten zu erbitten. Selbst wenn der Kammerbote noch nicht nach Speyer wiedergekehrt war, sollten sie immer feste Daten beantragen. Die Terminierung der einzelnen Audienzen pro Rechtsstreit war dann einfacher möglich. Freilich bestand die Gefahr von Kettenverschiebungen, wenn der Kammerbote auch im nächsten Termin immer noch unterwegs war. Den Hintergrund dieser seltsam anmutenden Bestimmung bildete das kammergerichtliche Zustellungswesen. Verantwortlich für die Zustellung von Ladungen und Mandaten an die jeweilige Gegenpartei war jeweils der Kläger selbst. Für judizial übergebene Schriftsätze und Urteile galt das nur eingeschränkt, denn hier nahmen ja bereits beide Prokuratoren an den Audienzen teil. Ladungen und Mandate dagegen ergingen extrajudizial zu einem Zeitpunkt, in dem der Prozessgegner noch nicht förmlich in den Rechtsstreit eingebunden war und zumeist noch keinen Prokurator bestellt hatte. Der Kläger konnte diese vom Reichskam1 2 3 4 5 6 7 8 9

Statt In Sachen ... dieser gemeine bei Ferrarius 1605 Ist der gemein. Fehlt bei Ferrarius 1605. Ferrarius 1605 hinfüro. Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Zukunfft. Seiler 1572 jrer; Seiler/Barth I 1604; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 jrer; GB 1661; GB 1678 ihrer. Statt zu bitten bei Ferrarius 1605 sich. Seiler 1572 das; GB 1661; GB 1678 deß. GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695 gebührlich Ursach. Seiler 1572 post einnemmen.

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mergericht erlassene, in der Sprache der Zeit „erkannten“ Dokumente entweder durch einen Notar oder durch einen Kammerboten zustellen. Im Gemeinen Bescheid geht es um den Regelfall, die Zustellung durch Kammerboten. Der Kammerbote erhielt mehrere Ausfertigungen des prozesseröffnenden Erkenntnisses und war üblicherweise für mehrere Parteien gleichzeitig tätig. Er trug also ein ganzes Bündel gerichtlicher Schriftstücke bei sich und machte sich auf die Reise durch das Reich (Festlegungen zur Zahl der sog. Prozesse in den Gemeinen Bescheiden vom 3 September 1653 § 3 und 17./27. August 1669 § 2, unten RKG Nr. 125 und 180). Hierbei zog er von Ort zu Ort, teilweise zu Fuß, teils zu Ross. Nach und nach klapperte er die jeweiligen Empfänger ab und übergab ihnen eine Ladung oder ein Mandat. Auf einem anderen Exemplar trug er die näheren Umstände der Zustellung ein, begonnen vom Ort und Datum über die genaue Person des Empfängers bzw. jeweilige Ersatzzustellungen bis hin zu den Worten und Erlebnissen, die er für mitteilenswert hielt. Versehen mit diesem Botenbericht, zeitgenössisch Relatio nuntii, kehrte er irgendwann an den Sitz des Reichskammergerichts zurück. Jetzt erhielt der Prokurator des Klägers die Ausfertigung des Mandats oder der Ladung und konnte sie im ersten förmlichen Termin zur Sache reproduzieren. Deswegen sprach man hier vom Reproduktionstermin. Freilich konnte niemand genau abschätzen, wie lange der Bote bei seinen Wanderungen durch das große Reich benötigen würde. Deswegen stand der klägerische Prokurator im Reproduktionstermin häufig mit leeren Händen da. Doch traf ihn daran kein Verschulden, und so bat er um Fristverlängerung, bis der Bote wieder eingetroffen sein würde. Genau diesen Verlängerungsantrag sollte es nach dem Willen des Gemeinen Bescheides nicht mehr geben. Die klägerischen Prokuratoren konnten zwar Fristverlängerungen erhalten, dies aber nur mit fest bemessenen Zeiträumen. Das diente sowohl der Prozessbeschleunigung als auch der Rechtssicherheit. Wer hätte sonst jeweils prüfen sollen, wann welcher Kammerbote gerade wieder eingetroffen war? Der Gemeine Bescheid wirft damit ein bezeichnendes Licht auf die praktischen Schwierigkeiten, im frühen 16. Jahrhundert ein zentrales oberstes Gericht für ein Reich dieser Größe vorzusehen. Alltägliche Schwierigkeiten gab es zuhauf, und die langen Reisen der Kammerboten waren eine ganz handfeste davon.

RKG Nr. 12 1526 Februar 21 [Non obstante exceptio ad agendum, quod decet, terminus ordinationis praefigitur.]1 [Procuratores intra tempus ordinationis ad agendum parati sunto.]2 [Procuratores ad agendum intra tempus ordinationis ut parati sint curanto.]3

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Non … praefigitur in Seyler/Barth I 1604. Procuratores … sunto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Procuratores ... curanto in GB 1661; Blum 1667.

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In Sachen1 Bürgermeister und Rath der Statt P. gegen K. M.2 Ist Doctor Conraden von Schwappach3 unverhindert beschehener Einrede und Petition-Schrifft, wie sich gebührt, zu handlen, Zeit laut der Ordnung angesetzt, [Generaliter procuratores ad agendum intra tempus ordinationis, ut parati sint, curent, etiamsi advocati alibi longius absint.]4 und der Gemeine5 Bescheid: Daß die Procuratores sich hinfüro in allen ihren Sachen in [der]6 Zeit, laut der Ordnung, zu handlen7 geschickt machen sollen, ohnangesehen, daß ihre Advocaten nicht beym Cammergericht, sondern ferne gesessen seyn. Vorlage: CJC 1724, S. 65 Nr. XXXI. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth I 1604, S. 805 F, G; Ferrarius 1605, S. 1; GB 1661, S. 2; GB 1665, S. 2; Blum 1667, S. 521; GB 1671, S. 2; GB 1678, S. 2; GB 1686, S. 2; GB 1688, S. 2; GB 1695, S. 4; GB 1696, S. 4; GB 1707. S- 4; GB 1710, S. 5 Nr. XII; GB 1714, S. 3 Nr. XII; CJC 1717, S. 3 Nr. XII; GB 1717, S. 3 Nr. XII; GB 1724, S. 5 Nr. XII; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt wie der unmittelbar zuvor erlassene Bescheid vom 19. Februar 1526 (oben RKG Nr. 11) Fragen der Fristverlängerung. Hier ging es um Verzögerungen, die sich aus dem Zusammenspiel von Advokat und Prokurator ergaben. Bekanntlich gab es bis ins 19. Jahrhundert hinein keinen einheitlichen Beruf des Rechtsanwalts. Vielmehr kannte man zum einen rechtskundige, zunehmend studierte Advokaten, die den Parteien Rechtsrat gewährten. Zum anderen arbeiteten Prokuratoren, die postulationsfähig waren und vor Gericht auftraten. Sie gaben dort Erklärungen ab oder überreichten ihre Schriftsätze. In dem Maße, wie sich das Prozessrecht in der frühen Neuzeit immer mehr verschriftlichte, verlor der Prokuratorenberuf zunehmend an juristischer Bedeutung und wurde langweiliger. Die vielfachen Ermahnungen an die kammergerichtliche Anwaltschaft, die Audienzen fleißiger zu besuchen und aufmerksamer zu verfolgen, werfen ein bezeichnendes Licht auf die freudlose Prokuratorentätigkeit in der Audienz (z. B. Gemeine Bescheide vom 28. November 1550 § 4, 3. November 1568, 11. Oktober 1592, 11. April 1595, 12. März 1680, 30. März 1688; unten RKG Nr. 44, 61, 90, 94, 203, 216). Die Advokatur dagegen war die eigentliche anwaltlich-juristische Tätigkeit. Das Reichs1 2 3

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In Sachen fehlt in Seyler/Barth I 1604. Auflösung nach: Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695 In Sachen usw.; CJC 1724 In Sachen NN. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen CJC 1724 Dr. N.; dagegen GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Dr. N. N.; außerdem anderer Satzbau bei Seyler/Barth I 1604 Deßgleichen ist gemelten Doctor Conraden von Schwappach, von wegen Bürgermeister und Rath der Statt P. gegen K. M. Generaliter … absint in Seyler/Barth I 1604. Statt In Sachen ... der gemeine in Ferrarius 1605 Ist der gemein. Seyler/Barth I 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Zu handlen fehlt bei Ferrarius 1605.

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kammergericht bildete insoweit eine Ausnahme. Es war dafür bekannt, dass es diese Scheidung in zwei Anwaltsberufe schon recht früh durchbrach. Die meisten dortigen Prokuratoren waren nämlich zugleich auch Advokaten. Üblicherweise arbeiteten die Kameralanwälte zuerst einige Zeit als Advokat, bis sie die Zulassung zur Prokurator erhielten und dann zugleich Advokat und Prokurator waren. Das galt freilich nur für die am Reichskammergericht zugelassenen Prokuratoren. Aus der Sicht der Parteien stellte sich das Problem anders dar. Für ihren Rechtsstreit benötigten sie Rechtsbeistand vor Ort, und den konnte ein Kameralanwalt nicht bieten, selbst wenn er eine Advokatur unterhielt. Deswegen beschäftigten die Parteien im Prozessalltag regelmäßig zwei Anwälte: ihren lokalen Advokaten sowie ihren kammergerichtlichen Prokurator. Vermutlich kannten die meisten Parteien lediglich den Advokaten persönlich und standen mit dem Prokurator nur schriftlich in Verbindung. Der Advokat als orts- und sachnäherer Rechtsbeistand verfasste üblicherweise auch die Schriftsätze für die Parteien. Er war damit sog. Konzipient oder in zeitgenössischer deutscher Rechtssprache Schriftsteller. In Ladungen und Mandaten aus der Wetzlarer Zeit des Gerichts ist er oft namentlich genannt. Im 16. Jahrhundert dagegen kennt man ihn kaum. Jedenfalls fertigte der Advokat auch in der Speyerer Zeit bereits die Schriftsätze und übersandte sie dem kammergerichtlichen Prokurator. Nur dieser allerdings war postulationsfähig, und daher enthielten die Schriftsätze des Advokaten keine Unterschrift. Der Prokurator brauchte also nur die vorgefertigten Schriftsätze zu unterschreiben und konnte sie dann in der angesetzten Audienz zu den Akten reichen. Das klingt einfach, war es auch. Wie umfangreich ein Prokurator sich bei dieser Sachlage überhaupt in die Rechtsfragen des Prozesses einarbeitete, ist schwer zu klären. Angewiesen auf die Zusammenarbeit mit dem fernen Advokaten war er allemal. Wie bei den Reisen der Kammerboten konnte es nun auch bei der Zusammenarbeit zwischen dem Advokaten und dem Prokurator zu Verzögerungen kommen. Plötzlich sah sich der Prokurator deswegen im Termin ohne Schriftsatz dastehen. Selbst anfertigen konnte er ihn auf die Schnelle kaum, wenn er nicht die Einzelheiten des Falles zufällig besonders gut kannte. Deswegen baten die Prokuratoren in solchen Fällen um Fristverlängerungen, da ihnen die Schriftsätze des Konzipienten noch nicht „zugekommen“ seien. Der Gemeine Bescheid erklärt das für einen Missbrauch. Ein Dr. Conrad von Schwappach (Schwabach) hatte zwar mit genau dieser Einrede eine Fristverlängerung erbeten, das Gericht aber schlug sie ihm ab. Der Gemeine Bescheid verallgemeinerte die Entscheidung. Die Prokuratoren sollten immer in der angesetzten Zeit, der Zeit der Ordnung, handeln können, unabhängig, wie weit entfernt ein Advokat auch sitzen mochte. Die Verständigungsprobleme und Verschleppungen in der Zusammenarbeit zwischen Prokurator und Advokat fielen also einzig und allein in den Verantwortungsbereich des Prokurators und bildeten damit zugleich ein Risiko für die Partei. Nach dem Willen des Reichskammergerichts sollte es deswegen nicht zu Verzögerungen im Prozessablauf kommen. Viele Parteien umgingen genau dieses Problem und reisten persönlich an den Sitz des Reichskammergerichts. Jetzt konnten sie den Prokurator zugleich als Advokaten nehmen und waren mit der anwaltlichen Doppelung aus dem Schneider. Es bedeutete allerdings einen hohen Zeit- und Geldaufwand, diese beschwerlichen Reisen auf sich zu nehmen. In der Praxis sind sie aber vielfach belegt. In späterer Zeit erließ das Reichskammergericht mehrfach Gemeine

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Bescheide gegen Prokuratoren, die in ihre mündlichen Rezesse die sog. Merita causae einflochten (z. B. Gemeine Bescheide vom 27. Januar 1535 § 3, 30. Oktober 1655 § 11, 15./25. Mai 1693 § 9, 4. April 1721 Ziff. 3, 17. Juli 1737, 11. Januar 1769 Ziff. 5; unten RKG Nr. 26, 127, 233, 261, 271 und 297). Die Sachkenntnis der Prokuratoren scheint sich also mit der Zeit verbessert zu haben. Eigene rechtliche Stellungnahmen der Prokuratoren in den Audienzen waren aber dennoch jederzeit unerwünscht und wurden in regelmäßigen Abständen wieder und wieder verboten.

RKG Nr. 13 1526 März 9/191 [Siquidem ratione commissionis, pars opera Senatus N. uti volet, is una cum abbate coniunctim; alias solus Abbas deputatur. Et ad commissarios ex adverso 8 dies agendi, non obst[antibus] exceptiones admittuntur. Et nisi egerit, fiet quod iuris.]2 [Ratione commissariorum agitor coram deputatis post audientiam.]3 [Ratione commissariorum non sub iudiciali audientia sed coram deputatis agitor.]4 Zwischen den N. wieder Herrn Y. U.5 ist der Bescheid: So sich Lizentiat Herder6 umb Verhörung der Zeugen Burgermeister und Raths zu Costantz7 gebrauchen will, soll der Abt zu Kreutlingen8 zu ihnen conjunctim, aber9 sonsten derselbige Abt, so der allein examiniren solte, in solidum10 zu Commissarien hiemit deputirt, und darneben dem gemelten Hirdtern11 die gebettene Zeit [acht Tag]12 nochmals13 gegen Doctor Krolln14 ernennte Commissarien, ob er wolle, zu handlen, unverhindert 1

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Datum unklar, CJC 1724: 9. und 19. März; Seiler/Barth I 1604: 9. März; GB 1665; dagegen Seiler 1572; Ferrarius 1605 19. Martii; GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Eodem Anno 19. Martii; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; GB 1717 19. Martii eodem; Blum 1667 19. Martii 1526. Siquidem … iuris in Seyler/Barth I 1604. Ratione … audientiam in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ratione ... agitor in GB 1661; Blum 1667. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen Seiler 1572 X. V.; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1688; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Y. V. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; ander Seiler 1572 I. GB 1678 Costentz; anders Seiler 1572 D. Seiler 1572 Abt von L. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 oder. Seiler 1572 solcher. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen Seiler 1572 I. Acht tag in Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572; GB 1678; GB 1686; GB 1688 nachmals. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen Seiler 1572 nur Doctor.

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beschehener Einrede, zugelassen seyn, und so er in solcher Zeit nicht handlen wird1, soll nichts destoweniger2 ergehen, was recht ist. [Ratione commissariorum non coram iudicio, sed postea coram deputatis agendum.]3 Und ist4 der Gemeine5 Bescheid: Daß hinfüro die Procuratores und Partheyen der Commissarien halber nicht für6 Gericht, sondern vor denen7 Verordneten nach der Audientz laut der Ordnung handlen und daselbsten Bescheids erwarten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 65 Nr. XXXII. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 101; Seyler/Barth I 1604, S. 813 F, G; Ferrarius 1605, S. 1; GB 1661, S. 3; GB 1665, S. 2; Blum 1667, S. 521-522; GB 1671, S. 2; GB 1678, S. 2; GB 1686, S. 2; GB 1688, S. 2; GB 1695, S. 4; GB 1696, S. 4; GB 1707, S. 4; GB 1710, S. 5 Nr. XIII; GB 1714, S. 3 Nr. XIII; CJC 1717, S. 3 Nr. XIII; GB 1717, S. 3 Nr. XIII; GB 1724, S. 5 Nr. XIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beginnt in der Datumsangabe mit einem Problem, das hier erstmals auftaucht. Die in katholischen und evangelischen Territorien gebräuchlichen verschiedenen Kalender machen es vergleichsweise schwierig, frühneuzeitliche Daten sicher zu bestimmen. Zeitgenössisch behalf man sich mit Bruchstrichen, Klammerzusätzen oder fügte einem Datum den Hinweis auf den alten oder neuen Kalender hinzu. Nachträglich konnte man auch Datierungen an den eigenen Kalender anpassen. Es ist aber auch immer möglich, dass bestimmte Ereignisse mehrfach geschahen, vielleicht genau mit den etwa zehn Tagen Abstand, die beide Kalender auseinanderklafften. Ein Gemeiner Bescheid kann also durchaus doppelt ergangen sein, etwa wenn er nicht befolgt wurde. Das scheint auch Georg Melchior von Ludolff angenommen zu haben, wenn er in seiner Edition beide Angaben durch ein „und“ verknüpfte. Allerdings dürfte das unwahrscheinlich sein. Die erste Hälfte der Quelle ist nämlich erneut ein Zwischenurteil in einem konkreten Rechtsstreit. Zumindest solche Interlokute brauchte man nur einmal zu verkünden. Die Prokuratoren waren ja in der Audienz anwesend. Vermutlich ist also lediglich das Datum, an dem der Bescheid erging, konfessionell gespalten überliefert, wie gesagt erstmals in der Geschichte des Reichskammergerichts. Dennoch bleibt der Befund unsicher. Der neue Kalender trat in den katholischen Territorien erst Jahrzehnte später in Kraft. Ob ein Kameralautor gerade diesen Gemeinen Bescheid nachträglich auf seinen Kalender umdatierte und warum er dies getan haben sollte, lässt sich nicht feststellen. Inhaltlich ging es um Fragen der Beweisaufnahme. Modern gesprochen kannte das Reichskammergericht nicht den Unmittelbarkeitsgrundsatz mit seiner Beweiserhebung durch den erkennenden 1 2 3 4 5 6 7

Seyler/Barth I 1604 würd. Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604 destominder. Ratione … agendum in Seyler/Barth I 1604. Fehlt in Seiler 1572. Zwischen den N. ... was recht ist. Und fehlt in Ferrarius 1605. Seiler 1572 vor. Vor denen fehlt in Seyler/Barth I 1604; stattdessen Seiler 1572 sonder den; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678 und GB 1695 sondern den; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 sondern denen.

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Richter. Das Schriftlichkeitsprinzip setzte vielmehr auf Distanz. Die Audienzen fanden zwar öffentlich statt, doch war es ausgeschlossen, dort Zeugen zu Wort kommen zu lassen. Je nach einschlägigem Beweismittel gab es damit mehrere verschiedene Beweisverfahren. Am einfachsten war der Urkundsbeweis. Die Prokuratoren legten in den Audienzen zumeist beglaubigte Abschriften vor, gelegentlich sogar zusammen mit dem Original, um den Vergleich zu ermöglichen. Der gegnerische Prokurator prüfte zumeist lediglich das Siegel. Er rekognoszierte es, wie es in den Protokollbüchern hieß. Was das Gericht dann mit den Urkunden machte, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Parteieide kannte das Kammergericht ebenfalls, etwa den Kalumnieneid bei Appellationen oder den Ästimationseid bei Geldforderungen. Sie fanden aber ebenfalls nicht in den Audienzen statt (gewisse Ausnahmen beim Kalumnieneid durch Prokuratoren). Ein besonderes Verfahren sah das Gericht für den Zeugenbeweis vor, und davon handelt der Gemeine Bescheid. Für die Zeugenbefragung kannte der Kameralprozess die Beweisaufnahme durch einen Kommissar. Im Ausgangsfall wollte ein Prokurator Bürgermeister und Rat der Stadt Konstanz als Zeugen vernehmen lassen. Der Abt von „Kreutlingen“, wohl Peter Babenberg, Abt des Klosters Kreuzlingen im Thurgau, sollte das Zeugenverhör durchführen. Ob in allen Fällen die Prokuratoren die Beweiskommissare namentlich vorschlugen oder ob das Gericht auch selbst Kommissare einsetzte, ist unklar. Die Regensburger Reichskammergerichtsordnung von 1507 hatte dazu ein Regelverfahren vorgesehen. Danach schlug der Beweisführer einen Beweiskommissar vor und sollte versuchen, sich mit dem Prozessgegner auf die Person des Kommissars zu einigen. Gelang das, setzte das Gericht den Kommissar ein. Konnten die Prokuratoren dagegen keine Eintracht erzielen, legte das Reichskammergericht selbst die Person des Beweiskommissars fest (RKGO 1507 Tit. 3, bei Ludolff, CJC 1724, S. 27-28). Oftmals handelte es sich um benachbarte Reichsstände, die ihre praktische Arbeit dann an bedienstete Juristen als Subdelegierte übertrugen. Ob der Abt von Kreutlingen/Kreuzlingen gemeinsam mit den Anwälten oder anderen die Befragung durchführen sollte oder als alleiniger Kommissar vorgesehen war, scheint im Ausgangsfall unklar gewesen zu sein. Ebenfalls offen war wohl noch, ob und welche Einwendungen der Prozessgegner gegen die Beweisaufnahme selbst oder gegen die Person des Kommissars vorzutragen hatte. In der Praxis übergaben die Gegner des Beweisführers sehr häufig eigene Interrogatorien, mit denen sie die Beweisartikel zu untergraben versuchten. Wichtig für das Verständnis des Kameralprozesses ist sodann der Gemeine Bescheid im Anschluss an das Zwischenurteil. Von nun an sollten die Parteien alle mit den Beweiskommissaren zusammenhängenden Fragen nicht mehr vor dem Gericht, sondern vor den Verordneten nach der Audienz vornehmen. Mit Gericht war hier das Assessorenkollegium bei den jeweiligen Audienzen gemeint. Mit solchen Beweisfragen wollten sich die gesamten Beisitzer also nicht beschäftigen. Schon die Reichskammergerichtsordnung von 1507 deutete den Ausweg an (RKGO 1507 Tit. 3, bei Ludolff, CJC 1724, S. 27), und der Gemeine Bescheid führte ihn näher aus. Im Anschluss an die Audienz fand eine weitere Sitzung vor den verordneten Assessoren statt. Einige Kammergerichtsbeisitzer, auch Deputaten oder Deputierte genannt, sollten im kleineren Kreis die anfallenden Geschäfte der Beweiskommissionen erledigen. In den Protokollbüchern ist in diesen Fällen gelegentlich vermerkt, ob eine Prozesshandlung von den Herren Deputierten statt-

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gefunden hatte oder nicht. Diese Verordneten konnten nach dem Wortlaut des Gemeinen Bescheides auch selbst Bescheide erlassen, hier verstanden als Zwischenurteile zur Beweisaufnahme. Bei diesen Sitzungen der Beweisdeputationen war nicht nur das Kameralkollegium ausgedünnt. Auch die Prokuratoren waren von der Teilnahmepflicht entbunden, soweit sie nicht an den fraglichen Prozessen beteiligt waren (anders aber die Anordnung des Gemeinen Bescheides vom 23. Januar 1531, unten RKG Nr. 17). Gerade diejenigen Verfahrensabschnitte, die am stärksten einzelne Sachfragen der jeweiligen Rechtsstreite behandelten, blieben also dem besonders kleinen und in zeremonieller Hinsicht wenig beeindruckenden Zirkel handverlesener Prokuratoren und Assessoren vorbehalten. Die Audienzen dagegen, das stellte der Gemeine Bescheid im Umkehrschluss stillschweigend klar, waren für ernsthaft juristisch-inhaltliche Arbeit nicht vorgesehen, vielleicht auch nicht geeignet. Hierbei handelte es sich geradezu um eine Geschäftsgrundlage der kammergerichtlichen Mündlichkeit. Über vieles sollte und musste man in der Audienz reden, nicht aber über die Sachverhalte und Rechtsprobleme der zu entscheidenden Fälle.

RKG Nr. 14 1526 April 30 [Productum non subscriptum, reiicitur et si subscriptum exhibebitur, fiet quod iuris. Procuratores dehinc, vigore ordinationis Imperii, producta subscripta exhibeant.]1 [Procuratores producta sua subscribunto.]2 [Procuratores sua producta subscripta exhibento.]3 In Sachen D. N. gegen X. M.4 ist auff Doctor Lerchenfelders5 Petition den 16. [dieses Monats Martii]6 jüngsthin7 fürbracht, des8 Gegentheils ohnunterschriebene Schrifft9 nicht angenommen, sondern so dieselbe10 der Ordnung gemäß [unnd]11 unterschrieben einbracht wird12, soll alsdann13 ferner in der Sachen ergehen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Productum ... exhibeant in Seyler/Barth I 1604. Procuratores ... subscribunto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Procuratores ... exhibento in GB 1661; Blum 1667. Auflösung nach Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1695 Sachen usw. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen Seiler 1572 Doctor M.; GB 1695 Doctor L. Dieses ... Martii in Seyler/Barth I 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; auch Seiler 1572 (mit diß). Fehlt in Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; GB 1665; GB 1678. GB 1678 daß. GB 1678 Schrifften. Seiler 1572 dieselben. Seiler 1572; Seyler/Barth I 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seyler/Barth I 1604 würd. Seiler 1572 als dann soll; GB 1678 alsdann soll.

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was recht ist, und darneben der Gemeine1 Bescheid: Daß die Procuratores hinfüro ihre producta vermöge der2 Reichsordnung unterschrieben eingeben sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 65 Nr. XXXIII. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 102; Seyler/Barth I 1604, S. 819 G-820; Ferrarius 1605, S. 1; GB 1661, S. 3; GB 1665, S. 2-3; Blum 1667, S. 522; GB 1671, S. 2-3; GB 1678, S. 2-3; GB 1686, S. 2-3; GB 1688, S. 2; GB 1695, S. 5; GB 1696, S. 5; GB 1707, S. 5; GB 1710, S. 5-6 Nr. XIV; GB 1714, S. 4 Nr. XIV; CJC 1717, S. 4 Nr. XIV; GB 1717, S. 4 Nr. XIV; GB 1724, S. 5-6 Nr. XIV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid wirft ein geradezu beschämendes Licht auf den mangelhaften Arbeitseifer mancher Prokuratoren. Schon der Gemeine Bescheid vom 21. Februar 1526 (oben RKG Nr. 12) hatte sich mit der Zusammenarbeit von Prokuratoren und Advokaten beschäftigt. Nun gab es nach nur zwei Monaten neuen Anlass zur Beschwerde. Offenbar hielten es einige Prokuratoren nicht für nötig, die von ihnen übergebenen Schriftsätze zu unterschreiben. Regelmäßig werden sie die sog. Produkte oder Handlungen auch nicht einmal selbst verfasst haben. Vielmehr hatte der Advokat der Prozesspartei alles konzipiert, das heißt Wort für Wort bis auf die Unterschrift vorformuliert. Wenn jetzt ein Prokurator diese Schriftsätze ohne Unterschrift in der Audienz übergab, bewies er damit seine eigene Nachlässigkeit, ja geradezu seine Unlust, die schriftlichen Handlungen überhaupt durchzulesen. Der Prokurator würde wohl kaum den Schriftsatz gelesen haben, wenn er nicht einmal für eine Unterschrift Zeit gefunden hatte. Genau das bemerkte das Kameralkollegium. Immerhin dieses Minimum an Einsatz, nämlich Schriftsätze selbst zu unterzeichnen, mahnte das Gericht jetzt an. Am 16. März 1526 hatte der Prokurator Lerchenfelder eine nicht unterschriebene schriftliche Handlung der Gegenseite gerügt. Sechs Wochen später erging das Zwischenurteil. Das Gericht erkannte den Schriftsatz nicht an. Zugleich erhielt die Gegenseite aber die Möglichkeit, einen ordnungsgemäßen Schriftsatz nachzureichen. Das veranlasste das Gericht, seine Anordnung zugleich als Gemeinen Bescheid zu verkünden. Zukünftig mussten alle Prokuratoren ihre „Produkte“ im Einklang mit der Reichsordnung vorlegen. Ungewöhnlich wirkt in diesem Zusammenhang die Bezeichnung Reichsordnung. Obwohl das Reichskammergericht schon seit drei Jahrzehnten bestand, gab es offenbar noch keine feste Begrifflichkeit, um die eigene Gerichtsordnung anschaulich zu benennen. Vermutlich haben erst die Reichskammergerichtsordnung von 1555 und nachfolgend die Observationensammlungen von Joachim Mynsinger und Andreas Gail größere Festigkeit gebracht.

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Statt In Sachen D. ... und darneben der gemeine in Ferrarius 1605 Ist der gemein. GB 1671; GB 1678 deß; Seiler 1572; Ferrarius 1605 vermög deß; GB 1707 Vermöge des.

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RKG (ohne Nr.) 1528 Mai 20 siehe 1528 Mai 27

RKG Nr. 15 1528 Mai 271 [Ad executionem citationis nil decretum. Et communiter procuratorum substituti et ministri exequendis processibus sub gravi poena arbitraria abstineant.]2 [Procuratorum substituti et famuli processuum Cameralium insinuatione abstinento.]3 [Procuratorum amanuenses aliorumque famuli Cameralium processuum insinuatione abstinento.]4 In Sachen L. von C. gegen der Statt E5. ist auff jüngst vorgebrachte Execution der Ladung nichts erkant, und darneben der Bescheid6: Daß sich Doctor Hossen7 und andere [Herrn]8 der Procuratorn dieses9 Kayserlichen Cammergerichts Substituten und Diener, desselben10 Cammergerichts Process zu exequiren, hinfüran bey einer schwehren11 Straff nach Ermässigung [sich]12 enthalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 69 Nr. XXXVI. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth I 1604, S. 963 G; Ferrarius 1605, S. 1-2; GB 1661, S. 3; GB 1665, S. 3; Blum 1667, S. 522-523; GB 1671, S. 3; GB 1678, S. 3; GB 1686, S. 3; GB 1688, S. 2; GB 1695, S. 5; GB 1696, S. 5; GB 1707, S. 5; GB 1710, S. 6 Nr. XV; GB 1714, S. 4 Nr. XV; CJC 1717, S. 4 Nr. XV; GB 1717, S. 4 Nr. XV; GB 1724, S. 6 Nr. XV; fehlt bei Seiler 1572. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Anderes Datum bei Ferrarius 1605 Anno 1528. 20. Maii. Ad ... abstineant in Seyler/Barth I 1604. Procuratorum ... abstinento in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Procuratorum ... abstinento in GB 1661; Blum 1667. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695 Sachen usw. Statt In Sachen ... der Bescheid in Ferrarius 1605 Ist der gemein Bescheidt. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; anders Ferrarius 1605 daß D. G.; GB 1695 sich Doct. H. Seyler/Barth I 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen ohne Herrn Ferrarius 1605. Ferrarius 1605 deß. Ferrarius 1605 gemelts. Ferrarius 1605 exequiren bey schwerer. Ferrarius 1605.

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Anmerkung: Über zwei Jahre nach dem Gemeinen Bescheid vom 30. April 1526 erging erst wieder ein neuer Erlass. Es handelt sich um den ersten Gemeinen Bescheid des Reichskammergerichts in seiner Speyerer Zeit. Der feste Sitz in der Reichsstadt sollte dem Gericht nach den zahlreichen Umzügen der zurückliegenden Jahrzehnte für etwa 160 Jahre jedenfalls äußerlich mehr Ruhe ermöglichen. Den Anlass für den Gemeinen Bescheid lieferte ein Prokurator, der eine nicht ordnungsgemäß zugestellte Ladung in einem Reproduktionstermin übergeben hatte. „Exekution“ war insoweit die lateinische Entsprechung einer Zustellung. Hatte der Kläger den Ladungsbrief in der Audienz übergeben, oblag es üblicherweise dem Prokurator des Beklagten, daraufhin zu „erscheinen“. Der gegnerische Prokurator sollte sich melden, seine Tätigkeit für den Beklagten anzeigen und seine Vollmacht vorlegen. Üblicherweise erbat er sodann eine Frist, um auf die Ladung antworten zu können. Das waren die gewöhnlichen Vorstufen auf dem Weg zu der in dieser Zeit noch deutlich erkennbaren Litiskontestation. Der Gemeine Bescheid zog hier bereits ganz am Anfang eine Hürde ein. All diese einzelnen Schritte begannen nämlich nur bei ordnungsgemäß zugestellten Ladungen. Selbstverständlich konnte es Ladungsprobleme geben, über die sich auch trefflich streiten ließ. In ganz eindeutigen Fällen galt die Ladung dagegen als offensichtlich nicht zugestellt. Und das war unter anderem dann der Fall, wenn falsche Personen tätig gewesen waren. Der Prokurator Dr. Hoß hatte offenbar Substituten oder Diener des Reichskammergerichts mit der Zustellung einer Ladung betraut, nicht aber die dafür zuständigen Kammerboten. Warum er nicht zum Botenmeister gegangen war, ist unbekannt. Vielleicht gab es zu dieser Zeit zu wenig Boten, und deswegen drohten Verzögerungen. Oder die Einschaltung eines Dieners mag einfach schneller und vor allem preiswerter gewesen sein. Erstaunlicherweise hatte der Gerichtsdiener den Auftrag angenommen und war losgezogen. Ansonsten hätte das Zwischenurteil nicht von der Exekution sprechen können. Ganz unmissverständlich redete der Gemeine Bescheid von Substituten und Dienern des Gerichts. Der Anwalt hatte also nicht etwa seinen eigenen Diener auf Reisen geschickt. Warum sich die niederen Bediensteten des Gerichts von einem Prokurator Befehle geben ließen, noch dazu rechtswidrige und diese auch noch befolgten – all das lässt sich nicht klären. Vielleicht wollten sie einen Teil der Gebühren kassieren, vielleicht kuschten sie vor der vermeintlich höheren sozialen Stellung des Anwalts. Der Gemeine Bescheid spricht das Verhalten des Dieners nicht einmal an. In den zweiten Teil der Quelle, also in den eigentlichen Gemeinen Bescheid, fand nur Dr. Hoß, dafür aber sogar namentlich, Eingang. Das ist eher ungewöhnlich. Üblicherweise trennte das Reichskammergericht stärker zwischen den Interlokuten und den Gemeinen Bescheiden. Normalerweise beschränkte das Kameralkollegium die Hinweise auf einzelne Parteien und Prokuratoren auf die erste Hälfte des Erlasses. Dennoch handelte es sich auch hier um eine Verallgemeinerung, denn auch andere Herren Prokuratoren waren einbezogen. In Zukunft durften sie kammergerichtliche Diener nicht mehr für Zustellungen einspannen. Für Dr. Hoß platzte deshalb der Reproduktionstermin. Ausdrücklich „erkannte“ das Gerichts gar nichts. Der Prozessgegner brauchte also nicht einmal aufzutreten, man legte kein Protokollbuch an. Das Verfahren gelangte deswegen nicht ins Judizialstadium. Eine zweite Zustellung durch einen Kammerboten war vielmehr erforderlich. Am Ende der Quelle droht das Reichskammergericht den unbotmäßigen Prokuratoren bei künfti-

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gen Verstößen sogar eine schwere Strafe nach Ermäßigung an. Das klingt nach einem Widerspruch in sich, war es aber nicht. „Schwer“ und „Ermäßigung“ schlossen sich zu dieser Zeit nicht gegenseitig aus. Hilfreich für das Verständnis ist die von Seyler und Barth gewählte lateinische Übersetzung „sub gravi poena arbitraria“. Hier zeigt sich das zeitgenössische Wortverständnis von Ermäßigung. Es ging also nicht darum, eine schwere Strafe abzumildern. Vielmehr behielt sich das Gericht vor, das Ausmaß der schweren Strafe noch genauer zu bestimmen. Ermäßigung bedeutete daher nichts anderes als Ermessen. Sprachgeschichtlich haben sich die Rechts- und die Alltagssprache in der Folgezeit auseinanderentwickelt. Ermäßigung erhielt mehr und mehr den Anklang von Milde und Reduzierung. Ermessen dagegen kennzeichnete die nicht fest gebundene Entscheidung. 1528 gab es diese Unterscheidung noch nicht. Es wäre daher leichtsinnig, die frühneuzeitliche deutsche Rechtssprache der Gemeinen Bescheide für einfach zugänglich zu halten.

RKG Nr. 16 1528 Juni 26 [Responsiones, ut sibi contrariae et ordinationi non convenientes, reiiciuntur commune decretum, ut procuratores dehinc (pro vitandis supervacuis submissionibus) respondendo omittant verba: Wie gesetzt: Sed directo, an credant nec ne, respondeant sub poena arbitraria.]1 [Singulis articulis pure per verba „credo“ vel „non credo“ respondeatur.]2 [Singulis articulis non per verba „Glaube nicht, wie gesetzt“ sed „Glaube oder nicht glaube“ singulariter respondetor.]3 Die Responsiones durch Doctor Hossen4 von wegen weiland L. von T. nachgelassener Kinder auff R. von I. fürbrachte Articul, die sechshundert Gulden belangend, am letzten Januarii diß Jahr übergeben, seynd als ihnen selbst wiederwartig und sonst der Ordnung ungemäß, verworffen, und ist darneben der Gemeine5 Bescheid: Daß er6 und andere Procuratores zu Verhütung Verzugs der Sachen7 und ohnnothwendiger8 Bescheid, in ihren Antworten auff die Articul9 sich hinfüro bey Poen nach Ermässigung derer Wort: Glaub nicht, wie gesetzt, enthalten, sondern stracks 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Responsiones ... arbitraria in Seyler/Barth I 1604. Singulis ... respondeatur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Singulis ... respondetor in GB 1661; auch Blum 1667 (mit respondetur). Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen Blum 1667 Doctor H.; GB 1695; GB 1707 Doct. H. Statt Die Responsiones ... der gemeine in Ferrarius 1605 Ist der gemein. Ferrarius 1605 D. G. Ferrarius 1605 der Sachen Verzug. Seyler/Barth I 1604; GB 1714; CJC 1717 unnothwendiger; anders Ferrarius 1605 und nohtwendiger. Seyler/Barth I 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 zu den Articuln.

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auff einen jeden Articul: Glaub oder Glaub nicht1, lauter2 vermöge der Ordnung antworten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 69 Nr. XXXVII. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth I 1604, S. 972 F; Ferrarius 1605, S. 2; GB 1661, S. 3; GB 1665, S. 3; Blum 1667, S. 523; GB 1671, S. 3; GB 1678, S. 3; GB 1686, S. 3; GB 1688, S. 3; GB 1695, S. 5; GB 1696, S. 5; GB 1707, S. 5; GB 1710, S. 6 Nr. XVI; GB 1714, S. 4 Nr. XVI; CJC 1717, S. 4 Nr. XVI; GB 1717, S. 4 Nr. XVI; GB 1724, S. 6 Nr. XVI; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Dr. Christoph Hoß scheint ein Kammergerichtsprokurator gewesen zu sein, der mehrfach zur Verärgerung Anlass bot. Jedenfalls sind seine Verstöße gegen die Prozessordnung in den Gemeinen Bescheiden der Nachwelt überliefert. Mit Gemeinem Bescheid vom 19. Februar 1526 (oben RKG Nr. 12) verwarf das Reichskammergericht sein Ansinnen, für die Reproduktion kammergerichtlicher Ladungen und Mandate pauschale Fristverlängerungen bis zur Rückkehr des Kammerboten zu gewähren. Im unmittelbar vorangegangenen Bescheid vom 27. Mai 1528 (oben RKG Nr. 15) ging es um seine Anmaßung, statt der Kammerboten Gerichtsdiener mit der Zustellung von Ladungen zu beauftragen. Nur einen Monat später erging der hier zu besprechende Bescheid. Erneut war Hoß unangenehm aufgefallen. Er hatte bereits im Januar einen Schriftsatz eingereicht, auf den das Gericht noch nicht reagiert hatte. Es ging um seine Responsionen, also Antworten auf einen gegnerischen Schriftsatz, wegen 600 Gulden für nachgelassene Kinder. Verständlich ist der Gemeine Bescheid nur vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Positionalverfahrens, auch Artikelprozess genannt. Es handelte sich dabei um die typisch gemeinrechtliche Form des Zivilprozesses. Am Reichskammergericht bediente man sich dieser Verfahrensart für 160 Jahre. Erst durch den Jüngsten Reichsabschied von 1654 wurde der Artikelprozess weitgehend beseitigt. Im Positionalverfahren hatten die Parteien bzw. ihre Schriftsatzverfasser sämtliche Tatsachenbehauptungen in einzelne Artikel oder Positionen zu zergliedern und durchzunummerieren. Auf diese Weise sollte von Anfang an klar sein, auf welche tatsächlichen Fragen es im Rechtsstreit ankam. Rechtsausführungen in diesen Positionen waren verboten. Wie man Statuten und Gewohnheiten in diesem Spannungsfeld verorten sollte, beurteilten die Zeitgenossen unterschiedlich, schlugen sie im 16. Jahrhundert aber regelmäßig noch den Tatsachen zu. War ein solcher Schriftsatz zu den Akten gereicht, oblag es dem Gegner, darauf zu antworten. Je nachdem, in welchem Schriftsatz die Artikel formuliert waren, brauchten sich die Antworten nicht immer auf die Exzeptionsschrift zu beschränken. Das zeitgenössische Wort Responsion ist damit erheblich unbestimmter als die jeweiligen Titulierungen der Schriftsätze, die immer genau anzeigten, welche Partei in welchem Verfahrensstadium die Erklärung abgegeben hatte. Dafür aber mussten die Responsionen eine andere Aufgabe erfüllen. Sie sollten nämlich ohne weiteres klarstellen, ob der Prozessgegner die aufgestellten Tatsachenbehauptungen glaubte oder nicht. Auf diese Weise, so die Überlegung der 1 2

Ferrarius 1605; Seyler/Barth I 1604; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696 Glaub oder nicht Glaub. Fehlt in Ferrarius 1605.

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gemeinrechtlichen Juristen, sollte schnell und übersichtlich feststehen, welche Behauptungen streitig und welche unstreitig waren. Den Umfang der beweisbedürftigen Tatsachen hoffte man so auf die wirklich erheblichen Punkte zu begrenzen. Geradezu schematisch enthalten die Responsionsschriften nummerierte Listen winzigster Sätze: „Glaubt wahr“ oder „glaubt nicht wahr“. Dr. Christoph Hoß, der Kammergerichtsprokurator, hatte aber selbst gegen diese sattsam bekannte Gepflogenheit verstoßen. Seine Responsionen, möglicherweise von einem Advokaten vorformuliert, gingen über die schlichten „glaubt wahr“- und „glaubt nicht wahr“-Floskeln hinaus. Sie enthielten überflüssige zusätzliche Wörter, nämlich „wie gesetzt“. Vermutlich deutete Hoß damit einen Verweis auf eigene Schriftsätze an, in denen er seine Sicht des Sachverhalts, ebenfalls in Artikel zergliedert, dargelegt hatte. Das aber hielt das Kammergericht für unstatthaft. Die Prokuratoren waren verpflichtet, nur diejenigen Responsionen einzureichen, die haargenau auf die Worte „glaubt wahr“ und „glaubt nicht wahr“ beschränkt waren. Anderenfalls, so meinte das Gericht, drohten Verzögerungen und weitere Bescheide. Und genau das besagte die Verallgemeinerung, die das Gericht als Gemeinen Bescheid verkündete. Der Vorgang wirft ein ganz erstaunliches Bild auf das kammergerichtliche Verständnis des Positionalverfahrens. Offenbar hing der vorgegebene Schematismus davon ab, dass alles wortgenau abgeklappert wurde. Verständnisprobleme waren vollkommen ausgeschlossen, wenn man es mit Schriftsätzen wie denen von Dr. Hoß zu tun hatte. Weshalb das Kameralkollegium Verzögerungen drohen sah, ist nicht nachvollziehbar. Jedenfalls steht der moderne Betrachter fassungslos vor einer äußerst scharfen Ausprägung von gerichtlichem Formalismus. Es ging tatsächlich um Buchstabenklauberei im kleinlichsten Sinne, genau genommen in ähnlicher Ausprägung wie in den von der älteren Forschung an die Wand gemalten Zerrbildern mittelalterlicher Formstrenge. Bezogen auf das Mittelalter hat die überkommene Literatur den prozessualen Formalismus teilweise überspitzt. Gleichzeitig hat sie die Neuzeit aber auch als Epoche gesehen, die zur Formfreiheit drängte. Der Gemeine Bescheid des Reichskammergerichts warnt vor solchen Einseitigkeiten. Das gemeine Prozessrecht konnte genauso streng sein wie die ungelehrte Zeit, Buchstabengenauigkeit einfordern und für Verstöße Strafen festsetzen. Freilich hat man es hier mit normativen Quellen zu tun. Die Praxis mag wiederum weicher geworden sein. Immerhin enthält der Gemeine Bescheid vom 26. Juni 1528 aber auch ein Zwischenurteil. Jedenfalls gegenüber Dr. Christoph Hoß hat das Reichskammergericht nicht nur in der Theorie, sondern gerade in der Praxis auf buchstabengenaue Beachtung des Positionalverfahrens geachtet. Er war zwar vorher bereits unangenehm aufgefallen. Man könnte also denken, das Gericht habe ihn auf dem Kieker gehabt und gängeln wollen. Das aber gibt die Quelle nicht her, denn der Gemeine Bescheid erging ausdrücklich und wie immer auch an alle anderen Prokuratoren.

RKG Nr. 17 1531 Januar 23

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RKG (ohne Nr.) 1531 Januar 13 Seiler 1572 weist im Register (Stichwort: „Gemeiner bescheid“ am Ende von Buchstabe G) einen Bescheid für dieses Datum aus. Unter der angegebenen Seite und dem genannten Datum findet sich aber lediglich ein Zwischenurteil.

RKG Nr. 17 1531 Januar 231 [In diversis diversorum causis, nisi hac audientia actum fuerit, fiet quod iuris ad petita.]2 [Procuratores ex audientia etiam coram deputatis habenda sine venia non discedunto.]3 [Procuratores ex audientia absque impetrata venia ne recedunto.]4 Sofern Dr. Ludwig Ziegler5 in Sachen ausgangenen Mandats zwischen L. R. Priestern wieder die von M., desgleichen Lizentiaten Helffman6 von wegen Herzog K. von D. in Sachen angezogenen Friedbruchs der Stadt J. Kläger: Und dann Dr. Dicken7 zwischen O. V. von G. wieder V. und seine Zugewandte, in dieser Audientz auf ihrer Wiedertheil nächstgeschehene Handlung und Begehren nicht handlen würden, [das alsdann auff solch ihre gethane Beger,]8 soll ergehen9 was recht ist; [Commune Decretum: Ne procuratores sine venia ex audientia nondum finita recedant, sed ad finem etiam coram deputatis sub poena arbitraria maneant.]10 Und in diesen und allen andern Sachen der Gemeine11 Bescheid: daß die Procuratores hinführo1 ohne Erlaubniß aus der Audientz nicht gehen, sondern biß

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Anderer Monat in GB 1695; GB 1696; GB 1707 Anno 1531. 23. Februarii; GB 1710 23. Februarii Anno 1531; Januar aber ebenfalls in Ferrarius 1605; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688. In ... petita in Seyler/Barth I 1604. Procuratores ... discedunto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Procuratores ... recedunto in GB 1661; Blum 1667. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; anders GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696 Dr. L. Z.; CJC 1724 D. L. Z. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604; dagegen GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; CJC 1724 Lt. H. Auflösung nach Seyler/Barth I 1604. Das ... beger in Seyler/Barth I 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1678 ergehen sol. Commune ... maneant in Seyler/Barth I 1604. Statt Sofern Dr. ... der gemeine in Ferrarius 1605 Ist der gemein.

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RKG Nr. 17 1531 Januar 23

zu End aller Handlung, auch coram Deputatis, bey Pön nach Ermessigung bleiben sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 74 Nr. XL. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth I 1604, S. 7 G, H; Ferrarius 1605, S. 2; GB 1661, S. 3; GB 1665, S. 3; Blum 1667, S. 523; GB 1671, S. 3; GB 1678, S. 3; GB 1686, S. 3; GB 1688, S. 3; GB 1695, S. 5-6; GB 1696, S. 5-6; GB 1707, S. 5-6; GB 1710, S. 6-7 Nr. XVII; GB 1714, S. 4 Nr. XVII; CJC 1717, S. 4 Nr. XVII; GB 1717, S. 4 Nr. XVII; GB 1724, S. 6-7 Nr. XVII; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich mit der Anwesenheit der Prokuratoren in den Audienzen. Ganz ungewöhnlich ist die Tenorierung des vorangestellten Zwischenurteils. Dort nämlich fasste das Kameralkollegium Entscheidungen zu gleich drei offenbar nicht miteinander verbundenen Rechtsstreitigkeiten zusammen (ähnlich Gemeiner Bescheid vom 19. Juni 1532, unten RKG Nr. 19). Die Prokuratoren Dr. Ludwig Ziegler, Lic. Johann Helffmann und Dr. Leopold Dick hatten demnach die Audienz verlassen, wohl ohne um Erlaubnis zu bitten. Deswegen stellte sich die Frage, welche Folgen das nach sich zog. Auf Antrag der Gegenparteien sollte jeweils ergehen, was Recht ist. Mit dieser verbreiteten Klausel drohte das Reichskammergericht entweder Ordnungsbußen oder Säumnisfolgen an. Die Zusammenfassung dreier Interlokute zur Einleitung eines Gemeinen Bescheids wirft Fragen nach dem Entstehungszusammenhang auf. Vielleicht handelte es sich gar nicht um die authentischen Zwischenurteile. Jedenfalls in die Spezialprotokolle gingen nur solche Entscheidungen ein, die sich ausschließlich mit dem zugrundeliegenden Rechtsstreit beschäftigten. Sammelurteile sind sonst nicht überliefert. Damit gibt es zwei Lösungsmöglichkeiten. Entweder bereitete das Reichskammergericht solche Zwischenurteile für den Hinführungsteil eines Gemeinen Bescheids neu auf und veränderte zugleich ihren Wortlaut. Oder die Spezialprotokolle enthalten gar nicht in jedem Fall den Wortlaut der verkündeten Entscheidung, sondern vielmehr die auf den Einzelfall zurechtgeschnittene Fassung. Das bleibt unklar. Der sich anschließende Gemeine Bescheid mahnte hier am 23. Januar 1531 die Anwesenheit sämtlicher Prokuratoren während der gesamten Audienzen an. Ausdrücklich galt das auch für die anschließenden Handlungen vor den Deputierten. Die mit den ausgelagerten Beweisaudienzen zunächst offenbar einhergehende Entlastung (dazu der Gemeine Bescheid vom 9./19. März 1526, oben RKG Nr. 13) hatte sich möglicherweise nicht bewährt. Jetzt mussten nämlich sämtliche Prokuratoren bei sämtlichen Audienzen und Deputiertenhandlungen bis zum Schluss ausharren. Entfernen durften sie sich nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Kameralkollegiums. Bei Verstößen drohte eine arbiträre Bestrafung.

1

Fehlt in Ferrarius 1605; dagegen einheitlich Seyler/Barth I 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 hiemit.

RKG Nr. 18 1532 März 20

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RKG (ohne Nr.) 1531 Februar 23 siehe 1531 Januar 23

RKG Nr. 18 1532 März 20 [Commune decretum: Ut prox[im.]. visitationis recessui obsequium praestetur et sub poena 20 fl. procuratores quicquid a partibus (praeter voluntaria munera) ante taxam expensarum acceperint significent scriptis simul cum schedulis expensarum.]1 [In designatione expensarum simul accepta praeter voluntaria munera sub poena 20 florenorum profitentor.]2 [In designatione expensarum simul indicantor accepta praeter dona spontanea.]3 Als im jüngsten4 Abschied der Visitatorn5 des6 Kayserlichen Kammergerichts ein Articul gesetzt, daß die Procuratores [deß Chammergerichts ante]7 Taxam expensarum8 bey Poen zwantzig Gulden anzeigen sollen, was sie von ihren Parteyen auff die Sachen zur Belohnung ausserhalb freygebener Verehrung9 empfangen haben; so ist demnach der Gemeine Bescheid, daß sich die10 gedachte Procuratores hinfüro bey bestimbter Poen, solchem Articul gemäß und gehorsamlich halten und ihr Einnehmen neben denen Expenszetteln schrifftlich anzeigen und übergeben sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 79-80 Nr. XLII. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 177; Seyler/Barth II 1604, S. 116 G; Ferrarius 1605, S. 15; GB 1661, S. 3-4; GB 1665, S. 3; Blum 1667, S. 523-524; GB 1671, S. 3; GB 1678, S. 3; GB 1686, S. 3; GB 1688, S. 3; GB 1695, S. 6; GB 1696, S. 6; GB 1707,

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Commune ... expensarum in Seyler/Barth II 1604; nicht in Seiler 1572. In ... profitentor in GB 1661; Blum 1667. In ... spontanea in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572 in jüngstem. Seiler 1572 Visitatoren; Ferrarius 1605; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Visitation. Seiler 1572; Ferrarius 1605 diß. Deß ... ante in Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605 Procuratores deß Cammergerichts in debita condemnatione expensarum. Seiler 1572 verehrungen. Fehlt in Ferrarius 1605.

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RKG Nr. 18 1532 März 20

S. 6; GB 1710, S. 7 Nr. XVIII; GB 1714, S. 4-5 Nr. XVIII; CJC 1717, S. 4-5 Nr. XVIII; GB 1717, S. 4-5 Nr. XVIII; GB 1724, S. 7 Nr. XVIII. Anmerkung: Es handelt sich um den ersten Gemeinen Bescheid des Reichskammergerichts, der sich ausdrücklich auf einen Visitationsabschied beruft. In der Tat sollten die kammergerichtlichen Visitationen rechtliche Zweifelsfälle entscheiden und auch die Gemeinen Bescheide von vorläufigen Anordnungen in gesetzliche Regelungen überführen (dazu in der Einleitung bei Anm. 110 und weiter). Die Anspielung nennt hier kein Datum und keine Vorschrift. Gemeint war aber zweifelsfrei der Visitationsabschied von Speyer vom 24. März 1531. Es handelte sich dabei um den ersten Visitationsabschied aus der Speyerer Zeit des Gerichts. Dort bestimmte § 36, die Prokuratoren hätten vor der gerichtlichen Kostenfestsetzung anzuzeigen, was sie von den Parteien als Vergütung erhalten hatten. Ausgenommen waren freiwillige Zahlungen aus vorgeblicher Verehrung. Bei Verstößen drohte dem Prokurator eine Geldstrafe in Höhe von 20 fl. (Visitationsabschied vom 24. März 1531 § 36, bei Ludolff, CJC 1724, S. 78). Anstatt der vielfach zu beobachtenden Zweiteilung in Zwischenurteil und Gemeinen Bescheid griff das Reichskammergericht im ersten Teil des Erlasses den Wortlaut des Visitationsabschiedes nahezu wörtlich wieder auf. Der Gemeine Bescheid enthält sodann zwei Anordnungen. Zunächst schärfte das Kameralkollegium allen Prokuratoren ein, sich wirklich nach der Bestimmung des Speyerer Visitationsabschieds zu richten. Erstaunlicherweise wiederholte das Gericht aber nicht die hohe Summe von 20 fl. Strafe, sondern zog sich auf die etwas unverbindlichere Formulierung einer „bestimmten“ Strafe zurück. Eine Konkretisierung bot daraufhin der letzte Halbsatz. Er ging über die bloße Wiederholung des Abschieds hinaus. Sprach der Visitationsabschied nur von einer Anzeige, legte der Gemeine Bescheid nun die Förmlichkeiten genauer fest. Die Prokuratoren sollten ihre Einnahmen schriftlich und doppelt nachweisen. Zum einen hatten sie dem Gericht wohl ihre Expenszettel zu übergeben, zum anderen eine gesonderte schriftliche Aufstellung. Auf diese Weise versuchte das Gericht, die Übervorteilung der Parteien durch die Kameralanwälte einzudämmen. Wie im modernen Recht waren die Anwälte in der Festsetzung ihrer Gebühren gegenüber den Mandanten nicht frei. Allerdings scheint es daneben ein erhebliches Einfallstor für Unregelmäßigkeiten gegeben zu haben. Freigebige Verehrung blieb nämlich möglich und wurde ausdrücklich nicht auf die regulären Einkünfte der Prokuratoren angerechnet. Eine solche Grauzone war aber schwer zu durchstochern. Wer wollte das jeweilige Ausmaß der Freiwilligkeit ermessen? Falls geschickte Prokuratoren ihren Auftraggebern feinsinnig Hinweise gaben, ließen sich ihre Einkünfte also erheblich steigern. Kontrollmöglichkeiten gab es dann nicht mehr. Die vom Gericht angesprochene „Taxa expensarum“ erging als gesonderte Entscheidung nach einem Endurteil. Angesichts der hohen Zahl nicht förmlich ausgeurteilter Fälle darf man die praktische Auswirkung des Gemeinen Bescheids also nicht überschätzen. Die Prokuratoren konnten schlecht das Endurteil abwarten, wenn sich keine Klarheit darüber abzeichnete, ob überhaupt eines ergehen würde. Deswegen lässt sich der Gemeine Bescheid wie schon zuvor der Visitationsabschied auch dahingehend lesen, dass Abschlagszahlungen üblich und erlaubt waren. Anders konnten sich die Kameralanwälte angesichts der niedrigen Urteilsquote nicht finanzieren.

RKG Nr. 19 1532 Juni 19

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RKG Nr. 19 1532 Juni 191 [Recessus plures diversorum cum poena reiiciuntur.]2 [Prolixis conclusionibus recessibus non necessariis, dicteriis et iniuriosis verbis abstinento.]3 [Procuratores longis submissionibus, recessibus non necessariis, dicteriis et iniuriosis verbis abstinento.]4 Die Recess jüngst verschiener Audientz durch Dr. Reiffstocken5 und Dr. Hirdern6 in Sachen H. D. wieder V. in K. und desselben Zugewandte: Desgleichen durch gemelten Reiffstock, zwischen der Statt K und K. L. M. und durch Doctor Valentin Gottfrieden, zwischen Herrn K. O. Spitalmeistern zu O. K. V. und desselben zugewandten, und dann durch Licentiat Weissen, zwischen O. V. und K. O. auch durch Doctor Hirdern von wegen E. von V. wider den Bischoff zu D. Und gemelten Licentiat Weissen, und Dr. Dicken, zwischen E. O. und der Statt F.7 gehalten, als wieder die Ordnung beschehen, seind8 mit Vorbehalt verwürckter Poen hiemit verworffen, [Procuratores dehinc prolixis conclusionibus et recessibus omnibus non neccessariis, pungnantibus, illusoriis, et iniuriosis, invicem verbis, prout saepius iussi, abstineant; alias istius modi recessus non scribendi, nec describendi, taxandive; sub graviori et severiori poena.]9 und ist darneben der Gemeine10 Bescheid, daß sich die Procuratores hinführo der langen Beschlüß11, Fürtrtäg und Recess, auch aller ohnnothdürfftiger, spitziger, [und]12 spöttischer und13 Schmähewort gegen einander, wie ihnen hiebevor [offt]14 auferlegt, gäntzlich enthalten, und stracks hierinn15 der Ordnung gemäß halten16,

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GB 1707 Junii ohne Tag; dagegen mit genauem Datum in GB 1695; GB 1696. Recessus ... reiiciuntur in Seyler/Barth II 1604. Prolixis ... abstinento in GB 1661; Blum 1667. Procuratores ... abstinento in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Auflösung nach Seyler/Barth II 1604; dagegen GB 1695 D. R.; CJC 1724 Dr. R. Auflösung nach Seyler/Barth II 1604; dagegen GB 1695; CJC 1724 Dr. H. Auflösung nach Seyler/Barth II 1604; dagegen CJC 1724 Desgleichen durch NN. gehalten. Fehlt bei Seiler/Barth II 1604; dagegen GB 1695 seyn. Procuratores ... poena in Seyler/Barth II 1604. Statt Die Recess jüngst ... der gemeine in Ferrarius 1605 Ist der gemein. Ferrarius 1605 Beschluß. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605. Ferrarius 1605 hierin stracks. Ferrarius 1605 handeln.

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RKG Nr. 19 1532 Juni 19

und so sie solches nicht thun würden1, [daß]2 dieselbe3 Recess nicht angeschrieben oder protocolliret, noch im Compliren4 ausgeschrieben5, desgleichen vielweniger taxiret, darzu die Ubertreter ohn allen Nachlaß ernstlicher, dann bißhero geschehen6, gestrafft werden sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 80 Nr. XLIII. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth II 1604, S. 137-138 G, H; Ferrarius 1605, S. 15; GB 1661, S. 4; GB 1665, S. 3; Blum 1667, S. 524; GB 1671, S. 3; GB 1678, S. 3; GB 1686, S. 3; GB 1688, S. 3; GB 1695, S. 6-7; GB 1696, S. 6-7; GB 1707, S. 6-7; GB 1710, S. 7-8 Nr. XIX; GB 1714, S. 5 Nr. XIX; CJC 1717, S. 5 Nr. XIX; GB 1717, S. 5 Nr. XIX; GB 1724, S. 7-8 Nr. XIX; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt anwaltliches Fehlverhalten in der Audienz. Wie schon am 23. Januar 1531 (oben RKG Nr. 17) boten wieder mehrere Vorkommnisse den Anlass, einen Gemeinen Bescheid zu verkünden. Es ging um Rezesse, die gegen die Ordnung verstoßen hatten. Mit dem Hinweis, die genannten Prokuratoren hätten ihre Rezesse gehalten, war zugleich deren prozessuale Form klargestellt. Nicht übergebene Schriftsätze, sondern mündliche Rezesse waren das Problem. Gänzlich verboten waren sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die genannten Prokuratoren hatten allerdings gegen die Vorgaben der Reichskammergerichtsordnung verstoßen. Schon 1507 hatte die Regensburger Kammergerichtsordnung Schmähworte und Weitschweifigkeiten in den Audienzen bei einem Gulden Strafdrohung verboten (RKGO 1507 Tit. 7 § 1, bei Ludolff, CJC 1724, S. 28). Der Gemeine Bescheid belegt, wie schwer es war, diese Anordnung durchzusetzen. Gleich mehrere Verstöße aus verschiedenen Audienzen listete die Einleitung auf. Spottreden, spitze Bemerkungen und Beleidigungen in den Audienzen waren also keineswegs selten. Eine mögliche Ursache benennt der Gemeine Bescheid am Schluss selbst. Bisher hatte das Gericht Übertretungen nicht wirklich geahndet. In Zukunft sollte dies „ernstlicher“ geschehen. Aber wie ein Selbstwiderspruch mutet es an, wenn das Gericht zugleich die namentlich genannten Prokuratoren wegen ihrer Verstöße ebenfalls nicht bestrafte, sondern sich die Bestrafung lediglich vorbehielt. Immerhin kündigte das Kameralkollegium an, die Protokollbücher würden solche Schimpfreden in Zukunft nicht mehr ausweisen. Das wirft zugleich ein interessantes Licht auf die Verlässlichkeit der Protokollbücher. Keineswegs bildeten sie nach dem Willen des richterlichen Personals den Verfahrensalltag getreu ab. Ausdrücklich waren sie vielmehr auf den juristisch erheblichen Teil der Ausführungen beschränkt. Nur sehr gefiltert geben sie daher Auskunft über die Rede vor Gericht. Gerade bei Entgleisungen und missbräuchlichen Rezessen kommt die Schilderung von Missständen 1 2 3 4 5 6

Ferrarius 1605 werden. Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605 dieselbig. Seyler/Barth II 1604 Complet. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 auffgeschrieben. Fehlt in Ferrarius 1605; dagegen Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 beschehen.

RKG Nr. 19 1532 Juni 19

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im Gemeinen Bescheid der kammergerichtlichen Praxis vermutlich ungleich näher als ein bereinigtes Spezialprotokoll. Der Hinweis auf die Komplierung verweist ausdrücklich auf die Aktenführung. Hier ist bis in die letzten Einzelheiten noch nicht alles geklärt. Aber jedenfalls immer dann, wenn Entscheidungsreife vorlag und das Gericht eine Entscheidung vorbereitete, musste die Akte neu zusammengestellt werden. In den Protokollbüchern erkennt man an diesen Stellen CompletumVermerke. Nicht immer erging danach auch eine Entscheidung. Zahlreiche Fälle versandeten nach einer Kompletur, ohne dass je ein Urteil erfolgte. Aber in diesem Zeitpunkt der Komplierung wurden offenbar die Protokollbücher auf Stand gebracht, möglicherweise aus einem chronologischen Sitzungsprotokoll in die Spezialprotokolle der einzelnen Rechtsstreitigkeiten übernommen. Auch bei diesem Vorgang, das stellte der Gemeine Bescheid klar, hatten die Beleidigungen außen vor zu bleiben. Aber auch gegen lange Beschlüsse, Vorträge und Rezesse führt der Gemeine Bescheid Klage. Mit Beschlüssen waren hier anwaltliche Vorträge gemeint, mit denen eine Partei ihren Vortrag förmlich beendete und die Sache für entscheidungsreif erklärte. Modern könnte man an Schlussplädoyers denken, aber gerade so etwas untersagte das Reichskammergericht. Es ging gerade nicht um eine ausführliche Würdigung des Sach- und Streitstandes, sondern um kurze Erklärungen. Hier handelte es sich um ein ständiges Problem des Kameralprozesses. Überliefert sind diese Schwierigkeiten fast immer aus richterlicher Perspektive. Die Assessoren brandmarkten anwaltliches Fehlverhalten und mahnten zur Disziplin. Vermutlich lag die Ursache tiefer. Das frühneuzeitliche Zivilprozessrecht litt an einem unauflösbaren Widerspruch, der schlichtweg immer zu Zwistigkeiten dieser Art führen musste. Auf der einen Seite galt das klassische „Quod non est in actis non est in mundo.“ Auf der anderen Seite gab es öffentliche Audienzen mit mehrfach eingeschärftem Teilnahmezwang sämtlicher Anwälte. Diese zahlreichen Prokuratoren angesichts des Publikums zu zwingen, lediglich Schriftsätze zu überreichen und dabei zu erklären, sie überreichten einen Schriftsatz, grenzt an ein Possenstück. Wenn Anwälte vor Gericht in einem streitigen Rechtsfall aufeinandertreffen, versuchen sie im Beisein des Richters, durch geschickten Vortrag ihre Sache zum Guten zu drehen. Das liegt geradezu dem anwaltlichen Selbstverständnis zugrunde, vermutlich sogar überzeitlich. Der Reichshofrat war hier erheblich konsequenter, als er die Audienzen schlechthin abschaffte. Am Reichskammergericht dagegen befanden sich die Prokuratoren in der Zwickmühle, vermutlich besonders in denjenigen Fällen, wenn die Parteien eigens angereist waren und sich unter den Zuschauern befanden. Die ständigen Gängeleien der Anwälte in den Kammergerichtsordnungen und Gemeinen Bescheiden verraten damit zugleich mangelndes Fingerspitzengefühl für diese psychologisch leicht erklärbaren Verhaltensweisen vor Gericht. Das betrifft nicht die gegenseitigen Beleidigungen, wohl aber umfangreichere Sach- und Rechtsausführungen.

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RKG Nr. 20 1533 Juni 18

RKG Nr. 20 1533 Juni 18 [Commune decretum: Ut vigore recessuum prolixis recessibus et repetitione prius productorum, abstineant, concludendoque per generalia, in specie nihil repetant, ad quae ex adverso statim, vel ad prox[imam] praecise, concludendum similiter etc. sub poena etc.]1 [In suis verbalibus conclusionibus absque prius productorum repetitione per generalia concludunto. Ad qua ex adverso statim similiter concluditor. Brevitati recessuum studento.]2 [Procuratores in verbalibus submissionibus per generalia sine prius productorum vel meritorum causae repetitione concludunto et procurator ex adverso similiter statim concludat, in aliis vero recessibus brevitati studento.]3 Nachdem auff4 jüngst beschehene5 Visitation und der Commissarien gegeben auch6 angenommenen Abschied und Befehl, sonderlich in jüngst gehaltener Audientz, etliche der Procuratorn wieder des Reichs vielfältige [geschehen]7 Ordnung und Abschied8, lang Receß und Beschlüß9, mit Repetir- und Erzehlung ihrer in10 Sachen nach einander eingegebener Producten und Schriften, [usw.]11 gehalten haben:12 Damit nun13 fürohin obberührten der Commissarien Abschied und Befehl14 billige Vollziehung beschehe, so ist der Gemeine Bescheid: Daß die Procuratores hinfüro sich desselben15 enthalten und in ihren mündliche Conclusionibus stracks per generalia ohne sonderliche Repetirung16 oder1 eingebrachten Producten oder Er-

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Commune ... etc. in Seyler/Barth II 1604; nicht in Seiler 1572. In ... studento in GB 1661; Blum 1667. Procuratores ... studento in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 nach. Seiler 1572; Ferrarius 1605 beschehener; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1688; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 geschehener; GB 1661; GB 1678; GB 1686 jüngstgeschehener. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 und. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1724; dagegen GB 1714; CJC 1717 beschehene. Ferrarius 1605 Bescheidt. Seiler 1572 lange Receß und Beschluß. Fehlt in Seiler 1572; Ferrarius 1605. Seyler/Barth II 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen Seiler 1572 etc. Absatz in Ferrarius 1605. Fehlt in Ferrarius 1605; dagegen Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 aber. Seiler 1572 abscheidt unnd befehlich. GB 1661 desselbigen. Seiler 1572 erbietung.

RKG Nr. 20 1533 Juni 18

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hohlung Meritorum Causae vermög der Reichsordnung2 zu Regenspurg unterm Titel: „Wie sich3 die4 Procuratores [mit genugsamen Gewalt]5 usw.6“, darzu7 der Camergerichtsordnung zu Nürnberg solcher Beschluß halben auffgericht, beschliessen sollen: Daß auch alsdann des Gegentheils Procurator von Stund an oder ad proximam praecise nach jeder Sachen Art und8 Gestalt auch ohne weitern Termin zu beschliessen schuldig seyn. Und in andern Recessen sollen die gemelte Procuratores sich der Kürtze gebrauchen, und in dem und andern9 sich denen obberührten10 Ordnungen und Abschieden11 gemäß erzeigen und halten, alles bey Vermeidung der gesetzten Straffe, die hinfüro, wo sie verwürckt12 würde13, ohne Nachlaß abgenommen werden sollen14. Vorlage: CJC 1724, S. 86 Nr. XLVII. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 186 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth II 1604, S. 194 A; Ferrarius 1605, S. 26; GB 1661, S. 4; GB 1665, S. 3-4; Blum 1667, S. 524-525; GB 1671, S. 3-4; GB 1678, S. 3-4; GB 1686, S. 3-4; GB 1688, S. 3; GB 1695, S. 7; GB 1696, S. 7; GB 1707, S. 7; GB 1710, S. 8-9 Nr. XX; GB 1714, S. 5 Nr. XX; CJC 1717, S. 5 Nr. XX; GB 1717, S. 5 Nr. XX; GB 1724, S. 8-9 Nr. XX. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ist die unmittelbare Fortsetzung des vorigen Bescheids vom 19. Juni 1532 (oben RKG Nr. 19). Das Problem der anwaltlichen Weitschweifigkeit hatte sich im zwischenliegenden Jahr keineswegs gelöst, sondern noch weiter verschärft. In der dem Bescheid vorangegangenen Audienz hatten erneut zahlreiche Prokuratoren gegen die Maßgabe zur Kürze verstoßen. Inzwischen listete das Gericht gleich eine ganze Latte von Vorschriften auf, die zur Kürze und Beschleunigung ermahnten. Ganz am Anfang stand der Visitationsabschied mitsamt Visitationsmemorial vom 21. Mai 1533, gerade einmal einen Monat alt. Daneben zitierte der Gemeine Bescheid den Regensburger Reichsabschied vom 27. Juli 1532 sowie die Nürnberger Reichskammergerichtsordnung vom 2. Februar 1523. Nach knapp vier Jahrzehnten kammergerichtlicher Tätigkeit gab es bereits eine größere Zahl normativer Quellen, und deshalb gerieten die 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 der. Ferrarius 1605 deß Reichs Ordnung Anno 1567 (Jahreszahl wohl Druckfehler). Fehlt in Ferrarius 1605. Fehlt in Seiler 1572; GB 1661. Mit ... Gewalt in Seiler 1572; Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1678. Fehlt in Seiler 1572. Seiler 1572 zu; Ferrarius 1605 Und. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605 oder. Seiler 1572 anderm. Ferrarius 1605 berührten. Ferrarius 1605 Abschiedt; Seiler 1572; GB 1661 Abscheiden. Ferrarius 1605 verruckt. Seiler 1572 wirdt; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1714; GB 1724 würden. Seiler 1572; Ferrarius 1605 soll.

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RKG Nr. 21 1533 Juli 7

Verweise in den Gemeinen Bescheiden nun zunehmend umfangreicher. Ohnehin deutet sich im Text bereits der Hang zur Weitschweifigkeit an, der später die barocke Kanzleisprache so berüchtigt machen sollte. Inhaltlich setzte der Bescheid zwar die Anordnung des Gemeinen Bescheides vom 19. Juni 1532 und der anderen Vorgaben um, ging aber gleichzeitig in seiner Verfeinerung über den Gemeinen Bescheid vom 19. Juni 1532 hinaus. Es gab nämlich jetzt eine Unterscheidung zwischen Konklusionen und Beschlüssen auf der einen, sonstigen Rezessen aber auf der anderen Seite. Konklusionen, die latinisierte Fassung von Beschlüssen, waren die Schlussvorträge der Parteien. Hatte eine Seite also zum Urteil geschlossen, sollte es nach dem Willen des Gemeinen Bescheids keinen förmlichen Termin mehr in dieser Sache geben. Auch der Prozessgegner war nun gehalten, seinerseits zu beschließen, entweder sofort oder demnächst. Es war also möglich, die zweite Konklusion zu verschieben. Der Verzicht auf einen neuen Termin machte es aber beispielsweise unmöglich, weitere Schriftsätze einzureichen. Jedenfalls die Prozessakte konnte von diesem Zeitpunkt an nicht mehr dicker werden. Für die anderen Rezesse mahnte der Gemeine Bescheid abermals Kürze an und stellte eine strenge Bestrafung in Aussicht.

RKG Nr. 21 1533 Juli 7 [Qui dilationes ob accusatam contumaciam petivere terminus agendi ad [[primam]]1 post ferias [[caniculares]]2 eis hic praefigitur.]3 [Qui ob accusatam contumaciam dilationes petiere, ad primam post ferias messium agunto.]4 In allen Sachen, darinn jüngst am 23. und 25. Junii Contumacia accusirt und darauff weitere Dilationes gebetten worden, ist der Bescheid: Daß diejenige, so solche Dilationes5 gebetten und zu handlen schuldig sind, auff den ersten Gerichtstag nach jetzt angehenden Ferien der Ernd, wie einem jeden respective gebühret, bey Poen nach Ermessung6, damit derhalben weitern Contumacirens ohn Noth werde, handlen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 86 Nr. XLVIII.

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Blum 1667; dagegen GB 1661 I. Blum 1667. Qui ... praefigitur in GB 1661; GB 1665; Blum 1667. Qui ... agunto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1678; GB 1695 Dilationen. GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Ermässigung.

RKG Nr. 21 1533 Juli 7

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Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 4; GB 1665, S. 4; Blum 1667, S. 525; GB 1671, S. 4; GB 1678, S. 4; GB 1686, S. 4; GB 1688, S. 3-4; GB 1695; S. 8; GB 1696, S. 8; GB 1707, S. 8; GB 1710, S. 9 Nr. XXI; GB 1714, S. 6 Nr. XXI; CJC 1717, S. 6 Nr. XXI; GB 1717, S. 6 Nr. XXI; GB 1724, S. 9 Nr. XXI; fehlt in Seiler 1572; Ferrarius 1605. Anmerkung: In diesem Gemeinen Bescheid geht es um Säumnis in den gerichtlichen Audienzen und ihre Folgen. Am 23. und 25. Juni hatten wohl in zahlreichen Fällen Prokuratoren die Untätigkeit des Gegners förmlich als Säumnis gerügt. Der Bescheid vom 7. Juli reagierte innerhalb von zwei Wochen darauf, also sehr schnell. Um wie viele oder um welche Fälle es sich handelte, sagte der Gemeine Bescheid nicht. Aber in allen Prozessen hatte der gegnerische Prokurator um Dilation nachgesucht, also weitere Fristverlängerungen beantragt. Er war demnach in der Audienz erschienen. Die Säumnis kann daher nur daran gelegen haben, dass er die zu diesem Termin eingeforderten Schriftsätze nicht hatte vorlegen können. Nun standen aber die Gerichtsferien vor der Tür, vom Kameralkollegium sehr landwirtschaftlich als Ernteferien bezeichnet. Die beantragten Fristverlängerungen sprach das Gericht jetzt nur bis zur ersten Audienz nach der Sommerpause aus. Bis dahin sollten die fehlenden Schriftsätze vorliegen. Anderenfalls stand ein förmliches Säumnisverfahren bevor. An einem Kontumazialverfahren, das stellte der Gemeine Bescheid sehr deutlich klar, hatte das Reichskammergericht aber kein Interesse und versuchte es deswegen zu vermeiden. Um einen Gemeinen Bescheid, also um eine allgemeine Anordnung, handelt es sich bei dieser Regelung nur, weil er eine Vielzahl von Kammergerichtsprokuratoren betraf. Es ging freilich um eine konkrete Situation, keineswegs um eine Verfahrensfrage von allgemeinem Interesse. Und betroffen waren auch nur diejenigen Prokuratoren, bei denen das Säumnisproblem vor der Sommerpause aufgetaucht war. Zugleich wurde der Gemeine Bescheid im Herbst 1533 notwendigerweise gegenstandslos. Den Hinweis, von nun an seien Versäumnisfragen in der Sommerzeit immer auf dieselbe Weise zu lösen, sucht man vergebens. Damit erweist sich dieser Gemeine Bescheid doch eher als punktuell und wenig allgemein ausgreifend. Dennoch haben die späteren gedruckten Sammlungen ihn aufgenommen, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt schon längst gegenstandslos war. Das belegt abermals die Verlässlichkeit der Bescheidsammlungen. Auf der anderen Seite konnte ein Prokurator anhand der gedruckten Quellen zum Kameralprozess gar nicht erkennen, welche Anordnungen noch verbindlich waren und welche sich bereits erledigt hatten. Lediglich wenn es ein Verfallsdatum gab wie hier im Sommer 1533, bereitete die rechtliche Einschätzung später keine Probleme.

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RKG Nr. 22 1533 August 29

RKG Nr. 22 1533 August 29 [Non obst[ante] petitione termini lis hodie contestanda vigore sententiae. Communiter procuratores litis contestatione sibi per sententiam iniuncta sub poena sine mora ordinationi obsequium praestent.]1 [Sententiis ad lites contestandas sine mora pareatur.]2 Zwischen Burgermeister und Gemeinde zu C. gegen Burgermeister und Gemeinde3 zu L. ist der Bescheid daß Doctor Hauser4 unverhindert seines5 begehrten Schubs vermöge gesprochener Urtheil [auff]6 heute litem contestiren solle, und insgemein7: Daß er und andere8 Procuratores9 hinfüro10 auff Urtheil ad lites contestantes11 sich bey Vermeidung gebührlicher Straff der Ordnung ohne weitern Verzug gemäß halten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 86-87 Nr. XLIX. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 188 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth II 1604, S. 205 B; Cisner 1605, S. 374; Ferrarius 1605, S. 26; GB 1661, S. 4; GB 1665, S. 4; Blum 1667, S. 525; GB 1671, S. 4; GB 1678, S. 4; GB 1686, S. 4; GB 1688, S. 4; GB 1695, S. 8; GB 1696, S. 8; GB 1707, S. 8; GB 1710, S. 9 Nr. XXII; GB 1714, S. 6 Nr. XXII; CJC 1717, S. 6 Nr. XXII; GB 1717, S. 6 Nr. XXII; GB 1724, S. 9 Nr. XXII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid erging anlässlich einer Streitigkeit zwischen zwei Gemeinden und regelt Einzelheiten zur Streitbefestigung, gemeinrechtlich Litiskontestation genannt. Mit der Kriegs- oder Streitbefestigung wurde der Rechtsstreit ganz förmlich zwischen den Parteien streitig und erreichte endgültig das Stadium der Rechtshängigkeit. Die gelehrte Literatur diskutierte zunehmend darüber, ob es sich um eine überflüssige Förmelei oder um eine sinnvolle Zäsur handelte. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Non ... praestent in Seyler/Barth II 1604; nicht in Seiler 1572. Sententiis ... pareatur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; auch GB 1661 und Blum 1667, aber mit anderem Ende contestandas absque morae obsequium praestator. GB 1661; GB 1695; GB 1696 Gemeinden; Seiler 1572 Bürgermeister und Gemeind. Auflösung nach: Seyler/Barth II 1604; dagegen in Seiler 1572 Doctor I.; GB 1661 Doctor H.; GB 1695; GB 1696 Doct. H.; CJC 1724 Dr. H. Seiler 1572 seins. Seiler 1572. Zwischen Burgermeister … insgemein fehlt in Cisner 1605; dagegen Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 und der gemein Bescheid(t). Statt Zwischen Burgermeister ... und andere in Ferrarius 1605 Ist der gemein Bescheidt, daß die; statt er und andere in Cisner 1605 die. Fehlt in Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572 und ander hinfür. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Cisner 1605 ad contestandas lites etc; Ferrarius 1605 ad contestandas lites; anders GB 1665; GB 1678; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 ad lites contestandas.

RKG Nr. 23 1534 Januar 14

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Das Reichskammergericht blieb in seinen normativen Quellen konservativ, so auch in diesem Gemeinen Bescheid. Die förmliche Litiskontestation sollte an bestimmten Terminen zwingend erklärt werden. An welchen genau, legte das Gericht durch Urteil fest. Wenn ein Prokurator wie hier Dr. Hieronymus Hauser Aufschub und damit Fristverlängerungen beantragt hatte, schnitt das Gericht sie ihm ab. Die gesetzten Litiskontestationstermine waren also verbindliche und nicht dehnbare Fristen. In der Ausweitung sollte das zugleich als Gemeiner Bescheid für alle Prokuratoren gelten. Es war ihnen von nun an verboten, gegen einen festgelegten Litiskontestationstermin weitere Verschiebungen zu beantragen. Wer saumselig war, hatte mit einer Geldstrafe zu rechnen. Erstaunlicherweise ist die Formulierung, die den Übergang vom Zwischenurteil zum Gemeinen Bescheid anzeigt, unterschiedlich überliefert. Ob das Gericht von einem Gemeinen Bescheid sprach oder eher unverbindlicher nur „insgemein“ eine Regelung einschärfte, ist unklar. Der grundsätzlich zuverlässige Georg Melchior von Ludolff steht allerdings mit seiner Fassung gegen eine größere Zahl gedruckter Bescheidsammlungen. Diese freilich sind alle voneinander abhängig (dazu die Einleitung VIII. b) und besitzen daher kein höheres Gewicht als das Corpus Juris Cameralis. Dennoch haben auch Seiler und Ferrarius unabhängig voneinander ausdrücklich von einem Gemeinen Bescheid gesprochen.

RKG Nr. 23 1534 Januar 141 [Generale decretum: Procuratores terminis ad respondendum huiusmodi petendis abstineant; sed initio causae suscipiendae et statim postquam articuli producti fuerint, non expectato donec admittantur ad respondendum, ut instruantur curent.]2 [Procuratores terminorum ad respondendum petitioni temperanto, sed statim post articulorum productionem non expectato donec admittantur ad respondendum ut instruantur curanto.]3 [Fiscalis et alii procuratores dilationibus respondendi abstinento et statim in susceptione causae vel post articulorum productionem non expectata horum admissione sese instrui curanto.]4 In Sachen des Kayserlichen Fiscals wieder Burgermeister [und]5 Rath und1 die 164 Regenten der Stadt L.2 ist Dr. Hausser3 auf die Articul4 zu antworten, dißmal, 1 2 3 4 5

Ferrarius 1605 14. Ianuarii Anno 1543 (wohl Druckfehler). Generale ... curent in Seyler/Barth II 1604; nicht in Seiler 1572. Procuratores ... curanto in GB 1661; Blum 1667. Fiscalis ... curanto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 23 1534 Januar 14

nach Gestalt der Sachen, Zeit auf den ersten Gerichtstag nach Invocavit gegeben, mit dem Gemeinen Bescheid, daß er und andere Procuratores sich hinfüro dergleichen Dilationes5 respondendi zu begehren enthalten, sondern in ernstlicher6 Annehmung der Sachen, sonderlich auch gleich nach Einbringung der Articul sich zu7 denen Sachen gnugsam berichten lassen und nicht erst, biß die Articul zu respondiren zugelassen [werden]8, [er]warten9 sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 87 Nr. L. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 194; Seyler/Barth II 1604, S. 236-237 G; Ferrarius 1605, S. 26; GB 1661, S. 5; GB 1665, S. 4; Blum 1667, S. 526; GB 1671, S. 4; GB 1678, S. 4; GB 1686, S. 4; GB 1688, S. 4; GB 1695, S. 8; GB 1696, S. 8; GB 1707, S. 8; GB 1710, S. 9-10 Nr. XXIII; GB 1714, S. 6 Nr. XXIII; CJC 1717, S. 6 Nr. XXIII; GB 1717, S. 6 Nr. XXIII; GB 1724, S. 9-10 Nr. XXIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid versucht, Verzögerungen im Positionalverfahren zu begrenzen. Die Ergebnisse des einleitenden Zwischenurteils und des Bescheids selbst fallen aber deutlich auseinander. Der Reichskammergerichtsprokurator Dr. Hauser konnte sich zunächst freuen. Das Gericht gewährte ihm eine großzügige Frist, auf die gegnerischen Artikel zu antworten (derselbe Rechtsstreit im nachfolgenden Gemeinen Bescheid vom 27. März 1534, unten RKG Nr. 24). Das sollte aber nicht zum Regelfall werden, und deshalb fügte das Gericht unmissverständlich hinzu, die Verschiebung liege an den Besonderheiten des Falles. Der nachfolgende Gemeine Bescheid kündigte nämlich für die Zukunft das genaue Gegenteil an. Die Prokuratoren durften grundsätzlich keine Fristverlängerungen mehr zur Antwort auf die Positionen beantragen. Zur Beschleunigung stellte sich das Reichskammergericht ein gestuftes Verfahren vor. Die eingereichten Artikel mussten zunächst vom Gericht zur Beantwortung zugelassen werden. Diese Zulassung erfolgte in einem Zwischenurteil und gewährte dem gegnerischen Anwalt immer eine Antwortfrist. Um genau diese Frist ging es dem Kameralkollegium im Gemeinen Bescheid. Zukünftig sollte es nicht mehr möglich sein, die Antwortfrist zu verlängern. Den Ausweg bot die erste Stufe des zweigeteilten Verfahrens. Wenn nämlich Artikel eingekommen waren, oblag es dem empfangenden Prokurator, sich zur Sache sofort berichten zu lassen. Damit durfte er nicht bis zum nächsten 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 auch. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 M. Auflösung nach: Seyler/Barth II 1604; dagegen GB 1696 Dr. H.; dagegen Seiler 1572 Doctor I. Seiler 1572 den Artickeln; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 den Articuln. Statt In Sachen des ... dergleichen Dilationes in Ferrarius 1605 Ist der gemein Bescheidt, daß sich die Procuratores hinfüro dilationes. Seiler 1572 erstlicher; Ferrarius 1605 erster. Fehlt in Seiler 1572. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Erwarten in Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

RKG Nr. 24 1534 März (17) 27

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Zwischenurteil warten. Hier spielt der Gemeine Bescheid abermals auf die Zusammenarbeit zwischen dem Reichskammergerichtsprokurator und dem Advokaten vor Ort an (dazu auch der Gemeine Bescheid vom 21. Februar 1526; oben RKG Nr. 12). Der Prokurator selbst war zumeist nicht in der Lage, selbst auf die Artikel zu antworten. Dafür kannte er die Einzelheiten des Sachverhalts nicht gut genug. Das setzt der Gemeine Bescheide stillschweigend als Selbstverständlichkeit voraus. Vielmehr konnte eine substantiierte Antwort nur erfolgen, wenn der Prokurator zuvor mit seinem Advokaten Rücksprache gehalten hatte. Hier war also wieder aufwendiger Schriftsatzwechsel unumgänglich. In dem vom Gemeinen Bescheid erstrebten Fall wäre der Prokurator im Zeitpunkt des genannten Zwischenurteils bereits sachkundig gewesen, weil er vorher schon mit dem Advokaten korrespondiert hätte. Die Formulierung, der Prokurator solle sich berichten lassen, erweckt den Anschein, als habe der Prokurator seine Schriftsätze selbst gefertigt. Das ist nicht schlechthin ausgeschlossen. Vielleicht waren einige Prokuratoren mit ihren Fällen wirklich vertraut. Es mag sich aber auch lediglich um eine vornehme Umschreibung gehandelt haben. Wenn sich der Prokurator berichten ließ, kann der Bericht durchaus in Form eines vollständig ausgearbeiteten Antwortlibells erfolgt sein. Das wäre zugleich die schnellstmögliche Weise der Prozesskonzentration gewesen. Dann hätte nämlich der Prokurator, wenn das Reichskammergericht durch Interlokut die Antwort auf die Positionalartikel anforderte, seinen Schriftsatz noch in derselben Audienz sofort übergeben können. Die Verpflichtung der Prokuratoren, sich auf ergangene Urteile sogleich in derselben Audienz zu erklären, war bereits in älteren Gemeinen Bescheiden enthalten (Gemeine Bescheide vom 18. Juni und 29. August 1533; oben RKG Nr. 20 und 22). In der Praxis waren Verzögerungen freilich weithin üblich und wurden auch nur selten bestraft. Immerhin deutete der Gemeine Bescheid vom 14. Januar 1534 aber den erstrebten Zustand an. Danach sollte die Zusammenarbeit zwischen Prokurator und Advokat das Verfahren möglichst nicht in die Länge ziehen.

RKG Nr. 24 1534 März (17) 271 [Recessus pro qualitate causae non obst[ante] except[ione] recipitur. Ad quem ut decet agendum. Commune decretum: Ne fiscalis vel procuratores alii ordinarios et extraordinarios confundant sub poena ordinationis.]2

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Datum unklar: CJC 1724 27. Martii eoden (= 1534); GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724: 1534 März 17. Dort auf zwei Bescheide vom 17. und 27. März aufgespalten; dagegen Seiler 1572 Eadem (= XXVII. Martii); Ferrarius 1605; Cisner 1605 27. Martii Anno 1534; GB 1661 Eod. Anno 27. Martii; Blum 1667 27. Martii 1534; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Eodem Anno. 27. Martii; GB 1710 27. Martii eodem. Recessus ... Ordin in Seyler/Barth II 1604.

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RKG Nr. 24 1534 März (17) 27

[Causae ordinariae et extraordinariae ne confunduntor, sed suis praestitutis diebus proponuntor.]1 [Fiscalis et caeteri procuratores iuxta cuiusvis causae indolem et naturam in congruis diebus agunto neque ordinaria cum extraordinariis invicem permiscento.]2 [Causae ordinariae et extraordinariae invicem non commisceantur sed quaeque ordine suo decenti tractetur.]3 In Sachen des Kayserlichen Fiscals wieder Burgermeister und4 Rath, auch 164 angemasste Mitregenten der Stadt L.5 ist gemeldten6 Fiscals jüngst gehaltener7 Recess nach Gestalt der Sachen dißmal unverhindert8 beschehener Einrede, angenommen und Doctor Haussern9 darauf, wie sich gebührt, zu handlen Zeit der Ordnung angesetzt, aber darneben10 der Gemeine11 Bescheid: Daß er12, der Fiscal, und alle Procuratores dieses Kayserlichen Camergerichts hinfüro in ihren Sachen nach einer jeglichen Eigenschafft, Natur und Gestalt in13 gebührenden Tagen vermöge der Reichsordnung14 handlen und nicht Ordinarias et Extraordinarias15 untereinander wie bißhero vermischen und fürtragen sollen, alles bey Poen in berührter16 Ordnung derhalben außgetruckt. Vorlage: CJC 1724, S. 87 Nr. LI. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 197 (auch im Register am Ende von Buchstabe G, dort S. „196“); Seyler/Barth II 1604, S. 257 A; Cisner 1605, S. 369-370; Ferrarius 1605, S. 26; GB 1661, S. 5; GB 1665, S. 4; Blum 1667, S. 526; GB 1671, S. 4; GB 1678, S. 4; GB 1686, S. 4; GB 1688, S. 4; GB 1695, S. 8-9; GB 1696, S. 8-9; GB 1707, S. 8-9; GB 1710, S. 10 Nr. XXIV; GB 1714, S. 6, Nr. XXIV/S. 6-7 Nr. XXV; CJC 1717, S. 6 Nr. XXIV und S. 6-7 Nr. XXV; GB 1717, S. 6 Nr. XXIV und S. 6-7 Nr. XXV; GB 1724, S. 202 Nr. CCIII/S. 10 Nr. XXIV. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Causae ... proponuntor in GB 1661; Blum 1667. Fiscalis ... permiscento in GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Causae ... tractetur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 M. Seiler 1572 gemeldts. Seiler 1572 gethaner. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 ohngehindert. Auflösung nach: Seiler/Barth II 1604; dagegen Seiler 1572 Doct. I.; GB 1695 Dr. H. In ... darneben fehlt in GB 1714, S. 6 Nr. XXIV; GB 1724, S. 202 Nr. CCIII. Statt In Sachen der ... der gemeine in Ferrarius 1605; Cisner 1605 Ist der gemein. Fehlt in Ferrarius 1605; Cisner 1605. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Cisner 1605; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 zu. Ferrarius 1605 deß Reichs Ordnung. Seyler/Barth II 1604 ordinarios unnd extra ordinarios; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Ordinaria und Extraordinaria. Seyler/Barth II 1604 berichter; Seiler 1572; Cisner 1605; Ferrarius 1605 obberührter.

RKG Nr. 24 1534 März (17) 27

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Anmerkung: Wie bereits am 14. Januar 1534 (dazu oben RKG Nr. 23) taucht auch in diesem Gemeinen Bescheid der kaiserliche Fiskal auf. Ebenfalls wie schon zwei Monate zuvor ist er auch im neuen Erlass in einem Atemzug mit den Prokuratoren genannt. Mochte er auch die Interessen des Alten Reiches vertreten, stellte das Reichskammergericht ihn doch mehrfach auf dieselbe Stufe wie gewöhnliche Interessenvertreter der Parteien. Er erschien damit als spezieller Prokurator und in keiner Weise hervorgehoben. Wann der Gemeine Bescheid genau erlassen wurde, ist gespalten überliefert. Die Sammlungen von 1714 und 1724 nennen den 17. März. Zum zweiten Mal in der Geschichte des Reichskammergerichts hat die spätere konfessionell begründete Kalenderabweichung offenbar abweichende Daten überliefert (zum ersten Fall: Gemeiner Bescheid vom 9./19. März 1526; oben RKG Nr. 13). Anlass für den Gemeinen Bescheid bot derselbe Rechtsstreit wie schon am 14. Januar. Eine Stadt mit 164 Mitregenten ist so außergewöhnlich rubriziert, dass die Zuordnung trotz der Verschleierungen der zeitgenössischen Editoren möglich ist. Es handelt sich um die Hansestadt Lübeck. Seit 1533 führte der kaiserliche Fiskal einen Mandatsprozess gegen den Rat und den Bürgerausschuss der 64er, später der 164er. Es ging um die lutherische Reformation, die Beschlagnahme von Kirchengut und anderes während der kurzen, aber unruhigen und kriegerischen Regierungszeit des Bürgermeisters Jürgen Wullenwever (Repertoriumsmitteilung in Hans-Konrad Stein-Stegemann, Findbuch der Reichskammergerichtsakten im Archiv der Hansestadt Lübeck (Veröffentlichungen des Schleswig-Holsteinischen Landesarchivs 18), Schleswig 1987, 1. Band Nr. F 11). Als Prokurator ist im Findbuch im Übrigen Lizentiat Johann Helfmann und nicht der im Gemeinen Bescheid genannte Dr. Hauser angegeben. Doch all das ist im Gemeinen Bescheid selbst nicht überliefert. Wie vielfach üblich bietet der Bescheid zweigeteilt ein Zwischenurteil sowie eine allgemeingültige Anordnung. Zunächst nahm das Reichskammergericht einen Rezess des Fiskals an, obwohl die Gegenseite dagegen protestiert hatte. Deswegen erhielt der gegnerische Kameralprokurator Dr. Hauser die übliche Zeit, auf den Rezess des Fiskals zu antworten. Vermutlich handelte es sich hierbei um eine gerichtliche Großzügigkeit, die das Kameralkollegium für die Zukunft gerade ausschließen wollte. Der Gemeine Bescheid selbst pochte nämlich darauf, Ordinar- und Extraordinarsachen künftighin feinsäuberlich zu scheiden. Hier hatte offenbar der Fiskal gegen diese Untergliederung der Audienz verstoßen (dazu bereits oben der Gemeine Bescheid vom 6. November 1508; RKG Nr. 2). Solche Vermischungen brachten ganz offensichtlich den Audienzbetrieb mit seiner starren Trennung regulärer und eilbedürftiger Sachen durcheinander. Das Reichskammergericht schob dem einen Riegel vor und verwies pauschal auf die Reichsordnung und die dort vorgesehene Strafe für Verstöße. Welche Norm die Assessoren genau vor Augen hatten, teilten sie nicht mit. Georg Melchior von Ludolff deutete in seinen Randglossen eine Verknüpfung mit der Nürnberger Reichskammergerichtsordnung von 1523 an (CJC 1724, S. 87: Verweis auf RKGO 1523 Tit. 3). Zugleich verwies Ludolff auf den späteren Gemeinen Bescheid vom 24. November 1536 (unten RKG Nr. 27) sowie auf die Reichskammergerichtsordnung von 1555. Es war also augenscheinlich erforderlich, den Prokuratoren und auch dem Fiskal mehrfach die Abgrenzung der Ordinar- und Extraordinarsachen vor Augen zu führen. Das weist überdeutlich auf praktische Schwierigkeiten hin. Offenbar war es in der Praxis schwer oder zumin-

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RKG Nr. 25 1535 Januar/Juli 22

dest umständlich, diese Abgrenzung streng durchzuhalten. Das Kameralkollegium bestand in zahlreichen Gemeinen Bescheiden darauf, die Audienzordnungen in ihren je verschiedenen Ausgestaltungen peinlich genau zu befolgen. Die Anwälte und auch der Fiskal nahmen in der Praxis zahlreiche Vereinfachungen vor, vermengten einzelne Abschnitte und setzten auch zu regelrechten Plädoyers an. Das Kameralkollegium nahm solche Aufweichungen zeitweise hin, dann aber bekämpfte es den angeblichen Wildwuchs mit immer neuen Gemeinen Bescheiden. Bis zum Ende des Alten Reiches lassen sich die verschiedenen Einschätzungen zu den gerichtlichen Audienzen klar feststellen. Lösen konnte das Kameralkollegium dieses Problem nie.

RKG (ohne Nr.) 1535 Januar 17 siehe 1535 Januar 27

RKG Nr. 25 1535 Januar/Juli 221 [Ad querelas procuratorum circa contumacias non accusari permissas etc. ex quo prout ipsis indictum post novas eo nomine non egerunt poena reservatur. Et hodie ita agendum.]2 [Ordine novarum finito statim in ordine contumaciarum proceditor.]3 [Ordine novarum finito in contumaciis proceditor.]4 Nachdem auff vielfältiges Anregen und5 Beklagen der Procuratorn, daß sie zu dem Contumaciren nicht kommen mögen und derohalben von Amtswegen des verschienenen Montags6 ihnen angesagt7 worden, daß sie auff [den]8 damals nechstkünffti1

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Datum unklar, 22. Januar ebenfalls in Seiler 1572; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; dagegen 23. Januar in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 und CJC 1724 (Register); dagegen Ferrarius 1605 Gemeiner Bescheidt den 22. Julii Anno 1535 ergangen; Cisner 1605 den 22. Januarii Anno u. 36 ergangen. Ad ... agendum in Seyler/Barth II 1604. Ordine ... proceditor in GB 1661; Blum 1667. Ordine ... proceditor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Anregen und fehlt in Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Seiler 1572 verschienen Montags; Ferrarius 1605 verschienen Monats. Ferrarius 1605 angesetzt. Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; anders Seiler 1572 und Cisner 1605 daß sie deren.

RKG Nr. 25 1535 Januar/Juli 22

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gen und jetzt verschienenen Mitwoch1 post novas Causas alsobald in Contumaciis handlen sollen2 und aber solchem Bescheid3 bishero4 zuwieder gehandelt, derohalben die Straf gegen dem Verbrecher5 hiemit vorbehalten und der Gemeine6 Bescheid: Daß derjenige, an dem die Ordnung des Contumacirens ist, heute nach denen7 Novis mit dem Contumaciren, wie sich gebühret, vollfahren solle. Vorlage: CJC 1724, S. 87 Nr. LII (im Register 23. Januar 1535). Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 203 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth II 1604, S. 311 B; Cisner 1605, S. 390-391; Ferrarius 1605, S. 27; GB 1661, S. 5; GB 1665, S. 4; Blum 1667, S. 526-527; GB 1671, S. 4; GB 1678, S. 4; GB 1686, S. 4; GB 1688, S. 4; GB 1695, S. 9; GB 1696, S. 9; GB 1707, S. 9; GB 1710, S. 10-11 Nr. XXV; GB 1714, S. 7 Nr. XXVI; CJC 1717, S. 7 Nr. XXVI; GB 1717, S. 7 Nr. XXVI; GB 1724, S. 10-11 Nr. XXV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid greift zum wiederholten Mal die Ordnung innerhalb der Audienzen auf. Offenbar hatten sich Prokuratoren darüber beschwert, dass am Ende der Audienzen für die Behandlung der Säumnisfälle nicht genügend Zeit vorgesehen sei. Das Kameralkollegium hatte zwar Abhilfe versprochen, nach den genannten Wochentagen etwa zwei Wochen vor Erlass des Gemeinen Bescheides. Es hatte sich aber kaum etwas geändert, und manche Prokuratoren, im Gemeinen Bescheid als „Verbrecher“ gebrandmarkt, hatten deswegen weiterhin gegen die Ordnung verstoßen. Der Gemeine Bescheid traf lediglich eine punktuelle Anordnung, dem Wortlaut nach mit Geltung lediglich für einen Tag. Genau in der Audienz, in der die Assessoren den Gemeinen Bescheid verkündeten, erhielten die Prokuratoren nämlich die Gelegenheit, am Ende nach den Nova die Kontumazialfälle zu behandeln. Die Strafdrohung gegen die widerspenstigen Prokuratoren erscheint hart. Wenn sie nicht zur Handlung in Kontumazialsachen gekommen waren, lag das ausweislich des Wortlauts eindeutig an den Assessoren. Sie hatten den Ablauf der Audienz falsch gewichtet. Die Konsequenzen freilich waren typisch. Das Beisitzerkollegium räumte keine Fehler ein. Vielmehr gewährte es lediglich den Prokuratoren die Möglichkeit, die bisher unterbliebenen Klagen wegen Säumnis nachzuholen. Überdeutlich war die Geltung dieses Gemeinen Bescheids auf einen einzigen Tag beschränkt, nämlich auf den Tag der Verkündung. Dennoch hat die Tradition ihn ausnahmslos als Gemeinen Bescheid angesehen, wenn auch Seyler/Barth zurückhaltender waren. Für das zeitgenössische Verständnis der Gemeinen Bescheide ist das nicht unwichtig. Die Allgemeinheit ergab sich offenkundig daraus, dass eine Mehrzahl von Prokuratoren angesprochen war. Um die Gesamtheit konnte es nicht gehen, das hatte beispielsweise bereits der 1 2 3 4 5 6 7

Seiler 1572 erschienen Mitwoch; Ferrarius 1605 verschienen Mitwochen; GB 1696 verschienen Mitwoch. Seiler 1572; Cisner 1605 handeln solten. Fehlt in Seiler 1572; Cisner 1605. Seiler 1572; Cisner 1605 bißher; dagegen fehlt bishero in Seiler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572; Ferrarius 1605; Cisner 1605; GB 1678; GB 1696 den Verbrechern. Fehlt in Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Cisner 1605; Ferrarius 1605; dagegen GB 1696 gemein. GB 1678 dem; Cisner 1605 heut noch den; Seiler 1572; Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1695; GB 1696 heut nach den.

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Bescheid vom 7. Juli 1533 klargestellt (oben RKG Nr. 21). Jedenfalls konnte es kaum eine Rolle spielen, wie häufig die Anordnung des Gemeinen Bescheides überhaupt anwendbar war. Gerade dieser Bescheid vom 22. Januar 1535 war nichts weiter als eine Punktlandung und verlor mit Ablauf des Verkündungstages sofort seinen rechtlichen Gehalt. Die Kameralliteratur schleppte ihn dennoch weiter, obwohl er keinerlei Bedeutung mehr haben konnte. Fünf Tage später griff das Reichskammergericht die Kontumazialfälle in einem erweiterten Sammelbescheid auf (unten RKG Nr. 26). Der Bescheid vom 22. Januar 1535 hatte also kaum etwas bewirkt.

RKG Nr. 26 1535 Januar 271 [Solches ist den Procuratoribus in der Rhatstuben vorgelesen worden.]2 [Den Procuratorn vorgelesen, wie sich dieselben deß contumacirns halber verhalten sollen.]3 [Wie sich die Procuratores deß Contumacirens halben vergleichen sollen.]4 [1. Contumatiam accusaturus prius cum adversario extra iudicium concordato; si nequiverit tum demum accusato. 2. Contumatiae accusandus si ipse adesse impediatur, prius cum adversario concordato alioque5 suum substitutum sufficienter informato. 3. Merita causae in contumatiis ne immiscentor.]6 [§ 1.7 Contumatiam accusaturus prius se cum adversario concordare tentanto. § 2. Similiter contumatiae accusandus, si absens esse necessitetur, alias substitutum suum satis instruito. § 3. In contumatiis merita non immisceantur.]8 Nachdem man befindet, daß die Handlungen9 des Contumacirens durch bishero darinn in mancherley weise10 geübte Ordnungen11 sich zuviel häuffen und verlän-

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Cisner 1605 17. Januarii; Seiler/Barth II 1604 In Consilio, XXVII. Ianuarii. Solches ... worden in Seiler 1572. Den ... sollen in Seyler/Barth II 1604. Wie … sollen in Cisner 1605. Blum 1667 alioquin. Contumatiam ... immiscentor in GB 1661; Blum 1667. In GB 1710 keine §§-Zeichen in der Überschrift. § 1. ... immisceantur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; Cisner 1605; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Handlung. Seiler 1572 mancherley weiß; Ferrarius 1605 mancher weiß; Cisner 1605 in mancherley weiß darinn. Seiler 1572; Cisner 1605 verordnungen; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678 Unordnungen; Ferrarius 1605 Unordnung.

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gern, also daß die rechtliche Verhör und Handlungen1 der Sachen und Parteyen2 dardurch verhindert und vernachtheilt werden3; [Gemeiner Bescheidt ratione contumaciarum.]4 So ist aus hoher Nothdurfft zu Verhütung solcher Ungeschicklichkeit berührten Contumacirens halber Vorsehung5 fürgenommen wie nachfolget6. [Quisquis contumaciam accusare volet, prius cum adversario extra iudicium quatenus potest concordet. Nisi poterit, tunc denuo accuset sub poena I. fl. quoties secus fiet etc.]7 § 1.8 Zum ersten soll ein jeder, so des andern Contumaciam accusiren will, zuvor und ehe er in das Gericht kommet, sich mit seinem Wiedertheil unterreden und solcher Contumacien halber unterstehen zu vergleichen: So er sich dann mit ihm nicht9 vergleichen möchte, alsdann und10 nicht eher, soll er Contumaciam zu accusiren Macht haben: Würde aber einer des andern Contumaciam accusiren, der zuvor seinen11 Wiedertheil ausserhalb [deß]12 Gerichts, wie oblaut, derhalben nicht besprochen noch13 verglichen, und nichts desto minder auff14 solche Nicht-Besprechung oder15 Vergleichung seines Gegentheils Contumaciam accusiren würde, so offt einer solches thut, soll er gewißlich und ohne Nachlaß, einen Gulden zu bezahlen, gestrafft werden. [Discedere qui necesse habet, prius cum adversario concordet. Alias substitutum sufficienter informet ut supra, ne deliberatione opus sub poena I. fl.]16 § 2. Zum andern ob einer aus redlichen Geschäfften oder Leibskranckheiten17 halben nicht in das Gericht kommen könte oder vor dem Contumaciren abgehen müste, der soll18 zuvor der Contumacien halber, darum er accusirt werden möchte, 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Ferrarius 1605 Handlung. Seiler 1572 protestirens; Ferrarius 1605; Cisner 1605 procedirens. Seiler 1572; Cisner 1605; Ferrarius 1605 worden. Gemeiner ... contumaciarum in Seyler/Barth II 1604. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Versehung. Seiler 1572 wie nacher stehet; Cisner 1605 wie hernacher stehet; Ferrarius 1605 wie hernach stehet; GB 1671 nachfolgt. Quisquis ... etc. in Seyler/Barth II 1604. §§-Zeichen fehlen in Seiler 1572; Cisner 1605; Ferrarius 1605. Seiler 1572; Ferrarius 1605 nicht mit ihm; Cisner 1605 nit mit jm. Fehlt in Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572; Cisner 1605 seinem. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604, Cisner 1605; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Cisner 1605; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 und. Seiler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 über. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Ferrarus 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 und; Cisner 1605 nit besprechung und. Discedere ... I. fl. in Seyler/Barth II 1604. Seiler 1572 Leibs kranckheit; Cisner 1605 leibskranckheit; Ferrarius 1605 Leibs Kranckheit; GB 1695 Leibes Kranckheit. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 so.

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sich mit seinem Wiedertheil unterreden und zu vergleichen unterstehen: So er aber bey demselben nichts erlangen kan1, alsdann soll er seinem substituirten Anwalt solcher Contumacien halber, wie er es damit, doch in allweg dem obgemeldten2 ersten §3 gemäß, halten soll, einen endlichen Bericht und Befehl geben, damit ohnnothdürfftigen Bedachts, so der substituirte Anwalt begehren möchte, nicht vonnöthen seye und sonst gefährlicher Verzug verhütet werde, abermals bey Straff eines Guldens ohnnachlässig4 zu bezahlen. [Ordinatio circa contumatias sub poena observanda et ne merita causae immisceantur.]5 § 3. Und soll sich sonst ein jeder bey gleicher Poen mit dem Contumaciren der Ordnung gemäß und also halten, damit in Contumaciis die Merita Causae nicht eingeführet werden. [Wie sich die Procuratores des Contumacierens halben vergleichen sollen.]6 [In Consilio denen Procuratorn vorgelesen oben berührten Tags.]7 Vorlage: CJC 1724, S. 87 Nr. LIII. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 204 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth II 1604, S. 312 D, E, F, G, S. 313 A; Cisner 1605, S. 391; Ferrarius 1605, S. 27; GB 1661, S. 5-6; GB 1665, S. 5; Blum 1667, S. 527-528; GB 1671, S. 5; GB 1678, S. 5; GB 1686, S. 5; GB 1688, S. 4-5; GB 1695, S. 9-10; GB 1696, S. 9-10; GB 1707, S. 9-10; GB 1710, S. 11-12 Nr. XXVI; GB 1714, S. 7-8 Nr. XXVII; CJC 1717, S. 7-8 Nr. XXVII; GB 1717, S. 7-8 Nr. XXVII; GB 1724, S. 11-12 Nr. XXVI. Anmerkung: Es handelt sich um den bis dahin umfangreichsten Gemeinen Bescheid, erstmals in der Geschichte des Reichskammergerichts in einzelne Paragraphen unterteilt. Das Gericht klärte damit einige Fragen, die bereits zum Erlass des Gemeinen Bescheids vom 22. Januar 1535 geführt hatten (dazu oben RKG Nr. 25). Die Einleitungsformel von Seyler/Barth überliefert zunächst die Verkündungsform. Der Bescheid war demnach bereits schriftlich ausformuliert und wurde in der Audienz verlesen. Aufgrund seiner Länge schied eine andere Handhabung auch aus. Von einem konkreten Rechtsstreit war der Gemeine Bescheid klar gelöst. Das Prinzipium beklagt stark zugenommene Kontumazialhandlungen. Sie zogen angeblich die Prozesse nicht unbeträchtlich in die Länge. Die rechtlich-inhaltliche Behandlung der Sache werde dadurch verzögert und behindert, 1 2 3 4 5 6 7

Fehlt in Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Cisner 1605; Ferrarius 1605. Seiler 1572; Cisner 1605 obgesetzten. Seiler 1572; Cisner 1605 Artickel; Ferrarius 1605; GB 1678 Articul. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604 unableßlich; Ferrarius 1605; Cisner 1605 unabläßlich; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695 ohnabläßlich. Ordinario ... immisceantur in Seyler/Barth II 1604. Wie ... sollen in Seiler 1572. In ... Tags in GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; fehlt in Seiler 1572.

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meinte das Kameralkollegium. Ob hier eine Anspielung auf eine Reichskammergerichtsordnung vorliegt, ist schwer zu entscheiden. Die Ordnung, auf die einige gedruckte Ausgaben des Bescheids abstellen, war in den zeitgenössischen Editionen von Seyler/Barth und Ferrarius noch die von den Anwälten verursachte Unordnung. In § 1 machte das Beisitzerkollegium die Einleitung des Kontumazialverfahrens von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig. Säumnis im rechtlichen Sinne lag danach nicht bereits dann schon vor, wenn eine Partei in der Audienz nicht vertreten war. Das bloße Nichterscheinen oder Nichtverhandeln eines Prokurators genügte dafür nicht. Vielmehr war der Antrag auf Eröffnung des Säumnisverfahrens von einem außergerichtlichen Vergleichsversuch abhängig. Es oblag dem erschienenen Prokurator, sich mit dem Widerpart zu besprechen und eine gütliche Einigung zu versuchen. Dieser Vergleichsversuch brauchte sich ausdrücklich nicht auf den Streitgegenstand des Prozesses zu beziehen, sondern durfte auf die Säumnis als solche beschränkt sein. Nicht zuletzt ging es wohl um das kollegiale Verhältnis der Prokuratoren untereinander. Wie leicht konnte ein Anwalt aus verschiedensten Gründen eine Audienz versäumen. Der Gemeine Bescheid war um Eintracht bemüht und wollte augenscheinlich verhindern, dass die Prokuratoren das bloße Nichterscheinen sofort mit der scharfen Waffe des Kontumazialverfahrens bekämpften. Freilich brachte man auf diese Weise zugleich die erschienene Partei um leicht gewinnbare prozessuale Vorteile, die im gemeinen Recht vorgesehen waren. Jetzt aber konnten die Prokuratoren den Säumnisantrag nur stellen, wenn der nicht erschienene Gegner trotz einer Güteberedung einen Vergleich abgelehnt hatte. Ein Kontumazialantrag ohne vorausgegangenen Vergleichsversuch war sogar eine Ordnungswidrigkeit und sollte mit einem Gulden Buße belegt werden. § 2 des Gemeinen Bescheids änderte die Blickrichtung auf den säumigen Prokurator. Drei Sonderfälle der entschuldbaren Säumnis sind gleich zu Beginn genannt, nämlich redliche Geschäfte, Krankheit und „Abgang“. Im zeitgenössischen Sprachgebrauch umschrieb das oft den Tod. Hier meinte das Kameralkollegium den Abgang aber wohl ganz handfest als vorzeitiges Verlassen der gerichtlichen Audienz. An erster Stelle tauchten die sog. redlichen Geschäfte auf, was ein wenig erstaunt. Das Gericht erkannte hiermit aber ausdrücklich Anwaltspflichten an, die wichtiger waren als die Anwesenheit in der Audienz. In solchen Fällen schien die Gefahr der Kontumazialklage absehbar. Der säumige Prokurator sollte deswegen „zuvor“, also offenbar noch vor der fraglichen Audienz, das Gespräch mit seinem Gegner suchen. Anderenfalls, also bei einem späteren Gesprächsversuch, läge ein Fall von § 1 vor. Hier in § 2 waren die Rollen aber vertauscht. Wenn der säumige Prokurator mit seinem Güteversuch scheiterte, lag es an ihm, einen Substituten zu bestellen. Erstaunlicherweise sprach der Gemeine Bescheid den üblichen Normalfall gar nicht an. Der Vertreter konnte ja einfach an der fraglichen Audienz teilnehmen. Dann lag gar keine Säumnis vor. Diesen unproblematischen Fall überging die Vorschrift aber. Regelungsbedürftig erschien also der Fall, in dem Säumnis absehbar war, dann ein Gespräch stattfand, dieses aber scheiterte und schließlich tatsächlich eine Partei in der Audienz nicht auftreten konnte. Jetzt sollte der Substitut an den nachfolgenden Güteverhandlungen gemäß § 1 teilnehmen, und zwar nach den Vorgaben des verhinderten Prokurators. Ausdrücklich setzte der Gemeine Bescheid hinzu, dass auf diese Weise der Vertreter nicht um Bedenkzeit anhalten müsse. Das diente abermals zur Prozessbeschleunigung,

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und deswegen war der Antrag des substituierten Prokurators auf Fristverlängerung bei Strafe von einem Gulden verboten. Offenbar, so ist die Vorschrift zu verstehen, fanden in diesem Fall also zwei Güteversuche statt, der erste vor der Säumnis mit dem Hauptprokurator, der zweite danach mit dem Vertreter. § 3 schärfte den Prokuratoren in allgemeiner Weise ein, die sonstigen Vorschriften des Kameralrechts über das Kontumazialverfahren zu befolgen. Die „Merita Causae“ sind hier wohl als Kern des Streitgegenstandes zu verstehen. In anderen Quellen werden sie auf Deutsch als „Hauptsache“ wiedergegeben und beziehen sich auf den Sachverhalt und das rechtliche Begehren der Parteien. Jedenfalls sollte das Säumnisverfahren nicht dazu dienen, unter dem Deckmantel des Kontumazialantrags den gesamten Streitstoff zu verhandeln. Dafür mögen zwei Gründe ausschlaggebend gewesen sein. Zum einen erfolgten die Kontumazialhandlungen in einem gesonderten Abschnitt der Audienz. Das Gericht war aber darauf bedacht, die vorgegebene Umfrageordnung einzuhalten und befürchtete womöglich Verwirrungen im Audienzverlauf. Zum zweiten mochte ein pragmatischer Gesichtspunkt hinzutreten. Falls aufgrund der Säumnis die andere Seite den Sieg davontragen durfte, konnte es in irgendeiner Weise erforderlich sein, die Schlüssigkeit des Vortrags zu beurteilen. Inwieweit so etwas im Kameralverfahren eine Rolle spielte, ist nicht näher bekannt. Aber gerade bei umfangreicheren Sachen konnte die Prüfung viel Arbeit bedeuten, wenn der Prozessgegner noch gar nicht geantwortet hatte und die streiterheblichen Fragen damit noch nicht aufbereitet waren. Eine richterliche Entscheidung in Kontumazialsachen konnte deswegen erheblichen Aufwand für das Kameralkollegium mit sich bringen.

RKG (ohne Nr.) 1535 Juli 22 siehe 1535 Januar 22

RKG (ohne Nr.) 1536 Januar 22 siehe 1535 Januar 22

RKG Nr. 27 1536 November 24

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RKG Nr. 27 1536 November 241 [Ad petitionem declarationis generaliter decernitur: Terminos per sententiam praefixos vel alios obtentos, accipiendos secundum naturam cuiusque causae ordinariae vel extraordinariae et sic in ordinariis in causa agendum, alias fiet etc.]2 [Termini ad agendum iuxta naturam cuiusvis causae computantor causaeque ordinariae in ordinariis ac extraordinariae in extraordinariis pertractantor.]3 [Termini ad agendum iuxta naturam cuiusvis causae intelliguntor, ita ut ordinariae in ordinariis et extraordinariae in extraordinariis tractentur.]4 Zwischen L. H.5 und M.6 ist auf Dr. Hossen7 gebettene Declaration der Gemeine8 Bescheid9: Daß die mit Urtheil oder sonst angesetzte und zugelassene Tag und Termine verstanden und gehalten werden sollen, nach einer jeden Sache Natur und Herkommen, als Ordinariae Causae in Ordinariis und Extraordinariae in Extraordinariis: Und daß Lizentiat Bub10, nochmals11 in seiner nechsten Ordnung Ordinariarum Causarum, wie sich gebühret, handlen solle, und so er also nicht handlen wird12, [das]13 alsdann auff seines Wiedertheils beschehen14 Begehr ergehen solle was Recht ist15. Vorlage: CJC 1724, S. 87-88 Nr. LIV. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 219 (auch im Register am Ende von Buchstabe G, dort aber „20. November“ und S. „218“); Seyler/Barth II 1604, S. 461 F; Cisner 1605, S. 370; Ferrarius 1605, S. 27; GB 1661, S. 6; GB 1665, S. 5; Blum 1667, S. 528; GB 1671, S. 5; GB 1678, S. 5; GB 1686, S. 5; GB 1688, S. 5; GB 1695, S. 10-11; GB 1696, S. 10-11; 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Verweis in CJC 1724, S. 87 14. November 1536; in Seiler 1572 im Register (hinter Buchstabe G) auf den 20. November datiert. Ad ... etc. in Seyler/Barth II 1604. Termini ... pertractantor in GB 1661; Blum 1667. Termini ... tractentur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 M. J. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 N. Auflösung nach Seyler/Barth II 1604; dagegen Seiler 1572 Doctor I.; GB 1661; GB 1695; CJC 1724 Dr. H. Statt Zwischen ... der gemeine in Ferrarius 1605 Ist der gemein. Zwischen … Bescheid fehlt in Cisner 1605. Auflösung nach Seyler/Barth II 1604; dagegen Seiler 1572 Licentiat C.; GB 1661; GB 1695; CJC 1724 Lt. B. Seiler 1572; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 nachmahls. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604 würd. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 geschehen. Und daß Lizentiat ... was Recht ist fehlt in Ferrarius 1605; Cisner 1605.

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RKG Nr. 27 1536 November 24

GB 1707, S. 10-11; GB 1710, S. 12 Nr. XXVII; GB 1714, S. 8 Nr. XXVIII; CJC 1717, S. 8 Nr. XXVIII; GB 1717, S. 8 Nr. XXVIII; GB 1724, S. 12 Nr. XXVII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid erging aus konkretem Anlass. In dem zu Beginn genannten Rechtsstreit war unklar, zu welchem genauen Zeitpunkt innerhalb der Audienz ein Prokurator handeln sollte, also seinen Rezess zu halten oder einen Schriftsatz zu übergeben hatte. Der Prokurator Dr. Hoß, der auch in anderen Gemeinen Bescheiden zumeist negativ auffällt (dazu Gemeine Bescheide vom 19. Februar 1526, 27. Mai 1528 und 26. Juni 1528; oben RKG Nr. 11, 15 und 16), sah jedenfalls klärungsbedürftige Unsicherheiten und bat um richterliche Klarstellung. In diesem Fall erließ das Gericht seinen Gemeinen Bescheid also auf Antrag eines einzelnen Prokurators. Der unmittelbar auf die einleitenden Worte folgende Bescheid enthielt zunächst die allgemeine Klärung und kam dann auf den zugrundeliegenden Ausgangsstreit zurück. Wenn das Gericht durch Zwischenurteil einen Tag oder einen Termin bestimmt hatte, an dem eine Prozesshandlung vorzunehmen war, sollte die genaue Verortung innerhalb der Audienz davon abhängen, welche Natur oder welches Herkommen der Streitgegenstand hatte. Hier taucht abermals die im 16. Jahrhundert gebräuchliche Trennung in Ordinar- und Extraordinarsachen auf (dazu Gemeine Bescheide vom 6. November 1508 und 17./27. März 1534; oben RKG Nr. 2 und 24). Bei einer Ordinarsache bezogen sich demnach auch die für die Zukunft festgelegten Termine auf die jeweiligen Ordinarabschnitte der Audienzen. Die Zuordnung eines Rechtsstreits sollte damit selbst über mehrere Audienzen hinweg immer dieselbe bleiben. Warum diese Selbstverständlichkeit unter den Prokuratoren Schwierigkeiten verursacht hatte, ist unklar. Auch der Lizentiat Bub, als Prokurator am Ausgangsverfahren beteiligt, musste auf Anordnung des Gerichts die verlangte Handlung in einer Ordinarsache auch in einem Ordinartermin vornehmen. Das stellte das Kameralkollegium ausdrücklich klar. Vermutlich hatte Bub einmal in einem falschen Abschnitt der Audienz tätig werden wollen. Doch wegen der angeblichen Rechtsunsicherheit gewährte das Reichskammergericht Nachsicht und wies ihm den Weg für eine ordnungsgemäße Prozesshandlung. Sollte es dennoch zu Verstößen kommen, stand dem Gegner später eine ausdrückliche Rüge offen. Ob und welche Strafen das Gericht für diese Fälle vorsah, sagte der Gemeine Bescheid nicht.

RKG Nr. 28 1536 November 29

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RKG Nr. 28 1536 November 29 [Denuo ad agendum praefigitur 8 dies: Sub comminatione fin. Generaliter procuratores agendo in contumaciis, non secus atque in aliis brevitate utantur, superfluis et prolixis abstineant.]1 [Procuratores in recessibus brevitate utuntor.]2 In der Executionssache O. wider [Herrn]3 D. von V. ist Dr. Haussern4 nochmahls5 zur Handlung 8 Tage Zeit angesetzt, mit dem Bescheid, so er [also]6 nicht handlen wird, daß alsdann auff Dr. H. Begehren endlich ergehen solle was recht ist, und ist der Gemeine Bescheid: daß7 sich gemeldter Dr. H. und andere Procuratores [hinfürter]8 in ihren Fürträgen der Contumacien wie in andern rechtlichen Recessen der Kürtze gebrauchen und langen unnothdürfftigen Redens enthalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 88 Nr. LV. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth II 1604, S. 463, G-464; GB 1661, S. 6; GB 1665, S. 5; Blum 1667, S. 528-529; GB 1671, S. 5; GB 1678, S. 5; GB 1686, S. 5; GB 1688, S. 5; GB 1695, S. 11; GB 1696, S. 11; GB 1707, S. 11; GB 1710, S. 13 Nr. XXVIII; GB 1714, S. 8 Nr. XXIX; CJC 1717, S. 8 Nr. XXIX; GB 1717, S. 8 Nr. XXIX; GB 1724, S. 13 Nr. XXVIII; fehlt in Seiler 1572; Ferrarius 1605. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid erging aus konkretem Anlass in einem Rechtsstreit, der bereits ins Vollstreckungsstadium gelangt war. Den Ausgangspunkt bildete eine Exekutionssache, doch spricht der Gemeine Bescheid zugleich ausdrücklich von Kontumazialfällen und anderen Prozessen. Ob hier ein Säumnisverfahren bis zur Vollstreckung gediehen war, erscheint mehr als unsicher. Viel wahrscheinlicher ist eine beispielhafte Aufzählung verschiedener Prozessarten. Der Regelungsgehalt war denkbar schlicht: Lange mündliche Vorträge waren verboten. Das Gericht verzichtete auf sonst häufige Strafdrohungen und wiederholte lediglich eine Vorschrift, die bisher schon versucht hatte, den mündlichen Schlagabtausch in den Audienzen zu beschränken. Im Gegensatz zum älteren Bescheid vom 19. Juni 1532 (oben RKG Nr. 19) ging es nicht um beleidigende Worte, sondern lediglich um störende Weitschweifigkeit. Im Umkehrschluss belegt das Verbot zugleich ein erstaunlich hohes Maß an Mündlichkeit in den Audienzen. Ausholende Wortbei1 2 3 4 5 6 7 8

Denuo ... abstineant in Seyler/Barth II 1604. Procuratores ... utuntor in GB 1661; Blum 1667; GB 1710. Seyler/Barth II 1604. Auflösung nach Seyler/Barth II 1604; dagegen GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695 Dr. H. GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1710 nachmahls. GB 1678; GB 1686; nicht dagegen in GB 1688; GB 1695. GB 1678; GB 1686; GB 1688 Und in der Gemein: Daß. GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1710.

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RKG Nr. 29 1537 Mai 4

träge waren in der Praxis erheblich verbreiteter, als sie nach der Gerichtsordnung und zahlreichen Gemeinen Bescheiden sein sollten.

RKG Nr. 29 1537 Mai 4 [Recessus reiicitur et communiter decernitur ut Procuratores introducendo novas causas, quicquid mandatorum, instrumentorum appellationis et alia ad rem facientia habent, prout ordinationis neque divisim sub poena arbitraria exhibeant neque detineant.]1 [In introductione novarum causarum quicquid processuum procuratorium instrumentorum appellationis aliaque ad causam facientia secum habent, ea divisim ne exhibento.]2 [Procuratores in reproductione causarum quicquid processuum procuratoriorum, instrumentorum appellationis etc. penes se habent, non divisum3 exhibento.]4 In Sachen Weigand Pentz5 und seiner Haußfrauen wider Wendel Pentz6 ist Dr. Rotenburgers7 in jüngstvergangener8 Audientz geübte Handlung verworffen, und sonst dieser und9 [aller]10 anderer Sachen halber der Gemeine Bescheid: Daß er und andere Procuratores hinführo in Einführung neuer11 Sachen, was sie für12 Proceß, Gewält13, Appellationsinstrumenta14 und anderes der15 Sachen noth und dienstlich16 hinter ihnen17 hätten, vermöge der Ordnung samthafft und nicht also, wie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

Recessus ... detineant in Seyler/Barth II 1604; nicht in Seiler 1572. In ... exhibento in GB 1661; Blum 1667. GB 1710 divisim. Procuratores ... exhibento in GB 1710; GB 1714; GB 1724. Auflösung nach Ferrarius 1605; CJC 1724 W. P.; dagegen Seiler 1572 X. Q.; Seyler/Barth II 1604 Y. Q.; anders GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696 Sachen usw. Auflösung nach Ferrarius 1605; CJC 1724 W. P.; dagegen Seiler 1572; Seiler/Barth II 1604: X.Q. Seiler 1572 Doct. S.; GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1695 Dr. R. Ferrarius 1605 jüngst ergangener; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 jüngst vorgangener. Fehlt in Seiler 1572. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605. Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 der neuen; Seiler 1572; Ferrarius 1605; GB 1661 der newen. Ferrarius 1605 von. Seiler 1572 Gewaldt; Ferrarius 1605 Gewalt; GB 1661 Gewälte. Seiler 1572; Ferrarius 1605 Appellation Instrument. Ferrarius 1605 anders zur; Seiler 1572; GB 1661 anders der. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 dienstlich, und noth; Ferrarius 1605 zur Sachen dienlich. Ferrarius 1605 sich.

RKG Nr. 29 1537 Mai 4

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hierin beschehen, getheilt, bey Pöen nach Ermessung1 fürbringen und dieselbe nicht2 hinterhalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 88 Nr. LVI. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 228; Seyler/Barth II 1604. S. 502 B; Ferrarius 1605, S. 27-28; GB 1661, S 6; GB 1665, S. 5; Blum 1667, S. 529; GB 1671, S. 5; GB 1678, S. 5; GB 1686, S. 5; GB 1688, S. 5; GB 1695, S. 11; GB 1696, S. 11; GB 1707, S. 11; GB 1710, S. 13 Nr. XXIX; GB 1714, S. 8 Nr. XXX; CJC 1717, S. 8 Nr. XXX; GB 1717, S. 8 Nr. XXX; GB 1724, S. 13 Nr. XXIX. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bietet ein frühes Beispiel dafür, wie das Kameralkollegium es unternahm, die Eventualmaxime am Reichskammergericht einzuführen. Innerhalb der Gemeinen Bescheide handelt es sich um den ersten Versuch, den Verfahrensablauf auf diese Weise zu straffen. In einem konkreten Rechtsstreit hatte der Prokurator Dr. Rotenburger eine neue Sache gerichtlich einbringen wollen, hierbei aber die ihm bereits vorliegenden Unterlagen nur unvollständig zu den Akten gereicht. Ob er damit Zeit schinden wollte, bleibt offen. Das Gericht jedenfalls verwarf eine solche Teilhandlung und nahm das Zwischenurteil gleich zum Anlass, den Gemeinen Bescheid zu verkünden. Alle Unterlagen, die ein Prokurator für seinen Rechtsstreit beisammen hatte und die er als sachdienlich ansah, musste er bereits im ersten Termin vollständig vorlegen. Höchstwahrscheinlich meinte der Bescheid den Reproduktionstermin, denn die „Proceß“ waren nichts anderes als die Ladungsbriefe oder Mandate mitsamt der Relation des Kammerboten. Bei strenger Anwendung der Eventualmaxime hätte sich die Pflicht zur Vollständigkeit auch auf die sofortige Vorlage sämtlicher Beweismittel erstreckt (dazu Gemeiner Bescheid vom 31. August 1537; unten RKG Nr. 31). Das aber ist hier unsicher. Die Ladung, Anwaltsvollmacht und das Appellationsinstrument, vom Bescheid ausdrücklich genannt, waren zunächst nur erforderlich, um den Kameralprozess ordnungsgemäß zu eröffnen. Wie umfangreich der Hinweis auf „anderes“ zu verstehen war, sagte der Gemeine Bescheid nicht. Jedenfalls aber ging es um die Prozesskonzentration. Bei Verstößen drohte eine Poena arbitraria. Die Diskussion um die Eventualmaxime am Reichskammergericht erreichte nach Einschätzung der neueren Literatur ihren Höhepunkt mit dem Jüngsten Reichsabschied von 1654. Die Gemeinen Bescheide lassen die Übergänge und feinen Abstufungen erheblich genauer erkennen. Schon über einhundert Jahre früher gab es nämlich sehr ähnliche Anläufe.

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Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Ermässigung. Seiler 1572; GB 1678; GB 1686; GB 1688 dieselben nicht; GB 1661; GB 1671 dieselben nit.

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RKG Nr. 30 1537 Juni 6

RKG Nr. 30 1537 Juni 6 [Dilatio denegatur: Sed 14 dies praefigitur ad agendum etc. ad petitionem. Procurator ob verba inconvenientia mulctatur I. marc. argenti in bursam pauperum.]1 [Ad ignominiam et contemptum iudicii Cameralis eiusque personarum facta vi obligationis prout decet exponunto.]2 [Procuratores eae quae ad ignominiam, contemptum et praeiudicium iudicii Cameralis eiusdemque personarum facta, decenti modo indicanto.]3 In Sachen der T.4 wider M. H.5 ist6 Dr. Reiffstocken7 von wegen des Churfürsten von B.8 der gebettene Schub abgeschlagen, sondern auff Dr. Engelhards9 am 30. Maii gethanes Begehren und Einlage, ob er will10, zu handlen 14 Tage Zeit angesetzet und gemeldter Dr. Engelhard11 um seiner12 ungeschickt und ungebührlicher weise damahls13 fürgewandter Wort willen in eine Marck Silbers ad Bursam Pauperum zu bezahlen hiemit gestrafft, [Procuratores dehinc eiusmodi ordinatione prohibitis sub graviori poena abstineant, sed si quid habent quod ad ignominiam et contemptum iudicii et personarum vergat, id prout obligati iudicio sunt et ut decet exponant etc.]14 und ferner der Gemeine15 Bescheid16: Daß er und andere17 Procuratores hinführo vermöge der Reichsordnung sich solcher und dergleichen ohngeschickter Handlungen bey höherer Straff enthalten18, sondern so sie etwas, dem Kayserlichen Cammergericht und desselben Personen zu Schmach, Nachtheil und Veracht be-

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Dilatio ... pauperum in Seyler/Barth II 1604; nicht in Seiler 1572. Ad ... exponunto in GB 1661; Blum 1667. Procuratores ... indicanto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572 V., Seyler/Barth II 1604 W. Seiler 1572 I. I.; Seyler/Barth II 1604 K. K. GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Sachen usw. ist. Auflösung nach Seyler/Barth II 1604; dagegen Seiler 1572 Doctor S.; Blum 1667; GB 1695; GB 1696; CJC 1724 Dr. R. Seiler 1572 von C.; Seyler/Barth II 1604 zu D; dagegen fehlt von wegen ... von B. in Blum 1667; GB 1678; GB 1695. Auflösung nach Seyler/Barth II 1604; anders Seiler 1572 Doct. F. Seiler 1572 wöll; Seyler/Barth II 1604, GB 1665; GB 1714; GB 1724 wölle; GB 1678 wolle. Auflösung nach Seyler/Barth II 1604; anders Seiler 1572 Doct. F. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 seiner damals. Fehlt an dieser Stelle in Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Procuratores ... etc. in Seyler/Barth II 1604. Fehlt in Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604. Statt In Sachen der T. ... der gemeine Bescheid in Ferrarius 1605 Ist der gemein Bescheidt. Ferrarius 1605 daß sich die. Anderer Satzbau in Ferrarius 1605 hinfüro ungebührlicher unnd ungeschickter Wort unnd Handlung vermög deß Reichs Ordnung bey hoher Straff enthalten.

RKG Nr. 30 1537 Juni 6

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schehen, anzuzeigen haben, daß sie solches ihrer Verwandniß nach, damit sie dem Kayserlichen Cammergericht zugethan seynd1, wie sichs gebühret, thun sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 88 Nr. LVII. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 232 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth II 1604, S. 513 B, C; Ferrarius 1605, S. 28; GB 1661, S. 6; GB 1665, S. 5-6; Blum 1667, S. 529; GB 1671, S. 5-6; GB 1678, S. 5-6; GB 1686, S. 5-6; GB 1688, S. 5; GB 1695, S. 11-12; GB 1696, S. 11-12; GB 1707, S. 11-12; GB 1710, S. 13-14 Nr. XXX; GB 1714, S. 8-9 Nr. XXXI; CJC 1717, S. 8-9 Nr. XXXI; GB 1717, S. 8-9 Nr. XXXI; GB 1724, S. 13-14 Nr. XXX. Anmerkung: Ausgangspunkt des Gemeinen Bescheides war ein Rechtsstreit, in den sich ein Kurfürst als Intervenient eingeschaltet hatte. Er war zwar nicht Partei, aber doch am Verfahren beteiligt, und der kurfürstliche Prokurator Dr. Friedrich Reiffstock (auch Reifsteck) hatte sogar eine Fristverlängerung beantragt. Damit scheiterte er jedoch. Außerdem musste Dr. Simeon Engelhardt, offenbar der Prokurator einer beteiligten Partei, eine Mark Silber in den Armensäckel zahlen. Er hatte ungebührliche und ungeschickte Worte benutzt. Einzelheiten dazu teilt das einleitende Interlokut nicht mit. Im Gemeinen Bescheid geht es zunächst ebenfalls um solche ungeschickten Handlungen. Der Nachsatz bietet aber eine Klarstellung. Offenbar war es zur Verunglimpfung des Kammergerichts selbst gekommen, und ein Prokurator, nämlich der genannte Dr. Engelhardt, hatte die Ehrverletzung dem Kameralkollegium angezeigt. In Zukunft, so der Bescheid, sollten die Anwälte solche Vorkommnisse ebenfalls melden, aber auf eine Art, wie es sich besser gebührte. An dieser Stelle sprach der Gemeine Bescheid ausdrücklich nicht von Worten, ganz im Gegensatz zu dem Verhalten Dr. Engelhardts. Mit den Worten konnte nur die mündliche Rede in der Audienz gemeint sein, und nur bei diesem Verständnis gewinnt die Anordnung Sinn. Vermutlich hatte Dr. Engelhardt in einer Audienz auf Beleidigungen des Gerichts durch Dritte hingewiesen, dies aber in einer Art und Weise, die geeignet war, das Ansehen des Kameralkollegiums selbst zu beschädigen. Deswegen musste auch Engelhardt und nicht der unbekannte Beleidiger die Geldstrafe hinnehmen. Die gebührende Form, in der künftighin solche Vorkommnisse mitzuteilen waren, konnte also nur außerhalb der Audienz geschehen, sicherlich schriftlich oder informell. Mit dieser Maßgabe versuchte das Reichskammergericht, seine eigene Würde zu verteidigen. Vor dem Publikum, das die Audienzen besuchte, wollte man derartige Streitereien geheim halten.

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Seiler 1572 zu thun seyn.

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RKG Nr. 31 1537 August 31

RKG Nr. 31 1537 August 311 [Recessus et producta nuper etc. pro nunc acceptantur.]2 [Plura documenta prolaturi singulorum inscriptionibus recensendis tempus ne terunto, sed designatas in schedula exhibento.]3 [Plura documenta producturi singulorum inscriptiones non recensento sed harum designationem specificam in schedula exhibento.]4 In Sachen K.5 wider H.6 ist7 der Receß und Einbringen, nechst verschiener Audientz durch Dr. Reiffstock8 beschehen, dißmahl angenommen, [Procuratores dehinc plura instrumenta producendo non singula specificent sed in schedula designent etc.]9 und aber der Gemein10 Bescheid: Daß die Procuratores hinfüro, so sie eine nähmliche11 Anzahl Brieff, Urkunden12 [und andere]13 Instrumenten14 oder Gerechtigkeiten ihrer Partheyen einzulegen haben, daß sie dieselbe nicht also specifice und unterschiedlich nacheinander benennen15, sondern in und mit einem Specificationszettel zu Verhütung Längerung des Receß und Gerichts einbringen16 sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 88 Nr. LVIII. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 239 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth II 1604, S. 531 A, B; Ferrarius 1605, S. 28; GB 1661, S. 7; GB 1665, S. 6; Blum 1667, S. 530; GB 1671, S. 6; GB 1678, S. 6; GB 1686, S. 6; GB 1688, S. 5; GB 1695, S. 12; GB 1696, S. 12; GB 1707, S. 12; GB 1710, S. 14 Nr. XXXI; GB 1714, S. 9 Nr. XXXII; CJC 1717, S. 9 Nr. XXXII; GB 1717, S. 9 Nr. XXXII; GB 1724, S. 14 Nr. XXXI. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Anderes Datum bei Ferrarius 1605 13. Augusti Anno 1537 (vielleicht Zahlendreher); wie im CJC 1724 auch GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Eodem Anno Ultimo Augusti. Recessus ... acceptantur in Seyler/Barth II 1604; nicht in Seiler 1572. Plura ... exhibento in GB 1661; Blum 1667. Plura ... exhibento in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604 L. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604 I. GB 1678; GB 1695 Sachen usw. ist. Auflösung nach: Seyler/Barth II 1604; anders Seiler 1572 Doctor S.; GB 1695 Dr. R. Procuratores ... etc. in Seyler/Barth II 1604. Statt In Sachen ... der gemein bei Ferrarius 1605 Ist der gemein. Ferrarius 1605 merckliche. Ferrarius 1605 Uhrkundt. Und andere in Ferrarius 1605. Ferrarius 1605 instrumenta. Ferrarius 1605 benamen. Seiler 1572 innbringen; anders Ferrarius 1605 Receß gerichtlich eynbringen.

RKG Nr. 32 1537 November 21

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Anmerkung: Der Gemeine Bescheid verfolgt wie zahlreiche andere den Zweck, die Dauer der Audienzen zu verkürzen. Hier ging es um das genaue Vorgehen eines Prokurators, der in einer Audienz mehrere Schriftstücke übergeben wollte. Für die prozesseröffnenden Dokumente hatte bereits der Gemeine Bescheid vom 4. Mai 1537 die gemeinsame Vorlage im Reproduktionstermin angeordnet (oben RKG Nr. 29). Jetzt ging es knapp vier Monate später um Beweismittel. Sie waren ebenfalls geschlossen und gleichzeitig vorzulegen. Das setzte der Gemeine Bescheid stillschweigend voraus, denn sonst ergäbe die Anordnung selbst keinen Sinn. Der mündliche Rezess selbst durfte nämlich nicht deswegen länger werden, weil das Beweismaterial gleich aus mehreren Urkunden bestand. Deswegen untersagte es der Gemeine Bescheid, in der Audienz in mündlicher Rede die Titel oder Namen der einzelnen Schriftstücke gesondert aufzuführen. Vielmehr sollte der Prokurator die jeweiligen Beweisstücke auf einem speziellen Zettel vermerken. Das diente vermutlich der späteren Anfertigung des Protokollbuchs. An dieser Stelle war die Mündlichkeit der Audienz also besonders stark beschränkt. Der Prokurator durfte nicht einmal mehr sagen, welche Schriftstücke er übergab. Damit konnte zugleich das Protokollbuch nicht in der Audienz selbst durch Diktat oder Zusammenfassung des mündlichen Vortrags entstehen. Zumindest bei solchen Materialsammlungen musste der Protokollführer nach der Audienz oder spätestens bei der Komplierung der Akte aus den Spezifikationszetteln das Sitzungsprotokoll rekonstruieren. Der Spezifikationszettel war dabei nicht identisch mit den üblichen Schriftsätzen wie Replik, Duplik und so weiter. Sie gab es ohnehin, und sie verwiesen ebenfalls auf die Beweisstücke als Anlagen. Die Spezifikationszettel waren offenbar nur für die Protokollanten gedacht, halfen bei der Anfertigung der Protokolle und wurden danach nicht Teil der Akte. Spätere Gemeine Bescheide enthielten umfangreiche und detailgenaue Anordnungen über die Zahl der Spezifikationszettel und ihre äußere Gestalt (z. B. vom 13. Dezember 1659 § 5, 12. Januar 1660 §§ 2-7, 26. März 1675 und 4. April 1721 Ziff. 16; unten RKG Nr. 144, 146, 194 und 261). Derart kleinmaschige Regelungen waren im 16. Jahrhundert noch nicht erforderlich. Ob es überhaupt schon eine einheitliche Praxis gab, ist unbekannt.

RKG Nr. 32 1537 November 21 [Copia supplicationis denegatur et nisi citatus intra 4 sept[imanas] comparuerit, proclama in contumaciam decernendum. Cumque reus officium procuraturae deserverit quod asservit aliorumque dominorum officiis se addixerit, ideo dehinc procuratores substitui ab eo non patiantur vel suscipiant.]1

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Copia ... suscipiant in Seyler/Barth II 1604; nicht in Seiler 1572.

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RKG Nr. 32 1537 November 21

[Ab eo, qui se procuratura Camerali abdicavit, substitutiones non recipiuntor.]1 In Sachen Dr. M. A. wider Dr. T. M. ist Lizentiaten Wolffen2 begehrte Copey einbrachter Supplication abgeschlagen und erkennt: Sofern gemeldter Dr. M. in 4 Wochen den nechsten vermög ausgangener Ladung nicht erscheinen würde, daß alsdann daß gebettene Ruffen in Contumaciam hiemit erkandt seyn solle. Und nachdem bemeldter Dr. M. laut seines Angebens sich3 in anderer4 Herren Dienst begeben und verpflicht5 und dadurch seines Procuratornstands6 an diesem Kayserlichen Cammergericht erledigt, ist ex officio der Bescheid7: Daß die Procuratores hinfürter Substitutiones in Sachen von ihm8 anzunehmen sich enthalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 88 Nr. LIX. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 246 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth II 1604, S. 554 F; Ferrarius 1605, S. 28; GB 1661, S. 7; GB 1665, S. 6; Blum 1667, S. 530; GB 1671, S. 6; GB 1678, S. 6; GB 1686, S. 6; GB 1688, S. 5; GB 1695, S. 12; GB 1696, S. 12; GB 1707, S. 12; GB 1710, S. 14-15 Nr. XXXII; GB 1714, S. 9 Nr. XXXIII; CJC 1717, S. 9 Nr. XXXIII; GB 1717, S. 9 Nr. XXXIII; GB 1724, S. 14-15 Nr. XXXII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ist wie häufig zweigeteilt in Zwischenurteil und allgemeine Verfügung. Falls die abgekürzt überlieferten Parteinamen konsequent benutzt sind, war ein ehemaliger Reichskammergerichtsprokurator, ein Dr. M., Beklagter in einem reichskammergerichtlichen Prozess. Er erschien aber nicht in der Audienz und ließ sich auch nicht durch einen Substituten vertreten. Der klägerische Prokurator begehrte zunächst eine Abschrift einer Supplikation, doch das Reichskammergericht stellte die Einleitung eines Säumnisverfahrens in Aussicht. Falls eine abermals gesetzte Vierwochenfrist erfolglos verstrich, würde ein Rufen ergehen. Das bedeutete den förmlichen Beginn des Säumnisverfahrens, den öffentlichen Ausruf der nicht erschienenen Partei in der Audienz. Der Versuch, bei Nichterscheinen eine außergerichtliche gütliche Einigung zu erzielen (dazu Gemeiner Bescheid vom 27. Januar 1535; oben RKG Nr. 26), scheint hier aussichtslos gewesen zu sein. Dr. M. hatte das Reichskammergericht verlassen und arbeitete inzwischen in anderen Diensten. Der Gemeine Bescheid zog hieraus nur für einen im Ausgangsfall nicht einschlägigen Punkt Konsequenzen: Kein anderer Kameralprokurator durfte sich noch von Dr. M. als Sitzungsvertreter bestellen lassen, weil Dr. M. eben kein postulationsfähiger Prokurator mehr 1 2 3 4 5 6 7 8

Ab ... recipiuntor in GB 1714; CJC 1717; GB 1724; auch GB 1661 und Blum 1667, aber am Ende substitutiones ne suscipiunto. Auflösung nach Seyler/Barth II 1604; dagegen Seiler 1572 X.; GB 1671; GB 1695; GB 1696 W. Statt In Sachen Dr. M ... Angebens sich in Ferrarius 1605 Ist der gemein Bescheidt, wann sich ein Procurator. Ferrarius 1605 andern. Und verpflicht fehlt in Ferrarius 1605. Seiler 1572 sein Procurator Standt; Ferrarius 1605 sein Procuratorstandt. Ist ex ... Bescheid fehlt in Ferrarius 1605. Ferrarius 1605 hinfürter von ihm substitutiones in Sachen.

RKG Nr. 33 1538 Februar 18

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war. In diesem Fall beschränkte sich der Gemeine Bescheid also nicht darauf, lediglich die Regelung des Zwischenurteils zu verallgemeinern. Vielmehr nahm das Kameralkollegium den Ausgangsstreit zum Anlass, weitergehende Regelungen zum Umgang mit ausgeschiedenen Prokuratoren aufzustellen. Hier hätte die Möglichkeit bestanden, den Bescheid gleich auf alle ehemaligen, jetzt nicht mehr zugelassenen Prokuratoren auszudehnen. Das geschah aber nicht. Vielleicht war ein Wechsel eines Prokurators in andere Dienste im 16. Jahrhundert noch so selten, dass eine Ausweitung des Gemeinen Bescheids nicht erforderlich war.

RKG Nr. 33 1538 Februar 181 [Procurator quisque se excuset eo die quo agere debuit primo suo ordine neque expectet sequentem audientiam.]2 [Quilibet procurator se eo die quo agere debuit in primo ordine excusato.]3 Ferner4 ist der Gemeine Bescheid, daß ein jeder Procurator hinführo seine Ursachen und Entschuldigung auf den Termin des Tags, da er zu handlen schuldig ist und nicht gehandelt hätte5, in der ersten Umfrag fürbringen und länger biß auf nachfolgende Audientz nicht verziehen solle6. Vorlage: CJC 1724, S. 92 Nr. LXII. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth II 1604, S. 579 G; Ferrarius 1605, S. 44; GB 1661, S. 7; GB 1665, S. 6; Blum 1667, S. 530-531; GB 1671, S. 6; GB 1678, S. 6; GB 1686, S. 6; GB 1688, S. 6; GB 1695, S. 13; GB 1696, S. 13; GB 1707, S. 13; GB 1710, S. 15 Nr. XXXIII; GB 1714, S. 9 Nr. XXXIV; CJC 1717, S. 9 Nr. XXXIV; GB 1717, S. 9 Nr. XXXIV; GB 1724, S. 15 Nr. XXXIII; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Der Regelungsgehalt des Gemeinen Bescheids ist eng mit dem Säumnisproblem verbunden. Hier geht es aber nicht um einen Prokurator, der gar nicht zur Audienz erschien, sondern um jemanden, der trotz förmlich gesetzter Frist die von ihm erwartete Prozesshandlung nicht vorgenommen hatte. Für diesen Fall strebte der Gemeine Bescheid sofortige Klarheit über die Verzögerungsgründe an. Der Prokurator durfte nicht bis zur nächsten Audienz warten, sondern sollte sich 1 2 3 4 5 6

Anders GB 1707 Anno 1583. 18. Februarii, vermutlich Druckfehler. Procurator ... audientiam in Seyler/Barth II 1604. Quilibet ... excusato in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; auch GB 1661 und Blum 1667, aber am Ende debuit excusato. Fehlt in Ferrarius 1605. Ferrarius 1605 hat. Blum 1667; GB 1695; GB 1696 soll; Ferrarius 1605 soll usw.

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RKG Nr. 34 1538 Februar 27

sofort erklären. Es ging also um seine Entschuldigung und damit auch um die Frage, ob es zu Ordnungsmaßnahmen gegen ihn kommen sollte. Die Vorschrift richtete sich damit in erster Linie nicht gegen Prozessverschleppungen. Dazu kam es ohnehin, wenn ein Prokurator die gesetzten Termine verstreichen ließ. Es ging nur darum, unentschuldigte Verstöße gegen Zwischenurteile zu verhindern. Dennoch zeigt die Quelle, wie eng die Disziplinierung der Anwälte mit der ordnungsgemäßen Ausgestaltung des Prozessrechts verbunden war.

RKG Nr. 34 1538 Februar 271 [Nemo sententiarum publicationi obloquitur.]2 In Sachen NN.3 läst mans bey der Urtheil, in4 jüngster Audientz ergangen, bleiben, und ist Dr. H. um seiner in und zwischen Eröffnung berührter Urtheil geübter ungeschickter Reden und Handlung willen zwey Gulden zu bezahlen hiemit gestrafft [Ne quis procurator publicationi sententiarum obloqiatur, sub graviori poena.]5 und darneben der Gemeine6 Bescheid: Daß er7 Dr. H. und andere Procuratores8 in Aussprechung der Urtheil9 [deroselben etwas]10 zuwieder11 reden bey höherer12 Straff, jederzeit gegen die Übertreter13 nach Ermessung14 fürzunehmen, sich enthalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 92 Nr. LXIII. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth II 1604, S. 582, A; Ferrarius 1605, S. 44; GB 1661, S. 7; GB 1665, S. 6; Blum 1667, S. 531; GB 1671, S. 6; GB 1678, S. 6; GB 1686, S. 6; GB 1688, S. 6; GB 1695, S. 13; GB 1696, S. 13; GB 1707, S. 13; GB 1710, S. 15

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Anders GB 1707 27. Ejusdem (= 1583, wohl Druckfehler). Nemo ... obloquitur in GB 1710; auch GB 1661; GB 1717 und Blum 1667 mit obloquitor. GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696 usw. Fehlt in GB 1695; GB 1696. Ne … poena in Seyler/Barth II 1604. Statt In Sachen ... der Gemeine in Ferrarius 1605 Ist der gemein. GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1696 derselbige. Ferrarius 1605 daß die Procuratores. GB 1696 Urtheilen. Deroselben etwas in Ferrarius 1605. GB 1671; GB 1678; GB 1696 zu. Fehlt in Ferrarius 1605. Ferrarius 1605; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1710 den Ubertrettern. GB 1671; GB 1695; GB 1696 Ermässigung.

RKG Nr. 35 1538 August 19

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Nr. XXXIV; GB 1714, S. 9 Nr. XXXV; CJC 1717, S. 9 Nr. XXXV; GB 1717, S. 9 Nr. XXXV; GB 1724, S. 15 Nr. 15; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Wie schon im Gemeinen Bescheid vom 6. Juni 1537 (oben RKG Nr. 30) geht es auch hier um das Ansehen des Kameralkollegiums während der Audienz. Hatte ein halbes Jahr zuvor offenbar ein Prokurator in der Audienz öffentlich über Verunglimpfungen des Reichskammergerichts durch Dritte gesprochen, so waren es nun Prokuratoren selbst, die in der Audienz die Würde des Gerichts untergruben. Der genannte Dr. H., zu denken ist an den bereits mehrfach unangenehm aufgefallenen Dr. Christoph Hoß, hatte während der Urteilsverkündung ungebührende Reden und Handlungen vorgenommen. Unschwer wird man hinzufügen dürfen, dass sicherlich die Entscheidung zu Ungunsten seiner Partei ausgegangen war und er in der Audienz dagegen protestiert hatte. Deswegen kündigte das Gericht hier nicht nur eine Strafe an, sondern vollstreckte tatsächlich eine Buße von zwei Gulden. Der Gemeine Bescheid weitete die Einzelfallregelung aus und drohte sogar künftig noch höhere Strafen im Sinne einer Poena arbitraria an. Während der Urteilsverkündung waren Widerworte somit streng verboten. Doch sie kamen in der Praxis vor. Dies zeigt, wie brüchig das feierliche Zeremoniell der Audienzen augenscheinlich war. Die Würde des Gerichts ließ sich kinderleicht beschädigen, wenn jemand während der Verlesung der Urteilsformeln plötzlich lautstark Protest erhob. Solcher Unmut konnte die Zuschauer verunsichern und die Assessoren bloßstellen. Die Schärfe, mit der das Gericht um sein eigenes Ansehen kämpfte, wird vor diesem Hintergrund verständlich.

RKG Nr. 35 1538 August 191 [Nisi lis hac audientia constestata fuerit pro contestata acceptanda.]2 [Litem contestari iussi illam eadem audientia sub poena ordinationis contestantor. Ad sententias secundum ordinationem agitor.]3 [Litem contestari iussi hoc sine ulteriori imploratione faciant et ad sententias secundum ordinationem agant.]4 In Sachen der F. wider T.5 ist1 erkandt; So Doctor Themar2 in dieser Audientz laut gesprochener Urtheil3 Litem nicht contestiren wird4, daß alsdann derselbe hiemit für befestigt angenommen seyn solle5: 1 2 3 4 5

Anders GB 1707 Eodem Anno (= 1583, wohl Druckfehler), 19. Augusti. Nisi ...acceptanda in Seyler/Barth II 1604; nicht in Seiler 1572. Litem ... agitor in GB 1661; Blum 1667. Litem ... agant in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Auflösung nach Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604.

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RKG Nr. 35 1538 August 19

[Nisi litem constestari iussi, eadem audientia id fecerint, poenam ordinationis solvant. Et ad sententias ordinatio etc. sub poena observanda.]6 Und weiter7 der Gemeine8 Bescheid: So hinführo einigem Procuratori9 Litem zu contestiren mit Urtheil auferlegt10 und er solches alsobald ohne ferners Anruffen in derselben Audientz nicht thun wird11, daß alsdann die Straff laut der Ordnung unnachlässig12 von ihm genommen werden solle13. Daß auch die Procuratores weiter auf gesprochens Urtheil und Interlocutorias sich der Ordnung zu Regenspurg aufgericht, begriffen unterm Titul14 „Wie gehandelt werden soll auf gesprochen Urtheil usw.15“ [auch]16 bey Vermeydung der Straff gemäß halten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 92 Nr. LXIV. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 259 (auch im Register am Ende von Buchstabe G, dort S. „258“); Seyler/Barth II 1604, S. 622 B, C; Ferrarius 1605, S. 44; Cisner 1605, S. 373374; GB 1661, S. 7; GB 1665, S. 6; Blum 1667, S. 531; GB 1671, S. 6; GB 1678, S. 6; GB 1686, S. 6; GB 1688, S. 6; GB 1695, S. 13; GB 1696, S. 13; GB 1707, S. 13; GB 1710, S. 15-16 Nr. XXXV; GB 1714, S. 9-10 Nr. XXXVI; CJC 1717, S. 9-10 Nr. XXXVI; GB 1717, S. 9-10 Nr. XXXVI; GB 1724, S. 15-16 Nr. XXXV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich mit den Pflichten, die das Kammergericht den Prokuratoren durch Zwischenurteil aufgegeben hatte, sowie mit den Folgen, wenn jemand dagegen verstieß. Dabei ging es zum einen um die Litiskontestation, zum anderen um sonstige Prozesshandlungen. Der Ausgangsfall zeigt das Reichskammergericht bei einem spontan gefassten Zwischenurteil. Das Interlokut sprach nämlich ausdrücklich von „dieser Audienz“. Der Prokurator Dr. Adam Werner von Themar (auch Thomar) hatte sich offenbar geweigert, die Streitbefestigung zu erklären, obwohl er durch Zwischenurteil dazu verpflichtet war. Daraufhin erging sofort ein weiteres Interlokut: Wenn der Prokurator den Streit nicht befestigte, würde das Gericht die Litis1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

GB 1671; GB 1678; GB 1695 Sachen usw. ist. Auflösung nach Seyler/Barth II 1604; anders Seiler 1572 Doctor V; GB 1695; GB 1696 Dr. T. Seiler 1572 gesprochen Urtheils. Seyler/Barth II 1604 würdt. Seyn solle fehlt in Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; dagegen GB 1695; GB 1696 seyn soll. Nisi ... observanda in Seyler/Barth II 1604. Statt In Sachen … weiter in Cisner 1605, S. 374 Weiters ist. Seiler 1572; GB 1696 weiters der gemein; ganz ander Ferrarius 1605: Statt In Sachen ... der gemein bei ihm Ist der gemein. Seiler 1572; Cisner 1605 einichem Procurator; Ferrarius 1605 Procuratorn; GB 1678; GB 1696 Procurator. Seiler 1572; Cisner 1605; GB 1696 auffgelegt. Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605 würd; Cisner 1605 würde. Seyler/Barth II 1604 unableßlich; Ferrarius 1605 ohn ablässig; Cisner 1605 unablößlich; Seiler 1572; GB 1665; GB 1678; GB 1696 ohnabläßlich. In Sachen … werden solle fehlt in Cisner 1605, S. 373; statt solle in Seiler 1572; Ferrarius 1605; Cisner 1605, S. 374; GB 1696 soll. Cisner 1605 Tittel. Fehlt in Seiler 1572; Cisner 1605. Seiler 1572; Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; fehlt in Cisner 1605.

RKG Nr. 36 1538 September 11

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kontestation fingieren. Hier sieht man, wie schwierig die förmliche Litiskontestation in der Praxis zu handhaben war. Wenn der Prokurator sie nämlich nicht erklärte, hatte das dieselben Folgen, als wenn er ordnungsgemäß gehandelt hatte. Der nachfolgende Gemeine Bescheid im zweiten Absatz der Quelle zog daraus die sachgerechte Folgerung. Lediglich eine Ordnungsbuße sollte fällig werden, wenn ein Prokurator nicht fristgemäß die Litiskontestation vornahm. Genau diese Buße diente dem Gericht zum Anlass, den Prokuratoren nochmals einzuschärfen, den Regensburger Reichsabschied vom 27. Juli 1532 zu beachten. Gerade 1538 scheint das besonders notwendig gewesen zu sein. In diesem Jahr ergingen fünf Gemeine Bescheide, so viele wie bis dahin noch nie zuvor in einem Jahr.

RKG Nr. 36 1538 September 111 [Procurator loco decidentis agere2 volens id non vigore generalis substitutionis3 sed specialis mandati principalium facito.]4 [Quisquis procuratorum loco defuncti agere volet, id non vigore substitutionis illius, sed specialis mandati, faciat.]5 Zwischen O. und G.6 ist Dr. H.7 in Krafft fürbrachten Gewalts zur Handlung gelassen, Dr. B.8 aber9 sein Begehren abgeschlagen und der Gemeine10 Bescheid: Welcher Procurator von wegen der Partheyen, die Dr. Rotenburger11 gehabt, sich einlassen oder handlen wolte12, daß er solches nicht in Krafft der gemeinen13 Substitution gemeldten Rotenburgers14, sondern vermöge der Ordnung auf besondere Gewält15 bemeldter Partheyen thun solle. Vorlage: CJC 1724, S. 92 Nr. LXV. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Anders GB 1707 Eodem Anno (= 1583, wohl Druckfehler), 11. Septembris. GB 1661; Blum 1667 Loco defuncti procuratori agere. GB 1661; Blum 1667 substitutionis illius. Procurator ... facito in GB 1710; auch GB 1661 und Blum 1667 (mit den markierten Abweichungen). Quisque … faciat in Seyler/Barth II 1604. Seiler 1572 N. und F. Seiler 1572 Doctor I.; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1710 A. Seiler 1572 Doctor C. Fehlt in Seiler 1572. Statt Zwischen O. ... der gemeine in Ferrarius 1605 Ist der gemein. Seiler 1572 Doctor S.; Ferrarius 1605 D. R. Seiler 1572 wölle; Seyler/Barth II 1604 wöll; Ferrarius 1605 wil; GB 1671; GB 1678; GB 1696 wolle. Ferrarius 1605 Krafft gemeiner. GB 1665; GB 1671; GB 1678 Rottenburgers; Seiler 1572 S.; Ferrarius 1605 gemelts D. R. GB 1671; GB 1696 Gewalt; Ferrarius 1605 auff besondern Gewalt.

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RKG Nr. 37 1538 September 16

Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 260 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth II 1604, S. 631 A; Ferrarius 1605, S. 45; GB 1661, S. 7-8; GB 1665, S. 6-7; Blum 1667, S. 531-532; GB 1671, S. 7; GB 1678, S. 6-7; GB 1686, S. 6-7; GB 1688, S. 6; GB 1695, S. 13-14; GB 1696, S. 13-14; GB 1707, S. 13-14; GB 1710, S. 16 Nr. XXXVI; GB 1714, S. 10 Nr. XXXVII; CJC 1717, S. 10 Nr. XXXVII; GB 1717, S. 10 Nr. XXXVII; GB 1724, S. 16 Nr. XXXVI. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich mit der Postulationsfähigkeit von Prokuratoren, die als Nachrücker eines weggefallenen Prokurators in den Prozess eintraten. Offenbar war der genannte Dr. Rotenburger verstorben, hatte aber zu Lebzeiten noch andere Prokuratoren mit Untervollmacht versehen. Vielleicht handelte es sich auch um den bereits im älteren Gemeinen Bescheid vom 21. November 1537 genannten Prokurator, der sein Amt niedergelegt hatte und in andere Dienste getreten war (oben RKG Nr. 32). Rotenburgers Substituten konnten mit seiner bloßen Untervollmacht keine weiteren Prozesshandlungen mit Wirkung für und gegen die Parteien vornehmen. Deswegen benötigten sie eine neue Hauptvollmacht des Mandanten. In der Praxis scheint es zwei Arten von Untervollmachten gegeben zu haben. Zum einen besaß offenbar jeder Prokurator die im Gemeinen Bescheid genannte gemeine Substitution. Sie war eine Untervertretung ohne Mitwirkung der Parteien. Zum anderen enthielten die von den Parteien unterzeichneten Anwaltsvollmachten üblicherweise schon Anordnungen für den Fall, dass der Prokurator starb oder sonstwie verhindert war. Ob derartige Substitutionsklauseln erst nach dem Gemeinen Bescheid vom 11. September 1538 üblich wurden, ist unklar. Jedenfalls konnten die späteren Formulierungen, in den gedruckten Vollmachtsexemplaren sogar die ausgefüllten Lückentexte, von vornherein die Untervollmachten ordnungsgemäß auf den Willen der Parteien stützen. Das Regelungsproblem des Gemeinen Bescheides erledigte sich damit durch die in der Praxis gebräuchlichen Formulare. Auf diese Weise waren die Prozesshandlungen des Prokurators in den Audienzen immer von der Vollmacht der vertretenen Partei gedeckt.

RKG Nr. 37 1538 September 161 [Non obstante petitione sententiae inhaerendum.]2 [Vigore ordinationis non verbis sed scriptis agitor.]3 [Procuratores vigore ordinationis in scriptis agunto.]4

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Anders GB 1707 16. Ejusdem (= September 1583, wohl Druckfehler). Non ... inhaerendum in Seyler/Barth II 1604. Vigore ... agitor in GB 1661; Blum 1667. Procuratores ... agunto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

RKG Nr. 37 1538 September 16

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In Sachen Sanct R. Stiffts zu K. wider die alte Stadt O.1 läst2 man es ungehindert3 Dr. Hirders4 und Lizentiaten Hoffmans5 jüngstverschiener Audientz beschehener6 Anzeig und Begehren bey dem Urtheil, desselben Tags ergangen, bleiben: [Procuratores non verbis sed scriptis agant sub poena etc.]7 Und ist der Gemeine Bescheid: So sie hinführo dergleichen Fürträge und Begehren zu thun haben, daß sie solches vermöge der Reichsordnung bey Vermeidung der Straff in Schrifften thun sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 92 Nr. LXVI. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth II 1604, S. 632 D, E; GB 1661, S. 8; GB 1665, S. 7; Blum 1667, S. 532; GB 1671, S. 7; GB 1678, S. 7; GB 1686, S. 7; GB 1688, S. 6; GB 1695, S. 14; GB 1696, S. 14; GB 1707, S. 14; GB 1710, S. 16 Nr. XXXVII; GB 1714, S. 10 Nr. XXXVIII; GB 1717, S. 10 Nr. XXXVIII; GB 1724, S. 16 Nr. XXXVII; fehlt in Seiler 1572; Ferrarius 1605. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich wie viele andere mit dem Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit am Reichskammergericht. Ausgangspunkt war ein am selben Tag ergangenes Zwischenurteil in einem Streit zwischen einem Stift und einer alten Stadt. Zwei Kameralprokuratoren hatten unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung im dafür vorgesehenen Abschnitt der Audienz mündliche Anträge gestellt. Das Gericht wies aber noch in derselben Audienz die Anträge zurück, beließ es beim ergangenen Interlokut und verkündete zugleich den Gemeinen Bescheid. Allein der Rahmen lässt einige überkommene Ansichten zur kammergerichtlichen Audienz ins Wanken geraten. Die Quelle belegt nämlich, dass es durchaus innerhalb derselben Audienz zwei voneinander getrennte Verkündungstermine geben konnte. Zumindest das zweite Urteil hatte das Kameralkollegium auch nicht vorberaten können. Es erging sofort nach den mündlichen Anträgen der Prokuratoren, abgetrennt höchstens durch eine kurze Zwischenberatung. Auch den Gemeinen Bescheid hatten die Assessoren aus demselben Grund nicht lange ausarbeiten können. Sieht man die Gemeinen Bescheide als Rechtsquellen an, steht man also vor einer Gesetzgebung, die weder geplant noch sonstwie vorbereitet war. Der Gemeine Bescheid klärte sodann aber die Grenzen der Mündlichkeit vor Gericht. Sämtliche Vorträge und Anträge der Parteien waren nur dann rechtlich beachtlich, wenn sie in Schriftform ergingen. Das hatten die älteren Quellen nie so deutlich gesagt. Es gab Klagen über ungebührliche oder unnötige mündliche Vorträge. Jetzt aber erklärte das Gericht mündliche Äußerungen für rechtlich schlechthin unbeachtlich. Das Reichskammergericht berief sich dafür auf die Reichsordnung, ging aber zugleich darüber hinaus. Die 1 2 3 4 5 6 7

Auflösung nach: Seyler/Barth II 1604. GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1710 In Sachen usw. läst; CJC 1724 In Sachen NN. läst. Seyler/Barth II 1604 unverhindert. Auflösung nach: Seyler/Barth II 1604; dagegen GB 1695 Dr. H. Auflösung nach: Seyler/Barth II 1604; dagegen CJC 1724; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 F. Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 geschehen. Procuratores ... etc. in Seyler/Barth II 1604.

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RKG Nr. 38 1539 November 27

Anspielung bezog sich auf den Speyerer Visitationsabschied von 1531 (so auch die Marginalie bei Ludolff, CJC 1724, S. 92). Der Abschied von 1531 war zugleich eine Kammergerichtsreformation. Er traf zur Schriftlichkeit des Verfahrens ebenfalls eine grundsätzliche Regelung. Zum einen untersagte er es bei Strafe, mündlich dasjenige zu wiederholen, das bereits in den Schriftsätzen selbst enthalten war. Zum anderen verbot er mündlichen Vortrag, dessen Umfang über das bisher zulässige Maß hinausging (Visitationsabschied 1531 § 4, bei Ludolff, CJC 1724, S. 74). Das war aber alles nicht hieb- und stichfest. Der Gemeine Bescheid vom 16. September 1538 ließ sich dagegen an Klarheit kaum überbieten. Rechtlich beachtlich waren fortan nur noch schriftliche Anträge. Ob die Praxis das durchhielt, ist eine andere Frage. Gerade die Bitte um das Rufen bei Nichterscheinen der Gegenpartei konnte man schlechterdings nicht schriftlich vorbereiten. Dem Wortlaut nach kannte der Bescheid aber keine Ausnahmen. Die lateinische Überschrift von Seyler und Barth „non verbis, sed scriptis agant“ war hier sogar noch schärfer als die deutsche Fassung. Die Audienzen mitsamt Öffentlichkeit sollte es weiterhin geben. Was die Prokuratoren dort sagten, sollte aber egal sein. Wenn sie mündliche Anträge stellten, konnte das Gericht sie dafür sogar bestrafen. Mit diesem Gemeinen Bescheid hatte das Reichskammergericht einen Extrempunkt des schriftlichen Zivilprozesses erreicht. Der folgende Gemeine Bescheid vom 27. November 1539 enthielt freilich sofort wieder gewisse Abschwächungen (unten RKG Nr. 38). Einen für alle Verfahrensbeteiligten hinnehmbaren Kompromiss zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit vor Gericht erreichte das Kameralkollegium zu keiner Zeit.

RKG Nr. 38 1539 November 27 Gemeiner Bescheid zu Wimpffen vom 27. Novembris 1539. [§ 1. In supplicationibus pro processibus appellationis viva voce interpositae indicetur qualitas sententiae et summa appellabilis. § 2. Supplicationes novae in casibus denegatorum processuum fiant cum horum eorumque decretorum adiunctione. § 3. In supplicationibus exprimantur nomina reorum et consortum, neque ad executionem demum reserventur. § 4. Procurator impetrantis ante terminum processuum eos non reproducat neque de diligentia nuda prostestetur. § 5. Eadem a procuratore citati observentur cum limitatione. § 6. Modus reproducendi in primo vel ulteriori termino. § 7. et 8. Modus agendi in casu plurium consortum et intitulandi causas. § 9. Modus intitulandi si procurator nomine alicuius tertii comparet. § 10. Modus reproducendi acta alias producenda. § 11. Instrumenta vel alia documenta producantur cum aliis producendis et signentur cum repetitione tenoris.

RKG Nr. 38 1539 November 27

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§ 12. Actoriae et producta in scriptis oretenus non repetantur, recessus quoque orales vel litis contestationes ac conclusiones sint breves ordinationique conformes. § 13. Orales recessus dictentur neque interfabulationibus turbentur. § 14. Legitimatio utriusque partis fiat ante conclusionem definitivae litis contestationis vel super devolutione competentiae. § 15. Audientiae sine procuratorum vel circumstantium colloquiis observentur. § 16. Iudice vel praeside causam ad deliberandum remittente procuratores contenti sint. § 17. Copia signata procuratorii vel alius documenti exprimat diem et causam producti originalis neque de his ore mentio fiat. § 18. Ordinatio Spir[ensis de] 1527, ut procurator in audientia ordinem vel terminum non agendo praeterlabi finens non amplius audiatur in illa, stricte servetur.]1 § 1. Erstlich2 sollen hinfürter die Procuratores in Ausbringung der Ladung und Processen in Sachen, da viva voce appellirt, Qualitatem Sententiae, und von waserley3 Urtheil appellirt, darzu ob die Summ der Ordnung gemäß sey, in Supplicationibus anzeigen. § 2. Item, so eine Parthey oder Procurator, dem ein- oder mehrmals die Proceß abgeschlagen, wiederum aus neuem Fürbringen und Ursachen oder uff andere Wege suppliciren will, der solle alsdann die vorige Supplication mit ihrem aufgeschriebenen Decret, wo [sie]4 die bey Handen [haben]5, mit und neben derselben Supplication übergeben. § 3. Item, welcher auch um Ladung oder andere Proceß wieder Vormünder, Erben, Helffer oder Helffershelffer und dergleichen anzuhalten hätte, der solle die Namen derselben in Supplicatione anzeigen und nicht, wie bißhero geschehen, in der Execution zu benennen vorbehalten. § 4. Item es soll auch hinfürter kein Procurator wegen der Parthey, so Proceß ausbracht, sich ante Terminum Citationis gerichtlich einlassen und, wie bißhero geschehen, allein de diligentia ohne fernere Handlung protestiren, sondern des Termins Ausgang in verkündter Ladung bestimbt erwarten und alsdann handlen, was sich von Rechtswegen und vermöge der Ordnung gebührt. § 5. Desgleichen soll auch jeder Procurator des Citirten zu thun schuldig seyn, es wäre dann, daß in Termino Comparitionis nicht eigentlich bewust, daß sein Wiedertheil nicht erschienen, und alsdann doch vermuthlich erachten6 möchte, daß solcher Terminus vorhanden wäre.

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§ 1. ... servetur in GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Es. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 was. GB 1714; CJC 1717: GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 achten.

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§ 6. Item, sollen beyder Theile Procuratores in Termino, so die Ladung reproducirt wird, Gewalt, Instrumenta Appellationis, Libell und anders, so vermöge der Ordnung in primo Termino gehandelt werden soll, sämtlich miteinander ohne Benennung derer, die exequirt haben, fürbringen und handlen und sonderlich, so sie von denen Partheyen Gewalt empfangen haben, dieselbige in Termino, da sie sich einlassen, übergeben und nit, wie bißhero, deshalb1 sondere Zeit als ad primam oder proximam2 nehmen oder bitten: Wo aber ihnen Gewalt, Instrumenta Appellationis oder anderes, so in primo Termino fürzubringen, nach Verscheinung desselben zukommen, sollen3 sie deshalb keine sondere Receß halten, sondern da sie sonsten vermöge der Ordnung in solchen Sachen handlen werden, dieselbe einbringen. § 7. Item, so in einer Ladung viele Partheyen benennt seind, und sich von derselben aller wegen ein Procurator allein einlassen wolte, so solle er aus denenselben nicht mehr dann einen mit Namen benennen und anzeigen, doch mit diesem Anhang: „und andern in der Ladung bestimt“ die Sache also intituliren und folgends in Processu bey solcher ersten Intitulatur der Sache4 biß zu End derselben, oder so lang der Benennte in lite ist, bleiben. § 8. So aber ein Procurator nicht von wegen aller, im Mandat oder Ladung benennt, sich einlassen wolte, soll ihm alsdann die jenige, von derentwegen er erscheinet, mit Namen anzuzeigen unbenommen seyn. § 9. Item, so in hangenden Sachen ein Procurator sich von eines dritten wegen einlassen will, soll er dieselbe Sache, wie sie erstmals intitulirt, anzeigen, und die Sache bey derselben ersten Intitulation bleiben lassen. § 10. Item, sollen die Procuratores die Acta, so sie sonst in Sachen handlen, auch so dann5 reproduciren und nicht mehr sondere Recess deshalben halten. § 11. Item so die Procuratores Urkunden, Instrumenta und andere Brieff fürzubringen haben, die sollen sie sambt denen Producten einbringen und derhalben keine sondere Recess halten, auch dieselbe mit denen Buchstaben, wormit sie signirt seynd, anzeigen und den Inhalt derselben nicht anzeigen, melden, oder repetiren. § 12. Desgleichen sollen sie auch die Urtheil, durch welche ihnen Handlung auferleget, auch sonst das Protocoll und dasjenige, so sie in Schrifften vorbringen, mündlich zu repetiren oder zu melden sich enthalten, sonsten auch in ihren mündlichen Fürträgen oder6 sondern Litis Contestationibus und Conclusionibus, welche vermög der Ordnung mit wenig Worten geschehen sollen, sich der Kürze befleissen und die Ordnung halten. 1 2 3 4 5 6

Fehlt in GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Oder proximam fehlt in GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717 solten. GB 1714; CJC 1717;GB 1724 Sachen. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 auch darin. Fehlt in GB 1714; CJC 1717.

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§ 13. Item, was die Procuratores mündlich vorzutragen haben, das sollen sie in die Feder reden und sich anderer Nebenreden, was der Sachen nicht dienstlich und in die Feder nicht gehört zu reden, gäntzlich enthalten, darauf auch denen Protonotarien befohlen wird1, alle ihre Rede im Gericht hinfürter auffzuschreiben. § 14. Item es soll auch kein Procurator mit dem andern super Devolutione, Competentia2 oder auch sonsten post Litis Contestationem definitive beschliessen, es seyen dann zuvor beede Theile mit gnugsamen Gewälten zur Sachen legitimirt. § 15. Item so sollen die Procuratores hinfürter unter der Gerichtlichen Audientz so viel Redens unter ihnen selbst oder andern Umstehenden nicht machen3, sondern uff die gerichtliche Handlungen und Fürträge besseres Auffmercken haben. § 16. Item so der Richter und Praesident uff beschehene Fürträg die Sachen in Bedacht nimbt oder sonst denen Procuratorn nicht weiter zu reden ufflegt oder befiehlt, sollen es alsdann die Procuratores darbey bleiben lassen und fernern Redens sich daruff enthalten. § 17. Item, welcher Procurator hinfort zu der Sachen Copey gemeinen Gewalts, Privilegien oder anders, so zuvor bey4 andern Sachen einkommen, vorbringen wird, soll uff dieselbe die Zeit und Sache, darinn sie in Originali einkommen, schreiben und das mündlich zu melden sich enthalten. § 18. Item nachdem ein Articul in der Ordnung zu Speyer Anno 1527 aufgericht, § 205 einverleibt, also lautend „Und welcher unter denen Procuratorn6“, so sollen die Procuratores hinfüro jetzt gemeldter Ordnung bey darinn einverleibter Straff sich erbarlich halten. Vorlage: CJC 1724, S. 92-93 Nr. LXVII. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 10-12 Nr. XXXIX; CJC 1717, S. 10-12 Nr. XXXIX; GB 1717, S. 10-12 Nr. XXXIX; GB 1724, S. 202-206 Nr. CCIV; fehlt in Seiler 1572; Ferrarius 1605; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Es handelt sich um den ersten umfangreichen Sammelbescheid des Reichskammergerichts, erheblich länger noch als der mit nur drei Paragraphen deutlich kürzere Sammelbescheid vom 27. Januar 1535 (oben RKG Nr. 26). Der vorangehende Gemeine Bescheid vom 16. September 1538 (oben RKG Nr. 37) lag zwar schon ein gutes Jahr zurück. Aber so umfangreiche Anordnungen wie am 27. November 1539 hatte das Reichskammergericht zuvor nie treffen 1 2 3 4 5 6

GB 1714; CJC 1717; GB 1724 befehlen. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 devolutione competentiae. Fehlt in GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 so vor zu. § 20 fehlt in GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Welcher Procurator in Novis oder sonst einen Termin übergehen ließe, und nicht handlet, der soll dieselbe Audientz weiter derohalben nicht gehöret werden; Und wo er darüber einen oder andern Procuratorn einredet, soll er Einen Gulden zur Straff geben, usw.

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müssen. Vielleicht hing der Erlass des Bescheides mit dem kurzzeitigen Wechsel des Gerichts in die Reichsstadt Wimpfen zusammen. Die Überschrift, die Georg Melchior von Ludolff im „Corpus Juris Cameralis“ wählte, spricht jedenfalls dafür. Die gedruckten Bescheidsammlungen haben ausführliche lateinische Zusammenfassungen vorangestellt. Authentisch ist aber nur der deutsche Text. Die Regelungen sind vielfältig und hängen nicht unmittelbar miteinander zusammen. Deswegen kann kein konkreter Rechtsstreit den Anlass zur Verkündung gegeben haben. Vielmehr setzte ein solcher Erlass eine längere Ausarbeitungszeit zwingend voraus. Dennoch handelt es sich nicht um eine vollständige Reichskammergerichtsordnung. Das Gericht gestaltete vielmehr weiterhin die Lücken und Unklarheiten des Verfahrensrechts durch eigene Anordnungen aus. Zugleich wiederholte der Bescheid nicht lediglich die bereits zuvor ergangenen Vorschriften, ging also zugleich über eine Zusammenfassung deutlich hinaus (anders der Gemeine Bescheid vom 28. November 1550, unten RKG Nr. 44). Typologisch lässt sich ein solcher Bescheid am besten mit der aus den Territorien bekannten Kontroversengesetzgebung vergleichen. Der Normgeber, hier das Gericht selbst, entschied lediglich dasjenige, was streitig war. Alles andere blieb in der überkommenen Ordnung, also im Gemisch von Reichskammergerichtsordnungen, älteren Reichsabschieden, Gemeinen Bescheiden und dem gelehrten Prozessrecht. Im Einzelnen: § 1 ging von einem eher unüblichen Sonderfall bei Appellationen aus. Man konnte sie schriftlich vor Notar und Zeugen oder unmittelbar vor Gericht, also stehenden Fußes bzw. stante pede, einlegen. Diese spontane Art der Appellation ist hier wohl gemeint und als Appellation viva voce bezeichnet. In diesem Fall gab es nämlich keinen schriftlich ausgearbeiteten Appellationszettel (Schedula appellationis). Deswegen oblag es dem Appellanten mitsamt seinem Prokurator, die entscheidenden Punkte in seiner Supplikation um Erlass der Zitation nachzureichen. Das war wichtig, um die Zulässigkeit des Rechtsmittels feststellen zu können. Bestimmte Streitgegenstände waren inappellabel, und feste Fristen galt es einzuhalten. Auch die Beschwer war anzugeben, damit das Reichskammergericht prüfen konnte, ob die Appellation die Appellationssumme erreicht hatte. § 2 wandte sich einem Problem aus dem Extrajudizialstadium des Kameralprozesses zu. In diesem Verfahrensabschnitt gab es noch keine Prozessakte. Sie wurde erst ab der ersten Audienz, also ab dem Reproduktionstermin, geführt. Wenn das Gericht in diesem frühen Stadium einen Antrag auf Eröffnung eines Prozesses abschlug, war das nur in den chronologisch geführten Extrajudizialprotokollen nachweisbar, soweit sie im 16. Jahrhundert schon von den Judizialprotokollen getrennt geführt wurden. Es gab aber Parteien, die mehrfach den Anlauf unternahmen, eine bestimmte Sache vor dem Reichskammergericht anhängig zu machen. Möglicherweise hatte sich die Tatsachengrundlage für sie verbessert, oder sie änderten ihren Antrag von einer unzulässigen in eine leichter handhabbare Verfahrensart. Das Gericht von sich aus konnte in solchen Fällen praktisch nicht feststellen, ob dieselbe Partei wegen derselben Sache schon einmal geklagt hatte. Deswegen gab der Bescheid den Klägern auf, ihre älteren, erfolglosen Supplikationen mitsamt den darauf ergangenen Extrajudizialdekreten bei späteren Folgeprozessen immer mit einzureichen. Die „aufgeschriebenen Dekrete“ darf man getrost wörtlich nehmen. Das Gericht schrieb den Tenor der abschlägigen Extrajudizialentscheidungen nämlich unmittelbar auf die Rückseite der Supplikationsschrift und reichte sie an die Antragsteller zurück.

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Offenbar dokumentierte die Kanzlei solche Extrajudizialdekrete dermaßen schlecht, dass praktisch keine Möglichkeit für die Assessoren bestand, ihre eigenen älteren Extrajudizialentscheidungen zu ermitteln. Die eigene Rechtsprechung, jedenfalls die abschlägigen Extrajudizialdekrete, kannten die Assessoren demnach nur durch die von den Parteien wieder vorgelegten älteren Supplikationen. Für den offene Frage, inwieweit das Gericht die eigene Entscheidungspraxis kannte, ist das ein höchst erstaunliches Selbstzeugnis. Ohne Unterstützung durch die zuvor unterlegenen Antragsteller konnte das Kameralkollegium seine eigene Rechtsprechung nicht wissen. § 3 bemühte sich, den Bestimmtheitsgrundsatz bezogen auf die Prozessparteien umzusetzen. Es war Aufgabe des Klägers, bei Personenmehrheiten die Namen der Beklagten gesondert anzugeben. Offenbar hatten die klägerischen Schriftsatzverfasser sich zuvor damit begnügt, pauschale Hinweise auf Personenmehrheiten zu geben. Es lag dann am Kammerboten, vor Ort bei der Zustellung (Exekution) zu ermitteln, wer gemeint sein könnte, sofern ihm die Kläger nicht zuvor einen Wink gegeben hatten. Dem schob das Gericht für die Zukunft einen Riegel vor. § 4 schärfte den Prokuratoren die Trennlinie zwischen Judizial- und Extrajudizialverfahren ein. Vorsorgliche Proteste nach bereits ausgegangenen Ladungen waren fortan verboten. Erst mit dem ersten ordentlichen Termin erreichte der Rechtsstreit den Judizialabschnitt des Kameralverfahrens. Erst jetzt durften die Prokuratoren weitere Prozesshandlungen vornehmen. § 5 übertrug die in § 4 für die Klägerseite getroffene Bestimmung auf den Beklagten. Auch er und sein Prokurator mussten die erste ordentliche Audienz bis zu ihren Prozesshandlungen abwarten. Eine Ausnahme eröffnete der Gemeine Bescheid für den Fall des Rechtsirrtums. War unsicher, ob der erste angesetzte Termin, zu dem der Gegner erscheinen sollte, bereits erreicht war oder nicht, oder war dem Prokurator unklar, ob oder dass der Gegner nicht erschienen war, konnte man vorsorglich solche Proteste zu Protokoll geben. § 6 diente der Prozesskonzentration. Er wiederholt die ältere Vorgabe (Gemeine Bescheide vom 19. Februar 1526, 4. Mai 1537 und 31. August 1537; oben RKG Nr. 11, 29 und 31), wonach die Prokuratoren im Reproduktionstermin alle bereits vorliegenden Schriftstücke gesammelt überreichen sollten. Erhielt der Prokurator einzelne Dokumente erst später, sollte er deswegen nicht extra einen neuen Termin beantragen, sondern sie im nächsten regulär angesetzten Termin übergeben. Dies diente der Prozessbeschleunigung. § 7 vereinfachte die Rubrizierung und damit die schlagwortartige Kurzbezeichnung der Prozessparteien. Wenn mehrere Beklagte denselben Prokurator hatten, genügte es, wenn der Kläger nur einen von ihnen namentlich nannte und auf die anderen pauschal verwies. Die Praxis verfuhr genau so und sprach in solchen Fällen immer von Konsorten, von Streitgenossen. Genau so sind auch die Spezialprotokolle der Reichskammergerichtsakten beschriftet. § 8 enthielt eine Ausnahme zu § 7. Wenn eine Prozesshandlung nicht sämtliche Streitgenossen betraf, war die gesonderte Nennung der einzelnen Namen weiterhin erforderlich. § 9 regelte die Prozessbezeichnung für den Fall der Intervention. Erstaunlicherweise taucht der Terminus im Text des Gemeinen Bescheides nicht auf, ebenfalls nicht in der lateinischen Kurzfassung. Der Eintritt eines Dritten änderte weder die Parteien noch die Prozessart, das stellte diese Vorschrift klar. § 10 diente abermals der Prozesskonzentration und wies die Prokuratoren an, bei ihren Prozesshandlungen den protokollierten Rezess und die Vorlage des zugehörigen Schriftsatzes im selben Termin vorzuneh-

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men und nicht auf zwei unterschiedliche Audienzen aufzuspalten. § 11 erweiterte § 10 auf Beweisstücke und andere Dokumente. Nach Möglichkeit sollten die Prokuratoren ihre gesamten Angriffs- und Verteidigungsmittel konvolutweise einreichen und zur besseren Übersichtlichkeit alle Anlagen mit Buchstaben versehen. Die erhaltenen Akten zeigen im Regelfall genau dies. Später schrieb das Kameralkollegium eine unterschiedliche Zählweise für die beiden Parteien vor. Eine Seite sollte Buchstaben, die andere Zahlen verwenden. Auf diese Weise sollte stets erkennbar sein, welche Partei jedes einzelne Dokument zu den Akten gereicht hatte (dazu Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1659 § 3; unten RKG Nr. 144). § 12 eröffnete der Mündlichkeit im Kameralprozess erneut kleine Spielräume und wirkte wie eine Abschwächung des Gemeinen Bescheids vom 16. September 1538 (oben RKG Nr. 37). Ob es hier Unklarheiten oder gar ein normatives Hin und Her gab, ist schwer zu entscheiden. Vielleicht versuchte das Gericht zwischen verschiedenen Prozesshandlungen zu unterscheiden. Der Gemeine Bescheid vom 16. September 1538 bezog sich auf Anträge und Vorträge, meinte aber offenbar nicht sämtliche Vorträge. Der hiesige Gemeine Bescheid vom 27. November 1539 betraf dagegen Prozesshandlungen, die durch Zwischenurteil aufgegeben waren, auf Litiskontestationen sowie auf Konklusionen. Möglicherweise gab es also einige Prozesshandlungen, die zwingend schriftlich, und andere, die auch mündlich vorgenommen werden konnten. § 13 ließ mündlichen Vortrag in den Audienzen ausdrücklich zu. Anders als in § 12 ging es hier aber nicht um die Anwendungsbreite, sondern um die Art der Erklärungen. Sie waren den Protokollführern in die Feder zu diktieren. Das spricht im Gegensatz zu dem Eindruck anderer Gemeiner Bescheide (vom 7. Juli 1590, 16. Oktober 1641, 13. Dezember 1659 § 6, 9. Januar 1660; unten RKG Nr. 89, 119, 144 und 145) für eine wortgetreue Überlieferung der Protokollbücher. Hier ist freilich mit besonders starken Abweichungen der normativen Quellen von der praktischen Handhabung zu rechnen. § 14 normierte eine Selbstverständlichkeit. Eine Erklärung zum „Beschluss“ der Sache, also die von den Prokuratoren bestätigte Entscheidungsreife, war erst zulässig, wenn beide Seiten ordnungsgemäße Vollmachten besaßen und vorgelegt hatten. Das galt nicht nur nach der Litiskontestation, sondern ebenfalls für Devolutionsfragen. Damit spielt die Regelung auf den vorgelagerten Streit um die Zulässigkeit von Appellationen an. § 15 enthielt eine Disziplinierungsmaßnahme gegen Prokuratoren. Bereits früher hatte das Reichskammergericht Zwischenrufe bei Urteilsverkündungen verboten (Gemeiner Bescheid vom 27. Februar 1538; oben RKG Nr. 34). Jetzt erweiterte das Kameralkollegium diese Ruhepflicht auf sämtliche Abschnitte der Audienz. Weder untereinander noch mit den Zuschauern waren Gespräche nunmehr erlaubt. Das diente der Würde des Gerichts. Der Hinweis auf Gespräche zwischen Prokuratoren und Publikum belegt zugleich, dass die Prokuratoren einige der Anwesenden kannten. Vermutlich handelte es sich hierbei um Parteien, die zur Verhandlung ihrer Sache an den Sitz des Reichskammergerichts gereist waren. § 16 betraf den Übergang von der streitigen Verhandlung zur Entscheidungsfindung. Mit der Formulierung, eine Sache werde zu „Bedacht“ oder zu „Bedenk“ genommen, deuteten zahlreiche Gerichte die Entscheidungsreife an. Jetzt waren weitere Vorträge unerwünscht, denn das richterliche Personal sollte sich unabhängig von weiteren Äußerungen der Beteiligten mit der Angelegenheit beschäftigen können. § 17 vereinfachte den

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Urkundenbeweis und stärkte zugleich das Schriftlichkeitsprinzip. Das angesprochene Vollmachtsproblem betraf die ständigen Prokuratoren von Reichsständen, seltener von Privatpersonen. Waren sie regelmäßig für dieselbe Partei tätig, genügte es, wenn sie darauf hinwiesen, wann und in welchem Rechtsstreit sie die Urschrift ihrer Vollmacht eingereicht hatten. Für Privilegien galt dasselbe. Mündliche Erklärungen hierzu waren unerwünscht. § 18 schärfte den Prokuratoren schließlich ein, die Speyerer Reichskammergerichtsordnung von 1527 zu beachten. Damit bestätigte das Gericht stillschweigend die gleichzeitige Geltung mehrerer Reichskammergerichtsordnungen. Denn im Januar 1538 war inzwischen eine weitere Gerichtsordnung ergangen. Das zeigt zugleich die schwer entwirrbare normative Lage des Kameralprozesses in der Zeit vor der Reichskammergerichtsordnung von 1555. Auch die Gemeinen Bescheide schufen in dieser Hinsicht keine vollständige Klarheit.

RKG Nr. 39 1540 April 19 Gemeiner Bescheid zu Speyer vom 19. Aprilis 1540.1 [Citationes in diversis causis decernuntur: Et dehinc petendo huiusmodi citationes, procuratores citandos nominent, vel si plures sunt, designanem eorum iudicialiter exhibeant.]2 [Citationem iudicialiter petentes citandorum nomina exprimunto.]3 Zwischen R. V. und S. M. desgleichen O. N. in Sachen4 gegen T. von D. Dann auch in Sachen weiland der Gebrüder von Werth5 gegen Ermund6 von Cassolt7 seind die begehrte Ladungen8 erkant, mit dem Bescheid: Daß die Procuratores, so solche Ladung9 begehrt haben, und [ein]10 jeder, so1 dergleichen hinfüro2 begehren wird3,

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Ohne Überschrift in GB 1695; GB 1696; GB 1707. Citationes ... exhibeant in Seyler/Barth II 1604. Citationem ... exprimunto in GB 1661; Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Anderer Satzbau in Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Deßgleichen in Sachen O. N. gegen T. von D. Ergänzt nach Ferrarius 1605; CJC 1724 W.; anders Seyler/Barth II 1604; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Y. Ergänzt nach Ferrarius 1605; CJC 1724 E.; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 G. Ergänzt nach Ferrarius 1605; CJC 1724 A.; Seyler/Barth II 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 C. GB 1678 die begehrten Ladung; ganz anders Ferrarius 1605 In Sachen weiland der Gebrüder von Weth gegen Ermund von Cassolt sein begehrt Ladung. GB 1678 Ladungen. Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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die Parteyen, die citirt werden sollen, benennen4, oder, so deren viele, in Schrifften verzeichnet, gerichtlich eingeben sollen5. Vorlage: CJC 1724, S. 94 Nr. LXIX. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth II 1604, S. 815 E; Ferrarius 1605, S. 45; GB 1661, S. 8; GB 1665, S. 7; Blum 1667, S. 532; GB 1671, S. 7; GB 1678, S. 7; GB 1686, S. 7; GB 1688, S. 6; GB 1695, S. 14; GB 1696, S. 14; GB 1707, S. 14; GB 1710, S. 17 Nr. XXXVIII; GB 1714, S. 12 Nr. XL; CJC 1717, S. 12 Nr. XL; GB 1717, S. 12 Nr. XL; GB 1724, S. 17 Nr. XXXVIII; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid des inzwischen wieder in Speyer tagenden Gerichts wiederholt lediglich § 3 des Wimpfener Gemeinen Bescheids vom 27. November 1539 (oben RKG Nr. 38). Möglicherweise war die Vorgängervorschrift nicht abstrakt genug formuliert, bezog sie sich doch ausdrücklich nur auf Vormünder, Erben, Helfer, Helfershelfer und dergleichen. Der hiesige Gemeine Bescheid hob alle noch denkbaren Begrenzungen auf. Sämtliche Prozessgegner waren von den Prokuratoren namhaft zu machen, und zwar bereits vor Erlass der Ladung. In den drei genannten Fällen scheint es genau darüber Zweifel gegeben zu haben. Die Prokuratoren hatten sich aber offensichtlich richtig verhalten, denn das Gericht erkannte alle drei Zitationen und eröffnete damit die Prozesse.

RKG Nr. 40 1542 November 36 [Ob ingruentem pestem iustitium et translatio Camerae indicta fuit.]7 Dominus Judex de Montfort hat öffentlich angesagt: Dieweil sich die sterbende Läufften8 beschwerlich zutragen9, derohalben das Cammergericht verursacht wäre10, das auf11 vier Wochen zu suspendiren und gen Worms zu verrücken, um allda1 uff2

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Seyler/Barth II 1604 der; dagegen fehlt so in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605 jeder, der gleiche Ladung hinfüro. Seyler/Barth II 1604; Ferrarius 1605 würd. Ferrarius 1605 benamen. Ferrarius 1605 soll; Blum 1667; GB 1671 solle. Anders GB 1710 3. Novembris 1543. Ob ... fuit in GB 1661; Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605 Leufft; GB 1695; GB 1696 Läufft; Blum 1667 Lufft. GB 1724 zugetragen. Fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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den 1. Decembris Gericht zu halten: Mittlerweil wolle Dominus Judex und sein Vetter hier bleiben3, wer um Proceß zu suppliciren, möge bey ihnen ansuchen. Vorlage: CJC 1724, S. 97 Nr. LXXIII. Weitere Ausgaben: Ferrarius 1605, S. 53; GB 1661, S. 8; GB 1665, S. 7; Blum 1667, S. 533; GB 1671, S. 7; GB 1678, S. 7; GB 1686, S. 7; GB 1688, S. 6; GB 1695, S. 14; GB 1696, S. 14; GB 1707, S. 14; GB 1710, S. 17 Nr. XXXIX; GB 1714, S. 12-13 Nr. XLI; CJC 1717, S. 12-13 Nr. XLI; GB 1717, S. 12-13 Nr. XLI; GB 1724, S. 17 Nr. XXXIX; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: vgl. Gemeiner Bescheid vom 22. Dezember 1542 (sogleich RKG Nr. 42).

RKG Nr. 41 1542 November 184 [Translatio Camerae [[ex causis]]5 differtur.]6 Heute7 Sambstags [den 18. Novembris]8 haben Cammerrichter und Beysitzer des Käyserlichen Cammergerichts [auff [[beschehen]]9 Erfordern der Gerichtspersonen, durch N.]10 weiter angesagt in der untern [kleinen]11 Rathsstube: Wiewohl sie vormahls entschlossen gewesen, das Käyserliche Cammergericht zu verrücken und gen Worms zu transferiren, der Meynung, den 1. Decembris daselbsten Gericht zu12 halten; so tragen sich doch Ursachen zu, derohalben sie mit solcher Verrückung noch nicht verfahren mögen, wollen aber, weß sie sich weiter entschliessen, ihnen zu rechter Zeit auch anzeigen.

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Um allda fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 darauff; Ferrarius 1605; Blum 1667; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1696 auff. Anderer Satzbau in GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 wolle Dominus Judex und sein Vetter mittlerweil hier bleiben; ebenso Ferrarius 1605, nur mit Wöllen. Anderes Jahr in GB 1710 18. Ejusdem (= Novembris 1543). Ex causis in GB 1661; Blum 1667. Translatio ... differtur in GB 1661; Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Nachmahls. Den 18. Novembris in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605. Auff ... N. in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in Ferrarius 1605.

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RKG Nr. 42 1542 Dezember 22

Vorlage: CJC 1724, S. 97 Nr. LXXIV. Weitere Ausgaben: Ferrarius 1605, S. 53; GB 1661, S. 8; GB 1665, S. 7; Blum 1667, S. 533; GB 1671, S. 7; GB 1678, S. 7; GB 1686, S. 7; GB 1688, S. 6; GB 1695, S. 15; GB 1696, S. 15; GB 1707, S. 15; GB 1710, S. 17 Nr. XL; GB 1714, S. 13 Nr. XLII; CJC 1717, S. 13 Nr. XLII; GB 1717, S. 13 Nr. XLII; GB 1724, S. 17 Nr. XL; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: vgl. Gemeiner Bescheid vom 22. Dezember 1542 (sogleich RKG Nr. 42).

RKG Nr. 42 1542 Dezember 221 [Dominus iudex Camerae iustitium remittit.]2 [Iustitium Camerae remittitur.]3 Dominus Judex hat angesagt, daß sie entschlossen, das Gericht nach denen Ferien hier zu halten, und daß darum der abwesender Procuratorum4 Substituten ihren Herren zuschreiben, und solches anzeigen sollen, damit dieselbe alsdann neben andern Procuratorn persönlich hier auch erscheinen. Vorlage: CJC 1724, S. 97 Nr. LXXV. Weitere Ausgaben: Ferrarius 1605, S. 53-54; GB 1661, S. 8; GB 1665, S. 7; Blum 1667, S. 533; GB 1671, S. 7; GB 1678, S. 7; GB 1686, S. 7; GB 1688, S. 7; GB 1695, S. 15; GB 1696, S. 15; GB 1707, S. 15; GB 1710, S. 18 Nr. XLI; GB 1714, S. 13 Nr. XLIII; CJC 1717, S. 13 Nr. XLIII; GB 1717, S. 13 Nr. XLIII; GB 1724 S. 18, Nr. XLI; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Die Gemeinen Bescheide vom 3. November 1542, 18. November 1542 (oben RKG Nr. 40 und 41) und 22. Dezember bilden eine Einheit, ebenso der Gemeine Bescheid vom 19. Februar 1554 (unten RKG Nr. 47). In Speyer grassierten „sterbende Läufte“. Die lateinische Übersetzung aus den Bescheidsammlungen spricht unmissverständlich von der Pest. Deswegen erließ der Kammerrichter am 3. November 1542 die erste Anordnung. Es handelt sich um einen der wenigen Gemeinen Bescheide, die ausdrücklich den Namen des Kammerrichters nannten. Die Einleitung unterscheidet sich deutlich von den übrigen Gemeinen Bescheiden. Die öffentliche Ansage spricht zudem für eine abweichende Form der Verkündung. Möglicherweise gab es einen Aushang 1 2 3 4

Anderes Jahr in GB 1710 22. Decembris eodem (= 1543); anderer Tag in GB 1707 Eodem Anno, 23. Decembris. Dominus ... remittit in GB 1661; Blum 1667. Iustitium ... remittitur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Procuratorn; Ferrarius 1605; GB 1696 abwesenden Procuratorn.

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oder eine andere Art der Bekanntgabe. Jedenfalls fehlt jeder Bezug zu Fragen des Gerichtsverfahrens. Aufgrund der Ansteckungsgefahr schien es erforderlich, das Gericht für vier Wochen zu schließen und an den wohl sicheren Ort Worms auszuweichen. Das ließ sich freilich nicht so leicht gesetzlich festklopfen und war ausdrücklich nur für eine Übergangszeit gedacht. Deswegen kündigte der Kammerrichter an, er selbst und sein Vetter würden in Speyer ausharren. Das kam den Parteien zugute, die neue Prozesse beginnen wollten, ebenso auch den rückkehrenden Kammerboten. Sie konnten von der Verlegung des Gerichts ja nichts wissen. Wie hoch die Ansteckungsgefahr wirklich war, ist schwer abzuschätzen. Ob der Kammerrichter sich ernsthaft in Lebensgefahr begeben wollte, ist kaum anzunehmen. Der Fortgang der Sache spricht dagegen. Der Umzug des Gerichts kam nämlich nicht zustande. Am 18. November gaben Kammerrichter und Beisitzer den Prokuratoren die geänderten Pläne bekannt. Ausdrücklich ist in diesem Bescheid der Verkündungsort genannt, nämlich die kleine Ratsstube. Damit erging auch dieser Bescheid außerhalb einer Audienz. Die Ursachen, warum der Umzug nach Worms nicht beginnen konnte, teilte das Gericht den Prokuratoren nicht mit. Vielleicht hatte sich inzwischen die Gefahreneinschätzung geändert. Man wartete lieber ab. Kurz vor Weihnachten erklärte der Kammerrichter sodann im dritten Gemeinen Bescheid, das Kameralkollegium werde gar nicht nach Worms ziehen, sondern nach den Weihnachtsferien den Audienzbetrieb in Speyer wieder aufnehmen. Offenbar waren aber einige Prokuratoren bereits vor der Seuche geflohen. Entweder waren sie nach Worms oder an andere sichere Orte ausgewichen. Sie hatten aber sicherheitshalber Substituten in Speyer gelassen. Diese Vertreter sollten den Prokuratoren den Gemeinen Bescheid weiterleiten und sie zur Rückkehr nach Speyer bewegen. Das geschah offenbar auch, denn in der Überlieferung der Gemeinen Bescheide beginnt jetzt eine siebenjährige Lücke. Wenn die Anwälte nicht nach Speyer zurückgereist wären, hätte das Gericht deswegen wohl weitere Bescheide erlassen.

RKG (ohne Nr.) 1543 Januar 14 siehe 1534 Januar 14

RKG (ohne Nr.) 1543 November 3 siehe 1542 November 3

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RKG Nr. 43 1549 September 19

RKG (ohne Nr.) 1543 Dezember 22 siehe 1542 Dezember 22

RKG Nr. 43 1549 September 191 [Producta cum copiis exhibentor.]2 Ist in allem vor Rath Gemeiner Bescheid ergangen, daß man in allen Sachen unterschiedliche Copeyen und Handlung3 ad Acta eingeben solle. Vorlage: CJC 1724, S. 103 Nr. LXXXI. Weitere Ausgaben: Ferrarius 1605, S. 105; GB 1661, S. 8; GB 1665, S. 7; Blum 1667, S. 533; GB 1671, S. 7; GB 1678, S. 7; GB 1686, S. 7; GB 1688, S. 7; GB 1695, S. 15; GB 1696, S. 15; GB 1707, S. 15; GB 1710 S. 18 Nr. XLII; GB 1714, S. 13 Nr. XLIV; CJC 1717, S. 13 Nr. XLIV; GB 1717, S. 13 Nr. XLIV; GB 1724, S. 18 Nr. XLII; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Nach siebenjähriger Pause erging 1549 einer der kürzesten Gemeinen Bescheide überhaupt. Zwischenzeitlich hatten die Reichsabschiede von Nürnberg 1543, Speyer 1544, Worms 1545, Regensburg 1546 und Augsburg 1548 den Kameralprozess behandelt. 1548 lag auch die neue Reichskammergerichtsordnung im Wesentlichen vor, die dann 1555 förmlich verkündet wurde. Deshalb bestand in dieser Zeit kaum Veranlassung, weitere Einzelheiten durch Gemeine Bescheide zu regeln. Gerade jetzt funktionierte die Reichsgesetzgebung leidlich. Das Kammergericht als Ersatzgesetzgeber brauchte nicht tätig zu werden. Der Gemeine Bescheid vom 19. September 1549 beschränkte sich deshalb auf eine punktuelle Klarstellung. Immer dann, wenn ein Prokurator ein Schriftstück überreichte, sollte er gleichzeitig eine Kopie übergeben. Das verringerte die Arbeit der kammergerichtlichen Kanzlei und beschleunigte auf diese Weise die Prozessführung. Ein Exemplar ging dann in die Akte, das andere an den Prozessgegner.

1 2 3

Datum unsicher, wie CJC 1724 auch GB 1661; Blum 1667; GB 1696; GB 1707; dagegen GB 1714; CJC 1717: 1549 November 19; Ferrarius 1605 Gemeiner Bescheidt am 27. Septembris Anno 1549 publicirt. Producta ... exhibentor in GB 1661; Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Ferrarius 1605 Copien und Handlungen.

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RKG Nr. 44 1550 November 281 Visitationsmemoriale oder Gemeiner Bescheid denen Procuratoren zugestellt Anno 15502. [§ 1.3 Procuratores sine licentia a iudicio non4 absunto. § 2. Neque alios sine causa5 substituunto. § 3. Ob legitima impedimenta ex permissione iudicis substitutos sufficienter instruunto. § 4. In audientiis statuto6 tempore comparento. § 5. Causarum rubra non7 mutanto. § 6. Recessus ordinationi conformes8 habento. § 7. Numerum causarum suarum iudici9 indicanto. § 8. Suos principales ad solvendam Camerae sustentationem admonento10. § 9. Taxas laborum cancellariae solvunto. § 10. In supplicis11 pro maturanda sententia enarranto12, quo die et13 in quo puncto submissum sit14.]15 [Seind diese hierin begriffene Articull allein zu Erinnerung der Ordnung und damit der gerichtliche Process, auch die Sachen gefordert16 werden, von dem Käyserlichen Cammergericht17 den Procuratorn fürgehalten worden, sich derselben hinfürter haben zuhalten, bey Vermeydung der Straff.]18 § 1.19 Erstlich befindet man, daß die Procuratorn20 sich vielmahlen vom Gericht1 absentiren ohne Erlaubniß2 [Cammerrichters]3: Weil4 dann solches der Ordnung 1

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Datum nach Ferrarius 1605; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 nur Jahreszahl 1550 ohne weitere Angaben. Bei Ferrarius 1605 nur Überschrift Gemeiner Beschiedt (!), 28. Novembris Anno 1550 publicirt, aber mit Randglosse Dieser gemein Bescheidt ist jetzt fürgesetztem Memorial fast von worten zu worten gleich und auß demselben gezogen mit Bezug auf das Visitationsmemorial 1550 für die Prokuratoren; GB 1695; GB 1696 und GB 1707 ganz ohne Überschrift. GB 1661; Blum 1667; GB 1710 ohne §§-Zeichen in der Überschrift. GB 1661 ne; anders Blum 1667 iudicione absunto. Sine causa fehlt in GB 1661; Blum 1667. GB 1661; Blum 1667 constituto. GB 1661; Blum 1667 rubricam ne. GB 1661; Blum 1667 congruos. GB 1661; Blum 1667 causarum sibi commissarum iudici. GB 1661; Blum 1667 solvendam sustentationem Camerae adhortantor. GB 1661; Blum 1667 supplicationibus. Fehlt in GB 1661; Blum 1667 an dieser Stelle. GB 1661; Blum 1667 ac. GB 1661; Blum 1667 enarranto. § 1. Procuratores ... sit in GB 1661; Blum 1667 (mit den markierten Abweichungen); GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; GB 1710 gefördert. Ferrarius 1605 Cammerrichter. Seind ... Straff in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ohne §§-Zeichen in Ferrarius 1605. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Procuratores.

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und dem hergekommenen Gebrauch bey dem Gericht zuwieder, auch dardurch die Partheyen in ihren Sachen vernachtheilt oder zum wenigsten auffgehalten werden; so ist der Befelch, daß sie sich fürohin5 in deme der Ordnung gemäß halten und ohne Erlaubung6 des Cammerrichters [hie]7 aus der Stadt oder vom8 Gericht [sich]9 nicht enteussern10 [wöllen und]11 sollen. § 2. Zum andern, daß sie [in]12 ihren Sachen, so viel ihnen möglich, [selbst]13 persönlich auswarten14 und nicht substituiren sollen15 ohne sondere ehehaffte Ursachen, auch ehe und zuvor sie von dem Cammerrichter Erlaubnis erlangt haben. § 3. Zum dritten wo sie [also]16 aus ehehaffter Verhinderung17 und Erlaubung18 des Cammerrichters sich von dem Gericht absentiren und andere Procuratores19 substituiren wollen, daß sie alsdann ihren substituirten Procuratoren gnugsamen Bericht und Instruction geben, was20 sie Vigore Substitutionis handlen sollen, damit sie nicht Ursach haben, zu fernerer Handlung von ihrentwegen Bedacht zu nehmen. § 4. Zum vierten: Nachdem sich in jüngster fiscalischen Audientz zugetragen, als der Kayserliche Cammerrichter zu gewöhnlicher Stund Audientz halten wollen und aber der Procuratorn gar21 keiner oder aber22 derselben gar wenige im Gericht erschienen, dergleichen sich dann in [den]23 ordentlichen Audientzen auch unterweilen24 zuträgt; ist der Befelch, daß sie hinfüro25 zu26 der angesetzten Stund der gewöhnlichen27 Audientzen im Gericht zu ihren Ständen, wie sich gebührt und die 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Vom Gericht fehlt in Ferrarius 1605. Anderer Satzbau in GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 vielmahl vom Gericht sich absentiren ohne Erlaubnüs. Cammerrichters in GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Dieweil. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 hinfüro. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Erlaubnus; Ferrarius 1605 ohn Erlaubnüß. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605 und von dem. Ferrarius 1605. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717 absentiren. Wöllen und in Ferrarius 1605. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1724 auffwarten; Ferrarius 1605 außwahrten. Fehlt in Ferrarius 1605. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1665; GB 1678; GB 1714; GB 1724 Verhindernuß; Ferrarius 1605 Verhindernüß. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717 Erlaubnuß; Ferrarius 1605 Erlaubnüß; und Erlaubung fehlt in GB 1724. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Procuratorn. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 wie. Fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 je bißweilen. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 forthin. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 in. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 gerichtlichen.

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Ordnung ihnen1 ohne das aufferlegt, erscheinen und ihren Sachen biß zu End derselben auswarten sollen2. § 5. Zum fünfften: Damit die Registratur und andere Arbeit in der Canzley gefordert3 werde, sollen hinfürter die Procuratores4 auf die5 Producten und andere gerichtliche Einlagen6 zu der Intitulatur den Nahmen der Person verzeichnen, welche Parthey Appellans oder Kläger, die auch also in der Registratur fürgesetzt werden soll, auch neben dem sich befleissen, daß sie eine jede Sache bey der ersten Intitulatur und Nahmen der Partheyen, unangesehen, daß diese sich verändern oder versterben, bleiben lassen, auch die Puncta darauff schreiben und verzeichnen, wie die Ordnung das vermag und mit sich bringet.7 § 6. Zum sechsten: [Und]8 nachdem die Ordnung mit denen langen Recessen und unnothdürfftigen Reden und9 Repetitionen10 vor eingebrachter Handlung vielfältig11 überschritten und dadurch die gerichtliche Audientzen denen Partheyen und allen Personen des Gerichts zu grossen Beschwehrden12 sich verlängern, ist der Befelch, daß die Procuratores solches abstellen und in ihren Vorträgen die Form, wie [die]13 ihnen in der Ordnung unterschiedlich bey allen Terminen praescribiret, halten und fürohin14 dieselbige nicht15 überschreiten sollen. § 7. Zum siebenden, dieweil berührte Ordnung dem Kayserlichen Cammerrich16 ter aufflegt17, sich [je]18 zu Zeiten zuerkundigen, wie viel Sachen ein jeder Procurator19 habe, ist der Befehl, daß ein jeder Procurator bey denen Pflichten, damit er der Kayserlichen Majestät und dem Gericht verwandt, hie zwischen Weynachten seine Sachen, die noch nicht erörtert oder hingelegt, sondern ganghafft, dem Kayserlichen

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Fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605 gefördert. Anderer Satzbau in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 sollen die Procuratores hinfürter. GB 1678 den. Ferrarius 1605 Eynlag. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 und andern gerichtlichen Einlagen, intitulatur und Nahmen der Partheyen, so erstlich gewesen, ohnverändert bleiben lassen, und auff die Producten schreiben und verzeichnen, wie die Ordnung vermag und mit sich bringt; Ferrarius 1605 Eynlag zu der Intitulatur und Nahmen der Partheyen, so erstlich gewesen, zu verändern bleiben lassen, auch die Producten, darauff geschrieben unnd verzeichnet, wie die Ordnung vermag und mit sich bringt. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Reden und fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Repetiren. Ferrarius 1605 vielfältiglich. Ferrarius 1605; GB 1678 grosser Beschwerde. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 forthin. GB 1665 nie. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Cammergericht. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 aufferlegt. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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Cammerrichter benandtlich anzeigen und verzeichnet übergeben solle, darauff sich der Gebühr und1 desjenigen, so ihm die Ordnung aufflegt2, habend3 zu halten. § 8. Zum achten befindt man, daß etliche Ständ mit gebührlicher4 Erlegung ihrer Anschläge5 etwas säumig seyn und dadurch langwürige Proceß in fißcalischen Sachen verursachen6, welchem7 doch durch8 fleissiges Ersuchen9 und Anmahnen10 der Procuratorn je zu Zeiten vorgekommen11 werden möchte, ist der Befelch, daß fürohin12 die Procuratores bey ihren Partheyen fleissig13 anmahnen und sie, soviel möglich, dahin bewegen sollen, ihre Gebührniß fürderlich zuerlegen14 und des Fiscals Anruffen und Procediren nicht zuerwarten15. § 9. Zum neunten beklagt sich der Einnehmer der Cantzley, daß ihm eine merckliche Summ16 taxirter Urtheilsbrieff oder Laborum17 ausständig, darzu rechtlich18 verfertigte19 Process und Urthelsbrieff unabgelöst20 liegen bleiben: Dieweil dann die Ordnung vermag, daß die Cantzley, wofern Urthelsbrieff genommen, umb solche Labores vergnügt und zufrieden gestellt werden-21 auch Cammerrichter und Beysitzer ihr darzu verholffen seyn sollen; so ist der Befelch, daß die Procuratores ohne längern Verzug oder22 Aufhalt23 dasjenige, so verfertigt und durch sie solicitirt, lössen, und [die]24 taxam25 Laborum als ausständige Schulden der Cantzley von ihren Partheyen mit bestem26 Fleiß solicitiren und einmahnen und [mit]27 ihren salariis gütlich oder rechtlich28 mit Monitoriis oder sonsten, wie sie mögen, fordern1 und 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

Fehlt in GB 1678. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 aufferlegt. Ferrarius 1605; GB 1678 haben. Fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Anlag; Ferrarius 1605 Anschläg. Ferrarius 1605; GB 1678 verursacht. Ferrarius 1605; GB 1678 welches. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 auff. Ferrarius 1605 fleissige Ersuchung. Ferrarius 1605; GB 1678 Anmahnung. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678 vorkommen. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 hinfüro. Fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717 zu erledigen. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 nicht erwarten. Ferrarius 1605 Summa. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Labores. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 etliche. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 vielfältige. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 ohngelöst; Ferrarius 1605 ungelöst. Ferrarius 1605 werde. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 und. Ferrarius 1605 und Auffhalten. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Taxas. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 bessern. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605 gütlich oder kärglich; GB 1665; GB 1678 gütlich und kärglich; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 gütlich und kecklich.

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einbringen und zum allerfürderlichsten die Cantzley2 zufrieden stellen sollen, damit derhalben viel3 Klagens und4 Ansuchens nicht vonnöthen. § 10. Zum zehenden, nachdem auch in der Ordnung versehen, daß die Procuratores in denen Supplicationen, darinn sie umb Urtheil anhalten, anzeigen sollen, auff was Zeit und worauf beschlossen und ungefährlich, was die Sachen antriffet5, welchen Articul6 die Procuratores bißhero zu Zeiten7 in ihren Supplicationen8 umgangen und nicht gehalten: Ist der Befelch, daß sie zu Befürderung9 der Sachen demselben fürhin10 geleben und nicht allein den Beschluß, auff welchen Tag es geschehen, in die Supplication, sondern auch aussen auf dieselbe verzeichnen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 107-108 Nr. LXXXIII. Weitere Ausgaben: Ferrarius 1605, S. 115-116; GB 1661, S. 8-10; GB 1665, S. 7-8; Blum 1667, S. 534-536; GB 1671, S. 7-8; GB 1678, S. 7-8; GB 1686, S. 7-8; GB 1688, S. 7-8; GB 1695, S. 15-18; GB 1696, S. 15-18; GB 1707, S. 15-18; GB 1710, S. 18-21 Nr. XLIII; GB 1714, S. 13-15 Nr. XLV; CJC 1717, S. 13-15 Nr. XLV; GB 1717, S. 13-15 Nr. XLV; GB 1724, S. 18-21 Nr. XLIII; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Es ist nicht leicht, die Quelle einem bestimmten Typus zuzuordnen. Bereits die Überschrift stiftet Verwirrung. Visitationsmemoriale und Gemeine Bescheide waren in ihrem Entstehungszusammenhang grundverschieden. Die Gemeinen Bescheide sollten ja gerade vorläufige Regelungen niederlegen, die bis zur förmlichen Visitation gesetzesgleich galten. Die Visitationen dagegen hatten unter anderem die Aufgabe, das Kameralrecht jeweils förmlich auf Stand zu bringen. Die Unklarheiten steigen angesichts der Zusatzüberschriften, die in den Sammeldrucken der Bescheide überliefert sind. Offenbar ging es gar nicht um Neuregelungen, sondern lediglich um Einschärfungen des Bekannten. Der umfangreiche Sammelbescheid bietet nach Auffassung der späteren Herausgeber daher nichts außer einer Zusammenfassung. Damit unterscheidet er sich deutlich vom elf Jahre älteren Sammelbescheid vom 27. November 1539 (oben RKG Nr. 38). Damals hatte das Gericht nach Art der zeitgenössisch üblichen Kontroversengesetzgebung Zweifelsfragen entschieden. Jetzt behalf man sich lediglich mit der Wiederholung des Bestehenden. Das Visitationsmemorial bzw. der Gemeine Bescheid wurde nach dem ausdrücklichen Hinweis in der Überschrift den Prokuratoren zugestellt. Diese Angabe Georg Melchior von Ludolffs spricht für eine schriftliche Bekanntgabe. Für eine Verlesung in der Audienz waren die Regelungen offenkun1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Ferrarius 1605 fördern. Die Cantzley fehlt in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 weiter. GB 1665; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 oder. Ferrarius 1605; GB 1678 antreffen. Fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Anderer Satzbau in Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 welches bißhero die Procuratores je zu Zeiten. Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Supplicationibus. Ferrarius 1605 Förderung. GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 forthin; Ferrarius 1605 demselbigen forthin.

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dig zu umfangreich. Erstaunlicherweise ist die Textüberlieferung unzuverlässig und schlecht. Die Bandbreite der Unsicherheiten bei einzelnen Wörtern ist jedenfalls deutlich höher als bei vielen anderen Bescheiden aus derselben Zeit. Auch wenn es sich im Wesentlichen um bloße inhaltliche Wiederholungen handelt, werfen die Einkleidungen jeweils bezeichnendes Licht auf die kammergerichtliche Praxis. So schärft § 1 den Prokuratoren ein, während der gesamten Audienzdauer ihre Anwesenheitspflicht zu beachten und nicht fortzugehen. Aufschlussreicher als diese Erinnerung sind die Zusatzinformationen. Vielmals hielten sich Prokuratoren gerade nicht an die Präsenzpflicht und absentierten sich, offenbar nicht nur aus der Audienz, sondern sogar aus der Stadt Speyer selbst. Das scheint nicht auf Seuchenperioden beschränkt gewesen zu sein (dazu Gemeine Bescheide vom 3. November, 18. November und 22. Dezember 1542; oben RKG Nr. 40-42). §§ 2-3 stellten die Vertretungsregeln für die Substituten nochmals klar. Wie stark die Disziplinprobleme inzwischen geworden waren, spricht § 4 offen aus. In einer kurz zuvor angesetzten Audienz in Fiskalatssachen war kein einziger Prokurator erschienen. In anderen fiskalischen Audienzen sah es kaum besser aus. Dasselbe hatte sich dann auch in gewöhnlichen Audienzen abgespielt. Wie häufig solche Vorkommnisse wirklich waren, lässt sich nicht feststellen, so stark auch die Klagen der Assessoren sein mochten. Im selben Atemzug beschwerte sich § 6 nämlich über die Geschwätzigkeit der Prokuratoren in überlangen Audienzen. Beides passte kaum zusammen. Bekanntlich gab es beständig Reibereien zwischen dem Kameralkollegium und der Anwaltschaft. Das Bild der Prokuratoren, das die Gemeinen Bescheide vermitteln, ist daher betont negativ gehalten. § 8 hielt die Reichsstände dazu an, ihre vorgeschriebenen Beiträge zur Finanzierung des Reichskammergerichts zu leisten. In späterer Zeit erwuchs dieser Punkt zu einem Hauptregelungsgegenstand der Gemeinen Bescheide überhaupt. Doch reibungslos verlief die Abführung der Kammerzieler auch in der Mitte des 16. Jahrhunderts keineswegs. Mit Abstand am detailreichsten ist § 9 gestaltet. Offenbar gab es erhebliche Rückstände bei der Entrichtung der Kanzleigebühren. Manche Urteilsbriefe waren zwar beantragt, wurden aber nie abgeholt. Andere hatten die Parteien bzw. die Prokuratoren erhalten, aber noch nicht bezahlt. Gleich zweimal erwähnt derselbe Paragraph, der Kanzleieinnehmer habe sich über die eingerissene Nachlässigkeit beklagt. Auch wenn diese Vorschrift sich ebenfalls an die Ordnung und damit an das bereits bestehende Kameralrecht anlehnte, so lag doch hier ein gravierender Punkt, der eine besonders ausführliche Regelung erzwang.

RKG Nr. 45 1551 Dezember 23

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RKG Nr. 45 1551 Dezember 23 [Excusationes dehinc prohibitae sunto.]1 [Gemeiner Bescheidt am 23. Decembris Anno 1551 in Fiscalibus ergangen.]2 Letzlich ist der Gemeine3 Bescheid4, daß sich die Procuratores mit der Entschuldigung in Causis Fiscalibus wie [auch]5 in andern Sachen hinfürter verhalten6 sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 110-111 Nr. LXXXVI. Weitere Ausgaben: Ferrarius 1605, S. 124; GB 1661, S. 10; GB 1665, S. 8; Blum 1667, S. 536; GB 1671, S. 8; GB 1678, S. 8; GB 1686, S. 8; GB 1688, S. 8; GB 1695, S. 18; GB 1696, S. 18; GB 1707, S. 18; GB 1710, S. 21 Nr. XLIV; GB 1714, S. 15 Nr. XLVI; CJC 1717, S. 15 Nr. XLVI; GB 1717, S. 15 Nr. XLVI; GB 1724, S. 21 Nr. XLIV; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Anders als bei dem großen Sammel- und Wiederholungsbescheid vom 28. November 1550 (oben RKG Nr. 44) kehrte das Reichskammergericht ein Jahr später mit diesem sehr knappen Erlass zur Regelung von Spezialproblemen zurück. Es ging um die verschiedenen Verfahrensweisen in fiskalischen Sachen und in gewöhnlichen Rechtsstreitigkeiten. Fraglich war lediglich, wie Entschuldigungen zu handhaben waren. Worauf sie sich bezogen, stellte der Bescheid nicht klar. Georg Melchior von Ludolff verwies auf die Reichskammergerichtsordnung von 1538 (CJC 1724, S. 111), und das mag zutreffen. Dort findet sich eine Regelung über eine zweifache Umfrage im Kontumazialabschnitt der Audienz. Die Prokuratoren, die eine Handlung hatten vornehmen sollen, aber untätig geblieben waren, erhielten dort die Gelegenheit, sich darüber kurz zu erklären (RKGO 1538 §§ 7-8, bei Ludolff, CJC 1724, S. 89). Diese Erklärungen sah man wohl als Exkusationen an und übertrug dasselbe Verfahren auf den fiskalischen Prozess. In der Praxis blieben die genannten Schwierigkeiten aber bestehen. Der Gemeine Bescheid vom 30. August 1558 wiederholte deswegen die Anordnung (unten RKG Nr. 52).

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Excusationes ... sunto in GB 1661; Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Gemeiner ... ergangen in Ferrarius 1605. Fehlt bei GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Statt Letzlich ... Bescheid in Ferrarius 1605 Ist der Bescheidt. Ferrarius 1605; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferrarius 1605; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 enthalten.

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RKG Nr. 46 1553 Dezember 19

RKG (ohne Nr.) 1552 Dezember 19 siehe 1553 Dezember 19

RKG Nr. 46 1553 Dezember 191 [Agendi 4 sept[iman.] praefigitur sub fin. comm[inatione] procuratores omnes repetitionibus recessuum ex una causa ad aliam, dehinc abstineant.]2 [Repetitionibus recessuum ex una causa ad aliam abstinetor.]3 In Sachen K. wider D.4 seynd5 Dr. N6. vier Wochen zur Handlung angesetzt mit dem Anhang, so er in solcher Zeit nicht handlen wird7, daß alsdann auf seines Gegentheils ferner Anruffen [endlich]8 ergehen soll was recht ist9: Und10 ist sonst11 der Bescheid: daß sich die Procuratores der Repetition der Recess von12 einer Sach zu der andern hinfürter enthalten sollen13. Vorlage: CJC 1724, S. 111 Nr. LXXXVIII. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth III 1604, S. 407 H; Ferrarius 1605, S. 124; GB 1661, S. 10; GB 1665, S. 9; Blum 1667, S. 536; GB 1671, S. 9; GB 1678, S. 9; GB 1686, S. 9; GB 1688, S. 8; GB 1695, S. 18; GB 1696, S. 18; GB 1707, S. 18; GB 1710, S. 21 Nr. XLV; GB 1714, S. 15 Nr. XLVII; CJC 1717, S. 15 Nr. XLVII; GB 1717, S. 15 Nr. XLVII; GB 1724, S. 21 Nr. XLV; fehlt in Seiler 1572.

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Jahr unklar, GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1717 1552; dagegen wie hier Ferrarius 1605; Seyler/Barth III 1604; GB 1665; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; CJC 1724: 1553 Dezember 19. Agendi ... abstineant in Seyler/Barth III 1604. Repetitionibus ... abstinetor in GB 1661; Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Auflösung nach Seyler/Barth III 1604. GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696 Sachen usw. seyn. Seynd D. N. fehlt in Seyler/Barth III 1604. Seyler/Barth III 1604 würde. Seyler/Barth III 1604. Fehlt in Seyler/Barth III 1604; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Statt In Sachen ... Und in Ferrarius 1605 Ist. Fehlt in Ferrarius 1605. Seyler/Barth III 1604; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 auß. Statt daß sich ... sollen in Ferrarius 1605 daß die Procuratores sollen sich hinfürter mit Repetierung der Receß von einer Sachen zu der andern enthalten.

RKG Nr. 47 1554 Februar 19

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Anmerkung: Nach dreizehn Jahren (Gemeiner Bescheid vom 19. April 1540, oben RKG Nr. 39) erging erstmals wieder ein Gemeiner Bescheid, der in seiner Zweiteilung Zwischenurteil und allgemeine Anordnung miteinander verknüpfte. Das Interlokut gewährte einem Prokurator eine Frist für eine Prozesshandlung, offenkundig mit Präklusionsdrohung. Wenn er nämlich untätig blieb, würde auf Antrag des Gegners eine Entscheidung ergehen. Der Gemeine Bescheid selbst mahnt sodann zur sachdienlichen Kürze in der Audienz. Die Wiederholung von Rezessen wurde untersagt. Von einer Sache zur anderen sollten Repetitionen unterbleiben. Welche verschiedenen Sachen gemeint waren, sagte das Gericht nicht. Ob der Hinweis auf die Rezesse die mündlichen Erklärungen in der Audienz oder den Inhalt von Schriftsätzen bedeutete, muss ebenfalls unklar bleiben. Selbst Georg Melchior von Ludolff tappte im Dunkeln. Als einer der ganz wenigen frühen Gemeinen Bescheide enthält diese Vorschrift in seiner Edition keinen Verweis auf andere Quellen des Kameralrechts (CJC 1724, S. 111). Einen Tag später musste der Gerichtsbetrieb wegen einer Pestepidemie in Speyer für sechs Wochen unterbrochen werden (Gemeiner Bescheid vom 19. Februar 1554, sogleich unten RKG Nr. 47). Von dieser Bedrohung findet sich hier nicht die geringste Andeutung.

RKG Nr. 47 1554 Februar 19 [Ob iustitium fatalia ne currunto.]1 [Fatalia propter iustitium non currant.]2 [Iudicio propter periculum pestilentiae hactenus a die N. suspenso etc. ad disputationes, exceptiones multiplices pro remorandis causis aliis etc. conclusum: Fatalia a d. die usque ad N. non cucurisse, nec praeiudicio partibus futura etc.]3 Nachdem hievor4 das Gericht von dem 20.5 Tag des Monats Decembris biß auf den ersten Februarii jüngst6 verschienenen sterbender Läuffte halben suspendirt und aufgeschoben7 gewesen und aber8 nachmahls allerhand Exceptiones und Disputationes der Fatalien9 halber zu Verhinderung anderer Sachen einbracht10 werden 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Ob ... currunto in GB 1661; Blum 1667. Fatalia ... currant in GB 1710; GB 1717. Fatalia … etc. in Seyler/Barth III 1604. Ferrarius 1605 hiebevor. Seiler 1572; Ferrarius 1605; Cisner 1605; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 22. Fehlt in Ferrarius 1605. GB 1678; GB 1695; GB 1696 auffgehoben. Fehlt in Ferrarius 1605. Ferrarius 1605 fatalium. Ferrarius 1605 vorbracht.

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RKG Nr. 47 1554 Februar 19

mögten; ist zu Abschneidung und Verhütung solcher unnothdürfftigen1 Disputation beschlossen, daß die Fatalia2 vor3 bemeltem zwantzigsten4 Decembris biß auf den ersten Tag Februarii nechsthin5 nicht gelauffen seyn noch denen6 Partheyen einigen Nachtheil gebähren sollen7. Vorlage: CJC 1724, S. 111 Nr. LXXXIX. Weitere Ausgaben: Seiler 1572, S. 469 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth III 1604, S. 511 A; Ferrarius 1605, S. 124; Cisner 1605, S. 345; GB 1661, S. 10; GB 1665, S. 9; Blum 1667, S. 536-537; GB 1671, S. 9; GB 1678, S. 9; GB 1686, S. 9; GB 1688, S. 8; GB 1695, S. 19; GB 1696, S. 19; GB 1707, S. 19; GB 1710, S. 22 Nr. XLVI; GB 1714, S. 15 Nr. XLVIII; CJC 1717, S. 15 Nr. XLVIII; GB 1717, S. 15 Nr. XLVIII; GB 1724, S. 22 Nr. XLVI. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft dasselbe Problem wie die Bescheide vom 3. November 1542, 18. November 1542 und 22. Dezember 1542 (oben RKG Nr. 40-42). Nach zwölf Jahren war in Speyer erneut die Pest ausgebrochen. Wie damals fiel die Epidemie auch jetzt in die Winterzeit, insbesondere in die Weihnachtsferien. Abermals musste der Gerichtsbetrieb suspendiert werden. Der Gemeine Bescheid erging erst mehrere Wochen nach der Seuche. Das belegt zugleich, wie ganz verschieden das Kameralkollegium mit Krisensituationen umgehen konnte. 1542 erfolgte die Suspendierung des Gerichts durch den Kammerrichter höchstpersönlich und erging im Wege eines Gemeinen Bescheids. Davon war 1554 keine Rede mehr. Die Prokuratoren scheint man anders informiert zu haben. Nach dem Wiederbeginn der Gerichtstätigkeit im Februar 1554 stellten sich nun zahlreiche Fragen wegen der zuvor gesetzten Fristen. Das Reichskammergericht erklärte in seinem Gemeinen Bescheid sämtliche Terminsachen während des Zeitraums vom 20. Dezember 1553 bis 1. Februar 1554 für gehemmt. Die Fatalien, von denen der Gemeine Bescheid sprach, konnten in anderem Zusammenhang auch allgemein die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Klagen und Rechtsmitteln bezeichnen. Hier ging es ausschließlich um Fristen und Termine. Die generelle Regelung sollte zugleich das Kameralkollegium entlasten. Disputationen und Exzeptionen in den einzelnen Prozessen waren auf diese Weise überflüssig. Damit gewährleistete das Gericht zudem die Gleichbehandlung sämtlicher laufender Prozesse. Die dahinter stehende Wertung kam den Parteien entgegen. War nämlich der Gerichtsbetrieb aufgrund äußerer Einflüsse unterbrochen, erwuchsen den einzelnen Klägern und Beklagten daraus keine Nachteile.

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Fehlt in Ferrarius 1605; dagegen Seiler 1572; Cisner 1605 unnottürfftiger. Cisner 1605 fatalien. Cisner 1605; GB 1695; GB 1696 von. Seiler 1572 zwey und zwengtzigsten; Ferrarius 1605; Cisner 1605; GB 1678; GB 1695; GB 1696 22. Seiler 1572; Cisner 1605; GB 1678; GB 1695; GB 1696 nechst; anders Ferrarius 1605 den ersten nehesten. Cisner 1605 der; dagegen Seiler 1572; Ferrarius 1605; GB 1695; GB 1696 den. Fehlt in Ferrarius 1605.

RKG Nr. 48 1555 Oktober 28

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RKG (ohne Nr.) 1555 Oktober 23 siehe 1555 Oktober 28.

RKG Nr. 48 1555 Oktober 281 [Recessus obscurus et contra Ord[inationem] etc. cum poena reiicitur. Et ex officio etc. Et Procur[urator] in hac et alii causis D. in quib[us] prima intitulatura semper observanda, specifice etiam exprimat, adversus quam partem agat et fiet quod iuris.]2 [Rubricae causarum non3 mutantor et partes specifice4 nominantor.]5 In Sachen Braunschweig6 und deß Keyserlichen Fiscals wider Harberg, Braunschweig7 et8 Consortes, Hans Plaumbaums9 Beschedigung belangend10, ist11 Doctor Greineisen12 den siebenden13 diß Monats unlauterer und14 dunckeler15, auch16 wider die Ordnung unförmlich gehaltener Recess und Anrufen mit vorbehaltener Straff verworffen und von Ambtswegen der Gemeine Bescheid: Daß er in dieser und anderen [Braunschweigischen]17 Sachen, die er jedesmahl bey ihrer ersten unterschiedlicher Intitulatur bleiben lassen, auch specifice mit lauterer Vermeldung, wider welche Parthey er anruffe, anzeigen soll, alsdann darauff zu ergehen was recht ist. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

Datum unklar, anders Ferrarius 1605 Gemeiner Bescheidt am 23. Octobris Anno 1555 ergangen; ebenso Seyler/Barth III 1604. Recessus ... Iuris in Seyler/Barth III 1604. GB 1661; Blum 1667 ne. Statt et partes specifice in GB 1661; Blum 1667 partes speciatim. Rubricae ... nominantor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; auch GB 1661 und Blum 1667 (mit den Abweichungen). Auflösung nach Ferrarius 1605; dagegen Seyler/Barth III 1604 D.; CJC 1724 N.N. Auflösung nach Ferrarius 1605; dagegen Seyler/Barth III 1604 Y. Y. Ferrarius 1605 und. Auflösung nach Ferrarius 1605; dagegen Seyler/Barth III 1604 K. D. Ferrarius 1605 betreffend. GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 In Sachen usw. ist; CJC 1724 In Sachen NN. ist. Auflösung nach Seyler/Barth III 1604; dagegen CJC 1724; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696 Dr. N; Ferrarius 1605 D. G. Ferrarius 1605 7. Tag. Fehlt bei Seyler/Barth III 1604; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seyler/Barth III 1604; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 vertunckleter. Seyler/Barth III 1604; Ferrarius 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 und. Ferrarius 1605; dagegen Seyler/Barth III 1604 D.; ohne Zusatz CJC 1724 anderen Sachen.

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RKG Nr. 48 1555 Oktober 28

Vorlage: CJC 1724, S. 198 Nr. XCIII. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth III 1604, S. 668 F; Ferrarius 1605, S. 159; GB 1661, S. 10; GB 1665, S. 9; GB 1671, S. 9; GB 1678, S. 9; GB 1686, S. 9; GB 1688, S. 8; GB 1695, S. 19; GB 1696, S. 19; GB 1707, S. 19; GB 1710 S. 22 Nr. XLVII; GB 1714, S. 15-16 Nr. XLIX; CJC 1717, S. 15-16 Nr. XLIX; GB 1717, S. 15-16 Nr. XLIX; GB 1724, S. 22 Nr. XLVII; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Es handelt sich um den ersten Gemeinen Bescheid, nachdem der Reichstag von Augsburg im September 1555 gemeinsam mit dem Religionsfrieden auch die wegweisende Reichskammergerichtsordnung erlassen hatte. Wenn im Folgenden Gemeine Bescheide, Schriftsätze oder die nun nach und nach einsetzende Kameralliteratur auf die Ordnung verwiesen, handelte es sich jeweils um die bis zum Ende des Alten Reiches wesentliche Gesetzgebung von 1555. Der Gemeine Bescheid vom Oktober 1555 befestigte geradezu die Normgeltung. Der Kameralprokurator Dr. Greineisen, teilweise auch Grüneisen geschrieben, hatte nämlich einen unklaren Rezess gehalten, der offenbar gegen die Vorgaben der Gerichtsordnung verstieß. Genau aus diesem Grund nahm das Gericht ihn nicht an und behielt sich sogar eine spätere Bestrafung vor. Der Gemeine Bescheid, der von Amts wegen daraufhin erging, richtete sich seinem Wortlaut nach nur an den Prokurator Greineisen, nicht aber an die übrigen Kameralanwälte. Das Kammergericht sprach jedoch selbst vom Gemeinen Bescheid und deutete damit die selbstverständliche Ausdehnung der Regelung auf zukünftige Fälle an. Die Titulatur der Sache sollte bei allen Behandlungen in den Audienzen und Schriftsätzen immer gleich bleiben. Auch war bei mehreren Beteiligten oder bei mehreren Prozessen desselben Mandanten vom Prokurator jeweils anzugeben, gegen wen sich der Rezess richtete. Das erwies sich schlechthin als notwendig in einer Zeit, die noch keine Aktenzeichen oder Geschäftsnummern kannte. Die Schriftsätze ließen sich den Prozessakten nur zuordnen, wenn zweifelsfrei feststand, auf welchen Rechtsstreit sie sich bezogen. Hier gab es immer wieder Schwierigkeiten in der Praxis. In einigen Reichskammergerichtsakten finden sich jedenfalls auch nach Abschluss der modernen Verzeichnung immer noch Schriftstücke aus anderen Prozessen. Das belegt, wie schwierig es für die zeitgenössischen Kanzleimitarbeiter gewesen sein muss, die Masse an Schriftsätzen immer zutreffend abzulegen.

RKG Nr. 49 1556 Januar 13

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RKG Nr. 49 1556 Januar 13 [Ad litis contestationem agendi term[inus] ord[inationis] ex officio praefig[itur]. Generale decretum: Non confundendas causas ordinarias et extraordinarias sub poena ordinationis]1 [Causae ordinariae atque2 extraordinariae non3 confunduntor.]4 Doctor Kaden5 ist in Sachen E. W. von G.6 wider Herrn P.7 den ältern zu W.8 Appellaten, was sich auff die9 Litis Contestation zu handlen gebührt, Zeit der Ordnung von Ambtswegen angesetzt und der Gemeine Bescheid: Daß die Procuratores causas ordinarias et extraordinarias zu confundiren bey Straff der Ordnung sich hinfürter10 enthalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 198 Nr. XCIV. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth III 1604, S. 680 G; GB 1661, S. 10; GB 1665, S. 9; Blum 1667, S. 537; GB 1671, S. 9; GB 1678, S. 9; GB 1686, S. 9; GB 1688, S. 8; GB 1695, S. 19; GB 1696, S. 19; GB 1707, S. 19; GB 1710, S. 22 Nr. XLVIII; GB 1714, S. 16 Nr. L; CJC 1717, S. 16 Nr. L; GB 1717, S. 16 Nr. L; GB 1724, S. 22 Nr. XLVIII; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Die lateinische Überschrift von Seyler und Barth übersetzt Gemeinen Bescheid hier als Decretum generale. Der später am Reichshofrat üblicherweise benutzte Terminus Decretum commune war also in Speyer nicht so gebräuchlich, wie man zunächst vermuten könnte. Abermals bot ein konkreter Rechtsstreit den Anlass, den Gemeinen Bescheid zu verkünden. Beteiligt war der Prokurator Dr. Michael von Kaden. In der Sache blieb es bei einer bloßen Wiederholung. Der Bescheid bekräftigte die Trennung der kammergerichtlichen Prozesse in Ordinar- und Extraordinarsachen und gab den Prokuratoren bei Strafe auf, sich an diese Unterscheidung zu halten.

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Ad ... Ord. in Seyler/Barth III 1604. GB 1661; Blum 1667 et. GB 1661; Blum 1667 ne. Causae ... confunduntor in GB 1661; Blum 1667; GB 1710; GB 1714, CJC 1717; GB 1724. Auflösung nach Seyler/Barth III 1604; dagegen Blum 1667; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707 K. Seyler/Barth III 1604 G. von I; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 G. von J. Seyler/Barth III 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 R. Seyler/Barth III 1604 Graffen zu Y; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 zu Y. Fehlt in Seyler/Barth III 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seyler/Barth III 1604; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 hinfürter sich.

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RKG Nr. 50 1556 Januar 22

RKG Nr. 50 1556 Januar 22 [Litigantes in perorandis causis distinctim nominantor.]1 [Litigantes in agendis causis distinctim indicantor.]2 In Sachen NN. ist3 neben einem besondern auch dieser Gemeine Bescheid gegeben, also lautend: Und sollen hinführo die Procuratores ihre Partheyen [von]4 derentwegen sie handlen, jederzeit unterschiedlich distinguiren und benennen. Vorlage: CJC 1724, S. 198-199 Nr. XCV. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 10; GB 1665, S. 9; Blum 1667, S. 537; GB 1671, S. 9; GB 1678, S. 9; GB 1686, S. 9; GB 1688, S. 8; GB 1695, S. 19-20; GB 1696, S. 19-20; GB 1707, S. 19-20; GB 1710, S. 23 Nr. XLIX; GB 1714, S. 16 Nr. LI; CJC 1717, S. 16 Nr. LI; GB 1717, S. 16 Nr. LI; GB 1724, S. 23 Nr. XLIX; fehlt in Seiler 1572; Seyler/Barth III 1604. Anmerkung: Überdeutlich unterscheidet die Quelle zunächst besondere und allgemeine Bescheide. Die besonderen Bescheide bezogen sich auf einen bestimmten Rechtsstreit, die allgemeinen dagegen waren die Gemeinen Bescheide, die gerade über den Einzelfall hinausgingen. Die Verkündung erfolgte aber gemeinsam mit dem konkreten Zwischenurteil. Wenn es auch verschiedene Entstehungs- und Verkündungsarten gab, war das doch im 16. Jahrhundert die gewöhnliche Form. Der Bezug zum Ausgangsstreit trat erst mit der Zeit zunehmend zurück. Außer der bloßen Mitteilung, es sei auch ein besonderer Bescheid ergangen, ist die Verbindung beider Bescheide gar nicht mehr erkennbar. Andere Gemeine Bescheide setzen mit den Worten „ferner“ oder ähnlich ein. In diesem Bescheid vom Januar 1556 ist das Interlokut nicht einmal überliefert. Dennoch ist die Anknüpfung wenigstens angedeutet. Der Sache nach beruht der Gemeine Bescheid auf einem geläufigen Problem. Es gab am Reichskammergericht zahlreiche Parteien, die zur selben Zeit ihre Prozesse führten, aber nur eine begrenzte Zahl postulationsfähiger Anwälte. Die meisten Prokuratoren bearbeiteten also gleichzeitig mehrere Mandate. Zudem waren in vielen Prozessen Streitgenossen, sogenannte Konsorten, als Parteien tätig. Wenn jetzt in einer Audienz ein Prokurator einen Schriftsatz überreichte, war darauf zwar verzeichnet, zu welchem Rechtsstreit er gehörte. Der Gemeine Bescheid richtete sich aber vermutlich auf den knappen mündlichen Rezess, der daneben erlaubt war. Hier bestanden augenscheinlich Mindestanforderungen für den Rest an Mündlichkeit, den die Audienzordnung noch erlaubte. Auch bei der Übergabe eines Schriftsatzes sollten die Prokuratoren deutlich anzeigen, für und gegen wen die Prozesshandlungen bestimmt waren (zur 1 2 3 4

Litigantes ... nominantor in GB 1661; Blum 1667. Litigantes ... indicantor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Blum 1667; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Sachen usw. ist. GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

RKG Nr. 51 1556 April 29

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Benennung des Gegners vgl. Gemeiner Bescheid vom 29. April 1556, sogleich unten RKG Nr. 51). Die Überlieferung ist hier etwas undurchsichtig. Dieser Gemeine Bescheid spricht für eine unmittelbare Protokollierung des Prokuratorenvortrags in der Audienz, ganz so, wie es auch Anordnungen, den Protokollführern in die Feder zu diktieren, nahelegen (Gemeiner Bescheid vom 27. November 1539 § 13, dazu oben RKG Nr. 38). Soweit der Gemeine Bescheid mit den angesprochenen Handlungen die schriftlichen Prozesshandlungen der Parteien einbezog, mahnte er zugleich die genaue und vollständige Rubrizierung aller Schriftstücke an.

RKG Nr. 51 1556 April 29 [Adversae partes et puncta, contra quae agitur, recte distinguuntor.]1 [Partes adversae, contra quas et puncta in quibus agitur, recte distinguuntor.]2 [Respons[iones] ad causales 3. 4. etc. pro puris et suff[icienter] ad. 28. 33. vero et ad elisiv. 2. 14. etc. non accept[antur] et denuo resp. reiec. appen. ad N. N. etc. in puncto commiss[ionis] ad conclus[iones] et ulter. nom. in specie et ad except[iones] in termino ordinationis etc. agendum. Procuratores omnes in hac causa agendo et in productis, partes et puncta specificent.]3 In Sachen N. N. lautet4 der Gemeine Bescheid also5: Und letztlich, daß alle dieser Sachen Procuratores in ihren Vorträgen und Schrifften die Gegentheile6 und Puncten, wider die und in denen sie anrufen und handlen, jederzeit unterschiedlich benennen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 199 Nr. XCVI.

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Adversae ... distinguuntor in GB 1661; Blum 1667. Partes ... distinguuntor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Respons. … specificent in Seyler/Barth III 1604. Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1717 Sachen usw. laut. Umfangreiches Zwischenurteil bei Seyler/Barth III 1604: In sachen O. wider Q. 1. mandati, F. belangend, seind Dr. Reiffstocks antworten auff ermelts von Q. articulirte ursachen, nemblich den 3., 4., 5., 6., 8., 9., 10., 11. und 12. pro puris und für gnugsam, aber die auff 28. und 33. und hergegen Dr. Dickens Antworten auff gedachts T. Elisiff Articul, den 2., 14. und 29. gegeben, nicht angenommen: Sondern der Bescheidt: Daß beyde Procuratores auff jetzt specificirte Articul vermög unnd in Zeit der Ordnung nochmals antworten sollen. Und seind die Anhänge bey den Responsionibus auff die 41., 42., 45. und 60. articulirte Ursachen, deßgleichen bei den Responsionibus auff angeregte Elisiff bey den 21., 22., 42., 43. und 62. Articuln nachgesetzt, hiemit verworffen. Dann auch in puncto Commissariorum, da Q. Commissarien ernennt, von Ampts wegen der Bescheidt: Daß Dr. Reiffstock auff Beschluß und weitere Ernennung 18. Octobris nechst verschienen Jars beschehen, in specie und dann in derselben Sachen O. contra F. bemeldter Reiffstock auff Dr. Breunings exceptiones, den 2. Tag ermeltes Monats einkommen, in Zeit der Ordnung, was sich gebürt, handeln. Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696 Gegentheil.

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RKG Nr. 51 1556 April 29

Weitere Ausgaben: Seyler/Barth III 1604, S. 698 D; GB 1661, S. 11; GB 1665, S. 9; Blum 1667, S. 537-538; GB 1671, S. 9; GB 1678, S. 9; GB 1686, S. 9; GB 1688, S. 8; GB 1695, S. 20; GB 1696, S. 20; GB 1707, S. 20; GB 1710, S. 23 Nr. L; GB 1714, S. 16 Nr. LII; CJC 1717, S. 16 Nr. LII; GB 1717, S. 16 Nr. LII; GB 1724, S. 23 Nr. L; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bildet mit dem unmittelbar vorangegangenen Bescheid vom 22. Januar 1556 (oben RKG Nr. 50) eine Einheit. Er behandelt das genau entgegengesetzte Problem. Kam es im Januar darauf an, in den Audienzen die eigenen Mandanten zweifelsfrei zu bezeichnen, so ging es nun um den Prozessgegner. Auch hier galt derselbe Grad an Genauigkeit. Jeder Prokurator musste die Gegenseite genau bezeichnen, und zwar sowohl in Wort als auch Schrift, wie der Bescheid unmissverständlich klarstellt. Erstaunlich daran ist vor allem, wie selbstverständlich offenbar ein stillschweigendes Auslegungsverbot bestand, an das sich das Reichskammergericht bei seinen eigenen Gemeinen Bescheiden hielt. Die ältere Pflicht, die eigene Partei bestimmt genug anzuzeigen, ließ sich ohne weiteres teleologisch auf sämtliche Prozessparteien ausweiten. Genau das geschah nicht. Der Gemeine Bescheid vom 29. April 1556 erläuterte nicht etwa den drei Monate älteren Erlass vom 22. Januar, sondern war als Neuregelung gedacht. Damit bekannte sich das Reichskammergericht im Ergebnis zu einem erstaunlich kasuistischen Normverständnis der eigenen Gemeinen Bescheide und zur strikten Interpretation des selbstgesetzten Kameralrechts. Falls das nicht so war, bliebe eine zweite Möglichkeit, die Anordnung vom 29. April zu verstehen. Vielleicht handelte es sich der Sache nach doch um eine Wiederholung, die man auf diese Weise nur zu vertuschen suchte. So könnte es Unmut im Kameralkollegium über die fehlerhafte Benennung der Prozessparteien durch die Prokuratoren gegeben haben. Wenn dies der Grund für den Erlass vom 22. Januar gewesen war, hatte sich der Streit von damals gerade nicht erledigt und war im April immer noch schwelend vorhanden, jetzt lediglich verschoben auf die Titulierung der Gegenpartei. Das wäre dann ein Zeichen für die eher geringe Disziplinierungswirkung des Gemeinen Bescheides vom 22. Januar 1556. Für die eher geringe Zugkraft Gemeiner Bescheide spricht in der Tat die unmittelbar folgende Anordnung vom 30. August 1558 (sogleich RKG Nr. 52). Dort rügte das Gericht erneut die fortgesetzten Ordnungsverstöße der Prokuratoren.

RKG Nr. 52 1558 August 30

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RKG Nr. 52 1558 August 301 [Procuratores, ratione excusationum etc. ordinationi sese conforment; sub eius poena.]2 [Procuratores ratione excusationum se ordinationi3 conformanto.]4 Nachdem vermöge des Reichs Ordnung die Procuratores schuldig seynd, sich vermög derselben zu entschuldigen und sie auch desselben jüngst erinnert worden; so ist hierauff nochmahls5 des [hochwürdigen Fürstens]6 Herrn Cammerrichters und der7 Beysitzer ernstlicher Befehl, daß sie sich hinfürter auff gethane Umfrage demselben gemäß bey Straff nach Ermässigung bezeugen8 und verhalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 233 Nr. CXXII. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth III 1604, S. 895 B; GB 1661, S. 11; GB 1665, S. 9; Blum 1667, S. 538; GB 1671, S. 9; GB 1678, S. 9; GB 1686, S. 9; GB 1688, S. 9; GB 1695, S. 20; GB 1696, S. 20; GB 1707, S. 20; GB 1710, S. 23 Nr. LI; GB 1714, S. 16 Nr. LIII; CJC 1717, S. 16 Nr. LIII; GB 1717, S. 16 Nr. LIII; GB 1724, S. 23 Nr. LI; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid wiederholt eine bereits mehrfach ergangene Vorschrift. Schon der ältere Gemeine Bescheid vom 23. Dezember 1551 (oben RKG Nr. 45) hatte das Exkusationsproblem behandelt (dort auch zur Sache). Ausgangspunkt war damals der fiskalische Prozess, doch die Ausweitung erfasste bereits sämtliche Abschnitte der Audienz. Auch die Rückbindung an die Reichskammergerichtsordnung war seinerzeit bereits vorhanden und ausdrücklich im Bescheid angegeben. Zwischenzeitlich hatte sich die Gesetzeslage freilich verändert. Der Bescheid von 1551 verwies auf die Reichskammergerichtsordnung von 1538. Der Gemeine Bescheid von 1558 begnügte sich zwar mit dem bloßen Hinweis auf die Reichsordnung, meinte aber zweifellos die Reichskammergerichtsordnung von 1555. In der Tat enthielt sie in der ihr eigenen Gründlichkeit gleich mehrere Vorschriften über die Entschuldigung ausgebliebener Handlungen (RKGO 1555 3, 10, 4-9). Insgesamt gab es damit innerhalb von nur zwanzig Jahren viermal dieselbe normative An1 2 3 4 5 6 7 8

Anderes Jahr in GB 1707 Anno 1585 (wohl Druckfehler). Procuratores ... poena in Seiler/Barth III 1604. GB 1661; Blum 1667 ordinationi sese. Procuratores ... conformanto in GB 1661; Blum 1667 (jeweils mit der Abweichung); GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696 nachmahls. Hochwürdigen Fürstens in Seyler/Barth III 1604; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in Seyler/Barth III 1604; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seyler/Barth III 1604; GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 erzeigen.

