Geistreiche Vernunft: Dogmatik als lebendiges Denken [1 ed.] 9783666540714, 9783525540718


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German Pages [324] Year 2018

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Geistreiche Vernunft: Dogmatik als lebendiges Denken [1 ed.]
 9783666540714, 9783525540718

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Clara Aurelia Schneider / Larissa Carina Seelbach (Hg.)

Ernstpeter Maurer

Geistreiche Vernunft Dogmatik als lebendiges Denken

Ernstpeter Maurer zum 60. Geburtstag

Ernstpeter Maurer

Geistreiche Vernunft Dogmatik als lebendiges Denken

herausgegeben von Clara Aurelia Schneider und Larissa Carina Seelbach

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-54071-4 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Umschlagabbildung: „Flügel“, private Fotografie © 2017, Clara Aurelia Schneider © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Vorwort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Geleitwort von Gerhard Sauter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Präludium  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.  Dogmatik als Wissenschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.  Kennwort Trinitätslehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I.  Polyphonie: Theologie und Philosophie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Geist und Spiritualität in religionsphilosophischer Sicht  . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Zur Dialektik der Naturwissenschaft im Lichte der Schöpfungslehre   . 67 3. Das Wort Gottes und die Logik der Naturwissenschaften  . . . . . . . . . . . . 77 4.  Wie vernünftig ist der Atheismus?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Geschichte und Doxologie: Denkmuster in Karl Barths Dogmatik  103 Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1.  Grammatik des biblischen Redens von Gott  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2.  „Für uns“: An unserer Stelle hingerichtet  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. „Der königliche Mensch“. Das Leben Jesu in Barths Christologie  . . . . . 154 4. Narrative Strukturen im theologischen Denken Karl Barths  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5. Theologische Weichenstellungen in Karl Barths Römerbriefauslegung von 1922  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

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Inhalt

III. Evangelische Freiheit: Konsequenzen aus der Theologie Martin Luthers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Selbstvergessenheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2.  Lebendige Vernunft?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. The Perplexity and Complexity of Sinful and Redeemed Reason  . . . . . . 250 4. Der unverfügbare Wille – jenseits von freier Entscheidung und Determination  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Fuge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Predigt über Röm 11,33–36  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

Vorwort

Welche Saiten es anzuschlagen gilt, um in der Polyphonie der verschiedenen Klänge einen geistreichen theologischen Diskurs zu ermöglichen, darum weiß Ernstpeter Maurer nicht nur als Systematischer Theologe, sondern auch als Pianist, Komponist und Musikliebhaber. Seine hier gesammelten Beiträge zeugen ausdrucksstark von einer klangvollen Variationsbreite, deren Dynamik sich stets dadurch auszeichnet, dogmatisches (Nach-)Denken zu schärfen und von dort aus zu einer geistreich-vernünftigen Rede von Gott zu befähigen. In dem Ansinnen, die Sprachfähigkeit des Glaubens im universitären wie außeruniversitären Bereich zu fördern, behandeln die hier gesammelten Studien Grundthemen und zentrale Fragestellungen sowohl der wissenschaftlichen Theologie als auch des christlichen Glaubens und Lebens. Mit der Publikation dieser Textedition möchten wir als Herausgeberinnen unserem akademischen Lehrer und Freund Ernstpeter Maurer für unzählige geistreiche Impulse herzlichst danken! Gemeinsam entschieden wir uns für den Titel „Geistreiche Vernunft“. Gibt es denn auch eine geistlose Vernunft? Sicher! Es gibt eine technokratisch versierte, aber doch auch in bestimmten Denkbahnen erstarrte Vernunft des Apparatschiks, die trotz aller möglicherweisen Vernetzung keine Horizonte und Perspektiven eröffnet. Vom Gegenteil wird hier die Rede sein. Natürlich gibt es auch eine sinnvolle Zuordnung von Geist und Vernunft, die von getrennten Sphären weiß und diese auch bewusst berücksichtigt. Das ist etwa die Vernunft, die im Kant’schen Sinne sich ihrer Begrenzungen bewusst ist und den Bereich des Geistlichen nicht beurteilt. Eine sich selbst verstehende Vernunft wird hier um die nötigen Zuordnungen wissen und von daher das „Vernünftige“ nicht verabsolutieren, damit es nicht in einem dialektischen Sprung unvernünftig wird. Schließlich ist auch die Trennung von Geist und Vernunft, für die Luther focht, zu bedenken. Ihm ging es um eine Vernunft, die in weltlichen Dingen hilfreich und gottgesegnet ist, die sich aber in das Geistliche nicht drängen darf. Diese Zuordnung in Ambivalenz und Ergänzung muss ebenfalls Betrachtung finden. Ferner wird von Vernunft im Sinne geistlicher Inspiration die Rede sein, einer Weisheit, die ganz in Christus geborgen liegt (Kol 2,3). Von ihr aus entfaltet sich eine geistreiche Vernunft, darin „gefangen alles Denken in den Gehor-

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Vorwort

sam gegen Christus“ (2Kor 10,5). Natürlich stoßen Weltvernunft und Christus­ eisheit oft hart aufeinander, und so sind hier auch Grenzmarken zu setzen und W notwendige Profilierungen vorzunehmen. Die Predigt des Gekreuzigten wird immer in einem bestimmten Sinne „unvernünftig“ bleiben. „Wir aber haben Christi Sinn“ (1Kor 2,16b). Diesen Entfaltungen einer geistreichen Vernunft ist der Verfasser der vorliegenden Beiträge in einer für uns faszinierend vielstimmigen und breiten Weise nachgegangen. In Ernstpeter Maurers Kaleidoskop geistreich-vernünftiger Rede bleibt trotz aller Drehungen und Wendungen jedoch eines immer gleich: Der strenge Christusbezug als Denkraum von Freiheit und Gehorsam. Unser Dank gebührt allen voran Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Gerhard Sauter, Ernstpeter Maurers theologischem Mentor, langjährigem Wegbegleiter und Vorbild, für seine herzlichen und pointierten Worte zum Geleit. Sodann gilt unser Dank der Dortmunder Wiss. Hilfskraft David Ponert für die sich durch größte Sorgfalt auszeichnende Unterstützung bei der Erstellung der Druckvorlage und des Registers, Gundel Maurer für die Mitgestaltung des Buchcovers und nicht zuletzt auch den Mitarbeitern des Verlags ­Vandenhoeck & Ruprecht, namentlich Herrn Moritz Reissing, für die angenehme und gute Zusammenarbeit. Dortmund/Bochum, im Sommer 2017

Clara Aurelia Schneider Larissa Carina Seelbach

Geleitwort von Gerhard Sauter

Die Lebendigkeit des Denkens zeigt sich bei Ernstpeter Maurer besonders anregend darin, wie er biblische, theologische und philosophische Texte auslegt, indem er sich ihren verschiedenen, auf den ersten Blick zuweilen schwer harmonisierbaren Aspekten zuwendet und sich von ihrer inneren Bewegung leiten lässt. Auch wenn es für ihn unverzichtbar ist, diese Texte historisch zu erschließen, liegt ihm vor allem daran, ihre Dynamik wirksam werden zu lassen, indem ihr Gebrauch der Sprache so präzise und geistreich wie möglich zur Geltung kommt. In der gymnasialen Oberstufe weckte der Unterricht in Deutsch und Religionslehre Ernstpeter Maurers Interesse an diesen Fächern so sehr, dass er nach dem Schulabschluss (1976) Germanistik und Evangelische Theologie zu studieren begann. Nach drei Jahren verzichtete er auf die Germanistik zugunsten der Theologie. Bald konzentrierte er sich auf die Dogmatik als eine perspektivenreiche Denkbewegung, die in sich stimmig ist, ohne dass sie dies durch Einheitlichkeit unter Beweis stellen will. Weder arrangiert sie überlieferte Glaubensgehalte zu einem Themenkatalog, der aktualisiert werden kann, sofern er dem jeweiligen Zeitgeist angepasst wird. Noch traktiert sie einen umfassenden Leitgedanken, aus dem alles Weitere abgeleitet werden kann. Ernstpeter Maurer wurde mit der Dogmatik als einer zwar eigenartigen, aber vielseitigen, für Entdeckungen aufgeschlossenen und verständigungsfähigen Theoriebildung vertraut. Sie bildet ein Gefüge von Aussagen, deren verfeinerte Analyse schärfere Durchblicke erbringt. Wissenschaftstheoretische Fragestellungen können diesen Charakter der Dogmatik verdeutlichen. Sie haben Maurer bei seinen Begegnungen mit Vertretern anderer Wissenschaften und als akademischem Lehrer geholfen, Berührungspunkte recht einzuschätzen und Unterschiede festzuhalten, die nicht übersehen werden dürfen, wenn das Gespräch lebendig bleiben soll. Ein Studienjahr (1981/82) an der Divinity School der Duke University in Durham, North Carolina (USA) führte zu ersten Erfahrungen mit einer anderen Sprachwelt und der analytischen Denkweise, die bei der regelmäßigen Zusammenarbeit von Oxforder und Bonner Kollegen vertieft wurden. Auch an einer internationalen Arbeitsgruppe zum Thema „Reason and the Reasons of Faith“ des Center of Theological Inquiry in Princeton (2000–2003) war Maurer beteiligt.

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Geleitwort von Gerhard Sauter

Zum Doktor der Theologie promoviert wurde Ernstpeter Maurer 1989 von der Bonner Fakultät, der er eine Untersuchung der „Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik“ Karl Barths, speziell ihrer sprachphilosophischen Aspekte, vorgelegt hatte. Hier ging er u. a. auf die Trinitätslehre ein, die Barth als „Grammatik des biblischen und kirchlichen Redens von Gott“ erläuterte und als maßgebend für die Darlegung theologischer Grundfragen einübte. Mit diesem exemplarischen Beispiel hat sich Ernstpeter Maurer immer wieder beschäftigt, bis hin zu Predigten, von denen eine in dem vorliegenden Band veröffentlicht wird, in Verbindung mit wieder abgedruckten Beiträgen zur Trinitätslehre und zu Karl Barths Theologie. Auch ein Studienbuch mit Texten zur Trinitätslehre gab er heraus (Der lebendige Gott, Gütersloh 1999). Mit dem Terminus „Grammatik“ lehnt Ernstpeter Maurer sich an die Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins an, der damit die geregelte Verknüpfung von Sprache und Wirklichkeit als Lebensform bezeichnet, die mit dem für einen Gegenstand spezifischen Sprachgebrauch verwachsen ist. Der Spätphilosophie Wittgensteins ist das letzte Kapitel eines weiteren Studienbuches gewidmet: Philosophie für das Theologiestudium (Gütersloh 1995). Der erste Teil dieser Einführung stammt von dem Philosophen Diogenes Allen, der am Princeton Theological Seminary lehrte und dessen Werk „Philosophy for Unterstanding Theology“ (Atlanta, GA 1985) sich für die Begleitung des Theologiestudiums in den USA bewährt hatte. Allen präsentierte Hauptlinien der klassischen griechischen Philosophie, Maurer unterrichtete über die wichtigsten Impulse, die von Kant, Schleiermacher, Hegel, Kierkegaard, Marx, Heidegger und Wittgenstein auch für die Theologie ausgegangen sind. Mit der Anziehungskraft philosophischer Gedanken hatte sich Ernstpeter Maurer zuerst dank der Anregungen seines Vaters zu Beginn des Universitätsstudiums auseinandergesetzt. Von Martin Luther lernte er, wie Philosophie zu sprachlicher Klärung verhilft, wobei zugleich wesentliche Grenzen theologischen Redens gegenüber philosophischer Sicht- und Denkweise deutlich werden. Beides legte Maurer in seiner Habilitationsschrift dar, die Beiträge Luthers und Hegels zur Anthropologie in ein spannungsvolles und zugleich beziehungsreiches Gespräch miteinander bringt (Der Mensch im Geist, Gütersloh 1996). Ein Kennwort theologischer Anthropologie heißt „Selbstvergessenheit“: Die menschliche Person wird durch Gottes Geist in die Wirklichkeit Gottes versetzt, die ihn „in heilsamer Weise von sich selbst befreit“. Er wird frei, sich nicht mehr zu verstellen, weder vor Gott noch vor anderen Menschen noch vor sich selber. Frei wird er dafür, sein Selbst für die einzusetzen, denen er zum Nächsten geworden ist. Selbstvergessenheit formt den „geistlichen Menschen“, in dessen Denken und Handeln Gott überraschend begegnen will. Dieses vielschichtige und weitgespannte Thema verschränkt die anthropologischen Studien der

Geleitwort von Gerhard Sauter

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Aufsatzsammlung miteinander. Es umreißt das Überraschungsmoment, das Vernunft geistreich werden lässt, das sie zum Ausdruck bringen will und doch niemals einholen kann. Geistreiche Vernunft verbindet Ernstpeter Maurers Denkerfahrungen mit der Musik. Er hat drei Jahre lang Klavier an der Musikhochschule Köln studiert. Ihn faszinieren die Gleichzeitigkeit verschiedener Perspektiven in der narrativen Dramatik biblischer Texte und die vieldeutig stimmige Konsistenz musikalischer Struktur, die durch Tonfolgen und Pausen, Metrum und Rhythmus gebildet wird. Leider wurden in den Aufsatzband keine expliziten Beobachtungen zur Beziehung zwischen Theologie und Musik, die für die Lebendigkeit von Maurers Denkens so aufschlussreich sind, aufgenommen; vorläufig sei verwiesen auf seine beiden Texte zum Thema „Bibel und Musik“ in Glaube und Lernen 29 (2014), 100–109 u. 110–128. Auf diesem weitgehend unbestellten Feld und sicherlich auch auf anderen, die er bisher bearbeitete, dürfen wir von ihm auch nach seinem 60. Geburtstag am 22. Juli 2017, zu dem ich ihn als früheren Mitarbeiter und langjährigen Weggefährten herzlich beglückwünsche, noch manches erwarten. Gerhard Sauter

Präludium

1.  Dogmatik als Wissenschaft

1.  Was ist Dogmatik? Dogmatik hat die Aufgabe, den Inhalt des christlichen Glaubens zu formulieren. Eine knappe Antwort auf die Frage „Was glauben wir?“ enthalten die Bekenntnisse der Alten Kirche, vor allem das Credo von Konstantinopel (381). Die Dogmatik entfaltet diese Bekenntnisse und bildet dabei ein Netz von Begriffen und Aussagen. Darin wird sichtbar, dass der Glaube zum Nachdenken herausfordert und mit Argumenten vertreten werden kann – wenngleich Glaube als lebendige Gottesbeziehung menschlicher Personen nicht reduziert werden kann auf Gedanken. Auch das biblische Zeugnis weist eine Vielfalt von sprachlichen Gebilden auf, die nicht auf Begriffe beschränkt bleiben. Nun sind die biblischen Texte auf Gottes Handeln in Jesus Christus ausgerichtet, und je intensiver ein Text auf diese Mitte hinweist, desto stärker ist seine Kraft, über die Zeiten hinweg die jeweilige Gegenwart zu erhellen. So können wir die Frage stellen: „Wozu Dogmatik?“ Genügt es nicht, die biblische Botschaft mit der Gegenwart zu konfrontieren? Es hat sich aber schon immer als hilfreich erwiesen, gewisse Grundlinien zu zeichnen, die den Zusammenhang der biblischen Texte akzentuieren und konturieren. Die biblische Sprache ist weithin narrativ. Das ist kein Zufall, denn es geht immer um ein sehr konkretes, ein nicht wiederholbares Handeln Gottes. Die biblischen Texte lassen sich daher nicht auf einen Generalnenner bringen – außer eben auf die sehr allgemeine und daher auch wenig gehaltvolle Formel, dass es stets um Gottes Handeln geht. Wie kann aber dann ein biblischer Text in unsere Gegenwart hineinsprechen? Gibt es hier nicht doch ein Kontinuum, das zwischen uns und den biblischen Personen vermittelt? Man kann versuchen, das Handeln Gottes auf allgemeine Begriffe zu bringen und diese Begriffe dann wieder auf unsere Situation beziehen. Dann wird die einzigartige Situation biblischer Texte als sekundär behandelt. Daher steckt hier ein Fehler. Gott ist einzigartig, und so ist das göttliche Handeln niemals in allgemeine Kategorien zu bringen. Gott handelt an gleichfalls einzigartigen menschlichen Personen, die in ihrer jeweils ganz eigentümlichen Situation und Geschichte auch nicht in ein allgemeines Raster passen. Demnach müssen wir zunächst festhalten, dass die allgemeine Geltung des biblischen Zeugnisses über die Zeiten, Situa-

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Präludium

tionen und Personen hinweg nicht mit der Wahrheit allgemeingültiger Aussagen zu vergleichen ist. Das biblische, auf Jesus Christus ausgerichtete und konzentrierte Zeugnis entwickelt die Kraft, auch die jeweils eigentümliche Gegenwart auszuleuchten. Das ist eine Erfahrung, die sich in zwanzig Jahrhunderten immer wieder aufgedrängt hat. Es kann also vorausgesetzt werden, dass wir heute verbunden sind mit einer unermesslich großen Zahl von Personen, die in der Vergangenheit von biblischen Texten angesprochen wurden, und dieses Netz reicht zurück bis in die Entstehungszeit der Texte (auch der alttestamentlichen!). Die Allgemeinheit, nach der wir gefragt haben, liegt demnach in der zusammenhängenden und von der Mitte her strukturierten Geschichte. Daher gibt es neben der Vielfalt biblischer Sprache auch die gegenläufige Tendenz zur Bündelung. Es gibt ja ein Zentralereignis, nämlich das Leben und Leiden, den Tod und die Auferweckung Jesu Christi. Konsequenterweise hat die Entstehung der Dogmen zu tun mit dem Verhältnis Jesu Christi zu Gott, der Israel erwählt hat und im Alten Testament bezeugt wird. Diese Gelenkstelle ist entscheidend, auch in dem Sinne, dass hier für die Verkündigung des Evangeliums Entscheidungen zu treffen und (vor allem) Fehlentscheidungen möglich sind. Dabei stellt sich heraus, dass der Glaube, sobald er formuliert wird, doch strenge innere Strukturen aufweist. Es gibt ein gedankliches Gerüst. Zum Glauben gehört das Nach-Denken. Das gedankliche Gerüst kann eine Kontur vorzeichnen. Es kann sie aber auch derart verzeichnen, dass die biblischen Texte nicht mehr reden. Wird etwa im Kontext des griechischen Denkens die Unveränderlichkeit und Einheit Gottes abstrakt vorausgesetzt, dann kann Gott nicht mehr in Jesus Christus gegenwärtig sein und schon gar nicht in dieser Person leiden und gekreuzigt werden. Dann muss alles andere auch umformuliert werden. Die Übersetzung in den Kontext des griechischen Denkens wird zur Reduktion. Die Provokation des Wortes vom Kreuz (1Kor 1,18–25) verliert ihre Schärfe. Im Gegenzug kam es zur ersten im strengen Sinne dogmatischen Formulierung (enthalten im Glaubensbekenntnis des Konzils von Konstantinopel 381). Die Trinitätslehre präzisiert in einem griechischen Gefüge von Gedanken die Grundaussage, dass die göttliche Einheit dreifach und die göttliche Ewigkeit lebendig ist. Gott ist daher weder statisch noch in einem langweiligen Sinne „Eins“, vielmehr in einzigartiger Weise Ein Gott. So ist eine dreifache Wurzel für dogmatische Formeln gegeben: (1) Der christliche Glaube geht von einem entscheidenden Ereignis inmitten der Geschichte Gottes mit den menschlichen Geschöpfen aus, nämlich von der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth. Dabei ist das Osterereignis nicht die Wiederbelebung eines Leichnams, sondern vor allem der Erweis der Gottheit Jesu Christi, denn die Ostererfahrungen der Zeugen sind allesamt

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Theophanien. So gibt es dogmatische Formeln bereits im Neuen Testament. Das Osterbekenntnis zu Jesus Christus ist kein zweiter Schritt über die biblischen Texte hinaus, vielmehr umfasst die Vielfalt von biblischen Textgattungen auch das Gotteslob, und dieser Lobpreis Gottes wird zumeist sehr dicht formuliert (vgl. etwa Phil 2,6–11 oder Kol 1,15–20). (2) Die Formeln schleifen nicht etwa das Profil der sehr anstößigen Geschichte ab, sondern sie verschärfen es noch. Sie zeigen zugleich, dass der Glaube dem Denken nicht einfach fremd bleibt, sondern menschliche Sprache und Vernunft in Bewegung hält. Das erste Dogma bringt die Identität Jesu Christi mit Gott dem Vater auf den Begriff. Dieser Begriff hat es aber in sich, denn er ist ebenso präzise wie doppeldeutig. Das Spiel zwischen „wesenseins“ und „wesensgleich“ akzentuiert die Grenze der Logik und ist somit nicht bloß absurd. Wir verlieren den Boden unter den Füßen, wenn wir eine zweifache Einheit oder eine einheitliche Zweiheit denken sollen – und das in zwei Richtungen, weil Gottes Geist dazugehört! (3) Damit wird aber auch klar, dass die Anstößigkeit der dogmatischen Formeln keineswegs die Ausbreitung des Evangeliums behindern muss. Da es um fundamentale Strukturen von Vernunft und Wirklichkeit geht, breitet sich zwar nicht der kleinste gemeinsame Nenner aus, wohl aber die Provokation. Die lautet kurz gefasst, dass wir uns stets der Gottheit bemächtigen und die Schöpfung durch eindeutige Erkenntnis kontrollieren wollen (Gen 3,5). Die Dogmen sind in ihrer prinzipiellen Nicht-Eindeutigkeit stets ein Ärgernis für die sündige Vernunft. Sie zeigen, dass es leerer Wahn ist, „die“ Wirklichkeit in den Griff zu bekommen und daraufhin „das“ sinnvolle Leben zu entwerfen oder zu gestalten. So hindern sie das Denken bei jedem Versuch, eine letzte Wirklichkeit zu definieren. Diesen Versuch spüren sie in allen möglichen Kontexten auf. Die Fremdheit des christlichen Glaubens steht nicht im Widerspruch zu seiner umfassenden Erschließungskraft. Hier spiegelt sich das zentrale Faktum, dass Jesus Christus am Ende allen menschlichen Personen und allen Gruppen – Juden und Heiden – ganz fremd ist und von ihnen ausgeschlossen und beseitigt wird. Diese radikale Fremdheit umfasst daher auch alle möglichen Gruppen, Kulturen und Einzelpersonen. Wenn aber die Provokation durch das Wort Gottes in Jesus Christus menschlichen Personen aus allen Kulturen „einen Stich ins Herz gibt“ (Apg 2,37), dann wirkt Gottes Geist allerdings auch eine ganz neue Gemeinschaft, die nicht durch allgemeine Eigenschaften oder Interessen ihrer Mitglieder bestimmt ist. Wird also der christliche Glaube zur Sprache gebracht, so kommen Begriffe und Aussagen ins Spiel. Die Dogmen sind Grundaussagen, und sie enthalten fundamentale Begriffe, die sich mit anderen Begriffen verknüpfen lassen, sodass ein Netz von Aussagen entsteht (das wird noch exemplarisch zu skizzieren sein). Das Begriffsnetz ist immer wieder zu überprüfen, weil der semantische Gehalt der Begriffe die Rede von den großen Taten Gottes verfälschen kann. Das gilt übrigens

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auch für die biblische Sprache selbst, sobald wir sie verstehen müssen und somit missverstehen können. Es ist also keine Alternative, bei den „schlichten“ biblischen Formulierungen zu bleiben und die dogmatischen Aussagen abzuschaffen.

2.  Was ist eine Wissenschaft? Es kann nun deutlich werden, inwiefern die Dogmatik eine Wissenschaft ist. Eine besondere und seltsame zwar, aber doch eine Wissenschaft. Denn die soeben skizzierten Elemente sind – von außen betrachtet – nichts anderes als Prozesse der Theoriebildung. Wir dürfen nur nicht den Fehler machen und die Systematische Theologie einfach mit der Physik vergleichen. Die „exakten“ Wissenschaften sind ebenso Sonderfälle wie die „Geistes“-Wissenschaften. Es hat sich mittlerweile in der Wissenschaftstheorie der Gedanke durchgesetzt, dass es wenig sinnvoll ist, allgemeine Strukturen für die Wissenschaftlichkeit festzusetzen, die dann zumeist den technisch (und ökonomisch) verwertbaren Disziplinen entnommen sind. Das ändert aber nichts daran, dass es Grundzüge wissenschaftlicher Arbeit gibt, die sich auf Theoriebildung richten. Damit ist gemeint, dass ein Netz von Aussagen gebildet wird, das sich immer weiter vertiefen lässt und damit immer tiefere und schärfe Durchblicke ermöglicht. Wie das jeweils geschieht, hängt vom Gegenstandsbereich ab. Es ist unsinnig, Gedichte, Gemälde und Gavotten in derselben Weise theoretisch durchdringen zu wollen wie Quarks, Quallen und Quasare. Eine Wissenschaft wird betrieben, wenn sich Netze von Aussagen als Theorie bilden. Dafür brauchen wir Aussagen. Dabei handelt es sich um Sätze, die wahr oder falsch sein können. Sie bestehen aus Begriffen. Das sind Wörter, die sich klar definieren lassen. Wir fragen also, wie Begriffe gebildet werden. Das kann unterschiedlich geschehen. Die Physik ist ein besonders lehrreiches Beispiel, und daher hat man immer wieder den Fehler gemacht, sie als Vorbild hinzustellen. Das könnte schon ein gedanklicher Kurzschluss sein. Physikalische Begriffe sind Größen, d. h. sie werden definiert durch die Methode, wie sie zu messen sind. Das ist in der Tat äußerst klar. Die Physik kann daher allerdings auch nur da Vorbild sein, wo wir mit Recht vermuten können, die Messung der Grundbegriffe sei möglich und wichtig. Es gibt auch Begriffe, die nicht nur in der Physik vorkommen und in anderen Bereichen anders definiert werden müssen, etwa „Zeit“. Für die Zeiteinheit brauchen wir gleichförmige Bewegungen (etwa Pendel), von deren Gleichförmigkeit wir uns nur überzeugen könnten, indem wir die Zeit messen … Das ist nicht einfach zirkulär, weil die Messungen immer mehr verfeinert werden, aber es ist auch nicht trivial. Die persönliche Erfahrung von Zeit ist hingegen unabhängig von der Uhrzeit.

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Mit diesen Begriffen lassen sich Aussagen bilden. Da wir es mit Größen zu tun haben, sind die Aussagen mathematische Funktionen. So lautet ein Grundgesetz der klassischen Physik: „Kraft ist das Produkt von Masse und Beschleunigung“. Beschleunigung wiederum ist der Quotient von Geschwindigkeit und Zeit (die Geschwindigkeitsdifferenz im Verhältnis zur Zeit). Man beachte, dass Geschwindigkeit bereits der Quotient von Strecke und Zeit ist, sodass wir nun die Strecke durch das Quadrat der Zeit teilen, was wir uns nicht mehr anschaulich vorstellen können. Die klare Definition messbarer Begriffe kann sich schnell entfernen von der Beobachtung, dafür erlaubt sie aber eine klare mathematische Darstellung, nämlich als Kurve. Daher ist der Zusammenhang prognostisch wertvoll, denn die Physik kann nun behaupten, dass die Messwerte stets auf der Kurve liegen werden. Aus dem Physikunterricht wissen wir, dass das selten der Fall ist, aber zumeist handelt es sich bei den Abweichungen um Messfehler. Diese Methode ist außerordentlich fruchtbar und hat den Erfolg der Physik möglich gemacht. Insofern ist es hier gelungen, ein Netz von Aussagen zu entwickeln, das insgesamt immer wieder neue und tiefere Regelmäßigkeiten in der physikalischen Wirklichkeit aufdeckt und demnach gut bewährt ist. Offenbar folgt ein wesentlicher Teil der Wirklichkeit mathematischen Regeln. Die Entscheidung darüber, ob die Aussagen wahr oder falsch sind, kann immer nur für das ganze Netz getroffen werden, weil die Durchführung von Experimenten in der Realität recht komplex ist. Die Messung der Daten setzt zumeist viele andere physikalische Gesetze voraus. Es wäre also naiv, die einzelnen physikalischen Aussagen überprüfen zu wollen. Es lassen sich nur in einem Experiment ganze Ketten überprüfen, weil sie mathematisch verknüpft sind, sodass ein bestimmtes Phänomen sich ableiten und damit prognostizieren lässt. Tritt dieses Phänomen nicht ein wie erwartet, so kann der Fehler eigentlich überall im Netz liegen. Die Korrekturen werden in aller Regel so vorgenommen, dass möglichst wenig geändert und vor allem die Übersichtlichkeit gewahrt wird. Die relative Einfachheit einer Theorie ist auf der höheren Ebene des Theorienetzwerks ähnlich wichtig wie die einfachen mathematischen Kurven auf der Ebene der Aussagen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass eine solche Methode für Sonette, Sonaten und Sonnenblumen in Öl ertragreich sein könnte. Hier sind ja nicht die allgemeinen Regeln interessant, sondern gerade die Abweichungen, die ein Kunstwerk besonders interessant machen und zu einzigartigen Objekten, in denen sich die einzigartige Situation einer unverwechselbaren Person niederschlägt. Wir könnten nun die Konsequenz ziehen, dass Kunstwerke eben nicht theoriefähig sind. Das wäre allerdings ein sehr enger Begriff von Theorie. Es gibt hingegen auch in der Kunst- oder Musikgeschichte Begriffsbildung und Aussagen. So ist es möglich, die Musikgeschichte in Stilepochen einzuteilen und für einen solchen Stil eine relativ allgemeine Theorie zu formulieren. Es geht jedoch eher um

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Präludium

die immer weitere Verfeinerung der Analyse, die ein Musikstück als einzigartig hervortreten lässt und dann die Aufführungspraxis bestimmen kann, so sehr, dass sich dabei epochale Umbrüche ereignen können wie im Fall der „historisch orientierten“ Interpretation älterer Musik. Auch hier gibt es Regeln zu entdecken, deren Überführung in messbare Größen und mathematische Regelmäßigkeiten allerdings sinnlos wäre. Sie bilden vielmehr eine Folie für die Interpretation. Sie erhellen bedeutsame Hintergründe, die dem schlichten Hören verborgen bleiben müssen. Der innere Zusammenhang eines Musikstücks ist vielfach sehr streng, aber es kommt gerade auf die Aspekte an, die sich nicht prognostizieren lassen. Das gilt auch für geschichtliche Entscheidungssituationen. Wir können sie in etwa nachvollziehen, weil wir ähnlich denken wie die Personen, um die es geht. Aber wir können sie niemals als mechanisch zwangsläufigen Vorgang begreifen, weil viel zu viele Faktoren hineinspielen – und je fremder die Kultur, desto aussichtsloser wird der Anspruch, sich in die Person hineinzuversetzen. Die Gegenstände der „Geisteswissenschaften“ sind demnach so komplex, dass sie eine andere Theoriebildung nahelegen als in den „exakten“ Wissenschaften. Man könnte auch umgekehrt sagen, dass „exakte“ Wissenschaften nur möglich sind, wenn der Gegenstandsbereich vergleichsweise einfach ist. Das Kriterium in den Geisteswissenschaften kann – anders als das Experiment – in der treffenden Interpretation gesehen werden. Wenn die Forschung gelingt und das Netz der Aussagen sich verfeinern lässt, dann werden die Interpretationen sich ändern. Die Interpretation kann – das ist wieder eigentümlich – zwar immer treffender werden, aber es ist keineswegs selbstverständlich, dass es „die“ ultimative Interpretation gibt. Das wird oft gegen die Geisteswissenschaften geltend gemacht – während die Physik einen enormen Erkenntnisfortschritt hinter sich gebracht hat. In Wirklichkeit ist hier wieder zu beachten, dass andere Gegenstände auch eine andere Theoriebildung erfordern: Ein Musikstück wird, je besser es ist, umso mehr angemessene Interpretationen erschließen. Das gilt auch für Dichtungen und Bildende Kunst. Die Falle, die hier lauert, ist die Verwechslung von „nicht eindeutig“ mit „beliebig“. Dass ein Gedicht nicht nur eine zutreffende Übersetzung zulässt, heißt nicht, dass wir sagen können, was wir wollen. Ein Spielraum hat Grenzen. So geht es in der Theoriebildung zwar auch um Präzision, nicht aber um Eindeutigkeit: Ein schönes Beispiel aus der Bildenden Kunst sind die Gemälde von Giuseppe Arcimboldo, die man auf den Kopf stellen kann: Was zuvor ein Gemüsekorb war, ist nun der Gemüsegärtner. Dabei gibt es kein Detail in diesen detailfreudigen Gemälden, das nicht in beiden Stellungen signifikant wäre. Die hier besonders konsequente Doppeldeutigkeit – im sprachlichen Bereich vergleichbar mit der Ironie – ist das genaue Gegenteil einer vagen und verschwommenen Undeutlichkeit. Das ist ein Hinweis darauf, dass die ratio nicht einfach ausgeblendet werden muss, wenn es um Phantasie geht.

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Vage und verschwommen wäre es, ein Gedicht als „tiefsinnig“ zu bezeichnen. Hingegen ist es eine sehr klare Aufgabenstellung, die verschiedenen möglichen Lesarten eines Gedichts zu bezeichnen und die „Gelenkstellen“ zu kennzeichnen, die dafür sorgen, dass das Gedicht eine Vielzahl von Perspektiven erschließt und nicht auf eine Lesart reduziert werden kann – dann wäre es nämlich ein schlechtes Gedicht. Begriffe in den Geisteswissenschaften haben demnach einen anderen Stellenwert als physikalische Größen. Diese sind durch die Messoperationen definiert und tragen zur Abstraktion bei – daher können kleinere Abweichungen als Messfehler ignoriert werden. In Kunstwerken und geschichtlichen Entscheidungssituationen kommt es auf derartige Nuancen gerade an, daher dürfen sie zu allerletzt nivelliert werden. Sie sollen vielmehr hervortreten. Die Begriffsbildung ist besonders fruchtbar, wenn sie die Abstraktion verhindert. Wir müssen wissen, was ein Rondo ist, wenn wir beobachten wollen, wie Beethoven mit der Rondo-Form spielt.

3.  Dogmatische Begriffe und Aussagen Auf den ersten Blick ähnelt die Dogmatik also einer Geisteswissenschaft: Das biblische Zeugnis bringt eine Geschichte zur Sprache, und zwar durchaus in dem doppelten Sinne von „Geschichte“ und „Geschichten“. Die Geschichten oder stories wachsen zu einer einzigartigen Geschichte zusammen. Daher sind Eigennamen zunächst wichtiger als Begriffe. Mehr noch: Wenn wir eine Person mit Begriffen charakterisieren – „zornig“, „leidenschaftlich“, „großzügig“ –, dann nehmen diese Begriffe stets eine besondere Bedeutung an und sind den Eigennamen nachgeordnet. Daher müssen wir Begriffe auch nicht vermeiden, denn sie sind eingespannt in die einzigartige Geschichte, die es letztlich zu erzählen gilt, wobei auch unsere Eigennamen dazugehören. Sollen die konfliktreichen Beziehungen zwischen den Personen sprachlich nachgezeichnet werden, so verwenden wir Begriffe und können zusehen, wie die Bedeutung dieser Begriffe sich innerhalb der Beziehungen und Konfrontationen verwandelt. Dabei entsteht eine doppelte sprachliche Dynamik: (a) Die Begriffe werden semantisch vertieft. Sie bedeuten nicht mehr einfach dasselbe wie außerhalb der Theologie, sie werden dafür semantisch immer weiter nuanciert, bis sie wieder in die Geschichte eingreifen, denn auch wir als Glieder der Gemeinde Christi sind Personen, d. h. Wesen mit Eigennamen. Es bildet sich (b) zugleich ein Netz von Begriffen, die sich auf die fundamentale Frage nach der Wahrheit der menschlichen Wirklichkeit konzentrieren: „Person“ oder „Handeln“, „Wesen“ oder „Eins“, „Beziehung“ oder „Geist“ oder „Erkenntnis“ sind ja auch philosophische Grundbegriffe. Das dogmatische Netz skizziert aber einen Zusammenhang dieser Begriffe, der stets

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quer zu anderen Entwürfen von Wirklichkeit steht. Es kommt zum produktiven Konflikt mit den jeweiligen Grundannahmen über die Wirklichkeit. Nehmen wir als Beispiel die Aussage, Jesus Christus sei wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch in einer Person. Es handelt sich hier natürlich um den Kern der Formel von Chalcedon (451), eine dogmatische Grundaussage, ein Dogma. Diese Aussage akzentuiert die Mitte des Neuen Testaments, ohne das biblische Zeugnis damit zu ersetzen. Sie leitet uns an, in der Vielfalt des neutestamentlichen Bekenntnisses zu Jesus Christus die Einheit zu sehen, ohne die Vielfalt einseitig zu reduzieren. Dafür wird der Begriff „Person“ eingeführt, der so nicht in der Bibel zu finden ist. Ein und dieselbe Person ist wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Personalität Gottes und der Menschen. Der Begriff wird doppelsinnig, denn er kann für Gott nicht dasselbe bedeuten wie auf der menschlichen Ebene. Jesus Christus ist die einzigartige Person, in deren Leben, Sterben und Auferweckung der Konflikt zwischen Gott und Mensch auf die Spitze tritt. Aber genau deshalb kann der Begriff „Person“ nicht zwei gänzlich unterschiedliche Bedeutungen haben. Jesus Christus ist eine Person. Die Geschichte Gottes mit den menschlichen Geschöpfen lässt an einem besonderen Punkt die Zuwendung Gottes so intensiv werden, dass sich uns Gottes Gesicht zeigt. Und die Geschichte der menschlichen Personen treibt auf einen Punkt zu, wo im Konflikt mit Gott eine bestimmte menschliche Person zum Wendepunkt wird. So ist Jesus von Nazareth eine Person im Gegenüber zu allen anderen menschlichen Personen – und darin zugleich Person Gottes. Es kommt darauf an, dass der Begriff „Person“ nicht einfach wegen eines kleinsten gemeinsamen Nenners auf Gott und den Menschen bezogen wird, denn auch die Begriffe „Gott“ und „Mensch“ geraten in den Strudel der Verwicklung. Jesus Christus ist die Person, in deren Angesicht wir die ultimative Äußerung der Liebe Gottes erkennen. Aber auch die Person, in deren Leiden wir unsere Entfremdung von Gott erkennen. Der gemeinsame Nenner ist also nicht theoretisch festzulegen, sondern liegt ganz schlicht darin, dass in ein und derselben Begegnung das menschliche und das göttliche Wesen hervortritt. Nun gibt es durchaus eine Analogie in der Verwendung des Begriffs „Person“, denn es kommt jedenfalls auf das Gesicht und die Begegnung an – auch auf die Anrede von Angesicht zu Angesicht. Aber gerade diese Kontur kann niemals einfach abstrakt formuliert werden, denn eine Begegnung, die sich in einem treffenden Wort verdichtet, bleibt unwiederholbar. Vor allem vergleichen wir nicht Gott und Mensch und gewinnen daraus die Kontur der Personalität, vielmehr erzählen wir die Geschichte nach – getreu dem neutestamentlichen Vorbild in immer neuen Variationen –, in der die göttliche Anrede sich mit der Geschichte einer menschlichen Person verwickelt. Die Analogie in der Anwendung des Begriffs auf das göttliche und das menschliche Wesen zeigt sich, wenn

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die semantischen Nuancen raffiniert ineinandergreifen – viel nuancierter, als es durch einen gemeinsamen semantischen Nenner ausgedrückt werden könnte. Dabei kommt es zu Entdeckungen: Die menschliche Person wird theologisch anders umrissen als im alltagssprachlichen und philosophischen Wortgebrauch. Personen sind nicht unteilbar (in-dividuum), weil sie einen „Kern“ hätten, vielmehr werden sie in der verwickelten Beziehung zu anderen Personen unverwechselbar und ihrer selbst bewusst, sie können sich selbst erkennen und zur Sprache bringen. So beleuchtet der theologische Begriff „Person“ auch die Bedeutung des Begriffs „Freiheit“: Personale Identität wächst aus der Geschichte mit anderen Personen heraus und führt zu einer Freiheit, die nicht einfach der Bestimmtheit entgegengesetzt ist. Das wäre keine Freiheit, sondern Willkür. Freiheit wird gerade dann erfahren, wenn ich nicht anders kann – wenn ich nämlich gar nicht anders wollen und entsprechend handeln kann. Umgekehrt ist eine Person gerade nicht frei, wenn sie einfach willkürlich ohne jede Bestimmung handelt. Denn das Handeln muss auf die Person zu beziehen, es muss ihr zurechenbar sein. Sie ist dann besonders frei, wenn sie sich selbst reflektieren, sich selbst frei gegenübertreten kann, ohne schizophren zu werden. Solche Freiheit kann durch Beziehungen gefördert – oder auch gestört und verzerrt werden. So wird die Erfahrung von Freiheit biblisch wieder zu einer jeweils ganz einzigartigen Geschichte, denn es geht um die Befreiung von falschen und zerstörerischen Bestimmungen zugunsten heilsamer Begegnungen. Der theologische Begriff „Freiheit“ kann nicht reduziert werden auf die abstrakte Vorstellung eines freien Willens oder gar einer freien Entscheidung. „Freiheit“ bezeichnet keine Eigenschaft. Auch Gottes einzigartige Einheit wird nunmehr profiliert durch den Begriff „Person“. Denn nicht nur Jesus Christus ist eine göttliche Person. Gottes schöpferische Person, zu der Jesus betet, und Gottes Geist sind in den biblischen Texten zweifelsfrei Personen – auf eine jeweils eigene Weise. Wenn wir in Gott drei Personen unterscheiden, so ist Jesus Christus als das zur menschlichen Person sich entäußernde Wort Gottes nicht einfach zu vergleichen mit der unerforschlichen Tiefe Gottes, die ihrerseits als Tiefe der Liebe Gottes ein Angesicht erhält. Und die Beziehung dieser beiden Personen ist auf eine dritte Weise Person – wobei natürlich alle drei Personen so intensiv verwickelt sind, dass auch die Einheit des göttlichen Wesens als einzigartige Einheit deutlich wird. Alltagssprachlich und philosophisch setzen wir Personen voraus, die in Beziehung stehen. Nun werden wir gezwungen, das umzukehren: Die Beziehung der ersten und zweiten göttlichen Person zueinander ist so intensiv, dass sie nicht durch einen gemeinsamen Nenner ausgedrückt werden kann, auch nicht durch „Liebe“ als allgemeinen Begriff. Vielmehr wird sie

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selbst so konkret, dass sie eben nur noch als Person auszusprechen ist. Und wer von ihr ergriffen wird, den schafft Gottes Geist in einer neuen Weise zur Person. So bedeutet der Begriff „Person“ jedes Mal etwas anderes, denn auch die Glieder am Leib Christi sind jeweils ganz unverwechselbar (1Kor 12) in ihrer Belebung durch die Person des Heiligen Geistes, der auf Jesus Christus und auf die schöpferische Person Gottes bezogen ist. Es ist klar, dass hier der philosophische Grundbegriff „Einheit“ differenzierter, aber damit reicher zu erfassen ist; auch – wohlgemerkt – die Einheit der menschlichen Natur, die nicht über allgemeine Eigenschaften zu fassen ist. Was „Person“ nun bedeutet, lässt sich nicht klarer nachzeichnen als in diesem Netz von nuancierten Variationen. Die Bedeutung wird schärfer ohne vorgängige Definition. „Person“ kann nicht im Voraus definiert werden. Dafür bräuchten wir ein philosophisches Raster oder auch eine andere wissenschaftliche Theorie, die uns den Begriff vorgibt. Dann wäre aber die einzigartige Geschichte, von der wir ausgehen, ein Fall unter anderen, vielleicht ein sehr besonderer, aber eben nicht eine ganz einzigartige Geschichte. Das ist das Problem, das innerhalb der Theologie unter dem Stichwort analogia entis kontrovers diskutiert wurde: Zwischen der göttlichen und der menschlichen Wirklichkeit muss unterschieden werden, sodass wir nicht einmal „Sein“ oder „Wirklichkeit“ einfach als klare Begriffe voraussetzen können. In der Tat ist es produktiver, wenn wir von den vielen Geschichten ausgehen, die es zu erzählen gilt, sodass unsere Vorbegriffe und Denkmuster erschüttert werden – wie es eben in der Begegnung mit Jesus Christus für den Begriff „Person“ demonstriert wurde. Die Erschütterung liegt nicht zuletzt darin, dass wir nun erst entdecken, wie tief der Begriff „Person“ reicht, den wir nicht mehr naiv verwenden können. Das gilt dann auch für „Wirklichkeit“ oder für „Handeln“. Diese dynamische Begriffsbildung wird seit Karl Barths Auseinandersetzung mit der (vermeintlich römisch-katholischen) analogia entis zuweilen mit dem Begriff analogia fidei belegt. Eine Analogie – in einem ganz schlichten Sinne von „Ähnlichkeit“ – ist natürlich gegeben, weil die Begriffe zwar nicht in demselben Sinne, aber doch nicht in ganz unvergleichlichen Bedeutungen verwendet werden. Die Bedeutungen haben eben keinen gemeinsamen Nenner, sondern sind in eine erzählte Geschichte verflochten. Dafür werden sie aber auch reicher.

4.  Dogmatik als Forschung Das hat eine wissenschaftstheoretische Konsequenz: Die Begründung dogmatischer Aussagen kann nicht so erfolgen, dass wir sie vor einem allgemeinen Forum plausibel machen. Es wären dann zunächst neutrale theoretische Grundlagen zu schaffen, vor allem wären die Begriffe eindeutig zu definieren.

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Es sollte aber deutlich geworden sein, dass die dogmatische Arbeit die Begriffe dadurch schärfer und produktiver macht, dass sie ihre innere Komplexität entfesselt. Darin zeichnet sich ab, dass der Glaube zum Denken anregt, und zwar zu einem gelassenen Denken. Natürlich können die Begriffe einfach vage und verschwommen werden, wenn sie keine klare Grenze haben. Aber sie können auch eine reichere innere Kontur aufweisen und daher wieder die ganz unverwechselbare Anrede an einzigartige menschliche Personen erschließen. So bildet die dogmatische Arbeit innerhalb der Sprache des Glaubens die Tatsache ab, dass auch die Vernunft neu gestaltet wird, wo Gottes Geist wirksam ist. Selbstverständlich ist Glaube mehr als Denken, aber Glaube ohne Denken wird schnell fundamentalistisch oder abergläubisch. Und da christlicher Glaube zur Sprache drängt, können sich bereits in die ersten Sätze wieder Begriffe einschleichen, die der Überprüfung bedürfen. Schon die Übersetzung vom Hebräischen ins Griechische und dann weiter ins Lateinische etc. kann den Sinn insgeheim verfälschen. Wenn es zutrifft, dass die Vernunft neu gestaltet wird, dann kann es allerdings auch zum Streit kommen zwischen der theologischen Vernunft und dem zumeist vorausgesetzten Begriff „Denken“. Wer legt fest, was „Denken“ ist? Ist „Denken“ nicht mehr als bloße Berechnung? Es kann jedenfalls eine dogmatische Aussage nicht begründet werden durch die Rückführung auf allgemein einsichtige Prinzipien. Sie ist begründet, wenn sie sich (a) aus der Entfaltung der Grundaussagen ergibt. Diese Dogmen sind innerhalb der evangelischen Theologie letztlich auf das Glaubensbekenntnis beschränkt, also auf die Trinitätslehre des Konzils von Konstantinopel (381) und dessen christologische Vertiefung durch das Konzil von Chalcedon (451). Es tritt nur noch die spezifisch reformatorische Spitzenaussage der Rechtfertigung aus Glauben allein hinzu. Eine dogmatische Aussage ist weiterhin begründet, wenn sie (b) menschliche Erfahrung erschüttert und erhellt, indem sie (c) neues Hören auf das biblische Zeugnis erschließt. Zu einer treffenden Erschütterung kommt es nur, wenn die dogmatischen Aussagen verständlich sind, ohne dabei an Reibung einzubüßen. Dogmatische Aussagen müssen also anschlussfähig sein, was nicht verwechselt werden darf mit der Forderung, dass sie prinzipiell allen einleuchten. Sie können wie eingangs betont, auch provokativ sein. Sie müssen nicht provozieren – das wäre nicht gelassen, sondern zwanghafter Widerspruch! –, denn es ist durchaus denkbar, dass andere theoretische Zusammenhänge den dogmatischen Zusammenhang erweitern und bereichern. So rückt vermutlich die neuerdings zwischen Philosophie und Neurophysiologie heftig erörterte Frage nach Freiheit und Determination in ein ganz anderes Licht, wenn der dogmatische Begriff der „Vorsehung“ im Sinne von Ps 139 entfaltet wird. Die Dogmatik geht von einer Bestimmung des menschlichen Lebens aus, die sich einem bloß physikalischen Determinismus ebenso entzieht wie der Behaup-

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tung eines nur durch sich selbst bestimmten menschlichen Willens. Es wurde ja angedeutet, dass Freiheit und Bestimmtheit einander nicht widersprechen müssen. Es kann umgekehrt sogar gelingen, aus der neueren Debatte für eine weitere Differenzierung des Begriffs „Vorsehung“ neue Aspekte zu gewinnen, um biblische Zusammenhänge tiefer auszuloten. Die Neurophysiologie wird dann zum theologischen Entdeckungszusammenhang. Da wir von der Einzigartigkeit des schöpferischen Gottes ausgehen, muss die Entfaltung der Dogmen zwangsläufig die letzten Fundamente der erkennbaren Wirklichkeit berühren und bewegen. Daher gehört es zur Bestätigung eines dogmatischen Zusammenhangs, wenn er die starren Denkzwänge der „exakten“ Wissenschaften nicht nur irritiert, sondern erschüttern und damit auflockern kann. Ein solcher Denkzwang ist gegenwärtig die optische Täuschung, dass nur die regelmäßige Wirklichkeit theoriefähig sei, weil nur hier messbare Zusammenhänge zu entdecken und in Größenbegriffe zu bringen sind, sodass schärfste Gesetzmäßigkeiten exakt beschrieben werden können. Daraus ergibt sich das Bild, dass die „wahre“ Wirklichkeit nur da getroffen wird, wo kausale Verkettungen zum Vorschein kommen. Ein solcher Denkzwang ist schwer aufzubrechen und verlockt dazu, alles auf Physik reduzieren zu wollen, weil ja nichts in der Schöpfung ohne physikalische Veränderungen geschieht. Warum ist aber der Gewinn solcher Theoriebildung in Bezug etwa auf eine Sonate von Beethoven sehr gering? Weil die Determination viel komplexer ist. Es mag sein – und wird auch in Ps 139 behauptet –, dass alles von Gott her bestimmt ist, es ist aber nicht alles physikalisch determiniert, obwohl natürlich alle Determinationen physikalisch realisiert sind. Es gibt etwa auch die logische Determination durch Sprache und andere gedankliche Strukturen, sofern Personen einander begegnen. Wer Noten spielt, folgt einer Struktur, die nicht durch physikalische Gesetze erklärt werden kann, die aber auf ihre Weise die neuronalen Prozesse bestimmt. Es kommt zu einem verwirrenden Geflecht von Bestimmungen, das gar nicht auf eine einzige Formel zu bringen und daher auch nicht wie ein Uhrwerk vorzustellen ist. In dogmatischer Perspektive sind Begriffe wie „Vorsehung“ und „Erwählung“ dann so zu entfalten, dass die neuerdings immer wieder diskutierte Frage „Determinismus“ gegen „Indeterminismus“ in ein neues Licht rückt. Das dogmatische Denken bleibt streng auf die biblisch bezeugte Geschichte Gottes mit den in diese Geschichte verwickelten menschlichen Geschöpfen bezogen. Es entfaltet demnach den theoretischen Zusammenhang des Glaubens aus der Innenperspektive. Das spricht aber nicht gegen die Wissenschaftlichkeit dogmatischer Argumentation, die sich per definitionem auf einer Ebene bewegt, wo die Prinzipien von Wissenschaft überhaupt zur Debatte stehen, wo also eine neutrale Ebene gar nicht mehr vorliegen kann. Es hat daher seinen

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guten Sinn, dass das Netz dogmatischer Aussagen komplexer wird als in den Naturwissenschaften, weil die Begriffe nicht über logische Beziehungen allein verknüpft sind. Das ganze Netz ist nicht eindeutig und will es auch nicht sein. So kann es eine Vielzahl von Perspektiven realisieren, es ist gleichsam polyphon. Wenn das gelingt, lässt sich auch sagen, dass die Begriffe nun auf ihre Weise sehr präzise sind, denn eine Vielstimmigkeit semantischer Ebenen ergibt sich nicht von selbst und ist auch nicht vage oder verschwommen. Nur dann kann das dogmatische Netz von Aussagen dem biblischen Zeugnis gerecht werden, das in seiner weithin narrativen Struktur bereits diese Vielschichtigkeit transportiert. Sie führt dazu, dass diese Texte immer wieder anders in neue Situationen hineinsprechen und dabei auch stets erneut die festgefahrenen Denkschematismen erschüttern. Die biblische Vielstimmigkeit reflektiert die Begegnung mit einem lebendigen Gott, der sich den menschlichen Geschöpfen radikal zuwendet und dadurch noch geheimnisvoller wird als zuvor.

2.  Kennwort Trinitätslehre

Die Trinitätslehre ist der Versuch, das biblische Reden von Gott auf die kürzeste und knappste und zugleich angemessene Formel zu bringen. Diese Formel konzentriert sich zum einen auf (a) die Beziehung Jesu Christi zu Gott dem Vater und Schöpfer und zum andern auf (b) die Beziehung des Heiligen Geistes zu Vater und Sohn. (a) Sie präzisiert die erste Beziehung mit der Wendung, der Sohn sei dem Vater wesensgleich. Das Wort Gottes, das in Jesus Christus Mensch wurde (Joh 1,14), ist „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“. (b) Die Formel präzisiert die zweite Beziehung mit der Wendung, der Geist gehe aus dem Vater und dem Sohn hervor. Gottes Geist wird mit dem Vater und dem Sohn zugleich angebetet. Auch hier passt die Wendung „wesensgleich“, die freilich für die erste Beziehung reserviert bleibt. Mir kommt es zunächst darauf an, dass die Formel von Gott redet, indem sie Beziehungen und vor allem Bewegungen in Gott andeutet. Sie entfaltet den grundlegenden Satz: Gott geht immer schon aus Gott hervor. Dieser Satz kann verschieden umschrieben werden. Zunächst geht der christliche Glaube davon aus, dass Gott lebendig ist. Daraus folgt auch, dass Gott sich immer schon äußert. In Gott gibt es immer schon einen Unterschied, eine Richtung, eine Spannung. Diese innere Differenz in Gott gefährdet aber nicht die Einheit Gottes, vielmehr ist die göttliche Einheit geistvoll, weil sie spannend bleibt. Auch eine sprachliche Formulierung ist dann geistreich, wenn sie in äußerster Kürze mehrdeutig ist. Darin steckt die Pointe einer ironischen Wendung. Und die Selbstäußerung Gottes, das spannende Gotteswort, macht das göttliche Wesen unbegreiflich. Das Wort „unbegreiflich“ meint hier vor allem: „unerschöpflich“. Damit ist gesagt, dass Gottes Wesen Reichtum und Fülle ist. Man könnte sogar sagen: Das spannende Gotteswort ist die Kehrseite der unerschöpflichen göttlichen Phantasie. Gott ist unbegreiflich, weil die Freiheit, Weisheit und Schönheit Gottes immer noch reicher und tiefer sind als unsere Erfahrungen mit Gott. Diese erste Skizze der Trinitätslehre macht zweierlei deutlich: (a) Es geht um den lebendigen Gott. Daher gibt es Bewegung in Gott, es gibt eine Kontur in Gott, die wir – auf dem Hintergrund des biblischen Zeugnisses – auch nachzeichnen können. Die Formel ist eine Skizze des göttlichen Wesens, wie es uns

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begegnet. (b) Es geht um den unbegreiflichen Gott. Die Formel will gleichsam auf den Begriff bringen, dass wir Gott nicht auf den Begriff bringen können. Das ist keine Spielerei. Von der Unbegreiflichkeit Gottes könnten wir auch so reden, dass wir eben gar nichts mehr von Gott sagen dürfen. Gott wäre dann so „jenseitig“, dass er uns gar nichts mehr angeht. Die Bibel erzählt aber von einem Gott, der sich menschlichen Personen erfahrbar macht und sie „von allen Seiten umgibt“ (Ps 139,5). Was mich derart umgreift, davon kann ich reden, ohne es je endgültig zu begreifen. Was mich fasziniert, kann ich zur Sprache bringen, ohne es je erschöpfend auszusagen – deshalb bleibt es ja faszinierend. Von diesem Gott können wir nur reden, wenn wir mindestens zwei Bewegungen zur Sprache bringen und unterscheiden, in denen Gott aus Gott hervorgeht. Damit haben wir – gewollt oder ungewollt – schon zugegeben, dass wir von Gott in dreifacher Differenzierung reden müssen. Gott verwirklicht das göttliche Wesen durch die lebendige Äußerung, durch das Wort Gottes (Joh 1,1–3). Dieses Gotteswort ist – anders als unser Denken und Reden – nicht nur eine Äußerung Gottes, sondern wieder Gott selbst. Hat Gott sich nun verdoppelt? Wir müssen sagen: Nein – sofern nicht zwei Götter entstanden sind wie bei einer Zellteilung. Wir dürfen aber sagen: Gott hat das göttliche Leben potenziert – sofern im Wesen Gottes eine Differenzierung entsteht, die geheimnisvoll und faszinierend zugleich ist. Gott geht nur aus Gott hervor, so ist Gott immer schon Ursprung des göttlichen Wesens und die Gestalt dieses Wesens. Gott verwirklicht sich im strengen Sinne selbst, gibt sich Gestalt. Und umgekehrt gehört es zum göttlichen Wesen, dass seine „Selbstgestaltung“ auf keinen anderen Ursprung als Gott selbst verweist. So ist Gott ewiger Ursprung und ewige Selbstgestaltung aus diesem Ursprung. Gott gründet nur in Gott. Wenn wir Gott als Abgrund und Urgrund unterscheiden von Gott als selbstbestimmtem Wesen – und das müssen wir tun, wenn wir von einem lebendigen Gott mit Wissen und Willen reden wollen –, so ist die eigenartige Ursprungsbeziehung wesentlich für Gott, sie gehört zum göttlichen Wesen. Gott als Abgrund und das Wort Gottes sind in diesem präzisen Sinne wesensgleich. Es sind nicht zwei Götter, sondern zwei „Konkretionen“ des einen göttlichen Wesens, nämlich die unergründliche Freiheit Gottes und die unerschöpfliche Weisheit, der Logos Gottes. Wäre Gott von seinem Wissen und Wollen unterschieden, so könnte Gott auch bewusstloser und willenloser Abgrund sein. Wäre das Wort Gottes nicht seinerseits Gott selbst, so wäre das göttliche Wesen mit uns vergleichbar, die wir in unserem Wissen und Wollen, Denken und Sprechen stets nur teilweise uns selbst gestalten und bestimmen. Das liegt daran, dass wir stets auch von anderswo bestimmt sind (was keineswegs nur negativ gemeint ist). Ein solches „von anderswo“ hat in Gottes ewigem Wesen keinen Raum. Das eine Wesen wird sogleich zweifach konkret, und daher kann man auch sagen: Die beiden

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Konkretionen sind wesenseins. Das zeigt sich darin, dass beide streng aufeinander bezogen sind, ja sogar ineinander übergehen. Die göttliche Freiheit unterscheidet sich von Willkür und Irrationalität, denn die Freiheit Gottes kann sich festlegen – ohne Angst, verfügbar oder berechenbar zu werden. Die göttliche Weisheit unterscheidet sich von zwanghafter Gesetzlichkeit, denn die Weisheit Gottes ist phantasievoll und darf spielen – ohne Angst, in Spielerei und Unverbindlichkeit abzugleiten. Die höchst seltsame Beziehung im göttlichen Wesen lässt sich auch so formulieren: Gottes unergründliche Freiheit kann sich festlegen und ist dann nicht mehr zu unterscheiden, geht gleichsam auf in der Selbstäußerung Gottes, im Wort Gottes. Es scheint, als wäre sie im Wort „verschwunden“. Allerdings ist dieses Wort so faszinierend und unauslotbar, dass es die Unbegreiflichkeit Gottes erst recht zum Leuchten bringt. So geht es gleichsam seinerseits wieder auf, „verschwindet“ in der abgründigen Freiheit Gottes. Diese Bewegung im innersten göttlichen Wesen ist also höchst differenziert. Es sind nicht einfach zwei göttliche Konkretionen in einer Beziehung – das wären dann wirklich zwei gleiche Götter! –, sondern zwei unterschiedliche Beziehungen, in denen Gott jeweils ganz konkret wird, und zwar in einer nicht aufzuhebenden Differenz. So gerät der Unterschied zwischen den göttlichen Konkretionen oder Existenzweisen und ihren Beziehungen ins Gleiten. Von Gott müssen wir daher immer wieder neu reden – Gott bleibt unbegreiflich, und zwar gerade in unseren Versuchen, das göttliche Wesen nachzudenken. Das ist die unverzichtbare Leistung der trinitarischen Formel. Das berühmte Wort „homousios“ im Glaubensbekenntnis kann „wesensgleich“ oder „wesenseins“ bedeuten – und in dieser Doppeldeutigkeit steckt eine wichtige Pointe: Der Unterschied in Gott verschwindet in den Übergängen, und indem er verschwindet, treten die Konkretionen in Gott wechselweise hervor. (Wenn sich bei solchen Gedankengängen ein gewisses Schwindelgefühl einstellt, so ist das durchaus in Ordnung.) Als ewig-gleichgültiges Hin und Her wäre die Bewegung aber noch unzureichend verstanden. Vielmehr verfeinert das göttliche Wesen sich in Ewigkeit immer mehr, wird tiefer und intensiver. Die gewissermaßen rhythmische Bewegung der beiden ersten Konkretionen lässt eine weitere Dimension aufleuchten, in der Gott noch einmal auf andere Weise aus Gott hervorgeht. Die göttliche Einheit ist kein Einerlei, weil die Beziehung zwischen Gott als Ursprung und Gott als Gestalt zwar die Differenz verschwinden lässt, aber jeweils in unterschiedlicher Weise. Die Einheit Gottes ist daher wesentlich Reichtum und Fülle und Überfluss. Die Einheit Gottes ist spannend, voller Überraschungen, geistreich. Weil Gott Überfluss ist, kann auch später der Geist „ausgegossen“ werden. Diese spannende Einheit Gottes ist eine neue Konkretion Gottes, auf eine neue Weise wieder Gott selbst und ganz Gott: Gottes

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Geist. Gott als Geist unterscheidet sich von der göttlichen Freiheit und der göttlichen Weisheit als innere Einheit von Freiheit und Weisheit, aber damit wird nicht etwa nur ein abstrakter „gemeinsamer Nenner“ bezeichnet. Gott als Geist ist die lebendige Bewegung, das spannende Spiel von Freiheit und Weisheit, die glanzvolle und faszinierende göttliche Einheit, wir können auch sagen: die Schönheit Gottes. War schon von den ersten beiden göttlichen Konkretionen zu sagen, dass sie kaum zu unterscheiden sind von der gleitenden Bewegung in Gott, so gilt das erst recht von dieser dritten Konkretion. Blicken wir zurück: Ich habe Gottes Wesen umschrieben als eine zusammenhängende Bewegung, in der Gott dreifach konkret ist, genauer: in wohlunterschiedenen Beziehungen sich selbst konkret werden lässt. Das ist die klassische Trinitätslehre, wenn auch ohne die herkömmliche Terminologie. Ich habe sie so skizziert, dass die Intention deutlich wird: Wer von Gott in biblisch bestimmter Weise reden will, muss trinitarisch von Gott reden. Für das Wesen Gottes ist es charakteristisch, dass es in dreifacher Weise konkret wird, wobei jede dieser konkreten Existenzweisen die beiden andern umgreift. Das ist geometrisch nicht mehr darstellbar (schon gar nicht als Dreieck). Die Kehrseite meiner Skizze liegt darin, dass ein nicht-trinitarisches Reden von Gott jedenfalls bestimmte wichtige Aspekte des biblischen Zeugnisses von Gott nicht mehr angemessen zur Sprache bringen kann. Wird beispielsweise ein nicht-trinitarischer Monotheismus formuliert, so erhält zwangsläufig die Freiheit Gottes andere Akzente. Die Freiheit Gottes wird dann entweder als radikale Transzendenz gefasst, sodass wir von Gott gar nichts mehr sagen (und streng genommen auch nicht mehr die Einheit Gottes behaupten) können. Oder das Handeln Gottes in der geschöpflichen Wirklichkeit bleibt stets begrenzt von dem Vorbehalt, dass Gott auch ganz anders hätte handeln können. Gottes Freiheit gerät in die Nähe irrationaler Willkür. Das Handeln Gottes verliert umgekehrt den Charakter göttlicher Selbstbestimmung. Im göttlichen Handeln ist Gott dann jedenfalls nicht wesentlich gegenwärtig. Innerhalb der Schöpfung gibt es lediglich geschöpfliche Instrumente Gottes, die mehr oder weniger nahe bei Gott, dem göttlichen Willen mehr oder weniger gehorsam sind. Die Kategorie für die menschliche Gottesbeziehung wird dann in der Regel überhaupt der Gehorsam sein – das menschliche Verhalten im Gegenüber zu Gottes Willen, der nicht unbedingt einsichtig sein, mit dem Gott sich auch nicht zuinnerst identifizieren muss. Im strengen Sinne kann man dann nicht sagen, dass Gott selbst uns nahe kommt. Die göttliche Freiheit verwirklicht sich nicht auf dem „Umweg“ über die Selbstgestaltung Gottes. Das bedeutet auch, dass die zentrale christliche Aussage nicht mehr formuliert werden kann. Sie lautet: Gott hat sich in Jesus Christus selbst hineinbegeben in das menschliche Elend, um es von Grund auf zu heilen. Gott, der immer schon und wesentlich die göttliche Freiheit gestaltet, kann

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auch immer schon sich selbst hingeben. Diese letzte Pointe der Trinitätslehre ist nicht weniger und nicht mehr als die Grundaussage des christlichen Glaubens, dass Gott lebendig und ein liebevolles Gegenüber ist. Wir nähern uns damit auch der anderen Dimension, der Konkretion des Gottesgeistes. Die biblische Grunderfahrung ist eine Erfahrung der Nähe Gottes. Dass es sich um eine höchst dramatische und auch gefährliche Nähe handelt, soll nicht geleugnet werden. Aber jedenfalls kommt Gott menschlichen Personen immer wieder nah. Die Gegenwart Gottes kann man spüren, und die besonders intensiven Ereignisse solcher Nähe hinterlassen eine Spur. Es sind Spuren einer überaus spannenden Geschichte, in der Gott immer wieder auf menschliche Personen zukommt, und zwar auf jeweils sehr eigentümliche, unwiederholbare, unverwechselbare Art und Weise. Dass es spannende und faszinierende Geschichten sind, können wir sogleich trinitarisch interpretieren und müssen dann sagen: Gott wird nicht etwa nur wegen unserer begrenzten Erkenntnis, sondern wesentlich immer so konkret, dass wir von Gott zunächst erzählen müssen. Gott ist spannend. Wenn soeben davon die Rede war, dass Gott sich auf Umwegen selbst verwirklicht, so heißt das: Wer sich mit Gott einlässt, wird in ein Drama verwickelt. Die Sprachform der Geschichte und der vielen biblischen Geschichten ist nicht zufällig, nicht nur ein didaktisches Mittel zur Illustration allgemeiner Wahrheiten. Sie entspricht vielmehr der Spannung im göttlichen Wesen, von der wir bereits im Zusammenhang mit der geistvollen göttlichen Einheit gesprochen haben. Das bedeutet im Gegenzug, dass eine anti-trinitarische Gotteslehre in der Gefahr steht, die innergöttliche Spannung zu verleugnen. Die göttliche Einheit muss dann gewissermaßen homogen sein. Dem entspricht in der Regel eine andere Hermeneutik biblischer Texte, denn nun kommt es darauf an, die geschichtliche Gestalt dieser Texte auf „Grundsätzliches“ hin zu überfliegen. Dem entspricht auch eine andere Rede von der Erfahrung Gottes. Das Moment der Spannung, die narrativen und dramatischen Aspekte werden zurückgedrängt. Das heißt auch, dass nicht länger die einzelne menschliche Person in ihrer unverwechselbaren Eigenart eine ebenso unvertauschbare Rolle in der Geschichte Gottes mit den Geschöpfen spielt. Letzten Endes wird an die Stelle des biblischen Redens dann ein abstraktes Gottesbild treten, etwa die philosophische Vorstellung einer „Alles bestimmenden Wirklichkeit“. Die biblischen Gestalten werden höchstwahrscheinlich zu Vorbildern, vielleicht nicht für die Nachahmung, aber zu Prototypen oder Archetypen menschlicher Erfahrung. Wir können also ganz pointiert sagen: Ein nicht-trinitarisches Reden von Gott führt zu Abstraktionen, weil die Begegnung mit Gott entweder einer allgemeinen ethischen Forderung untergeordnet wird oder einer ebenso allgemeinen Sicht von Wirklichkeit überhaupt. Dort kann die Begegnung mit Gott durch den

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menschlichen Gehorsam verdrängt werden, hier durch intellektuelle Anstrengung. Interessanterweise ist es also ein nicht-trinitarisches Reden, das in philosophischen oder wenigstens begrifflichen Strukturen verharrt. Der übliche Vorwurf, die Alte Kirche habe mit der Trinitätslehre das ursprünglich konkrete biblische Reden an die griechische Ontologie „verraten“, trifft demnach genau daneben. Wird umgekehrt vom biblischen Zeugnis her theologisch argumentiert, so rückt die Spannung in den Mittelpunkt. Gott ist Ein Gott – aber immer wieder überraschend anders, und doch immer wieder zu identifizieren. Die größte, kaum noch zu ertragende Spannung besteht zwischen dem alttestamentlichen Gotteszeugnis und der Christusgeschichte – dazu wird noch einiges zu sagen sein. Jedenfalls macht Gott in höchst überraschender, kreativer Weise Geschichte und zieht menschliche Personen in diese Geschichte hinein. Alle noch so persönlichen Gotteserfahrungen stehen daher in einem Zusammenhang, denn Gott ist immer Ein Gott. Daher hängen alle noch so persönlichen Gotteserfahrungen untereinander zusammen, ohne dass wir eine abstrakte Ebene finden müssten, auf der wir sie homogen beschreiben. Wohl aber finden wir Sprache für unsere Erfahrung, etwa die Sprache der Psalmen, der biblischen Geschichten etc. Und nun können wir sagen: Weil es Gottes spürbare Nähe ist – und nicht irgendein menschliches Gottesbild –, die Menschen in Bewegung setzt, können wir unsere eigenen tiefsten Gottes- und Selbsterfahrungen zwar niemals auf den Begriff bringen. Wir können sie aber zur Sprache bringen, und zwar in einer gemeinsamen Sprache, die uns auch als menschliche Einzelwesen aufeinander bezieht, so dass wir gerade in solchen personalen Beziehungen unverwechselbar werden. Die gemeinsame Sprache ist wieder ein höchst geistreiches Phänomen. Dass ich meine ganz persönlichen Erfahrungen zur Sprache bringen kann – also in einem immerhin allgemeinen Medium, in einer verbindlichen Grammatik und mit einem Wörterbuch –, ist nicht selbstverständlich. Hier lassen sich Bezüge zu Pfingsten erkennen: Auch ohne Übersetzung können menschliche Personen einander verstehen, vielleicht obwohl sie die Wörter unterschiedlich verstehen, vielleicht gerade deshalb (Apg 2,7 f.). So werden jedenfalls menschliche Personen in jene Geschichte und in die Geschichten hineingezogen, die allesamt in der Christusgeschichte ihre höchste, unüberbietbar spannungsvolle und keineswegs homogene, sondern geradezu explosive Verdichtung finden. Daher hat die Alte Kirche im 4. Jahrhundert die wichtige Entscheidung getroffen, Gottes Nähe und abgründige Tiefe, Gottes Gegenwart und Verborgenheit als faszinierend schwebende Bewegung in der Sprache auszusagen – nach dem allerdings unüberbietbaren Vorbild des biblischen Zeugnisses. Gott geht immer über sich hinaus – das ist die präzise Fassung der göttlichen Trans-zendenz. Auch hier wäre im Einzelnen zu zeigen, dass es die Gegner der Trinitätslehre, vor allem

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die Arianer sind, die an einem abstrakten Begriff der göttlichen Transzendenz und Unveränderlichkeit festhalten, den sie nicht dem biblischen Zeugnis, sondern der antiken Philosophie und Ontologie entnehmen, wo nichts ewig und also auch nicht wahr sein kann, was der Veränderung unterworfen ist. Die Trinitätslehre setzt den Akzent anders: Natürlich kann Gott nicht vergehen und ist insofern unveränderlich – Gott bleibt Gott. Aber die göttliche Unveränderlichkeit setzt sich in jener Einheit Gottes durch, die größte und abgründigste Spannungen noch umgreifen und durchdringen kann. Das gilt auch für den Begriff „Allmacht“. Natürlich nähern wir uns damit dem Nerv der gesamten christlichen Gotteslehre, denn wenn der Vater und der Sohn wesensgleich sind und wenn der Sohn Mensch geworden ist, dann muss das menschliche Leben, dann müssen Geburt und Tod Jesu sinnvoll auf das Leben Gottes bezogen werden. Kann aber Gott leiden? Natürlich sind sich alle Theologen einig, dass Gott nicht im körperlichen Sinne leiden kann, weil er keinen biologisch bestimmbaren Körper hat. Nun könnte man konsequenterweise sagen, dass der Begriff „Allmacht“ schon jede Passivität Gottes ausschließt. Das war in der Tat der Ausgangspunkt für die Bestreitung der Trinitätslehre, genauer: für eine strikte Unterscheidung zwischen dem göttlichen Wesen und Jesus Christus, der im Übrigen durchaus als das dem göttlichen Wesen nächste Geschöpf angesehen wurde. Um Gottes Willen leiden allerdings auch etwa die Propheten und die Märtyrer, vor allem der Gottesknecht nach Jes 53. Der Unterschied wäre eingeebnet. Wer hingegen sagen will, dass Gott selbst ins Leiden geht, entscheidet sich faktisch für trinitarische Denkfiguren. Gott identifiziert sich mit dem Leiden dieses Menschen in einer Weise, die über bloßes Mitleid hinausgeht. Angesichts der menschlichen Feindschaft gegen Gott scheitert das göttliche Leben, die göttliche Transzendenz. Natürlich kann im Licht der Auferweckung gesagt werden, dass auch dieses Scheitern als göttliches Scheitern kreativ und geistvoll ist und insofern ganz ungeahnte Perspektiven freisetzt. Aber bereits die Passion selbst hat mit dem göttlichen Wesen zu tun. Was bislang als Selbstbestimmung Gottes, auch als Äußerung Gottes im göttlichen Wort umschrieben wurde, erfährt nun seine Zuspitzung. Das Christusgeschehen ist die konsequente Ent-äußerung (Phil 2,8), die vollendete Hingabe des liebevollen Gottes. Das Wort „homo-usios“ verlangt an dieser Stelle nicht mehr und nicht weniger als den schwindelerregenden Gedanken, dass Gottes Allmacht sogar die leidende Hingabe Gottes umgreift. „Allmacht Gottes“ darf nicht verwechselt werden mit menschlichen Allmachtsphantasien. Umgekehrt: Die konsequente Selbst-Hingabe Jesu Christi muss als göttliche Möglichkeit und Tat verstanden werden. Das Neue Testament geht davon aus (und es geht wirklich streng davon aus, verliert also seinen Nerv, wenn ein anderer Ausgangspunkt gewählt wird), dass im Christusgeschehen die Zeit, die Geschichte, letztlich die Welt über-

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haupt neu qualifiziert wird. Die Geschichte Gottes mit den Geschöpfen, mit den menschlichen Personen, schließlich mit dem Gottesvolk Israel wird hier auf die Spitze getrieben, weil alle Gottesfeindschaft sich auf eine Person konzentriert. Wir können das mit einer gewaltsamen Entladung vergleichen, die wie ein Gewitter die Luft reinigt. Frische Luft – das hat sogleich wieder zu tun mit dem Gottesgeist, der oft genug als Sturm dargestellt wird. Es ist kein Zufall, dass schon die Markus-Passion den Tod Jesu mit einer Sonnenfinsternis (Mk 15,33) in Verbindung bringt und den Todesschrei mit dem Zerreißen des Vorhangs im Tempel (v.37 f.). Inmitten dieser Naturkatastrophe erkennt der heidnische Hauptmann am Kreuz: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen! (v.39) Von nun an wird nichts mehr sein wie zuvor, denn Gott hat die Welt versöhnt mit Gott (2Kor 5,19). Das Leiden Jesu Christi konfrontiert uns mit einer Gottesferne, die weit unerträglicher und „existentieller“ ist als der philosophische Grundsatz von der Unsichtbarkeit Gottes. Es ist zunächst unsere Gottesferne, der selbstverschuldete Unwille, dem lebendigen Gott zu begegnen. Gott kann nicht unsichtbarer werden als am Kreuz. Es ist auch die Gottesferne, wie Jesus sie spürt, wenn er Ps 22 betet (Mk 15,34). Wohlgemerkt: Jesus betet einen Psalm, der durchaus auf ein rettendes göttliches Handeln gerichtet ist. Jesus verliert am Kreuz keineswegs die Hoffnung und insofern auch nicht den Kontakt zu Gott. Aber er stirbt mit einem Schrei. An dieser Stelle – und natürlich auch schon in Gethsemane (Mk 14,36) – wird die Trinitätslehre auf die Zerreißprobe gestellt. Wie kann Jesus, wenn er doch wesensgleich mit Gott ist, zu Gott beten? Ist der Subordinatianismus nicht im Recht? Ist Jesus nicht doch angemessen zu beschreiben als leidender Gottesknecht, ohne die steile Behauptung der Gottheit Jesu? Isoliert man die Stellen, kann man zu diesem Ergebnis kommen. Aber das ist gerade die Argumentationsweise der anti-trinitarischen Theologen des vierten Jahrhunderts. Im Kontext erweist sich die subordinatianische Position nämlich als ungeheuerliche Reduktion. Sie ist eine beinahe dreiste Verkürzung des neutestamentlichen Redens von Gott in Jesus Christus. Schon die Johannes-Passion kann gar nicht subordinatianisch gelesen werden. Sie ist deutlich als Inthronisation stilisiert. (Das reflektiert Johann Sebastian Bachs mächtiger Eingangschor zur Johannes-Passion mit der Anspielung auf Ps 8!) Und spätestens die Erscheinungen des Auferweckten – des gekreuzigten Auferstandenen! – sind als Theophanien erkennbar. Vor allem aber wird die theologische Denkaufgabe spannender, wenn wir die „punktuell subordinatianische“ Rede von Jesus im Gegenüber zu Gott ernst nehmen und in den trinitarischen Rahmen stellen. Die Transzendenz Gottes geht offenbar so weit, dass Gott aus sich herausgehen, über sich selbst hinausgehen kann. Ist Gott nun eine gespaltene Persönlichkeit? Diese spontane Reaktion (auch von aufgeweckten Schülern) muss

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durchaus positiv beantwortet werden: Gott kann nicht im biologischen Sinne geboren werden oder sterben, Gott kann aber die göttliche Selbsthingabe zum Exzess treiben und sich in das Handeln und Leiden einer menschlichen Person so intensiv verwickeln, dass der gewaltsame Tod dieses Menschen Gott ins Leiden bringt. Solche Selbstentfremdung intensiviert aber die göttliche Freiheit, stellt sie nicht etwa infrage. Hier gilt, was bereits in den ersten Abschnitten zu sagen war (s. o.): Die göttlichen Konkretionen treten einander gegenüber, aber nicht als Einzelpersonen in unserem heutigen Sinne, sondern als gegenläufige Bewegungen. Den äußersten Punkt dieser Differenzierung erreicht das göttliche Leben in der Entäußerung, im Gehorsam bis in den Tod (Phil 2,8). Wir können so das Gebet Jesu präziser fassen: Zwar betet in Gethsemane und am Kreuz nicht Gottes Sohn zu Gott dem Vater, sondern der Mensch Jesus zu dem Gott, der Israel erwählt hat – aber dieser Mensch kann in dieser unverwechselbaren Situation nur so beten, weil in ihm der Sohn Gottes konkret wird als göttliche Selbstbestimmung zur liebevollen Hingabe. Die Situation, in der Jesus von Nazareth betet, ist gänzlich bestimmt von dieser göttlichen Selbstbestimmung. Sie ist der Endpunkt einer langen Geschichte der Annäherung Gottes an die Geschöpfe, an die menschlichen Personen, an das Volk Israel. Sie ist die Katastrophe einer dramatischen Verwicklung Gottes mit der menschlichen Geschichte. Und das Leiden des Menschen Jesus von Nazareth betrifft die göttliche Natur des Sohnes ohne Abstriche. Denn warum sollte das Leiden des Gottessohnes weniger intensiv sein, nur weil die göttliche Person nicht im biologischen Sinne stirbt? Leiden, ohne sterben zu können – das ist beinahe die Definition der Hölle, und insofern bleibt dem menschgewordenen Gotteswort tatsächlich noch der Abstieg in das Reich des Todes. Die biblischen Passionserzählungen sind ein sehr grundsätzliches Beispiel dafür, wie die Trinitätslehre „funktioniert“. Sie ist eine Anweisung, die geheimnisvolle Verwicklung von Gott und Mensch in Jesus Christus immer wieder aufzuspüren und zu verfolgen. Mit dieser Aufgabe kommen wir an kein Ende. Dafür entdecken wir überraschend neue charakteristische Züge sowohl an Gott als auch an der menschlichen Natur, nicht nur an Jesus Christus, sondern auch an den anderen menschlichen Personen, vielleicht sogar an uns selber. War zuvor davon die Rede, dass die biblischen Geschichten von einem stets überraschenden Handeln Gottes ausgehen, so greifen diese Überraschungen nun auf die menschliche Seite über. Die Person Jesu Christi strahlt ihren Glanz aus über die menschliche Geschichte. Das bedeutet keineswegs, dass wir uns Jesus zum Vorbild nehmen müssten. Es ist nicht ausgeschlossen, aber eher selten. Denn in vielen (oder besser: den meisten) neutestamentlichen Szenen und Geschichten tritt uns diese Person in irritierender und provozierender Fremdheit gegenüber. Sie wird uns zur Frage und macht uns zur Frage. So wird gerade durch den Men-

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schen Jesus von Nazareth die Fremdheit Gottes anschaulich. Sie gewinnt charakteristische Züge, sie trägt ein Gesicht. Der unsichtbare, unbegreifliche Gott wird zur Person – das Wort verweist ursprünglich auf die Theatermaske und auf das Angesicht – und greift in die Handlung ein. So unterscheidet sich die göttliche Freiheit von der bloß abstrakten Transzendenz eines „jenseitigen“ Gottes. Jesus Christus trägt aber noch ein anderes Gesicht. In seinem Leben und Sterben wird auch die Hingabe Gottes anschaulich. Und interessanterweise gilt das wieder von der ganzen Person, nicht etwa nur von den absonderlichen oder überdurchschnittlichen Ereignissen wie etwa den Wundern. Die Engel dienen Jesus nach der bestandenen Versuchung in der Wüste (Mt 4,11). Die Versuchung besteht Jesus, indem er sich gerade nicht dazu verlocken lässt, die eigene Gottheit in Anspruch zu nehmen (v.6, vgl. Phil 2,7). Die Selbsthingabe Jesu Christi wird aber wieder zur Provokation und führt letztlich in die Passion. Nehmen wir beide „Gesichter“ zusammen, so müssen wir sagen: Es sind bei genauer Betrachtung nicht zwei säuberlich zu unterscheidende Gesichter. Es ist ein und dasselbe Gesicht in charakteristischen Bewegungen, die jeweils unterschiedlich ausgerichtet sind, aber eine einzige charakteristische Person hervortreten lassen. Die zwei Charaktere greifen also so ineinander, dass sie zwar unterschiedlich akzentuiert, aber nicht mehr auseinandergenommen werden können, andererseits auch nicht verschwimmen. Diese Einsicht wurde im Jahre 451 als unmittelbare Konsequenz der Trinitätslehre formuliert. Die theologische Leistung solcher Präzisierungen liegt darin, dass eine charakteristische Doppeldeutigkeit als grundlegend für das biblische Reden von Gott erkannt wird. Wie wird ein Gesicht charakteristisch – schon ein menschliches Gesicht? Vermutlich durch Beziehungen und Begegnungen, die eine facettenreiche Spur hinterlassen. Charaktere ergeben sich aus Geschichten. In Jesus Christus „verknoten“ sich göttliche und menschliche Geschichte. Daher trägt Jesus Christus ein einziges, unverkennbares, unverwechselbares – aber eben: ein doppeldeutiggeheimnisvolles – Gesicht. Als menschliche Person ist er nicht auszuschöpfen, und darin verweist er darauf, dass auch Gott nicht festzulegen ist. Wenn es am Ende so weit kommt, dass auch wir uns selber neu entdecken im Gegenüber zu dieser einen Person, dann wird anschaulich, warum auch der Gottesgeist nicht nur als Sturm, Wind und Atem konkret wird, sondern eben wieder in ganz besonderen Gesichtern. Das Neue Testament kann sogar von einem Leib Christi sprechen, also von der Person Jesu Christi in der präzisen Bedeutung der Gemeinde (vor allem 1Kor 12). Gottes Geist führt menschliche Personen so zusammen, dass sie insgesamt die Züge Jesu Christi tragen, die Gesichtszüge des Auferweckten. Das Christusgeschehen greift gleichsam aus in die Geschichte und ergreift unverwechselbare menschliche Personen in ihren je unvertauschbaren und unwiederholbaren Situationen.

