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German Pages [207] Year 2016
Angelika Franz | Daniel Nösler
Geköpft und gepfählt Archäologen auf den Spuren von Untoten
Für Buffy Summers und Jon Schnee.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung 7 1 Leben und Tod in Mittelalter und Früher Neuzeit 2
Beim Namen genannt – Arten von Untoten
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Wie wird man zum Vampir?
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Darstellung des Grauens – Der Untote in den Schrift- und Bildquellen des Mittelalters 60
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5 Die Wissenschaft der Vampire – Untote in der Archäologie 6
Wer waren die Untoten? – Die Forensik der Wiederkehr
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Maßnahmen gegen Nachzehrer und Wiedergänger in der Volkskunde 157
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Untote der jüngsten Vergangenheit Bis zuletzt: Untote zu allen Zeiten
Anhang Literatur 198 Bildnachweise 207 Dank 208
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Einleitung
Wie verzweifelt muss ein Mensch sein? Welche innere Abscheu, welche moralischen Schranken muss er überwinden, um nachts auf den Friedhof zu gehen und das Grab eines kürzlich verstorbenen Toten zu öffnen? Gheorghe Marinescu, Schwager des kurz vor Weihnachten in dem walachischen Dorf Marotinul de Sus verstorbenen Petre Toma glaubte jedenfalls, einen guten Grund zu haben. Seine Tochter war schwer krank. Nachts, behauptete sie, käme ihr Onkel Petre sie besuchen. Ganz schrecklich sei das, der Onkel beschere ihr furchtbare Albträume, in denen er ihr Herz verspeisen würde. Marinescu war klar, was das bedeutete: Sein Schwager sei ein strigoi. Ein Untoter. Ein Wiedergänger, der nachts aus seinem Grab steigt und seine Nichte holen will. Gheorghe Marinescu weiß so gut wie jeder im Dorf, was zu tun ist. Das hatte er schon als Kind gelernt, von seinem Vater. Und der hatte es bereits von seinem Vater gelernt. Zusammen mit fünf seiner Kumpanen trinkt er sich in der kalten Nacht zum 9. Januar zunächst einmal gehörig Mut an, bevor die Männer sich an dem frischen Grab unter dem rohen Holzkreuz zu schaffen machen. Als sie den Deckel des Sarges aufbrechen, bestätigt sich ihr Verdacht. Die Arme des Toten liegen nicht mehr ordentlich über der Brust gefaltet, sondern neben dem Körper. Der Kopf ist verdreht, um den Mund eine Kruste aus schaumigem Blut. Mit einer Handsense schlitzen die Männer die halbverweste Haut kreuzförmig auf. Um die Rippen zu brechen, greifen sie zu einer Mistforke. Mit dem aufgespießten Herzen gehen sie anschließend zu einer Wegkreuzung. Dort stopfen
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sie glühende Kohlen in die Kammern und wickeln am Ende die verkohlten Reste in ein Küchenhandtuch. Zu Hause angekommen zerstoßen sie die Stücke von Petre Tomas Herz im Mörser und verrühren sie in Wasser, seine Nichte muss das Gebräu hinunterwürgen. Der Einsatz hat sich gelohnt. Kaum ist das Glas geleert, geht es ihr besser. Der strigoi scheint gebannt, Frieden kann nun wieder einkehren in Marotinul de Sus. Was sich liest wie ein mittelalterliches Schauermärchen oder die Vision eines fantasiebegabten Romanautors, geschah tatsächlich erst vor wenigen Jahren, im Januar des Jahres 2004. Und Frieden kehrte nicht ein in Marotinul de Sus. Denn eine der Töchter des Toten reichte eine Klage beim Staatsanwalt in der Kreisstadt Craiova ein. Die Frau ist dem kleinen Dorf längst entwachsen, hat vor Jahren schon einen Städter geheiratet. Was die Männer mit ihrem Vater gemacht haben, will sie nicht hinnehmen. Doch ihre Anklage macht alles nur noch schlimmer. Für die Ermittlungen muss der Leichnam Petre Tomas erneut exhumiert werden. Unter den Augen der versammelten Dorfgemeinschaft bricht man das Grab auf. Tatsächlich, die Spuren lassen keinen Zweifel zu: Der Körper ist nackt, der Brustkorb offen, dort, wo das Herz war, klafft ein Loch. Die Täter verurteilt man zu sechs Monaten Gefängnis. Doch antreten muss die Strafe niemand, eine Aufforderung zum Haftantritt wird nie verschickt. „Die haben doch nichts unrechtes getan”, sind sich alle im Dorf einig. Schließlich habe man das doch schon immer so gemacht, wenn ein strigoi sein Unwesen treibe. Und wird es auch, wenn es sein muss, jederzeit wieder tun. Wer sich jetzt angenehm gegruselt zurücklehnen möchte, in der sicheren Gewissheit, dass solche Geschichten vielleicht in abgelegenen Dörfern der Walachei passieren mögen, aber mit Sicherheit nicht in unseren aufgeklärten Regionen Mitteleuropas, der sei gewarnt. Auch bei uns werden nicht alle Toten für tot gehalten. Wir müssen nicht einmal bis ins Mittelalter zurückblättern. Sondern gerade einmal auf Seite 51 des Nachrichtenmagazins Der Spiegel vom 1. Juli 1964. Dort wird unter den Nachrichten aus Deutschland vermeldet, dass der 19-jährige Westberliner Raimund Kößling seine
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Vermieterin Anna Arndt, 78, ermordet habe – und zwar mit einem Schnitt durch die Kehle und einem in die Brust gestoßenen Holzspan. Bei seiner Verhaftung habe er versucht, der Kriminalpolizei zu erklären, warum: „Sie hatte Macht über mich, sie ist ein Vampir. Darum mußte ich sie töten.“ Die Kriminalpolizei übergab den Häftling den psychiatrischen Sachverständigen – sie sollten klären, was an der Geschichte dran sei. Der Artikel endet mit dem Satz: „Es wäre das erste Verbrechen dieser Art in der modernen deutschen Kriminalgeschichte.” Das trifft zwar für die Bundesrepublik und für die Ermordung lebendiger Vampire zu. Doch die Enthauptung toter – oder besser untoter – Vampire liegt nur knapp 30 Jahre weiter zurück. Noch 1932 vermerken die Gerichtsakten für das oberschlesische Dorf Rosdzin, heute ein Teil der polnischen Stadt Katowice, die Enthauptung einer Leiche. Das Motiv für die Tat: Der Tote sei ein Vampir gewesen. Und am 30. September 1913 wurde eine Gruppe von Männern vom Landgericht Danzig zu Strafen zwischen einem Monat und sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Sie hatten eine zweieinhalb Jahre zuvor verstorbene Frau ausgegraben und ihr mit dem Spaten den Kopf abgeschlagen. Auch sie, sagten die Verurteilten vor Gericht aus, sei ein Vampir gewesen und habe bereits sieben Familienmitglieder nachgeholt. Und mal ganz ehrlich: Ein kleines bisschen glauben wir alle doch noch immer an sie, oder? Bei jedem noch so rationalen Menschen wird sich der Puls beschleunigen, wenn er des Nachts alleine einen Friedhof überquert. Warum? Was passiert da in unserem Unterbewusstsein? Es ist eine Urangst, an der gerüttelt wird. Der Untote ist ein Urmythos, tief verwurzelt in der Vorstellungs- und Glaubenswelt des Homo sapiens. Wir können uns ebenso wenig dagegen wehren wie gegen den Respekt vor der Zerstörungskraft des Feuers oder gegen die Tatsache, dass wir uns in der Helligkeit des Tages wohler fühlen als im Dunkel der Nacht. Immer und überall haben Menschen an Untote geglaubt: Von der Steinzeit bis heute, von den chinesischen Jiang Shi bis zu den draugar Skandinaviens wimmelt unsere Geschichte von Vampiren, Wiedergängern und Nachzehrern. Erst ein Blick über den Tellerrand
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der Legenden hinaus in die ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen der Ethnologie, der Geschichte und vor allem der Archäologie und Forensik zeigt, wie präsent die Untoten immer waren. Dieses Buch trägt zum ersten Mal umfassend die ganz unterschiedlichen Belege für den Glauben an sie aus all diesen Bereichen zusammen. Das Fazit: Die Friedhöfe sind voll von Untoten. Zu erkennen allerdings nicht an den spitzen Eckzähnen oder blutigem Schaum vor dem Mund – sondern an den Maßnahmen, mit denen die Hinterbliebenen versuchten, sie im Grab zu halten und an der Wiederkehr zu hindern. Mal sind es lange Eisennägel, mit denen sie den Körper im Sarg festschlugen, mal schwere Steine, die sie den Untoten auf die Brust legten. Und manchmal erkennt man den ehemaligen Vampir nur an dem Loch, wo einst ein Herz war. Untote sind kein Phänomen abgelegener Dörfer in weit entfernten Landstrichen. Sie sind mitten unter uns. Zum Beispiel in Berlin, auf dem Gelände des Skandalflughafens BER International wimmelte es geradezu von Untoten. Bevor die Bauarbeiten begannen, stand dort der Ort Diepensee. Doch der musste dem Neubau weichen und wurde im Jahr 2004 komplett umgesiedelt. Als die Baumaschinen anrückten, untersuchten Archäologen das Gelände – und den Friedhof. Besonders interessant waren die mittelalterlichen Gräber. Sie alle datieren sehr genau in den Zeitraum zwischen dem frühen 13. und der Mitte des 14. Jahrhunderts, als das Dorf – vermutlich nach einer Pestwelle – aufgegeben wurde. Die Archäologen fanden 422 Tote – und 25 davon, also fast sechs Prozent, standen unter dem dringenden Verdacht, nicht wirklich für tot gehalten worden zu sein. Die Dorfbewohner hatten sich große Mühe gegeben, diese Toten auf ewig ans Grab zu binden: sie mit Steinen beschwert oder auf den Bauch gedreht, die Beine abgeschlagen und zusätzlich noch mit einem verkohlten Holzbrett bedeckt, in einem Fall sogar nachträglich den Kopf abgehackt. Mit der Pest starb scheinbar auch der Glauben an die Untoten aus. Als der Ort im 18. Jahrhundert neu besiedelt wurde, war Ruhe auf dem Friedhof eingekehrt. Sogar das von nüchternen Kaufleuten besiedelte Hamburg hat seine Wiedergänger. Mitten im Speckgürtel der Großstadt liegt die
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Gemeinde Harsefeld, einst ein religiöses Zentrum zwischen Weser und Elbe. Hier tauchten bei Ausgrabungen zwei Untote im Kreuzgang des mittelalterlichen Klosters auf: Einer wurde mit Steinen beschwert, der andere mitsamt dem Sarg umgedreht in die Erde gelegt und sicherheitshalber zusätzlich noch eingemauert. Und im Süden Deutschlands machten die Untoten den Lebenden ebenfalls zu schaffen. Im oberpfälzischen Mockersdorf zum Beispiel, nur 20 Kilometer von Bayreuth entfernt, scheint ein regelrechtes Nest gelegen zu haben. Auf dem Friedhof ging es bei sechs von knapp 30 entdeckten Toten nicht mit rechten Dingen zu – sie wurden gefesselt oder mit Steinen beschwert. In einem Fall nagelte man den Kopf einer Toten im Grab fest: nachträglich mit dem eigenen Unterarmknochen. Wo liegt der Ursprung dieses Glaubens? Wie weit in die Vergangenheit können wir ihn zurückverfolgen? Wann tauchen die ersten Untoten aus dem Dunkel unserer Geschichte auf? Die Fragen sind schwer zu beantworten – je weiter wir zurückgehen, desto schwieriger wird es für uns, die Zeichen noch zu deuten. Eisennägel gab es noch nicht, Holzpflöcke sind längst vergangen. Was erhalten geblieben ist, sind Grababdeckungen: Vorrichtungen, mit denen das Grab quasi versiegelt wurde. Hervorragend für diesen Zweck geeignet ist beispielsweise das Schulterblatt eines Mammuts. Es ist groß, schwer – und schon ohne große Umarbeitung ungefähr deckelförmig. Österreichische Archäologen fanden in Krems-Wachtberg ein Mammutschulterblatt über den Skeletten zweier Neugeborener, die im Jungpaläolithikum vor rund 27.000 Jahren gestorben waren. Die beiden kleinen Körper lagen eng aneinandergeschmiegt auf ihrer linken Seite, den Blick nach Osten, die Beinchen angewinkelt. Das gleiche Alter zum Todeszeitpunkt und die gemeinsame Bestattung lassen vermuten: Die beiden waren wohl Zwillinge. Ihre Knochen waren dick mit Rötel bedeckt. Die Rötelschicht hatte allerdings zum umliegenden Boden eine scharfe Grenze – wahrscheinlich waren die beiden mit Farbe bestrichenen Körper bei der Bestattung fest in ein organisches Material gewickelt, zum Beispiel ein Fell. Im Becken bereich des hinteren der beiden Kinder fanden die Ausgräber viele
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kleine Knochenperlen, vermutlich die Reste einer Kette. Für die Bestattung hatte man eine Grube ausgehoben, die Kinder hineingelegt – und diese am Ende sorgfältig mit einem Mammutschulterblatt verschlossen. Sehr sorgfältig: Aus diesem Grab gab es kein Entkommen. Zur Glättung hatte man dem Knochen die Schulterblattgräte (Spina scapulae) abgeschlagen – so konnte er glatt aufliegen und wackelte nicht. Die andere Seite wurde mit einem bearbeiteten Elfenbeinfragment so abgestützt, dass er auch hier fest auflag. Etwa zur gleichen Zeit verwendeten Menschen im heute tschechischen Dolní Věstonice ebenfalls die Schulterblätter eines Mammuts, um das Grab einer alten Frau abzudecken. Für ihre Zeit, das frühe Gravettien, war sie sogar uralt: Wahrscheinlich hatte sie ihren 40. Geburtstag bereits hinter sich, als sie starb. Auch bei ihr waren Gesicht und Oberkörper mit Rötel bedeckt. Neben ihrem Kopf lag eine Pfeilspitze, und ihre Hand umklammerte einen Polarfuchs. Das Überraschendste aber war eine kleine Elfenbeinfigur, die unweit des Grabes gefunden wurde. Das Figürchen stellt eine Frau dar, deren linke Gesichtsseite entstellt ist: Das Auge fehlt, die Gesichtszüge sind verzerrt. Genau so muss die Frau in dem Grab ausgesehen haben, denn ihre Gesichtsknochen zeigen genau diese Entstellungen. In beiden dieser Fälle aus der Altsteinzeit bedecken also Mammutschulterblätter die Skelette von Individuen, die zu Lebzeiten – so kurz sie auch gewesen sein mögen – etwas ganz Besonderes darstellten. Zwillingsgeburten waren immer selten und haben in vielen Kulturen einen Sonderstatus in der Gesellschaft – in einigen gelten sie als Segen, in anderen als Fluch. Und auch die alte Frau war mit ihrem entstellten Gesicht und ihrem hohen Alter ein Sonderfall – die Ausgräber interpretierten sie sogar als Schamanin. Mit Sicherheit können wir natürlich nicht wissen, ob die Hinterbliebenen die Mammutschulterblätter über die Toten legten, weil sie Angst vor deren Wiederkehr hatten. Aber als einfache Schutzmaßnahme vor Aasfressern wäre so ein Mammutschulterblatt die berühmte Kanone für die Spatzenjagd – einfach ein paar Nummern zu groß. Und wenn es nicht darum ging, jemandem davon abzuhalten, in das Grab hinein zu gelangen – dann bleibt eigentlich nur die umgekehrte Richtung: hinaus.
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Damit reicht dann die Zeitspanne des Wiedergängerglaubens von der Altsteinzeit bis in unsere Gegenwart. Wechseln wir doch einmal die Perspektive: Wenn der Glaube an die Rückkehr der Toten so alt ist wie die Menschheit selbst, dann sind wir nur die erste Generation, die nicht mehr an sie glaubt. Dann ist die rationale Schicht, die wir über diese Urangst gelegt haben, nur so dünn wie die Eisschicht über dem Gartenteich nach der ersten Frostnacht. Und auch heute noch sterben jede Menge Menschen, die unter anderen Umständen oder zu anderen Zeiten als Untote gegolten hätten. Vampire sind nach wie vor unter uns. Der einzige Unterschied ist, dass die meisten von uns nicht mehr zugeben – nicht einmal vor sich selbst –, an sie zu glauben. Aber alles, was uns von ihnen trennt, ist nur diese dünne Eisschicht, die wir Rationalität nennen. Gibt es nun Vampire, oder gibt es sie nicht? Diese Frage hätte wohl jeder Grieche, Römer, Kelte, Germane oder Wikinger mit einem verständnislosen „ja, natürlich“ beantwortet und sofort angefangen, mindestens ein Beispiel von einem Onkel, Cousin, Schwager oder Nachbarn zu berichten, den man erfolgreich am Wiedergehen hindern konnte. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschäftigte sich auch die deutsche Wissenschaft ausgiebig mit dieser Frage. In der Leipziger Vampirdebatte überschlugen sich zwischen 1725 und 1734 die Theologen, Naturforscher und Ärzte in Dissertationen und Traktaten, die letztendlichen Beweise für die Existenz von Vampiren vorzulegen – oder diese zu widerlegen. Die akribisch geführten Akten der damaligen Fälle von Vampirismus sind die ausführlichsten Schilderungen, die wir haben. Ausgelöst wurde die Debatte durch einen Bericht, den der kaiserliche Verwalter Frombald am 6. April 1725 verfasste. Darin schildert er merkwürdige Vorkommnisse in dem Dorf Kisolova, dem heutigen Kisiljevo, im österreichisch besetzten Serbien. Dort, schreibt der gewissenhafte Beamte, sei vor zehn Wochen ein gewisser Peter Plogojowitz verstorben, den man auch ordnungsgemäß begraben habe. Doch dann begann der Ärger. Binnen acht Tagen starben neun weitere Personen. Auf dem Totenbett erzählten sie alle die gleiche unglaubliche Geschichte, nämlich „daß obbemeldeter, vor
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10 Wochen verstorbener Plogojowitz zu ihnen im Schlaff gekommen, sich auf sie geleget und gewürget, daß sie nunmehro den Geist aufgeben müsten.“ Auch seine Frau besuchte Peter Plogojowitz – allerdings nicht, um sie zu würgen. Von ihr verlangte er lediglich die Herausgabe seiner Schuhe, damit er Kisolova verlassen und sich ein anderes Dorf suchen könne. Nun kannten die Bewohner von Kisolova sich glücklicherweise mit Vampyri, wie sie Untote wie Peter Plogojowitz nannten, aus. Denn schon einmal war ihr Dorf von ihnen heimgesucht worden. Damals, noch unter türkischer Herrschaft, hatten die Untoten gar sämtliche Dorfbewohner dahingerafft. Soweit wollten die Leute von Kisolova es diesmal nicht kommen lassen. Sie verlangten die Öffnung des Grabes, um sich zu vergewissern, dass Peter Plogojowitz tatsächlich ein Vampyr sei. Das könne man ganz einfach feststellen: „Sintemal aber bey dergleichen Personen [...] verschiedene Zeichen, als dessen Cörper unverweset, Haut, Haar, Barth und Nägel an ihm wachsend zu sehen seyn müsten“, erklärten sie dem kaiserlichen Verwalter. Dem war nicht ganz wohl bei der Sache. Aber nichts konnte die Dorfbewohner davon abhalten, zu tun, was sie für absolut notwendig hielten. Und tatsächlich, die bösen Vorahnungen bestätigten sich. Als der Sarg geöffnet wurde, fand man, „daß erstlich von solchem Cörper und dessen Grabe nicht der mindeste, sonsten der Todten gemeiner Geruch, verspühret, der Cörper, ausser der Nasen, welche abgefallen, gantz frisch, Haar und Barth, ja auch die Nägel, wovon die alten hinweggefallen, an ihm gewachsen, die alte Haut, welche etwas weißlich war, hat sich hinweg gescheelet, und eine neue frische darunter hervor gethan, das Gesichte, Hände und Füsse und der gantze Leib waren so beschaffen, daß sie in seinen Lebzeiten nicht hätten vollkommener seyn können.“ Und nicht nur das. Im Mund des Toten entdeckte der Beamte sogar Blut – und zwar keineswegs geronnen, sondern frisch. Die Bewohner von Kisolova waren nun nicht mehr zu stoppen. Sie schnitzten einen Pfeil und stießen ihn dem Untoten durchs Herz. Große Mengen Blut strömten dem Vampyr aus Ohren und Mund, und „andere wilde Zeichen“, die Frombald „aus Respekt“ jedoch in
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seinem Bericht verschweigt, kündeten vom Todeskampf des Ungeheuers. Am Ende verbrannten sie den Körper zu Asche. Diesen Bericht des kaiserlichen Verwalters liest der junge Gelehrte Michael Ranft, der an der Universität Leipzig Philosophie studiert. Ranft glaubt nicht an Geister. Er versucht, eine wissenschaftliche Erklärung für die Vorfälle in Kisolova zu finden. Warum verwesen die Toten nicht? Warum wachsen neue Haut und Nägel? Wie kommt das Blut in den Mund der Toten? Wie schaffen die Toten es, das Grab zu verlassen? Und warum sterben jene Menschen, die sie besuchen? Seine 1728 erschienene Dissertationsschrift Dissertatio historico-critica de masticatione mortuorum in tumulis oder Vom Kauen und Schmatzen der Todten in den Gräbern beschäftigt sich mit diesen Fragen. Nicht Peter Plogojowitz sei es gewesen, der die Dorfbewohner tötete, folgert Ranft in seiner Abhandlung, sondern deren eigene Angst: „Dieser wackere Mann ist eines plötzlichen und gewaltsamen Todes gestorben. Dieser Tod, wie er sich auch immer zugetragen haben mag, kann bei den Lebenden Visionen hervorgerufen haben, die sie nach dessen Verschwinden heimsuchten. Der unverhoffte Tod bewirkt Unruhe in der Umgebung des Toten. Die Beunruhigung hat die Betrübnis zum Gefährten. Die Betrübnis gebiert die Melancholie. Die Melancholie bringt schlaflose Nächte und Angstträume. Und diese angsterfüllten Träume schwächen Körper und Geist solange, bis sich die Krankheit naht, und am Ende dann der Tod.“ Sollte der Spuk von Kisolova etwa nichts anderes gewesen sein als eine Massenhysterie mit tödlichem Ausgang? Als sich gegen Ende des Jahres 1731 das rund 300 Kilometer südlich von Kisolova gelegene Dorf Medvegia ebenfalls über eine Vampirplage beschwerte, entsandte man zunächst den kaiserlichen Seuchenarzt Glaser dorthin, um die Sache näher zu untersuchen. Doch was er von dort berichtete, ließ sich nicht so einfach mit Ranfts Thesen wegdiskutieren. Zwar hatte man alle Toten auf ein und demselben Friedhof in identischer Erde bestattet. Aber während einige von ihnen verwest waren, schienen sich andere Leichen bester Gesundheit zu erfreuen. Glasers Vorgesetzte in der Verwaltungsstadt Jagodina fühlten
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sich überfordert, der Fall wanderte vor die oberste Militärbehörde nach Belgrad. Dem müsse man auf den Grund gehen, fand man dort, und entsandte zwei Stabsärzte, zwei Armeeangehörige und einen Priester nach Medvegia. Am 7. Januar 1732 setzt der Stabsarzt Johann Flückinger sich an den Schreibtisch und verfasst seinen Bericht über die „so genannte Vampirs, oder Blut-Aussauger“. Die ganze Affäre hatte begonnen, als ungefähr fünf Jahre zuvor ein Wehrbauer namens Arnold Paole vom Heuwagen fiel, sich den Hals brach und wenig später verstarb. Ein seltsamer Kerl, dieser Paole. Denn „dieser hatte bey seiner Lebens-Zeit sich öffters verlauten lassen, daß er bey Gossowa in dem Türckischen Servien von einem Vampir geplagt worden sey, dahero er von der Erde des Vampirs Grab gegessen, und sich mit dessen Blut geschmieret habe, um von der erlittenen Plage entlediget zu werden.“ Zwar ließ der Unhold ihn daraufhin in Ruhe – doch um seinen Seelenfrieden war es geschehen. Kaum fand sein Leben ein Ende, wurde auch Paole zum Vampir. Etwa 20 Tage nach seinem Tod berichteten die ersten Dorfbewohner, der Tote sei ihnen im Schlaf erschienen, rasch hintereinander starben vier der Besuchten. In Medvegia reagierte man schneller als in Kisolova. Ohne lange auf die Erlaubnis der Habsburger zu warten, exhumierte man den Leichnam. Wie schon bei Plogojowitz fanden die Ausgräber auch bei Paole, „daß er gantz vollkommen und unverwesen sey, auch ihm das frische Blut zu denen Augen, Nasen, Mund und Ohren herausgeflossen, das Hemd, Ubertuch und Truhe gantz blutig gewesen, die alte Nägel an Händen und Füßen samt der Haut abgefallen, und dargegen neue andere gewachsen sind”, berichtet Flückinger. Als sie sahen, dass er also ein „würcklicher Vampir“ sei, schlugen sie ihm den Pfahl durch das Herz, woraufhin dieser „einen wohlvernehmlichen Gächzer gethan und ein häuffiges Geblüt von sich gelassen.“ Sicherheitshalber ließ man seinen vier Opfern dieselbe Behandlung zukommen. Alle Mühe war aber vergeblich, denn Paole hatte nicht nur Menschen belästigt, sondern auch dem Vieh das Blut ausgesaugt. Doch statt den armen toten Tieren gleich den Pflock durch das Herz
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zu rammen, hatte man sie gebraten und verzehrt – eine Mahlzeit, die 17 weiteren Personen den Seelenfrieden kosten sollte. Vorher noch quicklebendig, verstarben sie nun nach kurzer, heftiger Krankheit. Noch am Nachmittag begibt sich die Kommission auf den Friedhof, exhumiert alle Verdächtigen und seziert deren Körper bis spät in die Nacht hinein. Zwischen den Zeilen von Flückingers nüchterner, wissenschaftlicher Auflistung der Untersuchungsergebnisse drängt unweigerlich der Horror hervor, den die Männer in jener Nacht erlebten. 15 Leichen gruben sie aus. Männer, Frauen und Kinder, die ältesten 60 Jahre alt, das jüngste gerade einmal acht Tage. Nur fünf von ihnen konnten die Ärzte als augenscheinlich tot klassifizieren, ihre Körper befanden sich in einem entsprechend fortgeschrittenen Stadium der Verwesung. Die übrigen zehn aber sahen – obwohl sie ebenso lange Seite an Seite mit jenen gelegen hatten, deren Fleisch der Boden und die Würmer willig aufnahmen – unversehrt aus. „Nach Eröffnung des Cörpers zeigte sich in cavitate pectoris eine Quantität frisches extravasirtes Geblüts; Die vasa, als arteriae und venae nebst denen ventriculis cordis, waren nicht wie es sonsten gewöhnlich, mit coagulirtem Geblüt impliret; Die sämtliche Viscera, als Pulmo, hepar, stomachus, lien et intestina waren dabey gantz frisch, gleich bey einem gesunden Menschen“, notiert Flückinger von einer jungen Frau namens Stana, die zwei Monate zuvor im Kindbett gestorben war. „Die Haut an Händen und Füßen, samt den alten Nägeln fielen von sich selbst herunter, hergegen zeigeten sich nebst einer frischen und lebhafften Haut, gantz neue Nägel.“ Warum sie sich angeblich, bereits schwanger, mit dem Blut eines Vampirs bestrich, lässt der Arzt unbeantwortet. Aber er vermerkt, dass natürlich auch das Kind die Geburt nicht überlebte und zum Leben eines Vampirs verdammt sei. Bei seinem Begräbnis habe man allerdings äußerst leichtsinnig gehandelt, fügt er hinzu. Hunde hätten es sofort wieder ausgescharrt und die Hälfte des Neugeborenen verzehrt. Einigen Toten erging es offenbar sogar besser als zu Lebzeiten. Bei der Sektion einer 60-jährigen Frau wunderte Flückinger sich über das viele Fett, das die Alte angesetzt hatte. Vor allem, weil die
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anwesenden Wehrbauern einhellig aussagten, „daß sie das Weib von ihrer Jugend auf wohl gekannt“ hätten, aber diese „Zeit ihres Lebens gantz mager und ausgedörrter ausgesehen“ habe. Sie gehörte zu jenen, die sich an dem Fleisch der ausgesaugten Schafe sattgegessen hatten. Der österreichische Arzt hätte auch nach heutigen Maßstäben einen guten Forensiker abgegeben. Am Hals der 20-jährigen Stanacka Jowiza findet er „rechter Seiten unter dem Ohr eine blauen mit Blut unterloffenen Fleck eines Fingers lang“ und erinnert an die Schilderung ihres Schwiegervaters: Sie musste sterben, weil der kurz zuvor verstorbene 25-jährige Wehrbauern-Sohn Milloe sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf riss und heftig würgte. Auch bei ihr notiert er die typischen Merkmale eines Vampirs: „balsamlich frisches Geblüt“, Haut und Nägel sind „gleichsam gantz frisch“. Die unschuldigen verwesten Toten dürfen nach der Untersuchung zurück in ihre Gräber. Den Untoten aber schlagen „dasige Zigeuner“ die Köpfe ab, verbrennen sie mitsamt den Körpern und streuen die Asche in den Fluß Morava. „Actum ut supra“ endet Flückinger seinen Bericht – so geschehen wie oben geschrieben. Konnte man diese Geschehnisse in Serbien noch als selbstverschuldete Massenhysterie abtun? Die Medien stürzten sich auf die Geschichte, zahlreiche Zeitungen druckten den Bericht des Stabsarztes nach. Mehr als 20 Theologen, Historiker, Mediziner und Naturforscher versuchten in eigenen Schriften, Erklärungen für die Szenen zu finden, die sich in Kisolova und Medvegia abgespielt hatten. Sogar der preußische König Friedrich Wilhelm I. wollte es nun wissen und beauftragte die Berlinische Akademie, ein Gutachten zu erstellen. Am Ende gab es viele Meinungen – nur die Fragen „Gibt es nun Vampire, oder gibt es sie nicht?“ und „Wenn ja, wer oder was sind diese Wesen?“ konnte immer noch niemand befriedigend beantworten. Die Menschen indes scherte es herzlich wenig, was die Gelehrten in ihren Schreibstuben sich ausdenken mochten. Sie erkannten einen Vampir, wenn sie ihn sahen – und wussten, was zu tun war. In den Dörfern Mittel- und Osteuropas griff man weiterhin beherzt zu Spaten und Pflock und verbrannte am Ende die Reste.
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Während der Arbeiten zu diesem Buch wurden wir oft gefragt, ob wir denn selber an Untote glauben. Nun ja. Am Anfang dieses Buches stand die Neugierde. Alles, was wir als Ausgangspunkt hatten, war eine Sammlung archäologischer Funde, die noch niemand zusammenhängend angeschaut hatte, und eine Handvoll historischer Berichte von Vorfällen mit Untoten. Wie viele weitere würden wir finden können? Welche Aussagen würden sich mit wissenschaftlichen Methoden über sie treffen lassen? Aus der Neugierde wurde im Lauf der Recherche schnell eine Art Jagdeifer – denn wir fanden viel mehr als erwartet. Je länger wir uns mit dem Thema beschäftigten, desto mehr von ihnen krochen aus allen Ecken und Winkeln hervor. Unter der kleinen sichtbaren Spitze aus publizierten Grabungsergebnissen und volkskundlichen Befragungen fanden wir ziemlich schnell einen riesigen Eisberg des Untodes. Die anthropologischen Untersuchungen, die historischen Berichte und die ethnologischen Analysen zeichneten ein immer deutlicheres Bild – die Untoten nahmen zu allen Zeiten und in allen Kulturen einen viel größeren Raum ein, als wir vermutet hatten. Und die Suche nach den Untoten ist noch nicht zu Ende. Die Forschung hat gerade erst begonnen, sie nicht als Aberglauben abzutun und totzuschweigen, sondern sie als ernsthaftes historisches Phänomen wahrzunehmen. Es ist an der Zeit, sich an einen unangenehmen Gedanken zu gewöhnen: Für den größten Teil der Menschheitsgeschichte galt die Anwesenheit von Untoten als eine Selbstverständlichkeit. Das wenn auf dem Grab jedes Ermordeten eine Kerze brennen würde, unsere Friedhöfe nachts taghell erleuchtet wären, ist eine alte Volksweisheit. Ähnliches gilt für die Untoten: Wollten wir auf dem Grab eines jeden, der einer Wiederkehr verdächtigt werden könnte, eine Kerze anzünden, würden unsere Friedhöfe vermutlich lichterloh in Flammen stehen. Diese massive Präsenz der Untoten mitten unter uns hat uns dann doch überrascht. Damit hatten wir nicht gerechnet. Begegnet ist uns noch keiner. Aber kann es schaden, ganz hinten in der Ecke des Kofferraums – gleich hinter dem Warndreieck – immer einen Spaten, einen Holzpflock, einen Kanister Benzin und ein Feuerzeug dabei zu haben? Nur für Notfälle, versteht sich.
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Leben und Tod in Mittelalter und Früher Neuzeit
Wünsche und Bedürfnisse – Der lebende Leichnam als Person
Als am 22. Mai 337 Flavius Valerius Constantinus, bekannt als Konstantin der Große, starb, stand das Römische Reich vor einem Dilemma. Es fehlte ein eindeutiger Nachfolger, und an der blutigen Feindschaft seiner drei Söhne und seines Neffen drohte das Reich zu zerbrechen. Die Lösung war elegant und einfach: Konstantin musste Kaiser bleiben, bis die Thronfolge geregelt war. Also herrschte Konstantin noch den ganzen Sommer über weiter, bis er am 9. September 337 bestattet wurde. Aufgebahrt in seinem Palast wurde Konstantin weiterhin wie ein lebender Herrscher behandelt. Besucher mussten ihm die Ehrerbietung erweisen. Eusebius von Caesarea berichtet von dieser Totenherrschaft in seiner Vita des Kaisers: „Der Selige herrschte auch noch nach seinem Tod als einziger unter den Sterblichen. Die gewohnten Pflichten wurden erfüllt, als ob er noch lebte. […] Weil er allein wie kein zweiter der Imperatoren den Alleinherrscher Gott und seinen Gesalbten durch mannigfache Taten geehrt hatte, erlangte er diese Dinge zu Recht und der Gott, der über allem ist, erachtete ihn für würdig, dass sein sterblicher Leichnam unter den Menschen herrschte. Denn er zeigte auf diese Weise denen, deren Herz nicht aus Stein ist, die alterslose und nie endende Herrschaft der Seele.“ Diese ganze Prozedur war nur möglich, weil Konstantins Körper nicht verbrannt wurde – wie sonst bei allen römischen Kaisern vor ihm. Dieser Nachfolgeregelung, die wir hier so deutlich zum ersten Mal bereits in der Spätantike fassen können, liegt eine Annahme zu
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L E B E N U N D T O D I N M I T T E L A LT E R U N D F R Ü H E R N E U Z E I T
Grunde, die sich von unserer heutigen Sichtweise diametral unterscheidet: Der Mensch bleibt auch im Tod eine Person. Als solche kann er aktiv herrschen, bestimmen – und auch für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Sichtweise bestimmte das gesamte Mittelalter und die Frühe Neuzeit hindurch nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch die Gesellschaft. Erst in jüngster Zeit änderte sich das Verständnis zu den Toten – sie gelten heute nicht mehr als Person, sondern als Sache. Wenn der Mensch auch nach seinem Tod noch als Person wahrgenommen wird, dann bekommt sogar der oft gebrauchte Satz „die Liebe überdauert den Tod“ eine ganz neue Bedeutung. So soll der Legende nach im mittelalterlichen Portugal der Thronfolger und spätere König Dom Pedro I. von seinem Vater, dem König Dom Afonso IV., gezwungen worden sein, aus politischen Gründen eine kastilische Prinzessin zu ehelichen. Verliebt war er jedoch in Inês de Castro, eine Edelfrau aus deren Gefolge, und zeugte mit ihr drei Kinder. Alfonso IV. duldete dieses Verhalten seines Sprösslings nicht und ließ Inês im Jahr 1355 nach einem Schauprozess ermorden – was einen blutigen Bürgerkrieg zwischen Vater und Sohn auslöste. Nachdem Pedro I. die Königswürde erlangt hatte, ließ er die bereits fünf Jahre vorher gestorbene Inês exhumieren, in prunkvolle Krönungsgewänder kleiden und in der Kathedrale von Coimbra in einer feierlichen Zeremonie neben sich auf einen Thron setzen. Der Hofstaat musste ihr huldigen und dabei die verweste Hand küssen. In der mittelalterlichen Gerichtsbarkeit hatte auch ein Toter noch bestimmte Rechte inne und Pflichten zu erfüllen. Reichte zum Beispiel sein Vermögen nicht aus, um die von ihm noch zu Lebzeiten bestimmte Bestattung durchzuführen, konnte er sich verschulden und noch bis ins 16. Jahrhundert anschließend auf die Tilgung der Schulden verklagt werden. Die Rechtsfähigkeit endete also keineswegs mit dem Tod. Im Sachsenspiegel, dem bedeutensten Rechtsbuch des deutschen Mittelalters, ist ganz klar dargelegt, wie Verstorbene mittels einer „Klage gegen den toten Mann“ vor Gericht zu bringen sind. Wurde der Tote verurteilt, konnte die Strafe an seinem Leichnam durchgeführt werden. Ein verstorbener Dieb beispielsweise konnte nach der
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Verurteilung am Galgen aufgeknüpft werden. Das einzige Überbleibsel dieser Vorstellungen vom lebenden Leichnam finden wir heute im Erbrecht, denn noch immer ist der Wille des Toten für die Nachkommen bindend. Dies gilt nicht nur für die Verteilung des Erbes, sondern auch für die Behandlung der Leiche. Seine Bestimmungen über eventuelle Organentnahmen, Verwendung in der Anatomie oder auch die Wahl von Bestattungsart und -ort behalten weiterhin Gültigkeit. Die Volkskunde kennt weitere Beispiele von Begebenheiten, bei denen Tote wie Lebendige behandelt werden. So wurde vielerorts noch bis ins 20. Jahrhundert hinein beim Leichenschmaus oder Leichenkaffee ein Gedeck für den Toten mit aufgetragen. Das Bedürfnis, auch als Leichnam essen und trinken zu können, finden wir ebenfalls in den mittelalterlichen Legenden der Nobiskrüge: Gasthöfe, in denen sich nachts die Toten versammeln. In Hamburg gibt es noch heute zwischen Reeperbahn und Louise-Schroeder-Straße einen Straßenzug namens Nobistor. Er erinnert an das einstige Stadttor Altonas, das an dieser Stelle zur hamburgischen Vorstadt auf dem „Hamburger Berg“ führte, dem heutigen St. Pauli. Das „Tor“ war allerdings nicht mehr als eine Holzpforte. Es markierte nur eine Grenze, sollte aber keinen Verkehr aufhalten. Vor diesem Tor lag auf der Hamburger Seite des Grenzgrabens ein Gasthaus, das 1526 als Nobiskrug erwähnt wird. In der Literatur der Neuzeit wird der Nobiskrug zum Synonym für die Hölle oder Durchgangsort zur Hölle. Woher die Bezeichnung kommt, ist nicht ganz klar. Krug werden in Norddeutschland ländliche Gasthäuser genannt. Das Grimmsche Wörterbuch führt den ers ten Teil des Namens auf das lateinische abyssus – Abgrund, Hölle – zurück, dem ein N vorgesetzt wurde. Wahrscheinlicher aber ist, dass er auf den rotwelschen Verneinungspräfix nobis zurückgeht. Seiner habe sich angeblich das fahrende Volk bedient, um Wirtshäuser zu kennzeichnen, um die man besser einen großen Bogen schlagen sollte. Zu den Grundbedürfnissen, die mit dem Tod nicht versiegen, gehörte ebenfalls das Tanzen. Der Dichter Heinrich Heine berichtet in seinem Essay über die Elementargeister von einer alten slawischen Sage, die in Österreich erzählt wird: „Es ist die Sage von den gespens tischen Tänzerinnen, die dort unter dem Namen ,die Willis‘ bekannt
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sind. Die Willis sind Bräute, die vor der Hochzeit gestorben sind. Die armen jungen Geschöpfe können nicht im Grabe ruhig liegen, in ihren toten Herzen, in ihren toten Füßen blieb noch jene Tanzlust, die sie im Leben nicht befriedigen konnten, und um Mitternacht steigen sie hervor, versammeln sich truppenweis an den Heerstraßen, und wehe dem jungen Menschen, der ihnen da begegnet! Er muß mit ihnen tanzen, sie umschlingen ihn mit ungezügelter Tobsucht, und er tanzt mit ihnen, ohne Ruh und Rast, bis er tot niederfällt. Geschmückt mit ihren Hochzeitskleidern, Blumenkronen und flatternde Bänder auf den Häuptern, funkelnde Ringe an den Fingern, tanzen die Willis im Mondglanz, ebenso wie die Elfen. Ihr Antlitz, obgleich schneeweiß, ist jugendlich schön, sie lachen so schauerlich heiter, so frevelhaft liebenswürdig, sie nicken so geheimnisvoll lüstern, so verheißend; diese toten Bacchantinnen sind unwiderstehlich.“ Wenn mit dem Tod das Verlangen nach weltlichen Genüssen nicht aufhörte – dann natürlich erst recht nicht das Verlangen nach Sexualität. Der arabische Gesandte ibn Fadlān erzählt in seiner nach 922 entstandenen Beschreibung der Begräbniszeremonie eines Wikingerhäuptlings an der Wolga ausführlich, wie eine junge Sklavin darauf vorbereitet wird, ihrem Herrn im Jenseits dafür zur Verfügung zu stehen: „Als daher jener Mann, dessen ich oben erwähnte, gestorben war; so fragten sie seine Mädchen: ,Wer will mit ihm sterben?‘ Eine von ihnen antwortete: ,Ich.‘ Da vertraute man sie zweien Mäd chen an, die mussten sie bewachen und sie überall, wohin sie nur ging, begleiten, ja bisweilen wuschen sie ihr sogar die Füsse. Die Leute fingen dann an, die Kleider für ihn zuzuschneiden und alles, was sonst erforderlich ist, zuzubereiten. Das Mädchen trank indes alle Tage, sang und war fröhlich und vergnügt.“ In der folgenden Zeit besucht sie die Zelte der anderen Häuptlinge, die ihr mit den Worten beiwohnen: „sag deinem Herrn, nur aus Liebe zu Dir tat ich dies.“ Am Ende aber muss sie ihrem Herrn ins Jenseits folgen: „Dann traten sechs Männer in’s Gezelt und wohnten samt und sonders dem Mädchen bei. Drauf streckten sie sie an die Seite ihres Herrn. Und es fassten sie zwei bei den Füssen, zwei bei den Händen. Und die Alte, die da Todesengel heisst, legte ihr einen Strick um den Hals, reichte ihn zwei
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von den Männern hin, um ihn anzuziehen, trat selbst mit einem grossen breitklingigen Messer hinzu und stiess ihr das zwischen die Rippen hinein, worauf sie es wieder heraus zog. Die beiden Männer aber würgeten sie mit dem Stricke, bis sie tot war.“ Anders lösten die finno-ugrischen Chanten in Westsibirien das Problem der sexuellen Bedürfnisse Verstorbener. Bei ihnen musste die Ehefrau noch so lange weiterhin mit dem Toten unter einer Bettdecke schlafen, bis dieser beigesetzt wurde. Es gab jedoch auch den umgekehrten Fall: Statt eines lebenden Menschen, der die sexuellen Bedürfnisse eines Toten befriedigte, konnte auch ein Toter zu diesem Zweck bei einem Lebenden bleiben. Überliefert ist dies von der Insel Fehmarn, wo der Ehefrau weiterhin Verkehr mit dem verstorbenen Ehemann zustand, solange dieser noch nicht unter der Erde lag. Doch offenbar kümmerten die lebendigen Toten sich nicht nur um ihr körperliches Wohl, sondern auch um ihr geistiges. Bereits im Frühmittelalter berichtet der Geschichtsschreiber Gregor von Tours von Toten, die einen Gottesdienst abhalten. Geraten Lebende in eine solche Gottesdienstfeier, wird es für sie meist gefährlich. Im 11. Jahrhundert erzählt der Kirchenlehrer Petrus Damiani von einer Frau, die in eine dieser Feiern hineingerät und dort auf ihre verstorbene Patentante trifft. Diese mahnt ihr Patenkind, ihren Lebenswandel zu bessern – denn sie habe nur noch ein Jahr zu leben. Auch in Island hielten die Untoten Messen ab, wie im 12. Jahrhundert der Mönch Gunnlaug Leiffson aufschrieb. Dort wurde eine alte Frau sogar von den Verstorbenen angegriffen, als sie versehentlich eine Andacht störte.
Sterben als Teil des Lebens – Der Tod als Quelle der Angst und der Hoffnung
Die Ursache für diese mittelalterliche Distanzlosigkeit zum Tod liegt darin, dass er damals allgegenwärtig war. Kriege, allen voran die Kreuzzüge, wurden mit menschenverachtender Brutalität geführt. Selbst kleinere territoriale Streitigkeiten hinterließen blutige Schnei-
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sen in der einheimischen Bevölkerung – das Menschenleben zählte nicht viel, wenn es dem Feind gehörte. Aber nicht nur menschengemachte Kriege, auch Seuchen dezimierten die Bevölkerung. Manchmal konnten dabei die Grenzen zwischen den Lebenden und den Toten verwischen, wie es der britische Schriftsteller Daniel Defoe in seinem Bericht von den Pestgruben in London beschreibt: „Menschen die sich angesteckt hatten, das Ende nahen sahen und sich schon im Delirium befanden rannten in Laken oder Teppiche gewickelt zu diesen Gruben und warfen sich hinein und, wie sie sagten, begruben sich selbst. […] Ich habe gehört, dass bei der großen Grube von Finsbury in der Gemeinde Cripplegate, die offen in den Feldern liegt, weil sie damals noch nicht ummauert war, dass sie zu dieser Grube kamen und sich hineinwarfen, und dort verstarben, bevor noch irgendjemand Erde auf sie werfen konnte; und dass als [die Totengräber] kamen, um die anderen zu begraben, und diese dort fanden, da waren sie tot, wenn auch noch nicht kalt.“ Inmitten all dieses Elends lag die durchschnittliche Lebenser wartung bei nur 40 Jahren. Das galt allerdings nur für jene, die nicht schon im Kindesalter dahingerafft worden waren. Über die Hälfte aller Kinder erlebte das 14. Lebensjahr nicht. Auch Frauen trugen durch die häufigen Geburten ein sehr viel höheres Risiko, das fünfte Lebensjahrzehnt nicht zu erreichen. Rechnet man die Kindersterblichkeit und die Todesfälle bei Geburten mit ein, so lag die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen nur noch bei 24 bis 25 Jahren, für Männer bei 28 bis 32 Jahren. Vor diesem Hintergrund bekommt der Tod eine andere Bedeutung. Wer weiß schon, was auf der anderen Seite liegt? Wenn das eigene, von Krieg und Seuchen geprägte Elend unerträglich ist, liegt es nahe, sich den Tod als Erlösung geradezu herbeizusehnen. Genährt wurde diese Vorstellung von der Kirche, die nicht müde wurde, mit dem Versprechen vom ewigen Leben im Himmel zu locken. Leben und Tod werden so zu unterschiedlichen Aggregatzuständen der Existenz an sich. Doch so wie es gute und böse Menschen gibt, gibt es eben auch gute und böse Tote. Und jene, die diese Schwelle zwischen Leben und Tod ohne Eintrittskarte für das Paradies in der
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Hand überschritten hatten, galt es unter allen Umständen an der Rückkehr ins Reich der Lebenden zu hindern.
Das Leben nach dem Tod – Untote und Auferstehung in der Bibel
Das Versprechen des Weiterlebens nach dem Tode spielt vor allem im Christentum eine zentrale Rolle. Das gesamte Neue Testament ist um den Tod und die Auferstehung Jesu herum konzipiert. Nimmt man das Glaubensgebäude weg, bleibt eine verstörende Geschichte übrig. Wenn auch abgeschwächt durch die Stellvertreter Brot und Wein gibt ein Anführer seinen Jüngern von seinem eigenen Fleisch zu essen und von seinem eigenen Blut zu trinken, kurz bevor er von seinen Feinden hingerichtet wird. Sein anschließender Tod ist nicht von Dauer, drei Tage später wandelt er wieder unter den Lebenden, jedoch deutlich gezeichnet mit den Malen der Misshandlung. Bevor er seine Anhänger verlässt, verspricht er, wiederzukommen – und am Ende auch sie von den Toten auferstehen zu lassen. Ohne den Kontext der Bibel liest sich die zentrale Handlung des Neuen Testaments wie der Plot eines düsteren Horrorfilms. Die Evangelisten aber haben sich die Geschichten des Neuen Testaments nicht einfach ausgedacht. Sie haben sich beim Verfassen der Texte bei den hellenistischen Kulten bedient, die um die Zeiten wende im Osten des Mittelmeerraumes praktiziert wurden, und Ele mente und Kulthandlungen aus diesem Zusammenhang zu einem neuen Gefüge zusammengebracht. Dionysos beispielsweise wird als Kind von den Titanen zerstückelt, der ägyptische Osiris von seinem Bruder Seth. Persephone weilt schon in der Unterwelt, darf dann aber ins Leben zurückkehren. Und Attis’ Leichnam verwest nicht, sondern bleibt bis in alle Ewigkeit unversehrt. Nun begnügten die Autoren des Neuen Testaments sich jedoch nicht mit einem theologischen Überbau, der lediglich dem Sohn Gottes eine Wiederauferstehung ermöglicht. An mehreren Stellen fügten sie ganz konkrete Geschichten über die Wiederkehr von Toten
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ein. So fleht in Matthäus 9, 18–26 ein Synagogenvorsteher Jesus an, sein Kind zurückzuholen: „Meine Tochter ist eben gestorben; komm doch, leg ihr deine Hand auf, dann wird sie wieder lebendig.“ Ohne große Diskussion macht Jesus sich auf, den Wunsch zu erfüllen. „Als Jesus in das Haus des Synagogenvorstehers kam und die Flötenspieler und die Menge der klagenden Leute sah, sagte er: ,Geht hinaus! Das Mädchen ist nicht gestorben, es schläft nur.‘ Da lachten sie ihn aus. Als man die Leute hinausgedrängt hatte, trat er ein und fasste das Mädchen an der Hand; da stand es auf. Und die Kunde davon verbreitete sich in der ganzen Gegend.“ In Lukas 7, 11–15 ist es ebenfalls ein Elternteil, dem Jesus das Kind zurückgibt. Diese beiden Geschehnisse wirken jedoch noch harmlos im Vergleich zur verstörenden Erzählung von der Erweckung des Lazarus im Johannesevangelium 1–45. Darin erreicht Jesus die Nachricht der beiden Schwestern Maria und Marta, dass ihr Bruder im Sterben liege: „Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank.“ Statt jedoch sofort aufzubrechen, um ihn zu heilen, lässt er zunächst zwei Tage verstreichen. Dann erst spricht er zu seinen Jüngern: „Lasst uns wieder nach Judäa ziehen! […] Lazarus, unser Freund, schläft, aber ich gehe hin, ihn aufzuwecken.“ Zunächst verstehen die Jünger nicht, was damit gemeint ist. „Da sprachen seine Jünger: ,Herr, wenn er schläft, wird’s besser mit ihm.‘ Jesus aber sprach von seinem Tode; sie meinten aber, er rede vom leiblichen Schlaf. Da sagte es ihnen Jesus frei heraus: ,Lazarus ist gestorben.‘“ Nun wird auch deutlich, warum Jesus nicht sofort zu Lazarus geeilt ist. Er wollte ihn zunächst sterben lassen, um ihn anschließend wieder ins Leben zurückholen zu können – „damit ihr glaubt.“ Als Jesus und seine Jünger endlich im Dorf Betanien ankommen, liegt der Tote schon vier Tage im Grab. Die nun folgenden Sätze sind ein Schlüsseldialog für das gesamte christliche Glaubensgebäude: „Jesus spricht zu ihr: ,Dein Bruder wird auferstehen.‘ Marta spricht zu ihm: ,Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.‘ Jesus spricht zu ihr: ,Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?‘ Sie spricht zu ihm: ,Ja, Herr,
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ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.‘“ Die Menge macht sich nun auf zum Grab. Nicht alle sind so gläubig wie Marta, Unmut macht sich breit: „Einige aber unter ihnen sprachen: ,Er hat dem Blinden die Augen aufgetan; konnte er nicht auch machen, dass dieser nicht sterben musste?‘“ Jesus fordert daraufhin die Umstehenden auf, den Stein fortzurollen. „Herr, er stinkt schon; denn er liegt seit vier Tagen“, warnt ihn Marta. Doch Jesus spricht zu ihr: „Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?“ „Lazarus, komm heraus!“, ruft Jesus mit lauter Stimme in die Grabhöhle hinein. „Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen!“ Die Erzählung von der Erweckung des Lazarus von den Toten ist aus zwei Gründen so interessant. Zum einen, weil die Verwesung bereits eingesetzt hat, bevor Jesus ihn ins Leben zurückholt. Anders als die beiden frisch verstorbenen Toten aus dem Matthäus- und dem Lukasevangelium strömt Lazarus bereits einen üblen Geruch aus – er ist bereits sehr tief im Totenreich angekommen. Zum anderen überrascht der Hintergrund von Jesus’ Motivation. Er lässt Lazarus bewusst sterben – nur um einen Fall zu schaffen, an dem er Ungläubigen oder im Glauben Wankelmütigen seine Macht über Leben und Tod demonstrieren kann. Die Gabe, Tote zurückzuholen, besaßen dem Neuen Testament zu Folge nicht nur Jesus, sondern auch seine Jünger. In der Apostel geschichte 9, 36–41 wird Petrus zu einer Frau namens Tabita gerufen, die er wieder zum Leben erweckt. Auch Paulus ist diese Fähigkeit gegeben, wie die Apostelgeschichte 20, 7–12 berichtet. Indirekt verschuldet er allerdings zunächst den Tod des Eutychus: Der Apostel redet während einer Predigt so lange, dass der junge Mann einschläft, aus dem offenen Fenster im dritten Stock fällt und dabei ums Leben kommt. „Paulus aber ging hinab und warf sich über ihn, umfing ihn und sprach: ,Macht kein Getümmel; denn es ist Leben in ihm.‘ Dann ging er hinauf und brach das Brot und aß und redete viel mit ihnen,
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bis der Tag anbrach; und so zog er hinweg. Sie brachten aber den jungen Mann lebend herein und wurden nicht wenig getröstet.“ Am Tag des Jüngsten Gerichts, versichert uns Johannes in der Offenbarung 20, 13–14, ist dann für alle Toten die Zeit der Rückkehr gekommen: „Und das Meer gab die Toten frei, die darin waren, und der Tod und die Hölle gaben die Toten frei, die darin waren; und sie wurden gerichtet, ein jeglicher nach seinen Werken.“ Eingebettet ist dieses Gericht in den großen Endkampf zwischen Gut und Böse, die Apokalypse. Auch diese Ideen sind nicht neu. Bereits der persische Zoroastrismus kannte den endgeschichtlichen Entscheidungskampf zwischen Gut und Böse als Weltgericht. Einzelne Elemente finden sich auch anderswo. In Babylon beispielsweise hielt der Gottkönig als Richter die kosmische Ordnung im Gleichgewicht. Und in Ägypten wurde das Herz eines jeden Toten gegen die Gerechtigkeisgöttin Maat in Form einer Feder aufgewogen, um über seinen Einzug ins Jenseits zu urteilen. Der Tod jedenfalls war nie das Ende. Im Christentum wie auch in vielen anderen Religionen ist er nur eine Zäsur auf dem Weg.