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RKG Nr. 53 1560 März 16

ordnung (zwei Gerichtsordnungen, zwei Gemeine Bescheide). Ihr Erfolg war zweifelhaft. Offenbar versuchte das Gericht durch den Hinweis auf die Autorität des Kammerrichters, die Regelung mit größerem Nachdruck auszustatten. Auch die angedrohte poena arbitraria zielte in dieselbe Richtung. Aber gerade hier im Grenzbereich zwischen Untätigkeit, Säumnis und ordnungsgemäßer Entschuldigung scheint es Schwierigkeiten in den Audienzen gegeben zu haben.

RKG Nr. 53 1560 März 16 [Fiscali non observata distinctione causarum ordinariarum atque extraordinariarum contumaciam accusare liceto.]1 [Fiscali indifferenter contumaciam accusare liceto.]2 Dominus Comes a Löwenstein hat angezeigt, daß auff gestrige Audientz die Ordnung im contumaciren an denen, da es blieben, nochmahls3 gelassen und dieselbe anfahen sollen, doch möge der Fiscal als Exemtus jederzeit in Ordinariis und Extraordinariis contumaciren, darauff auch Fiscalis angefangen, indifferenter zu contumaciren. Vorlage: CJC 1724, S. 246 Nr. CXXXII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 11; GB 1665, S. 9; Blum 1667, S. 538; GB 1671, S. 9; GB 1678, S. 9; GB 1686, S. 9; GB 1688, S. 9; GB 1695, S. 20; GB 1696, S. 20; GB 1707, S. 20; GB 1710, S. 23-24 Nr. LII; GB 1714, S. 16 Nr. LIV; CJC 1717, S. 16 Nr. LIV; GB 1717, S. 16 Nr. LIV; GB 1724, S. 23-24 Nr. LII; fehlt in Seiler 1572; Seyler/Barth III 1604. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ist auffallend ungewöhnlich formuliert. Er gibt sich auf den ersten Blick lediglich als Bericht des Kammerrichters über die Vorkommnisse in der Audienz einen Tag zuvor. In Kontumazialsachen gab es offenbar die größten Unsicherheiten beim ordnungsgemäßen Ablauf der Audienzen (dazu auch die Gemeinen Bescheide vom 23. Dezember 1551 und 30. August 1558 (oben RKG Nr. 45 und 52). Lediglich durch den kleinen Hinweis „möge“ erhielt die Mitteilung ihrerseits Regelungsqualität. Alle Parteien waren nämlich gehalten, ihre Kontumazialsachen in dem dafür vorgesehenen Audienzabschnitt zu erledigen. Ausgenommen davon war der Fiskal als Exemtus, wie der Kammerrichter ausdrücklich betonte. Das sollte den Fiskal aus dem Glied der Prozessparteien und der Prokuratoren herausheben, weil er seinerseits 1 2 3

Fiscali ... liceto in GB 1661; Blum 1667. Fiscali ... liceto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696 nachmahls.

RKG Nr. 54 1560 September 16

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die Interessen des Reiches vertrat. Deswegen durfte der Fiskal seine Anträge in Kontumazialsachen jederzeit stellen. Ausdrücklich konnte er hierbei auch die Abgrenzung zwischen Ordinar- und Extraordinarsachen überspringen, wie er es für angemessen hielt. Für die übrigen Prokuratoren waren die einzelnen Audienzabschnitte dagegen strenger voneinander getrennt (dazu sogleich Gemeiner Bescheid vom 16. September 1560, RKG Nr. 54).

RKG Nr. 54 1560 September 16 [Ordo ordinariarum et extraordinariarum per procurator[es] non confundendus, sed ordinationi obsequendum.]1 [Audientiae ordinariae et extraordinariae non2 confunduntor.]3 Endlich4 ist von Ambtswegen der Gemeine Bescheid5: Daß die Procuratores in ihren Recessen und Handlungen die ordinarias und extraordinarias Audientias, auch im6 Fragen7, nicht confundiren, sondern in denen8 sich der Ordnung nach hinführo halten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 254 Nr. CXLI. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 29RS; BA Slg. 1600 Bl. 40; Seyler/Barth III 1604, S. 1102 C; Cisner 1605, S. 370; GB 1661, S. 11; GB 1665, S. 10; Blum 1667, S. 538539; GB 1671, S. 10; GB 1678, S. 10; GB 1686, S. 10; GB 1688, S. 9; GB 1695, S. 20; GB 1696, S. 20; GB 1707, S. 20; GB 1710, S. 24 Nr. LIII; GB 1714, S. 16 Nr. LV; CJC 1717, S. 16 Nr. LV; GB 1717, S. 16 Nr. LV; GB 1724, S. 24 Nr. LIII; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bekräftigt die Unterteilung der Audienz in Ordinar- und Extraordinarsachen. Hatte man auch unmittelbar zuvor dem Fiskal gestattet, in Kontumazialfällen die Abgrenzung zu überschreiten (Gemeiner Bescheid vom 16. März 1560, oben RKG Nr. 53), so galt diese Ausnahme keineswegs für die übrigen Prokuratoren. Immer wieder sah sich das Kammergericht bemüßigt, die Unterscheidung in gewöhnliche und außergewöhnlich eilbedürftige 1 2 3 4 5 6 7 8

Ordo ... obsequendum in Seyler/Barth III 1604. GB 1661; Blum 1667 ne. Audientiae ... confunduntor in GB 1661; Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Seyler/Barth III 1604 Und. Endlich … Bescheid fehlt in Cisner 1605. Fehlt in Seyler/Barth III 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Seyler/Barth III 1604; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Umbfrage; Cisner 1605 umbfragen; GB 1695; GB 1696 Umfragen. Cisner 1605 denselben.

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RKG Nr. 55 1562 November 13

Streitsachen einzuschärfen (dazu auch die Gemeinen Bescheide vom 6. November 1508, 17./27. März 1534 und 24. November 1536, oben RKG Nr. 2, 24 und 27). Offenbar brachten einige Prokuratoren nicht nur diese beiden Prozessarten, sondern auch das übrige Umfragewesen durcheinander. Das muss von Seiten der Anwälte nicht alles so aufmüpfig gemeint gewesen sein, wie es in den überlieferten Beschwerden in den Gemeinen Bescheiden erscheint. Der Kameralprozess schleppte sich in seiner Statik beschwerlich dahin, die Audienzen waren in ihrer strengen Untergliederung nur unter großem Aufwand handhabbar. Die ständigen Ermahnungen an die Prokuratoren sind damit zugleich ein Zeichen für das Bestreben der Anwaltschaft, die Audienz freier zu gestalten. Hier mag man durchaus grundverschiedene Interessen annehmen. Die Prokuratoren waren tendenziell an mehr Mündlichkeit und weniger Gängelei interessiert. Das Kameralkollegium selbst dagegen blieb auf strenges Zeremoniell, vorformuliertes Diktieren in die Feder und die bloße Übergabe von Schriftsätzen bedacht. Es scheint sich um einen nicht lösbaren Gegensatz gehandelt zu haben. Genau hier dürfte der Grund liegen, warum die Assessoren derartige Gemeine Bescheide so vielfach wiederholten. Die inszenierte Autorität des Gerichts stand gegen die lebendige Auseinandersetzung um Tatsachen und Rechtsansichten.

RKG Nr. 55 1562 November 13 [Formalia iustificanda in principio causae sub poena arbitraria.]1 [Formalia appellationum in principio causae iustificantor.]2 [Und]3 endlich ist4 von Ambtswegen der Gemeine Bescheid5, daß alle und jede Procuratores hinfürter vermöge der Reichsordnung und Abschiede6 die Formalia Appellationum zu Anfang der Sachen bey Straff nach Ermeßigung justificiren sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 266 Nr. CL. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 29RS; BA Slg. 1600 Bl. 40; Seyler/Barth IV 1604, S. 81 C; Cisner 1605, S. 442; GB 1661, S. 11; GB 1665, S. 10; Blum 1667, S. 539; GB 1671, S. 10; GB 1678, S. 10; GB 1686, S. 10; GB 1688, S. 9; GB 1695, S. 21; GB 1696, S. 21; GB 1707, S. 21; GB 1710, S. 24 Nr. LIV; GB 1714, S. 17 Nr. LVI; 1 2 3 4 5 6

Formalia ... arbitraria in Seyler/Barth IV 1604. Formalia ... iustificantor in GB 1661; Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Seyler/Barth IV 1604. Fehlt in BA Slg. 1600. Und endlich … Bescheid fehlt in Cisner 1605. Cisner 1605 Abschiedt.

RKG Nr. 55 1562 November 13

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CJC 1717, S. 17 Nr. LVI; GB 1717, S. 17 Nr. LVI; GB 1724, S. 24 Nr. LIV; fehlt in Seiler 1572. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt ein Problem des Appellationsverfahrens. Wie jedes Rechtsmittel so war auch die Appellation erfolgreich, wenn sie zulässig und begründet war. In Anlehnung an das überkommene Kameralrecht verlangte der Gemeine Bescheid von den Prokuratoren, Zulässigkeit und Begründetheit des Rechtsmittels zu trennen und vor allem die Zulässigkeitsfragen zu Beginn des Verfahrens abzuhandeln. Zu den zahlreichen Zweiteilungen des Kameralprozesses in Extrajudizialverfahren und Judizialverfahren, Ordinarsachen und Extraordinarsachen, Mandatssachen und Zitationsprozesse trat damit eine weitere. Zulässigkeitsfragen waren vor der Begründetheit abzuarbeiten. Das erschien arbeitsökonomisch zweckmäßig. Das Reichskammergericht kannte sogar eine besondere Tenorierung für unzulässige Appellationen. Mit Prozessurteil verwarf es sie als „an dieses kaiserliches Kammergericht nicht erwachsen“ oder sogar als „angemaßte Appellationssache“. Der im Gemeinen Bescheid benutzte Terminus „justifizieren“ ist in der deutschen zeitgenössischen Rechtssprache zumeist als „rechtfertigen“ wiedergegeben. Im Strafverfahren bezeichnete er die Vollstreckung einer peinlichen Strafe bis hin zur Hinrichtung. Jedenfalls war diese Justifizierung etwas anderes als ein Beweis. Es konnte in dieser Phase des Appellationsprozesses nur darum gehen, dass der Appellant die Zulässigkeit seines Rechtsmittels aus seiner eigenen Sicht darlegte. Ob sich das Rechtsmittel später wirklich als zulässig erwies, stand dagegen zur richterlichen Beurteilung. Wenn es notwendig war, diesen Gemeinen Bescheid zu erlassen, deutet dies auf Umgehungsversuche findiger Prokuratoren hin. Gerade wenn es zweifelhaft erschien, ob es sich um eine zulässige Appellation handelte, mochte eine hohe Versuchung bestehen, sich sofort mit Begründetheitsfragen auseinanderzusetzen. Dem schob das Gericht einen Riegel vor. Der Bescheid trennt ausdrücklich nicht zwischen dem Schriftsatzwechsel und den mündlichen Rezessen in der Audienz. In der Praxis waren die Schriftsätze in Appellationssachen in ihren Rechtsausführungen zumeist zweigeteilt. Zunächst ging es um die Formalia, dann um die Materialia. Vielleicht war das genau die Gliederung, die der Gemeine Bescheid anstrebte. Beide Fragen in gesonderte Schriftsätze aufzuspalten, hätte das Verfahren nämlich in die Länge gezogen, und dagegen richtete sich das Gericht regelmäßig mit großer Deutlichkeit.

RKG (ohne Nr.) 1562 November 18 siehe 1562 November 13

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RKG Nr. 56 1563 Juni 18

RKG Nr. 56 1563 Juni 181 [Gemeiner Bescheidt der Practicanten und anderer Cammergerichtsverwandten halben. Ut nomen suum in Camera notificent et designentur.]2 [Peregrini Camerae subiecti [[sua]]3 nomina apud iudicem profitentor, professi in album inscribuntor.]4 [Extranei Camerae subiecti nomina sua apud iudicem profitentor et immatriculantor.]5 Nachdem sich bißweilen etliche Persohnen unter dem Schein, als ob sie diesem Kayserlichen Cammergericht verwandt und zugethan, allhier zu Speyer enthalten möchten, dadurch ihrer Unbekandtnüß halber allerhand Irrungen6 entstehen. Hierauff so7 ist des Herrn8 Cammerrichters und der Beysitzer Befehl und Bescheid, daß sich alle und jede Persohnen, es seyen Practicanten, Sollicitatores, Partheyen oder andere, welche gedachtem Kayserlichen Cammergericht verwand seynd, so jetzund zugegen oder ins künfftige9 ankommen werden, bey ermeltem Herrn Cammerrichtern und Beysitzern anzeigen sollen, damit solche der Gebühr immatriculirt und eingezeichnet10 werden mögen. Vorlage: CJC 1724, S. 270 Nr. CLIV. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 29RS; BA Slg. 1600 Bl. 40-40RS; Seiler 1572, S. 546 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth IV 1604, S. 140 B; Cisner 1605, S. 241; GB 1661, S. 11; GB 1665, S. 10; Blum 1667, S. 539; GB 1671, S. 10; GB 1678, S. 10; GB 1686, S. 10; GB 1688, S. 9; GB 1695, S. 21; GB 1696, S. 21; GB 1707, S. 21; GB 1710, S. 24 Nr. LV; GB 1714, S. 17 Nr. LVII; CJC 1717, S. 17 Nr. LVII; GB 1717, S. 17 Nr. LVII; GB 1724, S. 24 Nr. LV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid grenzt verschiedene Gruppen von Kameralpersonen voneinander ab. Hier geht es lediglich um Gerichtsangehörige im weitesten Sinne, zeitgenössisch um bloße Verwandte. Praktikanten, Sollizitatoren und Parteien sind beispielhaft genannt, andere aber 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Cisner 1605: 18. Julii Anno 63 (eventuell Druckfehler). Gemeiner … designentur in Seyler/Barth IV 1604; nicht in Seiler 1572. Blum 1667. Peregrini ... inscribuntor in GB 1661; Blum 1667. Extranei … immatriculantor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seiler 1572 jrrung. Statt Nachdem sich … so in Cisner 1605 Es. Seiler 1572 der Herren. Cisner 1605 oder künfftig. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Seiler 1572; Seyler/Barth IV 1604; Cisner 1605; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 verzeichnet.

RKG Nr. 56 1563 Juni 18

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ausdrücklich mit eingeschlossen. Zunächst ist der Gemeine Bescheid einer der ersten normativen Belege für die Funktion des Reichskammergerichts als Ausbildungsstätte von Nachwuchsjuristen. Aus dem 18. Jahrhundert ist das Praktikantenwesen sattsam bekannt. Goethe und der Freiherr vom Stein bilden nur zwei besonders prominente Beispiele. Doch im 16. Jahrhundert gab es diese freiwillige Station am Sitz des Reichskammergerichts ebenfalls bereits, offenbar in einer Größenordnung, die ihre namentliche Erwähnung im Gemeinen Bescheid rechtfertigte. Ein solches Praktikum war ohnehin nur halbfreiwillig. Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 verlangte von künftigen rechtsgelehrten Assessoren, dass sie in „gerichtlichen hendeln advociert und practiciert haben“ (RKG 1555 1, 3, 2). Selbst für ritterbürtige Beisitzer war ein gewisses Maß an „practick“ unabdingbar. Für die Praktikantenzeit in Speyer dürften aber nicht die Ritter, sondern die Studierten die entscheidende Rolle gespielt haben. Hinzu kamen Sollizitanten, hier erstmals in den Gemeinen Bescheiden als eigene Personengruppe greifbar (Erwähnung in der Reichskammergerichtsordnung von 1555 aber etwa unter 1, 13, 14). Es handelte sich um Interessenvertreter einer Partei, die sich um zügige und erfolgreiche Behandlung der Rechtsstreitigkeiten bemühten. Die von ihnen massenhaft geschriebenen Sollizitationszettel sind aus der Wetzlarer Epoche berüchtigt. Hier aber deutet sich diese Entwicklung bereits an. Ebenfalls in Speyer hielten sich diejenigen Parteien auf, die vor Ort ihren Prozess selbst zu befördern versuchten. Offenbar war es in der Stadt zu Unmut über die zahlreichen unbekannten Fremden gekommen. Vielleicht mischten sich darunter auch Personen, die zum Reichskammergericht keinerlei Bezug hatten, sich aber dennoch gern innerhalb der Stadtmauer zeitweise niederlassen wollten. Für die mit dem Kammergericht entfernt Verwandten führte der Gemeine Bescheid deswegen eine Immatrikulationspflicht ein. Die Irrungen mit der Stadt versuchte man auf diese Weise zu begrenzen. Zugleich wusste damit das Gericht auch, wer sich neben dem ständigen Kameralpersonal ebenfalls noch in Rechtsangelegenheiten in Speyer aufhielt. Gut einhundert Jahre später erging ein weiterer Gemeiner Bescheid, der die Anordnung wörtlich wiederholte und einschärfte (Gemeiner Bescheid vom 22. April 1659, unten RKG Nr. 141).

RKG (ohne Nr.) 1563 Juli 18 siehe 1563 Juni 18

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RKG Nr. 57 1564 August 18

RKG Nr. 57 1564 August 18 [Ex locis pestiferis Spiram venientes1 nemo recipito.]2 Dr. [Hartmann]3 zeigt an. Demnach sich sterbende Läuffte4 um Speyer erregen5 und man sich zu erinnern wisse6, welcher massen solche Sterben immer eingerissen und doch Domini Assessores hier bleiben müssen, aber demnach7 Dominus8 Judex et9 Assessores in Erfahrung bracht, daß etliche Persohnen, so auß sterbenden Orten kommen, darauß Contagio zu befahren10, eingenommen11 werden; So befehlen Cammerrichter und Beysitzer jeden bey ihren Pflichten und Eyden, niemanden auffoder anzunehmen, so auß sterbenden Orten kommen, wollen auch solches beym Rath12 und gemeiner Burgerschafft zu verschaffen befehlen, damit man das Gericht nicht transferiren müste, welches doch jetzund [nicht]13 geschehen könte, und sollen die Praesentes denen anderen, so nicht zugegen, solches auch anzeigen14. Vorlage: CJC 1724, S. 279 Nr. CLIX. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 29RS; BA Slg. 1600 Bl. 40RS; GB 1661, S. 11-12; GB 1665, S. 10; Blum 1667, S. 539-540; GB 1671, S. 10; GB 1678, S. 10; GB 1686, S. 10; GB 1688, S. 9; GB 1695, S. 21-22; GB 1696, S. 21-22; GB 1707, S. 21-22; GB 1710, S. 25 Nr. LVI; GB 1714, S. 17 Nr. LVIII; CJC 1717, S. 17 Nr. LVIII; GB 1717, S. 17 Nr. LVIII; GB 1724, S. 25 Nr. LVI; fehlt in Seiler 1572; Seyler/Barth IV 1604. Anmerkung: Zu älteren Pestepidemien ergingen bereits 1542 und 1554 Gemeine Bescheide (oben Gemeine Bescheide vom 3. November, 18. November und 22. Dezember 1542 sowie 19. Februar 1554; oben RKG Nr. 40-42, 47). Dieser Gemeine Bescheid bindet erstmals die Seuchenabwehr am Reichskammergericht in den größeren städtischen Zusammenhang ein. Inzwischen stand nach 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

GB 1661; Blum 1667 tendentes. Ex … recipito in GB 1661; Blum 1667 (jeweils mit Abweichung); GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Hartmann in BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 Hartman; dagegen Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686 Doctor H.; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Doct. H. BA Slg. 1600 Leuff; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Läuff. BA Slg. 1600 ereugen. Fehlt in BA Slg. 1585; BA Slg. 1600. GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 dennoch; BA Slg. 1600 dannoch. Fehlt in BA Slg. 1600; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696. GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696 und. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 besorgen. BA Slg. 1600 angenommen. GB 1695; GB 1696; GB 1724 Reich. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 den andern solches auch anzeigen, so nicht zugegen.

RKG Nr. 58 1566 Februar 20

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den Erfahrungen von 1542 und 1554 fest, dass eine Verlegung des Reichskammergerichts wegen der Pestgefahren keine Aussicht auf Erfolg hatte. Deswegen ging es nun darum, Ansteckungen möglichst zu verhindern. Das aber war nicht leicht. Aus den betroffenen Orten flüchteten zahlreiche Menschen in die noch verschont gebliebene Stadt Speyer. Einige Mitglieder des Reichskammergerichts hatten solche Flüchtlinge offenbar bei sich zu Hause aufgenommen. Der Gemeine Bescheid untersagte nunmehr ausdrücklich diese Hilfsbereitschaft und hielt sie sogar für einen Verstoß gegen den kammergerichtlichen Amtseid. In einer schwer abzuschätzenden Bedrohungslage erschien die Nähe zu möglicherweise Erkrankten als zu gefährlich. Kammerrichter und Beisitzer kündigten auch Gespräche mit der Reichsstadt Speyer an, um ihre eigenen Vorsichtsmaßnahmen auf das gesamte städtische Gebiet auszudehnen. Hier zeigen sich die verschiedenen Untertänigkeitsverhältnisse und Policeygewalten (dazu in der Einleitung bei Anm. 359-383). Die Anwesenden sollten diese Anordnung an die Abwesenden weitergeben. Der letzte Satz des Gemeinen Bescheids lässt offen, ob er nur an die in einer Audienz versammelten Prokuratoren erging oder an das gesamte in Speyer ansässige Gerichtspersonal. Bei den Abwesenden könnte es sich je nachdem um saumselige Prokuratoren gehandelt haben, die nicht zur Audienz gekommen waren. Möglicherweise schien die Seuchengefahr aber inzwischen so groß, dass bereits einige Prokuratoren die Stadt Speyer verlassen hatten.

RKG Nr. 58 1566 Februar 20 [Procuratores abfuturi substitutos sufficienter instruant, ne temere submittatur ordinem novarum et praefixarum non confundant. Et prolixis recessibus abstineant; sub poena arbitraria.]1 [Procuratores suos substitutos sufficienter instruunto: Ordines novarum ac praefixarum ne confundunto; prolixioribus recessibus temperanto.]2 [Procuratores sufficienter substitutos suos instruunto; ordines novarum [et]3 praefixarum non confundunto ac recessibus prolixioribus abstinento.]4 Ferner ist von Ambts wegen der Bescheid, daß die Procuratores, so fern ihnen aus erheblichen Ursachen vom Gericht erlaubt, durch ihre Substituirte ohne gnugsame Instruction und vollkommenen Bericht, vermöge der Ordnung und Visitationsabschieden, nicht handlen oder submittiren, deßgleichen die Umfragen in Novis et 1 2 3 4

Procuratores … arbitraria in Seyler/Barth IV 1604; nicht in Seiler 1572. Procuratores ... temperanto in GB 1661; Blum 1667. GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Procuratores … abstinento in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 58 1566 Februar 20

Praefixis1 nicht confundiren, auch der langen unnothdürfftigen Recessen, alles bey Straff nach Ermessung2 hinfürter sich enthalten sollen3. Vorlage: CJC 1724, S. 280 Nr. CLXI. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 29RS; BA Slg. 1600 Bl. 40RS-41; Seiler 1572, S. 612 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth IV 1604, S. 372 G; Cisner 1605, S. 372; GB 1661, S. 12; GB 1665, S. 10; Blum 1667, S. 540; GB 1671, S. 10; GB 1678, S. 10; GB 1686, S. 10; GB 1688, S. 9; GB 1695, S. 22; GB 1696, S. 22; GB 1707, S. 22; GB 1710, S. 25 Nr. LVII; GB 1714, S. 17 Nr. LIX; CJC 1717, S. 17 Nr. LIX; GB 1717, S. 17 Nr. LIX; GB 1724, S. 25 Nr. LVII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid enthält drei Regelungen, deren Sachzusammenhang unklar ist. Zunächst geht es um die Vertretung in der Audienz. Häufig ließen sich Prokuratoren dort durch einen Kollegen vertreten und nahmen gar nicht persönlich teil. Dieses Substitutenwesen war in der Praxis weit verbreitet. Der Gemeine Bescheid erkannte dies auch an, machte den Einsatz von Sitzungsvertretern aber von einer Erlaubnis des Gerichts abhängig, die auf erhebliche Ursachen gestützt sein musste. Die Hürde kann aber nicht allzu hoch gewesen sein, denn bereits die vorformulierten Anwaltsvollmachten enthielten sehr häufig Bestimmungen über die vorgesehenen substituierten Prokuratoren. Dennoch versuchte das Kameralkollegium zugleich die Audienzpflicht aufrechtzuerhalten. Die Substituten, das ist nun das Anliegen des Bescheids, sollten auf die Audienzen ausreichend vorbereitet sein, eine Vorgabe, die mehrfach in den Gemeinen Bescheiden auftaucht (Gemeine Bescheide vom 5. Juni 1523 und 28. November 1550; oben RKG Nr. 5 und 44). Der Gemeine Bescheid vom 20. Februar 1566 stützte sich insoweit ausdrücklich auf die Reichskammergerichtsordnung und die Visitationsabschiede. Die beiden anderen Anordnungen betrafen die Umfrageordnung sowie das Ausmaß mündlicher Rezesse. Hier ist unklar, ob diese Punkte den Einsatz von Substituten betrafen oder generell für sämtliche Prokuratoren gelten sollten. Wahrscheinlicher ist die zweite Annahme. Auf die Einhaltung des vorgesehenen Audienzverlaufs mit seinen verschiedenen Abschnitten und Umfragen achtete das Gericht jedenfalls in den normativen Quellen genau. Die Pflicht, die beiden genannten Ordnungen auseinanderzuhalten, betraf daher sicherlich sämtliche Prokuratoren. Die ständig wiederholten Einschärfungen zeigen aber zugleich, wie schwer es in der Praxis war, die vorgesehenen statischen und scharf gegliederten Audienzen tatsächlich in dieser Form abzuhalten. Auch Anordnungen gegen weitschweifige Mündlichkeit, wie sie der Gemeine Bescheid enthielt, ergingen mehrfach und waren an sämtliche Prokuratoren gerichtet. Gerade der letzte Punkte markiert einen ständigen und unlösbaren Grundwiderspruch des Kameralprozesses. Ein im Wesentlichen schriftliches Gerichtsverfahren mit einer weitgehend zu Floskeln erstarrten Mündlichkeit ließ sich in öffentlichen Audienzen einfach nicht durchführen. Bis 1 2 3

Seiler 1572 praefixijs. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Seiler 1572; Seyler/Barth IV 1604; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 ermessigung. Gekürzte Fassung des gesamten Bescheids bei Cisner 1605 Deßgleichen/ daß die Procuratores die umbfrag in nouis und praefixis nit confundiren sollen.

RKG Nr. 59 1567 November 14

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zum Ende des Alten Reiches bekam weder der Reichsgesetzgeber noch das Kameralkollegium dieses Problem in den Griff.

RKG Nr. 59 1567 November 141 [Accusati contumaciae agenda si iis sunt instructi loco excusationum in duplo absque mora exhibento.]2 [Contumaciae accusati agenda, si iis sint instructi, loco excusationum in duplo absque mora et dolo exhibento.]3 [Ex officio procuratores agere parati statim ad incusatam contumatiam agenda loco excusationis pro vitandis supervacuis recessibus duplicata exhibeant, et adversario copiam concedant, omni malitia exclusa, sub poena arbitraria.]4 Letztlich5 belangend die Umfrag Contumaciarum ist von Ambtswegen der Gemeine6 Bescheid, daß die Procuratores, so mit Handlung gefast, dieselbe auff beschehen Contumaciren also bald an statt der Entschuldigung und Erbiethen, vergeblichen7 Recessen8 vorzukommen, doppelt eingeben und dem Gegentheil Copey davon folgen lassen, auch hierinn keine Gefährlichkeit bey Straff nach Ermässigung brauchen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 291-292 Nr. CLXIV. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 30 (chronologisch falsch zwischen 1568 und 1571 notiert); BA Slg. 1600 Bl. 41; Seiler 1572, S. 678 (auch im Register am Ende von Buchstabe G); Seyler/Barth IV 1604, S. 525 G; Cisner 1605, S. 391-392; GB 1661, S. 12; GB 1665, S. 10; Blum 1667, S. 540; GB 1671, S. 10; GB 1678, S. 10; GB 1686, S. 10; GB 1688, S. 9; GB 1695, S. 22; GB 1696, S. 22; GB 1707, S. 22; GB 1710, S. 25-26 Nr. LVIII; GB 1714, S. 17-18 Nr. LX; CJC 1717, S. 17-18 Nr. LX; GB 1717, S. 17-18 Nr. LX; GB 1724, S. 25-26 Nr. LVIII.

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Anderes Datum in GB 1714; CJC 1717: 1567 November 15; dagegen GB 1717: 14. Novembris. Accusati ... exhibento in GB 1661; Blum 1667. Contumaciae … exhibento in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Ex … arbitraria in Seyler/Barth IV 1604. Fehlt in Cisner 1605. Statt der Gemeine in Cisner 1605 gemeiner. GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 vergebenen; BA Slg. 1600; Seyler/Barth IV 1604 vergeben; Cisner 1605 vergebnem. Seyler/Barth IV 1604; Cisner 1605 Receß.

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RKG Nr. 60 1568 Februar 23

Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die Ordnung in Kontumazialsachen, ein bereits mehrfach angesprochenes Regelungsproblem (Gemeine Bescheide vom 23. Dezember 1551, 30. August 1558 und 16. März 1560; oben RKG Nr. 45, 52-53). Neben den Exkusationen, die schon in früheren Gemeinen Bescheiden behandelt waren, konnten die Prokuratoren in diesem Audienzabschnitt auch eigene Handlungen vornehmen bzw. vorlegen, die sie oder ihr Schriftsatzverfasser bereits schriftlich konzipiert hatten. In diesem Fall sollten mündliche Rezesse und Entschuldigungen überflüssig sein. Der Prokurator, der angeblich etwas unterlassen hatte, brauchte lediglich die vorbereiteten Dokumente zu überreichen. Diese Schriftstücke waren doppelt zu übergeben, damit sich auch der Gegner ohne weiteren Aufwand sofort unterrichten konnte. Auch zur Einreichung von Kopien gab es bereits einen Gemeinen Bescheid (vom 31. August 1537; oben RKG Nr. 31). Er bezog sich aber nicht ausdrücklich auf den Kontumazialabschnitt. Das Gericht erließ also abermals lieber einen neuen Bescheid und begnügte sich nicht damit, eine bereits ergangene ältere Regelung lediglich auszuweiten oder zu wiederholen.

RKG Nr. 60 1568 Februar 23 [Tempore iustitii fatalia non1 currunto.]2 Dominus Iudex zeigt an, [daß]3 demnach die Audientz aus ehehafften Ursachen Ihro Gnaden eingestellt; soll solche4 Einstellung der Audientzien vom5 9.ten biß auff den 23.sten hujus6 denen Partheyen von wegen der Fatalien nicht nachtheilig seyn7. Vorlage: CJC 1724, S. 292 Nr. CLXV. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 30; BA Slg. 1600 Bl. 41; Cisner 1605, S. 345; GB 1661, S. 12; GB 1665, S. 10; Blum 1667, S. 540; GB 1671, S. 10; GB 1678, S. 10; GB 1686, S. 10; GB 1688, S. 10; GB 1695, S. 22; GB 1696, S. 22; GB 1707, S. 22; 1 2 3 4 5 6 7

GB 1661; Blum 1667 ne. Tempore … currunto in GB 1661; Blum 1667 (jeweils mit Abweichung); GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717. Statt Dominus … solche in Cisner 1605 Daß die. Cisner 1605; GB 1678; GB 1695; GB 1696 von dem. Cisner 1605 Februarii. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724: nicht nachtheilig seyn, von wegen der fatalien; Cisner 1605 von wegen der fatalien den Partheyen nit nachtheilig sein sollen.

RKG Nr. 61 1568 November 3

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GB 1710, S. 26 Nr. LIX; GB 1714, S. 18 Nr. LXI; CJC 1717, S. 18 Nr. LXI; GB 1717, S. 18 Nr. LXI; GB 1724, S. 26 Nr. LIX; fehlt in Seiler 1572, dafür S. 690 der Hinweis: „Nota a die 9. usque huc nempe 23. fuit iusticium propter absentiam domini iudicis et praesidentium.“ Anmerkung: Für zwei Wochen unterbrach das Kammergericht auf Anordnung des Kammerrichters seinen Audienzbetrieb. Wie bereits bei der Pestepidemie von 1554 (Gemeiner Bescheid vom 19. Februar 1554; oben RKG Nr. 47) ordnete ein Gemeiner Bescheid erneut die Hemmung des Fristablaufs an (dort auch allgemein zur Sache). Wie damals erging der Gemeine Bescheid rückwirkend, hier gleich in der ersten Audienz, nachdem der Geschäftsbetrieb wieder neu begann. Erneut kam das Kameralkollegium den Parteien und ihren Prokuratoren entgegen. Äußere Einflüsse sollten es ihnen nicht erschweren, die teilweise strengen gemeinrechtlichen Fatalien einzuhalten.

RKG Nr. 61 1568 November 3 [Procuratores in audientiis hora [[praestituta]]1 debita2 comparento et cum plena instructione substituunto.]3 Letzlich ist der Gemeine Bescheid, daß die Procuratores in Fiscalischen und anderen Audientzien4 fleissiger5 in Hora erscheinen und cum plena Instructione substituiren sollen sub poena arbitraria. Vorlage: CJC 1724, S. 297 Nr. CLXXI. Weitere Ausgaben: GB 1710, S. 26 Nr. LX; GB 1714, S. 18 Nr. LXII; CJC 1717, S. 18 Nr. LXII; GB 1717, S. 18 Nr. LXII; GB 1724, S. 26 Nr. LX; fehlt in Seiler 1572; GB 1661; Blum 1667, S. 541; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Anmerkung: Es handelt sich um die wiederholte Einschärfung zweier Punkte. Das vollständige Erscheinen der Prokuratoren in der Audienz war auch Gegenstand der Gemeinen Bescheide vom 28. November 1550 (oben RKG Nr. 44). Jetzt verlangte der Gemeine Bescheid von den Prokuratoren nicht nur Vollzähligkeit, sondern auch pünktliches Erscheinen. Ein besonderes Problem scheint es hierbei in der Praxis immer mit fiskalischen Audienzen gegeben zu haben. Jedenfalls 1 2 3 4 5

Blum 1667. Blum 1667 diligenter. Procuratores … substituunto in Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Anderer Satzbau in Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 in Fiscalischen Audientzien und andern. GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 fleißig.

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RKG Nr. 62 1570 (nicht weiter datiert)

taucht der Hinweis mehrfach innerhalb der Gemeinen Bescheide auf. Die zweite Anordnung war zwar nur ein nachgeschobener Halbsatz, aber doch eine eigenständige Regelung. Die Substituten, also die Sitzungsvertreter, sollten bei ihren Auftritten ordnungsgemäß instruiert sein. Das hatte das Kameralkollegium schon im Gemeinen Bescheid vom 20. Februar 1566 vorgegeben (oben RKG Nr. 58). Wenn es erforderlich war, gleich nach zweieinhalb Jahren die ohnehin häufig erhobene Forderung abermals zu wiederholen, deutet dies auf eine abweichende Praxis hin. Der Hintergrund ist leicht verständlich: Wenn ohnehin Advokaten und nicht die Kammergerichtsprokuratoren die Schriftsätze konzipierten, war der Ansporn für einen Substituten, sich in einen Rechtsstreit einzuarbeiten, denkbar gering. Die Gefahr, als schlecht vorbereitet ertappt zu werden, hielt sich ebenfalls in Grenzen, wenn es nur darum ging, vorbereitete Schriftsätze an der richtigen Stelle der Audienz zu übergeben. Gerade wenn Rechtsgespräche in den Audienzen gar nicht stattfinden sollten, benötigten die Anwälte keine vollständige Kenntnis von ihren Fällen. Deswegen scheinen so viele Prokuratoren die Sitzungsvertretung übernommen zu haben, ohne in den Sach- und Streitstand überhaupt näher eingearbeitet zu sein. Das Kameralkollegium missbilligte diese Handhabung, konnte sie aber nicht ändern.

RKG Nr. 62 1570 (nicht weiter datiert) Gemeiner Bescheid von Jahr 1570. Ist von Ambts wegen der Gemeine Bescheid, daß die Procuratores in ihren Recessen und Handlungen die ordinarias und extraordinarias auch die Umfragen, nicht confundiren, sondern in denen sich der Ordnung nach verhalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 299 Nr. CLXXIV. Weitere Ausgaben: nicht bekannt; fehlt in GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1717. Anmerkung: Es handelt sich um eine bloße Wiederholung. Letztmalige Einschärfungen erfolgten am 16. März 1560 (oben RKG Nr. 53) und 20. Februar 1566 (oben RKG Nr. 58). Vielleicht fehlt der Bescheid deswegen in den meisten gedruckten Sammlungen. Das Regelungsproblem hatte sich aber augenscheinlich nicht gelöst. Das Umfragesystem in den Audienzen blieb schwerfällig und vielleicht für einige Prokuratoren auch kaum zu durchschauen. Vielleicht kamen die Verstöße auch von den zahlreichen Substituten, die nicht genau wussten, in welchen Abschnitten sie handeln sollten. Die Überlieferung des Gemeinen Bescheides weist eine Besonderheit auf. Der sonst so zuverlässige Georg Melchior von Ludolff beschränkte sich bei seiner Wiedergabe auf eine bloße

RKG Nr. 63 1571 Juni 1

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Jahreszahl und kannte das genaue Datum, wann der Bescheid ergangen war, offenkundig nicht. Das ist ungewöhnlich und deutet auf eine wenig zuverlässige Textgestalt hin.

RKG Nr. 63 1571 Juni 11 [Recessum Imperii etc. ad primum post ferias ad effectum productum iri. Ad petitionem procuratorum quorundam, omnes in suis quisque causis in praefixis agere admittuntur.]2 [Recessus Imperii de anno 1570 quoad iudicialem processum post ferias [[caniculares]]3 observari incipito. Procuratores ad factam petitionem in praefixis agunto.]4 [Recessus Imperii de anno 1570 pro primam post ferias caniculares observator et procuratores in praefixis ad finem usque agunto.]5 Zu folg jüngstem allhie publicirtem Reichsabschied seynd der Herr Cammerrichter und Beysitzer die darinn neu verfaste Anordnung deß gerichtlichen Proceß halben ad primam post Ferias ins Werck zu richten entschlossen6. Dann ferners auff etliche [der]7 Procuratorn nächst beschehen suppliciren und soviel darinn die8 angezogene Handlung in praefixis anlangt, ist denselbigen biß zum End, wie auch andern Procuratorn, vor ihnen außzuhandlen zugelassen. Vorlage: CJC 1724, S. 313 Nr. CLXXXI. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 30; BA Slg. 1600 Bl. 41-41RS; Seyler/Barth IV 1604, S. 932 F; Cisner 1605, S. 378; GB 1661, S. 12; GB 1665, S. 11; Blum 1667, S. 541; GB 1671, S. 11; GB 1678, S. 11; GB 1686, S. 11; GB 1688, S. 10; GB 1695, S. 22-23; GB 1696, S. 22-23; GB 1707, S. 22-23; GB 1710, S. 26-27 Nr. LXI; GB 1714, S. 18 Nr. LXIII; CJC 1717, S. 18 Nr. LXIII; GB 1717, S. 18 Nr. LXIII; GB 1724, S. 26-27 Nr. LXI.

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Anderes Datum bei GB 1714; CJC 1717: 1571 Juni 06. Recessum … admittuntur in Seyler/Barth IV 1604. Blum 1667. Recessus ... agunto in GB 1661; Blum 1667. Recessus … agunto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Zu folg … entschlossen fehlt in Cisner 1605, danach gekürzt Dann ferner usw. darinn der Procuratorn in praefixis biß zum ende auß zuhandlen und zugelassen wirdt. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Seiler/Barth IV 1604; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Seiler/Barth IV 1604; GB 1665; Blum 1667; GB 1678 die darinn.

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RKG Nr. 63 1571 Juni 1

Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ist die erste Normsetzung des Reichskammergerichts nach dem wichtigen Reichsabschied von 1570. Offenbar hielt das Kameralkollegium es für erforderlich, die umfassenden Regelungen von 1570 ausdrücklich zur Rechtsgrundlage des Kameralprozesses zu erheben. Jedenfalls legten die Assessoren nicht einfach die neuen Vorschriften ihren Entscheidungen zugrunde, sondern kündigten dies für die Zukunft an, nämlich für den ersten Gerichtstag nach den bevorstehenden Ferien. Ob das Kameralkollegium das allgemeine Reichsrecht ohne spezielle Transformation für nicht verbindlich ansah, ist unklar, aber eher unwahrscheinlich. Zur Reichskammergerichtsordnung von 1555 fehlt jedenfalls diese ausdrückliche Übernahme. Aber die Ankündigung schuf für die Prokuratoren Rechtssicherheit. Sie wussten, ab wann sie sich an die geänderten Spielregeln zu halten hatten. Dann ging es im Gemeinen Bescheid abermals um die komplizierte Umfrageordnung in den Audienzen. Die Umfrage in praefixis war für Handlungen vorgesehen, für die das Gericht bereits Termine festgesetzt hatte. Die Einzelheiten bleiben hier unklar. Vermutlich hatten mehrere Prokuratoren gemeinsam eine Abschwächung der strengen Regeln erbeten. Die im Bescheid erwähnte Supplikation erscheint jedenfalls wie eine gemeinschaftliche Bitte um eine mildere Handhabung der Umfragen. Tatsächlich kam das Gericht den Antragstellern entgegen. Die Handlungen durfte man fortan bis zum Ende vornehmen. Auf welches Ende diese Aufweichung sich bezog, sagte der Gemeine Bescheid nicht. Vielleicht zeigen sich hier erste Erfolge der Anwaltschaft, das starre Umfragesystem zu durchlöchern. Wenn das Ende der Audienz gemeint war, wäre damit die Praefixa-Umfrage erheblich länger geworden und mit den Kontumazialsachen verschmolzen. Im Ergebnis dürfte es im Rückblick unmöglich sein, den fein austarierten Ablauf der Audienz in seiner praktischen Handhabung wirklich zu durchschauen (zur Theorie Bettina Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 10), Köln, Wien 1981, S. 8485). In der Formulierung des Gemeinen Bescheids vom 1. Juni 1571 konnten die Prokuratoren das leichte Entgegenkommen des Kameralkollegiums als Erfolg für sich verbuchen.

RKG (ohne Nr.) 1571 Juni 8 siehe 1572 Juni 15.

RKG Nr. 64 1571 Juni 12

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RKG Nr. 64 1571 Juni 12 [Observata distinctione causarum simplicis querelae et appellationum in ordinariis et extraordinariis alternis diebus agitor.]1 [Distinctis causis simplicis querelae et appellationis agitor in ordinariis et extraordinariis alternis diebus.]2 Herr Cammerrichter und Beysitzer haben befohlen, daß heutige Audientz in allen Umfragen in Extraordinariis Appellationum und was denselben anhängig allein gehandelt werden soll, item die Mercurii in causis Simplicis Querelae Ordinariis, so dann den nächstfolgenden Gerichtstag in causis Appellationum Ordinariis und so fort an alternis diebus, biß auff weiteren Bescheid, darnach wisse sich ein jeder zu verhalten. Decretum et publicatum per Dominum a Fronhofen3. Vorlage: CJC 1724, S. 313 Nr. CLXXXII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 12; GB 1665, S. 11; Blum 1667, S. 541; GB 1671, S. 11; GB 1678, S. 11; GB 1686, S. 11; GB 1688, S. 10; GB 1695, S. 23; GB 1696, S. 23; GB 1707, S. 23; GB 1710, S. 27 Nr. LXII; GB 1714, S. 18 Nr. LXIV; CJC 1717, S. 18 Nr. LXIV; GB 1717, S. 18 Nr. LXIV; GB 1724, S. 27 Nr. LXII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid zeigt zunächst eine formale Neuerung. Erstmals ist er nämlich unterschrieben, hier offenbar vom stellvertretenden Kammerrichter Georg Deserus Freiherrn zu Fronhofen (nachgewiesen in: Beyträge zur Beförderung der Ordinari-Visitation bey dem Kaiserlichen und Reichs-Kammergericht 17 (1792), S. 49, 51). Das spricht für ein nun zunehmend standardisiertes Verkündungs- und Erlassverfahren. Der Sache nach dreht sich wie so oft der Gemeine Bescheid um den inneren Ablauf der Audienzen. Das Umfragesystem mit seinen verschiedenen Abschnitten war augenscheinlich nicht nur umständlich, sondern auch extrem zeitaufwendig. Bekanntlich nahm der Geschäftsanfall des Reichskammergerichts in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts deutlich zu. Der Gemeine Bescheid zog hieraus die Konsequenzen und spaltete die verschiedenen Umfrageordnungen auf einzelne Wochentage auf. Damit gab es „bis auf weiteren Bescheid“ gar keine vollständigen Audienzen mit sämtlichen Umfragen mehr, sondern nur noch Audienzabschnitte, die sich ausschließlich den einzelnen Umfrageordnungen widmeten. Es fällt freilich ins Auge, wie lückenhaft die Auflistung ausfiel. Lediglich Appellationsprozesse in Extraordinarsachen, simple Querelen und Appellationsverfahren als Ordinarsachen waren genannt. Die simple Querel war ein erstinstanzlicher Rechtsstreit, umfasste aber beispielsweise keine Mandatssachen. Damit hatte der Gemeine Bescheid vom 12. Juni 1571 mindestens die Hälfte der gesetzlich 1 2 3

Observata ... agitor in GB 1661; Blum 1667. Distinctis … diebus in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Decretum ... Fronhofen fehlt in Blum 1667; anders GB 1707 Fronnofen.

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RKG Nr. 65 1571 Juni 12

vorgesehenen Umfragen übergangen. Was mit ihnen geschehen sollte, etwa mit den Kontumazialsachen, blieb offen. Überdies kann man bemerken, wie sich Verfahrensarten, nämlich Appellationen und Querelen, mit Umfrageordnungen zu vermischen begannen. Die unmittelbar folgenden sechs weiteren Bescheide sprechen für überaus große Verwirrungen in dieser Phase des Reichskammergerichts (Gemeine Bescheide vom 12. Juni 1571, 15. Juni 1571, 27. November 1571, 18. Januar 1572, 8. Mai 1573, 22. Juni 1573; unten RKG Nr. 65-70). Die hektischen Änderungen hin und zurück schufen lediglich in einem einzigen Punkt Klarheit: Der überaus komplizierte Audienzbetrieb war schlechthin nicht reformierbar. Jedenfalls das Reichskammergericht mit seinen punktuellen Gemeinen Bescheiden war damit hoffnungslos überfordert. Schon der folgende Bescheid vom selben Tag zeigt das überdeutlich.

RKG Nr. 65 1571 Juni 121 [Procuratores decreto proximo in recessibus pareant modestiaeque in gestibus etiam studeant, ne poenis opus sit.]2 [Procuratores proximo decreto in recessibus parento modestiaeque in gestibus operam navanto.]3 [Procuratores decreto proximo parento et modestis gestibus studento.]4 Ferner ist der Gemeine Bescheid5, daß die Procuratores in allen Umfragen dem jüngst allhie [zu Speier]6 publicirten Bescheid7 in Haltung8 der Recessen gehorsamlich nachsetzen9 und sich gebührlicher Bescheidenheit und Gebärden vor Gericht verhalten sollen10, damit man nicht mit allem Ernst die Straff gegen sie11 vorzunehmen verursacht werde12. Vorlage: CJC 1724, S. 313 Nr. CLXXXIII. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Anderes Datum bei Cisner 1605 12. Augusti Anno 71. Procuratores … sit in Seyler/Barth IV 1604. Procuratores ... navanto in GB 1661; Blum 1667. Procuratores ... studento in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Ferner … Bescheid fehlt in Cisner 1605. Zu Speier in BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Cisner 1605. BA Slg. 1600; Cisner 1605 Abschied; GB 1671; GB 1695; GB 1696 Bescheide. BA Slg. 1600 Seiler/Barth IV 1604 Haltungen. Statt nachsetzen … verursacht werde in Cisner 1605 lediglich nachsetzen sollen. Fehlt in BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Seiler/Barth IV 1604. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Seiler/Barth IV 1604; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 ihnen. Seiler/Barth IV 1604 würde.

RKG Nr. 66 1571 Juni 15

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Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 30; BA Slg. 1600 Bl. 41RS; Seyler/Barth IV 1604, S. 933 H; Cisner 1605, S. 372; GB 1661, S. 13; GB 1665, S. 11; Blum 1667, S. 541-542; GB 1671, S. 11; GB 1678, S. 11; GB 1686, S. 11; GB 1688, S. 10; GB 1695, S. 23; GB 1696, S. 23; GB 1707, S. 23; GB 1710, S. 27 Nr. LXIII; GB 1714, S. 18 Nr. LXV; CJC 1717, S. 18 Nr. LXV; GB 1717, S. 18 Nr. LXV; GB 1724, S. 27 Nr. LXIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bildet mit dem am selben Tag ergangenen zuvor edierten Bescheid (oben RKG Nr. 64) eine Einheit. Der erste Bescheid bezog sich auf bestimmte Prozessarten (Appellationen und simple Querelen), der zweite auf die Umfrageordnung innerhalb der Audienzen. Er mahnte zudem anständiges Betragen der Prokuratoren an. Offenbar gab es immer wieder Disziplinschwierigkeiten. Der vom Reichskammergericht unternommene Spagat, das Umfragewesen beizubehalten, bestimmte Verfahrensarten aber gesonderten Wochentagen zuzuweisen, erwies sich als kaum praktikabel. Schon drei Tage später gab es erste Änderungen (Gemeiner Bescheid vom 15. Juni 1571, sogleich unten RKG Nr. 66). Deswegen mutet es besonders kurios an, wenn das Kammergericht den Prokuratoren so nachdringlich einschärfte, die doppelte Reform vom 12. Juni auch tatsächlich umzusetzen. Nicht einmal die vorausgeplante erste Woche lief störungsfrei ab.

RKG Nr. 66 1571 Juni 15 [Per biduum in ordinariis per unum vero diem in extraordinariis agitor.]1 Die Procuratores sollen abermahl zween Tag in Ordinariis und einen Tag in Extraordinariis in einer jeden Umfrag handlen, als nemlich Lunae et2 Martis in Extraordinariis Simplicis Querelae, Mercurii in Ordinariis3 Simplicis Querelae, Jovis et4 Veneris in Extraordinariis Appellationum et sic deinceps, computando dies utiles. [In consilio 8. Junii Anno5 1571.]6 Vorlage: CJC 1724, S. 313 Nr. CLXXXIV

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Per ... agitor in GB 1661; Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in GB 1678; GB 1695; GB 1696. GB 1665 ordinaris. Fehlt in GB 1678; GB 1696. Fehlt in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. In ... 1571 in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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RKG Nr. 67 1571 November 27

Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 13; GB 1665, S. 11; Blum 1667, S. 542; GB 1671, S. 11; GB 1678, S. 11; GB 1686, S. 11; GB 1688, S. 10; GB 1695, S. 23; GB 1696, S. 23; GB 1707, S. 23; GB 1710, S. 27 Nr. LXIV; GB 1714, S. 19 Nr. LXVI; CJC 1717, S. 19 Nr. LXVI; GB 1717, S. 19 Nr. LXVI; GB 1724, S. 27 Nr. LXIV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bildet mit den Bescheiden zwischen dem 12. Juni 1571 und dem 22. Juni 1573 eine Einheit (oben RKG Nr. 64, unten RKG Nr. 70). Die nur drei Tage zuvor verkündete Vermischung von Prozessarten und Audienzabschnitten erwies sich sofort als nur wenig sinnvoll. Rechtshistorisch wäre es möglich, die einzelnen Wochentage, Audienzabschnitte und Verfahrensarten aufzufächern und jeweils zuzuordnen. Selbst für die extraordinaren simplen Queleren, die man drei Tage zuvor offenbar vergessen hatte, war nun ausreichend Raum vorgesehen. Schon der moderne Versuch zur systematischen Zuordnung und Aufteilung der Woche wäre aber nicht zeitgerecht. Das Reichskammergericht hatte sich gerade in dieser Phase in eine quasigesetzgeberische Hektik gebracht und konnte offenbar nur durch ad hoc-Bestimmungen schlimmste Verzerrungen abwenden. Eine planmäßige Reform des Audienzwesens ist nicht erkennbar. Ob und inwieweit sich jemand an die ständig geänderten Audienzordnungen hielt, bleibt unklar.

RKG (ohne Nr.) 1571 August 12 siehe 1571 Juni 12

RKG Nr. 67 1571 November 27 [Hoc decretum varias alternationes causarum ordinarium atque extraordinarium praescribit.]1 [Alternationum causarum ordinariarum et extraordinarium modus.]2 Es sollen hinführo die Procuratores drey Tag nach einander in extraordinariis, und zween Tag in ordinariis causarum appellationum, und darauff einen Tag in Extraordinariis causarum Simplicium Querelarum, [folgends widerumb drey Tag in Extra-

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Hoc ... praescribit in GB 1661; Blum 1667. Alternationum … Modus in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

RKG Nr. 68 1572 Januar 18

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ordinariis,]1 und zween Tag in Ordinariis Causarum Appellationum, dann auff einen Tag causarum simplicium Querelarum in ordinariis et sic deinceps, biß die Ordnung in praefixis causarum appellationum herum kommen, handlen. Vorlage: CJC 1724, S. 313 Nr. CLXXXV. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 13; GB 1665, S. 11; Blum 1667, S. 542; GB 1671, S. 11; GB 1678, S. 11; GB 1686, S. 11; GB 1688, S. 10; GB 1695, S. 23-24; GB 1696, S. 2324; GB 1707, S. 23-24; GB 1710, S. 28 Nr. LXV; GB 1714, S. 19 Nr. LXVII; CJC 1717, S. 19 Nr. LXVII; GB 1717, S. 19 Nr. LXVII; GB 1724, S. 28 Nr. LXV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid gehört zur Gruppe der zwischen dem 12. Juni 1571 und 22. Juni 1573 erlassenen Reformversuche, die den Ablauf der Audienzen mit den kammergerichtlichen Verfahrensarten verzahnen sollten (RKG Nr. 64-70). Selbst die zeitgenössischen Ausgaben der Gemeinen Bescheide hatten Schwierigkeiten damit, die Regelungen überhaupt zu verstehen. Es passt ins verschwommene Bild, wenn in diesem Fall die Anordnungen der einzelnen Tage und Abschnitte schon grundverschieden überliefert ist. Das Audienzwesen mitsamt seinem Umfragesystem war an einem toten Punkt angekommen, und nichts belegt das eindrücklicher als die ganz unterschiedlichen Verfügungen, die spätere Editionen diesem Bescheid angedichtet haben. Das Kameralkollegium war augenscheinlich nicht in der Lage, den laufenden Geschäftsanfall einer Arbeitswoche auf mehrere Audienzen zweckmäßig zu verteilen.

RKG Nr. 68 1572 Januar 18 [Audientias quotidian[as] sine discrimine causarum simplicis querelae et appellationum in ordinariis et extraodrinariis dehinc observandas.]2 [Audientiae sine discrimine causarum simplicis querelae et appellationum [[in ordinariis et extraordinariis]]3 celebrantor.]4 Letztlich ist der Gemeine Bescheid, daß die tägliche Audientzien ohne Unterscheid der Sachen Simplicis Querelae und Appellationum hinführo in ordinariis und extraordinariis gehalten werden sollen5, und solches zu nechstfolgendem Gerichtstag anzugehen. 1 2 3 4 5

Folgends … Extraordinariis in GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717. Audientias … observandas in Seyler/Barth IV 1604. In ... extraordinariis in GB 1661; Blum 1667. Audientiae ... celebrantor in GB 1661; Blum 1667 (jeweils mit der Abwiechung); GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Sollen … werden in BA Slg. 1600; Seiler/Barth IV 1604.

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RKG Nr. 69 1573 Mai 8

Vorlage: CJC 1724, S. 313 Nr. CLXXXVI. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 30; BA Slg. 1600 Bl. 41RS; Seyler/Barth Bd. IV 1604, S. 1002 E; GB 1661, S. 13; GB 1665, S. 11; Blum 1667, S. 542; GB 1671, S. 11; GB 1678, S. 11; GB 1686, S. 11; GB 1688, S. 10; GB 1695; S. 24; GB 1696, S. 24; GB 1707, S. 24; GB 1710, S. 28 Nr. LXVI; GB 1714, S. 19 Nr. LXVIII; CJC 1717, S. 19 Nr. LXVIII; GB 1717, S. 19 Nr. LXVIII; GB 1724, S. 28 Nr. LXVI. Anmerkung: Der Bescheid gehört wie die benachbarten zu den verzweifelten Reformversuchen des Kameralkollegiums, die Audienzordnung in den Griff zu bekommen (zwischen dem 12. Juni 1571 und dem 22. Juni 1573, RKG Nr. 64-70). Nach einem Jahr hektischer punktueller Kasuistik versuchte das Reichskammergericht nunmehr, die zuvor starr gezogenen Grenzen zwischen den Audienzabschnitten und Verfahrensarten etwas aufzulockern. Die Audienzen waren fortan wieder tägliche Angelegenheiten. Die zuvor unterschiedlich beschlossenen festen Wochentage für spezielle Angelegenheiten fielen künftig offenbar weg. Auch der Unterschied zwischen den erstinstanzlichen simplen Querelen und den zweitinstanzlichen Appellationen sollte innerhalb der Audienzen keine Rolle mehr spielen. Lediglich die Unterscheidung extraordinarer und ordinarer Sachen behielt das Gericht bei und schärfte sie ein, beginnend mit dem nächsten Audienztag. Ausdrückliche Änderungen des Umfragewesens nahm der Gemeine Bescheid vom 18. Januar 1572 nicht vor. Vielleicht beabsichtigte das Gericht, die Umfragen beizubehalten und die Binnendifferenzierung nach Verfahrensarten weitgehend aufzugeben. Das lässt sich angesichts der ständig geänderten Vorgaben aber kaum sicher sagen.

RKG Nr. 69 1573 Mai 8 [Ad conclusiones et alias verbaliter acta sine discrimine causararum ordinariarum et extraordinariarum implorare licere et submissiones eo nomine sub poena arbitraria vitand[ae].]1 [Ad verbales conclusiones et alias verbaliter acta sine discrimine causarum ordinarium ac extraordinarium implorare liceto.]2 [Ad conclusiones verbales et taliter acta similiter impolorator et submittitor.]3 Ferner ist der1 Gemeine Bescheid2: daß auff mündliche3 Beschlüß4 und5 Handlung ohne Unterschied ordinariarum und6 extraordinariarum causarum angeruffen wer1 2 3

Ad … vitand[ae] in Seyler/Barth Bd. IV 1604. Ad ... liceto in GB 1661; Blum 1667. Ad … submittitor in GB 1710; CJC 1717; GB 1724; fehlt in GB 1678; GB 1688.

RKG Nr. 69 1573 Mai 8

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den möge und hinführo7 bey Straff nach Ermessigung keine Submissiones derwegen beschehen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 318 Nr. CXCII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 30; BA Slg. 1600 Bl. 41RS-42; Seyler/Barth Bd. IV 1604, S. 1194 C; Cisner 1605, S. 432; GB 1661, S. 13; GB 1665, S. 11; Blum 1667, S. 542-543; GB 1671, S. 11; GB 1678, S. 11; GB 1686, S. 11; GB 1688, S. 10; GB 1695, S. 24; GB 1696, S. 24; GB 1707, S. 24; GB 1710, S. 28 Nr. LXVII; GB 1714, S. 19 Nr. LXIX; CJC 1717, S. 19 Nr. LXIX; GB 1717, S. 19 Nr. LXIX; GB 1724, S. 28 Nr. LXVII. Anmerkung: Der Bescheid gehört zur Gruppe der zwischen dem 12. Juni 1571 und dem 22. Juni 1573 unternommenen Versuche, die Ordnung innerhalb der Audienz zu verbessern (RKG Nr. 64-70). Immerhin war es dem Kameralkollegium in dieser Phase gelungen, das Kameralrecht seit dem letzten Gemeinen Bescheid vom 18. Januar 1572 wenigstens für ein Jahr stabil zu halten. Offenbar unternahm das Gericht mit dem Bescheid vom 8. Mai 1573 einen weiteren Vereinfachungsversuch. Es ging um bestimmte mündliche Erklärungen, nämlich um sog. Beschlüsse, aber auch um andere Prozesshandlungen. Beschluss bezeichnete dabei eine Erklärung der Prozesspartei, mit der sie die Entscheidungsreife bestätigte. Weiterer Streit in der Sache war dann entbehrlich. Diese Erklärungen konnten die Prokuratoren in Zukunft unabhängig davon abgeben, ob es sich um Ordinar- oder Extraordinarsachen handelte. Zugleich war es verboten, deswegen gesondert zu submittieren. Offenbar bezweckte das Kameralkollegium damit, die Prozesse zu beschleunigen. Die mündlichen Konklusionen waren ohne weiteres wirksam und benötigten keine förmliche Einkleidung durch eine Submission, also eine gesonderte Vorlage, möglicherweise gar mit der Bitte um Annahme. Damit sollte der Rechtsstreit schneller ins Entscheidungsstadium gelangen.

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BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688 dieser. Ferner … Bescheid fehlt in Cisner 1605. Cisner 1605 mündtlichen. BA Slg. 1600; Seyler/Barth Bd. IV 1604 Beschluß. BA Slg. 1585 umb aus und korrigiert; BA Slg. 1600; Cisner 1605 umb. BA Slg. 1585 et. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Seiler/Barth Bd. IV 1604; Cisner 1605 hinfürter.

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RKG Nr. 70 1573 Juni 22

RKG Nr. 70 1573 Juni 221 [Terminus ordinationis deinceps in extraordinariis decima, in ordinariis vigesima audientia, excepto si eadem vel ad proximam agendum.]2 [Terminus ordinationis in extraordinariis 10., in3 ordinariis 20. audientia esto.]4 [Terminus ordinationis quota sit audientia.]5 Letztlich ist der Gemeine Bescheid6, daß hinführo Zeit der Ordnung in Extraordinariis die zehende und in7 Ordinariis die zwantzigste Audientz, doch ausgenommen, da man in eadem Audientia oder ad proximam zu handlen schuldig seyn soll. Vorlage: CJC 1724, S. 321 Nr. CXCVI. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 30RS; BA Slg. 1600 Bl. 42; Seyler/Barth Bd. IV 1604, S. 1206 H; Cisner 1605, S. 394-395 und S. 411; GB 1661, S. 13; GB 1665, S. 11; Blum 1667, S. 543; GB 1671, S. 11; GB 1678, S. 11; GB 1686, S. 11; GB 1688, S. 10; GB 1695, S. 24; GB 1696, S. 24; GB 1707, S. 24; GB 1710, S. 28 Nr. LXVIII; GB 1714, S. 19 Nr. LXX; CJC 1717, S. 19 Nr. LXX; GB 1717, S. 19 Nr. LXX; GB 1724, S. 28 Nr. LXVIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid zählt als letzter zur Reihe der seit dem 12. Juni 1571 unternommenen Versuche, das Audienzsystem zu verbessern (oben RKG Nr. 64-70). Jetzt ging es nicht mehr um die Abgrenzung von Umfragen und Verfahrensarten, sondern um generalklauselartige Terminsetzungen durch das Gericht. Zahlreiche Zwischenurteile setzten den Prokuratoren eine „Zeit nach der Ordnung“, innerhalb derer sie bestimmte Handlungen vornehmen mussten. Für diese Handlungen gab es dann in späteren Audienzen die Umfrageordnung in praefixis. Die Zeit nach der Ordnung war allerdings reichlich unbestimmt. Der Gemeine Bescheid füllte die unklare Formulierung nun aus. Extraordinarsachen waren danach tatsächlich schleuniger zu behandeln als Ordinarsachen. Im ersten Fall war die zehnte, im zweiten die zwanzigste folgende Audienz die Zeit der Ordnung. Je nachdem, wie viele Audienzen wöchentlich stattfanden, gab es also in jedem Fall einige Wochen Zeit bis zum nächsten Termin in derselben Streitsache. Ausnahmsweise, das stellte der Nachsatz sicher, mochte aber besondere Eile geboten sein. Dann gab das Gericht den Prokuratoren die fragliche Handlung bereits für die laufende oder die folgende Audienz auf. Auf diese Weise ließ sich die Zeit der Ordnung abkürzen. Der Idee nach konnte das Reichskammerge1 2 3 4 5 6 7

Cisner 1605, S. 394 22. Julii Anno u. 73; dagegen Cisner 1605, S. 411 22. Juni u. 73. Terminus … agendum in Seyler/Barth IV 1604. Fehlt in Blum 1667. Terminus ... esto in GB 1661; Blum 1667. Terminus … audientia in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Letztlich … Bescheid fehlt in Cisner 1605, S. 411. Fehlt in BA Slg. 1585; Seyler/Barth IV 1604; Cisner 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1696.

RKG Nr. 71 1574 April 2

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richt die Termine für die einzelnen Handlungen also lediglich verkürzen, nicht jedoch verlängern. Der Wunsch zur zügigen Behandlung der Streitigkeiten zeichnet sich ab. In der Praxis verfuhr das Kameralkollegium mit den verschiedensten Wünschen der Prokuratoren um Fristverlängerungen jedoch außerordentlich großzügig. Blum 1667 bietet in seiner Bescheidsammlung den Hinweis: „Etiam hoc, ut et praecedentia Decreta de 12., 15. Junii, 27. Novembris 1571, 18. Januarii 1572 et 8. Maii 1673 abrogata sunt“. Offenbar hielt sich die Praxis also nicht längerfristig an die gerichtlichen Vorgaben. Die Reformhektik von 1571/73 war damit wirkungslos verpufft.

RKG (ohne Nr.) 1573 Juli 22 siehe 1573 Juni 22

RKG Nr. 71 1574 April 2 [Producta et probatoria diversorum creditorum distincte ad singulorum petitiones summarias et litis contestationes dirigenda et recessibus non necessariis et conclusionibus verbalibus prolixis abstinendum.]1 [Producta ac probatoria diversos creditores concernentia ad singulorum petitiones factasque, l[itis] c[ontestationes] distincte diriguntor: Recessibus non necessariis ac prolixis verbalibus conclusionibus abstinetor.]2 [Producta diversos creditores spectantia distinctim diriguntor et non necessariis recessibus aut longioribus conclusionibus abstinetor.]3 Letztlich ist der Gemeine4 Bescheid, daß hinführo5 die Procuratores bey Straff der Ordnung in dieser Sachen die Einlagen und Probatoria ohne erhebliche Ursachen miteinander, unterschiedliche Creditores betreffend, in gemein nicht eingeben, son-

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Producta … abstinendum in Seyler/Barth V 1605. Producta ... abstinetor in GB 1661; Blum 1667. Producta … abstinetor in GB 1710; GB 1714, CJC 1717; GB 1724. Fehlt in Seyler/Barth V 1605; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seyler/Barth V 1605 hinfürter.

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RKG Nr. 71 1574 April 2

dern ein jedes auff derselben unterschiedliche einkommene Petitiones [und]1 Klagen, auch Contestationes2, so fern die beschehen, insonderheit ziehen und referiren, auch der vergeblich unnöthigen Recess und sonderlich [Doctor Grönberger]3 der langen weitläufftigen mündlichen Beschlüß sich hinführo enthalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 321 Nr. CXCVII. Weitere Ausgaben: Seyler/Barth Bd. V 1605, S. 25-26 I; GB 1661, S. 14; GB 1665, S. 12; Blum 1667, S. 543; GB 1671, S. 12; GB 1678, S. 12; GB 1686, S. 12; GB 1688, S. 10; GB 1695, S. 24-25; GB 1696, S. 24-25; GB 1707, S. 24-25; GB 1710, S. 29 Nr. LXIX; GB 1714, S. 19-20 Nr. LXXI; CJC 1717, S. 19-20 Nr. LXXI; GB 1717, S. 19-20 Nr. LXXI; GB 1724, S. 29 Nr. LXIX. Anmerkung: Nach einigen Jahren Pause erging wieder ein Gemeiner Bescheid, der durch einen gerade laufenden Rechtsstreit veranlasst war. Es handelte sich soweit ersichtlich um eine Geldforderung mit mehreren Gläubigern. Die jeweiligen Rechtsverhältnisse waren wohl prozessual miteinander verbunden, aber doch rechtlich verschieden. Jedenfalls gab es unterschiedliche Klagen, Anträge und Litiskontestationen. Nun standen die beiderseitigen Beweisführungen bevor. Der Gemeine Bescheid mahnte hierfür Klarheit an. Schon in früheren Gemeinen Bescheiden hatte das Gericht darauf bestanden, bei Personenmehrheiten auf Kläger- und Beklagtenseite die Beteiligten genau anzugeben und auf einheitliche und durchgehend gleiche Rubrizierungen zu achten (dazu die Gemeinen Bescheide vom 27. November 1539 §§ 3, 7 und 22. Januar 1556; oben RKG Nr. 38 und 50). Im Beweisverfahren kam es jetzt ebenfalls darauf an, die einzelnen Rechtsverhältnisse nicht zu vermengen. Jedenfalls war immer anzugeben, auf welchen Anspruch sich das einschlägige Beweismittel beziehen sollte. Arbeiteten die Prokuratoren in diesem Punkt genau genug, sparten sie sich gleichzeitig langwierige mündliche Ausführungen und Erläuterungen. Dies war ein Punkt, den die Gemeinen Bescheide wieder und wieder aufgriffen. Vor allem der Prokurator Dr. Johann Grönberger war in dieser Hinsicht unangenehm aufgefallen und musste es über sich ergehen lassen, im Bescheid namentlich bloßgestellt zu werden. Der Formulierung nach griff dieser Gemeine Bescheid an keiner Stelle über den Tenor eines gewöhnlichen Zwischenurteils hinaus. Entsprechend fehlt in mehreren zeitgenössischen Drucken auch der Hinweis, es habe sich um einen Gemeinen und nicht um einen besonderen Bescheid gehandelt. Dennoch ist die Überlieferung eindeutig. Auch diejenigen Sammlungen, die nicht ausdrücklich vom Gemeinen Bescheid sprechen, binden den Wortlaut wie selbstverständlich in die übrigen Gemeinen Bescheide ein.

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GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717. Seyler/Barth Bd. V 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1714; CJC 1717 litis contestationes; dagegen GB 1695 contestationes. Doctor Grönberger in Seyler/Barth Bd. V 1605.

RKG Nr. 72 1574 August 17

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RKG Nr. 72 1574 August 17 [Proclamate decreto et facto post elapsas demum 6. iuridicas in contumaciam procedendum.]1 [Post decretum factumque proclama elapsis 6 iuridicis in contumaciam proceditor.2 [Post proclama factum et sex iuridicas elapsas in contumaciam proceditor.]3 Letztlich ist der Gemeine Bescheid, daß die Procuratores hinführo auff erkannt und beschehenes Ruffen erst nach Verscheinung 6 Gerichtstagen in contumaciam procediren sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 325 Nr. CCIV. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 30RS; BA Slg. 1600 Bl. 42; Seyler/Barth Bd. V 1605, S. 48 H; GB 1661, S. 14; GB 1665, S. 12; Blum 1667, S. 543; GB 1671, S. 12; GB 1678, S. 12; GB 1686, S. 12; GB 1688, S. 11; GB 1695, S. 25; GB 1696, S. 25; GB 1707, S. 25; GB 1710, S. 29 Nr. LXX; GB 1714, S. 20 Nr. LXXII; CJC 1717, S. 20 Nr. LXXII; GB 1717, S. 20 Nr. LXII; GB 1724, S. 29 Nr. LXX. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die Säumnis einer Prozesspartei in der Audienz. Blieb eine geladene Partei aus, üblicherweise der Beklagte im Reproduktionstermin, stand es dem Kläger frei, ein förmliches Rufen gegen ihn zu beantragen. Das war der erste Schritt hin zum Versäumnisverfahren. Ob aber wirklich Säumnis vorlag, stand erst dann fest, wenn die Gegenseite auch auf das Rufen hin immer noch nicht erschien. Hierfür gewährte die Reichskammergerichtsordnung Fristen. Verstrichen sie, sollte das Ungehorsamsverfahren einsetzen. Die Regelungen von 1555 wirken auf den ersten Blick scharf: Blieb der Kläger aus, konnte sich der Beklagte drei Gerichtstage nach dem erfolglos verstrichenen Rufen von der Ladung entbinden lassen (RKGO 1555 3, 42, 1). War der Beklagte erstinstanzlich säumig, durfte ihn der Kläger drei Gerichtstage nach dem Rufen in die Reichsacht legen lassen oder aber den Rechtsstreit in der Hauptsache allein zu Ende führen (RKGO 1555 3, 43, 1). Erschien die ausgebliebene Partei dagegen noch rechtzeitig, also innerhalb von ein oder zwei Gerichtstagen nach dem Rufen, konnte sie in das Verfahren ohne weiteres wieder eintreten, war aber der Gegenseite zum Schadensersatz verpflichtet (RKGO 1555 3, 46, 1). In der Praxis hat es diese gesetzlich vorgesehene Schneidigkeit wohl nie gegeben. Die Reichsacht wegen Ladungsungehorsams oder anderer Säumnisse vor dem Reichskammergericht kann nur in ganz wenigen Ausnahmefällen ergangen sein. Um die eigene Ordnung nicht ständig verletzen zu müssen, verdoppelte der Gemeine Bescheid kurzerhand die in der Kammergerichtsordnung vorgesehenen Fristen. Nicht nach drei, sondern erst nach sechs Gerichtstagen sollte das Kon1 2 3

Proclamate … procedendum in Seyler/Barth Bd. V 1605. Post … proceditor in GB 1661; Blum 1667. Post … proceditor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 73 1577 Juni 3

tumazialverfahren beginnen. Erstaunlicherweise versuchte das Reichskammergericht ganz am Ende des Alten Reiches, das Ruder noch einmal herumzureißen und sich mit strengeren Fristen im Strudel des Untergangs nochmals Autorität zu verschaffen. Der letzte Gemeine Bescheid des Reichskammergerichts, ergangen am 25. Oktober 1805, verringerte die Zahl der „ContumacialGerichtstage“ von sechs auf vier (unten RKG Nr. 334). Damit stellte das Gericht 1805 zugleich stillschweigend die Fortgeltung des Gemeinen Bescheids von 1574 bis zu diesem Zeitpunkt klar. Selbst 1805, mitten im Niedergang des Alten Reiches, sahen die Assessoren ihre Anordnungen aus dem 16. Jahrhundert noch als verbindliches Recht an.

RKG Nr. 73 1577 Juni 3 [Procuratores loco termini ordinationis utuntor praeiudiciali.]1 [Termini ordinationis loco substituitur praeiudicialis; et tam in primo termino quam eius prorogatione tempus iustum pro qualitate circumstantiarum admittendum et accipiendum, iuxta Recessum Imperii sub poena arbitraria.]2 [Generalbescheide, darnach sich die Advocati und Procuratores causarum in processu zu richten]3 Letztlich ist der Gemeine Bescheid, daß an statt deß Termini Ordinationis die Procuratores hinführo biß auff fernere Verordnung sich deß Termini praejudicialis gebrauchen4 und also5 einander sowohl in primo Termino als auch erster desselben gebettener Prorogation eine geraume6 gebührliche Zeit nach Gelegenheit der Sachen, Puncten, Handlung7, Ferne oder Nähe deß Wegs und anderer Umständen zulassen und annehmen, auch sonsten sich hierinn8 dem Visitationsabschied9 de10 Anno 157311 und Reichsabschied vom Jahr -612 gemäß verhalten und derwegen alles 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Procuratores … praeiudiciali in GB 1661; Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Termini … arbitraria in Seyler/Barth IV 1605. Generalbescheide … richten in AHL Slg. Anderer Satzbau in AHL Slg. des Termini praeiudicialis sich gebrauchen. Fehlt in Cisner 1605. AHL Slg. gereumbliche. AHL Slg.; Cisner 1605 Handlungen. Cisner 1605; GB 1696 hierinnen. Cisner 1605 Visitation. Fehlt in Cisner 1605; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696. BA Slg. 1585 Visitation Anno 73; BA Slg. 1600 Visitation Anno Sibenzig drei. Von An. 76 in GB 1661; GB 1665; von Anno 1576 in GB 1714; CJC 1717; von Anno 76 in GB 1678; GB 1695; GB 1696 und GB 1724; Ao 76 in AHL Slg.; de anno 76 in BA Slg. 1585 und Cisner 1605; de Anno Sibenzigsechs in BA Slg. 1600.

RKG Nr. 73 1577 Juni 3

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unnöthigen gefährlichen Submittirens bey Straff nach Ermessigung1 enthalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 358 Nr. CCXXVII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 30RS; BA Slg. 1600 Bl. 42-42RS; AHL Slg. fol. 1r; Seyler/Barth Bd. V 1605, S. 259 F-260, Cisner 1605, S. 395; GB 1661, S. 14; GB 1665, S. 12; Blum 1667, S. 544; GB 1671, S. 12; GB 1678, S. 12; GB 1686, S. 12; GB 1688, S. 11; GB 1695, S. 25; GB 1696, S. 25; GB 1707, S. 25; GB 1710, S. 29 Nr. LXXI; GB 1714, S. 20 Nr. LXXIII; CJC 1717, S. 20 Nr. LXXIII; GB 1717, S. 20 Nr. LXXIII; GB 1724, S. 29 Nr. LXXI. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid steht möglicherweise im Sachzusammenhang mit dem Bescheid vom 22. Juni 1573 (oben RKG Nr. 70). Dort hatte das Gericht die generalklauselartige Zeit der Ordnung näher bestimmt. Das bezog sich freilich auf die durch gerichtliches Zwischenurteil gesetzten Handlungsfristen. Jetzt dagegen ging es offenbar um die Prozesshandlungen der Prokuratoren, die auf vorangegangene Handlungen der Gegenseite fällig waren. Hierbei sollten die Anwälte nicht den ordentlichen, sondern den präjudizierlichen Termin als Maßgabe vor Augen haben. Gedacht war wohl an eine vorsichtige Lockerung fester Termine und an flexiblere und damit im Einzelfall deutlich längere Fristen. Die Frist sollte sich nicht nur nach der Schwierigkeit der Sache, sondern vor allem auch nach der Entfernung der Parteien und ihrer ortsansässigen Advokaten vom Gerichtsort Speyer bemessen. Diese Formulierung griff das Gericht in späteren Gemeinen Bescheiden mehrfach wieder auf (z. B. Gemeiner Bescheid vom 28. Mai 1582; unten RKG Nr. 79). Der zweifache Reiseweg von Speyer bis zum Advokaten, dazu die erforderliche Zeit für Rückfragen beim Mandanten und für die Ausarbeitung des Schriftsatzes, ließen sich mit dem Termin der Ordnung wohl nicht einfangen. Deutlich bekräftigte der Gemeine Bescheid hierbei die Dispositionsmaxime. Die Parteien erbaten voneinander die Prorogation, also gegebenenfalls die Verlängerung, und sie gewährten sie sich auch. Dieses Verfahren knüpfte das Gericht an die in den Jahren zuvor ergangenen Visitationsabschiede und Reichsabschiede an. Insbesondere erklärte es Submissionen aus diesem Grunde für überflüssig. Bereits im Gemeinen Bescheid vom 8. Mai 1573 (oben RKG Nr. 69; ebenso früher am 26. Juni 1528 und 19. Juni 1532; oben RKG Nr. 16 und 19) hatte das Gericht versucht, überflüssige Submissionen zurückzudrängen. Die Submission richtete sich als Antrag an das Gericht. Soweit die Parteien solche Fristsachen aber einvernehmlich lösen konnten, sollten sie dies nach dem Willen des Kameralkollegiums auch tun.

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AHL Slg. bei Straff Ermessigung.

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RKG Nr. 74 1577 Juli 3

RKG Nr. 74 1577 Juli 3 Letztlich ist der Gemein Bescheidt, das die Procuratores hinfüro jederzeit secundum vel tertiam dilationem probandi für Verflissunge der ersten oder andern auß Ursach wie biß daher breuchlich gewesen, pitten, aber nach Außgang derselben glaubhaffte Anzeig genugsam angewenten Fleis fürbringen sollen. Vorlage: AHL Slg. fol. 1r. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 30 RS (aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578); BA Slg. 1600 Bl. 42RS (aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578); Cisner 1605, S. „376“ (recte 396) (aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578); GB 1661, S. 14 („Anno eodem“ = 1577; aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578); Blum 1667, S. 544-545 (aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1577); GB 1671, S. 12 („anno eodem“ = 1577; aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578); GB 1678, S. 12 (aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578, dafür 1578 nicht nachgewiesen); GB 1686, S. 12 (aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578, dafür 1578 nicht nachgewiesen); GB 1688, S. 11 (aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578, dafür 1578 nicht nachgewiesen); GB 1695, S. 25 (aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578, dafür 1578 nicht nachgewiesen); GB 1696, S. 25 (aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578, dafür 1578 nicht nachgewiesen); GB 1707, S. 25 (aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578, dafür 1578 nicht nachgewiesen); GB 1710, S. 30 Nr. LXXII (aber wortgleich mit Gemeinem Bescheid vom 3. Juli 1578); Drucke sind nicht bekannt. Anmerkung: Die Überlieferung des Gemeinen Bescheides ist unsicher. Den gekürzten Wortlaut gibt es nur in der handschriftlichen Lübecker Fassung. Zum selben Datum nennen zwei Sammlungen des untrennbaren Reichskammergerichtsbestandes im Bundesarchiv Gemeine Bescheide, die aber wortgleich mit dem Bescheid vom 3. Juli 1578 sind (sogleich RKG Nr. 75). Der Bescheid von 1578 soll „repetiert“ worden sein, und zwar „eodem“. Möglicherweise ist also ein Gemeiner Bescheid im Jahresabstand zweimal verkündet worden. Vielleicht erging erst eine Kurzfassung, ein Jahr später dann der ausführliche Bescheid. Zur Sache s. sogleich RKG Nr. 75.

RKG Nr. 75 1578 Juli 3

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RKG Nr. 75 1578 Juli 31 Gemeiner Bescheid vom 3. Julii 1578. Repetirt eodem 1578.2 [Post contumaciae incusationem procuratores per se vel substitutos agere parati sint; nec per negligentiam vel motae causa terminum ad proximam petant; sub poena arbitraria.]3 [Contumaciae accusati tempus ad proximam non4 petunto: Dilatio secunda vel5 tertia probandi6 ante lapsum priores7 rogator et8 procuratoria generalia ad causas fiscales9 ultro producuntor.]10 Ferner ist auch der Gemeine11 Bescheid, daß die Procuratores hinführan, wann sie auff beschehen Contumaciren oder sonsten zu handlen zu solchem alsobald durch sich selbst oder ihre Substituirte gefast seyen und deßwegen auß Hinlässigkeit oder zu12 fürsätzlichem Verzug der Sachen Zeit ad proximam zu bitten, bey13 Straff nach Ermessigung sich zu14 enthalten: Und dann jederzeit secundam vel15 tertiam Dilationem probandi vor Verfliesung der ersten und16 andern aus Ursachen, wie bißhero17 bräuchlich gewesen, bitten, aber nach Außgang derselben glaubhaffte Anzeig gnugsam angewendeten Fleisses fürbringen: Deßgleichen ihre gemein habende Gewäldter18 ad Causas Fiscales für sich selbsten alsobald und ohne ferners Erinnern oder Anhalten bey Straff und19 Ermessigung auch legen und sich sonsten dem näch-

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Jahr unsicher: BA Slg. 1600 (1. HS) Eodem anno (= 1577); Blum 1667 3. Julii 1577; Cisner 1605 wohl 1577; GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688 Anno eodem (= 1577) 3. Julii; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Eodem Anno (= 1577), 3. Julii; GB 1710; GB 1717 3. Julii eodem (= 1577). Ohne Überschrift in GB 1695; GB 1696. Post … arbitraria in Seyler/Barth V 1605. GB 1661; Blum 1667 tempus agendi ad proximam ne. GB 1661; Blum 1667 et. Fehlt in GB 1661; Blum 1667. GB 1661; Blum 1667 primae et secundae. Fehlt in GB 1661; Blum 1667. Blum 1667 fiscalis. Contumaciae … producuntur in GB 1661 (mit Abweichungen); GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. BA Slg. 1585 ist unßer gemein; gemein fehlt in BA Slg. 1600 (1. HS); dagegen Cisner 1605 Gemein. Fehlt in BA Slg. 1600 (1. HS). Fehlt in Cisner 1605. Fehlt in BA Slg. 1600 (beide HS); Cisner 1605; Blum 1667; GB 1678; GB 1696. BA Slg. 1600 (2. HS); GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 et. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (beide HS); GB 1665; oder; Blum 1667 erster oder; GB 1696 erster und. BA Slg. 1600 (2. HS); Blum 1667; GB 1678; GB 1696 biß dahero. BA Slg. 1600 (beide HS); GB 1665; Blum 1667; GB 1714; CJC 1717 Gewält; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1724 Gewalt. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (beide HS); GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 nach.

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RKG Nr. 75 1578 Juli 3

sten wie auch vorhergehenden Memorialien und Abschieden gemäß verhalten sollen.1 Vorlage: CJC 1724, S. 358 Nr. CCXXVIII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1600 Bl. 22RS-23 (2. Handschrift Bl. 42RS); Seyler/Barth Bd. V 1605, S. 247 B; Cisner 1605, S. „376“ (recte 396); GB 1661, S. 14; GB 1665, S. 12; Blum 1667, S. 544-545; GB 1671, S. 12; GB 1678, S. 12; GB 1686, S. 12; GB 1688, S. 11; GB 1695, S. 25-26; GB 1696, S. 25-26; GB 1707, S. 25-26; GB 1710, S. 30 Nr. LXXII; GB 1714, S. 20 Nr. LXXIV; CJC 1717, S. 20 Nr. LXXIV; GB 1717, S. 20 Nr. LXXIV; GB 1724, S. 30 Nr. LXXII. Anmerkung: Nach Mitteilung Georg Melchior von Ludolffs verkündete das Reichskammergericht diesen Gemeinen Bescheid am selben Audienztag gleich zweifach. Vielleicht erging er am Anfang der Audienz bei den allgemeinen Verkündungen und dann nochmals gesondert im Kontumazialabschnitt oder bei den fiskalischen Sachen. Möglicherweise wurde er auch im Jahresabstand in erweiterter Fassung wiederholt (vgl. RKG Nr. 74 vom 3. Juli 1577). Zunächst handelt es sich um eine Ermahnung an diejenigen Prokuratoren, denen Säumnis vorgeworfen wird. In den Kontumazialumfragen war ihnen fortan verboten, auf den Vorwurf der Gegenseite eine Bedenkzeit für die Antwort zu erbitten, selbst wenn es sich nur um eine Frist bis zum nächsten gleichartigen Audienzabschnitt handelte. Vielmehr sollten sie gut vorbereitet in die Audienz gehen, ebenso ihre Substituten. Damit wollte das Reichskammergericht offenbar das Kontumazialverfahren straffen. Dasselbe galt für die zweite Anordnung. Es war zwar gestattet, wenn die Prokuratoren das Gericht baten, Beweisfristen (dilationes probandi) auf spätere Termine zu erstrecken. Dann mussten sie aber auch darlegen, inwieweit sie sich dennoch bemüht hatten, zügig zu handeln. Mangelnden Fleiß wollte das Gericht nicht mehr als Grund für Verzögerungen hinnehmen. Ob das Beweisproblem mit den Kontumazialumfragen zu Beginn des Gemeinen Bescheides verbunden war, geht aus dem Text selbst nicht hervor. Die letzte Verfügung des Bescheides immerhin war klar abgetrennt und wiederholte die Verpflichtung, unaufgefordert die von den Parteien unterzeichneten Anwaltsvollmachten vorzulegen, hier speziell im fiskalischen Prozess. Zum Schluss erinnerte der Gemeine Bescheid an Memorialien und Abschiede. Tatsächlich hatte unmittelbar zuvor eine Visitation stattgefunden. Umfangreiche Visitationsmemorialien lagen vor, darunter auch ein erst wenige Wochen altes Dokument vom 15. Mai 1578 speziell für die Kameralanwälte (Ludolff, CJC 1724, S. 363-365). Auch 1577 hatte es eine Visitation des Kammergerichts gegeben (CJC 1724, S. 342-358), 1576 einen Reichsabschied, der sich mit Kameralangelegenheiten beschäftigte (CJC 1724, S. 340-342). Ob der Gemeine Bescheid auf eine bestimmte Vorgabe anspielte, ist unklar. Wahrscheinlich ging es eher darum, den Prokuratoren allgemein einzuschärfen, das Kameralrecht einzuhalten. Solche Ermahnungen flocht das Kameralkollegium auch in zahlreiche andere Gemeine Bescheide immer wieder ein. 1

Und dann jederzeit… sollen fehlt in Seyler/Barth V 1605; Cisner 1605.

RKG Nr. 76 1579 Juli 6

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RKG (ohne Nr.) 1579 Juni 6 siehe 1579 Juli 6

RKG Nr. 76 1579 Juli 61 [Acta, procuratoria etc. suo termino non producta postea non nisi cum aliis agendis, sine recessu peculiari producant. Ante terminum citatione specificarum ne compareant. In puncto responsionum non replicent. Non visis respons[ionibus] vel procuratoriis non solum per verba: quatenus sufficientis. Neque etiam ratione termini praeiudicialis temere submittant. Intra pet[itum] terminum pendent submission non expectata prius sententia, quatenus potest, agant. Quoad terminus obtentos ne colludant, vel iis lapsis quicquam admittant ipsi. Allegationes transactionis et alias probent, causas semel receptas sine relevanti causa et iudicis decreto ne abdicant. In causis summa extraordinariis praesertim execut. sedulo processum debitum observent, et illius admoneat principales. Omnibus allegatis informibus abstineant. Nominando commissarios et alia agendo puncta in quibus agunt, accurare specificent. Decreta Anno 77 per omnia, nec non Ordin[ationibus,] Recessibus et memorialibus sese conforment procuratores.]2 [Varia puncta per procuratores3 observanda hic recensentur.]4 § 1.5 Ferner ist auch der Gemeine Bescheid, daß die Procuratores die Sachen, welche sie vermöge der Ordnung, auch unterschiedlicher Abschieden und Memorialien, von denen Deputirten nach der gerichtlichen Audientz handlen sollen, hinfüro daselbst allein fürbringen und sich dessen in andern Umfragen zu thun bey Verlust der Recess und fürbehaltener Straff biß auff fernern Bescheid enthalten.6

1 2 3 4 5 6

Cisner 1605 6. Junii Anno 79 (vielleicht Druckfehler); aber ebenso Cisner 1605, S. 402. Acta … procuratores in Seyler/Barth Bd. V 1605. GB 1661; Blum 1667 puncta a procuratoribus. Varia … recensentur in GB 1661; Blum 1667 (jeweils mit Abweichung); GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Keine §§ in BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Daß die Procuratores… enthalten fehlt in BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (beide HS); Seiler/Barth Bd. V 1605; GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 76 1579 Juli 6

§ 2. Wan auch1 die Procuratores in gebührendem Termin2 ihre Gewäldt [noch]3 Acta oder was sonsten die Ordnung erfordert nicht fürbracht, daß sie deßwegen keine sondere Recess zu halten, sondern dieselbe4 hernach mit anderer nothwendiger Handlung einzubringen sich befleissen: Noch sich vor dem in Citatione bestimmten gewissen Termin gerichtlich einlassen: Ingleichen in puncto Responsionum nicht repliciren noch deren wie auch ihre überschickte Gewäldt5 unbesehen und unerwogen durch die Wort: „Sofern die6 genugsam usw.“ noch dergleichen Conditionalrecessen, so wenig [auch]7 ratione Termini praejudicialis, vergeblich submittiren und in Zeit gebettener Prorogation wie auch sonsten in andern Submissionibus, so viel möglich, handlen und derwegen nicht allererst Bescheid erwarten sollen8. § 3. Daß sie auch9 der10 durch sie bewilligten oder von dem Richter11 angesetzter12 Termin halber nicht colludiren oder nach Verfliessung13 derselben für sich selbst einige Handlung gestatten: Ihre Anzeigen, daß die Sache vertragen und anders der Gebühr bescheinen14, sich auch derer einmahl angenommener15 Sachen ohne rechtmässig-erhebliche Ursachen, darüber auch zuvor Erkänntnuß ergangen, nicht entschlagen sollen16. § 4.17 Dann auch mit sonderem Fleiß in Causis summariis et18 extraordinariis, sonderlich Executionum, den gebührlichen Proceß nach19 Art und Eigenschafft

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

18 19

Fehlt in BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; Seyler/Barth Bd. V 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1695; GB 1696 termino. BA Slg. 1600 (nur 1. HS). BA Slg. 1600 (2. HS); GB 1678 besonder dieselbig; GB 1695; GB 1696 besonder dieselbige. BA Slg. 1585; Seyler/Barth Bd. V 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696 ihren überschickten Gewalt; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 ihrem überschickten Gewalt. BA Slg. 1600 (2. HS) sie. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (beide HS); Seyler/Barth Bd. V 1605. Fehlt in BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (beide HS); Seyler/Barth Bd. V 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Statt sie auch in Cisner 1605 die Procuratores. BA Slg. 1600 (1. HS); Cisner 1605 deren. Von … Richter fehlt in BA Slg. 1600 (1. HS). Cisner 1605 deß angesetzten; GB 1678; GB 1695; GB 1696 angesetzten. Cisner 1605 uberfliessung. Bei Cisner 1605, S. 402, nur dieser Auszug Das die Procuratores jhr anzeigung/ das die sach vertragen und anders/ der gebür bescheinen sollen. BA Slg. 1600 (2. HS); Seyler/Barth Bd. V 1605; GB 1665; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 deren einmal angenommenen; GB 1678 deren einmal angenonunenen. Ihre Anzeigen … entschlagen sollen fehlt in Cisner 1605, S. 379; sollen fehlt in BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (beide HS); Seyler/Barth Bd. V 1605; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Anderer Wortlaut und nur dieser Ausschnitt bei Cisner 1605 Daß die Procuratores mit sonderm fleiß in causis summariis und extraordinariis, den gebürlichen Proceß nach/ art und eygenschafft derselbigen sich gemeß halten/ und dessen ir Parthey berichten sollen. BA Slg. 1600 (1. HS) unnd. Brauch in Seyler/Barth Bd. V 1605.

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derselben und dieses Gerichts Practic1 und Stylo gemäß halten, dessen ihre Partheyen berichten und sich in deme aller unförmlicher weitläufftiger Handlung enthalten, in Benennung der Commissarien wie auch in andern ihren Recessen die Puncta2, darinn sie handlen, verständlich unterscheiden und letztlich sich deß in Anno 15773 ihrenthalben ergangenen Bescheids in denen darinn einverleibten4 Puncten nochmals5 erinnern und dem wie auch sonsten insgemein der Ordnung, Abschieden und Memorialien gemäß verhalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 377 Nr. CCXLII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 30RS-31; BA Slg. 1600 Bl. 25-25RS und Bl. 42RS43 (zweimal im Buch enthalten); Seyler/Barth Bd. V 1605, S. 475 D; Cisner 1605, S. 366 (nur ein Teil von § 4), S. 379 (nur ein Teil von § 3), S. 402 (nur ein Teil von § 3); GB 1661, S. 14-15; GB 1665, S. 12-13; Blum 1667, S. 545-546; GB 1671, S. 12-13; GB 1678, S. 12-13; GB 1686, S. 12-13; GB 1688, S. 11; GB 1695, S. 26-27; GB 1696, S. 26-27; GB 1707, S. 26-27; GB 1710, S. 30-31 Nr. LXXIII; GB 1714, S. 20-21 Nr. LXXV; CJC 1717, S. 20-21 Nr. LXXV; GB 1717, S. 20-21 Nr. LXXV; GB 1724, S. 30-31 Nr. LXXIII. Anmerkung: Der umfangreiche Bescheid knüpft an einige vorangegangene Visitationen des Reichskammergerichts an und beruft sich ausdrücklich auf die Visitation von 1577 (CJC 1724, S. 342-358), am Ende pauschal auch auf die Reichskammergerichtsordnung, Abschiede und Visitationsmemorialien. § 1 bekräftigt das Umfragesystem im Kameralprozess und verfeinert die Trennung der Umfragen in solche vor dem gesamten Kameralkollegium und solche vor den Deputierten. Das verkleinerte Kollegium war etwa zuständig für alle Prozesshandlungen, die Beweiskommissionen betrafen (dazu Gemeine Bescheide vom 9./19. März 1526 und 23. Januar 1531; oben RKG Nr. 13 und 17), aber auch für die Umfragen in Kontumazialsachen (RKGO 1555 3, 10, 1). Die Trennlinie zwischen den unterschiedlich besetzten Audienzabschnitten war übermäßig scharf. Schon terminologisch fällt das ins Auge. Die Handlungen vor den Deputierten fanden „nach der gerichtlichen Audienz“ statt. Sie waren damit Teil des Umfragesystems, konnten aber nicht einmal den Namen Audienz für sich beanspruchen, weil das Kameralkollegium nicht mehr vollzählig anwesend war. Ob das Publikum ebenfalls reduziert oder gar ausgeschlossen war, ist unklar. Bei Verstößen gegen diese Unterscheidung drohten den Anwälten, die ihre Handlungen zur Unzeit vornahmen, nicht nur Strafen, sondern der Verlust des Rezesses. Sie waren dann präkludiert und konnten die fragliche Handlung nicht mehr vornehmen und auch nicht nachholen. 1 2 3 4 5

Und dieses Gerichts Practic fehlt in Seiler/Barth Bd. V 1605. BA Slg. 1600 (beide HS); GB 1678; GB 1696 Puncten; Seyler/Barth Bd. V 1605; GB 1665; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; BA Slg. 1595 Püncten. BA Slg. 1600 (1. HS) in anno 78; BA Slg. 1600 (2. HS) Anno Sibentzigsiben; GB 1696 An. 1577. BA Slg. 1600 (beide HS); Seyler/Barth Bd. V 1605; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 verleibten. GB 1671 nachmahln.

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Im Gegensatz zur lediglich vorbehaltenen Strafe war die Präklusion auf dem Papier als zwingendes Recht ausgestaltet. Das war in der Tat ein scharfes Schwert, das freilich vor allem die Partei und nicht den nachlässigen Prokurator traf. Hier ist mit sehr starken Abschwächungen in der Praxis zu rechnen. Bereits § 2 spricht für große Nachsicht in der Prozesswirklichkeit. Hier geht es nämlich um Prokuratoren, die trotz gesetzter Fristen oder der sog. Zeit der Ordnung die geforderte Vollmacht oder sonstige Prozesshandlungen nicht vornahmen oder nicht vorlegen konnten. Dafür war gerade keine Strafe vorgesehen, sondern ohne weiteres stand jetzt der nächste reguläre Termin offen. Nicht einmal einen förmlichen Rezess über die Verschiebung sah das Kameralkollegium in seinem Gemeinen Bescheid vor. In der Praxis dürfte das zu Unklarheiten darüber geführt haben, ab wann genau ein Säumnisfall vorlag. Die Nichteinhaltung von Fristen ließ sich schwer feststellen, wenn die stillschweigende Verlängerung schon in den normativen Vorgaben selbst angelegt war. Von Seiten der Prokuratoren aus war es sogar verboten, den Rechtsstreit schneller zu führen, als in der Ordnung vorgesehen. Vorzeitige Handlungen waren nach § 2 nämlich untersagt. Terminologische Spitzfindigkeiten knüpfen an das Verhältnis von Responsion und Replik an. Im Positionalverfahren hatten die wesentlichen Schriftsätze der Parteien feste Bezeichnungen. Replik war danach die Antwort des Klägers auf die Exzeptionsschrift des Beklagten. Nur für diesen Prozessabschnitt war der „Terminus“ vorgesehen. Responsionen waren dagegen unbestimmter und betrafen zumeist die Antwort auf einzelne Behauptungen in den artikulierten Libellen. Sie konnten also in verschiedenen Abschnitten des Prozesses abgegeben werden, waren an Tatsachen gebunden und nicht bestimmten Schriftsätzen vorbehalten. Diese Feinheiten sollten die Prokuratoren nicht durcheinanderbringen. Wenn es freilich erforderlich war, den Beteiligten das Wechselspiel des Artikelprozesses einzuschärfen, belegt das zugleich, wie schwer es für die Prokuratoren war, sich innerhalb des streng regulierten Verfahrens immer zurechtzufinden. Derselbe § 2 enthält dann noch Regelungen, wie die Prokuratoren ihre Anwaltsvollmachten vorlegen sollten. Hier gab es sogar Vorgaben für den Wortlaut, mit dem in der Audienz die Vollmacht zu überreichen war. Die weiteren Bestimmungen des schlecht strukturierten § 2 bezweckten die Prozessbeschleunigung. Insgesamt sollten die Anwälte, wenn sie im Umfragesystem an die Reihe kamen, möglichst den gesamten einschlägigen Stoff abhandeln und nicht wegen jeder Kleinigkeit um Verschiebungen oder Zwischenurteile bitten. § 3 stellt Grenzen für die Dispositionsmaxime auf. Er verbietet Kollusion, also das einvernehmliche Zusammenwirken der gegnerischen Prokuratoren zu Lasten Dritter, hier ganz offensichtlich zu Lasten des Gerichts. Die Anwälte durften also nicht die vorgesehenen oder vom Gericht gesetzten Fristen eigenmächtig verlängern. Besonders erstaunlich ist der zweite Punkt. Hatten die Parteien einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen, so reichte es nicht, wenn die Prokuratoren dies dem Reichskammergericht einfach mitteilten. Vielmehr mussten sie die gütliche Einigung „bescheinen“, also auf irgendeine Art glaubhaft machen. Zuletzt war es den Prokuratoren untersagt, ein einmal übernommenes Mandat niederzulegen, sofern nicht hinreichende Gründe dafür vorlagen. Selbst dann kam es aber auf einen Zwischenbescheid des Gerichts an. § 4 enthält einen allgemeinen Verweis auf Rechtsquellen (unter anderem Gemeiner Bescheid vom 3. Juni 1577, oben RKG Nr. 73) und ordnungsgemäßes Verhalten. Innerhalb der Gemeinen Bescheide taucht hier zum ersten Mal

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der Hinweis auf das summarische Verfahren auf. Das war als Anspielung auf Mandatsprozesse zu verstehen. Mit dem Hinweis auf die kammergerichtliche Praxis und den Stilus curiae zeigte der Gemeine Bescheid, wie sehr es für die Tätigkeit des Gerichts nicht nur auf die normativen Vorgaben ankam, sondern auf den Gerichtsgebrauch selbst. Dies den Prokuratoren vorzuhalten, war nicht zu viel verlangt. Durch ihre Teilnahme an den Audienzen kannten sie den Gerichtsgebrauch ja mehr als zur Genüge.

RKG Nr. 77 1579 September 11 [Omnia in cancellaria sollicitata sine mora redimuntor.]1 [In cancillaria sollicitata sine mora intra tres hebdomadas redimuntor.]2 [Omnia ex cancellaria sollicitata per procuratores redimenda intra 3. sept[iman.] sub poena arbitraria et mora tali dehinc abstinendum.]3 Ferner ist auch4 der Gemeine Bescheid, daß die Procuratores all dasjenige, so [sie]5 in der Cantzley solicitirt6, und auff ihr Anhalten verfertigt worden, wie Sie solches ohne das vermöge der Ordnung und Abschieden zu thun schuldig, fürderlich und inwendig drey Wochen bey Straff nach Ermessigung lösen und aus der Cantzley erheben, sich auch künfftig solchen Verzugs und Auffhaltens müssigen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 377-378 Nr. CCXLIII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 31; BA Slg. 1600 Bl. 43-43RS; Seyler/Barth Bd. V 1605, S. 495 K; AHL Slg. fol. 1v; GB 1661, S. 15; GB 1665, S. 13; Blum 1667, S. 546; GB 1671, S. 13; GB 1678, S. 13; GB 1686, S. 13; GB 1688, S. 11; GB 1695, S. 27; GB 1696, S. 27; GB 1707, S. 27; GB 1710, S. 31 Nr. LXXIV; GB 1714, S. 21 Nr. LXXVI; CJC 1717, S. 21 Nr. LXXVI; GB 1717, S. 21 Nr. LXXVI; GB 1724, S. 31 Nr. LXXIV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft das Zusammenspiel zwischen Prokuratoren und Kammergerichtskanzlei. Schon der Sammelbescheid vom 28. November 1550 § 9 (oben RKG Nr. 44) hatte sich über Prokuratoren beschwert, die der Kanzlei Aufträge gegeben hatten, dann die 1 2 3 4 5 6

Omnia ... redimuntor in GB 1661; Blum 1667. In … redimuntor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Omnia … abstinendum in Seyler/Barth V 1605. Fehlt in AHL Slg. AHL Slg.; BA Slg. 1585; BA Slg. 1600; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. AHL Slg. sollicitirenn.

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ausgefertigten Dokumente aber nicht abholten und auch die angefallenen Gebühren nicht zahlten. Jetzt ging es darum, die Kanzlei von den sich türmenden Schriftbergen zu befreien. Innerhalb von drei Wochen mussten alle auf besondere Bitte hergestellten Dokumente abgeholt werden. In diesem Zusammenhang taucht das Verb „sollizitieren“ in untechnischem Zusammenhang auf. Üblicherweise bezeichnet es Bitten der Parteien um bevorzugte Behandlung und Entscheidung ihrer Rechtsangelegenheiten. Hier dagegen dient es dazu, den Antrag des Prokuratoren an die Kanzlei zu umschreiben.

RKG Nr. 78 1580 Juni 10/201 [Diversa hic procuratoribus2 praescribuntur.]3 § 1.4 Ferner ist der Gemeine Bescheid, daß die Procuratores Prorogationem Prorogationis oder aber5 an statt derselben, novum Terminum, ohne Bescheinung erheblicher Ursachen zu bitten: Also auch des6 Anzeigens, daß sie mit Handlung gefaßt und in ihrer nächsten Ordnung solche vorzubringen erbiethig, hinfürter bey Straff nach Ermeßigung sich gäntzlich enthalten, sondern in erhaltener Zeit oder im Fall sie die Ordnung des letzten Tags nicht erreichen wird, in nechster ihrer Ordnung hernach ohngesäumbt7 die Gebühr handlen sollen8. § 2. Deßgleichen dasjenige, so in die Umfrag in Novis, sonderlich was in Pfandungs- und dergleiche Sachen zu endlicher Erledigung Puncti Paritionis zu handlen, auch Causales und anderes, [so]9 vermöge der Ordnung und Visitationsabschied dahin gehörig, in derselben Umbfrag und nicht in Praefixis, ohnangesehen ihnen darzu Zeit praejudicialiter angesetzt, [fürbringen]10 und so wohl in Sachen Simplicis Querelae11 als Appellationum dem in Anno 1570 auffgerichteten Speyrischen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1717 nur 20. Junii. GB 1661; Blum 1667 procuratoribus hic. Diversa … praescribuntur in GB 1661; Blum 1667 (jeweil mit umgestellten Worten); GB 1710; GB 1714; CJC 1717. BA Slg. 1585 und BA Slg. 1600 (beide HS); GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 keine §§. Fehlt in AHL Slg.; BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (2. HS). BA Slg. 1600 (beide HS) das. Seyler/Barth Bd.V 1605; BA Slg. 1600 (2. HS) ungesaumbt; GB 1678 ohngesaumbt. Fehlt in BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (2. HS); Seyler/Barth Bd. V 1605; AHL Slg.; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. BA Slg. 1600 (beide HS); Seyler/Barth Bd. V 1605; AHL Slg.; BA Slg. 1585. Seyler/ Barth Bd. V 1605; AHL Slg.; BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (2. HS). Fehlt in BA Sg. 1600 (1. HS).

RKG Nr. 78 1580 Juni 10/20

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Reichsabschied § 801 „Demnach sollen usw.“2 und etlichen folgenden mit Einbringung daselbst ufferlegter3 sämbtlicher Handlungen4, Purificationem Termini in allen und jeden Puncten zu verhüten, gehorsamlich nachsetzen. § 3. Dann letztlich wann sie quartam5 dilationem cum debita Solennitate zu bitten, sollen sie darneben gnugsamen6 Specialgewalt, da anderst ihrem gemeinen Gewalt solche Clausul nicht einverleibt, bey Verwerfung des Recess und bey7 Straff der Ordnung gleich alsobald mit einbringen8. Vorlage: CJC 1724, S. 387 Nr. CCLVI. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1585 Bl. 31RS; BA Slg. 1600 Bl. 82-82RS und 94RS-95 (zweimal im Buch enthalten); AHL Slg. fol. 1v (ohne Paragraphenzählung); Seyler/Barth Bd. V 1605, S. 591; GB 1661, S. 15; GB 1665, S. 13; Blum 1667, S. 546-547; GB 1671, S. 13; GB 1678, S. 13; GB 1686, S. 13; GB 1688, S. 11-12; GB 1695, S. 27-28; GB 1696, S. 27-28; GB 1707, S. 27-28; GB 1710, S. 31-32 Nr. LXXV; GB 1714, S. 21 Nr. LXXVII; CJC 1717, S. 21 Nr. LXXVII; GB 1717, S. 21 Nr. LXXVII; GB 1724, S. 31-32 Nr. LXXV. Anmerkung: Nach nicht einmal einem Jahr erging abermals ein knapper Sammelbescheid an die Adresse der Prokuratoren (vgl. Gemeiner Bescheid vom 6. Juli 1579, oben RKG Nr. 76). § 1 bemüht sich um eine Straffung des schwerfälligen Umfragesystems. Wenn ein Prokurator auf einen gesetzten Termin nicht handeln konnte, brauchte er dies nicht gesondert anzuzeigen, sondern konnte einfach an der richtigen Stelle der folgenden Audienz seine Prozesshandlung vornehmen. Das war nichts anderes als die stillschweigende Gewährung eines zusätzlichen Termins, also eine allgemeine Fristverlängerung. Bezeichnend ist der schwer verständliche Hinweis, dass die „Ordnung des letzten Tages“ die Prokuratoren nicht erreichen würde. Das schlägt die Brücke zu den Reformbemühungen aus der Zeit um 1571/73 (Gemeine Bescheide vom 12. Juni 1571 bis 22. Juni 1573, oben RKG Nr. 64-70). Auch 1580 war es dem Reichskammergericht offenbar nicht möglich, alle vorgesehenen Umfragen an einem Audienztag abzuarbeiten. § 2 bemüht sich, die einzelnen Umfragen voneinander abzugrenzen, hier die Umfrage in novis von derjenigen in praefixis. Zugleich ordnet die Vorschrift einzelne Verfahrensarten diesen Umfragen zu. Nach der Reichskammergerichtsordnung sollte die Umfrage in novis vor der folgenden Umfrage in praefixis stattfinden (RKGO 1555 3, 7-8). Der Gemeine Bescheid verschiebt also gleichsam Sachbetreffe von der 1 2 3 4 5 6 7 8

in Versiculo in BA Slg. 1600 (beide HS); Seyler/Barth Bd. V 1605; AHL Slg.; in vers. in BA Slg. 1585; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in BA Slg. 1585; Seyler/Barth Bd. V 1605; dagegen in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1714; CJC 1717 usw. 89; GB 1695; GB 1696; GB 1710 usw. 80. BA Slg. 1600 (1. HS) auferlegter verbessert aus aufgerichter. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (beide HS); Seyler/Barth Bd. V 1605 Handlung. AHL Slg. 4.; BA Slg. 1585 quintam. Fehlt in Seyler/Barth Bd. V 1605. Fehlt in BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (beide HS); Seyler/Barth Bd. V 1605; AHL Slg.; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. BA Slg. 1585; BA Slg. 1600 (beide HS); Seyler/Barth Bd. V 1605 einlegen.

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RKG Nr. 79 1582 Mai 28

Mitte weiter an den Anfang der Audienz. Pfändungsstreitigkeiten waren in der Reichskammergerichtsordnung von 1555 nicht ausdrücklich der Umfrage in novis zugeordnet. In der Praxis fanden sie meistens im Rahmen von Mandatsverfahren statt. Mandate aber gehörten seit je zur Ordnung in novis. Also handelte es sich hierbei nur um eine Klarstellung. Der Verweis auf zahlreiche Rechtsquellen, teilweise mit sehr genauer Angabe, sicherte die Audienzordnung im allgemeinen Kameralrecht ab. § 3 bietet abermals eine Kuriosität des Kameralprozesses. Die üblichen Anwaltsvollmachten der Prokuratoren umfassten nämlich nicht sämtliche denkbaren Prozesshandlungen, sondern beschränkten sich auf die üblichen und häufigsten Verfahrensschritte. Wenn es also zu prozessual heiklen Situationen kam, konnte ein Prokurator schnell ohne Legitimation dastehen. Ein solcher Fall war offenbar die vierte Dilation, die der Prokurator besonders förmlich beantragen musste. Gedacht war an mehrfache Terminverschiebungen und Fristverlängerungen, die dann, wenn sie vierfach auftraten, ganz besonders begründet sein mussten. Hierfür benötigte der Prokurator eine Spezialgewalt. In einer besonderen Vollmacht übertrug die Prozesspartei ihrem Kameralprokurator damit das Mandat, auch derartige Prozesshandlungen vorzunehmen. Für Kalumnieneide galt Ähnliches. Die Praxis konnte diese Klippe ohne größere Not umschiffen. Vorbeugend ließen sich die meisten Prokuratoren schon zu Beginn des Rechtsstreites eine Generalgewalt und eine Spezialgewalt ausstellen und reichten sie bereits im ersten Termin zu den Akten.

RKG Nr. 79 1582 Mai 28 [Die sabbathi a1 7 usque ad 9 in praefixis agitor. In omnibus causis pro termino simulque eius prorogatione certum tempus agendi postulator.]2 [In praefixis die sabbati ab hora 7 ad 9 agitor atque ubique pro termino et eiusdem prorogatione certum tempus rogator.]3 [Quandoquidem ob erebras prorogationum petitiones numerus novarum causarum adeo excrevit, ut pauci procuratores in praefixis audiri hactenus potuerint, ideoque pro celeriori causarum expeditione in posterum diebus Sabbathi ante fiscales audientias ab hora septima usque ad nonam in iis pergant et in omnibus causis tempus pro termino simul terminique prorogatione pro causae et loci qualitate petant et concedant et ulterius tempus sine impedimenti probatione postulare, sub poena ordinationis abstineant.]4

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Fehlt in Blum 1667. Die ... postulator in GB 1661. In ... rogator in GB 1710. Quandoquidem … abstineant in Seyler/Barth V 1605.

RKG Nr. 79 1582 Mai 28

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Ferner ist der Gemeine Bescheid1; Demnach wegen des vielfältigen Bittens der Prorogation Terminorum halben in Novis die Handlungen sich dermassen gehäuffet, daß lange Zeit hero in praefixis wenige Procuratorn haben gehört werden können2, derowegen und damit3 die rechtshängige Sachen künfftig soviel möglich gefördert4 werden5, sollen6 hinfüro die Procuratores7 am Sambstag vor Anfang8 der Fiscalischen Audientz von 7 biß zu 9 Uhren, was in die Umfrag Praefixarum gehörig9, handlen, darzu in allen Umfragen pro Termino et Prorogatione Zeit nach Gestalt der Sachen und Ferne des Wegs zur Handlung10 zugleich bitten und einander11 zulassen, auch ohne Bescheinung erheblicher Ursachen fernere Zeit zu begehren bey Straff der Ordnung sich gäntzlich enthalten. Vorlage: CJC 1724, S. 395 Nr. CCLXVI. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1600 Bl. 82RS und Bl. 95 (zweimal im Buch enthalten); AHL Slg. fol. 2v; Seyler/Barth V 1605, S. 775; GB 1661, S. 15; GB 1665, S. 13; Blum 1667, S. 547; GB 1671, S. 13; GB 1678, S. 13; GB 1686, S. 13; GB 1688, S. 12; GB 1695, S. 28; GB 1696, S. 28; GB 1707, S. 28; GB 1710, S. 32-33 Nr. LXXVI; GB 1714, S. 22 Nr.LXXVIII; CJC 1717, S. 22 Nr. LXXVIII; GB 1717, S. 22 Nr. LXXVIII; GB 1724. S. 32-33 Nr. LXXVI. Anmerkung: Abermals geht es um die Ordnung innerhalb der Audienz, hier um die Abgrenzung der Umfragen in novis und in praefixis. Es handelte sich um einen Dauerbrenner. Knapp zwei Jahre zuvor hatte der Gemeine Bescheid vom 10./20. Juni 1580 versucht, beide Ordnungen sinnvoll abzugrenzen (oben RKG Nr. 78). Nun aber waren die Umfragen in novis so vollgestopft, dass die Umfragen in praefixis auf ganz kurze Anhörungen zusammengeschrumpft waren. Angeblich bestand der Missstand schon längere Zeit. Einen Ausweg sah das Gericht darin, zusätzliche Termine einzuführen. Das waren keine vollständigen Audienzen, sondern lediglich wöchentlich zwei Stunden zusätzlich, Sonnabends früh von 7.00 bis 9.00 Uhr morgens. Hier wollte das Kameralkollegium versuchen, die angestauten Sachen in praefixis abzuarbeiten. Offenbar bestand ein derart großer Zeitdruck, dass sich das Gericht gezwungen sah, Vereinfachungen vorzuschreiben und mündlichen Vortrag noch weiter zu begrenzen. Immer dann, wenn Termine und Fristen im Raume standen, sollten die Prokuratoren sie beantragen und einander gewähren, und zwar unabhängig davon, in welchem Stadium der Umfrageordnung man sich gerade befand. Das entlastete 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Ferner ... Bescheid fehlt in AHL Slg. Anderer Satzbau in AHL Slg. die Procuratoren in Praefixis nichtt haben gehördt werden können. AHL Slg. darumb. GB 1678 gefordert; GB 1661 müglich gefordert; GB 1696 müglig gefördert. Fehlt in AHL Slg.; BA Slg. 1600 (1. HS); GB 1661; GB 1678; GB 1696. Hier beginnt erst BA Slg. 1600 (2. HS). Die Procuratores fehlt in BA Slg. 1600 (2. HS). Fehlt in AHL Slg. AHL Slg. gehördt. BA Slg. 1600 (1. HS) Handlungen. Fehlt in AHL Slg.

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RKG Nr. 79 1582 Mai 28

somit die Umfrage in praefixis. Der Hinweis auf die Fristberechnung nach Beschaffenheit der Sache und Entfernung lehnt sich dabei wörtlich an den Gemeinen Bescheid vom 3. Juni 1577 an (oben RKG Nr. 73). Das Tempo eines Kameralprozesses hing in der Idee vor allem davon ab, welche Zeit man jeweils für die Zustellung von Schriftsätzen einplanen musste. Wegen der großen Entfernungen und der verschiedenen Zustellungsmöglichkeiten zu Fuß oder zu Pferd war mehr als eine Ermessensregel nicht möglich. Die so berechneten Fristen sollten dann aber verbindlich sein. Der Antrag auf Fristverlängerung war nämlich fortan grundsätzlich bei Strafe verboten. Allein die zahlreichen Verlängerungsanträge, wie kurz sie ihrerseits in den Audienzen auch vorgetragen wurden, konnten also bereits zu erheblichen Ausdehnungen der gesamten Umfrageordnung führen. Deswegen sollten solche Anträge nur noch zulässig sein, wenn die Prokuratoren sie gut begründeten. Hier gab es freilich praktische Unsicherheiten. Denn ob der Antrag ausreichend fundiert war, ließ sich natürlich erst klären, wenn der Prokurator ihn bereits gestellt hatte. Überflüssige Anträge konnte das Gericht zwar verwerfen, aber kaum verhindern.

RKG (ohne Nr.) 1583 Februar 18 siehe 1538 Februar 18

RKG (ohne Nr.) 1583 Februar 27 siehe 1538 Februar 27

RKG Nr. 80 1583 Juni 14

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RKG Nr. 80 1583 Juni 14 [Collegii am 14. Junii Anno 83 den Procuratoren gegebenes Decret.]1 [Formalia appellationum iuxta calendarium vetus2 iustificantor.]3 Nachdem eine zeithero etlichmahl um Appellationsproceß Supplicationes eingekommen, in deren Narratis sowohl als auch beygelegten Instrumentis Appellationum die Zeit ausgesprochener Urtheil und darauff eingewandter Appellationen auff das Calendarium Gregorianum dirigirt: Wann aber solches dem hergebrachten Brauch4 zuwider, auch zu allerhand Unrichtigkeiten Ursach geben möchte; als wollen Cammerrichter, Praesidenten und Beysitzer denen Procuratoren sambt und sonders hinführo in Narratis Supplicationum wie auch in Margine Instrumentorum Appellationum die Formalia nach dem alten Calendario, wie bißhero gebräuchlich, zu justificiren, biß durch die Kayserliche Majestät und Stände ein anders disponiret, bey Straff der Ordnung hiemit aufferlegt und befohlen haben. Vorlage: CJC 1724, S. 410 Nr. CCLXXV. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1600 Bl. 82RS-83; GB 1661, S. 16; GB 1665, S. 13; Blum 1667, S. 547-548; GB 1671, S. 13; GB 1678, S. 13; GB 1686, S. 13; GB 1688, S. 12; GB 1695, S. 28-29; GB 1696, S. 28-29; GB 1707, S. 28-29; GB 1710, S. 33 Nr. LXXVII; GB 1714, S. 22 Nr. LXXIX; CJC 1717, S. 22 Nr. LXXIX; GB 1717, S. 22 Nr. LXXIX; GB 1724, S. 33 Nr. LXXVII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid greift erstmals den inzwischen im Alten Reich seit längerer Zeit schwelenden Kalenderstreit auf. Die katholischen Territorien waren nach und nach, spätestens nach dem Trienter Konzil, zum neuen gregorianischen Kalender übergegangen. Die protestantischen Territorien behielten den alten julianischen Kalender bei und schlossen sich zumeist erst im Jahre 1700 dem neuen Kalender an. Länger als ein volles Jahrhundert blieb das Alte Reich kalendermäßig gespalten. Das Reichskammergericht war konfessionell nicht festgelegt und auch inzwischen paritätisch besetzt. Die Advokaten in den Territorien hatten aber alle ihren je eigenen Kalender. Die Kammerboten, die durch das Reich reisten, mussten nicht nur Territoriums-, sondern auch Datumsgrenzen überqueren. Schwierigkeiten erwuchsen daraus in doppelter Hinsicht. Zum einen gab es kalendermäßig festgesetzte Termine, zum anderen nach Tagen berechnete Fristen. Hier konnte es nur Klarheit geben, wenn alle Beteiligten sich auf allgemeine Spielregeln einigten. Das Reichskammergericht verwies ganz konservativ auf den hergebrachten Brauch, und der sprach für 1 2 3 4

Collegii ... Decret in BA Slg. 1600. GB 1661; Blum 1667 appellationum secundum vetus calendarium. Formalia ... iustificantor in GB 1661; Blum 1667 (jeweils mit Abweichung); GB 1710. BA Slg. 1600 Geprauch; GB 1678 Gebrauch; Blum 1667; GB 1686; GB 1695; GB 1696 herbrachten Gebrauch.

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RKG Nr. 80 1583 Juni 14

den alten Kalender. Zugleich sah es sich außerstande, das Datumsproblem selbst zu lösen. Nur durch Reichsgesetz, also durch Kaiser und Stände, sollte der gregorianische Kalender am Gericht eingeführt werden können. Gemeine Bescheide reichten hierfür wohl nicht aus. Die Schriftsatzverfasser behalfen sich in ihrer Unsicherheit oftmals mit doppelten Datierungen. Sie benutzten Bruchstriche oder lateinische Abkürzungen („st. vet., st. nov.“) und zogen sich so aus der Schlinge. Wenn zweifache Angaben fehlen, verbleiben dennoch Schwierigkeiten. Soweit der Gemeine Bescheid vom Juni 1583 aber Beachtung fand, beruhen die kammergerichtlichen Datierungen im Zweifel auf den alten Kalender. Das gilt insbesondere für die Protokollbücher, Mandate, Ladungen und Urteile. Zumindest das Kanzleipersonal arbeitete weiterhin mit dem julianischen Kalender.

RKG (ohne Nr.) 1583 August 19 siehe 1538 August 19

RKG (ohne Nr.) 1583 September 11 siehe 1538 September 11

RKG (ohne Nr.) 1583 September 16 siehe 1538 September 16

RKG Nr. 81 1583 Oktober 3

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RKG Nr. 81 1583 Oktober 3 [Tertia dilatione obtenta terminus producendi rotulum vel mandatum pro iuramento praestito quartae alternative non rogator1. In causis pignorationum causalibus simul respondetor2. Contra commissarios exceptiones statim verificentur3: Ad indicatas in novis purificationes terminorum frustra non excipitor4: Producta colligata exhibentor et acturi coram deputatis id pedello mature significanto, prorogationes autem a lapsis prioribus terminis computantor.]5 [Post tertiam dilationem habitam non alternative terminus rotulum vel mandatum pro iuramento quartae praestando producendi, sed examinatis quidem iam testibus term. ad product. rotuli vel siquidem mandato speciali iam instructi sunt procuratores, quarta dilatio petenda. Et in causis pignorat. causalibus simul cum exceptionibus eventualiter sub solito praeiudicio, respondendum, defensionales producendi et adversus nominatos commissarios non in genere tantum excipiendum, sed in docendum etiam, in novis ad Anzeig purificationis term. exceptionibusque ad alium ordinem pertineat, abstinendum. Producta confuta exhibenda acturi coram deputatis, id pedello priusquam finiatur audientia significent. Prorogationes a lapsibus terminorum non tempore habiti recessus vel sententiae latae inchoandae.]6 Ferner ist der Gemeine Bescheid, daß die Procuratores hinführan nach gehabter dritten Dilation probandi nicht alternative tempus ad producendum Rotulum oder in eventum den Eyd quartae Dilationis7 zu leisten, Specialgewalt fürbringen, sondern entweder (da das Examen Testium allbereit verrichtet) allein Zeit ad Rotuli productionem oder8 auff den Gegenfall und da solches ihrer Principalen Nothdurfft, sie auch mit Specialgewalt in continenti zu übergeben, darzu legitimirt, quartam Dilationem probandi eiusdemque iuramenti delationem bitten und in Pfandungssachen neben denen Exceptionibus contra Causales sub poena soliti praeiudicii darauff in eventum antworten und, ob sie wollen, Defensionales vorbringen9, auch wider die Ernannte zu Commissarien nicht nur in genere, daß sie verwandt seyen, blos 1 2 3 4 5

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GB 1661; Blum 1667 pro praest. iuram. quartae alternative ne petitor. GB 1661; Blum 1667 simul cum exceptionibus eventualiter respondetor. GB 1661; Blum 1667 commissarios in genere ne excipitor. GB 1661; Blum 1667 terminorum exceptionibus abstinetor. Tertia ... computantor in GB 1710; auch GB 1661; Blum 1667 mit den Abweichungen. Statt producta ... computantor in GB 1661 Acturi coram deputatis id pedello ante finem audientiae significanto. Prorogationes a lapsibus terminorum inchoantor. Post … inchoandae in Seyler/Barth V 1605. AHL Slg.; BA Slg. 1600 vierter Dilation. Fehlt in GB 1678; GB 1695; GB 1696. Und ob ... vorbringen fehlt in GB 1678; GB 1695; GB 1696.

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RKG Nr. 81 1583 Oktober 3

excipiren, sondern solch und dergleichen Angeben alsbald glaublich bescheinen und wieder die in Novis gethane Anzeigen purificationis Termini, als ob selbige Recess in eine1 andere Umfrag gehörig seyn sollten, vergeblich zu excipiren sich enthalten, auch die gerichtliche Producta, wie von alters verordnet, eingehefft übergeben, und da sie coram Deputatis zu handlen, solches dem Pedellen vor Ausgang der Audientz anzeigen sollen, alles bey Straff der Ordnung: [So]2 wann auch führohin von wegen ferner begehrter Prorogation submittirt und hernach Zeit pro ulteriori Prorogatione angesetzt wird3, so soll dieselbe mit ablauffendem zuvor gehabten prorogirten4 Termino combiniret5 und nicht a tempore habiti Recessus noch [er]6 erst nach deßwegen eröffnetem Bescheid angerechnet werden, derowegen die Procuratores sich darnach haben zu richten. Vorlage: CJC 1724, S. 410 Nr. CCLXXVI. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1600 Bl. 81RS-82; AHL Slg. fol. 3r; Seyler/Barth V 1605, S. 885-886; GB 1661, S. 16; GB 1665, S. 13-14; Blum 1667, S. 548-549; GB 1671, S. 13-14; GB 1678, S. 13-14; GB 1686, S. 13-14; GB 1688, S. 12; GB 1695, S. 29; GB 1696, S. 29; GB 1707, S. 29; GB 1710, S. 33-34 Nr. LXXVIII; GB 1714, S. 22-23 Nr. LXXX; CJC 1717, S. 22-23 Nr. LXXX; GB 1717, S. 22-23 Nr. LXXX; GB 1724, S. 33-34 Nr. LXXVIII. Anmerkung: In seiner Ausführlichkeit steht der Gemeine Bescheid für eine längerfristige Entwicklung. Im Vergleich zum früheren 16. Jahrhundert hatte sich der Kanzleistil nach und nach verändert. Die Sprache geriet schwerfälliger und weitschweifiger, der Satzbau verschachtelt und kaum entwirrbar. Das macht sich insbesondere bei Gemeinen Bescheiden wie dem vorliegenden bemerkbar. Einerseits enthält er eine Vielzahl von Regelungen, andererseits ist er in keiner Weise untergliedert. Zu Beginn geht es um Fristverlängerungen zwischen der dritten und vierten Dilation im Beweisverfahren. Hierfür benötigten die Prokuratoren eine gesonderte Spezialvollmacht (dazu auch der Gemeine Bescheid vom 10./20. Juni 1580 § 3, oben RKG Nr. 78). Offenbar hatten einige Prokuratoren solche Spezialgewalten vorgelegt, die entweder Zeit zur Vorlage des Beweisrotulus gewährten oder dem Prokurator hilfsweise eine Eidesleistung wegen der Verzögerungen gestatteten. Hier wollte das Kammergericht aber mehr Klarheit haben. Wenn ein Zeugenverhör durch die Beweiskommissare bereits stattgefunden hatte, genügte der Antrag, Zeit zu gewähren, bis der teilweise sehr umfangreiche Rotulus in Speyer eingegangen war. Nur wenn die Vernehmung noch nicht begonnen hatte, sollte zusätzlich Zeit für den Dilationseid bleiben. Ohne Atempause behandelt der Gemeine Bescheid nun plötzlich Fragen des Pfändungsprozesses (dazu auch der Gemeine Bescheid 1 2 3 4 5 6

Fehlt in AHL Slg.; dagegen GB 1678; GB 1696 ein. GB 1678; GB 1695; GB 1696. AHL Slg.; BA Slg. 1600 würdet. Fehlt in GB 1678; GB 1695; GB 1696. AHL Slg.; GB 1695; GB 1696 continuiren; BA Slg. 1600 continuiert. BA Slg. 1600; GB 1678.

RKG Nr. 81 1583 Oktober 3

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vom 10./20. Juni 1580 § 2, oben RKG Nr. 78). Hier war das Gericht bemüht, das Verfahren zu straffen. Wer verklagt war, gegen die sog. Konstitution der Pfändung verstoßen zu haben, sollte auf die Klage, regelmäßig wohl ein Mandat sine clausula, nicht nur mit Exzeptionen antworten, sondern durchaus gleich eine Antwort in der Sache vorlegen. Dies konnte auch hilfsweise geschehen. Auf diese Weise versuchte das Gericht offenbar, den einstweiligen Rechtsschutz mit seinen verschärften Zulässigkeitsvoraussetzungen und die materielle Rechtslage miteinander in Einklang zu bringen. Sprunghaft ging es im Gemeinen Bescheid dann weiter mit dem Beweisverfahren. Dem Gegner des Beweisführers stand es frei, die Person der Beweiskommissare wegen Befangenheit abzulehnen (dazu allgemein bereits der Gemeine Bescheid vom 9./19. März 1526; oben RKG Nr. 13). Hierfür genügte aber nicht der unsubstantiierte Hinweis, der Kommissar sei mit der Gegenseite „verwandt“. Vielmehr musste der Prokurator dies glaubhaft machen, wenn er mit Erfolg auf eine Auswechselung des Kommissars hoffen wollte. Mit der Ordnung in der Audienz beschäftigt sich der folgende Halbsatz. Die Ordnung in novis war inzwischen kopflastig geworden, die folgende Umfrage in praefixis fand in den gewöhnlichen öffentlichen Sitzungen des Gerichts teilweise nicht einmal mehr statt. Auch hier griff das Kameralkollegium einen bereits bekannten Missstand auf (dazu Gemeiner Bescheid vom 28. Mai 1582; oben RKG Nr. 79). Die Schieflage verleitete einige Prokuratoren dazu, zweifelhafte Sachen lieber in den Nova vorzubringen und damit die Sache zu beschleunigen, als auf den unsicheren Termin in praefixis zu warten. Falls die entsprechenden Prozesshandlungen aber nicht zur Ordnung in novis passten, konnte eine „Anzeige purificationis termini“ ergehen, also die Mitteilung, die Handlung sei fehl am Platze gewesen und gehöre einem anderen Audienzabschnitt an. Hiergegen waren Einwendungen unzulässig. Offenbar lag es allein im Ermessen des Gerichts, über derartige Rügen der Parteien zu entscheiden. Übergab ein Prokurator gesammelte Anlagen, sollten sie gebunden sein; und wer Prozesshandlungen vor den Deputierten vorzunehmen hatte, also in Kontumazial- oder Beweiskommissarangelegenheiten, hatte dies dem Pedellen rechtzeitig vor dem Ende der Plenumsaudienz mitzuteilen. Das alles regelte der Gemeine Bescheid in einem einzigen ersten Satz und drohte sogar noch Strafen an, falls ein Prokurator dagegen verstoßen sollte. Der kürzere zweite Satz betrifft Fristenprobleme. Es ging um die Berechnung von Fristverlängerungen. Hier schob das Reichskammergericht der ständigen Addition von Verlängerungen einen Riegel vor und befahl, im Falle einer letztmaligen Prorogation alle bisherigen Gewährungen miteinander zu verrechnen.

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RKG Nr. 82 1584 Juni 5

RKG Nr. 82 1584 Juni 5 [Sigilla scripturae etc.1 statim [[post audientiam]]2 vel ad proximam coram deputatis recognoscuntor ibidemque commissiones rogantor.]3 [Pro originalium et aliorum recognitione, terminorum cum prorogatione sicut et commissionum verbalibus petitionibus sub poena ordinationis abstinendum, sed recognitio statim post audientiam vel ad proximam coram deputatis facienda, ibidemque commissiones oretenus vel in scriptis cum aliis petend[ae].]4 Letztlich ist der Gemeine Bescheid, daß die Procuratorn, wann Original, versiegelte oder5 andere Probatoriurkunden fürgebracht und darbey Recognitio Sigillorum, Scripturae etc. gebetten wird, darauff geraume Zeit oder Terminum praeiudicialem cum Prorogatione6 in Novis mündlich zu bitten bey Straff der Ordnung sich enthalten, sondern die Sigilla Manus oder Signa der Notarien und anderer7 Schrifften alsobald nach der Audientz oder ad proximam vor denen8 Deputirten recognosciren oder diffitiren, deßgleichen die Commissarios und Commissiones mündlich daselbsten oder in Scriptis neben andern Handlungen bitten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 415 Nr. CCLXXXV. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1600 Bl. 83; Seyler/Barth V 1605, S. 952 B; GB 1661, S. 16; GB 1665, S. 14; Blum 1667, S. 549GB 1671, S. 14; GB 1678, S. 14; GB 1686, S. 14; GB 1688, S. 12-13; GB 1695, S. 30; GB 1696, S. 30; GB 1707, S. 30; GB 1710, S. 34„34“ (Paginierungsfehler) Nr. LXXIX; GB 1714, S. 23 Nr. LXXXI; CJC 1717, S. 23 Nr. LXXXI; GB 1717, S. 23 Nr. LXXXI; GB 1724, S. 34-„34“ (Paginierungsfehler) Nr. LXXIX. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die richtige Zuordnung von Beweisfragen in das komplizierte Umfragesystem. Es ging um Urkunden, aber nicht um ihren Inhalt, sondern um ihre ordnungsgemäße Erstellung und Überlieferung. Modern gesprochen handelte es sich um Probleme des Augenscheins. Wenn ein Prokurator in der Audienz derartige Siegel oder Notariatssignete vorlegte, gab es offenbar Anwälte, die Zeit für eine Antwort erbaten und dann in einer späteren Audienz in novis zu den Dokumenten Stellung nehmen wollten. Diesen Weg schnitt der Gemeine 1 2 3 4 5 6 7 8

GB 1661; Blum 1667 Sigilla ac scripturae. Post audientiam in GB 1661; Blum 1667. Sigilla ... rogantor in GB 1661; Blum 1667 (jeweils mit Abweichung); GB 1710. Pro … petend[ae] in Seyler/Barth V 1605. Seyler/Barth V 1605 unnd. Ab hier anderer Satzbau in BA Slg. 1600; Seyler/Barth V 1605; GB 1678; GB 1695; GB 1696 zubegeren, wie auch Commissarios und Commissiones in novis mündlich zu pitten, bey Straff der Ordnung sich enthalten, sondern die Sigilla. Seyler/Barth V 1605 andere. GB 1678; GB 1695; GB 1696 dem; Seyler/Barth V 1605 den.

RKG Nr. 83 1585 Juli 7

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Bescheid für zukünftige Fälle ab. Genau dafür waren die Beweisdeputaten mit zuständig. Also benötigte man kein gesondertes Verfahren. Den Augenschein sollte der Gegner des Beweisführers offenbar nach dem Ende der regulären Audienz in verkleinerter Runde vor den Deputierten einnehmen. Die Kommissare selbst sollten ebenfalls in diesem Abschnitt „desgleichen“ bitten. Das spielte vermutlich auf die ordnungsgemäße Erstellung und Unterzeichnung der Zeugenrotuli an. Das Reichskammergericht kannte den Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht, und deswegen gehörten solche Beweisprobleme nicht vor großes Publikum in die förmliche Audienz.

RKG Nr. 83 1585 Juli 7 [Communi decreto de Anno 1579 et memoriali procur[atorum] de Anno 1575 obsequium praestator.]1 [Procuratores superstites communi decreto, ut defunctorum heredes vel curatores § Memorialis intra 4. septim. sub gravi poena satisfaciant.]2 Ferner ist der Gemeine3 Bescheid, daß die Procuratores, so die4 Zeit am5 Leben und beym Gericht seynd, dem in Anno 1579 publicirten Gemeinen Bescheid und dann der verstorbenen Erben oder derselben Vormünder den § im Reichsdeputationsabschied [Anno 57]6 und7 deß Memorials denen Advocaten und Procuratorn Anno 1575 zugestellt, innerhalb 4 Wochen bey ernstlicher Straff ein gehorsamliches Gnügen thun sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 429 Nr. CCXCVIII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1600 Bl. 83; AHL Slg. fol. 4r; Seyler/Barth V 1605, S. 1060; GB 1661, S. 16-17; GB 1665, S. 14; Blum 1667, S. 550; GB 1671, S. 14; GB 1678, S. 14; GB 1686, S. 14; GB 1688, S. 13; GB 1695, S. 30; GB 1696, S. 30; GB 1707, S. 30; GB 1710, S. „34“ (recte 35) Nr. LXXX; GB 1714, S. 23 Nr. LXXXII; CJC 1717, S. 23 Nr. LXXXII; GB 1717, S. 23 Nr. LXXXII; GB 1724, S. 34 Nr. LXXX. 1 2 3 4 5 6 7

Communi ... praestator in GB 1661; Blum 1667; ähnlich GB 1710 (am Ende 1575 paretor). Procuratores … satisfaciant in Seyler/Barth V 1605. Fehlt in AHL Slg.; BA Slg. 1600; Seyler/Barth V 1605. BA Slg. 1600; Seyler/Barth V 1605; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 dieser. AHL Slg.; BA Slg. 1600 in; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696 im; anders Seyler/Barth V 1605: in, neben unnd bey dem Gericht. Anno 57 in AHL Slg. Fehlt in AHL Slg.; BA Slg. 1600; dagegen GB 1671; GB 1678 usw.

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RKG Nr. 84 1585 Juli 7

Anmerkung: Der Gemeine Bescheid schärft lediglich Regeln ein, die in den vergangenen zehn Jahren bereits einmal ergangen, inzwischen aber wieder außer Gebrauch geraten waren. Der Verweis auf 1579 war hierbei erstaunlich unpräzise, denn in diesem Jahr hatte das Gericht gleich zwei Gemeine Bescheide verkündet. Vermutlich war der Sammelbescheid vom 6. Juli 1579 gemeint (oben RKG Nr. 76), der seinerseits auf einen älteren Bescheid von 1577 verwies. Ausdrücklich erwähnte der Gemeine Bescheid die Rechtsnachfolger der zwischenzeitlich verstorbenen Prokuratoren. Die Formulierungen waren hier rein zivilrechtlich gehalten und bezogen sich auf Erben und Vormünder. Ob es sich um ein bloßes redaktionelles Versehen handelte und diejenigen Prokuratoren gemeint waren, die an Stelle der verstorbenen Vorgänger in den Rechtsstreit eingetreten waren, ist kaum glaublich. Vermutlich deutet der Hinweis auf das Visitationsmemorial von 1575 die Lösung an. Dort waren nämlich Schadensersatzpflichten eines Prokurators gegenüber der Gegenpartei festgeschrieben (Visitationsmemorial 1575 § 5, bei Ludolff, CJC 1724, S. 328). Vermutlich zeigte der Gemeine Bescheid also an, dass es sich um persönliche Forderungen handelte, die dementsprechend nach dem Tod des Prokurators auf die Erben übergingen. Falls die Erben noch minderjährig waren, lag es am Vormund, die Ansprüche der ehemaligen Gegner des verstorbenen Prokurators zu erfüllen.

RKG Nr. 841 1585 Juli 7 Eodem die.2 [Compulsoriales cum actis prioribus vel horum promissae editionis documento in primo termino exhibentor aut in eodem illis antea haud emanatis extrahuntor: Terminus agendi etiam mortuo adversario currito.]3 [Cum actis prioribus horum edendorum promissionis documento in primo termino exhibentor compulsoriales aut iis nondum emanatis in eodem extrahuntor: Terminus agendi mortuo licet adversario currito.]4 [Compuls[oriales] cum executione et acta vel documentum quando editio promissa sit, primo statim termino in citatione praefinito producend. vel. compuls. nondum emanatis eae intra d[ictum] terminum primum extrahendae: Terminus agendi etiam mortuo adversario currat. Ita ut statim legitimation alio impetrans suo ordine sub solita comminatione agere teneatur. Et terminus novus sub poena ordinationis non 1 2 3 4

In AHL Slg. nicht als eigener Bescheid ausgewiesen, sondern mit Vorgängerbescheid vom selben Tag zusammengefasst. So auch in GB 1695; GB 1696; GB 1707. Compulsoriales ... currito in GB 1661; Blum 1667. Cum ... currito in GB 1710.

RKG Nr. 84 1585 Juli 7

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petendus. Ac ad conclusiones definitivas nisi alia producenda supersint, ad proximum in novis concludendum.]1 Letztlich ist [auch]2 der Gemeine Bescheid, daß die Procuratores hinführo sub poena Absolutionis a Citatione auff den ersten Rechtstagk3, in der Ladung bestimt, die Compulsoriales mit ihrer Verkündung und darneben Acta voriger Instantzien sämtlich mit einander oder da dieselbe noch nicht gefertigt, in was Zeit sie der Richter, auff deren Belohnung halben beschehene Versicherung, zu geben Vertröstung gethan, gnugsamen Schein vorbringen, oder sofern Compulsoriales noch nicht außgangen, auffs längste in solchem ersten Termin dieselbe außbringen, ihnen auch die zur Handlung gebettene, erhaltene oder4 angesetzte Zeit, wann gleich der Gegenanwaldt verstirbt, nichts destoweniger ablauffen, dergestalt daß sie vor Purification derselben alsobald ex adverso sich5 ein anderer legitimirt, in ihrer Ordnung sub solita Comminatione zu handlen schuldig seyn, derowegen fürohin wie darum6 Zeit pro novo Termino zu bitten, bey Straff der Ordnung sich gäntzlich enthalten und auff ihres Gegentheils definitive gethanen mündlichen Beschluß, wofern keine schrifftliche Handlung mehr zuzulassen, ad proximam in Novis gleichfalls beschliessen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 429 Nr. CCXCVIII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1600 Bl. 83-83RS und Bl. 105 (dort nur die Anfangsworte); AHL Slg. fol. 4r; Seyler/Barth V 1605, S. 1060; GB 1661, S. 17; GB 1665, S. 14; Blum 1667, S. 550-551; GB 1671, S. 14; GB 1678, S. 14; GB 1686, S. 14; GB 1688, S. 13; GB 1695, S. 30-31; GB 1696, S. 30-31; GB 1707, S. 30-31; GB 1710, S. „34“-36 (richtig 35-36) Nr. LXXXI; GB 1714, S. 23-24 Nr. LXXXIII; CJC 1717, S. 23-24 Nr. LXXXIII; GB 1717, S. 23-24 Nr. LXXXIII; GB 1724, S. „34“-36 (richtig: 35-36) Nr. LXXXI. Anmerkung: Die Überschrift von Ludolff und aus den gedruckten Bescheidsammlungen zeigt an, dass tatsächlich zwei getrennte Gemeine Bescheide am selben Tag ergingen. Inhaltlich haben sie auch keine Berührungspunkte. Zunächst geht es im vorliegenden zweiten Bescheid um Fragen des Appellationsverfahrens. Im Kameralprozess oblag es dem Appellanten, die Prozessakte der ersten Instanz zu beschaffen und beim Reichskammergericht einzureichen. Hierbei ging es nicht um die Originalakte, sondern lediglich um eine beglaubigte Abschrift. Ob freilich der vorinstanzliche Richter bereit sein würde, die Abschrift anfertigen zu lassen und sie dem Appellanten zu übergeben, 1 2 3 4 5 6

Compuls[oriales] … concludendum in Seyler/Barth V 1605. BA Slg. 1600 (1. HS); Seyler/Barth V 1605; GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686. Nach AHL Slg.; BA Slg. 1600 (1. HS); GB 1678; dagegen CJC 1724 Reichs-Tag. BA Slg. 1600 (1. HS) unnd. Fehlt in Seyler/Barth V 1605; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696. AHL Slg.; BA Slg. 1600 (1. HS); Seyler/Barth V 1605; GB 1678; GB 1695; GB 1696 wiederumb.

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RKG Nr. 85 1585 August 23

war im Voraus schwer abzusehen. Deswegen ließen sich die Appellanten zumeist gemeinsam mit der Zitation zugleich einen Kompulsorialbrief ausstellen. Dieser Kompulsorial- oder Zwangsbrief forderte den vorinstanzlichen Richter auf, dem Appellanten auf sein Ansinnen hin eine Abschrift der Akten auszuhändigen. Der Gemeine Bescheid knüpft daran an und verlangt vom appellantischen Prokurator, den Kompulsorialbrief mitsamt den Acta priora grundsätzlich im Reproduktionstermin gerichtlich zu übergeben. Bei einem Verstoß drohte die sofortige Klageabweisung, nämlich die absolutio ab instantia des Appellaten. Nur ausnahmsweise, falls die Abschrift noch nicht abgeschlossen war, genügte es, glaubhaft zu machen, innerhalb welcher Zeit sie vorliegen würde. Wenn der Appellant es unterlassen hatte, den Kompulsorialbrief zu beantragen, erhielt er an diesem ersten Termin noch die Möglichkeit, sein Versäumnis nachzuholen. Der zweite Regelungspunkt betrifft das Verhältnis gerichtlich gesetzter Fristen zum Tod des gegnerischen Prokurators. Grundsätzlich unterbrach ein Prokuratorenwechsel auf der Gegenseite nicht die gerichtlich festgelegten Fristen. Immer dann nämlich, wenn sich nach einer Unterbrechung ein neuer Prokurator legitimierte, befand sich der Prozess wieder in streitiger Rechtshängigkeit. Bei Strafe war es verboten, deswegen neue Termine zu beantragen. Die letzte Anordnung erging zum sog. Beschluss der Sache. Genau so, wie die Rechtshängigkeit eine förmliche Litiskontestation erforderte, hing die Entscheidungsreife der Sache davon ab, dass die Prokuratoren zum Urteil beschlossen. Geboten war dies, wenn kein weiterer Schriftsatzwechsel mehr zugelassen war, wenn also die Beteiligten ihr Pingpongspiel von Klage, Exzeption, Replik, Duplik, Triplik, Quadruplik etc. beendet hatten. Nachdem der erste Prokurator die Sache beschlossen hatte, war kein neuer Schlagabtausch mehr möglich. Jetzt musste auch der Widerpart, spätestens in der nächsten Umfrage in novis, den Beschluss erklären. Hierbei handelte es sich um eine Prozesshandlung, die nach dem Wortlaut des Bescheids zwingend mündlich zu erfolgen hatte. Zumindest hier, ganz am Ende des Prozesses, kam einer mündlichen Erklärung somit maßgebliche Bedeutung zu. Sofern man diesen Beschluss nicht als leere Förmlichkeit ansieht, sondern die Möglichkeit des Gerichts, Urteile zu fällen, tatsächlich davon abhing, gab es also Reste von Mündlichkeit im Kameralverfahren, die durchaus von Bedeutung waren.

RKG Nr. 85 1585 August 231 [In causis simplicis querelae libellus in primo termino [[sub poena absolutionis a citatione]]2 producitor: Commissione [[ coram deputatis]]1 oraliter2 petita nomina 1

2

Unklare Anmerkung in BA Slg. 1600 (2. HS) In Copia Dominis Visitatoribus 13. Maii Anno 86 exhibita, hoc loco inserta fuit et sententia generalis 7. Julii Anno 85 lata sic: Gemeiner Bescheidt. Letztlich ist auch der gemein Bescheidt das die Procuratores hinfüro usw. ut in libro sententiarum Anno 85. Sub ... citatione in GB 1661; Blum 1667

RKG Nr. 85 1585 August 23

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commissariorum coram deputatis3 in schedula [[designata]]4 exhibentor [[ibidemque excipitor]]5: Expensarum designationes ad florenos Rhen[anos] computatorum6 in novis producuntor: Submissionis7 super termino [[pendente]]8 tempus a die habiti recessus currito.]9 [Procuratores deinceps in causis simplicis querelae libellos in primo statim termino sub poena absolutionis a citatione producant et commissione coram deputatis viva voce petita, nomina commissariorum designate in schedula sub poena ordinationis simul exhibeant et contra eosdem in scriptis ibidem excipiant, designationes expensarum in novis ad rationem florenorum Rhenensium et cruciatorum reduct. profe-rant, et submissione super termino pendente, tempus a die habiti recessus currat, et intra spatium sive petitum sive per sententiam postea contractum sub solita comminatione praeiudic[ialiter] agant.]10 Letzlich ist der Gemeine Bescheid daß die Procuratores hinfüro in Sachen Simplicis Querelae, so sie künfftig durch Außziehung und Execution der Proceß werden anhängig machen, ihre Claglibell11 sub poena absolutionis a Citatione alsobald in primo Termino fürbringen, auch bey Straff der Ordnung die Nomina der fürgeschlagenen [zwo]12 Commissarien, wann sie coram Deputatis mündlich Commissionen13 begehren, auff einen Zettel verzeichnet darneben beylegen und hernach die Exceptiones contra eosdem schrifftlich gleichfalls coram Deputatis, aber Designationes Expensarum in Novis übergeben und dieselbe auff keine andere Müntz dann Rheinische Gülden und Kreutzer richten sollen: Daß auch fürohin, wann ratione primi Termini submittirt ist, einem jeden Procuratorn14 seine selbst zur Handlung begehrte [unnd]15 vom Gegentheil16 aber widersprochene Zeit, es werde gleich auff solche Submission ratione Termini über kurtz oder lang oder etwa vor dessen gäntzlicher Verfliessung gar nicht interloquirt, dannoch alsobald a die habiti Recessus anlauffen und er von selbigem Tag an zu rechnen zwischen solch seinem selbst 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Coram deputatis in GB 1661; Blum 1667. GB 1661; Blum 1667 oretenus. Coram deputatis fehlt in GB 1661; Blum 1667 an dieser Stelle. GB 1661; Blum 1667. Ibidemque excipitor in GB 1661; Blum 1667. GB 1661; Blum 1667 computatae. GB 1661; Blum 1667 Submissione. GB 1661; Blum 1667. In ... currito in GB 1661; Blum 1667 (mit Abweichungen); GB 1710; GB 1714. Procuratores … agant in Seyler/Barth V 1605. Nach AHL Slg.; BA Slg. 1600 (beide HS); Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695 (Klag-libell); GB 1696 (Klaglibell); dagegen CJC 1724 Tag-Libell. AHL Slg.; dagegen BA Slg. 1600 (beide HS); GB 1671 zu. AHL Slg.; BA Slg. 1600 (beide HS) Commissionem. AHL Slg.; BA Slg. 1600 (beide HS) Procuratori. AHL Slg. AHL Slg.; BA Slg. 1600 (beide HS) Gegenanwaldt.

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RKG Nr. 85 1585 August 23

begehrten oder hernach per sententiam abgekürtzten Termin sub solita Comminatione praejudiciali zu handlen schuldig seyn solle. Vorlage: CJC 1724, S. 429 Nr. CCXCIX. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1600 Bl. 83RS-84 und 105-105RS (doppelt im Buch vorhanden); AHL Slg. fol. 5r; Seyler/Barth V 1605, S. 1066; GB 1661, S. 17; GB 1665, S. 14-15; Blum 1667, S. 551; GB 1671, S. 14-15; GB 1678, S. 14-15; GB 1686, S. 14-15; GB 1688, S. 13; GB 1695, S. 31; GB 1696, S. 31; GB 1707, S. 31; GB 1710, S. 36-37 Nr. LXXXII; GB 1714, S. 24 Nr. LXXXIV; CJC 1717, S. 24 Nr. LXXXIV; GB 1717, S. 24 Nr. LXXXIV; GB 1724, S. 36-37 Nr. LXXXII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid wirkt wie ein Nachtrag zum einen Monat zuvor ergangenen Bescheid vom 7. Juli 1585 (unmittelbar zuvor RKG Nr. 84). Die Eröffnung ist sprachlich an das Vorbild angelehnt, nur geht es diesmal nicht um das Appellationsverfahren, sondern um den erstinstanzlichen Rechtsstreit, also um die simple Querel. Genau so, wie der ältere Bescheid die Verpflichtung enthielt, im Reproduktionstermin Compulsoriales und Acta priora vorzulegen, verlangte das Reichskammergericht jetzt, im Reproduktionstermin der ersten Instanz sofort den Klagelibell einzureichen. Anderenfalls drohte wieder die Instanzentbindung des Beklagten. Danach ging es um das Beweisverfahren vor den Deputierten. Sowohl die Namen der vorgeschlagenen Kommissare als auch die gegen sie bestehenden Einwände waren in Schriftform vorzulegen. Auf diese Weise stellte das Gericht klar, dass es sich auch im Beweisabschnitt vor dem stark verkleinerten Kameralkollegium weiterhin um einen schriftlichen Prozess handelte. Eine Regelung über die Anwaltshonorare schloss sich an, nämlich in welcher Umfrageordnung sie geltend zu machen waren und auf welchen Münzfuß sie berechnet sein mussten (dazu auch Gemeiner Bescheid vom 9. März 1587, unten RKG Nr. 88). Der letzte Punkt betraf Fristberechnungen in den Audienzen. Wer eine Frist verlängern lassen wollte, musste dies beantragen. Widersprach der Gegner, lag es am Gericht, durch Zwischenurteil über die Zeitspanne zu befinden. Hierbei war es möglich, die Erstreckung zu gewähren, abzuschlagen oder zu verkürzen. In jedem Fall sollte die Fristberechnung mit demjenigen Termin beginnen, an dem der Prokurator die Handlung ursprünglich hatte vornehmen sollen. Da man im Voraus nicht wissen konnte, ob und wenn ja welches Interlokut das Kameralkollegium fällen würde, lag hier in der Theorie also ein erhebliches Risiko. In der Praxis wurde aber wie gewohnt nicht so heiß gegessen wie gekocht. Die Protokollbücher der Reichskammergerichtsakten sind voll von Anträgen auf Fristverlängerungen wie auch von gewährten und abgeschlagenen Fristen. Die angedrohte Strafe war ohnehin nur auf dem Papier von Gewicht. Die einfache Ankündigung präjudizierlicher Folgen konnte kaum jemanden ernstlich abschrecken. Denn bis eine Präklusion tatsächlich eingriff, gab es noch weitere Vorstufen, erhöhte, aber zumeist zahnlose Drohungen und in der Praxis ständig weitere Fristerstreckungen.

RKG Nr. 86 1585 Oktober 19

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RKG (ohne Nr.) 1585 August 30 siehe 1558 August 30

RKG Nr. 86 1585 Oktober 19 [Insinuationes et implorationes pro confirmationibus ac decretorum interpositionibus in scriptis fiunto.]1 [Insinuationes ac petitiones pro confirmationibus vel interponendis decretis in scriptis fiant.]2 [Procuratores deinceps insinuationes et confirmationes vel interpositiones decretorum non viva voce sed in scriptis petant.]3 Letztlich ist der Gemeine Bescheid, daß hinführo die Procuratores alle Insinuationes und Begehren pro Confirmationibus oder Interpositionibus Decretorum nicht mündlich, sondern in Schrifften thun sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 429 Nr. CCC. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1600 Bl. 84; Seyler/Barth V 1605, S. 1080; GB 1661, S. 17; GB 1665, S. 15; Blum 1667, S. 552; GB 1671, S. 15; GB 1678, S. 15; GB 1686, S. 15; GB 1688, S. 13; GB 1695, S. 32; GB 1696, S. 32; GB 1707, S. 32; GB 1710, S. 37 Nr. LXXXIII; GB 1714, S. 24 Nr. LXXXV; CJC 1717, S. 24 Nr. LXXXV; GB 1717, S. 24 Nr. LXXXV; GB 1724, S. 37 Nr. LXXXIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bekräftigt den Grundsatz der Schriftlichkeit im Kameralprozess. Es ging um Anträge der Prokuratoren auf Erlass oder Bestätigung von Zwischenurteilen. In den Audienzen ließen sich solche Gesuche wohl leichthin stellen, entfalteten in der bloß mündlichen Form aber keine Wirkung. Der Gemeine Bescheid verlangte für solche Anträge ausdrücklich die Schriftform. Mit Insinuation meinte der Bescheid hier wohl im Gegensatz zur sonst gebräuchlichen Wortbedeutung als Zustellung oder Verkündung eher untechnisch ein Ansinnen, mehr oder weniger also die Übersetzung der zeitgenössisch deutschen „Begehr“. Ebenso scheint es sich bei den angesprochenen Dekreten um Zwischenurteile oder andere Mitteilungen des Gerichts gehandelt zu 1 2 3

Insinuationes ... fiunto in GB 1661; Blum 1667. Insinuationes ... fiant in GB 1710. Procuratores … petant in Selyer/Barth V 1605.

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RKG Nr. 87 1586 Januar 20/28

haben, möglicherweise auch um Extrajudizialdekrete. Einen Hinweis, hier könnten Gemeine Bescheide als solche gemeint sein, enthält die Quelle nicht.

RKG Nr. 87 1586 Januar 20/281 [Ableinungsschrifft ut iniuriosa reiicitur salvo iure partis formiter producendo. Procurator quod d[ictam] Famoßschrifft produxit et ex aliis causis privatur officio advocato omni patrocinio etc. consiliis, supplicationibus, sollicitat[ionibus], revis[ionibus] etc. tam iudicialiter quam extraiud[icialiter] interdicitur sub poena 20. M. auri ex officio.]2 [Nemo procuratorum productum per advocatum Dr. K. conceptum vel revisum in Camera producito aut produci facito.]3 [Nullus procuratorum productum per advocatum Dr. K. conceptum aut revisum in Camera exhibeto vel exhiberi finito.]4 In Sachen Herrn P. E.5 Graffen zu M.6 wider die Manßfeldische7 Creditores in Actis benannt, secundae Appellationis, in specie den Herrn Churfürsten zu G.8 belangend9: Ist die von wegen ermeldten Herrn10 Graffens11 den 23. Septembris Anno 1584 einkommene Ableinungsschrifft als schmähafft und denen gemein beschriebenen Rechten, Reichsordnungen12 und Abschieden zuwider nicht angenommen, sondern verworffen, jedoch ihme Herrn Graffen13 seine Nothdurfft förmlich14 und wie sichs gebühret nochmahls15 vorzubringen hierdurch unbenommen, auch Lizentiat 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

20. Januarii in GB 1714; CJC 1717; GB 1724; 28. Januarii in Seyler/Barth V 1605; GB 1717; dagegen GB 1695; GB 1696; GB 1707 Anno 1586, 38. Jan. Ableinungsschrifft … officio in Seyler/Barth 1605. Nemo ... facito in GB 1661; Blum 1667. Nullus ... finito in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696;GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 R. G. Seyler/Barth 1605; GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696 O.; Gylmann 1605 Sachen Domini von L. F. Z. K. Seyler/Barth 1605; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678 O; dagegen GB 1695; GB 1696 wider die Creditores; Gylmann 1605 wider dessen Creditores. Seyler/Barth 1605; GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696 Herrn E. zu V. In specie … belangend fehlt in Gylmann 1605. Fehlt in Seyler/Barth 1605. Fehlt in Gylmann 1605. Gylmann 1605; Seyler/Barth 1605 Reichsordnung. Gylmann 1605 L. F. Fehlt in Gylmann 1605. GB 1661; GB 1678; GB 1695; GB 1696 nachmahls.

RKG Nr. 87 1586 Januar 20/28

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H.1 um willen2 er solche Famosschrifft gerichtlich eingegeben und aus3 andern bewegenden Ursachen seines Procuratorstands hiemit privirt und entsetzt: Dann Dr. J. H.4 als Advocato Causae, welcher berührte Schriffte ihme Lizentiat H.5 zu produciren befohlen, bey Straff zwantzig Marck löthigen Golds dem Kayserlichen Fisco unnachlässig zu entrichten, von6 keiner Parthey, wer die auch sey, in- oder7 ausserhalb deß Gerichts in jetzt- und künfftigen Sachen an diesem Kayserlichen Cammergericht mit Advociren, Consuliren, Suppliciren, Solicitiren, Revidiren noch in einige andere Wege sich ferner gebrauchen zulassen, gäntzlich8 interdicirt9 und verbotten, als wir sie desselbigen10 hiemit priviren, entsetzen, auch respective interdiciren11 [und]12 verbiethen und solches alles von Ambts wegen. [Procuratoribus omnibus interdicitur sub privatione officii et aliis arbitrariis ne ullum productum per advocatum N. quocumque modo conceptum vel revisum etc. tam iudicialiter quam extraiudicialiter producant vel produci faciant etc. sed principalibus id denuncient.]13 Letztlich ist14 dieser Gemeine Bescheid, daß alle und jede dieses15 Kayserlichen Cammergerichts Procuratores bey dem Eyd, damit sie demselben zugethan, auch bey16 Entsetzung ihres Procuratorn Stands und andern Straffen nach Ermessigung, [fürter]17 keine Schriffthandlung oder anders, wie das Nahmen haben mag, durch ermeldten Dr. H.18 denen Partheyen advocando, consulendo, supplicando, sollicitando noch in andere Wege concipirt, revidirt und19 gefertigt, weder judicialiter noch extrajudicialiter einzugeben, wissentlich oder vermuthlich von ihme oder andern annehmen noch20 an diesem Kayserlichen Cammergericht produciren oder reproduciren21 lassen, ohn alle Argelist22 und Gefährde, auch solches alles denen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Gylmann 1605 auch N.; Seyler/Barth 1605 Lt. K.; GB 1661; GB 1678; GB 1695; GB 1696 N. Seyler/Barth 1605; GB 1661; GB 1678 umb deßwillen; Gylmann 1605; GB 1695; GB 1696 um deßwillen. Fehlt in Seyler/Barth 1605; Gylmann 1605; GB 1661; GB 1678; GB 1695; GB 1696. Gylmann 1605 D. N.; Seyler/Barth 1605 Dr. L. K.; GB 1661; GB 1678; GB 1695; GB 1696 Dr. K. Gylmann 1605 ihme N.; Seyler/Barth 1605 Lt. K.; GB 1661; GB 1678 N; GB 1695; GB 1696 ihme Lt. zu. Gylmann 1605 und. Gylmann 1605; Seyler/Barth 1605 und. Fehlt in GB 1678; GB 1695; GB 1696. Gylmann 1605 intercidiert; Seyler/Barth 1605 intercidirt. Gylmann 1605 dieselbigen. Gylmann 1605 intercidiern. Gylmann 1605. Procuratoribus … denuncient in Seyler/Barth 1605. Fehlt in Gylmann 1605; Seyler/Barth 1605. Gylmann 1605 deß. Fehlt in Gylmann 1605; Seyler/Barth 1605; GB 1661; GB 1695; GB 1696. Gylmann 1605; Seyler/Barth 1605; GB 1661; GB 1695; GB 1696. Gylmann 1605 D. N.; dagegen Seyler/Barth 1605; GB 1661; GB 1678; GB 1695; GB 1696 K. GB 1661; GB 1678; GB 1695; GB 1696 oder. Gylmann 1605; Seyler/Barth 1605; GB 1661; GB 1678; GB 1695; GB 1696 und. Oder reproduciren fehlt in Gylmann 1605; dagegen Seyler/Barth 1605; GB 1661; GB 1678 oder produciren. Gylmann 1605 ohne alle arge List; GB 1695; GB 1696 ohne Argelist.

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RKG Nr. 87 1586 Januar 20/28

Partheyen, welchen sie neben ihme Dr. H.1 procurando biß dahero gedienet, ohnverzüglich ankünden und zu wissen machen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 429-430 Nr. CCCI. Weitere Ausgaben: Adrian Gylmann, Symphorematis Tom. II Supplicationum pro processibus (…) impetrandis, Frankfurt am Main 1605, tom. II part. II vot. 14, S. 45-46 Entwurf, S. 46 Endfassung; Seyler/Barth V 1605, S. 1098-1099 D-E; GB 1661, S. 17-18; GB 1665, S. 15; Blum 1667, S. 552-553; GB 1671, S. 15; GB 1678, S. 15; GB 1686, S. 15; GB 1688, S. 13-14; GB 1695, S. 32-33; GB 1696, S. 32-33; GB 1707, S. 32-33; GB 1710, S. 37-38 Nr. LXXXIV; GB 1714, S. 24-25 Nr. LXXXVI; CJC 1717, S. 24-25 Nr. LXXXVI; GB 1717, S. 24-25 Nr. LXXXVI; GB 1724, S. 37-38 Nr. LXXXIV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ist zweigeteilt in Zwischenurteil und allgemeine Anordnung. Das Interlokut ist so umfangreich wie bis zu diesem Zeitpunkt noch nie. Inhaltlich gehören beide Regelungen eng zusammen, denn auch der Gemeine Bescheid enthält konkrete Anweisungen zum Umgang mit einem ehemaligen Reichskammergerichtsprokurator und einem Advokaten. Der Hintergrund war freilich gesalzen. Man hat es mit einer gerichtlichen Reaktion auf einen wohl schwerwiegenden Anwaltsskandal zu tun, vom Ausmaß ganz ähnlich wie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Auseinandersetzungen um Damian Ferdinand Haas (dazu unten Gemeine Bescheide vom 13. Februar 1784 und 28. Februar 1787; RKG Nr. 315 und 321; zum Jud-Löw-Fall Gemeine Bescheide vom 27. Juli 1685, 2. Oktober 1685 und 7. Juli 1687; unten RKG Nr. 210-211 und 213). Im hier vorliegenden Fall aus dem Jahre 1586 hatte sich der Prokurator eines Grafen in einem Rechtsstreit gegen die Mansfeldischen Kreditoren erheblich im Ton vergriffen. Der Prozess scheint zeitgenössisch Bedeutung erlangt zu haben, denn sogar ein Kurfürst war als Intervenient in das Kameralverfahren eingetreten. Schon im Herbst 1584 hatte der Prokurator des Grafen die beleidigende Schmähschrift eingereicht. Das Reichskammergericht benötigte fast eineinhalb Jahre, um zur angemessenen Reaktion zu gelangen. Ohne Vorwarnung enthob es den Prokurator seines Amtes und entfernte ihn vom Gericht. Der Graf durfte sich einen neuen Prokurator suchen und seinen Schriftsatz abermals vorlegen. Hier traf den Prokurator im Ergebnis die volle Verantwortung für den Wortlaut eines Schriftsatzes, den tatsächlich der Advokat des Grafen Wort für Wort konzipiert hatte. Als postulationsfähiger Parteivertreter hatte der Kameralprokurator freilich darauf zu achten, dass alle Schriftsätze ordnungsgemäß formuliert waren. Und diese Pflicht hatte er grob verletzt. Doch auch den Advokaten zog das Reichskammergericht zur Strafe heran. Zunächst hatte er 20 Goldmark zu bezahlen, eine vergleichsweise hohe Summe, doppelt so hoch jedenfalls wie beim Verstoß gegen ein Mandat sine clausula. Sodann verhängte das Kameralkollegium eine Art Kontaktsperre. Niemals wieder durfte dieser Advokat als Rechtsbeistand oder in welcher Rolle auch immer in einem Kammergerichtsprozess tätig werden. 1

Gylmann 1605 D. N.; GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696 K.

RKG Nr. 88 1587 März 9

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Der im zweiten Absatz formulierte Gemeine Bescheid gab dieses Verbot jedweder Zusammenarbeit den Prokuratoren förmlich bekannt. Die angedrohte Sanktion war schneidig, nämlich ebenfalls die Entsetzung aus dem Prokuratorenstand. Auch diejenigen Mandanten, die bisher mit dem verstoßenen Advokaten zusammengearbeitet hatten, sollten über ihre Prokuratoren von dem verhängten Verbot erfahren. Nach der Mitteilung von Blum 1667 ist zu diesem Fall eine vollständige Relation überliefert, und zwar bei „Gylmann, Tom. 2. part. 2. vot. 14. pag. 37 usque 47“. Tatsächlich handelt es sich um die Seiten 36-46 und sogar um mehrere Relationen und Voten. Der zugrundeliegende Rechtsstreit dürfte mit dem im Landeshauptarchiv Magdeburg erhaltenen Prozess RKG 900 (Rep. A 53 Lit. M Nr. 120) übereinstimmen. Peter Ernst, Graf von Mansfeld, führte in den 1580er und 1590er Jahren diese Mammutappellation gegen sämtliche Gläubiger seines Hauses, darunter Kurfürst August von Sachsen (Repertoriumshinweis bei Dietrich Lücke, Findbuch der Akten des Reichskammergerichts im Landesarchiv Magdeburg – Landeshauptarchiv (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung des Landes Sachsen-Anhalt A 15/Inventar der Akten des Reichskammergerichts 25), Magdeburg 2000, Buchstabe L-M, S. 146-157).

RKG Nr. 88 1587 März 9 Es sollen die Procuratores hinführo die Straff Gülden in Sorten und Werth, so der Reichsmüntzordnung gemäß, entrichten. Vorlage: CJC 1724, S. 447 Nr. CCCXI. Weitere Ausgaben: fehlt in Seyler/Barth V 1605; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid legt abermals den am Reichskammergericht zu beachtenden Münzfuß fest. Im Bescheid vom 23. August 1585 (oben RKG Nr. 85) ging es um die Berechnung der Anwaltshonorare, hier um Ordnungsstrafen. Angesichts der Vielzahl kursierender Münzen lehnte sich das Reichskammergericht an die Münzordnung von 1559 an und erstrebte auf diese Weise eine gewisse Vereinheitlichung. Später kam das Kameralkollegium auf Fragen des Münzfußes unter anderem im Zusammenhang mit der Finanzierung des Gerichts zurück. Auch die Kammerzieler sollten in gängigen Münzen und nicht in geringwertigen Stücken entrichtet werden (dazu u. a. Gemeiner Bescheid vom 13. Januar 1598, unten RKG Nr. 96).

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RKG Nr. 89 1590 Juli 7

RKG Nr. 89 1590 Juli 7 [Decretum hoc varia in recessibus formandis observanda proponit.]1 [Varia in recessibus formandis observanda proponuntur.]2 Letztlich ist der Gemeine Bescheid, daß die Procuratores hinführo ante realem Reproductionem Processuum3 für Gericht de diligentia zu protestiren oder die Process prout penes exequentem mündlich zu reproduciren, auch4 biß zu Ankunfft des Cammerbotten5 oder andere prorogation der Fatalien wie auch anderer Terminorum ohne gnugsahme Bescheinung erheblicher von neuem fürgefallener Ursachen zu bitten sich gäntzlich enthalten sollen, auch in reproductione Processuum6 anderst nicht als in andern Recessen allein die blosse Nahmen der Partheyen und Intitulaturen der Sachen, darinn sie dieselbe einführen, vermelden, ohne einige weitläufftige Praefation und fernere Wort, deren sie sich bißhero gebraucht. § 1. Deßgleichen auch ohn weitläufftige protestation und reservation ihrer Exceptionen7, sonderlich8 allein mit diesen ungefährlichen Worten: „Cum solita protestatione etc.“9 erscheinen und dann in primo termino alsbald Instrumentum appellationis sambt allen andern gebührenden Handlungen zugleich fürbringen, wie imgleichen auch andere ihre Recess nicht zertheilen, sondern alles, was sie auff einem Termin oder Zeit10 zu handlen miteinander in einem Recess verrichten und produciren, auch termino obtento [iam]11 purificato anstatt der prorogation keine fernere Zeit pro novo termino bitten oder sonst einiger Weiß ohnnothwendig disputiren oder submittiren, insonderheit der Zeit halben und da der Mangel gering (als etwann einen oder zween Monath belangt), welcher in der ulteriore prorogatione12, im Fall es vonnöthen, erstattet werden kan. § 2. Ebener massen sollen ermeldte Procuratores13 in ihren mündlichen Handlungen in einem puncto oder eines Begehrens wegen ohne sonderlich erheblichen

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Decretum ... proponit in GB 1661; Blum 1667. Varia ... proponuntur in GB 1710; GB 1717. AHL Slg. productionem processum. AHL Slg. aus. AHL Slg. Botten. AHL Slg. productione processum. AHL Slg. Exception. AHL Slg.; GB 1661; Blum 1667 sondern. Fehlt in AHL Slg. AHL jedem Termine und Zeit. AHL Slg.; GB 1661. AHL Slg. in ulteriori prorogatione; GB 1678; GB 1695; GB 1696 in der ulteriori prorogatione. AHL Slg. Procuratorn.

RKG Nr. 89 1590 Juli 7

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Ursachen nicht repliciren1 oder dupliciren und was in schrifftlichen producten und documenten begriffen mit keinem Wort repetiren, sondern allein die blosse Inscription derselbigen in genere anzeigen und endlichen in allen ihren mündlichen Vorbringen und Recessen sich denen hiebevor vielfältig publicirten Abschieden und Gemeinen Bescheiden, mehr als bißhero geschehen, gemäß verhalten. § 3. Vornehmlich aber alles weitläufftige und langes Recessiren und handlen gäntzlich vermeiden, sondern, wo je einige Handlung uff drey oder vier Linien ohngefähr nicht eingezogen oder verrichtet werden mag, sollen sie solche2 mit aller Kürtze schrifftlich auffgezeichnet mit kurtzer Vermeldung der Inscription und Begehrens zugleich cum copia übergeben und vorbringen. Darauff dann der Gegentheil3 in derselben Audientz oder ad proximam gleichermassen zu handlen schuldig seyn. Welchen allen und jeden gedachte Procuratores also bey ernstlicher und4 unnachlässiger Straff nach Ermessigung, auch nach Befindung des beharrlichen Übertrettens bey Entsetzung ihres Stands oder in andere Wege hinführo gehorsamlich leben und nachkommen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 450 Nr. CCCXVI. Weitere Ausgaben: AHL Slg. fol. 6r-7r; GB 1661, S. 18; GB 1665, S. 15-16; Blum 1667, S. 553-554; GB 1671, S. 15-16; GB 1678, S. 15-16; GB 1686, S. 15-16; GB 1688, S. 14; GB 1695, S. 33-34; GB 1696, S. 33-34; GB 1707, S. 33-34; GB 1710, S. 38-40 Nr. LXXXV; GB 1714, S. 25-26 Nr. LXXXVII; CJC 1717, S. 25-26 Nr. LXXXVII; GB 1717, S. 25-26 Nr. LXXXVII; GB 1724, S. 38-40 Nr. LXXXV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich mit dem ordnungsgemäßen Verhalten der Prokuratoren in der Audienz, insbesondere mit dem Verzicht auf überflüssige Rezesse und ausgreifende Mündlichkeit. Zunächst sollten die Prokuratoren nach dem Prinzipium vor dem Reproduktionstermin bzw. vor Ankunft des Kammerboten mit den zugestellten Ladungen und Mandaten nicht im Voraus protestieren oder sicherheitshalber Fristverlängerungen beantragen. Bei hinreichender Begründung war das zwar weiterhin möglich, sonst aber nicht. Die mündlichen Rezesse sollten nach dem Willen des Gemeinen Bescheides vollends ohne jede persönliche Note auf die bloße Übergabe von Schriftsätzen beschränkt sein. Zuvor hatte sich wohl eine großzügigere Handhabung eingeschliffen. Jedenfalls nahm der Gemeine Bescheid diese Kritik an den Parteien zum Anlass für die erneute Einschärfung. Rechtsausführungen und Erläuterungen zur Sache waren danach unerwünscht und verboten. Lediglich die Bezeichnung des Prozesses sollten die Prokuratoren mündlich mitteilen und dann nur sagen, welchen Schriftsatz sie in dieser Sache übergaben. Damit waren jegliche inhaltliche Stellungnahmen zur Sache abgeschnitten. § 1 knüpft unmittelbar daran an und 1 2 3 4

AHL Slg. expliciren. Fehlt in AHL Slg.; dagegen GB 1661; GB 1678; GB 1695; GB 1696 solchen. AHL Slg. der Gegentheill dann. Fehlt in AHL Slg.

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RKG Nr. 89 1590 Juli 7

gibt für die Exzeptionsschrift sogar ein Beispiel, mit welchen Worten man sie in der Audienz übergeben konnte. Zugleich verlangt der Bescheid, alle zusammengehörigen Unterlagen möglichst gleichzeitig zu produzieren. Die Termine sollten nicht künstlich auseinandergezogen werden. Auf diese Weise versuchte der Gemeine Bescheid die Prozesse zu verkürzen. Wie schon in mehreren Regelungen zuvor diente das der Prozesskonzentration. Inwieweit man von Schritten auf dem Weg zur Eventualmaxime sprechen sollte, ist unklar. Ausdrückliche Präklusionsfolgen drohte das Gericht an dieser Stelle jedenfalls nicht an. § 2 wiederholt den Willen des Kameralkollegiums nochmals und sichert ihn mit Verweis auf zahlreiche frühere Regelungen ab. In mündlichen Rezessen durften die Anwälte etwa nicht replizieren oder duplizieren. Dafür waren spezielle Schriftsätze vorgesehen. Außerdem war es verboten, den Inhalt von Schriftsätzen im Termin zu wiederholen oder zusammenzufassen. Wie im Prinzipium ging es auch hier um die Verpflichtung der Prokuratoren, bei den mündlichen Rezessen lediglich die Parteien und die Prozessbezeichnung zu nennen. Erneut beklagte sich das Reichskammergericht, wie wenig die Prokuratoren diese Anordnung bisher befolgt hätten. § 3 legt die übliche Obergrenze fest, wie lang ein mündlicher Vortrag dauern sollte. Ein normaler Rezess musste so kurz sein, dass der Protokollführer ihn bei wörtlicher Mitschrift auf drei oder vier Zeilen im Protokollbuch festhalten konnte. War das ausnahmsweise nicht möglich, sollten die Prokuratoren ihre mündlichen Rezesse in Schriftform niederlegen und in der Audienz diesen Zettel gemeinsam mit den Schriftsätzen überreichen. Tatsächlich gab es in der Praxis solche „schrift- anstatt mündlichen Rezesse“. Zumindest teilweise hielten sich die Prokuratoren also an die Vorgaben. Wenn diese schriftlichen Begleitrezesse vorlagen, genügte es wiederum, in der Audienz den bloßen Namen der Parteien und die Prozessart anzugeben. Da in diesem Fall der mündliche Rezess tatsächlich zum Stummfilm erstarrte, sollte der Gegner eine Abschrift des Rezesszettels erhalten. Zum Ende des Bescheides verschärfte das Reichskammergericht die sonst üblichen Strafdrohungen. Nachdem der Gemeine Bescheid vom 28. Januar 1586 (oben RKG Nr. 87) soweit ersichtlich erstmals einen Kammergerichtsprokurator wegen seiner Dienstvergehen aus dem Amt entfernt hatte, drohte nun das Gericht dieselbe Strafe auch für übermäßige Geschwätzigkeit in der Audienz an. Ob die Praxis sich deswegen nachhaltig änderte, ist aber mehr als zweifelhaft. Die Vielzahl der Anordnungen, mit denen das Reichskammergericht das schwerfällige Audienzwesen mit seiner zu bloßen Floskeln erstarrten Mündlichkeit zu verteidigen versuchte, spricht immer wieder für ein ungelöstes und unlösbares Grundproblem des Kameralprozesses.

RKG Nr. 90 1592 Oktober 11

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RKG Nr. 90 1592 Oktober 111 [Procuratores praescripto tempore in audientiis comparento exque illis nondum finitis citra licentiam ne recedunto: ex iustis causis impediti per schedulam se excusanto.]2 [Procuratores in audientiis decenter comparento nec illis nondum finitis recedunto, ex iustis autem causis impediti se per scedulam excusanto.]3 Letztlich ist der Gemein Bescheid, daß die Procuratores vermög der Ordnung und Visitationsabschiede hinführo in den gerichtlichen sowohl vor- als nachmittägigen Audientzen fleissiger, dann eine Zeit hero geschehen, erscheinen und ein jeder zeitlich vor denen verordneten Stunden und Eröffnung der Urtheil sich an seiner Stell finden lassen, auch aus dem Gericht ohne Erlaubnüß des Herrn Cammerrichters oder Praesidenten nicht gehen, sondern darinnen biß zum End derselbigen in seiner Ordnung bleiben soll: Da aber einer oder mehr aus erheblichen Geschäfften und Ursachen entweder gar nicht oder etwas langsamer und also post horam zu erscheinen verhindert würde, soll er dieselbe Ursach ante horam dem Herrn Cammerrichter oder Praesidenten per Schedulam anzeigen und Erlaubnuß zu bitten schuldig seyn, mit dem Anhang, wo einer oder mehr sich in dem ungehorsam erzeigen und solchem also nicht nachkommen würde, daß alsdann vermög der hiebevorigen Visitationsabschiede und Memorialzetteln gegen die Übertretter mit verordneter gebührender Straff nach Ermessigung ohnnachlässig4 zu verfahren, auch deßwegen nothwendige Erkundigung soll eingenommen werden. Vorlage: CJC 1724, S. 450-451 Nr. CCCXVII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 19; GB 1665, S. 16; Blum 1667, S. 554-555; GB 1671, S. 16; GB 1678, S. 16; GB 1686, S. 16; GB 1688, S. 14-15; GB 1695, S. 34-„27“ (Paginierungsfehler); GB 1696, S. 34-„27“ (Paginierungsfehler); GB 1707, S. 34-35; GB 1710, S. 40 Nr. LXXXVI; GB 1714, S. 26 Nr. LXXXVIII; CJC 1717, S. 26 Nr. LXXXVIII; GB 1717, S. 26 Nr. LXXXVIII; GB 1724, S. 40 Nr. LXXXVI. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bekräftigt die Verpflichtung sämtlicher Prokuratoren, vollzählig an allen gerichtlichen Audienzen teilzunehmen und pünktlich vor Beginn zu erscheinen (dazu auch Gemeine Bescheide vom 28. November 1550 § 4 und 3. November 1568, oben RKG 1 2 3 4

Dagegen GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Anno 1592. 13. Octobris; aber Blum 1667; GB 1710; GB 1717 11. Octobris 1592. Procuratores ... excusanto in GB 1661; Blum 1667. Procuratores ... excusanto in GB 1710. Fehlt in Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1710.

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RKG Nr. 91 1593 März 30

Nr. 44 und 61; später vom 11. April 1595 §§ 4-5, 12. März 1688 und 30. März 1688, unten RKG Nr. 94, 203, 216). Warum die wiederholte Einschärfung erforderlich war, sagt der Bescheid ebenfalls: Die Prokuratoren hatten sich an die zahlreichen älteren Vorschriften nicht gehalten, die Anwesenheit in der Audienz bröckelte ab. Nebenbei bestätigt der Bescheid, dass die Audienzen weiterhin mit den Urteilsverkündungen begannen. Gleichzeitig hielt das Gericht Hintertürchen für Ausnahmen offen. Ohne Erlaubnis des Kammerrichters oder des Präsidenten durfte ein Prokurator sich zwar nicht aus der Audienz entfernen oder ganz fernbleiben. Es stand ihm aber frei, im Voraus den Dispens schriftlich zu beantragen und handfeste Gründe zu nennen, warum er nicht kommen konnte. Im Übrigen handelt es sich um den ersten Gemeinen Bescheid, der das Amt des Kammergerichtspräsidenten belegt. Die Gerichtsordnung von 1555 (RKGO 1555 1, 12) hatte nur ganz vage die Möglichkeit angedeutet, einen Vertreter zu bestellen, falls der Kammerrichter abwesend oder krank war. Jetzt war das Präsidentenamt inzwischen fest institutionalisiert. Auch die Zahl und Verteilung der Audienzen änderte sich weiterhin häufig. Nunmehr gab es zwei tägliche Audienzen, eine glatte Verdoppelung zur Vorgabe von 1555 (RKGO 1555 3, 1: drei Nachmittagsaudienzen pro Woche). Auch dies deutet auf einen unaufgelösten Konflikt hin: Je höher die Zahl der Audienzen stieg, um so belastender wurde es für die Prokuratoren, an allen diesen Terminen teilzunehmen.

RKG (ohne Nummer) 1592 Oktober 13 siehe 1592 Oktober 11.

RKG Nr. 91 1593 März 30 [Supplicationes extraiudiciales in duplo exhibentor. In recessibus productisque partes et causae bene distinguuntor. 1. Producta inscribuntor exceptiones, replicae, duplicae etc. correctaque traduntor: nec deliberatoriae temere petuntor. 2. In iudicialibus supplicationibus pro processibus termini sunto breviores ac processibus in praefixo termino reproductis citatus dilationem sub poena proclamatis ne petito: Proclamate autem decreto contumacia ultro purgator. 3. Intra tempus cautionis se non legitimans cum expensis dilatae litis alias etiam poenas luito. Mandata ad punctum executionis active et passive constituuntor. 4. Copiae signatae sine admonitione

RKG Nr. 91 1593 März 30

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exhibentor. Adversus contumaces tutores in causa principali ne proceditor: Neque rotuli extraiudicialiter exhibiti sine adversarii consensu vel probata indigentia extraduntor.]1 [Supplicationes extraiudiciales in duplo exhibentor et partes causaeque bene distinguuntor: 1. Productorum rubri forma et correctio: Dilationes frustraneae vel deliberatoriae ad proximam non petuntor. 2. In Supplicationibus iudicialibus pro processibus termini sint breviores nec processibus reproductis citatus dilationem petit proclamate vero decreto contumaciam sponte purgato. 3. Intra tempus cautionis se non legitimans punitor et mandata constituuntor ad punctum executionis active et passive. 4. Copiae signatae statim exhibentor: Adversus tutores contumaces in causa principali non proceditor neque rotuli extraiudicialiter exhibiti sine adversarii consensu vel necessitate probata extraduntor.]2 [1.]3 Letztlich ist der Gemeine Bescheid, daß die Procuratores hinführo bey Straf nach Ermessigung ihre4 Supplicationes in Rath zweyfach übergeben und deren eine wie auch hernacher gleichlautende Copien darinn vermeldter Beylagen (soviel derselben von ihnen erfordert werden), ehe sie die Decreta erheben, bey der Cantzley lassen: 2. In ihren Recessen und Producten in specie auff das kürtzeste die Sache, Puncten und Partheyen und jederzeit den Impetranten zum ersten, 3. und da a5 Simplici Interlocutoria appelliret, dasselbe sowohl in allbereit gerichtlich eingeführten als künfftigen neuen Sachen in der Intitulatur ausdrücklich vermelden und distinguiren. 4./§ 1.6 Deßgleichen auff jedes Product, ohngeachtet wie es von den Advocaten inscribirt, ob es in denen dabey specificirten Puncten, Exceptiones, Replicae, Duplicae, Triplicae, Quadruplicae7 etc. seyn, eigentlich verzeichnen und solche in allen Recessen anders nicht nennen, 5. auch alle Producta mit mehrerm Fleiß collationiren und nichts incorrect eingeben: 6. Keine vergebliche Dilationes oder8 Deliberatorias bitten oder zulassen, vielweniger ihnen allein fernere Nothdurfft, wie bißhero geschehen, vorbehalten oder

1 2 3 4 5 6 7 8

Supplicationes ... extraduntor in GB 1661; Blum 1667. Supplicationes ... extraduntor in GB 1710. Nummerierung in AHL Slg. (beide Exemplare). AHL Slg. (2. Ex.) hier erst Ziffer 1. Fehlt in AHL Slg. (nur im 1. Ex.). Nummern nach AHL Slg.; §§ nach CJC 1724; GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Fehlt in GB 1678; GB 1695; GB 1696. Dilationes oder fehlt in AHL Slg. (1. und 2. Ex.); GB 1678; GB 1696.

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da es je1 vonnöthen darauff ohnverlängert ad proximam vel secundam handlen oder Zeit zur Handlung bitten. 7./§ 2. Auff gerichtlich einkommene Supplicationes pro Processibus kurtzere Termin, sonderlich aber pro Commissione ad perpetuam rei memoriam mehr nicht als 14. Tage oder zum längsten 4. Wochen bitten noch zulassen: 8. Dann2 auff jeden in den ausbrachten Processen bestimbten Termin oder ja3, so bald der Cammerbott damit [wieder]4 ankommt5, dieselbe reproduciren und hergegen die Citirte gleichermassen drauff erscheinen und derwegen6 ad proximam oder andern Auffzug nicht begehren noch einem andern7 gestatten, sonsten auff Gegentheils Anhalten des Ruffens gewärtig seyn und, sobald dasselbe erkannt, ob es gleich noch nicht geschehen, contumaciam und, da es einen Rath, Commun oder Collegium belangte, nicht mit Erlegung nur eines [Gulden]8, sondern nach Ermessigung des Richters purgiren und ohnerwart9 des10 Gegentheils Erinnern, daß solches geschehen, selbst gerichtlich anzeigen oder sich darzu erbiethen. 9./§ 3. Gleichfalß in Zeit angebottener Caution weniger nicht, als wann dieselbe würcklich geleistet, ohngeachtet deßwegen noch nicht11 submittirt, sich legitimiren: Wo aber erst hernacher12 Ladung ad reassumendum darüber ausgebracht werden müste, soll derjenige, so tempus cautionis also verfliessen lassen, neben13 denen expensis dilatae litis mehr ernstlicher Straff gewarten: 10. Und da nach Absterben eines Anwalds dergleichen Ladung reproducirt14, vorige Submissiones15 allein repetiren und derhalben fernere Zeit nicht bitten noch zulassen: 11. Dann in Fällen und Puncten, da periculum in mora, cautiones nicht gestatten, sondern in contumaciam procediren, 12. hinführo auch keine Gewält, sie seyen dann [darein]16 zugleich ad punctum Executionis active vel passive außtrücklich constituiret, vorbringen noch einander zulassen17, alles bey obberührter Straff nach Ermessigung. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

AHL Slg. jha. GB 1678; GB 1695; GB 1696 Denn. AHL Slg. jhe. AHL Slg. (beide Ex.). AHL Slg. ankommen (beide Ex.). AHL Slg. deßwegen (beide Ex.). AHL Slg. einander (beide Ex.). Aufgelöst aus fl.; AHL Slg.; GB 1678 Gulden. AHL Slg. (2. Ex.) unerwartendt. Fehlt in AHL Slg. (2. Ex.). Fehlt in AHL Slg. (beide Ex.); GB 1678; GB 1696. AHL Slg. hernach erst (beide Ex.). AHL Slg. geben (nur 1. Ex.). AHL Slg. producirt (nur 1. Ex.). AHL Slg. Submission (beide Ex.). AHL Slg. (1. Ex.); dagegen 2. Ex. darin. AHL Slg. fürbringen oder zulaßen (beide Ex.).

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13./§ 4. Mehr sollen sie, wann in einer Sach gemeiner Gewalt einkommen, dessen signirte Copey ohnverzüglich und ehe deßhalben vom Gegentheil Anmahnung geschicht oder ihnen solches aufferleget wird, bey Straff der Ordnung, zu andern Sachen auch legen: 14. Und dann in Contumaciam der nicht erscheinenden Tutorn und Curatorn nicht in der Hauptsach, sondern auff andere in der Ordnung zugelassene Wege gegen deren Persohnen oder Güter auff die Acht oder Immission anruffen und vollfahren1: 15. Auch die extrajudicial2 einkommene Rotulus3 ad perpetuam rei memoriam anderst nicht als auff4 beygelegte glaubwürdige5 Bescheinung, daß der Gegentheil darinn bewilligt oder man deren in Processu causae bedürfftig6, ihnen aus der Leserey wieder folgen zu lassen begehren. Vorlage: CJC 1724, S. 451-452, Nr. CCCXIX. Weitere Ausgaben: AHL Slg. fol. 7v-8v und 16r-17v (zwei handschriftliche Fassungen); GB 1661, S. 19-20; GB 1665, S. 16-17; Blum 1667, S. 555-557; GB 1671, S. 16-17; GB 1678, S. 16-17; GB 1686, S. 16-17; GB 1688, S. 15; GB 1695, S. „27“-37 (Paginierungsfehler); GB 1696, S. „27“-37 (Paginierungsfehler); GB 1707, S. 35-37; GB 1710, S. 40-43 Nr. LXXXVII; GB 1714, S. 26-27 Nr. LXXXIX; CJC 1717, S. 26-27 Nr. LXXXIX; GB 1717, S. 26-27 Nr. LXXXIX; GB 1724, S. 40-42 Nr. LXXXVII. Anmerkung: Nach knapp drei Jahren (Gemeiner Bescheid vom 7. Juli 1590, oben RKG Nr. 89) erging abermals ein größerer Sammelbescheid. Bis einschließlich 11. April 1595 (unten RKG Nr. 94) erließ das Kameralkollegium nunmehr vier Sammelbescheide in unmittelbarer Folge. Der Geschäftsanfall des Speyerer Gerichts hatte inzwischen sein Allzeithoch erreicht, und vermutlich tauchten immer neue Fragen auf, die es zuvor gar nicht oder wenigstens nicht so gehäuft gegeben hatte. Gleichzeitig schien es geboten, bekannte Regeln des kammergerichtlichen Stilus curiae immer und immer wieder einzuschärfen. Der Bescheid vom 30. März 1593 machte den Anfang. Sein Prinzipium wiederholt zunächst die Verpflichtung, Schriftsätze zweifach einzureichen und auch alle zusätzlichen Anlagen in Kopie mit vorzulegen (dazu auch der Gemeine Bescheid vom 7. Oktober 1692, unten RKG Nr. 232). Eine gewisse Verfeinerung stellt der Gemeine Bescheid hinsichtlich der Titulatur von Schriftsätzen und der Prozessbezeichnung in mündlichen Rezessen klar. Bei der Benennung der Parteien sollte immer der Impetrant zuerst aufgeführt werden. Das war diejenige Seite, die das Reichskammergericht angerufen hatte, ganz unabhängig davon, wie untergerichtlich die Rollen verteilt gewesen waren. Deswegen ist es gerechtfertigt, von einem Reichs1 2 3 4 5 6

AHL Slg. vollenführen (nur 1. Ex.). AHL Slg. extraiudicialiter (beide Ex.). AHL Slg. Rotull (beide Ex.); GB 1678; GB 1696 Rotulos. Fehlt in AHL Slg. (beide Ex.). AHL Slg. glaubliche (beide Ex.). AHL Slg. bedürffen (beide Ex.).

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kammergerichtskläger zu sprechen, auch wenn es sich dabei häufig nur um einen Rechtsmittelführer handelte, der untergerichtlich durchaus der Beklagte gewesen sein konnte. Genau nach diesem Grundsatz entstand im 19. Jahrhundert das Wetzlarer Generalrepertorium. Auch heute sind die modernen Findbücher so gegliedert. Die Kammergerichtskanzlei selbst hielt sich ebenfalls an diese Vorgabe, auch wenn der Gemeine Bescheid sich nur an die Prokuratoren und Advokaten richtete. Die Titelblätter der Protokollbücher nennen auch jeweils den kammergerichtlichen Impetranten als erste Partei. Für einen Sonderfall verlangte das Gericht jedoch einen gesonderten Hinweis. Die Appellation war nämlich nicht nur gegen Endurteile möglich, sondern auch gegen Interlokute, wenn diese nämlich die Kraft einer Definitivsentenz besaßen. Das waren Ausnahmefälle, und deswegen sollten die Prokuratoren in diesen besonderen Prozessen auf ihre Schriftsätze nicht einfach „Appellationis“ setzen. Vielmehr war es hier erforderlich, ausdrücklich auf die Appellation gegen ein Zwischenurteil hinzuweisen. § 1 knüpft an die Zusammenarbeit zwischen Prokurator und Advokat an. Bekanntlich verfassten die Advokaten die Schriftsätze zumeist im Wortlaut, die Prokuratoren dagegen überreichten sie in der Audienz. Der Gemeine Bescheid erkannte das arbeitsteilige Verfahren ausdrücklich an, legte den Prokuratoren aber bestimmte Sorgfaltspflichten auf. Es lag an ihnen, die Schriftsätze mit den gemeinrechtlich vorgesehenen Bezeichnungen zu titulieren. Jeder Schriftsatz musste hierbei einen anderen Namen haben, damit sie bei späteren Bezugnahmen nicht verwechselt werden konnten. Zudem hatte jeder Prokurator die Schriftsätze zu korrigieren. Üblicherweise beantragte der Prozessgegner immer eine Antwortfrist, sobald eine Seite einen neuen Schriftsatz eingereicht hatte. Hier setzte § 1 Grenzen, um die Prozesse nicht ausufern zu lassen. Damit bestätigte das Kameralkollegium freilich die grundsätzliche Dispositionshoheit der Parteien auch über Fristen und Termine. Auch § 2 ist um Prozessbeschleunigung bemüht. Er knüpft zunächst an die Eröffnung des Kameralprozesses an. „Prozess“ in diesem Sinne bedeutet das Ladungsschreiben des Reichskammergerichts. Wenn eine Seite hierum supplizierte, sollten die Fristen besonders kurz sein. Der Bescheid erwähnt ausdrücklich die Zeugenbefragung ad perpetuam rei memoriam, also zum ewigen Gedächtnis, wie es damals auf Deutsch hieß. Das war ein Beweissicherungsverfahren und vor allem dann sinnvoll, wenn es um alte oder kranke Zeugen ging, bei denen unklar war, wie lange sie noch leben würden. Die Eilbedürftigkeit solcher Anträge und Handlungen berücksichtigte das Reichskammergericht also durchaus, wenn es gerichtliche Fristen festsetzte. § 2 des Gemeinen Bescheids versucht ebenfalls, den Reproduktionstermin zu straffen. Zunächst lag es am Impetranten, zum gesetzten Termin oder unmittelbar nach der Rückkehr des Kammerboten das Ladungsschreiben zu reproduzieren. Gleichzeitig hatte der Prozessgegner zu diesem Termin förmlich zu erscheinen, sich also gewöhnlicherweise durch einen Prokurator vertreten zu lassen. Dieses sog. Erscheinen war nicht dispositiv. Der kammergerichtliche Beklagte durfte eine Verschiebung nicht beantragen, der Kläger die Frist nicht verlängern. Vielmehr trat bei Nichterscheinen sofort Säumnis ein. Der Kläger konnte jetzt das sog. Rufen beantragen. Und selbst wenn der Pedell nicht tatsächlich in der Audienz den Beklagten ausgerufen hatte, traten unmittelbar nach dem Beschluss, der das Rufen anordnete, erste Säumnisfolgen ein. Es oblag jetzt nämlich dem Prozessgegner, unaufgefordert sein Nichterscheinen zu begründen und den Vorwurf, es liege Kon-

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tumaz vor, zu entkräften. Vor allem modern gesprochen juristische Personen wie Städte und die anderen genannten Gemeinschaften wie vielleicht Zünfte oder Klöster hatten es sich damit bisher zu einfach gemacht. Sie hatten lieber einen Strafgulden gezahlt und waren zur Tagesordnung übergegangen. Das untersagte der Gemeine Bescheid fortan. Die Art und Weise, wie der Säumnisvorwurf zu entkräften war, legte nämlich fortan der Richter fest, nicht der Säumige selbst. Den automatischen Freikauf von Säumnisfolgen durch bloße Strafgulden sollte es also nicht mehr geben. Hier ist mit großen Unterschieden zwischen dem Normtext und der Rechtspraxis zu rechnen. Zugleich änderte das Gericht im 18. Jahrhundert offenbar seine Handhabung. Das Visitationsdekret vom 27. November 1713 modifizierte nämlich diese Regelung unter Hinweis auf den Speyerer Deputationsabschied von 1600 (Einzelheiten in der Sammlung GB 1724, S. 242). § 3 bekräftigt die Verpflichtung der Prokuratoren, ihre Vollmachten vorzulegen. Das galt auch für den Anwalt des Beklagten, wenn der Kläger Sicherheitsleistung angeboten, aber noch nicht erbracht hatte. Wenn freilich eine Seite die Kaution in Aussicht gestellt, aber nicht geleistet hatte, konnte es sein, dass zwischenzeitlich die Partei starb. Nun wurde es notwendig, den Prozess für und gegen die Rechtsnachfolger fortzusetzen. Dafür kannte das gemeine Recht ebenso wie auch der Kammergerichtsprozess die Citatio ad reassumendum. Dann lief der Rechtsstreit weiter. Die immer noch nicht geleistete Sicherheit hatte nun aber nachteilige Konsequenzen. Die saumselige Seite hatte den Verzugsschaden des Gegners zu bezahlen und musste sich außerdem auf eine Ordnungsbuße gefasst machen. Falls zwischendurch der Prokurator oder Advokat starb, enthob das die Partei nicht von ihrer Kautionspflicht und führte nicht einmal zu verlängerten Fristen. Im Zusammenhang mit der Kaution regelte der Gemeine Bescheid zudem diejenigen Fälle, in denen die Sicherheitsleistung nicht erforderlich war, immer dann nämlich, wenn Gefahr in Verzug (periculum in mora) war. Der Sachzusammenhang mit dem Säumnisverfahren ist schwer verständlich. Offenbar ging es um den Fall, dass eine Seite zunächst die Dringlichkeit der Sache betont hatte, dann aber doch untätig geblieben war. Kaution konnte man von ihr nun nicht mehr verlangen, dafür aber fiel sie in Säumnis, wenn sie nicht aktiv geworden war. Dem Gegner stand es deswegen frei, den Weg zum Kontumazialverfahren zu beschreiten. In diesen Fällen nützten die üblichen Anwaltsvollmachten nichts, sofern sie nicht ausdrücklich Vollstreckungsklauseln enthielten. Wie assoziativ und sprunghaft die kammergerichtlichen Gemeinen Bescheide aufgebaut waren, zeigt der Beginn von § 4. Nachdem § 3 nämlich kurz die Spezialvollmachten für Exekutionsfälle angesprochen hatte, kehrte § 4 zur gewöhnlichen Prokuratorenvollmacht zurück, die wie alle Schriftsätze ebenfalls zweifach zu den Akten zu reichen war. Sodann ging es wieder um das Kontumazialverfahren, das § 3 zuvor bereits erwähnt hatte. Klärungsbedürftig waren die Säumnisfolgen, wenn bei einer nicht prozessfähigen Partei die Vertreter, also gemeinrechtlich die Tutoren oder Kuratoren, nicht aufgetreten waren. Hier erschien es unangemessen, mit den Säumnisfolgen die unschuldige Partei selbst zu treffen. Deswegen sollten hier rechtliche Nachteile möglich sein, die nicht die Hauptsache, also den Streitgegenstand für die vertretene Partei, vernichteten, aber dennoch die Vormünder empfindlich trafen. Hier sprach das Reichskammergericht offen von der Möglichkeit, die Reichsacht zu verhängen. In der Praxis vermied das Gericht solche Zuspitzungen freilich soweit wie irgend möglich.

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Ganz am Ende kehrt der Gemeine Bescheid zum Regelungsgegenstand von § 2 zurück und beschäftigt sich abermals mit dem Zeugenverhör zum ewigen Gedächtnis. Der Gemeine Bescheid dachte an ein selbständiges Beweisverfahren, denn der fertige Zeugenrotulus sollte im erwähnten Fall gerade extrajudizial und nicht im Rahmen einer Audienz an das Gericht zurückgelangen. Ein späterer Judizialprozess stand also noch aus. Deswegen sollte der Beweisführer angeben, ob der Gegner mit dem Rotulus als solchem, also seiner Anfertigung und Authentizität, einverstanden war. Falls das nicht der Fall gewesen sein sollte, verschob man diesen Punkt auf das nachfolgende Judizialverfahren.

RKG Nr. 92 1593 Dezember 13 [In primo termino instrumenta appellationis reproducuntor ac1 in interlocutoriis simplicibus loco libelli repetuntor: in causis simplicis querelae ubi litis contestatio necessaria libellus in scriptis porrigitor; in aliis ut et mandatorum cum clausula atque appellationum aut libellus porrigitor aut istius loco acta vel narrata repetuntor una vero via electa variatio prohibita esto. 1. Exceptionibus declinatoriis et dilatoriis simul eventualia annectuuntor posthac in utrisque coniunctim proceditor. 2. In gravaminibus appellationum exprimitor in quo quis se sentiat gravatum, quid melius probare ulteriusque de novo deducere velit. Iuramenta dandorum, respon-dendorum, calumniorum realiter praestanda verbis deferuntor. Primae, secundae, tertiae dilationis prorogatio, secundae quoque ac tertiae sine legitimo impedimento ne postulator. 3. Attestationibus dies petitionis, expeditionis, redemtionis2 inscribitor. Deinde cuivis parti bina scripta eisque in punctis positionalium ac defensionalium minime separatis exhibere liceto. 4. Omnibus scriptis exhibitis continuo verbaliter concluditor. Punctus expensarum in novis expeditor. Designationes3 pecuniae ad rationem monetae imperialis computatae porriguntor.]4 [Instrumenta appellationis in primo termino reproducuntor et in interlocutoriis simplicibus loco libelli repetuntor: In causis simplicis querelae quae litis contestationem exigunt, libellus in scriptis producitor, in aliis autem ut et mandatis cum clausula atque appellationibus etiam acta vel narrata loco libelli repetuntor una tamen via electa variatio prohibita esto. 1. Exceptionibus declinatoriis et dilatoriis simul eventualia annectuntor, posthac in utrisque coniunctim proceditor. 2. Gravaminum de1 2 3 4

Blum 1667 et. Blum 1667 redemtionisque. Blum 1667 Designationis. In primo ... porriguntor in GB 1661.

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ducendorum forma: Iuramenta dandorum et respondendorum verbis deferuntor: Dilationes quomodo postulandae. 3. Attestationibus dies petit[ionis,] expedit[ionis] et redemtionis inscribitor. scripta tantum bina eisque in punctis positionalium non separatis exhibentor. 4. Omnibus scriptis exhibitis verbaliter statim concluditor: Expensarum punctus in novis expeditor et designationes pecuniarum ad monetam imperialem rediguntor.]1 Letztlich ist der Gemeine Bescheid, daß die Procuratores hinführo in dem ersten Termin Instrumenta appellationis gerichtlich reproduciren und dieselbe, sofern a simplici Interlocutoria appelliret, allein mündlich anstatt des Libells alsobald2 repetiren: Auch in Sachen Simplicis Querelae, obschon der Citirten wegen niemand erschiene3, in primo4 termino libelliren und alle ihre Klagen oder5 Libell in denen Sachen, darinnen Litis contestatio erfordert, jedesmahl anders nicht als in Schrifften: Aber in andern, darinnen sine litis contestatione procedirt werden mag, wie6 auch Mandatorum cum Clausula und Appellationum, es sey gleich dazu Zeit erhalten oder nicht, entweder schrifft- oder allein mündlich7 mit Repetirung der Acten oder Narratorum loco Libelli und kurtzer (vorigem den 7. Julii Anno 1590 publicirten Gemeinen Bescheid gemäß) angehengter petition, alles bey Straff absolutionis a Citatione vorbringen sollen8: Da dann einmahl obangezogener Weise libelliret, soll es dabey gelassen und hernach keine Variation, obwohl der deßwegen erhaltene Termin noch nicht verflossen, gestattet werden. § 1. Alle Exceptiones dilatoriae, declinatoriae, non devolutionis, desertionis und dergleichen mögen in Novis auch wohl mündlich, wofern solches mit kurtzem in specie geschehen mag; sonsten aber anderst nicht als schrifftlich und mit denselben jederzeit gebührliche Eventualhandlung sämbtlich und nicht erst hernach9, durante etiam10 adhuc termino auff Libellum zu verfahren11, separatim producirt und darauff conjunctim hinc inde eventualiter vermöge der Ordnung gehandelt: Im Fall aber Exceptiones ante Libellum oder je ad proximam vel secundam hernach einkommen, soll in eventum separatim die Handlung vorbracht und also fürter in beeden Puncten, Exceptionum und Libelli, alles sub solitis praejudiciis (da künfftig die Exceptiones ohnerheblich befunden) procedirt werden. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Instrumenta .. rediguntor in GB 1710. Fehlt in AHL Slg.; dagegen Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696 alsbald. AHL Slg. ob schon niemandt der Citirten wegen erscheindt. GB 1695; GB 1696 proximo. Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696 und. Fehlt in GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696. Entweder ... mündlich fehlt in AHL Slg. Fehlt in GB 1671; GB 1678; GB 1696. AHL Slg. darnach. AHL Slg. etiam durante. AHL Slg. zu volnfahren.

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§ 2. Bey denen gravaminibus appellationis soll jederzeit zugleich in Schriften eigentlich vermeldet, womit und in welchen Puncten der Appellant sich beschwehrt befinde, auch sonderlich und in specie was er ferner, als zuvor geschehen, und welcher gestalt von neuem zubeweisen begehre, sonsten die gravamina nicht zugelassen, Juramentum dandorum, respondendorum, calumniae würcklich zu erstatten, soll hinführo mündlich im Gericht erfordert und offerirt: Der ersten, andern und dritten Dilation keine Prorogation, auch secunda und tertia nicht allein mit general, sondern jederzeit mit Specialvermeldung oder Bescheinung der Verhinderung bey Straff der Ordnung: sonsten alle Dilationes sowohl als prorogatio quartae, obgleich an deß abgangenen1 Gegenanwaldts statt sich niemand legitimiret, gebetten und expedirt werden. § 3. Wann auff publicirte Attestationes Zeit gebetten oder erhalten, soll bey Straff nach Ermessigung nicht gerichtlich angezeigt, daß die Copeyen aus der Cantzley gefolgt oder nicht, sondern daselbsten jedesmahl, in2 welcher Zeit dieselbe sollicitiret und gefertigt, durch den Verwaldter auff die Original attestationes, auch hernach durch den Einnehmer, wann sie redimirt, eigentlich auffgezeichnet und darauff keinem Theil mehr als zwo Schrifften der Ordnung gemäß zugelassen: Auch die Handlung in puncto3 positionalium et4 defensionalium nicht zertheilt noch die Zahl dergestalt überschritten werden. § 4. Wann einem keine schrifftliche Handlung mehr gebühret, allein mündlich per generalia und gar nicht in Schrifften oder per Schedulam beschlossen und5 submittirt: In puncto Expensarum in Novis procediret und gehandelt, aber ohne sonderliche6 erhebliche Ursachen nicht replicirt: In allen Liquidationibus et designationibus Geld betreffend der Anschlag jederzeit auff Reichsmüntz gerichtet oder [ie]7 in specie, was andere specificirte Sorten in8 Reichsmüntz angeschlagen ertragen, dabey verzeichnet werden, alles bey gemeldter Straff nach Ermässigung. Vorlage: CJC 1724, S. 452-453, Nr. CCCXX. Weitere Ausgaben: AHL Slg. fol. 8v-10v; GB 1661, S. 20-„12“ (Paginierungsfehler, richtig: 21); GB 1665, S. 17-18; Blum 1667, S. 558-560; GB 1671, S. 17-18; GB 1678, S. 17-18; GB 1686, S. 17-18; GB 1688, S. 15-16; GB 1695, S. 37-39; GB 1696, S. 37-39; GB 1707, S. 37-39; GB 1710, S. 43-45 Nr. LXXXVIII; GB 1714, S. 27-28 Nr. XC;

1 2 3 4 5 6 7 8

Fehlt in GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696. AHL Slg. zue. AHL Slg. punctis. AHL Slg. oder. AHL Slg. oder; GB 1671 un. AHL Slg. sondere. AHL Slg. AHL Slg. zue; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696 zur.

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CJC 1717, S. 27-28 Nr. XC; GB 1717, S. 27-28 Nr. XC; GB 1724, S. 43-45 Nr. LXXXVIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid gehört zur Gruppe der zwischen dem 30. März 1593 (oben RKG Nr. 91) und dem 11. April 1595 (unten RKG Nr. 94) erlassenen Sammelbescheide. Das Prinzipium verknüpft die Anordnungen zudem mit dem früheren Sammelbescheid vom 7. Juli 1590 (oben RKG Nr. 89). Der Sache nach geht es im Prinzipium um Erklärungen des kammergerichtlichen Klägers im Reproduktionstermin. In Appellationsprozessen musste der Prokurator im ersten Termin das notarielle Appellationsinstrument vorlegen, in dem die ordnungsgemäße Einlegung der Appellation beim Untergericht bescheinigt war. Regelungsbedürftig schien die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Kläger sein Klagelibell vorzulegen hatte und welche mündlichen Erklärungen er im Reproduktionstermin abgeben musste oder durfte. Der Gemeine Bescheid differenzierte zunächst nach Appellationen gegen Endurteile und Appellationen gegen Zwischenurteile mit Kraft eines Endurteils. Nur bei regulären Appellationen kam es darauf an, den Appellationslibell zu überreichen. Bei den eher seltenen Appellationen gegen Interlokute genügte es dagegen, in einem mündlichen Rezess auf das Appellationsinstrument hinzuweisen. Bei regulären erstinstanzlichen Zitationsprozessen, den simplen Querelen, mussten die Prokuratoren dagegen bereits im Reproduktionstermin ihr Libell überreichen, auch wenn die Gegenpartei gar nicht erschien. Der Bescheid unterschied hier Streitsachen, in denen eine förmliche Litiskontestation notwendig war, von solchen, bei denen es auf diese Erklärung nicht ankam. Damit stand der Kameralprozess fest in der Tradition des gelehrten Rechts. Bei litiskontestationsbedürftigen Rechtsstreitigkeiten bestand die Pflicht, die Schriftform einzuhalten. Das lag auf der Hand. Vom Prozessgegner erwartete man nämlich die förmliche Streitbefestigung. Daher musste er jederzeit genau wissen, woran er war. Bei der simplen Querel hatte es zuvor noch keinen Rechtsstreit zwischen den Beteiligten gegeben, deswegen war die Litiskontestation auch hier erforderlich. Schien die förmliche Streitbefestigung dagegen verzichtbar, konnte sich der Kläger im ersten Termin aussuchen, ob er schriftlich libellierte, also eine Klageschrift einreichte, oder sich auf eine mündliche Erklärung beschränkte und auf seine früheren Handlungen oder Erklärungen verwies. Beispielhaft hob der Gemeine Bescheid zwei nicht litiskontestationsbedürftige Verfahrensarten hervor, nämlich Mandatsprozesse cum clausula und Appellationen. Vermutlich waren das Grenzfälle. Der Mandatsprozess cum clausula taucht an dieser Stelle erstmals in den Gemeinen Bescheiden auf, auch wenn er schon länger in der Kammergerichtsordnung vorgesehen war. Es handelte sich um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, auch wenn seine Schneidigkeit sofort abstumpfte, sobald der Gegner Einwendungen erhob. Dennoch war die Sache aus Klägersicht eilbedürftig, und deshalb konnte es nicht angehen, zunächst auf eine Litiskontestation zu warten. In Appellationssachen war das Problem anders gelagert. Hier gab es ja bereits einen handfesten Rechtsstreit, nämlich im erstinstanzlichen Verfahren. Das reichte für das Reichskammergericht offenbar aus, und daher war eine zusätzliche, spezielle kammergerichtliche Streitbefestigung nicht mehr nötig. § 1 betrifft die Klageerwiderung des Beklagten. Im Ergebnis zielt die Vorschrift auf Prozessbeschleunigung. In zahlreichen Fällen wandte sich der Beklagte nämlich vorrangig gegen die Zulässigkeit der kammergerichtlichen Klage. Hier gab es mehrere

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Einwendungen, die der Bescheid mit ihren gemeinrechtlich-lateinischen Benennungen beispielhaft aufzählte. Die Exzeptionen betrafen unter anderem Fristversäumnisse, Unzuständigkeit des Gerichts, Unzulässigkeit der Appellation, Fallenlassen der Appellation und so weiter. Drang der Beklagte mit diesen Einwendungen durch, endete der Rechtsstreit vorzeitig durch Prozessurteil. Auf die Frage, ob der Kläger in der Sache selbst das geltendgemachte Recht überhaupt besaß, kam es nicht mehr an. Allerdings war im Voraus unklar, ob die Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Klage durchgreifen würden. Deswegen verlangte das Reichskammergericht in jedem Fall eine Eventualhandlung. Für den Fall, dass die Zulässigkeitsrügen erfolglos bleiben würden, sollte jeder Prokurator sich vorsorglich und hilfsweise auch zur Begründetheit äußern. Falls das Reichskammergericht nämlich die Zulässigkeit der Klage bejahte, ging dann keine weitere Zeit verloren, um Schriftsätze zur Begründetheit auszuarbeiten. Vielmehr lag alles von Anbeginn an vor. Für die Frage nach dem Umfang der Eventualmaxime im Kameralprozess geben solche Regelungen daher wichtige Hinweise. Die Exzeptionen gegen die Zulässigkeit der Klage durften ausnahmsweise mündlich erfolgen, freilich nur, wenn sie sehr kurz gehalten waren. In der Praxis verfassten die Anwälte regelmäßig Schriftsätze mit einer Zulässigkeits- und einer Begründetheitsstation. Wenn aber die Zulässigkeitsrüge vorzeitig erfolgt war, erlaubte der Gemeine Bescheid ausnahmsweise zwei Schriftsätze und damit die Aufspaltung der Exzeptionen auf zwei verschiedene Termine. § 2 behandelt die Appellationsgravamina, insbesondere die Pflicht der Prokuratoren, genau anzugeben, wo die eigentliche Beschwer ihrer Partei liege. Zudem mussten sie jeweils vermerken, an welchen Stellen sie neue Tatsachen oder Beweismittel einführten. Diesen Gemeinen Bescheid kommentierte später Ludolf Hugo umfassend in seinem Buch über den Missbrauch der Appellation (dazu in der Einleitung bei Anm. 165-174). § 3 nennt Einzelheiten, wie eingereichte Bescheinigungen auf ihre Glaubhaftigkeit zu überprüfen waren. Der jeweilige Prozessgegner lieh sie sich hierzu aus der Kanzlei aus und gab sie später wieder zurück. Der Kanzleiverwalter hatte das Datum der Entleihe, der sog. Einnehmer sodann den Tag der Rückgabe zu verzeichnen. Über die Frage, ob das Attest ordnungsgemäß erstellt war, erlaubte der Gemeine Bescheid einen Zwischenstreit der Parteien, der auf Kläger- und Beklagtenseite aber auf zwei Schriftsätze begrenzt war. Nachgeschoben war die Verpflichtung, die artikulierten Klageartikel und Verteidigungspositionen in den Schriftsätzen nicht bloß zu verreißen, sondern jeweils gemeinsam abzuarbeiten. Auch hierfür waren jeweils zwei Schriftsätze pro Partei vorgesehen. § 4 wiederholt zunächst die Verpflichtung, den Beschluss der Sache mündlich anzuzeigen. Weitere Schriftsatzwechsel waren von nun an verboten. Deswegen lag es wohl nahe, in diesem Zusammenhang auch Ausführungen über die Prozesskosten anzuschließen. Der Streit um Anwaltskosten war für die Parteien dabei auf einen einmaligen Schlagabtausch begrenzt. Zur Erweiterung und damit zur Replik sollte es nur kommen, wenn ein Teil dazu erhebliche Ursachen geltend machen konnte. Zuletzt verpflichtete der Gemeine Bescheid die Beteiligten abermals, alle Berechnungen auf den Reichsmünzfuß zu stützen. Dazu waren zuletzt die Gemeinen Bescheide vom 23. August 1585 und vom 9. März 1587 (oben RKG Nr. 85 und 88) ergangen. Offenbar blieb es schwierig, die Prokuratoren auf eine einheitliche Währung festzulegen.

RKG Nr. 93 1595 Februar 22

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RKG Nr. 93 1595 Februar 22 [In ordine praefixarum recessus ne dictantor sed ex scriptis et quidem secundum modos in hoc decreto relatos recitantor.]1 [In ordine praefixarum recessus ex scriptis secundum modos hic relatos recitantor.]2 Dero Römischer Kayserlicher Majestät Cammerrichter ist Vorhabens und gemeint, nachfolgende Ordnung Praefixarum, zu Beförderung derselben anzustellen; Solche aber Ihro Fürstliche Gnaden zuvor dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren hiemit gnadig communiciren und notificiren wollen, zu dem End, ob dieselbe vielleicht in einem oder mehr Puncten erhebliche Bedencken und Ursachen hätten, warum solche also nicht füglich ins Werck zu richten seyn mögte, dieselbige in specie fürderlich in Schrifften anzuzeigen, [und]3 soll alle Woche ein vormittägige Audientz hiezu angestellt, in welche alle Recess in Schrifften übergeben und damit gehalten werden wie folgt: § 1. Daß der Procurator, an deme die Ordnung, auff einem oder mehr Bogen alle seine Recess nach Ordnung der Gegenanwäldte nach einander abschreiben und zu oberst oder Anfang den Tag und Jahr, auch die Umfrag ordinariarum oder extraordinariarum neben seinem Nahmen verzeichnen soll. § 2. Folgends die Recess allermassen, wie die sonsten per Notarios in das gerichtliche Protocoll excipirt und eingeschrieben werden, ordentlich und also, daß die Nahmen der Partheyen und die rechte Intitulatur in margine bey jedem Recess kürtzlich und dann die Recess, wie ihnen sie sonst dictirt werden sollen, geschrieben werden. § 3. In denselben Recessen soll sich auch ein jeder in specie erklähren, ob und was er dem Gegenanwäldten (welchen er mit Nahmen specificiren) für Zeit oder Copiam zulassen wolle und, wo er dessen etwas verweigern wolte, die Ursach warum, mit aller Kürtze vermelden, in diesem aber soll ein jeder so viel Zeit, als er selbst pro Termino et prima Prorogatione gehabt, seinem Gegentheil zu desselben noch gebührender Gegenhandlung nicht verweigern. § 4. Sonsten aber, da noch keine gewisse Zeit praefigirt gewesen, soll eine geraume nothwendige Zeit und, da dem Gegentheil keine schrifftliche Handlung mehr gebühret, wie auch, da man vermöge der Ordnung in continenti oder ad proximam zu handlen schuldig, ad proximam praecise zugelassen werden; Wo aber gantz keine

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In ... recitantor in GB 1661: Blum 1667. In ... recitantor in GB 1710. Blum 1667.

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Handlung mehr zuzulassen (als auff Executiones1 contra Responsiones), soll alsbald mit Vermeldung derselben Ursachen submittirt werden. § 5. Soll mit sonderm Fleiß verhütet und die Recess also gestellt werden, daß allein deß Gegentheils Widersprechen oder Gegenhandlung soviel immer möglich vorkommen werde oder je, da es auff Gegentheils Widerhandlung einigen Replicirens nicht bedürffte, sondern per nuda generalia beschlossen oder stillschweigend Judicis Erkänntnuß erwartet werden könne. § 6. Zu End eines jeden Blats soll der Procurator sich mit eigener Hand unterschreiben. § 7. Uff die Producta soll der Gegenanwaldts Nahme auch verzeichnet und dieselbe Producta samt den Beylagen alle zugleich anfänglich der Audientz ordentlich wie die Recess auff einander geschrieben seyn, [anfänglich der Audientien]2 zusammen gelegt oder gebunden, im Gericht überreicht werden mitsamt obgemeldten abgeschriebenen Recessen. § 8. Darauff soll alsobald der handlende Procurator auß seinem Protocoll die Recess eodem ordine, wie dieselbe übergeben seyn, ablesen, dagegen die Notarii solche ihnen überantwortete schrifftliche Recess auscultiren, collationiren, wie3 nöthig corrigiren und zu End jedes Blats den Tag productionis auffzeichnen und also loco judicialis Protocolli solche Recess bey der Cantzley behalten. § 9. Die Gegenanwäldte und deren Substituten sollen die Zeit über, da die Recessen, wie gemeldt, abgelesen werden, fleissig Auffmerckens haben und dieselbe notiren und auffschreiben; Wo sie aber solches zu thun vielleicht nicht vermögten, könnte der Mangel darnach, finita audientia, complirt oder justificirt werden. Wo aber solches auch zu beschwehrlich seyn wolte, mögte es dahin gerichtet werden, daß jedem Procuratoren deß Tags zuvorn in der Audientz Copeyen der Recess durch denjenigen, an dem die Ordnung in folgender Audientz zu handlen wäre, zugestellt würden. § 10. So viel die Gegenhandlung belanget, sollen die Procuratores ex adverso in solcher ersten Audientz wie auch hernacher in den Fällen, da so viel Zeit zugelassen würde, als der Procurator, so da handelt, gehabt, ut supra4 oder so viel die Ordnung etwann certis casibus expresse et in specie vergönnet5, wie auch, da nicht sonderliche erheblich und offenbahre Ursachen vorhanden, sich aller Gegenhandlung gäntzlich enthalten und es stillschweigend bey deß handlenden Procuratoris Recess und Erklährung, als ob dieselbe expresse acceptirt wären, gelassen werden.

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Blum 1667 Exceptiones; aber GB 1695 auch Executiones. Anfänglich ... Audientien in GB 1678; GB 1695; GB 1696. Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696 wo. Ut supra fehlt in Blum 1667. GB 1678; GB 1686 vergünnet.

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§ 11. Im Fall aber die Gegenanwäldte je nothwendig und vermög der Ordnung uff oder gegen einen oder mehr desselben gethanen1 und abgelesenen Recess etwas zu handlen hätten, sollen sie und ein jeder solche seine Gegenrecess eodem ordine nach einander auff ein Papier bringen und solche zu Anfang der hernach nächst künfftigen Audientz praefixarum und ehe man sonst mit den andern Handlungen fortfähret, gerichtlich übergeben, ablesen und damit sich aller gestalt, wie hieroben von den ersten Recessen gemeldt, verhalten. § 12. Und2 uff solche Gegenrecess soll ferner nicht replicirt, sonder der Punct zu Judicis Erkanntnuß gesetzt werden. Und soll man sonsten in allen diesen Recessen und Handlungen, der Ordnungen3 und Gemeinen Bescheiden bey Straff derselben sich gemäß verhalten. Vorlage: CJC 1724, S. 462-463, Nr. CCCXXII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. „12“-22 (Paginierungsfehler, richtig: 21); GB 1665, S. 18-19; Blum 1667, S. 560-563; GB 1671, S. 18-19; GB 1678, S. 18-19; GB 1686, S. 18-19; GB 1688, S. 16-17; GB 1695, S. 39-42; GB 1696, S. 39-42; GB 1707, S. 39-42; GB 1710, S. 45-48 Nr. LXXXIX; GB 1714, S. 29-30 Nr. XCI; CJC 1717, S. 29-30 Nr. XCI; GB 1717, S. 29-30 Nr. XCI; GB 1724, S. 45-48 Nr. LXXXIX. Anmerkung: Innerhalb der Gruppe von Sammelbescheiden vom 30. März 1593 (oben RKG Nr. 91) bis zum 11. April 1595 (unten RKG Nr. 94) ist diese Quelle mit zwölf Paragraphen am feinsten gegliedert. Gleichzeitig sind die einzelnen Anordnungen aber etwas kürzer und damit leichter verständlich. Offenbar hat man es hier mit einem anderen Verfasser zu tun. Der Stil des Bescheids hebt sich jedenfalls von den umliegenden Sammelbescheiden erkennbar wohltuend ab. Auch der Sache nach ist der Bescheid ungewöhnlich. Der Kammerrichter plante, einen Audienzabschnitt zu reformieren, nämlich die Umfrageordnung in praefixis. Mehrere Gemeine Bescheide hatten zuvor bestätigt, dass die Ordnung in novis völlig ausgeufert war. Für die anschließende Umfrage in praefixis sei kaum noch ausreichend Zeit geblieben (dazu Gemeine Bescheide vom 20. Februar 1566, 1. Juni 1571, 10./20. Juni 1580 § 2, 28. Mai 1582 und 3. Oktober 1583; oben RKG Nr. 58, 63, 78-79 und 81). Hier bestand also Änderungsbedarf. Die Umfrage in praefixis bildete nach den Urteilsverkündungen und den Nova den dritten Abschnitt der kammergerichtlichen Audienz. Anstatt hier aber einfach eine Anordnung zu erlassen, ging der Kammerrichter ausdrücklich auf die Advokaten und Prokuratoren zu. Vielleicht hatte er gemerkt, dass sich die starken Probleme mit dem schleppenden Audienzverlauf nur gemeinsam mit den Anwälten lösen ließen, nicht aber durch ständige Gängelei und immer neue Verschärfungen. Die Quelle enthält genau genommen keine Regelungen, sondern lediglich Vorschläge. Ausdrücklich forderte der Kammerrichter die Advokaten und Prokuratoren auf, ihre etwaigen Bedenken gegen 1 2 3

Blum 1667; GB 1678; GB 1696 gehaltenen. Fehlt in Blum 1667. Blum 1667; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696 Ordnung.

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seine Vorschläge schriftlich zu formulieren und ihm zu übersenden. Das geschah in der Folgezeit durchaus, wie der Gemeine Bescheid vom 11. April 1595 zweifelsfrei belegt (sogleich unten RKG Nr. 94). Für die interne Rechtssetzung am Gericht war das eine erhebliche Neuerung. Zum ersten Mal erkannte das Kameralkollegium die Anwaltschaft als gleichrangigen Gesprächspartner bei der internen Erneuerung und Fortbildung des Prozessrechts an. Vielleicht waren aus diesem Grunde die ausformulierten Vorschläge sprachlich wesentlich disziplinierter und inhaltlich enger miteinander verknüpft als in den eher weitschweifigen und assoziativ zusammengestückelten anderen Sammelbescheiden dieser Zeit. Die geplante Ordnung der Praefixa scheiterte jedoch. Am 11. April 1595, nicht einmal zwei Monate später, gab das Gericht seine Absicht, die Vorschriften in Kraft zu setzen, ausdrücklich auf (dazu der unmittelbar folgende Gemeine Bescheid, unten RKG Nr. 94, Prinzipium). Augenscheinlich kam das Kameralkollegium auf diesen Plan auch später nie zurück. Deswegen erstaunt es zunächst, warum das gescheiterte Projekt als Gemeiner Bescheid überliefert ist und etwa auch in Georg Melchior von Ludolffs „Corpus Juris Cameralis“ einging. Offensichtlich entfaltete das Konzept eines Gemeinen Bescheides ähnliche praktische Wirkungen wie das Konzept einer Reichskammergerichtsordnung. Der geplante Gemeine Bescheid vom 22. Februar 1595 mag damit, wenn auch auf niedrigerer Stufe, eine ähnliche Bedeutung erlangt haben wie der nicht förmlich verabschiedete Entwurf der Reichskammergerichtsordnung von 1613. Auch das Konzept von 1613 zählt, wenngleich ohne Gesetzeskraft, zu den Quellen des Kameralprozesses. Bei der geplanten Ordnung in praefixis von 1595 mag es ebenso gewesen sein. Es war sogar besonders leicht, die Reformvorschläge zu beachten, denn so knapp, systematisch durchdacht und konzentriert hatte noch kaum ein anderer Gemeiner Bescheid zuvor einzelne Abschnitte des Kameralprozesses reformieren wollen. Die Anwaltschaft war mit zahlreichen Einzelheiten allerdings nicht einverstanden. Deswegen ist unklar, inwieweit sich die Prokuratoren an die lediglich angekündigten Vorschriften hielten. Das ist besonders deswegen fraglich, weil das Gericht anstatt der Reform vom 22. Februar am 11. April 1595 andere Regelungen einführte (sogleich unten RKG Nr. 94). Für die Rechtssetzung des späten 16. Jahrhunderts ist es besonders bezeichnend, wenn gerade dieses ehrgeizigste Vorhaben scheiterte. Eine systematisch durchdachte Fortbildung des Audienzbetriebes auf zugleich sprachlich hohem Niveau misslang. Inhaltlich wollte der Entwurf vom 22. Februar die Ordnung in praefixis zunächst stabilisieren, indem er einen Vormittag pro Woche ausschließlich für diesen Termin reservierte. Nach § 1 sollte die Umfrage getrennt nach Prokuratoren erfolgen. Je nachdem, wie viele Fälle ein Prokurator bearbeitete, konnten damit also zugleich zahlreiche kammergerichtliche Prozesse auf einmal zur Sprache kommen. Deswegen sollte sich der Prokurator gut vorbereiten, alle Rezesse, die erforderlich waren, im Voraus mit Datum und Namen auf einem Zettel auflisten und hierbei die Extraordinar- von den Ordinarsachen unterscheiden. Die Untergliederung der Praefixa sollte damit doppelt gestuft sein, zunächst also nach Prokuratoren, dann nach der Dringlichkeit der Sache. Mit diesen schriftlichen Vorlagen wollte das Reichskammergericht das ermüdende Diktieren in den Audienzen offenbar einschränken (§ 2). Die so vorbereiteten Rezesse sollten sich auch zu Fristen für die Gegenanwälte und zu Terminen äußern. Hierbei war der Entwurf auf Kollegialität bedacht. Es lag zwar an den Anwälten,

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Fristen zu beantragen und zu gewähren. Das entsprach ganz der überkommenen Parteiherrschaft. Jedoch sollten die zugestandenen Antwortfristen genauso lang sein wie diejenigen, die der handelnde Prokurator zuvor von seinem Gegner erhalten hatte (§ 3). Ausnahmen waren dann vorgesehen, wenn es solche bereits gewährten Fristen nicht mehr gab oder wenn keine weiteren schriftlichen Prozesshandlungen mehr erfolgen konnten (§ 4). Der folgende § 5 thematisiert ein Dauerproblem anwaltlicher Prozessführung. Wenn der Prozessgegner etwas geäußert hatte, das den eigenen Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten widersprach, war die Verlockung groß, die Prozesshandlungen in einem weiteren Rezess zu bestreiten. Das generelle, pauschale Bestreiten genügte dafür nicht. Es war unsubstantiiert und für die gerichtliche Entscheidung unmaßgeblich. Deswegen unternahm das Projekt der Praefixa-Ordnung den Anlauf, solches generelles Bestreiten abzuschaffen. In diesen Fällen sollte es vielmehr ausreichen, wenn bei streitiger Sach- und Rechtslage der handelnde Prokurator die Sache förmlich beschloss oder ohne weitere Handlung auf das richterliche Urteil wartete. Die weit verbreiteten anwaltlichen Floskeln, wonach man alles bestreite, was in den eigenen Schriftsätzen nicht ausdrücklich zugestanden war, sollten damit ebenso verschwinden wie das doppelt- und dreifache Bestreiten gegnerischer Äußerungen, die ohnehin früherem eigenen Vortrag widersprachen. Die schriftlich ausgearbeiteten Rezesse waren zu unterschreiben (§ 6), ebenso die Schriftsätze und Anlagen, die bei derselben Gelegenheit zusammen mit den Rezessen an das Gericht überreicht werden sollten (§ 7). Damit wollte man den kammergerichtlichen Notaren die Arbeit erleichtern (§ 8). Auch die derart schriftlich sorgsam konzipierten Rezesse waren in den Audienzen laut zu verlesen. Nach Möglichkeit sollte das langsam geschehen, denn der Gegenanwalt musste in der Lage sein, sie mitzuschreiben (§ 9). Dieser Rest an Mündlichkeit sollte also bleiben. Hier sah der Entwurf sicherlich mit Grund praktische Schwierigkeiten auftauchen und sicherte sich zu zwei Seiten ab. Entweder sollten die beteiligten Prokuratoren nach der Audienz ihre Aufzeichnungen miteinander abgleichen oder der Gegenseite die schriftlich vorbereiteten Rezesse bereits tags zuvor zur Verfügung stellen. In diesem Fall freilich wäre die Mündlichkeit zur reinen Farce verkommen, wenn alle Äußerungen schriftlich ausgearbeitet und der Gegenseite sogar schon im Wortlaut bekannt gewesen wären. Die Vorträge in der Audienz wären dann eine bloße Wiederholung bereits bekannter Schriftlichkeit gewesen und hätten lediglich das Publikum interessiert. Auf derartig verlesene, schriftlich vorbereitete Rezesse sollte der Prozessgegner schweigen, auch wenn er beabsichtigte, in einem späteren Termin förmlich dagegen zu handeln (§ 10). Stillschweigend sollte ihm nämlich die ausreichende Zeit gewährt sein, seinen eigenen Schriftsatz ausarbeiten zu lassen und zu gegebener Zeit einzureichen. Das sollte die ständigen Bitten um Fristgewährungen überflüssig machen. Mit den Gegenrezessen wollte es das Reichskammergericht dann genauso halten wie mit den Angriffsmitteln (§ 11). Während der Gegner seine Rezesse verlas und die Schriftsätze überreichte, sollte der Widerpart bereits seine Gegenrezesse konzipieren und sie dann zu Beginn der folgenden Audienz ganz am Anfang der Ordnung in praefixis verlesen. Auf diese Weise wollte das Reichskammergericht die Umfrageordnung nochmals unterteilen. Es ging also nicht nur darum, nach Prokuratoren und Ordinar- und Extraordinarsachen zu untergliedern. Vielmehr hätte es auf diese Weise auch die Trennung von Angriffs- und Verteidigungsrezessen gegeben. Eine deutliche

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Abkürzung des Verfahrens beabsichtigte zuletzt § 12 des Entwurfs. Eine Replik auf Gegenrezesse sollte nämlich ausgeschlossen sein. Das Hin und Her streitiger Anwaltsäußerungen sollte auf diese Weise auf den Schriftsatzwechsel beschränkt bleiben. Bei Rezessen wollte das Kameralkollegium einen einmaligen Schlagabtausch genügen lassen, dann würde die Rechtslage für eine richterliche Entscheidung reif sein. Insgesamt versuchte der Kammerrichter mit diesem Reformvorschlag, die Umfrage in praefixis zu straffen. Doch durch die Verpflichtung, sämtlichen mündlichen Vortrag schriftlich vorzuformulieren, ließ er zugleich die Mündlichkeit der Audienz noch weiter erstarren. Aber jedenfalls hätte der Entwurf eingerissener Disziplinlosigkeit, assoziativem Geschwätz und anderem vorgebeugt und damit die Audienz beschleunigt. Doch bereits am 11. April 1595 nahm das Gericht von seinen Reformbemühungen wieder Abstand (sogleich unten RKG Nr. 94).

RKG Nr. 94 1595 April 11 [Excogitatus modus recessuum ex scriptis reiterandorum ex causis differtor. 1. Ordini praefixarum duabus adhuc aliis audientiis assignatis, recessuum dictatio, horum tamen copiis cum decenti tempore agendi parti adversae concessis continuator. 2. Procuratores de communi termino hinc inde in causa procedendi statim conveniunto aut illum iudex praefigito. 3. Anticipationi terminorum studento. 4. Ab initio recessuum alterum procuratorem ad meliorem animadversionem interpellanto; ad agenda parati comparento. 5. Vigore decreti 11. Octobris 1592 audientias diligentius frequentanto.]1 [Modus recessuum ex scriptis recitandorum certis de causis differtor et interim agendorum forma praescribitur.]2 Der Advocaten und Procuratorn Bedencken und Motiven, die Umfrag praefixarum belangend, seynd gleichwohl hier zuvor mehrentheil, und zwar die furnehmsten alle, in Berathschlagung auch vorgelauffen und erwogen; aber doch der Erheblichkeit nicht befunden oder noch, daß derwegen die communicirte oder dergleichen Anordnung nicht solte mit solcher massen und uff Wege, dadurch allen angezogenen inconvenientiis begegnet (wofern nicht dieselbe unnöthiger Weise gesuchet und verursachet), insonderheit allein in gemeldter Umfrag praefixarum ins Werck gerichtet, und zu sonderer Beförderung deß Processus mit Nutz angestellet, observiret und das langwürige, fast verzügliche Dictiren abgeschafft werden mögen. Dieweil es 1 2

Excogitatus ... frequentanto in GB 1661; Blum 1667. Modus ... praescribitur in GB 1710.

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gleichwohl allewege darfür gehalten, daß dieser Zeit und in gegen-wärtiger Verhäuffung1 der Handlungen solches alsobald und unversehens oder plötzlich ins Werck zu bringen nicht wohl thunlich und dann auch zu hoffen, die Visitation nunmehr in kurtzem einen Fortgang erreichen möchte. Als ist aus dieser und andern mehr Ursachen für gut angesehen, dieses Werck noch zur Zeit einzustellen. § 1. Damit aber doch mittlerweil gedachter Umfrag in etwas geholffen, die befördert und nicht so gantz bestecken2 bleibe, sollen darzu künfftig beneben den gewöhnlichen Sambstägigen und andern noch zwo vormittägige Audientzien von 8 biß 10 Uhren wochentlich Dienstags und Donnerstags angestellt und gehalten und wie bißhero dictando gehandelt werden, doch zum kürtzesten und also, daß die Procuratorn jedesmahl zu End ihres Recess alsobald ihrem Gegenanwaldten gebührende Copeyen und dann auch (wofern nicht in continenti ex adverso gehandelt werden soll) nothwendige Zeit, als nehmlich zu noch gebührender schrifftlicher Gegenhandlung alle Weg und regulariter so viel und weniger nicht, es wären dann sondere beständige kundbahre Ursachen vorhanden, als sie selbst pro Termino et Prorogatione zu ihrer Schrifft oder Handlung gehabt, sonsten aber da schrifftliche Handlung vermög der Ordnung nicht mehr statt haben mag und soll, ad proximam zulassen und anbiethen, welche der Gegenanwaldt acceptiren und über die Zeit, so Gegentheil gehabt und in gleichermassen ex adverso zugelassen wird, keineswegs, sonsten aber ohne erhebliche3, richtige und4 offenbahre Ursachen und insonderheit zu schrifftlicher Handlung, so über die Zahl der Ordnung, ferner Zeit nicht begehren. § 2. Und sollen sie sich einmahl in jeder Sachen der Zeit halben, so folgends in derselben pro Termino et Prorogatione zu observiren Anfangs und so bald erstlich dergleichen Zeit gebetten wird, vergleichen, oder da es nicht geschehen könne5, solches zu richterlichem Endscheid setzen und dessen darüber gewarten, dabey es dann hernach in folgenden Terminis auch gelassen und alles übrige, wo es die Nothdurfft erfordern wird, zu der ulteriori Prorogationi behalten werden. § 3. Sie sollen auch die erhaltene Termin mit ihren Handlungen zu anticipiren sich befleissigen, auch ihre Principalen samt deren Advocaten dieser wie auch der andern noch vorstehender Anordnung mit erstem berichten und erinnern, damit ein jeder innerhalb erhaltener Zeit (wie man ohne das vigore Ordinationis schuldig) mit nothwendiger Handlung zeitlich und der Gebühr versehen und gefaßt seyn möge; in diesem allem sich keiner Gefährd gebrauchen und sonsten der Ordnung und Gemeinen Bescheiden allerdings gemäß verhalten. 1 2 3 4 5

Blum 1667 Uberhäuffung. Blum 1667 stecken. Blum 1667 ohnerhebliche. Fehlt in Blum 1667. Blum 1667 könte.

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§ 4. Auch sollen sie sowohl in Novis als Praefixis jedesmahl vor Anfang ihrer Recessen ihre Gegenprocuratores, so zur Sachen legitimiret1, mit Nahmen nennen, um damit Auffmerckens zu haben, avisiren und erinnern, welche dann mit Fleiß Uffachtung geben: Die habende2 Procuratorn auch selbst in der Zeit mit ihren Recessen und Handlungen also gefaßt erscheinen und seyn, [da es]3 (wie etwann bißhero von etlichen gebraucht) deß verzüglichen hin und wieder Umbsehens der4 Beylagen und anders, zwischen und unter den Recessen nicht bedörffe, auch sie nicht erst in der Audientz und mit Uffhaltung5 derselben von ihren Schreibern weitläufftig instruirt6 werden müssen, sondern solches vermieden bleibe. § 5. Nachdem auch der Procuratorn vielfältig und fast tägliches Excusiren, Absentiren und Aussenbleiben nicht geringe Verhinderung, unnöthige Recess, Auffhalten der Ordnung und andere mehr inconvenientia verursachet; so will man sie dessen am 11. Octobris Anno 1592 eröffneten Gemeinen Bescheids (welcher gleichwohl biß dahero bey etlichen wenig gefruchtet) hiemit nochmahls7 zu allem Uberfluß und denenselben durchauß in allen seinen Puncten und Clausulen, fleissiger dann bißhero geschehen, zugeleben ernstlich vermahnet, ihnen auch sonderlich befohlen haben, daß sie sich hinführo bey denen Pflichten, damit sie dieser höchsten Justitz zugethan, ohne sondere hohe unumgängliche Nothdurfft, gegründete Ursachen, welche sie jederzeit in specie beständig anzuzeigen schuldig, deß zuviel überhandnehmenden Excusirens und Absentirens nicht gebrauchen, sondern mit Besuchung und8 beharrlicher Beywohnung der gerichtlichen Audientzien sich obangeregten eröffneten Bescheiden allenthalben gemäß verhalten sollen, mit dem Anhang, wo sich auff diese abermahlige Vermahnung und Erinnerung einer oder mehr ungehorsam erzeigen, auch die Ursach ihres Excusirens und Aussenbleibens, nach eingenommener Erkündigung ungegründt befunden, daß alsdann gegen die Uebertretter nicht allein mit der hievor angedeuter, sondern mit noch höherer Straff nach Ermässigung ernstlich [soll]9 procedirt und verfahren werden. Vorlage: CJC 1724, S. 463-464 Nr. CCCXXIII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 22-23; GB 1665, S. 19-20; Blum 1667, S. 563-565; GB 1671, S. 19-20; GB 1678, S. 19-20; GB 1686, S. 19-20; GB 1688, S. 17-18; GB 1695, S. 42-45; GB 1696, S. 42-45; GB 1707, S. 42-45; GB 1710, S. 48-51 Nr. XC; 1 2 3 4 5 6 7 8 9

So … legitimiret fehlt in Blum 1667. Blum 1667 handelnde. Da es in GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; anders Blum 1667 daß es. Blum 1667 nach den. Blum 1667 Auffhaltung. GB 1671; GB 1695; GB 1696 instituirt. Blum 1667 nachmals. Blum 1667 der. GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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GB 1714, S. 30-32 Nr. XCII; CJC 1717, S. 30-32 Nr. XCII; GB 1717, S. 30-32 Nr. XCII; GB 1724, S. 48-51 Nr. XC. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bildet mit dem Entwurf einer Praefixa-Ordnung vom 22. Februar 1595 (oben RKG Nr. 93) eine Einheit. Hatte das Kameralkollegium zunächst vorgehabt, gemeinsam mit der Anwaltschaft den Audienzbetrieb zu beschleunigen und insbesondere die schwerfällige Umfrage in praefixis abzukürzen, musste es jetzt zugeben, dass seine Bemühungen gescheitert waren. Zahlreiche Prokuratoren hatten Bedenken gegen die Neuerungen angemeldet. Das Gericht hatte die meisten Eingaben beraten und gab daraufhin seine Pläne auf. Ob der Widerstand der Prokuratoren den Ausschlag gab, bleibt offen. Zum einen hoffte die Richterschaft auf eine Visitation, die alle Missstände hätte beseitigen können. Zum anderen war allgemein von sonstigen Ursachen die Rede. Die gescheiterte Reform verhinderte eine erhebliche Verkürzung der Audienzen. Das zeigt gleich § 1 überdeutlich. Statt der zunächst geplanten Verminderung der Praefixa auf einen festen Termin pro Woche sollten nun in Zukunft gleich wieder drei Termine stattfinden. Hier durften die Anwälte ihre Rezesse wieder diktieren, wenn auch auf Kürze bedacht. Dies ist eine der wenigen Stellen, die Einblick in die damit verbundene Verzögerung gewähren. Ein diktierter Rezess benötigte offenbar dreimal so lange wie ein knapp verlesener Rezess, den die Protokollführer später aus der schriftlichen Vorlage ins Protokollbuch übertrugen. Mindestens vier Stunden zusätzliche sinnlose Arbeit pro Woche für die Assessoren und die Prokuratoren standen jetzt bevor, nachdem der Entwurf vom 22. Februar gescheitert war. Nach § 1 sollten die Prokuratoren ebenfalls weiterhin Fristen erbitten und gewähren. Der Reformplan vom Februar hätte genau dies weitgehend überflüssig gemacht. Jetzt gab es zwar leichte Vereinfachungen, aber die jeweiligen Äußerungen waren ausdrücklich Teil der Audienz und zogen sie weiter in die Länge. Gleich in zwei Kernpunkten widersprach diese Anordnung damit den zwei Monate zuvor noch so ehrgeizig verfolgten Zielen. § 2 forderte die Prokuratoren auf, sich immerhin über die gewährten Zeiten für ihre Prozesshandlungen zu einigen. Doch war Streit nicht auszuschließen, und deshalb gab es auch die Möglichkeit, Handlungsfristen richterlich entscheiden zu lassen. Die festgesetzten oder gewährten Termine sollten die Prokuratoren aber sorgsam vorbereiten und mit ihren Mandanten und den Advokaten abstimmen (§ 3). Auf diese Weise sollten wenigstens zusätzliche Verschiebungen überflüssig sein. § 4 versucht Zeit einzusparen, indem er von den Prokuratoren hohe Aufmerksamkeit verlangt und sie auffordert, gut vorbereitet in die Audienz zu gehen. Zum einen sollte der handelnde Prokurator den jeweiligen Gegenanwalt namhaft machen, damit dieser im Termin besonders aufmerksam zuhören konnte. Zum anderen sollte der Handelnde selbst seine Rezesse mit den Schriftsätzen und Anlagen gut verzahnen. An dieser Stelle ermöglicht der Gemeine Bescheid einen weiteren Einblick in die Audienzpraxis. Offenbar nahmen die Prokuratoren ihre Schreiber mit, die teilweise bessere Aktenkenntnis als sie selbst besaßen. Jedenfalls gab es wohl Augenblicke in den Audienzen, in denen ein Prokurator nicht mehr weiter wusste und sich von seinem Schreiber vorsagen lassen musste, welche Schriftsätze und Dokumente zu seinem Rezess überhaupt gehörten. Das sollte für die Zukunft ausgeschlossen sein. § 5 schließlich schärfte den Prokuratoren abermals ein, vollständig zur Audienz zu erscheinen und sich nicht unter fadenscheinigen Vorwänden zu

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entfernen oder gar nicht erst zu kommen. Hierfür verwies der Bescheid auf die Vorgängerregelung vom 11. Oktober 1592 (oben RKG Nr. 90). Sie war zwar erst zweieinhalb Jahre alt, hatte aber offenbar genauso wenig gefruchtet wie manche ältere Verfügung (z. B. Gemeiner Bescheid vom 28. November 1550, 3. November 1568, oben RKG Nr. 44 und 61). In der Tat gab es einen kaum auflösbaren Widerspruch. Mit dem Reformprojekt vom 22. Februar 1595 hatte das Kameralkollegium ungeschminkt zugestanden, wie langweilig und zeitraubend die statischen Audienzen mitsamt den diktierten Rezessen waren. Aus unbekannten Gründen war es dennoch nicht möglich gewesen, hieran etwas zu ändern. Mit winzigen kosmetischen Eingriffen blieb daher im Wesentlichen alles beim Alten. Der Zwang gegenüber den Anwälten, vollständig und pünktlich zu erscheinen, nun sogar noch über ständig steigende Strafdrohungen abgesichert, nützte daher nur wenig. Auch die Prokuratoren kannten die Gebrechen der Audienzen nur zu gut. In der Zusammenschau zeigt sich der Kameralprozess, jedenfalls das Audienzwesen, im Frühjahr 1595 also in einer problematischen Lage. Der Geschäftsanfall am Reichskammergericht erreichte ungeahnte Höhen. Das Verfahren selbst erwies sich jedoch als schlechthin nicht reformierbar. Nicht einmal die umständlichen Umfrageordnungen ließen sich ernsthaft straffen. Das erstaunt vor allem deshalb, weil das Kameralkollegium selbst die Änderungen zunächst anstrebte, dann aber davor zurückschreckte, sie ohne Mitwirkung der Anwälte und Unterstützung durch eine Visitationskommission einfach ins Werk zu setzen. Die Visitation von 1595 fand im Laufe des Jahres dann tatsächlich statt (Ludolff, CJC 1724, S. 464-522). Es gab zwar zahlreiche Memorialien, aber keines an die Adresse der Prokuratoren. Die Reform des Umfragewesens kam also nicht zustande.

RKG Nr. 95 1596 August 9 [Contagioni pestiferae salutariter providetur.]1 Demnach die abscheuliche Seuche der Pestilentz aus Verhängnüß und gerechtem Zorn Gottes dieser Zeit nicht allein auff dem Land in vielen umhero gelegenen Städten, Flecken und Dörffern, sondern auch bey uns allhier zu Speyer hin und wieder, in etlichen Gassen und Häusern sich Gefährlichkeit eräuget. Damit dann nicht zu weiterer Infection und dahero besorgendem grösseren Unheil, Nachtheil und Schaden, desto mehr Ursach gegeben werde; Als sollen alle und jede Kayserliche cammergerichtsverwandten Persohnen und Angehörige bey Straff nach Ermässigung alle Unsauberkeit sowohl in als auch vor ihren Häusern, es sey bey Tag oder Nacht des ungebührlichen Ausgiessens und Werffens auff offene Gassen, deß1

Contagioni ... providetur in GB 1710; GB 1717.

RKG Nr. 95 1596 August 9

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gleichen aller Conversationen und Beherbergung deren innerhalb Monath Zeit wissentlich angesteckt und inficirt gewesener Persohnen oder die von andern vergifften Orten anhero kommen, sich gäntzlich enthalten.1 Wofern dann jemand in seinem Hauß mit gefährlicher Kranckheit beladene Persohnen, welche länger darinn zu halten ihme bedencklich, so mög und soll er den darzu verordneten Balbierer Hanß Henrich2 Neckel, itziger Zeit auff der Weinbrücken wohnhafft, dieselbige besichtigen, zuforderst auch durch ihren Seelsorger mit Gottes Wort und heiligem Sacrament trösten und stärcken, alsdann sie ein Ehrsamer Stadtrath allhie nach Befindung in ihre Lazareth zu nehmen, mit gebührender nothwendiger Unterhaltung und Pfleg versehen zu lassen, erbiethig, zuversichtig, diejenige, welche also eingenommen, oder ihr Gesind daselbst hinschicken, werden sich des aufflauffenden Unkostens halben mitleidentlich für sich selbsten der Gebühr zu erzeigen wissen. In Consilio 9. Augusti Anno 1596. Philippus Hoeglen3. Lizentiat Judicii Imperialis Camerae Protonotarius subsc[ripsit] manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 522-523 Nr. CCCXXXIII. Weitere Ausgaben: GB 1678, S. 20; GB 1686, S. 20; GB 1688, S. 18-19; GB 1695, S. 4546; GB 1696, S. 45-46; GB 1707, S. 45-46; GB 1710, S. 51-52 Nr. XCI; GB 1714, S. 32 Nr. XCIII; CJC 1717, S. 32 Nr. XCIII; GB 1717, S. 32 Nr. XCIII; GB 1724, S. 51-52 Nr. XCI; fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid gehört zur Gruppe derjenigen Vorschriften, die sich mit Pestepidemien beschäftigen (so auch zuvor Gemeine Bescheide von 3. November, 18. November und 22. Dezember 1542, 19. Februar 1554, 18. August 1564, oben RKG Nr. 40-42, 47 und 57, und später der Gemeine Bescheid vom 26. September 1607; unten RKG Nr. 100). Von einer Verlegung des Reichskammergerichts wegen der Ansteckungsgefahr war im Gegensatz zu 1542 jetzt schon längst keine Rede mehr. Dafür verschärfte der Gemeine Bescheid die Vorsichtsmaßnahmen. Zum einen mahnte er zur Sauberkeit, zum anderen untersagte er engen Kontakt zu Erkrankten oder solchen Personen, die im Monat zuvor krank gewesen waren. Die Zusammenarbeit mit dem Rat der Reichsstadt Speyer verlief in dieser brenzligen Lage unkompliziert. Es gab einen städtischen Barbier, der die Kranken in den Wohnungen der Kameralen untersuchen konnte. Außerdem hatte der Rat angeboten, die Infizierten ins Lazarett aufzunehmen. Die medizinischen Möglichkeiten waren freilich begrenzt, deswegen sollten sich die Gerichtsmitglieder auch um geistlichen Beistand für die Pestopfer kümmern.

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Absatz in GB 1695; GB 1696. GB 1695; GB 1696 Heinrich. GB 1710 Hoeglin; GB 1717 Högelin.