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In einem Gesicht wird eine Person anschaulich, man kann auch sagen: Sie wird konkret. So können wir sagen, dass die zu Beginn meiner Überlegungen erwähnten „Konkretionen“ Gottes sich in der Person Jesu Christi verdichten – denn hier wird sowohl die Selbsthingabe Gottes als auch die göttliche Freiheit in vielfältigen Beziehungen anschaulich. Übersetzen wir das wenig schöne Wort „Konkretion“ ins Griechische, so erhalten wir den Begriff „Hypostasis“. Wir sind also immer schon von der klassischen Trinitätslehre ausgegangen, wonach das eine Wesen Gottes – griechisch: die göttliche „Ousia“ – in den Beziehungen der drei Hypostasen lebendig existiert. Wohlgemerkt: Es wird nicht das eine Wesen Gottes dreifach lebendig, etwa wie das „Wesen der Ente“ in Donald, Daisy und Dagobert Duck. Gott lebt in den geheimnisvoll gleitenden Übergängen von einer Konkretion zur anderen, also in den Relationen. Das sind schon alle philosophisch-ontologischen Begriffe, wie die Trinitätslehre sie aus der Tradition übernimmt, und zwar in höchst pointierten Umformungen. Ist es dann wirklich aussichtslos, die Raffinesse der Trinitätslehre anschaulich zu machen? Der Ansatz liegt – das zeigen die Beiträge von Gerhard Büttner und Hartmut Rupp – einerseits in der narrativen Grundstruktur des biblischen Redens von Gott, andererseits in der Chance, die Doppeldeutigkeit bildlich darzustellen. Der „Gnadenstuhl“ ist sicherlich eine tendenziell tritheistische Angelegenheit. Denken wir aber an die berühmte Ausführung von Masaccio (Santa Maria Novella, Florenz), die bewusst mit der Perspektive spielt – nur von einem bestimmten Punkt aus ist die Plastizität des Gemäldes sichtbar. Die innertrinitarische Einheit liegt in der äußerst stringenten Komposition. Dabei ist für die Didaktik wesentlich, dass zumindest älteren Schülerinnen und Schülern der Eindruck vermittelt werden kann, inwiefern eine paradoxe Komplementarität einheitlich zu gestalten ist (vor allem die Grafiken von M.C. Escher bieten hier viele Beispiele). Dabei ergibt sich eine unverwechselbare Gestalt, in der kein Strich, keine Linie, kein Zug unwichtig ist. Das gilt gerade für Darstellungen, in denen die Perspektive kippt. Die Menschengestalt Jesu Christi ist ein interessanter Ausgangspunkt, sofern in Anknüpfung an Chalcedon diese menschliche Natur nicht in erster Linie als Vorbild missverstanden wird, als sei Jesus „ein Mensch wie du und ich“. Es ist der für Gott transparente Mensch, eine Person, die uns mit Gott konfrontiert. Kol 1,15 muss hier ernst genommen werden. Christus als Ebenbild des unsichtbaren Gottes – das ist vielleicht die dichteste Formulierung neben der gleichfalls unüberbietbar dichten Formulierung Hebr 1,3: Der Sohn ist der Charakter der Hypostase des Vaters. Der Vater wird erst konkret – was ungefähr bedeutet: erhält seine charakteristischen Züge – in der Beziehung des Sohnes zum Vater. Die Pointe der Formel von Chalcedon liegt demnach in der Betonung der raffinierten Doppelbödigkeit. Es geht um eine Begegnung, nicht um abstrakte Eigenschaften.

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Aus der präzisen Mehrdeutigkeit theologischen Redens folgen also bestimmte Anforderungen an die Praktische Theologie, insbesondere an die Religions­ pädagogik. Es kommt darauf an, die Einsicht in komplementäre Beschreibungen zu entwickeln. Vor allem geht es darum, solche Komplementarität nicht nur als Unschärfe oder als Verlegenheitslösung zu betrachten, sondern darauf zu achten, dass eine nicht reduzierbare Mehrdeutigkeit sachgemäß und sogar treffend sein kann. Gott als lebendiges, liebevolles Gegenüber lässt sich eben nur in spannungsreichen Sprachbewegungen aussagen. Es mag sein, dass nicht in allen praktisch-theologischen Situationen diese Einsicht zu erreichen ist, aber immer wird der Unterschied zu spüren sein zwischen einer nur moralischen oder nur spekulativen Theologie und einer Überfülle von spannenden Geschichten.

I.  Polyphonie: Theologie und Philosophie

Einführung

Die Aufsätze des ersten Teils bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Theologie und Philosophie. Dabei gerät auch die Wissenschaftstheorie in den Blick, die sich besonders auf die Naturwissenschaften konzentriert hat. So ergibt sich zugleich eine entspannte Bestimmung der Schöpfungslehre im Verhältnis zu physikalischen und biologischen Theorien. Den Ausgangspunkt bildet der Begriff „Geist“. Er bezieht sich entweder auf den Heiligen Geist, also auf Gott selbst, oder auf den menschlichen Geist als Spitze der Vernunft. Die Philosophie des Idealismus geht hier von einer Konvergenz aus und setzt an dieser Stelle die Religion an, die demnach die Vernunft vollendet durch den Bezug der Vernunft auf Gott. Die Vernunft ist dann nicht einfach mit dem Geist identisch, wohl aber offen für einen noch genauer zu bestimmenden „Einbruch“ der Transzendenz in die Vernunft. Das sind Erfahrungen, in denen die Unterscheidung zwischen dem erkennenden Subjekt und dem erkannten Objekt in Fluss gerät und auf eine letzte Einheit der Wirklichkeit ausgerichtet wird, die nicht mehr im strengen Sinne beschrieben werden kann. Das führt zu einem Kontrollverlust, der riskant, aber auch fruchtbar sein kann. Das Paradigma für einen produktiven Verlust der Kontrolle ist die Erfahrung, dass ich mich als Person tragen lassen darf durch die Beziehung zu einer anderen Person, vielleicht sogar meine Identität nicht mehr in mir habe, sondern von der anderen Person her empfange. Die personale Identität „spielt“ zwischen den Personen, zwischen „Ich“ und „Wir“. So bestimmt Georg Wilhelm Friedrich Hegel in der „Phänomenologie“ zunächst den Geist im Unterschied zum Bewusstsein. Dann kann sichtbar gemacht werden, dass durch die geistvolle Bewegung zwischen den Personen die Vernunft als Erkenntnis- und Entscheidungsfähigkeit zwar relativiert, aber auch erweitert wird. Vor allem wird sie lebendig und unterscheidet sich von der ratio, dem Verstand, der letztlich nur messen und berechnen kann. Erfahrung des Geistes schließt immer ein, dass die präzise beschreibbare Wirklichkeit nicht die ganze Wahrheit sein kann, eben weil die Dynamik der Relationen alles in Fluss hält. Wenn das aber für personale Wirklichkeit zutrifft, können wir in anderen Bereichen nach Analogien suchen. Vielleicht ist die Reduktion der nicht personalen Wirklichkeit auf Objekte und messbare Größen nur einer unter anderen möglichen Zugängen. Immerhin umgreift die personale Wirk-

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Polyphonie: Theologie und Philosophie

lichkeit bereits die Leiblichkeit der Personen, die nicht mit ihrer Körperlichkeit verwechselt werden darf. Hier brechen allerdings Fragen auf: Wenn die Erfahrung des Geistes in personaler und nicht-personaler Wirklichkeit nicht mehr begrifflich präzisiert werden kann, müssen andere Standards der Präzision gesucht werden. Es kommt auf bewegte Begriffe an, die nicht mehr im Sinne der klassischen Logik und eindeutig zu definieren sind, indem wir sie auf klar unterschiedene Mengen zurückführen. (Daher bedeutet „Begriff “ bei Hegel etwas anderes als im logischen Zusammenhang, was zuweilen Verwirrung stiftet). Bewegte Begriffe setzen voraus, dass Mehrdeutigkeit nicht mit Unschärfe verwechselt werden kann, sondern lebendige Zusammenhänge erschließt. Das Denken muss sich der Bewegung in der Realität fügen, die sich immer als Einheit in der Differenz und als sich differenzierende Einheit zeigt, es muss sich auf die inneren Spannungen richten, die nicht zum Bruch führen, sondern Energie freisetzen. Das Paradigma ist auch hier wieder die Person, die sich in ihrem Selbstbewusstsein von sich selbst unterscheidet und gerade in dieser Unterscheidung ihre Identität vertieft. Ein solches Denken ist nicht durch eindeutige Begriffe „abgesichert“ und von den Objekten der Erkenntnis unterschieden, sondern sensibel für Differenzen und ihre jeweils überraschende Einheit. So wird es geistreich. Nun ist es eine notwendige (nicht hinreichende) Bedingung für die Erfahrung der göttlichen Wirklichkeit, dass die Festlegungen der Wirklichkeit in Fluss geraten. Was wir für selbstverständlich halten und was uns unmittelbar einleuchtet, das gerät in Bewegung. Das ist sicherlich eine ek-statische Grenzerfahrung, denn ich verliere meinen gesicherten Stand gegenüber „der“ Wirklichkeit. Der Kontrollverlust kann aber die Vernunft vertiefen, neue Perspektiven und Horizonte erschließen. So wird der menschliche Geist immerhin durchsichtig für den schöpferischen Reichtum des Gottesgeistes. Solche Erfahrungen sind unverfügbar – und wir reden dann nicht zufällig von „Inspiration“. Die Vernunft erfährt dabei eine Vertiefung vor allem durch den Reichtum der Sprache, die nicht reduziert werden darf auf die eindeutige Vermittlung von Informationen (so wichtig das in bestimmten Bereichen sein mag). Wir reden auch von „lebendigen“ Sprachen, deren Vielfalt bereits ein Indiz dafür ist, dass Wirklichkeit nicht einfach festgelegt werden kann. Die Labilität von – nicht „der“ – Wirklichkeit als Hinweis auf die schöpferische Kraft des Geistes wird auf ganz unterschiedliche Weise ausgearbeitet in der Philosophie des Deutschen Idealismus, wofür neben Hegel exemplarisch noch Friedrich Schleiermacher steht, der in seiner nie endgültig fixierten (!) „Dialektik“ das Wissen und die Wissenschaft als Kunst präzisiert, die niemals auf einen letzten Begriff gebracht werden kann. Reden wir von Wirklichkeit nicht mehr im Singular, so hat das Konsequenzen für die Lehre von der Schöpfung. Es ist klar, dass die Theorien der Naturwis-

Einführung

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senschaft nicht „die ganze Wahrheit“ sein können. Eine pseudo-wissenschaftliche Harmonisierung zwischen der fundamentalistisch missverstandenen biblischen Perspektive und der Physik oder der Biologie ist überflüssig. Allerdings muss auch die Naturwissenschaft in ihren pseudo-metaphysischen Ansprüchen begrenzt werden. In der Schöpfung geschieht nichts ohne physikalische Prozesse, aber die Behauptung „Wirklichkeit ist nichts anderes als die Gesamtheit physikalischer Prozesse“ ist kein Satz der Physik, sondern eine philosophische (und unbeweisbare) These. Die schöpferische Kraft Gottes liegt auf einer anderen Ebene als die Kausalität im Sinne der Physik. Nur gilt es diese andere Kausalität auch plastisch zur Sprache zu bringen. Dann wird deutlich, ob und wie die physikalische und die theologische Beschreibungsebene ineinandergreifen. Es gibt den physikalisch beschreibbaren Kausalzusammenhang, aber „in, mit und unter“ dieser Naturkausalität tritt eine Kausalität anderer Art hervor, sofern geistige Strukturen die Prozesse in meinem Gehirn bestimmen: wenn ich einen Text lese oder eine Fuge spiele, aber auch wenn ich ein Gesetz befolge etc. Die Sprache wirkt durch die physikalischen Prozesse hindurch auf eigene Art. Besonders deutlich wird diese Kausalität aus Begriffen in Situationen, wo eine Handlung erklärt wird durch das Ziel, das die handelnde Person verfolgt, durch ein telos, das nicht in der Vergangenheit liegt. Was bei Handlungen plausibel ist, wurde bis vor einigen Jahrzehnten auf die Lebensprozesse übertragen, weil ein Organismus mehr ist als die Summe seiner Teile, vielmehr durch Rückkopplungen strukturiert wird, die gerade das Leben ausmachen. Dann liegt die Analogie zu einem Handeln nach Zwecken nahe. Die Evolution könnte als Prozess insgesamt geistreich sein, auch und gerade wenn der menschliche Geist sinnvollerweise und absichtsvoll die biologischen Prozesse mechanistisch präzisiert. Die doppelte Perspektive wiederholt nicht den alten Fehler, Gott als Lückenbüßer einzusetzen, wo die naturwissenschaftliche Theorie vorläufig unvollständig ist. Es ist gänzlich unangemessen, Theologie und Naturwissenschaft als Gegenspieler zu betrachten. Die wissenschaftlich rekonstruierte Wirklichkeit ist als solche ein Hinweis auf den geistreichen Schöpfer. Dieser Hinweis leuchtet besonders hell und klar auf in der menschlichen Wirklichkeit – das entspricht der Gottebenbildlichkeit des menschlichen Geschöpfs. Umgekehrt erweist sich die mechanistische Reduktion der Evolution als insgeheim narrativ. Nicht nur sind die Erklärungen stets nur „von hinten“ möglich – und das unterscheidet sie von physikalischen Gesetzen mit ihrer prognostischen Kraft –, sie machen die Analogie zur Entstehung von Gebilden des menschlichen Geistes immer deutlicher. Auch in der Kunst können die kreativen Prozesse bis ins Detail erforscht werden, man kann sogar lernen, Fugen ähnlich zu komponieren wie Johann Sebastian Bach – nur ist es

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dann nicht dasselbe. Wird aber Bachs Musik durch die genaue Analyse „entzaubert“? Und wenn sie ihre Faszination gerade durch genaueste Betrachtung nicht verliert, warum sollte das nicht auch für die Natur gelten? Die Gottebenbildlichkeit des menschlichen Geschöpfs tritt genau an dieser Stelle hervor: zwischen der geistreichen Vernunft, die unerschöpflich komplexe Kunstwerke erschaffen kann, und der Betrachtung der Schöpfung, deren innere Logik durch unsere Vernunft begriffen werden kann, wenn wir nicht vergessen, dass wir es sind, die geistreiche naturwissenschaftliche Theorien produzieren. Zugespitzt: Gen 1,26 f. meint auch die Physikerin und den Physiker, die am siebenten Tag alles sehr schön finden dürfen. Sie dürfen dann sogar mit physikalischen und biologischen Theorien spielen, um Gott zu loben. Soll die besondere Kreativität Gottes abgehoben werden von der physikalischen Kausalität, so rückt die Sprache in den Vordergrund. Hier konvergieren der Lógos Gottes, in dem alles geschaffen wurde (Joh 1,1–3), und das gottebenbildliche Wesen des Menschen, das immer nur als personale Beziehung wirklich und sprachlich konstituiert ist. Sprache kann auch im menschlichen Bereich wirksam sein, obwohl wir nicht in Lage sind, durch unser Wort allein Wirklichkeit zu schaffen. Die Sprache kann präzisiert werden in Begriffen und vermag dann Aspekte von Wirklichkeit zu erfassen und zu durchdringen. Wir dürfen nur nicht vergessen, dass wir dabei eine Reduktion vornehmen, indem wir Begriffe als messbare Größen definieren und die Zusammenhänge zwischen den physikalischen Größen als mathematische Funktionen darstellen. Die Leistung der Naturwissenschaft ist hier so überwältigend, dass sich die Versuchung ergibt, die Reduktion von Wirklichkeit für die letzte Erkenntnis zu halten. Dass sich an dieser Stelle die Vernunft übereilt, erkennen wir daran, dass die Naturwissenschaft sich nur mit sprachloser Wirklichkeit befasst. Sobald es um die Erkenntnis anderer Person geht, kommt eine ganz neue Dimension in den Blick: Im Unterschied zu Quarks, Quallen und Quasaren kann mein Gegenüber mir antworten. So entstehen personale Beziehungen, die nicht nur, aber wesentlich sprachlich gestaltet sind und daher eine eigene Wirklichkeit bilden. Natürlich kann man nun einwenden, dass doch die kosmischen Zusammenhänge vorrangig sind und daraus die personale Wirklichkeit abzuleiten wäre, aber das ist keineswegs so selbstverständlich. Immerhin ist es unsere Vernunft, die präzise Begriffe als Variation der lebendigen Sprache „destilliert“ hat, ohne die wir die physikalischen Gesetze bis zurück zum „Urknall“ gar nicht formulieren könnten. Die kosmische Perspektive weist uns einen geringen Stellenwert zu. Und doch ist es die von uns geschaffene Perspektive. Beides zusammen entspricht unserer von Gott geschenkten Sonderstellung in der Schöpfung. Es dürfte eine Zwangsvorstellung sein, wenn wir die personal-sprachliche Realität unbedingt auf physikalische Prozesse reduzieren wollen.

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Die Sprache als personale Wirklichkeit erschließt einen wichtigen Gedanken, der allein naturwissenschaftlich nicht zu erfassen ist: In der Sprache können wir spielen, wir erfahren zugleich die Freiheit, nicht nur die Wirklichkeit zu beschreiben, sondern in metaphorischer oder ironischer Weise mehr zu sagen und Möglichkeiten zur Sprache zu bringen – und die Notwendigkeit, die sich aus den grammatischen Regeln der Sprache ergibt und nicht als Zwang erlebt wird, sondern als Struktur und Kontur, ohne die unsere Gedanken zerfließen müssten. Das Spiel erschließt überdies noch einen theologischen Hintergrund: Der Beginn des Johannesevangeliums spielt auf Gen 1 an, aber auch auf die Weisheit Gottes, wie sie in poetischer Form in Spr 8,22–31 gezeichnet wird: Sie ist in Ewigkeit bei Gott, geboren vor aller Schöpfung, und sagt von sich: „ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit, ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.“ (v.30b.31) Gerade deshalb kommt es darauf an, die präzise und idealerweise lückenlose Erforschung der Natur nicht als einzige Perspektive zu sehen, sondern darin die spielerische Schönheit zu entdecken und zur Sprache zu bringen, die von der schöpferischen Fülle des Wortes Gottes ausgeht. Dazu bedarf es der mehrdeutigen sprachlichen Gebilde, die wir auch im Alltag als „geistreich“ bezeichnen, sofern die Mehrdeutigkeit einen „Witz“, eine „Pointe“ hat, was etwa an einer treffenden Metapher hervortritt (und auch „treffend“ ist bereits wieder eine Metapher). Im Horizont der Überlegungen zu Geist und Schöpfung erscheint der Atheismus als reduktionistische Position, genauer: als Naturalismus. In diesem Rahmen kann die Wirklichkeit Gottes konsequenterweise nur bestritten werden. Das Argument verliert seine Schlüssigkeit, sobald die Wirklichkeit Gottes von der geschöpflichen Realität unterschieden wird. Eine solche Unterscheidung verlangt die Erweiterung der Vernunft. Verweigert sich die Vernunft einem solchen „Überstieg“, macht sie sich zum letzten Kriterium für die Wirklichkeit, und das ist keine wirklich rationale Position. Dem entspricht die Einsicht, dass die Wirklichkeit Gottes nicht in die Kategorien der Existenz und der Kausalität eingeordnet werden kann. „Es gibt …“ bedeutet für Gott nicht dasselbe wie für innergeschöpfliche Realität, „Schöpfung“ meint nicht die Produktion eines Objekts aus einem Material. Der Atheismus setzt eine eindeutige Wirklichkeit voraus, wie sie in den anderen Aufsätzen dieses Kapitels als geistlos abgewiesen wurde. Die eine Wirklichkeit würde dann durch eindeutige Sätze und Theorien abgebildet, die dieser Wirklichkeit korrespondieren und in diesem Sinne wahr sind. Die theologisch geforderte Pluralität der Perspektiven hingegen macht die Vernunft flexibel. Die Pluralität der Perspektiven – zugespitzt: die Verweigerung, von „Wirklichkeit“ im Singular zu reden – führt nicht zu Beliebigkeit und „Weltzerfall“, vielmehr gibt es zahllose Überlappungen und kreative Quer-

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verbindungen, die nur eben nicht zu einer letzten Einheit gebracht werden können. Die letzte Einheit ist die von Gott geschaffene Differenz-in-Einheit von Himmel und Erde, noch schärfer: Die letzte Einheit liegt in Gottes Hand. Hier kann auch die schöpferische Personalität Gottes aufleuchten – und natürlich nicht „bewiesen“ werden.

1. Geist und Spiritualität in religionsphilosophischer Sicht

Eine religions-philosophische Betrachtung kann von Religion als wesentlicher Dimension der Philosophie ausgehen. Das zeigt sich an der begrifflichen Ambivalenz von „Vernunft“ und „Geist“. Hier kommt der Philosophie des Deutschen Idealismus eine besondere Rolle zu, denn zumindest bei G.W.F. Hegel wird „Geist“ zum Schlüsselbegriff.1 In diesem Horizont wäre dann das mit dem Wort „Geist“ angesprochene Phänomen in unterschiedlichen Kontexten, Kulturen und Religionen aufzuweisen. Bei alledem bleibt die Bedeutung des Wortes „Geist“ zunächst reichlich vage. Das tritt auch bei der Bestimmung von Synonymen hervor: Etymologisch ist vor allem „Spiritualität“ auf den Geist bezogen. Dieses Wort ersetzt möglicherweise die leicht angestaubte Rede von „Frömmigkeit“.2 Es zielt auf eine besondere Erfahrung, und zwar auf eine intensive Selbsterfahrung in Verbindung mit einer Erfahrung von „Transzendenz“. Daraus ergeben sich unübersehbar viele Variationen eines persönlichen Ergriffenseins durch die Tiefe der Wirklichkeit. Dann ist „Geist“ allerdings kaum noch zu unterscheiden von „Religion“. Es ist kein Zufall, dass die letzten Wendungen – „Tiefe“ und „ergriffen“ – metaphorisch formuliert waren: Was präzise beschrieben werden kann, lässt sich vom Subjekt der Erkenntnis klar unterscheiden. Hier hat eine Erfahrung des Geistes keinen Raum. Allerdings wird eine derart klare Beziehung zwischen der erkennenden Person und den Gegenständen ihrer Erkenntnis als begrenzt erlebt. Die Überschreitung dieser Grenze ereignet sich, indem die Vernunft erweitert wird und eine lebendige Einheit mit dem Anderen ihrer selbst erfährt. Zugleich kommt es zu einem sehr ambivalenten Kontrollverlust der Vernunft – er ist einerseits notwendig, andererseits riskant. Ambivalent bleibt auch die Rede von einer Erweiterung der Vernunft oder des Horizontes: Handelt es sich um eine passive, möglicherweise dramatische Erfahrung des Außer-sich-seins oder um die vielleicht meditativ vorbereitete Erfahrung einer letzten Einheit der Wirklichkeit, wo sich alle Differenzen auflösen? Je nach Akzent kann also „Spiritualität“ in „Mystik“ übergehen. Es erscheint ganz aussichtslos, auf der Ebene der Semantik für Begriffsklärungen zu sorgen, eher gilt es die „Vekto1 Vgl. Fulda, Geist VIII, 191 ff. 2 Vgl. Barth, Spiritualität, 11.

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ren“ kenntlich zu machen, die jeweils zusammenspielen, wenn von „Geist“ oder „Spiritualität“ gesprochen wird.

1.  Die Begegnung von Personen als Paradigma Ich setze mit einem elementaren Beispiel ein, nämlich der Beziehung einer Person zu einer anderen Person. Eine solche Begegnung unterscheidet sich qualitativ von der distanzierten und kontrollierten Objektbeziehung. Wer sich auf eine andere Person einlassen will, wird überraschende Selbsterfahrungen erleiden, was auch in der Gegenrichtung gilt. Hier zeichnet sich der bereits erwähnte Kontrollverlust ab, der in gelungenen Beziehungen durchaus ein Selbstgewinn sein kann. Es kann sich eine intensive Erfahrung der eigenen personalen Identität gerade ereignen, wo diese Identität nicht fixiert wird und in Fluss gerät. Das kann im günstigen Fall sogar so erlebt werden, dass die Person durch die Beziehung getragen wird.3 Deutlich ist zunächst, dass diese Skizze ohne das Wort „Geist“ auskommt. Dennoch handelt es sich um eine für die Erfahrung des Geistes paradigmatische Situation. Das Wort „Geist“ ist nicht nur im christlichen Kontext mit Gemeinschaftserfahrungen verbunden. Sodann wird die Vernunft erweitert: Eine gelingende personale Beziehung blendet nicht die Erkenntnis- und Entscheidungsprozesse ab, die mit dem Begriff „Vernunft“ verbunden sind. Sie integriert aber diese Vorgänge mit der Ebene der Affekte, Gefühle, Stimmungen, die in der Regel der Vernunft entgegengesetzt werden. Vor allem in personalen Beziehungen wird deutlich, dass auch meine rationalen Überlegungen bestimmt sind von dem, was und wie ich geworden bin. Meine Lebensgeschichte hat ihre Spuren hinterlassen, die sich bemerkbar machen, sobald es um Einsichten und Entscheidungen geht, die rational nicht mehr vollständig geklärt werden können, wie etwa die Ausrichtung des Willens. Das kann eine Einschränkung sein, sogar eine Beschränkung – im Zusammenspiel der Personen kann es aber auch die Vernunft erweitern und vertiefen. So erfahre ich meine personale Einheit, die Balance von Vernunft und affektivem Leben.4 Dabei tritt aber endlich die Ambivalenz in aller Schärfe hervor. Die Erweiterung und Vertiefung der Vernunft setzt voraus, dass die Person auf die distanzierte Kontrolle verzichtet. Die Erfahrung, durch eine Beziehung getragen zu werden, kann umschlagen in eine ungesunde oder destruktive Abhängigkeit. Die Erweiterung der Vernunft 3 Die erste Bestimmung von „Geist“ in Hegels „Phänomenologie des Geistes“ lautet: „Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist“. Hegel, Phänomenologie, 140. 4 Das hat sogar etwas mit der leiblichen Dimension der Vernunft zu tun, wenn das limbische System für die Speicherung vorrationaler Erfahrungen zuständig sein sollte. Vgl. dazu Roth, Fühlen, Denken, Handeln, 494 ff.

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wird dann widervernünftig. Hier lässt sich das Wort „Begeisterung“ semantisch ausloten. Die Begeisterung kann den Horizont erweitern oder zum Selbstverlust führen. Die Skizze der personalen Beziehung ist ein Paradigma für die Erfahrung des Geistes, weil sich hier eine charakteristische Einheit in der Differenz abzeichnet. In einer ersten Annäherung könnte man sagen: Die Relation zwischen den Personen wird zu einer eigenartigen Wirklichkeit, in der die Personen erst als einzigartige Individuen hervortreten, zu einer kreativen Dynamik, die Personen lebendig macht. Das ist eine Reminiszenz an Ps 104,29 f. – aber im philosophischen Kontext ist es zunächst wichtiger, auf die ontologischen Konsequenzen hinzuweisen. Dabei ist das Wort „Ontologie“ möglichst harmlos zu verstehen als Grundannahme über die letzte, elementare Beschreibung von Wirklichkeit überhaupt. Erfahrung des Geistes schließt immer ein, dass die präzise beschreibbare Wirklichkeit nicht die ganze Wahrheit sein kann, eben weil die Wirklichkeit der Relationen alles in Fluss hält. Das kann nicht zur Sprache gebracht werden ohne mehrdeutige Wendungen, denn gerade darin schlägt sich die kreative Dynamik nieder, in der die lebendigen Personen charakteristisch hervortreten. Die einzigartige individuelle Person ist eben nicht durch präzise Begriffe zu beschreiben, es ist vielmehr geistlos, sie mit Eigenschaftswörtern „einzurastern“. Hier wird sichtbar, welche weiteren Schritte die Philosophie nun tun kann: Wenn nämlich im personalen Bereich die Erfahrung von Wirklichkeit vertieft wird, so kann eine solche Vertiefung sich prinzipiell auch auf weitere Bereiche erstrecken und schließlich in aller Wirklichkeit Erfahrung des Geistes erschließen. Die letzte Konsequenz ist dann die Philosophie des Hochidealismus. Nun ist die Überschreitung der Grenzen der begrifflich präzisierten Vernunft noch nicht ohne Weiteres gleichzusetzen mit einem Ergriffensein von der Tiefe der Wirklichkeit. Allerdings ist es auch nicht denkbar, diese metaphorische Wendung begrifflich zu präzisieren. Denn was sich begrifflich fassen lässt, untersteht immer der Kontrolle durch die menschliche Erkenntnis. Daraus erwächst für eine Klärung des Wortes „Geist“ die Aufgabe, die Geister zu unterscheiden: Nicht alles, was nicht begrifflich präzisiert wird, ist Unsinn, denn der letzte Sinn der Wirklichkeit kann und soll nicht begrifflich präzisiert werden – aber mangelnde Präzision ist umgekehrt noch keine hinreichende Bedingung für eine Erfahrung der Tiefe der Wirklichkeit. Die Unterscheidung der Geister bleibt ihrerseits angewiesen auf geistreiche Einsichten. Immerhin wird es möglich sein, gewisse Kriterien zu formulieren, wobei es nicht um „harte“ Kriterien gehen kann, zumal die Erfahrung des Geistes nicht mechanisch (re-)produziert werden kann, sondern unverfügbar bleibt. Auch das kann wieder positiv formuliert werden: Die Erfahrung des Geistes ist ein Geschenk. Die Unverfügbarkeit gehört sogar zu den Kriterien einer solchen Erfahrung. Geht es schließlich

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immer um sehr persönliche Erfahrungen, so tritt eine dramatische Innenspannung hervor: Sollte die Erfahrung von Transzendenz plausibel gemacht werden können als Ergriffensein von der Tiefe der Wirklichkeit, so handelt es sich um eine konkrete Erfahrung von Unendlichkeit. Unendlichkeit im Einzelnen – das erinnert an die Formel, die Schleiermacher für die Religion überhaupt aufstellt.5 Die religionsphilosophische Klärung des Wortes „Geist“ wäre dann nahezu identisch mit der Klärung des Begriffs „Religion“. Der spezifische Unterschied läge in der Betonung der charakteristisch geistvollen Einheit-in-Differenzen. Am Beispiel der personalen Beziehung kann diese Differenzierung gezeigt werden. Hier geht es um Einheit mit einem Andern, um die Erfahrung der eigenen Identität vom Anderen her. Davon zu unterscheiden sind mystische Erfahrungen, in denen die Unterschiede aufgehoben werden und auch bleiben sollen. Das Wort „Geist“ ist also auf Erfahrungen bezogen, in denen Einheit und Beziehung (also auch Differenz) aufeinander bezogen bleiben. Dabei ist noch nicht ausgeschlossen, dass es zu mystischen Erfahrungen im weiteren Sinne kommt. Das leuchtende Beispiel ist Luthers Aufnahme der mittelalter­ lichen Mystik im „fröhlichen Wechsel“. Die Vereinigung der Seele mit Christus führt gerade nicht dazu, dass beide ineinander aufgehen, vielmehr kommt es zu einer neuen Bestimmung der Personen durch einen Tausch.6

2. Geist und Vernunft, Gottes Geist und der menschliche Geist Die Erfahrung von Transzendenz muss die Vernunft übersteigen, aber nicht jede Erfahrung, die nicht mehr vernünftig geklärt werden kann, verweist auf Transzendenz. Es kann sich auch um den Einbruch unvernünftiger oder gar widervernünftiger Kräfte in das Denken handeln, außerdem ist nicht immer klar, was der relative Begriff „Transzendenz“ meint. Der Überstieg auf eine jenseitige Wirklichkeit hin ergreift nicht notwendig die göttliche Wirklichkeit oder die Wirklichkeit Gottes. Das Beispiel einer lebendigen und gelingenden Beziehung von Personen legt eine Ebene der Wirklichkeit frei, die nicht objektiv von außen beschreibbar, aber deswegen noch nicht notwendig auf Gott bezogen ist. Es hat sich an diesem Paradigma immerhin gezeigt, dass die Reduktion aller Wirklichkeit auf objektiv von außen beschreibbare Zusammenhänge eine Illusion (vielleicht eine gefährliche Täuschung) ist. Das tritt in besonderer Schärfe hervor, wenn es um die Wirklichkeit Gottes geht, die niemals in irgendein 5

Religion als Gefühl und Anschauung des Universums, vgl. Schleiermacher, Über die Religion, 49 ff. 6 Vgl. Luther, Freiheit, 25.

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ontologisches Muster eingeordnet werden kann und daher jeden kategorialen Rahmen sprengen wird. (Diese Einsicht ist natürlich nicht neu, sondern bereits der Alten Kirche vertraut.) Insofern ist es eine notwendige Bedingung für das Ereignis einer Gottesbegegnung, dass die ontologischen Muster in Fluss geraten oder vielleicht auch gesprengt werden. Auch hier zielt die Wendung „ontologische Muster“ auf grundlegende Annahmen über die Wirklichkeit, etwa den Unterschied zwischen einem Ding und seinen Eigenschaften. Wir können also weniger metaphysisch sagen: Was wir für selbstverständlich halten und was uns unmittelbar einleuchtet, das wird erschüttert. Es wird nicht unbedingt durchkreuzt, verliert aber zumindest seine Selbstverständlichkeit und Evidenz. Das erklärt die semantischen Nuancen von „Geist“, die auf eine dynamische Beziehung gerichtet sind, deren Wirklichkeit sich nicht festlegen lässt („Wind“, „Atem“, „Sprache“, „Beziehung“). Ein notwendiges und hinreichendes Kriterium für die Erfahrung Gottes kann zwar aus (theo-)logischen Gründen nicht angegeben werden. Die Erschütterung verfestigter Wirklichkeit durch lebendige Beziehungen gehört aber jedenfalls dazu. Somit sind personale Beziehungen zumindest exemplarische Bereiche für den Einbruch göttlicher Wirklichkeit. Das gilt vor allem dann, wenn von solchen Beziehungen aus die gesamte geschöpfliche Wirklichkeit in ihrer Labilität aufleuchtet. Das Wort „Geist“ zielt dabei entweder (a) auf den Ort innerhalb der menschlichen Person, wo Transzendenz erfahren wird. Dabei ist „Ort“ bereits wieder metaphorisch zu verstehen: Es ist letztlich die Person als ganze, die eine besondere Erfahrung erleidet. Das kann „jenseits“ der Vernunft angesiedelt werden, aber auch eine besondere affektive Färbung meinen und dann geradezu leiblich werden. Diese Erfahrung schließt als Grenzerfahrung immer auch ein, dass sich eine Person erfährt als sich selbst entzogen. Daher gehört eine ekstatische Erfahrung immer zur Geisterfahrung (aʹ). Hier kommen wieder unterschiedliche Formen des Außer-sich-seins in Betracht: Der seltsame „Personentausch“ im Sinne von Gal 2,20 oder von Luthers „wunderbarem Wechsel“ ist etwas anderes als ein Rauschzustand, und wieder etwas anderes ist die Erfahrung einer letzten Einheit mit dem Urgrund des Seins. Es ist nicht schon selbstverständlich, aber nachvollziehbar, wenn „Geist“ auch über die menschlich-personale Wirklichkeit hinaus als metaphysischer Begriff zur Geltung kommt (aʹʹ), etwa wenn Phänomene des Lebens von mechanischen Wirkungen abgesetzt werden sollen. Die Wahrnehmung solcher Phänomene setzt die Intuition für ein Ganzes voraus, das nicht aus den Teilen erklärt werden kann, aber als Beziehung dieser Teile auch nicht objektivierbar ist. Oder (b) mit dem Wort „Geist“ ist die göttliche Wirklichkeit gemeint, die menschliche Personen ergreift und als Energie in die menschliche Wirklichkeit einbricht. Die ekstatische Erfahrung verweist auf ihren Ursprung, der nicht innerhalb der geschöpflichen Wirklichkeit liegen kann – andernfalls

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handelt es sich um einen Geist der Welt, einen Zeitgeist im besten, einen Ungeist im schlimmsten Fall. Auch die perversen Derivate einer destruktiven „Begeisterung“ machen deutlich, dass eine intersubjektive Energie ein Klima schaffen kann, eine Atmosphäre, die sich nicht genau greifen lässt und doch Macht ausübt auf die Vernunft und die Affekte, genauer: auf den Zusammenhang zwischen beidem. Erfahrung des Geistes ist ausgespannt zwischen einer Innerlichkeit, in der die Person sich selbst entzogen ist, und einer intersubjektiven Energie, die Personen aufeinander und auf die göttliche Wirklichkeit beziehen kann. Darin zeichnet sich zugleich ab, dass menschlicher und göttlicher Geist einander durchdringen können. Wir können auch sagen: Die menschliche Person ist zuinnerst geheimnisvoll und darin bezogen auf das Geheimnis Gottes. So kann es zu einem unmittelbaren Kontakt kommen, der einer Erkenntnis vorausgeht oder sie abschließt. Das menschliche und das göttliche Geheimnis könnten einander auch so durchdringen, dass eine ultimative Einheit jede Erkenntnis beendet. Denn Erkenntnis setzt immer eine Unterscheidung voraus (nicht unbedingt die klare Distanz zwischen einem begrifflich erfassten Objekt und einem begrifflich denkenden Subjekt). Doch kann „Geheimnis“ auch eine unerschöpfliche, immer wieder faszinierende Erkenntnis bezeichnen. Der bereits einschärfte Grundsatz, wonach die Begegnung mit der göttlichen Wirklichkeit nicht in die Kategorien der geschöpflichen Wirklichkeit eingezeichnet werden, also niemals eine Erkenntnis im üblichen Sinne sein kann, lässt sich auch positiv wenden: Die göttliche Wirklichkeit erweitert die Vernunft und hält ihre Erkenntnis lebendig. Stets ist eine Grenzerfahrung im Spiel: Die Person ist sich selber entzogen, weil sie sich nicht restlos durchsichtig werden kann. Mein Innerstes ist mir ebenso wenig klar wie anderen – nur mit dem Unterschied, dass ich es nicht loswerden kann. Auch diese Erfahrung ist ambivalent: Ich will mir vielleicht gar nicht restlos durchsichtig sein, und wir wollen einander sicherlich nicht gänzlich durchschauen. Diese Grenze ist aber kein Hindernis dafür, die eigene Identität gerade in der Beziehung zu den anderen Personen zu erfahren. Diese Erfahrung erschließt Selbsterkenntnis, ist also im strengen Sinne aufschlussreich. Erkenntnis im engen Sinne einer begrifflich präzisierten Formulierung von regelhaften Zusammenhängen folgt einer Erfahrung nach, ohne diese Erfahrung ausloten zu können. Was seinerseits nicht begrifflich fixiert werden kann, ist gleichwohl eingebunden in ein vielschichtiges Gewebe von Beziehungen, das durchaus zu denken gibt. Dabei kann die Erfahrung der eigenen Identität auch intensiviert werden. So bildet sich durch die vielfältige Überschreitung von Grenzen ein „Kraftfeld“7. 7 Das ist die glückliche Metapher, die Michael Welker in die Pneumatologie eingeführt hat, um anschaulich zu machen, wie vielfach verflochtene Beziehungen ein neues Ganzes bilden ­können.

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Die Grenze der Selbsterkenntnis deutet auch darauf hin, dass die Wirklichkeit insgesamt der Erkenntnis entzogen ist: Alles erkennen wir nur nach dem Maß unserer Begriffe, niemals wie es „an sich“ ist. Das ist eine fundamentale Einsicht der Philosophie Kants. Es ist dabei aussichtslos, den „Beitrag“ des erkennenden menschlichen Bewusstseins gleichsam zu subtrahieren – dazu müssten wir uns ja selbst erkennen. Erfahrung von Wirklichkeit könnte demnach auch die distanzierte Erkenntnis übersteigen, etwa in der ästhetischen Dimension. Es wurde bereits angedeutet: Die außer-personale Wirklichkeit ist einbezogen in das Spiel der personalen Beziehungen, denn zumindest mein Leib ist eingebettet in biologische und physikalische Prozesse. Das wird derzeit in der Regel so eng interpretiert, als sei eben auch die menschliche Person „nur“ biologisch und physikalisch beschreibbar. Es kann aber auch so erfahren werden, dass physikalische und biologische Phänomene mehr sind als die naturwissenschaftliche Rekonstruktion erfassen kann. Das wäre bis vor wenigen Jahrzehnten noch so zu verstehen gewesen, dass Phänomene des Lebens eben nicht im Rahmen einer mechanischen Kausalität zu rekonstruieren sind, weil sich von der anorganischen zur organischen Wirklichkeit ein unableitbarer, vielleicht auch kreativer „Sprung“ ereignet. Sofern dieser „Sprung“ inzwischen innerhalb der naturwissenschaftlichen Erkenntnis eliminiert wurde, entfällt das Argument. Das ist vielleicht kein Verlust. Inwiefern nämlich die Wirklichkeit insgesamt geistreich ist, kann eleganter gezeigt werden, wenn es gelingt, Wirklichkeit als vielschichtig zu erfahren und darin die eigenartige Wirklichkeit von Beziehungen wahrzunehmen. Sobald diese Grenze – der Selbst- oder auch der Welterkenntnis – als Quelle neuer und neuartiger Erkenntnisse erfahren wird, lässt sich sagen: An dieser Stelle ereignet sich eine unableitbare Erfahrung. Der unverfügbare Charakter dieser Erfahrung kann zum Ausdruck gebracht werden durch den Hinweis auf eine personale Begegnung mit der Tiefe der Wirklichkeit.8 An dieser Stelle drängt sich ein weiterer Begriff auf, der semantisch mit dem Geist zusammenhängt, nämlich „Inspiration“. Die Erweiterung der Vernunft macht das Bewusstsein sensibel für die geistreiche Wirklichkeit, oder auch in der anderen Richtung: Wirklichkeit als geistreiche Wirkung der göttlichen Kreativität kann nur erfahren werden durch eine Vernunft, die ihrerseits ergriffen wird durch den göttlichen Geist. Die geschöpfliche – personale und außerpersonale – Wirklichkeit wird als unverfügbar, als nicht notwendig erfahren, vielleicht gerade in ihrer naturgesetzlichen Ordnung. Das kann sich aber auch darin abzeichnen, dass die innergeschöpflichen Kategorien in Bewegung geraten. Das ereignet sich vornehmlich in der Begeg8 Auf diesen Zusammenhang hat Wolfhart Pannenberg schon in seinem frühen Aufsatz „Analogie und Doxologie“ aufmerksam gemacht, vgl. ebd., 181–201.

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nung von Kulturen. Jede lebendige Sprache gestaltet eine bestimmte Sicht von Wirklichkeit. Es mag letzte logische Strukturen geben, die in allen Kulturen gelten, aber diese Strukturen können je nach Kultur ganz unterschiedlich ausgeformt sein. Das zeigt sich etwa bei einem Vergleich zwischen dem hebräischen Sprachdenken, wie es im Alten Testament greifbar ist, und den Denkmustern der griechischen Philosophie. Beides ist nicht einfach unvereinbar und doch nicht auf einen letzten Nenner zu bringen. Es gibt daher keine mechanischen Übersetzungen – vielmehr kommt es auf das „Takt-“ oder „Fingerspitzengefühl“ an, auf Intuition oder eben: Inspiration. Hier stoßen Erkenntnis und Denken an ihre Grenzen, aber die Grenzerfahrung wird kreativ. Das lässt sich vertiefen, wenn wir die bislang angesprochenen Aspekte durchspielen: (aʹ) Die Erfahrung der Selbstentzogenheit führt zu einer intensiven Erfahrung der eigenen Identität. Die Vernunft wird auf die Affekte derart bezogen, dass die Balance gewahrt bleibt (was keineswegs schon eine „Harmonie“ impliziert). Damit hängt nicht nur die differenzierte Ganzheit von Geist und Leib zusammen, sondern auch die schwierige Balance von Freiheit und Notwendigkeit. Der Begriff „Freiheit“ ist schon in 2Kor 3,17 mit dem Wort „Geist“ eng verbunden. Freiheit im Unterschied zur Kausalität im Sinne der Naturgesetze erschließt den Bereich des Geistes als Domäne der menschlichen Kreativität und Kultur, greifbar als Sprache und als Geschichte. Es geht darum, dass die Person durchaus der Wirklichkeit gegenübersteht, aber zugleich in ihre Umwelt eingebettet ist. Diese Unterscheidung ist allerdings noch viel zu einfach, weil die sprachliche und geschichtliche Wirklichkeit zwar die Person von der bloß animalischen Triebhaftigkeit zu distanzieren vermag, damit aber ihrerseits Bindungen schafft, die sich vor allem als kulturelle Begrenzungen zeigen, besonders deutlich in der Moral. Die gemeinsame Bindung an kulturelle Vorgaben kann die einzelnen Personen andererseits auch freisetzen, die gemeinsame Kultur jeweils individuell zu verwirklichen und sich darin selbst zu erkennen. Das kann eine tiefe und reiche Selbsterfahrung erschließen. Auch die Erfahrung von Freiheit darf nicht mit Willkür verwechselt werden und ist daher erst in einer Situation gegeben, wo ich zwar tun kann, was ich will, wo mir aber auch klar wird, dass ich nichts anderes wollen kann, weil ich so geworden bin. Zugespitzt: Freiheit ist innere Notwendigkeit – im Unterschied zum Zwang. Sie tritt hervor als Balance von Distanz und Einheit: als Distanz gegenüber der sozialen und natürlichen Umwelt, von der die Person zugleich getragen und bestimmt wird. (aʹʹ) Die Erfahrung der Kontingenz der Wirklichkeit kann zu einer intensiven Erfahrung der Realität von Beziehungen führen: Zunächst scheitert jede Ontologie, sofern sie einen exklusiven Anspruch auf „die“ Wirklichkeit erhebt. Die Erfahrung von personalen Beziehungen ist etwas ganz anderes als die naturwissenschaftliche Rekonstruktion von gesetzmäßig ablaufenden Prozessen.

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Allerdings bleibt eine konsequent durchgeführte „relationale Ontologie“ kontra-intuitiv: Können wir uns vorstellen, dass Beziehungen die letzte Ebene der Wirklichkeit bilden? Das mag eine rhetorische Frage sein, aber vielleicht sollen wir uns die letzte Ebene der Wirklichkeit auch nicht vorstellen: Zwar bringt die Erfahrung des Geistes jede Ontologie in Fluss, doch heben sich aus diesem Fluss wieder Grundmuster der Wirklichkeit hervor. Denn selbstverständlich ist jede Sprache angewiesen auf eine gewisse Konstanz der Wahrnehmung von Wirklichkeit – wobei sich gerade dabei zeigt, wie vielfältig sich die sprachliche Erfassung von Wirklichkeit gestaltet. Das Ideal einer eindeutigen Abbildung der „einen“ Wirklichkeit durch „eine“ präzise Sprache dürfte sich als gänzlich haltlos erwiesen haben. Die Relativität der Ontologien (im Plural!) hat natürlich auf den ersten Blick noch nichts mit einer Ontologie zu tun, die von Beziehungen ausgeht. Aber es ist zu vermuten, dass eine Ontologie der Beziehungen nicht fixiert werden kann. Aus diesem Grund ist es auch schwer, eine „relationale“ Logik in analoger Weise zur klassischen Logik aufzubauen.9 Die klassische und noch deutlicher die formale Logik setzen eindeutige Fixierungen voraus, die in der relationalen Betrachtung gerade in Fluss gebracht werden.

3.  Leben und Sprache Es kommt nun zu höchst komplexen Rückkopplungen. Wir stoßen einmal auf die Balance von Freiheit und Notwendigkeit in der Selbsterfahrung, zudem auf die Balance komplementärer Perspektiven auf die Wirklichkeit. Natürlich sind beide Balancen ineinander verflochten. Das wird deutlich an den Schlüsselwörtern „Leben“ und „Sprache“. Die Wirklichkeit ist geistreich vor allem da, wo sie lebendig ist (aʹʹ), die Person ist sprachlich konstituiert, vor allem in Augenblicken der Inspiration (aʹ). Dabei tritt sogleich hervor, dass Sprache lebendig sein kann, während die sprachliche Konstitution von Leben sich weniger intensiv aufdrängt. Traditionell könnte man sagen, dass auch Leben sich von bloß mechanischer Kausalität abhebt durch die Richtung auf ein Ziel hin, durch eine Ganzheit, die mehr ist als die Summe der Teile. Das Paradigma dafür ist innerhalb der menschlichen Wirklichkeit die Erfahrung zielgerichteten Handelns, wo eine Intention der Wirklichkeit vorausgeht und in der Regel ausgesprochen werden 9 Die vor allem von Wilfried Härle propagierte „Relationale Ontologie“ bleibt stecken in der Betrachtung mehrstelliger Prädikate. Natürlich ist die Logik solcher Prädikate komplizierter. So setzt z. B. das Prädikat „Eltern von x“ noch die zwei Eltern y und z voraus. Aber das ist noch keine Sicht der Wirklichkeit, wo die Beziehungen den Elementen der Beziehung vorausgehen. Vgl. dazu Härle, Menschsein, 317 ff.

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kann. Die neuere Tendenz in der Biologie sucht diese Teleologie zu eliminieren, aber das kann in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden. Was sich abzeichnet, ist die Einsicht, dass Wirklichkeit nicht nur als Natur in mechanisch-kausalen Kategorien zu erfassen ist, sondern auch als Geist in teleologischer Betrachtung beschrieben werden muss. Denn die Erfahrung von Leben ist die Erfahrung einer Ganzheit, die nicht objektiv rekonstruiert werden kann und unendlich differenziert ist. Eine solche Ganzheit kann nicht aus ihren Teilen erklärt werden, wohl aber kann nachträglich rekonstruiert werden, wie sie entstanden ist. Diese Rekonstruktion setzt aber eine Intuition des Ganzen immer schon voraus. Das ist weniger eine romantische Vorstellung von organischer Einheit als vielmehr eine Analogie zur angemessenen Interpretation von Kunstwerken. Ein Gemälde ist mehr als die Summe der Farbflecke auf der Leinwand. Die Analogie zur Betrachtung lebendiger Organismen führt dann dazu, dass mit der mikro- und evolutionsbiologischen Erklärung die Erfahrung von lebendiger Wirklichkeit noch nicht erschöpft ist, auch wenn es keine „Erklärungslücken“ mehr geben sollte. Von der Intuition des Ganzen aus kann gezeigt werden, wie in einem Gemälde alle Details auf ein Grundmuster bezogen sind, vielleicht sogar aus diesem Grundmuster entwickelt werden und sich in immer neuen Varianten auffächern, die zu neuen Konfigurationen führen. Bei einem Gemälde würden wir das als besonders geistreich werten. Wenn die biologische Rekonstruktion lückenlos die Evolution des Lebens nachzeichnet, zeigt sie das Potential gewisser Grundmuster auf. Das kann insgesamt aufgefasst werden als Analogie zur gelungenen Interpretation eines Kunstwerks und entzaubert die lebendige Wirklichkeit keineswegs, sondern erweist sie als geistreich. Man kann noch einen Schritt weitergehen: Gerade die präzise Rekonstruktion zeigt, dass in dieser Wirklichkeit alles auf anderes verweist und bezogen ist, dass letztlich alle individuellen Gestalten und Gattungen und Arten aus einer umfassenden Dynamik „emergieren“. Die ontologische Vorordnung der Relationen mag kontra-intuitiv sein, sie kann doch ansatzweise plausibel gemacht werden. Es gibt zwei Bereiche, wo sie auch bald einleuchtet. Der erste Bereich ist die Sprache, wo Bedeutungen sich aus der Differenz von sprachlichen Gestalten ergeben, die umso weniger bedeutsam sind, je weiter wir die Analyse treiben. Das kann noch schöner gezeigt werden an musikalischen Gestalten: Ein Ton für sich meint gar nichts, aber ein Ton inmitten des Schweigens kann bereits verweisen auf dieses Schweigen (und umgekehrt). Intervalle als Tonabstände haben zwar ihrerseits keine Bedeutung im Sinne einer „lexikalischen“ Zuordnung, sind aber bereits signifikant, anders als die Einzeltöne. So könnte man für Sprache und Musik immerhin die These wagen, dass die Beziehungen als Differenzen elementar sind. Interessanterweise hört man ‚denselben‘ Ton (im Sinne der Frequenz) ganz unterschiedlich, je nach Kontext. Der zweite Bereich

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ist die Beobachtung von Organismen, wo jede Einzelheit sich auf das Ganze bezieht und nur durch die Ausdifferenzierung zu einer solchen Einzelheit wird. Es könnte für die physikalische Betrachtung noch ein weiterer Schritt ausgetastet werden: Alle naturgesetzlichen Zusammenhänge werden durch Funktionen beschrieben, also durch Relationen. Der Rekurs auf materielle Individuen verflüchtigt sich in der Rede von „Massepunkten“, die als solche nur noch vorkommen in den Formeln der Mechanik. Ist die Vorstellung einer bewusstlosen Materie noch mehr als eine Abstraktion10, also das genaue Gegenteil der Realität? Und ist dann Realität als Gegenüber zum erkennenden Subjekt nicht eher zu fassen als Einheit-in-Differenz? Gerade in dieser Betrachtung tritt hervor, wie labil und gar nicht selbstverständlich die Herausbildung von Strukturen und Gestalten ist, die wir dann letztlich erkennen und benennen können. Es zeichnet sich eine Spannung ab: Eben die gar nicht selbstverständliche Herausbildung von kontinuierlichen Gestalten macht es uns möglich, eine gegliederte Wirklichkeit zu erkennen und zu analysieren. Noch weiter zugespitzt: Die kontingente, labile Gliederung von Wirklichkeit führt unsere Vernunft zur Einsicht in notwendige, logisch nachvollziehbare Vorgänge. Beide Aspekte sind freilich nicht in einem einzigen theoretischen Zugriff zu vereinen. Daher hat bereits Kant in der „Kritik der Urteilskraft“ die naturwissenschaftliche Analyse der Naturkausalität streng abgegrenzt von der teleologischen Betrachtung. Es kommt eben darauf an, die zwei Perspektiven nebeneinander stehen, vor allem aber (über Kant hinaus) ineinander „umkippen“ zu lassen. Letzteres zeichnet die geistreiche Wirklichkeit aus – denn was eindeutig ist, kann nicht geistvoll sein. So können wir sagen: Geistreiche Wirklichkeit ist beziehungsreich und vieldeutig – und spricht uns gerade darin an. Als Reflex dieser Erfahrung können wir Wirklichkeit sprachlich erfassen. Dabei ist die „eindeutige Abbildung“ von Wirklichkeit durch Aussagen ein extremer Sonderfall. Es gibt eine offene Vielzahl von Paradigmen, wie Sprache und Wirklichkeit ineinander verflochten sein können.11 Daher ist auch Sprache viel mehr als nur die logisch-begrifflich präzisierte Technik der Information. Sprache ist mehr als Denken – wenn sie auch möglichst nicht gedankenlos sein sollte. In der sprachlichen Kommunikation teilen wir einander mit, können uns im Gegenüber selbst erkennen, wir ,äußern‘ uns etc. So kommt es zu einer unendlich differenzierten Vielfalt sprachlicher Vollzüge und zu einer Pluralität der lebendigen (!) Sprachen, in der die analytische Philosophie seit Quine und Wittgenstein eine pluralistische Ontologie 10 Das vermutet bereits Schleiermacher, Dialektik, 58 f. (§ 203). 11 Die klassische Darstellung liefert natürlich Ludwig Wittgenstein in den „Philosophischen Untersuchungen“.

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wittert.12 Die Balance von Affekten und Vernunft, Notwendigkeit und Freiheit ist eingebettet in personale Beziehungen und daher hochgradig sprachlich vermittelt. So kommt es zur Geschichte im engeren Sinne: In der Geschichte zeichnet sich das menschliche Leben ab, und zwar als sprachlich vermittelte dynamische Einheit von Freiheit und Notwendigkeit. Die zeigt sich darin, dass ich meine unverwechselbare Identität nicht begrifflich definieren, sondern nur als mehr oder weniger ausführliche Geschichte erzählen kann. Im menschlichen Leben gibt es so etwas wie eine Kausalität durch Sprache, die nicht restlos auf physikalische Prozesse zu reduzieren ist. Ich kann einer Aufforderung nachkommen oder auch ein moralisches Gesetz befolgen, ich kann einen Text lesen und die Noten einer Fuge von Bach spielen. Mein Handeln ist dabei zwar stets auch festgelegt durch Rahmenbedingungen, die sich physikalisch oder biologisch analysieren lassen, bestimmt wird es aber durch geistige Gebilde wie Worte oder konventionelle Zeichen. Die funktionieren zwar nicht ohne Naturgesetze, sofern Noten auf dem Papier bleiben, von mir gesehen und neuronal verarbeitet werden müssen. Aber es sind doch die Noten, die mein Spiel determinieren, nicht die biologischen Vorgänge in meinem Gehirn. Für die menschliche Wirklichkeit gilt also, dass sie sprachlich konstituiert ist, das meint vor allem: durch konventionelle, nicht einfach naturwüchsige Zeichensysteme. Je konsequenter die menschliche Wirklichkeit in die Natur integriert wird, desto deutlicher kann auch hervortreten, dass eine reduktionistische Betrachtungsweise zu kurz greift. Tritt nämlich innerhalb der Natur der menschliche Geist hervor, kann die Natur insgesamt nicht nur geistlos sein.

4.  „Philosophie des Geistes?“ An dieser Stelle kann eine kurze Bündelung erfolgen: Wir sind davon ausgegangen, dass die personale Wirklichkeit eine paradigmatische Geisterfahrung erschließt, von der aus auch die Begegnung mit außer-personaler Wirklichkeit vertieft wird.13 Dabei ist die Einsicht grundlegend, dass aller Fixierung der Erkenntnis durch den Verstand eine ursprüngliche Erfahrung von Einheit-in-Differenzierung vorausgehen muss. Diese Erfahrung ist einerseits kontingent und labil, andererseits dynamisch und unendlich reich an Facetten. Die Begegnung von Personen bleibt dadurch lebendig, dass die beiden Perspektiven nicht auf einen Nenner gebracht werden können, aber auch nicht unvereinbar nebeneinander stehen (wenn es 12 Vor allem Willard V.O. Quine spricht von der „ontologischen Relativität“, die sich zwischen lebendigen Sprachen abzeichnet. 13 Dieser Ansatzpunkt ist charakteristisch für die Philosophie Hegels – inwiefern er darauf beschränkt bleibt, wird noch zu fragen sein.

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sich um eine gelungene Beziehung handelt). Das fruchtbare Ineinandergreifen der Perspektiven kann nicht bis ins Letzte kontrolliert werden, stellt sich möglicherweise überraschend, vielleicht auch wie ein Geschenk ein und bereichert beide Perspektiven, hält sie sogar lebendig. Diese Bewegung umgreift insofern die gesamte Wirklichkeit, als menschliche Personen auch leibhaft sind. So wird die Labilität und Kontingenz personaler Beziehungen zum repräsentativen Brennspiegel für die Labilität und Kontingenz, aber auch für den dynamischen Facettenreichtum des Universums. Erfahrung von Geist ist daher immer auch Erfahrung der göttlichen Wirksamkeit (die nicht in die Kategorien von Wirklichkeit überhaupt gebracht werden kann). Daraus ergibt sich nicht zwangsläufig die Personalität dieser göttlichen Wirksamkeit, steht aber auch nicht in Spannung dazu. Ein Vergleich zwischen Hegel und Schleiermacher ist aufschlussreich: Während Hegel die differenzierte Wirksamkeit des Geistes in der gesamten Welt als Moment des göttlichen Lebens auffassen will, bescheidet sich Schleiermacher damit, die Labilität der Wirklichkeit, wie sie sich dem unmittelbaren Selbstbewusstsein als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit aufdrängt, als Hinweis auf Gott zu deuten, ohne von diesem Punkt aus eine theologische Pneumatologie im engeren Sinne zu entfalten.14 Die charakteristische Rede von der „Frömmigkeit“ als höchster Wirklichkeit des unmittelbaren Selbstbewusstseins trifft allerdings, was in der aktuellen Sprache als ‚Spiritualität‘ bezeichnet wird: eine Erfahrung von lebendiger Ganzheit jenseits der seelenlosen Zerlegung und distanzierten Betrachtung, der Ganzheit der menschlich-personalen Existenz und ihrer Einheit mit der lebendigen Umwelt bis hin zur Anschauung des Universums. Da diese Erfahrung im Bereich des unmittelbaren Selbstbewusstseins erlebt wird, kann sie nicht objektiviert, nicht ‚von außen‘ betrachtet werden. Daher sind alle Differenzierungen der Frömmigkeit so zur Sprache zu bringen, dass sie nicht mit gegenständlichen Vorstellungen verwechselt werden können. Sie sind daher nicht im klassischen Sinne begrifflich zu präzisieren. In der ,Dialektik‘ ergänzt und vertieft Schleiermacher diese Skizze des unmittelbaren Selbstbewusstseins durch ein raffiniertes System der Wissenschaften. Es handelt sich um eine ‚Matrix‘, wo jede Wissenschaft ihre Perspektive konsequent verfolgen kann und dabei ausbalanciert wird durch die anderen Wissenschaften. Die Bereiche der Theoriebildung bilden ein ‚Mobile‘, in dem das lebendige Bewusstsein aufleuchtet, als gegenständliches Wissen und als personales Selbstbewusstsein. Instruktiv ist dabei die konsequent komplementäre Fassung der (scheinbar) nur auf das Objekt gerichteten Naturwissenschaft wie auch der (scheinbar) auf das Subjekt gerichteten Betrachtung der menschlichen Wirklichkeit. Beide umkreisen indessen einen oszillierenden Übergang zwischen 14 Vgl. Schleiermacher, Glaube, 14–41 (§§ 3–5).

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Selbst- und Gegenstandsbewusstsein: So kann die Physik nicht nur induktiv beobachtend vorgehen, sondern bleibt auf die Intuition des Ganzen angewiesen, Was sich in Gesetzen und theoretischen Begriffen abzeichnet, die nicht aus der Beobachtung zu gewinnen, vielmehr der Beitrag des Denkens sind. Die Analyse der Geschichte ist nicht möglich ohne Rückgriff auf Intentionen, die auf die Ethik verweisen und (analog zur Physik) nicht aus dem bloßen Geschichtsverlauf abzuleiten sind. Insgesamt durchdringen Naturphilosophie und Physik, Ethik und Geschichtswissenschaft einander, dabei kommt es auch zu einer intensiven Einheit von Subjekt und Objekt, weil jeweils die deduktive Betrachtung die Aktivität des Bewusstseins innerhalb der Erkenntnis akzentuiert, während die induktive Untersuchung (etwa durch Experimente) die außer-subjektive Realität zur Geltung kommen lässt. Wissenschaft als Kunst ereignet sich aber, weil keiner der Bereiche die ultimative Wahrheit in Anspruch nehmen und weil gerade darin das Wissen sich immer mehr vertiefen kann. Dieser Prozess intensiviert die Erfahrung der Einheit und der Labilität von Wirklichkeit und damit das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit. Dieses Gefühl ist somit keineswegs ,vor‘ oder gar ,unterhalb‘ der Begriffsbildung, es bildet vielmehr so etwas wie ein Integral des Wissens, das seinerseits nicht mehr gewusst, sondern nur erlebt werden kann. Schleiermacher spricht nicht vom „Geist“, aber sein Entwurf konturiert auf seine Weise, wie eine ursprüngliche Einheit-in-Differenzen durch die Vernunft erst im Nachhinein präzisiert wird und auf diese ursprüngliche Einheit angewiesen bleibt, um nicht leblos zu werden. Leblos sind hingegen fixierte Begriffe, die wir uns vorstellen können. Es ist bemerkenswert (und etwas verwirrend), dass Hegel das Wort ‚Begriff ‘ seinerseits bezieht auf die lebendige Bewegung der Erkenntnis, die über solche fixierten Vorstellungen hinausgeht. Begriffe im Hegelschen Sinne sind dynamisch und zeichnen gerade die Labilität der geistreichen Wirklichkeit nach, machen auch die Verflechtung von Subjekt und Objekt durchsichtig. Charakteristisch für den Begriff bei Hegel ist demnach, dass sich darin ein Übergang konzentriert – aber gerade das kann auch nachgezeichnet werden am Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit im Sinne Schleiermachers. Für beide Zugänge bleibt es wichtig, dass innerhalb des Bewusstseins eine Tiefendimension erschlossen wird, die nicht einfach verfügbar ist, die aber das bloße Denken und Wissen als (scheinbares) Gegenüber des erkennenden Subjekts zum objektiven Gegenstand der Erkenntnis überwindet. Hegel erweist sich als mutiger, sofern er mit dem Begriff „Geist“ auf die unendlich komplexe Verflechtung von Subjekt und Objekt verweist, die letztlich in der göttlichen Wirklichkeit gründet. Das sieht auf den ersten Blick so aus, als „wisse“ Hegel mehr – oder als sei Schleiermacher „bescheidener“. Allerdings geht aus den verwickelten Gedanken bei Hegel auch hervor, dass es sich nicht um eine objektivierbare ,Darstellung‘ der Zusammenhänge ,von außen‘ handeln kann.

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5.  Gottes Geist Es kann festgehalten werden, dass „Geist“ bezogen wird auf das tiefste Geheimnis der Person, sofern diese sich selbst entzogen ist (s. o.), wodurch sogleich ein anderer Bezug zur Wirklichkeit „außer“ der Person erschlossen wird. Auch die Wirklichkeit wird als geistvoll erfahren. Sie lässt sich nicht eindeutig zerlegen, schon gar nicht in einem materialistischen Sinne, bleibt ihrerseits auf geheimnisvolle Weise im Fluss und im Übergang. „Geist“ wird also zum metaphysischen Begriff. Die biblische Rede vom Geist Gottes vollendet diesen Gedankengang – oder bildet vielmehr den Ausgangspunkt dafür. Die Kreativität Gottes durchgreift die Schöpfung und befreit die menschlichen Geschöpfe zur Wahrnehmung dieser Dynamik. Außerhalb des christlichen Glaubens lassen sich Elemente dieses Zusammenhangs aufweisen, allerdings nur verstreut. Betrachten wir aber die Ausformung innerhalb des biblisch-christlichen Redens von Gott, so liegt die Beziehung zwischen Leben und Sprache auf der Hand: Gottes Geist ist untrennbar von Gottes Wort. Gottes Geist ist dynamisch, aber nicht wortlos und daher niemals einfach gestaltlos. Das ist zumindest ein Kriterium für die Unterscheidung der Geister. Die Erfahrung des Geistes hebt die Vernunft über sich hinaus, ohne sie zu zerstören. So kommt es zur Befreiung der Vernunft aus selbstproduzierten Zwängen, die sich als notwendig darstellen. Es tritt der fundamentale Unterschied hervor zwischen dem auf sich selbst bezogenen menschlichen Geist, der zwar getragen wird von der Bewegung des Geistes innerhalb der geschöpflichen Wirklichkeit, diese Bewegung aber selbst unter Kontrolle halten will und daher immer wieder verfehlt (vgl. Röm 1,18 ff.), und dem aus dieser Selbstverschlossenheit befreiten, auf Gott bezogenen menschlichen Geist (vgl. Röm 8,14 ff.). Diese Freiheit ist aber kommunikativ und führt zu heilen Beziehungen und somit auch zu Bindungen, in denen die Freiheit sich als getragen erfährt von einer Notwendigkeit, die sie nicht als Zwang erlebt. Das ist ohne lebendige Sprache nicht möglich. Insofern bleibt eine wortlose Spiritualität einseitig und bedarf der Erweiterung durch andere Vollzüge der Vernunft. Umgekehrt muss betont werden, dass Gottes Wort geistreich ist, also keine Mitteilung von Informationen. Das ist einzuwenden gegen den verengten Begriff von Inspiration, der zum Fundamentalismus führt. Gottes Wort spricht Personen an und ist selber eine personale Wirklichkeit. In der Erfahrung des Geistes treten also zwei Momente auseinander: Zum einen ergreift Gottes Geist den menschlichen Geist unmittelbar und durchdringt ihn als heilsame Energie. Es ereignet sich aber darin eine Begegnung, in der Personen aufeinander bezogen sind und ihre eigene Identität aus der Beziehung empfangen und vor allem zur Sprache bringen. Charakteristisch für die Erfahrung des Geistes ist ein differenziertes Ineinander von Einheits- und Differenzerfahrungen. Mit dieser Formulierung ist

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schon angedeutet, dass Geisterfahrung dialektisch ist und bleiben muss. Darin steckt das Eingeständnis, dass Erfahrung des Geistes weder allgemeingültig demonstriert noch herbeigeredet werden kann. Es kann als Symptom eines Ungeistes gelten, wenn die Spannung eliminiert, die Komplementarität einseitig wird. Vor allem gilt das für eine künstlich erzeugte Begeisterung, etwa für rhetorisch herbeigeführte Massensuggestion. Hier zeigt sich gleichsam in der Karikatur die Selbstentzogenheit der Vernunft, hier zeichnet sich womöglich auch ab, dass in der scheinbar objektiven Wirklichkeit nur das Zerrbild einer gefangenen Vernunft zu erkennen ist.15 „Dialektisch“ meint hingegen in aller Vorläufigkeit: Komplementäre Perspektiven sind fruchtbar, halten das Denken in produktiver Spannung und können nicht reduziert werden. Das gilt nun bereits grundsätzlich für die Aspekte der Erfahrung des Geistes: So erweist sich eine mystische Erfahrung von Einheit darin als kraftvoll, dass sie den Horizont erweitert und den Blick öffnet für den Beziehungsreichtum der Wirklichkeit. Die biblische und in der reformatorischen Theologie wiederentdeckte Rede vom kraftvollen Wort Gottes macht deutlich, dass „Wahrheit“ viel mehr sein kann als eine Übereinstimmung ‚der‘ Sprache mit ‚der‘ Wirklichkeit. Das führt aber nicht in einen postmodernen Relativismus, sondern zu einer positiven Erfahrung kultureller Vielfalt und gerade auf diesem „Umweg“ zur dankbaren Wahrnehmung der eigenen personalen Identität in ihrer sprachlich, geschichtlich, kulturell geformten Einzigartigkeit. Die Formel „Unendlichkeit im Einzelnen“ bündelt diese konstruktive Dialektik. Deshalb bleibt die geistgewirkte Erfahrung immer in Bewegung, ohne konturlos zu werden. Wenn die Wirklichkeit letztlich Bewegung und Übergang ist, bleibt sie kontingent und hat ihren Bestand nicht in sich selbst. Die geistreiche Betrachtung der Wirklichkeit konvergiert daher mit dem Gedanken der Schöpfung. Es kommt auf die Labilität der geschöpflichen Wirklichkeit an, die an jeder Stelle anders sein könnte. Daraus ergibt sich sogleich der Gedanke der Schönheit der Schöpfung. Nicht alles ist schön, was labil ist, aber nichts ist schön, ohne labil zu sein. Insofern ist Leben ein Indiz für Schönheit, weil es hochgradig labil bleibt, auch wenn es keine physikalischen Erklärungslücken zwischen anorganischer und belebter Wirklichkeit gibt. Die Kontingenz wächst mit der Komplexität – es könnte auch alles anders sein und lässt sich immer nur ,von hinten‘ rekonstruieren. Im Rückblick kann dann behauptet werden, alle vernünftige Erkenntnis sei Ergebnis eines evolutionären Prozesses der Anpassung. Allerdings ist eine solche Behauptung schon angesichts der neuesten neurobiologischen Befunde 15 Vielleicht ist der Glaube, nur die naturwissenschaftlich rekonstruierbare Wirklichkeit sei die wahre und die ganze Wirklichkeit, eine solche Zwangsvorstellung, die darin wurzelt, dass die Vernunft nur akzeptieren will, was sie technisch kontrollieren kann.

Geist und Spiritualität

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schwer durchzuhalten. Die Struktur des Gehirns ermöglicht eine inflationäre Kombinatorik von Bezügen, also auch eine unendliche Vielfalt von Gedanken, die einer „Anpassung“ gleichsam entfliehen.16 Die Vielfalt der Sprachen und Kulturen ist ein Reflex dieser inflationären Kombinatorik. Vor allem gilt das für die Fähigkeit der Phantasie, die Schönheit der Schöpfung wahrzunehmen und ihr in künstlerischen Ausdrucksformen zu entsprechen. An dieser Stelle setzt Intuition ein – in der mittelalterlichen Tradition eine klassische Stelle für die Spitze der Vernunft, die auch als Geist bezeichnet werden kann. Die letzte Einheit der Wirklichkeit kann nicht mehr mechanisch-diskursiv erfasst werden. Sie muss einleuchten – das setzt Erleuchtung voraus.17 Schon die Erkenntnis eines Ganzen, das nicht additiv aus seinen Teilen zusammengesetzt werden kann, erfordert einen Wechsel von Perspektiven, deren Synthese nur in der Bewegung von einer zur anderen Sicht liegt. Das fordert die Intuition heraus. Es kommt darauf an, „in, mit und unter“ einer besonderen Sicht eine andere zu sehen. Das ist ein wichtiges Kriterium, denn es geht nicht etwa darum, einfach zwei unvereinbare Perspektiven nebeneinander stehen zu lassen. Auch leuchtet ein, dass eine Horizonterweiterung stattfinden muss. Dieser Wechsel der Perspektiven hat mit der Selbstentzogenheit der Erfahrung zu tun, denn ich muss meinen perspektivischen „Standort“ wechseln, vielleicht muss ich dazu gebracht werden. Vielleicht setzt der Wechsel sogar eine Befreiung von eingefahrenen Vorurteilen und Illusionen voraus. Es ist sicherlich kein Zufall, wenn solche Intuitionen auf Inspiration zurückgeführt werden. In einer geschenkten Einsicht wird der Kontrollverlust kombiniert mit kreativen Potenzen.

6. Ausblick: „Geist“ und die Philosophie der Religionen Die vorliegende Skizze ist – zugegeben – konzentriert auf die biblisch-christliche und griechisch-philosophische Tradition, die sich im Deutschen Idealismus verdichtet hat (wenn auch nur bei Hegel im Begriff „Geist“). In der Einleitung wurde erwogen, ob von der religionsphilosophischen Betrachtung aus Phänomene des Geistes in den anderen Religionen in den Blick genommen werden könnten. Immerhin können wir ein Syndrom kenntlich machen: Die Sensibilität für eine beziehungsreiche und dynamische Wirklichkeit setzt immer ein menschliches Bewusstsein voraus, das seinerseits in diese Wirklichkeit hineingezogen wird und gleichsam den Boden unter den Füßen verliert, sich selbst 16 Von einer kombinatorischen Explosion spricht Pauen, Philosophie, 134 f. 17 Für die spätmittelalterliche Tradition vgl. die lehrreichen Ausführungen bei Joest, Ontologie, 158 ff.

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und vor allem der eigenen Selbstkontrolle in heilsamer Weise entzogen wird. Die geistreiche Wirklichkeit als Einheit-in-Differenzen umgreift dann auch die Differenz von Erkennen und Erkanntem und kann sich als Begegnung mit der göttlichen Personalität verdichten. Dieses Syndrom muss freilich nicht das Wort „Geist“ in den Mittelpunkt stellen. Es kann sich auch als mystische Einheitserfahrung gestalten und in Schweigen münden. Dann kann allerdings die Betrachtung konturlos werden, denn eine Erfahrung der Einheit des Universums konvergiert mit Schleiermachers Bestimmung von Religion überhaupt. „Geist“ wird dann synonym mit „Transzendenz“, wie auch „Spiritualität“ kaum noch anderes bedeutet als „Frömmigkeit“. Von „Geist“ ist hingegen dann profiliert die Rede, wenn die Beziehungen in den Mittelpunkt rücken, wenn die Unableitbarkeit der Erfahrung hervortritt, und wenn endlich die Erweiterung der Vernunft in den Blick gerät. Es kann sehr wohl sein, dass eine solche Rede von „Geist“ intensiv verflochten ist in die abendländische, nämlich griechische und biblische Begriffsgeschichte.18

18 Insofern ist fraglich, ob gewisse Parallelen zum Hinduismus mehr sind als oberflächliche Analogien, vgl. dazu Barth, Dogmatik, 429.

2. Zur Dialektik der Naturwissenschaft im Lichte der Schöpfungslehre

Die Schöpfungslehre muss sich zurzeit vor zwei Fallen hüten: Auf der einen Seite gibt es biblizistische Tendenzen, die die neueren physikalischen und vor allem biologischen Befunde entweder ablehnen, weil sie nicht mit der Bibel „übereinstimmen“, oder in fragwürdiger Weise einen Ausgleich herzustellen suchen. Auf der anderen Seite finden sich innerhalb der Naturwissenschaften metaphysische Tendenzen, die ihre Kompetenz überschreiten und Wirklichkeit gleichsetzen mit naturwissenschaftlich erforschbaren Prozessen. Sie nehmen daher einen agnostischen oder atheistischen Standpunkt ein. Die beiden Fallen sind letztlich zwei Seiten einer Medaille: In beiden Fällen wird die Kreativität Gottes auf derselben Ebene gesehen wie die wissenschaftlich beschreibbare Kausalität. Allerdings sollen die Beschreibungsebenen nicht unverbunden bleiben. Wie lässt sich ein sinnvoller Austausch umreißen? Ein erster Zugriff liegt in der Überlegung, dass die naturwissenschaftliche Untersuchung der physikalischen Wirklichkeit sich zur Wahrnehmung der Schöpfung verhält wie die Analyse der Pigmentflecke auf einer Leinwand zur Betrachtung des Gemäldes.19 Das gilt auch für die physikalische Seite eines Musikstücks, ohne die eine Symphonie von Beethoven nicht möglich wäre, deren Untersuchung aber den musikalischen Gehalt nicht erschöpft. Wer also sagt: „Musik ist nichts anderes als ein physikalisches Phänomen“, der hat ein verengtes Verständnis von Wirklichkeit und ist vermutlich unmusikalisch. Diese Unterscheidung lässt sich auf die Schöpfung insgesamt übertragen. Zwar geschieht nichts in der Schöpfung ohne physikalische Grundlagen. Wer aber sagt, dass damit alles schon erklärt wäre – „Wirklichkeit ist nichts anderes als die Gesamtheit physikalischer Prozesse“ –, verfehlt wesentliche Dimensionen, insbesondere natürlich die Begegnung mit Gottes Kreativität. Der nächste Schritt zielt darauf, den Zusammenhang genauer auszuleuchten. Die Raffinesse eines Malers oder Musikers besteht ja darin, die physikalischen Bedingungen seiner Arbeit auszunutzen für die Gestaltung einer mehr oder weniger präzisen Vision. Die beiden Beschreibungsebenen liegen also nicht einfach nebeneinander, vielmehr können sie ineinandergreifen und einander 19 Vgl. Bieri, Regie, 20–36.

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bestimmen. Und an dieser Stelle wird eine fundamentale Unterscheidung sichtbar: Wenn ich nämlich der Rezitation eines Gedichts von Ingeborg Bachmann lausche, dann ist das Geschehen einerseits lückenlos physikalisch bestimmt. Der Rezitator liest den Text, dessen Buchstaben auf dem Papier bleiben und nicht ineinander verschwimmen, dabei schwingt die Luft in geordneten Frequenzen, sodass ich die Stimme hören kann. Was ich höre, wird durch mein Hirn verarbeitet etc. Aber welche Schwingungen zu welchem Zeitpunkt mein Ohr erreichen – das wird andererseits bestimmt durch den Text, dem der Rezitator mit Sinn und Verstand folgt. Und nun kann der Physiker noch so sehr darauf bestehen, dass physikalische Gesetze das Geschehen bestimmen – letztlich wird es immer auch oder vorrangig bestimmt durch eine geistige Struktur, die nicht mit irgendeinem physikalischen Vorgang identifiziert werden kann. Denn es kann ein anderer Rezitator denselben Text lesen, und der kann in einer anderen Schriftart gesetzt sein etc. Das ändert nichts an der Abfolge der Worte und ihrer Gliederung. Das ist der Hintergrund für eine wichtige Unterscheidung. Es gibt zweifellos eine Kausalität, die physikalisch beschrieben werden kann. Ein Stein fällt, weil er von der Erde angezogen wird und weil ich ihn nicht mehr festhalte. Jedes Ereignis wird bestimmt durch vorangegangene Ereignisse und durch physikalische Gesetze. Es lässt sich auf den ersten Blick lückenlos erklären. Mit John Polkinghorne spreche ich hier von einer bottom-up-Erklärung.20 Bei der Rezitation eines Gedichts spielt eine andere Kausalität hinein, nämlich die Bestimmung durch eine Struktur. Diese Struktur umfasst in unserem Beispiel das Gedicht selbst, aber auch seine Form sowie die Sprache überhaupt. Die Wirksamkeit der Struktur kann nicht vollständig physikalisch erklärt werden. Dafür benutze ich – wieder im Anschluss an Polkinghorne – die komplementäre Wendung „topdown-Kausalität“. Die Rezitation eines Gedichts ist wesentlich bestimmt durch die Vorstellung des Rezitators, und die erklärt sich ihrerseits aus der Struktur des Textes. Diese Struktur war der Autorin zumindest teilweise präsent vor der Niederschrift. Wir müssen nicht die neuronalen Prozesse heranziehen, um die Vorstellungen zu klären, die zwischen Dichterin, Rezitator und Hörer stehen. Die Verbindung liegt in der Struktur des Textes, der also eine Kausalität eigener Art aufweist. Diese top-down-Kausalität ist wesentlich, wenn es gilt, eine Handlung von einem bloßen Vorgang zu unterscheiden. Denn eine Handlung setzt ein Ziel voraus, und das Ziel ist (mehr oder weniger deutlich) präsent vor der Ausführung. Eine Handlung lässt sich demnach nicht lückenlos erklären aus der Vergangenheit. Die Erklärung muss wenigstens teilweise auch die Zukunft

20 Vgl. Polkinghorne, Theologie, passim.

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und vor allem die Zielrichtung in den Blick nehmen. Richtet sich die Betrachtung auf Ziele, so wird sie teleologisch.21 Die Teleologie spielt traditionell eine Rolle, wenn es um Lebensprozesse geht. Denn auch die Einheit eines Lebewesens kann auf den ersten Blick nicht als Ansammlung chemischer und biologischer Prozesse erklärt werden. Das Ganze ist hier – wie bei einem Kunstwerk – mehr als die Summe der Teile. Das liegt an den vielen Rückkopplungen, die einen Organismus von einem Stein unterscheiden. Ein Lebewesen steuert sich weitgehend selbst. Daher muss die Ganzheit in den Blick genommen werden, die sich dann gliedert in Teilsysteme, deren Entstehung also gewissermaßen vom Ziel her gesteuert wird. Diese Sicht ist inzwischen durch die Biologie insofern widerlegt worden, als man lückenlos nachvollziehen kann, wie es zu solchen Rückkopplungen kommt. Daher gilt eine teleologische Erklärung in der Sicht der Naturwissenschaft als PseudoErklärung. An dieser Stelle wird aber zuweilen die Tatsache aufdringlich, dass die Erklärung immer nur im Nachhinein gegeben werden kann. Oft stellt sich dann heraus, dass die Balance eines lebendigen Systems eine sehr genaue Einstellung der Randbedingungen erfordert. Es ist alles andere als wahrscheinlich, dass sich Leben entwickelt. Kann das noch Zufall sein? Wirkt hier nicht eine Absicht? Dann könnte die doppelte Perspektive ähnlich wie bei einem Bild auf die Schöpfung übertragen werden. Die naturwissenschaftliche Rekonstruktion der Wirklichkeit im Sinne physikalischer Prozesse entspricht den Pigmentflecken, die Wahrnehmung des Bildes wäre analog zur Erkenntnis der schöpferischen Kraft Gottes. Diese Analogie möchte ich weiterhin vertreten, allerdings mit Modifikationen und Verfeinerungen. Erstens kommt es darauf an, den Fehler nicht zu wiederholen, der den Dialog immer gestört hat, dass nämlich Gott angesichts rasanter Fortschritte in der Naturwissenschaft seinen Ort verliert, weil er zuvor zum Lückenbüßer gemacht wurde. Die Kausalität des göttlichen Handelns darf aus theologischen Gründen nicht verwechselt werden mit einer innergeschöpflichen Kausalität, weder auf der Ebene der physikalisch beschreibbaren Prozesse noch auf der Ebene der absichtsvollen Gestaltung. Das ist der entscheidende Einwand gegen alle Versuche, die Schöpfungslehre gegen die Evolutionstheorie auszuspielen oder auch mit ihr zu vermitteln. Zweitens verschiebt sich die Betrachtung der Teleologie zunächst von Lebewesen auf die menschliche Wirklichkeit. Eine Kausalität „von oben“ kennen wir vor allem aus unserer menschlichen Erfahrung. Kein Rezitator kann sprechen, ohne dass dabei verwickelte Prozesse in seinem Gehirn ablaufen. Aber diese 21 Vgl. Allen/Maurer, Philosophie, 149 ff. Dort findet sich eine Skizze der Teleologie bei Immanuel Kant.

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Prozesse können nicht vollständig erklären, wie es zum Vortrag des BachmannGedichts kommt. Nun gibt es die These, dass auch solche geistige Strukturen – etwa alles, was wir in einem engeren Sinne „Bedeutung“ nennen – neurobiologisch und genetisch erklärt werden können. In der Tat hat die Organisation der Lebewesen keine Bedeutung, weil sie absichtslos entsteht. Aber kann eine Absicht ihrerseits nicht wieder „wegerklärt“ werden als Resultat eines letztlich absichtslosen Prozesses? Unsere Absichten sind auch Ergebnis neuronaler Vorgänge, und sie sind mit Sicherheit geprägt durch unsere genetische Veranlagung sowie durch unsere familiäre und sonstige Prägung. Versucht man nun daraufhin, die Absichten zu eliminieren, so zeichnet sich ein seltsames Phänomen ab: Die bottom-up-Erklärungen werden geschichtlich. Damit unterscheiden sie sich wesentlich von allem, was man normalerweise unter einer naturwissenschaftlichen Theorie versteht. Denn eine solche Theorie soll allgemeine Gesetze formulieren, die viele Einzelfälle unter sich fassen und durchsichtig machen. Je mehr wir aber den Bereich der Geistesgeschichte durchdringen, desto geringer wird die Chance, derartige Gesetze aufzustellen. Und es ist nicht uninteressant, dass sich auch die physikalische Kosmologie in diese Richtung bewegt.22 Die Grundthese besagt nun, dass es nicht nur eine Form der Kausalität gibt. Vielmehr muss zumindest zwischen bottom-up- und top-down-Erklärungen differenziert werden. Diese Differenzierung hat es indessen „in sich“, denn sie verästelt sich immer weiter und zwingt jede präzise Beschreibung dazu, den einmaligen Einzelfall in den Blick zu nehmen. Das ist genau das Gegenbild zur naturwissenschaftlichen Theoriebildung, die von den Einzelfällen gerade abstra­ hiert. Der drive zu solch einer immer differenzierteren Untersuchung geht aber exakt von dem (überzogenen) Anspruch aus, das Besondere des Geistes „wegerklären“ zu können. Das will ich an einem Beispiel aus der Musikgeschichte erläutern: Der Charakter Ludwig van Beethovens ist erklärbar aus genetischen und familiären Determinanten. Es ist gut nachvollziehbar, dass solch ein Charakter auf die französische Revolution und auf den Unterricht bei Joseph Haydn so reagiert, dass er in revolutionärer Weise das Komponieren neu definiert. Aber die historische Situation trifft auf die besondere Veranlagung in einer nicht berechenbaren Weise: Kleinste Abweichungen hätten zu einem ganz anderen Ergebnis geführt. Die Erklärung für die besondere Gestalt etwa der Symphonien kann daher nur a posteriori gegeben werden. Und es ist nicht einmal eine 22 Vgl. dazu das lehrreiche Buch von Smolin, Warum gibt es die Welt?, 241 ff. Das Buch vertritt einen extremen Standpunkt und verdient eine eigene Erörterung, weil es auch in seinen philosophischen Irrtümern noch instruktiv ist.