Außerplanmäßige Auferstehung – Untote im Umfeld der Bibel
Der mittelalterlichen Vorstellung nach begann mit dem Tod also nur eine lange Ruhephase. Diese aber war störanfällig und konnte jederzeit unterbrochen werden. In der Bibel selber kommen nur „gute“ Untote vor – Verstorbene, die von Jesus oder von seinen Aposteln wieder zum Leben erweckt wurden, um zu ihren Angehörigen zurückkehren zu können. Doch was passierte, wenn die Störung der Ruhe zufällig geschah? Eine knapp erzählte Begebenheit im Alten Testament, im 2. Buch der Könige, 20–21, erwähnt eine unbeabsichtigte Wiederkehr eines Toten: „Da aber Elisa gestorben war und man ihn begraben hatte, fielen die Kriegsleute der Moabiter ins Land desselben Jahres. Und es begab sich, daß man einen Mann begrub; da sie aber die Kriegsleute sahen, warfen sie den Mann in Elisas Grab. Und da er hinab kam und die Gebeine Elisas berührte, ward er lebendig und trat
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auf seine Füße.“ Hier sind es die zufällig berührten Gebeine des Propheten Elisa, die den unbekannten Mann wieder zum Leben erwecken. Diese Bibelstelle wird oft als Grundlage für den Glauben an Reliquien zitiert: Körperteile eines verstorbenen Heiligen, die Wunder bewirken können. Die Reliquienverehrung bildete im Mittelalter eine der Grundlagen des religiösen Lebens. Verehrt wurden Gegenstände, mit denen die Heiligen oder gar Jesus und seine Familie selbst in Berührung gekommen waren, sowie alle nur erdenklichen Körperteile dieses Personenkreises. Damit stand die Kirche vor einem Dilemma: Um am Tag des Jüngsten Gerichts vollständig vor Gott treten zu können, musste der Leichnam so unversehrt wie möglich bleiben. Um aber Reliquien schaffen zu können, musste man den Leichnam auseinanderreißen, Teile entfernen und an weit entfernte Orte bringen. Der Kirchenvater Johannes von Damaskus bemühte sich bereits zu Beginn des 8. Jahrhunderts, diesen Konflikt zu lösen, indem er erklärte, Heilige seien keine gewöhnlichen Toten, sondern Träger göttlicher Eigenschaften: „Ähnlich wie das glühende Eisen, das nicht das Feuer selbst ist, aber doch zum Teil seine Eigenschaften übernommen hat, sind die Heiligen vom göttlichen Leben durchdrungen.“ In diesem Zustand konnten also die Heiligen, obwohl sie schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilten, selbst noch durch kleinste Bestandteile ihres Körpers Wunder vollbringen. Nimmt man der mittelalterlichen Praxis der Reliquienverehrung jedoch den theologischen Überbau, bleibt ein äußerst merkwürdiger Ritus zurück: Die Gläu bigen verehrten Leichenteile, die unabhängig vom Körper Taten vollbringen konnten. Doch es gibt im weiteren Umfeld der Bibel auch Legenden mit einem sehr düsteren Unterton. Eine der faszinierendsten Gestalten ist die Person der Lilith. In der Bibel selber taucht sie nur einmal kurz bei Jesaja 34,14 auf: „Es werden Wildkatzen auf Schakale treffen, ein ziegenbehaarter Dämon wird seine Gefährten rufen und dort wird auch die Lilith verweilen und ihre Behausung finden.“ Lilith existierte bereits in der altsumerischen und altbabylonischen Tradition als Un terweltsgottheit. Im Mittelalter jedoch formt sich, vor allem in jüdi-
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schen Kreisen, ein neues Bild von ihr. Sie taucht nun als erste Frau Adams auf. Diesem Überlieferungsstrang zu Folge schuf Gott Adam und Lilith gleichberechtigt. Als Adam jedoch versuchte, sie seinem Willen zu beugen, verließ Lilith ihn. Erst daraufhin fertigte Gott Eva aus einer Rippe Adams, um ihm eine gefügige weibliche Gefährtin zu schaffen. Aus dieser emanzipierten Lilith-Figur entwickelte sich später eine Gegenspielerin zu Adams Menschengeschlecht, deren Nachfahren – die Dämonen und Vampire – auf ewig die Kinder Adams und Evas peinigen sollten. In dieser Form ist Lilith mittlerweile ein fester Bestandteil der Besetzung vieler moderner Vampirgeschichten.
Mit dem Segen der Kirche – Untote im mittelalterlichen Alltag
Mit so vielen Untoten im Umfeld der Bibel verwundert es kaum noch, dass sie auch im Kirchenalltag ihren Platz hatten. Auch wenn die Riten und Praktiken des Volkes im Umgang mit dem Tod oftmals Wurzeln hatten, die bis weit in die vorchristliche Zeit zurückreichten, arrangierte die Kirche sich meist mühelos damit. Da der Platz unmittelbar um die Kirche der Ort war, an dem die Toten begraben wurden, griffen hier heidnische Gepflogenheiten und kirchliche Vorstellungen oft nahtlos ineinander. Ein Beispiel dafür ist die geweihte Erde des kirchlichen Fried hofes. In der Bibel findet sich kein Hinweis auf die Weihe eines Begräbnisplatzes durch einen Priester. Aber schon früh etablierte sich die Gepflogenheit, tote Christen in geweihter Erde zu bestatten. Was andernfalls geschehe, wurde allerdings nie genau festgesetzt. Vielerorts hielt sich jedoch der Glaube, dass in ungeweihter Erde ruhende Tote eben nicht zur Ruhe finden könnten. Diese Verpflichtung zur Bestattung in geweihter Erde bekam schon im Mittelalter so viel Gewicht, dass Menschen, die sich des unchristlichen Verhaltens verdächtig gemacht hatten, der Ruheplatz auf dem kirchlichen Friedhof verwehrt wurde. Noch im 17. Jahrhundert ist die im Rituale Romanum gegebene Liste erschreckend lang: „Die
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kirchliche Bestattung wird Heiden, Juden und allen Ungläubigen, Häretikern und ihren Anhängern, jenen, die den christlichen Glauben ablehnen, Schismatikern und öffentlich Exkommunizierten unter großer Exkommunikation, Interdizierten und jenen, die an einem interdizierten Ort sind, so lange [die Interdiktion] währt, verweigert; ebenso den Selbstmördern, die sich aus Verzweiflung oder Jähzorn umbrachten [nicht aber wenn sie dies aus geistiger Verwirrung heraus taten], sofern sie nicht vor dem Tod Zeichen der Reue zeigten; den im Duell Gefallenen, auch dann, wenn sie vor dem Tod Zeichen der Reue zeigten; jenen, von denen öffentlich feststeht, dass sie nicht zumindest einmal im Jahr das Sakrament der Beichte und die Kommunion zu Ostern empfingen, und die ohne jedes Zeichen der Reue versterben; die Kinder, die ohne Taufe starben. Wo in den vorhergegangenen Fällen Zweifel auftauchen, ist der Ordinarius zu befragen.“ Besonders der letzte Punkt, der die ungetauft verstorbenen Kinder betrifft, erwies sich als besonders sensibel. Denn in Zeiten mangelnder Hygiene und unzureichender medizinischer Kenntnisse kamen Kinder nur allzu oft tot auf die Welt oder verstarben kurz nach der Geburt. Besonders für angesehene Familien aber hätte eine Bestattung des Kindes in ungeweihter Erde eine nicht hinzunehmende Schmach dargestellt. Im frühen Christentum hatte man oft den einfachen Ausweg gewählt und das verstorbene Kind post mortem getauft. Schon im ersten Korintherbrief aber verbot Paulus diese Praxis. Sie hielt sich dennoch hartnäckig, denn noch bis in karolingische Zeit musste dieses Verbot öfter wiederholt werden. Gegen Ende der Karolingerherrschaft setzte sich dann ein anderer Brauch durch: Entweder wurden die ungetauft verstorbenen Kinder direkt an der Friedhofsmauer bestattet, also an der Grenze von geweihter und ungeweihter Erde, oder aber man begrub sie dort, wo das Traufwasser vom Kir chendach auf die Erde traf. Das durch die Berührung mit dem Gotteshaus geweihte Wasser konnte so beständig die kleinen Leichname benetzen und zumindest einen taufähnlichen Zustand herbeiführen. Im Spätmittelalter kam es dann zu einem weiteren Phänomen, das die Akzeptanz der Kirche für die Untoten verdeutlicht. Es entstanden Wallfahrtsstätten, an denen tote Kinder kurzzeitig wieder
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zum Leben erweckt werden konnten – gerade so lange, wie es brauchte, um sie zu taufen. Dazu legte man die verstorbenen Kinderleichen am Wallfahrtsort ab, erwärmte sie – und wartete auf die kleinste Bewegung. Allein in der Marienkirche von Oberbüren im Schweizer Kanton Bern sollen bis 1486 rund 2000 solcher Kinderleichen präsentiert worden sein. Archäologen fanden bei Untersuchungen auf dem Friedhof immerhin 260 Kleinkinderskelette. All diese Maßnahmen haben eines gemeinsam: Sie setzen den Glauben an ein wie auch immer geartetes Weiterleben nach dem Tod voraus. Darüber wie dieses Weiterleben aussah, gab es allerdings sehr unterschiedliche Vorstellungen. Während bei den wiedergekehrten Toten in der Bibel auf ihrer Reise ins Jenseits keinerlei Veränderung an Körper oder Persönlichkeit stattgefunden zu haben scheint, kennen die Legenden oder die Volkskunde durchaus auch andere Beispiele. Diese wollen wir uns im kommenden Kapitel etwas näher beleuchten.
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Beim Namen genannt – Arten von Untoten
Wenn wir an einen „Vampir“ denken, dann haben wir in der Gegenwart ein klares Bild vor Augen: Er ist gutaussehend und hat lange, spitze Eckzähne. Ähnlich ist es mit dem „Zombie“: Er ist ein schmutziges, stinkendes Wesen mit ungelenken Bewegungen. In der Realität aber gibt es niemals so klare Kategorien. Die Untoten sind so verschieden wie die Lebenden. In welcher Form ein Untoter erscheint, hängt vor allem von lokalen Vorstellungen ab – von den Erfahrungen der Menschen mit den Leichen ihrer eigenen Angehörigen, von den alten Dorflegenden, die an langen Winterabenden immer wieder neu erzählt werden, oder auch von den neuen Geschichten eines Fremden, die er jüngst auf der Durchreise im Wirtshaus zum Besten gab. Das Repertoire an Überlieferungen zu Untoten ist gigantisch und lässt sich in den meisten Regionen der Erde feststellen. Allein im deutschsprachigen Raum existieren in den über 100 Sagensammlun gen Tausende Erzählungen, deren zentrale Handlungsperson ein lebender Toter ist. Ähnlich ergiebig waren die im Deutschen Reich für den Atlas der deutschen Volkskunde zwischen 1930 und 1935 durchgeführten Befragungen. Die etwa 20.000 Gewährsleute konnten bei ihren Befragungen eine Fülle von Belegen für Wiedergänger, Nach zehrer oder Bannriten erfassen, die einen tiefen Einblick in die noch vor etwa 80 Jahren weit verbreitete Untotenfurcht erlauben. Neben den Kategorien von Untoten tauchen einzelne Elemente auf, die in immer wieder wechselnden Kombinationen vorkommen. Allen Untoten gemeinsam ist, dass sie zu einem noch nicht allzu lange zurückliegenden Zeitpunkt gestorben sind und nach ihrem Tod keine
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BEIM NAMEN GENANNT – ARTEN VON UNTOTEN
Ruhe finden. In der Regel ist der Zeitraum des Spuks begrenzt, einen Untoten kannte man stets noch zu Lebzeiten. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Zwar richten die meisten Un toten Schaden an, es gibt jedoch auch solche, die lediglich die Nähe der zurückgebliebenen Angehörigen suchen oder ihnen sogar helfend zur Hand gehen. Zwar sind die meisten Untoten hässlich und bereits von der Verwesung gekennzeichnet, aber auch Schönheit, Zartheit und Frische sind Attribute, die in Geschichten von Untoten immer wieder Erwähnung finden. Häufig werden ihnen menschliche Emotionen und Bedürfnisse wie Hunger, Liebe und Sexualität zugeschrieben, sie behalten ihre individuellen Eigenschaften sowie ihren familiären und rechtlichen Status. Die in den historischen und volkskundlichen Quellen am häufigsten überlieferten Arten der Untoten wollen wir im Folgenden betrachten: den Wiedergänger, den Aufhocker, den Nachzehrer, den Vampir und die berittenen Untoten. In diesem Buch beschränken wir uns damit auf jene Untoten, die weiterhin ihre Körperlichkeit besitzen. Natürlich gibt es auch reine Geistererscheinungen wie etwa die umherirrenden Seelen Verstorbener, weiße Frauen oder Poltergeister. Doch da diese Wesen keinen stofflichen Körper haben, können sie auch nicht Gegenstand archäologischer Untersuchungen sein. Aber auch wenn wir an dieser Stelle nicht auf sie eingehen können, dürfen wir nicht vergessen, dass in der Volkskunde die Übergänge zwischen körperlichen Untoten und nicht-stofflichen Spukgestalten oft fließend sind.
Der Wiedergänger
Die wohl älteste Form des Untoten ist der Wiedergänger – ein Toter, der sein Grab verlässt und zu den Lebenden zurückkehrt. Zu ihnen sind auch die Vampire, Aufhocker und kopflosen Reiter zu zählen, auf die weiter unten eingegangen wird. In den nordischen Sagen des 12. und 13. Jahrhunderts beispielsweise sind die draugar genannten Wiedergänger ein häufiges Motiv, dessen geistesgeschichtliche Wur zel bis in die Vorgeschichte zurückreicht. Einer von ihnen begegnet
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KAPITEL 2
uns in der populären isländischen Volkssage über den Diakon von Myrká, einem Hof in der Nähe von Akureyri im Eyjafjördur. Der Diakon ist verliebt in Gudrún, die auf der gegenüberliegenden Seite des Tals lebt. Auf dem Weg zu seiner Geliebten bricht die Eisdecke unter den Hufen seines Pferdes ein und er ertrinkt in den eisigen Fluten. Danach verlässt der zum Wiedergänger gewordene Diakon Nacht für Nacht sein Grab auf dem Friedhof und peinigt seine Geliebte, die er zu sich zu holen versucht. Als in der Finsternis einmal der Mond hinter einer Wolke hervorkommt, sieht Gudrún an seinem Hinterkopf eine kahle Stelle, durch die der bleiche Schädelknochen leuchtet. Der Diakon ruft: „Es gleitet der Mond, es reitet der Tote, siehst Du nicht auf meinem Hinterkopf den weißen Fleck. Garún, Garún?“ Den Namen seiner Geliebten, Gudrún, kann er nicht aussprechen – denn die darin vorkommende Silbe Gud- bedeutet auf Isländisch „Gott“. Die Gebete eines zum Beistand herbeigerufenen christlichen Priesters sind vergebens. Schließlich wenden die Bauern von Myrká sich an einen Hexenmeister aus dem Norden. Der gräbt einen großen Stein aus und platziert ihn in der Mitte des Gästezimmers, in dem Gudrún nächtigt. Als der Diakon in der folgenden Nacht erscheint, zwingt er den Wiedergänger unter den Stein – und dort ruht er bis heute. In die Geschichte des Diakons von Myrká fließen mehrere klassische Elemente des Wiedergänger-Wesens mit ein. Dazu gehört die partielle Auflösung des Körpers – die kahle Stelle am Hinterkopf – ebenso wie der schwere Stein, unter dem der Diakon am Ende gebannt wird. Beides sind häufig Bestandteile von Wiedergänger-Sagen. Besonders interessant ist hier aber vor allem die völlige Immunität gegen christliche Bannriten, die ebenfalls ein immer wiederkehrendes Element ist. Der Priester kann gegen den Diakon nichts ausrichten. Erst die viel ältere heidnische Kunst des Hexenmeisters ist in der Lage, den Wiedergänger unter dem Stein zu bannen.
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BEIM NAMEN GENANNT – ARTEN VON UNTOTEN
Der Aufhocker
Der Aufhocker, niederdeutsch Huckup genannt, ist meist ein Untoter, der seinen Opfern auf den Rücken springt. Dort wird er immer schwerer, in einigen Fällen stirbt der Betroffene schließlich unter dem Gewicht. Der evangelische Pfarrer Georg Wilhelm Wegner berichtet unter seinem Pseudonym Tharsander im Jahr 1736 im ersten Band seines Schau-Platz Vieler Ungereimten Meynungen und Erzehlungen gleich von einer ganzen Horde Aufhocker, die im schlesischen Dorf Hozeploz – nach dem Ottfried Preußler im Übrigen seinen berühmten Räuber benannte – ihr Unwesen treiben: „In Schlesien, und zwar in einem Dorfe Hozeploz genannt, sollen die Menschen nach dem Tode sehr oft zu den ihrigen zurückkommen, mit ihnen essen und trinken, ja gar mit ihren hinterlassenen Weibern sich fleischlich vermischen. Wenn reisende Leute zu der Zeit, da sie aus den Gräbern herauskommen, durch das Dorf passieren, lauften sie ihnen nach und hucken ihnen auf ihre Rücken.“ Auch die Brüder Grimm listen in ihren Deutschen Sagen eine Aufhockerin, den Nachtgeist zu Kendenich: „Auf dem alten Rittersitz Kendenich, etwa zwei Stunden von Köln am Rhein, ist ein mooriger, von Schilf und Erlensträuchen dicht bewachsener Sumpf. Dort sitzt eine Nonne verborgen, und keiner mag am Abend an ihr vorübergehen, dem sie nicht auf den Rücken zu springen sucht. Wen sie erreicht, der muß sie tragen, und sie treibt und jagt ihn durch die ganze Nacht, bis er ohnmächtig zur Erde stürzt.“ In der Figur des Aufhockers mischen sich jedoch verschiedenen Geistererscheinungen. Bei Wegner und den Brüdern Grimm sind es tatsächlich Untote, die ihre Opfer anspringen. Im westlichen Rhein land dagegen ist es der Stüpp – ein Werwolf. Zunächst hüpft er noch als niedliches Hündchen neben Wanderern her, die Kreuzwege, Friedhöfe oder Stätten, an denen Mordtaten geschehen waren oder Menschen sich das Leben genommen hatten, passieren. Dann aber wächst der Stüpp und springt schließlich seinen Opfern auf den Rücken. Von Schritt zu Schritt wird er schwerer, am Ende bricht sein Träger erschöpft zusammen, verliert den Verstand oder stirbt.
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KAPITEL 2
Mitunter kann die Figur des Aufhockers allerdings auch sympathisch sein und Gutes bewirken. Der Hildesheimer Huckup beispielsweise ist ein Kobold, der es vor allem auf Diebe abgesehen hat. So stellt ihn zumindest das Denkmal dar, das die Stadt ihm am südlichen Ende der Fußgängerzone gesetzt hat: als kleines Männchen, das einem jugendlichen Apfeldieb auf dem Rücken sitzt. Die Inschrift auf dem Sockel warnt alle potentiellen Langfinger: „Junge, lat dei Appels stahn, süs packet deck dei Huckup an / Dei Huckup is en starken Wicht, hölt mit dei Stehldeifs bös Gericht.“
Der Nachzehrer
Der Nachzehrer und der Vampir sind enge Verwandte. Beide saugen ihren Opfern gierig das Leben aus. Doch während der Vampir dazu aktiv das Grab verlässt, bleibt der Nachzehrer in seiner Ruhestätte und wirkt von dort mit seinem Schadzauber. Er saugt dazu an seinem Leichentuch, seinem Leichenhemd oder gelegentlich auch an seinem eigenen Fleisch und zieht damit die Lebenskraft aus seinen Ange hörigen oder seiner Bekanntschaft. Wir begegnen ihm bereits 1486 im Malleus Maleficarum – dem Hexenhammer des Dominikaners Heinrich Kramer: „Einer von uns Inquisitoren fand einen Ort, der infolge der Sterblichkeit unter den Menschen fast verödet war. Dort ging das Gerücht, daß ein begrabenes Weib das Leichentuch, in welchem sie begraben war, nach und nach verschlänge, und die Pest nicht aufhören könnte, wenn jene nicht das Leichentuch ganz verschlänge und in den Bauch aufnähme. Nachdem ein Rat darüber abgehalten war, gruben der Schulze und der Vorsteher der Gemeinde das Grab auf und fanden fast die Hälfte des Leichentuches durch Mund und Hals hindurch bis in den Bauch gezogen und verzehrt. Als der Schulze das sah, zog er in der Erregung das Schwert, schlug der Leiche das Haupt ab und warf es aus der Grube, worauf die Pest plötzlich aufhörte.“
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Mit seinem Werk versuchte Kramer, die brutale Vorgehensweise der Hexenverfolgung zu rechtfertigen. Entsprechend mischte er der Geschichte des Nachzehrers das Treiben einer Hexe bei: „So also waren mit göttlicher Zulassung die Sünden jenes Weibes an den Unschuldigen wegen der Verheimlichung seitens der Oberen gestraft worden. Denn bei der angestellten Inquisition fand man, daß jenes Weib lange Zeit ihres Lebens eine Wahrsagerin und Zauberin gewesen sei.“ Typisch für den Nachzehrerglauben ist im Bericht Kramers die Verbindung des Nachzehrers mit der Pest. Das Ausbreitungsmuster der Seuche legte nahe, dass die ersten Toten eines Ausbruchs weitere Opfer nachholten. Dies ist nicht verwunderlich, waren doch die Bakterien und Viren als Seuchenerreger und mit ihnen die Infektionswege der tödlichen Krankheiten noch vollkommen unbekannt. So kam es dazu, dass häufig das zuerst verstorbene Opfer, welches bereits Personen in Familie und Umfeld angesteckt hatte, als Nachzehrer verdächtigt wurde. Der Volkskundler Thomas Schürmann, der sich intensiv mit dem Nachzehrerglauben in Mitteleuropa beschäftigt hat, konnte zahlreiche Belege aus den Schriftquellen auswerten, bei denen die starke Korrelation mit den Seuchenzügen der frühen Neuzeit augenscheinlich ist. Auch wenn er von einer hohen Dunkelziffer ausgeht, konnte Schürmann ferner feststellen, dass die Furcht vor dem Nachzehrer im ganzen ehemaligen Deutschen Reich verbreitet war, wobei es in Schlesien einen Schwerpunkt gegeben haben muss. Der Glaube an die Nachzehrer jedoch war stärker als die Hexenhysterie der Inquisition. Noch bis in das 20. Jahrhundert, lange nachdem die letzte Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt war, treiben sie ihr Unwesen. Die Kirche indes beschäftigte sich immer wieder mit dieser Art von Untoten. Sogar Martin Luther wurde von dem Pfarrer Georg Rörer gebeten, seine Ansichten zu diesem Phänomen zu offenbaren. In einer seiner Tischreden, die 1566 von Johannes Aurifaber veröffentlicht wurde, geht er auf die Frage näher ein: „Es schreib ein Pfarherr M. Georgen Rörer gen Wittenberg / Wie ein Weib auff einen Dorff gestorben were / und nu weil sie begraben / fresse sie sich selbs im Grabe / darum weren schier alle Menschen im selben Dorff gestorben / Und bat / er wollte D. Mart. fragen / was er dazu riete / Der
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sprach / das ist des Teufels betriegerey und bosheit / wenn sie es nicht gleubeten / so schadete es jnen nicht / und hielten es gewiss für nichts anders / denn für des Teufels Gespenst. Aber weil sie so abergleubisch weren / so stürben sie nur jmerdar je mehr dahin. Und wenn man solchs wüste / solt man die Leute nicht so freventlich ins Grab werffen / sondern sagen / Da friss Teufel / da hastu gesaltzens / du betreugest uns nicht.“ Der Nachzehrer hat verschiedene Unterarten. Eine davon ist der Neuntöter. Als Neuntöter endet, wer als Kind bereits mit Zähnen geboren wird. Nach dem Tod holt er innerhalb kurzer Zeit neun weitere Verwandte mit ins Grab – ohne dies verlassen zu müssen. Die Grenzen zum klassischen Nachzehrer sind allerdings verschwommen, in manchen Gegenden scheint der Begriff auch synonym verwendet worden zu sein. Deutlicher setzt sich der norddeutsche Dubbelsügger, der Doppelsauger, vom Nachzehrer ab. Wie auch der Neuntöter wird sein Schicksal bereits zu Beginn des Lebens besiegelt: Zum Dubbelsügger wird, wer nach dem Abstillen nochmals an die Brust gelegt wird. Im Jahr 1622 berichtet der Leipziger Literat Johannes Praetorius über derartige ihm zu Ohren gekommene Fälle: „wenn ein Kind propriè zweymahl gewehnet werde / es hernach im Grabe nicht faulen könne; sondern unverweßlich in der Erden etliche Jahre lege / sein volliges gutes Geblüte habe / und das nechste von seinen Kleidern oder Sterbekittel verzehre; Ja also die ganze Freundschafft auß- und absterben / oder mortalitatem inferire; Es sey denn / daß solchem Sarcophago der Hals mit dem Spaden oder Schauffel abgestossen werde; [...] Sonderlich aber weiß ich mich zu erinnern / daß ichs zu Halle in Sachsen gehöret habe; da es sich also etliche mal soll zugetragen haben: Dannenhero sie heutiges Tags alle mortuis in sepulchrô Erdkränze oder runde Törffe umb den Hals / wie ein Kragen oder Hälsgen legen / welche dergleichen Fressigkeit verhüten.“ Der Sagen forscher Johann Georg Theodor Grässe erzählt in seinem Sagenbuch des Preußischen Staates von den Dubbelsüggern des Wendlandes. Die Mütter dort seien sehr vorsichtig, „keinen jungen Vampyr an ihrer Brust für ihre Familie aufzuziehen.“ Wie auch Luthers Nachzehrer
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saugt der wendländische Dubbelsügger nach dem Tod im Grab an seinem eigenen Fleisch. „Dann“, führt Grässe aus, „wirkt dies durch Sympathie auf seine Angehörigen ein, es wird ihnen alle Lebenskraft ausgesogen, sie werden blaß, mager, kraftlos und müssen noch, ehe ein Jahr vergeht, dem Doppelsauger ins Grab folgen.“
Der Vampir
Der Vampir, wie er heute beschrieben wird – schön, faszinierend, sexuell unwiderstehlich –, ist eine relativ junge Erfindung der Literatur, perfektioniert durch das Kino. Seine Vorfahren waren das Gegenteil: stinkend, hässlich und brutal. Anders als die anderen Arten von Untoten ist dem Vampir eigen, dass er nach Blut dürstet. Damit ist auch vorgezeichnet, dass er immer Schaden anrichtet – jemand, der einem Menschen Blut aussaugen will, kommt niemals in guter Absicht. Schon in einer der ältesten Geschichten der Menschheit – in Homers Odyssee, aufgeschrieben vermutlich bereits im späten 8. Jahrhundert vor Christus – gieren die Toten nach Blut. Odysseus steigt zu ihnen hinab in die Unterwelt und lockt sie mit dem Blut zweier Schafe an. Er will Teiresias sprechen, doch ganze Scharen drängen sich bald um die Blutlache der geopferten Schafe und gieren nach dem „schwarzen Blut“. Odysseus muss sie mit dem Schwert davon abhalten, ihren Durst zu stillen. Es sind natürlich noch keine Vampire im klassischen Sinne. So können sie beispielsweise die Unterwelt nicht selbstständig verlassen und sind auch nicht körperlich. Dreimal versucht Odysseus, seine tote Mutter zu umarmen, die ebenfalls vom Blut angelockt wurde, doch jedes Mal greift er ins Leere. Sie verlangen auch nicht nach Menschenblut, sondern begnügen sich mit dem der Schafe. Doch andere Elemente wie das Umhergehen und der Blutdurst allgemein zeichnen sich bereits deutlich ab. Aus der griechischen Mythologie sind diesen Wesen die Lamien an die Seite zu stellen, blutdurstige Dämonen, die es mit ihrer bezaubernden Schön heit insbesondere auf junge Männer abgesehen haben. Ebenfalls der antiken griechischen Überlieferung entstammen die Motive des mit -
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KAPITEL 2
telalterlichen Artusromans Daniel aus dem Blühenden Tale. Das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts von Stricker verfasste Werk wird von „bauchlosen“ Ungeheuern bevölkert, die die Menschen tyrannisieren und sich von ihrem Blut ernähren. Im 12. Jahrhundert häufen sich dann die Belege für Untote, die sich tatsächlich von Menschenblut ernähren. Sie sind zu dieser Zeit ein fester Bestandteil des Alltagsglaubens selbst in christlich geprägten Bereichen. Die beiden englischen Chronisten William von Newburgh und Walter Map listen gleich mehrere Fälle von blutsaugenden Wiedergängern in ihren Geschichtswerken, auf die wir im fünften Kapitel näher eingehen werden. Eine der gruseligsten deutschen Vampirbeschreibungen verdanken wir dem Volkskundler Wilhelm Mannhardt. Er notierte 1859 in seinem Aufsatz Über Vampyrismus, erschienen in der Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde, die Geschichte des Herrn von Wollschläger. Sie könnte auch heute noch als Vorlage für einen Film dienen: „In der Mitte des vorigen Jahrhunderts starb ein Mitglied der Wollschlägerschen Familie in Westpreußen, mehrere von seinen Verwandten folgten ihm ganz unvermuthet ohne besondere Veranlassung des Todes in kurzem nach. Man wollte sich erinnern, daß das Antlitz des Verstorbenen die rothe Farbe nicht verloren gehabt und es entstand deshalb die allgemeine Vermuthung, daß er Blutsauger sei. Es ward ein Familienrath gehalten und darin beschlossen, daß der im Jahre 1820 als Landschaftsdirector im hohen Alter verstorbene Joseph von Wollschläger, damals noch ein junger Mann, da er für den beherztesten und unerschrockensten galt, seinem verstorbenen Oheim den Kopf abhauen sollte. Von einem Mönch des Bernhardinerklosters Jacobsdorf begleitet begab er sich in die Gruft dieses Klosters wo der Verstorbene beigesetzt war, jeder mit einer Kerze in der Hand. Das Sarg wird geöffnet und der Leichnam emporgezogen, um ihn auf den Rand des Sarges zu legen, die natürliche Bewegung, welche das in Folge dessen zurücksinkende Haupt macht, jagt dem Mönch solches Entsetzen ein, daß er die Leuchte fallen läßt und entflieht. Obwohl allein verliert Wollschläger doch nicht die Besonnen -
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heit, mit dem mitgebrachten Beile schlägt er den Kopf herunter, aber ein mächtiger Blutstrom dringt ihm entgegen und verlöscht die einzige noch übrige Kerze. Nur mit Mühe glückt es ihm in der fast gänzlichen Finsterniß, etwas Blut in einem Becher aufzufangen und mit diesem heimzukehren. Er verfällt in eine hitzige Krankheit, die ihm beinahe das Leben kostet. Die Leiche mit dem Haupt zwischen den Füßen ist bis heutigen Tages in der Gruft des Klosters Jacobsdorf und zwar in der mittleren Kammer, wo sich das Erbbegräbniß des Geschlechts von Wollschläger befindet, zu sehen.“ Der abgeschlagene Kopf ist eine übliche Bannmaßnahme gegen Vampire. Interessant an diesem Fall ist aber, dass Wollschläger hier frei nach dem Motto „wie Du mir, so ich dir“ handelt. Statt den Vampir sein Blut trinken zu lassen, dreht er den Spieß um und konsumiert stattdessen das Blut des untoten Onkels. So werden die Vampire in der Gegenwartsliteratur erst erschaffen. Im Falle Wollenschlägers scheint es jedoch gewirkt und dem Spuk ein Ende gesetzt zu haben. Woher der Name des Vampirs kommt, konnte in der Sprachforschung bisher noch nicht zufriedenstellend geklärt werden. Im deutschsprachigen Raum taucht er erstmals in einer Schrift aus dem Jahr 1732 auf: „Curieuse und sehr wunderbare Relation, von denen sich neuer Dingen in Servien erzeigenden Blut-Saugern oder Vampyrs, aus authentischen Nachrichten mitgetheilet, und mit Historischen und Philosofischen Reflexionen begleitet.“ Wer der Autor dieses Werkes ist, wissen wir leider nicht, lediglich seine Initialen W. S. G. E. sind überliefert. Wenig später wird diese Bezeichnung für bluttrinkende Untote auch in der französischen (vampire) und in der englischen (vampire) Literatur gebräuchlich. Den Namen haben die Blutsauger mit ziemlicher Sicherheit aus dem slawischen Sprachraum übernommen. In Serbien heißen sie vampir, lampir, lapir, upir und upirina, in Albanien kennt man sie als vampir oder dhampir, wobei dham „Zahn“ und pir „trinken“ bedeutet. In Weißrussland, der Ukraine und der Slowakei wird das Suffix -pir allerdings mit „geflügeltes Wesen“ übersetzt, dort nennt man Vampire upyr (Ukraine) oder upir (Weissrussland und Slowakei). In Polen fürchtet man die upiór oder wąpierz.
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KAPITEL 2
In Rumänien ist der vârcolac ein Dämon, der mit der Mondfinsternis assoziiert wird und Blut trinkt. Alexander Puschkin führt 1834 den wurdalak im gleichnamigen Gedicht erstmals in die russische Sprache ein, wenig später erzählt Alexei Tolstoi die Geschichte der „Familie des Wurdalak“. Was es mit diesen Wesen auf sich hat, lässt er darin den alten, über 70-jährigen Marquis d’Urfé definieren: „Ich sollte ihnen vielleicht erklären, meine Damen, dass die Wurdalaks, wie man bei den slawischen Völkern die Vampire nennt, in jenen Ländern für nichts anderes als Leichen gelten, welche aus ihren Gräbern gestiegen sind, um das Blut der Lebenden zu saugen. Soweit sind ihre Gewohnheiten dieselben wie die aller anderen Vampire, aber sie besitzen noch eine andere, die sie noch viel schrecklicher macht. Die Wurdalaks, meine Damen, saugen vorzugsweise das Blut ihrer nächsten Familienmitglieder und ihrer engsten Freunde, die, sobald sie tot sind, selbst zu Vampiren werden.“ Auch der strigoi ist ein bluttrinkender rumänischer Untoter, der vornehmlich seine eigene Familie heimsucht. Jener Petre Toma, der noch im Jahr 2004 von seinen Verwandten exhumiert wurde, war angeblich ein solcher strigoi. Diese Untoten sollen nicht nur Blut saugen, sondern auch großen Lärm machen und erbittert gegeneinander kämpfen, vornehmlich in der Nacht zum Andreastag, dem 30. November. Die Griechen fürchten sich vor dem wrykólakas. In den meisten Legenden ist dieser Blutsauger eng mit dem Werwolf verwandt. Manchmal wird zum wrykólakas, wer das Fleisch eines vom Werwolf gerissenen Schafes verzehrt, manchmal zeigt aber auch der wrykólakas selber Eigenschaften des Werwolfes wie starke Körperbehaarung oder glühende Augen. Eigenarten und Aussehen des wrykólakas können von Region zu Region stark variieren.
Untote mit Pferden – Der kopflose Reiter und die Wilde Jagd
Kopflose Reiter spuken durch die Legenden ganz Europas. In Irland treiben die dullahan ihre Pferde mit einer Peitsche aus dem Rückgrat eines Menschen an. Aus Deutschland emigrierte die Gestalt des kopf-
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losen Reiters gar im Gepäck der Auswanderer in die USA und lebt dort bis heute in der amerikanischen Folklore als Headless Horseman of Sleepy Hollow fort. „Einige sagen, es sei der Geist eines hessischen Cavalleristen, dem eine Kanonenkugel, in irgend einer namenlosen Schlacht während des Revolutionskrieges, den Kopf weggenommen habe“, schreibt Washington Irving in seiner 1820 erschienenen Kurzgeschichte, „und der von Zeit zu Zeit von den Landleuten, in der Dunkelheit, wie auf Windesflügeln dahin reitend, gesehen wird. […] Das Gespenst ist an allen Kaminen im Lande, unter dem Namen des kopflosen Reiters aus der schläfrigen Schlucht bekannt.“ Auch in Deutschland ist der kopflose Reiter eine häufig vorkommende Gestalt, überliefert unter anderem in einer Sage der Brüder Grimm. Die Erscheinung ist erstaunlich genau datiert: Der kopflose Reiter namens Hans Jagenteufel starb ihren Angaben zufolge im Jahr 1514. 130 Jahre später begegnet ihm ein Weib beim Eicheln sammeln, „nicht weit von dem Orte, das verlorene Wasser genannt“. Der Mann, der auf einem Grauschimmel reitet und einen langen grauen Rock trägt, jagt ihr zwar einen gehörigen Schrecken ein, fügt ihr aber kein Leid zu. Neun Tage später begegnet sie dem Reiter erneut, und nun erzählt er ihr seine Geschichte: „Sein Vater habe ihn oft ermahnt, den armen Leuten nicht zu scharf zu sein, er aber die Lehre in den Wind geschlagen und dem Saufen und Trinken obgelegen und Böses genug getan. Darum müsse er nun als ein verdammter Geist umwandern.“ Überhaupt kommen erstaunlich oft Untote auf Pferden daher. Wie der kopflose Reiter ist auch die Wilde Jagd ein Untoten-Motiv, das sich praktisch in ganz Europa finden lässt. In England galoppiert die Horde Untoter als wild hunt über den Nachthimmel, in Skandinavien kennt man sie als Odensjakt, Oskorei, Aaskereia oder Åsgårdsrei, in Frankreich ist es die mesnie hellequin, chasse fantastique, chasse aérienne oder chasse sauvage, in der Schweiz das Wüetis heer und in Italien das caccia selvaggia oder caccia morta. In den meisten Formen der Legende ist die Wilde Jagd in den Rauhnächten zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag unterwegs. Ob die Wilde Jagd aber tatsächlich Schaden anrichtet, nur unangenehm ist oder eher eine Warnfunktion einnimmt, variiert von Region zu Region.
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KAPITEL 2
Die meisten Jagdteilnehmer starben vorzeitig eines gewaltsamen oder unglücklichen Todes und sind nun zur ewigen Jagd verdammt. In Norddeutschland wird die Sage vom Jäger Hackelberg oft mit der Wilden Jagd verknüpft. Hans von Hackelberg war, so erzählt es der Sagensammler Heinrich Pröhle in seinen Harzsagen, ein braunschweigischer Oberjägermeister. Einmal sollte er auf der Harzburg eine große Jagd veranstalten. In der Nacht vor der Jagd träumte er, ein gewaltiger Keiler würde ihn töten. Hackelberg nahm die Warnung ernst und blieb der Jagd fern. Tatsächlich kamen die Jagdgenossen am Abend mit einem riesigen Eber zurück. „Der Kopf des Ungeheuers allein soll 75 Pfund gewogen haben“, notiert Pröhle. Der Oberjägermeister, erleichtert, dass das Biest nun tot war, hob den Kopf in die Höhe und rief: „Du bist ja wohl das Untier, das mir das Leben nehmen sollte? Doch damit ist's jetzt zu Ende, du sollst mir nicht mehr schaden.“ Da glitt ihm der Kopf aus der Hand und einer der spitzen Hauer ritzte ihm ein wenig die Wade auf. Was an sich keine schlimme Verletzung war, entzündete sich jedoch rasch. Hackelberg wollte nach Braunschweig, in der Hoffnung, die dortigen Ärzte könnten ihm helfen. Doch er kam nur bis Wülperode, bevor sein Zustand keine Weiterreise mehr zuließ. Der „kalte Brand“ trat in die Wunde und beendete das Leben des Oberjägermeisters. „Vor dem Tode wünschte er sich noch, daß er bis zum jüngsten Tage jagen müßte“, berichtet Pröhle. „Sein Wunsch ist ihm erfüllt und auf dem Fallstein sowie in der ganzen Gegend hört man oft ein Hundebellen und ein Rufen: Hi! Hau!“ An der Oker, einem linken Nebenfluss der Aller, heißt es, würde Hackelberg als Anführer die Wilde Jagd den Fluss hinauf- und hinuntertreiben.
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Wie wird man zum Vampir?
Sicher ist niemand, niemals. Vom Moment der Zeugung bis zu dem Tag, an dem der Sarg endgültig in die Erde gelassen wird, kann es passieren: eine Unachtsamkeit, und schon ist man zum UntotenDasein verdammt. Meist sind es keine großen Momente, sondern relativ banale Abweichungen von der Norm. Ein Mal auf der Haut bei der Geburt konnte ebenso ausreichen, einen Menschen zum Untoten zu machen, wie ein krummer Sargnagel. Die Vorstellungen variieren allerdings stark von Region zu Region und durch die Zeiten hindurch. Was in einem Landstrich als sicheres Omen für die Verwandlung in einen Untoten gilt, kann schon im nächsten als harmlos abgetan werden. Überall aber sind die Ursachen sehr vielfältig. Grob lassen sie sich in drei Kategorien einteilen, je nach dem Zeitpunkt, zu dem sie eintreten: vor oder bei der Geburt, zu Lebzeiten oder um den Zeitpunkt des Todes herum. Sie berühren damit bestimmte Übergangsphasen im Leben vorindustrieller Gesellschaften, die als potentiell gefährlich galten und zu deren Bewältigung sich Riten entwickelten. Das wirft die ungemütliche Frage auf, wie viele vermutete Untote tatsächlich auf unseren Friedhöfen liegen. Wenn bereits Kleinigkeiten wie ein ungünstiger Geburtstag, ein nicht gehaltenes Versprechen oder eine verlorene Nadel ausreichten, wie viele Menschen waren dann zur Wiederkehr verdammt? Jeder zehnte? Jeder vierte? Jeder zweite? Die Hinterbliebenen in den engen Lebens- und Dorfgemein schaften kannten in der Regel den Verstorbenen sehr genau. Sie wuss-
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KAPITEL 3
ten, wie er bei der Geburt ausgesehen hatte. Sie kannten seine Lebensgewohnheiten, wussten, ob er trank, log oder seine Frau betrog. Und ein Patzer bei der Beerdigung selber entging sowieso niemandem. Wie oft hatten die Umstehenden wohl ein mulmiges Gefühl, wenn der Sarg in die Erde gesenkt wurde? Wie oft fragten sie sich, wie lange es der Tote wohl in dieser Grube aushalten würde, bevor er sich wieder herauswühlt?
Unabänderliche Schicksale – Untot seit Geburt
Schon in dem Moment, in dem Samenzelle und Ei verschmelzen, liegt die erste Gefahr. Denn vereinen sich die beiden zu einem unglücklichen Zeitpunkt, dann ist das in dem Augenblick gezeugte Kind dazu verdammt, am Ende seines Lebens als Untoter wiederzukehren. Auf dem Balkan versuchten deshalb Frauen zu vermeiden, an bestimmten Tagen ein Kind zu empfangen: in der gesamten Fastenzeit, an Karfreitag und am Ostersonntag. Diese Termine galten nicht von ungefähr als riskant für die Zeugung neuen Lebens. Denn zwischen der Befruchtung und der Geburt liegen in der Regel 266 Tage. Rechnet man diese Anzahl von Tagen von einem Befruchtungsdatum Ende März oder Anfang April in die Zukunft, so besteht die Gefahr, dass das Kind in den Rauhnächten geboren wird. Diese Nächte zwischen Wintersonnenwende und dem Dreikönigstag galten in vielen Kulturen als eine Zeit, in der die Grenzen zu anderen Welten besonders durchlässig sind und die Gesetze der Natur keine Gültigkeit mehr haben. Geister können so ungestört in unsere Welt eindringen und hier ihr Unwesen treiben. So ist zum Beispiel die Wilde Jagd in den Rauhnächten unterwegs, daher dürfen auf keinen Fall Wäscheleinen gespannt sein – die Reiter könnten sich sonst darin verfangen. Und wer gar weiße Wäsche zum Trocknen aufhängt, läuft Gefahr, dass ein Reiter der Wilden Jagd sie stiehlt und noch vor Ende des kommenden Jahres ein Leichentuch für den Besitzer daraus näht. Andererseits gelten die Rauhnächte aber auch als eine besonders geeignete Zeit für das Wahrsagen. Ein Echo davon
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WIE WIRD MAN ZUM VAMPIR?
finden wir zum Beispiel heute noch in Deutschland in dem Brauch des Bleigießens an Silvester. Ein Geburtstermin in den Rauhnächten war eine riskante Angelegenheit. Je nach Zeitpunkt innerhalb dieser Spanne konnte er Gutes oder Böses bedeuten. Wurde ein Kind tagsüber, vor allem aber an einem Samstag oder gar Sonntag geboren, so war ihm der Überlieferung nach das zweite Gesicht gegeben – es konnte mit den Geistern kommunizieren und in die Zukunft schauen. Mit diesen Gaben ausgerüstet galten diese Kinder als besonders geeignet, die Mächte der Finsternis zu bekämpfen. Wer aber in der Nacht zur Welt kam, heißt es, sollte der dunklen Seite geweiht sein, und musste sich seinem Schicksal als Werwolf oder Wiedergänger stellen. Von vornherein keine Chance auf einen normalen Tod hatten auch jene Kinder, die als siebentes Kind gleichen Geschlechts einer Frau geboren wurden – also der siebente Sohn oder die siebente Tochter einer Familie. Ebenfalls schlechte Karten hatten uneheliche Kinder, deren beide Eltern ebenfalls unehelich waren. Doch auch wenn ein Kind zu einem sicheren Zeitpunkt mit nur wenigen Geschwistern und von verheirateten Eltern gezeugt wurde, lauerte im Mutterleib bereits die nächste Gefahr. 1898 berichtet der russische Volkskundler Juljan Jaworskij in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde von einem ukrainischen Aberglauben: „Wenn ein schwangeres Weib in der Kirche während des großen Einzugs den celebrierenden Priester anschaut, so wird das Kind zum Vampyr.“ Im Prozess der Entwicklung des Embryos konnten weitere Dinge geschehen, die ein Kind zur Wiederkehr verdammten. Bei der Geburt offenbarten sich dann die Warnsignale. Wurde ein Kind mit Zähnen geboren, so galt es als Neuntöter und man sagte, es hole nach seinen Tod rasch neun weitere Menschen aus seinem Umfeld nach. Medizinisch heißt dieses Phänomen Dentes connati – von lateinisch dens – „Zahn“ – und connatus – „angeboren“. In der Regel haben diese Zähne keine Wurzeln und fallen schnell aus. Im Gebiss bleibt dann bis zum Durchbruch der bleibenden Zähne eine Lücke. Nur etwa eines von 10.000 Neugeborenen kommt mit Dentes connati zur Welt. Zu den berühmtesten Fällen bezahnter Babys zählen der französische
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KAPITEL 3
Sonnenkönig Ludwig XIV. und Kaiserin Elisabeth von ÖsterreichUngarn, bekannt als Sissi. Ob sie allerdings deshalb von ihren Zeitgenossen für potentielle Wiedergänger gehalten wurden, ist nicht überliefert. Als weitere Kandidaten für eine Wiederkehr nach dem Tod galten, je nach Region, Babys, die mit einem roten Mal auf der Haut oder einem schwanzähnlichen Rückgratfortsatz geboren wurden. Manchmal reichte es auch schon aus, stark behaart, ganz ohne Haare oder mit roten Haaren und blauen Augen zur Welt zu kommen, um den Verdacht zu schüren. Manche Omen konnten auch, abhängig von der regionalen Ausprägung, entweder als gut oder als schlecht gedeutet werden. Eines dieser Zeichen ist die Geburt mit einer so genannten Glückshaube – der Fruchtblase, die bei manchen Neugeborenen über dem Kopf oder dem Gesicht liegt. Wie der geläufige Name schon sagt, wurde sie in den meisten Fällen als glückliches Zeichen freudig aufgenommen und versprach dem Kind und auch dem Besitzer solcher Hauben viel Gutes. Seeleute zum Beispiel zahlten Hebammen hohe Summen für so ein Stück, weil es angeblich vor dem Ertrinken schützte. Charles Dickens’ Romanfigur David Copperfield gehörte zu den Glücklichen. Seine Haube bot man in der Zeitung zum Preis von 15 Guineen zum Verkauf an – allerdings wollte sie niemand haben. In einigen Gegenden glaubte man allerdings, dass der Preis für eine Geburt mit der Glückshaube auf dem Kopf sehr hoch war: Diesen Menschen drohe nach ihrem Tod die Wiederkehr. War ein Kind ohne Anzeichen für eine mögliche Wiederkehr auf die Welt gekommen, begann der kritische Zeitraum bis zur Taufe. Erst mit der Taufe erwarb ein Kind den Anspruch auf ein Begräbnis in geweihter Erde. Denn wer ungetauft starb, der durfte nicht in den Himmel eintreten. Aber auch die Hölle war kein Platz für diese Kinder, denn sie hatten ja noch keine Gelegenheiten gehabt, Sünden zu begehen. Also waren die kleinen Seelen dazu verdammt, auf ewig ruhelos umherzuwandeln. In einigen Regionen gewährte man den Ungetauften einen Bereich auf der Nordseite der Kirche. Besonders die im Säuglingsalter verstorbenen Kinder versuchte man, dort mög-
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lichst dicht an der Kirchwand beizusetzen, damit das Traufwasser auf sie fällt. Dem Traufwasser vom Kirchdach wurde, ähnlich wie dem Weihwasser, eine gewisse Heiligkeit zugesprochen. Umspülte es nun bei jedem Regen die Gebeine der Kinder, würde es sie vielleicht vor der Wiederkehr bewahren können. Das Schicksal der ungetauften Kinder nimmt eine Sage auf, die sowohl in der Gegend von Düren am Nordrand der Eifel als auch in ähnlicher Form auf der britischen Isle of Man erzählt wird. Darin sieht ein Mann ein kleines Kind, das verzweifelt hinter einer GeisterProzession her stolpert. „Na, Stömpche?“, verspottet er den Kleinen, indem er die volkstümliche Bezeichnung „kleiner Baumstumpf“ verwendet, in der Bedeutung ähnlich dem heute geläufigeren „Knirps“. Daraufhin hält das Kind an, springt freudig in die Höhe und beginnt zu jubeln: „Jetzt habe ich endlich einen Namen, das ist so gut wie getauft. Jetzt komme ich in den Himmel!“ Die Taufe war dann das nächte Hindernis. Selbst der kleinste Fehler konnte das Kind zu einem späteren Untoten machen. Da waren zunächst die schwierigen lateinischen Formeln, die der Priester ganz genau und ohne Versprecher aufsagen musste. Er durfte sich weder verhaspeln noch ein Wort falsch aussprechen und erst recht keines auslassen. Aber auch auf der Mutter und auf dem Taufpaten lastete große Verantwortung. Peter Kremer berichtet in seinem Buch Draculas Vettern von den Erzählungen seines Großonkels: Wenn die Mutter sich während der Taufe „en de staatse kaploon verluure doht“ (sie sich in den stattlichen Kaplan verguckt) oder wenn der „pappühm bee de dööv at vum schabau donooh drööme doht“ (der Patenonkel bereits während der Taufe vom Schnäpschen danach träumt), war alles verloren. Einen unter diesen Umständen getauften Jungen machten diese Gedanken zum Werwolf, das Mädchen war zur Hexe oder zum Mahr verdammt.
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Gratwanderung auf dem rechten Pfad – Die Gefahren zu Lebzeiten
Wie grausam muss es sein, mit der Gewissheit zu leben, dass man nach dem Tod keine Ruhe finden wird. Der rumänische Fürst Borolajowac war sich dies, als er im Jahr 1874 den Tod näher kommen fühlte, gewiss. Aus seiner Heimat hatte er bereits fliehen müssen, weil seine Untertanen ihn dort für einen Vampir hielten. Im Exil in Paris setzte er ein Testament auf. Nach seinem Tod, ordnete er darin an, solle man ihm das Herz ausreißen, damit er seinen Frieden finden könne. Warum sich Fürst Borolajowac seiner Sache so sicher war, ist nicht überliefert. Es hätten so viele Ursachen sein können. An irgendeiner Station seines Lebens war etwas schief gelaufen. Ein Tritt nur neben den rechten Pfad, und das grausame Schicksal war vorbestimmt. Mitunter reichte auch schon weniger als ein Fehltritt, um einen Menschen zum Untoten zu machen. So waren beispielsweise bestimmte Berufsgruppen in manchen Regionen suspekt. Schmiede, Holzfäller, Hirten und Prostituierte standen unter Generalverdacht. Auch Kornhändler, Müller und Landvermesser galten besonders oft als mögliche Wiedergänger, denn Betrug durch vorsätzlich falsches Messen zu Lebzeiten war eine jener Verfehlungen, die einen Toten nicht ruhen ließen. Auch betrügerische Schankwirtinnen gehörten in diese Kategorie. Wer gar einen Grenzstein versetzte, besiegelte sein Schicksal sogleich. Um einer Wiederkehr vorzubeugen, stand als Strafe auf das Verrücken eines Grenzsteines der Verlust des Kopfes – und zwar auf besonders grausame Weise. Überliefert ist der Brauch in einem Urteil aus dem Jahr 1647, das bei einer Gerichtsverhandlung vor dem Hildesheimer Ostertor gefällt wurde: „Der Verbrecher soll an des Steins statt in die Erde bis an den Hals gesetzt und ihm der Kopf mit vier unbändigen und ungehaltenen Pferden abgepflügt werden.“ Die Volkskunde kennt eine lange Liste von Vergehen, die einen Menschen zur Wiederkehr verdammten: Meineid, Betrug, Wucher, Raub, Brandstiftung, Wegelagerei, hartherziger Geiz, Fluchen, Ver schwenden des Familienvermögens, Arbeiten an einem Sonntag und
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WIE WIRD MAN ZUM VAMPIR?
Rauchen an einem Feiertag gehören ebenso dazu wie eine generell ruchlose Lebensführung. Dazu zählte auch der übermäßige Alkoholkonsum: „Dä süff nauch wegge, ooch wenn hä att duud es“ (Der säuft noch weiter, auch wenn er schon tot ist), hieß es in der Eifel. In Dalmatien gehörte auch der Beischlaf mit der eigenen Großmutter dazu. Als schlimmste aller Sünden galt der Mord, insbesondere der Kindsmord, auch diese Tat führte entsprechend unweigerlich zu einem ruhelosen Tod. Zu den gefährdeten Personengruppen gesellten sich Priester, die Todsünden begangen hatten, Exkommunizierte und Konvertiten. Insbesondere in Russland glaubte man, dass, wer sich zu Lebzeiten gegen die Russisch-orthodoxe Kirche auflehne, nach dem Tod zum Vampir würde. Nicht alle Auslöser für die Wiederkehr nach dem Tod waren allerdings selbstverschuldet. In Rumänien glaubte man, dass auch, wer zu Lebzeiten schlafwandelte, nach dem Tod sein Grab regelmäßig verlassen würde. Und das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens listet eine Befürchtung der Slawen, die zwar keine Wiederkehr, aber doch das Nachholen betrifft: Stirbt jemand, dessen linker Fuß länger ist als sein rechter, so stirbt im selben Haus eine Frau nach. Stirbt dagegen jemand, dessen rechter Fuß länger ist als der linke, so muss ein Mann aus dem Haus folgen. Ein besonders interessanter Fall ist derjenige des Arnold Paole aus dem Jahr 1732 (siehe Kapitel 1). Denn darin werden gleich mehrere Möglichkeiten genannt, zum Untoten zu werden – und die sind wesentlich näher an der aus der Literatur bekannten Version des Verzehrs von Vampirblut als diejenigen, die wir bisher betrachtet haben. Paole selber „hatte bey seiner Lebens-Zeit sich öffters verlauten lassen, daß [...] er von der Erde des Vampirs Grab gegessen, und sich mit dessen Blut geschmieret habe.“ Ob es nun der Verzehr der Erde oder das Beschmieren mit Blut war, das Paole zum Vampir machte, geht aus dem Bericht des Stabsarztes Johann Flückinger nicht hervor. Aber er nennt noch eine weitere Ursache für Vampirismus, mit der Paole indirekt weitere Opfer holt: Auch diejenigen Bewohner Medvegias, die vom Fleisch jener Schafe aßen, die Paole zuvor getötet hatte, wurden zu Vampiren. Auch wenn diese Fälle in der Volkskunde
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KAPITEL 3
eher selten auftauchen, scheint also der Kontakt zu Vampiren ebenfalls gewisse Risiken mit sich gebracht zu haben.