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RKG Nr. 96 1598 Januar 13

RKG Nr. 96 1598 Januar 13 [Sustentationis Camerae admonendae et exigendae forma.]1 Demnach eine Zeithero in Erleg- und Entrichtung des Heiligen Reichs Anlagen zu des Kayserlichen Cammergerichts Unterhaltung allerhand Unordnung, Fahrlässigkeit und Saumnüß sich ereignet; als wird allen und jeden Procuratorn hiemit ernstlich aufferlegt und befohlen, daß Sie hinführo ein jeder bey denen Ständen, denen er dienet, mit allem Fleiß embsige Anmahnung und Erinnerung thue, damit erforderst2 die hievor und bißhero auffgewachsene und andere schon verfallene Ausständ endlich und fürderlich abgefunden und entrichtet, auch alles dasjenige, so künfftig [hin]3 jedes Ziel beträgt4 und fällig werden wird, zu gebührender Zeit und Orten, auch an guten Müntzsorten der allgemeinen Reichsmüntzordnung Anno 1559 publicirt, gemäß, fürderlich und ohne Verlängerung auch unerwartet des Kayserlichen Fiscals Anruffen und Procedirens (damit ihme dann hinführo dißfals sowohl der alten als 5 neuen Extantzen halben schleunig und ohne Respect mit durchgehender Gleichheit zu vollfahren auch befohlen) völliglich bezahlet und indeme ohne sondere erheblich und offenbahre Verhinderung nicht gesäumet, noch die Extantzen gekaufft6 werden oder etliche Ziel7 zusammen kommen. So bald auch einiger Termin judicialiter gebetten oder angesezt, sollen die Procuratorn solchen auch gleich also bald ungesaumbt ihren Principalen notificiren, und sie der Gebühr mit ernstem Fleiß erinnern, auch jederzeit gefast seyn, solch ihr bey denen Ständen geschehenes Anmahnen und was darauff in Antwort oder sonsten erfolgt, auff Erfordern glauwürdig zu bescheinen: Ob dann auch ihnen etwas von Geld deßhalben zugeschickt würde oder sonsten zu Handen käme, sollen sie solches ohn einigen Verzug und alsobald an gebührende Orth lieffern, indeme und anderm sich mit mehrerm Gehorsam, als bißhero geschehen, denen Visitationsabschieden und Memorialien de Annis 728 und 73 allerdings gemäß halten, alles bey ernstlicher ohnnachlässiger Straff nach Ermässigung. Decretum in Consilio 13. Januarii Anno 1598. Philippus Hoeglen9, Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius.

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Sustentationis ... forma in GB 1710; GB 1717. GB 1710 zufordrist. GB 1710. GB 1710 betagt. GB 1710 und. GB 1710 gehäufft. GB 1710 Zeit. GB 1710 1572. GB 1710 Hoegelin; GB 1717 Högelin.

RKG Nr. 96 1598 Januar 13

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Vorlage: CJC 1724, S. 523 Nr. CCCXXXIV. Weitere Ausgaben: GB 1710, S. 52-53 Nr. XCII; GB 1714, S. 32-33 Nr. XCIV; CJC 1717, S. 32-33 Nr. XCIV; GB 1717, S. 32-33 Nr. XCIV; GB 1724, S. 52-53 Nr. XCII; fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Anmerkung: Es handelt sich um den ersten Gemeinen Bescheid, der sich mit der chronischen Unterfinanzierung des Reichskammergerichts beschäftigt. Die Stände waren zwar verpflichtet, sich mit dem Kammerzieler am Unterhalt des Speyerer Reichsgerichts zu beteiligen, kamen dieser Aufgabe aber nur schleppend und ungenügend nach. Das Reichskammergericht selbst hatte nur wenige Möglichkeiten, selbst etwas für eine bessere finanzielle Ausstattung zu tun. Insbesondere konnte das Kameralkollegium die säumigen Reichsstände nicht selbst mahnen. Der Gemeine Bescheid wandte sich daher an die Prokuratoren, denen das Gericht ja durchaus Befehle erteilen konnte. Angesprochen waren lediglich diejenigen Prokuratoren, die als ständige Vertreter bestimmter Reichsstände bestellt waren. Sie sollten ihre zahlungspflichtigen Mandanten ermahnen und an die ausstehenden Gelder erinnern. Zugleich hatten sie darauf zu achten, dass eingehende Zahlungen dem vorgeschriebenen Münzfuß nach der Reichsmünzordnung von 1559 entsprachen, ein Anliegen übrigens, das in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder vom Reichskammergericht geäußert wurde (Gemeine Bescheide vom 23. August 1585, 9. März 1587, 13. Dezember 1593 § 4; oben RKG Nr. 85, 88 und 92). Druckmittel gab es kaum. Der Gemeine Bescheid erinnerte an die Möglichkeit des Fiskals, rückständige Zahlungen einzuklagen. In jedem Fall mussten die Prokuratoren ihre reichsständischen Mandanten über sämtliche Zahlungsangelegenheiten unterrichten und dem Gericht auch die jeweiligen Antworten mitteilen. Offenbar kam es vor, dass einige Reichsstände ihre Zahlungen unmittelbar über die Prokuratoren abwickelten. Sie übersandten den Prokuratoren die ausstehenden Summen oder wenigstens Teile davon in bar, und der Prokurator übergab sie dem Gericht. Vielleicht hatte es in diesem Punkt Unregelmäßigkeiten gegeben. Der Gemeine Bescheid schärfte jedenfalls den Prokuratoren ein, sich bei der Abwicklung strenger an die Visitationsabschiede und Memorialien von 1572 und 1573 zu halten. Die Strafdrohung richtete sich ebenfalls gegen die Prokuratoren und nicht etwa gegen säumige reichsständische Schuldner. Gegen letztere konnte das Gericht nichts unternehmen.

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RKG Nr. 97 1602 Dezember 13

RKG Nr. 97 1602 Dezember 131 [Collationir- und Auffsuchungsgelder lectoribus quovis semestri exsolvuntor.]2 [Lectoriae debita quo vis semestri exsolvuntor]3 [Es]4 sollen die Procuratores, was sie künfftig den Lesern an Collationir- und Auffsuchungsgeldern von halb Jahren zu halb Jahren schuldig worden, ihnen nach überreichten Zettuln innerhalb eines Monaths, daß ausständig aber unverzüglich, alles mit Reichsmüntz und -wehrung bezahlen und auff ihre Partheyen sie deßwegen nicht verweisen: Auch die originalia Documenta, deren Restitutio gebetten, facta collatione, gleichfalls in Zeit eines Monaths aus der Cantzley jedesmahls erheben und solches alles bey Straff nach Ermässigung. Vorlage: CJC 1724, S. 564 Nr. CCCXLVIII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 23; GB 1665, S. 20; Blum 1667, S. 565; GB 1671, S. 20; GB 1678, S. 21; GB 1686, S. 21; GB 1688, S. 19; GB 1695, S. 46; GB 1696, S. 46; GB 1707, S. 46; GB 1710, S. 53 Nr. XCIII; GB 1714, S. 33 Nr. XCV; CJC 1717, S. 33 Nr. XCV; GB 1717, S. 33 Nr. XCV; GB 1724, S. 53 Nr. XCIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid befasst sich mit den Gebührenforderungen der Kammergerichtskanzlei. Schon ältere Bescheide hatten die Nachlässigkeit beklagt, insbesondere derjenigen, die Dokumente anforderten, sie dann aber nicht abholten oder nicht bezahlten (Gemeine Bescheide vom 28. November 1550 und 11. September 1579; oben RKG Nr. 44 und 77). Jetzt versuchte das Reichskammergericht, das Verfahren zu vereinheitlichen. Für die beiden genannten Gebühren sollte es fortan halbjährige Rechnungen geben, die innerhalb Monatsfrist zu begleichen waren. Offenbar hatten einige Anwälte zuvor versucht, sich den Zahlungspflichten zu entziehen, und lieber auf die Parteien verwiesen. Das Gericht ließ diese Einwendung aber nicht gelten und unterschied deutlich zwei Rechtsverhältnisse. Gegenüber der Kanzlei war der Prokurator der persönliche Schuldner. Sein Innenverhältnis zum Mandanten änderte nichts an seiner Aufgabe, die Gebühren zu entrichten. Die Monatsfrist galt überdies, um Originalurkunden etc. aus der Kanzlei zurückzuholen. Auf diese Weise wollte das Reichskammergericht offenbar die Papierberge abbauen, die sich ansonsten aufzuhäufen drohten.

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GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Anno 1602. 23. Decembris; wie im CJC 1724 auch Blum 1667 13. Decemb. 1602. Collationir- ... exsolvuntor in GB 1661; Blum 1667. Lectoriae … exsolvuntor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724. Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

RKG Nr. 98 1605 Mai 17

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RKG (ohne Nr.) 1602 Dezember 23 siehe 1602 Dezember 13.

RKG (ohne Nr.) 1605 Mai 13 siehe 1605 Mai 17.

RKG Nr. 98 1605 Mai 171 [Producta merita causae definitive conclusae concernentia in quintuplo lectoriae porriguntor.]2 [Producta, quae merita causae definitive conclusae specant, in quintuplo exhibentor lectoriae.]3 Letztlich ist der Gemeine Bescheid, daß hinführo biß zu ferner4 Verordnung die Procuratores und andere der Partheyen Gewalthaber vermög jüngsten Deputationabschieds nach endlichem Beschluss der Sachen und ehe nicht: Auch alsdann mehr oder anderst nichts5, weder allein die hinc inde einkommene Klagen, Exceptional-, Defensional-, Peremptorial-, Elisiv- und andere zu der Hauptsach gehörige Articul fünffmahl abgeschrieben, auch mit mehrerm Fleiß als bißhero geschehen, collationirt und corrigirt, in die Leserey eingeben und von wegen solcher Copeyen ihre Partheyen mit dem Schreibgeld weiter, als ihnen sonsten hievor dißfalls gesetzt und zu taxiren verordnet, nemlich von einem jeden gebührlicher Weiß mit genugsamen Zeilen und wohl beschriebenem Blat, einen halben Batzen, nicht überneh-

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Anders GB 1707 Anno 1605. 13. Maji. Producta ... porriguntor in GB 1661; Blum 1667. Producta ... lectoriae in GB 1710; GB 1717. GB 1678 fernerer. GB 1665; GB 1678; GB 1696 Auch als dann anderst und mehr nichts; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724 Auch alsdann ander mehr oder nichts.

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RKG Nr. 98 1605 Mai 17

men noch höher beschwehren sollen, alles bey ernstlicher ohnnachlässiger Straff nach Ermässigung. Vorlage: CJC 1724, S. 565 Nr. CCCLII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 24; GB 1665, S. 21; Blum 1667, S. 566-567; GB 1671, S. 21; GB 1678, S. 21; GB 1686, S. 21; GB 1688, S. 19-20; GB 1695, S. 48; GB 1696, S. 48; GB 1707, S. 48; GB 1710, S. 54 Nr. XCVI; GB 1714, S. 26 Nr. XCVIII; CJC 1717, S. 26 Nr. XCVIII; GB 1717, S. 34 Nr. XCVIII; GB 1724, S. 54 Nr. XCVI. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid lehnt sich an den umfangreichen Speyerer Deputationsabschied vom 30. Oktober 1600 an (Ludolff, CJC 1724, S. 535-559). Es geht um die Aufbereitung des Prozessmaterials nach dem Beschluss der Sache. Weitere Verhandlungen fanden jetzt nicht mehr statt, erneuter Schriftsatzwechsel war verboten. In dieser Situation sprach der Gemeine Bescheid von fünffachen Kopien der wesentlichen Schriftsätze und Artikel des Verfahrens. Hier ist ein Halbsatz schlecht überliefert, und deswegen fällt es schwer, den Text zu verstehen. Falls die Prokuratoren nach dem Ende der streitigen Verhandlungen wirklich fünf weitere Kopien bei der Leserei einreichen sollten, spräche dies für eine erstaunliche Sorgfalt des Gerichts. Nicht nur der spätere Referent und Korreferent, sondern noch drei weitere Gerichts-mitglieder hätten sich in diesem Fall mit dem Prozessmaterial befassen können. Entsprechend gut vorbereitet hätten sie in die Senatssitzungen bzw. in die Beratungen des Kollegiums gehen können. Ob das wirklich so gemeint war, lässt sich kaum klären. In den erhaltenen Prozessakten finden sich jedenfalls in keinem Fall fünffach überlieferte Schriftsätze. Die private Hinterlassenschaft der Assessoren ist zumeist verloren, ihre dienstlichen Nachlässe, soweit sie noch erhalten sind, nicht hinreichend erschlossen. Sicher ist wiederum der Anspruch der Prokuratoren gegen ihre Mandanten, sich diese Kopien bezahlen zu lassen. Hierbei konnte es zu Übertölpelungen kommen. Jedenfalls erfolgte die Bezahlung nach Blattzahl. Die Verlockung war also stark, möglichst groß zu schreiben, Seiten zu füllen und auf diese Weise die Gebühren in die Höhe zu treiben. Mit einer Generalklausel wollte das Reichskammergericht diese Gefahr bannen. Lediglich diejenigen Seiten durften in die Berechnung einfließen, die mit „genugsamen Zeilen“ beschrieben waren. Auf diese Weise wollte man der Gebührenschinderei begegnen. In der Praxis scheinen einige Anwälte dann dazu übergegangen zu sein, einfach breitere Seitenränder zu verwenden. Jedenfalls war es bei festen Gebührensätzen pro beschriebenem Blatt schwer, die damit verbundenen Missbrauchsgefahren dauerhaft zu beseitigen.

RKG Nr. 99 1607 August 22

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RKG Nr. 99 1607 August 22 [Camerales victualia Spiram apportata negotiationis causa ne praemercantor.]1 [Camerales victualia non praemercantor.]2 Demnach dem Kayserlichen Cammergericht vorkommen, daß etliche, die Victualien und Waaren, so zu gewöhnlichen Wochenmärcken in die Stadt hieher gebracht werden, etwann vor der3 Pforten mit Ueberbietung des Wehrts, desgleichen auff freyem Marck, solche zu ihrem Gewinn und Vortheil an andere Ort zu verführen oder zu schicken, offtmahls erkauffen, auch denenjenigen, so allbereits darum marcken, in den Kauff einstehen. Wann nun solches alles nicht allein denen4 gemeinen Rechten und der Billigkeit zuwider, sondern auch zu beschwehrlichem Auffschlag und Vertheurung nothwendiger Victualien gereichet: Damit dann dergleichen Ungebühr nicht auch denen Cammergerichts angehörigen Persohnen zugemessen werden möge; Als sollen alle und jede des5 Cammergerichts verwandte Persohnen und Angehörige solches schädlichen unleidlichen Vorkauffens und Einfallens sich gäntzlich enthalten, ihnen dasselbe hiemit ernstlich verbotten seyn, und da deme zuwider von jemanden gehandelt, dasselbige angezeigt oder sonsten in Erfahrung gebracht, gegen die6 Uebertretter gebührende7 Straff fürgenommen werden. In Consilio, 22. Augusti [Anno]8 1607. Engelbertus Knoeller9, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius [subscripsit.]10. Vorlage: CJC 1724, S. 565 Nr. CCCLIII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 24-25; GB 1665, S. 21; Blum 1667, S. 567; GB 1671, S. 21; GB 1678, S. 21-22; GB 1688, S. 20; GB 1695, S. 48-49; GB 1696, S. 48-49; GB 1707, S. 48-49; GB 1710, S. 54-„56“ (Paginierungsfehler) Nr. XCVII; GB 1714, S. „26“ (recte: 34)-35 Nr. XCIX; CJC 1717, S. 34-35 Nr. XCIX; GB 1717, S. 34-35 Nr. XCIX; GB 1724, S. 54-56 (55 fehlt) Nr. XCVII.

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Camerales ... praemercantor in GB 1661; Blum 1667. Camerales ... praemercantor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717 den. Fehlt in GB 1665; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt bei GB 1665, Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724. GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696 dem; Blum 1667; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724 den. Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724 gebührliche. GB 1661; GB 1665, GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717 und 1724. GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1717 Knöller. GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen fehlt In Consilio ... Protonorarius [subscripsit] bei Blum 1667.

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RKG Nr. 100 1607 September 26

Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ist der Sache nach eine Policeyordnung an die Gerichtsmitglieder. Er hat nichts zu tun mit dem Kammergericht oder dem Prozessrecht, sondern betrifft lediglich das Einkaufsverhalten der Gerichtsmitglieder in Speyer. In einer Zeit mit gebundenen Preisen versuchte auch das Reichskammergericht, Preistreiberei beim Fürkauf und bei anderen Geschäften zu begrenzen. Jedenfalls legte der Gemeine Bescheid Wert darauf, dass Teuerungen nicht am leichtsinnigen Verhalten der Gerichtsmitglieder lagen. Das hätte das Ansehen des Gerichts in der Stadt Speyer wohl in ein ungünstiges Licht gestellt. Weitere Einzelheiten in der Einleitung bei Anm. 374-375.

RKG Nr. 100 1607 September 26 [Ex locis pestiferis Spiram accedentes a Cameralibus hospitio ne recipiuntor.]1 [Ex locis pestiferis advenientes a Cameralibus non recipiuntor hospitio.]2 Es ist das Kayserliche Cammergericht in Erfahrung kommen, daß aus unterschiedlichen3 mit der gefährlichen Seuche inficirten Orten etliche Persohnen sich anhero nach Speyer begeben und daselbst bey denen dem Kayserlichen Cammergericht Verwandten und Angehörigen Unterschleiff suchen und finden, daraus dann leichtlich anderer Infection und also nicht wenig Gefahr und Unheil diesem Kayserlichen Cammergericht entstehen und verursacht werden möchte. Derowegen allen und jeden dieses4 Kayserlichen Cammergerichts Angehörigen hiemit ernstlich und bey hoher Straff nach Ermässigung aufferlegt und gebotten wird, einige aus dergleichen Orten allhier anlangende Persohnen, wer die auch seyn möchten, zu sich in ihre Häuser und Wohnungen ohne sondere des Cammergerichts Erlaubnüß auff- und einzunehmen5 sich zu enthalten: Es sollen auch die Partheyen, Sollicitatorn, Botten und andere, so aus dergleichen inficirten Oertern hieher gelangen, sich bey ebenmässiger Straff nach Ermässigung der gewöhnlichen Audientzstube und Cantzley gäntzlich entäusern. Decretum in Consilio, 26. Septembris [Anno]6 1607. Cyprian Vomelius Stapert. Dr., Judicii Imperalis Camerae Protonotar7 [subscripsit.]1 1 2 3 4 5 6 7

Ex ... recipiuntor in GB 1661; Blum 1667. Ex … Hospitio in GB 1710; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724. GB 1665, GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; GB 1717 und GB 1724 unterschiedenen. Kayserlichen … dieses fehlt in GB 1696. GB 1665, GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724 anzunehmen. GB 1665, GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724. GB 1661; GB 1678; GB 1695; GB 1696 Protonotarius.

RKG Nr. 101 1608 April 7

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Vorlage: CJC 1724, S. 565-566 Nr. CCCLIV. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 25; GB 1665, S. 21-22; Blum 1667, S. 567-568; GB 1671, S. 21-22; GB 1678, S. 22; GB 1688, S. 20; GB 1695, S. 49-50; GB 1696, S. 49-50; GB 1707, S. 49-50; GB 1710, S. 56-57 Nr. XCVIII; GB 1714, S. 35 Nr. C; CJC 1717, S. 35 Nr. C; GB 1717, S. 35 Nr. C; GB 1724, S. 56-57. Anmerkung: Wie bereits 1542/43, 1554, 1564 und zuletzt 1596 (Gemeine Bescheide vom 3. November, 18. November und 22. Dezember 1542, 19. Februar 1554, 18. August 1564 und 9. August 1596; oben RKG Nr. 40-42, 47, 57 und 95) war Speyer auch 1607 wieder von der Pest betroffen. Das Reichskammergericht wiederholte das Verbot, kranke Personen oder Flüchtlinge in den Häusern der Kameralen aufzunehmen. Wenn freilich in einer solchen Gefahrenlage die Zufluchtsuchenden bei den Kameralen unterschlüpfen konnten, muss es sich um Verwandte gehandelt haben. Sonst wäre im frühen 17. Jahrhundert wohl niemand bereit gewesen, sich auf die womöglich tödliche Ansteckungsgefahr einzulassen. Im Vergleich zu den früheren Pestepidemien verhängte das Reichskammergericht jetzt auch ein Verbot an die zahlreichen nach Speyer gereisten Parteien, Sollizitanten und Boten. Sie durften nicht weiter persönlich vor Gericht vorstellig werden, weil die Übertragungsgefahr zu groß war. Ob mit Boten die Kammerboten gemeint waren, sagte der Gemeine Bescheid nicht. Vermutlich waren sie umfasst, reisten sie doch durch das Reich und konnten dabei durchaus in infizierte Landstriche gelangt sein. Typologisch handelt es sich bei dem Bescheid um eine Policeyordnung an die Mitglieder des Gerichts.

RKG Nr. 101 1608 April 7 [Pacta ratione salarii prohibita cum clientibus ne ineuntor.]2 [Pacta de quota litis hac pendente vel nimio salario non ineuntor.]3 In Sachen C. von H. wider die G. G. und Consorten Appellationis in puncto Supplicationis, in specie Dr.4 R. betreffend: Ist ihme Dr. R. sein am 18. Februarii jüngst beschehen Begehren abgeschlagen, auch die in der Supplication angezogene Obligation von Ambtswegen annullirt und auffgehoben, gegen besagten Dr. R. um [deß]5 willen er in Sachen R. contra G. Appellationis in puncto Mandati Executorialis, in

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GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724; dagegen fehlt Decretum ... Protonotarius [subscripsit] bei Blum 1667. Pacta ... ineuntor in GB 1661; Blum 1667. Pacta ... ineuntor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724. GB 1661; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696 O. GB 1665, Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724.

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RKG Nr. 101 1608 April 7

specie G.1 Beklagten belangend, mit ernannten G. G. Klägern ungebührlicher verbottener Weise in hangenden Rechten paciscirt und contrahirt, die Straff fünff Marck löthigen Golds in der Armen Säckel zu entrichten und zu bezahlen, hiemit vorbehalten: Letztlich ist2 der Bescheid, daß alle Procuratores sich dergleichen Pacten, Solicitaturen und Geding3 bey Entsetzung ihres Stands gäntzlich und zumahlen enthalten sollen. Tenor dictae4 Obligationis illicitae [praememoratae]5 Wir G. G. Gebrüdere bekennen für Uns und unsere Erben: Demnach unser Vetter N. N.6 am7 hochpreißlichen Kayserlichen8 Cammergericht ein Mandatum Executoriale erhalten und reproduciren lassen, bißhero aber dasselbe stecken geblieben9 usw. Daß hierum Wir Dr. R. besagten Kayerlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratorn unsern Gewalt geben, um Urtheil zu solicitiren, hergegen Wir ihme für seine Mühe bey Unsern adelichen10 Ehren, Treu und Glauben tausend Gülden Reichsmüntze, sobald die Sententz11 eröffnet und Uns zur Execution dermassen geholffen, daß Wir dessen, so uns an Haubtguth, Interesse und Expensen zuerkannt, fähig worden, von dem ersten, so fället12 oder ausgezahlt, zu geben freywillig zugesagt und versprochen, und im Fall hierunter auff obgesetzte Maaß einige Säumnüs (daß doch keineswegs geschehen solle) bey uns gespühret würde, gemeldter Dr. R. alsobald befugt seyn soll, an mehr hochgedachtem Kayserlichen Cammergericht Executorialproceß, die ohngehört unser erkennt werden sollen, wie wir dann allen Judiciis inferioribus hiemit per expressum renunciiren, wider unsere13 Persohn und Güther auszubringen und dadurch obgesetzte [1000]14 Reichsgulden sambt allen derowegen auffgeloffenen Kosten und Schaden sich habhafft und bezahlt zu machen.

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GB 1665, Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724 S. Fehlt in GB 1665; GB 1678. GB 1665; GB 1678; GB 1696 Verding. Fehlt in GB 1710; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724. GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; dagegen fehlt Tenor ... praememoratae in GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; anders GB 1661; Blum 1667 Tenor obligationis in praecedenti decreto allegatae. GB 1665, GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724 usw. GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696 Vetter usw. an dem. Fehlt in GB 1665, GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724. GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696 bißhero aber bestecken blieben; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724 bißhero aber stecken blieben. Fehlt bei GB 1724. GB 1696 sententia. GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717 gefällt. GB 1695; GB 1696 Unser. GB 1665, GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1714; CJC 1717 und GB 1724.

RKG Nr. 101 1608 April 7

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Vorlage: CJC 1724, S. 566 Nr. CCCLV. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 25; GB 1665, S. 22; Blum 1667, S. 568-569; GB 1671, S. 22; GB 1678, S. 22; GB 1686, S. 22; GB 1688, S. 20-21; GB 1695, S. 50-51; GB 1696, S. 50-51; GB 1707, S. 50-51; GB 1710, S. 57-58 Nr. XCIX; GB 1714, S. 3536 Nr. CI; CJC 1717, S. 35-36 Nr. CI; GB 1717, S. 35-36 Nr. CI; GB 1724, S. 57-58 Nr. XCIX. Anmerkung: Nach über zwei Jahrzehnten (Gemeiner Bescheid vom 28. Januar 1586, oben RKG Nr. 87) erging erneut ein Gemeiner Bescheid, der durch einen konkreten Rechtsstreit veranlasst war. Abermals drehte es sich um einen schweren Ordnungsverstoß eines Prokurators. Im Fall von 1586 standen beleidigende Schriftsätze im Raum, die zur Entfernung des Prokurators vom Gericht führten. Diesmal ging es um die Bezahlung des Prokurators. Der Prokurator Dr. R vertrat den Appellaten G in zwei verschiedenen Prozessen. In einem Rechtsstreit gegen den adligen Appellanten C von H war G zusammen mit Verwandten vor dem Reichskammergericht verklagt. Dr. R setzte sich für ihn ein, doch das Gericht verwarf seinen Schriftsatz. Das markierte aber nur den äußeren Rahmen für die folgenden, viel entscheidenderen Maßnahmen. Im Zusammenhang mit diesem Rechtsstreit hatte das Kameralkollegium offenbar erfahren, welche Honorarvereinbarung Dr. R mit seinem Mandanten G geschlossen hatte. Der Vertrag lag schriftlich vor, wenn er auch für einen anderen Appellationsprozess gedacht war. Dort waren die Gebrüder G als Rechtsnachfolger in einen Prozess eingetreten, den der Vorgänger bereits gewonnen hatte. Ein Mandatum de exequendo lag vor, also eine kammergerichtliche Vollstreckungsanordnung. Allerdings stockte der Vollzug. In dieser Situation setzten die Brüder für ihren Prokurator ein Erfolgshonorar aus. Wenn es ihm gelang, die Vollstreckung tatsächlich in die Wege zu leiten und ihnen die geforderte Summe mitsamt Zinsen und Prozesskostenerstattung zu besorgen, würden sie ihm davon 1.000 Reichsgulden abgeben. Nach dem Willen der Parteien sollte dieses Zahlungsversprechen sogar der sofortigen Vollstreckbarkeit unterliegen. Würden sich die Brüder nämlich nach einem erfolgreichen Abschluss des Kammergerichtsprozesses weigern, den Prokurator auszuzahlen, setzten sie sich ungeschützt der Personal- und Realvollstreckung aus. Jeder Unterrichter sollte ausdrücklich ermächtigt sein, ohne weiteres gegen sie vorzugehen. Das war der einvernehmliche Wille sowohl der Mandanten als auch des Anwalts. Das Risiko für die Brüder G war dennoch begrenzt, denn ihre Zahlungspflicht entstand ja erst, wenn sie die offenbar erheblich höhere Forderung aus dem zu vollstreckenden Reichskammergerichtsurteil eingetrieben hatten. Das Reichskammergericht schob diesem Vertrag jedoch einen Riegel vor. Durch das Zwischenurteil erklärte das Kameralkollegium das Verhalten des Anwalts für ungebührlich und verboten. Die Bestrafung blieb dennoch moderat. Sie wurde nämlich nur angedroht und nicht vollstreckt und beschränkte sich auf die bescheidene Summe von fünf Gulden. Doch handelte es sich hierbei zugleich um einen Warnschuss für alle Prokuratoren. Der Gemeine Bescheid, der sich an das umfangreiche Zwischenurteil anschloss, drohte kurz, aber scharf die Entfernung aus dem Amt an. Das war die Höchststrafe, die das Gericht im Beleidigungsfall von 1586 (oben RKG Nr. 87) tatsächlich ausgesprochen hatte. Das Ergebnis ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Erfolgshonorare von Reichskammerge-

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richtsprokuratoren waren schwerste Verstöße gegen das Standesrecht und konnten den sofortigen Amtsverlust nach sich ziehen. Bekanntlich gab und gibt es im internationalen Vergleich ganz verschiedene Möglichkeiten der Anwaltsbezahlung. Die deutsche Tradition, Erfolgshonorare für sittenwidrig zu halten, ist jedenfalls alt und in der Praxis des Reichskammergerichts in vollem Umfang bereits angelegt. In formaler Hinsicht bedeutete der Gemeine Bescheid übrigens eine Neuerung. Zum ersten Mal gab es eine nichtamtliche Anlage. Das diente augenscheinlich der Generalprävention. Welche Klauseln in Anwaltsverträgen fortan verboten waren, konnte jedermann ohne weiteres nachlesen. In der Kombination von Zwischenurteil und privater Honorarvereinbarung war der Bescheid zugleich anfällig für Überlieferungsfehler. Die authentischen Fassungen ließen sich hier wohl nur schwer ermitteln. Vermutlich deswegen gab es bei zahlreichen Formulierungen Unsicherheiten bei den zeitgenössischen Herausgebern. Das Reichskammergericht wiederholte sein Verbot von Erfolgshonoraren in dem Gemeinen Bescheid vom 15./25. Mai 1693 (dort § 6, unten RKG Nr. 233).

RKG Nr. 102 1610 Dezember 13 [Pauperes preces supplices pro elemosyna ex pauperum sacculo nisi a suis advocatis et procuratoribus subscriptas ne exhibento.]1 [Pauperes supplicationes suas ab advocatis et procuratoribus subscriptas exhibento.]2 Ferner ist der Gemeine Bescheid: Demnach gespühret wird, daß viele3 arme Partheyen, in deren Sachen entweder submittirt oder die Handlung am Gegentheil ist, sich ohnnöthiger Weise allhier auffhalten. Solchem zu begegnen sollen hinführo von denenselben keine Supplicationes um Steuer aus der Armensäckel übergeben werden, es seyen dann solche von ihren Advocaten und Procuratorn unterschrieben und darbey vermeldet, ob, was4 und wie lang sie allhier zuthun haben möchten5, wie dann alle Advocaten und Procuratorn ihren zugeordneten armen Partheyen solcher Subscription und Scheins sich nicht zu verweigern hiemit aufferlegt und befohlen wird6. 1 2 3 4 5 6

Pauperes ... exhibento in GB 1661; Blum 1667. Pauperes ... exhibento in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; ohne Überschrift GB 1665. GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696 die. Fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696. Wie CJC 1724 auch GB 1665; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen GB 1695; GB 1696 mögen. GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 aufferlegt und anbefohlen.

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Vorlage: CJC 1724, S. 566 Nr. CCCLVI. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 26; GB 1665, S. 22; Blum 1667, S. 569; GB 1671, S. 22; GB 1678, S. 23; GB 1686, S. 23; GB 1688, S. 21; GB 1695, S. 51; GB 1696, S. 51; GB 1707, S. 51; GB 1710, S. 58 Nr. C; GB 1714, S. 36 Nr. CII; CJC 1717, S. 36 Nr. CII; GB 1717, S. 36 Nr. CII; GB 1724, S. 58 Nr. C. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid wirft ein sozialgeschichtlich interessantes Licht auf diejenigen Parteien, die nach Speyer reisten und dort ihre Prozesse persönlich zu befördern trachteten. Angeblich handelte es sich vornehmlich um arme Parteien, also Kläger oder Beklagte, die förmlich Armenrecht genossen. Schon die Reichskammergerichtsordnung von 1555 kannte ein ausgefeiltes Armenrecht mitsamt Eid der Armut und unentgeltlicher anwaltlicher Vertretung (RKGO 1555 1, 19, 5; 1, 41; 1, 78). Der Gemeine Bescheid von 1610 beklagt nun die zahlreichen Armen, die sich in Speyer aufhielten, obwohl das die Beförderung der Sache keineswegs mehr erforderte. Im ersten Fall nämlich war bereits die Entscheidungsreife eingetreten. Die Gegner hatten submittiert, also zum Urteil beschlossen. Die arme Partei selbst konnte jetzt nichts weiter mehr tun als ausharren und auf die Entscheidung warten. Im zweiten Fall hatte sie bereits gehandelt, wohl abschließend, so dass es jetzt nur noch auf Prozesshandlungen des Gegners ankam. Dennoch verließen solche Parteien nicht den Sitz des Reichskammergerichts. Vielmehr verlangten sie Unterstützung aus der Armenkasse des Gerichts. Das richterliche Personal konnte schwer beurteilen, inwieweit dies rechtlich sinnvoll war bzw. ob und wie lange sich die armen Parteien in Speyer aufhielten. Daher sollten künftig nur noch solche Unterstützungsanträge beschieden werden, die nicht die Partei allein gestellt hatte, sondern an denen der Prokurator mitgewirkt hatte. Der Prokurator hatte anzugeben, seit wann die arme Partei bereits in Speyer wohnte und wie lange sie noch bleiben wollte. Dabei ging es nicht um ihre finanzielle Lage, sondern um die rechtlichen Erfordernisse des laufenden Kameralprozesses. Gleichzeitig hatten die armen Parteien einen Anspruch darauf, dass die Prokuratoren ihnen solche Bescheinigungen ausstellten. Dennoch herrschte eine ganz eisige Grundstimmung. Das Reichskammergericht empfand die zahlreichen armen Parteien und ihre Unterhaltsansprüche als Belastung und versuchte, ihre Aufenthaltsdauer in Speyer zu verkürzen. Die Einstellung der Prokuratoren ist unklar. Vielleicht sahen sie die armen Parteien ebenfalls als Störenfriede, zumal sie an ihnen nur wenig verdienen konnten.

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RKG Nr. 103 1613 Februar 26 [Senatus Consultum.]1 [Revisionibus contra processus executos interpositis non attentis legitime proceditor.]2 Da von gerichtlichen oder ausserhalb Gerichts erkannten und exequirten Processen, sie seyen Simplicis Querelae, Appellationis oder Mandati Revisiones gesucht, solle derselben ungehindert in solchen Sachen wie Recht procedirt und verfahren werden. Vorlage: CJC 1724, S. 566 Nr. CCCLVII. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 1; GB 1671 Suppl., S. 1; GB 1678, S. 23; GB 1686, S. 23; GB 1688, S. 21; GB 1695, S. 51; GB 1696, S. 51; GB 1707, S. 51; GB 1710, S. 58-59 Nr. CI; GB 1714, S. 36 Nr. CIII; CJC 1717, S. 36 Nr. CIII; GB 1717, S. 36 Nr. CIII; GB 1724, S. 58-59 Nr. CI; fehlt in GB 1661; Blum 1667; GB 1671 (Hauptteil). Anmerkung: Es handelt sich um den ersten Gemeinen Bescheid, der das Rechtsmittel der Revision behandelt. Die Ausgabe von 1671 bezeichnet den Bescheid als Senatusconsultum, die übrigen Sammlungen führen ihn als Gemeinen Bescheid. Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 hatte die Revision gegen gesprochene Urteile zugelassen. Gedacht war an eine Überprüfung der kammergerichtlichen Entscheidungen durch die Visitationskommission (RKGO 1555 3, 53, 110). Welche Erkenntnisse der Revision unterlagen, bestimmte die Gerichtsordnung nicht. Der Hinweis auf die gesprochenen Urteile ließ sich leicht als Verkündung in der Audienz verstehen. Das griff aber zu kurz, wie der Gemeine Bescheid klarstellte. Auch Extrajudizialentscheidungen hielt das Gericht für revisibel, also Dekrete, die niemals in einer Audienz zur Sprache gekommen waren. Sie mussten lediglich exequiert, also den Parteien ordnungsgemäß zugestellt sein. Die Rechtslage bei den wesentlichen drei Verfahrensarten sollte hierbei gleich sein. Sowohl erstinstanzliche simple Querelen, Rechtsmittelprozesse im Appellationsverfahren als auch der einstweilige Rechtsschutz im Mandatsverfahren konnten bis zur Revision gedeihen. Die Kürze des Gemeinen Bescheids erstaunt. Offenbar nahm das Gericht die Revisionen als etwas im Recht Vorgesehenes widerspruchslos hin. Nachdem das Visitationswesen zusammengebrochen war, entflammten heiße Auseinandersetzungen über die Revisionen an den Reichstag (Recursus ad Comitia). Von solchen Verwerfungen war 1613 noch keine Rede. Das Reichskammergericht behandelte die Revision als reguläres Rechtsmittel gegen seine eigenen Entscheidungen. Die Revision thematisiert auch der folgende Gemeine Bescheid vom 11. März 1613 (sogleich RKG Nr. 104). 1 2

Senatus Consultum in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl. Revisionibus ... proceditor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; ohne Überschrift GB 1665 Suppl.; GB 1695.

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RKG Nr. 104 1613 März 111 [De revisionum effectu devolutivo et suspensivo.]2 [Ingleichem]3 da vermöge Kayserlichen Rechten von Bescheid und Beyurtheilen zu appelliren verbotten oder auch die Appellationes allein quoad effectum devolutivam4 zugelassen, sollen die eingewendte Revisiones den gerichtlichen Proceß nicht auffhalten noch remoriren: Wann aber von ausgesprochenen Urtheiln zugleich quoad effectum suspensivum zu appelliren verstattet und also da in Mandatsachen vorgewendter Einrede ungehindert5 Paritio aufferlegt6, denen Partheyen durch Abschneidung solcher Einrede ein unwiederbringliches Praejudicium zugefügt würde, solle der interponirter Revisionen Krafft und Würcklichkeit (jedoch parti victrici [nach]7 Innhalts Deputationabschieds des 1600. Jahrs in puncto Liquidationis zu verfahren unbenommen) quoad utrumque effectum zugelassen werden. Vorlage: CJC 1724, S. 566 Nr. CCCLVIII. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 1; GB 1671 Suppl., S. 1; GB 1678, S. 23; GB 1686, S. 23; GB 1688, S. 21; GB 1695, S. 52; GB 1696, S. 52; GB 1707, S. 52; GB 1710, S. 59 Nr. CII; GB 1714, S. 36 Nr. CIV; CJC 1717, S. 36 Nr. CIV; GB 1717, S. 36 Nr. CIV; GB 1724, S. 59 Nr. CII; fehlt in GB 1661; Blum 1667; GB 1671 (Hauptsammlung). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt Fragen des Rechtsmittelrechts. Den Beginn bildet eine scheinbar schlichte Feststellung. Gegen bloße Zwischenurteile durfte man nach kaiserlichem Recht, also nach rezipiertem römischem Recht, nicht appellieren. Das war richtig, wenn auch etwas ungenau. Zum einen war das kanonische Recht in diesem Punkt wohl großzügiger als das römische Recht. Zum anderen kannte der Kameralprozess durchaus die Appellation gegen Zwischenurteile, wenn sie nämlich vis definitiva, die Kraft eines Endurteils, besaßen (dazu auch der Gemeine Bescheid vom 30. März 1593; oben RKG Nr. 91). Davon spricht der Bescheid aber nicht. Es ging also nur um Interlokute ohne Kraft eines Endurteils. Auch die folgende, auf den ersten Blick bloße Feststellung hat es in sich. Danach entfalteten Appellationen lediglich den Devolutiveffekt. Entscheidend war das Wörtchen „allein“. Mit dem Devolutiveffekt gelangte der Rechtsstreit in die 1 2 3 4 5 6 7

Datum unklar: GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 10. und 11. Martii; dagegen GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 11. Martii eodem (= 1613). De ... suspensivo in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; ohne Überschrift in GB 1665 Suppl.; GB 1695. GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1686; getrennt GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 In gleichem; fehlt in GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1696; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 devolutivum; GB 1707 evolutivum. GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 unverhindert. GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 aufgelegt. GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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nächsthöhere Stufe des Instanzenzuges. Das war unbestritten. In dieser Ausschließlichkeit versagte das Reichskammergericht der Appellation aber zugleich den Suspensiveffekt. Der Suspensiveffekt verhinderte den Eintritt der Rechtskraft und schützte den Rechtsmittelführer vor allem gegen weitere Prozesshandlungen des Untergerichts. Insbesondere durfte das Gericht, gegen dessen Entscheidung appelliert war, nicht einfach zur Urteilsvollstreckung schreiten. Nach dem klaren Wortlaut des Gemeinen Bescheids war dieser Suspensiveffekt mit der regulären Appellation nicht verbunden. Doch abermals verzerrte das Gericht sein eigenes Prozessrecht. In der Praxis trat der Suspensiveffekt nämlich regelmäßig und ohne jedes Problem ein. Gemeinsam mit der Ladung gewährte das Reichskammergericht dem Appellanten auf seinen Antrag hin die sog. Inhibition. Die Inhibition ordnete gegenüber dem Prozessgegner sowie dem Untergericht den Suspensiveffekt ausdrücklich an. In der Kombination von Zitation und Inhibition besaß die Appellation also durchaus Suspensiveffekt. Beide scheinbar klaren Befunde zu Beginn des Gemeinen Bescheides waren also höchst problematisch. Der Grund dafür klärt sich mit der folgenden Aussage. Denn das Gericht zielte darauf ab, der Revision den Suspensiveffekt ebenfalls zu versagen. Wenn auch das Gericht im Bescheid vom 26. Februar 1613 (oben RKG Nr. 103) die Revision ohne Umschweife als reguläres Rechtsmittel akzeptiert hatte, wollte es doch seine eigene Tätigkeit davon unberührt halten. Ob eine Prozesspartei gegen eine Reichskammergerichtsentscheidung Rechtsmittel einlegte oder nicht, sollte damit keine Rolle für den Fortgang des Kameralverfahrens, insbesondere für Vollstreckungsfragen spielen. Damit sicherte sich das Gericht zugleich für den Fall ab, in dem die Revision aus verschiedensten Gründen versandete und nicht zum Abschluss kam. In späterer Zeit sollen sich Berge an Revisionen aufgetürmt haben. Zugleich fanden Visitationen des Gerichts immer unregelmäßiger statt. Mit dem Gemeinen Bescheid war das Reichskammergericht gegen derartige Unwägbarkeiten gut gewappnet. Der folgende zweite Satz des Bescheides schränkt die deutliche Aussage des Anfangs erheblich ein. In gewissem Umfang erkannte das Gericht die Suspensivwirkung der Revision nämlich doch an. Das ergab sich abermals durch den Vergleich mit zwei anderen Verfahrensarten. Hierbei nennt der Gemeine Bescheid aber Fälle, in denen richterliche Anordnungen den Regelfall durchbrachen und ausdrücklich den Suspensiveffekt anordneten. Zum einen gab es danach Appellationen gegen Urteile, bei denen die suspensive Kraft des Rechtsmittels „verstattet“ war. Die Anspielung bezog sich offenbar auf eine richterliche Zulassung oder auf Vorgaben im Partikularrecht, die ausdrücklich den Suspensiveffekt gewährten. Das ergibt sich aus dem Vergleich mit dem zweiten Beispiel. Im Mandatsprozess, also dem einstweiligen Rechtsschutz, konnte das Reichskammergericht selbst dem Prozessgegner die Befolgung des Mandats (Parition) auferlegen, und zwar auch dann, wenn er in der Sache gegen das Mandat Einwendungen erhob. Das konnte sich nur auf den Mandatsprozess sine clausula beziehen. Denn im schwächeren Mandatsverfahren cum clausula justificatoria brachte der Widerspruch des Mandatsgegners die einstweilige Verfügung sofort zu Fall und verwandelte den Rechtsstreit in ein reguläres Zitationsverfahren. Vom zugelassenen Suspensiveffekt und den Mandaten sine clausula schlug das Reichskammergericht nun die Brücke zu Revisionen. Immer dann nämlich, wenn in den vorgenannten Fällen unwiederbringliche Präjudizien geschaffen wurden, sollte die Revision beide Wirkungen besitzen, also sowohl Devolutiv- wie auch

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Suspensiveffekt entfalten. Die genaue Verzahnung der verschiedenen Verfahrensarten ist schwer nachvollziehbar. Die Stoßrichtung scheint aber besonders beim Mandatsprozess einleuchtend. Wenn ein Paritionsurteil erging und dem Beklagten damit wichtige Einwendungen abgeschnitten waren, bestand also die Möglichkeit, gegen das Paritionsurteil Revision einzulegen. In diesem Fall besaß die Revision den Suspensiveffekt. Drohte kein unwiederbringlicher Schaden, beschränkte sich die Revision auf den Devolutiveffekt. Mit dieser Unterscheidung schuf das Gericht zugleich einen Anknüpfungspunkt, über den sich nach Herzenslust streiten ließ. Ob nämlich der Schaden, der durch die mit der Suspension verbundenen Verzögerungen drohte, wiedergutzumachen war oder nicht, beurteilten die Parteien naturgemäß unterschiedlich. In jedem Fall konnte sich der Gegner des Rechtsmittelführers im Revisionsverfahren auf seine Rechte aus dem Speyerer Deputationsabschied vom 30. Oktober 1600 berufen (bei Ludolff, CJC 1724, S. 535-559). Johann Ulrich von Cramer meinte später (Wetzlarische Nebenstunden 76 (1768), S. 17), dieser Bescheid, der für die „Revisio keinen Effectum suspensivum“ eröffne, sei eines der wichtigsten „Haupt-Decreta“ des Reichskammergerichts überhaupt.

RKG Nr. 105 1616 Juni 12 [Pecunia pro sustentatione iudicii Cameralis transmissa sincere et illico quaestori traditor.]1 Es sollen die Advocaten und Procuratoren hinführo das Geld, so sie von den Ständen des Reichs zu des Kayserlichen Cammergerichts Unterhaltung empfangen werden, es sey verschlossen oder offen, dem Pfenningmeister oder dessen Ambtsverwesern ohneröffnet und ohnverwechselt der Sorten in Beyseyn des derenthalben abgefertigten Bottens, auch mit Vorzeigung des Originalschreibens oder dessen von ihnen unterschriebenen Extracts, alsobald zustellen, auch ihne die gebührende Cammergerichts-Unterhaltung zuvor davon nehmen lassen, obgleich ihr oder der Advocaten Dienst- und außgelegt Geld damit überschickt worden, und sich in dem der Ordnung, auch den Reichs- und Visitationsabschieden gemäß verhalten, alles bey ernster Straff nach Ermeßigung. Guilelmus2 Artopaeus3, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius, manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 765 Nr. CCCLXI. 1 2 3

Pecunia ... traditor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Guilhelmus. GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1710; GB 1724 Artopoeus; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Artopocus.

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Weitere Ausgaben: GB 1678, S. 23; GB 1686, S. 23; GB 1688, S. 21; GB 1695, S. 52; GB 1696, S. 52; GB 1707, S. 52; GB 1710, S. 59-60 Nr. CIII; GB 1714, S. 37 Nr. CV; CJC 1717, S. 37 Nr. CV; GB 1717, S. 37 Nr. CV; GB 1724, S. 59-60 Nr. CIII; fehlt in GB 1661; GB 1665 Suppl.; Blum 1667; GB 1671. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Finanzierung des Reichskammergerichts durch die Reichsstände und führt die Vorgaben des älteren Bescheids vom 13. Januar 1598 (oben RKG Nr. 96) näher aus. 1598 hatte das Gericht die ständigen Prozessvertreter der Reichsstände ermahnt, rückständige Kammerzieler einzufordern und sie gegebenenfalls bei Gericht bar einzuzahlen. An diese letzte Anordnung knüpft der Gemeine Bescheid vom 12. Juni 1616 an. Falls die Reichsstände die zum Unterhalt des Gerichts bestimmten Gelder direkt an ihren Prokurator sandten, sollte der Prokurator zusammen mit dem Boten, der das Geld überbracht hatte, zum Pfennigmeister gehen. So wie das Geld angekommen war, also gegebenenfalls unverschlossen und mit denselben Münzen, war es abzuliefern. Gab es ein Begleitschreiben der reichsständischen Mandanten, sollte es ebenfalls vorgelegt werden. Der Nachsatz brachte eine erhebliche Verschärfung für den Prokurator. Dasselbe Verfahren griff danach nämlich auch dann ein, wenn die übersandte Geldsumme gar nicht für das Reichskammergericht, sondern für den Prokurator selbst bestimmt war. Offenbar gewährte der Gemeine Bescheid dem Pfennigmeister das Recht, auch von den eingehenden Anwaltsgebühren zunächst die rückständigen Kammerzieler oder sonstige Unterhaltsgelder abzuziehen. Auf diese Weise erteilte sich das Gericht selbst die Befugnis, Vollstreckungshandlungen vorzunehmen. Der Bescheid von 1598 hatte noch die gerichtliche Beitreibung durch den Fiskal angedroht. Nunmehr war das Verfahren viel einfacher. Ob das Geld für den Prokurator oder den Advokaten bestimmt war, sollte fortan keine Rolle mehr spielen. Dieses Zugriffsrecht des Reichskammergerichts war zugleich ein scharfes Schwert. Der Druck auf die Prokuratoren, ihre reichsständischen Mandanten zur Finanzierung des Speyerer Reichsgerichts anzuhalten, wuchs damit erheblich. Ein Prokurator, der in diesem Punkt nachlässig war, konnte allzu leicht selbst ohne Finanzierung dastehen. Der Umgehung waren freilich Tür und Tor geöffnet. Falls ein Prokurator private Gelder erhielt, musste er schon außerordentlich ehrenhaft sein, wenn er daraufhin den Pfennigmeister aufsuchte, auf sein persönliches Einkommen verzichtete und stattdessen mit seinen eigenen Mitteln das Reichskammergericht finanzierte. Gerade die internen Zahlungen zwischen Mandanten und Prokuratoren ließen sich von Seiten des Gerichts praktisch nicht kontrollieren. Deswegen dürfte die Praxis hier andere Wege gegangen sein. Die Klagen über die unzureichende finanzielle Ausstattung des Reichskammergerichts rissen jedenfalls nicht ab. Spezialprobleme traten hinzu (dazu sogleich Gemeiner Bescheid vom 18. März 1618, RKG Nr. 106). Den Bescheid von 1616 wiederholte das Gericht am 27. August 1678 (unten RKG Nr. 201), weil angeblich viele Anwälte dagegen verstießen.

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RKG Nr. 106 1618 März 18 [Pecunia ad sustentationem Camerae procuratoribus transmissa a quaestore autem recusata iudicialiter [[ne]]1 deponitor.]2 [Pecunia talis sustentatoria a quaestore recusata iudicialiter ne deponitor.]3 Letzlich ist der Gemeine Bescheid: Daß die Procuratoren das Geld, so zu Unterhaltung4 des Kayserlichen5 Cammergerichts ihnen zugeschickt, aber der Pfenningmeister umb deßwillen, daß6 es dem Kayserlichen Müntzedict und andern Reichsabschieden ungemäß erlegt, anzunehmen verweigert, gerichtlich zu deponiren und dadurch die Audientz mit unnöthigem Recessiren zu verlängern sich bey ernster Straff nach Ermeßigung hinführo gäntzlich enthalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 765 Nr. CCCLXII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 26; GB 1665, S. 22; Blum 1667, S. 570; GB 1671, S. 22; GB 1678, S. 23; GB 1686, S. 23; GB 1688, S. 21; GB 1695, S. 53; GB 1696, S. 53; GB 1707, S. 53; GB 1710, S. 60 Nr. CIV; GB 1714, S. 37 Nr. CVI; CJC 1717, S. 37 Nr. CVI; GB 1717, S. 37 Nr. CVI; GB 1724, S. 60 Nr. CIV; fehlt in GB 1665 Suppl. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid knüpft nahtlos an die Bestimmung vom 12. Juni 1616 an (oben RKG Nr. 105). Abermals geht es um Unterhaltsgelder der Reichsstände, die sie ihren ständigen Prokuratoren in bar übersandten. Dass hiervon auch die persönlichen Anwaltsgebühren der Prokuratoren betroffen waren, sagte der Bescheid im Gegensatz zur Vorgängerregelung von 1616 nicht. Stattdessen ging es um ein anderes Problem. Der Pfennigmeister hatte sich offenbar geweigert, Zahlungen anzunehmen, die nicht dem reichsrechtlich festgeschriebenen Münzfuß entsprachen. Mehrere frühere Gemeine Bescheide hatten stets dazu aufgerufen, die Reichsmünzordnung von 1559 einzuhalten und alle Zahlungen in Gulden zu entrichten (Gemeine Bescheide vom 23. August 1585, 9. März 1587; 13. Dezember 1593 § 4, 13. Januar 1598; oben RKG Nr. 85, 88, 92 und 96). Wenn die Reichsstände dagegen verstoßen hatten, konnte der Prokurator als Mittelsmann seine Zahlungspflicht nicht erfüllen, und deswegen entspannen sich Auseinandersetzungen in den Audienzen. Das versuchte der Gemeine Bescheid bereits im Ansatz zu verhindern. Bei derartigen Meinungsverschiedenheiten sollte es genügen, wenn der Prokurator die eingehenden Zahlungen gerichtlich hinterlegte. Damit war zugleich die Verpflichtung des Prokurators, 1 2 3 4 5 6

Blum 1667. Pecunia ... deponitor in GB 1661; Blum 1667. Pecunia ... deponitor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; ohne Überschrift in GB 1665; GB 1695; GB 1696. GB 1710; GB 1724 Erhaltung. Fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707. Fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1671.

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seine Gelder an das Gericht zu übermitteln, erfüllt. Alles Weitere betraf nur noch die Aufgaben des Pfennigmeisters.

RKG (ohne Nr.) 1618 Dezember Die Sammlungen GB 1665 Suppl. (S. 1-2) und GB 1671 Suppl. (S. 1-2) weisen für Dezember 1618 einen Gemeinen Bescheid aus. Nach der einhelligen übrigen Überlieferung handelt es sich aber um ein Senatusconsultum. Die anderen Sammlungen datieren es zudem auf 1619 (GB 1661, S. 26-27; Blum 1667, S. 570-572; GB 1671, S. 23; GB 1678, S. 23-24; GB 1686, S. 23-24; GB 1688, S. 21-22; GB 1695, S. 53-55; GB 1696, S. 53-55; GB 1707, S. 53-55; GB 1717, S. 37-38).

RKG Nr. 107 1620 Februar 121 [Resolutio dubii de contributionibus turcicis ratione bonorum alibi sitorum.]2 Demnach wegen der von gemeinen Ständen des Reichs bewilligten Türckensteur bey diesem Kayserlichen Collegio von Alters hero Zweiffel vorgefallen, auch darüber widerwärtige Praejudicia gemacht worden, ob nemlich die Belegung, durch welche die Stände solche Steuren, so sie dem Reich erlegen, von ihren Land und Leuten wieder3 einbringen (wie dann solches [ihnen]4 die Reichsabschiede erlauben), pro munere ordinario et patrimoniali oder vielmehr extraordinario5 et personali mixto, quod personis propter bona imponitur, zu halten seye? Und etliche gemeldte Türckensteuer vor ein recht munus ordinarium und patrimoniale gehalten, in welchem die Güther, sie seyen zuständig, wem sie wollen, be-

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Bei GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1606; GB 1707 als S[enatus] C[onsultus] 12. Februarii Anno 1620; dagegen CJC 1724 G[emeiner] B[escheid]; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 ohne Quellentyp. Resolutio ... sitorum in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1678 wiederumb; GB 1695 wiederum. GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1678 extraordinari.

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legt werden, und dahero vermeynt, daß die contribuirende Ständ auch die Forenses und Frembde, so Güther unter ihnen haben, belegen sollen1. Andere aber, daß berührte Collectae nicht die Gestalt eines muneris ordinarii, sondern vielmehr extraordinarii haben, und dahin geschlossen, daß dißfals diejenige, so des belegenden Stands Unterthanen und Landsassen nicht, sondern entweder dem Reich ohne Mittel, oder sonst anderer Obrigkeit unterworffen seynd (ob sie wohl Güther unter des belegenden Stands Gebieth liegen haben), durch ihn nicht belegt werden mögen; Als haben Cammerrichter und Beysitzere für eine Nothdurfft erachtet, solch Dubium im gantzen Rath vorzunehmen und biß auff weitere gemeiner Ständ Erörterung in eine gemeine durchgehende Resolution zu bringen und endlich auff die zweyte Meynung ein Außschlag gemacht worden, daß nemblich hinführo keiner, so entweder dem Reich immediat oder anderer Obrigkeit zugethan, der Güther halben, so er in eines andern Gebieth und Territorio liegen hätte, mit gemeldter Türckensteur und Belegung zu beschwehren seye. Vorlage: CJC 1724, S. 766 Nr. CCCLXIV. Weitere Ausgaben: GB 1678, S. 24-25; GB 1686, S. 24-25; GB 1688, S. 22-23; GB 1695, S. 55-56; GB 1696, S. 55-56; GB 1707, S. 55-56; GB 1710, S. 63-64 Nr. CVI; GB 1714, S. 38-39 Nr. CVIII; CJC 1717, S. 38-39 Nr. CVIII; GB 1717, S. 38-39 Nr. CVIII; GB 1724, S. 63-64 Nr. CIV S. 242 (weiter in Observanz gemäß Visitation); fehlt in GB 1661; Blum 1667; GB 1671. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid fällt aus dem Rahmen. Er beschäftigt sich nicht mit Fragen des Prozessrechts, sondern mit einem steuerrechtlichen Spezialproblem. Dennoch haben Georg Melchior von Ludolff und auch die gedruckten Bescheidsammlungen die Quelle ohne weiteres als Gemeinen Bescheid angesehen. Vielleicht handelt es sich um einen verkappten Gemeinen Bescheid unter dem Deckmantel eines Conclusum pleni. Das ist aber erst auf den zweiten Blick ersichtlich. Zunächst deutet der Text auf ein streitiges Rechtsproblem hin, das eine Grundsatzentscheidung des gesamten Kameralkollegiums erforderlich machte. Es ging um die Rechtsqualität der Türkensteuer. Den Ausgangspunkt umreißt das Prinzipium: Die Reichsstände führten die Türkensteuer an das Reich ab und nahmen andererseits Rückgriff bei ihren eigenen Land und Leuten. Die schöne Paarformel hatte es aber in sich, denn wer zu diesen Land und Leuten zählte, war gerade die Frage. Schon im Problemaufriss deutete der Bescheid die beiden Möglichkeiten kurz an. Es gab gewöhnliche und außergewöhnliche Steuern. Die gewöhnlichen Steuern knüpften an Grund und Boden, die außergewöhnlichen an den Untertanenstatus an. Die Meinungen am Reichskammergericht gingen auseinander. Wenn es sich um reguläre Abgaben handelte, so die erste Ansicht, knüpfte die Steuerpflicht an das Grundeigentum an. Auch Fremde, die nicht der Landesobrigkeit unterstanden, 1

GB 1678 könten; GB 1695; GB 1696; GB 1707 könnten.

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wären demnach in verschiedenen Territorien türkensteuerpflichtig gewesen, soweit ihnen dort privat Grundstücke gehörten. Die Gegenansicht ließ das nicht gelten. Wer reichsunmittelbar sei oder jedenfalls nicht dem jeweiligen Landesherrn unterstehe, brauche für seine in fremden Territorien liegenden Ländereien in keinem Fall Türkensteuer zu entrichten. Das war die notwendige Folge einer außergewöhnlichen Steuer. Die Frage, ob die Türkengefahr eine Grundgegebenheit der neuzeitlichen Geschichte oder eben eine vorübergehende Notlage war, spielte womöglich ursprünglich eine Rolle. Hinweise auf derartige Überlegungen erlaubt die Quelle aber nicht. Vielmehr kam es auf das Ergebnis an. Das Reichskammergericht entschied sich im Plenum für die zweite Rechtsansicht. Die Türkensteuer war damit eine außergewöhnliche Steuer. In der Folge war jeder Reichsuntertan damit nur einmal steuerpflichtig, und zwar ausschließlich persönlich gegenüber seinem jeweiligen Landesherrn. Das begünstigte wirtschaftlich Großgrundbesitzer mit verstreutem Eigentum über verschiedene Territoriumsgrenzen hinweg. Das Gesamtaufkommen der Türkensteuer dürfte bei dieser Rechtsauffassung geringer gewesen sein als nach der überstimmten Mindermeinung. Es ging aber wohl nicht darum, das gesamte Steuerwesen des Reiches zu reformieren. Wenn es sich tatsächlich um einen Gemeinen Bescheid handelte, hatte sich das Reichskammergericht augenzwinkernd selbst von größeren Steuerlasten befreit. Die Mitglieder des Reichskammergerichts waren mit ihren Kameralfreiheiten von der Obrigkeit der Reichsstadt Wetzlar befreit. Zugleich kamen sie aus ganz verschiedenen Reichskreisen und hatten daher ihre privaten Grundstücke in zahlreichen Territorien. Außerdem besaßen viele von ihnen Häuser in Speyer. Im Ergebnis befreite der Gemeine Bescheid zunächst sämtliche Häuser der Kameralen am Sitz des Gerichts von der Pflicht, Türkensteuern zahlen zu müssen. Wegen der großen Entfernung von den Heimatterritorien und der faktischen Annäherung an einen reichsunmittelbaren persönlichen Rechtsstatus spricht sogar viel dafür, dass die Gerichtsmitglieder auf der Grundlage des Gemeinen Bescheides vom 12. Februar 1620 überhaupt keine Türkensteuer mehr zahlten. Die Einzelheiten sind unklar und nicht erforscht (vgl. Jost Hausmann, Die Kameralfreiheiten des Reichskammergerichts (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 20), Köln, Wien 1989, S. 172-173, mit Hinweis auf einen Vertrag zwischen der Stadt Speyer und dem Reichskammergericht über die Zahlung von Reichssteuern). Ohne dass der Wortlaut auch nur den geringsten Hinweis bietet, war das Conclusum pleni also zugleich ein Gemeiner Bescheid, der die Interessen der Kammergerichtsmitglieder unmittelbar betraf. Das war pikant und nicht ohne Humor. Jedenfalls zeigen sich nur wenige frühneuzeitliche Beispiele, an denen sich so klar ablesen lässt, wie die Eigeninteressen von Richtern ihre Rechtsauffassungen zu scheinbar rein juristischen Fachfragen prägen konnten. Das Visitationsdekret vom 27. November 1713 (Anlage A in GB 1724, S. 242) legte fest, im Hinblick auf diesen Gemeinen Bescheid solle es „bey dem Inhalt der Reichs-Satzungen und bißherigen Observantz gelassen“ werden.

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RKG Nr. 108 1625 Juni 21 [Procuratores in frequentandis audientiis inque omnibus quae ad illarum maturationem quovis modo faciunt, ibidem agendis ordinationi Camerali se conformanto.]1 [Procuratores in frequentandis audientiis et maturandis ibidem agendis se ordinationi Camerali conformanto.]2 Letzlich ist der Gemeine Bescheid: Daß die Procuratores zu denen gerichtlichen Audientzien vor Eröffnung der Urtheil ein jeder an seinem Orth sich3 mit mehrerm Fleiß und Eiffer der Kayserlichen Cammergerichtsordnung gemäß einstellen und keiner, ausserhalb Leibsohnvermögenheit, Abwesens oder anderer ehehafften Verhinderung, die sie in Schrifften zuvor getreulich anzuzeigen, sich davon absentiren, biß zu End derselben in ihren Stellen ohnverruckt stehen oder sitzen4 bleiben, sich alles Umbschweiffens enthalten und ohne5 vorgehende Anzeig, daß in ihren Sachen nichts zu handlen6 vorkommen werde, und darauff erlangte Erlaubnuß bey dem Herrn Praesidenten daraus in Meynung, gar außzubleiben, nicht weichen, insonderheit aber sich mehrern Respects und Ehrbarkeit7, als bißhero eine Zeitlang geschehen, vor diesem des Heiligen Reichs höchstem Gericht gebrauchen, ohnehrbare und8 ohnziemliche Gebärden, Wort und Handlungen vermeiden, im Recessiren sich der Kürtze befleissen, alle schimpffliche ohnnütze Reden vor Cammerrichter, Praesidenten und Beysitzern, wie nicht weniger alles mündliche Repliciren unterlassen, ihre Sachen bescheidentlich, kürtzlich und mit dienstlichen Worten ohn alles Gezänck, Disputiren und Einmischung der Hauptsach fürtragen und unter dem Recessiren sich von ihren Stellen ohne sonderbare wichtige Ursachen nicht, viel weniger in einig9 Gespräch sich mit einem andern begeben, sondern ihre Recess ohne Interruption continuiren und sich daran nicht irren noch abhalten lassen, wie auch unter den gerichtlichen Audientzien sich des vielen Redens und Geschwätzes unter ihnen selbsten oder mit andern Umbstehenden entäussern, vielweniger den recessirenden Procuratorn interpelliren und an Vollführung seiner Recess hinderlich seyn, sondern vielmehr auff die gerichtliche Handlungen und Fürträge fleißig Auffmerckens haben, und wann in ihrer Sachen einer handlen wird, alsobald ohnangemahnet ihrer 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Procuratores ... conformanto in GB 1661; Blum 1667. Procuratores ... conformanto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; fehlt in GB 1665; GB 1695. Fehlt in GB 1665; Blum 1667. Oder sitzen fehlt in GB 1665; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Fehlt in GB 1665; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Zu handlen fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696 Erbarkeiten; GB 1707 Ehrbarkeiten. Fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Fehlt in GB 1665; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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Principalen Nothdurfft dargegen vorbringen. Im Fall sie aber mit jemanden ja nothwendig zu reden, daß sie alßdann (wofern es ohne verzüglichen Auffenthalt der Ordnung geschehen kan) einen Abtritt nehmen und draussen1 vor der Audientzstuben solches verrichten, sich aber nach geendigter Unterredung förderlichst an ihr Orth wieder einstellen, daneben auch alle2 Recess und schrifftliche Handlungen in der Ordnung, darein sie gehören und respective leßlich, rein, correct, sowohl in nigro als rubro geschrieben, realiter und ergäntzet einbringen, alle hochschädliche Confusiones bemeldter Ordnung meiden, noch solches ihrem Gegenanwald zu verstatten, sondern dieselbige zu verwerffen, und sonsten auff alle Recess und Schrifften entweder Zeit zur Gegenhandlung alsobald bitten, oder aber pure darauff submittiren und die biß daher der Ordnung ohngemäß offt und viel gebrauchte ohnziemliche Anhänge („wofern darauff ferners zu handlen vonnöthen sey, sich durch Bescheid darzu kommen zu lassen“) und andere vergebliche und zu Verlängerung der Audientz gereichende Recess, so in angeregter Sachen biß anhero vielfältig gehalten worden, durchaus einstellen. Die abwesende Procuratores auch jederzeit an ihre statt andere Anwälde substituiren und dieselbe nach Nothdurfft informiren, denen Protocollisten aber hierinnen nicht zu viel trauen, damit die Audientzien durch Revocirung deren auff ihr Angeben offtmahls gehaltener irriger3 Recess nicht auffgehalten werden. Auch alles anders bey ihren Pflichten, damit sie dem Gericht zugethan und verwand, nach Anleitung des Kayserlichen Cammergerichtsordnung, Memorialien, Visitationsabschieden und Gemeiner Bescheiden, thun und handlen sollen, was zu schleuniger Beförderung der gerichtlichen Audientzien in einigen4 Weeg ersprießlich seyn mag und solches alles bey ernstlicher unnachläßiger Straff beedes der Ordnung und nach Ermeßigung wie auch nach5 Befindung ihres Verfahrens und Verbrechens, mit Veränderung und gäntzlicher Entsetzung ihres Standes, darnach sich ein jeder zu richten, und für Schimpff und Schaden6 zu hüten. Vorlage: CJC 1724, S. 766-767 Nr. CCCLXV. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 27-28; GB 1665, S. 23-24; Blum 1667, S. 572-573; GB 1671, S. 23-24; GB 1678, S. 25-26; GB 1686, S. 25-26; GB 1688, S. 23; GB 1695, S. 56-58; GB 1696, S. 56-58; GB 1707, S. 56-58; GB 1710, S. 64-66 Nr. CVII; GB 1714, S. 39-40 Nr. CIX; CJC 1717, S. 39-40 Nr. CIX; GB 1717, S. 39-40 Nr. CIX; GB 1724, S. 64-66 Nr. CVII.

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GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 darauß. Fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 voriger. GB 1710; GB 1724 einem; GB 1695; GB 1696; GB 1707 einigem. Fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Schande; dagegen Schaden auch in GB 1661; Blum 1667.

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Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt wie so zahlreiche andere das pünktliche Erscheinen der Prokuratoren zur Audienz (Gemeine Bescheide vom 28. November 1550, 3. November 1568, 11. Oktober 1592, 11. April 1595 §§ 4-5; oben RKG Nr. 44, 61, 90, 94; aus der späteren Zeit u. a. vom 12. März 1680 und 4. April 1721; unten RKG Nr. 203 und 261) und die Disziplin in den jeweiligen Terminen und Umfragen. Im Wesentlichen handelt es sich um Wiederholungen. Die Prokuratoren sollten sich vollständig und pünktlich zur Audienz versammeln und dort bis zum Ende ausharren, sofern sie nicht wegen Krankheit oder anderer wichtiger Gründe schriftlich um Dispens gebeten hatten. Genau genommen verschärfte oder präzisierte der Bescheid sogar die älteren Vorgaben. Zusätzlich war jetzt nämlich für jeden Prokurator ein fester Stehplatz vorgesehen, den er während der Audienz nicht verlassen durfte. Das war in dieser Deutlichkeit zuvor nicht in den Gemeinen Bescheiden enthalten. Jedenfalls bekräftigte der Bescheid damit, wie starr die Audienzen nach den Vorstellungen des Kameralkollegiums ablaufen sollten. Die Praxis sah anders aus, und deswegen ergingen ähnliche Gemeine Bescheide immer wieder. In der Vorstellung des Gemeinen Bescheids sollte aber selbst ein Prokurator, der an einem Audienztag keinerlei Rechtssachen zu verhandeln hatte, auf seinem Platz verharren und dort warten, bis der Präsident ihn fragte, ob er etwas zu rezessieren habe. Erst wenn er das verneint hatte, durfte er um Erlaubnis bitten, die Audienzstube zu verlassen. Auch die Disziplin innerhalb der Audienzen bildete einen ständigen Kritikpunkt des richterlichen Personals gegenüber den Anwälten. Abermals untersagte ein Gemeiner Bescheid Ausschweifungen, Beleidigungen, Gezänk und Gespräche untereinander wie mit den Zuschauern. Der Ehre des Gerichts, die man auf solche Weise zu schützen suchte, dienten nur stumme Anwälte, die unbeweglich herumstanden und dann mit knappsten Worten etwas sagten, wenn der Kammergerichtspräsident sie ausdrücklich dazu aufforderte. Das war kaum durchsetzbar, und deshalb hielt der Gemeine Bescheid ausdrücklich ein Hintertürchen offen. Wer nämlich unbedingt mit jemand anderem sprechen wollte, durfte mit ihm gemeinsam die Audienz verlassen und danach an seinen Platz zurückkehren, sofern das nicht zu Verzögerungen führte. Diese Art von Unruhe ließ sich wohl nicht verhindern, und das Kameralkollegium nahm sie wohl oder übel hin. Der Bescheid verlangt ferner Aufmerksamkeit beim Rezessieren. Alles sollte feinsäuberlich schriftlich vorbereitet sein, der mündliche Schlagabtausch hatte weitgehend zu unterbleiben. Überflüssige Anhänge an den gestatteten knappen Vortrag hatte man ebenso zu unterlassen wie Anträge auf Fristgewähr und anderes. Vor allem dann, wenn substituierte Sitzungsvertreter beteiligt waren, drohten weitere Gefahren für den ordnungsgemäßen Audienzverlauf und auch für die Protokolleinträge. Unfreiwillig komisch ist die Länge des Gemeinen Bescheids. Er wendet sich gegen anwaltliche Weitschweifigkeit und benötigt selbst über eine Druckseite, um auf den Punkt zu kommen. Das Gericht wiederholte die Anordnungen in § 9 des Gemeinen Bescheids vom 13. Dezember 1659 (unten RKG Nr. 144).

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RKG Nr. 109 1634 Oktober 16

RKG Nr. 109 1634 Oktober 16 [Excitatorium ad exsolutionem celerem restantis sustentationis Camerae.]1 Es sollen nochmahls alle Procuratores dieses Kayserlichen Cammergerichts ohnverzüglich und mit erster Post oder anderer gewissen Gelegenheit um völlige Bezahlung der außständigen Cammergerichtsunterhaltung, Inhalts publicirter Reichsabschieden, bey den Ständen, welchen sie bedient seyn, vermög des in Anno 1572 ihnen gegebenen Memorials in princ[ipio] ernstlich anmahnen und, daß solches beschehen, mit Antwortschreiben oder anderm Recepisse fürderlich bescheinen. Decretum in pleno Consilio den 16. Octobris 16342. Franciscus Henricus Faust, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius subscripsit. Vorlage: CJC 1724, S. 767 Nr. CCCLXXII. Weitere Ausgaben: GB 1678, S. 26; GB 1686, S. 26; GB 1688, S. 24; GB 1695, S. 59; GB 1696, S. 59; GB 1707, S. 59; GB 1710, S. 66 Nr. CVIII; GB 1714, S. 40 Nr. CX; CJC 1717, S. 40 Nr. CX; GB 1717, S. 40 Nr. CX; GB 1724, S. 66 Nr. CVIII; fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671. Anmerkung: Nach fast zehn Jahren Pause erließ das Kameralkollegium erst 1634 einen weiteren Gemeinen Bescheid. Abermals ging es um die Verpflichtung reichsständischer Prokuratoren, ihre Mandanten zur ordnungsgemäßen Finanzierung des Reichskammergerichts anzuhalten (dazu auch der Gemeine Bescheid vom 12. Juni 1616 und 18. März 1618, oben RKG Nr. 105 und 106). Mit dem Visitationsmemorial von 1572 griff der Gemeine Bescheid auf schon lange zurückliegende Anordnungen zurück. Trotz der bloßen Wiederholung war der Regelungsgehalt im Vergleich zu den älteren Bescheiden noch weiter zurückgenommen. Es fehlte nämlich jeder Hinweis auf tatsächlich eingehende Zahlungen (zum Vorgehen des Fiskals aber Gemeiner Bescheid vom 6. August 1635, unten RKG Nr. 111). Die älteren Gemeinen Bescheide hatten Regelungen aufgestellt, wie die Anwälte zusammen mit den Geldboten die Unterhaltungsgelder an den Pfennigmeister zu übergeben hatten. Vielleicht kamen solche Gelder mitten im Dreißigjährigen Krieg erheblich seltener in Speyer an als noch zwei Jahrzehnte zuvor. Die Verpflichtungen der Prokuratoren beschränkten sich daher darauf, ein weiteres Mahnschreiben an ihre reichsständischen Auftraggeber abzuschikken. Und gegenüber dem Kameralkollegium waren die Prokuratoren bereits aus dem Schneider, wenn sie entweder die Antwort ihres Mandanten oder einen sonstigen Zustellungsvermerk vorzeigen konnten. Ob und wie viel tatsächlich gezahlt wurde, stand nicht in der Macht der Prokuratoren. Im Vergleich zu den Bescheiden von 1616 und 1618 spricht der Gemeine Bescheid vom 1 2

Excitatorium ... Camerae in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Druckfehler in GB 1714; CJC 1717; auch in der Vorlage CJC 1724 1654.

RKG Nr. 110 1635 Juli 6

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16. Oktober 1634 für eine deutlich schwierigere wirtschaftliche Situation des Reichskammergerichts.

RKG Nr. 110 1635 Juli 6 [Sine praescitu ac consensu magistri nuntiorum processus ne auferuntor nec nuntii mittuntor. Idem vero magister horis consuetis in cancellaria praesto adesto.]1 [Sine consensu magistri nuntiorum nulli processus auferuntor neque nuntii aut sine concordiis exsolutis processus expediuntor, dictus vero magister horis solitis in cancellaria praesens esto.]2 Letzlich ist der Gemeine Bescheid: Daß dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten, Procuratoren, Partheyen, Sollicitanten selbsten oder durch jemand anders einige Citation ad reassumendum, Rescripta, Berichtschreiben oder3 andere Kayserliche Proceß, wie die Nahmen haben mögen, bey der Cantzley ausgefertigt, ohne Vorwissen und Willen des Bottenmeisters nicht, wie bißhero vielfältig geschehen, erheben oder hinweg nehmen, noch ehe und bevor die Proceß und Brieffe in das verordnete Register eingeschrieben, auch wann selbige zu concordiren vergönnet4, das von Alters herkommens und in der Cammergerichtsordnung bestimbtes Concordiengeld von ihnen würcklich entrichtet, ihres Gefallens ohne vorgehende des Bottenmeisters Assignation, keine5 Botten abfertigen und fortschicken, sondern in diesem und allem andern sich angedeuter Ordnung gemäß bey ernstlicher Straff nach Ermeßigung verhalten sollen. Gestalt auch zu dem Ende und, damit hierin nicht Hindernuß geschehe oder vorzuwenden, dem Bottenmeister, sich jederzeit zu gewöhnlicher Stunde auff der Cantzley [und]6 in seiner Stell wesentlich und fleißiger, als bißhero geschehen, auffzuwarten und sich finden zu lassen, bey ebenmeßiger Straff aufferlegt. Vorlage: CJC 1724, S. 767 Nr. CCCLXXIII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 28; GB 1665, S. 24; Blum 1667, S. 573-574; GB 1671, S. 24; GB 1678, S. 26; GB 1686, S. 26; GB 1688, S. 24; GB 1695, S. 59-60; GB 1696, 1 2 3 4 5 6

Sine ... adesto in GB 1661; Blum 1667. Sine ... esto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; ohne Überschrift in GB 1665; GB 1695. GB 1665; GB 1695; GB 1696; GB 1707 und. GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 verkündet; GB 1710; GB 1724 vergünnet. Fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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RKG Nr. 110 1635 Juli 6

S. 59-60; GB 1707, S. 59-60; GB 1710, S. 66-67 Nr. CIX; GB 1714, S. 40-41 Nr. CXI; CJC 1717, S. 40-41 Nr. CXI; GB 1717, S. 40-41 Nr. CXI; GB 1724, S. 66-67 Nr. CIX. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt das Zusammenspiel zwischen Prokuratoren und Kanzlei. Im Gegensatz zu älteren Ermahnungen nahm das Reichskammergericht jetzt zusätzlich die Advokaten, Parteien und Sollizitanten ins Visier. Auch sie hatten offenbar unmittelbar Kontakt zur Kammergerichtskanzlei, und daraus erwuchsen Probleme, die nunmehr regelungsbedürftig waren. In zahlreichen Fällen, dies scheint der Anlass für den Bescheid gewesen zu sein, hatten die Antragsteller es sehr eilig. Sie holten die ausgefertigten Schriftstücke nämlich zu früh bei der Kanzlei ab, noch bevor sie überhaupt ordnungsgemäß verzeichnet waren. Den Hintergrund bildet die Obliegenheit der Parteien, sich selbst um die Zustellungen von Ladungen und Mandaten zu kümmern. Üblicherweise beauftragten die Parteien einen Kammerboten damit, solche Verkündungen zu erledigen. Aber ohne Rücksprache mit dem Botenmeister durften die Parteien bzw. ihre Interessenvertreter die Kammerboten nicht auf eigene Faust lossenden. Den Grund für die voreiligen Entsendungen der Boten benannte der Gemeine Bescheid ebenfalls. Häufig war es den Antragstellern nämlich nicht gelungen, den Botenmeister in der Kanzlei selbst aufzusuchen, weil er nicht anwesend gewesen war. Der Bescheid schärfte ihm daher längere und zuverlässigere Anwesenheitszeiten ein. Mit dem „alten Herkommen“ zitiert der Gemeine Bescheid wörtlich aus der Reichskammergerichtsordnung (RKGO 1555 1, 35, 6). Auch dann nämlich, wenn die Partei die gerichtlichen Ladungen und Erkenntnisse nicht durch den Kammerboten, sondern durch einen Notar zustellen ließ, hatte der Bote einen Anspruch auf eine geminderte Bezahlung. Modern würde man vom entgangenen Gewinn sprechen. Am Reichskammergericht redete man dagegen von Konkordiengeldern. Der Botenmeister hatte die Aufgabe, die Höhe dieser Konkordiengelder festzusetzen. Wenn er aber untätig blieb, traf das die Kammerboten erheblich. Ermahnte die Reichskammergerichtsordnung also die Botenmeister, im Interesse der Boten die Konkordiengelder ordnungsgemäß zu berechnen, so drehte der Gemeine Bescheid den Spieß um. Auch die zahlungspflichtigen Antragsteller mussten diese Summe „wirklich“ bezahlen, selbst und gerade wenn sie die Zustellung durch die Kammerboten nicht in Anspruch nahmen.

RKG Nr. 111 1635 August 6

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RKG Nr. 111 1635 August 6 [Forma maturandorum processuum fiscalium pro sustentatione Camerali.]1 Demnach bißhero verspühret worden, daß in fiscalischen Sachen, dieses Kayserlichen Cammergerichts Unterhalt belangend, der wider die säumige Ständ angestellte Proceß durch Zulassung vieler verzüglicher Dilationen sich dermassen verweilet, daß schuldiger Bezahlung Auffenthalt zum mercklichen Schaden und Nachtheil, wo nicht gäntzlichem Ruin der Justitz und der Persohnen nothwendiger Unterhaltung gereichen thut, alles dem klaren Buchstaben der Cammergerichtsordnung, Reichsabschieden und vielfältig gegebenen Visitationsmemorialien zuwider; so soll der Kayserliche Fiscal hinführo Sachen, so offt er wegen der verfallenen außständigen Zieler auff derohalben außgangen- und reproducirte Monitorien und Processen zum erstenmahl anruffen wird oder, da allbereit procedirt und Zeit ad parendum angesetzt und doch nicht parirt wird, auff solche Termin praecise ohne Verstattung einiger Zeit ad avisandum entweder Paritionem vernehmen oder alsobald Declarationem poenae et arctiores Processus begehren und darüber submittiren: Als dann der Procuratorum niemand erscheinen thäte, zur Stund Citationem ad videndum procedi etc. bitten, wie auch erkandte Proceß, wie die Nahmen haben, der Gebühr außfertigen lassen und darauff der Ordnung gemäß förderlich procediren und verfahren, sich auch hierin gegen einen Stand wie den andern auff alte und neue Ziel, damit keiner vor dem andern beschwehrt oder getrieben werde, gleich verhalten. In Consilio Pleni 6. Augusti 1635. Philippus Antonius Emmerich, Dr., Judicii Imperialis Camerae Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 767-768 Nr. CCCXXIV. Weitere Ausgaben: GB 1710, S. 67-68 Nr. CX; GB 1714, S. 41 Nr. CXII; CJC 1717, S. 41 Nr. CXII; GB 1717, S. 41 Nr. CXII; GB 1724, S. 67-68 Nr. CX; fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Anmerkung: Die finanzielle Lage des Reichskammergerichts scheint sich in dieser Phase des Dreißigjährigen Krieges zugespitzt zu haben. Jedenfalls ergingen in unmittelbarer Folge vier Gemeine Bescheide, die sich nicht mit dem Prozessrecht, sondern ausschließlich mit der Eintreibung rückständiger Kammerzieler beschäftigten (ebenfalls die Gemeinen Bescheide vom 17. August 1635, 20. Februar 1636 und 7. Juni 1636, unten RKG Nr. 112-114). Die Zwischenschaltung der reichsständischen Prokuratoren, getragen von der Hoffnung, durch ihre Mahnschreiben die Stände 1

Forma ... Camerali in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 111 1635 August 6

zur Bezahlung zu bewegen (dazu Gemeiner Bescheid vom 12. Juni 1616 und 16. Oktober 1634, oben RKG Nr. 105 und 109), hatte sich wohl als wenig erfolgreich erwiesen. Der Gemeine Bescheid vom 6. August 1635 regelt nämlich wieder die gerichtliche Eintreibung der Rückstände durch den Fiskal (dazu bereits der Gemeine Bescheid vom 13. Januar 1598; oben RKG Nr. 96). Der Bescheid malt den „Ruin der Justiz“ an die Wand, ebenso die Verarmung des Kameralkollegiums. Vor diesem Hintergrund rang sich das Reichskammergericht zu scharfen Anordnungen durch. Zunächst wollte man die butterweichen Fristsetzungen und Verlängerungen nicht weiter hinnehmen. Wenn Reichsstände versuchten, sich ihren Verpflichtungen durch Prozessverschleppungen zu entziehen, ist das aus ihrem Blickwinkel leicht einsichtig. Warum allerdings der Fiskal diese vielfachen Aufschübe gewährt hatte, leuchtet nicht so einfach ein. Deswegen richtete das Reichskammergericht den Gemeinen Bescheid auch in erster Linie an den Fiskal und nicht an die Gesamtheit der Anwälte. Statt andauernd Fristen zu gewähren, sollte er endlich darauf bestehen, Parition zu vernehmen. Die Druckmittel, mit denen das Reichskammergericht auf Antrag des Fiskals rückständige Zahlungen einforderte, nannte man zeitgenössisch Monitorium (auch schon RKGO 1555 1, 17, 2). Prozessual war das in der neueren Literatur kaum bekannte Verfahren an den vergleichsweise schneidigen Mandatsprozess sine clausula angenähert. Deswegen kam es darauf an, ob der säumige reichsständische Beklagte sich zur Erfüllung bereit erklärte. Gab er diese von ihm verlangte Paritionserklärung nicht ab, konnte der Fiskal wahlweise die Verhängung der im Monitorium angedrohten Geldstrafe verlangen oder ein noch schärferes Monitorium ausbringen lassen. Das verschärfte Monitorium (zeitgenössisch im Plural arctiores processus) wiederholte die Zahlungsaufforderung bei einer deutlich erhöhten Strafandrohung. Welches Vorgehen erfolgversprechender war, hing von Fall zu Fall wohl von verschiedenen Gesichtspunkten ab. Deswegen konnte sich der Fiskal frei entscheiden, welchen Weg er einschlug. Ließ sich der beklagte Reichsstand dagegen in der kammergerichtlichen Audienz nicht einmal von einem Prokurator vertreten, durfte der Fiskal die sog. Citatio ad videndum ausbringen und damit sofort in das Vollstreckungsverfahren übergehen. Prozessual gab es damit durchaus mehrere Möglichkeiten, wie das Reichskammergericht, unterstützt durch den Fiskal, an sein Geld kommen konnte. Rein tatsächlich bestanden wegen der bekannten Vollstreckungsprobleme aber erhebliche Schwierigkeiten, die rechtlich leicht zu begründenden Forderungen gegen den politischen Widerstand einzelner Reichsstände durchzusetzen. Zumindest in einem Punkt wollte der Gemeine Bescheid den Beklagten den Wind aus den Segeln nehmen. Es sollte niemand darauf verweisen können, dass nur er, nicht aber andere Reichsstände herangezogen würden. Darum ermahnte der Gemeine Bescheid am Ende den Fiskal, die säumigen Schuldner gleich zu behandeln. Damit war zugleich die Zielrichtung solcher Eintreibungen klar. Sie richteten sich nicht speziell gegen einen Beklagten, sondern dienten der breit abgesicherten Finanzierung des Reichskammergerichts.

RKG Nr. 112 1635 August 17

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RKG Nr. 112 1635 August 171 [Procuratores status Imperii de solutione sustentationis Camerae diligenter admonento, fiscalis implorationes non expectantes. Ad eiusdem instantiam se legitimanto, dilationem ulteriorem ad avisandum ne petunto sed in primo termino praecise docento paritionem. Sententias publicatus cito transmittunto. Secus se fiat, ipsis condigna poena irrogabitur contra ipsorum vero principales ad declarationem poenae et arctiores proceditor.]2 [Procuratores diligenter status imperii de solvenda sustentatione Camer[ae] admonento et ad implorationem fiscalis se legitimanto necnon in primo termino paritionem praecise docento, alias contra ipsos cum poena et contra principales ad declarationem poenae atque arctiores proceditor.]3 Obwohl in der Cammergerichtsordnung und Reichsabschieden heilsamlich statuirt, daß in fiscalischen Sachen, sonderlich dieses Kayserlichen Cammergerichts Unterhaltung belangend, schleunig und ernstlich procedirt – die Procuratores auch auff die einmahl außgangene Monitoria und Proceß anderer gestalt nicht, dann so sie anzeigen, daß denen Monitoriis gelebt, oder aber Ursachen, warumb solches nicht beschehen, fürbringen wolten, gehört – und ihnen derhalben kein weiterer Termin oder Dilation zugelassen werden solle: Denselben auch in unterschiedlichen zugestellten Memorialien, fürnemlich Anno 1560, 15624, 1572 und 1586 bey Straff anbefohlen, allen Fleiß anzuwenden, damit an nothwendiger Unterhaltung dieser Justitzien kein Mangel erscheine. Jedoch aber solche wohlerwogene und zu des Heiligen Reichs Nutz und Wohlfahrt angesehene Ordnungen ein Zeitlang fast gar aus der Acht kommen und dahero allerhand Unrichtigkeiten5 erwachsen, auch schädliche Verzüglichkeiten vorgangen und eingeführt, daß derowegen diese des Heiligen Reichs höchste Justitz in die Harre6 nicht zu conserviren, sondern allerdings zu desselben unwiederbringlichem Schaden auffgehaben und zu Grund gerichtet werden möchte.7

1 2 3 4 5 6 7

GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 nur Jahreszahl Eodem Anno 1635 ohne Datum; dagegen Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 17. Ejusdem (= August 1635). Procuratores ... proceditor in Blum 1667. Procuratores ... proceditor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; fehlt in GB 1665; GB 1695. GB 1710; GB 1724 [15]61. Blum 1667 unrichtigkeit. GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696 Harr; GB 1707 Haar. Absatz in Blum 1667.

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RKG Nr. 112 1635 August 17

Hierum so wird den Procuratoren hiemit bey unnachlässiger Straff nach Ermeßigung aufferlegt und befohlen1, daß sie vermög gedachter Ordnungen hinführo bey den Ständen des Heiligen Reichs, denen ein jeder dienet, für sich selbst sondern Fleiß anwenden und2 förderliche Erlegung ihrer Anschläg beweglich anmahmen und des Fiscals Anruffen und Procedirens nicht erwarten: Auff sein Anruffen aber ihre Persohn, wo es nicht allbereit beschehen3, alsobald legitimiren, keine weitere Dilation ad avisandum oder sonsten, wie bißhero gespühret, außzügliche4 Außflucht suchen, sondern praecise in primo Termino paritionem oder erhebliche beständige Ursachen, warum solches nicht geschehen, mit der Kürtze mündlich oder schrifftlich fürbringen und darauff zugleich submittiren. Da auch ein Bescheid oder Urtheil ergienge5: Solche oder dergleichen, so bald die gerichtlich eröffnet, ihren Herrschaffen ohne Verhinderung unsäumlich zuschreiben und um Bezahlung anmahnen6 sollen. Wie7 sie aber dem also nicht nachkommen oder zuwider handeln werden, soll gegen ihnen8 mit gebührender Straff, gegen ihren Principalen aber mit der Declaration poenae und Arctiorn Processen ohnverzüglich ohn alles ferner Nachsehen verfahren werden: Darnach sowohl sie als ihre Partheyen, denen sie dieses förderlichst9 zu notificiren, sich wissen zu richten. Vorlage: CJC 1724, S. 768 Nr. CCCLXXV. Weitere Ausgaben: GB 1665, S. 25; Blum 1667, S. 574-575; GB 1671, S. 25; GB 1678, S. 26; GB 1686, S. 26; GB 1688, S. 24; GB 1695, S. 60-61; GB 1696, S. 60-61; GB 1707, S. 60-61; GB 1710, S. 68-69 Nr. CXI; GB 1714, S. 41-42 Nr. CXIII; CJC 1717, S. 41-42 Nr. CXIII; GB 1717, S. 41-42 Nr. CXIII; GB 1724, S. 68-69 Nr. CXI; fehlt in GB 1661. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid gehört zur Gruppe der zwischen dem 6. August 1635 und dem 7. Juni 1636 ergangenen Verfügungen zur besseren finanziellen Ausstattung des Reichskammergerichts (RKG Nr. 111-114). Richtete sich der Bescheid vom 6. August 1635 an den Fiskal, so wandte sich das Reichskammergericht jetzt wieder den reichsständischen Prokuratoren zu (hier auch Gemeiner Bescheid vom 12. Juni 1616 und 16. Oktober 1634, oben RKG Nr. 105 und 109). Zu Beginn malt die Regelung aus, wie scharf die fiskalischen Monitoriumsprozesse sein konnten. Lediglich die Parition oder qualifizierte Exzeptionsschriften waren gegen die strafbewehrten Zahlungsaufforderungen möglich. Weitere Fristverlängerungen oder zusätzliche 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Blum 1667 anbefohlen. GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 umb. Blum 1667 geschehen. Blum 1667 auffzügliche; dagegen wie hier GB 1695; GB 1696; GB 1707 außzügliche. GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 gienge. Blum 1667 annehmen. GB 1665; Blum 1667; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Wo. Blum 1667 Sie. Blum 1667 förderlich; anders GB 1665; GB 1671; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 fürderlichst.

RKG Nr. 113 1636 Februar 20

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Audienztermine kamen nicht in Frage. Zahlreiche ältere Vorschriften hatten freilich zunächst genau das bestimmt. Wie das Gericht eingestand, war das vorgegebene Beitreibungsverfahren aber inzwischen außer Gebrauch geraten. Deswegen schärfte der Gemeine Bescheid den Prokuratoren zum wiederholten Male ein, ihre reichsständischen Mandanten zur Zahlung der Kammerzieler aufzufordern. Mittlerweile nämlich hatte das Gericht elf Tage zuvor den fiskalischen Prozess wiederbelebt und stellte den Anwälten nun den drohenden Rechtsstreit in Aussicht. In seiner Kürze und dem Verzicht auf Ausflüchte und Verzögerungen entsprach das Schreckbild des fiskalischen Rechtsstreits ganz den Vorgaben, die auch der Gemeine Bescheid vom 6. August 1635 klargestellt hatte. Der Bescheid vom 17. August 1635 schloss hieran zwei Drohungen an. Zum einen stand dem Prokurator eine Strafe bevor, wenn er nicht seine reichsständischen Mandanten zuverlässig über alle Maßnahmen des Reichskammergerichts unterrichtete, vor allem über verkündete Zwischenurteile oder gar Endurteile. Die Reichsstände selbst, die untätig blieben, sollten zweitens fortan das verschärfte Monitorium oder die Verhängung der bereits angekündigten Geldstrafe zu gewärtigen haben. In diesem letzten Halbsatz des Bescheids geschah sodann etwas Ungewöhnliches. Das Reichskammergericht rang sich nämlich dazu durch, abstrakt und generell allen Reichsständen einen Befehl zu erteilen. Es forderte die Parteien, nach dem Sachzusammenhang also die säumigen Reichsstände, auf, sich an den Gemeinen Bescheid zu halten. Hier griff der Gemeine Bescheid ausdrücklich über das Binnenrecht des Reichskammergerichts hinaus und beanspruchte Geltung auch außerhalb des Gerichts, ja sogar im Verhältnis zwischen den Reichsständen und dem Speyerer Reichskammergericht. Obwohl es lediglich um die Erfüllung von Pflichten ging, die der Reichsgesetzgeber den Ständen ohnehin auferlegt hatte, war das eine Ungeheuerlichkeit. Die älteren Bescheide hatten bei Unterhaltungssachen immer den Umweg über die ständigen Prozessvertreter gewählt. Jetzt sprach das Gericht in einem Gemeinen Bescheid erstmals direkt die Reichsstände an. Das zeugt von erheblichem Selbstbewusstsein. Immerhin kam der Kaiser einige Monate später dem Reichskammergericht zu Hilfe (dazu sogleich der Gemeine Bescheid vom 20. Februar 1636, RKG Nr. 113), wenn auch nur lauwarm.

RKG Nr. 113 1636 Februar 20 [Procuratores status Imperii ad exsolutionem sustentationis Camerae adhortantor istorumque responsiones in cancellariam inferunto.]1 [Adhortatorium ad exsolvendam sustentationem Camer[ae] et in cancellariam referendas responsiones a statibus acceptas.]1

1

Procuratores ... inferunto in GB 1661; Blum 1667.

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RKG Nr. 113 1636 Februar 20

Demnach von der Römischen Kayserlichen Majestät ohnlängsten allergnädigste Resolution ertheilt, daß ein hochlöbliches Collegium, die cammergerichtliche Unterhaltung betreffend, wider [die]2 saumliche Reichsstände nach Außweiß der Ordnung und letztern Friedenschluß verfahren soll: Als werden die Procuratores sambt und sonders des im Jahr 1572 von den Herren Kayserlichen Commissarien und Visitatoren ihnen zugestellten Memorials und anderer mehr hernach ergangener Decreten erinnert, daß sie nicht allein bey den Ständen des Heiligen Reichs, dem ein jeder dienet, um Entrichtung gebührender Anlagen sonderbahren Fleiß anzuwenden, sondern auch, was sie von denselben für schrifftliche Antwort derwegen bekommen, jedesmahls auff die Kayserliche [Cammergerichts]3 Cantzley lieffern sollen, damit nicht noth sey, wider die Ungehorsame ein ernstliches Einsehen zu haben. Vorlage: CJC 1724, S. 768 Nr. CCCLXXVI. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 28; GB 1665, S. 25; Blum 1667, S. 575; GB 1671, S. 25; GB 1678, S. 27; GB 1686, S. 27; GB 1688, S. 24-25; GB 1695, S. 61; GB 1696, S. 61; GB 1707, S. 61; GB 1710, S. 69-70 Nr. CXII; GB 1714, S. 42 Nr. CXIV; CJC 1717, S. 42 Nr. CXIV; GB 1717, S. 42 Nr. CXIV; GB 1724, S. 69-70 Nr. CXII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft wie alle Bescheide zwischen dem 6. August 1635 und dem 7. Juni 1636 (RKG Nr. 111-114) die finanzielle Ausstattung des Reichskammergerichts. Offenbar hatte sich das Kameralkollegium an den Kaiser mit der Bitte um Unterstützung gewandt. Die zahlreichen Gemeinen Bescheide, auch die verschärften Bemühungen um einen fiskalischen Prozess gegen säumige Schuldner, hatten wohl nicht gefruchtet. Tatsächlich erließ Kaiser Ferdinand II. eine Resolution, die der Gemeine Bescheid ganz zu Beginn erwähnt. Der Sache nach handelte es sich jedoch um eine ausgesprochen magere Unterstützung für das finanziell klamme Reichsgericht. Denn in keiner Weise ging der Kaiser mit seiner angeblichen Hilfe über das hinaus, was andere Gemeine Bescheide bereits erfolglos bestimmt hatten. Inhaltlich handelt es sich um eine glatte Wiederholung des Gemeinen Bescheids vom 16. Oktober 1634 (oben RKG Nr. 109). Die ständigen Prokuratoren der Reichsstände sollten an ihre Mandanten schreiben und sie auffordern, die rückständigen Kammerzieler zu bezahlen. Die jeweiligen Antwortschreiben hatten die Prokuratoren dann der Kammergerichtskanzlei vorzulegen. Auch der Verweis auf das Memorial von 1572 war alles andere als neu. Nicht nur der Gemeine Bescheid vom 16. Oktober 1634 hatte genau so formuliert. Auch der unmittelbare Vorgängerbescheid vom 17. August 1635 hatte neben anderen Rechtsgrundlagen genau hierauf verwiesen (oben RKG Nr. 112). Neu war lediglich der Hinweis auf den Friedensschluss. Mitten im Dreißigjährigen Krieg handelte es sich um eine Anspielung auf 1 2 3

Adhortatorium ... acceptas in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; ohne Überschrift in GB 1665; GB 1695. Blum 1667. Blum 1667.

RKG Nr. 114 1636 Juni 7

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den Prager Frieden vom Mai 1635, der den Kriegszustand zwischen den Reichsständen und dem Kaiser beigelegt hatte. In der Sache aber blieb die normative Situation am Reichskammergericht unverändert. Die Möglichkeiten des Kameralkollegiums, sich selbst für die Eintreibung der Unterhaltungsgelder einzusetzen, waren gering. Und der Kaiser hatte entweder nicht die Kraft oder sogar nicht einmal das Interesse, sich für das Speyerer Reichsgericht kraftvoll ins Zeug zu legen.

RKG Nr. 114 1636 Juni 71 [Termini praeiudiciales in posterum diligentius2 observantor.]3 Obwohl in unterschiedlichen des Reichs Visitations-4 [und]5 sonderlich in dem letzten Deputationsabschied genugsam versehen und geordnet6, daß nunmehr alle Termin7 praejudiciales seyn sollen, quibus lapsis Jus parti quaesitum derowegen auch [alle]8 andere neue Zeit nicht mag gestattet werden, also alle die9 Recess, darinnen bißhero vielfältig post terminum purificatum10 Zeit pro novo termino gebetten11, ganz überflüßig und vergebens, was auch für Ursachen fürbracht oder bescheint, citra medium restitutionis, causa cognita et auditis partibus, dannoch12 der Parthey nicht geholffen werden mag, derwegen solche Recess den Procuratoren ernstlich verbotten seynd: So wird jedoch verspühret, daß in fiscalischen Sachen, sonderlich dieses Kayserlichen Cammergerichts Unterhaltung belangend, von den Procuratoren ein Widriges eingeführet werden will, gleichsam zwischen ein und andern Sachen ein Unterscheid zu machen und ihnen einen Weeg wie13 den andern nach einmahl14 angenommener oder per Sententiam praefigirter und purificirter Zeit allerhand 1

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Datum unklar, GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Eodem Anno (= 1636) 7. Julii; GB 1710; GB 1724 7. Julii eodem (= 1636); Blum 1667 7. Julii 1636; dagegen wie CJC 1724 auch GB 1714; CJC 1717; GB 1717 7. Junii eodem; GB 1665; GB 1671 Eodem Anno 7. Junii. GB 1661; Blum 1667 posterum maiori cum diligentia. Termini ... observantor in GB 1661; Blum 1667 (jeweils mit Abweichung); GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; ohne Überschrift in GB 1665; GB 1695; GB 1696. GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Visitation. Blum 1667. Blum 1667 verordnet. GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Termini. Blum 1667. Fehlt in Blum 1667. GB 1665 purificatu. Fehlt in Blum 1667. Blum 1667 dardurch; GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 dadurch. Blum 1667 als. Blum 1667 nachmahlen.

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RKG Nr. 114 1636 Juni 7

Auffschub, Exceptiones oder Dilationes einzuwenden oder zu bitten bevorstünde. Wann aber solches nicht allein obberührten allgemeinen Abschieden und Verordnungen1, sondern auch dem am 17. Augusti jüngst außgelassenem Decret ganz ohngemäß: Als wird den Procuratoren hiemit aufferlegt, in fiscalischen sowohl als andern Sachen solche Praejudicialtermin in fleißiger Achtung zu haben, dessen auch ihre Principales ehist2 verständiglich zu berichten, damit sie, wann termino semel purificato wider sie der Ordnung gemäß verfahren würde, ferner nicht gehört zu werden wissen mögen. Philippus Antonius Emmerich, Dr., Protonotarius3. Vorlage: CJC 1724, S. 768-769 Nr. CCCLXXVII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 28-29; GB 1665, S. 25-26; Blum 1667, S. 576; GB 1671, S. 25-26; GB 1678, S. 27; GB 1686, S. 27; GB 1688, S. 25; GB 1695, S. 62; GB 1696, S. 62; GB 1707, S. 62; GB 1710, S. 70-71 Nr. CXIII; GB 1714, S. 43 Nr. CXV; CJC 1717, S. 43 Nr. CXV; GB 1717, S. 43 Nr. CXV; GB 1724, S. 70-71 Nr. CXIII. Anmerkung: Es handelt sich um den letzten Gemeinen Bescheid aus der seit dem 6. August 1635 ergangenen Serie (oben RKG Nr. 111-113), die sich ausschließlich mit der finanziellen Situation des Reichskammergerichts beschäftigten. Die Reichsstände erfüllten ihre Zahlungspflichten nur schleppend. Der Kaiser hatte zwar eingegriffen (Gemeiner Bescheid vom 20. Februar 1636, oben RKG Nr. 113), war aber nicht über die bereits zuvor fehlgeschlagene Anordnung vom 16. Oktober 1634 (oben RKG Nr. 109) hinausgegangen. In dieser Situation besann sich das Reichskammergericht wieder auf seine eigenen Möglichkeiten und schärfte den ständigen Prokuratoren der Reichsstände abermals die Einzelheiten des fiskalischen Monitoriumsprozesses ein. Zum einen verwies das Kameralkollegium wie schon mehrfach auf den Speyerer Deputationsabschied vom 30. Oktober 1600 (bei Ludolff, CJC 1724, S. 535-559), zum anderen auf den Gemeinen Bescheid vom 17. August 1635 (oben RKG Nr. 112). Der Sache nach gab es also nur wenig Neues. Insbesondere beklagte sich das Kameralkollegium über die Winkelzüge der Prokuratoren in den Audienzen. Immer wieder beantragten sie dort Fristverlängerungen für ihre Rezesse, obwohl dies bei fest fixierten Fristen ohnehin verboten und insbesondere im fiskalischen Verfahren gänzlich ausgeschlossen war. Gegen die anwaltlichen Bestrebungen, die vergleichsweise scharfen normativen Vorgaben aufzuweichen, konnte das Gericht nicht viel anderes ausrichten, als die bereits bekannten Bestimmungen zu wiederholen. Erstaunlich daran bleibt freilich, wie es überhaupt zu den Missbräuchen hatte kommen können. Die Parteien entschieden weitgehend einvernehmlich über Fristverlängerungen. Ohne Mitwirkung des Fiskals hätten die reichsständischen Prokuratoren ihr Ansinnen also nie umsetzen können. Außerdem waren in den Audienzen ja immer auch Assessoren in 1 2 3

Blum 1667 Verordnung. Blum 1667 erst. Philippus ... Protonotarius fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

RKG Nr. 115 1637 Juli 6

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genügender Zahl vertreten. Offenbar schritten sie während der Rezesse nicht ein, selbst wenn Ordnungsverstöße vorkamen. Vielleicht scheute man auch die unmittelbare Konfrontation mit den Interessenvertretern der Stände. Jedenfalls erhärten derartige Anordnungen den Eindruck, als hätten die vielen Gemeinen Bescheide die finanzielle Ausstattung des Gerichts nicht spürbar verbessert. Spätere Wiederholungen deuten in dieselbe Richtung.

RKG (ohne Nr.) 1636 Juli 7 siehe 1636 Juni 7

RKG Nr. 115 1637 Juli 6 [Ad petitionem expedita ex cancellaria redimuntor.]1 [Ad expediendum data in cancellaria mox redimuntor.]2 Letzlich ist der Gemeine Bescheid: Daß die Advocaten und Procuratores und der Verstorbenen Erben alles dasjenige, so sie in der Cantzley sollicitiret und auff ihr Anhalten verfertigt worden, wie sie solches ohne das vermög der Ordnung, Reichsund Deputationsabschieden, auch in Annis 1579 und 1585 ergangener Bescheiden zu thun schuldig, förderlich und inwendig 6 Wochen nach deßwegen bey der Cantzley beschehenem Ansuchen bey Straff nach Ermeßigung lösen und erheben, sich auch künfftig solchen Verzugs müßigen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 769 Nr. CCCLXVI. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 29; GB 1665, S. 26; Blum 1667, S. 576-577; GB 1671, S. 26; GB 1678, S. 27; GB 1686, S. 27; GB 1688, S. 25; GB 1695, S. 62-63; GB 1696, S. 62-63; GB 1707, S. 62-63; GB 1710, S. 71 Nr. CXIV; GB 1714, S. 42 Nr. CXVI; CJC 1717, S. 42 Nr. CXVI; GB 1717, S. 43 Nr. CXVI; GB 1724, S. 71 Nr. CXIV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid greift ein mehrfach aufgeworfenes Problem auf. Bestimmte Antragsteller baten bei der Kammergerichtskanzlei um Abschriften, Beglaubigungen oder andere 1 2

Ad ... redimuntor in GB 1661; Blum 1667. Ad ... redimuntor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; ohne Überschrift in GB 1665; GB 1695.

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RKG Nr. 116 1637 Dezember 12

Ausfertigungen und holten die fertiggestellten Dokumente hinterher entweder gar nicht oder nur mit erheblicher Verspätung ab. Mehrere andere Gemeine Bescheide hatten sich dazu bereits geäußert, unter anderem die in der Quelle genannten Erlasse vom 11. September 1579 und 1585 (oben RKG Nr. 77). Der Verweis auf 1585 ist hierbei unklar. Einschlägig ist vor allem der Bescheid vom 13. Dezember 1602 (oben RKG Nr. 97). Daneben bestand ein weiterer Missstand. Oftmals nämlich waren diejenigen, die ihr Interesse an den Ausfertigungen verloren hatten, auch nicht mehr bereit, die angefallenen Gebühren zu zahlen. Diese Frage warf der Gemeine Bescheid vom 6. Juli 1637 aber nicht auf. Im Vergleich zu den sehr ähnlichen älteren Bestimmungen unterscheidet sich vornehmlich die angesprochene Personengruppe. Neben den Advokaten und Prokuratoren tauchten jetzt die Erben verstorbener Parteien auf. Hier konnte es in der Tat Schwierigkeiten geben. Wenn die Erblasser nämlich einige Prozesshandlungen selbst vorgenommen hatten, mochte es durchaus kompliziert für den Erben sein, sich in die genauen Feinheiten des Prozesses einzuarbeiten. Falls in solchen Situationen ausgefertigte Dokumente liegenblieben, musste das nicht immer auf Absicht beruhen. Die gesetzte Frist von sechs Wochen war im Übrigen doppelt so lang wie die am 11. September 1579 vorgesehenen drei Wochen. Freilich gab es nicht nur saumselige Parteien, die ihre erbetenen Ausfertigungen in der Kanzlei liegen ließen. Genau zwei Jahre zuvor hatte der Gemeine Bescheid vom 6. Juli 1635 (oben RKG Nr. 110) es untersagt, wenn Prokuratoren und andere Antragsteller Kanzleidokumente zurückforderten, bevor sie ordnungsgemäß registriert waren. Es gab also sowohl zu schnelle als auch zu langsame Abwicklungen. Dennoch blieb der Gemeine Bescheid vom 6. Juli 1637 erfolglos. Schon fünf Monate später sah sich das Gericht gezwungen, die Sache nochmals aufzugreifen (sofort unten RKG Nr. 116).

RKG Nr. 116 1637 Dezember 12 [Ad petitionem in cancellaria expeditorum redemptioni 6. proximi Iulii per decretum iniuncta realiter paretor.]1 [Paritio proximi decreti ad redimendum in cancellariam expedita iniungitur.]2 Letzlich ist auff befundenen Ungehorsam nochmahlen3 der Gemeine Bescheid: Daß die Advocaten und Procuratoren und der Verstorbenen Erben mit würcklicher Außlöß- und Erhebung alles dessen, so sie in der Cantzley sollicitiret und auff ihr Anhalten verfertiget worden, deme am 6. Julii jüngst eröffnetem Gemeinen Bescheide 1 2 3

Ad ... paretor in GB 1661; Blum 1667. Paritio ... iniungitur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; ohne Überschrift in GB 1665; GB 1695; GB 1696. GB 1665 nachmahlen; Blum 1667 nachmalen; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 nachmahln.

RKG Nr. 117 1638 Oktober 4

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innerhalb 4 Wochen bey ohnnachläßiger Straff einer Marck Silbers gehorsamlich nachkommen und sich dergleichen Verzugs inskünfftig müßigen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 769 Nr. CCCLXVII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 29; GB 1665, S. 26; Blum 1667, S. 577; GB 1671, S. 26; GB 1678, S. 27; GB 1686, S. 27; GB 1688, S. 25; GB 1695, S. 63; GB 1696, S. 63; GB 1707, S. 63; GB 1710, S. 71-72 Nr. CXV; GB 1714, S. 43 Nr. CXVII; CJC 1717, S. 43 Nr. CXVII; GB 1717, S. 43 Nr. CXVII; GB 1724, S. 71-72 Nr. CXV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid wiederholt die Anordnung vom 6. Juli 1637 (oben RKG Nr. 115) und gibt damit offen zu, wie erfolglos die vorherige Ermahnung verpufft war. Offenbar war es dem Gericht nicht möglich, die Anwälte zu einer ordnungsgemäßen Zusammenarbeit mit der Kanzlei zu bewegen. Vielleicht waren einige Parteien während des Dreißigjährigen Krieges gestorben. Dann hätte es keine Notwendigkeit gegeben, die nun nutzlos gewordenen Dokumente überhaupt noch zurückzunehmen. Jedenfalls erstaunt vor allem die Vierwochenfrist, mit der das Reichskammergericht den Prokuratoren und Advokaten entgegenkam. Der Bescheid vom 6. Juli hatte ohnehin großzügig sechs Wochen Zeit gewährt, die ausgefertigten Dokumente aus der Kanzlei zurückzuholen. Trotz der bereits vor fünf Monaten ergangenen Verfügung erhielten die Anwälte jetzt nochmals Zeit, sich auf die ohnehin im Vergleich zu früher (Gemeiner Bescheid vom 11. September 1579, oben RKG Nr. 77) verdoppelte Frist einzustellen. Dennoch scheiterte auch dieser Gemeine Bescheid. Schon am 15. Mai 1640 kam das Kammergericht auf dasselbe Thema zurück (unten RKG Nr. 118).

RKG Nr. 117 1638 Oktober 4 [Mulcta contumaciter in audientia emanentibus infligitur.]1 Demnach Sambstag, den 22. Septembris jüngst, Dr. G. G., Dr. E., Dr. K., Lizentiat F., Dr. S., Dr. L., Dr. J., Lizentiat W. der Ordnung, vielfältigen Memorialien, darauff publicirten Gemeinen Bescheiden zuwider, in gebührender Zeit bey der Audientz nicht erschienen noch sich schrifftlich entschuldiget, darauff verursachet, daß die Herren Vicepraeses und Beysitzer mit Schimpff und der Partheyen Nachtheil von besagter Audientz abtretten, und dieselbe einstellen müssen. Als ist gegen einen jeden die Straff 2 Gulden2 alsobald zu bezahlen vorbehalten: Und den Procuratoren 1 2

Mulcta ... infligitur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; fehlt in GB 1665; GB 1695; GB 1696. Aus CJC 1724; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1710 fl.

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RKG Nr. 117 1638 Oktober 4

insgemein hiemit nochmahlen ernstlich1 aufferlegt, daß sie sich hiernechst vermög angeregter Ordnung, Memorialien und Bescheiden zu rechter Zeit in dem Gericht einstellen und demselben mit mehrerem Fleiß, als bißhero beschehen, bey vorgedachter, auch höherer Straff, unnachläßlich in den Armenseckel zu erlegen, abwarten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 769 Nr. CCCLXVIII. Weitere Ausgaben: GB 1665, S. 26; GB 1671, S. 26; GB 1678, S. 27-28; GB 1686, S. 2728; GB 1688, S. 25; GB 1695, S. 63-64; GB 1696, S. 63-64; GB 1707, S. 63-64; GB 1710, S. 72 Nr. CXVI; GB 1714, S. 44 Nr. CXVIII; CJC 1717, S. 44 Nr. CXVIII; GB 1717, S. 44 Nr. CXVIII; GB 1724, S. 72 Nr. CXVI; fehlt in GB 1661; Blum 1667. Anmerkung: Nach drei Jahrzehnten erging wieder ein Gemeiner Bescheid aus Anlass eines konkreten Vorkommnisses. Am 7. April 1608 hatte das Reichskammergericht einen Anwaltsvertrag mit Erfolgshonorar verworfen und war mit Gemeinem Bescheid scharf dagegen vorgegangen (oben RKG Nr. 101). Jetzt beschäftigte sich das Kameralkollegium mit dem vollzähligen Erscheinen der Prokuratoren in der Audienz. Das Thema war nicht neu, vielmehr ein Dauerbrenner auch in den Gemeinen Bescheiden. Die letzte Ermahnung in derselben Sache war am 21. Juni 1625 erfolgt (oben RKG Nr. 108). Nun hatte es einen spektakulären Vorfall gegeben. Die genannten acht Prokuratoren waren allesamt nicht zur Audienz erschienen und hatten es nicht einmal für nötig befunden, sich ordnungsgemäß abzumelden. Deswegen musste das Kameralkollegium die Audienz abbrechen. Bei dieser Gelegenheit taucht in den Gemeinen Bescheiden zum ersten Mal der Vizepräsident auf. Es war inzwischen üblich geworden, dass der Kammerrichter die Audienzen nicht mehr persönlich leitete. Dafür war der Kammergerichtspräsident als sein Vertreter vorgesehen. Doch selbst er scheint in der Praxis nicht regelmäßig anwesend gewesen zu sein und hatte dafür den Vizepräsidenten als Sitzungsvertreter bestellt. Möglicherweise gab es hierfür einen handfesten Anlass. Kammergerichtspräsident war zu dieser Zeit Moritz von Büren. Er verließ mehrfach auf eigene Faust Speyer, um sich um seine heimatlichen Güter zu kümmern, und kehrte erst nach mehrmaligen Mahnungen zum Gericht zurück. Vielleicht benötigte das Kameralkollegium deshalb einen Vizepräsidenten (Einzelheiten bei Rosenkranz, Die ehemalige Herrschaft Büren und deren Uebergang in den Besitz der Jesuiten, in: Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde [= Westfälische Zeitschrift] 8 (1845), S. 125-251 (182-187); freundlicher Hinweis von Björn Czeschick). Am 4. Oktober 1638 fehlten zusätzlich die Prokuratoren. Unverrichteter Dinge zogen sich die Assessoren also wieder zurück. Die Reihenfolge, in der das Gericht seine Vorwürfe gegenüber den Prokuratoren erhob, war sicherlich mit Bedacht gewählt. Zuvörderst ging es um die Ehre des Gerichts. Eine ausgefallene Audienz, abgesagt wegen offenkundigen Desinteresses der Anwälte, stellte die Assessoren bloß. Ob Öffentlichkeit anwesend gewesen war, sagte der 1

GB 1710; GB 1724 ernstlich nochmahlen.

RKG Nr. 118 1640 Mai 15

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Gemeine Bescheid nicht. Der Hinweis auf „Schimpf“ legt aber genau das nahe. Vermutlich konnte jedermann sehen, wie eine Audienz scheiterte und wie wenig sich Anwälte um die Anordnungen des Kameralkollegiums scherten. Freilich schleppten sich die Audienzen mit ihrem erstarrten Umfragewesen auch mühsam dahin. Sie verlangten von den Anwälten vor allem Sitzfleisch. Sie konnten ihre Zeit sicherlich anders und besser verwenden. Die Gemeinen Bescheide zeigen aber an keiner Stelle mit Ausnahme der gescheiterten Reform von 1595 (dazu Gemeine Bescheide vom 22. Februar 1595 und 11. April 1595; oben RKG Nr. 93 und 94) die Bereitschaft des Kameralkollegiums, ernsthaft mit den Anwälten über Gebrechen der Audienzen zu sprechen. Die vielfachen Ermahnungen jedenfalls belegen eher, wie schwer es war, die Audienzordnung so durchzuführen, wie es normativ vorgegeben war. Erst an zweiter Stelle, also nach dem erlittenen Ehrverlust der Assessoren, wandte sich der Gemeine Bescheid den Parteien zu. Ihnen waren durch die Vertagung Nachteile entstanden, denn ihre Prozesse verlängerten sich auf diese Weise. Dennoch blieb die Reaktion des Gerichts milde. Je zwei Gulden Strafgelder standen im Raum, allerdings lediglich vorbehalten und noch nicht verhängt. Für die Zukunft drohte das Gericht noch härtere Sanktionen an. Ihre abschreckende Wirkung dürfte aber vergleichsweise gering geblieben sein.

RKG Nr. 118 1640 Mai 15 [In redimendis ad petitionem in cancellaria expeditis communibus decretis 6. Iulii et 12. Decembris publicatis obsequium praestator.]1 [Prioribus decretis ad redimendum in cancellaria expedita inhaeretur.]2 Letzlich, demnach denen am 6. Julii und 12. Decembris Anno 1637 eröffneten Gemeinen Bescheiden mit würcklicher Außlöß- und Erhebung alles dessen, so die Advocaten und Procuratoren in der Cantzley sollicitiret und auff ihr Anhalten außgefertigt worden, biß dato kein Gnügen beschehen, sondern neben den alten auch die neue Proceß, Urkunden und anders noch täglich mehr und mehr zu mercklichen Praejuditz der Cantzley verliegen bleiben. Als ist der nochmahlige und endliche Gemeine Bescheid: Daß sie die Advocaten und Procuratoren wie auch der Verstorbenen Erben beregten Bescheiden innerhalb 4 Wochen bey ferner ohnnachläßiger Straff zweyer Marck Silbers und anderwärtigem3 ernstlichen Einsehen gehorsamlich

1 2 3

In ... praestator in GB 1661; Blum 1667. Prioribus ... inhaeretur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; ohne Überschrift GB 1665; GB 1695; GB 1696. GB 1665; Blum 1667 anderwertlichen; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 anderwertlichem.

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RKG Nr. 119 1641 Oktober 16/1642 Oktober 10

nachkommen und die Cantzley klagloß stellen, auch dergleichen Verzugs sich inskünfftig allerdings enthalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 769 Nr. CCCLXIX. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 29; GB 1665, S. 26; Blum 1667, S. 577; GB 1671, S. 26; GB 1678, S. 28; GB 1686, S. 28; GB 1688, S. 25-26; GB 1695, S. 64; GB 1696, S. 64; GB 1707, S. 64; GB 1710, S. 72-73 Nr. XCVII; GB 1714, S. 44 Nr. CXIX; CJC 1717, S. 44 Nr. CXIX; GB 1717, S. 44 Nr. CXIX; GB 1724, S. 72-73 Nr. CXVII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bildet mit den Verfügungen vom 6. Juli 1637 und 12. Dezember 1637 (oben RKG Nr. 115-116) eine Einheit. Ganz offen gab das Gericht nunmehr zu, dass die doppelte Mahnung nicht gefruchtet hatte. Nach nur zweieinhalb Jahren erging damit der dritte Gemeine Bescheid in dieser Sache. Dazu gab es außerdem noch ältere Bestimmungen in derselben Angelegenheit (etwa den Gemeinen Bescheid vom 11. September 1579, oben RKG Nr. 77). Zahlreiche Anwälte bestellten bei der Kanzlei Dokumente und holten sie später nicht ab. Der Grund dafür ist in keiner einzigen Quelle auch nur angedeutet, die Folge hier aber erstmals aus Sicht des Kameralkollegiums benannt. Es ging um ein „merkliches Präjudiz“ der Kanzlei. Das klang nach einem Ansehensverlust, zugleich nach Bergen gestapelter Abschriften, mit denen man nicht wusste wohin. Wenn das Kameralkollegium versuchte, die Kanzlei „klaglos“ zu stellen, mögen auch die ausstehenden Gebühren ein praktisches Problem gewesen sein. Jedenfalls arbeitete die Kanzlei ohne Bezahlung, wenn sie Ausfertigungen erstellte, die hinterher niemand haben wollte. Zu deutlichen Ordnungsstrafen konnte sich das Gericht aber augenscheinlich nicht durchringen. Nur für künftige Verstöße stellte es Geldbußen in Aussicht und appellierte ansonsten daran, zukünftig solchen Annahmeverzug zu unterlassen.

RKG Nr. 119 1641 Oktober 16/1642 Oktober 101 [Varii modi hic praescripti in recessibus formandis observantor.]2 [Varius modus in formandis recessibus praescribitur.]3 Letzlich ist der Gemeine Bescheid: Daß alle und jede sowohl Fisci als andere Procuratores hinfürter in ihren mündlichen Fürträgen, Recess und Beschlüssen sich 1

2 3

Datum unklar: CJC 1724 16. Octobris 1641; dagegen GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Anno 1642, 10. Octobris; Blum 1667; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 10. Octobris 1642. Varii ... observantor in GB 1661; Blum 1667. Varius ... praescribitur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; dagegen ohne Überschrift in GB 1665; GB 1695; GB 1696.

RKG Nr. 119 1641 Oktober 16/1642 Oktober 10

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der Kürtze befleissen, alles muthwilligen Replicirens und Duplicirens enthalten, eine jede Sache in der Ordnung, dahin sie gehörig, ordentlich handlen und fürtragen: Auch der Fiscal sich der Handlung, ehe und zuvor ihm ein Jus realiter zugewachsen, enthalten und sonsten dieselbe untereinander nicht confundiren: Noch auch, was coram Deputatis zu handlen, als die Sigilla, Manus oder Signa der Notarien oder andere Schrifften recognosciren oder diffitiren: Item1 daß in anhangender Sach ihre Parthey verstorben oder in gütlicher Handlung stehen oder vertragen seyn usw., nicht vor Gericht, sondern vor den Deputaten anzeigen: Die neu erkandte Process allein durch denjenigen, der sie außbracht, wiederumb einführen: Alle schrifftliche Materien und Handlungen mit dieser und dergleichen Erinnerung übergeben: „In Sachen N. contra N. übergebe ich diese Schrifft, nemblich Libellum, Articulos, Exceptiones, Replicas, Duplicas etc.“ also daß sie keine mündliche Recess über 3 oder 4 Linien lang, sie seyen gleich von den Advocaten oder Partheyen ihnen vorgeschrieben noch sonsten nothwendig oder nicht, halten: Was nicht ohne mehr Wort geschehen kan, solches anderst nicht als in Scriptis mit kurtzer Vermeldung der Inscription und Begehrens zugleich cum Copia übergeben und vorbringen und ihnen weiter einige mündliche2 Fürträge3 oder, anders zu reden, Epitheta, Synonyma, der Umbständen Exaggerationes, Amplificationes4, Jurium Allegationes, ohnnöthige Protestationes und dergleichen Nebenwort, so der Sachen undienlich, zu gebrauchen oder ultra Replicas zu recessiren nicht gestattet seyn: Dagegen auch der ander Theil weiter nichts reden, dann mit kurtzen Worten Copias und gebührliche Zeit zu begehren oder aber pure darauff beschliessen, und da er darwider was5 zu sagen oder vorzuwenden, solches in Schrifften auff seine erhaltene Termin oder anticipando Terminum davor, wo er will, in seiner Ordnung auff einmahl conjunctim fürbringen und die bißher der Ordnung ungemäß gebrauchte unziemliche Anhänge: „Wofern darauff zu handlen nöthig, sie6 durch Bescheid darzu kommen zu lassen usw.7“, durchaus einstellen: In erlaubter Abwesenheit aber andere Anwälde aus ihren Protocollen, die sie und ihre Protocollisten jederzeit bey der Hand haben sollen, also informiren, daß sie alsobald die Nothdurfft handlen mögen, und das vielfältige Repetiren: „In angeregter Sach usw., ad proximam etc., die gehaltene Recess zu corrigiren, addiren usw.8, sich Berichts zu erhohlen usw.“ und dahero verursachte Rechtssätze und Submissiones gäntzlich vermieden bleiben: Auch alles andere bey

1 2 3 4 5 6 7 8

Fehlt in Blum 1667. GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 einiger mündlicher. Blum 1667 Fürtrag. GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696 Ampliationes; GB 1707 Amplicationes. Fehlt in Blum 1667; GB 1696; GB 1707. GB 1665; Blum 1667 sich. Usw. fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1724. Usw. fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707.

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RKG Nr. 119 1641 Oktober 16/1642 Oktober 10

ihren Pflichten, damit sie dem Gericht zugethan seyn, nach Inhalt der1 Kayserlichen Cammergerichtsordnung, Visitationsrecessen, Memorialien und Gemeinen Bescheiden, sonderlich des am 21. Junii Anno 1625 ergangenen, was zu schleuniger Beförderung der gerichtlichen Audientzien in einigem Weg ersprießlich seyn mag, thun und handlen sollen, bey ernstlicher unnachläßiger Straff und deren würcklichen Execution, so gegen die Uberfahrer vorgenommen werden soll. Vorlage: CJC 1724, S. 770 Nr. CCCLXX. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 29-30; GB 1665, S. 26-27; Blum 1667, S. 577-579; GB 1671, S. 26-27; GB 1678, S. 28; GB 1686, S. 28; GB 1688, S. 26; GB 1695, S. 6466; GB 1696, S. 64-66; GB 1707, S. 64-66; GB 1710, S. 73-74 Nr. CXVIII; GB 1714, S. 44-45 Nr. CXX; CJC 1717, S. 44-45 Nr. CXX; GB 1717, S. 44-45 Nr. CXX; GB 1724, S. 73-74 Nr. CXVIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid verweist am Ende auf den früheren Bescheid vom 21. Juni 1625 (oben RKG Nr. 108), regelt allerdings nicht dasselbe Problem. 1625 ging es vornehmlich um die Disziplin in der Audienz mitsamt pünktlichem Erscheinen, Verzicht auf Unruhe und Geschwätz etc. Der sehr lange Bescheid von 1641 trifft in seinem Bandwurmsatz dagegen genaue Vorgaben für das anwaltliche Verhalten während der einzelnen Umfragen. Teilweise handelt es sich um Wiederholungen. Zunächst stellte das Reichskammergericht ganz zu Beginn den Fiskal mit den Prokuratoren auf eine Stufe. Die Verhaltensvorschriften in der Audienz galten also für beide. Gefragt war wie immer Kürze im mündlichen Rezess. Wenn das Gericht zugleich mutwilliges Replizieren und Duplizieren untersagte, betraf das allerdings zugleich wohl den Schriftsatzwechsel. Es sollte nicht darauf ankommen, die Zahl der maximal zulässigen Libelle im Positionalverfahren bis zur Obergrenze auszureizen. Wer alles gesagt hatte, was rechtlich von Gewicht war, sollte keine weiteren Schriftsätze verfassen und den Prozess nicht unnötig in die Länge ziehen. Zudem sollte sich jeder Prokurator nur dann äußern, wenn er an der Reihe war und die einschlägige Umfrageordnung erreicht war. Das war besonders gegen den Fiskal gerichtet, der sich wohl gelegentlich in Streitigkeiten einmischte oder sogar Ansprüche geltend machte, bevor ihm eine feste Rechtsposition zustand. An solchen Stellen zeigen sich Interessenunterschiede zwischen dem Fiskal und dem Assessorenkollegium. Beide repräsentierten zwar auf je ihre Weise die Reichsgewalt. Doch stand der Fiskal eher wie eine Partei vor Gericht und hatte mit den Entscheidungen selbst nichts zu tun. Deswegen setzte ihn das Kameralkollegium mehrfach ohne weiteres mit den Prokuratoren gleich. Zum ordnungsgemäßen Verhalten in den Audienzen gehörte vor allem die Verpflichtung, diejenigen Sachen, die vor den deputierten Assessoren abgewickelt werden konnten, aus den Audienzen des gesamten Kollegiums fernzuhalten. Das war eine gewisse Entlastung. Der Gemeine Bescheid listete einige Handlungen auf, bei denen es wohl Zweifel über die richtige Zuordnung gegeben hatte. Zum einen betraf das Augenscheinseinnahmen bei Siegeln, Handschriften und No1

GB 1665; Blum 1667; GB 1671 des; GB 1678 deß.

RKG Nr. 119 1641 Oktober 16/1642 Oktober 10

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tarsigneten. Ebenso genügte es, den Tod einer Partei den Deputaten mitzuteilen und nicht das gesamte Kollegium damit zu behelligen. Schwebende Vergleichsverhandlungen sollten die Prokuratoren den Deputaten ebenso anzeigen wie erfolgreich abgeschlossene gütliche Einigungen. Wenn der ältere Visitationsabschied von 1557 § 56 (dazu u. a. Gemeiner Bescheid vom 24. April 1782 Ziff. 9; unten RKG Nr. 307) Vergleichsverhandlungen von einer richterlichen Genehmigung abhängig gemacht hatte, war hiervon jetzt jedenfalls keine Rede mehr. Sodann regelte der Gemeine Bescheid geradezu minutiös zulässige und unzulässige Äußerungen bei der Übergabe von Schriftsätzen. In vorformulierten Häppchen gab der Bescheid den Anwälten Formulierungshilfen an die Hand, die sie aufgreifen konnten, wenn die Umfrageordnung an sie gelangte. Geboten war vor allem Kürze. Der mündliche Rezess durfte nicht länger sein als eine wörtliche Protokollierung von drei bis vier Zeilen. Das griff die ältere Vorgabe vom 7. Juli 1590 auf (oben RKG Nr. 89). Ausdrücklich fügte der Bescheid hinzu, abweichende Vorgaben der Schriftsatzverfasser, also der Advokaten, oder der Parteien selbst, könnten hieran nichts ändern. Wenn der Rezess unbedingt länger sein musste, wechselte man zur Schriftform. In diesem Fall genügte es, wenn der Prokurator mündlich knapp auf den schriftlichen Rezess verwies und ihn dann mitsamt der für den Gegner bestimmten Kopie zu den Akten reichte. In der Praxis scheint es zahlreiche Möglichkeiten gegeben zu haben, dieses scheinbar starre System zu unterlaufen. Die Anwälte weiteten ihre mündlichen Vorträge nämlich durch einen Trick aus. Sie sprachen nicht von Rezessen und untergruben auch die vorgesehene Zahl zulässiger Wortäußerungen. Stattdessen trugen sie die genannten Allegationen, Protestationen, Exaggerationen und Amplifikationen vor. Diese seltsamen lateinischdeutschen Begriffe hatten aus Anwaltssicht einen entscheidenden Vorteil. Sie waren vollends unbestimmt. War erst einmal eine derartige Prozesshandlung zugestanden, konnte der Anwalt praktisch machen, was er wollte. Er war nämlich sowohl aus dem starren Rezesswesen als aus dem streng titulierten Schriftsatzwechsel ausgebrochen. Deswegen untersagte der Gemeine Bescheid fortan solche Umgehungsversuche. Ähnliches galt für den Gegner des rezessierenden Prokurators. Er sollte sich ebenfalls knapp fassen und soweit nötig schriftliche Prozesshandlungen nachreichen. Noch besser war es freilich, wenn sie sogleich „beschlossen“, also die Entscheidungsreife erklärten. Insbesondere nahm das Reichskammergericht Anstoß an einer ganzen Reihe von Floskeln, die in solchen Zusammenhängen die Audienzen verlängerten. Geradezu als abschreckende Beispiele zitierte der Gemeine Bescheid einige Äußerungen, die man gerade nicht von sich geben sollte. Zuletzt ging es um die substituierten Prokuratoren als Sitzungsvertreter in den Audienzen. Sie machten es sich augenscheinlich oft sehr einfach, schützten Unwissenheit vor und erbaten Zeit bis zum nächsten Termin. Bereits früher hatte das Reichskammergericht von den Substituten verlangt, sich in den Sach- und Streitstand einzuarbeiten (Gemeine Bescheide vom 20. Februar 1566 und 3. November 1568; oben RKG Nr. 58 und 61). Jetzt konkretisierte das Gericht diese Maßgabe sogar. Der Substitut sollte die Handakte des Hauptprokurators bei sich haben und sich anhand der älteren Protokolleinträge über den Stand des Verfahrens unterrichten. Zusätzlicher Schriftsatzwechsel oder weitere Submissionen ausschließlich wegen der Einschaltung von Vertretungsprokuratoren sollte es nicht mehr geben. Der pauschale Verweis auf das gesamte Kameralrecht stellte den Gemeinen

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RKG Nr. 120 1647 November 12

Bescheid zugleich als Wiederholung bereits erlassener Anordnungen dar. Doch offenbar war es erforderlich, in dieser Phase daran zu erinnern. Die Audienzpraxis sah vermutlich anders aus, als der Gemeine Bescheid es vorgab. Dieses Grundproblem des Kameralprozesses zog sich durch die Jahrzehnte und Jahrhunderte. Niemals wurde es gelöst. Schlagendes Beispiel ist der folgende Sammelbescheid vom 12. November 1647 (sogleich RKG Nr. 120).

RKG (ohne Nr.) 1642 Oktober 10 siehe 1641 Oktober 16

RKG Nr. 120 1647 November 12 [Percepto abusu admissionis agendorum ad ordinem sententiarum. 1. Illa esto sublata. 2. Brevitatis recessuum celerique ordinum circumvolutioni1 studetor. 3. Suum ordinem novarum 8 iuridicis utilibus quisque absolvito. 4. Absolutionis imposibilitate2 per memoriale indicata ulterius tempus intra has 8 iurid[icas] rogare liceto. 5. Fiscalis sine harum 8 iuridicis diminutione diebus pro suo arbitrio electis singularem audentiam perficito. 6. Audientia nisi sit integra, inter istas 8 iurid[icas] ne numerator.]3 [Abusus agendorum in ordine sententiarum et novarum corrigitur.]4 [Nechst dem]5 als eine Zeithero verspühret worden, daß die zuweilen in Ordine Sententiarum gestalten Sachen nach zugelassene Handlungen6 mit Verlängerung und Extensionen derselben7 in viel Wege und Weise mißbraucht werden, und dahero die Ordnung Novarum allgemach in solches Stecken gerathen, daß deroselben gewöhnliche Umbfrage von den ersten biß zu den letztern Procuratoren, in vielen Jahren nicht zu gewarten; dieser Verzug und Auffenthalt aber mehrentheils dahero ent1 2 3 4 5 6 7

Blum 1667 circumvolutionis. Blum 1667 impossibilitate. Percepto ... numerator in GB 1661; Blum 1667. Abusus ... corrigitur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Nechst dem in GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1724 Handlung. GB 1695; GB 1696; GB 1707 denselben.

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standen, daß die Procuratoren1 in ihren mündlichen Vorträgen mit Einmischung der Hauptsachen, auch sonsten andern unnöthigen Worten viel zu weitläufftig, nicht alsobald, sondern erst etliche Zeit, ja wohl Tage hernacher, auff die gehaltene Recess sich vernehmen und also an ihrem Fleiß, die Sachen in möglichster Kürtze vorzubringen, viel ersitzen lassen. § 1. Damit dann solchem Unwesen und Mißbrauch vorgebauet werden möge, so solle zuforderst eine jede Sache in der Ordnung, dahin sie gehörig, fürgetragen, der also genandter Ordo Sententiarum aber (außgenommen wann es auff gesprochene Urtheil vermöge der Ordnung Part. 3. Tit. 6. princ[ipium] zugelassen) und die hie vor diesem tam per extra[judicialia] quam judicialia Decreta zu deroselben verwiesene Handlungen und Paritiones, auch etwa gantze Sachen, länger nicht als biß zu dem letzten Gerichtstage dieses Jahres continuiret werden, zu Anfang des nechst eingehenden 1648sten Jahrs aber gantz abgestellt seyn und bleiben. § 2. Demnechst und hierauff ist der ernstliche Befehl, daß die Procuratoren hinführo des Kayserlichen Cammergerichts Ordnung, Visitationsrecessen, Memorialien, Deputationsab[schieden] und Gemeinen Bescheiden alles Fleißes und bey denen denselben einverleibten und mehr andern Straffen nach Ermeßigung geleben, insonderheit aber sich möglichster Kürtze im Recessiren gebrauchen, nichts was zu Beförderung der Umbfragen in allen und jeden Ordnungen tam Novarum quam Praefixarum gereichen mag, unterlassen. § 3. Zu dessen Werckstellung von dato 7. Januarii schierst künfftig, biß auff anderwärtliche Verordnung derjenige, welchen alßdann die Ordo Novarum (dann der Praefixarum Ordnung halben man es noch zur Zeit dabey, jedoch daß darin obverstandener massen der Ordnung gemäß, schleunig auch procedirt werde, allerdings bewenden läst) betroffen haben wird und also nacheinander folgende Procuratoren mehr nicht dann 8 Tage (jedoch utiliter, nemblich wann sie handlen können, zu verstehen) in derselben zu handlen Macht haben und sich dahin möglichst mit Abschneidung alles Überflusses im Recessiren bearbeiten sollen, daß ein jeder seine Ordnung in gemeldten 8 Tagen absolviren möge. § 4. Solte aber einem oder andern angeregte Zeit zu wenig seyn, also daß er innerhalb deroselben über allen angewandten und ex inspectione Protocollorum Judicialium im Werck verspürten Fleiß, seiner Principalen Sachen, darin er zu handlen benöthiget, nicht alle fürzutragen vermöchte, ein solches soll ihm per Memoriale im Rath anzubringen und wie viel Zeit er ferners darzu nöthig2 zu haben vermeynen und specificiren wird, solches ihm3 per Decretum ex post judicialiter reproducendum zu gestatten, durante hoc octiduo zu begehren frey gelassen und ohnbe1 2 3

In vielen Jahren … daß die Procuratoren fehlt in GB 1724. Fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Per Memoriale ... solches ihm fehlt in Blum 1667.

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nommen seyn zu dem Ende, damit keiner bey Hinterbleibung und Unterlassung der per Sententiam aufferlegten oder sonsten schuldiger Handlungen, der etwa darauff erfolgender Accusation Contumaciae mit dem Vorwand, als ob er nicht hätte handlen können, sich zu entschuldigen Ursach haben möge. § 5. Und auff daß ein jeder Procurator seiner obbestimbter 8 Tagen sich umb so mehr unabbrüchig zu bedienen habe, soll der Kayserliche Fiscal hiermit erinnert seyn, seine Recessen und Handlungen dahin zu richten, damit er zu gewissen Tagen (deren Erwählung zu seiner Willkühr, wie herkommens, stehet) eine gute Anzahl auff einmahl handle und gleichsam eine sonderbahre Audientz erfülle. § 6. Sollte er aber noch etwas Zeit biß zu gewöhnlicher Stunde und Endung der Audientzien überlassen: Wie auch wann ein Procurator in denen 8 und darauff prorogirten Tagen einem die gantze Audientz nicht zuzubringen hätte: Ingleichen so man in Vigiliis wegen folgender hohen Festtagen oder sonsten vom Gericht auffstehen oder nach eröffneten Bescheiden in gewöhnlicher Ordine Sententiarum ziemlich gehandelt und damit dieselbe Audientz über die Helffte der Zeit zugebracht würde, solle solches deme, der Ordinem Novarum auff besagte1 Weise an sich hat oder bekommen wird, nichts abgehen, sondern solche noch übrige Zeit biß zu Ende derselbigen Audientz ohne Abbruch der 8 oder prorogirten Tage verbleiben und gestattet werden. Vorlage: CJC 1724, S. 770-771 Nr. CCCLXXI. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 30-31; GB 1665, S. 27-28; Blum 1667, S. 579-581; GB 1671, S. 27-28; GB 1678, S. 29; GB 1686, S. 29; GB 1688, S. 26-27; GB 1695, S. 66-68; GB 1696, S. 66-68; GB 1707, S. 66-68; GB 1710, S. 75-77 Nr. CXIX; GB 1714, S. 45-46 Nr. CXXI; CJC 1717, S. 45-46 Nr. CXXI; GB 1717, S. 45-46 Nr. CXXI; GB 1724, S. 75-77 Nr. CXIX; auch als Separatdruck (z. B. vd 17 12:647153Z = Bayerische Staatsbibliothek München Res 4° J. publ. g. 1233, 5). Anmerkung: Der umfangreiche Sammelbescheid ist eine indirekte Bestätigung dafür, dass die im Bescheid vom 16. Oktober 1641 (oben RKG Nr. 119) erwähnten und korrigierten Missstände in den Audienzen tatsächlich bestanden und das Kameralkollegium längere Zeit beschäftigten. Für einen Teilbereich, nämlich die Ordnung auf eröffnete Urteile, versuchte der neue Bescheid Klarheit und Straffungen herzustellen. Damit stand er in der Tradition der Sammelbescheide von 1595 (Gemeine Bescheide vom 22. Februar 1595 und 11. April 1595; oben RKG Nr. 93-94). Damals hatte das Gericht versucht, die Praefixa-Ordnung zu reformieren, erst im Rahmen eines gemeinsamen Vorhabens zusammen mit der Anwaltschaft, dann schließlich beschränkt auf bloße bescheidene kosmetische Korrekturen. In den dazwischenliegenden über 50 Jahren hatte das Gericht selbst solch umfangreiche Vorhaben gar nicht mehr entwickelt. Freilich fällt in den Zwischenraum 1

Blum 1667 obbesagte.

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das Konzept der Reichskammergerichtsordnung von 1613. Aber jetzt, ganz am Ende des Dreißigjährigen Krieges, scheint dem Kameralkollegium die Zeit reif gewesen zu sein, umfassender den Audienzbetrieb zu erneuern. Der Bescheid vom 12. November 1647 nimmt vor allem den ersten Audienzabschnitt ins Visier, nämlich den sog. Ordo sententiarum. Diese Umfrageordnung war inzwischen so ausgeufert, dass für die folgende Umfrage in novis kaum noch Zeit blieb. Im Vergleich zu älteren Verwerfungen um das richtige Verhältnis zwischen der Umfrage in novis und der Umfrage in praefixis (Gemeine Bescheide vom 20. Februar 1566, 1. Juni 1571, 10./20. Juni 1580 § 2 und 28. Mai 1582; oben RKG Nr. 58, 63, 78 und 79) bestätigt sich die bereits zuvor durchscheinende Anwaltstaktik. Wenn es Zeitprobleme gab und das Gericht nicht mehr alle Ordnungen vernünftig bewältigen konnte, versuchten die Anwälte, ihre Prozesshandlungen so früh wie möglich anzubringen. Wollten sie überhaupt an die Reihe kommen und für ihre Mandaten etwas bewirken, hatte es ein halbes Jahrhundert zuvor offenbar ausgereicht, wenn sie von den Praefixa zu den Nova sprangen. Jetzt aber stand bereits die Ordnung in novis unter hohem Druck. Deswegen verfielen die Prokuratoren auf die Ordnung sententiarum. In dieser Kopflastigkeit der Audienzen offenbarte sich das ganze gescheiterte Ordnungswesen. Die Schuld schob das Kameralkollegium wie immer den Anwälten in die Schuhe. Sie hätten sich in ihren Rezessen unzulässigerweise zur Hauptsache geäußert, seien weitschweifig gewesen und hätten auf die Rezesse der Gegenseite nicht sofort, sondern erst Tage später und dann viel zu lang geantwortet. Das Reichskammergericht versuchte gegenzusteuern, allerdings moderat und ohne ernsthafte größere Veränderungen. Der Gemeine Bescheid verfolgte damit das Ziel, den Ordo sententiarum wieder auf ein sinnvolles Maß zurückzuführen und damit Zeit für die übrigen Umfragen zu gewinnen. Nach Auffassung des Reichskammergerichts ließ sich so etwas aber nicht von heute auf morgen verwirklichen. § 1 kündigte daher eine Übergangszeit von sieben Wochen an. Erst mit Beginn des neuen Jahres werde man einzelne Prozesshandlungen wieder den dafür vorgesehenen Audienzabschnitten streng zuordnen. Bis dahin wollte das Gericht die eingerissene Unordnung noch dulden. Die Wortwahl verweist auf Abgründe. Es ging nämlich um die in den Ordo sententiarum „verwiesenen“ Handlungen. Damit konnten nur richterliche Verweisungen gemeint sein, denn die Anwälte selbst konnten über die Zuordnung ihrer Sachen wohl kaum disponieren. Also hatte auf dem Höhepunkt der beklagten Verwirrungen das Gericht selbst an der Aufblähung der Urteilsordnung mitgewirkt und damit die anderen Umfragen selbst geschwächt. In diesem Punkt war die Übergangsfrist bis zum Januar also wohl auch eine Selbstermahnung des Gerichts, genauer mit dem eigenen Audienzwesen zu verfahren. Erst in § 2 folgte die dringliche Mahnung an die Anwälte, künftig das Umfragesystem einzuhalten und insbesondere die in den Ordo novarum und den Ordo praefixum gehörenden Sachen dort auch anzubringen. Alle Rezesse sollten kurz bleiben. Zu einer gründlichen Reform der Praefixa-Ordnung sah sich das Kameralkollegium außerstande, wie § 3 ganz deutlich betonte. Ob das noch ein Nachhall der gescheiterten Reform von 1595 war, muss offen bleiben. Die Neuordnung des Ordo novarum dagegen sollte zum 7. Januar 1648 beginnen. Im Kern erhielt jeder Prokurator eine sog. Zeit der Ordnung, innerhalb derer er Prozesshandlungen vornehmen oder auf gegnerische Prozesshandlungen antworten konnte. Diese Zeit bemaß sich nach den jeweiligen Um-

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fragen an den einzelnen Audienztagen. Für die Nova betrug sie acht Tage. Damit war gleichzeitig ein fester Zeitrahmen aufgestellt. Ein Ausweichen in andere Umfrageordnungen sollte nicht mehr möglich sein. Wie immer aß man am Reichskammergericht aber nicht so heiß, wie man kochte. Gleich § 4 regelte Ausnahmen für diejenigen Fälle, in denen die Achttagesfrist zu knapp bemessen schien. Hier genügte es, wenn die Prokuratoren wenigstens innerhalb der acht Tage um Fristverlängerung baten. Sie konnten dann angeben, wie viel Zeit sie benötigten, und mussten dies begründen. Das Gericht kündigte an, in solchen Fällen längere Zeiträume für die Prozesshandlungen und Rezesse zu gewähren. Auf diese Weise sollte immer klar sein, ob in dem Fall, wenn innerhalb der acht Tage keine Prozesshandlung erfolgte, Säumnis vorlag oder nicht. Jedenfalls wollte das Kameralkollegium nicht hinnehmen, dass ein Prokurator ein Kontumazialverfahren eröffnete und der Gegner dann einwandte, er habe für die unterbliebene Handlung nicht ausreichend Zeit gehabt. Darum sollte er sich eben kümmern, bevor es zu spät war. Als praktisches Vorbild für den vorgesehenen Achttagesrhythmus sollte der Fiskal dienen (§ 5). Er konnte sich einen Tag wählen, an dem er rezessieren wollte. Dann aber hatte er sämtliche Prozesssachen gemeinsam vorzulegen. Auf diese Weise sollte ein fester Tag für den Ordo novarum allein mit fiskalischen Rechtsstreitigkeiten reserviert sein. Freilich blieb es offen, ob das vorgesehene Modell sich in der Praxis bewähren würde. Deshalb baute § 6 gleich vor. Falls die Umfragen innerhalb der Audienzen schneller oder langsamer als vorgesehen verliefen, sollte das an der Achttagesregel nichts ändern. Vor allem Verschiebungen wegen eines Feiertages sowie Audienzen mit einem über 50 %-igen Anteil allein im Ordo sententiarum konnten zu Verzerrungen führen. Die Parteien selbst sollten davon aber weder Vornoch Nachteile haben. Wie man die Fristen in solchen Fällen genau zu berechnen hatte, sagte der Gemeine Bescheid freilich nicht.

RKG Nr. 121 1650 Juli 17 [Conclusum pleni de praecedentia advocatorum graduatorum et protonotariorum Cameralium seniorum non graduatorum.]1 Nachdem zwischen denen neuen ohnlängst auffgenommenen Advocaten und einigen Protonotariis Camerae non graduatis etliche Differentzien entstanden, also daß gemeldte Advocaten vor denen älteren nicht graduirten Protonotarien, welche ehender und vor ihnen, denen jüngeren Advocaten, in Camera auff- und angenommen worden, bey offentlichen Zusammenkünfften die Praecedentz praetendiret und man dann in Nachforschung, wie es dißfalls vor Alters gehalten worden, befunden, 1

Conclusum ... graduatorum in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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daß hierin die Zeit eines oder des andern beschehener Auffnahm jederzeit dergestalt üblich observirt, daß welcher Advocat oder Protonotarius vor dem andern sein Juramentum ehender würcklich abgelegt, dem andern Advocato et Protonotario indifferenter allenthalben vorgangen seye. Als ist dieses Conclusum einhelliglich dahin gangen, daß es bey solchem alten Herkommen und üblicher Observantz hinführo unveränderlich bleiben, jedoch diese Decision allein auff die Protonotarien verstanden, keineswegs aber auff die Notarios extendirt werden solle. Vorlage: CJC 1724, S. 771 Nr. CCCLXXVIII. Weitere Ausgaben: GB 1710, S. 77 Nr. CXX; GB 1714, S. 46-47 Nr. CXXII; CJC 1717, S. 46-47 Nr. CXXII; GB 1717, S. 46-47 Nr. CXXII; GB 1724, S. 77 Nr. CXX; fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Anmerkung: Es handelt sich um den ersten Gemeinen Bescheid des Reichskammergerichts nach dem Westfälischen Frieden. Anlass für die Verfügungen waren Rangstreitigkeiten zwischen Advokaten und Protonotaren. Es handelt sich um einen Konflikt, der in den älteren Gemeinen Bescheiden nicht zur Sprache kommt. Ob das Problem vorher noch nicht bestand, ist unbekannt. Nach dem Wortlaut der Quelle waren die Prokuratoren an der Auseinandersetzung nicht beteiligt. Freilich konnten in der Praxis zahlreiche Anwälte nach einigen Jahren Advokatur zugleich ein Prokuratorenamt erwerben, ohne dafür ihre Tätigkeit als Advokat aufgeben zu müssen. Das war anscheinend gerade die Besonderheit des Reichskammergerichts, während anderswo die frühneuzeitlichen Anwaltsberufe noch viel strenger getrennt waren. Es gab also zumeist jüngere Reichskammergerichtsadvokaten, die noch keine Prokuratoren waren, sowie zumeist ältere Prokuratoren, die zugleich weiterhin als Advokaten arbeiteten. Der Gemeine Bescheid kümmerte sich um diese Abgrenzungen nicht und behandelte sämtliche Advokaten als einheitliche Gruppe. Immerhin hatten sie eine Gemeinsamkeit. Sie waren studierte Juristen, mindestens mit dem Lizentiat graduiert. Ihnen gegenüber standen die Protonotare, herausgehobene Kanzleibeamte, nach dem ausdrücklichen Hinweis des Gemeinen Bescheids aber nicht graduiert, vermutlich also auch nicht rechtsgelehrt. Zwischen diesen Gruppen gab es nun Rangkonflikte. Die Advokaten wollten bei öffentlichen Anlässen Vorrang vor den nicht graduierten Protonotaren genießen. Hierbei sollte es nicht auf Anciennität ankommen. Wie lange jemand schon beim Reichskammergericht diente, scherte die Advokaten nicht. Bekanntlich sanken das Ansehen und die soziale Stellung des Kanzleipersonals wie insbesondere der Protonotare seit dem 17. Jahrhundert deutlich (dazu Rudolf Smend, Das Reichskammergericht, Weimar 1911, S. 322-323). Der Gemeine Bescheid bietet hierauf eine Momentaufnahme. Das Kameralkollegium sah sich berufen, den Streit zu entscheiden, und prüfte die alte und übliche Observanz. Dabei ermittelten die Assessoren das Datum des Amtseids als entscheidenden Gesichtspunkt. Es ging also nicht um die Abgrenzung der Statusgruppen, sondern um die individuelle Dienstzeit am Gericht. Das stellte die Einzelperson und nicht die Berufsgruppe in den Mittelpunkt. Diese Lösung galt aber nur im Verhältnis zwischen Advokaten und Protono-

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taren. Ausdrücklich erstreckte sich die Regelung nicht auf die gewöhnlichen Notare. Sie standen nach frühneuzeitlichem Verständnis deutlich unter beiden anderen Gruppen und waren an dem Rangstreit wohl auch gar nicht beteiligt. In quellenkundlicher Hinsicht sind zwei Begriffe bemerkenswert. Das Gericht nannte seinen Bescheid zum einen Konklusum, zum anderen Dezision. Überliefert ist er freilich als Gemeiner Bescheid, nicht nur bei Georg Melchior von Ludolff, sondern auch in den gedruckten Bescheidsammlungen. Dennoch deutet sich hier eine Annäherung an das Conclusum pleni an, denn auch in diesem Fall (wie zuvor bei der Türkensteuer; dazu Gemeiner Bescheid vom 12 Februar 1620; oben RKG Nr. 107) hatte das Reichskammergericht eine streitige Rechtsfrage entschieden.

RKG Nr. 122 1651 März 3/13 [Multis incommodis ex distinctione ordinis causarum praefixarum in ordinarias et extraordinarias harumque sub disctinctione ortis. 1. Iste remotis distinctionibus ordini novarum admixtus esto. 2. Fiscalis pomeridianis audientiis reliquis procuratoribus relictis ante meridiem suas causas peroranto. 3. Procuratores in causis fiscalibus duntaxat in audientia fiscali agunto. 4. Tribus fiscalibus audientiis elapsis in contumatiam fiscalis procedito huiusque ratione poenarum implorantis recessus procuratores brevibus in continenti repetunto ac pure submittunto. 5. Citatorum procuratores in termino reproductionis praecise vel cavento vel decenter se legitimanto.]1 [Incommodis ex distinctione ordinis praefixarum in ordinarias et extraordinarias harumque subdistinctione ortis occurritur.]2 Demnach bey diesem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht bißhero vielfältig gespühret worden, welcher gestalt aus der Praefix Ordnung eine merckliche grosse Confusion und Unordnung vornehmlich dahero entspringen thut, indeme dieselbe in Ordinarias et Extraordinarias und diese in Primas et Secundas distinguiret, also daß man bald nicht wissen kan, was vor Handlung in die eine oder andere aus jetztgemeldten Ordnungen proprie gehörig. Wodurch dann die Procuratores Ursach nehmen zu handgreifflicher Verhinderung, Auffenthalt und Steckung des Proceß (so ohne das in ordine Praefixarum sehr langsam herum gehet, und solche 1 2

Multis ... legitimanto in GB 1661; Blum 1667. Incommodis ... occurritur in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; ohne Überschrift in GB 1665; GB 1695; GB 1696.

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Ordnung dißmahl an jetzigen ältisten Procuratorn Dr. Georg Gollen allbereit in das vierte Jahr beständig ersitzen blieben) diejenige Recess, so sie in Praefixis Ordinariis bißweilen halten, in Ordinariis wiederum und vice versa wie nicht weniger in Novis also doppelt oder dreyfach cumulative repetiren und wiederhohlen, dadurch nicht allein viel unnöthige und überflüßige Recess, Repetitiones und Confusiones verursachet, sondern auch die kostbarliche Zeit unnützlich angewendet, dazu ein jeder, so damit umgehet, neben der Cantzley und Leserey nur vergebentlich und verdrießlich bemühet wird. § 1. Als ist hiermit der ernstliche Befehl, daß zuforderst dem allgemeinen Nutzen zum besten, sodann künfftiger der Partheyen und ihrer diß Orts rechthängiger Sachen mehrerer Beschleunigung wie auch Gewinnung der Zeit angeregte Ordnung Praefixarum sowohl Ordinariarum als Extraordinariarum hinführo biß auff anderwertliche Verordnung gäntzlich auffgehoben und eingestellet, an derselben statt aber alle Sachen, wie die immer genennet werden möchten, in Ordine Novarum, dazu dann ferners die sonsten in Praefixis auff alle Mon[tage] oder nechst darauff folgende Gerichtstage1 gewöhnliche vormittägige Stund von 9 biß 10 Uhr auch zu gebrauchen, allein vorgebracht, prosequirt und ausgeführet [werden]2: Daneben die Procuratores insgemein dieses Kayserlichen Cammergerichts Ordnung, Visitationsrecessen, Memorialien, Deputationsabschieden und hievorigen publicirten Gemeinen Bescheiden bey denen denselbigen3 einverleibten, auch andern mehrern Straffen nach Beschaffenheit der Ubertrettung und Ermeßigung alles angelegenen Fleisses erinnerlich geleben, insonderheit aber sich im mündlichen Recessiren möglichster Kürtze gebrauchen [sollen]4. § 2. Uber dieses wird dem Kayserlichen Generalfiscal oder in Abwesenheit an dessen statt dem Advocato Fisci anbefohlen, daß zwar in Sachen, dieses Kayserlichen Cammergerichts Unterhaltung in specie betreffend, alle Sambstage von 9 biß 10 Uhr vormittags wie von Alters hero also auch inskünfftig weiters continuiren und fortfahren; in andern Sachen aber, welche vornemlich Bonum publicum wie auch nothwendiges Particularinteresse Fisci concerniren, dabey nicht5 weniger jeweilen sonderlich summum morae periculum vorhanden und mit einläuffet, ins künfftig gleicher gestalt alle Samstage, oder dafern selbigen Tags ein Feyertag einfallen würde, in nechstfolgendem Gerichtstage von 9 biß 10 Uhr Vormittag handlen, hingegen die nachmittägige gerichtliche Audientz in Novis den übrigen Procuratoribus gantz und allein verbleiben. Ehe und zuvor aber gedachter Kayserlicher Fiscal oder, wie 1 2 3 4 5

GB 1661; Blum 1667; GB 1695; GB 1696; GB 1707 folgenden Gerichtstag; GB 1665; GB 1678; GB 1724 Gerichtstag. Blum 1667; nicht in GB 1661. Blum 1667 bey denenselbigen. Blum 1667; nicht in GB 1661. GB 1696 nit; dagegen GB 1707 nicht.

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zuvor gemeldet, der Advocatus Fisci berührter1 Sambs[tag] oder nechst darauff folgenden Gerichtstag in vorspecificirten Sachen sich einlassen, sie vor allen Dingen solche Sachen, darin sie ichtwas erheischender Nothdurfft nach gerichtlich vorbringen wollen, mit denen hierzu sonderlich deputirten Herren Assessoren gebührlich conferiren und ohne derselben Gutachten und Ratification nichts vornehmen [soll]2. § 3. Dann sollen obermeldte Procuratores durchgehends in nechstangezogenen letztern fiscalischen Sachen auff diejenige entweder durch sie selbsten colligirte, angenommene und bewilligte oder ihnen per Sententiam angesetzte und zugelassene Terminen3 hinführo nicht mehr in eines oder des andern Procuratoris Ordnung Novarum, sondern ein jeder, so dabey interessirt4, alsobald in dieser letztangedeuter fiscalischer Ordnung zu antworten, auch noch innerhalb der lauffenden oder praefigirten Zeit bey Vermeidung obangezogener Straffen und sub solito Praejudicio ohnfehlbarlich zu handlen und die per Sententiam aufferlegte Parition zu dociren schuldig seyn. § 4. Alldieweilen auch die fiscalische Audientzien forthin die Woche nur einen Tag in obgesetzten Fällen gehalten werden, als wird dem Kayserlichen Generalfiscal, elapsis tribus Juridicis Fiscalibus in Contumaciam zu verfahren, zugelassen. Wann auch derselbe in einer oder [der]5 andern Sachen wegen der Poenfällen gerichtlich anruffet, alsdann den Procuratoribus, solchen fiscalischen Recess in ihrer Principalen Namen zwar simpliciter mit wenig Worten, jedoch aber ohne Einmi-schung der Hauptsach, in continenti et eadem Audientia zu repetiren und darauff pure zu submittiren, anbefohlen. § 5. Sintemahlen dann schließlich durch offternandte Procuratores sonderlich der Mißbrauch biß dato eingeschlichen, daß sie auff gerichtlich eingeführte Proceß (darinnen doch ihren Principalen Terminus competens zu erscheinen vorhin praefigiret ist) gleichwohl der Ordnung gemäß nicht erscheinen, sondern erst hernach, wann es ihnen beliebet, coram D[ominis] Deputatis nach vollendeter Audientz diejenigen Herren Assessores, welche in derselben gesessen, noch ferner zumahl beschwehrlich und ohne einigen Effect auffhalten, indem sie ohne Caution oder Legitimation in solcher Ordnung D[ominorum] Deputatorum, bey nechstbevorstehender ihrer Ordnung Novarum entweder zu caviren oder Gewalt einzubringen, sich zwar nur zu blosser Steckung des Ruffens erbiethig machen, jedoch aber in darauff folgender ihrer nechsten Ordnung weder eins noch das ander würcklich vollziehen, sondern dadurch eine geraume Zeit den nothleidenden Partheyen zu höchstem unwiderbringlichen Nachtheil und Schaden allein für sich selbsten protrahiren und unnütz1 2 3 4 5

GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 berührten. Blum 1667; nicht in GB 1661. GB 1661; Blum 1667 Termin. GB 1724 intercessirt. GB 1661; Blum 1667.

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lich verlieren. So wird ihnen solches hiermit allerdings verbotten, und sollen sie sämbtlich alsobalden, in Termino Reproductionis quorum-cunque Processuum entweder praecise zu caviren oder sich der Gebühr zu legitimiren, sub solito praejudicio obligirt und verbunden seyn: Auch dieser Gemeine Bescheid auff den ersten Tag nechstkünfftigen Monaths May seinen würcklichen Anfang gewinnen, hinfüro obangedeuter massen in allem stricte observirt und vollnzogen werden, darnach sie1 sich allerseits endlich zu richten. Publicirt in Audientia consueta, Spirae, Lunae, (3.) 13. Martii Anno 16512. Vorlage: CJC 1724, S. 771-772 Nr. CCCLXXIX. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 31-32; GB 1665, S. 28-29; Blum 1667, S. 581-584; GB 1671, S. 28-29; GB 1678, S. 30-31; GB 1686, S. 30-31; GB 1688, S. 27-29; GB 1695, S. 68-„73“ (Paginierungsfehler, S. 72 fehlt); GB 1696, S. 68-„73“ (Paginierungsfehler, S. 72 fehlt); GB 1707, S. 68-72; GB 1710, S. 78-81 Nr. CXXI; GB 1714, S. 47-48 Nr. CXXIII; CJC 1717, S. 47-48 Nr. CXXIII; GB 1717, S. 47-48 Nr. CXXIII; GB 1724, S. 78-81 Nr. CXXI; auch als Separatdruck (z. B. vd17 1:019853Y = Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Gx 2875 und 12 an: Ry 13398). Anmerkung: Der Sammelbescheid knüpft an den Gemeinen Bescheid vom 12. November 1647 (oben RKG Nr. 120) an. Neben den punktuellen Regelungen in anderen Bescheiden war das Kameralkollegium immer noch mit den Umfrageordnungen in den Audienzen beschäftigt. Hier gab es gravierende praktische Mängel, die keiner der bisherigen Reformversuche in den Griff bekommen hatte. Der Gemeine Bescheid von 1647 hatte versucht, den Ordo sententiarum zu entlasten und dafür den Ordo novarum wieder zu einem ernstzunehmenden Termin aufzuwerten. Mit der Praefixa-Ordnung hatte man sich 1647 dagegen nicht genauer beschäftigt. Die Vorlaufzeit, bis die Reform greifen sollte, betrug seinerzeit etwa sieben Wochen. Jetzt sah das Gericht wiederum sieben Wochen vor, vom 13. März bis zum 1. Mai 1651, nach denen die abermalige Reform in Kraft treten sollte. Es handelte sich keineswegs um eine bloße Wiederholung der Regelungen von 1647. Vielmehr ging es jetzt um die Umfrage in praefixis und ihre Abgrenzung zu den Nova, ein Regelungsproblem also, das man 1647 bewusst offengehalten hatte. Die Problemsicht war dabei neu. Zum ersten Mal gestand das Kameralkollegium nämlich die übergroßen Schwächen des eigenen Audienzwesens unumwunden zu. Es gab zwar weiterhin Anwürfe gegen die Prokuratoren. Der Kern allen Übels, so jedenfalls das Prinzipium, war aber hausgemacht bzw. sogar im Gesetz angelegt. Die übersubtile Differenzierung in doppelt gespaltene Ordinar- und Extraordinarsachen (dazu die älteren Gemeinen Bescheide vom 6. November 1508, 17./27. März 1534, 24. November 1536, 16. September 1560 und von 1570; oben RKG Nr. 2, 24, 27, 54 und 62) hatte versagt, und zwar gerade in der Umfrageordnung der Praefixa. Kaum jemand, offenbar die Assessoren eingeschlossen, vermochte mit Gewissheit anzugeben, welche Prozesshandlung genau 1 2

Fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724. Publicirt ... 1651 fehlt in Blum 1667.

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in welchen Umfrageabschnitt gehörte. Die nochmalige Trennung in erste und zweite Umfrage tat ihr Übriges hinzu. Das Anciennitätsprinzip hatte dazu geführt, dass in den Umfrageordnungen der Praefixa seit vier Jahren lediglich der dienstälteste Prokurator zu Wort gekommen war. Damit war das gesamte Umfragewesen de facto gescheitert. Die Prokuratoren behalfen sich auf ihre Weise. Sie brachten ihre Handlungen in anderen Audienzabschnitten an, und zwar jeweils so früh wie möglich, damit sie überhaupt zu Worte kamen. Das führte freilich, wie das Gericht glaubhaft schilderte, zur doppelt- und dreifachen Behandlung ein und derselben Sache in verschiedenen Abschnitten und damit wiederum zu Verzögerungen. In dieser Lage traf das Kameralkollegium eine vergleichsweise mutige Entscheidung. Es hob nämlich die Trennung von Ordinar- und Extraordinarsachen für die Praefixa-Ordnung bis auf weiteres auf (§ 1). Einiges sollte gleich in die Ordnung in novis abwandern. Dazu gab es feste Wochentage und Uhrzeiten für die Praefixa. Um die anwaltliche Disziplin zu befördern, ordnete das Gericht zum wiederholten Male Kürze und Punktgenauigkeit bei den mündlichen Rezessen an. § 2 begrenzte das bis dahin überkommene vorrangige Rederecht des Fiskals. Er sollte nicht mehr in allen Umfragen das erste Wort haben. Vielmehr hatte er sich mit seiner eigens reservierten Stunde am Sonnabendmorgen zu begnügen, in der es um seine Prozesse wegen der Finanzierung des Reichskammergerichts ging. Offensichtlich war die Zahl derartiger Streitigkeiten zu dieser Zeit aber begrenzt. Jedenfalls gab es genügend Luft, um dem Fiskal aufzugeben, auch seine anderen Rechtssachen nach Möglichkeit in derselben Stunde abzuhandeln. In den nachmittäglichen Nova-Umfragen sollte der Fiskal gar nicht mehr auftreten. Und wenn er Prozesshandlungen vornehmen wollte, sollte er sich zuvor mit den dazu abgeordneten Assessoren vorberaten. Die weitgehende Entzerrung von Nova und fiskalischen Sachen wirkte sich auch auf die übrigen Assessoren aus. § 3 verlagerte ihre jeweiligen Gegenhandlungen deswegen in die fiskalische Audienz und entlastete auf diese Weise die Umfrage in novis. Das betraf nicht nur die ständigen Vertreter der Reichsstände. Vielmehr konnte der Fiskal auch tätig werden, wenn eine Partei in schwerem Maße gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen hatte. Zu denken ist an die Eintreibung angedrohter Geldstrafen in Mandatsprozessen oder an Strafen wegen Verachtung des Reichskammergerichts, etwa bei Appellationen an die Rota Romana in weltlichen Streitsachen. § 4 beschäftigte sich mit weiteren Feinheiten des leicht veränderten fiskalischen Audienzabschnitts. Zum einen durfte der Fiskal bereits bei drei verstrichenen Terminen ins Kontumazialverfahren übergehen. Für gewöhnliche Fälle hatte das Gericht diese Dauer erst am 17. August 1574 auf sechs Termine verlängert (Gemeiner Bescheid vom 17. August 1574; oben RKG Nr. 72). Wenn der Fiskal in dieser Weise tätig wurde oder fällige Geldstrafen einforderte, durften die Prokuratoren der Gegenseite hierauf unmittelbar mündlich kurz reagieren, aber sich nicht umfangreich zur Hauptsache äußern. Wie zuvor bestimmt (§ 1), sollten alle fiskalischen Sachen zusammen ja auf eine Stunde pro Woche beschränkt sein. § 5 beleuchtet einen zuvor in den Gemeinen Bescheiden noch nicht zur Sprache gekommenen Umgehungsversuch der Prokuratoren. Teilweise erschienen sie zu den angesetzten Praefixa nicht und kamen statt dessen erst zur verkleinerten Audienz vor den Deputaten. Ob das „Erscheinen“ hier wörtlich gemeint war, ist zweifelhaft. Entscheidend ist ein anderer Punkt. Die Prokuratoren sollten punktgenau zeitlich vorgeschriebene Prozesshandlungen

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vornehmen und taten das nicht. Es handelte sich hierbei um die jeweilige Frühphase eines Rechtsstreits, in der es um Sicherheitsleistung sowie die ordnungsgemäße Bevollmächtigung ging. In der Praefixa-Ordnung blieben die Prokuratoren untätig, möglicherweise hatten sie die verlangten Urkunden noch gar nicht bei der Hand. Also gingen sie in die nachfolgende Audienz der Deputierten und kündigten dort an, sie würden die Anwaltsvollmacht mitsamt der Kautionsbescheinigung in der nächsten ordentlichen Praefixa-Umfrage vorlegen. Das erfolgte zugleich zur „Steckung des Rufens“, sollte also die Säumnis abwenden. Vermutlich hatten die Prokuratoren mit diesen Ankündigungen tatsächlich Erfolg und konnten verhindern, dass man zum Säumnisverfahren schritt. Das klang nach einem Missbrauch und war sicherlich vom Kameralkollegium als Vorwurf gemeint. Im Ergebnis konnte die Verzögerung aber nur eintreten, wenn die Assessoren im Deputatentermin den Prokuratoren hier zu Hilfe kamen und Fristen verlängerten oder beim drohenden Rufen ein Auge zudrückten. So gab es verdeckt in diesem letzten Regelungspunkt des Bescheids doch auch Kritik an Beisitzern, die ihrerseits die Umfrageordnungen nicht streng genug voneinander trennten. Zum 1. Mai 1651 sollte aber alles besser werden. Doch wie so oft blieb es beim Wunschdenken. Der Gemeine Bescheid vom 16. Januar 1652 belegt, wie die praktischen Schwierigkeiten anhielten (unten RKG Nr. 124).

RKG Nr. 123 1651 Oktober 24 [Prorogationes fatalium [[nisi]]1 ex iustis causis iisque quadantenus edoctis petuntor.]2 Demnach an diesem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht bey vorgangenen langwierigen Kriegswesen den Procuratoren zwar auff ihre blosse Narrata Supplicationum wegen damahliger bekantlicher Unsicherheit der Strassen und andern vielfältigen Verhinderungen unterschiedliche Appellationsproceß neben begehrter Prorogation erkandt worden: Weil aber nunmehro gottlob solche Kriegsbeschwehrung im Römischen Reich wiederum eingestellt, dahero auch angeregte vorige Verhinderung nachgelassen und auffgehoben worden. Gleichwohl dessen ohnerachtet ermeldte Procuratoren einen Weg als den andern, dergleichen vielfältige Prorogationes berührter Fatalium je länger je mehr continuirlich zu suchen, sich unterstehen. Solches aber nicht allein zu vorsetzlichem Mißbrauch, sondern auch 1 2

GB 1661; Blum 1667. Prorogationes ... petuntor in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; anders das Ende in GB 1661; Blum 1667 causis iisque aliquo documento edoctis ne postulantor; dagegen ohne Überschrift in GB 1665; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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mercklichem Auffenthalt der Sachen und schädlichem Nachtheil der Partheyen gereichen thut. § 1. Als wird ihnen den Procuratoren hiemit ernstlich anbefohlen, daß sie1 hinführo keine Prorogationes Fatalium mehr ohne gnugsam erhebliche Ursachen und zugleich schrifftlich beygelegte glaubwürdige Bescheinung der fürgefallenen sonderbaren Verhinderung begehren, sich auch dißfalls der Ordnung allerdings gemäß verhalten sollen. Darnach sowohl sie sich selbsten als ihre Partheyen zu richten wissen werden. Und soll dieser Befehl den 1. Januarii hiernechstfolgenden 1652sten Jahrs seinen würcklichen Anfang gewinnen. Decretum in Consilio pleno 24. Octobris Anno2 1651. Georg Fridrich3 Steinmetz, Dr., Judicii Imperialis Camerae4 Protonotarius subscr[ipsit]5 Vorlage: CJC 1724, S. 773 Nr. CCCLXXX. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 32-33; GB 1665, S. 29-30; Blum 1667, S. 584-585; GB 1671, S. 29-30; GB 1678, S. 31; GB 1686, S. 31; GB 1688, S. 29; GB 1695, S. „73“-74 (Paginierungsfehler, S. 72 fehlt); GB 1696, S. „73“-74 (Paginierungsfehler, S. 72 fehlt); GB 1707, S. 72-73; GB 1710, S. 81-82 Nr. CXXII; GB 1714, S. 49 Nr. CXXIV; CJC 1717, S. 49 Nr. CXXIV; GB 1717, S. 49 Nr. CXXIV; GB 1724, S. 81-82 Nr. CXXII. Anmerkung: Es handelt sich um den einzigen Gemeinen Bescheid, der ausdrücklich den Dreißigjährigen Krieg anspricht. Im Rückblick zeigen die normativen Quellen daher, wie das Reichskammergericht während der Kriegszeit das Verfahren vereinfacht hatte. Problematisch war die Einlegung der Appellation, genau genommen die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsmittelprozesses. Nach der Vorstellung des Kameralrechts hatte die unterlegene Partei innerhalb einer Zehntagesfrist nach Verkündung oder Bekanntgabe des untergerichtlichen Urteils vor Notar und Zeugen die Appellation einzulegen. Gemeinrechtlich sprach man von den Fatalia interponendae appellationis. Danach griffen die Fatalia introducendae appellationis ein. Innerhalb einer weiteren Frist, zumeist sechs Monaten, musste der Appellant seine Appellation am Reichskammergericht einführen. Gelang das nicht, trat die Desertion ein. Der Rechtsmittelprozess versandete damit, bevor die Rechtshängigkeit am Appellationsgericht überhaupt förmlich hergestellt war. Während des Dreißigjährigen Krieges, so der Gemeine Bescheid, hatte man es mit den Fatalia introducendae nicht so genau genommen, und zwar wegen der damaligen Unsicherheit. Es war eben nicht gewährleistet, dass aus allen Winkeln des Reiches ein Notar oder ein Advokat ein Appellationsinstrument nach Speyer 1 2 3 4 5

Fehlt in GB 1661; GB 1665; dagegen vorhanden in Blum 1667. Fehlt in GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1665; GB 1671; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1717 Friderich; GB 1661; GB 1678; GB 1686 Friederich. GB 1661 Judicii Camerae Imperialis. Georg ... subscripsit fehlt in GB 1710; GB 1724; Decretum in Consilio ... subscripsit fehlt in Blum 1667.

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schickte und es dort tatsächlich innerhalb von sechs Monaten ankam. Dazu traten der Appellationseid, der Appellationsgulden und je nach Partikularrecht noch andere Formerfordernisse wie etwa Sicherheitsleistung durch Bürgen. Deswegen hatte das Gericht zu Kriegszeiten teilweise die Fristen verlängert und gleichzeitig die Anforderungen an die Glaubhaftmachung entschärft. Es hatte vollkommen genügt, wenn der Prokurator bestätigte, sein Mandant habe die Fatalien eingehalten oder werde dies in einer verlängerten Frist noch nachholen. Jetzt stellte das Gericht drei Jahre nach dem Friedensschluss fest, wie häufig die Prokuratoren immer noch ohne nähere Begründung Fristerstreckungen im Appellationsverfahren herausschindeten, obwohl die sachliche Notwendigkeit dafür weggefallen war. Nach dem längeren Prinzipium ließ sich der einzige § 1 damit knapp halten. Für die Hoffnung auf Fristverlängerungen im Appellationsrecht, gerade bei den Zulässigkeitsvoraussetzungen, benötigte man fortan erhebliche Ursachen, die überdies schriftlich zu beweisen waren. Zum 1. Januar 1652 sollte das eingreifen. Damit hatte das Reichskammergericht das kriegsbedingte Notrecht erst mit über dreijähriger Verspätung abgeschafft. Der Gemeine Bescheid vom 3. September 1653 § 21 (unten RKG Nr. 125) verschärfte die Anforderungen an die Genauigkeit sogar noch.

RKG Nr. 124 1652 Januar 16 [1. Procuratores iusto tempore in audientiis adsunto absque licentia ne emanento paratique ad agendum comparento. 2. Ordinem novarum habentes postulata adversarii in continenti audiunto, nec ad aliud tempus remittunto.]1 [1.2 Procuratores iusto tempore audientiis intersunto et ad agendum parati comparento. 2. Qui ordinem novarum habent adversarii postulata audiunto nec ad aliud tempus remittunto.]3 Demnach bey jüngst gehabter und abgeloffener Ordnung Novarum Lizentiat W. sonderlich observiret, daß sowohl den Gemeinen Bescheiden als der Ordnung von denen sämbtlichen Procuratoren fast4 durchgehends in viel Wege zuwider gehandelt worden, bevorab, als vorgedachter5 Lizentiat W. seine Ordnung bereits geendet und beschlossen gehabt, unterschiedliche Procuratoren hernach erst erschienen und handlen wollen, da sie solches lang zuvor hätten füglich thun sollen und können. 1 2 3 4 5

Procuratores ... remittunto in GB 1661; Blum 1667. GB 1714 mit §§-Zeichen in der Überschrift. 1. Procuratores ... remittunto in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; ohne Überschrift in GB 1665; GB 1695; GB 1696. Fehlt in GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1695; GB 1696; GB 1707 gedachter.

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§ 1. Als wird ihnen Procuratoren sambt und sonders hiemit ernstlich anbefohlen, daß sie sich forderst der Ordnung und Gemeinen Bescheiden besser erinnern, hinführo fleissiger, als bißhero beschehen, und zu rechter Zeit in den gerichtlichen gewöhnlichen Audientzien einstellen, davon ohne Erlaubnuß sich nicht absentiren und darin biß zu End verbleiben, in denen Sachen, darin gehandelt wird, alsobald active und1 passive mit Handlung gefaßt erscheinen oder zum wenigsten Zeit darauff bitten und, wann sie solches unterlassen, alsdann ihre differirte Recess in solcher Ordnung nicht mehr angenommen, sondern neben gebüh-render Straff verworffen werden. § 2. Jedoch soll derjenige, welcher die Ordnung an sich hat, schuldig seyn, des andern Anbringen in continenti ebenmäßig anzuhören und ferners sich keineswegs auff eine andere Zeit verweisen lassen, alles respective sub praedicto Praejudicio und fernerer Straff nach Ermäßigung. Decretum in Consilio pleno2 16. Januarii Anno 1652. Georg Friderich3 Steinmetz, Dr., Judicii Imperialis Camerae4, Protonotarius5. Vorlage: CJC 1724, S. 773 Nr. CCCLXXXI. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 33; GB 1665, S. 30; Blum 1667, S. 585; GB 1671, S. 30; GB 1678, S. 31-32; GB 1686, S. 32; GB 1688, S. 29; GB 1695, S. „74“-74 (Paginierungsfehler); GB 1696, S. „74“-74 (Paginierungsfehler); GB 1707, S. 73-74; GB 1710, S. 82-83 Nr. CXXIII; GB 1714, S. 49-50 Nr. CXXV; CJC 1717, S. 49-50 Nr. CXXV; GB 1717, S. 49-50 Nr. CXXV; GB 1724, S. 82-83 Nr. CXXIII. Anmerkung: Am 3./13. März 1651 hatte das Reichskammergericht die Umfrageordnung in den Audienzen mit Wirkung zum 1. Mai 1651 reformiert (oben RKG Nr. 122). Wie alle Bemühungen, das komplizierte öffentliche Verfahren mit seinen Resten an Mündlichkeit, Übergabe von Schriftsätzen und herrschaftlicher Inszenierung der Reichsgewalt in den Griff zu bekommen, scheiterte auch dieser Versuch. Erstaunlicherweise war es ein Prokurator, der das Reichskammergericht darauf aufmerksam machte. Die Assessoren mussten den Missstand aber ohnehin selbst bemerkt haben. Es gab während der Audienz ein Kommen und Gehen. Angeblich sämtliche Prokuratoren mit Ausnahme wohl des beflissenen Anzeigeerstatters verstießen gegen die Gemeinen Bescheide und die Gerichtsordnung und kamen zu den Audienzen viel zu spät. Möglicherweise war der Prokurator Lizentiat W. deswegen so erbost, weil er ordnungsgemäß gehandelt hatte, seine Gegner aber nicht vertreten waren. Die anderen Prokuratoren jedenfalls hatten erst deutlich zu spät handeln wollen. Die „Handlung“ war hier technisch als Prozesshandlung gemeint. § 1 wiederholte daher Anordnungen, die in schöner Regelmäßigkeit immer wieder ergingen. Pünktlich, ordentlich und 1 2 3 4 5

GB 1695; GB 1696; GB 1707 et. Fehlt in GB 1710; GB 1724. GB 1661 Friederich. GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696 Judicii Camerae Imperialis. Decretum ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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vollständig sollten die Prokuratoren zur Audienz erscheinen, bis zum Ende dort verbleiben und höchstens mit ausdrücklicher Erlaubnis sich kurzzeitig entfernen (ebenso Gemeine Bescheide vom 3. November 1568, 11. Oktober 1592, 11. April 1595 § 5, 21. Juni 1625, 4. Oktober 1638; oben RKG Nr. 61, 90, 94, 108, 117; aus der späteren Zeit 12. März 1680 und 4. April 1721 Ziff. 15; unten RKG Nr. 203 und 261). Dennoch waren die Drohungen butterweich. So sollte derjenige, der an der Reihe war, entweder selbst handeln oder auf die Gegenhandlung antworten. Wenn er das nicht tat, traten aber keinerlei nachteilige Folgen ein. Es genügte vollkommen, Zeit für die Handlung zu erbitten, schon erhielt man weitere Frist. Nur dann, wenn jemand vergessen hatte, die weitere Frist zu beantragen, sollten zusätzliche Rezesse ausgeschlossen sein. § 2 beruhte vermutlich auf dem Erlebnis des Lizentiaten W. Der Prokurator, der im Umfragewesen an der Reihe war, hatte nämlich den Anspruch auf eine unmittelbare Rückäußerung der Gegenseite zu seinem Rezess. Er brauchte sich nicht auf spätere Termine vertrösten zu lassen. Und genau dies war nur möglich, wenn sämtliche Prokuratoren, die an den verhandelten Rechtssachen auf beiden Seiten beteiligt waren, auch zur Audienz kamen.

RKG Nr. 125 1653 September 3 [Molestis querelis inter procuratores ac nuntios horumque magistrum saepe exortis hoc decretum sequens modo medetor: 1. Nuntii ordinationis Camerae sub eiusdem aliisque poenis obtemperanto. 2. Item ordinem sui itineris expectanto. 3. Nuntio equitanti 6, pedestri vero 4 processus ad insinuandum traduntor. 4. Nuntii neminem ad dandum processus Camerales nedum alienos sollicitanto sed solius magistri iussu illos suscipiunto. 5. Duobus nuntiis equestribus ablegatis alternatim unus pedes mittitor. 6. Pro cancellaria illi, quos ordo itineris tangit, horis consuetis assidui praestolantor. 7. Processus ex cancellaria clam magistro ne auferuntor. 8. Nuntii constituta mercede sunto contenti. 9. Iidem reversi magistrum1 adeunto factae executionis librum subscribunto pecuniaeque in communem pyxidem inferendae rationes citra maleficium reddunto. 10. Pecunia in pyxidem iniecta simul cum concordiis inter nuntios per trimestria distribuitor. Concordia ante processuum traditionem exsolvuntor. 11. Praefecto cancellariae ad nuntiorum magistro insciis nuntii Spira ne discedunto: Utrique in omnibus debitam oboedientiam praestanto. 12. Equitantes validis equis se instruunto. 13. Nuntiorum magister horis destinatis in cancellaria diligentius praesto adesto. 14. Item expeditos processus nuntiis exequendos e vestigio demandato: nec finito vel a procuratoribus in cancellaria relinqui vel cui et quan1

Blum 1667 Magistratum.

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do velint committi. 15. Item inter nuntios aequalitatem observato: Munera ne accipito. 16. Item processus cuique commissos reducisque relationem legitime factam diemque reditus annotatio et a nuntio subscribendam curato. 17. Item nuntiorum negligentiae contradicito. 18. Nemo nuntios discedere iussos remorator. 19. Magister nuntiorum processuum insinuationem pro viribus maturanto. 20. Item plures processus quam ut iusto tempore insinuari possint, simul uni ne committito. 21. Item nuntio post termini vel fatalium lapsum processus reportante diem flagitatorum, redemptorum nuntioque commissorum ut et nuntii redeuntis ac eosdem procuratori restituentis subscripta executionis annectito. 22. Executiones loco atque modo haud debito factas ne subscribito.]1 [Remedium querelarum procuratores inter ac nuntios horumque magistrum.]2 Demnach bißhero sich mancherley Unordnung, Mängel und Gebrechen unter dieses Kayserlichen Cammergerichts angehörigen Advocaten und Procuratoren, so dann derselben Protocollisten oder3 Scribenten wie auch dem Bottenmeister und Botten fast insgemein mehrfältig sich4 zugetragen, derentwegen bey diesem höchsten Gericht und den Partheyen nicht geringe Beschwehrungen und Nachtheil entstanden, auch viel verdrießliche Klagen kommen. Damit nun dergleichen Klagen, Beschwehrungen, Mißhelligkeiten und Gebrechen hinführo, soviel immer möglich, verhütet, abgewendet und gäntzlich eingestellet verbleiben, auch jederzeit hierinnen gebührliches Einsehen beschehen möge. Als ist nachfolgende schrifftliche Verordnung auffgerichtet, auch zur Wissenschafft männiglichs und sonderlich obeingangs ernandter Persohnen heut unterschriebenen dato publicirt worden: § 1. Erstlich sollen die Botten hinführo insgemein sich in allem der Cammergerichtsordnung gemäß verhalten oder, da sie in einem oder dem andern Wege dagegen handlen, alsdann der einverleibten oder auch anderer verdienten Straffen je nach Beschaffenheit des Verbrechens unnachläßig gewärtig seyn, wie das erneuerte Concept der Cammergerichtsordnung part. I t[it.] 69 gleich Anfangs außweiset. § 2. Bevorab aber zum Zweyten kein Bott dem andern, wie bißhero offtermahlen mißbräuchlich geschehen, weder selbsten noch durch die seinige oder andere hierzu ersuchte Mittelspersonen in die Reiß einfallen oder im geringsten etwas abkürtzen, sondern ein jeder seiner Ordnung, biß dieselbe an ihn kommen und gelangen wird, ohne einige Ein- oder Widerrede erwarten und sich vermög nechstangeregter erneuerten Concepts Cammergerichtsordnung part. I t[it.] 50 § „Und welchem Botten

1 2 3 4

Molestis ... subscribito in GB 1661; Blum 1667. Remedium ... magistrum in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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usw. 3.“ zu solcher Reiß, die seye beschwehrlich oder nicht, willig finden lassen und derselben getreulich außwarten. § 3. Zu welchem Ende vor das Dritte und damit solche Ordnung inskünfftig desto ehender herum gehen, auch die Botten sich sambt den ihrigen desto füglicher mit Ehren erhalten und fortbringen mögen, einem Reitenden mehr nicht als zum meisten sechs Hauptproceß, die er zu verrechnen und in die Bottenbüchs einzulegen schuldig, einem Fußgehenden aber vier dergleichen1 Proceß durch den Bottenmeister eingehändiget und derjenige Bott, welcher dieselbe empfangen, alsobalden vermög berührten Concepts2 Cammergerichtsordnung part. I3 t[it.] 50 § „Es soll auch usw. 5.“ noch selbigen oder auffs längst gleich darauff folgenden Tag damit fortreißen oder, da einer sich darüber länger auffhalten würde, ihme die Proceß von dem Bottenmeister alsobalden wiederum abgefordert und einem andern, welcher in der Ordnung gleich hernach folget, zugestellet, auch derjenig, so sich also säumselig oder widerig erzeiget, zu wohlverdienter Straff so lang in der Bottentaffel zurück gesetzt werden soll, biß ihn seine Ordnung wiederum erreichen wird. § 4. Es soll auch zum Vierten kein Bott weder von Advocaten, Procuratoren oder derselben Protocollisten, Scribenten, Partheyen noch den Protonotarien, Notarien, Lesern, Cantzleyverwandten oder auch andern, niemand außgenommen, Proceß sollicitiren noch annehmen, sondern solche und sonsten keine andere ausserhalb der Cameralprocessen, der Cammergerichtsordnung, des erneuerten Concepts, part. I tit. 50, und insonderheit dem § „Weiter wollen Wir, daß kein Bott usw. 4.“ gemäß allein aus des Bottenmeisters Händen empfangen, alsobalden in dessen gewöhnliches Register sich eigenhändig ein- und unterschreiben, auch gleich selbigen oder auffs längst nechstfolgenden Tag obverstandener massen damit ohnsäumlich fortreisen, Ordinat[ionis] part. I.4 eodem tit[ulo] 50 d[icto]5 §6 „Es soll auch7 usw. 58.“ item tit. 48 § 4 et 7 in dem erneuerten Concept der Cammergerichtsordnung, auch ihme, wann er schon mit obgemeldter Anzahl Processen würcklich abgefertigt und auff der Reiß begriffen ist, keine weitere9 Proceß durch niemanden, wer der auch seye, nachgeschickt werden und solches bey ernstlichem Einsehen und Straff nach Ermäßigung. § 5. Zum Fünfften, weil der Mißgunst zwischen den Botten fast insgemein dergestalt überhand genommen, daß keiner dem andern kaum ein Stück Brode mehr 1 2 3 4 5 6 7 8 9

GB 1724 solche. Fehlt in GB 1661; Blum 1667; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Part. I. fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724. Ordinat. part. I fehlt in Blum 1667. D[icto] fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1724. §-Zeichen fehlt in GB 1696; GB 1707; GB 1724. Fehlt in GB 1665; GB 1696; GB 1707; GB 1724. 5 fehlt in GB 1696; GB 1707. GB 1696; GB 1707 kein weitere; GB 1724 kein weiterer.

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gönnet und ein jeder sich vermeintlich einbildet, als wann einem oder dem andern unter seinen Mitgesellen einiger Vortheil, Vorzug oder Genuß verstattet oder zugelassen werde. So ist es zu künfftiger mehrer Gleichheit dahin gemittelt, daß hinführo forderst zween reitende Botten in ihrer Ordnung, und zwar ein jeder absonderlich mit sechs Hauptprocessen, wie oben angezogen, abgefertiget und fortreisen1: Alsdann erst ein Bey[bott] oder fußgehender Bott gleichfals in seiner Ordnung mit vieren und nicht mehr dergleichen Hauptprocessen, wie oben gemeldt, versehen werden und ihrer Ordnung nacheinander alsobalden damit fortreisen sollen, jedoch, da einer Parthey hohe Nothdurfft [es]2 erfordert, daß ob periculum in mora ein eigener Bott extraordinarie abgefertigt werden müste3, so alles vermög Concept4 neuer Cammergerichtsordnung, part. I tit. 50 § „Doch da5 es einer Parthey usw. 13.“ zu der Parthey oder ihres Procuratoren Gefallen gestellt seyn, in dem mit dem Botten zu überkommen6 und sich zu vergleichen, damit derselbe alsobalden abreite und fortreise. Da aber ein Bott mehr dann einen Proceß zu exequiren bekommt, soll er niemand über die Ordnung graviren noch beschwehren. § 6. Sechstens sollen jederzeit ein oder zwey reitende- und ein Bey- oder Fußbotte, an denen die Ordnung zu reisen seyn würde, Vor- und Nachmittag zu gewöhnlicher Zeit vor der Cammercantzley, wie es das neue Concept der Cammergerichtsordnung, d[icto] tit[ulo] 50 § 2, ohne das mit sich bringet, in der Stille und mit aller Bescheidenheit auffwarten, die übrige aber alle zu Hauß bleiben oder sonsten ihren obliegenden Geschäfften nachgehen. § 7. Weilen auch zum Siebenden vielfältig geklagt worden, daß die außgefertigte Proceß auff der [Cammer-]7Cantzley durch unterschiedliche Practiquen verzuckt, abgehändiget, mit der Ordinaripost oder sonsten in andere Wege forgeschickt, dadurch den Botten insgemein ihr Unterhalt und Alimenta entzogen werden. Als sollen hinführo alle Proceß, sobald dieselbe außgefertiget und würcklich bezahlt, durch den Cammercantzley-Taxeinnehmer immediate dem Bottenmeister und durch denselben demjenigen, welcher die Ordnung zu reissen an sich hat, überlieffert, damit dieselbe ohnversiegelt durch der Procuratoren Protocollisten oder Scribenten ohnsäumlich abcopirt und darauff, wie obgemeldt, förderlich fortgeschickt werden. § 8. Und nachdem zum Achten offtmahlen klagend vorkommen, was massen die Botten die Partheyen mit übermäßigem und fast unerschwinglichem Reißgeld, oder Bottenlohn beschwehren und übernehmen. Als soll sich ein jeder Bott hinführo in 1 2 3 4 5 6 7

GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 fortgereiset. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1661; Blum 1667 muste. Fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707. GB 1724 Da doch. Blum 1667 Botten übereinzukommen; wie im CJC 1724 dagegen auch GB 1661. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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dem erneuerten Concept der Cammergerichtsordnung, part. I t[it.] 61 § „Einem jeden usw.1 3.“ et2 seq[uitur]3 seines verordneten Lohns bey einverleibter Straff sättigen lassen und sich sonsten allerdings angeregter Ordnung gemäß verhalten. Zum Fall aber einige bestandige Klag von den Partheyen, derselben Advocaten, Procuratoren oder andern dargegen einlangen würde, alsdann die Botten nach Gestalt ihres Verbrechens ernstlich angesehen werden, vermög nechstgemeldten 61. tit[uli] part[is] 1 § „Zu dem sollen sie sonst usw. 6.“ Item d[icto] [tit.]4 50 § „So ist auch Unser ernstlicher Will usw. 12“. § 9. Zum Neunten, sobald die reitende oder fußgehende Botten von ihrer Reiß allhie in der Stadt Speyer wiederum angelanget, sollen sie sich noch selbigen Tag oder, wann es schon spät, gleich nachfolgenden [Tag]5, des erneuerten Concepts Cammergerichtsordnung gemäß, tit. 50 § „Und wann ein Bott usw. 7.“ bey ernstlichem Einsehen und Straff nach Ermeßigung, bey dem Bottenmeister oder in dessen Abwesen demjenigen, so immittelst dazu bestellet seyn würde, gebührlich anmelden, sich in das gewöhnliche Buch einschreiben und diejenige Gelder, welche in die ordinari Bottenbüchs gehörig, alsbalden neben Einhändigung ihrer Reißzettuln ohnfehlbarlich einlegen und solche Einlag gar nicht länger auffschieben, d[icto] tit[ulo] 50 § „So sollen sie usw. 9“. § 10. Deßgleichen und zum Zehenden soll der Bottenmeister alle Quartal bey der Büchsentheilung die ordinari Büchs sambt dem Geld verschlossen neben der ordentlichen richtigen Specification über die Einnahm und Außgab mit dazu gehörigen Zettuln und verrechneten Concordigeldern dem Cantzleyverwalter als dem Bottendeputato gebührlich einhändigen und vorlegen, damit im geringsten nichts daran mangle noch er Bottenmeister einen6 Heller schuldig verbleibe, sondern die völlige Außtheilung alsobalden biß auff den letzten Pfenning in Beyseyn gedachtes Cantzleyverwalters alle Quartal ohne einigen Mangel oder Abgang ohnklagbar geschehen möge. Dagegen aber auch die Advocaten, Procuratoren, Partheyen und alle diejenige, welche Proceß auff der Cantzley außlösen, da sie dieselbe nicht durch die Botten insinuiren, sondern auff der Post fortschicken und durch Notarios immatriculatos verkünden lassen wollen, d[icto] part. I. tit. 48 § 11 et7 12, das gewöhnliche Concordigeld forderst dem Bottenmeister alsobald würcklich abstatten und er vor Entrichtung solches Concordigelds keine Proceß abfolgen lassen solle, d[icto] tit. 48

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Usw. fehlt in GB 1661; Blum 1667. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1696; GB 1707; GB 1724 und. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678 seqq. (= sequuntur); dagegen GB 1717 ebenfalls seq. GB 1661; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1696; GB 1707 einigen. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707 und.

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part. I.1 § „Und damit durch Hinläßigkeit usw. 13.“ Item nach Inhalt 6. Julii2 Anno 16353 publicirten Gemeinen Bescheids. § 11. Es soll dabeneben hinführo zum Eilfften kein reitender oder fußgehender Bott ohne Vorwissen des Cantzleyverwalters und Bottenmeisters aus hiesiger Stadt Speyer abreissen, auch demselben in billigen Sachen gehorsamlich pariren und keineswegs weder mit [Worten noch mit]4 Wercken widersetzen oder auch sie sonsten ihres tragenden Ambts halben beleidigen oder übergeben, bey Straff nach Ermäßigung, d[icto] tit. 50 § „So sollen sie usw. 9“. § 12. Zum Zwölfften sollen die reitende Cammerbotten sich nicht weniger mit guten Pferden so bald immer möglich wiederumb beritten machen, damit sie ihre anstehende Reißen desto besser fortsetzen und gebührlich verrichten mögen, d[icto] tit[ulo] 50 §5 princ[ipio]“.6 § 13. Nicht weniger und zum Dreyzehenden soll der Bottenmeister seinem Ambt inskünfftig, vermög offtgemeldten Tituli 48 part. I.7 in dem erneuerten Concept Cammergerichtsordnung, bey Vermeidung8 derselben einverleibten Straff, sub tit. 69. gleich Anfangs befindlich, embsig nachkommen, sich jederzeit zu gewöhnlicher Stund auff der Cantzley und seiner Stelle wesentlich und fleißiger, als bißhero jeweilen beschehen, oberwehnten Anno 16359 den 6. Julii publicirtem Gemeinem Bescheide gemäß, finden lassen und gebührlich auffwarten. § 14. Insonderheit aber zum Vierzehenden, sobald die Proceß verfertiget und dem Taxeinnehmer, wie oben vermeldt, bezahlt, dieselbe alsdann zu seinen Händen nehmen und durch denjenigen Procuratorn, welcher dieselbe außgebracht, ohnsäumlich abschreiben, folgends selbige demjenigen Botten, an welchem die Reiß ist oder seyn wird, zustellen, denselben zu rechter Zeit damit abfertigen und keineswegs den Procuratoren, Advocaten noch andern, niemand außgenommen, gestatten, solche Proceß in der Cantzley liegen [zu]10 lassen oder dieselbe, wie etwan [bißhero]11 mißbräuchig geschehen, hinweg zu nehmen und ihres Gefallens, wann und durch wen Sie wollen, verkünden [zu]12 lassen, d[icto] tit. 48 § „Solchem zu begegnen, usw. 1“. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Part. I. fehlt in Blum 1667. 6. Julii fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1724; aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717. Blum 1667 Inhalt Anno 1635. 6. Julii. Worten ... mit in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. §-Zeichen fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Statt § principio in GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1707 p. I gleich Anfangs usw; Blum 1667 gleich Anfangs. Part. I. fehlt in Blum 1667. Blum 1667 Vermeldung. Druckfehler im CJC 1724 1633. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1661; Blum 1667.

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§ 15. Sodann zum Funffzehenden soll er, Bottenmeister, mit den Botten durchgehende und ohne einigen Unterscheid gute Ordnung und richtige Gleichheit halten, damit keiner vor den1 andern beschwehrt noch vervortheilt werde, d[icto] tit. 48 § „Es soll auch usw. 22.“ Item keine Schenckung, Verheissung noch anders, wie das immer Nahmen haben oder erdacht werden mag, annehmen, sondern seinem geleisten Eyd und sonsten allem dem, so ihm die Ordnung auffleget, fleißig und getreulich nachkommen, vermög erneuerten Concepts der Cammergerichtsordnung part. I. tit. 82. § 16. Inmassen zum Sechzehenden, wann er einen Botten abgefertiget, soll er [also]3 alle Proceß und Brieff, die er ihme zu verkünden und exequiren befiehlt, in ein Register auffzeichnen und den Botten, daß er die von ihme empfangen, in dasselbe obangedeuter massen unterschreiben lassen und dann zu des Botten Wiederankunfft Relation von ihme nehmen, dieselbe auch (wie Herkommen) einschreiben mitsambt dem Tag seiner Wiederanheimkunfft4 und das den Botten, wie oben gemeldt, selbsten verzeichnen lassen, d[icto] tit. 48 § „Und wann usw. 35.“, auch die Botten insgemein ernstlich dahin anhalten, daß sie ihre Relationes und Verrichtungen auff die Proceß fleißig, sauber, leßbar, correct, verständig und unmangelhafft schreiben oder sonsten die Proceß6 ehender nicht annehmen, welche er gleichfalls vorher fleißig überlesen und nach dergleichen befindlichen Mängeln, biß sie corrigirt, keineswegs unterschreiben und im Fall er, Bottenmeister, dessen selbsten nicht genugsam unterrichtet, er jederzeit den Verwalter als seinen Deputaten hierunter fragen und sich daselbst Bescheids erholen solle, d[icto] tit. 48 § „Es soll auch usw. 23“. § 17. Zum Siebenzehenden, und wo sich die Botten in ihren Reissen verzüglich oder auch sonsten in ihren Executionen unfleißig erzeigen würden, soll ihnen solches mit nichten gestattet, sondern durch den Bottenmeister ernstlich untersagt, auch da solches bey ihnen nichts unterfangen wolte, alßdann der Botten Deputaten angezeigt und durch denselben der Gebühr gestrafft werden, d[icto] tit. 48 § „Und wo sich usw. 5“. § 18. Wie dann zum Achtzehenden auch weder7 die Advocaten und8 Procuratoren noch andere keinen Botten, da derselb allbereit mit Processen abgefertigt, mit 1 2 3 4 5 6 7 8

GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 dem; GB 1714; CJC 1717 den. 2 fehlt in GB 1695: GB 1696; GB 1707. GB 1696; GB 1707; GB 1724; dagegen nicht in GB 1661; Blum 1667. GB 1724 Wiederankunfft. 3 fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1707; aber wie im CJC 1724 auch vorhanden in GB 1661; Blum 1667. Fleißig … die Proceß fehlt in GB 1696; GB 1707. Fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707. Fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707.

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ihren Nebenschreiben noch sonsten auffhalten oder im Gegenfall darüber gebührender Straff gewärtig seyn sollen, d[icto] tit. 48 § „Wie dann auch usw. 6“. § 19. Ingleichen und zum Neunzehenden soll der Bottenmeister mit Ernst daran seyn, daß der Partheyen Proceß zu Verhütung aller Versäumnuß, Nachtheil und Disputationen jederzeit ohnverzüglich auffgegeben und durch die Botten zeitlich insinuirt, auch allenthalben, so viel immer möglich, befördert werden, damit sich die Partheyen oder dero Procuratoren der zu langsam überschickten oder ihren Gegentheilen verkündten Processen nicht zu beschwehren haben, d[icto] tit. 48 § „Ingleichen usw. 7“. § 20. Darumb auch zum Zwantzigsten der Bottenmeister fleißig acht geben soll, daß er einem Botten unterschiedlicher Sachen und Partheyen Proceß auff einmahl mehr nicht auffgebe, dann derselbe in geraumer Zeit exequiren und insinuiren könne, d[icto] tit. 48 § „Darumb usw. 8“. § 21. Und so sich zum Einundzwantzigsten begebe, daß ein Bott nach Verfliessung der Fatalien oder angesetzten Termins die Proceß wieder einbrächte1, soll der Bottenmeister in allen denselben Processen bey [und]2 unterschriebener Execution eigentlich verzeichnen, welche Zeit der Appellant die Proceß in der Cantzley sollicitiret und auff welchen Tag dieselbe verfertiget, außgelöst und dem Bottenmeister gegeben worden, deßgleichen, welchen Tag der Bott wiederkommen und die Proceß dem Procuratori zugestellt, d[icto] tit. 48 § „Und so sich usw. 9“. § 22. Letzlich und zum Zweyundzwantzigsten soll der Bottenmeister auch keinem Botten die Execution auff einigen Proceß selbst schreiben noch dieselbe dem Botten angeben, sondern die Executiones, im Fall sie ein Bott nicht selbst vermög der Ordnung an dem Orth, da er die gethan oder sonsten der Gebühr auffgeschrieben hätte, nicht unterschreiben, und dieser Ordnung hierinnen, wie auch sonsten in allem fleißig nachgehen, d[icto] tit. 48 § 10. Decretum in Consilio pleno3, den 3. Septembris Anno 1653. Wolffgangus Heyler4, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius5. Vorlage: CJC 1724, S. 773-776 Nr. CCCLXXXII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 33-37; GB 1665, S. 30-33; Blum 1667, S. 585-592; GB 1671, S. 30-33; GB 1678, S. 32-35; GB 1686, S. 32-35; GB 1688, S. 29-32; GB 1695, S. 74-82; GB 1696, S. 74-82; GB 1707, S. 74-82; GB 1710, S. 83-91

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GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707 einbracht. GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 in pleno Consilio. GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Hayler; dagegen wie hier GB 1714; CJC 1717 Heyler. Wolffgangus ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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Nr. CXXIV; GB 1714, S. 50-54 Nr. CXXVI; CJC 1717, S. 50-54 Nr. CXXVI; GB 1717, S. 50-54 Nr. CXXVI; GB 1724, S. 83-91 Nr. CXXIV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bietet eine vollständige Botenordnung. Ältere Botenordnungen von 1527/28 sowie 1538 (Ludolff, CJC 1724, S. 89-91) waren nicht als Gemeiner Bescheid ergangen. Zudem enthielten die Reichskammergerichtsordnungen umfangreiche Bestimmungen über die Kammerboten (z. B. RKGO 1555 1, 35, 1-11; 1, 36, 1-2; 1, 37, 1-12; 1, 38, 1-22). Unabhängig vom neu geordneten Botenrecht ist der Gemeine Bescheid vom 3. September 1653 aus einem anderen Grund bedeutsam. Es handelt sich um den ersten Gemeinen Bescheid des Reichskammergerichts, der sich ausdrücklich auf das Konzept der Reichskammergerichtsordnung von 1613 beruft. Dieses Konzept war bereits vierzig Jahre alt, erscheint im Gemeinen Bescheid aber durchgängig als „neu“ (§§ 5, 6) oder „erneuert“ (z. B. §§ 1, 2, 4, 8, 9, 15). Das wirft die Frage auf, in welcher Weise das Reichskammergericht dieses Konzept als verbindlich ansah, modern gesprochen also für geltendes Recht hielt oder nicht. Die Frage scheint anachronistisch in einer Zeit des usualen Rechtsdenkens, in der Observanz und Stilus curiae sowohl Praxis als auch normative Vorgaben zu einem unlösbaren Einheitsbrei vermischten. Dennoch gab es bezeichnende Unterschiede. Nur ein Jahr später, am 7. September 1654 (unten RKG Nr. 126), erließ das Reichskammergericht nämlich einen Gemeinen Bescheid und erklärte darin den Jüngsten Reichsabschied vom 17. Mai 1654 mit Wirkung vom 2. Oktober 1654 für geltendes Recht. Das Wort Geltung selbst taucht zwar nicht auf, doch jedermann musste sich nach den neuen Prozessvorschriften „richten“. Noch am 5. September 1803 erging ein Gemeiner Bescheid, der den Reichsdeputationshauptschluss und andere Sargnägel des untergehenden Reiches für anwendbares Recht erklärte (unten RKG Nr. 331). Das lag freilich in einer ganz anderen Zeit. Das Beispiel von 1654 aber bietet einen aufschlussreichen Gegensatz zum Gemeinen Bescheid von 1653. Offenbar gab es ein Gespür dafür, welche Rechtsquellen unmittelbar und ohne weitere Erklärungen für den Kameralprozess galten und welche ausdrücklich eingeführt werden mussten. Ob solche Gemeinen Bescheide in moderner Sichtweise deklaratorisch oder konstitutiv waren, trifft vielleicht nicht den Kern. Es gab sie jedenfalls. Und genau einen solchen Anwendungsbefehl zum Konzept von 1613 erließ das Reichskammergericht nicht. Vielmehr zitierte der Gemeine Bescheid vom 3. September 1653 ständig, aber punktuell aus dem Konzept und schärfte den Boten auch ein, die genannten Vorschriften streng zu beachten. Eine generelle Anordnung, sich nunmehr nach dem Normwerk von 1613 zu richten, sucht man aber vergebens. Vielmehr verweist die Botenordnung mehrmals pauschal auf die weitergeltende Reichskammergerichtsordnung von 1555 (z. B. §§ 1, 4). In den Augen des Kameralkollegiums war die Reichskammergerichtsordnung von 1555 also nicht durch das Konzept von 1613 ersetzt. Beide traten aber nebeneinander. Bei Einzelfragen wie etwa hier beim Recht der Kammerboten konnte das Konzept 1613 als neuere, vielleicht auch speziellere Regelung die Gerichtsordnung von 1555 verdrängen. Aber inwieweit das Konzept von 1613 in anderen Punkten immer Vorrang gegenüber der Ordnung von 1555 genoss, war unklar und nie förmlich geklärt. Da die Fortgeltung der Ordnung von 1555 nicht in Frage stand, zitierten die Schriftsatzverfasser in der Praxis auch weiterhin die älteren Vorschriften von 1555, teilweise ergänzt durch das Kon-

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zept von 1613. Immerhin konnten diejenigen Anordnungen von 1613, die das Kameralkollegium in seinen Gemeinen Bescheiden ausdrücklich einschärfte, gesetzliche Geltung beanspruchen. Die Botenordnung selbst gab sich besonders offiziell. Die Verkündungsformel am Ende des Prinzipiums war sicherlich bewusst an ähnliche Formulierungen in Gesetzgebungsverfahren angelehnt. Jedenfalls trat das Reichskammergericht selten so offen als Gesetzgebungsorgan auf. Der umfangreiche Bescheid war sicherlich längerfristig vorbereitet und sorgfältig gegliedert. Angeblich hatte es Streit zwischen den Advokaten, Prokuratoren, Schreibern, Botenmeistern und Kammerboten gegeben. Im Text der Botenordnung tauchten die Anwälte dann aber nur ganz am Rande auf. Im Wesentlichen drehte sich alles um die Pflichten der Boten, ergänzt durch ihre notwendige Zusammenarbeit mit ihren Vorgesetzten. Die feinmaschigen Vorschriften erlauben es, den Alltag und die Dienstpflichten der Boten jedenfalls so, wie sie sich in den Normen widerspiegeln, zu rekonstruieren. Die allgemeine Verpflichtung auf die Reichskammergerichtsordnung von 1555 bildete den Anfang, ergänzt um einen Hinweis auf einen speziellen Titel des Konzepts von 1613 (§ 1). Ob das Gericht von den Boten erwartete, die Gerichtsordnung zu kennen, ist unklar. Die ausführlichen Wiederholungen und Einschärfungen können auch für das Gegenteil sprechen. Möglicherweise stellte das Gericht das gesamte Botenrecht extra deswegen in einer eigenen Ordnung zusammen, weil die Kenntnis der Boten vom allgemeinen Kameralrecht eher beschränkt war. Immerhin standen sie innerhalb des Kameralpersonals auf einer niedrigen Stufe. § 2 benannte sodann ein Hauptproblem, das zur ständigen Unruhe im Botenkreis geführt hatte. Ähnlich wie bei den Prokuratoren herrschte auch bei den Boten eine Ordnung, also eine feste Folge, in der sie mit ihren Zustellungsaufträgen an die Reihe kamen. Offenbar gab es nun Boten, die sich vordrängeln wollten und damit ihren Kollegen Aufträge abschnitten. Problematisch kann das nur dann gewesen sein, wenn die Bezahlung zu einem erheblichen Teil von der Zahl der erledigten Zustellungen abhing. Die Botenordnung erwähnte zwar eine gemeinsame Botenbüchse, die alle drei Monate geleert und unter den Boten aufgeteilt werden sollte. Aber der Streit um die Aufträge ist nur erklärlich, wenn hierbei entweder die Anteile verschieden groß waren oder es neben der allgemeinen Büchse noch spezielle Vergütungen für die Reisetätigkeit gab. Damit befasst sich u. a. § 9 der Botenordnung. Das war jedenfalls der Ausgangspunkt des ganzen Streits. Um eine halbwegs gerechte Verteilung zu erreichen, setzte der Gemeine Bescheid in § 3 zugleich Obergrenzen für Sammelzustellungen fest. Ein berittener Bote durfte maximal sechs, ein Fußbote maximal vier verschiedene Hauptprozesse auf einer Reise erledigen. „Hauptprozess“ war hierbei sehr wörtlich zu nehmen. In Streitigkeiten mit mehreren Beteiligten, bei größeren Streitgenossenschaften also, konnte es leicht vorkommen, dass an acht oder zehn verschiedene Personen Ladungen ergingen. Im Botenrecht zählte das aber nur als ein Auftrag zu einem einheitlichen Hauptprozess. Jetzt eröffnete sich sofort eine Umgehungsmöglichkeit. Der Bote, der an der Reihe war, konnte einfach so lange in Speyer bleiben, bis das Reichskammergericht vier oder sechs Ladungen etc. ausgestellt hatte. Auf diese Weise war es leicht, immer auf die Höchstzahl zulässiger Hauptprozesse zu kommen. Dem schob der Gemeine Bescheid aber einen Riegel vor. Der Bote hatte nach empfangenem Auftrag unverzüglich, spätestens am nächsten Tag, abzureisen. Versuchte er Zeit zu schinden und weitere Aufträge zu ergattern, konnte ihm der Botenmeister die

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Dokumente wieder entziehen und einen anderen Boten einsetzen, der als nächster auf der Liste stand. Derjenige, der sich falsch verhalten hatte, wurde daraufhin auf den letzten Platz zurückgestuft, hatte also eine besonders lange Wartezeit zu ertragen. § 4 stellte die Zuständigkeiten klar. Die Kammerboten sollten ihre Aufträge ausschließlich vom Botenmeister erhalten. Andere Personen wie Parteien, Anwälte und Sollizitatoren mochten zwar interessiert sein, die Boten ebenfalls für ihre Zwecke einzuspannen, durften das aber nicht (sachlich gleich: § 18). Auch Umgehungen waren verboten. Es ging also nicht an, den Boten zwar ausschließlich mit Aufträgen des Botenmeisters fortreisen zu lassen, ihm dann aber Parteischriftstücke nachzusenden. § 5 malte sodann in düsteren Farben die Missgunst unter den Boten aus. Falls diese Mitteilung zutrifft, gönnten sie sich nicht einmal das tägliche Brot. Da freilich die Boten selbst die Adressaten des Gemeinen Bescheids waren, spricht viel für eine realistische Schilderung. Warum hätte das Gericht hier übertreiben sollen, wenn jeder dies sofort bemerkt hätte? Um Missgunst und Neid einzudämmen, entschied sich das Kameralkollegium für einen strengen Rhythmus im Einsatz der reitenden und fußläufigen Boten. Zunächst wollte man jeweils zwei reitende Boten und dann einen Fußboten abfertigen. Offenbar sollte sich auf diese Weise ein Ausgleich zwischen den verschiedenen Botengruppen ermöglichen lassen. Strenge Konsequenz hierbei war aber schwer durchzuhalten. Wenn eine Partei es besonders dringlich hatte, die Ordnung spricht von Gefahr in Verzug, konnte sie außerhalb der Ordnung einen gesonderten Boten einschalten und auf diese Weise Zeit sparen. Dies durfte sich aber nicht zum Nachteil seiner Kollegen auswirken. Dennoch drückte das Reichskammergericht auch bei den ordentlichen Boten auf das Tempo. Es sollte gem. § 6 eine tägliche Bereitschaft geben, vormittags und nachmittags. Ein bis zwei Reiter und ein Fußbote hatten jeweils Anwesenheitsdienst in der Kanzlei, die anderen Kollegen sollten solange zu Hause bleiben. Wenn es darauf ankam, stand also immer ein Bote bereit, sofort einen eilbedürftigen Auftrag zu übernehmen und abzureisen. Dann rückte ein Kollege nach, der am nächsten Tag den Bereitschaftsdienst übernahm. Das wirft aus Botensicht ein interessantes Licht auf den Geschäftsanfall in dieser Zeit. Das Gericht rechnete also damit, dass unter gewöhnlichen Umständen bis zu drei Boten täglich abreisen konnten. Dies entsprach einem Kanzleibetrieb von drei bis sechzehn zustellungsbedürftigen Ausfertigungen pro Arbeitstag. Nicht die Zahl der neu anhängigen Verfahren war damit gemeint, sondern der Arbeitsanfall innerhalb der Prozesse. So konnte es innerhalb eines Rechtsstreits durchaus mehrere zeitlich getrennte Mandate geben, dann irgendwann eine Citatio ad reassumendum und sonstiges. Jedenfalls vermittelt die Botenordnung den Eindruck von einer Kanzlei, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts durchaus noch beschäftigt war. Einen weiteren Missstand brachte § 7 aufs Tapet. Einige Parteien oder Prokuratoren waren offenbar dazu übergegangen, ihre Zustellungen über die Post oder durch Notare zu erledigen. Auf diese Weise brachte man die Boten um ihren Lohn, und mit dieser durchaus paternalistischen Begründung schärfte der Gemeine Bescheid in allen Einzelheiten das reguläre Verfahren ein. Das zuzustellende Schriftstück lag danach zunächst beim Kammerkanzleitaxeinnehmer. Wenn der Prokurator die angefallenen Gebühren für die Ausfertigung entrichtet hatte, sollte der Einnehmer das Dokument an den Botenmeister übergeben. Jetzt lag es abermals am Prokurator, tätig zu werden. Er sollte seinen Protokollisten oder Schrei-

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ber beauftragen, Abschriften zu erstellen. Diese Abschriften erhielten später die Empfänger. Das Original dagegen brachte der Bote mitsamt seiner Relation zum Reichskammergericht zurück. An dieser Stelle bleibt unklar, ob die Kanzlei bereits mehrere Ausfertigungen erstellt hatte oder ob allein die Prokuratoren hierfür zuständig waren. Vielleicht erstellten die Schreiber die Kopien auch nur für die Handakte des Anwalts. Ansonsten hätte die Gefahr bestanden, dass bei der Abschrift absichtlich Verzerrungen oder Verfälschungen vorkamen. Es gab zwar Leser, aber ihre Einschaltung hätte das ganze Verfahren nochmals verkompliziert. § 8 nannte ungeschminkt die Ursache, warum zahlreiche Parteien statt auf die Boten lieber auf die Post zurückgriffen. Mancher Bote hatte nämlich überteuerte Gebühren erhoben. Solche Auswüchse versuchte das Gericht mit Strafdrohungen zu verhindern. Falls freilich die wirtschaftliche Situation der Boten so düster war, wie das Gericht es andeutete, mochte es durchaus verlocken, die Reisen großzügig abzurechnen, wenn man schon einmal an der Reihe war. Kam der Bote nach getaner Arbeit nach Speyer zurück, sollte er sich umgehend, spätestens am nächsten Tag, wieder beim Gericht melden, § 9. Die abgeschlossene Reise wurde nun in einem Botenbuch vermerkt, und vor allem hatte der Bote nun die in die Botenbüchse gehörenden Gelder abzuliefern. Die Anordnung ist aus sich heraus kaum verständlich, setzt also die Fortgeltung der Reichskammergerichtsordnung von 1555 voraus. Dort war nämlich die Botenbüchse erwähnt. Sie war vorgesehen für Gelder „uber sein gebürlich belonung“ (RKGO 1555 1, 35, 3). Nach dem Gemeinen Bescheid brachte der Bote diese Summe von seiner Reise mit, hatte sie also wohl von den Empfängern der Schriftstücke erhalten. Möglicherweise handelte es sich um Trinkgelder. Das Verbot, Schenkungen anzunehmen, bezog sich in § 15 jedenfalls nur auf den Botenmeister, nicht auf das Verhältnis zwischen Boten und Empfängern. § 10 ordnete an, die Botenbüchse alle drei Monate gerecht unter den Boten aufzuteilen. Wohl um den für Korruption anfälligen Botenmeister (vgl. das Verbot in § 15) zu überwachen, sollte der Kanzleiverwalter dabei zugegen sein. Neben den Zusatzeinnahmen der Boten sollten auch die Konkordiengelder aufgeteilt werden. Dies war der Ersatz, den diejenigen an die Botenkasse zu zahlen hatten, die ihre Zustellungen lieber durch Notare erledigten. Dazu verwies das Gericht auf den knapp zwei Jahrzehnte alten Bescheid vom 6. Juli 1635 (oben RKG Nr. 110). § 11 unterstellte die Boten abermals der Dienstaufsicht des Botenmeisters, § 13 wiederholte die Anwesenheitspflicht des Botenmeisters, unter anderem aus dem Gemeinen Bescheid vom 6. Juli 1635 (oben RKG Nr. 110). § 14 wiederholte im wesentlichen das Verfahren bis zur Abfertigung des Kammerboten, war aber als Dienstpflicht des Botenmeisters formuliert. Offenbar bestand die Gefahr, dass er Anwälten einen Gefallen tat und ihnen die zuzustellenden Schriftstücke unter der Hand für eigene Zwecke übergab. Das Verbot von § 15, Schenkungen anzunehmen, passt ins Bild. Das Kameralkollegium schien hierbei an Bestechungsversuche durch diejenigen Boten zu denken, die vorrangig Aufträge erhalten wollten. Aber im Zusammenhang mit § 14 sind auch Zahlungen durch Prokuratoren zu berücksichtigen, wenn sie auf diese Weise die Kammerboten ausbooten wollten. § 16 legte dem Botenmeister auf, sein Register sauber zu führen. Die Gegenzeichnung durch den Boten selbst erhöhte dabei die Durchsichtigkeit des Verfahrens. Zudem war es Aufgabe des Botenmeisters, von den Boten vollständige und fehlerfreie Botenberichte über ihre Zustellungen

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zu verlangen. Außerdem sollte der Botenmeister jede Bummelei der Boten auf ihren Reisen verhindern und sie zu zügiger Arbeit anhalten, § 17. Das sollte Nachteile verhindern, die ansonsten den Parteien aus Verzögerungen entstehen konnten, § 19. Deswegen sollte ein Bote auch nicht mehr Aufträge erhalten, als er in absehbarer Zeit bewältigen konnte, § 20. § 18 wiederholte die Regelung von § 4, diesmal freilich als Amtspflicht der Advokaten und Prokuratoren. § 21 betraf die Fristen im Appellationsverfahren. Während des Dreißigjährigen Krieges hatte es das Gericht mit den Appellationsfatalien nicht so genau genommen. Zum 1. Januar 1652 kehrte es aber zur strengen Fristberechnung zurück (Gemeiner Bescheid vom 24. Oktober 1651; oben RKG Nr. 123). Deswegen kam es nun darauf an, alle relevanten Daten festzuhalten, um bei Zweifeln die Fatalia introducendae appellationis genau bestimmen zu können. § 22 schließlich untersagte es dem Botenmeister, selbst die Botenrelationen zu verfassen oder auf ihren Inhalt auch nur Einfluss zu nehmen. Die Botenordnung von 1653 scheint lange gegolten zu haben. Georg Melchior von Ludolff verwies jedenfalls für drei Vorschriften der Botenordnung auf die Reichskammergerichtsvisitation aus dem frühen 18. Jahrhundert (§§ 3, 5, 7, bei Ludolff, CJC 1714, S. 774, Verweis auf S. 1000-1001). Das Regelwerk hatte also mehrere Jahrzehnte Bestand. Allerdings nahm ein Gemeiner Bescheid vom 1. Oktober 1661 (unten RKG Nr. 155) doch einige Änderungen am Botenwesen vor, ebenso die Botenordnung vom 17./27. August 1669 (unten RKG Nr. 180). Die Visitation im frühen 18. Jahrhundert modifizierte den Gemeinen Bescheid wie folgt (Anlage A zum Visitationsdekret 1713, in: GB 1724, S. 242-243): „Ad commune Decretum de Anno 1653 den 3. Septembris § 3 und respective 5. Mit der Anzahl der insinuirenden Processen ist es nach der klaren Disposition des Jüngern Reichsabschieds de Anno 1654 § ‚Zu dem Ende usw. 68‘ und Visitationsrecess de Anno 1562 § ‚Nachdem usw. 8‘ zu halten. Ad § 5 ibi: Soviel die benahmste Anzahl unter denen Reitenden und Beybotten betrifft, bleibt es bey dem Decret, biß Ihre Kayserliche Majestät und das Reich ein anderes verordnen wollen. Ad § 7. Wegen Abcopirung der Processen soll der Visitationsabschied de Anno 1713 § 48 beobachtet werden.“

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RKG Nr. 126 1654 September 7

RKG Nr. 126 1654 September 7 [Novissimus recessus Imperii 2. proximi octobris in processibus iudicialibus observari inchoato.]1 Novissimus Imperii recessus in iudicialibus secunda sequentis Octobris primum observator2. Endlich ist der Gemeine Bescheid: Daß zu folg jüngst zu Regenspurg publicirtem Abschied der Herr Cammerrichter und Beysitzer die darin neuverfaßte Ordnung des gerichtlichen Proceß halber den 2. Octobris ins Werck zu richten entschlossen, darnach sich männiglich zu richten. Vorlage: CJC 1724, S. 893 Nr. CCCLXXXIV. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 37; GB 1665, S. 33; Blum 1667, S. 592; GB 1671, S. 33; GB 1678, S. 35; GB 1686, S. 35; GB 1688, S. 33; GB 1695, S. 82; GB 1696, S. 82; GB 1707, S. 82; GB 1710, S. 91 Nr. CXXV; GB 1714, S. 54 Nr. CXXVII; CJC 1717, S. 54 Nr. CXXVII; GB 1717, S. 54 Nr. CXXVII; GB 1724, S. 91 Nr. CXXV. Anmerkung: Der Jüngste Reichsabschied wurde am 17. Mai 1654 verkündet (Johann Jacob Schmauß/Heinrich Christian von Senckenberg (Hrsg.), Neue und vollständigere Sammlung der Reichabschiede, Nachdruck Osnabrück 1967 der Ausgabe Frankfurt am Main 1747, Teil III S. 690; Arno Buschmann (Hrsg.), Kaiser und Reich. Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806. Teil II: Vom Westfälischen Frieden bis zum Ende des Reiches im Jahre 1806, 2. Aufl. Baden-Baden 1994, S. 271). Der Gemeine Bescheid macht den Reichsabschied als neue Reichskammergerichtsordnung förmlich bekannt und legt mit dem 2. Oktober 1654 auch das Datum der Reform fest. Assessoren und Prokuratoren hatten also einen knappen Monat Zeit, sich auf die neue Rechtslage vorzubereiten. Nähere Ausführungen dazu traf ein Jahr später der Gemeine Bescheid vom 30. Oktober 1655 (sogleich RKG Nr. 127). Es bleibt unklar, ob Kammerrichter und Beisitzer die förmliche Transformation des Reichsabschieds in das Kameralrecht für rechtlich erforderlich hielten oder nicht. Jedenfalls handelt es sich um den ersten Gemeinen Bescheid, der pauschal einen Reichsabschied für geltendes Recht am Reichskammergericht erklärte. Auf das Konzept der Reichskammergerichtsordnung hatte das Gericht immer dann verwiesen, wenn es sachlich geboten war (Gemeiner Bescheid vom 3. September 1653; oben RKG Nr. 125). Warum der Jüngste Reichsabschied nicht ohne weiteres anwendbar sein sollte, ist nicht ersichtlich. Vielleicht war das feste Datum die entscheidende Regelung. Bereits in früheren Gemeinen Bescheiden hatte 1 2

Novissimus ... inchoato in GB 1661; Blum 1667. Novissimus ... observator fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717.

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das Gericht teilweise angekündigt, zu welchem Zeitpunkt Reformen greifen sollten (Gemeiner Bescheid vom 3./13. März 1651; oben RKG Nr. 122). Im Ergebnis jedenfalls entfaltete der Jüngste Reichsabschied von 1654 für das Prozessrecht am Reichskammergericht große Bedeutung.

RKG Nr. 127 1655 Oktober 30 [1. Ordo novarum universalis ac communis esto inque eo quotidie post meridiem ab hora 1. usque ad 3. proceditor. 2. Ordo reproductionis de novo constitutus esto: in eo quotidie post meridiem ab hora 3. hyeme usque ad 4. estate autem usque ad 5. processus extracti reproducuntor. 3. Audientia coram deputatis prout hactenus ita quoque in posterum1 celebrator. 4. Ordo sententiarum in suo statu maneto. 5. Ordo paritionis de novo introductus esto inque isto quovis die Lunae et Sabbathi ab hora 9. usque ad 10. ante meridiem in terminis per sententiam admissis vel praefixis agitor ac non-agentium contumacia accusator. 6. Reliquis cuiusque septimanae diebus ante meridiem fiscali praevia tamen denuntiatione procedere liceto. 7. Procuratores tria puncta in novissimo Imperii recessu adducta in libellis appellatoriis in margine ascribunto vel ad acta priora submissuri in supplicationibus id indicanto. 8. Item ulteriora sibi ne reservanto sed in continenti aut minimum ad proximam vel secundam agunto aut terminum agendi petunto. 9. Procurator ordinem communem habens agenda in terminis praefixis et collectis ad illius finem ne differto. 10. Procuratores ab initio usque ad finem audientiarum in suis locis manento nec se nisi ex praegnanti causa per schedulas excusanto. 11. Item recessuum brevitati studento nec iis merita causae immiscento. 12. Item ordinationi Camerali, recessibus visitationum deputationumque ac communibus decretis congruenter vivunto.]2 Norma iudicialium ad ductum Recess[us] Imperii Noviss[imus] praescribitur.3 Endlich ist der Gemeine Bescheid: Damit dem jüngstern von der Römischen Kayserlichen Majestät, unserm allergnädigsten Herrn usw., wie auch denen sämbtlichen des Heiligen Reichs Churfürsten und Ständen zu Regenspurg publicirtem gemeinen Reichsschluß, insonderheit aber bey dem dritten darinnen gemeldten Hauptpuncten, welcher gestalt nemblich das Justitzwesen an diesem Kayserlichen

1 2 3

Blum 1667 imposterum. 1. Ordo … vivunto in GB 1661; Blum 1667. Norma ... praescribitur fehlt in GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717.

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und des Heiligen Reichs Cammergericht inskünfftig mehrers zu beschleunigen und die Proceß soviel immer möglich abzukürtzen, würcklich nachgelebt werden möge. § 1. Daß zwar erstlich es hinführo bey der bißher also genandten Ordnung Novarum nochmahlen verbleiben, dieselbe universal und gemein, auch ein jeder Procurator, welcher solche Ordnung an sich hat, in derselben aller seiner Principalen Nothdurfft der Gebühr münd- oder schrifftlich vorzubringen schuldig seyn und diese Ordnung täglich Nachmittag von ein Uhr praecise biß um drey fortgesetzt werden solle. § 2. Zum Andern wird über die jetztgedachte allgemeine Ordnung noch ein ander Ordo Reproductionis angesetzt, in welcher derjenige Procurator, so die gemeine Ordnung nicht an sich hat, von dem ersten anzufangen biß zum letzten, zu Winterszeiten vom ersten Novembris biß den letzten Januarii alle Nachmittag von drey Uhr biß vier, zu Sommerszeiten aber vom ersten Februarii biß den letzten Octobris von drey Uhr biß fünff, zu der Sachen mehrer Beförderung die extrahirte Proceß einzuführen und der Gegentheil Inhalts der Ordnung und vorgemeldten jüngern1 Reichsabschieds alsobald darauff zu verfahren verbunden seyn. Sonsten aber, was zu dieser Reproduction nicht gehörig, nichts einmischen und, sofern in dieser Umbfrag Reproductionis keiner nichts mehr zu handlen hätte, in der hernach bestimmten Ordnung Paritionis oder, wann auch in dieser nichts mehr vorzu-bringen, alsdann in der gemeldten Ordnung weiters fortgefahren werden solle. § 3. Zum Dritten, soll die gewöhnliche Audientz coram Deputatis, wie von Alters herkommen, verbleiben, aber was dahin nicht gehörig, keineswegs eingemenget werden. § 4. Deßgleichen lässet man es zum Vierten bey der Ordnung Sententiarum nach abgelesenen Bescheiden Inhalts der Ordnung bewenden. § 5. Dabeneben und zum Fünfften soll hinführo zweymahl in der Wochen, nemlich alle Mon- und Sambstag oder, wofern auff dieselbe Feyertäge einfallen würden, alsdann den Montag nechstfolgenden und den Sambstag vorhergehenden Gerichtstag Vormittag von neun biß zehen Uhren Ordo Paritionis eingeführt und in derselben in Terminis per Sententiam admissis vel praefixis ohne Unterscheid deren bereits vorhin rechthängigen oder erst eingeführten neuen Sachen gehandelt werden, auch nicht der handlenden2 Sachen3 Contumaciam anzuklagen erlaubt seyn: Jedoch soviel die bereits hiebevorn per Sententiam zugelassene oder angesetzte Termin belanget4, sollen die Procuratoren in denen, darinnen sie gefaßt, bey ihrem geleisteten Eyd und Pflichten zwar ohnverzüglich, in den Übrigen aber erst innerhalb 1 2 3 4

GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 jüngstern. GB 1661; GB 1665; GB 1671 auch der nit handelenden; Blum 1667; GB 1696; GB 1707 auch der nicht handelenden. Fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1696; GB 1707. GB 1696; GB 1707 Terminen belangend.

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dreyer Monathen, von heut dato an zu rechnen1, in dieser Ordnung Paritionis zu verfahren schuldig seyn. Dann sollen die Procuratores jederzeit zum Anfang ihres Recessirens distincte anzeigen und notiren, in welcher Ordnung sie handlen wollen. § 6. Der kayserliche Generalfiscal mag zum Sechsten in denen übrigen Tägen in der Wochen Vormittag, jedoch auff sein vorgehend gebührlich Anmelden, verfahren. § 7. Dann sollen zum Siebenden die Advocaten und Procuratores, die in mehrberührtem2 jüngsten3 Reichsabschied specificirte drey Puncten, nemlich (1) worinnen der Appellant sich beschwehrt befindet: (2) Was er besser zu beweisen: Und (3) von neuem einzubringen gedencke: in Gravaminibus oder Libellis allzeit bey Straff nach Ermäßigung in margine beysetzen oder, da sie ad Acta priora schliessen wollen, solches in ihren Supplicationibus anzeigen. § 8. Ferners und zum Achten, nachdeme die Procuratoren vielfältig auf ihrer Gegentheil gehaltene Recess gar still schweigen oder Ulteriora reserviren und dannoch gar nichts oder lang hernach erst darauff handlen, welches den Audientzien und insgemein nicht allein allen andern, sondern auch ihrer Partheyen rechtschwebenden Sachen zu beschwerlicher und unleidentlicher Verhinderung gereichen thut. So sollen dieselbe (wie ohne das der Ordnung gemäß) hinführo alsobald handlen und keine Ulteriora mehr vorbehalten oder, da es je vonnöthen, darauff zum längsten ad proximam vel secundam ohnfehlbarlich mit ihrer Nothdurfft einkommen oder eine gewisse Zeit zur Handlung bitten. § 9. Sonsten aber und zum Neunten sollen die Procuratores, so die gemeine Ordnung an sich haben, die Handlungen in denen praefigirten oder colligirten Terminis nicht biß zu End derselben auffziehen, sondern gleich zu Anfang, ehe sie zu andern Handlungen schreiten, die Gebühr beobachten. § 10. Sie sollen auch zum Zehenden gleich von Anfang aller vor- und nachmittägiger gerichtlichen Audientzien biß zum Ende derselben praecise zu ihren gewöhnlichen Stellen bey der Hand bleiben und ohne sonderbare erhebliche Ursachen oder Verhinderung davon nicht abweichen noch sich per Schedulas unnothdürfftig entschuldigen. § 11. Weiters sollen die4 Procuratores zum Eilfften im Recessiren sich der Kürtze ohne Einmischung Meritorum Causae der Ordnung und vielen vorhergangenen publicirten Gemeinen Bescheiden gemäß befleißigen oder gewärtig seyn, daß gleich alsobalden in öffentlichem Gericht jederzeit mit Ernst dargegen eingeredet, die Recess mit vorbehaltener Straff verworffen und ihre Nothdurfft schrifftlich vorzubrin1 2 3 4

GB 1661; GB 1665 dato anzurechnen; Blum 1667 dato abzurechnen. GB 1707 mehr berühmtem. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 jüngstern. GB 1661; GB 1665; Blum 1667 sie; dagegen GB 1696; GB 1707 die.

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gen ihnen aufferlegt, auch den Protonotarien und Notarien solche zu schreiben verbotten werde. § 12. Schließlich werden die Procuratores hiemit nochmahlen1 ernstlich erinnert, daß sie der Cammergerichtsordnung, Visitationsrecessen, Memorialien, Deputationsabschieden, hievorigen Gemeinen [Bescheiden]2 und in specie diesem gegenwärtigen Bescheid gehorsamlich nachgeleben und in allem sich denen gemäß bezeigen [sollen]3, bey Vermeidung deren denenselben einverleibten Straffen, auch nach Beschaffenheit des Verbrechens ferneren schärffern Einsehens: Und soll dieser Bescheid nechstkünfftigen Montag, den 5. Novembris, seinen würcklichen Anfang haben. Publicirt Spirae, in Audientia solita, Dienstags, den 30. Octobris (9. Novembris) Anno 16554. Vorlage: CJC 1724, S. 893-894 Nr. CCCLXXXV. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 37-38; GB 1665, S. 33-35; Blum 1667, S. 592-596; GB 1671, S. 33-35; GB 1678, S. 35-36; GB 1686, S. 35-36; GB 1688, S. 33-34; GB 1695, S. 82-86; GB 1696, S. 82-86; GB 1707, S. 82-86; GB 1710, S. 91-95 Nr. CXXVI; GB 1714, S. 54-56 Nr. CXXVIII; CJC 1717, S. 54-56 Nr. CXXVIII; GB 1717, S. 54-56 Nr. CXXVIII; GB 1724, S. 91-95 Nr. CXXVI; auch als Separatdruck (z. B. vd17 1:019863E = Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 2 an: Gx 2875). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid führt Reformen in der Audienzordnung ein und versucht auf diese Weise, den Kameralprozess an die Vorgaben des Jüngsten Reichsabschieds anzupassen (zur grundsätzlichen Geltung des Reichsabschieds: Gemeiner Bescheid vom 7. September 1654, oben RKG Nr. 126). Das Reichskammergericht hatte die Umfrageordnungen durch Gemeine Bescheide vom 12. November 1647 und 3./13. März 1651 in Einzelheiten reformiert, grundsätzlich aber das schwerfällige Verfahren beibehalten (oben RKG Nr. 120 und 122). Der Bescheid vom 30. Oktober 1655 veränderte das Audienzwesen stark, griff aber die Unterteilung in verschiedene Ordnungen ebenfalls nicht an. Allerdings gab es neue Abgrenzungen und damit im Ergebnis einen neu geordneten Audienzverlauf. Im Zentrum stand von nun an der Ordo novarum. Sie sollte täglich für zwei Stunden stattfinden, universal und allgemein sein (§ 1). Grundsätzlich alle Prozesshandlungen hatten hier stattzufinden, soweit sie nicht ausdrücklich einer anderen Ordnung zugewiesen waren. Der kleine Hinweis, ein Prokurator habe die Ordnung „an sich“, deutet das beibehaltene Anciennitätsprinzip an. In der Umfrageordnung hing die Reihenfolge der Prozesshandlungen bzw. der Rezesse also weiterhin vom Dienstalter des Prokurators ab. Wer einmal gehandelt hatte, musste danach warten, bis alle anderen Prokuratoren an die Reihe gekommen waren. Erst 1 2 3 4

GB 1661; Blum 1667 nachmalen; GB 1665; GB 1671 nachmahlen; GB 1696; GB 1707 nochmahln. CJC 1724; GB 1714; CJC 1717 Gemeinen-; GB 1665 nur gemeinen und in. Blum 1667. Publicirt ... 1655 fehlt in Blum 1667.

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dann konnte er abermals tätig werden (dazu auch § 5 am Ende). Bei den vorgesehenen zwei Stunden täglich beschleunigte sich freilich der Rhythmus der jeweiligen Durchgänge. Nach den jeweils zwei Stunden Nova begann die tägliche Umfrage in Reproduktionssachen (§ 2). Um Licht zu sparen, sollte sie in den drei Wintermonaten vom 1. November bis zum 31. Januar nur eine Stunde dauern. Wenn es nachmittags länger hell blieb, also vom 1. Februar bis zum 31. Oktober, sah der Gemeine Bescheid bis zu zwei Stunden dafür vor. Im Reproduktionstermin sollte es ausschließlich um die Reproduktion neu erkannter Prozesse gehen. Hier kam es also bloß darauf an, Ladungen, Mandate und andere Dokumente mitsamt den Verkündungsvermerken förmlich zu übergeben. Der Gegner sollte kurz darauf antworten. Alle weiteren damit zusammenhängenden Handlungen blieben allerdings dem Ordo novarum vorbehalten. Die Reproduktionsordnung war in den Augen des Gerichts also nicht sehr zeitraubend. Deswegen gab es hilfsweise Bestimmungen, wie man bei verkürzter Dauer weiter verfahren sollte. Die Audienz vor den Deputaten sollte unverändert bleiben, also weiterhin stattfinden, § 3. Damit waren sicherlich sämtliche Beweisfragen gemeint, also Kommissionssachen und Augenscheinseinnahme. Ob darüber hinaus auch Kontumazialverfahren vor die Deputierten gehörten oder in die Nova fielen, sagt der Gemeine Bescheid nicht (dazu erging später der Gemeine Bescheid vom 28. Januar 1657 § 3, unten RKG Nr. 132). Ebenfalls weiterhin gab es den Ordo sententiarum, der sich an abgelesene, also verkündete Urteile und Bescheide anschloss, § 4. Damit behielt das Gericht zugleich die gesammelten Urteilsverkündungen bei. Welche Prozesshandlungen selbst in den Ordo sententiarum fielen, sagte der Gemeine Bescheid nicht und beließ insoweit alles beim Herkommen. Eine Neuerung innerhalb der Audienz bedeutete der Ordo paritionis, den es zuvor so nicht gegeben hatte, § 5. Deswegen gewährte das Gericht Übergangsfristen, um diesen neuen Audienzabschnitt vorzubereiten. Zweimal eine Stunde pro Woche sollte freilich ausreichen. Gedacht war an Prozesshandlungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt entweder gesetzlich vorgeschrieben oder ausdrücklich durch Urteil aufgegeben waren. Warum das nicht in den beibehaltenen Ordo sententiarum fiel, ist unklar. Erstaunlich ist der versteckte Hinweis am Ende von § 5. Jeder Prokurator sollte nämlich dann, wenn er an die Reihe kam, sagen, in welcher Ordnung er handeln wolle. Wenn das allgemein gemeint war, sollte die Audienz tatsächlich nur aus einer einzigen Umfrage bestehen, also der Reihe nach alle Anwälte erfassen. Wer dann an die Reihe kam, sollte sagen, auf welche Ordnung sich sein Rezess bezog. Das freilich wäre ein Widerspruch zu den vorgesehenen Uhrzeiten und Wochentagen gewesen, mit denen das Gericht doch gerade versuchte, die einzelnen Abschnitte voneinander zu trennen. Die Verpflichtung der Anwälte, die jeweilige Ordnung anzuzeigen, sollte den Ablauf der Audienzen also nicht durcheinanderbringen. Vermutlich erhielt das Kameralkollegium auf diese Weise lediglich sofort einen Hinweis, falls ein Prokurator sich am falschen Ort äußern wollte. § 6 bekräftigte die herausgehobene Rolle des Fiskals im Vergleich zu den Prokuratoren. Er musste nicht warten, bis die Ordnung ihn traf, sondern durfte nach vorheriger Anzeige seine Prozesshandlungen immer vornehmen, wenn nicht der Ordo paritionis angesetzt war (zum Fiskal auch Gemeiner Bescheid vom 19. Februar 1657, unten RKG Nr. 134). Eingeklemmt zwischen ganz andere Regelungsprobleme beschäftigte sich § 7 mit einer schwierigen Frage des Appellationsrechts, die auch in älte-

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ren Gemeinen Bescheiden bereits auftauchte (Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1593 § 2; oben RKG Nr. 92). Es ging um das sog. Novenrecht im Appellationsprozess. § 73 des Jüngsten Reichsabschieds hatte hierzu eine recht zaghafte Neuregelung vorgelegt. Sie gab vor, neuen Sachvortrag in der höchsten Instanz eindämmen zu wollen, öffnete durch unbestimmte Generalklauseln dem Missbrauch aber Tür und Tor. Alle Dämme konnten brechen, und so beschränkte sich der Gemeine Bescheid darauf, von den Schriftsatzverfassern wenigstens Randglossen einzufordern. In ihren Appellationslibellen oder in den Gravamina mussten sie angeben, worin genau ihre Beschwer liege, wie sie ihren Sachvortrag besser zu beweisen dachten und in welchen Punkten sie neuen Sachvortrag einbrachten. Über dieses Reformhickhack machte sich etwa zehn Jahre später der niedersächsische Jurist Ludolf Hugo lustig (dazu in der Einleitung bei Anm. 162-174). Bei dieser Gelegenheit unterzog er auch den Gemeinen Bescheid vom 30. Oktober 1655 einer scharfsinnigen Prüfung. § 8 wiederholte einen Dauerbrenner des Audienzbetriebes. Wenn ein Prokurator rezessiert hatte, war der Vertreter des Prozessgegners oft schlecht vorbereitet und wusste nicht, was er antworten sollte. Deswegen beantragte er sicherheitshalber eine Fristverlängerung. Solange die Parteien solche Antworttermine selbst festlegen konnten und eine Krähe der anderen kein Auge aushackte, waren erhebliche Verzögerungen die unvermeidliche Folge. Der Gemeine Bescheid versuchte abermals, die Gegenhandlung zeitlich eng an die Rezesse anzubinden. Grundsätzlich unverzüglich sollte sie erfolgen. Doch weichten Ausnahmen das scheinbar strenge Reglement abermals auf. Soweit erforderlich, hatte man auch bis zur übernächsten Audienz Zeit. Und wenn selbst das nicht genügte, bestand die Möglichkeit, noch längere Fristen zu beantragen. Hier fehlte dem Gericht die Kraft, mit strengen Präklusionsfristen die Prozesse zu konzentrieren. Nach § 9 erfolgten die Umfragen nicht getrennt nach Rechtsstreitigkeiten, sondern nach Prokuratoren. Wer an die Reihe kam, konnte also gleichzeitig Prozesshandlungen zu mehreren getrennten Verfahren vornehmen. Der einzelne Prokurator sollte hierbei allerdings zunächst auf die gesetzten Termine handeln. Erst danach war er zu anderen Handlungen zugelassen. Ob diese Anordnung mit der beibehaltenen Trennung in verschiedene Umfrageordnungen vereinbar war, konnte das Gericht im Voraus sicherlich schwer abschätzen. Hier lag jedenfalls ein möglicher Grund für künftige Unklarheiten. § 10 wiederholte die schon oft angemahnte Verpflichtung zu vollzähligem und pünktlichem Erscheinen in der Audienz (vgl. etwa Gemeine Bescheide vom 4. Oktober 1638 und 16. Januar 1652; oben RKG Nr. 117 und 124). Sogar den festgeschriebenen Stehplatz, bereits am 21. Juni 1625 vorgeschrieben (oben RKG Nr. 108), behielt das Reichskammergericht bei. Abmeldungen und schriftliche Entschuldigungszettel blieben aber weiterhin erlaubt. Hier deuteten sich bereits spätere Konflikte um genau diesen Punkt an. § 11 ermahnte die Prokuratoren zum wiederholten Male zur Kürze im mündlichen Rezess, § 12 schärfte ihnen allgemein ein, das bereits bestehende Kameralrecht zu beachten. An erster Stelle stand weiterhin die Reichskammergerichtsordnung. Sie war also durch den Jüngsten Reichsabschied nicht ersetzt, sondern nur ergänzt worden. Bis die angekündigten Reformen greifen sollten, benötigte man hier einen vergleichsweise knapp bemessenen Vorlauf von nur einer Woche. Der Reichskammergerichtsprozess mit seinen schwerfälligen Audienzen und Umfragen erwies sich aber wie so oft als schlechthin nicht reformierbar. Am 10. Feb-

RKG Nr. 128 1655 November 6

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ruar 1659 räumte das Gericht ein, die Umfrageordnungen seien immer noch erheblich zu zeitraubend. Wie bereits 1595 forderte es erneut die Anwaltschaft auf, sich Gedanken über weitere Reformschritte zu machen (Gemeiner Bescheid vom 10. Februar 1659, unten RKG Nr. 138).

RKG Nr. 128 1655 November 6 [Pedelli mulctas a procuratoribus exigunto: quovis die Sabbathi mulctarum haud solutarum designationem exhibento nec illarum exactionem remissione vel moderatione non probata intermittunto.]1 Modus pedellis ad exigendas mulctas procuratorum iniungitur.2 Es sollen dieses Kayserlichen Cammergerichts Pedellen diejenige den Procuratoren den3 30. Octobris jüngst und hernacher angesetzte, auch künfftige Geldstraffen mit gebührendem Fleiß ernstlich erfordern, alle Sambstag Vormittag dessen, so daran würcklich nicht bezahlt worden, eine schrifftliche Specification übergeben, auch hinführter, wann innerhalb 8 Tagen von dato der angesetzten Straff die Remission oder Moderation durch gewöhnliches Decret von ermeldten Procuratoren nicht beschienen wird, deroselben um völlige Nachlaß oder Ringerung angegebenes oder beschehenes Suppliciren sich nicht davon4 abhalten lassen. Decretum in pleno Consilio, den 6. Novembris Anno 1655. Vorlage: CJC 1724, S. 894-895 Nr. CCCLXXXVI. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 39; GB 1665, S. 35; Blum 1667, S. 596; GB 1671, S. 35; GB 1678, S. 36; GB 1686, S. 36; GB 1688, S. 34; GB 1695, S. 86; GB 1696, S. 86; GB 1707, S. 86; GB 1710, S. 95 Nr. CXXVII; GB 1714, S. 56 Nr. CXXIX; CJC 1717, S. 56 Nr. CXXIX; GB 1717, S. 56 Nr. CXXIX; GB 1724, S. 95 Nr. CXXVII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid gibt sich als Ergänzung zum Bescheid vom 30. Oktober 1655 (oben RKG Nr. 127), regelt aber für die Zukunft ein sehr allgemeines Problem. Es ging um die Art und Weise, wie der Pedell die Geldstrafen, die das Gericht über Prokuratoren verhängt hatte, einfordern sollte. Bei dieser Gelegenheit tauchte der Pedell, der Gerichtsdiener, erstmals ge1 2 3 4

Pedelli ... intermittunto in GB 1661; Blum 1667. Modus ... iniungitur fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1714; CJC 1717. Fehlt in Blum 1667. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 sich davon nicht; aber GB 1714; CJC 1717 sich nicht davon.

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RKG Nr. 129 1656 Januar 2

nauer in den Gemeinen Bescheiden auf. Wenn ein Prokurator gegen eine Verhaltensregel verstoßen hatte, drohten ihm von Alters her Geldstrafen. Der Gemeine Bescheid zeigt zumindest die Absicht des Gerichts, einige dieser Strafen auch tatsächlich einzutreiben. Dafür benötigte man den Pedellen. Hier wählte der Gemeine Bescheid einen halböffentlichen Weg. Jeweils am Sonnabend Vormittag sollte der Pedell allen säumigen Schuldnern eine Mahnung übergeben, in der er die fälligen Strafgelder aufgelistet hatte. Das war zugleich die Zeit einer Audienz, nämlich des 1655 eingeführten Ordo paritionis (Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655 § 5, oben RKG Nr. 127). Vermutlich unmittelbar vor oder nach der Audienz, möglicherweise sogar in Anwesenheit der übrigen Prokuratoren und Assessoren, kam der Pedell also auf den einzelnen Prokurator zu. Deswegen war leicht zu sehen, wer seine Strafen bezahlte und wer nicht. Jedenfalls dürften solche Mahnungen peinlich gewesen sein. Die Prokuratoren, soweit man dem Gemeinen Bescheid in diesem Punkt Glauben schenken darf, redeten sich öfter damit heraus, dass ihre Strafen ermäßigt oder gar erlassen worden seien. Hierfür beriefen sie sich auf gewöhnliche Dekrete, also Erlasse des Reichskammergerichts außerhalb von prozessualen Zwischenurteilen und Gemeinen Bescheiden. Das konnte der Pedell sicherlich schwer überprüfen. Deswegen hielt der Gemeine Bescheid ihn an, auf solche Ausreden nur dann überhaupt Rücksicht zu nehmen, wenn der Prokurator innerhalb von acht Tagen nach seiner Bestrafung die entsprechende Bescheinigung vorlegte. Anderenfalls waren seine Anträge auf Erlass oder Senkung der Strafe schlechthin unbeachtlich. Der Erfolg der Anordnung war zweifelhaft. Schon am 2./12. Mai 1658 erließ das Gericht einen weitgehend gleichlautenden Bescheid (unten RKG Nr. 136).

RKG Nr. 129 1656 Januar 2 [Procuratores status Imperii quibus quivis procurando inservit de sustentatione Camerae exsolvenda per literas admonento istasque fiscali ad transmittendum debita loca versus sine mora communicanto.]1 Procuratores status suos de solvenda sustentatione Camerali per literas admonento, hasque fiscali ad transmittendum sine mora communicanto.2 Nachdem von hiesigem Kayserlichen Cammergerichts Generalfiscaln tragenden seines Ambts halben für- und anbracht worden, was massen wegen nothwendiger Unterhaltung dieses Kayserlichen Cammergerichts von3 Churfürsten und Ständen bey derselben bestellten Creyßcassirern, Cammermeistern und Rentheinnehmern 1 2 3

Procuratores ... communicanto in GB 1661; Blum 1667. Procuratores ... communicanto fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1717. Fehlt in GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707; dagegen Blum 1667 durch.

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noch zur Zeit keine gewisse Verordnung beschehen, daß dem jüngsten Regenspurgischen Reichsabschied gemäß in darinnen bestimmtem Termin, nemlich vier Wochen vor jedes Jahrs erscheinenden Franckfurter Fasten- und Herbst-Meßen, die verfallene Gebühr an nechstberührter Unterhaltung würcklich abgetragen werden solle und dann zu besorgen, wofern an höchst-, hoch- und wohlermeldte des Heiligen Reichs Churfürsten und Stände durch deroselben allhie bestellte Anwälde nicht etwan bey Zeiten derentwegen bessere förderliche Anstalt zu machen, einige ohneinstellige Anmahnungen abgehen solten, es werde bey nechst anstehender Franckfurter Fasten-Meß die Zahlung gleichfals wie bißhero sehr schlecht und langsam einfolgen. Als wird den sämbtlichen hiesigen Procuratoren krafft dieses hiemit ernstlich anbefohlen, daß sie bey denen Churfürsten und Ständen, denen sie diß Orts procurando bedient seyn, mit nechster Post gebührende Anmahn- und Erinnerung thun, auff daß sie sowohl die alte als nechsterscheinende neue verfallene Zieler oblauts ohnsäumlich lassen abstatten, auch zukünfftiger des cameralischen Unterhalts schuldiger Zahlung mehrere Richtigkeit bey obgemeldten Cammermeistern und Renthmeistern eine beständige Ordnung1 angeschafft werden möchte, daß dieselbe ohne weitere Befehlserholung die künfftige anfallende Zieler jedesmahls in deme darzu bestimmten Termin obangeregter maßen denen Creyßcassirern oder hiesigem Kayserlichen Cammergerichts Pfenningmeistern ohnfehlbar abtragen: Und sollen sie, die Procuratores, solche ihre Schreiben forderist obermeldtem Kayserlichen Generalfiscaln communiciren, welcher dieselbe darauff an gehörige Orth zu überschicken wissen wird, damit in längerer Verbleibung der restirenden würcklichen Zahlung gegen die Säumige mit denen in erwehntem jüngern Reichsabschied erlaubten Monitorien und Executionsmitteln zu verfahren nicht nöthig seye. Decretum in pleno Consilio, Spirae, den 2. Januarii Anno 1656. Georg Friderich2 Steinmetz, Dr., Judicii Imperialis Camerae Protonotarius3, manu propria4. Vorlage: CJC 1724, S. 895 Nr. CCCLXXXVII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 39; GB 1665, S. 35; Blum 1667, S. 596-597; GB 1671, S. 35; GB 1678, S. 36-37; GB 1686, S. 36-37; GB 1688, S. 34-35; GB 1695, S. 86-88; GB 1696, S. 86-88; GB 1707, S. 86-88 und 194-196 (zweimal abgedruckt); GB 1710, S. 95-96 Nr. CXXVIII; GB 1714, S. 56-57 Nr. CXXX; CJC 1717, S. 56-57 Nr. CXXX; GB 1717, S. 56-57 Nr. CXXX; GB 1724, S. 95-96 Nr. CXXVIII.