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vollständige Erklärung, weil der Gehalt der Werke Beethovens erst in deren Wirkungsgeschichte hervortritt. Die lässt sich studieren an den Konsequenzen, die Johannes Brahms aus den Symphonien Beethovens zieht. Wichtig ist dabei folgender Gedanke: Die Genese der Werke Beethovens ist für Brahms und seine Auseinandersetzung damit vollkommen irrelevant. Brahms hat den revolutionären Impuls in der Musik Beethovens völlig verkannt, was die Größe seiner eigenen Symphonien nicht mindert. Es zeigt aber, dass in den von Beethoven geschaffenen Strukturen mehr enthalten ist als Beethoven bewusst war. Eine angemessene Erklärung dieser Auseinandersetzung wird daher nicht präziser durch den Rückgriff auf die genetischen Bedingungen der Beethovenschen Symphonik. Es sind die fertigen Werke als notierte Struktur, mit denen Brahms sich auseinandersetzt. Weiter: Die Struktur der Notation von Musik (die es so nur im Abendland gibt) ist eine Rahmenbedingung sowohl für Beethoven als auch für Brahms, und sie übt einen Einfluss aus auf die kompositorische Kreativität. Auch wenn solche Strukturen ihrerseits gewachsen sind – und daher in ihrer Genese im Sinne einer bottom-up-Kausalität erklärbar –, wirken sie auf die spezifische Veranlagung der Komponisten nicht vermöge ihrer Entstehung, sondern eben als Strukturen. Wären sie auf andere Weise entstanden, so wäre die Wirkung dieselbe. Will man nun all diese Bestimmungen in eine umgreifende „Theorie“ bringen, so gelangt man schließlich zu einer Landkarte im Maßstab 1:1. Denn die präzise Untersuchung zielt durchgehend auf eine bottom-up-Erklärung, aber sie lässt sich nicht auf ein letztes Prinzip zurückführen. Vielmehr sind Ketten von Bestimmungen auf unterschiedlichen Ebenen verflochten. Auf den ersten Blick entstehen immer wieder Spielräume, weil an dieser oder jener Stelle auch dies oder jenes hätte anders ablaufen können, mit möglicherweise erheblichen Folgen. Auch das ist nicht einfach unbestimmt – aber es wäre nicht prognostizierbar gewesen. Daher ist es immer nur a posteriori nachzuzeichnen. Nun ist aber die naturwissenschaftliche Erkenntnis dadurch ausgezeichnet, dass die Formulierung allgemeiner Gesetze in umgekehrter Richtung auch die Vorhersage von Prozessen erlaubt. Das hängt damit zusammen, dass die Details des Einzelfalls vernachlässigt werden können. Hier allerdings haben wir es mit einem Bereich zu tun, wo kleinste Abweichungen enorme Folgen haben können. Daher kommt es gerade auf die Nuancen an. Deswegen ist auch eine Prognose nicht möglich. Und so ist es nicht ohne Ironie, dass die naturwissenschaftliche Erklärung der Geschichte geistiger Strukturen letztlich zur Geschichtswissenschaft wird, die ein Ereignis aus der Vergangenheit erklärt und dabei gerade das unwiederholbare Geschehen durchleuchtet, aber stets nur im Nachhinein. Umgekehrt kann man zeigen, dass ohne die Analyse der Strukturen selbst eine solche Erklärung a posteriori nicht gegeben werden kann. Ohne eine prä-

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zise Erfassung der Struktur der Symphonien Beethovens müsste die bottom-upErklärung in der Fülle der Details aus Beethovens Biographie und der historischen Situation in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einfach versacken. Sie könnte buchstäblich den Wald angesichts der Bäume nicht sehen. Und das wirkungsgeschichtliche Potential der Strukturen käme gar nicht in den Blick. Es gibt also gute Gründe für die Annahme einer top-down-Kausalität zumindest im Bereich des menschlichen Geistes. Das zeigt sich bereits auf der Ebene der Sprache: Wie ich eine Äußerung verstehe, ist ein Produkt unzähliger Abläufe in meinem Gehirn – aber diese Abläufe sind niemals das Ergebnis der Abläufe im Gehirn des Gesprächspartners. Denn mein Gehirn reagiert auf die sprachlich strukturierte Äußerung. Daher kann ein anderes Gehirn auf dieselbe Äußerung anders reagieren (und sie dennoch genau so verstehen wie ich!). Die Sprache als Struktur ist selbstverständlich gewachsen, aber dieses Wachsen hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Struktur innerhalb der sprachlichen Verständigung. Wäre dieselbe Struktur anders gewachsen, änderte sich nichts. Die Struktur weist eine Kausalität auf, die nicht aus ihrer Genese erklärt werden kann. So entsteht eine Pluralität der Untersuchungsebenen, weil die bottom-up und die top-down-Kausalität immer verwickelter und verästelter einander bestimmen. Der hier vertretene Pluralismus hat nichts mit Beliebigkeit zu tun. Es geht um die präzise Erforschung und theoretische Durchdringung von Regelmäßigkeiten. Es wird aber die Vorstellung abgewiesen, es gebe eine fundamentale Regelmäßigkeit für alle. Ich vertrete dabei kein theologisches, sondern ein wissenschaftstheoretisches Argument – freilich mit Konsequenzen für die Schöpfungslehre. Nun sind ernsthafte Physiker wie Lee Smolin davon überzeugt, dass sich letzte Regelmäßigkeiten formulieren lassen. Smolin skizziert, wie das Universum als Verschachtelung selbstorganisierter Prozesse aus kleinsten Asymmetrien „Schritt für Schritt“ entsteht. Es sind eben die minimalen Differenzen und Asymmetrien, die zu Variation und Selektion führen und sich in regelmäßigen Strukturen niederschlagen, gleichsam stabilisieren. Aber das sind auch die Prinzipien der künstlerischen Gestaltung. Wenn wir allerdings eine BachFuge oder einen Sonatensatz von Beethoven umso mehr bewundern, je mehr wir erkennen, dass die Vielfalt sich aus ganz wenigen Asymmetrien und Differenzen ergibt – warum sollten wir dann die Natur nicht ebenso bewundern? Dann ist die Rückführung auf ganz wenige „Spielzüge“ gerade keine Entzauberung des Geheimnisses, sondern sein präziser Aufweis. Wir stehen nun vor zwei Möglichkeiten: Entweder lassen wir kausale Erklärungen nur in der Richtung bottom up gelten. Das ist verständlich, weil die naturwissenschaftliche Erklärung insbesondere in der Biologie sich vor teleologischen Argumenten in einem trivialen Sinne hüten muss (etwa: „Der Vogel

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hat Flügel, damit er fliegen kann.“). Der Ehrgeiz der wissenschaftlichen Erklärung liegt im lückenlosen Aufweis der Genese („wie kommt es dazu, dass es Tiere mit Flügeln gibt?“). Das ist so lange in Ordnung, als nicht aus der methodologischen Grundentscheidung die ontologische Annahme wird, es gebe keine andere Art von Kausalität. Oder wir verfeinern die doppelte Kausalität und differenzieren den Begriff „Determination“. Dann stoßen wir auf multiple Ebenen von Bestimmungen und Systemen, die in sich durchaus determiniert sind, aber in ihrem Zusammenwirken zwar präzise beschrieben, aber nicht auf einer abstrakten Ebene im Sinne einer letzten Formel erfasst werden können, und zwar umso weniger, je präziser die Beschreibungen werden. Die Geschichtlichkeit der gesamten Naturwissenschaft zeichnet sich also ironischerweise dann ab, wenn nach einem letzten Prinzip gefragt wird. Solche Geschichtlichkeit können wir so auffassen, dass das biblische Verständnis von Wirklichkeit nun auch in den sciences angekommen ist. Zum Beispiel wird die sogenannte Chaostheorie im Rahmen der Physik und der Biologie immer wichtiger. Sie befasst sich mit solchen Prozessen, die zwar strengen Gesetzen folgen, aber durch Vernetzung und Rückkopplung so sensibel werden, dass kleinste Veränderungen zu erheblichen Divergenzen im Endergebnis führen. Daher lassen sich keine Prognosen mehr abgeben – die Erklärungen können nur a posteriori gegeben werden. Und ein scheinbar gegenläufiger Zug ist weiterhin charakteristisch für solche Prozesse: Sie pendeln sich ein in bestimmten Mustern („Attraktoren“), die wiederum immun sind gegenüber kleineren Veränderungen. Dann entsteht ein System, das sich unter bestimmten Rahmenbedingungen selbst steuert. Diese Sicht der Prozesse ist aber für geschichtliche Prozesse ganz typisch, nicht zuletzt für die Geistesgeschichte. In diesem Zusammenhang ist sie jedem Historiker vertraut. Eine top-down-Kausalität lässt sich demnach auch in der Natur erkennen, etwa in der für Organismen charakteristischen Struktur, die sich selbst reguliert.23 Insofern ist die Teleologie nicht einfach erledigt. Wenn wir nun (endlich) nach der göttlichen Kreativität fragen, so ist es hilfreich, dass in Gen 1,26 f. von der Gottebenbildlichkeit des menschlichen Geschöpfs die Rede ist. Damit ist gemeint, dass wir innerhalb der Schöpfung die Stelle bezeichnen, an der die Kreativität Gottes besonders deutlich erkennbar wird. Wir sind gleichsam die Signatur des Schöpfers. Und nun verdichtet sich in den Verwicklungen des menschlichen Geistes innerhalb der physikalisch und biologisch beschriebenen Natur das Geheimnis der Wirklichkeit derart, dass ein Durchblick möglich wird auf die kreative Kraft Gottes. Das muss keineswegs zur Selbstüberhebung führen. Der menschliche Geist erkennt sich ja 23 Vgl. Polkinghorne, Theologie, 59 ff.

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als vielfach eingebettet in die bottom-up-Kausalität der gesamten Natur. Diese Balance von Sonderstellung und Selbstbescheidung findet ihren präzisen Ausdruck bereits in Ps 8 und seiner sehr streng komponierten Doppeldeutigkeit – „Was ist der Mensch, dass Du seiner gedenkst?“ (v.5) Die Analogie zwischen der Kreativität Gottes und der künstlerischen Gestaltung von Wirklichkeit durch den menschlichen Geist darf indessen nicht überstrapaziert werden. Es kommt darauf an, dass wir in all den verschränkten und verschachtelten Determinationen ein Gesicht erkennen – eine Physiognomie. Es ist kein Zufall, dass dieses Gesicht nur in einer Geschichte erkennbar ist. Die Überlegungen haben ja gezeigt, dass die tieferen Ebenen der verflochtenen Kausalitäten immer mehr geschichtlich werden.24 Wenn hier eine Physiognomie aufleuchtet, so können wir theologisch davon sprechen, dass Gott uns in einer Begegnung (zu der auch eine Geschichte gehört) das Angesicht zuwendet. Klar ist, dass die göttliche „Kausalität“ nicht verrechenbar ist mit der innerweltlichen Kausalität, die sich naturwissenschaftlich erheben oder geschichtlich rekonstruieren lässt. Sie liegt „zwischen“ den Ebenen und durchgreift das Spiel der Bestimmungen. Dabei ist nicht ohne tieferen theologischen Sinn, dass wir dieses Spiel entfaltet haben von einer fundamentalen Unterscheidung her: zwischen geistigen Strukturen und einer letztlich physikalisch beschreibbaren durchgreifenden Dynamik. Die Beispiele für geistige Strukturen sind in allererster Linie sprachlicher Art – das gilt auch für die Kunst, sogar für die Instrumentalmusik. Hier wird besonders klar, was mit einer top-down-Kausalität gemeint ist. Eine andere Perspektive nimmt die lückenlose Evolution in den Blick, die von der Entstehung des Universums bis zur Ausbildung des Lebens und der Vernunft eine einheitliche Geschichte der stetigen Ausdifferenzierung durchläuft. Hier ist der Ort für eine Rekonstruktion der bottom-up-Kausalität – durch Variation und Selektion, die zu stabilen Zyklen führt und selbstregulierende Systeme entstehen lässt. Dabei bleibt im Bereich der Physik und der Biologie die Formulierung „selbst-“ letztlich metaphorisch, wie ein Kühlschrank sich zwar selbst steuert, aber doch ohne eigene Absicht. Aus unserer Perspektive allerdings hängen diese Systeme zusammen mit den im strengen Sinne sich selbst regulierenden Systemen der geistigen Wirklichkeit, die etwas mit unserem Selbstbewusstsein zu tun hat. Daher lässt sich hier die Dynamik des kreativen Gottesgeistes wahrnehmen, der natürlich auch die unbewusste Natur und sogar die anorganische Natur durchwirkt und in Bewegung hält, weil sie sonst chaotisch in sich zusammenfällt (Ps 104,29 f.). Wenn aber Struktur und Dynamik zusammen in ihrer Durchdringung die viel24 Diesen Gedanken hat Pannenberg in einem sehr eindrucksvollen frühen Aufsatz skizziert: ders., Analogie und Doxologie, 181–201.

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schichtige Kausalität ausmachen, dann wird die Schöpfung insgesamt zum Reflex der göttlichen Dreieinigkeit. Denn Gott lebt in seiner Allmacht als Spannung von Wort und Geist. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass wir innerhalb der Trinitätslehre von Gottes Wort (Struktur) und von Gottes Geist (Dynamik) sprechen. Indem diese Spannung die Einheit der göttlichen Wirklichkeit ausmacht, bündelt sich im Leben Gottes alles, was wir an Bestimmung erfahren. Indem sich die Allmacht Gottes aber geschichtlich entfaltet, und zwar nach dem biblischen Zeugnis in einer Geschichte der Begegnungen mit den menschlichen Geschöpfen, kommt es zu einer ultimativen Begegnung mit Gott in der Geschichte und Person Jesu Christi. Hier wird die Allmacht als liebevoll erfahren – Gott kann auch noch die Allmacht transzendieren. Das ist wichtig, weil an dieser Stelle die Transzendenz Gottes präzise bezogen wird auf die göttliche Zuwendung und Gegenwart in der Geschichte. Erst von hier aus kann Gott im strengen Sinne als trinitarisch ausgesagt werden und damit im eben erörterten Sinne als durchgreifende Einheit der Bestimmungen in Wort und Geist. Man sieht sogleich, dass die Rede von der Kreativität Gottes nicht einfach mit einer teleologischen Weltsicht identifizierbar ist, sondern einerseits ganz unmittelbar der Bewunderung der Schöpfung entspringt, aber andererseits auch höchst komplexe Gedanken bis in die wissenschaftstheoretische Diskussion hinein anstößt. Das wird theologisch noch vertieft durch die Einsicht, dass in den biblischen Texten zur Schöpfung die menschliche Person und ihre Auseinandersetzung mit der übrigen geschöpflichen Wirklichkeit eine Pointe bildet (wohlgemerkt: nur eine, denn es geht in Gen 1–2,4a um den Sabbat – daher die sieben Tage). Die Texte setzen „theoretische“ Einsichten eher spielerisch ein, ohne sich darauf zu verpflichten. Sie zielen keineswegs auf eine Alternative zur naturwissenschaftlichen Erklärung, vielmehr auf die oben entwickelte Unauslotbarkeit der Wirklichkeit bei gleichzeitiger Durchdringung. Beides zusammen führt zum Gotteslob, sobald die Kreativität des Gotteswortes zusammen mit der umfassenden Dynamik des Geistes aufleuchtet. So baut Gen 1 eine Steigerung auf, in der die Komplexität zunimmt. Dabei wird Gottes fundamentale Selbstunterscheidung von der Schöpfung gleichsam potenziert in den Asymmetrien von Licht und Dunkelheit, Urflut und Erde (geschieden durch den Himmel), Land und Meer. Sodann geht es nicht um „die Entstehung der Arten“, wohl aber um die fundamentalen Stufen des Lebens, die trotz aller Kontinuität der Wirklichkeit – sie ist ja eine Schöpfung – nicht einfach aufgehoben sind. Der naturwissenschaftliche Aufweis, dass zwischen anorganischer und organischer oder zwischen bewusstloser und bewusster Wirklichkeit enorme Kontinuitäten walten, widerspricht gerade nicht der Lehre vom Gottesgeist, vgl. Ps 104,29. Wenn die bahnbrechenden Entwicklungen der letzten Jahrzehnte aufgeräumt haben mit einem ontologischen „Stufenmodell“, so betrifft das lediglich die Idee der

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„Sprünge“, nicht aber die schrittweise Zunahme an Komplexität. Nur weil es keinen scharfen Schnitt gibt, muss der qualitative Unterschied zwischen Spiralnebel, Spulwurm, Springmaus und Spinoza nicht geleugnet werden. Dass die menschliche Vernunft ein imposantes Bild der Entwicklung vom Urknall bis hin zu Lee Smolin entwerfen kann, belegt eher ihre kosmische Sonderstellung als sie infrage zu stellen. Die Kausalität der göttlichen Kreativität leuchtet auf in der Spannung zwischen Struktur und Dynamik, also potentiell überall. Sie tritt aber immer geschichtlich hervor, in Übergängen, die sich immer weiter verästeln. Insofern bleibt die Analogie zwischen den Formen der Kausalität innerhalb der Schöpfung und der liebevollen göttlichen Allmacht stets in Bewegung. In diesem Zusammenhang ist es allerdings eine List des Geistes, dass innerhalb der „exakten“ Wissenschaften eine Tendenz zum narrativen Denken immer stärker wird, was sich besonders deutlich zeigt in der Chaostheorie und in der fraktalen Geometrie. Sogar die Mathematik wird dynamisch.25 Mit einem Gottesbeweis hat das gar nichts mehr zu tun, aber von einem Widerspruch zwischen Gottesglauben und Naturwissenschaft kann auch keine Rede sein.

25 Vgl. dazu Smolin, Warum gibt es die Welt?, 227 ff.

3. Das Wort Gottes und die Logik der Naturwissenschaften

Die Rede vom „Wort“ Gottes ist mehrdeutig. Gemeint ist zunächst der Lógos Gottes, der im Anfang bei Gott war und durch den alles geschaffen wurde, der Fleisch wurde, dass wir die Dóxa Gottes sehen können (Joh 1,1–18). Gemeint ist aber dann sogleich auch die Logik des göttlichen Schaffens. Gott schafft allein durch das Wort, jedenfalls nach Gen 1. Diese Kreativität unterscheidet sich von einem irrationalen Machtwort, weil sie eine sinnvoll geordnete Komplexität hervorbringt. Daher ist die Schöpfung in sich vernünftig – und daher kann sie von der menschlichen Vernunft erkannt werden. Dieses Unternehmen führt in der Neuzeit zur Naturwissenschaft, die sich also nicht von der Theologie „emanzipieren“ muss, weil sie der Einsicht in das kreative Wort Gottes entwächst.26 Die Verwirrung entsteht, wenn das Schaffen Gottes mit innergeschöpflicher Kausalität verwechselt oder gar als Lückenfüller eingeführt wird. Die menschliche Vernunft kann den Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen innerhalb der Schöpfung lückenlos erklären. Sie kann und muss aber nicht klären, worin dieser Zusammenhang gründet, einschließlich der erkennenden Vernunft. Wenn wir theologisch behaupten, dieser Zusammenhang gründe in Gott, dann ist eine solche Begründung also etwas anderes als eine kausale Erklärung im Sinne der Physik. Die Schöpfungslehre sollte nun allerdings diese Begründung genauer entfalten. Wir müssen sagen können, was wir meinen, wenn wir Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde bekennen. Hier erschließt die Rede vom Wort Gottes eine andere Art und Weise der Wirksamkeit: Sogar ich kann als menschliches Geschöpf durch Sprache gewisse Wirkungen erzielen. Ich bin als menschliche Person durch die Sprache in einer besonderen Weise wirklich und wirksam, die sich nicht auf rein biologische und physikalische Phänomene reduzieren lässt. Das ist nicht dasselbe wie die Schöpfung, die Erschaffung von Himmel und Erde aus dem Nichts durch das Wort Gottes – es leitet aber an, die Kreativität von Sprache zu bedenken und eine Tiefendimension der Wirklichkeit nicht nur zu beschwören, sondern zu konturieren. Je intensiver die Sprache als eigene Wirklichkeit erfahren wird, desto deutlicher wird auch, dass die naturwissenschaftlich erklärte Wirklichkeit „nicht 26 Vgl. Barbour, Wissenschaft und Glaube, 50 ff.

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alles“ sein kann. Es handelt sich um eine großartige Leistung der menschlichen Vernunft, die sich aber nicht verwechseln darf mit der göttlichen Logik. Es ist eine Abstraktionsleistung, mit der wesentliche Züge der vernünftigen Wirklichkeit nachgezeichnet werden. Die Begriffe der Naturwissenschaft, insbesondere der Physik, sind messbare Größen. Daher können die fundamentalen Naturgesetze als mathematische Zusammenhänge nachgezeichnet werden. Die physikalisch beschreibbare Wirklichkeit ist weithin determiniert. Auch die biologisch erklärbare Ausdifferenzierung der Lebensformen kann im Nachhinein lückenlos rekonstruiert werden. Dabei darf ein wichtiger Aspekt nicht unberücksichtigt bleiben: Es handelt sich immer um sprachlose Natur, die sich selbst nicht thematisiert. Sie wird aber von uns thematisiert – das ist eine Dimension, die wir solange ausblenden, bis sie zum Problem wird, etwa in der Quantenphysik. Zugespitzt: Die Biologie kann die Entstehung der Lebensformen nachzeichnen, aber nicht erschöpfend erklären, was Leben ist. (Es sei denn, sie behauptet, mit der Entstehung sei alles erklärt.) Sie zeichnet die Evolution als nahezu mechanischen Vorgang nach und sucht jeden Hinweis auf eine „geistige“ Dimension abzublenden. Das ist methodologisch sauber, denn ein solcher Hinweis auf eine „Intention“ wäre eine Erschleichung oder eine faule Ausrede. Analog dazu besteht die Logik der Physik in der (bewundernswerten) mathematischen Formulierung der Gesetze der unbelebten Natur. Wir können aber auf der Grundlage dieser physikalischen oder biologischen Einsichten in die Natur eingreifen und sie (im positiven Fall) kultivieren. Wir können Wein anbauen, Nutztiere züchten und Musik spielen. Das brauchen wir nicht unbedingt zum Überleben, wir brauchen es aber, um menschlich zu sein. Wir sind nicht einfach nur Säugetiere, sondern vernünftige Säugetiere – und das bedeutet: wir wissen, dass wir vernünftige Säugetiere sind. Dieses Wissen um uns selber kann verengt werden. Dann brauchen wir unsere Vernunft auch nur zum tierischen Überleben, oft mit tödlichen Folgen. Dieses Wissen kann aber auch die Gestaltung unserer Möglichkeiten erschließen, und das findet entscheidend wieder in der Sprache statt. Es kommt demnach auf einen Perspektivwechsel an: Innerhalb der menschlichen Wirklichkeit leuchtet auf, dass „Wirklichkeit“ nicht nur physikalisch und biologisch zu erfassen ist. Die Physik und die Biologie definieren die Rahmenbedingungen für die Kultur. Sie stecken gleichsam das Spielfeld ab. Das Spiel selbst aber ist damit noch nicht vollständig definiert. Im Gegenteil: Gerade mit den Rahmenbedingungen kann die Kunst spielen. Die naturwissenschaftlich beschriebene Realität steht nicht etwa beziehungslos neben der (künstlerisch) gestalteten Wirklichkeit. Nun könnte man einwenden, die menschliche Wirklichkeit sei doch eher eine Randerscheinung innerhalb der Natur, vor allem in ihren kosmischen Dimensionen. Natürlich gab es bereits Quarks und Quasare, als noch keine menschlichen Personen und schon gar keine Physiker existierten.

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Aber die Rekonstruktion der Evolution des Kosmos und des Lebens ist eben auch eine spezifisch menschliche Kulturleistung. Wir blenden uns selbst aus – und vergessen, dass wir es waren, die sich ausgeblendet haben –, um uns in eine kosmische Perspektive zu stellen. Wir können dann mit Ps 8 sagen: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ (v.5a) Dabei könnten wir die vernünftige Rekonstruktion des Kosmos auch als die Spur des göttlichen Lógos sehen. Das zeigt sich unmittelbar in Fortsetzung Ps 8,6a: „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott.“ Die kosmische Perspektive weist uns einen geringen Stellenwert zu. Und doch ist es die von uns geschaffene Perspektive. Beides zusammen entspricht unserer von Gott geschenkten Sonderstellung in der Schöpfung. Vom Aspekt des Spiels ausgehend können wir andere Dimensionen von Wirklichkeit aufleuchten lassen: Da ist zunächst der Aspekt der Freiheit. Freiheit ist von Willkür abzugrenzen durch Spielräume, die sinnvolles Handeln möglich machen, wobei nicht nur das zweckmäßige Handeln sinnvoll ist, sondern auch das zweckfreie, luxuriöse, aber nicht etwa regellose Spiel in der Kunst. Spiel mag auch im Tierreich zu beobachten sein, und gewisse tierische Formen sind auch im menschlichen Spiel zu beobachten.27 Es wäre aber doch kurzschlüssig, ein Drama von Shakespeare auf solche tierischen Funktionen zu reduzieren. Meine Freiheit erweist sich in den spielerischen Möglichkeiten, die sich in, mit und unter den Bedingungen von Physik und Biologie entfalten und weit darüber hinausgehen. Dazu gehört übrigens auch die Mathematik als Grundlage der Naturwissenschaft. Denn die Idealisierungen etwa in der Geometrie oder in der Analysis lassen sich kaum als evolutionäre Anpassung begreifen. Wie kommt man dazu, die Planetenbahnen als Kreise oder als Ellipsen zu berechnen? Es mag sein, dass die griechische Suche nach klaren Formen ihrerseits kulturell bestimmt ist, aber dennoch ist die spielerische Nicht-Anpassung letztlich der Grund für die Anpassungsleistung der Naturwissenschaft. Das kann natürlich analog betrachtet werden zu den zufälligen Mutationen in der Natur, die sich später als Selektionsvorteil erweisen, aber eine solche Analogie ist deshalb fragwürdig, weil die Idealisierung in der Mathematik bewusst erfolgt. Das Bewusstsein mag ein Produkt der Evolution des Gehirns sein, aber wenn es einmal entstanden ist, greift das Bewusstsein seinerseits in die Evolution ein. Es kommt zu einem Ausstieg aus der bewusstlosen Dynamik der Evolution. Daran ändert die Bestimmung eines solchen Ausstiegs durch evolutionäre Rahmenbedingungen nichts: Das Bewusstsein bestimmt auch das Sein, es kommt zu einer Rückkopplung. Das lässt sich bereits an der Sprache zeigen: Sie bestimmt unser Gehirn – nicht umgekehrt. Die neuronale Struktur ist Voraussetzung für den Spracherwerb, der sich in jeder menschlichen Biographie als individuelles 27 Vgl. Pannenberg, Anthropologie, 312 ff.

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„Sprachgedächtnis“ ausbildet.28 Dabei ist die Interaktion mit der Umwelt entscheidend, die zwar auch vorsprachlich abläuft, aber immer schon sprachlich gestaltet wird.29 Vor allem die Fähigkeit, derartige Vorgänge zu reflektieren, weist auf die Umkehrung vom Sein zum Bewusstsein hin. Einfache Sprache mag dem Kommunikationsverhalten von Bienen vergleichbar sein, aber das gilt für Grammatik und Wörterbücher nicht mehr, von Übersetzungen ganz abgesehen. Wir reden über Sprache, so kommt es zu Meta-Sprachen. Der Plural ist wichtig, sobald wir auch noch das Verhältnis zwischen Sprache und Meta-Sprache klären, denn das ist bereits eine Meta-Meta-Sprache. Das Spiel erschließt auch einen theologischen Hintergrund: Mit dem Lógos benennen wir die innergöttliche Differenzierung, die der Schöpfung vorausliegt (Joh 1,1–3). Theologisch zielt das auf die göttliche Liebe und Freiheit als Urgrund der Schöpfung. Der Beginn des Johannesevangeliums spielt auf Gen 1 an, aber auch auf die Weisheit Gottes, wie sie in poetischer Form in Spr 8,22– 31 gezeichnet wird: Sie ist in Ewigkeit bei Gott, geboren vor aller Schöpfung, und sagt von sich: „ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit, ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.“ (v.30b.31) Gottes Weisheit gehört in Ewigkeit zu Gott, aber sie tritt aus Gott heraus und Gott gegenüber – das alles ist ein lustvolles Spiel. So kommt es zur Erschaffung des Himmels und der Erde. Gottes schöpferische Vernunft ist nicht pedantisch, sondern geistreich. Die Vernunft in der Schöpfung hat ihren Reflex in der Logik der Physik, aber auch in der spielerischen, geistreichen Wirklichkeit der menschlichen Natur und ihrer Fähigkeit zu Distanz und Reflexion. Es gibt nicht nur „die“ eine Wirklichkeit. Geschöpfliche Wirklichkeit wird durch die mathematischen Konstruktionen der Naturwissenschaft mit großer Präzision erfasst, aber das ist nicht alles. Dem steht die Behauptung entgegen: „Es gibt keine Wirklichkeit, die nicht als physikalischer Zusammenhang beschrieben werden kann, also ist die Wirklichkeit nichts als dieser physikalische Zusammenhang.“ Dieser Schluss verwechselt eine notwendige mit einer hinreichenden Bedingung, ist also nicht gültig. Die „überschüssige“ Behauptung, es gebe nichts anderes, ist eine ontologische, keine physikalische Aussage – und nicht im Rahmen der Physik beweisbar. Mehr noch: Eine evolutionäre Theorie der Erkenntnis könnte den unbedingten Geltungsanspruch der Biologie nicht erklären. Das ist wieder ähnlich wie bei den Idealisierungen in der Mathematik, die 28 Vgl. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, 422 f. 29 Diesen Aspekt reflektiert Roth kaum, vielmehr betrachtet er das individuelle Sprachgedächtnis geradezu monadisch, etwa ebd. 422: „So viele Gehirne, so viele Bedeutungswelten!“ Die jeweils ganz individuell ausgeprägte Bedeutungswelt legt eher nahe, die gemeinsame Sprache mit ihrer Struktur als intersubjektive Wirklichkeit zu betrachten, die nicht auf neuronale Prozesse zu reduzieren ist. Roth hält diese Perspektive allerdings für eine Täuschung, vgl. ebd. 424.

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nicht als Anpassung zu erklären sind. Die menschliche Wirklichkeit geht nicht bruchlos auf in der physikalisch-biologisch rekonstruierten Natur. Auch wenn das Bewusstsein durch Evolution entstanden ist, kann es doch in die Evolution eingreifen und mit ihr spielen. Die menschliche Wirklichkeit ist auch Natur, aber auch immer mehr als Natur. Sie wird vor allem sprachlich gestaltet. Unsere personale Wirklichkeit ereignet sich sprachlich. Das ist ein Unterschied zur sprachlosen und bewusstlosen Natur als Gegenstand von Biologie und Physik. Daraus ergibt sich eine Möglichkeit, nicht nur den Lógos Gottes in der vernünftigen Logik der Natur nachzuzeichnen, sondern auch das ewige lustvolle Spiel der Weisheit Gottes. Gerade wenn die sprachlose und die bewusste Natur einander durchdringen, wird die wunderbare Tiefe der geschöpflichen Wirklichkeit sichtbar und durchsichtig für die Kreativität Gottes. Es ist kein Zufall, dass dieser Glanz gerade in der menschlichen Wirklichkeit und in erster Linie in der Sprache hervorbricht. Lógos als schöpferisches Wort darf nicht auf die kristallklare Vernunft reduziert werden. Wir können nun ansatzweise die Frage beantworten, wie wir das schöpferische Wirken Gottes von der Naturkausalität unterscheiden und doch signifikant zur Geltung bringen wollen. Wenn die Ebenen einander durchdringen, kann die eine nicht auf die andere reduziert werden. Es bleibt bei der Polyphonie. Das bedeutet philosophisch auch: Es bleibt bei Wirklichkeit im Plural. Geschöpfliche Wirklichkeit ist nicht eindeutig, sondern labil und daher schön. Darum reden wir von der Schöpfung anders als von der Natur, und zwar vor allem in künstlerischen Gestalten und Ausdrucksformen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die sprachliche Wirklichkeit der menschlichen Person ebenso genau nachzuzeichnen, wie es die Physik und die Biologie in ihrem Geltungsbereich leisten. Dann muss es letztlich auch gelingen, die Durchdringung sichtbar zu machen als Rückkopplung, in der Sein und Bewusstsein aufeinander bezogen sind. An dieser Stelle wird sichtbar, dass die geschöpfliche Wirklichkeit geistreich ist. Es wird allerdings auch sichtbar, wie geistlos die Reduktion der Vernunft auf bloße Berechnung ist. Bereits der alltägliche Sprachgebrauch von „geistreich“ markiert eine Differenz zu eindeutigen Aussagen, zugleich wird der Unterschied betont zum undeutlichen Reden. „Geistreich“ nennen wir mehrdeutige sprachliche Gebilde, die gerade in ihrer „Mehr-deutlichkeit“ gehaltvoll und treffend sind. Das könnte nicht funktionieren, wenn es keine klaren Bedeutungen gäbe, denn dann wäre solch ein sprachliches Gebilde nur eine Nebelwand. Aber mit klaren Wortbedeutungen kann ich spielen, in ironischen Äußerungen und metaphorischen Wendungen. Wir stoßen in nuce auf eine ähnliche Struktur wie sie oben für die wissenschaftlichen Bereiche skizziert wurde. Der spielerische Umgang mit Sprache ist keineswegs beliebig, was sich an jedem gelungenen Gedicht zeigt,

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sondern in einer anderen Weise präzise als eine Theorie in der Physik. Es ist allerdings nicht einfach, die Standards dieser anderen Präzision anzugeben – und es ist unabdingbar, wenn es sich nicht um eine Ausrede handeln soll. Die Standards müssen einerseits dem Spielcharakter der menschlichen Wirklichkeit entsprechen, andererseits die Beliebigkeit ausschließen. Das gilt aber gerade für die Regeln in jedem interessanten Spiel. Sie treffen genau die Balance zwischen einem Automatismus – der sogleich uninteressant wird, wenn man ihn durchschaut – und einer willkürlichen, letztlich zufälligen Spielerei. So könnte man bereits in der Sprache differenzieren: Es gibt natürlich Wörterbuch und Grammatik als allgemein von allen geteilte Spielregeln, aber der jeweils charakteristische Sprachstil einer Person ergibt sich aus minimalen Nuancen. Solche Abweichungen können wieder in die allgemeine Struktur der Sprache eingehen, werden also übernommen und bilden wieder den Ausgangspunkt für neue Abweichungen. So bildet sich ein Regelkreis von sprachlicher Struktur und charakteristischer Sprache, der insgesamt die geistvolle Geschichte einer Sprache ausmacht. Wir könnten an dieser Stelle sagen: Die Geistesgeschichte kann ähnlich betrachtet werden wie die Evolution des Lebens. Es gibt Abweichungen in der Sprache, die sich als gehaltvoll erweisen, weil sie auf besondere und produktive Weise Wirklichkeit erfassen. Dann „überleben“ sie als besondere Sprachspiele im Sinne Ludwig Wittgensteins.30 Besonders interessant ist, dass die produktiven Abweichungen nicht immer absichtlich vorgenommen werden, also wie „Mutationen“ in der Geschichte der Sprache auftauchen. Eine ironische Wendung kann allerdings schwerlich „aus Versehen“ geprägt werden, erst recht gilt das für metaphorische Rede, die für personale Sprache überhaupt die entscheidende Instanz sein dürfte. Was demnach in der biologischen Rekonstruktion des Lebens „zufällig“ sein mag und jedenfalls streng von einer Intention unterschieden wird, ist in der lebendigen Sprache mehr oder weniger bewusst und überdies reflexiv, denn wir können über Sprache reden und auch dieses Reden nochmals thematisieren. Die „Geistesgeschichte“ – und dazu gehört neben der lebendigen Sprache auch die Geschichte der Kunst sowie die Geschichte überhaupt, die ja stets von menschlichen Absichten geschaffen wird – ist demnach zu beschreiben als Prozess der Ausdifferenzierung, der zu einer Vielfalt von Kulturen führt und damit jeder Eindeutigkeit spottet. Vor allem wird exakt diese Mehrdeutigkeit zum Ausgangspunkt für geistreiches „Querdenken“. Sogar eine 30 Ein Sprachspiel im Sinne der Spätphilosophie Ludwig Wittgensteins kann bestimmt werden als Verwicklung von Sprache und Wirklichkeit, in der sich mindestens zwei Personen problemlos verständigen können. Ein Sprachspiel gelingt, sofern es mindestens zwei Personen erlaubt, Wirklichkeit zu gestalten. Vgl. dazu Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 225–580, bes. 241.

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Kultur, die nicht überlebt, kann viel später noch zu überaus kreativen Schüben inspirieren, wie die „Wiederentdeckung“ der klassischen griechischen Antike durch die Deutsche Klassik zeigt.31 Daraus könnte man schließen, dass auch die Geistesgeschichte „nur“ die biologische Evolution nachbildet – ich schlage nun ganz im Gegenteil vor, die geistreiche Dimension der Evolution stärker hervorzuheben. Das darf aber nicht die Aufgabe der Biologen sein, es muss vielmehr eine andere Perspektive auf den Prozess der Evolution aufleuchten. Erneut zeigt sich die Rückkopplung: Der menschliche Geist ist lebendig – wie auch der Geist Gottes das Leben schafft und die Schöpfung lebendig hält – und daher ein Lebensphänomen, nur bleibt das Leben darin geistreich. Das lässt sich wieder an der Kunst zeigen: Kunstwerke zeichnen sich dadurch aus, dass sie unsere leiblich geprägte Sinnlichkeit unmittelbar ansprechen und zugleich unser Denken in Gang setzen, aber in einer Weise, die das Gemüt ergötzt (wie Johann Sebastian Bach von seinen Klavierwerken mit Recht behauptete). Diese „Gemüths-Ergetzung“32 wird sinnlich erfahrbar in den tänzerischen Impulsen, die auch von elaborierter Musik ausgehen. Die „Dialektik“ des Geistes zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die „lebendigen“ Aspekte nicht mehr absichtlich sind. Ich habe bereits auf die stilistischen Eigenarten verwiesen, es gilt aber vielfach für die Nuancen, die den Geist eines Kunstwerkes überhaupt ausmachen. Hier spricht man daher gern von „Inspiration“: Ein Gedicht wird geistvoll vorgetragen, wenn das Metrum zwar noch spürbar ist, aber durch feine Abweichungen, also durch den Sprachrhythmus, belebt wird. Dafür gibt es keine Regeln, es kommt auf das Takt- oder Fingerspitzengefühl an. Die genaue Analyse des Textes leitet den Rezitator an, das Gedicht sinnvoll vorzutragen, aber irgendwann muss er die Analyse vergessen und seiner Intuition folgen (das ist alles andere als einfach). Bei einem Pianisten könnte ich sagen: Der Geist verlagert sich in die Fingerspitzen. Es ist demnach kein Problem, sondern eher selbstverständlich, wenn die Wirklichkeit des Geistes aus der biologischen Bestimmtheit „herauswächst“. So ist sicherlich die Entstehung der sprachlichen Strukturen mit den fundamentalen Erfordernissen der Erkenntnis verbunden: Wir müssen „Dinge“ unterscheiden, voneinander und von ihren Eigenschaften und von den Vorgängen, in die solche „Dinge“ eingebunden sind. Insofern zeichnet sich in jeder Sprache auch die Evolution des Gehirns ab. Es ist kein Zufall, dass sich dabei eine Vielfalt von Sprachen ausbildet. Bis an diesen Punkt könnte man die Evolution der Sprache noch als bewusstlose Ausbildung der Vernunft verstehen. Allerdings ist die Regelmäßigkeit der Sprache bereits der erste „Ausstieg“. Das wird deutlich an 31 Vgl. Beyer, Klassik und Romantik, 9–36. 32 So steht es auf dem Titelblatt von Johann Sebastian Bachs „Goldberg-Variationen“.

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der Übertragung der Unterscheidung von „Ding“ und „Eigenschaft“ auf nicht greifbare „Subjekte“, die wir mit Substantiven bezeichnen: „Musik“, „Freiheit“, „Person“ etc. Ich habe von einer „Übertragung“ gesprochen, auf Griechisch: Meta-phora. Die Sprache ermöglicht uns Formulierungen, die weit mehr sind als Reaktionen auf unmittelbare Reize. Wir können Wirklichkeit zur Sprache bringen, die uns nicht gegeben ist, schon gar nicht als Wahrnehmung. Hier setzt ein inflationärer Prozess ein, der sich nicht mehr auf eine Interaktion mit der Umwelt reduzieren lässt, aber auch nicht mehr als bloßer Zufall, sondern eben exakt als Spiel zu charakterisieren ist. Dafür mag die ebenfalls inflationäre Kombinatorik der Synapsen die Möglichkeit bereitstellen, sie ist aber nicht die Ursache, sondern eine notwendige Randbedingung für die Verselbstständigung der Signifikanten. Die bereits erwähnten Idealisierungen in der Mathematik sind ein besonders deutliches Beispiel für den bewussten Eingriff in die Eigendynamik der Sprache. Sie haben ihren Ursprung vielleicht in der Wahrnehmung von Mustern. Ob das die Entstehung der Geometrie hinreichend erklärt, wage ich zu bezweifeln. Die mathematischen Idealisierungen mögen auf Umwegen wieder zur Anpassung der Erkenntnis beitragen, zunächst aber werden sie spielerisch entfaltet. Abzählen lernt ein Kind im Umgang mit zählbaren Dingen, aber was ist mit negativen Zahlen und mit den messbaren Größen, die eine kontinuierliche Wirklichkeit abzählbar machen? Die Entfaltung der Mathematik geht auf einen freien Spieltrieb des Geistes zurück – daher ist auch die Mathematik eher eine Geistes- als eine Naturwissenschaft! Es ist erstaunlich, dass uns mit der Hilfe der Mathematik der Aufbau der Naturwissenschaften so gelingt, dass wir die Natur nach unserem Maß gestalten können. Das mag eine Anpassungsleistung sein, aber wer passt sich hier eigentlich wem an? Und was bedeutet hier noch „passen“? Die Analysis als Infinitesimalrechnung, also als kalkuliertes Spiel mit der Unendlichkeit, kann wohl kaum aus einem Zufall erklärt werden. An dieser Stelle wäre zu bemerken, dass die Logik der Naturwissenschaften eine Tendenz zur „Ent-geistung“ hat: Die formale Logik ist der Versuch, das Denken so zu stilisieren, dass es im Prinzip auch von einer Maschine übernommen werden kann. Es ist ja kein Zufall, dass wir heute von „Rechnern“ sprechen, während das Rechnen in früheren Zeiten als zentrales Charakteristikum der menschlichen Vernunft angesehen wurde. Ein Computer kann einfach besser rechnen – allerdings doch nur, weil wir ihn programmiert haben! Auf einem komplexeren Niveau finden wir dann die Physik, die alle Natur als kausal determinierten Zusammenhang betrachtet (abgesehen von den Anomalien der Quantenphysik) und einen kosmischen Automatismus beschreibt, wie auch die Evolutionstheorie die allmähliche Entstehung des Lebens und der Arten in kleinen Schritten rekonstruiert. Dieser Befund kann unterschiedlich interpre-

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tiert werden: Die Idealisierung, wie sie für die Mathematik und folglich für die sciences charakteristisch ist, richtet sich auf Eindeutigkeit. Solche Eindeutigkeit ist zuweilen sinnvoll (eben bei der Konstruktion von Maschinen), sie kann aber auch die lebendigen Übergänge verfehlen, ganz abgesehen von den lebendigen sprachlichen Figuren, die aus der Mehrdeutigkeit leben. Nun habe ich darauf verwiesen, dass geistreiche Mehrdeutigkeit aus der Deutlichkeit entsteht. So kann ein Gemälde nur vermöge einer exakten geometrischen Konstruktion mehrere Perspektiven aufweisen, auch ein gelungenes Gedicht schafft die Pluralität von Lesarten durch präzise bestimmbare „Lücken“ und „Gelenkstellen“. Von „Anpassung“ kann hier keine Rede sein, weil die menschliche Wirklichkeit zum Glück nicht eindeutig ist. Das gilt auch für unsere Umwelt. Allerdings erfordert die Anpassung unserer Umwelt an uns durch die Technik jene digitale Präzision, ohne die wir keine Maschinen konstruieren könnten. Solche Präzision hat ihren Preis: Sie wird bewusstlos. Das ist erst dann ein Problem, wenn wir vergessen, dass wir die Reduktion vorgenommen haben. Dann schrumpft die Logik der Naturwissenschaften zur mechanisierbaren ratio, zum geistlosen Verstand. Wenn wir nur für wirklich halten, was sich derart geistlos rekonstruieren lässt, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Wirklichkeit sich uns als geistlos darbietet – sie wird zum Spiegel unserer Geistlosigkeit. Wir können aber gerade in dieser „Entäußerung“ der Vernunft wieder die Spuren des göttlichen Lógos erkennen. Die naturwissenschaftliche Theoriebildung zeigt sich der theologischen Betrachtung als geistreicher lebendiger Vorgang, in dem die Vernunft ihr „Anderes“ durchdringt bzw. ihr Gegenüber durch Idealisierung und Eindeutigkeit schafft, um sich daraufhin darin zu verlieren. Das ist in gewisser Weise nur ironisch zu beschreiben: Die Vernunft muss zum Mechanismus werden, um die vernunftlose Natur zu erkennen – die vielleicht gar nicht geistlos ist? Das kann aber nicht innerhalb der Physik oder der Biologie formuliert werden, sondern nur in der theologischen Lehre von der Schöpfung. Wichtig ist dabei auch, dass nun die naturwissenschaftliche Theoriebildung insgesamt, also in ihrer Lückenlosigkeit, auf die göttliche Vernunft verweist. Die gesamte Theoriebildung der sciences kann doppelt gelesen werden: als Rekonstruktion der vernunftlosen Wirklichkeit und als Aufweis der göttlichen Vernunft in dieser Wirklichkeit. Denn so wie das Ideal der Logik darin besteht, alle Sätze zwanglos und doch notwendig aus wenigen Axiomen zu entfalten, so zeichnet sich die schöpferische Kraft des göttlichen Wortes auch nach Gen 1 darin ab, dass aus wenigen Unterscheidungen die Komplexität der Schöpfung hervorgeht. Wenn nun die präzise Sprache der Mathematik bereits eine bewusste Leistung der Vernunft ist, die nicht aus der „Anpassung“ erklärt werden kann, so gilt das erst recht für die spielerischen Erweiterungen der Sprache, die nicht mehr wegen ihrer Eindeutigkeit präzise sind. Die mehrdeutigen Wendungen

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in der Ironie – dazu gehören dann auch Satire und Parodie – sind auf andere Weise präzise, aber am wichtigsten ist die Metapher, denn darin prägt sich die personale Wirklichkeit sprachlich aus. Jedenfalls wird eine Metapher nicht versehentlich gebildet und spielt mit Vergleichen, um wesentliche Züge der menschlichen Wirklichkeit zur Sprache zu bringen. Dabei kann allerdings, wie bereits angemerkt, die poetische Inspiration wieder unabsichtlich ins Spiel kommen, und doch wird sie auf ihre Angemessenheit überprüft werden. Wenn wir davon ausgehen, dass die Prägung eines Gehirns durch die Sprache erfolgt, zeichnet sich hier schon die Umkehrung der Kausalität ab. Nicht die neuronalen Prozesse bilden die Sprache aus, sondern die Sprache – die jedes Kleinkind bereits vorfindet – programmiert die Kombinatorik der Synapsen. Sicherlich versteht jedes Kleinkind dann die Sprache in seiner ganz besonderen Weise, aber das ändert nichts am Gefälle, sondern führt eher zu einer unabsehbaren Multiplikation oder Potenzierung der Bedeutungen.33 Sprache als geistiges System ist die Ursache neuronaler Prozesse, nicht umgekehrt. Die physikalischen Randbedingungen sind dabei vorausgesetzt (etwa die Produktion von unterscheidbaren Lauten), aber nur als notwendige Bedingungen. Es gibt also durchaus innerhalb der geschöpflichen Wirklichkeit eine Kausalität durch das Wort, die an keiner Stelle ohne physikalische Vorgänge wirksam ist, sich aber daraus nicht erklären lässt. Wir treffen innerhalb der geschöpflichen Wirklichkeit auf präzise bestimmbare Kontexte, in denen die Sprache der Wirklichkeit vorangeht. Sie finden sich in der personalen Wirklichkeit und sind ihrerseits vielfältig: Das Spektrum reicht von der Idealisierung der mathematischen Sprache (als Voraussetzung der s­ ciences!) bis hin zur metaphorischen Äußerung von Gefühlen, die wieder Gefühle provozieren können. Diese Kontexte haben den Spielcharakter gemeinsam (was für die meisten bei der Mathematik weniger deutlich sein dürfte), aber auch die Fähigkeit des menschlichen Geschöpfs, die Schöpfung zu kultivieren. Das wird in der zweiten Hälfte von Ps 8 deutlich ausgesprochen, der insgesamt die Einbettung des menschlichen Geschöpfs in die geschaffene Welt (s. o.) ebenso wie seine gottgegebene Distanz dazu poetisch formuliert. Die oben angesprochene Pluralität von Wirklichkeit kann nun konturiert werden. Die Balance von Sprache und Wirklichkeit ist jeweils eine andere. Physik und Biologie rekonstruieren die sprachlose Wirklichkeit, aber sie setzen Sprache voraus, sofern sie ihre Begriffe als messbare Größen definieren. Bereits die Mathematik bezieht sich nicht auf eine außersprachliche Wirklichkeit, sondern entfaltet sich als Spiel mit den Mustern des menschlichen Geistes. Ein entscheidender Schritt vollzieht sich mit der menschlichen Wirklichkeit, die in der 33 Vgl. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, 422 ff.

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Sprache lebendig ist und sprachlich kultiviert wird. Hier reden wir nicht über eine sprachlose Wirklichkeit, sondern wir reden mit menschlichen Personen, die ihrerseits reden. Je näher wir dabei dem Wesen der Personen kommen, desto weniger wird dieses Reden eine distanzierte Beschreibung sein. Andererseits kann ich hier eine Einsicht wieder aufnehmen, die oben schon formuliert wurde: Je näher wir dem Wesen einer Person kommen, desto mehr kommt es auf den spielerischen Charakter der Sprache an. Und je näher wir dem Wesen einer anderen Person kommen, desto mehr wird die Sprache zur Mitteilung, zur communio – nicht von Informationen, sondern im Sinne einer lebendigen Gemeinschaft. Die personale Wirklichkeit ist also lebendig, im strengen Sinne erst wirklich als sprachlich gestaltete Beziehung zwischen Personen. Es kommt aber darauf an, diese Beziehung nicht als Automatismus zu begreifen, sondern als Spielraum. Daher kommt es hier exakt auf sprachliche Gebilde an, die wesentlich nicht-eindeutig sind. Von entscheidender Bedeutung ist die metaphorische Rede, in der ich nicht nur mein Wesen zur Sprache bringe, sondern in der mir mein Wesen auch übertragen werden kann. Je intensiver eine Äußerung mit mir selber zu tun hat, desto weniger kann ich sie als „beschreibende“ Aussage interpretieren. So sind „Gefühle“ zwar in der Regel als Substantive zu formulieren, aber doch keine „Dinge“, sondern Gestalten und Farben meines jeweils ganz unverwechselbaren Lebens. Zur Sprache bringen werde ich sie daher als Metaphern – und dabei werden sie sich durch die sprachliche Gestalt bereits wieder verändern. Dieser Fluss ist aber eben mein persönliches (Er-)Leben. Es ist theologisch ganz konsequent, wenn mein „Innerstes“ nicht etwa „in mir“ bleibt, sondern in die Sprache über-tragen und daher in Beziehung zu anderen Personen versetzt wird. Wenn diese sprachliche Gestaltung gelingt, kommt es wieder zu geistreicher Sprache – und es gibt hinreichend viele Situationen, in denen es eben nicht gelingt, weshalb wir auch präzise (aber natürlich niemals eindeutige) Kriterien entwickeln können, ob eine Metapher treffend ist oder unangemessen. Die Formulierung „treffend“ ist bereits wieder eine Metapher! Eine treffende Metapher kann die Wirklichkeit einer Person nachhaltig verändern, zum Guten oder zum Schlechten. Erneut stoßen wir auf die Kausalität von Sprache. Wir haben das Wort Gottes als Lógos in der Schöpfung nachgezeichnet und betont, dass dieses Wort besonders hervortritt, wo die menschliche Sprache geistreich wird. Das entspricht genau der trinitarischen Rede von Gott, dessen Wort niemals ohne den Geist Gottes hervorgeht. Das Spiel der Weisheit, wie es poetisch in Spr 8,22–31 zur Sprache kommt, ist als Geist Gottes lebendig. Wir können das in der menschlichen Wirklichkeit erfahren, wenn wir die Durchdringung von Geist und Natur gestalten, in erster Linie in der Sprache, daraufhin in allen Formen der Kultur. Ist diese Einsicht nun beschränkt auf die mensch-

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lichen Geschöpfe? Das wäre keine theologische Einschränkung, weil die Einsicht mit der Gottebenbildlichkeit der menschlichen Personen korrespondiert. Aber wir reden doch von Gott als dem Schöpfer des Himmels und der Erde. Ist unser Zugang nicht allzu anthropozentrisch? Darauf wäre zunächst zu antworten: Anthropozentrisch ist auf ihre Weise auch die Naturwissenschaft, die sich zum Maß aller Dinge macht, indem sie alle Begriffe als messbare Größen definiert. Die „Objektivierung“ durch Messbarkeit ist zwar ein Gewinn an Präzision, aber immer noch bezogen auf unsere Messungen. Das ist analog zu der Betrachtung der Evolution als geistlosem Mechanismus, die einer höchst geistreichen Abstraktionsleistung der Vernunft entspringt, in gewisser Weise vergleichbar den Idealisierungen der Mathematik. (Wir haben auch schon gesehen, dass die kreativen geistigen Leistungen durchaus Analogien zu den „Mechanismen“ der Evolution aufweisen.) Es gibt zwei Aspekte, die auf die unerschöpfliche göttliche Kreativität hinweisen: Zum einen entspricht die doppelte (und dann immer weiter aufgefächerte) Perspektive von Natur und Geist der biblischen Einsicht, dass wir „in der Tiefe der Erde“ gemacht sind – und gerade das ist wunderbar (Ps 139,14 f.) –, was nicht im Widerspruch steht zu der Einsicht, dass Gottes Augen uns bereits vor unserer Erschaffung gesehen haben (Ps 139,16). Zum andern zeichnet sich immer deutlicher die labile Schönheit der Schöpfung ab. Es gibt keine eindeutige geschöpfliche Wirklichkeit im Singular, und das ist ein Verweis darauf, dass die Wirklichkeit des Schöpfers sich ihrerseits noch einmal unterscheidet von der Schöpfung. Es ist kein Einwand, wenn dies vor allem in der menschlichen Wirklichkeit hervortritt. Das entspricht der inneren Logik von Gen 1,1–2,4a: Am siebenten Tag sollen wir uns an der Schöpfung zusammen mit dem Schöpfer einfach freuen.

4. Wie vernünftig ist der Atheismus?

Der Atheismus als philosophische Position ist davon überzeugt, den Gottesbegriff als unvernünftig entlarven zu können. Es kann allerdings gefragt werden, welcher Begriff von Gott hier zur Debatte steht. Bei John L. Mackie geht es um die theistische Lehre, „dass es einen Gott gibt“34. Diese Behauptung kann nach Meinung des Atheismus vernünftig erörtert und letztlich verneint werden. Aber welche Vernunft wird hier vorausgesetzt? Es handelt sich in der Regel um den neuzeitlichen Begriff der Vernunft, und zwar repräsentiert durch die naturwissenschaftliche Rationalität. Der Gottesbegriff soll in dieser Interpretation einer Wirklichkeit Gottes entsprechen, wobei auch „Wirklichkeit“ vorausgesetzt wird in einer bereits naturalistischen Interpretation. Wirklichkeit ist in etwa das, was die Physik erklären kann. In dieser Wirklichkeit hat Gott aber keinen Ort, und daher kann auch ein konsistenter Gottesbegriff nicht formuliert werden. Insgesamt wird Wahrheit in diesem Modell als Korrespondenzwahrheit verstanden, der Gottesbegriff soll also der Wirklichkeit Gottes entsprechen, Aussagen über Gott müssen die Wirklichkeit Gottes nachzeichnen. Sie müssen dann an der Wirklichkeit auch bewährt werden, und zwar nach vernünftigen Maßstäben.35 Es ist leicht ersichtlich, dass in diesem Denkrahmen die Existenz Gottes nicht behauptet werden kann. Denn die Wirklichkeit Gottes unterscheidet sich auf jeden Fall von der geschöpflichen Wirklichkeit – es ist eine konfessionelle Angelegenheit, wie radikal dieser Unterschied zu fassen ist – und kann daher nicht in unsere geschöpfliche Realität eingeordnet werden. Irgendein „Überstieg“ ist deshalb unvermeidlich, wenn von Gott geredet werden soll. Der Atheismus muss einen solchen „Überstieg“ natürlich ablehnen. Das scheint plausibel, weil der „Überstieg“ auch eine Erweiterung der Vernunft impliziert. Allerdings wird zu fragen sein, ob die Erweiterung der Vernunft eine unvernünftige und unerlaubte Grenzüberschreitung darstellt oder ob hier vielmehr eine Verengung durchbrochen wird, die für den Atheismus eine nicht hinterfragte Voraussetzung bildet. Zur Debatte steht auf jeden Fall die Reichweite der Vernunft, zu fragen ist auch nach den Möglichkeiten der Vernunft jenseits des berechnenden Denkens. 34 Mackie, Theismus, 9. 35 Vgl. ebd., 11.

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Der Atheismus richtet sich gegen den philosophischen Theismus, der die Existenz Gottes auf vernünftige Weise etablieren will. Ist solch eine „rationale Theologie“ überhaupt repräsentativ? Der Theismus im philosophischen Sinne wird innerhalb der Theologie immer schon problematisiert: Die analogia entis ist – bei aller Kritik von evangelischer Seite – bereits aufgeschlossen für das Problem, Gott nicht in die Kategorien der Schöpfung einordnen zu können. Der Satz „Es gibt Gott“ ist nicht auf derselben Ebene zu verstehen wie der Satz „Es gibt Eisbären“. Das Sein Gottes und das Sein der Geschöpfe darf nicht auseinandergerissen werden, aber es bildet sich auch keine einfache Kontinuität. Das bedeutet zunächst: Das schöpferische Handeln wird nicht im innerweltlichen Sinne als kausal begriffen, sondern nach der Analogie der innergeschöpflichen Ursachen ausgesagt. Im Bereich der Theologie Luthers spitzt sich das noch zu. Die Wirklichkeit Gottes stellt unsere Wirklichkeit infrage, es gibt keinen harmonischen Ausgleich von Differenz und Kontinuität in einer „Analogie“, sondern einen Grundkonflikt, der sich am Kreuz Jesu Christi in ganzer Schärfe verdichtet. Insofern kann die evangelische Theologie mit einem philosophischen Theismus wenig anfangen, der stets unter dem Verdacht steht, trotz aller Vorsicht die Wirklichkeit Gottes der menschlichen Vernunft einzuordnen. Auf dem Hintergrund der reformatorischen Vernunftkritik kann zunächst gefragt werden, ob die Vernunft auf der Seite des Atheismus unzulässig vereinfacht oder gar verengt wird. Daraus ergibt sich eine produktive Herausforderung für die Theologie: Die Vernunft soll durch den Glauben nicht negiert, sondern befreit werden – und eine solche Befreiung wäre genau zu entfalten und nicht nur zu behaupten. Das zeigt sich bereits am Beispiel der analogen Rede vom schöpferischen Handeln Gottes. Dieses Bekenntnis unterscheidet sich von einer naturwissenschaftlichen Aussage über Ursache und Wirkung, es ist nicht im Sinne physikalischer Gesetze eindeutig, aber deshalb noch nicht bedeutungslos. Die Bedeutung der Rede von Gott dem Schöpfer ist gleichsam „nicht-theistisch“ zu entfalten. Weiterhin kann gefragt werden, ob die Wirklichkeit „wirklich“ so eindeutig ist, wie es der Atheismus voraussetzt. Nur dann funktionieren auch die üblichen Einwände, wonach das Reden von Gott sinnlos ist, weil es durch „die“ Erfahrung nicht gedeckt werden kann. Ein prägnantes Beispiel liefert die Theodizee-Frage. Wenn Gott allmächtig und allgütig ist, wie kann es dann Leiden in der Welt geben? Diese Frage ist durchaus bedrängend, sie ist aber nur verständlich aus der Perspektive einer ganz bestimmten biographischen Situation, in der eine menschliche Person leidet. Und das ist immer eine Erfahrung in der ersten Person Singular, denn Leiden ist keine objektivierbare Größe, schon gar nicht quantifizierbar. Die konkrete Erfahrung von Leiden steht nur dann in Spannung zur Behauptung der Macht und Güte Gottes, wenn die Allmacht

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Gottes – im Sinne einer menschlichen Allmachtsphantasie – als Steigerung der innerweltlichen Macht, als „Allkausalität“ verstanden und wenn die Güte Gottes als göttliche Selbstverpflichtung gedeutet wird, niemanden leiden zu lassen. Dann kommt es zu den bekannten Inkonsistenzen, aber nur unter der durchaus problematischen Voraussetzung, „Leiden“ als allgemeinen Begriff zu definieren. Das ist gerade strittig. Aber auch die Gottesprädikate „Allmacht“ und „Güte“ sind als Analogien zu entfalten. Dann verpflichtet sich die Theologie zu zeigen, wie leidenden menschlichen Personen die Macht und Güte Gottes so zugesprochen werden kann, dass das jeweils ganz individuelle Leiden durchsichtig und damit erträglich wird. Es sollte klar sein: Eine objektive und allgemeingültige „Sinnkonstruktion“ ist hier nicht möglich. Sie kann nur geschmacklos werden angesichts einer leidenden Person, deren besondere Situation in eine „Theorie“ eingeordnet wird.36 Das führt zu der spannenden Frage, ob „Erfahrung“ nur signifikant ist, wenn sie allgemein formuliert werden kann, oder ob die Dimension der ersten Person Singular nicht wesentlich dazugehört. Es geht an dieser Stelle nicht um die Rettung „der“ Subjektivität. Es soll aber darum gestritten werden, ob die Erfahrung im Sinne der empirischen Theoriebildung der einzige Zugang zur Wirklichkeit sein kann. Wenn die empirische Theoriebildung von jeder besonderen Erfahrung absieht und auf allgemeingültige Zusammenhänge zielt, so ist das Ergebnis eine Abstraktion von jeder besonderen Erfahrung. Die von der Naturwissenschaft modellierte Wirklichkeit ist demnach ihrerseits eine Abstraktion und jedenfalls nicht „die“ Wirklichkeit. Für die Theologie bleibt dann nach wie vor die Aufgabe, die alternativen Perspektiven nicht ins Subjektive abgleiten zu lassen. Wir werden aber zumindest darauf bestehen: Die Pluralität der Perspektiven kann nicht reduziert werden. Das setzt zumindest eine flexible Vernunft voraus, die ihre eigene Leistung relativieren kann und zum Beispiel die naturwissenschaftliche Theoriebildung – bei aller Wertschätzung – nur für eine Perspektive unter anderen hält. Diese Flexibilität ist nicht unvernünftig, entspricht vielmehr der bereits angedeuteten befreiten Vernunft, bleibt allerdings dem Vorwurf ausgesetzt, haltlos und beliebig zu werden. Daher ist es wichtig, die Grundzüge zu skizzieren, und zwar im Gegenzug zu einer sich selbst beschränkenden Vernunft, die sich letzten Endes als irrational erweisen könnte. Das ist deshalb gefährlich, weil diese Form der unvernünftigen Vernunft hochgradig verblendet ist. Die naturwissenschaftliche Vernunft umgreift die gesamte Wirklichkeit. Alle unserer Erkenntnis zugängliche Wirklichkeit ist letztlich physikalisch zu erklären. Daran soll nicht gerüttelt werden. Der Atheismus richtet sich immer wieder gegen die Einführung des Gottesbegriffs im Sinne einer quasi­ 36 Vgl. Fiddes, God, passim.

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naturwissenschaftlichen Hypothese – und zwar mit Recht. In der Regel wird Gott dabei zum Lückenfüller. Nun ist die Ablehnung dieser „Gottes-Hypothese“ in der Theologie der letzten Jahrhunderte nicht strittig. Die Wirklichkeit Gottes verhält sich vielmehr zur gesamten physikalisch erklärbaren Wirklichkeit in einer Weise, die nicht auf der Ebene physikalischer Theorien liegt. Ist das aber eine unvernünftige Behauptung? Ich behaupte hingegen: Die Vernunft selber verhält sich zur gesamten physikalisch erklärbaren Wirklichkeit in einer Weise, die nicht auf der Ebene physikalischer Theorien liegt. Das ist kein Gottesbeweis, daraus kann nicht einmal ein Gottesbegriff erwachsen – aber damit wäre zu zeigen, inwiefern die Vernunft immer schon hinausgreift über naturwissenschaftliche Begrenzungen. Ich beziehe mich auf ein interessantes Argument des Philosophen Hilary Putnam37: Wäre die naturwissenschaftliche Theorie im strengen Sinne umfassend, so hätte sie auch sich selbst zu erklären. Von welchem Standpunkt aus kann sie sich aber vollständig in den Blick nehmen? Es gehört zum Begriff des Wissens, sich zu unterscheiden von der bewusstseinsunabhängigen Wirklichkeit. Die universale Theorie kann sich hingegen nur vollenden als Wissen von sich selbst als physikalischer Prozess, sich selbst als Wissen aber nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie müsste gleichsam immer in der bewusstlosen Wirklichkeit verschwinden. Das erklärt die seltsame Tendenz in der neueren Diskussion vor allem über neurobiologische Befunde, das Gehirn denken oder die Vernunft aus der Evolution gleichsam hervorwachsen zu lassen. Hier wird absichtslos eine Karikatur von Anselms Argument produziert, wonach das, worüber hinaus nichts Größeres zu denken ist, das eigene Sein impliziert. Nur umgreift hier umgekehrt das Sein das Denken, das lückenlos aufgehen soll in natürlichen Prozessen. Wer soll diese Beschreibung aber nun formulieren? Putnam verweist ironisch auf den God’s-Eye View, der hier vorausgesetzt wäre: Die Vernunft wird behauptet als Phänomen innerhalb der letztlich unvernünftigen Wirklichkeit, aber eben diese Behauptung kann nicht mehr von der menschlichen Vernunft über die Wirklichkeit formuliert werden. Wenn die Vernunft eine Behauptung über ihre eigene Beziehung zur gesamten Wirklichkeit formuliert, hebt sie sich als eigene Wirklichkeit von dieser Wirklichkeit ab, die demnach niemals die ganze Realität sein kann. Das soll – wie gesagt – kein Freibrief sein für ungezügelte Metaphernbildung und tiefsinniges Geschwätz. Es zeigt aber auch, welche Verwicklungen im Begriff der Vernunft liegen, der demnach nicht auf die naturwissenschaftliche Erkenntnis reduziert werden kann. Die Behauptung, die physikalisch erklärbare Wirklichkeit sei die einzige, kann nicht physikalisch begründet werden und erweist sich iro37 Vgl. Putnam, Realism, 3 ff.

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nischerweise als ebenso widersprüchlich wie das Argument des Anselm (wenn wir darauf verweisen, die Einheit von Denken und Sein letztlich nicht „ausdenken“ zu können). Es kommt aber noch schlimmer: Der Versuch, die Vernunft aus natürlichen Prozessen heraus zu erklären, stößt auf viele weitere Probleme. So fällt sogleich die Differenz zwischen physikalischer Theoriebildung und biologistischen Erklärungen ins Auge. Die hochgradig mathematisierten Gebilde der theoretischen Physik entspringen nicht einer Anpassung an die Umwelt. Abgesehen von den bereits erwähnten Schwierigkeiten kommt eine biologistische Erklärung der Vernunft niemals bis zur Wirklichkeit der Physik. Das hängt mit der Unmöglichkeit zusammen, semantische Relationen zwischen Sprache und Wirklichkeit über ein bescheidenes Maß von Reiz-Reaktions-Ketten und rudimentäre Verallgemeinerung hinaus kausal – als Anpassungsleistung – zu erklären.38 Die abstrakte Begriffsbildung ist nämlich überschüssig gegenüber einer kausalen Reiz-Reaktionskette. Die konkreten Gegenstände, auf die sich ein Wort bezieht, werden überschritten, wenn ein Wort sich auf möglicherweise unendlich viele ähnliche Gegenstände beziehen kann. Dieser semantische Prozess setzt die Wahrnehmung von Ähnlichkeiten voraus, zusammen mit einer schwer aufzuhellenden Perspektive auf die zukünftige Wortverwendung hin. Das könnte vielleicht noch als Analogie zu Mutation und Selektion beschrieben werden, dabei würde aber die bewusste Aktivität des Denkens vernachlässigt, die irgendwann ins Spiel kommt. Die Bildung von Überschüssen in der Begriffsbildung wäre in dieser biologistischen Sicht ein Selektionsvorteil – oder: das Gehirn passt sich der Umwelt noch besser an, indem es sich nicht einfach anpasst. Dieser Gedankengang macht den Erklärungswert der Reduktion allerdings fragwürdig. Anpassung durch Nicht-Anpassung führt zu einer Trivialität: Alles, was ist, hat sich entwickelt durch Anpassung, und wenn die Anpassung nicht aufgewiesen werden kann, erweist sie sich eben darin, dass es so ist, wie es ist – hätte es sich nicht angepasst, wäre es anders oder gar nicht mehr da. Der Schritt zum Bewusstsein im Sinne des Abstraktionsvermögens ist demnach nicht so leicht naturalistisch zu eliminieren. Das gilt erst recht für die philosophische Behauptung, es gebe letztlich keine andere Wirklichkeit als die materiell-sinnliche Umwelt. Das ist sicherlich kein empirischer Satz, er reicht vielmehr weit über die Erfahrung hinaus und kann weder überprüft noch widerlegt werden. Das Problem reicht indessen noch weiter: Begriffe bilden nicht nur die Wirklichkeit ab. Bereits die auf den ersten Blick selbstverständliche Überzeugung einer Entsprechung zwischen Denken und Realität ist klärungsbedürftig, vor allem aber in der Version, wonach „die“ Wirklichkeit stets vorangeht. Natürlich sind die Bäume da, bevor ich darüber 38 Vgl. dazu Putnam, Philosophy, 19 ff.

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rede. Für meine eigene Wirklichkeit gilt das allerdings nicht immer: Wie ich mich sehe und beschreibe, kann meine lebendige Wirklichkeit bestimmen. Dann gehen die Begriffe der Wirklichkeit voran. Das gilt auch für das menschliche Handeln: Ich habe eine Vorstellung von dem, was sein soll und eben noch nicht wirklich ist. Dieser Gedanke leitet mein Handeln – unbeschadet der Banalität, dass mein Handeln an die Gesetze der Physik gebunden ist. Und vor allem werden die physikalisch und biologisch beschreibbaren Prozesse in meinem Gehirn geprägt von der Sprache, die ich lerne. Das ist besonders wichtig, weil zuweilen die Illusion entsteht, die Einsichten der Neurobiologie könnten über die Hirnprozesse das Denken erklären. Sie erklären die Rahmenbedingungen, nicht aber die Denkvorgänge im engeren Sinne. Sicherlich ist die Sprache erst im Laufe der Evolution der menschlichen Gattung hervorgetreten, aber spätestens an dieser Stelle kommt es auch zu der entscheidenden Gegenbewegung: Die weitere Evolution ist in der Lage, sich selbst zu erkennen und zu bestimmen. Begriffe gehen der Wirklichkeit nicht nur im Handeln voran, sondern auch und gerade in der naturwissenschaftlichen Theoriebildung – bereits die theoretischen Begriffe der Physik sind semantisch nicht mehr zu reduzieren auf eine simple Wort-Gegenstand-Relation. Insbesondere gilt dies aber für die menschliche Fähigkeit, die Wirklichkeit dem Begriff anzupassen. Die Begriffe bilden nicht mehr die Wirklichkeit ab, sondern werden zum Plan für die Anpassung der Wirklichkeit. Unsere Vernunft passt also in der Tat in die Wirklichkeit. Aber diese Anpassung verläuft in beide Richtungen und die Umkehrung der Richtung ist zwar ein geschichtliches Ereignis, aber danach nicht mehr einfach im naturwissenschaftlichen Sinne kausal zu erklären. Wohlgemerkt: Auch und gerade die naturwissenschaftliche Vernunft ist kein „naturwüchsiges“ Produkt, sondern hochgradig aktiv bei der Gestaltung etwa von Experimenten. Aus der Perspektive der Evolution ist die menschliche Sprache ein „Spätling“ – insbesondere gilt das für die begriffliche Sprache, einschließlich der Mathematik. Wenn aber hier eine Perspektive erreicht wird, die alle Wirklichkeit erfassen kann, so kann auch umgekehrt gefragt werden, ob die menschliche Vernunft der begriffenen Realität vorangeht. Es geht nicht darum, die Existenz astrophysikalischer Teilchen als Produkt der Vernunft darzustellen – das wäre hemmungsloser Idealismus. Dennoch reden wir von Quarks und Quasaren immer nur in der Form unserer physikalischen Theoriebildung. Die Frage, worum es sich da „eigentlich“ oder gar „in Wirklichkeit“ handelt, kann nicht beantwortet werden, das ist auch nicht erforderlich. Wohl aber ist die moderne Physik eine (gewaltige) Leistung der Vernunft, die sich entschieden hat, ihre Erkenntnis zu konzentrieren auf die mathematischen Zusammenhänge zwischen Größen, die sich messen lassen. Diese Konzentration ist auch eine Reduktion der Vernunft, daher bedarf die Vernunft noch anderer Perspektiven, um einer

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nicht mehr vernünftigen Verengung entgegenzuwirken. Die Intuition, die Physik erkläre die gesamte Wirklichkeit, könnte auch als Hinweis darauf gelesen werden, dass die gesamte Wirklichkeit vernünftig ist. Das aber kann nur hervortreten, wenn die Vernunft einräumt: Die gesamte Wirklichkeit ist physikalisch zu erklären, aber niemals trifft diese Erklärung die ganze Wahrheit. Wenn nun allerdings der Schritt gewagt wird, die Wirklichkeit aus der Vernunft „hervortreten“ zu lassen, so darf das nicht als quasi-physikalische Erklärung gelesen werden, auch nicht als Ersatz für die Erklärungslücken beim „Urknall“ oder für die merkwürdigen „Zufälle“, die zu einer Feinabstimmung der kosmischen Evolution geführt haben und ohne die keine Physiker und keine Biologen und nicht einmal Richard Dawkins existieren könnten. Es ist ganz schlicht ein Perspektivwechsel, der allerdings genauer artikuliert werden kann. Er tritt hervor in der bereits erwähnten Alltagserfahrung, wo die Begriffe der Realität vorausgehen, weil sie zu realisieren sind. In der naturwissenschaftlichen Tradition konnte dies vielleicht etwas zu unbekümmert auf die Natur übertragen werden als „Teleologie“. Die Ganzheit eines lebendigen Organismus geht den einzelnen Prozessen voraus und kann nicht schrittweise kausal rekonstruiert werden. (Das gilt übrigens für die Interpretation von Kunstwerken nach wie vor!) Die moderne Biologie hat diese Überzeugung nachhaltig erschüttert. In der Tat kann alles Lebendige kausal und Schritt für Schritt rekonstruiert werden. Daher sind teleologische „Erklärungen“ immer etwas anrüchig. „Der Vogel hat Flügel, damit er fliegen kann“ ist keine seriöse Erklärung. Ob die Erklärung „Der Vogel hat Flügel, weil durch Mutation und Selektion die Fähigkeit zu fliegen das Überleben sichern konnte“ wirklich viel gehaltvoller ist, will ich hier nicht erörtern, auch nicht die Frage, ob darin nicht eine versteckte Teleologie lauern könnte. Geht es aber um die menschliche Wirklichkeit, so wird die privilegierte Stellung naturwissenschaftlicher Erklärungen erschüttert, denn sie ist umso mehr von Sprache geprägt, je menschlicher sie wird. Nicht nur werden die Hirnprozesse vor allem durch Sprache geformt und gesteuert. Die neuronalen Prozesse können aus sich heraus ja weder mein Verstehen eines Satzes noch meine Antwort darauf steuern. Die Sprache ist überdies das einzigartige Medium der personalen Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist wesentlich durch Beziehungen zwischen Personen geprägt, und diese Beziehungen sind entscheidend (wenn auch nicht durchgehend) sprachlicher Natur. Insofern entzieht sich aber die personale Wirklichkeit einer lückenlosen Erklärung durch neuronale und sonstige physikalische Prozesse. Naturwissenschaftlich sind wohl die Rahmenbedingungen zu klären, die sich zur personalen Wirklichkeit verhalten wie die Anweisungen, ein Schachbrett herzustellen, sich verhalten zur Vielfalt von Schachpartien. Natürlich entsteht nun das Bild von (mindestens) zwei Wirklichkeiten – aber wir haben schon eingangs festgestellt, dass auf jeden Fall die göttliche nicht ein-

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fach ein Kontinuum mit der geschöpflichen Realität bildet. Wenn letztere sich auch noch als vielschichtig erweist, so könnte das mit einer erweiterten, ihrerseits vielschichtigen Vernunft zu tun haben, die sich sinnvollerweise auf präzise zu messende Daten beschränkt, wo sich das als produktiv erweist, diese Beschränkung aber als eigene Entscheidung begreift. Die merkwürdige Rede von einer „ontologischen Pluralität“ und von Wirklichkeit im Plural ist nicht zu verwechseln mit einer postmodernen Beliebigkeit. Sie ergibt sich nämlich aus sehr genauen sprachphilosophischen und logischen Überlegungen. Schon Ludwig Wittgensteins Spätwerk „Philosophische Untersuchungen“ kreist um die Frage nach der Verwicklung von Sprache und Wirklichkeit. Dabei tritt eine offene Vielfalt solcher Verwicklungen hervor, in denen jeweils Sprache und Wirklichkeit ineinandergreifen. Es gibt aber keine „ideale“ Sprache, mit der „die“ Wirklichkeit zu erfassen wäre. Aus einer ganz anderen Richtung entwickelt der berühmte Logiker Willard V.O. Quine den Gedanken der Relativität. Interessanterweise geht er gerade von einer elementaren, letztlich biologischen Verknüpfung von Reizen und der Beziehung zwischen Wort und Gegenstand aus, gelangt aber dann zu der Einsicht, dass diese Relation in eine Vielfalt von innersprachlichen Verweisen unauflöslich verflochten ist. Dazu gehören so grundlegende Unterscheidungen wie „eins und viele“ oder „dasselbe und das gleiche“. Diese Verweise lassen sich nicht auf eine eindeutige „Abbildung“ von Wirklichkeit durch Sprache reduzieren. Daher gibt es niemals eine einzige, sondern immer mehrere treffende Übersetzungen von einer Sprache in die andere (wohl gibt es falsche) – und jede natürliche Sprache transportiert eine Sicht der Wirklichkeit.39 Interessant ist in diesem Zusammenhang der Entwurf des Logikers und Philosophen Nelson Goodman. Er vertritt einen Nominalismus und scheint somit auf die Seite der Philosophen und Wissenschaftstheoretiker zu gehören, die eine Theorie der einen Wirklichkeit im Blick haben. „Nominalismus“ zielt bei Goodman darauf, die Sprache so zu klären, dass sie sich letztlich nur auf Individuen bezieht. Aber genau diese Klärung macht es erforderlich, eine Vielfalt von klärungsfähigen oder jedenfalls klärungsbedürftigen Sprachen anzunehmen, deren jede eine Welt angemessen zur Sprache bringt. Wir können nämlich nicht ein für alle Mal festlegen, was als Individuum, als unteilbare Wirklichkeit zu gelten hat. Es gibt also eine Vielzahl von „Welten“, und in jeder dieser Welten zielt die Wendung „es gibt“ auf jeweils eigentümliche Realität.40 Ein wichtiges 39 Vgl. Quine, Wort, 59–147 (Kap. 2). 40 Vgl. Goodman, Worldmaking. Goodman ist ein enger Weggenosse Quines und des QuineSchülers Putnam. Alle drei gehören zu den scharfsinnigsten Philosophen und Logikern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Quine hat sich als Atheist betrachtet, Putnam hingegen beschreibt ironisch die eigene intellektuelle Biografie: In den ersten Jahrzehnten sei er prak-

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Kriterium ist – wie in der atheistischen Kritik am Theismus – die Einfachheit einer Theorie. Es ist keineswegs ausgemacht, ob eine einheitliche Theorie, die mit der Vernunft auch letztlich sich selbst physikalisch erklärt, tatsächlich einfacher sein kann als eine Pluralität von in sich einfachen Theorien, in denen die physikalische und die personale, durch Sprache geprägte und gesteuerte Wirklichkeit prinzipiell unterscheidbar bleiben und jeweils in sich begriffen werden. Das schließt ja vielfältige Überlappungen keineswegs aus. Die Personalität Gottes ist in diesem Zusammenhang genauer zu bestimmen. Wenn die personale Wirklichkeit vor allem als Sprache und Beziehung eine Realität eigener Art darstellt, so wird die Schöpfung insgesamt zum Geheimnis und kann nicht in einem einzigen theoretischen Zugriff erklärt werden. Vor allem aber leuchtet das Geheimnis der Wirklichkeit in der Vernunft auf, die alle natürliche Realität zu erklären vermag, ihrerseits aber nicht naturwissenschaftlich „wegerklärt“ werden kann – wenngleich oder auch gerade weil sie in vielerlei Hinsicht durchsichtig zu machen ist, vor allem neurobiologisch. Verdichtet sich das Geheimnis der Wirklichkeit in der Vernunft, dann ist der Schritt zu einer personalen Tiefe der Wirklichkeit plausibel. Was hält die bewusstlose und die vernünftige Wirklichkeit letztlich zusammen? Dieser Schritt ist nicht zwingend, daher geht es nicht um einen „Gottesbeweis“. Beweisen kann die Vernunft nur innerhalb des präzisen logischen Denkens, genau genommen nur in der Mathematik. Die Tiefe der Wirklichkeit kann nur aufleuchten, sie kann nur für die Vernunft aufleuchten und von ihr zur Sprache gebracht werden. Es ist kein Argument gegen den Gehalt des personalen Redens von Gott, wenn solches Reden erst in der Menschheitsgeschichte „emergiert“. Eine personale Begegnung ist stets geschichtlich, also auch die Begegnung mit Gott. Es ist kein Argument gegen die allumfassende Reichweite der göttlichen Kreativität, wenn eine solche Begegnung nicht mit einem Schlag alle menschlichen Personen erreicht, sondern jeweils eine einzigartige und unwiederholbare Situation schafft, die nicht aus dem Verlauf der Geschichte abzuleiten ist. Es ist ja auch kein Argument gegen die Reichweite der menschlichen Vernunft – die den gesamten Kosmos zu erklären in Anspruch nimmt –, wenn sie in der von ihr rekonstruierten Geschichte des Kosmos ein „Spätling“ ist. Und schließlich bleibt zu betonen: Zwischen der Personalität Gottes und den menschlichen Personen besteht eine Analogie. Das wird spätestens durch die Ausformulierung tizierender Jude und philosophischer Atheist gewesen – ohne darüber nachzudenken. Die religiöse Dimension werde aber für ihn immer wichtiger, auch wenn er sie nicht einfach mit seiner Philosophie versöhnen könne (Philosophy, 1). Goodman hat differenzierte Schriften zur Ästhetik vorgelegt (ders., Languages). Alle drei Philosophen stimmen darin überein, gerade auf dem Hintergrund eines sehr präzisen logischen Denkens die Idee einer alles umfassenden Einheitstheorie abzulehnen.

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der Lehre von der Dreieinigkeit Gottes in drei „Personen“ deutlich: Hier geht es um eine innergöttliche Bewegung, die menschliche Beziehungen übersteigt, darin aber auch ihr Geheimnis freilegt. Das kann immer auch im Sinne der „Projektionstheorie“ verstanden werden, aber doch nur, wenn wir wieder auf das Niveau einer Korrespondenz zurückfallen, wo die Wirklichkeit Gottes als „Jenseits“ gedacht wird, „über“ das wir Aussagen zu machen hätten. Die personale Sprache ist hingegen nicht in erster Linie eine Beschreibung der Wirklichkeit, sie schafft vielmehr personale Realität. Die biblischen Geschichten von der Beziehung Gottes zu den menschlichen Geschöpfen können so erzählt werden, dass wir in diese Geschichten hineingezogen, provoziert, erschüttert, aber auch befreit werden. Das ist allerdings ein anderes Thema. In diesem Kontext leuchtet es ein, wenn leidende Personen aus der Erzählung von einem leidenden und darin allmächtigen Gott die Kraft empfangen, ihr Leiden zu tragen. Eine solche Erfahrung kann selbstverständlich nicht gleichsam mechanisch produziert und auch nicht allgemein evident demonstriert werden. Die Rede von der „Tiefe“ der Wirklichkeit – oder auch von der „Einheit“ der vielen Wirklichkeiten – ist eine Metapher. Metaphorische Rede ist im Zusammenhang der präzisen Begriffsbildung der Naturwissenschaft zu eliminieren. Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur sollten wir genau sagen, was die Präzision dieser Begriffe ausmacht. Sie bezeichnen messbare Größen und stehen in mathematischen Zusammenhängen. Gerade in der Physik wird man schwerlich sagen können, hier werde „die“ Wirklichkeit „abgebildet“. Es handelt sich um Modelle mit teilweise enormer prognostischer Kraft. Metaphorische Sprache hingegen ist Ergebnis von lebendigen sprachlichen Vollzügen und für die personale Wirklichkeit unverzichtbar, sie kann und darf nicht ersetzt werden durch „eigentliche“ Rede. Die soeben erwähnte Erfahrung von wirksamer Sprache in den Beziehungen von Personen ist ohne Metaphern nicht denkbar. Das gilt aber noch für einen anderen Bereich. Die scheinbar „eigentliche“ Sprache sagt es, wie es ist. Sie korrespondiert der Wirklichkeit. Diese Korrespondenz liegt dem klassischen Begriff von Wahrheit zugrunde: Wahrheit ist die Übereinstimmung von Satz und Sachverhalt. Nun wiederholt sich aber das Spiel mit der Beziehung der Vernunft auf die außervernünftige Realität im Bereich der Sprache: In welcher Sprache reden wir von „Wahrheit“? Wir können diese Diskussion hier nicht einmal andeuten, wohl aber kann einleuchten: Wenn Gott letztlich als die Wahrheit ausgesagt wird, dann kann dieser Satz nicht im Sinne der Korrespondenz überprüft werden. Er kann auch nicht wie ein Satz der Mathematik bewiesen werden. Er spricht die Einheit von Denken und Sein als Metapher aus. Denn die Wahrheit als Einheit von Denken und Sein ist personal gedacht. Aus Metaphern lassen sich keine Schlüsse ziehen. Wohl aber kann der Satz entfaltet und dann nachvollzogen werden: Die Einheit in der Diffe-

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renz von Denken und Sein ist uns nicht nur zugänglich in wahren Aussagesätzen über Gegenstände, sondern auch in unserer eigenen personalen Wirklichkeit. Niemals kommt es aber zur Einheit ohne Differenz. Dieser Gedanke ist ein Grenzwert – oder eben der Ursprung, den wir niemals anders als metaphorisch aussprechen können. Hier vollzieht sich wieder der „Umschlag“ von einer gedanklichen Bewegung hin zu den Grenzen des Denkens zu einer Begegnung, die niemals produziert werden kann. Dabei geht es natürlich um das Argument des Anselm von Canterbury. Der Nerv des Gedankengangs liegt in der Vollkommenheit Gottes als Einheit von Begriff und Wirklichkeit. Das ist der modernen Vernunft nicht mehr ohne weiteres plausibel zu machen: „Wenn Existenz schlicht das ist, was der Existenzquantor ausdrückt, gehört sie nicht im strengen Sinn zu dem, was ein Einzelding ausmacht. Sie kann dann keine Art von Vollkommenheit sein, die ein Einzelding besitzen oder nicht besitzen kann“41. Das ist die präzisere Formulierung von Kants Widerlegung in der „Kritik der reinen Vernunft“. Diese Widerlegung ist dort allerdings präzise auf die theoretische Vernunft bezogen und an die transzendentale Analyse der Erkenntnis gebunden. Selbstverständlich kann in diesem Sinne „Existenz“ nicht ein Teil der Begriffsbildung sein, sondern benennt die Beziehung des Begriffs auf die Erfahrung, die in diesem theoretischen Rahmen eine Sinneserfahrung sein muss. Das ontologische Argument kann dann nur fehlschlagen. Es setzt allerdings Gott als theoretisch erkennbares Einzelding voraus und ist im Sinne des biblischen Redens von Gott unangemessen. Übrigens widerlegt Kant zuvor auch die Behauptung, die Seele sei eine Substanz und damit unsterblich. Das denkende und erkennende „Ich“ entzieht sich seiner eigenen Theoriebildung und kann sich daher auch nicht als unzerstörbares Einzel„Ding“ begreifen, denn Dinge gibt es nur für die Erkenntnis. Vielleicht sollten wir als evangelische Theologen für beide Gedankengänge dankbar sein. Weder das erkennende „Ich“ noch die Wirklichkeit Gottes kann im Sinne einer theoretischen Erkenntnis durchdrungen werden. Daraus kann die Leugnung beider Wirklichkeiten gefolgert werden, aber nur mit der zusätzlichen Behauptung, es gebe keine andere Wirklichkeit als die von uns empirisch-theoretisch erkannte Realität. Genau diese Behauptung ist mindestens nicht zwingend, vielleicht auch selbstwidersprüchlich. Wie soll sie empirisch widerlegt oder bestätigt werden? Der „Beweis“ des Anselm hat bekanntlich viele Ecken und Kanten, die bereits Immanuel Kant aufgewiesen hat – wenn es wirklich ein Beweis sein soll. Was soll es bedeuten, „etwas Größeres zu denken“, nicht zu reden von dem, „worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“. Das sieht einerseits so aus wie ein Spiel der Überbietungen, andererseits kann ich gar nichts denken, worüber 41 Mackie, Theismus, 76.