Gefahr durch unerledigte Angelegenheiten – Ruhelosigkeit nach dem Tod
Die gefährlichste Lebensphase in Bezug auf die Wiederkehr war der Tod. Nur wer einen guten Tod starb, durfte auf Frieden hoffen. Dazu gehörte zunächst einmal, dass man seinem Leben nicht selber ein Ende setzte. Selbstmörder galten fast überall als potentielle Wiedergänger. Generell zählte nur der Tod als gut, der nicht plötzlich kam – und dem Menschen damit einen Teil seines Lebens „stahl“. Denn dann bestand immer die Gefahr, dass der Tote keine Ruhe finden würde, weil seine Zeit auf Erden noch gar nicht um war. Jede Art von tödlichem Unfall oder gewaltsamem Tod galt als schlechter Tod. Blieb jemand im Krieg oder auf See, besonders in jungen Jahren, dann fand die Seele keine Ruhe. In besonderem Maße betraf das Frauen, die bei der Geburt oder im Kindbett starben. Sie hatten gleich zwei Gründe wiederzukehren: ihr vorzeitig beendetes Leben und die Sorge um das möglicherweise noch lebende Kind. Der Kirchenrechtler und Bischof Burchard von Worms berichtet bereits zu Beginn des 11. Jahrhunderts, dass man bei der Geburt verstorbenen Frauen sicherheitshalber gleich bei der Beerdigung einen Pflock durch den Körper schlägt. Auch wer zu Lebzeiten keinen Ehepartner gefunden hatte, lief Gefahr wiederzukehren. Aus Bulgarien ist der Brauch überliefert, unverheiratete Verstorbene nachträglich mit einem Lebenden, zur Not aber auch mit einem Stein oder Baum zu vermählen, um ihnen den Anreiz für eine Wiederkehr zu nehmen. Im gesamten europäischen Raum gab man vom Ende des 16. bis zum 19. Jahrhundert, vereinzelt sogar noch bis ins 20. Jahrhundert, verstorbenen Jungfrauen eine Totenkrone mit ins Grab. Sie glich den Brautkronen der Lebenden – und sollte symbolisch für eine Hochzeit mit Jesus Christus stehen.
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WIE WIRD MAN ZUM VAMPIR?
Ludwig Strackerjan hat in seinem Werk Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg, erschienen im Jahr 1867, eine Vielzahl an Fällen zusammengetragen, in denen die Toten wiederkehrten, um sich unerledigter Dinge anzunehmen. Zu jenen, die ihre „zum Erdenleben bestimmte Zeit noch nicht erfüllt“ haben, zählt er unter anderem die Mordopfer. Als Beispiel führt er ein Mädchen an, das im Jahr 1842 bei Strücklingen von ihrem Liebhaber ermordet wurde. „Am Abend des Mordtages kam der Pastor von Strücklingen von einem Besuche in Ramsloh zurück“, berichtet Strackerjan. „Am Kolkwege sieht er plötzlich eine blutige Frauensperson vor sich mit einem Kinde auf dem Arm. Als er sich von seinem Schrecken erholt hat, ist die Erscheinung verschwunden. Zur selben Stunde war das unglückliche Mädchen (das hochschwanger war) von ihrem Verführer auf dem Kreienkamp ermordet worden.“ Die unerfüllten Belange konnten mitunter jedoch auch wesentlich banaler sein. So wie in einem Fall aus der Gemeinde Bakum, bei dem zwei alte Damen zu allerdings sehr harmlosen und friedlichen Wiedergängern wurden: „Wo jetzt das Harmer Holz steht, befand sich früher eine Pächterei des Gutes Harme. Zuletzt lebten in dem Hause nur noch zwei alte Tanten, die die Arbeit nicht mehr verrichten konnten. Die Herrschaft kündigte deshalb und überwies den alten Frauen ein kleines Häuslein beim Schlosse. Die beiden Tanten baten um noch eine Aussaat, dann wollten sie ihr altes Heim verlassen. Im darauffolgendem Jahre sah man, daß der ganze Acker mit Eicheln besäet worden war. Die Frauen sind dann in der Folge alle Tage zu ihrer Pflanzung gegangen, haben dort gesungen und Gottes Segen auf den Eichelkamp herabgefleht. Auch nach dem Tode haben sie sich dort als Geister eingefunden und gesungen. Weil die Eichen gut gediehen, wurden dabei größere Flächen angepflanzt, und so entstand des Harmer Holz.“ Besonders gefährlich wurde es auch, wenn man Toten ihren letzten Wunsch verwehrte. Dann konnten sie wiederkommen, um die Erfüllung einzufordern. Strackerjan führt einen Fall aus Zwischenahn an: Eine Kranke wünschte sich auf dem Sterbebett, in genau jenem Hemd begraben zu werden, das sie während der Krankheit ge-
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KAPITEL 3
tragen hatte. Allerdings behielten die Verwandten nach ihrem Tod das Hemd zurück und begruben sie in einem anderen. Daraufhin kehrte die Frau jede Nacht zurück und weinte vor dem Koffer, in dem das Hemd aufbewahrt wurde. Erst als ihre Verwandten eines Nachts das Hemd auf den Koffer legten, nahm die Tote es mit, lachte und wurde nie wieder gesehen. Nicht immer ist es so ersichtlich, was der Tote verlangt. Der folgende Fall aus Westerstede ist so interessant, weil er beschreibt, wie ein junger Priester mit dem Toten Kontakt aufnimmt, um herauszufinden, was ihn umtreibt. Strackerjan berichtet, dass bereits mehrere katholische Priester nichts hatten ausrichten können, bevor man den noch sehr jungen Kollegen um Rat bat. „Als der Untote wieder erschien“, schreibt er, „nahm der Pastor eine Bibel unter den Arm, zog mit einem Stocke einen Kreis auf dem Fußboden und sprach: ,Bis hierher und nicht weiter!‘ und der Wiedergänger stand still. ,Was er denn wolle,‘ fragte der Priester den Untoten, woraufhin dieser antwortete: ,Sie haben mir versprochen, mir das Leichentuch mitzugeben, und haben es nicht getan.‘ Flugs ließ der Priester das Tuch herbeibringen. Der Geist griff so heftig danach, dass ein Zipfel abriss, und verschwand. Das Tuch ohne den Zipfel wurde noch lange aufbewahrt“, schließt Strackerjan seinen Bericht, „aber es war nicht möglich, einen Zipfel wieder daran zu nähen, weil er stets sofort wieder abfiel.“ Neben unerfüllten Versprechen galten auch unerfüllte Gelübde als Grund für eine Wiederkehr. Und wer zu Lebzeiten geizig gewesen war und Almosen verweigert hatte, der konnte, so Strackerjan, im Tode wiederkommen, um seine Verwandtschaft aufzufordern, an seiner statt den Armen zu geben. Aber nicht nur die Umstände des Todes selber entschieden über die Einkehr ins Paradies oder die Verdammnis zur Ruhelosigkeit. Die Zeit, bis der Leichnam endlich unter der Erde lag, galt auch noch als hochgefährlich. So viel konnte schiefgehen, wobei sich auch hier die Gepflogenheiten von Ort zu Ort unterschieden. Im Saterland durfte auf keinen Fall vergessen werden, einige Hobelspäne vom Sarg oder die Nadel, mit welcher das Totenhemd genäht worden war, mit in
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den Sarg zu legen. In Stollhamm musste, sobald die Leiche aus dem Haus getragen war, das Herdfeuer gelöscht werden. Selbstverständlich durfte – das galt für viele Orte – der Leichnam nicht beraubt oder mit den Gebeinen Spott oder Unfug betrieben werden. Ebenfalls häufig war der Glaube, dass kein Tier über die Leiche springen und kein Vogel darüber fliegen dürfe, das galt ebenso für das offene Grab. Weder Regen noch Tränen der Hinterbliebenen sollten den Leichnam benetzen. Augen und Mund mussten unbedingt geschlossen werden – zur Not half man vielerorts mit Nadel und Faden ein wenig nach. Ging beim Begräbnisschmaus Geschirr zu Bruch, musste der Pastor am Tag der Bestattung vor dem Haus warten, stand der Sarg nicht fest, schwankte die Bahre beim Gang zum Friedhof, drehten die Leichenträger sich um, krümmte sich beim Schließen des Sarges ein Nagel, passte der Deckel nicht, wurde ein Verwandter mit dem Deckel angestoßen, sah ein Stück von der Kleidung aus dem Sarg hervor, entstanden Lücken im Trauergefolge oder beim Umstehen des Grabes oder fiel das Grab bei der Trauerfeier an den Seiten ein, drohte die Wiederkehr des Toten. Besonders heikel war der Sonntag. Am Tag des Herrn durfte kein Grab offen und kein Leichnam aufgebahrt stehen – und es durfte auch niemand beerdigt werden. Aus Serbien ist der Brauch überliefert, dass man niemals einen Toten an der Stelle bestatten sollte, an der eine Sternschnuppe auf die Erde gefallen war – sonst würde er zurückkehren. Und ein Aberglaube hat sich sogar in einigen Gegenden bis heute gehalten: Keine Blume darf von einem Grab abgerissen und weggeworfen werden. Sonst spukt es an der Stelle, an der sie zu Boden fällt.
Mathematik vs. Vampire – Untote in Literatur und Naturwissenschaft
Leise stöhnend dreht sie ihren Kopf zur Seite und streckt ihm die samtige Haut ihres Halses entgegen. Unter der Oberfläche pulsiert die Halsschlagader, voller Leben – noch. Seine Lippen tasten blind suchend über die Haut, angezogen vom strömenden Blut wie Eisen von
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KAPITEL 3
einem Magneten. Als seine Zunge den galoppierenden Puls findet, krampft seine Hand in ihre dichten Haare. Nichts kann ihn mehr aufhalten, seine spitzen Eckzähne senken sich in das nachgiebige Fleisch und er beginnt gierig zu saugen. Erst als ihr Puls nur noch schwach flackert und schließlich ganz erlischt, löst sich seine Umklammerung. Zärtlich betrachtet er ihr blasses Gesicht und streicht ihr eine feuchte Haarsträhne von der verschwitzten Stirn. Es ist vollbracht. Ein neuer Vampir ist geboren. So in etwa, stellen wir uns heute vor, werden Vampire gemacht – ein Biss, eine einzige Mahlzeit genügt. Mit dem tödlichen Kuss gelangt das Wesen des Vampirs, seine Natur, in das Opfer – das fortan zu einem Leben in Dunkelheit mit ständigem Durst verdammt ist. Dieses Prozedere aber ist eine Erfindung der Schauerliteratur. Erst auf dem Papier wurde der Vampir zu einem sexuell höchst attraktiven Wesen, das durch die intime Handlung des ekstatischen Blutsaugens weitere Opfer zu sich in die Finsternis holt. Dass diese Methode so nicht funktionieren kann, hat der Physiker Costas Efthimiou von der University of Central Florida gezeigt. In seinem Aufsatz Cinema Fiction vs Physics Reality – Ghosts, Vampires and Zombies, den er gemeinsam mit seinem Studenten Sohang Gandhi veröffentlichte, rechnet er ein Beispiel durch. Angenommen, so Efthimiou, ein Vampir müsse lediglich einmal im Monat eine Mahlzeit zu sich nehmen. Dann würde pro Vampir einmal im Monat ein neuer Vampir geschaffen. Mit jedem neuen Vampir nimmt die Vampirpopulation also um eins zu, die Menschenpopulation dagegen um eins ab. Sein Rechenbeispiel lässt Efthimiou am 1. Januar des Jahres 1600 beginnen. Die Weltbevölkerung gibt die US CensusBehörde für dieses Datum mit 536.000.000 an – plus/minus 17 Millionen. Um die Rechnung zu vereinfachen, runden die Physiker den Wert zu 536.870.911. Angenommen am 1. Januar 1600 gäbe es also einen Vampir und 536.870.911 Menschen. Geburts- und Sterberaten müssten zwar für eine genaue Kalkulation mit einbezogen werden – doch sind sie in diesem Fall nicht relevant. Dann gäbe es am 1. Februar 1+1=2 Vampire und 536.870.911-1=536.870.910 Menschen. Zunächst passiert wenig, das Frühjahr hindurch ist die
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WIE WIRD MAN ZUM VAMPIR?
Menschheit noch sicher. Am 1. März sind es vier Vampire und außerdem 536.870.911-3=536.870.908 Menschen, am 1. April acht Vampire und 536.870.911-7=536.870.904 Menschen. Langsam wächst die Vampirpopulation. Nach n Monaten steigt die Anzahl an Vampiren auf 2n. Die Menschenpopulation dagegen verringert sich um den Faktor 536.870.911–2n+1. Zu Weihnachten des Jahres 1600 wird es langsam ungemütlich. Nun streifen schon 2048 Vampire durch die Lande und die Menschheit ist dadurch auf 536.868.864 geschrumpft. Ein Jahr später, Weihnachten des Jahres 1601, beginnt die Situation dramatisch zu werden. 8.388.608 hungrige Vampire sind nun auf Nahrungssuche. Zwar sind immer noch 528.482.304 Menschen übrig, einige Regionen der Welt aber sind bereits restlos leergesaugt. Nun geht alles sehr schnell. Am 1. Juni 1602, nur zweieinhalb Jahre nach dem Auftauchen des ersten Vampirs, bevölkern 536.870.912 Vampire unseren Planeten. Allerdings müssen sie elendig verhungern – es ist nun kein Mensch mehr übrig, dessen Blut sie trinken könnten. Wir haben in diesem Kapitel gesehen, wie allgegenwärtig die Gefahr angesehen wurde, nach dem Tod keine Ruhe zu finden. Entsprechend tauchen die Untoten häufig in Legenden und Sagen auf. Sie gehörten zum festen Kreis jener Spukgestalten, deren Geschichten in langen Winternächten wieder und wieder erzählt wurden. So wurde das Wissen um die Untoten – und wie man sie bekämpft – von Generation zu Generation weitergegeben.
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Darstellung des Grauens – Der Untote in den Schrift- und Bildquellen des Mittelalters
„Schwarz wie Hel und geschwollen wie ein Ochs“ – Die draugr der isländischen Sagen
Die Landnahme und Besiedlung Islands im Frühmittelalter war sicherlich keine einfache Angelegenheit. Das Klima war alles andere als lieblich und der Boden nicht gerade das, was man als fruchtbar bezeichnen möchte. Und dazu kamen noch die Untoten, die den Siedlern das Leben zusätzlich schwer machten. Die Sagen der Isländer sind voll von draugar: hartnäckige Wiedergänger, die sich bereits zu ihren Lebzeiten durch antisoziales Verhalten, kriminelle Energie oder pure Bösartigkeit hervorgetan hatten. Einer von diesen war Thorolf Mostrakegg (Þórólfur Mostras kegg), der gegen Ende des 10. Jahrhunderts zu den ersten Siedlern der Snæfellsnes Region bei dem Helgafall gehörte. Ob Thorolf tatsächlich je gelebt hat, sei dahingestellt. Zumindest aber trägt seine Gestalt in der Eyrbyggja saga durchaus historisch reale Züge. Thorolf wurde als der Sohn des Fischers Örnólfr in Norwegen geboren. Seine Trinkfestigkeit brachte ihm bald den Namen Mostraskegg – „Mostbart“ – ein. König zu jener Zeit war Harald Schönhaar, der vehement gegen die Autonomie der Stammeshäuptlinge in den vor allem nördlicheren Regionen Norwegens vorging. Es dauerte nicht lange, bis der heißblütige Thorolf das Land verlassen musste, eine Handvoll Freunde um sich versammelte und gen Island aufbrach. Doch auch in seiner neuen Heimat legt sich Thorolf bald mit allen und jedem an. Mit dem Goden Snorri streitet er um ein
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DARSTELLUNG DES GRAUENS
Waldstück, auf seinen Nachbarn Úlfarr setzt er Mörder an und auch mit seinem Sohn Arnkel überwirft sich der ungehobelte Kerl. Die rücksichtslose Lebensweise jedenfalls macht ihn zum prädestinierten Wiedergänger. Entsprechende Vorsichtsmaßnahmen trifft Arnkel, als ihn im Jahr 918 die Nachricht vom Tode seines Vater ereilt: „Nun fasste Arnkel den Thorolf an den Schultern, aber er merkte wohl, dass er alle Kraft zusammen nehmen musste, ehe er ihn hinunterbringen konnte. Darauf wand er Thorolf ein Tuch um sein Haupt und verfuhr mit ihm nach alter Sitte. Dann ließ er die Wand hinter ihm durchbrechen und ihn durch die Öffnung hinausziehen. Es wurden nun Ochsen vor einen Schlitten gespannt, und Thorolf wurde auf diesen gelegt. Sie zogen ihn aufwärts ins Thorachtal. Nur mit großer Mühe konnte man ihn an die Stelle schaffen, wo er ruhen sollte. Darauf schichtete man reichlich Erde über ihn.“ Das Tuch über den Augen soll vor dem bösen Blick schützen, das Loch in der Wand den Toten so verwirren, dass er den Weg zurück ins Haus nicht mehr finden kann und die weit entfernte Begräbnisstätte im Thorachtal für genügend Abstand zu den Lebenden sorgen. Genützt hat es nichts. Als der Sommer zu Ende geht, mehren sich die Anzeichen, dass Thorolf nicht ruhig in seinem Grab liegt. Wer sich nach Sonnenuntergang im Freien aufhält, wird von ihm traktiert und Vieh, das versehentlich seiner Grabstätte zu nahe kommt, gebärdet sich wild und brüllt, bis es verendet. Sein erstes menschliches Opfer wird schließlich der Hirte von Hvammr. Man findet ihn eines Morgens tot auf: „Er war kohlschwarz und beide Beine waren ihm gebrochen“. Als der Winter kommt, wird alles noch schlimmer: Thorolf erscheint oft daheim im Haus „und machte besonders der Hausfrau zu schaffen. Er setzte auch vielen von den Männern zu, aber jene wurde fast verrückt davon. Schließlich starb sogar die Hausfrau infolge der Heimsuchungen, und man brachte sie in das Thorachtal und bestattete sie neben Thorolf.“ Bald ist die Gegend entvölkert – beziehungsweise bevölkert von Untoten, die Thorolf in seinem Gefolge sammelt: „So schlimm wurde das Umgehen Thorolfs, daß
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KAPITEL 4
er die Leute bald tötete, bald zur Flucht zwang, aber alle Toten sah man später in Thorolfs Gesellschaft.“ Schließlich bitten die letzten verbliebenen Bauern Arnkel um Hilfe. Der begibt sich zum Grab und exhumiert seinen Vater, der tatsächlich unverwest daliegt und ein „höchst boshaftes Aussehen“ zur Schau trägt. Kaum gelingt es Arnkel, Thorolf an eine neue Ruhestätte zu transportieren, da der Leichnam unnatürlich schwer geworden ist. Dort angekommen, errichtet er einen Wall um das neue Grab, „so hoch, daß nur ein Vogel im Flug darüber konnte.“ Der Bann wirkt – zumindest so lange, wie Arnkel am Leben ist. Die Eyrbyggja saga nimmt ihren Lauf, doch in Kapitel 63, Arnkel ist inzwischen verstorben, kehrt Thorolf zurück – bösartig wie eh und je. Er verwüstet den Hof Bólstaðr und tötet dort Menschen und Vieh. Danach zieht er weiter an die benachbarte Wirtschaft Úlfarfell und richtet dort „großes Unheil“ an. Schließlich nimmt sich Þóroddr Þorbrandsson, der Pächter des Gehöftes, der Sache an und gräbt Thorolf erneut aus. „Er war noch unverwest und ganz wie ein böser Troll anzuschauen. Er war schwarzblau wie Hel“, berichtet die Saga. Und noch schwerer als zuvor. Nur mit erheblichem Aufwand können Þóroddr und seine Leute den toten Thorolf zum Strand schaffen. Dort verbrennen sie die Leiche und streuen die letzte Asche, die der Wind nicht fortträgt, ins Meer. Besonders interessant ist die Geschichte des draugr Glàmr in der Grettis saga Ásmundarsonar (Die Saga von Grettir Ásmundarson), weil sie deutlich auf das sehr christlich geprägte Umfeld eingeht, in dem die isländischen Untoten ihr Unwesen trieben. Die Geschichte spielt auf dem Hof des Bauern Þórhallr Grímsson – wo es so arg spukt, dass er Schwierigkeiten hat, einen Schafhirten zu finden. Der Gesetzessprecher Skapti Þóroddsson vermittelt ihm Glámr, „der aus [...] Schweden stammt und im vorigen Sommer hierher gekommen ist; er ist groß und stark, aber wenig bei den Leuten beliebt. Glàmr ist in der Tat ein Sonderling: „Meine Dienste werden dir nur unter der Bedingung zuteil, wenn ich meine eigenen Wege gehen darf, denn es ist nicht leicht mit mir auszukommen, wenn mir etwas nicht gefällt“, warnt er seinen künftigen Herren. Da Þórhallr jedoch drin-
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DARSTELLUNG DES GRAUENS
gend einen Hirten braucht, erklärt er sich bereit, es mit Glámr zu versuchen – solange diesen die Spukgestalten auf seinem Hof nicht abschrecken würden. „Vor solchen Unholden ist mir nicht bange“, lautet dessen seltsame Antwort, „es macht mir Spaß, sie zu sehen.“ Zu Winterbeginn tritt Glámr seine neue Stelle an, doch schon bald kommt es zu den ersten Querelen. Der Hirte zeigt sich „ungläubig, eigensinnig und unfreundlich; er wurde von allen verabscheut“. Vor allem aber weigert er sich, einen Fuß in die nahegelegene Kirche zu setzen und am Gottesdienst teilzunehmen. Am Heiligabend eskaliert die Situation, als die Ehefrau des Bauern ihn auffordert, sich an den Brauch des Fastens zu halten. Glàmr verhöhnt die christliche Religion als Aberglauben und verlangt stur seine Mahlzeit – und überhaupt würden ihm die alten heidnischen Sitten viel besser gefallen. Þórhallrs Frau beugt sich seinem Willen und serviert ihm das Essen – allerdings nicht, ohne ihm großes Unheil vorauszusagen, wenn er die Fastensitte breche. Als die Hofbewohner zum Gottesdienst in die Kirche gehen, stapft Glàmr durch den Schnee hinaus zu seinen Schafen. Und tatsächlich scheint sich die Prophezeiung der Bauersfrau zu bewahrheiten, denn als der Abend hereinbricht, kehrt er nicht zurück. Man findet seinen Leichnam am Weihnachtsmorgen „schwarz wie Hel und geschwollen wie ein Ochs“. Riesige Fußspuren und eine große Blut lache im Schnee zeugen von einem heftigen Ringkampf. Ein böser Geist, folgert man daraus, habe Glámr getötet. Der Versuch, den Toten zur Aufbahrung in die Kirche zu schaffen, scheitert genauso wie das Vorhaben zu Lebzeiten. Auch am zweiten Weihnachtstag lässt Glámr sich nicht Richtung Kirche bewegen, zu schwer ist der Leichnam. Am dritten Tag versucht man es schließlich mit einem Priester, doch das macht die ganze Sache nur noch schlimmer. Die Männer können den Toten nicht einmal mehr finden. Erst als der Priester aufgibt und nach Hause geht, entdecken sie die Leiche und begraben sie unter einem riesigen Steinhaufen. Der reichte aber offenbar nicht aus. Schon bald beginnt er, die Bewohner der Gegend zu malträtieren: „Viele verloren das Bewußtsein, sobald sie ihn sahen, andere verloren den Verstand dadurch.“
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KAPITEL 4
Þórhallr wird schließlich gezwungen, seinen Hof für den Rest des Winters zu verlassen. Erst im Frühjahr lässt der Spuk nach und der Bauer kann zurückkehren – vorerst zumindest, denn im nächsten Winter beginnt alles wieder von vorne, nur schlimmer als zuvor. Am Ende ist Þórhallsstaðir verwaist: „Aber alles Vieh, das zurückgeblieben war, tötete Glámr. Und dann zog er das ganze Tal entlang und verheerte alle Gehöfte oberhalb von Tunga.“ Sämtliche Versuche, dem Treiben ein Ende zu setzen, scheitern. Am Ende „sähe es so aus, wie wenn der ganze Vatnsdalr verödet würde, falls man nicht Mittel fände, das Unwesen zu enden“. Die Rettung naht in Gestalt des Titelhelden der Sage, Grettir Ásmundarson. Er begibt sich nach Þórhallsstaðir und wird vom Bauern freundlich – wenn auch unter zahlreichen Warnungen – empfangen. Die erste Nacht verläuft noch friedlich. Nach der zweiten Nacht aber finden Þórhallr und Grettir das Pferd des Besuchers mit zerschmetterten Knochen vor der aufgebrochenen Stalltür. Statt jedoch die Flucht zu ergreifen, fühlt Grettir sich nun erst recht darin bestätigt, auch noch eine dritte Nacht auf Þórhallsstaðir zu verbringen. Was folgt, kann mühelos mit jedem Horrorfilm der Gegenwart konkurrieren. Grettir lockt den „schrecklich großen und ungeschlachten“ Glámr ins Haus, wo sich ein heftiger Zweikampf entwickelt. Dabei gehen nicht nur die Möbel zu Bruch, sondern Teile des Daches gleich mit. Erst als es Grettir gelingt, den Untoten ins Freie zu zerren, gewinnt er für einen Augenblick die Oberhand. Doch da verzieht sich eine Wolke, die bislang den Mond verdeckt hatte, und die Nacht wird für einen Augenblick hell. Grettir kann nun einen guten Blick auf das Ungeheuer werfen – doch das hätte er besser vermeiden sollen. Nicht nur wird er unvermittelt von Erschöpfung ergriffen und fühlt sich so matt, dass er nicht einmal mehr seine Waffe gebrauchen kann, sondern im Schein des Mondes spricht Glámr auch noch einen Fluch über Grettir aus: „[...] von nun an werden dir Verbannung und Mordtaten als Los zufallen, und die aller meisten deiner Taten werden sich dir zu Unglück und Missgeschick verwandeln. Du wirst vogelfrei erklärt werden, und es ist dir bestimmt, beständig einsam in der Fremde zu wohnen. Den Fluch lege ich auf dich, daß diese meine
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DARSTELLUNG DES GRAUENS
Augen dir stets und ständig vor den Blicken stehen, wie ich sie habe; und es wird dich schwer dünken allein zu sein, und das wird dich wohl zum Tode ziehen.“ Kaum sind die Worte gesprochen, findet der Held jedoch neue Kraft, greift zu seinem Schwert und schlägt dem Wiedergänger den Kopf ab. Nun traut sich auch Þórhallr wieder aus dem verwüsteten Haus, in dem er sich während des Kampfes versteckt hatte. Gemeinsam bestreiten er und Grettir die endgültige Vernichtung des Untoten: „Sie gingen dann daran und verbrannten Glam zu kalten Kohlen. Darauf taten sie seine Asche in einen Sack und gruben sie da ein, wo am wenigsten Schafweiden und Menschenpfade waren.“ Thorolf und Glámr sind nur zwei von vielen ähnlichen Kreaturen in den isländischen Sagen. In der Erscheinung ähneln sie sich alle: Die Haut ist schwarz, der Körper geschwollen und der Leichnam so schwer, dass er sich, wenn überhaupt, dann nur unter größten Mühen bewegen lässt. Einige können sich in Rauch verwandeln, um ihr Grab zu verlassen, andere haben die Fähigkeit, durch Felsen hindurch zu schwimmen. Zu den Tieren, in die sie sich verwandeln können, gehören Seehunde, ein gehäuteter Bulle, ein graues Pferd mit gebrochenem Rücken und ohne Ohren und Schweif oder auch eine Katze. Eine Begegnung mit einem draugr endet in den meisten Fällen furchtbar. Viele der Opfer, insbesondere das Vieh, verfallen dem Wahnsinn und sterben schließlich sogar daran. Es gibt aber auch draugar, die das Fleisch ihrer Opfer verschlingen oder ihr Blut trinken. Sie können die Zukunft vorhersagen, in die Träume der Menschen eindringen oder sie – wie im Falle Grettirs – mit einem Fluch belegen. Waffen sind gegen einen draugr oft wirkungslos. Zwar können sie mit Klingen aus Eisen verletzt werden, wirklich besiegen lassen sie sich aber nur mit bloßen Händen. Bannmethoden können sie für einen begrenzten Zeitraum im Grab fixieren, wie etwa eine hohe Mauer oder ein Steinhaufen. Meist sind diese Maßnahmen aber nur von kurzer Dauer und um einen draugr endgültig zu vernichten, muss man ihn verbrennen und seine Asche verstreuen, bevorzugt im Meer. Der erste draugr an einem Ort ist meist jemand, der sich zu Lebzeiten grob und rücksichtslos gegen seine Mitmenschen verhalten hat. Später je-
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KAPITEL 4
doch kann ein Primär-draugr weitere Untote schaffen und bisweilen ein ganzes Heer von ihnen um sich versammeln. Bis heute lebt die Figur des draugr in der literarischen Tradition Skandinaviens fort. Das Wort wird synonym für jede Art von Wiedergänger benutzt, und selbst in der neunorwegischen Übersetzung von J. R. R. Tolkiens Herr der Ringe werden sowohl die Nazgûl als auch die Toten von Dunharrow als draugr bezeichnet.
Liebende Ritter und verführerische Frauen – Untoten-Geschichten und -Berichte aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit
Etwas später als in Skandinavien tauchen die draugar auch in England, als Untote in den Schriftquellen auf. Walter Map, ein englischer Gelehrter walisischer Herkunft am Hofe Heinrichs II. von England, erzählt in seinem Werk De Nugis Curialium (1181–1193) von einem Ritter, der den Bischof von Hereford um Hilfe bittet. Ein „böser Mensch aus Wales“ sei in seinem Haus verstorben und treibe dort nun sein Unwesen. Des Nachts riefe er die Bewohner mit Namen, woraufhin diese zu kränkeln begännen und binnen dreier Tage stürben. Der Bischof rät dem Ritter, den Leichnam zu enthaupten und mit Weihwasser zu besprenkeln. Diese Maßnahmen aber fruchten nicht. Der Untote ruft nun gar den Ritter selber beim Namen, doch dieser greift beherzt sein Schwert und spaltet dem bösen Waliser den Kopf bis hinunter zum Hals. Damit ist der Spuk vorbei, und es kehrt Ruhe ein. Bei Walter Map taucht allerdings auch noch eine ganz andere Art von Wiedergänger auf. Ein bretonischer Ritter, berichtet er, habe seine Frau verloren und „sie noch lange nach ihrem Tod heftig beweint, als er sie eines Nachts in einem abgelegenen Tal inmitten einer großen Schar von Frauen wiedersah.“ Seine erste Reaktion war schreckliche Angst. Der brave Mann „vertraute seinen Augen nicht und fragte sich, ob er nicht einem Spiel des Schicksals anheimgefallen sei.“ Dann aber erinnerte er sich an die Freude, die ihm seine Frau stets bereitet hatte, und er „fasst den festen Entschluß, sie mitzuneh-
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men, um erneut der Freuden mit seinem wiedergefundenen Weib teilhaftig zu werden, wenn das, was er mit eigenen Augen sah, Wirklichkeit wäre und er nicht von einer Geistererscheinung getäuscht würde, aber auch, um sich durch Tatenlosigkeit nicht der Kleinmütigkeit bezichtigen zu müssen.“ Sein Plan ging auf. Sie lebten glücklich und zufrieden viele weitere Jahre. Mehr noch, er hatte mit ihr sogar Kinder, deren Nachkommen noch immer unter dem Namen „die Kinder der Toten“ bekannt seien. „Dies wäre wahrhaftig eine unglaubliche und wunderbare Absonderlichkeit der Natur, wenn da nicht sichere Anzeichen der Wahrheit bestünden.“ Diese Geschichte ist deshalb so bedeutsam, weil wir es hier ausnahmsweise nicht mit einem schon zu Lebzeiten gewalttätigen Unhold zu tun haben, sondern mit einem liebreizenden Wesen, das sich tot genau so friedvoll verhält wie lebendig. Damit ist dieser Bericht des Walter Map einzigartig in der mittelalterlichen Literatur, in der sonst die Toten fast ausschließlich Unheil anrichten. Eine Erklärung bleibt der Gelehrte am Ende schuldig: „Man muss die Werke Gottes in ihrer Ganzheit akzeptieren“, schließt er seinen Bericht. „Seine Werke gehen über unsere Fragen hinaus und entziehen sich unseren Erwägungen.“ Wie Walter Map lehrte auch Gervasius von Tilbury am Hof Heinrichs II., ein englischer Rechtsgelehrter, Historiker und Geograph. Die von ihm überlieferte Geschichte des normannischen Ritters Guillaume de Mostiers berichtet ebenfalls von der Fortführung einer Ehe nach dem Ableben eines Ehepartners – allerdings endet sie in diesem Fall wesentlich blutiger. Der Ritter und seine Frau hatten sich bei der Hochzeit geschworen, dass sie, sollte ihr Mann vor ihr sterben, nie wieder heiraten würde. Der Tod ereilte Guillaume de Mostiers tatsächlich verfrüht und viele Jahre hielt seine Witwe sich auch an die Abmachung. Schließlich aber drängten ihre Freunde sie dazu, erneut den Bund der Ehe einzugehen. Kaum ist das Paar von der Kirche zurückgekehrt und will sich dem Feiern hingeben, gellt ein Schrei durch die Reihen der Hochzeitsgesellschaft: „Elender Mensch, der ich bin! Ich habe den Glauben an meine Ehe verletzt und hier ist nun mein Mann, um mich mit einem Mörser zu erschlagen!“ Die frisch verheiratete Witwe war allerdings die einzige, die ihren ver-
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KAPITEL 4
storbenen Mann sehen konnte. Alles, was die Gäste sahen, war ein schwerer Mörserstößel, der niederschlug und der Frau den Schädel zerschmetterte. Etwa zur gleichen Zeit, im Jahr 1196, berichtet auch der Mönch William von Newburgh in seiner Historia Rerum Anglicarum von Untoten im englischen Königreich. Wie umfassend der Glaube an Wiedergänger zu seiner Zeit auf der Britischen Insel verbreitet war, verdeutlichen seine einleitenden Worte: „Es wäre für einen vernünftigen Menschen nicht leicht, als wahr anzunehmen, dass Leichname von Toten, von ich weiß nicht welchem Geist getrieben, das Grab verlassen und umgehen, um die Lebenden mit Grauen und Verderben heimzusuchen – und dass sie in ihre Gräber zurückgehen, die sich ihnen von selbst öffnen –, wenn es nicht viele zeitgenössische Beispiele gäbe und wenn sich nicht zahllose Augenzeugenberichte fänden.“ In einem Fall aus Buckinghamshire stellt sich der Klerus im Angesicht eines Untoten deutlich geschickter an als im Fall des walisischen Ritters von Walter Map. Diesmal ist es der Bischof von Lincoln, der Abhilfe schaffen soll, als ein kurz zuvor unter die Erde gebrachter Mann zurückkehrt und seine Frau, seine Brüder, weitere Dorfbewohner sowie das Vieh würgt. Zunächst ist der Bischof ratlos, da ihm noch nie zuvor ein Untoter begegnet ist. Er schlägt vor, ihn auszugraben – und tatsächlich zeigt der Körper keine Anzeichen von Verwesung. Die Hilfesuchenden schlagen vor, den Leichnam zu verbrennen. Ein lebender Toter, argumentieren sie, sei ja in England schon öfters vorgekommen und die Verbrennung hätte stets den Spuk beendet. Der Bischof aber wählt einen anderen Weg. Statt ihn zu verbrennen, könne man ihm auch einen Absolutionszettel an die Brust heften. Tatsächlich entfaltet die vom Bischof unterschriebene Erlösung ihre Wirkung und der Verstorbene wurde nie wieder gesehen. William von Newburgh listet noch drei weitere ähnliche Fälle auf: aus Berwick in Northumberland, aus der Abtei Melrose in Rox burghshire und aus Yorkshire. Bei diesen drei Untoten greifen die Leute jedoch zur klassischen Variante. Sie verbrennen die Leichname und setzen so dem Spuk ein Ende. Der Wiedergänger aus Yorkshire zeichnet sich dadurch aus, dass er Blut trinkt. Ein klassischer Vampir
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ist dieser Untote deswegen aber noch nicht. Vielmehr tötet er die Menschen, indem er „die Luft verpeste“. Der Appetit auf Blut scheint nur ein Nebeneffekt zu sein. Schließlich fassen sich zwei Brüder ein Herz, deren Vater ein Opfer des Ritters geworden war. Sie graben die Leiche des Ritters aus: „Er war so angeschwollen, dass er ihnen riesengroß vorkam“, berichtet William von Newburgh. „Das Leichenhemd schien von innen her zerrissen. ,Die beiden Brüder‘ brachten der Leiche eine große Wunde bei, aus welcher so viel Blut herausfloss, dass es offensichtlich ist, dass der Verstorbene für viele Menschen ein Blutegel gewesen war.“ Sie legen den Leichnam auf den Scheiterhaufen, doch der Leichnam will nicht brennen. Erst als sie ihm das Herz herausreißen und in Stücke schneiden, geht er in Flammen auf. „Nach der Zerstörung dieser teuflischen Leiche ließ die Pest nach“, schließt William von Newburgh seinen Bericht, „als wäre die Luft durch die Verbrennung der Leiche gereinigt worden.“ Hier haben wir den Vampir nun in der Form, in der er die kommenden Jahrhunderte immer wieder ganze Dörfer und Gemeinden in Angst und Schrecken versetzen sollte: einen widerlichen Gestank verbreitend und grotesk entstellt. Ganz anders dagegen verhält es sich mit dem Vampir, den Heinrich von dem Türlin in seinem irgendwann zwischen 1220 und 1235 entstandenen Werk Diu Crône beschreibt. Er braucht das Blut, um sich am Leben zu halten. Und er ist ein wahrer Connaisseur – kaum ein Vampir der Literaturgeschichte saugt Blut mit so viel Stil. Diu Crône ist ein verstörender Text. Es sollte ein Artusroman werden, wie ihn zuvor schon Hartmann von Aue und Wolfram von Eschen bach vorgelegt hatten. Doch von dem Türlins Held Gawein reitet nicht aufrecht durch seine Aventiuren, sondern taumelt von einer skurrilen Begegnung zur nächsten. Er muss mit ansehen, wie 600 Ritter abgemetzelt werden – von Waffen, die scheinbar niemand führt. Wer tot ist, geht anschließend in Flammen auf. Als nächstes trifft Gawein auf ein nacktes Mädchen, das einen gefesselten Riesen vor aaspickenden Vögeln schützt, auf ein grünes Fabelwesen mit Hörnern, auf eine alte Frau, die einen gefesselten nackten Schwarzen auspeitscht und einen Bauern, der eine Gruppe von jungen Mädchen an-
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zündet. In diesem apokalyptischen Reigen wundert es dann kaum noch, dass auch ein Vampir erscheint. Ausgerechnet der Gralkönig entpuppt sich als im Sarg nächtigender Bluttrinker. Das Blut, das den altherren am Leben erhält, rinnt von einer Lanze – jener Lanze, die Jesus Christus in die Rippen gestochen wurde und die seitdem blutet. Fünf Mädchen präsentieren dem altherren das Blut in einer Kristallschale. Sie bringen ihm auch die röre – eine Art Strohhalm –, durch die er das Blut konsumiert. Ein Vampir, der Blut aus einer Kristallschale durch einen Strohhalm trinkt: Was anmutet wie eine Szene aus einem modernen Kinofilm ist tatsächlich eine der ältesten literarischen Erwähnungen eines blutsaugenden Untoten. Die Tradition des „schönen“ Untoten geht allerdings weder auf die Frau des bretonischen Ritters von Walter Map noch auf den eleganten Gralkönig bei Heinrich von dem Türlin zurück, sondern ist schon wesentlich älter. Eine Untote, die wunderschön, sittsam, treu – und tödlich – ist, begegnet uns bereits in der Antike. Phlegon von Tralleis berichtet von ihr in seinem Buch der Wunder, das der Freigelassene und Hofbeamte des Kaisers Hadrian im 2. Jahrhundert nach Christus verfasste. In seinem Werk sammelt Phlegon Geschichten über Missgeburten, Zwitterwesen, Geistererscheinungen und andere übernatürliche Phänomene seiner Zeit, greift jedoch auch ältere Legenden und Sagen aus dem Volksglauben auf. Hierzu gehört die Geschichte der Braut von Korinth, die im Jahr 1797 Johann Wolf gang von Goethe zu einer Ballade formte. Ein Jüngling reist nach Korinth und sucht einen Gastfreund seines Vaters auf, dessen Tochter ihm seit Kindertagen versprochen ist. Während er selber noch an die alten Götter glaubt, ist die Familie des Mädchens mittlerweile zum Christentum übergetreten. Es ist schon spät, als er an der Tür klopft. Nur die Mutter ist noch wach, sie lässt ihn ein und versorgt ihn mit einem üppigen Abendessen – doch er ist so erschöpft, dass er, ohne sich auszukleiden, aufs Bett sinkt. Da öffnet sich plötzlich die Tür, und herein tritt die ihm versprochene Braut. Das Mädchen scheint verwirrt und orientierungslos – doch der Jüngling ist so verzückt, dass er sämtliche seltsamen Erscheinungen ignoriert. Weder irritiert ihn ihre „weiße Hand“ noch die ungewöhn-
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liche Blässe ihres Gesichts. Noch versucht sie, den jungen Mann zu warnen: „Ferne bleib, o Jüngling! bleibe stehen“, doch der will davon nichts wissen. Das Mädchen eröffnet ihm die schreckliche Wahrheit. Als ihre Mutter krank war, opferte sie, um wieder zu gesunden, das Leben ihrer Tochter: „Opfer fallen hier / Weder Lamm noch Stier / Aber Menschenopfer unerhört.“ So stünde sie für eine Heirat nun nicht mehr zur Verfügung, stattdessen solle der Jüngling ihre Schwester heiraten. Doch er begehrt nur seine Braut. „Feire gleich mit mir / Unerwartet unsern Hochzeitschmaus!“, fordert er sie auf. Da schlägt es Mitternacht, und nun wird das Mädchen deutlich lebhafter. Das Hochzeitsmahl fällt allerdings anders aus als erwartet: „Gierig schlürfte sie mit blassem Munde / Nun den dunkel blutgefärbten Wein“, doch vom dargebotenen Brot will sie nicht kosten. Nun bricht auch ihr letzter Widerstand, und die Braut wirft sich auf den ihr Versprochenen. Doch statt zu glühen, bleibt sie „Wie der Schnee so weiß / Aber kalt wie Eis.“ Der Leidenschaft tut das indes keinen Abbruch: „Liebe schließet fester sie zusammen / Tränen mischen sich in ihre Lust / Gierig saugt sie seines Mundes Flammen / Eins ist nur im andern sich bewußt / Seine Liebeswut / Wärmt ihr starres Blut / Doch es schlägt kein Herz in ihrer Brust.“ Am Ende fleht sie die Mutter an, ihrem Dasein als Vampir ein Ende zu bereiten und ihr sowie ihrem nun ebenfalls zum Vampir verdammten Liebsten den Feuertod zu gewähren: „Einen Scheiterhaufen schichte du / Öffne meine bange kleine Hütte / Bring in Flammen Liebende zu Ruh / Wenn der Funke sprüht / Wenn die Asche glüht / Eilen wir den alten Göttern zu.“ Zu Goethes Lebzeiten fand die Braut von Korinth nur eine geringe Verbreitung, denn die meisten seiner Zeitgenossen empfanden die Ballade als zu anstößig, die Beschreibung der Liebesszene zu explizit. So verschwand sie zunächst im hinteren Teil der Gesamtausgaben und wurde von späteren Kritikern nur noch gelegentlich als kuriose Adaption einer antiken Gruselgeschichte erwähnt. Für die Vampirforschung aber ist das Gedicht deshalb so interessant, weil die hier beschriebene Untote so ganz anders daherkommt
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KAPITEL 4
als ihre zeitgenössischen blutsaugenden Wiedergänger. Die Gemeinsamkeiten liegen auf der Hand: Beim nächtlichen Verlassen des Grabes, dem Blutsaugen und Töten und der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen als einziger Weg gielt, den Spuk zu beenden, gleicht die Braut von Korinth einigen draugar der isländischen Sagen. Es bleibt kein Zweifel offen; die Braut von Korinth ist ein waschechter Vampir, und doch könnten die Unterschiede zu dem, was ganz real in den Dörfern als untot gepflockt, geköpft und verbrannt wurde, kaum größer sein. Hier haben wir ein wunderschönes, blasses, hochgradig erotisches Mädchen – dort in der Mehrheit aufgedunsene, rotgesichtige, gewalttätige Männer. Auch in den mittelalterlichen Darstellungen besitzen die Untoten häufig das gleiche Erscheinungsbild und Alter wie vor ihrem Ableben, dadurch bleiben sie für den Heimgesuchten in vielen Fällen sofort erkennbar. Aus dem griechischen Raum stammt ebenfalls das griechische Heldenepos der Akritenlieder. Sie entstanden gegen Ende des 1. Jahrtausends unter Kaiser Basileios I. (867–886) oder Basileios II. (976–1025). Das Thema des Untoten taucht in der Gestalt des Konstantin auf. Seine Mutter verlangt von ihm, dass er seine Schwester Eudokia zurückhole, die in der Fremde geheiratet hatte. Allerdings war Konstantin bereits verstorben und bestattet. „Die Verfluchung seiner Mutter zwang Konstantin aus dem Grab, der Grabstein wurde zu einem Pferd, die Erde wurde zum Sattel, seine schönen, blonden Haare wurden zum Zaumzeug, und der Regen wurm wurde zu Konstantin.“ Zunächst kann Konstantin seinen Auftrag erfolgreich erfüllen: Er findet seine Schwester und macht sich mit ihr auf den Rückweg. Doch um sie herum geschehen seltsame Dinge. Die Vögel zwitschern nicht ihr übliches Lied, sondern singen: „O allmächtiger Gott, Du vollbringst große Wunder, Du machst, dass die Lebenden mit den Toten wandeln!“ Eudokia merkt, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht. „Ich habe Angst um Dich, mein Bruder“, merkt sie an, „du riechst nach Weihrauch. […] Wo sind denn deine blonden Haare? Wo ist dein blonder Schnurrbart?“ Doch Konstantin redet sich geschickt heraus und bringt wie versprochen Eudokia zur Mutter. Der Preis dafür ist je-
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DARSTELLUNG DES GRAUENS
doch hoch, denn in dem Augenblick, als Mutter und Tochter sich in die Arme fallen, sterben auch sie.
Die tanzenden Toten – Bildliche Darstellungen des Mittelalters
Nach dem Ende des Karolingerreiches war der katholischen Kirche jegliche Moral abhanden gekommen. Erst mit dem Beginn des Hochmittelalters besann man sich wieder auf höhere Werte, Gewissenhaftigkeit und Frömmigkeit. Einer der Grundsätze dieser Cluniazensischen Reform, so benannt nach dem burgundischen Benediktinerkloster Cluny, war: Memento moriendum esse – Bedenke, dass Du sterben musst! So steht es auch im Psalm 90, Vers 12, der Bibel: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ In der Kunst manifestierte sich dieser Gedanke mitunter als Totenkopf, der die Lebenden beständig an die Vergänglichkeit ihres Seins erinnert. Zwischen 1347 und 1353 bekam diese Mahnung beklemmenden Charakter, als die Pest 25 Millionen Menschenleben forderte – ein Drittel der gesamteuropäischen Bevölkerung. Daran schloss sich von 1337 bis 1453 der Hundertjährige Krieg an. Sterben und Leid, wohin man schaute. Der Lübecker Historiker Ernst Deecke schrieb im 19. Jahrhundert über seine Stadt: „Anno 1350 ist Ein Rath mit den Bürgern eins geworden, die Stadt Lübeck, weil so viele Menschen darin vorhanden, bis an das Ellerbrok vor dem Burgthor, wo nachher der Galgen stand, zu erweitern. Darüber waren die Bürger sehr erfreut, weil sie schon lange darum nachgesucht; und gingen das mal gesund und vergnügt nach Hause. Aber ehe 24 Stunden verflossen waren, kam der schwarze Tod, und rieb ihrer mehr denn hundert auf, darunter die meisten, so auf dem Rathhause gewesen waren. Und hat solches Sterben von Pfingsten bis auf Michaelis gewährt, und sturben in dem Jahr an die 90000 zu Lübeck, und am Tage Laurentii von einer Vesper bis zur andern gar 2500. Und dieß Sterben ging durch alle Länder, und sind auch viele Personen des Raths dahin gegangen, daß ihrer kaum 5 oder 6 verschont geblieben.“
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KAPITEL 4
Ein Wiedergänger verlässt sein Grab. Darstellung aus einer Inkunabel aus dem Jahr 1500.
Die Lübecker beauftragten unter dem Eindruck dieses großen Sterbens im Jahr 1463 den Maler Bernt Notke mit einer ganz besonderen Arbeit. Er sollte im Beichthaus des Mariendoms einen Totentanz malen – ein Gemälde, wie es zuvor schon Künstler in
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Frankreich, in Paris und La Chaise-Dieu geschaffen hatten. Das Motiv des Totentanzes war eine Illustration der Vado Mori-Gedichte. In diesen zu der Zeit populären Versen beklagen Vertreter der verschiedenen Stände ihren Tod, ihre Klage beginnt stets mit den Worten: „Vado Mori – ich werde sterben“: 24 lebensgroße Figuren malte Bernt Notke an die Wände der Kapelle. In zwei mal zwölf Paaren stehen jeweils eine Personifikation des Todes und ein Stände-Vertreter vor der Kulisse der Stadt Lübeck und der sie umgebenden Landschaft. Der Reigen beginnt mit dem Papst, gefolgt von Kaiser und Kaiserin, Kardinal und König. Daran schließen sich Bischof, Herzog, Abt und Ritter an, des Weiteren Mönch, Edelmann, Domherr, Bürgermeister und Arzt. Den Abschluss bilden Wucherer, Kaplan, Kaufmann, Küster, Amtmann, Klausner, Bauer, ein junger Herr, ein junges Mädchen und schließlich ein Kind in der Wiege. In den dazugehörigen Versen spricht jeweils die Person den Tod an. Dieser antwortet und wendet sich dann im letzten Vers seiner Antwort dem nächsten „Tanzpartner“ zu. Die Figur des Todes im Totentanz ist streng genommen kein Untoter. Er ist eine Personifikation des Todes – ein umhergehendes Wesen, das dem Grab entstiegen ist. Doch mit ihm zog der lebende Leichnam in die europäische Kunst ein. Der Totentanz wurde in der Folgezeit zum beliebten Motiv in den Kirchen und Klöstern. Der tanzende Tod kam bald in vielen Formen. Was als strenge Form mit 12 Paaren begann, wandelte sich bald zu einer freien Darstellung von Toten, die ihren Gräbern entstiegen. 1493 erschien in Nürnberg die Weltchronik des Hartmann Schedel. In ihr ist ein Holzschnitt zu sehen, der Albrecht Dürer zugeschrieben wird: Halbverweste Skelette erheben sich aus ihren Gräbern und tanzen ausgelassen auf dem Friedhof. Ein Toter spielt auf der Flöte, ein anderer muss seine heraus hängenden Gedärme festhalten, ihnen allen hängen die Leichentücher in Fetzen vom Leib. Lebendige Menschen fehlen hier schon völlig. In der Erstausgabe ist die Szene begleitet von einem Gedicht Francesco Petrarcas (1304–1374): „Es gibt nichts Besseres als den Tod, nichts Schlimmeres als ein übles Leben. Der Tod der Menschen ist ein ewiges Ausruhen von den Mühen.“
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Diesen ausgelassenen Tanz nahm Johann Wolfgang von Goethe in seiner siebenstrophigen Ballade Der Totentanz auf, die er um 1813 auf der Flucht nach Teplitz vor den Unruhen nach den Napoleonischen Kriegen schrieb. Die Toten Goethes geben sich ähnlich sorglos wie die von Albrecht Dürer: „Der Türmer, der schaut zu mitten der Nacht Hinab auf die Gräber in Lage; Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht: Der Kirchhof, er liegt wie am Tage. Da regt sich ein Grab und ein anderes dann: Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann, in weißen und schleppenden Hemden. Das reckt nun, es will sich ergezen sogleich, Die Knöchel zur Runde, zum Kranze, So arm und so jung, und so alt und so reich, Doch hindern die Schleppen am Tanze. Und weil hier die Scham nun nicht weiter gebeut, Sie schütteln sich alle, da liegen zerstreut Die Hemdlein über den Hügeln.“ Die Totentänze sind jedoch bei Weitem nicht die einzigen künstlerischen Darstellungen lebender Leichname. Der französische Mediävist Jean-Claude Schmitt hat sich in einer 1994 erschienen Studie eingehend mit der mittelalterlichen Geschichte der Wiedergänger befasst. Darin entwarf er anhand der zeitgenössischen Bildquellen ein Schema der zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert dargestellten Typen von Untoten: • der Lazarus-Typ, der wie ein Auferstandener erscheint; • der Wiedergänger, der dem Lebenden gleicht und keinerlei Anzeichen des Todes zeigt; • der Seelen-Typ, bei dem der Totengeist als kleines Männ chen, dem symbolischen Abbild der Seele, dargestellt wird;
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• der Gespenst-Typ, der mit einem durchscheinenden Leichentuch bekleidet ist; • der makabre Typ, der als lebender Leichnam, verschiedene Stadien des verwesungsbedingten Zerfalls aufweist; • der „unsichtbare“ Typ, der seine Gestalt vornehmlich durch die textliche Beschreibung erhält. Die Abbildungen des Gespenst-Typs, die gegen Ende des 13. Jahrhunderts zunehmend erscheinen, dürfen als Vorform der heutigen Gespenstdarstellungen gelten. Sie finden sich beispielsweise in unterschiedlichen Formen in den diversen Ausgaben der Pèlerinage de vie humaine (Die Pilgerreise ins Himmlische Jerusalem) des französischen Mönches Guillaume de Digulleville. Der Gespenst-Typ wird hier in einer Szene sehr plastisch illustriert, die den Pilger zeigt, der drei Untote beobachtet, die drei zu Tisch sitzende Lebende bedienen. Während die Kleidung der Menschen farblich dargestellt ist, unterstreicht das vollkommen farblose Bildnis der in Leichentücher gewandeten Wiedergänger visuell den Kontrast zwischen den (Un-)Toten und den Lebenden. Eine der imposantesten mittelalterlichen Darstellungen lebender Toter verdanken wir einer Miniatur aus einer flämischen Handschrift (15. Jahrhundert), der von Jakob von Voragine verfassten Legenda aurea. Die lebenden Leichname sind darin als makabre bewaffnete Wesen wiedergegeben, die einen Mann verteidigen, der, von seinen Feinden verfolgt, über den Friedhof in die Kirche flieht. Manche Wiedergänger stellen sich bereits den Gegnern, während andere gerade kampfbereit ihre Gräber verlassen. Die Untoten beschützen den Angegriffenen aus Dankbarkeit, da er auf dem Friedhof stets für das Seelenheil der Verstobenen gebetet hat. Eine andere Szene der Miniatur zeigt die Wiederkehr eines toten reuigen Sünders, der sich am Bett eines befreundeten Paares über das drückende Gewicht eines von ihm zu Lebzeiten gestohlenen Mantels beklagt. Die Vorstellungen der untoten Wesen waren für die mittelalterlichen Menschen also sehr real. Sie kannten ihre Namen, ihren Charakter und hatten imaginäre Vorstellungen ihres Aussehens.