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GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 Verordnung. GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688 Georgius Fridericus. GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1696; GB 1707 Camerae Imperialis Judicii Protonotarius. Georg ... propria fehlt in Blum 1667.

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Anmerkung: Auch dieser Gemeine Bescheid zählt zu den Erlassen, die den Jüngsten Reichsabschied von 1654 in geltendes Kameralrecht umsetzen (dazu allgemein der Gemeine Bescheid vom 7. September 1654, oben RKG Nr. 126). Das Sachproblem als solches war unerfreulich, aber altbekannt. Es ging um die unzureichende finanzielle Ausstattung des Gerichts. Schon zwischen dem 6. August 1635 und dem 7. Juni 1636 waren genau dazu mehrere Gemeine Bescheide ergangen (oben RKG Nr. 111-114). Für das Gericht bestanden wenige Möglichkeiten, sich selbst um die ausstehenden Kammerzieler zu kümmern. Zwei Wege kamen in Betracht, und beide versuchte das Kameralkollegium mit den älteren Bescheiden zu beschreiten. Zum einen konnte man sich an die ständigen Prokuratoren der Reichsstände halten. Sie sollten ihren zahlungspflichtigen Mandanten schreiben und sie zur Entrichtung der fälligen Gelder auffordern. Zum anderen besaß der Fiskal das Recht, durch sog. Monitorien ausstehende Gelder in einer Art Mandatsprozess vor dem Reichskammergericht einzuklagen. Der Gemeine Bescheid vom 2. Januar 1656 stand in dieser Tradition und erwähnte beide Vorgehensweisen. Offenbar hoffte der Generalfiskal, durch den Jüngsten Reichsabschied werde sich nun auch die finanzielle Lage des Reichskammergerichts verbessern. Immerhin gab es inzwischen mit der Frankfurter Fastenmesse sowie der Herbstmesse zwei feste, gesetzlich vorgeschriebene Zahlungstermine (JRA 1654 §§ 9-21). Allerdings hätten Kurfürsten und Stände nach Auffassung des Generalfiskals seit 1654 Zeit genug gehabt, ein Verfahren auszuarbeiten, wie sie die auf sie entfallenden Summen an die genannten Kreiskassierer, Kammermeister und Renteinnehmer übergaben. Genau das war aber nicht geschehen, und daher stand zu befürchten, dass die Zahlungen weiterhin unregelmäßig und viel zu spärlich eintrudeln würden. Den Ausweg sah das Gericht abermals darin, die Prokuratoren der Reichsstände einzuschalten. Sie sollten ihre Mandanten erneut erinnern und nicht nur die ausstehenden Summen einfordern, sondern sogleich eine Verfahrensweise anmahnen, die für die Zukunft regelmäßige Zahlungen sicherstellte. Die Abschriften ihrer Mahnschreiben sollten die Prokuratoren sodann dem Generalfiskal übergeben. Zum Schluss des Bescheids folgte eine Drohung. Denn bei fortgesetzter Säumnis drohte das Monitoriumsverfahren, das bis in die Vollstreckung gedeihen konnte. Gegen den politischen Widerstand der Stände ließ sich freilich nur wenig ausrichten, und deswegen standen die Briefe der Prokuratoren an die Reichsstände ganz im Vordergrund. Schon ein Jahr später griff das Kameralkollegium dasselbe Problem nochmals auf (Gemeiner Bescheid vom 6./16. Februar 1657; unten RKG Nr. 133).

RKG Nr. 130 1656 Mai 23

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RKG Nr. 130 1656 Mai 23 [Advocati, procuratores partesque litigantes novissimi recessus Imperii § „Zumahl aber usw.“ se conformes praebento.]1 Advocati, procuratores et partes litigantes se Recess[ui] Imperii Noviss[imo] § 118 conformanto.2 Letztlich ist der Gemeine Bescheid: Daß die Advocaten, Procuratores und Partheyen sich dem jüngsten Reichsabschied § „Zumahlen aber jederzeit zum Siebenden usw. 118.3“ bey Reproduction der Appellationsprocessen im ersten Termin innerhalb 3 Monath, von heutiger Publication dieses Bescheides an zu rechnen, und zwar bey Straff der Desertion allerdings gemeeß verhalten sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 895 Nr. CCCLXXXVIII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 39; GB 1665, S. 36; Blum 1667, S. 597-598; GB 1671, S. 36; GB 1678, S. 37; GB 1686, S. 37; GB 1688, S. 35; GB 1695, S. 88; GB 1696, S. 88; GB 1707, S. 88; GB 1710, S. 97 Nr. CXXIX; GB 1714, S. 57 Nr. CXXXI; CJC 1717, S. 57 Nr. CXXXI; GB 1717, S. 57 Nr. CXXXI; GB 1724, S. 97 Nr. CXXIX. Anmerkung: Das Reichskammergericht hatte den Jüngsten Reichsabschied bereits mit Gemeinem Bescheid vom 7. September 1654 förmlich als neue gesetzliche Grundlage des Kameralprozesses eingeführt (oben RKG Nr. 126). Auch die seitdem ergangenen Gemeinen Bescheide knüpften an den Regensburger Abschied an und bekräftigten damit seine Bedeutung für das Verfahrensrecht in unterschiedlicher Hinsicht. Doch auch jetzt im Mai 1656, also fast zwei Jahre später, war es immer noch nicht gelungen, das Kameralverfahren auf die neuen Vorschriften umzustellen. Einige Prokuratoren verletzten im Appellationsprozess § 118 des Jüngsten Reichsabschieds. Darin ging es um den Appellationseid (Kalumnieneid). Der Prokurator sollte ihn vor dem Reichskammergericht (iudex ad quem) ableisten, und zwar im selben Zeitpunkt, in dem er auch die Zitation reproduzierte. Wer dagegen verstieß, musste hinnehmen, dass seine Appellation als desert verfiel, also ohne weiteres beendet war. Hierfür führte der Jüngste Reichsabschied sogar neue Vollmachten ein, nämlich die sog. Spezialgewalt. Im Gegensatz zur Generalgewalt war sie nicht nur vom Appellanten selbst, sondern auch vom Advokaten als Schriftsatzverfasser zu unterzeichnen. Der Eid selbst musste darüber hinaus feste Klauseln für neuen Sachvortrag enthalten. Die Prokuratoren reagierten später hierauf und führten Formulare ein, die den Jüngsten Reichsabschied in diesem Punkt weitge1 2 3

Advocati ... praebento in GB 1661; Blum 1667. Advocati ... conformanto fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717. GB 1665; GB 1695; GB 1696; GB 1707 111.

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RKG Nr. 131 1656 August 25

hend wörtlich paraphrasierten. Vermutlich gab es hierfür sogar eine Vorlage des Kameralkollegiums (dazu Gemeine Bescheide vom 25. August 1656 und 28. Januar 1657 § 1, sogleich unten RKG Nr. 131-132). Zu den damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten äußerte sich einige Jahre später Ludolf Hugo in seinem Buch „Vom Missbrauch der Appellation“ (dazu auch die Einleitung bei Anm. 162-174). Der Gemeine Bescheid vom 23. Mai 1656 belegt, wie schwer die Umstellung auf den erneuerten Appellationseid den Beteiligten fiel. Selbst das Gericht sah sich gehalten, eine weitere Übergangsfrist von drei Monaten zu gewähren. Das war freilich auch nötig. Zunächst mussten die Prokuratoren neue Formulare herstellen lassen und dann an ihre Mandanten und deren Advokaten versenden. Die bereits unterzeichneten Vollmachten durfte man in dieser Schwebezeit also weiterhin benutzen, auch wenn sie gegen die inzwischen geltenden Gesetze verstießen. Die folgenden Bescheide vom 25. August 1656 und 28. Januar 1657 (sogleich RKG Nr. 131-132) zeigen, wie beschäftigt das Gericht mit diesem Problemkreis weiterhin war.

RKG Nr. 131 1656 August 25 [Formula iuramentorum calumniae et appellationis ut et specialis procuratorii ad illa praestanda procuratoribus traduntor. Eiusmodi procuratorium in causis appellationum intra proxime praefixum tempus introductis ac intra 3 menses introducendis, intra eosdem 3 menses exhibetor.]1 Formula iuramenti calumniae et appellationis cum termino productionis traditur2. [Es]3 sollen denen Advocaten und Procuratoren auff ihr in puncto Juramentorum Calumniae et Appellationis den 5. Julii jüngsthin beschehenes Einbringen die beykommende Formulae sowohl Specialgewalts4 als auch der besagten Juramentorum zugestellt werden, sich und ihre Principalen inskünfftig darnach haben zu richten. Dann ist ihnen, solchen Gewalt in denen seit jüngsthin gesetzter Zeit eingeführten Appellationssachen oder die innerhalb drey Monathen noch eingeführet

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Formula ... exhibetor in GB 1661; Blum 1667. Formula ... traditur fehlt in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1714; CJC 1717. Blum 1667. GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Specialgewalts (a), wohl Verweis auf eine nicht vorhandene Anlage; GB 1710; GB 1714; CJC 1717 mit Fußnote a Vide C[oncept.] O[rdinationis] C[amerae] part. 3 tit. 38 in fin.; GB 1661 mit Anmerkung (a) Extant in Roding. Pand. Cam. et quidem quoad praestand. iuram. calumniae pag. 742 et seqq. quoad vero iuram. appell. pag. 345 et seqq.; Blum 1667 der special Gewäldte.

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werden möchten einzubringen, erwehnte Zeit der1 drey Monath hiermit angesetzt. Decretum in Consilio pleno, 25. Augusti Anno 1656. Johannes Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius2. Vorlage: CJC 1724, S. 895 Nr. CCCLXXXIX. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 40; GB 1665, S. 36; Blum 1667, S. 598; GB 1671, S. 36; GB 1678, S. 37; GB 1686, S. 37; GB 1688, S. 35; GB 1695, S. 88; GB 1696, S. 88; GB 1707, S. 88; GB 1710, S. 97 Nr. CXXX; GB 1714, S. 57 Nr. CXXXII; CJC 1717, S. 57 Nr. CXXXII; GB 1717, S. 57 Nr. CXXXII; GB 1724, S. 97 Nr. CXXX. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid führt die Anordnung vom 23. Mai 1656 näher aus (oben RKG Nr. 130). Die Umstellung auf einen erneuerten Appellationsprozess mit einem veränderten Appellations- bzw. Kalumnieneid fiel den Prokuratoren sichtlich schwer. Die vom Gericht gesetzte Übergangsfrist von drei Monaten war inzwischen verstrichen. Während der Schwebezeit hatten sich die Prokuratoren offenbar an das Kameralkollegium gewandt und um genauere Anweisungen gebeten, wie sie den Appellationseid künftig ableisten sollten und wie die dazu notwendigen Spezialvollmachten beschaffen sein mussten. Das Gericht kam den Prokuratoren zu Hilfe und stellte ihnen vorformulierte Klauseln sowohl für den Eid als auch für das Vollmachtsformular zu. Ob die Anwälte zuvor diese Formulare dem Gericht zur Prüfung vorgelegt hatten oder ob das Gericht selbst den Wortlaut ausgearbeitet hatte, sagte der Gemeine Bescheid nicht. Die Beteiligten wussten das ja ohnehin. Jedenfalls war auf diese Weise Einvernehmen zwischen den Prokuratoren und den Assessoren hergestellt. Wenn die Prokuratoren und die Parteien die vom Gericht ausdrücklich anerkannten Formulare benutzten, dann hielten sie auf jeden Fall die Vorgaben von § 118 des Jüngsten Reichsabschieds ein. Die Desertionsgefahr war damit gebannt. Hier liegt sicherlich der Grund dafür, warum in der Folgezeit praktisch sämtliche Prokuratoren dieselben Vollmachtsformulare verwendeten. Die abermals gewährte Umstellungsfrist von drei Monaten fiel demgegenüber nicht ins Gewicht. Die Reichskammergerichtsvisitation von 1713 legte später Wert auf eine Ausnahmeregelung für Kurfürsten und andere Reichsstände. Im Einklang mit dem Jüngsten Reichsabschied (§ 43) sollten sie die „Befreyung vom Juramento Calumniae“ genießen (Anlage A zum Visitationsdekret vom 27. November 1713, in GB 1724, S. 243).

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Fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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RKG Nr. 132 1657 Januar 28

RKG Nr. 132 1657 Januar 28 Resolutiones. Auff der Procuratoren den 5. und 25. Septembris jüngsthin überreichte Supplicationes wird denselben loco Decreti hiemit angefügt.1 [1. Procuratores iuramentum calumniae tam in animam suam quam principalis: iuramentum vero appellationis duntaxat in principalis animam praestanto. 2. Processus appellatoriis intra 4 menses a die interpositae appellationis sub poena desertionis insinuantor. Praefatis 4 mensibus evidenter citra culpam appellantium elapsis hi brevi manu restituuntor. 3. Decreto proclamate contumatia purgator. 4. Audientiae uti per commune decretum 30. Octobris 1655 constitutae ita permanento. 5. Personis non-iuratis ex cancellaria aut lectoria nihil communicator. 6. Querelae si adversus cancellariae vel lectoriae addictos sint instituendae adversus unum vel alterum in specie instituuntor. 7. Advocati in quavis causa appellationum ad iurandum vel videndum se incidisse in poenam non-iurantium citantor citatioque ipsis insinuator. 8. In mandatis sine clausula utraque via tam arctiorum quam mandati executorialis locum habeto: In reliquis causis novissimus recessus Imperii observator.]2 Resolutiones ad procuratorum supplicas die 5. et 25. Septembris proxm[imi] exhibitas. § 1.3 Procuratores iuramentum calumniae in animam suam et principalis, appellationis vero in principalis tantum praestanto. § 2. Processus appellationis intra 4 menses insinuantor, his vero evidenter citra culpam appellantium lapsis, hi brevi manu interim, restituuntor. § 3. Contumacia decreto proclamate purgator. § 4. Audientiae iuxta decretum 30. Octobris 1655 manento. § 5. Personis non iuratis ex cancellaria aut lectoria nihil communicator. § 6. Querelae adversus cancellariam aut lectoriam instituuntor contra unum vel alterum in specie. § 7. Advocati appellantium citantor ad iurandum vel ad videndum se incidisse in poenam non jur[antium] § 8. In mandatis sine clausula via arctiorum et mandati executorialis obtineto, in reliquis causis Rec[essi] Imperii Nov[issimi].4 § 1.5 Die Juramenta Appellationis und Calumniae belangend, sollen die Procuratores nach Inhalt deren ihnen jüngst zugestellten Formul in Causis tam simplicis Quere1 2 3 4 5

Resolutiones ... angefügt auch in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1714; CJC 1717 ;GB 1717. 1. Procuratores ... observator in GB 1661; Blum 1667. GB 1710 ohne §§-Zeichen. Resolutiones ad procuratorum ... Nov[issimi] fehlt in GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717. GB 1661; Blum 1667 jeweils mit doppelter Zählung, hier also § 1 (I).

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lae1 quam Appellationum das Juramentum Calumniae auff Erfordern des Gegentheils oder richterlichen Bescheids sowohl in ihrer Principalen als ihre eigene Seel indifferenter, soviel ihnen von der Sach wissend, das Juramentum Appellationis de non frivole appellando aber jedesmahl, auch ohnerfordert, in der Principalen Seelen allein zu schwören schuldig seyn, und hat es dißfalls bey dem vor diesem angesetzten Termin sein Bewenden. § 2. Sollen die Procuratores mit Außbring- und Insinuirung der Appellationsrecessen2 bey Straff der Desertion sich dergestalt befördern, damit solche Insinuation noch für Ablauff der vier ersten nach interponirter Appellation folgenden Monathen ohnfehlbarlich beschehen möge: Im Fall sie aber nach Verfließung der vier Monathen erhebliche Ursachen beybringen könten, aus welchen evidenter erscheinen würde, daß sie und ihre Principalen sich nicht selbsten arctiret hätten, sollen sie nach Gestalt der Sachen biß zu künfftiger Visitation brevi manu restituirt werden. § 3. In puncto Purgationum Contumaciae bleibt es bey der Ordnung, daß ad Decretum et Factum proclama die citirte Parthey oder derselben bestellter Procurator ante elapsas sex juridicas nach ergangenem Ruffen erscheinen und Contumaciam alsobald oder in suo Ordine Novarum purgiren solle. § 4. Läst man es der gerichtlichen angeordneten Audientzien bey dem am3 30. Octobris Anno 1655 eröffneten Gemeinen Bescheid verbleiben. § 5. Die Sollicitanten betreffend, läst man es in genere bey der Ordnung bewenden, und soll bey der Cantzley und Leserey Erinnerung geschehen, daß Krafft besagter Ordnung denenselben wie auch denen von diesem Kayserlichen Cammergericht nicht beeydigten Advocaten keine Protocolla, Processus, Sententiae, Documenta und dergleichen communiciret, weniger außgefolget werden. Dafern auch dem nicht4 nachgelebt werden solte5, mögen sie, ob sie wollen, solches in specie fürbringen, soll alsdann darauff ergehen, was Recht ist. § 6. Was dann die Procuratoren wegen langsamer Expedition oder sonsten gegen die Cantzley- und Lesereyverwandte vor beständige Klagen haben, die mögen sie ebenmäßig gegen einen oder den andern in specie gebührlich anbringen, soll alsdann ferner gebührende Verordnung beschehen: Und läst man es immittelst bey der6 Cammergerichts- und churfürstlichen mayntzischen frisch ergangenen Verordnung beruhen.

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Fehlt in GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; aber vorhanden in Blum 1667. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717 Appellationsprocessen. Fehlt in GB 1661; Blum 1667; GB 1696; GB 1707. GB 1661; GB 1671 nit; Blum 1667 Dafern auch nicht. GB 1695; GB 1696; GB 1707 solle. Fehlt in Blum 1667.

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§ 7. Damit auch ferner dasjenige, was im jüngern Reichsschluß § „Zumahlen aber jederzeit usw. 118.1“ der Advocaten halber wegen des Juramenti Calumniae de non frivole appellando versehen, desto füglicher ins Werck gerichtet werden möge, sollen nach Verfliessung dreyer Monath von dato diß dieselbe jederzeit ad jurandum vel in eventum ad videndum se incidisse in Poenam non jurantium (welche hiemit, soviel die Advocaten betrifft, salvo Judicis Arbitrio, auf eine Marck löthiges Goldes gesetzt wird) citiret und solches denen Processibus Appellationis einverleibt, wenigers nicht neben den Partheyen besagten Advocatis insinuirt, auch zu dem Ende dieselbe in den Supplicationibus pro Processibus nahmhafft gemacht, oder darauff nichts erkandt, sondern die Proceß abgeschlagen werden: Die Partheyen aber anbelangend, hat es bey dem Praejudicio Desertionis in alle Wege seine Bewendung. § 8. Schließlich wird denen Procuratoren zu ihrer Nachricht hiemit angefügt und der jüngste Reichsabschied in puncto Executionis biß auff künfftige Visitation hiemit dergestalt erläutert, daß in Causis Mandatorum sine Clausula hinführo beede Wege, sowohl der Arctiorn als Mandatorum Executorialium, an die creyßaußschreibende Fürsten statt haben sollen: Wornach sie sich im Anruffen mit Eligirung eines oder des andern Wegs und würcklicher Benennung des exequirenden Stands und Orths, darin die außtrücklich2 specificirte Güther, worauff die Execution beschehen soll, gelegen, zu richten. In Causis simplicis Querelae et Mandatorum cum Causula aber läst man es bey dem klaren Inhalt besagten Reichsabschieds bewenden. In Consilio pleno, 28. Januarii Anno 1657. Johannes3 Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae4 Protonotarius5. Vorlage: CJC 1724, S. 895-896 Nr. CCCXC. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 40-41; GB 1665, S. 36-37; Blum 1667, S. 599-601; GB 1671, S. 36-37; GB 1678, S. 37-38; GB 1686, S. 37-38; GB 1688, S. 35-36; GB 1695, S. 89-91; GB 1696, S. 89-91; GB 1707, S. 89-91; GB 1710, S. 98-100 Nr. CXXXI; GB 1714, S. 57-59 Nr. CXXXIII; CJC 1717, S. 57-59 Nr. CXXXIII; GB 1717, S. 57-59 Nr. CXXXIII; GB 1724, S. 98-100 Nr. CXXXI. Anmerkung: Wie die Vorgängerbescheide ab dem 7. September 1654 (oben RKG Nr. 126) war das Reichskammergericht auch mit diesem Gemeinen Bescheid weiterhin damit beschäftigt, die durch den Jüngsten Reichsabschied von 1654 verlangten Reformen umzusetzen. Hierbei gerieten abermals die Fragen des Kalumnieneides ins Visier (dazu die Gemeinen Bescheide vom 23. Mai 1656 und 25. August 1656, oben RKG Nr. 130 und 131). Andere regelungsbedürftige Punkte traten aber hinzu. § 1 bekräftigte zunächst die vom Kameralkollegium am 25. August 1656 an 1 2 3 4 5

GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 111; aber GB 1714; CJC 1717 118. GB 1661; GB 1671 darin außtrückliche; GB 1696; GB 1707 darinn außtrückliche. GB 1695; GB 1696 Iohannes. GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonoratius fehlt in Blum 1667.

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die Prokuratoren übergebenen Formulierungen für den Appellationseid. Sie waren so allgemein gehalten, dass der Gemeine Bescheid vorschreiben konnte, sie auch als gewöhnlichen Kalumnieneid in erstinstanzlichen Streitigkeiten zu verwenden. Fraglich war offenbar, wen man rechtlich als Eidesleistenden anzusehen hatte. Rein tatsächlich schwor ja der Prokurator allein in der reichskammergerichtlichen Audienz. Freilich kannte das Gemeine Recht die Stellvertretung bei der Eidesleistung. Es war also möglich, den Eid „in die Seele“ eines anderen zu schwören, wie man damals sagte. Die ausformulierten Vollmachts- und Eidesformulare enthielten dazu sogar Klauseln. Darin bekräftigte der Mandant, er wolle bei einem Meineid des Prokurators genauso sein ewiges Seelenheil verlieren und in die Hölle kommen wie bei einer eigenen falschen Eidesleistung. Im erstinstanzlichen Verfahren gab es nun zwei Möglichkeiten. Auf Anordnung des Gerichts oder auf Antrag der Gegenseite sollte der Kalumnieneid nämlich sowohl den Mandanten als auch den Prokurator binden. Das war wohl immer dann der Fall, wenn das Gericht oder der Widerpart dem Anwalt selbst unlautere Machenschaften unterstellte. Der Kalumnieneid bezog sich dann aber lediglich auf dasjenige, was der Prokurator wusste. Er haftete also nicht für Lügen und Boshaftigkeiten seines Prinzipalen. Für den Fall, dass diese spezielle Aufforderung nicht erging, enthielt der Gemeine Bescheid keine Regelung. Vermutlich wirkte der Eid dann nur für und gegen die Partei. Genauso war es im Appellationsverfahren jederzeit. Der Kalumnieneid, hier in der speziellen Gestalt des Appellationseides, wirkte ausschließlich für und gegen die Seele der Partei. Kurfürsten und andere Reichsstände sollten nach dem Visitationsdekret vom 27. November 1713 vom Kalumnieneid aber gänzlich befreit sein (Anlage A zum Visitationsdekret, in GB 1724, S. 243, mit Verweis auf § 43 JRA). § 2 präzisierte die gemeinrechtlichen Fatalia introducendae appellationis. Das war die Zeit, innerhalb derer eine Partei, nachdem sie untergerichtlich bzw. vor einem Notar die Appellation eingelegt hatte, das Verfahren am Appellationsgericht in Gang bringen musste. Hierfür waren mehrere Handlungen erforderlich. Das Gericht stellte auf das sog. Ausbringen des Prozesses und die Insinuation ab. Mit Ausbringen war das sog. Erkennen der Ladung gemeint, also derjenige Tag, an dem die Assessoren in einer Extrajudizialsitzung die Eröffnung des Appellationsverfahrens beschlossen. Danach ging es darum, das Ladungsschreiben dem Appellanten zuzustellen. Diese Verkündung nannte man die Insinuation. Zwischen der Einlegung der Appellation und der Verkündung der Zitation durften höchstens vier Monate liegen. Wer dagegen verstieß, hatte die Desertionsfolgen hinzunehmen. Wenn allerdings ein Fristverstoß nicht an der Langsamkeit der Partei oder des Prokurators gelegen hatte und dies glaubhaft bescheinigt war, erklärte sich das Reichskammergericht zu einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (restitutio in integrum) bereit. An dieser Stelle folgte ganz versteckt ein Hinweis auf die Bindungswirkung der Gemeinen Bescheide allgemein. Die Wiedereinsetzung sollte nämlich nur so lange möglich sein, bis eine Visitation eine abweichende Entscheidung traf. Das entsprach der Rechtsqualität der Gemeinen Bescheide als formal nur vorläufige Normsetzungen. Wenn allerdings wie für den gesamten Rest des 17. Jahrhunderts keine regulären Visitationen des Reichskammergerichts mehr zustande kamen, erstarkten die Gemeinen Bescheide im Ergebnis zu gesetzesgleicher Verbindlichkeit. Dennoch kam das Visitationsdekret vom 27. November 1713 gerade auf diesen Punkt zurück. Wie-

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dereinsetzungen sollte es nur geben, wenn die dafür vorgetragenen Ursachen „gantz klar“ waren und „kein Zweiffel“ daran bestehen konnte (Anlage A zum Visitationsdekret, in GB 1724, S. 243). § 3 regelte Fragen des Kontumazialverfahrens, die das Gericht in der Neuordnung der Audienz 1655 noch offen gelassen hatte (Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655 § 5, oben RKG Nr. 127). Weiterhin sollte alles bei der Ordnung bleiben, also wohl beim überkommenen Stilus curiae. Nach dem förmlichen Rufen musste die ausgebliebene Partei spätestens im sechsten folgenden Termin erscheinen, eine Frist, die zeitweise auch abweichend festgesetzt war. Die Verteidigung gegen den Säumnisvorwurf sollte sodann entweder unverzüglich oder im Ordo novarum erfolgen. Die genaue Verortung der Kontumazialsachen in den Umfrageordnungen blieb also zweifelhaft. Die Audienzordnung selbst sollte sich aber nach den Anordnungen vom 30. Oktober 1655 richten, § 4. § 5 des Gemeinen Bescheids behandelte die Rechtsstellung der Sollizitanten und solcher Advokaten, die nicht ausdrücklich am Reichskammergericht zugelassen waren. Sie hatten ihrerseits keinen Amtseid geleistet. Gegenüber der Kanzlei und der Leserei sollten sie deswegen auch keinerlei Rechte innehaben. Insbesondere war es verboten, ihnen offizielle Schriftstücke auszuhändigen. Verstöße kamen in der Praxis offenbar vor (vgl. Gemeiner Bescheid vom 23. Januar 1741, unten RKG Nr. 273), und deswegen eröffnete die Vorschrift zugleich, wenn auch reichlich vage, Rechtsbehelfe für die potentiell Geschädigten. Die Sollizitation diente bekanntlich der Prozessbeschleunigung, und deswegen kam das Gericht in § 6 auf die Beschwerden der Prokuratoren über die Langsamkeit der Kanzlei und der Leserei zu sprechen. Auch hierfür eröffnete das Kameralkollegium nun einen Rechtsbehelf. Es scheint aber bereits andere Vorkehrungen für dieses Problem gegeben zu haben, insbesondere eine kurfürstlich Mainzer Verordnung. Näheres dazu ist nicht bekannt. Leider enthält auch die zuverlässige Quellensammlung von Georg Melchior von Ludolff keinen Verweis (CJC 1724, S. 896; in GB 1678, S. 63-65 gibt es eine Mainzer Verordnung, doch stammt sie erst von 1660). § 7 ergänzte § 1 und konkretisierte die Anforderungen an den Appellationseid, wie § 118 des Jüngsten Reichsabschieds ihn vorgegeben hatte. Wenn der Advokat verpflichtet war, die Spezialvollmacht ebenfalls zu unterzeichnen, konnte das Gericht dies nur überprüfen, wenn es den Namen des Advokaten kannte. Deswegen musste fortan im Supplikationsschreiben, also im Antrag auf Erlass einer Zitation, der Advokat jeweils bekannt sein. War die Supplikation dagegen unvollständig, würde sich das Gericht zukünftig weigern, die Ladung zu erlassen. In diesem Fall sollten dennoch die Desertionsfolgen eintreten. § 8 schließlich füllte eine Lücke, die der Jüngste Reichsabschied gelassen hatte. Für den Zitationsprozess erster Instanz und den Mandatsprozess cum clausula gab es bereits nähere Ausführungen zur Urteilsvollstreckung, nicht aber für den Mandatsprozess sine clausula. Deswegen stellte das Gericht den obsiegenden Klägern beide bisher gebräuchlichen Möglichkeiten zur Wahl. Bei einem Verstoß gegen das Mandat konnten sie zum einen ein verschärftes Mandat mit erhöhter Strafdrohung erlangen (sog. Mandatum arctius). Zum anderen konnten sie aber auch mit einem Mandatum de exequendo sofort zur Vollstreckung der Mandatsanordnung schreiten. In diesem Fall hatten sie anzugeben, wo sich der Streitgegenstand befand und welcher kreisausschreibende Fürst für die Vollstreckung zuständig war.

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RKG Nr. 133 1657 Februar (6) 16 [Procuratores status Imperii quibus quisque procurando inservit ad exsolutionem debita sustentationis Camerae per literas adhortantor easque literas fiscali sub sigillo volante intra octiduum tradunto.]1 Status Imperii ad exsolvendam Camerae substentationem admonentor per literas procuratorum, hique illas fiscali sub sigillo volante tradunto.2 Demnach Churfürsten, Fürsten3 und Stände des Reichs über die zu behöriger Abtragung des Kayserlichen Cammergerichts Unterhalt außgelassene Kayserliche Monitoria und an die creyßaußschreibende Fürsten abgangene Requisitorialschreiben des Pfenningmeisters eingelangtem Bericht und Designation nach so wenig mit Entrichtung der verfallenen neuen Zieler als nunmehr schuldiger sechs zwölffte Theil der alten Restanten der Gebühr eingehalten und man dahero dem jüngern Reichsabschied gemäß auff des Kayserlichen Generalfiscals ambtliches Begehren gegen die Säumige die würckliche Execution bereits decernirt und zum Theil außgefertiget. So hat man bey abermahlig zunahendem neuen Termin der Franckfurter Fastenmeß obhöchst-, hoch- und wohlbemeldte Stände des Reichs hiemit zum Überfluß der Gebühr erinnern und denen sämbtlichen Procuratoren zugleich anbefehlen wollen, Churfürsten, Fürsten4 und Stände, denen sie diß Orths procurando bedient seyn, daß dieselbe ihren von Zeit letztern Reichsabschieds schuldigen Nachstand an alten und neuen Zielern zu Verhütung unfehlbar ehist nachfolgender würcklicher5 Execution ins nechst künfftiger Franckfurter Meß des Kayserlichen Cammergerichts Pfenningmeistern durch die Creyßcassirer oder andere Verordnung richtig erlegen6 lassen, mit nechster Post gebührend zu erinnern und anzumahnen, derentwegen ihre Schreiben innerhalb acht Tagen Zeit bey Vermeidung ernstlichen Einsehens alle zu fertigen und dem Kayserlichen Generalfiscaln sub Sigillo volante ohngesäumt und noch vor Verfliessung solcher Zeit einzulieffern. Decretum in Consilio pleno, den (6.) 16.7 Februarii Anno8 1657. Johannes9 Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae1 Protonotarius2. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Procuratores ... tradunto in GB 1661; Blum 1667. Status ... tradunto fehlt in GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710. Fehlt in GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Fehlt in GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707. Fehlt in Blum 1667. GB 1661; Blum 1667 ergehen. GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 16. (6.); Blum 1667 6. Fehlt in GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695. GB 1695; GB 1696 Iohannes.

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Vorlage: CJC 1724, S. 896-897 Nr. CCCXCI. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 41-42; GB 1665, S. 37; Blum 1667, S. 601-602; GB 1671, S. 37; GB 1678, S. 38-39; GB 1686, S. 38-39; GB 1688, S. 36; GB 1695, S. 91-92; GB 1696, S. 91-92; GB 1707, S. 91-92 und S. 196 (zweimal abgedruckt); GB 1710, S. 101 Nr. CXXXII; GB 1714, S. 59 Nr. CXXXIV; CJC 1717, S. 59 Nr. CXXXIV; GB 1717, S. 59 Nr. CXXXIV; GB 1724, S. 101 Nr. CXXXII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid knüpft an die nur ein Jahr zuvor ergangene Vorläuferregelung vom 2. Januar 1656 an (oben RKG Nr. 129). Die Hoffnung, nach dem Jüngsten Reichsabschied werde sich die Zahlungsmoral der Reichsstände bessern und das Reichskammergericht auf einer verlässlicheren finanziellen Grundlage stehen, hatte sich schnell in Luft aufgelöst. Es genügte eben nicht, lediglich feste Zahlungstermine, angelehnt an die beiden Frankfurter Messen festzusetzen. Der Bescheid erwähnt zusätzlich ein kaiserliches Monitorium sowie ein Schreiben des kammergerichtlichen Pfennigmeisters an die kreisausschreibenden Fürsten. Doch auch diese beiden Maßnahmen hatten wenig gebracht. Die Hälfte der Rückstände war immer noch offen geblieben. In dieser schwierigen Situation hatte der Fiskal das Vollstreckungsverfahren eingeleitet. Der Hinweis im Gemeinen Bescheid blieb an dieser Stelle aber besonders farblos. Die Exekution sei nämlich „dezerniert“ und zum Teil „ausgefertigt“ worden. Dezernieren, also erkennen, war die Bezeichnung für einen Extrajudizialbeschluss, mit dem das Gericht einen Prozess eröffnete. Offenbar hatte der Fiskal also zahlreiche Monitoria beantragt und das Gericht sie bewilligt. Aber nur einige von ihnen hatte man auch ausgefertigt. Es gab also für die beschlossenen Monitoria nicht einmal in jedem Fall Monitoriumsschreiben, angelehnt an die Mandate sine clausula. Und selbst für diejenigen Fälle, in denen die Kanzlei die Monitoria ausgefertigt hatte, fehlen Hinweise auf die Zustellung. Ob also die vom Fiskal erwirkten Mahnschreiben als erste Stufe des Vollstreckungsverfahrens jemals die Empfänger und damit die reichsständischen Schuldner erreichten, bleibt völlig offen. Die zweite Hälfte des Bescheids spricht sogar deutlich dagegen. Denn abermals schaltete das Reichskammergericht die ständigen Prokuratoren der Stände ein. Sie sollten an ihre Mandanten schreiben und sie zur Abwendung der drohenden Beitreibung bewegen. Die Stände hatten also ihre Kammerzieler den Kreiskassierern zu überliefern, die sie dann an den Pfennigmeister weiterleiteten – so jedenfalls die Theorie. Innerhalb von acht Tagen mussten die Prokuratoren diese Mahnbriefe verfassen und dies dem Generalfiskal glaubhaft mitteilen, wie immer mit zweifelhaftem Erfolg. Den Fortgang der traurigen Angelegenheit schildert der Gemeine Bescheid vom 4. Dezember 1658 (unten RKG Nr. 137).

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GB 1661; GB 1671 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonorarius fehlt in Blum 1667.

RKG Nr. 134 1657 Februar 19

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RKG Nr. 134 1657 Februar 19 [Fiscalis in ordinaria audientia absque praevia denuntiatione agere permissum esto.]1 Fiscali absque praevia denunciatione agere in ordinaria audientia licet.2 Auff des Kayserlichen Generalfiscals beschehenes Ansuchen wird demselben wie auch denen sämbtlichen Procuratoren zur Nachricht hiemit angefügt, daß aus gewissen vorbrachten Ursachen dem Fiscali wiederumb zugelassen, hinführo nach Außweiß der Ordination, auch Herkommens und jüngern Reichsabschieds, wann er wolle, ohne Avisation der Procuratoren in Audientia wiederumb zu handlen, jedoch daß er im Recessiren bey der denen andern Procuratoren angesetzter Straff sich ebenmäßig aller Kürtze und Gebühr befleissen solle. Decretum in Consilio pleno, 19. Februarii Anno 1657. Johannes3 Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae4 Protonotarius5. Vorlage: CJC 1724, S. 897 Nr. CCCXCII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 42; GB 1665, S. 37-38; Blum 1667, S. 602; GB 1671, S. 37-38; GB 1678, S. 39; GB 1686, S. 39; GB 1688, S. 36; GB 1695, S. 92-93; GB 1696, S. 92-93; GB 1707, S. 92-93; GB 1710, S. 102 Nr. CXXXIII; GB 1714, S. 59-60 Nr. CXXXV; CJC 1717, S. 59-60 Nr. CXXXV; GB 1717, S. 59-60 Nr. CXXXV; GB 1724, S. 102 Nr. CXXXIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ergänzt die Regelung von 1655 (Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655 § 6; oben RKG Nr. 127). Es hatte sich offenbar nicht bewährt, den Fiskal nur dann in den Audienzen auftreten zu lassen, wenn er sein Anliegen zuvor schon angekündigt hatte. Der Bescheid erweiterte daher die Handlungsmöglichkeiten des Fiskals und gestand ihm das Rederecht sowie die Möglichkeit, Prozesshandlungen vorzunehmen, immer dann zu, wenn er es für sinnvoll hielt. Das Kameralkollegium stützte diese Erleichterung auf die Ordnung, wohl auf die Reichskammergerichtsordnung von 1555, auf das Herkommen und auf den Jüngsten Reichsabschied. Den vor nicht einmal eineinhalb Jahren ergangenen Sammelbescheid von 1655 erwähnte das Gericht in diesem Zusammenhang nicht. Er war in diesem Punkt augenscheinlich nie zur Observanz gelangt und daher schlichtweg nicht wirksam geworden. Jedenfalls trat der neue Gemeine Bescheid nicht als Gesetzesänderung, sondern als Gesetzesbekräftigung auf, obwohl er den zuvor ergangenen älteren Bescheid in derselben Sache aufhob. Falls der Wortlaut mit Bedacht gewählt 1 2 3 4 5

Fiscalis ... esto in GB 1661; Blum 1667. Fiscali ... licet fehlt in GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710. GB 1695; GB 1696 Iohannes. GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1696; GB 1707 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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war, stellte das Gericht seine eigenen Gemeinen Bescheide damit noch unter das Herkommen. Anders gesagt: Ein Gemeiner Bescheid, der nicht die Kraft hatte, das Herkommen zu ändern, verpuffte ohne weiteres wirkungslos. Aber in solchen Rechtsquellenfragen scheint das Kameralkollegium nicht konsequent gewesen zu sein. Die zahlreichen Erlasse zur Ordnung und Disziplin in der Audienz ebenso wie zur Zahlung des Kammerzielers hatten es auch nicht vermocht, die abweichende Praxis in geordnete Bahnen zu lenken. Trotzdem schärfte das Gericht derartige Gemeine Bescheide immer wieder ein. Ob dahinter die gemeinrechtliche Unterscheidung guter und böser Gewohnheiten stand, ist möglich, aber unsicher. Vielleicht fehlte der quasigesetzgeberischen Tätigkeit des Gerichts wirklich der rote Faden, jedenfalls im heiklen Gebiet der Rechtsquellenlehre.

RKG Nr. 135 1658 März 26 Tutores Cameralium inventaria1 edunto et rationes tutelae reddundo, similiter pedellus indicet pupillos specifice, quibus nondum ordinatione tutorum provisum est.2 Endlich3 sollen alle und jede Vormündere ihrer tragenden Vormundschafften gebührende Inventaria und Rechnungen in Zeit zweyer Monat zu des Kayserlichen Cammergerichts Cantzley übergeben: Deßgleichen die Pedellen förderlichst erkundigen, welche von den cameralischen minderjährigen Kindern mit bestättigten Vormündern nicht versehen und dieselbe verzeichnet einbringen, darauff zu geschehen, was Recht ist. Vorlage: CJC 1724, S. 897 Nr. CCCXCIII. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 2; GB 1671 Suppl., S. 2; GB 1678, S. 39; GB 1686, S. 39; GB 1688, S. 37; GB 1695, S. 93; GB 1696, S. 93; GB 1707, S. 93; GB 1710, S. 102 Nr. CXXXIV; GB 1714, S. 60 Nr. CXXXVI; CJC 1717, S. 60 Nr. CXXXVI; GB 1717, S. 60 Nr. CXXXVI; GB 1724, S. 102 Nr. CXXXIV; fehlt in GB 1661; GB 1665 (Hauptteil); Blum 1667; GB 1671 (Hauptteil). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid zeigt das Reichskammergericht als zuständige Behörde im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit für die Familienangehörigen seiner eigenen Mitglieder. Der eximierte Status sämtlicher Kameralen befreite sie von obrigkeitlichen Anordnungen der Territorien, insbesondere der Reichsstädte Speyer und später Wetzlar. Das war der Grund, warum das 1 2 3

GB 1710 iuventaria. Tutores ... est fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710. GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Es.

RKG Nr. 136 1658 Mai 2 (12)

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Reichskammergericht auch als Policeybehörde auftreten konnte (dazu die Einleitung ab Anm. 359). Im Vormundschaftsrecht sah es ganz ähnlich aus. Der Bescheid behandelte nicht minderjährige Parteien, die vor Gericht durch ihre Vormünder Prozesse führten, sondern „kammeralische“ minderjährige Kinder, von Georg Melchior Ludolff in seiner lateinischen Überschrift treffend mit „Tutores Cameralium“ wiedergegeben. Die Regelung fiel außerordentlich knapp aus. Die Beteiligten müssen also weitergehende Hintergründe gekannt haben, die der Text selbst verschweigt. Vormundschaftsfragen ergaben sich nur dann, wenn der Vater als Familienoberhaupt verstorben war. Es ging also um minderjährige Kinder verstorbener Assessoren, Prokuratoren, Advokaten und anderer, vielleicht bis hin zum untergeordneten Kanzlei- und Botenpersonal. Für sie hatte man Vormünder eingesetzt, und diese mussten ihre Bestellung ordnungsgemäß bei Gericht anzeigen und außerdem die Vermögensverhältnisse des Mündels gegenüber der Kanzlei offenlegen. Der Pedell, also der Gerichtsdiener, erhielt darüber hinaus den Auftrag zu ermitteln, ob es weitere minderjährige Hinterbliebene gab, die bisher keinen Vormund erhalten hatten. Ob das Gericht diesen Kindern von Amts wegen Vormundschaften bestellen wollte, sagte der Gemeine Bescheid nicht. Jedenfalls unterstellte der Gemeine Bescheid nicht nur die Kameralen selbst, sondern auch ihre Familienangehörigen, der obrigkeitlichen Gewalt des Gerichts. Mit Gemeinem Bescheid vom 22. Februar 1659 wiederholte das Gericht seine Anordnung (unten RKG Nr. 139). Auch später kam das Kameralkollegium auf diesen Punkt immer wieder zurück.

RKG Nr. 136 1658 Mai 2 (12) [Personae Camerales impositas mulctas intra 14 imponendas vero intra 8 dies sub poena dupli exsolvunto: Pedelli illas mulctas diligenter exigunto neque harum exactionem propter praetensam supplicationem pro remissione vel moderatione omittunto.]1 Camerales sub poena dupli mulctas suas exsolvunto et pedelli illas non obstante pratextu supplicationis pro remissione vel moderatione earum factae sedulo exigunto.2 Demnach man von langer Zeit beharrlich verspühret, daß diejenige dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten, Procuratoren und andere demselbigen angehörige Persohnen, welchen verschiedene Geldstraffen angesetzt worden, in Entrichtung derselben sich zumahl nachläßig und säumig erzeigt. Als wird denselben sämbtlich 1 2

Personae ... omittunto in GB 1661; Blum 1667. Camerales ... exigunto fehlt in GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710.

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RKG Nr. 136 1658 Mai 2 (12)

hiemit nochmahlen1 allen Ernstes anbefohlen, daß sie die am 30. Octobris 1655 angesetzte und folgends biß anhero noch nicht entrichtet außstehende Straffen innerhalb nechst folgenden 14 Tagen, die künfftige aber nach und nach jedesmahls in Zeit 8 Tagen und zwar allenthalben sub Poena dupli oder nach Befindung der Sachen bey Vermeidung schärfferer Verfahrung Inhalts der Ordnung und Reichsconstitutionen (wofern sie in obbestimmter Zeit die würckliche2 Remission oder Moderation nicht bescheinen können3) ohnfehlbarlich erlegen. Auch die Pedellen mit Einforderung solcher Straffen in ermeldten Terminen ohneinstellig verfahren, und obgleich ein oder ander, umb Nachlaß oder Ringerung supplicirt zu haben, nach Verlauff oberwehnter respective 14 oder 8 Tage allegiren möchte, sich jedoch davon nicht abhalten lassen, sodann hierüber ihre schrifftliche Relation alle Sambstag übergeben und in Verbleibung dessen eines schärffern Einsehens gewärtig seyn sollen. Decretum in Consilio pleno4, 12. Maii Anno 1658. Johannes5 Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius6. Vorlage: CJC 1724, S. 897-898 Nr. CCCXCIV. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 42; GB 1665, S. 38; Blum 1667, S. 602-603; GB 1671, S. 38; GB 1678, S. 39; GB 1686, S. 39; GB 1688, S. 37; GB 1695, S. 93-94; GB 1696, S. 93-94; GB 1707, S. 93-94; GB 1710, S. 102-103 Nr. CXXXV; GB 1714, S. 60 Nr. CXXXVII; CJC 1717, S. 60 Nr. CXXXVII; GB 1717, S. 60 Nr. CXXXVII; GB 1724, S. 102-103 Nr. CXXXV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt Fragen der Strafzahlungen an das Gericht. Er beruft sich auf die bei der Neuordnung der Audienzen am 30. Oktober 1655 (oben RKG Nr. 127) festgesetzten Strafen. Der Sache nach handelt es sich freilich um eine Fortschreibung des Gemeinen Bescheids vom 6. November 1655 (oben RKG Nr. 128). Offenbar zahlten diejenigen Anwälte, gegen die das Gericht eine Geldbuße verhängt hatte, ihre Strafsumme nur sehr nachlässig. Mit dieser Beschwerde hob der Gemeine Bescheid an. Einige Rückstände türmten sich angeblich schon seit Herbst 1655 auf, also deutlich über zwei Jahre. Das Gericht gewährte einen letzten Aufschub, wenn auch mit zwei Wochen knapp und streng bemessen. Für künftige Strafzahlungen sollte es sogar eine nochmals verkürzte Frist von nur acht Tagen geben. Zukünftig eintretende Säumnis sollte mindestens die Poena dupli, also eine Verdoppelung der Summe, zur Folge haben, wobei schärfere Sanktionen ausdrücklich vorbehalten blieben. Die Anträge der Anwälte auf Straferlass oder Milderung blieben ebenso wie schon 1655 unbeachtlich, wenn sie nicht schriftlich und substantiiert begründet waren. Der Pedell brauchte darauf keine Rücksicht zu nehmen und sollte die fälli1 2 3 4 5 6

GB 1661; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 nachmahlen; Blum 1667 nachmalen. GB 1661; Blum 1667 würcklich. GB 1661; Blum 1667; GB 1678 könten. GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 in Pleno Consilio. GB 1695; GB 1696 Iohannes. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

RKG Nr. 137 1658 Dezember 4

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gen Gelder weiterhin am Sonnabend von den Prokuratoren einfordern, also vermutlich wie gehabt im Zusammenhang mit den Vormittagsaudienzen.

RKG Nr. 137 1658 Dezember 4 [Procuratores status Imperii de residua sustentatione Camerae solvenda admonento: Suas literas monitorias ad transmittendum ut et ad eas datas responsiones fiscali communicanto.]1 Procuratores ad solvendum2 Camerae sustentationem status admonento et literas has suas ut et datas ad illas responsiones fiscali communicanto.3 Demnach des Kayserlichen Cammergerichts Generalfiscal tragenden Amts halben anbracht, daß ohnerachtet der hiebevor außgelassenen Monitorien und Erinnerungen unterschiedliche Churfürsten, Fürsten4 und Stände des Reichs Ihre nach Inhalt des jüngern Regenspurgischen Reichsschlusses erforderte schuldige Gebühr zu dieses höchsten Gerichts ohnentbehrlichen Unterhalt nicht erstattet und an denen von Anno 1654 biß dato verfallenen 9 neuen und des alten Außstandes 9 zwölfften Theilen Terminen eines Theils gar nichts, andern Theils aber gar geringes abgetragen und daraus abzunehmen, daß auff die bey den Ständen, vermittelst ihrer allhie bestellten Anwälden durch damahls den 2. Januarii 1656 ertheiltes Gemeine Decretum beschehener Erinnerung einige Anschaffung, daß von dero Cammer- und Renthmeister diese jedesmahl 4 Wochen vor der Franckfurter Meßzeit fallende schuldige Gebühr ohne Einholung weitern Specialbefelchs den Creyßeinnehmern oder Cammergerichts Pfenningmeistern selbsten entrichtet werden möchten, annoch nicht zu Werck gestellet und dahero bey Unterbleibung anderer gegen die Säumige verordnete Executionsmitteln eine hohe Nothdurfft befunden werde, durch ermeldte der Stände Anwälde dessen eheste Werckstellung, wie auch, daß die verfallene 9 neue Zieler und restirenden alten Außstands 9 zwölffte Theil förderlich abgestattet werden, nochmahlige5 Erinnerung zu thun. Als wird vorgedachten des Kayserlichen Cammergerichts bestellten sämbtlichen Procuratoren Krafft dieses hiemit ernstlich anbefohlen, daß jeder denen jenigen 1 2 3 4 5

Procuratores ... communicanto in GB 1661; Blum 1667. GB 1710; GB 1717 solvendam. Procuratores ... communicanto fehlt in GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710. Fehlt in GB 1661; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1661; GB 1678; GB 1696; GB 1707 nachmahlige; Blum 1667 nachmalige.

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RKG Nr. 137 1658 Dezember 4

Churfürsten und Ständen, denen er bedient und welche annoch in dergleichen Hinterstand des Orts begriffen, mit nechst abgehender Post fernere gebührende Anmahnung thun, daß sowohl der andern 9 neuen Zieler und 9 des alten Außstandes verfallene zwölfften Theile Terminen befindliche Rest ohngesäumet abgeführet als auch zu künfftiger richtiger und beständiger Abstattung ihres dißfalls angesetzten Contingents an oberwehnte dero Cammer- und Renthmeister oder Rentheinnehmer ein vor allemahl vorberührter nöthiger Befelch ertheilt, darob auch förderst gehalten und auff den widrigen unverhofften Fall nach Inhalt des jüngern Reichsschlusses gegen sie zu verfahren nicht Noth werde. Und sollen die zu dem End abgehende Schreiben dem Kayserlichen Generalfiscal communicirt und zu deren Versendung zugestellt wie auch die darauff erfolgende Antwort behörig eingelieffert werden. Decretum in Consilio pleno, 4. Decembris Anno 1658. Johannes1 Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae2 Protonotarius3. Vorlage: CJC 1724, S. 898 Nr. CCCXCV. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 42-43; GB 1665, S. 38; Blum 1667, S. 603-604; GB 1671, S. 38; GB 1678, S. 40; GB 1686, S. 40; GB 1688, S. 37; GB 1695, S. 94-95; GB 1696, S. 94-95; GB 1707, S. 94-95; GB 1710, S. 103-105 Nr. CXXXVI; GB 1714, S. 61 Nr. CXXXVIII; CJC 1717, S. 61 Nr. CXXXVIII; GB 1717, S. 61 Nr. CXXXVIII; GB 1724, S. 103-105 Nr. CXXXVI. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid knüpft an die Vorgängerregelung vom 6./16. Februar 1657 (oben RKG Nr. 133) an und greift die unzureichende Zahlungsmoral der Reichsstände zum wiederholten Male auf. Geändert hatte sich seitdem wenig. Nur waren die rückständigen Kammerzieler seit den neu festgesetzten, an die Frankfurter Messen angelehnten Terminen von sechs auf inzwischen neun ausgebliebene Zahlungen gestiegen. Das Gericht stand seiner eigenen Unterfinanzierung völlig hilflos gegenüber. Wenn es wie hier „ein- für allemal“ einen Zahlungsbefehl erteilte, konnte es nur verlieren. Die Prokuratoren hatten ihre Schreiben an die Stände vorzuweisen und ebenso die Antworten zu überreichen. Aber eine reibungslos laufende Verfahrensweise zur Einziehung der Kammerzieler konnte das Kammergericht von sich aus nicht einführen. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein zog sich das Klagelied als roter Faden durch die Gemeinen Bescheide.

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GB 1695; GB 1696 Iohannes. GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

RKG Nr. 138 1659 Februar 10

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RKG Nr. 138 1659 Februar 10 [In communi decreto 30. Octobris 1655 publicato dispositionibus ad abbreviandum processum factis sed ob tardam circumvolutionem ordinum tunc temporis constitutorum intentum finem nondum nactis advocati et procuratores iudicii Cameralis re inter se bene considerata certos modos intentionis in novissimo Imperii recessu propositae assequaces intra octiduum collegio Camerali in scriptis exhibento desuper ulteriorem resolutionem expectantes.]1 Super decreto 30. Octobris 1655 procuratores deliberanto et consulta sua intra octiduum exhibento.2 Demnach von Zeit des am 30. Octobris Anno 1655 eröffneten Gemeinen Bescheids biß anhero verspühret worden, daß die damahlige zu Abkürtzung des Proceß beschehene Dispositiones zu dem vorgehabten Zweck nicht zulänglich, indem vornemlich die angesetzte Ordnungen noch immer viel zu langsam herum gehen, dahero nothwendig auff andere Mittel zu trachten seyn will. Hierumb so wird denen sämbtlichen dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren hiemit ernstlich anbefohlen, daß sie das Werck unter sich reifflich überlegen, gewisse Fürschläge zusammen tragen und diesem Kayserlichen Cammergericht innerhalb 8 Tagen schrifftlich überreichen [sollen]3, wie sie vermeynen, daß die in dem Jüngsten Regenspurgischen Reichsabschiede vorgestellte Intention zu erlangen, darüber sie alßdann fernere Verordnung zu erwarten haben. In Consilio pleno, 10. Februarii Anno 1659. Johannes4 Nicolaus Becht, Iudicii Imperialis Camerae5 Protonotarius6. Vorlage: CJC 1724, S. 898 Nr. CCCXCVI. Weitere Ausgaben: GB 1661 Suppl., S. 57; GB 1665, S. 39; Blum 1667, S. 604-605; GB 1671, S. 39; GB 1678, S. 40; GB 1686, S. 40; GB 1688, S. 38; GB 1696, S. 95-96; GB 1707, S. 95-96; GB 1710, S. 105 Nr. CXXXVII; GB 1714, S. 61-62 Nr. CXXXIX; CJC 1717, S. 61-62 Nr. CXXXIX; GB 1717, S. 61-62 Nr. CXXXIX; GB 1724, S. 105 Nr. CXXXVII.

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In ... expectantes in GB 1661 Suppl.; Blum 1667. Super ... exhibento fehlt in GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710. Blum 1667. GB 1695; GB 1696 Iohannes. GB 1661 Suppl.; GB 1671 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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RKG Nr. 138 1659 Februar 10

Anmerkung: Der Gemeine Bescheid zeigt den Audienzverlauf mit seiner Umfrageordnung abermals an einem Tiefpunkt. Mit großem Schwung hatte das Gericht am 30. Oktober 1655 die öffentlichen Audienzen neu geordnet und dabei deutliche Veränderungen an den überkommenen Umfrageordnungen vorgenommen (Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655, oben RKG Nr. 127). Jetzt waren gut drei Jahre verstrichen und auch diese Reform bereits gescheitert. Die beabsichtigten Straffungen waren fehlgeschlagen oder hatten sich als nicht hinreichend herausgestellt. Das Kameralkollegium blieb ehrlich genug, diesen Misserfolg im Gemeinen Bescheid vom 10. Februar 1659 offen einzuräumen. Andere Mittel taten not, aber niemand wusste, welche. Das ratlose Gericht wandte sich daher mit der Bitte an die Anwaltschaft, sich Gedanken über sinnvolle Möglichkeiten zur Straffung der Audienzen zu machen. So kleinlaut die Assessoren in der Sache auch auftraten, formulierten sie ihren Gemeinen Bescheid doch aus obrigkeitlicher Perspektive. Es handelte sich um einen Befehl an die Advokaten und Prokuratoren, innerhalb von acht Tagen schriftliche Reformvorschläge auf den Tisch zu legen. Der Sache nach hatte das Gericht jetzt noch weniger Karten in der Hand als bei dem gescheiterten älteren Reformversuch von 1595. Damals hatte das Kameralkollegium den Anwälten wenigstens einen eigenen Entwurf vorgelegt und sie zur Prüfung aufgefordert (Gemeiner Bescheid vom 22. Februar 1595; oben RKG Nr. 93). Freilich waren die Bemühungen damals ins Stocken geraten und die Ordnungen weitgehend unverändert geblieben (Gemeiner Bescheid vom 11. April 1595; oben RKG Nr. 94). Jetzt versuchte das Gericht über ein halbes Jahrhundert später, zum zweiten Mal die Advokaten und Prokuratoren in gemeinsame Reformüberlegungen einzubinden. Lediglich das Ziel stand fest. Die gesetzgeberische Absicht des Jüngsten Reichsabschieds, den Reichskammergerichtsprozess zu vereinfachen, wollte man irgendwie umsetzen. Über den Weg dahin herrschte aber heillose Unklarheit. Ob die Anwälte die abverlangten Reformvorschläge tatsächlich ausarbeiteten, noch dazu unter solch scharfem Zeitdruck, ist unbekannt. Die vom Gericht geplante Neuordnung des Audienzbetriebes floss in den wichtigen Gemeinen Bescheid vom 13. Dezember 1659 ein (unten RKG Nr. 144). Dort war aber mit keinem Wort von einer anwaltlichen Mitwirkung die Rede. Die genauen Umstände der Reformbemühungen bleiben deshalb dunkel.

RKG Nr. 139 1659 Februar 22

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RKG Nr. 139 1659 Februar 22 Inhaeretur decreto proximo 26. Martii anni praecedentis.1 Es sollen alle und jede Vormündere dem am 26. Martii jüngst ergangenen Decreto zufolge ihrer tragenden Vormundschafften gebührende Inventaria und Rechnungen in Zeit 6 Wochen zu des Kayserlichen Cammergerichts Cantzley bey Straff nach Ermäßigung übergeben. Deßgleichen die Pedellen förderlichst erkundigen, welche von den cameralischen minderjährigen Kindern mit bestättigten Vormündern nicht versehen und dieselbe verzeichnet einbringen, darauff zu geschehen, was Recht ist2. Vorlage: CJC 1724, S. 898-899 Nr. CCCXCVII. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 2; GB 1671 Suppl., S. 2; GB 1678, S. 40; GB 1686, S. 40; GB 1688, S. 38; GB 1695, S. 96; GB 1696, S. 96; GB 1707, S. 96; GB 1710, S. 106 Nr. CXXXVIII; GB 1714, S. 62 Nr. CXL; CJC 1717, S. 62 Nr. CXL; GB 1717, S. 62 Nr. CXL; GB 1724, S. 106 Nr. CXXXVIII; fehlt in GB 1661; GB 1665 (Hauptteil); Blum 1667; GB 1671 (Hauptteil). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid knüpft an die Vorgängerregelung vom 26. März 1658 an (oben RKG Nr. 135). Inhaltlich handelt es sich um eine reine Wiederholung, weitgehend wörtlich sogar. Offenbar bestand immer noch keine Klarheit über die Zahl der minderjährigen Kinder und über die bestellten und noch offenen Vormundschaften. Eine weitere Anordnung erging mit Gemeinem Bescheid vom 17. November 1659 (unten RKG Nr. 142).

RKG Nr. 140 1659 März 24 [Decreto ratione mulctarum 12. proximi Maii publicato intra 14 dies sub reali executione poena dupli paretor.]3 Paritio decreti proximi 12. Maii sub poena ibidem comminata vel graviori iniungitur.1

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Inhaeretur ... praecedentis fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. Statt Deßgleichen ... was Recht ist in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Deßgleichen die Pedellen usw. ut in priori. Decreto ... paretor in GB 1661; Blum 1667.

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RKG Nr. 140 1659 März 24

Demnach von dieses Kayserlichen Cammergerichts angehörigen Persohnen dem am 12. Maii jüngst ertheilten, die denenselben angesetzte Geldstraffen betreffenden Decreto biß annoch kein vollkommenes Genügen beschehen, als wird denselben sowohl als auch den Pedellen hiemit nochmahls2 alles Ernstes anbefohlen, daß sie erwehntem Decreto gemäß ihre allerseits obliegende Schuldigkeit innerhalb 14 Tagen ohne ferneren Auffenhalt verrichten oder im widrigen Fall der darin anbedroheten Poenae dupli würckliche Execution auch anderer schärfferer Verfahrungen gewärtig seyn sollen. In Consilio pleno, 24. Martii Anno3 1659. Johannes4 Nicolaus Becht, [Lizentiat,]5 Judicii Imperialis Camerae6 Protonotarius7. Vorlage: CJC 1724, S. 899 Nr. CCCXCVIII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 43; GB 1665, S. 39; Blum 1667, S. 605; GB 1671, S. 39; GB 1678, S. 41; GB 1686, S. 41; GB 1688, S. 38; GB 1695, S. 96-97; GB 1696, S. 9697; GB 1707, S. 96-97; GB 1710, S. 106 Nr. CXXXIX; GB 1714, S. 62 Nr. CXLI; CJC 1717, S. 62 Nr. CXLI; GB 1717, S. 62 Nr. CXLI; GB 1724, S. 106 Nr. CXXXIX. Anmerkung: Der Bescheid wiederholt eine Anordnung vom 2./12. Mai 1658 (oben RKG Nr. 136) und damit mittelbar vom 6. November 1655 (oben RKG Nr. 128). Die Eintreibung der vom Gericht gegenüber den Prokuratoren verhängten Geldstrafen klappte immer noch nicht. Insbesondere spricht die abermalige Androhung der Poena dupli für die mangelhaften Durchgriffsmöglichkeiten des Gerichts selbst gegenüber den Anwälten. Bisher hatte es nämlich solche Bestrafungen augenscheinlich nicht gegeben. Sonst hätte man sie nicht immer lediglich wieder in Aussicht stellen müssen. Hierbei ging es um die tatsächliche Disziplinargewalt des Kameralkollegiums gegenüber der Anwaltschaft. In der Praxis war der obrigkeitliche Zwang also erstaunlich zahnlos. Das passt freilich ins vertraute Bild der landesherrlichen Policeyordnungen.

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Paritio ... iniungitur fehlt in GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710. GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 nachmahl; Blum 1667 nachmal. Fehlt in GB 1671. GB 1695; GB 1696 Iohannes. GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1710. GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

RKG Nr. 141 1659 April 22

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RKG Nr. 141 1659 April 22 [Communi decreto 18. Iunii 1563 publicato: ut advenae Camerae subiecti apud iudicem sua nomina profiteantur professique in album inscribeantur1 serio inhae-retor.]2 Decreto 18. Iunii 1563 publicato serio inhaeretur.3 Kund und zu wissen sey hiemit: Als an diesem Kayserlichen Cammergericht in längstverwichenem 1563sten Jahr, den 18.4 Junii, ein Gemeiner Bescheid nachfolgenden Inhalts publicirt und eröffnet: Nachdem sich bißweilen etliche Persohnen unter dem Schein, als ob sie diesem Kayserlichen Cammergericht verwandt und zugethan, allhier zu Speyer enthalten mögen, dardurch ihrer Unbekantnüß halben allerhand Irrungen entstehen. Hierauff so ist des Herrn Cammerrichters und der Beysitzer Befelch und Bescheid: Daß sich alle und jede Persohnen, es seyen Practicanten, Sollicitatores, Partheyen oder andere, welche gedachtem Kayserlichen Cammergericht verwandt seyn, so jetzund zugegen oder inskünfftige ankommen werden, bey ermeldtem Herrn Cammerrichter und Beysitzern anzeigen5 sollen, damit solche der Gebühr immatriculirt und verzeichnet werden mögen. Solcher Gemeine Bescheid aber von theils, wie sichs gebührt, nicht beobachtet worden. Daß derowegen aus Befelch mehrgedachtes Kayserlichen Cammergerichts demselben hiemit nochmahls ernstlich inhaerirt wird, darnach sich alle darbey Interessirte zu richten haben. Decretum in Consilio pleno, 22. Aprilis Anno 1659. Johannes6 Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae7 Protonotarius [manu propria]8. Vorlage: CJC 1724, S. 899 Nr. CCCXCIX. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 43; GB 1665, S. 39; Blum 1667, S. 605-606; GB 1671, S. 39; GB 1678, S. 41; GB 1686, S. 41; GB 1688, S. 38; GB 1695, S. 97; GB 1696, S. 97; GB 1707, S. 97; GB 1710, S. 106-107 Nr. CXL; GB 1714, S. 62-63 Nr. CXLII;

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Blum 1667 inscribantur. Communi ... inhaeretor in GB 1661. Decreto ... inhaeretur fehlt in GB 1661; Blum 1667; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber vorhanden in GB 1710. CJC 1724 8. Junii; GB 1661; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 18. GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1696; GB 1707 angeben. GB 1695; GB 1696 Iohannes. GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. Manu propria in GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; dagegen fehlt Johannes ... propria in Blum 1667.

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RKG Nr. 142 1659 November 17

CJC 1717, S. 62-63 Nr. CXLII; GB 1717, S. 62-63 Nr. CXLII; GB 1724, S. 106-107 Nr. CXL. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bezieht sich ausdrücklich auf den bereits ein volles Jahrhundert früher ergangenen Gemeinen Bescheid vom 18. Juni 1563 (oben RKG Nr. 56). Es ging um die Pflicht für die Praktikanten, Sollizitatoren, Parteien und sonstige, sich bei ihrer Ankunft in Speyer zu immatrikulieren. Die Frage, ob man nach einhundert Jahren von einem Kameralanwalt noch verlangen konnte, die seinerzeit ergangenen Gemeinen Bescheide vor Augen zu haben und zu beachten, umschiffte das Reichskammergericht elegant. Es verwies nämlich nicht nur auf den Vorgängerbescheid, sondern wiederholte ihn bei dieser Gelegenheit im vollen Wortlaut. Obwohl noch eine Einschärfungsformel folgte, hatte das Gericht den Gemeinen Bescheid von 1563 der Sache nach damit zweifach erlassen. Warum es erforderlich war, in dieser Phase die Immatrikulationspflicht zu bekräftigen, wird nicht deutlich. Vielleicht nahm die Zahl der Praktikanten zu. Vielleicht hatte es auch Beschwerden aus der Stadt über Personen gegeben, deren Aufenthaltsstatus unbekannt war. Zusammen mit den Bescheiden vom 22. Februar und 24. März 1659 (oben RKG Nr. 139-140) handelte es sich um den dritten Gemeinen Bescheid in Folge, der lediglich Vorgängerregelungen wiederholte und anmahnte. Das spricht zum einen dafür, wie wenig Beachtung ältere Gemeine Bescheide teilweise fanden. Zum anderen belegt der Brückenschlag zurück bis ins Jahr 1563 eine gewisse Sorgfalt des Gerichts, sein eigenes durch die Gemeinen Bescheide gewachsenes Kameralrecht aktuell zu halten. Die beiden folgenden Gemeinen Bescheide vom 17. November 1659 und vom 1. Dezember 1659 (unten RKG Nr. 142-143) erhärten diese Annahme. Schließlich war das Kameralkollegium seit dem Erlass an die Anwälte damit beschäftigt, den wichtigen Gemeinen Bescheid vom 13. Dezember 1659 vorzubereiten (unten RKG Nr. 144). Vielleicht ging man deshalb mit besonderer Gründlichkeit die ältere Überlieferung durch.

RKG Nr. 142 1659 November 171 Inhaesivum decretorum 26. Martii 1658 et 22. Februarii proxime latorum iniuncta denominatione tutorum.2 Es sollen alle und jede Vormündere denen am 26. Martii [Anno]1 1658 und 22. Februarii jüngsthin ergangenen Decretis zufolg ihrer tragenden Vormundschaff1 2

Datum unklar, GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Anno 1659, 7. Novembris; dagegen wie in der Vorlage GB 1710 17. Novembris eodem (= 1659). Inhaesivum ... tutorum ... fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber vorhanden in GB 1710.

RKG Nr. 143 1659 Dezember 1

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ten gebührende Inventaria und Rechnungen in Zeit 6 Wochen zu des Kayserlichen Cammergerichts Cantzley bey Straff zwey Marck Silbers übergeben: Deßgleichen die ältere und nechste Freund der cameralischen unbevormundeten minderjährigen Kindern ihnen innerhalb 14 Tagen einige zu Vormündern zu verordnen und2 benahmsen. Vorlage: CJC 1724, S. 899 Nr. CCCC. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 2-3; GB 1671 Suppl., S. 2-3; GB 1678, S. 41; GB 1686, S. 41; GB 1688, S. 38; GB 1695, S. 97-98; GB 1696, S. 97-98; GB 1707, S. 97-98; GB 1710, S. 107 Nr. CXLI; GB 1714, S. 63 Nr. CXLIII; CJC 1717, S. 63 Nr. CXLIII; GB 1717, S. 63 Nr. CXLIII; GB 1724, S. 107 Nr. CXLI; fehlt in GB 1661; GB 1665 (Hauptteil); Blum 1667; GB 1671 (Hauptteil). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid knüpft an die Bestimmungen vom 26. März 1658 und vom 22. Februar 1659 an (oben RKG Nr. 135 und 139). Einen Überblick über die bestehenden Vormundschaftsverhältnisse und die Vermögenslage der minderjährigen vaterlosen Kinder von Kameralen hatte das Gericht auch nach eineinhalb Jahren noch nicht. Verfahrensmäßig traf es deshalb eine geringfügige Änderung. Nicht mehr der Pedell sollte zuständig sein, die noch ungeklärten Vormundschaftsfragen zu erfassen. Vielmehr sollten die Verwandten sich selbst um die Bestellung von Vormündern kümmern. Der jeweils älteste oder nächste männliche Verwandte trug dafür die Verantwortung. Die Zweiwochenfrist war recht knapp bemessen. Doch bleibt es natürlich offen, ob und inwieweit die Verwandtschaft schon anlässlich der früheren Gemeinen Bescheide in die Suche nach Vormündern einbezogen gewesen war. Für wenige Jahre gab es jetzt Ruhe mit den Vormundschaftsfragen. Der Gemeine Bescheid vom 22. Januar 1664 (unten RKG Nr. 162) schloss dann aber nahtlos an die Regelungen von 1658/59 an.

RKG Nr. 143 1659 Dezember 1 [Exceptionibus oppositis minime attentis mulcta 30. Octobris 1655 quibusdam impositae sub poena dupli at3 reali executione intra 10 dies exsolvuntor: Neque pedelli ob dictas exceptiones istarum mulctarum exactionem negligunto. 1. Procuratores mulctas sibi impositas a principalibus reposcentes vigore novissimi recessus Imperii poena maneto. In mulctis absentiae idem ius esto.]4 1 2 3 4

GB 1665 Suppl. Fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Blum 1667 ac. Exceptionibus ... esto in GB 1661; Blum 1667.

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RKG Nr. 143 1659 Dezember 1

Decreta prioribus ratione mulctarum exsolvendarum inhaeretur cum extensione.1 Auff die des Kayserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren wie auch andern dabey interessirten Persohnen wegen denen seither dem 30. Octobris Anno 1655 angesetzter noch unentrichteter2 Straffen unterm 2.3 Maii Anno 1658 und 24. Martii noch lauffenden4 1659sten Jahrs ertheilte Gemeine Decreta und darüber von denen Pedellen erstattete Relationes, was gestalt ihre befelchte Erforderung unerachtet der dabey angesetzten Poenae dupli die Schuldhaffte sich nochmahlen5 auf6 ihre angegebene Supplicationes pro remissione, theils welche sie allbereit eingeben, aber noch kein Decret darauff erlangt, theils so [sie]7 noch8 einzugeben im Sinn, ja so gar ein und anderer sich auff die an seine Principalen deßwegen abgangene Bericht und von denselben erwartende Antworten oder andere dergleichen unerhebliche, zumahl an sich selbsten eine neue hohe Bestraffung nach sich ziehende vergebliche Außflucht bezogen, und sie die Pedellen damit bißhero leer abgewiesen und auffgehalten hätten, wird hiemit zu allem Uberflüß ein nochmahliger9 endlicher Termin von 10 Tagen angesetzt, in welchem gemeldte Straffen, soviel deren per Decreta remittiret zu seyn, nicht in continenti bescheinet werden können10, aller dieser Einreden ungehindert von jedem Interessirten entrichtet oder nach Verfliessung solcher Zeit die Realexecution sowohl auff die längst verwürckte Poenam dupli als die anfängliche Straff, ohne ferner hinter sich sehen, würcklich vorgenommen werden: Die Pedellen auch sich hieran nichts, was es gleich seyn oder vermeyntlich eingewendet werden möchte, abhalten lassen sollen. § 1. Daneben wird gegen denjenigen Procuratorn, welche die ihnen selbst und nicht den Principalen angesetzte Straffen von denselben wieder einzufordern, zu erheben und sogar biß dahin sich zu entschuldigen keinen Scheu tragen, anderwertlich schärffers Einsehens nach Inhalt des letztern [Regenspurgischen]11 Reichsabschieds hiemit per expressum vorbehalten. Nicht weniger sollen sub eadem Poena12 dupli und in gleichmäßigem Termin der 10 Tagen diejenige Straffen, welche ein und anderer der Procuratorum biß daher durch seine Absentz vom Gericht vermög der Pedellen eingereichter Specificationen verwürcket, entrichtet, in allem Gleichheit 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Decreta ... extensione fehlt in GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber vorhanden in GB 1710. Blum 1667 angesetzten nach unentrichteten. Blum 1667 12. GB 1661; Blum 1667 nachlauffenden. GB 1661; GB 1696; GB 1707 nachmahlen; Blum 1667 nachmalen. GB 1661; GB 1671 uff. Blum 1667. GB 1661 nach. GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 nachmahliger; Blum 1667 nachmaliger. GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678 kan. GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707. Blum 1667 poeni.

RKG Nr. 143 1659 Dezember 1

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gehalten und niemand verschonet werden. In Consilio pleno, den 1. Decembris Anno1 1659. Insinuatum Dominis Procuratoribus in Audientia, 2. Decembris Anno 1659, per me, Protonotarium J[ohannes]2 N[icolaus] Becht. Vorlage: CJC 1724, S. 899-900 Nr. CCCCI. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 44; GB 1665, S. 39-40; Blum 1667, S. 606-607; GB 1671, S. 39-40; GB 1678, S. 41-42; GB 1686, S. 41-42; GB 1688, S. 39; GB 1695, S. 98-99; GB 1696, S. 98-99; GB 1707, S. 98-99; GB 1710, S. 107-108 Nr. CXLII; GB 1714, S. 63-64 Nr. CXLIV; CJC 1717, S. 63-64 Nr. CXLIV; GB 1717, S. 63-64 Nr. CXLIV; GB 1724, S. 107-108 Nr. CXLII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt wie die Vorgängerbescheide vom 6. November 1655, 2./12. Mai 1658 und 24. März 1659 (oben RKG Nr. 128, 136 und 140) die Beitreibung fälliger Geldstrafen von den Prokuratoren. An der Vollstreckung gebrach es noch immer, die Ausflüchte der Anwaltschaft waren im Wesentlichen immer dieselben. Dennoch traten neue Gesichtspunkte hinzu. Teilweise betonten die straffälligen Advokaten oder Prokuratoren gegenüber dem Pedellen, sie hätten wegen der Strafgelder ihren Mandanten angeschrieben und von ihm die Bezahlung eingefordert. Genau dagegen ging das Kammergericht mit diesem Gemeinen Bescheid vor. Die verhängten Geldstrafen betrafen nämlich anwaltliche Verstöße gegen die Prozessordnung und hatten mit dem Verhalten der Parteien selbst nicht das Geringste zu tun. Deswegen durften die Prokuratoren und Advokaten diese Gelder auch ihren Mandanten nicht in Rechnung stellen. Ansonsten verwarf das Gericht abermals unbegründete und zweifelhafte Anträge auf Erlass oder Ermäßigung der Strafsummen. Neu im Vergleich zu den sachlich ähnlichen Vorgängerregelungen war der Hinweis auf verhängte Strafen wegen geschwänzter Audienzen. Die älteren Gemeinen Bescheide hatten vollzähliges und pünktliches Erscheinen in der kammergerichtlichen Audienz mehrfach zur Amtspflicht der Prokuratoren erklärt. Der Gemeine Bescheid vom 2. Dezember 1659 zeigt nun, wie der Pedell darüber wachte, ob die Anwälte ihren Pflichten nachkamen. Sein Spezifikationszettel enthielt offenbar die Namen derjenigen, die an bestimmten Tagen nicht zur Audienz erschienen waren. Vermutlich trat die Bußpflicht dann ohne weiteres ein. In diesem Fall bestand das praktische Problem also nicht darin, eine Ordnungsstrafe zu verhängen, sondern sie tatsächlich einzutreiben. Der Bescheid drohte weiterhin die Poena dupli an, sprach aber sogar von der Realexekution, also von der Zwangsvollstreckung in das Anwaltsvermögen. Gelöst war die Frage der ausstehenden Strafgelder damit freilich nicht. Am 21. Mai 1660 griff ein weiterer Gemeiner Bescheid das Thema erneut auf (unten RKG Nr. 149). Ganz am Ende des Textes eröffnen die Datumsangaben nähere Hinweise auf das in der Mitte des 17. Jahrhunderts übliche Verfahren zur Verkündung der Gemeinen Bescheide. Das Kameralkollegium fasste einen Plenarbeschluss, nannte ihn aber nicht Conclusum pleni, sondern Gemeinen Bescheid. Einen Tag später war es die Aufgabe des 1 2

Fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1695; GB 1696; GB 1707 I[ohannes].

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Protonotars, diesen Bescheid den Prokuratoren in der Audienz förmlich zu verkünden. Ob Johannes Nicolaus Becht den Bescheid verlas oder den Prokuratoren gleich eine schriftliche Fassung übergab, wird aus der Verkündungsformel nicht klar. Ein weiterer Punkt tauchte im Wortlaut der Gemeinen Bescheide nicht auf, ist aber dennoch bemerkenswert. Seit dem 22. Februar 1659 (oben RKG Nr. 139) hatte das Reichskammergericht in dem knappen Jahr bis zum 1. Dezember 1659 insgesamt fünf Gemeine Bescheide in Folge erlassen, die lediglich ältere Vorgaben wiederholten oder näher ausgestalteten. Keiner dieser Bescheide hat sich mit dem Kern der Gerichtstätigkeit, nämlich mit dem Prozessrecht näher auseinandergesetzt. Doch der Eindruck, das Verfahren sei in dieser Phase erstarrt, würde täuschen. Eingeleitet wurden die fünf Wiederholungsbescheide nämlich von der angekündigten Audienzreform vom 10. Februar 1659 (oben RKG Nr. 138). Und am Ende des Jahres 1659 verkündete das Gericht dann tatsächlich einige erhebliche Neuerungen (Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1659, sogleich unten RKG Nr. 144). Verdeckt von den bloßen Wiederholungsbescheiden brodelte unter der Oberfläche also der Reformkessel.

RKG (ohne Nr.) 1659 Dezember 8 Erwähnt in der Anmerkung zum Separatdruck des Gemeinen Bescheides vom 23. Dezember 1785 (unten RKG Nr. 319); möglicherweise Druckfehler.

RKG Nr. 144 1659 Dezember 13 [Copia Gemeinen Bescheids, so den 13./23.1 Decembris Anno 1659 ahm hochlöblichen Kayßerlichen Cammergericht zu Speyer publiciret worden.]2 [1. Intentione Imperatoris statuumque Imperii de abbreviandis processibus in noviss[imo] recess[u] expressa per certos iudiciales ordines 30. Octobris 1655 constitutos nondum obtenta, in ordine sententiarum et coram deputatis uti hactenus ita quoque in posterum quidem agitor: Ast distinctione terminorum praefixorum ac collectorum cum ordine paritionis sublata ordo terminorum omnibus terminis communis introductus esto. 2. Procurator impetrantis sub praeiudicio circumductionis termini, appellantis sub poena absolutionis a citatione in primo termino 1 2

Separatdruck HAB Wolfenbüttel nur 13. Decembris. Copia ... worden in AHL Slg.; so auch der Separatdruck.

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procuratorium producito. Citatis in casu impossibilis productionis intra 1, 2 vel 3 menses illud producendi cavere liceto: Hactenus male usurpata oblatio exhibendorum ad lectoriam posthac prohibita esto. 3. In primo termino appellans recessum reproductionis amplius ne dictitato sed in scriptis modo hic praescripto exhibeto. Citatus praevia legitimatione in continenti suas exceptiones cum eventualibus producito: utrinque recognoscendorum recognitione postulata e vestigio ista vel diffessio sequitor: Iuramentum appellationis praestator: Post decretum proclama comparens contumatiam purgato tardamque comparitionem litis retardandae ergo haud factam esse edoceto: In citationibus ad reassumendum procuratores quo iure sui principales in lite succedant enarranto. 4. In processibus extractis terminus legalis 3 mensium esto: In extrahendis vero ad supplicantis petitionem pro distantia loci decens tempus pro dicto termino iudex praefigito: Supplicationes ut et reliqua producta tam ab advocatis quam procuratoribus subscribuntor. Rubricantorque iuxta tenorem recess[us] deput[ationis] de anno 1600 in mandatis sine clausula ne duplicator, in reliquis vero causis ne triplicator: Exceptionibus eventualia annectuntor: Ante actorum submissionumque inutilibus repetitionibus abstinetor: Terminos anticipare liceto. Denique prorogationes nisi ex iustis probatisque causis ne efflagitantor. 5. In ordine terminorum dictatione recessuum sublata isti modo hic determinato breviter scriptis comprehenduntor exque iis recitantor. Hanc recita-tionem adversarius ne interrumpito neque dilationem ad prox[imum] vel sec[undum] rogato sed decentia in termino legali peragito: In quatuor punctis hic memoratis in continenti respondeto, responsionesque proto- et notarii annotanto. 6. In ordine novarum idem quod de ordine terminorum dictum observator. 7. Initium audientiae pomeridianae esto ordo reproductionis sed publicatis sententiis idem ordo post ordinem sententiarum incipito totaque hora continuator posthac una hora in novis reliquo tempore usque ad finem audientiae ut et audientiis antemeridianis ordini terminorum relictis. 8. Partes litigantes eorumque sollicitatores intempestivis compellationibus domini iudicis praesidum atque assessorum in aedibus, plateis ac coram curia Camerali schedularum porrectionibus temperanto: Ast procuratoribus vel ipsis partibus memoriale pro maturanda sententia domino iudici exhibere liceto. 9. Procuratores sua protocolla atque manualia correcta et completa habento iudiciali protocollo iudicibus relicto: Audientiis assidui intersunto nec ad illarum maturationem facientia negligunto. 10. Hoc decretum ad primam post ferias natalitias observari incipito.]1 Dispositio decreti 30. Octobris 16552 dati in diversis emendatur.3

1 2 3

1. Intentione ... incipito in GB 1661; Blum 1667. GB 1710 1555. Dispositio ... emendatur fehlt in GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber vorhanden in GB 1710.

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Endlich ist der Gemeine Bescheid, weiln die Erfahrung bißher im Werck bezeugt, daß die am 30. Octobris 1655 mit Ansetzung unterschiedlicher gewisser gerichtlicher Ordnung beschehene Fürsehung zu Erreichung der Römischen Kayserlichen Majestät, unsers allergnädigsten Herrn, wie auch gesambter Churfürsten, Fürsten1 und Ständen des Reichs, in dem letztern Regenspurgischen Reichsabschied wegen Abkürtz- und Beschleunigung des gerichtlichen Processes an diesem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht ausgetruckter Intention allerdings noch nicht zulänglich, sondern anderweiter mehrer Verordnung vonnöthen seyn wolle. § 1. Daß es zwar erstens noch zur Zeit bey der am erstgemeldten 30. Octobris 1655 eingeführter Abtheilung der unterschiedlichen gerichtlichen Ordnungen verbleiben solle, und mögen die Procuratores jedesmahls immediate nach publicirten Urtheilen, was sich darauff gebührt, in Ordine Sententiarum also auch coram Deputatis wie Herkommens handlen, jedoch daß nichts dahin gezogen werde, als was vermög der Ordnung und Reichsabschieden dahin gehörig: Soviel aber die Distinctionem Terminorum praefixorum a collectis seu collectorum a praefixis belangt, wird dieselbe hiemit auffgehoben und verordnet, daß hinführo die pro Terminis per Sententiam praefixis damahls angesetzte Ordnung allen und jeden Terminis, sive Collectis sive Praefixis sive etiam Legalibus, gemein und universal seyn, zumahlen nicht mehr Paritionis, sondern Terminorum Ordo genennet werden solle. § 2. Am Andern sollen hinführo die Procuratores in den Sachen, die nach heutigem Dato erst außgebracht werden, ihre Vollmachten jedesmahlen entweder in Originali oder signirten Copiis, wie sichs gebührt, gleich in primo Reproductionis Termino, und zwar impetrantischer und appellantischer Seiten (weil man sowohl zu Einschickung des Gewalts als anderer Nothdurfft Zeit genug und vorher bey Erlangung der Processen allbereit de rato cavirt gehabt) sub praejudicio circumductionis Termini oder respective absolutionis a Citatione, im Gericht würcklich einbringen oder, da solches an Seiten der Citirten je2 nicht möglich, denselben in ein, zwey, oder längst dreyen Monathen einzubringen caviren und sich des Reservats und Erbietens, die Gewalt3 oder auch ichtwas anders, was das seyn mag, ad Lectoriam zu lieffern, gäntzlich enthalten. Da aber in solcher Zeit der Gewält nicht einkommet, alßdann in Contumaciam, wie sichs vermög der Ordnung gebühret, procedirt werden solle. § 3. Ferner und am Dritten solle in Causis Appellationum hinführo [alles]4, was dem Appellanten in primo Termino zu verhandlen und zu begehren oblieget, nicht mehr mündlich, sondern durch einen auffs kürtzest als möglich und distincte in 1 2 3 4

Fehlt in AHL Slg.; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707. AHL Slg. ja. GB 1661 Gewäld; Blum 1667 Gewäldte; GB 1696; GB 1707 Gewält. AHL Slg.; GB 1661; Blum 1667.

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Schrifften verfaßten, dem Gegenprocuratorn1 (falls2 derselbe sich allbereit angeben hätte oder sonsten bekant wäre) vorher communicirten Recess mit denen post Causae Intitulaturam folgenden kurtzen Worten „Ubergib diesen Reproductionsrecess sambt darin vermeldten Käyserlichen Processibus und dazu gehörigen Beylagen wie auch ein General[gewalt] und ad jurandum Specialgewalt Litteris vel Numeris N. N. handelt und bitte, wie darin, auch (nemine comparente) Ruffen, sonsten aber der Gewälten und Beylagen (sub Litteris vel Numeris N. N. Recognitionem) verrichtet werden“. Worauff der Citirte alsobalden gleichfalls mit kurtzen Worten erscheinen, sich oblauts legitimiren oder in gesetztem höchsten Nothdurfftsfall auff die bestimmte kurtze Zeit 1, 2 oder längst 3 Monathen caviren, seine Exceptiones, so er einzuwenden gemeynt, mit angeheffter Eventual- und anderer Handlung, Inhalts der Ordnung und jüngster Reichsconstitution einbringen, die gegnerische Gewält3 und andere Beylagen recognosciren oder diffitiren, die seinige gleichfals zu recognosciren begehren und der Impetrant sich solcher Recognition oder Diffession halben ebenmäßig in continenti erklären, darauff auch oder (wann schon4 in Causis Appellationum ex adverso niemand erscheint) in Contumaciam das Juramentum Calumniae de non frivole appellando (wofern vigore Privilegii es nicht hätte coram Judice a quo geschehen sollen oder da der Judex ad quem ex relevantibus causis dasselbige in Camera zu praestiren bey Erkennung der Processen gestattet hätte) ohnerwartet einiger Interlocutori alsobalden würcklich ablegen, vorher aber zu solchem Ende sich jedesmahls zeitlich in Cancellaria anmelden und seiner Principalen Nahmen angeben solle, und das bey dem [im]5 Jüngsten Reichsabschied versehenen Praejudicio desertionis. Welcher aber nicht gleich in primo Termino, sondern erst nach erkantem Proclamate erscheinen würde, der solle nicht allein die Contumaciam wie Herkommens, sondern auch mit Exhibition seines Originalerscheinungs- oder Nichterscheinungsbefelchs oder dessen in Lectoria vidimirter Copey sich des Verdachts, daß das Erscheinen zu vorsetzlicher Protraction der Sachen so lang differirt worden seye, bey seinem diesem [höchsten]6 Gericht geleisten Pflichten zu purgiren gehalten seyn. Und im Fall sich hierunter die geringste vorsetzliche Gefahr erzeigen solte, gegen den Procuratorn7 sowohl als den8 Principalen selbsten gestalten Umbständen nach mit ernstlichem Einsehen, wie sich vermög der Rechten gebührt, verfahren werden. Welcher auch auff Absterben der Hauptparthey im Nahmen deren Successoren einige rechthängige Sach reassumiren will, der solle jedesmahl 1 2 3 4 5 6 7 8

AHL Slg.; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 Gegenprocuratori. Blum 1667 als. Blum 1667 Gewälte. Fehlt in GB 1661; Blum 1667. AHL Slg.; GB 1661; GB 1671; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707 deme im. AHL Slg. GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 dem Procuratore. GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 dem.

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neben Einbringung gnugsamen Gewalts zugleich seiner Principalen Qualification, krafft deren sie zur Sachen kommen, anmelden und in Fällen, da die Gegentheil zu gleichmäßiger Reassumption citirt werden sollen, der Citation ad reassumendum inseriren lassen. § 4. Viertens solle hinführo jedesmahls, wann Exceptiones oder einige andere Handlung der Ordnung gemäß gerichtlich übergeben werden, gleich von selbiger Zeit an dem Gegentheil zur Gegenhandlung, da ihme ferner eine gebühren mag, und zwar in denen Sachen, welche allbereit eingeführet oder zum wenigsten schon außgebracht und noch einzuführen seynd, ein gemeiner Terminus von drey Monathen zu drey Monathen (als lang vom Richter keine andere Zeit bestimmet wird1) praejudicialiter lauffen. In welchen Sachen aber erst nach Publication dieses Gemeinen Bescheids um Proceß supplicirt werden möchte, da soll jedesmahls zugleich pro praefixione termini legalis utrique parti communis angehalten und bey Erkennung der Processen pro distantia cuiusvis loci von 1, 2, 3 oder höchstens 4 Monath, hinwieder2 eben so viel Monathen in Decreto wie auch folgends bey der Cantzley in expeditione Processuum in der Citation bestimmet. Die Supplicationes pro Processibus nicht weniger als alle andere schrifftliche Handlungen von3 denen in der Sachen dienenden, sonderlich aber allhie in loco anwesenden Kayserlichen Cammergerichts geschwohrnen Advocaten sowohl4 als vom Procuratore unterschrieben, von den Partheyen aber post Exceptiones in primo termino productas, längst in so angesetztem Termino legali ihre gebührende Gegenhandlungen und zwar unter keiner andern Intitulatur als wie im Deputationsabschied de Anno 1600 § „Alldieweil die in der usw. 815“ versehen, nemblich Replicarum, Duplicarum etc. ohnerachtet, wie sonsten von den Advocaten inscribirt worden seyn möchten. Zumahl von dem Advocato Causae jedesmahl mit unterschrieben oder doch daß die Advocati extranei zum wenigsten [in]6 Subscriptione Procuratoris mit benennt werden, producirt. Die Schrifftwechslung aber in Causis Mandatorum sine clausula7 nicht über die Replicas und in andern Sachen nicht über die Duplicas inclusive (es wäre dann, daß der Richter weitere Handlung nöthig befinden und per Interlocutoriam aufferlegen würde) extendirt, sondern in solchen der Ordnung gemäßen Schrifften utrinque alle Nothdurfft eingebracht und darauff, wie sich vermög der Ordnung gebührt, submittirt. Alles anders aber, was die Zahl der Ordnung übertrifft, es seyen schrifft- anstatt mündlichen [Recess] oder Submissiv[recess], Gegensubmissivrecess oder was sons1 2 3 4 5 6 7

GB 1661; Blum 1667; GB 1671 würde; GB 1696; GB 1707 würd. GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 zuwider. AHL Slg. wo. Fehlt in AHL Slg. AHL Slg. 84. AHL Slg.; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707. Sine Clausula fehlt in AHL Slg.; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707.

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ten sub quacunque alia Rubrica ferner eingeschoben werden wolte, mit vorbehaltener Straff ab Actis verworffen und in judicando keineswegs attendirt. Hingegen neben dem puncto exceptionis1 jedesmahl in der Hauptsach eventualiter ebenmäßig verfahren oder existente irrelevantia Exceptionum in causa principali nichts desto weniger in Contumaciam non agentis, was Recht ist, gesprochen werden. Gestalt die Procuratores sich hinwieder aller vergeblicher Repetitionen der vorigen Handlungen und Submissionen bey Vermeidung ernstlichen Einsehens gäntzlich enthalten sollen. Ihnen bleibet aber unverwehrt, ihre Terminos legales, praefixos vel etiam collectos, ob sie wollen, zu anticipiren und die ihnen obliegende oder gebührende Handlung ante Terminum, wann die Ordnung an sie kommt, zu übergeben. Beneben aber wird das eigenwillige Prorogationbitten sowohl coram Deputatis als in andern Ordnungen bey unaußbleiblicher harter Straff, ja2 den Proto[notariis] und Notariis, dieselbe ad Protocollum zu bringen, verbotten und Prorogation zu bitten nicht anderst als ex causis iustis iisque probatis zugelassen. Da auch schon einiger Befelch derentwillen producirt, die Causae allegatae aber entweder nicht relevant befunden oder zum wenigsten bey Einbringung der bevorhabenden Handlung wie recht nicht probirt werden solten, so wird es doch nicht geachtet, sondern [soll]3 der Terminus nichts desto weniger pro purificato angenommen und mit vorbehaltener Straff gegen den4 begehrenden Procuratorn5 in der Sachen, wie sichs gebührt, procedirt werden. § 5. Zum Fünfften wird sowohl in Ordine Terminorum als in der gemeinen Handlung6, Novarum genandt, das mündliche Recessiren und Andictiren der Procuratorum im Gericht gäntzlich abgeschafft und verbotten. Hingegen [aber]7 verordnet, daß ein jeder Procurator derjenigen Sachen, darin er pro observatione suorum Terminorum etwas einzubringen benöthiget und willens ist, eine richtige Specification zeitlich auff ein oder mehr Bögen Papier verfertigen. Und bey einer jeden Sache den Recess, welchen er derenthalben8 vor dieser neuen Verordnung mündlich zu halten gehabt hätte, mit kurtzen und diesen ungefährlichen Worten: „Ubergib diese Replicas, Duplicas etc., handle und bitte wie darin“ oder auch: „Documentum Paritionis, Rotulum etc., lasse es dabey“ derselben inseriren. Solche Specification in triplo, rein, leßlich und correct zu halben Blat abschreiben lassen

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GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 Executionis; dagegen wie im CJC 1724 auch Blum 1667 Exceptionis. AHL Slg. je. Blum 1667. GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 dem; dagegen wie im CJC 1724 auch Blum 1667 den. AHL Slg.; GB 1661 Procuratore. AHL Slg.; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Ordnung. Aber in AHL Slg. AHL Slg. derentwegen halten.

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und alle drey1 Exemplaria, biß die Ordnung an ihn kommt, in Bereitschafft halten, alsdann die zwey Exemplaria von ihme eigenhändig unterschrieben ins Gericht überreichen und das dritte Exemplar öffentlich, laut und verständlich ablesen. Dabeneben auch bey einer jeden Sach, was er also ablieset, vorher in Schedula separata extrahirt, samt dem einen Exemplari derjenigen schrifftlichen Handlungen, welche dem Gegentheil zu communiciren seynd, ihme, dem Gegenprocuratori, zu Handen stellen, der Gegenprocurator aber das Ablesen keineswegs interrumpiren, noch das wenigste dagegen recessiren, vielweniger ad proximam vel secundam (welches hiemit durchgehends gantz abgestellt und verbotten wird) Dilation begehren, sondern seine geziemende Nothdurfft in obbedeutem Termino legali oder auch anticipato, doch in seiner eignen Ordnung auff gleiche Weiß gerichtlich2 einbringen solle. Wann aber etwan Originalbeylagen, Gewält oder andere Documenta Originalia einkommen, deren Recognition3 in dem abgelesenen kurtzen Recess begehrt worden, so soll der Procurator ex adverso dieselbe in continenti recognosciren oder diffitiren. Also auch, wann von Schrifften etwas, so über die Zahl der Ordnung oder Termino purificato producirt werden wollte, es gleichfalls in continenti bey Straff der Ordnung4 widersprechen und die Handlung zu verwerffen begehren, wie nicht weniger Contumaciam auff deren Accusation realiter purgiren. Oder da einer auff die einkommende Schrifft alsobald pure submittiren wolte, solches thun. Welches alles in denen ad Judicium übergebenen Specificationibus der abgelesenen kurtzen Recessen per Proto[notarium] und Notarium ad marginem per Verba: „D[ominus]5 N. recognovit vel diffessus est“ item: „D[ominus]6 N. begehrts, als über die Zahl der Ordnung oder Termino purificato einkommen, zu verwerffen“ item: „D[ominus]7 N. purgavit Contumaciam“ item: „D[ominus]8 N. pure submisit9 per Generalia“ adnotirt werden solle. § 6. Gleiche Meynung hat es zum Sechsten mit der Ordnung Novarum, daß die Procuratores sich zu derselben, gleich wie anjetzo de Ordine Terminorum angezeigt worden, mit Verfertigung einer richtigen Specification aller deren Sachen, darin sie in Novis zu handlen haben, gefast machen. Die Recess, welche also10 abgelesen werden müssen, auffs allerkürtzeste und daß de Meritis11 Causae das geringste nicht darin berührt noch eingemischt, auch solche Recess auffs höchste über drey Linien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

AHL Slg. zwey. GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 schrifftlich. GB 1661; Blum 1667; GB 1671 recognitio. Oder Termino ... Straff der Ordnung fehlt in Blum 1667. AHL Slg. Dr. AHL Slg. Dr. AHL Slg. Dr. AHL Slg. Dr. GB 1695; GB 1696; GB 1707 submittit. Fehlt in AHL Slg. AHL Slg. merito.

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nicht lang seyn, einrichten: Und diese1 Specification ebenmässig zusammen und in triplo zu halben Blat abgeschrieben, in Bereitschafft halten. Und sobald die Ordnung einen jeden erreicht, zwey derselbigen Exemplarien nicht weniger eigenhändig unterschrieben ad Protocollum übergeben, das dritte, wie oben vermeldet, ablesen und jedem der Gegenprocuratorn, was ihme davon gebühret, alsbalden per Extractum zustellen. Auch (ausserhalb der zugleich begehrten und in continenti darauff folgenden blossen Recognition oder Diffession der einkommenen Originalien, Verwerffensbegehrung, Purgation Contumaciae und unconditionirter Submission) nichts dargegen recessiret, sondern wann dem Gegentheil was hierüber2 zu handlen gebührt, solches auff seine eigene nechstfolgende Ordnung oder ad Terminum legalem competentem vel eius anticipationem supra memoratam verschoben werden solle. § 7. Soviel aber siebendens die mehrgemeldten3 30. Octobris Anno4 1655 beschehene Abtheilung deren pro quovis ordine angesetzter Stunden belangt: Die wird hiemit insoweit verändert5, daß allzeit am Nachmittag, wann keine Urtheil publicirt werden, die Audientz gleich mit der Ordnung Reproductionis, sonsten aber die Reproductionsordnung post Ordinem Sententiarum angefangen und eine gantze Stund continuirt, alsdann auch eine Stund in Novis, in Ordine Terminorum aber usque ad finem Audientiae auff Maaß und Weiß, als oben enthalten. Da aber eine oder die6 andere Ordnung ante lapsum horae eidem assignatae unter allen Procuratorn herum lauffen und in denselben nichts mehr zu handlen übrig seyn wird, alßdann gleich in der andern nechstfolgenden Ordnung fortgefahren. Und die vormittägige Stunde deß Montags und Samstags ebenmäßig in Ordine Terminorum gehalten7 werden solle. § 8.8 Sodann und zum Achten sollen die Partheyen und deren Sollicitatores sich deß täglichen Nach- und Uberlauffens deß Herren Cammerrichters, Praesidenten und Beysitzern in den Häusern, auff der Gassen und vor der Rathstuben mit Uberreichung der Zettulen und sonsten hinfüro enthalten. Hingegen aber mögen die Procuratores oder die Partheyen in denjenigen Sachen, welche also starck getrieben werden, unterweilen, etwann in 4 Wochen, zu 14 Tagen oder meistens in der Wochen einmahl, dem Herrn Cammerrichter, Praesidenten oder abwesend derselben deme ihre Vices verwaltende Beysitzer, ein Memorial, darin Status Causae, was es

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AHL Slg. Solche. AHL Slg. hinwider; GB 1671 hierwider; GB 1661; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707 hierwieder. AHL Slg. mehrgedachten. Fehlt in AHL Slg. AHL Slg.; GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 geendert/geändert. GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 die eine oder. GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 gehandelt. GB 1695; GB 1696 § VI. (wohl Druckfehler).

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betreffe, ob und wann darin ad definitivam oder in quo puncto ad interlocutoriam submittirt, auffs kürtzeste enthalten, extrajudicialiter übergeben. § 9. Schließlich und am Neunten werden die Procuratores alles Ernstes erinnert, daß sie ihre Protocolla und daraus gezogene Manualia in guter Richtigkeit und complet mit allem Fleiß halten und sich nicht mehr wie ein Zeithero auff das gerichtliche Protocollum, so allein für das Gericht und den Richter gehalten wird (deßwegen auch künfftig ihnen und den Partheyen oder deren Sollicitatoren so leicht und ausser den höchsten Nothdurfftsfällen ad inspiciendum nicht mehr communicirt oder fürgezeigt werden solle), verlassen1. Dabeneben aber sonderlich in Besuchung, Abwartung und Verhaltung in den gerichtlichen Audientzien dem am 21. Junii Anno2 1625 eröffneten Gemeinen Bescheid aller Dingen mit Fleiß und Eiffer nachkommen, auch alles anders bey ihren Pflichten, damit sie dem Gericht zugethan und verwandt, nach Anleitung der Cammergerichtsordnung, Memorialien, Visitations- und Deputationsabschieden, auch hievorigen Gemeinen und in specie dieses Bescheids, thun und handlen sollen, was zu schleuniger Beförderung der gerichtlichen Audientzien und Ordnungen in einigen Weeg ersprießlich seyn mag. Und solches alles bey ernstlicher unaußbleiblicher, in der Ordnung und Reichsconstitutionen, sonderlich im Jüngsten Regenspurgischen Reichsabschied versehenen schwehren Geldstraffen, auch nach Befindung ihres Ubersehens und Verbrechens mit Veränderung und gäntzlicher Absetzung ihres Stands. Darnach sich ein jeder zu richten, vor Schimpff und Schaden zu hüten. § 10.3 Und soll dieser Gemeine Bescheid und darin oben beschehene Fürsehung ad primam post instantes Ferias Natalitias ihren Anfang nehmen und bis auff allerhöchstgedacht Ihrer Kayserlichen Majestät und gemeiner Ständen, deren Visitatoren oder auch eines Collegii Cameralis anderwerte Verordnung in allen und jeden Puncten stricte observirt werden. Publicatum [in Audientia consueta]4 Spirae5, 13. Decembris [Anno]6 16597. Johannes8 Nicolaus Becht, Lizentiat9, Judicii Imperialis Camerae10 Protonotarius [manu propria]11. Vorlage: CJC 1724, S. 900-903 Nr. CCCCII. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Fehlt in AHL Slg. Fehlt in GB 1696; GB 1707. Ziffer fehlt in AHL Slg. In ... consueta in Blum 1667. Fehlt in Blum 1667. GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Publicatum ... 1659 fehlt in AHL Slg. GB 1695; GB 1696 Iohannes. Fehlt in AHL Slg.; GB 1661. GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. Manu propria in AHL Slg.; dagegen fehlt Johannes ... propria in Blum 1667.

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Weitere Ausgaben: AHL Slg. fol. 19r-22r; GB 1661, S. 44-48; GB 1665, S. 40-43; Blum 1667, S. 607-618; GB 1671, S. 40-43; GB 1678, S. 42-45; GB 1686, S. 42-45; GB 1688, S. 39-42; GB 1695, S. 99-108; GB 1696, S. 99-108; GB 1707, S. 99-108; GB 1710, S. 109-117 Nr. CXLIII; GB 1714, S. 64-68 Nr. CXLV; CJC 1717, S. 64-68 Nr. CXLV; GB 1717, S. 64-68 Nr. CXLV; GB 1724, S. 109-117 Nr. CXLIII; auch als Separatdruck (z. B. Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel M: Gl 4o Sammelbd 1 (3)). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid verwirklicht eine Reform, die das Gericht bereits am 10. Februar 1659 angekündigt hatte (oben RKG Nr. 138). Die Hoffnung, mit dem Schwung des Jüngsten Reichsabschiedes von 1654 werde sich das Kameralverfahren vereinfachen lassen, hatte sich schon nach kurzer Zeit in Luft aufgelöst. Im Oktober 1655 war das Kameralkollegium beherzt an die Arbeit gegangen und hatte einige sichtbare Änderungen im Audienzbetrieb eingeführt, vor allem das unpraktische Umfragewesen neu gegliedert (Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655; oben RKG Nr. 127). Schon drei Jahre später stand man vor einem Scherbenhaufen. Die Straffung der Umfrageordnungen war nicht gelungen, und das Kameralkollegium fragte die Anwälte um Rat. Ob die Advokaten und Prokuratoren eigene Reformvorschläge eingebracht hatten, wird aus dem Gemeinen Bescheid vom 13. Dezember 1659 nicht deutlich. Das Prinzipium sprach lediglich von der fehlgeschlagenen Neuordnung von 1655 sowie von der Notwendigkeit, weitere Vereinfachungen einzuführen, um das Prozessrecht zu verschlanken. § 1 veränderte deshalb den nur wenige Jahre zuvor eingeführten Ordo paritionis. Er hieß fortan Ordo terminorum und war deutlich breiter angelegt. Alle Fristsachen sollten dort zur Sprache kommen, unabhängig davon, in welcher Weise die Termine festgesetzt oder vorherbestimmt waren. Mit der Abschaffung der Untergliederung ersparte man sich zusätzliche Umfragerunden unter den Prokuratoren. Zugleich erhielten die Prokuratoren damit die Möglichkeit, wenn sie an die Reihe kamen, gleich ihre Rezesse zu mehreren Rechtsstreitigkeiten auf einmal vorzubringen. Das verringerte den ständigen Wechsel der Redezeiten zwischen verschiedenen Prokuratoren und mochte zu gewissen Erleichterungen führen. Den Ordo sententiarum behielt das Gericht dagegen ausdrücklich bei. Er schloss sich weiterhin unmittelbar an die Urteilsverkündungen an. Ebenso sollte es weiterhin Audienzen vor den Deputierten geben, also Beweistermine vor dem verkleinerten Assessorenkreis. § 2 betraf die Prokuratorenvollmacht (später wiederum eingeschärft mit Gemeinem Bescheid vom 13. Dezember 1697; unten RKG Nr. 237). Offenbar gab es damit praktische Probleme, weil einige Prokuratoren in den Audienzen auftraten, ohne zuvor ihre schriftliche sog. Gemeine Gewalt vorzulegen. Der Gemeine Bescheid verlangte deswegen die ordnungsgemäße Bevollmächtigung bereits im ersten Termin, nämlich im Reproduktionszeitpunkt. Das galt zumindest für die klägerische Seite, die nach Auffassung der Assessoren genug Zeit gehabt hatte, sich auf den Reproduktionstermin vorzubereiten. Bei Verstößen drohte unter anderem die Absolutio ab instantia, also der sofortige Prozessverlust, freilich ohne Rechtskraftwirkung. Dennoch minderte das Gericht mit demselben Atemzug die scheinbare Härte. Notfalls konnten sich die Prokuratoren ihre Pflicht zur Vorlage der Vollmachtsurkunden auch um bis zu drei Monate verlängern lassen. Es war lediglich verboten, mit gesondertem Antrag die Übergabe der Vollmacht an die Leserei anzustreben. Im Ergebnis

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bestand also weiterhin die Gefahr, dass vollmachtlose Anwälte in den Terminen auftraten und sich später nicht legitimieren konnten. Der sehr umfangreiche § 3 behandelte zahlreiche, ebenfalls nicht miteinander zusammenhängende Fragen des Appellationsprozesses. Zunächst ging es um die Abkürzung des Reproduktionstermins. Selbst der knappe mündliche Rezess, der bis dahin zulässig geblieben war, sollte nun verschwinden. Der Prokurator des Appellanten sollte zwar weiterhin die erforderlichen Dokumente überreichen, insbesondere also die zugestellte Zitation mitsamt dem Appellationsinstrument und seinem Libell. Aber er durfte nicht einmal mehr sagen, welchen Antrag er stellte. Vielmehr gab das Gericht wörtlich die Formel vor, mit der er alles zu übergeben hatte. Die einzige Freiheit, die dem Prokurator verblieb, bestand darin, seine Schriftstücke entweder mit Buchstaben oder mit Zahlen durchzunummerieren. Der Zweck der Anordnung ist klar. Unabhängig davon, wie umfangreich ein Rechtsstreit war, wie zahlreiche Anträge der Appellant auch stellte und wie dick sein Anlagenkonvolut beschaffen sein mochte, dauerte jeder Rezess in der Theorie maximal so lange, wie man benötigte, den vorgegebenen Spruch aufzusagen. Aufgrund der vorgeschriebenen Bezugnahme auf die Schriftsätze konnte in dieser Situation freilich niemand mehr wissen, worum es in der Sache überhaupt ging. Deswegen musste der handelnde Prokurator den schriftlichen Rezess zuvor seinem Gegner zur Verfügung stellen, damit dieser sich auf die Audienz vorbereiten konnte. Nach dem appellantischen Kurzauftritt sollte nämlich der Prokurator des Appellaten sich seinerseits legitimieren. Die Notfrist von bis zu drei Monaten, innerhalb derer jeder seine Anwaltsvollmacht vorlegen konnte, galt auch für die Beklagtenseite. Außerdem sollte der Prokurator des Beklagten bereits in diesem Reproduktionstermin seine Exzeptionsschrift einreichen. Das war auch zeitlich ohne weiteres möglich, denn der Appellat hatte das Ladungsschreiben ja üblicherweise mehrere Wochen zuvor bereits erhalten. Und seit dem Jüngsten Reichsabschied verwies das abgekürzte Ladungsschreiben zudem auf die klägerischen Anlagen, die alle Angriffsmittel gegen das angefochtene Urteil im Kern bereits enthielten. Sodann sollten beide Anwälte gegenseitig ihre Vollmachten prüfen und dazu eine verbindliche Erklärung abgeben. Nun kam es zum Appellationseid. Er war in jedem Fall vom appellantischen Prokurator zu leisten, auch wenn die Gegenseite zum Termin nicht erschienen war. Die Einzelheiten konnten nach den jeweiligen Appellationsprivilegien schwanken. Insbesondere mochte es Unterschiede geben, ob der Eid vor dem Untergericht oder vor dem Reichskammergericht geschworen werden musste. Hier ist auch der Grund dafür zu sehen, dass der Prokurator diesen Appellationseid zuvor bei der Kammergerichtskanzlei anzumelden hatte. Möglicherweise fand eine Prüfung statt, welche Privilegia de non appellando in diesem Fall eingriffen. Für die Eidesformel selbst beließ es der Gemeine Bescheid bei § 118 des Jüngsten Reichsabschieds und der angedrohten Desertion. Danach folgten Regelungen über Kontumazialfälle sowie über die Citatio ad reassumendum, falls eine Partei verstorben war. Gerade diese beiden letzten Punkte sprechen für die vom Gericht vorausgesehenen Unwägbarkeiten des Verfahrens. Appellationsprozesse dauerten teilweise lange, und sowohl Säumnis als auch Todesfälle konnten zu weiteren Verzögerungen führen. Der breitgewalzte § 4 behandelt in großer Ausführlichkeit den Fortgang des Kameralprozesses, nachdem der Beklagte bzw. der Appellat seine Exzeptionsschrift eingebracht hatte. Sowohl auf die Exzeption als auch auf andere Prozess-

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handlungen hin wollte das Reichskammergericht einheitliche Antwortfristen einführen. Neben einer breit angelegten Übergangsvorschrift für bereits laufende Verfahren sah das Gericht für die Zukunft Fristen von ein bis zu vier Monaten vor, abhängig vom Wohnort der Parteien. Wenn das Gericht eine solche Frist auf Antrag einer Seite festgesetzt hatte, sollte der Zeitraum zugleich für beide Parteien jeweils gleich lang sein. War die Exzeption eingereicht, lag es an der Klägerseite, in der vorgesehenen Zeit darauf eine Gegenhandlung einzureichen. Im Gegensatz zu älteren Bescheiden und anderen Rechtsquellen fehlt hier der ausdrückliche Hinweis auf die „Zeit der Ordnung“. Der Gemeine Bescheid nutzte eher unspezifische Umschreibungen. Aber eine echte Zeit der Ordnung gab es wohl nicht mehr, vielleicht, weil je nach Entfernung die Antwortfristen verschieden bemessen waren. Jedenfalls sollten alle Schriftsätze der Partei sowohl vom Prokurator als auch vom Advokaten unterschrieben sein (wiederholt mit Gemeinem Bescheid vom 27. Februar 1778; unten RKG Nr. 303). Etwas unpassend an dieser Stelle nannte der Gemeine Bescheid zunächst die Supplikationsschrift, danach aber allgemein alle anderen Schriftsätze. Hier zeigt sich versteckt eine Neuerung. Der Bescheid ging nämlich unausgesprochen davon aus, dass die ortsansässigen Speyerer Reichskammergerichtsadvokaten im Regelfall auch die Rechtsangelegenheiten der Parteien bearbeiteten. Jedenfalls tauchen sie zuerst auf, und erst später folgt ein knapper Hinweis auf Advokaten am Wohnort der Parteien. Letztere brauchten die Schriftsätze nicht selbst zu unterschreiben, waren aber immerhin namhaft zu machen. Je nachdem, wie ernst man in der Praxis diese Maßgabe nahm, lässt sich daher an den Unterschriften in den Schriftsätzen erkennen, ob der Reichskammergerichtsprokurator zugleich als Advokat für die Partei tätig war oder nicht. Jedenfalls spricht die Vorschrift für eine stetige Zunahme der Advokatentätigkeit seitens der Speyerer Prokuratoren. Die Schriftsätze selbst waren nach dem vertrauten Schlagabtausch des gemeinrechtlichen Zivilprozesses einheitlich zu betiteln. Die Vorschrift verwies dafür auf den wichtigen Speyerer Deputationsabschied vom 30. Oktober 1600 (bei Ludolff, CJC 1724, S. 535-559). Die auf die Exzeptionsschrift folgenden Prozesshandlungen hießen danach Replik und Duplik. Aufweichungen waren verboten, weil man immer erkennen können sollte, ob sich der Rechtsstreit gerade in der Kläger- oder in der Beklagtenstation befand. Die Schriftsatzverfasser waren aber findig genug und dachten sich dubiose weitere Stationen aus, die im gemeinrechtlichen Modell gar nicht vorgesehen waren. Es gab diverse Rezesse, Gegenrezesse, Submissivschriften und anderes. Der Gemeine Bescheid verwarf sie allesamt. Lediglich wenn das Gericht durch Zwischenurteil ausdrücklich weiteren Schriftsatzwechsel erlaubt hatte, sollte der Prozess weiterlaufen, dann aber wohl in den vorgesehenen Bahnen der Triplik und Quadruplik und nicht unklarer Submissivrezesse. Die reguläre Grenze des schriftlichen Verfahrens war beim Mandatsprozess sine clausula iustificatoria knapper bemessen als bei allen sonstigen Verfahren. Hier endete der Schlagabtausch bereits bei der Replik. Das mutet seltsam an. Die Replik war die Antwort des Klägers auf die Exzeption. Also stand dem Beklagten im Mandatsprozess nicht das letzte Wort zu. Entsprechend wichtig war es also, die Verteidigungsschrift gegen einen Mandatsbefehl besonders sorgsam auszuarbeiten. Allerdings hatte der Jüngste Reichsabschied ohnehin versucht, die Eventualmaxime im Kameralverfahren weitgehend zu verwirklichen. Deswegen lag es auf der Hand, den ausufernden Schriftsatzwechsel zu begrenzen.

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In sonstigen Verfahrensarten, die allesamt nicht so eilbedürftig wie Mandatssachen waren, stand dem Beklagten als letzter Schriftsatz noch die Duplik zu. Legt man hieran die regulären Antwortfristen an, so stellte sich das Kameralkollegium einen Mandatsprozess vor, der von der Reproduktion an für höchstens zwei bis acht Monate in Speyer rechtshängig und dann entscheidungsreif war. Für andere Verfahrensarten galt eine verlängerte, immer aber noch sehr forsch bemessene Frist von drei bis zwölf Monaten. Das wäre im Erfolgsfall in der Tat eine einschneidende Reform gewesen. Die bereits vorgesehenen Verlängerungsmöglichkeiten waren aber geeignet, das ambitionierte Modell aus den Angeln zu hebeln. Je nachdem, wie großzügig das Gericht hier verfuhr, blieben Mammutverfahren mit weitläufigen Schriftsatzwechseln unverändert möglich. Das Modell jedenfalls zielte auf Schlankheit ab, und ausdrücklich gestand der Gemeine Bescheid den Anwälten und ihren Parteien sogar zu, die gesetzten Fristen abzukürzen. Wer in den Umfrageordnungen an die Reihe kam, durfte also auch Schriftsätze überreichen, die für diesen Termin noch nicht fällig waren. Bloße Wiederholungen erklärte das Gericht für unzulässig. Hilfsweise Ausführungen zur Hauptsache konnten dagegen angebracht sein, auch wenn eine Seite sich ganz auf andere Exzeptionen stützte, also wohl Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Klage erhob. Die bisher üblichen Prorogationen, nämlich die Bitten um Fristerstreckungen, versuchte das Reichskammergericht einzudämmen. Der Schriftsatzwechsel selbst sollte zwar ausgeweitet werden können, nicht aber die Bearbeitungszeiten für die einzelnen Stationen des Rechtsstreits. Sofort aber folgte auch hier eine Aufweichungsmöglichkeit. Danach waren Verlängerungen durchaus weiterhin möglich, wenn der Prokurator sie hinreichend begründen und beweisen konnte. Die Zeitvorgaben für den schriftlichen Kameralprozess waren damit zwar fixiert, aber im Einzelfall nicht zwingend. Die ständig angedrohten Strafen und Präklusionen mussten auf diese Weise schon im Ansatz viel von ihrer erhofften Wirkung verlieren. Hatte § 4 den Schriftsatzwechsel zu straffen versucht, so unternahm § 5 denselben Ansatz auch für die Audienz. Auch in den weiterhin vorgesehenen Terminen der Umfrageordnung sollte es kurz und knapp zugehen. Immerhin für zwei verbliebene Umfragen, nämlich den Ordo terminorum und den Ordo novarum, wollte das Reichskammergericht das mündliche Rezessieren vollends beseitigen. Offenbar war es weiterhin üblich, die mündlichen Rezesse den Protokollführern in die Feder zu diktieren. Hiergegen hatten sich schon ältere Gemeine Bescheide gewandt (vom 7. Juli 1590 § 3, 16. Oktober 1641; oben RKG Nr. 89, 119), wohl ohne nachhaltigen Erfolg. Stattdessen sollte ein Prokurator, wenn er an die Reihe kam, sämtliche für diesen Termin vorgesehenen Schriftsätze mitsamt Anlagen übergeben und auf Rezesse vollends verzichten. Dafür hatte er einen Übersichtszettel vorzubereiten, der sämtliche Prozesshandlungen auflistete. In vorgegebener mündlicher Rede sollte er dann nur ganz knapp sagen, zu welchem Rechtsstreit er welche Handlung vornahm. Der Sache nach wiederholte das Gericht hier die Gemeinen Bescheide vom 31. August 1537 und 27. November 1539 § 11 (oben RKG Nr. 31 und 38). Die Spezifikationszettel waren dreifach anzufertigen, nämlich in ordnungsgemäß unterschriebener Weise für das Gericht und die Gegenseite, in einfacher Form als Merkhilfe für den handelnden Prokurator in der Audienz. Da die Gegenseite über die bevorstehende Handlung rechtzeitig unterrichtet war, untersagte der Gemeine Bescheid für die Zukunft weitere Anträge auf Gewährung von Antwortfristen. Vielmehr sollte die

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Gegenhandlung unverzüglich, das heißt noch im selben Termin erfolgen. Das galt auch für den Augenschein bei Urkunden und Anwaltsvollmachten. So etwas gehörte also nicht etwa in die Beweisaudienz vor die Deputierten. Auch die Verteidigung gegen Kontumazialvorwürfe hatte sofort zu erfolgen. Wenn es zu solchen sofortigen Gegenhandlungen kam, sollten die kammergerichtlichen Protokollführer dies umgehend auf den zu den Rezessen gehörigen Spezifikationszetteln vermerken. Deswegen durften die rezessierenden Prokuratoren ihre Blätter auch nur halb beschreiben und mussten einen breiten Seitenrand lassen. Dort ließ sich nämlich sogleich der Fortgang des Rechtsstreits schriftlich festhalten, im Übrigen mit strikt vorgegebenen lateinischen Formulierungen. § 6 wiederholte das vorgesehene Audienzmodell im Wesentlichen für den Ordo novarum. Die Unterschiede waren gering. Vor allem durften die Prokuratoren in den Nova-Umfragen ihre Rezesse weiterhin ablesen, aber nur dann, wenn sie nicht länger als drei Zeilen im Protokollbuch waren. Diese Regelung erneuerte lediglich ältere Vorschriften (Gemeine Bescheide vom 7. Juli 1590 § 3 und 16. Oktober 1641; oben RKG Nr. 89 und 119). Den halbseitig beschriebenen Spezifikationszettel in drei Exemplaren sollte es aber auch hier geben. Die möglichen Gegenhandlungen des Widerparts begrenzte das Kameralkollegium auf die genannten wenigen Handlungen. Auseinandersetzungen in der Sache konnten erst folgen, wenn der zweite Prokurator in der Umfrageordnung das nächste Mal an die Reihe kam. § 7 versuchte, den Audienzverlauf anders zu organisieren, als es das Gericht noch am 30. Oktober 1655 vorgehabt hatte (oben RKG Nr. 127). Am Beginn der Audienz stand die Urteilsverkündung, gefolgt vom Ordo sententiarum. Offenbar gab es aber gar nicht so viele Urteile, die zur Verkündung drängten. Deswegen sollte die Nachmittagsaudienz gleich mit dem Ordo reproductionis beginnen, wenn die Urteilsordnung wegfiel. Hierfür reservierte das Gericht eine Stunde, ebenso für den nachfolgenden Ordo novarum. Der Rest der Audienz entfiel auf den Ordo terminorum. Er beanspruchte wohl den Löwenanteil. Wenn nämlich die anderen Ordnungen knapper ausfielen, sollte man jeweils sofort zur Terminordnung übergehen. Für diese Umfrage waren auch die beibehaltenen zwei Vormittagssitzungen am Montag und Sonnabend ausschließlich reserviert. Eine echte Neuerung innerhalb der Gemeinen Bescheide bot § 8. Zum ersten Mal enthielt er jetzt eine ausführliche Regelung über die Sollizitatur in einem Gemeinen Bescheid. Sollizitatoren am Reichskammergericht hatte es als abgrenzbare Personengruppe schon länger gegeben. Bereits die Gerichtsordnung von 1555 erwähnte sie (z. B. RKGO 1555 1, 13, 14). Auch ältere Gemeine Bescheide geben Hinweise auf diese Bittsteller (z. B. Gemeine Bescheide vom 18. Juni 1563, 26. September 1607, 6. Juli 1635 und 28. Januar 1657 § 5; oben RKG Nr. 56, 100, 110 und 132). Nun war aber erstmals von Missbräuchen die Rede, die solche Sollizitanten, aber auch die Parteien selbst in den Augen des Gerichts trieben. Offenbar waren sie unzufrieden mit dem langsamen Arbeitstempo des Kameralkollegiums und baten daher um beschleunigte und vorrangige Bearbeitung ihrer Fälle. Das geschah aber eher halboffiziell. Falls man der Quelle Glauben schenken darf, belagerten Parteien und Sollizitanten den Kammerrichter, Präsidenten, aber auch die Beisitzer, folgten ihnen zu ihren Häusern, fingen sie auf der Straße oder vor dem Gerichtsgebäude ab und überreichten ihnen dort ihre Sollizitations- bzw. Supplikationszettel. Das verursachte Unruhe und war außerdem ein Einfallstor für Bestechungsversuche und

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Korruption. Deswegen untersagte der Gemeine Bescheid solche Praktiken. Die Sollizitatur an sich blieb freilich zulässig, aber nur, wenn die Partei selbst oder ihr Prokurator sie betrieb. Die Anwälte und Parteien sollten hierfür Mitteilungszettel vorbereiten, und zwar von denjenigen Streitfällen, die sie „stark getrieben“ hatten. Vermutlich waren das die wichtigen, wohl entscheidungsreifen Sachen. Auf diesen Zetteln, die extrajudizial zuzustellen waren, sollten Parteien und Prokuratoren den Kammerrichter, den Präsidenten oder den Vizepräsidenten über den aktuellen Stand des Verfahrens informieren. Die Sollizitatoren blieben also ebenso aus dem Spiel wie die übrigen Assessoren, die fortan nicht mehr belästigt werden sollten. Solche Sollizitationszettel, Memorial genannt, sollten die interessierten Parteien im Regelfall wöchentlich einmal einreichen. Das Datum, an dem die Partei ein Urteil oder ein Zwischenurteil beantragt hatte, war auf den Zetteln zu vermerken. Das spricht für das vergleichsweise langsame Arbeitstempo des Gerichts in dieser Zeit. Das umständliche, papier- und zeitfressende Sollizitaturwesen wäre in diesem Umfang sonst nicht vorstellbar. Das Kameralkollegium wiederholte seine Anordnung am 2. Juni 1790 (unten RKG Nr. 323). § 9 verpflichtete die Prokuratoren, ihre Handakten sorgfältig zu führen und eigene Protokollbücher anzulegen. Offenbar hatte das Gericht zuvor den Prokuratoren das Sitzungsprotokoll überlassen, damit sie ihre eigenen Unterlagen auf Stand halten konnten. Diese Offenheit sollte es fortan nicht mehr geben, jedenfalls nur noch in eng umgrenzten Ausnahmefällen. Die Verhaltensmaßregeln in der Audienz führte das Kameralkollegium im Gemeinen Bescheid nicht ausdrücklich auf, sondern verwies pauschal auf den älteren Gemeinen Bescheid vom 21. Juni 1625 (oben RKG Nr. 108). Seine Kenntnis bei den Prokuratoren setzte es also voraus. Freilich gab es inzwischen auch bereits gedruckte Sammlungen Gemeiner Bescheide. Sodann verpflichtete das Gericht die Prokuratoren, die Reichskammergerichtsordnung von 1555 ebenso zu beachten wie die im Zusammenhang mit den Visitationen entstandenen Rechtsquellen als auch die früheren Gemeinen Bescheide. Ein weiterer Verweis schrieb die Verbindlichkeit des Jüngsten Reichsabschieds fest. In der Auflistung fehlte das Konzept einer Kammergerichtsordnung von 1613. Generelle Geltung besaß es damit in dieser Zeit wohl nicht, war aber durch Verweise in Gemeinen Bescheiden in einigen Titeln ausdrücklich in Kraft (dazu die Botenordnung vom 3. September 1653; oben RKG Nr. 125). Neben den bisher bereits gebräuchlichen Strafdrohungen appellierte das Kameralkollegium am Ende eher moralisch an die Anwälte, Schimpf und Schaden zu verhüten. Zuvor hatte das Gericht nur einmal ausdrücklich mit der Ehre argumentiert, als nämlich eine Audienz ausfallen musste, nachdem acht Prokuratoren pflichtwidrig nicht erschienen waren (Gemeiner Bescheid vom 4. Oktober 1638; oben RKG Nr. 117). Jetzt ging es in der Paarformel nicht um die Würde des Gerichts, sondern um die persönliche Ehre des Prokurators. Offenbar war das ein Druck- und Disziplinierungsmittel, das an Bedeutung in der Mitte des 17. Jahrhunderts zunahm. Der herausgehobene Hinweis ganz am Ende des Paragraphen deutet jedenfalls darauf hin. Auch später kamen solche Formulierungen in den Gemeinen Bescheiden vor. Die Vorlaufzeit, bis die zahlreichen Neuerungen greifen sollten, betrug nach § 10 etwa drei Wochen bis zur Wiederaufnahme des Audienzbetriebes nach den Weihnachtsferien im Januar 1660. Der Hinweis auf die Visitation bekräftigte zugleich die Rechtsqualität des Gemeinen Bescheides als vorläufige Regelung. Allerdings

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fanden in dieser Zeit keine regelmäßigen Visitationen des Gerichts mehr statt. Die Gemeinen Bescheide hatten damit faktisch Gesetzesrang erhalten. Trotz der ausführlichen Regelungen des Gemeinen Bescheides vom 13. Dezember 1659 blieben Unklarheiten bestehen, vor allem bei der Anwaltschaft. Der Gemeine Bescheid vom 9. Januar 1660 (sogleich unten RKG Nr. 145) erläuterte gegenüber den Prokuratoren die Anordnungen vom Dezember und setzte dabei zugleich durchaus neue Akzente.

RKG Nr. 145 1660 Januar 9 Declarationes ad supplicam procuratorum die 7. huius exhibitam.1 [Copia fernern Gemeinen Erleuterungsbescheidts, so von einem hochlöblichen Kayserlichen Cammergericht zu Speyr, den 9. Januarii Anno 1660, ad implorationem Procuratorum extrajudicialiter ertheilt worden.]2 [1. Soli recessus reproductionis in causis appellationum in scriptis producuntor: Cetera omnia in his ac reliquis causis tam in ordine reproductionis quam sententiarum et coram deputatis per verbales recessus proponuntor. 2. Ratione iuramenti appellationis appellante etiam non comparente nec exceptiones non-devolut[ae] aut desert[ae appellationis] opponente noviss[imus] Imperii recessus et commune decretum observantor. 3. A quo iuramento tamen statuum consiliarii iurati sunto exempti. 4. Praeceptum de non procedendo ultra replicas de solis causis mandatorum sine clausula intelligitor: Quoad supernumeraria commune decretum attenditor iudexque si opus interloquitor. 5. Terminus legalis non de in primo sed in reliquis terminis proponendis intelligitor: Prorogationem ante reproductionem petens nihilominus in primo termino compareto sed ulteriora in ordine terminorum producito. 6. Ordo novarum amplius communis ne esto sed unumquodque in proprio ordine proponitor. 7. Procuratores ad agendum parati agunto reliquis terminus iam elapsus vel usque ad 14. Martii elabendus damno ne esto. Contumaciam non in adversarii sed proprio ordine quisque accusato.]3 Auff deß Kayserlichen Cammergerichts Procuratoren den 7. Januarii [Anno]4 1660 eingereichte Supplication umb1 Erläuterung deren ihnen aus dem am 13. Decembris 1 2 3 4

Declarationes … exhibitam fehlt in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber vorhanden in GB 1710. Copia ... worden in Separatdruck, darunter Gedruckt zu Speyr bey Christian Dürren 1660. 1. Soli ... accusato in GB 1661; Blum 1667. GB 1661; Blum 1667.

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nechsthin publicirten Gemeinen Bescheid beygefallener Zweiffeln wird denselben loco Decreti hiemit kürtzlich angefügt: § 1.2 Daß die Reproductionsrecess3 allein in Appellationssachen deren Weitläufftigkeit halben in Schrifften einzubringen verordnet und auf andere Sachen nicht zu extendiren; sondern alles anders utrinque tam in hoc quam Sententiarum ordine und coram Deputatis durch mündliche Recess zu verhandlen annoch erlaubt, jedoch daß dieselbe dem Gemeinen Bescheid gemäß4 auffs kürtzeste und nicht über drey Linien lang gemacht seyen. §5 2.6 Ratione Juramenti Calumniae de non frivole appellando läst man es bey dem Jüngern Reichsabschied und darauff eingerichteten Gemeinen Bescheid ohne Unterscheid, ob der Appellat erschienen, auch ob er Exceptiones non devolutionis vel desertionis übergeben oder nicht, verbleiben. § 3.7 Der Advocatorum erforderte Subscriptiones belangend, bleibt es bey dem8 Gemeinen Bescheid, jedoch daß der Churfürsten, Fürsten9 und Ständen verpflichte würckliche Räthe, soviel ihrer Herren Rechtfertigungssachen betrifft, davon außgenommen seyn sollen, salvo tamen pro circumstantiis occurentibus Judicis arbitrio. § 4.10 Also verstehet sich das Verbott, in Causis Mandatorum nicht ultra Replicas zu handlen, allein ad Causas Mandatorum sine clausula: Nichts weniger bleibt es wegen der Supernumerarihandlung bey dem Gemeinen Bescheid, und wird der Richter, ob weitere Handlung nöhtig oder nicht, von selbsten befinden und in eventum interloquiren. § 5.11 Was dan ratione Termini Legalis in novis Processibus praefigendi verordnet worden, solches ist nicht auff dasjenige, was einem oder dem andern Theil in primo termino einzubringen oblieget, sondern auff die nachfolgende Handlungen zu verstehen, und obgleich einer iuxta nuperum Recessum Imperii ante reproductionem prorogationem legitime gebetten, ist er jedoch in primo termino zu erscheinen, seine fernere Nothdurfft aber, petita taliter prorogatione, in ordine Termi1 2

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Nach GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 und. Doppelte Zählung in GB 1661; Blum 1667 § 1 (I); Randglosse in GB 1661; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Ad dictum generale Decretum § 3 voc. „Appellationum“; zusätzlich in GB 1661; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Ad § 1 verb. „Wie Herkommens usw.“ Blum 1667 Reproductions Process. Randglosse in GB 1678 Ad § 1 verb. „Wie herkommens usw.“. GB 1678 ab hier keine §§-Zeichen mehr, nur noch lateinische Nummerierung; dagegen GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 mit §§-Zeichen; GB 1661 und Blum 1667 immer mit doppelter Zählung § 2 (II). Randglosse in GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Ad § 3 in med. voc. „Alsobald würcklich ablegen usw.“. Randglosse in GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Ad § 4 in med. voc. „Von dem Advocato unterschrieben usw.“. Nach GB 1665; GB 1678; GB 1714; GB 1724; dagegen CJC 1724 denen. Fürsten fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707. Randglosse in GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Ad d. § 4 v[erb]. „Die Schrifftwechslung, ibi in Causis Mandatorum“. Randglosse in GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Ad d. § 4 v. „Alles anders ibi die Zahl der Ordnung usw.“; Ad § 4 sub init. v[oc]. „In welchen Sachen voc. bestimmt usw.“; Ad d. § 4 in fine voc. „Straff gegen dem begehrenden Procuratore“.

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norum einzubringen, schuldig. Sonsten aber ins gemein, wo der Procurator ratione petitae prorogationis kein Schuld hat, wird er sich auch keiner Straff zu befahren haben. § 6.1 Obwohl Anno 1655 alle Handlungen, so etwann in die Reproductions- oder hievorige Paritionsordnung gehörig gewesen, indifferenter auch in Ordine Novarum einzubringen erlaubt worden, so ist doch solches dahin geändert, daß hinfüro, was zu handlen vorfällt, ein jedes in gehöriger seiner Ordnung allein eingebracht werden solle. § 7.2 Schließlichen läst man es dabey, daß der Gemeine Bescheid gleich jetzo in prima Audientia post Ferias Natalitias3 und4 hinfüro stricte observirt und von den Procuratoren die Handlungen5, damit sie gefaßt, denselben6 gemäß eingebracht, jedoch in denen Sachen, da der Terminus entweder allbereit verflossen oder nechstens zu7 verfliessen möchte, die Handlung aber ihnen noch nicht kommen8, derentwillen vor Verfliessung dreyer Monaten von dem 13. Decembris jüngsthin als a9 die publicati Decreti an zu rechnen als bis auff den 14. nechstkünfftigen Monat Martii niemand gefährt werden solle. So ist das Anruffen und Accusationes Contumaciae in deß Gegenprocuratoris Ordnung zu unterlassen, sondern hat ein jeder den andern, so den Terminum ungehandelt verfliessen lässet, erst in seiner eigenen Ordnung zu contumaciren und seine befindende Nothdurfft zu verhandlen. Decretum in Consilio pleno, 7. Januarii Anno 1660. Publicatum 9. ejusdem.10 Johannes11 Nicolaus Becht, Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae12 Protonotarius13. Vorlage: CJC 1724, S. 903-904 Nr. CCCCIII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 48-49; GB 1665, S. 43-44; Blum 1667, S. 618-620; GB 1671, S. 43-44; GB 1678, S. 45-46; GB 1686, S. 45-46; GB 1688, S. 42-43; GB 1695, S. 108-110; GB 1696, S. 108-110; GB 1707, S. 108-110; GB 1710, S. 117120 Nr. CXLIV; GB 1714, S. 68-69 Nr. CXLVI; CJC 1717, S. 68-69 Nr. CXLVI; 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Randglosse in GB 1678 Ad § 5 in med. ibi „doch in seiner eigenen Ordnung usw.“; Ad § 10; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 ebenso, aber Ad § 10 klar § 7 zugeordnet. Randglosse in GB 1678 Ad § 4 sub init. ibi „Ein gemeiner Terminus etc.“; Ad d. § 5 Alle loc. et § 6 sub fin. ibi „Uff seine nechstfolgende Ordnung usw.“; GB 1696; GB 1707; GB 1710 ebenso, aber vorangestellt Ad § 10. Nach GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 Natalitas. Fehlt in GB 1661; Blum 1667. Nach GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 Handlung. Blum 1667 demselben. Fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 zukommen. Fehlt in GB 1724. Publicatum … ejusdem fehlt bei GB 1661; Blum 1667; GB 1671; GB 1665; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1695; GB 1696 Iohannes. GB 1661; GB 1671; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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GB 1717, S. 68-69 Nr. CXLVI; GB 1724, S. 117-120 Nr. CXLIV; auch als Separatdruck (z. B. vd17 1:019874U = Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 5 an: Gx 2875 = Bayerische Staatsbibliothek München Res 4° J. publ. g. 1233, 17). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ist ein schlagender Beleg dafür, wie schwer verständlich auch für die Zeitgenossen die frühneuzeitliche Kanzleisprache mit ihren Bandwurmsätzen und dem Verzicht auf Verben zu verstehen war. Jedenfalls hatten die Prokuratoren ernsthafte Schwierigkeiten, den Gemeinen Bescheid vom 13. Dezember 1659 (oben RKG Nr. 144) zu befolgen. Ihnen war nämlich unklar geblieben, was das Gericht genau meinte. Deswegen reichten sie am 7. Januar 1660 eine Supplikation ein und baten um Erläuterung des kaum zugänglichen Regelwerks. Am 10. Februar 1659 hatte das Gericht die Anwälte ohnehin bereits zur Mitwirkung an der Reform des Kameralprozesses aufgefordert (oben RKG Nr. 138). Inwieweit die Zusammenarbeit überhaupt begonnen hatte, ist unbekannt. Aber jedenfalls jetzt, nachdem der Gemeine Bescheid auf dem Tisch lag und durch Separatdruck sogar jedermann zugänglich war, gab es anwaltliche Rückfragen. Nach dem Hinweis in § 7 („jetzt“) fand die erste Audienz nach den Weihnachtsferien wohl am 9. Januar 1660 statt. Das war das Datum, zu dem die Neuerungen wirksam werden sollten. Die Anwälte hatten ihre Supplikation also noch rechtzeitig vorher eingereicht. Bereits am selben Tag entschied das Kameralkollegium durch Conclusum pleni darüber. Offenbar, so hat es den Anschein, wussten die Assessoren sehr wohl, was sie wollten und konnten die Anfrage daher ohne jede Bedenkzeit sofort bescheiden. Inhaltlich folgten dadurch gewisse Verschiebungen, auch wenn sich der Gemeine Bescheid vom 7. Januar, verkündet am 9. Januar 1660, lediglich als Erläuterung ausgab. Jedenfalls immer dann, wenn das Gericht am 7./9. Januar 1660 vom Gemeinen Bescheid sprach, meinte es den eigenen Erlass vom 13. Dezember 1659. Zuerst ging es im Januar 1660 um die Abgrenzung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Audienz. Das Verbot mündlicher Rezesse begrenzte das Kameralkollegium in § 1 auf Appellationssachen. In allen anderen Verfahren, also auch im Ordo sententiarum und in den Beweisverhandlungen vor den Deputaten, durfte es weiterhin mündliche Rezesse geben, wenn sie sich umfangmäßig auf höchstens drei Zeilen beschränken ließen. Damit betraf die Abschaffung mündlicher Rezesse also nicht eine komplette Umfrageordnung, sondern lediglich eine einzelne, wenn auch sehr wichtige Verfahrensart. Für den Kalumnieneid verwies § 2 pauschal auf § 118 des Jüngsten Reichsabschieds und ohne genaue Datierung auf den Gemeinen Bescheid vom 23. Mai 1656 (oben RKG Nr. 130). Der Bescheid vom vorausgegangenen Dezember hatte also insoweit keine Neuerung beabsichtigt. § 3 schränkte die Verpflichtung, alle Schriftsätze doppelt zu unterzeichnen, ein. Wenn Reichsstände prozessierten, hatten sie üblicherweise gar keinen Advokaten. Vielmehr bearbeitete ein rechtsgelehrter Rat aus der Regierung oder der Kanzlei die Sache und konzipierte auch die landesherrlichen Schriftsätze. Er brauchte aber nicht eigenhändig zu unterschreiben. Insoweit erkannte das Reichskammergericht die reichsständischen Behörden als eigene Institutionen ausdrücklich an und suchte nicht nach der Person des Schriftsatzverfassers. Wegen der Einzelheiten sollte das Gericht einen Ermessensspielraum genießen. Genau das ging später dem Visitationsdekret vom 27. November 1713 zu weit. Es ließ § 3 des Gemeinen Bescheides grundsätzlich in Kraft. Allerdings wurde „die

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am End der Richterlichen Willkühr halber zugesetzte Clausul aber hiermit aufgehoben“ (Anlage A zum Visitationsdekret, in GB 1724, S. 243). Die Begrenzung des zulässigen Schriftsatzwechsels war Gegenstand von § 4. Lediglich im Mandatsprozess sine clausula sollte die Replikschrift das Ende des Verfahrens markieren, nicht aber im Verfahren cum clausula iustificatoria, stellte das Kameralkollegium klar. Ob im Einzelfall ein ausgedehnterer Schlagabtausch erforderlich war, wollte das Gericht von Amts wegen durch Zwischenurteil verkünden. Anträge der Parteien waren deswegen nicht erforderlich. § 5 behandelte schwer verständlich das Verhältnis zwischen Erscheinen, Rezess und Schriftsatzwechsel. Wenn ein Prokurator Fristaufschub beantragt und erlangt hatte, bezog sich das lediglich auf seine Verpflichtung, termingerecht einen eigenen Schriftsatz vorzulegen. Zur angesetzten ersten Audienz musste er dennoch erscheinen. Eine Generalklausel sollte wohl die Anwälte beschwichtigen, die für die Zukunft zu starke Ordnungsstrafen befürchteten. Immer dann nämlich sollten die Prokuratoren straffrei bleiben, wenn sie ihre Anträge auf Fristverlängerungen unverschuldet gestellt hatten, was immer das auch heißen mochte. Jedenfalls schwächte das Gericht mit diesem Entgegenkommen sehenden Auges die beabsichtigte Straffung des Verfahrens. § 6 setzte der zu weitgehenden Auflösung der Umfrageordnung Grenzen. Mit dem Gemeinen Bescheid vom 30. Oktober 1655 (oben RKG Nr. 127) hatte das Gericht versucht, die starre Trennung zwischen Paritionsordnung, Reproduktionsordnung und Novaordnung zu beseitigen. In den Ordo novarum konnten die Prokuratoren nämlich auch das einbringen, was ansonsten in die beiden anderen Umfragen gehört hätte. Solche Aufweichungen lehnte das Gericht nunmehr ab, war hier also furchtsamer als noch vier bis fünf Jahre zuvor. Vielmehr wollte es die Ordnungen weiterhin streng eingehalten wissen. Allein die Umständlichkeit dürfte der beabsichtigten Vereinfachung des Verfahrens den Wind aus den Segeln genommen haben. Zum Schluss bekräftigte das Gericht in § 7, dass die Neuregelungen mit Beginn des Jahres 1660 in Kraft treten sollten. Eine umfangreiche Übergangsvorschrift sollte Härten vermeiden. Damit waren aber noch nicht alle Unklarheiten des Gemeinen Bescheids vom 13. Dezember 1659 beseitigt. Nur drei Tage später musste das Reichskammergericht weitere Einzelheiten erläutern (sogleich unten RKG Nr. 146). Zugleich belegten die Erläuterungsbescheide allerdings, für wie gewichtig die Zeitgenossen die Zäsur vom 13. Dezember 1659 ansahen.

RKG Nr.146 1660 Januar 121 [1. In ordine terminorum et novarum contra-recessus praeterquam in quibusdam punctis prohibiti sunto. 2. Specificationes recessuum duntaxat ad dimidiam paginam 1

Datum unklar, GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 11. et 12. Ejusdem; aber GB 1710; GB 1717 12. Ejusdem (= Januar 1660); wie im CJC 1724 auch Blum 1667 12. Januarii 1660.

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scribuntor. 3. In eadem causa in diversis punctis vel personis agenda per novam lineam distinguuntor. 4. Rubricae et recessus in eadem facie paginae conscribuntor. 5. Contra-recessus in memoratis punctis ut et recitatio recessuum tarde habentor. 6. Specificationum exemplaria correcta et consona exhibentor istorumque folia parallela tantumdem complectuntor. 7. Specificationes per numeros vel ordines notantor nomine procuratoris in principio adiecto. 8. In initio recessus cuiusque adversarius procurator nominator eique recessus communicator. 9. De non frivole appellando iuraturi prius tacto sceptro iudiciali cavento. 10. Post praestitam cautionem procuratoria in ordine terminorum producuntor: In eodem ordine contra ex adverso actitata proceditor. 11. Supernumeraria ne producuntor. 12. Recognitiones vel diffessiones in continenti fiunto. 13. Citationes ad reassumendum iudicialiter postulantor decernuntorque.]1 Admonitiones pro observatione decreti 13. Decembris proxim[i] publicati.2 Seynd die Procuratores pro observatione des am 13. Decembris jüngst publicirten Bescheids ferner erinnert worden: §3 1. In Ordine Novarum et Terminorum sich alles Gegenrecessirens ausserhalb der in gemeldtem4 Bescheide außgedruckten vier Puncten gäntzlich zu enthalten, jedoch mögen sie, wann ex adverso Actorum Publicatio und Communicatio begehrt wird, darin uno verbo consentiren. § 2. Ihre Specificationes Recessuum sollen nur zu halben Blat geschrieben und in margine so geraumer Platz gelassen werden, damit, was der Gegenprocurator in jetzt gedachten vier und nunmehro fünff Puncten kurtz anmeldet, füglich dahin verzeichnet werden möge. § 3. Wann in eadem Causa in diversis punctis oder inter diversas Personas zu handlen, soll ein jeder Punct von dem andern per lineam novam abgesondert und distinguirt werden. § 4. So sollen niemahlen die Rubriquen in una und der Recess in altera facie paginae, sondern beedes allezeit in eadem facie geschrieben werden. § 5. Wann ein oder ander Procurator auff die auff5 deß andern Procuratoris Specification abgelesene Recess in vorbedeuten vier und nunmehr fünff Puncten etwas vorbringet, soll es dergestalt geschehen, damit die Proto[notarii] und Notarii es in die Specification gebührlich eintragen können, gestalten auch der Procurator, 1 2 3 4 5

1. In ordine ... decernuntorque in GB 1661; Blum 1667. Admonitiones … publicati fehlt in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber vorhanden wie im CJC 1724 auch in GB 1710. GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 ohne §§-Zeichen, nur lateinische Nummerierung; dagegen GB 1661; Blum 1667 mit doppelter Zählung, hier also § 1 (I). GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 gemeinem. Fehlt in Blum 1667.

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an dem die Ordnung im Lesen, die Discretion gebrauchen soll, damit sie die Proto[notarii] und Notarii1 nicht zuviel2 übereilet werden [und]3 sowohl sie, ob die Exemplaria gleichlautend, als auch der Leser, ob die Producta und alle Beylagen [realiter]4 eingegeben seyn, auffmercken können. § 6. So sollen auch die Exemplaria Specificationum vorhero collationirt, rein, sauber, correct und gantz gleichlautend, zumahlen alle Confusion bey der Registratur zu verhüten, auff jedes Folium des einen nicht weniger oder mehr als des andern Exemplaris geschrieben werden und die Procuratores sich keineswegs darauff zu verlassen, als wann die Discrepantiae erst im Gericht oder auff der Cantzley solten corrigirt werden. § 7. Um mehrer Richtigkeit willen soll ein jeder Procurator [seine Specification]5 mit den Numeris „Prima, Secunda, Tertia, Quarta, Quinta etc. Specificatio seu Ordo meus Terminorum vel Novarum“ quotiren und seinen Namen jedesmahl auch in principio exprimiren. § 8. Sollen sie zu Eingang eines jeden Recessus den Gegenprocuratorn nennen und anruffen, demselben auch, wie in dem Gemeinen Bescheid verordnet, den ihn angehenden Recess alßbald communiciren und kein Extractus erst aus der Cantzley begehrt werden. § 9. Daß sie bey Ablegung der Juramentorum de non frivole appellando jedesmahl vorhero caviren, auch in allen bereits eingeführten Appellationssachen, worin der Specialgewalt ad jurandum eingebracht, solch Juramentum ohnerwartet einigen Interlocuti zwischen dato und nechstkünfftigen 14. Martii, jedoch ohne Nachtheil eines oder des andern erlangten Praejudicii, ablegen und sich deßwegen in Cancellaria bey Zeiten anmelden sollen. § 10. Post praestitam Cautionem müssen die Gewälte in Ordine Terminorum und nicht in Ordine Novarum einbracht werden. Also auch, wann einer auff das, so sein Gegentheil in Ordine Terminorum einbracht, etwas zu recessiren hat, soll es ebenmäßig in Ordine eodem Terminorum, wann ihn dieselbe erreicht, beschehen. § 11. Uber die Zahl der Ordnung soll einige Handlung nicht mehr produciret werden. Wann aber die Procuratores dergleichen allbereit bey Händen haben oder ante 14. Martii nechstkünfftig von ihren Principalen einige noch eingeschickt würden, mögen sie es auff jetztgedachte Zeit jeder in seiner Ordnung wohl anzeigen, sollen aber mit der Production zurückhalten, solang der Richter dieselbige per inter-

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An dem die ... und Notarii fehlt in Blum 1667. GB 1661; GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1707 viel; dagegen wie im CJC 1724 auch Blum 1667 zuviel. Blum 1667. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Seine Specification in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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locutoriam nicht zuläst, nach mehrgedachtem 14. Martii aber bleibt solche Anzeig verbotten. § 12. Die Recognitiones oder Diffessiones sowohl der Gewälten als andern Schrifften sollen bey Straff der Ordnung jederzeit in continenti beschehen. Da aber erhebliche Bedencken vorhanden, mag man es in seiner nechsteigenen Ordnung zu thun vorbehalten, doch daß es alßdann würcklich beschehe, und sollen die erfolgende Recognitionen von dem begehrenden Procuratore jedesmahl alsobald et uno verbo acceptirt werden. § 13. Die Citationes ad reassumendum seynd wie vorhin judicialiter zu bitten und zu erkennen. Johannes1 Nicolaus Becht, [Lizentiat,]2 Judicii Imperialis Camerae3 Protonotarius4. Vorlage: CJC 1724, S. 904-905 Nr. CCCCIV. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 49-50; GB 1665, S. 44-45; Blum 1667, S. 620-623; GB 1671, S. 44-45; GB 1678, S. 46-47; GB 1686, S. 46-47; GB 1688, S. 43-44; GB 1695, S. 110-113; GB 1696, S. 110-113; GB 1707, S. 110-113; GB 1714, S. 70-71 Nr. CXLVII; CJC 1717, S. 70-71 Nr. CXLVII; GB 1717, S. 70-71 Nr. CXLVII; GB 1724, S. 120-122 Nr. CXLV. Anmerkung: Wie der Gemeine Bescheid vom 9. Januar 1660 (oben RKG Nr. 145) gibt sich auch dieser Gemeine Bescheid als Erläuterung des Bescheids vom 13. Dezember 1659 (oben RKG Nr. 144), führte aber zugleich Neuerungen und Verfeinerungen ein. Gleich die erste betraf die Gegenrezesse in den Ordnungen der Nova und der Termine. Anders als noch 1655 (Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655; oben RKG Nr. 127) wollte das Kameralkollegium die abgegrenzten Umfrageordnungen jetzt wieder stärker beachtet wissen und Vermischungen verhindern. Deswegen beschränkte es mündliche Gegenrezesse und sah sie für spätere Termine vor. Ausnahmen konnte es bisher in einfachen Fällen geben. Nunmehr gestattete das Gericht eine weitere Durchbrechung. War die Herausgabe und Bekanntmachung der erstinstanzlichen Prozessakte beantragt, durfte der Prozessgegner mit einem einzigen Wort sein Einverständnis mitteilen. Dieses eine Wort zählte also bereits als mündlicher Gegenrezess und war daher regelungsbedürftig. Zu dem vorgesehenen Spezifikationszettel, der in Appellationssachen die mündlichen Rezesse ersetzen, in anderen Prozessarten ergänzen sollte, gab das Reichskammergericht übergenaue Anweisungen. Der Sache nach ging es um Standardisierung, doch fehlte es an einem Formblatt. Die Zettel durften nur einspaltig beschrieben sein (§ 2), einzelne Streitsachen oder Parteien erforderten eigene Zeilen (§ 3), Rubrik und Rezess gehörten auf dieselbe Seite (§ 4). Während des Rezessierens sollten die Notare die noch zulässigen ganz knappen Gegenrezesse auf der freien Spalte notieren (§ 5) und außerdem 1 2 3 4

GB 1695; GB 1696 Iohannes. GB 1678; GB 1710. GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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die überreichten Anlagen auf ihre Vollständigkeit hin prüfen. Die vorgesehenen mehreren Exemplare der Spezifikationszettel und wohl auch der Schriftsätze waren vom Prokurator zu korrigieren und einheitlich zu paginieren bzw. foliieren (§ 6). Zur besseren Übersichtlichkeit sollte jeder Prokurator auf seinem Spezifikationszettel zudem alle für einen Termin vorgesehenen Prozesshandlungen durchnummerieren (§ 7). Der Vertreter des Prozessgegners war jeweils zu benennen (§ 8), außerdem sollte der handelnde Prokurator ihm seine Rezesse übergeben, damit der zeitraubende Umweg über die Kanzlei wegfiel. § 9 bekräftigte das vorgeschriebene Verfahren zur Ableistung des Appellationseides. Als Prozesshandlung war er erst dann zulässig, wenn die Partei zuvor Sicherheit geleistet hatte. Außerdem war er weiterhin in der Kanzlei anzumelden (ebenso der Gemeine Bescheid vom 13. Dezember 1659 § 3; oben RKG Nr. 144). Übergangsvorschriften für laufende Verfahren ermöglichten einen weichen Wandel. § 10 untermauerte die nunmehr strengere Trennung der Umfrageordnungen. Anwaltsvollmachten gehörten daher in den Ordo terminorum und nicht in den Ordo novarum. Ebenso sollten Gegenhandlungen auf Rezesse im Ordo terminorum auch nur innerhalb derselben Ordnung erfolgen, dann nämlich, wenn der Gegenanwalt das nächste Mal an der Reihe war. Die Abkürzung des schriftlichen Verfahrens war Ziel von § 11. Über die vorgesehenen Schriftsätze hinaus sollten die Prokuratoren nicht handeln. Eine Übergangsvorschrift hielt aber die Möglichkeit offen, bereits vorliegende oder noch eingehende Zusatzschriften in den Prozess einzubringen, wenn das Gericht dies zuließ. Lediglich kleinere Augenscheinseinnahmen sollten sofort erfolgen (§ 12), weil sie kaum Zeit kosteten. Notfalls konnte der Prokurator sie aber auch in seine nächste reguläre Umfrage einbringen. Zuletzt ging es um die Citatio ad reassumendum beim Tod oder Wegfall einer Partei. Sie waren Teil des Judizial- und nicht des Extrajudizialverfahrens. Deswegen gehörte solch ein Antrag in die Audienz. Damit hatte das Gericht den am 13. Dezember 1659 ergangenen Gemeinen Bescheid (oben RKG Nr. 144) zweifach erläutert. Innerhalb Monatsfrist war das Verfahren daher in zahlreichen Einzelheiten verändert. In einem zentralen Punkt jedenfalls konnte das Reichskammergericht sich über einen Erfolg freuen. Die Audienzen wurden nämlich tatsächlich kürzer (dazu Gemeiner Bescheid vom 19. Januar 1660; sogleich RKG Nr. 147).

RKG Nr. 147 1660 Januar 19 [Audientiis iudicialibus in Camera Imperiali tantum temporis imposterum non indigentibus, antemeridianae die Lunae ac Saturni ut [et]1 pomeridianae die Martis et Iovis habitae abrogantor, feriis tamen in diem Lunae, Mercurii vel Veneris incidenti-

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bus audientiae sequenti die Martis et sequenti vel respective praecedenti die Iovis celebrantor.]1 Audientiae antemeridianae die Lunae et Saturni nec non pomeridianae die Martiis et Iovis abrogantur et modus anticipandi feriatus2 traditur.3 Demnach zu4 Fortsetzung der5 durch den6 am 13. Decembris nechsthin publicirten Gemeinen Bescheid gemachter7 Disposition sich allbereit im Werck erzeiget, daß man so vieler Zeit zu den gerichtlichen Audientzien an diesem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht nicht mehr vonnöthen, als werden vorderst die vormittägige Montags- und Samstags- wie auch die8 nachmittägige Dienstags- und Donnerstags-Audientzien bis auff anderwerte Verordnung eingestellet. Jedoch wan am Montag oder Mitwoch wegen einfallender Ferien kein Gerichtstag wäre, so soll die Audientz allerwege den nechstfolgenden Dienstag und respective Donnerstag, also auch wann der Freytag kein Gerichtstag wäre, alßdann am vorhergehenden Donnerstag dafür gehalten werden. Decretum in Consilio pleno9, 19. Januarii Anno 1660. Henricus Kayser, Dr.10, Judicii Imperialis Camerae11 Protonotarius12. Vorlage: CJC 1724, S. 905 Nr. CCCCV. Weitere Ausgaben: GB 1661 Suppl., S. 57; GB 1665, S. 45-46; Blum 1667, S. 623; GB 1671, S. 45-46; GB 1678, S. 47-48; GB 1686, S. 47-48; GB 1688, S. 44-45; GB 1695, S. 113; GB 1696, S. 113; GB 1707, S. 113; GB 1710, S. 122-123 Nr. CXLVI; GB 1714, S. 71 Nr. CXLIX; CJC 1717, S. 71 Nr. CXLIX; GB 1717, S. 71 Nr. CXLVIII; GB 1724, S. 122-123 Nr. CXLVI. Anmerkung: Mit diesem Gemeinen Bescheid verkündete das Reichskammergericht einen Erfolg der am 13. Dezember 1659 (oben RKG Nr. 144) beschlossenen und inzwischen doppelt erläuterten (Gemeine Bescheide vom 9. und 12. Januar 1660; oben RKG Nr. 145-146) Reform. Die vollständige Abschaffung mündlicher Rezesse im Appellationsverfahren, verbunden mit streng schematisierten Begleitzetteln, zeigte erste Wirkungen. Deswegen war es möglich, die Zahl der wöchentli1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Audientiis ... celebrantor in GB 1661 Suppl.; Blum 1667. GB 1710 feriatas. Audientiae … traditur fehlt in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber vorhanden in GB 1710. GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707 in. GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707 deme. GB 1661 Suppl.; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 die. Blum 1667 gemachten. Fehlt in GB 1661 Suppl.; Blum 1667. GB 1661 Suppl.; Blum 1667; GB 1671; GB 1696; GB 1707 in Pleno Consilio. Statt Henricus ... Dr. in GB 1661 Suppl. Joannes Nicolaus Becht. GB 1661 Suppl.; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Judicii Camerae Imperialis. Henricus ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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chen Audienztage zu verringern. Zwei einstündige Vormittagssitzungen fielen ebenso weg wie zwei mehrstündige Nachmittagsaudienzen. Das war eine glatte Halbierung. Offenbar hatten die Appellationen zuvor also die Hälfte der Audienzzeiten gefressen. Selbst der Restbestand an Mündlichkeit, den das Gericht noch kannte, beanspruchte somit zahlreiche Stunden pro Woche. Immerhin blieben drei Nachmittagsaudienzen übrig, je nach Jahreszeit wohl auf zwei bis drei Stunden angelegt (dazu Gemeine Bescheide vom 30. Oktober 1655 §§ 1, 2, 5 und 13. Dezember 1659 § 7; oben RKG Nr. 127 und 144). Diese Zeit war aber wohl auch nötig. Denn wenn Feiertage den Rhythmus störten, wollte man Sitzungen verschieben und nicht etwa ausfallen lassen.

RKG Nr. 148 1660 März 31 Extractus Senatus Consulti de eodem Anno 3. Martii2. [Procuratores designationem omnium causarum submissarum exhibito et de discrimine sollicitatorum Camerae.]3 [Discrimine inter sollicitatores qui a principalibus ad ipsorum causas sollicitandas Spiram ablegati ac istos qui perpetuo ibi degentes quaestus gratia multarum causarum sollicitaturas ad se pertrahunt observato illis non facile his [vero]4 difficilius in cancellaria vel lectoria necessaria actorum inspectio conceditor vel5 horum aliquid communicator.]6 Damit aber solches7 [alles]8 desto füglicher eingerichtet und daß über deme ein Repertorium in der Leserey umb so richtiger begriffen und gehalten werden könne, were allen Procuratorn zu befehlen, daß jeder derselben ein Designation aller seiner submittirter Sachen, welche von den Partheyen noch getrieben werden, mit Anzeig, wann, in welchem Jahr, Monat und Tag und in welchem Puncto oder ob definitive darinnen submittirt, fertige9, bey jeder Sachen mit wenig Worten, was es betreffen 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Datum unklar, im Gemeinen Bescheid vom 24. Mai 1660 auf den 31. März 1660 datiert (so GB 1678); dagegen im CJC 1724 Verweis vom 24. Mai 1660 auf den 3. März 1660. Extractus ... Martii auch in GB 1661; GB 1671; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; ähnlich Blum 1667 mit anderem Ende de 3. Martii 1660. Procuratores ... Camerae in GB 1710; GB 1717; CJC 1724; ähnlich GB 1661; Blum 1667 Procuratores ... submissarum exhibento, danach anders. Blum 1667. Blum 1667 aut. Discrimine ... communicator in GB 1661 als zweiter Absatz des Summariums; auch Blum 1667 (mit den Abweichungen). Aber solches fehlt in GB 1710; GB 1724; CJC 1724; dagegen vorhanden in GB 1661; Blum 1667. Blum 1667; GB 1710; CJC 1724. Blum 1667 verfertigen; CJC 1724 verfertige.

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RKG Nr. 148 1660 März 3

thue, exprimiren und fürdersam ad Collegium und in die Leserey also in duplo übergeben [solle, damit die Leser Causas privilegiatas in ein sonderbar Register bringen und dieselbe der Herr Cammerrichter oder weme an dessen statt die Distribution der Acten oblieget, in gebührende Obacht nehmen könne]1. [§ 1]2 Die Sollicitatores sonsten belangend, were unter denjenigen, welche von einem oder anderem Churfürsten oder Stand, wie auch von Privatpartheyen ihre anhangende Sachen zu sollicitiren eigen3 hieher geordnet und deßwegen dem Herrn Cammerrichter, Praesidenten oder Vicepraesidenten ihren Befelch (so man ihnen, nachdeme das Exhibitum von den Notariis in eine absonderliche Verzeichnuß annotirt seyn wird, wol wider außfolgen lassen kan) exhibirt haben, und zwischen denjenigen, welche sich beständig allhie in loco uffhalten4, die Sollicitatur aber vielerley Sachen an sich ziehen, ein Unterscheid zu halten, auch keinem, wer der auch 5 ist, das geringste in Cancellaria vel Lectoria nicht zu zeigen oder zu6 communiciren, er habe dann sein Befelch, wie erst erwehnt, gebührend uffgelegt, welchenfalls denen eygengeschickten, da sie etwas in Protocollo oder in einer schrifftlichen Handlung zu inspiciren vonnöthen haben, solche Stück, doch nicht anderst als in praesentia zum wenigsten eines Lesers und in ipso loco vor der Leserey, die Inspection keineswegs aber mit sich nacher Hauß zu nehmen oder abzuschreiben gestattet werden mag. Denjenigen aber, die nicht eigens hieher geschickt, solle ad inspiciendum oder zu einigem7 andern Ende gar nichts communicirt werden, es beschehe dann mit Wissen, Willen und in Beyseyn deß Procuratoris Causae oder es were Sach, daß einer von der Parthey ebenmäßig ein Befelch uff und solche Ursachen glaublich anzeigen würde, daß der Herr Cammerrichter, Praesident oder Vicepraesident oder auch Referens Causae ein anders zu erlauben nöhtig fünde8. [Wann aber von des Referenten oder Correferenten Hand etwas im Protocoll oder denen Actis notirt, soll es niemand gezeigt oder ad inspiciendum, sondern allein per Copias in Cancellaria faciendas communicirt und von denen Lesern hierob fleißig gehalten werden.]9 Johannes10 Nicolaus Becht, [Lizentiat,]11 Judicii Camerae Imperialis12 Protonotarius13. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Solle ... könne in Blum 1667; CJC 1724. GB 1717. Blum 1667; CJC 1724 eigentlich. Blum 1667 sich allhie in loco beständig auffhalten. Fehlt in GB 1661; Blum 1667. Fehlt in CJC 1724. CJC 1724 einem. Blum 1667 befunde. Wann ... werden in Blum 1667; CJC 1724. GB 1695; GB 1696 Iohannes. GB 1710. GB 1707; GB 1710; CJC 1724 Judicii Imperialis Camerae. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

RKG Nr. 148 1660 März 3

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Vorlage: GB 1678, S. 48. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 50-51; GB 1665, S. 46; Blum 1667, S. 624-625; GB 1671, S. 46; GB 1686, S. 48; GB 1688, S. 45; GB 1695, S. 114-115; GB 1696, S. 114-115; GB 1707, S. 114-115; GB 1710, S. 123-124 Nr. CXLII; GB 1714, S. 71-72 Nr. CXLIX; CJC 1717, S. 71-72 Nr. CXLIX; GB 1717, S. 71-72 Nr. CXLIX; GB 1724, S. 123-124 Nr. CXLVII; CJC 1724, S. 905-906 Nr. CCCCVI. Anmerkung: Bei dem Gemeinen Bescheid handelte es sich ursprünglich um ein Senatusconsultum des Reichskammergerichts. Der spätere Gemeine Bescheid vom 23. Januar 1741 (unten RKG Nr. 273) erkannte die Regelung aber ausdrücklich als Gemeinen Bescheid an und wiederholte sie auch als Gemeinen Bescheid. Schon zuvor hatte der Gemeine Bescheid vom 24. Mai 1660 (unten RKG Nr. 150) den Adressaten eingeschärft, das Senatusconsultum zu befolgen. Inhaltlich geht es um zwei Regelungsbereiche. Zunächst kam es dem Kameralkollegium darauf an zu erfahren, welche Rechtsstreitigkeiten die Parteien bereits bis zur Entscheidungsreife betrieben hatten. Ein Blick in die Akten war dafür offenbar zu aufwendig. Deshalb sollten die Prokuratoren Aufstellungen einreichen, die sämtliche bereits submittierten Sachen auflisteten. Auf diese Weise erfuhr die Richterschaft, in welchen Prozessen überhaupt Urteile ergehen konnten. Das diente offenbar zugleich dazu, die sog. Causae privilegiatae von den einfachen Sachen abzugrenzen. Diese Unterscheidung war dem älteren Kameralprozess noch fremd. Er hatte ursprünglich zwischen Causae ordinariae und extraordinariae unterschieden und dies von der Eilbedürftigkeit der Sache abhängig gemacht. Die Unterteilung in privilegierte und nicht privilegierte Verfahren mag ähnliche Bedeutung gehabt haben, beruhte aber wohl eher auf der Einschätzung der jeweiligen Parteien (so auch der Gemeine Bescheid vom 24. April 1782 Ziff. 1; unten RKG Nr. 307). Die zweite Regelung des Senatusconsultums bzw. des Gemeinen Bescheides bezog sich auf die Sollizitanten. Das Gericht teilte sie in drei Gruppen ein. Zunächst erkannte es die ständigen Sollizitanten der Reichsstände förmlich als eigene Gruppe von Kameralpersonen an. Sie mussten freilich ihre Bestallung dem Kammerrichter vorlegen. In der Praxis dürfte dies aber kaum Schwierigkeiten bereitet haben. Die übrigen Sollizitanten gliederten sich in diejenigen, die wegen eines bestimmten Sollizitationsauftrages nach Speyer gekommen waren, und in andere, die ohne besonderen Auftrag die Sollizitatur betrieben. Je nachdem, zu welcher Gruppe die Sollizitanten gehörten, gab es unterschiedliche Vertraulichkeitsstufen. In keinem Fall durften Sollizitanten kammergerichtliche Akten abschreiben und mit nach Hause nehmen. Auch durften sie die internen Anmerkungen der Referenten im Protokoll und in der Akte nicht zu Gesicht bekommen. Im Beisein des Prokurators war aber immerhin Akteneinsicht möglich, selbst für diejenigen, die keine Vollmacht der Prozessparteien vorweisen konnten. Auf diese Weise markiert der Bescheid zugleich die Grenze zwischen dem Gerichtsgeheimnis und einem zumindest für Juristen und Interessenvertreter zugänglichen Meinungsaustausch.

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RKG Nr. 149 1660 Mai 21

RKG Nr. 149 1660 Mai 211 [Pedelli in exactione realique executione impositae mulctae ut et relationibus eam ob causam singulis hebdomadibus habendis decretis desuper communicatis sub comminata seria poena se conformes praebento.]2 Pedellis paritio decretorum priorum quoad exigendas mulctas severius iniungitur.3 Es sollen sich dieses4 Kayserlichen Cammergerichts Pedellen mit Einforderung und würcklicher Execution der angesetzten Geldstraff, auch Erstattung deßwegen obliegender wöchentlicher Relation sich5 denen am 12. Maii Anno 1658, 24. Martii [und]6 1. Decembris des nechstverwichenen Jahrs und zuvor hierüber ertheilten Decreten allerdings gemäß verhalten oder im widrigen Fall der anbedroheten ernsthafften Straff selbst gewärtig seyn. In Consilio pleno, 21. Maii Anno 1660. Johannes7 Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae8 Protonotarius9. Vorlage: CJC 1724, S. 906 Nr. CCCCVII. Weitere Ausgaben: GB 1661 Suppl., S. 57-58; GB 1665, S. 46; Blum 1667, S. 625; GB 1671, S. 46; GB 1678, S. 48; GB 1686, S. 48; GB 1688, S. 45; GB 1695, S. 115; GB 1696, S. 115; GB 1707, S. „155“ (Druckfehler; recte 115); GB 1710, S. 124-125 Nr. CXLVIII; GB 1714, S. 72 Nr. CL; CJC 1717, S. 72 Nr. CL; GB 1717, S. 72 Nr. CL; GB 1724, S. 124-125 Nr. CXLVIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid kommt auf die Strafzahlungen der Prokuratoren zurück, die das Reichskammergericht schon oft beschäftigt hatten (Gemeine Bescheide vom 6. November 1655, 2./12. Mai 1658, 24. März 1659, 1. Dezember 1659; oben RKG Nr. 128, 136, 140 und 143). Das Reichskammergericht wiederholte die älteren Anordnungen und schärfte dem Pedellen nochmals die strenge Befolgung seiner Amtspflichten ein. Freilich gab es ein Problem, das die Assessoren wohl übersehen hatten. Die älteren Bescheide sahen nämlich wöchentliche Mahnungen vor, die der Pedell den säumigen Prokuratoren am Sonnabend übergeben sollte. Jetzt waren die sonnabendlichen Audienzen aber kurz zuvor weggefallen (Gemeiner Bescheid vom 19. Januar 1660, oben Nr. 147). Es war trotzdem möglich, das vorgesehene Verfahren unverändert beizubehalten. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Druckfehler in Blum 1667 21. Maii 1668. Pedelli ... praebento in GB 1661 Suppl.; Blum 1667. Pedellis … iniungitur fehlt in GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. Blum 1667 des. Fehlt in GB 1696; GB 1707. GB 1661 Suppl.; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707. GB 1695; GB 1696 Iohannes. GB 1661 Suppl.; GB 1671 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

RKG Nr. 150 1660 Mai 24

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Vielleicht sollte der Pedell den Anwälten die Mahnschreiben nunmehr außerhalb der Audienzen übergeben oder übersenden.

RKG Nr. 150 1660 Mai 24 [Procuratores in bis iussa exhibitione designationis causarum submissarum sub ½ marca argenti intra 4 septimanas se obedientes gerunto.]1 Procuratorum designatio causarum submissarum sub auctiori poena exigitur.2 Demnach dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratoren zum zweytenmahl so schrifft- als mundlich bedeutet und aufferlegt worden, daß sie eine Designation aller ihrer submittirter Sachen daselbsten förderlich einliefferen solten3: Dieselbe aber dem bis dahero, wie sichs gebührt, nicht nachgelebt: Als wird ihnen nunmehro bey Straff einer halben Marck Silbers, von jedem absonderlich in der Armensäckel ohnnachläßig zu bezahlen, hiemit alles Ernstes befohlen4, sich innerhalb vier Wochen deme am 3. Martii5 jüngsthin ihnen zugestellten Extract6 Senatusconsulti in diesem Punct allerding gemäß zu verhalten. Decretum in Consilio pleno, den 24.7 Maii Anno 1660. Johannes8 Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae9 Protonotarius10. Vorlage: CJC 1724, S. 906 Nr. CCCCVIII. Weitere Ausgaben: GB 1661, S. 51; GB 1665, S. 46-47r (Paginierungsfehler); Blum 1667, S. 625-626; GB 1671, S. 46-47r (Paginierungsfehler); GB 1678, S. 48-49; GB 1686, S. 4849; GB 1688, S. 45; GB 1695, S. 115-116; GB 1696, S. 115-116; GB 1707, S. 115-116; GB 1710, S. 125 Nr. CXLIX; GB 1714, S. 72-73 Nr. CLI; CJC 1717, S. 72-73 Nr. CLI; GB 1717, S. 72-73 Nr. CLI; GB 1724, S. 125 Nr. CXLIX.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Procuratores ... gerunto in GB 1661; Blum 1667. Procuratorum … exigitur fehlt in GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710. GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 sollen. GB 1661; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717 anbefohlen. GB 1661; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 31. Martii; dagegen wie hier Blum 1667; GB 1710 3. Martii. Blum 1667 Extractus. Blum 1667 in pleno Consilio, 24. GB 1695; GB 1696 Iohannes. GB 1661; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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RKG Nr. 151 1661 April 27

Anmerkung: Es handelt sich um den ersten Gemeinen Bescheid, der sich ausdrücklich auf ein Senatusconsultum bezog. Offenbar herrschte am Reichskammergericht Unsicherheit, wie man das Sollizitationsproblem behandeln sollte. Eine erste umfangreiche Regelung erging durch Gemeinen Bescheid (vom 13. Dezember 1659 § 8; oben RKG Nr. 144). Am 31., wohl nicht am 3. März 1660, erging dazu ein Senatusconsultum (bei Ludolff, CJC 1724, S. 905-906). Darin forderte das Gericht die Prokuratoren auf, dem Gericht Listen derjenigen Fälle zu übergeben, die ihre Parteien noch ernsthaft betrieben. Zudem führte das Gericht eine Unterteilung der Sollizitatoren ein. Es gab eine mehr oder weniger offizielle Gruppe ständiger Sollizitatoren von Reichsständen und Einzelpersonen sowie andere, die keinen festen Auftraggeber hatten. Der Gemeine Bescheid betont, es habe noch eine weitere schriftliche oder mündliche Aufforderung gegeben, das Sollizitationswesen entsprechend umzustellen. Jedenfalls bestand die Verpflichtung für jeden Prokurator, eine Übersicht über alle bereits submittierten Sachen vorzulegen. Das Senatusconsultum hatte die Pflicht damit begründet, die Leserei plane ein neues Repertorium aller dieser Sachen. Erstaunlicherweise bestand für die Kanzlei bzw. Leserei wohl selbst keine Möglichkeit, die submittierten, also entscheidungsreifen Sachen selbst aus den Protokollbüchern zusammenzustellen. Das wäre wohl erheblich umständlicher gewesen als die von den Prokuratoren offenbar erheblich einfacher zu handhabende Liste. Bezogen auf die Prokuratoren bestand damit eine Art Sollizitationspflicht, die über die Regelung vom 13. Dezember 1659 erheblich hinausging.

RKG Nr. 151 1661 April 27 Fiscalis calculum pecuniae pro sustentatione camerali solutae et cum quaestore matriculam formet collegioque exhibeat. Demnach Herr Cammerrichter und Beysitzer deß Kayserlichen Cammergerichts eine Nothdurfft befinden, sowohl die Herren Churfürsten als die Creyse, theils deren einlangender doppelter Praesentationen, theils aber derentwillen, ob die Richtigmachung der augmentirten Cammermatricul umb soviel eher möchte befördert werden, etwas gründlich zu berichten, was eigentlich an dem cammergerichtlichen Unterhalt der Zeit eingehet und wie weit man damit außlangen kan; als wird dem Kayserlichen Fiscaln hiemit befohlen, einen ungefehrlichen Calculum der jetztmahlig richtig eingehender Unterhaltungsgelder samt einer Abschrifft von der Cammermatricul mit Zuziehung deß Pfenningmeisters zu verfertigen und ad Collegium förderlich zu übergeben. Decretum in Consilio, den 27. Aprillis Anno 1661. Vorlage: CJC 1724, S. 906 Nr. CCCCIX.

RKG Nr. 152 1661 Juni 28

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Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 73 Nr. CLII; CJC 1717, S. 73 Nr. CLII; GB 1717, S. 73 Nr. CLII; GB 1724, S. 206-207 Nr. CCV; fehlt in GB 1661 Suppl.; GB 1665 (Hauptteil); Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Finanzierung des Reichskammergerichts. Allerdings schlug das Gericht gegenüber den älteren Bescheiden (vom 2. Januar 1656, 6./16. Februar 1657 und 4. Dezember 1659, oben RKG Nr. 129, 133 und 137) einen deutlich anderen Ton an. Vielleicht hatte sich die wirtschaftliche Lage des Gerichts im Vergleich zu den Vorjahren gefestigt. Jedenfalls entschied sich das Gericht für eine Bestandsaufnahme und erging sich nicht weiter in den altbekannten Lamenti über die säumigen Reichsstände und ihre Prokuratoren. Offenbar gingen nunmehr tatsächlich Unterhaltungsgelder beim Gericht ein. Die Assessoren wollten sich deswegen einen Überblick verschaffen, wer zahlte, ob jedermann die vorgegebenen Summen entrichtete und ob die Gelder insgesamt für einen ordnungsgemäßen Gerichtsbetrieb ausreichten. Für diesen Überblick waren der Fiskal und der Pfennigmeister zuständig. Die Aufstellung, die sie verfertigen sollten, hatte sich nach dem Willen des Kameralkollegiums an den Kurfürstentümern sowie an den Reichskreisen zu orientieren. Vermutlich interessierte man sich besonders dafür, ob diejenigen Kreise, die zwei Assessoren präsentieren konnten, ihre fälligen Kammerzieler vollständig überwiesen. Mit den Präsentationen verursachten sie ja Kosten, hatten zugleich aber den Vorteil, dass Juristen aus ihrer Region am Reichskammergericht arbeiteten. Das Kameralkollegium setzte weder eine Frist noch drohte es Strafen für Verzug oder Untätigkeit an. Gerade im Vergleich zu den üblichen Gemeinen Bescheiden gegenüber der Anwaltschaft waren die Anweisungen an den engeren Kreis der Gerichtsmitarbeiter auffallend zurückhaltend formuliert. Das zeigt der Vergleich mit dem folgenden Bescheid vom 28. Juni 1661 (sogleich RKG Nr. 152) überdeutlich. Er befasste sich mit demselben Problemkreis und war doch im Ton deutlich schärfer gehalten.

RKG Nr. 152 1661 Juni 28 [Procuratores non solum fiscales sententias, implorationes et recessus quando hi illis per notarium fisci post audientiam dictantur cum industria protocollari curent, sed etiam suis statibus cum debita informatione sine mora transmittunto. Similiter recessus tam in sustentationis Camerae quam reliquis causis interesse fisci concernentibus habitos fiscali Caesareo communicanto nec minus literas ad status sustentationis Camerae ergo mittendas et ad eas datas responsiones sine cunctatione dicto fiscali

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RKG Nr. 152 1661 Juni 28

monstranto illarum extractus communicanto et in omnibus ordinationi Camerali se conformes sub severa poena gerunto.]1 Procuratores acta fiscalia diligenter protocollari curanto et statibus suis cum informatione transmittunto. Item recessus in puncto sustentationis Camerae [et]2 alias habitos fiscali cum literis ea propter mittendis responsionumque extractu communicanto.3 Demnach bey denen durch den Jüngern Regenspurgischen Reichsabschied und deme zufolg eröffnete Gemeine Bescheid des Processus halben beschehenen Verordnung4 sich im Werck erzeiget, daß in Sachen, deß Kayserlichen Cammergerichts Unterhaltung betreffend, weder die ergehende Urtheilen noch auch die fiscalische Anruffen denjenigen Effect und Nachtruck haben, wie es ihrer5 Kayserlichen Majestät, unsers allergnädigsten Herrn, und gemeiner löblichen Ständen Intention gemäß und der Sachen hohe Nothdurfft erfordert, solches aber vornemlich dahero erfolget, daß die Procuratores, wann von dem Kayserlichen Fiscal oder dem Advocato Fisci die von ihnen gehaltene Recess wegen Vielheit6 der Ständen durch den Notarium Fisci post Audientiam dictirt werden wollen, selbige durch ihre Protocollisten entweders nicht excipiren lassen oder doch ihren Ständen der Gebühr nicht und also spath überschreiben7, daß dieselbe vor denen gewöhnlichen Franckfurter Messen mit Erlegung der außständigen Gelder nicht erscheinen können und sich nach der Hand mit Unwissenheit ihres Außstands und derentwillen beschehenen Anruffens entschuldigen, ja der säumigen Ständen Procuratores das Protocolliren8 aus diesem nichtigen Vorwand wohl gar unterlassen, ob wäre das Anruffen nicht auff ihre Principales, sondern vielmehr auff die außschreibende Fürsten gerichtet, dannenhero alles auff sich selben in Confusion9 stecken bleibt und sowohl die Urtheilen als das Anruffen fast umsonst und vergebens seyn will. Als wird gedachten Procuratoren sämtlich hiemit alles Ernstes anbefohlen, hinfüro nicht allein die fiscalische Urtheilen, Anruffen und Recess, wann solche ihnen durch ermeldten Notarium Fisci post Audientiam dictirt werden, jedesmahl fleißig protocolliren zu lassen, sondern auch dieselbe ihren Ständen mit gehöriger Information und Berichtgebung10 ohnverlängt zu überschicken, ingleichen die von ihnen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Procuratores ... gerunto in Blum 1667. GB 1710. Procuratores … communicanto fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710. Blum 1667 Verordnungen. Blum 1667 Ihme. Blum 1667 Urtheil. Blum 1667 überschrieben; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 überschicken. Das Protocolliren fehlt in Blum 1667. Blum 1667; GB 1678 confusione. Blum 1667 Berichtung.

RKG Nr. 152 1661 Juni 28

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sowohl in Cammergerichts Unterhaltungs[sachen] als [allen]1 andern das Interesse Fisci betreffenden Sachen gehaltene2 Recess dem Kayserlichen Fiscal oder in seiner Abwesenheit dem Advocato Fisci3 jederzeit, wie sichs gebührt, per Extractus zu communiciren, nicht weniger diejenige Schreiben, welche sie berührter Cammergerichts Unterhaltung halber an die Stände abgehen lassen, sambt denen hierüber nachgehends erfolgenden Erklärungen und Antworten ihme Kayserlichen Fiscal oder Advocato Fisci ohne Auffenthalt und ohnerwartet einiger Ermahnung in Orginali vorzuweisen, davon Extractus zu communiciren, sich auch diesen und allen übrigen der Cammergerichtsordnung, Visitationsabschieden, Memorialien und ergangenen Gemeinen Bescheiden gemäß zu verhalten und widrigen Falls nicht Ursach zu geben, daß gegen einen oder [den]4 andern, so sich dißfalls saumselig erzeigen und diesem Decreto nicht nachkommen würde, gehöriges Einsehen und ernstliche Bestraffung vorgenommen werde. [Decretum in Consilio pleno, 28. Junii 1661.]5 Johannes Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae6 Protonotarius.7 Vorlage: CJC 1724, S. 907 Nr. CCCCX. Weitere Ausgaben: GB 1665, S. 47r; Blum 1667, S. 626-627; GB 1671, S. 47r; GB 1678, S. 49; GB 1686, S. 49; GB 1688, S. 45-46; GB 1695, S. 116-117; GB 1696, S. 116-117; GB 1707, S. 116-117; GB 1710, S. 125-127 Nr. CL; GB 1714, S. 73-74 Nr. CLIII; CJC 1717, S. 73-74 Nr. CLIII; GB 1717, S. 73-74 Nr. CLIII; GB 1724, S. 125-127 Nr. CL; fehlt in GB 1661 Suppl. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid steht im Zusammenhang mit dem Bescheid vom 27. April 1661 (oben RKG Nr. 151). Anders als Ende der 1650er Jahre (Gemeine Bescheide vom 2. Januar 1656, 6./16. Februar 1657 und 4. Dezember 1658; oben RKG Nr. 129, 133 und 137) trat das Reichskammergericht nunmehr nicht nur klagend und abwartend auf. Zum einen gingen offenbar Gelder ein, über die man sich einen Überblick verschaffen wollte. Dazu diente der Bescheid vom 27. April 1661. Zwei Monate später wandte sich das Kameralkollegium dann abermals den säumigen Schuldnern zu, die ihre Kammerzieler nicht oder unzureichend entrichteten. Es ging nun aber nicht mehr nur um Mahnschreiben der Anwälte an ihre reichsständischen Mandanten. Vielmehr hatten inzwischen Kammergerichtsprozesse gegen diejenigen Reichsstände begonnen, die sich im Verzug befanden. Vor diesem Hintergrund listete der Gemeine Bescheid die Schwächen des Verfahrensrechts auf und bemühte sich um Abhilfe. Ausgangspunkt des Gemeinen 1 2 3 4 5 6 7

Blum 1667. GB 1678; GB 1696; GB 1707 gehaltenem. Oder in ... Fisci fehlt in Blum 1667. Blum 1667. Decretum ... 1661 in Blum 1667. GB 1671; GB 1695; GB 1696; GB1707 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667; nach der Unterschrift Anmerkung in GB 1710 Not: Das ChurMayntzische Tax-Decret vom 7. Julii 1660 ist bey des gewesenen Cammer-Registratoris Liers Formulae Cancellariae Cameralis pag. 113 zu finden.

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RKG Nr. 152 1661 Juni 28

Bescheides war die weitgehende Wirkungslosigkeit der fiskalischen Monitoriumsklagen und selbst der daraufhin ergangenen Kammergerichtsurteile. Den Grund dafür deckte das Kameralkollegium sogleich auf, er war also allseits bekannt. Bei den Zahlungsklagen gegen säumige Reichsstände handelte es sich ausweislich der Quelle um Massenverfahren. Es gab scharenweise Schuldner, und daher konnten der Fiskal oder sein Advokat, die in der Audienz auftraten, dort in ihren gehaltenen Rezessen gar nicht alle Reichsstände, die nicht gezahlt hatten, einzeln aufzählen. Verfahrensmäßig zeigte sich hier eine doppelte Bevorzugung des Fiskals. Zum einen war der fiskalische Advokat postulationsfähig. Bei sonstigen Anwälten war das dagegen nur dann der Fall, wenn sie zugleich die Zulassung zur Prokuratur erhalten hatten. Zum anderen brauchte der Fiskal im Gegensatz zu anderen Parteien bei seinen Rezessen weder den Prozessgegner noch seinen Prokurator namhaft zu machen. Genau daraus entsprangen aber die praktischen Schwierigkeiten. Zum einen verpuffte die symbolische Brandmarkung, wenn in den öffentlichen Audienzen niemand hören konnte, welche Reichsstände denn nun die saumseligen Schuldner waren. Vielmehr diktierte der fiskalische Notar die Auflistung der Schuldner erst nach der Audienz den kammergerichtlichen Protokollführern. Der Gemeine Bescheid bekräftigte hier die Verpflichtung der reichsständischen Prokuratoren, bei diesen Diktaten anwesend zu bleiben und sie ebenfalls zu protokollieren. Oftmals scheint das gar nicht geschehen zu sein. Doch selbst wenn die Prokuratoren die Schuldnerliste besaßen, überschickten sie die Aufstellung entweder gar nicht oder zu spät an ihre Mandanten. Obwohl also eine Klage eingeleitet war, erfuhren die säumigen Stände gar nichts davon. Das belegt im Übrigen deutliche Abweichungen des fiskalischen Prozesses gegenüber anderen Verfahrensarten. Hier kam es nämlich zu judizial erhobenen Mahnverfahren, obwohl der Prozessgegner nicht förmlich geladen war. Es scheint also keine vorangehenden Zitationen gegeben zu haben. Anderenfalls hätten die Reichsstände nämlich Kenntnis von den laufenden Verfahren gehabt. So aber redeten sich die Anwälte heraus. Die Reichsstände hielten die vorgeschriebenen Messetermine zur Zahlung der Kammerzieler nicht ein und schützten ihre angebliche Unkenntnis vor. Die Prokuratoren dagegen behaupteten, die fiskalischen Zahlungsklagen seien gar nicht unmittelbar gegen die Reichsstände, sondern lediglich gegen die Reichskreise gerichtet. Solchen Missbräuchen wollte das Reichskammergericht einen Riegel vorschieben. Es verlangte von den Prokuratoren, ihre Auftraggeber ordnungsgemäß und vollständig zu unterrichten. Wenn dann die Schuldner gerichtlich aktiv wurden und ihre Prokuratoren in den Audienzen ihre Rezesse hielten, hatten sie dem Fiskal oder seinem Vertreter hiervon Abschriften auszuhändigen. Für Schriftsätze galt das ohnehin, aber für die hier noch mündlichen, jedoch zuvor schriftlich konzipierten Rezesse sollte dasselbe gelten. Außerdem sollten die Prokuratoren weiterhin ihre Briefe an die Reichsstände vorlegen, in denen sie die Zahlung des Kammerzielers anmahnten. Auch die Antwortschreiben hatten sie unverzüglich dem Fiskal zu zeigen. Diese letzten Punkte wiederholten Anweisungen der älteren Gemeinen Bescheide, freilich mit einem kleinen Unterschied. Die ausdrückliche Verpflichtung, an die zahlungsunwilligen Stände zu schreiben, war diesmal nicht wiederholt. Dafür folgte zuletzt eine allgemeine Verweisung auf das einschlägige Kameralrecht und damit vermutlich auch ein Hinweis auf die in den Vorjahren ergangenen Gemeinen Bescheide. 1661 änderte das Reichskammergericht also nicht seine Vor-

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gehensweise, sondern ergänzte sie lediglich. Der Sache nach wiederholte das Gericht den hiesigen Bescheid drei Jahre später am 5. Juli 1664 (unten RKG Nr. 163).

RKG Nr. 153 1661 August 17 [Procuratores sine praescitu et permissu iudicis Camerae ex civitate ne discedunto nec absque illius moderatione ac concessione ultra constitutas sex septimanas sub gravi animadversione emanento.]1 Procuratores sine venia non discedunto nec ultra tempus annuarum 6 septimanarum emanento.2 Demnach eine Zeithero wahrgenommen worden, daß dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten3 und Procuratores nicht allein ohne Vorwissen und Erlaubnus deß Herrn Cammerrichters oder dessen Amtsverwesers ohngescheuet ihrer Gelegenheit und eigenen Beliebnus nach aus der Stadt verreisen4 und wol etliche Wochen, ja [wohl]5 gar über die insgemein bestimmte 6 Wochen6 Zeit abermahl ohne deß Herrn Cammerrichters und der Beysitzer Ermäß[igung] und Vergünstigung außbleiben, solches aber vermög Deputationsabschied Anno 1557 außtrücklich verbotten. Als werden ermeldte Procuratores und Advocati samt und sonders, [sich]7 dessen hinfüro zu enthalten, alles Ernstes erinnert, damit gegen sie derentwegen mit anderwertem ohnaußbleiblichen Einsehen nicht verfahren werden müsse. Decretum in Consilio pleno, 17. Augusti Anno8 1661. Vorlage: CJC 1724, S. 907 Nr. CCCCXI. Weitere Ausgaben: GB 1661 Suppl., S. 58; GB 1665, S. 47r; Blum 1667, S. 627; GB 1671, S. 47r; GB 1678, S. 49; GB 1686, S. 49; GB 1688, S. 46; GB 1695, S. 117-118; GB 1696, S. 117-118; GB 1707, S. 117-118; GB 1710, S. 127-128 Nr. CLI; GB 1714, S. 74 Nr. CLIV; CJC 1717, S. 74 Nr. CLIV; GB 1717, S. 74 Nr. CLIV; GB 1724, S. 127-128 Nr. CLI. 1 2 3 4 5 6 7 8

Procuratores ... emanento in GB 1661 Suppl.; Blum 1667. Procuratores … emanento fehlt in GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen vorhanden in GB 1710. GB 1661 Suppl.; Blum 1667 Advocati. GB 1661 Suppl. reissen; Blum 1667 reisen. GB 1661 Suppl.; Blum 1667. GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707 Wöchentliche; GB 1724 Wochentliche. GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in Blum 1667.

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RKG Nr. 154 1661 August 17

Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ist für den Rechtsstatus der Prokuratoren wie auch der kammergerichtlichen Advokaten von Belang. Sie übten keinen völlig freien Beruf aus, sondern unterstanden in starkem Maße bis in die Einzelheiten hinein der Aufsicht durch das Gericht. Das galt selbst für ihren Jahresurlaub. Sechs Wochen waren vorgesehen, aber einige Anwälte verreisten noch länger. Dies war jedoch nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Kammerrichters oder seines Vertreters erlaubt. Mit dem Verweis auf den Deputationsabschied von 1557 bekräftigte das Gericht zunächst die weitere Geltung auch sehr alter Rechtsquellen längst vergangener Visitationen. Ihre Kenntnis setzte man stillschweigend voraus. Seit 1557 waren der sechswöchige Jahresurlaub schon festgeschrieben und Erweiterungen nur mit Sondergenehmigungen möglich. Diese Regelung galt freilich, anders als es im Gemeinen Bescheid scheint, nicht nur für die Anwälte, sondern ebenso für das richterliche Personal des Reichskammergerichts (Deputationsabschied 1557 § 21 alias 28, bei Ludolff, CJC 1724, S. 228). Mit dem Gemeinen Bescheid nahm das Gericht aber nur die Dienstpflichten der Advokaten und Prokuratoren ins Visier. Warum die Regelung für die Advokaten ebenfalls galt, ist unklar. Wenn sie nicht zugleich als Prokuratoren arbeiteten, konnten sie nicht einmal in den Audienzen auftreten. Die Gefahr von Prozessverschleppungen bestand hier also längst nicht in so starkem Maße wie bei einem überlangen Urlaub eines Prokurators. Am selben Tag erließ das Gericht überdies noch einen weiteren Gemeinen Bescheid wegen der Strafgelder von Prokuratoren (sogleich RKG Nr. 154).

RKG Nr. 154 1661 August 171 [Pedellus sub graviori poena sibi antehac comminata mulctas a procuratoribus et aliis non attentis quibuscunque exceptionibus praeterquam si decreta remissae mulctae originaliter demonstrentur intra octiduum proximum sine ulla retardatione exigito. Mulctatis intra illud octiduum inobedientibus realem executionem tam ratione poenae dupli quam poenae initialis denuntiatio2 eorumque nomina collegio Camerali indicato quo confestim dicta executio effective adimpleri queat. Circa mulctas absentiae idem ius esto easque pedellus singulis hebdomadibus a procuratoribus exigito.]3 Excitatorium gravius ad pedellum pro exigendis mulctis.4

1 2 3 4

GB 1661 Suppl.; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; CJC 1724 Eodem die mit Bezug zum Vorgängerbescheid. Blum 1667 denuntiatae. Pedellus ... exigito in GB 1661 Suppl.; Blum 1667. Exciatorium … mulctis fehlt in GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen vorhanden in GB 1710.

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Der Pedell soll [sich]1 bey Vermeidung der2 ihme hiebevor unterschiedlich angedroheter würcklicher schärfferer Bestraffung innerhalb den nechstfolgenden 8 Tagen von den Procuratoribus und andern die3 extra- und judicialiter angesetzte Straffen, Inhalts deren unterm 6. Novembris Anno 1655, 12. Maii 16584, 24. Maii, 1. Decembris 1659 und 21. Maii 1660 ertheilten Decreten alles Ernstes und ohnerachtet, daß einer oder der ander pro remissione supplicirt und noch kein Decret erlanget zu haben vorgeben oder noch zu suppliciren Willens seyn möchte oder einiger anderer Außflucht und Einrede, wie die5 gleich immer beschaffen seyn, einfordern und sich hierinnen ausserhalb Vorweisung einiger Originalremissionsdecreten im geringsten nichts abhalten lassen. Denjenigen [aber]6, welche innerhalb solcher 8 täglichen Zeit in Güthe ihre Schuldigkeit nicht würcklich erlegen7, die Realexecution sowohl auff die verwürckte poenam dupli als der Initialstraff ankünden und deren Specification dem Kayserlichen Cammergericht übergeben, damit also fort solcher Realexecution halber fernere Nothdurfft befohlen und selbige würcklich vorgenommen werden könne. Eine gleiche Meynung hat es mit denjenigen Straffen, welche gedachte8 Procuratores durch ihre ohnentschuldigte Absentz von dem Gericht Inhalts der Ordnung verwürckt haben, mit deren wochentlichen Einziehung und Eingebung der Specification ermeldter Pedell fortzufahren hiemit alles Ernstes erinnert wird. Decretum in Consilio pleno, 17. Augusti Anno9 1661. Johannes Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae10 Protonotarius11. Vorlage: CJC 1724, S. 907-908 Nr. CCCCXII. Weitere Ausgaben: GB 1661 Suppl., S. 58; GB 1665, S. 47r-47v; Blum 1667, S. 628; GB 1671, S. 47r-47v; GB 1678, S. 49-50; GB 1686, S. 49-50; GB 1688, S. 46-47; GB 1695, S. 118-119; GB 1696, S. 118-119; GB 1707, S. 118-119; GB 1710, S. 128129 Nr. CLII; GB 1714, S. 74-75 Nr. CLV; CJC 1717, S. 74-75 Nr. CLV; GB 1717, S. 74-75 Nr. CLV; GB 1724, S. 128-129 Nr. CLII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid greift ein Thema auf, das auch in den vorangegangenen Jahren immer wieder zu Erlassen geführt hatte (die im Text genannten Gemeinen Bescheide oben RKG Nr. 128, 136, 140, 143 und 149). Die Liste der Querbezüge wuchs beständig, die Regelungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

GB 1661 Suppl.; Blum 1667. Fehlt in GB 1661 Suppl.; Blum 1667. Fehlt in GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707. Nach GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 1685. Fehlt in Blum 1667. Blum 1667. Blum 1667 nicht ablegen. GB 1661 Suppl.; Blum 1667 die. Fehlt in Blum 1667. GB 1661 Suppl.; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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blieben dagegen weitgehend dieselben. Anders als bei den ersten einschlägigen Vorgängerbescheiden waren die Ordnungsstrafen sowie die Bußen für unentschuldigtes Fernbleiben von der Audienz nunmehr ausdrücklich gleichgestellt. Empfänger des Gemeinen Bescheids waren aber nicht die Prokuratoren, sondern der Pedell. Abermals kündigte das Gericht die Realexekution an. Doch das wöchentliche Mahnverfahren scheint seine Gebrechen gehabt zu haben. Kaum eine Anordnung musste das Reichskammergericht derart häufig wiederholen wie diese hier.

RKG Nr. 155 1661 Oktober 1 Ordinatio nuntiorum eorumque magistri.1 [1. Tam praefectus cancellariae quam magister nuntiorum cunctique nuntii nec minus advocati atque procuratores cum suis scribis partibus litigantibus earumque sollicitatoribus et omnes reliquae personae Camerales ordinationi Camerali ac reliquis constitutionibus sub seria ac irremisibili poena debitam obedientiam praestanto. Praefectus cancellariae semel vel bis in anno nuntiis ex ordinatione Camerali illa quae hos concernunt cum hoc decreto tarde ac perspicue praelegi curato delinquentes punito vel eos indici2 atque assessoribus iudicato3. 2. Processus procuratoribus qui illos per suos scribas describi curare cupiunt non sigillati traduntor postea ad sigillandum restituti in praesentia praefecti cancellariae vel eo impedito protonotarii et receptoris sigillantor sigillati per dictum receptorem et magistrum nuntiorum in ipsorum registra inscribuntor atque soluta taxa cancellariae praedicto magistro tranduntor. 3. Magister nuntiorum cum traditis processibus nuntium quem ordo itineris tangit tempestive dimittito nec finito illos vel a procuratoribus in cancellaria relinqui vel cui et quando velint committi. Nuntiis iam ablegatis processus per postam sine praescitu iudicis Camerae vel praefecti cancellariae ne transmittuntor. Processus non ita transmissos aut ex manibus dicti magistri non acceptos nemo nuntiorum exequitor. 4. Magister nuntiorum inscriptionem processuum ac nuntiorum subscriptionem diligenter observans insuper dictis processibus diem quo et cui traditi propria manu annotato. 5. Itinera extraordinaria penitus abrogentor econtra praefectus cancellariae ac magister nuntiorum in R[ecesso] 1654 § „Zu dem Ende. 68“ praescripta observanto. 6. Magister nun-tiorum inter nuntios aequalitatem observato. 7. Nuntius iter sibi obveniens sive sit molestum sive non prompte ac dili1 2 3

Ordinatio … magistri fehlt bei GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717; GB 1724. Sowohl GB 1661 Suppl. als auch Blum 1667. Möglicherweise Druckfehler, vermutlich indicato.

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genter expedito. 8. Obventum iter detrectans prima vice in tabula nuntiorum ultimo loco ponitor: secunda vice1 et tertia vice inobediens officio privator. 9. Processus concordiis hactenus exempti reperti usque ad aliam dispositionem ita relinquuntor. 10. Magister nuntiorum concordias per singula trimestria legitime distribuito. 11. Item registrum itinerum collegio Camerali per notarium exhibeto.]2 Auff viele unterschiedliche bey diesem hochlöblichen Kayserlichen Cammergericht von desselben geschwohrnen sowohl reitenden [Boten]3 als Beybotten unter sich selbsten und sonsten wie vornemlich auch wider dieselbe einkommene4 Klagen, darüber angeordnete Examination und Inquisition, ist in reiffer der Sachen Überlegung eine hohe Nothdurfft befunden worden. § 1. Sowohl den Cantzleyverwalter als auch den Bottenmeister und sämtliche Botten wie nicht weniger die Advocaten und Procuratoren samt5 ihren Substituten, der Partheyen und ihren Sollicitatoren, auch alle andere diesem Kayserlichen Cammergericht anverwandte Personen insgemein, alles Ernstes zu erinnern, daß ein jeder an seinem Ort der Cammergerichtsordnung, Reichsconstitutionen wie auch Visitationsabschieden und Memorialien sambt denen ergangenen Gemeinen Bescheiden und dann dem am 3. Septembris Anno 1653 publicirten Decret, soweit selbiges dem Jüngern Regenspurgischen Reichsabschied de Anno 1654 und diesem gegenwärtigen Decret nicht entgegen, mit Fleiß und Ernst nachsetze und dagegen das wenigste nicht vornehme oder verhandle, alles bey ernstlichem Einsehen und unausbleiblichen gebührenden Straffen. Zu welchem Ende dann ermeldter Cantzleyverwalter alle Jahr wenigstens ein- oder zweymahl alle und jede Cammerund Beybotten für sich erfordern und denselben aus der Cammergerichtsordnung oder deren erneuertem Concept alles dasjenige, was jetzterwehnten Bottenmeisters und ihr der Botten Ambt betrifft und in specie den 48., 50. und 51. Titul berührten Concepts samt diesem gegenwärtigen Decret langsam und verständlich ablesen lassen, ob derselben Verordnung alles Ernstes ohne Respect halten und gegen die Verbrechere mit gebührender Straff verfahren oder nach Gestaltsame der Sachen Herrn Cammerrichtern und Beysitzern nothwendige Relation thun, und deren Bescheids geleben solle. § 2. Insonderheit aber sollen hinfüro einige Proceß, ehe und zuvor deren nothwendige Abschrifften gemacht, nicht besiegelt, sondern dem sollicitirenden Procuratori, da er sie durch seinen Scribenten selbsten abcopiren lassen wolte, zu solchem6 1 2 3 4 5 6

Fehlt in Blum 1667. 1. Tam ... exhibeto in GB 1661 Suppl.; Blum 1667. CJC 1724 Reitenden-. GB 1695; GB 1696; GB 1707 einkommende. GB 1661 Suppl.; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 zusampt. GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 welchem.

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End ohnbesiegelt hinausgegeben, hernachmahls aber, wann sie der Procurator ad sigillandum wieder zur Cantzley bringt, nicht anderst als in des Cantzleyverwalters (deme die Kayserliche Sigilla in Verwahrung zu halten gebührt, auch die Verantwortung oblieget) oder, wann er gehindert, in eines der Protonotarien, sodann des Taxeinnehmers Gegenwart besiegelt und, sobald sie besiegelt, durch erstermeldten Taxeinnehmer zu Handen genommen und sowohl von ihme als durch den Bottenmeister in ihre absonderliche Registra eingeschrieben, auff erfolgte gebührende1 Bezahlung des Cantzleytaxes2 dem Bottenmeister und sonst niemanden, wer der auch seyn mag, zugestellt oder ausgefolgt werden. § 3. Wann nun der Bottenmeister die besiegelte Proceß in seine Hände bekommen, soll er mit denjenigen, welche auff einer Straß ohne sonders grosse Ab- oder Umweg insinuirt werden können, einen Botten, an deme die Ordnung zu reißen ist oder seyn wird3, gebührlich und in rechter Zeit abfertigen und den Advocaten, Procuratoren, Partheyen und Sollicitatoren keineswegs gestatten, solche Proceß auff der Cantzley liegen zu lassen oder hinweg zu practiciren und einem oder andern4 Botten, deme sie vor andern favorisiren oder etwan von ihnen empfangener Diensten willen zuzuspielen oder sonsten ihres Gefallens, wann und durch wen sie wollen, verkünden zu lassen oder auch einigem schon abgereißten Botten ohne erhebliche Ursach und Herrn Cammerrichters oder des Cantzleyverwalters Vorwissen mit der Post nachzuschicken. Gestalten auch den Botten Inhalts der Ordnung gebotten wird, daß keiner derselben Kayserliche Proceß oder Brieffe zu exequiren annehmen solle, er habe sie dann aus des Bottenmeisters Hand oder seinem Befelch empfangen [und seye von demselbigen abgefertiget]5, auch daß er mit solchen Processen abgefertiget6, sich in des Bottenmeisters Register unterschrieben oder daß ihme der Proceß von dem Bottenmeister, wie nechst vorher stehet, mit des Herrn Cammerrichters oder Cantzleyverwalters Gutbefinden und Consens hinnach geschickt seye, und das bey ernstlicher Straff. § 4. Und soll er, der Bottenmeister, neben fleißiger Beobachtung dessen, was sowohl seiner der Processen Ein[schreibung]7 als der damit abgefertigten Botten Unterschreibung halben in der Ordnung versehen, jedesmahl auff das Original oder in denen Fällen, da die Insinuatio nur gegen eine Persohn geschicht und also das Original der citirten Parthey hinterlassen werden muß, auff die Copey mit eigenen

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GB 1714; CJC 1717 berührende. Nach GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 Cantzley-Taxas. GB 1661 Suppl. würd. Blum 1667 anderm. Und … abgefertiget in GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Auch daß ... abgefertiget fehlt in Blum 1667. CJC 1724; GB 1661 Suppl.; GB 1678; GB 1696; GB 1707 Ein-.

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Händen verzeichnen, welchen Tag und weme der Proceß zu insinuiren auffgegeben seye. § 5. Die eine Zeithero eingeschlichene Extraordinarireißen haben auch viel Extraordinariconfusion und Zerrüttung verursachet, deßwegen sie hiemit gäntzlich abgeschafft und1 hingegen dem Cantzleyverwalter und Bottenmeister nach Inhalt des Jüngern Reichsabschieds § „Zu dem Ende Wir dann usw. 68“ befohlen wird2, die Botten dahin anzuhalten, daß sie bey Verlust ihres Dienstes, sobald drey, zween oder auch nur ein Proceß auff eine Straß vorhanden, mit demselben (jedoch in dem Fall, wann einer nur mit einem Proceß reisen müste, mit Vorbehalt dessen, was im Visitationsabschied de Anno 1562 § „Nachdem angezeigt usw. 9“3 des Lohns Vergleichung halben versehen) alsobald fortreisen und die Insinuation verrichten, keineswegs aber auff fernere und mehrere Proceß oder anders ihrer Gelegenheit nach mit Auffenthalt4 und Gefahr der Sachen zuwarten oder durch ihre5 Procuratores und andere sich einigerley Weiß auffhalten lassen [sollen]6. § 6. Gleichwohl aber soll der Bottenmeister, soviel immer möglich, ohne Unterscheid der Persohnen mit den Botten gute Ordnung und Gleichheit halten und nicht allezeit einem viel, dem andern wenig oder einem die weite oder sonst viel eintragende, dem andern aber die kurtze7 und wenig ertragende Reißen zu Theil werden, zumahlen aber sich hierin durch einige Privatpassion, Gunst oder Genuß, wie das Nahmen haben mag, bey unaußbleiblicher sowohl gegen einen als andern Theil erfolgender scharffen Straff keineswegs verleiten oder bewegen lassen, sondern in der Außtheilung gantz ohnpartheyisch durchgehen, und was sich sonst8 in einmahl nicht füglich vergleichen läst, durch einige Umwechslung dasselbe ein andermahl ersetzen. § 7. Es soll sich auch ein jeder Bott, an deme die Ordnung des Reisens ist, zu solcher ihme durch den Bottenmeister angekündten Reiß, die seye beschwerlich oder nicht, willig finden lassen und dieselbe getreulich verrichten. § 8. Da aber ein oder anderer, an deme die Ordnung, sich der ihme durch den Bottenmeister so angekündter Reiß ohne erhebliche Ursachen verwidern würde, soll er mit Vorwissen des Bottendeputaten das erstemahl in der Bottentaffel außgethan und zuletzt angeschrieben, die Proceß und Reiß aber dem in der Ordnung nechstfolgenden Botten auffgetragen werden. Solte aber einiger aus den Botten sich das zweytemahl verwidern, wäre ihm bey Verlust seines Diensts zu reisen auffzule1 2 3 4 5 6 7 8

Fehlt in Blum 1667. GB 1661 Suppl. würd. 9. fehlt in GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707; GB 1724. Blum 1667 Auffhalt. GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 die. Blum 1667. GB 1661 Suppl.; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1696; GB 1707 kürtzte. Fehlt in GB 1661 Suppl.; Blum 1667; dagegen GB 1678; GB 1696; GB 1707 sonsten.

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gen. Und da er darauff nicht reisen oder das drittemahl ungehorsam seyn sollte, alßdann Herrn Cammerrichtern und Beysitzern solches anzeigen, die folgends gegen solchen1 ungehorsamen Botten mit der Privation zu verfahren wissen werden. § 9. Diejenige Proceß belangend, derentwegen keine Einlag in die Bottenbüchs zu geschehen pflegt, obwohl dißfalls keiner eximirt oder befreyet ist, weilen jedoch die Citationes ad reassumendum, Compulsoriales Ulteriores oder Arctiores wie auch Mandata Arctiora, Rescripta et Extensiones Processuum iam ante insinuatorum, Commissiones und Berichtschreiben bißhero der Einlag gefreyet befunden worden, so läst man es noch zur Zeit und biß zu anderwärtiger Verordnung dabey bewenden. § 10. Es soll auch der Bottenmeister mit sonderbarem Fleiß die Concordigelder, ohne daß er das geringste davon schuldig bleibe oder biß auff künfftige Rechnung verschiebe, ordentlich beytragen, solche alle Quartal bey der Büchsentheilung von Posten zu Posten specificiren und ohne einige Klag richtig verrechnen und überlieffern. § 11. Damit nun schließlich alle Uneinigkeit unter denen sämbtlichen Botten verhütet werde und, ob eine durchgehende Gleichheit in deren Abfertigung beobachtet worden, jederzeit offenbar seye, soll er das gewöhnliche Reißregister (worin die Proceß und Abfertigung der Botten wie auch, was auff der Post fortgeschickt und concordirt worden, ordentlich beschrieben) neben der wiederumb allhier2 angelangten Botten ihme eingeliefferten Reißzettuln alle Quartal vor sich selbsten und ohne einiges Anmahnen diesem Kayserlichen Cammergericht per Notarium vorzeigen lassen. Decretum in Consilio pleno3, 1. Octobris Anno4 1661. [Joannes Nicolaus Becht, Lizentiat, Judicii Camerae Imperialis Protonotarius.]5 Vorlage: CJC 1724, S. 908-909 Nr. CCCCXIII. Weitere Ausgaben: GB 1661 Suppl., S. 58-61; GB 1665, S. 47v-48r; Blum 1667, S. 628633; GB 1671, S. 47v-48r; GB 1678, S. 50-52; GB 1686, S. 50-52; GB 1688, S. 47-48; GB 1695, S. 119-124; GB 1696, S. 119-124; GB 1707, S. 119-124; GB 1710, S. 129134 Nr. CLIII; GB 1714, S. 75-77 Nr. CLVI; CJC 1717, S. 75-77 Nr. CLVI; GB 1717, S. 75-77 Nr. CLVI; GB 1724, S. 129-134 Nr. CLIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid stellt eine Botenordnung dar und ist in Georg Melchior von Ludolffs lateinischer Überschrift auch genauso bezeichnet. Er schließt damit an den acht Jahre älteren Bescheid vom 3. September 1653 (oben RKG Nr. 125) an, der in § 1 auch ausdrücklich benannt ist. Eine spätere Botenordnung erging am 17./27. August 1669 (unten RKG Nr. 180). 1 2 3 4 5

GB 1695; GB 1696 solche; GB 1707 solchen. Anderer Satzbau bei GB 1724 allhier wiederumb; GB 1696; GB 1707 wiederum allhier. pleno fehlt bei GB 1724. Fehlt in Blum 1667. Joannes ... Protonotarius in GB 1661 Suppl.; fehlt in Blum 1667; GB 1696; GB 1707.

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Zu Beginn ermahnte das Kameralkollegium alle Beteiligten bis hin zu den Sollizitatoren, die geltende Rechtsordnung einzuhalten. Diese stellte sich aber zunehmend kompliziert dar, und dafür bietet § 1 ein treffliches Beispiel. Maßgeblich für das Kameralrecht war zunächst die Reichskammergerichtsordnung, gemeint war die von 1555. Dann folgten die Reichskonstitutionen, also wohl die Reichsabschiede. Visitationsabschiede und Visitationsmemorialien traten hinzu. Zuletzt folgten die Gemeinen Bescheide, besonders der Bescheid vom 3. September 1653. Hier ist vor allem die ausdrückliche Einschränkung bemerkenswert. Der ältere Bescheid galt nur noch insoweit, wie er dem Jüngsten Reichsabschied und der Neuregelung von 1661 nicht widersprach. Diese allgemein gehaltene Anordnung belegt, wie vielschichtig sich verschiedene Quellen des Kameralprozesses überlagerten. Zugleich verdrängten Neuregelungen stillschweigend ältere Erlasse, brauchten dies aber nicht ausdrücklich anzukündigen. Gerade weil das Normwerk ganz unterschiedlichen Gesetzgebungsverfahren entsprang, fällt es nicht nur in der Rückschau schwer, die Rechtslage zu einer bestimmten Zeit zu rekonstruieren. Auch die Kammerboten selbst hatten damit ihre liebe Mühe. Deswegen sollte der Kanzleiverwalter mindestens ein- bis zweimal pro Jahr den Boten das geltende Botenrecht einschärfen. Die Vorschriften, die er ihnen vorlesen sollte, waren freilich mit denjenigen Normen, die das Gericht nur einen Satz zuvor zitiert hatte, nicht identisch. Denn der Kanzleiverwalter konnte sich mit der Verlesung der einschlägigen Stellen aus der Kammergerichtsordnung von 1555 und dem Konzept von 1613 begnügen. Gerade das Konzept, das auch im älteren Bescheid von 1653 eine große Rolle spielte, tauchte in der Auflistung der einschlägigen Quellen in demselben § 1 aber gar nicht auf. Dennoch handelte es sich hierbei wohl um die entscheidenden Regeln, denn ausdrücklich hob der Gemeine Bescheid die Titel 48, 50 und 51 hervor, die offenbar weiterhin den Kern des maßgeblichen Botenrechts bildeten. Diese drei Titel zusammen mit dem Gemeinen Bescheid vom 1. Oktober 1661 galt es also ständig im Kopf zu haben. Selbstverständlich konnten alle Kammerboten lesen und schreiben. Sie verfassten ja ihre Zustellungsvermerke (relationes nuntiorum). Die mehrmals jährliche Verlesung der Vorschriften war im strengen Sinne also nicht notwendig, um die Boten über ihre Rechte und Pflichten zu unterrichten. Angelehnt war das Verfahren freilich an die ständig wiederholte Verlesung von Stadtrechten oder ähnlichen anderen Verkündungen. § 2 berührte sodann eine Spezialfrage, nämlich die Besiegelung der Prozesse. Prozess war hier weiterhin im alten Sinne als offizielles Schriftstück des Gerichts an die Parteien gemeint, also etwa als Ladung, Mandat, Inhibition oder Kompulsorialschreiben. Die für die Zustellung erforderlichen Kopien ließ der Prokurator, der diesen gerichtlichen Befehl erwirkt hatte, zumeist durch seine eigenen Leute anfertigen. Wenn er nun lediglich eine ungesiegelte Vorlage erhalten durfte, zeigte sich darin unverhohlenes Misstrauen gegen die Arbeitsweise der Prokuratoren. Offenbar fürchtete man, der Prokurator könne ein ordnungsgemäß gesiegeltes Dokument unmittelbar einem Notar zur Zustellung übergeben und die Kanzlei mitsamt ihren Boten vollends übergehen. Das sollte aber nicht sein. Der Besiegelungsvorgang selbst war kompliziert genug. Nur im Beisein des Kanzleiverwalters und des Taxeinnehmers sollte er stattfinden, um jede Mauschelei auszuschließen. Sowohl der Taxeinnehmer als auch der Botenmeister hatten hierüber eigene Register zu führen, so dass im Ergebnis jeder Vorgang doppelt dokumentiert war. Wenn dann der Prokurator die Kanzleigebühr

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beglichen hatte, erhielt der Botenmeister das Schriftstück zur weiteren Verwendung. Die Reichskammergerichtsvisitation von 1713 traf hierzu eine ergänzende Regelung (Hinweis in Anlage A des Visitationsdekrets vom 27. November 1713; in GB 1724, S. 243, mit Verweis auf § 48 des Visitationsabschieds von 1713). § 3 regelte die ordnungsgemäße Abfertigung des Kammerboten mit dem ausgestellten „Prozess“. Voraussetzung war eine Zustellung, die sich auf dem Landwege ohne größeren Umweg erledigen ließ. Hier waren wohl stillschweigend die Regelungen von 1653 (§ 3) hinzugedacht, nach denen ein Fußbote bis zu vier, ein reitender Bote bis zu sechs Zustellungen auf einmal übernehmen konnte. Sodann versuchte das Gericht, Verzögerungen und Eingriffe durch die Parteien zu verhindern. Obwohl zuvor die Prokuratoren die Kopien selbst hatten fertigen lassen, scheint es Fälle gegeben zu haben, in denen die Partei oder ihre Vertreter danach das Interesse an einer Zustellung schnell verloren. Entweder wollten sie auf die Zustellung gänzlich verzichten, oder sie waren mit der Person des Boten nicht einverstanden. Jedenfalls scheint es Anwälte, Parteien oder Sollizitatoren gegeben zu haben, die ihre Lieblinge unter den Boten besaßen und ihnen überdurchschnittlich viele Aufträge zuschanzen wollten. Das erklärte das Gericht für unzulässig. Grundsätzlich sollte man auch einem bereits abgereisten Boten nicht noch weitere Zustellungsaufträge hinterherschicken. Hier war die Regelung von 1661 aber weicher als die von 1653, denn ausnahmsweise gestattete das Gericht die Nachsendung doch, wenn nämlich Kammerrichter oder Kanzleiverwalter zugestimmt hatten. In der Gegenrichtung stellte § 3 dasselbe auch für den Boten klar. Er durfte nur vom Botenmeister Aufträge annehmen und musste dies jedesmal im Register bestätigen. Nur wenn ausnahmsweise ein Dokument nachgeschickt wurde, entfiel die Unterschrift im Register. Das sollte nach dem Zweck der Ordnung aber auf wenige Fälle beschränkt bleiben. § 4 erhöhte die Durchsichtigkeit des Verfahrens. Nicht nur das Register sollte Auskunft über die Abfertigung des Boten geben. Auch das zuzustellende Schriftstück bzw. die Kopie musste schon zum Zeitpunkt der Abfertigung einen Hinweis enthalten, welcher Kammerbote für die Insinuation zuständig war. Dann ließ sich später problemlos feststellen, ob die Botenrelation auf der Rückseite auch von demselben Boten stammte, der zuvor dafür vermerkt war. Die unbemerkte Auswechselung von Kammerboten wollte man so erschweren. § 5 untersagte zunächst sämtliche 1653 noch zugelassenen außerordentlichen Botenreisen. Auf diese Weise stärkte das Gericht die Gleichbehandlung der Boten. Auch in dringenden Fällen sollten die Prokuratoren oder andere die Warteliste der Boten nicht durcheinanderbringen können. Geradezu humorvoll stellte das Gericht die Extraordinarreisen mit Extraordinarkonfusionen auf eine Stufe. Zur Beschleunigung scheint § 5 die Zahl der gleichzeitigen Zustellungen begrenzt haben zu wollen, doch blieben die Formulierungen vage. Ob die 1653 noch gestatteten vier bzw. sechs parallelen Aufträge nun abgeschafft waren, sagte die neue Botenordnung nicht. Allerdings sollte gewöhnlicherweise ein Bote bereits abreisen, wenn er nur ein bis drei Aufträge hatte. Wirtschaftlich war das unattraktiv, und deswegen verwies die Vorschrift neben dem Jüngsten Reichsabschied leicht ungenau auf ein Visitationsmemorial von 1562 an die Adresse der Advokaten und Prokuratoren (Visitationsmemorial 1562 § 9, bei Ludolff, CJC 1724, S. 265). Dort war von Ausgleichszahlungen an die Boten die Rede. Im Übrigen unterschied der Gemeine Bescheid an dieser Stelle im Gegensatz zu 1653 nicht

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zwischen Reitern und Fußgängern. Inwieweit die alte Unterscheidung noch beachtlich war, sagte das Gericht nicht. Aufschlussreich ist die Warnung, die Boten sollten sich nicht durch Prokuratoren aufhalten lassen. Schon die Textüberlieferung schwankt. Ludolff scheint mit seinem Hinweis auf „ihre“ Boten aber angenommen zu haben, dass tatsächlich einige Boten besonders gern mit bestimmten Prokuratoren zusammenarbeiteten und dann schneller bereit waren, Ungenauigkeiten hinzunehmen. § 6 verlangte die gleichmäßige Berücksichtigung aller Boten bei der Auftragsvergabe. Die Einhaltung einer Liste war bereits 1653 vorgesehen. Aber auch innerhalb der Ordnung konnte ein Bote mehrere und aufgrund der langen Reisewege wirtschaftlich interessantere Aufträge erhalten als der andere. Hier sollte aber auch möglichste Gleichbehandlung gelten. Mehr als eine Generalklausel war in diesem Fall aber nicht möglich, denn alle Eventualitäten ließen sich normativ nicht festschreiben. Wenn es zu Schieflagen gekommen war, sollte der Botenmeister bei späteren Zustellungen darauf bedacht sein, sie auszugleichen. §§ 7 und 8 drehten den Spieß um. Offenbar gab es auch Boten, die aus verschiedenen Gründen gar nicht reisen wollten. Möglicherweise erschienen ihnen bei kleinen Aufträgen die Wege zu kurz und die Bezahlung zu gering. Zu den Ursachen sagte der Gemeine Bescheid nichts. Wenn sich ein Bote aber weigerte, sah das Gericht ein dreigestuftes Verfahren vor. Im ersten Fall konnte der Bote den Auftrag ablehnen, wurde dann auf der Botentafel aber an die letzte Stelle gesetzt und hatte also eine lange Wartezeit bis zur nächsten Abfertigung hinzunehmen. Im Wiederholungsfall nützte ihm die Weigerung nichts, und er musste trotzdem reisen. Bei der dritten Weigerung griff ein Verfahren ein, bei dem Kammerrichter und Beisitzer den Boten von seinem Amt entfernen konnten. § 9 akzeptierte das eingeschliffene Herkommen, die Zustellungen in den genannten Fällen von der Einzahlung in die Botenbüchse zu befreien. Wenn der Bote bei seinen Reisen also Gelder erhielt, die über seine ordnungsgemäße Bezahlung hinausgingen, musste er sie grundsätzlich in die Botenbüchse einlegen. Die Gemeinsamkeit der ersten sechs Fälle liegt auf der Hand. Hier hatte jeweils bereits eine Zustellung beim Empfänger stattgefunden. Es handelte sich also um wiederholte Insinuationen unter leicht veränderten prozessualen Bedingungen. Grundsätzlich sollten also nur überschüssige Gelder der jeweils ersten Zustellung in die Botenbüchse wandern. Für nachfolgende Aufträge fehlte es zwar an Regelungen, der Gemeine Bescheid erkannte die Praxis aber an. Bei Kommissionen fehlte es an der Zustellung an eine Prozesspartei, und das bloße Schreiben um Bericht ging einer förmlichen Zitation im Prozess gegen Reichsunmittelbare voraus. Hier durften die Boten etwaige Trinkgelder also behalten. In die Botenbüchse fielen gem. § 10 dagegen weiterhin die Konkordiengelder derjenigen Parteien, die ihre Zustellungen durch Notare erledigen ließen, hierfür aber die Boten entschädigen mussten. Wie gehabt, sollte die Büchse vierteljährlich unter alle Boten gleichmäßig aufgeteilt werden. Unter besonderer Beobachtung stand der Botenmeister. Er durfte keinerlei Zahlung für sich privat abzweigen. Durch die Verpflichtung, eine schriftliche, stets aktuelle Kassenübersicht zu führen, versuchte man, Unterschlagungen zu verhindern. Auch § 11 beschäftigte sich mit der Aufsicht über den Botenmeister. Er hatte vierteljährlich vollständige Rechenschaftsberichte anhand seiner Listen und Register zu erstellen und dies auch unaufgefordert durch einen Notar dem Kameralkollegium mitzuteilen.

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RKG Nr. 156 1661 November (12.) 22.1 [Actoribus vel appellantibus non comparentibus rei vel appellati absolutionem a citatione petunto nisi in causa principali procedere malint quod a procuratore iudicialiter indicandum ac probandum est. Procuratores ad reproductos processus nomine citatorum non statim sed postea inprimis vero decreto iam proclamate mandata comparendi vel non sub gravi poena exhibento.]2 Modus petendi absolut[ionis] a citatione praescribitur et Recessus Imperii Novissimus declaratur.3 Endlich ist der Gemeine Bescheid: Demnach in denen Fällen, wo die Ordnungen4 und Reichsabschiede die Straff der Absolution a Citatione statuiret5, dieselbe eine Zeithero, besonders seither6 dem letztern Regenspurgischen Reichsabschied (der jedoch circa modos contra Actores vel Appellantes in contumaciam procedendi nicht geändert) fast nicht mehr gebeten wird, welches aber allein zu verlängerlichem Auffenthalt der Sachen und unnöthiger Bemühung des Richters außreichet. Als werden die sämbtliche des Kayserlichen Cammergerichts Procuratores hiemit erinnert, in angezogenen gebührenden Fällen sich an Begehrung mehrberührter Absolution a Citatione dasjenige nicht irren oder abhalten zu lassen, was in gemeldtem7 Jüngern Reichsabschied de Anno 1654 de Processu in contumaciam Reorum vel Appellatorum instituendo restrictive verordnet ist, es wäre dann, daß pars initialiter citata selbsten lieber in causa principali procediren und dieselbe definitive erörtern lassen als der Absolution a Citatione begehren wollte. Welchenfalls derselben Procurator es jedesmahl judicialiter anzeigen und glaublich bescheinen soll. Wenigers nicht sollen die Procuratores demjenigen, was in deme am 13. Decembris 1659 publicirten Gemeinen Bescheid § 3 v[ersic.] „Welcher aber nicht gleich in primo termino etc.“ versehen, wann sie ad reproductos Processus nomine Citatorum nicht alsobalden, sondern erst hernach bevorab decreto demum proclamate erscheinen, mit Producirung ihrer habenden Erscheinungs- oder Nichterscheinungsbefehlen getreulich nachkommen oder in Unterlassung dessen der ohnfehlbaren ernstlichen 1

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(12.) fehlt in GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; dagegen GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 nur 12. Novembris Anno 1661 in Überschrift; GB 1710; GB 1717 wie CJC 1724 beide Daten. Actoribus ... exhibento in GB 1661 Suppl.; Blum 1667. Modus … declaratur fehlt in GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710. GB 1661 Suppl.; GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Ordnung. GB 1661 Suppl.; GB 1695; GB 1696; GB 1707 statuirt; Blum 1667 statuiren. Fehlt in GB 1661 Suppl.; Blum 1667. Blum 1667 gemeinen.

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Straff gewärtig seyn1. Decretum in Consilio pleno, (12.)2 22. Novembris Anno 16613. [Publicatum Spirae in solita audientia, 22. Novembris 1661.]4 [Joannes Nicolaus Becht, Lizentiat, Camerae Imperialis Protonotarius.]5 Vorlage: CJC 1724, S. 909-910 Nr. CCCCXIV. Weitere Ausgaben: GB 1661 Suppl., S. 61; GB 1665, S. 48r-48v (Paginierungsfehler); Blum 1667, S. 633-634; GB 1671, S. 48r-48v (Paginierungsfehler); GB 1678, S. 52; GB 1686, S. 52; GB 1688, S. 48-49; GB 1695, S. 124-125; GB 1696, S. 124-125; GB 1707, S. 124-125; GB 1710, S. 134-135 Nr. CLIV; GB 1714, S. 77-78 Nr. CLVII; CJC 1717, S. 77-78 Nr. CLVII; GB 1717, S. 77-78 Nr. CLVII; GB 1724, S. 134-135 Nr. CLIV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich mit den Möglichkeiten des Beklagten, bei Säumnis des Klägers den Rechtsstreit schnell und einfach zu beenden. Bereits in älteren Gemeinen Bescheiden hatte das Reichskammergericht die Absolutio ab instantia hierfür ausdrücklich anerkannt (Gemeine Bescheide vom 7. Juli 1585, 23. August 1585, 13. Dezember 1593 und 13. Dezember 1659 § 2; oben RKG Nr. 84, 85, 92 und 144). In der Praxis scheint sie allerdings im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess immer größere Bedeutung besessen zu haben als im Zivilverfahren. Im Strafprozess musste das Gericht einen Inquisiten von der Instanz entbinden, wenn seine Schuld nicht bewiesen war, wenn also entweder nicht genugsame Anzeigung für die peinliche Frage vorlag oder der Inquisit die Folter ohne Geständnis überstanden hatte. Diese Absolution war kein Freispruch. Lagen neue Verdachtsmomente vor, konnte das Verfahren wegen derselben Tat also jederzeit neu beginnen. Im Zivilprozess lag das Problem anders. Die Absolutio ab instantia konnte hier durch Gerichtsurteil ergehen, wenn der Kläger wesentliche Prozesshandlungen versäumt hatte. Für die Fatalia introducendae appellationis sah das gemeine Recht seit langem die Desertion vor, falls der Appellant die vorgegebenen Fristen nicht einhielt. Auch wenn ein geleisteter Appellationseid nicht den im Jüngsten Reichsabschied streng vorgeschriebenen Vorgaben entsprach, sollte die Desertion eintreten. Daneben besaß die beklagte Seite in verschiedenen anderen Fällen auch die Möglichkeit, den Rechtsstreit durch Absolutio ab instantia zu beenden. Der Gemeine Bescheid belegt zunächst Veränderungen im Prozessalltag. Seit dem Jüngsten Reichsabschied seien solche Anträge fast kaum noch gestellt worden, obwohl doch das Regelwerk von 1654 das Kontumazialverfahren überhaupt nicht verändert hatte, monierte das Gericht. Nach Auffassung des Kameralkollegiums hatte der Verzicht auf die Absolutio ab instantia lediglich unnötige Verfahrensverlängerungen zur Folge. Das Gericht forderte die Prokuratoren geradezu auf, in geeigneten Fällen die Instanzentbindung zu beantragen und eine schleunige Beendigung des Prozesses zu 1 2 3 4 5

Fehlt in Blum 1667. (12.) fehlt bei GB 1661 Suppl.; GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Decretum ... 1661 fehlt in Blum 1667. Publicatum ... 1661 in Blum 1661. Joannes ... Protonotarius in GB 1661 Suppl.; fehlt in Blum 1667; GB 1696; GB 1707.

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RKG Nr. 157 1661 Dezember 5

suchen. Lediglich wenn der Beklagte ausdrücklich auf einer Erörterung des Sach- und Streitstands beharrte, sollte das Verfahren noch weitergehen. Dies war dann aber eingehend zu begründen. Im doppelten Hinweis auf den Jüngsten Reichsabschied lag zugleich das Eingeständnis, wie schwer durchschaubar sich die Rechtslage für die Beteiligten darstellte. Offenbar meinten selbst viele Schriftsatzverfasser, der Jüngste Reichsabschied habe die Absolutio ab instantia im Zivilprozess abgeschafft. Am Schluss des Bescheides erinnerte das Gericht an die Audienzreform vom 13. Dezember 1659 (oben RKG Nr. 144). Wenn der Prokurator des Beklagten sein förmliches Erscheinen nicht sofort anzeigte, sollte er damit den Rechtsstreit nicht verschleppen können.

RKG Nr. 157 1661 Dezember 5 Advocati et procuratores eorumque amanuenses et sollicitatores ante conclave senatus et lectoriae tempore illo, quo assessores senatum frequentant, non commoranto. Demnach man eine zeithero wahrgenommen, daß die Advocaten und Procuratoren, Protocollisten und Scribenten wie auch Partheyen und deren Sollicitatoren dem am 3. Martii Anno 1660 ergangenen Decreto nicht gelebet, als werden dieselbe, wer sie auch seyn, hiermit nochmahlen gewarnet und erinnert, zu der Zeit, da die Beysitzere zu Rath gehen und so lang sich dieselbe in der Rathstuben auffhalten, sich des Auffwartens vor besagter Rathstube und Leserey, allwo sie sonderlich, wann die Acta ein oder andern Orths getragen und gelieffert werden, leichtlich eines und anderes absehen und penetriren können, gäntzlich zu müßigen und sich keineswegs dabey sehen zu lassen. Decretum in Consilio pleno, [den]1 5. Decembris Anno 1661. Vorlage: CJC 1724, S. 910, Nr. CCCCXV. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 78 Nr. CLVIII; CJC 1717, S. 78 Nr. CLVIII; GB 1717, S. 78 Nr. CLVIII; GB 1724, S. 207 Nr. CCVI; fehlt in Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bekämpft Auswüchse des Sollizitantenwesens und zeigt deutlich die damit verbundenen Gefahren für das Gerichtsgeheimnis. Das Dekret vom 3. März 1660, welches das Gericht im Gemeinen Bescheid erwähnt, war ein Senatusconsultum (bei Ludolff, CJC 1724, S. 905-906) und nicht selbst ein Gemeiner Bescheid. Schon im früheren Bescheid vom 24. Mai 1660 (oben RKG Nr. 150) hatte das Gericht aber darauf verwiesen. Dennoch handelt es sich bei dem Bescheid vom 5. Dezember 1661 nicht einfach bloß um eine Wiederholung. Zwar 1

GB 1724.

RKG Nr. 158 1662 Juli 3

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ging es abermals um das Verbot, die Assessoren auf ihrem Weg zur Senatsberatung, auf Latein schön poetisch mit „ante conclave senatus“ wiedergegeben, abzufangen und ihnen die Sollizitationszettel aufzudrängen. Aber es handelte sich nicht nur um ein reines Ärgernis. Vielmehr näherten sich die Anwälte damit dem Ort, an dem die Akten zur Beratung hin- und hergetragen wurden, an dem die Assessoren ihre ausgearbeiteten Relationen und Voten dabei hatten und alles auf die gerichtliche Entscheidung zulief. In solchen Situationen sollten weder die Anwälte noch die Parteien oder gar Sollizitanten anfangen zu spicken und versuchen, das Beratungsgeheimnis zu lüften. Deswegen sprach das Gericht ein Platzverbot aus, im Gegensatz zu älteren Regelungen aber nicht für die Wohnhäuser der Assessoren oder die Straßen der Stadt Speyer. Es ging also nur um den Schutz der Senatsberatungen selbst. Die dreifache Regelung innerhalb von weniger als zwei Jahren zeigt freilich, welche Ausmaße das Sollizitantenwesen inzwischen angenommen hatte und wie aufdringlich einzelne Personen dem richterlichen Personal zu Leibe rückten.

RKG Nr. 158 1662 Juli 3 Procuratores defectus cancellariae et lectoriae [ipsis notos]1 intra biduum [collegio Camerali]2 manifestanto.3 Demnach im Nahmen Ihrer churfürstlichen Gnaden zu Mayntz als Ertzcantzlern dieses Kayserlichen und des Reichs Cammergerichts Cantzley und Leserey nochmahl zu visitiren gewisse Commissarii angelangt und vom Herrn Cammerrichter und einem gesambten Collegio Camerali, was darbey zu erinnern seyn möchte, ihnen zu communiciren begehrt worden, als wird denen sambtlichen Procuratoren und Advocaten befohlen, daß sie dasjenige, was sie dißfalls zu erinnern für nöthig halten, bey ihrem4 geleisten Eyd5 und Pflichten ohne Scheu innerhalb zweyen Tagen ad Collegium übergeben, und zwar mit Anzeig der Specialfehler, soviel möglich und sich deßwegen längst morgen Vormittag zusammen thun sollen. [Decretum in consilio pleno, 3. Julii 1662.]6 Johannes Nicolaus Becht, Lizentiat7, Judicii Imperialis Camerae8 Protonotarius1. 1 2 3 4 5 6 7 8

Ipsis notos in Blum 1667. Collegio Camerali in Blum 1667. Procuratoes … manifestanto fehlt in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen vorhanden in GB 1710 und Blum 1667 (mit den Erweiterungen). Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707 ihren. Blum 1667 Eyden. Decretum ... 1662 in Blum 1667. Fehlt in GB 1665; GB 1671. GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis.

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RKG Nr. 159 1662 Dezember 12

Vorlage: CJC 1724, S. 910 Nr. CCCCXVI. Weitere Ausgaben: GB 1665, S. 48v; Blum 1667, S. 634; GB 1671, S. 48v; GB 1678, S. 52; GB 1686, S. 52; GB 1688, S. 49; GB 1695, S. 125; GB 1696, S. 125; GB 1707, S. 125; GB 1710, S. 135 Nr. CLV; GB 1714, S. 78 Nr. CLIX; CJC 1717, S. 78 Nr. CLIX; GB 1717, S. 78 Nr. CLIX; GB 1724, S. 135 Nr. CLV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid verweist auf verschiedene Arten von Visitationen. Die ordentliche Visitation des Reichskammergerichts verfolgte das Ziel, die gesamte Gerichtstätigkeit zu überprüfen. Alle Gruppen von Gerichtszugehörigen standen hierbei gleich, es gab Memorialien an Kammerrichter, Beisitzer, Anwälte und anderes Personal. Die Visitationskommissionen sollten Revisionen erledigen, Gemeine Bescheide bestätigen oder verwerfen und überhaupt alle Gebrechen des Gerichts offenlegen und sich um Abhilfe bemühen. Diese Art von Visitation fand seit 1588 nicht mehr statt. Lediglich zwei größere Visitationen im 18. Jahrhundert (von 1707 bis 1713 und von 1767 bis 1776) bildeten die Ausnahmen. Daneben liefen allerdings Teilvisitationen weiter. Der Gemeine Bescheid erging während einer solchen Teilvisitation. Sie war vom Mainzer Kurfürsten und Erzkanzler allein zur Kontrolle der Kanzlei und Leserei angeordnet worden. Die Visitationskommission war im Juli 1662 bereits in Speyer angelangt und wollte nun vom Kameralkollegium wissen, um welche Missstände sie sich besonders kümmern sollte. Kammerrichter und Beisitzer leiteten die Anfragen sogleich an die Anwaltschaft weiter und setzten eine sehr knapp bemessene Zweitagesfrist. Der Fortgang der Sache bleibt aber dunkel. In den Gemeinen Bescheiden taucht diese Visitation von Kanzlei und Leserei nicht nochmals auf. Auch das um Vollständigkeit bemühte Corpus Juris Cameralis von Georg Melchior von Ludolff weist die Teilvisitation von 1662 nicht nach.

RKG Nr. 159 1662 Dezember 12 Nullus procurator simul reo et executoribus in una eademque causa inservito.2 Nota: Ein Procurator kan dem3 Beklagten und Executoribus zumahl in einer Sach nicht bedient seyn, ita decretum in causa G. G.4 von H., Klägern, contra Herrn W. E., anjetzo P. F. E. L. von W. F. von D., Beklagten, Citatationis ad videndum 1 2 3 4

Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667. Nullus … inservito fehlt in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. GB 1724 den. GB 1665; GB 1671; GB 1678 G. C.; aber GB 1695; GB 1696; GB 1707 G. G.

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exigi debit., die nach dem Jüngern Reichsabschied verfallene Interesse betreffend, cujus Decreti Verba haec erant: „Soll Lizentiat H. im Nahmen des Klägers, daß bey den Herren Executoribus gebührende Requisition beschehen, dociren. Und weilen Dr. Gambs dem Beklagten und Executoribus zumahlen in einer Sachen nicht bedient seyn kan, sein Substitutus wegen ermeldter Herren Executorum die Sach auff sich nehmen und, wie sichs gebührt, darin verfahren. Dazu ihnen dann allerseits Zeit ad primum post Ferias Natal[itias] pro Termino et Prorogatione von Ambts wegen angesetzt, mit dem Anhang, wo sie solchem also nicht nachkommen werden, daß alßdann auff ein oder andern Theils Anruffen ferner ergehen solle, was Recht ist.“ Vorlage: CJC 1724, S. 910 Nr. CCCCXVII. Weitere Ausgaben: GB 1665, S. 48v; GB 1671, S. 48v; GB 1678, S. 52; GB 1686, S. 52; GB 1688, S. 49; GB 1695, S. 125-126; GB 1696, S. 125-126; GB 1707, S. 125-126; GB 1710, S. 135-136 Nr. CLVI; GB 1714, S. 78-79 Nr. CLX; CJC 1717, S. 78-79 Nr. CLX; GB 1717, S. 78-79 Nr. CLX; GB 1724, S. 135-136 Nr. CLVI; fehlt in Blum 1667. Anmerkung: Seit vielen Jahrzehnten (zuletzt am 7. April 1608; oben RKG Nr. 101) erließ das Reichskammergericht zum ersten Mal wieder einen Gemeinen Bescheid, der an ein gerichtliches Zwischenurteil angebunden war. Der formale Aufbau war im Vergleich zu dieser besonders im 16. Jahrhundert häufigen Bescheidform aber geändert. In der älteren Zeit des Reichskammergerichts waren die Gemeinen Bescheide regelmäßig zweigeteilt. Zunächst verkündete das Gericht offenbar ein Zwischenurteil, und unmittelbar danach verallgemeinerte es den Einzelfall zu einem allgemeinen Erlass. Jetzt war der Spieß umgedreht. Die allgemeine Verfügung stand am Anfang, mit einem „Nota“ ausdrücklich hervorgehoben. Mit „ita decretum“ schob das Gericht den konkreten Einzelfall dann lediglich als dasjenige Beispiel nach, das dem Kameralkollegium den Anlass zum Erlass des Bescheides geliefert hatte. Dekret in diesem Sinne war also als Zwischenurteil zu verstehen. Der Sache nach handelte es sich um einen klaren Fall. Kein Advokat durfte in einem Rechtsstreit beide Seiten gleichzeitig vertreten. Diese kuriose Lage hatte sich in einem Prozess ergeben, bei dem es zu einem Parteiwechsel auf Beklagtenseite sowie zu Vollstreckungshandlungen gekommen war. Es waren bereits Exekutoren bestellt, also wohl kreisausschreibende Fürsten zur Urteilsvollstreckung eingeschaltet worden. Der genannte Lizentiat H. vertrat die obsiegende Klägerseite und arbeitete deswegen mit den Exekutoren zusammen. Dr. Paul Gambs dagegen, der Gegenprokurator, handelte für den unterlegenen Beklagten. Zugleich war er Prokurator des Exekutors. Die Situation scheint auf einem außergewöhnlichen Zufall beruht zu haben. Vermutlich war Gambs nämlich ständiger Prokurator eines Reichsstands, und dieser Reichsstand hatte nun ausgerechnet im vorliegenden Fall die Urteilsvollstreckung übernommen. In gewöhnlichen Kammergerichtsprozessen wurde derjenige, der eine Urteilsvollstreckung durchführte, allerdings seinerseits nicht Partei und brauchte sich daher auch nicht durch einen Prokurator vor Gericht vertreten zu lassen.

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RKG Nr. 160 1663 August 31

Falls durch Zufall ein Prokurator einmal in dieselbe Lage wie Dr. Gambs geriet und gegenläufige Interessen vertreten musste, sah das Gericht sofortige Abhilfe für geboten an. In dieser Situation musste der Substitut, der vorgesehene Vertreter des Prokurators, dann in den Rechtsstreit als ordentlicher Prokurator eintreten. Man könnte annehmen, solch eine Anordnung habe sich nur auf die Parteivertretung bezogen. Ein kreisausschreibender Fürst, also ein vergleichsweise mächtiger Landesherr, dürfte nämlich nicht bereit gewesen sein, seinen ständigen Prokurator wegen einer zufälligen Kollision auszuwechseln. Der Gemeine Bescheid sagte aber das Gegenteil. Der Substitut sollte gerade für die Exekutoren in den Prozess einsteigen. Vermutlich war der Eingriff für die betroffenen Reichsstände aber gering. Wenn nämlich das Verfahren ordnungsgemäß verlief, brauchte ihr neuer Vertreter nur ganz am Ende einmal einen Bericht über die Vollstreckung zu den Akten zu reichen. Dennoch musste der Substitut sich erst mit den Einzelheiten des Falles vertraut machen. Daher gewährte das Gericht eine großzügig bemessene Frist von fast einem Monat bis zu Beginn der Audienzen im neuen Jahr 1663. Dann erst sollte das Vollstreckungsverfahren mit veränderten Anwaltsrollen weitergehen.

RKG Nr. 160 1663 August 31 [Conclusum pleni 31. Augusti 1663.]1 Advocatus fisci advocaturae2 privatorum abstinento et horum concipistae veri nominentur.3 Demnach bey diesem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht befunden worden, daß Advocat F[isci] D. N. unerachtet ergangener Decreten und beschehener ernstlicher Verbotten sich unternommen, verschiedene Partheysachen an sich zu ziehen, in selbigen entweder selbsten oder durch die seine Schreibstube frequentirende Practicanten oder auch andere Schrifften zu stellen, auch darüber mit denen Partheyen oder deren gewesenen Advocaten zu correspondiren. Als wird ihme diese seine Ungebühr hiemit alles Ernstes verwiesen und darbey nochmahlen zu allem Uberfluß ernstzuverläßig anbefohlen, sich dergleichen Schrifftstellung per directum vel indirectum, auch Advocirens, Consulirens und Unternehmung der Partheysachen gäntzlich zu enthalten. Hergegen allein seinem Ambt mit schuldigem Fleiß abzuwarten, sonsten im widrigen und bey verspürtem weitern Ungehorsams-

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Conclusum ... 1663 in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 G[emeiner] B[escheid]. GB 1710; GB 1724 Advocatura. Advocatus ... nominentur auch in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

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fall gegen ihn mit exemplarischem Einsehen ohnfehlbar verfahren werden solle. So dann wird denen sämbtlichen Procuratoren hiemit aufferlegt und anbefohlen, von ermeldtem Advocato F[isci] einige Schrifften oder Concepten bey Vermeidung ohnnachläßiger Straff nicht anzunehmen oder zu unterschreiben, auch sonsten jedesmahls die Advocatos Causae und Concipisten getreulich beyzusetzen und keine andere, als welche in der Sachen wahrhafftig bedient, anzugeben. Decretum in Consilio pleno, 31. Augusti Anno 1663. Vorlage: CJC 1724, S. 911 Nr. CCCCXVIII. Weitere Ausgaben: GB 1710, S. 136-137 Nr. CLVII; GB 1714, S. 79 Nr. CLXI; CJC 1717, S. 79 Nr. CLXI; GB 1717, S. 79 Nr. CLXI; GB 1724, S. 136-137 Nr. CLVII; fehlt in Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beruht wie der Vorgängerbescheid vom 12. Dezember 1662 (oben RKG Nr. 159) auf einem Einzelfall, dessen Entscheidung das Gericht dann für allgemeingültig erklärte. Die gedruckten Quellen bezeichnen ihn teilweise als Gemeinen Bescheid (CJC 1724), teilweise als Conclusum pleni (GB 1710). Handschriften sind nicht bekannt. Das konkrete Vorkommnis ist lediglich aufgrund der Überschrift, nicht jedoch im Text des Bescheides selbst erkennbar. Der Advokat des Fiskals war offenbar dazu übergegangen, neben seinen fiskalischen Aufgaben auch privat als Advokat für Reichskammergerichtsparteien zu arbeiten. Einige Parteien hatten daraufhin die Beratung durch ihren bisherigen Advokaten aufgegeben und waren zum Fiskaladvokaten gewechselt. Der Fiskaladvokat korrespondierte jetzt also mit den Parteien und den bisherigen Advokaten an deren Wohnsitzen. Zugleich fertigte er Schriftsätze an, wirkte auf diese Weise also auch mit den Prokuratoren zusammen. Zeit genug dafür scheint er besessen zu haben. Das Kameralkollegium untersagte solche private Advokatentätigkeit des Fiskaladvokaten, ohne Hintertürchen offen zu lassen. Das ausgesprochene Verbot richtete sich nicht nur gegen den Fiskaladvokaten selbst, sondern auch gegen die Prokuratoren. Sie durften ihn fortan als Advokaten und Schriftsatzverfasser in nichtfiskalischen Sachen nicht mehr akzeptieren. Möglich waren derartige Auswüchse wohl nur, weil alle Beteiligten eine längst ausgesprochene Verpflichtung verletzt hatten. Seit den Prozessreformen im Rahmen des Jüngsten Reichsabschieds sollten nämlich alle Schriftsätze ohnehin doppelt vom Advokaten und Prokurator unterschrieben sein. Zunächst schien sich diese Bestimmung etwas enger auf die Erfordernisse des Appellationseides zu beziehen (dazu Gemeiner Bescheid vom 25. August 1656; oben RKG Nr. 131). Gerade die unerwünschte Advokatur des Fiskaladvokaten verdeutlichte aber, wie dringlich eine allgemeine Regelung war. Deswegen löste sich der Gemeine Bescheid am Ende völlig von seinem konkreten Anlass. Er setzte die allgemeine Verpflichtung fest, fortan in jedem Rechtsstreit und bei jedem Schriftsatz neben dem Namen des Prokurators anzugeben, wer in der Sache als Advokat tätig war. Diese Förmlichkeit war also nicht mehr auf Eide oder Appellationsprozesse beschränkt, sondern nunmehr ausnahms-

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los vorgeschrieben. Ob die frühere Sonderregelung für Reichsstände (Jüngster Reichsabschied von 1654 § 43) damit eingeschränkt oder abgeschafft werden sollte, sagte das Gericht nicht.

RKG Nr. 161 1663 Dezember 10 [Procuratores sub severa poena obsignatas literas ad se missas, ex quibus agenda conscribi debuissent, multo minus documenta absque indicatione, quo fine haec producantur, loco iudicialiter agendorum exhibento non repetunto, sed suos principales adhortentur, ut necessario agenda iuxta ordinationem in apertis productis sub consueta rubrica decenter proponunto. Deinde ad se transmissas literas ad hoc vel illud agendum, inprimis ad novos terminos vel prorogationes petendas, statim post illarum acceptionem in suo proximo ordine originaliter vel in vidimata copia cum adiectione dati literarum et acceptionis producunto nec eas ad remorandam sententiam detinento.]1 Procuratores literas [clausas]2 vel ad se missas aut documenta sine indicatione finis loco iudicialiter agendorum non producunto nec repetunto: Literas vero vel instructiones pro novo termino vel prorogatione statim exhibento.3 [Endlich ist der Gemeine Bescheid:]4 Demnach eine geraume Zeit hero an diesem Kayserlichen Cammergericht verschiedene verschlossene an den Herrn Cammerrichter öffters allein oder auch neben deme an5 [den]6 Praesidenten und Assessores abgelassene Schreiben von der Post und durch die Procuratores oder andere Bediente gelieffert einkommen, worinnen zum Theil allerhand Gravamina mit Hindansetzung diesem höchsten Gericht gebührenden Respects, gemeiniglich aber Causarum Merita und Schrifften, als Exceptiones desertionis, non devolutionis, Replicae und dergleichen vorgestellt und eingeführt, denselben auch Acta und andere vor das Gericht gehörige Beylagen eingeschlossen, welche hernacher jeweilen auch die Procuratores anstatt der Handlung auffs neue judicialiter vorgebracht oder jedoch wiederholet haben. Solches aber nicht allein gedachtes Kayserlichen Cammergerichtsordnung, Abschied und Memorialien, in welchen klärlich versehen, auff was 1 2 3 4 5 6

Procuratores ... detinento in Blum 1667. GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Procuratores … exhibento fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710. Endlich ... Bescheid in Blum 1667. Fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Blum 1667.