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hinaus ich nichts Größeres denken kann, denn ich kann mir immer Größeres denken. Insofern ist der Gottesbegriff quo maius cogitari non possit in sich nicht konsistent. Er ähnelt auch fatal jenen Mengen, die in Antinomien fuhren, etwa der Menge aller Mengen, die größer sein muss als sie selbst. Auch kann ich mir etwas denken und noch dazu denken, es existiere – obwohl es nicht existiert. Und wenn es existiert, wird es dann größer? Darauf zielt ja schon Kants Bemerkung mit den hundert Talern, die nicht mehr werden, wenn ich sie tatsächlich in der Geldbörse vorfinde. Schließlich: Wie zwingend ist die Voraussetzung des Anselm, „dass Existenz zur Größe beiträgt“? Nur dann ist es widersprüchlich für den Toren, die Nicht-Existenz des quo maius cogitari nequit „in den Gehalt seines Begriffs aufzunehmen“42. Das Bild ändert sich, wenn wir die Einheit in der Differenz von Denken und Sein als Grundform der Wahrheit annehmen und diese Relation teils als Korrespondenz, teils als sprachliche Wirklichkeit von Personen auffassen. Dann gibt es hier tatsächlich Steigerungen in der Intensität der Relation, und es gibt den Grenzwert der Einheit. Dieser Grenzwert kann ein gedankliches Konstrukt sein (daher ist das Argument des Anselm auch nicht zwingend), es ist aber auch nicht mehr klar definiert, was es heißen könnte: Er existiert oder er existiert nicht. Denn dafür wäre bereits wieder die Einheit-inDifferenz von Denken und Sein vorausgesetzt. Man könnte vielleicht fragen, ob der Fluchtpunkt einer Einheit von Denken und Sein eine gedankliche Fiktion bleibt oder ob uns hier die personale Wirklichkeit der Wahrheit entgegentritt. Das allerdings kann nicht bewiesen werden, sie ergibt sich bei Anselm ja auch aus der Gebetshaltung, ist also ohnehin vorausgesetzt. Ähnlich verhält es sich wohl mit den „Wegen“ bei Thomas von Aquin. Ein regressus ad infinitum ist seit Kants Überlegungen in der „Kritik der reinen Vernunft“ kein Problem mehr, denn es geht um die Anweisung an die Vernunft, nirgends Halt zu machen. Allerdings gibt es eben doch einen Haltepunkt, nämlich die theoretische Vernunft selber, die den Mittelpunkt der wissenschaftlich durchdrungenen Realität bildet. Eben deshalb ist der regressus eine Konstruktions­anweisung, nicht etwa eine Aussage über die Welt, wie sie wirklich ist. Es ist daher auch nicht zufällig, wenn Kant den regressus beendet durch den Verweis, es gebe zumindest in der menschlichen Freiheitserfahrung eine Kausalität besonderer Art (aus Begriffen). Die Grenze der Wirklichkeit ist bei Thomas von Aquin Gott als die erste Ursache, bei Kant ist es einerseits das erkennende Subjekt, andererseits die Wirklichkeit „an sich“, wie sie unabhängig von unserer Erkenntnis ist und daher unerkannt bleibt. Beweise im strengen Sinne spielen sich innerhalb dieser Grenzen ab, daher ist ein Gottesbeweis undenkbar. Sicherlich kann gefragt werden: „Woher wissen wir, dass alles einen 42 Ebd., 85.

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zureichenden Grund haben muss?“ Und: „Wie kann es ein notwendiges Wesen geben, das sich selbst zureichender Grund ist?“43 Die Semantik von „Grund“ ist innerhalb der Alltagserfahrung einigermaßen klar – hier geht es aber um die Grenzen der Erfahrung und der Vernunft. Und natürlich könnte es eine unvergängliche Urmaterie geben, „aus der die vergänglichen Dinge bestehen und in die sie sich wieder auflösen, um so zur Entstehung anderer Dinge beizutragen.“44 Nur ist damit die göttliche Wirklichkeit nicht annäherungsweise in den Blick gekommen. Bei alledem wird deutlich: Der Atheismus kann die theistischen „Gottes­ Beweise“ widerlegen, sofern sie als Gottesbeweise gemeint sind. In einer solchen Interpretation sind sie aber auch theologisch unbrauchbar für das Reden von Gott. Sinnvoll lassen sie sich interpretieren als Denkbewegungen an der Grenze der Vernunft. Daher sind sie nicht zwingend, vielmehr möglicherweise ansprechend. Diesen charakteristischen Zug teilen sie mit der metaphorischen Rede, die eben wegen ihrer Mehrdeutigkeit zur wirksamen Sprache werden kann.45 Dem können wir uns verschließen – oder wir können davon in Anspruch genommen werden. Das setzt voraus, dass wir in die Geschichte hineingenommen werden, die in den biblischen Texten erzählt wird. Die Erzählung – die story – gehört zu den wichtigsten Strukturen der personalen Sprache: Wer ich bin, kann ich nur erzählen. Die begriffliche Klärung der biblischen Geschichte Gottes mit den menschlichen Geschöpfen konzentriert sich in der Lehre vom Dreieinigen Gott – und an dieser Stelle leuchtet auch die Identität des göttlichen Urgrundes mit dem Wort Gottes auf: Das Leben Gottes ist die Selbstäußerung Gottes, die Wirklichkeit kommt zur Deckung mit dem Begriff. So geht Gott immer aus Gott hervor, ist sich also selbst Grund. Das sind zwar oberflächlich betrachtet Aussagen, aber keine Behauptungen, denen die göttliche Wirklichkeit „korrespondiert“, sondern letzte Zusammenfassungen der Geschichte. Die sogenannten Gottes-„Beweise“ zielen darauf, die innere Logik dieser Geschichte freizulegen, eine Logik, die nicht verwechselt werden kann mit der formalen Logik, wie auch die befreite Vernunft weiter ist als der technisch­ berechnende Verstand.

43 Ebd., 132. 44 Ebd., 142. 45 Vgl. den inzwischen klassischen Aufsatz von Jüngel, Wahrheit, 71–122.

II. Geschichte und Doxologie: Denkmuster in Karl Barths Dogmatik

Einführung

Die Aufsätze zur Theologie Karl Barths sind hervorgegangen aus Vorträgen für die Karl-Barth-Tagungen in der Schweiz (Leuenberg bei Basel) und in den Niederlanden (Schoorl). Es geht in allen Beiträgen sowohl um spezifische dogmatische Fragen als auch um die Struktur insbesondere der „Kirchlichen Dogmatik“. Bereits in meiner Dissertation habe ich zu zeigen versucht, wie komplex die unterschiedlichen Sprachebenen und Denkmuster der Dogmatik ineinandergreifen. Dazu gehört in erster Linie die Unterscheidung der Dogmen als „grammatische Sätze“ von den anderen sprachlichen Gebilden. Was ist damit gemeint? Die Dogmatik zielt auf die Übereinstimmung der Verkündigung der Kirche mit dem biblischen Zeugnis von der Offenbarung. Diese Korrespondenz ist nicht trivial, sondern eine Balance, die sich immer wieder neu einstellen muss, wenn das Reden von Gott lebendig bleiben soll. Das biblische Zeugnis ist nicht einfach aussageförmig, es erzählt vielmehr eine Geschichte, die ihrerseits viele sprachliche Gebilde umgreift: Gebete, Gesetze, Briefe, prophetische Worte etc. Das aktuelle Reden von Gott ergibt sich aus der produktiven, aber auch irritierenden Konfrontation unseres Denkens mit dieser Geschichte. Dabei werden unsere selbstverständlichen „Denkschematismen“ in Bewegung gesetzt. In dieser Bewegung kann das ursprüngliche Wort Gottes aufleuchten, das sich abhebt vom biblischen Zeugnis und von der kirchlichen Verkündigung: Dieses Wort Gottes ist identisch mit der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus, also letztlich und im strengen Sinne die zweite trinitarische Hypostase. So zielt die Übereinstimmung des kirchlichen Redens mit dem biblischen Zeugnis auf die unverfügbare Gegenwart des lebendigen Gottes. Wie soll aber dann die Aufgabe der Theologie und speziell der Dogmatik bewältigt werden, wie kann eine Selbstprüfung der Kirche hinsichtlich der Übereinstimmung ihres Redens mit dem biblischen Zeugnis stattfinden? Das Problem lässt sich noch von einer anderen Seite, nämlich wissenschaftstheoretisch zuspitzen: Dogmatische Arbeit kann Begriffe und Aussagen nicht vermeiden, gerät damit aber in die Gefahr, das biblische Zeugnis unangemessen unter allgemeine Kategorien zu stellen und die immer wieder überraschende Zuwendung Gottes in der menschlichen Geschichte zu verstellen. Das wirkt sich auch auf die Predigt aus, die dann zwangsläufig in allgemeine Weisheiten und

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ethisch-politische Anweisungen ausläuft. Begriffe und Aussagen sind demnach ein unvermeidliches Risiko und müssen beweglich bleiben. Hier spitzt sich die Schwierigkeit einer Balance zu, dabei tritt aber auch eine fruchtbare Perspektive hervor: Dogmatische Begriffe und Sätze müssen durchsichtig bleiben für die einzigartige Fülle des göttlichen Redens und sich darin bewähren, dass sie das biblische Zeugnis immer wieder neu in seinem narrativen Zusammenhang erschließen, der daraufhin auch die jeweils gegenwärtige Erfahrung heilsam erschüttert und in Bewegung versetzt. Daraus folgt zunächst (negativ), dass dogmatische Sätze nicht für sich stehen können. Die Begriffsbildung bleibt labil und stets angewiesen auf die je neue biblische Entfaltung. Das entspricht aber (positiv) der Unbegreiflichkeit Gottes, die nun nicht einfach als Grenzwert behauptet wird, sondern als unerschöpflicher Reichtum Gottes (Röm 11,33–36) aufleuchtet. Wird die grundsätzliche Labilität der dogmatischen Begriffe und Sätze beachtet, so können sie innerhalb der dogmatischen Arbeit die unverfügbare Gegenwart des Gotteswortes zwar niemals ersetzen, nehmen aber in aller Vorläufigkeit die entscheidende Stelle zwischen dem biblischen Zeugnis und dem kirchlichen Reden ein. Dabei zeichnet sich für die grundlegenden Sätze – die Dogmen – eine doppelte Lesart ab: Sie sind nicht nur theologische Gebilde im engeren Sinne, sondern entspringen dem Lob Gottes im Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Kyrios (Phil 2,11). Kurz: Die dogmatischen Grundsätze sind Doxologien. Insofern gleichen sie den biblischen Sätzen, in denen sich das Bekenntnis zu Jesus Christus derart verdichtet, dass im Überschwang des Geistes Formulierungen möglich werden, die einerseits von erstaunlicher begrifflicher Präzision sind, andererseits nicht mehr als Aussagen zu verstehen sind, in denen die göttliche Wirklichkeit „von außen beschrieben“ würde. Neben dem in Phil 2,6–11 zitierten Hymnus können hier Kol 1,15–20 und Röm 11,33–36 exemplarisch genannt werden. Innerhalb der theologischen Arbeit und unseres menschlichen Redens von Gott umreißen die Dogmen die Grammatik des Redens von Gott. Diese Formulierung knüpft an die Spätphilosophie Ludwig Wittgensteins an: Die Bedeutung der Wörter tritt in ihrem regelmäßigen Gebrauch hervor, in dem sich umgekehrt die Verflechtung der Sprache mit der Wirklichkeit abzeichnet. Die Regeln in einem solchen „Sprachspiel“ müssen nicht explizit sein, sie können aber geklärt werden, vor allem um Missverständnisse zu vermeiden. Dabei müssen die Regeln nicht „metasprachlich“ formuliert sein – es können sich auch bestimmte Sätze als Muster auszeichnen. Sie gehören zur Grammatik des Sprachspiels, in unserem Fall: des Sprachspiels „Reden von Gott“. Vor allem die Trinitätslehre präzisiert als Denkmuster die Bewegung zwischen Gottesbegriff und der Unbegreiflichkeit Gottes. Diese Bewegung wird in unzähligen Windungen des biblischen Redens von Gott variiert und sorgt für die unendliche Vielfalt der Gottesrede wie auch für deren inneren Zusammenhang.

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Die Beiträge zur Trinitätslehre und zur Zwei-Naturen-Lehre (1998, 2002 und 2015) führen diese Differenzierung detailliert aus. Die beiden altkirchlichen Dogmen – genauer: die klassische Trinitätslehre zusammen mit ihrer unerlässlichen Präzisierung durch die Formel von Chalcedon – erweisen sich als Regeln für die Erzählung der Geschichte Gottes mit dem erwählten Volk Israel, einer Geschichte, die sich in Jesus Christus derart katastrophal zusammenballt, dass sie sich für alle Völker öffnet. Dann kommt es darauf an, die Trinitätslehre nicht als „Beschreibung“ des innergöttlichen Lebens, also nicht als propositionales Gebilde aufzufassen, sondern als doxologisches Bekenntnis, in dem die Zuwendung des unbegreiflichen Gottes als Einbruch der göttlichen Ewigkeit in unsere Geschichte irreversible Spuren hinterlassen hat. Die Formulierungen der „immanenten“ Trinitätslehre bringen das Wesen Gottes als ewiges Leben zur Sprache und zeichnen als Präzisierung des unerschöpflichen Geheimnisses Gottes eine Struktur für die Erzählung von diesem Einbruch Gottes in unsere Geschichte. Doxologie und Geschichte sind ineinander verwoben und verknoten sich in der Christusgeschichte. Das Reden von Gott wird sich daher immer wieder als Erzählung der Geschichte zum Gotteslob verdichten und von der Doxologie her die Geschichten neu erzählen. So bildet die Dogmatik zwar einen sprachlichen Zusammenhang, umgreift aber ganz unterschiedliche sprachliche Gebilde, wobei die Unterscheidung von Doxologie und Erzählung noch weiter verfeinert werden kann. Der sprachliche Zusammenhang tritt an die Stelle der induktiven oder deduktiven Vermittlung des Allgemeinen mit dem Einzelnen: Es geht um eine einzige und einzigartige Geschichte Gottes, die von ihrer Katastrophe her zu konturieren ist und menschliche Geschichten umgreift – auch unsere. Es kommt dann nicht mehr darauf an, unsere Geschichten mit den biblischen Texten „zu vermitteln“ oder gar das biblische Zeugnis zu „aktualisieren“. Die Erzählung der biblischen Geschichten wirft ein viel kräftigeres Licht auf unser Leben. Dazu muss die Geschichte eine entsprechende Struktur aufweisen. Sie gestaltet einen dramatischen Konflikt zwischen Gott in Jesus Christus und dem erwählten Volk, eine Verwicklung, die sich am Ende zuspitzt in der Verwerfung Jesu Christi und dabei die Sünde als Gottesfeindschaft unüberbietbar klar hervortreten lässt, also auch: ein für alle Mal richtet. Dabei werden menschliche Personen befreit zum Bekenntnis der jeweils eigenen Sünde, also auch befreit von der Selbstgerechtigkeit, die den Sünder von Gott trennt und letztlich im Tod endet. Die narrative Entfaltung der doxologisch formulierten Zwei-Naturen-Lehre als „Weg des Sohnes in die Fremde“ (KD IV/1, § 59) führt in eine Konfrontation, die einerseits mit innerer Stringenz auf das Kreuz hinausläuft, andererseits in überraschender Weise die menschlichen Personen in das Christusgeschehen hineinzieht. Indiz dafür ist das Sündenbekenntnis, das ganz analog zum Christusbekenntnis nicht als Beschreibung eines Sachverhalts „von

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außen“, sondern als Gebet (Ps 51!) zu verstehen ist. Diese Geschichte findet ihre höchste Konzentration im „Personentausch“ zwischen Jesus Christus und den sündigen menschlichen Geschöpfen. Das zwingt dazu, den Begriff „Person“ genau zu bestimmen. – Zu den bemerkenswerten theologischen Einsichten der Zwei-Naturen-Lehre gehört die Betonung der Anhypostasie der menschlichen Natur Jesu Christi, die vollkommen ist, weil sie von innen heraus durch die Inkarnation des Gotteswortes gestaltet wird. Diese dogmatische Aussage hat Konsequenzen für die Erzählung des Lebens Jesu, die sich an den Evangelien zu orientieren hat und dabei nicht in die Falle der Rückfrage nach einem (höchst fiktiven) „historischen Jesus“ tappen darf. Sie muss die Fremdheit dieser einzigartigen menschlichen Person so profilieren, dass die innere Einheit der Jesus-Geschichten hervortritt, die sich charakteristisch abhebt von einer kohärenten Biographie, aber gerade durch ihre faszinierende Anstößigkeit in unsere Geschichte eingreift. Der Zusammenhang zwischen der Erzählung einer einzigartigen Geschichte und ihrer doxologisch formulierten Verdichtung wird von Barth noch in der Gegenrichtung vertieft, und zwar in einer auf den ersten Blick „spekulativen“ Weise. Bei genauerer Betrachtung geht es aber gerade in der Erwählungslehre von KD II/2 darum, sogar noch das ewige Leben Gottes narrativ zu strukturieren. Die immanente Trinitätslehre wird zum Hintergrund für die Lehre von der ewigen Gnadenwahl, in der Gott sich selbst zugunsten des menschlichen Geschöpfs verwirft, genauer: die Verwerfung der Menschen trägt und den Menschen erwählt. Das entspricht der ultimativen Verdichtung der biblischen Geschichte in Jesus Christus, die auf den geheimnisvollen „Personentausch“ hinausläuft. Hier schiebt Barth die altkirchlichen Dogmen und das reformatorische Grundbekenntnis zur Gerechtigkeit allein aus der Gnade Gottes ineinander. Die ultimative Wende der Geschichte reißt den Durchblick in die ewige göttliche Wahl auf, und umgekehrt kann das ewige Leben Gottes doxologisch als narratives Gefälle, eben als ultimative Konkretion der trinitarischen Struktur skizziert werden. Eine narrative Struktur kann aber wieder nicht verwechselt werden mit einem abstrakten Begriff, der das Wesen Gottes verfügbar machte. Ähnlich den relationalen Übergängen in der immanenten Trinitätslehre wird auch hier eine Wende akzentuiert, die als solche nicht zu fixieren ist. Diese Gedankengänge werden in den Beiträgen von 2007 skizziert, wobei der erste die „Kirchliche Dogmatik“ in den Blick nimmt und der zweite die entsprechenden „Weichenstellungen“ in der Auslegung des Römerbriefs aufzeigt. Denn bereits 1922 finden sich charakteristische Muster: Barth versucht das Subjekt des Glaubens durch dialektische Denkstrategien zu „durchkreuzen“. Der strikte Hinweischarakter des Glaubens entspricht bereits 1922 einem Durchblick in die Ewigkeit Gottes, der auch schon geschichtlich strukturiert ist, weil

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die Ewigkeit nur als Übergang, als Wende zur Sprache kommen kann. Wenn der alte Äon durch den neuen verdrängt wird, kann keiner von beiden in der religiösen Vorstellung festgehalten werden, weil nur im Gefälle vom einen zum anderen die Wirklichkeit Gottes hervortritt. Genau daher kann der Glaube nicht als Tat des Subjekts, kann auch das im Glauben neu geschaffene Subjekt nicht als eigen-ständig, sondern nur als „Hohlraum“ die unanschauliche neue Wirklichkeit Gottes anschaulich machen. In KD I/2 § 16 wird Barth diese „Ortlosigkeit“ des Glaubens auf die Anhypostasie Jesu Christi beziehen. Die dialektische Bewegung zwischen der Wirklichkeit der göttlichen Gnade in Jesus Christus und ihrer Unanschaulichkeit deutet die geheimnisvolle Bewegung von Selbstenthüllung und Unenthüllbarkeit Gottes an, die in KD I/1 § 8,2 zur „Wurzel der Trinitätslehre“ wird. Zugleich kommt die Ewigkeit Gottes zur Sprache, weil es um die Verdrängung einer Weltzeit durch eine andere geht: von Ewigkeit zu Ewigkeit. Jeder dieser Äonen realisiert eine universale Gesetzmäßigkeit – der Sünde oder der Gnade. Nur in der Wende treten die beiden „Welten“ auseinander, so vollzieht sich das Gericht als Unterscheidung. Insgesamt zeichnet sich bereits in der Auslegung des Römerbriefs die Relativierung jeder Ontologie ab, die das theologische Denken zur „flüssigen“ Begriffsbildung zwingt, die für das Handeln Gottes durchsichtig werden kann.

1.  Grammatik des biblischen Redens von Gott Grundlinien der Trinitätslehre Karl Barths

0. Vorbemerkungen Der Begriff „biblisches Reden“ umfasst nicht nur die biblischen Texte, sondern auch das kirchliche Reden von Gott. Diese Erweiterung hat ihren Grund in Karl Barths Lehre von den drei Gestalten des Wortes Gottes. Die Offenbarung als erste und fundamentale Gestalt des Wortes Gottes ist bezeugt in der Schrift und greift von Jesus Christus her in unsere Gegenwart ein, sobald die kirchliche Verkündigung mit dem biblischen Zeugnis übereinstimmt. Insofern kann auch die kirchliche Verkündigung als biblisches –genauer: vom biblischen Offenbarungszeugnis geprägtes – Reden von Gott gelten. Dabei muss freilich geklärt werden, was hier „Übereinstimmung“ heißen kann. Es geht nicht um eine Übereinstimmung auf der Ebene der Aussagen. Dann wäre das Problem der Dogmatik ein schlichtes Übersetzungsproblem. Natürlich greift das theologische Problem tiefer: Die kirchliche Verkündigung stimmt mit dem biblischen Zeugnis überein, wenn auch sie auf die Offenbarung hinweist, sie also auf ihre Weise neu bezeugt. Dieses Ereignis ist in erster Linie darin begründet, daß die Offenbarung sich selbst vergegenwärtigt, also kein technisches Problem der theologischen Methode. Solch ein Ereignis hat aber dennoch auch eine technische, jedenfalls eine menschliche Seite. Das biblische Offenbarungszeugnis greift in unser Leben ein, wenn wir unsere Existenz in biblischer Perspektive sehen. Oder: wenn unsere Denkschematismen durch die biblische Denkform im Licht der Offenbarung modifiziert werden. Barths Kirchliche Dogmatik richtet sich durchweg darauf, daß wir neu sehen lernen im Hören auf das biblische Zeugnis. Die Kirchliche Dogmatik dient dieser „Gehörbildung“, indem sie exemplarische Zusammenhänge einübt, in der Erwartung, dass auch neue Situationen dann im Licht des biblischen Zeugnisses neu wahrzunehmen sind. Die exemplarischen Fälle wären demnach zu übertragen auf andere, aber doch ähnliche Umstände. Wer hinreichend sensibel ist, braucht dafür keine mechanischen Regeln, aber ein Minimum von Grundstrukturen und -mustern. Die Ähnlichkeit einer gegenwärtigen Situation mit charakteristischen Zügen des biblischen Zeugnisses kann wahrgenommen werden mit Hilfe weniger präziser Striche und Akzente – wie umgekehrt ein falscher Akzent aus einer Zeichnung eine Karikatur machen kann. Daher richtet sich die Kirchliche Dogmatik

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nicht zuletzt darauf, die falschen Akzente kenntlich und somit vermeidbar zu machen. Unter „Grammatik“ verstehe ich – im Anschluss an Ludwig Wittgenstein – eben diesen Versuch, auf der Grundlage paradigmatischer Fälle neue Beispiele zu finden und die Ähnlichkeit zu explizieren, ohne allzu viel festzulegen.

1.  Offenbarung als Wurzel der Trinitätslehre Die Trinitätslehre ist sicherlich die grundlegende grammatische Struktur im eben umrissenen Sinne. Und Karl Barth liefert auch in den §§ 8 und 9 der Kirchlichen Dogmatik mit der Entfaltung der Trinitätslehre das exemplarische Beispiel für die Übereinstimmung von biblischem Offenbarungszeugnis und kirchlicher Verkündigung. Barth leitet von allem Anfang an die Trinitätslehre aus der Bibel ab. „Offenbarung bedeutet in der Bibel die Menschen zuteilwerdende Selbstenthüllung des seinem Wesen nach dem Menschen unenthüllbaren Gottes“ (KD I/1, 332 f., 338, 342). Dieser Satz wird in § 8,2 dreifach ausgelegt. Darin steckt die „Wurzel“, der Ansatz für die Trinitätslehre, den wichtigsten Kristallisationspunkt der kirchlichen Verkündigung. Allerdings formuliert Barth noch einen anderen Satz, der das biblische Offenbarungszeugnis gedrängter zusammenfasst: „Gott offenbart sich als der Herr“ (KD I/1, 323). Dieser Satz wird als analytischer Satz bezeichnet, weil im Sinne des biblischen Zeugnisses die Begriffe „Offenbarung“ und „Herrschaft“ zur Deckung kommen. Gott setzt die Herrschaft Gottes durch, indem Gott sich offenbart. „Das heißt Herr sein, was Gott in seiner Offenbarung dem Menschen gegenüber ist“ (KD I/1, 323). Und umgekehrt: Gott offenbart nicht irgendetwas, sondern sich selbst in einer Vollmacht, die jede weitere Rückfrage erübrigt. Hier sind zwei wichtige Implikationen hervorzuheben. Zum einen kann von vornherein zwischen Ereignis und Zeugnis kein prinzipieller Unterschied gemacht werden. Die Freiheit Gottes, die göttliche Vollmacht und Herrschaft macht sich – im Unterschied zu allen anderen Mächten und Gewalten – transparent und evident. Zum andern ist sogleich die Frage zu stellen, wie Gott als Gegenüber, als irreduzibles Du bzw. Ich zu unterscheiden ist von Gottes Wirken im Offenbarungshandeln. Barth differenziert nämlich zwischen „Herrschaft“ und dem Eigennamen Gottes, sofern es im Ereignis der Offenbarung um Gott selbst geht, „der in dieser Freiheit als Ich redet und mit Du anredet“ (KD I/1, 324). Die innere Struktur von § 8,2 lässt sich demnach so skizzieren, dass die Differenzierung zwischen Gott selbst als Kyrios und der Offenbarungsherrschaft aufleuchten muss in, mit und unter der dreifachen Differenzierung der Offenbarungsherrschaft. Wenn Gottes Herrschaft beschrieben wird, ist noch nicht Gott als Kyrios angeredet. „Herrschaft“ ist ein Begriff und insofern eine Abstrak­tion.

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Es gehört zu den wichtigsten Zügen der theologischen Methode in der Kirchlichen Dogmatik, solche Abstraktionen stets nur als vorläufige Umrisse des Redens von Gott zu behandeln und auf ihre Angemessenheit zu überprüfen. Damit zeichnet sich die Aufgabe ab: Gottes Herrschaft muss in sich so differenziert und konkret beschrieben werden, dass Gott als Du sich unterscheidet – wohlgemerkt: sich selbst unterscheidet – von jedem abstrakten Begriff „Herrschaft“. Das bedeutet für die theologische Theoriebildung: Sie muss versuchen, sich selbst für doxologisches Reden durchsichtig zu halten, für jenen Augenblick, wo Gott selbst das Wort ergreift. 1.1  Die dreifache Auslegung der „Wurzel“ Barth legt die drei Aspekte der Offenbarungsherrschaft so aus, dass sogleich jeder der drei Aspekte die beiden andern umgreift. Das ist für die gesamte weitere Entfaltung der Trinitätslehre von entscheidender Bedeutung. 1.1.1  Barth entwickelt im Rahmen eines knappen biblischen Durchgangs den Aspekt der Selbstenthüllung Gottes in einer bestimmten geschichtlichen Gestalt. Die Gegenwart Gottes macht stets zugleich anschaulich, dass es keineswegs selbstverständlich ist, wenn Gott uns in einer solchen Gestalt begegnet. Anschaulich wird in der Gestalt immer auch, dass Gott frei gehandelt und sich geäußert hat, dass diese Anschaulichkeit ein unverfügbares Ereignis ist. So müssen bereits im Zuge des ersten die beiden anderen Aspekte „Verhüllung“ und „Selbstmitteilung“ zur Sprache kommen. Die Gestalt der Selbstenthüllung ist stets nur in Form von Geschichten nachzuerzählen (vgl. KD I/1, 333). Eine Geschichte unterscheidet sich von einem naturgesetzlichen Sachverhalt durch ihre Unableitbarkeit. Nun bleibt es aber nicht bei der bloß negativen Bestimmung, denn ein unableitbares geschichtliches Ereignis kann sehr wohl durch den Kontext einer „story“ plausibel konturiert werden. „Selbstenthüllung Gottes“ kann demnach gar nicht entfaltet werden ohne Bezug auf das biblische Zeugnis, und zwar auf das gesamte vielschichtige Netz innerbiblischer Verweisungen. Die Gestalt ist in letzter Zuspitzung die menschliche Existenz Jesu Christi – an der sich freilich in unableitbarer Weise die Geister scheiden! Erst in dieser höchst zweideutigen, aber nichtsdestoweniger auch unüberbietbar konkreten und irritierenden Gestalt, die nicht mehr in eine Abstraktion verwandelt werden kann, erst an dieser Stelle ist ganz deutlich, was mit dem Begriffsschema „Selbstenthüllung“ gemeint ist. Die letzte Zuspitzung wäre wiederum nicht verständlich ohne den Hintergrund der Geschichte Gottes mit Israel – und hebt sich doch auf diesem Hintergrund noch einmal ab als abgründige Vertiefung dieser Geschichte. Es ist also von einer in sich unteilbaren Geschichte die Rede, die in immer differen-

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zierteren Verästelungen nachzuerzählen ist. Dennoch gibt es charakteristische „Knoten“ – eben die eigentümliche und niemals zu antizipierende Struktur der drei Aspekte von Offenbarungsherrschaft. Hier stoßen wir auf ein erstes „Muster“, auf ein Element der Grammatik für die Nacherzählung der biblischen „story“. Das zeigt sich in der eigentümlichen Akzentuierung des Christusgeschehens: Barth argumentiert hier buchstäblich „über Kreuz“: Die letzte Zuspitzung der Selbstenthüllung ereignet sich in der Verwerfung Jesu – hier bricht die Unenthüllbarkeit Gottes ein (vgl. KD I/1,336). Das menschgewordene Wort Gottes begegnet den Menschen als Provokation, als Ärgernis. Noch weiter lässt sich die Dialektik nicht mehr verdichten: Gerade die Menschen, zu denen die Hebräische Bibel als Gottes Wort gesprochen hat, werden provoziert durch die Gegenwart des Gotteswortes. So zeigt sich: Es ist keineswegs selbstverständlich, dass Gott Gestalt annimmt, aber erst dadurch wird anschaulich, wie wenig selbstverständlich es ist. Der Satz „Gott ist unsichtbar“ könnte ja auch einen ganz neutralen oder desinteressierten Standpunkt ausdrücken. Profiliert wird er erst im Kontext der biblischen „story“. Das zwingt in christlicher Perspektive zu einer neuartigen Auslegung des Alten Testaments. Die Hebräische Bibel kann und muss von der durch das Christusgeschehen im strengen Sinne dialektisch zugespitzten Offenbarungsherrschaft Gottes her ausgelegt werden (vgl. KD I/1, 336 f.). 1.1.2  Der Verweis auf Ex 3,13 f. ist in diesem Zusammenhang wichtig für die schon erwähnte Dialektik von Enthüllung und Verhüllung. Die Verhüllung bleibt nicht als „Rest“ in einem gleichsam quantitativen Sinne „hinter“ der Enthüllung. Wohl aber bleibt in der Enthüllung stets die Möglichkeit, dass die Gestalt als ganze wieder die Gegenwart Gottes verhüllt. Wenn der Gott Israels dem Mose seinen Namen mitteilt: „Ich bin, der ich bin“, so ist dies nicht mit einer Abkürzung zu verwechseln, die vorläufig genügen mag, aber irgendwann aufzulösen wäre. Es ist die vollständige Mitteilung des Namens, der aber insgesamt nicht zu fassen, für uns nicht zu überschauen ist. Gerade die rückhaltlose Selbstenthüllung Gottes können wir gar nicht ausloten, gerade so bleibt Gott uns gänzlich unverfügbar. Die wesentliche Unenthüllbarkeit Gottes wird aber noch anders akzentuiert: Es geht stets um die Tat, und zwar um die freie Tat Gottes, wenn Gott sich in einer bestimmten Gestalt offenbart. Das hat eine wichtige Konsequenz. Auch von hier aus nämlich ist eine quantitative Interpretation – „teilweise enthüllt, teilweise verhüllt“ – ausgeschlossen. Es ist nie die Gestalt als solche, sondern immer Gott selbst, der sich offenbart. Daher können wir auch nie über die Gestalten der Offenbarung verfügen – höchstens über die Gestalten als solche, die dann leblos und sinnlos werden. Das bedeutet, dass Gott selbst jeweils eine bestimmte und insofern konturierte geschichtliche Situation gänzlich durch-

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dringt, wie in einem Kunstwerk alle Details als Ganzes aufleuchten. Solches „Aufleuchten“ bleibt aber immer Ereignis, ist als solches nicht festzuhalten und nicht zu wiederholen, es lässt sich zwar analysieren, aber nicht begreifen und schon gar nicht produzieren. Ähnlich gilt: Die Gegenwart Gottes in einer konturierten Situation stellt sich ein, wo und wann Gott will. Das ist aber schlicht die Kehrseite einer ganz konkreten Gegenwart. Bei der Auslegung des Begriffs „Heiligkeit“ betont Barth zunächst scheinbar eine Transzendenz, die nicht zum übrigen Argumentationsduktus passt, als sei Gott nun doch jenseitig, in gewisser Weise „hinter“ der Offenbarung (vgl. die Bemerkung zum Sabbat in KD I/1, 340). Dann aber wird deutlicher, wie solche Transzendenz biblisch zu artikulieren ist: als eine Reihe von immer neuen Anfängen, in denen es immer wieder ums Ganze geht. Gott bleibt wesentlich unenthüllbar, weil die Selbstenthüllung sich immer wieder neu ereignet – immer wieder überraschend, wie wir hinzufügen könnten. Transzendenz zeichnet sich ab als Unterbrechung, von der Erwähnung des Sabbats her könnten wir geradezu sagen: als Rhythmus und Atempause im Offenbarungsgeschehen. Auch hier also: stets mitten im Offenbarungsgeschehen. Barth argumentiert abermals „über Kreuz“: Die letzte Zuspitzung der Unenthüllbarkeit wird erreicht mit dem Verweis auf die menschliche Natur Jesu Christi. Es ist gerade die konkrete Gestalt, in der Gottes Geheimnis wirklich aufdringlich wird. Daher kommt es darauf an, eine harmlose Deutung der idealen Menschlichkeit Jesu auszuschließen. Damit würde ja die Gestalt an der falschen Stelle „transzendent“ (vgl. KD I/1, 341). Gerade die „story“ Jesu muss so erzählt werden, dass immer wieder das Moment der Überraschung, Irritation und Provokation hervortritt – aber diese Geschichte kann eben auch so erzählt werden, und zwar wieder auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Geschichte Israels mit Gott. Die Unenthüllbarkeit muss bei der Auslegung des Neuen Testaments so zur Sprache kommen, dass bei der Beschreibung der Existenz Jesu Christi die göttliche und die menschliche Natur immer wieder aufeinander bezogen, aber niemals zur Deckung gebracht werden können. 1.1.3  Der dritte Schlüsselbegriff – „Selbstmitteilung“ – verknüpft ein drittes Mal sämtliche Schlüsselbegriffe in anderer Konstellation und verdichtet auf neue Weise die Dialektik der Selbstoffenbarung Gottes: Hier ist davon die Rede, dass Offenbarung als konkretes, unwiederholbares Ereignis einer unverwechselbaren menschlichen Person zuteilwird, also nicht nur Gestalt annimmt, sondern die Person ergreift – und zugleich wird betont, dass dieses Ereignis schlechterdings unableitbar ist. Es bleibt „ineffabile“: nicht auszusprechen und nicht auszuloten (vgl. KD I/1, 348). Interessant ist dabei, dass die Offenbarung jedenfalls unerschöpflich bleibt, niemals ergründet werden kann und daher eine Per-

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son fasziniert, geradezu in Beschlag nimmt. Das hängt damit zusammen, dass die beiden ersten Aspekte „Enthüllung“ und „Unenthüllbarkeit“ niemals auf einen Nenner zu bringen sind und doch in der biblisch bezeugten Offenbarung intensiv einander durchdringen. Es mag sein, dass eine Person damit „niemals fertig“ wird. Das ist charakteristisch für alle berufenen Offenbarungszeugen: Man kann sich an der verwickelten Passage Röm 9–11 veranschaulichen, was es bedeutet, „nicht fertig“ zu werden mit der Offenbarung Gottes! Eine wichtige Konsequenz dieser Ergriffenheit durch die Offenbarung ist, dass nun das Reden bestimmter Menschen in einer bestimmten Situation einbezogen wird in die Gestalt der Offenbarung. Damit wird deutlich, warum sich Barth in diesem Zusammenhang abgrenzt von der „Dialektik“ der Philosophen (vgl. KD I/1, 349): Die eben erwähnte Faszination und Ergriffenheit ist nicht dasselbe wie eine Denkfigur, mit der ich wie mit einem Werkzeug scheinbare Widersprüche auflösen kann. Die Spannungen werden nicht aufgelöst, aber durch immer feiner verschachtelte Übergänge fruchtbar gemacht für das theologische Unternehmen, unsere Selbstverständlichkeiten zu irritieren. Das schreibt Barth dem Wirken des Heiligen Geistes zu. Wenn die immer feineren Verästelungen der biblischen Innenspannungen unsere Selbstverständlichkeiten, unsere „Denkschematismen“ fruchtbar erschüttern, sind wir schon auf dem besten Wege zum biblischen Reden von Gott. 1.2  Biblische oder philosophische Begründung? Es fällt auf, dass Barth die „Wurzel der Trinitätslehre“ nicht aus dem biblischen Zeugnis allein, sondern zugleich aus der Analyse des Begriffs „Selbstoffenbarung“ gewinnt. Sind die biblischen Exkurse nur zweitrangig? Die Dialektik von Enthüllung und Verhüllung kann teilweise semantisch nachgezeichnet werden. Welchen zusätzlichen Erkenntnisgewinn vermitteln die biblischen Exkurse? Man könnte auf dem Hintergrund der bisherigen Befunde immerhin sagen: Die Semantik von Enthüllung, Verhüllung und Selbstmitteilung kann zwar im Voraus erörtert werden – ganz zu schweigen von solchen Harmlosigkeiten wie „Offenbarer – Offenbarung – Offenbarsein“ –, wird aber charakteristisch profiliert erst im Zusammenhang der biblische Analysen. Insofern führt Barth hier zum ersten Mal in der Kirchlichen Dogmatik vor, welche Methode ihm vorschwebt: Wir können biblische Texte nicht auslegen, ohne unsere „Denkschematismen“ ins Spiel zu bringen. Es kommt aber darauf an, solche Vorurteile explizit zu machen. Letztlich sollen sie durchsichtig werden für die biblische Denkform: die Ausrichtung auf die Begegnung mit Gott und das doxologische Reden von Gott. Daher können umgekehrt unsere „Denkschematismen“ in Dienst genommen werden, um Linien im biblischen Zeugnis zu entdecken und

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nachzuzeichnen. Das zeigt sich an der vergleichsweise anspruchslosen semantischen Struktur von Enthüllung, Verhüllung und Selbstmitteilung. Sie erweist sich vom biblischen Zeugnis her als überraschend verwickelt. Die Einheit von göttlicher Selbstenthüllung und Verhüllung ist stets eine höchst spannungsreiche „story“, die in ihrer Fremdheit nicht aufzulösen ist und dadurch unsere Erfahrung effektiver irritiert und provoziert als eine Reduktion des biblischen Zeugnisses auf nicht­narrative Grundstrukturen. So kann die kirchliche Verkündigung niemals die in gegensätzlichen Verwicklungen strukturierten „stories“ erschöpfend zur Sprache bringen, die immer wieder in andere „stories“ eingreifen und übergehen. So zeichnet sich auch in unserem Gegenüber zur biblischen Geschichte eben jene Dialektik von Nähe und Unverfügbarkeit ab, deren Einheit niemals erschöpfend auf den Begriff zu bringen und eben deshalb offen ist für immer neue Situationen. Kurz: Die dreifache Struktur der Selbstoffenbarung Gottes im biblischen Offenbarungszeugnis wird gleichsam „gedreht“ und beschreibt nun unsere Begegnung mit dem Offenbarungszeugnis. Die Wurzel der Trinitätslehre ist demnach zu beschreiben als semantische Struktur – insofern durchaus als Analyse des Begriffs „Selbstoffenbarung“ –, die allerdings an der entscheidenden Stelle offen bleibt: angewiesen auf die Selbstauslegung der biblischen Texte (1), die unsere Erfahrung provozieren (2) und dabei in fruchtbarer Weise zu potenzierten Lesarten vertieft werden (3). Insofern ist die Trinitätslehre eine theoretische Struktur, die stets auf die biblischen Texte hinweist und erst von ihnen her zum charakteristischen Grundzug für das Reden von Gott wird. Sie ist zu vergleichen mit den unverkennbaren Linien eines Gesichts, die ohne das Gesicht schlicht nichtssagend wären. Sie ist überdies in ihrer Anwendung kontingent, nämlich abhängig davon, dass ein biblischer Text sich auf dem Hintergrund der dialektischen Struktur erschließt – oder eben nicht. Sie sorgt aber umgekehrt dafür, dass biblische Texte in bestimmter Weise in unsere Erfahrung eingreifen: indem sie nämlich unsere Selbstverständlichkeiten über die Wirklichkeit ebenso irritieren wie das in der Begegnung mit Jesus Christus für die Offenbarungszeugen der Fall war. Die theoretische Struktur ist also zunächst eine hermeneutische Struktur.

2.  Die Funktion der immanenten Trinitätslehre Wie verhält sich auf diesem Hintergrund die „ökonomische“ zur „immanenten“ Trinitätslehre? Barth entfaltet die Offenbarung als „Wurzel der Trinitätslehre“ und führt erst in § 9 die klassische Trinitätslehre aus. Er spricht in diesem Zusammenhang auch von Gott „zuvor in sich selber“ (in den Leitsätzen zu den §§ 10–12). Das ist insofern verfänglich, als hier die Grenze zur Spekulation

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sehr leicht überschritten werden kann. Das positive Interesse liegt an anderer Stelle: Es geht darum, das Wesen Gottes vom Wirken Gottes zu unterscheiden, die Freiheit Gottes gegenüber der Welt zu betonen, das unauflösliche Du Gottes in der Differenz zu den drei Aspekten von Offenbarungsherrschaft zur Sprache zu bringen. Das darf nicht durch den schlichten Verweis auf Gottes einfaches „Ich“ – „hinter“ den drei Formen seiner Offenbarungsherrschaft – erledigt werden. Dann wäre nicht mehr von der Selbst-offenbarung Gottes die Rede. Die Unbegreiflichkeit Gottes muss vielmehr gerade in seiner Offenbarung zur Geltung kommen, wenn in der Unterscheidung ineinander übergehender Hypostasen das menschliche Begreifen gleichsam ins Gleiten gerät. Dieser Ansatz wird von Barth systematisch ausgebaut. Was immer von „Gott zuvor in sich selber“ zu sagen sein mag, steckt im zweiten Schlüsselbegriff der Offenbarungstrinität: Gott ist wesentlich unenthüllbar. Nun hat sich aber gezeigt, dass auch und gerade diese Unenthüllbarkeit immer auch als Unerschöpflichkeit und als Ursprünglichkeit, also dreifach ausgesagt werden muss. Die systematische Entfaltung bei Barth erschließt noch eine andere Möglichkeit, die in § 9 weitergeführt wird: Gottes Wesen unterscheidet sich von Gottes Wirken, wie sich die in unzähligen Varianten wiederkehrende dreifache Verknotung oder Verwicklung als Grundmuster zu diesen Varianten verhält. Es geht dabei nicht einfach nur um eine immer weitere Verschachtelung und Multiplikation, sondern darum, dass stets auch eine dieser Verschachtelungen das Grundmuster repräsentieren kann, also gewissermaßen „quer“ oder „diagonal“ zu beschreiben ist. Das erste Beispiel ist uns soeben begegnet: Die Selbstmitteilung Gottes umgreift auch jenes sprachliche Geschehen, wo das biblische Zeugnis insgesamt die kirchliche Verkündigung ergreift und durchdringt. Die antimodalistische Pointe der immanenten Trinitätslehre führt dazu, dass zwar dem Vater die Unenthüllbarkeit appropriiert wird, aber immer schon in einer narrativen Entfaltung des Begriffs „Unenthüllbarkeit“, die sogleich auf die beiden anderen Schlüsselbegriffe bezogen ist, also in Gestalt einer immanenten Trinitätslehre, die auf die unerschöpfliche Vielfalt ökonomischer Trinitäten in der Spannung von kirchlicher Verkündigung und biblischem Zeugnis zielt. Es gibt daher keine immanente Trinität ohne ökonomische Trinität. Die Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes wäre insofern auch dem Geist Gottes zu appropriieren, nämlich als unabsehbare Entfaltung von Offenbarungstrinitäten in den unzähligen Lesarten des biblischen Zeugnisses. Schließlich wäre zu fragen, inwiefern auch dem Sohn die Einheit Gottes – die äußerste Verdichtung der göttlichen Gegenwart – zu appropriieren ist. So kann die Personalität – das göttliche „Du“ – in dreifacher Weise zur Sprache kommen. Damit ist bereits die Ebene der immanenten Trinitätslehre erreicht. Hier wäre eine wichtige Unterscheidung einzuführen. Im Sinne Barths handelt es

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sich bei der immanenten Trinitätslehre um eine strukturelle, nicht um eine propositionale Trinitätslehre. 2.1  Strukturelle Trinitätslehre Barth spricht in § 9 von immer wiederkehrenden Mustern und führt sie auf die semantische Struktur „Offenbarung“ zurück. [N]ur weil es eine Verhüllung Gottes gibt, kann es eine Enthüllung, und nur indem es Verhüllung und Enthüllung Gottes gibt, kann es eine Selbstmitteilung Gottes geben. […] [N]icht aus den inhaltlichen Verschiedenheiten dieser und ähnlicher Begriffsternare sind die realen Seinsweisen in Gott ablesbar. Denn Alles, was hier inhaltlich verschieden ist, muß als in seiner Verschiedenheit in der Einheit des göttlichen Wesens wieder aufgehoben gedacht werden. Wohl aber sind sie ablesbar aus den regelmäßig wiederkehrenden Verhältnissen der jeweils drei Begriffe untereinander, wie sie am einfachsten zwischen den Begriffen Vater, Sohn und Geist selber stattfinden (KD I/1, 383 f.).

Beides will beachtet sein: Es ist nicht allein die Struktur, sondern auch die Tatsache, dass sie immer wieder anders aufzufinden ist und regelmäßig wiederkehrt. So unterscheidet sie sich von allen einzelnen biblischen Beispielen für die Offenbarungstrinität. Insofern kann man sagen, dass es sich um eine nicht mehr konkret biblische, sondern um eine immanente Trinität handelt. So kann die Differenz zwischen der dreifachen ökonomischen Selbstentfaltung Gottes und der geheimnisvollen unergründlichen Einheit zum Ausdruck gebracht werden als Differenz zwischen unterschiedlichen, nicht aufeinander zu reduzierenden Ereignissen der dreifachen Selbstentfaltung Gottes. Wenn wir vom biblisch bezeugten Gott stets nur, aber immer wieder anders dreifach reden können, so muss die dreifache Struktur für diesen Gott wesentlich sein. Die Grammatik des Redens von Gott zeichnet die notwendigen Züge, das göttliche Wesen nach. Die Einheit Gottes wird von Barth formuliert als repetitio aeternitatis in aeternitate. Der Ansatz einer dreifachen Wiederholung konturiert die spezifisch göttliche Einheit und unterscheidet sie von einer abstrakten Einzelheit oder Einsamkeit. Gott muss nicht mit irgendetwas anderem verglichen werden, um daraus eine relative Einheit abzuleiten, weil Gott sich als Paradigma von Einheit aufdrängt. Solch eine Einheit ist nicht-abstrakt – und notwendigerweise nicht ohne innere Entfaltung. Der von Barth bevorzugte Begriff „Seinsweise“ – anstelle von „Person“ – hat dabei gelegentlich zum Modalismusverdacht geführt. Das ist absurd, weil ohne eine nuancierte Bestimmung des Begriffs „Person“ der Tritheismus gar nicht zu vermeiden ist. Es geht Barth darum, den Begegnungscharakter der Offenbarung hervorzuheben. Die Frage bleibt aber: Geht es um Begegnungen ursprünglich unabhängiger Personen oder um eine perichoretische Durchdringung, die Personen überhaupt erst zum Gegenüber befreit? Und wie kann ein

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Gegenüber von Personen so beschrieben werden, dass nicht einfach wesentlich unabhängige Relata einander konfrontiert werden? Nehmen wir den Personenbegriff auf, so ergibt sich zumindest ein charakteristischer Unterschied zur klassischen Definition des Boethius: Bei einer naturae rationabilis individua substantia gilt es, ein principium individuationis anzugeben. Für die göttlichen Personen wäre dann geltend zu machen, dass sie in charakteristischer Weise ineinander übergehen. Daher muss der Begriff „Person“ innerhalb der Trinitätslehre sogleich durch den Begriff „Relation“ geklärt werden. Der Modalismusverdacht wird dann ausgeräumt durch den notwendigen Rekurs auf die göttliche Selbstentfaltung – die innergöttlichen Relationen sind nicht anders zur Sprache zu bringen als durch eine Pluralität immer neuer und überraschender Appropriationen. Eine weitere Nuance ergibt sich durch die Begegnung Gottes mit uns. Hier ist es ein göttliches Ich, das uns gegenübertritt. Aber eben dieses göttliche Ich darf wieder nicht nach Maßgabe unserer Zwangsvorstellung einer in sich zentrierten Persönlichkeit modelliert werden. Das eine göttliche Ich wird charakterisiert durch die Geschichte potenzierter dreifacher Selbstentfaltungen des göttlichen Wesens – nicht umgekehrt. 2.2  Propositionale Trinitätslehre Die Gefahr einer immanenten Trinitätslehre ist der Tritheismus, der sich einstellt, wenn die innertrinitarischen Relationen fixiert werden. Mit dem Wort „propositional“ meine ich jene naive Auffassung, wonach Aussagen die entsprechende Wirklichkeit abbilden. Sobald die Relationen nicht mehr im Fluss bleiben – auf diesen Fluss zielt der Begriff „Perichorese“ –, implizieren sie vorgängige Relata. Auch Barth entrinnt einer solchen Trinitätslehre nicht ganz, wie sich besonders eklatant zeigt in der „kryptosubordinatianischen“ Ableitung des Gegenübers von „Mann und Frau“ in KD III/2, aber nuancierter auch in der Frage nach dem Gehorsam des Sohnes Gottes (s. u. 3.). Bereits in den §§ 9 sowie 10–12 irritiert das „Gott zuvor in sich selber“, als sei hier eine Art platonischer Verdopplung eingetreten. Das Interesse einer Tendenz zur propositionalen Trinitätslehre liegt in der Betonung der Gegenständlichkeit Gottes. Nur kann das nicht bedeuten, Gott sei ein Gegenstand im herkömmlichen Sinne. Zu skizzieren ist vielmehr eine Gegenständlichkeit sui generis. Die göttliche Unendlichkeit darf nicht einfach der endlichen Schöpfung entgegengesetzt werden. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Unendlichkeit Gottes sich inmitten der geschöpflichen Wirklichkeit durchsetzt. So ist eine schlechte Unendlichkeit zu unterscheiden von einer „gehaltvollen“, „intensiven“ Unendlichkeit. Die Struktur dieser „Unendlichkeit“ lässt sich aber zusammendrängen in der Antinomie, dass gerade in der geschöpf-

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lichen Wirklichkeit Gott ganz und gar gegenwärtig und dabei niemals verfügbar wird. So kommt es vermutlich auch zu der spezifisch Barthschen Redeweise „gerade indem …“ oder „eben weil …“. Wie kann der Tritheismus bzw. Subordinatianismus vermieden werden, ohne die angemessenen Akzente zu vernachlässigen? Zunächst muss dafür gesorgt werden, dass die Hypostasen wesensgleich bleiben, dass also keine Unterordnung einsetzt. Vor allem geht es ja um die Identität des Entgegengesetzten, um die Selbstenthüllung des unenthüllbaren Gottes, um eine revelatio sub contrario. Hier bricht die Frage auf, wie die Trinitätslehre dem fraglos gegebenen neutestamentlichen Befund gerecht werden soll, dass Jesus in Gethsemane betet und am Kreuz ruft: „warum hast du mich verlassen?“. Demnach ist eine Unterordnung nicht wegzuleugnen. Es kommt aber darauf an, dass gerade diese Gottverlassenheit – der Tiefpunkt des von Barth betonten „Gehorsams“ – in die göttliche Selbstunterscheidung mit aufgenommen wird und die „story“ von der Gottesgegenwart inmitten der Gottesfeindschaft der Geschöpfe strukturiert. Gerade diese radikal „subordinatianischen“ Stellen im Neuen Testament profilieren die Bewegung der göttlichen Relationen. Gerade in der äußersten Gottverlassenheit und Selbstidentifikation mit dem von Gott verlassenen Menschen wird Jesus für die anderen Menschen, die ihn verstoßen und verworfen haben, zum Ort der Gottesgegenwart. So wäre die theologische Logik zu konturieren, dass subordinatianische Figuren im Neuen Testament plötzlich für die wesensgleiche Relation durchsichtig werden. Unter einer Antinomie verstehe ich hier die inmitten einer Entgegensetzung plötzlich aufleuchtende Identität. Solche Identität muss aber entdeckt, sie kann niemals logisch reproduziert werden, weil sie eben im Kontext einer unumkehrbaren Geschichte steht. Das muss vor allem auch betont werden, weil sonst die dritte Hypostase unklar wird. Hier kommt eben die Geschichtlichkeit ins Spiel. Im Kontext einer unumkehrbaren Geschichte können plötzlich Identitäten entdeckt werden (Ödipus!), die nicht trivial sind, nachdem sie entdeckt wurden. Im Rahmen solcher Unerschöpflichkeit kann aber wieder verständlich werden, daß das Gegenüber Gottes zu den Geschöpfen nicht durch eine simple Entgegensetzung zu artikulieren ist, sondern nur durch ein immer noch sich vertiefendes Geheimnis. Der Subordinatianismusverdacht wird dann korrigiert durch den Satz „opera trinitatis ad extra sunt indivisa“ – die asymmetrischen und auf den ersten Blick subordinatianischen Identifikationen werden letztlich durchsichtig für die innergöttliche Einheit und zeichnen darin die Perichorese nach. Ein Ternar von Appropriationen wird transparent von einem Einheitspunkt aus, der natürlich sogleich wieder in andere Appropriationen auseinanderzulegen ist. Die Transparenz setzt ihrerseits die Entfaltung der biblischen „story“ voraus, die Schritt

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für Schritt einen Fluchtpunkt erkennen lässt, wo der Eine Gott uns begegnet. Es geht beim „homo-usios“ im strengen Sinne um Wesensidentität – allerdings um eine unumkehrbare Identität, sofern die dreimalige Wiederholung der Einheit Gottes jeweils charakteristisch profiliert ist. So kann man auch das Recht der Wesensgleichheit betonen. 2.3  Pluralität ökonomischer Trinitäten Dreiheit in der Einheit und Einheit in der Dreiheit können nicht auf einen Begriff gebracht werden. Das ist theologisch genau die angemessene Situation. Vielmehr: „In der Bewegung dieser beiden Gedanken besteht der Vollzug des Begriffs der Dreieinigkeit“ (KD I/1, 389). Diese Bewegung ist komplexer als es auf den ersten Blick scheinen mag: Der Rhythmus von Relationen und appropriativer Entfaltung bis hin zu asymmetrischen Identifikationen einerseits (Dreiheit in der Einheit) und Entdeckung einer unumkehrbaren Identität im opus indivisum, die für einen Fluchtpunkt hin durchsichtig wird und auf die innergöttliche Perichorese hinweist (Einheit in der Dreiheit) – dieser Rhythmus ist zugleich die Verflechtung von kirchlicher Verkündigung und biblischer „story“, wo schließlich die biblische „story“ unsere Wirklichkeitswahrnehmung irritiert und neu prägt. Der Wendepunkt, wo wir in das doxologische Reden von Gott einstimmen können: dieser Punkt ist die immanente Trinitätslehre. An diesem Punkt dürfen wir von Gott in einer Weise reden, die sich unserer Verfügung entzieht. So lassen sich die schwierigen Erörterungen deuten, die zwischen Wesen und Wirken Gottes einen Unterschied behaupten, ohne diesen Unterschied noch akzentuieren zu können: Gottes Wirken ist freilich das Wirken des ganzen Wesens Gottes. Gott gibt sich dem Menschen ganz in seiner Offenbarung. Aber nicht so, daß er sich dem Menschen gefangen gäbe. Er bleibt frei, indem er wirkt, indem er sich gibt (KD I/1, 391).

Gerade weil Gott sich ganz hingibt, können wir dieses uns hingegebene Wesen Gottes niemals fassen – wohl aber ergreift uns das göttliche Wirken und hebt uns über unsere Begreiflichkeit hinaus. 2.3.1  Relationale Logik

Das Problem einer trinitarischen Logik besteht darin, dass die Relationen ohne vorgängige Relata gedacht werden, sich vielmehr erst aus der Relation ergeben sollen. Zumindest müssten sie im Zuge der entfalteten Relation als eigenständige Größen verschwinden. Daher die Grundthese: Die drei „Seinsweisen“ sind charakteristisch darin unterschieden, dass sie auf je eigentümliche Weise ineinander verschwinden. Anders ist die verschärfte These nicht zu verstehen, wonach

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die Relationen mit den Hypostasen identisch sind: Die Ursprungsbeziehungen besagen, „weil die Seinsweisen ja identisch sind mit den Ursprungsbeziehungen, eine vollständige Teilnahme jeder Seinsweise an den anderen Seinsweisen“ (KD I/1, 390). Aus dieser Perichorese ergibt sich, dass sogar noch die Rede von „Ursprungsbeziehungen“ zu relativieren ist. Immerhin aber besteht eine Analogie zwischen den Begriffen Vater, Sohn und Geist und den verschiedenen anderen Formulierungen jener Trias in der Offenbarung einerseits [!] und andererseits den drei in den verschiedenen Ursprungsbeziehungen [wobei wir nicht verstehen, was wir damit ausdrücken dürfen!] bestehenden göttlichen Seinsweisen, in denen wir die wahrlich unbegreiflichen ewigen Unterschiede in Gott erkannt haben. In diesen nicht wie die angeblichen vestigia trinitatis in der Welt vorhandenen, sondern durch die Offenbarung in der Welt auf gerichteten Analogien, durch die uns das Geheimnis nicht etwa ausgeliefert und aufgelöst, wohl aber bezeichnet, und zwar gerade als Geheimnis bezeichnet wird, haben wir die uns zugemessene und angemessene Wahrheit der Dreieinigkeit (KD I/1, 393).

Diese Analogie dürfte das Grundmodell für die Lehre von der analogia fidei überhaupt sein. An diesem Maßstab sind allerdings die teilweise eher problematischen Analogien zu beurteilen, die Barth vor allem in der Schöpfungslehre doch wieder aufgreift. Jedenfalls ist deutlich: Die analogia fidei unterscheidet sich von der analogia entis durch die Fruchtbarkeit für trinitarische Appropriationen. Und die Appropriationen sind wiederum zu messen am Satz „opera trinitatis ad extra sunt indivisa“: Sie müssen innerhalb der geschöpflichen Wirklichkeit jeweils in überraschender Weise für die geheimnisvolle Einheit des göttlichen Offenbarungshandelns durchsichtig sein. Auf den ersten Blick gibt es durchaus subordinatianische Strukturen im biblischen Zeugnis, vor allem die Unterordnung Jesu unter den Vater, die Identifikation des Vaters mit dem Sohn. Es kommt darauf an, im Verlauf der immer deutlicher konturierten biblischen „stories“ diese Identifikation zu verwandeln, transparent zu machen für eine andere Struktur: die unumkehrbare Identität der Personen. Die Identifikationen sind das Rohmaterial für die Erzählung der biblischen „storie(s)“. Wie aber kann eine asymmetrische Identifikation durchsichtig gemacht werden für eine unumkehrbare Identität? 2.3.2  Die fraktale Gestaltung der biblischen „story“

Das Problem lässt sich vermutlich einer Lösung entgegenführen, sobald die Komplexität der biblischen Texte berücksichtigt wird. Die asymmetrischen Identifikationen hängen nämlich untereinander zusammen und bilden ein Netz, wo immer deutlicher die unumkehrbare Identität von Gottes Selbstenthüllung und Gottes Geheimnis hervortritt – eben durch die Vernetzung asymmetrischer Identifikationen. Die Beschreibung dieser Vernetzung führt auf eine andere Beobachtung: Die ökonomischen Trinitäten werden auf sich selber abgebildet

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(s. o. 1.). Sie bilden eine fraktale Struktur. Als „fraktal“ wird eine Figur bezeichnet, die bei genauerem Hinsehen aus Elementen besteht, die in verkleinertem Maßstab mit ebendieser Figur identisch sind. Man stelle sich eine Spirale vor, die aus einer gebogenen Spirale besteht, die aus einer gebogenen Spirale besteht usw. Die fraktale repetitio aeternitatis in aeternitate bedeutet bei Barth: Gott ist dreimal anders, und zwar dreimal anders dreieinig. Damit ist ein erster Lösungsansatz für das eben formulierte Problem gegeben, denn die drei „Seinsweisen“ sind nicht aufeinander zu reduzieren und somit nicht austauschbar. Sie sind aber auch nicht voneinander zu trennen, weil ihre Pointe gerade darin besteht, wechselseitig füreinander durchsichtig zu werden. Die fraktale Potenzierung – nach der Formel 3n – ist allerdings kein Selbstzweck. Sie ermöglicht vielmehr die zunehmende Verdichtung der biblischen Erzählung einschließlich ihrer vieldeutigen Lesarten. So kann die Identifikation Gottes mit dem Volk Israel immer subtiler charakterisiert werden und mündet schließlich in die Identifikation Gottes mit Jesus von Nazareth. Wie kommt es aber von der immer dichteren Vernetzung solcher Identifikationen zu einer Identität? Hier darf wieder der andere Aspekt nicht vernachlässigt werden: Es handelt sich um Identifikationen über einen Gegensatz hinweg. Gott identifiziert sich ja mit jenem Menschen, der sich mit den sündigen Menschen identifiziert hat und darin als einziger sündlos ist. Solche Netze in der biblischen „story“ machen in Barths Argumentation auf der einen Seite die biblischen Zusammenhänge immer rätselhafter, aber auch immer charakteristischer, bis sie plötzlich überraschend unsere Erfahrung ergreifen, unsere Selbstverständlichkeiten irritieren, kurz: unsere Situation umgreifen. Darin zeichnet sich eine Analogie zur biblisch bezeugten Begegnung des Gotteswortes mit menschlichen Personen ab. Insofern kann Barth mit Recht sagen, die dreifache Gestalt des Wortes Gottes sei ein wahrhaftes vestigium trinitatis. Die schriftliche Gestalt des Offenbarungszeugnisses wird uns in ihrer Komplexität zur Provokation, gerade als Offenbarungszeugnis wird die Schrift ein unverrechenbares Gegenüber und zeigt im Augenblick der Verkündigung stets auch, dass Offenbarung wesentlich der Unenthüllbarkeit Gottes entspringt. Antinomien sind somit notwendige Bedingung für doxologisches Reden. Hier wird die Wirklichkeit Gottes erfahrbar und doch nicht verfügbar. Genauer: die Unverfügbarkeit Gottes kommt uns nah. Zugleich wird unser Wirklichkeitsverständnis damit in Frage gestellt. An dieser Stelle kann aufleuchten, was es mit der immanenten Trinitätslehre als Formel für die relationale Logik auf sich hat: Sie erweist Gott mitten in der uns umgreifenden Selbsterschließung Gottes als immer noch unerschöpflicheren Urgrund. „Die Trinitätslehre sagt […], daß und inwiefern der, der sich nach dem Zeugnis der Schrift Menschen offenbart, unser Gott, daß und inwiefern er unser Gott sein kann“ (KD I/1, 403).

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Der Sinn der Trinitätslehre liegt in der Abweisung des Subordinatianismus und des Modalismus darin, eine Objektivierung Gottes im Sinne einer verfügbaren Gegenständlichkeit abzuweisen. Das ist der Fall, wenn die Offenbarung von Gott unterschieden wird, indem entweder die Kontinuität (subordinatianisch) betont oder die letzte Distanz (modalistisch) behauptet wird. Eine Vermittlung durch halbgöttliche Instanzen könnte immer auch dazu führen, dass solche Instanzen in unser Wirklichkeitsverständnis eingeordnet werden. Es kommt aber darauf an, dass unser Wirklichkeitsverständnis aufgebrochen wird. Das ist der Fall, wenn in der Offenbarung bzw. in unseren Versuchen, das Offenbarungsereignis mit Appropriationen zu umreißen, unumkehrbare Identitäten aufleuchten. Eine letzte Unterscheidung des göttlichen Subjekts „hinter“ der Offenbarung müsste immer auch dazu führen, dass wir dieses Subjekt nach Maßgabe unseres „Ich“ als zentrierte letzte Wirklichkeit denken und unser transzendentales Subjekt diesem transzendentalen Ideal konfrontieren. Es kommt aber darauf an, dass unser Selbstverständnis aufgebrochen wird. Das ist der Fall, wenn in der Offenbarung unsere menschliche Personalität umgriffen wird von der göttlichen Personalität in ihren unumkehrbaren Identitäten.

3.  Die Trinitätslehre als Grammatik der Versöhnungslehre Der entscheidende Übergang von der asymmetrischen Identifikation zur unumkehrbaren Identität lässt sich exemplarisch vertiefen durch einige Überlegungen zum Begriff „Gehorsam“ im Rahmen der Versöhnungslehre. Die drei ersten Teile von KD IV sind trinitarisch strukturiert in der soeben ausgeführten Verfeinerung: Es geht nicht etwa um Vater, Sohn und Geist, sondern um drei Relationen: (1) des Vaters zum Sohn, (2) des Sohnes zum Geist und (3) zwischen Geist und Vater. Letzteres mag überraschen, soll doch im Mittelpunkt das prophetische Amt Christi stehen. Dennoch: Gerade in KD IV/3 spielt die Frage eine wichtige Rolle, wie sich die Innenperspektive des christlichen Redens von Gott zu potentiellen Außenperspektiven verhält. Barth geht zwar nicht von seiner Methode ab, bewegt sich aber dezidiert auf der Grenze. Insofern geht es nicht wie in den ersten beiden Teilen um die „story“ Jesu, sondern eher um unsere „story“ im Verhältnis zu den anderen, noch nicht von Jesus Christus erleuchteten Personen. Die drei Relationen sind nicht ohne weiteres gleichzusetzen mit den klassischen „Ursprungsbeziehungen“. Die Trinitätslehre ist komplexer: Die Ursprungsbeziehungen zeichnen das Geflecht der asymmetrischen Identifikationen nach, die in unverfügbarer Weise für eine unumkehrbare Identität durchsichtig werden. Aus dieser Identität ergibt sich jene andere Struktur, in der die Einheit Gottes dreimal anders als dreieinig aufleuchtet. Dabei wird jede der drei Seinsweisen

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in je charakteristischer Weise zum Ausgangspunkt für ein gleichsam gleitendes Reden von Gott im Übergang zu den beiden anderen Seinsweisen. Man könnte auch sagen: sie „verschwindet“ in der Relation der beiden andern. Der erste Teil der Versöhnungslehre konzentriert sich auf das Gegenüber von Vater und Sohn. Es kann im Sinne von § 8,2 nur „geistreich“ zur Sprache gebracht werden, denn: Wahrheit ereignet sich in einer Geschichte (vgl. KD IV/1, 171). Alle dogmatischen Entscheidungen müssen sich daran messen lassen, ob sie die „story“ profilieren und konturieren – oder durch unzulässige Abstraktionen glätten. Und nur eine profilierte, ja provokative und anstößige Erzählung wird auch uns ergreifen, sodass in der Geschichte von Jesus Christus letztlich die Geschichte Jesu Christi zum Ziel kommt. Die Überschrift des § 59 – „Der Gehorsam des Sohnes Gottes“ – verdichtet diese Anstößigkeit im Begriff „Gehorsam“. Es geht natürlich zunächst um Phil 2,8. Insofern ist gegen den Begriff nichts einzuwenden. Eine wichtige methodologische Grundentscheidung zeichnet sich ab, wenn Barth zunächst die Besonderheit dieser menschlichen Existenz immer schärfer hervorhebt. Es geht nicht um einen abstrakten Menschen, sondern um eine höchst konkrete „story“ auf dem Hintergrund des Alten Testaments. Diese Verklammerung „stört die Abrundung des Bildes Jesu in irgend ein Idealbild menschlicher Existenz“ (KD IV/1, 183). Allerdings kommt damit sogleich ins Spiel, dass es sich um eine Passionsgeschichte handelt. Sie muss erzählt werden als Weg Gottes in die Fremde. Dieses Wort wird auf dem Hintergrund des alttestamentlichen Zeugnisses profiliert. Der Weg des Gottessohnes in die Fremde setzt die Geschichte Gottes mit Israel voraus, weil der von Gott erwählte Mensch, der Gegenstand der göttlichen Gnade, ihrer in keiner Weise würdig ist, sondern sich gerade laut dessen, was wir über das Volk Israel und seine Könige zu erfahren bekommen, als ein Übertreter des ihm mit seiner Erwählung auferlegten Gesetzes, als ein Feind des ihm zugewendeten und offenbarten Willens Gottes betätigt und erweist (KD IV/1, 186).

Dies ist der unentbehrliche Hintergrund, auf dem sich erst abzeichnen kann, was mit „Gehorsam“ gemeint ist: der durch das Wort „Entäußerung“ (Phil 2,7) markierte Weg Gottes. Das führt zu einer weiteren methodologischen Einsicht: Die „story“ Israels ist der unentbehrliche Kontext der „story“ Jesu – daran wird erkennbar, „daß es dem einen wahren Gott, den es [das Neue Testament] in dem Menschen Jesus auf dem Plan sieht, wesentlich und notwendig ist, gerade so zu handeln und offenbar zu sein“ (KD IV/1, 192). Die Wesensbestimmungen Gottes werden demnach vorgenommen durch eine immer fortschreitende Ausprägung. In dieser „story“ zeichnet sich der Charakter Gottes ab: eine geschichtliche Gestalt, die nicht vom Wesen Gottes unterschieden werden darf. So spitzt sich im Christusgeschehen

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tatsächlich nach Hebr 1,3 der „Charakter der Hypostase“ Gottes zu. Der Weg des Gottessohnes in die Fremde könnte überspitzt als Widerspruch Gottes gegen Gott aufgefasst werden. Dazu bemerkt Barth: „In Ihm ist kein Paradox, keine Antinomie, kein Zwiespalt, keine Untreue sich selbst gegenüber, keine Möglichkeit dazu.“ Die Inkarnation widerspricht nicht dem göttlichen Sein. „Es beruht auf einem zu engen, auf einem willkürlichen, menschlich-allzumenschlich geformten Gottesbegriff, wenn man der Meinung ist, daß Solches mit der göttlichen Natur unvereinbar sei“ (KD IV/1, 203). Wir müssen eben an der biblischen „story“ unsere Vorstellungen von Gott korrigieren. Diese Bemerkung widerspricht auf den ersten Blick dem bisher präzisierten Begriff „Antinomie“. Es kommt tatsächlich darauf an, dass nicht einfach Paradoxien aufgetürmt werden. Vielmehr zeigt sich die theologische Fruchtbarkeit scheinbar paradoxer Begriffsverklammerungen darin, dass sie eine Bewegung umreißen, die nicht auf den Begriff zu bringen, aber doch: auf charakteristische und inklusive Weise nicht schlüssig ist. Diese Bewegung wurde in § 8,2 dem Wirken des Heiligen Geistes appropriiert. Barth spitzt allerdings seine Überlegungen auf den tendenziell subordinatianischen Begriff „Gehorsam“ zu: Ist nun Gott in Christus, ist das, was der Mensch Jesus tut, zugleich Gottes eigenes Werk, dann kann auch dieser Charakter der Selbstentäußerung und Selbsterniedrigung Jesu Christi als ein Akt des Gehorsams Gott selbst nicht fremd sein. Sondern dann haben wir darin die andere, die innere Seite des Geheimnisses der göttlichen Natur Christi und also der Natur des einen wahren Gottes zu erkennen: daß er selbst auch dessen fähig, auch dazu frei ist, Gehorsam zu leisten (KD IV/1, 211).

Dass sich im Gehorsam Jesu Christi bis zum Kreuzestod (Phil 2,8) das Geheimnis Gottes charakteristisch abzeichnet, ist ein wichtiger Aspekt. Wichtig ist auch das Argument, dass mit dem Begriff „Gehorsam“ die Entäußerung von einem bloßen Zufallsgeschehen abzugrenzen ist (vgl. KD IV/1, 212). Da Barth aber durch die immer differenziertere Entfaltung der Geschichte Israels diese Abgrenzung bereits vorgenommen hat, könnte man sich fragen, ob die unmittelbare Übertragung des Begriffs „Gehorsam“ auf innertrinitarische Relationen nicht nur ein problematischer Rückfall in eine propositionale Trinitätslehre sondern auch entbehrlich sein mag. Das Problem liegt in der subordinatianischen Tendenz der vielleicht allzu schlichten Analogie: „Gehorsam“ ist keine geeignete immanent-trinitarische Kategorie, weil hier die relationale Logik verlassen wird. „Gehorsam“ ist eine Relation im herkömmlichen Sinne, die zwei Relata voraussetzt. Das Wahrheitsmoment liegt in der Identifikationsstruktur. Tatsächlich identifiziert sich Gott mit dem toten Jesus von Nazareth. Und tatsächlich identifiziert Gott in dieser Person sich mit den ihm entgegengesetzten sündigen Menschen. Es kommt demnach zunächst zu einer asymmetrischen Reziprozität, die allerdings erst

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dann recht theologisch erkannt wird, wenn sie sich zur unumkehrbaren Identität wandelt! Das ist wohl auch Barths Interesse, denn er will sich gerade mit der innertrinitarischen Relation „Gehorsam“ vom Subordinatianismus abgrenzen, der den Gehorsam einem nicht im strengen Sinne göttlichen Wesen zuschreibt, und vom Modalismus, der einen uneigentlichen Gehorsam annimmt. Gleichwohl muss gefragt werden: Wie kann die Provokation unserer Gottesvorstellungen durch solchen Gehorsam ihrerseits wieder unterschieden werden von einer unreflektierten Übertragung unserer Vorstellungen des Begriffs „Gehorsam“ auf Gott? Die steile These lautet: Gerade das Anstößige, daß es in Gott selbst ein Oben und ein Unten, ein Prius und ein Posterius, Vor- und Nachordnung geben soll, darf nicht nur nicht geleugnet, muß vielmehr als dem Sein Gottes wesentlich bejaht und verstanden werden. […] Der eine Gott ist durch seine Einheit offenbar nicht verhindert, seine göttliche Einheit besteht vielmehr darin, in sich selbst als der, dem da gehorcht wird, Einer und als der, der da gehorcht, ein Anderer zu sein (KD IV/1, 219).

Ist das nicht tendenziell tritheistisch? Wird hier nicht der Übergang von der ökonomisch fraglos vorhandenen Unterordnung Jesu zur immanent-trinitarischen Relation allzu schlicht vollzogen – und zwar: gegen die in § 9 eingeschärfte Unterscheidung? Barth verweist mit Recht darauf, dass gerade die unüberbietbare Differenz zwischen Gott und der Welt nicht etwa subtraktiv vollzogen werden darf. Diese Differenz liegt gerade darin, dass Gott die Differenz bereits in sich hat, auch ohne die Schöpfung (vgl. KD IV/1, 220). Völlig korrekt und gerade im Sinne von § 9 ist das Argument, wonach die Voraussetzung einer immer nur fürsichseienden Einheit eine Zwangsvorstellung ist. Die Einheit Gottes unterscheidet sich eben durch ihre innere Differenzierung von allem, was wir für Einheit halten (vgl. KD IV/1, 221). Und diese innere Differenzierung kann Barth als Zusammenhang, Spiel und Geschichte kennzeichnen. In diesem Kontext ist es unverzichtbar, dass die Geschichte Gottes einen Tiefpunkt erreicht, nämlich das Gebet in Gethsemane und den Schrei am Kreuz. Allerdings: Muss nicht gerade das ganz andere Anderssein Gottes gewahrt bleiben? Wird nicht die nicht-subtraktive Unterscheidung durch eine Verdoppelung innergeschöpflicher Hierarchien eher vermieden als insgeheim wieder eingeführt? Barth kritisiert auch die andere Zwangsvorstellung: Muß Nach- und Unterordnung auch in Gott eine Inferiorität und also ein Entbehren, einen Mangel bedeuten? Warum nicht vielmehr ein besonderes Sein in der Herrlichkeit der einen gleichen Gottheit, in deren innerer Ordnung nun eben auch diese Dimension, die Richtung nach unten wahr und wirklich ist und ihre höchste Würde hat? Warum sollte nicht im Licht der Homousie der göttlichen Seinsweisen umgekehrt unsere Vorstellungsweise von einer geringeren Würde und Bedeutung dessen, der (wie z. B. die Frau neben dem Mann! [sic!]) an zweiter Stelle, in der Nachordnung steht, der Korrektur gar sehr bedürftig sein (KD IV/1, 221)?

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Es bleibt dabei: die Homousie verträgt sehr wohl die – logisch bereits anstößige! – unumkehrbare Ordnung. Warum aber besteht Barth auf einer Unterordnung? Zumal er selbst den Knoten viel interessanter schürzt: Gleich darauf verweist er auf die dreimalige Wiederholung der immer ganzen Gottheit: Gott ist vermöge der dritten Hypostase in jeder der beiden ersten der ganze Gott, er ist es aber wieder vermöge dieser dritten Seinsweise in keiner für sich und gelöst von der anderen, sondern in jeder in ihrer Beziehung zu der anderen und also faktisch in der Totalität, im Zusammenhang, im Spiel, in der Geschichte dieser Beziehungen (KD IV/1, 222).

Gerade dieser Gott ist der lebendige Gott, kein Hirngespinst. Wenn es um die Wiederholung Gottes geht – wie kann dann überhaupt von einem innergöttlichen „Gehorsam“ die Rede sein? Und wenn dieser Gehorsam etwas ganz anderes sein soll – warum nennen wir es dann noch „Gehorsam“? Hier scheint die Analogie doch arg äquivok. Das Bild ändert sich, sobald wir genauer betrachten, wie der Gehorsam des Sohnes profiliert wird. In seinem Gehorsam ist Jesus Christus „der allen Menschen gegenüber so ganz Andere […] mitten unter ihnen der, der ihnen gegenüber auf der Seite Gottes steht, in seiner menschlichen Person das vom Himmel auf die Erde gekommene Reich Gottes“ (KD IV/1, 227), also: die Gegenwart der Gottesherrschaft. Insofern müssen wir schlicht sagen: Der Gehorsam Gottes erhält seine charakteristische Pointe von der Gottesfeindschaft des Menschen her. Auf diesem Hintergrund wird der Gehorsam Jesu Christi zu einem göttlichen Prädikat: Das Gegenbild, die Entsprechung der Herrschaft Gottes, in der er sie unter uns, zu unserem Heil, zur Versöhnung der Welt mit Gott aufgerichtet und offenbart hat, ist aber eben sein in Demut gelebter Gehorsam. […] Eben darin unterscheidet er sich von allen Kreaturen des Himmels und der Erde (KD IV/1, 228).

Das bedeutet aber: Nur im Kontext der Jesus-„story“ kann deutlich werden, wie das Prädikat „Gehorsam“ zur zweiten göttlichen Seinsweise passt. Hier muss, was Barth ja faktisch auch tut, ein Weg nachgezeichnet werden. Dann kommt es zu weiteren Differenzierungen: Gerade der Sohn ist der „durch sich selbst gesetzte Gott“ (KD IV/1, 229) – wo soll nun eine Unterordnung ansetzen? –, wie der Vater als Ursprung nicht sein kann ohne den durch ihn gesetzten Gott, sofern Gott nur durch sich selbst gesetzt sein kann. Ist aber diese schon bei Calvin (vgl. Inst. I, 13,25) zu findende Formel – Gott ist allein aus Gott – nicht geeigneter, die göttliche Differenzierung auszudrücken? Gottesgegenwart in der Demut des Gottessohnes ist dadurch längst nicht ausgeschlossen – dafür aber eine vorschnelle Identifikation von Demut überhaupt mit innergöttlichen Relationen. Und schließlich: Barth selbst betont ja, dass auch der Begriff „Sohn“ in der Anwendung auf diesen Sohn „gewissermaßen gesprengt“ (KD IV/1, 230)

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wird. Müsste aber nicht die immanente Trinitätslehre gerade diesen Übergang ins doxologische Reden nachzeichnen? Viellicht wäre zugespitzt zu sagen: die Entäußerung im Sinne von Phil 2 gehört zum innersten Wesen Gottes; sie beschreibt aber die Relation der ersten beiden Hypostasen und impliziert noch kein Unterordnungsverhältnis, wenngleich den Gegensatz in Gott. „Gehorsam“ ist nur einer der Denkschematismen, die dieses Geheimnis ansatzweise profilieren können. Ob sie es tun, muss sich letztlich darin bewähren, dass sie neue Durchblicke durch das biblische Offenbarungszeugnisse freigeben, die zugleich unser Reden von Gott vertiefen. Barth scheint gelegentlich eine Abkürzung zu wählen, indem er aus der notwendigen Bedingung einer analogia relationis als Ausgangspunkt kurzschlüssig eine hinreichende Bedingung macht. Auf diesem Hintergrund ist vor allem die Schöpfungslehre kritisch zu befragen, ob hier nicht subordinatianische analogiae entis gebildet werden? Methodologisch interessanter ist in diesem Zusammenhang der Gedanke des Personentauschs. Der Abschnitt „Der Richter als der an unserer Stelle Gerichtete“ weist auf solch einen Tausch hin. Der Gedanke solch einer Ausdehnung der communicatio idiomatum setzt aber streng genommen bereits wieder die unumkehrbaren Identifikationen voraus. Sie sind in § 59,2 deshalb unumkehrbar, weil sie zunächst eine unüberbrückbare Konfrontation vertiefen: Gottes Gericht ist darin göttlich, dass Gott den sündigen Menschen richten kann, indem er für den Menschen eintritt (vgl. KD IV/1, 243). Insofern spitzt sich wieder gerade die göttliche Dimension in der Unterordnung Jesu Christi unter den göttlichen Willen zu, sofern hier der Richter an unserer Stelle das Gericht erleidet – also immerhin auch: sofern Jesus Christus eben der Richter ist. Barth arbeitet die Rätselhaftigkeit der synoptischen Jesus-„story“ heraus: Ein schlechthin Überlegener, ja Erhabener, aber auch geradezu erschreckend Einsamer ist nach dieser Darstellung durch die Mitte aller jener Menschen hindurchgegangen und schließlich von ihnen weggegangen, nachdem sie durch ihn in ihrer Verkehrtheit bestätigt, ja eigentlich erst entdeckt, in seinem Licht, konfrontiert mit ihm, erst recht als lauter Blinde, Taube, Lahme, als von Dämonen aller Art Getriebene und Beherrschte, ja als Tote aufgewiesen und offenbart wurden. […] [D]er Herr hat sich im Verlauf und Ergebnis seines Zusammenseins mit ihnen, im Vollzug seiner Verkündigung und seines Werkes und in dessen Erfolg als ihr Richter erwiesen: als der Eine, dem sie alle nicht gewachsen waren (KD IV/1, 247).

Im Kern der „story“ findet aber – eben in der Passionsgeschichte, im Prozess um Jesus – eine „vollkommene Umkehrung und Vertauschung der Rollen“ (KD IV/I, 248) statt. Hier bricht das Gottesgericht tatsächlich ein, aber betroffen ist der eine Unschuldige! Gerade diese äußerst rätselhafte Geschichte, zugespitzt durch den antinomischen Rollentausch, ist aber – das ist die Pointe des Ostergeschehens – „in sich selber und durch sich selber bedeutsam“ (KD IV/1, 249).

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Hier geht es um einen konsequenten Austausch (vgl. KD IV/1, 253): Der Mensch will selber sein Richter sein. An die Stelle dieses hybriden Menschen ist Jesus Christus getreten. Nicht durch ein Verbot, sondern durch eine schlichte Handlung demütigt und bedroht Jesus den Menschen, um ihn vom Krampf der Selbstgerechtigkeit zu befreien und zur Hoffnung zu erwecken (vgl. KD IV/1, 258). Indem Jesus Christus an die Stelle des richtenden Menschen tritt, nimmt er zugleich die Stelle des Sünders ein. Er hebt sich damit von dieser Gesellschaft ab, er tritt ihr damit entgegen, er richtet, er verurteilt sie damit, daß er es auf sich nimmt, der Träger und Vertreter dieser ihrer üblen Sache, für diese haftbar zu sein, sich der Anklage und dem Urteil, das uns in dieser Sache treffen muß, zu stellen (KD IV/1, 259).