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Die Wissenschaft der Vampire – Untote in der Archäologie
Welche archäologischen Spuren hinterlässt die Angst? Was ist noch übrig von einem Untoten, der vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten so großen Horror auslöste, des Nachts so schlimme Albträume schickte? Wir sehen nur die Schatten dieser Angst. Denn Horror und Albträume kann kein Archäologe finden, sie passieren in den Köpfen der Menschen. Wonach die Ausgräber jedoch suchen können, sind die Gegenmaßnahmen. Was taten die Menschen, um sich der Angst zu stellen? Was unternahmen sie, um die Albträume zu beenden? In der Erde der Friedhöfe können die Archäologen nur finden, was auch Spuren hinterlässt. Damit bleibt der wohl größte Teil aller Bannriten für Untote unsichtbar. Ein Zauberspruch verklingt, ohne einen Abdruck in der Erde zu hinterlassen. Weihrauchschwaden verziehen mit dem nächsten Windstoß, ohne dass irgendetwas von ihnen bleibt. Über einem Grab vergossenes Weihwasser ist spätestens nach dem nächsten Regen nicht mehr nachweisbar. Die Existenz eines in die Luft geschlagenen Kreuzes endet in dem Moment, in dem die Hand, die es schlug, wieder sinkt. Was sichtbar bleibt, sind nur die vehementesten Maßnahmen: Bannriten, bei denen die Lebenden den Untoten Gewalt antaten – zum Teil schwere Gewalt. Die archäologisch fassbaren Beispiele für den Glauben an Untote sind folglich nur die winzige Spitze eines riesigen Eisbergs. Das Repertoire an Maßnahmen, einen Untoten zu bannen, wiederholt sich zu jeder Zeit und in jeder Kultur: Fesseln, Steine, Nägel, Pflöcke, Feuer und Raub von Körperteilen oder Organen. In diesem Kapitel ist nur Platz für die spektakulärsten Fälle. Unzählige
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kleine Grabungen, bei denen nur ein oder zwei ins Grab gebannte Tote auftauchten, müssen unerwähnt bleiben. Und selbst die Friedhöfe, die überhaupt archäologisch untersucht wurden, sind nur eine kleine Handvoll im Vergleich zu all jenen, die entweder noch nicht entdeckt oder nicht ausgegraben sind. Es ist schließlich noch gar nicht so lange her, dass man sich überhaupt für mittelalterliche und neuzeitliche Friedhöfe interessiert. Bis vor etwa 20 Jahren galten derartig junge archäologische Reste als Abfall, den man einfach wegräumte, wenn sie bei Bauvorhaben im Weg waren – ohne sich die Knochen und Artefakte überhaupt genauer anzuschauen. Erst in jüngster Zeit änderte sich das Selbstverständnis der Archäologie dahin, dass alle Spuren, die wir hinterlassen, zu unserer Geschichte gehören: egal, ob sie aus der Steinzeit, der Antike oder dem Mittelalter stammen – oder sogar aus der Gegenwart. Mit der geringen Anzahl der untersuchten Friedhöfe wird die Eisbergspitze noch kleiner. Die Dunkelziffer der unentdeckten Untotenbestattungen ist immens. Wenn nun ein Archäologe bei Ausgrabungen einen vermeintlichen Untoten findet, muss er eine Art Checkliste abarbeiten. Ganz am Anfang steht die Frage: Gibt es nicht vielleicht auch eine ganz andere wissenschaftliche Erklärung für diesen schweren Stein auf dem Leichnam oder den Holzpflock in der Herzgegend? Wenn er dies verneinen kann, muss er nach Vergleichsbeispielen suchen. Gibt es ähnliche Bestattungen, die ebenfalls auf den Untoten-Glauben hindeuten und die ähnliche Spuren von Bannriten aufweisen? Und dann beginnt die Suche vor Ort. Welche lokalen Legenden berichten von Untoten? Existieren in den alten Kirchen- oder Stadtarchiven oder vielleicht gar schon in Zeitungsartikeln Berichte von Untoten-Erscheinungen in der Region? Was wissen möglicherweise noch die alten Dorfbewohner? Und schließlich kann auch das Skelett selber Fragen beantworten. Gab es Krankheiten, die den Toten zu Lebzeiten verdächtig machten? Hatte er eine Behinderung? War er ein Fremder? So arbeitet sich der Archäologe mit Hilfe von Kollegen aus den Nachbardisziplinen Schritt für Schritt an die Deutung des Aberglaubens heran. Obwohl es eine ganze Reihe sehr gründlicher Einzeluntersuchungen, etwa zu den Untotenbestattungen in slawischen Siedlungs-
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gebieten oder im skandinavischen Raum, gibt, fehlt bislang eine Überblicksdarstellung dieses Phänomens aus archäologischem Blickwinkel. Denn nur in den im Boden verborgenen Gräbern haben sich in den letzten Jahrhunderten zahllose belastbare Indizien und Beweise des Kampfes der Lebenden gegen die Untoten erhalten. In diesem Buch sind diese archäologischen Belege erstmals umfassend zusammengetragen und unter Berücksichtigung der benachbarten wissenschaftlichen Disziplinen ausgewertet worden. Es soll außerdem helfen, die Sinne für die manchmal nur noch schwach vorhandenen Spuren des Anormalen und des praktizierten Aberglaubens zu schärfen. Wer rechnet in unserer rationalen und säkularen Zeit auf einer archäologischen Ausgrabung überhaupt damit, auf einen vermeintlichen Untoten zu stoßen? Ein Vampir in einem friedlichen, abseits gelegenen Dorf scheint schließlich ebenso unwahrscheinlich wie ein Besuch des Teufels beim Sonntagsgottesdienst. Die meisten Archäologen trifft es völlig unerwartet. Egal wie eindeutig die Hinweise auf Bannriten im Grab auch sein mögen, kaum einem Ausgräber wird als erster Gedanke durch den Kopf schießen: „Ich habe einen Vampir gefunden.“ Man findet eben nur, wonach man auch sucht. Und nicht zuletzt wurden viele Vampire auch schlicht totgeschwiegen, weil die Ausgräber Angst hatten, sich womöglich dem Spott der Kollegen auszusetzen. So endeten unzählige Wiedergänger zum zweiten Mal in der Verbannung – als Randnotiz in den Fußnoten der Grabungspubli kationen, von wo aus sie kaum noch eine Chance haben, jemals wieder ans Licht zu gelangen. Es musste erst ein Generationswechsel unter den Archäologen stattfinden. In den letzten Jahren aber, seit nun immer mehr junge, mutige Ausgräber, die weder Angst vor Kollegenspott noch vor Untoten haben, mit unvoreingenommenem Blick die archäologischen Spuren untersuchen, bekennen sich immer mehr von ihnen zu Vampirfunden. Und jetzt sind sie da. Plötzlich drängen die Untoten überall aus den Gräbern. Nicht nur im friedlichen Neuengland, sondern auch in der deutschen Provinz – in MecklenburgVorpommern, in Bayern, in Niedersachsen, in Baden-Württemberg. Mit anderen Worten: Sie liegen im Aushub des Kellers für die eigene Reihenhaushälfte.
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DIE WISSENSCHAFT DER VAMPIRE
Unter den Augen der Mönche – Vampire in Klöstern
Nicht einmal in geweihter Erde ist man vor Untoten sicher. Ein Fall aus dem niedersächsischen Harsefeld zeigt, dass Vampire scheinbar weder Weihwasser noch Weihrauchduft scheuten, und verdeutlicht zudem, wie leicht ein Untoter auf einem Friedhof zu übersehen ist, wenn man nicht explizit nach ihm Ausschau hält. Harsefeld jedenfalls hat ziemlich viel geweihte Erde – und dann auch noch besonders heilige. Denn hier befand sich von 1101 bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges im Jahr 1648 ein bedeutendes Benediktinerkloster. Da war im Umland schon lange alles protestantisch: Stade ab 1525, wenig später folgten Buxtehude, und 1558 auch die benachbarte Zisterzienserabtei Himmelpforten. Nur in Harsefeld hielten die Mönche noch bis zuletzt tapfer die Fahne des Katholizismus empor und trotzten stoisch den Reformatoren. Anpassung war noch nie ihre Sache gewesen – seit der Gründung schon unterstanden sie nicht etwa dem Erzbischof im nahen Bremen, sondern einzig und allein dem Papst in Rom. Alles in allem also ein Ort, an dem man die Prinzipien der Benediktiner ora et labora et lege („bete und arbeite und lies“) sowie ut in omnibus glorificetur Deus („auf dass Gott in allem verherrlicht werde“) sehr ernst nahm und wenig Verständnis für heidnischen Aberglauben hatte – möchte man vermuten.
Harsefeld. Versteinung eines vermeintlichen Untoten aus dem Kreuzgang des Klosters, 14./15. Jahrhundert.
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KAPITEL 5
Doch unter der Decke des strengen Katholizismus vertrauten die Mönche offenbar nicht ganz so fest auf Gott, wie es von außen den Anschein hatte. Zumindest dann nicht, wenn es darauf ankam, einen Untoten ins Grab zu bannen. Da halfen dann doch nur die alten heidnischen Bräuche. Auf die Spur dieses unchristlichen Treibens kamen Bauarbeiter, als sie in den 1960er Jahren die Bodenfliesen der ehemaligen Klosterkirche, später in St. Marien und Bartholomäi umgeweiht, entfernten. Die Kirche sollte einen neuen Altar bekommen, dafür musste einiges umgebaut werden. Als die Arbeiter nun die Fliesen aufbrachen, stießen sie auf Gräber. Es ist der heiligste Teil einer Kirche, so nah wie möglich am zentralen Punkt des Gotteshauses. Hier durfte nur ruhen, wer zu Lebzeiten besonders wichtig für die Gemeinschaft gewesen war: die Äbte. Alle lagen so in ihren Gräbern, wie es sich für gute Benediktineräbte gehört – den Kopf im Westen, die Füße im Osten und ohne jede Beigabe. Alle bis auf einen. Zwischen den Unterschenkeln eines Abtes lag ein großes eisernes Vorhängeschloss. Man hatte seine Beine gefesselt, um sicherzugehen, dass er nicht wieder aus dem Grab aufstehen würde. Nun gehören Vorhängeschlösser zu den eher selteneren Bannriten für Wiedergänger. Dass sie aber für just diesen Zweck dienten, zeigt ein Untoter aus einem spätmittelalterlichen Gräberfeld in Neubrandenburg, Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Bei ihm scheint es sich um einen äußerst hartnäckigen Wiedergänger gehandelt zu haben, bei dem gleich mehrere Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden. Man fesselte den Mann, sicherte das Paket mit einem eisernen Schloss und rollte ihm zu guter Letzt auch noch einen Findling auf den Bauch. Findlinge scheinen vielerorts als wirksame Maßnahme zur Bannung von Untoten ans Grab gegolten zu haben. Allerdings sind sie im Vergleich zu Vorhängeschlössern weitaus unscheinbarer und können auf Ausgrabungen leicht übersehen werden. Nicht wegen der Größe – sondern weil ein Stein im Boden zunächst einmal nichts Ungewöhnliches und für den Ausgräber eher ein Ärgernis ist. Meist will er ihn möglichst rasch aus dem Weg haben, um an die darunterliegenden Funde zu gelangen, und so schenkt er dem riesi-
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DIE WISSENSCHAFT DER VAMPIRE
gen Brocken keine weitere Beachtung. So geschah es zunächst auch mit einem Findling, der in einem anderen Grab im Kreuzgang des Harsefelder Benediktinerklosters die Ausgräber gestört hatte. Erst Jahre nach der eigentlichen Ausgrabung entdeckte der Kreisarchäologe des Landkreises Stade und Autor dieses Buches seine Bedeutung. Und zwar am Computerbildschirm, bei der Inventarisierung alter Grabungsfotos. Da lag auf einmal dieser riesige Stein – wo kein Stein hätte liegen sollen. Denn der gesamte Boden unter dem westlichen Kreuzgang ist sehr feinkörnig, nicht einmal durchsetzt von Kieselsteinen. Der deplatzierte Findling konnte auch nicht zur Markierung eines Grabes gedient haben – er lag mitten im Grab, neben dem durch ihn zur Seite gedrückten Schädel des Toten. Auch einige Knochen des Brustkorbes hatte er verschoben. Das war der entscheidende Hinweis: Der Körper muss, als der Stein ins Grab gelangte, sich schon in einem fortgeschrittenen Stadium der Verwesung befunden haben. Denn ist ein Leichnam noch frisch, liegt das Knochengerüst gut geschützt in seiner Hülle aus Muskeln und Haut. Einzelne Knochen lassen sich in diesem Zustand nicht verschieben. Wer einen Findling gegen eine frische Leiche drückt, wird immer den gesamten Körper verschieben. Sind Muskeln und Haut aber bereits verwest, verlieren die Knochen ihren Halt. Dann weichen nur diejenigen, die unmittelbar Kontakt mit dem Fingling haben, seinem Druck – der Rest bleibt mehr oder weniger ungestört liegen. Genau dieses Bild bot das Skelett im westlichen Kreuzgang des Klosters Harsefeld: Es waren lediglich einige Knochen des Brustkorbes, die der Findling beiseite schob. Der Sargdeckel war hingegen wohl noch intakt. Er war auf dem Foto noch als schmales, dunkel verfärbtes Band zu erkennen, eingebrochen an jener Stelle, wo der Findling ihn durchschlagen hatte. Holz kann erstaunlich lange brauchen, bis es vergeht. Besonders Eichenholz ist sehr beständig – weshalb es gerne auch als Baumaterial für qualitativ hochwertige Särge verwendet wird. Dass der Sargdeckel noch intakt ist, während im Inneren der Körper sich schon weitgehend aufgelöst hat, kann durchaus vorkommen. Wie lange es dauert, bis der Sarg nachgibt und einbricht, hängt außer
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von der Holzart auch von der Bodenbeschaffenheit ab. Eine ungefähre Schätzung für diesen Wert kann jeder leicht selber auf dem Friedhof im eigenen Dorf oder Stadtteil vornehmen. Wenn man aufmerksam durch die Reihen geht, gibt es immer Gräber, die von der Friedhofsverwaltung mit Flatterband abgesperrt wurden, weil der Sarg eingebrochen ist und die Erde frisch aufgefüllt werden muss. Aus den Sterbedaten auf den zugehörigen Grabsteinen lässt sich ein Mittelwert für die Sarghaltbarkeit an diesem Ort berechnen. Die Daten verraten sogar noch mehr. Denn jene Särge, die am längsten hielten, waren wahrscheinlich aus Eichenholz – und haben dementsprechend viel gekostet. Schaut man auf die Namen der Toten, weiß man, wessen Nachfahren für die Beerdigung keine Kosten scheuten. Für eine nachträgliche Öffnung des Grabes in Harsefeld und eine gewollte Versteinung des Toten spricht aber noch etwas: Im sorgfältig angelegten Grabungsprofil zeigte sich, dass die Erde in dem schmalen Schacht genau über dem Stein eine leicht andere Färbung hat als die übrige Verfüllung des Grabes. Wer auch immer den Findling dort hineinrollte, muss es also noch einmal im Kopfbereich geöffnet haben, als der Tote bereits einige Zeit darin gelegen und die Erde sich bereits gesetzt hatte. Wobei es eher zwei oder mehr Täter gewesen sein müssen, denn der Findling ist so schwer, dass ein Mann ihn alleine nicht hätte bewegen können. Der Tote lebte im 14. oder 15. Jahrhundert – und starb viel zu jung, er war nur zwischen 18 und 23 Jahre alt geworden. Zu Lebzeiten muss er eine stattliche Erscheinung gewesen sein, mit fast 1,70 Metern überragte er deutlich die übrigen Harsefelder Männer. Seine Knochen zeigen – außer ein wenig Karies und leichten Abnutzungserscheinungen an den Hüftgelenken – keinerlei Anzeichen von Krankheiten. Vielleicht war er ein junger Mönch. Vielleicht aber auch der Spross einer reichen Familie. Denn auch wenn die begehrten Ruheplätze im Inneren der Kirche in erster Linie den Klerikern vorbehalten waren, konnten wohlhabende Bürger sich einen Platz in dieser besonders heiligen Erde sichern – gegen eine entsprechend große Spende für die Klosterkasse.
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Als der Autor dieses Buches seinem Kollegen Dietrich Alsdorf von dem Fund am Computerbildschirm erzählte, erinnerte der sich sofort an ein weiteres Grab, das er 32 Jahre zuvor nur wenige Meter weiter nördlich im Kreuzgang ausgegraben hatte. Es fiel schon dadurch auf, dass es wesentlich tiefer lag als die übrigen Gräber – zwei ältere Gräber wurden beim Aushub der Grube gestört. Um an den Sarg zu gelangen, musste Alsdorf erst einmal eine Schicht Ziegelsteine abtragen – fest gemauert aus denselben 30 x 15 x 10 Zentimeter großen Backsteinen, aus denen auch die Klostermauern bestanden. Nachdem er sie entfernt hatte, blickte er jedoch nicht etwa auf den Sargdeckel – sondern auf den Sargboden. Jemand hatte den trapezförmigen Sarg ausgegraben und verkehrt herum wieder in die Erde gelegt. Dabei waren die Knochen – die sich wie bei dem Toten unter dem Findling auch schon im Zustand fortgeschrittener Verwesung befunden haben müssen – durcheinander gerutscht. Lediglich der Schädel mit Unterkiefer und die Unterschenkelknochen lagen noch in etwa dort, wo sie liegen sollten. Nur löst sich üblicherweise der Unterkiefer im Zuge der Verwesung als einer der ersten Knochen aus dem Verband. Hatte ihn in diesem Fall also jemand festgebunden, damit der Tote keine Lebenden ins Grab nachzehren konnte? Und auch die Unterschenkelknochen fand Alsdorf auffällig eng beieinander – so als ob man dem Toten die Beine gefesselt hatte, bevor man ihn umdrehte, tief vergrub und einmauerte. Die beiden Archäologen gingen daraufhin Grab für Grab aus dem Kreuzgang noch einmal durch – und entdeckten auf den Dias und den Zeichnungen tatsächlich noch weitere Tote, bei denen möglicherweise nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war. Dem Mann aus Grab 7 fehlten der Schädel und die Füße, also gerade jene Körperteile, die er zum Saugen und zum Laufen dringend benötigt hätte. Ein kopfloser Toter kann schon einmal vorkommen, zum Beispiel wenn der Schädel in einer hitzigen Schlacht verloren ging oder gar vom Sieger als Trophäe mitgenommen wurde. Auch ein Toter ohne Füße ließe sich vielleicht noch erklären, etwa als Opfer eines schrecklichen Unfalls. Doch für einen kopf- und fußlosen Toten werden die Erklärungsversuche dünn. Außerdem hatte man seinen
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Oberkörper von den Schultern bis zum Becken zertrümmert: Spuren, die entstehen, wenn man einem Toten die Rippen aufbricht, um ihm das Herz herauszureißen. Ähnliche Verwüstungen fanden die Ausgräber auch in den beiden Gräbern 16 und 17. Beiden Männern hatte man sowohl die Rippen als auch die Unterschenkel gravierend durcheinandergebracht. Anschließend wurden die Gruben hastig wieder zugeschaufelt, davon zeugen die Bodenfliesen des Kreuzgangfußbodens, die in der Eile mit in die Füllung gerutscht waren. Wer hat so etwas getan? Grabräuber, die nach Schätzen suchten, werden es kaum gewesen sein – denn Beigaben waren ja zu jener Zeit in den Harsefelder Gräbern nicht üblich. Wahrscheinlicher ist, dass hier jemand nicht nach Schätzen suchte, sondern nach den Herzen der Toten – um sie endgültig zu vernichten. Zwei weitere sehr ungewöhnliche Bestattungen lassen sich zwar nicht so ohne Weiteres mit Bannriten für Untote erklären, geben aber jede Menge Rätsel auf. Der Tote aus Grab 14 trug um das Handgelenk ein kleines Bronzeglöckchen. Sollte es vielleicht als akustische Warnung dienen, falls der Tote doch nicht ganz so tot war und sich in seinem Grab rührte? Und im Ostflügel des Klosters lag ein Mann nicht alleine in seinem Grab. Sein Kopf war auf beiden Seiten flankiert von je einem weiteren Schädel. Was auch immer dies für ein Ritual war – christlich war es auf keinen Fall. Auffällig ist, dass es sich bei allen diesen ungewöhnlichen Bestattungen um Männer handelt, die im 14. oder 15. Jahrhundert gestorben waren. Es war die Zeit der großen Seuchen. Mitte des 14. Jahr hunderts war die Pest nach Europa gekommen und raffte in den folgenden drei Jahrhunderten in immer neuen Wellen große Teile der Bevölkerung hinweg. In den Zeiten dieser hochansteckenden Krankheit war auch der Glaube an Untote besonders lebendig. Starb der erste, holte er bald darauf weitere ins Grab: die Frau, die Kinder, den Knecht, die Magd, Nachbarn und Freunde. Selbst die Kirche war machtlos gegen die Pest. Hatte die Seuche erst einmal eine Stadt oder ein Dorf erreicht, halfen weder orare noch laborare noch legere. Dann schien Gott in eine andere Richtung zu
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schauen. Zum Glück hatten die Harsefelder noch nicht vergessen, was die heidnischen Vorfahren gemacht hatten, wenn ein Toter in Verdacht stand, den Lebenden zu schaden. Um aber an die Toten zu kommen, mussten sie in den Kreuzgang – der für das gemeine Volk aber nicht frei zugänglich war. Und selbst wenn die Vampirjäger heimlich in der Nacht über die Klostermauern geklettert wären, mussten sie immer noch die Fußbodenfliesen des Kreuzganges aufbrechen. Still und heimlich war das schlichtweg unmöglich. Damit ist die Sachlage klar: Die Benediktinermönche billigten die heidnischen Rituale, die da in ihren Mauern praktiziert wurden – wenn sie nicht sogar, wie wohl im Falle ihres eigenen Abtes, selber mithalfen. So war es wohl auch in der Johanneskirche im bayerischen Nabburg, einst eine mächtige und reiche Pfarrei im Oberpfälzer Wald. Schon seit dem 9. Jahrhundert stand hier eine kleine Kirche auf einem ehemals wendisch-heidnischen Kultplatz. Das spätere Benediktinerkloster unterhielt enge Beziehungen zum Regensburger Dom, viele der Domherren kamen in die Johanneskirche zum Predigen. Eine so wichtige Kirche war natürlich auch als Begräbnisplatz hoch attraktiv – wer irgendwie konnte, wollte in ihrem Schatten begraben liegen. Entsprechend dicht drängten sich die Toten in der Erde. Als der Mittelalterarchäologe Mathias Hensch im Jahr 2012 im Westchor der Kirche grub, fand er auf einem nur 13 x 6 Meter großen Areal rund 200 Skelette aus den Jahren zwischen 1300 und 1592. Für Särge war da kein Platz mehr, die galten als überflüssiger Luxus. Die Toten wurden einfach nur in ein Totenhemd gekleidet oder in ein Leichentuch eingenäht in die Erde gelegt. Und wenn eine Grube zu klein war – dann musste man den Toten eben ein bisschen quetschen, bis er hineinpasste. Starben zu viele auf einmal, mussten sich mehrere Tote auch schon mal eine Grube teilen. So zum Beispiel zwei Frauen und ein Mann, die der Tod sich alle etwa zur gleichen Zeit geholt hatte: Sie lagen übereinandergestapelt in einem engen Grab. Auch ein Mann und eine Frau, die im 14. Jahrhundert starben, teilten sich eine Grube. Doch hier stimmte etwas nicht. Den Mann hatten die Nabburger mit dem Gesicht nach unten zuerst in das Grab gelegt. Auf seinen Rücken betteten sie dann die Frau – ganz normal
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in Rückenlage. Ein Versehen kann das kaum gewesen sein. Nichts deutet darauf hin, dass bei der Bestattung große Hast herrschte. Die Toten waren so sorgfältig in die Erde gelegt worden wie alle anderen Toten auf dem Friedhof auch – der Mann nur eben verkehrt herum, wie es bei Toten üblich war, von denen man fürchtete, sie könnten zurückkehren. Noch eine weitere Tote der Nabburger Johanneskirche lag verkehrt herum. Allerdings nicht auf dem Bauch, sondern mit dem Kopf im Osten. Das war nach christlichem Glauben fast ebenso schlimm, wie mit dem Gesicht nach unten bestattet zu werden. Denn es verwehrte einem am Tag des Jüngsten Gerichts den Blick nach Osten, von wo aus Jesus Christus zum zweiten Mal erscheinen würde. Stattdessen musste man so nach Westen schauen, weg vom Erlöser. Was hatte diese Frau getan, um so gestraft zu werden? Oder wollte man die Tote mit der Ausrichtung nach Westen verwirren und daran hindern, das Grab zu verlassen? Das verraten die Knochen nicht. Wohl aber, dass sie gemeinsam mit ihrem Kind starb. Die Knochen des Kleinkindes fanden die Ausgräber unter ihren Beinen – in korrekter Lage mit dem Kopf nach Westen. Wie auch für den in Bauchlage bestatteten Toten gilt: Zufall kann dies nicht gewesen sein, da sie auf einem Friedhof, auf dem peinlich genau auf die Einhaltung der WestOst-Orientierung geachtet wurde, die einzige Ausnahme ist. Einen entscheidenden Unterschied zu Harsefeld gibt es jedoch auf dem Friedhof von Nabburg. Während die Harsefelder Toten zunächst ordentlich begraben waren, man dann jedoch zu einem späteren Zeitpunkt die Gräber öffnete und entsprechende Maßnahmen traf, um sie an einer Wiederkehr zu hindern, bannten die Nabburger ihre vermeintlichen Wiedergänger von vornherein im Grab. Allerdings auch hier mit Hilfe der Mönche. Denn ohne sie war eine Be stattung auf dem Friedhof nicht möglich. Sie waren es, die erst das Sterben und später die Beerdigung der Nabburger betreuten. Ohne ihr Wissen und ihre Billigung wäre es nicht möglich gewesen, die christlichen Vorschriften zu brechen. Die Kirchenmänner kannten aber offenbar noch weitere Maß nahmen zur Bannung von Untoten. Wenn wir heute an die Vernich-
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tung von Vampiren denken, kommt uns meist als erstes der Holzpflock in den Sinn. In Literatur und Film ist er oft die Waffe der Wahl: Bram Stokers Jonathan Harker bringt Graf Dracula mit dem Pflock den endgültigen Tod, im Film From Dusk till Dawn bekämpft George Clooney alias Seth Gecko mit einem als Turbopflock umfunktionierten Presslufthammer ganze Scharen von Untoten, und die Vampirjägerin Buffy Summers trägt ein ganzes Sortiment von angespitzten Pflöcken in der Handtasche mit sich herum, inklusive ihres Lieblingspflocks „Mr. Pointy“. In der Archäologie sind Hölzer dagegen rar. Das muss allerdings nicht daran liegen, dass sie nicht benutzt wurden. Nur während Steine oder Vorhängeschlösser noch lange im Boden sichtbar bleiben, vergeht ein Holzpflock im Laufe der Zeit meist, ohne Spuren zu hinterlassen. Man muss schon sehr genau hinsehen, um ihn bei einer Grabung zu entdecken. Dass der Pflock jedoch tatsächlich zur Vampirtötung genutzt wurde, zeigt eindrucksvoll ein Fall aus Molzbichl im österreichischen Kärnten. Auch dieser Vampir war scheinbar immun gegen geweihte Erde, denn Archäologen fanden ihn im Sommer 2013 direkt im Pfarrhofgarten der Kirche St. Tiburtius – in einem Suchschnitt vor der geplanten Erweiterung des kleinen Frühmittelalter-Museums Carantana. In 1,30 Metern Tiefe stießen die Ausgräber auf vier Tote, die dort im Frühmittelalter begraben wurden. Und einer davon besonders gründlich: Er lag unter einer Steinschicht. Und das war nicht die einzige Maßnahme, die seine Wiederkehr verhindern sollte. Als die Biologin Gabriele Schwantler vom örtlichen Museumsverein das Skelett freilegte, entdeckte sie die Spuren des hölzernen Pflocks, den seine Zeitgenossen ihm in die Brust gerammt hatten. Auch St. Tiburtius war keine gewöhnliche Dorfkirche, sondern steht auf den Resten der ehemaligen Klosterkirche von Molzbichl. Ein Ort mit langer christlicher Tradition, das älteste Kloster Kärntens: Mönche hatten es bereits im 8. Jahrhundert gegründet, um von hier aus die Alpenslawen zu missionieren. Diese Aufgabe dürften sie im 10. Jahrhundert, als der Untote aus dem Pfarrgarten gepfählt wurde, schon weitgehend abgeschlossen haben. Das Ritual an sich aber zeigt, dass die heidnischen Bräuche selbst im Hof der Klosterkirche weiter praktiziert wurden.
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Harsefeld, Nabburg, Molzbichel – diese drei Orte haben eines gemeinsam: Sie waren einst Hochburgen der Christianisierung. Sie wurden von Mönchen gegründet, um das Wort Gottes in das Land der Heiden zu bringen. Und dabei hatten die Ordensbrüder Erfolg. Die Klöster, in deren Grund und Boden die Untoten lagen, waren reich und mächtig, doch trotzdem blieb in diesen Machtzentralen der Kirche noch viel Platz für Rituale, die eindeutig nicht christlichen Ursprungs waren. Häufig hat die neu eingeführte Religion mit ihren noch fremden Bestattungsvorschriften eine traditionelle Gesellschaft in ihrer spirituellen Welt schwer erschüttert und zu tiefen Ängsten vor den Toten geführt. Wurden beispielsweise die Toten der heidnischen Sachsen vor der karolingischen Christianisierung auf dem Scheiterhaufen zu einem kleinen Häufchen Asche verbrannt, mussten sie unter dem neuen Gott als Körper bestattet werden. Zahlreiche archäologische Befunde aus Gräbern bezeugen, dass auch die Übergangszeit vom althergebrachten zum christlichen Glauben bei den Slawen im Osten Deutschlands von einer starken Furcht vor dem schädigenden Toten geprägt war.
Die unchristliche Version der Auferstehung – Untote bei den Slawen
Nicht ganz so erfolgreich verlief die Christianisierung in Berlin Spandau. Einst kontrollierte der slawische Stamm der Heveller diesen strategisch wichtigen Punkt. Nur wenige hundert Meter südlich der heutigen Altstadt flossen Spree und Havel zusammen. Und mehr noch, hier kreuzten sich nicht nur wichtige Wasserwege, sondern auch bedeutende Fernhandelswege über Land, die über eine Furt die beiden Flussseiten miteinander verbanden. An Spandau kam keiner vorbei. Wohl seit dem 8. Jahrhundert residierten die Hevellerfürsten in einer Burg mitten im Fluss auf einer Insel, um sie herum lebten ihre Leute in einer Vorburgsiedlung und in weiteren kleinen Dorfgemeinschaften in der näheren Umgebung. 500 Jahre änderte sich wenig an Spree und Havel, erst im 13. Jahrhundert sollte eine neue Burg im Bereich der
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heutigen Zitadelle die alte ablösen – und zur Keimzelle der bis zum Jahr 1920 eigenständigen Stadt Spandau werden. Natürlich hatte die Kirche auch hier versucht, Fuß zu fassen. In der Mitte des 10. Jahrhunderts kamen Kleriker und bauten um 980 eine hölzerne Kirche neben der Burg. Doch die hielt nur wenige Jahre. Denn schon im Jahr 983 erhoben sich die Elb- und Ostseeslawen unter der Führung der Lutizen gegen den römisch-deutschen Kaiser und seine christliche Religion. Die Heveller schlossen sich ihnen an und legten Feuer an die Spandauer Kirche. Damit hatten sie erst einmal ihre Ruhe vor den Missionaren – für die nächsten 200 Jahre riskierten es die Bischöfe von Brandenburg und Havelberg nicht mehr, ihre Ambitionen im Slawenland umzusetzen, und residierten statt dessen als Titularbischöfe in sicherer Entfernung am Hof des Königs. Bei Bauarbeiten in der Krowelstraße stießen Arbeiter im Jahr 1963 auf den Friedhof der ersten Burg. Hier hatten die Heveller in den letzten Jahrzehnten der alten Burg 1150 und 1200 ihre Toten bestattet. An den Gräbern lässt sich gut ablesen, wie zäh und stockend die Christianisierung an Spree und Havel abgelaufen ist. Für den Archäologen ist die Unterscheidung zwischen einem toten Christen und einem toten Heiden meist relativ einfach: Der Christ liegt ohne Beigaben mit dem Kopf im Westen und den Füßen im Osten, der Nicht-Christ liegt in einer beliebigen anderen Richtung und bekam von seinen Angehörigen Beigaben mit ins Grab. Die, so glaubte man, würde er im Jenseits brauchen, denn anders als im christlichen Paradies, wo alles im Überfluss vorhanden ist, muss er seine Ausstattung für die Ewigkeit selber in die Nachwelt mitbringen. Die ältesten Gräber des Friedhofes in der Krowelstraße scheren sich wenig um die Himmelsrichtungen und sind mit Beigaben ausgestattet. Erst nach und nach werden die Gräber ärmer, und mehr und mehr Tote liegen mit dem Kopf im Westen, um am Tag der Auferstehung Jesus Christus im Osten sehen zu können. Trotzdem schließen sich nicht alle Heveller dem neuen Glauben an. Auch in den letzten Jahren vor dem Umzug in die neue Burg bestatten die Bewohner ihre Toten noch oft genug nach heidnischen Ritualen. Daran schließt sich im Übrigen nahtlos der Friedhof der neuen Burg
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an: Auch hier liegt noch eine Minderheit der Verstorbenen mit dem Kopf im Norden, Süden oder Osten – der Glaube an den neuen christlichen Gott hatte noch lange nicht gesiegt. An eines aber glaubten die Heveller mit Sicherheit: an Untote. Denn ihr Friedhof wimmelt nur so von Toten, die sie am Wiederkehren hindern wollten. Dabei wandten sie so ziemlich alle Methoden an, die das Repertoire an Bannmaßnahmen hergibt. Dem etwa 50 bis 60 Jahre alten Mann aus Grab 19 rammten sie ebenso einen Holzpflock durch den Körper wie dem Kleinkind aus Grab 28. Andere Toten fanden die Archäologen mit extrem angewinkelten Beinen – eine Haltung, wie sie nur entstehen kann, wenn die Beine während der Verwesung gefesselt sind. Nun ist es eher unwahrscheinlich, dass auf dem Friedhof gleich mehrere gefesselte Verbrecher bestattet wurden – deren Knochen endeten meist in Galgennähe, nicht aber auf dem Gottesacker. Daher vermutete der Bearbeiter der Knochen, Wolfgang Gehrke, dass die Fesseln eher als Vorsichtsmaßnahme gedacht waren – für den Fall, dass die Toten aufwachen und den Drang verspüren sollten, dass Grab zu verlassen. Ein besonders interessantes Beispiel für eine solche Fesselung ist das etwa 13 bis 18 Jahre alte Mädchen aus Grab 12. Sie lag mit extrem angezogenen Beinen auf der rechten Seite in Nord-Süd-Richtung, das Gesicht der aufgehenden Sonne zugewandt. Das Grab jedoch war für diese zusammengestauchte Haltung viel zu groß. Selbst ausgestreckt hätte sie in der 1,90 Meter langen Grube mehr als genug Platz gehabt. Wer auch immer sie bestattete, schaufelte nicht die ausgehobene Erde zurück in das Grab – sondern füllte die Grube mit Asche. Die war durchmischt mit kleinen Scherben und Tierknochen – vielleicht den Resten eines Rituals? Asche wurden vielerorts reinigende Kräfte zugesprochen. Auch vor Leichendämonen und Hexen soll sie schützen. Möglich also, dass die Heveller hier doppelt sichergehen wollten: Zuerst fesselten sie die Tote, dann verfüllten sie das Grab zusätzlich noch mit magischer Asche. Auch das Kleinkind aus Grab 22 ruhte unter einer Ascheschicht und ebenfalls in einem viel zu großen Grab. Das hätte mit 2,25 Metern Länge auch einen Riesen aufnehmen können – statt des unter siebenjährigen Kindes. Gefesselt hatte man es
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nicht. Aber deutliche Spuren zeugen davon, dass die Heveller auch hier einen Untoten vermuteten, denn das Kind gruben sie noch einmal aus, als die Verwesung bereits begonnen hatte. Sie wühlten in seinem Brustkorb – vermutlich, um das Herz zu entfernen – und deckten den kleinen Leichnam schließlich mit Holzkohleasche zu. Ebenfalls mit durchwühltem Brustkorb fanden die Ausgräber den 50 bis 60 Jahre alten Mann in Grab 7. Als man sein Grab aufbrach, war die Verwesung zwar bereits in vollem Gange, aber noch lange nicht abgeschlossen. Das Herz reichte den Vampirjägern aber offenbar nicht – sie nahmen dem Mann auch seinen Kopf. Kopflos war auch die 40 bis 60 Jahre alte Frau in Grab 32. Ihr Grab erzählt allerdings eine andere Geschichte. Mit nur 1,43 Metern war es recht kurz – zu kurz für eine erwachsene Frau. Dort, wo ihr Kopf hätte liegen sollen, fanden die Archäologen nur ein wenig Holzkohle, vermischt mit winzigen verbrannten Knochensplittern. Hatte man der Frau den Kopf bereits genommen und verbrannt, bevor sie ins Grab gelegt wurde? Einer weiteren erwachsenen Frau in Grab 44 sowie einem erwachsenen Mann in Grab 33 fehlte ebenfalls das Haupt. Doch während der Kopf der Frau gänzlich abhandengekommen war, lag derjenige des Mannes nur etwa 30 Zentimeter neben der Stelle, wo er eigentlich liegen sollte. Hatte man ihm den Kopf nachträglich im Grab abgeschlagen, so dass er zur Seite rollte? Es konnte allerdings auch vorkommen, dass statt eines Kopfes zu wenig einer zu viel im Grab lag – so wie bei dem 30 bis 40 Jahre alten Mann aus Grab 31, zu dessen Füßen ein zusätzlicher Schädel gebettet war. Holzpflock, Fesseln, Herzentfernung, Feuer, Dekapitation – all diese auf dem Friedhof an der Krowelstraße angewandten Riten sind klassische Bannmaßnahmen für Vampire. Doch auch an Nachzehrer glaubten die Heveller: an Untote, die das Grab nicht verließen, sondern durch Saugen und Schmatzen ihre Verwandten und Freunde nachzuholen trachteten. Von diesem Glauben zeugt die 30 bis 50 Jahre alte Frau in Grab 31. In ihrem Mund entdeckten die Ausgräber eine Münze oder kleine Scheibe aus Buntmetall. Mit dem Metallstück im Mund waren die Burgbewohner vor ihr sicher – denn an dem konnte sie saugen bis in alle Ewigkeit, ohne dass es den Lebenden schadete.
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Im Siedlungsgebiet der Sorben, im oberlausitzischen Coblenz, wurde auf dem sogenannten Sterbehügel eine der wohl ungewöhnlichsten und radikalsten Bestattungen eines vermeintlichen Untoten ausgegraben. Der Prähistoriker Walter Frenzel hat sie 1929 beschrieben: „Der Tote war in Ostrichtung begraben. Aber er mag den Hinterbliebenen im Traume erschienen sein und sie geängstigt haben. Jedenfalls wurde das Grab wieder geöffnet, der Oberkörper herausgenommen und in 2 Meter Entfernung erneut und zwar vollkommen zerstückelt bestattet. Über dem alten Grabe, in welchem nur noch die Beine von den Schenkelköpfen abwärts ruhten, wurde auf der festgestampften Graberde ein Feuer entzündet, Pfähle wurden in einer Längslinie eingeschlagen und schließlich noch einige Steine darauf gewälzt.“ Die Furcht vor dem Toten muss äußerst stark gewesen sein, wenn man ihn zweiteilen, zerstückeln, pfählen, brennen und versteinen musste. Als ähnlich phantasievoll bei der Bannung von Wiedergängern erwiesen sich die Bewohner einer Siedlung nahe der heutigen Stadt Mockersdorf in der Oberpfalz. Wer die Menschen waren, die hier vom 8. bis zum 10. Jahrhundert ihre Toten im Schatten des markanten erloschenen Vulkans Rauher Kulm bestatteten, ist nicht ganz eindeutig. Waren sie Slawen? Oder doch Franken? Einige ihrer Schmuckstücke wurden jedenfalls von merowingischen Handwerkern hergestellt. Die Schläfenringe ihrer Trachten allerdings waren bei den Slawen Mode. Am wahrscheinlichsten ist, dass die frühen Mockers dorfer, egal wie sie sich selber bezeichneten, mit beiden Volksgruppen zumindest vertraut waren. Leider sind die Knochen auf dem Gräberfeld von Mockersdorf sehr schlecht erhalten. Einst muss es ein großer Friedhof gewesen sein. Zusätzlich zu rund 40 bereits 1921 entdeckten Körpergräbern fanden Archäologen im Jahr 2003 noch einmal 40 weitere. Doch von diesen hatte der Boden lediglich 27 in einem Zustand hinterlassen, der Aussagen über eventuelle Grabriten zuließ. Umso erstaunlicher, dass sechs von diesen 27 Toten den Weiterlebenden offenbar solche Sorgen bereiteten, dass sie diese mit besonderen Maßnahmen ans Grab bannten. Zwei Tote, ein Jugendlicher in Grab 19 und ein erwachsener Mann in Grab 37, lagen auf dem Bauch. Möglicherweise hatte man
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dem jungen Mann zusätzlich noch die Beine gefesselt – seine Knie lagen nämlich so dicht beisammen, wie es bei einer natürlichen Position im Grab kaum möglich ist. Einer 30- bis 40-jährigen Frau hatte man große Steinbrocken auf den Oberkörper und auf den Kopf gelegt. Bei der genaueren Untersuchung fanden die Anthropologen auch den vermutlichen Grund für diese Vorsichtsmaßnahme: In ihrem Beckenbereich lagen die Knochen eines Fötus. Sollte sie tatsächlich bei der Geburt gestorben sein, dann war sie prädestiniert für die Wiederkehr. Schließlich hatte der Tod sie viel zu früh aus dem Leben gerissen. Bei vielen weiteren Toten konzentrierten sich die Bemühungen der Vampirjäger auf den Kopf. Dem Mann in Grab 3 hatten sie das Haupt abgerissen und verdreht wieder ins Grab gelegt. Das muss geschehen sein, als er bereits einige Zeit lang tot war, also keine Muskeln oder Sehnen den Kopf mehr hielten – denn der Rest des Körpers lag ungestört in seinem ganz normalen Verbund. Auch der Frau in Grab 4 wurde der Schädel weggenommen – und mit einem Stein zertrümmert. Allerdings nur der obere Teil – ihren Unterkiefer fanden die Ausgräber unversehrt genau dort, wo er hingehörte. Die seltsamste Behandlung aber erfuhr die junge Frau, die in Grab 6 bestattet lag. Bei ihren Knochen war einiges durcheinander. Man hatte, wie auch bei den beiden anderen kopflosen Toten, das Grab einige Zeit nach ihrem Tod noch einmal geöffnet. Doch diesmal genügte es nicht, den Kopf zu verdrehen. Die durch weitere Todesfälle beunruhigten Hin terbliebenen nahmen der Toten auch den rechten Unterarm und das Schlüsselbein. Auf den Unterarm spießten sie den Schädel auf, den Unterkiefer aber auf das Schlüsselbein. Nun konnte die Untote die Kiefer nicht mehr zusammenbringen, egal wie sehr sie sich weiterhin im Grab mühen mochte. Nur wenig später als die Mockersdorfer nutzten auch die slawischen Zirzipanen im heutigen Mecklenburg-Vorpommern fremde Knochen, um vermeintliche Wiedergänger zu bannen. Und sie fügten dem Ritus noch ein weiteres Element hinzu. Sie legten die Untoten an Orten nieder, die schon seit tausenden von Jahren sichtbar dem Tod geweiht waren: in jungsteinzeitliche Großsteingräber.
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Sie hatten sich damit einen mythischen Platz gesucht. Kaum jemals in der Geschichte haben Menschen dem Tod bedeutendere Denkmäler gesetzt als mit den Megalithgräbern der späten Jungsteinzeit. Wer tonnenschwere Steine zusammenträgt, um an den Tod zu erinnern, hat nicht nur die nächste oder vielleicht noch die übernächste Generation im Sinn. Wer diese Mühe auf sich nimmt, will den Ort für die Ewigkeit markieren. Leider haben die moderne Landwirtschaft und die Industrialisierung den Neolithikern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wo Steine im Weg waren, wurden sie entfernt. Wo man welche für Straßen, Kirchen, Häfen oder anderweitige Fundamente brauchte, bediente man sich von den Megalithen der Gräber. So sind heute nur noch schätzungsweise 15 Prozent von ihnen übrig, deutschlandweit sind das lediglich um die 900 Grabanlagen. Bevor jedoch das entsprechende schwere Gerät erfunden und auch ausgiebig genutzt wurde, um die Findlinge abzutransportieren, gehörten die Großsteingräber in Norddeutschland und Südskandinavien zum Landschaftsbild wie Wälder und Seen – als immer sichtbare Mahnmale an den Tod. So präsent waren sie auch noch, als sich gegen Ende des 10. Jahrhunderts der Stamm der Zirzipanen in einem See zwischen den Flüssen Trebel und Recknitz nahe des heutigen Ortes Behren-Lübchin eine Inselburg errichtete, ganz in der Nähe einer Gruppe von Mega lithgräbern. Im ersten dieser Gräber am Waldrand zwischen Alt Stassow und Grammow fanden Archäologen zwei Skelette aus dem 11. oder 12. Jahrhundert. Für deren Beerdigung hatte man die neolithische Grabkammer etwas umgestaltet. Der große Deckstein und weitere Steine aus der ursprünglichen Setzung erfüllten nun eindeutig den Zweck, die beiden Toten zu beschweren. Einem der beiden hatte man aber zusätzlich noch einen fremden Oberschenkelknochen quer über das Gesicht gelegt. Diese Art der Bannmaßnahme war allerdings nicht auf die Slawen beschränkt. Im Schatten der romanischen St. Martin-Kirche im niedersächsischen Oldendorf wurde im Jahr 2009 eine zweifache Nachzehrerbestattung des 12. Jahrhunderts ausgegraben. Der erste vermeintliche Nachzehrer bekam einen fremden Oberschenkelknochen unter das Kinn gelegt. Für ein späteres Grab
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wurden ihm oberhalb der Knie die Beine abgehackt. Auch der zweite Tote schien nicht geheuer zu sein, darauf deutet je ein Stein unterhalb des Kinns und im Mundbereich hin. Noch radikalere Methoden hatte man bei dem Toten im daneben liegenden Megalithgrab angewendet. Auch er stammte wie die beiden anderen aus der Zeit der Inselburg und war mit Steinen beschwert. Doch über seinem Kopf lag nichts – ja nicht einmal sein Kopf lag dort, wo er sollte. Den hatte man nämlich gründlich zertrümmert und die Knochensplitter wahllos über den gesamten Leichnam verstreut. Wer in der Jungsteinzeit ursprünglich dort bestattet worden war, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass die Megalithgräber bereits 4000 bis 4500 Jahre lang als Marker in der Landschaft an den Tod erinnert hatten, bevor man die Untoten der Seeburg dort bannte. Sie
Oldendorf. Doppelte Nachzehrerbestattungen des 12. Jahrhunderts. Dem linken Toten hatte man einen fremden Oberschenkelknochen unter das Kinn gelegt. Bei der Beerdigung eines weiteren Leichnams wurden die Beine abgetrennt. Ein Stein unter dem Kinn und im Mundbereich deutet ebenfalls auf Bannmaßnahmen hin.
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sind und bleiben ein Ort der Toten – und kein Ort für Lebende. Solange die Steine sichtbar sind, würde hier niemand ein Haus bauen, eine Schule errichten oder ein Schwimmbad ausheben. Wer lebt und das Leben liebt, hält sich fern. Unsere Instinkte, unsere Fluchtreflexe sorgen dafür, dass wir gebührend Abstand halten.
Lasset kein Loch offen – Untote bei den Wikingern
Großen Aufwand mit ihren Toten betrieben auch die Wikinger. Manche von ihnen begruben sie mitsamt ihrer Schiffe wie auf dem norwegischen Oseberg-Hof oder bei Gokstadt. Für andere schichteten sie riesige Grabhügel auf wie im dänischen Jelling oder im schwedischen Uppsala. Ihre Sagen und Legenden sind voll von Untoten, und auch die Archäologie konnte zeigen, dass die Furcht vor den Wiederkehrern schwer auf den Wikingern lastete. Mindestens zehn wikingerzeitliche Bestattungen aus Skandinavien sind bekannt, bei denen die Toten mit riesigen Steinen im Grab beschwert wurden. Die meisten von ihnen liegen in Dänemark, doch auch aus Schweden und von Island sind derartige Fälle bekannt. Besonders interessant ist ein Grabhügel, den dänische Archäologen im Jahr 1981 nahe der Stadt Gerdrup fanden, auf einem Sandrücken an einem ehemaligen Arm des Roskilde Fjords. Darin lagen zwei Tote, ein Mann und eine Frau. Der Mann starb durch Hängen, wie seine verdrehten Halswirbel verraten. Er lag auf dem Rücken in der Grabgrube, die Beine mit den Knien nach außen leicht angewinkelt. Natürlich ist diese Beinhaltung nicht – möglicherweise waren seine Füße gefesselt. Die Frau lag ebenfalls auf dem Rücken, ihre Knochen aber waren regelrecht zerschmettert von zwei großen Stein brocken, die man auf ihren Körper gerollt hatte – einer auf den Brustkorb, den anderen auf ihr rechtes Bein. Ein dritter großer Stein lag unmittelbar neben ihrer linken Hüfte. Beiden Toten hatte man ein Messer auf den Körper gelegt, dem Mann auf die Brust, der Frau neben ein Nadelkästchen auf die Taille. Zwischen den beiden fanden die Ausgräber Teile von Schafschädeln.
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Gerdrup. Rekonstruktion der wikingerzeitlichen Doppelbestattung mit Versteinungen und symbolisch zugedeckten Körperöffnungen.
Die bedeutendste Beigabe aber war eine eiserne Speerspitze neben dem rechten Bein der Frau, die nach unten gerichtet war. Das ist ungewöhnlich. Wenn Krieger mit ihrem Speer begraben wurden, dann stets so, wie sie ihn auch lebend im Kampf getragen hatten: mit der Spitze nach oben. Seltsam war aber vor allem die Handhaltung der beiden. Wäh rend die rechte Hand des Mannes auf der rechten Leiste ruhte, lag die linke unter seinem Becken. Spiegelbildlich dazu verdeckte die Frau mit der linken Hand ihre Genitalien und ihre rechte war unter das Becken geschoben. Der Archäologe Leszek Gardeła von der Universität Rzeszów merkte an, dass dies die archäologische Bestätigung eines Rituals sein könnte, das sowohl aus den Sagen als auch aus dem literarischen Reisebericht Ahmad ibn Fadlāns von einem Wikinger -
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begräbnis im 10. Jahrhundert bekannt ist. Die Wikinger fürchteten nämlich, dass böse Geister durch die Körperöffnungen in den Körper eindringen könnten. Deshalb musste man diese sorgfältig verschließen, und zwar nicht nur die Atemwege, sondern eben auch die Genitalien und den Anus. Der Reisende ibn Fadlān beschreibt, wie der Sohn des Toten sich mit der Hand die Körperöffnung zuhält, während er das Schiff seines Vaters mit sämtlichen Tier- und Menschenopfern darauf in Brand setzt: „Der Häuptlingssohn nahm ein Holzstück und zündete es an. So ging er rückwärts mit dem Rücken zum Schiff und das Gesicht zum Volk und hielt in der einen Hand das Holzstück während er die andere Hand hinter dem Rücken auf seinem Gesäß ruhte. Und er war nackt. Und auf diese Weise wurde überall Feuer unter dem Gestell, welches das Schiff stützte, gelegt, nachdem sie die getötete Sklavin zur Seite ihres Herren gelegt hatten.“ Interessanterweise wirkt der Wikingerfürst in der Beschreibung ibn Fadlāns auch vor seiner Verbrennung nicht sonderlich tot, obwohl er zu dem Zeitpunkt bereits zehn Tage lang in der Erde gelegen hatte: „Als sie zu seinem Grab kamen, nahmen sie die gesamte Erde weg vom Holz und danach entfernten sie das gesamte Holz. Und so zogen sie von ihm die Kleider, in welchen der Tote war. Ich möchte bemerken, dass er ganz schwarz aufgrund der Kälte im Lande geworden war. Im Grabe zusammen mit ihm, hatten sie Bier, Früchte und eine Mandoline hineingelegt. Und all dies taten sie nun aus dem Grab. Der Tote roch merkwürdigerweise überhaupt nicht und nichts hatte sich verändert an ihm, ausgenommen seiner Hautfarbe. So kleideten sie ihn mit Hosen, Überhosen, Stiefeln, Gürtel und einen Mantel aus Dibag mit Goldknöpfen dran. Sie setzten ihm eine Kappe aus Dibag und Zobelfell auf seinen Kopf und trugen ihn in das Zelt, was auf dem Schiff aufgestellt wurde. Dort setzten sie ihn auf den Teppich und stützten ihn mit Kissen.“ An diese Schilderungen erinnerte sich Ausgräber Gardeła, als er die beiden Toten von Geldrup mit ihrer seltsamen Arm- und Handhaltung sah. Hielten auch sie sich ihre Körperöffnungen mit den eigenen Händen zu? Mehr noch: Möglicherweise dienten auch der Tod
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am Strang und die schweren Steine dazu, sämtliche Öffnungen zu verschließen. Mit dem Strick wurde dem Mann der Hals zugedrückt – über die Lunge konnten so keine bösen Geister mehr in seinen Kör per gelangen. Und auch der schwere Stein auf der Brust der Frau hinderte sie definitiv am Atmen. Einen weiteren sehr interessanten Fall eines mit Steinen beschwerten Toten fanden Archäologen im Grab P des wikingerzeitlichen Friedhofes von Bogøvei auf Langeland. Er lag – für einen Wikinger sehr ungewöhnlich – in seinem flachen Grab auf dem Bauch . Große Steine beschwerten die linke Seite seines Gesäßes sowie den linken Oberarm. Weitere Steine lagen neben dem rechten Oberarm sowie unmittelbar vor dem Gesicht, diese könnten leicht von ihrer ursprünglichen Position auf dem Körper abgerutscht sein. Doch hier kommt noch eine dritte Merkwürdigkeit hinzu. Neben dem rechten Unterschenkel des Mannes fanden die Archäologen ein Messer. Allerdings war es dort nicht hingelegt worden – sondern mit Wucht ins Grab geschleudert, so dass es mit der Klinge senkrecht im Boden stecken blieb. Dies könnte möglicherweise eine magische Handlung gewesen sein: Der Tote wurde dem Gott Odin geweiht. Das Grab lag nicht zentral, sondern im südlichen Bereich des Friedhofes. Ganz in der Nähe befand sich noch eine weitere ungewöhnliche Bestattung. Die Grabgrube der Frau, die im Alter zwischen 30 und 40 Jahren starb, war zwar ebenfalls nur flach, aber mit 84 x 240 Zentimetern ungewöhnlich breit und lang. Sie selber dagegen war um ihren Kopf kürzer, denn der lag knapp unterhalb des linken Knies auf dem Schienbein. Den Unterkiefer und einen Halswirbel fanden die Ausgräber zusammen mit einer Muschel zwischen ihren Oberschenkeln. Doch so wurde sie nicht ins Grab gelegt. Erst einige Zeit nach ihrem Tod, als die Verwesung bereits einigermaßen fortgeschritten war, öffnete man ihr Grab, nahm den Schädel von seinem ursprünglichen Ort und legte ihn der Frau auf die Beine. Auf halbem Weg dorthin fielen vermutlich der Unterkiefer und der Halswirbel von dem halbverwesten Schädel ab und landeten gemeinsam mit der
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Muschel, die oft den Toten hinter einem Ohr platziert wurde, in ihrem Schoß. Dabei riss auch eine Kette mit zwei Perlenanhängern, die um den Hals der Toten gelegen hatte. Eine grüne Perle blieb auf ihrem Schlüsselbein liegen, eine orangefarbene rollte neben den Leichnam. Danach wurde das Grab wieder verfüllt – und es schien Ruhe geherrscht zu haben.