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gebührliche Weiß der Partheyen Nothdurfft durch öffentliche schrifftliche Producten unter gewöhnlicher Rubric im Gericht vorgetragen werden solle, zuwider, sondern auch im Übrigen höchstbeschwerlich ist und bey der Registratur und sonsten viele Confusiones, Zweiffel und Unordnung dadurch verursachet, zumahlen erwehnte Schreiben unterweilen verlegt werden oder wohl gar abhanden kommen. § 1.1 Als wird denen sämbtlichen Procuratoren bey Vermeidung unausbleiblichen scharffen Einsehens hiemit befohlen, daß sie hinführo dergleichen verschlossene, auch von ihren Principalen an sie gerichtete und durch sie eröffnete Schreiben, daraus die Handlungen2 sollen verfasset werden, wie nicht weniger die ihnen zugefertigte Documenta und Beylagen ohne Anzeig, zu welchem End sie diese vorbringen oder was sie damit beweisen wollen, anstatt schuldiger oder3 nothwendiger Handlung gerichtlich einzugeben oder zu repetiren sich enthalten, sondern ihre Principalen und Partheyen dahin erinnern und anweisen, daß sie ihre zustehende Nothdurfft vermög der Ordnung in erlaubte Weeg und in offenen Schrifften unter gehöriger Intitulatur bescheidentlich verhandlen lassen, widrigen Falls solche verschlossene und respective an sie abgangene Schreiben in judicando nicht attendirt werden sollen. § 2.4 Ferners sollen gedachte Procuratores die von ihren Principalen und Partheyen an sie abgelassene Schreiben, eines oder anders zu verhandlen, bevorab novos Terminos oder Prorogationes zu bitten, alsobald nach Empfang derselben in ihrer nechsten angehörigen5 Ordnung in Originali oder in Lectoria vidimirten Copeyen mit Beysetzung Tag und Dati der Schreiben und des Empfangs vor- und einbringen und dieselbe zu gefährlicher Steckung der Urtheil nicht hinterhalten, oder deren Production auffschieben. [Publicatum 10. Decembris 1663.]6 Johannes Nicolaus Becht, [Lizentiat,]7 Judicii Imperialis Camerae8 Protonotarius9. Vorlage: CJC 1724, S. 911 Nr. CCCCXIX. Weitere Ausgaben: GB 1665, S. 48v; Blum 1667, S. 634-635; GB 1671, S. 48v; GB 1678, S. 53; GB 1686, S. 53; GB 1688, S. 49-50; GB 1695, S. 126-127; GB 1696, S. 126-127; GB 1707, S. 126-127; GB 1710, S. 137-138 Nr. CLVIII; GB 1714, S. 79-80 Nr. CLXII; CJC 1717, S. 79-80 Nr. CLXII; GB 1717, S. 79-80 Nr. CLXII; GB 1724, 1 2 3 4 5 6 7 8 9

§ 1 fehlt in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in Blum 1667; GB 1710. Blum 1667 Handlung. Blum 1667 und. § 2 fehlt in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in Blum 1667; GB 1710. GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 gehöriger; GB 1714; CJC 1717 gehörigen. Publicatum ... 1663 in Blum 1667. GB 1671; GB 1710. GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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S. 137-138 Nr. CLVIII; auch als Separatdruck (z. B. vd 17 32:656470E = Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar N 1: 31 (Stück 4). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid benennt eine bis dahin in den Quellen nicht greifbare, vielleicht also neue Möglichkeit, wie die Anwälte das schwerfällige Audienzsystem unterlaufen konnten. Es gab offenbar Bestrebungen, die Umfrageordnung in den umständlichen Terminen zu umgehen und ein rein schriftliches Verfahren einzuführen. Auf diese Weise ließ sich aus Sicht der Parteien, Advokaten und Prokuratoren Zeit sparen. Außerdem bestand bei einem Schreiben an das Gericht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass der Empfänger es lesen und zur Kenntnis nehmen würde. Übergab ein Prokurator dagegen einen Schriftsatz in der Audienz, war völlig unklar, wann ihn jemand bearbeiten würde. Möglicherweise nahm erst dann ein Assessor die Akte überhaupt in die Hand, wenn Entscheidungsreife vorlag und nach einem Completum-Vermerk wenigstens ein Zwischenurteil erging. Bei einem Brief an das Gericht bekam der Adressat dagegen den Schriftsatz unmittelbar und sofort auf seinen Schreibtisch. Das Prinzipium des Gemeinen Bescheides monierte, solche Schreiben an Kammerrichter, Präsidenten oder Beisitzer seien regelmäßig verschlossen gewesen. Das war aus der Sicht der Verfasser auch völlig plausibel. Hätten sie nämlich ihre Schriftsätze offen an der Audienz vorbei unmittelbar dem richterlichen Personal zugestellt, hätten die Assessoren sie sofort zurückgewiesen. Jetzt aber übersandten sie ihre Schriftsätze äußerlich unerkennbar an das Gericht, manchmal sogar per Post. In den Audienzen verwiesen die Prokuratoren dann teilweise auf ihre zuvor übersandten Schriftsätze und andere Dokumente, die dem Gericht bereits vorlagen. Das widersprach dem Sinn der kammergerichtlichen Audienzen. Deswegen verwies das Gericht pauschal auf die wesentlichen Quellen des Kameralprozesses. Solange es Audienzen gab, hatten die Rezesse im dafür vorgesehenen Termin stattzufinden. Genau dort waren auch die Schriftsätze zu übergeben. Im Übrigen gab der Gemeine Bescheid zu, auch die Registratur sei überfordert, wenn außerhalb der Audienzen derartige Briefe mit Anlagen eingingen. Offenbar war die Zuordnung von Schriftsätzen zu denjenigen Akten, die man wegen der Audienzen nicht ohnehin benötigte, für das Kanzleipersonal kompliziert und fehleranfällig. Anscheinend gingen dabei sogar Schriftsätze verloren, wie das Gericht einräumte. Die beiden Paragraphen formulierten daraus die Konsequenzen. Nur in den Audienzen durften die Prokuratoren ihre Schriftsätze einbringen und dies auch nur unter den im gemeinen Recht vorgesehenen Titulaturen. Die eher inoffiziellen, direkt für das Gericht bestimmten postalischen Einsendungen sollten künftighin unbeachtlich sein (§ 1). Eine etwas andere Stoßrichtung bezweckte § 2. Hier legte das Kammergericht den Prokuratoren die Pflicht auf, bestimmte Anweisungen, die sie schriftlich von ihren Mandanten erhalten hatten, in den Audienzen in Kopie vorzulegen. Das betraf vor allem den Wunsch der Mandanten, Fristaufschub zu erhalten. Hierbei ging es nicht um Schreiben, die von vornherein für das Gericht bestimmt waren, sondern um den internen Gedankenaustausch zwischen dem Anwalt und seiner Partei. Mit dieser verschärften Kontrolle wollte das Gericht Prozessverschleppungen verhindern. Zugleich zeigt die Regelung, mit welcher Selbstverständlichkeit das Kameralkollegium in die vertrauliche Zusammenarbeit zwischen Prokurator und Mandant eingriff. Das Anwaltsgeheimnis war in dieser Zeit noch wenig ausgeprägt, ein Recht zur Verschwiegenheit bestand insoweit

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nicht. Das Reichskammergericht wiederholte den Gemeinen Bescheid am 10. Februar 1736 (unten RKG Nr. 269). Für § 2 ließ es die Visitationskommission von 1713 allerdings genügen, wenn ein Prokurator seinem Gegenprokurator die fraglichen Dokumente im Original vorzeigte und „eine simplicem Copiam mittheile“ (Anlage A zum Visitationsdekret vom 27. November 1713, in GB 1724, S. 244).

RKG Nr. 162 1664 Januar 22 Ratione tutelarum Camer[alium] inhaeretur prioribus decretis cum auctioris poenae comminatione.1 Es sollen alle und jede Vormündere denen am 26. Martii Anno 1658 wie auch den 22. Februarii und 17.2 Novembris 1659 ertheilten Decretis zufolg ihrer tragenden Vormundschafften gebührende Inventaria und Rechnungen innerhalb 6 Wochen zu des Kayserlichen Cammergerichts Cantzley bey Straff 3 Marck Silber übergeben, dabeneben die Ursachen, warumb sie solches bißhero unterlassen, anzeigen. Sodann sollen die Eltern und nechste Anverwandten der cameralischen annoch unbevormundeten minderjährigen Kindern ihnen innerhalb 14 Tagen einige zu Vormündern benamsen und vorschlagen. Vorlage: CJC 1724, S. 912 Nr. CCCCXX. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl.; S. 3; GB 1671 Suppl., S. 3; GB 1678, S. 53; GB 1686, S. 53; GB 1688, S. 50; GB 1695, S. 127-128; GB 1696, S. 127-128; GB 1707, S. 127-128; GB 1710, S. 139 Nr. CLIX; GB 1714, S. 80 Nr. CLXIII; CJC 1717, S. 80 Nr. CLXIII; GB 1717, S. 80 Nr. CLXIII; GB 1724, S. 139 Nr. CLIX; fehlt in Blum 1667; GB 1671 (Hauptteil). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid greift zum vierten Mal das Vormundschaftsproblem auf (vgl. die im Text genannten Vorgängerbescheide oben RKG Nr. 135, 139 und 142). Trotz mehrfacher Anweisungen hatte sich das Problem innerhalb von sechs Jahren nicht lösen lassen. Der Pedell, der zunächst einen Überblick über die fraglichen Fälle ermitteln sollte, war inzwischen nicht mehr mit der Sache befasst. Weshalb die Vormünder der minderjährigen Kinder von Kameralen die geforderten Vermögensübersichten nicht vorlegten, wusste das Kameralkollegium offenbar selbst nicht. 1 2

Ratione … comminatione fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber vorhanden in GB 1710; GB 1717. GB 1665 Suppl.; GB 1695; GB 1696; GB 1707 7.

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Jedenfalls sollten die Vormünder angeben, warum sie bisher über Jahre gegen ihre Verpflichtungen verstoßen hatten. Die noch offenen Fälle sollten dagegen in nur zwei Wochen gelöst werden. Hier standen weiterhin Eltern und Verwandte in der Pflicht. Der Hinweis auf die Eltern ist missverständlich. Wenn nämlich beide Eltern lebten, stellte sich die Frage nach einem Vormund überhaupt nicht. Offenbar ging es um vaterlose Kinder, deren Mutter und Großeltern noch lebten, die vielleicht inzwischen auch einen Stiefvater hatten. Zur Vormundschaft vgl. auch knapp Jost Hausmann, Die Kameralfreiheiten des Reichskammergerichtspersonals (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 20), Köln, Wien 1989, S. 133-134.

RKG Nr. 163 1664 Juli 5 [Procuratores sub poena marcae argenti fiscales sententias implorationes et recessus post eorundem communicationem suis statibus cum debita informatione quod hi per citam solutionem suae quotae realem executionem evitare possint, quovis tempore intra octiduum a die habitorum recessuum vel publicatarum sententiarum praevia monstratione literarum sustentationis Camerae ergo ad dictos status scribendarum transmittunto sub reali exactione praememoratae poenae.]1 Inhaeretur decreto 28. Junii 1661 lato cum comminatione realis executionis poenae.2 Demnach denen sämbtlichen dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratoren am 28.3 Junii Anno4 1661 durch schrifftlich ertheiltes Decretum alles Ernstes anbefohlen worden, daß sie in Sachen, ermeldtes Cammergerichts Unterhaltung betreffend, nicht allein die fiscalische Urtheilen, Anruffen und Recess, wann solche ihnen durch den Notarium Fisci post Audientiam dictirt werden, jedesmahls fleißig protocolliren [zu]5 lassen, sondern auch dieselbe ihren Ständen mit gehöriger Information und Berichtgebung ohnverlängt überschicken, sodann die von ihnen sowohl in Unterhaltungs- als allen6 andern das Interesse Fisci concernirenden Sachen gehal-tene Recess dem Kayserlichen Fiscal oder in seiner Abwesenheit dem Advocato Fisci jederzeit, wie sichs gebührt, per Extractus communiciren, nicht weniger diejenige Schreiben, welche sie berührter Cammergerichts Unterhaltung halber an die Stände abgehen zu 1 2 3 4 5 6

Procuratores ... poenae in Blum 1667. Inhaeretur … poenae fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710. Blum 1667 29.; aber GB 1695; GB 1696; GB 1707 28. Fehlt in Blum 1667. Blum 1667; dagegen GB 1695; GB 1696; GB 1707 fleissig zu protocolliren. Fehlt in Blum 1667.

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lassen, im Werck begriffen, sambt denen hierüber nachgehends erfolgenden Erklärungen und Antworten, ihme, Kayserlichen Fiscal oder Advocato Fisci, ohne Auffenthalt und ohnerwartet einiger Ermahnung in Originali vorweisen und davon Extractus communiciren sollen1. Diesem allem aber von verschiedenen und fast dem mehrern Theil der Procuratoren ohnerachtet öffters und zu allem Uberfluß beschehener Erinnerungen2 bißhero nicht nachgelebt worden und sie dahero ihres Orts nicht geringe Hinderung gegeben, daß weder das Anruffen noch die ergehende Urtheilen ihren behörigen Effect erreichet: Als wird denenselben insgesambt und zwar bey Straff 1 Marck Silbers, von einem jeden in der Armen Seckel ohnnachlässig zu bezahlen, hiemit nochmahl aufferlegt, daß sie ermeldtem Decreto in allen darin begriffenen Puncten hinführo gehorsamlich nachkommen und in specie die publicirte Urtheilen3 wie ingleichen das gerichtlich Anruffen und Recess, nachdem sie dieselbe4 durch ihre Protocollisten entweder alsobald nach geendigter Audientz oder in nechster per Notarium Fisci hierzu bestimmender Zeit excipirt und ad Protocollum genommen, denenjenigen Ständen, welchen ein jeder bedient ist, mit behöriger Information und Berichtgebung, daß durch zeitliche Abstattung ihrer Gebühr sie die würckliche Execution vermeiden können, jedesmahls innerhalb 8 Tagen a die habitorum Recessuum vel5 publicatarum Sententiarum auff erwehnte vorhergegangene6 Vorzeigung ohnfehlbar übersenden, widrigenfalls diejenige, so sich hierin säumig erzeigen werden, ipso facto in obangedrohete Poen, welche auch der Pedell alßdann würcklich einzufordern und seine Relation fleißig7 darauff zu erstatten, hiemit befelcht wird, verfallen seyn sollen. [Decretum in Consilio pleno, 5. Julii 1664.]8 Johannes Nicolaus Becht, [Lizentiat,]9 Judicii Imperialis Camerae Protonotarius10. Vorlage: CJC 1724, S. 912 Nr. CCCCXXI. Weitere Ausgaben: GB 1665, S. 49; Blum 1667, S. 636-637; GB 1671, S. 49; GB 1678, S. 53-54; GB 1686, S. 53-54; GB 1688, S. 50; GB 1695, S. 128-129; GB 1696, S. 128129; GB 1707, S. 128-129; GB 1710, S. 139-140 Nr. CLX; GB 1714, S. 80-81

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GB 1665; GB 1678; GB 1696; GB 1707 sollten; Absatz in Blum 1667. Blum 1667 Erinnerung. Blum 1667 Urtheil. Blum 1667 dieselben. Fehlt in GB 1665; GB 1678; GB 1688. Blum 1667 vorher ergangene. Blum 1667 förderlich. Decretum ... 1664 in Blum 1667. GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Johannes ... Protonotarius fehlt in Blum 1667.

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RKG Nr. 164 1664 November 7

Nr. CLXIV; CJC 1717, S. 80-81 Nr. CLXIV; GB 1717, S. 80-81 Nr. CLXIV; GB 1724, S. 139-140 Nr. CLX. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid gehört zur größeren Gruppe von Anordnungen, die sich mit der finanziellen Situation des Reichskammergerichts beschäftigen. Zu Beginn verweist die Regelung auf den Gemeinen Bescheid vom 28. Juni 1661 (oben RKG Nr. 152). Aber noch zahlreiche andere Bescheide hatten zuvor ganz ähnliche Ziele verfolgt (z. B. Gemeine Bescheide vom 2. Januar 1656, 6./16. Februar 1657, 4. Dezember 1658, 27. April 1661, oben RKG Nr. 129, 133, 137 und 151). Zu Beginn wiederholte das Gericht die Bestimmungen vom Juni 1661 weitgehend wörtlich. Sodann folgte eine Klage über die hohe Zahl von Prokuratoren, die weder in den fiskalischen Prozessen noch im Schriftverkehr mit ihren reichständischen Auftraggebern ihre Pflichten erfüllten. Das Kameralkollegium verwies an dieser Stelle auf zusätzliche Ermahnungen. Offenbar gab es neben den vergleichsweise förmlichen Gemeinen Bescheiden auch vereinfachte Aufforderungen, möglicherweise mündlich in den Audienzen, die nicht protokolliert wurden und auch nicht in einen Gemeinen Bescheid einflossen. Trotz der weitgehenden Verschriftlichung des Verfahrens sind derartige Ermahnungen als Quellen nicht mehr zugänglich. Sie zeigen aber, wie auch in einem nahezu vollständig formalisierten und verschriftlichten Prozessrecht die Gerichtspraxis nur unvollkommen zu rekonstruieren ist. Mit der nochmaligen Einschärfung der Vorgaben von 1661 erwies sich das Gericht im Ergebnis abermals als durchsetzungsschwach gegenüber den Reichsständen. Die ständigen Ermahnungen, sie könnten bei pünktlicher Zahlung ihrer Kammerzieler die zwangsweise Beitreibung vermeiden, mussten immer unrealistischer wirken, je häufiger sie ergingen. Letztlich machte das Gericht mit solchen Gemeinen Bescheiden zwar auf bestehende Missstände aufmerksam, hatte aber nur sehr beschränkte Möglichkeiten, sie auch zu beseitigen. Der Gemeine Bescheid vom 7. November 1664 (sogleich unten RKG Nr. 164) könnte immerhin einen Teilerfolg des Kameralkollegiums andeuten. Die nur kurze Zeit später folgende Einschärfung vom 7. Juli 1665 (unten RKG Nr. 167) warnt jedoch vor zu starken Hoffnungen. Das Finanzierungsproblem blieb bestehen.

RKG Nr. 164 1664 November 7 [Procuratores sustentationis Camerae a statibus Imperii acceptae cum fide digno extractu literarum ad ipsos transmissarum designationem collegio exhibento, in quo exprimant, quando pecunia solutam quanta summa, quae moneta et quid in specie quoad veteres vel novos terminos quovis vice exsolutum sit. Pecuniam vero quaestori tradunto.]1 1

Procuratores ... tradunto in Blum 1667.

RKG Nr. 164 1664 November 7

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Forma designationis exsolutae a statibus ad sustentationem Camerae et quaestori tradendae pecuniae praescribitur.1 Es sollen alle und jede des Kayserlichen Cammergerichts Procuratores, so von denen Ständen des Reichs einige cameralische Unterhaltungsgelder empfangen, bey jeder Erlage auch einem Collegio nebenst glaubwürdigen Extracten deren an sie abgelassener Schreiben alsobalden außführliche Designation übergeben, worinnen zu exprimiren, wann die Gelder erlegt oder angeschafft, wie viel die Summa2, was für Sorten und was eigentlich auff die alte oder neue Zieler jedesmahls erlegt worden. Die Gelder aber können sie einen als den3 andern Weg dem Pfenningmeister zustellen. [Decretum in Consilio pleno, 7. Novembris 1664.]4 [Johannes Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae5 Protonotarius manu propria]6 Vorlage: CJC 1724, S. 912 Nr. CCCCXXII. Weitere Ausgaben: GB 1665, S. 49; Blum 1667, S. 637; GB 1671, S. 49; GB 1678, S. 54; GB 1686, S. 54; GB 1688, S. 51; GB 1695, S. 129-130; GB 1696, S. 129-130; GB 1707, S. 129-130; GB 1714, S. 81 Nr. CLXV; CJC 1717, S. 81 Nr. CLXV; GB 1717, S. 81 Nr. CLXV; GB 1724, S. 141 Nr. CLXI. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid steht in engem sachlichen Zusammenhang zum Vorgängerbescheid vom 5. Juli 1664 (oben RKG Nr. 163). Hier setzt sich die Zweispurigkeit fort, die das Gericht auch in früheren Jahren bei seinen Gemeinen Bescheiden eingehalten hatte. Die Ermahnungen an die Prokuratoren, sich für die Zahlung der Kammerzieler bei ihren reichsständischen Mandanten einzusetzen, war jeweils getrennt von den Vorschriften, wie mit den tatsächlich eingegangenen Geldern zu verfahren war (dazu etwa die Gemeinen Bescheide vom 12. Juni 1616 und 27. April 1661; oben RKG Nr. 105 und 151). Regelungsbedürftig konnte das Problem 1664 nur sein, wenn tatsächlich einige Prokuratoren Gelder empfangen hatten. Ob der Gemeine Bescheid vom 5. Juli insoweit einen Teilerfolg erzielt hatte oder aus welchen Gründen die Stände sonst bezahlt hatten, bleibt unklar. Jedenfalls sollten die Prokuratoren nicht nur die eingegangenen Zahlungen abliefern, sondern wie gewohnt auch die Begleitschreiben und die zugehörigen Abrechnungen vorlegen. Wie selbstverständlich ging das Gericht davon aus, dass nur Teilzahlungen erfolgten. Deswegen war anzugeben, welche Forderungen nunmehr erfüllt sein sollten. Eine automatische Anrechnung auf die ältesten Rückstände scheint es nicht gegeben zu haben. In einem Detail wich das Gericht hierbei von früheren Vorgaben ab. Offensichtlich war man froh, überhaupt eingehende 1 2 3 4 5 6

Forma … praescribitur fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. Blum 1667 Summe. Fehlt in GB 1665; GB 1671. Decretum ... 1664 in Blum 1667. GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Judicii Camerae Imperialis. Johannes … manu propria in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724; nicht in Blum 1667.

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Gelder verbuchen zu können. Es fehlt daher die ältere Bestimmung, sämtliche Leistungen immer in Form der Reichsgulden bzw. Reichstaler zu erbringen (so etwa der Gemeine Bescheid vom 13. Januar 1598; oben RKG Nr. 96). Es genügte in der Praxis vermutlich, wenn der Pfennigmeister die Zahlungen überhaupt erhielt. Spätere Gemeine Bescheide bestanden demgegenüber wieder streng auf der Zahlung in Reichswährung (vgl. Quittungsformulare vom 1. März 1672; unten RKG Nr. 186).

RKG Nr. 165 1664 Dezember 13 [Endlichen ist der Gemeine Bescheidt.]1 [Tot paritoriis in posterum non dandis, procuratores sub severa poena punctum paritionis magis observanto suosque principales desuper instruunto quo sine expectatione plurium paritoriarum de reali paritione cito doceatur. Nam hoc non facto tam contra inobedientes principales remediis novissimae constitutionis Imperii sine mora proceditur quam in delinquentes procuratores gravis poena statuitor.]2 Punctus paritionis maturatur et emendatur.3 [Endlich ist der Gemeine Bescheid:]4 Demnach eine geraume Zeit hero verspüret worden, daß sowol in Mandat- als andern abgeurtheilten Sachen von dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratoren und deren Partheyen der Punctus Paritionis der Gebühr nach nicht beobachtet, also zwar, daß, indem man in selbigem zu Zeiten mit Zuruckhaltung der sonsten geziemenden Declaration Poenae oder Mandati de exequendo den gelindern Weeg gangen und wiederholte Paritorias inhaesivas gegeben, sich die Partheyen und deren bestellte Procuratores dieser Conniventz in viele Weeg mißbraucht und offtmahl ohne Docirung würcklicher rechtmäßiger Parition die dritte, vierte, fünffte und noch wohl mehr Paritorias erwartet oder sonsten durch allerhand nichtige Einstreuungen die Parition verzogen oder5 gehindert. Solches aber nicht allein der Römischen Kayserlichen Majestät und gesambter Churfürsten,

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Endlichen … Bescheidt in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 (in größerer Schriftart als Überschrift hervorgehoben); dagegen nicht in GB 1710. Tot ... statuitor in Blum 1667. Punctus … emendatur fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. Endlich ... Bescheid in Blum 1667, im Gegensatz zu den Bescheidsammlungen von 1665-1696 nicht als Überschrift. GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707 und.

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Fürsten1 und Ständen des Heiligen Reichs in Jüngstem Regenspurgischen Reichsschluß außgedruckter Intention und heilsamer Verordnung schnurstracks zuwider lauffet, sondern auch zu Schmälerung dieses höchsten Gerichts Authorität und mercklichem Nachtheil des gemeinen Justitzwesens gereichen thut. Als werden alle und jede Procuratores hiemit ernstlich ermahnet, daß sie bey Vermeidung scharffen Einsehens hinführo den Punctum Paritionis in bessere Obacht nehmen, ihre Partheyen auch nothdürfftiglich darnach instruiren sollen, damit ohne Erwartung mehrer Paritorien von würcklicher genugsamer Parition zeitlich docirt werde. In Verbleibung dessen soll sowohl gegen die ungehorsame Partheyen mit der Declaration Poenae, Mandato de exequendo und andern gebührenden Mitteln nach Außweisung obangeregter Reichsconstitution, deren man hinführo stricte zu inhaeriren gemeynt ist2, ohne Verzug schleunig verfahren als auch gegen die Procuratoren befindenden Umständen nach unausbleibliche exemplarische Straff vorgenommen werden. Conclusum in Consilio pleno, 13. Decembris Anno 16643. [Publicatum in solita Audientia, 13. Decembris 1664.]4 Johannes Nicolaus Becht, Lizentiat5, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria6. Vorlage: CJC 1724, S. 912-913 Nr. CCCCXXIII. Weitere Ausgaben: GB 1665, S. 49-50; Blum 1667, S. 637-638; GB 1671, S. 49-50; GB 1678, S. 54-55; GB 1686, S. 54-55; GB 1688, S. 51; GB 1695, S. 130-131; GB 1696, S. 130-131; GB 1707, S. 130-131; GB 1710, S. 141-142 Nr. CLXII; GB 1714, S. 81-82 Nr. CLXVI; CJC 1717, S. 81-82 Nr. CLXVI; GB 1717, S. 81-82 Nr. CLXVI; GB 1724, S. 141-142 Nr. CLXII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt ein wichtiges Problem des Kammergerichtsprozesses. Sowohl in Mandatssachen als auch nach ergangenen Urteilen stellte sich regelmäßig die Frage, ob der Mandatsgegner bzw. die unterlegene Partei der gerichtlichen Anordnung überhaupt Folge leistete. Eine Zwangsvollstreckung war äußerst aufwendig und mit ungewissem Erfolg verbunden. Überdies war sie nur notwendig, wenn der Betroffene sich weigerte, die ihn treffende Verpflichtung aus freien Stücken zu erfüllen. Um dies zu klären, sah das Kameralverfahren eine Paritionserklärung vor. Darin bestätigte der Verlierer, sich an den kammergerichtlichen Befehl zu halten. Das konnte auf verschiedene Weisen geschehen. Im Mandatsverfahren sollte der Beklagte gleich zu Beginn diese Erklärung abgeben. Dann hatte das Mandat sein Ziel, Rechtsfrieden zu wahren oder wiederherzustellen, sofort erreicht. Weitere Verhandlungen waren nicht nötig. Falls der Beklagte aber 1 2 3 4 5 6

Fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1678; GB 1696; GB 1707. Fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724. Conclusum ... 1664 fehlt in Blum 1667; anderes Jahr in GB 1710; GB 1724 1665. Publicatum ... 1664 in Blum 1667. Fehlt in GB 1671; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Johannes ... propria fehlt in Blum 1667.

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zunächst Exzeptionen erhob, mochte sich im Laufe des Verfahrens herausstellen, dass die Rechtsposition des Klägers besser begründet war. In diesem Fall konnte das Gericht auf Antrag des Klägers ein Paritionsurteil, auf Latein zumeist Paritoria, fällen. Damit bestätigte das Kameralkollegium den Mandatsbefehl, schloss das Erkenntnisverfahren ab und verlangte vom Beklagten endgültig, sich dem Befehl zu fügen. In Zitationsverfahren sah es etwas anders aus. Hier konnte nur am Ende des Rechtsstreits ein Urteil stehen. Die unterlegene Seite hatte jetzt ihrerseits eine Paritionserklärung abzugeben. Tat sie das nicht, sollte der Idee nach nicht ein Paritionsurteil ergehen, sondern die Zwangsvollstreckung beginnen. In der Praxis sah es sowohl im Mandatsprozess als auch in Zitationsverfahren, insbesondere in Appellationssachen, deutlich anders aus. Daran waren die Assessoren selbst nicht ganz unschuldig, wie der Gemeine Bescheid einräumte. Oftmals hatte das Kameralkollegium nämlich selbst davor zurückgeschreckt, den abgeurteilten Streit in das Vollstreckungsverfahren zu überführen. Stattdessen hatte es Fristen erstreckt, die Parition nochmals eingefordert oder auf andere Weise der unterlegenen Seite weitere Möglichkeiten zur mehr oder weniger freiwilligen Befolgung des Urteils gewährt. Die Parteien hatten sich nunmehr darauf eingestellt und hatten oftmals nicht einmal mehr eine Paritionserklärung abgegeben. Sie gingen fest davon aus, vor einer mehrfachen Wiederholung des Paritionsurteils werde ihnen ohnehin nichts passieren. Das Reichskammergericht versuchte nun, diese schlampige Praxis zu ändern. Wer verpflichtet war, die Parition zu leisten, sollte diese Erklärung auch wirklich abgeben und nicht warten, bis er mehrfach dazu aufgefordert wurde. Anderenfalls sah das Gericht seine eigene Autorität bedroht. Im Ergebnis zielte der Bescheid also darauf ab, die Durchsetzung von Kammergerichtsurteilen zu befördern, ohne es bis zur Vollstreckung kommen zu lassen. Am Ende der Vorschrift drohte das Gericht freilich zugleich erste Vollstreckungsmaßnahmen wie Pönerklärungen oder Exekutionsmandate an. In der Zielrichtung des Gemeinen Bescheids ging es aber gerade darum, es bis zu solchen Zuspitzungen gar nicht erst kommen zu lassen. Terminologisch fällt eine erstaunliche Ungenauigkeit auf. Der Jüngste Reichsabschied erscheint in der Quelle ganz ungewöhnlich als Reichsschluss. In der Tat gab es nach 1654 keine Reichsabschiede mehr, sondern lediglich Reichsschlüsse. Ein solches Versehen in einer offiziellen Verlautbarung des Gerichts musste bei den Beteiligten aber Kopfschütteln auslösen. Vermutlich waren demjenigen Gerichtsmitglied, das den Gemeinen Bescheid ausformuliert hatte, die verfassungsrechtlichen Feinheiten im Heiligen Römischen Reich reichlich gleichgültig. Gerade angesichts der erheblichen Bedeutung, die der Jüngste Reichsabschied für das Kameralverfahren spielte, wirkt das besonders erstaunlich. Andere Gemeine Bescheide verwandten dieselbe Titulierung (z. B. Gemeine Bescheide vom 30. Oktober 1655, 28. Januar 1657 § 7 und 4. Dezember 1658; oben RKG Nr. 127, 132 und 137) und kümmerten sich ebenfalls nicht um die zeitgenössisch schwierige Typologie der Reichsgesetze.

RKG Nr. 166 1665 Juli 7

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RKG Nr. 166 1665 Juli 7 Ratione religionis praedicata et tituli insoliti nec recessibus Imperii conformes interdicuntur.1 In Sachen usw. zumahlen wird den Advocaten, Procuratoren und andern hiemit anbefohlen, sich hinführo in den Schrifften und Recessen ratione Religionis der ungewöhnlichen und denen Reichsabschieden ungemäßen Wörtern, Praedicaten und Titulationen zu ein- oder anderer Religion Verkleinerung und Nachtheil bey unaußbleiblicher ernster Straff zu enthalten. Vorlage: CJC 1724, S. 913 Nr. CCCCXXIV. Weitere Ausgaben: GB 1665, S. 50; GB 1671, S. 50; GB 1678, S. 55; GB 1686, S. 55; GB 1688, S. 51; GB 1695, S. 131; GB 1696, S. 131; GB 1707, S. 131; GB 1710, S. 142-143 Nr. CLXIII; GB 1714, S. 82 Nr. CLXVII; CJC 1717, S. 82 Nr. CLXVII; GB 1717, S. 82 Nr. CLXVII; GB 1724, S. 142-143 Nr. CLXIII; fehlt in Blum 1667. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid verbietet konfessionelle Verunglimpfungen und steht damit in der Tradition anderer Bescheide (u. a. vom 18. September 1715; unten RKG Nr. 254). Angesichts der übergroßen Verwerfungen, die konfessionelle Spannungen in der Praxis bis hin zum Dreißigjährigen Krieg auslösen konnten, fällt auf, wie selten das Reichskammergericht in seinen Gemeinen Bescheiden das Thema aufgriff. Das spricht für die Fähigkeit der zeitgenössischen Juristen, Rechtskonflikte unter rechtlichen Gesichtspunkten zu behandeln und andere Lebensbereiche bewusst auszublenden. Dennoch muss es einen Anlass für den Gemeinen Bescheid gegeben haben. Die abgekürzt überlieferte Einleitung „in Sachen usw.“ kann sogar dafür sprechen, dass in einem konkreten Rechtsstreit konfessionelle Beschimpfungen vorgefallen waren und das Kameralkollegium nun allgemein dagegen vorging. Der Hinweis auf Schriftsätze und Rezesse richtete sich zum einen gegen die Advokaten als Schriftsatzverfasser, zum anderen an die Prokuratoren, die in den öffentlichen Audienzen auftraten. Der wenig konkrete Verweis auf die Reichsabschiede bezog sich vermutlich auf den Augsburger Religionsfrieden sowie den Westfälischen Frieden, der 1654 ebenfalls durch Reichsabschied ausdrücklich in Reichsrecht transformiert worden war.

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Ratione … interdicuntur fehlt in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710.

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RKG Nr. 167 1665 Juli 7

RKG Nr. 167 1665 Juli 7 [Poena marcae argenti contra procuratores decretis 28. Junii 1661 et 5. Julii 1664 datis inobedientes reservata illi istis decretis magis obtemperanto. Fiscalis vero procuratorum in exigenda sustentatione Camerae nexam collegio Camerali indicato quo facto pedellis realis exactio dictae poenae committetor.]1 In causis fiscalibus et pro substentatione Camer[ae] inhaeretur cum poena decretis prioribus.2 Demnach denen am 5. Julii des nechstverwichenen 1664sten Jahrs, so dann3 am4 28. Junii Anno 1661 wegen dieses Kayserlichen Cammergerichts Unterhaltung ergangener Decreten von desselben Procuratoren zu mehrern Theil bißhero, wie sichs gebührt, nicht nachgelebt worden, als wird gegen die Säumige die darin angedrohete Straff 1 Marck Silbers hiemit vorbehalten. Und sollen gedachte Procuratores insgesamt oberwehnten Decretis in allen darin enthaltenen Punctis fürterhin mit mehrerm Fleiß nachkommen. Auch wird der Kayserliche Fiscal oder, da derselbe abwesend, der Advocatus Fisci über eines oder des andern Procuratorn dißfalls begangene Säumnuß ermeldtem diesem Kayserlichen Cammergericht fördersame Nachricht zu geben hiemit angewiesen, gestalten alsdann, von einem jeden derselben die vorangeregte Straff würcklich einzufordern, denen Pedellen ohnfehlbarlich anbefohlen werden solle. [Decretum in Consilio pleno, 7. Julii 1665.]5 Johannes Nicolaus Becht, [Juris utriusque]6 Lizentiat7 [et]8 Judicii Imperialis Camerae9 Protonotarius [manu propria]10. Vorlage: CJC 1724, S. 913 Nr. CCCCXXV. Weitere Ausgaben: GB 1665, S. 50 (letzter Bescheid des Hauptteils); Blum 1667, S. 638 (letzter Bescheid mit dem Zusatz „Ende. Der Gemeinen Bescheide.“); GB 1671, S. 50 (letzter Bescheid des Hauptteils); GB 1678, S. 55; GB 1686, S. 55; GB 1688, S. 51; GB 1695, S. 131-132; GB 1696, S. 131-132; GB 1707, S. 131-132; GB 1710, S. 143 Nr. CLXIV; 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Poena ... committetor in Blum 1667. In … prioribus fehlt in GB 1665; Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710. GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1724 denn; GB 1695; GB 1696; GB 1707 den. Fehlt in GB 1665; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Decretum ... 1665 in Blum 1667. Juris utriusque in Blum 1667. Fehlt in GB 1665; GB 1671. Blum 1667. Blum 1667; GB 1671; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Judicii Camerae Imperialis. Manu propria in Blum 1667.

RKG Nr. 167 1665 Juli 7

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GB 1714, S. 82 Nr. CLXVIII; CJC 1717, S. 82 Nr. CLXVIII; GB 1717, S. 82 Nr. CLXVIII; GB 1724, S. 143 Nr. CLXIV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich mit der Finanzierung des Reichskammergerichts und greift damit ein sehr häufig behandeltes Thema abermals auf. Die zwei genannten Bescheide vom 5. Juli 1664 und 28. Juni 1661 (oben RKG Nr. 163 und 152) waren die zu diesem Zeitpunkt beiden jüngsten Erlasse in derselben Sache, doch gab es sowohl früher als auch später noch einen ganzen Rattenschwanz zahlreicher anderer Verfügungen. Auf den thematisch ebenfalls einschlägigen Gemeinen Bescheid vom 7. November 1664 (oben RKG Nr. 164) verwies das Gericht dabei nicht. Das erlaubt Rückschlüsse auf die Art der Probleme, die das Gericht zu bekämpfen versuchte. Es ging offenbar nicht darum, die bei den Prokuratoren eingehenden Kammerzieler ordnungsgemäß abzuliefern. Vielmehr hatten zahlreiche Prokuratoren wohl gar nicht an ihre reichsständischen Auftraggeber geschrieben oder hatten in fiskalischen Prozessen unzulässige Ausflüchte oder Nachlässigkeit gezeigt. Im Gegensatz zu anderen Gemeinen Bescheiden, auch zum erwähnten Bescheid vom 5. Juli 1664, zitierte das Reichskammergericht im Bescheid vom 7. Juli 1665 nicht den Inhalt der älteren Gemeinen Bescheide. Auch sprach es nicht ausdrücklich eine Anordnung aus. Lediglich die Überschrift machte deutlich, dass es nicht nur um die Schreiben an die Reichsstände, sondern ebenfalls um das Verhalten der Prokuratoren in der Audienz ging. Warum das Kameralkollegium auf jede ausformulierte inhaltliche Bestimmung verzichtete und sich mit dem bloßen Verweis begnügte, ist unklar. Im Ergebnis verlangte der Gemeine Bescheid von den Prokuratoren aktive Nachprüfungen, was genau die beiden im Wortlaut genannten Bescheide geregelt hatten. Wenn das Gericht einerseits die Nachlässigkeit der Anwälte an den Pranger stellte, mutet es besonders befremdlich an, wenn es zugleich denselben Anwälten die Aufgabe übertrug, sich ohne nähere Konkretisierung an lediglich dem Datum nach bestimmte ältere Anordnungen zu halten. Die wiederholten Regelungen von 1664 und 1665 zeigen zudem, wie schwer es das Gericht hatte, sowohl die Zahlung des Kammerzielers als auch die fiskalischen Prozesse zur zwangsweisen Eintreibung in geordnete Bahnen zu lenken.

RKG (ohne Nr.) 1665 Dezember 13 siehe 1664 Dezember 13

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RKG Nr. 168 1666 Mai 18

RKG Nr. 168 1666 Mai 18 Providetur contra receptionem advenarum ex locis contagiosis.1 Demnach man vernimbt, daß, dieweil zu Cölln und in verschiedenen umliegenden Orthen die Contagion mehrmahls abnehmen thue, etliche Persohnen von dannen anhero2 nacher Speyer sich zu begeben Willens seyn, auch allbereit einige sich hierein- oder in die nechst angelegene Dorffschafften einzuschleichen unterstanden haben, woraus dann leichtlich dergleichen Unheil [allhier]3 entstehen könnte. Als wird denen sämbtlichen dieses Kayserlichen Cammergerichts Anverwandten bey scharffem Einsehen und ohnaußbleibender hoher Straff hiemit ernstlichen gebotten, ihren der Orthen habenden Partheyen oder Befreundten darzu keine Anlaß zu geben, auch denen, so daher kommen möchten, keinen Unterschleiff zu verschaffen, vielweniger die Gegenwärtige ohne sonderbare eines hochlöblichen Collegii erhaltene Bewilligung in ihrer Behaußung auff- und anzunehmen, sondern sich dessen gäntzlich zu enthalten. Decretum in Consilio pleno, 18. Maii Anno4 1666. Franciscus Hieronymus Mertloch5, Judicii Imperialis Camerae6 Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 913-914 Nr. CCCCXXVI. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 3; GB 1671 Suppl., S. 3; GB 1678, S. 55; GB 1686, S. 55; GB 1688, S. 52; GB 1695, S. 132; GB 1696, S. 132; GB 1707, S. 132; GB 1710, S. 143-144 Nr. CLXV; GB 1714, S. 82-83 Nr. CLXIX; CJC 1717, S. 82-83 Nr. CLXIX; GB 1717, S. 82-83 Nr. CLXIX; GB 1724, S. 143-144 Nr. CLXV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bezweckt den Schutz der Kammergerichtsmitglieder vor Seuchen. Im Gegensatz zu älteren Vorbildern (z. B. 3. November 1542, 18. November 1542, 22. Dezember 1542, 19. Februar 1554, 18. August 1564, 9. August 1596 und 26. September 1607; oben RKG Nr. 40-42, 47, 57, 95 und 100) fehlen sowohl im Text als auch in der Überschrift Hinweise darauf, um welche Seuche es sich handelte. Ob erneut eine Pestwelle drohte, sagte das Kameralkollegium nicht. Dafür tauchte erstmals der Gefahrenherd auf. Aus Köln kamen Menschen bis nach Speyer und in die umliegenden Dörfer und suchten dort Schutz. Der Hinweis, die Seuche nehme im Kölner Raum ab, dürfte auf einem bloßen Redaktionsversehen beruhen, das 1 2 3 4 5 6

Providetur … contagiosis fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678 allhero. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1696; GB 1707. Fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1686; GB 1695. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688 Merdloch. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis.

RKG Nr. 169 1666 August (3) 13

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spätere Editoren gedankenlos übernahmen. Von einer Zusammenarbeit mit der Reichsstadt Speyer sprach der Gemeine Bescheid nicht. Aus älteren Vorbildern übernommen war dagegen das Verbot, Seuchenflüchtlinge im eigenen Haus aufzunehmen oder sogar Anreize für den Zuzug nach Speyer zu setzen. Womöglich schätzte das Gericht die Gefahrenlage diesmal als nicht so bedrohlich ein. Jedenfalls zeigt der Vorbehalt richterlicher Erlaubnis, dass im Einzelfall Ausnahmen nicht ausgeschlossen waren. Den Fortgang der Sache behandelten die Gemeinen Bescheide vom 7. September 1666, 5. Oktober 1666 und 22. Januar 1667 (unten RKG Nr. 170-172).

RKG Nr. 169 1666 August (3) 131 [Memoriale. Für deß hochlöblichen Kaiserlichen Cammergerichts Pedellen.]2 § 1. Die feriato in iuridicum incidente audientia sequenti die celebrator. § 2. Coram deputato hactenus acta in posterum in audientia ordinaria certo modo et consueto loco proponuntor. § 3. Procuratores in familia sua habentes mortuos vel aegrotos quomodo se ab audientiis interim excusent. § 4. Partes litigantes, sollicitatores, nuntii et similes per quos interim agere et solicitare, vel ubi demorari debeant.3 § 1.4 Durch den Kayserlichen Cammergerichts Pedellen ist5 denen sämbtlichen Procuratoren aus Befelch eines hochlöblichen Collegii mündlich anzudeuten, wann fürterhin ein Feyertag auf einen Gerichtstag einfället, daß alsdann die Audientz biß auff weitere Verordnung nicht anticipirt noch auch folgenden Tags deßwegen gehalten werden solle. § 2. Item: Daß ermeldte [Herren]6 Procuratores diejenige Recess und Handlungen, welche bißhero coram Domino Deputato vorgetragen worden, in die andere Ordnung, wohin sie sich am besten fügen werden, hinführo einbringen sollen. Dafern aber einen oder andern solche Ordnung nicht erreichen möchte und dannoch ob morae periculum coram Domino Deputato zu recessiren nöthig7 wäre, so 1 2 3 4 5 6 7

GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 nur 3. Augusti; dagegen GB 1710; GB 1717 (3.) 13. Augusti eodem (= 1666). Memoriale … Pedellen in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; fehlt in GB 1710. § 1 … debeant fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710. GB 1695; GB 1696; GB 1707 ohne §§-Zeichen, nur Ziffern. Durch … ist fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707. In Anlehnung an Hn. Hn. in GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1686. Nach GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 nöth.

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RKG Nr. 169 1666 August (3) 13

soll solches finita Audientia nicht mehr an dem Tisch, sondern in der gewöhnlichen Stell wie andere Sachen gleichwohl vorgebracht werden. § 3. [Ferner:]1 Wo einige der [Herren]2 Procuratoren mit Krancken oder Abgestorbenen von Gott dem Allmächtigen in ihren Behaußungen an Gesind oder andern zugehörigen Persohnen heimgesucht wären, sollen dieselbe sowohl als ihre Protocollisten und Scribenten3 auff vorhergehende Entschuldigung sich der Audientz eine Zeitlang enthalten und unterdessen ihr Amt durch andere Procuratoren, wie sonsten vielfältig beschicht, verrichten lassen. § 4. Wie dann die Pedellen nicht weniger fleißige Achtung geben sollen, daß keine Partheyen, Sollicitanten, Botten und dergleichen in die Audientzstuben eingelassen werden, und sollen auch dieselbe in dem Rathhoff, vor der Rathstuben, Cantzley und Leserey sich nicht einfinden lassen, weniger ihre Proceßsachen bey ihrer fürstlichen Durchlaucht, dem4 Herrn Cammerrichtern, oder denen Herren Praesidenten und Assessoren in den Wohnhäusern oder auff der Gassen sollicitiren, sondern dieses alles ihren Procuratoren mit Bescheidenheit zu verrichten überlassen: Gestalten ermeldte [Herren]5 Procuratores ihre allhier anwesende Partheyen oder deren Sollicitanten hiervon ernstlich abmahnen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 914 Nr. CCCCXXVII. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 3; GB 1671 Suppl., S. 3-4; GB 1678, S. 55-56; GB 1686, S. 55-56; GB 1688, S. 52; GB 1695, S. 133-134; GB 1696, S. 133-134; GB 1707, S. 133-134; GB 1710, S. 144-145 Nr. CLXVI; GB 1714, S. 83-84 Nr. CLXX; CJC 1717, S. 83-84 Nr. CLXX; GB 1717, S. 83-84 Nr. CLXX; GB 1724, S. 144-145 Nr. CLXVI. Anmerkung: Die Quelle ist als kurze Dienstanweisung an den Reichskammergerichtspedellen formuliert. Lediglich das Ende von § 4 ließe sich als Verfügung gegenüber den Prokuratoren verstehen. Dennoch handelte es sich aus der Wahrnehmung der Zeitgenossen um einen Gemeinen Bescheid. Georg Melchior von Ludolff begnügte sich mit dem üblichen knappen Hinweis „G. B.“. Und auch die kurz nach dem Erlass zusammengestellte Sammlung GB 1665 Suppl. sprach zwar von einem Memorial, führte die Vorschrift aber doch unter den Gemeinen Bescheiden auf. Falls es sich um einen Gemeinen Bescheid im engeren Sinne gehandelt haben sollte, spricht der Wortlaut für ein Verkündungsverfahren, das in den älteren Bestimmungen so nicht zu Tage trat. Es war nämlich nicht das richterliche Personal oder der Protonotar, der die Verfügung in der Audienz verkündete oder womöglich den Prokuratoren schriftlich übermittelte. Dementsprechend fehlt auch die ansonsten in dieser Zeit übliche Unterschrift des Protonotars. Stattdessen richtete sich der Gemeine 1 2 3 4 5

GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. In Anlehnung an Hn. Hn. in GB 1665 Suppl.; GB 1678. Und Scribenten fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. In Anlehnung an Hn. Hn. in GB 1665 Suppl.; GB 1678.

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Bescheid an die Pedellen, also an die Gerichtsdiener. Sie sollten die Anweisungen zugleich den Anwälten weiterleiten, § 1. Zugleich fielen wenigstens einige der geregelten Aufgaben offenbar zugleich in den Tätigkeitsbereich der Pedellen. Schon § 1 macht das deutlich. Das Kameralkollegium sah sich hier in der angenehmen Lage, die Zahl der Audienzen weiter herabzusetzen. Wegen Feiertagen sollten fortan keine öffentlichen Audienzen mehr verschoben werden müssen. Sie fielen einfach aus. Wenn das Gericht mit dieser Mitteilung an die Prokuratoren zugleich den Pedellen betraute, mag das daran liegen, dass es zu seinen Aufgaben gehörte, die Audienzräume vorzubereiten. Freilich waren die älteren Vorschriften über die Audienztermine immer unmittelbar an die Prokuratoren ergangen. § 2 behandelte die Abgrenzung von Deputationssachen zu den regulären Umfrageordnungen. Offenbar war das Kameralkollegium bestrebt, die Termine vor den Deputierten im Anschluss an die Audienzen so knapp wie möglich zu halten. Jedenfalls sollten die Prokuratoren ihre Anliegen soweit möglich in den voll besetzten Audienzen anbringen. Lediglich in besonders dringlichen Fällen oder bei deutlichen Verzögerungen in den normalen Audienzen durften sie weiterhin auf den Deputatentermin ausweichen. Im Gegensatz zu älteren Bestimmungen sprach das Gericht beim Deputatentermin inzwischen nur noch im Singular. Möglicherweise gab es also gar keinen Ausschuss von Assessoren mehr, die nach Audienzende noch die Beweisfragen und anderes erörterten. Vielleicht war inzwischen nur noch ein einzelner Assessor damit beschäftigt. Der Wortlaut legt das jedenfalls nahe. Zugleich bekräftigte § 2 die starren Verhaltensnormen innerhalb der Audienz. Mit der sog. gewöhnlichen Stelle griff der Bescheid jedenfalls ältere Formulierungen auf, die sich mit der Ordnung innerhalb der Audienz beschäftigten. Die Prokuratoren hatten feste Plätze und sollten sie nicht verlassen (z. B. Gemeiner Bescheid vom 30. Oktober 1655 § 10; oben RKG Nr. 127). Ob der Pedell darüber zu wachen hatte und deswegen der Bescheid zunächst an ihn erging, ist unklar. Die Reichskammergerichtsvisitation von 1713 war später nicht bereit, Änderungen „wegen der Handlung coram Deputatis“ hinzunehmen. Das Visitationsmemorial vom 27. November 1713 schrieb fest, die Auslegung des Gemeinen Bescheides solle sich ganz an der Reichskammergerichtsordnung von 1555 („Part. §. Tit. II per totum“), am Memorial für die Richter von 1584 sowie am Jüngsten Reichsabschied (§§ 38, 94, 103 JRA) ausrichten (Anlage A in GB 1724, S. 244). Mit der Teilnahmepflicht an den Audienzen beschäftigte sich § 3 des Gemeinen Bescheides. Er räumte denjenigen Assessoren, die innerhalb ihres Hauses Todesfälle zu beklagen hatten, eine gewisse Trauerzeit ein und befreite sie und ihre Mitarbeiter für diese Dauer von ihren Amtspflichten, insbesondere von der Teilnahme an den Audienzen. Eine schriftliche Anzeige blieb allerdings wie auch in anderen Abwesenheitsfällen erforderlich (z. B. Gemeine Bescheide vom 23. Dezember 1551 und 30. August 1558; oben RKG Nr. 45 und 52). Außerdem sollte es nicht zu Prozessverzögerungen kommen. Deswegen mussten die Substituten tätig werden. § 4 war dagegen wieder deutlich als Amtspflicht des Pedellen ausgestaltet. Der Sache nach ist die Regelung schwer verständlich. Sie zielt ihrem klaren Wortlaut nach nämlich darauf ab, den öffentlichen Audienzbetrieb ganz erheblich zurückzuschneiden und die Teilnahme lediglich auf das Gerichtspersonal und die Prokuratoren zu begrenzen. Die Regelung wiederholte zum einen die Verbote aufdringlicher Sollizitaturen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder

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verkündet wurden (zuletzt im Gemeinen Bescheid vom 5. Dezember 1661, oben RKG Nr. 157). Zum anderen enthielt sie mit der Beschränkung der Audienzen eine geradezu umstürzende Neuerung. Alle Berichte und auch zeitgenössische bildliche Darstellungen betonten die Öffentlichkeit der kammergerichtlichen Audienzen. Jetzt sollte der Pedell plötzlich darüber wachen, dass keine Parteien, Sollizitanten und Boten in der Audienzstube anwesend waren. Im Zusammenhang mit dem Kampf gegen ungebührliche Sollizitationen mochte diese Vorschrift sich nur auf diejenigen Parteien und Sollizitanten bezogen haben, deren Fälle am entsprechenden Tag zur Sprache kamen. Das ist aber wenig wahrscheinlich. Erstens dürfte es bei der Vielzahl der in den Audienzen rezessierten Sachen für den Pedellen nicht möglich gewesen sein, das persönliche Interesse jedes Audienzbesuchers so genau zu bestimmen. Zum anderen dürfte eine Privatperson und auch ein Sollizitant ohnehin nur diejenigen Audienzen besucht haben, in denen es um seinen eigenen Rechtsstreit ging. So stand am Ende doch der Versuch, die Öffentlichkeit der Audienz abzuschaffen. Der Pedell sollte im Rahmen seiner Amtsbefugnisse die Zuschauer aus dem Saal weisen. Ob diese Vorschrift jemals zur Anwendung kam, ist höchst ungewiss. Immerhin handelt es sich aber um eine normative Quelle, die zeigt, wie einschneidend die Assessoren die Gerichtsverfassung und das Prozessrecht durch Gemeine Bescheide zu ändern versuchten.

RKG Nr. 170 1666 September 7 [Decretum.]1 Contagioni grassanti providetur.2 Demnach wegen deren eine Zeithero hin und wieder grassirenden Seuchen zwischen einem hochlöblichen Collegio Camerali und einem e[hrsamen] Rath hiesiger Stadt Speyer verschiedene Conferentien und Schickungen gepflogen worden und dabey allerhand diensame Vorschläg geschehen, vermittelst deren man diß Orts von denen einreissenden beschwerlichen Kranckheiten nechst Göttlicher Gnad befreyet bleiben möchte, ein e[hrsamer] Rath auch dem gemeinen Wesen zum Besten hiezu alle gute Anstalt zu machen und zwar unter andern die Verordnung zu thun, sich gutwillig erbotten, daß nemlich keine von einigen wegen3 der grassirenden Seuchen verdächtigen Orten ankommende Persohnen noch auch dergleichen Waaren in 1 2 3

GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; fehlt in GB 1710. Contagioni … providetur fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. Fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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diese Stadt eingelassen, hiesigen Bürgern die Märckte und Meßen solcher Orten zu besuchen ernstlich verbotten, die Schwein salva venia förderlich aus der Stadt geschafft, kein Urin auff offene Gassen geschüttet, auch sonsten alle Unsauberkeit von dannen hinweg geraumet, sonsten aber gewisse und gnugsame Leuth zu Abwartung der Krancken angeordnet, auch, wo solche anzutreffen und was ihnen für Lohn zu geben, kund gemacht werden solle. § 1.1 Sonderlich aber, daß diejenige Persohnen, welche in denen Häußern, worinnen eines oder mehr an solchen gefährlichen Seuchen gestorben oder bekanntlich kranck liegen, wohnhafft sind, sich wie bißhero im widrigen verspühret worden, soviel möglich, anderer Leuth entäussern. Hingegen denenselben, damit sie keinen Mangel erleiden, durch gewisse hierzu verordnete Persohnen nach Nothdurfft an Hand gegangen, die außgestorbene Häußer aber gäntzlich verschlossen, sodann über eines jeden Verstorbenen gehabten Zustand eigentliche Nachricht eingezogen und mit denenjenigen, welche jeweilen sehr geschwind aus dieser Welt verscheiden, der öffentlichen Leichbegräbnuß halben ein Unterschied gehalten werden soll. § 2.2 Als wird allen vermeldten Kayserlichen Cammergerichts anverwandten Persohnen hiemit ernstlich anbefohlen, daß sie oberwehnter allerseits beliebten, sie selbsten mit concernirenden Verordnung sich ihres Theils auch aller Möglichkeit nach gleicher gestalt gemäß verhalten und widrigenfalls ohnfehlbar gewärtig seyn sollen, daß gegen sie mit ohnaußbleiblichem scharffen Einsehen verfahren werde. Decretum in Consilio pleno, den 17.3 Septembris Anno4 1666. Johannes Nicolaus Becht, Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae5 Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 914-915 Nr. CCCCXXVIII. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 4; GB 1671 Suppl., S. 4; GB 1678, S. 56; GB 1686, S. 56; GB 1688, S. 52-53; GB 1695, S. 134-135; GB 1696, S. 134-135; GB 1707, S. 134-135; GB 1710, S. 146-147 Nr. CLXVII; GB 1714, S. 84 Nr. CLXXI; CJC 1717, S. 84 Nr. CLXXI; GB 1717, S. 84 Nr. CLXXI; GB 1724, S. 146-147 Nr. CLXVII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid knüpft an die wenig ältere Regelung vom 18. Mai 1666 an (oben RKG Nr. 168). Mit einem zeitlichen Abstand von nicht einmal vier Monaten dürfte es sich noch um dieselbe Seuche gehandelt haben. Die Quelle belegt, wie eng das Reichskammergericht in policeylichen Angelegenheiten mit dem Rat der Stadt Speyer zusammenarbeiten konnte. Es gab 1 2 3 4 5

§ 1 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. § 2 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710: GB 1724 7. Fehlt in GB 1665 Suppl. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl. Judicii Camerae Imperialis.

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RKG Nr. 171 1666 Oktober 5

eine gemeinsame Lagebesprechung, und daraufhin kündigte die Stadt an, eine Verordnung zum Seuchenschutz zu erlassen. Das Kameralkollegium verwies für seine Gerichtsangehörigen darauf und übernahm auf diese Weise eine städtische Policeyvorschrift. Wegen der Befreiung der Gerichtsmitglieder von der städtischen Obrigkeit war ein anderer Weg nicht gangbar (Einzelheiten in der Einleitung ab Anm. 359). Den Fortgang der Seuchenbekämpfung zeigen die Gemeinen Bescheide vom 5. Oktober 1666 und 22. Januar 1667 (unten RKG Nr. 171-172).

RKG Nr. 171 1666 Oktober 5 Personae vel domus lue contagiosa infectae a frequentatione cancellariae et sollicitatura Camerae plane abstinento. Demnach Henrich Spanmann ohnerachtet dessen hiesige Wohnung seiner selbst eigenen Bekandtnuß nach mit der Contagion inficirt ist, bey dieses Kayserlichen Cammergerichts Cantzley sich persöhnlich anzugeben kein Scheu getragen, solches aber denen ohnlängsthin so schrifft- als mündlich beschehenen Verbotten, zumalen dem am 7. Septembris jüngsthin denen sämbtlichen Cameralen (worunter in diesem Fall die Partheyen und Sollicitanten gleicher gestalt gemeynt) ertheilen Decreto schnurstracks zuwider lauffet, indeme außtrücklich darin enthalten, daß diejenige Persohnen, welche in denen Häußern, worinnen eines oder mehr an solchen gefährlichen Seuchen gestorben oder bekantlich kranck liegen, wohnhafft seynd, sich soviel möglich anderer Leuthen entäussern sollen, als wird ihme Spanmann bey Straff des weissen Thurns hiemit anbefohlen, daß er deme nicht allein also gehorsamlich nachkomme, sondern auch gedachter Cantzley und deren Vorgemachs wie nicht weniger des Rathhoffs und Cameralhäußern sich gäntzlich enthalten und, was er zu sollicitiren, seinem Advocaten und Procuratorn, wie sichs ohne das gebührt, überlasse und demnechst sich ohnverzüglich wiederum aus hiesiger Stadt begebe. Decretum in Consilio [pleno]1, den 5. Octobris Anno 1666. Vorlage: CJC 1724, S. 915 Nr. CCCCXXIX. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 84-85 Nr. CLXXII; CJC 1717, S. 84-85 Nr. CLXXII; GB 1717, S. 84 Nr. CLXXII; GB 1724, S. 208 Nr. CCVII; fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710.

1

GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

RKG Nr. 172 1667 Januar 22

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Anmerkung: Der Bescheid gehört zur Gruppe der zwischen dem 18. Mai 1666 und dem 22. Januar 1667 erlassenen Verfügungen zur Seuchenbekämpfung (RKG Nr. 168, 170-172). Dem Wortlaut nach handelte es sich in diesem Fall um eine reine Einzelfallregelung. Der genannte Heinrich Spanmann, wohl eine Partei oder ein Sollizitant, hatte gegen den Gemeinen Bescheid vom 7. September 1666 verstoßen. Das Reichskammergericht wies ihn streng auf die beschlossenen Vorsichtsmaßnahmen hin. Da er offenbar in einem Haus lebte, in dem die Seuche ausgebrochen war, durfte er weder die Diensträume des Reichskammergerichts noch die Wohnhäuser der richterlichen Mitglieder betreten. Bei nochmaligem Verstoß drohte ihm der Weiße Turm. Damit war wohl ein mittelalterliches Stadttor der Reichsstadt Speyer gemeint, nämlich das Weiße Tor, auch Rheinpörtel genannt. Interessant ist das deshalb, weil die Stadt Speyer nicht diesen Stadtturm, sondern einen anderen Turm namens Altpörtel als Verlies und Gefängnis nutzte. Falls es sich nicht um eine bloße Falschbezeichnung handelte, scheint das Reichskammergericht für Ordnungsstrafen also einen anderen Haftraum genutzt zu haben als die Stadt Speyer selbst. Dafür spricht eine bereits ältere Reichskammergerichtsentscheidung vom 31. Juli 1560. Damals hatte das Gericht ebenfalls eine Person in den Weißen Turm geworfen und ließ sie gegen eine Hafturfehde wieder frei (bei Seiler 1572, S. 514-515). An keiner Stelle deutet der Text von 1666 auf eine allgemeine Anordnung hin. Lediglich die Überschrift verlieh der Verfügung die generelle Geltung. Dementsprechend haben die zeitgenössischen Sammlungen den Erlass auch unproblematisch als Gemeinen Bescheid angesehen (zur Seuchenbekämpfung auch die Einleitung bei Anm. 361-369). Dennoch fehlt die Vorschrift in vielen Druckausgaben.

RKG Nr. 172 1667 Januar 22 Prorogationes vacantiae ultra 6 septiman[as] et trium mensium spatium tempore hoc contagioso remittente1 cessanto. Demnach wegen der in hiesiger Stadt Speyer eingerissener und eine Zeithero grassirter Contagion man sich bey dem Collegio Camerali hieselbsten am 26. Octobris des nechstverwichenen 1666sten Jahrs eines Gemeinen Conclusi, wie ungern man auch darzu kommen, endlichen dahin verglichen, daß einem jeden Assessorn über die vermög der Ordnung competirende Zeit der 6 Wochen noch auff 3 Monath lang und zwar ohne Abgang der Ordinaribesoldung von hieraus zu weichen und sich anderwerts auffzuhalten erlaubt seyn solle, darauff der mehrere Theil zwar bey der Stell und ihren Ambtsverrichtungen verblieben, einige aber sich solchen Conclusi 1

Nach GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 renatente.

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RKG Nr. 172 1667 Januar 22

bißhero ihrer Gelegenheit nach bedienet, auch nunmehro um Prorogation obiger mit gewisser Maaß zugelassener Zeit angesucht: Man aber (wovor Gott dem Allmächtigen Lob und Danck zu sagen) eine Zeithero wargenommen, daß gedachte Seuchen sowohl allhier als auch anderer Orten mercklich nachlassen und die verlangte Besserung täglich mehr und mehr fürscheine, dabeneben auch nicht wenig zu befahren, daß durch Bewilligung der gesuchten Prorogation, davon die allhier verbliebene Assessores nicht außgeschlossen werden könten, dieses Gericht, wann dieselbe sich solcher Zeit auch gebrauchen würden, leichtsam zu gäntzlicher dem Heiligen Römischen Reich höchstschädlicher Trenn- und Zerrüttung gerathen dörffte: Als ist nach reiffer Uberlegung solcher der Sachen Bewandnuß und wegen allerhand befahrender schweren Inconvenientzien nunmehro hiemit geschlossen worden, daß einen fernern Absprung von der Cammergerichtsordnung und denen Reichssatzungen zu nehmen sich nicht thun lässet, sondern es bey denselben und üblichem Herkommen nach verflossenen oberwehnten Monathen fürterhin sein Verbleiben haben, die tägliche Rathsgäng auch vom ersten nechstkünfftigen Monaths Februarii an wie zuvor diß Orts ohnunterbrochen wiederum gehalten und dieser Schluß denenjenigen Assessoren, welche obgedachte Prorogation gesonnen, um sich darnach zu richten, förderlichst communiciret werden solle. Conclusum 22. Januarii Anno 1667. Johannes Nicolaus Becht, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 915 Nr. CCCCXXX. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 85 Nr. CLXXIII; CJC 1717, S. 85 Nr. CLXXIII; GB 1717, S. 85 Nr. CLXIII; GB 1724, S. 208-209 Nr. CCVIII; fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich wie drei weitere Verfügungen zwischen dem 18. Mai 1666 und dem 5. Oktober 1666 (oben RKG Nr. 168, 170-171) mit einer in der Stadt Speyer ausgebrochenen Seuche. Im Gegensatz zu Seuchenfällen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts (Gemeine Bescheide vom 3. November 1542, 18. November 1542, 22. Dezember 1542; oben RKG Nr. 40-42) stand eine Unterbrechung der Gerichtstätigkeit oder gar eine Verlegung wegen Seuchengefahr längst nicht mehr in Frage. Immerhin hatte das Kameralkollegium den Assessoren am 26. Oktober 1666 einen dreimonatigen bezahlten Sonderurlaub gewährt. Die überkommene Urlaubsregelung von 1661 (dazu auch Gemeiner Bescheid vom 17. August 1661; oben RKG Nr. 153) war damit für einen Sonderfall außer Kraft gesetzt. Das vom Gericht erwähnte Gemeine Conclusum ist weder im Corpus Juris Cameralis noch in den zeitgenössischen Sammlungen Gemeiner Bescheide überliefert. Offenbar erging die Urlaubsgewährung daher in anderer Weise als die Ankündigung, mit Wirkung vom 1. Februar 1667 wieder zum geregelten Gerichtsbetrieb zurückzukehren. Auch aus einem weiteren Grund fällt der Gemei-

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ne Bescheid aus der Reihe. Er richtete sich ausschließlich an Assessoren, vor allem sogar an solche, die sich zu dieser Zeit nicht in Speyer aufhielten. Sowohl der Empfängerkreis als auch die Art der Bekanntgabe unterschieden sich daher vom gewöhnlichen Verfahren (weitere Einzelheiten in der Einleitung bei Anm. 153-187).

RKG Nr. 173 1667 März 231 Puncta emendata quaestori observanda.2 Demnach wegen allerhand bey dem Reich vorfallende Verhinderungen dieses Kayserlichen Cammergerichts Pfenningmeisterey-Rechnungen jährlichs nicht, wie es bey der Ordnung versehen, abgehört werden mögen, sondern lange Jahren und zwar ohne einige Gegenschreiberey anstehen bleiben müssen und dann aus denen wandelbaren und ungewissen Designationen, so jetziger Pfenningmeister Gießbert de Maere zu Zeiten übergibt, kein eigentlicher Status der Einnahm und Außgab formiret werden kan, er auch die ohne das langsam einkommende Unterhaltungsgelder in die verordnete Truhen einzulegen und den Lesern die Gegenschreiberey zu gestatten, bißhero nicht zu vermögen gewesen, des Heiligen Römischen Reichs Churfürsten, Fürsten und Ständen aber sonderlich daran gelegen, daß solche Gelder zu deme, wozu sie gewidmet, würcklich und zu rechter Zeit angewendet und nicht zu anderwertigen Nebenassignationen und Privatwechselhändeln gebraucht werden, als hat das Kayserliche Cammergericht zu Verhütung deren Confusionen, so bey so gestalten Dingen leichtlich einschleichen können, und daß dißfals auf demselben nichts Verantwortliches ersitzen bleibe, eine unumgängliche Nothdurfft erachtet, nachgesetzte aus der Ordnung, Reichs- und Visitationsabschieden, Memorialien, Pfenningmeistersinstruction und hiebevorn erhaltene Decreten gezogene und bißhero nicht observirte Puncten zusammen zu bringen und dem Pfenningmeister, sich denen ohne fernere Außflüchten schnurstracks zu bequemen, zustellen zu lassen. § 1. Erstlich soll er der am 1. Septembris Anno 1659 Art. 5. ertheilter Verordnung gemäß nicht allein die Unterhaltungsgelder in Particularwechselhändel einzumischen, zu verwechseln, außzuleihen, andere Handthierung damit zu treiben oder denjenigen, so dieselbe zu erlegen Befelch haben, längeren Frist mit oder ohne Genuß zu verstatten, sondern auch alles Wechseltreibens, es seye mit Christen oder mit 1 2

GB 1724, S. 244, mit anderer Jahreszahl 1669. Ebenfalls in GB 1717.

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Juden (als wordurch gefährliche Inconvenientzien am allermeisten veranlasset werden können) sich inskünfftig gäntzlich enthalten und mit seiner verordneten Besoldung ohne Suchung nebenseitigen Vortheils vergnügen lassen. § 2. Zum Andern soll er zufolge der Ordnung die eingehende Gelder in die darzu verordnete Truhen, ohne dieselbe über Nacht in seinen Händen und Gewalt zu behalten, unverzüglich einzulegen, die Leser auch jedesmahls, wann etwas einzulegen oder außzunehmen, dabey zu seyn, wie viel und in was Sorten, Werth, Gewicht, Jahr, Monath und Tag es eingelegt und wieder heraus genommen wird, in ihren sonderlichen Registern als Gegenschreiber fleißig auffzuschreiben ferner nicht unterlassen. § 3. Und damit drittens die Unterhaltungsgelder nicht mehr, wie man bißhero unterschiedlich geschehen zu seyn verspühret, in frembde Händ gespielet und wohl gantze und mehr Jahr unverrechnet und undistribuirt zurückgehalten werden, als soll der Pfenningmeister diejenige Gelder, so er nicht selber einnimbt, nirgends als an die bey den Reichssatzungen verordnete Legstädt und in dero gewöhnliche Cassa (es wäre dann mit Vorwissen dessen Deputirten) assigniren und bezahlen lassen, gedachten Legstädten und dero Cassirer auch keine andere Anweisung und Wechsel als diejenige, so zufolg des Pfenningmeisters Instruction und der Ordnung die Gelder mit wenigsten Unkosten und besten Fug zur Hand und der ordentlichen Truhen ehist und förderlichst anhero zu bringen dienen mögen, annehmen und zu dem Ende gemeldten Legstädten, daß sie die eine Zeithero hinterbliebene monathliche Uberschickung an das Kayserliche Cammergericht der Originalurkund bey ihnen eingehender Gelder mit Benennung der Zeit und Sorten wieder an Handen nehmen, zugeschrieben werden. § 4. Deme er sich auch viertens, sonderlich bey der Legstadt Franckfurt, in- und ausserhalb den Meßen bequemen und alsgleich nach Endigung derselben, sobald seine Ambtsgebühr daselbst verrichtet, ungesaumbt wieder anhero kehren, den Deputirten seiner Verrichtung mit Uberliefferung richtiger Designation aller neu- und alten Außstands eingehobener Gelder behörliche Relation erstatten und obliegender Distribution schleunig abwarten, nicht aber erst andern Particulargeschäfften nachziehen, sondern solches auff andere Gelegenheit anstellen solle. § 5. Auch zum Fünfften die Sorten und Gelder in andere ringere Müntz umbzuwechseln und darmit durch sich oder andere einige Nebennutzen zu suchen sich gäntzlich enthalten. § 6. Zum Sechsten sollen Pfenningmeister und Leser zu Verhütung befahrenden Irrthumbs und Mißverstands, was auff die neue Zieler oder alten Außstand erlegt wird, in der Truhen abgesondert halten und keines unter das andere mischen, vielweniger, was auff die neue Zieler erlegt, zu Zahlung des alten Außstands, noch hingegen, was auff die alte Außständ einkomt, zu denen neuen Zielern verwenden, zu

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dem End in den außgebenden Quittungen und bey ihren Rechnungen und Registern, was die Stände oder deren Gewalthaber auff [die]1 neue Zieler oder alte Außständ zu erlegen sich selbst ohne anderwärtige Zumuthung erklären werden, allergestalt am 1. Septembris Anno 1659 ihme aufferlegt worden, richtig, ordentlich und absonderlich außwerffen, distinguiren und unterscheiden. § 7. Siebendens, weilen die Distribution deren auff die alte Außstände eingehender Gelder durchgehends auff einen Fuß und auff eine gewisse Proportion auffs Hundert sowohl unter die noch lebende als der abgestorbenen Praesidenten, Beysitzer und der Officianten Wittiben und Erben gemacht wird, als soll auch der Pfenningmeister nicht wie bißhero unterschiedliche, sondern aus erheblichen Ursachen ein Distributionzettel darüber jedesmahl außfertigen. § 8. Zum Achten, wann einige Distribution, es sey an alt- oder neuen Außstand, vorzunehmen, soll der Pfenningmeister nicht nur seinen Deputatis den Distributionzettel vorzeigen, sondern auch den Lesern davon einige Abschrifft, um bey der Gegenschreiberey behalten zu werden, zustellen, folgends und ehender nicht die Gelder in Beyseyn gedachten Lesers mit Hinterlassung einer Specification der Sorten und Summen aus der Truhen nehmen, darauff die Zahlung ungesaumbt vornehmen, die Wittiben und Erben, auch unter was Schein es seyn mag, nicht auffhalten oder mit einiger Entgelt directe noch indirecte praegraviren, sondern innerhalb darauff folgenden 8 oder längstens 14 Tagen die unterschrieben- und quittirte Distributionszettulen mit denen, so er den Lesern, wie nechst hievorn verordnet, zugestellt, vidimiren lassen, die Leser auch, wofern in solcher Frist daran Saumnuß vorgienge, dessen zeitlich und ohnfehlbar Erinnerung thun und ihre Register der Außund Einnahm halber dergestalt einrichten, daß eines mit dem andern jederzeit eigentlich concordirt werden könne. § 9. Damit neuntens die fiscalische Anruffen zu einer durchgehenden Gleichförmigkeit gebracht werden mögen, soll der Pfenningmeister die Cammergulden, in deren Werth und Proportion mit den Reichsthalern und jetztlauffender Reichswehrung ein jeder sich nicht zu richten weiß, zu Reichsthaler reduciren und mit Zuthun des Kayserlichen Generalfiscals die Cammermatricul demnach einrichten und eine beglaubte Abschrifft davon innerhalb 14 Tagen seinen Deputatis, maßen solches bereits hiebevorn am 27. Aprilis Anno 1662 befohlen, aber bißher unterlassen worden, einlieffern. § 10. Zum Zehenden soll vielgedachter Pfenningmeister eine von seinen in triplo verfertigten Rechnungen (vor deren Expedition er die Spesen in seine Franckfurter Reißkosten einbringet) der Einnahm sowohl als Außgab halber samt darzu dienenden Urkunden jährlich dem Kayserlichen Cammergericht übergeben und ihme da1

Die in GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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selbsten in guter Verwahr gehalten und, wann er deren vonnöthen haben wird, wieder außgefolgt zu werden, unterdessen aber sich in nöthigem Fall darin Berichts zu erholen. § 11. Endlich soll er alle Wochen und zwar am Montag oder, wann Feyertag einfiele, am folgenden Tag sich mit dem Kayserlichen Generalfiscal bey Endigung des Rathgangs einfinden, seinen Deputatis, was vor Gelder oder Nachricht einkommen, schrifftliche Relation thun und hinterlassen und was ihme vorzuhalten und zu erinnern vonnöthen seyn wird, mit Gedult und geziemendem Respect anhören, im Übrigen aber bey seinen Distributionen die pflichtmäßige Gleichheit halten, auch keine ungiebliche halbe Batzen und andere leicht und unbekante Müntz in Papier eingemacht und ungezehlt obtrudiren, sondern deßfalls und in allen anderen sich seiner Instruction und hiebevor außgangenen, bevorab gegenwärtiger Verordnung gemäß verhalten und eigenthümlich nachleben mit dem Anhang, wo er in einem oder andern hieroben specificirten Puncten denen nicht nachkommen oder dawider gehandelt zu haben befinden wird, daß er in die Straff ein Mark löthiges Golds vor das erstemahl verfallen, sonsten aber schärfferen Einsehens soll gewärtig seyn. Decretum in Consilio pleno, 23. Martii 1667. Frantz1 Hieronymus Mertloch, Dr., Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 915-917 Nr. CCCCXXXI. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 85-88 Nr. CLXXIV; CJC 1717, S. 85-88 Nr. CLXXIV; GB 1717, S. 85-88 Nr. CLXXIV; GB 1724, S. 210-214 Nr. CCIX; fehlt in GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich mit eingehenden Kammerzielern, ihrer Aufbewahrung und Verteilung. Das Gericht schlug darin einen gänzlich neuen Ton an. Schon in den Vorjahren hatte es immer wieder Gemeine Bescheide gegeben, die den Unterhalt des Gerichts betrafen, zuletzt am 5. Juli 1664, 7. November 1664 und 7. Juli 1665 (oben RKG Nr. 163, 164 und 167). Diese älteren Bescheide hatten vor allem zwei Stoßrichtungen. Zum einen mussten die Prokuratoren ihre reichsständischen Mandanten zur Zahlung der fälligen Gelder auffordern. Zum anderen traf das Kameralkollegium Vorkehrungen für die fiskalische Eintreibung der ausstehenden Summen. Nunmehr drehte sich der Spieß um. Inzwischen hatten einige Reichsstände Zahlungen geleistet. Der Pfennigmeister jedoch, der für derartige Angelegenheiten zuständig war, erwies sich nicht in der Lage, die Gelder ordnungsgemäß zu verbuchen und aufzubewahren. Das Kameralkollegium befürchtete offenbar Ärger von Seiten derjenigen Reichsstände, die ihre Kammerzieler inzwischen geleistet hatten. Insbesondere hakte es mit den jährlichen Rechnungslegungen des Pfennigmeisters (dazu auch die Gemeinen Bescheide vom 5. Dezember 1671 und 1. März 1672; unten 1

GB 1724 Franciscus.

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RKG Nr. 185-186). Auch die vorgesehene Gegenzeichnung fand nicht statt. Die Ursachen dafür sind nicht bekannt. Möglicherweise hatte es in den zurückliegenden Jahren so geringe Zahlungseingänge gegeben, dass große Abrechnungen sich nicht gelohnt hatten. Das würde jedenfalls zu den vielfachen Ermahnungen in Form von Gemeinen Bescheiden passen. Das Kammergericht erhob indes schwere Vorwürfe gegen den Pfennigmeister Gießbert de Maere (zu ihm auch Gemeiner Bescheid vom 10. April 1669; unten RKG Nr. 178). Seine Abrechnungen waren demnach „wandelbar“ und ungewiss. Er legte keine ordnungsgemäßen Einnahme- und Ausgabenrechnungen vor, und vor allem verwahrte er die Unterhaltungsgelder nicht in der dafür vorgesehenen Truhe. Auch die Gegenzeichnung der Leser, gleichsam eine förmliche Kontrolle des Pfennigmeisters, unterblieb. Statt dessen, so sind die Andeutungen zu verstehen, hatte der Pfennigmeister die eingegangenen Kammerzieler benutzt, um damit private Geldgeschäfte zu tätigen. Durch Wechsel und andere Transaktionen hatte er sich auf diese Weise zumindest Zinsvorteile verschafft. Eindeutige Unterschlagungen konnte man de Maere wohl nicht vorwerfen. Die Einleitung des Gemeinen Bescheids wirkt dennoch widersprüchlich. Auf der einen Seite warf man de Maere schwere Amtsverstöße vor und brandmarkte ihn dauerhaft, indem man ihn im Prinzipium des Gemeinen Bescheids verewigte. Auf der anderen Seite fehlte jeder Hinweis auf eine verhängte Ordnungsstrafe. Vielleicht hielten sich die Amtspflichtverletzungen also doch in Grenzen. Möglicherweise waren sogar Assessoren an den Finanzgeschäften mitbeteiligt und hatten ebenfalls Gewinne abgeschöpft. Jedenfalls hielt das Kameralkollegium es für geboten, eine Pfennigmeisterordnung zu erlassen, die sich nahezu ausschließlich um die eingehenden Unterhaltungszahlungen drehte. Die Rechtsquellenlage unterschied sich hier leicht von der Situation bei Assessoren und Prokuratoren. Zusätzlich kannte das Reichskammergericht nämlich die im Text erwähnten Pfennigmeisterinstruktionen. Auch die in § 1 genannte Verordnung vom 1. September 1659 zählte wohl dazu. Sie erging nicht als Gemeiner Bescheid und ist auch nicht in Ludolffs Corpus Juris Cameralis überliefert. 1667 entschied sich das Gericht dann für einen Erlass in Form eines Gemeinen Bescheids. Gleich § 1 untersagte dem Pfennigmeister sämtliche Wechsel- und Darlehensgeschäfte sowohl mit Christen als auch mit Juden. Ein judenfeindlicher Hinweis fehlte an dieser Stelle nicht, auch wenn er in Klammern nachgeschoben war. Der Pfennigmeister durfte sein Festgehalt nicht durch eigene Geschäfte mit den eingehenden Zahlungen aufbessern. Ebenfalls war es verboten, den Schuldnern längere Zahlungspflichten zu gewähren. Vielmehr sollte alles strikt nach den Vorgaben ablaufen. § 2 hielt den Pfennigmeister an, die eingehenden Gelder unverzüglich in die dafür vorgesehene Truhe einzulegen und nicht bei sich zu Hause zwischenzulagern. Die Gefahr privater Missbräuche war sonst wohl zu hoch. Deswegen sollte der Pfennigmeister auch einer feinmaschigen Kontrolle durch die Leser unterliegen. Alle Ein- und Auszahlungen sollten die Leser getreulich protokollieren und in eigenen Registern verzeichnen. Nach § 3 hatte der Pfennigmeister einige Gelder teilweise für über ein Jahr nicht vorschriftsmäßig in die Kasse eingelegt. Hierbei gab es aber ein Problem, das die Vorschrift auch benannte. Nicht in jedem Fall zahlten die Reichsstände ihre fälligen Kammerzieler nämlich direkt an das Reichskammergericht. Vielmehr gab es Legstädte, also Orte, an denen die Reichsstände ihre Verpflichtungen ebenfalls erfüllen konnten, insbesondere Frankfurt am Main (gemäß RKGO

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1555 1, 40, 2 daneben auch noch Augsburg und Nürnberg). Die Schatzmeister dieser Städte durften die eingehenden Kammerzieler annehmen und quittieren und sollten dann monatlich die vorhandenen Gelder an das Reichskammergericht weiterleiten. Die Formulierung war hier etwas unklar. Möglicherweise genügte sogar eine monatliche Rechnungslegung der Legstädte, während sie die Gelder selbst kostengünstig auf andere Weise und vielleicht dementsprechend nicht ganz so häufig übermitteln durften. Mindestens diese Originalbelege musste der Pfennigmeister zu Gesicht bekommen und durfte den Legstädten ihre Verpflichtung auch nicht erlassen. Die besondere Bedeutung Frankfurts als Legstadt unterstrich auch § 4. Schon die Reform des Kammerzielers hatte die zwei Frankfurter Messen in die Berechnung der beiden jährlichen Zahlungstermine des Kammerzielers eingebunden (dazu Gemeine Bescheide vom 2. Januar 1656, 6./16. Februar 1657 und 4. Dezember 1658; oben RKG Nr. 129, 133 und 137). Offenbar erfolgten in Frankfurt durchaus nennenswerte Zahlungen mehrerer Reichsstände. Jedenfalls reiste der Pfennigmeister mehrmals pro Jahr dorthin. Der Gemeine Bescheid legte Wert darauf, dass der Pfennigmeister pünktlich zurückkehrte und sofort seine Dienstgeschäfte wieder aufnahm. Die Verlockung, die gezahlten Summen in schlechtere Münzen umzutauschen, scheint erheblich gewesen zu sein, wie das Verbot von § 5 belegt. Das einmal ausgegebene Ziel, sämtliche eingehenden Kammerzieler im selben Münzfuß zu berechnen oder gar in Form einheitlicher Gulden zu bezahlen, hatte das Gericht zwischenzeitlich wohl aufgeben müssen. Auf diese Weise waren die Münzen, die das Reichskammergericht erhielt, im modernen Sinne keine vertretbaren Sachen. § 6 schrieb dem Pfennigmeister daher vor, Zahlungen nach den alten Anschlägen von denjenigen auf laufende aktuelle Verpflichtungen getrennt aufzubewahren. Trotz einer Schatztruhe ging es also darum, die Kammerzieler nach Territorien und Daten getrennt zu lagern. Genau darüber sollte es auch Quittungen geben. Nach einer ebenfalls einheitlich geführten Liste sollte der Pfennigmeister die auf die Altforderungen eingegangenen Gelder sodann auf die lebenden Gerichtsmitglieder sowie die Hinterbliebenen ehemaliger Kameralen verteilen. Hierfür gab es Prozentsätze, wie § 7 klarstellte. Mit den Offizianten spielte die Vorschrift wohl allgemein auf sämtliche Bedienstete des Gerichts unabhängig von ihrem Rang an. Auch § 8 regelte die Weitergabe der Kammerzieler an die Gerichtsmitglieder und Hinterbliebene, jetzt unabhängig von alten und neuen Zahlungen. Insgesamt ging es um eine möglichst engmaschige Überwachung des Pfennigmeisters. Dazu dienten die zahlreichen Anwesenheits- und Gegenzeichnungspflichten. Auch der für die einzelnen Schritte immer eng bemessene Zeitrahmen zeigte dieselbe Richtung an. Bevorzugungen und Benachteiligungen hatte der Pfennigmeister zu unterlassen, entnommene Gelder unverzüglich auszuzahlen. § 9 zeugt von den Schwierigkeiten, die in ganz unterschiedlichen Münzen gezahlten Kammerzieler einheitlich zu bestimmen. Selbst den Reichsständen fiel es angeblich schwer, die älteren Kammergulden in die neueren Reichstaler umzurechnen. Der Pfennigmeister hatte schon seit fünf Jahren den Auftrag, eine Umrechnungstabelle und eine neu veranschlagte Forderungsübersicht vorzulegen. Tätig geworden war er aber noch nicht. Der Verweis auf die Dienstanweisung vom 27. April 1662 bezog sich hierbei nicht auf einen Gemeinen Bescheid. Diese Vorschrift ist auch nicht im Corpus Juris Cameralis enthalten. § 10 versuchte den Missstand zu beseitigen, der im Prinzipium bereits benannt war. Die jährliche Rech-

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nungslegung des Pfennigmeisters gegenüber dem Kameralkollegium wollte man für die Zukunft wieder ernster nehmen. Es sollte eine feste Ein- und Ausgabenübersicht geben. Die Reisen des Pfennigmeisters nach Frankfurt, offenbar die höchsten Kosten, die ihm selbst jeweils entstanden, waren gesondert auszuweisen. Hierzu traf das Visitationsdekret vom 27. November 1713 weitere Modifikationen (Anlage A in GB 1724, S. 244, mit Verweis auf ein Memorial an den Fiskal und Pfennigmeister von 1572 § 8 und auf den Visitationsabschied von 1713 § 108). Zusätzlich sah § 11 eine wöchentliche Besprechung zwischen dem Pfennigmeister und dem Generalfiskal vor. Das war auch sachgerecht, denn der Fiskal hatte ja die Möglichkeit, ausstehende Zahlungen gerichtlich einzufordern. Deswegen musste er über den jeweiligen Kassenstand unterrichtet sein. Wenn der Pfennigmeister die eingehenden Gelder nicht in Batzen oder anderen ungewöhnlichen Münzen in die Truhe „obtrudieren“ durfte, bezog sich dies auf die Transparenz der Einlagen. Der Pfennigmeister sollte die jeweiligen Zahlungen durchaus in Papier einwickeln, denn anders hätte er die Gelder in der Truhe nicht unterscheiden können. Aber in seine Stapel durfte er eben nur die vorgesehenen und keine abwegigen Münzwerte einwickeln. Insbesondere unabgezählte Kleinmünzen waren hierbei verboten.

RKG Nr. 174 1667 Juli 29 [Decretum Camerale.]1 Documenta aliaque et in specie appellationum instrumenta in forma libelli producuntor.2 [De documentis aliisque et in specie appellationum instrumentis non in patenti sed libelli forma producendis.]3 Demnach an diesem Kayserlichen Cammergericht sowohl extrajudicialiter als auch in denen gerichtlichen Audientzien die zu denen Processen gehörige Documenta und andere Beylagen, sonderlich aber die Instrumenta Appellationis von denen Procuratoren bißhero vielfältig in Forma Patenti exhibirt und eingebracht worden, selbige aber in solcher Form in Senatibus zu durchlesen, bevorab sie öffters in frembden und im Reich nicht üblichen Buchstaben bestehen, sehr unbequem und beschwerlich fället, als wird denen sämbtlichen ermeldten Kayserlichen Cammerge1 2 3

Decretum Camerale in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Documenta … producuntor fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. De … producendis in Deckherr 1688.

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richts Advocaten und Procuratoren hiemit alles Ernstes anbefohlen, denenjenigen, mit welchen sie ihrer Bedienten Proceßen halber correspondiren, wie auch anderer Orten, wo sie es diensam zu seyn ermessen werden, neben Beyschliessung einer Abschrifft dieses gemeinen Decreti mit nechster Post anzufügen, daß hinführo alle dergleichen Instrumenta und Schrifften nicht mehr in solchem Format, sondern an dessen statt jedesmahl libellsweiß und wie sonsten bräuchlich in Pergament übergeben, wie nicht weniger in allen und jeden Productis ein besserer Character, als offtmahls zu geschehen pflegt, gebraucht werden und die Verordnung am 1. Januarii des nechstkünfftigen Jahrs mit ohnfehlbarer Verwerffung deren, so alsdann in Forma Patenti von einem oder andern etwan noch vorgebracht werden wollen1, ihren Anfang nehmen: Unterdessen aber und biß auff jetzt bestimmte Zeit gedachte Procuratores, wann ihnen dergleichen zu exhibiren vorkäme, denenselben eine in Forma Libelli auff Papier gefertigte Copiam bey Straff nach Ermeßigung hierzu legen sollen. Decretum in Consilio pleno, 29. Julii Anno 1667. Johannes Nicolaus Becht, Lizentiat2, Judicii Imperialis Camerae3 Protonotarius [manu propria]4 Vorlage: CJC 1724, S. 917-918 Nr. CCCCXXXII. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 4; GB 1671 Suppl., S. 4; GB 1678, S. 56-57; GB 1686, S. 56-57; GB 1688, S. 53; Deckherr 1688, S. 473; GB 1695, S. 135-136; GB 1696, S. 135-136; GB 1707, S. 135-136; GB 1710, S. 147-148 Nr. CLXVIII; GB 1714, S. 88 Nr. CLXXV; CJC 1717, S. 88 Nr. CLXXV; GB 1717, S. 88 Nr. CLXXV; GB 1724, S. 147-148 Nr. CLXVIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bezweckt eine kleine, in der praktischen Handhabung aber nicht unwichtige Reform im Kameralprozess. Das Reichskammergericht schrieb hier eine neue Form notarieller Instrumente vor. Sie konnten an verschiedenen Stellen im Verfahren eine Rolle spielen, etwa bei Zustellungen, die eine Partei nicht durch einen Kammerboten, sondern selbst durch einen Notar besorgen ließ. Die größte Bedeutung besaßen Notare zu Beginn des Appellationsverfahrens. Obwohl gemeinrechtlich und im Partikularrecht verschiedene Möglichkeiten vorgesehen waren, gegen untergerichtliche Urteile zu appellieren, stand in der Praxis der Gang zum Notar ganz im Vordergrund. Der Appellant begab sich, bewaffnet mit dem Appellationszettel und in Begleitung von Zeugen, innerhalb von zehn Tagen zum Notar und legte dort seine Appellation ein. Daraufhin erstellte der Notar sein beglaubigtes Appellationsinstrument. Dieses Instrument reichte der Prokurator des Appellanten später beim Appellationsgericht zu den Akten, spätestens judizial im Reproduktionstermin. Traditionellerweise besaßen solche notariellen Instrumente eine altehrwür1 2 3 4

GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688 wolten. Fehlt in GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. Manu propria in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; Decretum in … propria fehlt in Deckherr 1688.

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dige, aber umständliche Form. Sie bestanden nämlich aus einem riesigen Pergamentbogen und waren einseitig, aber eng und mit langem Zeilenlauf beschrieben. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so großformatig, hatte das Reichskammergericht bis weit ins 17. Jahrhundert hinein seine Mandate und Ladungen gestaltet. Doch das Pergament stand teilweise unter starker Spannung, wenn man es erst einmal für die Versendung gefaltet hatte. Jetzt musste man es umständlich festhalten und aufpassen, dass die Ecken nicht wieder einbogen und man mit den Zeilen nicht durcheinandergeriet. Diese traditionelle Form des Instruments nannte man „in forma patenti“. Diese Bezeichnung knüpfte an die früheren offenen Aushänge an, bei denen solche einseitigen Blätter teilweise sichtbar ausgehängt wurden. Die gemeinrechtliche Ediktalzitation, eine offene Ladung, fällt auch hierunter. In einem professionalisierten und weitgehend schriftlichen Zivilprozess hatten solche mittelalterlichen Liebenswürdigkeiten ihren Sinn verloren. Erschwerend kamen Leseprobleme hinzu. Gerade Notare in außerdeutschen Reichsteilen gestalteten ihre Patente offenbar besonders kunstvoll und verwendeten Schriftarten, die für die Assessoren nur schwer lesbar waren. Das alles sollte fortan erheblich schlichter werden. Der Gemeine Bescheid schaffte solche Instrumente in forma patenti kurzerhand ab. Bis alle Advokaten und vor allem Notare über die Änderung unterrichtet waren, konnte es allerdings eine Weile dauern. Dies erklärt die vergleichsweise lange Vorlaufzeit von fünf Monaten. Die Prokuratoren sollten Abschriften des Gemeinen Bescheids erstellen und an diejenigen Advokaten und Notare verschicken, mit denen sie zusammenarbeiteten. Als neue Form schrieb das Reichskammergericht den Libell vor. Das verkleinerte immerhin das Format. Künftighin sollten die Notare ihre Instrumente auf mehrere seitenweise gegliederte kleinere Pergamente niederschreiben. Sie sahen äußerlich nunmehr wie Schriftsätze aus, waren anhand des Materials aber immer noch leicht als notarielle Urkunden erkennbar. Für die symbolische Würde eines notariellen Instruments darf man diesen scheinbar unwichtigen Gemeinen Bescheid nicht unterschätzen. Der Notar näherte sich in seiner Tätigkeit hierdurch einem gewöhnlichen Schriftsatzverfasser an. Der Inhalt des Dokuments, der schon bisher beim Reichskammergericht im Zentrum gestanden hatte, wurde nun auch äußerlich wichtiger als die besondere Form. Für die Übergangszeit sollten die Prokuratoren die altertümlichen Patente selbst kopieweise in Libelle überführen. Der Erfolg des Gemeinen Bescheids lässt sich in den erhaltenen Prozessakten des späteren 17. und 18. Jahrhunderts ablesen. Die notariellen Instrumente änderten tatsächlich ihr Aussehen. Aber auch die kammergerichtlichen Mandate und Zitationen ergingen jetzt üblicherweise in Libellform.

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RKG Nr. 175 1668 Mai (8) 18 De iuramento appellationis citationeque1 coram inferiore2 praestandis requisitis in Camer[a] admittendis, item3 de emendatione recessuum iudicialium et forma inscribendorum4 productorum.5 Endlich ist der Gemeine Bescheid: Daß in Fällen, da per Statutum oder Privilegium nicht allein das Juramentum Appellationis, sondern auch Cautio coram Judice a quo zu praestiren erfordert wird und von demselben der Appellant dazu nicht gelassen werden wollen, alsdann solchem Statuto [oder]6 Privilegio allhie ein Genügen zu thun, in primo Termino sowohl die Caution als das Juramentum sub praejudicio desertionis zugleich geleistet und abgelegt werden solle. § 1.7 Dann, weilen vormahls ergangenen Gemeinen8 Bescheiden mit allzulang haltenden gerichtlichen Recessen, auch Einmischung Meritorum Causae und verbottenem Gegenrecessiren in viele Wege zuwider gehandelt und die Zahl der Ordnung in Ubergebung der Schrifft- und Handlungen unter ungewöhnlichen9 Rubriquen fast ohne Scheu übergangen wird, ingleichen die Termini Praefixi und Legales ausser acht10 gelassen [und]11 öffters gar frivole und ohne Bescheinung zu Recht erheblicher Ursachen nicht nur Prorogationes Prorogationum, sondern auch novi Termini gesucht. § 2.12 Als werden sämbtliche des Kayserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratores hiemit ernstlich erinnert, solche eingeschlichene Mißbräuch inskünfftig alles Fleißes zu verhüten und bey unausbleiblichem scharffen Einsehen, auch nach befindender Ubertrettung, Suspendir- und Entsetzung ihres Diensts und respective sub solito Praejudicio in diesen und allen übrigen die vorhin13 gemachte Verordnung zu beobachten. Signatum Veneris, (8.) 18.14 Maii 166815. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Deckherr 1688; GB 1717 cautioneque. Deckherr 1688 inferiori. Fehlt in Deckherr 1688. Deckherr 1688 inscriptionis. De ... productorum fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in Deckherr 1688; GB 1710; GB 1717. GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714. § 1 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Fehlt in Deckherr 1688. Deckherr 1688 gewöhnlichen. Deckherr 1688 auß der acht. GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. § 2 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1724 dorthin. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707 8. 18. Signatum … 1668 fehlt in Deckherr 1688.

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Vorlage: CJC 1724, S. 918 Nr. CCCCXXXIII. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl, S. 5; GB 1671 Suppl., S. 5; GB 1678, S. 57; GB 1686, S. 57; GB 1688, S. 53; Deckherr 1688, S. 473-474; GB 1695, S. 136-137; GB 1696, S. 136-137; GB 1707, S. 136-137; GB 1710, S. 148-149 Nr. CLXIX; GB 1714, S. 89 Nr. CLXXVI; CJC 1717, S. 89 Nr. CLXXVI; GB 1717, S. 89 Nr. CLXXVI; GB 1724, S. 148-149 Nr. CLXIX; auch als Separatdruck (z. B. vd17 32:656513U = Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar N 1: 31 (Stück 6)). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt den Appellationseid und die mündlichen Rezesse und damit zwei sachlich nicht miteinander verbundene Fragen. Eine Verknüpfung ergab sich für die Beteiligten lediglich durch die Adressaten. In beiden Fällen ging es nämlich um das anwaltliche Verhalten in den Audienzen. Zunächst wandte sich das Reichskammergericht einem Problem aus dem Appellationsprozess zu. § 118 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654 hatte den Appellationseid im Kameralprozess reformiert. Mehrere Gemeine Bescheide hatten das neue Verfahren den Beteiligten eingeschärft (insbesondere Gemeine Bescheide vom 7. September 1654 und 23. Mai 1656, oben RKG Nr. 126 und 130). Die Neuregelung griff aber nur dann ein, wenn Appellationsprivilegien keine abweichenden Bestimmungen enthielten. Über den Reichsabschied hinausgehend erkannte das Reichskammergericht auch partikularrechtliche Abweichungen und Besonderheiten grundsätzlich an. Insbesondere gab es zahlreiche Vorgaben, nach denen der Appellationseid nicht vor dem Reichskammergericht selbst, sondern vor dem Untergericht, also dem iudex a quo, abzulegen war. Auch die Sicherheitsleistung konnte auf diese Weise noch vor dem Untergericht stattfinden. Erstaunlicherweise legten aber gerade diejenigen Gerichte, die solche Privilegien besaßen, den Appellanten Steine in den Weg. Sie erschwerten oder verweigerten dem Appellanten die Eidesleistung und verhinderten auf diese Weise die ordnungsgemäße Erfüllung der Fatalia introducendae appellationis. Ob das Reichskammergericht die Möglichkeit besaß, die Untergerichte dazu anzuhalten, ihre Mitwirkungspflichten zu erfüllen, ist unklar. Jedenfalls beschritt das Gericht diesen Weg nicht. Vielmehr eröffnete es den Appellanten ausnahmsweise den Ausweg, in solchen Fällen am Partikularrecht vorbei sowohl Eid als auch Sicherheitsleistung direkt in Speyer zu leisten. Vorgesehen dafür war der erste ordentliche Termin. Die im Jüngsten Reichsabschied vorgegebene Desertionsstrafe bei Frist- und Formfehlern galt aber weiterhin. §§ 1 und 2 erinnerten dagegen an den ordnungsgemäßen Audienzverlauf. Es waren wieder Missstände aufgetreten. Sie veranlassten das Kameralkollegium, Regelungen, die es schon vielfach erlassen hatte, erneut zu wiederholen. Zunächst gerieten die mündlichen Rezesse immer noch zu lang. Eigentlich hatte das Gericht sie für den Appellationsprozess sogar ganz abgeschafft (Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1659 § 3; oben RKG Nr. 144). Auf welche Prozessart sich die Auswüchse bezogen, sagte das Gericht allerdings nicht. Einige Prokuratoren äußerten sich in den Audienzen umfassend zum Sach- und Streitstand selbst, was in den Augen der Richterschaft lediglich verbotene Erweiterungen darstellte. Auch die Schriftsätze waren nicht nach dem vorgesehenen Modell schlicht tituliert, sondern erhielten verbotene Namen. Auf diese Weise verlängerten die Anwälte zugleich die zuvor durch Gemeinen Bescheid vom 13. Dezember 1659 § 4 und 9. Januar 1660 § 4 (oben RKG Nr. 144-145) auf

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RKG Nr. 176 1668 November 1

zwei bis drei Schlagabtäusche begrenzten Verhandlungen. Schließlich zogen sich die Verfahren auch durch unerwünschte Anträge auf Fristverlängerung weiterhin in die Länge. Der Gemeine Bescheid versuchte, all dem einen Riegel vorzuschieben. So knapp er auch formuliert war, zeigte er doch unmissverständlich, wie brüchig die mit großem Schwung Ende 1659 verkündete Audienzreform war (dazu Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1659, oben RKG Nr. 144, mit mehreren späteren Verfeinerungen vom 9. Januar 1660, 12. Januar 1660, 19. Januar 1660, oben RKG Nr. 145-147). Die Gebrechen der Audienzen blieben immer dieselben, welche Reformanstrengungen das Gericht auch unternehmen wollte.

RKG (ohne Nr.) 1668 Mai 21 siehe 1660 Mai 21

RKG Nr. 176 1668 November 1 [Decretum.]1 De tutelis Cameralium edendis inventariis et reddendis rationibus.2 [De tutelis Cameralium personarum exhibendis inventariis reddendisque rationibus.]3 Demnach bereits in denen Jahren 1658 am 26. Martii, 1659 [am]4 22. Februarii und5 27.6 Novembris, 1664 den 22. Januarii allen der cameralischen Kinder bestättigten Vormündern durch ergangene Decreta bey Straff drey Marck Silber anbefohlen worden, ihrer tragenden Vormundschafften gebührende Inventaria und Rechnungen zu dieses Kayserlichen Cammergerichtscantzley zu übergeben und dann seithero verschiedene Vormundschafften angeordnet worden, als werden alle und jede 1 2 3 4 5 6

GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; fehlt in GB 1710. De … rationibus fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. De … rationibus in Deckherr 1688. GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Deckherr 1688 am. GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717 ebenfalls 27.

RKG Nr. 176 1668 November 1

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Vormündere ihrer geleisten schweren Pflichten dißfalls ernstlich erinnert und ihnen nochmahl aufferlegt, bey Vermeidung ebenmäßiger Straff innerhalb 4 Wochen entweder ihre Inventaria und Rechnungen obangedeuter maßen würcklich einzubringen oder, warum selbiges in bestimmter Zeit nicht geschehen könne, schrifftlich anzuzeigen, auch hernacher von Jahr1 zu Jahren damit zu continuiren. In Consilio, den 1. Novembris Anno 1668. Ad Mandatum Senatus Tutelaris. Franciscus Hieronymus Mertloch, Dr.2, Judicii Imperialis Camerae3 Protonotarius4. Vorlage: CJC 1724, S. 918 Nr. CCCCXXXIV. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 5; GB 1671 Suppl., S. 5; GB 1678, S. 57; GB 1686, S. 57; GB 1688, S. 53-54; Deckherr 1688, S. 474; GB 1695, S. 137; GB 1696, S. 137; GB 1707, S. 137; GB 1710, S. 149-150 Nr. CLXX; GB 1714, S. 89 Nr. CLXXVII; CJC 1717, S. 89 Nr. CLXXVII; GB 1717, S. 89 Nr. CLXXVII; GB 1724, S. 149-150 Nr. CLXX. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt Vormundschaftsfragen über minderjährige Hinterbliebene verstorbener Kameralen. Er stellte sich selbst in die Linie von vier Vorgängerbescheiden (oben RKG Nr. 135, 139, 142 und 162). Im Gegensatz zu den älteren Bestimmungen gab es nur eine Neuerung. Seit dem letzten Erlass von 1664 hatte das Gericht inzwischen einige neue Vormundschaften angeordnet. Zumindest in diesem Punkt zeitigten die Gemeinen Bescheide offenbar Erfolg. Ansonsten blieb das Regelwerk unverändert. Die bestellten Vormünder waren gehalten, ihre Vermögensübersichten und Abrechnungen offenzulegen. Das hatten sie bisher ständig versäumt, sollten es aber alljährlich wiederholen. Von mündellosen Kindern sprach das Reichskammergericht in diesem Zusammenhang nicht. Möglicherweise hatten alle Waisen und Halbwaisen inzwischen gesetzliche Vertreter. Der abschließende Hinweis auf den Senatus tutelaris bekräftigte die Funktion des Reichskammergerichts als Ordnungsbehörde im Rahmen einer Art freiwilliger Gerichtsbarkeit. Offenbar gab es außerordentliche Senatssitzungen ausschließlich zu Vormundschaftsfragen. Der Gemeine Bescheid vom 5. Januar 1670 (unten RKG Nr. 181) setzte die Regelungen zum Vormundschaftsrecht fort.

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GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696 Jahren; GB 1707 Jahr. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Lizentiat. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. In Consilio … Protonotarius fehlt in Deckherr 1688.

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RKG Nr. 177 1668 November 27

RKG Nr. 177 1668 November 271 Sollicitatoris cuiusdam severa animadversio.2 Demnach G. W. O. diesem im Heiligen Reich höchsten Gericht und so gar in specie dessen von der Römischen Kayserlichen Majestät vorgesetztem Haupt und Cammerrichtern zum höchsten Despect, Schimpff und Nachtheil gereichende Schreiben an andere vermessentlich abgehen lassen, derentwegen er aus gnädigstem Befehl ihrer fürstlichen Durchlaucht forderst auff den Weissen Thurn allhier in Arrest und Verhafft genommen worden. Dann in der wider ihn hierüber geführten Inquisition neben jetztermeldter grober Mißhandlung sich noch ferners befunden, daß derselbe vermittelst ihme nicht geziemender Sollicitatur und ohnzuläßiger Mittel viele ansehnliche Recompensen von denen Partheyen widerrechtlich angenommen und zum Theil solche denenselben mit Gewalt abzupressen und herauszuschrecken unterstanden, zumahlen ihme auch nicht zugehörige, sondern anderwärtlich destinirte Gelder freventlich zurück und vor sich behalten. So wäre zwar gedachtes Collegium Camerale wegen dieser höchst straffbaren Verbrechen mit demselben der Scharffe nach zu verfahren von Rechtswegen befugt. Weilen [man]3 aber auff sein inständiges Suppliciren lieber die Gnade hierin vorscheinen lassen, auch die Recantation zu Verschonung seiner Ehren in eine Deprecation verändern wollen, als soll anstatt wohlverdienter weit schärfferer Straff er G. W. O. auf vorgehende eydliche Urfehde de non vindicando carcere et poena, wie auch zu allen künfftigen, dergleichen Cameralsachen betreffenden Fällen und sonderlich quoad Punctum parium Votorum, so er O. in Sachen Doriam4 contra Otti vorgeben haben solle, erstattende sub Hypotheca omnium Bonorum juratorische Caution de Judicio sisti et Judicatum solvi Ihro fürstliche Durchlaucht, dem Herrn Cammerrichter, und diesem gesambten Collegio Camerali wegen seiner vermessenen und unverantwortlichen Schreiben in dieses Kayserliche Cammergerichts Leserey vor denen gegenwärtigen hiezu deputirten Assessoren wie auch in Beyseyn aller Cantzley- und Leserey-Persohnen depreciren und um Verzeihung bitten. Den von Lizentiat F. ihme vor andern zugefertigten, aber nicht geliefferten Doppelducaten, J. P. F., Rathsverwandten und Schöpffen zu F., welcher solchen übermachen lassen, nicht allein wieder erstatten, sondern auch das Duplum davon, wie nicht weniger wegen vieler zu Ungebühr 1 2 3 4

GB 1688 Ad Annum 1668. quod supra omissum, da chronologisch falsch eingeordnet. Sollicitatoris ... animadversio fehlt in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. Man in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Dorian; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Sorean.

RKG Nr. 177 1668 November 27

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erpracticirter Gelder zehen Marck Silbers neben denen in Zeit der Verhafftung auffgangenen Unkosten in der Armen Seckel alsobald einlegen und bezahlen. Fürters, was von denen Partheyen seiner bißhero getriebenen ohnzuläßigen Sollicitatur halben ihme vor Recompensen zugekommen (maßen alle auff dergleichen Wege durch ihn außgewürckte Pollicitationes und Versprechungen hiemit gäntzlich annulliret werden), denenselben auff ihr Gesinnen ohngesäumt wieder zurückgeben. Folglich, daß der dem Obristlieutenant E. wegen der F. fünfftzig Reichsthaler angelegte Arrest cum omni causa wieder cassiret und auffgehoben werde, schleunige Beförderung thun, hinführo aber sich alles Sollicitirens enthalten. Wie auch von hiesigem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht und der Orthen, wo solches gehalten wird, gäntzlich absentiren und entäussern. Wie dann ihme auch nicht allein [die]1 General2-Immunität und Freyheit sambt allen deren Privilegien in Krafft dieses auffgekündet, sondern auch denen hiesigen Advocaten und Procuratoren, Cantzley- und Leserey-Persohnen alle mit ihme O. erwehnter Sollicitatur halben verdächtige Correspondentz bey unaußbleiblicher Straff expresse inhibiret und verbotten wird. Schließlichen ist der Befehl, daß das sub dato 17. Decembris des nechstverwichenen 1667sten Jahrs, von ihme O. an Lizentiat F. nacher F. abgelassenes ohnverantwortliches Schreiben durch die Pedellen offentlich verrissen und verbrannt werden soll. So man denen sämbtlichen dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren zu dem Ende hiemit notificiren wollen, damit sie vor dergleichen Verbrechen, Geldespressuren, erpracticirten Versprechungen und Bedingen3 mit Partheyen zu hüten. Wie nicht weniger Herrn Cammerrichtern, Praesident und Beysitzern aller Orthen und sonderlich publicis Audientiis mit Schrifften, Worten und Geberden, auch Unterlassung ohngebührenden Geschwetzes und Umlauffens, geziemenden mehrern Respect und Ehrerbietung, als man bißhero bey unterschiedlichen wahrnehmen und verspühren müssen, zu erzeigen wissen mögen. Im widrigen Fall nicht nur mit oberwehnten, sondern auch noch mit schärfferen Bestraffungen gegen den Ubertretter verfahren werden soll usw. Decretum in Consilio pleno, 27. Novembris Anno 1668. Vorlage: CJC 1724, S. 918-919 Nr. CCCCXXXV. Weitere Ausgaben: GB 1688, S. 64-65 (chronologisch falsch eingeordnet); GB 1695, S. 138140; GB 1696, S. 138-140; GB 1707, S. 138-140; GB 1710, S. 150-152 Nr. CLXXI; GB 1714, S. 89-91 Nr. CLXXVIII; CJC 1717, S. 89-91 Nr. CLXXVIII; GB 1717, S. 89-91 Nr. CLXXVIII; GB 1724, S. 150-152, Nr. CLXXI; fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; Deckherr 1688. 1 2 3

GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724. GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 Cameral. GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Gedingen.

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RKG Nr. 177 1668 November 27

Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt auf den ersten Blick einen Einzelfall, nämlich die Bestrafung eines aufmüpfigen Sollizitanten. Die Verallgemeinerung folgt höchstens aus der Überschrift, doch haben die gedruckten Bescheidsammlungen sowie das Corpus Juris Cameralis die Verfügung anstandslos jeweils als Gemeinen Bescheid aufgenommen. Zumindest generalpräventive Wirkung scheinen die Zeitgenossen dem Erlass beigemessen zu haben. Das mag zugleich ein Grund für die Ausführlichkeit gewesen sein, in der das Kameralkollegium seine Entscheidung mitsamt kleinteiliger Sachverhaltsschilderung formulierte. Der Sollizitant G. W. O. hatte das Reichskammergericht und wohl auch den Kammerrichter persönlich in einer Schmähschrift angegriffen. Dafür landete er im Weißen Turm. Dieser Turm der Speyerer Stadtmauer, auch Rheinpörtel genannt, ist bereits im Gemeinen Bescheid vom 5. Oktober 1666 (oben RKG Nr. 171) als kammergerichtlicher Haftplatz belegt. Das nun beginnende Inquisitionsverfahren brachte weitere Vergehen ans Licht. Der Täter hatte unzulässig sollizitiert, hierfür aber große Geldsummen von seinen Auftraggebern erhalten. Auch andere Summen, die nicht für ihn bestimmt waren, hatte er unterschlagen bzw. veruntreut. Vielleicht handelte es sich dabei um Bestechungsgelder, um die Mitglieder des Reichskammergerichts in ihrer Entscheidungstätigkeit zu beeinflussen. Aufgrund einer Gnadenbitte des inhaftierten Sollizitanten verzichtete das Kameralkollegium auf einen förmlichen und wohl ehrenrührigen Widerruf (Rekantation) der Verleumdungen und begnügte sich mit einer nicht so öffentlichkeitswirksamen Abbitte (Deprekation). Lediglich einige Assessoren sowie das Kanzleiund Lesereipersonal bildeten hier das Publikum, nicht aber die Prokuratoren oder andere Parteien. Nach einer Urfehde entließ man den Injurianten sodann aus der Haft. Im Wiederholungsfall drohte ihm der vollständige Vermögensverlust. Eine Geldstrafe in die Armenkasse war darüber hinaus zusätzlich fällig. Sie umfasste nicht nur die bereits unterschlagenen Gelder, sondern auch eine Duplumstrafe. Andere Summen musste der Sollizitant O. an seine Auftraggeber zurückzahlen. Künftige Sollizitaturen untersagte das Reichskammergericht dem Täter. Die Advokaten und Prokuratoren durften nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten. Zumindest in diesem Punkt entfaltete die Anordnung also allgemeinverbindliche Wirkung. Erstaunlich ist der Hinweis auf die aberkannten persönlichen Privilegien. Offenbar hatte der Sollizitant zuvor bestimmte Kameralfreiheiten genossen. Ihr Umfang ist aber unklar. Ganz symbolträchtig sollte ein besonders schändliches Schreiben zerrissen und öffentlich verbrannt werden. Eine allgemeine Anordnung schloss den Gemeinen Bescheid ab. Sämtliche Verfahrensbeteiligte sollten den Gerichtsmitgliedern künftighin mehr Respekt und Ehre erweisen. Auf diese Weise ordnete das Reichskammergericht den sicherlich gravierenden Vorgang um den Sollizitanten O. in einen größeren Rahmen ein. Nicht nur dieser Einzelfall bildete also das Problem. Vielmehr herrschte insgesamt ein lockeres Mund- und Schreibwerk. Das wollte das Kameralkollegium nicht länger hinnehmen.

RKG Nr. 178 1669 April 10

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RKG (ohne Nr.) 1669 März 23 siehe 1667 März 23

RKG Nr. 178 1669 April 10 [Decretum.]1 Ad quaestorem Camerae de moneta pecuniisque recipiendis aut2 repudiandis rescriptum.3 Demnach dieses Kayserlichen Cammergerichts Pfenningmeister Giesbert de Maere4 eine Zeithero die gering eingehende Unterhaltungsgelder in schlechter kleiner Müntz und unter andern in gantz- und halben verschliffenen ungiebigen Kopffstückern bezahlt und vorgibt, sie werden ihme anderst nicht bey den Anweisungen und Wechseln erlegt, die Einschleiffung aber gedachter Kopffstück durch gewinnsüchtige, in denen Reichssatzungen verbottene Practiquen derjenigen herrühret, welche mit einhundert Reichsthaler oder deren Werth in denen Niederlanden vierhundertundachtzig solcher Kopffstück einnehmen, hingegen vor einhundert Reichsthaler mehr nicht als vierhundertundfunfftzig solcher Kopffstück, wann sie in das Reich eingebracht, außzahlen, also auff jedem einhundert Reichsthaler dreyßig Kopffstück ihnen zum Gewinn überbleiben, welches, weiln es dem gemeinen Wesen nachtheilig und den Reichsconstitutionen zuwider: Als wird ermeldtem Pfenningmeister hiemit ernstlich aufferlegt, dergleichen Kopffstück gar nicht und sonsten in denen Bezahlungen und Wechseln an ringer Müntz mehr nicht, als der Reichsabschied vom Jahr 1576 insonderheit erlaubet, hinführo anzunehmen, und soll bey nechster Audientz dieses Decret, denen sämbt

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GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; fehlt in GB 1710. Deckherr 1688 vel. Ad … rescriptum fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in Deckherr 1688; GB 1710; GB 1717. GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 Maire; Deckherr 1688 G. de M.

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RKG Nr. 178 1669 April 10

lichen Procuratoren, ihre Principalen dessen zu benachrichtigen, communicirt werden. Decretum in Consilio, 10. Aprilis 1669. Franciscus Hieronymus Mertloch, Dr., Judicii Imperialis Camerae1 Protonotarius manu propria2. Vorlage: CJC 1724, S. 919-920 Nr. CCCCXXXVI. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 5; GB 1671 Suppl., S. 5; GB 1678, S. 57-58; GB 1686, S. 57-58; GB 1688, S. 54; Deckherr 1688, S. 474-475; GB 1695, S. 140-141; GB 1696, S. 140-141; GB 1707, S. 140-141; GB 1710, S. 152-153 Nr. CLXXXII; GB 1714, S. 91 Nr. CLXXIX; CJC 1717, S. 91 Nr. CLXXIX; GB 1717, S. 91 Nr. CLXXIX; GB 1724, S. 152-153 Nr. CLXXII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt die ordnungsgemäße Verbuchung und Einzahlung der Kammerzieler. Er schließt an den Bescheid vom 23. März 1667 an (oben RKG Nr. 173). Erneut stand der Pfennigmeister Giesbert de Maere im Mittelpunkt der Kritik, und wie zuvor trug das Kameralkollegium keine Scheu, ihn namentlich und öffentlich zu kritisieren. Von einer Bestrafung war abermals keine Rede. Viel ausführlicher als die eher knappe Anordnung im zweiten Absatz fiel die Schilderung der Missstände aus. Der Pfennigmeister hatte die Gehälter der Gerichtsmitglieder in schlechten Münzen ausgezahlt, vor allem in sog. „Kopffstückern“. Nach einer kaiserlichen Resolution „in puncto monetae“ vom 10./11. August bzw. 9./10. September 1667 handelte es sich hierbei um beschnittene Münzen (David Thomanus von Hagelstein, Acta publica monetaria, Augsburg 1692, S. 287). Partikulare Münzordnungen setzten den Wert solcher Kopfstücke unterschiedlich fest. Auch in der zeitgenössischen Unterhaltungsliteratur tauchten sie auf, etwa bei Cervantes oder bei Grimmelshausen. Wie der Gemeine Bescheid betonte, ließen sich mit diesen Kopfstücken in den Niederlanden günstige Wechselgeschäfte tätigen, weil der Kurs dort erheblich günstiger als innerhalb des Reiches war. Offenbar betrieb aber nicht der Pfennigmeister selbst solchen Handel, sondern diejenigen, die ihm in dieser schlechten Münze den Kammerzieler bezahlten. Deswegen durfte der Pfennigmeister künftig solche Kopfstücke nicht mehr annehmen und musste vielmehr auf eine gesetzlich erlaubte Mischung der Münzsorten bedacht sein. Hierfür galt immer noch der Regensburger Reichsabschied vom 12. Oktober 1576. Wie schon am 29. Juli 1667 (oben RKG Nr. 174) band das Reichskammergericht die Prokuratoren ausdrücklich in die Verbreitung des Gemeinen Bescheids ein. Sie sollten die Anordnung ihren reichsständischen Auftraggebern bekanntgeben.

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GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. Decretum … propria fehlt in Deckherr 1688.

RKG Nr. 179 1669 Juli 7

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RKG Nr. 179 1669 Juli 7 [Gemeiner Bescheid, publicirt den 7. Julii Anno 1669]1 Forma petendarum restitutionum in integrum adversus sententias Camerales2. [De restitutionibus in integrum adversus sententias Camerales nova singularis et salutaris dispositio.]3 Nachdem man eine Zeithero wahrgenommen, daß fast in allen an diesem Kayserlichen Cammergericht abgeurtheilten Sachen das Beneficium Restitutionis in integrum mißbraucht und die4 in denen5 beschriebenen gemeinen Rechten, auch Reichssatz- und Ordnungen darzu erforderte Requisita wenig beobachtet worden, indeme bey denen deßhalben einbringenden Implorationsschrifften nichts Neues, sondern eben dasjenige, was in vorigen Instantien in jure et facto außführlich vorkommen und darüber nach reiffer Erwegung und Deliberation bereits gesprochen ist, von neuem wiederum hervorgezogen, verdrießlich recapitulirt und also vielmehr, was zu einer Revisions- als Restitutionsinstantz gehörig, auf die Bahn gebracht, ja wohl gar anzüg- und taxirliche Imputationes durch der Schrifftsteller Unbescheidenheit jeweilen mit eingerücket werden. Welches dann nicht allein zu hochstraffbaren Despect dieses des Heiligen Römischen Reichs höchsten Gerichts und vergeblicher Bemühung der Senatuum, bevorab der Re- und Correferenten, sondern auch zu unverantwortlicher Wiederholung bereits decidirter Strittigkeiten und schädlicher Verzögerung anderer Sachen gereichen thut. Als ist hiemit der ernstliche Befehl an alle Advocaten und Procuratoren, daß sie sich inskünfftig solcher unordentlicher Mißbräuch gäntzlich enthalten und in denen Fällen, wo gegen außgesprochene Urtheil sie das Remedium Restitutionis in integrum Platz zu haben und die Sachen von Rechtswegen dazu genugsam qualificirt zu seyn erachtet werden, nicht dasjenige, so schon vorhero in facto et jure vorkommen, wiederholen, weniger einige ihrerseits conjecturirt- und eingebildete Rationes decidendi und deren Refutationes mit einmischen, sondern eintzig und allein die in facto emergirende neue, dienlich und erhebliche Umstände oder zur Hand gebrachte Urkunden, brieffliche Schein und Documenta in denen Handlungen, so sie deßhalben überreichen, kurtz und nervose einführen und zugleich mit Specialgewälten von ihren Principalen zu Abstattung des 1 2 3 4 5

Gemeiner ... 1669 in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; fehlt in GB 1710. Forma … Camerales fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. De … dispositio in Deckherr 1688. Fehlt in GB 1724. GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1696; GB 1707 den; Deckherr 1688 dem.

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RKG Nr. 179 1669 Juli 7

Eyds, daß weder sie oder jetztgedachte ihre Principalen und deren Advocaten von solchem neuen Einbringen vorhero einige Wissenschafft gehabt oder selbiges zu der Sachen dienlich zu seyn nicht vermeynt, jederzeit gefast erscheinen, in alle Weg aber die ihnen in solchen Restitutions- und allen andern Sachen zugefertigte Schrifften, ehe sie gerichtlich übergeben werden, fleißig überlegen und wo etwas darin befindlich, so dieses Kayserlichen Cammergerichts Respect oder der vermög der Ordnung erforderten Bescheidenheit zuwider wäre, solches vor sich selbst verbessern und zum Glimpff bringen oder gehöriger Orthen zurücksenden. Keineswegs aber auff einigerley Reservation oder Protestation nonapprobationis Contentorum noch, was sonsten dergleichen seyn mag, sich verlassen, diesem allem ohnaußgesetzt also nachkommen und im widrigen einer unaußbleiblichen Geldstraff oder auch gestalten Sachen nach der Suspension oder wohl gar Remotion1 ab officio gewärtig seyn sollen2. Franciscus Hieronymus Mertloch3, Dr., Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria4. Vorlage: CJC 1724, S. 920 Nr. CCCCXXXVII. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 6; GB 1671 Suppl., S. 6; GB 1678, S. 58; GB 1686, S. 58; GB 1688, S. 54-55; Deckherr 1688, S. 475-476; GB 1695, S. 141-143; GB 1696, S. 141-143; GB 1707, S. 141-143; GB 1710, S. 153-155 Nr. CLXXIII; GB 1714, S. 91-92 Nr. CLXXX; CJC 1717, S. 91-92 Nr. CLXXX; GB 1717, S. 91-92 Nr. CLXXX; GB 1724, S. 153-155 Nr. CLXXIII; auch als Separatdruck (z. B.: vd17 32:656517Z = Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar N 1: 31 (dort Nr. 7)). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt Schwierigkeiten, die sich dann stellten, wenn Parteien Rechtsmittel gegen reichskammergerichtliche Entscheidungen einlegen wollten. Grundsätzlich sah der Kameralprozess dafür die Revision vor. In älteren Gemeinen Bescheiden hatte das Gericht die Revision auch ausdrücklich als Rechtsmittel gegen eigene Urteile anerkannt (Gemeine Bescheide vom 26. Februar 1613 und 11. März 1613; oben RKG Nr. 103-104). Hier bestand freilich ein unüberwindliches praktisches Problem. Zuständig für Revisionen war nämlich die Visitationskommission, die nach den normativen Vorgaben regelmäßig und engmaschig das Kammergericht überprüfen sollte. Das Visitationswesen war jedoch inzwischen zusammengebrochen. Revision konnte man also durchaus einlegen. Allerdings gab es niemanden, der sie bearbeitete. Ob eine schwebende, aber aussichtslose Revision den Suspensiveffekt von Rechtsmitteln entfaltete, war mehr als fraglich. Deswegen beschritten zahlreiche Parteien einen anderen Weg. Sie legten gegen ein Reichskammergerichtsurteil keine Revision ein, sondern beantragten die Wiedereinsetzung in den 1 2 3 4

GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1696; GB 1707 amotion. Fehlt in Deckherr 1688. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl. Merdloch. Franciscus … propria fehlt in Deckherr 1688.

RKG Nr. 179 1669 Juli 7

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vorigen Stand, die gemeinrechtliche Restitutio in integrum. Im Gegensatz zur Revision entfaltete die Wiedereinsetzung eindeutig keinen Devolutiveffekt. Man brauchte also nicht auf eine Visitationskommission zu warten, die womöglich nie anreisen würde. Vielmehr bearbeitete das Reichskammergericht die Restitutionsgesuche selbst. Allerdings unterschieden sich die Zulässigkeitsvoraussetzungen. Die Restitutio in integrum durfte nämlich nur derjenige beantragen, der neue Tatsachen vorzutragen hatte, die er in der Zeit bis zum Urteil unverschuldet nicht hatte vortragen können. Und genau hier versuchten die Anwälte zu tricksen. Dagegen wandte sich das Reichskammergericht mit seinem Gemeinen Bescheid. Die zahlreichen Restitutionsgesuche bescherten dem Gericht lediglich zusätzliche Arbeit und den Parteien keinen Erfolg. Deswegen untersagte das Gericht ausdrücklich Wiedereinsetzungsanträge, die nicht auf neuen Sachvortrag gestützt waren. Insbesondere sollten in den Schriftsätzen keine Spekulationen über die kammergerichtlichen Entscheidungsgründe stattfinden, die den Beteiligten ohnehin nicht bekannt waren. Vielmehr genügte es, die neuen Tatsachen glaubhaft zu machen. Der Restitutionseid, dessen Inhalt das Gericht vorgab, war an den Appellationseid gem. § 118 Jüngster Reichsabschied angelehnt. Damit zeigte das Gericht selbst, wie schwer es war, beim Novenrecht die zulässigen Rechtsmittel sinnvoll zu unterscheiden. Auch der Zeitgenosse Ludolf Hugo konnte in seiner Abhandlung „Vom Missbrauch der Appellation“ ein Lied davon singen. Das Kameralkollegium forderte die Prokuratoren auf, die ihnen von den Advokaten übersandten Schriftsätze künftig strenger zu prüfen und nur dann, wenn sie sinnvolle Anträge enthielten, an das Gericht weiterzuleiten. Mit der unzulässigen Reservatio non approbationis spielte der Gemeine Bescheid auf eine wohl besonders häufige Begründung für den Wiedereinsetzungsantrag an. Die bloße Beweisfälligkeit berechtigte danach nicht zur Restitution. Wenn also eine Partei den ihr obliegenden Beweis nicht hatte führen können, eröffnete das nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es ging also nicht um eine ständige Verlängerung des Beweisverfahrens. Die angedrohten Strafen für Zuwiderhandlungen waren hoch. Das Gericht behielt sich vor, Advokaten und Prokuratoren von ihren Aufgaben zu suspendieren oder sie sogar ganz zu entfernen, wenn sie sich nicht an die vorgegebenen Rechtsmittel halten konnten. Der zwei Jahre später erlassene Gemeine Bescheid vom 7. Juli 1671 (unten RKG Nr. 184) gab den Parteien und Anwälten sodann Einzelheiten zur Spezialvollmacht und zur Eidesformel an die Hand. Die Visitationskommission im frühen 18. Jahrhundert war sich unsicher, ob sie die Regelungen zum Restitutionseid abändern sollte. Sie ließ sie letztlich aber bestehen, „so lang, biß Ihre Kayserliche Majestät und das Reich ein anderes befehlen“ (Anlage A zum Visitationsdekret vom 27. November 1713, in GB 1724, S. 244-245).

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RKG Nr. 180 1669 August (17) 27

RKG Nr. 180 1669 August (17) 27 Ordinatio status nuntiorum eorumque magistri emendatur.1 [Decretum. So am hochlöblichen Kaiserlichen Cammergericht zu Speyer den 27. 17. Augusti Anno 1669 in Consilio pleno ergangen und desselben Advocaten und Procuratoren wie auch denen reitenden und fußgehenden Botten daselbsten am 30. 20. ejusdem vorgelesen und zugestellet worden.]2 [Ratio status collegii magistri nuntiorum et nuntiorum Camerae etc.]3 Demnach bey diesem Kayserlichen Cammergericht wegen Abfertigung desselben geschwornen reitenden- und Bey-Botten, ohnerachtet die Cammergerichtsordnung wie auch die am 3. Septembris Anno 1653 und [den]4 1. Octobris Anno 1661 deßwegen ergangene Decreta hierin klare Maaß geben, abermahlen verschiedene Klagen vorkommen, ob wäre denenselben eine Zeithero in viele Wege zuwider gehandelt worden, die Botten auch unter sich wegen vorgangener allzu ungleicher Außtheilung der Processen und Reisen soweit in Gezänck und Mißhelligkeit gerathen, daß endlich die Reitende am 12. Martii jüngsthin vermittelst eines unterthänigst exhibirten5 Memorials um Remedirung solcher vorgegangenen Mängel, auch Manutenentz der vorigen Decreten inständig gebeten. Und man hierauff in einer absonderlich dazu angeordneten Deputation die Sach noch weiter umständlich examinirt, auch soviel befunden, daß vorgedachten wohlverfasten Anordnungen in sehr wenig Puncten nachgelebt worden sey.6 Als wird nunmehr, solchem verdrießlichen Werck und continuirlichem Anlauffen der Botten dermahleins gäntzlich abzuhelffen, nicht allein ihnen, sondern auch dem Cantzleyverwalter als derselben Deputato, sodann denen sämbtlichen dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten, Procuratoren, Partheyen, Taxeinnehmer und dem Bottenmeister zu künfftiger Nachricht und beständiger Festhaltung, soviel eines jeden hierbey einlauffendes Ambt und Obliegenheit betrifft, krafft dieses in Consilio pleno7 verfaßten Decreti ferner statuiret und verordnet wie folgt:

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Ordinatio … emendatur fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. Decretum … worden in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; fehlt in GB 1710. Ratio … etc. in Deckherr 1688. Deckherr 1688. GB 1695; GB 1696; GB 1707 exhibirenden. Absatz in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688. Deckherr 1688 in pleno consilio.

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§ 1.1 Und erstlich zwar, obwohl die geklagte2 Ungleichheit genugsam am Tag, dahero man befugt gewesen wäre, auff diejenige, so die Proceß, als ob sie per Notarios Immatriculatos zu insinuiren, zwar concordirt, gleichwohl aber denen Botten ad insinuandum vor- oder nachgeschickt haben, zu inquiriren und selbige dieses ihres in fraudem Ordinationis angesehenen Beginnens halber der Gebühr abzustraffen. Wie nicht weniger denen Botten, welche dadurch vernachtheilet worden, die von dato an zu insinuiren vorkommende Proceß so lang und viel folgen zu lassen, biß sie denen andern in der Zahl und Genuß hätten gleich geachtet werden können. So wird jedoch, was dißfalls3 auch4 einen oder andern Weg, auch zwischen dem Bottenmeister und denen Botten der ungebührenden und widrigen Reden halber vorgangen, hiemit gäntzlich auffgehoben und dergestalt in Vergeß gestellet, daß hinführo keiner dem andern deßwegen etwas vorrucken oder in denen künfftigen Reisen sich auff die vorgewesene Ungleichheit beziehen, sondern der Bottenmeister von dato dieses Decreti dieselbe in durchgehender Gleichheit ohne anders Ab- oder Ansehen einiger Cameralpersohn in particulari (wer die auch seye) Begehrens, Dispensation, Befehl oder Ansuchens mehrerwehnter Cammergerichtsordnung und beeden vorigen in pleno reifflich überlegten wie auch diesem gegenwärtigen denenselben inhaerirenden Decret gemäß abfertigen. § 2.5 Vornemlich aber zweytens einem Reitenden mehr nicht als 6 Hauptproceß, einem Beybotten aber 4 derselben zustellen und sie damit nach Anweisung des in Decreto de Anno 1653 enthaltenen fünfften Puncti ohne einigen Auffenthalt fortschicken solle. § 3.6 Und ob sich schon drittens zutrüge, daß eben zur Zeit des also abgefertigten Bottens über jetzt erwehnte Zahl noch ein oder andere auch der Orts ohne sonderlichen Umweg gehender Hauptproceß vorhanden, gleichwohl aber zu Abfertigung eines andern Botten nicht genugsam wäre, so sollen doch der oder dieselbe dem abreisenden Botten mit auffzugeben nicht gestattet noch erlaubt seyn, es geschehe dann nach genauer Erwegung der Sachen Umbständen, befundener Nothdurfft und darauff von diesem Kayserlichen Cammergericht ertheiltem Specialbefehl. § 4.7 Dieweil sich nun viertens hingegen begeben kan, daß an statt 6 nur 4 oder 5 Hauptproceß vorhanden, welche etwan soviel Zeit nicht erleiden möchten, daß noch einiges andern zu erwarten, so soll der Bott auch mit dieser geringern Zahl 1 2 3 4 5 6 7

§ 1 fehlt bei GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Deckherr 1688 klagende. GB 1665 Suppl.; GB 1678; GB 1696; GB 1707 deßfalls; Deckherr 1688 deßfahls. GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1696; GB 1707; GB 1724 auff. § 2 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. § 3 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. § 4 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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fortzureisen schuldig und gehalten. Oder, da er sich dessen verweigerte, alsdann der nechstfolgende in der Ordnung damit abgefertiget und dieser Abgang hernachmahls nicht durch eine absonderliche Reiß ersetzt, sondern, wie der Fall sowohl der Zahl als auch der Ferne halber einen oder andern trifft, die Reisen ohne Unterscheid angenommen und keine Proceß, sie seyen gleich ihrer Meynung nach gefreyet oder nicht, dem Botten einiger Gestalt nachgeschickt noch von ihme bey Straff der Entsetzung angenommen werden. § 5.1 Was fünfftens die vor diesem eingeschlichene und per Decretum de 1. Octobris2 Anno 1661 § 53 abgestellte Extraordinarireisen belanget, dabey hat es zwar sein ungeändertes Verbleiben. Indem aber jeweilen solche Proceß vorhanden seynd, welche ob morae periculum nothwendig alsobald insinuirt werden müssen und dahero biß zu Abfertigung desjenigen Botten, an deme sonsten die ordentliche Reiß ist, nicht können zurückgehalten werden, so soll nun4 allein in diesem Fall eine absonderliche Ordnung unter denen sämbtlichen sowohl reitenden- als Bey-Botten in richtiger Umbwechslung und gantz durchgehender Gleichheit herum gehen, keineswegs aber andere Hauptproceße, welche einigermassen in die ordentliche Reisen gebracht werden könten, denenselben mit auffgegeben werden. Im Übrigen gleichwohl seynd die sogenante freye Sachen, da bey Abfertigung des Botten deren einige zu insinuiren wären, gleich wie bey denen Ordinarireisen also auch in diesem Fall (doch5 daß er sich deßwegen über die Gebühr allhier nicht säumen thue) mitzunehmen erlaubt. § 6.6 Es soll auch sechstens weder in der Partheyen noch der Procuratoren, vielweniger in des Bottenmeisters Willkühr stehen, mit den geringsten Processen, frey oder unfrey, einen Botten unter dem Praetext, daß man demselben der Orthen noch etwas schuldig sey oder daß der Bott keine Mittel habe, in die Büchs einzulegen, oder sonst umb anderer7 Ursachen willen fortzuschicken, sondern in allen und jeden Proceßsachen der Ordnung vorerwehnter massen nachgelebt werden. § 7.8 Wie dann auch vor das Siebende, da einem Botten wegen übel insinuirter Processen solche auff seinen Kosten nochmahls9 zu insinuiren per Sententiam aufferlegt wäre, demselben, wann die Ordnung zu reisen ohne das nicht an ihm ist10, einige Sach ad insinuandum weiters auffzugeben, hiemit gäntzlich verbotten wird. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

§ 5 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. 1. Octobris fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Deckherr 1688 § 8. Deckherr 1688 man. Fehlt in Deckherr 1688. § 6 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 derer. § 7 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 nachmahls; Deckherr 1688 nachmals. GB 1665 Suppl.; GB 1678 anderer Satzbau nicht ohne das ihm ist.

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§ 8.1 Wann achtens die ordentliche Reiß einen Botten erreicht, soll er dieselbe, sobald er abgefertiget und vermög der Ordnung Part I. Tit. 48 § 3 et Tit. 50 § 4 in des Bottenmeisters Register eigenhändig eingeschrieben ist, ehist fortzustellen beflissen seyn und sich hieran nicht irren lassen, obschon ein solcher Proceß, wie hieroben in § 5 gemeldet, vorhanden seyn möchte, derentwegen ein Expresser abzufertigen, und eben dieser Bott auch zugleich dißfalls an der Ordnung wäre. Doch ist ihme bey seiner Wiederkunfft solche vorhin gehabte Befügnuß zu reisen hierdurch ohnbenommen. § 9.2 Neuntens, zu Verhütung aller des Einlegens halben entstehender Irrung, soll fürterhin diese Entschuldigung keine statt haben, ob wäre der Bott von der Parthey seines Lohns halben noch nicht befriediget oder daß er die Proceß dem Impetranten zu Gefallen und ohne Entgelt insinuirt habe oder was unter dergleichen Praetext nicht3 vorgewendet werden möchte. Sondern soll ein jeder innerhalb 3 Tagen nach seiner Wiederkunfft bey Verlust des Diensts einzulegen angehalten. Dem Botten hingegen, da er etwas wegen seines Lohns noch zu praetendiren hätte, auff sein gebührendes Ansuchen förderlich verholffen4 werden, ihme aber, solcher Forderung halben die insinuirte Proceß oder seine dazu gehörige Relation dem Procuratori (als wodurch die Reproduction gehemmet würde) vorzuenthalten, keines Wegs erlaubt noch zugelassen seyn. § 10.5 Als auch zum Zehenden wegen der Bottenmeister von jetzterwehnter Einlag und dazu gehörigen Concordigeldern biß dato quartaliter zugekommener 8 Gülden Anregung geschehen und sich dabey befunden, daß solche bereits vom Jahr 1583 in denen Rechnungen enthalten, so will man es auch noch zur Zeit dabey bewenden lassen. § 11.6 Und demnach eilfftens vermög mehrerwehnten Decreti de Anno 1661 § 2 et 3 das Hauptwerck der gantzen Bottenordnung darauff beruhet, daß die Proceß nicht durch die Advocaten, Procuratoren, Partheyen oder andere, sondern allein aus des hiezu verordneten Bottenmeisters Hand denen Botten auffs förderlichst zugestellet werden sollen, eine geraume Zeithero aber verspüret worden, daß einige Procuratores die auff ihr Gesinnen verfertigte Proceß und andere expedirte Sachen unter dem Vorwand, daß die Gelder zu deren Außlösung noch nicht übermacht oder bey Handen seyen, offtmahls so7 lang und viel, biß die Ordnung einen solchen Botten erreicht, deme der Procurator Causae sonders wohl geneigt und seine Proceß 1 2 3 4 5 6 7

§ 8 fehlt bei GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. § 9 fehlt bei GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; GB 1724 mehr. Deckherr 1688 geholffen. § 10 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. § 11 fehlt bei GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1724 offtso.

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vor andern gönnet, auff der Cantzley unaußgelöst liegen lassen, so wird zu mehrer Verhutung aller hieraus entstehender Confusionen, denen sämbtlichen Procuratoren dieses Kayserlichen Cammergerichts bey ernstlichem Einsehen und unaußbleiblicher Straff hiemit anbefohlen, daß sie alles dasjenige, was auff ihr gebührendes Anmelden jedesmahls bey der Cantzley geschrieben und expedirt wird, sobald es verfertiget, ohngeachtet ob sie sich hernach der Sachen entschlagen oder dieselbe andern zu verwalten zugestellt, aus der Cantzley ohne Widersprechen, auch ohne, daß sie die Cantzley auff die Partheyen verweisen, wie ihnen ohne das nach Inhalt der Cammergerichtsordnung Part. 1 Tit. 36 § 2 und darauff ergangener verschiedener Gemeiner Bescheiden oblieget, außlösen und folglich der Taxeinnehmer solche Sachen, sie seyen der Botten Einlag halber gefreyet oder nicht, dem Bottenmeister zu Abfertigung der Botten überlieffern soll. Und bleibt hingegen denen Procuratoren auff allen Fall, sich der Ordnung gemäß an ihren Principalen zu erholen, hiemit ohnbenommen. § 12.1 Nachdem man auch zwölfftens denen reitenden Cammerbotten offt und vielmahls anbefohlen, daß, weilen die Stände des Reichs ihrer jedem zweyunddreyßigundeinhalben Reichsthaler zu beständiger Unterhaltung eines Pferds jährlich durch den Pfenningmeister reichen lassen, sie hergegen2 ihre Schuldigkeit würcklich nachkommen solten, dieses aber biß dahero von dem mehrern Theil ausser acht gelassen worden, als ist hiermit der nochmahlige Befelch, daß ein jeder unter ihnen innerhalb 4 Monathen sich, als einem reitenden Cammerbotten gebührt, mit einem guten Pferd versehen und fürterhin dasselbe von gedachten Geldern auff der Streu halten oder aber im widrigen gewärtig seyn solle, daß ihm entweder solche Gelder bey dem Pfenningmeisterambt in Verbott geleget oder er wohl gar nach Befindung der Sachen zurück- und einer aus denen Beybotten an seine Stell gesetzt und angenommen werde. Massen dann ohne das der vormahls gefasten Resolution nach man dahin bedacht seyn will, wie die Zahl erwehnter Beybotten, deren sonsten Zwölff seyn sollen3, etwan auff Sechs (biß die Proceß in grösserer Menge einlauffen) vacirend und ohnersetzt gelassen werden möchte. § 13.4 Endlichen auff daß dieses Conclusum in allen und jeden seinen Puncten umb so viel besser beobachtet werde und bey eines oder des andern, so demselben nicht nachgelebt haben5 solte6, erfolgender künfftiger Bestraffung sich niemand mit der Unwissenheit entschuldigen noch auch die Botten, ob hätten sie solche Verordnung nicht genugsam verstanden, vorwenden mögen, so soll dieses Decretum vor1 2 3 4 5 6

§ 12 fehlt bei GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Deckherr 1688 hingegen. GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688 solten. § 13 fehlt bei GB 1665 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 werden. GB 1696; GB 1707 solle; Deckherr 1688 sollte.

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derist denen sämbtlichen hiesigen Kayserlichen Cammergerichtsadvocaten und procuratoren in der Audientzstube zu ihrer Nachricht förderlich per Protonotarium zugestellet werden. Der Cantzleyverwalter aber selbiges wie auch beyde vorige denen sämbtlichen reitenden und Bey-Botten nicht allein vor dißmahl, sondern auch hinführo wenigstens zweymahl im Jahr in Gegenwart des Bottenmeisters deutlich vorlesen, ihnen alle Puncten umbständlich vorhalten und sie zu deren beständiger Observantz wie nicht weniger zu allem geziemenden Respect und Bescheidenheit sowohl gegen mehrgedachtes dieses Collegium Camerale als auch diejenige, so ihnen absonderlich vorgesetzt seynd, alles Ernstes und respective mit Vorstellung der comminirten Straffen erinnern und anhalten. Auch da er an Seiten der Advocaten, Procuratoren, Cantzleyverwandten oder des Bottenmeisters einiger Contravention gewahr würde, solche gehöriger Orthen ohnverzüglich anbringen. Decretum in Consilio pleno, den 17. Augusti, Anno 1669. Franciscus Hieronymus Mertloch, Dr., Iudicii Imperialis Camerae1 Protonotarius manu propria2. Vorlage: CJC 1724, S. 920-923 Nr. CCCCXXXVIII. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 6-9; GB 1671 Suppl., S. 6-9; GB 1678, S. 59-61; GB 1686, S. 59-61; GB 1688, S. 55-57; Deckherr 1688, S. 476-481; GB 1695, S. 143150; GB 1696, S. 143-150; GB 1707, S. 143-150; GB 1710, S. 155-162 Nr. CLXXIV; GB 1714, S. 92-96 Nr. CLXXXI; CJC 1717, S. 92-96 Nr. CLXXXI; GB 1717, S. 9296 Nr. CLXXXI; GB 1724, S. 155-162 Nr. CLXXIV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid stellt als Sammelbescheid eine umfangreiche Botenordnung dar. Er schloss sich an die beiden älteren Botenordnungen vom 3. September 1653 (oben RKG Nr. 125) und vom 1. Oktober 1661 (oben RKG Nr. 155) an. Wie schon im Gemeinen Bescheid von 1661 lehnte sich das Reichskammergericht nicht mehr so auffällig an das Konzept der Reichskammergerichtsordnung von 1613 an. 1653 hatte das Konzept dagegen noch eine maßgebliche Rolle für das Botenwesen gespielt. Inwieweit sich das inzwischen geändert hatte, bleibt unklar. Jedenfalls verwies das Gericht im Bescheid von 1669 mehrfach punktgenau auf die Reichskammergerichtsordnung von 1555, jedoch nicht auf das Konzept von 1613. Das deutet auf eine veränderte Einschätzung der Rechtsquellenlage hin. Die Reichskammergerichtsordnung war vermutlich zeitweise vom Konzept überlagert worden, konnte sich aber langfristig doch wieder behaupten. Die dauerhafte und praktische Bedeutung des Konzepts von 1613 steht damit nicht fest. Anlass für den Gemeinen Bescheid war ein handfester Streit innerhalb der Botenschaft. Die Einleitung malte das plastisch aus. Es gab Beschwerden über die ungleiche Beschäftigung der Boten. Da ihr Gehalt wesentlich von der Zahl der Reisen und von den zurückgelegten Entfernungen abhing, lag hier der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Botenwesens. Der Botenmeister konnte seinen Günstlingen 1 2

GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. Decretum … propria fehlt in Deckherr 1688.

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Aufträge zuschanzen und andere beschäftigungslos stellen. Es gab zwar eine Botentafel. Sie sah auch eine feste Reihung vor und sollte eine gleichmäßige Verteilung der Aufträge sicherstellen. In der Praxis kam es hier aber regelmäßig zu Schwierigkeiten. Das Kameralkollegium betonte sogar, insgesamt schenke man den älteren Botenordnungen viel zu wenig Beachtung. Eine Kommission, die Kammerrichter und Assessoren eingesetzt hatten, bestätigte im Wesentlichen die Vorwürfe. Am 12. März hatten die reitenden Boten ihre Beschwerden schriftlich vorgelegt. Fünf Monate später erfolgte mit dem Gemeinen Bescheid die Antwort. Das Kameralkollegium verzichtete gem. § 1 darauf, die bereits begangenen Fehler umfassend aufzuarbeiten. Auch sollte es keinen Ausgleich für erlittene Benachteiligungen geben. Vielmehr zogen die Assessoren einen Schlussstrich unter die Angelegenheit und kümmerten sich lediglich um Verbesserungen für die Zukunft. Dabei ging es nicht nur um Verfehlungen des Botenmeisters. Auch einige Prokuratoren hatten zunächst behauptet, die Zustellungen in den von ihnen betriebenen Prozessen durch Notare vorzunehmen. Dann aber hatten sie die fraglichen Dokumente den Boten per Post hinterhergeschickt und ihnen somit Zusatzaufträge verschafft. Zugleich umgingen sie jedenfalls teilweise die fälligen Gebühren. Statt Sanktionen zu verhängen, begnügte sich das Gericht in § 2 mit einem schlichten Hinweis auf die bereits 1653 eingeführten Obergrenzen. Vier Zustellungen für einen Fußboten und sechs für einen reitenden Boten sollten eine weitgehende Gleichbehandlung gewährleisten. Grundsätzlich war eine Erhöhung dieser Anzahl nicht möglich (§ 3). Nur in besonderen Fällen waren Ausnahmen zugelassen, allerdings nur, wenn das Kameralkollegium ausdrücklich die Genehmigung dafür erteilte (sog. Spezialbefehl). § 4 betraf reitende Boten. Sie mussten sich auch mit weniger als sechs Zustellungen auf die Reise machen und sollten sich nicht weigern, solche Aufträge anzunehmen. Wer die Zustellung ausschlug, wanderte auf den letzten Platz der Botentafel. Auch die Nachsendung von Schriftstücken, bis die Sechszahl erreicht war, sollte unterbleiben. § 5 weichte das bestehende Verbot von Extraordinarreisen auf, das die Assessoren zuvor verhängt hatten. Einige Sachen waren wohl derart eilbedürftig, dass man bis zur Abfertigung des regulären Boten nicht zuwarten konnte. Um aber auch hier keine Ungleichbehandlungen zu erzeugen, schrieb das Kameralkollegium eine feste Reihenfolge auch für Extraordinarreisen vor. § 6 wandte sich gegen den offenbar bestehenden Missbrauch, einen Boten mit besonders geringwertigen Sachen auf Reisen zu schicken. An solchen Verfehlungen hatten sich wohl auch Parteien und Prokuratoren beteiligt. Jedenfalls sprach der Gemeine Bescheid sie gezielt an. § 7 ermöglicht Einblicke in Ordnungsstrafen für schlechte Zustellungen. Falls ein Schriftstück nicht ordnungsgemäß insinuiert war, konnte das Reichskammergericht durch Urteil eine nochmalige Zustellung anordnen. Diese Aufgabe musste derselbe Bote übernehmen, der zuvor den Fehler begangen hatte. In diesem Fall sollte er sich lediglich mit diesem einen Dokument auf eine neue Reise machen, unabhängig davon, ob er regulär an der Reihe war oder nicht. Zusatzaufträge durfte er lediglich übernehmen, wenn er inzwischen auf der Botentafel wieder ganz oben stand. Ansonsten reiste er ohne Bezahlung auf eigene Kosten und musste auf diese Weise für seine dienstlichen Fehler persönlich gerade stehen. § 8 löste den Konflikt zwischen Extraordinarreisen und gewöhnlichen Reisen, wenn derselbe Bote auf beiden Listen an erster Stelle stand. Hier sollte er den Ordinarauftrag erfüllen, wenn er ihn zuerst erhalten hatte, behielt aber nach

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seiner Rückkehr den ersten Platz auf der Extraordinartafel. § 9 verpflichtete den Boten, nach seiner Ankunft in Speyer den auf ihn entfallenden Anteil seiner Gebühren an das Gericht abzuführen. Diese Abgabe war auch dann fällig, wenn der Bote von der Partei noch kein Geld empfangen oder die Zustellung kostenlos durchgeführt hatte. Auf diese Weise versuchte man Ausflüchte der Boten zu verhindern. Zugleich verlagerte man freilich das Risiko des Zahlungsausfalls auf die Boten selbst. Sie mussten ihre Dokumente mitsamt Zustellungsvermerken den Parteien zur Reproduktion überlassen, auch wenn sie dafür nicht bezahlt worden waren. Von den Abgaben der Boten sowie von den erhaltenen Konkordiengeldern bei notariellen Zustellungen hatte bisher der Botenmeister vierteljährlich eine bestimmte Summe für sich abgezweigt. Die Boten hatten sich in ihrem Memorial vom März 1669 darüber beschwert. Da diese Praxis aber schon seit fast neunzig Jahren so bestand, sah das Kameralkollegium keinen Anlass, hieran etwas zu ändern (§ 10). § 11 wandte sich gegen Verzögerungen, die von den Prokuratoren zu vertreten waren. Sie erteilten teilweise Zustellungsaufträge, ließen die fertigen Dokumente dann aber liegen. Die Prokuratoren behaupteten in solchen Fällen, ihre Mandanten hätten die fälligen Gebühren noch nicht entrichtet. Das Gericht unterstellte aber, die Prokuratoren wollten lediglich so lange warten, bis ihr Lieblingsbote an der Reihe war und die Reise unternehmen konnte. Deswegen ordnete es eine unbedingte Zahlungspflicht an und nahm keine Rücksicht darauf, ob die Prokuratoren von ihren Auftraggebern das Geld bereits erhalten hatten. Sie konnten zwar später Rückgriff nehmen, aber der Botenmeister sollte den Kammerboten zunächst einmal abfertigen. Auf diese Weise versuchte das Gericht, das Zustellungswesen zu beschleunigen (dazu auch der Gemeine Bescheid vom 29. Oktober 1670, unten RKG Nr. 183). § 12 deckte eine verbotene Möglichkeit auf, wie die reitenden Boten ihr Gehalt aufbesserten. Sie erhielten zwar gesondert Geld, um ein gutes Pferd zu unterhalten, nutzten es aber für andere Zwecke. Offenbar hatten einige reitende Boten überhaupt keine Pferde. Warum so etwas nicht früher aufgefallen war, erstaunt besonders. Aus den Botenberichten ging jeweils die Reisegeschwindigkeit hervor. Vielleicht liehen sich die Boten für ihre Zustellungen fremde Pferde, vielleicht prüfte auch niemand die Botenberichte ernsthaft nach (dazu auch der Gemeine Bescheid vom 6./16. Oktober 1674, unten RKG Nr. 193). Eine Frist von vier Monaten zeigt zugleich, wie vergleichsweise zeitaufwendig es war, in Speyer gute Pferde zu beschaffen. Die finanziellen Möglichkeiten der Boten zur Beschaffung hochwertiger Tiere waren freilich begrenzt. Bei Verstößen drohte dennoch die Degradierung zum Fußboten. Das Kameralkollegium kündigte zudem an, die Zahl der Fußboten wegen des rückläufigen Geschäftsanfalls zu halbieren. Hier scheint zugleich eine Hauptursache für die vielen Streitigkeiten innerhalb der Botenschaft gelegen zu haben. Eine viel zu große Zahl an Boten musste sich den immer kleiner werdenden Kuchen teilen. Abschließend ging es in § 13 um die Verkündung der Reform. Über die übliche Bekanntgabe an Advokaten und Prokuratoren hinaus sollte der Bescheid, wie schon in der Vorgängervorschrift angeordnet, mindestens zweimal jährlich den Boten vorgelesen werden. Hier fällt der Verzicht auf weitere Rechtsquellen besonders auf. Der Kanzleiverwalter sollte zwar den Gemeinen Bescheid selbst sowie die Verfügungen von 1653 und 1661 vorlesen. Es fehlte jedoch jeder Hinweis auf die Reichskammergerichtsordnung. Dafür sollte der Kanzleiverwalter die Vorschriften zugleich auch erläutern. Das

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erschien wohl sinnvoller als die bloße Lektüre des Gesetzestextes. Zur Ruhe kam das Botenwesen daraufhin immer noch nicht. Ein weiterer Gemeiner Bescheid erging am 6./16. Oktober 1674 (unten RKG Nr. 193).

RKG Nr. 181 1670 Januar 5 De tutelis cameralibus ulterior provisio et mandatum.1 [De tutelis cameralibus ulterius mandatum ad tutores et curatores.]2 Demnach zu End des vergangenen 1668sten Jahrs denen sämbtlichen der cameralischen Kinder verordneten Vormündern durch ein Gemeines Decret aufferlegt und befohlen worden, ihrer tragenden Vormundschafften gebührende Inventaria und Rechnungen3 in gewisser dazu angesetzter Zeit zu dieser des Kayserlichen Cammergerichts Cantzley zu übergeben (wie dann von dem mehrern Theil erwehntem Decret gehorsamlich nachgelebt worden) und nunmehr die Noth ferner erfordert, daß dieselbe sowohl zu Enthebung der Tutoren künfftiger schweren Verantwortung als der Pupillen gewissen Versicherung fleißig examiniret und davon Richtigkeit an Tag gegeben werde, als ist hiemit von Ambtswegen der Bescheid: Daß ein jedweder cameralischer Vormund seiner ihme anvertrauten Pflegkinder nechste Freund und Anverwandte gedachtem diesem Kayserlichen Cammergericht innerhalb 14 Tagen namhafft machen und darauff gewärtig seyn soll, daß denenselben oder, da deren keine in loco oder bereits verstorben wären, andern, welche sie auff solchen Fall nach ihrem besten Bedüncken dazu zu denominiren haben, die eingebrachte Inventaria und Rechnungen4 zugestellt und darüber decretirt werde, was zu oberwehntem Zweck am dienlichsten5 zu seyn, sich ereignen wird. § 1.6 Dann, weiln vorbemeldter außgelassener Gemeiner Tutelarbescheid alle Vormünder ernstlich anweiset, daß sie mit Uberliefferung ihrer Rechnungen von Jahren zu Jahren ihren geleisteten Pflichten nach continuiren sollen, als werden dieselbe, die in ohnzuverläßigem Unterlassungsfall darinnen angedrohete Straff zu vermeiden, sich hiernechst gebührend einzustellen und welche mehr angezogenem 1 2 3 4 5 6

De ... mandatum fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717; GB 1724. De … curatores in Deckherr 1688. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 Rechnung. Deckherr 1688 Rechnung. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 dienstlichsten. § 1 fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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Bescheid mit Einschickung ihrer Inventarien und Rechnungen biß dato noch kein Genügen geleistet, deme förderlich nachzukommen wissen. Decretum in Senatu Tutelari, ut supra1. Franciscus Hieronymus Mertloch, Dr., Iudicii Imperialis Camerae2 Protonotarius3. Vorlage: CJC 1724, S.923 Nr. CCCCXXXIX. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 9; GB 1671 Suppl., S. 9; GB 1678, S. 61-62; GB 1686, S. 61-62; GB 1688, S. 57-58; Deckherr 1688, S. 481; GB 1695, S. 150-151; GB 1696, S. 150-151; GB 1707, S. 150-151; GB 1710, S. 162-163 Nr. CLXXV; GB 1714, S. 96 Nr. CLXXXII; CJC 1717, S. 96 Nr. CLXXXII; GB 1717, S. 96 Nr. CLXXII; GB 1724, S. 162-163, Nr. CLXXV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt Vormundschaftsfragen bei minderjährigen Kindern. Ohne genaue Datumsangabe zitierte die Vorschrift den älteren Bescheid vom 1. November 1668 (oben RKG Nr. 176), stand aber zugleich in der Linie weiterer Bescheide (z. B. vom 26. März 1658, 22. Februar 1659, 17. November 1659 und 22. Januar 1664; oben RKG Nr. 135, 139, 142 und 162). Zunächst vermeldete das Kameralkollegium einen Erfolg. Die meisten Vormünder hatten nämlich die angeforderten Vermögensübersichten erstellt und abgegeben. Jetzt ging es darum, die Verwandtschaft offiziell über die Inventare zu informieren und zugleich die Vormünder wegen ihrer abgeschlossenen Tätigkeit rückwirkend zu entlasten. Die Vormünder selbst sollten angeben, welche Verwandten dafür zuständig waren. Jährlich sollte sich dieses Verfahren wiederholen, ohne dass hierfür gesonderte Mahnungen ergehen mussten. In der Praxis scheint es aber weiterhin Vollzugsdefizite gegeben zu haben, wie die Strafdrohung deutlich belegt.

RKG Nr. 182 1670 Oktober 10 Mulctarum solutio advocatis et procuratoribus severius iniungitur.4 [De mulctis ab advocatis et procuratoribus solvendis.]5 Auff die von dieses Kayserlichen Cammergerichts Pedellen beschehene Anzeig, welcher gestalt ihnen an denen nach und nach andictirten Straffen unter allerhand Vorwand bißhero nichts oder gar wenig gereicht werden wollen, sondern sie nur 1 2 3 4 5

Ut supra fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Judicii Camerae Imperialis. Decretum … Protonotarius fehlt in Deckherr 1688. Mulctarum ... iniungitur fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. De … solvendis in Deckherr 1688.

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verlänglich auffgezogen oder wohl 3, 4 oder mehrmahlen vergebentlich umb die Weeg gesprengt würden, ist hiermit nochmahln und endlich der ernstliche Befelch, daß denen so vielfältig ergangenen Decreten zu gebührender Folge alle Advocaten und Procuratoren in Zeit 8 Tagen diejenige Straffen, welche sie bezahlt zu haben mit Quittungen oder ihnen nachgelassen zu seyn durch erhaltene Decreta nicht bescheinen können, ohne fernern Verzug, Auffenthalt oder Einrede gehorsamlich entrichten oder im widrigen Unterlassungsfall die dabey angedrohete würckliche Execution oder auch gar die Suspension ihres Dienstes zu gewarten haben sollen. Zu welchem Ende dann ermeldten Pedellen gleichfals aufferlegt wird, nach verflossenem solchem Termin diesem Kayserlichen Cammergericht den Erfolg schrifftlich zu bedeuten. Decretum in Consilio pleno, 10. Octobris Anno 1670. Franciscus Hieronymus Mertloch, Dr.1, manu propria2. Vorlage: CJC 1724, S. 923-924 Nr. CCCCXL. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 9-10; GB 1671 Suppl., S. 9-10; GB 1678, S. 62; GB 1686, S. 62; GB 1688, S. 58; Deckherr 1688, S. 481-482; GB 1695, S. 151-152; GB 1696, S. 151-152; GB 1707, S. 151-152; GB 1710, S. 163-164 Nr. CLXXVI; GB 1714, S. 96-97 Nr. CLXXXIII; CJC 1717, S. 96-97 Nr. CLXXXIII; GB 1717, S. 96-97 Nr. CLXXXIII; GB 1724, S. 163-164 Nr. CLXXVI. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Eintreibung von Strafgeldern durch den Pedellen. Das Kameralkollegium selbst sprach von vielfältigen Erlassen in dieser Sache. In der Tat waren dazu bereits mehrere andere Gemeine Bescheide ergangen (z. B. am 6. November 1655, 2./12. Mai 1658, 24. März 1659, 1. Dezember 1659, 21. Mai 1660 und 17. August 1661; oben RKG Nr. 128, 136, 140, 143, 149 und 154). Dennoch standen zahlreiche Forderungen gegen straffällig gewordene Advokaten und Prokuratoren immer noch offen. Ständig hielten die Assessoren den Pedellen an, sich durch unbewiesene Ausreden über bereits erfolgte Zahlungen, Erlass oder Aufschub nicht beeindrucken zu lassen. Trotzdem geschah nichts. Es gab zwar eng bemessene Fristen, jetzt wieder nur acht Tage. Auch drohte den Anwälten die Suspendierung von ihrem Amt. Aber die Strafgelder konnte das Gericht trotzdem nicht eintreiben. In diesem Punkt war die Disziplinargewalt der Assessoren über die Anwaltschaft außerordentlich schwach ausgeprägt. Zumindest in der alltäglichen Praxis scheute man augenscheinlich größere Konflikte.

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Fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Decretum … propria fehlt in Deckherr 1688.

RKG Nr. 183 1670 Oktober 29

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RKG Nr. 183 1670 Oktober 29 Prorogatio fatalium temere non petitor.1 [De prorogatione fatalium temere non petenda.]2 Ad Supplicam eodem Die per Lizentiat N. exhibitam, in causa L. P. Erben, pro ulteriori Prorogatione Fatalium, Decretum: Seynd die Fatalia dißmahl wie gebeten erstreckt: Sollen aber künfftig die erkante Proceß also bald zu expediren gegeben und, wann sie außgefertiget, außgelöst, nicht aber pro Fatalium Prorogatione in Hoffnung, dasjenige, so abgeschlagen, annoch zu erhalten und biß die Principalen die Gelder überschicken, supplicirt werden. Vorlage: CJC 1724, S. 924 Nr. CCCCXLI. Weitere Ausgaben: GB 1665 Suppl., S. 10 (letzter Bescheid der Sammlung); GB 1671 Suppl., S. 10; GB 1678, S. 62; GB 1686, S. 62; GB 1688, S. 58; Deckherr 1688, S. 482; GB 1695, S. 152; GB 1696, S. 152; GB 1707, S. 152; GB 1710, S. 164 Nr. CLXXVII; GB 1714, S. 97 Nr. CLXXXIV; CJC 1717, S. 97 Nr. CLXXXIV; GB 1717, S. 97 Nr. CLXXXIV; GB 1724, S. 164 Nr. CLXXVII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid wendet sich gegen unerwünschte Anträge auf Fristverlängerung. Zunächst fällt die Form der Überlieferung ins Auge. Nach langen Jahren kehrte das Gericht erstmals zu einem Gemeinen Bescheid zurück, der sowohl ein Zwischenurteil in einem laufenden Rechtsstreit als auch eine allgemeine Anordnung enthielt. Im 16. Jahrhundert war das weithin üblich, inzwischen aber ganz ungewöhnlich (vgl. Gemeine Bescheide vom 7. April 1608 und 12. Dezember 1662; oben RKG Nr. 101 und 159). In diesem Fall gewährte das Interlokut dem Prokurator N. eine Fristverlängerung. Der Gemeine Bescheid versuchte, genau solche Anträge einzudämmen, stellte zugleich aber klar, worum es in der Sache ging. Es handelte sich nämlich um Prozessverzögerungen durch den klägerischen Prokurator, nachdem das Gericht die Eröffnung eines Kameralverfahrens beschlossen hatte. Der Sache nach hatte schon die Botenordnung von 1669 diesen Punkt geregelt (Gemeiner Bescheid vom 17./27. August 1669 § 11; oben RKG Nr. 180). Jetzt gab es nach nur einem Jahr offenbar Anlass, derartige Verzögerungen nochmals zu verbieten. Insbesondere durfte es für den Fortgang des gerichtlichen Verfahrens keine Rolle spielen, ob die Prokuratoren von ihren Mandanten bereits Geld erhalten hatten oder nicht. Vielmehr sollte ein ausgefertigtes Ladungsschreiben vervielfältigt und dann zugestellt werden. Wenn die Anwälte versuchten, die Zitation gar nicht erst herausgehen zu lassen, griffen sie unzulässig in den Lauf des Gerichtsverfahrens ein. 1 2

Prorogatio ... petitor fehlt in GB 1665 Suppl.; GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. De … petenda in Deckherr 1688.

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RKG Nr. 184 1671 Juli 7

RKG Nr. 184 1671 Juli 7 De praestando iuramento restitutionis in integrum ulterior legislatio cum formulis.1 [De praestando iuramento restitutionis in integrum in animas partium, advocatorum et procuratorum propriam secundaria uti prior de 7. Julii 1669 legislatio.]2 Endlich ist der Gemeine Bescheid: Daß, gleichwie dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratores das Juramentum Calumniae et Appellationis in primo Termino gerichtlich abzustatten schuldig und verbunden seynd, also dieselbige auch hinführo in denjenigen Sachen, worin man gegen die hieselbst außgesprochene Urtheilen das Remedium Restitutionis in integrum an Hand zu nehmen gemeynet ist, sobald sie deßwegen gerichtlich anruffen werden, daß hierüber nunmehr absonderlich verfaste Juramentum nach Inhalt beykommender Formulen sowohl Specialgewalts als auch besagten Juramenti in ihrer Principalen und deren Advocaten (so dem Gewalt jedesmahl mit einzuverleiben) wie auch in3 ihrer der Procuratoren selbst eigene Seel in eadem Audientia und unerwartet fernern Bescheids abschwören sollen. Publicatum 7. Julii Anno 1671. Johannes Adamus Weickart4, [Dr.,]5 Judicii Imperialis Camerae6 Protonotarius7. Formula mandati specialis ad praestandum iuramentum in puncto8 restitutionis in integrum. Wir Endsbemeldte bekennen und thun kund jedermänniglichen: Demnach in Krafft an dem Hochlöblichen Kayserlichen Cammergericht am 7. Julii 1671 publicirt- und eröffneten Gemeinen Bescheids und darauff eingerichten Formulae Juramenti heilsamlich verordnet worden, daß in denjenigen Sachen, worinnen man gegen die daselbst außgesprochene Urtheilen das Remedium Restitutionis in integrum an Hand zu nehmen gemeynt, die Procuratores, sobald sie deßwegen gerichtlich anruffen werden, in ihrer Principalen und deren Advocaten wie auch ihre selbst eigene Seelen so gleich in eadem Audientia und ohnerwartet fernern Bescheids angeloben und einen Eyd zu Gott und auff das heilige Evangelium schwören sollen, daß sie von 1 2 3 4 5 6 7 8

De ... formulis fehlt in GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717; GB 1724. De … legislatio in Deckherr 1688. Fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724. GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Weicker. GB 1678; GB 1686. GB 1671 Suppl. Judicii Camerae Imperialis. Publicatum … Protonotarius fehlt in Deckherr 1688. In puncto fehlt bei GB 1710; GB 1724.

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ihrem neuen Einbringen vorhero keine Wissenschafft gehabt oder doch solches zu der Sachen dienlich zu seyn nicht vermeynt, sondern nunmehr gedachtes Remedium Restitutionis Platz zu haben und hierzu die Sach von Rechtswegen ohne Wiederholung desjenigen, so allbereit in Facto et Jure vorkommen, gnugsam qualificirt zu seyn erachten, alles getreulich und ohne Gefährde. Und dann wir wegen der an hochermeldtem Kayserlichen Cammergericht in Sachen N. contra N. am …1 gerichtlich publicirt- und eröffneter Urtheil mehrerwehnten Remedii Restitutionis in integrum uns zu bedienen benöthiget seyn, dannenhero dergleichen wohlverordneten Eyd abzustatten uns nicht weniger als andere gehalten wissen, die Wichtigkeit, was solcher Schwur auff sich habe usw. Uti in formula mandati specialis ad praestandum iuramentum calumniae [etc.]2. Formula iuramenti in puncto restitutionis in integrum. Ihr N. werdet in Sachen N. contra N. angeloben und in Krafft vorbrachten Original-Specialgewalts in eurer darin benamsten Principalen wie auch euer eigene Seele einen Eyd zu Gott und auff das heilige Evangelium schwören, daß weder ihr, noch gedachte eure Principalen und deren Advocaten von jetzigem neuen Einbringen vorhero einige Wissenschafft gehabt oder doch solches zu der Sachen dienlich zu seyn nicht vermeynet, sondern nunmehr das Remedium Restitutionis in Integrum gegen die an diesem Kayserlichen Cammergericht außgesprochene Urtheil Platz zu haben und hierzu die Sach von Rechtswegen ohne Wiederholung desjenigen, so allbereit in Facto et Jure vorkommen, genugsam qualificiret zu seyn erachtet, alles getreulich und ohne Gefährde. Vorlage: CJC 1724, S. 924 Nr. CCCCXLII. Weitere Ausgaben: GB 1671 Suppl., S. 13-14; GB 1678, S. 65; GB 1686, S. 65; GB 1688, S. 61; Deckherr 1688, S. 482-483; GB 1695, S. 158-160; GB 1696, S. 158-„60“ (Paginierungsfehler); GB 1707, S. 158-160; GB 1710, S. 164-166 Nr. CLXXVIII; GB 1714, S. 97 Nr. CLXXXV; CJC 1717, S. 97 Nr. CLXXXV; GB 1717, S. 97-98 Nr. CLXXXV; GB 1724, S. 164-166 Nr. CLXXVIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt Formalien beim Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er führte den zwei Jahre zuvor erlassenen Bescheid vom 7. Juli 1669 näher aus (oben RKG Nr. 179). Bei der Restitutio in integrum gegen Urteile des Reichskammergerichts mussten die Prokuratoren und Parteien Spezialvollmachten und Eidesformeln benutzen, die eng an § 118 des Jüngsten Reichsabschieds angelehnt waren. Dort ging es um Appellationen, aber die Beschränkung des Novenrechts war auch hier ein Problem, bei der Wiedereinsetzung sogar in 1 2

Auslassung fehlt in Deckherr 1688. GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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besonderem Maße. Über die einzuhaltenden Förmlichkeiten hatte es auch beim Appellationseid und der damit verbundenen Spezialvollmacht Diskussionen zwischen den Prokuratoren und den Assessoren gegeben (dazu Gemeiner Bescheid vom 25. August 1656; oben RKG Nr. 131). Möglicherweise hatte das Kameralkollegium bereits damals Formulierungen niedergelegt, deren Beachtung es von den Anwälten erwartete. Beim Restitutionsgesuch gibt der Bescheid dagegen Gewissheit. Sowohl die Eidesformel als auch die Spezialgewalt gab das Gericht den Prokuratoren an die Hand. Die Querverbindungen zum Appellationseid legte das Reichskammergericht dabei offen, sowohl im Gemeinen Bescheid als auch in den Schlusssätzen der Anwaltsvollmacht. Stellvertretung bei der Eidesleistung war auch bei der Restitutio in integrum möglich. Auch hier sollte der Prokurator den Eid in die Seele seines Mandanten schwören. Der zweimalige Hinweis sowohl in der Vollmacht als auch in der Eidesformel, Mandant und Prokurator handelten „ohne Gefährde“, wies die Förmlichkeiten deutlich als Spezialfall des Kalumnieneides aus. Rechtspolitisch gab es in der Mitte des 17. Jahrhunderts längst Auseinandersetzungen über die Abschaffung des Kalumnieneides. Gerade der Reichshofrat lehnte ihn als angeblich leere Förmelei ab. Das Reichskammergericht allerdings stand hier ganz in der gemeinrechtlichen Tradition und entwickelte sogar selbst die genauen Formulierungen. Die Visitation von 1713 kam auf das Thema zurück (dazu der Hinweis bei Ludolff, CJC 1724, S. 924). Sie rang sich aber nicht dazu durch, den Eid abzuschaffen, sondern überließ die künftige Entwicklung einer ausdrücklichen Anordnung durch „Kayserliche Majestät und das Reich“ (Anlage A zum Visitationsdekret vom 27. November 1713, in GB 1724, S. 244-245).

RKG Nr. 185 1671 Dezember 5 De rationibus a quaestore Camerae reddendis.1 [Actorum publicorum de rationibus quaestoris cameralis fragmenta quaedam illustris collegii.]2 Demnach die Kayserliche zu Abhör der Pfenningmeistereyrechnungen anwesende subdelegati Commissarii aus denen ihnen vorgebrachten Rechnungen so viel befunden, daß sowohl des vorigen Pfenningmeisters Johann3 Lindenmayers4 als jetzigen

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De ... reddendis fehlt in GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. Actorum … collegii in Deckherr 1688. Deckherr 1688 J. GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1724 Lindenmayrs; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Lintenmayrs; Deckherr 1688 Lindenmeyers.

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Gisberts de Maere1 Rechnungen ihrer vorgeschriebenen Ordnung zuwider ohne behörige Form2 eingerichtet, absonderlich aber die Einnahmen auff derselben blossem Angeben ohne ordentliche Gegenschreiberey und Bescheinung bestehen: Als ist auff wohlgedachter Commissarien beschehenes Erinnern nöthig befunden worden, allen und jeden dieses Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergerichts Procuratoren, welche von denen creyßaußschreibenden Fürsten und andern darunter gesessenen Ständen bestellt, hiemit anzubefehlen, in dieser und nechstfolgender Audientz forderst ihre Herren Principales mit Beylegung deren von ihnen habenden gemeinen Gewälten zu benennen, sodann denenselben von jetztmahliger Verordnung gleichlautende Abschrifften förderlichst zu dem Ende zuzufertigen, damit dieselbe denenjenigen Reichsständen, welche etwan mit keinem Procuratore bey diesem Gericht versehen seyn möchten, sowohl als andern kundgethan und darauff innerhalb 6 Wochen oder längstens 2 Monathen (so ihnen pro omni Termino et Prorogatione von Ambtswegen hiemit angesetzt) allerseits ordentliche Specificationes, was sowohl auff den vor dem Jüngern Reichsabschied de Anno 1654 versessenen und nach Abzug des in suspenso gelassenen dritten Theils zu zwölff Terminen reducirten alten Außstand3 als auff die nach obgedachtem Reichsabschied biß dato verfallene 35 neue Zieler, dieses Kayserlichen Cammergerichts Unterhalt betreffend, entweder dem nechstvorigen oder jetztmahligen Pfenningmeister oder auch in Legstädten biß zu Einschickung erwehnter Specification4 bezahlt worden mit Bemerckung der Tag, Monath und Jahren, auch mit Unterscheidung, auff welche Termin oder Zieler jedwedere Bezahlung, ingleichen, ob sie auff den neu erhöheten oder alten Fuß beschehen, eingebracht und übergeben werden möchten; mit dem Anhang, wo eine oder andere solchem also nicht nachkommen würden, daß alßdann, soviel die Säumige anlangt, derselben Zahlungen5, wie sie von dem Pfenningmeister dem Kayserlichen Fiscali in Einnahm angegeben worden, vor richtig und in Rechnung passirt, auch demezufolg die fiscalische Anruffungen inskünfftig darauff eingerichtet werden sollen. Decretum in Consilio pleno, den 5. Decembris 1671. Jacobus Michael, Lizentiat, Iudicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria6. Vorlage: CJC 1724, S. 925 Nr. CCCCXLIII.

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GB 1671 Suppl.; GB 1678 Gisberts de Maire; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 Gisbert de Maire; Deckherr 1688 Giesberts de Maire. Ohne …Form fehlt in Deckherr 1688. Deckherr 1688 Anstand. GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1724 Specificationen. Deckherr 1688 Zahlung. Manu propria fehlt in GB 1710; GB 1724; Decretum in … propria fehlt in Deckherr 1688.

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Weitere Ausgaben: GB 1671 Suppl., S. 14; GB 1678, S. 66; GB 1686, S. 66; GB 1688, S. 61-62; Deckherr 1688, S. 483-484; GB 1695, S. 160-161; GB 1696, S. „60“-161 (Paginierungsfehler); GB 1707, S. 160-161; GB 1710, S. 166-168 Nr. CLXXIX; GB 1714, S. 98 Nr. CLXXXVI; CJC 1717, S. 98 Nr. CLXXXVI; GB 1717, S. 98 Nr. CLXXXVI; GB 1724, S. 166-168 Nr. CLXXIX; auch als Separatdruck (z. B.: vd17 23:318121C = Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel Gl. 4° Sammelbd. 6 (3a). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die Finanzierung des Reichskammergerichts, aber aus einem bisher ungewohnten Blickwinkel. Zahlreiche Gemeine Bescheide hatten in den zurückliegenden 15 Jahren immer wieder die mangelnde Bereitschaft der Reichsstände beklagt, die nach dem Jüngsten Reichsabschied von 1654 geänderten Zahlungsmodalitäten für den Kammerzieler einzuhalten. Die Prokuratoren sollten die Reichsstände ermahnen, der Fiskal notfalls gerichtlich Druck machen, der Pfennigmeister für den ordnungsgemäßen Eingang und die richtige Verbuchung der Gelder sorgen (dazu Gemeine Bescheide vom 2. Januar 1656, 6./16. Februar 1657, 4. Dezember 1658, 27. April 1661, 28. Juni 1661, 5. Juli 1664, 7. November 1664, 7. Juli 1665, 23. März 1667, 10. April 1669; oben RKG Nr. 129, 133, 137, 151, 152, 163, 164, 167, 173 und 178). Jetzt aber stellte sich das Problem deutlich anders dar. Sowohl der vormalige als auch der gegenwärtige Pfennigmeister hatten ihre Abrechnungen sehr ungenau und unzuverlässig erstellt. Das vorgesehene Vieraugenprinzip hatten sie grob verletzt. Das Kameralkollegium erhob nicht ausdrücklich Korruptions- oder Unterschlagungsvorwürfe. Doch es konnte nicht nachvollziehen, welcher Reichsstand in welcher Höhe und wann Kammerzieler entrichtet hatte. In dieser Situation kam es nicht mehr in Frage, wie zuvor ständig die Reichsstände zur Zahlung anzuhalten. Möglicherweise hatten sie nämlich die Forderung nach Entrichtung der Kammerzieler schon längst erfüllt. Im Übrigen berichtete der Gemeine Bescheid wie auch schon zwei Vorgängerregelungen vom 23. März 1667 und 10. April 1669 (oben RKG Nr. 173 und 178) mit keinem Wort von einer Bestrafung der Pfennigmeister. Entweder geschah das intern und vermied die Öffentlichkeit eines Gemeinen Bescheids. Oder das Gericht erwies sich in diesem Punkt als äußerst nachsichtig. Statt dessen ging es dem Wortlaut nach nur um eine Bestandsaufnahme. Offenbar war dem richterlichen Personal nicht einmal bekannt, welcher Prokurator als ständiger Vertreter bestimmter Reichsstände bestellt war. Das sollten die Anwälte bei dieser Gelegenheit zugleich offenlegen. Außerdem waren sie gehalten, die kreisausschreibenden Fürsten und andere reichsständische Auftraggeber, denen sie dienten, mit Abschriften des Gemeinen Bescheids zu versorgen. Die kreisausschreibenden Fürsten hatten sodann Sorge zu tragen, dass kleinere Reichsstände, die entweder keine Kammergerichtsprozesse führten oder keinen ständigen Prokurator beschäftigten, ebenfalls ein Exemplar des Bescheids erhielten. Ähnlich wie bei den Gemeinen Bescheiden vom 29. Juli 1667 und 10. April 1669 (oben RKG Nr. 174 und 178) deutet das auf eine vergleichsweise große Verbreitung des Bescheids hin. Die Empfänger sollten gegenüber dem Gericht schließlich erklären, wann und wie viel sie auf die fälligen Zahlungen geleistet hatten. Nimmt man alle Anordnungen zusammen, besaß das Kameralkollegium also keinerlei Kenntnis über die eigene wirtschaftliche Lage. Seit der letzten Reform des Kammerzielers waren bereits 35 Zahlungstermine ins Land gegangen. Deswegen

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erstaunt es ganz besonders, warum die Assessoren nicht schon längst Lunte gerochen hatten. Zur Vereinfachung sah das Gericht eine vergleichsweise knappe Verschweigungsfrist vor. Diejenigen Reichsstände, die innerhalb von zwei Monaten nichts von sich hören ließen, waren mit verspäteten Einwendungen ausgeschlossen. In diesem Fall sollten die Listen der Pfennigmeister bestandskräftig werden, auch wenn sie ungenau geführt waren. Der folgende Bescheid vom 1. März 1672 kreist um dasselbe Problem (sogleich unten RKG Nr. 186).

RKG Nr. 186 1672 März 1 Ulterior dispositio de rationibus quaestoris Camerae cum quittantiae formula1. [Et commissariorum caesareorum.]2 Demnach die Kayserliche zu Abhör des Pfenningmeisters Rechnungen allhier anwesende Subdelegirte bey währender Commission wahrnehmen müssen, daß die von Churfürsten, Fürsten3 und Ständen des Heiligen Römischen Reichs zum cammergerichtlichen Unterhalt bewilligte Gelder in die dazu verordnete Legstädte entweder nicht erlegt oder aber daraus ohne Vorwissen des Kayserlichen Cammergerichts unter der Hand erhoben und an andere Ort und zwar verschiedene Privatkauffleute zu ihrem und des Pfenningmeisters dabey suchendem ohnerlaubten Profit assignirt, keine Urkunden, wie viel Geld, in was Sorten und in was Werth dieselbe jedesmahls bezahlt, ertheilt noch solche Unterhaltsgelder in die allhier von Alters hero geordnete Truhen verwahrt worden, dahero die erforderte Gegenschreiberey von denen Lesern nicht observirt werden können. Und aber sothane Unordnungen, Mißbräuch und Vervortheilungen der Reichsgelder nicht allein der Cammergerichtsordnung Part. I Tit. 40 schnurstracks entgegen lauffen, sondern auch gesambten des Heiligen Reichs Ständen und in specie einem hochlöblichen Collegio Camerali zu sonderbahrer Beschwerde und Gefährde gereichen4. Als haben ermeldte subdelegirte Commissarii eine hohe Nothdurfft zu seyn ermessen, daß diesem hochschädlichen Verfahren ins künfftig gesteuret und vorgebogen, zu dem Ende auch bey jetzt bevorstehender Franckfurter Fastenmeß alle und jede des Heiligen Reichs Churfürsten und Stände durch Ihre allhier bestellte Procuratores erinnert werden möchten, daß sie 1 2 3 4

Ulterior ... formula ebenfalls in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; dagegen fehlt Ulterior ... formula in GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1686; Deckherr 1688; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Et … caesareorum in Deckherr 1688. Fehlt in GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1671 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 gereichet.

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ihre Gelder hinführo nirgends anderst wohin als hinter Bürgermeister und Räthe deren1 hiezu verordneter Legstädte oder aber in hiesiger Stadt Speyer nicht in geringer Müntz, wie bißhero geschehen zu seyn vorgegeben wird, sondern in groben gangbahren Müntzsorten soviel immer möglich bezahlen lassen, auch dabey unterschiedlich, wie viel Gelder, in was Speciebus und in was Werth dieselbe erlegt, beurkunden wollen, damit die Leser ihre sonderliche Register als Gegenschreibere darüber halten, die Gelder von denen Legstädten mit wenigsten Ohnkosten und ohne Laggio anhero verschafft, sodann in obberührte Truhen biß zu jederweiliger Distribution verwahrlich behalten werden möchten. Damit auch ferner alle Unordnungen (derentwegen die Stände ihrer Quittungen und anderen Begegnüssen halber wider die Pfenningmeister eine geraume Zeit hero geklagt) hinführo vermieden bleiben, haben vorermeldte subdelegirte Commissarii sich einer gewissen Quittung und Gegenscheinsformul miteinander verglichen und für gut angesehen, daß von nun an und fürtershin von dem Pfenningmeister keine Quittung, Assignation oder Wechsel mehr außgegeben, auch weder von denen Ständen, deroselben Procuratoren und andern Befelchshabern noch denen Legstädten, Kauffleuten und Cassirern angenommen oder vor gültig gehalten werden sollen, es seyen dann die Termin des alten Außstands oder die neue Zieler, worauff2 die Bezahlung geschicht, wie ingleichen3 die Sorten und derselben Wert darin4 ordentlich specificirt, sodann zu End derselben Quittung von der Leserey ein Schein unter dem kleinen Cantzleyinsiegel, daß eine beglaubte Abschrifft darvon zu allhiesiger Gegenschreiberey eingelieffert worden, beygesetzt, auff Maaß und Weiß, wie in hiebeygedruckter Quittung und Gegenscheinsformul ordentlich zu sehen. Diesen Zweck in hiesiger Stadt Speyer sowohl als bey denen Franckfurter Messen mit Nachtruck zu erreichen5, soll [der]6 Pfenningmeister nunmehr die zu Speyer eingehende Unterhaltungsgelder nicht in seiner Behausung, sondern in der Leserey oder Deputationsstuben in Beyseyn und mit Zuthun der Leser als zugeordneter Gegenschreiber empfangen, gesambter Hand, wie obstehet, quittiren und in die Truhen ohnverzüglich einlegen und soll daraus auch nichts ohne Vorwissen der zum Pfenningmeisterambt deputirter Beysitzer erhoben und jedesmahl wie viel, was Sorten, wozu die Außnahm geschicht in das Protocollum der Gegenschreiberey ordentlich eingetragen werden. Die Reißen aber nach denen Franckfurter Messen anlangend, soll biß auff sambtlicher Churfürsten [, Fürsten]7 und Ständen Ratification oder anderwertliche Verordnung8 einer von 1 2 3 4 5 6 7 8

GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688 der; GB 1695; GB 1696; GB 1707 die. GB 1671 Suppl. warauff. Die neue Zieler … ingleichen fehlt in Deckherr 1688. Fehlt in Deckherr 1688. GB 1724 erhalten. GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1724. Deckherr 1688 Verantwortung.

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den Lesern als Gegenschreiber mit dem Pfenningmeister zu der künfftig- und folgenden Franckfurter Meßen1 reisen, sie beyde daselbst wie zu Speyer die von denen Legstädten und andere einkommende Gelder zugleich und keiner ohne den andern empfangen, quittiren und in die Cassa einschliessen, zu dem End das eiserne Faß oder Stock, so darzu gebraucht wird, mit zwey unterschiedenen Schlössern versehen, den einen Schlüssel der Leser, den andern aber der Pfenningmeister in guter Verwahr haben und von denen Summen, Sorten, verordneten Reiß- und ZehrUnkosten2, was nothwendig und würcklich außgeben wird, sambt dazu dienenden Quittungen und alles Verlauffs umbständliche Gegenschreiberey halten und bey der Wiederkunfft (die sie soviel möglich ohne Zeitverlierung und Abwartung einiger Privatgeschäfften zu beschleunigen hätten) dem Kayserlichen Cammergericht überantworten. Gleichwie nun dieses zu des Kayserlichen und des Heiligen Römischen3 Reichs Cammergerichts ohngezweiffeltem Besten und Nutzen gereichet, als wird hochlöblich gedachtes Collegium sich von selbsten gefallen lassen, diese Verordnung bey nechstgerichtlicher Audientz zu dem Ende zu publiciren, damit alle und jede Procuratores ihren Principalen sothane Anstalten mit erster Postgelegenheit überschreiben, auch4 die Legstädte ihre Kauffleute und dazu verordnete Cassirer darauff anweisen, zumahlen aber5 ein jeder Stand neben denen Lesern als Gegenschreibern und Pfenningmeistern sich darnach zu richten wissen mögen. Speyer, den 29. Februarii Anno 1672. Ex Mandato Dominorum subdelegatorum Commissariorum. Bernardus Klein, Caesareae Commissionis Secretarius6. Quittungsformul. Daß Ihre churfürstliche Gnaden zu N.(et sic mutatis mutandis) durch dero Rath, Procuratorn, Befelchshabern usw. mir endsbenandten des hochlöblichen Kayserlichen Cammergerichts verordnetem Pfenningmeister das auff Nativitatis 1671 und Annunciationis Mariae 1672 verfallene 35. und 36ste Zieler jedes per N. N. 7 Reichsthaler, zu wohlgedachten Kayserlichen Cammergerichts Unterhaltung an nachfolgenden Sorten:

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Deckherr 1688 Meß. Deckherr 1688 Zehrungskosten. Fehlt in GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1696; GB 1707 auff. Fehlt in GB 1671 Suppl.; GB 1678; Deckherr 1688; GB 1696; GB 1707. Speyer … Secretarius fehlt in Deckherr 1688. GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 per hundert und fünffzig.

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Ducaten Gantz- und halben Reichsthalern

Reichsthaler N. – N. –

Kreutzer N. N.

die Summ von N. N.1 Reichsthaler haben erlegen2 und bezahlen lassen, bekenne hiemit und quittire deßwegen umb so bezahlte N. N.3 Reichsthaler alle diejenige, so quittirens vonnöthen. Urkund dieser meiner eigenhändigen Unterschrifft und auffgedrucktem Pittschafft. Geben Speyer, den usw.4 (Locus Sigilli) N. N. Gegenscheinsformul. Daß gleichlautende Abschrifft zur Gegenschreiberey eingelieffert und dabey, wie No. N.5 zu6 sehen, die Gelder und Sorten richtig befunden, auch in die verordnete Cassa würcklich eingetragen worden, solches wird durch des Kayserlichen Cammergerichts unterschriebenen Lesers als Gegenschreibers Handschrifft und vorgedrucktes kleines Cantzleyinsiegel hiemit bezeugt. Datum ut supra. (Locus Sigilli) N. N. Publicatum ex Mandato Collegii Imperialis Camerae in offentlicher Audientz, 1. Martii Anno 1672. Jacobus Michael, Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae Potonotarius manu propria7. Vorlage: CJC 1724, S. 925-927 Nr. CCCCXLIV. Weitere Ausgaben: GB 1671 Suppl., S. 14-16 (letzter Bescheid der Sammlung); GB 1678, S. 66-68; GB 1686, S. 66-68 (letzter Bescheid des Hauptteils); GB 1688, S. 62-64; Deckherr 1688, S. 484-487; GB 1695, S. 162-166; GB 1696, S. 162-166; GB 1707, S. 162-166; GB 1710, S. 168-172 Nr. CLXXX; GB 1714, S. 99-101 Nr. CLXXXVII; CJC 1717, S. 99-101 Nr. CLXXXVII; GB 1717, S. 99-101 Nr. CLXXXVII; GB 1724, S. 168172 Nr. CLXXX. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid schließt nahtlos an die Vorgängerregelung vom 5. Dezember 1671 an (oben RKG Nr. 185). Die eingesetzte Kommission hatte zahlreiche Versäumnisse des Pfennigmeisters aufgedeckt und versuchte, sich Klarheit über die finanzielle Situation des Gerichts 1 2 3 4 5 6 7

GB 1671 Suppl.; GB 1678 Drey hundert; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 dreyhundert. Deckherr 1688 wollen erlegen. GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Drey hundert. Den usw. fehlt in Deckherr 1688. N. fehlt in Deckherr 1688. GB 1671 Suppl.; GB 1678; GB 1688 wie No .. zu; GB 1695; GB 1696; GB 1707 wie No. zu. Publicatum … propria fehlt in Deckherr 1688.

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zu verschaffen. Wegen der unklaren Rechnungsführung und der fehlenden Gegenzeichnung ließ sich alles nur sehr schwer nachvollziehen. Einiges stand aber fest. Mancher Reichsstand hatte seine fälligen Kammerzieler gar nicht entrichtet, jedenfalls nicht an die vorgesehenen Legstädte. Andere hatten sie zwar zunächst gezahlt, dann aber wieder aus der Kasse entnommen. Hierbei sollen die Stände mit dem Pfennigmeister kollusiv zusammengewirkt haben. Durch verbotene Finanzgeschäfte hatten jedenfalls beide Seiten Zins- und Wechselvorteile erwirtschaftet, das Gericht aber viel zu spät die angeforderten Zahlungen erhalten. Ordnungsgemäße Quittungen gab es nicht, und in die in Speyer vorhandene Schatztruhe waren die Gelder nie gewandert. Die vorgesehene und schon früher angeordnete Gegenzeichnung durch die Leser (dazu Gemeine Bescheide vom 23. März 1667 und 10. April 1669, oben RKG Nr. 173 und 178) konnte deswegen nicht stattfinden. Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 enthielt im zitierten Titel 40 des 1. Teils fünf Paragraphen über die Amtspflichten des Pfennigmeisters. Sie waren inzwischen leicht veraltet, etwa indem sie die Rechnungslegung an die jährlichen Visitationen anknüpften, die es gar nicht mehr gab. Trotzdem galten die Grundzüge noch, und das Gericht schärfte sie ein. Anlässlich der bevorstehenden Frankfurter Messe sollten die Prokuratoren ihre reichsständischen Mandanten an die vorgeschriebenen Spielregeln erinnern. Zahlungen hatten entweder direkt an den Pfennigmeister in Speyer oder an die Legstädte Augsburg, Frankfurt und Nürnberg (gem. RKGO 1555 1, 40, 2) zu erfolgen und zwar in guten Münzen, also in Edelmetall. Die Münzsorten waren zu quittieren, auch damit die Leser ihrer Gegenzeichnungspflicht nachkommen konnten. Mit dem Hinweis auf den „Laggio“ bewies die vom Gericht eingesetzte Kommission wirtschaftswissenschaftliche Detailkenntnisse (zum Wort Alfred Schirmer, Wörterbuch der deutschen Kaufmannssprache auf geschichtlichen Grundlagen, Stuttgart 1911/Nachdruck Berlin, New York 1991, S. 7, 20). Es handelte sich hierbei um den Agio bzw. Aufwechsel, also einen Aufpreis, den offenbar der Pfennigmeister für den Transport des Geldes von den Legstädten nach Speyer berechnet hatte. Er sollte fortan wegfallen. Deswegen hatte es bereits Beschwerden der Stände gegeben, wohl auch wegen anderer Unregelmäßigkeiten. Um alle Zahlungen durchsichtig zu halten, schrieb der Gemeine Bescheid für zukünftige Transaktionen zwei Formblätter vor, die alle erforderlichen Daten enthielten. Vor allem tat schärfere Kontrolle des Pfennigmeisters Not. Bei allen wichtigen Amtshandlungen sollte deswegen das Vieraugenprinzip gelten. Selbst die Dienstreisen nach Frankfurt hatte der Pfennigmeister fortan gemeinsam mit einem Leser anzutreten. Ebenfalls sollten sämtliche Ein- und Auszahlungen in die Schatztruhe nur vom Pfennigmeister gemeinsam mit einem Leser getätigt werden. Deswegen sah der Gemeine Bescheid sogar zwei getrennte Schlösser mit verteilten Schlüsseln vor, um jeden Missbrauch im Keim zu ersticken. Wie bereits bei anderer Gelegenheit band das Gericht die Prokuratoren in die Normdurchsetzung ein. Nachdem die Kommission am 29. Februar 1672 den Gemeinen Bescheid entworfen und das Kameralkollegium ihn gebilligt hatte, gab der Protonotar ihn einen Tag später in der Audienz bekannt. Den Prokuratoren oblag es sodann, die Reichsstände zu unterrichten.

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RKG Nr. 187 1672 Juli 24

RKG Nr. 187 1672 Juli 24 Quomodo solutio veteris residui caute et probe a quaestore Camerae fieri debeat.1 Soll des Kayserlichen Cammergerichts Pfenningmeister Giesbert de Maere der von Churfürsten und Ständen des Reichs beschehenen und in dem letzteren ReichsAbschied de Anno 1654 § „Und nachdemmahlen auch usw. 12“, sodann § „Und sollen von deme usw. 20“ enthaltenen Verordnung gemäß denen Cameralpersohnen und denen respective Wittiben, Waysen und Erben auff Abschlag ihres alten Außstands der Salarien von denen anjetzo bey Handen habenden Geldern, gleichwie es von Zeiten jetzterwehnten Reichsschluß biß anhero beständig observirt und gehalten worden, nach Proportion eines jeden Angebühr ohne einiges Einwenden behörende Zahlung thun und hieran noch an heut ohnfehlbar den Anfang machen, auch hinführo denen vorhin gegebenen Decretis gemäß, dergleichen an alten Restanten einkommende Gelder von denen lauffenden neuen Zielern und deren Erlagen in seinen Rechnungen und Außtheilungen zu Verhütung aller Confusion und Irrthumbs behörendermassen separiren und absondern und, daß sie in der Leserey nicht unter die andern Gelder vermischt, sondern biß zu jedesmahliger Distribution a part daselbst auffbehalten werden mögen, gute Obacht haben. Decretum in Consilio pleno, den 24. Julii 1672. Johannes Adamus Weickart, Dr., Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 927 Nr. CCCCXLV. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 101 Nr. CLXXXVIII; CJC 1717, S. 101 Nr. CLXXXVIII; GB 1717, S. 101 Nr. CLXXXVIII; GB 1724, S. 214-215 Nr. CCX; fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt Probleme bei der Besoldung des Kameralpersonals. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Bescheiden seit dem 2. Januar 1656 (oben RKG Nr. 129) ging es in erster Linie nicht darum, die ausstehenden Zahlungen von den Reichsständen einzutreiben. Auch die Rechnungsführung des Pfennigmeisters stand nur mittelbar im Visier (dazu etwa die Gemeinen Bescheide vom 5. Dezember 1671 und 1. März 1672, oben RKG Nr. 185-186). Vielmehr regelte das Gericht Einzelheiten der Geldverteilung. Die zitierten §§ 12 und 20 des Jüngsten Reichsabschieds sahen ein bestimmtes Verfahren zur rückwirkenden Bezahlung der Kameralpersonen vor. Auch Kammerzieler aus längst vergangenen Zahlungsperioden waren also wei1

Auch in GB 1717.

RKG Nr. 188 1672 September 30

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terhin fällig und sollten an die Gerichtsmitglieder gelangen. Wenn diese seitdem verstorben waren, ging das Geld an ihre Witwen oder Erben. Inzwischen hatten einige Reichsstände ihre aufgetürmten Altschulden oder wenigstens Teile davon abgetragen. Wie schon in früheren Bescheiden (so am 23. März 1667; oben RKG Nr. 173) ordnete das Reichskammergericht an, die Zahlungen auf die alten Schulden von den aktuell fälligen Kammerzielern getrennt zu behandeln. Hier drohten offenbar abermals Irrtümer in der Leserei.

RKG Nr. 188 1672 September 30 De candidatorum advocaturae Camer[ae] qualificatione.1 [De candidatorum advocaturae Cam[erae] Imp[erialis] qualitatibus nova et necessaria lex.]2 Endlich ist der Gemeiner Bescheid: Daß3 denenjenigen, welche sich umb Conferirung der Advocatur bey diesem Kayserlichen Cammergericht fürters supplicando angeben werden, nicht4, wie bißhero geschehen, selbst beliebige Specimina zu Darthuung ihrer Erudition und Geschicklichkeit hervorzubringen verstattet, sondern ihnen aus sonderbaren Ursachen zu dem End ein gewisses ohnversehenes5 Thema in puncto Iuris, umb selbiges vor sich allein und ohne frembde Hülff und zwar in der Deputationstuben zu deduciren, auffgegeben, sie, Supplicanten, auch zu erwehntem Advocatenstand ehender nicht admittirt und angenommen werden sollen, es haben dann dieselbe zuvor glaublich erwiesen, daß sie einige Jahr (wegen welcher Zeit sich gedachtes Kayserliches Cammergericht nach Befindung des Subjecti das Arbitrium6 vorbehält) auff approbirten Universitaten dem Studio Theoretico obgelegen, auch wenigst zwey Jahr lang sich in Advocatura7 Camerali würcklich geübet und im Übrigen ein solches Alter erreichet, daß man ihnen hierin zu willfah-

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De ... qualificatione fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. De … lex in Deckherr 1688. Fehlt in Deckherr 1688. Fehlt in Deckherr 1688. Deckherr 1688 sonderbahres. Nach GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 Arbarium. GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1695; GB 1696; GB 1707 advocatia; Deckherr 1688 Advocatoria.

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ren umb soviel weniger Bedencken tragen möge. Decretum in Consilio pleno, den 30. Septembris 16721. Johann Wilhelm2 Mertz, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria3. Vorlage: CJC 1724, S. 927 Nr. CCCCXLVI. Weitere Ausgaben: GB 1678, S. „75“ (Paginierungsfehler, recte 69); GB 1686 Suppl. (ohne Seite); GB 1688, S. 65; Deckherr 1688, S. 487; GB 1695, S. 166; GB 1696, S. 166; GB 1707, S. 166; GB 1710, S. 172-173 Nr. CLXXXI; GB 1714, S. 101-102 Nr. CLXXXIX; CJC 1717, S. 101-102 Nr. CLXXXIX; GB 1717, S. 101-102 Nr. CLXXXIX; GB 1724, S. 172-173 Nr. CLXXXI. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid führt eine Aufnahmeprüfung für Advokaten am Reichskammergericht ein. Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 (1, 18, 1) hatte generalklauselhaft verlangt, Advokaten sollten „der rechten gewürdigt“ und „examinirt“ sein. Was darunter genau zu verstehen war, sagte die Gerichtsordnung nicht. Bei Assessoren gab es schon länger eine feste Aufnahmeprüfung. Sie mussten eine Proberelation anfertigen und auch ein mündliches Examen ablegen. Die Advokaten dagegen, so jedenfalls der Gemeine Bescheid, hatten bisher nach eigenem Ermessen von ihnen angefertigte Schriftsätze vorgelegt und damit ihre Eignung bewiesen. Hier sah der Gemeine Bescheid nun ein strengeres Verfahren vor. Bei den angeblichen Probeschriftsätzen konnte ja niemand wissen, wer sie wirklich geschrieben hatte. Deswegen führte das Gericht für die Zukunft eine Klausur ein. Der Kandidat sollte ohne fremde Hilfe in den Gerichtsräumen ein Thema bearbeiten und damit seine fachliche Qualifikation unter Beweis stellen. Außerdem mussten die Bewerber studiert haben und mindestens zweijährige Erfahrung in der Kameraladvokatur besitzen. Dieser letzte Punkt belegt die strenge Unterscheidung verschiedener Advokatengruppen. Diejenigen Advokaten, die kammergerichtliche Parteien rechtlich berieten und mit den Speyerer Prokuratoren zusammenarbeiteten, waren noch lange keine Kameraladvokaten im engeren Sinne. Es gab am Reichskammergericht zwar eine weitgehende Angleichung der zugelassenen Advokaten und Prokuratoren, nicht jedoch zwischen den zugelassenen und nicht zugelassenen Anwälten. Hier verlief ein strenger Schnitt. Ein Advokat musste zunächst als Korrespondenzanwalt eines Prokurators den Reichskammergerichtsprozess aus eigener Anschauung kennengelernt haben. Vielleicht genügte auch die Mitarbeit bei einem Kameraladvokaten. Erst dann durfte er darauf hoffen, offiziell am Reichskammergericht zugelassen zu werden. Hier konnte er dann nach einigen Jahren zusätzlich die Prokuratur erwerben und somit sämtliche anwaltlichen Dienstleistungen für seine Mandanten vornehmen, ohne sich die Arbeit und die Gebühren mit einem Kollegen teilen zu müssen. Von der Prokuratorentätigkeit sprach der Gemeine Bescheid nicht. Die eigentliche Hürde scheint also die Aufnahme als Advokat gewesen zu sein. Im Hinblick auf die Studien-

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Nach GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; dagegen CJC 1724 40. Septembris 1672. Johann Wilhelm fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Decretum … propria fehlt in Deckherr 1688.

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dauer und das Lebensalter besaß das Kameralkollegium Ermessensspielräume und konnte auf diese Weise unerwünschte Kandidaten aussortieren.

RKG Nr. 189 1673 Januar 28 Fiscalis Caesar[eus] legitimatio usque ad repositionem vacantis quaesturae Camerae.1 [Fragmentum tertium in causa quaesturae Camerae vacantis.]2 Demnach die unumgängliche Nothdurfft erfordern will, daß bey jetztmahliger wegen des am 24. hujus abgelebten Gisberten de Maere3 vacirend stehender hiesiger Kayserlicher und des Reichs-Cammer-Gerichts Pfenningmeistersstelle die zu erwehnten Gerichts Unterhaltung destinirt- und einkommende Reichsgelder einen Weeg als den andern zu gebührender Einnahm gebracht werden, als wird dem Kayserlichen Generalfiscal, welcher seines obhabenden Ambts halber4 hierin am besten informirt ist, hiemit anbefohlen, daß er ad interim und biß auff erfolgende Wiederersetzung solcher Stelle mit Zuziehung eines Lesers als Gegenschreibers erwehnte Gelder einnehmen, darüber mit und neben demselben5 anstatt des Pfenningmeisters quittiren, folglich die Gelder unverzüglich zur Leserey bringen und daselbst in die gewöhnliche Truhen einlegen solle: Deßwegen dann ihme, Kayserlichen Fiscaln, zu seiner hierzu erforderter Legitimation dieser Schein unter der Römisch Kayserlichen Majestät vorgedrucktem Kayserlichen Insiegel mitgetheilet worden. Und ist demnechst ermeldtem dieses Kayserlichen und des Reichs Cammergerichts fernerer Befehl, daß alle und jede dessen Advocaten und Procuratoren denenjenigen Churfürsten, Fürsten6 und Ständen des Reichs, welchen sie bedient seynd, mit nechst abgehender Post zu dem Ende gebührende Nachricht hierüber erstatten sollen, damit an denen7 etwan bereits beschehenen oder fürterhin erfolgenden Assignationen und Abstattung der Unterhaltungszielern aller Anstand und Hindernuß verhütet werde. Decretum Spirae in Consilio pleno, den 28. Januarii Anno 1673.

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Fiscalis ... Cam[erae] fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. Fragmentum … vacantis in Deckherr 1688. GB 1678; GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Maire. Fehlt in Deckherr 1688. Deckherr 1688 dem. Fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1678 deren; GB 1686 Suppl. anderen; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 andern.

RKG Nr. 189 1673 Januar 28

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Jacobus Michael1, Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius. Manu propria2. Vorlage: CJC 1724, S. 927-928 Nr. CCCCXLVII. Weitere Ausgaben: GB 1678, S. „75“ (Paginierungsfehler, richtig ist 69); GB 1686 Suppl. (ohne Seite); GB 1688, S. 65; Deckherr 1688, S. 488; GB 1695, S. 167; GB 1696, S. 167; GB 1707, S. 167; GB 1710, S. 173-174 Nr. CLXXXII; GB 1714, S. 102 Nr. CXC; CJC 1717, S. 102 Nr. CXC; GB 1717, S. 102 Nr. CXC; GB 1724, S. 173-174 Nr. CLXXXII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid stellt eine Übergangsregelung nach dem Tod des Pfennigmeisters Giesbert de Maere dar (ähnlich der Gemeine Bescheid vom 29. Oktober 1687, unten RKG Nr. 214). In sprachlicher Hinsicht bot er eine Neuerung. Zum ersten Mal tauchte in einem Gemeinen Bescheid die Bezeichnung Reichskammergericht auf. Gleich zweimal handelt es sich um eine Genitivkonstruktion („kaiserliches und des Reichs Kammergericht“), aber im ersten Fall entschied sich Georg Melchior von Ludolff bei seiner Edition deutlich für zwei Bindestriche. Damit war die spätere Begriffsprägung „kaiserliches Reichskammergericht“ in die Wege geleitet. Inhaltlich sollte der Generalfiskal für die Übergangszeit bis zur Neubesetzung des Pfennigmeisteramtes die Dienstaufgaben übernehmen. Regelungsbedürftig scheint insbesondere die Zuständigkeit gewesen zu sein, eingehende Kammerzieler anzunehmen, zu verbuchen und weiterzuleiten. Hier ging es offenbar um die Person des Empfängers, und deswegen sollten die Reichsstände seinen Namen kennen. Die Prokuratoren sollten die Übergangsregelung daher an ihre reichsständischen Auftraggeber bekanntgeben. Vielleicht befürchtete man, die Stände könnten sich ansonsten weigern, den Kammerzieler an den Fiskal zu zahlen. Nach außen hin trat also nicht die Institution als Gläubiger auf, sondern der jeweilige Amtsinhaber.

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GB 1717 Michaël. Decretum … propria fehlt in Deckherr 1688.

RKG Nr. 190 1673 Dezember 3/20

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RKG Nr. 190 1673 Dezember 3/201 De sustentatione Camerae eiusdemque solvendae rationibus emendatio.2 [De sustentatione Camerae et rationibus eius exsolvendae emendatio.]3 Nachdem sich eine Zeit hero begeben, daß zu dieses Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergerichts Unterhalt beytragende Churfürsten, Fürsten4 und Stände bey Erleg- und Ubermachung deren dazu verordneten Geldern in specie keine Anzeig thun lassen, ob solche Zahlung zumahlen oder wie viel davon auff die vor5 dem Jüngern Reichsabschied de Anno 1654 unbezahlte rückständige Außstände oder auff die nach der Zeit verfallene unabgestattete Zieler gemeynt seye, wodurch bey dem Pfenningmeisterambt allhier merckliche Confusion und Unordnung verspürt worden, als sollen oberwehnten dieses Gerichts Procuratores bey ihren Herren Constituenten und Principalen, welche die ante dictum Recessum verfallene Zieler noch nicht völlig abgetragen, gebührende ohneingestellte Erinnerung thun, damit hinführo bey jedesmahligem Erlag, es beschehe derselbe in der6 Franckfurter Meß oder ausser derselben, in denen Legstädten oder auch allhier zu Speyer, in specie angezeigt7 und außgedrucket werden möge, worauff derselbe von ihnen entweder zu Abtilgung obgedachter alten Außständ oder deren seither8 mehrangeregten9 1654sten Jahrs erschienenen unbezahlten Zielern gemeynt und zu verstehen seye. Jacobus Michael10, Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius11. Vorlage: CJC 1724, S. 928 Nr. CCCCXLVIII. Weitere Ausgaben: GB 1678, S. „75“ (Paginierungsfehler, richtig ist 69); GB 1686 Suppl. (ohne Seite); GB 1688, S. 65-„69“ (Paginierungsfehler); Deckherr 1688, S. 488-489; GB 1695, S. 168; GB 1696, S. 168; GB 1707, S. 168; GB 1710, S. 174 Nr. CLXXXIII; GB 1714, S. 102-103 Nr. CXCI; CJC 1717, S. 102-103 Nr. CXCI; GB 1717, S. 102-103 Nr. CXCI; GB 1724, S. 174 Nr. CLXXXIII. 1

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Datum unklar, CJC 1724 3. Decembris eodem (= 1673); dagegen GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Mercurii 10. Decembris 1673; dagegen Deckherr 1688; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 20. Decembris. De ... emendatio fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber vorhanden in GB 1717. De … emendatio in Deckherr 1688. Fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1695; GB 1696; GB 1707 von. Fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Deckherr 1688 Anzeig. Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 derer seits. GB 1678; GB 1686 Suppl. oder derer seits mehr angeregten. GB 1717 Michaël. Jacobus … Protonotarius fehlt in Deckherr 1688.

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RKG Nr. 191 1674 April 29 (Mai 09)

Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich wie über zehn andere seit 1656 (oben RKG Nr. 129, 133, 137, 151-152, 163-164, 167) ergangene Verfügungen mit der Finanzierung des Reichskammergerichts. Diesmal ging es nicht um Reichsstände, die ihre fälligen Kammerzieler nicht bezahlten, sondern um diejenigen, die wenigstens Teilleistungen erbrachten. Mehr oder weniger selbstverständlich setzte das Gericht offene Forderungen voraus, die bis in die Zeit vor dem Jüngsten Reichsabschied zurückreichten. Es war also keine Seltenheit, wenn einige Stände seit mehr als zwanzig Jahren ihre Pflichten verletzten. Erfolgten dann Zahlungseingänge, war unklar, welche Verbindlichkeiten die Stände damit erfüllen wollten. Eine automatische Anrechnung auf die ältesten Forderungen war nicht vorgesehen. Das Kameralkollegium selbst sah sich nicht in der Lage, die Summen eigenmächtig zuzuordnen. Deswegen war es auch in dieser Frage auf die Mitwirkung der Prokuratoren angewiesen. Sie sollten ihre reichsständischen Mandanten dazu anhalten, bei allen Zahlungen eine genaue Tilgungsbestimmung anzugeben. Die Bedeutung der Frankfurter Messe als Zahlungsort und -termin geht aus dem Gemeinen Bescheid klar hervor. Ob für den im Januar 1673 verstorbenen Pfennigmeister Gisbert de Maere (dazu Gemeiner Bescheid vom 28. Januar 1673, oben RKG Nr. 189) inzwischen ein Nachfolger bestellt war, ist aus dem Bescheid nicht ersichtlich. Das Kameralkollegium sprach allgemein vom Pfennigmeisteramt, nicht von der Person.

RKG Nr. 191 1674 April 29 (Mai 09) Praecautio ratione infectionis contagiosae luis.1 Demnach man bey jetzigen Kriegsläufften eine Zeithero wahrgenommen, daß wegen deren in hiesige Stadt Speyer gefleheter Persohnen und ihnen zugehörigen Viehes wie auch sonsten an verschiedenen Orthen hieselbsten allerhand Unrath sowohl auff den Gassen als in den Häusern und Ställen zusammen wächset und dahero ein sehr übler Geruch verursacht wird, wordurch leichtsam schwere Kranckheiten und sogar endlich contagiöse Seuchen entstehen können, wie solches noch vor wenig Jahren die Erfahrnuß leyder an Tag gegeben hat, als wird zu Verhütung eines abermahligen so grossen Unheils allen und jeden dieses Kayserlichen Cammergerichts Angehörigen hiemit ernstlich befohlen, daß ein jeder sich gebührender Sauberkeit befleissen, die Seinige behörender massen darzu anhalten, allen sowohl in- als vor den Häusern und hin und wieder auff den Gassen liegenden und von ihnen oder den ihrigen verursachten Kummer innerhalb 8 Tagen fortschaffen. Im Übrigen auch 1

Auch in GB 1717.

RKG Nr. 191 1674 April 29 (Mai 09)

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in Einnehmung frembder Leuthen vorhero, ob sie nicht etwan von ungesunden Orthen herkommen, sich fleißig vorsehen und vorhero erkundigen. Fürters die Schwein und sonsten allzuvieles Viehe, bevorab da es die Gelegenheit der Wohnung nicht erleiden mag oder denen Benachbarten beschwehrlich fiele, von sich schaffen, in Verbleibung dessen allen aber einer exemplarischen scharffen Straff gewärtig und dabeneben ein jeder seinen hierin säumigen Nachbarn gehöriger Orthen anzugeben schuldig seyn soll. Auff daß auch keiner mit der Unwissenheit dieses Decreti sich entschuldigen könne, so wird denen Pedellen wegen dessen beschehener Insinuation ermeldtem diesem Kayserlichen Cammergericht ihre außführliche Relation fördersam zu erstatten hiemit absonderlich anbefohlen. Decretum Spirae in Consilio pleno, (29. Aprilis) 9. Maii Anno 1674. Subscripsit Protonotarius Michael1, Lizentiat. Vorlage: CJC 1724, S. 928 Nr. CCCCXLIX. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 103 Nr. CXCII; CJC 1717, S. 103 Nr. CXCII; GB 1717, S. 103 Nr. CXCII; GB 1724, S. 215-216 Nr. CCXI; fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt im Stil einer Policeyordnung Fragen von Hygiene und Seuchenbekämpfung (dazu auch die Einleitung bei Anm. 361-369). Im Gegensatz zu den Jahren 1666/67 (dazu Gemeine Bescheide vom 18. Mai 1666, 7. September 1666, 5. Oktober 1666, 22. Januar 1667, oben RKG Nr. 168, 170-172) war die Seuche diesmal noch nicht ausgebrochen. Wegen des Reichskrieges gegen Frankreich befanden sich aber Flüchtlinge und Vieh in der Stadt. Um Schlimmeres zu verhindern, sollten alle Kameralen ihren Müll und Kot fortschaffen und die Zahl der Schweine verringern. Aufgrund der gespaltenen Herrschaftsverhältnisse in der Stadt Speyer gab es hierbei Zuständigkeitsprobleme, auf die der Bescheid hinweist. Als Obrigkeit konnte das Reichskammergericht nur den Gerichtsmitgliedern Anweisungen erteilen. Dazu gehörte auch die Verpflichtung, die jeweiligen Nachbarn zu überwachen. Die Nachbarn selbst konnten ihrerseits Kameralfreiheiten genießen oder als städtische Untertanen dem Rat gehorsamspflichtig sein. Je nachdem sollten die Gerichtsmitglieder die Verstöße der Nachbarn daher an „gehörigen“ Orten anzeigen. Damit waren die Kameralen wohl verpflichtet, auch dem städtischen Rat Mitteilung von zu laschen Hygienevorkehrungen zu machen. Unmittelbaren Zugriff auf die Stadtbevölkerung hatte das Reichskammergericht dagegen nicht. Wie wichtig der Seuchenschutz war, zeigt auch die Form, in der das Gericht den Gemeinen Bescheid bekanntgab. Hier genügte nicht die Verkündung in der Audienz, denn so ließen sich nur die Anwälte ansprechen. Vielmehr sollte der Pedell sämtliche Gerichtsangehörige erreichen und dies auch schriftlich festhalten. Ob und in welcher Weise die Bekanntgabe geschah, bleibt unklar.

1

GB 1717 Michaël.

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RKG Nr. 192 1674 Juni 20

RKG Nr. 192 1674 Juni 20 Quaelibet persona Cameralis exhibeat specificationem fructuum apud se depositorum1. Es sollen alle und jede des Kayserlichen Cammergerichts anverwandte Persohnen bey denen Pflichten, damit sie demselben zugethan, innerhalb zweyen Tagen eine ordentliche Specification der gefleheten Früchten, so in eines jedwedern Hauß auffgeschüttet worden, bey erwehntem Kayserlichen Cammergericht einbringen. Decretum in Consilio pleno, 20. Junii 1674. Jacobus Michael2, Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 928-929 Nr. CCCCL. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 103 Nr. CXCIII; CJC 1717, S. 103 Nr. CXCIII; GB 1717, S. 103 Nr. CXCIII; GB 1724, S. 216-217 Nr. CCXII; fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gegenstand des Gemeinen Bescheids ist unklar. Möglicherweise stand im Hintergrund der Reichskrieg gegen Frankreich. Die Reichsstadt Speyer und das Reichskammergericht waren offiziell neutralisiert. Allerdings unterstützte die Stadt Speyer die damals französische Festung Philippsburg, unter anderem mit Lebensmitteln. Deswegen kam es 1675 auch zu Beschwerden der Kurpfalz auf dem Regensburger Reichstag. Ob die aufgeschütteten Früchte in den Häusern der Kameralen damit im Zusammenhang standen, lässt sich nicht klären. Vielleicht handelte es sich auch um Geld, also Früchte im Sinne von Zinserträgen. Möglicherweise ging es ganz handfest um Getreide. „Geflehet“ bedeutete jedenfalls geflüchtet, hier wohl in Sicherheit gebracht. Die Zwischenlagerung in den Privatwohnungen war offenbar eine Vorsichtsmaßnahme. Das Gericht begnügte sich mit einem schriftlichen Überblick. Die Einzelheiten müssen allen Beteiligten bekannt gewesen sein. Ausdrücklich zu wiederholen brauchte man sie nicht.

1 2

Quaelibet … depositorum auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1717 Michaël.

RKG Nr. 193 1674 Oktober (6) 16

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RKG Nr. 193 1674 Oktober (6) 16 Nuntii equites se propriis et continuis equis instruunto1. Demnach man nun eine geraume Zeithero warnehmen müssen, daß der mehrere Theil dieses Kayserlichen Cammergerichts reitende Botten der Ordnung, verschiedener Gemeinen Decreten und aller beschehener scharffen und bedrohlichen Ermahnungen ohngeachtet sich mit eigenen Pferden schuldiger maßen nicht versehen, gleichwohlen aber die zu deren Unterhaltung von Churfürsten, Fürsten und Ständen des Reichs verordnete Gelder einen Weeg als den andern bey dem Pfenningmeister erhoben und anderwertlich verwendet haben, als wird ihnen sämbtlichen hiemit nochmahlen alles Ernstes anbefohlen, daß ein jeder derselben ohne Vorwand der theuren Fütterung, welche hingegen offtmahls in geringerem Preiß zu bekommen ist, auch [ohne]2 einige andere Entschuldigung, wie die Nahmen haben mag, sich zwischen hier und nechstkünfftigem Neuen Jahr, mit einem eigenthümlichen zugehörigen Pferd versehen, dasselbige continuirlich und ohne Unterlaß sowohl zu Winters- als Sommerszeiten auf der Streu halten, und da etwa einem oder anderem sein Pferd mit Unglück umfiele oder er es aus erheblichen Ursachen fortzuschaffen benöthiget wäre, derselbe als dann in Zeit 6 Wochen an dessen statt ein anderes zu wegen bringen soll. § 1. Damit aber inskünfftig ob diesem Befelch kräfftiglich gehalten werde, so wird dem Pfenningmeister hiemit expresse inhibirt und verbotten, einigen reitenden Cammerbotten gedachte Reichs-Gelder außzuzahlen, er seye dann mit einem eigenen Pferd wie obgemeldt würcklich versehen, mit dem ferneren Anhang, wofern ihrer einer diesem Decreto, wie sichs gebühret, kein gehorsames Gnügen leisten würde, daß er alsdann der Entsetzung seines Diensts nach verflossener obbestimmten Zeit gewärtig seyn. Im Übrigen auch hinführo keiner zu Ablegung der reitenden Cammerbotten gewöhnlichen Eyds verstattet werden soll, wann er sich nach beschehener Auffnahm nicht gleicher gestalt mit einem Pferd würcklich versehen haben wird. Decretum in Consilio pleno, den (6.) 16ten Octobris 1674. Johannes Adamus Weickart, Dr., Judicii Imperialis Camerae Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 929 Nr. CCCCLI. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 103-104 Nr. CXCIV; CJC 1717, S. 103-104 Nr. CXCIV; GB 1717, S. 103-104 Nr. CXCIV; GB 1724, S. 217-218 Nr. CCXIII; 1 2

Nuntii … instruunto auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 194 1675 März 26

fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Das Reichskammergericht hatte am 3. September 1653, 1. Oktober 1661 und 17./27. August 1669 Botenordnungen erlassen (oben RKG Nr. 125, 155 und 180). Die Ordnung von 1669 führte in § 12 bereits Klage über angeblich reitende Boten, die nicht einmal ein Pferd besaßen. Fünf Jahre später hatte sich an diesem Zustand kaum etwas geändert. Die meisten reitenden Boten strichen zwar Zuschüsse für die Unterhaltung ihres Pferdes ein, hatten aber gar keines. Bis zum 1. Januar 1675 mussten sich deswegen alle reitenden Boten mit einem eigenen Tier ausrüsten. Beschwerden über angeblich zu teures Futter ließ das Kameralkollegium nicht gelten. Auch wenn ein Pferd verstorben war, sollte der Bote innerhalb von sechs Wochen Ersatz beschaffen. Auf zweierlei Wege versuchte das Gericht seiner Anordnung Nachdruck zu verleihen. Zunächst durften die Boten ihre Reiterzuschüsse nur noch beziehen, wenn sie wirklich ein Pferd hatten. § 1 war insoweit als Verbot an den Pfennigmeister formuliert, ungeprüft die geforderten Gelder auszuzahlen. Wie auch im Zusammenhang mit den Kammerzielern (dazu u. a. Gemeiner Bescheid vom 5. Dezember 1671; oben RKG Nr. 185) scheint also der Pfennigmeister auch hier sehr schlampig gearbeitet zu haben. Gleichzeitig gelang es dem Kameralkollegium aber nicht, diesen Schwachpunkt in der Gerichtsorganisation zu beseitigen. Den Boten drohte das Gericht an, sie zu entlassen, wenn sie nicht tatsächlich bis zum Beginn des neuen Jahres über Pferde verfügten. Und für die Zukunft wollte man vorbauen. Nur noch diejenigen Boten durften den Amtseid als reitende Boten ablegen, die bereits vor der Eidesleistung ein eigenes Pferd hatten.

RKG Nr. 194 1675 März 26 Procuratorum forma causas in iudicio proponendi emendatur.1 [Emendatio rationis causas orandi in iudicio ad advocatos et procuratores.]2 Demnach man vielfältig wahrgenommen, daß verschiedene dieses Kayserlichen und Reichs Cammergerichts Procuratores in denen Designationen ihrer Recessen, welche sie in denen gerichtlichen Audientzien ad Protocollum übergeben, nicht allein die Nahmen der ihrem Gegentheil dienenden Procuratoren, wie solches sich3 gebühret, in Margine, deßgleichen wann einer oder ander Procurator vor einen4 an1 2 3 4

Procuratorum ... emendatur fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Emendatio … procuratores in Deckherr 1688. Fehlt in Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Deckherr 1688 von einem oder.

RKG Nr. 194 1675 März 26

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dern Procuratorn handelt, ihren Nahmen nicht hinzusetzen, sondern auch die Rubricas Causarum nicht gnugsam voneinander distinguiren und sogar jeweilen die alte Intitulaturen der Sachen mit Vorsetzung1 derjenigen Partheyen Nahmen, so ex post facto erst zur Sach kommen, immutiren, fürters der Ordnung und soviel Gemeinen Bescheiden zuwider unzahlbare und schrifftliche Recessen supernumerari und unter ungewöhnlicher Rubric einbringen, wodurch dann sowohl bey Administration der Justitz schädliche Hinderung als in Registrirung gedachter Recessen wie auch folglich in Complirung der Protocollen viele Confusiones und Fehler nothwendig erfolgen müssen, als wird denen sämbtlichen [Herrn]2 Procuratoren hiemit alles Ernstes anbefohlen, daß sie sich solcher über die Zahl unzuläßiger, auch3 unter ungewöhnlicher Rubric, Handlungen und Schrifften Einbringung gäntzlich enthalten. Sonsten auch4 in obvermeldten5 mehreren Fleiß anwenden, wie nicht weniger gedachte ihre Designationes der gerichtlichen Handlung6 jedesmahl, ehe und bevor sie dieselbe7 in Audientia anfangen zu lesen, sub poena reiectionis in duplo übergeben, ihre mündliche Recessus deutlich und langsam, damit sie füglich und correct protocollirt werden mögen, ad Calamum dictiren, extra Ordinem Fiscalem in denen anderen Ordnungen keine fiscalische, die Cammergerichtsunterhaltung betreffende Sachen und dadurch das Fiscalische und8 denen9 andern gewöhnlichen Judicialprotocollen10 nicht confundiren, sodann im Übrigen sich dahin befleißigen sollen, daß mehrgedachte Designationes in gutem sauberen und soviel möglich gleichem Papier bestehen möge. § 1.11 Endlich wo einige Documenta oder Gewält producirt, deren Agnition12 oder Diffession gebeten würde, sollen sie dieselbe alsobalden agnosciren [oder diffitiren]13, in diesem14 und allem andern bey Vermeidung unaußbleiblichen scharffen künfftigen Einsehens der Ordnung15 und denen publicirten Gemeinen Bescheiden

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Deckherr 1688 vorsetzen. GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688. Deckherr 1688 und. GB 1678; GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1696; GB 1707 Auch sonsten. Deckherr 1688 vorerermelten. GB 1678; GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Handlungen. Deckherr 1688 dieselben. GB 1678; GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 mit. GB 1678; GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 dem. GB 1678; GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Judicialprotocoll. § 1 fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Deckherr 1688 cognition. Oder diffitieren in GB 1678; GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Deckherr 1688 dem. GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Ordnungen; Deckherr 1688 den Ordnungen.

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RKG Nr. 194 1675 März 26

besser geleben und nachkommen. Publicatum in Consilio pleno, den 26. Martii Anno1 1675. Johannes2 Michael3, Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius4. Vorlage: CJC 1724, S. 929-930 Nr. CCCCLII. Weitere Ausgaben: GB 1678, S. 70; GB 1688, S. 69 (Paginierungsfehler); GB 1686 Suppl. (ohne Seite); Deckherr 1688, S. 489; GB 1695, S. 168-170; GB 1696, S. 168-170; GB 1707, S. 168-170; GB 1710, S. 175-176 Nr. CLXXXIV; GB 1714, S. 104-105 Nr. CXCV; CJC 1717, S. 104-105 Nr. CXCV; GB 1717, S. 104-105 Nr. CXCV; GB 1724, S. 175-176 Nr. CLXXXIV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die Titulierung von Schriftsätzen sowie die mündlichen Rezesse in der Audienz. Pauschal erinnerte das Gericht an die Ordnung und an zahlreiche andere Gemeine Bescheide. Gemeint waren vermutlich einige Reformen aus den Jahren 1659/60 (dazu u. a. die Gemeinen Bescheide vom 13. Dezember 1659, 9. Januar 1660, 12. Januar 1660, oben RKG Nr. 144-146). Wie umfangreich die mündlichen Verhandlungen in den Audienzen sein sollten, bildete ein Dauerthema am Reichskammergericht. Vor allem in den Appellationssachen, also in einem zeitaufwendigen Kernbereich, hatte das Reichskammergericht Verschlankungen erreicht. Die Prokuratoren sollten Übersichtsblätter erstellen, die sämtliche Prozesshandlungen auflisteten, die für einen Audienztag bzw. eine Umfrageordnung vorgesehen waren. Diese Blätter nannte das Gericht nunmehr „Designationen“. Sie waren für den Prozessgegner und das Gericht bestimmt und sollten es erleichtern, die übergebenen Schriftsätze sowie andere Prozesshandlungen eindeutig bestimmten Akten zuzuordnen. Hierbei unterliefen allerdings in der Praxis zahlreiche Ungenauigkeiten, die der Gemeine Bescheid abzustellen versuchte. Zum einen fehlten auf vielen Spezifikationszetteln die Namen der beteiligten Prokuratoren. Damit war bereits unklar, wer die Gegenseite vertrat und wer dementsprechend die übergebenen Schriftsätze überhaupt erhalten sollte. Auch ein Exemplar des Spezifikationszettels selbst sollte ja für den Widerpart bestimmt sein. Dann änderten offenbar einige Prokuratoren die Parteibezeichnungen, sobald ein neuer Kläger oder Beklagter in den Rechtsstreit eingetreten war. Die Protokollanten mussten freilich auf der Grundlage solcher Spezifikationszettel die Schriftsätze, Rezesse und Protokollbücher miteinander verzahnen. Diese Aufgabe war erheblich erschwert, wenn sie zunächst erst immer selbst die korrekte Titulatur der Akte heraussuchen mussten. Ein zweites Problem trat hinzu. Die zulässigen Rezesse waren ebenso begrenzt wie die Zahl der Schriftsätze auf jeder Seite. Viele Anwälte versuchten allerdings, die Kameralverfahren in die Länge zu ziehen, und gaben ihren Schriftsätzen sowie den Rezessen nicht vorgesehene Bezeichnungen. Das störte erheblich die Übersichtlichkeit. In welchem Stadium sich ein Rechtsstreit gerade befand, ließ sich dann nämlich nicht durch einen 1 2 3 4

Fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Jacobus. GB 1717 Michaël. Publicatum … Protonotarius fehlt in Deckherr 1688.

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schlichten Blick ins Protokollbuch nachvollziehen. Die Kompletur der Akten, also ihre Aufbereitung zu einem Zeitpunkt, in dem Entscheidungsreife vorlag, war damit erschwert, nach dem Wortlaut des Bescheids sogar notwendigerweise fehleranfällig. Der Gemeine Bescheid untersagte den Prokuratoren daher zunächst sämtliche Schriftsätze, die nach den Spielregeln des schriftlichen Kameralprozesses nicht vorgesehen waren. Es ging also nur um Klage, Exzeption, Replik und Duplik, nicht aber um dubiose Konklusionsschriften, Gegenanzeigen und Sonstiges. Sodann forderte das Gericht ordnungsgemäße Spezifikationszettel in den Audienzen. Sie waren jeweils schriftlich vorzulegen, bevor der Prokurator sie verlas. Der Idee nach war diese Verlesung nicht ein eigentlicher Rezess, sondern lediglich der Hinweis auf die im Zettel aufgelisteten Rezesse und Schriftsätze. Dennoch sollten die Prokuratoren genau diese Zettel im Termin wörtlich verlesen. Ebenso hatten sie ihre Rezesse „ad calamum“, also in die Feder der Protokollführer, zu diktieren. Hier unterschied das Gericht also zwischen den Spezifikationszetteln und den sonstigen Rezessen. Möglicherweise bezog sich dieser Hinweis auf verschiedene Verfahrensarten. Vielleicht kam es aber inzwischen selbst im Appellationsprozess wieder zu doppelten Verlesungen, also sowohl des Spezifikationszettels als auch des Rezesses selbst. Auf die übergebenen Schriftsätze selbst war die Anweisung dagegen eindeutig nicht bezogen. Sie brauchte der Prokurator in keinem Fall vorzulesen. Ein spezieller Hinweis betraf fiskalische Rechtsstreitigkeiten. Sie sollten streng auf die dafür vorgesehenen Termine beschränkt bleiben. Die Anwälte durften sie in ihren Spezifikationszetteln also nicht mit anderen Verfahren vermengen. Mit einem kurzen Hinweis auf schnell zu erledigende Augenscheinseinnahmen bei Urkunden und Anwaltsvollmachten schloss das Reichskammergericht seine Reihe von Ermahnungen ab. Zum wiederholten Male hatten sich die Audienzen mit ihrem unklaren Verhältnis von Wort und Schrift als Schwachpunkt des Kameralprozesses erwiesen. Die 15 Jahre zuvor mit großem Aufwand betriebenen Reformen hatten daran nur wenig geändert.

RKG Nr. 195 1675 Juni 16 Advocati et procuratores in audientiis publicis a gestatione gladiorum et pileorum tegumento abstinento1. Demnach man bey diesem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht in Erfahrung gebracht, daß desselben allhiesige Advocaten und Procuratores sich kurtz verwichener Tagen ohne Vorwissen gedachten Collegii Cameralis in der gewöhnlichen Audientzstuben eine Zusammenkunfft angestellt und nach deren Verschliessung und daselbsten gehaltener Deliberation sich dahin resolvirt haben, fürterhin 1

Advocati … abstinento auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

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gleich denen Herrn Cammerrichter, Praesidenten und Assessoren mit ihren Degen unter den Mänteln in denen öffentlichen Audientzien zu erscheinen, solches auch allbereits in gestriger Audientz also ins Werck zu stellen sich unternommen und sogar einige gesehen worden, welche auf denen Gassen und sonsten mit ihren Degen ohne Mäntel daher gangen. Als wird um verschiedener hierbey einlauffender erheblichen Circumstantien und Considerationen willen ihnen hiemit alles Ernstes anbefohlen, daß sie inskünfftig und biß auff fernere Verordnung sich dessen nicht allein enthalten, sondern auch in währenden offentlichen Audientzien zu gebührender Ehr dieses höchsten Gerichts ihre Hüte, inmaßen ohne das bey Publicationen der Urtheil beschicht, continuirlich abhalten und im Übrigen aller Stille und Respects sich befleißen sollen. Decretum in Consilio pleno, den 16. Junii Anno 1675. Johannes Adamus Weickart, Dr., Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 930 Nr. CCCCLIII. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 105 Nr. CXCVI; CJC 1717, S. 105 Nr. CXCVI; GB 1717, S. 105 Nr. CXCVI; GB 1724, S. 218-219 Nr. CCXIV; fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid belegt Rangstreitigkeiten zwischen dem richterlichen und dem anwaltlichen Personal des Reichskammergerichts. Prokuratoren und Advokaten hatten sich heimlich abgesprochen, gegen die hergebrachte Kleiderordnung zu verstoßen und symbolisch mit den Assessoren gleichzuziehen. Sie trugen jetzt innerhalb und außerhalb des Gerichts ihren Degen und brachten damit das Kameralkollegium gegen sich auf. Wie der Gemeine Bescheid deutlich betonte, ging es darum, den gebotenen Respekt vor dem Gericht zu wahren (dazu auch in der Einleitung bei Anm. 384-408). Nur zwei Tage später kam ein weiterer Gemeiner Bescheid auf den Degenstreit zurück (sogleich unten RKG Nr. 196).

RKG Nr. 196 1675 Juni 18

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RKG Nr. 196 1675 Juni 18 Resolutio collegii ad memoriale prohibitionem gestandi gladii advocatis ac procuratoribus Camerae factam concernens ad huc differtur1. Auf die anheut diesem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht von dessen Advocaten und Procuratoren exhibirte Schrifft soll die Resolution erster Tagen erfolgen und werden sie biß dahin dem am 16. huius ihnen insinuirtem Decreto gehorsamlich zu geleben wissen. Vorlage: CJC 1724, S. 930 Nr. CCCCLIV. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 105 Nr. CXCVII; CJC 1717, S. 105 Nr. CXCVII; GB 1717, S. 105 Nr. CXCVII; GB 1724, S. 219 Nr. CCXV; fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt den Degenstreit zwischen Anwälten und Assessoren (dazu auch die Einleitung bei Anm. 384-408). Nur zwei Tage nach dem Gemeinen Bescheid vom 16. Juni 1675 (oben RKG Nr. 195) hatten die Advokaten und Prokuratoren eine schriftliche Denkschrift vorgelegt, die offenbar ihren Anspruch auf äußerliche Gleichstellung mit dem richterlichen Personal untermauern sollte. Die Eingangsbestätigung des Kameralkollegiums erfolgte noch am selben Tag, und zwar in Form dieses Gemeinen Bescheids. Die Antwort erging drei Tage später (Gemeiner Bescheid vom 21. Juni 1675, sogleich unten RKG Nr. 197).

RKG Nr. 197 1675 Juni 21 Resolutio collegii Cameralis ratione gladii gerendi in audientiis declaratur, atque advocatis ac procuratoribus observantia debiti respectus iniungitur2. Auff die durch dieses Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergerichts Advocaten und Procuratoren am 17. dieses exhibirte unterthänigste Remonstrationschrifft erklähret ein hochlöbliches Collegium sich dahin, daß ihnen auf die Weiß wie beschehen das angegebene Herkommen im Degentragen zu reintroduciren nicht gebühret, sondern sie daran zu viel und unziemlich gethan haben, 1 2

Resolutio … differtur auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Resolutio … iniungitur auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 197 1675 Juni 21

deßwegen ihnen solches (wie hiemit beschiehet) ernstlich zu verweisen seye, kan und will jedoch geschehen lassen, daß sie ihre Degen aller Orthen ausser denen öffentlichen Audientzien und Publicationen der Urtheln (vor deren Anfang und so lang selbige währen sie solche ab- und ehender nicht, als nachdem der Herr Richter sich von dannen würcklich erhoben haben wird, wiederum anzugürten hatten1) tragen mögen. Im Übrigen läst man es bey dem am 16. eiusdem ergangenem Decreto seines buchstäblichen Inhalts nochmahls und endlich bewenden mit diesem außtrücklichen Befehl, daß sie den einem hochlöblichen Collegio vermög erneuerten Concepts der Cammergerichtsordnung Part. I Tit. 37 § „Es sollen auch usw. 1“ schuldigen Respect sowohl hierin als in allen ihren Actionibus zu beobachten [unvergessen]2 seyn sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 930-931 Nr. CCCCLV. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 106 Nr. CXCVIII; CJC 1717, S. 106 Nr. CXCVIII; GB 1717, S. 106 Nr. CXCVIII; GB 1724, S. 219-220 Nr. CCXVI; fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid befasst sich wie seine beiden Vorgänger vom 16. und 18. Juni 1675 (oben RKG Nr. 195-196) mit dem Degenstreit zwischen den Kameralanwälten und der Richterschaft (dazu auch die Einleitung bei Anm. 384-408). In ihrem Anspruch auf symbolische Gleichstellung mit den Assessoren hatten die Advokaten und Prokuratoren in ihrer Memorialschrift das alte Herkommen bemüht. Sie erstrebten angeblich keine Neuerung, sondern eine „Reintroduzierung“, eine Rückkehr zu noch älteren Traditionen. Das Kameralkollegium hatte dem wenig entgegenzusetzen. Der scharfe Tonfall zu Beginn des Gemeinen Bescheids verdeckte nur ganz oberflächlich den weitgehenden Erfolg der Anwälte. Lediglich in den Audienzen selbst und während der Urteilsverkündungen mussten sie den Degen abgeben. Ansonsten konnten sie ihre Degen tragen und sich damit auch auf offener Straße zeigen. Das wertete die Advokaten und Prokuratoren sichtbar auf. Wohl aus diesem Grund erinnerte der Gemeine Bescheid am Ende deutlich an den schuldigen Respekt der Anwälte gegenüber den Assessoren. Hierfür verwies das Kameralkollegium auf das Konzept der Reichskammergerichtsordnung von 1613. Es handelte sich dabei erst um den zweiten ausdrücklichen Hinweis auf das Konzept, nachdem sich bereits die Botenordnung von 1653 (oben RKG Nr. 125) eng daran angelehnt hatte. Nach dem Umzug des Gerichts von Speyer nach Wetzlar lebte der Degenstreit noch einmal auf (Gemeiner Bescheid vom 8. Juli 1691; unten RKG Nr. 227).

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GB 1714; CJC 1717; GB 1724 hätten. GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

RKG Nr. 198 1676 März 6

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RKG Nr. 198 1676 März 6 Praecautio politica ratione incendii eiusdemque materialium1. Demnach bey jetzigen sorgsamen Zeiten und Läufften, da viel geflehetes Landvolck sich in hiesiger Stadt auffhält, eine hohe Nothdurfft seyn will, daß zu Verhütung alles Unheils, bevorab aber einer etwan entstehenden Feuersbrunst, soviel möglich gute Vorsehung beschehe, als wird denen sämbtlichen zu diesem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht gehörigen Persohnen hiemit alles Ernstes und bey Vermeidung unaußbleiblicher Straff befohlen, daß ein jeder, wann er von gefleheten Leuthen oder sonsten entweder anjetzo oder auch künfftiglich in seiner Wohnbehaußung über Nacht zu logiren gemeynet, ermeldtem Collegio Camerali ohngesaumt anzeigen, dabeneben auch das Holtzwerck, Heu, Strohe und was sonsten leichtlich Feuer fangen kan, nicht verstreuet und an offenen Orthen liegen lassen, sondern in guter Verwahrung haben, sodann im Übrigen das Gesind und andere Haußgenossene fleißig dahin anhalten soll, damit vermittels des Lichts und Feuers kein Unglück entstehen und dardurch denen Benachbarten kein Schad oder Schrecken verursacht werden möge. Decretum in Consilio pleno, den 6. Martii 1676. Jacobus Michael2, Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 931 Nr. CCCCLVI. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 106 Nr. CXCIX; CJC 1717, S. 106 Nr. CXCIX; GB 1717, S. 106 Nr. CXCIX; GB 1724, S. 220-221 Nr. CCXVII; fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid stellt eine Brandschutzverordnung dar. Schon die lateinische Überschrift bezeichnet ihn überdeutlich als Policeyordnung (dazu allgemein die Einleitung ab Anm. 359). Wenn auch der lateinische Titel aus den gedruckten Bescheidsammlungen stammen mag, trifft er doch die Sache sehr gut. Abermals steckte die Stadt Speyer voller Flüchtlinge. Im Gegensatz zur letzten Fluchtwelle zwei Jahre zuvor (dazu Gemeiner Bescheid vom 29. April/9. Mai 1674; oben RKG Nr. 191) drohte nun keine Seuche, sondern eine Feuersbrunst. Zunächst mussten alle Gerichtsmitglieder dem Kameralkollegium mitteilen, wenn sie Flüchtlinge bei sich beherbergten. Sodann sollten sie leicht entzündliche Stoffe an sicheren Orten aufbewahren. Zum Schluss wies das Gericht auf Gesinde und Hausgenossen hin und markierte

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Praecautio … materialium auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1717 Michaël.

540 damit selbst die Grenzen seiner Policeygewalt. Dieser Personenkreis genoss keine Kameralfreiheiten und war daher an den Gemeinen Bescheid nicht unmittelbar gebunden.

RKG Nr. 199 1677 Juli 6 Inhaeretur prioribus de sustentatione Camerae latis decretis.1 [Ihro Herrligkeit Herrn Assessori Plato zu hochgünstigen Handen2] [Ut supra ad 20. Decembris 1673.]3 Endlich ist der Gemeine Bescheid: Demnach man auch bey geraumer Zeithero wahrgenommen, daß die meiste dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratoren4 nicht allein denen in jetztbemeldtem Cammergerichts Unterhalt betreffenden Sachen [vielfältig]5, und zwar den 2. Januarii Anno 1656, 6. Februarii 1657, 5. Julii und6 7. Novembris 1664, auch7 7. Julii 1665 publicirten Gemeinen Bescheiden, wie sichs gebührt, nicht nachgelebt, sondern auch öffters einige von des Heiligen Römischen Reichs Ständen in dieser Materia8 an sie abgelassene Schreiben dem Pfenningmeister entweder gar nicht communicirt oder aber damit zu lang zurückgehalten, wodurch sowohlen bey dem gewöhnlichen fiscalischen Anruffen als denen darauff ergangenen Bescheiden sich allerhand9 Inconvenientien ereignet10, als wird ermeldten Procuratoren hiemit nochmahlen ernstlichen und bey schärfferem Einsehen anbefohlen11, sothanen eröffneten Gemeinen Bescheiden nicht allein alles ihres Inhalts gehorsamlich nachzukommen und12 allen von ihren Principalen in berührten dieses Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergerichts Unterhaltungssachen an sie abgehender Schreiben dem Pfenningmeister beneben einigen13 zu dessen Ambt verordneten Assessoren14 ohnverlängt zu benachrichtigen, sondern auch die jedes1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Inhaeretur ... decretis fehlt in GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Dorsalvermerk in BA Slg. 1693-1787. Ut … 1673 in Deckherr 1688. BA Slg. 1693-1787 Procuratores. Vielfältig in BA Slg. 1693-1787. Fehlt in Deckherr 1688. BA Slg. 1693-1787 verbessert aus undt. BA Slg. 1693-1787; GB 1678; GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1696; GB 1707 Materi. BA Slg. 1693-1787 verbessert aus viele. BA Slg. 1693-1787 verbessert aus erreichet; Deckherr 1688 erzeiget. Ernstlichen ... anbefohlen in BA Slg. 1693-1787 verbessert aus ernstlich anbefohlen undt bey scharffem Einsehen anbefohlen. BA Slg. 1693-1787 verbessert aus auch. Beneben einigen in BA Slg. 1693-1787 verbessert aus undt denen (dazu unleserliche weitere Korrektur). BA Slg. 1693-1787 verbessert aus Assessoren coniunctim.

RKG Nr. 199 1677 Juli 6

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mahlige1 fiscalische Anruffen und darauff ergehende Urtheilen jede absonderlich gleich mit nechst2 abgehender Post ihren Partheyen zu überschicken3 und, daß solches geschehen seye, mit einem glaubhafften Schein oder Recepisse in angesetztem Termino Paritionis darzuthun. Auch wird der Kayserliche Fiscal oder, da derselbe abwesend, der Advocatus Fisci nach Inhalt obangezogenen Gemeinen Bescheids vom 7. Julii 1665 über eines und des andern Procuratorn dißfals begangene Säumnuß ermeldtem diesem Kayserlichen Cammergericht fördersame Nachricht zu geben hiemit angewiesen. Johann Adam Weickart4, Dr., Kayserl[icher] Cammergerichts Protonotarius5. Vorlage: CJC 1724, S. 931 Nr. CCCCLVII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787; GB 1678, S. 70; GB 1686 Suppl. (ohne Seite); GB 1688, S. 69-70; Deckherr 1688, S. 489-490; GB 1695, S. 170-171; GB 1696, S. 170171; GB 1707, S. 170-171; GB 1710, S. 176-177 Nr. CLXXXV; GB 1714, S. 106-107 Nr. CC; CJC 1717, S. 106-107 Nr. CC; GB 1717, S. 106-107 Nr. CC; GB 1724, S. 176-177 Nr. CLXXXV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Eintreibung ausstehender Kammerzieler. Er verweist auf fünf andere Bescheide der Jahre 1656 bis 1665 (oben RKG Nr. 129, 133, 163-164 und 167). Insgesamt waren jedoch inzwischen weit mehr Gemeine Bescheide ergangen, die aus unterschiedlichen Blickrichtungen die Finanznot des Gerichts in den Blick nahmen. Zum einen ging es dabei jeweils um die Verpflichtung der Prokuratoren, ihre reichsständischen Mandanten zur Zahlung anzuhalten. Auch sollten die Prokuratoren ihren diesbezüglichen Schriftwechsel mit den Reichsständen vor dem Gericht offenlegen. Zum anderen ebnete das Gericht dem Fiskal den Weg, notfalls die fälligen Gelder einzuklagen. Der Bescheid vom 6. Juli 1677 verknüpfte beide Seiten derselben Medaille. Die meisten Prokuratoren hatten wegen der ausstehenden Unterhaltungsgelder zwar an ihre Mandanten geschrieben. Die Antwortschreiben hatten sie jedoch dem Pfennigmeister nie vorgelegt oder wenn, dann nur mit gehöriger Verspätung. Das hatte offenbar zu peinlichen Situationen geführt. Der Fiskal war nämlich in einigen Fällen bereits vorgeprescht und hatte mit der gerichtlichen Geltendmachung seiner Forderungen begonnen. Mehrere „Bescheide“, also wohl Zwischenurteile oder Monitorien, sowie kammergerichtliche Urteile befanden sich schon in der Welt, hatten die Reichsstände aber nur unzuverlässig erreicht. Deswegen sollten die Prokuratoren zum einen ihre Auftraggeber zuverlässig und schnell über die fiskalischen Prozesse informieren und zum anderen unabhängig davon den gesamten Schriftverkehr über die Zahlung der Kammerzieler offenlegen und dem Gericht zur Verfügung stellen. Soweit bereits fiskalische Zahlungsprozesse liefen, war dafür jeweils der Paritionstermin vorgesehen. Dennoch bekam das Reichskammergericht das 1 2 3 4 5

BA Slg. 1693-1787 verbessert aus jedesmahls publicirte. BA Slg. 1693-1787 verbessert aus negster darauf; Deckherr 1688 nechster. BA Slg. 1693-1787 verbessert aus insinuiren. GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Weicker. Johann ... Protonotarius fehlt in BA Slg. 1693-1787; GB 1678; Deckherr 1688.

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RKG Nr. 200 1678 Juli 29

seit Jahren drängende Problem nicht in den Griff. Am 27. August 1678 erging der nächste Gemeine Bescheid in derselben Angelegenheit (unten RKG Nr. 201).

RKG Nr. 200 1678 Juli 29 Duella et dimicationes inter personas Camerales prohibentur et scribis advocatorum et procuratorum iniungitur ut in platea et publicis audientiis palliati incedant1. Demnach man eine Zeithero in der That befunden, daß sich verschiedene allhier in Praxi oder auch sollicitando auffhaltende und andere dem Kayserlichen Cammergericht angehörige Persohnen gantz vermessentlich in Streit- und Schläghändel dergestalt eingelassen, daß sie einander mit blossen Degen angefallen, gefährlich verwundet und dahero das Collegium Camerale veranlasset haben, über solche höchst straffbare Excessen behörende Inquisitiones vorgehen zu lassen, gestalten man annoch im Werck damit begriffen ist und nach Befindung der Sachen mit gebührender Bestraffung verfahren werden soll, dergleichen ohnverantwortliche Frevelthaten aber in denen gemeinen Rechten und Reichsconstitutionen höchstverpoenet und verbotten seynd: § 1. Als wird hiemit alles Ernstes statuirt, daß, wofern einer oder der ander aus denen hiesigen Practicanten, Sollicitanten, Protocollisten, Scribenten, auch andern des Kayserlichen Cammergerichts Anverwandten inskünfftig solche Excess, es sey mit Provocirung zu einigen an sich selbst in allen Rechten höchst verbottenen Duellen und anderen dergleichen vermessentlichen Schlägereyen verüben würde, daß der oder dieselbe alsdann durchgehends und ohne einiges Ansehen der Persohnen exemplariter und nach Befindung des Verbrechens mit Thurn- oder Leibs- und anderen in denen gemeinen Rechten angesetzten Straffen angesehen werden sollen, wornach sie sich zu richten. § 2. Damit nun obgedachte Bestraffung ihren schleunigen und richtigen Fortgang hinführo um soviel mehr erreichen möge, so wird dabeneben denen sämbtlichen Cameralen hiemit anbefohlen, auf den Fall sich oberwehnte verbottene Excessus endweder in ihren Wohnbehaußungen und darzu gehörigen Gärten und andern Plätzen zutrügen oder die Thäter daselbhin sich salvirten oder aber ohne das bey ihnen in der Kost oder Logament auffhielten, denenselben durchaus keinen Verberg oder Unterschleiff zu gestatten, noch sonsten ichtwas zu thun oder zu lassen, wo1

Duella … incedant auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

RKG Nr. 200 1678 Juli 29

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durch ihnen davon- und durchgeholffen werden könte, sondern ohne einige Zeitverlierung dem Herrn Cammerrichter oder in dessen Abwesenheit dem zeitlichen Herrn Ambtverweser der Sachen eigentliche Bewandnuß, soviel ihnen wissend, bey ihren Eyd und Pflichten gebührlich anzubringen. In Verbleibung dessen aber sollen sie einer ohnaußbleiblichen Straff ebener maßen gewärtig seyn. § 3. Dann sollen der Procuratoren und Advocaten Protocollisten und Scribenten, nicht allein in denen gerichtlichen Audientzien, sondern auch auff denen Straßen und an allen Orthen hiesiger Stadt, wie sichs gebühret, mit Mänteln erscheinen und sich des Degentragens bey Vermeidung anderwerten Einsehens enthalten. Decretum in Consilio pleno, den 29. Julii 1678. Johannes Adamus Weickart, Dr., Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 931-932 Nr. CCCCLVIII. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 107-108 Nr. CCI; CJC 1717, S. 107-108 Nr. CCI; GB 1717, S. 107-108 Nr. CCI; GB 1724, S. 221-222 Nr. CCXVIII; fehlt in GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid richtet sich gegen Duell und Schlägerei. Es handelt sich um einen policeyrechtlichen Befehl in Strafsachen. Wenn die einleitenden Bemerkungen zutreffen, hatte es Gewalttätigkeiten im Umkreis des Gerichtspersonals gegeben, vor allem zwischen Praktikanten und Sollizitanten. Manch einer hatte erhebliche Verletzungen durch Degenkämpfe erlitten. Das Kameralkollegium nahm auch für solche Vorgänge die eigene Gerichtsgewalt in Anspruch und begann, die Körperverletzungen zu untersuchen. Unverblümt sprachen die Assessoren von Straftaten, die sowohl im gemeinen Recht als auch in den Reichsgesetzen verboten waren. In der Tat war am 30. Juli 1668 ein Reichsgutachten gegen Duelle ergangen. Mit der erwähnten Inquisition können deshalb durchaus Strafverfahren gegen die Übeltäter gemeint gewesen sein. Geradewegs überflüssig erscheint demnach § 1 des Gemeinen Bescheids, der für künftige Vorfälle Strafen androhte. Das Gericht untersagte Vertuschungen, befahl, solche Vorkommnisse anzuzeigen, und wollte auf diese Weise alle Heimlichkeiten ausschließen. Zuletzt verbot es den Schreibern von Advokaten und Prokuratoren, einen Degen zu tragen (dazu auch die Einleitung bei Anm. 384-394). Im Gegensatz zum ähnlich gelagerten Problem bei den Anwälten ging es hierbei nicht um Rang und Ehre. Die Prokuratoren und Advokaten hatten ihrerseits durchgesetzt, dass sie auf offener Straße ihren Degen tragen durften (Gemeiner Bescheid vom 21. Juni 1675; oben RKG Nr. 197). Der Regelungszusammenhang verweist bei den Schreibern dagegen auf die Gefahr von Gewalttätigkeiten. Vermutlich waren an den erwähnten Schlägereien und Duellen neben den Praktikanten und Sollizitanten auch einige Schreiber beteiligt. Die Anwälte selbst sowie offenbar auch das Gerichtspersonal im engeren Sinne hatten sich wohl besser im Zaum.

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RKG Nr. 201 1678 August 27

RKG Nr. 201 1678 August 271 De ratione sustentationis Camerae uti proxime.2 [Ut proxime de sustentatione Camerae.]3 Demnach man immerfort noch mehrers wahrnehmen muß, daß dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratores denen zum öfftern außgangenen, sonderlich aber dem am 6. Julii Anno 1677 publicirten Gemeinen Bescheid, ermeldten Cammergerichts Unterhalt betreffend, nicht allerdings, wie sichs gebührt, nachkommen, indem deren nur etliche und aus denenselben der wenigere Theil dasjenige, was ihnen wegen deren Ständen, denen sie procurando bedienet seyn, sowohl gleich nach Außgang des in fiscalischen Urtheilen angesetzten Termins als auch sonsten das gantze Jahr hindurch dißfalls anzuzeigen oblieget, bißhero in acht genommen, die übrige aber solchem nachzuleben straffbarer Weiß gäntzlich unterlassen, wodurch zum Theil auch mercklich verursacht wird, daß die Verzögerung des Abtrags zu behörigem Unterhalt noch immerzu continuirt und dann solcher der Procuratoren hierinfalls begangener Unfleiß etwan damit wolte entschuldiget werden, ob wäre hierin4, ehe und bevor von dem Kayserlichen Fiscal angeruffen wird (so doch im Jahr nicht öffters als zweymahl beschicht), keine Facultas agendi, sondern müste alles usque ad hunc ordinem unangezeigt verbleiben, als wird ermeldten Procuratoren hiemit nochmahlen alles Ernstes anbefohlen, daß dieselbe unerwartet ferneren fiscalischen Anruffens also gleich nach Verfliessung der in denen fiscalischen Urtheilen praefigirten Zeit, auch sonsten bey allen und jeden Audientzien durch das gantze Jahr, wann und so offt sie etwas paritionis loco anzuzeigen haben, solches in ordine terminorum judicialiter vorbringen oder wenigstens, daß sie sowohl die fiscalische Anruffen als auch die darauff ergangene Urtheilen denen Ständen übersendet haben, mit glaubhafftem Schein oder Recepisse belegen oder, daß von denenselben ihnen kein Recepisse zukommen, gleichfalls in Audientiis bey ihrem Eyd und Pflichten darthun sollen und solches alles bey Straff zweyer Marck Silbers wegen eines jeden Stands, soviel deren ein jeder bedienet und hierinfalls säumig befunden wird, in der Armen Seckel ohnnachläßig zu bezahlen, welche Straffen alsdann die Pedellen

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Deckherr 1688 27. Augusti 1687 (vermutlich Druckfehler); dagegen GB 1686 Suppl.; GB 1695; GB 1696; GB 1707 am Ende 1679. De ... proxime fehlt in GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen Überschrift vorhanden in GB 1710; GB 1717. Ut … Camerae in Deckherr 1688. GB 1688 hierum.