So hebt sich wieder die Gottheit Jesu Christi ab. Indem sodann die Erkenntnis dieser einen Person im Glauben stets die radikale Selbsterkenntnis als Sünder hervorruft, kommt eine weitere Dimension ins Spiel: Die biblische „story“ ist verwoben mit der unverwechselbaren „story“ meines oder deines Lebens. Darin tritt gleichsam diagonal eine weitere Identifikation hinzu. Der „Personentausch“ entspricht im Übrigen der Struktur biblischer Theologie, die sich etwa im ersten Teil desselben Paragraphen findet und bereits in § 14 aufzuweisen ist. Die Geschichte Israels ist der unverzichtbare Hintergrund, auf dem sich das Verhältnis Jesu Christi zu uns profilieren lässt. Daraus ergibt sich folgende Struktur: Die immer weiter verfeinerte Potenzierung antinomischer Identifikationen hängt buchstäblich an jenem Geschehen, das ihre Mitte bildet. Von dieser Mitte aus ist dafür gesorgt, dass die vielschichtigen stories niemals „aufgehen“, wobei im Kern die Geschichte Israels und die Geschichte der Kirche niemals spannungslos aufeinander zu reduzieren sind. Diese beiden Geschichten entsprechen aber der zweiten und dritten Gestalt des Wortes Gottes, denn die erste Geschichte wird in der Schrift bezeugt und erzeugt mit der Verkündigung die zweite Geschichte.

2.  „Für uns“: An unserer Stelle hingerichtet Die Herausforderung der Versöhnungslehre

0. Vorbemerkung Dieser Beitrag versucht, die komplexe innere Logik des mittleren Abschnitts aus dem § 59 der „Kirchlichen Dogmatik“ nachzuzeichnen.46 Es geht mir zunächst um den seltsamen Wechsel zwischen Inklusivität und Exklusivität, der mit der Wendung „an unserer Stelle“ verbunden ist. Danach soll die Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit beleuchtet werden, die bei Barth (nicht nur im Zusammenhang der Versöhnungslehre) zu ebenso vielschichtigen wie klärungsbedürftigen Gedankengängen führt. Die abschließenden Überlegungen interpretieren diese Dialektik im Horizont der Sprache des Glaubens als Spannung zwischen Doxologie und Sündenbekenntnis.

1.  „inklusiv – exklusiv“ Im Kern des Abschnitts steht das vierfache „an unserer Stelle“ – jeweils im Blick auf die Gerechtigkeit Gottes und die menschliche Selbstgerechtigkeit: „Er trat als der Richter an unsere Stelle. Er trat an unsere Stelle als Gerichteter. Er wurde gerichtet an unserer Stelle. Er hat an unserer Stelle das Rechte getan“ (300). Das viermal betonte Motiv „an unserer Stelle“ betont den seltsamen Wechsel zwischen „inklusiv“ und „exklusiv“, zwischen Identität und Widerspruch, der sich im Rollen- und letztlich im Personentausch zuspitzt. 1.1  Ausgangspunkt ist der Gegensatz zwischen zwei Formen des Selbstbezugs. Bereits in § 59, l wurde die trinitarische Perspektive entfaltet, wonach die Selbstoffenbarung Gottes und damit die Gottheit des Sohnes in der Selbsterniedrigung des Sohnes ans Ziel kommt. Dabei wird zugleich der innere göttliche Reichtum nach außen gewendet. Gott will und tut es zur äußeren Betätigung und Offenbarung des ganzen inneren Reichtums seiner Gottheit in ihrer Höhe und Tiefe, er will und tut es insbesondere dazu, daß die von ihm geschaffene Welt im Sohn als dem Ebenbild des Vaters ihr eigenes Urbild in ihrer Mitte habe und erkenne; 46 KD IV/1, 231–311. Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diesen Band.

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er will und tut es also um seiner eigenen Ehre in der Welt willen, zur Bestätigung und Kundgabe seines Willens, nicht ohne sie, kein einsamer Gott zu sein (232).

Dieses Handeln hat seinen Zweck in sich selbst (vgl. 233) und wird gerade so zur Rettung für die dem Nichtigen verfallene Welt. Dialektisch ist also bereits das Handeln Gottes, denn es erweist sich als ungeschuldete Hilfe und somit als in sich vollkommene, selbstzweckhafte Tat. Nun ist aber auch die menschliche Existenz in der Sünde selbstbezogen. Dass die Welt aus sich selbst heraus keiner Selbst-begründung und schon gar keiner Selbst-rettung fähig ist, wäre als Formel für Geschöpflichkeit überhaupt zu verstehen. Aber der absurde Versuch, sich eben doch selbst zu begründen, führt in einen sich selbst perpetuierenden Selbstwiderspruch. Die Welt macht nur „lauter solche Bewegungen, die den Ursprung ihres Fallens, die Sünde nur wiederholen, ihren Lauf und Absturz also nur beschleunigen können“ (233). Es geht also um die Frage nach der Selbstbegründung. Diese Frage kann ihre Antwort finden entweder unter Verzicht auf die Gottesbeziehung und führt dann in die Einsamkeit der menschlichen Selbstbezogenheit – oder sie ist umgriffen von der göttlichen Bewegung, einer göttlichen Selbstbegründung, die auch dem Geschöpf eine Wohltat wird. Die beiden Möglichkeiten umreißen eine Entscheidung, die freilich nicht „von außen“, „aus der Distanz“ getroffen werden kann. Das wird noch zu entfalten sein. 1.2  Die Selbsterniedrigung Gottes ist vorbehaltlos. Gottes eigene Geschichte verwickelt sich in die Weltgeschichte. Dieses Teilnehmenlassen der Welt an Gottes eigenem Sein impliziert aber notwendig sein Teilnehmen an dem ihrigen und also dies, daß sein eigenes Sein, seine eigene Geschichte, sich nun abspielt als Weltgeschichte und also unter der ganzen Belastung, in der ganzen Gefahr aller Weltgeschichte (236).

Die Selbsterniedrigung ist konsequent bis an den Punkt, dass Jesus Christus versucht werden kann und eben faktisch nicht sündigt (vgl. 236 f.). Es geht um ein Faktum, und das heißt auch: um unableitbares Handeln. Kontingenz und Faktizität sind bezogen auf unverfügbare Entscheidungen, die in der Regel auf den Willen einer Person zurückgeführt werden. Wenn Barth das Thema „Versuchung“ später sehr breit narrativ entfaltet, zeigt sich, dass der Wille nicht ein „Vermögen“ ist, sondern nur in einer Geschichte Wirklichkeit hat. An dieser Stelle schon kann ansatzweise deutlich werden, dass die Semantik von „selbst“ kontrovers ist. Denn es macht einen Unterschied, ob ich mein „Selbst“ „habe“ oder „verwirkliche“ oder gar „begründe“, oder ob mein „Selbst“ Ereignis ist und vielleicht gar Geschenk. „Selbst“ ist in Jesus Christus jedenfalls Ereignis zwischen Gott und Mensch. Daraus wäre die Frage zu gewinnen, ob überhaupt die Unver-

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fügbarkeit der Person, die wir semantisch mit Wörtern wie „selbst“/„Selbst“ oder „Wille“ verbinden, als Eigenschaft gedacht schon grundfalsch begriffen ist. Dann wäre bereits auf der Ebene der Sprache zu zeigen, wie eine menschliche Selbstbeschreibung vom Fixpunkt eines „Ich“ aus notwendig befangen bleibt in jener Form der Selbstbegründung, die Barth der göttlichen, selbstzweckhaften und doch ebenso umgreifenden wie befreienden Bewegung im Verlauf des Abschnitts immer deutlicher entgegensetzt. Personale Unverfügbarkeit wäre im Zuge dieser Bewegung eher zu konturieren als innere Richtung faktischer, also nicht logisch notwendiger Entscheidungen, die gleichwohl der Person entsprechen, also nicht willkürlich und stets nur a posteriori zu klären sind. Diese merkwürdige Spannung von „innen“ und „außen“ ist das „Innen“, die Tiefendimension der unverfügbaren Person. Die göttliche Selbstbeziehung kann auf diesem Hintergrund durchaus die Selbsthingabe einschließen – in der das Geheimnis Gottes durchgesetzt und verwirklicht wird. Gottes Geheimnis als Indikator des exklusiven „ohne uns“ ist stets zusammenzudenken mit dem „für uns“, das freilich bis zum Selbstverlust gehen kann. Im Spiegelbild tritt scharf und klar hervor, dass der unhintergehbare und doch bodenlose Selbstbezug der Welt bereits die ganze Misere in sich schließt. Wenn sich das Geschöpf selbst begründen will, verliert es den Boden unter den Füßen. Dazu gehört als hervorragendes Symptom die Selbstgerechtigkeit. Daher sind die juridischen Begriffe mit Vorsicht zu genießen, denn sie entspringen bereits der sündigen Karikatur der Gerechtigkeit und verstellen den Durchblick auf die tiefere Fundierung von Gerechtigkeit in der Frage nach der Entsprechung von „innen“ und „außen“. Aus der Selbstbegründung des Geschöpfs wird ganz von selbst der Fall, denn die unangemessene Frage nach einer nicht geschenkten, sondern verfügbaren Identität ist ein Selbstwiderspruch. Eine derartige Spannung sollten wir Gott überlassen. Wir sollten uns unsere personale Identität von Gott her schenken lassen.47 Da nun freilich eine solche Formulierung als Gebot oder Postulat schon wieder im Sinne eines Gesetzes verstanden werden könnte und faktisch vom Sünder gar nicht anders verstanden werden kann, kontert Gott mit Raffinesse und Ironie. Der Sünder muss aufs Kreuz gelegt werden. Es ist daher wichtig, dass dieser Richter nicht neutral der Sachlage gegenübersteht, sondern von innen heraus durch seine aufdringliche Existenz zum 47 Der § 59 richtet sich explizit nicht auf das von mir stärker betonte Problem personaler Identität, sondern auf die Gerichtsmetaphorik und vor allem auf die Selbstgerechtigkeit als Grundform der Sünde. Es wird aber unter 2.1 zu zeigen sein, dass auch für Barth die Tiefendimension der Selbstgerechtigkeit in der Selbstbezogenheit eines neutralen „Ich“ besteht. Andernfalls wäre Selbstgerechtigkeit zu harmlos verstanden. Vor allem zwingt natürlich das Strukturmoment des Personentauschs zur Klärung personaler Identität.

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Gericht wird. Der geheimnisvolle Personentausch ist die Konsequenz dieser Inversion. Er ergibt sich ja aus der Verweigerung des Sohnes, sich von der Verwicklung in die Selbstgerechtigkeit zu distanzieren. Der selbstgerechte Mensch urteilt von außen, der wahre Richter unterwirft sich einem umfassenden Gericht. Die Struktur wird nicht etwa aufgehoben, sondern von innen gesprengt: Der endgültig urteilende Richter lässt sich von Johannes taufen, damit die Gerechtigkeit erfüllt würde (Mt 3,15). So ist „dieser Richter das Maß aller Gerechtigkeit“ (240). Es kommt zum Streit um die Begründung von Gerechtigkeit. „Alle Sünde hat darin ihr Wesen und ihren Ursprung, daß der Mensch sein eigener Richter sein will“ (241). Aber dieser Streit ist nicht mehr aus neutraler Perspektive zu entscheiden. 1.3  Der grundlegende Gedankengang, wonach Jesus Christus gerade darin sündlos ist, dass er sich nicht von der Selbstgerechtigkeit distanziert, verweist auf die geschichtliche, genauer: narrative Dimension im Gedankengang Barths. Denn es ist bereits eine verwickelte und verkehrte Geschichte des menschlichen Selbstwiderspruchs vorausgesetzt, wenn eine einzelne Person sich exklusiv hervortun kann, indem sie sich gerade nicht unterscheiden will wie alle anderen und daher die Konsequenzen des Unterscheidungswahns sich selbst verwirklichender Individuen auf sich zieht. Innerhalb einer ganz bestimmten, sehr konkreten Geschichte kann die einzelne Verweigerung eine Sogwirkung entfalten, die dieser Geschichte so etwas wie Gravitation verleiht. Zumindest die Geschichte Gottes mit Israel erreicht hier einen point of no return und damit ihre tiefste Einheit. Die neutestamentlichen Aussagen beziehen sich auf einen Menschen, der in ihrer Sicht nicht allgemein und neutral Mensch ist, sondern als der Abschluss und als das Kompendium der Geschichte Gottes mit dem Volk Israel, als der Erfüller des von Gott mit diesem Volk geschlossenen Bundes. Und eben als solcher ist er der gehorsame und als solcher wesentlich und notwendig leidende Gottessohn und Gottesknecht (182).

Zugleich wird die Geschichte durch die Fremdheit dieser einen Person aufs äußerste gespannt. Die Fremdheit Jesu ist der Grund für die Hinrichtung, und diese Konfrontation schließt das sündige Menschengeschlecht zusammen, ist also inklusiv im höchsten Maße. Nur in der Konfrontation ist Gott „für uns“. Gott ist daher zunächst „gegen uns“. Auch umgekehrt lässt sich sagen: Wir wollen mit diesem Richter nichts zu tun haben – „ohne uns!“ –, und indem wir ihn beseitigen, bringen wir die Selbsthingabe Gottes ans Ziel. So wird die Abwendung des Gerichts zum Vollzug des Gerichts. Die Entfremdung der Sünder von sich selbst und damit auch von ihrem schöpferischen Ursprung wird ebenso auf die Spitze getrieben wie der Widerspruch Gottes gegen die Sünde. Aber diese Zuspitzung ist Ergebnis des Weges

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in die Fremde, den der Gottessohn auf sich nimmt. Die wechselseitige Entfremdung könnte ja dazu führen, dass beide Seiten nichts mehr miteinander zu tun haben oder dass eine Seite ausgelöscht wird oder dass beide einander zerstören. Aber die wechselseitige Exklusion wird zusammengeschlossen – con-­clusio – in einer Geschichte. Der narrative Zug der Argumentation ist daher kein Stilmittel, sondern sachlich begründet. In § 59, 1 liefert Barth eine Nacherzählung der Geschichte Gottes mit dem Gottesvolk, die sich immer weiter zuspitzt auf die Feindschaft des Volkes gegenüber dem Willen Gottes. Die Geschichte hat also ein Gefälle. Nicht nur gehört bereits die Partikularität der Erwählung zur göttlichen Selbstbeschränkung und -erniedrigung, es kommt viel mehr auf das Besondere an, daß der von Gott erwählte Mensch, der Gegenstand der göttlichen Gnade, ihrer in keiner Weise würdig ist, sondern sich gerade laut dessen, was wir über das Volk Israel und seine Könige zu erfahren bekommen, als ein Übertreter des ihm mit seiner Erwählung auferlegten Gesetzes, als ein Feind des ihm zugewendeten und offenbarten Willens Gottes betätigt und erweist (186).

Das lässt sich nicht als allgemeine Struktur der Gott­Mensch-Beziehung behaupten, sondern nur nachzeichnen als innere Konsequenz einer Geschichte – die dann als solche sehr wohl ins Allgemeine ausgreift, ohne freilich abstrakt zu werden. Die Selbsthingabe Gottes ist ein schöpferischer Eingriff in die Geschichte. Es ist eine „umfassende Wendung in der Geschichte der ganzen Schöpfung, die an jenem einen Leidenstag jenes einen Menschen sich vollzogen hat“ (272). Die Geschichte verdichtet sich. Die Gravitation der Geschichte lässt sich noch in anderer Hinsicht demonstrieren. Der Sünder treibt dem Tod unrettbar entgegen. Das ist die schlichte Folge der Abwendung von der Liebe Gottes, die nun zum todbringenden Zorn wird (vgl. 279). Wir können uns von dieser Verfallenheit nicht lösen, ohne uns selbst aufzuheben. Denn jeder Versuch der Selbstbefreiung ist sogleich wieder ein Schritt weiter in der Geschichte des Selbstwiderspruchs. Es kommt zu einer a-personalen Notwendigkeit von Taten und zur Knechtschaft der Täter. So entsteht eine Inklusion, der sich kein menschliches Subjekt entziehen kann. Der „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ ist plausibler als es zunächst scheint – jedenfalls auf der tieferen Ebene personaler Selbstbegründung. Es geht also nicht um stellvertretendes Erleiden einer Strafe im Sinne der menschlichen iustitia distributiva. Dass nun Jesu Verzicht auf die Selbstdistanzierung von der Sünde als minimale Differenz die ganze biblische Geschichte umkippen lässt, ist ein weiteres Merkmal von Geschichten. Im Unterschied zum abstrakten Denken, das minimale Differenzen gerade zugunsten der wesentlichen Grundzüge abblendet, sind solche Differenzen im Zusammenhang von Geschichten und Begegnungen gerade entscheidend. Ein Lächeln ändert sich entscheidend durch solche

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feinsten Zuckungen im Mienenspiel. Wenn nun die Geschichte der menschlichen Selbstverkehrung als Außenseite des göttlichen Zornes zu fassen ist, so kann auch die minimale Differenz als wunderbarer Vollzug des Zornesgerichts interpretiert werden: Gott erträgt seinen Zorn in kreativer Weise. Daher kommt es Barth darauf an, im Kern der biblischen Erzählung jene „Kippfigur“ zu etablieren, die unmerklich zwischen Aktion und Passion Gottes vermittelt. Die Passion ist Aktion Gottes, weil Gott seinen eigenen Zorn in kreativer Weise erträgt. In kreativer Weise erträgt, also nicht im Selbsthass erstickt, sondern eine neue Perspektive aufreißt – in kreativer Weise erträgt, himmelweit verschieden von jeder Vergeltung. Gott „kann allen Ernstes so gegen den sündigen Menschen sein, daß er eben damit für ihn ist“ (243). Darin zeigt sich auch die nur scheinbar „immanente Notwendigkeit“ (242) der sündigen Selbstdestruktion als Wirkung des göttlichen Zornes, aber darin auch als gehalten von der göttlichen Barmherzigkeit. Nur aus der Perspektive des Rollentauschs lässt sich klar unterscheiden zwischen der Freiheit der göttlichen Gnade, der durchaus konsequenten Möglichkeit des göttlichen Zornes, und der Logik der Sünde, die trotz aller Zwangsläufigkeit und Zwanghaftigkeit auf ihre Weise geheimnisvoll unableitbar bleibt. Die Ebenen treten auseinander, sie werden kritisch profiliert. Die menschliche Sünde tritt hervor als Abgrund – und zwar im Kontrast zum ebenso abgründigen Licht der göttlichen Gnade. So wird in ihrer einzigartigen Struktur die Geschichte Jesu Christi für alle Geschichte bedeutsam. Das „Füruns“ greift auf die sprachliche Ebene über: Eine Geschichte kann viele Geschichten übergreifen und Identität stiften – allerdings auf dem Umweg über einen Erkenntnisschock. Das bedeutet nicht zuletzt: Gerade in der abgründigen theologischen Struktur steckt die existentiale Interpretation der Geschichte.

2.  „frei – notwendig“ Der Personentausch im Kern der biblischen story wirft das Problem der personalen Identität auf. Und das erzwingt die narrative Struktur der Darstellung. Hier muss erzählt werden, weil Konflikte das menschliche Handeln von mechanischer Zwangsläufigkeit unterscheiden. Hier zeichnet sich besonders deutlich die Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit ab. In einer guten Geschichte hätte es immer auch anders weitergehen können, aber es ist so oder so gekommen, weil die Person eben so oder so ist – ihr Handeln entspricht einer Grundrichtung, die nicht etwa einer neutralen und insofern freien Entscheidung entspringt, aber auch nicht willkürlich ist. Daher ist das Handeln im Nachhinein einsichtig: Ich kann mich damit identifizieren und sogar die Verantwortung übernehmen – auch wenn ich nicht anders konnte. Zuweilen hätte ich von außen betrachtet

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sehr wohl auch anders gekonnt, aber weil ich eben so bin, konnte ich gar nicht anders wollen. Daher ist es kein Widerspruch, wenn Barth die „Rekonstruktion“ der inneren Notwendigkeit einer Geschichte so weit wie möglich treibt, um die Unverfügbarkeit der Person und damit die „existentielle“ Dimension aufleuchten zu lassen. Gerade die strenge Stilisierung widerspricht nicht der subjektiven Aneignung, ist vielmehr deren unentbehrliche Voraussetzung. Das kann etwa so erreicht werden, dass zwei unvereinbare Stilisierungen auseinandertreten, die auf jeweils eigentümliche Weise die innere Konsequenz einer Geschichte mitsamt den handelnden Personen durchsichtig machen – und zugleich sichtbar machen, dass hier eine abgründige Entscheidung gefallen ist.48 2.1  Wenn diese Struktur einsichtig ist, wird aber der Begriff „Stellvertretung“ neu beleuchtet. Sofern es sich nur um eine funktionale Angelegenheit handelt, ist eine Unterscheidung der Person von ihrem Handeln vorausgesetzt. Eine Funktion kann ich übernehmen. Dann ist natürlich die Wendung „stellvertretendes Strafleiden“ fragwürdig. Wie kann jemand anders die Verantwortung für meine Handlungen übernehmen? Das geht im soeben skizzierten Modell durchaus, denn warum soll sich nicht eine andere Person derart mit mir identifizieren, dass sie tatsächlich die Verantwortung trägt? Nun treten zwei Denkmöglichkeiten auseinander: (1) Das „Ich“ ist prinzipiell zu unterscheiden von allen Selbst-Äußerungen. Dann ist der Gedanke eines stellvertretenden Strafleidens absurd, denn Verantwortung betrifft die unverwechselbare Zuordnung der Äußerungen zum „Ich“. Vor allem setzt Verantwortung in diesem Sinne stets voraus, dass ich auch 48 Es wäre zu verfolgen, wie Barth in der gesamten KD derartige theo-logische Klärungen gerade mit der Faktizität der Geschichte Gottes und der menschlichen Personen verbindet, angefangen mit § 13,2. Es geht dort um die objektive Möglichkeit der Offenbarung. Die Argumentation läuft aber mehrfach auf Sätze hinaus wie den folgenden: „Gott konnte sich auch in seiner unsichtbaren Herrlichkeit, er konnte sich auch in der Gestalt eines uns unbekannten Wesens und also in jenem Ende aller Dinge, das dann eintreten mußte, offenbaren. Wenn wir sagen, daß er es anders halten mußte, so ehren wir damit den faktischen Willen Gottes, wie er im Ereignis seiner Offenbarung sichtbar ist, als den Quell und Inbegriff aller Notwendigkeit. Wir sagen dann nach, was uns vorgesagt ist. Eben nachsagend, werden wir freilich seinen faktischen, offenbaren Willen [,] seine potentia absoluta, als notwendig anerkennen dürfen und müssen“ (KD I/2, 41). Ausgangspunkt ist das Faktum, dessen Möglichkeit zu klären ist. Diese Klärung besteht aber im Aufweis einer inneren Logik, die auch andere Möglichkeiten sichtbar macht. Im gelungenen Fall wird die Kontingenz zugleich mit der Konsequenz sichtbar. Dann ist das Faktum als theologisches Faktum durchdrungen. Diese sicherlich vertrackte, aber auch raffinierte Argumentationsweise hat ihr Modell in der differenzierten Gleichsetzung von ökonomischer und immanenter Trinitätslehre (vgl. dazu Maurer, Grammatik des biblischen Redens von Gott; in vorliegendem Band, 110–130; Erstveröffentlichung in ZDTh 14 [1998], 113–130) und darf etwa bei der Analyse der Erwählungslehre nicht abgeblendet werden, weil sonst der theoretische Status der scheinbar spekulativen Aussagen unklar bleibt.

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anders hätte handeln können. Barths Pointe liegt darin, dass diese Unterscheidung exakt die Ursünde kennzeichnet: eben das ist es, was wir nicht wahrhaben, und zwar in der Weise nicht wahrhaben wollen, daß wir jene Richtigkeiten (der Bestimmung des Menschen als gutes Geschöpf) zum Vorwand nehmen, uns selbst von unserer Sünde zu unterscheiden: gleichsam [!] als Subjekt von einem bloßen Prädikat, als Substanz von einem bloßen Akzidens, unser Sein von unseren Vollbringungen (447).

Diese Unterscheidung provoziert sogleich „die Vorstellung von einem seinen bösen Vollbringungen gegenüber verschiedenen, von ihnen kaum oder gar nicht befleckten neutralen Ich“ (447). Wer zwischen dem „Ich“ und dem bloß Äußeren der Äußerungen erst einmal unterscheidet, kann die Handlungen stets wenigstens teilweise auch ent-schuldigen durch Verschiebung auf die andern. Weil uns zwar die Vollbringungen der Anderen in ihrer ganzen Fragwürdigkeit vor Augen stehen, während wir unsere eigenen Worte, Taten und Verhaltensweisen nie von außen wahrzunehmen die Gelegenheit haben, wird das Letzte die so selbstverständliche Meinung und Praxis sein, das Böse unverhältnismäßig viel mehr bei den Anderen als bei uns selbst zu sehen (447).

Das „ich war es nicht“ gehört ja nach Gen 3 zu den ersten Äußerungen der sündigen Personen. (2)

Jesus Christus hat dieses Gewebe einfach damit ein für alle Mal zerrissen, die Wahrheit der Sünde einfach damit an den Tag gebracht, daß er sich zu den Sündern bekannt, sich ihre Situation zu eigen gemacht, sich mit ihnen solidarisch erklärt und gemacht, ihre Sache vor Gott zu vertreten übernommen hat (448).

So kommt es – präzise im Rahmen des ersten Modells – zu einer ganz anderen Perspektive. Dieses andere Modell setzt voraus, dass personale Identität im Prozess oder auch in der Geschichte von Begegnungen empfangen wird. Pointiert: Ich bin nur „ich“ durch andere. Es gibt Handlungen, mit denen ich mich identifiziere, obwohl ich von außen betrachtet auch anders hätte handeln können, weil eben ich nicht anders hätte handeln wollen. Das Interessante daran ist, dass Handlungen mir auch dann entsprechen können, wenn ich von außen betrachtet nicht anders hätte handeln können. Der Bezug zur personalen Identität als Entsprechung von „innen“ und „außen“ ist also unabhängig davon, ob ein Handlungsspielraum vorliegt. Ich kann höchst passiv sein und doch genau darin „ganz ich selbst“. So sind es nicht zuletzt meine Begabungen, die meine Identität ausmachen, und wer wollte schon sagen: „Meine Begabungen haben nichts mit mir zu tun, weil ich mich nicht dafür entschieden habe“? Kurz: Ich empfange meine innerste Identität von anderen Personen – für die natürlich dasselbe gilt. Aus diesem Modell ergibt sich etwa die Einsicht, dass ich für meine

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Sünde die Verantwortung übernehmen kann zugleich mit der Einsicht, dass ich nicht anders gekonnt hätte, weil alle anderen Personen mich in die sündige Perversion bereits hineingezogen haben. Daher ist auch vorbehaltlose Sündenerkenntnis nach dem steilen Vorbild von Ps 51 eine doxologische Äußerung (s. u. 3.). Und auch umgekehrt ist die Einsicht in das zunächst anstößige „Füruns“ keine historische oder zeitliche, sondern eben die sachliche Frage, wie sich die Perspektive von Gott her ändern muss (vgl. § 59,3). 2.2  Daraus ergibt sich eine weitere Drehung der Schraube. Gerade die Geschichte ist der Ort merkwürdiger Doppeldeutigkeiten und ungeahnter Auswirkungen minimaler Differenzen. Das hängt mit den unterschiedlichen Perspektiven der interagierenden Personen zusammen. Die Prozesse sind insofern hochgradig rückgekoppelt, als die je bestimmte Perspektive auf eine Situation zu bestimmten Entscheidungen führt, die natürlich den gesamten Verlauf der Geschichte ändern. Und die beiden Modelle sind solche Perspektiven. Das zweite Modell entspringt der Einsicht in das Handeln Gottes: Es ist ungezwungen, ungeschuldet, überflüssig (s. o. 1.1 zur Selbstzweckhaftigkeit des Faktums). Insofern ist es frei. Das faktische Handeln Gottes ist aber durchaus stringent, entspricht dem göttlichen Wesen. Die innere Einheit von Freiheit und Notwendigkeit spitzt Barth auf den Gehorsam des Sohnes Gottes zu. Gottes Weg in die Fremde, in die kontingente Situation der Geschichte Israels, ist bruchlos frei und notwendig, die einmalige Geburt entspricht dem ewigen Hervorgang. Dabei erweist sich „Entsprechung“ als umgreifende Kategorie für Identität (Notwendigkeit, Konsequenz) und Geheimnis (Freiheit, Kontingenz) zwischen „innen“ und „außen“. Die menschliche Geschichte ist demgegenüber gekennzeichnet als Kette von unfreien und ungehorsamen Entscheidungen (vgl. 237). Die menschlichen Personen steigern sich in zwanghafte Versuche der Selbstgerechtigkeit und Selbstdistanzierung immer tiefer hinein. Alle Sünde hat darin ihr Wesen und ihren Ursprung, daß der Mensch sein eigener Richter sein will. Und indem er das sein will, indem er dementsprechend denkt und handelt, ist er und seine ganze Welt mit Gott im Streit, ist sie eine unversöhnte und darum elende, dem Verderben verfallene Welt (241).

Dieser grundlegende Selbstbezug hat aber eine destruktive, tödliche Tendenz nach unten: Darin ist nämlich die ganze Welt Gott gegenüber aufs Höchste einig und entschlossen, daß sie ihre Rechtfertigung nicht von ihm, sondern von sich selbst erwartet. Und das kennzeichnet sie als ihm feindliche Welt, daß sie gerade damit die Sünde wiederholt, von der sie sich freisprechen möchte. Eben darin ist das Fleisch Fleisch (241 f.).

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Die Sünder wollen frei sein und werden daher ungehorsam, dadurch unfrei ohne Ausweg. „Freiheit“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht Ungebundenheit oder gar Zügellosigkeit, sondern die bereits angesprochene Distanz des „Ich“ von seinen Äußerungen und die angemaßte Verfügung darüber. Die Verblendung der Sünde verändert das gesamte System und schafft Unfreiheit. Auch die Buße wird zur Gestalt der Unbußfertigkeit. „Damit wähle ich ja schon das Unrecht, daß ich eben das, was recht ist, selbst zu kennen, selbst darüber beschließen zu sollen meine, und damit tue ich es, daß ich das von mir als das Rechte Gewählte ins Werk setzen will“ (500). Jeder Versuch des „Ich“, sich von seinen Taten zu distanzieren und in ein überschaubares Verhältnis dazu zu setzen, verfestigt diese Struktur. Selbstbezogen ist sogar der Versuch, das „Ich“ loszuwerden. So sind Selbstverwirklichung und Selbstverleugnung nicht grundsätzlich verschieden. Das System kann von innen nur durch einen „Gegenstoß“, eine Synkope, eine querständige Linie erschüttert werden. Es kann auch nur von innen erschüttert werden, weil es um eine Verschiebung der Perspektive geht. Es muss eine inkommensurable Perspektive sein, die mit dem interaktiven System verschmilzt und doch nicht aufgeht (wie die Diagonale im Dreieck49). So ist die minimale Differenz, dass Jesus Christus in freiem Gehorsam die Stellvertretung bejaht, die exakte Kehrseite seiner Sündlosigkeit (vgl. 284). Er wäre nicht dazu gezwungen (wie Barths Auslegung der Versuchungsgeschichte und der GethsemaneSzene zeigt), er stimmt ungezwungen in den Willen Gottes ein. So kommt es zu einem Riss in der sich immer weiter stabilisierenden „Schaukel“ von angemaßter Freiheit des „Ich“ und zwanghafter Notwendigkeit des „Außen“. Damit wird zugleich eine ganz neue Perspektive aufgerissen. Die „Schaukel“ aber ist alles andere als harmlos. Sie ergibt sich nämlich daraus, dass der widersprüchliche Versuch, sich von seinen Taten zu unterscheiden, zur Vergegenständlichung des „Ich“ führt, das auf diese Weise zu einem toten Faktum wird und in der Tat stirbt. Die Zwangsgeschichte der Selbstgerechtigkeit impliziert auf ihre Weise einen Rollentausch, aber als tragisches Verhängnis. Wo nämlich personale Identität als Bündel von Eigenschaften konstruiert wird, begebe ich mich in die a-personale Abstraktion und verliere meine Geschichte, damit auch die Balance von Freiheit und Notwendigkeit. Freiheit wird willkürlich, Notwendigkeit wird zwanghaft. Diese Geschichte verselbständigt sich in Mächten und Gewalten, die doch geheimnisvollerweise mit mir identisch sind, mich parasitär aufzehren. 49 Nach dem Satz des Pythagoras muss in einem Quadrat mit der Seitenlänge 1 die Länge der Diagonale als Wurzel aus 2 berechnet werden. Es gibt dafür kein gemeinsames Maß, also sind Seiten und Diagonale im strengen Sinne inkommensurabel. Das einfache Beispiel zeigt, dass Inkommensurabilität anschaulich gemacht werden kann, also nichts zu tun hat mit unreflektiertem „Pluralismus“. Inkommensurable Systeme können durchaus ineinander umkippen, es gibt Überlappungen und Gelenkstellen, die einer präzisen Analyse zugänglich sind.

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2.3  Die räumlichen Metaphern bedürfen in diesem Zusammenhang der Entfaltung. Auf dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen könnte man sagen, dass die geschichtlich und in Begegnungen vermittelte Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit bestimmte mehr oder weniger zyklische Muster, periodische Wege zur Ausprägung bringt, vor allem den Teufelskreis der Selbstgerechtigkeit. Die Geschichte eines jeden Menschen ist ja faktisch die Geschichte seiner besonderen Rechthaberei. Und es ist die Geschichte der Menschheit die Geschichte ihrer vielen fortwährend neu aus dem Boden sprießenden, sich gegenseitig widersprechende und durchkreuzenden Rechthabereien (495).

Der Weg verläuft zyklisch als „Kampf zwischen dem angeblich Guten und dem angeblich Bösen“, der immer wieder „so endigen wird, daß man sich ernstlich fragen muß: ob nicht irgend ein neuer Triumph nicht eines angeblichen, sondern des jetzt sehr wirklich Bösen das letzte und eigentliche Ergebnis der Sache gewesen sein möchte?“ (495). Dann mag es zu Phasen der Toleranz kommen: der allgemeinen Müdigkeit, der sich die Menschen jeweils wieder eine Zeitlang hingeben mögen, um dann früher oder später gewiß doch wieder zu neuen Rechthabereien und Richtertaten und also Kämpfen, sich gegenseitig zuzufügenden Plagen und wohlgemeinten Übeltaten aufzubrechen. Ist es also nichts Wesentliches, was der Mensch in Ausübung seiner eigenen Gerichtsbarkeit ausrichten kann, so doch sehr viel in seiner ganzen Unwesentlichkeit greifbar und peinlich Reales (496).

Für die räumliche Metaphorik ist der Gedankengang aus § 60,2 lehrreich: Barth skizziert ein Ganzes, das mehr ist als die Summe der Einzelzüge, weil aus vielen solcher mehr oder weniger bedeutenden Züge ein zyklischer Weg entsteht, ein Interaktionsmuster, dem wir nicht entrinnen können und das sich daher zur Realität sui generis verfestigt – fixiert gerade als lnteraktionsmuster. Wenn ein Weg als Realität sui generis zu sehen ist, so wird „Stellvertretung“ zu einem zweideutigen Wort, denn nun geht es um einen keineswegs äußerlichen „Ort“, den Jesus Christus einnimmt, an dem eigentlich wir stehen sollten, der uns aber verstellt ist. (1) Der Richter vertritt uns den Weg an die Stelle, die eigentlich wir einnehmen sollten. Der Ort ist damit versperrt. Das hat auch mit dem Weg des Gottessohnes in die Fremde zu tun. Durch die „Stellverdrängung“ wird unser Weg, wird unsere Geschichte abgelenkt wie durch ein neues Gravitationszentrum. Jesus Christus vertritt uns den Weg zu unserer Stelle, wo wir über andere richten. Das bedeutet auch, dass nicht ein Verbot – „Du sollst nicht selbstgerecht sein!“ – ausgesprochen wird, sondern ein Faktum ins Innerste einer jeden Person trifft (vgl. 254 f.). Wer mir diesen Ort des Richters vertritt, trifft mich „von außen nach innen“. Es handelt sich um eine Störung, weil mir „der wahre Gott in die Quere gekommen ist“ (255). Eine Begegnung ist aber etwas prinzipiell anderes als ein Verbot, ein Gesetz, ein a-personales Krite-

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rium. Diese Störung ist dennoch zugleich eine Wohltat (vgl. 257). Das Urteil ist allein Gottes Sache. (2) Jesus Christus „tut an unserer Stelle genau das Gegenteil von dem, was wir da zu tun pflegen“ (259). Die Sündlosigkeit Jesu Christi besteht darin, dass er – im Gegensatz zu uns – unsere Sünde auf sich nimmt und verantwortet. Exakt damit unterscheidet er sich von uns. Damit wird nicht nur unser Ort versperrt, unsere Stelle vertreten, es wird auch unser sündiges Wollen abgeschnitten: Es ist von dem her, was er in unserer Mitte, als einer der Unsrigen, in göttlicher Vollmacht tat, ebenso ausgeschlossen, daß wir unsere eigenen Richter sind, wie daß wir das sein wollen, jenen wahnsinnigen Griff nach dem Rechte Gottes tun, und eben darin sündigen, uns selbst schuldig machen (260).

Dazu gehört, dass unsere zwanghafte Selbstgerechtigkeit an einen nicht mehr überbietbaren Punkt gebracht wird. Hier sind zwei Dimensionen zu unterscheiden: (a) Die Sünde ist in Jesus Christus gleichsam gegenständlich geworden. Sie wird zum objektiven Faktum, das uns gegenübertritt. Wir haben es in Jesus Christus „mit dem Spiegel, mit der höchst objektiven Erkenntnisquelle hinsichtlich dieser unserer bösen Sache zu tun“ (263). So aber kommt es zur unverstellten Selbsterkenntnis auf dem Umweg über eine bestimmte Person – im präzisen Unterschied zur „Reflexion über uns selbst“ (ebd.). (b) Solche Selbsterkenntnis ermöglicht das vorbehaltlose Sündenbekenntnis, das von einem sich distanzierenden „Ich“ nicht zu leisten wäre. Darum gibt es Jesus Christus gegenüber in Sachen der Erkenntnis unseres bösen Weges kein Ausweichen, keine Entschuldigungen und Erklärungen, kein Verstehenwollen des Bösen aus irgendwelchen höheren Notwendigkeiten. Darum sind wir Jesus Christus gegenüber zum schlichten Bekenntnis der gottwidrigen Art des Bösen und des Faktums, daß wir es tun, gezwungen (264).

Solch ein Sündenbekenntnis in strenger Form entspricht aber bereits einem andern „Ich“, setzt die Vergebung der Sünde voraus und entspricht der neu geschenkten Geborgenheit in Gottes Handeln. So kann Barth einerseits das sündige Wollen in den Blick nehmen und zugleich die Vergebung als grundsätzlich unverfügbares Geschehen von Person zu Person. Gerade indem eine andere Person meine eigene Verkehrung auf sich nimmt, werde ich verändert durch eine neue – nicht sogleich angenehme – Perspektive auf mich selbst. Auch hier ist vorausgesetzt, dass Selbsterkenntnis und Wirklichkeit des „Selbst“ untrennbar verwickelt sind. (3) Leiden und Tod Jesu Christi sind dabei entscheidend. Es geht um die Konvergenz des freien Tuns und Leidens eines Menschen an einem bestimmten Ort in der Geschichte mit der höchst aktiven Passion Gottes. Einzigartig ist die Passion des Gottessohnes, der handelt, indem er sich misshandeln lässt,

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des Richters, der sich richten lässt. So ist die Passion eine „umfassende Wendung in der Geschichte der ganzen Schöpfung“ (272). Gottes und dieses Menschen Leiden haben eine einzigartige „Tiefendimension“. In der Passion geht es um die Konfrontation „mit der Gewalt des Nichtigen schlechthin“ (ebd.). Es geht um Gottes Widerspruch gegen unseren Widerspruch (vgl. 276), um Gottes Leiden in der unmittelbaren Konfrontation mit der Sünde, Gott selbst gegen die Sünde selbst (vgl. 272). Es geht in der Person Jesu Christi um eine sehr konkrete Konfrontation, in der sich zwei Geschichten ineinander verwickeln. Es geht aber zentral um Versöhnung als Umkehrung der von uns aus unumkehrbaren Verkehrung. Versöhnung geschah gegen und ohne uns, indem Gott „unserem Widerspruch seinen überlegenen Widerspruch, unserem Widerstand seinen überlegenen Widerstand entgegensetzte“ (276). Insofern ist Versöhnung wieder bezogen auf einen bestimmten sehr unterschiedenen Ort. Dieser Ort aber ist der Tod Jesu Christi. Auch der Tod als Sold der Sünde ist ein Ort, als ewiger Tod und Gottesfeme: „Diesem Ort treibt der Mensch als Täter der Sünde entgegen“ (278). Das Bild impliziert wieder eine eigentümliche Gravitation. Der Ort der Gottesfeme als Ort des ewigen Todes hängt mit dem Ort des Sünders engstens zusammen, eben wie ein Gravitationsfeld. Der Sünder kann von seinem Ort, dem rebellisch veränderten Raum, nur in die äußerste Finsternis abrutschen (vgl. 276). Die sündige Existenz als Selbstgerechtigkeit ist ein Teufelskreis, weil die Perversionen des gegenseitigen Richtens aus dieser Grundhaltung heraus nicht abzustellen sind. Hier kommt es zu periodischen Mustern, sofern jeder Versuch, sich von der Selbstgerechtigkeit zu distanzieren, wieder in neue Formen der Gesetzlichkeit gerät. Letztlich ergibt sich ein immer feiner ausdifferenzierter Filz und stellt den zutiefst widersprüchlichen Versuch der Selbstbegründung auf Dauer. So wird aus ganz unterschiedlichen Wegen ein einziger Ort, denn die menschliche Geschichte dreht sich im Teufelskreis. Was hat dieser Ort mit dem ewigen Tod und dem Zorn Gottes zu tun? Die Rotation des eben beschriebenen Teufelskreises schraubt sich in eine Richtung, nämlich nach unten. Die Rebellion des Sünders gegen Gott wird durch den Zorn Gottes fixiert, sie wird zum objektiven Faktum und treibt der vollständigen Objektivierung, der Vergegenständlichung des „Ich“ entgegen, also dem Absterben der Personalität überhaupt. Die Rebellion ist insofern die Tiefendimension der Selbstgerechtigkeit. Wir könnten auf dem Hintergrund der Bemerkungen zur eigentümlichen Realität eines zwanghaft wiederholten Weges sagen: Sie ist das Gravitationszentrum, das der Bewegung nach unten die Kraft gibt und also ihr Wesen ausmacht. Natürlich ist die Rebellion zugleich die Kehrseite der Gottesferne. Ihr a-personales Resultat könnte man als Verhärtung und sogar als Verstockung bezeichnen. So greift die Sünde als Stachel des Todes mitten ins Leben ein. Sie

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vergiftet das personale Leben und breitet sich als zunehmende Objektivierung des „Ich“ immer weiter aus. Daher ist es eine schauerliche Perversion, dass die Sünde und der einzelne Sünder immer mehr zusammenwachsen, gerade weil der Sünder sein „Ich“ als neutrale Größe aus dem Verhängnis heraushalten will. Und es ist eine fast schon ironische oder tragische Wendung, dass er damit das Modell der versöhnten Personalität vorwegnimmt, die sich eben nicht von ihren Äußerungen unterscheiden will und daraus ihre Unverfügbarkeit empfängt. Diese tragische Bewegung in die tödliche Objektivität ergibt sich nicht zwangsläufig, nicht durch mechanische Notwendigkeit aus den Interaktionsmustern der Selbstdistanzierung, sie gehört aber zur Tiefendimension der sündigen Rebellion. „Meiner Abwendung von Gott folgt Gottes vernichtende Abwendung von mir. Seine Liebe wirkt sich da als todbringender Zorn aus, wo sie zurückgestoßen wird“ (279). Auch hier zeichnet sich die eigenartige Gegenständlichkeit der Sünde ab – ähnlich wie beim Stichwort „Vergebung“ unter (2) –, aber als Strafe und als Verewigung des gebrochenen Bundes. Nun wird diese Tiefendimension durch Gott in Jesus Christus besetzt. Sofern die fixierte Rebellion des sich selbst begründenden Sünders die Flucht in die Gottesferne ist, wird sie ad absurdum geführt (Ps 139!). Darum verdichtet sich in der Person dieses gehorsamen und daher sündlosen Menschen auch die Geschichte: zunächst die Geschichte des immer wieder abtrünnigen Bundesvolkes, aber darin auch die Geschichte aller Menschen. Es muss ja stets bedacht werden, dass Barth die Geschichte Israels als gerichtete Bundesgeschichte in Jesus Christus konvergieren lässt. Das war ein wichtiger Strang in § 59,1. Das Leiden dieser Person ist ein ganz unverwechselbares Leiden, weil die Konfrontation des Gottesvolkes mit Jahwe auf die Spitze getrieben wird (wobei diese Spitze nach unten zeigt). Das Kreuz ist die Gottesferne. Die Rebellion wird aber gleichsam witzlos, wo das ganze Bild sich gedreht hat. Das bringt Gott allerdings durchaus ins Leiden: Gott erleidet seinen eigenen Zorn in kreativer Weise. Der Zorn Gottes hat sein Ziel erreicht. Es mußte und sollte um dieses Besten willen dem sündigen Menschen eben dieses Schlimmste widerfahren – nicht aus irgend einer göttlichen Vergeltungs- und Rachsucht, sondern kraft der Radikalität der göttlichen Liebe, die sich selbst nur eben in der völligen Auswirkung ihres Zornes gegen den Menschen der Sünde; nur eben in seiner Tötung, Auslöschung und Beseitigung ‚genug tun‘ konnte (280).

Ging es unter (2) um die göttliche Barmherzigkeit, so geht es nun eher um die Gerechtigkeit, die in der Tat ein Gericht ultimativ vollstreckt, aber in kreativer Erweiterung neue Möglichkeiten schafft. Ging es dort darum, dass Vergebung eine neue Situation schafft, die den Schuldiger ins Innerste trifft, so geht es nun darum, dass Vergebung den Vergebenden „etwas kostet“, nämlich sich selbst.

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Auch hier geht es also um die spannungsvolle Einheit von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.50 Damit ist die Quelle verstopft: Es ist deutlich geworden, dass wir unter dem Zorngericht stehen, dass Gott diesen Zorn selbst getragen hat, und dass damit unsere Rebellion aufhören darf. So löst sich der Krampf. Darin wird auch sichtbar, dass in dem einen Menschen, der den Selbstwiderspruch anders leben konnte, Gott selbst gelitten hat. Damit ist die Sünde selbst aufgehoben. Das setzt natürlich die Objektivierung der Sünde voraus. So ist auch die Vergebung der Sünde nicht etwa nur ein äußerliches Urteil, sondern die Kehrseite der Vernichtung der Sünde in ihrer Tiefendimension. Weil Gott selbst die durch den Gotteszorn verhängte Rotation von innen her gesprengt hat, gibt es nun die Möglichkeit eines unverkrampften Selbstbezugs von der andern Person her. Damit wird eine neue Geschichte – die Geschichte des Neuen Menschen – in Gang gesetzt. Die Mächte und Gewalten sind nicht mehr, wo sie Macht und Gewalt verlieren, und das ist der Fall, wo wir ihnen den Grund entziehen, indem wir ihnen als objektiven Formen unseres Selbstwiderspruchs die Wurzel abschneiden. Das geschieht als Folge des Glaubens. Die Mächte und Gewalten leben von der eindeutigen Unterscheidung zwischen Gottesgegenwart und Gottesferne. Sie implodieren daher, wenn sich Gott selbst in die Gottesferne begibt. (4) Gottes Gerechtigkeit ist „Gottes Ordnung schaffende Allmacht“ (282), und zwar in einer menschlichen Person. Jesus Christus ist der gerechte Mensch und als solcher „konkret identisch“ (283) mit der Gerechtigkeit Gottes. Diese ist kein abstraktes Gesetz, sondern hat wieder einen bestimmten Ort in Zeit und Raum. Gottes Gerechtigkeit ist der Gehorsam dieser menschlichen Person. Weil Gehorsam nur in einer konkreten Situation sichtbar wird, hat Gottes Gerechtigkeit einen solchen Ort. Schon damit ist sie – „himmelweit“ – unterschieden von jedem Gesetz. Solcher Gehorsam wird als Freiheit der objektiv sich zur Gefangenschaft verdickenden Sünde kontrastiert. In diesem Gegensatz liegt auch, dass „die Existenz des einen gehorsamen und also freien Menschen“ (284) das Unrecht beseitigt.51 Dass freilich ein einziger Mensch alles Unrecht beseitigen 50 Vgl. schon KD II/1, 450: „Gottes Zorn mußte offenbar werden über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen. Aber nur Gott konnte diese notwendige Offenbarung seiner Gerechtigkeit vollziehen, ohne daß dies das Ende aller Dinge bedeutete. Nur Gott selbst konnte Gottes Zorn ertragen. Nur Gottes Barmherzigkeit war des Leidens fähig, dem die im Gegensatz zu ihm existierende Kreatur verfallen ist. Nur Gottes Barmherzigkeit konnte sich dieses Leiden so zu Herzen gehen lassen, daß sie es zu ihrem eigenen Leiden zu machen wußte. Und nur Gottes Barmherzigkeit war stark genug, um in diesem Leiden nicht zu vergehen.“ 51 Daran leuchtet wieder auf, dass Selbstgerechtigkeit nicht harmloserweise eine Frage des Gehorsams oder Ungehorsams gegenüber dem göttlichen Gesetz sein kann, sondern mit der Frage nach personaler Identität verknüpft ist. Denn das Gesetz Gottes wird erfüllt im konkreten personalen Vollzug der Begegnung Gottes mit mir. „Verpflichtend und bindend, schützend

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könnte, setzt voraus, dass in diesem Menschen eine neue Wirklichkeit anbricht. Die Rebellion wird besiegt durch den Einen, der in der Reihe der Rebellen die Schuld nicht rebellisch leugnet, sondern auf sich nimmt und damit der Rebellion ein Ende setzt, allerdings die destruktive Potenz der Rebellion am eigenen Leben zu spüren und zu tragen hat. Damit tritt Jesus Christus wieder an den Ort zurück, „der dem Geschöpf Gott gegenüber zukommt“ und macht „den Sündenfall in seiner Person an ihrer Stelle und für sie alle ungeschehen“ (285). Jesus Christus polt gleichsam die Gravitation um. Barths räumliche Metaphorik wäre unterschätzt, wollte man sie euklidisch interpretieren.

3.  Doxologie und Sündenbekenntnis Gerade der Gedankengang zum Thema „Gott selbst gegen die Sünde selbst“ wirft Fragen zur argumentativen Struktur auf. Barths Perspektive – einschließlich der nicht-euklidischen räumlichen Metaphorik – ist im Grunde nicht menschenmöglich. Und doch kann Paulus jedenfalls davon reden, dass Christus die Mächte und Gewalten besiegt hat und im Triumphzug hinter sich herführt (Kol 2,15). Barth versucht, diese Perspektive nachzuvollziehen. Zuvor hat er gezeigt, dass die Sündenerkenntnis aus der Vergebung bereits zur Einstimmung in das Handeln Gottes führt. Das Heil, wie es durch Gottes Handeln und Leiden herbeigeführt wird, muss offenbar in zwei Dimensionen gesehen werden. Da ist einmal der höchst subjektive Erkenntnisschock angesichts der Sünde, die mir schon vergeben ist, die ich aber nun auch erst in ihrer ganzen Radikalität wahrnehme. Wie radikal allerdings diese Sünde ist, nehme ich erst wahr, wenn mir die kosmischen Dimensionen vor Augen stehen, die natürlich das Leiden Gottes selbst implizieren. Es geht um die über den Erkenntnisschock der Vergebung hinaus noch gesteigerte Objektivität der Sünde, um deren tödliche Tendenz – die ja in der Vergebung durchaus noch nicht in den Blick kommen muss. Diese Objektivität widerspricht keineswegs dem ganz persönlichen Sündenbekenntnis. Denn die Mächte und Gewalten leben parasitär davon, dass ich an sie glaube, entspringen meiner Abwendung von Gott. Nun ist diese Spannung pneumatologisch zu interpretieren als Ineinandergreifen von Doxologie und Sündenbekenntnis. Denn das Wirken des Geistes reißt mich aus mir selber heraus und lässt mich Gott loben in Ausdrucksformen, die meine Denkmöglichkeiten übersteigen und doch nicht einfach absurd sind. und wegweisend, heilsam und tröstlich, die Garantie der Ordnung und des Friedens ist das Gesetz, indem Gott selbst geltend macht, auslegt und anwendet, indem er selbst des Menschen Gesetz ist“ (KD II/1, 501).

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In der von Barth entfalteten theologia crucis kommt es überdies zu doxologischen Aussagen, die unmittelbar die ganz unvertretbare Erkenntnis einschließen: ich bin Sünder. Auch diese Erkenntnis der radikalen Verfallenheit ist letztlich nicht einer noch so kritischen Introspektion zugänglich. Sie verlangt nach einer Perspektive, die – wie in Ps 51 – jede empirische Selbstwahrnehmung übersteigt in der Konfrontation mit Gott. „An dir allein, Jahwe, habe ich gesündigt“ (v.6). Demnach wäre die zugespitzt existentielle Selbstaussage umgriffen vom Lobgesang (ähnlich wie in der prophetischen Berufung Jes 6). So entspricht die Struktur der Argumentation bei Barth sehr präzise einer menschlichen Perspektive, die im Gegenüber zum Kreuz von der Sünde schon befreit ist. Eine solche Perspektive kann gar nicht mehr euklidisch sein, weil das „Ich“ seine Position im Mittelpunkt verloren hat und nicht spekulativ, sondern doxologisch, und nicht introspektiv, sondern ekstatisch redet. Aber das gilt auch schon für einen Psalm, den viele Personen vor mir gebetet haben und in dem ich meine inners­ ten Anliegen zur Sprache bringe, die mir ansonsten gar nicht bekannt sind. So sind Doxologie und Sündenbekenntnis zwar auf den ersten Blick entgegengesetzt, weil wir im Lobgesang die großen Taten Gottes artikulieren, während ich im Sündenbekenntnis ganz unvertretbar die Abgründe meiner Person zur Sprache bringe und so erst entdecke. Beide Sprachbewegungen bilden aber als Gebete einen einzigen geistgewirkten Zusammenhang. 3.1  Natürlich kann dies durch dogmatische Sätze nicht herbeigeführt, sondern nur noch sprachlich nachgezeichnet werden. Dafür ist zweierlei notwendig: (1) Es muss eine Befreiung sein, die mich trifft. Das kann ohnehin nicht rekonstruiert werden. (2) Es muss eine Befreiung sein, die über meine subjektive unvertretbare Existenz hinausgreift in objektive Zusammenhänge. Nicht zuletzt deshalb, weil die Gefangenschaft die des eigenen „Ich“ ist. Diese objektiven Zusammenhänge dürfen nicht missbraucht werden als Ausrede – sie müssen im Gegenteil durchsichtig sein für meine je ganz unvertretbare Sünde. Barths Argumentation leistet tatsächlich beides. Und meine ganz unvertretbare Sünde – auf der „ich“ bestehe – wird mir deutlich, indem sie von einer anderen Person getragen wurde. Hier spitzt sich die Objektivität von Sünde zu – aber so, dass nun jede einzelne Person sich selbst wiedererkennen kann. Was dann das „für mich“ letztlich bedeutet, lässt sich logischerweise nicht vorwegnehmen. Das haben Formulierungen der Ersten Person Singular so an sich. An dieser Stelle zeigt sich auf exemplarische Weise die für personale Identität prekäre Balance von Freiheit und Notwendigkeit. Gerade die tritt hervor, indem Barth die narrativen Wendungen und Windungen der neutestamentlichen Geschichte auf formelhafte Strukturen zuspitzt. Man sollte zunächst erwarten, dass dabei die Kontingenz der Geschichten eliminiert wird. Das Gegenteil ist der Fall,

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weil die Zuspitzung zur klaren Unterscheidung zwischen zwei inkommensurablen Systemen führt (s. o. 1.1 und 2.2). Das ist dann auch im Zusammenhang der Balance von „frei“ und „notwendig“ aufschlussreich. Nirgends tritt die menschliche Freiheit so deutlich hervor wie in Handlungskonflikten. Und nirgends tritt so deutlich hervor, dass keine neutrale Entscheidung möglich ist. Welche Option ich in einem Handlungskonflikt wähle, hat nichts mehr mit Optimierung zu tun (sonst wäre da kein Konflikt). Es hat nur noch mit mir zu tun. Daher kann ich auch die Verantwortung übernehmen. Von einer „freien Entscheidung“ kann aber keine Rede sein. Ich bin eben so, dass ich im Unglauben bleibe – oder ich bin eben so, dass ich mich von Gott ergreifen lasse. Eine solche Situation wird aber erst geschaffen in der endgültigen Zuspitzung der sündigen Geschichte durch den Eingriff der göttlichen Geschichte. Indem Barth diese Zuspitzung nachzeichnet, klärt er die Grundentscheidung – die eben nicht „frei“ ist, der aber auch keine menschliche Person ausweichen kann. Diese Situation kann nur geschaffen werden, indem Gott sich dem Leiden bis zum bitteren Ende aussetzt. Gottes Handeln und die der Sünde verfallene Welt bilden zwei geschlossene Systeme, die zunächst gegeneinander treten. Sie unterscheiden sich nicht durch bestimmte Eigenschaften, sondern durch unterschiedliche Bewegungsrichtungen und Orientierungen. Die sündige Verkettung von Unfreiheit und Ungehorsam lässt die Situation immer dichter werden, hat also eine Richtung. Hier geht es nicht um Strafe, sondern vor allem um Knechtschaft, die aber intensiviert wird durch alle Versuche der Selbstbefreiung. Gerade der Irrtum, dass der Mensch gut sei, führt ins Verderben. Der Versuch, zu unterscheiden zwischen prinzipiell gutem Menschen und verkehrten Taten, ist die Wurzel für die Unterscheidung zwischen „ich“ und „Handlungen“ und zwischen „Ich“ und „anderen“. So kommt es zur Selbstentfremdung. Selbstgerechtigkeit ist in der Wurzel: Selbstunterscheidung – und die führt zu destruktiven Spaltungen (vgl. 447), zum Selbstwiderspruch. Das bedeutet auch, dass das System eine Geschichte hat, und zwar eine in höchst doppelsinniger Weise gerichtete Geschichte. Das ist der Kontext, in dem Barth schon in KD III/1 (§ 30,2) darauf bestehen kann, von der iustitia distributiva Gottes, aber eben von der Gerechtigkeit Gottes zu reden.52 Doch kommt es zur Umkehrung. Das ist möglich, weil in jeder Geschichte Doppeldeutigkeiten auftreten, die mit den unterschiedlichen Perspektiven 52 „Gerade indem wir die Gerechtigkeit Gottes und also seine in seinem Wesen begründete, ja sein Wesen bildende Treue: seine gegen sich selbst, in der er uns treu ist, in Jesus Christus anschauen und ergreifen, werden wir ja gewarnt sein vor jener allzu bequemen, einlinigen Denkweise, die den Begriff der Gerechtigkeit Gottes von der Vorstellung einfach entkleidet hat, die sich mit dem Begriff des Gerichts notwendig verbindet, nämlich von der Vorstellung einer Entscheidung über gut und böse, über Lohn und Strafe.“ Daher muss „nun doch auch ihr Charakter als iustitia distributiva zur Geltung kommen“ (KD II/1, 439).

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der Personen zusammenhängen. Es wäre nun naiv, eine synthetische Außenbetrachtung zu postulieren, um solche Doppeldeutigkeiten zu eliminieren, denn die Geschichte bewegt sich gerade, weil eine neutrale Außenperspektive nicht möglich ist, und weil die Geschichte sich so bewegt, dass eine neutrale Sicht nicht adäquat ist. Die neutrale Perspektive „von außen“ wäre die Gottesperspektive – God’s-Eye-View –, die uns von der Schlange versprochen wird. Es bleibt daher notwendig bei Spannungen, und die einbrechende Gottesgeschichte zeigt uns, dass diese letzten Inkommensurabilitäten sogar schön sein können. Daher besteht Barths theologische Methode darin, die Spannungen in der Geschichte durch Klärung so zu verschärfen, dass in den Brüchen die Unableitbarkeit der personalen Existenz hervortritt, die Unverfügbarkeit, die eben darin liegt, dass Personen ungezwungen handeln können und doch in strenger Entsprechung zu dem, was sie sind. Das eben ist das Geheimnis der von Gott geschaffenen Person. Personale Identität widersetzt sich als Entsprechung der klassischen Logik auf eigentümliche Weise. Identität hängt mit Selbsterkenntnis zusammen – ich bin nicht zuerst, um mich dann zu erkennen, sondern ich bin auch, wie ich mich erkenne. Wenn Selbsterkenntnis aus der Vergebung kommt, dann ist Identität schon gar nicht fixierbar, sondern zu-künftig und Geschenk. Daraus ergibt sich die Plausibilität des geheimnisvollen „für mich“. Das menschliche Geheimnis wird freigesetzt durch Gottes geheimnisvoll konsequente Geschichte, es wird auf-geschlossen für Geschichten jenseits von Eigengesetzlichkeit und Willkür. Aber diese Struktur kann auch nur von einem geschichtlichen Punkt aus erkannt werden, also nicht als allgemeine Formel („Selbsterkenntnis im Andern“), sondern als kontingente Entdeckung. 3.2  Daher ist es wichtig, dass die eigenartig dialektischen Denkfiguren allesamt in Geschichten eingebettet bleiben. Barth legt die biblische story aus, aber geleitet durch die Struktur des Chalcedonense. So gelingt es, die Geschichte zu stilisieren, aber die Stilisierung ist umgekehrt die Voraussetzung für die subjektive Aneignung der Geschichte. Das entspricht genau dem in KD I/2 (§ 21,2) skizzierten Weg von der Explikation über das Nachdenken zur Applikation. Der biblische Text wird in seiner ganzen Fremdheit so präzisiert, dass die Denkschematismen in Fluss geraten, bis die biblische Denkform in unsere „Selbstverständlichkeiten“ einbricht.53 Dass Stilisierung und persönlichster Bezug einander nicht widersprechen, dürfte plausibel werden, sobald wir uns 53 Der Gebrauch eines menschlichen Denkschematismus „im Dienst der Schriftauslegung ist dann legitim und fruchtbar, wenn er ein kritischer Gebrauch ist, wobei der Gegenstand der Kritik nun allerdings nicht die Schrift, sondern unser Denkschematismus, die Schrift also vielmehr das Subjekt dieser Kritik sein muß“ (KD I/2, 823).

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die Komplementarität von Doxologie und Sündenbekenntnis in Erinnerung rufen. Barth legt die Geschichte aus und konturiert sie mit Hilfe der Formel. In der Geschichte der Sünde und in der Geschichte Gottes mitsamt der inneren Notwendigkeit dieser Geschichten zeigt sich das Wesen Gottes und des Menschen als geschichtlich-personal. Daher können in einer einzigen Person beide Geschichten sich ineinander verschlingen. Dennoch treten die Geschichten dabei auch deutlich auseinander, Gottheit und Menschheit bleiben unvermischt und unverwandelt. Allerdings wird in der Differenzierung deutlich, welches die beiden Geschichten sind, also auch das Wesen Gottes und der Menschen. Die Naturen sind weder zu trennen noch zu scheiden, denn sie sind gerade im Kontrast „kreuzweise“ offenbar. Die vierfache Interpretation der „Stellvertretung“ kann das noch deutlicher machen: Dass göttliche und menschliche Natur ungetrennt und ungesondert sind, zeichnet sich darin ab, dass der narrative Übergang von der göttlichen Aktion in die Passion die Einheit voraussetzt, wobei auch im Nachhinein die göttliche und die menschliche Seite nicht subtraktiv zu unterscheiden sind. Die differenzierte Einheit der Evangelien zwingt zu der Feststellung: Jesus Christus ist Subjekt, nicht nur Objekt – Subjekt gerade, indem er auch Objekt ist – in diesem Geschehen […]. Man darf also gerade, um das Leiden und Kreuz Christi recht zu verstehen, nicht abstrahieren von dessen Zusammenhang, in welchem das deutlich wird. Man hat jenen ersten Teil der Geschichte ebenso als Kommentar zum zweiten zu verstehen wie umgekehrt – und so sein Leiden, das Kreuz als seine Aktion (258).

Aber die differenzierte Darstellung der Evangelien macht gerade in diesem Kontext auch anschaulich, dass eine merkwürdige Umkehrung sich vollzieht: Seine Aktion wird – ohne aufzuhören Aktion zu sein, vielmehr als Aktion im stärksten Sinn des Wortes: als Gottes zu seinem Ziel kommendes Werk auf Erden – zur Passion. […] Die geschichtliche Pragmatik, die die beiden Strecken der evangelischen Geschichte miteinander verknüpfen, die den Übergang von der Aktion zur Passion erklären müßte, ist in den Evangelien so undurchsichtig wie möglich (262).

So wird die Fremdheit des Geschehens plastisch gestaltet. Barth skizziert eine asymmetrische Durchdringung von Aktion und Passion als narrative Struktur der Evangelien. Das entspricht aber exakt der Asymmetrie im Chalcedonense, wo der Weg des Gottessohnes „oben“ beginnt und „unten“ sein Ziel erreicht in der geheimnisvollen Einheit von göttlicher und menschlicher Natur. Dass göttliche und menschliche Natur unverwandelt und unvermischt bleiben, zeichnet sich darin ab, dass Gort selbst in der Passion den Konflikt mit der Sünde erträgt, welche ungeheuerliche Doppeldeutigkeit von Jesus in Gethsemane als letzte und tiefste Anfechtung erfahren wird. Auch hier lässt sich eine

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umgreifende Asymmetrie feststellen, die freilich nicht auf eine Vereinigung, sondern auf einen radikalen Konflikt zielt: In der Konfrontation Gottes mit der Sünde wird letztlich die Sünde vernichtet. „Das direkte Ziel der Passion Jesu Christi ist aber ein negatives: die Beseitigung jener zwischen Gott und Mensch hineingetretenen Störung, der menschlichen Feindschaft gegen Gott“ (281). Weil und indem Jesus Christus die Kraft dieses entscheidenden Geschehens der Vergebung unserer Sünden ist, darum ist die vergebene Sünde das Alte – der Inbegriff des Alten, das vergangen, vorübergegangen, nur noch Vergangenheit, nicht mehr Gegenwart ist und keine Zukunft mehr hat (282).

In diesem Konflikt kommt es dann aber auch zur paradigmatisch gerechten Tat Jesu im gehorsamen Gegenüber zu Gott. Schon in der Versuchungsgeschichte zeigt Barth, wie die satanische Verlockung mit göttlichen Möglichkeiten deckungsgleich wird. Jesus könnte sich dem Kreuz entziehen, ohne deshalb weniger Gottes Sohn zu sein. Er ist aber eins mit dem Gottessohn gerade vermöge der Selbstunterscheidung von Gott – unvermischt. Hätte Jesus der ersten Versuchung nachgegeben, so wäre seine Fastenzeit zu Ende gewesen. „Er hätte sein Fasten und also seine Buße in göttlicher Machtvollkommenheit, aber ohne nach dem Willen und Befehl Gottes zu fragen […], mit Gottes Hilfe abgebrochen“ (288). Die entscheidende Differenz ist denkbar subtil. Jesus hätte ja kaum unrecht gehandelt bei einer Verwandlung von Steinen in Brot. Und doch hätte die minimale Abweichung alles verdorben. Solche Subtilität wird aber im strengsten Sinne diabolisch in der Gethsemane-Szene. Hier kommt es zur Kongruenz von Sünde und Gottes Willen – Urbild für die geschichtlich durchweg wirksame Doppeldeutigkeit von Situationen, in denen satanische Perversion und deren göttliche Inversion konkret werden, also: zusammenwachsen können. In der Gethsemane-Szene wird das konsequent zu Ende gedacht: Gottes Wille geschieht, indem Satans Wille geschieht. Jesu Gebet wird nicht beantwortet. Das einzige Zeichen für ihn ist eben sein Tod. In dieser unbegreiflich schrecklichen Tatsache wird Gott auf seine Anrede Antwort geben, nicht anders. […] Die Antwort Gottes war identisch mit diesem Tatwort des Satans. Das war das Entsetzliche. Eben diese Koinzidenz des göttlichen und des satanischen Willens, Werkes und Wortes war das Problem dieser Stunde, war die Finsternis, in der Jesus Gott in Gethsemane anredete (295).

Daher ist Jesus hier gänzlich einsam, sein Wille unterscheidet sich vom Willen Gottes. Aber damit ist der Gehorsam nicht etwa in Frage gestellt: Das Vorübergehen des Kelches „wäre dann, wenn er dem wirklichen Willen Gottes entsprochen hätte, auch sein, Jesu Wille geworden. Er ist es noch nicht“ (296). Für die Wendung zum „Dein Wille geschehe“ gilt daher: „Nicht ein Umkehren Jesu findet in diesem ‚Dein Wille geschehe!‘ statt, sondern ein nach wohlbegründetem Anhalten umso entschlosseneres Weitergehen auf dem nie verlas-

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senen Wege“ (297). Auch hier macht der narrative Zusammenhang deutlich, dass die Willensrichtung Jesu ungezwungen ist und doch einer letzten Konsequenz entspringt.54 Bereits unter 1.2 war davon die Rede, dass der Wille nicht ein „Vermögen“ ist, sondern nur in einer Geschichte Wirklichkeit hat. Die Verästelungen, denen Barth im ausführlichen Exkurs zu Jesu Versuchlichkeit (286 ff.) im biblischen Zeugnis nachspürt, sind ein Indiz dafür, dass eine schlichte Unterscheidung zwischen Gottes Willen und Jesu „Ich“ zu einfach bleiben muss, weil beides nur in einer einheitlichen Geschichte auseinandertritt. Es dürfte aber keine forcierte Interpretation des patristischen Befundes sein, wenn wir sagen, dass diese komplexe und raffinierte Bewegung exakt die Pointe der Formel von Chalcedon ausmacht. Es trifft also daneben, wenn die narrative Gestalt der Barthschen Versöhnungslehre gegen das altkirchliche Dogma und seine metaphysische Terminologie ausgespielt wird. Denn es geht Barth in der gesamten Versöhnungslehre darum, die narrative Stringenz der biblischen Geschichten herauszuarbeiten. Dafür bietet die klassisch-altkirchliche Dogmenbildung unverzichtbare Denkmuster. Die Stringenz der Geschichten ist aber zugleich ein wichtiger Zwischenschritt zur Verkündigung der Geschichten in die Gegenwart hinein. Das hängt mit der doxologischen Stilisierung zusammen: 3.3  Im Kern der Geschichten liegt der Personentausch. Er ist das Geheimnis und der narrative Kern der biblischen Geschichten und vor allem der Passion Jesu Christi. Barth legt diese Geschichte aus und konturiert sie mit Hilfe der Formel. Das vierfache „für uns“ akzentuiert zunächst die Fremdheit und damit die einzigartige Stellung der Geschichte Jesu Christi. Von diesem axiomatischen Punkt aus können die soteriologischen Konsequenzen unterschieden werden von anthropologischen, psychologischen und soziologischen Mythen (vgl. 300 f.). Die doxologische Stilisierung, die paradigmatisch analysiert werden kann an Hymnen wie vor allem Phil 2,6–11, aber auch Kol 1,15–18 und Joh 1,1–18 und an der Formel von Chalcedon, lässt einerseits die Fremdheit des göttlichen Handelns hervortreten, zeichnet aber zugleich die innere Kontingenz dieses Handelns nach. Das zeigt sich vor allem daran, dass derartige Gebilde bei aller sprachlichen Präzision „nicht aufgehen“. So kann Barth zwar das vierfache „an unserer Stelle“ immer schärfer artikulieren, umkreist dabei aber eine Wirklichkeit, die sich menschlichem Begreifen letztlich entzieht, weil sie nur nachvollziehen kann, wer bereits von ihr ergriffen ist. Für die theoretische Einschätzung des Gedankengangs in § 59,2 ist das keineswegs unwichtig: Das Sündenbekenntnis wäre einseitig subjektiv, bliebe es nur Erfolg eines gelungenen usus elenchticus 54 Vgl. oben Anm. 47.

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legis. Es muss umgriffen sein von einem Bekenntnis zum Handeln Gottes, also integriert werden in das Glaubensbekenntnis. Auf diesem Umweg erst ergeben sich die allerdings „überschüssigen“ Aussagen zur objektiven, jedenfalls transsubjektiven Dimension der Sünde. Die Mächte und Gewalten können zwar teilweise – etwa systemtheoretisch – rekonstruiert werden, was unter 2. auch versucht wurde. Es wäre dann nur zu fragen, ob eine solche Rekonstruktion die subjektive Komponente noch einholen kann: Nathans „Du bist der Mann“ (2Sam 12,7) und das rückhaltlose Gebet Ps 51 müssen zugleich mit der Einsicht in die umgreifende Macht der Sünde zur Geltung kommen, sodass die beiden Bewegungen „nach innen“ und „nach außen“ einander gleichsam aufschaukeln. Dabei treten aber durchaus auch die Strukturmomente hervor, die unsere eigene menschliche Existenz bestimmen. Eine eigentümliche „existentiale Interpretation“ erfolgt also auf dem Umweg über „Stilisierung“ oder „Formalisierung“. Solche Entmythologisierung – nicht des biblischen Textes, sondern der anthropologischen, psychologischen und soziologischen Grundmuster in der Rede von der Stellvertretung – lässt zugleich hervortreten, dass die Muster aus anderen theoretischen Zusammenhängen durchaus in eine sinnvolle Konstellation treten können, wenn das Gefälle nicht verkehrt wird. So fällt Licht auf unsere Existenz.55 Die Pointe des zunächst so fremden Personentauschs liegt in der Unterscheidung zwischen abstraktivem und geschichtlichem Denken. Dieser Unterschied gehört jenseits bloß logischer Erwägungen zur Sündenerkenntnis, die den tödlichen Zug abstrakter (De)Personalisierung entlarvt als Verzerrung und Verblendung, parasitär fundiert in der personalen, geschichtlichen Struktur. Daher ist die narrative Dimension der Evangelien und der Bibel überhaupt nicht ein didaktischer Kunstgriff, sondern paradigmatisch für die Existenz der Person vor Gott. Es geht um die Befreiung zur narrativen Existenz.

55 Es ist daher konsequent, dass Barth den Abschnitt beschließt mit einem Überblick über die biblischen Variationen (vgl. 301) des „für uns“. Es gibt verschiedene Bildbereiche, die neben der forensischen Metaphorik eine Rolle spielen, vor allem natürlich den kultischen Bereich. Barth spielt daher die Grundstruktur für das Opfer nochmals durch (302 ff.). Nehmen wir die Rede von Variationen im musikalischen Sinne, so wäre die auf eine Formel gebrachte Struktur vergleichbar mit einem basso ostinato, der eine unerschöpfliche Passacaglia in Gang setzt, eine Fülle von Variationen, die zudem noch ineinander verschlungen sein können. Diese Lesart der dogmatischen Formeln scheint mir ertragreich für die Interpretation aller scheinbar spekulativen Gebilde in der „Kirchlichen Dogmatik“, nicht nur für die immanente Trinitätslehre, sondern auch für die Erwählungslehre. Das wäre allerdings noch zu überprüfen.

3. „Der königliche Mensch“. Das Leben Jesu in Barths Christologie

Barth skizziert in KD IV/2, § 64,3 „Der königliche Mensch“ den vorösterlichen Jesus. Dabei wird der Akzent gesetzt auf den wahren Menschen im Sinne der Zwei-Naturen-Lehre. Es geht nicht um einen Menschen „im allgemeinen“. Daher kann nicht „ein von dem österlichen Nachher abstrahiertes vorösterliches Vorher“ rekonstruiert werden.56 Barth orientiert sich am Text des Neuen Testaments und besteht darauf, dass diese Methode auch historisch angemessen ist. Es wäre nicht sachgemäß, wollten wir davon absehen, dass es um die Begegnung Gottes mit anderen menschlichen Personen geht. Insofern wäre die Rückfrage „hinter“ die Texte nach einem „historischen“ Jesus eine Reduktion, die keineswegs die wahre Wirklichkeit trifft. Wohl aber macht Barth die Texte transparent für die gott-menschliche Wirklichkeit im Sinne der klassischen Christologie. Ich wende mich zunächst dem Abschnitt § 64,3 zu.

1.  Diagonale Überblicke Barth will nur eine Skizze bieten – „in einigen Diagonalen“ (175). Dabei wird sich zeigen, dass diese Beschränkung theologisch begründet ist. Als erster Aspekt (I) tritt die einzigartige Begegnung in den Mittelpunkt, die im Text ihre Spuren hinterlassen hat. Jesus macht Geschichte – allerdings als „befremdliches und aufregendes Novum“ (175). Dabei wird der bereits in der christologischen Erörterung (§ 64,2) zentrale Begriff „Geschichte“ von einer historischen Faktizität deutlich abgegrenzt, sofern Fremdheit und Provokation in den Mittelpunkt rücken. Wenn die Texte von der Zwei-Naturen-Lehre her gelesen werden, gilt es den Konflikt der göttlichen mit der menschlichen Wirklichkeit zu profilieren. Aber die göttliche Wirklichkeit ist ihrerseits eine lebendige und daher eine geschichtliche Wirklichkeit. Daher ist der Konflikt nur zu erzählen. Eine Erzählung muss kohärent sein – und das kann die historische Rekonstruktion nicht leisten, vielmehr setzt Barth denkbar tief an, nämlich bei der Geschichte Gottes mit den menschlichen Geschöpfen, deren letzte Kohä56 KD IV/2, 174. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diesen Band.

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renz in der ewigen Gnadenwahl liegt. Es ist daher nicht erstaunlich, wenn Barth schon gleich in einem zweiten Punkt die Entscheidungen hervorhebt, die durch Jesus provoziert werden (vgl. 175 ff.). Die Scheidungen auf der menschlich-­ geschichtlichen Ebene zeichnen nicht etwa die herkömmlichen Fronten nach, sondern laufen „quer durch sie alle“ hindurch (176). Das ist für die „narrative Logik“ wichtig. Die Scheidungen sind nicht verrechenbar – sie sind inkommensurabel – mit den sonstigen „Verschiedenheiten und Gegensätzen“, sie stehen quer und verweisen darin auf eine tiefere Dimension. Natürlich kann aus diesen narrativen Details nicht die Erwählungslehre abgeleitet werden. Sie kann aber in solchen Details aufleuchten, wenn sie bereits vorausgesetzt wird. Barth betont, es gebe keine Neutralität gegenüber Jesus. Hier kommt es jeweils zu einer radikalen Entscheidung zwischen Nachfolge und Ablehnung. Diese Entscheidung wird zum Zeichen der ewigen Entscheidung – und zwar im Zusammenhang mit der letzten Verwerfung Jesu durch alle anderen. So wird die einzigartige Wirklichkeit Jesu als des königlichen Menschen profiliert, die ihrerseits die Erinnerung und damit das Zeugnis von seiner Gegenwart gestaltet hat (vgl. 178). Ein wesentlicher Zug dieser Gestalt ist der Bezug zum Alten Testament: „So konnte jetzt das ganze Alte Testament gerade nur noch als Verheißung des Kommens dieses Menschen gelesen und ausgelegt werden“ (178). Darin zeigt sich die Tiefe dieser Geschichte. Es ist die Geschichte Gottes mit dem erwählten Volk, die sich hier in einer ultimativen Weise vollendet und erfüllt. Der andere wesentliche Zug liegt in der Transparenz Jesu für die Gegenwart Gottes: Nur dem Willen des Vaters unterworfen und also nicht willkürlich, aber auch von nirgendswoher gedrungen und gezwungen, sah man ihn überlegen kommen und gehen, schalten und walten, hörte man ihn reden, sah man ihn aber auch schweigen und, indem er das Alles tat, Herrschaft aufrichten und ausüben (180).

Die Notwendigkeit – der Gehorsam Jesu – ist hier identisch mit wahrer Freiheit. Solche Transparenz wird literarisch in den Evangelien gestaltet. Es wäre wahnsinnig, sie als historisches Faktum „hinter“ den Texten zu konstruieren, aber sie allein ermöglicht ein angemessenes Verständnis der Texte. Barth verbindet zuletzt die unwiderrufliche Gegenwart Jesu mit dem Kreuz, von dem aus die ganze Geschichte im Rückblick erzählt wird. Die Gegenwart dieser Geschichte ist nicht auszulöschen, sie vergegenwärtigt sich selbst: „gerade der damals endlich und zuletzt Gekreuzigte ist […] der heute gegenwärtige, der einst kommende, der lebendige Herr“ (182). Das kann einerseits nur von Ostern her gesagt werden. Andererseits steckt darin auch, dass sich in der „Zielgeraden“, wo die Berichte „in mächtigem Gefälle“ der Passion „entgegeneilen“ (182), eine göttliche Notwendigkeit abzeichnet, die zum göttlichen Leben gehört und

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daher nur Ewigkeit sein kann – Ewigkeit aber nicht als Zeitlosigkeit, sondern als bleibende Gegenwärtigkeit. Zur „narrativen Logik“ der Evangelien macht Barth eine interessante Bemerkung: Es gibt kein „Lebensbild Jesu“, die Kontinuität dieses Lebens bleibt eher rätselhaft, in Etappen gegliedert, „von denen doch jede einzelne offenkundig auch das Ganze darstellt“ (184). Darin spiegelt sich gerade die Spannung zwischen dem Gefälle dieses Lebens auf das Kreuz hin und der Singularität des königlichen Menschen, die immer wieder alle Kategorien sprengt. Die Fremdheit, wie sie als narratives Moment der Evangelien unübersehbar ist, wird zum Zeichen für einen Konflikt um die Wirklichkeit – und es könnte ja sein, dass unsere explizite oder auch stillschweigende „Ontologie der Persönlichkeit“ eine Abstraktion ist. Hingegen gibt uns der königliche Mensch die Freiheit, „von ihm her zu denken und zu wollen, in seine Nachfolge einzutreten“ (185), also: in der neuen Wirklichkeit zu leben. An dieser konkreten Geschichte haben wir zu lernen, was Wirklichkeit, „was das Geschöpf, was der Mensch ist“ (185). Das ist im nächsten Abschnitt (II) ohnehin deutlich, denn nun geht es um die These, wonach der königliche Mensch analog zur Existenzweise Gottes existiert (vgl. 185). Das Gefälle des Lebens Jesu konvergiert letztlich mit der Erniedrigung des Sohnes Gottes, seinem Weg in die Fremde. Es ist übrigens zu bemerken, dass gerade in dieser menschlichen Erniedrigung die Erhöhung des Menschensohnes ihre Zuspitzung findet. So ist die „Entsprechung“ nicht die Wiederholung im verkleinerten Maßstab, sondern die Verwicklung von Geschichten: Die Geschichte Gottes in der Verwicklung mit der Geschichte Jesu tritt den menschlichen Geschöpfen dramatisch entgegen und löst eine einzige Konfliktgeschichte aus, in der diese Person allen anderen immer fremder und ärgerlicher wird. Die Erniedrigung des königlichen Menschen zeichnet sich darin ab, dass er sich an den Rand des „Establishments“ begibt. Jesus ist solidarisch „mit dem Gott, der in den Augen der Welt […] als Inhalt eines Grenzbegriffs existiert“ (188). Dabei werden nicht einfach die Maßstäbe umgekehrt, es wird vielmehr jeder Maßstab in Frage gestellt. Es geht um eine Umwertung aller Werte (vgl. 188). Es geht also nicht um einen immanenten Wert von Randgruppen, vielmehr bleibt die Gegenwart Gottes inkommensurabel. Der königliche Mensch ist der göttlichen Existenzweise analog in dem revolutionären Charakter seines Verhältnisses zu Wert- und Lebensordnungen (vgl. 191). Wohlgemerkt: nicht prinzipiell-systematisch und auch nicht programmatisch, sondern stets radikal. „Er stellte – und das war das tief Beunruhigende seiner Existenz nach allen Seiten – alle Programme, alle Prinzipien in Frage“ (191). Darin zeigt sich die königliche Freiheit. Jesus ist frei, „quer durch alle jene Systeme hindurchzugehen“ (192), sodass ihre Vorläufigkeit, Relativität, Brüchig-

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keit aufleuchtet. Jesus ist unter keine Kategorie zu bringen. Gerade so gibt Gott den Ordnungen ihren begrenzten Bereich, aber niemals eine totale Geltung. In Jesus handelt Gott als „Durchbrecher aller Bande“ (193). Hier zeigt sich wieder die theologische Dimension der Erzählung: Die Bewegung wird geschaffen durch die permanente und immer wieder neu akzentuierte Fremdheit, die Inkommensurabilität, die immer wieder quer steht. Es ist insofern ganz präzise, wenn Barth zu Beginn von „Diagonalen“ spricht. Dadurch kommt es zu einer pointierten Darstellung der Transzendenz Gottes – im doppelten Sinne des Wortes – nicht als Jenseits, sondern als Unruhe mitten in der Geschichte. Daher aber setzt uns der königliche Mensch auch in Bewegung, als erhöhter Menschensohn. Der Begriff des „Inkommensurablen“ (199) ist hier sehr interessant, weil Barth ihn auch damit in Verbindung bringt, dass die neue Wirklichkeit einen radikalen Gegensatz darstellt, sodass es keine Neutralität gibt. Anders gesagt: Es gibt keinen gemeinsamen Nenner – und das ist die schlichte Bedeutung von „inkommensurabel“. Das elementar anschauliche Beispiel ist die Diagonale im Quadrat. (Die bloße Negation der Verhältnisse schafft hingegen keine bleibende Irritation.) Von da geht eben die Unruhe aus, die des Menschen Trägheit bleibend überwindet, so kommt es zu einer inkommensurablen Geschichte, in der sich die ewige Gottesgeschichte abzeichnet. Innerhalb der Wirklichkeit der Welt bleibt der Fremdkörper und zwingt zu revolutionären Perspektivwechseln, ohne aber jemals durch eine innerweltliche Umwälzung beseitigt zu werden. Darin wird Gott konkret (vgl. 199): Gerade durch die Störung aller uns zugänglichen Skalen entzieht sich Gott in höchst aufdringlicher Weise (vgl. 200). Der königliche Mensch ist für die Menschen und spiegelt darin das göttliche Ja zum Menschen wider. Jesus bringt den Menschen Freude. Genauer: er ist die Freude des Reiches Gottes, die den Menschen geschenkt wird (vgl. 203). Das Elend ging in Jesu Herz, „in ihn selbst hinein“, bis es „nicht mehr das ihrige, ganz das seinige war. Er erlitt es an ihrer Stelle“ (205). Hier wiederholt sich der Personentausch aus dem ersten christologischen Durchgang.57 So kommt es zu einer intensiven und nicht mehr überbietbaren personalen Relation. Das zeichnet Barth exegetisch an Mt 9,36 nach, am Leitfaden des Wortes óchloi. An der „Masse“ – dem namenlosen „Man“ – tritt die Dynamik des Elends hervor, wo gerade das Streben nach der eigenen Identität zum Verlust der einzigartigen Personalität führt, weil diese Personalität nur in der personalen Relation zu Jesus geschenkt werden kann. Das Elend der „Masse“ hängt damit zusammen, dass es keine rechten Hirten gibt. Der Hirte muss das „törichte Rufen und Blöken: Ich! Ich! hören und in seinem tiefsten Grund, besser als die Leute selbst, verstehen“ (207). Das ist die „hermeneutische“ Wendung des Erbarmens. Sie führt dazu, 57 Vgl. Barth, KD IV,1, § 59.