Zu Höherem gestorben – Vampire in Zentren der Macht
Die Götter, denen man die Toten weihte, änderten sich. Egal ob Slawen, Sachsen oder Wikinger, früher oder später bekannte sich fast der gesamte europäische Kontinent zum Christengott. Nun wurden keine Messerklingen mehr in Gräber gestoßen – wohl aber andere spitze Gegenstände, wie ein Beispiel aus unserem Nachbarland Belgien zeigt. Der Ort des Geschehens ist eine Kapelle am Château de Farciennes in der Provinz Hainaut. Heute sieht es dort aus wie in der Kulisse eines Gruselfilms. Das Dach ist undicht, die oberen Stockwerke und nicht einmal mehr die Treppenaufgänge sind betretbar, der Boden ist mit Bauschutt und Schmutz übersät. Um das Schloss herum, wo einst üppige Gärten zum Lustwandeln einluden, hat sich graue, trostlose Industrie angesiedelt. Dabei waren sie einmal das Prunkstück des Château de Farciennes gewesen. Als die Gärten 1667 im Beisein des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. eingeweiht wurden, soll dieser sie bewundernd als „kleines Versailles des Nordens“ tituliert haben. In den folgenden Jahrzehnten tanzte in den Ballsälen des Schlosses der europäische Adel. Dann begann der Prunk zu bröckeln. In den Wirren der Französischen Revolution plünderten Soldaten das Anwesen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verkauften die Besitzer mehr und mehr Land an die Betreiber von Kohleminen – die sich nur für den Grund unter dem Schloss, nicht aber für die Gebäude interessierten. Die Minen höhlten den Boden aus, die Wände des Châteaus bekamen Risse. Wohnen wollte dort schon lange niemand mehr. In die Räume zog erst eine Stärkefabrik, kurz danach wurde das Gelände in einen Bauernhof umgewandelt. In den
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Sälen, in denen einst Fürsten und Grafen getanzt und gelacht hatten, hausten nun Kühe und Schweine. Etwa zu dieser Zeit, im Jahr 1851, sollte die Schlosskapelle weichen. Als die Bauarbeiter das verfallene Gemäuer abreißen wollten, fanden sie unter dem Chor die Überreste von fünf Holzsärgen – angeblich nicht nach Christenart mit dem Blick nach Osten ausgerichtet, sondern verkehrt herum. In den Annalen der Archäologischen Gesellschaft von Charleroi ist beschrieben, was in jedem der Deckel steckte: ein langer Eisennagel an genau jener Stelle, unter der die Brust des Toten lag. Und zwar drei lange Nägel und zwei kurze – womöglich in Kindergröße. Zwei davon, ein großer und ein kleiner, gelangten in den Besitz des Museums der Archäologischen Gesellschaft. Leider sind sie heute nicht mehr aufzutreiben, aber der Bericht beschreibt sie sehr genau. Der große maß 68 Zentimeter, der Kindernagel immerhin noch 49 Zentimeter. Dieser trug auch zwei Zeichen, von denen das eine entweder als griechischer Buchstabe Omega oder als Zahl 3 gelesen werden konnte. J. Kaisin, Vizepräsident der Archäologischen Gesellschaft, der den Bericht zu Papier brachte, hielt sie allerdings lediglich für das Zeichen des Handwerkers, der die Nägel geschmiedet hatte. Später dichteten verschiedene Autoren den Eisennägeln noch allerlei illustre Geschichten an. Die Toten seien der ungarische Fürst Károly József Batthyány, seine Gemahlin Maria Anna Barbara von Waldstein sowie deren Kinder. Mehr noch, Batthyány sei ein direkter Nachfahre des rumänischen Grafen Vlad Tepes, der Bram Stoker als Vorbild für die Romanfigur des Grafen Dracula diente. Doch so schön die Geschichte auch klingen mag, dass die Adligen mit rumänischem Blut den Vampirglauben ins katholische Belgien importierten – sie stimmt leider nicht. Károly József Batthyány starb friedlich in Wien. Und er hatte zwar zwölf Kinder – doch nur zwei davon von seiner ersten Ehefrau Maria Anna Barbara von Waldstein. Die ungarischen Ausführungen braucht es jedoch gar nicht, um die Eisennägel von Farciennes zu einem der faszinierendsten archäologischen Nach weise für Vampirglauben zu machen, den wir kennen. Denn Mitglieder des belgischen Adels werden es auf jeden Fall gewesen sein,
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von denen man hier glaubte, sie würden als Vampire wiederkehren – und die man mit entsprechenden Maßnahmen unschädlich machte. Das Schicksal, zum Vampir zu werden, konnte jeden ereilen. Egal ob arm oder reich, ob Bauer oder Edelmann. In dem tschechischen Städtchen Böhmisch Krumau jedenfalls gab es beides: arme und reiche Vampire. Erstere fanden Archäologen im Jahr 2000 in der Plešivecká-Gasse zwischen den Häusern Nr. 481 und 482. Dort stießen sie auf elf Gräber aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Nur sieben dieser Gräber aber entsprachen der christlichen Sitte mit ihrer Ausrichtung von West nach Ost. Die Skelette der Gräber 3, 8, 9 und 11 aber lagen in Nord-Süd-Richtung, und das waren nicht die einzigen Hinweise darauf, dass die Böhmisch Krumauer hier Untote bestattet hatten. Die Frau in Grab 3 hatte dort, wo eigentlich der Schädel liegen sollte, nur ein Häuflein Steine. Der Schädel aber lag zwischen ihren Knien – mit einem Stein im Mund. Der Anthropologe Pavel Kubálek schaute sich die Halswirbel der Frau sehr genau an und fand keinen Hinweis auf eine gewaltsame Abtrennung des Kopfes. Weder waren Schnittspuren einer scharfen Klinge zu sehen, noch gewaltsam auseinandergerissene Halswirbel. Wahrschein lich entfernte man den Kopf erst, als der Leichnam bereits hinreichend skelettiert war und das Haupt sich ohne große Schwierigkeiten entfernen ließ. Auch die Hände der Frau lagen in einer seltsamen Position: Sie waren in ihrem Schoß gekreuzt. Zwischen den Hand wurzelknochen entdeckten die Ausgräber Glaskorallen, möglicherweise die Reste einer Kette. Hatte man der Toten die Hände etwa mit einem Rosenkranz gefesselt? Mit dem Kopf nach Norden – dieser allerdings im Gegensatz zu der Frau an anatomisch korrekter Stelle – lag auch der etwa 30 bis 40 Jahre alte Mann in Grab 8. Einst umhüllte ein mit Eisennägeln zusammengehaltener Holzsarg seinen Leichnam. Als das Holz vermoderte und schließlich einbrach, rutschten die schweren Steine, die seinen Sargdeckel beschwert hatten, auf seine linke Körperseite. Mit schweren Steinen hatten die Bewohner von Böhmisch Krumau auch versucht, den etwa 30 bis 40 Jahre alten Mann in Grab 9 am Verlassen desselben zu hindern. Anthropologe Kubálek konnte eine vage
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Vorstellung davon vermitteln, wie er zu Lebzeiten ausgesehen haben muss: mit nur 1,60 Metern Körpergröße relativ klein und stets mit einer Pfeife im Mund. Vom exzessiven Tabakkonsum erzählt die starke Abnutzung zwischen unterem linken zweiten Schneidezahn und Eckzahn und oberem linken zweiten Schneidezahn und Eckzahn. Sie wurde von einem zylinderförmigen Gegenstand mit einem Durchmesser von etwa 1 Zentimeter verursacht – einem Pfeifenstil. Grab 11 wurde nicht vollständig freigelegt. Auch dieser Tote lag mit dem Kopf nach Norden. In den Archiven der Stadt fanden die Ausgräber Hinweise darauf, wer hier bestattet war. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts begruben die Böhmisch Krumauer Lutheraner auf diesem Acker ihre Toten. Etwa 150 Jahre später diente das Feld dann erneut als Friedhof – diesmal aber für Soldaten. Denn von denen starben im örtlichen Regiment Johann Balfisch offenbar um das Jahr 1779 so viele, dass der Friedhof bei der Kapelle St. Martin sie nicht mehr alle aufnehmen konnte. Also entsann man sich des protestantischen Gottesackers, auf dem zu dem Zeitpunkt immer noch einige „lutherische Grabsteine“ aus alten Zeiten standen. Die Hälfte weihte man in einen katholischen Soldatenfriedhof um, die andere Hälfte indes nahm nun erneut die toten Protestanten des Städtchens auf. Die Frau aus Grab 3 wird mit ziemlicher Sicherheit nicht zum Balfisch’en Regiment gehört haben. Die Männer aus Grab 8 und 9 jedoch müssen ziemliche Haudegen gewesen sein, wovon zahlreiche verheilte Knochenbrüche erzählen. Möglicherweise haben wir es hier also tatsächlich mit Soldaten zu tun. Und wie sah es am anderen Ende der Gesellschaft aus? Ruhen auch in den Grüften des Böhmisch Krumauer Adels Vampire? Das vermutete zumindest der Wiener Medienwissenschaftler Rainer Köppl in seinem 2007 gedrehten Dokumentarfilm Die Vampirprinzessin über Eleonore Elisabeth Amalia Magdalena von Lobkowitz, später verheiratete Fürstin zu Schwarzenberg, Herzogin zu Krumau und Gräfin von Sulz. Dass mit den Schwarzenbergs nicht zu spaßen war, zeigt bereits ihr Wappen. Hier haben sie mit Gewalt nicht gespart: Auf dem Herzschild prangen unter anderem ein Türkenkopf,
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dem ein Rabe mit goldenem Halsband ein Auge aushackt, sowie ein brennender Ast. Als das junge Paar in das Böhmisch Krumauer Schloss einzog, ging es zunächst fröhlich zu. Voller Elan ließen die neuen Herrscher das Schloss – nach der Prager Burg immerhin der zweitgrößte historische Bau in Tschechien – umbauen und erweitern, in den neuen Sälen gaben sie rauschende Feste. Eleonore und ihr Mann liebten beide die Jagd. Nach fünf Jahren Ehe kam endlich die gute Nachricht: Eleonore war schwanger. Wie bitter aber muss die Enttäuschung gewesen sein, als sie nicht den sehnlich gewünschten Stammhalter gebar, sondern ein Mädchen. Und so wie es aussah, würde die kleine Maria Anna ein Einzelkind bleiben. Die Fürstin ließ nichts unversucht. Köppl behauptet in seinem Film, sie habe sich schließlich sogar Wölfe gehalten, um deren Milch zu trinken. Angeblich sollte diese Kur für den ersehnten Sohn sorgen. Wie groß das Körnchen Wahr heit in dieser Legende ist, sei dahingestellt. Schon einen zahmen Schoßhund zu melken, dürfte ein äußerst schwieriges Unterfangen werden. Wie viel widerwilliger muss sich da eine wilde Wölfin gebärden, bevor sie ihre Milch hergibt? Was auch immer Eleonore getan hat, um einen männlichen Erben in die Welt zu setzen, es wurde 1722, als sie bereits 40 Jahre alt war, mit der Geburt von Joseph I., Fürst von Schwarzenberg, von Erfolg gekrönt. Doch konnte das mit rechten Dingen zugehen? Es war eine Zeit, zu der in Europa durchaus noch Frauen für Hexerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Köppl ist sich sicher, dass die Menschen in Böhmisch Krumau zumindest hinter vorgehaltener Hand tuschelten, die Fürstin habe bei ihrer Schwangerschaft mit schwarzer Magie nachgeholfen. Das Familienglück währte nicht lange, Adam zu Schwarzenberg sah seinen Sohn nicht aufwachsen. Als Joseph zehn Jahre alt war, streckte auf einem Jagdausflug eine Kugel den Fürsten darnieder. Der Schütze war kein geringerer als der römisch-deutsche Kaiser Karl VI., in dessen Schusslinie der Fürst versehentlich geraten war. Vom schlechten Gewissen geplagt holte der Kaiser den jungen Joseph zu sich an den Hof und zahlte der Witwe fortan die üppige
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Jahresrente von 5000 Gulden. Die reichte aber hinten und vorne nicht, denn die hypochondrische Eleonore investierte Unsummen in Ärzte und Arzneimittel. In den meisten Fällen orderte die Fürstin Mittel, die schmerzstillend und krampflösend wirken sollten. Doch einige Arzneien geben Rätsel auf. Wofür brauchte Eleonore Krebsaugen, Einhorn oder Walrat? Die zahlreichen Ärzte, die auf Schloss Krumau ein und ausgingen, sorgten jedenfalls dafür, dass Eleonore blasser und blasser wurde. Krebsaugen und Walrat einmal dahingestellt, blieb immer noch das Universalheilmittel jener Zeit, der Aderlass. Und nicht nur das Aussehen der Fürstin glich mehr und mehr einem Vampir. Hinzu kam, dass sie an Schlaflosigkeit litt. Des Nachts wanderte sie unruhig durch ihre Räume, am Tag war sie dann matt und schlaff. Einer der Ärzte, die Eleonore in jenen letzten Jahren oft zu sehen verlangte, war der kaiserliche Leibarzt Franz von Gerstorff. Der aber praktizierte nicht nur als Mediziner – sondern trat auch als Leiter zahlreicher Untersuchungskommissionen für Vampirfälle auf. Am Ende zehrte ein riesiger Tumor im Unterleib den Körper der Fürstin vollends aus. Kurz vor ihrem Tod reiste Eleonore noch nach Wien, doch auch dort konnte niemand ihr mehr helfen. Sie starb am 5. Mai 1741 – nur noch ein blasser Schatten der stolzen Jägerin von einst. Gerstorff beantragte eine sofortige Obduktion der Leiche – für Adlige eine damals höchst ungewöhnliche Prozedur. Könnte die Obduktion, wie Köppl vermutet, nur der verschleierte Versuch gewesen sein, die mit ihrem Tod zur Vampirin gewordene Eleonore unschädlich zu machen? Das Herz aus der Brust zu entnehmen? Den Kopf abzutrennen? Noch in der Nacht jedenfalls machte sich eine Kutsche mit dem Sarg der Fürstin auf den Weg von Wien zurück nach Böhmisch Krumau, wo sie sechs Tage später in der St. Veits-Kapelle beigesetzt wurde – mitten in der Nacht. Erst nach Einbruch der Dunkelheit verließ der Trauerzug das Schloss gen Kirche. Ihr Platz in der Wiener Familiengruft blieb leer. Die Knochen der „Vampirprinzessin“ hat bislang noch niemand untersucht. Wohl aber die Grabstätte – mit Geo-Radar und
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Sonden. Dabei fanden die Archäologen ein aufwändiges Gewölbe – der Sarg wurde regelrecht eingemauert. Und als ob das noch nicht ausreichen würde, schließt eine tonnenschwere Steinplatte das Grab ab. Zu sehen ist davon heute für die Besucher der Kapelle nichts, denn über dem Grabstein liegt ein roter Teppich. Die Angst vor der Wiederkehr von Toten, die zu Lebzeiten ganz oben an der Spitze der Gesellschaft standen, reicht sehr weit zurück. Einen dieser mächtigen Untoten finden wir schon bei den frühen Kelten der Hallstattzeit, im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts vor Christus: den „Fürst“ von Hochdorf bei Stuttgart. Sein Grab ist ein einzigartiger Glücksfall: nicht nur der Umstand, dass es im Gegensatz zu vielen anderen zeitgenössischen Bestattungen nie von Grabräubern geplündert wurde, sondern auch der exzellente Erhaltungszustand der Beigaben – von den aufwändigen Metallarbeiten über die kostbaren Textilien bis hin zu den Gefäßinhalten und dem Blumenschmuck. Wer war dieser Tote? Mit seinen 1,87 Metern Körpergröße jedenfalls ein wahrhaft großer Mann. Und unermesslich reich, wie die Schätze in seiner 22 Quadratmeter großen Grabkammer demonstrieren. Sein Ess- und Trinkgeschirr – ausreichend für neun Personen – ist so protzig, dass man es fast schon nicht mehr benutzen kann. Wie kräftig muss ein Mann sein, um ein 1,20 Meter langes Trinkhorn aus Eisen heben zu können – wenn es zusätzlich noch mit 5,5 Litern Bier, Wein oder Met gefüllt ist? Sein Wagen, ein 4,5 Meter langer Zwei spänner, besteht aus fast 1350 Einzelteilen und ist über und über mit Eisenverzierungen beschlagen. Sich heutzutage mit einem Ferrari begraben zu lassen, würde gegen dieses einzigartige Prunkgefährt schon fast gewöhnlich wirken. Der Tote selber ruht auf einer riesigen Liege mit Rückenlehne. Ihr hochpoliertes Bronzeblech glänzte einst wie Gold, und sie konnte rollen – ihre acht „Beine“ sind kleine Figuren auf Rädern. Vielleicht hatten die Räder einen Grund. Normalerweise nämlich wurden frühkeltische Fürsten auf ihren Wagen und nicht auf einer Liege bestattet. Warum auf dem Wagen des Fürsten von Hochdorf sein Geschirr lag, er selber jedoch auf einer rollenden Liege, wird sich wohl niemals klären lassen.
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Als die Archäologen die Pracht Stück für Stück bargen, fielen ihnen noch mehr Ungereimtheiten auf. Nachdem man den Wagen in die Kammer abgesenkt hatte, sorgte man dafür, dass niemand ihn mehr herausfahren konnte: Achsnägel und Kappen waren abgezogen und lagen auf dem Wagenkasten. Und obwohl sonst alles im Grab von der großen Sorgfalt sprach, mit der dieser Mann bestattet wurde, waren die beiden Kopfgeschirre für die Pferde vertauscht: Das Rechte lag links, das Linke rechts, und zusätzlich waren die Riemen verdreht. Auch mit dem Schmuck des Toten stimmte etwas nicht. Den goldenen Halsreif hatte man durchgeschnitten, die Fibeln an den Totentüchern geöffnet und verbogen, und schließlich waren auch die Schuhbeschläge – wie schon das Pferdegeschirr – vertauscht: Der Rechte saß am linken Fuß, der Linke am rechten. Eine Unachtsamkeit bei der Niederlegung von Pferdegeschirr ließe sich vielleicht noch erklären. Aber alle diese Details zusammengenommen können kein Zufall mehr sein. Hier sollte etwas unschädlich gemacht werden oder daran gehindert werden, das Grab zu verlassen. Dafür spricht schließlich noch eine letzte Maßnahme, die ebenfalls so bei keltischen Hügelgräbern nicht vorkommt: Über der Grabkammer schichtete man 50 Tonnen Steine und Holz auf – ein Verschluss für die Ewigkeit. Vielleicht verdanken wir es dieser steinernen Schutzschicht, dass niemals ein Grabräuber sich Zugang zu dem Fürstengrab verschaffte. Vielleicht aber traute sich auch niemand. Während andere keltische Fürstengräber oft zeitnah schon wieder ausgeräumt wurden, schlugen die Grabräuber offenbar um dieses einen gewaltigen Bogen. Zurück in die „Dunklen Jahrhunderte“ des Frühmittelalters führt uns ein Fall aus dem niedersächsischen Stade. Dunkel war es vor allem im Elbe-Weser-Dreieck, seit die meisten seiner sächsischen Bewohner sich ab dem 5. Jahrhundert in Richtung England abgesetzt hatten, um gemeinsam mit den Angeln die Insel zu besiedeln. Während die Verwandten in England erste Königreiche gründeten, herrschten über die letzten Daheimgebliebenen lediglich sogenannte Satrapen. Aus dieser Zeit stammt die fälschlicherweise als „Schwedenschanze“ bezeichnete Burg am Ufer der Schwinge in Groß Thun, ei-
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nem Stadtteil des heutigen Stade. Für ihre Zeit war sie ein beeindruckend großes Bauwerk: Der ovale Burgwall aus Holz und Erde ragte einst etwa 7 bis 8 Meter hoch, noch heute sind an die fünf davon erhalten. Der früheste im Wall verbaute Baum wurde im Jahr 673 oder 674 gefällt – damit ist die Schwedenschanze eine der ältesten mittelalterlichen Burgen zwischen Rhein und Elbe. Ihre Toten trugen die Bewohner der Schwedenschanze etwa 1,5 Kilometer vor die Tore. Dort lag ein Gräberfeld am Rande eines alten Fernweges – mitten zwischen noch viel älteren Grabhügeln aus der Bronzezeit. Die älteste Phase der Neubelegung reicht bis in das 6. und 7. Jahrhundert zurück – und damit sogar schon vor den Baubeginn der Schwedenschanze. Eine Kirche gab es hier nicht. Im Gegenteil, in den frühesten Gräbern wurden Scheiterhaufen errichtet, wie es alter germanischer Brauch war. Erst 782 ließ Karl der Große mit der Capitulatio de partibus Saxoniae die Feuerbestattung bei Todesstrafe verbieten. Von diesem Ringen des sächsischen Glaubens gegen die aufgezwungene Christianisierung erzählen die rund 70 Körpergräber der Schwedenschanze. Nur zögerlich änderte sich mit dem Christen tum als zwangsverordneter Religion die Ausrichtung der Grabstätten von Nord-Süd nach Ost-West. Aus dieser Zeit, aus dem späten 7. oder 8. Jahrhundert, stammt ein Wiedergänger-Grab, das noch von Norden nach Süden orientiert ist. Von den Knochen ist in dem kalkarmen Boden zu wenig übrig geblieben, um Alter oder Geschlecht des (Un-)Toten bestimmen zu können. Sehr wohl aber sind drei große Steine erhalten: einer auf dem Kopf, einer auf dem Becken und einer auf den Füßen.
Zum Untod verdammt – Bannriten an Richtstätten
Es müssen jedoch nicht immer schwere Steine, zerwühlte Skelette oder eiserne Nägel sein, die von der Furcht vor Wiedergängern zeugen. Manchmal ist es auch einfach nur ein leeres Grab. Nicht etwa, weil der Tote tatsächlich aufgestanden wäre und das Grab verwaist
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zurückließ, sondern weil man die Knochen umbettete – an einen „sichereren“ Ort. Ein Beispiel dafür fand Dietrich Alsdorf, der bereits die Harsefelder Untoten ausgegraben hatte, im Jahr 2007. Es ist ein historisch sehr gut dokumentierter Fall. Selten kennt man den Hintergrund eines Todesfalles so gut wie den von Anna Spreckels und Claus Meyer. Und der gibt berechtigten Anlass zu der Vermutung, dass ihr Grab leer war, weil man den beiden ein Leben als Wiedergänger ersparen wollte. Die beiden Geliebten starben 1835 auf einem eigens für diesen Fall aufgeschütteten Richthügel vor den Toren des Ortes Himmelpforten durch das Schwert des Scharfrichters. Sie hatten Claus’ Vater Cord umgebracht, der Anna in die Ehe mit ihm selbst gezwungen und den beiden jungen Menschen das Leben zur Hölle gemacht hatte. Die alten Aufzeichnungen über die Geschehnisse am 24. Juli 1835 sind recht detailliert. Sie berichten, dass man die Körper von Anna und Claus nach der Hinrichtung in die schon vorweg ausgehobene Grube warf. Eben jene Grube fand Alsdorf bei der Untersuchung der Stätte. Doch die Grabstelle war leer. Zwar hoben die Grubenränder sich deutlich im Untergrund ab, aber von den Hingerichteten fehlte jede Spur. Was war geschehen? Die Bürger von Himmelpforten hatten Anna und Claus in den Monaten vor ihrer Hinrichtung ins Herz geschlossen. Dass der alte Cord Meyer ein Verbrecher und Tyrann der übelsten Sorte gewesen war, wusste jeder. Anna und Claus zeigten sich nach ihrer Verurteilung als reuige Sünder. Vor allem Anna betete oft und innig, unablässig las sie während ihrer Zeit im Himmelpfortener Gefängnis religiöse Schriften. Auch ihr letztes Gebet, das sie sprach, bevor das Schwert des Scharfrichters ihren Kopf abtrennte, ist in den Akten überliefert. Dem einen oder dem anderen Himmelpfortener wird ein Schauer über den Rücken gelaufen sein, als Anna mit klarer, fester Stimme davon sprach, dass ihr der Tod nichts anhaben könne: „Ich bin zur Ewigkeit geboren, für eine bessre Welt bestimmt. Mein Leben geht nicht ganz verloren,
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wenn gleich das Grab den Leichnam nimmt. Zu groß bin ich für diese Zeit, mein Schicksal ist Unsterblichkeit.“ In jenen Jahren war die Bevölkerung der Region noch tief im Aberglauben verwurzelt. Von einer anderen Hinrichtung nur wenige Jahre später, die der Kindsmörderin Anna Brümmer, wissen wir, dass man das Blut in Gläsern auffing und den Epilepsiekranken zu trinken gab. Der Brauch ist uralt und wurde schon in der Antike praktiziert. Epilepsie könne man kurieren, so der Aberglaube, wenn der Kranke das noch warme Blut eines Gerichteten trinke und daraufhin den Ort möglichst laufend verlasse. Die Kirche duldete das Treiben und verdiente sogar daran. Je inbrünstiger der Gerichtete zuvor gebetet hatte, desto stärker die Heilkraft seines Blutes und desto teurer konnte man es verkaufen. Auch das Blut von Anna und Claus wird man in Himmelpforten Kranken gereicht haben. Die innigen Gebete Annas hatten es besonders wirksam gemacht, und schließlich war Geld bitter von Nöten, denn die kleine Tochter der beiden Mörder musste auch nach dem Tod ihrer Eltern versorgt werden. Sollte man die beiden Sympathieträger Anna und Claus nach der Vollstreckung des Todesurteils nun wirklich am Fuße des Richthügels belassen? Dort, wo man glaubte, dass die Toten geweihte Erde brauchen, um in Frieden ruhen zu können und um nicht gequält Nacht für Nacht das Grab wieder verlassen zu müssen. Es ist zumindest eine sehr plausible Erklärung, dass die Himmelpfortener Anna und Claus schon ganz bald heimlich auf ein stilles Fleckchen des kirchlichen Friedhofes umbetteten, um ihnen – und sich selbst – das Schicksal des Wiederkehrens zu ersparen. Richtstätten stellten die Menschen generell vor eine diffizile Situation. Nicht immer war man so freundlich zu Hingerichteten wie Bern. Totenfurcht an der Richtstätte „Untenaus“. Die Überreste zahlreicher Hinrichtungsopfer wurden in einer Grube verscharrt und sorgfältig mit Steinen beschwert.
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im Fall von Anna und Claus. Gewöhnliche Verbrecher hatten nach ihrer Hinrichtung natürlich keinen Anspruch auf einen Platz in geweihter Erde, sondern sie wurden am Fuße des Galgenberges oder des Richthügels verscharrt. Mit den vielen Toten in ungeweihter Erde aber wurden die Richtstätten zu wahren Tummelplätzen für vermeintliche Wiedergänger. So fürchtete man zumindest in Bern. Die Richtstätte „untenaus“, eines von zwei mittelalterlichen Hochgerichten der Stadt, lag gut sichtbar auf einem langgezogenen Moränenrücken, dem „Schönberg Ost“, an einer der Hauptausfallstraßen der Stadt. Ihren Namen trug sie wegen des Standortes: außerhalb des unteren Stadttors und der Untertorbrücke. Heute befindet sich in unmittelbarer Nähe das Zentrum „Paul Klee“. Als man 2009 in dessen Nachbarschaft ein neues Stadtquartier mit 17 Mehrfamilienhäusern samt Erschließungsstraße und Park bauen wollte, stießen die hinzugezogenen Archäologen am höchsten Punkt des Hugelzuges auf die Fundamentreste des sogenannten „dreischläfrigen Galgens“. Daneben fanden sie eine kreisrunde Grube von rund 2 Metern Durchmesser. Es war die Radgrube: Über ihr wurden die gebrochenen Gliedmaßen der zum Tod durch Rädern Verurteilten in die Speichen eines mannsgroßen Rades geflochten. Nun ist es schwierig, in Gräbern von Richtstätten einzelne Individuen auszumachen. Die meisten von ihnen warf man ohne großes Aufhebens einfach in Sammelgruben. Dementsprechend dicht gedrängt und ungeordnet liegen die Knochen. Hinzu kam, dass die Verurteilten nach ihrem Tod häufig noch so lange am Galgen hingen oder ans Rad geflochten blieben, bis die Verwesung so weit fortgeschritten war, dass nur noch Einzelteile übrig waren. Manchmal entwendeten auch wilde Hunde oder Diebe die eine oder andere Extremität. Da Hochgerichte überwiegend an den großen Zufahrtsstraßen der Städte lagen, hatte die Praxis der ausgedehnten Zurschaustellung einen hohen Signalwert. Reisende, die sich der Stadt näherten, wussten sofort: Mit diesen Stadtherren ist nicht zu spaßen. Schon von Weitem wehte ihnen der Verwesungsgeruch als deutliche War nung entgegen. So ist es eher verwunderlich, dass die Archäologen an der
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Richtstätte „untenaus“ neun Einzelgräber mit relativ unversehrten Skeletten vorfanden. Einer dieser Toten lag auf dem Bauch. Wollte man ihn daran hindern, das Grab wieder zu verlassen? Oder hatten ihn die Henkersknechte nur so achtlos in seine Grube geworfen, dass er versehentlich falsch herum zu liegen kam – und niemand störte sich daran? Eine Grube im Inneren des Galgensockels enthielt Teile von mindestens vier Toten. Ob es jedoch ganze Individuen waren oder nur einzelne Körperteile, die vom Galgen mehr oder weniger zufällig in die Grube hinab fielen, als die Muskeln und Sehnen verfault waren, ließ sich nicht mehr feststellen. Etwas vollständiger waren die zehn Skelette einer weiteren Grube. Anhand der Schnallen und Nadeln, die einst die Kleidung der Toten zusammengehalten hatten, konnten die Archäologen bestimmen, wann sie gestorben waren: im Spätmittelalter. Die anthropologische Untersuchung ergab, dass es ausschließlich Männer waren, viele von ihnen noch nicht oder gerade erst erwachsen. Wo man noch zusammenhängende Arme erkennen konnte, waren diese oft auf dem Rücken zusammengebunden. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Stricke der Fesseln zu lösen, in denen sie gestorben waren. Wahrscheinlich waren diese Toten zu zwei verschiedenen Zeitpunkten in die Grube gelangt. Vielleicht wurde für ein wichtiges Ereignis oder zu einem bestimmten Zeitpunkt der Galgen abgeräumt und alles, was dort hing – egal in welchem Zustand –, warf man in eine Grube. Ähnlich sah es auch in einer dritten Grube aus. Am Rand der Vertiefung konnten die Archäologen Pflocklöcher ausmachen – vermutlich lag, solange die Grube noch nicht gefüllt war, eine Holzab deckung auf diesen Pfosten. Es hätten am Ende noch mehr Leichen hineingepasst. Doch zu einem Zeitpunkt entschied man offenbar, dass es besser sei, die Grube zu versiegeln. Und zwar gründlich: mit sechs riesengroßen Felsbrocken. Dort sollte niemand mehr herauskommen können. Bislang sind nur wenige Richtplätze mit den dazugehörigen Bestattungen überhaupt archäologisch ausgegraben. Kein Wunder, denn Reichtümer oder andere interessante Grabbeigaben wird man
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bei den zu Tode Verurteilten kaum finden. Schon zu Lebzeiten haben sie schließlich aller Wahrscheinlichkeit wenige Wertsachen besessen. Im Schatten der Galgen liegen folglich nur die nackten Knochen, und eben solche interessierten bei Ausgrabungen bis vor Kurzem noch niemanden und wurden häufig mehr oder weniger achtlos bei Seite gelegt. Marita Genesis stellte mit ihrer Doktorarbeit zum Gericht von Alkersleben in Thüringen im Jahr 2014 eine der ersten auf dem neuesten Stand publizierten Richtstätten überhaupt vor. Auch sie musste dabei allerdings in weiten Teilen auf eine Altgrabung von 1971 zurückgreifen, die von den damaligen Ausgräbern nur notdürftig dokumentiert worden war. Eines wird beim Blick auf die Gräber um den Galgen sofort deutlich: Die Alkerslebener fürchteten sich vor Untoten. Nun wäre der Hügel von Alkersleben auch ohne Galgen schon ein gruseliger Ort, zum einen war er schon immer eine Stätte, an der die Menschen der Region ihre Toten bestatteten. Die ältesten Knochenfragmente datieren bereits auf die Zeit von 762 bis 538 vor Christus – also lange bevor die ersten Holzbalken des Galgens in den Himmel ragten. Vorgeschichtliche Grabhügel galten vielerorts als nicht ganz geheuer, oft ranken sich lokale Legenden um diese Plätze. Und zum anderen lag der Galgen auch noch an einer Wegkreuzung. Die Ausfallstraße, an der dieses Hochgericht den Reisenden Respekt einflößen sollte, war die alte Nürnberger Geleitstraße. Einst konnte man hier als Händler sicheren Geleits von Nürnberg oder Augsburg an Wertheim vorbei zu den Frühlings- und Herbstmessen nach Frankfurt reisen. An der Stelle des Hochgerichts, nur 1,5 Kilometer von Alkersleben entfernt, schnitt ein kleinerer Weg diese Geleitstraße. Nun galten Wegkreuzungen schon von jeher als Orte, an denen es nicht mit rechten Dingen zuging. An einer Wegkreuzung auf einem vorgeschichtlichen Grabhügel und dann auch noch unter einem Galgen einen vor seiner natürlichen Zeit zu Tode Gekommenen ohne Bannmaßnahmen in die Erde zu legen – das muss nach dem stark vom Aberglauben geprägten mittelalterlichen Verständnis schon als purer Leichtsinn gelten. Von daher sollte es wenig verwundern, wenn die Alkerslebener entsprechende Vorsichtsmaßnahmen trafen.
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Zwölf Mal konnten die Ausgräber Bannriten feststellen – bei insgesamt rund 75 Gräbern, und das sind nur die eindeutigen Fälle, in denen die Toten mit Steinen beschwert wurden oder auf dem Bauch begraben lagen. Wer weiß, wie viele der für ihre Hinrichtung gefesselten Toten auch im Grab gefesselt bleiben sollten, um nicht des Nachts wiederzukommen? Oder wie vielen Verbrechern man den Kopf gar nicht bei Vollstreckung des Urteils, sondern erst nachträglich abtrennte, damit sie im Grab blieben? Sowohl Fesseln als auch abgetrennte Köpfe sind für einen Richtplatz allerdings so voraussehbar, dass sie hier nicht als Beleg für die Furcht vor Untoten gelten können. Besonders auffällig war der unter Steinen begrabene Tote in Grab 10. Rechts und links neben ihm lagen zwei schwere Blöcke aus Muschelkalkstein, nach innen über seinen Körper gekippt. Wo die beiden Blöcke nicht ausreichten, so im Fußbereich, schichtete man teilweise sogar zwei Lagen kleinere Steine übereinander. Lediglich die Schultern und der Kopf blieben am Ende noch frei. Marita Genesis bemerkt, dass dieser Mann zu den frühesten Bestattungen auf dem Galgenhügel gehört – er starb bereits im 12. oder 13. Jahrhundert – und damit in einer Zeit, als es noch keine amtlich beschäftigten Scharfrichter gab. Dieser Beruf entstand erst im Laufe des 13. Jahrhunderts. Vorher gab es mehrere Möglichkeiten, einen Verurteilten zu töten. In manchen Fällen stand dem Kläger das Recht zu, dem Leben des Angeklagten ein Ende zu setzen, oder jemand erklärte sich gegen Bezahlung dazu bereit. Fand sich niemand, der die Aufgabe freiwillig übernehmen wollte, musste der jüngste Ehemann das Urteil vollstrecken. Es sind Fälle überliefert, in denen ihm dieses Los allerdings erleichtert wurde, indem er es lediglich war, der dem Verurteilten die Schlinge um den Hals legte – am Strang zogen dann alle Dingpflich tigen gemeinsam. Auf jeden Fall waren es in jenen frühen Jahren keine vollberuflichen Henker, sondern Privatleute, die einen verurteilten Verbrecher vom Leben in den Tod befördern mussten. Entsprechend groß wird ihre Angst gewesen sein, der Getötete könne wiederkehren und sich rächen. Die Toten aus Grab 18 und 19 wurden gleichzeitig bestattet – beide mit einem schweren Stein auf der Brust. Die ursprüngliche
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Lage lässt sich allerdings nur schwer rekonstruieren. Als die Ausgräber sie fanden, ruhte der Oberkörper des Toten aus Grab 19 unter dem rechten Bein des Toten von Grab 18. Außerdem hatte er die Knie stark angewinkelt, und sein Kopf lag auch nicht dort, wo er liegen sollte, sondern etwas abseits. Auch dem Toten aus Grab 5* hatte man den Brustbereich mit Steinen beschwert, die junge Frau aus Grab 26 fanden die Ausgräber mit einem Stein, der ihr vom Gesicht gerutscht war. Den Mann aus Grab 2* sollten gleich mehrere Steine bannen. Er trug nicht nur Steine auf der Brust und auf der Stirn, sondern zusätzlich noch einen kleinen im Mund. Obwohl er aller Voraussicht nach am Strang starb, durfte er einige seiner Besitztümer behalten: eine Tonmurmel und einen Würfel. Schwieriger wird ein Bannritus bei den Toten nachzuweisen, deren Position von den üblichen Bestattungsbräuchen abweicht – also in diesem Fall ausgestreckt auf dem Rücken in West-Ost-Richtung. Ein ziemlich eindeutiger Fall ist jedoch die junge Frau aus Grab 11. Denn sie lag nicht nur auf dem Bauch – sondern trug gleichzeitig auch noch einen schweren Stein auf ihrem Rücken. Besonders interessant sind auch die Toten von Grab 30 bis 33. Sie alle lagen zusammen in einer Grube – und drei von ihnen auf dem Bauch. Wollte der Totengräber hier möglicherweise ganz auf Nummer sicher gehen? Nicht ganz klar ist, ob die Frau aus Grab 34 tatsächlich hingerichtet wurde. Sie starb letztendlich durch einen schweren Schlag auf den Kopf. Aber nicht nur ihr Schädel, auch weitere Knochen zeigen Brüche, und einige ihrer Knochen sind verkohlt: Sie sieht eher wie das Opfer einer Katastrophe aus. Vielleicht durfte sie deshalb nicht auf dem regulären Friedhof liegen, weil sie vor ihrer Zeit eines gewaltsamen Todes gestorben und somit zum Wiederkehren verdammt war. Jedenfalls wurde sie nur hastig und oberflächlich verscharrt – so wie auch die ebenfalls auf dem Bauch bestattete Frau aus Grab 41, die am Strang starb und noch im Tod ihre Fesseln trug. Auf dem Hochgericht von Alkersleben ließen vom 10. bis zum 14. Jahrhundert die Verbrecher der Region ihr Leben. Das ist eine lange Zeit mit vielen Toten. Viele von ihnen haben keine Spuren hin terlassen. Möglicherweise haben Tiere ihre Knochen verschleppt, be-
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vor sie unter die Erde gelangen konnten, und manchmal gebrauchten auch Quacksalber die Körper von verurteilten Verbrechern für allerlei Heilmittel. Auffallend ist auf jeden Fall, wie ernst die Alkerslebener die Möglichkeit nahmen, dass die Gehängten, Geräderten und Enthaupteten nach ihrem Tod wiederkehren könnten. Obwohl es eine furchtbare Aufgabe gewesen sein muss, die schon stark verwesten Leichen zu beseitigen, positionierten die Totengräber die Überreste sorgsam oder schleppten Steinbrocken herbei, um sie im Grab zu beschweren. Im polnischen Gleiwitz dagegen betrieb man mit hingerichteten Verbrechern weniger Aufwand. Dort kannte man scheinbar nur eine Methode, um sie auf immer und ewig unschädlich zu machen: Man schlug ihnen den Kopf ab. Schon als die Ausgräber um den Chefarchäologen Jacek Pierzak von der Denkmalschutzbehörde in Kattowitz im Jahr 2013 bei einer Notgrabung zum Bau einer Umgehungsstraße die ersten vier Toten fanden, deren Schädel abgetrennt zwischen den Händen oder Knien lagen, vermuteten sie vage, dass sie hier auf einen „Vampirfriedhof“ gestoßen sein könnten. Doch das war erst der Anfang, insgesamt sollten es 17 werden – von nur 43 Bestat tungen auf dem ganzen Friedhof. Einige der Geköpften hatte man zusätzlich sogar noch mit Steinen beschwert. Damit gab es keinen Zweifel mehr, hier lagen prozentual mehr Vampire beisammen als von irgendeinem anderen Ort bekannt. Ganz in der Nähe soll einst eine Richtstätte gelegen haben. Das könnte erklären, warum die Bewohner von Gleiwitz so viele der Toten um einen Kopf kürzten. Möglicherweise hatte hier tatsächlich das Richtschwert gewütet. Doch warum legte man dann den Toten die Schädel nicht auf den Hals, sondern zwischen Hände oder Füße? Sicher ist sicher, so konnten sie nicht wiederkehren. Die Skelette zu datieren, ist allerdings schwierig. Wie es typisch für gerichtete Verbrecher war, wurden sie ohne Beigaben bestattet, die eine Datierung erleichtert hätten. Wahr scheinlich aber stammten sie alle aus dem 15. oder 16. Jahrhundert. Will man also Vampirgräber meiden, empfiehlt es sich, um ehemalige Hochgerichte einen großen Bogen zu schlagen. Richtstätten sind allein aufgrund ihrer Verbindung mit dem Tod natürlich prä-
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destiniert für Spukgeschichten. Kommen wir in ihre Nähe, richten sich die feinen Härchen auf unserer Haut auf. „Hier ist der Tod anwesend“, flüstert uns unser Unterbewusstsein zu, „sei wachsam!“ Unsere Sinne werden schärfer, unser Körper bereitet sich unbewusst auf eine Flucht vor. An einem Ort, wo der Tod zu Hause war, bleibt die Erinnerung an ihn noch lange haften.
Müssen es immer Vampire sein? – Alternative Deutungen
Kaum ein Bereich der menschlichen Existenz ist so reguliert wie der Tod. Während innerhalb einer gesunden, funktionierenden Gesellschaft jedem Mitglied viel Raum für individuelle Entfaltung zur Verfügung steht, ist der Spielraum für Abweichungen von der Norm nach dem Ableben sehr eng. Sein Haus mag sich jeder bauen, wie er will – sein Grab aber muss strengen Regeln folgen. Selbst heute, in einer Zeit, in der das Recht auf Individualität einen sehr hohen Stellenwert genießt, kann die Lektüre jeder durchschnittlichen Friedhofsverordnung Beklemmungen auslösen. Zentimetergenau müssen die Grabsteine der Norm entsprechen, und selbst die Bepflanzung ist streng reglementiert. Bei so genau definierten Regeln muss jede Abweichung von der Norm stutzig machen. Für eine ungewöhnliche Lage des Toten, für eine Beschwerung mit Steinen oder für eine Fixierung der Leiche mit Nägeln oder Pflöcken mag es zwar verschiedene Erklärungen geben – aber Zufall wird es in den wenigsten Fällen gewesen sein. Hinter den allermeisten Abweichungen steckt eine Intention. Am einleuchtendsten ist dies bei großen Steinen, die über dem Toten platziert wurden – denn sie zu bewegen, bedarf es einer gehörigen Kraftanstrengung. Wühlmäuse, Füchse oder Dachse können sie nicht in Position gebracht haben. Findet ein Archäologe nun einen großen Stein über einem Skelett, wird er sich zunächst die Bodenbeschaffenheit in der Umgebung des Grabes anschauen. Kommen dort weitere große Steine vor? Dann ist es möglich, dass der Stein beim Aushub des Grabes zu Tage kam und vom Totengräber bei der Verfüllung als Erstes wieder hineingerollt wurde. Liegen dort aber kei-
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ne weiteren großen Steine, wurde er wahrscheinlich aus einiger Entfernung herbeigeholt und in voller Absicht auf die Leiche gelegt. Auch wenn mehrere Steine an bestimmten Stellen platziert wurden, zum Beispiel auf dem Schädel, der Brust oder den Beinen, liegt die Vermutung nahe, dass eine Absicht dahintersteckte. Dann wird der Archäologe schauen, ob der Stein genau auf der Leiche lag – oder ob zwischen Stein und Knochen eine dünne Erdschicht zu sehen ist. Je dichter der Stein auf die Knochen presst, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er den Leichnam tatsächlich beschweren sollte und nicht zur Verfüllung des Grabes gehört. Etwas anders ist die Situation, wenn der Tote nicht mit einzelnen Steinen, sondern mit einer ganzen Schicht davon bedeckt wurde. In diesem Fall wäre es auch denkbar, dass man verhindern wollte, dass Tiere Teile der Leiche verschleppen. Hier muss der Ausgräber dann entscheiden, ob das eine plausible Erklärung wäre. Ist das Grab zum Beispiel ausreichend tief angelegt, wäre der Tote auch ohne Steine ausreichend geschützt gewesen. Auch besonders schwere Steine sprechen eher gegen einen Schutz vor Tieren, denn hier hätte man mit weitaus weniger Aufwand den gleichen Effekt erzielen können. Die Tierwelt kann tatsächlich für einige Veränderungen an Skeletten verantwortlich gemacht werden. Gerade Dachse sind außergewöhnlich ordnungsliebend. Ihren Bau möchten sie immer so aufgeräumt wie möglich halten. Also schaffen sie alles, was ihnen in die Quere kommt – wie etwa menschliche Knochen – nach draußen. Im Herbst 2012 beispielsweise betätigte sich im brandenburgischen Stolpe ein Dachs als Archäologe: Er grub ein mittelalterliches Skelett aus und deponierte die Knochen auf seinem Abfallhaufen. Zwei Hobbyarchäologen entdeckten den Beckenknochen vor dem Ausgang. Sie führten eine Kamera in den Bau ein, um zu schauen, ob dort vielleicht noch mehr zu finden sei. Tatsächlich hatte das Tier offenbar die Knochen nach draußen geschafft, wertvollen Schmuck jedoch für sich behalten. Der Dachs war auf ein slawisches Fürstengrab gestoßen. Aber auch kleinere Tiere können ein Skelett deutlich in Un ordnung bringen. Wie lässt sich unterscheiden, ob ein Brustkorb von
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Vampirjägern auf der Suche nach dem Herzen in Unordnung gebracht wurde – oder von einer Wühlmaus? Das verraten die feinen Kratzspuren an der Knochenoberfläche. Zähne und Krallen hinterlassen deutlich andere Scharten als scharfe Klingen oder die Zinken einer Forke. Anthropologen können an den Scharten in den Knochen nicht nur ablesen, wer sie verursachte – sondern auch, aus welcher Richtung der Gegenstand kam, der sie schlug. Die Seite, auf der er zuerst auftraf, ist in der Regel scharf abgegrenzt, während die gegenüberliegende Seite, dort wo die Klinge am Knochen abrutschte, ausfasert. Dieses Detail ist möglicherweise von Bedeutung, wenn der Kopf eines Toten abgetrennt zwischen den Beinen liegt. Handelt es sich „nur“ um einen hingerichteten Verbrecher oder doch um einen Untoten? Der Unterschied liegt in der Richtung des Schwerthiebes. Verbrecher, die zum Tode durch das Schwert verurteilt wurden, mussten üblicherweise den Kopf mit der Stirn nach unten auf einen Richtblock legen. Traf das Schwert des Henkers auf den Hals, fuhr die Klinge von hinten nach vorne durch die Knochen. Wollte man einen Untoten unschädlich machen, indem man ihn den Kopf abtrennte, geschah dies üblicherweise jedoch in umgekehrter Richtung: Der Tote lag auf dem Rücken, der Kopf wurde ihm von oben her abgeschlagen. Ein weiteres Indiz für die Bestattung von Untoten ist die Aus richtung des Grabes. Weicht sie von der christlichen West- Ost-Achse ab, drängt sich schnell der Verdacht auf, dass hier ein ruheloser Toter unschädlich gemacht werden sollte. Doch auch hier ist Vorsicht geboten. Wie christlich war denn die auf dem Gräberfeld bestattete Gemeinschaft überhaupt? Nur dort, wo das Christentum entsprechend streng praktiziert wurde und keine Ausnahmen erlaubte, ist eine Abweichung tatsächlich als Hinweis auf einen Untoten zu werten. Es kann allerdings auch vorkommen, dass ein Begräbnis davon abweicht, weil der Glaube im Gegenteil eine sehr große Rolle spielte. Dann nämlich, wenn der Tote in unmittelbarer Nähe eines Altares oder einer besonders heiligen Reliquie liegt. Auf solche heiligen Zentren wurden besonders wichtige Verstorbene gerne auf diese ausgerichtet,
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die wenigen Plätze waren sehr begehrt. In diesen Fällen war die Nähe zum Altar oder zur Reliquie wichtiger als die korrekte Ausrichtung von Ost nach West. In einigen wenigen Fällen wird eine überhöhte Christlichkeit auch der Grund für Bestattungen in Bauchlage gewesen sein. Überliefert ist dies sogar für einen ganz berühmten Toten: Pippin der Jüngere, der Vater Karls des Großen. Nach seinem Tod am 24. September 768 in Saint-Denis soll er bei der dortigen Klosterkirche in Bauchlage bestattet worden sein. Er selber hatte es sich so gewünscht, um öffentlich seine Demut und Gottesfürchtigkeit zu demonstrieren. Diese als Proskynese bekannte Unterwerfungsgeste wurde schon in der Antike am Hof der Perserkönige praktiziert, die katholische Kirche kennt sie auch von Heiligenbildern oder Ikonen. Pippin jedenfalls ließ sich in Bauchlage bestatten, weil er das Bedürfnis verspürte, auch im Tod noch Buße zu tun. Ob der Wunsch ihm tatsächlich gewährt wurde, wissen wir nicht. Denn als im Jahr 1793 Revolutionäre die Königsgräber von Saint-Denis plünderten, war das Grab Pippins eines der Ersten, aus dem sie die Knochen rissen und in ein Massengrab warfen. Gelegentlich wird auch diskutiert, ob ein Toter in Bauchlage geriet, weil versehentlich der Sarg bei der Bestattung herunterfiel oder sonst wie in heftige Bewegungen versetzt wurde. Ob dies möglich ist, versuchten Wiener Archäologen im Jahr 1995 zu klären. Sie liehen sich von einer Sargfabrik einen Standardsarg für eine Testreihe. Aber es gelang ihnen nicht, einen menschlichen Körper auf diese Art im Sarg in die Bauchlage zu wenden. Höchstens der Kopf lag hinterher zur Seite geneigt und die Beine konnten überkreuz zu liegen kommen, der Körper als Ganzes ließ sich jedoch nicht drehen. Wenn nun aber der Tote aktiv versucht, sich im Grab zu drehen – weil er irrtümlich als Scheintoter beerdigt wurde und nach dem Aufwachen versuchen will, den Sargdeckel mit dem Rücken emporzudrücken? Das, so stellten die Wiener Archäologen fest, ist durchaus möglich. Allerdings dürften derartige Fälle auch vor Erfindung von lebensüberwachenden Maschinen extrem selten vorgekommen sein. Denn noch bis weit ins vorige Jahrhundert war es üblich, vor der Bestattung noch eine lange
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Zeit mit dem Leichnam zu verbringen. Eine Totenwache konnte sich über viele Tage hinziehen, bis alle Freunde und Verwandten von Nah und Fern angereist waren, um von dem Verstorbenen Abschied zu nehmen. Dass jemand ein Koma ohne technische Hilfsmittel über einen so langen Zeitraum überlebt hätte, ist sehr unwahrscheinlich. Außerdem fand die Totenwache zumeist nicht in gekühlten Räumen, sondern im Haus des Verstorbenen statt. Der Verwesungsprozess setzte also relativ bald ein, deutliche Zeichen wurden sichtbar. Blieben diese aus, hätte jeder der Anwesenden stutzig werden müssen. Glücklicherweise können wir also davon ausgehen, dass von allen vermeintlichen Untoten wohl kaum einer einfach nur versehentlich lebendig begraben wurde. Es gibt also verschiedene Merkmale, an denen ein Archäologe einen vermeintlichen Untoten erkennen kann: • • • • • •
eine Versteinung mit möglichst großen Steinen; ein Vermauern des Grabes; die umgekehrte Bestattung mit dem Gesicht nach unten; die umgekehrte Bestattung mit dem Kopf nach Osten; ein Abschlagen des Kopfes; das Durchbohren des Leichnams mit einem Holzpflock, Eisenstab oder mehreren Nägeln; • die Fesselung des Leichnams; • Münzen oder Steine im Mund. Diese Hinweise deuten darauf hin, dass befürchtet wurde, der Verstorbene könne zum Untoten geworden sein. Doch um zu verstehen, warum die Hinterbliebenen dies glaubten, muss man sich die Einzelschicksale anschauen. Wer war der Tote zu Lebzeiten? War er krank? War er anders als alle anderen? Hier können, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, die Anthropologen weitere Antworten geben.
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Wer waren die Untoten? – Die Forensik der Wiederkehr
Hinter jedem Toten steht eine Geschichte, ein ganzes langes Leben, und ebenso hinter jedem Untoten. Für jeden Verstorbenen, den die Hinterbliebenen in das Grab zu binden versuchten, gibt es eine Erklärung. In seinem Leben oder zu seinem Tod geschah etwas, das ihn verdächtig machte. Vieles davon lässt sich jedoch archäologisch nicht nachweisen. Wie soll man etwa an den Knochen ablesen, dass jemand in einer der Rauhnächte geboren und damit zur Wiederkehr aus dem Grab verdammt war? Das Geburtsdatum sieht der Ausgräber nicht, möglicherweise nur die schweren Steine auf seinen Knochen. Auch die Neigung zu Gewaltausbrüchen und Glücksspiel hinterlässt im Boden keine Spuren. Was bleibt, ist möglicherweise nur der abgehackte Kopf als Folge. Doch in anderen Fällen kann die Archäologie Erklärungen liefern. Wenn ein Mensch beispielsweise an einer Krankheit starb oder an einer Behinderung litt, die ihn verdächtig machte, dann kann der Ausgräber nicht nur die Bannmaßnahme, sondern auch den Grund dafür an seinen Knochen ablesen.
Untot durch Tuberkulose – JB und die Jewett City Vampires
Als Robert Koch im Jahr 1905 für die Beschreibung des TuberkuloseErregers Mycobacterium tuberculosis den Medizin-Nobelpreis ver liehen bekam, ehrte das Komitee damit seinen Beitrag zum Sieg über eine Krankheit, die bereits seit Jahrtausenden die Menscheit geißelt.