RKG Nr. 201 1678 August 27

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würcklich einzufordern und ihre Relation hierüber zu erstatten hiemit nochmahlen1 befelcht werden. § 1.2 Endlich werden mehrerwehnte Procuratores dem am 12. Junii3 1616 publicirten Gemeinen Bescheid, Inhalts dessen diejenige Gelder, so sie zu des Kayserlichen Cammergerichts Unterhalt von denen Ständen empfangen, alsobald und ohne vorhergehenden Abzug ihrer oder der Advocaten Dienst- und außgelegten Gelder, auch ohne Hinwegnehmung oder Verwechselung der besseren Sorten, so dem Pfenningmeister sollten zugestellt werden, wie sichs gebührt, gehorsambst zu geleben, hiemit nochmahlen angewiesen mit dieser ferneren Commination, wo sie dem also nicht nachkommen werden, daß alsdann auff Betretten die Ungehorsame in obandictirte Straff ebenmäßig gefallen seyn sollen. In Consilio pleno, den 27. Augusti Anno 16784. Johann Adam Weickart5, Dr., Kayserlicher Cammergerichts Protonotarius6. Vorlage: CJC 1724, S. 932-933 Nr. CCCCLIX. Weitere Ausgaben: GB 1686 Suppl. (ohne Seite); GB 1688, S. 70; Deckherr 1688, S. 490491; GB 1695, S. 171-172; GB 1696, S. 171-172; GB 1707, S. 171-172; GB 1710, S. 177-179 Nr. CLXXXVI; GB 1714, S. 108-109 Nr. CCII; CJC 1717, S. 108-109 Nr. CCII; GB 1717, S. 108-109 Nr. CCII; GB 1724, S. 177-179 Nr. CLXXXVI. Anmerkung: Der Bescheid gehört zu der umfangreichen Serie von Erlassen, die sich mit der Finanzierung des Reichskammergerichts beschäftigen. Die Prokuratoren weigerten sich offenbar beharrlich, mit dem vom Gericht verlangten Nachdruck ihre reichsständischen Mandanten zu mahnen und sie über die gerichtlich eingeforderten Kammerzieler schnell und vollständig zu informieren. Am 6. Juli 1677 hatte das Kameralkollegium den letzten Gemeinen Bescheid in dieser Angelegenheit verkündet (oben RKG Nr. 199). Jetzt musste es genau diese Anordnung nach nur einem Jahr wiederholen, weil die meisten Prokuratoren weiterhin gegen ihre Pflichten verstießen. Angeblich geriet das Gericht mit der Eintreibung der ausstehenden Gelder immer weiter ins Hintertreffen. Die Anwälte redeten sich teilweise damit heraus, nur in den eigens dafür angesetzten halbjährlichen Mahnterminen des Fiskals könnten sie sich zur Sache äußern. Das ließen die Assessoren aber nicht gelten. Unaufgefordert sollten die Anwälte jeweils kurzfristig ihren Schriftverkehr mit den Reichsständen offenlegen. Zuletzt schärfte das Gericht den Prokuratoren den bereits älteren Gemeinen Bescheid von 1616 ein (oben RKG Nr. 105). Auch mit den eingehenden Geldern gab es also weiterhin Schwierigkeiten. Die Prokuratoren zogen entweder ihre eigenen Honorare von den Kammerzielern ab, bevor sie die Summe an das Gericht weiterleiteten. Oder sie wechselten gute Münzen 1 2 3 4 5 6

GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1696; GB 1707 nachmahlen. § 1 fehlt in GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Deckherr 1688 Julii. GB 1686 Suppl.; GB 1695; GB 1696; GB 1707 1679. GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Weicker. In Consilio … Protonotarius fehlt in Deckherr 1688.

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RKG Nr. 202 1680 Januar 8

in schlechte und zahlten das Geld erst danach beim Pfennigmeister ein. Wie unter anderem der Gemeine Bescheid vom 1./11. Juli 1680 (unten RKG Nr. 205) zeigt, blieben trotz ständiger Strafdrohungen die Probleme bestehen.

RKG (ohne Nr.) 1679 August 27 siehe 1678 August 27.

RKG Nr. 202 1680 Januar 8 Genus monetae solvendi salar[ia] Camer[ae] designatur.1 [Genus monetae in quo salaria Camerae in posterum exsolvenda iuxta veteres Imperii leges et observantiam designatum.]2 Demnach in des Heiligen Römischen Reichs Cammergerichtsordnung und Reichssatzungen klärlich verordnet, daß ein jeder Stand seine zu gedachtem Cammergerichts Unterhalt beyzutragen schuldige Quotam3 in guten, dem Reichsmüntzedict gemäßen Sorten erlegen und zu des Pfenningmeisters Einnahm nach Speyer einschicken und lieffern lassen soll, welches jedesmahls [wie auch]4 bey der in5 Anno 16226 vorgewesenen Müntzordnung also beständig observirt und gehalten worden ist, biß ohngefehr von 5 oder7 6 Jahren hero verschiedene hin- und wieder im Reich gemüntzte Gulden und halbe Gulden in Zahlung dem Kayserlichen Cammergericht unterm Vorwand eingerissenen leidigen Kriegs und Mangel obgedachter guten8 Sorten vor voll aufgetrungen worden und sich dergestalt dasselbige, doch mit Vorbehalt competirender Rechten, bezahlen lassen müssen. Und aber nunmehro die 1 2 3 4 5 6 7 8

Genus ... designatur fehlt in GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. Genus … designatum in Deckherr 1688. GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 quot. Wie auch in GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688. Fehlt in Deckherr 1688. Ebenso GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1696; GB 1707. Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 biß. Fehlt in Deckherr 1688; dagegen GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 guter.

RKG Nr. 202 1680 Januar 8

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sichere Nachricht einlauffet, daß die guten Species eingewechselt, die geprägte Gulden selbst (ohngeachtet dieselbe geringhältig) wieder zerbrochen und verwerffliche gantze und halbe Gulden, auch Orthsgulden1 geschlagen, welche in verschiedenen Creyßen und Orthen theils schon würcklich verruffen, theils auf einen geringen Valor reducirt und2, was in einem Orth gültig, am andern ungangbar seyn soll, einfolglich dann zu Speyer und in umliegenden Orthen nicht angebracht, noch außgegeben werden können, wordurch die sonsten auff des Reichs Müntzedict fundirte jährliche Besoldung nicht allein geschwächet, sondern guten theils zunichte3 und unbrauchbar gemacht würde. Als wird sämbtlichen dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratoren hiemit befohlen, bey denenjenigen des Heiligen Reichs Ständen, welchen sie bedienet4, ohnverlängt die Erinnerung zu thun, damit inskünfftig die Unterhaltungsgelder an guten gangbaren Sorten dem Müntzedict und Reichssatzungen, auch obberührter beständigen Observantz gemäß und wie solches in ermeldter Cammergerichtsordnung außtrücklich enthalten, bezahlt und dem Pfenningmeister erlegt, auch in was Sorten ein jeder Stand sein Contingent entrichtet, ihnen denen5 Procuratoren zeitlich überschrieben werden möge. Decretum in Consilio pleno, den 8. Januarii 1680. Johann Adam Weickart6, Dr., Kayserl[icher] Cammergerichts Protonotarius7. Vorlage: CJC 1724, S. 933 Nr. CCCCLX. Weitere Ausgaben: GB 1686 Suppl. (ohne Seite); GB 1688, S. 70-68 (Paginierungsfehler); Deckherr 1688, S. 491-492; GB 1695, S. 173-174; GB 1696, S. 173-174; GB 1707, S. 173-174; GB 1710, S. 179-180 Nr. CLXXXVII; GB 1714, S. 109 Nr. CCIII; CJC 1717, S. 109 Nr. CCIII; GB 1717, S. 109 Nr. CCIII; GB 1724, S. 179-180 Nr. CLXXXVII. Anmerkung: Wie in sehr vielen anderen Gemeinen Bescheiden aus den siebziger und achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts geht es erneut um die Finanzierung des Reichskammergerichts. In diesem Fall kritisierte das Kameralkollegium nicht den Zahlungsverzug der Reichskreise, sondern die schlechten Münzsorten, die in Speyer eingegangen waren. Ursprünglich hatte das Gericht angeordnet, alle Zahlungen hätten nach dem reichsgesetzlich festgeschriebenen Münzfuß zu erfolgen (z. B. Gemeiner Bescheid vom 13. Januar 1598; oben RKG Nr. 96). Später hatten die Assessoren nachgegeben. Der Gemeine Bescheid vom 1. März 1672 (oben RKG Nr. 186) erwähnte ausdrücklich die Zahlung in verschiedenen Sorten und Summen. Dennoch bestand wohl jederzeit 1 2 3 4 5 6 7

Deckherr 1688 Orth; GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696 Orthe; GB 1707 Orte. Fehlt in Deckherr 1688. GB 1686 Suppl. GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 zu nichts. Deckherr 1688 dienen. Deckherr 1688 den. GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Weicker. Decretum … Protonotarius fehlt in Deckherr 1688.

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RKG Nr. 203 1680 März 12

die Möglichkeit, die Beträge in Reichstaler und Kreuzer umzurechnen, wie es die damals eingeführten Quittungen vorsahen. Seit fünf oder sechs Jahren hatten viele Reichsstände ihre Kammerzieler allerdings in deutlich verschlechterten Münzsorten entrichtet. Ein Blick in die Policeygesetzgebung des Alten Reiches bezieht den größeren Rahmen ein. Kaum ein Thema besaß in dieser Zeit ein solches Gewicht in der Gesetzgebung. Allein seit 1674 waren mindestens 14 Kommissionsdekrete, Reichsgutachten, Edikte und Reichsschlüsse zu Münzfragen ergangen. Die vom Reichskammergericht geschilderten Probleme bestanden also flächendeckend. Die große Kipper- und Wipperzeit hatte in den ersten Jahren des Dreißigjährigen Krieges das Zahlungswesen erschüttert. Doch nun gab es ebenfalls kriegsbedingt erneut gezielte Münzverschlechterungen. Das Reichskammergericht hatte die leichteren Münzen angenommen, sich Nachforderungen aber ausdrücklich vorbehalten. Nun stellte sich heraus, wie schwer es war, die verschlechterten Münzen an den Mann zu bringen. In Speyer und Umgebung hatten die Gerichtsmitglieder jedenfalls Schwierigkeiten, ihr Geld auszugeben. Kaum jemand war bereit, die ganz verschiedenen und dazu leichtgewichtigen Münzen als Zahlungsmittel zu akzeptieren. In dieser Situation blieb dem Kameralkollegium nichts übrig, als erneut den Weg über die Prokuratoren zu wählen. Sie sollten die Reichsstände, für die sie arbeiteten, dazu anhalten, die Kammerzieler in ordentlichen und vorgeschriebenen Reichsmünzen zu leisten. Das Gericht berief sich hier unbestimmt auf ein Münzedikt, möglicherweise auf das Münzedikt Kaiser Leopolds I. vom 15. Juni 1676. Eine förmliche Reichsmünzordnung von 1622 hatte es dagegen nicht gegeben. Allerdings hatten zahlreiche Territorien in diesem Jahr Münzordnungen erlassen, teilweise gemeinsam im regionalen Verbund mit mehreren Territorien.

RKG Nr. 203 1680 März 12 Procuratoribus frequentior comparitio in audientiis et specialior modus se excusandi iniungitur.1 Demnach man schon von vielen Jahren hero wahrgenommen, daß dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratores2 nicht allein in denen gewöhnlichen gerichtlichen Audientzien sich unfleißig und säumig einstellen, sondern sogar auch vorgestrigen Tages (ohnerachtet diejenige, so unter denen Herren Praesidenten und Assessoren die Ordnung betroffen, sich zu behörender Zeit eingefunden) nur ein eintziger von denenselben darin erschienen, auch soviel man weiß etwan zwey oder 1 2

Procuratoribus ... iniungitur fehlt in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Procuratorn.

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drey per Schedulam sich excusiret, als wird wegen sothanen bezeigten Unfleißes einem jeden von denen Übrigen, so sich wegen Leibsohnpäßlichkeit oder sonsten erheblicher Ursachen halben nicht würcklich entschuldiget haben, hiemit die Straff der Ordnung, in der Armen Seckel innerhalb 3 Tagen sub poena dupli ohnnachläßig zu erlegen, andictiret mit dem Anhang, wo ein- oder andere1 sowohl die jetztermeldte in Zeit der 3 Tagen als auch andere annoch ohnbezahlte Straffen innerhalb 3 Wochen dem Pedellen nicht entrichten wird, daß alsdann derselbe deßwegen der würcklichen Execution gewärtig seyn soll. Dann sollen ins künfftig, falls einige erhebliche Verhinderung2 und Ursachen, von der Audientz abzuseyn, vorfallen sollten, solche in denen überreichenden Excusationszettuln, so auffs längste eine Viertelstunde nach 1 Uhr übergeben werden sollen, jederzeit benennt, widrigenfalls aber nicht attendiret und nichts desto weniger sie, die Procuratores, pro illegitime absentibus, folglich für straffbar gehalten, auch die Straff alsobald durch den Pedellen der Ordnung gemäß eingefordert werden. In Consilio pleno, 12. Martii 1680. Johann Adam Weickart3, Dr., Kayserl[icher] Cammergerichts Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 933-934 Nr. CCCCLXI. Weitere Ausgaben: GB 1688, S. 68; GB 1695, S. 174-175; GB 1696, S. 174-175; GB 1707, S. 174-175; GB 1710, S. 180-181 Nr. CLXXXVIII; GB 1714, S. 109-110 Nr. CCIV; CJC 1717, S. 109-110 Nr. CCIV; GB 1717, S. 109-110 Nr. CCIV; GB 1724, S. 180-181 Nr. CLXXXVIII; fehlt in GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt das vollständige und pünktliche Erscheinen der Prokuratoren zur Audienz. Mehrere ältere Gemeine Bescheide hatten die Anwälte bereits getadelt, wenn sie unentschuldigt schwänzten oder zu spät kamen und auf diese Weise das Kameralkollegium vor den Zuschauern bloßstellten (z. B. Gemeine Bescheide vom 28. November 1550, 3. November 1568, 11. Oktober 1592, 11. April 1595 §§ 4-5, 21. Juni 1625, 4. Oktober 1638, 16. Januar 1652, 30. Oktober 1655 § 10 und 3./13. August 1666; oben RKG Nr. 44, 61, 90, 94, 108, 117, 124, 127 und 169). Diese Anordnungen lagen schon einige Zeit zurück. Doch der Schein trügt, denn die Disziplin hatte sich nicht verbessert. Seit Jahren schon, so die Quelle, ließ die Beteiligung der Prokuratoren an den Audienzen zu wünschen übrig. Vielleicht hatte das Kameralkollegium zunächst nichts unternommen, weil es in den vordringlichen Finanzierungsfragen zwingend auf die Mithilfe der Prokuratoren angewiesen war. Möglicherweise erschien es deswegen unklug, die Anwälte zugleich disziplinarrechtlich zu gängeln. Jetzt aber gab es einen handfesten Anlass, der das Gericht zum Handeln zwang. Die Assessoren ihrerseits erschienen inzwischen zwar auch längst nicht mehr vollzählig zur Audienz. Aber nach dem Dienstplan waren zumindest die für diesen Tag vorgesehenen Beisitzer und ein Präsident gekommen. Ihnen 1 2 3

GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 anderer. GB 1688 Verhinderungen; GB 1696; GB 1707 Verhinderung. GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Weicker.

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RKG Nr. 204 1680 März 26

gegenüber stand aber nur ein einziger Prokurator. Zwei oder drei andere hatten sich wenigstens schriftlich abgemeldet. Die restlichen Prokuratoren waren einfach untätig geblieben und gar nicht zur Audienz gegangen. Die Ehrverletzung beim Kameralkollegium saß tief. Deswegen verhängte das Gericht diesmal eine Geldstrafe, die es in zahlreichen anderen Fällen lediglich androhte. Die Zahlungsfrist von drei Tagen klang streng, danach drohte sogar die doppelte Buße. An dieser Stelle griff das Gericht zudem ein weiteres Problem auf, das es bisher nicht in den Griff bekommen hatte. Gegen viele Prokuratoren waren nämlich schon längst aus verschiedenen anderen Gründen Geldstrafen fällig. Der Pedell hatte es aber trotz zahlreicher Mahnungen nicht vermocht, die fälligen Summen einzutreiben (dazu die Gemeinen Bescheide vom 6. November 1655, 2./12. Mai 1658, 24. März 1659, 1. Dezember 1659, 21. Mai 1660, 17. August 1661 und 10. Oktober 1670; oben RKG Nr. 128, 136, 140, 143, 149, 154 und 182). Diese aufgelaufenen Gelder waren nun ebenfalls binnen dreier Wochen zur Zahlung fällig. Anderenfalls sollte die Zwangsvollstreckung beginnen. Für den künftigen Audienzbetrieb verschärfte der Gemeine Bescheid schließlich die Spielregeln für die anwaltlichen Entschuldigungszettel. Man wollte sie nur noch dann anerkennen, wenn sie mindestens eine Dreiviertelstunde vor der um zwei Uhr beginnenden Nachmittagssitzung vorlagen. Das Gericht sollte also schon vor jeder Sitzung wissen, wie viele Prokuratoren an diesem Tag fehlen würden. Der Erfolg derartiger Maßnahmen war wie immer ungewiss. Möglicherweise verbesserte sich der Audienzbesuch tatsächlich. Am 30. März 1688 klagte aber das Kameralkollegium in einem anderen Gemeinen Bescheid über Prokuratoren, die sich in den Sitzungen gegenseitig beleidigten und auf diese Weise ebenfalls das Ansehen des Gerichts beschädigten (unten RKG Nr. 216).

RKG Nr. 204 1680 März 26 Provisio ad quaestorem ut pecunia in sustentationem Camerae destinata atque exsolvenda in probis speciebus monetae recipiatur1. Demnach gewisse Nachricht eingelangt, daß des Heiligen Reichs Stände sowohl auf die an die creyßaußschreibende Fürsten von diesem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht abgelassene Schreiben als verschiedentliche denen Procuratoribus und dem Pfenningmeister ertheilte Decreta die zu ermeldtem Cammergerichts Unterhalt schuldige Gelder in nechst bevorstehender Franckfurter Ostermeß in guten, gangbaren, dem Reichsedict meßigen Sorten (wie solches ohne dem in der Cammergerichtsordnung versehen) erlegen werden. 1

Provisio … recipiatur auch in GB 1717.

RKG Nr. 204 1680 März 26

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§ 1. Als wird ermeldtem Pfenningmeister hiemit ernstlich befohlen, damit solche gute Sorten durch andere schlechte Gelder nicht etwa außgewechselt, sondern in denen Speciebus, wie sie außgezahlt, wiederum zu sein, des Pfenningmeisters, Einnahm gebracht werden möchten, daß er bey denenjenigen Kauffleuten, an welche die Wechsel gestellt, oder auch andere die obgedachte Unterhaltungsgelder zu erlegen befelcht, bey seiner vorhabenden Reiß nacher gedachtem Franckfurt daran seyn soll, damit dieselbe gestellte Ordre, in was Sorten sie das Geld zu erlegen angewiesen werden, ihme vorgezeigt, und also alle Confusion verhütet bleiben möge. § 2. Auf den Verweigerungsfall wird er, Pfenningmeister, die ordentliche Obrigkeit dessentwegen zu imploriren, sodann im Übrigen bey seiner Einnahm denen vorhergehenden Decretis nachzuleben wissen und ihme darwider keine, insonderheit in denen dreyen correspondirenden, wie auch anderen Theils Creyßen verruffene Sorten sich obtrudiren lassen. Decretum in Consilio pleno, den 26. Martii 1680. Johann Adam Weickart, Dr., Kayserl[icher] Cammergerichts Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 934 Nr. CCCCLXII. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 110 Nr. CCV; CJC 1717, S. 110 Nr. CCV; GB 1717, S. 110 Nr. CCV; GB 1724, S. 222-223 Nr. CCXIX; fehlt in GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid schließt an die Vorgängerregelung vom 8. Januar 1680 an (oben RKG Nr. 202) und betrifft die Zahlung der Kammerzieler. Zu Beginn konnte das Kameralkollegium eine seltene Erfolgsmeldung verbuchen. Die saumseligen Reichsstände waren angeblich bereit, auf der bevorstehenden Frankfurter Messe einen Teil ihrer Schulden zu bezahlen. Dies werde sogar in guten Münzen geschehen, hoffte das Gericht. Die gute Nachricht schrieben die Assessoren ihrem eigenen Verdienst zu. Zum einen hätten die von den Prokuratoren an die Reichsstände weitergegebenen Mahnungen etwas genützt. Zum anderen sollen auch Schreiben des Gerichts an die kreisausschreibenden Fürsten gefruchtet haben. Diese Mahnbriefe sind in den verschiedenen Sammlungen Gemeiner Bescheide nicht überliefert, müssen also in anderer Form ergangen sein. Der Gemeine Bescheid selbst war eine Dienstanweisung an den Pfennigmeister. Er sollte das Reichskammergericht vor heimlichem und verbotenem Münzentausch bewahren. Zur Frankfurter Messe sollte er persönlich reisen (so auch bereits der Gemeine Bescheid vom 23. März 1667 § 4; oben RKG Nr. 173). Die Mittelsmänner, die dem Pfennigmeister die Kammerzieler übergaben, hatten hierbei nachzuweisen, in welcher Stückelung sie das Geld erhalten hatten. Bei Verstößen sollte der Pfennigmeister die ordentliche Obrigkeit anrufen, also möglicherweise das Frankfurter Schöffengericht bzw. Stadtgericht. In einem beschleunigten Verfahren konnte es wirtschaftsrechtliche Vergehen zur Messezeit aburteilen. Ein eigenes Messegericht scheint die Reichsstadt Frankfurt dagegen nicht besessen zu haben. Dem Reichskammergericht selbst waren bei derartigen Münzverschlechterungen die Hände gebunden. Die genannten Kaufleute oder Schatzmeister der Legstädte und der Reichskreise unterstanden nicht der persönlichen Gerichtsgewalt des Kameralkollegiums. Hüten sollte sich

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RKG Nr. 205 1680 Juli (1) 11

der Pfennigmeister vor allem, wenn die Frankfurter Kaufleute ihm „verrufene“ Münzen andrehen wollten. Das Gericht spielte damit auf rechtspolitische Auseinandersetzungen um schlechte Münzen an, die in den Reichskreisen stattfanden. Einzelheiten dazu setzte es bei den Beteiligten als bekannt voraus und erläuterte sie nicht. Der frohe Mut, mit dem das Gericht im März 1680 auf die Zahlungseingänge hoffte, erwies sich allerdings wie so oft als verfrüht. Schon dreieinhalb Monate später war am 1./11. Juli 1680 eine erneute Mahnung der säumigen Reichsstände angebracht (dazu sogleich RKG Nr. 205).

RKG Nr. 205 1680 Juli (1) 11 Procuratoribus Camerae iniungitur ut quilibet statum1 Imperii, cui inservit, de solvenda sustentatione Camerae diligenter admoneat et acceptum fideliter indicet2. Es wird auf Befehl eines hochlöblichen Collegii Cameralis hiemit denen gesambten Procuratoren des Kayserlichen Cammergerichts alles Ernstes anbefohlen, daß sie bey denen zu demselben geleisteten Pflichten diejenige Stände, denen sie bedienet, wegen ohngesaumbter Abführung deren zu der Kayserlichen Cammergerichtscassa annoch schuldigen Zieler möglichsten Fleißes beweglich erinnern, sodann, was sie, die Procuratores, bereits hieran zu Handen bekommen oder noch hiernechst bekommen und empfangen werden, sobalden gehörigen Orths anzeigen und außlieffern sollen. Johann Adam Weickart, Dr., Kayserl[icher] Cammergerichts Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 934 Nr. CCCCLXIII. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 111 Nr. CCVI; CJC 1717, S. 111 Nr. CCVI; GB 1717, S. 111 Nr. CCVI; GB 1724, S. 224 Nr. CCXX; fehlt in GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid stellt bereits die dritte Anordnung zur Finanzierung des Reichskammergerichts im selben Jahr dar (dazu ebenfalls die Gemeinen Bescheide vom 8. Januar 1680 und 26. März 1680, oben RKG Nr. 202 und 204). Zu Beginn des Jahres hatte das Gericht auf eingehende Kammerzieler gehofft, sogar auf Zahlung in guter Münze. Im Sommer waren die überschwänglichen Hoffnungen schon wieder verflogen. Das Kameralkollegium besann sich auf ein überkommenes, auch in früheren Jahren aber weithin erfolgloses Mittel. Es forderte die 1 2

GB 1724 Statuum; GB 1714; CJC 1717 Statum. Procuratoribus … indicet auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

RKG Nr. 206 1680 August 20

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Prokuratoren zum wiederholten Mal auf, ihre reichsständischen Auftraggeber zur Zahlung anzuhalten (so bereits der Gemeine Bescheid vom 16. Oktober 1634; oben RKG Nr. 109, mit zahlreichen Wiederholungen). Eingehende Gelder sollten die Anwälte unverzüglich an den Pfennigmeister weiterleiten. Die große Nachzahlung ausstehender Kammerzieler auf der Frankfurter Ostermesse 1680, vom Gericht noch im März erwartet, hatte demnach wohl nicht stattgefunden.

RKG Nr. 206 1680 August 20 Quaestor Cam[erae] pecuniam sustentationi deputatam in proba edicto Imperiali conformi monetae specie recipiat, secus protestetur et ratione expensarum aut damni quaevis competentia reservet1. Demnach sowohl vermög eines bereits abgefasten allgemeinen Reichsconclusi als auch von allen des Heiligen Reichs Creyßen darauff gegründeten heilsamen Verordnungen, ingleichen in der gantzen Churpfaltz allschon publicirten Müntzedicto einige Aenderungen im Müntzwesen vorseyend und dardurch die eine Zeitlang im Zwang gangene gantze, halbe und Orthsgulden theils verruffen, theils auff einen geringern Valor reducirt worden, die übrige auch nur noch auf eine gewisse Zeit gangbar seyn sollen, als wird dieses Kayserlichen Cammergerichts Pfenningmeistern hiemit ernstlich befohlen, daß er bey künfftiger seiner Einnahm darauff festhalten soll, damit die Unterhaltungsgelder an guten dem Müntzedict und Reichssatzungen gemäßen Sorten, wie solches ohne dem in der Cammergerichtsordnung außtrücklich enthalten, erlegt werden mögten, widrigenfalls hätte er, Pfenningmeister, darwider solenniter zu protestiren, auch ratione aller Kosten und Schaden quaevis Competentia per Expressum sich zu reserviren und vorzubehalten. In Consilio pleno, den 20. Augusti 1680. Johann Adam Weickart, Dr., Kayserl[icher] Cammergerichts Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 934-935 Nr. CCCCLXIV. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 111 Nr. CCVII; CJC 1717, S. 111 Nr. CCVII; GB 1717, S. 111 Nr. CCVII; GB 1724, S. 224-225 Nr. CCXXI; fehlt in GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid schließt an zwei andere Bescheide an, ebenfalls von 1680 (Gemeine Bescheide vom 8. Januar 1680 und 26. März 1680, oben RKG Nr. 202 und 204). 1

Quaestor … reservet auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 207 1681 Juli 13

Sie alle verknüpften die Zahlung des Kammerzielers mit dem Reichsmünzwesen. Eher als Beobachter nahm das Kameralkollegium die aktuellen Münzreformen zur Kenntnis. Mit dem Reichskonklusum spielte das Gericht womöglich auf einen Reichsschluss vom 13. Juli 1676 an. Allerdings ergingen in den späten 1670er Jahren außerordentlich zahlreiche reichsrechtliche Erlasse zum Münzwesen. Eine genaue Bestimmung des Verweises ist daher nicht möglich. Das pfälzische Münzedikt dagegen, vom Reichskammergericht ebenfalls angesprochen, war noch ganz frisch. Erst am 9. Juli 1680 war diese Verordnung ergangen, lag also gerade einmal sechs Wochen zurück. Verbindlich konnten die kurpfälzischen Münzvorschriften für das Reichskammergericht ohnehin nicht sein, gaben aber die Richtung der flächendeckenden neuen Regeln vor. Die zwischenzeitlich geprägten schlechten Gulden wurden dadurch entweder als Zahlungsmittel ganz abgeschafft oder zumindest abgewertet. Höchstens für eine Übergangszeit sollten sie überhaupt noch im Umlauf bleiben. Daraus folgte die Ermahnung an den Pfennigmeister, künftighin nur noch reichsrechtlich anerkannte gute Münzen als Kammerzieler anzunehmen.

RKG Nr. 207 1681 Juli 13 Decretum provisionale depositam a serenissimo duce Wurtenberg[ico] et magistratu civit[atis] Argentorat[i] pecuniam sustentationis Camerae concernens1. Soll dieses Kayserlichen Cammergerichts Pfenningmeister die von Fürstlichen Durchlaucht zu Würtenberg2 und der Stadt Straßburg ad Lectoriam deponirte Unterhaltungsgelder pro hac Vice noch annehmen und derentwegen die Quittung folgender Gestalt einrichten: Daß er nemlich soundsoviel Zieler ad –3 Reichsthaler nicht zwar an Speciebus, sondern currenten Gulden, salvo tamen iure Collegii et cuiuscunque wegen des Abgangs empfangen, wie auch Dr. Zellern und Dr. Plönnies andeuten, daß sie diejenige Scheine, so solcher Gelder halben Lectoria extradirt, wieder zuruckfordern, und obgedachter seiner fürstlichen Durchlaucht sodann gedachtem Magistrat der Stadt Straßburg remonstriren sollen, daß man solche Gelder zu Respect und Consideration derenselben pro hac Vice, jedoch salva supramemorata reservatione, noch annehmen, hingegen aber der Hoffnung leben wolte, man werde hiernechst dem beschehenen Erbiethen gemäß nach Inhalt der Cammergerichtsordnung mit denen dem Reichsmüntzedict gemäßen Sorten ohnfehlbar zu

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Decretum … concernens auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1717; GB 1724 Würtemberg. GB 1714; CJC 1717; GB 1717 " " ".

RKG Nr. 207 1681 Juli 13

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halten. Dann sollen die übrige in Cassa liegende und sonsten vorhandene Gelder ohnverzüglich und vor Außgang dieser Wochen distribuirt werden. In Consilio pleno, den 13. Julii 1681. Vorlage: CJC 1724, S. 935 Nr. CCCCLXV. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 111-112 Nr. CCVIII; CJC 1717, S. 111-112 Nr. CCVIII; GB 1717, S. 111-112 Nr. CCVIII; GB 1724, S. 225-226 Nr. CCXXII; fehlt in GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt Fragen der Münzqualität bei der Zahlung der Kammerzieler. Dazu waren bereits 1680 drei Verfügungen ergangen (Gemeine Bescheide vom 8. Januar 1680, 26. März 1680 und 20. August 1680; oben RKG Nr. 202, 204 und 206). Der Herzog von Württemberg hatte den Kammerzieler entrichtet, ebenso der Rat der Reichsstadt Straßburg kurz vor der französischen Besetzung. Die Zahlung war aber nicht in den eigentlich geschuldeten Speziestalern erfolgt, sondern in den lediglich halb so gewichtigen Gulden. In die bloße Recheneinheit Reichstaler ließ sich beides umrechnen, und deshalb nahm das Reichskammergericht die fehlerhafte Zahlung an. Der Pfennigmeister sollte aber die ständigen Prokuratoren der beiden Reichsstände, Dr. Friedrich Plönnies und Dr. Johann Ulrich Zeller, auf das Versehen hinweisen. Diese hatten sodann ihre Auftraggeber zu benachrichtigen und sich für zukünftige Beiträge in Form von Speziestalern einzusetzen (allgemein dazu der Gemeine Bescheid vom 6. September 1681, unten RKG Nr. 208). Das hatten Württemberg und Straßburg angeblich ohnehin bereits angekündigt. Mit dem Reichsmünzedikt verwies das Reichskammergericht auf das Münzedikt Kaiser Leopolds I. Es war am 15. Juni 1676 ergangen und am 26. November 1680 zusammen mit einem Reskript an die kreisausschreibenden Fürsten neu verkündet worden. Das alles klang freilich weniger nach einer allgemeinen Bestimmung als vielmehr nach einer Einzelfallregelung. Dennoch erließ das Reichskammergericht die Verfügung als Gemeinen Bescheid. Der letzte Satz behandelte ein davon getrenntes Anliegen. Inzwischen hatten sich einige Summen in der Kasse angehäuft. Sie sollten jetzt an die Gerichtsmitglieder ausgezahlt werden.

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RKG Nr. 208 1681 September 6

RKG Nr. 208 1681 September 6 Quas monetae species quaestor in nundinis Francofurt[ensibus] recipere debeat1. Auff die von dieses Kayserlichen Cammergerichts Pfenningmeistern gestrigen Tags beschehene unterthänigste Anzeig wird demselben hiemit befohlen, daß er bey vorhabender seiner Reiß in die Franckfurter Meß denen ihme ertheilten vorigen Decretis gemäß bey allen Unterhaltungserlagen abermahlen auf gute, gangbare, harte Reichssorten ernstlich halten, so aber solche Sorten von einem oder dem andern Stand nicht zu erlangen, sondern einige grosse Summen an Guldener Stück geschossen werden wolten, den Auffwechsel nach jedesmahlen gemeinen Curs, um dieselbe auff Reichsthaler und gut Geld umsetzen zu können, zugleich mit Begehren, auch darauff solche Gelder alsobalden würcklich umsetzen, im Übrigen aber denen ihme nach und nach durch die Herren Deputatos zum Pfenningmeisterambt ferner zukommenden Befelchen in allem stricte nachleben soll. Dann kan er, Pfenningmeister, die von Oßnabrück anerbottene Gelder empfangen und die 83 Reichsthaler, worüber an allhiesigem Kayserlichen Cammergericht Lis pendens ist, in der Quittung reserviren. In Consilio pleno, den 6. Septembris 1681. Subscripsit Protonotarius Weickart, Dr., manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 935 Nr. CCCCLXVI. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 112 Nr. CCIX; CJC 1717, S. 112 Nr. CCIX; GB 1717, S. 112 Nr. CCIX; GB 1724, S. 226 Nr. CCXXIII; fehlt in GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid befasst sich wie mehrere seit 1680 ergangene Verfügungen mit der Zahlung des Kammerzielers in guter Münze. Nachdem Württemberg und Straßburg die letzte Rate noch mit leichteren Gulden und nicht den doppelt so starken Speziestalern geleistet hatten (dazu Gemeiner Bescheid vom 13. Juli 1681, oben RKG Nr. 207), wollte das Kammergericht ein ähnliches Problem bei der bevorstehenden Frankfurter Herbstmesse vermeiden. Der Pfennigmeister sollte sich dafür einsetzen, Zahlungen in harten Reichsmünzen zu leisten und nicht im schwächeren Gulden. Gänzlich ablehnen durfte er die Guldenwährung aber nicht. Es gab einen Wechselkurs zur Recheneinheit Reichstaler, und nach dieser Vorgabe sollte er die empfangenen Gulden verbuchen. Eine weitere Anweisung erhielt der Pfennigmeister wegen der vom Fürstbistum Osnabrück geschuldeten Zieler. Hierzu lief bereits ein Prozess zwischen dem Fiskal und dem evangelischen Fürstbischof Ernst August. Offenbar hatten die Osnabrücker eine Teilzahlung in Höhe von 83 Reichstalern angeboten. Ob sie in Gulden oder in den besseren Speziestalern erfolgen sollte, geht aus 1

Quas … debeat auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

RKG Nr. 209 1682 Oktober 10/30

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dem Gemeinen Bescheid nicht hervor. Das Kameralkollegium war aber bereit, die Teilleistung als Teilerfüllung anzunehmen. In dieser Höhe verringerte sich also der Streitwert des fiskalischen Verfahrens.

RKG Nr. 209 1682 Oktober 10/301 Forma substitutionum procurotoriarum et recessuum iudicialium emendatur.2 [Substitutionum procuratoriarum ut in recessibus iudicialibus deprehensa vitia quaedam correcta.]3 Endlich ist der Gemeine Bescheid: Demnach sich öffters befunden, daß denen einkommenden Gewälten Substituti einverleibt werden, welche entweder von solcher ihrer4 Substitution selbsten nichts wissen oder aber etwan von dem Gegentheil principaliter oder auch substitutorie constituirt seyn, wodurch nothwendig grosse Confusiones und Verzögerungen enstehen müssen, als ist hiemit der ernstliche Befehl5, daß dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratores ihre ad Acta legende Gewält hinführo ehender nicht produciren sollen, es sey dann vorhero der Procurator Substitutus in Krafft darin enthaltener Clausulae Substitutionis in denenselben würcklich exprimirt und benennt. Deme vorgangen soll der Substitutus, damit man alsobalden wissen möge, ob er die Substitution acceptirt habe, solche entweder durch einen mündlichen Recess per Verbum „Consentio“ oder Unterschreibung des Gewalts acceptiren, jedoch sowohl denen Partheyen als dem Substituto, einen andern Procuratorem zu benennen oder die Substitution auffzukündigen, ohnbenommen. § 1.6 Und weilen man auch öffters verspührt, daß in denen gerichtlichen Handlungen die Termini sowohl Legales als Praefixi von verschiedenen Procuratoren nicht mehr, wie sichs gebührt, observirt, sondern fast alles biß auff hiebeynahende Publicationes Sententiarum zurückgehalten werden, da dann zu vorsetzlichem Auffenthalt der Sachen und Steckung der Urtheilen allerhand nichts relevirende Handlungen eingeschoben oder Prorogationes Prorogationum und zwar bloß allein per 1

2 3 4 5 6

Datum unklar: CJC 1724 vom 10. Octobris 1682; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 10. Octobris 1682; dagegen GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Anno 1682, 30. Octobris; Deckherr 1688; GB 1717 30. Octobris 1682. Forma ... emendatur fehlt in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1717. Substitutionum … correcta in Deckherr 1688. Fehlt in Deckherr 1688. Als ist ... Befehl fehlt in GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. § 1 fehlt in GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710.

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Verba „Aus künfftig bescheinenden Ursachen“ der Cammergerichtsordnung, Reichsabschieden und denen Gemeinen Bescheiden zuwider, gesucht werden wollen.1 Als ist hiemit der fernere ernstliche Befehl, daß gedachte Procuratores solche Confusiones fürterhin gäntzlich vermeiden, ihre Recess und Handlungen debito modo et tempore sub praeiudicio reiectionis und nach Befindung der Sachen bey schärfferem Einsehen in denen Audientzien vortragen, einfolglich nach jedesmahl beschehenem fiscalischen Anruffen nicht mehr wie bißhero sich auff die vorhergangene Erlagen beziehen und also dasjenige, so schon zu des Pfenningmeisters Einnahm und2 von demselben zu behörender Distribution gebracht worden, praepostere und nur zum äusserlichen Schein, wie auch zu schädlichem Auffenthalt der Audientzien wiederholen, sonderlich3 allein dasjenige, was nach dem fiscalischen Anruffen gedachtem Pfenningmeister würcklich erlegt oder assignirt worden, anzeigen. Sodann denen am 28. Junii Anno4 1661 und 5. Julii Anno5 1664 an hiesigem Kayserlichen Cammergericht ergangenem Decretis wie auch im Übrigen mehr angeregter Cammergerichtsordnung, Jüngerem Reichsabschied, Visitationsmemorialien und denen Gemeinen Bescheiden sowohl in obgedachten als auch in allen 6 andern Puncten ebenmäßig bey Vermeidung schärfferen Einsehens und ohnaußbleiblicher Straff gebührend nachleben sollen. In Consilio pleno, den 30. Octobris 1682. Johann Adam Weickart7, Dr., Kayserl[icher] Cammergerichts Protonotarius8. Vorlage: CJC 1724, S. 935-936 Nr. CCCCLXVII. Weitere Ausgaben: GB 1686 Suppl. (ohne Seitenzahl; letzter Bescheid des Supplements); GB 1688, S. 68-69; Deckherr 1688, S. 492 (letzter Bescheid der Sammlung); GB 1695, S. 175-176; GB 1696, S. 175-176; GB 1707, S. 175-176; GB 1710, S. 181-183 Nr. CLXXXIX; GB 1714, S. 112-113 Nr. CCX; CJC 1717, S. 112-113 Nr. CCX; GB 1717, S. 112-113 Nr. CCX; GB 1724, S. 181-183 Nr. CLXXXIX. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt die Sitzungsvertretung und das Verhalten in der öffentlichen Audienz. In den üblichen Anwaltsvollmachten sahen die Prokuratoren jeweils einen Substituten vor, falls sie aus verschiedenen Gründen ihre Aufgaben nicht wahrnehmen konnten. Das galt nicht nur für schwere Krankheiten und Todesfälle, sondern zumeist schlicht für die Teilnahme an den Audienzen. Schon früh hatte das Kameralkollegium durch Gemeine Bescheide vom 5. Juni 1523, 28. November 1550 § 3, 20. Februar 1566, 3. November 1568 (oben RKG Nr. 5, 44, 1 2 3 4 5 6 7 8

Absatz in GB 1686 Suppl.; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Fehlt in Deckherr 1688. GB 1686 Suppl.; GB 1688; Deckherr 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 sondern. Fehlt in Deckherr 1688. Fehlt in Deckherr 1688. Deckherr 1688 den. GB 1686 Suppl.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Weicker. In Consilio … Protonotarius fehlt in Deckherr 1688.

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58, 61) den Prokuratoren verboten, ohne ausdrückliche Zustimmung ihrer Partei Sitzungsvertreter zu bestellen. Daraufhin ließen sich die Prokuratoren bereits in ihrer Anwaltsvollmacht, zeitgenössisch Gewalt, einen Kollegen als Vertreter bestätigen. Offenbar gab es aber ein anderes Problem. Einige Prokuratoren nahmen in ihre Urkunden einen anderen Prokurator als Substituten auf, obwohl er im Einzelfall davon nichts wusste und auch nicht zugestimmt hatte. Möglicherweise bestanden hierfür dauerhafte Substitutionsbeziehungen auf Gegenseitigkeit, losgelöst vom Einzelfall. Zu Schwierigkeiten kam es immer dann, wenn der Substitut im selben Rechtsstreit als Prokurator der Gegenseite arbeitete oder auch dort als Vertreter angegeben war. Das stellte sich vermutlich erst in der Audienz heraus, wenn der Sitzungsvertreter einmal einen Rezess halten musste. In diesem Zeitpunkt war aber keine Abhilfe mehr möglich, weil die Partei ja keinem anderen Prokurator die Substitutenvollmacht erteilt hatte. Prozessverschleppungen waren deswegen unvermeidbar. Das Kameralkollegium verlangte daher, der Substitut müsse die Vollmacht entweder mit unterzeichnen oder zumindest in der Audienz, in der sein Kollege die Gewalt zu den Akten reichte, ausdrücklich seine Vertretungsmacht bestätigen. Dennoch gab es ein jederzeitiges Kündigungsrecht sowohl für die Parteien als auch für den Substituten selbst. Die Substitutionsklausel in den Anwaltsvollmachten war also gerade in Zweifelsfällen nicht durchsetzbar. Um Prozessverzögerungen in der Audienz ging es im folgenden § 1. Der Jüngste Reichsabschied hatte die Eventualmaxime im Kameralverfahren gestärkt. Die Parteien waren gehalten, sämtliche Angriffs- und Verteidigungsmittel frühzeitig, möglichst bereits zu Beginn des Verfahrens, auf den Tisch zu legen. Präklusionsdrohungen versuchten, diese Pflicht einzuschärfen. In der Praxis wurde aber nicht so heiß gegessen, wie die Gesetze zu kochen vorgaben. Die Protokollbücher quellen geradezu über vor Fristverlängerungen und anderen Großzügigkeiten. All das zog die Rechtsstreitigkeiten in die Länge. Offenbar, so der Gemeine Bescheid, versuchten die Prokuratoren, ihre Schriftsätze immer erst dann abzugeben, wenn der Rechtsstreit aus gerichtlicher Sicht entscheidungsreif war. Kam es hart auf hart, musste das Gericht sogar bereits konzipierte Entscheidungen aufgrund einer veränderten Sach- und Rechtslage neu fällen und hatte damit doppelte Arbeit. Das Kameralkollegium schärfte den Prokuratoren daher die Regeln ein, die auf dem Papier ohnehin schon bestanden: Schriftsätze, die später als im dafür vorgesehenen Termin vorgelegt wurden, wollte das Gericht in Zukunft nicht mehr annehmen. Die dritte Verfügung betraf Ausflüchte in den fiskalischen Audienzen. Einige Prokuratoren hintertrieben offenbar die gerichtliche Geltendmachung fiskalischer Forderungen, indem sie auf angebliche Zahlungen verwiesen, die schon längst zurücklagen. Sie waren in die Zahlungsansprüche des Fiskals bereits einberechnet, doch konnte das in der Kürze der Audienz niemand so schnell bemerken. Verwirrung und Verzögerung waren die Folge. Ob es sich hierbei zwingend um Streitigkeiten über ungezahlte Kammerzieler handelte, sagte der Gemeine Bescheid nicht. Der Verweis auf die älteren Vorschriften vom 28. Juni 1661 und 5. Juli 1664 (oben RKG Nr. 152 und 163) deutete die Verflechtung mit den Finanzierungsfragen aber an. Ein Pauschalverweis auf das gesamte geltende Kameralrecht schloss den Gemeinen Bescheid ab.

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RKG Nr. 210 1685 Juli 27

RKG Nr. 210 1685 Juli 27 In attentatas corruptiones et illicita pacta Jud Löw Schue zu Speyer inquiritur.1 [Copia zweyer Decreten wegen Löw Judens in Speyer.]2 Demnach hiesigem Kayserlichen Cammergericht ohnlängsten vorkommen, ob solte Löw Jud durch ohngebührliches Sollicitiren, Correspondiren, Versprechen und gesuchte Corruptiones, so zu dieses Kayserlichen Cammergerichts und deren Glieder höchstschimpfflichem Nachdencken gereichen, sich unterstanden haben, mit denen Partheyen, deren Bevollmächtigten, auch Sollicitanten oder andern einige ohnzuläßige Pacta auffzurichten, darauff Gelder oder deren Werth zu empfangen mit dem Angeben, daß er deren für die Referenten oder andere benöthiget, würcklich gegeben oder noch außzahlen müste. Und dann hochgedachtes Cammergericht auff dergleichen ärgerliches Angeben und Außstreuen zu inquiriren billiche Ursach und Befugnüß hat, als wird denen sämbtlichen Advocaten und Procuratoren, auch übrigen Cammergerichts angehörigen Persohnen hiemit alles Ernstes anbefohlen, daß deren jeder absonderlich bey seinem geleisteten Eyd und Pflichten alles dasjenige, was ihm von dergleichen ungebührlichem Sollicitiren, schrifft- oder mündlichen Pactis, Versprechen, Correspondentzen, angegebenen Corruptionibus oder dergleichen Sachen, so durch ermeldten Juden oder sonsten dißfalls jemahls möchten gesucht oder fürgangen seyn, einige Wissenschafft hat, selbige, ohne mit seinen Collegen, viel weniger mit gedachtem Juden sich darüber zu unterreden, unter seiner eigenen Hand verschlossen mehrgedachtem Collegio Camerali innerhalb 8 Tagen samt allen dahin gehörigen Brieffen, Schrifften, Documenten oder anderen dazu dienenden Nachrichten, ohne das geringste davon zu verbringen, einlieffern oder, wo dieselbe zu finden, anzeigen solle mit dieser austrücklichen Verwarnung3, daß, wofern ein oder der andere hiernechst etwas verschwiegen oder hinterhalten zu haben befunden oder convincirt würde, wider denselben befindenden Umständen nach mit exemplarischer Bestraffung unaußbleiblich verfahren werden soll. Decretum in Consilio pleno, den 27. Julii 1685. Jacobus Michael4, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria5. Vorlage: CJC 1724, S. 936 Nr. CCCCLXVIII. 1 2 3 4 5

In ... inquiritur fehlt in AHL Slg.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Copia ... Speyer in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. AHL Slg. Verwahrung. GB 1714; CJC 1717; GB 1717 Michaël. Manu propria fehlt in AHL Slg.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724.

RKG Nr. 211 1685 Oktober 2

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Weitere Ausgaben: AHL Slg. fol. 23r-23v; GB 1688, S. 69; GB 1695, S. 177-178; GB 1696, S. 177-178; GB 1707, S. 177-178; GB 1710, S. 183-184 Nr. CXC; GB 1714, S. 113-114 Nr. CCXI; CJC 1717, S. 113-114 Nr. CCXI; GB 1717, S. 113-114 Nr. CCXI; GB 1724, S. 183-184 Nr. CXC. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt einen großen Korruptionsskandal am Reichskammergericht in den späten Speyerer Jahren. Im Zentrum stand der Jude Löw Schuch zum Salmen genannt Speyer (Einzelheiten bei Inge Kaltwasser (Bearb.), Inventar der Akten des Reichskammergerichts 1495-1806. Frankfurter Bestand (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission 21), Frankfurt am Main 2000, u. a. lfd. Nr. 811, 833, 839, 855; ergänzend Cilli Kasper-Holtkotte, Die jüdische Gemeinde von Frankfurt/Main in der frühen Neuzeit, Berlin, New York 2010, S. 380, 563; Rudolf Smend, Das Reichskammergericht. Erster Teil: Geschichte und Verfassung, Weimar 1911, S. 214). Löw Schuch lebte angeblich seit 1672 in Speyer, nachdem ihm die Reichsstadt Frankfurt zuvor den Schutzjudenstatus aberkannt hatte. Er führte nicht nur zahlreiche Rechtsstreitigkeiten vor dem Reichskammergericht und vor den Gerichten der Stadt Frankfurt. Vielmehr war er zusammen mit einigen anderen Juden massiv mit der Bestechung einzelner Assessoren des Reichskammergerichts beschäftigt. Vor allem der Assessor Schütz hatte sich als korrupt erwiesen. Im Sommer 1685 flog die Sache auf, und das Kammergericht begann mit den Untersuchungen. Der Gemeine Bescheid listete zunächst die bisher bekannten Vorwürfe gegen Jud Löw auf. Löw Schuch hatte sich von Parteien, Anwälten und Sollizitatoren Gelder bezahlen lassen und behauptet, auf diese Weise finanziere er die zuständigen Referenten. Weitere Einzelheiten kannte das Kameralkollegium zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Deswegen zog es Erkundigungen von sämtlichen Gerichtsangehörigen ein, insbesondere von den Advokaten und Prokuratoren. Das war aber nur die Spitze des Eisbergs. Die Gemeinen Bescheide vom 2. Oktober 1685 und vom 7. Juli 1687 (unten RKG Nr. 211 und 213) zeigen den Fortgang der Sache.

RKG Nr. 211 1685 Oktober 2 Omnis conservatio et communicatio cum praedicto iudaeo interdicitur.1 [Decretum consilii pleni]2 Demnach diesem Kayserlichen Cammergericht vorkommen, ob solte der in hiesiger Stadt sich auffhaltende Jud Löw, Schue1 genant, sich hin und wieder im Reich be1 2

Omnis ... interdicitur fehlt in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls vorhanden in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Decretum ... pleni in AHL Slg.

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RKG Nr. 211 1685 Oktober 2

rühmet haben, wie daß er bey dem Collegio Camerali und dessen Membris in Justitzsachen sehr viel vermöge und dahero die Decreta und Urtheilen nach Verlangen außbringen könte. Darauff mit denen Partheyen allerhand verbottene Pacta auffgerichtet, von denenselben Gelder empfangen, auch sonsten böser und verdächtiger Practiquen sich bedienet habe. Und dann solches alles [zu]2 ermeldten dieses im Heiligen Römischen3 Reich höchsten Gerichts und dessen Glieder zu4 übeler Nachrede und Verkleinerung gereichen könte und solchem billich vorzukommen und nachtrücklich zu steuren ist. Als wird sämbtlichen dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren, auch Cantzley- und Lesereypersonen, so dann denen Partheyen und Sollicitanten hiemit alles Ernstes anbefohlen, daß sie sich in Proceßsachen mit obgedachtem Juden alles Handels, Conversation und Communication, er Jud auch selbsten sich alles Sollicitirens gäntzlich enthalten sollen mit dieser außtrücklichen Verwarnung, daß, wofern ein oder ander, er Jud auch selbsten, diesem also nicht nachleben werden, daß wider sie und ihn befindenden Dingen nach mit exemplarischer Bestraffung ohnaußbleiblich verfahren werden soll. In Consilio pleno, den 2. Octobris 1685. Johann Adam Weickart5, Dr., Kayserl[ichen] Cammergerichts Protonotarius [manu propria]6. Vorlage: CJC 1724, S. 936-937 Nr. CCCCLXIX. Weitere Ausgaben: AHL Slg. fol. 24r; GB 1688, S. 69-70; GB 1695, S. 178-179; GB 1696, S. 178-179; GB 1707, S. 178-179; GB 1710, S. 184-185 Nr. CXCI; GB 1714, S. 114 Nr. CCXII; CJC 1717, S. 114 Nr. CCXII; GB 1717, S. 114 Nr. CCXII; GB 1724, S. 184-185 Nr. CXCI. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt den Korruptionsskandal um Jud Löw Schuch zum Salmen genannt Speyer. Nach dem Beginn der gerichtsinternen Ermittlungen (dazu Gemeiner Bescheid vom 27. Juli 1685, oben RKG Nr. 210) hatte das Gericht erste Tatsachen geklärt. Löw Schuch hatte anscheinend recht offen mit seinen Korruptionserfolgen Werbung gemacht. Jedenfalls sollte er behauptet haben, alle erwünschten Gerichtsentscheidungen zu besorgen. In der Tat hatte er auch mit den Parteien und anderen Privatleuten Verträge über seine Korruptionsbemühungen geschlossen und sich dafür bezahlen lassen. Im entscheidenden Punkt blieb der Gemeine Bescheid jedoch blass. Ob es Jud Löw gelungen war, die Assessoren zu bestechen, sagte das Kameralkollegium nämlich nicht. Ganz vage hieß es lediglich, die Behauptungen des Juden könnten dem Gericht zu übler Nachrede gereichen. Das klang eher nach ehrenrührigen Gerüchten als nach wirklichen 1 2 3 4 5 6

AHL Slg. Schuhe. GB 1688; GB 1696; GB 1707; GB 1724. Fehlt in AHL Slg. Fehlt in AHL Slg.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. AHL Slg.; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Weicker. Manu propria in AHL Slg.

RKG Nr. 212 1686 Juni 7

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Verwicklungen von Assessoren in den Skandal. Auch die Maßnahme, die der Gemeine Bescheid verfügte, war alles andere als scharf. Es ging lediglich darum, die geschäftliche Zusammenarbeit mit Löw Schuch unverzüglich zu beenden. Das galt für die Parteien, Anwälte, Sollizitanten und ebenfalls für das niedere Gerichtspersonal. Aber auch Löw Schuch selbst durfte von sich aus nicht weiter sollizitieren. In der Liste fehlten auffällig die Assessoren. Sie waren zwar nicht die typischen Adressaten der Gemeinen Bescheide, hätten aber in die Liste sachlich hineingepasst. So konnte durchaus der Eindruck entstehen, das Gericht versuche die Käuflichkeit seiner eigenen richterlichen Mitglieder unter den Teppich zu kehren. In der Tat kam das Kameralkollegium mit den beiden Gemeinen Bescheiden von 1685 nicht davon. Der Skandal zog seine Kreise und erregte reichsweites Aufsehen. 1687 spitzte sich alles nochmals zu (dazu auch der Gemeine Bescheid vom 7. Juli 1687; unten RKG Nr. 213).

RKG Nr. 212 1686 Juni 7 Combinatio characterum assessor[is] Camer[ae] et consiliarii Imp[erialis] Aul[ae] in uno subiecto incompatibilium personis Camer[alibus] interdicitur1. Demnach dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocat und Procurator Dr. N. sich nicht entblödet, in der Dedication des ohnlängst von N. N. auffs neue im Druck gegebenen C[oncepts] der C[ammer] G[erichts] O[rdnung]2 wider besseres Wissen und seinen dem Collegio Camerali schuldigen und geschwornen Respect, die in einem Subjecto incompatible Characteres eines Assessoris und Reichshoffraths zu combiniren und dadurch nicht allein grosse Confusion zu verursachen, sondern auch zum Praejuditz und Nachtheil gemeldten Collegii Cameralis sich einer in puncto Praecedentiae ihme nicht zukommender Judicatur in effectu anzumassen, als wird ihme, Dr. N., solcher Frevel hiemit alles Ernstes verwiesen und soll er deßwegen zu wohlverdienter Straff bey denen gerichtlichen Audientzien biß auff anderwerte Verordnung unten an sitzen mit dem Anhang, dafern er von gemeldten Audientzien, diese Verordnung zu eludiren, sich absentiren wurde, daß alßdann mit schärfferem Einsehen gegen ihn verfahren werden soll. Vorlage: CJC 1724, S. 937 Nr. CCCCLXX.

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Combinatio … interdicitur auch in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Anders abgekürzt in GB 1724 C. O.

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RKG Nr. 212 1686 Juni 7

Weitere Ausgaben: GB 1710, S. 185-186 Nr. CXCII; GB 1714, S. 114 Nr. CCXIII; CJC 1717, S. 114 Nr. CCXIII; GB 1717, S. 114 Nr. CCXIII; GB 1724, S. 185-186 Nr. CXCII; fehlt in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bestraft einen Prokurator wegen einer vorsätzlich falschen Buchwidmung. Aufgrund des Datums und abgekürzt angegebenen Titels ist eine nähere Aufhellung möglich. Der Übeltäter war Jacob Blum. 1686 gab er beim Speyerer Verleger Christoph Olff eine Neuauflage des Konzepts der Kammergerichtsordnung von 1613 heraus. Die erste Auflage hatte er 1663 bei Christian Dürr veröffentlicht. Damals waren die Widmungsträger der Reichsfiskal Dr. Philipp Werner von Emmerich sowie der Kammergerichtsprokurator Dr. Paul Gambs. Nunmehr hatte Blum die Neuauflage Philipp Franz Eberhard von Dalberg, Franz Erasmus von Emmerich sowie Christian Ernst Reichenbach gewidmet, wenn auch formell der Verleger Olff als derjenige auftrat, der die Widmung aussprach. Reichenbach erhielt den Titel „JCto consumptissimo, S. Caesareae Majestatis, Ejusque et Judicii Imperialis Aulici et Cameralis Consiliario et Assessori eminentissimo.“ Diese falsche Bezeichnung und Vermengung von Reichskammergerichtsassessor und Reichshofrat wollte das Kameralkollegium nicht auf sich beruhen lassen und sagte auch, warum. Hieraus konnte ein Präjudiz zum Nachteil der Assessoren erwachsen. Blum zeigte nämlich durch seine Fälschung recht offen, wie werbewirksam und schmeichelhaft der Posten eines Reichshofrats im Vergleich zum Kammergerichtsassessor inzwischen war. Angesichts des gerade in dieser Zeit aufflammenden Speyerer Korruptionsskandals rund um Jud Löw Schuch (dazu die Gemeinen Bescheide vom 27. Juli 1685, 2. Oktober 1685 und 7. Juli 1687, RKG Nr. 210211 und 213) war es für den Absatz von Blums Edition vielleicht abträglich, einen Kameralassessor als Widmungsträger zu benennen. Das Kameralkollegium war andererseits peinlich darauf bedacht, in der öffentlichen Wahrnehmung nicht geringer dazustehen als das Reichshofratskollegium. Zum einen wehrte es sich regelmäßig gegen rechtliche Weisungen, die der Reichshofrat dem Speyerer Reichsgericht erteilte. Das betraf zum einen Promotorialschreiben zur Beschleunigung des trägen kammergerichtlichen Verfahrens. Gerade in der Zeit des Jud Löw-Skandals kam ein weiteres Problem hinzu. Nur ein Jahr später setzte der Reichshofrat eine Untersuchungskommission wegen der Speyerer Bestechungen ein. Damit war das Reichskammergericht öffentlich gebrandmarkt. Seine Ehre war sichtlich angekratzt. Der Reichshofrat dagegen stand mit unbefleckter Weste da. Dieser Hintergrund mag erklären, warum das Kameralkollegium gegen Blum vorging. Wenn er den Rang des Gerichts herabsetzte, musste er seine eigene Rangabwertung hinnehmen. Bereits seit langem hatten die Prokuratoren in den kammergerichtlichen Audienzen feste Plätze (dazu die Gemeinen Bescheide vom 30. Oktober 1655 § 10 und 3./13. August 1666 § 2; oben RKG Nr. 127 und 169). Blum erhielt nun gleichsam den Katzentisch und damit für jedermann sichtbar den letzten Platz. Und falls er sich unterstehen sollte, deswegen gar nicht mehr zur Audienz zu gehen, drohte ihm noch schärfere Bestrafung. Damit zeigten die Assessoren nach außen Haltung, wenn auch in der Sache ohne triftigen Grund. In der Zeit ihres bisher größten Skandals standen sie mit dem Rücken zur Wand, verteidigten aber gleichzeitig offensiv ihre brüchig gewordene Amtswürde.

RKG Nr. 213 1687 Juli 7

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RKG Nr. 213 1687 Juli 7 Divulgatam praetensam observantiam, quasi ante vel post decisas causas aliquid remunerationis aut gratae recognitionis ergo accipere liceat, collegium Camerale publice detestatur.1 [Decretum consilii pleni in supremo Sacrae Caesaris Majestatis et Imperii Judicio Camerae Imperialis Spirensis publicatum.]2 Demnach diesem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht ein gewisses in Druck ausgangenes Scriptum unter hiernach gesetzter Intitulatur: „Copiae zweyer Schreiben eines Fürsten3 an hinterlassene Cantzler und Räthe sub Lit. A. So dann dieser Wieder-Antwort sub Lit. B. die Inhafftirung des Speyrischen Juden Löwens betreffend“ zum Vorschein kommen, dahin hauptsächlich zielend, ob sollte dessen Assessoren unter denen in gedachtem Scripto angezogenen Praetexten und angemasten Eydsinterpretationen vor oder nach denen von ihnen erörterten Proceßsachen und darin abgefasten Urtheilen Verehrungen, Remuneration und Erkantnussen anzunehmen erlaubt seyn, darin auch von einer Observantz Meldung geschehen, das Collegium Camerale aber niemahlen dieser Meynung gewesen, weniger solche in einige an sich selbsten ohnerfindliche Observantz kommen lassen. Damit gleichwohl im Reich von gedachtem Collegio Camerali, zu dessen Verunglimpfung durch die sich etwan begebende weitere Divulgirung berührten Scripti keine ungleiche Meynung erwachsen möchte, als wird desselben hierüber führende sonderbahre Displicentz und Mißfallen nicht allein hiemit offentlich contestirt, sondern auch sämbtlichen dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren zu dem End davon4 Nachricht ertheilt, damit sie über5 dieser Declaration und Contestation ihren Partheyen, sonderlich aber des Heiligen Reichs Churfürsten, Fürsten und Ständen, so sie bedienen, parte geben und damit alle etwan zu befahren stehende ungleiche Gedancken von diesem Kayserlichen Cammergericht abwenden und verhüten helffen möchten. In Consilio pleno, den 7. Julii 1687. Vorlage: CJC 1724, S. 937 Nr. CCCCLXXI.

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Divulgatam ... detestatur fehlt in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; dagegen ebenfalls in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 und Harpprecht II 1758 vorhanden. Decretum ... publicatum in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; fehlt in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Fürstlichen. GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 davon zu dem End. GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 aber.

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RKG Nr. 213 1687 Juli 7

Weitere Ausgaben: GB 1688, S. 70; GB 1695, S. 179-180; GB 1696, S. 179-180; GB 1707, S. 179-180; GB 1710, S. 186-187 Nr. CXCIII; GB 1714, S. 115 Nr. CCXIV; CJC 1717, S. 115 Nr. CCXIV; GB 1717, S. 115 Nr. CCXIV; GB 1724, S. 186-187 Nr. CXCIII; Harpprecht II 1758, S. 80 (nur die lateinische Überschrift). Anmerkung: Mit dem Gemeinen Bescheid versuchte das Reichskammergericht, auf dem Höhepunkt der Jud Löw-Affäre seine Ehre zu retten. Bereits im Sommer 1686 war ein großer Korruptionsskandal in Speyer aufgeflogen (dazu die Gemeinen Bescheide vom 27. Juli 1685 und vom 2. Oktober 1685, oben RKG Nr. 210-211). Der Jude Löw Schuch zum Salmen genannt Speyer hatte dafür Werbung gemacht, durch Bestechungsgelder jedes erwünschte Urteil am Reichskammergericht kaufen zu können. Das Gericht hatte zunächst sehr zurückhaltend reagiert und keine Mitschuld eingeräumt. Inzwischen saßen Löw Schuch und einige andere Juden im Gefängnis. Auch der Reichskammergerichtsassessor Schütz geriet in Mainz deswegen in Haft (weitere Einzelheiten bei Johann Christian Lünig, Der Teutschen Reichs-Cantzley, 4. Teil, Leipzig 1714, S. 537-542, 546-548, 552-557). Das Kameralkollegium konnte deswegen kaum behaupten, unbestechlich geblieben zu sein. Also stellte sich die Frage, ob man es mit schwarzen Schafen zu tun hatte oder mit einem ausgewachsenen Korruptionsnetz. In diese Diskussion fiel die vom Gericht zitierte Druckschrift. Der anonyme Verfasser bekannte Farbe und warf dem Gericht ungeschminkt vor, das richterliche Personal lasse sich vor oder nach der Urteilsfällung schmieren. Die Aufgliederung in Verehrungen, Remuneration und Erkenntlichkeiten deutete dabei verschiedene Bestechungsarten an. Sogar von einer Observanz war die Rede. Bestechungen sollten also üblich sein. Wie verbreitet die gedruckten Vorwürfe waren, lässt sich nicht klären. Das Gericht sah sich jedenfalls zu einer Ehrenerklärung gedrängt. Die Advokaten und Prokuratoren sollten die Stellungnahme des Kameralkollegiums an alle Prozessparteien sowie an die Reichsstände weiterleiten. Das Gericht bestritt sämtliche Vorwürfe und wies insbesondere die Vermutung zurück, in größerem Umfang dulde man derartige Machenschaften. In der Tat konnte das Kameralkollegium seinen Kopf halbwegs aus der Schlinge ziehen, weil es zu einer konfessionellen Aufladung der Angelegenheit kam. Der Reichshofrat setzte nämlich eine Untersuchungskommission ein. Sie war berufen, das Ausmaß der kammergerichtlichen Korruption näher zu prüfen. Hierbei gab es allerdings Besetzungsschwierigkeiten, die politische Verwicklungen nach sich zogen. Der Kommission gehörten nämlich keine oder zu wenig Protestanten an. Deswegen entflammte 1687 ein kurzer, aber lebhafter Briefwechsel zwischen dem Kurfürsten von Sachsen, dem Landgrafen von Hessen-Kassel und dem Kurfürsten von Brandenburg. Vor allem der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm setzte sich für eine paritätische Kommission ein. Mit diesen Querelen scheint die Sache nach und nach eingeschlafen zu sein, zumal der hauptschuldige Assessor Schütz inzwischen im Gefängnis saß. Zum Gespött hatte sich das Kameralkollegium dennoch gemacht.

RKG Nr. 214 1687 Oktober 29

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RKG (ohne Nr.) 1687 August 27 siehe 1678 August 27

RKG Nr. 214 1687 Oktober 29 Fiscalis Caesar[eus] legitimatur ad recipiendam solutionem sustentationis Camerae vacante quaestura.1 [Decretum pleni de 29. Octobris 1687.]2 Demnach die unumbgängliche Nothdurfft erfordern will, daß bey jetztmahliger wegen des am 26. huius abgelebten Frantz Ludwigen Hubin von Gülchen vacirendstehender hiesigen Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergerichts Pfenningmeistersstelle die zu erwehntem Gerichts Unterhalt destinirt und einkommende Reichsgelder einen Weg als den andern zu gebührender Einnahm gebracht werden, als wird dem Kayserlichen Generalfiscal, welcher seines obhabenden Ambts halben hierin am besten informiret ist, hiermit anbefohlen, daß er ad interim und biß auff erfolgende Wiederersetzung solcher Stelle mit Zuziehung eines Lesers als Gegenschreibers erwehnte Gelder einnehmen, darüber mit und neben demselben anstatt des Pfenningmeisters quittiren, folglich die Gelder unverzüglich zur Leserey bringen und daselbst in die gewöhnliche Truhen einlegen soll. Deßwegen dann Ihme Kayserlichen Fiscal zu seiner hiezu erforderten Legitimation dieser Schein unter der Römisch Kayserlichen Majestät fürgedrucktem Kayserlichen Insiegel mitgetheilet worden. Und ist demnechst ermeldten dieses Kayserlichen und des Reichs Cammergerichts fernerer Befehl, daß alle und jede dessen Advocati und Procuratoren denenjenigen Churfürsten, Fürsten3 und Ständen des Reichs, welchen sie bedienet seyn, mit nechstabgehender Post zu dem Ende gebührende Nachricht hierüber erstatten sollen, damit andern etwa bereits beschehenen oder fürterhin erfolgenden Assignationen und Abstattung der Unterhaltungszieler aller Anstand und Hindernuß

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Fiscalis ... quaestura fehlt in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 enthalten. Decretum ... 1687 in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; fehlt in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724. Fehlt in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724 enthalten.

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RKG Nr. 215 1688 März 30

verhütet werde. Decretum Spirae in Consilio pleno, den 29. Octobris 1687. Johann Adam Weickart1, Dr., Kayserl[ichen] Cammergerichts Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 937-938 Nr. CCCCLXXII. Weitere Ausgaben: GB 1688, S. 70; GB 1695, S. 180-181; GB 1696, S. 180-181; GB 1707, S. 180-181; GB 1710, S. 187-188 Nr. CXCIV; GB 1714, S. 115-116 Nr. CCXV; CJC 1717, S. 115-116 Nr. CCXV; GB 1717, S. 115-116 Nr. CCXV; GB 1724, S. 187-188 Nr. CXCIV. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt die vorläufige Übertragung des Pfennigmeisteramtes an den Generalfiskal nach dem Tod des alten Amtsinhabers. Inhalt und Regelungsgegenstand entsprechen dem Gemeinen Bescheid vom 28. Januar 1673 (oben RKG Nr. 189).

RKG Nr. 215 1688 März 30 De legitimatione personarum extranearum extra revisiones recessum habere vel causas orare volentium.2 Endlich ist der Gemeine Bescheid: Demnach man bey diesem Kayserlichen Cammergericht wahrgenommen, daß jeweilen nach denen in daselbst rechtshängigen Sachen publicirten Urtheilen und Bescheiden einige frembde Notarii oder andere Persohnen in die gewöhnliche Audientz eintretten und darin ohne vorgehendes Anmelden oder Legitimation ungewöhnliche Recess zu halten sich unterstehen wollen, solches aber der Cammergerichtsordnung, welche denenjenigen, so sich durch die an diesem Gericht gefällete Sententien etwa gravirt zu seyn vermeynen solten, die Remedia ordinaria klärlich vorschreibet, schnurstracks zuwider lauffet, als ist hiemit der ernstliche Befehl, daß sofern ausser denen bey mehrgemeldtem diesem Kayserlichen Cammergericht beeydigten Procuratoren eine frembde Person auff der gerichtlichen Audientz ausser gewöhnlicher Revision etwas anzubringen befelcht seyn solte, dieselbe sich vorderist beym Protonotario zeitlich anmelden und demselben nechst Vorzeigung der in Händen habenden Vollmacht ihr Anbringen eröffnen, dieser, [der]3 Protonotarius, aber solches dem Herrn Praesidenten oder in dessen

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GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Weicker. De ... volentium auch in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1724.

RKG Nr. 215 1688 März 30

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Abwesenheit dem praesidirenden Herrn Assessori anzeigen und darüber Bescheids gewärtig seyn soll. In Consilio pleno, 30. Martii 16881. Johann Adam Weickart2, Dr., Kayserl[ichen] Cammergerichts3 Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 938 Nr. CCCCLXXIII. Weitere Ausgaben: GB 1710, S. 188-189 Nr. CXCV; GB 1714, S. 116 Nr. CCXVI; CJC 1717, S. 116 Nr. CCXVI; GB 1717, S. 116 Nr. CCXVI; GB 1724, S. 188-189 Nr. CXCV; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt Vertretungsprobleme in der Audienz. Zwischenzeitlich hatte das Kameralkollegium versucht, die öffentlichen Audienzen zurückzuschneiden und sie lediglich auf das richterliche und anwaltliche Personal zu begrenzen (dazu Gemeiner Bescheid vom 3./13. August 1666 § 4; oben RKG Nr. 169). Das war gründlich misslungen, wie dieser Gemeine Bescheid belegt. Vor allem bei den Urteilsverkündungen waren zahlreiche fremde Notare und andere Personen anwesend. Sie beanspruchten sogar Rederecht für ihre eigenen Rezesse, meldeten sich zuvor beim Protonotar aber nicht an. Immer ging es um Rechtsmittel gegen kammergerichtliche Urteile. Die Parteien hatten wohl geahnt, dass sie mit ihren Reichskammergerichtsprozessen Schiffbruch erleiden würden. Deswegen hatten sie sicherheitshalber im Voraus dritte Personen beauftragt, Rechtsmittel gegen die Speyerer Entscheidung einzulegen. Dies taten die Audienzbesucher, und zwar gemeinrechtlich im wörtlichen Sinne stante pede, stehenden Fußes und mündlich in der Audienz. Das Kameralkollegium unterschied hierbei zwei verschiedene Anliegen. Ging es um eine Revision gegen ein Reichskammergerichtsurteil, nahm es die mündlichen Rezesse der Parteivertreter hin. Es herrschte also kein förmlicher Anwaltszwang. Nicht nur der bisherige Prokurator, sondern jedermann konnte selbst oder für einen anderen die Revision einlegen. Das sagte der Gemeine Bescheid nur reichlich verdeckt. Im Mittelpunkt standen vielmehr die ungewöhnlichen Rechtsmittel, also Anfechtungen kammergerichtlicher Urteile außerhalb der Revision. Ob es sich um Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand handelte oder welche Gesuche sonst gemeint waren, teilte das Kameralkollegium nicht mit. Jedenfalls führte es eine Meldepflicht für solche Audienzbesucher ein, die ein außergewöhnliches Rechtsmittel einlegen wollten. Der Protonotar sollte den bevorstehenden Rezess dem Kammergerichtspräsidenten oder seinem Vertreter bekannt geben. Der Gerichtsvorsitzende sollte also wissen, was auf ihn in der Audienz zukommen würde. Je nachdem, wie die Zeitgenossen den Hinweis auf die „zeitliche“ Meldung verstanden, hatte der Kammerpräsident damit sogar eine gewisse Vorbereitungszeit und konnte in ganz krassen Fällen offensichtlich unzulässige Anträge womöglich sofort zurückweisen. Nach dem Wortlaut erfolgte jedesmal der Umweg über den Protonotar, dies allerdings extrajudizial, also außerhalb der Audienz. Wie das Verfahren genau gedacht war, blieb offen.

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CJC 1724 1686; dagegen auch GB 1710 1688. GB 1710; GB 1724 Weicker. GB 1710; GB 1724 Judicii Imperialis Camerae.

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RKG Nr. 216 1688 März 30

RKG Nr. 216 1688 März 30 Procuratorum recessus et contradictiones immodestae, prolixae ac superfluae prohibentur.1 Ferner ist der Gemeine Bescheid: Weilen man zum öfftern verspühret, daß verschiedene dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratores in denen gerichtlichen Audientien mit an sich selbsten unzuläßigen in der Ordnung verbottenen Recessen einander anzäpffen und dadurch den ihnen an solchem Orth zu tragen obliegenden Respect beyseit setzen, sodann das Gericht mit allerhand verdrießlichen, weitläufftigen, unnöthigen Contradictionen und Gegenrecessen ermeldter Cammergerichtsordnung2 zuwider zu behelligen sich unterstehen, als werden dieselbe von solchen straffbahren Recessen und Gegenrecessen hiemit ernstlich dehortirt und zu besserer Bescheidenheit auch auff gedachte Ordnung angewiesen, mit der außtrucklichen Verwarnung, daß sofern einer oder der andere sich dergleichen hitzigen Recessirens oder verbottenen Gegenrecessirens ferner anmaßen wird, derselbe alßdann mit exemplarischer Straff angesehen werden soll3. In Consilio pleno, 30. Martii 1688. Johann Adam Weickart4, Dr., Kayserl[ichen] Cammergerichts5 Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 938 Nr. CCCCLXXIV. Weitere Ausgaben: GB 1710, S. 189 Nr. CXCVI; GB 1714, S. 116 Nr. CCXVII; CJC 1717, S. 116 Nr. CCXVII; GB 1717, S. 116 Nr. CCXVII; GB 1724, S. 189 Nr. CXCVI; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid enthält die letzte prozessuale Verfügung des Reichskammergerichts aus der Speyerer Zeit. Die folgenden beiden Bescheide (unten RKG Nr. 217-218) kommentierten eher die Auflösung des Gerichts vor der französischen Zerstörung Speyers. Das Kameralkollegium hatte das Audienzwesen augenscheinlich bis zuletzt nicht im Griff. Am selben Tag (oben RKG Nr. 215) hatte es bereits ungewöhnliche Rezesse unbekannter Dritter gegen seine eigenen Urteile getadelt. Nun ging es um das Verhalten der Prokuratoren (hierzu auch die Einleitung bei Anm. 330-358). Sie hielten ungebührliche Rezesse und „zäpften“ sich dabei an, eine altertümliche Umschreibung für Sticheleien und kleinere Beleidigungen. Damit zeigten die Prozessvertreter weder untereinander noch gegenüber dem richterlichen Personal den gebotenen Respekt. Obwohl es im schriftlichen Kameralverfahren nicht vorgesehen war, entbrannten wohl umfangreiche Wortwechsel 1 2 3 4 5

Procuratorum ... prohibentur auch in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1710; GB 1724 Cammer-Ordnung. GB 1724 solle. GB 1710; GB 1724 Weicker. GB 1710; GB 1724 Judicii Camerae Imperialis.

RKG Nr. 217 1688 November 29

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und hitzige Debatten. Mit den gewählten Formulierungen spielte das Gericht nicht auf zu lange Rezesse oder nicht ordentlich vorbereitete Spezifikationszettel an. Vielmehr wandte sich das Kameralkollegium ganz allgemein gegen Unfreundlichkeiten und Ärger in der Audienz. Die Rezesse und Gegenrezesse scheinen eher den persönlichen, ehrenrührigen Bereich berührt zu haben, nicht dagegen den gerichtlich-inhaltlichen. So endeten die Speyerer Gerichtsaudienzen mit starken Disziplinproblemen.

RKG Nr. 217 1688 November 29 Provisio de milite Gallico hospitando1. Demnach der königliche frantzösische Commissarius bey jetziger Einquartirung dem Kayserlichen Cammergericht dritthalb Compagnien nebst verschiedenen verwundeten und krancken Officirern zu verpflegen (ohngeachtet aller dargegen gethaner Remonstration) angewiesen und dann solche denen anwesenden Cameralpersohnen sämbtlich zu übernehmen ohnmöglich, als ergehet hiemit der ernstliche Befehl, daß sowohl die anwesende als auch abreißende Cameralpersohnen bey unaußbleiblicher Straff, auch allenfalls Arrestirung ihrer Güther, die zu ihrem Contingent ihnen einquartirte Soldaten nach der königlichen Ordinance genugsam verpflegen lassen oder an dessen statt Baargeld vor 5 Monath coram Commissario noch vor ihrer Abreiß erlegen und respective anhero schaffen sollen. Vorlage: CJC 1724, S. 939 Nr. CCCCLXXV. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 117 Nr. CCXVIII; CJC 1717, S. 117 Nr. CCXVIII; GB 1717, S. 117 Nr. CCXVIII; GB 1724, S. 227 Nr. CCXXIV; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid erging im Angesicht der französischen Kriegszüge des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. Bereits seit 1679 fühlten sich die Kameralen in Speyer unsicher und erhofften die Verlegung des Gerichts an einen geschützten Ort. Der von den Franzosen gelegte Stadtbrand 1689 schuf dann vollendete Tatsachen. Sein genaues Datum wird erstaunlicherweise verschieden überliefert. Die Angaben schwanken zwischen Februar und Mai. Vielleicht gab es auch zwei Stadtbrände (dazu Ingrid Scheurmann (Hrsg.), Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, Mainz 1994, S. 196-197 Nr. 148). Im November 1688 stand all das noch bevor, aber Philippsburg und Mainz waren bereits erobert. Nun hatte der Pfälzische 1

Provisio … hospitando auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 218 1688 Dezember 3

Erbfolgekrieg auch Speyer erreicht. Das Gericht war versiegelt und mit einer Wache versehen. Nach und nach führte die französische Besatzung Berge von Akten fort (zum Schicksal der Akten: Gemeiner Bescheid vom 31. März 1690; unten RKG Nr. 223). Der französische Kommandant zwang das Kameralpersonal, „dritthalb“, also wohl zweieinhalb, Kompanien französische Verwundete aufzunehmen. Das dürften je nach Berechnung zwischen 200 und 300 Soldaten gewesen sein. Das Kameralkollegium hatte zwar dagegen protestiert, war aber erfolglos geblieben. Vor allem hatten einige Kameralen die Stadt Speyer schon verlassen oder planten bereits ihre Flucht. Damit konnte das Gericht die von den Franzosen aufgebürdete Last nicht tragen. Die abgereisten Gerichtsmitglieder mussten sich mit einer finanziellen Umlage an den Verpflegungskosten beteiligen. Notfalls wollten die zurückgebliebenen Kameralen die noch in Speyer vorhandenen Vermögenswerte der geflohenen Kollegen verwerten. Nur vier Tage später erging ein weiterer Gemeiner Bescheid in derselben Sache (sogleich unten RKG Nr. 218).

RKG Nr. 218 1688 Dezember 3 Similis provisio1. Auff anheut von gesambten Advocaten und Procuratoren einkommene unterthänigste Anzeig und Bitt, soviel die angegebene ungleiche Reparirung2 der Quartier betrifft, wird ihnen derentwegen eine Gleichheit unter sich selbsten zu machen hiemit anheimgegeben, in Entstehung dessen aber soll es bey voriger Verordnung, jedoch dergestalt verbleiben, daß denen mercklich gravirt befundenen von denen Übrigen ein billigmäßiger Beytrag geschehe, und sollen die andere Puncten zu Bedencken gezogen, immittels aber von einem jeden die angesetzte Quota ob morae periculum sobalden bey unaußbleiblicher hohen Straff dem Pedellen bezaht werden. Jacobus Michael3, Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 939 Nr. CCCCLXXVI. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 117 Nr. CCXIX; CJC 1717, S. 117 Nr. CCXIX; GB 1717, S. 117 Nr. CCXIX; GB 1724, S. 227 Nr. CCXXV; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Es handelt sich um den letzten Gemeinen Bescheid des Reichskammergerichts aus der Speyerer Zeit wenige Monate vor der völligen Zerstörung der Stadt durch die Franzosen. Nur vier 1 2 3

Similis provisio auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Repartirung. GB 1717 Michaël.

RKG Nr. 219 1689 Juli 1/11

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Tage zuvor war es bereits um die Einquartierungen gegangen (Gemeiner Bescheid vom 29. November 1688; oben RKG Nr. 217). Die Advokaten und Prokuratoren konnten die auf sie entfallenden Verpflichtungen aber nicht erfüllen. Die Belastung Einzelner scheint zu hoch gewesen zu sein. Auf die schriftliche Eingabe der Anwälte konnte das Kameralkollegium aber auch keinen Ausweg weisen. Mehr als den Vorschlag, einen gerechten Lastenausgleich anzustreben, enthielt der Gemeine Bescheid nicht. Der abschließende Hinweis war dabei unbedingt ernst gemeint. Gefahr im Verzug bestand ohne weiteres. Ob es noch dazu kam, die Verpflegungskosten über den Pedell abzuwickeln, ist unklar.

RKG Nr. 219 1689 Juli 1/11 Denen Procuratoren gegeben, das sie die Ständte, denen sie bedienet, zu Abtragung der Cammerzihler erinnern sollen. Es würd auf Befelch eines hochlöblichen Collegii Cameralis hiemit gesambten Procuratorn des Kayserlichen Cammergerichts alles Ernstes anbefohlen, daß sie bey denen zu demselben geleisteten Pflichten diejenige Stände, denen sie bedienet, wegen ohngesaumbter Abführung deren zu der Cammercassa annoch schuldiger Zihler möglichsten Fleißes beweglich erinnern, sodan, was sie, die Procuratorn, bereits hieran zu Handen bekommen oder noch hernechst bekommen und empfangen werden, sobalden gehörigen Orts anzeigen und außliefern sollen. In Consilio pleno, d[en] 11./1. Julii 1689. Vorlage: BA Slg. 1693-1787. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Es handelt sich um den ersten Gemeinen Bescheid des Kameralkollegiums nach der Flucht aus Speyer. In den gedruckten Bescheidsammlungen fehlt diese Quelle. In den Kriegswirren 1689 konnten die Assessoren offenbar nicht viele Prokuratoren, geschweige denn Landesherren erreichen. Der Sache nach geht es um die dürftigste finanzielle Unterhaltung des Gerichts. Erstaunlicherweise fehlt anders als beim Bescheid vom 5. Juli (sogleich unten RKG Nr. 220) jeder Hinweis auf die Notlage. Vielmehr erließ das Gericht seine Zahlungsaufforderung im üblichen Standardtext, der sich nahezu unverändert auch in zahlreichen anderen Gemeinen Bescheiden findet. Die Prokuratoren sollten sich bei den Landesherren, deren prozessuale Interessen sie vertraten, für die pünktliche und vollständige Zahlung der Kammerzieler einsetzen. Zugleich waren sie verpflichtet, empfangene Gelder abzuliefern. „Gehörigen Ortes“ sollte das geschehen, wie es geradezu unfrei-

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RKG Nr. 220 1689 Juli 5

willig komisch hieß. Genau diesen gehörigen Ort gab es in der Schwebezeit nämlich nicht. Das Kameralkollegium saß notdürftig in Frankfurt und war nahezu arbeitsunfähig.

RKG Nr. 220 1689 Juli 5 Decretum. Sollen samtliche dieses Kaiserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren, auch andere dessen angehörige Persohnen, bey ihrem Aydt und Pflichten, womit sie Kayserlicher Mayestät und dem Reich zugethan,1 eine ordentliche Designation derjenigen Cameralacten, so bey bekhanter2 französischer Invasion und darauf erfolgter Hinwegnehmung besagter Acten3 [undt Zerstöhrung des Gerichts etwan]4 ihnen etwan selbsten zu Handen kommen5 oder daß dergleichen andere dem Cammergericht nicht immediate zugethanen, jedoch under daß Reich gehörigen Personen zukommen6 wehren, wißendt, fürterlich verfertigen undt solche den sich alhir bey dem Collegio einfindenden Herrn Cammerpraesidenten hochwohlgebohren und gelehrt7 verschlossen überreichen8. Franckfurth, in Consilio pleno, d[en] 5. Julii 1689. Johan Adam Weickard, Kaiserlichen Cammergerichts protonotarius manu propria9. Vorlage: BA Slg. 1693-1787 (Entwurf und Endfassung). Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Wie der Bescheid vom 1./11. Juli 1689 blieb auch diese Quelle den zeitgenössischen Herausgebern der gedruckten Bescheidsammlungen unbekannt. Sie ist lediglich handschriftlich überliefert, dafür aber in der Entwurfsfassung sowie in Reinschrift. Innerhalb weniger Tage versuchte das Kameralkollegium, noch von Frankfurt aus die Arbeitsfähigkeit des Gerichts wiederherzustellen. Dafür war zum einen eine finanzielle Mindestausstattung erforderlich (dazu der Ge1 2 3 4 5 6 7 8 9

Auch ... zugethan in BA Slg. 1693-1787 in der Entwurfsfassung nachträglich eingefügt. BA Slg. 1693-1787 Entwurfsfassung zunächst bey der Speyerischen. Und ... Acten in BA Slg. 1693-1787 in der Entwurfsfassung nachträglich eingefügt. Undt ... etwan aus BA Slg. 1693-1787 Entwurfsfassung gestrichen, in der Reinschrift nicht mehr enthalten. Streichung in der Entwurfsfassung in BA Slg. 1693-1787 bey ihrem Aydt undt Pflichten, damit sie ermeltem Cammergericht zugethan. BA Slg. 1693-1787 (Endfassung) verbessert aus zu Handen kommen. Hochwohlgebohren ... gelehrt in BA Slg. 1693-1787 beide Fassungen mit schwer lesbaren Abkürzungen. BA Slg. 1693-1787 Entwurfsfassung einhändigen auch da etwan andere dem Cammergericht nicht angehörige Personen dergleichen Acten bey sich haben solten, solche fürterlich anzeigen. Johann ... propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (Entwurfsfassung).

RKG Nr. 221 1690 Februar 10

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meine Bescheid vom 1./11. Juli 1689; oben RKG Nr. 219). Zum anderen benötigte das Kameralkollegium den Zugriff auf die Akten. Zahlreiche Akten waren verstreut, größere Bestände von den Franzosen nach Straßburg ausgelagert worden. Das Gericht versuchte jetzt, in Frankfurt die noch vorhandenen Akten zusammenzuführen. Diejenigen Gerichtsmitglieder, die selbst Kameralakten aus Speyer gerettet hatten, sollten diese dem Kameralkollegium, insbesondere dem Kammerpräsidenten, abgeben. Das war zu dieser Zeit bereits der Freiherr von Ingelheim, der im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts die Blockade des Gerichts mitzuverantworten hatte (dazu die Anmerkung zum Gemeinen Bescheid vom 4. März 1711; unten RKG Nr. 244). Falls andere Reichsuntertanen ebenfalls Prozessakten besaßen, sollten die Gerichtsangehörigen dies dem Kameralkollegium mitteilen. Reichsfremde sprach der Gemeine Bescheid gar nicht erst an. Dass die Franzosen aufgrund eines Gemeinen Bescheides ihre Akten nicht herausgeben würden, war zu offensichtlich. Die offenbar in kürzester Zeit mehrfach überarbeiteten Textfassungen spiegeln die Verunsicherung des Kameralkollegiums, die eigene Situation treffend zu beschreiben. Der Hinweis auf die Zerstörung des Gerichts jedenfalls fehlt in der Reinschrift. Er findet sich im Entwurf, doch strich ihn jemand wieder heraus. Vom Untergang des Gerichts sprachen die Assessoren in der Wetzlarer Zeit mehrfach ganz offen. Doch bezog sich dies stets auf die unzureichende Finanzierung (Gemeine Bescheide vom 28. November 1703 und 16. Juli 1717; unten RKG Nr. 243 und 255), nie dagegen auf äußeren Druck.

RKG Nr. 221 1690 Februar 10 Promercatus victualium immodicus prohibetur; mundities ante aedes et tempestiva1 purgatio caminorum iniungitur2. Demnach in Erkauffung der Victualien und anderen, so zum Haußwesen erfordert wird, der billige Proceß in alle Wege zu beobachten, also daß ein und anderes denen Verkäuffern der Jahrszeit nach, in seinem rechten Werth zu bezahlen sich niemand zu weigern hat, hingegen aber auch eine Sache allzu theuer an sich zu erhandlen nicht thunlich ist, als werden die sämbtliche hiesigen Kayserlichen Cammergerichts Angehörige hiemit alles Ernstes dahin angewiesen, daß sie oder die Ihrige durch allzu voreylenden Kauff und übermäßiges Gebott sowohl andere hiesige Einwohnere als sich selbsten keine Theurung verursachen, auch dafern man sie mit

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GB 1724 wohl tempestivae (schwer lesbar). Promercatus … iniungitur auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 221 1690 Februar 10

allzu grosser Forderung übernehmen wolte, solches dem von einem Ehrsamen Rath allhier dazu verordneten Marcktmeister förderlich andeuten sollen. § 1. Ingleichen wird ermeldten Cameralpersohnen bey scharffer Straff hiemit anbefohlen, daß sie den durch sie oder die Ihrige in oder an ihren Wohnungen allhier verursachenden Kummer oder Dung jedesmahl ohngesaumt aus der Stadt sollen schaffen lassen, gleichwie solches denen hiesigen Burgern von ihrer Obrigkeit ebenmäßig befohlen worden ist. § 2. Und weilen aus Befehl ermeldter hiesigen Burgermeister und Rath dem Schorsteinfeger hieselbst zu gewissen Zeiten des Jahrs in allen bürgerlichen Wohnungen die Schorstein zu besichtigen und dieselbe, wann er es nöthig zu seyn findet, gegen gebührende Belohnung zu fegen, auch diejenige, welche sich hierin weigern und säumig erzeigen würden, zu dem Ende anzugeben oblieget, damit sie derentwegen zu gebührender Straff gezogen werden möchten, so ist hiemit der fernere Befelch, daß alle und jede hiesige Cameralspersohnen gedachten Schornsteinfeger, wann er einen Cammerbotten bey sich haben wird, die Besichtigung ihrer Schornstein jederzeit verstatten und nicht mit blosser Versicherung, daß die Schorstein sauber seyen, ihn abweisen, sondern wofern solches geschehen oder auch, da einige ihre Schornstein fegen zu lassen sich geweigert oder säumig bezeigt zu haben, von dem Schornsteinfeger angegeben würden, der ohnaußbleiblichen Straff derentwegen gewärtig seyn, sonderlich aber ihrem Gesind und andern Haußgenossen nicht gestatten sollen, daß sie Grünholtz außwendig vor den Ofen stellen oder legen, um solches durch den heraustringenden Rauch trucken und dürr zu machen, weilen sich vielfältig begeben hat, daß durch dergleichen vorgenommener Trucknung des Holtzes ein grosser Brand verursachet und die gantze Nachbarschafft in Gefahr, Schrecken und Schaden gebracht worden. In Consilio pleno, den 10. Februarii 1690. Johannes Adamus Weickart - Dr., Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 939-940 Nr. CCCCLXXVII. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 117-118 Nr. CCXX; CJC 1717, S. 117-118 Nr. CCXX; GB 1717, S. 117-118 Nr. CCXX; GB 1724, S. 228-229 Nr. CCXXVI; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid erging, soweit ersichtlich, bei der konstituierenden extrajudizialen Sitzung des Kameralkollegiums in Wetzlar. Sein Anliegen war unmissverständlich. Er legte die Spielregeln für ein gedeihliches Miteinander der Kameralen mit der einheimischen reichsstädtischen Bevölkerung fest. Zunächst sollte der Zuzug zahlreicher Menschen, vielleicht auch einkommensstärkerer Familien, die Preise nicht verderben. Das Verbot überteuerter Einkäufe hatte das Gericht bereits in der Speyerer Zeit verhängt (dazu Gemeiner Bescheid vom 22. August 1607; oben RKG Nr. 99). Ähnlich sah es mit Bestimmungen zur Sauberkeit und zum Brandschutz

RKG Nr. 222 1690 März 15

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aus (dazu der Gemeine Bescheid vom 29. April/9. Mai 1674; oben RKG Nr. 191). Mit dieser erneuerten Policeyverordnung versuchte das Gericht also, beim Rat der Stadt Wetzlar auf Wohlwollen zu stoßen. Deswegen verwies es im Zusammenhang mit der Müllentfernung auf die gleichlautenden Bestimmungen für die städtische Bevölkerung. Die Kameralfreiheiten als solche standen aber nicht zur Disposition. Nicht einmal der städtische Schornsteinfeger durfte die Häuser der Kameralen betreten, wenn ihn nicht ein Kammerbote begleitete. Doch war der Bote dabei, konnte der Schornsteinfeger sogar Bußen gegen Hausbesitzer verhängen, die sich weigerten, den Schornstein fegen zu lassen.

RKG Nr. 222 1690 März 15 Exsolutio sustentationis Camerae procuratoribus apud status Imperii quibus serviunt et singulariter circulis Bavarico ac Suevico admonenda iniungitur1. Es wird von einem hochlöblichen Collegio Camerali hiemit gesambten Procuratoren des Kayserlichen Cammergerichts abermahlen alles Ernstes anbefohlen, daß sie bey denen zu demselben geleisteten Pflichten diejenige Stände, denen sie bedient, wegen ohngesäumter Abführung deren zu der Cammercassa annoch schuldigen Zieler möglichsten Fleisses beweglich erinnern, sodann, was sie, die Procuratoren, bereits hieran zu Handen bekommen oder noch hiernechst bekommen oder empfangen werden, sobalden gehörigen Orths anzeigen und außlieffern. Dabenebens auch insbesondere, diejenige Procuratoren, welche denen Ständen Bayerisch- und Schwäbischen Creyßes bedienet, dieselbe dahin ersuchen sollen, daß sie ihnen die Abschrifften von denjenigen Quittungen, so sie jedesmahl von dem Cassirer Semmler zu Augspurg über die außzahlende Zieler erhalten, ohnverlängt einschicken lassen mögen, welche sie, die Procuratores, dann sofort hochermeldten Collegii deputatis Assessoribus ad Cassam zur Nachricht einzulieffern. Wetzlar, den 15. Martii 1690. Jacobus Michael2. Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius. Manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 940 Nr. CCCCLXXVIII. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 118 Nr. CCXXI; CJC 1717, S. 118 Nr. CCXXI; GB 1717, S. 118 Nr. CCXXI; GB 1724, S. 229-230 Nr. CCXXVII; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. 1 2

Exsolutio … iniungitur auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël.

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RKG Nr. 223 1690 März 31

Anmerkung: Auch, vielleicht sogar gerade nach dem Umzug des Reichskammergerichts von Speyer nach Wetzlar bestanden die Geldsorgen fort. Die Reichsstände befanden sich mit lang verstrichenen Zahlungsterminen des Kammerzielers in hoffnungslosem Rückstand. Das Gericht verfiel darauf, erneut die Prokuratoren in die fälligen Mahnungen einzubinden. Zuletzt hatte das Kameralkollegium zehn Jahre zuvor dieselbe Anordnung erlassen (Gemeiner Bescheid vom 1./11. Juni 1680; oben RKG Nr. 205; aber auch Gemeiner Bescheid vom 1./11. Juli 1689; oben RKG Nr. 219). Die Prokuratoren sollten also wiederum ihre reichsständischen Auftraggeber anschreiben und bei ihnen um vollständige Überweisung anhalten. Eingehende Gelder mussten sie wie gehabt abliefern. Besondere Probleme bereiteten die Abgaben aus dem Bayerischen und Schwäbischen Reichskreis. Die gebündelten Stände dieser Kreise hatten ihre Kammerzieler offenbar zunächst an den Augsburger Kreiskassierer Semmler gezahlt. Allerdings gab es Abrechnungsschwierigkeiten. Vielleicht hatte Semmler auch weniger Geld weitergeleitet, als er selbst empfangen hatte. Jedenfalls verlangte das Kameralkollegium Abschriften der von Semmler erstellten Quittungen. Die finanzielle Ausstattung des Gerichts erwies sich weiterhin als Schwachpunkt und Dauerbaustelle.

RKG Nr. 223 1690 März 31 [Decretum Consilii Pleni1] Acta Cameralia quae in interruptione Gallicae praerepta fuere designentur et lectoria extradantur, fiscalis vero ratione personarum iurisdictioni Camerae non subiectarum remediis debitis utatur2. Demnach dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren, auch andern dessen angehörigen Persohnen bereits den 15.3 Julii nechst vorigen Jahrs in des Heiligen Reichs Stadt Franckfurt per Decretum anbefohlen worden, daß sie eine ordentliche Designation derjenigen Cameralacten, so bey der bekandten frantzösischen Invasion der Stadt Speyer und darauff erfolgten Hinwegnehmung besagter Acten etwa ihnen selbsten zu Handen kommen oder daß dergleichen andern dem Cammergericht nicht immediate anverwandte4, jedoch unter das Reich gehörige Persohnen zukommen wären, wissend, bey ihren Eyd und Pflichten, womit sie Kayserlicher Majestät und dem Reich zugethan, förderlich exhibiren sollen, solchem Befehl aber von verschiedenen der Gebühr nicht nachgelebet worden und dann bey 1 2 3 4

Decretum ... Pleni in BA Slg. 1693-1787. Acta ... utatur fehlt in BA Slg. 1693-1787; aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. BA Slg. 1693-1787 5. BA Slg. 1693-1787 verbessert aus zugethanen.

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nunmehr in hiesiger Stadt Wetzlar wiederumb eröffneten1 Gericht die Nothdurfft erfordert, daß obgedachte Acta insgesambt denen darauff beeydigten Lesern zu ihrer Registratur ohne einige Zeitverlust wiederumb gelieffert werde. § 1.2 Als wird sothanen ergangenen Decreto nicht allein hiemit kräfftiglich inhaerirt, sondern auch anbey ermeldten Advocaten und Procuratoren auch3 übrigen Cameralpersohnen hiemit ernstlich anbefohlen, solche in Handen habende Acta innerhalb 14 Tagen und zwar bey Straff zweyer Marck Silber besagten Lectoribus einzuhändigen4. § 2. Dann wird der Kayserliche Fiscal diejenige, so gedachtem diesem Kayserlichen Cammergericht nicht immediate zugethan, hin und wieder aber im Reich sich auffhalten, zu deren Extradirung5 anzuhalten und gegen dieselbe behörige Mittel zu gebrauchen6 hiemit angewiesen. In Consilio pleno, 31. Martii 1690. Vorlage: CJC 1724, S. 940 Nr. CCCCLXXIX. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787; GB 1714, S. 118-119 Nr. CCXXII; CJC 1717, S. 118-119 Nr. CCXXII; GB 1717, S. 118-119 Nr. CCXXII; GB 1724, S. 230-231 Nr. CCXXVIII; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid zeigt das Interesse des Kameralkollegiums an einem Neubeginn des regulären Gerichtsbetriebes in Wetzlar. Deswegen ging es zunächst darum, den in mehrere Teilbestände zerschlagenen Bestand an Prozessakten wieder zusammenzuführen. Schon in der kurzen Zeit des Frankfurter Notaufenthalts hatten die Assessoren nach dem Verbleib der verstreuten Akten geforscht (dazu das Dekret vom 5./15. Juli 1689; oben RKG Nr. 220). Jetzt wiederholte das Gericht die vor einem Dreivierteljahr ergangene Verfügung. Die Gerichtsangehörigen, allen voran die Advokaten und Prokuratoren, sollten die bei ihnen noch befindlichen Prozessakten an die Leserei abliefern. Die Zweiwochenfrist war knapp bemessen und zeigt, dass es dem Gericht wirklich darum ging, die brachliegende Registratur neu aufzubauen. Etwas dunkel bleibt der Hinweis auf die nicht unmittelbar Gerichtsunterworfenen in § 2. Der Fiskal sollte sich dafür einsetzen, auch von ihnen weitere Prozessakten herauszuerhalten, selbst wenn Rechtszwang als solcher nicht erlaubt war. Ob diese Regelung auf die bevorstehenden komplizierten Rückgabeverhandlungen mit Frankreich wegen der in Straßburg lagernden Bestände vorauswies, ist unklar. Der Regelungszusammenhang mit den Prokuratoren deutet eher auf den Streubesitz von Einzelpersonen hin. Der Aktentransport von Straßburg zurück an das Reichskammergericht gehörte

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BA Slg. 1693-1787 zunächst in angerichten verbessert, dann so gelassen. BA Slg. 1693-1787 ohne §§. BA Slg. 1693-1787 sodan. In BA Slg. 1693-1787 danach Streichung mit diesem austrucklichem Anhang, daß selbige nach Verfliesung solcher Zeit keinesweegs mehr attendirt oder in judicando darauf reflectirt werden solle. Zu ... Extradirung in BA Slg. 1693-1787 verbessert aus darin. Und gegen ... gebrauchen in BA Slg. 1693-1787 verbessert aus undt sich gegen dieselbe sich seines Ambts zu gebrauchen.

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RKG Nr. 224 1690 April 26

später auch nicht zur Aufgabe des Fiskals, sondern war ein gesonderter Gegenstand des Friedensvertrags von Rijswijk.

RKG Nr. 224 1690 April 26 Error in relatione historica semestrali Francofurtensi irreptus corrigatur eiusdemque autor per fiscalem Caesareum a magistratu requiratur1. Demnach man in Erfahrung gebracht, was maßen in jüngster Relatione Historica Semestrali oder sogenanten Franckfurter Ostermeßrelation von Reichs- und CreyßSachen pag. 95. occasione des Kayserlichen Cammergerichts Herren Praesidenten Meldung geschehen und der Freyherr von Dalberg als älterer in officio nicht allein dem Herrn Graffen von Leiningen als in pari officio notorie jüngern nachgesetzt, sondern auch Ihme dem ältern allein das Praedicat Vicepraesident sich beygesetzt befinde, als wird der Kayserliche Fiscal seines Ambts hierüber erinnert und soll selbiger den Magistrat zu Franckfurt dahin requiriren und sonsten auff alle zulängliche Wege daran seyn, daß dieser contra notorietatem in die Ostermeßrelation, biß dahin aber in anderen Scriptis publicis eingeflossene Irrthum förderlich revocirt, der Author aber vorberührter Relation, ingleichen der Verleger und Buchdrucker von Obrigkeit wegen astringirt werden, die noch ohndistrahirte Exemplaria, soviel deren zurückzubekommen, wieder bey die Hand zu schaffen. Dann soll vor allen Dingen durch obrigkeitliche Zwangs- und andere Mittel vorgedachter Author, Verleger und Drucker compellirt werden, denjenigen nahmhafft zu machen, welcher einem oder dem andern Verleitung hierzu geben. In Consilio pleno, den 26. Aprilis 1690. Jacobus Michael2, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae Protonotarius Manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 940-941 Nr. CCCCLXXX. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 119 Nr. CCXXIII; CJC 1717, S. 119 Nr. CCXXIII; GB 1717, S. 119 Nr. CCXXIII; GB 1724, S. 231-232 Nr. CCXXIX; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid verfolgt die Berichtigung eines Druckfehlers. Es ging um die sog. Frankfurter Messrelation des Frühjahrs 1690. Der vollständige Titel der Schrift lautet: „Relationis Historicae Semestralis Vernalis Continuatio: Jacobi Franci Historische Beschreibung 1 2

Error … requiratur auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1717; GB 1724 Michaël.

RKG Nr. 225 1690 Oktober 4

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der denckwürdigsten Geschichten/ so sich in Hoch- und Nieder-Teutschland auch Italien/ Hispanien/ Franckreich/ Ungarn/ Böheim/ Pohlen/ Engeland/ Portugall/ Schweden/ Dennemarck/ Dalmatien/ Candia (...) vor und zwischen jüngst-verflossener Franckfurter Herbst-Meß/ 1689. biß an- und in die Ostermeß dieses lauffenden 1690. Jahrs (...) zugetragen / Alles auß überschickten Lateinischen/ Italiänischen/ Spanischen/ Französischen/ Hoch- und NiederTeutschen Documentis- brieflichen Urkunden und Geschichtreichen Schrifften (...) Und mit etlichen Kupffer-Figuren außgedruckt. Durch Sigismundi Latomi, sonsten Mäurers genannt/ sel. Erben/ und Johann Steindeckern fortgeführt und verlegt, Frankfurt am Main 1690.“ In dieser Jahreschronik hatte der Bearbeiter den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Reichskammergerichts vertauscht. Der jüngere und ranggleiche Graf von Leiningen fand sich dort als alleiniger Kammerpräsident, der dienstältere Freiherr von Dalberg lediglich als nachgesetzter Vizepräsident. Das Kameralkollegium war nicht gewillt, das Versehen auf sich beruhen zu lassen. Vielmehr richtete sich der Gemeine Bescheid an den Fiskal. Er sollte die Stadt Frankfurt dazu bringen, den Vertrieb des einhundert Seiten dicken Bandes zu stoppen. Für eine Neuauflage musste der Fehler berichtigt werden. Zum Schluss unterstellte das Gericht unverhohlen Vorsatz. Verleger, Autor und Drucker sollten bekanntgeben, von wem sie die Falschinformationen erhalten hatten.

RKG Nr. 225 1690 Oktober 4 Promercatores victualium immodici iterato cohibentur1. Demnach diesem Kayserlichen Cammergericht vorkommen, daß etliche die Victualien und Waaren, so zu gewöhnlichen Wochenmärckten in die Stadt gebracht werden, etwa vor der Pforten mit Uberbiethung des Werths, deßgleichen auff dem freyen Marckt, solche zu ihrem Gewinn und Vortheil an andere Orth zu verführen oder zu schicken, offtermahls erkauffen, auch denjenigen, so allbereit darumb marcken, in den Kauff einstehen, solches alles aber nicht allein denen gemeinen Rechten und Billigkeit zuwider, sondern auch zu beschwerlichem Auffschlag und Vertheurung nothwendiger Victualien gereichet. Und dann, damit dergleichen Ungebühr nicht auch den Cammergerichts angehörigen Persohnen zugemessen werden möge, als sollen alle und jede demselben anverwandte Persohnen dem bereits den 10. Februarii jüngsthin ergangenem Decreto zufolg solches schädlichen und unleidentlichen Vorkauffens und Einfallens sich gäntzlich enthalten mit dem Anhang, 1

Promercatores … cohibentur auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 226 1691 März 2

daß, dafern von einem und anderem deme zuwidergehandlet, alsdann sothaner Ubertretter mit gebührender Straff angesehen werden soll. In Consilio pleno, 4. Octobris 1690. Jacobus Michael1, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 941 Nr. CCCCLXXXI. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 119-129 Nr. CCXXIV; CJC 1717, S. 119-120 Nr. CCXXIV; GB 1717, S. 119-120 Nr. CCXXIV; GB 1724, S. 232 Nr. CCXXX; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid richtet sich gegen den Fürkauf, den überteuerten, wucherischen Markthandel. Das Prinzipium des Bescheides vom 10. Februar 1690 (oben RKG Nr. 221) hatte im Wesentlichen dieselbe Regelung getroffen. Ganz deutlich zeigte das Kameralkollegium, wie sehr ihm daran gelegen war, die Wetzlarer Bevölkerung nicht gegen das Gericht aufzubringen. Wenn es wegen der unerwünschten Handelsgeschäfte zu Verteuerungen kam, sollte man wenigstens nicht die Gerichtsangehörigen dafür verantwortlich machen. Wer sich am Fürkauf beteiligte, machte sich gegenüber dem Kameralkollegium strafbar. Der Sache nach handelt es sich bei dem Gemeinen Bescheid um eine Policeyordnung (dazu auch die Einleitung bei Anm. 374-375).

RKG Nr. 226 1691 März 2 [Decretum vom 2. Martii 1691, das die Procuratores bey denen Ständten, denen sie bedient, die Abtragung der Cammerzihler erinnern sollen.]2 Exsolutio sustentationis Camerae procuratoribus ad Imperii quibus inserviunt status adhortanda mandatur3. Es wird von einem hochlöblichen Collegio Camerali hiemit gesambten Procuratoren des Kayserlichen Cammergerichts abermahlen alles Ernstes anbefohlen, daß sie bey denen zu demselben geleisteten Pflichten diejenige von ihnen bedienende Stände, welche des Kayserlichen Cammergerichtscassa4 annoch mit rückständigen Unterhaltungszielern verhafftet, alles möglichsten Fleisses beweglich erinnern, die ohnfehlbahre Verfügung zu thun, damit selbige wegen bekandten jetztmahligen grossen Geldmangels bey gedachter Cassa und darbey täglich auffschwellenden Nachstands 1 2 3 4

GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël. Decretum ... sollen in BA Slg. 1693-1787. Exsolutio ... mandatur fehlt in BA Slg. 1693-1787; aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. BA Slg. 1693-1787 Cammer Cassae.

RKG Nr. 226 1691 März 2

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der Herren Praesidenten, Assessoren und Officianten Salarien, in jetzt bevorstehender Franckfurter Ostermeß dem Pfenningmeister, welcher währender solcher Meß in seinem Logament1 bey Constantin Breiting, Kauffmann zum Alten-Burggraffen auff dem Marckt zu Franckfurt, wird anzutreffen seyn, abgestattet werden möge. In Consilio pleno, den 2. Martii 1691. [Wetzlar, den 2. Martii 16912.] Jacobus Michael3, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Renovatum, den 17. Februarii 1692. Renovatum, 8. Augusti 16924. Vorlage: CJC 1724, S. 941 Nr. CCCCLXXXII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787; GB 1714, S. 120 Nr. CCXXV; CJC 1717, S. 120 Nr. CCXXV; GB 1717, S. 120 Nr. CCXXV; GB 1724, S. 233 Nr. CCXXXI; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Es handelt sich um ein weiteres Mahnschreiben an die Prokuratoren wegen der fälligen Kammerzieler. Der letzte einschlägige Gemeine Bescheid lag noch nicht einmal ein volles Jahr zurück (Gemeiner Bescheid vom 15. März 1690; oben RKG Nr. 222). Das Kameralkollegium verwies zwar auf den „jetztmaligen“ großen Geldmangel, doch ging es um ein inzwischen seit mehreren Jahrzehnten ungelöstes Dauerproblem. Die Gehaltsrückstände der Präsidenten, Beisitzer und sonstigen Mitarbeiter sprach das Kameralkollegium in den früheren Erlassen aber nicht so offen an. Auch die Erwartungshaltung an die Anwälte war leicht verändert. Es ging nicht mehr nur um pauschale Zahlungserinnerungen. Vielmehr wollte das Gericht auf der bevorstehenden Frankfurter Ostermesse tatsächlich die fälligen Gelder erhalten. Deswegen gab der Gemeine Bescheid haargenau an, in welchem Haus und bei welchem Kaufmann der Pfennigmeister in dieser Zeit in Frankfurt residieren würde. So genaue Ortsangaben hatte noch kein anderer Gemeiner Bescheid enthalten. Es sollte sich also niemand damit herausreden können, er habe den Pfennigmeister in Frankfurt verpasst oder nicht finden können. Noch aus einem anderen Grund ist die Quelle bemerkenswert. Es handelt sich nämlich, glaubt man den Angaben in der Edition von Georg Melchior von Ludolff, um den ersten Gemeinen Bescheid, der völlig unverändert mehrmals verkündet wurde. In anderen Fällen hatte das Gericht wenigstens das Erlassdatum aktualisiert oder auf einen Vorgängerbescheid verwiesen. Hier aber erneuerte das Kameralkollegium den Bescheid ganz schlicht am 17. Februar 1692 und nochmals am 8. August 1692 (unten RKG Nr. 228 und 231). Praktisch jedes Jahr, teilweise sogar vor jeder Frankfurter Messe, waren solche Zahlungsaufrufe bzw. Mahnungen also erforderlich. Nichts zeigt besser, wie schwer es das Gericht hatte, diejenigen Gelder zu erhalten, die ihm gesetzlich zustanden. 1 2 3 4

BA Slg. 1693-1787 Logiment. Wetzlar ... 1691 in BA Slg. 1693-1787. GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël. Renovatum den …1692 auch in anderen Ausgaben: GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

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RKG Nr. 227 1691 Juli 8

RKG Nr. 227 1691 Juli 8 Modus sollicitandi advocatis et procuratoribus ratione gladii amiciendi praescribitur1. Demnach man bey diesem Kayserlichen und des Heiligen Reichs Cammergericht bey geraumer Zeithero wahrgenommen, daß dessen Advocati und Procuratores sich dem den 21. Junii 1675 noch in Speyer ergangenen Decreto zuwider nicht allein zum öfftern vor der gewöhnlichen Rathstuben auff der Cantzley und Leserey, sondern auch bey denen Herren Praesidenten und Beysitzern, in dero Behausungen bey Sollicitirung der Cameralprocessen mit Degen allein oder auch unter denen Mänteln erschienen, als wird verschiedener hiebey einlauffenden Circumstantien und Consideration willen ihnen hiemit alles Ernstes anbefohlen, daß sie sich inskünfftig an gedachten Orthen des Degentragens enthalten und im Übrigen gegen ein hochlöbliches Collegium Camerale sich obgedachtem und vorhergangenen Decretis gemäß verhalten sollen. Decretum in Consilio pleno, den 8. Julii 1691. Jacobus Michael2, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 941-942 Nr. CCCCLXXXIII. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 120-121 Nr. CCXXVI; CJC 1717, S. 120-121 Nr. CCXXVI; GB 1717, S. 120-121 Nr. CCXXVI; GB 1724, S. 233-234 Nr. CCXXXII; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt Rang- und Ehrkonflikte zwischen Anwälten und dem richterlichen Kameralkollegium. Die Advokaten und Prokuratoren hatten im Juni 1675 versucht, durch ihr Recht zum Degentragen symbolisch mit dem Ansehen der Beisitzer gleichzuziehen (dazu die Gemeinen Bescheide vom 16. Juni 1675 und 18. Juni 1675; oben RKG Nr. 195196). Nach einigen unruhigen Tagen hatten sie sehr schnell einen wesentlichen Erfolg verbucht. Bis auf die unmittelbare Audienzzeit konnten sie ihre Degen tragen, wann und wo sie wollten, insbesondere offen auf der Straße (Gemeiner Bescheid vom 21. Juni 1675; oben RKG Nr. 197). In Wetzlar wagten die Anwälte erneut die Kraftprobe. Die Gelegenheit war günstig, denn gerichtliche Audienzen fanden vor 1693 noch nicht statt (dazu der Gemeine Bescheid vom 15./25. Mai 1693; unten RKG Nr. 233). Die Advokaten und Prokuratoren trugen daher auch dienstlich ihren Degen ständig zur Schau, selbst bei extrajudizialen Geschäften im Gerichtsgebäude, etwa in der Kanzlei oder Leserei. Auch wenn sie den Präsidenten und die Beisitzer zu Hause besuchten und dort ihre Sollizitationszettel abgaben, legten sie den Degen nicht zur Seite. Das Kameralkollegium äußerte sich nicht ganz eindeutig, ob all das schon seit 1675 verboten war. Etwaige Lücken 1 2

Modus … praescribitur auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. GB 1714; CJC 1717; GB 1724 Michaël.

RKG Nr. 229 1692 April 13

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wollte es jedoch schließen. Bei sämtlichen dienstlichen Handlungen sollten die Anwälte künftig ohne Degen erscheinen. Privat konnten sie ihn behalten. Wenn sie bei ihrer anwaltlichen Tätigkeit aber mit anderen Gerichtspersonen zusammentrafen, durften sie sich in ihrer Kleidung nicht mehr so stark den Assessoren annähern. Das galt selbst 1691, also in einer Zeit ohne Audienzen. Es ging damit in keiner Weise um Verwechselungsgefahr bei Zuschauern oder Dritten, sondern vielmehr um eine stets sichtbare Rangabstufung.

RKG Nr. 228 1692 Februar 17 Neuverkündung des Gemeinen Bescheids vom 2. März 1691 (oben RKG Nr. 226). Vorlage: CJC 1724, S. 941 Nr. CCCCLXXXII, mit Renovatum-Vermerk.

RKG Nr. 229 1692 April 13 [Decretum Camerae. Die Procuratores sollen von denjenigen Ständten, denen sie bedient seind, ein Exemplar von ihren Privilegiis einsenden.1] [Decretum vom 13. April 1692 denen Procuratoren gegeben, das sie von derjenigen Reichsständten, denen sie bedient, habenden Statuten, Land- und Stattgerichtsordnung, sofern diese in Schrifften verfast oder in Truck gegeben worden, als welche mehrentheils bey der frantzösischen iüngsten Invasion abhanden kommen, ein eingebundenes Exemplar der Leserey einbringen sollen.2] Editio statutorum provincialium ac iudicialium ut et privilegiorum consuetudinumque receptarum injungitur3. Es wird des4 Kayserlichen Cammergerichts sämbtlichen Advocaten und Procuratoren hiemit anbefohlen, daß sie von denjenigen Reichsständen wie auch Reichsritterschafften, denen sie bedienet, habenden Statuten, Land- und Stadtgerichts, auch 1 2 3 4

Decretum ... einsenden Dorsalvermerk in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.). Decretum ... sollen Dorsalvermerk in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.), danach der Zusatz Verschiedene Decreta pleni. Editio ... injungitur fehlt in BA Slg. 1693-1787 (beide Ex.); aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) dieses.

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RKG Nr. 229 1692 April 13

anderen Ordnungen, Reformationen, Privilegien, auch hergebrachten Gewohnheiten, sofern diese in Schrifften verfast oder in Druck gegeben, als welche mehrentheils bey der jüngsten frantzösischen feindlichen Invasion abhanden kommen, ein eingebunden Exemplar förderlichst beschreiben und erfordern und darauff zu des Kayserlichen Cammergerichts Leserey einlieffern sollen. Decretum in Pleno, 13. Aprilis 1692. Jacobus Michael1, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria2. Vorlage: CJC 1724, S. 942 Nr. CCCCLXXXIV. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 (zwei handschriftliche Exemplare); GB 1714, S. 121 Nr. CCXXVII; CJC 1717, S. 121 Nr. CCXXVII; GB 1717, S. 121 Nr. CCXXVII; GB 1724, S. 234 Nr. CCXXXIII; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt wichtige Fragen der richterlichen Rechtsermittlung und Partikularrechtskenntnis. Er steht inhaltlich im Zusammenhang mit den Bemühungen des Kameralkollegiums, die verstreuten Prozessakten wieder zu einem geordneten Archiv zusammenzustellen (Gemeine Bescheide vom 5./15. Juli 1689 und 31. März 1690; oben RKG Nr. 220 und 223). Nicht nur die Prozessakten waren verstreut. Auch die Sammlung partikularrechtlicher Quellen des Alten Reiches hatte die französische Eroberung und Brandschatzung von Speyer nicht überlebt. Wenn das Kameralkollegium also daran ging, einen erneuerten Gerichtsbetrieb in Wetzlar vorzubereiten, benötigte es diese Rechtsgrundlagen der richterlichen Tätigkeit. Die ständigen Advokaten und Prokuratoren der Reichsstände sollten die schriftlich zugänglichen Partikularrechtsquellen und Privilegien der einzelnen Territorien sammeln und nach Wetzlar übersenden. Auf diese Weise wollte das Gericht den verlorengegangen Bestand an Rechtsquellen wiederherstellen. Prozessrechtsgeschichtlich ist der Gemeine Bescheid sehr wichtig. Er zeigt nämlich überdeutlich die Verpflichtung der Reichsstände, von Amts wegen ihre Rechtsquellen bei den obersten Reichsgerichten einzureichen. Das ergab nur dann Sinn, wenn das Reichskammergericht auch die Möglichkeit besaß, das gedruckt vorliegende Partikularrecht bei seiner Rechtsprechung anzuwenden. Die gemeinrechtliche Fundata intentio-Theorie hatte in Rechtsanwendungsfragen dem gelehrten römischkanonischen Recht immer den Vorrang zugebilligt. Abweichende Statuten und Gewohnheiten sollten darlegungs- und beweisbedürftig sein. Beim Reichskammergericht dagegen zeigt sich die Aufwertung des Partikularrechts schon seit der Mitte des 16. Jahrhunderts. Der Gemeine Bescheid von 1692 bezog sich nicht auf bestimmte, gerade schwebende Rechtsstreitigkeiten. Die Territorien sollten also nicht als Parteien ihr eigenes Recht beweisen. Vielmehr waren sie in ihrer Eigenschaft als Gesetzgeber gehalten, dem Reichskammergericht ihre Landesgesetze zu übermitteln. In der Praxis gab es die bekannten Vollzugsdefizite wie bei vielen anderen Gemeinen Bescheiden ebenfalls. Gerade in diesem Punkt waren die Auswirkungen auf die Rechtsprechung aber erheblich. Die richterliche Anwendung partikularer Rechtsquellen war nämlich nur möglich, wenn das Ge1 2

GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.).

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richt die Vorschriften kannte oder wenn sie ihm wenigstens zugänglich waren. Längst nicht alle Landesherren oder Regierungen sandten jedoch ihre Statuten und Gewohnheiten nach Wetzlar ein. Deswegen wiederholte das Reichskammergericht am 27. August 1764 den Gemeinen Bescheid (unten RKG Nr. 285). Die normativ erstrebte Rechtslage und die Rechtswirklichkeit wichen somit selbst in einer für die richterliche Rechtsanwendung entscheidenden Frage voneinander ab.

RKG Nr. 230 1692 Juni 21 Gemeiner Bescheid über die Zustellungen durch die Kammerboten. Vorlage: Als Anlage erwähnt im Gemeinen Bescheid vom 7. Oktober 1692 § 2 (unten RKG Nr. 232): dort wiederholte Einschärfung. Handschriftliche Überlieferung unklar.

RKG Nr. 231 1692 August 8 Neuverkündung des Gemeinen Bescheids vom 2. März 1691 (oben RKG Nr. 226). Vorlage: CJC 1724, S. 941 Nr. CCCCLXXXII, mit Renovatum-Vermerk.

RKG Nr. 232 1692 Oktober 7 Supplicationes in duplo exhibeantur et adjunctorum requisita copiae in cancellaria relinquantur, ratione nunciorum autem ordinationis nuperae inhaeretur1. Demnach sowohl in des Kayserlichen Cammergerichts Ordnung Part. 1 Tit. 34 als auch dem Deputationsabschied de Anno 1600 § 22, sodann dem Gemeinen Bescheid vom 30. Martii 1593 verordnet und statuiret, daß die Procuratoren bey Straff 1

Supplicationes … inhaeretur auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

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nach Ermäßigung ihre Supplicationes im Rath zweyfach oder doppelt übergeben und deren eine wie auch gleichlautende Copeyen darinnen vermeldter Beylagen, soviel derselben von ihnen hernach erfordert werden, ehe sie die Decreta erheben, bey der Cantzley verbleiben lassen sollen, damit man deren auff jeden künfftigen Fall zur Nachrichtung mächtig seyn möge, durch Unterlassung dieses letzteren aber bißhero in Administrirung der Justitz ein- und andere Gefährde sich ereignet oder noch ereignen können, deme das Kayserliche Cammergericht länger nachzusehen nicht gemeynt. § 1. Als wird sothanen heilsamen Reichsconstitutionibus und Gemeinen Bescheid gemäß ermeldten Procuratoren hiermit ernstlich anbefohlen, nicht allein die bißhero bey denen pro Processibus Appellationis exhibirten Supplicationen übergebenen Libellum Appellationis künfftig jedesmahlen in duplo ad Senatum mit zu überreichen, sondern auch gleichlautende Copeyen von denen darin allegirten Substantialbeylagen oder wenigstens deren Clausulis concernentibus, soviel derselben werden erfordert werden, ehe sie die Decreta erheben, bey der Cantzley unter deren Handschrifft lassen sollen mit der Verwarnung, daß sonsten und in Nachbleibung des ersteren die Supplicationes entweder nicht- oder ohndecretirt ex Consilio wieder zurückgeben, wegen Unterlassung des andern aber die Decreta so wenig als die Beylagen aus der Cantzley herausgefolgt werden und nichts destoweniger der Ungehorsame in die der Ordnung einverleibte Straff ipso facto gefallen seyn soll. § 2. Dann wird ihnen, Advocaten und Procuratoren, die den 21. Junii jüngsthin wegen der Cammerbotten und denenselben zu insinuiren obliegende Processen ergangene Verordnung sub Lit. A. hiemit zu dem Ende nochmahlen communicirt, damit sie solcher inskünfftig jedesmahl bey Vermeidung schärfferen Einsehens der Gebühr nachleben mögen. In Consilio pleno, den 7. Octobris 1692. Vorlage: CJC 1724, S. 942 Nr. CCCCLXXXV. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 121-122 Nr. CCXXVIII; CJC 1717, S. 121-122 Nr. CCXXVIII; GB 1717, S. 121-122 Nr. CCXXVIII; GB 1724, S. 235-236 Nr. CCXXXIV; fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt den Extrajudizialbetrieb des Reichskammergerichts. Nach der Verlegung des Reichskammergerichts von Speyer nach Wetzlar eröffnete das Gericht seine Audienzen erst wieder am 15./25. Mai 1693 (dazu sogleich der Gemeine Bescheid vom 15./25. Mai 1693, unten RKG Nr. 233). In der Zwischenzeit war der Geschäftsanfall aber nicht abgerissen. Es gingen weiterhin Appellationen und Supplikationen auf Eröffnung neuer Kameralprozesse ein. Grundsätzlich konnte das Gericht derartige Verfahren durchaus außerhalb der Audienz betreiben. Es kam also darauf an, Ladungen, Inhibitionen und Kompulsorialbriefe auszufertigen, Mandate zu erlassen und auch andere Handlungen vorzunehmen, die nicht zwingend Reproduktionen oder weitere Prozesshandlungen voraussetzten. Ungestört vom zeitraubenden

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öffentlichen Audienzwesen konnte das Kameralkollegium sich in dieser Phase mit der Ordnung des Extrajudizialverfahrens besonders eingehend befassen. Dabei stellte es zahlreiche Gebrechen fest. Zunächst ging es um die Zahl der Ausfertigungen, in denen die Anwälte ihre Schriftsätze einzureichen hatten. Hier sprach der Gemeine Bescheid sehr präzise ausschließlich die Prokuratoren an. Die älteren Bestimmungen aus der Reichskammergerichtsordnung von 1555, der Visitation von 1600 und aus dem Gemeinen Bescheid vom 30. März 1593 (dort das Prinzipium, oben RKG Nr. 91) fasste das Gericht kurzerhand zu einer einheitlichen Verordnung zusammen. Angeblich hatten die Prokuratoren jeweils nicht genügend Mindestexemplare abgegeben. Tatsächlich scheint das Kameralkollegium zwischen den doppelt einzureichenden Schriftsätzen mitsamt Anlagen sowie den Kopien unterschieden zu haben. Die beiden Originale waren für die Parteien bestimmt und bildeten gemäß den in dieser Zeit vereinfachten Mandaten und Ladungen die Anlagen zu den kammergerichtlichen Prozesseröffnungen. Sie gehörten zu denjenigen Unterlagen, die der Kammerbote zustellte. Eine Ausfertigung behielt der Beklagte, die andere gelangte an den Kläger zurück. Er reproduzierte sie sodann im ersten Termin, also in der ersten Audienz in dieser Sache. Die Kopien, von denen das Gericht sprach, unterschieden sich allerdings hiervon. Sie verblieben in jedem Fall in der Kanzlei. Damit wollte das Gericht immer ein Exemplar sämtlicher Schriftsätze und Anlagen zur Hand haben, die bereits verkündet waren oder sich auf den Weg zur Verkündung befanden. Vor dem Beginn der Audienzen im Mai 1693 erschien das sogar besonders wichtig, denn förmliche Reproduktionen bereits insinuierter Ausfertigungen fanden über Jahre hinweg nicht statt. Das Gericht drohte damit, Supplikationen mitsamt Anlagen unbearbeitet zurückzugeben, wenn sie nicht die erforderliche Mindestzahl an Kopien aufwiesen. Zusätzliche Bestrafungen behielten sich die Assessoren vor. Warum die Prokuratoren in diesem Punkt die Vorschriften umgingen, ist unklar. Die Anzahl der von ihnen kopierten Schriftstücke konnten sie sich von den Mandanten problemlos bezahlen lassen. Vermutlich oblag es nach der internen Aufgabenverteilung unter den Anwälten ohnehin den Advokaten, eine genügende Zahl gleichlautender Ausfertigungen vorzubereiten. Allein den Geldbeutel des Mandanten zu schonen und dafür den Unmut der Richterschaft zu erregen, hätte die Anwälte nur schwer zu Fehlverhalten verleiten können. Warum sie dennoch nicht die geforderte Zahl an Kopien abgaben, bleibt also offen. Zuletzt verpflichtete der Gemeine Bescheid sowohl Advokaten als auch Prokuratoren, einen Gemeinen Bescheid vom 21. Juni 1692 wegen der Zustellungen durch die Kammerboten zu beachten. Dieser frühere Bescheid ist im Corpus Juris Cameralis unter dem älteren Datum nicht nachgewiesen und auch entgegen der Ankündigung nicht als Anlage A. beigefügt. Eine handschriftliche Fassung existiert ebenfalls nicht mehr. Vermutlich ist er verloren.

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RKG Nr. 233 1693 Mai (15) 25 §1 1. De modo ordinum. § 2. 3. 4. et 5. forma redintegrationis ac reassumtionis actorum salvatorum. § 6. Procuratorum2 excessus salariorum aliaque pacta illicita interdicuntor. § 7. Taxa cancellariae processibus per literas integras adscribitor et nuntii accepta sua specifice docento. § 8. Scripta praeiudicialia et iniuriosa tertiis non evulgentor3 typis sine praevia censura collegii Camer[alis]. § 9. Procuratores se in ceteris conformanto sanctionibus prioribus, in specie quoad nimias prorogationum ac terminorum petitiones ut et recessus non necessarios prolixiores merita causae tangentes vehementes aut taxativos.4 [Copia Gemeinen Bescheidtß de Anno 1693 (15.) 25. Maii, so bey Eröffnung deß Kayserlichen Cammergerichts zu Wetzlar publicirt worden und unter denen getruckten zu finden ist.]5 Demnach auff der Römisch Kayserlichen Majestät allergnädigstes Rescript, daß die seither dem frantzösischen feindlichen Einbruch ins Reich nun ins fünffte Jahr bey diesem Kayserlichen und des Reichs Cammergericht unterbliebene Judicialia in hiesiger Stadt Wetzlar ad interim und biß zu erfolgendem ferneren allgemeinen Reichsschluß und dessen Bewerckstelligung förderlichst eröffnet werden sollen, zu dieser des Gerichts Wiedereröffnung der heutige Tag beliebt und angesetzt worden, worzu der Allerhöchste seinen mildreichsten göttlichen Segen gnädiglich verleihen wolle. Damit nun gleich beym Anfang dieses heilsamen Wercks künfftig besorgender Unordnung gesteurt werde und dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren, wie sie sich in ein und anderem zu verhalten haben, wissen mögen, als beschicht hiemit die Verordnung. § 1.6 Daß erstlichen die Reproductiones7 zwar, wie bißhero üblich gewesen, auch noch fürohin durch mündlichen Recess auffs kürtzeste beschehen sollen. Weilen aber selbige von dreyen Jahren hero, da die Extrajudicialia ihren Lauff gehabt, so sehr angewachsen und sich gehäufft, daß zu möglichster deren Beförderung billich einige Vorsehung zu thun, so soll zu solchem End der Ordo Terminorum biß zu hernach gemeldter Zeit auffgehoben seyn, hingegen aber Ordo Reproductionis biß 1 2 3 4 5 6 7

§§-Zeichen fehlen in GB 1710 im Titel. GB 1710 Procuratoribus. GB 1710 evulgentur. § 1 De modo ... taxativos fehlt in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; aber vorhanden in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Dorsalvermerk in BA Slg. 1693-1787. BA Slg. 1693-1787; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 ohne §§; dagegen GB 1710 mit §§-Zeichen. In BA Slg. 1693-1787 verbessert aus Procuratores.

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ad medium Tertiae continuirt und dann erst Ordo Novarum angefangen und darinnen biß ad Tertiam1 wie gebräuchlich fortgefahren werden, nicht weniger auch gedachte Ordines Reproductionis et Novarum aus erheblichen Motiven unter denen Procuratoren in allen und jeden Audientzien also herumgehen, daß wann der älteste einen Reproductions- oder andern Recess gehalten, der folgende in Ordine sogleich und also successive biß zum jüngsten zu ebenmäßiger Recessirung in einer Sach schreiten, und wann die Ordnung in einer Audientz etwa nicht gar herumgangen, selbige in nechstfolgender bey demjenigen, wo sie auffgehört, wieder anfangen und also fortgehen und dann endlich gemeldte Audientzien ausser denen Samstagen und einfallenden Feyertagen alle Tag in der Wochen ordentlich gehalten werden. Jedoch soll dieses zu Beschleunigung der Reproduction vorkehrende Mittel länger nicht denn biß ad Ferias magnas währen, sondern nach selbigen, wofern die Continuation befindenden Dingen nach nicht außtrücklich anbefohlen wird, alles wiederumb denen vorigen Gemeinen Bescheiden und darauff gegründeter Observantz gemäß wie vor diesem gehalten werden.2 Dabey werden mehrgedachte Procuratoren erinnert, ihre Sachen nach der Zeit, 3 da selbige außgebracht und insinuirt worden, es wäre dann, daß eine oder andere propter morae periculum oder sonsten ihrer Arth und Eigenschafft nach den Vorzug vor andern de jure erforderte, zu reproduciren und sich dabey keines denen Partheyen nachtheiligen oder gewinnsüchtigen Delectus zu gebrauchen. Nicht weniger auch, wann sie zu erscheinen Befelch haben, die Comparitionsrecessus nicht unnöthig zu verschieben, sondern gleich nach beschehenen Reproductionen zu halten und die Nothdurfft einzubringen. § 2. Als auch zum Andern vorkommen, daß ein guter Theil deren von Speyer salvirter Acten nicht durch die Leser, welchen solche committirt, sondern andere Persohnen nacher Franckfurt anhero, auch wohl anderstwohin gebracht worden, woraus4 dann selbige inskünfftig einigen Defects oder Illegalität beschuldigt werden könten, so sollen, diesem vorzukommen, alle solche gerettete Acta ohne Unterscheid von beyderseits Procuratores5 pro legalibus et integris6 gerichtlich agnoscirt, und bevor solches geschehen oder gestalten Umbständen nach selbige ergäntzet, darinnen nicht gesprochen werden. Und damit der eine Theil hierinnen nicht saumselig seyn noch durch seine Verzögerung die Decision der Sachen auffhalten könne,

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Angefangen ... tertiam in BA Slg. 1693-1787 nachträglich eingefügt. Absatz in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. GB 1695; GB 1696; GB 1707 daß. BA Slg. 1693-1787 worauf; GB 1688 warauß; GB 1695 worauß. BA Slg. 1693-1787; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 Procuratorn. BA Slg. 1693-1787; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 integralibus.

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so soll der Procurator, von dessen Principalen der Sachen Außgang am meisten verlangt wird, dißfalls in Ordine Novarum folgenden kurtzen Recess halten:1 „In Sachen usw. repetire krafft ad Acta vormahls übergebenen oder jetzt übergebenden Gewalts disseits am N. N. Tag N. N. Jahrs beschehene Submission, weiß gegen die Legalität und2 Integrität deren von Speyer anhero salvirter Acten nichts einzuwenden und will von Gegenanwalden Doctorn oder Procuratorn N. N. gleichmäßige Erklärung erwarten. In Entstehung aber bitte ihn darzu gnädigst anzuhalten usw.“3 Und hierauff sich der Gegenprocurator gleich in selbiger oder nechstfolgender Audientz, wie in Recognitionibus verordnet, gleichergestalten unfehlbar und bey Vermeidung unaußbleiblicher Straff vernehmen lassen und ist es auff diese Weiß, wann etwa in selbigen Sachen Citationes ad reassumendum reproducirt oder Nachhandlungen eingebracht werden, mutatis mutandis gleichfalls zu halten. § 3. Wann aber zum Dritten ein litigirender Theil die Wiederersetz- oder Ergäntzung derer nacher Straßburg feindlich verführten bey diesem Kayserlichen Cammergericht verübten Acten verlangt, soll dessen bestellter Procurator, wann eine Citatio ad reassumendum et redintegrandum Acta emanirt, bey deren Reproduction oder sonsten, wann die Sachen noch mit Anwälden versehen, in Ordine Novarum zuforderist seinerseits produciren, was von Cameralacten bey seinem Principalen, dessen Advocaten und ihm selbsten zu finden gewesen und sich zugleich erbieten, in gedachtes seines Principalen vermittelst von demselben producirenden Specialgewalts und in4 eigenem Nahmen jurato zu expurgiren, daß auff fleißiges Nachsuchen von solchen Actis nichts mehr zu finden gewesen, auch davon nichts verbracht, noch denen gefundenen und jetzt producirenden zugesetzt, darinnen corrigirt oder außgelassen worden. Demnechst vom Gegenanwald vernehmen, ob er die bey seinem Principalen, dessen Advocaten, und ihm selbsten vorhandene Acta Cameralia gleichermassen endlich zu produciren erbietig seye. Allenfalls aber bitten, selbige hierzu richterlich anzuweisen. Worauff sich sodann des Citirten Anwald, wann er zu erscheinen befelcht oder respective der Procurator, gegen welchen jetzterwehnter massen angeruffen worden, gleich in selbiger oder doch nechstfolgender Audientz in puncto Redintegrationis Actorum zu erklären und wann er auch seinerseits gefast, die bey ihme, seinem Principalen und dessen Advocaten gefundene Cameralacta und Handlungen gleichergestalt zu produciren und sich vermittelst Vorbringung eines Specialgewalts ad Juramentum Expurgationis vorbemeldten In-

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Absatz in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. BA Slg. 1693-1787 verbessert aus oder illegalitet. Absatz in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Fehlt in BA Slg. 1693-1787; GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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halts zu offeriren oder aber hierzu einen kurtzen Terminum zu bitten und in selbigem alles dieses zu praestiren bey Straff nach Ermäßigung gehalten seyn soll. Wann nun diese utrimque also eingebrachte Acta in der Leserey ordentlich registrirt und von ihnen Procuratoren unmangelhafft befunden worden, sollen sie dieses gleich durch einen kurtzen Recess judicialiter anzeigen und gestalten Sachen nach entweder die vorige Submissiones repetiren oder, was sich sonsten gebührt, handlen oder, da noch einiger Abgang der Acten, welchen kein Theil ersetzen könte, vorhanden, solchen ebenfalls gerichtlich anzeigen und darüber richterliche Verordnung erwarten. Dafern aber auff diese Weiß gedachte Redintegration gar nicht erfolgen oder doch ein als andern Weg einige der hauptsächlichen Handlungen unersetzt bleiben würden, mögen die Partheyen solche gantz von neuem verfassen und produciren lassen, und darauff soll1 dem Gegentheil der Terminus Legalis, seine Gegennothdurfft dargegen zu beobachten, lauffen. Es mögen auch befindenden Umbständen nach Rescripta priorum Processuum extrajudicialiter erhalten, selbige gebührend reproducirt und also die Sachen de novo ein- und außgeführt werden. Und weilen billich, daß gedachten Partheyen die feindliche Hinwegführung ihrer Acten so zu2 geringer Beschwerde als möglich gereiche, als wird sowohl denen Procuratoren als Lesern3 hiemit ernstlich anbefohlen, denenselbigen wegen sothaner Ergäntz- und Agnoscirung der Acten nichts Absonderliches, es sey unter was Schein und Nahmen es wolte, abzufordern, sondern sich respective wegen deren dißfalls zu halten habender Recessen mit dem, so die Ordnung vor einen gemeinen Recess taxirt, allerdings vergnügen zu lassen. § 4.4 Da auch viertens bey vorgedachter Redintegration Acta priora cum Rationibus decidendi von neuem einzubringen, mag derjenige Theil, welcher der Sachen Beförderung am meisten verlangt, selbige bey voriger Instantz Richtern wiederum5 gesinnen und deßwegen wo nöthig Compulsoriales bitten, auch die Schreibgebühr, welche gedachte Richter nach Gestalt hiebey waltender sonder-lichen Umbständen gantz leidentlich und gering zu taxiren haben, vorschiessen und deren Erstattung bey Producirung der verschlossenen Acten von seinem Gegen-theil gerichtlich bitten lassen, worauff hernach bey Abfassung der Endurtheil reflectirt und ihme selbige nach Bewandnuß der Sachen völlig oder zum Theil adjudicirt werden sollen. § 5.6 Damit aber fünfftens die Partheyen zu denen jeweilen benöthigten Citationibus ad redintegrandum Acta desto geschwinder und ohne dieses Kayserliche Cammergerichts durch extrajudiciale Supplicationes unnöthig zu fatigiren gelangen 1 2 3 4 5 6

Fehlt in BA Slg. 1693-1787; dagegen GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 solle. BA Slg. 1693-1787; GB 1688 zu so; GB 1695; GB 1696; GB 1707 so zu. GB 1688 Leserey; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Leseren. § 4 fehlt in GB 1710; weder § 4 noch Absatz in GB 1695; GB 1696; GB 1707. BA Slg. 1693-1787 darumb. § 5 fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710.

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mögen, sollen dero bestellte Procuratores inskünfftig solche Citationes, wann selbige nicht edictal oder sonsten ihren besonderen Umbständen und beygefügten Anhängen nach altioris indaginis seyn, welchenfalls sie ihrer Principalen Nothdurfft extrajudicialiter bey Straff nach Ermäßigung zu beobachten, mit und neben denen Citationibus ad reassumendum gerichtlich bitten und auch gleichergestalt also conjunctim erkant und ausgefertiget werden. § 6.1 Und demnach man ferner zum Sechsten in glaubwürdige Erfahrung gebracht, daß verschiedene Procuratoren ihren Partheyen mit Abförderung jährlicher Salarien sehr beschwerlich fallen, ihnen deßwegen eigene in Bereitschafft habende gedruckte Bestallungsbrieff gleich nach erlangtem Procuratorio zusenden und deren Außfertigung urgiren, hernacher solche fast abgepreßte Salaria, wann sie schon das Jahr hindurch in der Sach nichts gethan und so lang, biß selbige wieder auffgekündet worden, auch öffters [lang]2 nach ergangenen Urtheilen und Executionen mit Ungestümme einfordern, andere auch in ihren denen Partheyen zusendenden offt sehr übermäßigen Rechnungen, auch Discretionsgelder pro Sollicitatura und die Schreibstube, sodann Palmaria mit einsetzen und fordern. Solches aber nicht allein directe3 gegen ihre geleistete Eyd, krafft deren sie die Partheyen über den Lohn, der ihnen nach laut der Ordnung über das Cammergericht gebührt, mit Mehrung oder anderm Geding nicht beschweren oder erhöhen sollen, lauffet, sondern auch bereits im Concept der [erneüerter]4 Cammergerichtsordnung Part. I Tit. 60 und Gemeinen Bescheid vom 7. April 1608 außtrücklich verbotten worden. Also werden dieselbe alles Ernstes und bey Vermeidung ohnaußbleiblicher schwerer an angezogenen Orthen enthaltener Straffen hiemit erinnert, ihren Partheyen ausserhalb, wann es Reichsstände, ohnmittelbare Reichscommunen oder auch fürnehme und privilegirte Mediatcollegia und Städte seynd, dergleichen jährliche Salaria zu geben, künfftighin weder di[recte] noch indirecte anzumuthen, weniger aber gedachte Discretionsgelder in Rechnung zu bringen, sondern sich vorgemeldter maßen mit ihrem geordneten Lohn gäntzlich begnügen zu lassen5. § 7.6 Damit auch vor das Siebende von denen Partheyen an Cantzleytax nicht mehr, als dafür würcklich erlegt, wie mehrmahls und jeweilen unter anderm Praetext beschehen zu seyn man nicht ohne Mißfallen vernommen, könne abgefordert noch dieselbe sonsten von den Cammerbotten an Reiß- und Insinuations-Gebühr übernommen werden, so soll denen expedirten Processibus fürohin in der Cantzley der 1 2 3 4 5 6

§ 6 fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. BA Slg. 1693-1787. In BA Slg. 1693-1787 nachträglich eingefügt. BA Slg. 1693-1787. BA Slg. 1693-1787 gäntzlich zu begnügen; GB 1688 gäntzlichen begnügen; GB 1695; GB 1696; GB 1707 gäntzlich begnügen. § 7 fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710.

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Tax einem solchen Orth, wo selbiger nicht füglich hinwegzuschneiden, zu der Partheyen Nachricht jedesmahlen1 mit völligen Buchstaben außgeschrieben2, von niemand aber bey Vermeidung willkührlicher Straff außgestrichen oder radirt werden.3 Die Botten sollen auch bey jedesmahliger ihrer Zurückkunfft von allen Partheyen specificirliche und beglaubte Schein alles dessen, so sie von ihnen gefordert und empfangen, mitbringen, welche sodan durch den Bottenmeister übersehen und examinirt und, wann darinnen eine Übermaß befindlich, von ihme gleich angezeigt und sie Botten darum mit gebührender Straff angesehen und das zuviel erhobene Geld denen Partheyen wieder zurückgegeben werden soll. § 8.4 Als weiter und zum Achten vorkommen, daß jederweilen durch dieses Kayserlichen Cammergerichts angehörige Persohnen Sachen, so denselben nachtheilig seyn oder andere Tertios verunglimpffen, in offenen Druck gegeben werden, dergleichen schädlichem Wesen aber nicht länger nachzusehen, als soll inskünfftig besagtermaßen von niemanden mehr dergleichen5 etwas zum Druck, bevor dasselbe von diesem Kayserlichen Cammergericht ordentlich censurirt worden, außgegeben oder in dessen Nachbleibung der Übertretter mit unaußbleiblicher scharffen Ahndung neben Confiscation der auff solche Weiß ohne Censur gedruckten Exemplarien angesehen werden6. § 9.7 Schließlichen wird auch mehrgedachten Procuratoren ernstlich anbefohlen, im Übrigen allen sich der Cammergerichtsordnung, Visitationsmemorialibus8 und vorherigen Gemeinen Bescheiden gemäß zu verhalten, auch in specie dem, so wegen Abstellung des vielen und unbescheinten Prorogationssuchen sowohl der Fatalien in Appellationssachen als im Gericht lauffender Terminorum durch die Gemeine Bescheide vom 14.9 Octobris 1651 und 30. Octobris10 1682 verordnet worden, inskünfftig stricte nachzuleben. Wie weniger nicht sich alles unnöthigen gar zu weitläufftigen und Merita Causae mit11 betreffenden, auch hitzigen und anzüglichen Recessirens gegeneinander bey Straff schärfferen Einsehens zu enthalten. Jacobus Michael12, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Fehlt in BA Slg. 1693-1787. BA Slg. 1693-1787 iedesmahln aufgeschrieben. Absatz in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. § 8 fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Fehlt in GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707. Als weiter ... werden in BA Slg. 1693-1787 nachträglich eingefügt. § 9 fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. BA Slg. 1693-1787 Visitationsmemorialien. GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710 24. BA Slg. 1693-1787 9bris (= Novembris); GB 1688; GB 1695; GB 1696; GB 1707 Novembris; dagegen GB 1710 Octobris. Fehlt in BA Slg. 1693-1787; GB 1688; dagegen GB 1695; GB 1696; GB 1707 nicht. GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël.

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Vorlage: CJC 1724, S. 942-945 Nr. CCCCLXXXVI. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787; GB 1688, Anhang nach S. 70; GB 1695, S. 181188; GB 1696, S. 181-188; GB 1707, S. 181-188; GB 1710, S. 189-197 Nr. CXCVII; GB 1714, S. 122-126 Nr. CCXXIX; CJC 1717, S. 122-126 Nr. CCXXIX; GB 1717, S. 122-126 Nr. CCXXIX; GB 1724, S. 189-197 Nr. CXCVII; auch als Separatdruck (z. B. vd17 12:655688D = Bayerische Staatsbibliothek München 2° J. publ. g. 90, Beibd. 4). Anmerkung: Der umfangreiche Sammelbescheid regelt Verfahrensfragen zum Neubeginn der Wetzlarer Audienzen. Gleich in der ersten öffentlichen Sitzung in Wetzlar verkündete das Gericht ganz am Anfang die neuen Spielregeln. Daraus erklärt sich zugleich der ungewöhnliche und feierliche Beginn mit dem ausdrücklichen Hinweis auf den Kaiser und der Anrufung Gottes. Der mehrjährige Rückstau unerledigter Judizialsachen erforderte ebenso Übergangsregeln wie die hohe Zahl noch immer verstreuter Reichskammergerichtsakten. Der neue Sitz des Gerichts, die Reichsstadt Wetzlar, erschien dem Kameralkollegium zu dieser Zeit offenbar noch als bloße Übergangslösung. Jedenfalls verwiesen die Assessoren auf den allgemeinen Reichsschluss, den der Kaiser in Aussicht gestellt hatte. § 1 versuchte sodann, die überkommene Audienzordnung an die neuen Erfordernisse anzupassen. Die letzten größeren Reformen des Termin- und Umfragewesens stammten aus den Jahren nach dem Jüngsten Reichsabschied (dazu z. B. die Gemeinen Bescheide von 13. Dezember 1659, 9., 12. und 19. Januar 1660; oben RKG Nr. 144-147). Sie sollten grundsätzlich weitergelten, wie das Gericht stillschweigend voraussetzte. Allerdings gab es wegen der mehrjährigen Unterbrechung einen enormen Rückstau nicht reproduzierter Prozesse. Deshalb kam es darauf an, die verschiedenen Audienzabschnitte neu zu gewichten. Man benötigte mehr Zeit für den Reproduktionstermin und damit für die jeweils erste Audienz in einer Sache. Für die Zeitspanne bis zu den sommerlichen Gerichtsferien sollten deshalb Sonderregeln gelten, die danach ohne weiteres wieder außer Kraft traten. Bis dahin sah das Kameralkollegium nur noch zwei Umfrageordnungen vor, nämlich den Ordo reproductionis und den Ordo novarum. Der Ordo terminorum war zunächst suspendiert und konnte erst nach den Ferien wieder anlaufen. Ob es daneben noch weitere Audienzabschnitte geben sollte, sagte das Gericht nicht. Um die Überhänge abzubauen, erhöhte das Gericht zugleich die Zahl der wöchentlichen Audienzen auf vier. Freilich blieb im Bescheid offen, wann sie begannen. Falls das Gericht die in Speyer wohl übliche Zeit von zwei Uhr nachmittags beibehielt, hätten die Reproduktionen täglich nur eine halbe Stunde (bis halb drei, medium tertiae) ausgemacht, die Nova ebenfalls. Vielleicht trifft das sogar zu. Mit einer Stunde, dafür aber täglich, wäre der Audienzbetrieb auf diese Weise wieder in die Gänge gekommen. Die Umfragen selbst sollten freilich so schwerfällig bleiben, wie man es gewohnt war. Nach Dienstalter geordnet, hatten jeweils alle Prokuratoren die Möglichkeit zu rezessieren. Die schwierige Abgrenzung reiner Schriftlichkeit und knapp gehaltener Mündlichkeit sprach das Gericht an, änderte hieran aber nichts. Ein knapper mündlicher Rezess durfte die Reproduktion der Prozesse begleiten. Zur Verfahrensbeschleunigung nahm das Gericht es offenbar hin, dass in ein und derselben Sache in einem Termin gleich beide Prokuratoren rezessierten. Um zu möglichst gleichen Verfahrensdauern für die Parteien zu gelangen, hielt das Kameralkollegium die Prokuratoren an, die Reihenfolge ihrer Reproduk-

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tionen an das jeweilige Zustellungsdatum der Dokumente anzupassen. Das dürfte in der Praxis schwer zu bewerkstelligen gewesen sein. Absprachen der Prokuratoren untereinander über diesen Punkt sind nur schwer vorstellbar. Vermutlich hatte das Gericht den einzelnen Prokurator im Blick, der seine eigenen Reproduktionen chronologisch ordnen sollte. Hier lockte womöglich eine Gebührenerhöhung für die Prokuratoren, wenn sie zugunsten ihrer Partei manche Sachen bevorzugt reproduzierten. Aus Gewinnsucht durften sie aber die Chronologie nicht durchbrechen. Um die Verfahren zügig in Gang zu bringen, sollten auch die reinen Komparitionsrezesse unverzüglich stattfinden. Darin teilte der jeweilige Prozessgegner lediglich mit, er erscheine aufgrund der Reproduktion. Das schloss die Säumnis aus und leitete das kontradiktorische Verfahren ein. Ebenfalls ein Übergangsproblem behandelte § 2. Es gab weiterhin zahlreiche Rechtsstreitigkeiten, die bereits vor 1689 begonnen hatten. Hier erschien es dringend geboten, zu einer ordnungsgemäßen Aktenführung zurückzukehren. Zunächst ging es um diejenigen Akten, die das Reichskammergericht selbst von Speyer nach Frankfurt überführt hatte (hierzu auch der Gemeine Bescheid vom 17. April 1695; unten RKG Nr. 234). Diese Bestände waren vorhanden und grundsätzlich verfügbar. Allerdings hatte man während der Flucht des Gerichts auf die Zuständigkeiten nicht achten können. Nicht die eigentlich verantwortlichen Leser, sondern zahlreiche andere Gerichtsmitglieder hatten Berge von Akten in Sicherheit gebracht. Zwei Gemeine Bescheide von 1689 und 1690 hatten bereits darauf hingewirkt, die verstreuten Bestände wieder zusammenzuführen (Gemeine Bescheide vom 5. Juli 1689 und 31. März 1690; oben RKG Nr. 220 und 223). In dieser Lage konnte niemand dafür die Hand ins Feuer legen, wie vollständig oder authentisch die erhaltenen Altakten noch waren. Die Dispositionsmaxime wies den Ausweg. Das Gericht kündigte an, nur zu solchen Prozessen Entscheidungen zu treffen, deren Akten beide Parteien ausdrücklich als vollständig und ordnungsgemäß anerkannt hatten. Dafür gab es eine vorbereitete Formulierung, die nach Möglichkeit beide Prokuratoren in der Nova-Umfrage wörtlich vortragen sollten. Das galt insbesondere bei Zitationen ad reassumendum. Wegen der mehrjährigen Unterbrechung der Audienzen waren zwischenzeitlich überdurchschnittlich viele Parteien verstorben. Die jeweiligen Rechtsnachfolger mussten also ebenfalls mit den alten Akten Vorlieb nehmen, egal auf welchen verschlungenen Wegen sie von Speyer nach Frankfurt, Wetzlar oder sonst wohin gelangt waren. Ein weiterer Bestand an Prozessakten befand sich immer noch in Straßburg, wohin die Franzosen ihn ausgelagert hatten. Erst der Friede von Rijswijk enthielt 1697 die Verpflichtung Frankreichs, die entwendeten Akten zurückzugeben. § 3 ordnete für die Schwebezeit Übergangsregeln an. Das Gericht griff hierfür auf die bei den Parteien, Advokaten und Prokuratoren vorhandenen Akten zurück. Weil üblicherweise alle wesentlichen Schriftstücke beiden Prozessparteien vorlagen, bestand auf diese Weise eine Möglichkeit, abhandengekommene Akten wiederherzustellen. Zugleich eröffneten sich Fälschungsmöglichkeiten, denn wer wollte kontrollieren, ob die nun entstehenden Abschriften fehlerfrei waren. Diese Gefahr versuchte das Kameralkollegium durch einen neu geschaffenen Eid einzudämmen. Wer künftighin verlorengegangenes Aktenmaterial gerichtlich reproduzierte, benötigte eine Spezialvollmacht seiner Partei und musste sowohl für sich selbst als für die Partei einen Expurgationseid leisten. Damit griff das Reichskammergericht den Reinigungseid auf, eines

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der ältesten Beweismittel überhaupt, das auch im gelehrten Prozess gelegentlich noch anwendbar blieb. Falls der Prozessgegner nicht bereit war, seinerseits die noch erhaltenen Schriftsätze einzureichen, sollte das Gericht ihn dazu anhalten. Doch ließen sich möglicherweise nicht alle Verluste auf diese Weise beheben. Im Einzelfall wurde es deshalb nötig, verlorengegangene Schriftsätze neu zu verfassen. Auch extrajudiziale Reskripte und Handlungen mochten nicht mehr nachvollziehbar sein. Sie waren sicherheitshalber ebenfalls neu einzuführen. Der Aktenverlust, das betonte das Kameralkollegium ganz deutlich, durfte den Parteien jedenfalls nicht zum Schaden gereichen. Deshalb untersagten die Assessoren der Leserei, wegen der notwendigen zahlreichen Abschriften zusätzliche Gebühren zu erheben. § 4 regelte ein Sonderproblem aus dem Appellationsprozess. Hier musste der Appellant eine Abschrift der untergerichtlichen Prozessakte beim Reichskammergericht reproduzieren. Auch davon gab es mehrere Exemplare für die Parteiakten beider Seiten. Das Problem lag anderswo. Zusammen mit der Akte übersandte das Untergericht nämlich auch seine Urteilsbegründung an das Obergericht. Auch dies geschah über den Umweg des appellantischen Anwalts. Um das Beratungsgeheimnis nicht zu lüften, erhielt der Appellant diese Rationes decidendi getrennt von der Prozessakte in einem verschlossenen Umschlag. Es gab auch nicht mehrere Abschriften, sondern nur eine einzige Fassung, und diese wanderte an das Reichskammergericht und gerade nicht in die Parteiakten. In den noch rechtshängigen Appellationsprozessen aus der Zeit vor 1689 fehlten deswegen alle untergerichtlichen Urteilsbegründungen, und keine Partei konnte sie selbst vorlegen. Also war es notwendig, sie vom Untergericht erneut einzuholen. Das sollte wie gewohnt die Aufgabe der Parteien sein, jetzt aber nicht zwingend des Appellanten, sondern derjenigen Seite, die am Fortgang des Verfahrens am stärksten interessiert war, die also ein Reichskammergerichtsurteil sehen wollte. Die Kosten für die Abschrift musste diese Partei zunächst vorstrecken. Bei der endgültigen Kostenentscheidung wollte das Kameralkollegium hierzu aber im Einzelfall eine Regelung treffen. § 5 ordnete eine Verfahrensvereinfachung an. Die Prokuratoren sollten bei den fortgesetzten Rechtsstreitigkeiten aus der Speyerer Zeit den Antrag auf Vervollständigung der verlorenen Akten immer mit ihrer Supplikation für eine Citatio ad reassumendum verbinden. Beides gehörte sachlich zusammen und war auch gegen denselben Empfänger gerichtet. Damit sparte das Gericht erhebliche Zeit im Extrajudizialverfahren und musste nicht die ohnehin erforderlichen Ladungen doppelt ausstellen. Sonderfallregelungen für extrajudiziale Anträge blieben vorbehalten, erstaunlicherweise für Ediktalzitationen. Dabei handelte es sich um offen angeschlagene Ladungen. Zumeist wählten frühneuzeitliche Gerichte diesen Weg nur dann, wenn der Aufenthaltsort des Geladenen unbekannt war oder man aus einem anderen Grund nicht direkt auf ihn zugreifen konnte. Wie man sich dieses Verfahren bei der Herausgabe von Prozessakten vorstellen sollte, blieb ungeklärt. § 6 traf Anordnungen für die Gebühren der Prokuratoren. In der Praxis hatte sich die Anwaltsbezahlung stark geändert, sicherlich begünstigt durch den für mehrere Jahre unterbrochenen Audienzbetrieb. Die Prokuratoren ließen sich von ihren Mandanten nämlich nicht für die einzelnen Prozesse oder für einzelne Prozesshandlungen bezahlen, sondern nahmen bereits in ihre Anwaltsverträge feste jährliche Gehälter auf. Sie verdienten also dann besonders gut, wenn sie gar keine Arbeit hatten

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wie etwa zwischen 1689 und 1693. Zusätzlich verlangten zahlreiche Prokuratoren gesondert Gebühren für ihre Sollizitationsdienste. Solche sog. Diskretionsgelder lagen nahe an Schmiergeldern. Die entgeltliche Sollizitatur durch Prokuratoren ließ sich nur schwer von Korruptionsversuchen abgrenzen. Der Skandal um Jud Löw Schuch von 1685/87 war sicherlich noch in frischer Erinnerung (dazu die Gemeinen Bescheide vom 27. Juli 1685, 2. Oktober 1685 und 7. Juli 1687; oben RKG Nr. 210-211 und 213). Deswegen untersagte es das Gericht den Prokuratoren, für Sollizitationen Geld zu verlangen. Aus demselben Grunde hatte man Palmarien verboten. Das war der frühneuzeitliche Fachbegriff für Erfolgshonorare. Dazu hatte das Reichskammergericht bereits den hier zitierten Bescheid vom 7. April 1608 erlassen (oben RKG Nr. 101). Der jetzt ergangene Gemeine Bescheid verwies ebenfalls auf die Reichskammergerichtsordnung von 1555 und das Konzept von 1613. Wie auch in anderen Gemeinen Bescheiden bezog sich das Kameralkollegium auch diesmal nicht pauschal auf das Konzept der Reichskammergerichtsordnung von 1613, sondern auf einzelne Abschnitte. Das Konzept als Ganzes galt damit wohl nicht (ähnlich der Gemeine Bescheid vom 3. September 1653; oben RKG Nr. 125). Während das Reichskammergericht die Diskretions- und Palmariengelder ausnahmslos verbot, ließ es für feste Jahresgehälter Ausnahmen zu. Sie griffen für die ständigen Prokuratoren von Reichsständen und den anderen genannten Institutionen ein. Verfassungsgeschichtlich ist diese Auflistung sehr aufschlussreich. Das Gericht trennte nämlich augenscheinlich zwischen Reichsständen und unmittelbaren Kommunen. Diese Kommunen müssen keine Reichsstädte gewesen sein. Es kann sich auch um Klöster, Orden und andere Einrichtungen gehandelt haben. Daneben standen ausdrücklich Mediatkollegien und Mediatstädte, wenn sie entsprechende Privilegien besaßen. Die Parteifähigkeit vor dem Reichskammergericht, das geht aus dieser Aufstellung deutlich hervor, hing also nicht von der Reichsstandschaft ab. Damit war nicht entschieden, ob diese Institutionen auch erstinstanzliche Prozesse führen konnten. Aber wenn sie die Möglichkeit besaßen, ständige Prokuratoren zu beschäftigen, hatte das Prozessrecht sie den Reichsständen in diesem Punkt deutlich angenähert. Der Reichskammergerichtsvisitation von 1713 ging genau diese Regelung bereits zu weit. Die Kommission untersagte es den Prokuratoren ausnahmslos, „Wart-Geld“ zu erheben. Auch von Reichsständen, „ohnmittelbaren Reichs-Communen“ sowie „fürnehmen und privilegierten Mediat-Collegiis und Ständen“ durften die Kameralanwälte solche festen Dauerzahlungen nicht mehr einfordern (Anlage A zum Visitationsdekret vom 27. November 1713, in GB 1724, S. 245, mit Verweis auf das Memorial an die Advokaten und Prokuratoren von 1713 § 16). § 7 des Gemeinen Bescheides bekämpfte die Gebührenschinderei der Kammerboten und der Kanzlei. Offenbar hatte es sich eingeschlichen, überhöhte Taxen zu fordern. Die Kanzleimitarbeiter notierten die Kosten für die Ausfertigung eines Schriftstücks auf dem Dokument selbst. Nun gab es aber findige Schreiber und andere, die hier Manipulationen vornahmen. Sie schnitten die Gebührenmitteilung ab, wenn sie sich am Seitenrand befand, und trugen stattdessen überteuerte Werte ein. Deswegen mussten fortan die Kanzleigebühren vollständig ausgeschrieben und dorthin gesetzt werden, wo sie niemand herausschneiden oder wegrasieren konnte. Auch bei den Reise- und Zustellungsgebühren der Kammerboten war Vorsicht geboten. Die Boten mussten deswegen ihre von den Parteien unterschriebenen

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Quittungen dem Botenmeister zur Prüfung vorlegen. Überhöhte Sätze sollten die Parteien erstattet bekommen. Dem Boten drohte in diesem Fall eine Bestrafung. Mit § 8, einer policeyrechtlichen Verordnung über eine allgemeine Vorzensur bei Druckwerken der Kammergerichtspersonen, wollten die Assessoren schriftliche Schmähungen vermeiden. Das bezog sich sicherlich nicht nur auf die Ehre der Parteien und Anwälte, sondern ebenfalls auf die Würde des Gerichts. Die in der Speyerer Spätzeit in einer Flugschrift verbreiteten Korruptionsvorwürfe gegen das Kameralkollegium mögen hier noch lebhaft vor Augen gestanden haben (dazu der Gemeine Bescheid vom 7. Juli 1687; oben RKG Nr. 213). Ob der Gemeine Bescheid sich auch auf das von den Parteien teilweise privat gedruckte Prozessmaterial bezog, ist unklar. Die policeyliche Gewalt über Parteien, die sich nicht am Gerichtsort aufhielten, konnte das Kammergericht kaum ausüben. In der gedruckten Kameralliteratur gaben die Autoren oder Herausgeber allerdings häufig an, dass ihre Veröffentlichung mit Privileg oder Genehmigung des Kameralkollegiums erfolgte. Schließlich wandte sich das Gericht in § 9 gegen Prozessverschleppungen durch die Anwälte. Die Wetzlarer Audienzen hatten zwar gerade an diesem Tag erst begonnen. Doch fürchtete das Kameralkollegium jetzt schon wieder die altbekannten Anträge auf Erstreckung der Appellationsfatalien oder anderer Fristen. Damit sollte es ein Ende haben. Pauschal verwies das Gericht auf die Kammergerichtsordnung, die Visitationsmemorialien, aber auch speziell auf zwei Gemeine Bescheide vom 14./24. Oktober 1651 und 10./30. Oktober 1682 (oben RKG Nr. 123 und 209). Zum Schluss warnte es vor scharfen Rezessen, also wohl überhitztem Wortwechsel zwischen den Prokuratoren. Auch Äußerungen zum Sach- und Streitstand und damit zum Inhalt der Prozesse selbst hatten zu unterbleiben. Das Kameralkollegium wiederholte hier einen der letzten Speyerer Gemeinen Bescheide (vom 30. März 1688; oben RKG Nr. 216). So undiszipliniert, wie die Speyerer Audienzen angeblich zu Ende gegangen waren, sollten sie in Wetzlar nicht gleich wieder anfangen.

RKG Nr. 234 1695 April 17 Transportatio et inspectio actorum salvatorum ad concurrendum pro rata sumtuum notificatur.1 Demnach diß Kayserliche Cammergericht auf Veranlassung verschiedener Churfürsten und Ständen nunmehro entschlossen, die hiebevor von Speyer nach Franckfurt geführte, mit alten Generalacten angefüllte Stübig eröffnen und daraus einige verlangte Convoluten zu ordnungsmäßiger Inspection durch einen sicheren hiezu 1

Transportatio ... notificatur auch in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; dagegen nicht in GB 1695; GB 1696; GB 1707.

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Deputirenden herausnehmen und anhero bringen zu lassen, als werden sämbtliche Advocaten und Procuratoren dessen zu dem End hiemit benachrichtiget, damit sie ein solches ihren Partheyen notificiren, und sofern ein- oder der ander zu ermeldter Inspection gleichfalls Acta verlangen solte, alsdann solches innerhalb 6 Wochen anzeigen und sich zugleich wegen Beytragung nöthiger Spesen pro Rata gebührend erklären mögen. In Consilio pleno, den 17. Aprilis 1695. Jacobus Michael1, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria2. Vorlage CJC 1724, S. 945 Nr. CCCCLXXXVII. Weitere Ausgaben: GB 1695, S. 188 (letzter Bescheid der Sammlung); GB 1696, S. 188 (letzter Bescheid der Sammlung); GB 1707, S. 188-189; GB 1710, S. 197 Nr. CXCVIII; GB 1714, S. 126 Nr. CCXXX; CJC 1717, S. 126 Nr. CCXXX; GB 1717, S. 126 Nr. CCXXX; GB 1724, S. 197 Nr. CXCVIII. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die von Speyer nach Frankfurt überführten Altakten des Reichskammergerichts (dazu auch Gemeiner Bescheid vom 15./25. Mai 1693 § 2, oben RKG Nr. 233). Sie lagerten inzwischen seit einigen Jahren immer noch in „Stübig“, also in Kisten oder Fässern. Ob und wie sie geordnet waren, scheint unklar gewesen zu sein. Jedenfalls benötigte man einige Generalakten. Deswegen sollte ein Abgesandter nach Frankfurt reisen und dort die benötigten Dokumente suchen. In Wetzlar wollte man sie dann näher inspizieren. Die Advokaten und Prokuratoren erhielten nun die Möglichkeit, nach Rücksprache mit ihren Mandanten ebenfalls die Überführung einzelner Akten nach Wetzlar zu beantragen.

RKG Nr. 235 1696 Juli 7 Advocati et procuratores partes pauperas a causis suis iniustis serio dehortentur.3 In Sachen M. Str. Paup. wider die zur G. L. Cantzley zu D. verordnete Directorn und Räthe usw. ist allem Vorbringen nach zu Recht erkant, daß usw.4 Dann sollen hinführo dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocati und Procuratores die ihnen künfftig zu bedienen zugeordnete arme Partheyen nach eingenommener gnugsamer Information ihrer Sachen und Befindung der nicht rechtmäßig gegründeten Action von allen freventlichen und muthwilligen, sowohl dem Gericht als der Cantzley zu 1 2 3 4

GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël. Manu propria fehlt in GB 1695; GB 1696; GB 1707; GB 1710. Advocati ... dehortentur auch in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; dagegen nicht in GB 1707. In Sachen … usw. fehlt in GB 1707.

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mercklichen Verhinderungen gereichenden Klagen und Appellationen gebührend abmahnen und selbige wegen Fortsetzung ihrer widerrechtlichen und unbegründeten1 Sachen2 der in der Kayserlichen Camergerichtsordnung angesetzten scharffen Bestraffung ernstlich verwarnen3 und daß es geschehen, bey diesem Kayserlichen Cammergericht in Zeiten anzeigen. Vitus Stephanus Hartmann, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae4 Protonotarius manu propria5. Vorlage: CJC 1724, S. 945 Nr. CCCCLXXXVIII. Weitere Ausgaben: GB 1707, S. 189; GB 1710, S. 198 Nr. CXCIX; GB 1714, S. 126 Nr. CCXXXI; CJC 1717, S. 126 Nr. CCXXXI; GB 1717, S. 126 Nr. CCXXXI; GB 1724, S. 198 Nr. CXCIX. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die anwaltliche Vertretung armer Parteien. Es handelt sich um einen der inzwischen sehr selten gewordenen Gemeinen Bescheide, die mit einem Gerichtsurteil verbunden waren. In der Frühzeit des Reichskammergerichts war es weithin üblich gewesen, Zwischenurteile und Gemeine Bescheide gleichzeitig zu verkünden. Das hatte sich seither deutlich geändert. Nun aber gab es wieder einen Einzelfall, der zu einer generellen Anordnung führte. Es ging um die Klage einer armen Partei gegen eine reichsständische Regierungskanzlei. Die Abkürzungen lassen sich unschwer entschlüsseln. Die Klägerin war Margaretha Strots, arme Partei. Sie führte seit 1693 in Wetzlar einen Rechtsstreit gegen die gräflich lippische Kanzlei zu Detmold. Vor dem Detmolder Konsistorium hatte sie einen Scheidungsprozess um Trennung von Tisch und Bett betrieben. Ihr Mann, der sie angeblich misshandelt hatte, beging während dieses Verfahrens Selbstmord. Wegen Unterhalts- und Erbansprüchen verlangte Margaretha Strots vor dem Reichskammergericht die Herausgabe der Konsistorialakte im Rahmen eines Kompulsorialverfahrens. Die lippische Kanzlei bestritt dagegen die Zulässigkeit der Wetzlarer Klage (Einzelheiten bei Margarethe Bruckhaus/Wolfgang Bender (Bearb.), Inventar der lippischen Reichskammergerichtsakten. Teil 2: Buchstabe M-Z (Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes NordrheinWestfalen. Reihe A: Inventare staatlicher Archive. Das Staatsarchiv Detmold und seine Bestände 2/Inventar der Akten des Reichskammergerichts 24), Detmold 1997, lfd. Nr. 745, S. 896897). Offenbar hatte sich das Kameralkollegium davon überzeugen lassen, wie unbegründet die Klage gewesen war. Der Gemeine Bescheid verlangte deswegen von allen Prokuratoren, die ihnen durch das Armenrecht zugeordneten armen Parteien auf offensichtlich unbegründete Klagen hinzuweisen. Vermutlich hatten sich diese Parteien bereit erklärt, auch ganz hoffnungslose Versuche zu starten, weil sie ja kein Kostenrisiko trugen. Selbst wenn ein Prokurator sich dafür nicht zur Verfügung stellte, konnte die arme Partei notfalls auch ohne Prokurator ihre Sache betreiben. Das 1 2 3 4 5

GB 1707; GB 1710; GB 1724 widerrechtlicher und unbegründeter. GB 1707 Sache. GB 1707 vorwarnen. GB 1710; GB 1724 Judicii Camerae Imperialis. Manu propria fehlt in GB 1710; GB 1724.

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setzte der Gemeine Bescheid stillschweigend voraus, und förmlicher Anwaltszwang bestand bekanntlich nicht. Denn die Prokuratoren mussten dem Kameralkollegium mitteilen, wenn sie ihre Mandanten vor leichtsinnigen Schritten gewarnt hatten, diese dann aber doch tätig geworden waren. Das sah man in diesem Fall als frevelhafte und mutwillige Prozessführung an. Dies war die deutsche Umschreibung für die gemeinrechtlichen Kalumnien. Deswegen sollte solche Parteien dieselbe Strafe wie Kalumnianten treffen. Gerade wenn der Prokurator sie gewarnt hatte, konnten sie nicht mehr an ihre eigene gute Sache glauben und galten daher als bösgläubige Parteien. Möglicherweise waren arme Parteien bei den Prokuratoren und dem Kameralkollegium ganz allgemein unbeliebt. Der scharfe Tonfall des Gemeinen Bescheids spricht dafür.

RKG Nr. 236 1697 März 18 In implorationibus pro mandatis ad exequendum executores specifice denominantor et in supplicis pro aliis processibus prae- et cognomina partium agentium et rearum exprimuntor.1 Demnach man von einiger Zeit hero wargenommen, daß dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren bey ihrem in denen daselbst abgeurtheilten Proceßsachen gerichtlichem Anruffen um Erkennung der Mandatorum de Exequendo diejenige, welchen die Execution aufzutragen, nicht specifice benennen, sondern sothanes ihr Petitum nur generaliter einrichten, auch sonsten in ihren pro Processibus decernendis exhibirenden Supplicationibus die Vornahmen der Partheyen gemeiniglich nicht exprimiren und dardurch sowohl bey Erkenn- und Außfertigung dergleichen Executionsmandaten als anderer Processen zu nicht geringer Confusion und Verstoß Anlaß geben, als wird ihnen, Procuratoren, hiemit alles Ernstes anbefohlen, daß sie inskünfftig nicht allein bey ihrem gerichtlichen Anruffen pro Mandatis de Exequendo diejenige creyßaußschreibende Fürsten, unter welchen die Bona exequenda gelegen, oder auch andere, denen dergleichen Execution vorzunehmen gebührt, außtrücklich benennen, sondern auch in ihren pro Processibus überreichenden Supplicationen die Vor- und Zunahmen aller dabey interessirten, klagenden und beklagten Partheyen exprimiren sollen mit der außtrücklichen Verwarnung, daß in Unterlassung dessen sie respective in ihren gerichtlichen Anru

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In ... exprimuntor ebenfalls in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; dagegen nicht in GB 1707.

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RKG Nr. 236 1697 März 18

ffen ehender nicht gehört noch denenselben die supplicirende Proceß erkennt noch expedirt werden sollen. Vitus Stephanus Hartmann, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria1. Vorlage: CJC 1724, S. 945-946 Nr. CCCCLXXXIX. Weitere Ausgaben: GB 1707, S. 189-190; GB 1710, S. 198-199 Nr. CC; GB 1714, S. 126-127 Nr. CCXXXII; CJC 1717, S. 126-127 Nr. CCXXXII; GB 1717, S. 126127 Nr. CCXXXII; GB 1724, S. 198-199 Nr. CC. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid verlangt vollständige Personenangaben in anwaltlichen Anträgen. Das ist zugleich die Klammer zwischen den beiden sonst unverbundenen Regelungsgegenständen. Zum einen ging es um Vollstreckungsfragen. Bei der Zwangsvollstreckung in Grundstücke oder bewegliche Sachen richteten sich die Zuständigkeiten danach, wo sich die Güter des Schuldners befanden. Das Gericht konnte so etwas von sich aus nicht wissen, gerade wenn es sich um Parteien handelte, deren Vermögen an verschiedenen Orten lag. Deswegen stand nicht fest, welcher Reichskreis für die Urteilsvollstreckung zuständig war. Derjenige Prokurator, der ein Exekutionsmandat beantragte, musste also angeben, um welchen Reichskreis es sich handelte. Zudem verlangte das Kameralkollegium, in solchen Mandatssupplikationen den Empfänger persönlich anzugeben. Der Anwalt musste also die jeweiligen kreisausschreibenden Fürsten namentlich nennen. Das Gericht hätte diese Angaben notfalls selbst ergänzen können. So unübersichtlich, dass dies unmöglich gewesen wäre, waren die Reichskreise wohl nicht organisiert, selbst wenn es teilweise schwierige Präzedenzfälle gab. Aber die ausschreibenden Fürsten, wenn sie als Exekutoren erst einmal ein Mandat empfangen hatten, gerieten mehr oder weniger in die Rolle eines Prozessbeteiligten. Und für die genaue Bezeichnung der Beteiligten waren die Parteien und ihre Anwälte verantwortlich (dazu bereits die Gemeinen Bescheid vom 27. November 1539 §§ 3, 7, 22. Januar 1556 und 2. April 1574; oben RKG Nr. 38, 50 und 71). Genau diese Vorgabe leitete zum zweiten Gesichtspunkt über. Die Kläger mussten bei ihren gerichtlichen Anträgen zudem die vollständigen Vor- und Nachnamen sämtlicher Streitgenossen auf Kläger- und Beklagtenseite angeben. Aus der Speyerer Zeit sind zahlreiche Mandate und Zitationen erhalten, in denen das Kammergericht sehr ungenaue Angaben der Parteien übernommen hatte und etwa einen N. N. Richter oder N. N. Amtmann als Beklagten akzeptierte. Damit sollte jetzt Schluss sein. Die angedrohte Sanktion war einfach. Künftig wollte das Gericht nur noch solche Anträge bearbeiten, die vollständige Personennamen enthielten. Damit erkannte das Kameralkollegium die weitgehende Parteiherrschaft ausdrücklich an. Für die Parteien folgten daraus zahlreiche Obliegenheiten, deren Verletzung erhebliche Rechtsnachteile nach sich ziehen konnte.

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Manu propria fehlt in GB 1710; GB 1724.

RKG Nr. 237 1697 Dezember 13

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RKG Nr. 237 1697 Dezember 13 Observatio § 2 Decreti 13. Decembris 1659 publicati severius iniungitur.1 Demnach man zum öfftern wargenommen, daß, obwohlen vermög des den 13. Decembris Anno 1659 § 2 publicirten Gemeinen Bescheids heilsamlich verordnet und statuirt worden, daß dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren und zwar sub praeiudicio Circumductionis Termini et respective Absolutionis a Citatione in denen Sachen, die durch sie außgebracht werden, ihre Vollmachten jedesmahl in Originali oder signirten Copiis, wie sichs gebühret, gleich in primo Reproductionis Termino würcklich einbringen sollen, sie aber solchem und deme, was in gemeldtem Gemeinen Bescheid dabey ferner enthalten, biß anhero nicht allerdings nachkommen, als wird solchem Bescheid hiemit inhaerirt und ermeldte Procuratoren, daß sie demselben bey Vermeidung deren darin comminirten Praejudicien (auff welche künfftighin in iudicando festiglich gehalten werden soll) gebührend nachleben, nochmahlen alles Ernstes angewiesen. Vitus Stephanus Hartmann, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria2. Vorlage: CJC 1724, S. 946 Nr. CCCCXC. Weitere Ausgaben: GB 1707, S. 190-191; GB 1710, S. 199-200 Nr. CCI; GB 1714, S. 127 Nr. CCXXXIII; CJC 1717, S. 127 Nr. CCXXXIII; GB 1717, S. 127 Nr. CCXXXIII; GB 1724, S. 199-200 Nr. CCI. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid wiederholt Anweisungen zur Legitimation der Advokaten und Prokuratoren. Ausdrücklich beruft sich der Erlass auf den Bescheid vom 13. Dezember 1659 (oben RKG Nr. 144). Damit stand das Reichskammergericht auch in Wetzlar noch zu der 1659 verwirklichten Audienzreform. Ob die Unterbrechung der Audienzen von 1688/89 bis 1693 noch im Hintergrund der Vollmachtsprobleme stand, bleibt unklar.

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Observatio ... iniungitur auch in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; dagegen nicht in GB 1707. Manu propria fehlt in GB 1710; GB 1724.

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RKG Nr. 238 1699 Dezember 4

RKG Nr. 238 1699 Dezember 4 Inventarium legale super bonis liberorum prioris matrimonii ad consilium tutelare fideliter exhibeatur1. Demnach ein Hochlöbliches Collegium Camerale die Nachricht erlangt, daß einige Zeithero verschiedene dieses Cammergerichts angehörige Persohnen zur zweyten Ehe geschritten, ohne sowohl denen allgemeinen Rechten als auch der Cammergerichtsordnung und Gemeinen Bescheiden gemäß über ihrer Kinder prioris Matrimonii Vermögen ein ordentlich Inventarium auffzurichten und solches einem Hochlöblichen Tutelarrath gebührend einzulieffern. Als wird denenselben hiemit alles Enstes anbefohlen, daß sie sogleich ihrer vorigen Ehe Kinder gantzes Vermögen bey ihrem dem Kayserlichen Cammergericht geleisten Eyd ordentlich inventiren und das darüber verfertigte Inventarium mehrhochgedachtem Tutelarrath fördersamst überreichen sollen. In Senatu Tutelari, den 4. Decembris 1699. Wolfgang Ignatius Fries, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius. Vorlage: CJC 1724, S. 946 Nr. CCCCXCI. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 127-128 Nr. CCXXXIV; CJC 1717, S. 127-128 Nr. CCXXXIV; GB 1717, S. 127-128 Nr. CCXXXIV; GB 1724, S. 236 Nr. CCXXXV; fehlt in GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt familienrechtliche Fragen. Er steht in der Linie häufiger vormundschaftlicher Anordnungen aus der Speyerer Zeit (z. B. Gemeine Bescheide vom 26. März 1658, 22. Februar 1659, 17. November 1659, 22. Januar 1664, 1. November 1668, 5. Januar 1670, oben RKG Nr. 135, 139, 142, 162, 176 und 181). Die Problemlage hatte sich aber etwas verschoben. In den älteren Bescheiden ging es um unmündige Kinder, die keinen Vormund hatten, später dann um die ordnungsgemäße Erstellung von Vermögensübersichten und Rechnungslegung. Nunmehr hatte der Vormundschaftssenat des Reichskammergerichts, der sog. Tutelarrat, sich mit der Abschichtung oder Abteilung von Kindern zu befassen. Es handelte sich um ein weit verbreitetes frühneuzeitliches Rechtsproblem. Viele Eheleute starben früh, Mütter oftmals im Kindbett. Die verwitweten Gatten suchten sich nach dem Trauerjahr neue Ehepartner und heirateten abermals. Für die Arbeit im Haushalt und die gegenseitige wirtschaftliche Absicherung war das notwendig. Aber häufig lebten zum Zeitpunkt der zweiten Heirat noch minderjährige Kinder im Haushalt. Hier bestand die Möglichkeit, eine Art vorgezogene Erbfolge durchzuführen. Die Kinder erhielten vom überlebenden Elternteil ihre Erbschaft ausgezahlt und schieden damit 1

Inventarium … exhibeatur auch in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

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vermögensrechtlich aus der Familie aus. Gab es dann in der neu geschlossenen Ehe noch weiteren Nachwuchs, bestanden zwischen den Kindern erster und zweiter Ehe keine wirtschaftlichen Beziehungen. Auf diese Weise vermied man Streit. Wie das entsprechende Verfahren bei den Kammergerichtsangehörigen aussah, ließ der Gemeine Bescheid offen. Wenn allerdings vor der zweiten Heirat ein Vermögensinventar zu erstellen war, schieden die bereits vorhandenen Kinder wohl ebenfalls rechtlich aus der neuen Familie aus.

RKG Nr. 239 1700 Januar 17 Decretum vom 17. Januarii 1700, die denen Procuratorn andictirte Straffen zuerlegen betreffend1. Eß wird hiemit dieseß Kayserlichen Cammergerichts Pedellen ernstlich ahnbefohlen, daß sie die den Procuratoren vor und nach allhier andictirte sowohl kleine alß große Straffen in der Armensäckel sobalden einfordern und gegen die säumige, welche auff ihre fürgewendte Supplicationes nicht sogleich ein Remissions- oder Moderationsdecret werden vorzeigen können, die würckliche Execution mit Zuziehung zweyer Cammerbotten, welche der Cantzeyverwalter deßhalben zu verordnen, vornehmen sollen: Dann wird auch zugleich der Kayserliche Fiscal wegen Eintreibung derjenigen Strafen, welche bißhero fremden allhier nicht gesessenen Advocaten in der Armen Säckel seind ahndictirt worden, auff der Pedellen übergebene Designation seines Ambts hiemit erinnert. In Consilio2, 17. Januarii 17003. Johannes Jacobus Michael, Notarius Camerae manu propriae. Vorlage: BA Slg. 1693-1787 ohne Nr. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt Strafforderungen des Kameralkollegiums gegen einzelne Advokaten und Prokuratoren. Er ist nur handschriftlich im untrennbaren Bestand des Bundesarchivs überliefert und fehlt in den gedruckten Sammlungen. Inhaltlich ging es um zwei Punkte. Zunächst erläuterte das Kameralkollegium die Aufgabe des Pedellen. Er sollte die Strafen, die das Gericht gegen einzelne Prokuratoren verhängt hatte, eintreiben. Wer sich nicht ordnungsgemäß entschuldigen konnte, hatte Vollstreckungsmaßnahmen zu befürchten. Wenn der Pedell ohne weiteres zwei Kammerboten hinzuziehen konnte und einfach zur Zwangsvollstreckung 1 2 3

Dorsalvermerk in der Vorlage. Gestrichen in Vorlage Pleno. In der Vorlage aus 1600 verbessert.

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schreiten durfte, legte das Kameralkollegium hier eine Schärfe an den Tag, die in anderen Bescheiden fehlte (vgl. zu den Strafzahlungen der Prokuratoren die Gemeinen Bescheide vom 6. November 1655, 2./12. Mai 1658, 24. März 1659, 1. Dezember 1659, 21. Mai 1660, 17. August 1661, 10. Oktober 1670 und 12. März 1680; oben RKG Nr. 128, 136, 140, 143, 149, 154, 182 und 203). Falls dies den Grund dafür bildete, den Gemeinen Bescheid nicht in die zeitgenössischen Druckwerke aufzunehmen, läge hier zugleich ein wichtiger Hinweis auf die Wertschätzung des Kameralkollegiums durch die seinerzeitigen Herausgeber. Wenn es für die Prokuratoren wirklich brenzlig wurde, könnten sie die Druckfassungen stillschweigend geschönt haben. Da die Motive der Beteiligten im Unklaren bleiben, sind nähere Aufschlüsse nicht möglich. Die zweite Regelung des Gemeinen Bescheides fällt aus dem Rahmen. Es ging nicht um Strafen des Gerichts gegenüber ortsansässigen Anwälten, sondern gegenüber fremden Advokaten. In den Winkeln des Reiches gesessen, bereiteten diese Anwälte die Schriftsätze vor. Die Prokuratoren gaben sie nur noch zu den Akten, zumeist unverändert und lediglich unterschrieben. Ordnungsverstöße in den Schriftsätzen fielen deswegen nicht nur den Prokuratoren zur Last, die solche Schreiben in den Audienzen überreichten. Das Kameralkollegium blieb ehrlich genug, die geistige Urheberschaft der Advokaten anzuerkennen. Deswegen waren die Schriftsatzverfasser gegenüber dem Reichskammergericht ebenfalls bußpflichtig.

RKG Nr. 240 1702 Januar 29 [Gemeiner Bescheid, die Eintreibung der Strafen betreffend, publicatum den 29. Januarii 1702.]1 Exsolutio mulctarum residuarum procuratoribus per interdictionem omnimodam audientiae iudicialis imponitur2. Demnach einige dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratoren denen zu ihnen gestern um Eintreibung der Straffen zugeschickten Cammerbotten nicht allein davon fast nichts erlegt, sondern auch denselben mit allerhand spöttlichen und zum höchsten Despect des Collegii gereichenden Discursen und Entschuldigungen begegnet, als ist hiemit der Befehl, daß diejenige, bey welchen solche Straffen noch außstehen, so lang sich der Judicialaudientzien müßigen, auch keinem andern die

1 2

Gemeiner ... 1702 in BA Slg. 1693-1787; ebenso Selchow 1782 mit Publikationsdatum vor dem Betreff. Exsolutio ... imponitur fehlt in BA Slg. 1693-1787; aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724.

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Recess übertragen oder solche von denenselben angenommen werden sollen, biß sie die Straff würcklich erlegt haben werden. In Consilio pleno, 29. Januarii 17021. Vorlage: CJC 1724, S. 946 Nr. CCCCXCII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. (aber hinten eingeordnet); GB 1714, S. 128 Nr. CCXXXV; CJC 1717, S. 128 Nr. CCXXXV; GB 1717, S. 128 Nr. CCXXXV; GB 1724, S. 237 Nr. CCXXXVI; Balemann 1779, S. 197 (erster Bescheid der Sammlung); Selchow, Concepte I 1782, S. 1045; fehlt in GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die gegenüber Prokuratoren verhängten Geldstrafen. Schon in der Speyerer Zeit hatte es erhebliche Probleme gegeben, Ordnungsbußen und andere Gelder einzutreiben. Eine Vielzahl Gemeiner Bescheide singt davon ein Lied (z. B. vom 6. November 1655, 2./12. Mai 1658, 24. März 1659, 1. Dezember 1659, 21. Mai 1660, 17. August 1661, 10. Oktober 1670, 12. März 1680 und 17. Januar 1700; oben RKG Nr. 128, 136, 140, 143, 149, 154, 182, 203 und 239). Damals hatte die Zuständigkeit zur Eintreibung der Summen beim Pedellen gelegen. Er sollte die Anwälte einmal wöchentlich mahnen, zeitweise wohl am Sonnabend kurz vor oder nach der damals noch gebräuchlichen Vormittagsaudienz. Jetzt benutzte das Gericht in Wetzlar ein etwas geändertes Verfahren. Die Eintreibung ausstehender Ordnungsgelder oblag nunmehr dem Kammerboten. Er hatte einen Tag zuvor mehrere Prokuratoren aufgesucht, war aber bei ihnen abgeblitzt. Anstatt die fälligen Summen zu zahlen, hatten die Anwälte ihn verspottet und damit zugleich die Gerichtsehre verletzt. Auch die an den Haaren herbeigezogenen Ausreden, mit denen die Schuldner ihre Säumnis bemäntelten, ließ das Kameralkollegium nicht gelten. Die Sanktion war eine völlig andere als in der Speyerer Zeit. Das Gericht verhängte eine vorläufige Suspendierung von allen judizialen Audienzen, bis die Schulden vollständig abgetragen waren. Auf den ersten Blick wirkt das unfreiwillig komisch. Zahlreiche Bescheide der Speyerer Zeit klagten ja gerade über den schlechten Audienzbesuch. Viele Prokuratoren blieben unentschuldigt zu Hause und hatten überhaupt kein Interesse, ihre Anwesenheitspflicht mehrmals wöchentlich zu erfüllen. Wenn das Gericht sie nun von den Audienzen ausschloss, waren sie vielleicht eher dankbar und empfanden das überhaupt nicht als Strafe. Der bloße Ortswechsel nach Wetzlar und die 1693 neu begonnenen Audienzen werden daran kaum etwas geändert haben. Viel gravierender als die Aussperrung war demgegenüber wohl das gleichzeitige Vertretungsverbot. Die suspendierten Prokuratoren durften keinen ihrer Kollegen beauftragen, für sie Schriftsätze einzureichen oder anzunehmen, Rezesse zu halten oder zu akzeptieren. Damit war keine Prokuratorentätigkeit mehr möglich. Vermeidbare Prozessverzögerungen, in diesem Fall ohne Zustimmung der Parteien, folgten. Auch konnte der Prokurator von seinen Mandanten keine zusätzlichen Gebühren verlangen, wenn er keine weiteren Prozesshandlungen mehr vornehmen durfte. Der indirekte Druck, den das Gericht mit der Suspendierung verfolgte, dürfte erheblich wirkungsvoller gewesen sein als eine lediglich erhöhte, aber nicht vollstreckte Strafdrohung. Dafür 1

In ... 1702 fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782.

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sprechen nicht zuletzt die Gemeinen Bescheide des 18. Jahrhunderts: Das vormals ständig wiederholte Thema hatte sich endgültig erledigt. Der Gemeine Bescheid vom 29. Januar 1702 zeitigte damit augenscheinlich den erhofften Erfolg. Balemann 1779 merkte an: „Uebrigens ist der Gem[eine] Besch[eid] vom 29. Jan[uar] 1702 schon durch den J[üngsten] V[isitations] A[bschied] genehmiget worden.“

RKG Nr. 241 1702 Oktober 2 [Wiederholter Gemeiner Bescheidt den 2. Octobris 1702, die Copisten betreffend1.] [Gemeiner Bescheid vom 2. Octobris 1702, die durch die Copisten zu fertigenden Abschrifften betreffend2.] Copia3 actorum et productorum iudicialium e cancellaria Camerae redimuntor4. Demnach bey dem5 hochlöblichen [Kayserlichen]6 Cammergericht vorgekommen, daß nun eine Zeithero der Cammergerichtsordnung und vorherigen Gemeinen Bescheiden zuwider keine Acta oder andere gerichtliche Producta und Beylagen mehr auff der Cantzley, sondern von denen Procuratoren und Sollicitanten zu Hauß selbsten copirt und ihren Partheyen gleichwohl angerechnet, die Copeygelder der Cantzley also7 [gleichfalls]8 entzogen und die Copisten dergestalten vergeblich unterhalten werden, als sollen bey Straff einer Marck Silbers, soofft diesem Decret contravenirt wird, künfftig weder aus9 der Cantzley noch10 Leserey einige Acta, Producta und11 Beylagen denen Procuratoribus12, Sollicitanten oder Partheyen nicht mehr ad describendum außgefolgt, sondern auff die Cantzley gegeben und daselbst von denen darzu bestellten geschwornen Copisten abgeschrieben und wann vielleicht ante Judicialem Productionem die Procuratores solche selbsten zu Abbruch 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Wiederholter ... betreffend Dorsalvermerk in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.). Gemeiner ... betreffend Überschrift in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.); ebenso Balemann 1779; Selchow 1782 (ohne vom). GB 117; GB 1724 Copiae. Copia ... redimuntor fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) beym. Kayserlichen in BA Slg. 1693-1787 (2. und 3. Ex.); GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; Balemann 1779. Fehlt in Balemann 1779; Selchow 1782. Gleichfalls in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.). BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) ab. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) oder. Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) Procuratorn.

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der Cantzley copirt, die Gebühr davon einen Weg als den andern gefordert, abgetragen und vorhero keine dergleichen Producta ad Registraturam Actorum gebracht noch daselbst angenommen werden. In Consilio pleno1, den 2. Octobris 1702. Johannes Jacobus Michael2, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius3 manu propria4. Vorlage: CJC 1724, S. 946-947 Nr. CCCCXCIII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 (drei Exemplare, 2. Ausfertigung mit lfd. Nr. 2, 3. Ausfertigung „Copia“); GB 1714, S. 128 Nr. CCXXXVI; CJC 1717, S. 128 Nr. CCXXXVI; GB 1717, S. 128 Nr. CCXXXVI; GB 1724, S. 237-238 Nr. CCXXXVII; Balemann 1779, S. 198; Selchow, Concepte I 1782, S. 1046; fehlt in GB 1707; GB 1710. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt das Verfahren bei der Herstellung von Kopien. Im Hintergrund standen unverhohlen finanzielle Überlegungen. Das Reichskammergericht unterhielt eine eigene Kanzlei. Dort waren geschworene Kopisten beschäftigt, deren Gehälter vom Gericht zu zahlen waren. Für die einzelnen Schreibarbeiten erhob die Kanzlei gegenüber den Prokuratoren Kanzleigebühren. Die Prokuratoren ihrerseits leiteten diese Gebühren an ihre Mandanten weiter. Offenbar, so klagte jedenfalls das Kameralkollegium, waren zahlreiche Prokuratoren inzwischen dazu übergegangen, die von ihnen benötigten Kopien von ihren eigenen Schreibkräften anfertigen zu lassen. Gegenüber den Parteien berechneten die Prokuratoren aber dennoch die Kanzleigebühren, obwohl lediglich der Lohn für den eigenen Schreiber angefallen war. Die Partei hatte also keinen Schaden, der Prokurator Gewinn und das Gericht beschäftigungslose Kopisten, die Geld kosteten, ohne zu arbeiten. Hiergegen richtete sich der Gemeine Bescheid. Er verfolgte eine doppelte Stoßrichtung. Zum einen durfte die Kanzlei weder den Prokuratoren noch Sollizitatoren oder Parteien Schriftstücke aushändigen, um sie von ihnen vervielfältigen zu lassen. Das war strafbewehrt. Zum anderen mussten die Prokuratoren sämtliche Schriftsätze und anderes bei der Kanzlei kopieren lassen. Hier beließ es das Gericht nicht bei einer bloßen Strafdrohung, sondern ging viel geschickter vor. In jedem Fall nämlich mussten die Prokuratoren die fälligen Kanzleigebühren bezahlen, auch wenn sie ihre Kopien selbst erstellt hatten. Damit gab es keinen wirtschaftlichen Anreiz mehr, künftig an der Kanzlei vorbei zu arbeiten. Auch die voraussehbare Unlust zu zahlen hatte das Gericht bereits bedacht. Es wollte nämlich nur noch dann Schriftsätze annehmen und registrieren, wenn zuvor die Kanzleigebühren beglichen waren. Das Verfahren verlief ganz ähnlich wie bei den fälligen Ordnungsgeldern (Gemeiner Bescheid vom 29. Januar 1702; oben RKG Nr. 240) oder bei den vollständigen Benennungen der Parteien und Exekutoren (Gemeiner Bescheid vom 18. März 1697; oben RKG Nr. 236). Das Gericht hatte offenbar gespürt, wie wenig bloße Geld1 2 3 4

Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.). GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël; Selchow 1782 Jo. Jac. Michaëel. Selchow 1782 J. I. C. P. Johannes ... propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); manu propria fehlt in Selchow 1782.

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strafen bewirkten, die man zwar ankündigen, aber nur schwer vollstrecken konnte. Deswegen machte das Kameralkollegium eine Art Zurückbehaltungsrecht Zug um Zug geltend. Die jeweiligen Anwaltspflichten mutierten auf diese Weise zu einer Vorleistung, im Ergebnis geradezu zu einer Zulässigkeitsvoraussetzung für die jeweiligen Handlungen des Gerichts. Anwaltliche Anträge hatten nur noch dann irgendwelche Wirkungen, wenn die Anwälte zuvor ihre gerichtlichen Verpflichtungen erfüllt hatten. Ohne mit zahnlosen Vollstreckungsandrohungen stecken zu bleiben, schuf das Gericht auf diese Weise viel wirkungsvollere Anreize für die Anwälte, mit dem Kameralkollegium besser als früher zusammenzuarbeiten. Balemann 1779 (Anm. *) wies darauf hin: „Der Gem[eine] Besch[eid] vom 2. Oct. 1702 hatte viele Anfechtungen, wegen seiner ursprünglichen Veranlassung und vorgerückter nebenabsichtlicher Verfassung. Indeß steht er nicht in der Liste der von der Visitation von 1707 abgeschaften Gemeinen Bescheide.“ Die Anordnung blieb damit also in Kraft.

RKG Nr. 242 1703 Januar 17 Decretum Camerale die Pasquillen betreffend1 Demnach bey diesem Kayserlichen und des Heyligen Reichs Cammergericht man in einer Inquisition- und Untersuchung deren in hiesiger Statt Wezlar einige Zeit hero divulgirter höchst injuriosen Pasquillen und Schmäheschriften begriffen und dabey die Nachricht erlangt, das einige von denen Cantzley- und Lesereypersohnen, auch Cammerbotten dergleichen gehabt, gelesen und theils anderstwohin verschickt haben sollen, alß würd auß hochgedachten Kayserlichen Cammergerichts Collegii Specialbefelch denen gesambten Cantzley-, Leserey-Personen und Cammerbotten hiemit bedeutet und anbefohlen daß dieselbe, welche von solchen Pasquillen einen oder mehr einige Wissenschaft haben, dieselbe gelesen, gehört oder auch verschickt, bey ihren obhabenden Pflichten innerhalb 24 Stunden davon bey dem Praesidio die schuldige und umbstandige Anzeigung, woher er dieselbe bekommen, wie sie gelautet undt wo er damit hinkommen, thun sollen mit der ernstlich Verwahrung, daß wofern ein oder ander dasalbe verschweigen und dessen hernechst convinirt, der oder dieselbe cum infamia ab officio removirt werden solle. Publicatum in Cancellaria per Protonotarium Michael Seniorem1 Mercurii, 17. Januarii 1703. Dieses Decret ist eodem dato mutandis mutatis in der Audienz publicirt worden. 1

Dorsalvermerk der Vorlage.

RKG Nr. 243 1703 November 28

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Vorlage: BA Slg. 1693-1787. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ist in den gedruckten Sammlungen nicht enthalten. Es geht um Schmähschriften, frühneuzeitlich Pasquille genannt. Offenbar kursierten solche Druckwerke auch unter den Mitgliedern des Reichskammergerichts. Vermutlich ging es um Beleidigungen des Gerichts oder seiner Richterschaft. Das Kameralkollegium legte eine streng bemessene Meldepflicht von nur einem Tag fest, um sich auf die neue Sachlage einzustellen. Wenn ein Kanzlei- oder Lesereimitarbeiter oder ein Kammerbote dagegen verstieß, drohte ihm die sofortige unehrenhafte Entlassung aus seinem Amt. Um welche Art von Schmähschriften es sich genau handelte, sagte der Gemeine Bescheid nicht.

RKG Nr. 243 1703 November 28 Monitorium ad exsolvendam residuam sustentationem Camerae.2 [Gemeiner Bescheid vom 28. Novembris 1703, Erinnerung die Zahlung der Kammerzieler betreffend.]3 Demnach einem hochlöblichen Collegio dieses Kayserlichen [und des Heyligen Reichs]4 Cammergerichts von dem Kayserlichen Fiscal behörige Anzeig beschehen, daß, indeme jetziger Zeit zu dem Cammergerichtlichen Unterhalt fast nichts eingehe, die hohe Nothdurfft um so mehr erfordere, daß denen Visitationsabschied[en]5 und Memorialien de Annis 1557 und 1586 wie auch Gemeinen Bescheiden vom 2. Januarii 1656, (6.) 16.6 Februarii 1657, 28. Junii 1661, 5. Julii 16647, 7. Julii 1665 und 6. Julii 1677 von denen sämbtlichen Procuratoren gebührend werde nachgelebet, und dann solches ihnen ohnedem ambts- und pflichtenhalber oblieget, auch allerdings ohnverantwortlich seyn würde, wann dergleichen heilsame Verordnungen gäntzlich ausser Acht solten gelassen bleiben, mithin dieses Kayserliche Cammergericht bey ferneren Ermanglung der Unterhaltsmittel in gäntzlichen Abgang gerathen müste8. 1 2 3 4 5 6 7 8

Korrektur in der Vorlage aus Juniorem. Monitorium ... Camerae auch in GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724; dagegen nicht in GB 1707. Gemeiner … betreffend in Balemann 1779. Und ... Reichs in BA Slg. 1693-1787. BA Slg. 1693-1787 dem Visitationsabschied; GB 1707 den Visitations-Abschied; GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; Balemann 1779 denen Visitations-Abschied. BA Slg. 1693-1787; GB 1707; GB 1710; GB 1724 nur 6. GB 1710; GB 1724 28. Junii und 7. Novembris 1664. Mithin ... müste fehlt in BA Slg. 1693-1787 (dort nur Einfügungszeichen).

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Als werden alle und jede dieses Kayserlichen Cammergerichts Procuratoren sambt und sonders hiemit ernstlich erinnert und wird ihnen bey unaußbleiblicher scharffen Straff aufferlegt und anbefohlen, daß ein jeder in Conformität der angezogenen Gemeinen Bescheiden durch seinen Protocollisten die durch den Notarium Fisci nach derselben Audientz oder auf den folgenden Tag dictirenden fiscalischen Anruffen, ingleichen die darauff ergehende oder hiebevor zu mehrmahlen ergangene Urtheilen, soviel davon eines jeden Herrn Principalen betrifft, fleißig soll auffzeichnen lassen und solche wie auch zuvor beschehene Anruffen jedesmahl ohnerwartet der Urtheilen und1 hernacher diese mit erster Post denen hoch- und wohllöblichen Reichsständen2, welchen sie diß Orths procurando bedienet seynd, überschicken und dabeneben bewegliche Erinnerung und sattsame Anmahnung thun, auff daß diejenige so bißhero in Beytragung ihrer Contingentien saumselig gewesen, die nothwendige und ferners ohnentbehrliche Unterhaltung dieses höchsten3 Gerichts mehrers beobachten4 und zu förderlicher Abstattung alles Hinderstands, auch ordentlicher Einrichtung5 der künfftig fallenden Zieler nachtrückliche Verordnung thun6, welchemnach sie ihre erhaltene Antwortschreiben dem hiesigen Fiscalatambt ohnverzüglich zu eigentlicher Nachricht jederzeit communiciren sollen, damit7 also die fiscalische alte und neue Anruffen und erfolgte Urtheilen denjenigen Effect erreichen mögen, wie es der Römischen8 Kayserlichen Majestät und gemeiner hochund wohllöblichen9 Ständen durch verschiedene Reichssatzungen außgetruckten Willen und Meynung gemäß ist. In Consilio pleno ut supra10. Johannes Jacobus Michael11, Judicii Imperialis Camerae12 Protonotarius manu propria13. Vorlage: CJC 1724, S. 947 Nr. CCCCXCIV. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787; GB 1707, S. 191-192 (letzter Bescheid der Sammlung); GB 1710, S. 200-201 Nr. CCII; GB 1714, S. 128-129 Nr. CCXXXVII; CJC 1717, S. 128-129 Nr. CCXXXVII; GB 1717, S. 128-129 Nr. CCXXXVII; GB 1724, S. 200-201 Nr. CCII; Balemann 1779, S. 198-199. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

BA Slg. 1693-1787 wie auch. Hoch- und ... Reichsständen in BA Slg. 1693-1787 korrigiert aus Churfürsten, Fürsten und Ständten. Höchsten in BA Slg. 1693-1787 korrigiert aus zu gebührlicher Administration der werthen Iustitz, ohne welche kein Reich bestehen kan, angeordneten. In BA Slg. 1693-1787 verbessert aus behertzigen. BA Slg. 1693-1787; GB 1707; GB 1710; GB 1724 Entrichtung. In BA Slg. 1693-1787 verbessert aus anschaffen. In BA Slg. 1693-1787 verbessert aus und. Der Römischen in BA Slg. 1693-1787 verbessert aus Ihrer. In BA Slg. 1693-1787 verbessert aus gemeiner hochlöblichen. Ut supra fehlt in GB 1707. GB 1710; GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël. Fehlt in Balemann 1779. In Consilio ... propria fehlt in BA Slg. 1693-1787.

RKG Nr. 243 1703 November 28

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Anmerkung: Die Quelle betrifft die Finanzierung des Reichskammergerichts, eines der ungelösten Probleme in den Gemeinen Bescheiden schlechthin. Auch wenn das Kameralkollegium am Ende des Bescheides auf den Willen der Reichsstände verwies, mit den Kammerzielern den Unterhalt des Reichskammergerichts zu gewährleisten, sah die Praxis doch ganz anders aus. Die zitierten Reichssatzungen mochte es geben. Die Landesherren waren aber nicht bereit, die von ihnen verlangten Summen pünktlich und vollständig zu bezahlen. Der politische Unwille setzte sich gegen die Rechtspflicht des geduldigen Buchstaben durch. „Fast nichts“ gehe an Geldern mehr ein, musste das Gericht daher ganz am Anfang auch kleinlaut einräumen. Zum ersten Mal, noch über einhundert Jahre vor seinem Ende, sprach das Gericht hier ungeschminkt von seinem eigenen Untergang. Aus dem Gemeinen Bescheid von 1689 hatten die Assessoren den Hinweis auf die Zerstörung des Gerichts gestrichen (Gemeiner Bescheid vom 5. Juli 1689; oben RKG Nr. 220). Jetzt malten sie genau dies offen an die Wand (ebenso Gemeiner Bescheid vom 16. Juli 1717, unten RKG Nr. 255). Auf derselben Linie lag es, wenn das Gericht gleich sechs Gemeine Bescheide zitierte, die im letzten halben Jahrhundert wirkungslos verpufft waren (vom 2. Januar 1656, 6./16. Februar 1657, 28. Juni 1661, 5. Juli 1664, 7. Juli 1665, 6. Juli 1677; oben RKG Nr. 129, 133, 152, 163, 167 und 199). Dabei handelte es sich nur um eine Auswahl. Tatsächlich waren noch weitaus mehr Mahnungen ergangen (z. B. zusätzlich am 27. August 1678, 1./11. Juli 1680, 1./11. Juli 1689, 15. März 1690, 2. März 1691, 17. Februar 1692, 8. August 1692, oben RKG Nr. 201, 205, 219, 222, 226, 228 und 231). Der Verfahrensmangel lag auf der Hand und war für das Gericht allein nicht behebbar. Es konnte unmittelbar nur auf die Prokuratoren zugreifen und hatte gegenüber den Reichsständen selbst keine Zwangsgewalt. Politisch setzte sich das Kameralkollegium zwar dafür ein, die Kammerzieler auch auf dem Reichstag zu thematisieren. Es fanden sogar gerichtliche Verfahren statt, die der Fiskal gegen die saumseligen Territorien einleitete. Aber ohne politischen Rückhalt konnte das Gericht sich nicht selbst finanzieren. Den Prokuratoren unterstellte es hierbei durchweg böse Absichten. Sie weigerten sich angeblich, ihre reichsständischen Mandanten über die jeweiligen fiskalischen Verfahren zügig zu informieren. Doch das lässt sich kaum klären. Vielleicht erfüllten die Anwälte ihre Pflicht durchaus, und die Stände blieben trotzdem untätig. Neben der ständigen Information über fiskalische Prozesse sollten die Prokuratoren auch ihre allgemeinen Mahnschreiben weiterhin versenden und ihre Mandanten zur Zahlung anhalten. Das Gericht ordnete erneut an, den Schriftwechsel zwischen den Reichsständen und ihren ständigen Prokuratoren offenzulegen, hatte damit aber schon zuvor nichts erreicht.

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RKG Nr. 244 1711 März 4

RKG Nr. 244 1711 März 4 Processuum aliorumque exhibitorum copiae redimuntor et sollicitata. Etiamsi a partibus non desiderentur expediuntor aut iura cancellariae de his solvuntor.1 [Gemeiner Bescheid: Die Advocaten und Procuratorn sollen von denenjenigen Sachen, so sie in der Cantzley sollicitiren und darauff im Rath decretirt würdt, Copeyen und sonst allem andern innerhalb 4 Wochen unter Straff 4 Marck Silber die iura Cancellariae entrichten.]2 [Die Auslösung in der Canzley betreffend.]3 [Decretum 28. Februarii 17114] [Publicatum 4. Martii 1711.]5 [Nota bene ist suspendiret.]6 Demnach bey diesem Kayserlichen und des Heiligen Römischen7 Reichs Cammergericht bißhero gespühret worden, daß die Advocaten und Procuratoren denen in Annis8 1550, 1579, 1637 und 1640 eröffneten Gemeinen9 Bescheiden zuwider mit würcklicher Außlöß- und Erhebung alles dessen, so sie10 in der Cantzley exhibirt, noch11 auff ihr Anhalten im Rath decretirt und respective12 expedirt worden, biß dato kein Gnügen geleistet13, sondern neben denen alten auch die neue Proceß, Urkunden, Copeyen und anderes zu mercklichem Auffenthalt vieler anderen Proceßsachen und vergeblicher Bemühung der Herren Referenten wie auch zum14 Praejuditz der Cantzley unabgelöst liegen15 lassen, als ist der nochmahlige und endliche Bescheid, werden auch die vorige dahin weiters extendirt, daß sie16 Advocaten und Procuratores, falls sie auf ihre in der Cantzley übergebene Supplicationes, Decreta, Proceß, Copeyen und anderes sollicitiren und erhalten, obschon von ihren Principalen hernacher deren Expedition nicht verlangt werde, einen Weg als den andern, wie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Processuum ... solvuuntor fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Gemeiner ... entrichten Dorsalvermerk in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Die ... betreffend in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782. Decretum ... 1711 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Selchow 1782. Publicatum ... 1711 in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Nota ... suspendiret Randglosse in BA Slg. 1693-1787. Römischen fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) actis. Fehlt in Selchow 1782. Sie fehlt bei Balemann 1779; Selchow 1782. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Selchow 1782 auch. BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessert aus theilß. BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessrt aus beschehen. Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.); Selchow 1782 zu. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 erliegen; BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) erliegen verbessert aus erliegen bleiben. BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) die.

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sie solches ohne das vermög der Ordnung und Abschieden1 zu thun schuldig, davon die Jura Cancellariae innerhalb 4 Wochen bey Poen2 vier Marck Silbers und nach Befindung auch höherer Bestraffung und deren würcklichen Execution3 entrichten sollen4. In Consilio pleno, den 4. Martii5 1711. Vitus Stephanus Hartmann, Lizentiat, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius6 manu propria.7 Vorlage: CJC 1724, S. 947-948 Nr. CCCCXCV. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 3, dort auch korrigierter Entwurf mit Unterschriften; GB 1714, S. 129-130 Nr. CCXXXVIII; CJC 1717, S. 129-130 Nr. CCXXXVIII; GB 1717, S. 129-130 Nr. CCXXXVIII; GB 1724, S. 238-239 Nr. CCXXXVIII; Balemann 1779, S. 199-200; Selchow, Concepte I 1782, S. 1046-1047. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid wiederholt die Verpflichtung der Prokuratoren, Schriftstücke bei der Kanzlei auszulösen und zu bezahlen. Zunächst fällt der große zeitliche Abstand zum vorangegangenen Gemeinen Bescheid von 1703 auf. In der Tat stand das Reichskammergericht für sieben Jahre mehr oder weniger still. Große Streitigkeiten um den Gerichtspräsidenten Franz Adolf Dietrich Freiherr von Ingelheim legten jede Arbeit lahm. Es kam außerdem nach vielen Jahrzehnten zu einer neuen mehrjährigen Visitation des Gerichts. Schon vor ihrem Abschluss 1713 konnte das Gericht seine Audienzen 1711 wieder aufnehmen. Die zahlreichen Gemeinen Bescheide von 1713 spiegelten einzelne Problemfelder, die bei der Visitation zur Sprache gekommen waren (dazu Gemeine Bescheide vom 13. November 1711, 23. Februar 1713, 21. März 1713, 2. Juni 1713 und 27. Oktober 1713; unten RKG Nr. 245-253). Ein Stillstand der Rechtspflege ist darüber hinaus in den Gemeinen Bescheiden nicht greifbar. Das führte in der Kameralliteratur zu Unsicherheiten, wann genau der vorliegende Bescheid ergangen sei. Balemann (vgl. Fußnote) kannte einen Visitationsabdruck, der den Gemeinen Bescheid auf den 28. Februar 1711 datierte. Er hielt das für einen Druckfehler und verwies dafür auf andere Autoritäten: Ein Bericht der Kammergerichtsprokuratoren vom 12. März 1711, zwei Visitationsdekrete vom 24. März 1711 und vom 27. November 1713 sowie das Corpus Juris Cameralis hatten in der Tat auf den 4. März 1 2 3 4 5

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Selchow 1782 Abschied. BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessert aus Straff. Balemann 1779; Selchow 1782 Suspension. In BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) danach gestrichen Alß werden samptliche des Kayserlichen Cammergerichts Advocaten. BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782 28. Februarii 1711. Dazu Balemann 1779: Es ist dieses aber ein unzweifelhafter Druckfehler, maßen er in den beiden Ausgaben des Corporis Juris Cam[eralis] der beiden Herren Ludolfe von 1717 und 1724, in dem Bericht der Kammergerichts-Prokuratoren vom 12. März 1711, und Visitat[ions-]Decret vom 24. März 1711, wie auch dem Visitat[ions-]Decret wegen Abschaffung einiger Gem[einer] Besch[eide] vom 27. Nov. 1713, auf den 4. März 1711 datirt ist. Statt Vitus ... Protonotarius in Balemann 1779; Selchow 1782 V. J. H. L. J. I. C. P. Manu propria fehlt bei Balemann 1779; Selchow 1782; Unterschriftszeile in BA Slg 1693-1787 (1. Ex.) V. S. H. L. I. I. C. P.; statt In Consilio ... propria in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) lectum staado (?) in pleno et placuit per unanima 28. Februarii 1711. praesentibus D. D. praesidibus et Assessoribus, domino praeside l. B. de Ingelheimb. Domino praeside Comite de Solmß Laubach, Domino Assessore Comite de Pitz, Domino Assessore Zer(...), D. Assessore Krebs et Domino Assessore Dr. Friesenhausen.

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1711 abgestellt. Für denkbar hielt es Balemann allerdings auch, dass der Bescheid tatsächlich im Plenarprotokoll vom 28. Februar 1711 verfasst, aber später erst verkündet wurde. Das entsprach offenbar dem Entstehungszusammenhang. Die amtliche Sammlung im Bundesarchiv datiert den Beschluss des Bescheides auf den 28. Februar, die Verkündung auf den 4. März 1711. Inhaltlich wiederholte das Gericht Pflichten, die seit über 150 Jahren bereits bestanden (Gemeine Bescheide vom 28. November 1550 §§ 5, 9, ferner 11. September 1579, 6. Juli 1637, 12. Dezember 1637 und 15. Mai 1640; oben RKG Nr. 44, 77, 115-116 und 118). Die Prokuratoren sollten demnach ihre Schriftstücke, die sie bei der Kanzlei einreichten, in den Audienzen produzieren, nach abgeschlossener Kopierarbeit wieder abholen und vor allem auch bezahlen. Falls die Parteien inzwischen ihr Interesse daran verloren hatten, spielte das keine Rolle. Als einziger Gemeiner Bescheid der im untrennbaren Reichskammergerichtsbestand vorhandenen Sammlung enthält diese Verordnung den ausdrücklichen Hinweis darauf, sie sei suspendiert. In der Tat hatte die Visitationskommission von 1713 diesen Bescheid nach nur zweijähriger Geltung abgeändert: „Wird das Cammer-Gericht hiermit auf den § 103 des jetzigen Visitations-Abschieds und §vum 15 des Memorial[is] Advocat[orum] et Procurat[orum] verwiesen, um darüber gebührend zu halten“ (Anlage A des Visitationsmemorials vom 27. November 1713, in GB 1724, S. 245).

RKG Nr. 245 1711 November 13 Procuratores ab audientiis tempore implorationis fiscalis super residuo sustentationis Camerae absentes non sunto sed residuum illud apud status quibus inserviunt sedulo urgento ac responsionem fiscali communicanto1. [Erinnerung der zu zahlenden Kammergerichts-Zieler durch die kammergerichtlichen Procuratores.]2 Demnach von wegen allhiesiger von beeden hohen Herren Reichsvicariis bestättigt[en] und erneuerten höchstansehentlichen Kayserlichen Commission und anwesenden Herren Visitatoren einem hochlöblichen Collegio Camerali schrifftlich bedeutet worden, was maßen dieselbe vernommen, daß, wann der Kayserliche Fiscal einoder anderem Advocato und Procuratori angezeigt, daß er gegen diesen oder jenen Statum morosum in puncto der rückständigen Cammergerichtszieler anruffen werde, sie, die Advocaten und Procuratores, sich alsdann von denen Audientzien ent-

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Procuratores … communicanto ebenfalls ins GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Erinnerung ... Procuratores in Balemann 1779.

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weder gar absentirt oder wenigst so lang sich darin nicht eingefunden hätten, biß sein, des Fiscals, Anruffen bereits geschehen gewesen. Als wird denenselben insgesambt und zwar bey Straff einer Marck Silber, von einem jeden in der Armen Seckel ohnnachläßig zu bezahlen, hiemit ernstlich befohlen, daß sie sich künfftighin zu bestimmter Zeit in denen gewöhnlichen Audientzien nicht allein ohnfehlbar einfinden und wegen des fiscalischen Anruffens sich zumahlen nicht absentiren, sondern auch dessen gerichtliches Anruffen und Recess denenjenigen Reichsständen, welchen ein jeder bedient ist, mit behöriger Information und Berichtgebung jedesmahl innerhalb 8 Tagen a die habitorum Recessuum sive etiam publicatarum Sententiarum auff vorhergegangene, dem Kayserlichen Fiscal oder in dessen Abwesenheit dem Advocato Fisci beschehene Vorzeigung ohnfehlbar übersenden und die hierüber nachgehends erfolgte Erklärung und Antwort ihme, Kayserlichen Fiscal oder Advocato Fisci, ohne einigen Auffenthalt und ohnerwartet einiger Ermahnung in Originali vorweisen und davon Extractus communiciren. Widrigenfalls diejeinige, so sich hierin säumig erzeigen werden, ipso facto in obangedrohete Poen innerhalb 14 Tagen sub poena dupli ohnfehlbar zu erlegen verfallen seyn sollen. Conclusum in Consilio pleno, den 13. Novembris 1711. Vitus Stepanus Hartmann, Lizentiat. Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria. Vorlage: CJC 1724, S. 948 Nr. CCCCXCVI. Weitere Ausgaben: GB 1714, S. 130 Nr. CCXXXIX; CJC 1717, S. 130 Nr. CCXXXIX; GB 1717, S. 130 Nr. CCXXXIX; GB 1724, S. 239-240 Nr. CCXXXIX; Balemann 1779, S. 200-202. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bemüht sich um anwaltliche Mithilfe bei der Eintreibung der Kammerzieler und versucht, die Mitwirkung der Prokuratoren in den fiskalischen Audienzen zu verbessern. Der Sache nach handelt es sich um einen Bescheid zur Stärkung der Finanzkraft. Die letzte einschlägige Ermahnung war erst am 28. November 1703 ergangen (oben RKG Nr. 243), also kurz vor der Stilllegung des Reichskammergerichts. Schon vielfach hatte das Kameralkollegium die ständigen Prokuratoren der Reichsstände aufgefordert, sich bei ihren Mandanten für die pünktliche und vollständige Zahlung der Unterhaltungsgelder einzusetzen. Nicht nur das war aber misslungen. Selbst wenn es zu fiskalischen Prozessen gegen säumige Stände kam, teilten einige Prokuratoren den Territorien nicht einmal die Einzelheiten dieser Verfahren mit. Die Wetzlarer Visitationskommission griff das Thema auf, ein weiterer Gemeiner Bescheid war die Folge. Obwohl die Visitatoren schon seit mehreren Jahren in Wetzlar tätig waren, berief sich das Reichskammergericht ganz zu Anfang auf die damals jüngste Legitimation. Nach dem Tod Kaiser Josephs I. am 17. April 1711 und noch vor der Wahl bzw. Krönung Karls VI. am 12. Oktober bzw. 22. Dezember 1711 hatten die kurpfälzischen Reichsvikare das Mandat der Visitationskommission bestätigt. Diese machten das Kameralkollegium auf einen Missstand aufmerksam, der eigentlich

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jedermann hätte bekannt sein müssen. Wenn nämlich im Voraus durchgesickert war, gegen welche Territorien der Fiskal in seinen Audienzen gerichtlich vorgehen würde, blieben die ständigen Vertreter der Landesherren genau diesen Audienzen einfach fern. Die Prokuratoren gingen nicht zu Gericht, entweder gar nicht mehr zur fiskalischen Audienz oder erst dann wieder, wenn andere Territorien an der Reihe waren. Das war besonders schändlich, weil in den von den Visitatoren angesprochenen Fällen der Fiskal selbst die Prokuratoren im Vorhinein unterrichtet hatte. Wenn sich hinterher die Reichsstände auf ihr Unwissen beriefen und die Prokuratoren ebenfalls Unkenntnis vorschützten, hintertrieben sie damit unverhohlen die bessere finanzielle Ausstattung des Gerichts. Die Assessoren gingen doppelt vor. Sie bekräftigten zunächst die Verpflichtung der Prokuratoren, die gerichtlichen Audienzen zu besuchen. Allein die Tatsache, dass sich der ständige Mandant des Prokurators den Zahlungsansprüchen des Reiches gegenübergestellt sah, konnte den Prokurator nicht von seiner Anwesenheitspflicht entbinden. Zum anderen wiederholte das Kameralkollegium wie schon oftmals zuvor seine Aufforderung an die Prokuratoren, ihren einschlägigen Schriftwechsel mit den Landesherren offenzulegen. Die angedrohten Geldstrafen folgten dem alten Muster, das sich oft genug als erfolglos erwiesen hatte. Am 2. Juni 1713 erging die nächste Ermahnung in derselben Sache (unten RKG Nr. 251).

RKG Nr. 246 1713 Februar 23 Contenta supplicarum Camer[alium] quarum forma concipiendi advocatis et procuratoribus simul praescribitur in expeditione processuum non amplius extrahantur nec inferantur sed copiae earum cum adiunctis in cancellaria describantur et vidimatae insinuentur.1 [Gemeiner Bescheid, die Expeditiones derer Originalien und Unterschrift deren Copeyen betreffend, publicatum in Audientia, den 23. Februarii 1713.]2 Demnach von wegen allhiesiger höchstansehentlicher3 Kayserlicher Comission-4 und Reichsvisitationsdeputation einem hochlöblichen Collegio Camerali schrifftlich bedeutet worden: Was maßen bißhero die Expeditiones deren auff die übergebene Supplicationes erkandter Mandatorum oder Proceßen bißhero aus der Ursach 1 2

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Contenta ... insinuentur fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Gemeiner ... 1713 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) Selchow 1782 mit vorgestelltem Datum; lediglich Die ... betreffend in Balemann 1779; lediglich Publicatum ... 1713 in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.), dort aber Randglosse Sammlung Gemeiner Bescheide. Selchow 1782 Demnach von allhiesigen höchst ansehnlichen. Balemann 1779 von der allhiesigen höchst ansehnlichen Kaiserlichen Commission.

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mercklich verhindert worden, weilen aus gedachten Supplicationen die Contenta extrahirt und denen Mandatis oder Processibus inserirt worden, als geschiehet von einem hochlöblichen Collegio Camerali hiemit die Verordnung, daß künfftighin zu deren Sachen Beförderung sothane Extrahir- und Inserirung unterlassen, die von der Cammergerichtscantzley abgeschriebene Supplicationes und Beylagen aber denen erkandten Mandatis oder Processibus beygelegt und der Gegenparthey insinuirt, auch dabey beobachtet werde, daß in Conformität des jüngern Reichsabschieds § 34 die expedirende Protonotarien gemeldte denen Partheyen insinuirende Supplicationes sowohl als die Citationes vidimiren, nicht weniger unter die in der Cantzley copirt- und collationirte Beylagen nebens ihrer der Protonotarien Namensunterschrifft das Wort „Collationatum“ setzen, auch ein jeder Copist unter die von ihme geschriebene Copey folgende Wörter „Kayserliche und ReichscammergerichtsCantzleyhandschrifft“ darunter seinen Namen schreiben, jedoch dafür nichts weiters als die Copey1-Gelder gezahlt2 werden sollen. Damit aber3 aus Beylegung deren Supplicationen keine Unrichtigkeit entstehen möge, hätten die Advocati und Procuratores inskünfftige ihre Narrata und absonderlich die Petita Supplicationum, woraus4 das Praeceptum zu formiren, deut[lich] und verständlich mit Außlassung aller überflüßiger und anzüglicher Expressionen und Allegationen ein- und außzuführen5. Decretum in Consilio pleno, den 23. Februarii 17136. Publicatum in Audientia eodem Die et Anno7. Joannes Jacobus Michael8, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius9 manu propria10. Vorlage: CJC 1724, S. 961 Nr. CCCCXCVIII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 4 (zwei Exemplare); GB 1714, S. 139 Nr. CCXL; CJC 1717, S. 139 Nr. CCXL; GB 1717, S. 139 Nr. CCXL; GB 1724, S. 255-256 Nr. CCXL; Balemann 1779, S. 202; Selchow, Concepte I 1782, S. 1047-1048. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt das vereinfachte Verfahren bei der Ausfertigung von Mandaten und prozesseröffnenden Erkenntnissen. Im Kern ging es darum, die Narrationen nicht weiterhin in die kammergerichtlichen Dokumente aufzunehmen. Die Visitationskommission hatte auf die damit verbundenen Umständlichkeiten hingewiesen und wie zuvor schon am 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779 Canzley. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 bezahlt. Aber in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) nachträglich eingefügt. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 worauf. In BA Slg. 1693-1787 danach Streichung Eß hette dahero das Collegium Camerale diesfalls die notturft. Decretum ... 1713 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782. Publicatum ... Anno fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782. GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël; Selchow 1782 Jo. Jac. Michäel. Selchow 1782 J. I. C. P. Manu propria fehlt bei Selchow 1782.

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13. November 1711 (oben RKG Nr. 245) einen Mangel aufgedeckt, der jedermann bekannt gewesen war. Es ging um die Art und Weise, wie die Reichskammergerichtskanzlei die Ladungen und Mandate gestaltete. Dafür hatten sich sehr feste Formen eingebürgert. Formuliert in der ersten Person Plural aus der Sicht des römisch-deutschen Kaisers begannen diese Dokumente damit, was der jeweilige Kläger dem Gericht supplizierend vor- und angebracht hatte. In indirekter Rede zitierte das Gericht sodann in vollem Wortlaut die klägerische Supplikation. Diese enthielt gewöhnlich eine recht umfassende Schilderung des Sachverhalts sowie die vorläufige rechtliche Wertung des Klägers. Das alles war einseitig und parteiisch formuliert. Das Kameralkollegium äußerte sich zwar nicht direkt zur Narratio. Es fügte aber hinzu, solchemnach habe der Kläger um die Ladung und das Mandat gebeten und es daraufhin erlangt. Inhaltlich konnten daraus leicht Missverständnisse entstehen. Auch wenn das Gericht lediglich den Wortlaut der Supplikation umformulierte, konnte es nach außen schnell den Anschein erwecken, es selbst sei von dem geschilderten Sachverhalt überzeugt. Für Eingeweihte bestand diese Gefahr freilich nicht, denn sie kannten den Aufbau der Schriftstücke. Dafür allerdings war das Verfahren zur Erstellung der Urkunden zeitraubend. In den älteren Mandaten und Ladungen nahmen die Narrationen fast immer über die Hälfte des Raumes ein, manchmal sogar drei Viertel. Lediglich in Appellationsprozessen hatte man seit je darauf verzichtet, die vollständige Schedula abzuschreiben und in die Zitationen aufzunehmen. Sinnvoll war das überkommene Verfahren immer dann, wenn die extrajudizial übergebenen Supplikationen beim Gericht verblieben und der Beklagte lediglich eine Ausfertigung der Ladung oder des Mandats erhielt. Das war aber seit langem nicht mehr der Fall. Schon § 34 des Jüngsten Reichsabschieds, im Gemeinen Bescheid zitiert, hatte vorgegeben, alle summarischen Libelle und Supplikationen in beglaubigter Form den Zitationen hinzuzufügen und mit zuzustellen. Auf diese Weise erhielt jeder Empfänger die Narratio zweifach, nämlich einmal in der Supplikation, einmal im Mandat oder der Ladung selbst. Die Kanzlei hatte zeitaufwendige Abschreibearbeit zu leisten, der Nutzen für die Beteiligten blieb gleich null. Mit dieser Doppelung sollte es nun ein Ende haben. Das Gericht wollte künftig die Ladungen und Mandate verkürzen und damit das Verfahren beschleunigen. Ein bloßer Verweis auf die beiliegende beglaubigte Kopie der Supplikation sollte an die Stelle der bisherigen Narrationen treten. In der Praxis hatte der Gemeine Bescheid Erfolg. Seine Umsetzung führte ja auch lediglich zur Arbeitsersparnis. Die Prozessakten aus dem weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts enthalten deshalb deutlich kürzere Mandate und Ladungen als die Akten des 16. und 17. Jahrhunderts. Zusammen mit der vereinfachten äußeren Gestaltung, nämlich dem Übergang vom Patent zum Libell (dazu der Gemeine Bescheid vom 29. Juli 1667; oben RKG Nr. 174), hatte das Gericht damit einen weiteren mittelalterlichen Zopf abgeschnitten. Die Zeiten, in denen ein kaiserlicher Bote eine prachtvolle und umfangreiche kaiserliche Pergamenturkunde aufrollte und laut und verständlich dem Empfänger Wort für Wort vorlas, lagen immer ferner zurück. In diesen Kleinigkeiten zeigen sich die Reformfähigkeit des Kameralprozesses im 18. Jahrhundert und zugleich ihre Grenzen. In einigen Punkten gab es durchaus Modernisierungen und Vereinfachungen. An den Audienzbetrieb selbst, die ungeklärte Mischung aus herrschaftlichem Zeremoniell, erstarrter wörtlicher Rede und reiner Schriftlichkeit, legte aber niemand die Axt.

RKG Nr. 247 1713 März 21

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RKG Nr. 247 1713 März 21 Modus iuramenta calumniae appellationis. Restitutionis in integrum et praestandi.1 [Gemeiner Bescheid, das Juramentum Calumniae und Patrocinirung in ungerechten Sachen betreffend, publicatum 21. Martii 1713.]2 Demnach von wegen der höchstansehentlichen3 Kayserlichen Commission und Reichsvisitationsdeputation einem hochlöblichen Collegio Camerali schrifftlich bedeutet worden, daß, im Fall die Advocaten und Procuratoren in Abschwörung der Juramentorum Calumniae, Appellationis, Restitutionis in integrum und sonsten zu facil wären und deßhalben ihr Gewissen nicht beobachteten oder auch die Proceß gefährlich oder geflissentlich protrahirten oder eine ungerechte Sache, es seye entweder aus Vorsatz oder ex imperitia4 Juris vel ignorantia5 Actorum culpabili patrocinireten, alsdann gegen dieselbe mit mehrerer Schärffe, als bißhero geschehen, und ohne Ansehung der Persohn dem Befinden nach mit Geldstraff, würcklicher Suspension oder gar Entsetzung ihrer Advocatur- und Procuratur-Stellen, auch da eines Perjurii halben genugsame Indicia vorhanden, alsdann wider einen solchen denen Rechten und Reichssatzungen gemäß zu verfahren, im Übrigen auch den jüngern Reichsabschied § 120 inskünfftig besser als vorhin zu befolgen. Als wird solches denen Advocaten und Procuratoren zu dem Ende hiemit kund gemacht, um sich vor Schimpff und Schaden zu hüten. Decretum in Consilio pleno, Wetzlar, den 21. Martii 1713. Publicatum in audientia eodem die et anno6. Joannes Jacobus Michael7, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius8 manu propria9.

Vorlage: CJC 1724, S. 961 Nr. CCCCXCIX. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 6; GB 1714, S. 140 Nr. CCXLI; CJC 1717, S. 140 Nr. CCXLI; GB 1717, S. 140 Nr. CCXLI; GB 1724, S. 256-257 Nr. CCXLI; Balemann 1779, S. 203-204; Selchow, Concepte I 1782, S. 1049-1050. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Modus ... praestandi fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782; aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Gemeiner ... 1713 in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; bei Balemann 1779 nur das ... betreffend. BA Slg. 1693-1787 hochansehentlichen. GB 1714; CJC 1717 imperitiam. GB 1714; CJC 1717 ignorantiam. Decretum ... anno fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782. GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël; Selchow 1782 Jo. Jac. Michäel. Selchow 1782 J. I. C. P. Manu propria fehlt bei Selchow 1782.

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RKG Nr. 247 1713 März 21

Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt den gerichtlichen Kalumnieneid. Wie bei den anderen Bescheiden von 1713 gab abermals die Visitationskommission die Anregung für seinen Erlass. Die Formulierung machte von vornherein deutlich, dass das Kameralkollegium mehr oder weniger wörtlich lediglich die schriftliche Vorgabe der Visitatoren in einen Gemeinen Bescheid gegossen hatte. Der Sache nach stritten die Rechtsgelehrten im 18. Jahrhundert längst über Sinn und Unsinn des Kalumnieneides. Glaubte ein Appellant oder gar ein Prokurator wirklich, er werde aufgrund eines leichtfertigen Appellationseides in die Hölle kommen, wenn er wissentlich eine ungerechte Sache betrieb? Andere Obergerichte, vor allem der Reichshofrat, brauchten die Frage nicht zu beantworten. Sie bestanden gar nicht auf der Eidesleistung. Der Reichskammergerichtsprozess blieb in diesem Punkt aber traditionell und hatte deshalb mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Jüngste Reichsabschied hatte 1654 den kammergerichtlichen Kalumnieneid reformiert (u. a. § 118 JRA). Das Reichskammergericht hatte zum einen den Reichsabschied als Ganzen durch Gemeinen Bescheid eingeführt (Gemeiner Bescheid vom 7. September 1654; oben RKG Nr. 126) und sodann speziell auch § 118 JRA umgesetzt (Gemeiner Bescheid vom 23. Mai 1656; oben RKG Nr. 130). Die Eidesformel und die dafür notwendige Spezialvollmacht gab das Kameralkollegium den Anwälten und Parteien wörtlich vor (Gemeine Bescheide vom 25. August 1656, 28. Januar 1657 § 1, 13. Dezember 1659, 12. Januar 1660 und 8./18. Mai 1668; oben RKG Nr. 131-132, 144, 146 und 175). Bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (restitutio in integrum) war es ganz ähnlich (Gemeine Bescheide vom 7. Juli 1669 und 7. Juli 1671; oben RKG Nr. 179 und 184). Die Visitationskommission hatte allerdings bemerkt, wie schnell sich ein Appellationseid oder ein anderer Kalumnieneid schwören ließ. Die Parteien unterzeichneten die einschlägigen Formulare, die Prokuratoren legten in den Audienzen den Eid ab. Dennoch gab es zuhauf unbegründete Klagen und Appellationen. Man unterstellte daher den Prokuratoren, sie seien zu „facil“, also leichtfertig mit ihrem Eid, und bemäntelten üble Sachen mit dem Schein der Eidesleistung. Das war aber ein heikler Vorwurf. Im Einzelfall ließ sich ein Meineid beim Kalumnieneid nur nachweisen, wenn der Prokurator von Anbeginn an wusste, wie hoffnungslos die Sache seines Mandanten war und wenn weder er noch der Kläger selbst daran glaubten, auch nur die geringste Erfolgsaussicht zu haben. Es lässt sich kaum vorstellen, wie man das in der Praxis nachweisen wollte. Der Eindruck der Visitationskommission trog deshalb nicht. Wenn eine Partei mit Pauken und Trompeten ihren Prozess verloren hatte, folgte längst nicht eine Bestrafung wegen der begangenen Kalumnien. Doch nach der Vorgabe der Visitatoren kündigte das Kameralkollegium an, künftig strenger damit zu verfahren. § 120 des Jüngsten Reichsabschieds, auf den der Gemeine Bescheid verwies, hatte betont, bei missbräuchlichen Appellationen verdiene der rechtskundige „Advocatus causae“ eine härtere Bestrafung als der rechtlich unerfahrene Appellant. Der Gemeine Bescheid bekräftigte, man werde demnächst ein Strafverfahren wegen Meineides einleiten, Geldstrafen verhängen oder sogar die Betroffenen aus ihren Anwaltsposten entfernen. Ganz zum Schluss folgte ein Appell an die eigene Ehre. Doch das Grundproblem lag anderswo. Die Schrecken des Jüngsten Gerichts standen den Prokuratoren längst nicht so lebhaft vor Augen, wie der Sinn des Kalumnieneides es erforderte. Der niedersächsische Jurist

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Ludolf Hugo hatte schon 1662 überdeutlich darauf hingewiesen. Nur wenn die Beteiligten wirklich daran glaubten, bei einem unberechtigten Kalumnieneid in die Hölle zu kommen, konnte der Schwur die vorgesehene generalpräventive Wirkung entfalten. Diesen unbedingten Glauben an die enge Verknüpfung von Gerichtsverfahren und göttlichem Willen konnte man im 18. Jahrhundert keineswegs mehr unterstellen. Deswegen erwies sich der prozessuale Kalumnieneid zunehmend als umständliche Förmelei. Einschärfungen verpufften wirkungslos, eine ernsthafte Reform schien nicht möglich. Dennoch schaffte bis 1806 niemand die Eidesleistung am Reichskammergericht ab.

RKG Nr. 248 1713 März 21 In causis submissis nervosa facti species vel extractus actorum absque ulla iurium allegatione exhibeatur1. [Gemeiner Bescheid, die in Causis submissis einzureichende Facti Speciem betreffend, publicatum 21. Martii 1713.]2 Demnach eine höchstansehentliche Kayserliche Commission und Reichsvisitationsdeputation für gut und rathsam befunden, daß beeden litigierenden Theilen post Submissionem in Causa frey stehen solle, eine Facti Speciem oder Extractum Actorum absque ulla Jurium allegatione nervose zu Papier zu bringen, jedoch solche sub Poena arbitraria denen Actis allerdings gemäß entrichten3 und davon soviel Copeyen, als Assessores in einem Senatu Definitivarum seynd, machen, sodann auff die Rubric die Sache, wozu die Facti Species oder Extractus Actorum gehörig, anmercken und solche sofort ad Lectoriam, nicht aber ad Aedes der Herren Assessorum verschlossen geben zu lassen, als wird sämbtlichen Advocaten und Procuratoren solche Verordnung hiermit kundgemacht. Decretum in Consilio pleno, Wetzlariae, den 21. Martii 1713. Publicatum in audientia eodem die et anno4. Joannes Jacobus Michael5, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius6 manu propria7.

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In ... exhibeatur fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782; aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Gemeiner ... 1713 in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782 jeweils mit vorangestelltem Datum. BA Slg. 1693-1787; GB 1714; CJC 1717; GB 1724; Balemann 1779; Selchow 1782 einrichten. Decretum ... anno fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782. GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël; Selchow 1782 Jo Jac. Michäel. Selchow 1782 J. I. C. P. Manu propria fehlt bei Selchow 1782.

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RKG Nr. 248 1713 März 21

Vorlage: CJC 1724, S. 961-„762“ (Paginierungsfehler; recte: 962) Nr. CCCCC. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 8; GB 1714, S. 140 Nr. CCXLII; CJC 1717, S. 140 Nr. CCXLII; GB 1717, S. 140 Nr. CCXLII; GB 1724, S. 257-258 Nr. CCXLII; Balemann 1779, S. 204-205; Selchow 1782, S. 1051. Anmerkung: Der Bescheid regelt die Mitwirkung der Parteien an der Konzeption des gerichtlichen Urteils. Erneut übernahm das Reichskammergericht eine Vorlage der Visitationskommission und formulierte sie in einen Gemeinen Bescheid um. Es ging um die Schwebezeit zwischen dem Ende der streitigen Verhandlungen und dem Urteil. In dieser Schlussphase des Prozesses trafen die Parteien keine Pflichten mehr. Je nachdem, wie lange das Verfahren sich hinzog, sollizitierten sie teilweise um das Endurteil. Schriftsätze durften sie allerdings nicht mehr verfassen und weder judizial in den Audienzen noch extrajudizial dem Kameralkollegium zustellen. War die Sache entscheidungsreif und das Gericht willig und in der Lage, ein Urteil zu fällen, bestimmte der Kammerrichter oder sein Vertreter einen Assessor, der als Referent den Entscheidungsvorschlag ausarbeiten musste. Nach dem streng vorgegebenen gemeinrechtlichen Schema sollte seine Relation mehrere Abschnitte enthalten. Es ging um den Sachverhalt (Species facti), die Prozessgeschichte, sodann um die rechtliche Würdigung, zumeist geteilt in Rationes dubitandi und Rationes decidendi. Im letzten Punkt vollzogen sich Änderungen im Laufe des 18. Jahrhunderts. Die Species facti voranzustellen, blieb aber üblich. Das diente auch der Information der übrigen Senatsmitglieder. Der Referent trug seine Relation vor, ja teilweise verlas er sie wörtlich. Auf diese Weise waren die Kollegen in der Lage, sich an der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Das setzte eine vollständige und unparteiische Zusammenfassung des Sachverhalts voraus. Die Visitationskommission und ihr folgend der Gemeine Bescheid wollten offenbar dem Referenten einen Teil seiner Arbeit ersparen. Ausdrücklich war es fortan auch den Parteien erlaubt, solche Species facti zu erstellen und an sämtliche Senatsmitglieder zu verteilen. Das sollte aber nicht heimlich in den Privatwohnungen geschehen, sondern ganz offiziell bei der Leserei erfolgen. Solche Sachverhaltsdarstellungen durften keine Allegationen enthalten. Verweise auf Rechtsquellen und Literatur waren also verboten. Vielmehr ging es nur um den Extractus actorum, die Zusammenfassung des in den Schriftsätzen enthaltenen Tatsachenmaterials. Eine arbiträre Strafe sollte eine unparteiliche und vollständige Ausarbeitung gewährleisten. Genau hier lagen aber die Fallstricke. Bereits die Zusammenfassung des Sachverhalts setzte Rechtswissen voraus und konnte mit je verschiedener Zielrichtung ganz anders aussehen. Eine von den Anwälten erstellte Fallgeschichte konnte nie neutral sein. Erstaunlicherweise gab das Kameralkollegium diese Selbstverständlichkeit nicht zu. Vielmehr erweckt der Gemeine Bescheid den Anschein, als habe man wirklich geglaubt, auf diese Weise hilfreiche Zusammenstellungen des Sachverhalts zu erhalten. Falls es freilich darum ging, zusätzlich zu den Facti species des Referenten noch zwei schriftliche Ausarbeitungen zum selben Punkt zu erhalten, hätte der Gemeine Bescheid die Senatsberatungen erschwert und zusätzlich in die Länge gezogen. Vorteile für das Gericht ergaben sich daraus nicht.

RKG Nr. 249 1713 März 21

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RKG Nr. 249 1713 März 21 Dilationes frivole petitae coercentur.1 [Gemeiner Bescheid. Die zu Verzögerung gereichende Dilationes betreffend, publicatum 21. Martii 1713.]2 Demnach von wegen der höchstansehentlichen Kayserlichen Commission und Reichsvisitationsdeputation einem hochlöblichen Collegio Camerali schrifftlich bedeutet worden, daß im Fall von denen Partheyen oder deren Advocaten und Procuratoren zu Verzögerung der Proceßen hinkünfftig frivole oder aus ohnbescheinigten Ursachen Dilationes gesuchet und solche also auch in andere Wege frivole befunden würden, daß alsdann gegen gedachte Advocaten und Procuratores mit behöriger Straff verfahren. Auch, da sich äusserte, daß dieselbe entweder gleich Anfangs von der Sachen Ungrund gewust oder solchen in Progressu Causae wahrgenommen und die Dilationes zum blossen Umtrieb und Auffenthalt gesucht, solche Straff erhöhet oder auch gar nach Bewandnus der Malitz mit Suspension oder gäntzlicher Remotion ab Officio gegen dieselbe verfahren werden solle. Als wird mehrgemeldten Advocaten und Procuratoren solches hiemit bekandt gemacht und werden dieselbe sich für Schimpff und Schaden zu hüten wissen. Decretum in Consilio pleno, Wetzlar, den 21. Martii. 1713. Publicatum in Audientia eodem die et anno3. Joannes Jacobus Michael4, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius5 manu propria6. Vorlage: CJC 1724, S. „762“ (Paginierungsfehler, recte: 962) Nr. CCCCCI. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 7; GB 1714, S. 140-141 Nr. CCXLIII; CJC 1717, S. 140-141 Nr. CCXLIII; GB 1717, S. 140-141 Nr. CCXLIII; GB 1724, S. 258 Nr. CCXLIII; Balemann 1779, S. 204; Selchow, Concepte I 1782, S. 1050. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid richtet sich gegen vorsätzliche Prozessverschleppungen. Er steht in engem Zusammenhang mit der am selben Tag ergangenen Verfügung über den Kalumnieneid (oben RKG Nr. 247). Erneut übernahm das Kameralkollegium die schriftliche Vorlage der Visitationskommission. Vorsätzliche Verzögerungen durch Advokaten und Prokuratoren wollte 1 2 3 4 5 6

Dilationes ... coercentur fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782; aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Gemeiner ... 1713 in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; bei Balemann 1779 nur die ... betreffend. Decretum ... anno fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782. GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël; Selchow 1782 Jo. Jac. Michäel. Selchow 1782 J. I. C. P. Manu propria fehlt bei Selchow 1782.

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RKG Nr. 250 1713 März 21

man künftig schärfer bestrafen. Vor allem richtete sich der Unmut gegen Dilationen, also gegen Anträge auf Fristverlängerungen. Es blieb freilich dasselbe Problem wie beim Kalumnieneid. Im Einzelfall ließ sich der Vorsatz des Anwalts kaum nachweisen. Die strenge Strafdrohung bis hin zur Suspendierung oder Absetzung konnte den entscheidenden Punkt kaum übertünchen. Die praktischen Gebrechen des Kameralprozesses ließen sich mit bloßen Strafdrohungen nicht lösen.

RKG Nr. 250 1713 März 21 Sollicitatores in causis alienis prohibentur1. [Gemeiner Bescheid, die Legitimation derer Sollicitanten und Inspicirung der Lesereyacten betreffend, publicatum 21. Martii 1713.]2 Demnach von wegen allhiesiger höchstansehentlicher Kayserlicher Commission und Reichsvisitationsdeputation einem hochlöblichen Collegio Camerali schrifftlich bedeutet worden, welchergestalten wegen der Sollicitanten in frembden Sachen allerhand Mißbräuche sich ereignet, als wird das Sollicitiren bey allen denen, so solches in ihren eigenen Geschäfften nicht verrichten oder sich darzu nicht legitimirt haben, ohne Unterscheid inhibiret, auch denen Sollicitanten in sothanen frembden Sachen, sie seyen geistlich oder weltlich, Christen oder Juden, kein Gehör zu geben, biß sie sich3 der Sachen4 halben, worinnen sie sollicitiren wollen, gnugsam legitimirt haben. Ingleichen sollen die Lectores ohne des Procuratoris ordinarii Consens keine Acta oder Producten mehr einem frembden, den die Sache nicht angehet, noch einem andern Procuratori oder Advocato darlegen, sondern, wann sich dergleichen einer darum anmelden würde, solches alsobald dem Praesidio zu5 gebührendem Einsehen anzeigen. Decretum in Consilio pleno, Wetzlar, den 21. Martii 1713. Publicatum in audientia eodem die et anno6. Joannes Jacobus Michael7, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius8 manu propria9. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Fehlt bei Balemann 1779; Selchow 1782; aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Gemeiner ... 1713 in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; bei Balemann 1779 nur die ... betreffend. Anderer Satzbau bei Balemann 1779; Selchow 1782 bis sie der Sache halben, worinnen sie sollicitiren wollen, sich genugsam legitimiret haben. GB 1714, CJC 1717; GB 1724, Balemann 1779 Sache. Fehlt in Balemann 1779. Decretum ... anno fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782. GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël; Selchow 1782 Jo. Jac. Michäel. Selchow 1782 J. I. C.P. Manu propria fehlt in Selchow 1782.

RKG Nr. 251 1713 Juni 2

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Vorlage: CJC 1724, S. „762“ (Paginierungsfehler, recte: 962) Nr. CCCCCII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 5; GB 1714, S. 141 Nr. CCXLIV; CJC 1717, S. 141 Nr. CCXLIV; GB 1717, S. 141 Nr. CCXLIV; GB 1724, S. 259 Nr. CCXLIV; Balemann 1779, S. 203; Selchow, Concepte I 1782, S. 1048-1049. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid richtet sich gegen die überhandnehmende Sollizitatur. Er gehört in die Gruppe von vier am selben Tag verkündeten Bescheiden, die allesamt auf Vorlagen der Visitationskommission beruhten. Hier ging es um die Beschränkung der Sollizitatur (dazu bereits der Gemeine Bescheid vom 28. Januar 1657 § 5; oben RKG Nr. 132). Offenbar gab es in Wetzlar Sollizitanten, die sich dafür stark machten, einzelne Prozesse zu befördern. Ihre Legitimation war dem Kameralkollegium aber nicht bekannt. Künftig sollte es grundsätzlich nur noch erlaubt sein, seine eigenen Prozesse zu betreiben. Wer für einen Dritten sollizitierte, benötigte hierfür eine Vollmacht. Der Hinweis auf geistliche und weltliche Personen, Juden und Christen deutete kurz an, welch verschiedene Interessenten die Sollizitatur übernommen hatten. Eng mit dem Verbot verbunden war die Anweisung an die Gerichtskanzlei, außenstehenden Dritten keine Akteneinsicht mehr zu gewähren. Der Prokurator der Prozesspartei sollte entscheiden, wer die Akte lesen durfte. Das galt selbst bei Gesuchen von Prokuratoren, die am vorliegenden Rechtsstreit nicht beteiligt waren. Wenn dagegen ein unbeteiligter Dritter die Akteneinsicht beantragte, sollte das Präsidium des Gerichts darüber entscheiden. Ob dies zusätzlich zur Einwilligung des Prokurators gedacht war oder ob das Gericht auch ohne Zustimmung des Prokurators die Akteneinsicht gewähren durfte, sagte der Gemeine Bescheid nicht. Der Gemeine Bescheid vom 23. Januar 1741 (unten RKG Nr. 273) wiederholte dieselben Einschärfungen.

RKG Nr. 251 1713 Juni 2 Procuratores Camerae cum fiscali Caesareo ratione pecuniae sustentationis Camerae diligentius conferunto1. [Gemeiner Bescheid, die Communication derer das Fiscalat belangenden Schreiben von Ständen betreffend, publicatum 2. Junii 1713.]2 Demnach auch von höchstgedachter Kayserlicher Commission und anwesender Reichsvisitationsdeputation Erinnerung geschehen, wegen Communicirung deren von denen Advocaten und Procuratoren an diejenige Reichsstände, welchen sie 1 2

Procuratores ... conferunto fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782; aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Gemeiner ... 1713 in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782 in vorangestelltem Datum; in Balemann 1779 nur die ... betreffend.