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dass alle zusammengebracht werden. Gerade so wird jeder für sich bei seinem Namen gerufen. „So wären alle geborgen bei ihm“ (207). Ihre Freiheit gründet in seiner Herrschaft, die seiner dienenden Hinwendung nicht widerspricht. Hier wäre die in § 64,2 vorbereitete Grundstruktur der Anhypostasie in Erinnerung zu rufen, die Barths Skizze insgesamt leitet. Mit dem Begriff „Anhypostasie“ ist gemeint, dass der Sohn Gottes das Subjekt des Lebens Jesu Christi ist, wohingegen die menschliche Natur kein eigenes Personzentrum aufweist. Barth legt Wert darauf, dass gerade darin sich die Freiheit des königlichen Menschen ausbildet. Diese Freiheit konvergiert in der Selbsthingabe Jesu mit der Selbsthingabe des Gottessohnes. So wird Jesu geschichtliches Leben durchsichtig für die Geschichte Gottes. Es kommt also auch zu einer konkreten Begegnung mit dem königlichen Menschen. Daher läuft die Anhypostasie nicht auf eine Abstrak­tion hinaus, sondern auf eine aufdringliche Identität der göttlichen und der menschlichen Natur. Dabei wird gerade aus der Selbst-Hingabe die Identität der Person geschaffen. Darauf müssen wir noch eingehen, weil Barth den freien Gehorsam des Menschensohnes immer wieder hervorhebt (s. u. 3.). Dagegen zeichnet sich an der „Masse“ nach Mt 9,36 ab, wie aus dem Streben nach Identität die Unfreiheit resultiert. Erst die Befreiung von diesem Streben macht die menschlichen Personen frei, in der Beziehung zu dem königlichen Menschen, der seinerseits die Herrschaft in freiem Gehorsam ausübt. Es dürfte klar sein, dass die mehrfach hervorgehobene Inkommensurabilität in der Begegnung mit dem Menschensohn bereits auf diese anhypostatische Struktur verweist. Dieser königliche Mensch passt in keine Ontologie – insofern bleibt er ohne Ort und hat nach „menschlichem“ Ermessen keine Identität. Darin aber liegt letztlich seine Kraft, die Unruhe zu schaffen, die auf andere menschliche Personen übergreift und sie letztlich befreit. Im dritten Abschnitt (III) geht es um das Reden und Handeln Jesu. Sein Leben hat den Charakter einer Geschichte, die allerdings inkommensurabel ist. Daher sind auch die Evangelien „inadäquate Versuche, die Überlieferung von Jesu Lebenstat festzuhalten (vgl. 214). Allerdings ist es ein historisches (!) Faktum, dass sich in allem fragmentarischen Charakter der Überlieferung ein konturiertes Bild abzeichnet. „Eben in dem von ihnen in den Grundzügen übereinstimmend bezeugten Bild seines Handelns sah die sich konstituierende Gemeinde ihn selber, hörte sie das Zeugnis seines eigenen, des einen Heiligen Geistes“ (215). Das ist hermeneutisch bedenkenswert: Der fragmentarische Charakter der evangelischen Überlieferung entspricht der inkommensurablen Struktur des Handelns und Redens Jesu. Zugespitzt: Es entspricht dem Gegenstand der Texte, dass sie sich einer historischen Rekonstruktion sperren. Die „innere Einheitlichkeit“ des Bildes (214) kann nicht von uns geschaffen werden, sie muss sich selbst durchsetzen.

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Zu den eigentümlichen Worten Jesu macht Barth überraschend formale Bemerkungen. Er geht weder auf die Anstößigkeit der Bergpredigt noch auf die Mehrdeutigkeit der Gleichnisse ein. Die Originalität der Worte Jesu ist nicht auf besondere Inhalte zurückzuführen, sondern immer auf den Bezug zu seiner Person, „dass sie nun eben als seine Worte ausgesprochen werden“ (216). Daher kann die Gemeinde sie unbekümmert überliefern, also uneinheitlich, nicht auf aramäisch etc. Barth stellt denn auch die Frage, ob man nicht gerade von dieser historischen Tatsache ausgehen muss. Die anhypostatische Relation des Menschensohns zum Gottessohn springt über auf die Relation der Texte zur Person Jesu Christi. Es geht nur darum, dass Jesus geredet hat. Dabei lässt die Ansage des kommenden Heils das Heil auch tatsächlich anbrechen. Indem Jesus redet, spricht Gott. Für die Nachricht gilt: „natürlich redet sie von Gott – indem nämlich der Mensch Jesus von ihm redet. Und umgekehrt: indem er diesen Menschen zum Reden erweckt hat, hat Gott selbst sie ausgesprochen“ (218). Hier koinzidiert die Nachricht mit dem, der sie bringt. Daher kann es nicht primär um den Inhalt gehen, denn die Heilsbotschaft liegt darin, dass sie an uns ergeht. Das würde gerade verdunkelt, wollte man den Inhalt der Botschaft abziehen von der Person. So ist die scheinbar formale Abstraktheit in Barths Exegese durchaus angemessen. Barth kann von einem „absoluten“ didáskein Jesu sprechen (222). Hier werden einerseits das Gesetz und Propheten vollmächtig ausgelegt, sie werden aber auf die Gegenwart Jesu bezogen, denn darin sind die Schriften erfüllt. Das ist wieder der Grundzug der Geschichte Jesu: Hier kommt die Geschichte Israels zur Vollendung. Daher ist das Reden Jesu identisch mit dem Wort Gottes – und daher auch ein Fremdkörper und ein Ärgernis, das zur Entscheidung zwingt (s. o. zu I). Das Faktum eines inkommensurablen Redens konvergiert mit der Auslegung des Gesetzes und der Propheten. Es geht aber ausdrücklich nicht um einen „Inbegriff von irgendwelchen abstrakten Wahrheiten und Forderungen“ (223). Ähnlich konturiert Barth das kerýssein Jesu. Hier wird die Geschichte Israels aufs Höchste verdichtet. Wieder kommt es zur indirekten Identität zwischen Jesus und dem Wort Gottes, einem absoluten (227) kerýssein: Jesus redet als der, der da kommt, „nicht von einer noch ausstehenden oder anderwärts geschehenden, sondern von der, indem er da ist, sich vollziehenden göttlichen Machtergreifung: er vollzieht sie, indem er redet“ (227). Barth gibt keine Hinweise darauf, dass bestimmte Inhalte die Verkündigung bestimmen, es geht vielmehr um den Bezug auf das Geschehen selbst im Horizont der alttestamentlichen Verheißung. Die theologisch fruchtbare Einsicht liegt darin, dass bestimmte Inhalte niemals für sich allein transparent sein können für die göttliche Wirklichkeit, während umgekehrt die biblisch überlieferten Worte Jesu durch den Bezug auf seine Gegenwart – in der ganz singulären Situ-

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ation der Erfüllung der alttestamentlichen Geschichte – bedeutsam werden. Die auf den ersten Blick sehr formale Transparenz des Redens Jesu wird hier vertieft durch ein Muster, das man als „Verdichtung“ bezeichnen könnte. Im Rahmen literarischer Gestaltung ist das nicht ungewöhnlich. Das Muster tritt hervor im Gegenüber von Johannes dem Täufer und den Aposteln, also in der Wende – der strophé – von der Zeit der Erwartung zur Zeit der Erinnerung. Der Täufer gehört, „gerade als letzter, mächtigster Träger der reinen Verheißung, schon in die Geschichte der Erfüllung der alttestamentlichen Verheißung hinein“ (229). Daher ist seine Ankündigung des nahen Gottesreichs als Formel identisch mit dem Reden Jesu, aber doch auch nicht einfach dasselbe. Es ist die „Summe der alttestamentlichen Verheißungsrede, in der diese in die Ankündigung, in das kerýssein der Erfüllung schon übergeht“ (229). Die Struktur der Zeit wird hier gekennzeichnet als Verdichtung, die Zukunft wird Gegenwart. Sofern sich das in der Verkündigung der Apostel analog abzeichnet, hinterlässt die sich in die Ewigkeit hinein „aufstauende“ Zeit in den Texten ihre Spur. Die Struktur der Zeit – ihre „Dichte“ – hat natürlich mit der „narrativen Logik“ zu tun. Es ist zudem zu beachten, wie hier Wort und Tat, Sprache und Geschichte, oder auch: Geschichten und Geschichte ineinandergreifen. Das narrative Gefälle, das zum Kreuz führt, wird hineingestellt in die Konfliktgeschichte Jahwes mit Israel als deren Vollendung. Diese Geschichte ist – als Gesetz und Propheten – immer schon sprachlich gestaltet, immer schon worthaft. Daher spitzt sie sich im Medium der Verkündigung zu, so führt das Reden Jesu auch zu seiner Kreuzigung. Das gilt es zu verkünden. Die Sprache als Zeugnis ist die reale Beziehung zu Jesus Christus. Die anhypostatische Relation ist die der Zeugen, die das Leben Jesu nur eben bezeichnen. Die Vollmacht des apostolischen Wortes hängt daran, dass es „in jener Beziehung gesprochen ist“ (231). Es weist als Wort vom Kreuz und von der Versöhnung über sich selbst hinaus und auf die konkrete Geschichte Jesu Christi hin. Diese konkrete Geschichte ist aber nicht „der historische Jesus“, denn konkret ist diese Geschichte als Einbrechen Gottes in die Geschichte. So ist die Verkündigung anhypostatisch auf Jesus Christus bezogen, dessen Verkündigung ihrerseits anhypostatisch auf das ewige Wort Gottes bezogen ist, weil sie es in der Geschichte realisiert. Hier werden inhaltliche Bezüge sichtbar, denn nun kann etwa die Verkündigung des Paulus gelesen werden einerseits als Verdichtung des alttestamentlichen Zeugnisses, andererseits als Hinweis auf das endgültige Ereignis. Insofern sind natürlich, angefangen mit der Bergpredigt und den Gleichnissen, die Worte Jesu zu interpretieren. Auch hier ist die Anknüpfung an das alttestamentliche Zeugnis auf der einen, die befremdliche bis ärgerliche Konzentration auf Jesus Christus selbst auf der anderen Seite herauszuarbeiten, wenn wir den „vorösterlichen“ Jesus profilieren wollen – und zwar mit histo-

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rischen Gründen, denn dieses Reden muss sich der Gemeinde eingeprägt und dürfte wohl auch Jesus ans Kreuz gebracht haben. „Der andere Aspekt der Lebenstat Jesu“ (232) besteht in seinen konkreten Handlungen. Die Wirklichkeit wird in den Taten Jesu aufgebrochen, und zwar so, dass sich hier ein wirklich Neues ereignet. Wir stoßen wieder auf die Inkommensurabilität, die für die Wunder Jesu entscheidend ist. Die Texte sind erneut unbekümmert über die Parallelen mirakulöser Geschehnisse in der Umwelt. Die Wunder stehen hingegen immer im Zusammenhang mit dem Reden Jesu, das ebenso eine Konfrontation mit dem ganz Neuen ist. „Die Bergpredigt […] war in nicht geringerem Sinn Wunderwort, Einbruch und Geschehen des dem Menschen Unbegreiflichen, wie etwa die Erweckung des Jünglings von Nain […] Wundertat war“ (234). Hier kommt die ganze Weltfremdheit seiner Verkündigung zum Leuchten. Daher interessiert sich Barth gar nicht für die Faktizität der Wunder, sondern nur für ihren Charakter als Zeichen des Einbruchs der göttlichen Wirklichkeit in die alte, verfallene Welt der Sünde. Die Wunder Jesu sind absolute Wunder. Darin bricht ein Gegensatz auf, durch den die Gegensätze des für unser Denken […] Ordentlichen und Außerordentlichen, Begreiflichen und Unbegreiflichen, Natürlichen und Übernatürlichen, Weltlichen und Unweltlichen, Diesseitigen und Jenseitigen […] unbedeutend werden ().

Das Neue des Reiches Gottes ist kein Inbegriff „formaler Transzendenz“ im Sinne eines leeren Geheimnisses (238 f.). Der bloß relative Gegensatz des Ordentlichen und des Außerordentlichen – der auch hinter der Frage steckt, ob die Wunder „wirklich“ geschehen sind – ist künstlich und falsch (vgl. 239). Die Überlegung schließt an den revolutionären Charakter der Begegnung Jesu mit den anderen menschlichen Personen an. Das radikal Andere kann nur in einer bleibenden Inkommensurabilität gegenwärtig werden. Barth analysiert daher die Struktur der Texte (vgl. 239–242). Die Wunder Jesu ereignen sich (a) absichtslos. Sie weisen (b) keine bestimmte Technik auf. Sie sind (c) selbstlos. Sie bleiben (d) ohne erkennbares Programm, sie sind „Anfänge ohne die entsprechenden Fortsetzungen“ (241). Die Wunder stehen (e) in einem notwendigen Zusammenhang mit Verkündigung und Glauben. Sie haben (f) symbolischen Gehalt. Hier wird die anhypostatische Struktur auch der Wunder überdeutlich: Sie werden skizziert als durchsichtige Zeichen. Dabei fällt der Charakter der Anfänge auf, die sich immer wieder neu ereignen und jedes Wunder zu einer singulären Tat machen. Für die „narrative Logik“ ist der „symbolische“ Zug wichtig: Die Wunder schaffen ein Urbild für gewisse Situationen in der Gemeinde als einer geschichtlichen Wirklichkeit, die sich aus dem wirksamen Wort Jesu heraus bildet (vgl. 241). Die Wirklichkeit der Gemeinde ist nicht soziologisch oder psychologisch zu erfassen, sondern durch ihren

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Bezug auf das radikal Neue, wie es in die Geschichte eingebrochen ist. Sie bildet gleichsam mit der Existenz des königlichen Menschen zusammen die neue Wirklichkeit der Erhöhung der menschlichen Natur und ist auf die Begegnung mit dieser Person anhypostatisch bezogen. Das radikal Neue bricht aber durch den Glauben an Jesus in die Gegenwart ein. Erneut geht es um den Bezug auf die Geschichte Israels auf der einen Seite und die reine Beziehung von Personen auf Jesus auf der anderen Seite. Die Aktion Gottes in den Wundern „ist das Neue am Ziel und Ende der Geschichte Israels“ (243). Darin zeichnet sich ihr absoluter Charakter ab, im Gegenüber zu allen relativen Übergängen und Innovationen. Es geht um das Handeln Gottes, der in ihnen sein Reich aufrichtet – so sind sie immer nur, aber eben wirklich Zeichen des Gottesreiches und als solche „absolute Wunder“ (244). Die Begegnung Gottes mit menschlichen Personen ist das jeweils ganz Unverrechenbare, das sich dann in den Zeichen ausprägt, aber nicht umgekehrt aus den Zeichen ableitbar ist. Die Zeichen werden immer erst in einem narrativen Zusammenhang durchsichtig. Die bedingungslose Zuwendung Jesu ist entscheidend und lässt das Wunder zum Zeichen der Erwählung werden. Gott stellt sich „in größter Selbstverständlichkeit darin an die Seite des Menschen“ (249). „Gott zuerst ist Partei gegenüber dem Nichtigen, das den Menschen zunichte machen will“ (250). Ein solcher Satz kann gar nicht abgeleitet werden aus einer Exegese der Wundererzählungen, er muss bereits anderweitig feststehen. Welches noch so außerordentliche Ereignis sollte denn als Ausgangspunkt für eine „induktive“ Bestätigung des Gottesreichs genommen werden? Das gilt auch für den Spitzensatz, wonach die Wunder „neue Schöpfung“ sind (250). Solche Einsichten gewinnt Barth aus exegetischen, vor allem aus narrativen Details. Er fragt auch nach einer Wirklichkeit „hinter“ den Texten, nur ist das die Auferstehungswirklichkeit, von der die Texte immer schon herkommen, also eine durchaus historische, nämlich in den Texten wirksame und unverrechenbare Wirklichkeit. Es genügt, dass sich in der Begegnung mit Jesus das Leben einzelner Menschen in wunderbarer Weise geändert hat. Die Gestaltung dieser Wendung im Sinne eines außerordentlichen Geschehens gehört zum unvergesslichen Eindruck der Begegnung (s. o. zu § 64,3, I). Diese Gestaltung verbleibt aber auf der relativen Ebene und ist als solche zweideutig. Das zeigt sich besonders an den Dämonenaustreibungen, die auch psychiatrisch verstanden werden können und keineswegs von einem auch historisch fragwürdigen Konstrukt eines „mythischen Weltbildes“ abhängen (253). Es geht um etwas Besonderes: Die Dämonen ergreifen Besitz von einem Menschen, um ihn zu zerstören, und zwar im Zusammenhang eines ganzen destruktiven Reiches.

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Diese spezifische Anschauung von den Dämonen, ihrem Wirken und ihrem Zusammenhang […] ist eine spezifisch spätjüdische Anschauung, gehört also zu den Merkmalen der Schlußetappe der Geschichte Israels. […] Wir befinden uns in einem ganz besonderen Wirklichkeitsbereich, in der Zeit eines […] einzigartigen Übergangs ins Leere (253 f.).

Der Kanon ist abgeschlossen, die Prophetie ist verstummt und wird durch eine geschichtslose Apokalyptik ersetzt, der Wille Gottes wird in der Auslegung des Gesetzes zur Forderung. Das Judentum wird zur Religion. „Jahve hatte geredet, nun schwieg er.“ In diesem „geistlich-geschichtlichen Vakuum“ taucht die Vorstellung des Reiches der Dämonen auf bzw. hier wird dieses Reich zur objektiven Wirklichkeit. In dieser einzigartigen Situation wird die „Herrschaft des Nichtigen über den Menschen“ erfahrbar (254). Diese einzigartige Situation kann nur narrativ profiliert werden, auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Geschichte zeichnet sich ein Netz von Differenzen ab und wird durchsichtig für eine kosmische – insofern tatsächlich eine ontologische – Konfrontation. Der einzigartige Blick des Spätjudentums trifft auf „objektive Sachverhalte“ (254). In diesem Kontext sind die Exorzismen Jesu eben mehr als gelungene psychiatrische Interventionen. Es ist bedeutsam, wie Barth hier die Überlieferungsgeschichte als historisches Faktum ernst nimmt und theologisch profiliert. Die sprachliche Gestalt einer Geschichte gehört ja zur geschichtlichen Wirklichkeit. Wenn diese Wirklichkeit auf einen kosmischen Konflikt hinausläuft, dann zeichnet sich das auf der Ebene der Texte ab – und wenn umgekehrt die Wundergeschichten auf der Folie des alttestamentlichen Zeugnisses einen kosmischen Konflikt gestalten, dann gehören sie selber zu dieser neuen Wirklichkeit, allerdings nur indem sie das Neue bezeichnen, nicht etwa herbeireden. Barth zeichnet an der Geschichte Joh 9,1 ff. nach, dass der geheilte Blinde faktisch bereits zu Jesus gehört, bevor er glaubt, bevor der Glaube als Relation auch ans Licht gezogen und schließlich bekannt wird (vgl. 261 ff.). Wie aber kann der Glaube einen Menschen erretten? Das ist insofern einleuchtend, als mit „Glaube“ eben eine Beziehung zum gnädigen Handeln Gottes gemeint ist, die tiefer reicht als die geschöpfliche Wirklichkeit, also auch nicht mit einer psychischen Bestimmung zu verwechseln ist: Wer im Sinn des Neuen Testamentes glaubt, der tut das – gewiß als seine eigene freie Tat – weil und indem er eben von dem her, an den er glaubt, die Freiheit dazu hat. Und eben in Ausübung dieser Freiheit greift er ja dann in seiner Tat aus nach dem, was vor und unabhängig von seiner Tat ist […], ist er von diesem Seienden her wie von rückwärts so auch von vorne selber gehalten, vielmehr angezogen, in Bewegung versetzt, wie ein Eisenspan vom Magneten (266).

„Freiheit“ wird hier verstanden als Bewegung von Gott her und auf Gott hin, umgriffen von der Freiheit und der Gnade Gottes, also niemals als eine mensch-

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liche Entscheidungsfreiheit, sondern als die Befreiung von einer Gefangenschaft. In einer solchen Bewegung verliere ich durchaus jeden „Selb-stand“. Die anhypostatische Relation setzt eine Geschichte in Gang, in der mir mein Charakter in Bezug zu Jesus als dem königlichen Menschen geschenkt wird. Das wird alles schief, wenn man „auf die menschliche Aktion des Glaubens als solche, auf seinen mentalen Vollzug blicken […] wollte“. „Glaube“ als menschliche Aktion meint gerade nur den Übergang „von Jesus her zu Jesus hin“, und eben darin hat der Glaube „realen Anteil“ an der Macht Gottes (267). Es geht daher immer um den Nachvollzug eines narrativen Gefälles, das sich in meiner Geschichte befreiend auswirkt. Dafür bedarf es keines personalen Zentrums! Indem die Zuwendung Gottes mich umgreift, setzt sie die Geschichte in Gang, die mich personalisiert. So werden die Wunder Jesu tatsächlich auch zu „Urbildern“ für den Glauben der Gemeinde als Leib Christi. „Dieser Übergang ins Konkrete und ins Physische ist das Besondere des Glaubens dieser Menschen: der Überschuß, den er sichtbar macht“ (272). Erst dieser Überschuss macht aber die singulären Ereignisse der Wunder durchsichtig für die freie Gnade Gottes. Die freie Gnade Gottes wird erst verstanden, wenn sie als Luxus aufgefasst wird (vgl. auch 261). Erst dann wird sie auch gerade in ihrer Partikularität unterschieden von einer allgemeinen und demnach wieder abstrakten Gnade (vgl. 272). Die Gnade Gottes ereignet sich mitten in der Zeit – und daher immer in singulären Ereignissen. Es könnte interessant sein, von hier aus die Erwählungslehre zu verstehen als Einsicht in den Überfluss der göttlichen Freiheit. Das ist eine wichtige Profilierung. Die Balance von Freiheit und Notwendigkeit zeichnet sich in der ewigen Gnadenwahl so ab, dass die innere Stringenz des göttlichen Wählens immer noch größere Spielräume erschließt.

2.  Das Kreuz als Integral Barth schiebt viertens (IV) vor der Erörterung des Kreuzes Jesu eine hermeneutische Reflexion ein (vgl. 274 ff.). Wir haben den uns historisch im Ganzen sicher bekannten Bestand der mit diesem Begriff [sc. „Neues Testament“] bezeichneten Überlieferung vorausgesetzt und also […] auf jede historisch-kritische Konstruktion oder Rekonstruktion dieser Voraussetzung verzichtet (274).

Diese Überlieferung stellt das Ganze des Lebens Jesu von Ostern und der Ausgießung des Heiligen Geistes aus dar und trifft damit „die geschichtliche Wahrheit seiner geschichtlichen Existenz“ (274) als des königlichen Menschen. Das ist eine hermeneutische, aber auch eine theologisch-ontologische Position. Es geht nicht um das naive Fürwahrhalten von Quellen, sondern um das sehr reflek-

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tierte Ernstnehmen von Zeugnissen. Auch dabei wird unterschieden, nur eben an anderen Maßstäben. Es geht Barth um den Gegenstand, auf den die Zeugnisse verweisen, nicht um einen Gegenstand, den wir dahinter konstruieren.58 Geschichte ist nie sprachlos, daher ist die Suche nach sprachlosen Fakten „hinter“ den Geschichten zuweilen aufschlussreich, aber stets eine Abstraktion. Wohl aber geht es um den Gegenstand, auf den die Quellen verweisen, und das ist die gott-menschliche Wirklichkeit Jesu Christi. Die drei Perspektiven (I–III) sind ausreichend, um die Fülle zu skizzieren, die dieser Name bezeichnet (vgl. 276). Das anhypostatische Zeugnis macht gerade in seinem fragmentarischen Charakter die Person deutlich, die den Zeugen begegnet ist und die uns durch die Texte hindurch wieder begegnet. Es muss aber gerade daher noch das Kreuz Jesu Christi bedacht werden. Dieser Mensch wurde „verworfen und ausgelöscht“. Dazu hat er Ja gesagt, es „aus freiem Willen erduldet und auf sich genommen“. Die Evangelien haben gerade den auferstandenen, den lebendigen, der erhöhten Menschen Jesus nicht anders gesehen, gekannt, bezeugt, denn als den Mann, dessen Ende und Ausgang dieser, dessen Geschichte zuletzt eben seine Passionsgeschichte war (276).

Barth unterstreicht den „schneidende[n] Kontrast“ zwischen dem Sinn und dem Ende Jesu (277). Dieser Kontrast ist ein narratives Charakteristikum, das sich durch die Evangelien hindurch verfolgen lässt: daß die Finsternis dieses Ausgangs reale, letzte, eigentliche, auch von ihm selbst durchaus nicht einfach durchschaute und wie ein Tunnel durchlaufene Finsternis war, das haben also die Evangelien nicht verschwiegen, sondern gesagt (278).

Die Passion ist gleichwohl kein tragischer Fremdkörper – dieser Eindruck entsteht nur, wenn wir abstrakt unterscheiden. Die Evangelien haben nämlich mit „merkwürdige[r] Kohaerenz“ und „Geradlinigkeit“ die Ereignisse auf die Passion zulaufen lassen (278). Das Kreuz ist „wohl das Ende und der Abbruch des Weges Jesu, eben als das aber zugleich sein Ziel und Abschluß.“ Der königliche Mensch wurde gerade am Kreuz gekrönt. „Alles hat vielmehr seine Spitze und seinen eigentlichen Glanz darin, dass er […] zuletzt als ein Verbrecher zwischen zwei anderen Verbrechern am Galgen hing“ (279). In der Passion existiert er als der Gottessohn, der auch der Menschensohn ist, in der tiefsten Finsternis von Golgatha aufs Höchste in der Herrlichkeit der Einheit des Sohnes mit dem Vater, gerade in jener Gottverlassenheit der von Gott unmittelbar geliebte Mensch (279 f.)!

58 Das entwickelt Barth bereits in den hermeneutischen Erwägungen zur explicatio. Vgl. KD I/2, 810 ff.

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Das ist das von Ostern her aufgeschlossene Geheimnis des Ganzen (vgl. 280). In der Geradlinigkeit zeichnet sich die innere Notwendigkeit, das narrative Gefälle ab, das zum Tod Jesu führt – und es steht mit den anderen Linien durchweg in Verbindung, ohne dass eine Synthese möglich wäre. Der gemeinsame Nenner ist die Inkommensurabilität – das Leben Jesu ist immer wieder unverrechenbar und vollendet darin die Geschichte Israels. Hier konvergiert das Leben des königlichen Menschen mit dem Weg des Gottessohnes in die Fremde. Darin zeichnet sich das innergöttliche ewige Leben ab, vertieft durch die ewige Wahl: Die Herrlichkeit der Einheit von Vater und Sohn ist die glanzvolle innergöttliche – also nicht etwa subordinatianisch missverstandene – Unterordnung des Sohnes unter den Vater, die am Kreuz ihre Vollendung erreicht. Darin konzentriert sich aber das Geheimnis Gottes und wird zugleich geschichtliches Ereignis im Leben des königlichen Menschen.59 Insofern ist die Erniedrigung des Gottessohnes zugleich die Erhöhung des königlichen Menschen – allerdings ans Kreuz, das von Ostern her als Inthronisation durchsichtig wird und die menschlichen Personen in die Dynamik des Leibes Christi hineinzieht. Barth verweist auf die Konvergenz in der Überlieferung der Evangelien und des Paulus. Auch die Gemeinden des ersten Jahrhunderts haben „nicht erst in der Auferstehung, sondern gerade im Tode des Herrn wie in nuce die Heilstat und Heilswirklichkeit seiner Existenz gesehen“ (285). Es wäre erstaunlich, wenn sie die Überlieferung „nicht richtig verstanden hätten, und wieder: wenn die so richtig verstandene Überlieferung nicht dem objektiven geschichtlichen Sachverhalt entsprochen hätte“ (285). Barth geht noch weiter und zeigt auf, wie unwahrscheinlich es wäre, die Konvergenz durch einen Mythos zu erklären: Wie erfindet man, wie erfindet sich so etwas: das, was da auf immerhin nicht ganz wenigen verschiedenen Linien 30–70 Jahre nach dem Tode eines geschichtlichen Menschen – in dieser merkwürdigen Konzentration gerade von diesem seinen Tod erzählt und gesagt worden ist (285)?

Die Verdichtung der Linien ist auch in der Sicht der historischen Analyse signifikant. Natürlich ist das kein „Beweis“ der Auferstehung, aber der unableitbare geschichtliche Anfang der christlichen Kirche (vgl. 286). Daher ist es auch für die wissenschaftliche Theologie sinnvoll, hier einzusetzen. Das entspricht dem Bekenntnis zu Jesus Christus als theologischem Axiom. Historisch bleibt der Übergang von Karfreitag zu Ostern, vom Kreuz zum Bekenntnis eine Lücke, die aber als Zeichen einer ganz anderen Wirklichkeit zum Ausgangspunkt der kraftvollen Bewegung des Heiligen Geistes wird. Von da aus können die hermeneutischen Entscheidungen von § 64,3 gut nachvollzogen werden, die das Neue Testament eben in seinem historisch vorliegenden Bestand ernst nehmen, 59 Vgl. KD IV/1 (Anm. 2), 219 ff.

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aber durch solche Linien profilieren, die im Leben Jesu bereits die ganz andere Wirklichkeit dieser Begegnung aufleuchten lassen. Barth hebt die Willigkeit und Bereitschaft Jesu hervor, in den Tod zu gehen. Darin vollstreckt er freiwillig die göttliche Verordnung – wobei „seine Ausführung von ihm nicht als ein leidiger, schicksalsmäßiger Zwang oder als ein zufälliges Unglück, sondern eben, in jener Bereitschaft und Willigkeit erlitten, auch Inhalt seiner Selbstbestimmung wird“ (287). Die innergöttliche Selbstunterscheidung erreicht ihre höchste Intensität gerade im Gegenüber von Gottes Verordnung und freiem Gehorsam des Menschensohnes. Dieser Gehorsam entspricht dem innergöttlichen Leben: Es ist kein zufälliges Geschick, wenn Jesus in den Tod geht, sondern ein Gefälle, das dem ewigen Leben Gottes entspringt. Es kommt dabei zu einem Gegenüber in Gott, sofern der Wille Gottes und der Gehorsam des Menschensohnes einander korrespondieren – das zeigen ja die Gebete in Gethsemane und am Kreuz. Im Rückgriff auf § 64,2 wäre zu sagen: Die Erniedrigung des Gottessohnes schafft den eigenen Willen des Menschensohnes als Gehorsam, aber unterscheidbar im Sinne des klassischen Dyotheletismus (s. u. 3.). Hier wiederholt sich die ganze Geschichte Israels „in konzentriertester Form, in einem Nu“ (289). Wir stoßen wieder auf die „narrative Struktur“ der Verdichtung, die auf die ewige Entscheidung in Gott verweist. Daher kommt es hier zu einer letzten Entscheidung – aber eben weil eine letzte, ist es keine „freie“ Entscheidung, sondern eine geschichtlich notwendige Situation: „Der Mensch gegen Gott stand auf dem Spiel. […] nur in Jerusalem konnte das erkannt werden“ (290). Auch hier zeichnet sich eine Notwendigkeit ab, das Gefälle des menschlichen Widerstandes gegen Gott – neben der göttlichen Bestimmung und deren freier Annahme durch den Menschensohn. Darin zeichnet sich aber auch ab, dass die Selbstbestimmung der Gegner Jesu nicht aus der göttlichen Gnadenwahl herausfällt. Die Notwendigkeit tritt in der ungeheuerlichen Verdichtung hervor, mit der das erwählte Volk den Gottessohn verwirft und damit ans Kreuz erhöht. Dabei ist zu betonen: Die zugleich freie und von Gott verfügte und als letzte Aktion der Geschichte Israels notwendige Bestimmung der Existenz Jesu auf seinen Tod hin hat ihr ungleiches, aber in seiner Ähnlichkeit nicht zu verkennendes Gegenbild in der Existenz seiner Jünger (291).

Dabei geht es nicht um Identifikation, sondern um Nachfolge, und das ist keine Frage der Moral, sondern der „Ontologie“ (292)! Die anhypostatische Existenz bezieht uns als Jünger auf das Leben Jesu Christi. Es geht um Ontologie, um eine notwendige Relation, in der wir frei werden auf Gott hin. Diese Relation kann nur von Christus her etabliert werden, als „Anhypostasie zweiten Grades“. Wir werden zur zeichenhaften Wirklichkeit, im Zusammenhang des Zeugnisses.

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3.  Anhypostatische Relationen Damit erreichen wir den Punkt, wo die Skizze des „königlichen Menschen“ für die „klassische“ Christologie von § 64,2 durchsichtig wird. Zunächst ist deutlich: Das neutestamentliche Zeugnis bezieht sich auf die Wirklichkeit dieser Person seinerseits anhypostatisch. Es bezeichnet sie sparsam, daher ist es konsequent, wenn Barth sich mit einer Skizze begnügt, mit wenigen diagonalen (!) Linien, in denen die Fülle dieser Realität doch lebendig hervortritt. Das Zeugnis gehört aber seinerseits auch zur Wirklichkeit des königlichen Menschen, der nicht ohne seinen Leib und gerade in diesem Gegenüber die singuläre geschichtliche Wirklichkeit ist. Barth gewinnt die Skizze, indem er einerseits auf narrative Charakteristika des neutestamentlichen Zeugnisses achtet und andererseits streng den Bezug auf die eine Person in der Einheit von Gottes- und Menschensohn hervorhebt. Dabei arbeitet er die „inkommensurable“ Innenspannung in den biblischen Texten heraus. Dazu gehören die Kontraste, die nicht in eine glatte Synthese zu bringen sind, die innere narrative Logik, die gleichwohl nicht als geradlinige Entwicklung nachzuzeichnen ist, sondern sich jeweils eigentümlich verdichtet. Dazu gehört auch der Übergang von der Vollendung der Geschichte Israels zum Einbruch der göttlichen Ewigkeit in die Geschichte. Diese Konfiguration ist begründet in der Argumentation von § 64,2. Es ist klar, dass von der narrativen Struktur des Zeugnisses her nicht auf die ewige Erwählung geschlossen werden kann – wohl aber ist in der anderen Richtung stringent nachzuvollziehen, welche Spuren die Inkarnation in den Texten hinterlassen wird. Soll das Zeugnis als sprachlich-literarisches Gebilde eine besondere Wirklichkeit darstellen, so ist das plausibel im Zusammenhang mit der sprachlichen Wirklichkeit der Person. Wenn der Sohn Gottes uns als königlicher Mensch entgegentritt, dann ist das im Sinne Barths objektive Wirklichkeit. Jesus existiert als menschliches Du. „Gerade als Du ist ein Mensch aber auch nicht etwa nur eine existentiale Bestimmung des Ich, sondern geradezu der Inbegriff aller objektiven Weltwirklichkeit“ (54). Das ist ontologisch bedeutsam, weil hier die Wirklichkeit nicht primär von der unbelebten Natur her gedacht wird, sondern von der personalen Anrede her. Es kommt darauf an, dass es sich um ein menschliches Du handelt. Daran ändert es nichts, wenn darin das ewige göttliche Du auf uns zukommt. Daraus ergibt sich zwar eine irreduzible Doppelperspektive, weil nun die Begegnung mit dieser menschlichen Person immer auch die Begegnung mit Gott ist. Aber so wird diese menschliche Existenz nicht weniger konkret, sondern noch lebendiger. Das Geheimnis Gottes als Geschichte mitten in unserer Geschichte ist inkommensurabel und setzt eine unwiderrufliche Bewegung in Gang, die uns ergreift. Das entspricht der pneumatologischen

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Linie, wonach die Selbsterschließung der einzigartigen Geschichte Jesu Christi eine Vertiefung seiner Geschichte in unsere Geschichte hinein bewirkt (vgl. 64). Dabei wird nicht die Inkarnation wiederholt oder fortgesetzt, sondern findet je und je statt, sofern das ewige göttliche Leben sich in der Geschichte ereignet. Dieses Ereignis ist in erster Linie wieder das sprachliche Zeugnis. Zunächst ist eine Person in der Begegnung als Du eine Realität, also im Gegenüber. Die personale Identität kann nicht in erster Linie auf Eigenschaften zurückgeführt werden – die ergeben sich vielmehr erst aus den Begegnungen. Es ist daher konsequent, wenn Barth die Lehre von der communicatio idiomatum „in Fluss“ bringt und dynamisiert. Damit wird sogleich die Zwei-Naturen-Lehre erschlossen, denn in einer Person kann mir Gottes Sohn begegnen und eben darin der Menschensohn. Die Erniedrigung des Gottessohnes und die Erhöhung des Menschensohnes entsprechen einander – diese Entsprechung ist aber keine zweigleisige Dynamik (etwa als nestorianische Verwicklung zweier Personen), sondern in der einen Geschichte die andere, und beide als eine einzige Person. Das kann mit der Anhypostasie leicht verbunden werden: Die Erniedrigung des Gottessohnes setzt in einer menschlichen Natur eine Geschichte frei, die auch einen eigenen menschlichen Willen hervorbringt. Es muss allerdings darüber nachgedacht werden, wie ein Wille ohne eigenes Personzentrum denkbar ist. Hier prägt Barth die Formel vom freien Gehorsam des Menschensohnes gegenüber der ebenso freien Gnadenwahl Gottes. Damit ist die Frage gestellt, ob sich Freiheit ohne eigenes Personzentrum denken lässt. Im Rahmen der reformatorischen Theologie ist das letztlich kein Problem, aber es bleibt kontraintuitiv. Allerdings zeichnet sich eben deshalb der Konflikt ab: Die menschliche Person ist in der Regel durch ihren Eigen-willen charakterisiert, der in die Spannung von Freiheit und Notwendigkeit führt. Es geht dabei um die Freiheit des Wollens, nicht des Handelns. Diese Freiheit der Selbstbestimmung ist letztlich eine Illusion, weil die eigene Bestimmung immer schon bestimmt ist (was nicht durchschaut wird). Das zeigt sich darin, dass ich mich zwar von den Tendenzen meines eigenen Wollens distanzieren kann, aber immer nur in einer schon anderwärts bestimmten Weise. Daher kann ich der Verflechtung von Freiheit und Notwendigkeit nicht entrinnen. Diese Verflechtung ist aber das Ergebnis meiner Geschichte und ihrer Verflechtung in andere Geschichten und macht gerade meine Personalität aus, meine Identität. Aus dieser Analyse ergibt sich, dass es eine Illusion ist, ein personales Zentrum „hinter“ dieser Verflechtung zu postulieren – eine ebenso kraftvolle wie gefährliche Illusion (s. o. zu § 64,3, II). Im Unterschied dazu ist unsere Erhebung im Leib Christi eine Befreiung: Der eigene Wille wird durch Begegnungen befreit, mir wird die selbstverges-

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sene Ausrichtung auf Jesus Christus geschenkt (vgl. Gal 2,20).60 Der Wille ist befreit von der eigenen Subjektivität, von der Illusion, dass das Spiel der Freiheit und Bestimmung letztlich in mir selber seinen Ursprung haben müßte. Ich kann mich dann in meinen Entscheidungen, Äußerungen und Handlungen wiedererkennen und habe durchaus eine eigene Identität. Die wird mir von Gott her geschenkt, in dieser Gelassenheit liegt meine Identität, die von Gottes Bestimmung getragen wird. Barth bestimmt den Glauben im Zusammenhang der Wunder genau in dieser Richtung (s. o. zu § 64,3, III). Das Paradigma für diese Bestimmung ist natürlich der Menschensohn. Im Gegensatz dazu beharrt die sündige Person auf der „Selbstsubstantivierung“, das führt in die Verblendung, die Trägheit und die Dummheit. Es ist bemerkenswert, dass diese Fragen im Kontext des menschlichen Willens Jesu bereits in der altkirchlichen Debatte gestellt wurden. Darauf bezieht sich Barth in § 64,2. Es geht – wie bereits angemerkt – um die Balance zwischen Anhypostasie und menschlichem Willen, eine Spannung, die bereits in der Formel von Chalcedon angelegt ist.61 Barth vertieft zunächst die antiochenische Linie, in der das unaufhebbare Gegenüber Jesu Christi als des einzig wahren Menschen gerade zu einer alle anderen menschlichen Personen umfassenden Dynamik wird. Er verbindet das aber mit der alexandrinischen Linie, die mit der Lehre von der Anhypostasie die eigenständige Personalität der menschlichen Natur Jesu Christi leugnet. Alexandrinisch ist zunächst die Betonung der angenommenen menschlichen Natur. „Menschliche Natur“ bedeutet: dasselbe geschichtliche Wesen wie wir – „dieselbe geschöpfliche Existenzweise als individuell einmalige Einheit von Seele und Leib in einer zwischen Geburt und Tod beschlossenen Zeit“ (26). Das impliziert keineswegs ein „personales Zentrum“, vielmehr kann die individuelle Balance von Seele und Leib auch zurückgeführt werden auf die geschichtliche Verwicklung der Personen. Da solche Verwicklungen nur in Erzählungen zur Sprache gebracht werden können, ist es konsequent, wenn Barth die sprachliche Gestalt des neutestamentlichen Zeugnisses als Wirklichkeit sui generis betrachtet und die narrativen Eigentümlichkeiten als Verweis auf die personale gott-menschliche Wirklichkeit profiliert. Die besondere Menschlichkeit Jesu Christi ist „der aller anderen Menschen zugleich ganz gleich und ganz ungleich“ (28). Die Besonderheit seiner Geschichte – und zwar die bleibende Singularität – zeichnet sich in der Geschichte als Gegenüber ab. Insofern handelt es sich gerade nicht um „Ontologie“ im klassischen Sinne, nicht um „wesentliche Eigenschaften“, wohl aber um Personen in 60 Das ist die „freie Selbstzurücknahme“, wie sie im Kraftfeld des Heiligen Geistes möglich wird, vgl. Welker, Gottes Offenbarung, 208 ff. 61 Vgl. dazu die immer noch klassische Darstellung bei Grillmeier, Jesus der Christus, bes. 753 ff.

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Beziehungen und in Geschichten. Ungleich ist der Menschensohn uns darin, dass in ihm seine und unsere Erhöhung stattfindet (vgl. 29). Es kommt zu einer Begegnung mit einem qualitativen Gefälle, aber innerhalb der menschlichen Geschichte. Im Sohn Gottes tritt uns der zur Seite Gottes erhöhte Menschensohn entgegen. Diese Bewegung wird ausgelöst durch die Bewegung Gottes „nach unten“. Unter „Erhöhung“ ist zu verstehen „das Ganze der so ausgelösten Bewegung […] die Geschichte, in der sich diese Bewegung ereignet“ (30). In dieser Geschichte existiert der wahre Mensch. Subjekt dieser Bewegung ist die zweite trinitarische Seinsweise. Es kommt aber doch zu zwei Willen – wie der altkirchliche Dyotheletismus betont. Der Wille des Menschensohns wird aus dem ewigen Willen Gottes heraus gestaltet. Insofern ist er uns – deren Willen im Widerspruch zu Gottes Willen steht – ganz ungleich, und doch eine menschliche Person. Dass er uns ganz gleich ist, erweist sich letztlich darin, dass er uns aufnimmt in die Einheit seines Willens mit dem göttlichen Willen. Unsere Gleichheit mit ihm liegt also erneut nicht auf der Ebene irgendwelcher Eigenschaften, sondern in der von ihm ausgehenden Geschichte. Interessant ist die geradezu dialektische Vereinigung von Exklusion und Inklusion. Der Menschensohn unterscheidet sich radikal von uns, indem er uns in seine Wirklichkeit aufnimmt und erhebt. Insofern entspricht gerade die Anhypostasie dem menschlichen Wesen (vgl. 98) und verwirklicht sich als Geschichte, die auch auf die anderen menschlichen Personen ausgreift. Es ist ja eine interessante Frage, warum die anderen menschlichen Geschöpfe „nur“ in der Vermittlung durch diesen einzigartigen Menschensohn in die angemessene Beziehung gelangen können. Dazu kann zunächst gesagt werden: Die Alternative wäre eine besondere Beziehung Gottes zu jedem einzelnen Menschen unabhängig von den anderen. Dieses Modell wäre gerade das von Michael Welker mit Recht kritisierte „dialogische“ Verhältnis des menschlichen Subjekts zu Gott.62 Es bildet sich der Leib Christi vielmehr als sich verstärkendes Kraftfeld aus, in dem auch die anderen Personen nicht mehr aus ihren „Zuständlichkeiten“ (102) verstanden werden können, sondern aus ihren Beziehungen und Begegnungen, also im Zusammenhang einer Geschichte und der narrativen Gestaltung dieser Geschichte, einschließlich der eigentümlichen Spannungen und Widersprüche in der Erzählung. In diesem Horizont wäre dann auch die „Sündlosigkeit“ Jesu zu betrachten. Es geht nicht um die Abwesenheit einer Eigenschaft, sondern um die dramatische Konfrontation, die alle Geschichte verändert. Mitten in der Geschichte wird die Sündlosigkeit als eine Möglichkeit des menschlichen Wesens – genauer: die wahre Möglichkeit – erschlossen, die logisch nicht ausgeschlossen ist, aber faktisch von allen menschlichen Geschöpfen mit Ausnahme des Menschensohns 62 Vgl. Welker, Gottes Geist, 51 ff.

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verfehlt wird. So kommt es zu einer neuen, zur wahren menschlichen Wirklichkeit. Das ist indessen noch komplexer, weil die neue Wirklichkeit auch die Übernahme der Konsequenzen der verfehlten alten Möglichkeit einschließt. Darin zeichnet sich aber auch die narrativ kohärente, in gewisser Weise logische Verbindung des Hauptes mit dem Leib ab. Es ist in die Sünde verwickelt, aber diese Verwicklung erlangt nun eine gänzlich andere Qualität: Das Wesen des Menschen ist durch die Sünde gezeichnet und verkehrt. Gott hat hingegen den inneren Widerspruch des menschlichen Wesens „im Tiefsten gerade damit überwunden […], dass er sich nicht weigerte, die Erniedrigung des Sohnes Gottes zum Geschöpf nicht nur, sondern zum sündigen Geschöpf in seinem Menschsein zu vollziehen“ (101). Das ist sehr radikal gedacht, aber wieder plausibel, wenn das Wesen des Menschen in seiner Geschichte liegt. Die „narrative Logik“ lässt es durchaus zu, wenn Personen sich in einen Widerspruch zu sich selbst verwickeln. In der Begegnung mit dem Menschensohn kommt es zur Konfrontation, in die sich der königliche Mensch rückhaltlos hineinbegibt. Darin ist er der wahre Mensch, der ganz von Gottes Sohn her bestimmte Menschensohn in seiner Freiheit, mitten in der Sünde eben nicht sündigen zu können. Hier zeichnet sich ab, dass es „nicht notwendig, sondern nur faktisch zur menschlichen Natur [gehört], die Sünde zu wollen und zu tun und also sündigen zu können“ (102). Das posse peccare ist unser innerer Widerspruch, keine echte Freiheit, sondern exakt das servum arbitrium. Indem der Mensch „es faktisch tut, erweist es sich als eine von ihm nicht abzuschüttelnde, aber doch höchst unangemessene, höchst uneigentliche Bestimmung seines menschlichen Wesens“ (102). Der Menschensohn hingegen bewährt in seiner Freiheit in seinem non peccare und non posse peccare die Bruderschaft mit uns, die Gemeinschaft mit unserem wahren menschlichen Wesen, die wir unsererseits mit unserem peccare und posse peccare und non posse non peccare fortwährend zerbrechen (103).

Die Wendung „nicht notwendig, sondern nur faktisch“, dies aber als Wesensbestimmung, verweist auf das geschichtliche menschliche Wesen, das nicht durch Eigenschaften zu bestimmen ist, sondern in Relationen von Entsprechung und Widerspruch. Das führt dazu, dass ein „wesentlicher Kern“ der Person fragwürdig wird, wobei Barth den Spannungsbogen vom inneren trinitarischen Leben über die anhypostatische Existenz des Menschensohnes bis hin zu unserer in die Wahrheit erhobenen Existenz im Leib Christi durchzieht (vgl. 105). So bildet sich mitten in der menschlichen Geschichte ein qualitatives Gefälle aus, als emergentes Kraftfeld.63 So kommt es überhaupt zu einem „Wollen“, das 63 Vgl. ebd., 33 u. ö.

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sich immer nur in einer Geschichte, in Begegnungen gestaltet. Daher kann die Konfrontation mit einem ganz von Gott her durchdrungenen Wollen keine Einschränkung der Menschheit des Menschensohnes sein. Innerhalb der Geschichte kann dann eine dramatische Zuspitzung erfolgen, in der sich eine ultimative Wende abzeichnet. Das ist natürlich nicht induktiv aufzuweisen. Aber die doxologische Rede von der ewigen Gnadenwahl wird an dieser Stelle verortet, weil die Geschichte Gottes mit den menschlichen Geschöpfen in der Wende von der alttestamentlichen Erwartung zur Erfüllung in Jesus Christus und der Erinnerung dieser Erfüllung ihre Tiefenstruktur findet (s. o. zu § 64,3, III). Die tiefste Struktur der Geschichte ist eine Konfrontation, in der ein Tausch stattfindet zwischen der Selbst-Erniedrigung des Gottessohnes und dem freien Gehorsam des Menschensohnes auf der einen, der durch die angemaßte Selbstbestimmung produzierten zwanghaften Notwendigkeit der sündigen Geschöpfe auf der anderen Seite, die dadurch befreit werden. Ein solcher Tausch ist nur denkbar, wenn die Person letztlich nicht durch ihre Selbstbestimmung ihre Identität erhält, sondern aus der Begegnung. Diese Fassung der personalen Identität kann aber nur von Jesus Christus her gewonnen werden. Hier gründet die Inkommensurabilität, wie sie für die narrative Logik des Neuen Testaments charakteristisch ist: Das sündige menschliche Geschöpf richtet sich auf eine widerspruchsfreie Konstitution der personalen Identität, die sich sprachlich als kontinuierliche Entwicklung der Persönlichkeit „biographisch“ darstellen lässt, aber illusionär bleibt. Die Fülle der Person leuchtet hingegen in skizzenhaften Linien auf. Solche Gelassenheit bleibt unverrechenbar mit einer abstrakten Einheit der Person, und doch kann gerade diese Spannung in einer Geschichte erzählt werden. Barth verortet die Geschichte Jesu in der ewigen Gnadenwahl. Gott will in Ewigkeit nicht ohne den Menschen sein, daher gehört der Mensch Jesus zu Gott, ist nicht zu reduzieren auf ein Offenbarungsvehikel. Die menschliche Geschichte ist integriert in das ewige Leben Gottes. Die Nähe Barths zu gewissen Aussagen des Apollinaris ist bemerkenswert. Es gilt der Menschheit Jesu Christi jede Spur von Zufälligkeit zu nehmen. Dabei geht Barth auf den ersten Blick weit in die alexandrinische Richtung. Er setzt aber die Notwendigkeit der Inkarnation deutlich ab von einer ontologischen Zwangsläufigkeit. Der Unterschied zu Apollinaris liegt in der Unterscheidung zwischen Trinitäts- und Erwählungslehre: Der Lógos ásarkos bildet innerhalb der Trinitätslehre als Struktur eine „Leerstelle“, den Hintergrund für die ewig-lebendige Erwählung des Menschen durch den Sohn Gottes. Daher behauptet Barth eben keine wesenhafte Zugehörigkeit der menschlichen Natur zur Trinität, sondern vielmehr die Profilierung des innergöttlichen Lebens durch eine Wahl, der die Schöpfung als Geschichte überhaupt erst entspringt. Darin ist auch die Begegnung des Gottessohnes mit den mensch-

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lichen Geschöpfen angelegt. Die Rede von Gott muss daher geschichtlich sein, was eine „narrative Logik“ nicht ausschließt, die sich auf die Balance von Freiheit und Notwendigkeit zuspitzt und damit das Geheimnis umschreibt (vgl. 42). Zu diesem Geheimnis gehört die Existenz des Menschen Jesus, ohne dass Gott aufhören würde, Gott zu sein.64 Dabei bleibt Gott unverwandelt – das Ineinander von Gott und Mensch bleibt ein Miteinander (vgl. 43). Das sichert den Entscheidungscharakter der Inkarnation. Gott bleibt frei auch in der Menschwerdung. Das ist ein antiochenischer Akzent, der aber sogleich ausbalanciert wird durch die Betonung der Anhypostasie: Die Anhypostasie zielt darauf, dass nicht ein Exemplar der Gattung aufgenommen wird – interessanterweise sieht Barth hier eine Konvergenz zwischen den Extremen „verwandelt“ (Eutyches) und „getrennt“ (Nestorius) –, sondern eine menschliche Existenz, die auch alle anderen menschlichen Geschöpfe umgreift. Gottes Sohn nimmt das Menschliche auf (vgl. 51). Es kommt darauf an, dass hier nicht eine Möglichkeit zunächst realisiert und daraufhin von Gott angenommen, sondern durch die Aufnahme durch den Gottessohn erst geschaffen wird. Gerade weil nicht ein Mensch, sondern das Menschliche in die Einheit aufgenommen wird, geht es um das Menschliche aller Menschen (vgl. 52). Barth redet von der konkreten Möglichkeit – das ist prima vista ein hölzernes Eisen. Es richtet sich auf die narrative Verdichtung aller menschlichen Geschichten in dieser einen Geschichte, die keine Zusammenfassung auf einer abstrakten Ebene, sondern die dramatische Verknotung aller Geschichten ist. „Anhypostasie“ meint vor allem, dass es sich nicht um eine selbständige Existenz handelt – und das ist nun doppelt zu sehen: Wir haben es mit einer menschlichen Existenz zu tun, die in keinem Moment ihres Lebens nicht aus der konsequenten Selbstverwirklichung des Gottessohnes heraus lebt. Eben daher kann er alle anderen menschlichen Personen aufnehmen. Die „universale Tragweite und Bedeutung seiner Existenz für die aller anderen Menschen“ (53) besteht darin, dass es Gott ist, der sich hier verwirklicht und Geschichte macht und sich damit in die Geschichte aller menschlichen Personen „einklinkt“ – sie also von Grund auf neu bestimmt. Die exklusive Menschheit des Menschensohnes wird eben so umfassend inklusiv. Weil es sich um eine Geschichte handelt, kann es nicht um allgemeine menschliche Eigenschaften gehen, sondern stets nur um einzelne Personen in ihrer Verwicklung in diese Geschichte. Das exklusive Gegenüber des Menschensohnes ist natürlich die Ausstrahlung des göttlichen Subjekts. Man kann auch sagen: Die Erhöhung führt zu einer „Sogwirkung“. Das ist die narrative Version der alexandrinischen Pointe, wonach die Natur des Menschen verwandelt wird 64 Vgl. Maurer, Narrative Strukturen im Denken Karl Barths, in vorliegendem Band, 177–190; Erstveröffentlichung in ZDTh 23 (2007), 9–21.

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durch die Inkarnation – nun nicht als ein gleichsam physisches Geschehen, sondern auf der Ebene der stories. Damit ist aber (ohne dass Barth darauf eingeht) das antiochenische Anliegen seinerseits gewahrt. Das menschliche Wesen wird in das göttliche Leben aufgenommen, das ist mehr als eine Vergottung. Der Sohn Gottes bleibt das Subjekt. „Es handelt sich in ihm wirklich um eine Geschichte, die freilich von oben nach unten und von unten nach oben verläuft, aber zuerst von oben nach unten, dann und daraufhin von unten nach oben“ (76). Die Asymmetrie setzt gerade die Geschichte in Gang. Hier bricht die Ewigkeit Gottes in die Geschichte ein als deren Erfüllung. Das Wesen des Menschen ist aber nur als Geschichte zu erzählen. Der Zusammenhang Jesu Christi mit allen anderen Menschen ist das wahre menschliche Wesen. Die Ausbildung des vollkommenen Gehorsams Jesu ist immer wieder ein Neues, ein Einbruch der göttlichen Ewigkeit in die Geschichte. Insofern sind wir auch genötigt, den Begriff „Geschichte“ zu reflektieren. Die Geschichte Gottes mit den Menschen ist immer wieder neu bzw. immer die Entfaltung des ewigen Dekrets. Das ist kein Widerspruch, macht aber die Vorherrschaft der Zeitlinie fragwürdig. Daraus ergibt sich auch die Ablehnung aller Versuche zu einer „Biographie Jesu“, die das Subjekt dieses Lebens notwendig verfehlen müssen (vgl. 113). Dabei geht es nicht um eine „Auflösung oder Abschwächung des harten Realitätscharakters, der echten Gegenständlichkeit (‚Objektivität‘) dieses Grundelements des göttlichen Tuns für und an uns“ (117). „Wirklichkeit“ in diesem qualifizierten Sinne verweist auf das ewige Leben Gottes. Diese Geschichte ist gewesen und geschehen. „Sie hat aber, indem sie als diese Geschichte, als Gottes Tat geschehen ist, nicht aufgehört, Geschichte zu sein und also zu geschehen“ (119). Diese Geschichte vergegenwärtigt sich selbst. Das hätte die Konsequenz, dass die Geschichte, wird sie recht nachvollzogen, in unsere Gegenwart eingreift und sie für die Gegenwart Gottes aufschließt. Wie sich diese inkommensurable Geschichte immer wieder als Neues vergegenwärtigt, so ist auch ihre Erkenntnis eingebunden in das allgemeine menschliche Erkennen, „aber bedingt durch die Neuheit des ihm hier vorgegebenen Gegenstandes und also nicht begrenzt durch die Grenzen, die ihm durch die ihm sonst vorgegebenen Gegenstände gesetzt sind“ (133). Wenn die Erkenntnis zur Realität gehört, so verweist das wieder auf den Leib Christi, der zuallererst als Ausrichtung auf Jesus Christus lebendig ist, aber auch auf die Struktur aller menschlichen Geschichte, die nicht ohne Erkenntnis – ohne Geschichten – denkbar ist. Es geht um ein Faktum, das in seiner Objektivität sich selber erweitert auf die menschliche Erkenntnis: „es umgreift und umschließt auch dieses Subjekt“ (136). Barth redet von einem Axiom der Theologie (137). Nicht uninteressant ist die wieder an die §§ 13 und 16 anknüpfende Unterscheidung „objektiv/subjektiv“. Sie hat nichts mit einem Dialogismus im Sinne der durch-

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aus berechtigten Kritik Michael Welkers zu tun (s. o. Anm. 62), sondern exakt damit, dass hier ein Faktum ein Kraftfeld schafft, in dem auch seine Erkenntnis erschlossen wird – vielleicht sogar primär durch seine Erkenntnis. Die Verwicklung von Faktum und Erkenntnis ist für alle Geschichte charakteristisch. „Im Zeugnis des Heiligen Geistes kommt es zu diesem Übergang: dem Übergang des Selbstzeugnisses Jesu Christi in die Kirchengeschichte, in menschliche Lebensgeschichten, in die Weltgeschichte“ (146). Es ist signifikant, wenn Barth hier wieder den Übergang betont, denn solche Geschichtlichkeit verhindert die Fixierung in einer „Zuständlichkeit“, sorgt für die Labilität, in der der Leib Christi angewiesen auf und durchsichtig für die Wirklichkeit Jesu Christi ist. Das ist pneumatologisch bedeutsam: Die Wirklichkeit oder die „Seinsweise“ des Geistes ist der Übergang, die Relation. Es wäre trinitarisch fatal, daraus eine weniger kraftvolle Realität des Übergangs abzuleiten (tendenziell binitarisch). Vielmehr ist der Übergang die ganze Realität, aber in nicht reduzierbarer Weise die „andere“ Seite des einmaligen Faktums. So wird das Faktum als Geschichte die zentrale Geschichte aller Geschichten (vgl. 146). Zur geschichtlichen Wirklichkeit gehört notwendig die sprachliche Gestalt der Erkenntnis dieser Wirklichkeit. Die Balance von Notwendigkeit und Freiheit zeichnet sich darin ab, dass die Geschichten eigentümlich konsistent sein müssen. Diese Kohärenz bringt die Seite der Konsequenz zur Sprache, die zur personalen Identität gehört. Hier unterscheidet sich Freiheit vermöge eines bestimmten Gefälles von der Willkür. Sie ist immer bestimmt, und das ist kein Widerspruch. Die Sprache repräsentiert demnach die Bestimmtheit, sie kann aber auch durch Differenzen und Nuancen die Person hervortreten lassen. Der besondere Stil ist nur innerhalb einer gegebenen sprachlichen Struktur zu artikulieren. Darin zeichnet sich die Freiheit einer Person ab, in der sich die Notwendigkeit vom Zwang unterscheidet. Hier wird die Sprache durchsichtig für die besondere Identität einer Person. Natürlich unterscheidet sich die personale Wirklichkeit auch von der Sprache. Es wäre jedoch zu vermuten, dass der Versuch, eine sprachlose Realität „hinter“ der Sprache aufzuweisen, wieder in den Eigenwillen führt, während die anhypostatische Existenz ganz in der Sprache aufgeht und sich darin – etwa durch den Stil – abhebt, ohne eine relationslose Wirklichkeit „beschreiben“ zu wollen, schon gar nicht als „Grundlage“. Dann ist das neutestamentliche Zeugnis als solches hochgradig Wirklichkeit sui generis. Es ist aber in Barths Analyse seinerseits auf die Wirklichkeit der Geschichte Jesu Christi bezogen, indem es gar nicht für sich bedeutsam ist, sondern nur in seiner Transparenz für diese einzigartige Person.

4. Narrative Strukturen im theologischen Denken Karl Barths

Charakteristisch für das theologische Denken Karl Barths, wie es sich insbesondere in der Kirchlichen Dogmatik präsentiert, ist ein Wechsel zwischen scheinbar spekulativen dogmatischen Strukturen und der breiten Entfaltung der biblischen Geschichten. Barth richtet sich auf die biblische Denkform, und die ist jedenfalls geschichtlich. Daraus ergibt sich, dass dogmatische Aussagen einen eigentümlichen Status erhalten. Sie sind sekundär. Denn alles konzentriert sich auf eine Geschichte, die sich wiederum verdichtet in einen Namen: Jesus Christus. Dogmatische Aussagen und Begriffe können demnach nur dafür sorgen, die Akzente recht zu setzen, die story in der rechten Weise zu erzählen. Allerdings kann man noch etwas mehr sagen, und darauf kommt es mir hier an: Der Wechsel zwischen dogmatischen Aussagen und ihrer Entfaltung im Rahmen der biblischen Geschichte markiert bereits die theologische Grundeinsicht, dass die Geschichte in der göttlichen Ewigkeit verankert ist. Das bedeutet natürlich auch umgekehrt, dass das ewige göttliche Leben niemals geschichtslos ist. Dogmatische Aussagen markieren, dass die biblische Geschichte sich in Jesus Christus ultimativ verdichtet, in Ihm gleichsam zusammengefasst ist. Sie sind demnach keine abstrakte Zusammenfassung, sondern entspringen dem Wendepunkt der Geschichte. Hier fällt eine letzte Entscheidung, und die kann formuliert werden. Daher ergibt sich von hier aus auch die Möglichkeit, die Geschichte in der rechten Perspektive zu erzählen.

1.  Umformung von dogmatischen Strukturen in Geschichte Meine Aufgabe muss also zunächst die sein, den Wechsel zwischen strukturellen und narrativen Ebenen noch genauer auszuleuchten. Ein interessantes und auffälliges Beispiel ist auf den ersten Blick die Umformung der Zwei-NaturenLehre in den Bänden KD IV/l und IV/2. Hier fällt auf, dass Barth nicht daran denkt, die chalcedonensischen Formeln zu überbieten. Er füllt sie mit Leben, zeigt damit aber auch sogleich an, dass sie eine Anleitung zum Erzählen sind. Tatsächlich ist die Rede von „Naturen“ problematisch, solange dieser Begriff in seiner metaphysischen Bedeutung genommen wird. Es fragt sich nur, ob das

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nicht schon im Jahre 451 wenigstens implizit bewusst war. Das wäre im Rahmen der altkirchlichen Auseinandersetzung zu zeigen.65 Ein Indiz dafür findet sich in der Formel selbst: Die wirklich schwierige Behauptung liegt in der Sünd­losigkeit Jesu. Solange dies als Differenz auf der Ebene von Eigenschaften formuliert wird, kommt es zu einem logischen Dilemma: Entweder ist Jesus Christus uns wirklich gleich, dann muss er auch die Sünde teilen, oder er teilt die Sünde nicht, ist uns dann aber auch nicht wesensgleich. Das Dilemma löst sich auf, sobald „Sünde“ nicht als Eigenschaft definiert wird. Dann kann die Konfrontation Jesu mit allen anderen menschlichen Personen so zugespitzt werden, dass er sich nicht von der Sünde distanziert und damit der sündhaften Selbstgerechtigkeit seines Volkes entgegentritt, aber auch die Sünde aller anderen Personen trägt. Der Begriff verschiebt sich nun gleichsam in das Geschehen zwischen Jesus Christus und den anderen menschlichen Geschöpfen. Natürlich ist das immer noch – oder: erst recht – eine dramatische Konfrontation, aber es wird nun klar, warum Jesus Christus die Sünde teilt und gerade darin sündlos ist. In dieser Konfrontation wird auch deutlich, dass es Gott ist, der dem Gottesvolk entgegentritt. Aber das ist nur innerhalb der Geschichte Israels, auf dem Hintergrund des Alten Testaments klar. Schließlich kann man sagen, dass hier die Geschichte eine ultimative Katastrophe erreicht, sodass in diesem Horizont die Ewigkeit einbricht.66 Das alles ist eine gedrängte Zusammenfassung der biblischen Erzählung, und sie zeigt, dass Barths narrative Version die Formel der Alten Kirche vertieft. Der eigenartige Personentausch in der Mitte der Erwählungslehre – Gott erwählt das menschliche Geschöpf, und zugleich damit die eigene Verwerfung – ist ein Implikat der altkirchlichen Christologie. Demgegenüber bleiben die metaphysisch-terminologischen Restbestände sekundär. Dass Gottes Wort sich mit der menschlichen „Natur“ vereinigt, kann auch so gelesen werden, dass die biblische story sich in einer menschlichen Person zuspitzt und an dieser kritischen Stelle ihre universale Relevanz erweist. Keine menschliche Person fällt aus dieser Geschichte heraus, und somit hat sich die menschliche Natur verändert, die sich als zutiefst geschichtlich erschließt. Was das bedeutet, muss noch überlegt werden. Jedenfalls besteht Barths genialer Zug darin, die altkirchliche Bekenntnisbildung durch die biblische Geschichte zum Klingen zu bringen.

65 Vgl. dazu den lehrreichen Aufsatz von McCormack, Barths grundsätzlicher Chalcedonismus?, 138–173. 66 Diese Gedanken sind bereits inspiriert von Karl Barths Exposition der Konfrontation in KD IV/1, § 59; vgl. auch die didaktisch glänzende Entfaltung der Christologie bei Joest, Dogmatik, 21 ff.

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2. Begriffsbildung Richtig ist aber: Barth spielt die Geschichte gegen begriffliche Abstraktionen aus. Das hat einen theologisch tief sitzenden Grund: Es geht um ein Subjekt, um Gott und Gottes Wort, nicht etwa um allgemeine Zusammenhänge. Wenn es um dieses eine göttliche Subjekt geht, spielt die Kontingenz der Ereignisse eine entscheidende Rolle, zugleich geht es um die Erkenntnis dieses göttlichen Gegenübers, das sich selbst erkennbar gemacht hat. Es muss also gelingen, die Geschichte (immer wieder neu) zu erzählen, aber doch in einer Weise, die das göttliche Subjekt immer wieder identifizierbar macht. Darin gründen die Regeln der Erzählung, die letztlich in den Dogmen gebündelt werden. Die Lehre von der Gnadenwahl erweist sich dabei als letzte Verknotung aller relevanten dogmatischen Grundentscheidungen, denn hier werden nicht nur Trinitäts- und ZweiNaturen-Lehre, sondern auch die reformatorischen Grundeinsichten – sola fide und sola gratia – eindrucksvoll ineinandergeschoben, gleichsam als Tripelfuge. Die Dogmen im strengen Sinne (Trinitätslehre, Zwei-Naturen-Lehre, Rechtfertigungslehre) markieren dabei die Einheit von Freiheit und Notwendigkeit im Leben Gottes, die für personale Identität in einer Geschichte charakteristisch ist. Die polyphone Mehrschichtigkeit der Barthschen Gedankengänge zeigt sich bereits auf der Ebene der Begriffsbildung. Begriffe sind als Abstraktionsprodukte stets gefährlich. Es kommt darauf an, die Begriffe in die Geschichte zu integrieren. Barth geht in der Regel so vor, dass er Begriffe aufeinander bezieht und in ein Spannungsverhältnis bringt. Dann werden beide Begriffe dialektisch vermittelt – ein auf den ersten Blick spekulatives Verfahren, das aber daran zu bewähren ist, dass es die Geschichte konturiert, also die biblische Spannung, die überraschenden Windungen und Wendungen der biblischen story zum Leuchten bringt. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen analogia fidei und analogia entis. Während die letztere von einer allgemeinen Struktur ausgeht, setzt die erstere voraus, dass wir in die Geschichte verwickelt sind. Daher gibt es keine allgemeingültige Außenperspektive. Die Begriffe, die wir verwenden, um die Innenperspektive zu klären und zu formulieren, sind demnach bestimmt durch eine story und in diesem Sinne analogiae fidei. Es kommt darauf an, dass wir nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern in diese Geschichte verwickelt sind, indem wir sie erzählen. Wenn nun gilt, dass die Dogmen unverzichtbar sind für die rechte narrative Fassung, dann gehört die Dogmenbildung zur Geschichte hinzu. Das ist ein wichtiger Aspekt, der uns als Grundstruktur noch beschäftigen wird. Jedenfalls kann man grundsätzlich sagen: Geschichte gibt es nicht ohne Geschichten, in denen sich die beteiligten Personen ihrer Freiheit versichern, im Sinne all dessen, was nicht mit Naturnotwendigkeit abläuft. Diese Geschichten können sogar Spielräume schaffen.

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Werden wir in eine erzählte Geschichte hineingenommen, so wird der Unterschied zwischen Wort und Gegenstand problematisch: Zwischen dem Reden „über“ eine Geschichte und der Verwicklung in diese Geschichte kann nicht leicht differenziert werden, auch wenn es selbstverständlich den Unterschied immer noch gibt. Gerade theologisch ist dieser Unterschied ja markiert dadurch, dass Jesus Christus die Geschichte beendet und uns dadurch in die Geschichte hineinnimmt. Die Geschichte, die in Jesus Christus ihre Mitte und ultimative Wende findet, schafft auf ihre Weise Freiheit und Notwendigkeit zugleich – als sprachliches Gebilde. Sie teilt demnach mit, wovon sie erzählt, zumindest gilt das nach Barth von der biblischen story. Die Problemstellung der analogia fidei bezieht sich zunächst (traditionellerweise) nur auf die Gotteslehre und muss auf die gesamte Beschreibung der Wirklichkeit ausgeweitet werden, indem die gesamte Wirklichkeit eingeholt wird in die göttliche Geschichte. Dabei wird klar, dass auch die menschliche Wirklichkeit nur erzählt werden kann und alle Begriffe dieser Erzählung dienstbar gemacht werden müssen. In diesem Zusammenhang wird die merkwürdige Formel vom Personentausch zum Leitmotiv.67 Das ergibt sich nicht nur daraus, dass in der letzten Tiefe der Geschichte die göttliche Gnadenwahl steht, in der Gott von Ewigkeit her an die Stelle des menschlichen Geschöpfs tritt. Es erweist sich auch als aufschlussreich im Rahmen der menschlichen Geschichte überhaupt. Ein „Tausch“ ist nur innerhalb einer narrativen Struktur zu entfalten. Was soll die Behauptung denn besagen, dass Personen „ineinander verwickelt“ sind, solange wir von Personen als Individuen ausgehen? Nur in dem Maße, wie die Identität einer Person sich aus der Begegnung und Beziehung zu anderen Personen ergibt, kann es sinnvoll sein, die eigene Identität in der Geschichte einer anderen Person zu finden. Der Personentausch ist dann die letzte Zuspitzung einer solchen Beziehung. Diese letzte Zuspitzung ist aber einzigartig realisiert in der Geschichte, die in Jesus Christus ihre ultimative Wende findet. Daher kann die Verdichtung dieser Geschichte im Christusgeschehen zugleich in die ewige Tiefe der göttlichen Gnadenwahl „verlegt“ werden. Die Rede vom Personentausch sprengt dann insgesamt die allgemeine Bedeutung des Wortes „Person“ und macht den Begriff zugleich dienstbar dafür, die geschichtliche Erfahrung zu erzählen, dass wir in das Christusgeschehen und damit in das göttliche Leben verwickelt werden. So wird der Begriff „Person“ zum hervorragenden Paradigma für ein Reden analogia fidei.68

67 Vgl. Maurer, „Für uns“, in vorliegendem Band, 131–153; Erstveröffentlichung in ZDTh 18 (2002), 190–210. 68 Das ist eine Pointe der exzellenten Arbeit von Torrance, Persons in Communion, passim.

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3. Rückkopplungen Die dogmatischen Aussagen im engeren Sinne sind bei Barth vielfach logisch sehr stringent. Darin zeichnet sich ab, dass die Geschichte eine innere Schlüssigkeit hat – das gehört zu den Bedingungen von Geschichte, die ja als Bereich der Freiheit, aber nicht der Willkür zur Sprache kommen muss. Die innere Stringenz der dogmatischen Aussagen führt bei Barth nicht dazu, dass aus der Erzählung ein System wird, obwohl es fraglos zu Symmetrien kommt. Die Vollkommenheiten Gottes sind ja fast so schön angeordnet wie die Kategorientafel bei Kant (und es sind auch 12!), ähnlich verhält es sich mit dem Aufriss der Versöhnungslehre. Die Gestaltung folgt durchaus ästhetischen Kriterien, weil sich im Idealfall das eine aus dem anderen ergibt, ohne aber im Sinne eines Kalküls ableitbar zu sein. Die Dogmen sind so formuliert, dass sie sich von innen heraus öffnen. Das gilt schon für die Zuspitzung in der immanenten Trinitätslehre: Die Dialektik von Enthüllung, Verhüllung und Selbstmitteilung wird so auf eine Struktur gebracht und in ihrer inneren Bezogenheit durchsichtig gemacht, dass das Nachdenken von ganz allein darauf kommt: Hier ist nicht ein Schluss erreicht, vielmehr leuchtet die Fülle Gottes auf. Aus der inneren Stringenz bricht die Vielfalt der Variationen hervor. Die Herrlichkeit Gottes als Schönheit ist denn auch die letzte der Vollkommenheiten Gottes. Die immanente Trinitätslehre ist somit erst im Zusammenhang mit der Lehre von den Vollkommenheiten Gottes und deren Verdichtung in der Lehre von der Gnadenwahl vollständig erfasst. Die Freiheit Gottes und die Liebe Gottes schaukeln einander hoch und bilden Rückkopplungen.69 In der Liebe Gottes wird seine Freiheit auf neue Weise deutlich, dadurch unterscheidet sich die Liebe von einem Naturgeschehen, aber auch umgekehrt erweist sich die Freiheit Gottes als Selbstbestimmung und nicht als Willkür gerade darin, dass in der Freiheit Gottes seine Liebe aufleuchtet. Dieser Zusammenhang ist sicherlich eine dialektische „Vermittlung“, bleibt aber streng bezogen auf die biblische Geschichte und umkreist stets den Namen „Jesus Christus“. Zudem wird der Weg zwischen Notwendigkeit und Freiheit immer wieder neu beschritten, es erschließt sich eben die Fülle der Vollkommenheiten. Auf solche Rückkopplungen kommt es letztlich an. Sie machen die Dogmatik insgesamt zu einem narrativen Gebilde, denn Rückkopplungen sind charakteristisch für dramatische Entwicklungen. In einer Geschichte bildet sich die Identität der Personen in der Interaktion mit anderen Personen aus, die ihre Identität ihrerseits auf ihre Weise aus der Interaktion mit den anderen Personen empfangen. Freiheit 69 Vgl. dazu KD II/1, §§ 30. Im Folgenden werden Belegstellen aus der Kirchlichen Dogmatik im fortlaufenden Text in Klammem angegeben.

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und Notwendigkeit, Selbständigkeit und Bestimmung sind ineinander verwoben. Was innerhalb der menschlichen Geschichte auf mehrere Personen verteilt ist, verdichtet sich im göttlichen Leben. So werden auch fundamentale Begriffe der narrativen Logik – eben „Freiheit“ und „Notwendigkeit“ – nur noch analogia fidei verwendet. An dieser Stelle kann ich bereits eine wichtige These formulieren, dass nämlich die Rückkopplungen ein Hinweis auf die Wirksamkeit des Heiligen Geistes sind, der mit der Geschichtlichkeit engstens verknüpft ist. Das ist innerhalb der Gotteslehre von KD II/1 relativ schlüssig, weil die Polarität von Freiheit und Liebe ja der trinitarischen Beziehung zwischen Vater und Sohn entspricht. Vom Heiligen Geist ist nicht explizit die Rede, aber die gesamte Entfaltung in ihrer narrativen Dynamik sorgt für die alles andere als statische Einheit von Verhüllung und Selbstenthüllung Gottes und lässt sich daher gut der dritten trinitarischen Person appropriieren (vgl. KD II/1, 384 ff.). Es kommt noch ein anderer Gedanke hinzu: Die Rückkopplungen innerhalb der menschlichen Geschichte lassen sich ineinanderschieben, d. h. innerhalb einer Wechselwirkung zwischen Personen können andere Wechselwirkungen sich auswirken etc. Es kommt so zu beliebig komplexen Mustern. Solche Beziehungsmuster sind hervorragend geeignet, die Rede von der Emergenz deutlich zu machen, die Michael Welker für die Lehre vom Heiligen Geist gern in Anspruch nimmt.70 Der Zusammenhang der narrativen Dynamik mit dem Heiligen Geist wird uns noch beschäftigen. Die scheinbar deduktive fraktale Struktur – „Schachteln in der Schachtel“ – ähnelt der Dialektik etwa bei Schleiermacher auf den ersten Blick – aber doch nur so weit. Denn sie kann auf dem Hintergrund der soeben skizzierten Rückkopplungen auch narrativ interpretiert werden. Dass eine Entwicklung in ihr Gegenteil umschlägt – und zwar in mehrfachen „Einfaltungen“ –, ist innerhalb einer geschichtlichen Rückkopplung durchaus denkbar. Das zeigt Barth sehr schön in der Exposition von KD IV/1. Die Erwählung Israels durch Gott führt zu jener Eskalation, in der Israel seinen Gott verwirft. Das ist die „schlimmstmögliche Wendung“. Es geht um die Feindschaft Israels, die nur signifikant ist auf dem Hintergrund der Erwählung. Durch diesen Konflikt wird die Partikularität der Geschichte Israels – auf die es Barth besonders ankommt – erst recht profiliert. Es muss nämlich die Frage geklärt werden, warum die Partikularität einzigartig wird. Sie wird es vermöge der Zuspitzung: the plot thickens. Kontingenz für sich allein ist noch nicht signifikant, es muss zu charakteristischen Wendungen kommen. Nur auf dem Hintergrund der Erwählung erhält der Widerspruch gegen die Erwählung solch charakteristische Züge als Ablehnung der Gnade Gottes. Dadurch verschärft sich auch der Begriff der göttlichen Selbst70 Vgl. Welker, Gottes Geist, passim.

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erniedrigung (vgl. KD IV/1, 187). Die radikale Zuspitzung liegt aber darin, dass Gott an die Stelle dieses sündigen Menschen tritt, also im Konflikt mit seinen Gegnern solidarisch wird. Auch das ist wieder ebenso kontingent wie innergöttlich-notwendig, denn damit wird die Erwählung auf die Spitze getrieben. Auf dem Hintergrund dieser Verwicklung wird deutlich, dass die Geschichte auf einen Kulminationspunkt zutreibt, nämlich die immer noch größere Gnade. Die Eskalation kann nur im Rahmen einer Geschichte zum Austrag kommen. Und sie ist am Gipfel der Eskalation beendet – hier zeigt sich dann die Gnade Gottes in ihrer ganzen Radikalität als innere Notwendigkeit der ganz einzigartigen Geschichte. Hier wird insgesamt deutlich, inwiefern Rückkopplungen zur Triebkraft einer narrativen Dynamik werden. Solche Wendungen und Windungen können aber ineinandergeschoben werden, und das macht den Charme einer guten Erzählung gerade aus. Wenn die Geschichte auf einen ultimativen Punkt hintreibt, werden solche Wendungen und Windungen natürlich in das Licht treten, das von diesem Punkt ausgeht. Dann sind alle einzelnen Wendungen streng auf diesen Punkt bezogen, fallen also nicht auseinander in einzelne Elemente, sondern hängen zusammen – jede ist auf jeweils alle anderen in eigentümlicher Weise bezogen, wie in einem Musikstück, wo kein Ton mehr „zufällig“ ist, weil der Charakter sich ändern müsste, wenn nur ein Ton anders gespielt wird. Es sind dabei gerade die Übergänge in der Geschichte, die auf die ultimative Wendung hinweisen.

4.  Narrative Logik Bei genauer Betrachtung müssen wir nun zwei Rückkopplungsebenen unterscheiden: Außer der soeben erwähnten innergeschichtlichen oder auch innergöttlichen Dialektik gibt es noch den anfangs beschriebenen Wechsel zwischen der biblisch bezeugten Geschichte und ihrer „Ewigkeitstiefe“, die durch die Dogmen und letztlich durch die Verdichtung aller Dogmen in der Lehre von der Gnadenwahl bezeichnet wird. Diese beiden Ebenen machen deutlich, wie verschlungen die Denkbewegung der Kirchlichen Dogmatik ist, denn es sind nicht zwei voneinander unabhängige Prozesse. Vielmehr wird die „Rückkopplung II“ zum Element von „Rückkopplung I“, weil die Einsicht in die Ewigkeitstiefe der Geschichte uns in die Geschichte hineinzieht und damit die Geschichte vertieft. Dabei umgreift uns die göttliche Herrlichkeit. Das ist das doxologische Moment, auf das ich noch eingehen werde und das engstens mit der Pneumatologie verbunden ist. Auf der „linearen“ Ebene läuft die story auf Christus hin und verdichtet sich im Christusereignis als der Katastrophe, aber derart, dass hier ein neuer Anfang

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erschlossen wird. Diese Wende der Geschichte markiert die Zusammenfassung der Geschichte. Insofern ist die Identität aller an der Geschichte beteiligten Personen in dieser einen Geschichte zusammengefasst. Das „In-Christus-Sein“ bedeutet: die eigene Identität in einer story haben, die auf Christus hinausläuft oder von ihm herkommt. (Beides ist nicht einfach symmetrisch.) Die Identität der Personen hat aber stets mit einem Übergang zu tun, was vielleicht der Grund ist, warum Barth dann etwa im Bereich der Heiligung wenig „Substantielles“ sagen will. Die eine Geschichte in der Mitte ist charakterisiert durch eine Tiefenspannung, die sich in den Wendungen und Windungen der Geschichte immer wieder anders auswirkt. In den kontingenten Ereignissen der Geschichte waltet eine innere Notwendigkeit, die sich erst von diesem Ereignis in der Mitte her beleuchten lässt. Es handelt sich dabei um die Dialektik von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes, welche die Tiefe des Erwählungsgeschehens vorbildet. Wie kommen wir in diese Geschichte hinein? Indem sie uns so gepredigt wird, dass der narrative drive uns erfasst. Geschichte ist nie sprachlos, daher kann aus den Ereignissen Sprache entstehen und aus der Sprache können Ereignisse emergieren. Das liegt nahe, weil auch Freiheit immer sprachlich konstituiert ist, ebenso wie personal­zwanglose Notwendigkeit. Es bleibt die theologische Differenz, dass unsere Geschichten nicht so erzählt werden können wie die Geschichte Israels bis auf Christus hin. Das ist die Wurzel für die (nicht angemessene) Kritik Welkers an Barths seiner Ansicht nach verengt-zweipoliger dialogischer Pneumatologie.71 In der Tat sind die Formulierungen Barths („objektiv“ – „subjektiv“) unglücklich. Dennoch ist die gleichsam implizite narrative Pneumatologie bei Barth komplexer. Der Heilige Geist wirkt nach Barth in der Regel als Innenspannung zwischen zwei Begriffen und setzt damit eine narrative Dynamik frei (vgl. schon die Zuordnung der „Geschichtlichkeit“ zum Geist in KD I/1, § 8,2). Insofern ist die gesamte Geschichte geistgewirkt und zieht uns in diese Geschichte hinein, was sehr deutlich dargestellt wird in KD IV/2.

5.  Geschichte und Doxologie Die „Zwischenüberlegung“ zur „Weisung des Sohnes“ in § 64,4 sucht den Übergang von Jesus Christus als dem erhöhten Menschensohn zu unserer Wirklichkeit zu klären. Der Übergang ist nicht selbstverständlich – nur eben in Gottes Geist ist er das. Hier greifen die narrative Struktur und die Doxologie (die trini-

71 Vgl. Welker, Gottes Geist, 51 ff.,149 f.

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tarische Rede von Gott) engstens ineinander.72 Man kann sagen: Die story wird zunächst in die göttliche Tiefe verlegt. Der Geist ist dabei die freie majestätische Tat der Einheit in der Distanz von Vater und Sohn, die sich so von einem zyklischen Naturgeschehen unterscheidet. Hier gründet das Geschehen der Erwählung (vgl. KD IV/2, 386). Wichtig ist, dass Barth hier wieder explizit den Geist auf die Geschichte bezieht: Sodaß jene Partnerschaft [zwischen Vater und Sohn] nicht etwa ein Erstes, Statisches ist, dem dann die so stattfindende Geschichte als ein zweites, Dynamisches erst folgte, sondern indem da Partnerschaft ist, geschieht auch Geschichte und indem da Geschichte geschieht, erneuert sich da […] ewig auch die Partnerschaft: Gottes Sein als Vater und Sohn mit dem Heiligen Geist, der ihrer Beider Geist ist (KD IV/2, 385).

Nun ist diese innergöttliche Geschichte die Zusammenfassung der Bundesgeschichte. Somit haben wir Anteil an der ewigen Bundesgeschichte, indem wir durch den Heiligen Geist in das Christusgeschehen hineingezogen werden. Die entscheidende Wende der ewigen Geschichte ist aber der Übergang von der Verwerfung zur Erwählung – welcher Übergang sich abzeichnet zwischen Israel und Kirche und in Jesus Christus. Dann ist gerade hier das Geistgeschehen zuzuspitzen, sodass vermöge der ultimativen Wende nun die Geschichte sich in Geschichten weiterführt, die Geschichte machen. Was zuerst wie ein Bestimmtheitsdefizit aussieht – die Offenbarungsgeschichte Israels ist ja viel differenzierter dargestellt als die Geschichte von Jesus Christus bis hin zu uns –, wäre demnach der Gewinn der Ausgießung des Geistes. Darin ist die Geschichte Israels nicht abgetan, sondern der unerschöpfliche Quellgrund der Geschichten zwischen Jesus Christus und uns. Diese Geschichten werden vermöge des Heiligen Geistes „die Darstellung, Abbildung und Entsprechung des Lebens Gottes selbst“ (KD IV/2, 388). Das freie Leben Gottes spitzt sich im Heiligen Geist zu (vgl. auch KD IV/2, 386) und tritt gerade darin nach außen. Es zeichnet sich an dieser Stelle ein wichtiger Zusammenhang zwischen Geschichte und Doxologie ab: Der Geist ist die freie Tat in der Einheit des göttlichen Lebens als Geschichte. In dieser Geschichte kommen Freiheit und Dynamik zusammen – wobei die Dynamik als Gefälle den Charakter der Bestimmung und nicht-zwanghaften Notwendigkeit trägt. Nun ist es klar, dass eine solche Aussage über das innergöttliche Leben keine beschreibende Aussage sein kann. Es handelt sich um Lobpreis, um Doxologie. Dabei verdankt sich das doxologische Reden der Wirkung des Geistes, gehört also zur Geschichte Jesu 72 Narrativ ist dieser Abschnitt auch wegen seiner enormen ritardandi – man erwartet eine Antwort auf die Frage nach unserem „Sein in Christus“ – es folgt ein Abriss der Lehre von der Gnadenwahl!