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Doch mit der Entdeckung des Bakteriums endete nicht nur die Ära der Tuberkulose. Auch eine der maßgeblichen Quellen für den Glauben an Vampire versiegte im Angesicht des neugewonnenen Wissens um die mikrobiologischen Ursachen der Krankheit. Schwindsucht wurde die Tuberkulose genannt, weil dieser Name so treffend den Zustand des Kranken beschreibt. Zunächst ist er auffällig müde und fühlt sich schwach, Appetit hat er kaum noch, zusehends verliert er an Gewicht – er schwindet regelrecht dahin. Wenn am Ende der Tod den Kranken erlöst, ist von seinem Körper nur noch eine ausgemergelte Hülle übrig. Weiß man nichts vom Mycobacterium tuberculosis, liegt eine andere Erklärung für das Leiden nahe: Ein Vampir, der Nacht für Nacht dem Leidenden erscheint und ihm sukzessive das Blut aus den Adern saugt. Vielleicht ist es sogar ein Verwandter. Da Tuberkulose ansteckend ist, folgen einem Toten in der Regel bald weitere Familienmitglieder oder engere Freunde nach. Bleibt Tuberkulose unbehandelt, endet sie in etwa 30 bis 40 Prozent aller Fälle tödlich. Vor den Errungenschaften Robert Kochs und den daraus erwachsenden Möglichkeiten der Bekämpfung war die Schwindsucht auch in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Ohne Rücksicht auf Alter, Geldbeutel oder Herkunft ereilte sie alle Gesellschaftsschichten. Zu ihren berühmtesten Opfern gehörten viele Schriftsteller, unter anderem Friedrich Schiller und Franz Kafka. Drei der sechs Geschwister Brontë starben daran, ebenso wie George Orwell und Robert L. Stevenson. Von den Komponisten nahm sie Chopin und Mendelssohn. Es ist noch nicht lange her, dass jeder auch bei uns im näheren Umfeld Menschen kannte, die an der Schwindsucht litten. Entsprechend groß war die Angst, selber zu erkranken – und damit ein guter Nährboden für die Legenden von den Untoten. Zeitweise konnte es in Gebieten, in denen die Tuberkulose wütete, sogar zu regelrechten Vampirhysterien kommen. Der wohl beste dokumentierte Fall einer solchen Hysterie ereignete sich Mitte des 19. Jahrhunderts an der US-amerikanischen Ostküste. Die archäologischen Belege für dieses Aufflammen des Vampirglaubens in Zeiten der Tuberkulose fanden drei Kinder an einem Nachmittag im Spätherbst des Jahres 1990 in der Kiesgrube bei
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Griswold im US-Bundesstaat Connecticut. Sie hatten nur gemacht, was Kinder ebenso machen: in einer Kiesgrube spielen – ordentlich Anlauf nehmen und dann mit voller Geschwindigkeit den steilen Abhang herunterschlittern. Als die drei Jungen so richtig in Fahrt waren, lösten sich aus der Grubenwand plötzlich zwei größere Objekte und purzelten mit ihnen den Hang hinunter. Unten angekommen bekamen die Kinder einen riesigen Schrecken: Das waren keine Steine. Sie hielten zwei menschliche Schädel in der Hand. Es war höchste Zeit, den Erwachsenen Bescheid zu sagen, die daraufhin die Polizei verständigten. Die Ordnungshüter befürchteten erst einmal das Schlimmste, da zwischen 1981 und 1984 der Serienmörder Michael Bruce Ross in der Gegend junge Frauen entführt, sie vergewaltigt und anschließend ermordet hatte. Acht Morde hatte er bei seiner Verhaftung gestanden – doch vielleicht gab es noch mehr Opfer? Diesen Verdacht konnte der Gerichtsmediziner schnell widerlegen, die Knochen waren offensichtlich alt. Hatten die Jungsen dann vielleicht den Schauplatz der großen Indianerschlacht gefunden, von der die Legenden erzählen, sie habe hier ganz in der Nähe stattgefunden? Auch dies war nicht der Fall, stellte der nun hinzugezogene Chefarchäologe des Bundesstaates Connecticut, Nicholas Bellantoni, schnell fest, als er die Fundstelle untersuchte. Denn dort lagen noch weitere Skelette, in dunkel verfärbten Gruben mehr oder weniger ordentlich nebeneinander aufgereiht. Außerdem ergab die Laboruntersuchung, dass die Jungen keine Indianerschädel gefunden hatten, sondern die Köpfe von Europäern. Sie waren in den privaten Friedhof einer Einwandererfamilie aus der Alten Welt hineingeschlittert. Der Boden Neuenglands ist gespickt mit diesen kleinen, längst vergessenen Familienfriedhöfen aus Pioniertagen. In den ländlichen Gegenden gab es keine kommunalen Gottesäcker, also bestattete man seine Toten eben zu Hause, in einer abgelegenen Ecke der eigenen Farm. Das Leben war hart, gestorben wurde viel und jung – die meisten Toten waren Kinder. Die Verstorbenen legte man ohne große Umstände im schlichten Totenhemd in einfache Holzsärge, die Arme brav über der Brust gekreuzt.
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Zwei Gräber aber machten Bellantoni neugierig. Sie waren ummauert: Grab Nr. 5 von einer Gruft aus Feld- und Ziegelsteinen, Grab 4 von großen Steinplatten. In der Gruft 5 lag ein Teenager. Mit „NB13“ hatte man mit kleinen Messingnägeln die Initialen und das Sterbealter auf den Sarg gehämmert, Gruft 4 beherbergte demnach „JB“, der im Alter von 55 Jahren verstorben war. Als Bellantoni die erste Steinplatte der Abdeckung hob, fand er die Reste eines rot bemalten Holzsarges und die skelettierten Füße des Toten. Alles schien normal. Doch unter der oberen Steinplatte war nichts mehr so, wie es sein sollte. Der Kopf lag nicht dort, wo er hingehört, sondern auf der Brust – und darunter die gekreuzten Oberschenkelknochen – wie ein Jolly Roger, das Motiv der Piratenflaggen. Auch der Brustkorb hatte gelitten, die Rippen waren zertrümmert. So ein Arrangement ist mit einer frischen Leiche nicht möglich. Niemand kann einem kürzlich Verstorbenen den Kopf und die Oberschenkel abschlagen, ohne grobe Hackspuren zu hinterlassen. Das geht erst, wenn die Leiche schon so weit verwest ist, dass Haut, Muskeln und Sehnen die Knochen nicht mehr zusammenhalten. Etwa fünf bis zehn Jahre müssen nach dem Tod JBs vergangen sein, bevor jemand sein Grab öffnete und sein Skelett neu arrangierte. Was war hier passiert? Ein Dummejungenstreich? Die Grabplatten waren zu schwer, um sie mal eben für eine makabere Idee oder eine Mutprobe beiseitezuschieben. Waren es Grabräuber auf der Suche nach Wertgegenständen? Die würde nicht mal der Naivste auf einem armseligen Friedhof wie dem von Griswold vermuten. Schließlich brachte ihn ein Kollege auf die Spur der „Jewett City Vampire“. Bellantoni begab sich mit diesem neuen Hinweis auf die Suche und stieß schnell auf die Familie Ray aus Jewett City. Der erste Ray, der 24-jährige Lemuel, starb 1845 an der Schwindsucht. Ihm folgte 1851 sein Vater Henry, nur zwei weitere Jahre später auch die 26-jährige Schwester Elisha sowie ein Bruder. Als 1854 schließlich auch noch Henry Junior, der älteste der Ray-Brüder, erste Symptome der Schwindsucht zeigte, beschloss die Familie, zu handeln. Die Lokal zeitung, der Norwich Courier, berichtet davon, wie schließlich am 8. Juni 1854 die noch übrigen Rays sowie einige Freunde auf den
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Friedhof zogen. Sie gruben Lemuel und Elisha aus und verbrannten die halbverwesten Leichen an Ort und Stelle. Die Ray-Familie tat genau das, was ihre Vorfahren in der Alten Welt mit vermeintlichen Vampiren getan hatten: das Abschlagen des Kopfes, das Entnehmen des Herzens – und wenn das nichts half, das Verbrennen des vermeintlichen Untoten. Der hier überlieferte Ort befand sich nur unweit der Kiesgrube, und auch zeitlich gab es Parallelen zum Todesdatum JBs. Gab es vielleicht eine Verbindung zwischen den Rays und dem Toten aus Griswold? Wer war dieser JB zu Lebzeiten gewesen? Einen Namen konnte Bellantoni ihm bis heute nicht geben. Die Kirchenbücher listen viele Familien, deren Namen mit B beginnt. War er ein Brown? Ein Bishop? Ein Bennett, ein Burnham, ein Bissell oder ein Burton? Auf jeden Fall war er mit einer Körpergröße von 1,80 Metern außergewöhnlich groß, einer der größten Männer auf dem ganzen Friedhof. Seine Zähne waren bei seinem Tod nur noch verfärbte Stumpen, zerfressen von Karies – zumindest diejenigen, die überhaupt noch übrig waren. Das rechte Schlüsselbein hatte er sich irgendwann einmal gebrochen – gerichtet hat es ihm aber niemand, es heilte schlecht zusammen. Eine Arthrose im linken Kniegelenk verursachte wahrscheinlich ein Hinken und mit Sicherheit große Schmerzen bei jedem Schritt. Auch um den Fuß stand es schlecht, der Knochen zeigt zahlreiche krankhafte Veränderungen. Wahrscheinlich litt JB ebenfalls an Tuberkulose, dazu passen auch weitere Knochenveränderun gen an den oberen Rippen auf seiner linken Seite. Er starb also an genau der Krankheit, für die man die Rays im Nachbardorf halbverwest exhumiert und verbrannt hatte. Etwa zeitgleich hatte man JB den Kopf abgeschlagen, damit er nicht mehr denken, fühlen und sehen kann, das halbverweste Herz aus dem Brustkorb geholt, damit es nicht mehr schlagen kann, die Beine gestört, damit sie nicht mehr laufen können. JB sollte offensichtlich sein Grab nie mehr verlassen. Bellantoni hatte kein Serienkiller-Opfer gefunden, sondern einen Vampir. Es ist der greifbarste Fall eines Untoten, den wir haben. Wir kennen Zeitungsberichte über die Vampirhysterie in der Gegend zum Zeitpunkt seines Todes. Wir wissen
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viel über seine Person und die Krankheiten, an denen JB litt. Und wir haben die archäologischen Beweise seiner Vernichtung. Ein detaillierteres wissenschaftliches Bild eines Untoten ist kaum überliefert.
Untot durch Pest – Verzweifelte Maßnahmen gegen das Massensterben
Im Gegensatz zur langsameren Tuberkulose tötet die Pest sehr schnell und sehr viel mehr Menschen auf einmal. In den europäischen Ballungszentren wie London, Hamburg oder Bremen waren die Todesraten extrem hoch, dort starben vermutlich mehr als 60 Prozent aller Einwohner. Stellenweise wurden ganze Landstriche entvölkert. Um 1350 gab es in Deutschland etwa 170.000 Siedlungen. 100 Jahre später waren davon gerade noch einmal 130.000 übrig. Die normalen Friedhöfe reichten gerade in den Großstädten in Pestzeiten oft nicht aus. Die Totengräber kamen mit dem Aushub der Gräber nicht hinterher, in vielen Fällen gab es auch keine gesunden Angehörigen mehr, die sich um eine geregelte Bestattung hätten kümmern können. Darum gingen die Städte dazu über, spezielle Pestfriedhöfe anzulegen, in denen die Toten in Massengräbern beigesetzt werden konnten. Einen solchen Friedhof aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts fanden Archäologen beispielsweise in Anklam im Kreis Ostvorpommern. Es müssen schlimme Zeiten gewesen sein. Der Anklamer Chronist Stavenhagen berichtet für das Jahr 1638 von einem furchbaren Ausbruch des Schwarzen Todes: „Die Pest unter den Menschen, und die Seuche unter dem Hornvieh machten das Elend größer. Wenig blieb von letzterem stehen, und der beste Kern der Bürger, bis auf den letzten Theil des ganzen, legte sich schlafen.“ Der „beste Kern“ waren zwei Drittel der Bürger der Stadt. Die Gräber, auf welche die Archäologen zwischen 1994 und 1997 unter dem Pflaster des Pferdemarktes stießen, bestätigen die Geschichte Stavenhagens. Das Gräberfeld gehörte nicht zum Hauptfriedhof des Ortes an der Marienkirche – es war der Friedhof für Notzeiten, in denen mehr Menschen starben, als der kirchliche Friedhof aufnehmen konnte.
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Die Toten wurden hastig bestattet, entweder in grob zusammengezimmerten Holzsärgen oder auch einfach nur in Tücher gewickelt. Manchmal, wenn kein Sarg zur Hand war, tat es auch eine Holzkiste mit Vorhängeschloss, wie bei zwei Kindern in Grab 10. In diesen Zeiten, zu denen die Pest wütete, war der Glaube an Untote oft besonders lebendig. Der Erreger Yersinia pestis wurde erst 1894 entdeckt. Vorher gab es keine wissenschaftlich belegte Erklärung für die rasche Ausbreitung der Krankheit. Giftige Ausdünstun gen des Bodens schienen ebenso plausibel wie fatale Planetenkonstellationen oder eben der Umstand, dass die Pesttoten aktiv ihre Ange hörigen und Freunde ins Grab nachholten. In Anklam jedenfalls scheint man daran geglaubt zu haben. Angesichts der Eile gerieten viele der Gräber ein wenig krumm und schief. Um Westen und Osten präzise zu bestimmen, fehlte die Zeit. Umso auffälliger ist, dass man sich offenbar mit der Bestattung eines etwa 1,60 Meter großen Man nes aus Grab 81 doch einige Mühe gab. Sein rechter Arm war nach oben abgewinkelt, die Hand ruhte auf einem großen Stein. Der linke Arm lag ausgestreckt neben dem Körper – bis auf die Handknochen, denn die fanden die Ausgräber in der Mitte der Unterarmknochen. In beiden Handgelenken steckten noch die Nägel, mit denen die Extremitäten festgenagelt worden waren: 8 Zentimeter lang und aus Eisen. Ein weiterer Nagel ragte oberhalb des rechten Hüftbeins hervor und hatte den Unterleib des Toten an den Erdboden fixiert. Möglicherweise hatte man auch das Herz des Toten entfernt, denn einige seiner Rippen waren gebrochen. Der merkwürdigste Fund aber war eine Holzschüssel, die über seinen Kopf gestülpt lag. Sollte sie dem Mann, falls er aufwachte, die Sicht und damit die Orientierung nehmen? Glaubten die Bürger von Anklam vielleicht, mit diesen Maßnahmen das große Sterben aufhalten zu können? Ein weiteres Beispiel für einen Pesttoten, den man verdächtigte, weitere Menschen ins Grab nachzuholen, stammt aus Venedig. Dabei wusste man ausgerechnet hier sehr genau, dass die Pest eine ansteckende Krankheit ist. Der erste Ausbruch der Pest hatte Venedig bereits im Februar oder März 1348 erreicht – auf genuesischen Schiffen aus der Hafenstadt Kaffa am Schwarzen Meer. Der
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venezianische Chronist Lorenzo de Monacis beschrieb, wie die Seuche in der Stadt wütete: „Die Gemäßigten, Zurückhaltenden, Keuschen, Nüchternen wurden ebenso dahingerafft wie die Betrunkenen, Gefräßigen, Säufer und Schwelger, die Sparsamen und Verschwenderischen, die Kühnen und Schüchternen, diejenigen, die flohen, ebenso wie die, welche zurückblieben, und zwar ohne Beichte und die Sakramente der Kirche. Auch die frommen Kleriker und Priester befiel dasselbe Entsetzen, und die Pest tötete auch sie. Die ganze Stadt war ein Grab.“ Die Epidemie von 1348 war nur der Beginn des Schreckens. Wieder und wieder sollte in den kommenden Jahrhunderten die Pest aufflammen. Als Reaktion auf die wiederkehrenden Ausbrüche richtete 1423 die Stadt auf der Insel Lazzaretto Vecchio eine Quarantänestation ein. Wer erste Anzeichen der Pest zeigte, musste nun eine der mit weißen Tüchern verhängten weißen Todesbarken besteigen und wurde vom nur 50 Meter entfernten Lido auf die Insel gebracht, wo sich Ärzte um die Sterbenden kümmerten. Das „Kümmern“ beschränkte sich allerdings eher auf eine Inspektion des Zustands. Zu diesem Zweck trugen die Ärzte Stangen, mit denen sie die Kranken berühren konnten – mit den Händen fassten sie niemanden an. Zum weiteren Schutz vor Infektionen hüllten sie sich in dicke Gewänder und trugen Masken vor dem Gesicht. In den langen Schnäbeln dieser sogenannten Pestmasken steckten mit Essig und Kräuteressenzen getränkte Schwämme. Sie sollten die giftigen Ausdünstungen aus der Atemluft filtern. Der Anblick dieser Ärzte war prägend für die Stadt: Noch heute sind die Pestmasken mit ihren langen Schnäbeln eine der häufigsten Verkleidungen beim venezianischen Karneval. Es half nichts, die Seuche wütete weiter. 1510 oder 1511 malte Tizian während eines erneuten Ausbruchs den Stadtpatron Venedigs, den Heiligen Markus; ihm zur Seite stehen die beiden Ärzte Cosmas und Damian sowie die beiden Pestheiligen Rochus und Sebastian. Doch die Pest kannte keine Gnade, am Ende seines Lebens holte die Seuche auch den berühmten Maler und nahm seinen Sohn und seinen Gehilfen gleich mit. Tizian war einer der wenigen Pesttoten der Epidemie von 1576, der ein kirchliches Begräbnis bekam.
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Es ist einer der schlimmsten Ausbrüche, die Stadt versinkt nun im Chaos. Kaum ist der Maler tot, plündern Diebe seine Villa. Bis zu 500 Menschen sterben jetzt pro Tag. Längst reicht Lazzaretto Vecchio nicht mehr aus, um alle aufzunehmen, auch die zusätzlich als Peststation eingerichtete Nachbarinsel Lazzaretto Nuevo ist bald voll. Schiffe werden geräumt und an den Ufern der Inseln vertäut, um zusätzliche Kranke aufzunehmen. Die Chronisten berichten von grausamen Schreien, die zum Lido hinüberhallen. Einige Verzweifelte wollen nicht auf den Tod warten und ertränken sich im Wasser der Lagune. Verwirrte Kranke irren durch den Garten der Quarantäneanstalt und bleiben blutüberströmt in den Dornenhecken liegen. „Es sah aus wie die Hölle“, schreibt der venezianische Chronist Rocco Benedetti. „Die Kranken lagen zu dritt und zu viert in den Betten. Arbeiter sammelten die Toten ein und warfen sie Tag und Nacht in die Gräber, ohne Unterbrechung. Oft hielt man die Sterbenden und diejenigen, die zu krank waren, um sich noch bewegen oder sprechen zu können, für tot und warf sie auf die Haufen der Toten.“ Einen solchen Haufen von Toten fand Matteo Borrini, Archäologe und Anthropologe an der Universität von Florenz, als er 430 Jahre später ein rund 16 Quadratmeter großes Areal auf Lazzaretto Vecchio untersuchte. Dicht an dicht lagen die Knochen in der Grube. Es war ein kompliziertes Durcheinander. Die oberen Toten lagen ungestört, nach ihrem Tod hatte man die Grube verschlossen. Medaillons, die zwischen den Gebeinen lagen, datierten die Epidemie, der sie zum Opfer gefallen waren: Es war der Pestausbruch von 1630/1631. Darunter aber stießen die Ausgräber auf eine Schicht älterer Knochen. Die Spatenhiebe der Totengräber hatten einige Knochen zerstoßen. Als die Grube 1630/1631 neu ausgehoben wurde, müssen diese Leichen zumindest teilweise bereits skelettiert gewesen sein. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit konnte Borrini nachweisen, dass sein Team hier unten in der zweiten Schicht die Opfer der Epidemie von 1576 gefunden hatte. Am 11. August 2006 wurde der Archäologe an die Ausgrabungsfläche gerufen. Die Arbeiter waren auf etwas Ungewöhnliches gestoßen: Im Mund eines Schädels steckte ein riesiger Ziegelstein.
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Vorsichtig legte Borrini den Rest des Skelettes frei. Zumindest das, was von ihm erhalten war, denn die späteren Totengräber hatten nur den Oberkörper samt Schädel intakt gelassen. Und der muss, als er ihnen aus der Grabgrube entgegenschaute, noch relativ unverwest gewesen sein, denn Ober- und Unterkiefer lagen, trotz des großen Steines, der zwischen ihnen klemmte, im anatomisch korrekten Zusammenhang. Als der Stein zwischen sie geschoben wurde, müssen also Haut und Sehnen die Kiefer noch so fest zusammengehalten haben, dass der Unterkiefer nicht wegrutschten konnte. Die anschließenden Untersuchungen ergaben, dass der Schädel einer Frau gehört hatte, die im Alter von etwa 60 Jahren tatsächlich bei der Epidemie von 1576 gestorben war. Was sahen die Totengräber, als sie die Grube 54 Jahre später öffneten, um die ersten Toten eines neuen Pestausbruchs zu begraben? Wahrscheinlich hatte der wassergesättigte Boden der Insel die Verwesung so stark verlangsamt, dass die Frau erstaunlich gut erhalten gewesen sein muss. So gut, dass die Totengräber sie für eine Untote hielten? Dass sie ihr den Ziegelstein in den Mund schoben, um zu verhindern, dass sie weitere Menschen nachholt? Das wird man nie herausfinden können. Erfolg hatte die Maßnahme jedenfalls nicht. 40.000 bis 50.000 Menschen sollten in dem und dem darauffolgenden Jahr noch sterben, somit etwa ein Drittel der Bevölkerung Venedigs.
Untot durch Behinderung – Unheimlichkeit des Anormalen
In den Märchen und Sagen ist der Teufel häufig an einem besonderen Merkmal zu erkennen: Er hinkt. Der Grund für seine Behinderung variiert je nach lokaler Legende. Im Ruhrgebiet erzählt man sich, dass der Teufel frustriert war, weil die Seelen der Bergleute stets schnurstracks in den Himmel kamen. Also stattete er einem Bergwerk einen Besuch ab, um sich persönlich eine Bergmannsseele zu holen. Doch versehentlich geriet er an einen Sprengmeister. Der trickste den Teu fel aus und sprengte ihm mit einer gewaltigen Explosion den Fuß ab,
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und als Ersatz musste der Teufel sich einen Pferdefuß beschaffen. In der österreichischen Steiermark war es dagegen ein cleverer Bauer, der seine Seele dem Teufel verschrieben hatte. Als nun seine Zeit gekommen war, wollte er sie allerdings nicht hergeben. Also lockte er den Teufel unter eine Windmühle, deren Flügel ihm das linke Bein abschlugen. Auch hier kam zufällig gerade ein Pferd vorbei, dessen Fuß der Teufel sich statt seines eigenen ansetzte. In christlichen Interpretationen zieht sich der Teufel in der Gestalt des Luzifers dagegen die Beinverletzung bei seinem Sturz vom Himmel zu, nachdem er den Unwillen Gottes auf sich geladen hatte. Über die Gründe sind die Autoren sich nicht ganz eins. Im Buch Jesaja ist der Sturz aus dem Himmel die Strafe dafür, dass Luzifer danach strebt, sich über Gott zu stellen: „Jch wil in den Himel steigen / vnd meinen Stuel vber die sterne Gottes erhöhen. Jch wil mich setzen auff den berg des Stiffts / an der seiten gegen mitternacht. Jch wil vber die hohen wolcken faren vnd gleich sein dem Allerhöhesten“, heißt es in der Lutherübersetzung. Ezechiel dagegen stellt den gefallenen Engel in seiner Predigt als stolzen Cherub dar, dessen „Herz sich hob ob seiner Schönheit“. Das apokryphe Buch Adam und Eva aus dem 1. Jahrhundert nach Christus nennt die Weigerung, vor dem Menschen als Schöpfung Gottes niederzuknien, als Grund für die Strafe; im Buch Henoch ist es dagegen die Lust, die einer ganzen Gruppe von Engeln zum Verhängnis wird. John Milton lässt in seinem Epos Paradise Lost gleich ein ganzes Drittel der Engel gegen Gott rebellieren, weil sie seinen Sohn nicht als Herrscher anerkennen wollen. In allen Fällen aber endet die Geschichte gleich: Gott stürzt den oder die aufständischen Engel von Himmels Höhen hinab in die Hölle. Entsprechend suspekt erschienen in weniger aufgeklärten Zeiten auch Menschen, die beim Gehen ein Bein nicht voll belasten konnten oder es gar nachzogen. Bestand die Behinderung von Geburt an, war das Kind möglicherweise dem Teufel geweiht. War das Hin ken dagegen die Folge einer Verletzung im späteren Leben, könnte dieses eine Strafe Gottes gewesen sein, die den Geschädigten für alle sichtbar als abtrünnig vom guten Glauben und tugendhaften Leben brandmarkte. Wer hinkte, war nicht ganz geheuer.
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Interessanterweise gibt es eine ganze Reihe von Wiedergängerbestattungen bei Menschen mit Gehbehinderungen. In Diepensee, einem Ortsteil der Stadt Königs Wusterhausen im Landkreis DahmeSpreewald in Brandenburg beispielsweise scheinen hinkende Menschen keinen guten Ruf genossen zu haben. Der Ort bestand im Hochmittelalter nur für einen recht kurzen Zeitraum. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts gegründet, fiel er um die Mitte des 14. Jahrhunderts bereits wieder wüst. Erst nach einer Pause von rund 400 Jahren begannen sich hier wieder Menschen anzusiedeln. Die Einwohner mussten allerdings im Jahr 2004 weichen, als die Pläne für den Skandalflughafen Berlin Brandenburg konkret wurden. Bei den archäologischen Untersuchungen im Vorfeld der Bauarbeiten fanden die Ausgräber den mittelalterlichen Friedhof, auf dem 422 Menschen bestattet lagen, von denen man bei 28 offenbar vorsorglich Maßnahmen gegen eine Wiederkehr getroffen hatte. Einer der Toten war ein etwa 40 bis 50 Jahre alter Mann, der vor seinem Tod an einer schweren Gelenkentzündung des rechten Knies gelitten hat. Sie führte dazu, dass sein Knie in angewinkelter Posi Diepensee. Grab eines jungen Mannes, dem aus Nachzehrerfurcht ein Stein zwischen die Zähne gepresst wurde.
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tion Knie versteifte und ein normales Gehen damit unmöglich wurde. Als man ihn nach seinem Tod bestattete, legte man ihm einen großen Stein auf den Kopf. Mit einem Findling auf der linken Schulter fanden die Ausgräber eine etwa 25 bis 34 Jahre alte Frau. Die auffälligste Veränderung an ihrem Skelett war die starke Verkürzung des rechten Oberarms. Wahrscheinlich war dies die Folge eines Unfalls in der Kindheit, der zu einer Wachstumsstörung führte. Es war nicht ihr einziges Leiden, vermutlich hatte der Unfall noch mehr Schaden an ihrem Skelett angerichtet. Bei der Untersuchung ihrer Knochen fanden die Anthropologen einen verheilte Wirbelfraktur sowie eine deformierte Gelenkfläche am linken Knie. Wahrscheinlich blieb sie mit ihrem versehrten Körper zeitlebens eine Außenseiterin in der Gesellschaft von Diepensee – immer wieder litt sie an Unterernährung. Auch im Inneren der kleinen Kirche, die zu dem mittelalterlichen Friedhof gehört hatte, fanden die Archäologen ein Skelett, das mit Steinen beschwert wurde. Bei dem erwachsenen Individuum unbekannten Geschlechts war die Beinverletzung erst später im Leben aufgetreten. Am Schaft des rechten Schienbeins befand sich eine Verdickung, wie sie typischerweise von einem Unterschenkelgeschwür (Ulcus cruris), auch „offenes Bein“ genannt, verursacht wird. Da sie diese Spuren am Knochen hinterlassen hat, muss die Wunde tief und über einen langen Zeitraum hinweg offen gewesen sein. Ein Unterschenkelgeschwür eitert, riecht oft unangenehm und ist meist zudem sehr schmerzhaft – ein normales Auftreten ist mit einem offenen Bein kaum möglich. Die Angst vor der Wiederkehr dieses Toten bezog sich nachweislich tatsächlich auf diese Beinverletzung, denn der große Stein, der sie verhindern sollte, lag direkt auf dem betroffenen rechten Fuß. „Nicht jeder Verstorbene auf dem Friedhof von Diepensee, der an den Knochen Hinweise auf Erkrankungen zeigte, weist auch eine Versteinung auf“, warnt allerdings Anthropologin Bettina Jungklaus, „so wie nicht alle Individuen mit Versteinungen krankhafte Verän derungen erkennen lassen. Eine Krankheit scheint kein alleiniger Grund für die Versteinung zu sein, mag jedoch gewisse Einflüsse auf
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Neumeichow. Bestattung einer 45- bis 50-jährigen Frau aus spätslawischer Zeit, die mit drei großen Steinen in das Grab gebannt wurde.
die Behandlung des Toten gehabt haben.“ Ein Beispiel für eine von der Norm abweichende Bestattung, die jedoch nicht zwingend eine Maßnahme gegen das Wiederkehren der Toten gewesen sein muss, ist beispielsweise eine etwa 40-jährige Frau, die ebenso wie der Tote mit dem Unterschenkelgeschwür im Kircheninneren bestattet lag. Die Tote fanden die Ausgräber auf der Seite liegend mit stark angewinkelten Beinen, statt ausgestreckt in Rückenlage. Als die Anthropologin die Knochen untersuchte, stellte sie fest, dass der Gelenkkopf am linken Oberschenkelknochen fast vollständig fehlte. Wahrscheinlich war das Gelenk so stark entzündet, dass die Knochensubstanz sich aufgelöst hatte. Eine so schwere Entzündung muss unvorstellbare Schmerzen verursacht haben. Jungklaus vermutet, dass die Frau auf Grund der Schmerzen die Beine angehockt hielt, als sie starb – und dann in dieser Position begraben wurde. Man begrub allerdings nicht nur Menschen mit Beinverletzungen unter Steinen. Auch andere Verletzungen oder Krank-
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heiten, die jemanden zu Lebzeiten sichtbar entstellten, konnten Anlass zur Sorge geben, dass der Verstorbene nach dem Tod versuchen könnte, zurückzukehren. So erging es wohl einer Frau, die zu Beginn des 12. Jahrhunderts auf einem spätslawischen Gräberfeld nahe dem heutigen Dorf Neumeichow in der Uckermark bestattet wurde. Die etwa 45 bis 50 Jahre alte Frau war mit nur 1,51 Metern Körpergröße recht zierlich. Umso gewaltiger wirken die riesigen Felsblöcke, die man ihr auf dem Kopf und auf den Füßen platziert hatte. „Möglicherweise war die verstorbene Frau aus Neumeichow ihren Hinterbliebenen unheimlich“, vermutet Jungklaus, die auch dieses Individuum untersuchte, „denn sie wies am Schädel außergewöhnliche Missbildungen auf.“ Sechs Knochentumore, sogenannte Osteome, fand die Anthropologin auf ihrem Schädel. Gefährlich sind diese Wucherungen nicht, sie sind gutartig und wachsen nur langsam. Oft bleiben sie sogar unentdeckt. Im Fall der Frau aus Neumeichow aber war zumindest eines der Osteome nicht zu übersehen. Es hatte einen Durchmesser von 13 Millimetern, war 5 Millimeter hoch und saß direkt auf der Stirn über dem linken Auge. Für Neumeichow. Zwei Männer sind nötig, um während der Ausgrabung den Stein vom Kopf der Frau zu heben.
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ihre Zeitgenossen muss es so ausgesehen haben, als wolle ihr direkt auf der Stirn ein Horn wachsen. Krankhafte Schädelveränderungen haben auch in Növenthien die Furcht vor einer Wiederkehr der Toten geschürt. Növenthien liegt, wie auch Neumeichow, im Siedlungsgebiet der Slawen, und zwar an dessen nordwestlicher Grenze im hannoverschen Wendland. Es ist eines der Rundlingsdörfer: jene charakteristischen slawischen Siedlungen, bei denen sich die Grundstücke keilförmig um einen runden Platz gruppieren. Növenthien schmiegt sich an den Westrand des Drawehn, eines eiszeitlichen Höhenzuges, der die Lüneburger Heide vom Wendland und der Altmark trennt. Hier auf den sandigen unfruchtbaren Böden hielten sich die slawische Kultur und Sprache noch sehr lange. Die letzte Sprecherin des Drawehnopolabischen, einer eng mit dem Polnischen verwandten Sprache, starb erst im Jahr 1756 im Alter von 88 Jahren. An die Slawen erinnern noch heute so fremdklingende Ortsnamen wie Waddeweitz, Dommatzen, Kröte, Dickfeitzen oder Tolstefanz. Vom 9. Jahrhundert an bis etwa 1200 begrub eine slawische Gemeinschaft hier ihre Toten. Insgesamt fanden die Ausgräber im Herbst des Jahres 1965 145 Gräber, in 15 davon hatte man die Toten entweder auf dem Kopf oder auf den Füßen mit großen Steinen beschwert. Interessanterweise waren dies alles Gräber, die am Rand des Friedhofes lagen. In einem davon, in Grab 72, hatten die Növenthiener gleich doppelt dafür gesorgt, dass der erwachsene Mann darin nicht wiederkehren konnte. Zum einen hatten sie auf die Mitte der Grabgrube große Steine gesetzt, zu anderen hatten sie dem Toten den Schädel abgenommen und neben seine Oberschenkel gelegt. Ob dies kurz nach dem Tod geschah oder erst, als der Tote schon verwest war, ist leider nicht bekannt, da in den 1960er Jahren detaillierte anthropologische Untersuchungen der Knochen noch selten waren. Vielen der Növenthiener Toten hatte man außerdem eine Münze in den Mund gelegt. Diese Maßnahme wurde oft angewandt, um das Nachzehren zu verhindern – der Tote sollte keine Möglichkeit haben, am Leichentuch zu saugen und so möglicherweise weitere Familienmitglieder nachzuholen, sondern statt dessen an dem Metall-
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Neumeichow. Sechs Osteome am Stirnbein hatten die versteinte Frau entstellt.
stück kauen. So hatte man es beispielsweise bei einem Kleinkind getan, dessen Grab ungewöhnlich reich mit Beigaben ausgestattet war. Das Mädchen kann nicht mehr als ein oder zwei Jahre alt gewesen sein, und doch trug es einen Schläfenring und reich verzierte Kleidung, von der noch zwei Schnallen und zwei Buntmetallbleche übrig waren. Das eigentlich interessante für die Ausgräber aber war ihr Schädel: Das kleine Mädchen hatte einen Wasserkopf. Es muss jedoch nicht immer ein angeborener Defekt gewesen sein, der zur Furcht vor einer Wiederkehr der Toten führte. Ein etwa 45 Jahre alter Mann aus Sanzkow etwa war in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts noch als ein ganz normales Kind auf die Welt gekommen. Er streifte vermutlich mit seinen Freunden durch die Wiesen des Tollensetals im Norden des heutigen Landkreises Mecklenburgische Seenplatte. Dann aber passierte ein Ereignis, das sein Leben gravierend veränderte. Ob er einen schweren Unfall hatte oder in einer Schlacht einen Hieb auf den Kopf bekam, wissen wir nicht,
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aber er erlitt eine großflächige Verletzung an der linken Schläfe. Zwar überlebte er das Trauma, litt allerdings zeitlebens schwer an den Folgen der Fraktur. Der Ausgräber Herbert Ullrich schreibt in seinem Bericht von 1969, dass die Verletzung so schwer war, dass sie „zu Lebzeiten offenbar zu schweren Funktionsstörungen geführt hatte.“ Ullrich fand das Skelett des Mannes in Grab 91 auf dem Gräberfeld von Sanzkow. Seinen Leichnam hatten die Hinterbliebenen mit großen Steinen beschwert.
Wie viele Untote sind unter uns?
Es konnte ja so leicht passieren. Zum Beispiel, wenn der Schreiner vergaß, ein paar Hobelspäne mit in den Sarg zu legen. Oder die Nadel, mit der das Totenhemd genäht wurde, fiel hinunter in eine Ritze zwischen den Bodenbrettern und fehlte im Sarg, die Magd kam vor lauter Arbeit nicht dazu, das Feuer zu löschen, nachdem die Leiche aus dem Haus getragen wurde, oder der Knecht stibitzte eine Goldmünze des Verstorbenen, und schon fand der Tote keine Ruhe. Dazu kamen die schon zu Lebzeiten bekannten Risiken wie das falsche Geburtsdatum oder die Neigung zu Alkohol und Glücksspiel. Die Gründe waren vielzählig und damit das Risiko, als Untoter zu enden, enorm hoch. Wie viele aber waren es tatsächlich? Wie groß ist der Anteil der ans Grab gebannten Toten auf den Friedhöfen? Die Häufigkeit und die Praktiken der Wiedergängerbestattung unterschieden sich mit Sicherheit von Ort zu Ort. In einem Dorf gab es vielleicht eine Gruppe von besonders abergläubischen Frauen, die mit ihren oft und gerne ausgebreiteten Schauermärchen die Angst vor den Untoten über Jahrzehnte hinweg immer wieder schürten. Ent sprechend viel Aufwand wird man in den Jahren auf dem örtlichen Friedhof betrieben haben, um das Wiederkommen zu verhindern. In einem anderen Ort kann es ein Priester gewesen sein, der von der Kanzel aus die Angst vor der Wiederkehr der Toten als Instrument gebrauchte, um seine Gemeinde zu einem streng christlichen Lebens wandel anzuhalten. Oder Seuchen kamen und fachten die Angst vor
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den Nachzehrern an. Dann kamen wieder Zeiten, in denen die Ernten gut und die Priester freundlich waren, und die Menschen wurden nachlässig mit den Bannmaßnahmen. Für die Archäologie ist ebenso entscheidend, mit welchen Ritualen die Toten gebannt wurden. Steine, umgedrehte Leichen oder abgeschlagene Köpfe sind deutlich erkennbar. Aber denkbar wäre auch, dass ein Dorf über lange Jahre vor Angst vor den Wiederkehrern zitterte und grundsätzlich alle Toten bei der Bestattung mit Weihwasser übergoss. Archäologisch aber lässt sich dies überhaupt nicht nachweisen. Bei dem Versuch, die Frage nach dem Prozentsatz an Untoten auf unseren Friedhöfen zu beantworten, ist also größte Vorsicht geboten: Die Abwesenheit von Beweisen ist nicht der Beweis von Abwesenheit. Mittlerweile sind einige mittelalterliche oder neuzeitliche Friedhöfe mit auffällig vielen Wiedergängerbestattungen ausgegraben worden. Als relevant können wir hier jene Orte betrachten, an denen eine ausreichend hohe Gesamtzahl an Gräbern vorliegt, an denen die Ausgräber sich der Möglichkeit von Wiedergängerbestattungen bewusst waren und bei der Aufarbeitung der Befunde entsprechend darauf geachtet haben. Interessant ist hier zum Beispiel das Gräberfeld von Sanzkow, von dem wir bereits den Fund des Mannes mit der schweren Kopf verletzung aus Grab 91 näher betrachtet haben. Die Knochen barg Ausgräber Herbert Ullrich im Jahr 1968 vor allem deshalb, weil sie als Grundlage für eine anthropologische Untersuchung der „Geschichte und Kultur der Slawen in Deutschland“ dienen sollten. Durch diese breit angelegte Untersuchung wissen wir sehr viel über die Sanzkower, die hier von der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts bestattet wurden. Wie die Siedlung hieß, in der sie zu Lebzeiten wohnten, ist allerdings nicht bekannt. Das Dorf Sanzkow wird jedenfalls erstmals im Jahr 1248 erwähnt, als das Gräberfeld schon nicht mehr belegt wurde. Auch der erste Bau der Kirche von Sanzkow, von dem Teile noch heute stehen, wurde erst um 1300 errichtet und gehört damit zu einer späteren Zeit. Wahrscheinlich waren die Leute, die hier bestattet lie-
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gen, überwiegend Bauern. Ihr Leben jedenfalls war hart: Bei etwa 14 Prozent der Toten stellten die Anthropologen Knochenbrüche fest, darunter auch bei vielen Frauen. Diese Zahl liegt deutlich über dem sonstigen Durchschnitt. Außerdem litten fast die Hälfte von ihnen an Spondylosis deformans – an Bandscheibenschäden. Das Durchschnittsalter auf dem Friedhof liegt bei 24 Jahren. Schuld an diesem niedrigen Wert ist die hohe Kindersterblichkeit, sie betrug 37 Prozent für Kinder und Jugendliche. Wer das Erwachsenenalter erreichte, wurde als Mann im Schnitt 37 Jahre alt, als Frau 31 Jahre. Etwa die Hälfte der Toten wurde in Särgen bestattet. Zwei Bestattungen könnten auf ein besonders dunkles Ritual hinweisen: die Witwentötung. Aus der frühslawischen Zeit, dem 10. Jahrhundert, wissen wir aus schriftlichen Berichten, dass sie in dieser Region praktiziert wurde. Im Grab 19 liegt über einer etwa 25jährigen Frau gekreuzt ein etwa 20–25-jähriger Mann. Beide wurden zur gleichen Zeit bestattet, könnten also auch zufällig gemeinsam gestorben sein, zum Beispiel an einer ansteckenden Krankheit. Eine weitere Bestattung in Grab 38 könnte allerdings nicht nur ein Hinweis auf eine Witwentötung, sondern gleichzeitig auch auf eine Wieder gängerbestattung sein. Über einer 30–50-jährigen Frau liegt in entgegengesetzter Richtung ein 45–50-jähriger Mann – nur in Bauchlage, sein Gesicht ist ihren Füßen zugewandt. Wurde hier vielleicht ein vermeintlicher Wiedergänger mit dem Gesicht nach unten bestattet und ihm auch noch seine Frau mitgegeben, um ihm den Anlass für ein Verlassen des Grabes zu nehmen? Welche Geschichte hinter einer dritten Doppelbestattung in Sanzkow steckt, können wir nicht einmal erahnen. In Grab 108 liegt links von einem etwa 40-jährigen Mann eine etwa 18-jährige Frau in entgegengesetzter Richtung. Während sein Kopf im Westen liegt, zeigt ihrer nach Osten. Die ausgestreckten linken Arme der beiden bilden eine gemeinsame Gerade, die Hände liegen so übereinander, dass sie sich wahrscheinlich an diesen hielten. Diese friedliche Szene wird durch die Gegenstände getrübt, die den beiden zwischen den Rippen steckten. Bei der Frau iwar es ein Messer. Die Ausgräber fanden es auf der unteren linken Seite des Brustkorbs, die Klinge zeigte
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nach oben und innen in den Brustraum der Frau. Dem Mann steckte ein langer Nagel im linken oberen Brustbereich. Wurde den beiden Eisen ins Herz gerammt, um ihre Wiederkehr zu verhindern? Warum bestattet man sie dann so liebevoll Händchen haltend? Hier stößt leider die Archäologie an ihre Grenzen. Die beiden Toten aus Grab 108 sind nicht die einzigen vermeintlichen Wiedergänger des Gräberfeldes von Sanzkow, sondern zwei von insgesamt zehn. Zumindest jener zehn, die sich archäologisch fassen lassen. Das ergibt in Sanzkow bei 122 Gräbern 8,2 Prozent Wiedergänger. Die Untoten bildeten hier also kein Einzelphänomen. Die Bannmaßnahmen allerdings unterschieden sich. Neben der Doppelbestattung gibt es noch einen weiteren Fall, in dem ebenfalls lange Eisennägel verwendet wurden. Sechs Tote beschwerte man mit Steinen, entweder auf dem Kopf und dem Oberkörper, auf den Füßen oder auf dem gesamten Körper. Und bei einem Toten fanden die Ausgräber den Oberkörper gestört – möglicherweise Spuren, die blieben, als man ihm das Herz entnahm. Bei wie vielen Bestattungen Vorsichtsmaßnahmen gegen eine Wiederkehr getroffen wurden, können wir letztendlich nur schätzen. Leider gibt es nur für die slawischen Gräberfelder genügend veröffentlichtes Material für eine grobe Hochrechnung. In seiner archäologischen Analyse der Körpergräber des 10. bis 13. Jahrhunderts im nordwestslawischen Raum listet Axel Pollex auch alle Sonderbestattungen auf, die er als mögliche Untoten-Begräbnisse deutet. In Sanzkow waren das, wie gesehen, zehn von 122. In Növenthien, wo das Kind mit dem Wasserkopf gefunden wurde, 20 von 145. In Usadel bei Neustrelitz im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte wurden 10 von 128 Toten ans Grab gebannt. Auf dem Gräberfeld von Rassau im Landkreis Uelzen waren es sechs von mindestens 48, in Röpersdorf in der Uckermark gar vier von neun. Und in Diepensee, das dem Flughafen Berlin Brandenburg weichen musste, könnten 28 von 422 Gräbern Sonderbestattungen gewesen sein, und zwar in einer Zeit, als die Bevölkerung schon nicht mehr rein slawisch war, sondern sich bereits mit deutschen Einwanderern aus dem Westen vermischt hatte.
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Unterschiede zwischen den Geschlechtern oder Altersstufen gibt es zumindest bei den Slawen nicht. Das Schicksal, als Untoter zu enden, konnte offenbar jeden ereilen, egal ob Mann oder Frau, ob Kind, erwachsen oder alt. Das kann allerdings in anderen Kulturkreisen und zu anderen Zeiten durchaus anders gewesen sein. Aus den nordischen Mythen beispielsweise kennen wir nur untote Männer. Allerdings fehlen die archäologischen Belege, um dieses Ungleichgewicht verifizieren zu können. Verlässliche Zahlen haben wir keine. Aber auch wenn nur um die 5 bis 10 Prozent aller Toten als potentielle Wiedergänger gefürchtet wurden, dann können wir zumindest eins sagen: Jeder kannte einen. Wenn jeder zehnte oder 20igste als Untoter zurückzukehren drohte, dann hatte statistisch betrachtet jeder einen in der erweiterten Familie. Dann gab es immer einen Onkel oder Großcousin, den man im Grab mit Steinen beschweren musste, oder eine Tante oder Cousine, der man bei der Beerdigung sicherheitshalber das Herz durchbohrte oder den Kopf abschlug. Die Geschichten der Untoten waren dann keine anonymen Gruselmärchen, sondern gelebte Praxis. Wenn der Prozentsatz wirklich so hoch war, dann saßen an jedem beliebigen Sonntag in der Kirche gleich mehrere Gemeindemitglieder, deren Weg nach dem Tod nicht der christliche sein würde.
Über die Schwelle des Todes – Der lange Weg vom Hier zum Dort
Was ist überhaupt der Tod? Erstaunlicherweise gibt es auf diese Frage keine befriedigende Antwort. Es gibt keinen Zeitpunkt, der ihn markiert, kein Signal, keinen Paukenschlag, keine Tür, die zuschlägt. Stattdessen schleicht das Leben sich davon. Die Mediziner benutzen daher ein Wort für ihn, das seine Natur viel treffender beschreibt: Exitus – der Ausgang. Nun beginnt die Totenstarre einzusetzen. Auch sie ist ein schleichender Prozess, der zwar bestimmte Punkte durchläuft, diese aber abhängig von vielen Faktoren in unterschiedlicher Reihenfolge und
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Geschwindigkeit erreicht. Zunächst erstarrt noch nichts, sondern es passiert das genaue Gegenteil: die Muskeln erschlaffen. Dadurch fällt oft der Unterkiefer nach unten. Krankenhaus- und Pflegepersonal kennen dieses Phänomen nur zu gut. Um den Angehörigen diesen unwürdigen und abschreckenden Anblick zu ersparen, binden sie den Unterkiefer fest, bis die Totenstarre einsetzt und ihn in seiner normalen Position fixiert. Immer wieder berichten Angehörige oder Besucher am Totenbett von einem friedlichen – oder in anderen Fällen auch gequälten, angsterfüllten, schmerzverzerrten oder erstaunten – Gesichtsausdruck des Toten. Dieser hat jedoch rein gar nichts mit den Emotionen des Verstorbenen zum Zeitpunkt seines Ablebens zu tun. Da die Muskelspannung nach Eintritt des Todes vollständig abhandenkommt, folgt das Muskelgewebe dem Gesetz der Schwerkraft. Je nachdem, in welcher Position das Gesicht des Verstorbenen zu diesem Zeitpunkt lag, ziehen Haut und Gewebe soweit gen Erdmittelpunkt, wie sie können. Mit dem Einsetzen der Totenstarre gefrieren sie in dieser Position. Es ist lediglich die Interpretation der Betrachter, die Emotionen in diese zufällige Fixierung hineinliest. Die Zersetzungsprozesse bewirken, dass der Körper sich verändert. Es sind vor allem diese Veränderungen, die in der Vergangenheit den Glauben an ein wie auch immer geartetes Weiterleben nach dem Tod genährt haben. Die Fäulnisgase im Inneren blähen, wenn sie nicht entweichen können, den Körper auf. Dadurch schwellen Bauch und Brust an. Selbst ein Toter, der zu Lebzeiten eher mager war, kann nun einen wohlgenährten Eindruck machen: Hautfalten und -furchen verschwinden, das Leichenhemd spannt über dem Bauch. Die Fäulnisbakterien zersetzen das Gewebe im Körperinneren zunächst zu einer dunklen Flüssigkeit. Das Gas drückt diese Flüssigkeit in Richtung der Körperöffnungen. Gemeinsam entweichen dann Fäulnisgas und die Flüssigkeit in einem bräunlichen Schaum durch Mund und Nase. Dadurch kann der Eindruck entstehen, der Tote habe „Blut getrunken“. Dieser Gasdruck ist mitunter so stark, dass die Lippen wie ein Ventil bewegt werden. Dabei entstehen Geräusche, die beispielsweise von dem Vampirforscher Michael Ranft in seiner Schrift aus dem Jahr 1728
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als masticatione mortuorum in tumulis, als „Kauen und Schmatzen der Todten in Gräbern“ interpretiert wurde. Es sind aber nicht nur die Lungen und der Brustkorb betroffen, auch im unteren Bauchbereich verändern die Fäulnisgase so manches. In einigen Fällen können durch die Gasentwicklung die Genitalien anschwellen – der Verstorbene scheint über seinen Tod hinaus Interesse an sexuellen Aktivitäten zu zeigen. Vereinzelt sind sogar sogenannte Sarggeburten dokumentiert. Der älteste bekannte Fall einer Geburt post mortem stammt aus der Zeit der Spanischen Inquisition. Eine Frau wurde gehängt und ihr Körper am Galgen belassen. Vier Stunden später fielen zwei tote Föten aus ihrem Leib zu Boden. Dass hier tatsächlich Fäulnisgase den Austrieb des Fötus aus dem Mutterleib verursachten, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Diese werden aber für eine Sarggeburt in Brüssel aus dem Jahr 1633 verantwortlich gewesen sein. Hier „gebar“ eine Frau, die in den Wehen gestorben war, drei Tage nach ihrem Ableben das tote Kind. Solche Fälle wurden häufiger beobachtet, als zwischen dem Tod und der Beisetzung noch ein längerer Zeitraum ohne Kühlung des Leichnams lag. Heute sind sie entsprechend selten geworden. Immer wieder hört man auch die Aussage, dass nach dem Tod die Haare und die Fingernägel noch weiterwachsen. Da aber der Sauerstoff für die notwendigen Stoffwechselprozesse ja fehlt, ist dies unmöglich. Vielmehr verliert der Körper Flüssigkeit, die Haut trocknet ein und zieht sich zusammen. Dadurch werden Haare und Nägel weiter freigelegt – es sieht nur so aus, als ob sie wachsen. Etwa am Ende der zweiten Fäulniswoche sind die Zersetzungsprozesse so weit fortgeschritten, dass die Oberhaut (Epidermis) beginnt, sich zu lösen. Darunter liegt die rosige, feuchte Lederhaut (Dermis). An der Oberhaut hängen auch die Nägel. Fällt diese ab, kommen darunter die Nagelbetten zu Tage – auch sie wirken wie die Lederhaut alles andere als tot und verschrumpelt, sondern im Gegenteil zart und gepflegt. Auch in diesen Phänomenen dürfte ein Ursprung für den Mythos der Untoten liegen. Was letztendlich genau mit dem Leichnam passiert, unterliegt den klimatischen Bedingungen vor Ort. Fehlt es an Sauerstoff, etwa
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weil der Boden zu feucht ist, wird der Verwesungsprozess unterbrochen. Gerade auf lehmigen und tonigen Böden kennen Totengräber das Phänomen der Wachsleichen: Nach Ablauf der gesetzlich geregelten Ruhezeit von meist 30 Jahren ist der Körper nicht etwa vollständig vergangen, sondern in einer harten, wachsartigen Masse so gut erhalten, dass manchmal sogar noch die Gesichtszüge des Toten erkennbar sind. Schuld daran sind die Leichenlipide – Fette, die entstehen, wenn die Hautfette nicht mit Hilfe von Sauerstoff abgebaut werden können. Normalerweise sollten die Fäulnisbakterien die langkettigen Fettsäuren, die bei der Zersetzung des Speicherfetts entstehen, zerlegen. Fehlt aber der Sauerstoff, kann dieser Prozess nicht vollständig ablaufen. Am Ende bildet sich ein relativ hartes Gemisch aus ungesättigten Fettsäuren, Alkalisalzen der Fettsäuren und etwas Glycerin. Wie eine Fettcreme versiegelt es dann in der Unterhaut das Gewebe gegen weiteren Sauerstoffeintritt, die Sauerstoffzufuhr in tiefere Schichten wird abgeschnitten. Der englische Philosoph und Dichter Thomas Browne beschreibt in seinem Werk Hydriotaphia den Fund einer solchen Wachsleiche im Jahr 1658: „In einem wassergetränkten Leichnam, der zehn Jahre in einem Kirchhof begraben lag, trafen wir auf eine Ablagerung von Fett, wo der Salpeter des Bodens sowie das Salz und die laugige Flüssigkeit des Leichnams großen Stücke Körperfett zur Konsistenz von Seife der härtesten Sorte gerinnen lassen haben: wovon ein Teil bei uns verbleibt.“ Nicht nur der Boden, auch die Luft entscheidet darüber, was mit dem Leichnam geschieht. Bakterien lieben es feuchtwarm. Dann sind sie in ihrem Element und leisten beste Arbeit. Die Tropen beispielsweise bieten ideale Bedingungen. Die Zersetzungsprozesse beginnen rasch, wenige Stunden nach Eintritt des Todes fängt die Haut bereits an, sich zu verfärben: Sie nimmt einen grünlichen Grundton an und bekommt große rote oder schwarze Flecken. Die Fäulnisgase lassen die Haut schnell spannen und pellen. Binnen weniger Tage sieht der Leichnam im tropischen Klima Haitis genau so aus, wie man sich einen Zombie vorstellt. Ganz anders dagegen in den Karpaten. Dort weht beständig ein kühler, trockener Wind. Die Leichen dörren an der Luft rasch aus, das Fett- und Bindegewebe zieht sich zusam-
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men. Bald sieht es so aus, als würde der Tote die Zähne blecken und als würden an den knochigen Fingern die Nägel weiterwachsen. Der Vampir, der klassische Untote der Karpaten, erscheint in eben dieser Form. In welcher Gestalt ein Toter vermeintlich zurückkehrt, hängt also in erster Linie davon ab, welche Zersetzungsprozesse Klima und Boden in der Region, in der er starb, in Gang setzen: Das Grauen hat immer ein bekanntes Gesicht. Unter bestimmten Umständen kann es auch – egal wie sonst das Klima oder der Boden beschaffen sind – zu einer natürlichen Mumifikation kommen. Dabei wird der Leichnam auf natürliche Weise konserviert, das Muskelgewebe trocknet zwar aus, bleibt aber erhalten. Einige Kulturen wie die Ägypter oder die Inka haben versucht, diesen Zustand künstlich herbeizuführen. Denn von diesen Toten geht eine Faszination aus, der sich kaum jemand entziehen kann: Der natürliche Zersetzungsprozess wird ausgesetzt, stattdessen bleibt der Körper erhalten – für eine unbekannte Ewigkeit. Doch auch Trockenheit bei moderaten Temperaturen führt zu einer Mumifikation, wenn die Luft um den Leichnam entsprechend stark bewegt ist. Aus diesem Grund findet man gelegentlich die Leichen von Selbstmördern in einem ausgezeichneten Zustand – wenn sie sich auf einem zugigen Dachboden erhängt haben. Die Austrocknung der Leiche wird begünstigt, wenn nur wenig feuchte Muskelmasse vorhanden ist, sprich, wenn der Tote vor seinem Ableben praktisch nur noch aus Haut und Knochen bestand. Aus Kampehl in der Mark Brandenburg kennen wir so einen Fall, in dem tatsächlich ein durch Austrocknung natürlich mumifizierter Toter verdächtigt wird, des Nachts wiederzukehren. Es handelt sich um den märkischen Edelmann Christian Friedrich von Kahlbutz, der 1702 verstarb. Zu Lebzeiten war er kein angenehmer Mensch gewesen. Gerne forderte er angeblch von seinen weiblichen Untertanen das „Recht der ersten Nacht“ ein, bevor sie von ihm die Erlaubnis zur Heirat erhielten. Im Jahr 1690 soll die Magd Maria Leppin ihm dieses Recht jedoch verweigert haben. Kahlbutz erschlug daraufhin aus Rache ihren Verlobten, den Schäfer Pickert aus Bückwitz, mit dem er sowieso schon wegen eines Weideplatzes im Streit lag. Der Fall kam
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vor das Gericht in Dreetz bei Neustadt, wo Kahlbutz jedoch unter Eid seine Unschuld beteuerte. Da es keine Zeugen für den Mord gab, blieb dem Gericht nichts anderes übrig, als ihn freizusprechen. „Wenn ich doch der Mörder bin gewesen, dann wolle Gott, soll mein Leichnam nie verwesen!“ soll der Edelmann gerufen haben. 92 Jahre nach seinem Tod sollten die Toten der Familie von Kahlbutz von der Patronatsgruft in einen Anbau umgebettet werden. Als man dafür die Särge öffnete, fand man eine der Leichen völlig unverwest: Christian Friedrich. Neben ihm lagen noch die zwei Kanonenkugeln, die er seinerzeit als Souvenir aus der Schlacht von Fehrbellin mitgebracht haben soll. Dass die Dorfbewohner sich erzählen, Kahlbutz sei möglicherweise nicht ganz so tot, wie es den Anschein hat, berichtet Theodor Fontane in einer Fußnote seiner Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Das bekamen angeblich französische Soldaten zu spüren, als sie mit der Mumie Schabernack treiben wollten: „Uebermüthige Franzosen schafften die Mumie des Herrn von Kalbutz aus der Gruft in die Kirche und begannen, in höllischer Blasphemie, ihn als Gekreuzigten auf den Altar zu stellen. Einem unter den Uebelthätern mochte das Herz schlagen. Als er beschäftigt war, die linke Hand festzunageln, fiel der erhobene Mumienarm zurück und gab dem unten stehenden Franzosen einen Backenstreich. Dieser fiel todt um; Schreck und Gewissen hatten ihn getödtet.“ Der Legende wollte Fontane auf den Grund gehen: „Ich bin seitdem in der Campehler Kirche gewesen und kann diese Geschichte leider nicht bestätigen. Herr v. Kalbutz liegt mit gefalteten Händen da, die Finger beider Hände wie in eins zusammengewachsen.“ Doch es ranken sich noch weitere Sagen um die nächtlichen Unternehmungen Christian Friedrich Kahlbutz’. Einmal schimpfte ein deutscher Soldat aus dem Elsass den Ritter ein Scheusal und einen Mörder. Er legt ihn dann verkehrt herum in den Sarg und forderte ihn auf, ihn zwischen elf und zwölf Uhr zu besuchen. Am nächsten Morgen fand man den Soldaten tot auf seinem Lager liegen, Blut tropfte ihm aus der Nase. Doch Tür und Fenster waren fest verschlossen. Niemand hätte von außen in den Raum hinein kommen können.