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RKG Nr. 251 1713 Juni 2

bedient seynd, ab- und eingehender Schreiben und Antworten, so in die Materie des Fiscalatambts einschlagen, was in hoc puncto Communicationis nöthig, zu verfügen. Als ist der nachmahlige und endliche Bescheid, werden auch die vielfältig hievorige sowohl als der am 13. Novembris 1711 in dieser Materie ergangene Gemeine Bescheid hiemit wiederhohlt und dahin weiters extendirt und ihnen, Advocaten und Procuratoren, alles Ernstes und bey Poen zweyer Marck Silbers in der Armen Seckel ohnnachläßig zu bezahlen hiemit nochmahlen anbefohlen, daß sie künfftighin ohnerwartet einiger Ermahnung mit Communication der Originalien und Extracten dem am besagten 13. Novembris 1711 eröffnetem Gemeinen Bescheid ohnfehlbar nachleben, widrigenfalls diejenige, so sich dißfalls säumig erzeigen werden, in obangedrohete Poen, innerhalb 14 Tagen sub Poena dupli et realis Executionis würcklich zu erlegen, verfallen seyn, auch nach Befindung mit höherer Bestraffung angesehen werden sollen. Conclusum in Consilio pleno, 7. Aprilis 1713. Publicatum in Audientia, 2. Junii eodem Anno1. 2 Joannes Jacobus Michael , Judicii Imperialis Camerae Protonotarius3 manu propria4. Vorlage: CJC 1724, S. „762“ (Paginierungsfehler, recte: 962)-963 Nr. CCCCCIII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 9; GB 1714, S. 141-142 Nr. CCXLV; CJC 1717, S. 141-142 Nr. CCXLV; GB 1717, S. 141-142 Nr. CCXLV; GB 1724, S. 259-260 Nr. CCXLV; Balemann 1779, S. 205; Selchow, Concepte I 1782, S. 10511052. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid wiederholt die Verpflichtung der Prokuratoren, an der Einziehung der Kammerzieler mitzuwirken. Wie die Vorgängerbescheide erging auch diese Verfügung auf Vorlage der Visitationskommission. Inhaltlich blieb aber alles in den gewohnten Bahnen, die auch der zitierte Gemeine Bescheid vom 13. November 1711 nicht verlassen hatte (oben RKG Nr. 245). Die angedrohte Geldstrafe hatte sich nur verdoppelt. Im November 1711 stand eine Mark, nunmehr zwei Mark Geldstrafe bevor, falls ein Prokurator seine reichsständischen Mandanten nicht zur Zahlung anhielt, sie unzureichend über fiskalische Prozesse unterrichtete oder seinen Schriftwechsel nicht offenlegte. Bemerkenswert ist die späte Verkündung. Das Gericht hatte den Bescheid bereits am 7. April schriftlich konzipiert, gab ihn aber erst am 2. Juni 1713 in der Audienz bekannt. Der große zeitliche Abstand war ungewöhnlich. Häufig verkündete das Gericht die Gemeinen Bescheide noch am selben Tag, an dem sie beschlossen worden waren. Gelegentlich lagen ganz wenige Tage dazwischen. Warum es hier zu einer Verzögerung kam, ist nicht ersichtlich. Der Inhalt war jedenfalls alles andere als außergewöhnlich. Am 16. Juli 1717 erging der nächste Gemeine Bescheid in derselben Sache (unten RKG Nr. 255). 1 2 3 4

Conclusum ... Anno fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782. GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724 Michaël; Selchow 1782 Jo. Jac. Michäel. Selchow 1782 J. I. C. P. Manu propria fehlt bei Selchow 1782.

RKG Nr. 252 1713 Oktober 27

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RKG Nr. 252 1713 Oktober 27 Advocati et procuratores Camerae praedicato excellentiae etiam per domesticos suos abstineant1. [Gemeiner Bescheid von dem Titul Excellenz für Procuratoren und Advocaten, publicatum 27. Octobris 1713.]2 Demnach von wegen allhiesiger höchstansehentlicher Kayserlicher Commission und Reichsvisitationsdeputation einem hochlöblichen Collegio Camerali schrifftlich bedeutet worden, was maßen bey denenselben vorkommen, daß einige dieses Kayserlichen und Heiligen Reichs Cammergerichts Advocati und Procuratores von Auswärtigen und sonderlich von ihren Domestiquen sich den Titul Excellentz geben lassen, solcher aber ihnen nicht gebühre und der bey diesem höchsten Gericht nöthigen Subordination zuwider seye. Als wird gedachten Advocaten und Procuratoren, welche sich mit dergleichen ihnen nicht gebührenden Praedicatis beehren lassen, bey Arbitrari-Straff hiemit anbefohlen, daß sie sothanen ihnen nicht zukommenden Titul von ihren Domestiquen oder sonsten sich künfftighin nicht mehr geben lassen sollen. Decretum in Consilio pleno, 27. Octobris 1713.3 Vitus Stephanus Hartmann, Lizentiat, Kayserlichen Cammergerichts Protonotarius4. Vorlage: CJC 1724, S. 963 Nr. CCCCCIV. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 10; GB 1714, S. 142 Nr. CCXLVI; CJC 1717, S. 142 Nr. CCXLVI; GB 1717, S. 142 Nr. CCXLVI; GB 1724, S. 260261 Nr. CCXLVI; Balemann 1779, S. 205-206; Selchow, Concepte I 1782, S. 1052. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt Rangstreitigkeiten zwischen den Kameralanwälten und der Richterschaft. Schon in Speyer hatte es einen Konflikt um die sichtbare Gleichstellung der Advokaten und Prokuratoren mit den Assessoren gegeben. Die Anwälte hatten damals durchgesetzt, auf offener Straße einen Degen tragen zu dürfen. Lediglich in den Audienzen und im Gerichtsgebäude mussten sie ihn ablegen (dazu die Gemeinen Bescheide vom 21. Juni 1675 und 8. Juli 1691; oben RKG Nr. 197 und 227). Nunmehr ging es um die zu hoch gegriffene Anrede als Exzellenz. Im 18. Jahrhundert breitete sich der Titel Exzellenz insgesamt aus. Am Reichskammergericht war er gebräuchlich für einen Kammerrichter im Grafenrang. Die fürstlichen Kam1 2 3 4

Advocati ... abstineant fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782; aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Gemeiner ... 1713 in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; in Balemann 1779 nur von ... Advocaten. Decretum ... 1713 fehlt in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782. Selchow 1782 Lt. J. I. C. P.

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merrichter dagegen hatte man als Durchlaucht anzusprechen (Johann Stephan Pütter, Zugabe zur Anleitung zur Juristischen Praxis, Teil 2, 5. Aufl. Göttingen 1802, S. 195). Die Anrede Exzellenz ist für die Kammerrichter Spaur und Reigersberg aus der Endzeit des Reiches belegt. Im späten 18. Jahrhundert nannte man auch die Kammergerichtspräsidenten Exzellenz. Jedenfalls war das Prädikat für herrschaftliche Amtsträger oder Gesandte vorbehalten. Prokuratoren oder Advokaten hatten nach zeitgenössischer Ansicht darauf keinen Anspruch, auch dann nicht, wenn sie die ständigen Prozessvertreter von Reichsständen waren. Die Wetzlarer Anwaltschaft erstrebte hier eine symbolische Aufwertung. Wenn der Hinweis im Gemeinen Bescheid zutrifft, gingen die Anwälte sogar recht geschickt vor. Sie ließen sich von Auswärtigen und von ihren eigenen Bediensteten (Domestiken) so nennen. Im Gericht und im Umgang mit der Wetzlarer Bevölkerung vermieden sie also den Affront. Aber der erste Schritt zum höheren Titel war getan. Die Visitationskommission lehnte das ebenso ab wie das Kameralkollegium. Eine arbiträre Strafe sollte die Advokaten und Prokuratoren gefügig machen.

RKG Nr. 253 1713 Oktober 27 Privilegia Statuum deficientia1 inferantur.2 [Gemeiner Bescheid, die Beybringung derer Privilegien betreffend, publicatum 30. Octobris 1713.]3 [Gemeiner Bescheid, die Communication der Privilegien betreffend.]4 Von wegen allhiesiger höchstansehentlicher Kayserlicher Commission und Reichsvisitationsdeputation ist einem hochlöblichen Collegio Camerali schrifftlich bedeutet worden, von allen deren hohen Herren Ständen des Reichs bey hiesigem Kayserlichen und des Reichs Cammergericht vorhandenen Privilegiis denen Procuratoren allhier zu dem Ende5 Nachricht zu geben, damit, wann ein- oder anderes derenselben Herren Principalen competirendes Privilegium darbey nicht befindlich seyn solte, dieselbe alsdann ihre Mesures darnach zu nehmen wissen mögen. Solchemnach wird gedachten Procuratoribus eine Specification aller deren sowohl allhier neueingebrachter als zu Franckfurt annoch befindlicher Privilegien 1 2 3 4 5

Nach GB 1714, CJC 1717; GB 1724; dagegen bei CJC 1724 deficientiae. Privilegia ... inferantur fehlt in BA Slg. 1693-1787 (beide Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782; aber vorhanden in GB 1714; CJC 1717; GB 1717; GB 1724. Gemeiner ... 1713 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) mit Verbesserung bei der 30; Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; in Balemann 1779 nur die ... betreffend. Gemeiner ... betreffend in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Ende fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.).

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hiemit communiciret, woraus sie sich zu ersehen und die annoch abgängige ohne Zeitverlust herbeyzubringen hiemit ernstlich angewiesen werden1. Decretum in Consilio pleno, den 27. Octobris 17132. [Publicatum in audientia, 30. Octobris 17133.] Vitus Stephanus Hartmann, Lizentiat4, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius5 manu propria6. Vorlage: CJC 1724, S. 963 Nr. CCCCCV. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 11 (zweites Exemplar ohne Nummer); GB 1714, S. 142 Nr. CCXLVII (letzter Bescheid der Sammlung); CJC 1717, S. 142 Nr. CCXLVII; GB 1717, S. 142 Nr. CCXLVII (letzter Bescheid des Hauptteils); GB 1724, S. 261 Nr. CCXLVII; Balemann 1779, S. 206; Selchow, Concepte I 1782, S. 1053. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bezweckt eine vollständige Übersicht über landesherrliche Privilegien am Reichskammergericht. Bei der Flucht der Gerichtsmitglieder von Speyer nach Frankfurt waren nicht nur die Gerichtsakten durcheinandergeraten. Auch die Sammlung partikularrechtlicher Rechtsquellen sowie die Privilegiensammlung waren nicht mehr vorhanden. Um die Wiederbeschaffung der Prozessakten bemühte sich das Kameralkollegium als Erstes (Gemeine Bescheide vom 5./15. Juli 1689, 31. März 1690, 15./25. Mai 1693 § 2 und 17. April 1695; oben RKG Nr. 220, 223, 233 und 234). 1692 erging dann die Aufforderung an die ständigen Prokuratoren der Reichsstände, die partikularen Rechtsquellen in gedruckter Form beim Gericht einzureichen (Gemeiner Bescheid vom 13. April 1692; oben RKG Nr. 229). Der im Oktober 1713 ergangene Bescheid verfolgte ein ähnliches Ziel für die Privilegien. In ihrem eigenen Interesse legten die Landesherren großen Wert darauf, dass die Reichsgerichte ihre Privilegien kannten und beachteten. Oftmals schützten die Privilegien gerade die gerichtliche Eigenständigkeit, enthielten besondere Appellationsbeschränkungen und sicherten die Empfänger auch gegen andere Eingriffe der Reichsgewalt ab. Zusammen mit den geretteten Prozessakten befanden sich zahlreiche Privilegien 1713 noch immer in Frankfurt, inzwischen also schon seit weit mehr als zwanzig Jahren. Dennoch gab es offenbar einen Überblick über die in Frankfurt erhaltenen Privilegien sowie über diejenigen, die bereits in Wetzlar vorlagen. Diese Aufstellung gab das Gericht den Advokaten und Prokuratoren bekannt. Sie sollten ihre reichsständischen Mandanten ersuchen, gegebenenfalls fehlende Privilegien an das Gericht einzusenden. Prozessrechtlich dürften Fragen der richterlichen Rechtsanwendung für den Erlass des Bescheides ausschlaggebend gewesen sein. Wenn dem Reichskammergericht derartige Privilegien bekannt waren, wollte es sie beachten. Es kam also nicht 1 2 3 4 5 6

Hiermit ... werden fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Decretum ... 1713 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782. Publicatum ... 1713 in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Lizentiat fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Selchow 1782 Lt. J. I. C. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.); Selchow 1782.

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darauf an, ob sich in jedem Fall eine Partei auf die Existenz oder den Inhalt des Privilegs berief. Das stärkte politisch die privilegierten Stände. Rechtlich befreite es zugleich die Prozessparteien von der gemeinrechtlichen Allegations- und Beweispflicht und gab dem Gericht die Möglichkeit, von Amts wegen Privilegienrecht anzuwenden. In der Ratsstube des Reichskammergerichts hing deswegen bereits in der Speyerer Zeit eine Tafel, die alle Appellationsprivilegien verzeichnete. Schon § 111 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654 hatte sie als bekannt vorausgesetzt und ihre laufende Aktualisierung vorgeschrieben. In Wetzlar gab es diese Tafel im 18. Jahrhundert immer noch.

RKG Nr. 254 1715 September 18 Publicatur rescriptum Caesareum in quo editio scriptorum in detrimentum status publici severe prohibitur. [Des Kayserlichen und Reichscammergerichts Gemeiner Bescheid vom 18. Septembris 1715.]1 [Rescriptum Caesareum cum admonitione fiscalis publicatur ne quid probrosum aut famosum in rebus religionis ac status publici Sacri Romani Imperii doceatur, scribatur, imprimatur, pingatur vel divulgetur.]2 [Verboth fameuser Schriften in Religions- und Staatssachen.]3 Demnach von der Römischen Kayserlichen Majestät, unserm allergnädigsten Herrn, ein allergnädigstes Rescript vom 18ten Julii lauffenden Jahrs nebst beygeschlossenem Patent bey diesem Kayserlichen und des Reichs Cammergericht eingelangt und von hochgedachtem Collegio Camerali beschlossen worden, dasselbe in offentlicher Audientz allen dem Cammergericht zugethanen Persohnen zur Nachricht publiciren zu lassen, wie hiernach folget: Carl der Sechste, von Gottes Gnaden Erwählter Römischer Kayser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs usw. [usw.]4 Hoch- und Wohlgebohrner, auch Wohlgebohrner, Edle, Ehrsame, Gelährte, liebe Getreue. Nachdem Uns in Unterthänigkeit hinterbracht worden, welchergestalt hin und wieder im Römischen Reich gegen die Religions- und Profanfrieden und andere 1 2 3 4

Des ... 1715 in BA Slg. 1693-1787. Rescriptum ... divulgetur in BA Slg. 1693-1787; GB 1717 Suppl.; GB 1724. Verboth ... Staatssachen bei Balemann 1779. Usw.bei Balemann 1779.

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heilsame Reichssatz[ungen] und die von Unseren glorwürdigsten Vorfahrern am Reich denenselben gemäß erlassene Verordnungen, verschiedene die darinnen gelittene Glaubensbekantnussen nicht allein, sondern auch den Grund der allgemeinen und Staatssachen und Rechten anzapffende höchstschädliche Lehre1, Satzungen, Bücher, Theses und Disputationes auff Universitäten und sonsten als Schmäheschrifften und Karten, schimpffliche Gedichte und Gemälde, Kupfferstiche und andere dergleichen spöttliche Erfindungen, auch gantz verkehrte Anweisungen gegen der Teutschen Rechten und Freyheiten ohne Scheu und Bestraffung aus denen dem Heiligen Römischen Reich zugewandten Landen und Orthen oder von der Frembde her in denselben vielfältig zum Vorschein kommen, offent- und heimlich zum Verkauff oder sonst unter die Leuth gebracht werden, wordurch viel Unheil unter allerseits Glaubensgenossen und denen Rechts- und Staatssachen erwecket und außgebreitet wird, Wir aber solches von obtragenden Kayserlichen allerhöchsten Ambts und reichsvätterlichen Sorgfalt wegen zu Erhaltung Fried, Ruhe und Einigkeit im Reich länger nicht gestatten wollen noch sollen: So haben Wir gnädigst gut gefunden, den von Uns selbsten mit gutem Bedacht, Rath und zeitigem rechten Wissen von Kayserlicher Machtsvollkommenheit anbefohlenen und gefertigten hiebey verwahrten Kayserlichen geschärfften offenen Geheisch- und Verbottsbrieff ins Reich ergehen zu lassen und es Euch zu dem Ende beyzuschliessen, umb darob mit aller Strenge ohne Ansehung der darwider handlenden hoch- und niedrigen Persohnen sambt und sonders zu halten, die Wir übrigens Euch mit Kayserlichen Gnaden wohlgewogen verbleiben. Geben in Unser Stadt Wien, den Achtzehenden Julii Siebenzehenhundertundfunffzehenden, Unserer Reiche, des Römischen im Vierdten, des Hispanischen im Zwölfften, des Hungarischen und Böheimischen im Fünfften. Carl manu propria. V[idi]t2 Fridrich Carl Graff von Schönborn. manu propria. Ad Mandatum Sacrae Caesareae Majestatis proprium. E[rnst] F[ranz] von Glandorff. Den Hoch- und Wohlgebohrnen, auch Wohlgebohrnen, Edlen, Ehrsamen, Gelährten und des Reichs lieben Getreuen N. Cammerrichter Ambtsverwesern, Praesidenten und Beysitzeren Unsers Kayserlichen Cammergerichts. Locus Sigilli Wir Carl der Sechste, von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kayser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, in Germanien, zu Hispanien, Hungarn, Böheimb, Dalma1 2

GB 1724, Balemann 1779 Lehren. Oder vidimiert.

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tien, Croatien und Sclavonien König, Ertzherzog zu Oesterreich, Hertzog zu Burgund, Steyer, Kärnten, Crayn und Würtenberg, Graff zu Tyrol usw. Entbiethen allen und jeden, denen dieser Unser Kayserlicher offener Brieff vorkommet und nachfolgendermassen angehet, Unser Kayserliche Gnade usw. Und fügen denenselben sambt und sonders hiemit zu wissen, daß, obwohlen auff verschiedenen hiebevor gehaltenen Reichstägen und sonsten weyland Unsere glorwürdigste Vorfahrere am Reich Römische Kaysere und Könige mit derer Churfürsten, Fürsten und Ständen des Heiligen Römischen Reichs guten zeitigem Rath und Vereinigung, Gesetz und Ordnungen dahin außgehen lassen, daß keiner, von was für unter denen im Reich zugelassenen Glaubensbekantnüssen er auch seyn möge, den andern, so nicht seiner Religion ist, weniger aber die Glauben selbst mit Worten, lästerlichen Büchern, Schrifften, Schmähkarten, schimpfflichen Gedichten, Gemählden, Kupfferstichen oder anderen dergleichen Erfindungen, boßhafftohnbescheidener Weise angreiffen, schmähen oder sonst spöttlich anziehen und durchlassen, mithin auch niemand einige gegen die Staatsregierung und Grundgesetze des Heiligen Römischen Reichs angesehene Lehren auffbringen solle, so zeiget doch die tägliche Erfahrung, daß diesen so offt ergangenen heilsamen Verordnungen und Reichsgebotten an verschiedenen Orthen nicht nachgelebet, vielmehr solchen schnurgerad entgegen hin und wieder dergleichen schmähsüchtige Bücher, Schrifften und Gemählde verschiedener Orthen im Reich heimlich gemacht, verfertiget, gedruckt oder von außwärts hero eingeschleiffet und ohne allen Scheu, Einsicht oder Bestraffung auff offentlichen Jahrmärckten, Messen und andern Versamblungen umbgetragen, feilgebotten, außgestreuet, verkaufft und außgebreitet. Nicht minder auch auff offentlichen Universitäten über das Jus Civile et Publicum sehr schädliche des Heiligen Römischen Reichs Gesetze und Ordnungen anzappende, verkehrte, neuerliche Lehren, Bücher, Theses und Disputationes angehebt und dardurch viele so unzuläßige als tieffschädliche Neuerungen gegen die teutsche Grundveste folglich Unordnungen in dem Teutschen Reich eingeführet werden. Gleichwie aber dergleichen Zanck- und Schmähesüchtige Schreibarthen und Lehren so wenig dem Christen- und Kayserthum als der Gerecht- und Ehrbarkeit gemäß noch auch zu Außbreitung der christlichen Lehre und allerseitigen Glaubens oder gemeinnützigen Rechts- und Staatssachen den geringsten Nutzen und Ehr, wohl aber ein und anderes diesen empfindlichen Schaden haben, daß daraus an statt der so hoch nöthigen Einigkeit und innerlichen guten Vernehmens nichts als Zanck, Mißtrauen, Entfernung derer Gemüther, Irrwegen, auch wohl gar Unfriede und Empörungen zu entstehen pflegen. Also haben Wir Unser darab hägendes Kayserliches Mißfallen offentlich zu erkennen zu geben und die Handhabung deren von Unseren in Gott ruhenden Vorfahrern wohl und reichsvätterlich erlassenen Kayserlichen Verordnungen in Unsere besondere Sorgfalt und Obsicht zu nehmen

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eine Nothdurfft zu seyn umb so mehr befunden, als solches Übel sich überaus vermehrt und den ohnaußbleiblich-allgemeinen Schaden ins Werck setzet. Wir befehlen, setzen, ordnen und ermahnen demnach hiemit alle und jede, insonderheit die Geistliche und Prediger, alle Schrifft- und Rechtsgelährte, die Buchdrucker, Verleger und Buchführer ohne Unterscheid der Glaubens-Bekantnüß, sie seyen Frembd oder Einheimische, bevorab aber die Büchercommissarios, krafft dieses nachtrücklich erinnerende bey Vermeydung hoher Straff und Unserer Kayserlichen und des Reichs schwehren Ungnad, alles und jedes, was hiebevor von Zeit zu Zeiten gegen den Mißbrauch der Buchdruckereyen und Heraußgebung verbottener Glaubensund Staatssachen angehender Lehren, Bücher und Lasterschrifften oder Lehrsätzen verordnet worden, in genauere Obacht zu ziehen und dasjenige, was dazu auff einige Weise Vorschub geben kan, sorgsam zu vermeyden und zu verhindern, zu dem Ende auch also fort nach Vorlesung dieses alle Winckelbuchdruckereyen abzustellen und nicht zu gestatten, das deren einige anders oder an und aus anderen Orthen als in solchen Städten und Orthen eingerichtet werden, wo Chur- und Fürsten ihre gewöhnliche Hoffhaltungen haben oder Academien und Universitates Studiorum oder wenigstens ansehntliche Unser und des Reichs oder solche Städte seynd, wo obrigkeitliche Obsicht gehalten wird, dann ferner nicht nur keine Buchdrucker zuzulassen, die da nicht angesessene redlich- und ehrbare Leuthe seynd und sich nach denen gemeinen Reichssatzungen, Uns, der Obrigkeit des Orths, vermittels Eyds und Pflichten verbindlich gemacht haben, sich in ihrem Drucken allem demjenigen, was die Reichssatzungen mit sich bringen und ihnen vorher wohl zu erklären und einzubinden ist, gemeeß zu bezeigen, sondern auch noch hierüber bey all und jeden Buchdruckereyen verständige und gelährte Censores zu bestellen und solche ebenermassen dahin zu verpflichten, daß sie ohne deren genaue Durchgehung, Erlaubnuß und Genehmhaltung keinen, zumahlen ohne Benennung des Erfinders, Schreibers oder Dichters und des Druckers Nahmen und Zunahmen wie auch der Stadt und des Jahrs etwas zu drucken oder zu verkauffen, vielweniger die Einführung solcher schädlicher Bücher aus frembden Landen und deren Verschleiß im Römischen Reich verstatten. Gestalten Wir von nun an alles, was ohne solche Form und Feyerlichkeit ist, für sträffliche Laster und Schmähekarten, mithin allerdings zu vernichten und zur Confiscation würcklich in der That aller Orthen erklären. Da aber gleichwohl von einem oder anderen vorgedachter Erinnerungen ohngeachtet oder deren ungehindert dergleichen Laster1- oder andere gegen die Reichsgrundgesetze in Glaubens- und Staatssachen lauffende Lehren, Schmäheschrifften, Bücher, Kupffer und Gemählde gedrucket und auß[ge]geben würden, solche alsofort ohne einige Nachsicht durch jedes Orths Obrigkeit oder unsere Kayserliche Büchercommissa1

GB 1724 Läster.

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rios confiscirt, der Urheber, Schreiber und Drucker aber so wohl als alle diejenige, welche sie zum Verkauff herumtragen und ausbreiten oder sich darzu gebrauchen lassen, an Guth und Vermögen, auch nach Beschaffenheit der Sache und deren Umständen an Ehr, Leib, Gut und Blut ohnnachläßig gestrafft werden sollen. Dafern nun ein Geist- oder Weltliche Obrigkeit im Reich, welche die auch immer wären oder wie sie Namen haben mögten, in Erkündigung solcher Dinge nachläßig handlen oder die angezeigte oder sonst wissentliche Ubertrettung nicht mit behörigem Nachdruck abstellen und bestraffen oder auch vielleicht gar mit denen, so darwieder handlen, sich unter der Hand verstehen und Unterschleiff geben würde, alßdann wollen Wir und behalten Uns bevor, nicht nur gegen den Urheber, Erfinder, Schreiber, Dichter, Mahler, Kupfferstecher, Drucker, Buchführer, Unterhändler und Verkäuffern, sondern auch gegen die geist- oder weltliche Lehrer und Prediger und die nachläßige Obrigkeit selbst ernstliche Ahndung und Straff nach befundener Sachen und deren Umbständen fürnehmen zu lassen. Allermassen Wir auch Unseren jetzig- und künfftig Kayserlichen Reichsfiscalen sowohl bey Unserm Kayserlichen Reichshoffrath als Kayserlichen Cammergericht hierdurch ernstlich wollen erinnert haben, daß sie gegen alle die oberwehnte Uberfahrere dieser Unser Kayserlichen Verordnung, sie seyen Geist- oder Weltliche, ohne Ansehung der Persohnen auff gebührende Straff ohnverzüglich anruffen und ihres Orts und Ambts nach aller Strenge verfahren und handlen sollen. Wir meynen es ernstlich. Mit Urkund dieses Brieffs besiegelt mit Unserm auffgetruckten Kayserlichen Insiegel, der geben ist in Unser Stadt Wien, den Achtzehenden Julii Anno 1715, Unserer Reiche des Römischen im Vierten, des Hispanischen im Zwölfften, des Hungarischen und Böheimischen aber im Fünfften. Carl manu propria. V[idi]t1 Fridrich Carl Graff von Schönborn. manu propria. Ad Mandatum Sacrae Caesareae Majestatis proprium. Locus Sigilli. E[rnst] F[ranz] von Glandorff. manu propria. Als wird darauff hiermit alles Ernstes verordnet, solchem Kayserlichen Patent bey Vermeidung der darin angesetzten Straff gehorsahmlich nachzuleben. Dann wird der Kayserliche Fiscal Frantz Erasmus von Emmerich insonderheit dahin erinnert und befelcht, auff die künfftige berührter Kayserlichen Verordnung zuwiderlauffende Schrifften und andere darin bemeldte Dinge genaue Obsicht zu haben und die vorfallende Begebenheiten dem Collegio Camerali zu ferner gemessener Verordnung förderlichst anzuzeigen, zu dem Ende Ihme eine in Cancellaria vidimirte Ab1

Oder vidimiert.

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schrifft des Kayserlichen Rescripts und Patents zugestellet werden solle. Decretum in Consilio pleno, den 18. Septembris 1715. Publicatum 27. Septembris, 1715. Johannes Jacobus Michael, Judicii Imperialis Camerae Protonotarius manu propria.1 Vorlage: CJC 1724, S. 1009-1012 Nr. CCCCVI. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 (Separatdruck lfd. Nr. 243); CJC 1717, nach dem Register der Gemeinen Bescheide S. 1-4 Nr. CCXLIII (letzter Bescheid der Sammlung; wohl eingebundener Separatdruck); GB 1717 Suppl., S. 1-5 Nr. CCXLVIII; GB 1724, S. 262269 Nr. CCXLVIII; Johann Jacob Schmauß/Heinrich Christian von Senckenberg (Hrsg.), Neue und vollständigere Sammlung der Reichsabschiede, Frankfurt am Main 1747 (Nachdruck Osnabrück 1967), Teil 4, S. 338-339 (gekürzt); Balemann 1779, Nachtrag S. I-II (nach S. 244); fehlt bei Selchow 1782. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid verkündet ein kaiserliches Bücherpatent an die Gerichtsangehörigen. Das Verfahren zum Erlass des Bescheides fällt aus dem sonst üblichen Rahmen. Kaiser Karl VI. richtete am 18. Juli 1715 ein Schreiben an das Kammergericht und teilte ihm darin sein am selben Tag erlassenes Patent gegen Schmähschriften im Wortlaut mit. In diesem Patent bzw. Edikt ging es um konfessionelle Beleidigungen und dadurch verursachten öffentlichen Unmut. Der Kaiser sah angeblich sogar die Reichsverfassung in Gefahr und ermahnte auch die Universitäten, sich in der Lehre an das geltende Jus civile und Jus publicum zu halten. Ein Bezug zur Reichsgerichtsbarkeit war dennoch gegeben. Der Reichsfiskal sollte bei Verletzungen sowohl vor dem Reichskammergericht als vor dem Reichshofrat vorgehen. Deswegen galt die kaiserliche Verordnung hier wie dort (dazu auch die Einleitung bei Anm. 46-48). Beim Reichshofrat genügte es freilich, das kaiserliche Patent einfach im Wortlaut als Gemeinen Bescheid anzusehen (dazu Teil 2: RHR Nr. 72). Am Reichskammergericht sah die Transformation anders aus. Nicht nur das kaiserliche Patent, sondern auch das Begleitschreiben waren wörtlich in den Gemeinen Bescheid eingebunden. Und am Ende formulierte das Kameralkollegium wie in anderen Gemeinen Bescheiden ebenfalls eine eigene Verfügung, hier an den Fiskal. Der kaiserliche Einsatz gegen religiöse Schmähungen spielte im selben Jahr auch auf dem Reichstag eine Rolle. Am 14. August 1715 erging dazu ein Kommissionsdekret. Innerhalb der Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts handelt es sich um einen der ganz wenigen Fälle, in dem das Gericht eine einzelne kaiserliche Verordnung in Kameralrecht umsetzte. Den Jüngsten Reichsabschied von 1654 übernahm das Gericht ebenfalls förmlich durch Gemeinen Bescheid (vom 7. September 1654; oben RKG Nr. 126), genauso am Ende des Reiches den Reichsdeputationshauptschluss, diesen sogar auf ausdrückliche kaiserliche Anordnung (Gemeiner Bescheid vom 5. September 1803; unten RKG Nr. 331). Andere Gesetze oder Policeyordnungen wurden sonst vom Reichskammergericht nie ausdrücklich in eigenes Recht transformiert. Die Ausnahme von 1715 beruhte damit wohl auf der ausdrücklichen kaiserlichen Anweisung. Sie betraf freilich nicht nur die Reichsgerichte. Auch die Reichskreise und zahlreiche 1

Der ganze zweite Teil vom ersten Locus Sigilli ... manu propria fehlt bei Balemann 1779.

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Territorien publizierten das kaiserliche Patent. Im Umkehrschluss scheinen die römisch-deutschen Kaiser dem Reichskammergericht ansonsten keine Vorschriften zum Erlass Gemeiner Bescheide oder zur Beachtung anderer Reichsgesetze gemacht zu haben. Eine weitere Ausnahme ist bemerkenswert: Einige kaiserliche Nachfragen zu Religionsprozessen im 18. Jahrhundert gaben den Anlass für Gemeine Bescheide (vom 27. August 1764 und 6. Juli 1770; unten RKG Nr. 284 und 298). Diese transformierten aber keine Reichsgesetze in Kameralrecht, sondern beruhten unmittelbar auf einer kaiserlichen Anweisung.

RKG Nr. 255 1717 Juli 16 Erinnerung der Kammerzieler. [Ut procuratores statibus quorum causas agunt implorationes fiscalis pro solvenda quota sustentationis Cameralis factas cum insecutis sententiis ac specificatione quaestoris etc. sine mora transmittant nec non communium decretorum eatenus iam antea publicatorum stricta observatio iterata vice serio demandatur.]1 Weiters ist der Gemeine Bescheid: Weilen bey diesem Kaiserlichen Kammergericht, ohne dessen hinlänglicher Besetzung denen überhäuften langjährigen und noch täglich mehr anwachsenden Rechtsstreitigkeiten nothdürftiglich nicht abzuhelfen, dieses aber ohne Anschaffung deren hierzu nöthigen Unterhaltungsmitteln nicht zu bewerkstelligen, auch dieses Kaiserliche Kammergericht in seiner dermahligen Consistenz bey bisherig- und längerer Ausbleibung deren zu jetziger Bestellung erforderlichen Kammerzielern durch leere Vertröstungen oder wohl gar verzögerliche Einreden in die Länge nicht bestehen kann, sondern nothwendig zerfallen und in Abgang kommen müste, daß alle und jede Procuratores sowohl der gemeinen als auch ihrer und der ihrigen selbst eigener hierunter mitwaltenden Wohlfahrt halber bey denenjenigen Herren Kurfürsten und Ständen des Reichs, welchen sie bedienet, denen ihnen selbst bestens bekannten und in der bey Kaiserlicher Majestät und allgemeinen Reichsconvent von diesem Kaiserlichen Kammergericht beschehenen Collegialvorstellung vom 20. May 1716 mit mehreren enthaltenen Umständen nach die nöthige Remonstration thun, als auch denen vielfältigen unterm 13. Januar 1598, 16. Octobris 1634, 17. August 1635, 20. Februar 1636, 2. Januar 1656, 16. Februar 1657, 4. Decembris 1658, 28. Junii 1661, 5. Julii 1664, 7. Julii 1665, 6. Julii 1677, 27. August 1678, 11. Julii 1680, 15. März 1690, 2. März 1691, 28. November 1703 1

Ut ... demandatur in GB 1717 Suppl.; GB 1724.

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und 13. November 1711 ergangenen heilsamen Verordnungen und Gemeinen Bescheiden mit fleißiger Abschickung ihrer Protokollisten zur Dictatur deren fiscalischen Anrufen und Urtheln, deren jedesmahliger ohngesäumter Versendung an ihre Principalen, zeitlicher Communicirung deren dießfalls erhaltenden Nachrichten und was obige Gemeine Bescheide hierbey und auch sonsten weiters zu beobachten vorschreiben, alles Ernstes und Fleißes nachkommen, benebens fürohin die abhaltende fiscalische Receß gleich in andern Sachen jederzeit in duplo übergeben, widrigenfalls aber die hierinn Unfleißige mit der darauf gesetzten auch nach gestalten Umständen weiterer Bestrafung angesehen werden sollen. Und damit insonderheit ein jeder zu der Cameralmatrikul angeschlagene Reichsstand des heute dato publicirten Urtheils demselben ausgesetzten Quanti halber um so weniger einen Anstand nehmen möge, so ist vor gut befunden worden, daß benebens obgedachter Urthel und gegenwärtigem Gemeinen Bescheid auch die eingelangte pfenningmeisterische Specification (worinnen, wie hoch zu Zeit des Reichsschlusses eines jeden Ausstand an rückständigen Zielern und der Nachlaß Tertiae sich beloffen, was darauf etwan nach und nach erlegt, folglich in ganzen rückständigen oder Currentzielern in bevorstehender Messe zu erlegen übrig verblieben, ausführlicher enthalten) und dann zu desto besseren Begrif dessen, so wegen künftiger Abstellung der weiteren Reduction deren über den Abzug Tertiae vom ganzen Ausstand verbliebenen zweyen Dritteln auf andere zwey Drittel Zieler in heutigem fiscalischen Urthel gemeldet worden, ein Formular bisheriger ohne dieses Kaiserlichen Kammergerichts Vorbewust unternommener Reduction, dann ein Formular einer reichsschlußmäßigen Ausrechnung nach der Audienz auch in folgenden Tägen durch den Notarium Fisci zum Abschreiben und Versenden dictirt, auch damit bis zu Endigung täg- und unaussetzlich continuiret werden solle. Vorlage: Balemann 1779, Nachtrag S. II-IV (nach S. 244). Weitere Ausgaben: GB 1717 Suppl., S. 5-6 Nr. CCXLIX; GB 1724, S. 270-271 Nr. CCXLIX; auch als Separatdruck (z. B. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 4° Deduct. misc. 26:9): Abdruck der am Kayserlichen und Reichscammergericht in Sachen dessen Unterhalt betreffend, Freytags den 16. Julii Anno 1717 publicirter fiscalischen Urtheil, wie auch Gemeinen Bescheids und des Cammergerichts Pfenningmeisters Specification sambt denen im Gemeinen Bescheid vermeldten Formularien, Wetzlar 1717; fehlt in CJC 1724; Selchow Concepte I 1782. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Finanzierung des Reichskammergerichts. Es handelt sich um das trostloseste Thema der Gemeinen Bescheide. Der Tonfall des Reichskammergerichts, mit dem die Assessoren wieder und wieder dieselben erfolglosen Ermahnungen aussprachen, wurde mit der Zeit immer verbitterter. Der Gemeine Bescheid vom 16. Juli 1717 bildete einen neuen Tiefpunkt. Aus finanziellen Gründen war es nicht mehr möglich, das Kame-

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ralkollegium vollständig zu besetzen und den aufgestauten Geschäftsanfall abzuarbeiten. Das hatte das Gericht noch nie in einem Gemeinen Bescheid so offen gesagt. Erneut malte es in düsteren Farben seinen eigenen Untergang an die Wand (ähnlich bereits der Gemeine Bescheid vom 28. November 1703; oben RKG Nr. 243) und wollte die leeren Vertröstungen nicht länger hinnehmen. Sehr viel mehr blieb ihm aber kaum übrig. Immerhin hatte das Kameralkollegium am 20. Mai 1716 einen Hilferuf an den Reichstag in Regensburg gerichtet. Es dauerte aber bis 1719, ehe man eine reichsrechtliche Lösung erzielte (dazu Gemeiner Bescheid vom 20./23. Dezember 1720; unten RKG Nr. 260). Für die Schwebezeit versuchte das Kameralkollegium sich selbst zu helfen, so gut es ging. Am selben 16. Juli 1717, an dem der Gemeine Bescheid erging, verkündete das Gericht ein Urteil, das die Kammerzieler neu festlegte. Außerdem gab es inzwischen eine genaue Übersicht über die an die einzelnen Territorien noch gerichteten offenen Forderungen. Diese beiden Quellen waren nicht selbst Teil des Gemeinen Bescheids. Die zeitgenössischen Ausgaben der Gemeinen Bescheide haben die Anlagen deswegen nicht mit abgedruckt. Allerdings veranstaltete der Wetzlarer Drucker Georg Ernst Winckler einen 72-seitigen Separatdruck: „Abdruck Der Am Hochlöblichen Kayserl[ichen] und Reichs Cammer-Gericht In Sachen dessen Unterhalt betreffend, Freytags den 16. Julii Anno 1717 publicirter Fiscalischen Urthel, Wie auch Gemeinen Bescheids Und Des Cammer-Gerichts Pfenningmeisters Specification Sambt Denen im Gemeinen Bescheid vermeldten Formularien, Wetzlar 1717.“ Auf diese Weise konnte sich jedermann leicht über die drei zusammengehörigen Entscheidungen unterrichten. Die große Zahl Gemeiner Bescheide, die das Reichskammergericht im Bescheid vom 16. Juli 1717 auflistete, zeigte an, wie lange die Finanznot schon bestand und wie wenig die vielen Anstrengungen, sie zu lösen, bewirkt hatten. Mit 17 Gemeinen Bescheiden zwischen 1598 und 1711 (oben RKG Nr. 96, 109, 112, 113, 129, 133, 137, 152, 163, 167, 199, 201, 205, 222, 226, 243 und 245) war die Liste bei weitem nicht einmal vollständig. Es fehlt etwa der zuletzt ergangene Bescheid vom 2. Juni 1713 (oben RKG Nr. 251). Nachdrücklich führte das Gericht den Prokuratoren vor Augen, wie es auch in ihrem eigensten Interesse liegen musste, das Gericht finanziell über Wasser zu halten. So schwarz hatte das Reichskammergericht seine eigene Lage noch nie dargestellt. Trotz der 1719 beschlossenen Reform des Kammerzielers hatte sich bis 1720 noch nicht viel verbessert (Gemeiner Bescheid vom 20. Dezember 1720, unten RKG Nr. 260).

RKG Nr. 256 1718 Januar 26

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RKG Nr. 256 1718 Januar 26 Contrarecessiren und Schwätzen betreffend. [Gemeiner Bescheid, publicatum 26. Januarii 17181, wegen des Contrarecessiren und Schwätzen.]2 Demnach bishero mit sonderbarer Befremdung wahrgenommen worden, welchergestalten verschiedene dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores denen so oft wiederholten Verordnungen zuwider nicht allein bey öffentlichen Audienzien unnöthige, mehrmalen hitzige und darzu weitläuftige anzuhören beschwerliche Contradictionsrecessen den Proto- und Notariis in die Feder zu dictiren, sondern auch sowohl sie selbst zum Theil, auch einige ihre Schreiber mit allerhand unanständigen Gebährden, lautem Schwätzen und ungeziemendem Lachen dem Respect dieses höchsten Gerichts und der Audienz sehr zuwider leben, so ist nochmalen hiermit die ernstliche Verordnung, daß sämtliche Procuratores, besonders diejenige, welche sich solche Uebertretung bewust sind, sich deren fürohin gänzlich enthalten, auch respective ihre Schreiber davon abhalten sollen mit der Verwarnung, daß die Uebertreter, welche zu annotiren dem Pedellen anbefohlen wird, mit ohnausbleiblicher exemplarischer Strafe sollen angesehen werden. [Publicatum in Audientia, den 26. Januarii 1718.]3 Vorlage: Balemann 1779, S. 206-207. Weitere Ausgaben. BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 12 (zweite Abschrift ohne Nr.); Selchow, Concepte I 1782, S. 1053-1954; fehlt in GB 1717 Suppl.; CJC 1724. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt das gebührende Verhalten der Prokuratoren in der Audienz. Viele Prokuratoren beschränkten sich nicht darauf, ihre Schriftsätze zu übergeben und die auf dem Spezifikationszettel vermerkten Rezesse vorzulesen. Vielmehr ging es hitzig zu. Schon in der späten Speyerer Zeit wandte sich das Reichskammergericht mit einem Gemeinen Bescheid gegen undisziplinierte Wortwechsel in der Audienz (Gemeiner Bescheid vom 30. März 1688; oben RKG Nr. 216). Auch in Wetzlar war es bereits erforderlich gewesen, derartige Hitzigkeiten zu verbieten (Gemeiner Bescheid vom 15./25. Mai 1693 § 9; oben RKG Nr. 233). Selbst die ungezügelten Ausfälle der Prokuratoren waren freilich in die absurde Logik der Audienzordnung eingebunden. Die Prokuratoren diktierten ihre Ungehorsamkeiten den Notaren und Protonotaren gleichsam in die Feder, sprachen sie also langsam genug aus, damit jedermann sie wörtlich mitschreiben konnte. Hitzig war also nur der Inhalt, nicht die Geschwindigkeit. Unanständige Ge1 2 3

Publicatum ... 1718 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Gemeiner ... Schwätzen in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.). Publicatum ... 1718 in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.).

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RKG Nr. 257 1719 Juli 6

bärden kamen dazu. Die Würde des Gerichts litt darunter genauso wie unter dem Geschwätz der Prokuratoren, die zwar körperlich anwesend waren, sich um die Audienz aber nicht weiter scherten. Teilweise scheint die Unruhe auch von den Schreibern der Prokuratoren ausgegangen zu sein. Der Gemeine Bescheid erwähnte sie jedenfalls gesondert. Der Pedell sollte alle Ordnungsverstöße notieren. Hierfür verhängte das Gericht regelmäßig Ordnungsbußen. Sie einzutreiben, war freilich im 17. Jahrhundert trotz zahlreicher Ermahnungen nicht möglich gewesen. In Wetzlar hatte das Gericht sein Verfahren leicht geändert. Es wollte nur noch solche Prokuratoren als Audienzteilnehmer dulden, die zuvor ihre Schulden beim Gericht vollständig abgetragen hatten (Gemeiner Bescheid vom 29. Januar 1702, oben RKG Nr. 240). Der Idee nach war das wasserdicht gebaut. Wer in der Audienz störte, hatte eine Geldbuße zu zahlen. Wer die fällige Summe nicht leistete, durfte nicht mehr zur Audienz erscheinen und sich auch nicht vertreten lassen. Er war damit von seiner Anwaltstätigkeit zeitweise suspendiert. Wenn das Gericht in solchen Fällen konsequent geblieben wäre, hätte es die Disziplinprobleme vermutlich in den Griff bekommen. Aber es gab die üblichen Umsetzungsschwierigkeiten. Das vergleichsweise schwache Ansehen des Kameralkollegiums bei den Prokuratoren zeigt ein kleiner Einschub im Text. Das Verbot des ungebührlichen Betragens richtete sich insbesondere an diejenigen Prokuratoren, die sich ihres früheren Ordnungsverstoßes bewusst waren. Fahrlässige Störungen beeinträchtigten zwar ebenfalls die Ruhe in der Audienz. Aber ausdrücklich erwähnte das Gericht sie nicht einmal. Am 13. Dezember 1782 wiederholte das Kameralkollegium den Gemeinen Bescheid (unten RKG Nr. 310).

RKG Nr. 257 1719 Juli 6 Verzeichniß der Armensachen und was jede arme Parthey aus dem Armensäckel empfangen habe.1 [Procuratores clientulorum suorum pauperum nomina collegio Camerali exhibeant facta mentione quamdiu eiusmodi pauperes hic commorati sint nec non in quo statu illorum causae nunc versentur quantumque ex bursa pauperum ipsis hactenus suppeditatum fuerit.]2 Denen sämtlichen Prokuratoren dieses Kaiserlichen Kammergerichts wird nomine Collegii Cameralis hiermit angedeutet, die Namen aller und jeder dermahlen hier anwesenden geschwornen armen Partheyen, denen ein jeder bedienet, richtig zu specificiren, auch dabey, wie lange Zeit solche Arme sich hier aufgehalten, nicht 1 2

Verzeichniß … habe fehlt in GB 1724. Procuratores ... fuerit in GB 1717 Suppl.; GB 1724.

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weniger in quo statu jede Sache dermahlen versire und wie viel ein jeder derenselben ex Bursa pauperum von Zeit geschwornen Armeneyds an bis dato bekommen, kürzlich zu annotiren und solche Specification bey hochgedachtem Collegio Camerali innerhalb drey Tägen von dato an einzureichen. In Consilio, 6. Julii 1719. Vorlage: Balemann 1779, Nachtrag S. IV (nach S. 244). Weitere Ausgaben: GB 1717 Suppl., S. 6 Nr. CCL; GB 1724, S. 272 Nr. CCL; fehlt in CJC 1724; Selchow Concepte I 1782. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich mit armen Parteien. Er gehört zu einer Serie von zwei weiteren Gemeinen Bescheiden, mit denen das Reichskammergericht den Status armer Parteien klären wollte (ebenso die Gemeinen Bescheide vom 10. Juli 1719 und 24. November 1719, unten RKG Nr. 258-259). In der Speyerer Zeit hatte dieser Regelungsbedarf nie bestanden. Jetzt wuchsen die Probleme dem Reichskammergericht aber über den Kopf. Zum einen gab es arme Parteien, die unbeschwert von finanziellen Risiken auch aussichtslose Sachen durch alle Instanzen vorantrieben. Die Kameralanwälte sollten nach dem Willen des Kameralkollegiums aber keinerlei Frivolitäten und Mutwilligkeiten unterstützen, sondern den Assessoren Anzeige erstatten, wenn eine arme Partei gegen anwaltlichen Rat dennoch einen Rechtsstreit vom Zaune brach (dazu Gemeiner Bescheid vom 7. Juli 1696; oben RKG Nr. 235). Zum anderen regte sich wohl Unmut in der Wetzlarer Bevölkerung, wenn Scharen armer Parteien zum Sitz des Reichskammergerichts zogen, in der Stadt aber nur die sozialen Randgruppen vergrößerten. Wenn 1719 gleich drei Gemeine Bescheide ergingen, musste das Problem eine Größenordnung erreicht haben, die das Kameralkollegium zum Handeln zwang. Der Bescheid vom 6. Juli 1719 diente ersichtlich nur dazu, dem Gericht eine umfassende Übersicht über die Schwierigkeiten zu verschaffen, die es bereits gab. Eine Bestandserhebung stand am Anfang. Die Prokuratoren sollten eine Liste derjenigen armen Parteien vorlegen, die den Armeneid geleistet und dann eine Zeit in Wetzlar gelebt hatten. Vermutlich hatten die Armen Unterstützung aus dem kammergerichtlichen Armensäckel erhalten. Die empfangenen Summen mussten die Prokuratoren ebenfalls dem Kameralkollegium mitteilen. Diese Einzelheiten bildeten die Grundlage des vier Tage später erlassenen weiteren Gemeinen Bescheids zum Armenrecht.

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RKG Nr. 258 1719 Juli 10

RKG Nr. 258 1719 Juli 10 Verordnung wegen der Armensachen.1 [Pauperes statim atque ad beneficia paupertatis admissi pro obtinenda schedula certificatoria (cuius formula in fine conspicitur) tempus quam diu ipsis hic loci demorari liceat continente, in lectoria praesentiam sui faciant. Supplicationes pro eleemosyna ex bursa pauperum iuxta tenorem recessus visitationis novissimi ab advocatis et procuratoribus subscribuntor, facta mentione quantum temporis eiusmodi pauperes hic loci degerint, ac ex sacculo pauperum hactenus obtinuerint. (2.) Advocati et procuratores causas pauperum licet absentium prae aliis, sine ambagibus sedulo ac fideliter respiciunto.]2 Demnach bey diesem Kaiserlichen Kammergericht wahrgenommen worden, daß theils geschworne arme Partheyen des ihnen verstatteten Beneficii et Jurium paupertatis sich dergestalt mißbrauchen, daß sie weit über die in der Ordnung und jüngern Visitationsabschied nachgelassene Zeit, auch so gar, ohngeachtet sie vorlängst per Decreta abgewiesen worden, dannoch zu großer Incommodität und Beunruhigung derer Cameralpersonen und anderer sonder Noth bloß sub praetextu Paupertatis und um Allmosen oder andern Zugang zu haben sich allhier aufhalten, wodurch dann zu vielfältigen Beschwerden und Inconvenientien, insonderheit aber, daß unter dem mißbrauchenden Namen der geschwornen Armen allerhand verdächtiges und von andern Orten entwichenes Gesindel dann und wann sich einzuschleichen unterstanden Anlaß gegeben worden. Als wird sämtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advokaten und Prokuratoren hiermit bedeutet, allen und jeden geschwornen Armenpartheyen, denen sie dermahlen bedienet oder hinkünftig bedient seyn werden, von dato an unnachlässig anzuzeigen, daß ein jeder derselben, sobald er zu dem Armeneyd admittirt worden, hinführo um Ertheilung eines von denen ad Bursam pauperum deputatis Assessoribus unterschriebenen Certificats- und Beglaubigungsscheins, worinn, wie viel Wochen oder Monath nach Befinden allhier in loco sich aufzuhalten ihm verstattet seyn solle, enthalten, in Lectoria sich ohnverzüglich melden, außer solchem Schein aber in der Stadt nicht geduldet und nach Verfließung der darinn gesetzten Zeit bey Vermeidung schärferen Einsehens sich sofort hinweg begeben sollen. Wie dann auch die Supplicae pro Eleemosyna ex Bursa pauperum nach Innhalt obangezogenen Visitationsabschieds von denen Advokaten und Prokuratoren, wel1 2

Verordnung … Armensachen fehlt in GB 1724. Pauperes ... respiciunto in GB 1717 Suppl.; GB 1724.

RKG Nr. 258 1719 Juli 10

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che ihnen bedienet, jedesmal unterschrieben, imgleichen, wie lange solche Arme sich allhier aufgehalten und wie viel sie bereits aus der Armen Säckel empfangen, glaubwürdig attestirt, anders aber nicht angenommen, sondern zurückgegeben werden sollen. Hingegen werden gedachte sämtliche Advocati und Procuratores hiermit ernstlich und bey ihren Pflichten erinnert, derer Armen Partheyen Sachen wie jederzeit, also auch ohngeachtet, ob selbige gleich nicht persönlich sich hier anwesend befinden, vor allen andern mit Abkürzung aller ohndienlichen Weitläuftigkeit und mit schleuniger Beförderung bey Vermeidung der widrigenfalls auf sich ladenden Verantwortung sich jederzeit angelegen seyn zu lassen. Publicatum in Audientia, 10. Julii 1719. Christian Henrich Joseph Bolles, Kaiserlicher Kammergerichts Protonotarius manu propria. [Certificat vor des Kayserlichen Cammergerichts arme Partheyen. Vorzeigern dieses – – – – – geschworner armen Parthey wird von heut dato an, – – – länger aber nicht, und zu dessen Beglaubigung gegenwärtiger Schein, der nach Verfließung gedachter Zeit verloschen seyn soll, ertheilet. Wetzlar, den – – – Anno]1 Vorlage: Balemann 1779, Nachtrag S. IV-V (nach S. 244). Weitere Ausgaben: GB 1717 Suppl., S. 6-7 Nr. CCLI; GB 1724, S. 272-274 Nr. CCLI; fehlt in CJC 1724; Selchow, Concepte I 1782. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt ebenso wie die Erlasse vom 6. Juli 1719 und vom 24. November 1719 (oben RKG Nr. 257; unten RKG Nr. 259) das Armenwesen. Aus der Sicht der Assessoren gab es soziale Spannungen in Wetzlar. Arme Parteien reisten häufig an, um ihre Rechtsstreitigkeiten vor Ort selbst zu betreiben. Doch dieses Anliegen schoben sie oft nur vor. Großenteils ging es lediglich darum, unter Hinweis auf den Status einer armen Partei Zuschüsse aus der Armenkasse zu erhalten. Unverhohlen sprach das Kameralkollegium von Gesindel, das sich inzwischen in der Reichsstadt Wetzlar zusammenzwängte. Die vorgesehene Begrenzung der Aufenthaltsdauer schien ebenfalls nicht durchsetzbar zu sein. Der Gemeine Bescheid führte deshalb einen Berechtigungsschein ein, der einer armen Partei fortan einen zeitlich bemessenen Aufenthalt in Wetzlar ermöglichen sollte. Wer diesen Schein nicht vorweisen konnte, musste Wetzlar verlassen. Das Reichskammergericht wollte also nicht dauerhaft Bettler und Almosenempfänger anlocken. Anspruch auf Unterstützungsleistungen (Eleemosyna, also Almosen) aus der gerichtlichen Armenkasse hatten die armen Parteien dennoch. Um die Missbrauchsgefahren einzudämmen, führte 1

Certificat ... Anno in GB 1717 Suppl.; GB 1724.

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RKG Nr. 259 1719 November 24

das Gericht eine anwaltliche Gegenzeichnung ein. Insbesondere mussten die Prokuratoren erklären, wie lange sich die Partei bereits in Wetzlar aufhielt und welche Zahlungen sie seitdem erhalten hatte. Jedenfalls durfte keine arme Partei Unterhalt für längere Zeit erhalten, als ihr für ihren Aufenthalt in Wetzlar zugebilligt war. So seltsam sich die in der Stadt lebenden armen Parteien auch benahmen, schwächte das keineswegs die Anforderungen an die Prokuratoren, auch diesem „Gesindel“ mit Rechtsbeistand zur Seite zu stehen. Armensachen mussten sogar vorrangig bearbeitet werden. Der folgende Gemeine Bescheid vom 24. November 1719 (sogleich unten RKG Nr. 259) traf ergänzende Bestimmungen.

RKG Nr. 259 1719 November 24 Weitere Verordnung wegen der armen Partheyen.1 [Ulterior ac respective iterata dispositio ratione pauperum.]2 Von wegen des Kaiserlichen [und]3 Reichs Kammergerichts wird denen geschwornen armen Partheyen, so sich dermahlen hier aufhalten oder künftig aufhalten möchten, nochmahlen hiermit bedeutet, daß sie dem am 10. Julii jüngsthin publicirten Gemeinen Bescheid gemäß und aus denen darinnen angeführten Ursachen sogleich nach geschwornem Armeneyd bey denen ad Bursam pauperum deputirten Assessoribus um Ertheilung eines Beglaubigungsscheins wie auch nach Verfließung der in demselben befindenden Umständen nach zu ihrem Aufenthalt allhier bestimmten Zeit um deren Erlängerung und Ertheilung eines neuen Certificats mit Vorzeigung des ersteren benebst einem Attestat ihres Procuratoris, wie lange sie sich bereits hier aufgehalten, bey obgedachten Deputatis sich jedesmal ohnnachlässig melden oder in Entstehung dessen nach Verfließung solcher Zeit in der Stadt nicht mehr geduldet werden sollen4, wie denn insonderheit allen denjenigen, die durch Urthel und Decreta von diesem höchsten Gericht abgewiesen worden bey Vermeidung schärferen Einsehens, sich ohnverzüglich wieder hinwegzubegeben, dem Stadtmagistrat aber derselben Aufenthalt allhier nicht weiter zu verhängen, hiermit aufgegeben wird; darnach gedachte arme Partheyen ohne Unterscheid und auch derenselben Advokaten und Prokuratoren, um jene dessen zu bedeuten, sich gebüh-

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Fehlt in GB 1724. Ulterior ... Pauperum in GB 1717 Suppl.; GB 1724. Und in GB 1717 Suppl.; GB 1724. Anderer Satzbau bei GB 1724 nicht mehr gedultet sollen werden.

RKG Nr. 260 1720 Dezember 23

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rend zu achten haben. In Consilio Pleno, den 24. Novembris 1719. Ex Mandato Speciali Illustrissimi Pleni Christian Henrich Joseph Bolles, Kaiserl[icher] Kammergerichtsprotonotarius manu propria. Vorlage: Balemann 1779, Nachtrag S. V-VI (nach S. 244). Weitere Ausgaben: GB 1717 Suppl., S. 7-8 Nr. CCLII; GB 1724, S. 274-275 Nr. CCLII; fehlt in CJC 1724; Selchow, Concepte I 1782. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ergänzt den Bescheid vom 10. Juli 1719 (oben RKG Nr. 258). Erneut sah sich das Kameralkollegium veranlasst, Bestimmungen zum Aufenthalt armer Parteien zu verkünden. Offenbar besaßen inzwischen zahlreiche arme Parteien die im Juli eingeführte schriftliche Aufenthaltsberechtigung. Doch auch hier bestanden Umgehungsmöglichkeiten. Einige Parteien blieben nämlich länger in Wetzlar, als sie durften. Manche hatten ihre Geschäfte schon erledigt und kehrten dennoch nicht nach Hause zurück. Vor allem diejenigen, die ihren Rechtsstreit verloren hatten, wollte das Kameralkollegium nicht länger dulden. Der Gemeine Bescheid ist darüber hinaus wegen der Gerichtsbezeichnung bemerkenswert. Die Sammlung Gemeiner Bescheide von 1724 sprach vom „Kaiserlichen und Reichs Kammergericht“. Einige Jahrzehnte später zitierte Balemann 1779 dieselbe Titulierung und ließ das Wörtchen „und“ weg. Damit war „kaiserliches Reichskammergericht“ der Gerichtsname. Die ältere Doppelung, die auf die gemeinsame Trägerschaft von Kaiser und Reichsständen verwies, war nun überwunden. Kaiserlich war nichts als ein Adjektiv, das Gericht selbst hieß nun Reichskammergericht. Gerade die Ungenauigkeit in der Textüberlieferung erlaubt daher Einblick in die jeweilige Wahrnehmung der zeitgenössischen Herausgeber.

RKG Nr. 260 1720 Dezember 23 [Procuratores apud status quorum causas agunt residuum sustentationis Camerae sedulo urgento responsionemque ipsis de super factam fiscali communicanto.]1 [Den Ausstand derer des alt- und erhöheten Anschlags Kammerzieler betreffend.]2 Demnach des Kayserlichen und Reichscammergerichts3 Generalfiscal tragenden Amts halben vor- und angebracht, daß, ohnerachtet der am 17ten Julii dieses lauf1 2 3

Procuratores ... communicanto in GB 1717 Suppl.; GB 1724; ohne Überschrift im CJC 1724. Den ... betreffend in Balemann 1779; BA Slg. 1693-1787 (1. Ex., Randglosse); Selchow 1782; BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) nur Gemeiner Bescheid. Cammergerichts fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779.

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RKG Nr. 260 1720 Dezember 23

fenden Jahrs eröffneter Paritoriurtheil, die mehreste Churfürsten und Stände des Reichs ihre vermög des Anno 1713 errichteten Reichsschlusses erforderte schuldige Gebühr zu dieses höchsten Gerichts ohnentbehrlichen Unterhalt nicht völlig erstattet und an1 denen von Anno 1654 mit bedinglichem Nachlaß eines Drittels verfallenen sowohl zwey Drittel rückständigen als auch von Nativitatis B[eatae] M[ariae] V[irginis] 1714 biß dato erschienenen currenten Zielern vor- und [respective]2 in letztverwichener Franckfurter Herbstmeß respective3 ein sehr geringes abgetragen4 und daraus leicht abzunehmen, daß, wofern die zu Vermehrung des Kayserlichen Cammergerichts Beysitzern und deren5 zulänglicher versichertem Unterhalt, mithin zu mehrer Beförder[ung] und Befestigung des zu verwalten seyenden heilsam[en] und gottgefälligen Justitzwesens unter dem 15. Decembris verlittenen6 1719ten Jahrs von Reichswegen verglichen- und beliebte, den 5. Novembris Anni currentis von Ihro Kayserlichen Majestät allergnädigst ratificirte erforderliche Erhöhung der in sogenannter Usualmatricul bemerckter einfacher, nunmehro auff sieben Jährliche Cammerzieler von Nativitate B[eatae] M[ariae] V[irginis] 1719 anzufangen und in zweyen Fristen 4 Wochen vor Annunciat[ione] et7 Nativitat[e] Mariae jedesmahl zu bezahlen, mittels genauer und richtigerer Abführung alles Außstands des alten und erhöheten Anschlags nicht besser als8 bißhero befolget würde, alßdann der so heilsam intendirte Zweck ohnmöglich erreichet und dahero bey fernerem Anstand, die reichsschlußmäßige Executionsmittel vorzukehren, die höchste Noth erfordere.9 Als wird des Kayserlichen Cammergerichts bestellten sämtlichen Procuratoren krafft dieses hiemit ernstlich anbefohlen, daß ein jeder denen Churfürsten und Ständen, welchen er bedienet, nechst abgehender Post alles möglichsten Fleisses mit Beylegung jedes10 Stands schuldiger Quotae11 beweglichste Anmahnung thun, damit Inhalts obvermeldter Reichsschlüssen des 1713ten und dieses lauffenden Jahrs aller bißheriger Außstand des alten und erhöheten Anschlägs ohngesaumt abgeführet und auff den widrigen unverhofften Fall gegen die Säumige zu verfahren nicht noth werde. Dann sollen die darauff erfolgende Antwortschreiben dem Kayserlichen

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BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 ohne. Balemann 1779; Selchow 1782. Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Selchow 1782 an dieser Stelle. Anderer Satzbau in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.); Balemann 1779 vor- und respective in letzt verwichener Frankfurter Herbstmesse ein sehr geringes abgetragen. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 daran. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 verwichenen. BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) et et. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Selchow 1782 dann. Absatz in Balemann 1779. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 eines jeden. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 Schulden-Quotae; BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) SchuldenQuota.

RKG Nr. 260 1720 Dezember 23

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Generalfiscal behörig eingelieffert werden. Decretum in Consilio pleno, den 20. Decembris 1720.1 [Publicatum in Audientia, Lunae, 23. Decembris 1720.]2 Christian Henrich Joseph Bolles3, Kayserlichen Cammergerichts Protonotarius4. [manu propria.]5 Vorlage: CJC 1724, S. 1013-1014 Nr. CCCCVIII. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 13 (auf zweitem Blatt; 2. Exemplar ohne Nr.); GB 1717 Suppl., S. 8 Nr. CCLIII; GB 1724, S. 275-276 Nr. CCLIII; Balemann 1779, S. 207-208; Selchow, Concepte I 1782, S. 1054-1055. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid befasst sich mit der Finanzierung des Reichskammergerichts. Die Anordnung selbst ist altbekannt und schließt an die letzten gleichartigen Erlasse vom 16. Juli 1717 (oben RKG Nr. 255), 2. Juni 1713 (oben RKG Nr. 251), 13. November 1711 (oben RKG Nr. 245) und 28. November 1703 (oben RKG Nr. 243) an. Wie gehabt sollten sich die Prokuratoren bei den Reichsständen dafür einsetzen, die fälligen Kammerzieler abzuführen. Auch ihren einschlägigen Schriftwechsel mit ihren reichsständischen Mandanten mussten sie weiterhin offenlegen. Seit einiger Zeit stellte das Reichskammergericht den immer gleichen Verfügungen jedoch durchaus verschiedene Einleitungen voran. Sie beschrieben die jeweils anders gelagerte, immer aber erbärmliche finanzielle Situation des Gerichts. Das Kameralkollegium konnte sich auf den ersten Blick auf reichsrechtliche Unterstützung berufen. Der zitierte Reichsschluss vom 19. Juni 1713 (bei Johann Jacob Schmauß/Heinrich Christian von Senckenberg (Hrsg.), Neue und vollständigere Sammlung der Reichsabschiede, Frankfurt am Main 1747 (Nachdruck Osnabrück 1967), Teil 4, S. 259-261) sowie das Reichsgutachten vom 15. Dezember 1719 mitsamt der kaiserlichen Bestätigung vom November 1720 (bei Schmauß/Senckenberg ebd. S. 344-348) versprachen aber mehr, als die Stände halten konnten. Die jährlichen Zahlungen sollten zwar auf sieben erhöht und im Gegenzug die Zahl der Assessoren gesteigert werden. In der Praxis konnte sich das Gericht aber nur 17 statt der vorgesehenen 25 Beisitzer leisten. Zudem war es erforderlich gewesen, hohe Bestechungsgelder an die Reichstagsgesandten zu zahlen, um das Reichsgutachten von 1719 überhaupt zu erhalten. Georg Melchior von Ludolff und sein Kollege Philipp Friderich Dresanus hatten in Regensburg über 23.000 Gulden an Schmiergeldern unter die Leute gebracht und damit einen guten Teil der später bewilligten Gehaltserhöhung des Kameralkollegiums bereits ausgegeben (Einzelheiten bei Rudolf Smend, Das Reichskammergericht. Erster Teil: Geschichte und Verfassung, Weimar 1911 (Nachdruck Aalen 1965), S. 220, 226-228). Der Gemeine Bescheid vom 23. Dezember 1720 benutzte abermals deutliche Worte. Die mit den Reformen auf Reichsebene verfolgten Ziele ließen sich nur erreichen, wenn die Stände künftig eine bessere Zahlungsmoral 1 2 3 4 5

Statt Decretum ... 1720 fehlt in Balemann 1779; Selchow 1782 und BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.). Publicatum … 1720 in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782. Statt Christian Henrich Joseph Bolles bei BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779 Joannes Weiskirch; Selchow 1782 Joan. Weiskirch. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria in GB 1724; Balemann 1779.

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RKG Nr. 261 1721 April 4

zeigten als in der Vergangenheit. Unverblümt wies das Kameralkollegium darauf hin, wie wenig die Territorien bisher erst gezahlt hatten. Dauerhafte Besserung war also nicht in Sicht. Die Einschaltung der Prokuratoren in das gesamte Verfahren hatte bisher schon nichts gebracht. Jetzt sprach das Gericht geradezu aberwitzig vom „unverhofften Fall“, in dem die Territorien ihre Kammerzieler nicht pünktlich und vollständig zahlen würden. Absehbar war vielmehr das genaue Gegenteil. Gleich der folgende Gemeine Bescheid wiederholte dieselbe Klage (Gemeiner Bescheid vom 4. April 1721 Ziff. 22, unten RKG Nr. 261).

RKG Nr. 261 1721 April 4 Varii defectus in officio Procuratorum notantur et corriguntur1. [Procuratorum varii abusus notantur serioque interdicuntur.]2 [Verschiedene Mängel als Contrarecessiren, weitläufig- nicht foliirt- und übel geschriebene Handlung ohne Beysetzung des Concipienten betreffend3, große Recessen, Unterlassung der Recognition und Diffession, unbedachtsames Recognosciren der Vollmachten, nachsuchende Restitution in integrum, Contraction der suchenden Restitution, Mutation der Rubriquen, unordentliches Numeriren der Beylagen, Uebergebung empfangener Schreiben statt nöthiger Handlung, unschickliches Bitten pro Mandatis S[ine] C[lausula], unmäßiges Prorogationssuchen, Anfüllung der Protocollen, wiederholte Uebergebung einerley Beylagen, Ausbleiben von der Audienz, Ablesung derer Receß im Namen anderer, unachtsame Substitutionsunterschreibung, Abstand von angefangenen Processen, unhinlängliche Bescheinigung, unmäßige Designation der Expensen [zurückbleibende Designationes Recessuum]4, unterlassene Erinnerung, des Kammergerichts Unterhalt betreffend.]5 Demnach eine geraume Zeithero mißfällig wahrgenommen worden, daß verschiedene6 dieses Kayserlichen Cammergerichts Advocati und Procuratores wider die Ordnung, Reichs- und Visitationsabschiede auch Gemeine Bescheide vielfältig zu

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Varii … corriguntur fehlt in GB 1724. Procuratorum ... interdicuntur in GB 1717 Suppl.; GB 1724; lateinische Überschriften fehlen in BA Slg. 1693-1787 (alle Ex.); Selchow 1782. Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.). Zurückbleibende ... Recessuum in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.). Verschiedene ... betreffend bei Balemann 1779; dort jeweils Marginalien bei den einzelnen Nummern; BA Slg. 16931787 (1. Ex.) bis auf die nachgewiesenen Abweichungen identisch; Selchow 1782 nur Verschiedene Mängel betreffend; BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) ohne Überschrift. Verschiedene fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1., 3. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782.

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handlen pflegen, als ist die ernste Verordnung, folgende Mängel allen Fleisses einzustellen und zu verbessern: 1mo. Die Dictirung der ungescheuten Contradictionsrecessen, [die]1 offters in anzüglichen Terminis [geschehen]2, da vielmehr, wann etwas zu erinnern, solches in folgender Audientz mit geziemender Maaß und Bescheidenheit, nicht aber also fort, als ob man damit die Fertigkeit zu contradiciren und das letzte Wort zu behalten, zeigen wolte, geschehen kan. 2do. Die Ubergebung allzuweitläuffiger, nicht foliirter, auch offters übel geschriebener Handlungen3, dazu ohne Benennung des Concipienten, zuweilen mit unzulänglicher Anführung, daß Advocatus ex praecedentibus Actis bekandt, der sich doch mehrmahls verändert, und wer eigentlich jede Schrifft concipirt, ohnbekandt bleibet. 3tio. Die weitläuffige Merita Causae begreiffende mündliche Recess, so anstatt einer Handlung abgelesen werden. 4to.4 Die Unterlassung nöthiger Recognition oder Diffession übergebener Documentorum, also daß darüber erst mit Zeitverlust interloquirt werden muß. 5to. Das unbedachtsahme Recognosciren der General- oder Specialgewälter5, obschon deren Mangel in die Augen fället. 6to. Bey suchender Restitution in integrum die unbesonnene Oblation des Eydes für Gefährde, auch in eigene Seele, ohne die Acta eingesehen6 und ob es in der That neue, vorhin nicht vorbrachte und abgeurtheilte Sachen seyen, erwogen zu haben, auch ohne zu melden, wann7 und von wem sie oder ihre Principalen solche angegebene Nova oder warum nicht ehender bekommen haben können. Sodann mit Einmischung der vorigen Sachen zu Accumulirung sowohl der Acten als der Mühe des Referenten, mithin Verzögerung der Justitz. 7timo. Daß auff übergebenes Restitutionsgesuch der Gegentheil solchem nur per Generalia als vorhin vorgekommenen Sachen contradicirt, da vielmehr, wo es in Actis vorkommen, dabey specialiter gemeldet werden solte. 8vo. Die verbottene und zu allerhand Gefährde gereichende Veränderung der Rubriquen in Extrajudicialexhibitis, um dardurch die Sachen in andern Senatum zu bringen, als wo8 sie vorhin gewesen.

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Die in BA Slg. 1693-1787 (1., 3. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782. Geschehen in BA Slg. 1693-1787 (1., 3. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782. Balemann 1779; Selchow 1782 Handlung. Ab hier in BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) ausgeschriebene Zahlen, hier Quarto. BA Slg. 1693-1787 (1., 3. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 Special-Vollmachten. Ohne ... eingesehen fehlt in BA Slg. 1693-1787 (nur 1. Ex.). BA Slg. 1693-1787 (1., 3. Ex.); Balemann 1779 wer. Selchow 1782 wie.

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9no. Das unordentliche Numeriren oder Litteriren der Beylagen, da vielmehr ein Theil die seinige mit nacheinander folgenden Littern, der ander Theil die seinige mit [nacheinander folgenden]1 Numern die gantze Acta hindurch bezeichnen solte. 10mo. Daß empfangene Schreiben von denen2 Principalen oder Advocato mit inserirten Meritis Causae als Handlungen3 übergeben werden, anstatt sich die Mühe zu nehmen4, den Inhalt in schrifftlichen Recess, wo es nöthig und der Ordnung nach erlaubt, zu verfassen. 11mo. Das unqualificirte Bitten pro Mandatis S[ine] C[lausula] wordurch dem Senatui nur vergebliche Mühe gemachet und anderer Sachen Erledigung gehindert wird. 12mo. Das ungemäßigte und ohnbescheinte5 Prorogationssuchen sowohl der Fatalien halber zu Extrahirung der Appellationsprocessen als zu Production der gerichtlichen Handlungen. 13tio. Die Anfüllung des Protocolli mit ohnnöthigen, mehrmahls nach dem Angeben ihrer Protocollisten durch sie6 concipirter7 Recessen, dabey zumahlen nach langen Ferien zu geschehen pfleget, daß jeder Procurator alle seine zusammen gesparte, theils ohnnöthige und Verzug leidende Recess in einer Audientz zu verlesen unternimmet, wordurch der Umlauff der Ordnung zu nöthigern Sachen verlängert und verhindert wird. 14to. Die öfftere Ubergebung einerley in Actis vorhin befindlicher Beylagen, wormit Numeri Camerales nur vermehret werden, da8 vielmehr auff den in Actis schon befindlichen Numerum Beziehung geschehen könte. 15to. Das öfftere Aussenbleiben mit ohnerheblichen Entschuldigungen von der Audientz, wordurch andere den Recess zu verlesen9 und zu subscribiren veranlasset werden, die zuweilen nicht wissen, von wem ein solcher Recess kommen und was er auff sich habe. Dahingegen kein Recess pro absente abgelesen werden solte, welchen der Principalanwald oder dessen Substitutus, deme auch, so er zugegen, das Ablesen zu committiren, nicht unterschrieben. 16to. Daß im Fall ein Procurator pro absente die Recess abzulesen hat, derselbe dem in Ordine sonst folgenden Procuratori, wann dieser schon zu lesen angefangen, in die Rede fällt, welcher Ubelstand in offentlicher Audientz allerdings zu vermeyden, und der Vorsitzende, da er erheblicher Ursachen halber selbst nicht erscheinen 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Nach einander folgenden in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 dem. BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782 Handlung. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 geben. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 ohnbeschämte. BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779; Selchow 1782 die. Balemann 1779; Selchow 1782 concipirte. Balemann 1779; Selchow 1782 und. Balemann 1779; Selchow 1782 lesen; BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) lasen.

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könte, seine Designation beyzeiten dem Substituto überschicken und solches dem in Ordine nachfolgenden Procuratori anzeigen lassen solte. 17mo. Die unachtsame Annehm[ung] und Unterschreibung der Substitution, ohne sich zu erinnern, daß ein- oder der1 andere sich auch dem gegentheiligen Procuratori substituiren lassen. 18vo. Der eigenwillige Abstand von denen Sachen, die sie einmahl2 zu bedienen angefangen, ohne die Ursachen, so sie dazu bewogen, anzuzeigen und der Ordnung gemäß gerichtlichen Bescheid vorher darüber zu erwarten. 19no. Die Beylegung allerhand unzulänglicher Bescheinigungen durch Extractus einiger Missiven oder Zeugnuß eigener Bedienten und Sachwalteren. 20mo. Die übermäßige, ordnungswidrige und theils unbescheinte3 Designationen 4 der Expensen. 21mo. Die unordentliche und öffters zurückbleibende Ubergebung Designationis Recessuum in Audientia, so in duplo ad Mensam Notariorum jederzeit zu übergeben sich gebühret. Endlich auch 22do. [Endlich]5 [auch]6 daß die Procuratores die Verordnung des Cammergerichts und ihre Schuldigkeit wegen dessen Unterhalts wenig beobachten, indeme die aufferlegte Erinnerungen entweder nicht geschehen oder, an wen solche bewerckstelliget worden, der Gebühr nach nicht angezeiget noch die einlauffende Antworten in Zeiten beygebracht werden. Alle diese Mängel und wo sonsten der Cammergerichtsordnung, Reichs- und Visitationsabschieden auch Gemeinen Bescheiden biß anhero nicht nachgelebet worden, sollen abgestellet werden, gestalten sämbtlichen Advocatis und Procuratoribus deren sorgsame Vermeidung und Verbesserung mit mehrerer Beobachtung ihrer Schuldigkeit hiermit ernstlich anbefohlen wird. Nebst Verwarnung, weil die bißherige leidliche7 Straffen in der Armen Säckel einer und anderer Ubertrettung halber die verhoffte Remedirung nicht würcken wollen, daß bey weiterer Verspürung solcher obgemeldten und andern ordnungswidrigen Verbrechen, Versaumnuß und Nachläßigkeit gestalten Dingen nach mit härterem Einsehen und Bestraffung verfahren werden solle. [Publicatum, den 4. April 1721.]8 [Johann9 Weißkirch1, Kayserl[icher] Cammergerichts Protonotarius.]2[manu propria.]3 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779 niemahlen; Selchow 1782 einmahlen. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 unbeschämte. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779 oder. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782. Balemann 1779; Selchow 1782. Nach BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); GB 1724, Balemann 1779; dagegen CJC 1724 leibliche. Publicatum ... 1721 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 wohl die statt den. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Selchow 1782 Joann; Balemann 1779 Joannes.

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Vorlage: CJC 1724, S. 1012-1013 Nr. CCCCVII (jüngster Bescheid im Hauptteil der Sammlung). Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 auf demselbem Blatt wie Gemeiner Bescheid vom 23. Dezember 1720, außerdem lfd. Nr. 14, dritte Abschrift ohne Nr. unter dem Bescheid vom 23. Dezember 1720; GB 1717 Suppl., S. 9-10 Nr. CCLIV; GB 1724, S. 277-280 Nr. CCLIV; Balemann 1779, S. 208-211; Selchow, Concepte I 1782, S. 1055-159; Vahlkampf 1805, S. 54, Tit. II, S. 54, § 32 erwähnt einen Bescheid vom 14. April 1721, meint vermutlich aber diesen hier. Anmerkung: Es handelt sich um einen umfangreichen Sammelbescheid zu verschiedenen Pflichten der Prokuratoren. Formal schlug das Kameralkollegium mit diesem Bescheid einen neuen Weg ein. Es listete mit knappen Worten 22 Mängel auf, daran schloss sich eine gemeinsame Anordnung an. Auf diese Weise gelang es den Assessoren, die sonst so störende Weitschweifigkeit weitgehend zu vermeiden. Zugleich war sehr präzise klar, an welchen Verhaltensweisen der Anwälte sich das richterliche Personal störte. Es handelte sich um Ordnungswidrigkeiten sowohl im Rahmen der Audienzen mit ihren mündlichen Rezessen als auch um Verstöße beim Schriftsatzwechsel selbst. Teilweise wiederholten die einzelnen Ziffern ältere Gemeine Bescheide, teilweise handelte es sich um Neuregelungen. Um die Ordnung innerhalb der Audienz ging es gleich in Ziffer 1. Wenn ein Prokurator seinen Rezess gehalten hatte, durfte die Gegenseite keineswegs sofort antworten. Ältere Gemeine Bescheide hatten kleine Ausnahmen zugelassen etwa für die bloße Bestätigung, eine Kopie sei ordnungsgemäß, oder ähnliches (Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1659 § 3, 26. März 1675 § 1 und 30. März 1688; oben RKG Nr. 144, 194 und 216). Es hatte sich aber wohl eingeschliffen, echte Gegenreden zu halten, langsam genug, um sie dem Protokollführer in die Feder diktieren zu können. Hierbei gab es durchaus Anzüglichkeiten, die das Reichskammergericht unter dem Stichwort „hitzige Rezesse“ schon mehrfach verboten hatte (Gemeine Bescheide vom 30. März 1688 und 15./25. Mai 1693 § 9; oben RKG Nr. 216 und 233). Ziffer 2 betraf demgegenüber das schriftliche Verfahren. „Handlungen“ waren die jeweiligen Schriftsätze, hier als weitschweifig und schlecht lesbar kritisiert. Insbesondere gaben einige Prokuratoren die Namen der Advokaten nicht an, mit denen sie zusammenarbeiteten. Dabei bestand die Verpflichtung schon seit den Reformen nach dem Jüngsten Reichsabschied von 1654 (z. B. Gemeine Bescheide vom 13. Dezember 1659 § 4 und 9. Januar 1660 § 3; oben RKG Nr. 144-145). Ein bloßer Blankoverweis auf den erstinstanzlichen Advokaten reichte dem Kameralkollegium nicht aus, weil der Anwalt gewechselt haben konnte. Vielmehr musste auf jedem Schriftsatz ersichtlich sein, wer ihn konzipiert hatte, und das war üblicherweise der Advokat. Mit den Merita causae meinte Ziffer 3 Äußerungen zur Sach- und Rechtslage (dazu bereits Gemeine Bescheide vom 27. Januar 1535, 12. November 1647, 30. Oktober 1655 § 11, 8./18. Mai 1668 § 1 und 15./25. Mai 1693 § 9; oben RKG Nr. 26, 120, 127, 175 und 233). Sie waren in der Audienz unzulässig und 1 2 3

Balemann 1779; Selchow 1782 Weiskirch. Johann ... Protonotarius in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); GB 1724, Balemann 1779; Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782.

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ausschließlich den Schriftsätzen vorbehalten. Wer einen schriftlich vorbereiteten Rezess vorlas und sich dabei zum rechtlichen Inhalt des Rechtsstreits äußerte, mogelte sich tatsächlich an der vorgesehenen Begrenzung der Schriftsätze vorbei. Dieses Ausmaß an Mündlichkeit wollte das Kameralkollegium nicht akzeptieren. Im Übrigen fällt eine Auslassung ins Auge. Im Zusammenhang mit der Audienz sprach das Gericht nicht mehr von den Spezifikationszetteln, die es einige Jahrzehnte zuvor eingeführt hatte, um die mündlichen Rezesse zu straffen (Gemeine Bescheide vom 31. August 1537, 13. Dezember 1659 § 5, 12. Januar 1660 §§ 2-7, 26. März 1675; oben RKG Nr. 31, 144, 146, 194). Entweder hatte sich dieses Verfahren nicht bewährt und war wieder eingeschlafen oder es funktionierte reibungslos und erforderte keine erneute Einschärfung. Möglicherweise waren die in Ziffer 16 und 21 genannten Designationen an die Stelle der älteren Zettel getreten. Ziffern 4 und 5 behandeln Fragen des Augenscheins in der Audienz. Die bloße Betrachtung von Dokumenten und die knappe Bestätigung, sie seien äußerlich in Ordnung, war als Gegenrezess erlaubt und sollte sofort bei der Produktion der Schriftstücke erfolgen (so auch Gemeine Bescheide vom 13. Dezember 1659 § 3, 26. März 1675 § 1 und 30. März 1688; oben RKG Nr. 144, 194, 216). Bis zur nächsten Audienz sollte der Gegenprokurator damit nicht warten müssen. Auf der anderen Seite akzeptierten die Prokuratoren offensichtlich unrichtige Anwaltsvollmachten. Terminologisch fällt der Begriffswandel im 18. Jahrhundert ins Auge. Georg Melchior von Ludolff sprach in seinem Corpus Juris Cameralis von 1724 noch von der „Gewalt“. Balemann ersetzte den veralteten Begriff 1779 und verbesserte ihn zur „Vollmacht“. Leichtsinnig waren die Prokuratoren auch, wenn sie bei Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand den Kalumnieneid leisteten, ohne sich über die Einzelheiten der Restitutionsbegründung überhaupt Gedanken gemacht zu haben (Ziffer 6). Die bloße Wiederholung alten Sachvortrags war erstens erfolglos und führte zweitens nur zur Prozessverzögerung. Der Prozessgegner seinerseits verwies bei der Restitutio in integrum häufig pauschal darauf, die angeblich neuen Tatsachen seien aus der Prozessakte längst bekannt (Ziffer 7). Das hätte das Gericht prüfen können, doch bereitete dies viel Mühe. Deswegen verpflichtete das Kameralkollegium den Prokurator, genau anzugeben, wo sich der Sachvortrag bereits befand. Das ersparte später die langwierige Sucharbeit. Einen neuen Regelungsgegenstand behandelte Ziffer 8. Er setzt die Arbeitsteilung innerhalb des Kameralkollegiums voraus. Es gab mehrere Judizial- und Extrajudizialsenate, am Ende des Alten Reiches jeweils drei bis vier. Sie führten eigene Protokollbücher für ihre getrennten Beratungen. Teilweise scheint sich die sachliche Abgrenzung nach den Parteien (Reichsunmittelbare, Reichsmittelbare) gerichtet zu haben (dazu die Einleitung bei Anm. 439-440). Findige Prokuratoren nutzten das aus, um erfolglose Anträge mehrfach stellen zu können. Wenn sie mit einem extrajudizialen Anliegen gescheitert waren, änderten sie kurzerhand die Bezeichnung des Rechtsstreits. Durch die Umstellung von Prozessparteien oder andere Gewichtung der jeweiligen Anträge konnte ihre Sache so in einen anderen Senat geraten. Auf diese Weise mochte im zweiten Anlauf die Supplikation durchaus erfolgreich sein. Ziffer 9 wiederholte die Verpflichtung, die Anlagen von Schriftsätzen ordentlich durchzunummerieren (dazu Gemeiner Bescheid vom 27. November 1539 § 11 und 12. Januar 1660 § 7; oben RKG Nr. 38 und 146). Neu war die Bestimmung, jeweils eine Par-

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tei müsse Zahlen, die andere Buchstaben benutzen. Wenn die Parteien in der Praxis so verfahren wären, hätte man jedem Dokument sofort ansehen können, wer es zu den Akten gereicht hatte. Soviel Disziplin gab es aber nicht. Ziffer 10 behandelte einen weiteren Missstand. Aus Bequemlichkeit verzichteten einige Prokuratoren darauf, formal ordnungsgemäße Schriftsätze zu den Akten zu reichen. Sie gaben einfach diejenigen Schreiben, die sie vom Advokaten oder vom Mandanten erhalten hatten, an der Audienz ab. Das reichte aber nicht aus. Die Prokuratoren mussten schon eigene Schriftsätze ausarbeiten. Mit Rezessen waren in diesem Zusammenhang also Schriftsätze gemeint, nicht dagegen diejenigen Zettel, von denen die Prokuratoren in der Audienz vorlasen. Äußerungen zur Sach- und Rechtslage durften ja ohnehin nur schriftlich erfolgen (so auch Ziffer 3). Ziffer 11 kehrte zum Extrajudizialverfahren zurück. Aus der Sicht der Kläger waren Mandate sine clausula die erfolgversprechendsten Verfügungen des Reichskammergerichts. Hier stand eine Entscheidung in Form einer einstweiligen Anordnung sofort im Raum. Die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten waren demgegenüber begrenzt auf die Behauptung, der Kläger habe das Mandat durch falsche Tatsachenbehauptungen erschlichen (sog. Exceptiones sub- et obreptionis). Dafür waren solche unklausulierten Mandate aber nur schwer zu erhalten, nämlich bei Gefahr im Verzug und anderen schweren Vorwürfen (dazu RKGO 1555 2, 23). Man sprach deshalb auch teilweise vom Mandat auf die vier Fälle. Lag ein solcher Fall nicht vor, erließ das Reichskammergericht seine Mandate nur cum clausula iustificatoria. Einige Prokuratoren beantragten dennoch Mandate sine clausula, obwohl die vier dafür vorgesehenen besonderen Fälle nicht vorlagen. Das bereitete dem Kameralkollegium erhebliche Mühe. Dennoch ist der Vorwurf gegen die Prokuratoren erstaunlich. Denn verschiedene Einschätzungen der Rechtslage mochte es geben, und als Parteivertreter war es geradezu die Aufgabe des Prokurators, für den Mandanten den bestmöglichen Rechtsschutz zu erlangen. Das Gericht erwartete dagegen vom Prokurator, die Entscheidung des Kameralkollegiums vorauszusehen und sich danach zu richten. Ziffer 12 wiederholte die bereits häufig ergangene Mahnung, mit überflüssigen Anträgen auf Fristverlängerung das Verfahren nicht zu verzögern (dazu auch die Gemeinen Bescheide vom 10./20. Juni 1580 § 1, 28. Mai 1582, 5. Juni 1584, 7. Juli 1590, 24. Oktober 1651, 13. Dezember 1659 § 4, 8./18. Mai 1668 und 15./25. Mai 1693 § 9; oben RKG Nr. 78-79, 82, 89, 123, 144, 175 und 233). Ziffer 13 behandelt Verzögerungen in den Audienzen durch mehrfach abgehaltene Rezesse. Es war das erste Mal in der Wetzlarer Zeit, dass in den Gemeinen Bescheiden diese Klage auftauchte. Vor allem nach den Gerichtsferien kam es zu solch langen Rezessen, dass die Umfrageordnung nicht sämtliche Prokuratoren erreichte. In der Speyerer Zeit hatte es zu solchen Gebrechen häufig Gemeine Bescheide gegeben (z. B. Gemeiner Bescheid vom 3./13. März 1651 princ.; oben RKG Nr. 122). In Wetzlar traten derartige Störungen ausweislich der Gemeinen Bescheide nur auf, wenn die Prokuratoren überflüssige Rezesse hielten. Die Audienzdauer selbst war für den Normalbetrieb also gut bemessen. Genauso ärgerlich wie überflüssige mündliche Rezesse war die doppelte Übergabe von Schriftsätzen und Anlagen (Ziffer 14). Ziffer 15 rügte Prokuratoren, die nicht zur Audienz erschienen. Die allgemeine Teilnahmepflicht hatte das Gericht schon oft angeordnet (z. B. Gemeine Bescheide vom 3. November 1568, 11. April 1595 § 5, 12. März 1608,

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4. Oktober 1638; oben RKG Nr. 61, 94, 117, 203). Trotzdem hielten sich nicht einmal diejenigen Prokuratoren daran, die am entsprechenden Tag rezessieren mussten. Sie setzten einen Kollegen als Substituten ein, auch wenn er den Rechtsstreit gar nicht genau kannte. So lange es nur darum ging, einen bereits schriftlich vorformulierten Rezess abzulesen, war das mit dem statischen Schauspiel der Audienz vereinbar. Deswegen ließ das Gericht diese Möglichkeit bestehen und verlangte lediglich, der Sitzungsvertreter müsse immerhin wissen, wer den Rezess verfasst habe und worum es sich handele. Auch mussten solche Schriftsätze vom Prokurator unterschrieben sein. Außerdem gab es Unsicherheit, wann der Substitut seinen vertretungsweise zu haltenden Rezess anbringen sollte, entweder wenn er selbst an der Reihe war oder wenn die Umfrage an den fehlenden Kollegen gelangte (dazu Ziffer 16). Teilweise fielen sich die Prokuratoren gegenseitig ins Wort und beschädigten damit die Würde der öffentlichen Audienz. Das Kameralkollegium suchte die Lösung in einer vorherigen gegenseitigen Information der Prokuratoren. Überhaupt übernahmen einige Prokuratoren die Aufgabe, als Substitut einen Kollegen zu vertreten, obwohl sie bereits für die Gegenseite tätig waren (dazu auch Gemeiner Bescheid vom 10./30. Oktober 1682; oben RKG Nr. 209). Ziffer 18 richtete sich gegen die unbegründete Niederlegung einmal übernommener Mandate. Dazu hatte es zuvor noch keine Bestimmungen gegeben. Unzureichende Beglaubigungen kritisierte Ziffer 19. Wenn ein Prokurator eine Tatsache glaubhaft machen sollte, reichte es nicht aus, lediglich Auszüge aus dem Schriftwechsel mit dem Mandanten (Missive) oder Bestätigungen der eigenen Mitarbeiter vorzulegen. Gegen Gebührenschinderei richtete sich Ziffer 20 (dazu auch Gemeiner Bescheid vom 17. Mai 1605; oben RKG Nr. 98). Ziffer 21 behandelt die schriftliche Übersicht über die von einem Prokuratoren an einem Audienztag zu haltenden Rezesse. Im 17. Jahrhundert hatte das Gericht von einem Spezifikationszettel gesprochen (u. a. Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1659 § 5, 12. Januar 1660 §§ 2-7; oben RKG Nr. 144 und 146). Vielleicht waren diese Designationen an ihre Stelle getreten. Jedenfalls musste sie der Anwalt zweifach bei den Gerichtsnotaren abgeben. Ob ein Exemplar dann an den Prozessgegner ging oder ob der Prokurator seinem Kollegen das Blatt selbst übergeben sollte, bleibt unklar. Das genaue Verfahren war in der Speyerer Zeit viel eingehender geregelt (dazu aber zusätzlich der Gemeine Bescheid vom 16. Juli 1723; unten RKG Nr. 262). Ziffer 22 wiederholte die häufigste Anordnung der Gemeinen Bescheide überhaupt. Es ging um die Verpflichtung der Prokuratoren, ihre reichsständischen Mandanten wegen der ausstehenden Kammerzieler anzuschreiben und die Antworten gerichtlich vorzulegen. Am 23. Dezember 1720 hatte das Gericht die Prokuratoren zuletzt ermahnt (oben RKG Nr. 260). Jetzt folgte nach nicht einmal vier Monaten die Wiederholung. Pauschal angedrohte Geldstrafen sollten die Einhaltung des Sammelbescheids gewährleisten.

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RKG Nr. 262 1723 Juli 16 Contrarecessiren soll unterbleiben, Entschuldigung von der Audienz und wie daselbsten zu erscheinen, Einrichtung derer Designationum Recesuum, Einrichtung derer Designationen. Procuratores sollen anzeigen, wann sie bereit seyn, ein offerirtes Eyd abzustatten. Gemeindsleute sollen sich nicht in großer Anzahl hier aufhalten.1 [Recessus ac contradictiones procuratorum immodestae aut taxativae aliique abusus serio interdicuntur et quidem sub aggravata poena. Procuratores communitates paganas quarum causas agunt dehortantur ne adeo numerose huc se conferant.]2 Demnach bey diesem Kaiserlichen Kammergericht höchstmißfällig wahrgenommen worden, wasgestalt einige desselben Advocati und Procuratores sich an die mehrmalige durch Gemeine Bescheid und besondere Urthel beschehene ernste Warnung nicht kehrende und den gebührenden Respect gegen dieses höchste Gericht ganz vergessende in öffentlicher Audienz mit anzüglichen [und]3 Contradictionsrecessen einander zu begegnen und solche, respective den Proto- und Notariis in die Feder zu dictiren, sich anmaßen, gestalten auch in nächstvoriger Audienz zu nicht geringer Aergerniß geschehen. Als ist hiermit die nochmalige ernste Verordnung, daß sämmtliche Advocati und Procuratores sich des Contradicirens in öffentlicher Audienz (es sey dann unumgänglich nothwendig und geschehe der Ordnung nach mit sehr wenig Worten) durch Gegenrecesse wie auch aller Anzüglichkeiten sich allerdings enthalten, die Proto- und Notarii auch hinführo durchaus keinen dergleichen Contradictionsreceß nachschreiben und ad Protocollum bringen. Dafern sich gleichwohl ein oder der andere Advocatus und Procurator dessen nichts desto weniger zu thun anmaßen oder auch in seiner Designation Recessuum Anzüglichkeiten mit einflie1 2 3

Contrarecessiren … aufhalten in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779 jeweils als Marginalien am Rand; Selchow 1782 nur Contrarecessiren soll unterbleiben; Überschrift fehlt in GB 1724. Recessus ... conferant in GB 1717 Suppl.; GB 1724. Und in BA Slg. 1693-1787; GB 1724.

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ßen lassen würde, solches sofort angezeigt und nach Befinden mit der Suspension ab officio oder anderer empfindlicher Bestrafung wider die Verbrechere verfahren werden solle. [Entschuldigung von der Audienz und wie daselbsten zu erscheinen.]1 Dann werden sämmtliche Advocati und Procuratores hiermit ernstlich erinnert, die Audienz nicht nach eigener Bequemlichkeit und erdichteten Excusationsursachen zu versäumen, sondern sich darzu zu rechter Zeit in zierlicher schwarzer Kleidung und nicht wie von einigen mit großem Uebelstand geschiehet, wann die Audienz halb geendiget, oder auch in farbigen Kleidern oder Mänteln einzufinden. Da aber ein oder ander zulängliche Ursachen sich zu entschuldigen hätte, die gewöhnliche Schedulam bey Anfang der Audienz (gestalten sonsten dieselbe nicht angenommen und der Abwesende mit Strafe der Ordnung ohnnachlässig angesehen werden sollen) überreichen; nicht weniger, wann einer auf längere Zeit Urlaub erhalten, die Ursache seiner Absenz per Pedellum in jeder Audienz gleichwohlen mündlich anzeigen lassen solle. [Einrichtung derer Designationum Recessuum.]2 Weiter ist zu Vermeidung der bishero durch Unrichtigkeit der Designationen Recessuum oder Tabellen entstandener Confusion bey der Registratur mithin beschwerlichen Nachsuchens in Complendis Protocollis und anderer Unordnung hiermit verordnet, daß Erstlich alle Designationes Recessuum in Duplo vor deren Ablesung ad Mensam Notariorum gleichlautend übergeben und, ehe solches geschehen, nicht verlesen, widrigenfalls auf des Protonotarii Erinnerung die Verlesung sogleich inhibiret, pro absente auch keine Designation abgelesen werden solle, es seyen dann demjenigen, der darum ersuchet, alle Exemplaria zugleich mit übersendet worden. Zweytens sollen sich sämmtliche Advocaten und Procuratores, wie es ohne dies ihr Amt und Pflicht erfordert, sorgfältig hüten, daß sie sich von niemand, wer der auch sey, zu Ablesung eines Recesses pro absente Procuratore ordinario bewegen lassen, sie seyn dann versichert, daß solcher mit Wissen und Willen jetzt gedachten ordentlichen Anwalds verfertiget und nichts Ordnungswidriges darinn enthalten sey. [Einrichtung derer Designationen.]3 Drittens sollen die Designationes conformiter, auch denen Blättern nach geschrieben und oben zu Beysetzung des Numeri räumlicher Platz gelassen, nicht weniger 1 2 3

Entschuldigung ... erscheinen in Selchow 1782 als Überschrift; entspricht den Marginalien in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779. Einrichtung ... Recessum in Selchow 1782 als Überschrift; entspricht den Marginalien in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779. Einrichtung ... Designationen in Selchow 1782 als Überschrift; entspricht den Marginalien in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779.

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Viertens die Rubra Causarum accurate beygesetzt und, wo zumalen einerley Partheyen mehr Sachen haben, dieselbe wohl unterschieden. Fünftens die Designationes zu Hause mit Fleiß überlesen, collationiret, Fehler ausgebessert und nicht erst in Audientia oder Cancellaria corrigiret, auch in Audientia mit lauter Stimme und nicht leise und unverständlich verlesen werden. [Procuratores sollen anzeigen, wann sie bereit seynd, einen offerirten Eyd abzustatten.]1 Sechstens soll jeder Prokurator, wann er durch einen andern reproduciren2 und dabey ordnungsmäßige Eydesleistung offeriren lassen, jedesmal in primo reditu, daß er solchen Eyd nunmehro abzustatten bereit sey, per Recessum anzeigen, damit der Tag ordentlich in Protocollo annotiret werden könne. [Gemeindsleut solle sich nicht in groser Anzahl hier aufhalten.]3 Siebendens wann ein Prokurator ein oder mehreren Dorfgemeinden bedienet, soll er denenselben in großer Anzahl allhier sich einzufinden ernstlich abrathen, und da sie sich selbst dessen unterfangen, sie alsofort zurückweisen, gestalten ihre bey dem Anwald etwan habende Erinnerung durch wenige besorget werden kann, der große Haufen aber die Sache nicht befördert, sondern vielmehr hindert, und die Leute selbst und ihre Herrschaft dadurch Versäumniß leyden. Welches alles, gleichwie es zu besserer Ordnung gereichet, also werden sämmtliche Advocati und Procuratores dessen Beobachtung sich bestens angelegen seyn lassen und vor ernster Strafe der Uebertretung sich zu hüten wissen. Signatum Wetzlar, den 16. Julii 1723. Joann.4 Philip.5 Joseph. Niederer6, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius7 manu propria8. Vorlage: Balemann 1779, S. 211-213. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 17-18; GB 1717 Suppl., S. 11-12 Nr. CCLV; CJC 1724 Anhang S. 15-16; GB 1724, S. 280-283 Nr. CCLV; Selchow, Concepte I 1782, S. 1060-1063. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt vor allem Pflichten der Prokuratoren. Er schließt sich eng an den Sammelbescheid vom 4. April 1721 an, ist aber kürzer und anders aufgebaut. Im 1 2 3 4 5 6 7 8

Procuratores ... abzustatten in Selchow 1782 als Überschrift; entspricht den Marginalien in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779. In BA Slg. 1693-1787 verbessert aus reproduciret. Gemeindsleut ... aufhalten in Selchow 1782 als Überschrift; entspricht den Marginalien in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779. BA Slg. 1693-1787 Joh; GB 1717 Suppl.; GB 1724 Johann. Selchow 1782 Jo. Ph.; GB 1717 Suppl.; GB 1724 Philipp. GB 1717 Suppl.; GB 1724 Niderer. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787; GB 1724; Selchow 1782.

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Zentrum stehen sehr kleinteilige Regelungen über die Rezessdesignationen. Den Beginn machte freilich das wiederholte Verbot des Gegenrezessierens (ebenso Gemeiner Bescheid vom 4. April 1721 Ziff. 1, oben RKG Nr. 261). Das Reichskammergericht verband in seinen Anordnungen Gegenrezesse wie selbstverständlich mit Anzüglichkeiten und hitziger Rede. In der Tat war es ein Zeichen von Spontaneität, wenn in einer Audienz ein Prokurator dem Rezess des Gegners widersprach. Offenbar gab es in dieser Zeit unter den Anwälten Bestrebungen, die Mündlichkeit auszuweiten. Das Kameralkollegium stellte zwar stets seine immer gleichen Verbote auf. Aber dahinter sieht man Prokuratoren, die vor Gericht über den Sach- und Streitstand diskutieren wollten. In der vorletzten Audienz, so klagten die Assessoren, war das erneut geschehen. In den Augen der Richterschaft untergruben die Prokuratoren auf diese Weise das Ansehen des Gerichts. Deswegen drohte das Kameralkollegium die Suspendierung vom Amt an, eine sehr scharfe Bestrafung also. Mündliche Diskussionen sollten nicht stattfinden. Und die Protokollführer durften solche Gegenrezesse, wenn sie dennoch vorkamen, nicht mehr mitschreiben. Sodann schärfte der Gemeine Bescheid den Prokuratoren die Verpflichtung ein, pünktlich und vollständig zur Audienz zu erscheinen. Falls jemand nicht kommen konnte, durfte er seinen Entschuldigungszettel bis zum Sitzungsbeginn abliefern. Damit schwächte das Reichskammergericht seinen eigenen Gemeinen Bescheid vom 12. März 1680 (oben RKG Nr. 203) ab. Damals musste man die Entschuldigung mindestens eine Dreiviertelstunde vor der Audienz abgegeben haben, wollte man Säumnisstrafen vermeiden. Und während eines Urlaubs des Anwalts sollte der Pedell in jeder öffentlichen Audienz mündlich darauf hinweisen und den Grund der Abwesenheit benennen. Das zielte auf die Zuschauer ab. Sie sollten nicht den Eindruck erhalten, jemand schwänze die Audienz unerlaubt. Eingebunden in die Anwesenheitspflicht war eine Kleiderordnung für die Prokuratoren. Ihren Degen hatten sie durchgesetzt (Gemeine Bescheide vom 21. Juni 1675 und 8. Juli 1691; oben RKG Nr. 197 und 227). Exzellenz durften sie sich aber nicht nennen lassen (Gemeiner Bescheid vom 27. Oktober 1713; oben RKG Nr. 252). Nunmehr ging es um die Art und Farbe ihrer Kleidung. Das überkommene Amtsschwarz war einigen Prokuratoren offenbar nicht modisch genug. Sie begannen deshalb, in farbigen Gewändern und Mänteln zur Audienz zu erscheinen. Das wollte das Kameralkollegium nicht hinnehmen und bestand auf dem schlichten Schwarz. Sodann wandte sich der Gemeine Bescheid den Rezessdesignationen zu (dazu auch Gemeiner Bescheid vom 4. April 1721 Ziffer 16 und 21, oben RKG Nr. 261). Der Eindruck, die wenigen Hinweise von 1721 ließen das gesamte Verfahren weitgehend unklar bleiben, täuscht nicht. Auch bei den Anwälten selbst gab es Verunsicherungen. In großer Ausführlichkeit legte das Gericht deswegen dar, wie es sich solche Zettel vorstellte. Die Übersicht über die für einen Prokurator und Audienztag bevorstehenden Rezesse musste er vor der Verlesung den Notaren übergeben. Nur diejenigen Rezesse durfte er also verlesen, die auf dem Rezesszettel angegeben waren. Falls ein Substitut rezessierte, musste auch er zuvor die Übersicht vorlegen. Keinesfalls durfte ein Vertreter einen Rezess verlesen, wenn unklar blieb, ob der Hauptprokurator dies auch wollte. Die äußere Gestaltung der Designationen gab das Kameralkollegium weitgehend vor, ganz ähnlich wie bei den alten Spezifikationszetteln (Gemeiner Bescheid vom 13. Dezember 1659 § 5, 12. Januar 1660 §§ 2-7 und 26. März 1675; oben RKG

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Nr. 144, 146 und 194). Sie waren zu paginieren und nach Parteien und Prozessart zu trennen. Oftmals scheinen die Mitarbeiter von Prokuratoren diese Zettel recht lieblos zusammengeschrieben zu haben. Korrekturen musste der Prokurator jedoch vor Beginn der Audienz vornehmen und nicht bis zur Sitzung damit warten. Laut und deutlich sollte er vorlesen. Das war für die Zuschauer gedacht, denn die übrigen Beteiligten waren wegen der Designationszettel über die bevorstehenden Rezesse ja ohnehin informiert. Ein davon getrennter Punkt betraf den Zusammenhang zwischen Stellvertretung in der Audienz und der anwaltlichen Eidesleistung. Der Substitut konnte demnach einen Eid ankündigen, schwor ihn aber nicht selbst. Dies blieb dem Hauptprokurator für die Zeit nach seiner Rückkehr (in primo reditu) vorbehalten. Der letzte Regelungspunkt spiegelt die hohe Zahl von Untertanenprozessen. Häufig wehrte sich die bäuerliche Dorfbevölkerung gegen übermäßige Abgabenlasten und verklagte ihren Grundherren oder den Landesherren vor dem Reichskammergericht. Solche Dörfer oder Bauernschaften hatten keinen festen gesetzlichen Vertreter. Deswegen traten oftmals die gesamten Einwohner als Streitgenossen auf. Teilweise reisten sie in größerer Zahl nach Wetzlar. Dagegen richtete sich das Reichskammergericht mit seiner Anordnung. Die Prokuratoren sollten den Dorfgemeinden abraten, nach Wetzlar zu ziehen. Wenn größere Mengen dennoch kommen würden, sollte man sie nach Hause schicken. Die Begründung klang recht paternalistisch. Für den Meinungsaustausch zwischen Prokurator und Bauern genügte es, wenn eine kleine Delegation anreiste. Außerdem sei es wirtschaftlich vernünftiger, wenn die Bauern für ihren Herren arbeiteten. Möglicherweise stand dahinter die Befürchtung, es könne in der Stadt Wetzlar oder in den Audienzen zu Tumulten und Unruhen kommen. Das Misstrauen gegen die Dorfbevölkerung erinnert jedenfalls an die recht unsanfte Art, in der das Gericht die Aufenthaltsdauer armer Parteien beschränkte (dazu die Gemeinen Bescheide vom 13. Dezember 1610, 7. Juli 1696, 6. Juli 1719, 10. Juli 1719 und 24. November 1719; oben RKG Nr. 102, 235 und 257-259).

RKG Nr. 263 1724 März 6 Abschaffung verschiedener das Bothenwesen betreffender Mißbräuche1. [Ulterior dispositio qua nunciorum Cameralium multi variis abusibus de super que auditis querelis remedetur.]2 Demnach bey diesem Kaiserlichen Kammergericht mißfälligst verspüret, auch von denen Partheyen und denen Prokuratoren, ja von einigen Bothen selbst vielfältig 1 2

Abschaffung … Mißbräuche fehlt in GB 1724. Ulterior ... remedetur in GB 1717 Suppl.; GB 1724; fehlt in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782.

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geklaget worden, daß die seit einiger Zeit bey dem Bothenwesen eingerissene Unordnung aller dagegen vorgekehrten Mittel ohnerachtet nicht nur annoch continuire, sondern sogar immer mehrers zunehme, so hat man vor nöthig erachtet, auf reife der Sachen Ueberlegung folgendes zu verfügen und zu verordnen. Anfangs werden der Canzleyverwalter als Bothendeputatus wie auch sämtliche dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten, Prokuratoren, Partheyen, Taxeinnehmer und Bothenmeister, imgleichen die Bothen zu genauer und besserer Beobachtung desjenigen, was in der Kammergerichtsordnung, letztern Reichsabschied und Visitationsreceß, auch vorhin ergangenen Gemeinen Bescheiden von dem Bothenwesen verordnet ist, insoweit durch diesen Gemeinen Bescheid in einem und andern nicht eine Erläuterung geschiehet, überhaupt angewiesen, damit man nicht bey verspürter fernerer Saumseligkeit oder beflissentlicher Uebertretung, gegen die Verbrecher mit unausbleiblicher scharfer Bestrafung zu verfahren, veranlasset werde. Sodann sollen Zweytens die bishero fast gänzlich in Abgang gekommene ordinaire Reisen von nun an wieder hergestellet werden, ein jeder Bothe auch, er sey reitender oder Beybothe, mit drey Hauptprocessen unweigerlich abzureisen schuldig seyn und der Bothenmeister, wann eine solche Anzahl Processe vorhanden, die Abfertigung des Bothen, an deme die Ordnung ist, weder unter dem Vorwand, daß noch mehrere Processus erwartet würden, noch unter andern unerheblichem1 Schein aufschieben. Wann gleichwohlen Drittens solche Sachen vorfielen, welche eine schleunige Expedition und Insinuation erforderten, so daß der Prokurator Causae ohne Nachtheil seiner Parthey eine ordinaire Reise abzuwarten nicht vermöchte, so soll derselbe solches per Memoriale mit Anziehung der Ursachen und Beylegung eines Attestati von dem Canzleyverwalter oder in dessen Abwesenheit von dem Bothenmeister, daß die zu der ordinairen Reise erforderliche Anzahl Processe dermalen nicht vorhanden sey, geziemend anzeigen und um Verstattung einer Extrareise in Camera gehorsamst ansuchen, worinnen ihme auch, befindenden Umständen nach, gewillfahret werden solle. Ehe und bevor aber der Prokurator um Vergünstigung einer Extrareise suppliciret, auch ein Decret, daß ihm solche verstattet worden, vorgezeigt hat, soll der Bothenmeister einen Bothen extra abzufertigen nicht befugt, sondern ihm solches hiermit alles Ernstes untersaget seyn. Und weilen Viertens die Unordnung bis anhero eingerissen, daß die Bothen ihre Expedition nicht allemal auf der Canzley, sondern öfters von denen Prokuratoren und Par1

BA Slg. 1693-1787 erheblichen; GB 1724 anderm unerheblichen.

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theyen erhalten oder auch die Processus ihnen mit der Post nachgeschickt worden, ja wohl gar ein Bothe dem andern seine Processus verhandelt und zu insinuiren überträgt, folglichen ein Bothe den andern selbst abfertiget, als wird denen Advocaten und Prokuratoren, auch Partheyen und Sollicitanten die Abfertigung der Bothen und Zustellung derer Processe zur Insinuation sowohl in ordinairen und extraordinairen Reisen1, es geschehe entweder solches von ihnen selbst in Person oder vermittelst Nachschickung gänzlich untersagt, sondern es sollen die Bothen einzig und allein auf der Canzley abgefertigt und aus des Bothenmeisters oder wer in dessen Abwesenheit sein Amt verwaltet Händen ihre Abfertigung erhalten. Es sollen auch die Bothen von keinem andern ihre Abfertigung annehmen, vielweniger einige Processus, welche sie nicht wie obgedacht aus des Bothenmeisters Händen empfangen, wanngleich dieselbe ihnen mit der Post nachgeschickt oder von denen Partheyen ihnen in Loco ad insinuandum zugestellet würden, insinuiren, bey Vermeidung vier Reichsthaler Strafe vor [eine]2 jedesmahlige Contravention, wie dann auch denen Bothen die eigenmächtige Verhandlung und Uebertragung derer Processen ad insinuandum bey vorgemeldter und nach Befindung härterer Ahndung untersaget wird. Und obwohlen Fünftens man die freye Sachen vor jetzo noch bis zu dieses Kaiserlichen Kammergerichts anderweiter Verordnung toleriren will, so soll es doch auch in Ansehung derselben mit Abfertigung der Bothen, wie oben von andern Processen gedacht, gehalten und selbige von keinem andern als dem Bothenmeister denen Bothen ad insinuandum zugestellet noch dergleichen freyen Sachen von denen Bothen, wann sie dieselbe nicht aus des Bothenmeisters Händen empfangen, insinuiret werden. Damit man auch Sechstens, daß dieser Verordnung nachgelebet werde, um desto mehr vergewissert sey, so wird nicht allein der Bothenmeister die Insinuationes von solchen Sachen, welche er dem Bothen ad insinuandum nicht gegeben, nicht zu unterschreiben, sondern auch ein jeder Bothe bey seiner Zurückkunft eine richtige Specification von allen und jeden Processen, welche er insinuiret, es mögen freye oder ungefreyete Sachen seyn, pflichtmäßig zu verfertigen und solche dem hierzu verordneten Notario Lizentiat Fries zu übergeben befehlicht und angewiesen. Da auch Siebendens bishero vielfältig geklaget worden, daß die Bothen nach ihrer erhaltenen Abfertigung annoch viele Tage in der Stadt oder in der Nähe herum sich 1 2

GB 1724 Ordinari- als auch Extraordinari-Reißen; BA Slg. 1693-1787 und Selchow 1782 ordinari als extraordinari Reisen. Eine in BA Slg. 1693-1787.

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heimlich aufhalten, so wird nicht allein dasjenige, was wegen schleuniger Abreisung der Bothen und Fortsetzung ihrer Reise in dem letztern Visitationsrecesse, auch sonsten schon verordnet ist, nochmalen wiederholt und ihnen solchen nachzuleben bey Vermeidung harten Einsehens anbefohlen, sondern es wird auch daneben kraft dieses statuiret und verordnet, daß ein jeder Bothe vor seiner Abreise von dem Bothenmeister einen Schein, an welchem Tage er seine Abfertigung bekommen und was vor Processe, es mögen gefreyte oder ungefreyte Haupt- oder Nebenprocesse seyn, ad insinuandum er mitnehme, abfordern, denselben Schein dem bemeldten Notario einhändigen und zugleich, an welchem Tage er mit diesen Processen wegreise, unter diesen Schein unterzeichnen solle. Wann nun der Bothe an dem Tage, wie er vorgegeben, nicht wirklich abreisen, sondern des Nachts annoch in der Stadt bleiben oder doch nur in der Nähe sich aufhalten und seine Reise ohne Noth nicht ohngesäumt fortsetzen sollte, so soll solcher Bothe das erste Mal mit einer ziemlichen Geldbuße, das andere Mal mit Zurücksetzung auf die erstere Supernumeraristelle und das drittemal mit gänzlicher Entsetzung von seinem Bothendienste bestrafet werden. Hiernächst Achtens werden die Bothen von allen und jeden Insinuationen, es seyn gefreyete oder ungefreyete Sachen, einen Schein derer Parthey, wie viel ihnen an Gebühren bezahlt sey, mitzubringen, auch solchen dem Bothenmeister vorzuzeigen und nachmalen dem Procuratori einzuhändigen erinnert und der jedesmalige Procurator Causae aber nur bemeldten Schein bey Reproducirung der Processen judicialiter oder, wann auch extrajudicialiter1 suppliciret wird, extrajudicialiter mit zu übergeben. Im Fall aber von dem Bothen dergleichen Schein nicht zu erhalten wäre, der Bothenmeister bey Unterschreibung der Insinuation diesen Umstand mit zu bemerken angewiesen. Wie man Neuntens wahrgenommen, daß die Bothen ihres dabey suchenden Interesse halber des Sollicitirens um Erkennung der Processe sich ungebührlich unterfangen, so soll ihnen solches Sollicitiren hiermit gänzlich verbothen seyn. Und obwohlen Zehendens die Verhandlung der Processe ad insinuandum gänzlich unterbleiben und ein jeder Bothe in seiner Ordnung die ihm zugefallene Processus selbst insinuiren und solche Insinuation durch keinen andern Bothen verrichten lassen solle, es wäre dann, daß er aus erheblichen Ursachen hierzu von denen zum Bothenwesen deputirten Assessoribus besondere Erlaubniß erhalten hätte, so soll doch selbiges von denen Bothen, welche Alters oder Unvermögenheit halber die Reisen nicht 1

Anderer Satzbau in BA Slg. 1693-1787; GB 1724 oder auch, wann extrajudicialiter.

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selbst mehr verrichten können, nicht verstanden, sondern denenselben die Insinuationes derer Processen fürnemlich durch einen ordinari-, im Fall sie aber wegen des Lohns mit keinem derselben sich vergleichen könnten, auch durch einen supernumerari-geschwornen Kammerbothen verrichten zu lassen, frey und unverwehrt1, außer solchem Fall aber ermeldtem Supernumerari-Kammerbothen die Processus zu insinuiren und dadurch denen Ordinari-Bothen Eintrag zu thun, gänzlich verbothen seyn. Damit auch Eilftens aller besorgliche Unterschleif um desto besser künftighin vermieden werde, so werden sämmtliche zum Bothenwesen verordnete Canzleypersonen wie auch Procuratores auf ihre gethane Eydespflichten hiermit angewiesen und befehlicht, alle und jede zu ihrer Wissenschaft kommende, in das Bothenwesen einschlagende Contraventiones oder sonsten sich ereignende Mängel ohne einige Nachsicht diesem Kaiserlichen Kammergericht ohnverzüglich anzuzeigen, zu welchem Ende ein jeder von obgedachten Canzleypersonen und Prokuratoren jedesmalen den ersten Tag eines Monats oder, so derselbe auf einen Feyertag fiele, den nächsten Gerichtstag darauf per Schedulam (welche dem dazu bestellten Notario zu überreichen) eine pflichtmäßige Anzeige, was er im nächst verwichenen Monath vor Contraventiones und Gebrechen bey dem Bothenwesen wahrgenommen und in Erfahrung bracht oder daß ihme nichts davon zur Wissenschaft kommen sey, bey Strafe der Ordnung eingeben solle. Würde aber sich ergeben, daß jemand dergleichen Contravention oder Gebrechen gewust und doch verschwiegen habe, so soll gegen denselben vorkommenden Umständen nach solches geahndet werden. Letztlich werden gesammte Procuratores auf ihre Pflicht erinnert und angewiesen, die Processus, sobald es möglich, expediren zu lassen und nicht die Expedition, bis an diesen oder jenen Bothen die Ordnung kommt, auszusetzen und aufzuhalten, wornach sich jeder zu achten2. Publicatum in Audientia Wetzlar, den 6. März3 1724. Christian Henrich Joseph4 Bolles, Kaiserlicher Kammergerichts Protonotarius5 manu propria6. Vorlage: Balemann 1779, S. 213-218. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 19r-21v; GB 1717 Suppl., S. 12-14 Nr. CCLVI; CJC 1724 Anhang S. 17-20; GB 1724, S. 283-288 Nr. CCLVI (letzter Bescheid der Sammlung); Selchow, Concepte I 1782, S. 1063-1069. 1 2 3 4 5 6

BA Slg. 1693-1787 unbeschwert. Anderer Satzbau bei GB 1724 Wornach jeder sich zu achten. GB 1724 Martii. Selchow 1782 Chr. Heinr. Jos. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782.

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Anmerkung: Der Gemeine Bescheid enthält eine ausführliche Botenordnung. Sie schließt an die älteren Botenordnungen an, die ebenfalls durch Gemeinen Bescheid ergingen (Gemeine Bescheide vom 3. September 1653 und 1. Oktober 1661; oben RKG Nr. 125 und 155). Einige Kernpunkte wie die Zahl der Boten regelte der Gemeine Bescheid nicht. Dies war Gegenstand des Visitationsabschieds vom 18. Dezember 1713 (dort §§ 111-113; bei Johann Jacob Schmauß/Heinrich Christian von Senckenberg (Hrsg.), Neue und vollständigere Sammlung der Reichsabschiede, Frankfurt am Main 1747 (Nachdruck Osnabrück 1967), Teil 4, S. 283). Danach sollte es zwölf reitende Boten geben, ebenso zwölf Fußboten. Auf den Visitationsabschied verwies der Gemeine Bescheid ebenso wie auf den Jüngsten Reichsabschied. Nicht genannt ist das Konzept der Reichskammergerichtsordnung von 1613. Es hatte in der Mitte des 17. Jahrhunderts erhebliche Bedeutung für das Botenwesen entfaltet (Gemeiner Bescheid vom 3. September 1653; oben RKG Nr. 125), spielte jetzt aber offenbar keine Rolle mehr. Inhaltlich drehte sich der Gemeine Bescheid um zahlreiche Punkte, die schon seit langem immer wieder für Ärger gesorgt hatten. Der pauschale Verweis auf das bisher geltende Botenrecht stand deshalb am Anfang. Soweit keine Neuerungen erfolgten, sollte alles weiterhin fortgelten. Möglicherweise war davon auch die Verpflichtung umfasst, den Boten die wesentlichen Rechtsgrundlagen ihrer Tätigkeit in regelmäßigen Abständen vorzulesen und zu erläutern (so der Gemeine Bescheid vom 1. Oktober 1661 § 1; oben RKG Nr. 155). Allerdings wiederholte das Gericht diese Anordnung nicht. Wie die Praxis aussah, ist deshalb unklar. Zunächst unterschied die neue Botenordnung weiterhin zwischen gewöhnlichen (ordinären) und außergewöhnlichen (extraordinären) Botenreisen. Bei den gewöhnlichen, nicht eilbedürftigen Sachen sollte der Bote jeweils Schriftstücke für mehrere Prozesse zugleich mitnehmen und dann eine Reise zu mehreren Orten unternehmen. Die Extraordinarreisen erfolgten dagegen in lediglich einer Sache. Sie waren so eilbedürftig, dass der Bote in Wetzlar nicht warten konnte, bis weitere zustellungsbedürftige Schriftstücke vorlagen. Vielmehr machte er sich sofort auf den Weg. In der Praxis hatten die Extraordinarreisen die gewöhnlichen Botenreisen inzwischen ganz verdrängt. Das Kameralkollegium wollte das ändern. Grundsätzlich sollte jeder Bote wieder warten, bis es drei Hauptprozesse zuzustellen gab. Die ältere Unterscheidung nach Reitern und Fußboten fiel an dieser Stelle weg. Das Gericht benutzte aber weiterhin die Abgrenzung von Hauptprozessen und zusammenhängenden Sachen. Mehrere Zustellungen im selben Rechtsstreit, etwa bei Streitgenossenschaften, galten deswegen nur als ein Hauptprozess. Beibehalten war ebenfalls die Ordnung, also die Reihenfolge, in der die Abfertigung der Boten erfolgte. Der Botenmeister sollte jeweils warten, bis drei Hauptprozesse zusammen waren, und dann einen neuen Boten abschicken. Das sollte die Gleichbehandlung aller Boten sicherstellen. Der dritte Punkt sah Ausnahmen vor, wenn wirklich eilbedürftige Zustellungen vorzunehmen waren. Hier gab es vielfache Sicherungen gegen die naheliegende Missbrauchsmöglichkeit. Der Kanzleiverwalter oder der Botenmeister sollte bestätigen, dass eine Ordinarreise eines anderen Boten nicht unmittelbar bevorstand. Sodann musste der Prokurator die Eilbedürftigkeit seiner Sache begründen. Die Entscheidung traf sodann das Kameralkollegium im Extrajudizialverfahren. Ohne ein solches Dekret durfte der Botenmeister zukünftig keine Extraordinarreisen ansetzen. Abschnitt 4 hielt die ausschließliche Befugnis des Botenmeisters zur

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Abfertigung eines Kammerboten fest. Hier gab es immer wieder Unregelmäßigkeiten, die der Gemeine Bescheid klar benannte. Parteien, Anwälte oder Sollizitanten gaben dem Boten die zuzustellenden Schriftstücke in die Hand oder sandten sie ihm sogar durch die Post hinterher. Teilweise scheinen auch die Boten untereinander ihre Prozesse getauscht oder gehandelt zu haben. Die Boten durften lediglich diejenigen Schriftstücke zustellen, die ihnen der Botenmeister ausdrücklich zu diesem Zweck übergeben hatte. Hier war der Hinweis auf die per Post nachgeschickten Dokumente besonders angebracht. Auch sie durfte der Bote nicht verkünden. Ziffer 5 behandelte sog. freie Sachen (dazu schon der Gemeine Bescheid vom 1. Oktober 1661 § 9; oben RKG Nr. 155). Vermutlich handelte es sich um Dokumente, die nichts mit den gerichtlichen Ladungen und Mandaten zu tun hatten. Möglicherweise konnten die Boten neben ihren dienstlichen Aufträgen auch privat, mehr oder weniger freiberuflich Zustellungen vornehmen. Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 (1, 35, 10) hatte das jedenfalls zugelassen. Auch bei diesen freien Aufträgen durften die Boten die sog. Büchse tragen, also ein Metallschild mit Kaiserbild bei sich führen. Auf diese Weise nahmen sie auch für freie Zustellungen ihre Amtswürde in Anspruch. Der Gemeine Bescheid nahm daran keinen Anstoß, bestand aber darauf, auch der Botenmeister müsse in diesem Fall die Boten abfertigen. Damit hatte in jedem Fall der Botenmeister einen Überblick über sämtliche Zustellungsaufträge, auch über die privaten. Die ordnungsgemäße Abwicklung des Zustellungsbetriebes wollte das Gericht sodann doppelt sicherstellen. Zum einen hatte jeder Bote laufend eine Liste sämtlicher Zustellungen zu führen und nach der Reise abzugeben. Zum anderen durfte der Botenmeister nur diejenigen Zustellungen gegenzeichnen, die er selbst veranlasst hatte. Der genannte Notar Fries sollte die Listen abgleichen (Ziffer 6). Abschnitt 7 betraf die Abreise der Boten aus Wetzlar. Teilweise blieben abgefertigte Boten zunächst noch heimlich in der Stadt oder in der Nähe. Sie hofften vermutlich auf private Zustellungsaufträge am Botenmeister vorbei, um ihr kärgliches Gehalt durch Schwarzarbeit aufzubessern. Der Gemeine Bescheid verwies auf den Visitationsrezess von 1713, der dies bereits untersagt hatte. Praktisch lösen wollte man das Problem durch einen Abfertigungsschein, auf dem der Bote zugleich sein Abreisedatum angeben sollte. Der Notar Fries hatte auch diese Zettel zu kontrollieren. Bei Verstößen drohten gestaffelte Strafen von einer Geldbuße über die Rückstufung in der Botenordnung bis hin zur Entlassung aus dem Dienst. Ziffer 8 versuchte, Gebührenunterschlagung durch die Boten zu verhindern. Jeder Empfänger musste schriftlich bestätigen, welche Summe er an den Boten gezahlt hatte. Diese Bescheinigungen sollten an den Botenmeister und dann an den Prokurator des Empfängers gehen. Auf diese Weise konnte der Prokurator gemeinsam mit seinem Mandanten prüfen, ob der Bote ordnungsgemäß abgerechnet hatte. Im Judizialverfahren musste der Prokurator solche Quittungen sogar im Reproduktionstermin vorlegen. Wenn der Bote nicht in der Lage war, die Bescheinigung auszuhändigen, sollte der Botenmeister das ausdrücklich vermerken. In diesem Fall setzte sicherlich eine Untersuchung ein, doch davon sprach der Gemeine Bescheid nicht. Abschnitt 9 untersagte den Boten die Sollizitatur. Wirtschaftlich waren solche Bittgesuche der Boten verständlich. Wenn das Gericht Ladungen und Mandate erließ, erhielten sie neue Aufträge und damit ein höheres Einkommen. Dennoch durften sie nicht als Sollizitanten wirken. Vermutlich wollte man ein eigenes wirtschaftli-

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ches Interesse der Boten an den gerichtlichen Entscheidungen gleich im Kern ausschließen. Ziffer 10 griff die Geschäfte der Boten untereinander auf, mit denen sie sich einzelne Aufträge zuschanzten. Sie sollten sich bei den Zustellungen auch nicht gegenseitig vertreten. Ausnahmen musste ein Assessor ausdrücklich genehmigen. Hier gab es eine Sondervorschrift für besonders alte Boten. Sie standen offiziell noch im Amt, waren aber nicht mehr reisefähig. Wenn jetzt die Reihe an sie kam, konnten sie ihren Auftrag an einen Kollegen abtreten. Hierbei gab es offenbar in der Praxis Streitigkeiten über die Gebührenteilung. Deswegen durften die alten Boten in solchen Fällen auf außerordentliche Boten zurückgreifen, die nicht zu den zwölf vorgesehenen Ordinarboten gehörten. Die Supernumerarien scheinen also billiger gewesen zu sein als gewöhnliche Kammerboten. Für die alten Boten eröffnete sich hier zugleich eine sehr bescheidene Möglichkeit, bezahlten Ruhestand genießen zu können. Die Supernumerarien waren dennoch in ihren Arbeitsmöglichkeiten eingeengt. Den noch einsatzfähigen jüngeren Boten durften sie nämlich keine Aufträge abnehmen und blieben wohl ansonsten auf freie Sachen beschränkt. Ob die Reform des Botenwesens die eingerissenen Mängel abstellen würde, scheint das Kameralkollegium selbst bezweifelt zu haben. Es führte nämlich zugleich eine Anzeigepflicht für sämtliche Verstöße im Botenbereich ein. Da man mit zahlreichen Ordnungswidrigkeiten rechnete, waren sie schriftlich zu notieren und jeweils am Monatsersten dem Kameralkollegium zu übergeben. Wer Missbräuche deckte, sollte selbst bestraft werden. Zuletzt wandte sich der Gemeine Bescheid gegen die Begünstigung einzelner Boten durch die Prokuratoren. Bereits ältere Bescheide hatten es den Prokuratoren verboten, Ladungen und Mandate zurückzuhalten, bis ihr Lieblingsbote mit der Zustellung an der Reihe war. Wegen des komplizierten Ausstellungsverfahrens der kammergerichtlichen „Prozesse“ waren Verzögerungen jederzeit denkbar. Die Prokuratoren durften diese Möglichkeit aber nicht benutzen, um ihre Günstlinge zu bevorteilen. Das Botenwesen blieb bis zum Ende des Alten Reiches ein vieldiskutiertes Thema, zumal der Reichshofrat in diesem Punkt erheblich moderner verfuhr. Der Gemeine Bescheid vom 6. März 1724 hatte aber zusammen mit einem am 29. Dezember 1724 beschlossenen Conclusum pleni in Botensachen Bestand. Das Visitationsdekret vom 13. September 1768 bestätigte ihn ausdrücklich als verbindliche Richtschnur (so Balemann, S. 218 Anm. *). Am 17. Oktober 1768 schärfte das Kameralkollegium die Botenordnung von 1724 nochmals durch Gemeinen Bescheid ein (unten RKG Nr. 296) und wandte sich gegen eingerissene Missbräuche.

RKG Nr. 264 1731 September 14 [Publicatum 31. Septembris 1731.]1 Ordnungsmäßige Producirung der Schriften betreffend.1 1

Publicatum ... 1731 in BA Slg. 1693-1787 (beide Ex.); auch bei Selchow 1782 zweimal mit falschem Datum.

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In Sachen Anna Catharina2 Färberin, Klägerin, wider Herrn Friedrich Wilhelm Grafen zu Solms-Braunfels, Beklagten, Citationis ad videndum exigi Debitum, una cum Interesse, Damno ac Expensis, solle Doctor Geibel die unterm 6. Februar 1730 mit aufgeschriebene Receß und pro Doctore Hofmann3 Seniore ad Acta übergebene Replicas zurücknehmen und solche nach Inhalt des jüngern Visitationsabschieds § „Imgleichen 102“ von neuem judicialiter produciren, darauf Doctor Hofmann Senior innerhalb 14 Tagen duplicando sich schließlich vernehmen lassen. Dann ist gegen beyde Procuratores, in specie Doctorem Hofmann Seniorem, um willen er die nicht beschehene Communication Replicarum etliche Monath hernacher erst erinnert, Doctor Geibel aber, weilen er ein solch Exemplar wider obgedachten Visitationsabschied ad Acta produciret, die Strafe der Ordnung vorbehalten. Hierauf ist der Gemeine Bescheid, daß sämmtliche dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores sich führohin in Producirung der Schriften nach der Verordnung des jüngern Visitationsabschieds § 102 achten, mithin die durch dessen bishero verspürte Unterlassung entstandene vielfältige Unordnung und besorgende Gefährde verhüten sollen. Publicatum, den 14.4 September 1731. Christian Henrich Joseph5 Bolles, Kaiserlicher Kammergerichts Protonotarius6 manu propria7. Vorlage: Balemann 1779, S. 218 und S. 510 (In der Vorlage ist zunächst irrtümlich der 31. September 1731 als Publikationsdatum angegeben; dies wird auf S. 510 auf den 14. September 1731 korrigiert.) Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 23r-23v (davor ein zweites Exemplar ohne Foliierung); Selchow, Concepte I 1782, S. 1069; fehlt in GB 1717 Suppl. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid schärft den Prokuratoren die ordnungsgemäße Produktion von Schriftsätzen ein. Zunächst fällt die Anbindung an ein Zwischenurteil ins Auge. Sowohl Prozessparteien als auch die Verfahrensart und die beteiligten Prokuratoren sind ausführlich und namentlich benannt. Anlass für den Gemeinen Bescheid bot demnach ein Untertanenprozess. Eine Anna Catharina Färber hatte den Grafen von Solms-Braunfels verklagt und offenbar ihre Zahlungsklage gewonnen. Das Verfahren befand sich schon im Stadium einer Citatio ad videndum. Das deutet auf bevorstehende Vollstreckungsmaßnahmen hin. Vermutlich handelt es sich um einen Rechtsstreit, den Anna Catharina, die Ehefrau des Landschultheißen Georg Theis aus Ehringshausen, gegen den Grafen von Solms-Braunfels führte (bei Jost Hausmann (Bearb.), Abteilung 1 Teil 3: 1 2 3 4 5 6 7

In der Vorlage dem zweiten Absatz als Marginalie zugeordnet; ebenso BA Slg. 1693-1787 (fol. Ex.); bei Selchow 1782 als Überschrift. BA Slg. 1693-1787 (fol. Ex.) Annae Catharinae. BA Slg. 1693-1787 (fol. Ex.) Hoffman. BA Slg. 1693-1787 (fol. Ex.); Selchow 1782 31. Selchow 1782 Chr. Heinr. Jos. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (fol. Ex.); Selchow 1782.

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Prozeßakten des preußischen Kreises und der Stadt Wetzlar, Band 3, Wiesbaden 1986, Nr. T 82 S. 61). Hier waren den beteiligten Prokuratoren Formfehler unterlaufen. Der Prokurator Dr. Georg Andreas Geibel hatte in der Audienz vom 6. Februar 1730 die Replikschrift der Klägerin überreicht und dabei auch das Exemplar für den Gegenanwalt, den Prokurator Dr. Johann Friedrich Hoffmann, übergeben. Diese Replikschrift verstieß gegen § 102 des Visitationsabschieds vom 18. Dezember 1713, wenn auch nur in formaler Hinsicht. Danach waren die Prokuratoren gehalten, sämtliche Produkte, also Schriftsätze mitsamt Anlagen, die sie in den Audienzen vorlegen wollten, nicht selbst zu kopieren, sondern der kammergerichtlichen Kanzlei diese Aufgabe zu übertragen. Alle Kopien benötigten einen Beglaubigungsvermerk durch den Protonotar oder einen Leser (Wortlaut bei Ludolff, CJC 1724, S. 982-983). Dr. Geibel dagegen hatte auf diese Umständlichkeit verzichtet und in seinem eigenen Büro die Abschriften erstellen lassen. Das ließ das Kameralkollegium nicht gelten. Mit dem Zwischenurteil wiesen die Assessoren die Replikschrift zurück, gaben dem Prokurator zugleich aber die Möglichkeit, den vorgeschriebenen Weg einzuschlagen. Er musste die Replikschrift also zur Kanzlei geben, dort neue Kopien erstellen und beglaubigen lassen und die fälligen Kanzleigebühren entrichten. Dann durfte er sie erneut in der Audienz produzieren. Noch erstaunlicher als diese strengen Förmlichkeiten ist das Verhalten der weiteren Beteiligten. Dr. Johann Friedrich Hoffmann, der Gegenprokurator, hatte nämlich gegen die nicht ordnungsgemäßen Kopien überhaupt nicht protestiert. Erst mehrere Monate später hatte er darauf hingewiesen, ihm sei die Replikschrift nicht kommuniziert worden. Das konnte zweierlei heißen. Zum einen mochte Hoffmann meinen, ohne Kanzleivermerk sei der Schriftsatz nicht ordnungsgemäß erstellt und damit auch nicht ordnungsgemäß zugegangen. Zum anderen war es gut möglich, dass Hoffmann überhaupt keine Ausfertigung der Replik erhalten hatte. Das hätte dem Gemeinen Bescheid vom 2. Oktober 1702 (oben RKG Nr. 241) entsprochen. Das Reichskammergericht hatte schon länger das zeitraubende und teure Kopierverfahren in seiner eigenen Kanzlei verteidigt. Schriftsätze, die nicht ordnungsgemäß kopiert waren, wollte es nicht mehr bearbeiten. Vielleicht hatten also die Notare, die in der Audienz die Replikschrift erhalten hatten, den Formverstoß sofort bemerkt und dann die Sache gar nicht weiter bearbeitet. Wenn andererseits der Prokurator der Gegenseite monatelang wartete, ob er den Schriftsatz zugestellt bekommen würde oder nicht, wirft das ein wenig schmeichelhaftes Licht auf das Arbeitstempo des Gerichts. Frühzeitige Mahnungen scheinen in solchen Fällen erfolglos gewesen zu sein. Wie langsam das Reichskammergericht arbeitete, zeigt auch das Datum des Gemeinen Bescheides. Obwohl der Ordnungsverstoß, wenn man denn daran Anstoß nahm, leicht feststellbar war und offen zu Tage lag, dauerte es ein volles Jahr, bis das Kameralkollegium ein Zwischenurteil fällte und den Gemeinen Bescheid daran anknüpfte. Eigenes Verschulden gab das Gericht wie zumeist nicht zu. Vielmehr musste Dr. Hoffmann eine Verwarnung hinnehmen, weil er die unterbliebene Zustellung der Replik viel zu spät angemahnt hatte. Für die eigene Duplikschrift gewährte das Kameralkollegium ihm dann äußerst knapp bemessene zwei Wochen. Der Gemeine Bescheid schloss sich an das Zwischenurteil an und war sehr kurz. Alle Prokuratoren mussten sich zukünftig an § 102 des Visitationsabschieds von 1713 halten. Unordnung und Gefährde standen an-

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sonsten bevor. Zugleich gab das Gericht unumwunden zu, wie oft die Prokuratoren bisher eigene Kopien vorgelegt und den Umweg über die Kanzlei ausgelassen hatten. In diesen anderen Fällen scheint weder das Gericht selbst noch die Gegenseite Anlass zur Rüge gesehen zu haben. Tatsächlich war die Praxis uneinheitlich. Mit dem Gemeinen Bescheid von 1731 versuchte das Kameralkollegium also, die Bedeutung der Kanzlei zu stärken und zu den vorgeschriebenen Förmlichkeiten zurückzukehren. Am 26. September 1768 wiederholte das Gericht seine Anweisung (unten RKG Nr. 294).

RKG Nr. 265 1732 August 29 Unterhaltungssachen betreffend. Dieses Kaiserlichen Kammergerichts sämmtliche Procuratores sollen den ihnen zugestellten fiscalischen Receß sammt beygefügter Designation, auch das Monitorium ein jeder denen Ständen, welche er bedienet, förderlich zusenden, auch hievon glaublich dociren und die folgende Antwort diesem Kaiserlichen Kammergericht ohngesäumt übergeben. Publicatum 29. Augusti 1732. Joannes Jacobus Michael1, 2 Judicii Imperialis Camerae Protonotarius3 manu propria4. Vorlage: Balemann 1779, S. 219. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 25 r (gestrichen: 18r), 2. Exemplar ohne Nr.; Selchow, Concepte I 1782, S. 1070; fehlt in GB 1717 Suppl. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid beschäftigt sich mit der finanziellen Ausstattung des Reichskammergerichts. Schon Dutzende von Vorgängerbescheiden waren wirkungslos verpufft. Der eingeschlagene Weg war auch nicht erfolgversprechend. Das Kameralkollegium forderte ständig die Prokuratoren auf, ihre reichsständischen Mandanten zur Zahlung des Kammerzielers anzuhalten. Zugleich sollten sie die Stände über bereits begonnene fiskalische Prozesse vollständig und unverzüglich unterrichten. Ob solche Mitteilungen zahlungsunwillige Landesherren wirklich beeindruckten, ist nur schwer vorstellbar. Die oft wiederholten Bescheide sprechen insofern eine deutliche Sprache. Wer nicht bereit war, sich an der Finanzierung des Kammergerichts zu beteiligen, brauchte dessen Beitreibungsbemühungen auch nicht zu fürchten. In älteren Bescheiden der Wetzlarer Zeit hatte 1 2 3 4

Selchow 1782 Jo. Jac. Michäel. Judicii in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) nachträglich eingefügt. Selchow 1782 J. I. C. P. Manu propria fehlt bei Selchow 1782.

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das Kameralkollegium auf den drohenden Untergang des Gerichts verwiesen (Gemeine Bescheide vom 28. November 1703 und 16. Juli 1717; oben RKG Nr. 243 und 255). Danach verwies es auf die Kammerzielerreform von 1719 (Gemeiner Bescheid vom 23. Dezember 1720; oben RKG Nr. 260). Auch diese ausführlicheren Begründungen waren allesamt wirkungslos geblieben. Zuletzt hatte das Gericht im Sammelbescheid vom 4. April 1721 (Ziffer 22; oben RKG Nr. 261) die Anordnung wiederholt. Der Bescheid von 1732 erging also nach gut zehn Jahren ohne zwischenzeitliche weitere Erneuerungen. Das war ungewöhnlich. Zuletzt hatte es zwischen 1692 und 1703 ein volles Jahrzehnt ohne derartige Kammerzielerbescheide gegeben (Gemeine Bescheide vom 8. August 1692 und 28. November 1703; oben RKG Nr. 231 und 243). 1732 entschloss sich das Kameralkollegium für radikale Kürze. Es fehlte jede Begründung für die Finanznot. Nicht einmal Strafen für die Prokuratoren stellte das Gericht mehr in Aussicht. Die eigenen Bemühungen wären ja ohnehin erneut erfolglos geblieben. Das konnte man aus dem Gemeinen Bescheid unschwer herauslesen. Der Fehlschlag war dem Wortlaut gleichsam schon einverleibt. Am 17. Juli 1738 folgte der nächste Akt des immergleichen Trauerspiels (unten RKG Nr. 272). Weitere Zahlungsaufrufe ergingen etwa am 12. Januar 1757 (unten RKG Nr. 279) und am 29. August 1757 (unten RKG Nr. 280).

RKG Nr. 266 1733 Februar 9 Das Juramentum Calumniae bey suchenden Restitut[ionibus in integrum] betreffend. Die Benennung der Concipienten betreffend.1 [Petita restitutione in integrum adversus sententias Camerales oblationem ad iuramentum calumniae speciale praestandum faciendam esse pure non sub conditione quatenus iudex permiserit. Concipientes veri scriptorum extraiudicialiter exhibitorum vel in iudicio productorum semper nominentur.]2 Demnach zeithero oftmals wahrgenommen worden, daß dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores und Advocati3 in Sachen, wo wider4 die gefällte Urthel Restitutio in integrum gesucht5 wird, zu [Ablegung]6 des7 erforderlichen Juramenti 1 2 3 4 5 6 7

In der Vorlage dem ersten bzw. zweiten Absatz als Randglosse zugeordnet; ebenso BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) ohne Überschrift; bei Selchow 1782 erster Satz als Überschrift. Petita ... nominentur in GB 1717 Suppl.; GB 1724; fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Selchow 1782. GB 1724 Aduocati und Procuratores. Wider in BA Slg. 1693-1787 nachträglich eingefügt; GB 1724 gegen. GB 1724 geführt. Ablegung in GB 1724. Selchow 1782 dem.

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Calumniae specialis1 sich nicht pure, sondern mit angehängtem Beding, wann sie vom Richter darzu gelassen werden wollten, anzuerbiethen2 fast3 in Gewohnheit genommen, solches aber denen hiebevor Anno 1669 und 1671 eröfneten und durch jüngeren Visitationsabschied bestätigten Gemeinen Bescheiden ganz entgegen, als ist hiermit die Verordnung, daß, sooft Restitutio in integrum wider dieses Kaiserlichen Kammergerichts Urthel gesucht würde, die Anerbiethung zu gedachtem Eyd jedesmalen pure und ohne vorerwehnte Bedingung geschehen, zu dem Ende Procuratores und Advocati4 sich in denen Actis und Meritis Causae vorhero genüglich und zu Prüfung ihres Gewissens informiren sollen mit der ernstlichen Verwarnung, daß widrigenfalls die gesuchte Restitutio in integrum nicht verstattet, sondern ergangene Urthel zu wirklicher Execution gebracht, auch gegen die Uebertretere mit gebührender Strafe verfahren werden solle. [Die Benennung der Concipienten betreffend.]5 Ferner ist der Gemeine Bescheid, daß dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores und Advocati6 in ihren sowohl extra- als judicialiter übergebenen Schriften derselben Concipienten jedesmalen treulich und wie es allenfalls bey weiterer nöthigen Untersuchung eydlich zu erhärten ernennen7 und bey Vermeidung willkührlicher Strafe nicht verschweigen sollen. [Publicatum Wetzlariae, den 9. Februarii 1733.8] Christian Henrich Joseph9 Bolles, Kaiserlich[er]10 Kammergerichts Protonotarius11 manu propria12. Vorlage: Balemann 1779, S. 219-220 Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 26r (gestrichen 19r, 2. Exemplar ohne Nr.); GB 1717 Suppl., S. 16 (letzter Bescheid des Anhangs); GB 1724 (Handschriftliche Fortsetzung), S. 290-292; Selchow, Concepte I 1782, S. 1070-1071. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft zwei verschiedene Anordnungen. Erstmals benannte das Reichskammergericht die zweite Verfügung ebenfalls gesondert als Gemeinen Bescheid. Ob es sich also um zwei oder lediglich einen Bescheid mit zwei Regelungen handelte, war aus dem Wort1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Des ... specialis nach GB 1724; dagegen BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Balemann 1779; Selchow 1782 dem erforderlichen Juramento Calumniae speciali. GB 1724 zu erbiethen. Fehlt in GB 1724. GB 1724 Aduocatis und Procuratores. Die ... betreffend in Selchow 1782, entspricht den Marginalien bei Balemann 1779 und BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.). GB 1724 Aduocati und Procuratores. GB 1724 benennen. Publicatum ... 1733 in BA Slg. 1693-1787 (beide Ex.); Selchow 1782. Selchow 1782 Chr. Hen. Jos. Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (beide Ex.). Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in Selchow 1782.

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laut nicht ersichtlich. Die zeitgenössische Überlieferung zeigt in den Einzelheiten erstaunlich viele Unsicherheiten. Der Inhalt dagegen ist klar. Zunächst griff das Kameralkollegium den Kalumnieneid auf. Er war in verschiedenen prozessualen Situation zu leisten, auch beim Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Restitutio in integrum). Der Prokurator musste für sich und in die Seele seiner Partei schwören, dass er an seine gute Sache glaube und den Rechtsbehelf auf neue Tatsachen stütze, die ihm erst nach Abschluss des Rechtsstreits bekannt geworden waren. Das Reichskammergericht hatte die Einzelheiten der Eidesformel an den Appellationseid des Jüngsten Reichsabschieds angelehnt (§ 118 JRA) und in Gemeinen Bescheiden bekanntgegeben (Gemeine Bescheide vom 7. Juli 1669 und 7. Juli 1671; oben RKG Nr. 179 und 184). Inzwischen verstießen zahlreiche Prokuratoren gegen den vorgegebenen Auftakt des Restitutionseides. Zusammen mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung sollte der Prokurator nämlich sofort die Eidesleistung anbieten, und zwar „pure“, also ohne irgendwelche weiteren Hinweise. In der Praxis boten die Prokuratoren den Schwur aber regelmäßig unter der Bedingung an, dass sie vom Gericht dazu zugelassen würden. Im Ergebnis änderte sich nichts, denn das Gericht ließ ja in Restitutionsfällen die Anwälte zum Eid zu. Das Kameralkollegium bestand allerdings auf dem lupenreinen Wortlaut. Wie gering die Appellwirkung des Restitutionseides tatsächlich war, belegt der folgende Hinweis des Gerichts. Die Prokuratoren sollten nämlich ihr Gewissen erforschen, bevor sie den Eid gerichtlich anboten. Nur wenn sie sich sorgsam über den Sachverhalt informiert hatten, durften sie den Restitutionsantrag stellen. Anderenfalls drohten Strafen. Hier ließ das Kameralkollegium offen, ob es sich dabei um die bloße Abweisung eines unbegründeten Wiedereinsetzungsantrages handelte oder ob nicht vielmehr der Prokurator eine Strafe für sein leichtfertiges Eidesangebot erhielt. Auseinanderhalten konnte man beide Fragen im Normtext nicht. Der zweite Teil des Gemeinen Bescheids wiederholte sodann lediglich ältere Verpflichtungen. Die Prokuratoren mussten auf jedem Schriftsatz angeben, wer ihn konzipiert hatte. Das hatten die Assessoren schon öfter angeordnet (Gemeine Bescheide vom 13. Dezember 1659 § 4, 9. Januar 1660 § 3 und 4. April 1721 Ziffer 2; oben RKG Nr. 144-145 und 261). Im Zweifel sollte die Autorschaft sogar beweisbar sein. Warum so viele Prokuratoren dagegen verstießen, ist unklar. Vielleicht handelte es sich um eine vorbeugende Schutzmaßnahme. Falls prozessuale Fehler unterliefen, konnte sich der Prokurator immer auf das Verschulden des Advokaten berufen, der den Schriftsatz ausgearbeitet hatte. Wenn aber der Name nicht angegeben war, ließ sich leicht vermuten, der Prokurator selbst habe den Schriftsatz verfasst. Das war durchaus möglich, weil sämtliche Prokuratoren der Wetzlarer Zeit zugleich als Kammergerichtsadvokaten zugelassen waren.

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RKG Nr. 267 1733 Februar 9

RKG Nr. 267 1733 Februar 9 Auferlegte Beweißführung betreffend.1 [Probationes iniunctas ad causarum decisionem praestandas esse non per rotulos notariorum extraiudiciales vel attestationes sed in forma legali.]2 Nachdeme man auch sowohl in dieser als vielen andern Sachen einige Zeit her mit großem Mißfallen und Verzögerung der Justitz wahrgenommen, daß Partheyen, welchen vor diesem Kaiserlichen Kammergericht gerichtlicher Beweiß auferleget worden oder sonsten denen Rechten nach gebühret, selbigen bloß mit Notarialoder andern aussergerichtlichen oder doch nicht legalen Zeugensrotulis, ja wohl gar mit schlechten schriftlichen Attestatis zu führen sich angemaßet, welches zwar gestalten Sachen nach zu extrajudicialiter Erkennung deren Processen, zuweilen auch in Causis summariis, keinesweges aber zu endlicher Entscheidung eines ordentlichen Rechtshandels hinlänglich seyn kann, hingegen sie hierdurch sich nur selbst entweder sachfällig machen oder doch den Proceß sträflich verlängern und sowohl sich selbst als ihre Gegner in mehrere Kosten bringen. Als ist hiermit der gemeine Bescheid, daß dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores und Advocaten sich hinkünftig3 bey Vermeidung nachdrücklicher und bewandten Umständen nach fiscalischer Bestrafung nicht mehr unterfangen, vielmehr ihre Partheyen, denen sie bedient, in Zeiten erinnern sollen, zu legalen Beweis, wie solcher in denen Gemeinen Rechten und dieses Kaiserlichen Kammergerichtsordnung vorgeschrieben, sich anzuschicken, in dessen Entstehung aber haben sie zu gewarten, daß nicht nur dergleichen unförmliche Bescheinigung gänzlich verworfen, sondern sie auch, wann der terminus praeclusivus einmal verflossen, zu anderweiten und besseren Beweiß nicht gelassen noch ihr vorher etwa geschehenes4, bloß zu Verzögerung der Sache gereichendes Erbiethen zu Führung förmlichen Beweises, als welches sie intra terminum ins Werk zu richten gehabt hätten, angesehen oder geachtet werden solle. Jedoch der richterlichen Ermäßigung insoweit Rechtens, befundenen Umständen nach, in allem vorbehaltlich. Publicatum Wetzlar, den 9. Februarii 1733. Christian Henrich Joseph5 Bolles, 6 Kaiserlich[er] Kammergerichts Protonotarius1 manu propria2. 1 2 3 4 5 6

Auferlegte ... betreffend auch in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Selchow 1782. Probationes … legali in GB 1717 Suppl.; GB 1724. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) den künftig; BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) dessen künfftig. In BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessert aus beschehenes. BA Slg. 1693-1787 (beide Ex.); Selchow 1782 C. H. J. Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.).

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Vorlage: Balemann 1779, S. 220-221. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 27r-27v, 2. Exemplar ohne Nr.; GB 1724 (handschriftlicher Anhang), S. 289-290; GB 1717 Suppl., S. 15-16 Nr. CCLVI; Selchow, Concepte I 1782, S. 1071-1072. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt Förmlichkeiten des Beweisverfahrens. Er steht in einer Linie mit den zuvor ergangenen Gemeinen Bescheiden über die ordnungsgemäße Kopie von Schriftsätzen (vom 14. September 1731; oben RKG Nr. 264) sowie über den Wortlaut beim Eidesantrag im Wiedereinsetzungsverfahren (vom 9. Februar 1733; oben RKG Nr. 266). Das Kameralkollegium kämpfte in den 1730er Jahren offensichtlich darum, die überkommenen Förmlichkeiten des Kameralprozesses weitestmöglich zu bewahren. Von Seiten der Anwälte gab es Druck, Vereinfachungen zuzulassen. Statt der umständlichen Zustellungen durch die Kammerboten bot sich die schnellere Post an, aber sie durfte man nicht benutzen (z. B. Gemeiner Bescheid vom 6. März 1724 Ziffer 4, oben RKG Nr. 263). In den Audienzen juckte es den Prokuratoren in den Fingern. Sie verspürten große Lust, die starren Rezesse zu durchbrechen und zu mündlichen Verhandlungen mit Wortwechseln zum Sach- und Streitstand selbst überzugehen (z. B. Gemeine Bescheide vom 12. November 1647, 30. Oktober 1655 § 11, 8./18. Mai 1668 § 1 und 4. April 1721 Ziffer 3; oben RKG Nr. 120, 127, 175 und 261). Die Prokuratoren reichten die ihnen überschickten Dokumente oftmals im Original zu den Akten und waren nicht bereit, sie extra abzuschreiben und zu aufwendigen „Produkten“ umzuarbeiten (Gemeiner Bescheid vom 4. April 1721 Ziffer 10; oben RKG Nr. 261). Gegen alle diese Neuerungen wandte sich das Kameralkollegium mit Gemeinen Bescheiden. Am 9. Februar 1733 ging es um die Förmlichkeiten der Beweisführung. Es gab Parteien, denen das Gericht durch Zwischenurteil einen Beweis auferlegt hatte. Dafür standen im Kammergerichtsprozess verschiedene Beweismittel zur Verfügung. Da das Unmittelbarkeitsprinzip nicht galt, hatte man insbesondere den Zeugenbeweis ausgelagert auf ein gesondertes Verfahren vor den Deputaten, die ihrerseits eine Beweiskommission einschalteten. Das war umständlich. Einige Parteien, so klagte der Gemeine Bescheid, verzichteten deshalb auf den strengen Zeugenbeweis. Stattdessen beauftragten sie einen Notar, die vorgesehenen Zeugen zu befragen, und legten diesen notariellen Rotulus sodann in der Audienz vor. Manche Parteien bzw. Anwälte begnügten sich sogar mit einem Attestat, also einer bloßen schriftlichen Bestätigung. Das wollte das Kameralkollegium nicht länger hinnehmen. Es unterschied an dieser Stelle verschiedene Verfahrensarten. Im Extrajudizialverfahren sowie in summarischen Sachen (z. B. Mandatsprozesse) mochten solche unvollkommenen Beweismittel durchgehen. Dort ging es um eine abgekürzte, oftmals eilbedürftige vorläufige Prüfung des Sach- und Streitstandes. Dafür reichten Beglaubigungen aus, auch wenn sie keine Beweismittel im strengen Sinne waren. Für ein Endurteil bestand das Gericht aber auf streng eingehaltenen Beweisformalitäten. Anderenfalls drohte der Beweisführer sachfällig zu bleiben. Damit verwies das Kameralkollegium auf die Beweislast. Ein unvollkommener Beweis, wenn es sich auch nur um einen Formfehler handelte, konnte zum Prozessverlust füh1 2

Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Selchow 1782.

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ren. Nicht ein Notar, sondern nur die von den gerichtlichen Deputierten eingesetzten Beweiskommissare durften die Zeugen vernehmen. Anderenfalls besaß ihre Aussage keinen Beweiswert. Drohende Prozessverzögerungen malte das Gericht außerdem an die Wand. Das widersprach augenscheinlich dem angeblichen sofortigen Prozessverlust des Beweisführers. Offensichtlich ging das Kameralkollegium selbst davon aus, in solchen Fällen werde eine wiederholte, nun aber ordnungsgemäße Zeugenvernehmung erforderlich sein. Ausdrücklich verwies das Gericht auf den „legalen Beweis“ des gemeinen Rechts. Damit stellte es sich klar in die Lehre von der gesetzlichen Beweistheorie. Ob ein Beweis geführt war oder nicht, hing danach nicht von der freien richterlichen Beweiswürdigung ab. Vielmehr kam es auf bestimmte äußere Anforderungen an das Beweismittel an. Die normativen Quellen des Kameralprozesses hatten hier bereits Abschwächungen vorgenommen. Der Jüngste Reichsabschied von 1654 betonte, es stehe „mehrentheils bey des Richters Ermessen (...), was und wie viel den abgehörten Zeugen, oder deren Aussagen, zu glauben“ (JRA 1654 § 56). Das galt aber nur für ordnungsgemäß abgehörte Zeugen. Nur wenn ein Beweiskommissar die Aussage protokolliert hatte, handelte es sich aus der Sicht des Kameralkollegiums um eine Zeugenaussage im Rechtssinne. Erst dann kam man überhaupt zur Beweiswürdigung. In der abschließenden Ermahnung kündigte das Gericht für das künftige Verfahren echte Präklusionen an. Wer nicht fristgemäß einen ordentlichen Beweis führen konnte, war somit ganz ausgeschlossen und konnte auch auf keine Terminverlängerungen hoffen. Der abschließende Hinweis auf das Arbitrium iudicis zeigte freilich, dass es um Einzelfallüberlegungen ging.

RKG Nr. 268 1735 Juli 4 In den Armensäckel gehörige Strafen betreffend. [Gemeiner Bescheid, Publicatum 4. Julii 1735, wegen zurückbleibender Straf, so in den Armensäckel gehörig.]1 Demnach in einigen bey diesen [Kayserlichen Cammergericht]2 theils entschiedenen, theils annoch rechtshängigen Sachen die in Gefolge derer Reichsgesetze dictirte und zum Armensäckel gehörige Strafen nicht allein vor Partheyen, sondern auch vor auswärtige Advocaten, besonders in letzern Jahren zur Ungebühr zurückgehalten worden, solchem aber, um mehrer Ungebühr vorzukommen, auch dieses höchsten Gerichts Urtheilen den gehörigen Nachdruck zu verschaffen, länger nicht nachgesehen werden kann. Als ergehet hiermit die Verordnung, daß diejenige entweder prin1 2

Gemeiner ... gehörig in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Randglosse im 1. Ex. in den Armensäckel gehörige Strafen betreffend, so auch die Überschrift in Selchow 1782. Kayserlichen Cammergericht in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Selchow 1782 K. C. G.

RKG Nr. 268 1735 Juli 4

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cipaliter constituirte oder auch nur substituirte Procuratores, welchen der Pedell nach Endigung heutiger Audienz neuen Extract Strafbuchs zustellen wird, an ihre Partheyen oder deren Advocaten eine schriftliche Erinnerung, um die ihnen angesetzte Strafen förderlichst zu entrichten, ungesäumt sollen abgehen lassen mit dem Bedeuten, daß man nicht erfolgender1 Zahlung und nach Verlauf Zeit von 6 Wochen, a dato an zu rechnen, gegen die säumige auf deren eigene, zugleich sammt dem Pönfall einzutreibende Kosten mit Mandatis de exequendo oder andere gehörige Zwangsmittel ohne alle weitere Nachsicht verfahren werde. Dann ist der Gemeine Bescheid, daß, wann nach Verlauf obgesetzter Zeit oder sonsten etwa künftighin dergleichen rückständigen Strafen halber zur Execution zu schreiten, die Nothwendigkeit erfordern mögte, jedesmal der jüngste Prokurator nach deshalben ex Senatibus an ihn geschehenen Erinnerung sogleich bey der ersten Audienz durch einen mündlichen Receß in ordine suo Novarum mit deutlicher Benennung der Personen und Sachen auch unter jedesmahligen Zusatz „Den in Armensäckel zu erlegenden Pönfall betreffend“ pro Mandato de exequendo anrufen, im Fall er aber selbsten der mit Strafe belegten Parthey oder dererselben Advocato entweder principaliter oder als Substitutus bedient wäre, solches in folgender Audienz von denen nächst vor ihm sitzenden und aus gleichmäßigen Ursachen nicht behinderten Procuratore ohnfehlbar geschehen solle. Publicatum 4. Julii 1735. Christian Henrich Joseph2 Bolles, Kaiserlich[er] Kammergerichts Protonotarius3. Vorlage: Balemann 1779, S. 221-222. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 29r-29v, 2. Exemplar ohne Nr.; GB 1724 (handschriftlicher Anhang), S. 293-296; Selchow, Concepte I 1782, S. 1072-1073. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Eintreibung von Ordnungsbußen. Zuvor hatte das Kameralkollegium häufig Gemeine Bescheide erlassen, die sich mit den Strafforderungen an die Prokuratoren beschäftigten (z. B. Gemeine Bescheide vom 6. November 1655, 2./12. Mai 1658, 24. März 1659, 1. Dezember 1659, 21. Mai 1660, 17. August 1661, 10. Oktober 1670, 12. März 1680, 17. Januar 1700 und 29. Januar 1702; oben RKG Nr. 128, 136, 140, 143, 149, 154, 182, 203, 239 und 240). Jetzt ging es erstmals um Ordnungsgelder, die Advokaten oder die Parteien selbst zahlen mussten. Besonders in den letzten Jahren, so das Gericht, hatte es sich eingeschliffen, die verhängten Strafen nicht mehr zu bezahlen. Das deutet auf den Ansehensverlust des Kammergerichts in den 1730er Jahren hin. Dazu passen die Gemeinen Bescheide aus den vorangehenden Jahren, in denen das Gericht peinlich auf die Beachtung selbst kleinster Förmlichkeiten des Kameralrechts achtete. Es ging also darum, den richterlichen Urteilen wieder Ach1 2 3

Selchow 1782 man im Fall nicht erfolgender. Selchow 1782 C. Henr. Jos. Christian ... Protonotarius fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.); Selchow 1782 K. C. G. P.

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tung zu verschaffen. Das sprach der Gemeine Bescheid sehr offen aus. Die Strafen, die aus teilweise bereits entschiedenen Prozessen noch fällig waren, sollte der Pedell aus einem Strafbuch zusammenstellen, dann nach Prokuratoren aufgliedern und ihnen nach dem Ende der Audienz zukommen lassen. Die Prokuratoren wiederum sollten die Strafzettel getrennt nach Advokaten und Parteien auslösen und alle Schuldner zur Zahlung ermahnen. Geradezu kleinkariert gab der Gemeine Bescheid das Prozedere vor, falls nicht alle Parteien und Advokaten pünktlich zahlen sollten. Dann kam es zu einem eigenen Audienzabschnitt, in dem es nur darum ging, die fälligen Ordnungsbußen des Gerichts einzutreiben. Wie in anderen Umfrageordnungen ebenfalls waren hierfür eigene Rezesse vorgesehen. Das Kameralkollegium würde den jüngsten Prokurator auffordern, die fälligen Vollstreckungsrezesse zu halten. Dieser musste sodann im Ordo novarum ein Exekutionsmandat beantragten. Seinen Antrag sollte er durch einen ausdrücklichen Hinweis auf den „Pönfall“ deutlich von den sonstigen kontradiktorischen Rechtssachen abgrenzen. Selbst für den Fall, dass eigene Mandanten des jüngsten Prokurators von solchen Forderungen betroffen waren, sah der Gemeine Bescheid eine Regelung vor. Dann verschob man die Sache in die nächste Audienz, und der vor dem jüngsten sitzende Prokurator sollte den Rezess halten. Offenbar war die Sitzordnung also streng nach Dienstalter gestaffelt. Die zeitgenössische Wahrnehmung solcher Gemeinen Bescheide lässt sich schwer einschätzen. Wenn es aber Gespött über das Gericht gab, Witze über seine Langsamkeit und sein schwindendes Ansehen die Runde machten, gossen solche Gemeine Bescheide nur noch mehr Öl ins Feuer. Lächerlicher konnte sich das Kameralkollegium nicht präsentieren. Es war nicht in der Lage, prozessuale Ordnungsbußen einzutreiben. Mit großem Aufwand führte es dafür eine neue Prozessart mitsamt eigenem Audienzabschnitt ein. Vertrockneter und knöcherner konnte sich das oberste Gericht des Alten Reiches kaum noch darstellen.

RKG Nr. 269 1736 Februar 10 Die Übergebung der Missiven statt einer Handlung betreffend.1 Demnach man mißfälligst2 verspüret, wasmaßen durch einige dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores die ihnen von ihren Principalen überschickte und Merita Causae tractirende Missiven anstatt einer Handlung öfters judicialiter produciret worden, solches aber sowohl den Anno 1663 den 10. December publicirten Gemeinen Bescheid als auch dem gewöhnlichen Stylo und dieses Kaiserlichen Kammergerichts schuldigen Respect zuwider laufet, als wird vorgemeldter Gemeine 1 2

Die ... betreffend auch in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und Selchow 1782; in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) weibliche Fassung Gemeine Bescheid ohne weitere Überschrift. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.) misfällig.

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Bescheid seines ganzen Inhalts anhero wiederholet mit dem Anhange, daß dergleichen Schrift- oder Missiven führohin ab Actis verworfen, der producirende Procurator aber nach Ermäßigung oder befindenden Umständen nach höher bestrafet werden solle. Publicatum in Audientia, 10. Februarii 1736. Christian Henrich Joseph1 Bolles, Kaiserl[icher]2 Kammergerichts Protonotarius3 manu propria4. Vorlage: Balemann 1779, S. 222. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 31r, 2. Exemplar ohne Nr.; Selchow, Concepte I 1782, S. 1074. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid verteidigt das überkommene schriftliche Kameralverfahren. Zusammen mit den Vorgängerbescheiden versucht auch diese Verfügung, Neuerungen im reichsgerichtlichen Prozess zu verhindern. Die Prokuratoren unternahmen dennoch verschiedene Anläufe, einige Umständlichkeiten abzuschaffen. Das Kameralkollegium schob allen Versuchen aber einen Riegel vor. Im Jahrzehnt nach 1730 fällt das besonders auf. Bei diesem Gemeinen Bescheid ging es dem Gericht um den hergebrachten Schriftsatzwechsel. Schon der Gemeine Bescheid vom 10. Dezember 1663, den das Kameralkollegium zitiert (oben RKG Nr. 161), hatte dieselbe Richtung eingeschlagen. Damals lag das Problem aber wohl etwas anders. Die Prokuratoren leiteten anscheinend Briefe und andere Stellungnahmen der Parteien oder ihrer Korrespondenzadvokaten an den Audienzen vorbei an die Mitglieder des Kameralkollegiums. Später konnten sie dann behaupten, bestimmte Tatsachen seien bereits bekannt und bestimmte Unterlagen schon in den Akten enthalten. Im 17. Jahrhundert hatte es den Anschein, dem Kameralkollegium sei es bei diesen älteren Gemeinen Bescheiden darum gegangen, eine ordnungsgemäße Registratur und Aktenbearbeitung zu ermöglichen. Dieses Argument galt jetzt nicht mehr. Mit dem Gemeinen Bescheid vom 10. Februar 1736 verengte das Reichskammergericht die damaligen Verbote ganz auf die gerichtlichen Audienzen. Auch und vor allem in den Terminen war es fortan verboten, solche Briefe und Stellungnahmen (Missiven) der Parteien zu übergeben (ähnlich der Gemeine Bescheid vom 4. April 1721 Ziffer 10; oben RKG Nr. 261). Jedenfalls durften sie nicht anstatt einer Handlung erfolgen und durften auch nicht sog. Merita causae, also Hinweise auf den Sach- und Streitstand, enthalten. Mit Handlungen meinte das Kameralkollegium hier vermutlich die jeweils leitenden Schriftsätze der beiden Parteien, also Klage, Exzeption, Replik und Duplik. Das waren die Prozesshandlungen im engeren Sinne und zugleich die einzigen Schriftsätze, die sich zum Sachverhalt und den rechtlichen Auseinandersetzungen überhaupt äußern durften. Alles andere verblasste zu Anlagen, im besten Falle handelte es sich um Beweismaterial. Es ging also nicht an, wenn ein Prokurator ein Mandantenschreiben als angeblichen Sachbericht einreichte. Der Gemeine Bescheid verordnete 1 2 3 4

BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Selchow 1782 C. H. J. Kaiserl. fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.). Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt bei Selchow 1782.

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sogar, so etwas gar nicht mehr in die Akten aufzunehmen oder gegebenenfalls wieder daraus zu entfernen. Vielleicht hatte sich in den Augen der Assessoren der zunächst bloß rein tatsächlich praktizierte Anwaltszwang inzwischen zu einer Rechtspflicht verfestigt. Möglicherweise bestand man deshalb darauf, die Prokuratoren selbst müssten die wesentlichen Schriftsätze verfassen und einreichen. Zugleich blieben die rechtlichen Hinweise im Gemeinen Bescheid erstaunlich blass. Der Respekt vor dem Kameralkollegium sollte die Anordnung rechtfertigen. Überdies sprach angeblich der Stilus curiae für die Auffassung der Richterschaft. Den schuldigen Respekt benutzte das Kameralkollegium gelegentlich als Argument, um die anwaltlichen Ordnungswidrigkeiten als ehrverletzend darzustellen. Der Wink mit dem Stilus curiae war dagegen ein bis dahin ungewöhnliches Argument. In einem Punkt allerdings kam der Rückgriff auf den eigenen Gerichtsgebrauch unmissverständlich daher: Das Kameralkollegium lehnte Veränderungen in der Prozesspraxis ab.

RKG Nr. 270 1737 Juni 5 Die Zahlung der fiscalischen Cassaegelder betreffend, publicirt in Audientia, den 5. Junii 1737.1 Sämmtlichen des Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Procuratoren wird hierdurch zur Nachricht bedeutet, wie daß kraft allergnädigsten Rescripti de dato Wien, [den]2 27. April 1737, inskünftige die von denen Pönfällen oder sonsten der fiscalischen Cassae zu zahlen habende Gelder dem Kaiserlichen Fiscali Licentiato Dintzenhöver3 allein nicht, sondern in Beyseyn des ihm wirklich adjungirten Advocati Fisci Doctoris Birkenstock4 bezahlt werden. Auch solle es mit treffenden Vergleichen über Pönfälle und was sonsten dahier einschlägt, also damit gehalten werden. Publicatum in Audientia, den5 5. Junii 1737.6 Christian Henrich Joseph7 Bolles, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius8 manu propria9.

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Die ... 1737 auch in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum. Den in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.). Selchow 1782 Dietzenhöver. Selchow 1782 Bürckenstock. Selchow 1782 wohl d[ie]. Publicatum ... 1737 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) an dieser Stelle. Selchow 1782 Chr. H. Jos. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und selchow 1782; Publicatum ... propria fehlt in BA Slg. 16931787 (2. Ex.).

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Vorlage: Balemann 1779, S. 222. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 32r, 2. Exemplar ohne Nr.; Selchow, Concepte I 1782, S. 1074. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die Zuständigkeiten des Reichsfiskals. Es handelt sich um einen der wenigen Bescheide, die auf ausdrückliche kaiserliche Anordnung ergingen. Karl VI. hatte die Zuständigkeit des kaiserlichen Fiskals bei der Entgegennahme von Geld geändert. Zuletzt hatte derselbe Kaiser dem Gericht einen Gemeinen Bescheid aufgegeben, als er sich reichsweit gegen konfessionelle Schmähschriften stark gemacht hatte (Gemeiner Bescheid vom 18. September 1715; oben RKG Nr. 254). Diese ältere Verfügung galt auch am Reichshofrat als Decretum commune (Teil 2, RHR Nr. 72). Die Empfangszuständigkeit im jetzigen Bescheid betraf dagegen nur den Kameralprozess. Möglicherweise bestand Grund zum Misstrauen in die ordnungsgemäße Tätigkeit des Fiskals. Jedenfalls entzog ihm der Kaiser das Recht, selbständig Geldzahlungen anzunehmen. Künftig durfte das nur noch im Beisein des Fiskaladvokaten geschehen. Dieser Advokat war der wichtigste Mitarbeiter des Fiskals. Einige Gemeine Bescheide erwähnen ihn als Stellvertreter, auch in den fiskalischen Audienzen (z. B. die Gemeinen Bescheide vom 3./13. März 1651 § 2, 28. Juni 1661, 31. August 1663 und 7. Juli 1665; oben RKG Nr. 122, 152, 160 und 167). Adressiert war der Gemeine Bescheid ausdrücklich nur an Advokaten und Prokuratoren. In der Praxis zahlten sie an den Fiskal wohl auch diejenigen Gelder, die ihre Mandanten als Bußsummen schuldeten. Von den Kammerzielern war in diesem Zusammenhang bezeichnenderweise nicht die Rede. Die Reichsstände konnten zwar ihre fälligen Summen einem Prokurator übersenden, der sie dann an den Fiskal weiterleitete (so etwa der Gemeine Bescheid vom 8. Januar 1680; oben RKG Nr. 202). Aber das geschah offenbar so selten, dass niemand daran dachte, wenn von den wesentlichen Einnahmequellen des Fiskals die Rede war.

RKG Nr. 271 1737 Juli 17 Gemeiner Bescheid, weitläufige und Contradictionsrecesse betreffend1, publicirt in Audientia, den 17. Julii 1737.2 Demnach man bey diesem Kaiserlichen und des Reichs Kammergericht mißfällig verspühret, daß die allermeiste Procuratores in denen offenen Audienzien nicht nur sehr weitläuftige Merita Causae tractirende und öfters mit undeutschen Wörtern abgefaßte Recessus ablesen, sondern auch unnöthiger Weise Contradictionsrecessus 1 2

Weitläufige ... betreffend fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Gemeiner ... 1737 auch in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum.

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dictiren, solches aber denen Reichssatzungen und Gemeinen Bescheiden zuwider ist, und sonsten große Verlängerung der Audienzien, auch allerhand Verwirrungen nach sich ziehet, als werden ermeldte Procuratores, der Ablesung solcher langen und weitläuftigen auch Merita Causae tractirenden Recessen sowohl als auch des unnöthigen Dictirens und Contadictionsrecessen sich zu enthalten, angewiesen mit dem Anhang, daß, da bishero die gebrauchte gelinde Bestrafung nichts verfangen wollen, selbige jedesmal auf ein und nach Befinden etliche Mark Silber aus eigenen Mitteln zu bezahlen erhöhet, auch solchem ordnungswidrigen Recessiren in ipsa Audientia sogleich Einhalt gethan werden solle. Publicatum in Audientia, 17.1 Julii 17372. Christian Henrich Joseph3 Bolles, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius4 manu propria5. Vorlage: Balemann 1779, S. 223. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 33, 2. Exemplar ohne Nr.; Selchow, Concepte I 1782, S. 1075. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid verteidigt die überkommene Form der gerichtlichen Audienz. Erneut zeigt sich, wie dem Kameralkollegium in den 1730er Jahren nur noch daran gelegen war, Veränderungen in der Verfahrenspraxis mit allen Mitteln abzuwehren. Abermals ging es um die Bestrebungen der Anwaltschaft, die Audienz in eine mündliche Verhandlung umzuwandeln. Inzwischen waren die meisten Prokuratoren dazu übergegangen, in ihre Rezesse Ausführungen zum Sach- und Streitstand (Merita causae) aufzunehmen. Dadurch schwollen die Rezesse an und gerieten in den Augen der Assessoren zu lang. Die Audienzen selbst drohten sich hinzuziehen. Außerdem befürchtete das Kameralkollegium angeblich Verwirrungen. Ebenso wandten sich die Assessoren gegen den übermäßigen Gebrauch von Fremdwörtern. Damit war sicherlich nicht Latein gemeint, denn auch das Gericht selbst verwandte bis zum Schluss unverdrossen die lateinischen, gemeinrechtlich vorgeprägten Prozessarten. Vielmehr sprach sich der Gemeine Bescheid der Sache nach gegen die Modesprache Französisch aus. Dennoch wirkt das seltsam. Das Kameralkollegium benutzte durchaus gern unbekannte Fremdwörter. So nannte man etwa den diensthabenden Notar „Hebdomadarius“ (Gemeiner Bescheid vom 23. Januar 1741; unten RKG Nr. 273). Die Kritik an den Anwälten konnte daher kaum glaubhaft klingen, und in die Strafdrohung am Ende nahm das Kameralkollegium diesen Hinweis auch gar nicht auf. Der prozessuale Missbrauch, den das Gericht im Kern monierte, war freilich ohne Duldung zahlreicher anderer Kameralpersonen undenkbar. Zunächst war es längst schon vorgeschrieben, sämtliche Rezesse auf einem Spezifikationszettel bzw. auf einer Designation zu vermerken. Diese Zettel musste der Prokurator vor der Audi1 2 3 4 5

BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) Publicatum Wezlar den 17. Publicatum ... 1737 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) an dieser Stelle. Selchow 1782 Chr. H. Jos. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und Selchow 1782; Christian ... propria fehlt in BA Slg. 16931787 (2. Ex.).

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enz in mehrfacher Ausfertigung für das Gericht und den Gegner abliefern (z. B. Gemeine Bescheide vom 4. April 1721 Ziffer 16 sowie vom 16. Juli 1723; oben RKG Nr. 261-262). Damit hätte jedermann sehen können, wer in der bevorstehenden Audienz zu welchem Rechtsstreit das Wort ergreifen wollte. Sodann war es weiterhin üblich, sämtliche Rezesse Wort für Wort zu verlesen und sie den Notaren in die Feder zu diktieren. Es ging also nicht um spontane Wortgefechte. Ältere Gemeine Bescheide hatten die Länge des Rezesses auf drei bis vier Zeilen im Protokollbuch zu begrenzen versucht (z. B. die Gemeinen Bescheide vom 7. Juli 1590, 16. Oktober 1641, 13. Dezember 1659 § 6 und 9. Januar 1660 § 1; oben RKG Nr. 89, 119, 144-145). Gegenrezesse waren überdies grundsätzlich verboten, sofern sie sich nicht auf einzelne Zustimmungen zu einfachen Augenscheinsobjekten beschränkten (z. B. Gemeine Bescheid vom 5. Juni 1584, 13. Dezember 1659 § 5 und 12. Januar 1660 § 12; oben RKG Nr. 82, 144 und 146). Das alles scheint man in der Praxis nicht beachtet zu haben. Anderenfalls hätte es die angebliche Unordnung, die das Kameralkollegium beklagte, nie geben können. Gegenrezesse fanden statt, waren gut vorbereitet, schriftlich ausformuliert und auch auf die Sach- und Rechtslage selbst bezogen. Stillschweigend räumte das Kameralkollegium auch ein, dass bisher die Assessoren solche Rezesse angehört und die Protokollführer sie mitgeschrieben hatten. Das sollte sich nun ändern. Außer den Geldstrafen drohte das Gericht zusätzlich an, künftig den Prokuratoren das Wort abzuschneiden, wenn sie abermals zu Gegenrezessen ansetzten. Gerade weil diese Anordnung nicht vereinzelt dasteht, sondern mehrfach erging, verweist sie auf einen tief sitzenden Meinungsunterschied zwischen Prokuratoren und Assessoren. Die Prokuratoren wollten die Audienzen als mündliche Verhandlungen verstehen und dort die Sach- und Rechtslage erörtern. Die Assessoren versuchten dagegen, die inszenierte kaiserliche Herrschaft zur Schau zu stellen, statische Rollenspiele vorzuführen und juristische Diskussionen zu verbieten. Mündliche Gerichtsverhandlungen lehnten sie ab.

RKG Nr. 272 1738 Juli 17 Gemeiner Bescheid, Insinuirung der fiscalischen Processe betreffend, publicirt 17. Julii 1738.1 Endlich ist der Gemeine Bescheid: Demnach die Insinuationes derer in dieses Kaiserlichen Kammergerichts Unterhaltungssache ausgehenden Processen der Kaiserlichen Fiscalatscassae zu größter Last gereichen, als werden sämtliche des Heiligen

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Gemeiner ... 1738 auch in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; BA Slg. 16931787 (2. Ex.) nur Gemeiner Bescheid.

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RKG Nr. 272 1738 Juli 17

Reichs Churfürsten [, Fürsten]1 und Ständen Anwälde dergleichen Processe, wann selbige ihnen von denen Pedellen insinuiret werden, anzunehmen, unverzüglich behörigen Orts zu verschicken und wie solches beschehen, auch die darauf erfolgende Antwort in nächster Audienz anzuzeigen hiermit angewiesen. Publicatum 17. Julii 17382. Christian Henrich Joseph3 Bolles, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius4 manu propria5. Vorlage: Balemann 1779, S. 223. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 34, 2. Exemplar ohne Nr.; Selchow, Concepte I 1782, S. 1075-1076. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid markiert einen weiteren Tiefpunkt in den verzweifelten Bemühungen des Gerichts, seine eigene Finanzierung sicherzustellen. Er schließt an Dutzende von Vorgängervorschriften an, zuletzt an die Gemeinen Bescheide vom 4. April 1721 (Ziffer 22) und vom 29. August 1732 (oben RKG Nr. 261 und 265). Dennoch gab es einen neuen Unterton. Inzwischen hatte offenbar der Fiskal nicht einmal mehr genügend Geld, die dringend notwendigen Zahlungsprozesse gegen säumige Reichsstände zu führen. Er konnte vor dem Reichskammergericht zwar die fälligen Kammerzieler einklagen. Auf dem Papier sah das auch erfolgversprechend aus. Die Zahlungspflichten waren spätestens 1719 reichsrechtlich festgeklopft worden. Es gab feste Summen und Termine. Wer nicht zahlte, musste gegebenenfalls die gerichtliche Eintreibung hinnehmen. Doch in der Praxis blieb die Wetzlarer Reichsjustiz zahnlos genug, als dass sie noch hätte Schrecken verbreiten können. Das Risiko der Landesherren, tatsächlich mit Vollstreckungsmaßnahmen konfrontiert zu werden, war denkbar gering. Es fehlte an allen Enden, und schon zu Beginn der fiskalischen Prozesse stand ein geradezu lächerliches Problem. Der kaiserliche Fiskal hatte offenbar nicht einmal genügend Geld, um die Zustellungsgebühren für die Zahlungsbefehle vorzuschießen. Wenn das Kameralkollegium gegenüber den Anwälten von der „größten Last“ sprechen konnte, die der Fiskal wegen der Insinuationen zu tragen hatte, konnte das kaum gelogen sein. Die Prokuratoren als Vertreter der Reichsstände wussten ja sehr genau, ob und wie viel ihre Mandanten gezahlt hatten und gegen wen zur Zeit Prozesse liefen. Die Anordnung selbst bleibt unklar. Möglicherweise schaffte das Kameralkollegium die förmliche Zustellung der Zahlungsmandate und Monitorien bei den reichsständischen Parteien ganz ab. Der Pedell mochte solche gerichtlichen Schreiben den reichsständischen Prokuratoren direkt übergeben, und diese mussten sodann für die Weitergabe an ihre Mandanten sorgen. Damit hätte das Gericht aber zugleich seine eigenen Boten geschwächt. Möglich ist deswegen auch eine andere Stoßrichtung des Gemeinen Bescheids. Vielleicht sollten die reichsständischen Prokuratoren schon vorab, also vor der förmlichen 1 2 3 4 5

Fürsten in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.). In BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessert aus 1740. Selchow 1782 Chr. Heinr. Jos. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.); Selchow 1782.

RKG Nr. 273 1741 Januar 23

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Insinuierung beim Beklagten, ihre Mandanten unterrichten und den einschlägigen Schriftwechsel offenlegen. Dies entspräche den früheren Ermahnungen an die Adresse der Anwälte. Damals war es aber zumeist unmittelbar um die Zahlung des Kammerzielers gegangen. Jetzt nahm das Gericht dieses Wort nicht einmal mehr in den Mund. Ebenso war jeder Hinweis auf angedrohte Strafen getilgt. Die Botschaft war erbärmlich dürftig: Der Fiskal verfügte nicht über genügend Geld, um seine Forderungen gegen die Reichsstände gerichtlich geltend zu machen. Die Prokuratoren mussten ihren Mandanten lediglich mitteilen, wenn sie verklagt worden waren. Egal, welche Antworten sie auch erhielten, erfüllten sie ihre Pflichten bereits, indem sie alle eingehenden Schreiben dem Gericht vorlegten.

RKG Nr. 273 1741 Januar 23 Gemeiner Bescheid, die in frembden Sachen zeither von einigen ungebührlich unternommene Sollicitatur betreffend, publicatum Lunae, 23. Januarii 1741.1 Demnach mit großen Mißfallen verschiedentlich wahrgenommen worden, daß einige Sollicitanten2 sich der Sollicitatur in fremden Sachen zeither angemaßt, bevor sie bey dem Herrn Kammerrichter oder in dessen Abwesenheit bey dem das Directorium führenden Herrn Präsidenten ihre habende Vollmacht vorgezeigt3 und in der Kammergerichtscanzley von dem Notario Hebdomadario aufzeichnen lassen, ein solches aber dem Reichsabschied de Anno 1566 und jüngern Visitationsabschied, weniger nicht4 denen Anno 1657, den 28. Januar, 1660, den 3. März, und 1713, den 21. März, eröfneten Gemeinen Bescheiden zuwider laufet, als werden gedachte Gemeine Bescheide hiermit5 wiederholet und anbey allen hier anwesenden fremden Sollicitanten ernstlich anbefohlen, ihre Vollmachten (in welchen Sachen nemlich ihnen die Sollicitatur aufgegeben worden) innerhalb drey Tagen obgemeldter maßen vor- und anzuzeigen mit dem Anhang, daß in Ermangelung dessen dieselbe wie auch in Zukunft alle übrige ohne einzigen Unterscheid deren Personen sich sotha-

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Gemeiner ... 1741 auch in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); GB 1724; Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) Datum als Kopfzeile. Sollicitanten in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) nachträglich eingefügt. Ihre ...vorgezeigt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessert aus die behörige Legitimation bewirkt. Und jüngern ... nicht in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) nachträglich eingefügt. In BA Slg. 1693-1787 verbessert aus anhero hiemit.

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RKG Nr. 274 1743 November 20/29

nen1 Sollicitirens bey ohnausbleiblicher scharfen Ahndung gänzlich enthalten sollen. Publicatum Lunae2, 23. Januarii 17413. Franciscus Elsen, Licentiatus. Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius4 manu propria5. Vorlage: Balemann 1779, S. 224. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 35 (durchgestrichen 26), 2. Exemplar ohne Nr.; GB 1724 (handschriftlicher Anhang), S. 292-293; Selchow, Concepte I 1782, S. 1076. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt die Befugnis zur Sollizitatur. Problematisch erschien offenbar in zahlreichen Fällen die rechtliche Befugnis des Sollizitanten im Verhältnis zu der von ihm begünstigten Partei. Sollizitatur ohne Vertretungsmacht wollte das Reichskammergericht jedenfalls nicht akzeptieren. Es verwies dabei auf den Augsburger Reichsabschied vom 30. Mai 1566 sowie auf den Visitationsabschied von 1713. Zusätzlich sollten sich die Sollizitationsbeschränkungen aus den Gemeinen Bescheiden vom 28. Januar 1657 (§§ 5-6, oben RKG Nr. 132), 3. März 1660 (oben RKG Nr. 148) und 21. März 1713 (oben RKG Nr. 250) ergeben. Die Regelung selbst war denkbar schlicht: Sollizitatur blieb fortan nur erlaubt, wenn der Sollizitant zuvor seine Vollmacht vorgezeigt und der diensthabende Notar sie zu Protokoll genommen hatte. Ganz altertümlich sprach das Reichskammergericht vom Hebdomadar, vom „Notar vom Wochendienst“. Ab sofort sollte es eine strenge Dreitagesfrist geben. Wer sie nicht einhielt, war als Sollizitant ausgeschlossen. Das galt freilich nur für „fremde“ Sollizitanten. Wer dagegen als einheimisch galt, blieb offen. Teilweise versuchten einige Kammerboten, sich als Sollizitanten zu verdingen. Das hatte das Gericht aber schon früher ausdrücklich verboten (Gemeiner Bescheid vom 6. März 1724 Ziffer 9; oben RKG Nr. 263). Daneben sollizitierten vielfach auch Advokaten und Prokuratoren. Sie alle waren vom Gemeinen Bescheid nicht erfasst.

RKG Nr. 274 1743 November 20/29 [Gemeiner Bescheid, die Ausbleibung von Audientzien betreffend, de dato 29. Novembris 1743 publicatum.]6 Gemeiner Bescheid in Consilio Pleno, den 20. Novembris 1743. Publicatum in Audientia, den 29. Novembris 17431. Die Ausbleibung von Audientzien betreffend. 1 2 3 4 5 6

In BA Slg. 1693-1787 verbessert aus dergestaltigen. Lunae fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Publicatum ... 1741 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) an dieser Stelle. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in Selchow 1782. Gemeiner ... publicatum in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); die ... betreffend in Selchow 1782 unter dem Datum.

RKG Nr. 274 1743 November 20/29

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[Procuratores ab audientiis sine iusta causa absentes esse serio prohibet et gravem poenam contumacibus comminatur.]2 Demnach man von geraumer Zeit ohne sonsten wohlbefugte Ahndung nachgesehen, daß viele dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores, besonders einige der jüngern, sehr oft in Erscheinung auf denen ordentlichen gerichtlichen Audienzien sich säumig einstellen und durch Einschickung und genugsamer3 (nämlich sie seyn oder haben zu Mittag eingeladen, müsten einen Bothen expediren, haben Visite bekommen) und dergleichen mehr andern ohnzulässigen und ohnbegründeten Entschuldigungszettuln sich absentiren, dadurch ihrer Partheyen Nothdurft negligiren, auch das Ansehen der Kammergerichtsaudienzien verringern, solches aber von dem hochlöblichen Collegio Camerali länger nicht geduldet werden kann, so wird besagten Prokuratoren sammt und sonders ernstlich befohlen, sothanen Mißbrauch führohin abzustellen, in allen und jeden gerichtlichen Audienzien fleißig und gebührender Zeit zu erscheinen und ohne ehehafte anzeigende Ursachen davon nicht zu bleiben. Würden sie aber diesen Befehl außer Acht setzen, solle der nicht Erscheinende zum ersten Male in die Strafe der Ordnung, zum zweyten Mal nach Ermäßigung, zum dritten Mal einer ganzen4 Mark Silbers in den Armensäckel ohnnachlässig zu bezahlen ipso facto declariret seyn, und da er dem ohngeachtet dannoch seinen Unfleiß nicht corrigiren würde, gestalten Sachen und Umständen nach mit wirklicher Amtssuspendirung gegen ihn verfahren werden, zu welchem Ende denen Pedellen aufgegeben wird, in allen Audienzien die von dem sitzenden Herrn Präsidenten oder in dessen Abwesenheit Herrn Assessoren ihnen zuzustellende Excusationszettuln den Samstag darauf dem Herrn Kammerrichter sammt deren5 ohne Entschuldigung ausgebliebenen Namen geziemend zu überreichen, damit die Ursachen des Ausbleibens untersuchet und mit Erklärung oder6 respective Einforderung der Strafe ohne Nachsehen verfahren werden möge. Dann ist denen in der Audienz gegenwärtigen Prokuratoren für die Abwesenden die Recessus ohne darzu von dem sitzenden [Herrn]7 Präsidenten oder in dessen Abwesenheit Herrn Assessoren gebetene und erhaltene Specialerlaubniß abzulesen,

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Gemeiner … 1743 auch in Selchow 1782 über dem Betreff; dagegen BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) ganz ohne Überschrift. Procuratores … comminatur in GB 1724. BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.); Selchow 1782 Einschickung ungenugsamer. BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) zum dritten einer halben und zum viertenmahl einer gantzen. In BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessert aus deren darauf. In BA Slg. 1693-1787 nachträglich eingefügt. Herrn in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Selchow 1782.

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unter willkührlicher Strafe hiermit verboten, in Consilio pleno, d[en]1 20. Novembris 1743. Publicatum in Audientia, den2 29. Novembris 1743. Anselm Franz3 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius4 manu propria5. Vorlage: Balemann 1779, S. 224-225. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 36r-37r (durchgestrichen 27r), 2. Exemplar ohne Nr.; GB 1724 (handschriftlicher Anhang), S. 296-298; Selchow, Concepte I 1782, S. 10771078. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid wiederholt die Verpflichtung der Prokuratoren, vollständig zu jeder Audienz zu erscheinen. Die Praxis sah bekanntlich anders aus. Das Kameralkollegium räumte gleich zu Beginn ein, die Assessoren selbst hätten auf die Präsenzpflicht seit einiger Zeit nicht mehr so recht geachtet. Zahlreiche Prokuratoren, vor allem jüngere, nahmen die Audienzen nicht mehr ernst. Sie führten das Kameralkollegium geradezu an der Nase herum und meldeten sich mit hoch anzüglichen Begründungen ab. Selbst eine Verabredung zu einem Mittagessen war in ihren Augen wichtiger als die gerichtliche, öffentliche Audienz eines der höchsten Reichsgerichte. Man muss das 18. Jahrhundert nicht unbedingt als Verfallszeit des Reichskammergerichts darstellen. Doch Quellen, die genau darauf hindeuten, gibt es zuhauf. Die Gemeinen Bescheide spiegeln insofern den eigenen Niedergang an Ansehen und Durchsetzungskraft. Über die inhaltliche Qualität der Rechtsprechung ist damit kein Wort gesagt. Aber die ständigen Rangeleien um die Kammerzieler und die Reibungen zwischen Anwälten und richterlichem Personal bedeuteten für die Richterschaft zusätzlichen Gesichtsverlust. Fast beschwörend verwies das Kameralkollegium darauf, die schwänzenden Prokuratoren verringerten die Würde der Audienz und schadeten ihren eigenen Mandanten. Das Gericht erinnerte also an die ohnehin bestehende Teilnahmeverpflichtung an der Audienz. Damit wiederholte es zahlreiche ältere Gemeine Bescheide (z. B. Gemeine Bescheide vom 11. April 1595, 4. Oktober 1638, 16. Januar 1652, 12. März 1680, 4. April 1721 Ziffer 15, 16. Juli 1723; oben RKG Nr. 94, 117, 124, 203, 261, 262). Eine abgestufte Geldstrafe sollte für die Zukunft die bessere Disziplin sicherstellen. Die Staffelung belegt freilich, wie man bei realistischer Einschätzung jetzt schon von mehrfachen Verstößen gegen die Anordnung ausging. Die Amtssuspendierung war die schärfste Bedrohung. Der Bummelant durfte sich dann nicht durch einen anwesenden Kollegen vertreten lassen (so bereits der Gemeine Bescheid vom 4. April 1721 Ziffer 15; oben RKG Nr. 261). Wie wenig das Gericht aber damit rechnete, dass sich viel ändern würde, zeigt die kuriose Regelung über die Entschuldigungszettel. Der Pedell sollte bei jeder Audienz die Entschuldigungszettel einsammeln und sie einmal wöchentlich dem Kammerrichter im Paket vorlegen. Auch die Namen derjenigen Prokuratoren, die ganz ohne Entschuldigung ausge1 2 3 4 5

Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). BA Slg. 1693-1787 Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in Selchow 1782.

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blieben waren, hatte der Pedell zu notieren. Eine Untersuchung musste sodann klären, warum die Anwälte nicht gekommen waren. Das Verfahren sollte angeblich ohne Nachsehen ablaufen, war aber doch so schwerfällig, dass es kaum besser klappen konnte als bei den zahlreichen gleichgerichteten Angängen in früheren Jahren. Ein unfreiwilliges Zeichen von Humor trat hinzu. Das Gericht bekräftigte auf der einen Seite wortreich die Anwesenheitspflichten der Prokuratoren. Zugleich setzte es aber stillschweigend die lückenhafte Besetzung der Richterbank voraus. Der Kammerrichter tauchte als Leiter der Audienzen nicht einmal auf. Nur von seinem Vertreter, dem Präsidenten, war noch die Rede. Doch baute man auch hier gleich vor. Falls nicht einmal der Präsident zur Audienz gekommen war, sollten seine Zuständigkeiten auf diejenigen Assessoren entfallen, die anwesend waren. Im Gegensatz zu den geschönten bildlichen Darstellungen aus der Wetzlarer Zeit waren dies bekanntlich nur ganz wenige. Deswegen überrascht es nicht, wenn die ausgedünnte Assessorenbank nicht mit letzter Schärfe gegen solche Prokuratoren vorging, die nichts anderes taten als die übrigen Assessoren auch. Nur diejenigen, die am entsprechenden Tag Dienst hatten, gingen überhaupt zur Audienz. Am 17. November 1760 erließ das Kameralkollegium einen weiteren Gemeinen Bescheid zum selben Problem (unten RKG Nr. 282).

RKG (ohne Nr.) 1744 Februar 8 In GB 1724 (handschriftlicher Anhang), S. 298; Balemann 1779, Nachtrag S. VI, nachgewiesen, dort aber ausdrücklich als Conclusum pleni bezeichnet.

RKG Nr. 275 1747 Juni 91 Gemeiner Bescheid, die Anzeig- und2 Immatriculirung der3 Practicanten betreffend, publicatum den 9. Junii 1747.4 Nachdemmahlen sowohl in der Kammergerichtsordnung Part. I Tit. 49 § 2 als dem Reichsabschied de Anno 1566 § 106 wie auch in denen Gemeinen Bescheiden vom 1 2 3 4

Bei Balemann 1779, S. 264, auf den 5. Juni 1747 datiert. Anzeig- und fehlt in Cramer 1763. Cramer 1763 Immatriculation derer. Gemeiner ... 1747 auch in in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; Cramer 1763 ohne Datum in der Überschrift..

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18. Junii 1563 und vom 22. April 1659 heilsamlich verordnet, daß diejenige, so die Praxin dieses höchsten Gerichts zu erlernen, sich allhier aufhalten wollen, solches sogleich nach ihrer Ankunft bey dem Herrn Kammerrichter, Präsidenten und Beysitzern anzeigen, hierauf, wann vorgängig die Untersuchung wegen des vorhabenden Wandels, Geschicklichkeit und andern Umständen geschehen, nach Gestalt und Wesen deren Personen unter die Kammergerichtsverwandte angenommen und durch den Pedellen immatriculiret werden sollen, dieser so nützlich- als ersprießlicher Verfügung aber eine Zeit her von vielen, wie sich es gebühret, nicht nachgelebet worden und daher nicht nur in puncto Jurisdictionis einige Irrung, sondern auch sonsten allerley Inconvenienzen, welche doch1 nach Möglichkeit zu verhüten die Nothwendigkeit erfordert, zu befahren, so ist derer Herren Kammerrichters, Präsidenten und Beysitzern Befehl und Bescheid:2 Daß alle und jede Personen, wes Standes und Condition selbige auch seyn möchten, die, um Praxin Cameralem zu erlernen, sich entweder gegenwärtig allhier aufhalten und noch nicht immatriculiret oder auch inskünftige ankommen werden, denen obangezogenen Reichssatzungen und Gemeinen Bescheiden gemäß sich ungesäumt bey denen Herren Kammerrichter, Präsidenten und Beysitzern anmelden und nach vorgängiger3 Anzeige bey beyden darzu geordneten Deputirten durch den Pedellen aufzeichnen und immatriculiren lassen sollen, da sonst in dem Entstehungsfall sie sich selbsten beyzumessen haben werden, wann ihnen der Schutz, Freyheit und andere Vortheile derer kammergerichtlichen Personen nicht angedeyhen werden, zu welchem Ende hiesigem Stadtmagistrat ein Verzeichnis derer Immatriculirten zugestellet werden solle. Publicatum 9. Junii 17474. Anselm Franz5 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius6 manu propria7. Vorlage: Balemann 1779, S. 225-226. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 38; Cramer, Nebenstunden 34 (1763), S. 135-137; Selchow, Concepte I 1782, S. 1078-1079. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die Rechtsstellung der Wetzlarer Praktikanten. Bereits früher hatte es dazu Regelungen gegeben. Das Kameralkollegium verwies auf die Kammergerichtsordnung von 1555 sowie auf den Reichsabschied von 1566. Auch zwei ältere Gemeine Bescheide hatten das Thema bereits aufgegriffen (Gemeine Bescheide vom 18. Juni 1563 und 1 2 3 4 5 6 7

Cramer 1763 jedoch. Absatz in Cramer 1763. Cramer 1763 beschehener. Publicatum ... 1747 fehlt in BA Slg. 1693-1787 an dieser Stelle. BA Slg. 1693-1787 Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Anselm … propria fehlt in Cramer 1763; Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782.

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22. April 1659; oben RKG Nr. 56 und 141). Im Kern bestand das Reichskammergericht auf einer förmlichen Immatrikulation. Der Praktikant sollte sich beim Kammerrichter, dem Präsidenten und den Assessoren melden. Das war pauschal formuliert und sicherlich nicht wörtlich gemeint. Aber irgendwer vom richterlichen Personal musste eine kursorische Prüfung durchführen, ob der Neuling fachlich und persönlich geeignet war, den Kameralprozess vor Ort zu erlernen. Hierfür verwies der Bescheid auf zwei Deputierte, also zwei Assessoren, die sich besonders um Praktikanten kümmern sollten. Wenn der Praktikant sich bei den Assessoren gemeldet hatte, durfte er sich beim Pedell vorstellen, der ihn in eine Liste einschrieb. Diese Immatrikulation war konstitutiv, um die Kameralfreiheiten zu erlangen. Deswegen kündigte das Kameralkollegium auch an, seine Liste dem Rat der Stadt Wetzlar zu übergeben. Auch der Magistrat sollte jederzeit wissen, wer sich in der Reichsstadt aufhielt und welchen persönlichen Status er genoss. Unausgesprochen belegt der Gemeine Bescheid zugleich, wie attraktiv der Kameralprozess in der Mitte des 18. Jahrhunderts für angehende Juristen weiterhin war. Das Gericht selbst befand sich seit vielen Jahren in einer sichtbaren Krise. Allein die Gemeinen Bescheide seit etwa 1730 zeigen eine Behörde, die jeglichen Reformversuchen abwehrend gegenüberstand, sich nicht gegenüber Anwälten und Reichsständen durchsetzen konnte und ihr Heil in pingeliger Beachtung überkommener Förmlichkeiten suchte. Die jungen Juristen im Reich scheinen aber doch ein Gespür für die Bedeutung des Prozessrechts und der kammergerichtlichen Rechtsprechung gehabt zu haben. Der Kameralprozess besaß seine Stärken, die aus den normativen Quellen dieser Zeit in keiner Weise ersichtlich sind. Der Zuzug von Praktikanten war auf diese Weise ein Vertrauenserweis für das ansonsten arg gebeutelte Gericht. Dennoch hielten sich die Praktikanten nicht an die geltenden Spielregeln. Am 18. März 1748 wiederholte das Gericht daher den Gemeinen Bescheid (unten RKG Nr. 278).

RKG Nr. 276 1747 Juni 9 Gemeiner Bescheid. Die Hazart-Spiele betreffend. Publicatum den 9. Junii 1747.1 Als die Hazartspiele mit Würfeln und Charten in denen hiesigen Wirthshäusern, Weinschenken und andern Häusern dergestalt überhand zu nehmen anfangen, daß nicht nur gar viele um ihr Geld, welches selbige weit besser anwenden sollen, gebracht, sondern auch unnütze gefährliche Händel daher entstanden, und wo dieser Unordnung nicht bey Zeiten gesteuret würde, hieraus allerley Unheil zu besorgen ist, wodurch hiesiger Ort in übeln Ruf gebracht werden könnte, solchemnach wird 1

Gemeiner ... 1747 auch in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) nur Gemeiner Bescheid de 9. Junii 1747.

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hiesigem Stadtmagistrat anbefohlen, denen Gastwirthen, Weinschenkern und Italiänern, auch sonstigen Bürgern bey namhafter Strafe zu verbieten, nach 10 Uhr des Sommers und nach 9 Uhr des Winters keine sitzende Gäste bey sich zu dulden, insbesondre aber die Hazartspiele mit Würfeln und Charten in ihren Häusern und Gärten auf keinerley Weise noch zu einiger Zeit, unter was Prätext und Namen es auch geschehen mögte, zu verstatten noch nachzugeben. Und damit dieser Verordnung hinkünftig ohnausgesetzt nachgelebet, und darob alles Ernstes gelebet1 werden möge, fleißig die Häuser und Gärten derer Gastwirthe, Weinschenken, Italiäner und Bürger zur unvermutheten Zeit visitiren und die verwirkte Strafe ohne einiges Nachsehen exequiren zu lassen, die dabey betretende Cameralpersonen, Sollicitanten und Practicanten aber sofort diesem Kaiserlichen Kammergericht anzeigen. Publicatum, den 9. Junii 17472. Anselm Franz3 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius4 manu propria5. Vorlage: Balemann 1779, S. 226-227. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 39, 2. Exemplar ohne Nr.; Cramer, Nebenstunden 34 (1763), S. 137-138; Selchow, Concepte I 1782, S. 1079-1080. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid stellt eine Policeyordnung gegen Glücksspiele in der Stadt Wetzlar dar (dazu auch die Einleitung bei Anm. 379-380). Hazard war ein im 18. Jahrhundert verbreitetes Würfelspiel, das man häufig um Geld spielte. In der Zusammenstellung mit Kartenspielen schlechthin wollte das Reichskammergericht mit dem Bescheid sicherlich Glücksspiele insgesamt verbieten. Dafür führte es eine streng bemessene Sperrstunde von 22.00 Uhr im Sommer und 21.00 Uhr im Winter ein. Das galt nicht nur für Biergärten, sondern auch für die Gaststuben selbst. Freilich besaß das Kameralkollegium kaum die Möglichkeit, auf die städtischen Gastwirte unmittelbar zuzugreifen. Daher richtete sich der Gemeine Bescheid an die Stadt Wetzlar. Diese Vorgehensweise war außerordentlich ungewöhnlich. Bisher hatte das Reichskammergericht in seinen Gemeinen Bescheiden noch nie eine rechtliche Überordnung über den städtischen Rat in Anspruch genommen. Jetzt erteilte es dem Magistrat ausdrücklich Befehle. Sozialgeschichtlich interessant ist der Hinweis auf italienische Gastwirte. Sie scheinen so zahlreich gewesen zu sein, dass man sie in der Mitte des 18. Jahrhunderts bereits als eigene Gruppe hervorheben konnte. Nach dem Wunsch des Kameralkollegiums sollte ein städtischer Bediensteter unangemeldet Kontrollen durchführen und prüfen, ob wirklich keine Glücksspiele mehr stattfanden. Sofern es Verstöße durch Kameralpersonen gab, hatte er dies dem Gericht anzuzeigen. In der Auflistung grenzte das Gericht die Kame1 2 3 4 5

BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.); Cramer 1763 gehalten. Publicatum ... 1747 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) an dieser Stelle. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und Selchow 1782; Publicatum ... propria fehlt in BA Slg. 16931787 (2. Ex.); Cramer 1763.

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ralpersonen von den Sollizitanten und Praktikanten ab. Welche Gruppe am stärksten dem Glücksspiel verfallen war, geht daraus aber nicht hervor. Wenn am selben Tag ein Gemeiner Bescheid zur Rechtsstellung der Praktikanten erging (oben RKG Nr. 275), mag es sich um Zufall gehandelt haben. Möglicherweise verfügten aber gerade die neu angereisten Praktikanten über genügend Geld, um es gleich in den Kneipen zu verjubeln. Die Immatrikulationspflicht mag deshalb zwischen der Stadt und dem Kameralkollegium geklärt haben, wer Verstöße gegen das Glücksspielverbot ahnden durfte. Vielleicht war der enge zeitliche Zusammenhang aber auch Zufall. Ob sich in der Praxis viel änderte, ist unklar. Am 5. Juni 1767 erließ das Kameralkollegium einen weiteren Gemeinen Bescheid gegen das Glücksspiel (unten RKG Nr. 291).

RKG Nr. 277 1748 Februar 1 Gemeiner Bescheid, die Protogationsgesuche betreffend. Publicatum in Audientia, den 1. Februarii 1748.1 [1. Cum supplica pro prorog[atione] fatal[ium] exhibeatur instrum[entum] appellationis et 2. documentum super impedimento 3. decretis processibus ulterior prorogatio non petatur nisi probate legali impedimento.]2 Erstens3. Nachdem man bey diesem Kaiserlichen Reichskammergericht wahrgenommen, daß von denen mehresten desselben Prokuratoren nicht allein Prorogationes Fatalium ad introducendam Appellationem gar vielmals ohne Anführung rechtlicher Ursachen und unbescheinigt gesucht werden, sondern auch zum Theil weder Sententiam a qua beylegen noch vielweniger aber beweisen, daß die angezeigte Appellation rite interponiret und die Solennia prästiret oder die Appellantes nicht darzu gelassen worden, ja gar einige dieses Prorogationsgesuch öfters auf viele Monath und über Jahr und Tag wiederholen, und wann die Processus Appellationis erkannt und insinuiret worden, ohne die geringste Bescheinigung wegen der etwa vorgefallenen legalen Verhindernissen aufs neue wieder anfangen und Prorogationem Termini Reproductionis bitten, welches alles aber als zum Aufenthalt der Justitz, Kosten und Schaden derer Partheyen gereichend und gegen den klaren Inhalt des § 67 R[ecessi] J[mperii] N[ovissimi] anlaufend nicht länger nachgesehen werden kann, als nach welchem die Fatalia nicht so leicht und nicht anderst als aus erhebli1 2 3

Gemeiner ... 1748 auch in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; BA Slg. 16931787 (2. Ex.) nur Gemeiner Bescheid. GB 1724. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.) 1.

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chen Ursachen und zumalen nur etwa auf zwey oder drey Monath prorogiret werden sollen; als ist hiermit der Gemeine Bescheid: daß 1stens.1 Hinführo keine Supplicationes mehr von denen Prokuratoren pro prorogatione Fatalium übergeben werden sollen, worinnen dieselbe nicht die Sententiam a qua beylegen und glaubhaft bescheinigen, daß von ihren Principalen oder deren Bevollmächtigten intra Decendium appelliret, die Acta behörig requiriret und die Solennia prästiret worden oder dieselbe darzu nicht gelassen werden und sie solche bey diesen höchsten Gericht prästiren wollen. 2do. Sollen die Procuratores keine Prorogationes Fatalium mehr suchen, wann sie nicht erhebliche Ursachen deshalb anführen und selbige hinlänglich bescheinigen, wofür die schlechte Anführung, daß der Advocatus Causae an Verfertigung des Libelli Gravaminum durch andre Arbeit verhindert werde oder annoch ein und andere Beylagen abgehen und dergleichen, nicht angenommen werden. Und endlich sollen die Procuratores 3tio. Wann die Processus Appellationis erkannt seyn, keine Prorogationem Termini mehr ad reproducendum suchen, es wäre dann, daß der Kammerbothe bey deren Insinuation auf der Reise gehindert würde, daß solche nicht bey Zeiten reproduciret werden können oder sonsten erhebliche Ursachen desfalls vorgefallen wären, welches jedoch allezeit glaubhaft bescheiniget werden solle mit der Verwarnung, daß diejenige, so hiergegen handeln, nicht allein arbitrarisch gestrafet, sondern auch die Supplicationes pro Prorogatione Fatalium sofort zurückgegeben oder auf des Gegentheils Anrufen in Puncto Desertionis ohne Aufenthalt ergehen soll, was Recht ist. Wobey dieses Kaiserlichen Reichskammergerichts Canzleyverwaltern anbefohlen wird, keine Supplicationes pro Prorogatione Fatalium mehr bis zu förmlicher Introduction der Appellation auf der Canzley liegen zu lassen, sondern solche, sobald [sie]2 exhibiret werden, zur Distribution zu befördern. Publicatum in Audientia, den3 1. Februarii 1748. Anselm Franz4 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichtsprotonotarius5 manu propria6. Vorlage: Balemann 1779, S. 227-228.

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Selchow 1782 1mo, dort auch alle weiteren Zahlen in lateinischer Zählung. Selchow 1782. Den fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.). BA Slg. 1693-1787 Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und Selchow 1782; Anselm ... propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.).

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Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 40r-41r, 2. Exemplar ohne Nr.; GB 1724 (handschriftlicher Anhang), S. 299-301; Selchow, Concepte I 1782, S. 1080-1082. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bezweckt die Beschleunigung der Appellationsverfahren. Zahlreiche Prokuratoren, das Kameralkollegium sprach sogar von den meisten, hielten sich nicht an die vorgegebenen Fristen. Sie beantragten pauschal Fristverlängerungen für die Fatalia introducendae appellationis. Das war der Zeitraum, der dem Appellanten nach der untergerichtlichen Einlegung des Rechtsmittels zur Verfügung stand, um das Verfahren am Obergericht anhängig zu machen. In der Praxis scheint es hierbei vielfache Ungenauigkeiten gegeben zu haben. Die Prokuratoren legten angeblich das angefochtene Urteil nicht bei. Daher waren sämtliche Fristberechnungen von vornherein unsicher. Außerdem fehlten Belege für die ordnungsgemäße Einlegung der Appellation (Fatalia interponendae appellationis). Das überrascht besonders, denn genau hierfür gab es im Normalfall notariell beglaubigte Appellationsinstrumente. Eigentlich konnte man in diesem Punkt wenig falsch machen. Vielleicht war es reine Schlampigkeit, wenn die Appellanten diese Urkunden nicht am Reichskammergericht vorlegten. Falls andererseits Parteien am Reichskammergericht Appellationen eingeführt haben sollten, ohne sie untergerichtlich zuvor eingelegt zu haben, wäre das ein beschämendes Zeugnis für das Kammergericht. Dann hätten nämlich die Appellanten unverhohlen gezeigt, wie wenig Sorgfalt sie vom Gericht erwarteten. Auch völlig unzulässige Rechtsmittelverfahren hätten sie, ohne mit der Wimper zu zucken, vom Zaun gebrochen. Das Kameralkollegium musste diesen Eindruck zerstreuen und erließ deshalb den vorliegenden Gemeinen Bescheid. Die Fristverlängerungen, die das Gericht rügte, betrafen oft längere Zeiträume von bis zu mehreren Jahren. Und auch nach Erlass der Zitation zögerten die Appellanten die Reproduktion heraus. Hier lag von vornherein der Verdacht nahe, eine untergerichtlich unterlegene Partei wolle sich lediglich der Vollstreckung entziehen. Wer nämlich wirklich auf ein günstiges Urteil hoffte, konnte ja durchaus beherzt und schwungvoll den Appellationsprozess betreiben. Der Jüngste Reichsabschied (§ 67 JRA), auf den das Reichskammergericht verwies, sah zwei Fristen vor. Zum einen sollte die Insinuation der Appellation beim Appellanten innerhalb von vier Monaten nach der untergerichtlichen Einlegung erfolgen. Zum anderen war für die folgende Reproduktion des Prozesses am Reichskammergericht abermals eine Frist von zwei Monaten vorgesehen. Die Fatalia introducendae appellationis betrugen daher insgesamt sechs Monate, aufgespalten in vier plus zwei. Verlängerungen waren zugelassen, nämlich bei „ereigenden Nothfällen“, und ganz vage auf zwei oder drei Monate begrenzt. Darauf verwies das Kameralkollegium, ebenfalls ohne genauere Konkretisierung. Einige Eckpunkte zurrte das Kameralkollegium aber fest. Zum einen waren zukünftig Anträge auf Fristverlängerungen unzulässig, wenn nicht der Prokurator des Appellanten zuvor die Fatalia interponendae appellationis lückenlos nachweisen konnte. Er musste dem Reichskammergericht also eine Kopie des angefochtenen Urteils übersenden und auch bescheinigen, dass der Mandant die Zehntagesfrist zur Appellation eingehalten hatte. Weitere Förmlichkeiten, zumeist wohl die Zahlung des Appellationsguldens, waren ebenso zu belegen wie die untergerichtliche Bitte, eine Abschrift der Prozessakte an das Reichskammergericht herauszugeben. Hierfür erließ das Reichskammergericht zwar gewöhnlicherweise Kompulsorialbriefe, doch musste der Appellant zuvor selbst

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versuchen, auf gütlichem Wege zum Ziel zu kommen. Vom Apostelbrief, einer weiteren gemeinrechtlichen Förmlichkeit, war in diesem Zusammenhang nicht mehr die Rede. Vielleicht war er in einem bloßen Begleitbrief des Untergerichts aufgegangen, vielleicht benötigte man ihn auch gar nicht mehr. Der Prokurator musste seine Anträge auf Fristverlängerung vor allem gut begründen, und hier lag ein Problem. In der Praxis haperte es wohl oftmals an der reibungslosen Zusammenarbeit zwischen Advokaten und Prokuratoren. Wenn es der Advokat nicht geschafft hatte, rechtzeitig den Gravaminalibell zu erstellen, reichte dies als Entschuldigungsgrund jedenfalls nicht aus. Die dritte Bestimmung versuchte, Verzögerungen bei der Reproduktion zu beschränken. Bekanntlich musste der Appellant die vom Kammerboten zugestellten Dokumente später in der ersten gerichtlichen Audienz dem Reichskammergericht nochmals förmlich übergeben. Die gesetzliche Zweimonatsfrist durfte er nur überschreiten, wenn der Kammerbote selbst das vorgesehene Reisetempo nicht hatte einhalten können. Auch andere, ähnlich gewichtige Gründe kamen in Betracht, aber nur, wenn der Appellant sie jeweils beweisen konnte. Verstöße gegen die vorgegebenen Fristen konnten die sofortige Desertion, also den Prozessverlust, zur Folge haben. Das war in § 67 JRA bereits vorgesehen. Die erneute Androhung im Gemeinen Bescheid bewies ungewollt, wie lasch das Reichskammergericht zuvor mit den eigentlich hinreichend strengen Vorgaben umgegangen war. Zuletzt gab es eine Ermahnung an die eigene Kanzlei. Anträge auf Fristverlängerungen durften dort nicht unbearbeitet schmoren, sondern sollten zügig an das Kameralkollegium zur weiteren Bearbeitung gelangen. Inhaltlich verwandt ist der Gemeine Bescheid vom 17. Juli 1760, der auf die Beschleunigung des Revisionsverfahrens abzielt (unten RKG Nr. 281). Am 18. März 1785 wiederholte das Reichskammergericht den Gemeinen Bescheid (unten RKG Nr. 316, dort Ziffer 2). Ältere Bescheide zu Prorogationsgesuchen und Fristenverlängerungen waren u. a. ergangen am 24. Oktober 1651, 13. Dezember 1659 § 4, 8./18. Mai 1668 § 1, 15./25. Mai 1693 § 9 und 4. April 1721 Ziffer 12 (oben RKG Nr. 123, 144, 175, 233 und 261).

RKG Nr. 278 1748 März 18 Gemeiner Bescheid, die Immatriculirung der Practicanten betreffend, publicatum den 18. Martii 1748.1 Als die Erfahrung gegeben, wie der unterm 9. Jun[ii]2 1747 publicirte Bescheid wegen Immatriculirung deren Practicanten von denen wenigsten befolget worden, und daher sich ein und andere Unordnung ereignet, welcher nach Möglichkeit abzuhel1 2

Gemeiner ... 1748 auch in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum. BA Slg. 1693-1787 Julii.

RKG Nr. 278 1748 März 18

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fen die Nothwendigkeit erfordert. Solchemnach ist derer Herren Kammerrichters, Präsidenten und Beysitzern Befehl und fernerer Bescheid:1 Daß des hiesigen Kaiserlichen Kammergerichts Advocati und Procuratores keinen derer sich hier aufhaltenden Practicanten, so nicht immatriculirt und deshalb beglaubte Bescheinigung beybringet, auf ihre Schreibstuben admittiren noch ihre Collegia frequentiren lassen sollen, so lieb denenselben seyn mag, nachdrückliche Strafe, auch allenfalls die wirkliche Suspension ab officio, zu vermeiden. Publicatum 18. Martii 17482. Anselm Franz3 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius4 manu propria5. Vorlage: Balemann 1779, S. 228-229 Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 42r (gestrichen 31r); Selchow, Concepte I 1782, S. 1082-1083. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die Immatrikulation der Praktikanten. Bereits am 9. Juni 1747 hatte das Kameralkollegium ältere Vorlagen aufgegriffen und auf einer förmlichen Einschreibung bei Gericht bestanden (oben RKG Nr. 275; davor bereits die Gemeinen Bescheide vom 18. Juni 1563 und 22. April 1659; oben RKG Nr. 56 und 141). Die meisten Praktikanten hatten allerdings dagegen verstoßen. Warum, sagten die Assessoren nicht. Überwiegend scheinen die Praktikanten bei den Advokaten oder Prokuratoren mitgearbeitet zu haben. Sie lernten den Kameralprozess also nicht aus der richterlichen, sondern aus der anwaltlichen Sicht kennen. Deswegen richtete sich der Gemeine Bescheid auch an die Anwälte. Sie durften nur dann Praktikanten annehmen, wenn diese sich zuvor ordnungsgemäß immatrikuliert hatten. Weshalb die Immatrikulation nicht erfolgte, bleibt unklar. Ob man eine Gebühr zahlen musste oder ob die deputierten Assessoren tatsächlich schon Bewerber abgelehnt hatten, teilte das Kameralkollegium nicht mit.

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Absatz in BA Slg. 1693-1787. Publicatum ... 1748 fehlt in BA Slg. 1693-1787 an dieser Stelle. BA Slg. 1693-1787 Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782.

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RKG Nr. 279 1757 Januar 12

RKG Nr. 279 1757 Januar 12 Gemeiner Bescheid, publicatum den 12. Januarii 1757. Des Kammergerichts Bauwesen betreffend. [Decretum Commune, des Cammergerichts Bauweßen betreffend, in Audientia 12. Januarii 1757 publicatum.]1 [Decretum commune, in audientia 12. Januarii 1757 publicatum. Ad exstructionem novi aedificii Cameralis advocati et procuratores monitoria suis statibus transmittunto ut suas ratas quantocuius quaestori Camerae exsolvant et paritionem in ordine fiscalis docento.]2 Sämtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Prokuratoren ist vorhin bekannt, wasgestalten bey dem immerhin baufälliger gewordenen alten Gerichtshause das Collegium Camerale sich endlich nothgedrungen befunden habe, nicht nur das ehemalige sogenannte Borieische Haus zu erkaufen und solches theils zu denen Rathssessionen, theils aber vor die Canzley einrichten zu lassen und sofort selbiges wirklich zu beziehen, sondern auch noch weiters das sogenannte Peplerische Haus zu dem Ende zu erkaufen, damit allda der öffentliche Gerichtssaal und Audienz wie auch die Leserey und der nöthigste Theil deren Acten und Cameralarchivs gleichmäßig eingerichtet und untergebracht werden mögte. Gleichwie aber letzteres Bauwesen theils wegen der späten Jahreszeit eingestellt werden müssen, theils sich aber neuerlich ergeben hat, daß das daran stoßende Wirthshaus und Posthalterey zum Stern gleichfalls kauflich anerbothen worden, wodurch dann gedachtes Bauwesen nach erforderlicher Nothdurft des weitläuftigen Archivs sogleich jetzo räumlicher eingerichtet und besonders vor Feuersgefahr durch Aufführung eines feuervesten Baues verwahret, auch überhaupt dabey auf künftige3 mehrere Weiterung der vorläufige Bedacht genommen werden mag, fortan von diesem Vorhaben die allerunterthänigste Anzeige an Kaiserliche Majestät wie auch der erforderliche Bericht an eine allgemeine Reichsversammlung allbereits geschehen und der fernerweite Schluß dahin genommen ist, daß diese allschon zum Theil vollzogene anderweite Einrichtung des Kammergerichtsbaues mit Zuziehung eines verständigen Baumeisters unverzüglich fortgesetzet und zu dem Ende die erforderliche Baumaterialien, besonders das Bauholz, sogleich jetzo zu rechter Zeit angeschaffet werden sollen.

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Decretum ... publicatum in BA Slg. 1693-1787. Decretum …docento in GB 1724. Selchow 1782 zukünftige.

RKG Nr. 279 1757 Januar 12

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Als wird sämtlichen Advocatis und Procuratoribus hiermit aufgegeben, bey denen höchsten und hohen Reichsständen, welchen sie bedient seyn und die nach beygehender Verzeichniß den zum Cameralhausbau verwilligten Römermonath noch zur Zeit nicht abgeführet haben, die ohngesäumte nachdrücklichste Vorstellung dahin zu thun, daß sie aus reichspatriotischer Gesinnung vor die Aufrechthaltung dieses Kaiserlichen und Reichs Kammergerichts, auch endlicher Bewirkung eines höchst nothwendigen, dauerhaften und beständigen Wohnsitzes desselben, bevorab wegen der auf längern Verzug haftenden Gefahr und Schadens ihren erforderlichen Beytrag hiehero an den Kaiserlichen Fiscalem generalem von Birkenstock1 oder des Kammergerichts Pfenningmeister Doctor Schelver ehebaldigst einsenden mögten. Und wie nun dieses von mehrgedachten Advocaten und Procuratoren pflichtmäßig befolget worden, solches wird denselben in ordine Fiscalis gerichtlich anzuzeigen und zu bescheinigen auferlegt und hierzu Zeit eines Monaths hiermit angesetzet. Publicatum, den2 12. Januarii 1757. Anselm Franz Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius3 manu propria4. Vorlage: Balemann 1779, S. 229-230. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 43r; GB 1724 (handschriftlicher Anhang), S. 301304; Selchow, Concepte I 1782, S. 1083-1084. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Finanzierung von Wetzlarer Bauvorhaben. Im Gegensatz zu höchsten Gerichten in anderen europäischen Ländern verfügte das Reichskammergericht nie über ein eigenes Gebäude, geschweige denn über einen Justizpalast. Das ältere Wetzlarer Domizil, von dem im Gemeinen Bescheid die Rede ist, war das ehemalige Rathaus der Reichsstadt am Domplatz. Wegen Baufälligkeit konnte das Kammergericht die Örtlichkeit nicht weiter benutzen. Es zog daher um in das Haus der 1752 zurückgetretenen Präsentati Johann Georg Jakob von Boeiré und Ägidius Valentin Felix von Boeiré (Borié, auch Beaurieux; zu beiden Sigrid Jahns, Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 26), Köln, Weimar, Wien 2003, Teil II/Band 1, Biographien Nr. 8 und 22). Das Gebäude war aber zu klein, und deshalb benötigte das Gericht Erweiterungsflächen. Sie standen zur Verfügung unter anderem im genannten Peplerischen Haus. Dort sollten die Audienzen stattfinden. Leserei und Archiv wollte man dort ebenfalls unterbringen. Allerdings gab es Probleme. Einige benachbarte Gebäude hatte man dem Gericht zusätzlich zum Verkauf angeboten, und für das Archiv wollte das Kameralkollegium ohnehin mehr Raum zur Verfügung haben. Eine großzügige1 2 3 4

Selchow 1782 Bürckenstock. Den fehlt in Selchow 1782. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in Selchow 1782.

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RKG Nr. 279 1757 Januar 12

re Bauweise sollte auch dem Brandschutz dienen. Bereits 1755 hatte sich das Kameralkollegium deswegen an den Kaiser gewandt. Und schon 1729 war ein Reichsgutachten über notwendige Baumaßnahmen in Wetzlar ergangen. Wie immer zog sich also alles in die Länge (Einzelheiten bei Anton Faber, Der europäischen Staats-Cantzley 108. Theil, Frankfurt am Main und Leipzig 1755, S. 269-287). Letztlich hatte der Reichstag die Baumaßnahmen beschlossen. Wie nicht anders zu erwarten, haperte es aber an der Finanzierung. Der Reichstag hatte nur einen Römermonat bewilligt. Das war ein Teil der Reichssteuern, freilich zu zahlen von den Ständen. Das Reichskammergericht hatte schon 1755 betont, die Summe sei viel zu gering. Erhöht wurde sie aber nicht. Deswegen blieb nichts anderes übrig, als abermals die Prokuratoren einzuschalten. Sie mussten die Reichsstände, für die sie ständig arbeiteten, ermahnen, die veranschlagten Gelder für die Wetzlarer Bauvorhaben auch tatsächlich zur Verfügung zu stellen. Geradezu pathetisch appellierte das Kameralkollegium an die reichspatriotische Gesinnung. Der Begriff taucht in den Gemeinen Bescheiden an dieser Stelle zum ersten Mal auf. Zugleich erhielt er einen fahlen Beigeschmack. Denn tatsächlich hatten die Territorien zu den Baukosten bisher ja viel zu wenig beigetragen. Deswegen betonte das Gericht, wie notwendig es sei, den Wetzlarer Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Die Stände sollten dem kaiserlichen Fiskal oder dem kammergerichtlichen Pfennigmeister die entsprechenden Summen bezahlen und dem Gericht auf diese Weise einen beständigen Sitz ermöglichen. Die Advokaten und Prokuratoren mussten ihren Schriftwechsel mit den Reichsständen wie gehabt offenlegen. Der Sache nach war der Gemeine Bescheid damit eng verwandt mit anderen Zahlungserinnerungen. Immer wieder forderte das Kameralkollegium die Prokuratoren auf, sich bei den Reichsständen für die pünktliche und vollständige Zahlung des Kammerzielers einzusetzen (zuletzt mit den Gemeinen Bescheiden vom 29. August 1732 und 17. Juli 1738; oben RKG Nr. 265 und 272). Selbst fiskalische Prozesse, um fällige Kammerzieler zwangsweise einzutreiben, konnte das Gericht nur noch führen, wenn die Territorien zuvor die Zustellungsgebühren selbst bereitgestellt hatten (Gemeiner Bescheid vom 17. Juli 1738; oben RKG Nr. 272). Bei den Baumaßnahmen für das neue Kameralgebäude sah es nicht besser aus. Ein eigener Gerichtsbau war lange Zeit der Wunsch des Reichskammergerichts. Es gab sogar bereits Pläne für einen Neubau in Wetzlar. Doch bekanntlich wurde daraus nichts. Das Gericht hangelte sich von Provisorium zu Provisorium (vgl. den Gemeinen Bescheid vom 11. Mai 1765, unten RKG Nr. 288; zum Bauprojekt auch Ingrid Scheurmann (Hrsg.), Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, Mainz 1994, S. 210-213).

RKG Nr. 280 1757 August 29

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RKG Nr. 280 1757 August 29 [Gemeiner Bescheid, die Cammerzieler betreffend, publicatum in Audientia, den 29. Augusti 1757.]1 [Lectum in pleno et publicatum in audientia Lunae, 29. Augusti 1757.]2 [Decretum Commune, in Audientia 29. Augusti 1757 publicatum.]3 Sämtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Prokuratoren ist aus verschiedenen Reichsvisitationsmemoralien wie auch mehrmalen eröfneten Gemeinen Bescheiden vorhin bekannt, wasgestalten dieselbe4 bey denen Churfürsten und Ständen des Reichs, welchen sie bedient seyn, wegen richtiger Abführung deren Kammerzielern fleißige Erinnerungen zu thun, pflichtschuldig [und]5 gehalten seyn. Gleichwie nun gegenwärtige Zeitläuften allerdings erfordern, sothane heilsame Verordnungen zur Aufrechthaltung des Reichsjustitzwesens nunmehro zu erneuern und zu genauester Beobachtung einschärfen, als wird sämtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Prokuratoren6 hiermit ernstlich anbefohlen, bemeldten Reichsverordnungen und Gemeinen Bescheiden gehorsamlich nachzukommen und7 bey denen Churfürsten und Ständen des Reichs, welchen ein jeder dienet, die schleunige Entrichtung deren Kammerzielern in ohngesäumte Erinnerung zu bringen. Dann sollen die erfolgende Antworten diesem Kaiserlichen Kammergericht ohnverweilt übergeben werden. Publicatum in Audientia, den 29. Augusti 17578. Anselm Franz Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius9 manu propria10. Vorlage: Balemann 1779, S. 230-231. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 fol. 45r (gestrichen 33r), 2. Exemplar ohne Nr., 3. Exemplar Separatdruck; Cramer, Obs. I 1758, S. 683; Cramer/Schneidt, Hauptregister I (1768), S. 116 (nur Registerbeleg); Selchow, Concepte I 1782, S. 1085.

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Gemeiner ... 1757 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779 und Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum. Lectum ... 1757 in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Decretum ... publicatum in BA Slg. 1693-1787 (Separatdruck); Cramer 1758. In BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessert aus sie. Und in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex. und Separatdruck); Cramer 1758. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) Beobachtung dießes Kayserlichen Cammergerichts Procuratoren. In BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessert aus sofort. Publicatum ... 1757 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) an dieser Stelle. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und Selchow 1782; Publicatum ... propria fehlt in BA Slg. 16931787 (2. Ex. und Separatdruck); Cramer 1758.

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RKG Nr. 281 1760 Juli 17

Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt den Dauerbrenner schlechthin, nämlich die Finanzierung des Reichskammergerichts. Am 29. August 1732 (oben RKG Nr. 265) hatte das Kameralkollegium zuletzt in allgemeiner Form die Advokaten und Prokuratoren ermahnt, sich weiterhin bei den Landesherren für die pünktliche und vollständige Zahlung des Kammerzielers einzusetzen. Am 17. Juli 1738 (oben RKG Nr. 272) und am 12. Januar 1757 (oben RKG Nr. 279) waren derartige Gemeine Bescheide aus besonderem Anlass ergangen. Es ging um die Finanzierung fiskalischer Prozesse sowie um Baumaßnahmen in Wetzlar. Nunmehr mahnte das Gericht abermals die regulären Zahlungen an. Die Aufrechterhaltung des Reichsjustizwesens erschien gefährdet, wenn es dafür keine ausreichende finanzielle Grundlage gab. Das hatten die Assessoren bereits am 28. November 1703 (oben RKG Nr. 243) und am 16. Juli 1717 (oben RKG Nr. 255) erklärt. Eher pauschal verwies das Kameralkollegium daher auf verschiedene Gemeine Bescheide, Visitationsmemorialien und Reichsverordnungen. Es herrschte Geldmangel, und die Gemeinen Bescheide konnten dagegen nichts ausrichten. Offenbar gab es nach dem Siebenjährigen Krieg, also nur wenige Jahre später, aber Lichtblicke. Angeblich verfügte das Reichskammergericht über einen Überschuss von 9.000 Talern, als 1767 die letzte Visitation begann.

RKG Nr. 281 1760 Juli 17 Gemeiner Bescheid. Formalia und Fatalia Revisionis betreffend. Publicatum 17. [die]1 Julii 1760.2 [1. Revisionem interponens si libellum intra quadrimestre producere impeditus fuerit intra hoc prorogationem cum legali probatione impedimenti petat sub poena desertionis. 2. Si quis post interpositam revisionem ad restitutionem in integrum recurrit revisioni formaliter renunciet. 3. Et imploratio extraiudicialiter exhibeatur sub poena execut[ionis] et fiscali.]3 Demnach bey Revisionsfällen verschiedentlich wahrgenommen worden, daß die Partheyen, und ihre bevollmächtigte Notarien die im Jüngern Reichsabschied § 125 sub Poena Desertionis deutlich vorgeschriebene Formalia und Fatalia Revisionis, besonders mit Uebergebung derer vermeinten Revisionsbeschwerden vel Libelli revisorii nicht genau beobachten, sondern manchmal sothane Libell viele Monathe zu spät einzubringen sich anmaßen, ohne zu rechter Zeit et adhuc currente Fatali die 1 2 3

Die in Selchow 1782. Gemeiner ... 1760 auch in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; BA Slg. 16931787 (Separatdruck) nur Gemeiner Bescheid. 1. Revisionem … fiscali in GB 1724.

RKG Nr. 281 1760 Juli 17

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dazu gebethene Prorogation erforderlichermaßen zu bescheinigen, als wird hiermit verordnet, daß, wann in künftigen Fällen pars revidens einen Libellum revisorium zu produciren willens ist und solches bey der Introduction angezeiget, gedachten Libellum aber binnen den gesetzten vier Monathen einzubringen rechtlich verhindert werde, alsdann die nachsuchende Prorogation innnerhalb solcher Zeit annoch gebührend zu bescheinigen schuldig und gehalten seyn, widrigenfalls aber sich zu gewärtigen haben, daß die interponirte Revision nicht angenommen, sondern Kraft allegirten Reichsabschieds pro deserta erkläret und die ergangene Urthel zur Execution gebracht werden solle. 1. Die Renuntiation der Revision im Fall einer nachsuchender Restitution. 2. deßen außergerichtliche Imploration betreffend.1 Dieweilen auch ferner wahrzunehmen gewesen, daß die Partheyen und Procuratores nach interponirter und acceptirter Revision, auch dabey mit vielem Zeitverlust berichtigter Caution entweder von neuem oder gar zum zweyten und dritten Mal Restitutionem in integrum zu weiterem Aufenthalt der Execution zu suchen sich unterstehen, dergleichen Anmaßen aber ohnschicklich und ordnungswidrig, auch eben deswegen in verschiedenen Particularsachen bereits in denen Urthelen verworfen und geahndet worden ist, als wird hiermit 1) daß in vorberührtem Fall bey Uebergebung der Implorationsschrift pro Restitutione in integrum jedesmal auf die vorhero interponirte Revision förmlich renuntiiret; auch 2) solche Imploration extrajudicialiter, um darauf sofort das Nöthige verfügen zu können, eingegeben werden solle, verordnet mit dem Anhang, wo ein oder andre Parthey und Prokurator diesem also nicht nachkommen wird, daß alsdannn nach geleisteter und vor hinlänglich erkannter Caution die eröfnete Urthel ohnverzüglich zur Execution gebracht und nach Befinden die Uebertretere mit fiscalisch- und dergleichen Bestrafung angesehen werden sollen. Publicatum in Audientia, den2 17. Julii 17603. Anselm Franz4 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius5 manu propria6. Vorlage: Balemann 1779, S. 231-232.

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1. Die … betreffend Randglosse in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und Balemann 1779; bei Selchow 1782 Zwischenüberschrift; Überschrift fehlt bei Cramer 1761. Fehlt in Cramer 1761. Publicatum ... 1760 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (Separatdruck), dafür dort unter manu propria. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck); Cramer 1761 Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in Selchow 1782; bei Cramer 1761 Unterschrift vor Publicationsdatum.

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RKG Nr. 281 1760 Juli 17

Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 46, 2.-6. Exemplar Separatdruck; GB 1724 (handschriftlicher Anhang), S. 304-306; Cramer, Nebenstunden 21 (1761), S. 146-147; Selchow, Concepte I 1782, S. 1085-1087. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt Rechtsmittel gegen Reichskammergerichtsurteile. Zunächst behandelte das Kameralkollegium die Revision. Hier ging es darum, Prozessverschleppungen zu vermeiden. Die Regelung knüpft an den Gemeinen Bescheid vom 1. Februar 1748 an (oben RKG Nr. 277). Damals war dem Gericht daran gelegen gewesen, das Appellationsverfahren zu straffen. Jetzt ergingen ganz ähnliche Anordnungen für Revisionen. Wie bei der Appellation griffen die Assessoren auf die Vorgaben des Jüngsten Reichsabschieds von 1654 zurück. Danach entfaltete die Revision zwar Devolutiveffekt, hatte aber keine suspensive Wirkung. Das Rechtsmittel führte also nicht zur aufschiebenden Wirkung gegen Gerichtsurteile (§ 124 JRA). Damit bestand zumindest kein Anreiz, bloß deshalb die Revision einzulegen, um sich der Urteilsvollstreckung zu entziehen. Dennoch fanden Visitationen des Reichskammergerichts, die der Idee nach über die Revisionen entscheiden sollten, kaum mehr statt. Die zurückliegende war schon 1713 zu Ende gegangen, eine weitere und letzte folgte erst von 1767 bis 1776. Doch unabhängig davon legten Parteien gegen Entscheidungen des Reichskammergerichts weiterhin die Revision ein. § 125 des Jüngsten Reichsabschiedes, im Gemeinen Bescheid zitiert, schrieb dafür eine Viermonatsfrist vor. Derjenige, der Revision einlegen wollte, hatte innerhalb dieser Zeit die Revision beim Kurfürsten von Mainz auszubringen und anschließend beim Reichskammergericht zu insinuieren. Dazu kamen eine schriftliche Revisionsbegründung sowie ein Revisionseid. Bei Verstößen drohte die Desertion. In diesem Fall galt die Revision als nicht eingelegt, und das angefochtene Urteil erwuchs sofort in Rechtskraft (in rem iudicatam). In der Praxis gab es Schwierigkeiten, die vorgegebenen Fristen einzuhalten. Der Gemeine Bescheid beschwerte sich zwar über Parteien und Notare, die ihre Schriftsätze nicht rechtzeitig vorlegten oder andere Fatalien verletzten. Aber offenbar hatte auch das Kameralkollegium solche Schlampereien zuvor nicht ernstlich gerügt. Für die Zukunft kündigte es immerhin an, Fristverlängerungen nur noch dann zu gewähren, wenn der Rechtsmittelführer dafür hinreichende Gründe glaubhaft gemacht hatte. Offenbar merkten einige Parteien aber erst nach der Einlegung der Revision, dass sie auf diese Weise die Rechtskraft und drohende Urteilsvollstreckung nicht abwenden konnten. Sie schwenkten deshalb um und beantragten die Restitutio in integrum (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand). So ließ sich die Vollstreckung verzögern, wie das Reichskammergericht im Gemeinen Bescheid unumwunden einräumte. Deswegen war Vorsicht geboten. In einigen Einzelfällen hatte das Kameralkollegium bereits unbegründete Restitutionsgesuche verworfen. Nun ergingen hierzu allgemeine Anweisungen. Wer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte, musste zunächst ausdrücklich die Revision zurücknehmen (Ziffer 1). Außerdem war der Antrag auf Wiedereinsetzung extrajudizial einzureichen, gehörte also nicht in die Audienz (Ziffer 2). Bei Verstößen drohte eine Vollstreckung des bereits ergangenen Urteils. An dieser Stelle verwies das Gericht auf die erforderliche Sicherheitsleistung. Dies betraf offensichtlich die Sicherheitsleistung des obsiegenden Teils. Trotz des unklaren Antrags auf Wiedereinsetzung war das angefochtene Kameralurteil also vorläufig vollstreckbar. Diejenigen, die als

RKG Nr. 282 1760 November 17

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Rechtsmittelführer gegen die Formvorschriften verstoßen hatten, mussten darüber hinaus eine Geldbuße hinnehmen. Der Kammergerichtsvisitation aus den 1760er Jahren ging dieser Gemeine Bescheid offenbar zu weit. Rein formal konnten die Visitatoren Gemeine Bescheide aufheben, was freilich nur selten geschah. In diesem Fall kassierte die Visitationskommission aber durch Dekret vom 6. Mai 1768 teilweise die Anordnung des Reichskammergerichts (dazu der Gemeine Bescheid vom 20. Mai 1768 unten RKG Nr. 293; Balemann 1779, S. 232 Anm. *, und Cramer NSt. 78, S. 99-100): „Von wegen usw. wird dem Kaiserlichen Reichs Kammergericht hiermit eröfnet, daß der von demselben den 17. Julii 1760 publicirte Gemeine Bescheid, in soweit solcher die Renuntiation der Revision im Falle einer nachsuchenden Restitution in integrum und dessen aussergerichtliche Imploration betrift, von Visitations wegen nicht genehmiget, sondern aufgehoben und ohnkräftig erkläret werde. Wannenhero das Kammergericht ein solches in offener Audienz zu jedermanns Nachricht behörig bekannt machen zu lassen hätte. Conclusum in Consilio Visitationis Wetzlar, den 6. May 1768 (L. S.) Kurfürstlich Maynzische Canzley“ (Balemann 1779, S. 96).

RKG Nr. 282 1760 November 17 [Gemeiner Bescheid. Die Condemnirung derer ausgeblieben- und Entschuldigung künftig von denen Audientzien ausbleibender Procuratoren betreffend, publicatum in audientia, den 17. Novembris 1760.]1 Dann ist der Gemeine Bescheid, daß diejenige Procuratores, so vom 17. October jüngsthin bis hierher vermöge pflichtmäßiger Annotation des Pedelli ohne sich schriftlich excusirt zu haben, von der gerichtlichen Audienz ausgeblieben, und zwar jeder von jedesmaligen Ausbleiben, in die in letzterem Gemeinen Bescheid enthaltene Strafe hiemit condemniret werden und auch die solchergestalt führohin ausbleibende Procuratores zum Ablesen nicht mehr zugelassen werden sollen. Uebrigens soviel die sich excusirende Procuratores betrift, sollen diejenige, so sich vor beständig entschuldiget halten wollen, darüber bey diesem Kaiserlichen Kammergericht besonders ehestens schriftlich einkommen, denenjenigen aber, welche sich für jedesmalen entschuldigen wollen, keine andere als ehehafte und in der

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Gemeiner ... 1760 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779 und Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) ohne Überschrift.

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RKG Nr. 282 1760 November 17

Ordnung gegründete Ursachen vorzubringen gestattet seyn solle. [In Consilio pleno, 17. Novembris 1760.]1 Publicatum in Audientia, den2 17. Nov[embris] 17603. Anselm Franz4 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius5 manu propria6. Vorlage: Balemann 1779, S. 232. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 48 (gestrichen 35), 2. Exemplar ohne Nr.; Selchow, Concepte I 1782, S. 1087-1088. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt das vollzählige Erscheinen der Prokuratoren zur gerichtlichen Audienz. Er knüpft an die Vorgängerregelung vom 20./29. November 1743 an (oben RKG Nr. 274). Sehr deutlich lässt sich erkennen, wie das Kameralkollegium an den gerügten Missständen selbst beteiligt war. 1743 hatte es nämlich geheißen, unentschuldigte Schwänzereien von Prokuratoren zögen ohne weiteres („ipso facto“) Geldstrafen nach sich. Auch von einer wöchentlichen Bekanntgabe der entschuldigt und unentschuldigt ausgebliebenen Anwälte war die Rede gewesen. In der Praxis verfuhr das Kameralkollegium aber großzügig, obwohl es angeblich vor der Öffentlichkeit seine eigene Würde in Gefahr wähnte, wenn die Audienzen zu schlecht besucht waren. Jetzt gab es seit einem vollen Monat erneut schlechte Präsenz in den Audienzen. Das Gericht verhängte nunmehr ausdrücklich die vorgesehenen Strafgelder, die nach dem zitierten Bescheid von 1743 eigentlich automatisch hätten anfallen sollen. Viel schärfer war der Hinweis auf diejenigen, die künftig ausbleiben würden. Sie durften nämlich keine Rezesse mehr verlesen. Allerdings hielt sich das Kameralkollegium mit Einzelheiten sichtbar bedeckt. Wie lange diese Aussperrung dauern sollte, stand nicht im Bescheid, ebenso nicht, ob sie selbst für entschuldigtes Fernbleiben eingriff. Der Wortlaut war hier ganz biegsam. Auf große Veränderungen hoffte wohl ohnehin niemand. Der letzte Absatz reformierte nämlich zum wiederholten Male die Entschuldigungszettel. Auf der einen Seite gab es ständige Entschuldigungen für Prokuratoren, die überhaupt nicht mehr zur Audienz zu gehen brauchten. Vielleicht handelte es sich um besonders alte oder dauerhaft kranke Anwälte. Diejenigen, die sich gelegentlich oder von Mal zu Mal abmeldeten, benötigten „ehehafte“ Gründe. Hier tauchte noch die alte Bedeutung von „Ehe“ als „Recht“ auf, die sich heute auf die rechtliche Verbindung von Mann und Frau beschränkt. Im 18. Jahrhundert umschloss ehehaft noch alle im Recht zugelassenen Entschuldigungsgründe. An Abmeldungsmöglichkeiten bestand also kein Mangel. Deswegen dürfte der Gemeine Bescheid nicht mehr bewirkt haben als seine ebenfalls geräuschlos verpufften Vorgänger.

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In ... 1760 in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). BA Slg. 1693-1787 post publicationem. Publicatum ... 1760 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) an dieser Stelle. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und Selchow 1782; Anselm ... propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.).

RKG Nr. 283 1763 Februar 12

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RKG (ohne Nr.) 1761 April 4 Erwähnt in einer Anmerkung des Separatdrucks des Gemeinen Bescheids vom 10. März 1786 (unten RKG Nr. 320). Vermutlich Druckfehler.

RKG Nr. 283 1763 Februar 12 [Gemeiner Bescheid, die Interimsverwaltung der Pfenningmeisterey betreffend, de 12. Februarii 1763.]1 Ferner ist der Gemeine Bescheid, daß sämtliche des Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Procuratoren denenjenigen höchsten und hohen Reichsständen, denen sie bedient, zu berichten hätten, wie, da der Kaiserliche Fiscal von Birkenstock2 die fernere Interimsverwaltung der Pfenningmeisterey wegen seinen Gesundheitsumständen für nächstkünftige Messe so weiter sich abgebeten hat, die Zahlung in bevorstehender Frankfurter Ostermesse und fernerhin eingehende Kammerzieler an des Kaiserlichen Kammergerichts Protonotarium Georg Matthias Rudolph Sachs als bestellten dermaligen Interimsadministratorem der Pfenningmeisterey gegen dessen und des Lesers Johann Gottschalk Wiegand3 als Gegenschreibers Quitung geliefert werden sollen4. Publicatum, den 12. Februarii 17635. Anselm Franz6 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius7 manu propria8. Vorlage: Balemann 1779, S. 233. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 49 (gestrichen 36); Selchow, Concepte I 1782, S. 1088. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt die Empfangszuständigkeit bei der Zahlung des Kammerzielers. Es ging diesmal nicht um die Reichsstände, die ihre Finanzierungsbeiträge nicht ordent1 2 3 4 5 6 7 8

Gemeiner ... 1763 in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779 und Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum. Selchow 1782 Bürckenstock. BA Slg. 1693-1787 Wigand. BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782 solle. Publicatum ... 1763 fehlt in BA Slg. 1693-1787 an dieser Stelle. BA Slg. 1693-1787 Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782.

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RKG Nr. 284 1764 August 27

lich leisteten. Vielmehr entstanden abermals Vakanzen am Gericht. In früherer Zeit hatte das Gericht den Prokuratoren und damit mittelbar auch den Reichsständen durch Gemeinen Bescheid mitgeteilt, wenn ein Pfennigmeister gestorben war (Gemeine Bescheide vom 28. Januar 1673 und 29. Oktober 1687; oben RKG Nr. 189 und 214). Das war diesmal unterblieben. Der Pfennigmeisterposten war nicht besetzt, aber wie bei früherer Gelegenheit verwaltete der Fiskal das Amt als kommissarischer Stellvertreter. Der kaiserliche Fiskal Johann Conrad von Birkenstock war offenbar für längere Zeit erkrankt. Altersschwäche kann es nicht gewesen sein. Birkenstock starb nämlich erst 1780 im Alter von 78 Jahren nach 43 Dienstjahren als Fiskal während einer Dienstreise in Frankreich (Friedrich Jacob Dietrich von Bostell, Beyträge zur Kammergerichtlichen Litteratur und Praxi, 2. Teil, 1. Stück, Lemgo 1781, S. 141-142). Aber 1763 konnte er nicht nach Frankfurt zur Messe reisen. Der Protonotar und ein Leser sollten sich deshalb nach Frankfurt begeben und eingehende Gelder dort in Empfang nehmen. Weshalb das Gericht oder der Kaiser keinen neuen Pfennigmeister bestellte, bleibt unklar (dazu erst der Gemeine Bescheid vom 1. Februar 1765, unten RKG Nr. 287). Angeblich verbesserte sich ab 1763 die finanzielle Situation spürbar. Die Visitationskommission meinte jedenfalls 1768, seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges habe das Reichskammergericht aus seinen Kammerzielern sogar Überschüsse in Höhe von 9.000 Talern erhalten (Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648-1806. Band 3: Das Reich und der österreichisch-preußische Dualismus (1745-1806), Stuttgart 1997, S. 143). Möglicherweise setzten die verlässlicheren Zahlungen schon auf der im Bescheid erwähnten Ostermesse ein, der ersten nach dem Hubertusburger Frieden vom 15. Februar 1763.

RKG Nr. 284 1764 August 27 [Gemeiner Bescheid, die Fortßetzung derer Religionssachen betreffend, publicatum den 27. Augusti 1764.]1 Dann ist der Gemeine Bescheid: Nachdemmalen Ihro Römisch-Kaiserliche Majestät, um dem Verlangen des hohen churfürstlichen Collegii zu fordersamst gesetzmäßiger Erledigung deren Religionsbeschwerden die obristrichterliche Willfährigkeit zu bezeigen, diesem Kaiserlichen Kammergericht allergnädigst aufgegeben haben, die dahier rechtshängige Religionssachen zur rechtlichen Entscheidung zu bringen, dahingegen eine geraume Zeit her dergleichen2 Processen dahier gar nicht betrieben

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Gemeiner ... 1764 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779 und Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) ohne Überschrift. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.) derley.

RKG Nr. 284 1764 August 27

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worden1, als wird sämtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Prokuratoren hiermit nachdrücklich anbefohlen, die ohnerörtert2 Religionssachen, worinnen ihre Principalen einige Entscheidung annoch verlangen, sowohl nach Befinden gerichtlich fortzusetzen als auch sonsten gehöriger Orten zu deren Beförderung die geziemende Anzeige ohnverweilt zu machen. [Decretum in Consilio pleno, et3] Publicatum [in Audientia]4, den5 27. Augusti 17646. Anselm Franz7 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius8 manu propria9. Vorlage: Balemann 1779, S. 233. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 50 (gestrichen 37), 2. Exemplar ohne Nr.; Selchow, Concepte I 1782, S. 1088-1089. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid setzte eine Anweisung des Wiener Hofes um und verlangte beschleunigte Prozessführung in Religionssachen. In den Einzelheiten bleibt vieles im Unklaren. Offen ist zunächst, wer dem Reichskammergericht diesen Auftrag erteilt hatte. Der Hinweis auf die römisch-kaiserliche Majestät konnte sich auf Franz I. beziehen, der bis 1765 lebte. Denkbar ist aber auch, dass der neue König Joseph II. hinter dem Mahnschreiben stand. Joseph II. hatte am 24. März 1764 mit der Frankfurter Wahl die römisch-deutsche Königswürde erhalten. Die Krönung fand am 3. April statt. Das war genau das Spektakel, das auch der junge Goethe als Zuschauer miterlebte. Zu Josephs Bild als Aufklärer würde es jedenfalls gut passen, wenn er gleich in seinem ersten Amtsjahr noch bei Lebzeiten des Vorgängers versuchte, religiöse Konflikte beizulegen. In mehrfacher Hinsicht handelt es sich dennoch um einen erstaunlichen Vorgang. Zum einen erfolgte die herrscherliche Anweisung hier in Form eines Promotorialschreibens. Das war als solches nichts Ungewöhnliches. Mehrfach erließ der Reichshofrat Promotoriales an das Reichskammergericht, um das Wetzlarer Gericht zu schnellerer Arbeit anzuhalten. Diese Promotorialschreiben bezogen sich stets auf einzelne Rechtsstreitigkeiten und ergingen zumeist, nachdem sich eine Partei beim kaiserlichen Hof über die Langsamkeit des Kammergerichts beschwert hatte. Das Reichskammergericht lehnte solche Anweisungen aus prinzipiellen Gründen ab. Man konnte sie nämlich allzu leicht als sichtbare Überordnung des Reichshofrats über das Reichskammergericht verstehen. Die Wetzlarer Assessoren bestanden dagegen auf dem gleichen Rang beider Reichsgerichte. Die kaiserliche Anweisung von 1764 erging allerdings nicht aus konkretem Anlass eines Prozesses, 1 2 3 4 5 6 7 8 9

BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) worden seyn. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) ohnerorterter; Selchow 1782 ohnerörterte. Decretum ... et in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). In Audientia in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Den fehlt in Selchow 1782. Publicatum ... 1764 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) an dieser Stelle. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und Selchow 1782; Anselm ... propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.).

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sondern ganz pauschal. Das Gericht sollte sich bemühen, die noch schwebenden Religionsprozesse zügig abzuarbeiten. Das war gut gemeint und lief doch ins Leere. Hier hatte Joseph II. oder vielleicht noch Franz I. eine Anweisung erteilt, ohne sich zuvor über den Sachverhalt informieren zu lassen. Es gab nämlich gar keine Religionsprozesse mehr. Der Herrscher hatte einem Antrag des Kurfürstenkollegs stattgegeben. Doch schon seit geraumer Zeit, so das Kameralkollegium, fanden solche Prozesse nicht mehr statt. Der Grund ist aus der Geschichte des Alten Reiches hinlänglich bekannt: Vor allem das Corpus Evangelicorum machte sich schon seit einigen Jahrzehnten dafür stark, religiöse Streitigkeiten vor den Reichstag zu ziehen. Dort gerieten sie ins reichspolitische Rampenlicht und waren nicht auf enge rechtsförmliche Verfahren beschränkt. Angeblich hatte sich Kaiser Franz I. derartigen Bestrebungen widersetzt. Die Mitteilung des Reichskammergerichts war aber unmissverständlich. Religionsprozesse in Wetzlar liefen zu dieser Zeit nicht mehr. Die Prokuratoren sollten bei ihren Mandanten lediglich rückfragen, ob es noch liegengebliebene Verfahren gab, die man eventuell fortsetzen wollte. Aber solche Altlasten hatten sich zumeist erledigt oder waren längst politisch überlagert. Die Wetzlarer Fehlanzeige darf freilich nicht den falschen Eindruck erwecken, als habe es keine konfessionellen Streitigkeiten mehr gegeben. Spektakuläre Einzelfälle flammten weiterhin auf, und sie bewegten die Öffentlichkeit. Erst 1758 hatte man im hildesheimischen Grasdorf einem katholischen Geistlichen ein Denkmal gesetzt. Er hatte lange Prozesse unter anderem gegen den evangelischen Inhaber des Kapellenhofes geführt. Der Streit hatte nicht nur das Reichskammergericht, sondern auch den Reichstag beschäftigt. Seitdem war in Wetzlar aber mehr Ruhe eingekehrt. Am 6. Juli 1770 erging ein weiterer Gemeiner Bescheid zu Religionsprozessen (unten RKG Nr. 298).