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Christi hinzu und ist seinerseits geschichtlich. Daher auch muss die ultimative Verdichtung der Dogmen in der Erwählungslehre noch einmal narrative Form annehmen. Es gibt keinen Punkt, wo es nicht um Geschichten ginge. Die narrative Logik im Denken Barths beruht darauf, dass Übergänge zur elementaren Wirklichkeit werden. Verfolgen wir Barths Gedankengang noch genauer: Der Geist macht die Notwendigkeit des Gegensatzes von Erhöhung und Erniedrigung durchsichtig – diese Erkenntnis zieht uns in die göttliche Geschichte hinein. Gerade die Härte des Kreuzes ist nicht paradox, sondern wir haben nach seiner Begründung eben in der Doxa Gottes und d. h. nun wieder: im trinitarischen Leben Gottes zu fragen: danach, inwiefern wir es gerade in diesem Gegensatz zuerst mit Gott selbst – und weil mit Gott selbst, darum und daraufhin mit einem notwendigen Gegensatz, aber auch mit dessen Überwindung zu tun haben (KD IV/2, 389).

Der Glaube an das Kreuz als Gottes Kraft und Weisheit ist daher das Werk des Heiligen Geistes. Dabei muss aber nach der Notwendigkeit und der Freiheit gefragt werden: Wir gehen dem Rätsel auf den Grund und fragen nach der Notwendigkeit des Gegensatzes und nach der Freiheit seiner Überwindung in Glauben und Bekenntnis (vgl. KD IV/2, 391). Das Denken muss dabei umgekehrt werden – und diese Umkehrung entspringt dem Heiligen Geist. Er belehrt uns über die Notwendigkeit und die Freiheit und damit über den Grund der Dynamik von Kreuz und Kraft Gottes. Der Geist erschließt uns die Perspektive der ewigen Gnadenwahl mit der freien Einstimmung zwischen Vater und Sohn (vgl. KD IV/2, 392). Diese trinitarische Innenschau wäre also die Wurzel für die Mitteilung der Kraft Gottes im Geist. Der Heilige Geist ist der Geist der Wahrheit, weil er das Leben des Menschen Jesus erhellt als das Leben des Sohnes mit dem Vater, des Vaters mit dem Sohne, weil er den dieses Leben beherrschenden Gegensatz aufhellt in seiner Notwendigkeit, als den Gegensatz, der zuerst in Gott, weil in seinem Willen sich öffnet – aber eben in seinem Willen auch überwunden, geeinigt ist (KD IV/2, 393).

Damit werden wir auf den ewigen Grund der Existenz Jesu Christi „in der Doxa Gottes“ gestellt: „in der Freiheit, in der Gott, Vater und Sohn, hoch und niedrig ist“ (KD IV/2, 393 f.). Zugleich – in der Gegenrichtung – liegt die Herrlichkeit (doxa!) Jesu Christi darin, dass hier ein Neuanfang menschlichen Lebens stattgefunden hat (KD IV/2, 396). Wie können wir das bekennen? Auch hier erschließt der Geist wieder die Freiheit und die Notwendigkeit, in beidem erschließt sich der göttliche Grund des Geschehens. Einer Geschichte kann man nur auf den Grund kommen, wenn die Einheit von Freiheit und Notwendigkeit sich erschließt. Im Tausch mit uns erweist sich die Dynamik und Teleologie des göttlichen Lebens. Darin liegt

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die Notwendigkeit des Gegensatzes von Hoheit und Niedrigkeit, aber auch die Freiheit als Überwindung des Gegensatzes, im Glauben „an die Begründung des Lebens aller Menschen im Sterben dieses Einen, an die Vollstreckung ihrer Erwählung in der Vollstreckung seiner Verwerfung“ (KD IV/2, 398). Auch hier führt der Geist uns ins ewige Leben Gottes (vgl. KD IV/2, 399). Dabei wird der Personentausch bis in die Tiefe des göttlichen Lebens hineingetragen. Das ist aber nur formulierbar in einer doxologischen Sprachgestalt, die sich aus der Macht des Heiligen Geistes ergibt, der uns in die göttliche Wirklichkeit hineinzieht. Der Personentausch ist an dieser Stelle nicht eingebettet in eine story, sondern in der Ewigkeitstiefe dieser Geschichte angesiedelt. Das ist kein Widerspruch (weil die Erwählung der Gemeinde zu dieser Tiefengeschichte gehört), wenn auch eine andere Ebene. Wichtig daran ist aber die Struktur, dass die geistgewirkte Einsicht in diese Ewigkeitstiefe unsere Verwicklung in die Geschichte begründet. So kann die Doxologie nicht die göttliche Wirklichkeit „von außen“ beschreiben (man denke an Graphiken von M.C. Escher). Wir treten aus uns selber heraus, indem wir den Einblick in das göttliche Leben erhalten. Im Glauben verlieren wir unseren festen Stand, womit sich der Personentausch vollendet. Der noetische Vorgang wird exakt zu dem ontischen Prozess, den es zu erkennen gilt – eine „seltsame Schleife“.73 Hier wird die Rückkopplung wieder sichtbar: Im Rahmen der „Übergangsüberlegung“ in KD IV/2 ist – wie soeben gezeigt – die Doxologie ein wesentliches Moment der Wirkung des Heiligen Geistes, der uns in die Christus-Wirklichkeit hineinnimmt. Sie ergibt sich aber im Rahmen der Versöhnungslehre aus der Entfaltung der Gnadenwahl, sodass hier eine reflexive Struktur vorliegt: Die Lehre von der Gnadenwahl wird zum Ausgangspunkt für die Erzählung der Christologie, und an einer wichtigen Stelle dieser Erzählung kommt es zur Behandlung der Frage, wie wir denn überhaupt einen solchen Satz – die Lehre von der Gnadenwahl – formulieren können. Die reflexive Verwicklung der Offenbarungsgeschichte und unserer Geschichten führt zu einer sich immer weiter vertiefenden Fülle und zeigt an, was gemeint ist mit dem Satz „Der Geist wird euch in alle Wahrheit führen“ (Joh 16,13a). Die Universalität wird erreicht durch Jesus Christus als ultimativen Wendepunkt der Geschichte Israels, die hier ihre Vollendung erreicht und dadurch integrativ wird für alle anderen stories. Die Universalität der Wahrheit ist demnach keine oberste Abstraktionsebene, sondern das narrative concretissimum. Die Einzigartigkeit Jesu Christi kann allerdings auch nur in diesem Zusammenhang, also im Rahmen dieser biblisch-christlichen „Super-Geschichte“ profiliert, nicht aus allgemeinen Kriterien deduziert werden. Die Universalität 73 Vgl. zu diesem Terminus Hofstaedter, Gödel – Escher – Bach, passim.

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ist jedenfalls nicht abstrakt, aber sie ist sehr klar strukturiert. Diese Struktur geht im Wesentlichen bereits auf die Offenbarungslehre zurück. Denn die Zeit der Erinnerung (vgl. KD I/2, § 14) ist wenig plastisch, solange man nicht das ganze Kapitel über die Schrift (§§ 19–21) hinzunimmt. Dann wird aber deutlich, dass die Geschichte nach Christus eben die des Offenbarungszeugnisses ist, als solche aber der Zeit der Erwartung entspricht. Durch die Vollendung in Christus wird die Geschichte Israels wesentlicher Bestandteil der Selbstoffenbarung Gottes und schießt über auf das menschliche Geschlecht und seine Geschichten. Das entspricht der Ausgießung des Geistes, der zuvor die Geschichte Israels gelenkt hat. Darin zeigt sich wieder die spezifische Dialektik von „inklusiv“ und „exklusiv“: gerade die Partikularität der Geschichte in ihrer Zuspitzung auf eine einzige Person führt die universale Öffnung mit sich, die daher auch niemals eine abstrakte Wahrheit werden kann. Man könnte auch sagen: In der narrativen Logik wird „universal“ durch „ultimativ“ ersetzt.

6.  Trinitätslehre und Erwählungslehre Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass die Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit im Kern der narrativen Logik liegt. Das ist noch etwas genauer zu beleuchten. Und es gehört zur Reflexivität des ganzen Unternehmens, dass auch für die Struktur der Dogmen diese Dialektik charakteristisch ist. In der narrativen Gestaltung kommt es immer darauf an, Personen in ihrer charakteristischen Eigenart zu profilieren. Das geht mit allgemeinen Begriffen nicht, sofern diese Begriffe nicht durch ihre Konstellation präzisiert werden. Zu solchen Konstellationen gehören aber auch dramatische Verwicklungen. Das Problem, das sich auf den ersten Blick stellt, ist allerdings, dass Gott narrativ charakterisiert werden soll auch schon in einer Ewigkeitsgeschichte. Gott ist hier „mit sich allein“. Natürlich soll die Trinitätslehre das Problem lösen, dass Gott auch für sich selbst nicht einsam ist, aber dann gerät sie immer schnell in ein tritheistisches Fahrwasser. Als „Beschreibung“ ist die immanente Trinitätslehre nicht zu verstehen – oder eben nur im absurden Sinne einer himmlischen Skatrunde. Daher kommt es darauf an, das innere göttliche trinitarische Leben als Begegnungsgeschichte zu erzählen, die sich sogleich für die nicht­göttliche geschaffene Wirklichkeit öffnet. Gott „müsste“ das nicht, aber faktisch will Gott eine dramatisch zugespitzte Geschichte. Barth zeichnet diese Gnadenwahl in die trinitarische Struktur ein, um nach beiden Seiten zu differenzieren: Nach „rückwärts“ (vermöge des Hintergrundes der immanenten Trinitätslehre) wird klar, dass das trinitarische Leben auch andere Möglichkeiten „bereithält“, das göttliche Leben einzigartig zu leben. Das „müsste“ nicht eine Begegnungsgeschichte sein, die Freiheit

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und Notwendigkeit, also unsere Kategorien von stories, erst aus sich heraussetzt und in sich enthält, was wir innerhalb der menschlichen Geschichte immer auf mehrere Personen verteilen. Nach „vorwärts“ (in der Ausrichtung auf die ökonomische Entfaltung der Trinität) wird aber klar, dass die in der Gnadenwahl verwurzelte Geschichte im göttlichen Leben zutiefst dem Wesen Gottes entspricht. In diesem Zusammenhang akzentuiert die immanente Trinitätslehre die Notwendigkeit, die Gnadenwahl die Freiheit. Es geht also um eine unableitbare und doch nicht willkürliche Selbstbestimmung Gottes, die sich natürlich himmelweit unterscheidet von der menschlichen Selbstbestimmung innerhalb einer Geschichte, wo Freiheit und Notwendigkeit immer auf mehrere menschliche Personen verteilt sind. Doch ist das Wunderbare an dieser Geschichte eben, dass Gott sich in Ewigkeit für das menschliche Geschöpf bestimmt. Das Problem einer narrativen Rede von Gott ist nun insofern schon gelöst, als von Gott nicht erzählt werden kann abgesehen von der Begegnung mit dem menschlichen Geschöpf, wobei aber ein göttlicher Hintergrund sich abzeichnet, der die Freiheit Gottes gegenüber dem menschlichen Geschöpf skizziert und in der immanenten Trinitätslehre gebündelt wird. Das ist wieder ein Beispiel für die theologische Dialektik, denn soeben wurde die immanente Trinitätslehre ja auf die Seite der Notwendigkeit gerückt. Es ist theologisch treffend, dass Barth hier im inneren göttlichen Leben diesen Hintergrund nur ganz sparsam andeutet, weil sonst die Gefahr eines Tritheismus lauert. Es ist aber genial, den Übergang so zu erzählen, dass bereits in Ewigkeit das menschliche Geschöpf zur inneren Differenzierung Gottes beiträgt. Das ist eine Umkehrung, die ihrerseits schon wieder narrative Züge trägt. Denn nun geht es nicht um eine zwischenmenschliche Begegnung oder eine Begegnung mit Gott, in der die Personen einander profilieren, sondern um eine innergöttliche Geschichte, die das menschliche Geschöpf umgreift und dabei ihr charakteristisches Profil annimmt. Es ist eine einzige göttliche Wirklichkeit, die in sich lebendig bleibt über einen Konflikt hinweg, der seine dramatische Zuspitzung in einer anderen (noch zu schaffenden) Wirklichkeit findet. Man könnte salopp sagen: Die Struktur wird „auf links“ gedreht. Nicht die göttliche Geschichte ist die Tiefendimension der menschlichen Geschichte, sondern das menschliche Geschöpf – Jesus Christus – bildet die Tiefe Gottes. Insofern steht Gottes Leben uns gegenüber und doch werden wir in dieses Leben hineingezogen. Das ist die Grundstruktur der spezifischen Dialektik von „inklusiv“ und „exklusiv“. Denn das innere göttliche Leben in seiner Ewigkeit unterscheidet sich zunächst streng von der geschöpflichen Ebene. Methodisch ist das interessant, weil hier eine theoretische Differenz – der Unterschied zwischen der Geschichte des Bundes und der Grundstruktur dieser Geschichte – zugleich erzählt wird, indem die doxologische Einsicht in die Grundstruktur zum Teil

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der Geschichte wird. Die Umkehrung ist dann insgesamt selber ein Moment der Geschichte. In diesem Zusammenhang ist schließlich die trinitarisch zunächst befremdliche Erörterung des innergöttlichen Gehorsams aufschlussreich (vgl. KD IV/1, 212 ff.): Gerade durch den innergöttlichen Gehorsam wird die Passion Jesu Christi „von einem schicksals- und naturhaften Zufallsgeschehen deutlich unterschieden“ (KD IV/1, 212). Hier geht es um die Freiheit Gottes. Dadurch unterscheidet sich zugleich die Freiheit Gottes von einer potestas absoluta. „Das ereignet sich dann in Gottes Freiheit, aber in der inneren Notwendigkeit der Freiheit Gottes und nicht im Spiel eines souveränen liberum arbitrium“ (KD IV/1, 213). Die dramatische Folge eines innertrinitarischen Gehorsams ist wieder: Geschichte. Gott ist vermöge seiner dritten Seinsweise in jeder der ganze Gott; er ist es aber wieder vermöge dieser dritten Seinsweise in keiner für sich und gelöst von der anderen, sondern in jeder in ihrer Beziehung zu der anderen und also faktisch in der Totalität, im Zusammenhang, im Spiel, in der Geschichte dieser Beziehungen. […] Der wahre, der lebendige Gott aber ist der, dessen Gottheit in jener Geschichte besteht (KD IV/1, 222).

Damit wird die Trinitätslehre narrativ vertieft, denn das Schema der immanenten Trinität wird seinerseits zum Hintergrund für ein Geschehen in der göttlichen Ewigkeit. Das ist wichtig, weil die immanente Trinitätslehre keine präpositionale Gestalt hat, sondern die Grammatik des Redens von Gott festlegt, daher nur im Verhältnis zur ökonomischen Trinitätslehre sinnvoll ist. Dabei markiert die Erwählungslehre zusammen mit dem Theorem vom innergöttlichen Gehorsam exakt den Übergang und hebt sich von der immanenten Struktur ab. Die wird nun zum Hintergrund im Sinne des Spielraums für die göttliche Selbstbestimmung. Diese Erörterung ergibt sich aus der narrativen Entfaltung des „Weges in die Fremde“ im Sinne der Konfrontation Gottes mit dem erwählten Gottesvolk. Barth schafft also einen Übergang von der Geschichte zur Tiefenstruktur und wieder zurück. Diese Bewegung ist aber weder deduktiv noch induktiv, sondern erneut als Rückkopplung zu verstehen. Interessant ist jedenfalls, dass die sehr narrative Einbettung der Inkarnation wenig später zu einem innertrinitarischen Höhenflug führt, der sogleich wieder zur Geschichte drängt. Aus dem Zusammenhang wird klar, dass erneut der Heilige Geist im Spiel ist, sobald Barth von „Geschichte“ redet. Das innergöttliche Leben konzentriert sich als Geschichte im Heiligen Geist und wird so zum Überfluss der göttlichen Fülle, die sich geschichtlich verwirklichen kann.

5. Theologische Weichenstellungen in Karl Barths Römerbriefauslegung von 1922

Ich konzentriere mich in meinem Beitrag auf die Auslegung von Röm 5–8 in der zweiten Fassung des Römerbrief-„Kommentars“74. Dabei zeichnet sich ein Syndrom ab, das bis in die Grundstruktur der Kirchlichen Dogmatik hinein verfolgt werden kann. Es geht einerseits um die semantische bzw. pneumatologische „Lücke“, die alles Reden von Gott nur als Hinweis wahrnehmen kann bzw. will und den Glauben von einer „Erfahrung“ strikt zu unterscheiden sucht (1). In scheinbarer Spannung dazu steht die sich innerhalb der KD fortlaufend verstärkende Tendenz, Einblicke in das ewige göttliche Leben zur Sprache zu bringen (2). Beide Aspekte müssen bei einer angemessenen Interpretation der KD beachtet werden, und sie finden sich ansatzweise bereits in der Auslegung des Römerbriefs. Die scheinbare Spannung wird aufgehoben in der christologischen Konzentration des Redens von Gott (3).

1.  Hinweisstruktur allen theologischen Redens 1.1 Semantik Der neue Mensch ist „nur als Vakuum anschaulich“, erscheint „nur als Nullpunkt zwischen zwei im Unendlichen auslaufenden Hyperbelarmen“ (136). Diese anschauliche Unanschaulichkeit wird profiliert als Dialektik: Nicht ich bin dieses Subjekt, sofern es als Subjekt, als das, was es ist, absolut jenseits, das radikal Andere ist allem gegenüber, was ich bin. Und – ich bin dieses Subjekt, sofern das, was es tut, sein Prädikat: der Glaube, eben in der Setzung der Identität zwischen ihm und mir besteht (ebd.).

Die neue Wirklichkeit ist somit einerseits unanschaulich, aber nicht einfach im Gegensatz zur Anschaulichkeit. Die Ebene der Anschaulichkeit wird nicht einfach „platonistisch“ transzendiert, sondern in eine Dynamik hineingezo74 Ich zitiere nach dem textidentischen Neudruck (Zürich 1999) der 2. Fassung des RömerbriefKommentars von 1922, dessen Seitenumbruch sich wegen der Umstellung der Schriftart gegenüber früheren Nachdrucken der zweiten Fassung geändert hat. Die eingeklammerten Seitenangaben im Text beziehen sich auf diese Ausgabe.

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gen. Es entstehen dialektisch strukturierte „Hohlräume“. Ein Dualismus wird abgelehnt (vgl. 221): Daß Gott uns gnädig ist, das heißt doch, daß das ‚Jenseits‘ sich bezieht auf unser Diesseits und unser Diesseits bezogen ist auf das ‚Jenseits‘, und daß uns damit verwehrt ist, eine Absperrung des einen gegen das andere anzuerkennen (222).

Wir stoßen auf eine charakteristische Struktur: Der Bereich des Anschaulichen kann durchsichtig werden für die unanschauliche Wirklichkeit der Gnade. Er wird es aber nicht dadurch, dass hier eine Ähnlichkeit besteht, sondern vermöge der Hohlräume, welche die dramatische Gebrochenheit des neuen Menschen nachzeichnen. Dann wird allerdings der Bereich des Anschaulichen unmittelbar – wenn auch unter dem Gegenteil – durchsichtig für die gnadenhafte Wirklichkeit. Darin zeichnen sich bereits Grundzüge der in der Lehre vom Wort Gottes entwickelten Semantik ab. Das Wort Gottes ist Geheimnis vermöge seiner Welthaftigkeit.75 Der göttliche Gehalt bezieht sich auf die welthafte Gestalt einerseits unmittelbar, andererseits aber gebrochen und indirekt, unter dem Gegenteil. Daraus ergibt sich die Einseitigkeit des Wortes Gottes: Die semantische Beziehung kann nicht von außen erfasst oder gar kontrolliert werden. Daher kann sie auch nicht abgesichert werden, sie muss sich je und je ereignen. Das ist die Geistlichkeit des Wortes Gottes. Nun sind diese Skizzen schon eine Vorbereitung für den Offenbarungsbegriff und damit für die Trinitätslehre. Vor allem aber enthalten sie eine theologische Semantik in nuce. Das Paradigma ist die menschliche Natur Christi, die als welthafte Gestalt unmittelbar bezogen ist auf den göttlichen Gehalt, aber als dessen Verhüllung, also keineswegs wie eine Analogie, nicht abbildend. Die Beziehung bleibt indirekt, sie kann nicht erschlossen werden, sondern bedarf der unmittelbaren Erfassung. Gerade weil die Gestalt keine eigene Wirklichkeit mehr hat außer auf die Gegenwart Gottes hinzuweisen, wird der Hinweis zur kraftvollen Gegenwart Gottes. Dabei überträgt Barth die christologische Lehre von der Anhypostasie auf die Semantik – wobei stets noch die Dialektik des Kreuzes hinzugedacht werden muss (vgl. dazu 284 f.). Letztlich ist das Paradigma für die Beziehung der Sprache auf die Wirklichkeit der Eigenname, der nicht durch eine Intension bzw. Vorstellung mit dem Namensträger verbunden wird, sondern unmittelbar darauf bezogen ist und nur hinweisen kann. Weiterhin spielt es eine große Rolle, dass Begriffe im Unterschied zu Eigennamen in der Regel vermöge ihres „Gehaltes“ auf die Wirklichkeit bezogen sind. Gerade das soll nicht geschehen, weil damit das Wort Gottes durch ein Allgemeines vermittelt würde, im Widerspruch zur Einzigartigkeit Gottes. Da es andererseits nicht möglich ist, ohne Begriffe zu reden, 75 Vgl. zum Folgenden KD I/1, § 5,4 (168–194).

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müssen die Begriffe innerhalb der Theologie derart bearbeitet werden, dass sie nur noch durch den Bezug auf den Namen „Jesus Christus“ ihre Bedeutung erhalten. Dabei kommt es zu dialektischen Verwicklungen, in denen die Eigenbedeutung der Begriffe äußerst strapaziert wird. Auf diesem Hintergrund ist die folgende Bemerkung zur Taufe interessant: Als das auf Gottes jenseitige Sinngebung des Lebens zeigende und sie bezeugende, als das sein Wort […] verkündigende Zeichen ist die Taufe was sie ist: Wahrheitsträger, Heiligtum, Sakrament. Sie bedeutet nicht nur, sondern sie ist in ihrer Bedeutsamkeit, als Hinweis auf das Jenseits ihrer Dinglichkeit, Vermittlung neuer Schöpfung, ewige Realität, nicht Gnade, aber durchaus Gnadenmittel (187).

Das wird in der späteren Tauflehre natürlich kräftig korrigiert. Aber der Gedanke einer Realität des Bezeichneten gerade in der Einheit mit dem nur und radikal hinweisenden, für sich selbst bedeutungslosen Zeichen nimmt die auffällige „anhypostatische“ Semantik vorweg, die in den „Prolegomena“ entwickelt wird. Das Zeichen wird zum Zeichen im Kontext einer Wende. „Denn der Christustod hebt den Abfall auf. Er schafft den Hohlraum, in dem die usurpierte Selbständigkeit des Menschen nicht mehr gedeiht“ (188). Die menschliche Person wird in diesem Hohlraum unanschaulich, auch sich selbst. Sie wird gleichsam ihrerseits zum Zeichen. 1.2 Erfahrung Der unanschauliche Hohlraum ist dialektisch strukturiert: Das Bekenntnis zu meiner totalen Identität mit dem alten Menschen weist zurück auf einen Standort außerhalb dieser totalen Identität, von dem aus ich mich selbst erkenne, ja vielmehr erkannt bin; von dem aus ich mich selbst qualifiziere, ja vielmehr qualifiziert bin als dieser Mensch. Was ist das für ein Standort? Was ist das für eine Dynamik, […] die mich und dieses Ich gegenseitig als ein Anderes, Fernes, Fremdes, als das vorausgegebene X eines Erkennenden und als die Gegebenheit des erkannten ‚alten‘ Menschen auseinanderrückt und gegenüberstellt? (193 f.; vgl. auch 195)

Das ist exakt die von Luther bei der Auslegung von Röm 7 ausgearbeitete Dialektik. Unanschaulich ist der neue Mensch als Hohlraum zwischen Alt und Neu in der Wende – also nicht einfach platt dem Anschaulichen entgegengesetzt. Barth will auf keinen Fall den Glauben auf einer psychologisch beschreibbaren Ebene ansiedeln. „Verdächtig müssen wir uns selbst in jedem Augenblick sein, wo wir es wagen, damit zu rechnen, daß wir glauben“ (137). Diese „pneumatologische Lücke“ entspricht der Dialektik zwischen altem und neuem Menschen genau: Ich werde im Glauben zum reinen Ort des Geisteswirkens.

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„Der ‚heilige Geist‘ ist das Werk Gottes im Glauben, […] das ewige Ja, das den Inhalt des, zeitlich betrachtet, nur als Negation, nur als Hohlraum zu beschreibenden Glaubens bildet“ (146). Schon dieser Ansatz bereitet die spätere Verklammerung zwischen Pneumatologie und Semantik vor: Es kommt darauf an, dass unser Reden von Gott bezogen bleibt auf das Christusereignis – wie auch wir bezogen sind auf Christus selbst. Denn die menschliche Existenz im Geist ist ähnlich anhypostatisch auf Christus bezogen wie dessen menschliche Natur auf das Wort Gottes. Das steckt bereits hinter der Erörterung der Erkennbarkeit des Wortes Gottes in KD I/1, § 6, aber auch hinter der Diskussion des Religionsbegriffes in KD I/2, § 17. Daher setzt Barth die Antinomie im Sinne einer „Spannung, Polarität, Allogenität“ (183) der Verdrängung der alten durch die neue Welt entgegen. In der Auslegung von Röm 6 ist das einleuchtend. Eine Antinomie auf der psychologischen oder metaphysischen Ebene wäre ein „Strickmuster“, eine religiöse Angelegenheit in der Verfügung des sündigen Menschen. Dann gäbe es Polaritäten in der Erfahrung, die das dramatische Geschehen der neuen Schöpfung „abbilden“ könnten. Aber Barth muss seinerseits in einer antinomischen Struktur reden, weil es um signifikante Hohlräume geht. Gemeint ist der Unterschied zwischen einer letztlich umkehrbaren Polarität und einem Gefälle, das seinerseits aber nur dialektisch zum Ausdruck zu bringen ist. Die Unterscheidung „subjektiv – objektiv“, die Barth bis ins Spätwerk hinein beibehält, wird in diesem Zusammenhang eigenartig „flüssig“. Sie bleibt zwar als Spur der Transzendentalphilosophie, sprengt sie aber doch auf – schon in der Auslegung des Römerbriefes, wie sich noch zeigen wird. Der Geist ist die Wahrheit. […] Es gibt keine objektive Betrachtung der Wahrheit. Sie ist die Objektivität, die uns betrachtet, bevor wir irgendetwas betrachtet haben. Sie ist die primäre Objektivität der Begründung des betrachtenden Subjekts. Und so gibt es auch keine Subjektivierung der Wahrheit. Sie ist das Subjektive, das allem Ich, Du und Er in der unheimlichsten und erlösendsten Weise gegenübersteht, von dem es also [sie] von seiner immanenten kritischen Aufhebung auf allen seinen Wegen objektiv begleitet ist (294 f.).

Die Aufhebung des Subjekts bringt als geistgewirkter Prozess die Unterscheidung in Bewegung. Daher kann es keine objektive Betrachtung“ der Wahrheit geben – d. h. keine Betrachtung aus der Distanz. Das Wohnen des Geistes in uns ist „die sich an uns vollziehende Selbstbewegung der Wahrheit, in der des Menschen Beziehung zu Gott stattfindet (298).

Dieser Vollzug wiederum wird als dialektische Einheit von Aufhebung und Begründung gefasst: „Die Beziehung des Subjektes auf seinen Ursprung bedeutet, daß alle seine Prädikate aufgehoben sind, auch das seiner Identität mit sich

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selber“ (297). Das passt gut zur ekstatischen bzw. anhypostatischen Existenz der menschlichen Person im Geist.

2.  Durchblicke in die göttliche Ewigkeit In der Kirchlichen Dogmatik fällt neben der reinen Hinweisstruktur des Redens von Gott – und auf den ersten Blick im Gegensatz dazu – eine sich stets verstärkende Tendenz auf, die Ebene des ewigen göttlichen Willens zur Sprache zu bringen. Das ist bei genauerer Betrachtung freilich kein Widerspruch, sofern in Jesus Christus gerade der Durchblick in den ewigen göttlichen Willen eröffnet wird. Daraus ergeben sich schon in KD I/1 die Gedankenreihen zur immanenten Trinitätslehre und vor allen in KD II/2 die steilen Argumentationen zur Erwählung. Es lässt sich nun zeigen, dass diese Ebene des ewigen göttlichen Willens nicht spekulativ beschrieben wird, vielmehr exakt der Hinweisstruktur des theologischen Redens entspricht – und es lässt sich in der Auslegung von Röm 5–8 bereits der Ansatz dazu skizzieren. Die Unanschaulichkeit des neuen Lebens wird profiliert bzw. konturiert durch einen ganz bestimmten Zusammenhang, der als Gefälle zu kennzeichnen ist. Hier kommen die merkwürdigen Modalkategorien ins Spiel, die bis in die Tiefenstruktur der Kirchlichen Dogmatik hineinreichen. Wenn von „Notwendigkeit“ die Rede ist, so zielt Barth auf die göttliche Ewigkeit. Dabei hat Notwendigkeit nicht in erster Linie mit Zwang zu tun, sondern mit einer Einheit von Notwendigkeit und Freiheit. Wohl aber geht es bereits in der RömerbriefAuslegung um Strukturen. Es eröffnet sich, wenn auch unter radikal verschiedenen Bedingungen, im Licht des kritischen Augenblicks nach beiden Seiten der Ausblick auf einen universalen, auf einen als Gesetzmäßigkeit, als unentrinnbare Notwendigkeit erkannten Zusammenhang der menschlichen Lage (154 f.).

Und weiter: Nur im Lichte des kritischen Augenblicks erscheint die Zweiheit und zwar in der – Einheit der am Menschen und seiner Welt sich vollziehenden Bewegung vom Alten zum Neuen, von hier nach dort, vom vergehenden zum kommenden Äon. Also eine Zweiheit, die nur gesetzt wird in ihrer Aufhebung und deren Aufhebung eben ihre Setzung ist (155).

Gemeint ist hier der universale Zusammenhang der Sünde, der dem ebenso universalen Zusammenhang des Glaubens gleichsam spiegelbildlich entspricht. Diese Struktur wird erst recht deutlich als kritische Wende, als reiner Übergang, daher niemals zu fixieren. Es handelt sich dabei um eine Zweiheit, die nicht dualistisch im Gleichgewicht bleibt, sondern nur im Verschwinden aufleuchtet – so wie nur

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der geistliche Mensch den Gegensatz zwischen Sünde und Gnade erkennt, der in ihm gerade durch den Geist aufgehoben wird. Damit wird aber die Ewigkeitsdimension schon im Ansatz entworfen als gerichtete Dynamik und Scheidung, als Geschehen mithin zwischen den Äonen („von Ewigkeit zu Ewigkeit“). Hier bahnt sich letztlich die Erwählungslehre an, wie sich im weiteren Verlauf noch zeigen wird. Dass diese Ewigkeitsdimension immer nur als Übergang beschrieben wird, entspricht einerseits der Rede von einer Äonenwende – mithin verdrängt eine Welt die andere, d. h. eine ontologische Struktur bzw. Totalität die andere –, andererseits wird damit das Kriterium des Hinweises und Hohlraums erfüllt. Zwar reden wir in der göttlichen Perspektive, sofern wir in Christus sind, doch können wir uns diese Schau nicht als Position zu eigen machen oder gar über sie verfügen. In diesem Zusammenhang kann Barth von der Sünde als der „transzendentale[n] Disposition der Menschenwelt“ (163) sprechen. Tatsächlich geht es um eine gleichsam transzendentale Ebene, aber bereits hier mit narrativen Elementen, die sich im Spiel dialektischer Umkehrungen bewegen. Dabei ist klar, dass der bei Kant gegebene Argumentationsrahmen verlassen wird. Er wird ja durch die Wendung dynamisiert, es entsteht ein Gefälle, in dem das transzendentale Subjekt aufgehoben erscheint. Hier vollzieht sich eine Wendung, die das Subjekt keinesfalls selber vollzieht.76 Damit hängt zusammen, dass die „transzendentale“ Struktur in die Schwebe gerät zwischen „ich“ oder „wir“, was bereits auf das „Sein in Christus“ oder „in Adam“ hinweist. Das passt gut zusammen mit der „Aufhebung“ der Unterscheidung von „objektiv“ und „subjektiv“. Diese Linie wird noch weiter gezogen, wenn die „transzendentale“ Ebene letztlich als Ewigkeitstiefe der Geschichte in den Blick kommt – als Ur- oder Endgeschichte: Der Fall „findet“ seine Erklärung „in der göttlichen Prädestination des Menschen zur Verwerfung, die seiner ewigen Erwählung in Christus ebenso folgt wie der Schatten dem Licht“ (163). Hier stoßen wir auf eine frühe Erwähnung der eigentümlichen doppelten Prädestination im Sinne Barths, auch schon mit der späteren Asymmetrie. Sünde ist in ihrem Ursprung, im Geheimnis Gottes selbst (das nie und nimmer ihre Ursache, wohl aber ihre letzte Wahrheit ist) die Möglichkeit der Spaltung seiner Einheit mit Gott, die Möglichkeit seiner Prädestination zur Seligkeit oder zur Verdammnis (249).

Auch hier geht es um die Ebene der Ewigkeit, um die Tiefenschau ins Geheimnis Gottes. Diese Ebene wird konturiert durch Entscheidungen, in denen sich alles verdichtet. Das zeigt sich an Barths Paraphrase des (unhistorischen) Falls:

76 Das ist geltend zu machen gegen die immer wieder von Wolfhart Pannenberg und seinem Kreis vorgetragene Kritik, zuerst: ders., Subjektivität, passim.

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wenn der Mensch ‚ist wie Gott‘ und weiß, was gut und böse ist, wenn seine Unmittelbarkeit zu Gott also sein eigener Lebensinhalt wird, einer neben andern, dann ist das die Zerstörung der wahren Unmittelbarkeit. Wenn der Baum ‚mitten im Garten‘ berührt wird, wenn der Mensch also an das rührt, was ihn mit Gott verbindet, aber sobald er daran rührt, auch von Gott scheidet (an das er eben darum nicht rühren sollte!), dann ist der elektrisch geladene Stacheldraht der Todeslinie berührt (250).

Es geht hier um eine denkbar subtile Differenz, die Änderung der Richtung, die aus der wahren die angemaßte Unmittelbarkeit der Religion werden lässt (vgl. 158 f.). Darin aber verdichtet sich die Entscheidung. Dabei handelt es sich nicht um eine willkürliche Entscheidung, sondern jeweils um ein Gefälle. Damit ist gemeint, dass im Nachhinein beide Möglichkeiten ihre innere Logik aufweisen, also nicht einfach zufällig sind – dass aber die „Verzweigung“ kontingent bleibt und nur noch auf die Tiefe der personalen Identität verweist (also nicht einfach der Willkür entspringt). Kontingenz und Notwendigkeit liegen demnach so dicht wie möglich ineinander. Das ist die Kontur einer Tiefenentscheidung, die in einem nicht trivialen Sinne „frei“ ist, denn sie ist jedenfalls nicht erzwungen. Die subtile Differenz in der „Verzeigung“ wird ausgedrückt durch feine Variationen einer Struktur. Daher ist es wichtig, dass die Sünde spiegelbildlich auf die Gnade bezogen gezeichnet wird. Es geht „nur“ um die subtile Änderung der Richtung. Gottes Ewigkeit, bezogen auf des Menschen Zeitlichkeit, macht diese zur Sünde; des Menschen Zeitlichkeit, bezogen auf Gottes Ewigkeit, wird Sünde – sofern eben dieses Beziehen hin und her das Tun des eben damit von Gott abfallenden Menschen und nicht das Tun Gottes selbst, Gottes allein ist (248).

Das Bild wird freilich noch komplexer dadurch, dass Gnade und Sünde nicht nur spiegelbildlich sind, sondern dass von der Sünde zur Gnade ein Gefälle besteht, wodurch eine Asymmetrie ins Spiel kommt. Gnade umfasst ja die Einsicht in die Sünde, die erst von der Gnade her wirklich in ihrer Tiefe erkannt wird. Gnade übergreift den Gegensatz zwischen Sünde und Gnade nach dem Paradigma des gerechtfertigten Menschen, der sich selbst erst radikal als Sünder erkennt. Das lässt sich nicht umkehren oder in eine Polarität verwandeln. Aber Sünde wird eben gerade in dieser Perspektive als Spiegelbild erkannt, als kontingente Umkehrung der Richtung! Nur von der Gnade her lassen sich also die „Verzweigungen“ in der Ewigkeitstiefe der Gott-Mensch-Beziehung recht wahrnehmen. Die Dogmatik wird sich später auf genau solche Verdichtungen, auf Knotenpunkte richten. Das gilt bereits für die Unterscheidung der immanenten trinitarischen Struktur von der Offenbarungsdreiheit, erst recht für deren Vertiefung in der Erwählungslehre und etwa der auf den ersten Blick seltsamen Rede vom innergöttlichen Gehorsam.77 In der ausgereiften Gestalt werden diese scheinbar 77 Vgl. KD IV/1, § 59,1 (219 ff.).

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Geschichte und Doxologie

sehr spekulativen Gebilde streng bezogen bleiben auf die biblische Geschichte. Sie lassen sich als Struktur eines narrativen Redens von Gott interpretieren, das seinerseits beiträgt zur bereits skizzierten hinweisenden Semantik. Denn innerhalb einer Geschichte kann jedes sprachliche Gebilde seinen besonderen Stellenwert erhalten, der sich unterscheidet von seiner Bedeutung im Allgemeinen. Die Begriffe erhalten ihre Bedeutung nur aus dem in der Regel dynamischen, über Gegensätze hinweg ausgespannten Kontext. Hier liegt mindestens eine Wurzel für die Rede von der analogia fidei. Es kommt Barth auf die Labilität der Sprache an, die auf Gottes Handeln in Christus rein bezogen sein soll. Was also zunächst die „Hohlräume“ sind, werden später zunehmend die narrativen Spannungsbögen. Das Gefälle diese Spannungsbögen kann verdichtet werden in den fundamentalen dogmatischen Zusammenhängen – allen voran Trinitäts- und Erwählungslehre. Die Hinweisstruktur wird explizit verknüpft mit der Notwendigkeit des Gefälles von der Sünde zur Gnade: Die lebendige Wirklichkeit der beiden Gegensätze ist die Notwendigkeit, mit der sie auf Gott als auf ihren Ursprung und ihr Ziel hinweisen. Diese göttliche Notwendigkeit drängt aber von Schuld und Schicksal zu Versöhnung und Erlösung (169).

Die Notwendigkeit hat mit der unumkehrbaren Richtung zu tun, ist Gefälle. Sie „drängt“. Sie ist insofern immer auch Wende und gibt erst beiden Gegensätzen ihre lebendige Wirklichkeit, so dass sie auf Gott „nur“ hinweisen. Es geht bei alledem um eine Dialektik der Verdrängung, also nicht um eine Polarität, sondern eine Bewegung mit innerer Notwendigkeit, also letztlich um eine narrative, geschichtliche Struktur. Die aber ist verknüpft mit der „transzendentalen“ Tiefenschau und legt daher die Beziehung aller menschlichen Subjekte frei. Darin steckt im Ansatz schon die spätere narrative Gestaltung der Ewigkeitsdimension. Ein entscheidender Schritt wird getan mit der Einführung des Gesetzes. Barth setzt – was exegetisch reichlich kühn ist – Religion und Gesetz gleich. Dabei wird das Gesetz als Umschlagspunkt bezeichnet, also in höchster Zuspitzung der Ambivalenz und damit wieder implizit narrativ: Das Gesetz kann als anschauliche geschichtliche Größe nur die Stelle, den Ort bezeichnen, wo der Gegensatz der zwei Welten dem Menschen zum Bewußstein kommen, wo die Notwendigkeit des Umschlags von hier nach dort zur Erkenntnis werden muß (175 f., vgl. auch 178).

Auch hier ist die Notwendigkeit keine zwangsläufige Tendenz, sondern doppelsinnig. Hier kann es nur einen Umschlag geben, keine Weiterentwicklung mehr. Doch kommt es nicht „von selbst“ zu diesem Umschlag. Er kann also nur im Rückblick als evident angesehen werden: So musste es kommen.

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Es braucht also die Aufhebung auch der letzten Gegebenheit, die Katastrophe auch noch gerade der religiösen Menschenmöglichkeit, damit der Umschlag von Gottes Nein zu Gottes Ja sich vollziehen, damit Gnade Gnade sein kann. […] [I]ndem der Knecht Gottes – preisgegeben sich selbst preisgibt, vollzieht sich jener Umschlag (179).

Mit dem Hinweis auf die Katastrophe sind bereits die dramatisch-narrativen Elemente im Spiel, die auf der einen Seite das Einmalig-Kontingente, auf der anderen Seite das Transzendental-Ewige verknüpfen. Es geht um einen point of no return. Wenn Barth von „Entscheidung“ spricht, hat das demnach nichts zu tun mit einer „freien“ Entscheidung. Vielmehr geht es so oder so um notwendige Folgen, wie am Beispiel der Sünde aufleuchtet. Im Nachhinein erst sieht man, dass es eine Entscheidung war, weil unterschiedliche Richtungen hervortreten. Das ist deshalb wichtig, weil eine Entscheidung ohne innere Notwendigkeit reine Willkür wäre, also eben keine echte Entscheidung. Das kann stets erst a posteriori einleuchten. So entsteht der Einblick in die Möglichkeit, die der Wirklichkeit vorausliegt, aber diese Möglichkeit ist immer die innere Struktur eines Geschehens im echten Sinne – eben die Einheit von Kontingenz und Notwendigkeit. Das Syndrom von Notwendigkeit und Freiheit wird sich durch die Kirchliche Dogmatik verfolgen lassen und steckt auch hinter Barths signifikantem Gebrauch der Modalkategorien „Möglichkeit“, „Wirklichkeit“ und „Notwendigkeit“, etwa in KD I/2, §§ 13 und 16.

3. Wie können diese beiden Aspekte zusammen gesehen werden? Wir werden in die Christuswirklichkeit versetzt – dem entspricht es, dass wir herausgerissen werden aus der sündigen und tödlichen Totalität des alten Menschen in die Ewigkeit des neuen Menschen. Neue Menschen sind wir, sofern wir – nicht wir sind, sofern wir glauben, sofern durch das Sterben des Christus quer durch unser Leben die Todeslinie gezogen ist, die uns in jedem Moment unter Furcht und Zittern bedenken lässt: Ich – doch nun nicht ich! Und unter Anbetung und Dank: Christus in mir! Ein anderes Sein des neuen Menschen gibt es nicht als unser Nicht-Sein (153, vgl. auch 198).

Die Dialektik, die zu den „Hohlräumen“ führt, wird christologisch gefüllt. Das transzendental-christologische Subjekt ist eine Voraussetzung, die nicht weiter begründet werden kann, sondern zu entfalten ist. Der Zusammenhang zwischen der Konfrontation mit Christus und der Umkehrung der Existenz im Geist ist axiomatisch. Insofern zeichnet sich bereits die Rolle der Trinitätslehre ab. Das neue Subjekt erkennt sich in der unanschaulichen Wende und insofern in einer neuen Unmittelbarkeit zu Gott, die nicht mehr in seiner Verfügung steht – in der

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wahren Unmittelbarkeit (s. o. 2.). Diese Erkenntnis ist nur möglich in der Konfrontation mit dem Kreuz. So wird der schwierige Satz umkreist, dass Christus für uns gestorben ist. Und umgekehrt: Die höchst anstößige Wendung vom „Personentausch“ wird plausibel durch die Verlegung auf die transzendentale Ebene, wo zwischen „ich“ und „wir“ nicht mehr unterschieden werden kann (s. o. 2.). So gehört der „Tausch“ in die Tiefe der Ewigkeit – was später in der Erwählungslehre auch ausformuliert wird. Der Kernsatz ist überall vorausgesetzt, dass die ekstatische Begründung des Subjektes im Geist unmittelbar identisch ist mit der Christusbeziehung im Personentausch: „ich meine […] immer jenen andern, den neuen, den unanschaulichen, den vor Gott stehenden, in Gott lebenden Menschen, der ich nicht bin. Ich meine damit Christus selbst – in mir“ (304). Dabei ist Barth sich bewusst, dass diese Aussage unerhört und paradox ist, eben auch nur im Geist möglich. Im Geist wird die Dialektik für das neue menschliche Subjekt durchsichtig und nachvollziehbar, zu einer einheitlichen Bewegung.78 Es kommt zur Selbstvergessenheit: als der Sohn, der die Stimme seines Vaters hört, der vergessend der Andersheit Gottes wahrlich zuerst seiner eigenen Andersheit vergessen hat, der nichts mehr weiß noch will neben diesem seligen, lichten: Gott selbst! Gott allein! Dieser ‚Geist der Sohnschaft‘, dieser neue Mensch, der nicht ich bin, ist mein unanschauliches existentielles Ich (306). [D]as ist sicher, daß in solchen Schreien [Röm 8,16] die Gottesmöglichkeit verborgen ist, die das dünn, ganz dünn gewordene Transparent menschlichen Tuns durchleuchtende und vielleicht zerreißende Herrlichkeit des Vaters (307).

Das zielt auf die Anhypostasie der menschlichen Sprache und des menschlichen Lebens in Christus. Von Anfang an verbindet Barth die Anschauung des Gekreuzigten und Auferstandenen mit der unanschaulichen neuen Wirklichkeit (vgl. dazu 1.1 zur Welthaftigkeit des Wortes Gottes). Vor allem wird die Kontingenz des Christusereignisses mit der Ewigkeit Gottes unmittelbar verknotet: Jesus, das ist Gottes Existentialität, beleuchtet durch seine Einmaligkeit. […] Gott ist nicht ,notwendige Vernunftwahrheit‘. […] Sondern Gott ist Persönlichkeit, der Einmalige, der Einige, der Einzigartige und als solcher der Ewige und Allmächtige, nichts sonst. […] Aber Jesus ist der Christus. Das ist Gottes Einmaligkeit, beleuchtet durch seine Existentialität. […] Gott ist keine ,zufällige Geschichtswahrheit‘ […]. […] Als der Ewige und Allmächtige ist er der Einmalige und Einzige, nichts sonst (283).

Dieses Argumentieren über Kreuz bleibt charakteristisch für Barths Denken. Die einmalige Offenbarung muss zusammengedacht werden mit der Ewigkeit. Das ist letztlich die Keimzelle der Erwählungslehre. 78 Vgl. dazu KD I/1, § 8,2 (348 f.).

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In der Kirchlichen Dogmatik bleibt es bei diesem komplexen Gewebe von Kontingenz und Ewigkeit. Denn alles Reden von Gott wird bezogen auf die Christuswirklichkeit und letztlich auf den Namen „Jesus Christus“. Der Zusammenhang des theologischen Denkens wird nicht gestiftet durch allgemeine Denkmuster, sondern durch ein narratives Gewebe, das aus lauter einzigartigen Kurven besteht und seine Mitte in Jesus Christus hat. Diese Mitte ist die ultimative Wende – hier sind Erwählung und Verwerfung verknotet in der Gestalt des Richters, der sich für uns richten lässt.79 (vgl. KD IV/1, § 59) Indem aber unsere Geschichten bezogen sind auf diese eine Geschichte, sind auch wir in unserer Existenz bezogen auf Christus und unsererseits anhypostatisch (vgl. KD I/2, § 18), nämlich ekstatisch „in Christus“. Die Dimension der Ewigkeit kommt ins Spiel durch das Gefälle, das auf die entscheidende Wende in Christus hinzielt. Man könnte sagen, dass das Christusereignis als Gravitationszentrum der menschlichen Geschichte ihre innere Logik bestimmt. Das ist aber der Reflex einer ewigen Entscheidung in der Tiefe des göttlichen Lebens, die wir „in Christus“ nachvollziehen dürfen, im Lobpreis Gottes, der sich unserer Verfügung immer wieder entzieht.

79 Vgl. KD IV/1, § 59,2.

III. Evangelische Freiheit: Konsequenzen aus der Theologie Martin Luthers

Einführung

Die Aufsätze in diesem Teil behandeln Einsichten der reformatorischen Theologie, die nach wie vor aktuell sind. Das gilt insbesondere für die Debatte um den freien Willen und um Luthers höchst dialektische Einschätzung der Vernunft. Diese beiden Linien sind auch für das ökumenische Gespräch wesentlich, weil sich hier nach wie vor die klassischen Konfrontationslinien abzeichnen. Der erste Aufsatz ist entstanden als Beitrag zur Festschrift zu Gerhard Sauters 60. Geburtstag (1995) und behandelt die Lehre von der Rechtfertigung als Grundlegung der Pneumatologie. Während die Gotteslehre und die Christologie bereits in den altkirchlichen Bekenntnissen ihre dogmatische Grundlage gefunden haben, fehlt eine entsprechende „axiomatische“ Formel für die Lehre vom Heiligen Geist. Den Ansatzpunkt bildet die ekstatische Struktur des Glaubens, der die Person außerhalb ihrer selbst in Christus gegründet sein lässt (Gal 2,20). Es ist daher entscheidend, den Glauben nicht als Aktivität des menschlichen Bewusstseins zu begreifen, sondern in seiner reinen Passivität als Wirken des Gottesgeistes, der die Illusion einer in sich selbst zentrierten Person als Krampf entlarvt und auflöst – und damit die Person erlöst. Dieses Geschehen wird von Martin Luther bereits in seiner Vorlesung über den Römerbrief (1515/16) im Anschluss an Röm 7 als dramatische Katastrophe nachgezeichnet, in der die Person ihre eigene Frömmigkeit als ultimative Verwicklung in die Sünde durchschaut, wobei dieser Durchblick bereits die Kehrseite der Befreiung von der Sünde ist. Solch eine rückhaltlose Erkenntnis der eigenen Verwicklung in die Sünde setzt voraus, dass die Person ihren Grund nicht mehr in sich selbst hat, also vom Geist Gottes getragen wird und sich also selbst vergessen hat. Die Wendung „Selbstvergessenheit“ – nicht zuletzt geprägt von Gerhard Sauter – ist ebenso treffend wie kostbar, denn ich kann mich nicht selbst vergessen wollen, diese Erfahrung kann mir nur von außen zukommen. Sie wird bei Martin Luther konzentriert in der Dialektik von Gesetz und Evangelium. Die wunderbare Befreiung vom Krampf der Selbstrechtfertigung und -verwirklichung wird aber darüber hinaus zum Leitfaden für die Entfaltung des christlichen Lebens in Rechtfertigung und Heiligung. Dabei ändert sich das Verständnis der menschlichen Person radikal, denn wenn die Illusion der in sich selbst zentrierten Person entlarvt wird, tritt an die Stelle dieses verkrampften und destruktiven Bildes die viel dynamischere Bewe-

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Evangelische Freiheit

gung „zwischen“ den Personen, die Relation, in der eine Person ihre Identität von der anderen Person her empfängt – und umgekehrt. Die scheinbar selbstverständliche Unterscheidung von „innen“ und „außen“ wird nicht aufgehoben, erweist sich aber im Anschluss an Martin Luther als raffinierte Verwicklung: Was mir als Wort Gottes von außen zukommt, schafft erst mein Innerstes, und wenn ich mich äußere – vor allem in der Sprache –, bildet meine Identität sich erst charakteristisch aus. In diese Bewegung wird auch die auf den ersten Blick nicht-personale Wirklichkeit einbezogen, angefangen mit meiner Leiblichkeit als einem „Äußeren“. Zumindest die personale Wirklichkeit ist dann zu begreifen von den Relationen her, und es ist die Frage, ob nicht die Beziehungen die „eigentliche“ Wirklichkeit der Person sind. Der „gesunde“ Menschenverstand wird einwenden, dass doch erst Personen existieren müssen, damit es zu Beziehungen kommen kann. Aber vielleicht ist der Menschenverstand nicht gar so „gesund“ wie er denkt? Er wird geheilt durch eine Wendung, nach der nicht mehr die Vernunft das Wesen des Menschen bestimmt, sondern die vor allem in der Sprache lebendige Person, zu der natürlich auch die Vernunft gehört. Diese Perspektive setzt nicht mehr die philosophische Bestimmung des animal rationale an die erste Stelle. Es kommt gerade auf das Geheimnis der unverfügbaren und unverwechselbaren Person an. Luthers Kritik an der Vernunft in der Disputatio de homine von 1536 läuft darauf hinaus, dass die Vernunft zwar alles erkennen kann – aber nicht sich selbst. Das kann durchaus ein Hinweis darauf sein, dass sich die Vernunft nur in ihrem schöpferischen Grund erkennen kann, also im göttlichen Gegenüber und daher auch in anderen Personen. Wenn die menschliche Person gerade im Gegenüber und in der Beziehung zu anderen Personen sogar sich selbst zum Geheimnis wird, so findet das seinen Reflex in der Sprache. Wenn es um personale Wirklichkeit geht, werden Metaphern unverzichtbar. Auf die wesentlich metaphorische Sprache hat Luther eindringlich hingewiesen und sie in Verbindung gesetzt zu der realen Metapher des „Personentauschs“ zwischen Christus und der sündigen Person (2Kor 5,21). Die Person lebt „in Christus“ (Gal 2,20), es „gibt“ kein „Ich“ als Personzentrum „hinter“ den Beziehungen. In solchen Übertragungen bildet sich die unverwechselbare Identität der Person erst aus. Soll die relational bewegte personale Wirklichkeit zur Sprache kommen, kann es nicht um die eindeutige Beschreibung eines Sachverhalts gehen, vielmehr gerät auch die Sprache in Bewegung. Metaphorische Rede ist dann nicht mehr rhetorischer Schmuck, der im Prinzip in „eigentliche Rede“ zu übersetzen wäre, sondern ent-spricht der lebendigen Person. Die Wahrheit einer Metapher zeigt sich darin, dass und wie sie die Beziehung vertieft. Das ist nicht mehr nach dem aristotelischen Modell einer Korrespondenz zwischen Satz und Sachverhalt zu verstehen (wobei „Korrespondenz“ auch eine Metapher ist). Hier verknoten sich die Konfliktlinien des Gesprächs

Einführung

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zwischen evangelischer und römisch-katholischer Theologie. Es gibt mehr als eine „Ontologie“, jedenfalls ist die aristotelische Metaphysik nicht die ultimative Lösung. Die personale Wirklichkeit kann nicht der „dinghaften“ Realität eingeordnet werden, und quer zu beiden steht die Wirklichkeit des göttlichen Lebens. Wenn überdies die Rede von einem Personzentrum als Illusion entlarvt wird, schwindet auch die Plausibilität eines „freien Willens“. Damit wird nicht die „Freiheit eines Christenmenschen“ geleugnet, wohl aber die Vorstellung einer der Sünde gegenüber neutralen Instanz, die sich als Vernunft und Wille der Gnade Gottes gegenüber verhalten kann und muss. Die kontroverstheologische Auseinandersetzung steht hinter den Beiträgen von 2005 und 2015. Der zweite verdankt sich einer Anfrage des römisch-katholischen Kollegen Bertram Stubenrauch und konzentriert sich auf die anthropologischen Konsequenzen aus Luthers Theologie, die ich gerade skizziert habe. Zwischen 2000 und 2003 fanden im Center of Theological Inquiry (Princeton) fünf Kolloquien zu der 1998 veröffentlichten Enzyklika Fides et Ratio von Papst Johannes Paul II. und ihren Implikationen statt. In diesem Rahmen ist der ältere Beitrag entstanden, der das Thema stärker unter wissenschaftsphilosophischen Aspekten untersucht. Wenn nämlich die Vernunft sich selber nicht erkennen kann und sich doch zugleich als letzte Instanz der Begegnung mit „der“ Wirklichkeit versteht, wird sie auch in der scheinbar vernünftigen Welterkenntnis fehlgehen. Das zeigt sich darin, dass die nur noch naturwissenschaftlich orientierte Vernunft die Wirklichkeit festlegen will und daher nach eindeutigen und konstanten Elementen sucht. In manchen Bereichen kann das sinnvoll und überlebenswichtig sein, es ist auch erfolgreich, sofern sich Wirklichkeit messen lässt. Das zeigt die Physik als paradigmatisch „exakte“ Wissenschaft. Wenn aber nur als wirklich gelten soll, was die Vernunft messen kann, verstrickt sich das menschliche Geschöpf wieder in die sündige Selbstverwirklichung. Die von Gott gegebene Vernunft wird zum intellektuellen Analogon des Gesetzes und in ähnlicher Weise wie das Gesetz zum Instrument der Sünde. Luthers Gedanken erweisen sich im Horizont aktueller wissenschaftstheoretischer Debatten als prophetische Kritik des Reduktionismus, sie könnten zugleich Auswege aus dieser Gedankenfalle weisen. Die Vernunft ist nach Luther angewiesen auf eine Befreiung. Sie muss erlöst werden von ihren eigenen Zwangsvorstellungen. Dazu gehört nicht nur das irrationale Beharren darauf, letzte Instanz für alle Realität zu sein. Es zeichnet sich auch ab in der Verwechslung von Präzision und Eindeutigkeit. Die Folge ist eine Verarmung der Sprache, die nunmehr ausschließlich als eindeutige Abbildung der ebenso festgelegten – im Idealfall messbaren – Wirklichkeit in den Blick kommt. Dann ist metaphorische Rede nur „uneigentlich“ und entbehrlicher Schmuck der Rede. Allerdings verstrickt sich die eindeutige Vernunft in eine ganze Reihe von Aporien, die im

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Evangelische Freiheit

20. Jahrhundert innerhalb der Philosophie der Mathematik und der Naturwissenschaft aufgedeckt worden sind, angefangen ausgerechnet mit den Paradoxien der Mengenlehre. Diese Aporien legen der Vernunft nahe, auf eine letzte Einheit der Wirklichkeit zu verzichten, die durch eine zusammenhängende Theorie zu erfassen wäre. Einige auch im Bereich der Logik ausgewiesene Philosophen (Willard V.O. Quine, Thomas S. Kuhn, Hilary Putnam und Nelson Goodman) haben diesen Schritt in den letzten Jahrzehnten bereits vorgezeichnet. Nur ist es nicht einfach, den Anspruch der Vernunft auf die letzten Begründungen einfach aufzugeben. Denn reine Irrationalität ist keine Alternative und führt letztlich zu Fundamentalismus und Fanatismus. Es geht darum, die Vernunft „aufzulockern“. Sie muss befreit werden von der Angst, die Kontrolle zu verlieren. Das kann aber nicht einfach eingefordert werden, vielmehr bedarf es einer neuen und „frischen“ Erfahrung von produktiver und keineswegs verschwommener Mehrdeutigkeit. Dann wird die Wirklichkeit nicht mehr festgelegt, es ist nicht einmal mehr sicher, ob wir von „der“ Wirklichkeit reden können. Die gelassene Vernunft freut sich an der Pluralität der theoretischen Gebilde, die jeweils bestimmte Aspekte von Realität begreifen, sich aber nicht in einer letzten umfassenden Perspektive vereinen lassen. Die Wirklichkeit wird vielschichtig. Im Herbst 2004 fand an der Humboldt-Universität in Berlin ein Symposion statt, wo die neueren Ergebnisse der Neurophysiologie erörtert wurden, insbesondere die damals spektakuläre Leugnung der Willensfreiheit im Rahmen der Untersuchungen von Benjamin Libet. Aus der Perspektive der reformatorischen Theologie trug diese Debatte Züge unfreiwilliger Komik, denn Luther hatte bereits 1518 den freien Willen als inane vocabulum bezeichnet und das Konzil von Trient genau diese Behauptung im Dekret über die Rechtfertigung drei Jahrzehnte später anathematisiert. Es geht in meinem Beitrag um eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Determinismus, der sich letztlich wieder als Spielart des Reduktionismus erweist, wonach Geist „nur“ ein neuronaler Prozess wäre. Die reformatorische Behauptung läuft darauf hinaus, dass zwischen der Freiheit des Handelns und der Freiheit des Willens zu unterscheiden ist. Meine Handlungen sind frei, sofern ich nicht genötigt werde. Mein Wille aber ist niemals frei, sondern immer schon bestimmt. Das zeigt sich ganz schlicht daran, dass ich mich nicht entscheiden kann, dies oder jenes gern zu tun. Diese ebenso schlichte wie geniale, aber seltsamerweise immer wieder zu erinnernde Unterscheidung geht auf Luther zurück. Wo ich freiwillig handle, „kann ich gar nicht anders“, weil ich etwas anderes gar nicht wollen kann. Die Unfreiheit des Willens ist also kein Zwang, sondern die schlichte Entsprechung meines Handelns zu meiner inneren Ausrichtung. Je intensiver meine Entscheidungen mit mir selbst verbunden sind, desto weniger sind sie frei im Sinne eines „so oder so“. Gerade in solchen Situationen erfahre ich mich als immer schon bestimmt,

Einführung

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und es kommt nur darauf an, wer mich bestimmt, wer meinen Willen knechtet oder befreit. Die Bestimmung hat aber mit einer Determination im naturwissenschaftlichen Verständnis nichts zu tun. Die neuronalen Prozesse folgen ja nicht einfach einer physikalisch-chemischen Eigendynamik, sie werden vielmehr gestaltet durch Muster, die zwar physikalisch realisiert, aber nicht strukturiert sind, was vor allem die Sprache paradigmatisch zeigt. Auch aus dieser Richtung wird deutlich, dass die sprachlich bewirkte Beziehung zwischen Personen sich als Realität sui generis abzeichnet.

1. Selbstvergessenheit

Die Lehre vom Heiligen Geist stößt auf ein eigentümliches Problem: Findet die Gotteslehre ihr Zentrum im trinitarischen Reden von Gott, kreist die Christologie um das Geheimnis der Person Christi in zwei Naturen, so fällt es schwer, ein entsprechend axiomatisches Gebilde für die Pneumatologie anzugeben. Im Folgenden soll versucht werden, einige Aspekte der reformatorischen Rechtfertigungslehre so zu präzisieren, dass sie als Grundlinien der Lehre vom Heiligen Geist deutlich werden können. Vielleicht ist es kein Zufall, dass die Rede von Gottes Geist zurückhaltend bleibt, was dogmatische Festlegungen angeht. Wollen wir von Gottes Geist reden, so müssen wir ganz elementare Erfahrungen zur Sprache bringen. Reden wir darüber, so haben wir bereits diese unmittelbaren Erfahrungen hinter uns gelassen. Sie dürfen aber auch nicht sprachlos bleiben: Spätestens das Problem einer Unterscheidung der Geister zwingt dazu, Geisterfahrung zu artikulieren und zu präzisieren. Kriterien kann es hier nicht geben, jedenfalls nicht im Sinne von Entscheidungsverfahren, die mechanisch anzuwenden und damit letztlich der Erfahrung des Geistes vorgeordnet wären. Es gibt aber Grundlinien, die wie eine Skizze die charakteristische Physiognomie von Gottes Geist treffen können. Um eine Physiognomie, ein unverwechselbares Gesicht zu skizzieren, genügen oft wenige Striche, und das weiße Papier dazwischen wird zum sprechenden Hinweis. Wir sind also keineswegs gezwungen, die Geisterfahrung in ihrer schlichten Unmittelbarkeit direkt zur Sprache zu bringen und dabei unweigerlich zu zerreden. Wir können sie mit wenigen Strichen umreißen. Dabei ist es sachgemäß, wenn soeben von einer Physiognomie die Rede war. Das Wirken des Heiligen Geistes hat mit unserer, genauer: mit meiner und deiner Personalität zu tun. Ein prósopon ist ein unverkennbares Gesicht. Als anthropologischer Grundbegriff betont „Person“ den Aspekt der Anschaulichkeit, der zur menschlichen Individualität gehört. Das Äußere ist eben nicht „bloß äußerlich“. Es wäre zu fragen, ob die Freiheit des Geistes sich in der Physiognomie der befreiten Personen abzeichnen kann. Lässt sich daraufhin gar die Physiognomie umreißen, die der dritten trinitarischen Person eigentümlich zukommt? Natürlich will ich nicht die Frage stellen, wie das Gesicht der Erlösten auszusehen hätte. Das ist aus zwei Gründen ausgeschlossen, die ihrerseits ineinan-

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dergreifen. Einmal wird sich sogleich herausstellen, dass die charakteristische Physiognomie der geistgewirkten Freiheit stets mindestens zwei Gesichter hat, dass sie doppel- oder mehrdeutig ist. Zudem gehört es zu den unverkennbaren Zügen geistlicher Freiheit, dass sie ihr Gesicht von außen empfangen darf. Diese seltsamen Formulierungen werden zu entfalten sein. Dass sie mit den eigentümlichen Rahmenbedingungen der biblischen Pneumatologie konvergieren, zeigt die vielschichtige Semantik von ruach und pneuma. Die Nuancen überlappen einander: Atem und Lebenskraft, Gemeinschaft und Begabung, Sprache und Ekstase – diese Bedeutungen sind vielfältig verflochten, lassen sich aber kaum reduzieren auf eine präzise Grundbedeutung. Die biblische Sprache ist geistreicher: sie spielt mit den Bedeutungen und wird mehrdeutig. Sie wird nicht undeutlich, sondern im Gegenteil prägnant und plastisch. Die Nuancen kreisen um die spannungsvolle Erfahrung, dass die Tiefe der Wirklichkeit – besonders der lebendigen Wirklichkeit menschlicher Personen – nicht „hinter“ einer Oberfläche liegt, sondern von außen kommt und unverfügbar bleibt. An dieser Stelle scheint mir der Brückenschlag zur reformatorischen Rechtfertigungslehre fruchtbar. Die spannungsvolle Erfahrung, dass ich mir selbst entzogen sein kann, dass ich vor allem in heilsamer Weise von mir selbst frei werden kann – diese Erfahrung kennzeichne ich mit einem von Gerhard Sauter kultivierten Begriff als „Selbstvergessenheit“.80 Dieser Begriff fasst in pneumatologisch höchst vorteilhafter Weise die Grundspannung der Geisterfahrung zusammen, ohne sie begrifflich auf einen letzten Nenner zu bringen. Der Begriff hebt sich nämlich gewissermaßen selber auf. Ich kann von mir selbst nicht sagen: „ich habe mich selbst vergessen“. Eine solche Aussage setzt Reflexion voraus und widerspricht somit dem Zustand der Selbstvergessenheit. Eine andere Person kann aber erst recht nicht von mir sagen, ich habe mich selbst vergessen, denn dafür fehlen ihr die sicheren Anhaltspunkte. Der Begriff ist also hinreichend seltsam, um wenigstens als ein pneumatologischer Schlüsselbegriff zur Geltung zu kommen. Der Begriff ist andererseits hinreichend präzise, um als Leitfaden zu dienen, wenn wir nun die doppel- und mehrdeutige, gerade darin aber charakteristische Physiognomie der „libertas christiana“ skizzieren. Er ist gerade in seiner Vielschichtigkeit präzise, sofern mehrere Lesarten nebeneinandertreten und dabei das lebendige Geschehen von Rechtfertigung und Heiligung profilieren, ohne es auf lineare Verläufe zu reduzieren. Der Begriff „Selbstvergessenheit“ umreißt die Erfahrung, die der Formel „extra nos“ entspricht, ohne diese Formel auf eine „eindeutige“ Erfahrung festzulegen. Vielmehr wird Erfahrung – und Selbsterfahrung zumal – nun zu einer höchst merk- und fragwürdigen Angelegenheit. 80 Vgl. z. B. Sauter, Reden, 140.

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1.  Der Geist der Freiheit und die neu geschaffenen Personen Wo der Geist wirkt, werden Glaube und Liebe selbstverständlich. Man muss um Glauben und Liebe nicht viele Worte machen. Aber es ist nicht wortlos, was da geschieht. Wer sich verliebt, verspürt sofort den Drang, diese seltsamen und wunderbaren Gefühle auszudrücken. Es ist dann gar nicht einfach, die rechten Worte zu finden. Auch wenn Menschen im Geist zum Glauben und zur Liebe bewegt werden, können sie nicht anders: sie müssen es in Worte fassen. Wollen sie nicht zerreden, was sie erfahren haben, so müssen sie die treffenden Worte finden, und auch dazu sind sie auf den Geist Gottes angewiesen. Die treffende Formulierung entspricht dann der gelungenen Skizze einer Physiognomie. 1.1  Gesetz und Evangelium Zu den treffenden Zeichnungen gehören nicht zuletzt die Karikaturen. Eine solche Skizze lässt mit wenigen Strichen hervortreten, was an einem Gesicht, was an einer Gestalt unverwechselbar ist. Die Charakterzüge werden leicht übertrieben, nicht zu sehr, sonst sind sie überzeichnet, aber doch so, dass der Betrachter lachen muss. Dabei gibt es ein breites Spektrum von harmlosen bis zu boshaften Karikaturen. Besonders raffiniert ist eine solche Zeichnung, wenn ich sie erst in dem Augenblick als mein eigenes Portrait erkenne, wo sie mich bereits zu einem verächtlichen Gelächter gereizt hat. Das ist die erste Annäherung für die Skizze einer Lehre von Gottes Geist. Ich denke hier an ein prophetisches – und also geistgewirktes – Wort, nämlich an die Begegnung zwischen David und dem Propheten Nathan (2Sam 12,1–15). Die Vorgeschichte ist bekannt: Der König hat seine Nachbarsfrau Bathseba verführt und deren Ehemann Uria an die Front geschickt, wo er planmäßig gefallen ist. Nathan berichtet dem König von einem reichen Mann, der seinem Nachbarn das einzige Lamm wegnimmt, um ein Mahl zu bereiten. David gerät in Zorn und verurteilt den reichen Mann zum Tode – und dann trifft ihn Nathans Wort „Du bist der Mann“. Diese Gestalt des prophetischen Redens wird durch Jesus noch verschärft. Paradigmatisch ist die Konfrontation mit dem reichen Jüngling (Mk 10,17– 22parr), der das ganze Gesetz erfüllt hat. So glaubt er, bis Jesus ihm zeigt, worauf er sich eingelassen hat: „Eins fehlt dir. Verkaufe, was du hast, gib es den Armen, und dann hast du einen Schatz im Himmel!“ Auch diese Worte sind offenbar treffend, wortlos entfernt sich der junge Mann. David wie auch der reiche Jüngling stimmen dem Gesetz zunächst einmal zu. Deshalb sind sie plötzlich verwundbar, und so werden sie zutiefst getroffen von der Radikalität dieses Gesetzes, die das vollmächtige prophetische Reden

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aufdeckt. Beiden tritt ihre eigene Verfehlung klar vor Augen. Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass beide nicht mit dieser zerstörerischen Erkenntnis zurückgelassen werden. Nathan spricht David die Vergebung zu (2Sam 13b); Jesu Worte sind – das sagt der Text – liebevoll, und bei Gott kann es auch für den Reichen einen Zugang zum Himmel geben (Mk 10,21–27). Die schockierende Selbsterkenntnis und die tröstliche Zuwendung – hier greifen beide ineinander. Beide zusammen zeichnen eine Bewegung nach: Der Geist wirkt durch Worte, führt Menschen über sich hinaus und bringt sie zusammen. Es handelt sich, kurz gesagt, um die Bewegung von Gesetz und Evangelium. Diese Bewegung ist für den Geist charakteristisch, obwohl, oder besser: weil sie zutiefst zweideutig bleibt. Die geistgewirkte Gesetzespredigt zeichnet zunächst die Physiognomie eines Menschen, der sich in seinen Taten selbst verwirklichen, sich seiner als Subjekt eigenen Handelns vergewissern will. Die Gesetzespredigt ist geistreich, weil sie raffiniert ist: Sie verlockt Menschen dazu, dem Gesetz zuzustimmen. David verurteilt den reichen Mann, der seinem Nachbarn das Lamm genommen hat – übrigens ist sein Urteil übertrieben hart. Der reiche Jüngling stimmt der Gesetzespredigt Jesu voll und ganz zu: Das alles habe ich stets getan. Menschen beurteilen sich selbst und andere am Leitfaden von Regel und Gesetz. So kann David auf die Zeichnung des reichen Nachbarn mit Zorn reagieren, bis er plötzlich merkt, dass er da gezeichnet wurde. Und umgekehrt: der reiche Jüngling reagiert auf das eigene Portrait mit Wohlgefallen, bis er plötzlich merkt: das ist eine Karikatur. Es ist eine schmerzhafte Erfahrung, dass die Orientierung am Gesetz zweideutig ist und zerstörerisch auf die Person zurückwirken kann. Wer dem Gesetz zustimmt, sieht sich überraschend mit eigener Schuld konfrontiert – David erkennt sich selbst im reichen Mann, den er soeben zum Tode verurteilt hat. Der reiche Jüngling erkennt, dass sein Herz am Eigentum hängt, trotz aller Gesetzesfrömmigkeit. Wer die eigene Identität aus dem Handeln bestimmen will, muss sich gewissermaßen gegenständlich machen, muss sich „objektivieren“ – und kann sich dabei verlieren. Das gilt für David, der sich vom Handeln des reichen Verbrechers distanzieren will, es gilt auch für den reichen Jüngling, der das ewige Leben durch sein Handeln verdienen will. Diese unheilvolle Tendenz treibt der Geist auf die Spitze. Das treffende Wort – „du bist der Mann!“ „eines fehlt dir!“ – im Munde des Propheten radikalisiert das Gesetz und bewirkt Selbsterkenntnis: die Erkenntnis der eigenen Entfremdung. Der Geist bewirkt eine Selbstunterscheidung, und darin bereits macht er lebendig, denn in solcher Distanz der Person von sich selbst leuchtet die Freiheit auf, in der eine Person dem eigenen Handeln frei gegenübertreten kann. Diese Freiheit wird freilich zunächst als bedrohlich, ja tödlich erfahren. Deshalb kann die Gesetzespredigt auch Verstockung wirken (2Kor 3,14 f.). Der reiche

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Jüngling könnte in Verzweiflung enden – worüber wir allerdings nichts erfahren. Die Gesetzespredigt kommt ans Ziel, wenn jeder Versuch abgeschnitten ist, sich selbst zu rechtfertigen. David sucht deshalb mit keinem Wort nach Entschuldigungen, der reiche Jüngling entfernt sich wortlos (Mk 10,22). Beide können sich nur noch an Gott wenden: „Ich habe gesündigt gegen Jahwe“ (2Sam 12,13a); „Bei Gott ist alles möglich“ (Mk 10,27). Hier wird jede Selbstdistanzierung abgeschnitten. Normalerweise ist es denkbar, sich im eigenen Handeln teilweise wiederzuerkennen, teilweise auch Abstand zu nehmen. Nichts gelingt mir vollkommen, aber keine meiner Taten fällt gänzlich von mir ab. Diese differenzierende Reflexion wird gegenstandslos, wenn das geistgewirkte Wort Menschen trifft. Es bleibt gewissermaßen nichts mehr übrig, es bleibt kein Hinterhalt, in den sich die Person zurückziehen könnte aus ihrem Handeln. Das Gesetz hat den Menschen aus diesem Hinterhalt herausgelockt und ihm den Rückzug abgeschnitten. Das ist die erste, ihrerseits wieder vielschichtige Lesart von „Selbstvergessenheit“: die Person verliert sich selbst, und sie merkt es erst, wenn es zu spät ist – „sie hatte sich ganz vergessen“. Und nun ist sie sich fremd geworden. Solch rückhaltlose Selbstentfremdung ist aber nicht das letzte Wort: sie ist auch eine Selbsterkenntnis. Menschen erkennen sich in der Verurteilung wieder, sie nehmen sie an und auf sich. Das kann dann nur noch Wirken des Geistes sein, denn es gibt ja kein Subjekt mehr, das aus sicherer Distanz Stellung nehmen könnte zum eigenen Handeln. Daher die knappe oder gar wortlose Gestalt des Sündenbekenntnisses in den biblischen Paradigmen. Der Geist wirkt eine überraschende und überwältigende Selbsterkenntnis, in der die Person sich selbst entgleitet. Das klingt bedrohlich – und es ist doch schon die Kehrseite der Freiheit. An ihr Ziel kommt die geistgewirkte Gesetzespredigt erst, wenn sie umschlägt in die Erfahrung: „Ich lebe, aber nun nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Diesen Satz möchte ich so umschreiben: Meine innere Einheit entgleitet mir, weil alle meine Versuche fragwürdig werden, mich in meinen Taten zu verwirklichen, weil aber auch der Versuch scheitert, mich von meinen Taten zurückzuziehen, weil also jeder Versuch misslingt, das Ich in ein erträgliches Verhältnis zum Handeln zu setzen. Von all diesen Versuchen werde ich frei – so ist der Verlust der Einheit meiner selbst ein Gewinn. Der Verlust der Einheit macht die Person reicher. Es wird ein neues Ich geschaffen. Diesen Spitzensatz der Lehre vom Heiligen Geist könnte ich vorläufig so begründen: Das „Ich“ ist neu, weil es unableitbar ist. Es kommt dem Menschen zu, der sich gerade radikal verloren hat. Es ist gleichwohl ein neues Ich. Es ist dem alten Ich nicht unähnlich – aus der schmerzhaften Karikatur ist nun plötzlich eine liebevolle Zeichnung geworden. Auch das neue „Ich“ ist nach außen gekehrt. Aller-

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dings bezieht es sich nicht länger auf die eigenen Taten und Produkte, sondern ganz und gar auf ein Wort: auf das tröstliche Wort des Evangeliums, auf den Zuspruch einer fremden Gerechtigkeit, die nicht dem eigenen Handeln entspringt, die vielmehr die Gerechtigkeit Gottes ist. So wird die Selbstabschließung im eigenen Handeln von außen überwunden. Und erst dadurch wird sie wirklich überwunden: Solange das alte Ich noch beteiligt ist, bleibt es bei der Selbstverwirklichung, bleibt es beim Gesetz. 1.2  Glaube und Liebe Dass Menschen durch eine Zeichnung überführt werden, in der sie ihre Selbstkarikatur erst erkennen, wenn es zu spät ist – das ist der eine Aspekt der Selbstvergessenheit. In dieser Erfahrung leuchtet nun unmittelbar eine andere Physiognomie auf: Es kann sein, dass ich mich im Gesicht einer anderen Person genauer erkenne als in einem Spiegel. Das andere Gesicht kann mir viel intensiver vorführen, was mich zuinnerst bewegt. Gerade im Gespräch wird mir mein Gegenüber zum Spiegel. So kommt auch hier wieder das Wort ins Spiel. Als Grundwort greife ich die bereits erwähnte Spitzenaussage aus dem Brief des Paulus an die Galater auf. Wer spricht eigentlich den Satz „Es lebe aber nicht mehr ich, es lebt vielmehr in mir Christus“ (Gal 2,20a)? Gewiss: es ist Paulus, der da spricht. Aber die Formulierung stößt doch an die Grenze dessen, was sprachlich möglich und gedanklich nachzuvollziehen ist. Es ist zumindest eine Grenzaussage. Hier spricht ein seltsames und wunderbar neues „Ich“, das nicht mehr mit sich allein bleiben kann, weil es von der Selbstverwirklichung befreit wurde und sich von einer anderen Person her empfängt. Solch eine Selbstempfängnis wird als heilsam erfahren. Das ist die zweite Lesart von „Selbstvergessenheit“: die Person wird neu geschaffen, sie darf die Sorge um ihre Identität vergessen. Wie gesagt: Gal 2,20a ist eine Grenzaussage. Der Satz bleibt unverständlich, solange wir an der Unterscheidung eines „inneren“ Personkerns von einer „äußeren“ Erscheinung festhalten. Durch den Kontext wird das Problem noch verschärft: Dass ich durch das Gesetz dem Gesetz gestorben und mit Christus gekreuzigt bin (Gal 2,19): diese Grenzaussage kann nur ein neues „Ich“ machen. Dieses neue „Ich“ betrachtet sich aber nicht aus sicherer Distanz, es betrachtet sich auch nicht im Spiegel, sondern es ist durchdrungen von einer anderen Person. Andererseits bleibt das neue „Ich“ ein Ich, das sich selbst erkennen kann, das sich selbst in gewisser Weise auch gegenständlich wird. Wenig später heißt es: Der Sohn Gottes hat sich „für mich hingegeben“ (Gal 2,20b). Christus für mich: das ist die neue Selbsterkenntnis, oder besser: die Selbsterkenntnis des neuen „Ich“. Das eigene Ich kommt auf mich zu, deshalb kann ich dieses Geschehen

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nicht aus der sicheren Distanz eines Personkerns beschreiben. In diesem Geschehen gewinnt meine Person aber durchaus Gestalt: im Gesicht des Gegenübers. Wenn das eigene Ich auf mich zukommt und ein neues „Ich“ nur so Gestalt gewinnt, dann erweist sich jede personale „innen“-„außen“-Differenzierung als zu einfach. Darauf ist bereits die Selbsterkenntnis im Gesicht des Gesprächspartners ein Hinweis – jedenfalls in den seltenen Augenblicken, wo mein Innerstes mir in den Gesichtszügen der anderen Person anschaulich wird. Paulus skizziert die in Christus neu geschaffene Kreatur, er fasst den wunderbaren Wechsel von Ich und Christus zusammen. Lässt sich diese Bewegung übertragen auf die Begegnung menschlicher Personen in der Gemeinde? Stillschweigend habe ich das längst vorausgesetzt: die Begegnung mit Christus in Gesetz und Evangelium vollzieht sich im prophetischen Reden anderer Menschen. Das neue, vom Selbst-wirken befreite „Ich“ kann sich nun auf ein anderes Gegenüber einlassen und dadurch seinerseits befreiend wirksam werden. Es wird andern zum Christus. Was hier aufleuchtet, ist eine zweite Bedeutung des Satzes: Christus lebt in mir! Der Satz wird doppeldeutig: Einerseits zielt er auf die Erfahrung, dass ich nicht mehr lebe, weil ich mit Christus dem Gesetz gestorben bin. Andererseits deutet er an, dass das neue „Ich“ nur noch die Hingabe des Sohnes Gottes im leiblichen Leben anschaulich macht. Die beiden Bedeutungen lassen sich gewissermaßen auf Rollen verteilen: Die Erfahrung, vom eigenen handelnden Ich befreit zu werden, setzt bereits die Gegenwart anderer Personen voraus, die ihrerseits befreit sind, in denen Christus lebt. Eine solche Erfahrung wird sogleich umschlagen in die Zuwendung zu anderen Personen. Die Befreiung kann also keine Person für sich allein erfahren. Die Befreiung liegt ja genau darin, dass ich nicht mehr für mich allein sein wollen kann. Der Wille wird verwandelt: das neue „Ich“ freut sich, wenn es sich in andern Personen entdeckt, die in solch einer Begegnung vom Selbst-wirken erlöst werden und sich loslassen können. Der Satz „Christus lebt in mir“ ist somit nicht allein doppeldeutig, sondern auch verwickelt, in ein Gespräch verwickelt: Erst wo durch mich eine andere Person diesen Satz auf sich beziehen kann, lebt Christus in mir – also niemals ohne ein Gegenüber. Der Zuspruch des Evangeliums muss demnach als vielschichtig verflochtene Rollenverteilung beschrieben werden. Darin sehe ich die Grundlinien für die geistliche Wirklichkeit des Leibes Christi. Dabei kommt auch die Wortbedeutung von prósopon zum Zuge, denn das Wortgeschehen von Gesetz und Evangelium zeichnet die Grundlinien von Gesichtern, lässt unverwechselbare Physiognomien hervortreten. Der Buchstabe des Gesetzes tötet: durch das Gesetz sterbe ich dem Gesetz ab, erkenne mich selbst in der Karikatur meiner selbst, in der verfremdeten Gestalt des Gottlosen.