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Sollte Kahlbutz die Einladung zum nächtlichen Besuch tatsächlich angenommen haben? Auch an der Schwenzebrücke, wo der Schäfer Pickert tot aufgefunden worden war, geht es nicht mit rechten Dingen zu. Fußgänger berichteten wiederholt, sie spürten ein Gewicht auf den Schultern, die Pferde scheuten und wollten die Brücke nicht überqueren. Im Jahr 1900 behaupteten Augenzeugen steif und fest, die Mumie sei auf dem Torweg entlang geritten. Später fand man sie an die Pfarrlinde gebunden. Einmal soll sie sich auf den Rücken eines jungen Mannes gehockt haben, der daraufhin in Panik verfiel und sich zu Tode raste. An vielen der Geschichten dürften die Dorfbewohner nicht ganz unschuldig sein. Die Mumie wurde immer wieder zum Gegenstand makabrer Streiche. 1913 fand eine Braut sie an Stelle des frisch angetrauten Ehemannes in ihrem Hochzeitsbett. Einmal hatten die Kampehler den mumifizierten Kahlbutz auf die Friedhofsmauer gesetzt, ein andermal schafften Pennäler ihn auf das Dach der Schule. Ein paar Jahre lang stellte ein Arzt aus Neustadt an der Dosse ihn in seinem Wartezimmer auf, bis die zunehmenden Ohnmachtsanfälle der wartenden Damen ihn dazu veranlassten, die Mumie wieder zu entfernen. Warum Kahlbutz als einziger seiner Familie mumifiziert ist, konnte bis heute nicht vollständig geklärt werden. Und das, obwohl sich berühmte Mediziner mit dieser Frage beschäftigten. Der Arzt, Archäologe und Politiker Rudolf Virchow öffnete 1895 den Brustkorb der 1,70 Meter großen und nur noch 6,5 Kilogramm schweren Mumie. Er entnahm ein Stück der Leber, weil er dort Spuren eines Stoffes vermutete, der die Mumifizierung bewirkt habe. Er fand – nichts. 35 Jahre später versuchte sich der Chirurg Ferdinand Sauerbruch an der Lösung des Rätsels. Er glaubte, der Leichnam sei nach dem Tod einbalsamiert worden. Doch auch er fand – nichts. Schließlich versuchte sich, als in den 1980er Jahren die Computertomographie entwickelt wurde, noch einmal Meinhard Lüning von der Berliner Charité an Christian Friedrich Kahlbutz. Aber auch er fand – gar nichts. Nicht einmal die Knieverletzung, die Kahlbutz sich angeblich in der Schlacht bei Fehr-
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bellin zugezogen hatte. Entweder war die Mumie gar nicht Christian Friedrich, oder die Verletzung war gar nicht so schwer gewesen, wie er zu Lebzeiten stets behauptet hatte. Ein Detail ist über Kahlbutz’ Tod allerdings bekannt, das einen interessanten Hinweis liefern könnte. Er starb, so heißt es in den Akten, an einem Blutsturz und sei dadurch an seinem eigenen Blut erstickt. Genau lässt sich die Krankheit, die diesen heftigen Blutschwall im Mund verursachte, nicht diagnostizieren. Er ist jedoch als Symptom für eine schwere Erkrankung der Lungen bekannt. Kahlbutz könnte an Lungenkrebs oder an Tuberkulose gelitten haben. Vor seinem Tod wird Kahlbutz also aller Wahrscheinlichkeit nach sehr viel Muskelmasse abgebaut haben. Der Leichnam konnte daraufhin relativ schnell austrocknen, bevor die Fäulnisbakterien eine Chance bekamen, ihn zu zersetzen. Der Verwesungsprozess von Leichen ist auch heute noch ein relativ unerforschtes Feld, das erst in den letzten Jahren stärker in das Interesse der Wissenschaft gerückt ist. Dabei gilt es allerdings, mehrere Hindernisse zu überwinden. Zum einen machen moralische Tabus es uns schwer, den Körper eines Menschen beim langsamen Verwesen zu beobachten. Ethisch möglich ist es nur, wenn jemand seinen Körper vor dem Tod explizit für diese Prozedur spendet. Auch einen geeigneten Ort für diese Art von wissenschaftlichen Experimenten zu finden, ist schwierig. Schließlich kann man die Leichen dabei nicht, wie in der Rechtsmedizin, kühlen oder wegschließen, um die Geruchsbelästigung möglichst gering zu halten. Im Jahr 1981 entstand in der Nähe von Knoxville im USBundesstaat Tennessee als Erste von mittlerweile sechs derartigen Einrichtungen eine „Body Farm“. Auf 10.000 Quadratmetern Waldland verwesen hier menschliche Leichen unter ganz unterschiedlichen Bedingungen und werden dabei genauestens beobachtet. Was passiert in welcher Reihenfolge? Welche Insekten ziehen wann in den Leichnam ein? Es gibt dicke Leichen, dünne Leichen, junge Leichen, alte Leichen, offen liegende Leichen, tief vergrabene Leichen, Leichen mit offenen Wunden, verkohlte Leichen, Leichen von Menschen, die vor ihrem Tod unterschiedliche Medikamente einnehmen mussten –
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von etwa 100 neuen Leichen pro Jahr gleicht kaum eine der anderen. Rund 40 Prozent von ihnen haben vor ihrem Tod den Wunsch geäußert, mit ihren sterblichen Überresten hier der Wissenschaft dienen zu können. Es ist ein langer Weg vom letzten Atemzug bis zur vollständigen Skelettierung. Diesen Weg gehen wir heute nicht mehr gemeinsam mit unseren Toten, denn sobald jemand stirbt, wird er schnellstmöglich aus dem Bereich der Lebenden entfernt. In anderen Kulturen und zu anderen Zeiten aber begleiteten die Lebenden die Toten bis zum bitteren Ende. Vielleicht liegt im Kern dieser Praktiken die Vorstellung, dass der endgültige Tod eben nicht mit der Abwesenheit des Herzschlags einsetzt, sondern erst wenn kein Fleisch mehr an den Knochen haftet. Schon in der Jungsteinzeit, jener Epoche, als die Menschen gerade sesshaft wurden, beschäftigten sich die Überlebenden sehr lange mit ihren Toten – manchmal über Jahre hinweg. Ein neuer Fund aus der italienischen Scaloria-Höhle ist das jüngste Beispiel für die intensive Auseinandersetzung mit ihnen. Hier fanden die Ausgräber etwa zwei Dutzend Tote, denen mit scharfen Werkzeugen das Fleisch von den Knochen geschabt wurde. Aber nicht sofort nach dem Tod: Die Knochen wurden erst von den letzten Fleischresten gereinigt, als sich die Körper bereits im fortgeschrittenen Stadium der Verwesung befanden. Dabei musste das Skelett auch nicht unbedingt erhalten bleiben, in vielen Fällen wurden nur einzelne Knochen der Toten in die Höhle gebracht. Am Ende streute man die sauberen Skelettteile, vermischt mit Tierkadavern, zerbrochener Keramik und Steinwerk zeugen, über den Höhlenboden und benutzten die Höhle dann weiter als Wohnraum. Ähnliche Funde vermelden Archäologen aus allen Teilen Euro pas. In der französischen Grotte de Fontbrégoua entdeckten sie Menschenknochen mit Hieb- und Schabspuren, wie sie sonst nur von Schlachtvieh bekannt sind. Aus dem irischen Poulnabrone-Grabhügel holten die Ausgräber ebenso mit scharfen Werkzeugen entfleischte Knochen wie aus dem Parc Cwm Long Cairn in Wales. Das war kein flüchtiges Phänomen: Die Beinhäuser wurden über viele Jahrhun-
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derte immer wieder mit neuen Knochen gefüllt. 600 bis 800 Jahre lang brachten die Lebenden ihre Toten an diese Orte. Das entspräche einem heutigen Friedhof, der seit dem 13. Jahrhundert durchgehend immer wieder neu belegt wird. Den mysteriösesten Fund aber machten Ausgräber im pfälzischen Herxheim. Die Knochen, die dort gefunden wurden, gehörten zu Tausenden von Verstorbenen, die man offenbar in ganz unterschiedlichen Stadien der Verwesung quer durch Europa transportiert hatte: aus der Gegend des heutigen Paris, von der Mosel und sogar aus dem mehr als 400 Kilometer entfernten Elbetal. Schnittspuren deuten auch hier darauf hin, dass mögliche Fleischreste sorgfältig von den Knochen abgeschabt wurden. Dabei handelte es sich nicht um die Idee eines einzelnen nekrophilen Individuums, sondern hier hatten ganz offensichtlich unterschiedliche Gruppen gemeinsam über einen langen Zeitraum die Skelettreste nach einem Plan immer wieder neu arrangiert. Ähnlich verfuhr man auch auf anderen Kontinenten und zu späteren Zeiten mit den Toten. Die Moche Südamerikas malten die langsam verwesenden Toten sogar auf ihre Gefäße. Und ein ganz aktuell ausgegrabenes Beispiel aus Bolivien erzählt davon, dass die Menschen am Titicacasee die Knochen ihrer Verstorbenen an Sammelplätzen mit Kalk entfleischten, bevor diese mit Karawanen noch weiter durch die Gegend transportiert wurden. Letzte Echos dieser Praktiken klingen vielleicht in den Bestattungsriten der Mongolen, der Tibeter oder der iranischen Parsen nach, bei denen die Toten so aufgebahrt werden, dass Aasfresser die Knochen gründlich von Fleischresten säubern können. In allen Berichten über Untote, die wir kennen, kommt der Verstorbene irgendwo zwischen dem klinischen Todeszeitpunkt und der vollständigen Skelettierung von diesem Weg ab. Einen Untoten, der als blankes Skelett wiederkehrt, gibt es nicht. Wenn einmal der Endzustand, die völlige Abwesenheit allen Fleisches, erreicht ist, scheint der ewige Friede sicher. Mit dem intimen Blick der Forensik auf die Untoten sind wir ihnen schon sehr nahe gekommen. Wir wissen nun mehr über das
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Leben der Menschen, vor denen die Hinterbliebenen Angst hatten – und auch über ihren Tod. Umso deutlicher tritt jetzt der Moment hervor, in dem Maßnahmen getroffen werden mussten. Bei der archäologischen Untersuchung der Gräber sind uns bereits die meisten davon begegnet. Die Volkskunde schließt die verbliebenen Lücken zwischen den Funden.
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Maßnahmen gegen Nachzehrer und Wiedergänger in der Volkskunde
In den Darstellungen der Gegenwart ist die klassische Waffe des Vampirjägers der Pflock. Durch das Herz gestoßen, lässt er ohne Umschweife den Untoten zu Staub zerfallen. Der früheste Bericht über die präventive Pfählung möglicher Untoter stammt bereits vom Beginn des 11. Jahrhunderts. „Wenn ein Kind ohne Taufe verstorben ist“, schreibt Burchard von Worms in einem Dekret, „nehmen sie seinen Leichnam und legen ihn an einen geheimen Ort und durchbohren sein Körperchen mit einem Pfahl.“ Dies müsse so geschehen, weil sonst „das Kindlein aufstehen und viel Schaden zufügen könnte, wenn sie nicht so verfahren.“ Auch mit Wöchnerinnen, die im Kindbett starben, ergänzt der Bischof, verfahre man so. Allerdings scheinen nicht alle Holzarten gleich gut zur Vampirbekämpfung geeignet. In volkskundlichen Berichten sind es vor allem die Hölzer von Weiß dorn, Esche und Espe, die bevorzugt verwendet wurden. Auf dem Balkan war es zudem wichtig, sich vor dem bei der Prozedur spritzenden Blut zu schützen. Die serbischen Vampirjäger banden sich daher eine Ochsenhaut vor; in Bosnien, westlich der Drina, kippte man vor der Pfählung eine Wagenladung Stroh in das Grab über den Untoten, um die Spritzer aufzufangen. Allerdings war der Pflock nicht nur auf dem Balkan das bevorzugte Mittel, um potentielle Wiedergänger an die Erde zu heften. In England waren Bannmaßnahmen bei Selbstmördern bis in das Jahr 1823 gesetzlich vorgeschrieben: Sie wurden „schändlich“ an einem Kreuzweg verscharrt, und ihnen musste außerdem ein Holzpfahl durch den Körper getrieben werden („with a stake driven through his body“).
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Vor allem aber haben moderne Schriftsteller und Regisseure zur Popularität dieser „klassischen“ Jagdwaffe beigetragen. „Sagen Sie mir, was ich tun soll, und ich werde mein Bestes geben“, lässt Bram Stoker seine Romanfigur Arthur vor dem offenen Sarg seiner zur Untoten gewordenen Verlobten Lucy sagen. Vampirjäger Van Helsing warnt ihn: „Was Sie tun müssen, ist schrecklich. [...] Sie müssen diesen Pfahl durch ihr Herz treiben und es wird furchtbar sein. Sie dürfen nicht mehr zögern, wenn Sie einmal begonnen haben. Egal, was geschieht, egal, was Sie glauben zu sehen.“ Arthur greift beherzt zu Pflock und Hammer und treibt das Holz in das Herz seiner Verlobten. Lucys Reaktion ist in der Tat schrecklich und führt deutlich vor Augen, warum ein Spritzschutz angebracht wäre: „Ein schriller Schrei hallte durch die Gruft und das Wesen im Sarg bäumte sich auf. Blutiger Schaum tropfte von den roten Lippen. Der Körper wand sich wie in Krämpfen. Die scharfen Zähne schnappten nach Arthur und zerbissen die eigenen Lippen. Blut rann das Kinn hinab. [...] Blut quoll nun auch aus dem Herzen der furchtbaren Gestalt und besudelte alles.“ Den Grafen Dracula hingegen lässt Stoker nicht durch Holz sterben, sondern durch einen spitzen Metallgegenstand: ein Jagdmesser. Zusätzlich trennen die Vampirjäger sicherheitshalber seinen Kopf ab. „Als [Draculas] Augen die sinkende Sonne sahen, wich der Ausdruck des Hasses dem Ausdruck wilden Triumphes. Im gleichen Augenblick sauste Jonathans Messer nieder. Es durchschnitt die Kehle des Grafen in dem Moment, als Herrn Morris’ Jagdmesser das Herz des Grafen durchbohrte. […] Vor unseren Augen und ehe wir es recht fassen konnten, zerfiel der Körper des Grafen zu Staub und entschwand unseren Blicken.“ In der Archäologie und in der Volkskunde spielt der Pflock dagegen eine eher untergeordnete Rolle. Wissenschaftlich betrachtet fällt bei der Bannung von Untoten vor allem eines auf: die Vielzahl der Fälle, in denen nicht nur eine Maßnahme, sondern mehrere zugleich angewandt wurden. Dies spricht deutlich für die große Unsicherheit und die Angst, mit der das Thema „Untote“ zu allen Zeiten besetzt war. Zwar kannten die Leute einen breiten Katalog von möglichen Bannriten – vertrauten aber keiner davon so weitreichend,
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dass sie sich allein auf sie verlassen hätten. Die tatsächliche Jagd nach den Untoten war niemals ein präziser Stoß mit dem Pflock – sondern immer ein Stochern im Dunkeln.
Vorbeugen ist besser als Jagen – präventive Bannmaßnahmen a. Manipulationen am Körper
Die meisten Methoden, um einen Untoten zu bannen oder zu vernichten, sind wesentlich unspektakulärer als die Pfählung. Erste Maßnahmen können bereits bei der Sarglegung getroffen werden und sind oft nicht mehr als eine kleine Geste oder Beigabe. Viele der Handlungen konzentrieren sich auf den Kopf. Ganz wichtig scheint es zum Beispiel in vielen Gegenden Europas gewesen zu sein, die Augen des Toten fest zu verschließen. Ließen sich die Lider nicht mehr sanft von Hand zu drücken, weil beim Fund des Toten die Leichenstarre bereits zu weit fortgeschritten war, so musste man nachhelfen – notfalls mit heißem Wachs, Stopfnadeln oder angespitzten Holzspänen. Auch der Mund durfte nicht offen stehen. Um ein Nachzehren oder Nachsaugen zu verhindern, legten die Hinterbliebenen kleine Steine oder Münzen in den Mund des Toten. Während diese Münzen oder Steine oft von Archäologen bei der Ausgrabung der Skelette beobachtet wurden, vergehen organische Mundfüllungen ohne sichtbare Spuren. Daher ist nur aus der Volks kunde bekannt, dass auch Knoblauch, Weihrauch oder Schlehen als Mundfüllung benutzt wurden. Mancherorts stopfte man Knoblauch oder Weihrauch auch in alle Kopföffnungen, also nicht nur in den Mund, sondern auch in Nase und Ohren. Was allerdings keineswegs in den Mund gelangen durfte, war das Leichentuch oder der Kragen des Totenhemdes. Sonst bestand Gefahr, dass der Tote daran saugen und so seine Familie, Freunde und weitere Dorfbewohner nachholen würde. Regional konnte es bei der Verhinderung des Schluckens und Saugens durchaus zu Besonderheiten kommen. So berichtet im Jahr 1733 der Schul-
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rektor der niedersächsischen Stadt Gandersheim Folgendes: „Damit man diesem Übel [dem Fressen oder Schmatzen] zuvorkomme, sind die Einwohner einiger Dorfschaften gewohnt, dem Verstorbenen einen Pflock in den Hals über der Zunge zu befestigen, damit er die Zunge nach dem Tode nicht regen und seinen Feinden nachhero den Tod anthun könne.“ Aus Dresden ist der Brauch überliefert, dem Toten ein Tuch so fest um den Hals zu binden, dass er auf keinen Fall mehr Schlucken könne. Anderenorts diente ein unter dem Kinn platziertes Stück Rasen, Torf, ein Stein oder eine Bibel dazu, dies zu verhindern. Nicht nur auf den Kopf, auch auf die Füße konzentrierten sich die Bannmethoden, denn ein Leichnam, der nicht laufen kann, kann folglich auch das Grab nicht verlassen. Eine einfache Methode bestand darin, dem Toten die Sehnen an den Fußgelenken zu durchtrennen oder die Füße mit Nägeln oder Dornen zu durchbohren. Angeblich biss man in einigen Gegenden den Leichen die großen Zehen ab, um sie am Gehen zu hindern. In Dänemark praktizierte man die weitaus subtilere Methode, die großen Zehen band man lediglich mit einem roten Faden zusammen. Als besonders drastische Maßnahme konnten die Füße auch ganz abgehackt werden. Eine weitere Körperöffnung, die es zu versiegeln galt, um ein Eindringen böser Kräfte in den Toten zu verhindern, war der Bauchnabel. Den goss man daher mancherorts mit heißem Wachs aus – vorzugsweise von einer geweihten Kerze. In anderen Gegenden dagegen war ein Loch im Körper dringend erforderlich. Sonst, so glaubte man, könne der Teufel den Toten aufblasen und so wieder zum Leben erwecken. Stach man jedoch mit einem Nagel, einer Nadel oder einem Weißdorn ein Loch in die Haut, entwich daraus der teuflische Atem und der Plan wurde vereitelt. Besonders effektiv schien es, den Leichnam so zu fesseln oder mit Steinen zu beschweren, dass er sich aus eigener Kraft nicht mehr aus dem Grab befreien könne. Die Versteinungen sind die wohl archäologisch am häufigsten nachgewiesene Maßnahme zur Untotenbannung. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie auch die am häufigsten Angewandte war: Steine sind einfach nur besonders dauerhaft
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und liegen, anders als organisches Material, auch Jahrtausende später noch dort, wo sie platziert wurden. Der Nachweis von Stricken gestaltet sich da schon schwieriger. Oft können Archäologen aber beobachten, dass die Knochen so liegen, wie sie bei einem ungestörten Verwesungsprozess niemals hätten zur Ruhe kommen können. Eng beieinander liegende Hände, Füße, Arme oder Beine sind meist ein Hinweis darauf, dass Stricke die Extremitäten zusammenhielten, als die Verwesung fortschritt, und verhinderten, dass sie auf natürliche Art auseinanderfielen. Leichter nachweisbar sind Ketten oder gar Vorhängeschlösser, wie beispielsweise der bereits besprochene tote Abt aus der Klosterkirche von Harsefeld eines zwischen den Unterschenkeln trug. Mit gewisser Vorsicht sind die unzähligen Begräbnisse in Hockerstellung zu genießen. Bis in die Bronzezeit war dies europaweit eine häufige Bestattungsform, und gewiss ist nicht hinter jedem Hockergrab ein Untoter zu vermuten. In einigen Fällen aber, sowohl aus der Steinzeit als auch aus späteren Epochen, konnten die Ausgräber feststellen, dass der Tote vor der Grablegung aufwändig verschnürt worden war. In einer gewissen Zahl der Fälle könnte also durchaus eine Fesselung der Grund für diese zusammengekauerte Position gewesen sein, die den Toten im Grab fixieren sollte. b. Grabbeigaben
Nicht immer musste die Leiche gleich manipuliert werden. In vielen Fällen reichte es auch aus, dem Verstorbenen Beigaben mit ins Grab zu geben. Auch hier sind die Grenzen oft unscharf, vor allem bei persönlichen Gegenständen. Gaben die Angehörigen sie dem Toten mit ins Grab, um ihm einen Gefallen zu tun und ihn im Jenseits zufriedenzustellen? Oder sollten sie verhindern, dass er wiederkehrt, um sie sich selber zu holen? Archäologisch lässt sich diese Entscheidung nicht treffen. Allerdings missbilligte die Kirche die Sitte der Grabbeigaben. Wenn sich die Angehörigen also über die Verordnungen der Kirche hinwegsetzten, muss es dafür ein wichtiges Motiv gegeben haben. Allein dem Toten eine Freude bereiten zu wollen, scheint dafür nicht unbedingt ausreichend.
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Aus Pforzheim wurde im Jahr 1787 ganz konkret berichtet, dass man verstorbenen Wöchnerinnen unbedingt eine Schere sowie ein Nähkästchen mit Nadeln, Fingerhut, Faden und Wolle mitgeben müsse, sonst würden sie wiederkommen und sich diese Gegenstände holen. In Breunsdorf, einem ehemaligen Straßendorf etwa 30 Kilometer südlich von Leipzig im ehemaligen Landkreis Leipziger Land, fanden Archäologen bei Untersuchungen des Friedhofes Brillen, Schlüssel und Tabakspfeifen in den neuzeitlichen Gräbern. Und zu Beginn der 1950er Jahre tauchte im Geiseltal in Sachsen Anhalt in einem Grab sogar eine Kaffeetasse auf. Volkskundliche Berichte wissen von Zigarren, Schnapsflaschen oder Skatkarten, die den Toten mit in den Sarg gelegt wurden. Auch heutige Bestatter können gewiss noch die eine oder andere Geschichte von ungewöhnlichen Mitgaben erzählen, die ihnen im Laufe ihres Arbeitslebens untergekommen sind. Anders sieht es mit Grabbeigaben aus, die dem Toten nicht gefallen, sondern ihm schaden sollten. In Bulgarien beispielsweise soll es Brauch gewesen sein, dem Toten leicht entflammbares Material wie Schießpulver oder Zündhölzer in den Gürtel zu stecken. Untote, lautete die Begründung, scheuen das Feuer. Sollte der Verstorbene also im Grab aufwachen, hätte er große Angst, sich zu bewegen – er könnte dabei ja seine Kleidung in Brand stecken. Ebenfalls bewegungsunfähig machte den Toten eine Sichel, die so über seinem Hals platziert wurde, dass er sich beim Versuch, aufzustehen, unweigerlich die Kehle aufgeschlitzt hätte. Auf dem Fried hof von Dramburg im Nordwesten Polens fanden Archäologen gleich vier solcher Bestattungen. Bei einer weiteren lag eine Sichel über dem Becken, auch hier die Klinge so zum Körper gedreht, dass eine Bewe gung eine Verletzung zur Folge gehabt hätte. Münzfunde, die auf dem Friedhof gemacht wurden, datieren die Bestattungen in die Zeit des Königs Johann II. Kasimir (1648 – 1668). Warum ausgerechnet diese fünf Toten mit Sicheln begraben wurden, kann letztlich nicht vollständig geklärt werden. Die Ausgräber weisen aber darauf hin, dass die etwa 50 bis 60 Jahre alte Frau, die mit der Sichel auf dem Becken bestattet worden waren, zusätzlich eine Münze in den Mund und ein Stein auf den Hals gelegt wurde – ebenfalls Bannmaßnahmen für
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KOLUMNE RECHTS
Drawsko. Bestattung einer 30- bis 39-jährigen Frau (17. / 18. Jahrhundert) mit einer eisernen Sichel an der Kehle.
Untote. Und bei einer der Toten handelte es sich um ein junges Mädchen, das bereits im Alter von 14 bis 19 Jahren verstorben war – also lange vor dem Zeitpunkt eines „natürlichen“ Todes. Da zu früh Verstorbene oft im Verdacht standen, sich nicht vom Leben trennen zu können, liegt auch hier der Verdacht nahe, dass die Sichel sie an der Wiederkehr hindern sollte. Einen weiteren Komplex der Grabbeigaben bilden die Gegen stände mit christlichem Bezug. Neben Heiligenbildern, Gesangbüchern und geweihten Kerzen fanden oft Kreuze und Rosenkränze den Weg in den Sarg. Diese Sitte konnte allerdings erst mit dem Auf kommen des Christentums entstehen und nur in seinem Kontext ihre Wirksamkeit gegen Untote entfalten. Das Problem thematisiert Roman Polanski in seinem Film Tanz der Vampire, als er den Wirts hausbesitzer Yoine Shagal beim Anblick eines Kreuzes auflachen lässt. Das Kruzifix, das die Magd Magda ihm entgegenhält, höhnt der jüdische Vampir, sei nur bei seinen christlichen Kollegen wirksam. Der Rosenkranz konnte gleich zweierlei Aufgaben erfüllen. Zum einen wurden ihm allein schon durch seine christliche Symbolik apotropäische Kräfte zugesprochen. Er ließ sich aber auch hervorragend
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dafür verwenden, die Hände des Toten zu fesseln. Bei den polnischen Arbeitern im Ruhrgebiet ist dieser Brauch noch bis in die 1920er Jahre überliefert. Und in dem autobiografischen Roman Die Asche meiner Mutter beschreibt der irische Autor Frank McCourt, wie seinem verstorbenen Bruder Eugene die Hände mit einem Rosenkranz aus kleinen weißen Perlen zusammengebunden werden. Als Eugene starb, war er nur vier Jahre alt – also noch viel zu jung zum Sterben. Auch wenn McCourt nicht auf den Hintergrund dieser Fesselung eingeht, könnte der vorzeitige Tod der Anlass für das Ritual gewesen sein. Die Volkskunde kennt eine lange Liste von Grabbeigaben als Bannmaßnahmen. Dabei gehören organische Gaben wie Knoblauch, Weißdorn, Schlehen, Heckenrosen, gekreuzte Holunderstäbe, Binsen, Basilikumbüschel, Wein oder Eier ebenso zum Repertoire wie kleine Steine, Eisennägel, Zinn- oder Polentalöffel und Spindeln. Manchmal kommt auch Zahlenmagie mit ins Spiel. Die Spindeln beispielsweise sollen besonders wirksam sein, wenn es drei, fünf oder neun Stück sind, und auch von den Steinchen legten die Hinterbliebenen bevorzugt neun Stück mit in den Sarg. Noch im Jahr 1968 beschrieb ein Mann mittleren Alters aus dem westrumänischen Dorf Birchiș dem Ethnologen Ion I. Popa, welche Vorbereitungen zu treffen seien, wenn ein Verstorbener drohte, zum Untoten zu werden: „Wenn jemand stirbt und man vermutet, dass jener ein strigoi werden könnte, dann muss man nach einem Mann schicken, der weiß, wie man ihn herausputzt, wie man ihm den Sarg herrichtet. Wenn er ihn badet, dann muss er ihm eine Knoblauchzehe in den Hintern stecken. Wenn dann der Sarg fertig ist, bringt man den Sarg vom Meister, dann kommt jener Mann, der ihn hochheben kann, und stellt den Sarg in die Mitte des Raumes. Wenn der Sarg in die Mitte des Raumes gestellt wurde, holt er einige Späne von dem Meister, der den Sarg gemacht hat, Hobelspäne, und breitet sie im Sarg aus, wie der Sarg lang ist. Dann legt er zwei Knoblauchzehen hinein, zerkleinert sie gut mit dem Messer und verteilt sie im ganzen Sarg herum. Dann zündet er jene Späne an. An den vier Ecken vom Sarg stellt er vier Lichter, die Lichter brennen und jene Späne verbrennen im Sarg. Wenn alle Späne verbrannt sind, reibt er dann den Sarg mit der
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Asche und mit dem verbrannten Knoblauch aus. Er reibt gut und wischt ihn aus. Dann macht er den Sarg zurecht und legt den Toten hinein. Wenn der Tote hineingelegt ist, dann legt er ihn im Sarg zurecht, legt eine Sichel auf die Füße, bindet die Füße mit Zwirn zusammen, damit er nicht mehr laufen kann, und er ist fertig.“ Vielerorts wird den Untoten auch ein zwanghafter Zug nachgesagt. Sie seien, so heißt es, versessen auf das Zählen. Schon Kinder im Vorschulalter wissen das: In der Sesamstraße ist es der Vampir Graf Zahl, der ihnen das Zählen beibringt. Mit Hingabe zählt Graf Zahl Dinge in seinem Schloss – und wenn er die gerade zu lernende Zahl erreicht hat, lacht er, begleitet von Blitz und Donner, wild auf. Dieser Zählzwang lässt sich hervorragend nutzen, um einen Untoten im Grab zu bannen. Man schüttet Erbsen, Mohnsamen, Bohnen, Kies, Hafer oder Hirse in den Sarg und beschäftigt ihn so mit der Zählaufgabe, dass er sein Grab nicht mehr verlassen kann. Oft gibt man ihm zusätzlich noch die Auflage, nur ein Samenkorn oder Steinchen pro Jahr zu zählen. Eine Variante dieser Bannmaßnahme ist aus Dänemark für den Schutz von Wohnhäusern überliefert. Man hängte dort ein altes Spinnrad über der Tür auf, und ein Toter durfte erst eintreten, wenn er so viele Male um das Haus gelaufen war, wie das Rad sich zuvor gedreht hatte. Ähnliches gilt für Knoten – Untote sollen stets den zwingenden Wunsch verspüren, sie zu lösen. Aus diesem Grund warfen beispielsweise die südwestdeutschen Alemannen noch bis ins Frühmittelalter Fischernetze über das Grab eines vermeintlichen Untoten. Zum einen verfing er sich beim Aufstehen darin, zum anderen beschäftigten ihn die Knoten so sehr, dass er nicht vom Fleck kam. c. Leichenzug und Grab
Ein weiteres Mittel, um einen Toten an der Rückkehr ins eigene Haus zu hindern, war es, ihn so gründlich zu verwirren, dass er den Weg zurück nicht finden würde. Noch bis heute werden deshalb in vielen Gegenden die Toten mit den Füßen zuerst aus dem Haus getragen. Vielen Ritualen liegt die Annahme zu Grunde, dass der Tote genau den Weg vom Friedhof zurück ins Haus nehmen würde, auf dem er
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dorthin gelangte. Manchmal hob man die Türschwelle an und trug den Toten unter ihr hinaus. Lag sie anschließend wieder auf ihrem Platz, hatte der Tote keine Möglichkeit, sich darunter durchzuquetschen. Möglich war ebenfalls, den Toten durch ein Loch in der Wand aus dem Haus zu schaffen, das danach wieder vermauert wurde. Bei einer Fachwerkbauweise war diese Prozedur nicht einmal mit großem Aufwand verbunden. Außerdem sollte der Tote sich möglichst nicht an seinen Namen erinnern, daher empfahl es sich, sämtliche Namensschilder aus der Totenkleidung zu entfernen und peinlich genau darauf zu achten, dass kein Kleidungsstück mit einem Monogramm versehen war. Nun musste der Weg zum Friedhof möglichst kompliziert gestaltet werden. Deshalb hielt man an Kreuzungen und unübersichtlichen Wegstellen an und schritt mit dem Sarg jede Richtung einmal kurz ab. Auch Wasser konnte helfen. Da Untote angeblich Wasser scheuen, führte der Leichenzug oft über einen Bach. Die Trauergemeinde konnte auf dem Rückweg auch Wasser verschütten, um ihre Spuren zu verwischen. In Griechenland waren daher Inseln bevorzugte Orte für Friedhöfe. Einem Untoten wurde es damit quasi unmöglich gemacht, wieder zurück auf das Festland zu gelangen. Wo keine Inseln waren, wusste man sich anders zu helfen. Viele deutsche Friedhöfe hatten einen abgelegenen Teil für die Bestattung „gefährlicher“ Toter wie Selbstmörder oder ungetaufter Kinder, den sogenannten Rosengar ten. Er war umgeben von Dornengestrüpp oder einem angespitzten Metallzaun, um mögliche Untote am Verlassen dieses Areals zu hindern. Im rheinländischen Inden/Altdorf stand ein stark verwitterter Metallzaun um einen „Ruusejaade“ genannten Bereich noch bis zum Zweiten Weltkrieg. Untote konnten allerdings auch in den ganz normalen Fried hofsbereichen gesichert werden. Die christliche Tradition gibt strikte Regeln vor, nach denen ein Toter bestattet werden muss, um am Tag des Jüngsten Gerichts unbeschadet aufstehen zu können: ausgestreckt auf dem Rücken mit dem Kopf im Westen. Denn nur so kann er, wenn der Tag gekommen ist, gen Osten blicken, von wo aus Jesus
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Christus, wie in Matthäus 24,27 beschrieben, zum zweiten Mal kommen soll: „Denn wie der Blitz ausgeht vom Osten und leuchtet bis zum Westen, so wird auch das Kommen des Menschensohns sein.“ Den gefährlichen Toten aber galt es, ein christliches Begräbnis zu verwehren. Immer wieder treffen Archäologen bei Ausgrabungen von christlichen Friedhöfen auf Bestattungen, die „verkehrt herum“ liegen. Die große Zahl der abweichenden Gräber ist ein Indiz dafür, wie weit verbreitet diese Bannpraxis tatsächlich war. Weitaus älter als die um 180 Grad abweichende Ausrichtung der Bestattungen ist der Brauch, potentielle Wiederkehrer mit dem Gesicht nach unten in die Erde zu legen und damit in der Grabgrube zu bannen. So würden sie sich bei dem Versuch, aus dem Grab zu gelangen, nur immer tiefer in den Boden hineinwühlen. Lag der Tote schließlich sicher unter der Erde, blieben noch die Aufräumarbeiten. Oft war es Brauch, alles zu entsorgen, mit dem der Tote in Kontakt gekommen war: Lappen und Schüsseln, die zur Waschung benutzt worden waren, ebenso wie Kämme oder Bürsten. Mancherorts legte man sie dem Toten mit ins Grab. Es war aber auch möglich, sie erst nach der Beerdigung zu verbrennen. Das Stroh aber, auf dem der Tote gelegen hatte, verbrannte man oder warf es auf das Feld. Hier sollte es möglichst schnell verrotten und mit ihm auch der Tote.
Wenn es bereits zu spät ist – Aufspüren und Unschädlich machen eines Untoten
Bestand der Verdacht, dass eine Familie oder ein Dorf von einem Untoten heimgesucht wurde, so galt es zunächst, die Häuser zu sichern. Aus der Balkanregion sind dafür einige Maßnahmen überliefert. So konnte es helfen, sämtliche Fenster- und Türrahmen mit Knoblauch abzureiben. Auch ein Pechkreuz an der Tür sollte die Untoten fernhalten. Wer einen großen schwarzen Hofhund hatte, konnte diesem mit weißer Farbe ein zweites Augenpaar aufmalen – angeblich schreckten Vampire davor zurück. Die eigenen Person
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indes konnte man schützen, indem man sich Dornen des Weißdorns in die Kleidung nähte. War nicht ganz klar, welcher der in jüngerer Zeit Verstorbenen sein Unwesen trieb, gab es verschiedene Möglichkeiten, den Untoten zu identifizieren. Als verräterisch galt ein Mauseloch in der Erde seines Grabes – es könnte ihm als Ein- und Ausgang dienen. Um ganz sicher zu gehen, konnte man auch Asche oder Salz auf den Gräbern ausstreuen, die Fußspuren darin würden am nächsten Morgen den ruhelosen Toten verraten. In Südosteuropa bediente man sich oft der Hilfe eines Tieres. Ließ man beispielsweise einen schwarzen Hahn bei Einbruch der Dunkelheit auf den Friedhof, so würde er sich das Grab eines Untoten suchen, um sich für die Nacht darauf niederzulassen. Rumänische Untoten-Sucher setzten einen Hahn auch tagsüber ein – in dem Grab, vor dem das Tier stehen bleibt und kräht, so glaubten sie, liegt ein Untoter. Als besonders sensibel galten Pferde. In Bulgarien und Serbien diente ein fleckenloses Hengstfohlen zur Vampirjagd. Führte man es über den Friedhof, würde es vor dem Grab eines Untoten scheuen. Albaner und Rumänen verließen sich dagegen bei dieser Art von Probe auf ausgewachsene weiße Hengste. Ist der Untote identifiziert, gilt es, ihn unschädlich zu machen. Eine weit verbreitete Maßnahme war, ihm den Kopf abzuschlagen. So berichtet es ein Chronist aus der Nähe der sächsischen Stadt Frei berg von einer Pestepidemie um das Jahr 1550: „... daß zu Herms dorff/Claußnitz/Dittersbach und anderer Orten viel Volck inficiret worden und gestorben/also daß der Satan die gemeinen Leute endlich bethöret/und überredet/als wenn die toden Körper in Gräbern anfiengen zu fressen/und einer den anderen nachholete/gestalt auch etliche/so auffden Gräbern gestanden/fürgegeben/daß sie eigentlich gehöret/wie die Toden unter der Erde schmatzeten; Deßwegen man letztlichen den Verstorbenen die Köpffe mit einem Grabscheite abgestossen/und dadurch vermeinet/fernern unheil und sterben fürzukommen.“ Genutzt hat die Maßnahme den Dorfbewohnern allerdings wenig: „... denn die Pest aus straffe Gottes hefftiger überhand hierauff genommen/daß etliche Dörffer fast gar sollen außgestorben seyn.“
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MASSNAHMEN GEGEN NACHZEHRER UND WIEDERGÄNGER
Eine wichtige Rolle spielte auch das Herz. Außer einen Holzpflock hindurchzustoßen, gab es auch die Möglichkeit, es zu entfernen. Ganz zu Anfang wurde berichtet, dass noch im Jahr 2004 in Rumänien Gheorghe Marinescu seinen untoten Schwager unschädlich machen wollte, indem er dessen Herz verbrannte und die Asche daraus mit Wasser gemischt als Getränk verabreichte. Eine weitere Variante war, das Herz in Wein zu kochen. Nach dieser Prozedur konnte es wieder an seinen Platz gesetzt werden. Von der Peleponnes ist der Brauch überliefert, sogar die gesamte Leiche eines Untoten in Stücke zu zerlegen und diese in Wein zu kochen. Eindrücklich berichtet im 12. Jahrhundert der englische Mönch William von Newburgh in seiner Historia Rerum Anglicarum, welche zentrale Bedeutung dem Herzen eines Untoten zukommt: „Die jungen Leute schleppten den Kadaver aus dem Dorf heraus und schichteten in Eile einen Scheiterhaufen auf. Als einer von ihnen sagte, ein Leichnam, dem die Pest anhafte, könne nicht brennen, solange das Herz nicht herausgerissen sei, öffnete der andere die Seite des Körpers durch wiederholte Schläge mit der stumpfen Hacke, griff mit seiner Hand hinein und riß das üble Herz heraus, das sogleich in Stücke gehackt wurde.“ Er jetzt konnten die Männer den Leichnam dem Feuer übergeben – eine Maßnahme, die in der Volkskunde ebenfalls oft für die Bekämpfung von Untoten genannt wird. „Von da an, nach der Vernichtung dieser teuflischen Bestie, beruhigte sich die Seuche, die unter den Leuten gewütet hatte“, schließt William von Newburgh seinen Bericht, „als hätte das Feuer, das den Kadaver auf schreckliche Weise hatte verschwinden lassen, die Luft von aller Unreinheit gesäubert, welche das Umherschweifen dieses verpesteten Geistes bewirkt hatte.“ Derart aufwändige Kombinationen von Bannmaßnahmen sind mitnichten auf den südosteuropäischen Raum beschränkt. Auch in den nordischen Sagen braucht es mitunter mehrere Anläufe, bis ein Untoter endgültig unschädlich gemacht ist. Klaufi zum Beispiel, ein draugr, dessen Geschichte in der Svarfdla Saga beschrieben ist, war ein besonders hartnäckiger Fall. Ein erster Versuch, ihn durch Köpfen unschädlich zu machen, schlug fehl – Kaufi kam wieder, diesmal nur
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mit seinem Kopf unter dem Arm. Erst als er verbrannt und seine Asche in einem mit zwei Eisenhaken gesicherten Bleikasten auf dem Grund einer Quelle versenkt wurde, herrschte Ruhe. Natürlich bedienten sich auch die Romanautoren jüngerer Zeit aus dem Repertoire der alten Legenden. Bram Stoker beispielsweise lässt seine Romanhelden an der Leiche und am Sarg Lucys gleich mehrere zusätzliche Rituale ausführen, nachdem ihr Verlobter Arthur ihr schon den Holzpflock durch das Herz getrieben hatte. „Zuerst sägten wir den Pfahl knapp über dem Körper ab“, notiert Dr. John Seward in seinem Tagebuch. „Anschließend schnitten wir Lucy das Haupt ab und füllten ihren Mund mit Knoblauch. Zuletzt verlöteten wir den Bleisarg, schraubten den Deckel wieder fest und entfernten uns. Van Helsing verschloss die Gruft sorgfältig und übergab Arthur den Schlüssel.“ Für den Sarg des Grafen selber allerdings griff Vampirjäger Van Helsing zu einer christlichen Bannmethode. Am 5. November vermerkt er in einem Memorandum: „Ich fand in der Kapelle noch ein weiteres Grabmal. Es war groß und edel ausgeführt. Es stand nur ein Wort darauf: DRACULA. Hier stand ich also vor der Ruhestätte des Königs der Vampire. Das Grab war leer. Bevor ich nun daran ging, durch mein Werk diese Frauen dem natürlichen Tode zu überliefern, legte ich eine Hostie in Draculas Grab und verbannte ihn so für immer daraus.“ Mit der modernen Literatur verschob sich allerdings das Bild. Das Umdrehen des Leichnams im Grab, die Versteinung oder auch das Platzieren einer Münze im Mund – also jene Methoden zur Un totenbannung, die archäologisch am häufigsten nachweisbar sind – eignen sich nicht für spektakuläre Buch- oder gar Filmszenen. Auf den Dorffriedhöfen aber wurden sie weiterhin praktiziert – selbst dann noch, als die Romanfigur des Draculas schon längst zum Inbegriff aller Untoten geworden war.
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Untote der jüngsten Vergangenheit
Maria Theresia bemüht die Wissenschaft
„Wenn es jemals in der Welt eine bewiesene und geprüfte Geschichte gab, dann die der Vampire“, schrieb in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau. „Es fehlt an nichts: offizielle Berichte, Zeugenaussagen von Gewährspersonen, von Chirurgen, von Priestern, von Richtern: die Beweise sind vollständig. Doch abgesehen von all dem, wer glaubt schon an Vampire?“ Es sind die Jahre, in denen die Eliten Europas und Nordamerikas um Vernunft, Bildung und Aufklärung ringen. Doch so einfach wie Rousseau es gerne hätte, der uralten Furcht vor der Wieder kehr der Verstorbenen ist mit rationalen Argumenten nicht beizukommen. Zwei Strömungen beherrschen nun die Gesellschaft. An der sichtbaren Oberfläche – in den zirkulierenden Schriften der Gelehrten wie Rousseau – hat die Rationalität dem Aberglauben längst ein Ende gesetzt. Doch nach wie vor lauert unter der Ober fläche ein kräftiger Brandungssog der irrationalen Angst. Wer glaubt noch an Vampire? Zum Beispiel die alteingesessene Adelsfamilie von Stockhausen im nordhessischen Trendelburg. 1738 wird erstmals ein Familienmitglied im Sarg regelrecht festgebunden. Als Hans Herrmann von Stockhausen stirbt, verschnüren seine Angehörigen den Leichnam im Sarg mit Leinenbändern im Zickzackmuster. Bis 1855 führt die Familie den Brauch fort. Frauen werden kreuzweise verschnürt, Männer im Zickzack. Besondere Mühe gibt
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Trendelburg. Gegen ihre Wiederkehr im Sarg verschnürte Mitglieder der Familie von Stockhausen. Links: Hans August von Stockhausen, gestorben 1780, mit Zickzackverschnürung, rechts: Johanna Christina von Stockhausen, gestorben 1757, mit Kreuzverschnürung.
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man sich bei Toten, die von vornherein im Verdacht stehen, möglicherweise wiederzukehren: Im Kindbett verstorbene Frauen und auch ein ungetauft verstorbenes Zwillingspaar bekamen eine ausgesprochen sorgfältige Verschnürung. Als die Familiengruft 1977/1978 im Zuge einer Renovierung der Pfarrkirche von Trendelburg geöffnet wurde, stapelten sich die Särge mit den verschnürten Leichen bis unter die Decke. Einige besonders gut erhaltene Exemplare werden heute im Museum für Sepulkralkultur in Kassel präsentiert. Während die von Stockhausens unbeirrt von aufklärerischen Tendenzen ihre Toten sichern, bemüht man sich andernorts um einen rationaleren Umgang mit dem Thema. 1755 beschäftigen die Vampire Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn und Böhmen. Anlass ist ein Fall aus dem oberschlesischen Hermersdorf. Hier trieb eine gewisse Rosa oder Rosina Polakin ihr Unwesen. Zu Lebzeiten hatte sie als Hexe mit Wunderkuren ihren Lebensunterhalt verdient. Nach ihrem Tod aber – der da bereits zweieinhalb Jahre zurücklag – soll sie viele andere Dorfbewohner als Vampir getötet haben, die darauf gleichfalls wieder zu Vampiren wurden. „Bey 19 erwachsenen Personen aber, und einem Kinde, wurde noch Blut befunden, ohngeachtet die Leichname 1 Jahr, auch etliche 2 Jahr und drüber bereits in der Erde gelegen hatten“, berichtet die Berlinische Priviligirte Zeitung vom Donnerstag, den 2. April 1755. „Diesen wurden als Vampyrs erstlich die Köpfe abgehauen, das Herz durchstossen, und sodann die Cörper zu Aschen verbranndt. Diese Execution ist auf Kayserl. Befehl vor 6 Wochen in dem Dorfe Hermsdorf geschehen, wozu Knechte und Scharfrichter von Troppau, Jägerndorf, Teschen und umliegenden Orten zugezogen worden.“ Maria Theresia aber wollte der Sache genauer auf den Grund gehen und schickte eine Untersuchungskommission. Die Vorfälle von Hermersdorf, folgerten die Ärzte Wabst und Gosser im Nach hinein, seien lediglich Auswüchse des Aberglaubens gewesen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam Maria Theresias Leibarzt Gerhard van Swie ten, den sie in ähnlicher Mission nach Mähren entsandt hatte. Van Swieten berichtet in seiner nüchternen Abhandlung des Daseyns der Gespenster: Der ganze Lärm komme von nichts anderem her, „als von
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einer eitlen Furcht, von einer aberglaubischen Leichtglaubigkeit, von einer dunklen und bewegten Phantasey, Einfalt und Unwissenheit bei jenem Volke.“ Diese „Barbarei der Unwissenheit“ gelte es, ausgemerzt zu werden. Alle angeblichen Anzeichen für Vampire seien auf natürliche Ursachen zurückzuführen. Austretendes Blut, füllige Leiber oder rosige Haut seien lediglich eine Folge von Gärungsprozessen und Luftmangel in den Gräbern. Maria Theresia reagiert umgehend. Am 1. März 1755 erlässt sie ein Gesetz, das als „Vampirerlass“ in die Geschichte eingeht. „Also ist unser gnädigster Befehl, dass künftig in allen derlei Sachen von der Geistlichkeit ohne Hinzuziehung der weltlichen Behörden nichts vorgenommen, sondern jedes Mal wenn ein solcher Fall eines Gespenstes, Hexerei, Schatzgräberei, oder eines angeblich vom Teufel Besessenen vorkommen sollte, derselbe der weltlichen Behörde sofort angezeigt, von dieser mit Hinzuziehung eines vernünftigen Arztes untersucht und eingesehen werden solle, ob und was für ein Betrug darunter verborgen, und wie sodann die Betrüger zu bestrafen sein werden.“ Doch damit nicht genug. Ein Jahr nach van Swieten schickt Maria Theresia auch noch den Chirurgen Georg Tallar in die vom Vampirglauben betroffenen Gebiete, um die Lage noch einmal zu untersuchen und um einen erneuten Bericht zu verfassen. Er kommt zurück mit dem Visum Repertum Anatomico-chirurgicum, oder, gründlicher Bericht von den sogenannten Blutsäugern, Vampier, oder in der wallachischen Sprache Moroi, in der Wallachey, Siebenbürgen, und Banat: Welchen eine Eigends dahin Abgeordnete Untersuchungskommission der Löbl. K. K. Administration im Jahre 1756 erstattet hat. Viele der Leiden, für welche die Wallachen die Vampirplage verantwortlich machen, folgert Tallar, seien vielmehr auf eine ungesunde Ernährung zurückzuführen. Kohl, Knoblauch und Sauerkraut würden die Bauchschmerzen verursachen, die sie als „Herzweh“ interpretieren und den Blutsaugern in die Schuhe schieben. Statt nach Un toten zu suchen, verabreichte der Chirurg den Betroffenen ein Brech mittel und konnte sie so kurieren. Auch den Aberglauben, die Vampire seien besonders schädlich an Samstagen, konnte er widerlegen. Tallar exhumierte Tote an unterschiedlichen Wochentagen und
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zeigte, dass die Leichen an Samstagen nicht anders aussahen als an Freitagen oder Sonntagen.