RKG Nr. 285 1764 August 27 [Gemeiner Bescheid, die Einlieferung der jeden Orths vorhandenen Statuten betreffend, publicatum den 27. Augusti 1764.]1 Weiters ist der Gemeine Bescheid, weilen bey diesem Kaiserlichen Kammergericht wahrgenommen worden, daß dessen Procuratores der [dieselbe]2 unterm 13. April 1692 wegen Einlieferung deren jeglichen Orts vorhandenen besonderen Landesstatuten3 ergangenen Verordnung nicht nachgelebet und solche Statuten zum grösten Theil annoch ermangeln; als wird denenselben hiemit wiederholter anbefohlen, bey 1 2 3

Gemeiner ... 1764 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779 und Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) ohne Überschrift. Dieselbe in BA Slg. 1693-1787 (beide Ex.). BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessert aus Statuten.

RKG Nr. 286 1764 September 20

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ihren Principalen sothane geschriebene oder gedruckte Statuten, auch Gerichtsordnung an diesem Kaiserlichen Kammergericht ohnentbehrliche Exemplarien abzufordern und längst innerhalb vier Wochen dem Kaiserlichen Kammergericht einliefern. [Decretum in Consilio pleno, et]1 Publicatum [in Audientia, den]2 27. Augusti 17643. Anselm Franz4 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius5 manu propria6. Vorlage: Balemann 1779, S. 234. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 51 (gestrichen 38), 2. Exemplar ohne Nr.; Selchow, Concepte I (1782), S. 1089. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Einsendung gedruckter Partikulargesetze an das Reichskammergericht. In der Speyerer Zeit hatte das Gericht bereits eine Sammlung besessen. Sie war aber bei der Flucht nach Frankfurt und dann nach dem Neubeginn in Wetzlar verlorengegangen. Mit Gemeinem Bescheid vom 13. April 1692 (oben RKG Nr. 229; dort auch zur Sache) hatte das Kameralkollegium die Prokuratoren erstmals aufgefordert, für die Ablieferung von Belegexemplaren zu sorgen. Das hatten die Anwälte aber vielfach unterlassen. Außerdem hatten seit 1692 zahlreiche Territorien ja weitere Gesetze verkündet. Inhaltlich verwandt ist der Gemeine Bescheid vom 27. Oktober 1713 (oben RKG Nr. 253) über die vollständige Einsendung der Privilegien.

RKG Nr. 286 1764 September 20 [Gemeiner Bescheid, die Mitreproduction des Originalberichts betreffend, publicatum den 20. Septembris 1764.]7 Dann ist der Gemeine Bescheid, daß dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores in denen Sachen, worinn auf vorgängigen Bericht und Gegenbericht einige Processe erkannt seyn, mit Reproduction deren Processen nebst dem Gegenbericht 1 2 3 4 5 6 7

Decretum ... et in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). In... den in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Publicatum ... 1764 fehlt in BA Slg. 1693-1787 an dieser Stelle. BA Slg. 1693-1787 Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und Selchow 1782; Anselm ... propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.). Gemeiner ... 1764 in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779 und Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum.

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RKG Nr. 286 1764 September 20

auch den Originalbericht, welcher jedem Impetranten und Appellanten zu dem Ende aus der Canzley zu verabfolgen, bey dem der Reproduction halber verordneten Praejudicio künftighin reproduciren sollen. Publicatum den 20. Septembris 17641. Anselm Franz2 Messer, Kaiserlicher Kammergerichts Protonotarius3 manu propria4. Vorlage: Balemann 1779, S. 234. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 52 (gestrichen 39); AHL Slg. fol. 25r; Selchow, Concepte I 1782, S. 1090. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die im Reproduktionstermin zu übergebenden Schriftstücke. Hintergrund ist möglicherweise § 105 des Jüngsten Reichsabschieds. Darin war das Reichskammergericht gehalten, „gegen Obrigkeiten die Proceß nicht leichtlich“ zu erkennen. Der Reichsabschied sah vielmehr ein vorheriges Schreiben um Bericht vor. Diese Maßnahme schützte die Landesherren vor ihren eigenen Untertanen. Es bedeutete vermutlich einen erheblichen Ansehensverlust, wenn einzelne Untertanen oder Dorfschaften (dazu der Gemeine Bescheid vom 16. Juli 1723 Ziffer 7; oben RKG Nr. 262) die eigenen Obrigkeiten an den obersten Reichsgerichten wegen begangener Rechtsverletzungen verklagten. Ein Berichtsschreiben gewährte ihnen immerhin zuvor rechtliches Gehör. Das Reichskammergericht teilte dem Empfänger in diesen Schreiben mit, wer, wann und aus welchem Grund eine Klage eingereicht hatte und auf welche Prozessart das Verfahren abzielte. Vor der förmlichen Eröffnung mitsamt Ladung konnte sich der Beklagte auf diese Weise zur Sache äußern. Falls sich die Haltlosigkeit der Vorwürfe zeigte, kam es also gar nicht zum förmlichen Rechtsstreit. Alles blieb im eher vertraulichen Extrajudizialverfahren. Ob das Kameralkollegium über reichsunmittelbare Parteien hinaus das Berichtsschreiben auch in anderen Verfahrensarten benutzte, ist unbekannt. Der Gemeine Bescheid behandelte auch nicht diesen Punkt. Er befasste sich erst mit der weiteren Handhabung des Schreibens, wenn es letztlich zur Ladung des Beklagten gekommen war. In diesem Fall hatte der Kläger bzw. Appellant im ersten Termin nicht nur die Zitation mitsamt Anlagen zu reproduzieren. Vielmehr musste er auch den Bericht des Beklagten und seinen etwaigen Gegenbericht zu den Akten reichen. Damit waren sämtliche zum Rechtsstreit gehörige Schriften ins Judizialverfahren überführt und zugleich Teil der Prozessakte. Dennoch handelt es sich um eine erstaunliche Förmlichkeit. Die Kammergerichtskanzlei besaß beide Berichte ohnehin. Sie sollte aber die Schriftstücke dem Kläger aushändigen, damit er sie wiederum dem Gericht zurückgab. Vielleicht war die Aktenführung allerdings auch sehr aufwendig. Möglicherweise konnte man die Überführung von Dokumenten aus dem Extrajudizialverfahren in die Prozessakte auf einfachere Weise nicht gewährleisten. Dennoch belegt das Hin und Her die Schwerfälligkeit des Kameralprozesses im 18. Jahrhundert. 1 2 3 4

Publicatum ... 1764 fehlt in AHL Slg.; BA Slg. 1693-1787. BA Slg. 1693-1787 Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782.

RKG Nr. 287 1765 Februar 1

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RKG Nr. 287 1765 Februar 1 [Gemeiner Bescheid, die umbeßetzte1 Pfenningmeistersstelle, den Orth und Zeit zu thuender Einlieferung der Cassaegelder betreffend, publicatum 1. Februarii 1765.]2 [Notificatur constitutio novi quaestoris et iniungitur ut procuratores eidem pecunias ad sustentationem transmissas hora antemediana in hypocausto (das fiscalische Stublein dicto) solvent et idque iudici ac deputatis notificent.]3 Ferner ist der Gemeine Bescheid, nachdeme von Ihro Römisch Kaiserlicher Majestät die Pfenningmeistereystelle am Kaiserlichen Kammergericht allergnädigst hinwiederum besetzet worden und der zu dem Ende präsentirte Henrich Hann den gewöhnlichen Pfenningmeisterseyd anheute wirklich abgeleget hat, mithin die bisherige Interimspfenningmeistereyverwaltung aufhöret, als wird sämtlichen besagten Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Prokuratoren hiemit anbefohlen, denenjenigen höchsten und hohen Ständen, denen sie bedienet, zu berichten, daß die Zahlung derer in Zukunft eingehenden kammergerichtlichen Unterhaltungsgelder an ermeldten Henrich Hann als dermaligen Pfenningmeister gegen dessen und des Lesers Wiegand4 als Gegenschreibers Quitung geliefert werden sollen. Sodann hätten besagte Advocaten und Prokuratoren hinkünftig alle an sie einschickende Cassaegelder und Wechsel jedesmal auf das sogenannte Fiscalische Stüblein auf der alten Kammer, woselbsten der Pfenningmeister täglich, beyderseitigen mehreren Bequemlichkeit halber Morgens von 9 bis 10 Uhr sich einfinden wird, zu liefern, weniger nicht bey ihren Principalschaften den Antrag zu thun, daß dieselbe ihnen auch von denenjenigen sowohl baaren als Wechselzahlungen, welche ohnmittelbar oder durch andre geschehen, Nachricht gegeben werde, um in einem wie auch im andern Fall dem Herrn Kammerrichter und des Kaiserlichen Kammergerichts Deputatis ad Cassam die Ordnungs- und ältesten Gemeinen Bescheid mäßige ohngesäumte Anzeige zu thun. Publicatum, den5 1. Februarii 17656. Anselm Franz7 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius8 manu propria9.

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Balemann 1779; Selchow 1782 neu besetzte. Gemeiner ... 1765 in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779 und Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum. Notificatur … notificent in GB 1724. BA Slg. 1693-1787 Wigand. Den fehlt bei Selchow 1782. Publicatum ... 1765 fehlt in BA Slg. 1693-1787 an dieser Stelle. BA Slg. 1693-1787 Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782.

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RKG Nr. 288 1765 Mai 11

Vorlage: Balemann 1779, S. 234-235. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 53 (gestrichen 40); GB 1724 (handschriftlicher Anhang), S. 307-308; Selchow, Concepte I 1782, S. 1090-1091. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt die Empfangszuständigkeit eingehender Zahlungen. Er schließt an den Gemeinen Bescheid vom 12. Februar 1763 an (oben RKG Nr. 283). Kaiser Franz I. oder der neue König Joseph II. hatten nach anscheinend mindestens zweijähriger Vakanz die Stelle des Pfennigmeisters neu besetzt. Henrich Hann hatte den Amtseid abgelegt. Dies sollten die Advokaten und Prokuratoren den Reichsständen mitteilen. Das Gericht fügte ausdrücklich hinzu, künftige Zahlungen des Kammerzielers sollten fortan an den neuen Pfennigmeister und den genannten Leser Wiegand gehen. Hier fehlte auffällig die in älteren Gemeinen Bescheiden übliche Klage über die mangelnde finanzielle Unterstützung des Gerichts. Der Eindruck der Visitationskommission von 1768, die Lage des Gerichts habe sich gebessert, mochte deshalb durchaus zutreffen. Nach der längeren Vakanz hatte der Pfennigmeister inzwischen allerdings keine Diensträume mehr. Der Gemeine Bescheid führte deshalb eine feste Amtsstube und Anwesenheitszeiten ein. Mit einer Stunde Präsenz am Vormittag scheint sich der erwartete Zahlungsverkehr in Grenzen gehalten zu haben. Am Ende forderte das Gericht die Anwälte auf, den Kammerrichter und die Kassendeputierten über eingehende oder bevorstehende Zahlungen zu unterrichten. Nach dem Regelungszusammenhang mit dem ersten Absatz betraf das vermutlich ebenfalls den Kammerzieler. Zunehmend scheint es üblich geworden zu sein, den Zieler in Form von Wechseln zu bezahlen.

RKG Nr. 288 1765 Mai 11 [Gemeiner Bescheid, des Cammergerichts Bauweßen betreffend, publicatum den 11. Maii 1765.]1 Sämtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Prokuratoren bleibt hiemit ohnverhalten, wasmaßen das Collegium Camerale entschlossen sey, das nach allgemeinem Reichsschluß allschon im Jahr 1729 vestgestellte CameralhausBauwesen bey nunmehr erfolgtem Reichsruhestand wiederum in Gang zu bringen und die bereits hierzu anerkaufte Häuser und Gründe zu Errichtung eines öffentlichen Gerichtssaals und Audienz wie auch die Leserey und besonders des kostbaren kammergerichtlichen Archivs gehörig zurüsten zu lassen. 1

Gemeiner ... 1765 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779 und Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) Publicatum in Audientia 11. Maii 1765. Gemeiner Bescheid.

RKG Nr. 288 1765 Mai 11

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Gleichwie aber der von Kaiserlicher Majestät und dem Reich allschon in vorgedachtem Jahr 1729 verwilligte Römermonath durch die von Zeit zu Zeit eingefallene Kriegeszeiten bey vielen Ständen des Reichs in Anstand gerathen ist und bis daher nicht abgetragen worden, gleichwohl aber die höchste Nothwendigkeit erfordert, diese zu Beförderung des Reichsjustitzwesens, hauptsächlich aber zu höchstnöthiger Unterbringung und Erhaltung derer täglich immer mehrers anwachsenden Archivalacten abzielende heilsame Einrichtung zu vollkommenem Stand zu bringen. Als wird sämtlichen Advocaten und Prokuratoren hiermit aufgegeben, bey denen höchsten und hohen Reichsständen, welchen sie bedienet seyn und die nach beygehender Verzeichniß den zum Kammerhausbau verwilligten Römermonath noch zur Zeit nicht abgeführet haben, die ohngesäumte nachdrückliche Vorstellung dahin zu thun, daß sie aus reichspatriotischer Gesinnung vor die Aufrechthaltung dieses Kaiserlichen und Reichs Kammergerichts, auch endlicher Bewirkung eines vorlängst höchst nothwendigen dauerhaften Wohnsitzes desselben, bevorab wegen der auf langen Verzug haftenden Gefahr und Schadens, ihren erforderlichen Beytrag hiehero an dieses Kaiserlichen Kammergerichts Protonotarium Sachs ehebaldest einsenden mögten. Wiefern nun dieses von mehrgedachten Advocaten und Prokuratoren pflichtmäßig befolget worden, solches wird denenselben in ordine Fiscalis gerichtlich anzuzeigen und zu bescheinigen auferlegt, auch hierzu Zeit eines Monaths hiemit angesetzt. Publicatum den 11. Maii 17651. Anselm Franz Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius2 manu propria3. Vorlage: Balemann 1779, S. 235-236. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 54, 2. Exemplar ohne Nr.; GB 1724 (handschriftlicher Anhang), S. 308-310 (letzter Bescheid der Sammlung); Selchow, Concepte I 1782, S. 1091-1092. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Finanzierung eines geplanten Neubaus in Wetzlar. Schon am 12. Januar 1757 war dazu ein Gemeiner Bescheid ergangen (oben RKG Nr. 279). Der einschlägige Reichsschluss lag noch länger zurück. Bereits 1729 hatte man den Bau eines Gerichtsgebäudes genehmigt und dafür einen Römermonat bewilligt. Das Gericht verwies auf den „Reichsruhestand“, der das Vorhaben wieder in Gang bringe. Damit meinte das Kollegium vermutlich den Hubertusburger Frieden vom 15. Februar 1763. Der Siebenjährige Krieg, an dem zahlreiche große Reichsstände beteiligt gewesen waren, hatte damit sein Ende gefunden. Die Häuser 1 2 3

Publicatum ... 1765 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) an dieser Stelle. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und Selchow 1782; Publicatum .. propria fehlt in BA Slg. 16931787 (2. Ex.).

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RKG Nr. 289 1766 März 21

bzw. Grundstücke, die zum Neu- und Umbau vorgesehen waren, gab es bereits. Doch viele Stände hatten den Römermonat nicht gezahlt, und daher waren die Baukosten noch nicht beisammen. Das Kameralkollegium erinnerte an die Kriegszeiten, die eine pünktliche Bezahlung ausgeschlossen hätten. Das war außerordentlich großzügig formuliert, denn die Zahlungspflicht bestand reichsrechtlich ja bereits seit 1729. Wie schon 1757 appellierte die Richterschaft an den Reichspatriotismus, der dem Gericht einen festen Sitz und dem Archiv endlich genügend Raum bescheren sollte. „Höchst notwendig“ erschien dieses Anliegen in der Sichtweise der Assessoren. Die Advokaten und Prokuratoren erhielten wie schon 1757 die Aufgabe, sich bei den Reichsständen für die Zahlung des Römermonats stark zu machen. Das Zahlungsverfahren hatte man hierbei von der Überweisung der Kammerzieler streng getrennt. Nicht der Pfennigmeister, sondern ein Protonotar war für die Verwaltung der Baukosten zuständig. Eingebunden blieben die anwaltlichen Mahnungen in das altertümliche Audienzmodell. In einer fiskalischen Audienz innerhalb des folgenden Monats mussten die Anwälte Rechenschaft ablegen über ihren Schriftwechsel mit den Reichsständen. Doch der Hausbau kam nicht voran. Der folgende Gemeine Bescheid vom 21. März 1766 griff das Thema abermals auf (sofort unten RKG Nr. 289).

RKG Nr. 289 1766 März 21 [Gemeiner Bescheid, die Beytreibung der Cammergerichtsbaucassaegelder1 betreffend, publicatum den 21. Martii 1766.]2 Demnach die von Kaiserlicher Majestät und dem Heiligen Römischen Reich allschon im Jahr 1729 zu dem Cameralhausbau verwilligte einfache Römermonathgelder ohnerachtet der ergangenen vielfachen Erinnerungen bis dato nur in einen geringen Quanto neuerlich eingegangen seyn, folglich an dem vorhabenden hochnothwendigen Bauwesen ohne die darzu erforderliche baare Geldmittel bey gegenwärtigen ruhigen Zeitläuften nicht wohl ein sicherer Anfang gemacht werden kann, als wird sämtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Prokuratoren, die sich gröstentheils bey diesem dem Publico hochangelegenen Werk sehr säumig hierunter bezeiget und, die Erklärungen ihrer Principalschaften ad Protocollum Fiscale zu bringen, mißfälligst unterlassen haben, hiermit wiederholter und ernstlich aufgegeben, bey denenjenigen Reichsständen, welche nach beygehender Verzeichniß ihre zum Cameralhausbau vorlängst verwilligte Beyträge noch zur Zeit 1 2

Balemann 1779 kammergerichtlichen Baucassagelder. Gemeiner ... 1766 in BA Slg. 1693-1787; Balemann 1779 und Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum.

RKG Nr. 289 1766 März 21

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nicht abgeführt haben, wiederholte nachdrucksame Vorstellungen ohnverweilt dahin abgehen zu lassen, damit diese Abgaben in nächst bevorstehender Frankfurter Ostermesse an den hierzu bestellten Reichskammergerichtspfenningmeister von Hann gegen Quitung ehebaldigst abgeführet werden mögten, und wie solches geschehen, Zeit sechs Wochen a dato die gerichtliche Anzeige davon in ordine Fiscalis zu thun, widrigenfalls der Kaiserliche Fiscalis Generalis sich gegen die Säumige nunmehr ohne längern Anstand seines Amts zu gebrauchen hiermit erinnert wird. Publicatum den 21. Martii 17661. Anselm Franz2 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius3 manu propria4. Vorlage: Balemann 1779, S. 236-237. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 56 (gestrichen 42); Selchow, Concepte I 1782, S. 1093. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die Finanzierung des geplanten Neubaus in Wetzlar. Ein Reichsschluss von 1729 hatte dem Reichskammergericht ein eigenes Gerichtsgebäude in Wetzlar bewilligt, zahlbar durch einen von den Ständen zu entrichtenden Römermonat. Schon am 12. Januar 1757 hatte das Gericht geklagt, die Baugelder seien nicht beisammen (oben RKG Nr. 279). Der Gemeine Bescheid vom 11. Mai 1765 (oben RKG Nr. 288) wiederholte die Zahlungserinnerung. Das Gericht berief sich auf den Reichspatriotismus und vor allem auf die Notwendigkeit, das eigene Archiv sicher und gut unterzubringen. Beide Mahnungen waren aber wirkungslos verhallt. Gegen die Gleichmütigkeit der Territorien empörte sich das Kameralkollegium in dem weiteren Gemeinen Bescheid vom 21. März 1766. Der Vorwurf traf in erster Linie nicht die Reichsstände, deren reichspatriotische Gesinnung dennoch geringer ausfiel, als die Assessoren es zunächst gehofft hatten. Vielmehr rügte der Gemeine Bescheid vor allem die Advokaten und Prokuratoren. Es war zu wenig Geld vorhanden, der Neubau konnte trotz sicherer äußerer Rahmenbedingungen nicht beginnen. Aber die Schuld daran sollte wie gehabt die Anwälte treffen. Trotz der hohen Popularität der Baumaßnahme in der Bevölkerung hätten sie in den fiskalischen Audienzen ihren einschlägigen Schriftwechsel mit den Landesherren bzw. den Regierungen nicht vorgelegt. Das Gericht hatte deswegen ein Verzeichnis derjenigen Reichsstände erstellt, die zum Bauvorhaben bisher ihren Römermonat noch nicht beigetragen hatten. Jetzt mussten die Anwälte erneut an die reichsständischen Mandanten schreiben, um diese zur Bezahlung des Römermonats auf der bevorstehenden Frankfurter Ostermesse zu bewegen. Die Empfangszuständigkeit hatte sich inzwischen geändert. Fortan lag das Verfahren nicht mehr in den Händen eines Protonotars. Der Pfennigmeister selbst würde nach Frankfurt reisen und die Gelder dort in Empfang nehmen. Die 1 2 3 4

Publicatum ... 1766 fehlt in BA Slg. 1693-1787 an dieser Stelle. Franz fehlt in BA Slg. 1693-1787. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in Selchow 1782.

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RKG Nr. 290 1766 November 21

Advokaten und Prokuratoren mussten wie gewohnt Rechenschaft über ihre Korrespondenz mit den Ständen ablegen. Anderenfalls konnte der Fiskal gerichtlich gegen die Schuldner vorgehen. Diese letzte Klausel richtete sich offenbar nicht gegen die Anwälte, sondern direkt gegen die Reichsstände. Hier drohte das Gericht fiskalische Prozesse an, letztlich also die zwangsweise Eintreibung der Baugelder. Genau dies aber war beim Kammerzieler schon nicht gelungen. Den Gerichtsneubau konnte das Kameralkollegium gegen die Territorien ebenfalls nicht durchsetzen. Bekanntlich hatte das Reichskammergericht bis zuletzt nie ein eigenes Gebäude.

RKG Nr. 290 1766 November 21 [Gemeiner Bescheid, die Verkündung und Vorbereitung zur Visitation betreffend, publicatum 21. Novembris 1766.]1 Demnach mittels eines Kaiserlichen allergnädigsten Rescripts dem Kaiserlichen Kammergericht die Verkündung geschehen ist, wasmaßen2 die an Ihro Römisch Kaiserliche Majestät von dem gesamten Reich verlangte und [von]3 allerhöchst Deroselben beliebten Visitation wie4 auch Revision den 2ten Tag5 Monats May des vorstehenden 1767. Jahrs ohne weitern Aufenthalt eröfnet werden solle, mit dem angefügten Befehl, auf alles das von Seiten dieses Kaiserlichen Kammergerichts vor der Hand den Bedacht zu nehmen, was zu dem6 so allgemeinen ersprießlichen Geschäft der gedachten Visitation nützlich und wegen seines Fürgangs beförderlich seyn und werden könne. Als wird7 solches dieses Kaiserlichen Kammergerichts sämtlichen Advocaten und Prokuratoren8 nicht weniger andurch bekannt gemacht9, um auch ihres Orts sich darnach gebührend zu achten und10 zu demjenigen, was dabey in ihre Obliegenheit oder Schuldigkeit nach Gesetze und Ordnung einschlaget und bevorab zur

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Gemeiner ... 1766 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.); Balemann 1779 und Selchow 1782 mit vorangestelltem Datum; BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) nur Gemeiner Bescheid; BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) Dan ist der Gemeiner Bescheid, publicatum 21. Novembris 1766. BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) danach gestrichen Ihro Kayserliche Römische Mayestät. Von in BA Slg. 1693-1787 (alle 3 Ex.); Selchow 1782. In BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) nachträglich eingefügt. Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.); in BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) nachträglich eingefügt. In BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) nachträglich eingefügt. In BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) verbessert aus bleibet. Advocaten und in BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) nachträglich eingefügt. In BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) nachträglich eingefügt. Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.).

RKG Nr. 290 1766 November 21

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Verbesserung des kammergerichtlichen Processes gereichen mag1, in2 allerunterthänigster Befolgung des erwehnten Kaiserlichen3 allerhöchsten4 Befehls mittler Zeit ebenermaßen vorbereitlich5 anzuschicken. Publicatum, den6 21. Novembris 17667. Anselm Franz8 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius9 manu propria10. Vorlage: Balemann 1779, S. 237. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 lfd. Nr. 57 (gestrichen 43), 2. Exemplar ohne Nr., 3. Exemplar mit Korrekturen; Selchow, Concepte I 1782, S. 1094. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid kündigt den Advokaten und Prokuratoren offiziell die bevorstehende Visitation des Reichskammergerichts an. Kaiser Joseph II. hatte die Visitation angeordnet und den Beginn auf den 2. Mai 1767 festgesetzt. Nach der 1713 beendeten ersten Wetzlarer Visitation handelte es sich erst um die zweite Visitation im 18. Jahrhundert und um die letzte Visitation des Gerichts überhaupt. Insgesamt dauerte sie neun Jahre. Das Kameralkollegium war gehalten, die Arbeit der Kommissare entsprechend vorzubereiten. Die Advokaten und Prokuratoren ihrerseits sollten ebenfalls Vorschläge machen, was aus ihrer Sicht am Gerichtswesen zu verändern war. Vor allem den Kameralprozess sprachen die Assessoren in ihrem Gemeinen Bescheid ausdrücklich an. Hier hatte es immer wieder Meinungsverschiedenheiten zwischen den Prokuratoren und den Assessoren gegeben. Sie betrafen die mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage in den Audienzen (dazu Gemeiner Bescheid vom 15./25. Mai 1693 § 9, 4. April 1721 Ziffer 3, 17. Juli 1737; oben RKG Nr. 233, 261 und 271), Förmlichkeiten bei der Produktion gerichtlicher Schriftsätze (dazu z. B. Gemeiner Bescheid vom 4. April 1721 Ziffer 10; oben RKG Nr. 261) und etwa den Botenzwang (dazu Gemeine Bescheide vom 3. September 1653 §§ 7, 10, 1. Oktober 1661 § 3 und 6. März 1724 Ziffer 4; oben RKG Nr. 125, 155 und 263). In all diesen Angelegenheiten konnten die Prokuratoren und Advokaten jetzt ihre Sichtweise darlegen. An den wesentlichen Grundpfeilern des Kameralprozesses rüttelte aber auch die Visitationskommission nicht.

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Und ... mag in BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) nachträglich eingefügt. BA Slg. 1693-1787 (3. Ex.) verbessert aus zu. In BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) durchgestrichen. BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessert aus allergnädigsten. BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.) verbessert aus vorberichtlich. Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (2. Ex.); Selchow 1782. Publicatum ... 1766 fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) an dieser Stelle. BA Slg. 1693-1787 (1. und 2. Ex.) Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) und Selchow 1782; Publicatum ... propria fehlt in BA Slg. 16931787 (3. Ex.).

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RKG Nr. 291 1767 Juni 5

RKG Nr. 291 1767 Juni 5 [Dann ist der Gemeine Bescheid:1] Gemeiner Bescheid. Publicatum die 5. Junii 1767. Hazartspiel betreffend.2 Demnach die Hazartspiele mit Würfeln und Charten denen guten Sitten nicht gemäß seyn, sondern zu unnützer Geldverschwendung, allerhand Unordnung und gefährlicher Händeln den Anlaß leichtlich geben und also der Ort, wo solche nachgesehen werden, in3 übeln Ruf gebracht werden kann, als wird sämtlichen4 diesem Kaiserlichen Kammergericht zugehörigen und unter dessen Jurisdiction stehenden Personen hiemit5 auf das nachdrücklichste anbefohlen, sich bemeldter Hazartspielen unter Vermeidung schwerer ohnnachlässiger fiscalischer Ahndung und würklicher Bestrafung führohin gänzlich zu enthalten. Sodann wird der6 an hiesigen Stadtmagistrat unterm 9. Junii 1747 ergangene Befehl7 zugleich erneuert und dahin wiederholet, daß selbiger denen Gastwirthen, Weinschenkern und Italiäner, auch sonstigen Bürgern bey namhafter Strafe verbieten solle, nach 10 Uhr des Sommers und nach 9 Uhr des8 Winters keine sitzende Gäste bey sich zu dulden, insbesondere aber die Hazartspiele mit Würfeln und Charten in ihren Häusern und Gärten auf keinerley Weise noch zu einiger Zeit, unter was Vorwand und Namen es geschehen mögte, zu verstatten und nachzugeben. Auf daß nun dieser Verordnung hinkünftig ohnausgesetzt nachgelebet und darab alles Ernstes gehalten werden möge, so hätte Magistratus die Häuser und Gärten derer Gastwirthe, Weinschenkern, Italiäner und Bürger zu unvermutheter Zeit öfters9 visitiren, sofort die verwirkte Strafe ohne einiges Nachsehen exequiren zu lassen und die dabey betretende Cameralpersonen, Sollicitanten und Practicanten die-

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Dann ... Bescheid in BA Slg. 1693-1787. Gemeiner ... betreffend in Balemann 1779; Selchow 1782. BA Slg. 1693-1787 verbessert aus leichtlich in. In BA Slg. 1693-1787 danach gestrichen unter dieses Kayserlichen Cammergerichts Jurisdiction stehenden Personen. In BA Slg. 1693-1787 danach gestrichen alles Ernstes. BA Slg. 1693-1787 verbessert aus dem. In BA Slg. 1693-1787 danach gestrichen zu diesem Ende. In BA Slg. 1693-1787 danach gestrichen Sommers. Fehlt in BA Slg. 1693-1787.

RKG Nr. 291 1767 Juni 5

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sem Kaiserlichen Kammergericht ohnverweilt1 anzuzeigen. Publicatum [in Audientz2], den3 5. Junii 1767. Anselm Franz Messer4, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius5 manu propria6. Vorlage: Balemann 1779, S. 238. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 ohne Nr. mit Korrekturen; Selchow, Concepte I 1782, S. 1094-1095. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ist eine gegen das Glücksspiel gerichtete Policeyordnung. Er wiederholt im Wesentlichen die fast gleichlautende Anordnung vom 9. Juni 1747 (oben RKG Nr. 276). Der Unterton war aber noch schärfer. Jetzt rügte das Kameralkollegium ausdrücklich einen Verstoß gegen die guten Sitten. Unnütze Geldverschwendung und Unordnung waren Vorwürfe, die das Kameralkollegium in seiner obrigkeitlichen Rolle als wohlfahrtsstaatliche Aufsicht über die eigenen Kameralangehörigen zeigte. Zunächst befahl das Gericht allen Kameralen, Glücksspiele zu unterlassen. Der zweite Befehl ging wie schon 1747 an die Stadt Wetzlar. Die Sperrstunden sowie die unangemeldeten Kontrollen standen bereits im älteren Bescheid. Möglicherweise erging der wiederholte Glücksspielbescheid im Zusammenhang mit der Wetzlarer Visitation. Planmäßig hatte sie im Mai 1767 beginnen sollen. In einer Zeit, in der die Arbeit des Gerichts und seiner Mitglieder umfassenden Kontrollen unterlag, sollten sich alle Gerichtsangehörigen sittsam benehmen und auf verbotene Glücksspiele verzichten.

RKG (ohne Nr.) 1768 Februar 24 Erwähnt im Gemeinen Bescheid vom 13. Mai 1785 Ziff. 11 (Vahlkampf II, S. 198; unten RKG Nr. 317) und im Gemeinen Bescheid vom 21. Mai 1798 (unten RKG Nr. 324). Überlieferung unklar, möglicherweise Druckfehler.

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In BA Slg. 1693-1787 nachträglich eingefügt. In Audientz in BA Slg. 1693-1787. Fehlt in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782. BA Slg. 1693-1787 A. F. Messer. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in Selchow 1782 und BA Slg. 1693-1787, dafür in BA Unterschrift von anderer Hand.

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RKG Nr. 292 1768 Februar 29

RKG Nr. 292 1768 Februar 29 Gemeiner Bescheid vom 29. Februar 1768. Heftung und Foliirung der Acten. Demnach von wegen einer höchstansehnlichen Kaiserlichen Commission und hochverordneter Reichsvisitationsdeputation einem hochlöblichen Collegio Camerali unterm 22. dieses schriftlich bedeutet worden, den Bedacht dahin zu nehmen, damit in Gefolg der im letzteren Visitationsabschied allschon enthaltener Verordnung, sämtliche bereits distribuirte, unter Arbeit bey denen Referenten nicht wirklich seyende Acten ohnverzüglich geheftet und foliiret, inskünftige aber keine ohngeheftete und ohnfoliirte Acten weder zum Bescheid oder Relation ausgestellet noch angenommen werden, weniger nicht, daß die Procuratores deren streitenden Partheyen anzuweisen und auf Verweigeren allenfalls executive anzuhalten seyen, die Heftungskosten mit denen Juribus Protocolli auf der Canzley zu erlegen, sodann die Rubriken auf eines jeden Exhibiti und Producti erste ganze Seite in folio kurz und deutlich vorzusetzen, auch bey jeglichem neuen Proceß das Objectum litis auf der Supplik kürzlich zu bemerken; als wird solches denen Advocaten und Prokuratoren hiermit bekannt gemacht und dem allen bey Vermeidung ohnausbleiblicher Zwangsmitteln auf das genaueste nachzukommen hiermit anbefohlen. Publicatum in Audientia, die 29. Februarii 1768. Vorlage: Balemann 1779, Nachtrag S. VI-VII. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt Fragen der Aktenführung. Es handelt sich um den ersten Gemeinen Bescheid, den das Reichskammergericht auf Anregung der Visitationskommission erließ. Schon bei der ersten Wetzlarer Visitation in den Jahren bis 1713 hatte das Gericht mehrfach Vorgaben der Visitatoren aufgegriffen und als Gemeine Bescheide verkündet (z. B. Gemeine Bescheide vom 13. November 1711 bis 27. Oktober 1713; oben RKG Nr. 245-253). Jetzt war es genauso. Gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit hatte die Visitationskommission Mängel bei der kammergerichtlichen Aktenführung festgestellt. Schon der Visitationsabschied von 1713 hatte festgeschrieben, die Kameralakten künftig zu binden. Alles sollte geheftet und durchgehend paginiert sein. Auf diese Weise wollte man offenbar die Vollständigkeit der Akten ebenso gewährleisten wie die Übersichtlichkeit und chronologische Anordnung sämtlicher Schriftsätze und Anlagen. Die Kanzlei hatte es aber unterlassen, diese Änderung auch wirklich umzusetzen. Es gab weiterhin ungebundene Kameralakten. Dagegen richtete sich der Gemeine Bescheid. Künftig sollte die Kanzlei sämtliche Akten, die für ein Zwischenurteil oder zur Vorbereitung einer Relation an den Referenten gingen, heften und foliieren. Die dafür anfallenden Kosten sollten die Parteien tragen. Notfalls konnte man die Gelder zwangsweise beitreiben. Die Prokuratoren ihrerseits hatten auf jedem

RKG Nr. 293 1768 Mai 20

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Schriftstück gleich auf dem Deckblatt die genaue Bezeichnung des Rechtsstreits und den Namen des Schriftsatzes anzugeben. Bei Supplikationen, also den Anträgen auf Eröffnung neuer Prozesse, mussten sie überdies in die Prozessbezeichnung gleich einen knappen Hinweis auf den Streitgegenstand aufnehmen. Dieser Gemeine Bescheid hatte zumindest teilweise Erfolg. Die erhaltenen Prozessakten aus dem späteren 18. Jahrhundert sind teilweise geheftet und foliiert. Wenn die Überlieferung unterschiedlich ist, mag das an der vom Bescheid vorgesehenen Bearbeitungsweise liegen. Diejenigen Akten, die niemand benutzte, konnten demnach ruhig im Archiv liegen bleiben. Nur die Akten, die ein Assessor zur Bearbeitung benötigte, erhielten das neue Aussehen.

RKG Nr. 293 1768 Mai 20 Gemeiner Bescheid vom 20. May 1768. Entsagung der Revision und außergerichtlicher Einführung der Restitutionen. Weiters wird das von höchstansehnlicher Kaiserlicher Commission und hochverordneter Reichsvisitationsdeputation an das Kaiserliche Kammergericht unterm 6. dieses erlassene Conclusum Visitationis hiermit publiciret, wie hiernach folget:1 „Von wegen Ihro Römisch Kaiserliche Majestät, unsers allerseits allergnädigsten Herrn hochansehnlicher Herren Commissarien und deren Kurfürsten, Fürsten und Ständen anhero verordneten Herren Subdelegirten wird dem Kaiserlichen Reichskammergericht hiermit eröfnet, daß der von demselben den 17. Julius 1760 publicirte Gemeine Bescheid, in soweit solcher die Renunciation der Revision im Fall einer nachsuchenden Restitution in integrum und dessen außergerichtlicher Imploration betrift, von Visitations wegen nicht genehmiget, sondern aufgehoben und unkräftig erklärt werde. Wannenhero das Kaiserliche Reichskammergericht solches in offener Audienz zu jedermanns Nachricht behörig bekannt machen zu lassen hätte. Conclusum in Consilio Visitationis, Wetzlariae, 6. Maii 1768. (Locus Sigilli) Kurmaynzische2 Canzley.“ Vorlage: Balemann 1779, Nachtrag S. VII. Weitere Ausgaben: Cramer, Nebenstunden 77 (1768), S. 153-154; Cramer/Sonntag, Hauptregister II (1774), S. 45 (nur Registerbeleg).

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Weiters … folget fehlt in Cramer 1768. Cramer 1768 Churfürstlich Maynzische.

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RKG Nr. 294 1768 September 26

Anmerkung: Der Gemeine Bescheid hebt auf Anordnung der Visitationskommission einen älteren Gemeinen Bescheid auf. Der Gemeine Bescheid ist formal und inhaltlich außergewöhnlich beschaffen. Bereits in anderen Fällen hatte das Reichskammergericht Vorgaben der Visitationskommission in Gemeine Bescheide umgesetzt (so auch Gemeiner Bescheid vom 29. Februar 1768; oben RKG Nr. 292). Bisher hatte das Kameralkollegium jeweils kurz auf die Anregung der Kommissare verwiesen und dann seinen Gemeinen Bescheid daran angeknüpft. Jetzt verzichteten die Assessoren auf jede eigene Regelung und gaben nach einer kurzen Einleitung lediglich den Wortlaut des Visitationskonklusums bekannt. Zum ersten Mal widerrief das Kameralkollegium damit selbst einen Gemeinen Bescheid durch einen nachfolgenden Aufhebungsbescheid. Ungewöhnlich ist das Verfahren aber auch im Hinblick auf die Visitationskommission. Schon bei früheren Gelegenheiten hatten die Kommissare Gemeine Bescheide abgeändert oder aufgehoben. Das war damals aber nicht durch Gemeinen Bescheid erfolgt, sondern in den Visitationsabschied oder andere Sammelverfügungen eingeflossen. Inhaltlich ging es hier um das Verhältnis von Revision und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. Wiederaufnahme des Verfahrens. Das Reichskammergericht hatte dafür eine klare Regelung vorgesehen. Wer erst die Revision einlegte und dann die Restitution in integrum beantragte, nahm damit stillschweigend zugleich die Revision zurück. Falls sich später die Wiedereinsetzung bzw. Wiederaufnahme als unbegründet erwies, lebte die alte Revision nicht mehr auf. Vielmehr war das Urteil dann sofort in Rechtskraft erwachsen. Hieran störte sich die Visitationskommission. Für Revisionen war nämlich nicht das Reichskammergericht, sondern die Visitation zuständig. Vermutlich wollten die Kommissare dem Kameralkollegium die Möglichkeit versperren, eine einmal eingelegte Revision wieder aufzuheben. Sämtliche Entscheidungen über dieses Rechtsmittel wollten die Deputierten vielmehr selbst treffen. Auf der anderen Seite konnte das Kameralkollegium die Anordnung der Visitatoren kaum gutheißen. Der streitige Gemeine Bescheid war erst acht Jahre alt. Die meisten noch tätigen Gerichtsmitglieder hatten ihn also selbst verabschiedet. Mit dem bloßen Verweis auf den Wortlaut des Visitationskonklusums distanzierte sich das Kameralkollegium zugleich deutlich vom Inhalt. Nur auf Anordnung der Visitatoren hob das Reichskammergericht den Bescheid vom 17. Juli 1760 (oben RKG Nr. 281) also wieder auf, nicht aus Überzeugung. Ob die Zahl der Revisionen daraufhin stieg, ist nicht bekannt.

RKG Nr. 294 1768 September 26 Auslösung der Copeyen, Urtheile und Dekreten. Demnach von einer höchstansehnlichen Kaiserlichen Commission und hochverordneter Reichsvisitationsdeputation einem hochlöblichen Collegio Camerali unterm 15. dieses schriftlich bedeutet worden, des Kaiserlichen Kammergerichts Advokaten

RKG Nr. 294 1768 September 26

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und Prokuratoren neuerdings dahin anzuweisen, dasjenige, was wegen Nehmung der Copeyen aus des Kaiserlichen Kammergerichts Canzley in dem jüngeren Visitationsabschiede § 102 verordnet ist, nach dem Buchstaben straks zu befolgen, nicht weniger die Copeyen der Urtheile und Dekreten aus besagter Reichscanzley zu lösen, in dessen Entstehung aber mit gebührender Strafe anzusehen, als wird solches ermeldeten Advocaten und Prokuratoren hiermit bekannt gemacht und dem allen bey Vermeidung ohnausbleiblicher Zwangsmitteln aufs genaueste nachzukommen hiermit anbefohlen. Publicatum in Audientia, 26. Septembris 1768. Anselm Franz Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius manu propria. Vorlage: Balemann 1779, Nachtrag S. VIII. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt Kopierangelegenheiten. Wie die beiden vorangehenden Erlasse erging er auf Anordnung der Visitationskommission. In diesem Fall verwiesen die Visitatoren auf den Visitationsabschied vom 18. Dezember 1713. Auch das Kameralkollegium hatte dazu am 14. September 1731 bereits einen Gemeinen Bescheid erlassen (oben RKG Nr. 264). Geändert hatte sich seitdem wenig, und daher war es erforderlich, die Anordnung „neuerdings“, also erneut zu verkünden. Der Sache nach ging es darum, die Kammergerichtskanzlei mit Aufträgen und vor allem mit Kopiergeldern zu versorgen. Alle Prokuratoren waren verpflichtet, ihre Kopien, die sie gerichtlich eingeben wollten, ausschließlich in der Kammergerichtskanzlei erstellen zu lassen und dort auch zu bezahlen. Der Visitationsabschied von 1713 begründete das mit der drohenden „Gefährlichkeit“. Vielleicht unterstellte man den Prokuratoren, ihre eigenen Schreiber könnten den Wortlaut der Schriftsätze und Anlagen fälschen und damit den Prozessgegner täuschen. Die Gerichtskanzlei dagegen würde getreulich Wort für Wort kopieren und genau das auf den Schriftstücken auch vermerken. Möglicherweise spielte aber noch stärker der wirtschaftliche Schutz der Kanzlei eine Rolle. Wenn die Prokuratoren ihre Schriftstücke selbst vervielfältigten, verlor das Reichskammergericht die Kanzleigebühren, musste die Gehälter für das Personal aber weiterzahlen. Welcher Gesichtspunkt überwog, sagte der Gemeine Bescheid nicht. Die Visitationskommission bestand auf der buchstäblichen Befolgung des Abschieds von 1713, und das Kameralkollegium schloss sich dem an.

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RKG Nr. 295 1768 Oktober 17

RKG Nr. 295 1768 Oktober 17 Gemeiner Bescheid in Consilio pleno, die 17. Octobris 1768, et publicatum in Audientia eodem. Dilation und Prorogation betreffend.1 Nachdem von einer höchstansehnlichen Kaiserlichen Commission und hochverordneten Reichs Visitationsdeputation dem hochlöblichen Collegio Camerali schriftlich bedeutet, daß sämtliche des Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Prokuratoren in Betref der Dilationen und Prorogationen denen Verfügungen des jüngern Visitationsabschieds §§ 51, 52, 53, auch dessen Memorialis Advocatorum et Procuratorum § 6 hinkünftig genau nachkommen sollen unter der Verwahrung, daß widrigenfalls gegen die Uebertretere nach Inhalt deren Gesetzen mit wirklicher Suspension, Cassation und sonstigen schweren Strafen ohnnachsichtlich werde verfahren werden. Als wird solches gedachten Advocaten und Procuratoren hiermit bekannt gemacht und ihnen unter unausbleiblicher comminirter Strafe anbefohlen, obbemeldten Gesetzen und hohen Verordnung gehorsamst zu befolgen. In Consilio pleno, 17. Octobris 1768, et publicatum in Audientia eodem. Anselm Franz Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius2 manu propria3. Vorlage: Balemann 1779, S. 238-239. Weitere Ausgabe: Selchow, Concepte I 1782, S. 1096. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid richtet sich gegen Prozessverschleppungen. Er erging wie die übrigen Bescheide desselben Jahres auf Veranlassung der Visitationskommission. Die Kommissare hatten bemerkt, dass nicht nur beim Kopierwesen (dazu der Gemeine Bescheid vom 26. September 1768; oben RKG Nr. 294), sondern auch bei Anträgen auf Fristverlängerungen Nachlässigkeiten eingerissen waren. Für beide Fälle hatte bereits der Visitationsabschied vom 18. Dezember 1713 klare Vorgaben enthalten (außerdem zur Prorogation der Gemeine Bescheid vom 4. April 1721 Ziffer 12; oben RKG Nr. 261). Die Praxis aber hielt sich nicht daran. Die ständigen Vorwürfe an die Prokuratoren konnten über die Großzügigkeit des Kameralkollegiums kaum hinwegtäuschen. Nur wenn die Assessoren die eingeschliffenen Ordnungsverstöße akzeptierten, konnten die Anwälte damit Erfolg haben. Die erwähnten §§ 51-53 des Visitationsabschiedes hatten die Straffung des Kameralprozesses bezweckt. Sämtliche Anträge auf Fristverlängerungen (Dilationen) sollten auf dem sog. Bescheidtisch gesammelt werden. Einmal wöchentlich am Sonnabend sollten einige Assessoren diese Anträge bearbeiten und sofort bescheiden. Unbegründete 1 2 3

Dilation ... betreffend auch in Selchow 1782. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt bei Selchow 1782.

RKG Nr. 296 1768 Oktober 17

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Anträge waren nicht nur zu verwerfen. Vielmehr sollte es zusätzlich harte Strafen für Prokuratoren bis hin zur Suspendierung oder gänzlichen Entlassung geben. Ebenfalls war eine zweite Art von Verzögerungen verboten, nämlich die unbegründeten Anträge für Prorogationen. Die Abgrenzung war selbst für Eingeweihte subtil. Von Prorogationen sprach man im Kameralprozess, wenn es um präjudizierliche Termine ging. Wenn also einer Seite, die zu einem festgesetzten Termin nicht erschien, Rechtsnachteile drohten, lag ein solcher präjudizierlicher Termin vor. Wer nicht erschien, musste möglicherweise mit einem Säumnisverfahren rechnen und war auf jeden Fall mit der vorgesehenen Prozesshandlung präkludiert. Wollte er die Handlung zu einem späteren Zeitpunkt vornehmen, hatte er im Voraus darum zu bitten, den eigentlich vorgesehenen Termin nach hinten zu verschieben. Diese Verschiebungen hießen Prorogationen, die Anträge „ProrogationsProrogationen“ (Visitationsabschied von 1713 § 52). Dilationen dagegen betrafen andere, nicht präjudizierliche Termine. Solche Termine konnte das Gericht einfach aufheben und neu ansetzen. Die Visitationskommission von 1768 verwies auf die einschlägigen Bestimmungen von 1713 sowie zusätzlich auf das Visitationsmemorial an die Adresse der Advokaten und Prokuratoren. Im dortigen § 6 (bei Ludolff, CJC 1724, S. 993-994) war nur von Dilationen und nicht von Prorogationen die Rede. Aber auch hier stand den Anwälten bei frivoler, also vorsätzlicher Prozessverzögerung die Amtsentsetzung bevor. Der Gemeine Bescheid hob die Möglichkeit, Prokuratoren zu suspendieren, besonders hervor. Das praktische Problem ließ sich aber kaum lösen. Denn wie sollte der diensthabende Assessor am Bescheidtisch zweifelsfrei feststellen, ob die Gründe für die Terminverlegung lediglich vorgeschoben oder tatsächlich gewichtig genug waren? Das Prüfungsverfahren fand aber offenbar statt. Bescheidtischprotokolle des Reichskammergerichts aus der Wetzlarer Zeit sind im untrennbaren Bestand im Bundesarchiv überliefert.

RKG Nr. 296 1768 Oktober 17 Gemeiner Bescheid in Consilio pleno, die 17. Octobris 1768, et publicatum eodem. Insinuationen der Kammerbothen betreffend.1 Nachdem auch die Anzeige geschehen, daß gegen die Kammerbothen verschiedentliche Beschwerden geführet seyn sollen, daß solche zum Theil nach erhaltenen vier Processen oder einer Extrareise sich zur Abreise und Insinuation derer Expeditionen nicht gleich anschicken, sondern annoch mehrere abwarten und auf die sogenannte Freysachen verschiedene Wochen aufpassen, anbey die zu Fuß und langsam genug verrichtete Reisen als zu Pferde geschehen bezahlt nehmen, auch 1

Insinuationen ... betreffend auch in Selchow 1782.

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RKG Nr. 296 1768 Oktober 17

sich sonsten noch gegen den am 6. März 1724 erlassenen Gemeinen Bescheid viel ungebührliches zu Schulden kommen lassen. Als wird sämtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Prokuratoren dergleichen ihnen bewuste oder etwa schon angebrachte Beschwerde1 und wie und von welcher Zeit solche herrühren, gebührend anzuzeigen oder, wem von dergleichen nichts bekannt, solches kurz zu melden, Zeit acht Tagen von dato an präfigirt und angesetzt. In Consilio pleno, die 17. Octobris 1768, et2 publicatum eodem. Anselm Franz Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius3 manu propria4. Vorlage: Balemann 1779, S. 239. Weitere Ausgabe: Selchow, Concepte I 1782, S. 1096-1097. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bekämpft Missstände im Botenwesen. Am 6. März 1724 hatte das Kameralkollegium durch Gemeinen Bescheid eine erneuerte Botenordnung erlassen (oben RKG Nr. 263). Doch vielfach hielten sich die Boten nicht an ihre Amtspflichten. Das Gericht wiederholte deshalb die älteren Vorgaben, wandelte sie zugleich aber auch ab. Gleich zu Beginn beklagten die Assessoren die langen Wartezeiten, bis der Bote endlich abreiste. Diesen Unterschleif hatte die Botenordnung von 1724 bereits verboten und auch Strafen für Verstöße vorgesehen. Auch wer seine vier Prozesse bereits erhalten hatte, blieb aber oft noch in Wetzlar und wartete auf weitere dienstliche oder private Aufträge. Unausgesprochen erhöhte das Gericht damit die reguläre Zahl der Zustellungen von drei auf vier. Die freiberuflichen Aufträge der Boten scheinen finanziell deutlich attraktiver gewesen zu sein als die dienstlichen Insinuationen. Wenn die Boten es sich leisten konnten, wochenlang auf Freisachen zu warten, verdienten sie damit im Ergebnis wohl mehr, als bei einer früheren Rückkehr nach Wetzlar und einer erneuten gerichtlichen Zustellung zu erhoffen war. Weitere Verzögerungen traten hinzu. Die meisten Boten reisten zu Fuß. Schon früher hatte das Kameralkollegium reitende Boten gemaßregelt, die zwar höhere Bezüge und auch speziell Zuschüsse für ein Pferd erhielten, aber gar kein eigenes Pferd besaßen (z. B. Gemeiner Bescheid vom 6./16. Oktober 1674; oben RKG Nr. 193). Inzwischen rechneten die Boten ihre Reisen als reitende Boten ab, auch wenn sie tatsächlich zu Fuß gingen. Ohne Duldung war das undenkbar. Denn wie lange ein Bote unterwegs war, ließ sich leicht feststellen. Ob er ein Pferd besaß, muss der Botenmeister gewusst haben. Hier drückten alle Beteiligten ein Auge zu. Billiger und schneller wären die Post oder Notare gewesen. Man hätte das gesamte kammergerichtliche Botenwesen abschaffen können. Der Reichshofrat benötigte so etwas auch nicht. Dennoch hielt sich die langsame und schwerfällige Zustellung durch Kammerboten bis zum Ende des Alten Reiches. Offenbar versuchte das Kameralkollegium, die Boten wirtschaftlich halbwegs über Wasser zu halten. Es 1 2 3 4

Selchow 1782 Beschwerden. Fehlt in Selchow 1782. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in Selchow 1782.

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handelte sich um die unterste Gruppe von Gerichtsangehörigen mit geringem Einkommen und eher niedrigem Ansehen. Deswegen scheuten wohl viele den radikalen Schnitt. Der Gemeine Bescheid klang im Wortlaut allerdings bedrohlich. Alle Advokaten und Prokuratoren mussten innerhalb einer Woche sämtliche Beschwerden über die Boten, die ihnen zu Ohren gekommen waren, zusammenstellen und dem Kameralkollegium mitteilen. Auch Fehlanzeigen waren meldepflichtig. Auf diese Weise, so gab das Kameralkollegium jedenfalls vor, wollte man sich ein genaueres Bild von der Lage machen. Von scharfen Folgen oder Strafen für die Boten ist aber nichts bekannt.

RKG Nr. 297 1769 Januar 11 Gemeiner Bescheid.1 Publicatum in Audientia, die 11. Januarii 1769. Die Weitläuftigkeit deren Schrifften und Recessen betreffend.2 Nachdem von hoher Visitations wegen die Erinnerung geschehen, damit hinkünftig auf die wider die Weitläuftigkeit deren Schriften und Recessen so oft und viel erneuerte vorhandene Gesetze genauest gehalten werden solle, als wird allen Advocaten, Prokuratoren und Schriftstellern ernstgemessenst anbefohlen, daß, gleichwie 1mo überhaupt der Libell oder Supplication der Grund des ganzen Processes ist und, wann derselbe wohl gefasset, viele Weitläuftigkeiten und ohnnöthige Disputationen in denen nachfolgenden Schriftsätzen vermieden, wann derselbe aber weitläuftig oder sonst überflüssig, Händel und Nebenirrung veranlasset werden. Es haben3 dannenhero dieselbe bey allen Supplicationen und Klaglibellen jedesmal so, wie der Jüngere Reichsabschied § 34 verfüget, summarischer Weise das Factum kurz und nervose, jedoch deutlich, distincte und klar vorzutragen, auch das Begehren so zu fassen, wie solches von Rechtswegen daraus folget, allermaßen in dem Fall, wo sich hierbey einiger Mangel äussert, sothaner Libell oder Supplication alsbald nebst gebührender Ahndung verworfen und mitnichten deßfalls auf die etwa anhangende Clausulam salutarem einige Rücksicht wider den Reichsdeputationsabschied de 1557 § 26 alias 33 und Reichsabschied von 1570 § 80, auch Reichsdeputationsabschied vom Jahr 1600 § 30 genommen, jedoch diese abschlägliche Decreta

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Auch in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782. Publicatum ... betreffend auch in Selchow 1782, nicht aber in BA Slg. 1693-1787; vollständige Überschrift in Balemann 1779. Es haben fehlt in BA Slg. 1693-1787.

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dergestalten abgefasset1 werden sollen, damit der Supplicant, woran der Mangel hafte, abnehmen und verstehen möge. Ueberhaupt hat 2do bey Entwerfung der Schriften der Schriftsteller sich möglichster Kürze zu befleissen, immaßen dann auch bey derselben Taxirung ganz und gar nicht auf der Bogenzahl, sondern lediglich auf die erforderliche Arbeit und besonders auf die Geschicklichkeit, die Sache kurz und nervös vorzutragen, Rücksicht genommen werden solle. Damit anbey 3tio ohnnöthige Disputationes und Allegationes möglichst vermieden werden, so hat der Schriftsteller bey Supplicationen und Libellen wie auch Exception-, Replicund Duplicschriften sich nach Maaßgabe des Jüngern Reichsabschieds § 96 blos in Erzehlung des Facti und der Geschichte aufzuhalten, die Disputationes und Allegationes juris aber wie auch in Facto selbst dasjenige, was nicht zur Sache dienlich, nicht einzumischen, sondern bey Strafe zwey Mark Silbers zu übergehen, jedoch dergestalt, daß denenselben frey stehe, ad marginem ein oder mehrere Textus juris oder bewährte Scribenten zu allegiren oder auch eine besondere Deductionem oder Responsum juris (welche jedoch der Referens nicht zu extrahiren hat) beyzulegen. Damit auch 4to der Einbringung aller unnöthigen Beylagen und supernumerarischen Schriften, wodurch nicht selten die Acta zur Ungebühr sich häufen, möglichst gesteuret werde, so solle wegen einer jeden ohnnöthig findenden oder wiederholter übergebenen Beylage oder überflüssigen Supernumerarischrift die Strafe einer Mark Silbers gegen den Kammergerichtsprocuratorem, welcher solche exhibiret, statt haben. Und eben so wäre 5to mit nemlicher Strafe gegen den Anwald jeder ohnnöthige oder ohnnöthig weitläuftige Receß oder wann hierinnen Merita causae tractiret worden, zu ahnden, anbey solchen ohne weitere Rücksicht aus dem Protocoll ausstreichen zu lassen. Publicatum in Audientia, [die]2 11. Januarii 1769. Anselm Franz3 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius4 manu propria5. Vorlage: Balemann 1779, S. 240-241. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 Separatdruck; Selchow, Concepte I 1782, S. 10971099. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt den anwaltlichen Schriftsatzwechsel im schriftlichen Kameralprozess. Er erging auf Anregung der Visitationskommission und zielte darauf ab, das 1 2 3 4 5

BA Slg. 1693-1787 gefasset. Die in BA Slg. 1693-1787. BA Slg. 1693-1787 Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787; Selchow 1782.

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Verfahren zu straffen. Hierbei ging es nicht um Fristen und Termine, sondern um die Art und Weise, wie Schriftsätze zu gestalten waren. Eher lehrbuchhaft erinnerte das Kameralkollegium gleich zu Beginn an die zentrale Bedeutung der Supplikation und des Libells. Die Supplikation war der Antrag auf Eröffnung eines förmlichen Verfahrens, der Libell die Klageschrift. Dem Gericht war nun daran gelegen, solche Schriftsätze kurz und knapp zu halten. Daher richtete sich der Gemeine Bescheid nicht nur an die Reichskammergerichtsadvokaten und -prokuratoren, sondern ebenfalls an die „Schriftsteller“. Damit meinte das Gericht ganz wörtlich die Verfasser der Schriftsätze. Das waren üblicherweise die Advokaten, die den Kläger an seinem Heimatort rechtlich berieten. Bereits § 34 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654, auf den das Kameralkollegium verwies, hatte das artikulierte Verfahren abgeschafft. Die Praxis hielt sich weitgehend daran. Seitdem gab es sog. summarische Libelle, die nicht mehr alle Tatsachenbehauptungen in eigene Positionen aufgliederten. Der Bescheid erinnerte hieran und betonte, wie wichtig präzise formulierte Klageanträge waren. Mangelhafte Libelle wollte das Gericht künftig verwerfen. Ob solche förmlichen Nichtannahmen dann zur Säumnis des Klägers oder zur Desertion des Appellanten führen würden, ging aus dem Gemeinen Bescheid nicht hervor. Bei bloßen Supplikationen war es auch denkbar, erst gar keine Ladung zu erkennen. Die Schriftsatzverfasser versuchten, sich in der Praxis mit pauschalen Heilungsklauseln abzusichern. Wenn ihre Schriftsätze Fehler und Unklarheiten enthielten, sollte das Gericht sich auf den wirksamen Teil beschränken oder Nachbesserungen ermöglichen. Solche Clausulae salutariae wollte das Kameralkollegium künftig nicht mehr hinnehmen. Das war schon bisher geltendes Recht gewesen, wie aus den drei Verweisen auf bereits lang zurückliegende Abschiede hervorging. § 26 des Speyerer Reichsdeputationsabschieds vom 16. August 1557 (CJC 1724, S. 228-229) schilderte die Diskussion um die Clausula salutaris und die schwankende Praxis bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Dann einigte man sich aber darauf, unklare Anträge zurückzuweisen und nicht von Amts wegen zu berichtigen oder auf ein zulässiges Maß zurückzustutzen. Der Reichsabschied von Speyer vom 11. Dezember 1570 gab in § 80 (CJC 1724, S. 308) sogar die dafür vorgesehene Tenorierung vor. Auf die „vorgebrachten“ Narrationen sollte das Gericht, auch wenn eine Supplikation eingegangen war, den Erlass der Ladung ablehnen. Leichte Modifikationen gab es nur im Mandatsprozess. § 30 des Speyerer Reichsdeputationsabschiedes vom 30. Oktober 1600 (CJC 1724, S. 541) erlaubte es in engen Grenzen, bei teilbaren Anträgen den bewilligungsfähigen Teil als Mandat zu erlassen und den Rest zu verwerfen. Ähnlich wollte das Gericht auch 1769 weiterhin verfahren. Die abschlägigen Dekrete sollten jedoch gegenüber dem Antragsteller begründet werden. An ganz versteckter Stelle führte das Reichskammergericht hier die Pflicht ein, gerichtliche Entscheidungen gegenüber den Parteien zu begründen, damit sie diese „verstehen“ konnten, wie es ausdrücklich hieß. Das bezog sich nicht auf Endurteile und nicht auf die Verkündungen in der Audienz. Es ging lediglich um extrajudiziale Dekrete, die einen Antrag auf Eröffnung des Verfahrens ablehnten. Hier sollte der Kläger erfahren, warum er erfolglos geblieben war. Im Ergebnis eröffnete das Gericht ihm auf diese Weise die Möglichkeit, mit einer verbesserten Supplikation sein Glück erneut zu versuchen. Mit dem zweiten Punkt des Bescheides versuchte das Kameralkollegium, Gebührenschinderei durch

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überlange Schriftsätze zu verhindern. Zuvor waren die Anwälte oftmals nach Bögen bezahlt worden (so auch Gemeiner Bescheid vom 17. Mai 1605; oben RKG Nr. 98). Wenn es aber bloß um die Masse des beschriebenen Papiers ging, war die Versuchung groß, breite Ränder zu lassen (zu überhöhten Gebühren außerdem die Gemeinen Bescheide vom 15./25. Mai 1693 § 6 und 4. April 1721 Ziffer 20; oben RKG Nr. 233 und 261) und besonders wenig Text auf einzelnen Seiten unterzubringen. Jetzt sollte sich die Bezahlung der Schriftsatzverfasser nach Aufwand, Schwierigkeitsgrad und Qualität („Geschicklichkeit“) richten. Konkrete Anweisungen dazu fehlten. Der dritte Punkt untersagte Disputationen und Allegationen. In enger Anlehnung an § 96 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654 wiederholte der Gemeine Bescheid altbekannte Forderungen. Die anwaltlichen Schriftsätze sollten sich ausschließlich auf den Tatsachenbericht beschränken. Im älteren Positionalverfahren war es leicht gewesen, Rechtsäußerungen in den Libellen bloßzustellen. Der jeweilige Gegner brauchte sich bloß zu weigern, auf die einschlägigen Artikel zu antworten. „Sind juris“ schrieb er dann in seine Exzeptionsschrift. Im summarischen Libell dagegen waren solche Vermischungen schwieriger aufzudecken. Einige Anwälte trennten aber auch im 18. Jahrhundert klar zwischen den „Species facti“ und den rechtlichen Erörterungen. Das verstieß zwar gegen den Jüngsten Reichsabschied, war aber weit verbreitet. Damit sollte nun endgültig Schluss sein. Im Einklang mit dem Reichsabschied durften die Schriftsatzverfasser lediglich „ad marginem“ Rechtsquellen anführen und juristische Literatur zitieren. In diesem Punkt könnte der Gemeine Bescheid einen erstaunlichen Erfolg gehabt haben. In der zeitgenössischen Literatur setzte es sich nämlich gleichzeitig durch, Anmerkungen nicht mehr in den fließenden Text einzubinden, sondern sie in den Fußnotenapparat zu stecken. Das waren in gewisser Weise auch Marginalien, nur nicht am Seitenrand, sondern am Seitenende. Der Gemeine Bescheid könnte diese Entwicklung befördert haben, passte aber auf jeden Fall zu einem ohnehin zu beobachtenden Trend. Das Verbot von Disputationen dagegen war kaum durchsetzbar. Rechtliche Erörterungen und insbesondere verschiedene juristische Sichtweisen der Beteiligten zählten zu jeder Zeit zum Kerngehalt gerichtlicher Prozesse. Auch wenn von Gesetzes wegen nur die Erzählung von Tatsachen vorgeschrieben war, griffen die Anwälte regelmäßig darüber hinaus und befassten sich ausführlich mit der Rechtslage. Verbote konnten dagegen wenig ausrichten. Die angedrohten zwei Silbermark dürften daran ebenfalls nichts geändert haben. Einen weiteren Übelstand griff der vierte Punkt auf. Manche Prokuratoren legten einzelne Schriftsätze oder Anlagen mehrfach vor. Das war bereits seit längerer Zeit untersagt (Gemeiner Bescheid vom 4. April 1721 Ziffer 14; oben RKG Nr. 261; allgemein zu Supernumerarihandlungen die Gemeinen Bescheide vom 9. Januar 1660 § 4, 12. Januar 1660 und 26. März 1675; oben RKG Nr. 145-146, 194), kam aber immer wieder vor. Auch überflüssige Sachen sollte man nicht zu den Akten geben. Hier freilich dürfte es deutliche Meinungsunterschiede zwischen den Anwälten und dem Kameralkollegium gegeben haben. Als Parteivertreter zog der Prokurator die Grenze dessen, was für seinen Mandanten nützlich war, notwendigerweise anders als das Gericht. Der fünfte Punkt fiel ein wenig aus dem Rahmen. Hier ging es um die gerichtlichen Audienzen. Das Kameralkollegium schärfte den Prokuratoren möglichste Kürze ein. Sie durften nicht weitläufig werden und vor allem in ihren Rezessen den Sach- und

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Streitstand nicht ansprechen. Diesen letzten Punkt hatte das Gericht in mehreren Gemeinen Bescheiden bereits aufgegriffen (z. B. Gemeine Bescheide vom 12. November 1647, 30. Oktober 1655 § 11, 8./18. Mai 1668 § 1, 15./25. Mai 1693 § 9, 4. April 1721 Ziffer 3 und 17. Juli 1737; oben RKG Nr. 120, 127, 175, 233, 261, 271). Bisher hatten sich die Verbote zumeist auf Gegenrezesse beschränkt (auch Gemeine Bescheide vom 30. März 1688 und 16. Juli 1723; oben RKG Nr. 216 und 262). Jetzt sprach das Gericht dieselbe Anordnung allgemein aus. Ein Rechtsgespräch in der kammergerichtlichen Audienz war rundum verboten. Man sollte sogar die Protokolle daraufhin überprüfen und zu lange oder inhaltsbezogene Rezesse wieder streichen. Der Gemeine Bescheid erging auf Veranlassung der Visitationskommission. Das bedeutete zugleich eine Niederlage der Anwaltschaft. Die Prokuratoren hatten immer wieder versucht, die Audienzen lebendiger zu gestalten. Aber sowohl das Kameralkollegium als auch jetzt die Visitatoren sahen darin nichts anderes als Ordnungsverstöße. Im Hinblick auf den Extrajudizialprozess wiederholte das Gericht den Gemeinen Bescheid am 18. März 1785 (unten RKG Nr. 316).

RKG Nr. 298 1770 Juli 6 [Gemeiner Bescheid.]1 [Publicatum in Audientia, d[ie] 6. Julii 1770. Religionssachen betreffend.]2 Nachdem Ihro Römisch-Kaiserliche Majestät auf geziemendes Ansuchen deren Augspurgischen Confessionsverwandten Herren Churfürsten, [Herren]3 Fürsten und Ständen geruhet, zu Bezeigung der obristrichterlichen Willfährigkeit und aus unermüdetem Eifer für eine schleunige, stracke und unpartheyische Justitzpflege durch ein unterm 19. Junii jüngsthin erlassenes allergnädigstes Rescript diesem Kaiserlichen Kammergericht aufzugeben, daß die Klagen und Beschwerden, welche dahier von denen ein oder andern religionsverwandten Klägern und von deren jedem zu seiner Sache gesetzmäßig bevollmächtigten Anwald in Sachen, so eigentlich die Religion betreffen, ordnungsmäßig werden eingeführet werden oder welche bereits eingeführt seyn, vorzüglich aller anderer Sachen jedesmal vorgenommen, darinnen sowohl auf hinlängliche Bescheinigung nach Vorschrift des Jüngern Reichsabschieds mit Erkennung der Mandatorum als auch hernach in Fortsetzung dieses [Processes]4 mit weiterer richterlicher Erkenntniß fort in denen dadurch be1 2 3 4

Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck); Selchow 1782. Publicatum ... betreffend in Selchow 1782; vollständige Überschrift bei Balemann 1779. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck). BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck); Selchow 1782.

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findenden und mit richterlichem Anspruch entscheidenden liquiden Sachen verfügender wirklichen Execution, besonders mit genauer Beseitigung deren ohnehin in dieser Proceßgattung nicht Platz habender sonstigen gerichtlichen Zeitfristen, Schriftwechseln und derley Weitläuftigkeiten so sträcklich und unpartheyisch verfahren werden solle, wie es der vorerwehnte Reichs- auch jüngere Visitationsabschied deutlich anweisen und dadurch jeglicher bey dem richtig erhalten, geschützet und ferner nicht gekränket werde, was demselben nach denen Reichssatzungen und nach deme1 durch mehrere Reichsfriedensschlüsse bestimmten Normaljahre2 an Rechten und Einkünften gebühret und zustehet. Als wird sämtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Prokuratoren hiermit nachdrücklich anbefohlen, in Gemäßheit Ihro Römisch-Kaiserlichen Majestät allergnädigster Willensmeynung und allergerechtesten Befehls die gerichtlich nur3 einzuführende Religionssachen sowohl als auch jene, so wirklich eingeführt und noch zu erörtern sind, nach ihren schweren Pflichten ordnungsmäßig und mit besonderem Fleiß und Treue nebst jedesmaliger Beylegung eines besondern kurzen pro Memoria über die eigentliche Bewandniß sothaner Religionssachen zu besorgen und fortzusetzen. Publicatum in Audientia, 6. Julii 1770. Anselm Franz4 Messer, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius5 manu propria6. Vorlage: Balemann 1779, S. 241-242. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 Handschrift (mit mehreren Grammatik- und Rechtschreibkorrekturen), 2. Exemplar Separatdruck; Selchow, Concepte I 1782, S. 1099-1100. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft Religionsprozesse am Reichskammergericht. Er steht im Zusammenhang mit dem einige Jahre älteren Gemeinen Bescheid vom 27. August 1764 (oben RKG Nr. 284). Wie sechs Jahre zuvor erließ das Reichskammergericht den Bescheid erneut auf Anweisung des Kaisers. Und wie im ersten Fall kam der Kaiser mit seiner Anweisung dem Wunsch der Stände entgegen. Diesmal ist ausdrücklich das Corpus evangelicorum genannt. Mit dem Hinweis auf die „stracke“ Justiz griff der Gemeine Bescheid einen alt eingebürgerten Begriff auf, der seit je für eine geordnete Rechtspflege stand. Ob es inzwischen mehr Religionsprozesse am Reichskammergericht gab als 1764, ist unklar. Das Gericht verkniff sich diesmal jedenfalls den Hinweis, solche Verfahren gebe es seit langem nicht mehr. Die Umsetzung der kaiserlichen Anweisung erfolgte zügig. Am 19. Juni 1770 hatte Joseph II. sein Reskript erst verfasst, am 6. Juli erging in Wetzlar bereits der Gemeine Bescheid. Wie schon 1764 betraf die kaiserliche Ermah1 2 3 4 5 6

BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck); Selchow 1782 denen. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck); Selchow 1782 Normaljahren. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck) neu. BA Slg. 1693-1787 (nur 1. Ex.) Frantz. Selchow 1782 K. C. G. P. Manu propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (Separatdruck); Selchow 1782.

RKG Nr. 299 1774 Dezember 23

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nung lediglich das Reichskammergericht. Am Reichshofrat ist ein gleichlautendes Decretum commune nicht belegt. Freilich gab es dort mit den kaiserlichen Dekreten auch andere Möglichkeiten, wie der Herrscher seinen Hofrat lenken konnte. Inhaltlich ging es darum, Prozesse zwischen konfessionsverschiedenen Parteien um Fragen, die „eigentlich“ die Religion betrafen, bevorzugt und schnell zu behandeln. Die Eilbedürftigkeit konfessioneller Streitigkeiten erkennt man ohnehin in der beschriebenen Verfahrensform. Sie fanden wohl ausnahmslos als Mandatsverfahren statt. In diesen Fällen sollte es fortan keine Fristverlängerungen und Verzögerungen mehr geben. Entschiedene Sachen sollten auch in die Vollstreckung gelangen. Der Gemeine Bescheid berief sich auf den Jüngsten Reichsabschied von 1654 sowie den Visitationsabschied von 1713. Eher unbestimmt war auch noch von anderen Friedensschlüssen die Rede. Sie alle sollten das Normaljahr 1624 garantieren. Unausgesprochen dachte der Kaiser bei seiner Anweisung wohl an Verschiebungen im konfessionellen Gefüge. Aber Veränderungen an den 1648 gezogenen Grenzen sollte es nicht mehr geben. Da die Verfügung auf Wunsch der evangelischen Stände erging, befürchteten die Protestanten in dieser Zeit offenbar Verluste, die auch mit erfolgreichen Kammergerichtsprozessen nicht ohne weiteres wiedergutzumachen waren. Das Kameralkollegium forderte alle Advokaten und Prokuratoren auf, anstehende Religionsprozesse zügig einzubringen und bereits laufende nachdrücklich voranzutreiben. Für die Assessoren sollten die Anwälte sogar jeweils einen kurzen Hinweis auf die Eilbedürftigkeit hinzusetzen.

RKG Nr. 299 1774 Dezember 23 Gemeiner Bescheid1, publicatum die 23. Decembris 1774. Anzeige der gezahlten Kammerzieler. Nachdem von hoher Visitations wegen die Erinnerung geschehen, um die Veranlassung dahin zu machen, daß sämtliche hohe und löbliche Stände des Reichs, in sobald die Zahlung der Kammerzieler geleistet wird, zugleich auch davon durch ihre dahiesige Anwälde bey der Audienz in ordine Fiscali die Anzeige thun zu lassen belieben möchten, damit alsdann zu Ende jeder Wochen solche Anzeigen denen Herren Deputatis ad Cassam durch den Notarium Fisci vorgelegt und darnach die gewöhnliche Pfenningmeistereyanzeigen geprüfet werden könnten. Als wird sämtlichen Anwälden die ohngesäumte Nachrichten hievon an die Be-

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Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787.

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hörde zu ertheilen und sich darnach selbsten zu achten hiermit aufgegeben. Publicatum in Audientia, die1 23. Decembris 1774. Hermann Theodor Moritz Hoscher, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius. Vorlage: Balemann 1779, S. 242. Weitere Ausgabe: BA Slg. 1693-1787 Separatdruck. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Zahlung des Kammerzielers. In früheren Zeiten hatte das Gericht in Dutzenden von Gemeinen Bescheiden über die permanente Unterfinanzierung geklagt. Dringend hatte es die Zahlung des Kammerzielers eingefordert (z. B. Gemeine Bescheide vom 28. November 1703, 16. Juli 1717 und 29. August 1732; oben RKG Nr. 243, 255 und 265). Zuletzt hatte es Ärger gegeben, weil sich die Reichsstände nicht mit den fälligen Römermonaten an dem geplanten Gerichtsneubau beteiligten (dazu Gemeine Bescheide vom 12. Januar 1757, 11. Mai 1765 und 21. März 1766; oben RKG Nr. 279, 288-289). Kammerzieler gingen nach dem Siebenjährigen Krieg aber wieder ein. Der Gemeine Bescheid betonte das nicht ausdrücklich. Seine Regelungen ergaben aber nur dann Sinn, wenn man es tatsächlich mit einlaufenden Geldern zu tun hatte. Wie bei zahlreichen anderen Bescheiden seit 1768 beruhte der Erlass auch hier auf einer Anregung der Visitationskommission. Diejenigen Reichsstände, die ihre Kammerzieler leisteten, sollten dies durch ihren ständigen Prokurator zugleich in der fiskalischen Audienz des Reichskammergerichts anzeigen. Auf diese Weise sollte eine leichtere Kontrolle der Zahlungen möglich sein. Der fiskalische Notar sollte wöchentlich den zur Kasse deputierten Assessoren eine Aufstellung übergeben. Diese war dann mit den vom Pfennigmeister quittierten Zahlungseingängen abzugleichen. Das ganze Verfahren setzte voraus, dass es solche Zahlungen gab. Offenbar hatte sich die wirtschaftliche Situation des Reichskammergerichts deutlich verfestigt. Wöchentliche Kontrollen waren nur dann sinnvoll, wenn es für gewöhnlich auch mehrere Zahlungen pro Woche gab. Aus einem weiteren Grund verdient der Gemeine Bescheid Beachtung. Das Kameralkollegium verzichtete hier nämlich auf die sonst übliche Unterscheidung von Advokaten und Prokuratoren. Sie tauchen unter der gemeinsamen Bezeichnung als Anwälte auf. Das markiert einen weiteren Schritt auf dem Weg hin zum einheitlichen Rechtsanwaltsberuf. In diesem Punkt erwies sich das in vielerlei Hinsicht rückständige Reichskammergericht abermals als Vorreiter. Modern wirkt es auch, wenn sich das Gericht ganz am Ende selbst als Behörde bezeichnete. Vielleicht bezog sich der Titel auch auf das Fiskalat. Jedenfalls tauchte das Wort in den Gemeinen Bescheiden zuvor noch nie auf.

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Die fehlt in BA Slg. 1693-1787.

RKG Nr. 300 1775 April 7

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RKG Nr. 300 1775 April 7 Gemeiner Bescheid, publicatum die 7. April 1775. Stellung der Vormundschaftsrechnungen und Inventarien. [Ist der Gemeine Bescheid:]1 Daß alle und jede über Pupillen und Minderjährige kammergerichtlicher Personen angeordnete Vormünder ihrer gehabter und noch tragender Vormundschaft gebührende Inventarien und rückständige jährliche Rechnungen in behöriger Form innerhalb 6 Wochen oder nach Gestalt deren Umständen allerlängstens innerhalb 3 Monath dem Tutelar-Rath übergeben, in dessen Entstehung aber wegen einer jeden zurückverbleibenden Rechnung die Strafe einer Mark Silbers in den Armensäckel ohnnachlässig verwirkt seyn und nach Befund mit schärferer Ahndung gegen die Saumselige verfahren werden solle. Publicatum in Audientia, 7. Aprilis 1775. Hermann Theodor Moritz Hoscher, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius manu propria. Vorlage: Balemann 1779, S. 243. Weitere Ausgabe: BA Slg. 1693-1787 Separatdruck. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt Vormundschaftsfragen. Bereits im 17. Jahrhundert hatte das Kameralkollegium mehrfach Gemeine Bescheide in solchen Angelegenheiten erlassen (Gemeine Bescheide vom 26. März 1658, 22. Februar 1659, 17. November 1659, 22. Januar 1664, 1. November 1668, 5. Januar 1670 und 4. Dezember 1699; oben RKG Nr. 135, 139, 142, 162, 176, 181 und 238). Zuerst war es dabei darum gegangen, überhaupt Vormünder für unmündige Kinder verstorbener Kammergerichtsangehöriger zu finden. Weshalb das Vormundschaftsrecht nach so vielen Jahrzehnten erneut auf den Tisch kam, ist unklar und geht aus dem Wortlaut nicht hervor. Vielleicht gab es auch hier einen Wink der Visitationskommission. Der Text des Gemeinen Bescheids ist jedenfalls außerordentlich knapp. Der Sache nach wiederholte das Kameralkollegium die aus früheren Bescheiden bekannte Pflicht, jährlich einmal gegenüber dem Vormundschaftssenat des Gerichts (sog. Tutelarrat) die Vermögensverhältnisse des Mündels offenzulegen. Inventar und Rechnungslegung entlasteten auf diese Weise zugleich den Vormund. In den zurückliegenden Jahren hatten einige Vormünder ihre Pflichten versäumt und mussten sie nun innerhalb der genannten Fristen nachholen.

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Ist ... Bescheid in BA Slg. 1693-1787; fehlt in Balemann 1779.

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RKG Nr. 301 1776 Januar 17

RKG Nr. 301 1776 Januar 17 Gemeiner Bescheid1, publicatum die 17. Januarii 1776. Verzeichniß aller Sachen, worin jeder Prokurator bedienet ist, Anzeige der verglichenen Sachen. Zu allerunterthänigster Befolgung des auf das unterm 23. Octobris vorigen Jahrs beliebte Reichsgutachten erfolgten allerhöchst Kaiserlichen Commissionsratificationsdecrets und in dessen Gemäßheit an das Kaiserliche Kammergericht allergnädigst ergangenen Rescripts vom 30. Novembris besagten Jahrs ist sämtlichen Prokuratoren hiermit ernstgemessenst anbefohlen, daß ein jeder derselben 1) nach Inhalt des neuern Reichsschlusses § 5 ein Verzeichniß aller Sachen, in welchen er bedienet ist, mit der Anmerkung, in welchem Jahr, Monath und Tag eine jede Sache bey dem Kammergericht angebracht, auch wann und in welchem Punct oder ob definitive darin submittirt, verfertigen, annebst bey einer jeden Sache, was solche betreffe, mit wenigen Worten ausdrücken, und zu welcher Gattung der privilegirten oder ob solche hochwichtig oder aber nur ihrer Eigenschaft nach zu denen ordinairen Sachen gehörig zu seyn, ihme bedünke, anfügen, von denen Sachen aber, welche verglichen sind oder welche die Parthey ruhen zu lassen, ihme, Procuratoren, befehligt hat, nur allein die Rubriquen bemerken und diese Verzeichniß innerhalb 4 Wochen dem Kaiserlichen Kammergericht in duplo einreichen. Sodann 2) nach Maaßgabe des § 7 allerhöchsten Ratificatorii die vertragene Sachen unter der im Reichsabschied vom Jahr 1557 § 56 gesetzten Strafe jedesmals bey Gericht anzeigen solle. Publicatum in Audientia, 17. Januarii 1776. Hermann Theodor Moritz2 Hoscher, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius manu propria. Vorlage: Balemann 1779, S. 243-244 Weitere Ausgabe: BA Slg. 1693-1787 Separatdruck. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ordnet eine Übersicht über sämtliche laufenden Reichskammergerichtsverfahren an. Zusammen mit dem folgenden Bescheid vom 27. März 1776 (sogleich unten RKG Nr. 302) schloss das Kameralkollegium hiermit die neunjährige Visitation erkennbar ab. Gleich zu Beginn beriefen sich die Assessoren auf das Reichsgutachten vom 23. Oktober 1775 und das kaiserliche Reskript vom 30. November. Die darin enthaltene Anordnung setzten sie um. Beide Erlasse waren inzwischen als Separatdrucke erschienen. Das Reichsgutachten trug den Titel: „An Ihro Römisch-Kaiserl[iche] Majestät allerunterthänigstes Reichs-Gutachten, de dato Regens1 2

Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787. BA Slg. 1693-1787 Moriz.

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burg den 23ten Octobr[is] 1775. Einige an das Reich gelangte Kaiserl[iche] Hof- und Commißions-Decrete, und die nach deren Anleitung in Ansehung des Kammergerichtlichen Justizwesens und Unterhalts dieses Reichsgerichts gut gefundene Vorsehungen betreffend: Dictatum Ratisbonae, die 26. Octobr[is] 1775. Per Moguntinum“. Das zugehörige kaiserliche Dekret lautete: „Kaiserlich-Allergnädigstes Commissions-Ratifications-Decret, an Eine Hochlöbliche allgemeine ReichsVersammlung zu Regensburg, de dato 15. Decembr[is] 1775. Auf das Reichsgutachten vom 23ten October e[odem] A[nno], Einige an das Reich gelangte Kaiserl[iche] Hof- und Commißions-Decrete, und die nach deren Anleitung in Ansehung des Kammergerichtlichen Justizwesens und Unterhalts dieses Reichsgerichts gut gefundene Vorsehungen betreffend: Dictatum Ratisbonae, die 16. Decembr[is] 1775. Per Moguntinum.“ Es ging darum, einen Überblick über sämtliche aktuellen Kammergerichtsprozesse zu erhalten. Dafür war das Kameralkollegium auf die Mitwirkung der Prokuratoren angewiesen. Jeder Prokurator sollte ein schriftliches Verzeichnis übergeben, das sämtliche von ihm geführten Kammergerichtsprozesse auflistete. Wann er die Sache rechtshängig gemacht hatte, war ebenso anzugeben wie das Datum einer möglichen definitiven Submission. Mit Submission war der förmliche Antrag auf Erlass eines Urteils gemeint. Wenn aus anwaltlicher Sicht der Rechtsstreit entscheidungsreif war, submittierte die Partei um ein Urteil, wie man im Kameralprozess sagte. Einen Hinweis auf den Streitgegenstand sollte der Prokurator in seine Übersicht mit aufnehmen. Außerdem war nach Wichtigkeit und Eilbedürftigkeit zu differenzieren. Im 16. Jahrhundert hatte das Kammergericht das gesamte Prozessaufkommen in ordinäre und extraordinäre Sachen getrennt. Das eine waren die gewöhnlichen, das andere die eilbedürftigen Streitigkeiten. Diese Trennung hatte man später aufgegeben. Der Gemeine Bescheid von 1776 lässt unklar, ob die Gerichtspraxis die Unterscheidung in ordinäre und andere Prozesse wieder aufgegriffen hatte. Möglicherweise ging es aber lediglich um die Einschätzung des Anwalts, wie dringlich die eigene Angelegenheit war. Wenn ein Verfahren inzwischen ruhte, genügte ein vereinfachter Hinweis. Ebenso sah es aus, wenn bereits ein Vergleichsschluss erfolgt war. Der Verweis auf den Reichsabschied von 1557 war hierbei ungenau. Gemeint war nicht der Regensburger Reichsabschied vom 16. März 1557, sondern ein Reichsdeputationsabschied von Speyer vom 16. August 1557. Die zitierte Paragraphenzählung orientierte sich offensichtlich an Johann Jacob Schmauß/Heinrich Christian von Senckenberg (Hrsg.), Neue und vollständigere Sammlung der Reichsabschiede, Frankfurt am Main 1747, Teil III, S. 161. Das Corpus Juris Cameralis von Georg Melchior von Ludolff gibt dieselbe Vorschrift unter „§ 49 alias 57“ wieder (CJC 1724, S. 231). Dort begründete man die Verpflichtung der Prokuratoren, sämtliche verglichenen Rechtsstreitigkeiten dem Kameralkollegium mitzuteilen. Angeblich ergingen ansonsten Urteile in Streitigkeiten, die längst ausgeräumt waren. Im Übrigen hatte der Deputationsabschied von 1557 die im Gemeinen Bescheid erwähnte Strafe gar nicht „gesetzt“, sondern sie ausdrücklich dem richterlichen Ermessen überlassen. Das Reichskammergericht wiederholte und erweiterte diesen Gemeinen Bescheid am 24. April 1782 (unten RKG Nr. 307).

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RKG Nr. 302 1776 März 27

RKG Nr. 302 1776 März 27 Gemeiner Bescheid vom 27. März 1776. Abführung der Kammerzieler. Eröfnung der wegen des Münzfußes an den Pfenningmeister ergangenen Verordnung und neue Usual-Matrikel. Nachdem durch das unterm 23. October vorigen Jahrs beliebte Reichsgutachten und darauf erfolgte Kaiserliche allerhöchste Ratificationscommissionsdekret sofort in dessen Gemäßheit an das Kaiserliche Kammergericht ergangene allergnädigste Rescript vom 30. Novembris besagten Jahrs die schon vorhin gesetzmäßige Vermehrung dieses Kaiserlichen Kammergerichts vorläufig auf die Zahl von 25 Beysitzern vestgesetzet und des Endes zur Herstellung eines genüglichen Unterhaltungsfundi über die allschon bestehende erhöhete zwey Zieler provisorio modo noch ein halbes dergleichen erhöhetes Ziel gemeinsam bewilliget und begnehmiget worden ist. Als ist nach weiterem Innhalt gedachter allerhöchsten Vorschrift die desfalsige Weisung an den Kaiserlichen Fiscal von Birkenstock wie auch nöthige Verordnung1 an den Pfenningmeister Hetzendorf bereits ergangen, nicht weniger ein Verzeichniß2, was sämtliche des Heiligen Römischen Reichs Kurfürsten, Fürsten und Stände für ein jedes Ziel zu entrichten haben, mit aller Genauigkeit entworfen und zum Druck befördert worden, wovon einem jeden dieses Kaiserlichen Kammergerichts Prokuratoren die erforderliche Anzahl Exemplarien mit dem Bedeuten zugestellet wird, damit derselbe denen höchst- und hohen Ständen des Reichs, welchen er bedienet ist, solche ohngesäumt einzusenden, zugleich aber auch die reichsschlußmäßige Entrichtung deren theils schon erschienenen und rückständigen, theils laufenden Kammerzielern in Erinnerung zu bringen, fort von denen erfolgenden Antworten diesem Kaiserlichen Kammergericht die ohnverweilte gerichtliche Anzeige zu thun, bedacht seyn möge. Publicatum in Audientia, 27. Martii 1776. Hermann Theodor Moritz Hoscher, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius manu propria. Vorlage: Balemann 1779, Nachtrag S. VIII-IX. Weitere Ausgaben: nicht bekannt.

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Fußnote bei Balemann 1779: Diese Verordnung ist den 29. Februar 1776 ertheilt, besonders gedruckt, zum Einrücken allhier aber zu umständlich. Sie betrift vornehmlich den Münzfuß der zu bezahlenden Kammerzieler. Fußnote bei Balemann 1779: Ist die neue Usual-Matrikel vom 26. Februar 1776. Das Werk ist schon zu stark angeschwollen, als daß ich sie hier sollte andrucken lassen.

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Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Finanzierung des Reichskammergerichts. Wie der vorangegangene Gemeine Bescheid vom 17. Januar 1776 (oben RKG Nr. 301) markiert auch er das Ende der letzten Kammergerichtsvisitation. Das Gericht griff bis zur Finanzreform von 1719 zurück und hoffte offenbar, dass die festgeschriebene Zahl von 25 Beisitzern in Kürze erreichbar sein würde. In der Praxis arbeiteten weiterhin lediglich 17 Assessoren am Gericht. Jetzt sollte die Aufstockung erfolgen. Dafür waren die Kammerzieler von zwei auf zweieinhalb Zieler erhöht worden. Der Fiskal hatte gemeinsam mit dem Pfennigmeister eine Übersicht ausgearbeitet, die für jeden Reichsstand die nunmehr fälligen Summen auswies. Inzwischen lag das Matrikelverzeichnis gedruckt vor. Die Prokuratoren sollten diese Schrift an diejenigen Reichsstände versenden, die sie ständig in Wetzlar vertraten. An dieser Stelle wies das Gericht auf noch offene Rückstände hin. Der Gemeine Bescheid vom 23. Dezember 1774 (oben RKG Nr. 299) hatte unüberhörbar von eingehenden Zahlungen gesprochen. Jetzt gab es dagegen bereits wieder Schwierigkeiten. Wenn in dieser Situation die Kammerzieler noch um ein weiteres Viertel erhöht wurden, musste das Ergebnis absehbar sein. Die Assessorenzahl ließ sich vorerst nicht wie gewünscht erhöhen. Stattdessen griff das altbekannte Offenlegungsverfahren wieder ein. Die Prokuratoren sollten die Reichsstände schriftlich dazu anhalten, ihre Kammerzieler zu zahlen. Die Antworten mussten sie sodann dem Kameralkollegium vorzeigen. Erst 1782 gelang es dem Gericht, die Assessorenzahl tatsächlich zu erhöhen (Gemeiner Bescheid vom 5. März 1782; unten RKG Nr. 306).

RKG Nr. 303 1778 Februar 27 Gemeiner Bescheid1, publicatum die 27. Februarii 1778. Unterschrift und respective Benennung des Advocati causae in jeder Schrift. Nachdem man verschiedentlich wahrgenommen, daß, obwohlen vermöge des [den]2 13. Decembris 1659 publicirten Gemeinen Bescheids § 4 circa medium heilsamlich verordnet und statuirt worden, daß die Supplicationes pro Processibus nicht weniger als alle andere schriftliche Handlungen von denen in der Sache dienenden Advocaten sowohl als vom Procuratore etc. imgleichen die Exceptiones, Replicae, Duplicae etc. von dem Advocato causae jedesmalen mit unterschrieben oder doch, daß die Advocati extranei zum wenigsten in Subscriptione Procuratoris mit benennet werden, des Kaiserlichen Kammergerichts Prokuratoren aber solchem bis anhero nicht allerdings nachgekommen, sondern zum Theil in Benennung der Advocaten variirt, 1 2

Nur Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787. BA Slg. 1693-1787.

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ja auch wohl einen angegeben haben, welcher, wie es sich nachhero ergeben, niemalen das Patrocinium causae übernommen. Woher dann auch kommen mag, daß sich nicht nur zur Leistung des Juramenti Calumniae, sondern auch des Restitutionseyds so leichtlich anerboten wird, welches ein die Sache einsehender Advocatus causae zu übernehmen wohl billigen Anstand haben würde. Als wird zu Vorkommung derley Unterschleif und Mißbräuchen gedachten Prokuratoren bey ohnausbleiblicher arbitrarischer Bestrafung aufgegeben, hinführo obberührtem Gemeinen Bescheid gemäß in allen Schriften, insonderheit aber in Libello Gravaminum den Advocatum und Verfasser derselben sogleich zu benennen und sich der bisher gewöhnlichen Anmerkung „Advocatus in Cancellaria denominabitur“ von nun an gänzlich zu enthalten. Publicatum in Audientia, d[ie]1 27. Februarii 1778. Hermann Theodor Moritz Hoscher, 2 Kaiserlichen Kammergerichts Protonotarius Pleni manu propria. Vorlage: Balemann 1779, S. 244. Weitere Ausgabe: BA Slg. 1693-1787 Separatdruck. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Angabe des Schriftsatzverfassers auf allen anwaltlichen Dokumenten. Bereits der Reformbescheid vom 13. Dezember 1659, mit dem das Reichskammergericht zahlreiche Vorgaben des Jüngsten Reichsabschiedes umgesetzt hatte, enthielt dieselbe Verpflichtung (§ 4; oben RKG Nr. 144). Viele Prokuratoren hielten sich aber nicht daran und begnügten sich mit dem schlichten Hinweis, der Name sei in der Kanzlei bereits bekannt oder werde dort noch hinterlegt. Oftmals, so meinte das Kameralkollegium, benenne der Prokurator auch ins Blaue hinein Anwälte, die mit dem Rechtsstreit gar nichts zu tun hätten. Hier schlug das Gericht eine Brücke zum Kalumnieneid und zum Restitutionseid bei der Wiederaufnahme des Verfahrens. Nach dem Eindruck des Kameralkollegiums leisteten zahlreiche angebliche Korrespondenzadvokaten leichthin solche Eide, obwohl sie mit dem Rechtsstreit nicht das geringste zu schaffen hatten. Die hohe Zahl leichtfertiger Kalumnieneide wollten sich die Assessoren jedenfalls auf diese Weise erklären. Ein Advokat, der tatsächlich als Sachwalter (Patronus causae) für die Partei tätig war, würde niemals so leichtsinnig einen Eid leisten, hofften sie. Die Begründung wirft freilich die Frage nach der Appellwirkung der bedingten Selbstverfluchung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf. Wenn ein Prokurator auf diese Weise Schriftsätze fälschte, machte er sich nach zeitgenössischer Sicht selbst eines Meineides schuldig, sofern er später in derselben Sache den Kalumnieneid leistete. Wenn der Advokat von vornherein unter falschem Namen arbeitete und auch gegenüber dem Prokurator seine Identität nicht offenlegte, verhielt es sich ebenso. Das Kameralkollegium scheint unterstellt zu haben, der jeweilige Prokurator kenne den Advokaten durchaus, halte aber seinen Namen geheim. Deswegen erneuerte es die Aufforderung, auf allen Schriftsätzen, 1 2

Die fehlt in BA Slg. 1693-1787. Sic!

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vor allem beim Gravaminalibell ganz am Anfang des Rechtsstreits, den wahren Namen des Advokaten mit anzugeben.

RKG Nr. 304 1778 Oktober 2 Gemeiner Bescheid, publicatum in Audientia 2. Octobris 1778. Schatzungen der Cameralen. Sämtliche Cameralpersonen, so viel deren mit Haus und Gütern in Wetzlar angesessen seyn, werden hiermit alles Ernstes angewiesen, nach der bereits im Jahr 1734 den 14. May publicirten Verordnung die von dem Magistrat der Stadt Wetzlar in seiner Specification vom 6. April besagten Jahrs angezeigte Schatzungsrückstände einschließlich des Jahrs 1733 also, wie sie in gesagter Specification angesetzt sind, von dem Jahr 1733 aber bis zu dem laufenden Jahr 1778 jährlich vier Schatzungen als ein einsweiles und vorbehaltlich des Magistrats weiterer Ausweisung angenommenes Liquidum vor Ablauf von vier Monathen an den dermahligen Schatzungseinnehmer der Reichsstadt Wetzlar abzuführen und künftighin mit jährlicher Abführung von vier Schatzungen bis auf dieses Kaiserlichen Kammergerichts anderweite Verordnung fortzufahren mit dem Anhang, daß die in dem ohnerwarteten Entstehungsfall nach Verlauf der zur Befolgung dieser Verordnung angesetzten Frist von vier Monathen auf des Magistrats der Stadt Wetzlar weitere Anzeige gegen die Saumselige ohne weiters executive verfahren werden solle. Doch verbleibt einem jeden deren angesessenen Cameralen nach bereits abgetragenen Schatzungsrückstand seine etwan pro praeterito habende Beschwerde diesem Kaiserlichen Kammergericht behörig darzuthun und weitere Verordnung zu gewärtigen ohnbenommen, sondern vorbehalten. Gleichergestalten wird Magistratus der gesagten Stadt Wetzlar auf die demselben bereits den 17. May 1734 insinuirte Verordnung verwiesen mit der Erinnerung vor das künftige, sooft er wegen zu geben habender Reichs- und Crayßsteuren, die auf denen Häusern und Gütern liegende Schatzungen über die einsweilen als ein interimistisches Liquidum angenommene Zahl von vieren in einem Jahr mehrfältig anund aufzulegen nöthig finden sollte, alsdann das Quantum und Quale der ganzen Schatzung dem Collegio Camerali und desselben hierzu verordneter Deputation zu eröfnen, welche hierauf, was denen Cameralen nach Proportion ihrer Güter und deren Anschlag zu tragen obliege, ungesäumt verordnen, und daß alle Contributio-

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nen dem Stadteinnehmer bey sonst zu gewartender kammergerichtlichen Execution abgetragen werden sollen, anordnen werden. In Consilio Pleno, 2. Octobris 1778. Hermann Theodor Moritz Hoscher, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Pleni Vorlage: Balemann 1779, Nachtrag S. IX-X. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt die Steuerzahlungspflicht der Kameralen in der Reichsstadt Wetzlar. Er ist inhaltlich verknüpft mit dem älteren Bescheid aus Speyer vom 12. Februar 1620 (oben RKG Nr. 107). Damals hatte das Reichskammergericht die streitige Rechtsfrage entschieden, wie bei der Erhebung der Türkensteuer die Bemessungsgrundlage zu wählen sei. Zum einen konnte man auf die persönliche Zugehörigkeit zu einem bestimmten Territorium abstellen, auf den persönlichen Untertanenstatus also. Zum anderen war es denkbar, ausschließlich auf Liegenschaften zu sehen und die Grundstücke dort zu besteuern, wo sie lagen. Das Reichskammergericht hatte damals sein Conclusum pleni zugleich als Gemeinen Bescheid verkündet. Im Ergebnis entschied das Kameralkollegium weitgehend zu den eigenen Gunsten. Größere Zahlungen dürften auf die Kameralen seinerzeit jedenfalls nicht zugekommen sein. Der Gemeine Bescheid vom 2. Oktober 1778 behandelt dagegen die Steuerpflicht in der Reichsstadt Wetzlar. Zunächst gaben die Kameralfreiheiten sämtlichen Gerichtsmitgliedern die Sicherheit, keinesfalls zu städtischen Steuern herangezogen zu werden. Darum ging es auch nicht. In Frage standen Reichs- und Kreissteuern. Von ihnen waren die Kameralen offenbar nicht befreit. Innerhalb der Gemeinen Bescheide taucht das Thema hier dennoch zum ersten Mal auf. Die Stadt Wetzlar hatte schon seit 1734 versucht, die Grundstücke der Kammergerichtsangehörigen mit Reichs- und Kreissteuern zu belegen. Seit Anfang 1733 waren Forderungen fällig, doch offenbar hatte niemand gezahlt. Die Rückstände für einen Zeitraum von 35 Jahren dürften erheblich gewesen sein. Jetzt wies das Gericht sämtliche Kameralen an, innerhalb von vier Monaten endlich diese Zahlungen zu leisten. Statt genauer Berechnungen gab es wohl Mittelwerte in Höhe der erwähnten vier Schatzungen jährlich. Wer dagegen verstieß, konnte aufgrund seiner Kameralfreiheiten aber kaum vom Rat der Stadt Wetzlar belangt werden. Der Gemeine Bescheid verwies insofern auf eine Anzeige der Stadt, vermutlich beim Reichskammergericht. Die Exekution, also die zwangsweise Beitreibung, musste dann gerichtsintern erfolgen. Falls die Steuerberechnung falsch war oder einige Gerichtsmitglieder in der Vergangenheit die Reichs- und Kreissteuern bereits entrichtet hatten, stand der Beschwerdeweg offen. Ausdrücklich bot das Reichskammergericht dem Magistrat sogar an, zukünftig die Steuer zu erhöhen. Sowohl die einzelnen Summen als auch die Zahl der Termine sollten nur vorläufig feststehen. Damit hinterlässt der Gemeine Bescheid einen zwiespältigen Eindruck. Spannungen zwischen den Gerichtsangehörigen und der Wetzlarer Bevölkerung und Stadtverwaltung sind umfassend belegt. Deswegen markiert der Gemeine Bescheid eine Niederlage. Die Kameralen hatten sich lange geweigert, sich an den Steuern zu beteiligen. Nun mussten sie nachgeben und für die Vergangenheit sogar Nachzahlungen leisten. Auf der anderen Seite waren dem Gericht zugleich die Hände gebunden,

RKG Nr. 305 1778 Oktober 2

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wenn es halbwegs glaubhaft bleiben wollte. Als Teil einer Reichsinstitution konnten sich die Gerichtsmitglieder schlecht verweigern und dem Reich diejenige Hilfe vorenthalten, die sie von anderen ständig erwarteten. Im Ergebnis schwächte der Gemeine Bescheid aber dennoch die rechtliche Sonderstellung der Kameralen innerhalb der Stadt. Der folgende Bescheid vom selben Tag (sogleich RKG Nr. 305) behandelt ebenfalls den Steuerstreit.

RKG Nr. 305 1778 Oktober 2 Publicatum in Audientia, 2. Octobris 1778. Schatzungen der Cameralen. Demnach dieses Kaiserliche Kammergericht, um denen ohnangenehmen Mißverständnissen, die sich bis hiehin zwischen dem Magistrat der Stadt Wetzlar und denen daselbst begüterten Cameralen wegen Entrichtung deren Schatzungen geäußert haben, vor das künftige vorzubiegen, rathsam gefunden, die gütliche Beylegung und Vestsetzung eines vor die Cameralpossessores auf immerhin bestimmten und niemahlens zu verändernden Steuerfußes vor einer aus derselben Gremio ernannten Deputation zu prüfen: Als werden gesamte dieses Kaiserlichen Kammergerichts in der Stadt Wetzlar angesessene Prokuratoren und Canzleypersonen hiermit angewiesen, aus ihrem Mittel zwey oder vier mit hinreichender von allen Possessonirten gefertiger Vollmacht dahin zu qualificiren, damit selbe, ohnaufhaltlich der nach Vorschrift anheut publicirter Verordnung anbefohlenen Abtragung bis hieher rückstehender Schatzungen, auf die von denen Deputatis Collegii Cameralis denenselben zu machende Weisung vor denenselben erscheinen, Namens gesamter Possessionirter Vorschläge zur gütlichen Beylegung anhören und zu ihrem selbst eigenen wahren Besten die dermal einstige Beendung dieser ohnangenehmen Schatzungszwistigkeiten durch einen gütlichen Vertrag beenden können. In Consilio Pleno, 2. Octobris 1778. Hermann Theodor Moritz Hoscher, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Pleni. Vorlage: Balemann 1779, Nachtrag S. X-XI. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt wie der am selben Tag unmittelbar zuvor ergangene Bescheid (oben RKG Nr. 304) den Steuerstreit zwischen dem Reichskammergericht und der Reichsstadt Wetzlar. Das Kameralkollegium sprach selbst von den unangenehmen Missverständnissen um die Zahlung der Reichs- und Kreissteuern. Um den Konflikt zu entschärfen, waren die

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RKG Nr. 306 1782 März 6

Assessoren an einer gütlichen Lösung interessiert. Sie strebten einen Vergleich an, der einen festen und unveränderlichen Steuerfuß vorschreiben sollte. Die Steuererhöhungen, die auf Wunsch der Stadt Wetzlar grundsätzlich erlaubt und im vorigen Bescheid ausdrücklich zugelassen waren, hätten sich auf diese Weise erledigt. Die Vergleichsverhandlungen mit der Stadt sollte eine Kommission führen, der Mitglieder aus verschiedenen Gruppen von Kameralen angehörten. Der Gemeine Bescheid richtete sich deswegen an diejenigen Prokuratoren und Kanzleimitarbeiter, die Grundbesitz in Wetzlar hatten. Sie sollten einige Kommissionsmitglieder benennen, die zusammen mit den Assessoren die Verhandlungen mit dem Rat führten. In der Schwebezeit waren die rückständigen Steuern dennoch zu zahlen. Darauf wies das Kameralkollegium erneut hin.

RKG Nr. 306 1782 März 61 Wegen einberufener 8 neuen Assessoren wird die Bezahlung der erhöhten Zieler pro praeterito et futuro erinnert. Demnach in Gemäßheit des jüngsten Reichsschlusses vom 23. October 1775 die tüchtig befundenen Praesentati nunmehr wirklich einberufen und zu der Sammtaufschwörung acht neuer Assessorum der 1. Junius des laufenden 1782ten Jahres bestimmt worden, als versieht man sich zu höchst- und hohen Ständen des Reichs, welche zu der Unterhaltung des Kaiserlichen und Reichskammergerichts Beyträge zu leisten habe, dieselbe werden die in gedachtem Reichsschlusse beliebte neue Erhöhung (insofern solches noch nicht von ihnen geschehen) und zwar nach dem 20 fl. Fuße in guten, gangbaren, gesetzmäßigen Sorten sowohl pro praeterito als futuro unweigerlich zahlen zu lassen von selbst geneigt seyn. Deren Anwälten aber wird, diesen Gemeinen Bescheid an ihre höchst- und hohe Herren Principalen fordersamst einzusenden und wie solches bewirket, auch was für Antwort sie darauf erhalten, binnen zwey Monaten gehorsamlich anzuzeigen, kraft dieses ernstlich anbefohlen. Conclusum in Pleno, 5. Martii 1782. Georg Mathias von Sachs, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Pleni. Vorlage: Vahlkampf, Bd. I, Tit. III (1805), S. 164-165. Weitere Ausgaben: nicht bekannt.

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Vahlkampf 1805 nennt in der Überschrift den 6. März, im Bescheid selbst den 5. März 1782.

RKG Nr. 307 1782 April 24

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Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Aufstockung des Kameralkollegiums und die Entrichtung des Kammerzielers. Er bildet eine späte Frucht der 1776 zu Ende gegangenen letzten Visitation. Der Reichsschluss von 1775 hatte die Erhöhung der Assessorenzahl von 17 auf 25 in Aussicht gestellt, und das Gericht hatte dazu mit Gemeinem Bescheid vom 27. März 1776 (oben RKG Nr. 302) schon Vorkehrungen getroffen. Sechs Jahre später war es nun soweit. Die Reichskreise hatten genügend Kandidaten präsentiert, und zum 1. Juni 1782 stand die Aufschwörung an. Damit stiegen unweigerlich die Personalausgaben. Der Reichsschluss von 1775 hatte vorgesehen, die Kammerzieler von zwei auf zweieinhalb aufzustocken. Das war das eigentliche Anliegen des Kameralkollegiums. Zwischen den Zeilen konnte man schnell bemerken, dass die meisten Territorien die erhöhten Sätze bisher nicht gezahlt hatten. Also erinnerte der Gemeine Bescheid an die Zahlungspflicht für die Vergangenheit und Zukunft und an den festgesetzten Guldenfuß. Die Anwälte sollten abermals ihre reichsständischen Mandanten mahnen und dem Gericht die Antwortschreiben vorlegen. Im Gegensatz zu dem sonst üblichen Mahnverfahren verlangte das Kameralkollegium diesmal ausdrücklich, den Gemeinen Bescheid selbst zu versenden. Obwohl die erhöhte Zahl von Assessoren das Gericht erneut in wirtschaftliche Bedrängnis brachte, kam es doch zu einer gewissen Belebung des Geschäftsbetriebes. Das zeigen auch die folgenden Gemeinen Bescheide. Allein 1782 ergingen insgesamt fünf Gemeine Bescheide, soviel wie bis zum Ende des Alten Reiches nie mehr. Die Regelungsgegenstände freilich waren recht beschränkt.

RKG Nr. 307 1782 April 24 [Gemeiner Bescheid.]1 Vorschriften, die Befolgung des Reichsschlusses von 1775 enthaltend.2 [Gemeiner Bescheid, die Volziehung des neuesten Reichsschlusses betreffend, vom 24. Apr[il] 1782.]3 Zu gehorsamster Befolgung des gegen Ende des Jahres 1775 zu Verbesserung des Reichsjustizwesens bey dem Kaiserlichen und Reichskammergerichte ergangenen Reichsschlusses ist sämmtlichen Procuratoren hiemit ernstgemessenst anbefohlen, daß ein jeder derselben 1.) Nach Inhalt gedachten Reichsschlusses ein Verzeichniß aller Sachen, in welchen er bedienet ist, mit der Anmerkung, in welchem Jahre, Monate und Tage eine jede Sache bey dem Kammergerichte angebracht, auch wann und in welchem Punk1 2 3

Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787. Vorschriften ... enthaltend fehlt in BA Slg. 1693-1787. Gemeiner … 1782 in Reuß II 1786.

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RKG Nr. 307 1782 April 24

te oder ob definitive darinn submittiret, ohne Aufenthalt verfertigen, annebst bey einer jeden Sache, was solche betreffe, mit wenigen Worten ausdrücken und zu welcher Gattung der Privilegiaten oder ob solche hochwichtig oder aber nur ihrer Eigenschaft nach zu denen ordinairen Sachen gehörig zu seyn, ihm bedünke, anfügen, von denen Sachen aber, welche verglichen seyn oder welche die Parthie ruhen zu lassen ihnen Procuratoren befohlen hat, nur allein die Rubriken bemerken. 2.) Auch über die dermalen nicht, wohl aber in der Folge der Zeit etwa betrieben werdende Rechtssachen die Verzeichnisse1 auf die nämliche Art wie bey denen wirklich betriebenen demnächst verfertigen. 3.) Wenn also sich die Eigenschaft der Sache oder das gesetzliche Privilegium derselben, während dem Laufe des Processes ändere und solche eine andere Qualität, als dieselbe anfänglich gehabt, annehmen werde, dieses ohnverweilt jedesmal in der Leserey schriftlich und behörig anzeigen. Ferner 4.) in seinem gleich zu übergebenden Verzeichnisse, welche Sachen miteinander in Verbindung stehen, inter easdem Partes de eodem effectu seyen, worinnen inter2 easdem Partes de eodem jure ex novo facto gestritten werde, welche recurrent wären, aus was Ursachen solches also von ihm dafür gehalten werde und worinnen bereits eine wichtige und was für ein Interlocutori-Urtel ergangen seye, bemerken. Weniger nicht 5.) damit auch jene Sachen besonders namhaft machen, welche die Herren Kammerrichter, Präsidenten und Beysitzer oder deren Angehörige auf ein oder andere Weise wissentlich und directe oder auf eine sonstige Art indirecte betreffen. Imgleichen 6.) ob er mit einem derer Herren Assessoren und mit welchem in Proceß befangen oder in Verwandtschaft stehe, anzeigen solle. Im letztern Falle wird zum Behufe gedachter Anzeige 7.) einstweilen provisorie der dritte gradus lineae aequalis einschließlich tam in consanguinitate quam affinitate secundum computationem juris canonici festgesetzt. Weiter hat 8.) jeder Procurator nach Eintritt der vocirten acht Herren Assessoren in Zukunft bey Exhibirung der Extrajudicialsuppliken sich an die Leserey, welcher die Führung des Hebdomaderie-Buchs aufgetragen, zu wenden. Sogleich aber 9.) ein besonderes Verzeichniß von denen Sachen, welche unter denen Partheyen vertragen sind, unter Vermeidung der im Visitationsabschiede de 1557 § 56 gesetzten Strafe zu übergeben, nicht weniger in Zukunft, sooft eine Rechtsangelegenheit vertragen wird, solches ohne Aufenthalt behörig und schriftlich anzuzeigen mit dem Zusatze, daß bey befundener Unterbleibung solcher Anzeige oder Nichtbefolgung 1 2

Reuß II 1786 Verzeichniß. BA Slg. 1693-1787 in.

RKG Nr. 307 1782 April 24

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gegenwärtigen Bescheids der darunter fehl befundene mit der angedroheten Strafe wirklich beleget und solche executive eingetrieben werden solle. Ferner 10.) ausser denen oberwähntermaaßen anzuzeigenden, von den Parteyen ruhen zu lassen befohlenen Sachen in das eben vorbemeldte Verzeichniß auch jene mit einzuführen, wovon die Parteyen verdorben, verstorben und die Erben unbekannt oder niemand davon in langen Jahren sich gemeldet oder des Processes wegen etwas von sich hat hören, sondern solchen auch ohne dazu gegebenen ausdrücklichen Auftrag auf sich erliegen lassen. Sämmtliche jetzo ohne Aufschub oder gleich fürgeschriebene Verzeichnisse sind 11.) innerhalb 14 Tagen des Kaiserlichen Kammergerichts Leserey in duplo einzureichen. Schließlich wird 12.) zu schuldiger Nachachtung derer Procuratoren hiemit bekannt gemacht, daß in Zukunft alle und jede Recusationen, solche mögen vorkommen, wann sie wollen, niemals anderst als in Schriften und zwar nur mit ausdrücklicher Anführung triftigund erweißlicher Ursachen vorzutragen und dem Herrn Kammerrichter oder dem in dessen Abwesenheit das Directorium Führenden übergeben und führohin jede anderst beschaffene Recusation weder angenommen noch angehöret werden solle. [Publicatum 24. April. 1782.1] Georg Mathias von Sachs, Kaiserlicher Kammergerichts Protonotarius Pleni. Vorlage: Vahlkampf, Bd. I, Tit. III (1805), S. 165-168. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 Separatdruck; Reuß, Beiträge II (1786), S. 125-128. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt eine von den Anwälten zu erstellende Übersicht über sämtliche Reichskammergerichtsprozesse. Er wiederholte und erweiterte den Gemeinen Bescheid vom 17. Januar 1776 (oben RKG Nr. 301). Wie im Vorgängerbescheid berief sich das Kameralkollegium abermals auf den Reichsschluss von 1775, im Bescheid von 1776 noch als Reichsgutachten benannt. Ziffer 1 wiederholte praktisch wortgleich die Anordnung von 1776. Ziffer 2 fügte hinzu, das von den Prokuratoren zu erstellende Register aller laufenden, ruhenden oder verglichenen Rechtsstreitigkeiten müsse auch für künftige Fälle fortgesetzt werden. Auch wenn einschneidende Veränderungen einzelne Prozesse betrafen, war dies mitteilungspflichtig (Ziffer 3). Die sog. „Qualität“ eines Verfahrens als ordinär oder eilbedürftig konnte sich demnach mit der Zeit ändern. Miteinander verbundene Sachen sollten die Prokuratoren verknüpfen. Auch mussten sie angeben, falls das Gericht in einem Rechtsstreit bereits wichtige Zwischenurteile verkündet hatte (Ziffer 4). Der Zweck der Regelung ist nicht ganz klar. Zwei Möglichkeiten sind denkbar. Entweder hatte das Gericht selbst keinen vollständigen Überblick über die anhängigen Verfahren. Oder es ging darum, den Arbeitsaufwand der Anwälte zu kontrollieren und auf diese Weise Vergütungsfragen 1

Publicatum ... 1782 in BA Slg. 1693-1787 und Reuß II 1786.

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RKG Nr. 308 1782 Mai 17

zu klären. Jedenfalls sollten die Prokuratoren sogar darauf hinweisen, ob ein Mitglied des Kameralkollegiums auf besondere Weise in den Rechtsstreit verwickelt war (Ziffer 5) oder ob verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Anwälten und Assessoren die Besorgnis der Befangenheit nahelegten (Ziffer 6). Hierfür sollte die Zählung der Verwandtschaftsgrade nach dem kanonischen Recht erfolgen (Ziffer 7). Eine Verfahrensreform sah Ziffer 8 vor. Nach der Aufschwörung der neuen acht Assessoren sollten die Suppliken ausschließlich an die Leserei gerichtet werden. Offenbar unterschied das Kameralkollegium hier Supplikationen von Suppliken. Supplikationen waren Anträge auf Prozesseröffnung. Suppliken dagegen waren sonstige extrajudiziale Bittgesuche. Wegen der erhöhten Zahl der Assessoren sollte das Verfahren in Zukunft also transparenter ablaufen. Ziffer 9 wiederholte den Bescheid vom 17. Januar 1776 und verwies erneut auf den Reichsvisitationsabschied von 1557. Es bestand also eine Mitteilungspflicht für Prozessvergleiche. Ziffer 10 erweiterte dann den Bescheid von 1776 leicht und schrieb vor, auch diejenigen Verfahren aufzulisten, bei denen die Parteien inzwischen verstorben waren und sich noch keine Erben gemeldet hatten, um den Rechtsstreit fortzusetzen. Alle solche Verzeichnisse sollten innerhalb von zehn Tagen in zweifacher Ausfertigung an die Leserei gehen. Zuletzt regelte der Gemeine Bescheid in Ziffer 12 Rekusationen. Das war das gemeinrechtliche Verfahren zur Richterablehnung. Grundsätzlich stand den Parteien und den Anwälten die Möglichkeit offen, einen Richter abzulehnen. Erforderlich dafür waren Schriftform und triftige Gründe. Die Entscheidung darüber traf der Kammerrichter oder sein Vertreter. Viel bewirkt haben kann der Gemeine Bescheid allerdings nicht. Die Prokuratoren verstießen wiederholt dagegen, und bereits am 1. Juli 1782 (unten RKG Nr. 309) musste das Kameralkollegium seine Anordnung erneut verkünden.

RKG Nr. 308 1782 Mai 17 [Gemeiner Bescheid.]1 Die zum Kameralhaußbau verwilligten rückständigen Römermonate sollen erinnert werden.2 [Gemeiner Bescheid, die Bezahlung der Ausstände an dem im Jahr 1729 verwilligten Römermonath betreffend, vom 17. Mai 1782.]3 Denen Advocaten und Procuratoren dieses Kaiserlichen Kammergerichts wird noch erinnerlich seyn, was vor Gemeine Bescheide und Decreta, sonderlich in den Jahren

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Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787. Die ... werden fehlt in BA Slg. 1693-1787. Gemeiner … 1782 in Reuß I 1785.

RKG Nr. 308 1782 Mai 17

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1753, 1757, 1765 und 17761 in Ansehung des beträchtlichen Rückstandes an dem zu Erbauung eines neuen Kammergerichtshauses in dem Jahre 1729 von Kaiserlicher Majestät und den höchst- und hohen Ständen des Reichs verwilligten Römermonath ergangen und publiciret worden sind. Nachdem nun alle Erinnerungen bisher von wenigem Erfolg gewesen, das Collegium Camerale aber demungeachtet durch die würklich geschehene Einberufung der acht neuen Beysitzer in die Nothwendigkeit gesetzt worden, ein erweitertes, zum beständigen Wohnsitze schickliches Kammergerichtshaus anzuschaffen und zu dem Ende das [schon]2 vor 2 Jahren Kaiserlicher Majestät und den höchst- und hohen Ständen des Reichs als sehr vortheilhaft vorgeschlagene gräflich Virmontische Haus angekauft, auch mit dessen behöriger Einrichtung wie auch mit Erbauung derer zum Unterbringen sämtlicher Kameralacten und Archivalurkunden erforderlicher feuerfester Gewölber den Anfang gemacht hat, die Vollführung des auf das sparsamste eingerichteten Baues aber ohne den Beytrag des noch ausstehenden Restes des im Jahre 1729 verwilligten Römermonaths durchaus unthunlich3 ist: Als wird sämtlichen Advocaten und Procuratoren hiermit abermals aufgegeben, bey denen höchst- und hohen Reichsständen, welchen sie bedienet sind und die nach angehendem Verzeichnisse ihren Beytrag zu dem im Jahre 1729 zum Kameralhausbau4 verwilligten Römermonath noch immerzu nicht entrichtet haben, die baldige Abführung derer schon vor länger als 50 Jahren auszuzahlen gewesenen Rückstände wiederholend in Erinnerung zu bringen und durch nachdrucksame Vorstellungen ihren Antrag dahin zu thun, daß besagte Stände nach denen von ihnen vor die Aufrechthaltung dieses Kaiserlichen Kammergerichts jederzeit bezeigten patriotischen Gesinnungen die Nothwendigkeit des bey instehendem Eintritt derer würklich berufenen neuen Beysitzer unumgänglich erforderlichen, bereits angefangenen und nicht länger auszusetzen gewesenen Baues in Betracht ziehen und ihre von so langer Zeit ausstehende Ratas an den zu deren Einnahme bestellten dieses Kaiserlichen Kammergerichts Pfennigmeister Hötzendorff5 ungesäumt einschicken und auszahlen lassen mögten. Und haben anbey besagte Advocati und Procuratores, wie und welchergestalt sie die ihnen hierdurch ertheilte Aufgabe befolget, mittelst Uebergebung der darauf erhaltenen Antwortschreiben oder sonst ohnfehlbar zu bescheinigen. Gestalten das Kaiserliche Kammergericht nach so langem Abwarten und vergeblich gethanen gütlichen Versuchen bey gegenwärtiger Gefahr des Ver

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Vahlkampf und BA Slg. 1693-1787 beide mit Druckfehler. Richtig ist 1766; dagegen Reuß I 1785 1766 und 1776. Reuß I 1785. In BA Slg. 1693-1787 handschriftlich verbessert aus dem Druckfehler thunlich. Reuß I 1785 Cammeralbau. BA Slg. 1693-1787 Hötzendorf; Reuß I 1785 Pfenningmeister Hözendorf.

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zugs gegen die weiters säumige Restanten des Fiscal seines Amts zu erinnern ferner nicht anstehen kann. [Publicatum 17. Maii 1782.1] Georg Mathias von Sachs, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius pleni. Vorlage: Vahlkampf, Bd. I, Tit. XXII, S. 266-267. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 Separatdruck mit handschriftlicher Korrektur; Reuß, Beiträge I 1785, S. 350-352. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Finanzierung des geplanten neuen Gerichtsgebäudes. Er steht in einer Reihe mit den genannten älteren Bescheiden von 1753 (unklar), vom 12. Januar 1757, 11. Mai 1765 und vom 21. März 1766 (oben RKG Nr. 279, 288-289). Im Tonfall und der gewundenen Weitschweifigkeit zeigt er das Reichskammergericht auf einem ähnlichen Tiefpunkt wie in den 1730er Jahren. Die Aufstockung der Assessorenzahl von 17 auf 25 führte sofort zu einem neuen Problem. Die Gerichtsgebäude waren endgültig zu klein. Der Neubauplan lag seit langem auf dem Tisch. 1729 war sogar reichsgesetzlich die Finanzierung durch einen zusätzlichen Römermonat beschlossen worden. Alle Anläufe des Kameralkollegiums, die erforderlichen Baukosten einzutreiben, waren bisher ergebnislos verhallt. Jetzt gab es seit zwei Jahren ein neu angekauftes Gebäude in Wetzlar, das man umbauen wollte. Vor allem mangelte es weiterhin an einem sicheren und feuerfesten Archiv. Das Kameralkollegium konnte nichts anderes tun, als den Prokuratoren und Advokaten erneut aufzutragen, die Reichsstände zur Zahlung des ausstehenden Römermonats zu bewegen. Der Bescheid erinnerte zwar an die patriotischen Gefühle, doch konnte es genau damit nicht allzu weit her sein. Wer seit über einem halben Jahrhundert seinen Beitrag zu einem neuen Gerichtsgebäude nicht geleistet hatte, hatte sein Interesse an der Reichsjustiz nicht gerade untermauert. Das Kameralkollegium hoffte allerdings immer noch, es würden Zahlungen beim Pfennigmeister eingehen. Altbekannt und seit je erfolglos war die am Ende statuierte Pflicht zur Offenlegung des Schriftwechsels. Die Anwälte mussten die Antwortschreiben der Reichsstände erneut dem Gericht mitteilen. Ganz zum Schluss drohte das Gericht mit fiskalischen Prozessen gegen die säumigen Schuldner. Das klang freilich reichlich harmlos angesichts eines über 50-jährigen Zahlungsverzuges. Der Neubau kam bekanntlich nie zustande.

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Publicatum ... 1782 in BA Slg. 1693-1787; Reuß I 1785.

RKG Nr. 309 1782 Juli 1

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RKG Nr. 309 1782 Juli 1 [Gemeiner Bescheid.]1 Der Gemeine Bescheid vom 24. April 17822 wird nochmals eingeschärft.3 [Gemeiner Bescheid, die Befolgung des Gemeinen Bescheids vom 24. April 1782 betreffend.]4 Nachdem das Kaiserliche und Reichskammergericht äußerst mißfällig wahrgenommen, daß der zu gehorsamster Befolgung des jüngern Reichsschlusses sämmtlichen Procuratoren unterm 24. April jüngsthin verkündete Gemeine Bescheid von vielen gedachter Procuratoren in Ansehung dessen, was darinnen umständlich verordnet und fürgeschrieben sich befindet, bis diese Stunde nicht befolget noch die darüber aufgetragenen Anzeigen und Verzeichnisse behörig eingereichet worden. Als wird vorgedachter Gemeiner Bescheid nach seinem vollständigen Inhalte hiemit erneuert und wiederholt, sämmtlichen bis hiehin darin säumigen Procuratoren aber zu dessen stracker Befolgung eine Frist von 14 Tagen mit der ernstgemessensten Warnung sub ultimato angesetzt, daß im Entstehungsfalle wider dieselbe mit der angedroheten Strafe verfahren werden solle. [Publicatum 1. Julii 1782.5] Georg Mathias von Sachs, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Consilii pleni manu propria6. Vorlage: Vahlkampf, Bd. I, Tit. XXII, S. 268. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 Separatdruck; Reuß, Beiträge II (1786), S. 143-144. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid wiederholt den kurz zuvor ergangenen Bescheid vom 24. April 1782 (oben RKG Nr. 307). Viele Prokuratoren hatten das verlangte Register über die von ihnen geführten Kammergerichtsprozesse nicht abgegeben. Abermals setzte das Kameralkollegium hierfür eine Frist, nunmehr zwei Wochen, sogar mit Warnung und „sub ultimo“. Immerhin war es nicht erforderlich, den Gemeinen Bescheid ein drittes Mal zu wiederholen. Ob sich die Praxis änderte, bleibt dennoch unklar.

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Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787. Fehler bei Vahlkampf: 1802. Der ... eingeschärft fehlt in BA Slg. 1693-1787. Gemeiner … betreffend in Reuß II 1786. Publicatum ... 1782 in BA Slg. 1693-1787; Reuß II 1786. Manu propria fehlt in Reuß II 1786.

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RKG Nr. 310 1782 Dezember 13

RKG Nr. 310 1782 Dezember 13 Die Vorschrift des Gemeinen Bescheides vom 26. Jänner 1718 wird wiederholt. Demnach bisher mißfälligst wahrgenommen worden, welchergestalt verschiedene dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores denen so oft wiederholten Verordnungen, besonders dem den 26. Januar 17181 eröffneten Gemeinen Bescheide, nicht allein bey öffentlichen Audienzen unnöthige, mehrmalen hitzige und weitläufige anzuhören beschwerliche Recesse abhalten, sondern auch sowohl sie selbst zum Theil, auch mehrentheils ihre Schreiber mit allerhand unanständigen Gebährden, lautem Schwätzen und ungeziemendem Lachen dem Respecte dieses höchsten Gerichtes in der Audienz sehr zuwider leben, als ist mit Wiederholung obgedachten den 26. Januar 1718 publicirten Gemeinen Bescheides hiemit nochmalen die gemessenst ernstliche Verordnung, daß sämmtliche Procuratores und ihre Schreiber, besonders diejenige, welche sich solcher respectsvergessenen Uebertretung bewußt sind, sich deren fürohin gänzlich enthalten, auch respective ihre Schreiber davon abhalten sollen, mit der Verwarnung, daß die Uebertreter, welche jedesmal zu annotiren dem Pedellen anbefohlen wird, mit unausbleiblicher exemplarischer Strafe angesehen werden sollen. Georg Mathias von Sachs, Kaiserl[icher]Kammergerichts Protonotarius Consilii pleni manu propria. Vorlage: Vahlkampf, Bd. I, Tit. XXVIII, S. 361-362. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die Ordnung in der Audienz. Er wiederholt die Anweisungen vom 26. Januar 1718 (oben RKG Nr. 256). Tatsächlich ging es um zwei getrennte Fragen, die das Reichskammergericht aber immer gleichsetzte. Zum einen beschwerte sich das Kameralkollegium über hitzige und weitläufige Rezesse, zum anderen über Unaufmerksamkeit, Geschwätz und Gelächter. Trennt man beide Vorwürfe, wird geradezu ein Bumerang daraus. Die Prokuratoren versuchten offenbar, trotz aller gerichtlichen Verbote in der Audienz in ein Rechtsgespräch zu treten. Sie beschränkten ihre Rezesse nicht auf wenige Zeilen, äußerten sich zur Sache, teilten ihre Rechtsauffassungen mit und widersprachen einander. Das störte die vorgegebene Ruhe und Statik und war seit jeher verboten. Je mehr das Kameralkollegium aber darauf bestand, dass in der Audienz lediglich die Schriftsätze mit den zulässigen wenigen Worten übergeben wurden, desto langweiliger geriet die gesamte Veranstaltung für die zwangsweise anwesenden Prokuratoren und ihre Mitarbeiter. Wenn in solchen Situationen Unruhe aufkam, mag das durchaus am zähen 1

Fehler bei Vahlkampf: 1717.

RKG Nr. 311 1783 Januar 17

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und quälenden Ablauf der starren Umfrageordnung gelegen haben. Der Konflikt war kaum lösbar und das Gericht wirkte insgesamt zu schwach, das alte Zeremoniell tapfer zu verteidigen. Die ständig wiederholte Anwaltsschelte konnte wenige Jahre vor der Französischen Revolution kaum überdecken, wie überlebt das Audienzwesen inzwischen war.

RKG Nr. 311 1783 Januar 17 Die Producta sollen fordersamst gegen die Gebühr a 4 Kreuzern p[ro] Bogen von der Kammergerichtskanzley collationirt und nur durch den Pedellen in der Audienz dem Procurator zugestellt werden. Es ist bekannt, was für Vorstellungen von dieses Kaiserlichen Kammergerichts Kanzley letztverflossenen Jahrs wegen der ihr von denen Kammergerichtsprocuratoren und Parteyen in mehrfältigem Betrachte zum Theil ganz entzogenen, zum Theil nicht vollständig erlegten und unrichtig eingegangenen Kanzleytaxsportulen bey dem Pleno Camerali unter beygelegten Besoldungsrückstands der Kanzleypersonen von etlichen und dreyßigtausend Reichsthaler kammergerichtlicher Währung neuerlich übergeben und wie darauf die Sach von Seiten des Kammergerichts zur gütlichen Vereinbarung zwischen ihr, der Kanzley und ihnen, den Procuratoren, verwiesen worden, doch die hinwieder des Endes geschehene Versuche ohne den angehofften Erfolg geblieben seyen. Nachdem nun gedachte dieses Kaiserlichen Kammergerichts Kanzley im Verfolg sothaner Absicht mittelst überreichter noch weiterer Supplication erkläret, dabey, soviel die aus der Kanzley zu nehmende Copialien der Judicialhandlungen betrifft, sich mit deren Collationirung gegen die Gebühr von 4 Kreuzern vor einen jeden Bogen einsweil und provisorio modo befriedigen, die Abschriften selbsten aber den Procuratoren während dem überlassen zu wollen, erboten hat, hierunter aber die Billigkeit um so mehr in voller Maaß hervorleuchtet, als in dem Visitationsabschiede §§ 48 et 102, in Memoriali Cancellariae § 12 et illo Advocatorum et Procuratorum § 14 de 1713, auch anderen vorhergehenden gleichen Gesetzen: Wasmaßen die Procuratoren zu Verhütung aller der Gegenpartey etwa zuwachsender Gefährlichkeit die Attestationes, Producten, Schriften und Beylagen aus der Kammergerichtskanzley nehmen und solche durch ihre Schreiber nicht abschreiben noch der Gegenpartey insinuiren lassen oder einander communiciren, sondern alles, was der Partey zu insinuiren oder zu communiciren seye, in gedachter Kammerge-

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richtskanzley copiret, von Seiten dieses Kaiserlichen Kammergerichts hingegen darauf gehalten werden soll, ausdrücklich versehen und verordnet ist, hiernach aber der Kanzley alle Copialia gegen die gesetzmäßige Taxen à 12 Kreuzern vor jeden Bogen selbst zu fertigen gebühret: Als ist nach geschehener reifer Ueberlegung der Sachen Bewandniß von Seiten des Kaiserlichen Kammergerichts beschlossen worden: Zugleich ergehet, wiewohl nur provisorie und bis auf fernere Verfügung oder Kaiserlicher Majestät und des Reichs anderweite allerhöchst- und höchste Verordnung der Gemeine Bescheid, daß von Zeit dessen Publication alle diejenige Duplicata Productorum und Adjunctorum (welche in Cancellaria nicht selbst abgeschrieben worden sind) in selbiger vor deren gerichtlichen Uebergebung collationiret und vidimiret, vor jeden Bogen aber von dem producirenden Procurator 4 Kreuzern kammergerichtlicher Währung pro taxa bezahlet und entrichtet werden sollen, dergestalten jedoch, daß dem oder denjenigen, welcher oder welche die Copeyen sothaner Schriften und Beylagen gegen die gesetzliche Gebühren à 12 Kreuzern vor den Bogen in der Kanzley selbsten fertigen zu lassen, ihrer oder der Parteyen größerer Zuträglichkeit erachtet werden, solches also zu veranstalten ohnbenommen, sondern vorbehalten bleibet. Da auch aus bewegenden Ursachen weiter gut befunden worden ist, daß die Duplicata der Producten sammt der Beylagen künftig nicht mehr durch dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores, wie bis nun geschehen, einander selbst, sondern nach deren auf vorerwähnte Art in Cancellaria geschehenen Collationirung dem gegentheiligen Procuratori in der Audienz durch den Pedell von einem Leser signirt ohnentgeltlich zugestellet werden sollen, so wird solches ihnen Procuratoren, um sich darnach zu achten, auch falls der eine oder andere aus erheblichen Ursachen nicht selbst in der Audienz sollte erscheinen können, einen andern Procuratorem, welcher die Communicanda an seiner Statt empfange, zu bestellen, zu gleicher Zeit bekannt gemacht. Georg Mathias von Sachs, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Consilii pleni manu propria. Vorlage: Vahlkampf, Bd. I, Tit. XXVIII, S. 362-364. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt Fragen des Kopierwesens und der Kanzlei. Schon mehrfach hatte das Kameralkollegium versucht, durch Gemeine Bescheide das überkommene Kanzleiwesen zu retten. So sollten die Prokuratoren ihre Kopien in der Kanzlei anfertigen und sie nicht von ihren eigenen Schreibern erstellen lassen (z. B. Gemeiner Bescheid vom 2. Oktober 1702; oben RKG Nr. 241). Auf diese Weise wollte das Gericht dem Kanzleipersonal nicht zuletzt eine Einnahmequelle offenhalten. Es gelang dem Kameralkollegium aber nicht, die zentrale Rolle der Kanz-

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lei zu verteidigen. Es hätte vielleicht die Möglichkeit bestanden, die lediglich von den Anwälten gefertigten Kopien zurückzuweisen. Aber auch das geschah nicht. Auf diese Weise nahmen die Bedeutung der Kanzlei und ihre finanzielle Ausstattung immer mehr ab. 1782 legten die Kanzleimitarbeiter ihre Vorstellungen zur künftigen Rolle der Kanzlei vor. Sie verwiesen auf die immer spärlicher eingehenden Gebühren und ihre erheblichen Besoldungsrückstände von inzwischen 30.000 Reichstalern. Das Kameralkollegium versuchte zunächst, untätig zu bleiben, und hoffte auf eine gütliche Einigung zwischen der Kanzlei und den Prokuratoren. Doch ein Vergleich scheiterte, und daher erging der Gemeine Bescheid. Er lehnte sich eng an eine zweite Eingabe des Kanzleipersonals beim Kameralkollegium an. Im Ergebnis gab die Kanzlei weitgehend klein bei. Die Mitarbeiter waren damit einverstanden, wenn zukünftig die Prokuratoren die erforderlichen Kopien ihrer Schriftsätze und Anlagen im Judizialverfahren selbst erstellten. Die Kanzlei selbst sollte auf das bloße Korrekturlesen beschränkt sein. Die Prokuratoren sollten also die Schriftsätze lediglich zur „Kollationierung“ der Kanzlei übergeben. Dafür waren die Kanzlisten bereit, die Gebühren um zwei Drittel zu senken. Statt einer Schreibgebühr von zwölf Kreuzern begnügten sie sich mit einer Korrekturgebühr von vier Kreuzern pro Bogen. Das Kameralkollegium hielt diesen Kompromiss für angemessen und verwies dafür auf einige Vorgaben der Reichskammergerichtsvisitation von 1713. Damals hatte die Kommission freilich den Kanzleizwang noch unterstrichen. Wegen angeblicher Gefährlichkeit durften die Prokuratoren seinerzeit gerichtlich überhaupt keine Abschriften einreichen, die sie selbst gefertigt hatten. Das Gericht hob diese älteren Vorschriften nunmehr auf. Es war den Prokuratoren künftig erlaubt, ihre Kopien selbst zu erstellen. Die Korrektur durch die Kanzlei gegen eine Gebühr von vier Kreuzern pro Bogen sollte es aber weiterhin geben. Wenn ein Anwalt es unbedingt wollte, durfte er seine Kopien gegen zwölf Kreuzer aber nach dem veralteten Modell auch weiterhin in der Kanzlei erstellen lassen. Das Gericht knüpfte daran sogleich eine neue Verordnung an, auf welche Weise die Gegenseite ihre Kopien erhalten sollte. Den Austausch durften die Anwälte nämlich nicht selbst untereinander vornehmen. Vielmehr musste in der Audienz der Pedell die von einem Leser unterschriebenen Kopien dem Gegenanwalt förmlich zustellen. Mit einem vollzähligen Audienzbesuch scheint das Kameralkollegium hierbei von vornherein nicht gerechnet zu haben. Für abwesende Prokuratoren durfte ausdrücklich ein Vertreter die Kopien in Empfang nehmen. So verzagt das Kameralkollegium an dieser Stelle auch auftrat, hatte der Gebührenstreit sein Ende damit noch nicht gefunden. Die Prokuratoren verfassten eine Gegendarstellung und ließen sie sogar drucken (Separatdruck: Ad Summa venerandum Decretum commune de 17. Jan[uarii] 1783. Unterthänigste Vorstellung und Bitte sämtlicher des Kaiserl[ichen] Kammergerichts Prokuratoren; Verschiedene Differenzen mit der Kammergerichtskanzley betr[effend]; Mit Anlage unter Ziffer G, 14. Feb[ruarii] 1783). Das Gericht schärfte daraufhin den Gemeinen Bescheid am 14. Februar 1783 und am 19. Mai 1783 nochmals ein (sogleich unten RKG Nr. 312 und 313).

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RKG Nr. 312 1783 Februar 14

RKG Nr. 312 1783 Februar 14 [Gemeiner Bescheid.]1 Der Gemeine Bescheid vom 17. Jänner wird nochmals eingeschärft2. Nachdem die Anzeige geschehen, wasmaaßen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores von Zeit des eröffneten jüngeren Gemeinen Bescheids, die Collationirung oder Copirung der Producendorum in der Kammergerichtskanzley betreffend, alle Handlungen und Beylagen in der Audienz zu übergeben aufgehört und andurch speciem Justitii, soviel von ihnen abhangt, veranlaßt haben, von Seiten dieses Kaiserlichen Kammergerichts aber sothanem bis nun unerhörten Unterfangen in kraft der ihm durch die Gesetze gemachten Auflage gegen solche Unordnungen [und Verwerfungen]3 zu wachen ferner nicht nachgesehen werden könne: So wird denen Procuratoren hierdurch von sothaner Zurückhaltung der Handlungen, auch sonstiger Producendorum von nun an wieder abzustehen und selbige in ihrer Ordnung der Gebühr nach in Gemäßheit der Gesetze und letztern Gemeinen Bescheids4 zu übergeben, auch wie dem Folge geleistet worden sey und künftig geleistet werden wolle, innerhalb 8 Tagen von Zeit der Publication dieses Gemeinen Bescheids anzuzeigen, zugleich sich wegen dessen, so bisher geschehen, standhaft zu verantworten, alles Ernstes und unter der Verwarnung befohlen, daß widrigenfalls contra refractarios nach der Schärfe der Gesetze, auch mittelst Suspendirung und bewandten Umständen nach Removirung ab officio procuratorio werde verfahren werden. [Publicatum 14. Februarii 1783.5] Georg Mathias von Sachs, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Consilii pleni manu propria. Vorlage: Vahlkampf, Bd. I, Tit. XXXVIII, S. 536-537. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 ohne Nr., 2.-5. Exemplar Separatdrucke. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt das Kopierwesen und die Kanzleigebühren. Er schärft den kurz zuvor ergangenen Bescheid vom 17. Januar 1783 nochmals ein (oben RKG Nr. 311). Die Machtlosigkeit des Kameralkollegiums selbst gegenüber der eigenen Anwaltschaft ist mit Händen zu greifen. Die Prokuratoren hatten sich an die Anordnung vom Januar, sämtliche Kopien von der Kanzlei beglaubigen zu lassen, nicht gehalten. Stattdessen gab es geradezu einen 1 2 3 4 5

Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdrucke). Der ... eingeschärft fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdrucke). Und Verwerfungen in BA Slg. 1693-1787 (nur 1. Ex.). In Gemäßheit ... Bescheids in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) nachträglich eingefügt. Publicatum ... 1783 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.).

RKG Nr. 313 1783 Mai 19

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Streik. Sie übergaben in der Audienz überhaupt keine Schriftsätze mehr und legten den Geschäftsbetrieb damit lahm. Das Kameralkollegium sprach von einem „unerhörten Unterfangen“ und forderte die Prokuratoren auf, künftig die Schriftsätze in der vorgeschriebenen Weise wieder einzureichen. Eine knapp bemessene Frist von acht Tagen zur Stellungnahme, ergänzt durch die Androhung der Suspendierung oder völligen Entfernung aus dem Amt, sollte die Verpflichtung absichern. Der Konflikt ging aber weiter, wie der Gemeine Bescheid vom 19. Mai 1783 belegt (sogleich unten RKG Nr. 313).

RKG Nr. 313 1783 Mai 19 Der Gemeine Bescheid vom 17. Jänner 1783 wird nochmals eingeschärft. Ist auf die von Seiten dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratoren unterm 14., 21. und 28. Februar, dann 10. März, und die a Cancellaria unterm 27. Februar und 7. May jüngsthin übergebene respective Vorstellungen, Verantwortung, Nachträge, Anzeigen und Bitten der weitere Gemeine Bescheid: Es werden Procuratores demjenigen, was der am 17. Jänner 1783 eröffnete Gemeine Bescheid in Ansehung der Collationirgebühren und deren vom producirenden Anwalte zu leistenden Bezahlung verordnet, ihrer eingebrachten unstatthaften Verantwortung und nichtigen Paritionsanzeige ungeachtet, alles Inhalts zu geleben hiermit nochmals ernstlich angewiesen. Sodann läßt man es wegen der Bogenzahl und der auf jede Seite zu schreibenden Zeilen bey denen hierüber vorhandenen gesetzlichen Verfügungen lediglich bewenden, als wonach sich Procuratores sowohl als dieses Kaiserlichen Kammergerichts Kanzley genauest zu achten haben. Würden übrigens Procuratores ihre annoch unerwiesene oder sonstige Beschwerden, wenn sie deren zu haben glauben, in Entstehung einer gütlichen Vereinbarung gegen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Kanzley in separato und punctatim bescheinigter an- und vorbringen, so soll auch hierauf die gesetzliche Verfügung erfolgen. Endlich wird den Procuratoren, daß sie in ihren Vorstellungen offenbare Verdrehungen, auch verschiedene dem Ansehen dieses Kaiserlichen Kammergerichts und dem demselben schuldigen Respecte nicht allerdings angemessene Ausdrücke zu gebrauchen sich nicht entsehen, hiermit ernstlich verwiesen. Georg Mathias von Sachs, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Consilii pleni manu proria Vorlage: Vahlkampf, Bd. I, Tit. XXXVIII, S. 537-538.

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RKG Nr. 314 1783 Juli 17

Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt den Gebührenstreit zwischen dem Kameralkollegium und den Prokuratoren. Zweimal hatte das Gericht mit den Gemeinen Bescheiden vom 17. Januar 1783 und 14. Februar 1783 schon die Kopiertaxe der Kanzlei als Einnahmequelle zu erhalten versucht (oben RKG Nr. 311 und 312). Die Prokuratoren hatten sich gesperrt, waren in einen befristeten Streik getreten und hatten ihre Gegenvorstellungen drucken lassen. Der Bescheid vom 19. Mai verweist noch auf zahlreiche andere Schriften, die zwischen dem Kameralkollegium und den Anwälten hin und her gingen. Die Haltung der Assessoren war nach außen hart. Sie bestanden auf genauester Beachtung der bisherigen Bescheide und damit auf der Zahlung der Kanzleigebühren. Gleichzeitig warnten sie die Prokuratoren vor Verdrehungen und Verunglimpfungen. Den gebührenden Respekt vor dem Kameralkollegium forderten sie weiterhin ein. Die Sache kam aber nicht zur Ruhe, sondern löste letztlich nur einen weiteren Skandal aus. Es erschien nämlich die anonyme Schrift von Damian Ferdinand Haas, Freymüthige Gedanken über die dermalige Taxirrungen zwischen der Kanzley und den Kammergerichtsprokuratoren, besonders über die, wegen Kollationirung der Produkten und Beylagen jüngst eröfnete gemeine Bescheide, 1783 [ohne Angabe des Druckorts]. Die Auseinandersetzungen von Haas mit dem Kameralkollegium spiegeln auch die Gemeinen Bescheide vom 13. Februar 1784 und vom 13. Mai 1785 (unten RKG Nr. 315 und 317).

RKG Nr. 314 1783 Juli 17 Die Procuratoren sollen die rückständigen Kanzleytaxen bey ihren Parteyen sollicitiren und einmahnen. Nachdem dieses Kaiserlichen Kammergerichts Kanzley die Anzeige gethan, wasmaaßen zufolge der beygelegten einstweiligen Verzeichnisse mehrere Parteyen mit einer nicht geringen Taxa Laborum von den verflossenen und gegenwärtigen Zeiten in Rückstand seyen, anbey um die kammergerichtliche Hilfe zu deren Abführung nachgesucht hat: Als wird sämmtlichen Procuratoren, sothane Ausstände, besonders jene, welche in gedachtem Verzeichnisse enthalten sind, von den Parteyen ihrer Agentien mit nöthigem Fleiß zu sollicitiren und einzumahnen, auch solche nach deren Empfang an die Kanzley zu extradiren, sofort, wie sie solchem nachgekommen seyen und was für Antworten sie auf die erlassene Monitoria von den Parteyen

RKG Nr. 315 1784 Februar 13

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erhalten haben, mittelst deren Exhibirung in originali respective innerhalb 1 und 3 Monaten bey diesem Kaiserlichen Kammergerichte anzuzeigen, aufgegeben. Georg Mathias von Sachs, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Consilii pleni manu propria. Vorlage: Vahlkampf, Bd. I, Tit. XXXVIII, S. 538. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft rückständige Kanzleigebühren. Die Kanzlei hatte dem Kameralkollegium einige Listen mit Parteien vorgelegt, die ihre Gebühren nicht gezahlt hatten. Der zeitliche Zusammenhang mit dem Gebührenstreit aus demselben Jahr fällt ins Auge (dazu die Gemeinen Bescheide vom 17. Januar, 14. Februar und 19. Mai 1783, oben RKG Nr. 311313). Es scheint sich aber um andere Gebühren gehandelt zu haben. Als Schuldner sind nämlich nicht die Prokuratoren, sondern diesmal unmittelbar die Parteien benannt. Das Gericht griff jedoch nicht selbst auf die säumigen Schuldner zu, sondern schaltete wieder die Prokuratoren ein. Dasselbe Verfahren hatte bei den zurückliegenden Querelen um die Kammerzieler und die Kosten für den Gerichtsneubau bereits keinen Erfolg gezeitigt. Dennoch änderte das Kameralkollegium nicht das mehrfach fehlgeschlagene Vorgehen. Die Prokuratoren sollten sogar wie bisher die Antwortschreiben der Parteien gerichtlich vorzeigen. Der Sache nach belegt der Gemeine Bescheid den Ansehensverfall des Gerichts. Nicht einmal die Prozessparteien zahlten noch ihre Gerichtskosten, und aus eigener Kraft konnte das Kameralkollegium die Gelder auch nicht eintreiben. Die Anwälte, mit denen die Assessoren gleichzeitig um die Höhe von Kopiergeldern feilschten, sollten jetzt dem Kameralkollegium helfen und wenigstens die ausstehenden Gerichtskosten eintreiben.

RKG Nr. 315 1784 Februar 13 Eine wegen verfertigter schmähsüchtiger Druckschriften verhängte Suspension eines Kammergerichtsprocurators wird im Gerichte bekannt gemacht. [Gemeiner Bescheid, die Haasische Suspension betreffend, publicatum 13. Februarii 1784.]1 Nachdem dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocat und Procurator [Licentiat Haas]2 aus bewegenden Ursachen per decretum de hodierno ab officio procuraturae bis auf weitere Verordnung suspendirt worden ist, als wird solches sämmtlichen 1 2

Gemeiner ... 1784 bei Reuß 1784. Licentiat Haas in Reuß 1784; dagegen Vahlkampf: N.

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dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratoren hiermit zu dem Ende bekannt gemacht, damit die ad singulas causas substituirten Anwälte einstweil für ihn erscheinen und die Nothdurft der Parteyen besorgen mögen. [In consilio pleno.]1 Georg Mathias von Sachs, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Consilii pleni manu propria2. [Publicatum in audientia, den 13. Februarii 1784.]3 Vorlage: Vahlkampf, Bd. I, Tit. XXXVIII, S. 539. Weitere Ausgabe: Reuß, Staatskanzley VII (1784), S. 129. Anmerkung: Es handelt sich um die Suspendierung des Prokurators Damian Ferdinand Haas (dazu in der Einleitung bei Anm. 351-353). Haas seinerseits verfasste zu dem Streit eine im Druck erschienene Gegendarstellung: Damian Ferdinand Haas, Unterthänigste weitere Defension mit submissester Bitte um gerechteste Wiederaufhebung der, den 13. Februar 1784. gegen mich verhängten Suspension ab officio Procuraturae, 1784 [ohne Ort]. Aufgrund der anonym erschienenen Schrift von Haas über die Kopiergelder war die Suspendierung zugleich mit dem Gebührenstreit zwischen dem Kameralkollegium und den Prokuratoren verbunden (dazu Gemeine Bescheide vom 17. Januar 1783, 14. Februar 1783, 19. Mai 1783 und 17. Juli 1783; oben RKG Nr. 311-314). Tatsächlich hob das Reichskammergericht die Suspendierung von Haas am 24. März 1784 zunächst wieder auf. Der Konflikt setzte sich aber fort, nachdem der Gemeine Bescheid vom 13. Mai 1785 erlassen war (dazu unten RKG Nr. 317). Ausführlich: Johann August Reuß, Teutsche Staatskanzley VII (1784), S. 1-181; Jürgen Weitzel, Damian Ferdinand Haas (1723-1805) – ein Wetzlarer Prokuratorenleben (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung 18), Wetzlar 1996.

RKG Nr. 316 1785 März 18 [Gemeiner Bescheid.]4 Die Verbesserung des Extrajudicialprocesses5 betreffend6. Nachdeme man bey diesem Kaiserlichen Kammergericht wahrgenommen, daß die Verzögerung des Extrajudicialprocesses, um deren Abstellung sämmtliche dieses 1 2 3 4 5 6

In ...pleno bei Reuß 1784. Manu propria fehlt bei Reuß 1784. Publicatum ... 1784 bei Reuß 1784. Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787. Separatdruck SUB Göttingen; Reuß II 1786 Beförderung der Extrajudicial-Processe. Die ... betreffend fehlt in BA Slg. 1693-1787.

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Kaiserlichen Kammergerichts Procuratoren angelegenst nachgesucht, guten Theils durch die unmäßige, dem Jüngeren Reichsabschiede und Gemeinen Bescheide vom 11ten Jenner 1769 ganz nicht angemessene Weitläuftigkeit der Supplikationen und die vom Gegentheil dawider einreichende Supplicas pro documento, durch welch letzteres fast bey jeder Sach ergreifende Mittel die Supplikanten denen häufigen Klagen über das öftere Abschlagen der Processe selbst widersprechen, überhaupt aber die Referenten außer Stand gesetzt werden, binnen der ordnungsmäßigen Zeit Extrajudicialrelationen zu fertigen; nicht weniger durch die gänzliche Nichtbeobachtung derer wegen Einhaltung des gesetzlichen Quadrimestris und dessen Prorogirung Maaß und Ziel setzenden Gesetze, insonderheit des Gemeinen Bescheids vom 24. Oct[obris] 1651, Jüngsten Reichsabschieds § 67 und Gemeinen Bescheids vom 1. Febr[uarii] 1748, wodurch alle Sachen ohne sehr wenige Ausnahme weit über die Vorschrift der Ordnung, viele aber zur größten Ungebühr und Nachtheil des appellatischen Theils Jahre lang, auch nach abgeschlagenen Prorogationen durch Restitutionssuchen verschleift werden, endlich aber durch die übertriebene, die Sache1 viele Jahre lang aufhaltende, die Unterrichter der Execution halben in Verlegenheit und den Gegentheil in oft unwiederbringlichen Schaden setzende ulteriores deductiones veranlaßt werden, daß mithin entweder die Procuratoren oder doch die Parthien und auswärtigen Advocaten den Grund ihrer Klage sich meistens selbst beyzumessen haben, als ist hiemit der Gemeine Bescheid: 1) Es sollen alle Schriftsteller in Gemäßheit des Jüngsten Reichsabschieds § 34 und 96 und obangeführten Gemeinen Bescheids vom 11. Jenner 1769 wie in allen Schriften, so auch insbesondere bey denen Libellen und Supplikationen, mit Vermeidung aller unnöthigen Disputationen und Allegationen sich der möglichsten Kürze, sonderlich aber einer kurzen und nervosen Geschichtserzehlung befleisen, widrigenfalls mit Verwerfung sothanen Libell und Supplikationen, auch weiters mit denen in mehrgedachten Gesetzen angedroheten und nach Befinden zu schärfenden Strafen ohnfehlbar vorgegangen werden wird. 2) Sollen die den älteren Gesetzen und namentlich dem Gemeinen Bescheid vom 1. Febr[uarii] 1748 entgegen eingeschlichenen Misbräuche hiemit gänzlichen abgestellt, vielmehr gedachter Gemeiner Bescheid seines ganzen Inhalts anhero wiederholt seyn, daß demnach hinführo keine Supplica pro prorogatione, ohne daß die Sententia a qua beygelegt und de rite observatis Solennibus et formalibus docirt wäre, angenommen, ferner auch keine Prorogation ohne bescheinigte hinlängliche Ursachen, wofür die Advokaten schreiben und anführen, daß diese durch andere Arbeit an Fertigung des Libells verhindert werden oder der Abgang noch ein und anderer Beilagen nicht anzunehmen gestattet, ein gleiches auch bey denen nachsu1

Reuß II 1786 Sachen.

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chenden Prorogationen ad insinuandos processus et ad reproducendum beobachtet werden solle, welch erneuerte Verordnung dann nach 2 Monaten von Eröfnung dieses Gemeinen Bescheids an ihren Anfang nehmen und darauf unabweichlich und gleichförmig unter Vorbehalt weiterer ernstlicher Ahndungen im Uebertretungsfalle unfehlbar gehalten werden wird. 3) Sollen zwar die bisher gestatteten ulteriores deductiones auch fernerhin nicht abgeschnitten seyn. Jedoch aber und zu Abstellung der obberührten nachtheiligen Misbräuche ist hiemit verordnet, daß, a) wann eine Parthie weitere Vorstellung zu thun und wiederholter um Appellationsprocesse nachzusuchen gemeinet, deren Anwaldt bey Vermeidung der Desertion innerhalb zehen Tagen a die decreti denegatorii damit entweder einkommen oder dazu Frist bitten. b) In letzterem Fall aber binnen der peremtorisch gestatteten präjudicialen Frist mit der weiteren Vorstellung um so gewisser einkommen solle, als nach deren Verlauf keine weitere mehr Platz haben noch angenommen werden. c) Eine neue Vorstellung nach einmal abgeschlagenen Processen niemals anders als nur aus wichtigen und erheblichen Ursachen statthaben, daher auch d) bey unerheblich, ungegründeten oder frivolen neuen Vorstellungen und darauf erfolgenden zweiten abschläglichen Dekrete die Partheien und Advokaten, auch nach Beschaffenheit die Prokuratoren, gestalten Umständen nach ernstlich gestraft und diese Strafe bey einem weiteren abschläglichen Dekret nach Befund erhöhet werden. e) Eine dritte neue Supplikation, Vorstellung oder Ausführung pro obtinendis Processibus aber gänzlich und ein für allemal verboten, abgestellt und nicht angenommen seyn. Auch hiebey f) was oben der Weitläuftigkeit halber verordnet worden, seine Anwendung haben solle. Wornach sich sämtliche Procuratores, Advokaten und Partheien zu richten wissen werden. [Publicatum in Audientia, die 18. Martii 1785.1] Georg Mathias von Sachs Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Consilii Pleni manu propria. Vorlage: Vahlkampf, Bd. II, Tit. XI Nr. 1, S. 189-192. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 Separatdruck; auch anderswo als Separatdruck (z. B. Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel M: Rs 4o 8 (3); Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 2° J. germ. II 1726); Reuß, Beiträge II (1786), S. 267-271.

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Publicatum ... 1785 in BA Slg. 1693-1787; Reuß II 1786.

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Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft das kammergerichtliche Extrajudizialverfahren. Zusammen mit dem folgenden Bescheid vom 13. Mai 1785 (sogleich unten RKG Nr. 317) handelt es sich um die letzten umfangreichen Regelungen zum Kameralprozess überhaupt. Die beiden getrennt verkündeten Bescheide zeigen überdeutlich, wie das Gericht bis zuletzt an der Zweiteilung des Kameralverfahrens festhielt. Es gab den rein schriftlichen Extrajudizialprozess, der als Vorverfahren im Wesentlichen auf den Erlass der kammergerichtlichen Ladung oder eines Mandats abzielte. Sodann folgte der Judizialprozess mit den Audienzen von der Reproduktion der Ladung bis zum Endurteil. Die Aufspaltung blieb deswegen erforderlich, weil alle wesentlichen Prozesshandlungen ab der Reproduktion in den öffentlichen Sitzungen vorzunehmen waren. Grundlegende Änderungen lehnte das Kameralkollegium ab, wie gerade die beiden Gemeinen Bescheide von 1785 jedermann vor Augen führten. Die Richterschaft stand ganz auf dem Boden der eigenen Überlieferung, zitierte Reichsabschiede und ältere Gemeine Bescheide, nahm kleinere Korrekturen vor und hoffte unverdrossen auf Prozessbeschleunigung. Immer stärker hatte das Gericht an Bedeutung verloren, war in Querelen mit der Stadt Wetzlar, mit den Anwälten, sogar mit den Parteien wegen nicht bezahlter Gerichtskosten geraten. Der Kameralprozess, gemeinsam mit dem Reichshofratsprozess in den Augen der zeitgenössischen Literatur weitgehend zu einem Reichsgerichtsprozess verschmolzen, lebte aber weiter und genoss hohes Ansehen. Die Prokuratoren hatten sich im Vorfeld des Bescheides beim Kameralkollegium beschwert. Angeblich schlugen die Assessoren zu viele extrajudiziale Supplikationen ab und eröffneten gar nicht erst das Judizialverfahren. Das Kameralkollegium gab den Vorwurf postwendend an die Prokuratoren zurück. Sie selbst legten nach dieser Sichtweise zu weitschweifige Supplikationen vor und verstießen damit gegen den genannten Bescheid vom 11. Januar 1769 (oben RKG Nr. 297). Es gab sogar regelrechten extrajudizialen Schriftsatzwechsel zur Frage, ob eine Ladung ergehen solle oder nicht. Der Aufwand war jedenfalls gewaltig und hielt, wie das Gericht anmerkte, die Assessoren von ihrer Arbeit ab. Sie konnten ihre Extrajudizialrelationen nicht pünktlich erstellen. Den Antragstellern warfen die Beisitzer vorsätzliche Prozessverschleppung vor. Unter anderem verwies das Kameralkollegium auf die Gemeinen Bescheide vom 24. Oktober 1651 (oben RKG Nr. 123) und 1. Februar 1748 (oben RKG Nr. 277), aber auch auf den Jüngsten Reichsabschied. Angeblich kam es zu jahrelangen Verzögerungen, weil die Kläger, auch wenn sie extrajudizial gescheitert waren, immer erneut eine Wiederaufnahme des Verfahrens erstrebten. Deswegen sollte es Schwierigkeiten mit der untergerichtlichen Vollstreckung geben. Der Sache nach konnte sich der Unmut des Kameralkollegiums damit nur auf Appellationen beziehen. Nur dort gab es ja bereits ein vorinstanzliches Urteil. Mit immer letzten Ausführungen und Bittschriften, den genannten ulteriores deductiones, zogen die Anwälte und Parteien alles noch mehr in die Länge. Der Gemeine Bescheid schärfte daher den Beteiligten die Vorgaben des Jüngsten Reichsabschieds sowie des Gemeinen Bescheides vom 11. Januar 1769 (oben RKG Nr. 297) erneut ein (Ziffer 1). Schriftsätze, vor allem die prozesseröffnenden Supplikationen und Libelle, sollten kurz und knapp sein, sich auf die Tatsachenerzählung konzentrieren und weitschweifende juristische Erörterungen vermeiden. Ziffer 2 wiederholte den Gemeinen Bescheid vom 1. Februar 1748 (oben RKG Nr. 277). Darin ging es um bestimmte Prozessver-

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schleppungen im Appellationsverfahren durch immer neue Anträge auf Fristverlängerungen. Insbesondere wollte es das Kameralkollegium nicht hinnehmen, wenn die Prokuratoren die Verzögerungen lediglich mit der Arbeitslast des Schriftsatzverfassers oder mit noch fehlenden Anlagen begründeten. Dennoch sollte es sogar eine Übergangszeit von zwei Monaten geben, bis die angekündigten schärferen Kontrollen der Fristen begannen. Der umfangreiche und fein gegliederte dritte Teil des Gemeinen Bescheides beschäftigte sich ausschließlich mit den sog. ulteriores deductiones. Obwohl die gesamte Anordnung auf die Straffung des Extrajudizialverfahrens abzielte, rang sich das Kameralkollegium nicht dazu durch, diesen jeweils letzten Schriftsatz des Extrajudizialprozesses einfach zu streichen. Ausdrücklich war er weiterhin erlaubt, unterlag aber neuen Regelungen. Wenn das Gericht die Eröffnung eines Appellationsprozesses abgelehnt hatte, konnte der Appellant innerhalb von zehn Tagen um eine neue Entscheidung bitten (Buchstabe a). Es war sogar möglich, innerhalb der Zehntagesfrist eine Fristverlängerung für einen Folgeantrag zu ersuchen. Das bewirkte zwar das genaue Gegenteil einer Prozessbeschleunigung, war aber vom Wortlaut des Bescheides gedeckt. Nur wenn die zehn Tage verstrichen waren, fiel die Appellation desert. Erst dann erwuchs also das untergerichtliche Urteil in Rechtskraft. Wenn allerdings das Kameralkollegium eine weitere Frist für einen neuen Antrag auf Eröffnung des Appellationsverfahrens bewilligt hatte, sollte diese präjudizial sein (Buchstabe b). Der Appellant erlitt also automatisch Rechtsnachteile, wenn er sie versäumte. Gemeint war sicherlich erneut die Desertion. Eine abermalige Nachfrist war jetzt ausgeschlossen. Außerdem musste ein zweiter Antrag auf Eröffnung des bereits abgeschlagenen Appellationsprozesses gut begründet sein (Buchstabe c). Unbegründete Anträge führten nicht nur zu einem zweiten abschlägigen Extrajudizialdekret, sondern darüber hinaus auch zur Bestrafung des Antragstellers. Das Gericht verwies hier auf die Frivolität, eine überkommene Bezeichnung für ungehöriges Verhalten vor Gericht (Buchstabe d). Eine dritte Supplikation für einen bereits zweimal abgelehnten Appellationsprozess sollte es überhaupt nicht mehr geben (Buchstabe e). Ob sich nach der Verkündung dieses Gemeinen Bescheides die Praxis des Extrajudizialverfahrens ernsthaft änderte, ist unklar. Die zahlreichen Querverweise auf jüngere und ältere Gemeine Bescheide, gegen deren Wortlaut die Anwälte und Parteien beharrlich verstießen, sprechen eher dagegen. Allerdings trug an alldem das Kameralkollegium ein gehöriges Maß an Mitschuld. Denn entgegen den stets wiederholten Ankündigungen nahm es die fehlerhaften Schriftsätze und Anträge doch an und verhängte auch nicht die vorgesehenen Strafen für gerichtliche Ordnungswidrigkeiten. Am 13. Mai 1785 glaubten die Assessoren allerdings, die Reform des Extrajudizialverfahrens werde sich diesmal als Erfolg herausstellen (sogleich unten RKG Nr. 317).

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RKG Nr. 317 1785 Mai 13 [Gemeiner Bescheid.]1 Die Verbesserung des Judicialprocesses betreffend2. Die Erfahrung hat bisher gelehrt, daß die in Ansehung3 der Extrajudicialien getroffene neue Einrichtung bereits von4 gutem Erfolge gewesen ist5, und verspricht man sich von dem diesfalls unterm 18. Merz jüngsthin verkündeten Gemeinen Bescheide, wenn solcher ehestens in seine volle Würkung gehen wird, zu6 Beschleunigung der Sachen noch mehreren Vortheil: Nachdem aber hierdurch der übrige Proceß noch nicht gebessert ist7, so hat dieses Kaiserliche Kammergericht nöthig gefunden, auch dafür weiter zu sorgen, daß ebenfalls der Judicialproceß nach der Intention des Jüngsten Reichsschlusses allenthalben in seine gesetzliche Schranken endlich einmal zurückgebracht werde. Hier nun hat dasselbe nach reifer der Sachen Erwägung, wahrgenommen, daß a)8 wider die so oft wiederholte ernstliche Gesetze und Gemeine Bescheide (O[rdinatio] C[amerae] p. 3 Tit. 10 § 1, 89; Gemeiner Bescheid de 17. Julii 1590; R[ecessus] I[mperii] N[ovissimus] § 103; Gemeiner Bescheid de10 13. Decembris 1659; 10.11 Octobris 1682; R[ecessus] V[isitationis] N[ovissimus] § 52; [Visitations]mem[orial.] Adv[ocatorum] et Proc[uratorum] 1713 § 6; Conclusum Visitationis de 6. Octobris 1768; Gemeiner Bescheid vom 17. ejusdem) dieses Kaiserlichen Kammergerichts Prokuratoren noch immer fortfahren, in allen Theilen der Processe meistens ohne alle oder doch genugsame Bescheinigung eines gesetzlichen Hindernisses häufige Prorogationes Terminorum nachzusuchen und öfter ganze Jahre damit hinzubringen. Auch b)12 wenn sie endlich ihre Producta nicht länger zuruckhalten mögen13, solche14 wider die Vorschrift Mem[orialis] Proc[uratorum] de 1600 § 5, C[oncepti] O[rdi1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck). Die ... betreffend fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck). In Ansehung in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus wegen. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) nachträglich eingefügt. Gutem ... ist in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus Vortheil schaffe. In BA Slg 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen beförderen. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen so hat als. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus 1mo. Reuß II 1786 Tit. 10 § 18. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen 1659. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus 30. BA Slg. 1693-1787 verbessert aus 2do. Nicht ... mögen in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus übergeben sollen. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen zuweilen.

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nationis] C[amerae] P. 3 Tit. 49 § 10 nicht selten stückweis in mehrern Audienzien, auch1 die dazu gehörigen Beilagen lange nachher zu übergeben, sodann c)2 gegen den klaren Inhalt R[ecessi] I[mperii] N[ovissimi] und hernach ergangene Gemeine Bescheide vom Jahr 1659, 9. und 12. Januarii 1660 eine Menge überzählige Schriften, großen Theils absque venia, unter allerhand verbotenen rubris einzuschieben oder auch nach bereits überflüßig erfüllten Schriftenzahl vermittelst Oralrecessen nach und nach verschiedene ad materialia causae gehörige Beilagen annoch ad acta zu bringen, nicht minder d)3 wider die Kammergerichtsordnung P. 1 Tit. 22 § 94, 8, C[onceptus] O[rdinationis] C[amerae] P. 1 Tit. 34 § 12 in Judicialsachen größten Theils ohne alle Noth extrajudicialiter zu suppliciren. Bey ihren mündlichen Vorträgen aber e)5 der Kammergerichtsordnung P. 1 Tit. 11 § 5, Tit. 23. § 5, 6, Gemeinen Bescheiden vom 7. Julii 15906, 1659 und 16607, Concl[usum] Visit[ationis] vom 18. Januarii 1768 entgegen, unzählige, theils8 schlechterdings unnütze, theils merita causae begreifende halbe und ganze Bogen lange, öfters unanständige Oralrecesse abzuhalten, dagegen f)9 um andrerseits die hierzu nothwendig nicht hinreichende gemeine Audienzzeit vermeintlich wieder zu ersparen, statt diese10 ihre Recesse dem Gemeinen Bescheide de 13. Decembris 1659 und neueren Concluso Visitationis vom 30. Augusti 1770 gemäß laut und verständlich abzulesen, solche vielmehr meistens ganz unverständlich vorzutragen und größten Theils gar nicht abzulesen, sondern blos in den gewöhnlichen Designationen zu übergeben, endlich aber g)11 die schuldigen Submissiones causarum unter mancherley Ausflüchten mehrere Jahre hinzuhalten und sehr oft gar nicht förmlich zu submittiren, sich nicht entsehen. Wie nun aber12 gedachte Prokuratoren auf die13 deswegen überall vorhandenen heilsamen ält- und neueren Gesetze ein- für allemal ernstlich zurückzuführen, auch künftig in allen Stücken genau darüber zu halten, allerdings vonnöthen seyn wird14, als wird hiermit verordnet: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus oder doch. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus 3tio. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus 4to. Fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck); Reuß II 1786. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus 5to. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen und. Und 1660 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) nachträglich eingefügt. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen durch und. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus 6to. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus solche. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus 7mo. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen dieses Kayserliche Kammergericht. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen hierüber. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck); Reuß II 1786 will, verbessert aus schuldig ist.

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1mo) daß künftig der Schriftwechsel überhaupt in causis Mandatorum Sine Clausula nicht ultra Replicas, in allen andern Sachen aber nicht ultra Duplicas (es wäre denn, daß eine weitere Handlung durch Urtel eigens auferleget oder hierzu extrajudicialiter venia erhalten worden) erstreckt, sondern in solchen Schriften beyderseits alle Nothdurft eingebracht, alles andere aber, was die Zahl der Ordnung übertrift, es seyen schrift- statt mündlicher Submissiv-, Gegensubmissiv-Recesses oder unter was sonst immer für einer Rubrik etwas eingeschoben werden wollte, jedesmal ab actis 1 sogleich verworfen und in judicando keineswegs Rücksicht darauf genommen werden solle. Was aber 2do) die vorhin genannten ordentlichen Schriftsätze betrift, so sind2 solche stets in termino legali praejudicialiter praefixo zu produciren oder aber, wenn dieses der Parthey nicht möglich, noch vor Ablauf des Termins mit Anführung und alsbaldig glaubhafter Bescheinigung erheblicher Verhinderungsursachen (wozu blose Advokaten- und Partheyenschreiben nicht hinlänglich) eine Fristerstreckung gebührend nachzusuchen, hingegen 3tio) Prorogationes prorogationum ohne besondere wichtige Ursachen und deren Bescheinigung gar niemals zu bitten. Würde nun aber 4to) ein oder der andere Theil den Terminum legis solchergestalt nicht ordentlich einhalten und entweder gar nicht oder blos frivole Prorogationen nachsuchen, so soll derselbe nach Vorschrift Mem[orialis] Jud[icis] Praes[identis] et Ass[essorum] 1575 § 9, C[oncepti] O[rdinationis] C[amerae] P. 3 Tit. 10 § 3, Jüngsten Reichsabschieds § 973 seiner zuständigen Handlung sogleich in Contumaciam verlustig erklärt, der andere Theil ad ulteriora gelassen oder, wenn diesem keine Handlung mehr gebühret, die Sache selbst nach Umständen alsbald durch ein besonderes Bescheidtischurteil für beschlossen ausdrücklich angenommen werden. 5to) Haben dieses Kaiserlichen Kammergerichts Prokuratoren alle ihre Producta künftig unfehlbar jedesmal ganz und4 samt allen ihren Beylagen zu produciren, widrigenfalls dieselbe von den Lesern nicht angenommen und signirt werden sollen. Auch haben sich 6to) gedachte Prokuratoren alles unnothdürftigen5 Extrajudicialsupplicirens außer den in Gesetzen erlaubten Fällen6 in causis judicialibus in Zukunft gänzlich zu enthalten. Ihre mündliche Vorträge hingegen sollen sie 7mo) wie es ohnehin der Anstand erfordert, stets laut und verständlich vorlesen, durchaus keine unnütze oder anzügliche Recesse abhalten, auch die würklich nöthi1 2 3 4 5 6

In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen verworfen. So sind in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus weren. Jüngsten ... 97 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) nachträglich eingefügt. BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus so zugleich. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen Supplicirens. Außer ...Fällen in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) nachträglich eingefügt.

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ge nicht über 3 Linien extendiren, widrigenfalls solche von den1 gegenwärtigen Proto- und Notarien zur künftigen Ahndung auf der Stelle zu notiren sind. Damit aber endlich 8vo) in allen und jeden rechtlich ausgehandelten Sachen künftig unverzüglich zur Urtel beschlossen werden möge; so hat auf die Submißionsschrift desjenigen Theils, dem der letzte Satz gebühret, der Anwald des andern Theils in der ihm per Sententiam allenfalls angesezten kürzern Zeit oder sonst in termino legali ohnfehlbar zu submittiren, und wofern 9no) von einem Theil würklich mit allgemeinem Widerspruche mündlich submittiret worden wäre, so hat der andere Theil (vermög Kammergerichtsordnung p. 132 Tit. 23 § 1, 2, Mem[orial.] Advoc[atorum] et Procur[atorum] de 1575 § 8, 9; Mem[orial.] Eorundem de 1577 § 23 ; Visit[ations] Absch[ied] de eodem § 23, 24 ; C[onceptus] O[rdinationis] C[amerae] P. 3 Tit. 26 pr[incipium]; Mem[orial.] Proc[uratorum] de 1713 § 8) in eadem vel proxima Audientia alsbald ebenmäßig zu beschließen, widrigenfalls die Sache ohne weiteres ex officio pro submissa angenommen, als solche von den Lesern bemerkt und ad referendum geleget, keineswegs aber in dergleichen ipso jure beschlossenen Sachen noch etwa fernere Zeit ad submittendum verstattet, auch3 die Procuratores sich solchenfalls weitere Frist zu bitten gar nicht unterfangen sollen. Welcher von den Prokuratoren 10mo) diesem Gemeinen Bescheide in irgend einem Punkte künftig entgegen zu handeln sich unterstehen wird, wider denselben wird jedesmal unnachsichtlich mit der in den Gesetzen auf jede Contravention bestimmten Strafe, auch bewandten Umständen nach mit aller Schärfe verfahren werden. Weil jedoch 11mo) ohne die in gedachten Gesetzen (Kammergerichtsordnung p. 1 Tit. 27 § 2; Rec[essus] V[isitationis] N[ovissimus] § 51) verordnete tägliche Completur der Protokollen und Akten der Verzögerung der Processen ergiebig nicht abgeholfen werden mag, ohnehin auch die jährlichen Designationsbände dergestalt angewachsen, daß solche in die Länge nicht mehr füglich unterzubringen sind und die gerichtlichen Produkten aus Mangel der nöthigen Completur in vielen Schränken verstreut umher liegen, mithin die Sicherheit der Sachen erfordert, daß die mündlichen Recesse4 alsbald in ihre einzelne Protokolle, wohin sie gehörig, eingetragen und die Produkten zu ihren Akten geleget werden, so sollen von nun an sämtliche Protokolle und Akten aller würklich laufenden Sachen von einer Audienz zur andern sogleich compliret, diejenige, worinn um Prorogation gebeten wird, auf den Bescheidtisch 1 2 3 4

In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen Lesern. Alle Ausgaben bringen die falsche 13. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus sondern vielmehr. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen künftig (unleserlich).

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gelegt und daselbst expediret, die Labores Protocollorum aber entweder (besag1 Deputationsabschied 1557 § 40 sequuntur; Mem[orial.] Adv[ocatorum] et Proc[uratorum] de 1561 § 6; Visitationsabschied de 1564 § 27; Mem[orial.] Proc[uratorum] de 1568 § 3; Mem[orial.] Proc[uratorum] de 1573 principium; Conc[eptus] O[rdinationis] Cam[erae] P. 1 Tit. 46 § 9, 10, 11) von den Prokuratoren, oder doch (in Gemäßheit Conclusorum Visitationis de 22. Februraii, 22. Martii 1768 und 24. Januarii 1776 auch Gemeinen Bescheids de 24. Februarii 1768) von den Partheyen selbst und zwar (es wäre dann, daß das Urteil ein anderes ausdrücklich enthielte) von jedem Theil einsweilen und unnachtheilig des künftigen Haupterkenntnisses2 zur Hälfte alsbald an die Kanzley entrichtet, leztern Falls auch von den Prokuratoren zufolge Deputationsabschieds 1557 § 39-43 ; Mem[orial.] Proc[uratorum] de 1713 § 15 bey den Eidespflichten, womit sie dem Gericht zugethan, die jedesmalige Kanzleylabores von ihren Partheyen mit allem Ernst und Fleiß eingetrieben, auch was sie würklich einbringen unverzüglich in die Kanzley geliefert werden3; wogegen aber auch 12mo) die Kanzley4 den Prokuratoren oder ihren Schreibern5 nach Anleitung Mem[orialis] Canc[ellariae] de 1556 § 12 in Zukunft nach jeder Audienz die publicirten Bescheide, damit sie solche in ihre Manualprotokolle richtig eintragen mögen6, ex Protocollo vorzulesen, angewiesen ist. [Publicatum in Audientia, die 13. May 1785.7] Georg Mathias von Sachs Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Consilii Pleni manu propria8. Vorlage: Vahlkampf, Bd. II, Tit. XI Nr. 2, S. 193-199. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 ohne Nr., 2. Exemplar Separatdruck; auch sonst als Separatdruck (z. B. Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel M: Rs 4o 8 (4)); Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 2° J. germ. II 1726 mit unklarem Titel: Neuster Reichskammergerichtlicher gemeiner Bescheid zur Erläuterung der neueren Verfügungen wegen der Extrajudicialien, Wetzlar den 13. May 1785 (eventuell zum Bescheid vom 18. März 1785); Reuß, Beiträge II (1786), S. 332-339. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt das kammergerichtliche Judizialverfahren. Neben dem Bescheid vom 18. März 1785 (oben RKG Nr. 316) handelt es sich um die letzte ausführliche Bestimmung, die sich mit dem Kameralprozess befasst. In seiner Ausführlichkeit und im Rückgriff 1 2 3 4 5 6 7 8

In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) verbessert aus vermög. Und unnachtheilig ... Haupterkenntnisses in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) nachträglich eingefügt. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen wogegen aber auch widrigenfalls der kayserliche fisc. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen Ihnen. Oder ... Schreibern in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) nachträglich eingefügt. In BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) danach gestrichen wircklich mitzutheilen hat. Publicatum ... 1785 in BA Slg. 1693-1787 (Separatdruck); Reuß II 1786. Georg ... propria fehlt in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.).

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auf Unmengen älterer kammergerichtlicher Rechtsquellen stellt er selbst den Bescheid vom 18. März 1785 noch in den Schatten. Das Gericht war hier zwar zu einer nicht mehr überbietbaren Kleinteiligkeit gelangt, ging aber frohen Mutes zu Werke. Gleich die Präambel verwies auf erste Erfolge, die der Bescheid über den Extrajudizialprozess zeitige. Deswegen waren die Assessoren hoffnungsvoll genug, auch ihren Bemühungen um eine Reform des Judizialprozesses Erfolg vorauszusagen. Der Sache nach handelte es sich nur um ganz winzige Reförmchen. Das Grundgerüst des Schriftsatzwechsels und der mündlichen Rezesse in den Audienzen sollte erhalten bleiben. Erst unterhalb dieser unerschütterlichen Pfeiler des Kameralprozesses gab es ganz zarte Ansätze für leichte Vereinfachungen. Das Gericht berief sich dafür auf den jüngsten Reichsschluss, also wohl auf die reichsgesetzliche Beendigung der Visitation im Herbst 1775. Gegliedert ist der Bescheid in zwei Hälften. Der erste Teil listet nach Buchstaben bestimmte Verfahrensmängel auf. Der zweite bietet durchnummerierte Anordnungen zur Abhilfe. Zunächst ging es um Verzögerungen durch überflüssige Anträge auf Fristverlängerungen (Buchstabe a). Ein Großaufgebot kammergerichtlicher Rechtsquellen verdeutlichte, wie schon seit je derartige Prorogationsgesuche verboten waren (u. a. Gemeine Bescheide vom 17. Juli 1590, 13. Dezember 1659, 10. Oktober 1682 und 17. Oktober 1768, oben RKG Nr. 89, 144, 209 und 295). Weitere Verschleppungen ergaben sich, wenn die Anwälte nicht, wie vorgesehen, ihre Schriftsätze mitsamt Anlagen auf einmal reproduzierten, sondern tröpfchenweise Stück für Stück damit hervorkamen (Buchstabe b). Hier verwies das Gericht ohne weiteres auf das Konzept der Kammergerichtsordnung von 1613. Seine Geltung war immer fraglich geblieben. In den Gemeinen Bescheiden spielt es insgesamt eine eher untergeordnete Rolle. Aber jetzt in der Spätzeit des Reiches gewann es plötzlich an Gewicht und sollte die Reform des Judizialprozesses begleiten. Buchstabe c kritisierte die Aufblähung des Prozesses, indem Anwälte mehr Schriftsätze produzierten, als ihnen erlaubt war. Mit dem Verweis auf die Prozessrechtsreform von 1659/60 (Gemeine Bescheide vom 13. Dezember 1659, 9. und 12. Januar 1660, oben RKG Nr. 144-146) stellte sich das Kameralkollegium auch hier in die Tradition des Kameralrechts. Insbesondere sollten die Prokuratoren keine Phantasienamen für nicht vorgesehene Schriftsätze erfinden oder durch mündliche Rezesse den Sachverhalt dort breitwalzen, wo schriftliches Vorbringen schon abgeschnitten war. Auch waren extrajudiziale Suppliken verboten, wenn sich das Verfahren bereits im Judizialstadium befand (Buchstabe d). Buchstabe e wandte sich den Audienzen zu. Die Prokuratoren verstießen gegen die Gemeinen Bescheide vom 7. Juli 1590 (oben RKG Nr. 89) sowie vom Dezember 1659 und Januar 1660 (oben RKG Nr. 144-147) und hielten unverdrossen lange Rezesse, teilweise mit Darlegung des Sach- und Streitstandes (Merita causae). Die Protokollisten benötigten angeblich fast einen ganzen Bogen, um die mündlichen Rezesse mitzuschreiben. Um Zeit zu sparen, verlasen die Prokuratoren demgegenüber die vorgeschriebenen Rezesse teilweise gar nicht mehr und übergaben einfach kommentarlos die Schriftsätze. Andere lasen offenbar so schnell und leise wie möglich, und niemand konnte sie verstehen (Buchstabe f). Submissionen, also förmliche Anträge auf Erlass des Urteils, zögerten die Prokuratoren hinaus und verschleppten die Verfahren damit immer mehr (Buchstabe g). Die Anordnungen des Gerichts standen ebenso wie die Beschwerden in einer Linie mit älteren Vorgaben. In Mandatspro-

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zessen sine clausula sollte der Schriftsatzwechsel nur bis zur Replik des Klägers gehen, in anderen Verfahren bis zur Duplik des Beklagten (Ziffer 1). Das Kameralkollegium wiederholte hier die Anweisungen des Gemeinen Bescheides vom 13. Dezember 1659 § 4 und vom 9. Januar 1660 § 4 (oben RKG Nr. 144-145). Weitere Schriftsätze mit nicht vorgesehenen Bezeichnungen wollte das Gericht ohne weiteres verwerfen. Die erlaubten Schriftsätze (Ziffer 2), also Klage, Exzeption, Replik und zumeist Duplik, sollten sich streng an die vorgesehene Terminordnung halten. Alle gerichtlichen Termine waren deswegen präjudizierlich. Wer sie verpasste, hatte Säumnisfolgen zu befürchten. Im Zweifel konnte man aber in begründeten Ausnahmen Fristverlängerungen beantragen. Die bloßen Prorogationsbitten sollten allerdings ganz aufhören (Ziffer 3). Die Säumnisfolgen malte Ziffer 4 nochmals besonders aus. In solchen Fällen konnte das Gericht dem Gegner sofort das letzte Wort zuerkennen. Falls er seine Prozesshandlungen bereits erschöpft hatte, sollte ein Bescheidtischurteil ergehen. Das spielte auf das vereinfachte Urteilsverfahren an, das wöchentlich ohne große Senatsberatungen in klaren Fällen vorgesehen war (dazu auch der Gemeine Bescheid vom 17. Oktober 1768; oben RKG Nr. 295). Anwaltliche Schriftsätze sollten die Leser künftig nur noch annehmen, wenn sämtliche Anlagen gemeinsam überreicht wurden (Ziffer 5). Ein Verbot extrajudizialer Supplikationen während des Judizialverfahrens schloss sich an (Ziffer 6). Die mündlichen Rezesse sollten laut und deutlich sein (Ziffer 7). Das Gericht wiederholte hierbei ältere Vorgaben, nach denen ein Rezess die Länge von drei Zeilen nicht überschreiten durfte (so auch die Gemeinen Bescheide vom 7. Juli 1590, 16. Oktober 1641, 13. Dezember 1659 § 6 und 9. Januar 1660 § 1; oben RKG Nr. 89, 119, 144-145). Verstöße sollten notiert werden und Ordnungsstrafen nach sich ziehen. Ziffer 8 bezweckte die Beschleunigung des Submissionsverfahrens. Auf diese Weise wollte man schneller zum Endurteil kommen. Wenn ein Teil submittiert hatte, sollte dies auch der Prozessgegner tun (Ziffer 9). Notfalls konnte man die Submission fingieren und von Amts wegen in die Entscheidungsphase übergehen. Ganz allgemein drohte Ziffer 10 Strafen für Verstöße gegen die Neuregelungen an. Ziffer 11 betraf eine winzige, praktisch aber wichtige Änderung der Aktenführung. Im Einklang mit den genannten Vorschriften sollte es künftig eine tägliche Kompletur der Gerichtsakten geben. In früheren Zeiten hatte die Kanzlei die Akten nur kompliert, wenn ein Zwischenurteil oder das Endurteil anstand. Das machte die Sache sehr unübersichtlich, weil die einzelnen Schriftstücke ungeordnet und lediglich chronologisch sortiert gestapelt lagen. Ganz bildhaft sprach das Kameralkollegium von überquellenden Schränken. Das bezog sich nicht nur auf die Schriftsätze, sondern auch auf die Rezesse. Auch sie wollte man künftig täglich vom Sitzungsprotokoll in das Spezialprotokoll der einzelnen Akten übertragen. Der zweite Teil der überlangen Vorschrift betraf die Kanzleigebühren. Eine umfassende Liste von Rechtsquellen wiederholte die Verpflichtung der Prokuratoren und der Parteien, diese Kosten zu tragen. Das war vermutlich ein Nachspiel zu dem wenige Jahre zuvor ausgefochtenen Gebührenstreit. Tatsächlich verwies das Kameralkollegium auf den angeblichen Gemeinen Bescheid vom 24. Februar 1768 (der Verweis ist unklar). Zunächst galt die Kostenteilung zwischen den Parteien. Das Endurteil konnte hier aber andere Verfügungen treffen. Ziffer 12 wies die Kanzlei an, künftig alle Bescheide nach dem förmlichen Ende der Audienz den Prokuratoren vorzulesen. Das

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konnte sich nicht auf Gemeine Bescheide beziehen, denn im späten 18. Jahrhundert erließ das Gericht derartige Anordnungen ja nur sehr selten. Gemeint waren wohl die Bescheide vom Bescheidtisch. Auf die Bescheidtischprotokolle spielte das Kameralkollegium direkt an. Es ging also um sofortige Beschlüsse über Fristsachen. Die gerichtlichen Urteile als solche kamen traditionellerweise bereits ganz zu Beginn der Audienz jeweils zur Verkündung. Ob der Gemeine Bescheid von 1785 für die letzten zwei Jahrzehnte noch viel bewirken konnte, ist unklar. Er löste jedenfalls literarische Diskussionen aus. Zunächst erschienen auf 24 Seiten „Beyträge zu dem cammergerichtlichen gemeinen Bescheid vom 13ten May 1785 die Einschränkung der Fristerstreckungen betreffend, Wetzlar 1785“. Aufsehen erregte vor allem die anonyme Schrift von Damian Ferdinand Haas „Etwas über den Kammergerichtlichen Gemeinen Bescheid vom 13. May 1785. oder Verbesserungsvorschläge wie selbiger mit ältern Gesetzen zu verbinden – und nach diesen die ganze Gerichtsverfassung erst einzurichten sey, wenn er einen Justizbeförderlichen Endzweck und Nutzen haben solle, 1786“ [ohne Angabe des Druckorts]. Auch in der Spätzeit des Reiches gab es also immer noch Diskussionen über einzelne Reformschritte. Haas fiel nun endgültig in Ungnade beim Kameralkollegium. 1784 hatte man ihn noch vorläufig suspendiert (Gemeiner Bescheid vom 14. Februar 1784; oben RKG Nr. 312). Jetzt war die Geduld der Assessoren zu Ende. Mit Urteil vom 22. Oktober 1787 enthob das Reichskammergericht den aufsässigen Prokurator seines Amtes (vgl. auch Gemeinen Bescheid vom 28. Februar 1787; unten RKG Nr. 321; Einzelheiten bei Jürgen Weitzel, Damian Ferdinand Haas (1723-1805) – ein Wetzlarer Prokuratorenleben (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung 18), Wetzlar 1996).

RKG Nr. 318 1785 Juni 3 [Gemeiner Bescheid.]1 Den Procuratoren wird von einem auszuleihenden Pfennigmeistereycapital à 100.000 Reichsthaler Nachricht gegeben2. Nachdem durch den neuesten Reichsschluß vom 23. May jüngsthin diesem Kaiserlichen Kammergericht aufgegeben worden, von denen in der Sustentationskasse vorräthigen Geldern ein Kapital von hunderttausend Thalern und darüber gegen behörige Sicherheit zinnsbar anzulegen, als haben dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advokaten und Procuratoren sich zu dessen Unterbringung ihres Orts bestmöglichst mit zu verwenden und diejenigen, welche bemeldetes Kapital entweder ganz 1 2

Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787. Den ... gegeben fehlt in BA Slg. 1693-1787.

RKG Nr. 318 1785 Juni 3

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oder zum Theil zu negotiiren gesonnen, bey dem Pfenningmeister Hötzendorff baldigst anzuzeigen, damit sodann wegen der darüber zu leistenden Sicherheit und davon alljährlich zu entrichtenden Zinßquanti nach vorgängig geschehener Vorlegung der erforderlichen Nachrichten das weitere desfalls baldmöglichst verfüget werden könne. [Publicatum in audientia, 3. Junii 1785.1] Georg Mathias von Sachs Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Consilii Pleni manu propria. Vorlage: Vahlkampf, Bd. II, Tit. XI Nr. 3, S. 199-200. Weitere Ausgabe: BA Slg. 1693-1787. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft Haushaltsüberschüsse des Reichskammergerichts. Innerhalb der Gemeinen Bescheide steht die Verfügung singulär da. Klagen über mangelnde Zahlungen der Reichsstände prägten bis in die 1730er Jahre das Bild. Dutzende Gemeiner Bescheide mahnten die Erfüllung der reichsgesetzlichen Verpflichtungen an (z. B. die Gemeinen Bescheide vom 4. April 1721 Ziffer 22, 29. August 1732 und 17. Juli 1738, oben RKG Nr. 261, 265 und 272). Nach dem Siebenjährigen Krieg soll sich die wirtschaftliche Lage des Reichskammergerichts dagegen verbessert haben. Das war jedenfalls 1768 der Eindruck der Visitationskommission. Von einem Überschuss in Höhe von 9.000 Talern war damals die Rede. Bis 1785 hatten sich nun sogar 100.000 Taler angehäuft. Die wirtschaftlichen Einzelheiten sind allein aus den Gemeinen Bescheiden nicht greifbar. Nur zwei Jahre zuvor sprach das Kameralkollegium noch von mehreren 10.000 Talern rückständigen Gehältern der Kanzleimitarbeiter (so die Gemeinen Bescheide vom 17. Januar 1783, 14. Februar 1783, 19. Mai 1783 und 17. Juli 1783; oben RKG Nr. 311-314). Die genannten 100.000 Taler scheint es allerdings gegeben zu haben, und zwar in Form von Bargeld. Von einem Neubau der Gerichtsgebäude war in diesem Zusammenhang erstaunlicherweise keine Rede mehr (dazu zuletzt der Gemeine Bescheid vom 17. Mai 1782; oben RKG Nr. 308). Stattdessen wandte sich das Kameralkollegium mit einem äußerst ungewöhnlichen Anliegen an die Advokaten und Prokuratoren. Sie sollten sich Gedanken darüber machen, wie man die überschüssigen Mittel zinsbringend anlegen konnte. Das Gericht berief sich dafür auf einen Reichsschluss vom Mai 1785.

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Publicatum ... 1785 in BA Slg. 1693-1787.

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RKG Nr. 319 1785 Dezember 23

RKG Nr. 319 1785 Dezember 23 [Gemeiner Bescheid.]1 Die Recesse sollen künftig einzeln auf Quartblätter, statt der ehemaligen Designationsbögen geschrieben werden2. Da es bey gegenwärtig wiederhergestellten täglichen Completur der Protokollen einer doppelten Uebergabe der Oralrezesse und ihrer Designationen künftig nicht mehr bedarf, dagegen aber das Compliren selbst für dieses Kaiserlichen Kammergerichts Kanzley dadurch noch mehr erleichtert werden kann, wann jeder abgehaltene Rezeß auf einem besonderen Blatte übergeben wird, als werden dieses Kaiserlichen Kammergerichts Prokuratoren hiemit angewiesen, daß sie mit dem Anfang des bevorstehenden neuen Jahrs alle ihre Rezesse nur in simplo und nicht mehr in Designationen, sondern jeden Rezeß auf einem besonderen Quartblatte3 in den Audienzen überreichen. Damit jedoch diese Blätter, biß sie zur Kanzley kommen, nicht verstreuet werden möchten, alle Rezesse eiusdem ordinis gebührend numeriren und zusammenheften sollen. [Publicatum in Audientia, die 23. Decembris 1785.4] Georg Matthias5 von Sachs Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Consilii Pleni manu propria. Vorlage: Vahlkampf Bd. II Tit. XI Nr. 5 S. 202. Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 Separatdruck (zwei Exemplare); Reuß, Beiträge III 1790, S. 202-203; auch sonst als Separatdruck: Der jüngste Gemeine Bescheid des K. Rs. C. Gerichts vom 23ten December 1785 die künftige Uebergabe der Recesse betreffend mit Anmerckungen eines der Cammergerichtlichen Sachen kundigen Rechtsgelehrten, zum Behuf der Reichstags Deliberationen über diesen in die Gesetzgebung einschlagenden Gegenstand, Wetzlar 1786. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt die schriftliche Fassung der mündlichen Rezesse. Er knüpft an die Reform des Judizialprozesses vom 13. Mai 1785 an (oben RKG Nr. 317). Das Gericht ging nun dazu über, täglich die Sitzungsprotokolle in die Spezialprotokolle der einzelnen Prozessakten zu übertragen. Inwieweit es ein chronologisch geordnetes Sitzungsprotokoll überhaupt durchgehend gab, ist nicht klar. Die Prokuratoren sollten ihre für den jeweiligen Audienztag vorgesehenen Rezesse zunächst auf einem sog. Spezifikationszettel (so die Gemeinen Bescheide vom 1 2 3 4 5

Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787. Die ... werden fehlt in BA Slg. 1693-1787 und Separatdruck. Der jüngste Gemeine Bescheid Quartblat. Publicatum ... 1785 in BA Slg. 1693-1787; Der jüngste Gemeine Bescheid. BA Slg. 1693-1787 Mathias.

RKG Nr. 320 1786 März 10

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31. August 1537, 27. November 1539 § 11, 13. Dezember 1659 § 5, 12. Januar 1660 §§ 27 und 26. März 1675; oben RKG Nr. 31, 38, 144, 146 und 194), später auf einer Rezessdesignation (so die Gemeinen Bescheide vom 4. April 1721 Ziffern 9, 16 und 16. Juli 1723; oben RKG Nr. 261-262) verzeichnen. Diese Blätter durften aber nicht den Wortlaut des Rezesses selbst enthalten, sondern nur die Hinweise auf den Rechtsstreit und den Namen des übergebenen Schriftsatzes. Die Protokollführer dagegen sollten die Rezesse mitschreiben, nach der Reform vom Mai 1785 aber nicht über eine Länge von drei Zeilen hinaus. Der Gemeine Bescheid vom 23. Dezember 1785 schaffte nun derartige Designationsbögen ab. Jeder Rezess sollte von nun an auf eigenen Blättern erscheinen, die freilich vom Prokurator für jede Audienz zu bündeln und zu nummerieren waren. Das sollte die tägliche Komplierung der Akten erleichtern. Der Bescheid spricht auch deutlich von der Übergabe der Oralrezesse. Ob die Prokuratoren also wirklich den Notaren noch in die Feder diktierten oder ob sie wörtlich das ablasen, was sie zugleich dem Gericht überreichten, bleibt unklar. Jedenfalls ging es nicht um die ausschließlich in Papierform übergebenen Schriftsätze, sondern nur um die begleitenden Rezesse. So befand sich der Kameralprozess weiterhin in einem Schwebezustand zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit.

RKG Nr. 320 1786 März 10 [Publicatum 10. Martii 1786. Gemeiner Bescheid.]1 Wie sich die Procuratoren nach ergangenem Präclusivurtel im Falle eines nöthigen weitern Handelns verhalten sollen2. [Gemeiner Inhaesivbescheid des Kaiserlichen Reichskammergerichts de dato 10. Martii 1786, die Abschneidung der Fristgesuche betreffend. Wetzlar 1786.]3 Nachdem zufolge Gemeinen Bescheids vom 13. May vorigen4 Jahrs bisher in vielen laufenden Judicialsachen die säumigen Partheyen mit ihren rückständigen Handlungen gesetzlich präcludirt, auch die Sachen selbst meistens zu gleicher Zeit für beschlossen angenommen worden, so haben sich zwar die mehesten solcher Partheyen hiebey lediglich beruhigt, einige dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores jedoch mit Fristbitten in dergleichen Sachen noch immer fortgefahren, gleich als ob gar kein Präclusorie-Urtheil ergangen wäre, andere hingegen ihre verspatete Handlungen ohne alle Erlaubniß annoch nachgeschoben und wieder andere zwar gericht1 2 3 4

Publicatum ... Bescheid in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck). Wie ... sollen fehlt in BA Slg. 1693-1787 (Handschrift und Separatdruck). Titel der Buchausgabe (SUB Göttingen). BA Slg. 1693-1787 (1. Ex.) laufenden.

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oder aussergerichtlich um Restitution gebeten, sich aber weder an eine gewisse Zeit gebunden noch auch die präcludirte Handlung selbst jedesmal beygelegt. Damit nun in allen solchen Fällen künftig eine durchgängige Gleichheit gehalten, auch allenthalben nach Vorschrift der hierüber längst vorhandenen älteren Gesetze verfahren werden möge, so ist hiermit der weitere Gemeine Bescheid, daß dieses Kaiserlichen Kammergerichts Prokuratoren 1mo) nach einmal ergangenen Präclusivurtheilen zu Beybringung der präcludirten Handlungen weder einige weitere Frist zu suchen noch die Handlung selbst absque restitutione ad acta zu produciren, wider die klaren Worte des Deputationsabschieds de 1600 § 85, C[oncepti] O[rdinationis] C[amerae] P. 3 Tit. 10 § 10 ferner nicht unternehmen, sondern 2do) wenn sie contra praeclusorias aus erheblichen Ursachen wirkliche Restitutiones nachzusuchen gedächten, ihre diesfallsige Supplicas zufolge gedachten Deputationsabschieds § 85 et 138 judicialiter produciren, auch 3tio) wo nicht etwa evidens impedimentum perdurans vorhanden wäre, die präcludirte Handlung alsbald mit beylegen, in ihrer Supplica pro restitutione aber 4to) nicht blos, daß ihre Principalen den versaumten Terminum einzuhalten wirklich behindert gewesen, sondern ebenso hauptsächlich, daß sie auch von diesem Hinderniß früher currente adhuc termino die schuldige Anzeige zu machen nicht vermocht, hinlänglich bescheinigen, sodann 5to) sich zum Ersatze der Contumacialkosten und Schäden besag Kammergerichtsordnung Part. 3 Tit. 41 § 1 et Tit. 46 § 1, C[oncepti] O[rdinationis] C[amerae] Part. 3 Tit. 50 et Tit. 55 pr[incipium] et § 1 jedesmal sogleich erbieten, endlich alles dieses 6to) in Gemäßheit mehr besagten Deputationsabschieds de 1600 § 86, C[oncepti] O[rdinationis] C[amerae] Part. 3 Tit. 62 § 3 in soviel Zeit, als sie re adhuc integra gehabt, das ist in einer a lapsu termini prioris vel Sententia praeclusoria zu computirenden dem versaumten Praejudicialtermino oder, wenn solcher etwa vorhin schon prorogirt gewesen, der letztern expresse vel tacite erhaltenen Prorogation gleichlanger Frist unfehlbar bewirken, widrigenfalls 7mo) damit weiter nicht gehört, auch sie sowohl als ihre Principalen und deren Advokaten bey gänzlich frivol befundenen Restitutionsgesuchen allemal gesetzlich bestraft werden sollen. [Publicatum in audientia, die 10. Martii 1786.1] Ignaz Constantin Wolff, Kaiserl[icher] Kammergerichts Protonotarius Consilii Pleni manu propria. Vorlage: Vahlkampf Bd. II Tit. XXII Nr. 1 S. 379-382. 1

Publicatum ... 1786 in BA Slg. 1693-1787 (1. Ex. und Separatdruck); Buchausgabe (SUB Göttingen).

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Weitere Ausgaben: BA Slg. 1693-1787 ohne Nr., 2. Exemplar Separatdruck; Reuß, Beiträge III 1790, S. 203-205; auch als Buchausgabe (z. B. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 8° J. cam. 297/200; auch digital verfügbar). Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien nach Fristversäumnissen. Der Erlass verfeinert den früheren Gemeinen Bescheid vom 13. Mai 1785 (oben RKG Nr. 317). In einer Engmaschigkeit, die ihresgleichen sucht, regelte das Kameralkollegium den Fortgang des Verfahrens nach Präklusivurteilen. Das war ein Widerspruch in sich. Die im Mai 1785 bekräftigten festen Termine und Fristen sollten gerade der Verfahrensbeschleunigung dienen. Wer sie versäumte, hatte nach der zunächst geplanten Konzeption Rechtsnachteile zu tragen. Jetzt ging es genau darum, diese Rechtsnachteile zu vermeiden. Einige Prokuratoren erbaten weiterhin Fristverlängerungen, andere nahmen auf die Präklusionsurteile gar keine Rücksicht und führten den Prozess unverdrossen weiter. Noch andere betrieben judizial oder extrajudizial die Restitutio in integrum. Das Kameralkollegium sah sich gezwungen, das genaue Verfahren vorzugeben. Grundsätzlich durfte niemand nach einem Präklusivurteil die ausgeschlossene Prozesshandlung noch nachholen oder eine Fristverlängerung beantragen (Ziffer 1). Das einzig zulässige Rechtsmittel sollte vielmehr eine Judizialsupplik sein (Ziffer 2). Darin sollten die Säumigen um Wiedereinsetzung bitten. Die ausgebliebene Handlung war so schnell wie möglich nachzuholen, soweit nicht ein dauerhaftes Hindernis vorlag (Ziffer 3). Ein doppelter Beweis musste die Anträge rechtfertigen. Zum einen war das Verfahrenshindernis selbst zu belegen, zum anderen die Unmöglichkeit, das Gericht rechtzeitig darauf hinzuweisen (Ziffer 4). Entstehende Verspätungskosten hatte auf jeden Fall die säumige Partei zu tragen (Ziffer 5). Die verlängerte Frist durfte in solchen Fällen nicht großzügiger sein als die zuvor versäumte Frist. Es sollte also maximal zu Verdoppelungen kommen (Ziffer 6). Völlig ungebührliche Restitutionssuppliken konnte das Kameralkollegium nicht nur abweisen. In solchen Fällen waren auch Strafen gegen die Parteien und ihre Advokaten vorgesehen (Ziffer 7). Erstaunlicherweise tauchten die Prokuratoren in dieser letzten Klausel überhaupt nicht auf. Möglicherweise lag insoweit ein Redaktionsversehen vor.

RKG Nr. 321 1787 Februar 28 Ein Kammergerichtsprocurator wird als solcher suspendirt. Nachdeme dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocat und Procurator Lizentiat N. aus bewegenden Ursachen per Decretum hodiernum ab officio Procuraturae bis auf weitere Verordnung suspendirt worden ist, als wird solches sämmtlichen des Kaiserlichen Kammergerichts Procuratoren zu dem Ende hiermit bekannt gemacht,

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damit die ad singulas causas substituirten Anwälte einsweil für ihn erscheinen und der Parteyen Nothdurft besorgen mögen. Franciscus Adolphus Flach, Imperialis Camerae Judicii Protonotarius Consilii pleni manu propria. Vorlage: Vahlkampf Bd. II Tit. XXII Nr. 2 S. 382. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Es handelt sich um die endgültige Suspendierung des Prokurators Damian Ferdinand Haas (dazu die Einleitung bei Anm. 341-353). Bereits mit Gemeinem Bescheid vom 13. Februar 1784 (oben RKG Nr. 315) hatte das Kameralkollegium Haas erstmals suspendiert, doch hatte es diese Entscheidung wieder aufgehoben. Der jetzige Bescheid dagegen blieb bestehen. Haas konnte nicht in sein Amt zurückkehren.

RKG Nr. 322 1787 Juni 4 [Gemeiner Bescheid.]1 a) Wann ein in Appellationssachen erkanntes Schreiben um Bericht expedirt und insinuirt, auch wie b) contra contumacem appellantem post litem contestatam angerufen werden solle2. Demnach man bisher verschiedentlich wahrgenommen hat, daß dieses Kaiserlichen Kammergerichts Prokuratoren in Appellationssachen 1mo) wenn auf ihre Supplicationen und Processe zuvörderst Schreiben um Bericht erkannt wird, statt die Expedition und Insinuation solcher Berichtschreiben, auch nachher die Requisition und Auslösung der Berichte selbst schuldigst zu betreiben und zu dem Ende das gesetzliche Quadrimestre jedesmal behörig zu salviren, vielmehr öfters ganze Jahre ohne weitere Anzeige verfliessen lassen; dahingegen 2do) in wirklich zum Spruche reifen, einige Zeit stillgelegenen Sachen, wenn sie etwa Namens der Appellaten Citationem ad reassumendum ausgebracht und die Appellanten hierauf nicht erschienen, lediglich Absolutionem a Citatione nachzusuchen pflegen. Als wird denselben zu ihrer Wissenschaft und Nachachtung bekannt gemacht, daß 1 2

Gemeiner Bescheid in BA Slg. 1693-1787. A) ... solle fehlt in BA Slg. 1693-1787.

RKG Nr. 322 1787 Juni 4

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ad 1.) künftig bey Erkennung der Schreiben um Berichte allemal zugleich das fatale zu wirklicher Einbringung des erfoderten Berichts nothdürftig erstreckt, von ihnen aber hiernächst dieser angesetzte Terminus zu bloser Expedition und Insinuation des Berichtsschreibens keineswegs ausgewartet, sondern vielmehr solche Expedition und Insinuation sub praejudicio desertionis dergestalt zeitig besorgt oder neue Prorogation dazu ausgebracht werden solle, damit jedesmal noch binnen dem per Decretum angesetzten Termino der Bericht selbst exhibirt oder doch Contumacia Judicis non informantis cum effectu gebührend accusirt werden möge. ad 2dum) Sind gemeldte dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores, falls der Appellant post litem contestatam nach hinlänglich instruirter Sache contumax wäre, nicht mehr Absolution von ausgegangener Ladung, sondern nach Vorschrift O[rdinationis] C[amerae] P. 3 Tit. 42 § 3 Entscheidung der Hauptsache und allenfalls Verdammung des ungehorsamen Appellanten in die Kosten zu bitten, hiermit angewiesen. [In Consilio Pleno, 4. Junii 1787. Publicatum eodem in Audientia1.] [In fidem2] Franz Adolph3 Flach, Imperialis Camerae Judicii Protonotarius Consilii Pleni manu propria. Vorlage: Vahlkampf Bd. II Tit. XXII Nr. 3 S. 382-384. Weitere Ausgabe: BA Slg. 1693-1787 Separatdruck. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt Fragen des Appellationsprozesses, insbesondere Prozessverzögerungen. Zunächst schilderte das Kameralkollegium einige eingerissene Missstände. Offenbar gab es Schwierigkeiten, wenn das Reichskammergericht ein Berichtsverfahren vor das eigentliche Appellationsverfahren schob. Der Jüngste Reichsabschied von 1654 (JRA § 105) hatte das Schreiben um Bericht als Prozessvoraussetzung für einen Rechtsstreit von Untertanen gegen ihre reichsunmittelbaren Obrigkeiten festgeschrieben. Die Funktion des Berichtsschreibens im Appellationsprozess ist dagegen unklar. Bei reichsunmittelbaren Beklagten kamen Appellationen zumeist ohnehin nicht in Frage. Landesherren verklagten ihre eigenen Untertanen üblicherweise ja nicht vor territorialen Gerichten, sondern gingen anders gegen sie vor. Die vorinstanzlichen Richter waren im Appellationsverfahren dagegen nicht zwingend Partei. Vielmehr bezog das Reichskammergericht sie über die Kompulsorialbriefe in den Prozess ein. Gegen reichsmittelbare Untertanen dagegen waren Berichtsschreiben nach der Idee des gemeinen Prozessrechts nicht erforderlich. Gegen solche Parteien konnte das Appellationsgericht auch gleich die Ladung erkennen. Welche Parteikonstellation der Gemeine Bescheid vor Augen hatte, wird daher nicht deutlich. Wenn ein Berichtsschreiben den Auftakt des Appellationsprozesses bildete, ging es aber nicht an, dass die Appellanten die eingegangenen Berichte nicht abholten und auf dieser Weise den Rechtsstreit teilweise um Jahre verzögerten. Andererseits fehlte es den appellatischen Prokuratoren womöglich an Mut. Wenn die Kläger1 2 3

In... Audientia in BA Slg. 1693-1787. In fidem in BA Slg. 1693-1787. BA Slg. 1693-1787 Franciscus Adolphus.

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seite untätig blieb und dort eventuell ein Parteiwechsel anstand, beantragten die Appellaten treu die Wiederbelebung des Verfahrens durch eine Citatio ad reassumendum. Blieb der Appellant untätig, hätten die Appellaten jedoch genauso gut ein Versäumnisurteil beantragen können. Dies hätte den Streit sofort entschieden. Offenbar schreckten die Anwälte hiervor aber zurück, vielleicht weil sie in anderen Verfahrenslagen ähnlich unsicher vorgingen. Sie beschränkten sich darauf, die bloße Absolutio ab instantia zu erstreben. Das war lediglich ein Beschluss, der im Gegensatz zum Versäumnisurteil nicht in Rechtskraft erwuchs. Das Kameralkollegium versuchte deswegen, den Appellationsprozess zu beschleunigen und gleichzeitig schneidiger zu gestalten. Zunächst drohte das Gericht die Desertionsstrafe für Verzögerungen im Berichtsverfahren an. Das war gegen den Appellanten gerichtet und folgte der gemeinrechtlichen Pflicht des Klägers, in eigener Verantwortung die Zustellungen und Empfangsbekenntnisse des Beklagten gerichtlich einzubringen. Auf diese Weise sollte schneller Klarheit herrschen, ob das extrajudiziale Berichtsverfahren in den judizialen Appellationsprozess übergehen konnte. Die zweite Anordnung betraf die Säumnis des Appellanten nach der „instruierten“ Sache. Der Verweis auf die Reichskammergerichtsordnung von 1555 (3, 42, 3) machte schnell deutlich, wie sehr die überkommene Lehre von der Litiskontestation selbst am Ende des 18. Jahrhunderts den Kameralprozess noch beherrschte. Appellantische Säumnis sollte nach dem Willen des Kameralkollegiums den Prozessverlust nach sich ziehen, am besten sogar mit Aufbürdung der vollen Verfahrenskosten. Der Umgang mit der Reichskammergerichtsordnung von 1555 war hierbei durchaus lax. Der zitierte Artikel bezog sich nach der Titelüberschrift ausdrücklich auf das Verfahren in der ersten Instanz. Zwei Jahrhunderte später bereitete es offenkundig keinerlei Schwierigkeiten, die Vorschrift auch im Rechtsmittelprozess unmittelbar anzuwenden.

RKG Nr. 323 1790 Juni 2 Den Advocaten und Procuratoren wird überhaupt der Titel eines Agenten untersagt und ihnen, wie sie sich beym Vollzuge der ihnen gegebenen Aufträge benehmen sollen, vorgeschrieben. Nachdem von Seiten dieses Kaiserlichen und Reichs-Kammergerichts mißfällig wahrgenommen worden, daß einige deren demselben untergeordneten Advocaten und Procuratoren sich als Agenten ansehen und geriren, auch schriftliche Aufträge, die nur an sie gerichtet oder durch ihre Berichte veranlasset und ausgewirket worden sind und Justizsachen betreffen, bey denen Herrn Kammerrichter, Präsidenten und Assessoren oder nur bey einigen davon herumtragen, vorweisen oder derselben Innhalt zu erkennen geben und bey solcher Gelegenheit allerhand Insinuationen zu machen suchen; das Amt und der Titel eines Agenten aber bey einem von dem Kai-

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serlichen und Reichs-Kammergerichte nur als Advocaten und Procuratoren angenommenen, aufgeschwornen und auf diese Aemter allein mit Eid und Pflichten verbundenen Diener der Gerechtigkeit Dinge sind, die in der Ordnung und Gesetzen unbekannt und mit diesen nicht wohl vereinbarlich, imgleichen darin der eben vorbemerkte Gebrauch derer an sie ergehenden Aufträgen nicht verstattet und so wenig zulässig als der Würde des Richters und dem Kaiserlichen und ReichsKammergerichte, dessen Haupt und Gliedern von Advocaten und Procuratoren schuldigen Respect angemessen. Als ist der Gemeine Bescheid an sämmtliche Advocaten und Procuratoren, sich ein und des andern gänzlich zu enthalten und in Fällen, wo sie glauben, von besagten an sie ergehenden Befehlen oder Weisungen Gebrauch machen zu können oder zu sollen, solches in dem herkömmlichen gerichtlichen oder aussergerichtlichen, in denen Reichsconstitutionen und dem Gemeinen Bescheide von 1659 § 8 vorgeschriebenen oder zugelassenen Wegen mittelst schriftlicher Vorstellung zu thun und dieser die ihnen zugekommene Aufträge entweder in originali oder in beglaubter Abschrift beyzulegen, ihre petita darauf ordnungsmäßig zustellen, sohin die reichsgesetzmäßige richterliche Vorkehrung zu gewärtigen. Würde aber dem ein oder der andere des Kaiserlichen Kammergerichts Advocat und Procurator fürohin nicht schuldig und genau nachkommen, so solle gegen den Uebertreter gegenwärtigen Gemeinen Bescheids mit scharfer, denen Umständen angemessener Ahndung verfahren werden. Fridericus Josephus Emerich, Judicii imperialis Camerae Protonotarius Consilii pleni manu propria. Vorlage: Vahlkampf Bd. II Tit. XXII Nr. 4 S. 384-386. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid ermahnt Kammergerichtsanwälte, sich in den vertrauten Titeln und Zuständigkeiten zu bewegen. Im ersten Gemeinen Bescheid nach dem Beginn der Französischen Revolution bemühte sich das Kameralkollegium, die hergebrachten Amtsbezeichnungen und Verhaltensweisen zu befestigen. Advokaten und Prokuratoren des Reichskammergerichts, die schon länger zu einer einheitlichen Gruppe von Anwälten verschmolzen waren (dazu der Gemeine Bescheid vom 23. Dezember 1774; oben RKG Nr. 299), legten sich am Ende des 18. Jahrhunderts die diffuse Amtsbezeichnung Agent zu. Am Reichshofrat war das hergebracht, insbesondere für die ständigen Vertreter der einzelnen Territorien. Das Reichskammergericht lehnte aber sowohl den Titel als auch damit verbundene Sonderrechte ab. Die bloße Titulatur eines Agenten durfte einen Anwalt in keinem Fall dazu berechtigen, eingespielte Verfahrensweisen zu unterlaufen. Anwaltliche Anliegen mussten also extrajudizial oder judizial bei Gericht eingehen, nicht aber informell dem Kammerrichter, seinem Vertreter oder einzelnen Beisitzern zugeschoben werden. Das Kameralkollegium verwies hierfür auf den immer noch grundlegenden Gemeinen Bescheid vom

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13. Dezember 1659 (§ 8; oben RKG Nr. 144). Die ältere Regelung hatte sich vornehmlich auf die Sollizitatur bezogen, galt jetzt aber für anwaltliches Verhalten allgemein. Wer sein Anliegen nicht förmlich einbrachte, je nach prozessualer Situation also extrajudizial oder judizial, sondern damit das richterliche Personal privat belästigte, hatte Ordnungsstrafen zu befürchten.

RKG Nr. 324 1798 Mai 21 Die Procuratoren sollen die labores protocolli und Completurgebühren fleißig eintreiben. Nachdem allbereits durch den Gemeinen Bescheid vom 13. May 1785 § 11 sämtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Prokuratoren auferlegt worden, in Gefolg der darinn angeführten Gesetze, namentlich: Deputationsabschied de 1557 § 40 seq[uitur], Memor[ial.] Adv[ocatorum] et Procur[atorum] de 1561 § 6, Visitationsabschied de 1564 § 27, Memor[ial.] Procur[atorum] de 1568 § 3, Memor[ial.] Procur[atorum] de 1573 pr[incipium], C[onceptus] O[rdinationis] C[amerae] P. 1 tit. 46 § 9, 10, 11; Conclus[um] Visitat[ionis] de 22. Febr[uarii], 22. Mart[ii] 1768 und 24. Jan[uarii] 1776, auch G[emeiner] B[escheid] de 24. Febr[uarii] 1768 die Labores protocolli oder Completurgebühren und zwar von jedem Theile zur Hälfte alsbald an die Kanzley zu entrichten und des Endes solche nach ihren Eidespflichten von ihren Partheyen mit allem Ernste und Fleiße einzutreiben; dieselben aber, dieser Auflage nachzukommen, zeithero unterlassen: Als werden sämtliche dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratores ernstlich hiermit erinnert, vorbemeldtem Gemeinen Bescheide, auch älteren und neueren Gesetzen alles ihres Inhalts besser, als zeithero geschehen, ein volles Genüge zu leisten, und wie sie dieses befolgt haben, in jeder Sache per Recessum anzuzeigen, damit nicht schärferes Einsehen gegen sie zu brauchen nothwendig werden möge. Joseph Anton Vahlkampf, Protonotarius Consilii pleni. Vorlage: Vahlkampf Bd. II Tit. XXII Nr. 5 S. 386-387. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Eintreibung von Kanzleigebühren. Ein Großaufgebot an kammergerichtlichen Rechtsquellen (darunter die Gemeinen Bescheide vom 13. Mai 1785 und 24. Februar 1768, oben RKG Nr. 317; der Verweis auf 1768 ist unklar) führte den Pro-

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kuratoren die geltende Rechtslage vor Augen. Ohne Wimpernzucken erklärte das Reichskammergericht alle zitierten Quellen kurzerhand für „Gesetze“, insbesondere auch das Konzept der Kammergerichtsordnung von 1613. Die Prokuratoren hatten bisher versäumt, die vorläufige Kostenteilung bei den Kanzleigeldern an ihre Mandanten weiterzuleiten. Das Kameralkollegium forderte die Zahlung ein und gab den Prokuratoren sogar auf, hierüber Rezesse zu halten. Damit wurden die Kanzleigebühren deutlich aufgewertet und selbst zum Gegenstand der mündlichen Audienzen. Künftig sollte es offenbar mündliche Rückmeldungen geben, ob die fälligen Zahlungen erfolgt waren oder nicht.

RKG Nr. 325 1799 November 13 Winkelprocuratur wird geahndet. Nachdem das Collegium Camerale höchst misfällig erfahren müssen, welcher Unfug mit der Winkelprokuratur neuerlich getrieben werde, so, daß sogar dem Collegio mit Eid und Pflichten nicht verwandte, sich hier aufhaltende Advocaten, ja selbst auswärtige, namentlich Advocat N. Wetzel in Frankfurt das Procuratorgeschäft für eigne Rechnung treiben und einige der Procuratoren blos als Figuranten erscheinen und ohne sich zu bekümmern, ob die Termine behörig gewahret, die Deservitenrechnung gesetzmäßig eingerichtet, überhaupt die Procuratur legal geführet werde, lediglich ihre Namen herleihen, ein solches Unwesen aber mit den Gesetzen in mehreren Rücksichten unvereinbarlich ist: Als wird hiemit verordnet, daß derjenige Procurator, welcher, es sey mit oder ohne Belohnung, den bemerkten Unterschleif durch Leihung seines Namens unterstützt, das erstemal mit Suspension auf unbestimmte Zeit und bey Wiederholung des Vergehens mit gänzlicher Remotion bestrafet, auch diejenigen Advocaten, welche sich solche Eingriffe in das Procuraturamt erlauben, respective mit Wegweisung von dem Orte des Gerichts und arbitrairischer unausbleiblicher Strafe angesehen werden sollen. Dann wird dieses Kammergerichts Kanzley und Leserey hiedurch erinnert, die Ordnung und den Gemeinen Bescheid vom 28. Jänner 1657, nach welchen den von diesem Kaiserlichen Kammergerichte nicht beeidigten Advocaten keine Protocolla, Processus, Sententiae, Documenta und dergleichen communiciret, weniger ausgefolget werden sollen, genau in Obacht zu nehmen. Joseph Anton Vahlkampf, Protonotarius Consilii pleni Camerae Imperialis Judicii manu propria.

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RKG Nr. 326 1799 November 13

Vorlage: Vahlkampf Bd. II Tit. XXII Nr. 6 S. 387-388. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bekämpft Strohmanngeschäfte unter den Kameralanwälten. In einer normativen Quelle taucht hier wörtlich und sehr früh die Winkelprokuratur auf. Bekannter ist die Winkeladvokatur. Das negativ besetzte Schlagwort ist schwer mit Inhalt zu füllen. Zwei Deutungen drängen sich auf. Zum einen mag „Winkel“ eine Anspielung auf das lateinische vinculum gewesen sein, das Eheband. Vielleicht gab es Anwälte, die besonders tückische Eheverträge stifteten. Zum anderen kann es Advokaten in allen Winkeln des Reiches gegeben haben, die abseits der hohen Gerichte ihre ganz eigenen Vorstellungen von Gericht und Prozess in ihre Schriftsätze einbauten. Das Kameralkollegium war noch anderen Aufweichungen auf der Spur. Es gab offenbar Advokaten, die sich als Reichskammergerichtsprokuratoren verdingten, obwohl sie keine förmliche Zulassung hatten. Damit ihre Machenschaften nicht auffielen, arbeiteten sie getarnt mit geschworenen Prokuratoren zusammen. Der genannte Advokat Wetzel aus Frankfurt scheint hier besonders dreist vorgegangen zu sein. Das Gericht bemühte sich in dem Gemeinen Bescheid, die überkommene Aufgabenverteilung so lange wie möglich zu bewahren. Tarnprokuraturen sollten zur Suspendierung, im Wiederholungsfall sogar zur gänzlichen Entfernung aus dem Amt führen. Gleichzeitig schärfte das Kameralkollegium der Kanzlei ein, Auskünfte über einzelne Rechtsstreitigkeiten nur den geschworenen Advokaten und Prokuratoren zu erteilen. Der Verweis auf den Gemeinen Bescheid vom 28. Januar 1657 (oben RKG Nr. 132) stellte das Reichskammergericht auch am Ende des 18. Jahrhunderts weiterhin in die Tradition des gemeinen Zivilprozesses.

RKG Nr. 326 1799 November 13 Die wegen der laborum protocolli gefertigten Expeditionen sollen den Procuratoren insinuirt und von diesen an die Behörde sogleich eingeschickt werden. Demnach zur Beförderung der in puncto Laborum Protocolli ergehenden Erkenntnisse beschlossen worden, daß die Expeditiones derselben von der Kanzley dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratoren insinuirt werden sollen: Als werden diese hiemit angewiesen, solche Expeditiones nicht nur unweigerlich anzunehmen, sondern auch ihren Principalen sowohl als dem Richter voriger Instanz oder an wen der Auftrag geschiehet ungesäumt zu überschicken und, daß sie solches in dem angesetzten Termine befolgt haben, ad Protocollum anzuzeigen. Joseph Anton Vahlkampf, Protonotarius Consilii pleni Camerae Imperialis Judicii manu propria.

RKG Nr. 327 1800 Februar 12

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Vorlage: Vahlkampf Bd. II Tit. XXII Nr. 7 S. 389. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft Kanzleigebühren. Die Zahlungsaufforderungen der Kanzlei gingen danach zunächst an die Prokuratoren. Sie mussten die Befehle an ihre Mandanten weiterleiten. Offenbar war das Gericht auf die Erstattung solcher Gebühren dringend angewiesen. Die Anwälte sollten jedenfalls sowohl bei ihren Mandanten als auch bei den vorinstanzlichen Richtern die Zahlungen anmahnen. Die Sache schein wichtig genug, um sie in das Judizialverfahren zu verweisen. Die Prokuratoren hatten also ihren Schriftverkehr mit den Parteien offenzulegen, wie dies früher bereits beim Streit um den Kammerzieler vorgeschrieben gewesen war.

RKG Nr. 327 1800 Februar 12 [Die Verordnung des Deputationsabschieds von 1600 § 80 wird eingeschärft.]1 Demnach verschiedentlich wahrzunehmen gewesen ist, daß dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratoren die Verordnung des Deputationsabschieds von 1600 § 892 und C[oncepti] O[rdinationis] C[amerae] part. 3 tit. 12 § 16 zum Nachtheil ihrer Principalen ausser Acht gelassen haben: Als werden dieselben hiemit erinnert, sothane gesetzliche Vorschrift bey vorkommenden Fällen genau zu befolgen, um den aus derselben Nichtbefolgung den Parteyen entspringenden Schaden zu behindern. Publicatum in Audientia, 12. Februarii 18003. In fidem4 Josephus Antonius Vahlkampf, Protonotarius Consilii pleni Camerae Imperialis Judicii5. Vorlage: RKG-Urteilssammlung 1800, S. 96. Weitere Ausgabe: Vahlkampf, Bd. II, Tit. XXII Nr. 8 S. 389-390. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bezweckt die Beschleunigung des Kameralprozesses. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Bescheiden enthält die Norm lediglich Verweisungen, nicht aber ausdrückliche inhaltliche Anordnungen. Nicht nur der Deputationsabschied von 1600 (CJC 1724, S. 51) erscheint hier als geltendes Recht, sondern ebenso das Konzept der Kammergerichtsordnung von 1613 (COC 3, 12, 16). Ob und in welcher Weise die Regelungen von 1613 1 2 3 4 5

Die … eingeschärft in Vahlkampf II. Bei Vahlkampf II wohl § 80 (schwer lesbar). Publicatum … 1800 fehlt in Vahlkampf II. In fidem fehlt in Vahlkampf II. Camerae … Judicii fehlt in Vahlkampf II.

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RKG Nr. 328 1801 Juli 13/17

verbindlich sein sollten, hatte zuvor weder die Reichsgesetzgebung noch das Gericht selbst je entschieden. Der paternalistische Grundton bleibt dennoch hörbar. Die Prokuratoren sollten im Interesse ihrer Mandanten die vorgegebenen Fristen einhalten und die gesetzten Sechsmonatszeiträume nicht überschreiten.

RKG Nr. 328 1801 Juli 13/17 [Alle Gerichtshandlungen sollen den Parteyen nicht durch kaiserliche Notarien, sondern die Gerichtskanzley glaubhaft gemacht werden.]1 Demnach mißfällig wahrgenommen worden, daß verschiedene dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Procuratoren den bekannten ältern und neuern Reichsgesetzen zuwider die ergangenen gericht- und aussergerichtlichen Erkenntnisse, Ordinationen und Verfügungen, statt solche bey der Kaiserlichen Kammergerichtskanzley gebührend ausfertigen zu lassen, den Untergerichten und Partheyen in einer von ihren Schreibern als Notarien verfertigten Form, zum Theile sogar unter der unrichtigen und unstatthaften Rubrik eines Extractus Protocolli rerum in Camera Imperiali exhibitarum, dergleichen sich überhaupt nicht in ihren Händen befindet, insinuiren lassen, diesem zum Nachtheil der Ehre und des Ansehens dieses höchsten Gerichts gereichenden, auch sonst zu vielen gefährlichen Mißbräuchen führenden Beginnen aber nicht nachgesehen werden kann, als ergehet hiemit der Gemeine Bescheid:2 Daß alle Erkenntnisse, Ordinationen und Verfügungen des Kaiserlichen Kammergerichts, namentlich auch Zeugnisse über gerichtliche und aussergerichtliche Handlungen, sie seyen wichtig oder minderwichtigen Gegenstandes, sobald davon ein Gebrauch gemacht werden wolle, allemal aus der Kanzley gelößt werden sollen. Und werden dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Procuratoren, dieser gesetzlichen Anordnung Folge zu leisten, unter Strafe einer Mark löthigen Goldes hiemit ernstlich angewiesen mit der weitern Bedeutung, daß im Falle wiederholter Uebertrettung mit ohnfehlbarer Suspension ab officio gegen sie verfahren

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Alle … werden in Vahlkampf. Absatz in Vahlkampf.

RKG Nr. 329 1801 September 28

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werden solle. In Consilio pleno, 13. Julii 1801. Publicatum in Audientia 17. ejusdem mensis1. Josephus Antonius2 Vahlkampf, Consilii pleni Camerae Imperialis Judicii Protonotarius3. Vorlage: RKG-Urteilssammlung, 1801, S. 426-427. Weitere Ausgabe: Vahlkampf, Bd. II, Tit. XXII Nr. 9, S. 390-391. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid bezweckt die Stärkung der Kanzlei. Mehrere frühere Gemeine Bescheide hatten darüber geklagt, dass die Kameralanwälte ihre Schriftsätze selbst kopierten und diese Aufgabe nicht mehr der Kanzlei übertrugen. 1783 entbrannte ein regelrechter Gebührenstreit zwischen dem Kameralkollegium und den Prokuratoren (dazu die Gemeinen Bescheide vom 17. Januar 1783 bis 17. Juli 1783; oben RKG Nr. 311-314). Nunmehr waren einige Advokaten und Prokuratoren dazu übergegangen, ihren Mandanten die kammergerichtlichen Entscheidungen in vereinfachter Form mitzuteilen. Zum einen fertigten sie in ihren eigenen Schreibstuben notarielle Abschriften, zum anderen verbreiteten sie angebliche Protokollauszüge. Das Kameralkollegium bemängelte beide Varianten. Es erblickte darin sogar eine Ehrverletzung, wenn die Anwälte nicht die in der Kanzlei gefertigten authentischen Abschriften benutzten. Trotzdem wirkt die Anordnung in hohem Maße kleinkariert. Das Gericht wies selbst auf die minderwichtigen Gegenstände hin. Dennoch drohte es die Suspendierung vom Anwaltsposten an, falls jemand seine Abschriften allein erstellte. Die angeblich gefährlichen Missbräuche sollten wohl Verfälschungen der Urteilsformeln und anderes umschreiben. Doch ging es viel eher recht unverhohlen darum, der Kanzlei Einnahmequellen zu erhalten. Zugleich war stillschweigend klar, wie wenig sich die Anwaltschaft um die überkommenen Zuständigkeiten der Kanzlei kümmerte.

RKG Nr. 329 1801 September 28 [Die eingetretene Kammerrichteramtsverwesung wird dem Gerichte bekannt gemacht.]4 Demnach Seine des bisherigen Herrn Kammerrichters Reichsgrafen von OettingenWallerstein-Baldern-Sötern Excellenz heut von diesem Amte abgestanden sind und den Gesetzen gemäß seine dieses Kaiserlichen Kammergerichts ältern Herrn Präsi1 2 3 4

In … mensis fehlt in Vahlkampf. Vahlkampf Joseph Anton. Statt Consilii … Protonotarius in Vahlkampf Protonotarius Consilii pleni. Die … gemacht in Vahlkampf.

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RKG Nr. 330 1803 März 16

denten Freyherrn von Reigersberg Excellenz zum Kammerrichteramtsverweser angeordnet worden: Als wird auf erfolgte Annahme solches sämmtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Procuratoren, um danach in vorkommenden Fällen das Gehörige schuldigst zu beobachten, hiemit bekannt gemacht und dieselben dazu angewiesen. In Consilio pleno 28. Septembris 1801. In fidem1 Josephus Antonius2 Vahlkampf Consilii pleni Camerae Imperialis Judicii Protonotarius3. Vorlage: RKG-Urteilssammlung 1801, S. 530. Weitere Ausgabe: Vahlkampf Bd. II Tit. XXII Nr. 9, S. 391. Anmerkung: Es handelt sich um den einzigen Gemeinen Bescheid, der einen Wechsel im Kammerrichteramt förmlich bekanntgab. Philipp Carl von Oettingen-Wallerstein verzichtete nach nur vier Amtsjahren und im jungen Alter von 42 auf seine Kammerrichterwürde. Stattdessen wurde er Reichshofratspräsident in Wien. Damit stellte er unausgesprochen, aber zugleich unmissverständlich das Rangverhältnis der beiden obersten Reichsgerichte in der Schlussphase des Alten Reiches klar. Der 33-jährige Heinrich von Reigersberg rückte nach. Wenn das Gericht die Änderung durch einen Gemeinen Bescheid verkündete, zeugt das nicht zuletzt von der eigenen Schwäche. In früheren Zeiten war stets allen Gerichtsangehörigen bekannt, wer jeweils als Kammerrichter amtierte. Die förmliche Mitteilung deckte damit ungewollt Kommunikationsprobleme zwischen den Anwälten und dem Kameralkollegium auf. Zahlreiche frühere Selbstverständlichkeiten galten nicht mehr. Und so musste das Gericht den Namen des neuen Kammerrichters durch Gemeinen Bescheid bekanntmachen, auch wenn jeder Prokurator die Personalentscheidung bereits gekannt haben sollte.

RKG Nr. 330 1803 März 16 [Die Kammerboten sollen im 20 fl.-Fuße bezahlt, auch alle nicht durch die Boten nach der gewöhnlichen Art zu insinuirenden Freysachen concordirt werden.]4 Demnach von den sämmtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Boten um einstweilige Verbesserung ihrer höchstnöthigen Subsistenz zu verschiedenen Malen unterthänigst gebeten worden, dieses Kaiserliche Kammergericht auch nach Maaßgabe der dieserhalb erlassenen älteren provisorischen Verfügungen ein ihren derma1 2 3 4

In Consilio … fidem fehlt in Vahlkampf. Vahlkampf Joseph Anton. Statt Consilii … Protonotarius in Vahlkampf Protonotarius Consilii pleni. Die … werden in Vahlkampf.

RKG Nr. 330 1803 März 16

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ligen Bedürfnissen gebührendes Einsehen zu nehmen sich veranlasset gefunden hat: Als wird sämmtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Procuratoren hiemit zur weitern Bekanntmachung an die hier in Rechtsstreit befangenen Parteyen anbefohlen, daß 1mo) die schon zu Anfange des vorigen Jahrhunderts in Uebung gewesene Zahlung des Botenlohnes per Meile für eine Ordinairreise zu 20 und für eine Extrareise zu 30 Kreuzer nebst den Insinuations- und sonstigen Gebühren in dem 20-GuldenFuße (um willen diese Zahlung in selbigem Fuße längst vor der Einführung des 24Gulden-Fußes stattgehabt, auch noch wirklich in jenen Landen, worinn der 20Gulden-Fuß obtinirt, stattfindet) fürohin unweigerlich geschehen solle. Da auch ferner 2do) dieses Kaiserliche Kammergericht wegen Insinuation der sogenannten Freysachen (als wohin die Schreiben um Bericht, Citationes ad reassumendum, Compulsoriales ulteriores et arctiores, Mandata arctiora, Rescripta und Extensiones processuum jam antea insinuatorum, Commissiones, Ordinationes und dergleichen mehr gehören) in Gefolge der Gemeinen Bescheide von 1661 und 1724 fernere Vorsehung zu thun sich vorbehalten hat: Als wird den Procuratoren (im Falle da sie dergleichen Sachen nicht wie erkannte Processe, Mandate oder Citationen auf die hiebey gewöhnliche Weise insinuiren zu lassen vorziehen sollten) für jede Meile 6 Kreuzer nebst der gewöhnlichen Insinuationsgebühr pro Decreto, im 20-GuldenFuße als concordirte Summe in eine zur Vertheilung unter die Boten demnächst bestimmte Büchse (ehe und bevor ihnen die Expedition aus der Kanzley verabfolgt seyn würde) zu entrichten andurch aufgegeben. Publicatum in Audientia, 16. Martii 1803. [Joseph Anton Vahlkampf, Protonotarius Consilii pleni,]1 Dabey ergieng an die Kammergerichtsprocuratoren folgendes Loquatur. Dieses Kaiserlichen Kammergerichts Kanzleyverwalter habe den sämmtlichen Procuratoren bekannt zu machen, wie es Collegio Camerali zum besondern Gefallen gereichen würde, wenn dieselben die Freysachen soviel wie möglich durch die Kammerboten insinuiren ließen, in welchem Falle nach ohnehin gezahlten Concordiengeldern die Boten sich mit einer sehr billigen Abfindung zu begnügen nicht entstehen würden. Auch erhielten der Kanzleyverwalter und Botenmeister nachstehende Weisung.

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Joseph … pleni in Vahlkampf.

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Dieses Kaiserlichen Kammergerichts Kanzleyverwalter und Botenmeister werden auf derselben in Betreff der Verbesserung der Botensustentation erstattete Berichte die von Seiten dieses Reichsgerichtes getroffenen provisorischen Verfügungen ad Procuratores andurch bekannt gemacht, um sich hienach bey den eintretenden Fällen genau zu richten. Dann wird bey der Verminderung der Botengeschäfte weiterhin verordnet, daß 1.) die Zahl der wirklich in Diensten stehenden Boten auf sechzehn dergestalt festzusetzen und alsofort eingehen zu lassen sey, daß acht derselben als reitende und acht als Fußboten beyzubehalten; jedoch, damit der Dienst in ausserordentlichen Fällen nicht leide, noch acht Beyboten in wirkliche Verpflichtung zu nehmen seyen, welche 24 Boten wie bisher dieses Kaiserlichen Kammergerichts Gerichtsbarkeit unterworfen bleiben. Damit inzwischen 2.) der Dürftigkeit sämmtlicher Boten und insbesondre der Fußboten mehr gesteuert werde, so soll der durch die Eingehung der 4 reitenden Botenstellen erübrigt werdende Gehalt in der Weise unter die 8 Fußboten vertheilt werden, daß der Gehalt eines abgehenden reitenden Boten jedesmal den beyden ältern Fußboten zu gleichen Theilen angewiesen werde, welche sonach auch das Schild des reitenden Boten miteinander auszulösen haben. Jedoch soll diese Verfügung nicht eher in Vollzug gesetzt werden, als bis die dermal bereits verpflichteten Fußboten in den vollen Gehalt der reitenden Boten eingerückt seyn würden. Dann ist 3.) der Ertrag der von den Freysachen eingehenden Concordiengelder nach vorher daraus genommener, dem Botenmeister zu 11 Gulden und dem Kanzleydiener zu 2 Gulden quartaliter gebührenden bisher aus der Lütticher und Tridentiner Concordienbüchse gezahlten Quote zu gleichen Theilen unter die sämmtlichen im wirklichen Dienste stehenden Boten vierteljährig zu vertheilen. Ebenmäßig erhielt der Kaiserliche Fiskal folgende Weisung. Nachdem dieses Kaiserliche Kammergericht zufolge des heut ad Procuratores erlassenen Gemeinen Bescheides und fernerer Weisung an den Kanzleyverwalter und Botenmeister (von welch-letzterer Fiscali hiebey eine Abschrift mitgetheilt wird) unter andern zur Verbesserung der Sustentation der Boten eine Verminderung derselben beschlossen hat: Als wird der Kaiserliche Fiskal von nun an die acht zuerst eingehenden Fußbotenschilder einzulösen, für welchen Einlösungsbetrag sich jedoch dereinst an den nach geschehener Einrückung der dermaligen wirklichen Fußboten in die Stelle der reitenden Boten zuerst erübrigenden 4 reitenden Botenschildern zu erholen, andurch angewiesen und respective authorisirt.1 Vorlage: RKG-Urteilssammlung 1803, S. 99-101. 1

Publicatum in Audientia …authorisirt fehlt in Vahlkampf.

RKG Nr. 330 1803 März 16

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Weitere Ausgabe: Vahlkampf, Bd. II Tit. XII Nr. 11, S. 391-393. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid regelt letztmalig das reichskammergerichtliche Botenwesen. Unausgesprochen im Hintergrund stand der Niedergang des Heiligen Römischen Reiches. Weite Teile waren bereits französisch besetzt. Drei Wochen zuvor hatte der Reichsdeputationshauptschluss die Säkularisierung der geistlichen Territorien reichsrechtlich abgesegnet (dazu der Gemeine Bescheid vom 5. September 1803, sogleich unten RKG Nr. 331). Das Reichsgebiet schrumpfte, und Botenreisen wurden immer seltener. Auf diese Weise verloren die Kammerboten ihr bisheriges Einkommen. Das Kameralkollegium versuchte, durch eine Verminderung der Botenzahl und einige Zahlungsanordnungen den völligen Ruin der Boten abzufangen. Der Gemeine Bescheid richtete sich an die Prokuratoren, die ihn an ihre Mandanten weiterleiten mussten. Zunächst sollte der Botenlohn sich am althergebrachten 20 Gulden-Fuß orientieren. Das wertete das Meilengeld bereits um ein Fünftel auf. Zum anderen führte das Gericht neue Konkordiengelder für Freisachen ein. Die Konkordiengelder dienten in früheren Zeiten zur Entschädigung von Boten in denjenigen Fällen, wenn die Anwälte die Zustellungen durch Notare vornahmen (dazu z. B. die Gemeinen Bescheide vom 6. Juli 1635 und 3. September 1653 § 10; oben RKG Nr. 110 und 125). Hier erweiterte das Kameralkollegium die Konkordiengelder auf sonstige Zustellungen, die gar nicht zwingend förmlich geschehen mussten. Freisachen waren ursprünglich freiberufliche Tätigkeiten der Boten in Angelegenheiten, die nicht notwendig vom Gericht oder von der Prozessordnung vorgegeben waren (dazu die zitierten Gemeinen Bescheide vom 1. Oktober 1661 und 6. März 1724; oben RKG Nr. 155 und 263). Jetzt bezog das Kameralkollegium auch gerichtliche Befehle ausdrücklich in diese Freisachen ein. Zahlreiche Erkenntnisse bis auf Mandate und prozesseröffnende Ladungen sollten nunmehr ebenfalls Freisachen sein. Die Prokuratoren konnten diese gerichtlichen Dokumente zustellen, wie sie wollten, mussten hierfür aber das ersparte Meilengeld und die Zustellungsgebühren in die Botenbüchse abführen. Sogar eine neue Büchse sollte dafür zur Verfügung stehen. Erstaunlicherweise gab es diese Büchse also noch nicht. Das Gericht kündigte die Änderung lediglich an. Offenbar war sich das Kameralkollegium selbst unsicher, ob sich auf diese Weise die wirtschaftliche Not der Boten lindern ließ. Geradezu flehend baten die Assessoren die Anwälte, Freisachen nach Möglichkeit den Boten zu übertragen und nicht selbst zuzustellen. Die Boten wollten im Gegenzug mit bescheidenen Gebühren zufrieden sein. Gleichzeitig verringerte das Gericht die Zahl der Boten. Acht reitende Boten und acht Fußboten sollten fortan ausreichen. Dazu kam eine Reserve von acht weiteren Boten. Diese freilich sollten alle Kameralfreiheiten genießen. Das Gehalt der eingesparten Botenstellen sollte die wirtschaftliche Lage der Fußboten verbessern, die besonders niedrige Gehälter bezogen. Auch für die Konkordiengelder gab es Verteilungsregeln. Der Hinweis auf die Lütticher und Trienter Büchse deutete weitere Übergangsregelungen an, die aus dem Gemeinen Bescheid nicht ohne weiteres deutlich werden. Beide geistlichen Territorien waren inzwischen aus dem Gerichtssprengel des Reichskammergerichts herausgebrochen. Offenbar erhielten die Boten dafür bereits andere Entschädigungen. Eine letzte Anordnung richtete sich an den Fiskal. Er sollte die zurückzugebenden Botenschilder, modern gesprochen also die Dienstausweise, „einlösen“. Die nicht mehr benötigten Boten erhielten offenbar eine Entschädigungszahlung. „Er-

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RKG Nr. 331 1803 September 5

holen“ sollte sich der Fiskal, wenn Fußboten zu reitenden Boten aufrückten. In diesem Fall mussten sie ihren erneuerten Ausweis wohl selbst bezahlen.

RKG Nr. 331 1803 September 5 [Der Reichsdeputationshauptschluß wird den Advocaten und Procuratoren als Gesetz bekannt gemacht.]1 Ihro glorwürdigst regierende Kaiserliche Majestät geruheten durch ein Allerhöchstes Rescript de dato Wien den 25. Julius laufenden Jahres den von Allerhöchstdenselben und dem Reiche ratificirten Lüneviller Friedensschluß, sodann den von der zur gänzlichen Berichtigung sothanen Friedens ernannten ausserordentlichen Reichsdeputation unterm 25. Hornung verfaßten Hauptschluß, das hierüber von den höchsten Kurfürsten, Fürsten und Ständen des Reichs an Kaiserliche Majestät unterm 24. März erstattete Reichsgutachten und endlich das unter den in dem Allerhöchsten Rescripte, besonders in Ansehung der zu Paris, den 26. December vorigen Jahrs, geschlossenen und zur Kenntniß der Reichsversammlung vorgelegten Convention und insonderheit deren im 4. Artikel bemerkten Vorbehaltungen ergangene Kaiserliche Ratificationsdecret vom 27. April laufenden Jahres dem Kaiserlichen Kammergerichte allergnädigst mitzutheilen, damit in den an dasselbe gelangenden Vorkommenheiten der Inhalt dieser Urkunden als gesetzliche Vorschrift beobachtet werde.2 Sämmtlichen dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Procuratoren wird dieses hiemit bekannt gemacht, um sich in ihren Amtsvorkommenheiten gleichfalls hiernach schuldigst zu beachten. Publicatum in Audientia, 5. Septembris 1803. In fidem3 Josephus Antonius Vahlkampf, Consilii pleni Camerae Imperialis Judicii Protonotarius manu propria4. Vorlage: RKG-Urteilssammlung 1803 S. 287. Weitere Ausgabe: Vahlkampf, Bd. II Tit. XXII Nr. 12, S. 393. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid übernimmt den Reichsdeputationshauptschluss und die zugehörenden weiteren Rechtsakte als Quellen für den Kameralprozess. Im Gegensatz zum Jüngsten 1 2 3 4

Der … gemacht in Vahlkampf. Absatz in Vahlkampf. Publicatum … fidem fehlt in Vahlkampf. Statt Consilii … propria in Vahlkampf Protonotarius Consilii pleni.

RKG Nr. 332 1803 November 14

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Reichsabschied von 1654, den das Reichskammergericht ebenfalls förmlich transformiert hatte (Gemeiner Bescheid vom 7. September 1654; oben RKG Nr. 126), enthielt der Reichsdeputationshauptschluss allerdings keinerlei Regelungen zum Kameralprozess. Dennoch hatte Franz II. dem Kammergericht die neuen Reichsgesetze förmlich mitgeteilt. Das Kameralkollegium gab sie den Anwälten durch den Gemeinen Bescheid als neue Rechtsgrundlagen bekannt (dazu in der Einleitung bei Anm. 234-240).

RKG Nr. 332 1803 November 14 [Ob und wie gegen die Stände der erhaltenen Entschädigungen wegen in jene Entschädigungslande betreffenden Processen Citatio ad reassumendum nachzusuchen.]1 Nachdem Zweifel vorgekommen, ob gegen diejenige höchste und hohe Reichsstände, welche nach dem neuesten Reichsschlusse Rechte und Besitzungen zur Entschädigung erhalten haben, die vorhin in andern Händen waren, auch in zum Urtel vorhin beschlossenen oder dafür angenommenen Sachen das Urtel sofort ertheilt werden könne oder zuvor Citatio ad reassumendum gegen die neuen Besitzer ergehen müsse: Als ist hiemit der Gemeine Bescheid, daß2 1.) in allen sowohl nicht submittirten als submittirten oder für beschlossen angenommenen Sachen sich der Procurator der Ordnung bedienen, das ist, gegen die neuen Besitzer um eine Ladung ad reassumendum und zwar3 2.) nicht anders als durch eine aussergerichtliche Supplication anrufen solle; daß4 3.) in submittirten oder für beschlossen angenommenen Sachen nach Erscheinung und Legitimation des Procurators des neuen Besitzers in der Regel zwar keine neue processualische Handlung zu gestatten, jedoch, wenn aus erheblichen Gründen um Aufhebung des Schlusses gebeten wird, die rechtliche Entscheidung des Senats darüber zu erwarten sey. Welches dieses Kaiserlichen Kammergerichts Advocaten und Procuratoren hiemit zur Nachachtung bekannt gemacht wird. Publicatum in Audientia, 14. Novembris 1803. In fidem5 Josephus Antonius Vahlkampf, Consilii pleni Camerae Imperialis Judicii Protonotarius manu propria6. 1 2 3 4 5 6

Ob … nachzusuchen in Vahlkampf. Absatz in Vahlkampf. Absatz in Vahlkampf. Absatz in Vahlkampf. Publicatum … fidem fehlt in Vahlkampf. Statt Consilii … propria in Vahlkampf Protonotarius Consilii pleni.

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RKG Nr. 333 1804 Dezember 17

Vorlage: RKG-Urteilssammlung 1803 S. 358. Weitere Ausgabe: Vahlkampf, Bd. II Tit. XXII Nr. 13, S. 394. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid betrifft die Rechtsnachfolge der 1803 weggefallenen ehemaligen Prozessparteien. Das Kameralkollegium löste alle praktischen Schwierigkeiten, die sich aus der zusammenstürzenden Reichsverfassung ergaben, rein zivilprozessual. Eine extrajudiziale Bitte um eine Citatio ad reassumendum sollte die neuen Landesherren als Rechtsnachfolger der mediatisierten und säkularisierten Parteien in die Kameralprozesse einbeziehen. Diese sollten in die laufenden Verfahren eintreten und konnten nicht auf neue Prozesshandlungen hoffen. Lediglich in Ausnahmefällen wollte das Gericht weitere Schriftsätze gestatten (dazu die Einleitung bei Anm. 242246).

RKG (ohne Nr.) 1804 Juli 10 „Plenarschlüsse des Kaiserlichen und Reichskammergerichts vom 10ten Julius 1804, die Befolgung des jüngsten Reichsschlusses vom 27ten April 1803 mittelst eines gleichförmigen Benehmens in den Senaten betreffend, nebst einigen Bemerkungen von J. A. Vahlkampf, des Kaiserlichen Kammergerichts Protonotar“, in Vahlkampf, Bd. I (1805), Nr. IX, S. 127 ff.. Es handelt sich hierbei nicht um einen Gemeinen Bescheid.

RKG Nr. 333 1804 Dezember 17 Nachdem an mehreren Zoll- und Chausseestätten zwischen hier und Frankfurt auf Kaiserliche Kammergerichtspässe die gebührende Rücksicht nicht genommen wird, und zwar unter dem Vorwande, daß öfters Personen, die nicht in die Classe der Kameralpersonen gehören, zum Nachtheile der herrschaftlichen Zoll- und Chausseekasse mit solchen versehen seyen, so wird, um diesem Vorwande zu begegnen und allenfallsigen Unterschleifen vorzubeugen, hiemit verordnet, daß die Kaiserlichen Kammergerichtspässe jederzeit nach gemachtem Gebrauche dem Kanzleyverwalter zurückgegeben werden sollen. In Consilio pleno, 17. Decembris 1804. - Publ[icatum] 20. e[odem] m[ensis] In fidem J[osephus] A[ntonius] Vahlkampf, Consilii pleni Camerae Imperialis Judicii Protonotarius.

RKG Nr. 334 1805 Oktober 25

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Vorlage: RKG-Urteilssammlung 1804, S. 449. Weitere Ausgaben: nicht bekannt. Anmerkung: Der Gemeine Bescheid behandelt die Legitimation von Kammerboten und anderen Gerichtsmitgliedern. Erstaunlicherweise boten die Reichsgerichte in dieser Endphase des Alten Reiches offenbar einen gewissen persönlichen Schutz. Personen, die durch Deutschland reisten, legten sich echte oder gefälschte Pässe zu und nahmen Kameralfreiheiten in Anspruch, auch wenn sie ihnen nicht zustanden. Die Territorien, hier das Dalbergische Frankfurt, bekamen das spitz und verwehrten solchen Ausweisen die Anerkennung. Echte Kammerboten hatten das Nachsehen und konnten ihre Ladungen nicht mehr zustellen. Das Kameralkollegium wollte durch strenge Kontrolle der ausgegebenen Ausweispapiere Missbräuche bekämpfen und auf diese Weise das Ansehen der Gerichtsmitglieder an den Landesgrenzen heben (dazu die Einleitung bei Anm. 247-248).

RKG Nr. 334 1805 Oktober 25 Die zeitherige Erfahrung hat gelehrt, daß die in der Audienz vorkommenden gerichtlichen Geschäfte sich gegen die Vorzeit überaus gemindert haben und daher die Ordnung unter den Procuratoren in jeder auch noch so kurzen Audienz herumgehe. Um nach Inhalt des Jüngsten Reichsabschieds § 88 durch überflüssige Audienzen nicht über die Noth bemühet und von andern Verrichtungen verhindert zu werden, ist, bis von Kaiserlicher Majestät und dem Reiche ein Anderes beliebt werden sollte, hiemit geordnet, daß 1.) wöchentlich nur zwey Audienzen und zwar am Mittwoch und Samstag Mittags 12 Uhr gehalten. Wenn aber 2.) an einem dieser Tage ein festum oder auch postfestum einfällt, die Audienz auf dem Tage vor dem Feste anticipirt werden solle. Wobey 3.) die in dem Gemeinen Bescheid vom 17. August 1574 bestimmten sechs Contumacial-Gerichtstage auf vier herabgesetzt werden, um binnen denselben theils durch Erscheinen die Circumduction zu verhindern, theils nach erkanntem Rufen gegen den Nichterschienenen das weitere Contumacialverfahren zu beginnen. J[oseph] A[nton] Vahlkampf, Consilii pleni Camerae imperialis Judicii Protonotarius Vorlage: Vahlkampf Bd. I Tit. XXXVI, S. 525. Weitere Ausgaben: nicht bekannt.

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RKG Nr. 334 1805 Oktober 25

Anmerkung: Der letzte Gemeine Bescheid des Reichskammergerichts behandelt die gerichtlichen Audienzen. Bis zum bitteren Ende bekannte sich das Wetzlarer Kameralkollegium zu diesen öffentlichen Auftritten. Ausdrücklich bekräftigte das Gericht sogar die Umfrageordnung unter den Prokuratoren. Das Reichsgebiet war erheblich geschrumpft, der Geschäftsanfall ging deutlich zurück. Das betraf nicht nur neu eingehende Sachen, sondern auch laufende Prozesse, an denen die Parteien das Interesse verloren hatten. Das Gericht verringerte die Zahl und Länge der Audienzen, die laut Vahlkampf zu dieser Zeit nicht einmal mehr zehn Minuten dauerten, behielt sie als solche aber bei. Mit einem Verweis auf den Gemeinen Bescheid vom 17. August 1574 (oben RKG Nr. 72) stellte sich das Reichskammergericht selbst zuletzt noch in die Tradition des eigenen Stilus curiae. Der Sache nach ging es um die Prozessbeschleunigung bei Säumnisfällen.

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