Vampire vor Gericht
Wer glaubt also angesichts dieser Ergebnisse noch an Vampire? Scheinbar hat im Zuge der Aufklärung die Ratio doch über den Aberglauben gesiegt. Aber die Antwort auf Rousseaus Frage lautet auch rund 120 Jahre später immer noch: weite Teile der Bevölkerung. Nach den Philosophen und Naturforschern sahen sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts endlich auch die Juristen gezwungen, sich mit den Untoten auseinanderzusetzen. Darf man ungestraft einen Toten töten? Im Jahr 1871 – Otto von Bismarck hatte gerade sein Amt als Reichskanzler angetreten – kommt ein Fall aus Westpreußen vor Gericht. Dort war in einem Dorf im Vorjahr die Ehefrau des Waldwarts Gehrke verstorben. Kurz darauf verschlechterte sich der Gesundheitszustand ihres Ehemannes und der Kinder dramatisch. Waldmann Gehrkes Bruder, ein gewisser G. Gehrke, konnte da nicht tatenlos zusehen. Gemeinsam mit Freunden schmiedete er einen Plan. Sie wollten das Grab der Toten öffnen und Leinsamen hineinstreuen. Gäbe man der Toten die Aufgabe, die Samenkörner zu zählen – und zwar nicht schneller als ein Körnchen pro Jahr –, sei sie erst einmal beschäftigt und könne kein weiteres Unheil anrichten. Als sie aber den Sargdeckel aufbrachen und das rosige Gesicht der Verstorbenen sahen, beschlich sie der Verdacht, dass es mit ein paar Samenkörnern nicht getan sei. Um ganz sicher zu gehen, wollte man die Leiche doch lieber köpfen. Damit die Tote ihren Kopf nicht wieder aufsetzen könne, legten sie ihn ihr nach der Tat unter den Arm. Doch nicht alle Dorfbewohner zeigten Verständnis für das nächtliche Treiben auf dem Friedhof, es kam zur Anzeige. Die Staatsanwaltschaft nannte die Tat G. Gehrkes und seiner Kumpanen „unbefugte Beschädigung eines Grabes und einen an demselben verübten beschimpfenden Unfug.“ Das Kreisgericht folgte dieser Auffas-
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sung und verurteilte die Männer zu einer Gefängnisstrafe. Doch Gehrke legte Berufung ein. Schließlich habe er, so seine Argumentation, in keinster Weise unbefugt gehandelt, sondern im Gegenteil sehr wohl im Einvernehmen mit und sogar im Auftrag der nächsten Angehörigen. Das Appellationsgericht gab ihm zwar in dieser Hinsicht Recht, doch die Strafe blieb bestehen. Denn auch wenn Gehrke und seine Freunde befugt gehandelt hatten, so blieb die Tat doch immer noch beschimpfender Unfug – sozusagen befugter beschimpfender Unfug. Gehrke jedoch gab nicht auf: Es sei doch gar kein Unfug gewesen, sondern eine gute Tat. Und schließlich gab das Oberste Gericht ihm Recht. Der Angeklagte habe schließlich genau gewusst, was er da tat und „in voller Überzeugung seiner Berechtigung und in löblicher Absicht“ gehandelt. Die Frage, ob die Frau denn überhaupt tot war oder doch eher untot, sparte man in den Akten geschickt aus. Für das Urteil zählte nur, dass Gehrke fest daran glaubte, sie untot im Grab gefunden zu haben. Daraufhin wurden die Männer freigesprochen. Etwa zur gleichen Zeit suchte ein weiterer Vampir das westpreußische Dorf Kantrzyno im Kreis Neustatt heim. Dort war der Gutsbesitzer und Ortsvorsteher Franz von Poblocki am 5. Februar 1871 im Alter von 63 Jahren an „Auszehrung“ verstorben. Kurz darauf legte sein ältester Sohn Anton sich ins Bett und klagte über ähnliche Symptome. Der herbeigerufene Arzt diagnostizierte die „galoppierende Schwindsucht“ und konnte nichts mehr für den 28-jährigen tun. Am 18. Februar folgte Anton seinem Vater in den Tod, und schnell griff die Seuche um sich. Von Poblockis Ehefrau, seine jüngere Tochter, sein zweiter Sohn und schließlich auch ein Schwager fühlten sich zusehends schwächer. Noch während Anton aufgebahrt in der guten Stube lag, seine Mutter und Schwester bereits im Krankenbett, trat im Haus der von Poblockis der Familienrat zusammen. Kein Zweifel: Der alte von Poblocki war ein Vampir. Seinen ältesten Sohn hat er sich schon geholt, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die anderen Familienmitglieder auch folgen mussten. Nach seinem und Antons Tod lag nun die Verantwortung für die Familie in den Händen Josefs, seines zweitältesten Sohnes. Der fühlte sich zwar auch schon matt, erklärte sich jedoch bereit, die Sache
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in die Hand zu nehmen. Allerdings brauchte er Hilfe. Er bat den Arbeiter Johann Dzigcielski, Antons Kopf abzutrennen. Gemeinsam schlossen sie nach vollendeter Tat den Sarg und machten sich auf zum Friedhof. Nun waren die von Poblockis eine reiche Familie. Josef versprach dem Totengräber eine angemessene Belohnung, wenn er die Grube für seinen Bruder ganz nahe an die des Vaters setzen würde. So könne er, war sein Plan, den Sarg durch die dünne Wand herausholen, dem Vater den Kopf abtrennen und so sich und seine Familie retten. Der Totengräber vertraute sich schließlich dem Ortspfarrer Block an. So ein heidnischer Unfug! In seiner Gemeinde! Er befahl dem Totengräber, das Loch gefälligst in angemessenem Abstand zu graben. An Josef von Poblocki schickte er eine Warnung: Wehe, er oder seine Arbeiter würden auch nur einen Fuß auf den Friedhof setzen. Und um ganz sicher zu gehen, ließ er für die Nacht auch noch zwei Wachen aufstellen. Einer von beiden muss dann doch eingenickt sein, denn mitten in der Nacht wachte der Wirt des nahen Gasthauses durch ein lautes Gepolter auf. Beherzt lief er hinaus auf den Friedhof und verjagte die Gestalten, die sich dort am Grab von Franz von Poblocki zu schaffen machten. Fast wären sie fertig geworden: Das Grab war bereits wieder halb verfüllt. Neben dem Grab lag noch die Hacke, die einer der Täter in der Eile zurückgelassen hatte. Pfarrer Block tobte. Sofort am nächsten Morgen ließ er das Grab erneut öffnen. In dem Sarg bot sich ein schauerlicher Anblick: Von Poblocki fehlte der Kopf, den hatten die nächtlichen Akteure mit dem Gesicht nach unten zu seinen Füßen deponiert. Wer für die Schandtat verantwortlich war, lag auf der Hand. Der Totengräber erkannte sie sofort. Er hatte sie zuvor bei einem von Josef von Poblockis Helfern gesehen. Für den Tag war nun auch die Beerdigung Antons angesetzt – der ja auch schon kopflos in seinem Sarg lag. Was wurde das für eine Predigt am offenen Grab! Block schimpfte und wetterte ob des unsinnigen und gottlosen Treibens in seiner Gemeinde. Dem müsse man unbedingt ein Ende setzen. Sofort nach der Beerdigung eilte er, mit der Hacke als Beweismittel in der Hand, zur Staatsanwaltschaft. Das Kreisgericht gab Pfarrer Block Recht und verurteilte Josef von Poblocki und Johann Dzigcielski zu jeweils vier Monaten, die
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übrigen Helfer zu vier Wochen Gefängnis wegen unbefugter Beschädigung eines Grabes und an demselben verübten beschimpfenden Unfugs. Von Poblocki wandte sich an das Appellationsgericht. Die Tat selber stritt er nicht ab. Doch Unfug sei das bestimmt nicht gewesen, sondern Notwehr. Schließlich seien Vater und Bruder doch Vampire, und er habe lediglich sein Leben retten wollen. Wie schon im Fall Gehrke wenig früher sprach auch hier das Appellationsgericht die Angeklagten frei, und das Obertribunal bestätigte am 15. Mai 1872 die Unschuld der Männer. Beide Vampir-Gerichtsfälle blieben allerdings nicht in den Amtsstuben verschlossen. Begierig stürzte sich die Presse darauf und diskutierte in den folgenden Wochen die Urteile. Vampire waren wieder einmal in aller Munde. Und wie ist die Rechtslage heute? Der Paragraph 168 des Straf gesetzbuches ist immer noch ähnlich formuliert wie der entsprechende Absatz in der preußischen Gerichtsordnung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Paragraph 168 Absatz 1: „Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Immerhin ist seit dem 20. Oktober 1992 mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Frage höchstrichterlich geklärt, dass die Tötung eines Zombies legal ist, da diese Wesen keine Menschen und bereits tot sind. Unter den Nationalsozialisten wurden die Toten in der Gesetzgebung sogar wieder zu Personen. Sie durften heiraten. Oder vielmehr mussten sie unter bestimmten Umständen das tun. Denn tausendfach spielte sich im Zweiten Weltkrieg die gleiche Geschichte ab: Krisensituationen fachen das Bedürfnis nach menschlicher Nähe an. Bevor ein Soldat an die Front zog, wurde diese Nähe oftmals so nah, dass er
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und seine Freundin – oder im besseren Fall Verlobte – dabei ein Kind zeugten. Fiel er anschließend im Krieg, galt dieses Kind als unehelich, hatte keinerlei Ansprüche und wurde sozial ausgegrenzt. Um Deutsch land die Schande dieser vielen unehelichen Kinder zu ersparen, unterzeichnete Adolf Hitler am 6. November 1941 einen Führererlass, der es Frauen erlaubte, einen toten oder vermissten Wehrmachtsangehörigen zu heiraten, wenn vor dessen Abreise an die Front „nachweislich die Absicht bestanden habe, die Ehe einzugehen.“ Die Moralvorstellungen jener Zeit setzten klare Prioritäten: Lieber einen toten Vater als keinen Vater – lieber einen toten Ehemann als keinen Ehemann. Was sich zunächst seltsam anhört, fand in der Bevölkerung großen Zuspruch. Insgesamt nahmen 25.000 Frauen diese Möglichkeit wahr und feierten eine sogenannte Leichentrauung.
Vampire in der Neuen Welt
Der bestbekannte Fall eines modernen Vampirs ist wahrscheinlich der von Mercy „Lena“ Brown aus Exeter in Rhode Island. Im Dezember 1882 verstarb ihre Mutter an der Schwindsucht, nur ein Jahr später folgte ihr die Schwester Mary Olive. Auf der Beerdigung, berichtet die Lokalzeitung in Marys Nachruf, sang die Gemeinde die Hymne One Sweetly Solemn Thought ganz so, wie das 20-jährige Mädchen es sich auf ihrem Sterbebett gewünscht hatte. Einige Jahre später zeigte Bruder Edwin erste Symptome der „Motten“, wie die auszehrende Krankheit genannt wurde, und schließlich ging es auch mit Lenas Gesundheit rapide bergab. Sie litt sogar an der „galoppierenden Schwindsucht“, einer gegen Ende besonders aggressiven Verlaufsform, und wurde rasch von allen Ärzten aufgegeben. Im Januar 1892 bettete ihr Vater sie in das Familiengrab zu seiner Frau und seiner älteren Tochter. Auch Edwin ging es nun zusehends schlechter. Da begannen die Nachbarn, sich einzumischen. Die Hauptstadtzeitung Providence Journal dokumentierte den Fall akribisch und beschrieb, wie die Bewohner Exeters den Vater des Mädchens bedrängten, wenigstens
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den Sohn zu retten. Wahrscheinlich, meinten sie, sei eine der drei Frauen gar nicht wirklich tot, sondern zehre heimlich „von Edwins Fleisch und Blut“. Es fällt das Wort „Vampir“. Schließlich willigt der Familienvater ein. Am Morgen des 17. März 1892 öffnet eine Gruppe von Männern unter den wachsamen Augen des Familienarztes und eines Korrespondenten des Providence Journal die Gruft. Von der Mutter und von Mary Olive finden sie nur noch trockene Knochen. Lenas Körper dagegen, obwohl nun auch bereits seit zwei Monaten tot, befand sich „in einem ziemlich gut erhaltenen Zustand“. Herz und Leber waren sogar noch mit – wenn auch verklumptem – Blut gefüllt. Die Schuldige war gefunden. Man verbrannte die blutigen Organe und verabreichte die Asche dem dahinsiechenden Edwin. Genützt hat es nichts. Der junge Mann verstarb weniger als zwei Monate später. Etwa 80 Exhumierungen angeblicher Vampire hat der Folklo rist Michael Bell in Neuengland bisher nachweisen können. Lena war also kein Einzelfall. Sie ist nur eine von vielen, die in der Zeit der großen Tuberkulose-Epidemie des 18. und 19. Jahrhunderts ausgezehrt und blutleer an der Schwindsucht starben. Während die Nachbarn und Familienmitglieder ihre Gräber öffneten und ihnen die Organe entrissen, dominierte an anderen Orten der Vereinigten Staaten der Glaube an Technik und Fortschritt. In den großen Städten glaubte man schon lange nicht mehr an Vampire. Entsprechend pikiert griffen die überregionalen Zeitungen den Fall auf. Das seltsame Verhal ten der Einwohner von Exeter sei vielleicht, mutmaßte ein Autor des Boston Daily Globe, auf „häufiges Heiraten innerhalb einer Familie in diesen hinterwäldlerischen Distrikten“ zurückzuführen. Nur wenige Jahre nach Lena Browns Tod begann in Detroit die Massenpro duktion von Automobilen, und schon die Generation von Lenas Enkeln – hätte sie denn vor ihrem Tod noch Kindern gezeugt – flog mit Raumschiffen auf den Mond. Die meisten der neuenglischen Vampirgräber liegen abseits, auf kleinen, längst vergessenen Familienfriedhöfen wie dem von Griswold. Lena Browns Grab auf dem kleinen Chestnut Hill Cemetery aber blieb über die Jahre hinweg immer ein Ausflugsziel, ein Pilgerort für Vampirfans. Ihr Grabstein ist auch heute noch blank gescheuert, davor las-
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sen Besucher kleine Gaben zurück: Blumen, Briefe oder Vampirgebisse aus Plastik. Manchmal, sagen die Leute aus der Gegend von Exeter, ginge ihr ruheloser Geist noch immer auf einer Brücke um, dann könne man den Duft von Rosen riechen, wieder andere wollen ihr Flüstern auf dem Friedhof gehört haben, und ab und zu berichtet ein Todkranker kurz vor seinem Ableben, Lena sei an sein Bett gekommen. Sterben sei gar nicht so schlimm, habe sie ihm versichert. So richtig tot ist Mercy „Lena“ Brown also bis heute nicht. Vielleicht lebt sie sogar noch in einer ganz anderen Form in unserem kollektiven Gedächtnis. Denn in den Unterlagen Bram Stokers fand sich ein im Jahr 1896 veröffentlichter Zeitungsartikel aus der New York World mit ihrer Geschichte. Der irische Novellist muss ihn gelesen und ausgeschnitten haben, als er in jenem Jahr im Gefolge des Schauspielers Henry Irving durch die Vereinigten Staaten von Amerika tourte. Vielleicht hob Stoker den Artikel nur auf, weil er thematisch zu seinem fast fertig geschriebenen Buch passte: Am 18. Mai 1897 sollte sein Roman Dracula erscheinen. Vielleicht aber war das Werk zu dem Zeitpunkt doch noch nicht ganz so fertig. Denn Lucy Westenra, das erste Opfer von Stokers blutsaugendem RomanGrafen, weist auffällige Ähnlichkeiten mit Lena auf. Beide sind fast gleichaltrig, beide werden innerhalb kurzer Zeit zusehends schwächer und blasser. Sogar der Name Lucys könnte ein Amalgam aus „Lena“ und „Mercy“ sein. Vor allem aber ist es die Beschreibung der Graböffnung durch Abraham Van Helsing, die an das Geschehen in Exeter nur wenige Jahre zuvor erinnert. Für die Person des Van Helsing jedenfalls hatte Stoker ganz reale Vorbilder benutzt. Einer von ihnen war Gerhard van Swieten, der 1755 im Auftrag Maria Theresias in Mähren nach Untoten geforscht hatte.
Ein grausames Vorbild – Die Taten des Vlad III. Dr˘a culea
Auch für den Grafen Dracula bediente Stoker sich bei einer historischen Persönlichkeit: dem rumänischen Woiwoden Vlad III. Drăculea (um 1431–1476/1477). Eines war dieser allerdings ganz
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gewiss nicht: ein Vampir. Zwar berichtet eine zeitgenössische Quelle, er habe sein Brot in das Blut seiner Feinde getunkt, bevor er es in den Mund schob, doch dies war, wie so viele ihm zugeschriebene Details aus seinem Leben, eher ein Element, das die Sensationslust eines blutgierigen Publikums bedienen sollte. Seit 1450 der Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden war, verlangte die Leserschaft schnell nach immer provokanteren Geschichten. Und wo eine Nachfrage ist, passt das Angebot sich an: Vlad III. Drăculea war eines der ersten Opfer der europäischen Sensationspresse. In seiner Heimat Rumänien gilt er dagegen bis heute als Volksheld. Nicht nur, weil er sein Land gegen die Truppen des Osmanischen Reiches verteidigte, sondern vor allem, weil er – wenn auch oft mit brutalen Methoden – der Misswirtschaft und Korruption ein Ende setzte. Auch wenn er mit seinem von Bram Stoker erfundenen Na mensvetter nicht viel gemein hat, lohnt sich ein Blick auf das Leben von Vlad III. Drăculea. Denn es verdeutlicht die Präsenz des und den Umgang mit dem Tod um die Mitte des 15. Jahrhunderts – jener Zeit, in der viele Untote in den europäischen Volkssagen ihr Unwesen trieben. Große Teile seiner Kindheit verbrachte Vlad III. als Geisel des türkischen Sultans an dessen Hof. Brutalität und Tod waren sowohl dort als auch in seiner Heimat allgegenwärtig. Er war kaum erwachsen, als ungarische Truppen seinen Vater ermordeten. Auf ungarischen Befehl hin wurde auch sein älterer Bruder mit glühenden Eisenstangen geblendet und anschließend lebendig begraben. Die ohnmächtige Wut, die er als Kind und Jugendlicher erleben musste, sollte den Fürsten für den Rest seines Lebens prägen. In dieser Zeit am osmanischen Hof lernte er jene Todesart kennen, die zu seinem Markenzeichen wurde: das Pfählen. Wieviel Feinde Vlad III. Drăculea tatsächlich tötete, lässt sich aus den oft sehr subjektiven Quellen nicht rekonstruieren, die Schätzungen schwanken zwischen 40.000 und 100.000 Opfern. Die gedruckten Flugblätter, die in Deutschland kursierten, nennen außer den Pfählungen auch Folterungen, Verbrennungen, Verstümmelungen, Ertränkungen, Häutungen, Röstungen und das Kochen der Opfer.
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Untote in Literatur und Film
Stoker machte aus dem walachischen Woiwoden einen kaltherzigen Blutsauger. Die Idee des Vampirromans war allerdings keine neue Erfindung. Als Stoker Dracula schrieb, war das Thema sogar eigentlich schon verbraucht. Nicht nur die Schriftsteller, auch die Theaterregisseure hatten ihr Schaffen bereits das gesamte Jahrhundert hindurch den Vampiren gewidmet. Der Vampir war auch längst kein mordendes, dreckiges, schmatzendes Wesen mehr. Er war vielmehr salonfähig geworden. Die Weltliteratur verdankt die moderne Figur des GentlemanVampirs einem Vulkanausbruch. 1815 schleuderte der indonesische Vulkan Tambora so viel Asche in die Atmosphäre, dass noch das kommende Jahr 1816 als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte einging. Bald sprach man von diesem Unglücksjahr nur noch als „Achtzehn hundertunderfroren“. Ungewöhnliche Kälte und heftige Regenfälle führten zu Missernten. Just in diesem Jahr machte der britische Dichter Lord Byron sich auf Europareise. Am Genfersee traf er mit Percy Bysshe Shelley und dessen zukünftiger Frau Mary Godwin (die spätere Mary Shelley) zusammen. Mit von der Partie waren außerdem seine schwangere Ex-Geliebte und Marys Stiefschwester Claire Clairmont sowie sein Leibarzt John Polidori. Gerne hätte die Gruppe Ausflüge in die Umgebung unternommen, doch der heftige Regen zwang sie dazu, endlose Tage in ihrem Domizil, der Villa Diodati, zu bleiben. Angeregt vom exzessiven Laudanum-Konsum verbrachte die Gruppe die Tage und Nächte mit mäandernden Diskussionen um Philosophie, Politik und Naturwissenschaften. Immer wieder ging es auch um okkulte Phänomene. War es tatsächlich möglich, wie Eras mus Darwin – der Großvater von Charles Darwin – postuliert hatte, tote Materie zum Leben zu erwecken? Die jungen Literaten lasen sich auch gegenseitig vor – am liebsten Gruselmärchen. Byron kam schließlich auf die Idee, auch selber welche zu verfassen. Jeder sollte sich zur Unterhaltung der anderen eine eigene Schauergeschichte ausdenken. Zwei der im Laudanumrausch geborenen Gestalten jener Regentage und -nächte sollten es zu
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Weltruhm bringen: Shelleys Frankenstein und Lord Ruthven, ein unheimlicher Londoner Gentlemen mit kalten, grauen Augen. Ruthven war die zentrale Gestalt jener Geschichte, die Byron in der Runde erzählte. Doch erst Polidori arbeitete später die Feinheiten aus und schuf so The Vampyr, den ersten Vampirroman der Weltliteratur. Kurz nach der Veröffentlichung von Polidoris Geschichte begannen Vampire, die gehobenen Kreise der europäischen Gesellschaft zu bevölkern. Die Untoten wurden zur Mode. In den 1820er Jahren spielte jedes Pariser Theater, das etwas auf sich hielt, ein Stück, in dem Vampire ihr Unwesen trieben. Am 29. März 1828 feierte in Leipzig die Oper Der Vampyr des Komponisten Heinrich Marschner Premiere. Und dann kam Carmilla. Ihr geistiger Vater ist der irische Schriftsteller Sheridan Le Fanu, der sie 1872 auf die Menschheit losließ. Als die unheimliche Dame auf einem einsamen Schloss in der Steiermark auftaucht, beginnt eine mysteriöse Reihe von Todesfällen in der Umgebung. Zunehmend verdichten sich die Hinweise, dass mit Carmilla etwas nicht stimmt: Sie isst nie etwas, obwohl ihre Eckzähne auffallend spitz und scharf sind, sie weigert sich, zu beten oder Kirchenlieder zu singen, ist oft müde und kraftlos, schläft in einem Sarg, kann durch Wände gehen, sich bei Bedarf in eine riesige Katze verwandeln, und sie hat eine fatale Vorliebe für junge Frauen – alle ihre Opfer sind weiblich. Le Fanus Romanvorlage des lesbischen Vampirs regte die Fantasie der Leser derart an, dass der Stoff bis heute in mindestens elf Filmen, zahlreichen Hörspielen und einer Bühnen fassung weiterverarbeitet wurde. Mit Carmilla schien der Zenit des Vampirs als literarische Gestalt überschritten. Wie sollte man diese Figur noch toppen? Seit einem halben Jahrhundert herrschten Vampire nun schon auf Bühnen und in Büchern, im Grunde genommen hatte der Mythos sich längst erschöpft. Fast ist man geneigt, dem irischen Schriftsteller Bram Stoker Fantasielosigkeit vorzuwerfen, da er sich 1897 noch ein weiteres Mal des Themas annahm. Schwer zu sagen, was seinen Dracula erfolgreicher werden ließ, als alle Vampire vor ihm. Vielleicht ist es die fast unerträgliche Nähe, die er uns durch seine detaillierte Be-
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schreibung des rumänischen Grafen ungefragt aufzwingt. Während Draculas Vorgänger diffuse Wesen mit beliebigen Gesichtszügen blieben, die jeder Leser aus dem eigenen Erfahrungsschatz ausfüllen konnte, gab Stoker dem Grauen ein Gesicht. Und das war so prägend, dass wir es bis heute vor uns sehen, wenn wir die Augen schließen und unserer Urangst vor den Untoten nachgeben. Vorbild für seinen Grafen war Stokers Freund, der Schauspieler Henry Irving. Ihn hatte der Autor im Sinn, als er minutiös die Erscheinung Draculas beschrieb: „Sein Gesicht war ziemlich – eigentlich sogar sehr – raubvogelartig; ein schmaler, scharf gebogener Nasenrücken und auffallend geformte Nüstern. Die Stirn war hoch und gewölbt, das Haar an den Schläfen dünn, im Übrigen aber voll. Sein Mund, soweit ich ihn unter dem starken Schnurrbart sehen konnte, sah hart und ziemlich grausam aus; die Zähne waren scharf und weiß und ragten über die Lippen vor, deren auffallende Röte eine erstaunliche Lebenskraft für einen Mann in seinen Jahren bekundeten. Die Ohren waren farblos und oben ungewöhnlich spitz. Der allgemeine Eindruck war der einer außerordentlichen Blässe.“ Mit Dracula war der moderne Vampir geboren. Die Faszination an ihm ist seit dem nie abgeebbt. Schnell schaffte er, als das Kino populär wurde, den Sprung aus den Buchseiten auf die Leinwand. Bereits in der Stummfilm-Ära war der Vampir ein Klassiker der Filmgeschichte, heute ist Graf Dracula die Figur mit den meisten Filmauftritten – gefolgt von Sherlock Holmes. Zu den Meilensteinen der Vampirgeschichte gehört mit Sicher heit die deutsche Produktion Nosferatu aus dem Jahr 1922, bei der Friedrich Wilhelm Murnau Regie führte. In der Schlussszene stirbt der Vampir, gespielt von Max Schreck, nicht durch den Pflock durch das Herz, sondern wird von Sonnenstrahlen vernichtet. Diese Todes art tritt hier zum ersten Mal in den Vordergrund und beeinflusste das Genre nachhaltig. Ebenfalls prägend für das Bild Draculas in der Filmgeschichte wurde neun Jahre später Dracula mit Béla Lugosi als Blutsauger. Sein ungarischer Akzent und seine ausholenden Bewegungen dienten vielen späteren Darstellern als Vorbild. Diese Einflüsse mündeten in die Produktion von Dracula aus dem Jahr 1958
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KAPITEL 8
mit Christopher Lee in der Hauptrolle, der im Sonnenlicht einen spektakulären Tod erleiden musste. Bis dahin waren die Vampire unnahbare Gestalten gewesen, Monster, die mit der Verwandlung ihre gesamte Menschlichkeit verloren hatten. Es war die US-amerikanische Schriftstellerin Anne Rice, die sie ihnen in ihrem 1976 veröffentlichten Roman Interview with the Vampire zurückgab – und sogar noch steigerte. Die Hauptfiguren ihres Romans, Louis und Lestat, werden von ihren Leidenschaften und Emotionen getrieben. Ihre Vampire empfinden nach der Verwandlung alle Gefühle und alle Sinneseindrücke unendlich viel stärker als Menschen, und das verleiht ihnen eine unwiderstehliche Erotik. In Interview with the Vampire und den folgenden Büchern der Serie The Vampire Chronicles setzt die Autorin außerdem neue Parameter, die spätere Vampirliteratur nachhaltig beeinflussten. Lange Zeit ist Louis so angewidert von seiner Existenz, dass er versucht, sich nur von Tierblut zu ernähren: Er wird so zum ersten „vegetarischen“ Vampir der Literaturgeschichte. Erst 1994 wird Interview with the Vampire verfilmt. In den Hauptrollen verkörpern Brad Pitt und Tom Cruise diese neue Art von Vampiren. Pitt wird im Jahr darauf vom People’s Magazine zum Sexiest Man Alive gekürt – wozu sicherlich die Rolle des Louis entscheidend beigetragen hat. Nach The Vampire Chronicles war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Grenze zwischen Vampiren und Menschen überschritten, bis das klassische Romeo-und-Julia-Thema die Trennlinie zwischen beiden Welten aufweichen würde. Diese letzte Grenze rissen 1997 Buffy und Angel in der TV-Serie Buffy – The Vampire Slayer nieder. Buffy ist eine Auserwählte, eine geborene Vampirjägerin. Angel ist der Vampir, der als Strafe seine Seele zurückbekam. Der Schöpfer der Serie, Joss Whedon, kreierte mit seiner Figur der Buffy Summers eine ganz neue Art von Vampirjägern. Buffy selber ist blond und niedlich, besitzt jedoch übermenschliche Superkräfte. Diese oft als „Buffy-versum“ bezeichnete Welt zog mit ihren intelligenten Dialogen und komplexen Handlungen vor allem ein intellektuelles Publikum an. Keine andere Vampirsage bekam so viel akademische Aufmerksamkeit wie Buffy – The Vampire Slayer. Mittlerweile wur-
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den über 200 wissenschaftliche Aufsätze und Bücher aus so unterschiedlichen Bereichen wie Soziologie, Psychologie, Anthropologie und Linguistik über Buffy verfasst. Sowohl an The Vampire Chronicles als auch an Buffy knüpfte Stephenie Meyer im Jahr 2005 mit der Twilight Saga an. Ihre Vam pire leben vegetarisch und besitzen die übernatürliche Schönheit und Empfindsamkeit der Untoten von Anne Rice. Im vierten Buch der Saga zeugen der Vampir Edward und Bella ein Kind – Renesmee, halb Vampir, halb Mensch. Erst bei der Geburt transformiert Edward auch Bella zum Vampir, da sie sonst am Blutverlust gestorben wäre. Der Erfolg der Twilight Saga stellte alle bisherigen Vampirgeschichten in den Schatten. Zurück zu den Wurzeln des Genres führen seit 2010 die TVSerie The Walking Dead und seit 2011 Game of Thrones die Untoten. Die Zombies und „Weißen Wanderer“ dieser fiktiven Welten sind ganz und gar gefährliche Monster ohne jeden Sinn für Romantik. Der Beliebtheit des Untoten-Themas tut dieser Ansatz jedoch keinen Abbruch, beide Produktionen gehören zu den erfolgreichsten amerikanischen Fernsehserien.
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Bis zuletzt: Untote zu allen Zeiten
Ein weiterer Untoter im Rampenlicht – Der Zombie
Am 30. April 1962, um 09:45 Uhr, berichten die Krankenhausakten, betrat ein Patient namens Clairvius Narcisse das Albert Schweitzer Hospital in der Kleinstadt Deschapelles, rund 54 Kilometer nördlich der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince. Schon seit einiger Zeit ginge es ihm nicht gut, beklagte der Mann. Er fühle sich schlapp, leide an Gliederschmerzen und habe erhöhte Temperatur. Da er nun auch noch begonnen habe, Blut zu spucken, sei er nun vorstellig geworden. Das Krankenhaus nahm ihn auf, aber Narcisses Zustand verschlechterte sich rapide. Verdauungsstörungen, ein Lungenödem, Unterkühlung, Atemnot und extrem niedriger Blutdruck kamen hinzu. Am Morgen des 2. Mai stellten zwei Ärzte, einer von ihnen US-Ameri kaner, den Tod von Clairvius Narcisse fest. Seine ältere Schwester Mare Claire setzte ihren Fingerabdruck unter den Totenschein, die Beerdigung folgte am nächsten Tag. 18 Jahre später ist Angelina Narcisse auf dem Markt beim Einkaufen, als ein Mann sie anspricht. Er sei ihr Bruder Clairvius, behauptet er. Zum Beweis nennt er ihr seinen Spitznamen aus Kindertagen, den nur wenige Familienmitglieder kannten. Angelina glaubt ihm, und sie glaubt auch die seltsame Geschichte, die ihr Bruder ihr von den vergangenen a18 Jahren erzählt. Er erinnere sich an ihre Tränen, als die Ärzte ihn für Tod erklärten, berichtet er. Dann fühlte er, wie man ihm das Laken über das Gesicht zog – doch er war nicht in der Lage, sich zu bewegen oder zu reden. Auch dann nicht, als man
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die Nägel in den Sargdeckel schlug und dabei versehentlich einen in seine Wange trieb. Wie lange er unter der Erde lag, könne er nicht sagen. Nur, dass ihn ein bokor ausgrub, ein Voodoopriester. Der schlug ihn, fesselte ihn, knebelte ihn und brachte ihn auf eine Plantage, wo er die nächsten zwei Jahre als Sklave arbeiten musste. An viel aus dieser Zeit könne er sich allerdings nicht erinnern, da er ohne Willen in einem tranceähnlichen Zustand lebte. Dann gelang ihm und weiteren Sklavenarbeitern die Flucht. Nach Hause aber traute er sich nicht. Denn er verdächtigte seinen Bruder, den er um das Erbe eines Stückes Land betrogen hatte, den bokor für seine Tat bezahlt zu haben: Clairvius in einen Zombie zu verwandeln. Erst als sein Bruder gestorben war, fasste er den Mut, seine Schwester aufzusuchen. Kurz nachdem diese Geschichte bekannt wurde, horchten die ersten Wissenschaftler auf. Wenn es tatsächlich eine Methode gäbe, einen Menschen temporär in einen todähnlichen Zustand zu versetzen, würde dies Anästhesisten ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Die Stoffwechselfunktionen von Astronauten könnten für Langstreckenflüge so weit heruntergefahren werden, dass sie problemlos bisher unerreichte Distanzen zurücklegen könnten. An der Geschichte von Clairvius Narcisse gab es kaum Zweifel. Weitere Befragungen zu Details aus seiner Kindheiten bestätigten, dass er tatsächlich derjenige war, für den er sich ausgab. Nur was hatte der bokor benutzt, um ihn zum Zombie zu machen? Um das herauszufinden, besuchte 1982 der Harvard-Student Wade Davis auf Haiti an unterschiedlichen Orten mehrere bokors und kaufte bei ihnen Pulver, das angeblich für solche Zwecke verwendet wurde. Die Anweisungen, die sie dem jungen Davis gaben, lauteten stets gleich: Das Pulver dürfe nicht oral eingenommen werden. Stattdessen solle er es dem Opfer in die Schuhe streuen, auf den Rücken oder in offene Wunden. Eine Laboranalyse ergab, dass kein Pulver dem anderen glich. Manche enthielten gemahlene Kröten, andere Baumfrösche. Schlangen kamen ebenso vor wie Eidechsen, Tausendfüßler oder Würmer. Drei Zutaten aber fand Davis in allen Mischungen: gemahlene Men -
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schenknochen, Substanzen, die starken Juckreiz auslösen, und Kugelfisch. Das Juckpulver verleitet zum Kratzen und somit zum Abschürfen der oberen Hautschichten. Ein potentes Gift kann dann durch solche Wunden leichter in die Blutbahn gelangen. Der Kugelfisch aber ist eine äußerst heikle Zutat. Haut, Leber und – bei den weiblichen Exemplaren – die Ovarien dieser Fischart enthalten das Nervengift Tetrodotoxin (TTX). Nicht so das Muskelfleisch – in Japan gilt es unter dem Namen fugu als hyperteure Delikatesse, deren Genuss ein leichtes Kribbeln auf der Zunge und einen Zustand der Euphorie erzeugt. Doch wehe, ein Schnitt verletzt die tetrodotoxinhaltigen Organe. Dann kann das Luxusmahl Verdauungsstörungen, Lungenödeme, Unterkühlung, Atemnot, extrem niedrigen Blutdruck, Juckreiz, Zyanose (Blaufärbung) der Lippen und Lähmungen hervorrufen, im schlimmsten Fall auch den Tod herbeiführen. Opfer von Kugelfischvergiftungen haben zudem berichtet, dass sie, trotz der Unfähigkeit sich zu bewegen oder zu sprechen, bei vollem Bewusstsein blieben. Die bokors gaben Davis auch Anweisungen, wie mit einem frisch ausgegrabenen Zombie umzugehen sei. Man müsse ihm, so die Voodoopriester, einen Brei aus Süßkartoffeln, Zuckerrohrsirup und einer Frucht geben, die umgangssprachlich „Zombiegurke“ genannt wird. In Europa sind die Pflanzen der Gattung Datura als Stechäpfel bekannt. Sie enthalten Atropin sowie Scopolamin und verursachen Verwirrung, Halluzinationen und Gedächtnisverlust. Die Wirkung des Stechapfels wird auch in Europa mit magischen Ritualen assoziiert – angeblich benutzten ihn Hexen für die Herstellung von Flugsalben. Außerdem dürfe man dem Zombie auf keinen Fall Salz zu essen geben. In der schweißtreibenden Hitze Haitis aber ist die Aufnahme von Salz wichtig für den Organismus – die Folge von Salzentzug ist große Mattigkeit. Zurück in Harvard veröffentlichte Davis seine Erlebnisse und Untersuchungen in zwei Büchern, The Serpent and the Rainbow und Passage of Darkness. Ersteres diente auch als Vorlage für den gleichnamigen Hollywoodfilm, dessen Handlung lose auf dem Fall des Clairvius Narcisse basiert.
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Es wird schwierig sein, den wahren Ursprung des ZombieMythos zu finden. Der Begriff an sich ist sehr modern, erst 1929 kommt die Idee des Zombies in William Seabrooks Buch The Magic Island nach Europa. Darin zitiert der Autor Artikel 246 des damaligen haitianischen Strafgesetzbuches von 1864, in dem es heißt: „Auch als versuchter Mord gilt, wenn ohne den eigentlichen Tod zu verursachen Bestrebungen unternommen werden, ein wie lange auch immer andauerndes lethargisches Koma herbeizuführen. Wenn nach der Durchführung derartiger Maßnahmen das Opfer begraben wurde, gilt der Akt als Mord, egal mit welchem Resultat.“ Streng genommen ist also der Zombie gar kein „echter“ Untoter, sondern ein Lebender, der temporär in einen künstlichen Tod versetzt und anschließend wieder aufgeweckt wird. Die Frage, in wie weit im Voodoo selber diese Unterscheidung ursprünglich getroffen wurde, lässt sich ohne weiteres nicht beantworten – zu überlagert ist die Figur des Zombies von neueren Vorstellungen, die meist aus anderen Kulturen stammen. Denn sehr bald stürzten sich nach Bekanntwerden dieses haitianischen Phänomens die Buchautoren und Filmemacher auf die Zombies und schufen schnell ein eigenes Genre. Vom ursprünglichen Voodoo-Kontext blieb schon bald kaum noch etwas übrig. Vielmehr vermischten sich die Berichte rasch mit europäischen Vampir- und Untoten-Vorstellungen. Heutige Film-Zombies werden schon längst nicht mehr durch die Praktiken eines bokors geschaffen – sondern, wie in der überaus erfolgreichen TV-Serie The Walking Dead, fast ausnahmslos durch Bisse anderer Zombies.
Glaube ohne Grenzen – Untote weltweit
Damit ist der Reigen der Untoten noch lange nicht erschöpft. Jeder Winkel der Erde hat seine eigene Variation des immer wieder gleichen Themas. In China ist es nicht die ganze Seele, die nach dem Tod den Körper verlässt, sondern nur ihre eine Hälfte, das hun. Hun ist voller yang: Energie, Kraft und Licht. Zurück beim Leichnam bleibt das yin-reiche p’o: erdig, voller Schatten und schwach. Doch wehe, auf
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den Körper des Toten treffen nun Sonnen- oder auch Mondstrahlen, dann absorbiert das p’o zu viel yang – und es entsteht ein Jiang Shi – ein Vampir. Auch der Sprung einer trächtigen Katze über den Sarg, ein Blitzschlag, eine unnatürliche Todesart wie der Selbstmord oder eine durch einen Jiang Shi herbeigeführte Verletzung kann diesen Effekt haben. Die Erscheinung des Jiang Shi variiert stark, je nach Alter und damit Verwesungsgrad. Eines aber haben sie alle gemeinsam: Chinesische Untote können sich nicht normal vorwärtsbewegen, sie können nur hüpfen. Um einen Jiang Shi zu bekämpfen, gibt es eine ganze Reihe von Waffen. Wie bei den europäischen Untoten ist das Feuer eine wirksame Methode, ihn unschädlich zu machen. Aber auch Spiegel, Kerne der Chinesischen Dattel, Pfirsichbaum-Holz, Hahnengeschrei, Essig, die Hufe eines schwarzen Esels, das Blut eines schwarzen Hundes, eine Axt oder ein Besen können hilfreich sein. In Japan kennt man die Nekomata – blutsaugende Wiedergänger-Katzen. Sie leben in abgelegenen Bergregionen, können aber durchaus auch die Nähe von Menschen suchen. Eine Geschichte aus dem Jahr 1840 erzählt, wie eine Nekomata den jungen Daimyō des Nabeshima-Clans von Hizen heimsuchte. Sie tötete die Lieblingsgeisha des Prinzen, verscharrte die Leiche im Garten und nahm deren Gestalt an. Jede Nacht um Punkt zwölf Uhr schlich sich der Katzen dämon nun in das Schlafgemach des Daimyō und trank von seinem Blut. Der junge Prinz aber merkte nichts davon. Nur seine Familie sah, dass er zusehends schwächer und blasser wurde. Keiner der Hof ärzte konnte ihm helfen. Auch Wachen, die vor dem Schlafgemach aufgestellt wurden, nützten wenig – näherte sich die Mitternachtsstunde, überfiel sie stets ein tiefer Schlaf. Dann kam ein junger Soldat an den Hof, der versicherte, ein Mittel zu kennen, um den Schlaf zu besiegen. Als nun am Abend die anderen Wachen in den Schlaf fielen, stach er sich wieder und wieder die Spitze seines Dolches in die Finger. Kaum hatte es Zwölf geschlagen, kam die wunderschöne Geisha auf allen Vieren den Gang entlanggelaufen und wollte sich in das Prinzen gemach schleichen. Da zog der Soldat sein Schwert und trat ihr entgegen. Die Geisha funkelte ihn wütend aus gelben Katzenaugen an
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und verschwand. Vier Nächte lang ging das so und der Daimyō erholte sich in dieser Zeit prächtig. In der fünften Nacht suchte der Soldat die Geisha in ihrem Gemach auf. Er hielt ihr ein Papier mit Bannsprüchen vor und fordert sie auf, ihm diese vorzulesen. Stattdessen aber fauchte sie laut und sprang ihn an. Es entbrannte ein bitterer Kampf, bis die anderen Wachen vom Lärm aufgeschreckt herbeigelaufen kamen. Die Nekomata nam daraufhin Katzengestalt an und sprang aus dem Fenster. Erst nach einer langen Verfolgungsjagd konnten die Männer des Prinzen sie stellen und töten. Auf dem indischen Subkontinent kehren die Bhutas, Geister von Verstorbenen, in Menschen- oder auch Tiergestalt zurück. Aller dings haben sie keine einheitliche Form, da die Legenden eng mit dem Ahnenkult verwoben sind und von Region zu Region stark variieren. Meist erkennt man Bhutas in Menschengestalt jedoch daran, dass ihre Füße nach hinten zeigen. Zum Bhuta wird, wer durch einen Unfall, Mord oder Selbstmord zu Tode gekommenen ist oder nicht den Regeln entsprechend bestattet wurde. Allerdings ruhen auch die nicht, die einen „guten“ Tod starben und deren Hinterbliebene alle Vorschriften der Bestattung streng einhielten. Sie werden zu guten Geisterwesen, die ihre Familien beschützen. In Malaysia hingegen ist es keine gute Idee, seine Wäsche über Nacht draußen hängen zu lassen. Denn sonst erschnüffelt sich eine Pontianak daran ihr Opfer – der Geist einer Frau, die mit einem Kind im Leib verstarb. Die Begegnung mit einer Pontianak ist extrem gefährlich. Es reicht schon, die Augen geöffnet zu haben, wenn eine Pontianak in der Nähe ist: Dann saugt sie die Augäpfel aus dem Schädel. Ihren Opfern schlägt sie ihre messerscharfen Fingernägel in den Bauch, reißt die Organe heraus und verschlingt sie. Hegt sie einem männlichen Opfer gegenüber Rachegelüste, so reißt sie ihm auch die Geschlechtsorgane ab. Der einzige Weg eine Pontianak zu bändigen ist, ihr einen Nagel in die Kuhle an der Kehle zu schlagen. Dann verwandelt sie sich augenblicklich zu einer wunderschönen Frau und wird so sanft, dass sie eine hervorragende Ehefrau abgibt. Doch wehe, der Nagel wird entfernt. Dann nimmt die Pontianak wieder ihre Dämonengestalt an und übt fürchterliche Rache.
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Doch nicht nur in Asien gibt es zahlreiche Untote, auch auf dem nordamerikanischen Kontinent wandelten sie schon lange, bevor die Europäer kamen und ihre eigenen Mythen mitbrachten. Die Kwakwaka’wakw im heutigen kanadischen Bundesstaat British Columbia beispielsweise fürchteten sich vor dem Bukwus. Der war der Geist eines Ertrunkenen. Die Todesart ist kein Zufall, denn der Tod durch Ertrinken war allgegenwärtig bei den Kwakwaka’wakw. Ihr Lebensraum besteht aus zerklüfteten Fjorden, das Wasser umgibt die Siedlungen oft auf allen Seiten. Entsprechend sah der Bukwus aus wie eine Wasserleiche: das Skelett bereits freigelegt, das Gesicht jedoch aufgedunsen, die Haare wirr verfilzt. Traf er lebendige Menschen, so wirkte er freundlich und bot ihnen an, seine Mahlzeit mit ihnen zu teilen. Doch wer mit ihm speiste, wurde selber zum Bukwus und dazu verdammt, als Untoter sein Dasein zu fristen.
So alt wie die Menschheit – Untote zu allen Zeiten
Den Glauben an Untote gibt es also in allen Himmelrichtungen: von den japanischen Nekomata im Westen bis zu den Bukwus an der nordamerikanischen Pazifikküste, von den draugar der Wikinger im Norden bis zu den Zombies Westafrikas im Süden. Wo auch immer Menschen ihre Toten bestatten, scheinen einige von diesen in irgendeiner Form wieder zurückzukommen. Ähnlich sieht es mit der zeitlichen Verteilung aus. Es gibt keine Epoche der Menschheit, für die man den Glauben an Untote mit Sicherheit ausschließen kann. Aus den frühesten Zeiten gibt es nur Hinweise – aber auch keine Gegenbeweise. Zu den frühesten wirklich sicheren Wiedergängerbestattun gen gehören einige Begräbnisse in der Siedlung Khirokitia auf der Insel Zypern. Hier bestatteten die Menschen in der Jungsteinzeit, zwischen 4500 und 3900/3800 vor Christus, ihre Toten in den Sied lungen, manchmal sogar unter den Fußböden ihrer Häuser. Über einigen dieser Toten fanden die Ausgräber schwere Mahlsteine. Wäh rend man bei Bestattungsplätzen in abgelegenen Gebieten noch Maßnahmen vermuten könnte, die wilde Tiere davon abhalten soll-
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ten, sich am Leichnam zu bedienen, entfällt dieses Motiv eindeutig, wenn ein Toter im Haus begraben wurde. Das Beschweren der Leiche diente also mit großer Wahrscheinlichkeit dem Zweck, ihn in seiner Grabgrube zu halten und am Aufstehen zu hindern. Ähnliche Praktiken beobachteten die Ausgräber auch an weiteren neolitischen und chalkolithischen Stätten auf Zypern, wie beispielsweise Lemba oder Kissonerga-Mosfilia. Schon bald danach reißen die gesicherten Wiedergängerbestattungen nicht mehr ab. Wir finden mit großen Steinen beschwerte Kistengräber im italienischen Capo Colonna im 9. oder 8. Jahrhundert vor Christus. Im 8. bis 5. Jahrhundert begrub man auch im griechischen Attika Tote gelegentlich unter riesigen Steinen. Als dann später die Römer sich erstmals mit den Christen auseinandersetzen mussten, ordneten sie oftmals an, deren Leichen verbrennen zu lassen. Die neue Religion der Abtrünnigen war so voll von Geschichten über eine Wiederkehr von den Toten, dass man auf Nummer sicher gehen wollte. Auch das eisenzeitliche Dänemark kannte seine Wiedergänger. Die Moorleichen beschwerte man oft mit großen Ästen. Auf der Moorleiche von Windby lag zusätzlich noch ein großer Stein, der Moorleiche von Juthe Fen hatte man sogar hölzerne Haken durch Knie und Ellenbogen getrieben, um sie im Moor regelrecht zu verankern. Im Mittelalter werden die Belege für Untote sehr dicht – zunächst bei heidnischen Stämmen wie später dann ebenso im Schatten der Kirchen und Kathedralen. In der Siedlung Mytilene auf der griechischen Insel Lesbos fand der Archäologe Hector Williams sogar einen muslimischen Vampir. Der tote Mann lag in einem schweren Holzsarg in einer Aushöhlung der Stadtmauer, sein Körper war an Hals, Becken und an den Fußknöcheln mit Eisenpflöcken an den Sargboden genagelt. Nahtlos ziehen sich sowohl die archäologischen Belege als auch die volkskundlichen Berichte durch die Neuzeit – bis in die Gegenwart. Man muss gar nicht bis zum rumänischen Dorf Marotinul de Sus schauen, um auch in der jüngsten Vergangenheit Hinweise für einen lebendigen Glauben an Wiederkehrer zu finden. Am 29. Juli 1915
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druckte beispielsweise die britische Zeitung The Times den Brief eines Korrespondenten von der Front des Ersten Weltkrieges ab. Darin lässt der Reporter einen Offizier die Geschichte eines jungen, englischen Soldaten erzählen, der mit seinem Bajonett einen hühnenhaften Deutschen getötet hatte. „Ich erinnere mich an sein Gesicht“, heißt es da. „Er könnte auch nur geschlafen haben, von einer Bösartigkeit träumend.“ Den Soldaten jedenfalls jagte dieser Blick so viel Angst ein, dass sie den Toten sorgfältig mit dem Gesicht nach unten begruben. „Sie wissen schon, warum“, erläutert der Offizier. „Wenn er anfängt, sich ausgraben zu wollen – dann gräbt er sich nur immer tiefer ein.“ Einem Mann aus Polen wurde der Glaube an Untote sogar noch im Jahr 1973 zum Verhängnis, wie die Austria Presse Agentur (APA) am 10. Januar vermeldete: „Demetrius Myiciura, ein in England lebender Pole, hatte schon immer eine panische Angst vor Vampiren. Dies kostete ihm nun das Leben. Die Polizei der Stadt Stoke fand den 56jährigen Keramikarbeiter vor einigen Tagen in seinem Bett tot auf. Ein Gerichtsmediziner stellte fest, dass Myiciura an einer Knoblauchzehe erstickt war, die er über Nacht im Mund behalten hatte. Knoblauch, Pfeffer und Salz, die sich in großen Mengen im Schlafzimmer des Toten fanden, gelten in Polen traditionell als Mittel zur Abwehr von Vampiren.“ Untote, Wiedergänger und Vampire sind also keine Erfindung der Schauerliteratur des 19. Jahrhunderts. Auch die Vorstellung, dass sie mit den Slawen im Zuge der Völkerwanderung aus den Nordkarpaten nach Mitteleuropa kamen, stimmt so nicht. Als die Slawen kamen, waren die Untoten längst da. Zwar brachten die Slawen einen reichen Legendenschatz voller lebender Leichen mit, diese mischten sich aber mit einem bereits vorhandenen Substrat. Der Glaube an Untote ist sehr viel älter. So alt wie die Menschheit selbst. Weder das Christentum noch andere große Religionen konnten ihn auslöschen. Genau so resistent erwies er sich gegen das wissenschaftliche Denken, das mit der Aufklärung kam. Warum aber nahmen die Menschen schon immer wie selbstverständlich an, dass der Tod nicht das Ende der Existenz ist? Sigmund Freud vermutet, dass der Glaube an Untote in der fortdauernden
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Erinnerung an die Toten wurzelt: „An der Leiche der geliebten Person ersann er [der Mensch] die Geister, und sein Schuldbewußtsein ob der Befriedigung, die der Trauer beigemengt war, bewirkte, daß diese erstgeschaffenen Geister böse Dämonen wurden, vor denen man sich ängstigen mußte. Die Veränderungen des Todes legten ihm die Zerlegung des Individuums in einen Leib und in eine – ursprünglich mehrere – Seelen nahe; in solcher Weise ging sein Gedankengang dem Zersetzungsprozeß, den der Tod einleitet, parallel. Die fortdauernde Erinnerung an den Verstorbenen wurde die Grundlage der Annahme anderer Existenzformen, gab ihm die Idee eines Fortlebens nach dem anscheinenden Tode.“ Was hat sich denn erst in jüngster Zeit so geändert, dass die Untoten heute tatsächlich weitgehend nicht mehr als Realität, sondern als Aberglaube akzeptiert sind? Um bei Freud zu bleiben: die Tilgung des Leibes. Fehlt der Leichnam, kann an ihm auch keine fortdauernde Erinnerung haften. Der Prozess dauert immer noch an: Zunehmend ersetzt die Kremation die Körperbestattung. Den Gedanken an den langsam vergehenden Leichnam im Erdreich empfinden immer mehr Menschen als so unangenehm, dass sie ihre Angehörigen – und sich selbst – lieber so schnell wie möglich entkörpern wollen. Und der Prozess der Entfremdung vom Toten beginnt sogar noch früher. Während die Totenwache bis vor wenigen Jahrzehnten ein fester Bestandteil des Abschiednehmens war, bemüht man sich heute in den meisten Fällen, den Toten so schnell wie möglich aus dem Haus und damit aus dem Bereich der Lebenden zu entfernen. Der Abtransport des Verstorbenen in eine anonyme, sterile Leichen halle hat nach dem Feststellen des Todes die allerhöchste Priorität. Der Tote wird nicht mehr liebevoll von den Verwandten gewaschen, eingekleidet und bewacht, stattdessen verursacht er Unwohlsein und sogar Ekel. Dieser Wandel im Totenbrauch hat vor allem eine Folge: Die Kluft zwischen Leben und Tod wird immer tiefer. Es ist heute keine Schwelle mehr, die überschritten wird. Es ist ein Abgrund, über den es kein zurück mehr gibt. Weder die Toten haben sich geändert, noch die Lebenden. Aber die Grenze zwischen ihnen ist unüberwindbar geworden.
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Bildnachweise S. 74: Bayerische Staatsbibliothek München, 2 Inc. c. a. 3893, fol. h.ii. S.81; 97: Kreisarchäologie Stade. S. 99: Zeichnung: Mirosław Kuźma, aus L. Gardeła/K. Kajkowski (Hrsg.), Mirosław Kuźma. Sztuka i Archaeologia (Bytów 2015) Abb. S. 7. S. 113: Armand Baeriswyl, Archäologischer Dienst des Kantons Bern. S. 136: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum. © Alexander Marx, BLDAM S. 138; 139: Bettina Jungklaus, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum. © Bettina Jungklaus, BLDAM S. 141: Bettina Jungklaus, Anthropologie-Büro Jungklaus. S. 163: Gregoricka LA, Betsinger TK, Scott AB, Polcyn M (2014) Apotropaic Practices and the Undead: A Biogeochemical Assessment of Deviant Burials in Post-Medieval Poland. PLoS ONE 9(11): e113564. doi:10.1371/journal.pone.0113564; Lizenz: Creative Commons 4.0 International (CC BY 4.0); http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de. S. 172: Museum für Sepulkralkultur Kassel.
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Dank Zahlreiche Kollegen haben uns bereitwillig an ihren (zum Teil unpublizierten) Forschungsergebnissen teilhaben lassen, uns Abbildungen zur Verfügung gestellt und mit uns anregend über dieses nicht alltägliche Thema diskutiert. Hierfür möchten wir ganz besonders Dietrich Alsdorf, Kreisarchäologie Stade; PD Dr. Armand Baeriswyl, Archäologischer Dienst des Kantons Bern; Ute Bartelt, Stadtarchäologie Hildesheim; Nicholas F. Bellantoni, PhD, Emeritus State Archaeologist, Office of the State Archaeology Connecticut; Torsten Dressler, Archäologiebüro ABD-Dressler Berlin; Costas Efthimiou, Associate Professor, Department of Physics, University of Central Florida; Gerold Eppler, Museum für Sepulkralkultur Kassel; Andrea Finck, Sunde; Robert Gahde, Niedersächsisches Landesarchiv Stade; Dr. Leszek Gardeła, Institute of Archaeology, University of Rzeszow; Dr. Marita Genesis, EuropaUniversität Viadrina Frankfurt (Oder); Katja Grüneberg-Wehner, Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität zu Kiel; Dr. Detlef Jantzen, Landesamt für Kultur- und Denkmalpflege Schwerin; Dr. Bettina Jungklaus, Anthropologie-Büro Jungklaus Berlin; Dr. Julia Katharina Koch, Preetz; Dr. Ursula Koch, Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim; Martin Kuhnert, Harsefeld; Jutta Lange, Museum für Sepulkralkultur Kassel; Gunnar Möller, Stadtarchäologie Hansestadt Stralsund, Dr. Axel Pollex, Berlin; Dr. Andreas Schäfer, Stadtarchäologie Hansestadt Stade; Andreas Ströbl, Forschungsstelle Gruft Lübeck; Carrie L. Sulosky Weaver, PhD, History of Art and Architecture Department, University of Pittsburgh; Jens Ulrich, Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Schwerin; Dr. Donat Wehner, Institut für Urund Frühgeschichte, Universität zu Kiel und Oliver Wirthmann, Kuratorium Deutsche Bestattungskultur e. V. Düsseldorf, danken. Dr. Holger Grönwald trug ein Großteil zur grafischen Ausstattung des Buches bei. Wir danken hierfür herzlich! Dieses Buch wäre nicht, was es ist, ohne Prof. Dr. Mathias Hardt, Dirk Heiland und Christian Stegemann mit ihrer akribischen Kritik und unzählbaren guten Gedanken und Anna Bodensteiner mit ihrer Last-MinuteInspiration durch genau die richtigen Fragen. Für die erfrischende und konstruktive Arbeit am Konzept und im Lektorat danken wir Nathalie Schmitt und Götz Fuchs. Sophie, Carl und Lennard hatten sehr viel Verständnis, wenn sich der Mann und Vater an Abenden und Wochenenden sowie im Urlaub lieber mit den Untoten als mit der Familie beschäftigt hat. Nun sind die Untoten endlich zwischen zwei Buchdeckel gepresst!
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