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In, mit und unter diesem Geschehen zeigt sich ein anderes Gesicht: in der Selbstverfremdung wird der Gekreuzigte erkennbar: ich bin mit Christus gekreuzigt, er ist für mich ans Kreuz gegangen und trägt meinen Fluch. Erreicht die Gesetzespredigt diesen Punkt, so könnte man sagen: Hier wirkt der Geist durch den Buchstaben. Weil Christus lebt, kann dieses Geschehen auch mich betreffen. Weil Christus lebt, betrifft es niemals mich allein. Weil Christus im Wort des Evangeliums Leben schafft, ist stets eine andere Person beteiligt, die das Wort spricht und mir Christus leiblich und anschaulich gegenwärtig macht. Und dann ist schließlich noch eine weitere Person im Spiel, der ich das Wort zuspreche, in deren Gesichtszügen ich daraufhin – wo der Geist wirkt – die Befreiung durch das Evangelium wahrnehme. Wenn in einer anderen Person das Wirken des Geistes anschaulich wird, so ist abermals eine Physiognomie mit ganz unverwechselbaren Gesichtszügen im Spiel. Wie wird das befreite Leben in einem menschlichen Gesicht wahrnehmbar? Nun – auch die Verkündigung kann selbstvergessen sein. Nur dann kann eine Person sich in die Züge des Gegenübers versenken, um das Gesetz mit treffenden und zugleich sensiblen Worten zu predigen. Nur dann kann umgekehrt das angefochtene Ich in der Hingabe seines Gegenübers das eigene befreite Leben erkennen. Die Selbstlosigkeit des Wortes ist sehr wichtig. Prophetische Rede hat ihr Gelingen nicht in der Hand, darf auf keinen Fall zur Strategie werden. Das gilt gerade für die Gesetzespredigt: Der durch das Gesetz provozierte Selbstverlust kommt nur ans Ziel, wenn der Geist schon wirkt. Die Provokation wäre tödlich, umgriffe nicht Christus das Ich, das dem Gesetz abstirbt, mit belebender Kraft. Am Beispiel Davids: Zeigt sich nicht in der radikalen und rückhaltlosen Übernahme der Schuld, dass David längst getragen ist von der Verheißung? Könnte er anders die Sünde gegen Gott bekennen? Also: nur wo Evangelium recht verkündigt wird, tritt Menschen vor Augen, dass sie dem Gesetz tödlich verfallen sind. Was mir zur Gesetzespredigt wird, ist bereits Evangelium vom andern her, sonst könnte mein Gegenüber nicht absichtslos und – liebevoll reden: Jesus sieht den reichen Jüngling an und hat ihn lieb! Das ist die dritte Lesart von „Selbstvergessenheit“. Solch liebevolle Zuwendung ist sorgfältig zu unterscheiden von intentionaler Nächstenliebe. Schon die Anschauung von befreiten Christenmenschen mag im Geist ansteckend sein: Heiterkeit steckt an. Imperative hingegen sind ein Rückfall in die Selbstverwirklichung der Person, von der uns der Geist befreit hat. Sie deuten an, dass das liebevolle Handeln nicht mehr selbstverständlich ist. Es wird nun auch deutlich, warum die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium so subtil ist: Hier werden nicht „Textsorten“ definiert, sondern Aspekte eines Wortes. Der Dekalog kann Evangelium sein als Dokument der neu geschenkten

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Freiheit, umreißt Regeln und Spielräume. Umgekehrt kann selbst der Zuspruch der Sündenvergebung zum Gesetz pervertieren, gibt Anlass zu immer skrupulöserer Selbstauslotung. Es bedarf des Geistes, um den Buchstaben zu beleben und das Wort zu schärfen (vgl. Hebr 4,12). Die Verkündigung des Evangeliums zielt letztlich darauf, dass ich meinerseits prophetisch zu reden beginne. Mein Gegenüber teilt sich mir mit. In der Gemeinde bedeutet das: das angefochtene Ich wird getröstet von einem befreiten Ich. So gibt der Geist Zeugnis meinem Geist, dass ich ein Kind Gottes bin, und ich antworte als Kind Gottes, indem ich bete (Röm 8,14–16). In der Gemeinde hat keine Person ihr neues „Ich“, sondern empfängt es und gibt es weiter, und gerade darin lebt sie als neues „Ich“. So hängen Glaube und Liebe ineinander. Die Gemeinde wird zum Leib Christi, des Auferstandenen. Im Wort, das lebendig macht, lebt Christus als Geist. Die Glieder der Gemeinde werden dabei keineswegs „enteignet“ und identitätslos. Die Angst vor dem Identitätsverlust ist aufgehoben, wo der Geist wirkt, denn die geistgewirkte Gesetzespredigt hat es ans Licht gebracht: Die Suche nach der eigenen inneren Einheit treibt Menschen dazu, sich im Handeln zu objektivieren und wiederzuerkennen, zu distanzieren und neu zu objektivieren – ohne jemals das gesuchte „unveränderliche Ich“ zu treffen oder gar zu stabilisieren. Es ist eben die Angst vor dem Identitätsverlust, die Menschen in die Selbstentfremdung und letztlich in den Selbstverlust treibt. Diese Angst ist nun entlarvt und entschärft, sie ist gegenstandslos. Identität heißt nicht länger „unveränderliches Ich“; Identität liegt in der unverwechselbaren Physiognomie, und eine lebendige Physiognomie setzt ein charakteristisches Mienenspiel voraus. Warum soll also nun nicht die christliche Physiognomie den Übergang von der Selbstentfremdung zur Befreiung, die entschärfte Angst und die freudige Entlastung von der Selbstverwirklichung anschaulich machen? Ein Gesicht, in dem die Erleichterung ihre Spuren hinterlässt! So schafft der Geist ein lebendiges „Ich“: es wird individuell nicht als unteilbare Einheit, sondern in der lebendigen Spannung von Eigennamen und Taufnamen: Damit meine ich eine Bewegung von Person zu Person, wo ein Glied am Leibe Christi unverwechselbar hervortritt, aber immer nur auf dem Hintergrund seiner Einheit mit dem lebendigen Christus, um in der Kraft des Geistes ein anderes Glied der Gemeinde dieser Einheit zu vergewissern, wo sie gefährdet ist, auseinanderzubrechen droht. Dabei erweist sich die Unterscheidung von „einzeln“ und „allgemein“ als Simplifikation. Die Einheit des Leibes Christi ist nicht bloß die Zusammenfassung aller Getauften, sondern ein fortlaufendes Wortgeschehen. Und jede einzelne Person kann einer andern gegenüber diese Einheit im Leib Christi gleichsam repräsentieren.

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2.  Spiritus creator: der Geist Jesu Christi Soll die im Begriff „Selbstvergessenheit“ gebündelte Rechtfertigungslehre als axiomatische Grundlage der Pneumatologie zur Geltung kommen, so bricht folgendes Problem auf: Wir haben bislang die Erfahrung des Geistes in der Gemeinde am Leitfaden des Begriffs „Selbstvergessenheit“ auf einzelne Personen konzentriert. Ist es möglich, diese Konzentration vor der Engführung zu bewahren, die das Wirken des Heiligen Geistes in der nicht personalen geschöpflichen Wirklichkeit zugunsten einer existential interpretierten Rechtfertigungslehre abblendet und aufopfert? Der Leitbegriff „Selbstvergessenheit“ erweist sich auch hier als höchst aufschlussreich, sofern er die forensische Fixierung der iustificatio impii auf den Freispruch von der Sünde aufbricht und die Rechtfertigung der Gottlosen ontologisch vertieft. Die im ersten Teil skizzierten Grundlinien zeichnen ein Wortgeschehen nach, das die allzu einfachen Unterscheidungen von „innen“ und „außen“ bzw. „individuell“ und „allgemein“ hinter sich lässt. Die Konsequenzen dieser „geistlichen“ Ontologie sind wenigstens zu umreißen. 2.1  Die Personalität der Wirklichkeit Der Geist Gottes ist der schöpferische Geist. Das gilt ohne Einschränkung: Wo Gott seinen Geist wegnimmt, verliert die Wirklichkeit ihre Gestalt und sinkt ins Chaos zurück (Ps 104,29 f.). Andere biblische Aussagen betonen, dass alles durch das Wort geschaffen ist (Joh 1,3) und alles in Christus seinen Bestand hat (Kol 1,15 ff.). Wort und Geist sind demnach in der Schöpfungslehre eng aufeinander bezogen. Ist es aber nicht ein Rückfall in mythologische Weltbilder, wenn die Lehre vom Schöpfergeist die unbelebte Natur personalisiert? Umgekehrt wäre jedoch zu fragen: Wenn die Gottebenbildlichkeit des Sohnes (v.15) – in dem alle geschöpfliche Wirklichkeit ihren Bestand hat (v.17) – von der Kirche als dem Leib Christi her präzisiert wird (v.18), muss dann nicht die personale Begegnung in der Gemeinde Jesu Christi den Hintergrund für ein Verständnis der Schöpfungsmittlerschaft des Sohnes bilden? Die Frage kann nur ausgearbeitet werden, wenn exemplarische Fälle ausfindig zu machen sind, wo die personale Begegnung mit der auf den ersten Blick nicht-personalen Wirklichkeit verklammert ist. Solche Fälle ergeben sich aber bereits aus der zweiten der bislang skizzierten Grundlinien. Wenn es nämlich im Leib Christi möglich ist, ins Wort zu bringen und sogar zu vermitteln, was uns „zuinnerst“ bewegt und neu macht, so ist das keineswegs selbstverständlich, denn wie kann verbal bezeichnet werden, was der Beobachtung prinzipiell entzogen ist? Das gilt bereits für den Ausdruck von Gefühlen. Das Wort ist stets zu grob, um Gefühle zu beschreiben, und doch kann es Intimität stiften, in der

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nach außen tritt, was mich „zuinnerst“ bewegt. Das Wort kann auf dem Hintergrund solcher Intimität treffend sein. Es kann sogar Gefühle provozieren – und umgekehrt: wortlose Gefühle bleiben gestaltlos. Im Leib Christi wird am deutlichsten erfahrbar, dass das festlegende, unterscheidende Wort und die lebendige Kraft des Geistes einander durchdringen können. Die Physiognomie wird nur sichtbar im personalen Gegenüber: hier ist sie unverwechselbar, unwiederholbar und individuell – aber niemals abzulösen vom Geschehen einer Begegnung. Die Begegnung ist aber umgekehrt keine gestaltlose Dynamik, sondern stets ein gegliederter Dialog, ein Wortgeschehen, das auch Erkenntnis erschließt. Wortlose Gefühle bleiben gestaltlos. Woher nehmen wir aber die Worte für unsere Gefühle? Oftmals entnehmen wir sie der unbelebten, nicht­personalen Wirklichkeit. Wenn ich gesprächsweise von einem Bekannten sage: „Der kommt mir vor wie ein Eisblock“, dann kann das eine unüberbietbar treffende Charakterisierung sein. Dieses Beispiel zeigt, dass die unbelebte Natur Metaphern für das treffende Wort liefern kann. Das wirft immerhin die Frage auf, ob die Leiblichkeit von Personen womöglich mehr als bloß ihren Körper umfasst. Die Grenze ist offen und nicht ohne weiteres zu fixieren. Personen empfangen ihr „Ich“ von außen, von der Erscheinung der anderen Person her, aber auch aus der Wirklichkeit überhaupt, soweit sie ihnen anschaulich begegnet. Vielleicht hat diese offene Bestimmung der Leiblichkeit auch Konsequenzen für die Rede von der leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl. Das Wort, das wir einander im Leib Christi zusprechen, wird greifbar, ohne doch begriffen zu sein. Wenn die unbelebte Natur zur metaphorischen Beschreibung personaler Wirklichkeit beiträgt, dann wäre umgekehrt auch die Frage zu stellen, ob die Durchdringung von Wort und Geist, die wir im Leib Christi exemplarisch vorfinden, nicht wenigstens eine Entsprechung in der geistreichen Beschreibung der nicht-personalen Wirklichkeit finden könnte. Beschreiben wir die außermenschliche Wirklichkeit, so fallen Wort und Geist schnell auseinander. Das Individuelle entzieht sich der begrifflichen Festlegung, daher wird das Unbegriffene als „zufällig“ eingestuft und abgeblendet. Ist es aber wirklich „zufällig“? Das Unbegriffene kann aufdringlich werden und den Umbau begrifflicher Systeme erzwingen. Naturwissenschaftliche Entdeckungen größeren Ausmaßes entzünden sich gerade daran: Was in einer Perspektive als „unwesentlich“ abgeblendet wurde, erweist sich für die andere Sichtweise als erkenntnisleitend. Beide Perspektiven sind daher wechselseitig unvereinbar. Das Individuelle, Unbegriffene, Zufällige wird aufdringlich: hat es dann nicht eine Physiognomie? Was der einen Perspektive individuell-zufällig erschien, wird der andern zum Musterbeispiel für die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Einzelnes und Allgemeines, äußere Erscheinung und Wesentliches durchdringen einander. Die sprachliche Strategie, das Einzelne dem Besonderen und dem Allgemeinen unterzuordnen,

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wird aufgelöst in eine Bewegung, in der unvereinbare Perspektiven das Einzelne umreißen, ohne es erschöpfend zu beschreiben. Eine solch bewegte Erkenntnis ist sensibel für die Abhängigkeit der geschöpflichen Wirklichkeit vom Wirken Gottes. Der Bestand der Wirklichkeit ist labil: die Unterscheidungen brechen zusammen, schwindet die Bewegung des Geistes. Die Schöpfung im Wort setzt den Geist Gottes über den Wassern voraus (Gen 1,2)! Das Individuelle hat seinen Bestand in der Bewegung. Das Wort Gottes wird niemals geistlos gesprochen. Dem folgt die menschliche Erkenntnis, wo die sprachliche Erfassung der Wirklichkeit in Bewegung gerät. Wird menschliche Erkenntnis damit nicht auf neue und andere Weise selbstvergessen? Gottes Geist durchwirkt die geschöpfliche Wirklichkeit und zielt darauf, uns selbstvergessen zu machen. Wie ist das zu verstehen? Kurz gesagt: die geist-volle Wirklichkeit provoziert die personale Begegnung, weil unvereinbare Perspektiven aufbrechen. Dabei kommt es entweder zum Streit oder zu einem geistgewirkten Einverständnis. Das Einverständnis ist sensibel dafür, dass sich die Wirklichkeit gerade in ihrer Vielschichtigkeit zeigt. Für diese Grundlinie der Lehre vom Heiligen Geist gibt die Pfingsterzählung (Apg 2,5–13) eine Anregung. Verschiedene Sprachen sind das beste Beispiel für unterschiedliche Sichtweisen der Wirklichkeit. Die Mühen der Übersetzung entspringen in der Regel dem Umstand, dass die in die Sprachen verflochtenen Perspektiven nicht präzise aufeinander abzubilden sind. Nun zielt die Pfingstgeschichte auf ein Einverständnis ohne Übersetzung (v.6.11). Keine der beteiligten Personen muss ihre eigene Perspektive durchsetzen oder die Durchsetzung einer normativen Perspektive ertragen. Eine fremde Sprache als die eigene Sprache hören: dazu muss die eigene Sprache neu geworden sein. Sie hat sich dann gleichsam der Kontrolle durch das eigene Weltbild entzogen. 2.2  Unterscheidung der Geister Die Frage nach der geistreichen Beschreibung der erschöpflichen Wirklichkeit überhaupt möchte ich abschließend noch verschärfen und nach der Unterscheidung der Geister fragen. Es ist mehrfach hervorgetreten, dass Menschen sich selbst in der Kraft des Geistes in anderen Personen entdecken. Überdies entdecken Personen einander im gemeinsamen Bezug auf die Wirklichkeit, und diese Wirklichkeit bringt sich selbst zur Geltung in der vielschichtigen menschlichen Erkenntnis und Praxis. Es gibt in der Kraft des Geistes so etwas wie einen lebendigen, heilsamen Selbstbezug, den wir „Selbstverwirklichung“ nennen können. Dieser Selbstbezug kann aber jederzeit pervers werden. Theologisch formuliert: es kann stets dazu kommen, dass ein Welt- oder Zeitgeist dem Heiligen Geist zum Verwechseln ähnelt. Dann wächst die Gefahr, dass bestimmte politische

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Strukturen oder geschichtliche Situationen mit der Gemeinschaft des Geistes gleichgesetzt werden. Ein Kriterium kann hier nicht greifen – jedenfalls keines, das wir mechanisch anwenden könnten. Für die Scheidung der Geister brauchen wir schon den Geist Gottes. Die Erfahrung vielfältiger Physiognomien in der personalen und nicht-personalen Wirklichkeit muss den Sinn für die Unterscheidung der Geister schärfen. Die kritische Frage lautet: Ist die geschichtliche Gestalt einer Gemeinschaft noch im geistlichen Sinne selbstbezüglich? Können Menschen sich selbst in anderen Personen entdecken? Kommt Wirklichkeit noch so zur Sprache, dass sie sich selbst in und von der Vielfalt menschlicher Perspektiven abheben kann? Sind menschliche Gemeinschaft und Begegnung mit der nicht-personalen Wirklichkeit noch lebendig aufeinander bezogen? Oder liegt nun ein in perverser Weise selbstbezogenes System vor? Dann wird eine Gestalt der Gemeinschaft zum Selbstzweck, wobei sich die Selbsterkenntnis der Individuen ebenso auf bloße Funktionen reduzieren muss wie die Erkenntnis der Wirklichkeit. Dann wird das unverrechenbar Individuelle zum Störfaktor, an den Rand gedrängt oder eliminiert, theoretisch und faktisch. So gibt es zwar kein Kriterium für die Selbstvergessenheit, wohl aber Indizien für den Verlust der Selbstvergessenheit. Rückt eine bestimmte Gestalt der Gemeinschaft von Personen die eigene Selbsterhaltung in den Mittelpunkt, so wird sie danach trachten, sich selbst zu rechtfertigen, und sie wird verlernen, sich an Personen zu freuen, die sich der Allgemeinheit nicht fügen. Eine solche Gestalt der Gemeinschaft wird eine Analogie liefern zu den verzweifelten Versuchen des unfreien Ich, sich seiner durch das eigene Handeln hindurch zu vergewissern. Sie wird gesetzlich: sie setzt Regeln und folgt ihnen, auch wenn sie nicht mehr greifen. Das Problem tritt also keineswegs erst auf, wenn ein politisches System nachweislich zur Gewaltherrschaft pervertiert. Das Problem liegt vielmehr darin, dass ein System noch in der Selbstkritik den eigenen Regeln folgt. Es ist im Kern das schlichte logische bzw. erkenntnistheoretische Problem, dass eine Außenperspektive eben nur „von außen“ möglich ist und gerade durch die Aneignung zwangsläufig „verinnerlicht“ wird. Es kommt demnach auf eine befreiende Begegnung mit einer Außenperspektive an, die nicht „verinnerlicht“ werden kann, sondern ein gesellschaftliches System unverrechenbar stört. Diese Störung muss allerdings analog zur Predigt von Gesetz und Evangelium beschrieben werden, denn sie soll das System fruchtbar stören und befreien. Eine Befreiung kann demnach immer nur erfolgen, wenn es eine andere Gestalt der Gemeinschaft gibt, in der das System seine eigene Selbstkarikatur erkennt: die anschauliche Gestalt seiner eigenen Entfremdung. Das Individuelle und Unverrechenbare wird an den Rand gedrängt. Es kommt nun darauf an, dass hier nicht einfach „Randgruppen“ ausgegrenzt werden – vielmehr muss den Personen „am Rand“ des Systems eine eigenartige

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Physiognomie zuwachsen. Zugespitzt formuliert: es müssen geistbegabte oder wenigstens geistreiche Gruppen sein. Solange das System nur die Individualität von Personen – schlimmer noch: die nicht systemkonformen Personen selbst – ausgrenzt, bleibt es bei einer Außenperspektive dieser Personen. Es kann überdies zu einer Selbstdefinition der ausgegrenzten Personen kommen, die zwar eine Umwertung vornimmt, aber noch im Rahmen der systeminternen Kriterien. So wird das System zwar kritisiert und möglicherweise zur Stellungnahme provoziert, doch bleibt der kategoriale Rahmen unverändert. So mögen Personen, die wegen ihrer Rasse diskriminiert werden, mit einer Aufwertung ihrer rassischen Besonderheiten reagieren, verfestigen damit aber nur die grundlegende Bedeutung der Rassenzugehörigkeit im politischen System. Selbst wenn das System in selbstkritischer Absicht reagiert und etwa die Diskriminierung durch Quotenregelungen einzudämmen sucht, bleibt die systematische Funktion der Rassenzugehörigkeit unumstritten und kann nach wie vor zur Ausgrenzung individueller Charakteristika führen, ja sogar das Individuelle erst recht verstellen, sofern sie das relativ Allgemeine dem Unverrechenbaren vorordnet. Ob die Begegnung des Systems mit einer Randgruppe das System von der Fixierung auf seine Selbstdurchsetzung befreit, hängt davon ab, ob diese Randgruppe zu einem Selbstverständnis gefunden hat, das nicht restlos in die systeminternen Kriterien übersetzt werden kann. Nicht restlos, denn wäre es gänzlich unübersetzbar, so bliebe es bei der bloßen Außenperspektive. Dass aber die Übersetzung „niemals aufgeht“, verhindert die glatte „Verinnerlichung“ der Systemkritik. In einer solchen Situation ist es denkbar, dass das System von seinem eigenen Systemzwang frei wird, das heißt: seine Regeln in einer Weise begrenzen lässt, die aus seinen eigenen Regeln nicht mehr ableitbar ist. Das setzt zweierlei voraus: zum einen die Begegnung mit der Außenperspektive einer „Randgruppe“, die das System mit seiner eigenen Dynamik konfrontiert, und zwar unausweichlich ohne die Möglichkeit einer Integration dieser Perspektive, die ja nicht restlos übersetzbar ist Dabei kommt es nun zum anderen darauf an, dass diese Unübersetzbarkeit im kreativen Potential des „alternativen“ Selbstverständnisses wurzelt, also nicht dem bloßen Gestus der Abgrenzung entspringt. Am Beispiel rassisch diskriminierter Gruppen: Ihre geistreiche Selbstdefinition mag das Selbstverständnis so stark vertiefen, dass sich die Identitätskriterien von einer biologisch-genetischen Bestimmung ablösen und zu einer neuartigen Sicht von Personalität führen.81 81 Die Befreiung der individuellen Person von der Subsumption unter besondere oder allgemeine Begriffe führt dann nicht zur abstrakten Vorstellung einer „Personalität überhaupt“, sondern zu konkurrierenden Vorstellungen davon. In der Gemeinschaft des Geistes wird diese Konkurrenz befreiend, wie noch zu zeigen ist. – Vgl. dazu auch Welker, Gottes Geist, 32 ff.

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Ein theologisch grundlegendes Paradigma für diese Gestalt der Selbstvergessenheit ist die Frage nach dem Verhältnis von Gerechtigkeit und Recht. Das theologische – aber auch das rechtsphilosophische – Problem konzentriert sich auf den Stellenwert der iustitia distributiva, ohne die Gerechtigkeit nicht durchzusetzen ist, deren radikale Durchsetzung aber die Gerechtigkeit aus dem Recht vertreibt. Gerechtigkeit darf bekanntlich nicht reduziert werden auf die Frage nach der angemessenen Zuteilung. Die Aporie liegt darin, dass die gesetzmäßige Durchsetzung des Rechts nur gerecht bleiben kann, wenn es rechtsfreie Bereiche gibt, so dass solche Bereiche per definitionem nicht gesetzlich einzuklagen sind. Brennend und bedrängend wird diese Aporie in Situationen, wo ein Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Rechts – etwa als Akt der Barmherzigkeit – möglich wäre. Ein solcher Verzicht unterliegt keiner gesetzlichen Bestimmung (jedenfalls nicht der Verzicht aus Barmherzigkeit). Er kann auch nicht zur Regel werden, weil die Gerechtigkeit durch das Recht zum Ziel kommt. Aus der Perspektive des Rechts muss er die Ausnahme bleiben – aber es kann eine andere Perspektive geben. Der Verzicht auf die gesetzliche Selbstdurchsetzung kann umgekehrt für bestimmte Gruppen und Lebenszusammenhänge fundamental sein; dort wäre dann die iustitia distributiva die Ausnahme. Diese auf den ersten Blick nur in mehr oder weniger privaten Bereichen denkbare Alternative wird theologisch brisant durch das Gleichnis vom „Schalksknecht“ (Mt 18,23–35). Sicherlich ist es ein Gleichnis für das Reich der Himmel (v.23), also keine ethische Anweisung zum bedingungslosen Schuldenerlass. Es geht aber auch gar nicht um einen Erlass der Schulden, sondern um den Aufschub der Rückzahlung (v.29b). Überdies liegt die Pointe in der herzlichen, aufrichtigen Vergebung (v.35). Jedenfalls: das Verhalten des Knechts zerstört die Gemeinschaft. Die Alternative wäre die Geduld gewesen, die das eigene Recht zu suspendieren weiß, weil sie ihrerseits die Befreiung von eigener Schuld erfahren hat. Es wäre eine Gemeinschaft entstanden, in der ein Ausgleich zwar erwartet, nicht aber mechanisiert wird. Kurz: die Durchsetzung des eigenen Anspruchs hätte ganz schlicht nicht an erster Stelle gestanden. Es wäre eine andere Rechtskultur entstanden, „irgendwie“ ähnlich wie die übliche, aber zugleich unverrechenbar anders – aus der gesetzlichen Perspektive: unberechenbar anders. Worin der Ausgleich bestehen soll, das wird „irgendwie anders“ aussehen und davon abhängen, ob ich nicht zu kurz kommen will oder eben geduldig sein kann, weil ich zwar nicht meinen Anspruch verlieren will, aber auch nicht darauf angewiesen bin. Wenn alle Ersatzleistungen unter dem Vorzeichen der Dankbarkeit stehen, deren Mangel dem Schalksknecht vorgeworfen wird (Mt 18,32 f.), so hat Dankbarkeit den Vorrang vor dem Ausgleich. Das Bewusstsein, anderen Personen etwas zu verdanken, schafft eine andere Form personaler Verbundenheit – die übrigens keineswegs davor sicher ist, ihrerseits

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ritualisiert oder pervertiert zu werden. (Aus Dankbarkeit auf das Recht verzichten – das kann auch eine milde Umschreibung für „Korruption“ sein!) Doch lässt sie sich jedenfalls nicht in das System von Ausgleich und Ersatz übersetzen. Der Zwang, das eigene Recht um jeden Preis und mit letzter Konsequenz durchsetzen zu müssen – weil es ansonsten mein Gegner tut –, wird demnach durch gleichzeitige, einander ähnliche und doch einander ausschließende Systeme aufgebrochen. Damit ist nun keines der beiden Systeme grundsätzlich fragwürdig geworden. Sie können einander aber begrenzen und beleben. Der Ausschluss von Kreativität, der ein System über kurz oder lang ausdörrt oder stranguliert, kann nur durch Querdenken überwunden bzw. aufgebrochen werden. Daher sind unverrechenbar alternative Systeme eine Chance. Es steht dann jederzeit eine Alternative bereit, die ihrerseits – über eine bloß negative Systemkritik hinaus – den Zwang der innersystematischen Regeln erschüttert, aber als fruchtbare Störung und möglicherweise heilsame Begrenzung. So eröffnet sich ein Konfliktraum unvereinbarer Ordnungen der Gemeinschaft, deren Streit – in der Kraft des Geistes – eine lebendige Gemeinschaft schaffen kann. Es ist demnach kein schlechtes Zeichen, wenn im Raum der Kirche solche Konflikte aufbrechen. Warum sollen hier nicht die Zeitgeister einander aufreiben? Gerade dann mag eintreten, was Paulus beschreibt: Wir sind in der Lage, genaue Unterscheidungen zu treffen, weil wir Geistliches mit Geistlichem vergleichen können – aber geistlich, nicht nach mechanischen Kriterien. Daher können wir Zusammenhänge wahrnehmen, für die die Mächte dieser Welt blind sind, weil sie in ihrer weltlichen Weisheit nur den Weltgeist kennen (1Kor 2,6–8.12–15). Geistliche Personen werden frei und sind keinem äußeren Urteil – keiner systematischen Regel – unterworfen, weil sie in einer solch lebendigen Gemeinschaft von einem System ins andere wechseln können. Sie müssen keinen übergeordneten – und notwendig abstrakten – Standpunkt einnehmen, um der bloßen Regellosigkeit zu entgehen. Sie dürfen die Sorge um ein konsequentes Verhalten vergessen, sofern diese Sorge der Angst entspringt, durch inkonsequentes Verhalten die eigene Identität zu verlieren. Natürlich müssen sie nicht unberechenbar sein. Sie dürfen sich in einer ganz bestimmten Situation selbstvergessen den anderen Personen zuwenden. Diese Freiheit wirkt Gottes Geist in der Gemeinde Jesu Christi als dem Ort, wo begrenzte Perspektiven von Gemeinschaft einander umgreifen und damit die Glieder der Gemeinde verlocken, die eigene Perspektive immer dann aufzugeben, wenn sie in die Knechtschaft führt. In dieser Unterscheidung der Geister tritt Gottes Geist charakteristisch hervor und befreit uns zur Selbstvergessenheit.

2.  Lebendige Vernunft? Zur personalen Wirklichkeit bei Martin Luther

Für eine Entwicklung der Grundgedanken Luthers zur Anthropologie – und zwar gerade in kontroverstheologischer Ausrichtung – soll die Disputatio de homine von 1536 als Leitfaden dienen.82 Hier hat Luther in gedrängter Form einen differenzierten Gedankengang entwickelt, der zugleich deutliche Abgrenzungen zu seiner Sicht der scholastischen Anthropologie einschließt.

1.  Die Vernunft als differentia essentialis Die Thesenreihe konfrontiert die philosophische mit der theologischen Lehre von der menschlichen Person und geht aus von der klassischen Definition: „hominem esse animal rationale, sensitivum, corporeum“ (Th. 1). Auf den ersten Blick ist Luthers Einschätzung der Vernunft überraschend, denn er geht so weit, die Vernunft zu bezeichnen als „sol et numen quoddam“ (Th. 8). Das menschliche Geschöpf als „Sonne und Gottheit“ kann die gesamte Schöpfung mittels der Vernunft durchdringen. Darin liegt der Wesensunterschied zu allen anderen Geschöpfen (Th. 6). Es bricht aber auf dem Höhepunkt eine Aporie auf: „Tamen talem sese maiestatem esse, nec ea ipsa ratio novit a priore, sed tantum a posteriore“ (Th. 10). Die Vernunft kann sich in ihrer Majestät nicht selbst erkennen, sondern nur „im Rückblick“. Das zielt auf eine gleichsam empirische Erkenntnis, die niemals sicher ist, sondern vollendet werden müsste durch ein Begreifen „von Grund auf “. Gerade das gelingt der Vernunft in Bezug auf sich selbst nicht, sie kann sich nicht aus sich selbst heraus begreifen. Da nun aber die Vernunft das wesentliche Merkmal des menschlichen Geschöpfs ist, kann die Philosophie die menschliche Wirklichkeit insgesamt nicht sicher erfassen. In der Ordnung der vier aristotelischen causae: Sie kennt die stoffliche Ursache kaum und weiß gar nichts über die wirkende Ursache und das Ziel der menschlichen Wirklichkeit. Das ist die Konsequenz der Abblendung der Gottesbeziehung der menschlichen Person. Die menschliche Person kann nur angemessen 82 Der Text ist abgedruckt in WA 39/1,175–177. Eine sorgfältige Edition mit Übersetzung findet sich bei Ebeling, Disputatio, 15–24.

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bestimmt werden als Geschöpf, das menschliche Leben ist ausgerichtet auf den Schöpfer und darf daher nicht auf das Leben diesseits der Todesgrenze eingeschränkt werden (vgl. Th. 13 f.). Vor allem versagt die Philosophie bei der Bestimmung der Form, und zwar prinzipiell: „De formali vero causa quam vocant animam, nunquam convenit, nunquam conveniet inter philosophos“ (Th. 15). Die formale Ursache des menschlichen Lebewesens ist die anima, aber da in der Vernunft die differentia specifica liegt, muss der Blick sich auf die anima rationalis richten – und dieser Begriff erweist sich als hoch problematisch. Luther formuliert keine Begründung dafür, warum eine Einigung unter den Philosophen unmöglich sein soll, doch die Inkonsistenz einer lebendigen Vernunft könnte einen Hinweis geben. Die Vernunft ist ja zunächst gerade in der Differenz zum lebendigen Organismus bestimmt. Das Problem liegt auch in heutiger Sicht auf der Hand: Es gibt kein Denken, keine Sprache und keinen menschlichen Geist ohne neuronale Prozesse, und doch geht das eine nicht im anderen auf – wenn wir von biologistischen Reduktionsversuchen einmal absehen. In der Ethik Kants kann die Vernunft sogar der Triebstruktur entgegengesetzt werden. Andererseits wird damit die Frage nach der Einheit der menschlichen Person zum Thema. Luthers kühne Behauptung, die Philosophie kenne nicht einmal die stoffliche Ursache des menschlichen Geschöpfs, erweist sich als beinahe prophetisch, denn eine Reduktion der Vernunft auf biologische Prozesse ist aussichtslos. Auch hier kann die von Kant eingeschärfte Unterscheidung zwischen empirischem und transzendentalem Subjekt greifen: Wenn ich mich neurobiologisch analysiere, bin ich doch als Erkenntnissubjekt immer noch „außerhalb“ der analysierten Vorgänge. Wie löst Luther diese Aporie der Selbsterkenntnis der Vernunft? Bereits in den philosophischen Thesen zeichnet sich ab, wo er das Problem sieht: Die Philosophie blendet den Gottesbezug der Vernunft ab und nimmt ihre Geschöpflichkeit nicht in den Blick. „Nec spes est hominem in hac praecipue parte sese posse cognoscere, quid sit, donec in fonte ipso, qui Deus est, sese viderit“ (Th. 17). Die menschliche Person kann sich in ihrer Fülle und Tiefe nur im schöpferischen Gegenüber Gottes erkennen. Was das bedeutet, wird noch zu entfalten sein. Hier kann aber schon der Gegensatz skizziert werden: Solange die Vernunft als höchste Instanz mit sich selbst letztlich allein bleibt, verstrickt sie sich in die Aporien der Selbsterkenntnis. Da es aber neben der Vernunft innerhalb der Schöpfung in der Tat keine höhere Instanz gibt, kommt es zu der letzten Zuspitzung zwischen der Selbst-Verstrickung der Vernunft und der Befreiung zur Selbst-Erkenntnis in der schöpferischen Wirklichkeit Gottes. Die Vernunft erkennt sich demnach niemals allein aus sich selbst – sie kann sich aber gerade dann „von Grund auf “ begreifen, wenn sie sich sieht als umgriffen von der

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Quelle, dem Handeln Gottes. Sie durchschaut sich also erst dann selbst, wenn sie sich nicht mehr aus sich selbst erkennen will. Luther weist an dieser Stelle nicht darauf hin, dass die Selbstbezogenheit der Vernunft letztlich die Sünde des menschlichen Geschöpfs ausmacht. Immerhin betont er die Knechtschaft der Vernunft, solange sie sich aus sich selbst bestimmen will: Sie ist dem Zufall und der Sinnlosigkeit unterworfen (vgl. Th. 18), letztlich gleitet sie in eine materialistische Selbstanalyse ab (vgl. Th. 19). Die Wendung „nimio materialis“ in dieser These kann erneut als prophetisch gelten angesichts eines biologistischen Atheismus, für den die Vernunft nur das Zufallsprodukt der Evolution ist. Wichtig ist noch ein anderer Aspekt: Die menschliche Person ist nur angemessen zu begreifen aus der Relation zu Gott. Auch hier ergibt sich eine Struktur, die zumindest nicht einfach nachvollziehbar ist: Selbsterkenntnis im Gegenüber ist auf den ersten Blick ebenso aporetisch wie die Verwicklungen der Selbst–Reflexion. Wie kann ich mich in einer anderen Person erkennen? Noch mehr: Wenn meine Selbsterkenntnis meine personale Wirklichkeit bestimmt – wie kann ich in einer anderen Person meine Wirklichkeit haben? Hier zeichnet sich bereits der Gegensatz zwischen Philosophie und Theologie ab: Die relationale Struktur der Person widerstrebt der klassischen Logik, und die ist ihrerseits der wichtigste Exponent der Vernunft. Hier wird auch ansatzweise erkennbar, dass innerhalb der Philosophie das Phänomen des Selbstbewusstseins die klassischen logischen Strukturen sprengen könnte. Die Produktivität der logisch zunächst unangenehmen Wendung erweist sich darin, dass nun die Fülle der Selbsterkenntnis der menschlichen Person (plenitudo) zum Zuge kommt: „Theologia vero de plenitudine sapientiae suae hominem totum et perfectum definit“ (Th. 20). Wer hier eine klassische Definition erwartet, wird allerdings enttäuscht. Der ganze und vollkommene Mensch wird begriffen in einer Geschichte, die zunächst das menschliche Geschöpf – aus Fleisch und atmender Seele – in seiner Gottebenbildlichkeit und Unsterblichkeit in den Blick nimmt (vgl. Th. 21), danach den Fall und die Unterwerfung dieses Geschöpfs unter die Macht des Teufels, der Sünde und des Todes (vgl. Th. 22), schließlich die Befreiung zum ewigen Leben durch Jesus Christus (vgl. Th. 23). Daraus erhellt zunächst die Knechtschaft der Vernunft: Gerade die höchste geschöpfliche Wirklichkeit – „pulcherrima […] et excellentissima res rerum“ (Th. 24) befindet sich nach dem Fall unter der Macht des Teufels. Weiterhin ergeben sich einige Abgrenzungen zur scholastischen Gnadenlehre, die später noch zu behandeln sind. Zunächst kommt es auf den narrativen Aspekt an. Die menschliche Person kann im strengen Sinne nicht definiert werden, schon gar nicht von der ratio aus, denn dann wäre die Dimension der lebendigen Seele (anima spirante) aus dem Blick geraten. Die Wirklichkeit der menschlichen Person kann nur erzählt werden. Dabei kommt es zu einer dra-

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matischen Zuspitzung: Erzählt wird die Geschichte einer Befreiung, also auch die Geschichte einer Knechtschaft, insgesamt findet damit die Erzählung ihre Pointe in einem Übergang. Je dramatischer dieser Übergang erzählt wird, desto weniger kontinuierlich kann er sein. In Luthers Interpretation handelt es sich denn auch eher um einen Bruch. Das führt zu weitreichenden Konsequenzen: Wird die „Definition“ der menschlichen Person dramatisiert und dynamisiert, so kann die Vernunft nicht mehr im Sinne der klassischen Logik den Überblick behalten. Sie verliert in gewisser Weise die Kontrolle. Auf den ersten Blick wird ja durch einen Bruch die Kontinuität der Person zumindest gefährdet. Es lässt sich aber zeigen, dass hier nicht einfach zwei Personen einander ablösen. Der Bruch ereignet sich zwischen meiner Selbsterkenntnis als sündiger, Gott gegenüber verschlossener Person – und der Selbsterfahrung einer geschenkten neuen Wirklichkeit. Es geht also um mich, aber ich kann die Kontinuität meiner Person nicht aus mir heraus absichern. Hier schließt sich auch der Kreis zur Kritik an der Philosophie, denn die Selbsterkenntnis der Vernunft aus sich selbst heraus zeichnet sich nun als Gefangenschaft deutlich ab, und zwar erst in der neuen Perspektive, die mir von Gott in Jesus Christus geschenkt worden ist. Die Vernunft muss demnach auch befreit werden von ihrem Streben nach Zentralität. Da nun die Vernunft zur Wirklichkeit der Person gehört, ergibt sich daraus die Freiheit von einem personalen Zentrum. Das ist für die Vernunft schwer erträglich – aber darin liegt eben auch ihr Problem! Aus paulinischer Sicht – die für Luther natürlich maßgebend ist – liegt hier nicht das Problem, sondern die Lösung. „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Die befreite Person hat ihre Wirklichkeit außerhalb ihrer selbst. Das hat Wilfried Joest in seiner klassischen Monographie „Ontologie der Person bei Luther“ als den exzentrischen Charakter des PersonSeins beschrieben.83 Luther grenzt sich ab von der klassischen Definition der Person durch Boethius als rationalis naturae individua substantia. Die menschliche Person hat ihre Substanz nicht in sich, sie hat ihren festen Stand außerhalb ihrer selbst in Christus.84 Dieser ek-statische Zug des Glaubens hat allerdings ein Komplement, nämlich den responsorischen Charakter des Person-Seins.85 Die Person wird durch ihre selbst-lose Beziehung zu Jesus Christus auf neue Weise identifizierbar und auch verantwortlich. Dabei ist stets die doppelte Perspektive zu beachten: Die Person kann ja logisch betrachtet nur entweder ekstatisch oder verantwortlich sein. Sie ist aber identifizierbar und verantwortlich, weil sie kein eigenes Zentrum hat, und sie wird von ihrem eigenen Zentrum befreit durch 83 Joest, Ontologie, 232 ff. 84 Vgl. ebd., 244. 85 Vgl. ebd., 274 ff.

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die Beziehung zu Jesus Christus, in der sie zum identifizierbaren Glied am Leib Christi wird. Auch diese doppelte Perspektive lässt sich nicht auf eine einzige Sichtweise reduzieren und bleibt daher unbefriedigend für eine Vernunft, die auf eine konsistente Konstruktion aus ist. Im Unterschied dazu erweist sich die befreite Vernunft als gelassen. Die Kontroverse – im philosophischen, aber auch im kontroverstheologischen Diskurs – richtet sich darauf, ob die „Rationalitätslücke“, die sich hier auftut, eine Einschränkung der Vernunft bildet oder ob sich hier eine Erweiterung der Vernunft abzeichnet. Luther spitzt seine Überlegungen noch zu, indem er eine gedrängte „Definition“ bietet, die sich erneut der klassischen Logik verweigert: „Paulus […] breviter hominis definitionem colligit dicens: hominem iustificari fide“ (Th. 32). Die wesentliche „Eigenschaft“ des menschlichen Geschöpfs ist demnach das Handeln Gottes an der menschlichen Person – also keine „Eigenschaft“ im Sinne eines sauber definierten Begriffs. Das menschliche Wesen ist das rechtfertigende und rettende Handeln Gottes, das die sündige Person zum Glauben, d. h. zu einer rechten Gottesbeziehung befreit. Das ist die Zusammenfassung der Geschichte. Wichtig ist sodann, dass es sich hier um eine dramatische Erfahrung handelt, die der menschlichen Person widerfährt, also das genaue Gegenteil eines menschlichen Vermögens. Dabei verliert die Person den Boden unter den Füßen, und zwar zu ihrem Heil. Im Gegenüber zu Jesus Christus erkennt sie ihre SelbstVerkrümmung und wird durch diese schockierende Selbsterkenntnis befreit. Sie kann diese Befreiung erleben, und darin wird sie sich neu geschenkt. Meine personale Identität kommt auf mich zu, sie liegt nicht „in“ mir. Die „Ontologie der Person“ ist also relational. Die Identität der Person ergibt sich als charakteristische Verwicklung der Person in die Geschichte Gottes mit den sündigen menschlichen Geschöpfen, die sich in Jesus Christus dramatisch verknotet – daraus ergibt sich auch die geschichtliche Verwicklung der Person mit anderen menschlichen Personen im Leib Christi. Die Vernunft wird nunmehr narrativ, wie gesagt: sie ist immer nur im Übergang wirklich. Dabei meint das „nur“ nicht eine Einschränkung, sondern eher den Reichtum einer lebendigen Vernunft. Damit wäre das Problem der philosophischen Reflexion – das Auseinanderfallen von anima und ratio, von Leben und Vernunft – einer Lösung entgegenzuführen: Auch die Erzählung einer Geschichte ist nicht etwa irrational, sondern weist trotz oder auch wegen aller Überraschungen einen Zusammenhang auf. Ist das Paradigma für die Vernunft die formale Logik (die auch ein Rechner übernehmen kann!) oder die Konsistenz einer narrativen, vielleicht auch einer dramatischen Entwicklung? Im letzteren Fall wäre die Vernunft weitaus lebendiger. Das tritt noch schärfer hervor, wenn wir „hinter“ der formalen Logik das transzendentale Subjekt im Sinne Kants vermuten: Ich nehme mich wahr als das „Ich denke“, welches alle meine Vorstellungen begleitet und vermöge der Logik zur

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Einheit bringt. Damit wird einerseits die Identitätsdiffusion verhindert, andererseits meine Unterscheidung von der „äußeren“ Wirklichkeit gesichert. Hier kulminiert die gesamte Argumentation Kants: in der „transzendentalen Apperzeption“. Diese „Ich“-Erfahrung kann aber nicht mehr auf den Begriff gebracht, sie kann nicht einmal expliziert werden. Insofern bleibt sie eine leblose Abstraktion. Das gilt aber nur, solange die Vernunft fixiert ist auf scharfe Definitionen. Dabei geht es auch um die Kontrollfunktion der Vernunft, die in gewisser Weise unverzichtbar bleibt, sich aber nicht ins Zentrum setzen darf. Die Vernunft muss belebt werden, und das geschieht im Übergang; in der Geschichte. Die fixierten Begriffe müssen in Bewegung gesetzt werden. Sie zeichnen dann die lebendige Wirklichkeit der Person nach und können die Identität der Person charakterisieren. Die klassische Logik wird dabei allerdings strapaziert: Schon die Rede von „flüssigen Begriffen“86 ist auf den ersten Blick kontradiktorisch. Die lebendige Wirklichkeit der Person in der Geschichte, also in der Beziehung zu anderen Personen hebelt auch die viel zu enge Bestimmung der Identität im Sinne eines „personalen Zentrums“ aus. Ich bekomme meine Identität geschenkt, sobald ich nicht mehr danach frage, meine Identität kommt mir „von außen“ zu. Sie liegt, dialektisch formuliert, im Nicht-mit-mir-Identischen. Eine auch für den ökumenischen Dialog wichtige Frage lautet nun: Ist eine solche lebendige Vernunft unvernünftig oder vielmehr wahrhaft vernünftig? Im zweiten Teil der Disputatio weist Luther einige scholastische Grundsätze ab, die sich auf die konstruktive Rolle der menschlichen Vernunft im Erlösungsgeschehen beziehen (vgl. Th. 26–31). Dabei wird stets vorausgesetzt, dass die Vernunft durch die Sünde zwar stark beeinträchtigt, jedoch nicht gänzlich ausgelöscht ist. Luther sieht das radikaler: Die Vernunft ist auch nach dem Fall in ihrer Vollgestalt präsent, aber eben umso perverser und gefährlicher. Daher gibt es keine Möglichkeit, eine klare Grenze zu ziehen zwischen der sündigen und der „neutralen“ Vernunft. Hier liegt auch die Wurzel für die Ablehnung eines freien Willens, der sich wenigstens prinzipiell auf Gott ausrichten könnte (vgl. Th. 27 und 29). Darin liegt sicherlich eine „Sollbruchstelle“ im ökumenischen Gespräch. „Freiheit“ ist keine Eigenschaft der menschlichen Person, schon gar nicht der Vernunft und des Willens, sondern ein Geschenk, das sich in der Geschichte ereignet und dann auch die befreite Vernunft prägen kann. Oder auch: Was „Freiheit“ bedeutet, wird aus der Befreiung der Person deutlich, also wieder in einer Geschichte. So wird Freiheit auch erfahrbar. Auch meine Freiheit wird mir geschenkt, ich bin nicht aus mir heraus frei, schon gar nicht vermöge meiner Vernunft. Wie sich die Freiheit in der personalen Wirklichkeit abzeichnet, wird noch zu erörtern sein. 86 Vgl. Hegel, Phänomenologie, 10 u. 30 ff.

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Zuvor ein Hinweis auf die ontologischen Andeutungen, die Luther in der Disputatio gibt: Wie die Vernunft keine fixierbare Größe ist, sondern Gegenstand des kreativen Gotteshandelns bleibt, so ist auch die Welt nicht fixierbar, sondern als Bereich, den diese Vernunft beherrscht, nur ein vorläufiges „Schemen der Welt“ (Th. 40 in Anlehnung an 1Kor 7,31). Die rationale Erkenntnis der nicht-personalen Wirklichkeit ist nicht zu verwechseln mit der Erfahrung erschöpflicher Wirklichkeit. Es wird noch zu fragen sein, welche Reichweite diese Bemerkung hat. Vielleicht kann eine befreite und daher lebendige Vernunft auch die äußere Wirklichkeit anders, lebendiger und vielschichtiger erfahren als die bloß rationale, berechnende und fixierende Vernunft es nahelegt. Dann könnte sich hier eine weitere ökumenische „Sollbruchstelle“ auftun, nämlich die normative Geltung der aristotelischen Ontologie (s. o.).

2.  Die metaphorische Wirklichkeit der Person Die relationale Ontologie der Person wird noch vertieft durch Luthers Bemerkungen zur Metapher in der Schrift gegen Latomus (1521).87 Ausgangspunkt ist ein Gedanke, den Paulus besonders deutlich in 2Kor 5,21 formuliert: „Den, der keine Sünde kannte, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit Gottes werden.“ Luther greift allerdings auf Röm 8,3b.4a zurück: „Gott hat seinen Sohn gesandt in der Ähnlichkeit des sündigen Fleisches […] und verdammte die Sünde im Fleisch, damit die Gerechtigkeit […] in uns erfüllt werde.“ Es geht um eine auch in anderen Zusammenhängen entscheidende Figur, nämlich den Personentausch. Das ist auf den ersten Blick wieder eine kontraintuitive Bewegung: Ich erkenne mich nicht nur in Jesus Christus als Sünder, sondern ich bin mit Christus derart intensiv vereinigt, dass seine Gerechtigkeit auf mich übergeht, während meine Sünde von Christus getragen wird. Der „gesunde Menschenverstand“ interpretiert das so: Die menschliche Person wird von ihrer Sünde befreit und empfängt dafür die göttliche Gerechtigkeit. Jesus Christus hat stellvertretend für mich die Strafe getragen, die meiner Sünde entsprochen hätte, und im Glauben eigne ich mir dieses Geschehen an. Das dürfte in etwa die übliche Lesart der paulinischen Extremformulierungen sein, in denen das Geheimnis der Vereinigung Christi mit mir nicht mehr nachvollzogen wird und wo dann auch der Glaube zu einer kognitiven Aktivität, zur rationalen Zustimmung wird. Nun haben wir gesehen, dass es Luther darauf ankommt, das Zentrum der Person „nach außen“ zu verlegen, und zwar exakt deshalb, weil die Zentralität der 87 Vgl. dazu den differenzierten Aufsatz von Ringleben, Metapher, 58–95.

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Person die Wurzel der sündigen Selbstverschlossenheit des menschlichen Geschöpfs ist. Die Selbst-Erkenntnis in Jesus Christus ist hingegen ein ekstatischer Vorgang, der mich aus mir herausreißt. Diese Passivität entspricht dem Geschenk einer neuen Identität, die nun natürlich rein auf Gottes Handeln bezogen und insofern gerecht ist. Neu ist diese Identität, weil ich im Gegenüber zu Jesus Christus in schockierender Weise erkenne, wohin mein Streben nach Selbst-Verwirklichung führt. Radikal formuliert: Ich erkenne, dass Jesus Christus an meiner Stelle am Kreuz hängt. Das ist der tiefe Sinn der geläufigen Formulierung, er habe meine Sünde getragen. Er hat sie buchstäblich auf sich gezogen. Man kann aber nicht sagen, er habe die Sünde von mir abgezogen, denn ich bin mit meiner Selbstverschlossenheit ja derart verwachsen, dass ich gar nicht von ihr getrennt werden kann. Jeder Versuch, mich von meiner Sünde im Sinne einer Eigenschaft zu distanzieren, führt wieder in subtile Versuche einer sündigen Selbstrechtfertigung. Insofern werde ich tatsächlich mit Jesus Christus gekreuzigt (Röm 6,3 f.). Von wo aus kann ich dann überhaupt noch reden? Ich kann das alles nur sagen, weil mir in diesem Geschehen eine neue Identität geschenkt wurde. Das ist die Wirklichkeit des Geistes, der meinen Glauben wirkt. Erst in dieser Perspektive kann ich mich radikal und ohne Rückhalt als Sünder erkennen, und zwar in einem Geschehen „außer mir“, also in Christus. Das ist die dramatische Version der mehrfach angesprochenen Befreiung. So werde ich zur Gerechtigkeit Gottes. Luther bezeichnet diese Struktur als Metapher.88 Dabei treten zwei wichtige Aspekte hervor: Zum einen greift Luther auf die Grundbedeutung zurück, wonach die meta-phora eben eine Über-tragung ist. Zum andern betont er, dass es hier um eine reale Übertragung geht. Wenn es heißt: „Christus […] factus est peccatum metaphorice“, dann ist damit nicht eine mehr oder weniger starke, jedenfalls quantitativ bestimmbare Ähnlichkeit gemeint. Vielmehr liegt der Unterschied ausschließlich darin, dass Christus die Sünde nicht getan hat und doch die ganze Verdammnis auf ihm liegt: „ut nulla re differet a vero peccatore.“89 Der Unterschied liegt in der Konfrontation des Gekreuzigten mit mir, die mich zugleich in die Wirklichkeit des Gekreuzigten versetzt. Dieses Gegenüber führt aber zur Entlarvung und damit auch zur Vernichtung der Sünde, und so werde ich in die Gerechtigkeit Gottes hineingezogen. Die göttliche Gerechtigkeit wird auf mich übertragen. Die Übertragung ist insgesamt nicht zu verwechseln mit „uneigentlicher Rede“. Es wird zwar metaphorisch geredet, aber damit wird eine reale Metapher nachgezeichnet. Dabei werden die beiden Begriffe, um die es geht – „Sünde“ und „Gerechtigkeit“ – allerdings neu beleuchtet. Sie werden zu relationalen Begriffen. Es handelt sich nicht um Eigenschaften, die einer Person zugesprochen wer88 Vgl. für den gesamten Zusammenhang WA 8,86–88. 89 WA 8,86,31–34.

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den, sondern um Prozesse, die ineinander verwickelt sind. Semantisch schließen „Sünde“ und „Gerechtigkeit“ einander aus. Sie werden aber nun extrem dicht aufeinander bezogen und verbinden „über Kreuz“ die im Glauben gerecht gemachte Person mit Jesus Christus. Dabei kommt es zu einer Vereinigung, die Luther bereits in der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ in Anlehnung an die mittelalterliche Brautmystik skizziert hat, es kommt zum „fröhlichen Wechsel und Streit“.90 Die Vereinigung hebt nicht die Differenz auf, sie kann aber nicht mehr beschrieben werden als Begegnung zweier in sich selbständiger Personen. Daher können auch „Sünde“ und „Gerechtigkeit“ nicht mehr als Eigenschaften im herkömmlichen Sinne verstanden werden, was auch in Bezug auf Christus ebenso absurd wäre wie in Bezug auf den gerechtfertigten Sünder. So sind die beiden Begriffe zwar metaphorisch zu verstehen, aber in keiner Weise zu ersetzen durch „eigentliche“ Rede. Sie zeichnen exakt jene reale Metapher nach, um die es geht. Die schwierige Argumentation zur „realen Metapher“ ist in mehreren Richtungen zu vertiefen. Zunächst bezeichnet die Figur des christologischen „Personentauschs“ das zentrale Geheimnis des Glaubens. Wir könnten sagen: An dieser Stelle wird sich die menschliche Person zum Geheimnis, und zwar in einer befreienden Weise, denn sie wird erlöst vom Zwang, sich selbst in sich selbst zu durchschauen. Sie wird in ihrer Unverfügbarkeit aber auch zum wahren Ebenbild Gottes, und zwar nicht im Sinne eines verkleinerten Spiegelbildes, sondern umgriffen vom Geheimnis Gottes. Das ist die höchste Konzentration der Geschichte Gottes mit den sündigen und zu erlösenden menschlichen Geschöpfen. Sodann zeichnet sich hier eine Struktur ab, die zwar für den „gesunden Menschenverstand“ und die formale Logik nicht akzeptabel ist, die aber nicht einfach als inkonsistent abgetan werden kann. Sie ist nicht weniger „schlüssig“ als die Trinitätslehre. Sie ist auch ebenso wenig „widersprüchlich“, nur zwingt sie uns dazu, unterschiedliche Perspektiven nebeneinander stehen zu lassen, die einander vertiefen und doch nicht auf eine einzige Ebene zu bringen sind. Die Identität der Person liegt nun nicht mehr in ihr selbst. Das wäre schrecklich, wenn es in die Schizophrenie oder in die Identitätsdiffusion führte, denn dann wäre die Person in der Tat nicht mehr verantwortlich. Vielleicht ist aber die „schräge“ Logik der Person im Sinne Luthers auch eine Möglichkeit, die einzigartige Geschichte eines menschlichen Geschöpfs in unverwechselbarer Weise zu erzählen. Das wird schließlich daran deutlich, dass Luther im Umkreis der soeben angesprochenen Erörterung einen Ausblick über die Unverzichtbarkeit der metaphorischen Rede skizziert. Bleiben wir noch bei dem zweiten Punkt. Die Zuspitzung der Identität einer Person auf die Beziehung zu einer anderen Person liegt im Kern dessen, was in der evangelischen Theologie seit einigen Jahrzehnten als „relationale Ontolo90 Vgl. WA 7,25,30–26,1.

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gie“ eher angemahnt als ausgearbeitet wird. Hier liegt zweifelsohne eine antinomische Struktur vor: Meine Identität wird mir geschenkt, sie kommt mir zu von einem nicht mit mir Identischen her. Eben in dieser Relation bildet sich die Einheit meiner Person. Nun ist eine solch antinomische Figur von einem nackten „Widerspruch“ oder „Paradox“ abzugrenzen. Ein Widerspruch ist in einem strengen logischen System katastrophal, weil er das gesamte System sinnlos macht. Es gibt aber noch eine andere Argumentation in der Metaphysik des Aristoteles, die den Widerspruch ausschließt, weil er die Konstanz der Wortbedeutung in Frage stellt. Wenn jedes Wort sein Gegenteil bedeutet, kann man gar nichts mehr sagen.91 Es wäre freilich bezüglich der personalen Identität zu fragen, ob eine spannungsvolle Geschichte nicht die Person besonders kraftvoll charakterisiert – allemal im Vergleich zu einem abstrakten „Ich“, das als Zentrum der Person immer nur in der Distanz von allem anderen postuliert wird. Es geht also nicht um die logische Frage der Widerspruchsfreiheit, sondern um die charakteristische Innenspannung der Person, die von der Schizophrenie oder der Identitätsdiffusion abzuheben ist. Es ist vielleicht kein Zufall, dass dialektische Denkbewegungen, in denen die Einheit des Nicht-Identischen kultiviert wird, gerade der präzisen Durchdringung des Selbstbewusstseins entspringen. Die etwa bei Hegel erreichte Genauigkeit und Intensität der Analyse zeigt auch: Derartige Gedankengänge müssen nicht in die Beliebigkeit abgleiten. Wohl aber werden sie schnell unübersichtlich – und darin zeigt sich ihre Angemessenheit, denn es geht ja um die unverfügbare Person in ihrem Geheimnis, das nicht logisch auszuloten ist. Wenden wir uns dem dritten Aspekt zu. Luther betont die Unverzichtbarkeit metaphorischer Rede, wenn es um personale Wirklichkeit geht.92 Nun ist es durchaus auch eine rhetorische Strategie, die Rede anmutig zu machen durch Metaphern, die im Prinzip auch ersetzt werden könnten durch „eigentliche“ Rede. Luther führt aber Beispiele an, in denen wesentliche Aspekte verloren gehen durch eine semantische „Begradigung“. Er zielt darauf, dass die metaphorische Rede eine Vielfalt von Nuancen freisetzt, die in einer Metapher versammelt sind, so dass eine pedantische Auffächerung gerade an Prägnanz verlieren muss.93 Dabei nimmt Luther die Beispiele vor allem aus der personalen Sprache. Diese Überlegung ist sehr anregend, denn in der Tat lässt sich die personale Wirklichkeit nicht im direkten Zugriff „beschreiben“. Was in der christologischen Metapher seine höchste Verdichtung erlangt, wird in der personalen Wirklichkeit entfaltet. Dabei nehme ich die Metapher 91 Vgl. Aristoteles, Metaphysik, 1006a–1007a. 92 Vgl. WA 8,83 ff. 93 Vgl. WA 8,85.

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„Leib Christi“ ernst und gehe davon aus, dass die erlöste Person sich in Relationen zu anderen Personen verwirklicht, und zwar ohne auf einer „innersten“ Identität zu bestehen. Ich greife nochmals die Unterscheidung von Wilfried Joest auf: Die Person existiert immer außerhalb ihrer selbst, erlangt durch diese Bewegung aber zugleich eine unverfügbare und unverwechselbare Identität. Insofern ist die Person einerseits identisch mit der Beziehung zu anderen Personen – ohne ein personales Zentrum – und andererseits in der Lage, sich von dieser Bewegung zu unterscheiden. Sie kann ohne Probleme das Personalpronomen der ersten Person Singular gebrauchen. Es ist klar, was ich meine, wenn ich sage „ich denke“ oder „ich trinke“. Eine solche Selbstunterscheidung aber wird insofern nicht abstrakt vollzogen, als sie wieder auf andere Personen ausgerichtet ist oder sich der Beziehung zu ihnen sogar verdankt. Dieser Gedanke der metaphorischen Wirklichkeit von Personen könnte auf 1Kor 12 zurückgeführt werden, wo die Glieder der Gemeinde beschrieben werden als individuiert durch eine Fülle von Geistesgaben, deren jede auf alle anderen Gemeindeglieder ausgerichtet ist. So potenziert sich die leibliche Hingabe Jesu Christi im Leib Christi als Liebe im Sinne wechselseitiger Hingabe. Dabei wird deutlich, dass auch die Freiheit – eben die befreite und erlöste Vernunft – nicht eine Eigenschaft oder ein Vermögen der in sich selbst zentrierten Person ist. Die berühmten Überlegungen aus De servo arbitrio können hier kurz skizziert werden. Luther bestreitet nicht die Handlungsfreiheit. Ich kann – abgesehen von Zwang oder anderer Nötigung – zwischen Optionen wählen und danach handeln. So kann ich vor allem auch unterlassen, was ich eigentlich will, weil ich vernünftigerweise die Folgen meines Wollens nicht in Kauf nehmen will. Ich kann aber nicht darüber verfügen, was ich will. Die innerste Tendenz meines Wollens kann ich gerade nicht aus mir heraus ändern. Das ist die necessitas immutabilitatis, die Luther gegen Erasmus geltend macht.94 Insofern ist mein Wille immer schon bestimmt, es kommt nur darauf an, von wo. Dieser Struktur kann ich nicht entrinnen, denn auch wenn ich mich von meinen innersten Tendenzen distanziere, liegen solcher Distanz wieder andere, noch tiefere Willensstrebungen voraus. Als erwachsene Person bin ich diesem Spiel meiner Willensrichtungen nicht einfach ausgeliefert, aber auch meine Vernunft ist durch meine Geschichte bereits in der einen oder anderen Richtung ausgeprägt. Daher sind meine Entscheidungen umso weniger „frei“, je mehr sie mit mir selbst zu tun haben. Das ist aber höchstens auf den ersten Blick kontraintuitiv. Wenn Freiheit nicht mit Willkür verwechselt werden soll, ist eine bestimmte Ausrichtung des Willens unverzichtbar. Ich kann dann in gewissen Situationen nicht anders wollen und erfahre das auch nicht 94 Vgl. WA 18,634.

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als Zwang, obwohl mir keine andere Option offensteht. Diese oder jene Entscheidung hat mit mir zu tun. Im Kontrast dazu besteht die nicht erlöste, die sündig in sich verschlossene Person auf einem eigenen personalen Zentrum, das in der Regel durch die Vernunft und den freien Willen repräsentiert wird. Es dürfte klar sein, dass auch hier eine ökumenische Konfliktlinie verläuft. Denn in der Perspektive Luthers kann eine Entscheidung über Leben und Tod, die gläubige Annahme des Heilshandelns Gottes, nicht wieder in letzter Instanz eine freie Entscheidung sein. Das ist aber noch zu harmlos formuliert. Es ist gerade die Auswirkung der Sünde, die Vernunft zu verblenden in der Illusion einer zu allerletzt vernünftigen Entscheidung. Aus der Sicht des Glaubens wäre das als Karikatur zu beschreiben: Gerade die sündige Vernunft ist in besonderer Weise von woanders bestimmt, sie will aber genau das nicht akzeptieren und verhärtet sich in ihrer illusionären Zentralität. Luther kann bekanntlich so weit gehen, hier den Teufel am Werk zu sehen, nicht erst in der Disputatio (vgl. Th. 24), sondern schon in der berühmten Passage mit dem menschlichen Willen als Reittier, entweder von Gott oder vom Satan geritten.95 Die Illusion eines personalen Zentrums erweist sich jedenfalls als Zwangsvorstellung. Dann ist die Annahme absurd, die Vernunft könnte sich aus eigener Kraft von diesem Denkzwang befreien, denn sie ist damit verwachsen. Wäre Sünde eine bestimmbare Eigenschaft der menschlichen Person, so könnte sich diese Person von ihrer Sünde unterscheiden. Genau dadurch entsteht ein unheilvoller, verzerrt metaphorischer Zusammenhang. Die Verweigerung eines Lebens aus der Beziehung schafft ein universales Verhängnis. Die Selbstbezüglichkeit der Person als erstes und letztes Wort kommt ans Ende im Tod und verhindert vorher die personale Dynamik; dadurch ergeben sich aber sehr wohl personale Relationen. So wird aus der Distanzierung „meiner“ Person vom Handeln die Schuldzuweisung an andere. Das „Ich“ wird einerseits immer inhaltsleerer, die Relationen werden zu abstrakten und „unpersönlichen“ Systemen (vor allem als Rechts- und Wirtschaftssystem). Das Subjekt wird zum „Ding“. Es vollzieht sich in alledem eine unheimliche, unfreiwillige Metapher. Ich „vergegenständliche“ mich, ich schiebe meine Schuld auf andere Personen und „übertrage“ sie. Die Bedeutung von „Sünde“ ist hingegen erst getroffen, wenn es um meine „Sünde“ geht, um mich als unverwechselbar sündige Person. Solch eine radikale Selbsterkenntnis wäre tödlich, würde sie nicht umgriffen durch die Befreiung von der Sünde. Diese dramatische Zuspitzung ist die theologische Version der Unfähigkeit der Vernunft, sich selbst zu durchschauen, wie sie in der Disputatio de homine aufgezeigt wird. Die Radikalität 95 Vgl. WA 18,635.

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meiner Sünde wird mir deutlich in der Erkenntnis, dass Gott allein in Christus sie auf sich genommen hat. Diese Erkenntnis ist aber bereits Implikation einer neuen Personalität, in der ich von anderen her zur Person werde. Radikal ist das Bekenntnis, sobald ich nicht mehr über Sünde „im Allgemeinen“ räsoniere, sondern mit Ps 51,7b sage: „In Sünde hat mich meine Mutter empfangen“ – und das ist natürlich wieder eine metaphorische Rede, denn es geht ja nicht um den Zeugungsvorgang! Die Sünde ist gerade im Zusammenhang von Ps 51 nur im Gebet und durch den Geist Gottes zur Sprache zu bringen. In der römisch-katholischen Argumentation kommt es eben darauf an, dass der freie Wille der menschlichen Person – der sicherlich nicht im Sinne einer absoluten Autonomie aufgefasst wird! – die Gnade ablehnen oder annehmen kann, weil er ansonsten nicht innerlich am Gnadengeschehen beteiligt ist. Das ist eine durchaus bedenkenswerte Erwägung. Auf evangelischer Seite muss dazu ein Doppeltes bemerkt werden: Ich kann im Rahmen der soeben skizzierten metaphorischen Personalität sehr wohl beteiligt sein, vielleicht noch intensiver, weil ich mich nicht in abstrakter Weise distanziere. Sollte in der römischkatholischen Argumentation nicht doch der Gedanke mitspielen, die menschliche Person müsse verantwortlich gemacht werden für ihre Entscheidung, die Gnade anzunehmen oder abzulehnen? Dazu wäre dann eine freie Entscheidung wesentlich. Hier gleitet der Gedankengang gewissermaßen auf eine strafrechtliche Ebene ab: Dort kann ich nur zur Rechenschaft gezogen werden für ein Verhalten, das ich wenigstens teilweise unter Kontrolle habe. Der andere Gesichtspunkt verweist wieder auf die geschichtliche oder auch dramatische Version einer Befreiung oder Erlösung der Person. Der Übergang von der Sünde zur Gnade wird mir geschenkt, er umgreift gerade die Befreiung von der Zwangsvorstellung einer zentrierten Persönlichkeit. Kehren wir zur metaphorischen Wirklichkeit der Person zurück! Welche Rolle spielen dabei die Metaphern im engeren Sinne, also die herkömmlich als „uneigentlich“ bezeichneten Sprachfiguren, die im übertragenen Sinne zu verstehen sind und in der traditionellen Auffassung auch wieder in „eigentliche“ Rede übersetzt werden können? Wir haben schon auf Luthers Intuition verwiesen, dass solche Sprachfiguren im personalen Bereich wohl unverzichtbar und eben nicht ersetzbar sind, sondern die Wirklichkeit der Person treffen. Das lässt sich bereits demonstrieren an den Wörtern, mit denen wir das Problem zu benennen versuchen. Wir unterscheiden das „Innere“ von einem „Äußeren“, wir reden von einem „personalen Zentrum“. Damit sind ja keine internistischen Befunde gemeint. Mit den Wörtern beschreiben wir keine „Gegebenheiten“, sondern zeichnen die Spur einer Differenz nach, die sich nicht fixieren lässt. Wenn es zutrifft, dass die Person unauslotbar ist, dann sollte diese Differenz auch gar nicht fixiert werden – oder nur um den Preis, wieder in die Sünde zurückzu-

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fallen. Natürlich kann ich mich unterscheiden von den Vorgängen in meinem Leib, aber diese Unterscheidung vollziehe ich wieder auf eine leibliche Weise, es bedarf dazu mindestens gewisser neuronaler Prozesse. Eine solche Durchdringung der leiblichen Wirklichkeit und der Vernunft entspricht der biblischen Anthropologie in ihrer „Ganzheitlichkeit“, wo Differenzierungen stets durch den Kontext erfolgen. Das zeigen schon die Grundbegriffe wie leb, näfäsch und ruach. Wir nähern uns hier der Forderung Luthers in der Disputatio (vgl. Th. 15), die forma, also die Wesensstruktur der menschlichen Person, als Ineinander von Vernunft und Leiblichkeit zur Sprache zu bringen. Nun zeigt die Semantik der hebräischen Begriffe eine ausgeprägt metaphorische Struktur. Wenn wir das als Paradigma aufnehmen, gelangen wir zu der grundsätzlichen Angemessenheit der Metaphern im Bereich personaler Wirklichkeit. Das lässt sich im Anschluss an Eberhard Jüngel auch als metaphorische Wahrheit bezeichnen.96 Eine Person kann nicht im strengen Sinne beschrieben werden – dabei wäre eine Außenperspektive vorausgesetzt –, sie muss in ihrer Beziehung zu anderen Personen, in einer Bewegung zur Sprache kommen. Wenn allerdings diese Bewegung gerade die Wirklichkeit der Person ausmacht, liegt die personale Wirklichkeit in der Sprache. Das klingt erneut kontraintuitiv: Ich bin doch „mehr“ als meine sprachlichen Äußerungen, außerdem kann ich gelegentlich schweigen. Wenn diese Differenz jedoch mehr als eine abstrakte Negation sein soll, muss sie sich abermals in der Sprache abzeichnen. Meine unverwechselbaren und charakteristischen Züge zeichnen sich vielleicht in einem besonderen Personalstil ab, und mein Schweigen ist nur auf dem Hintergrund vorherigen und folgenden Redens signifikant. Die Durchdringung von Vernunft und Leiblichkeit geht aber noch weiter: Die Metaphern greifen in der Regel auf „äußere“ Wirklichkeit zurück, was sich schon in der räumlichen Übertragung von „innen“ und „außen“ auf die Person abzeichnet. Es ist auch kein Zufall, dass die Affekte als wesentliche Dimension der anima immer nur metaphorisch zur Sprache zu bringen sind. Ich selber kann sie nicht „von außen“ beschreiben und auch nicht einer anderen Person „zeigen“, ich kann sie nur zum Ausdruck bringen (und „Ausdruck“ ist wieder eine Metapher!) durch mehr oder weniger treffende Übertragungen. Dabei fällt ein weiterer wichtiger Zug auf: Wenn ich ein Gefühl zum Ausdruck bringe, verändert es sich sogleich. Es spielt sich also in der sprachlichen Bewegung zwischen anderen Personen und mir ab. Kann ich nun so etwas wie ein „eigentliches“ Gefühl von dieser Bewegung isolieren? Es mag „Grundgefühle“ geben, wie etwa Angst oder Freude. Dabei kann aber gefragt werden, ob es sich nicht wieder um Abstraktionen handelt. Ich 96 Vgl. Jüngel, Wahrheit, 103–157.

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erlebe meine Angst bestimmt anders als jede andere Person. Meine besondere Angst wird zu einer charakteristischen Erfahrung erst in der Sprache, die sich wesentlich auf ein Gegenüber ausrichtet. Die Wirklichkeit der Affekte ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, denn die Mitte der Person könnte auch hier angesetzt werden. Friedrich Schleiermacher definiert „Gefühl“ als „unmittelbares Selbstbewusstsein“, das der Vernunft noch vorgeordnet ist und die Einheit von Denken und Wollen stiftet.97 Zu dieser innersten Einheit der Person findet sich ein interessanter Exkurs, den Luther im Zusammenhang seiner Auslegung des Lobgesangs der Maria (Lk 1,46–55) vornimmt, und zwar anlässlich seiner Erörterung zum Wort „Seele“.98 Dazu verweist er auf die klassische Unterscheidung von Geist, Seele und Leib (1Thess 5,23), die er nochmals „quer“ differenziert in Geist und Fleisch. Denn alle drei Ebenen können „gut oder böse“ sein. Man beachte die dabei entstehende Ambivalenz des Begriffs „Geist“ als Bestimmung des ganzen Menschen oder als sein Innerstes. Letztere Nuance meint den Geist als höchsten, tiefsten, edelsten Teil des Menschen, sein Vermögen, unbegreifliche, unsichtbare, ewige Dinge zu begreifen. Kurz gesagt ist er das Haus, dem der Glaube und das Wort Gottes innewohnt. Luther verweist auf Ps 51,12: „Herr, schaffe in meinem Innersten einen rechten Geist“. Die Seele unterscheidet er nun vom Geist „funktional“: Sie ist ebenderselbe Geist nach der Natur, aber doch in einem anderen Werk, nämlich in dem, dass er den Leib lebendig macht und durch ihn wirkt, und wird oft in der Schrift als Leben verstanden, denn der Geist kann wohl ohne den Leib leben, aber der Leib lebt nicht ohne den Geist.99

Zur Seele gehört auch die Vernunft als Vermögen der Erkenntnis, das aber nicht die unbegreiflichen Dinge fassen kann. Sie bedarf der Erleuchtung durch den Geist, sonst verfällt sie dem Irrtum. Man kann vermuten, dass es Luther durchaus auf die Begrenzung der Vernunft ankommt, die auf den Geist angewiesen bleibt, der in seinem Innersten aus der Gottesbeziehung bestimmt ist. In diesem „Gefälle“ kommt dann schließlich auch der Leib in den Blick. Luther knüpft mit dieser „Hierarchie“ durchaus an mittelalterliche Modelle an.100 Es fällt allerdings auf, wie stark er die Einheit der Person hervorhebt. Es handelt sich jeweils um das ganze menschliche Geschöpf: Die Seele ist mit dem Geist identisch und wirkt sich leiblich aus, der Leib kann nicht ohne den Geist leben. Die Vernunft gehört zu den seelischen Vollzügen und wird durch ihre

97 Schleiermacher, Glaube, §§ 3–5. 98 Vgl. WA 7,550–552. Dazu findet sich eine überaus lehrreiche Auslegung bei Joest, Ontologie, 183–187. Ich habe Luthers etwas sperrigen frühneuhochdeutschen Text im Folgenden geglättet. 99 Vgl. ebd., 551. 100 Vgl. Joest, Ontologie, 148 ff.

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Funktion differenziert. Das erinnert wieder an die alttestamentliche Anthropologie – obwohl Luther zu den Raffinessen der hebräischen Grundwörter noch keinerlei Kenntnisse hatte. Es folgt nun aber ein anderes Bild, das mit der dreidimensionalen Einheit der Person in gewisser Spannung steht: Wie der mosa­ ische Tempel aus dem Vorhof ins Heiligste und zuletzt ins Allerheiligste führt, so sollen wir uns auch den Christenmenschen denken: Sein Geist ist sanctum sanctorum, Gottes Wohnung im finsteren Glauben ohne Licht, denn er glaubt, was er nicht sieht noch fühlt noch begreift. Seine Seele ist das sanctum, darin sind sieben Lichter, nämlich allerlei Verstand, Urteilskraft, Wissen und Erkenntnis der leiblichen sichtbaren Dinge. Sein Körper ist das atrium, für jeden offen, dass man sehen kann was er tut und wie er lebt.101

Hier wird das Innerste der Person als Geist bezeichnet, es handelt sich aber um eine Leerstelle, die von Gottes Gegenwart erfüllt wird. „Glaube“ ist keine menschliche Aktivität, sondern Gegenwart Gottes im Innersten. Nur wenn die Person hier passiv bleibt, können in der Seele Leib und Vernunft einander durchdringen. Aus diesem Grund ist es zunächst einleuchtend, wenn Schleiermacher die Mitte der Person im Gefühl, in den Affekten ansetzt, denn die sind in ausgezeichneter Weise passiv, ich erfahre mich selbst zunächst als „von anderswoher gesetzt“, noch bevor ich darüber aktiv nachdenken kann, noch vor allem Handeln. Zugleich sind die Affekte in (zuweilen aufdringlicher) Weise leiblich und führen uns immer wieder vor, wie schwer es ist, mit der Vernunft die Gefühle unter Kontrolle zu halten. Mit dem Modell, das Luther in der Magnificat-Auslegung skizziert, konvergiert die von Schleiermacher entworfene Struktur also in der Passivität der Person. Nur geht Luther noch einen Schritt weiter und setzt in die Mitte den Glauben, und zwar nicht als Gefühl, sondern eben als einen von Gott erfüllten Hohlraum. Der Geist ist heilig, weil er eben nur besteht in diesem bloßen reinen Glauben. Sobald die Person nun den Hohlraum aus eigener Kraft ausfüllen will, ist sie nicht länger Geist, sondern verfällt dem Fleisch.102 „Fleisch“ ist hier also keineswegs synonym mit „Leib“, vielmehr ist der aus sich heraus die eigene Einheit schaffende Sünder gerade in seinen geistigen Potenzen gemeint, insbesondere – und hier natürlich besonders gefährlich – in der Frömmigkeit. Wo denn der Geist hier nicht bewahrt wird und weise ist, so fällt er heraus und folgt, kommt auf die äußerlichen Werke und Weisen, meint damit fromm zu werden, und schon ist der Glaube verloren und der Geist tot für Gott.103 101 Vgl. WA 7,551. 102 Vgl. zu der sehr pointierten paulinischen Entgegensetzung von „Fleisch“ und „Geist“ Gal 3,1–5 und Joest, Ontologie, 199 f. 103 Vgl. WA 7,551.

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Umgekehrt können die Affekte durchaus vom „Geist“ durchdrungen sein – und das ist sicherlich der biblischen Rede vom Geist sehr angemessen, der ja bereits in seinen elementaren semantischen Nuancen mit bewegender Dynamik zu tun hat. Gerade diese Dynamik wird bei Luther aber stets durch das Wort geschaffen, das von Gott ausgeht. Die Affekte vereinen demnach Bewusstsein und die leibliche Wirklichkeit der Person – gerade hier wird erfahrbar, wie mein Selbstbewusstsein sich auch leibhaft ausprägt. So gehören die leiblichen Prozesse – angefangen von biologischen Abläufen bis hin zu neuronalen Netzen – zur personalen Wirklichkeit. Aber personal sind alle diese Vorgänge erst durch die Beziehung zu anderen Personen, und die ist sprachlich gestaltet. Natürlich gibt es in unserem Mienenspiel auch Relikte unserer tierischen Vergangenheit (etwa Drohgebärden oder das Lachen als Spielgesicht der Primaten), aber dabei stoßen wir nur auf das Rohmaterial, das wir unendlich vielfältig variieren können. Dabei sind diese Variationen natürlich immer noch in unsere leibliche Verfassung eingebettet, und doch zeichnet sich in der Vielfalt ab, wie wir uns von der biologischen Grundlage „emanzipieren“. Wird nun die Vernunft streng von den Affekten unterschieden, so existiert sie nur in der artifiziellen Gestalt der formalen Logik oder der software eines Rechners. Meine Freiheit erfahre ich nicht durch die Distanzierung, sondern durch das Spiel mit den leiblichen Bedingungen meiner personalen Existenz. Diese Ausführungen setzen letztlich die Sprache als Wirklichkeit sui generis voraus. Das ist eine Konsequenz der von Luther vielleicht entdeckten und jedenfalls hoch differenziert ausgearbeiteten Worttheologie, die in vielerlei Hinsicht den linguistic turn des 20. Jahrhunderts vorwegnimmt. Man könnte sich fragen, wie „vernünftig“ derartige Einsichten sind. Das Interesse an einer Unterscheidung zwischen Aussage und Wirklichkeit hängt zusammen mit der Möglichkeit, die Wahrheit einer solchen Behauptung zu überprüfen. Ist unter „Wirklichkeit“ nicht eine von der Sprache und vom Bewusstsein unabhängige Größe zu verstehen? Auch die Verfeinerungen der Transzendentalphilosophie führen nicht dazu, die Wirklichkeit ganz im Bewusstsein aufgehen zu lassen. Das ist bei genauerer Betrachtung auch nicht der Fall, wenn wir die Sprache als Wirklichkeit auffassen. Es sollte deutlich sein, dass hier durchaus Differenzierungen möglich sind, sogar Spannungen und Konflikte, in denen meine personale Wirklichkeit sich immer weiter ausprägt. Es ist allerdings naiv, von einer sprach- und bewusstseinsunabhängigen letzten Wirklichkeit der Person auszugehen. Dann fallen wir wieder zurück auf eine Ebene, wo „das Innere“ wie ein Ding betrachtet wird oder wo mein Geist „nichts anderes“ sein soll als die neuronalen Prozesse in meinem Gehirn. Es gibt eine „Alltagsontologie“, in der die Wirklichkeit aus Dingen und ihren Eigenschaften besteht, aber diese Sicht kann nicht auf die Person über-

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tragen werden und erweist sich wohl auch im Rahmen der neuesten Physik als untragbar. Hingegen wird die metaphorische Sprache zum Paradigma für die lebendige Sprache und somit für die lebendige Vernunft. Es könnte bereits eine Verengung sein, die Vernunft immer nur als ratio zu betrachten und die formal­logischen oder berechnenden Operationen als Idealgestalt zu betrachten. Der Zugang über die lebendige Sprache ist demgegenüber umfassender. Erneut zeichnet sich in der auf den ersten Blick „vernünftigen“ Frage nach einem „Ich“, das sich „hinter“ den leiblichen Prozessen befinden müsste, die Verengung ab, in die sich die Vernunft verstrickt, solange sie nicht vom Handeln Gottes befreit wird. Die Debatte um Dualismus und Monismus kann hier nicht ansatzweise nachgezeichnet werden, es könnte aber deutlich werden, wie aussichtslos jede Argumentation bleibt, die eine Wirklichkeit der Seele analog zur Wirklichkeit des Körpers begreifen will – und wie erbärmlich die Reduktion der Seele auf ein Epiphänomen körperlicher Vorgänge sein wird. Wenn demnach die Ontologie der Person komplex ist, weil ihr eine Innenspannung wesentlich ist, wenn sie zudem relational bleiben muss – was ist dann mit der Ontologie überhaupt? Denn personale Wirklichkeit ist nicht einfach abzublenden oder zu reduzieren auf die nicht-personale Wirklichkeit. Man könnte sogar sagen, dass die Suche nach einem „Ich-Zentrum“ eher dem Versuch entspringt, die personale Wirklichkeit der „Dingwelt“ einzuordnen. Das verrät schon die Rede von einem „Ich“. Der Schritt von einer harmlosen Formulierung in der ersten Person Singular – „ich trinke“ – zur Verwendung des Personalpronomens als Subjekt ist gleichsam der intellektuelle Sündenfall, und groteskerweise handelt es sich dabei um eine Metapher. Aus alledem kann zunächst eine bescheidene, aber doch weitreichende Konsequenz gezogen werden: Wenn die personale Wirklichkeit in ihrer sprachlichen Gestalt nicht reduziert werden kann auf die Ontologie der „Dinge“, dann ist letztere eben nur eine Ontologie unter anderen. Die Wirklichkeit der Dinge und die Wirklichkeit der Personen stehen zwar nicht beziehungslos nebeneinander, aber sie sind nicht in einer einzigen Wirklichkeit zu „vereinheitlichen“. Es ergibt sich erneut eine kontraintuitive Folgerung: Von „Wirklichkeit“ kann nicht im Singular die Rede sein. Die klassische (aristotelische) Ontologie ist nicht normativ, sondern das Ergebnis einer sinnvollen Einschränkung. Die Vernunft darf aber nicht vergessen, dass sie diese Einschränkung vorgenommen hat. Wenn sie hingegen realisiert, dass sie niemals eindimensional, sondern stets in komplementären Perspektiven zur Sprache kommt, könnte sie allerdings noch weiter gehen und Wirklichkeit als creatio continua zur Sprache bringen, indem sie neben der naturwissenschaftlichen noch andere Perspektiven ins Spiel bringt. Dazu gehört vor allem die teleologische Beschreibung, die im Rahmen naturwissenschaftlicher Theoriebildung ausgeschlossen ist, aber die Ganzheit der geschöpflichen

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Wirklichkeit in den Blick nimmt. Hier leuchtet nochmals auf, was Luther in der Disputatio (vgl. Th. 40) andeutet: Die Vernunft kann die Wirklichkeit erkennen, aber sie erkennt eben immer nur die von ihr rekonstruierte Wirklichkeit, also ein „Schemen“. Diese Vorwegnahme des transzendentalen Idealismus verweist darauf, dass die Schöpfung nicht in den Blick kommt, solange wir die Modelle der Naturwissenschaften mit „der“ Wirklichkeit verwechseln. Die gelassene Vernunft kann darauf verzichten, „die“ Einheit „der“ Wirklichkeit herzustellen – vielleicht gehört auch dieser Versuch zur sündigen Fixierung, unter der die Geschöpfe leiden (Röm 8,22). Das hat Luther bereits 1516 in seiner Auslegung von Röm 8 betont.104 Da die sündige Vernunft in allem nur sich selbst sucht, kann sie auch die geschöpfliche Wirklichkeit nur auf sich selbst beziehen, die Geschöpfe unter ihre Kontrolle bringen und letztlich vergewaltigen. Die befreite Vernunft hingegen freut sich an der Eigenständigkeit der Geschöpfe und nimmt darin die Transparenz der Schöpfung für den Schöpfer wahr. Wenn die Vernunft nicht mehr darauf angewiesen ist, die Wirklichkeit zur Synthese zu bringen, um die eigene Einheit zu sichern, kann die Ontologie flexibel werden.105 Damit ist keineswegs eine Negation der a-personalen „äußeren“ Wirklichkeit im Blick, vielmehr wird die Beziehung der Vernunft auf Wirklichkeit immer wieder andere Gestalten annehmen, so wie die Unterscheidung der Person von ihren Beziehungen und von der Sprache nicht geleugnet wird, auch wenn die Differenz nicht „subtraktiv“ als fixierte Trennlinie oder als ein abstraktes „Ich“-Zentrum vorgestellt wird. Ähnlich wie im Falle der personalen Identität die flüssige Bewegung zwischen den Personen die Identität nicht etwa zerfließen lässt, so wird auch außersprachliche Wirklichkeit nicht extrem idealistisch in die Erkenntnis aufgelöst. Umgekehrt wird der Versuch der Vernunft, sich von einer sprachlosen und vernunftlosen Wirklichkeit zu distanzieren, bereits auf den ersten Seiten der „Phänomenologie des Geistes“ in seiner Absurdität bloßgelegt. Das zeigt sich insbesondere an der Unterscheidung zwischen „Ding“ und „Eigenschaften“.106

3. Konfliktlinien Für das ökumenische Gespräch zeichnet sich auch hier eine Konfliktlinie ab. Denn die aristotelische Ontologie ist zumindest in der Enzyklika Fides et ratio von 1998 als Paradigma deutlich, vor allem im wiederholten Verweis auf die 104 Vgl. WA 56,355 ff. 105 Vgl. Maurer, Mensch, 183 ff. 106 Vgl. Hegel, Phänomenologie, 90 ff.

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herausragende Bedeutung des Thomas von Aquin und in der Forderung nach einer metaphysischen Grundlegung der Theologie.107 Damit ist aber insofern das letzte Wort nicht gesprochen, als eine Interpretation dieser Ontologie nicht zwangsläufig zu einer „Verdinglichung“ der Wirklichkeit führt. Es wäre vielmehr zu fragen, ob es nicht eine Pluralität der Bereiche gibt, in denen die aristotelischen Kategorien jeweils anders und eigentümlich anzuwenden sind. Die Sorge der Enzyklika richtet sich auf den drohenden Relativismus und indifferenten Pluralismus, der gerade in der sogenannten „Postmoderne“ unübersehbar wird.108 Nur führt die Weigerung der befreiten Vernunft, die Wirklichkeit ein für alle Mal in ihre letzten Elemente zu zerlegen, nicht in eine solche Beliebigkeit, wie auch die Grundidee einer Verwicklung von Sprache und Wirklichkeit für die Rede von der Wahrheit gerade nicht aufgegeben werden darf, wenn hier erhebliche Variationen zugelassen werden und doch signifikant bleiben sollen. Das zeigt sich gerade am Begriff „Einheit“: Hier denkt man vielleicht zunächst an die mathematische Einheit, etwa im Sinne eines Punktes. Was bedeutet „Einheit“ in der Physik? Hier wird der Begriff bestimmt im Zusammenhang von messbaren Größen. Noch komplexer ist natürlich die Einheit der menschlichen Person – und hier tritt erneut hervor, dass die Reduktion auf ein punktförmiges transzendentales Ich nicht mehr angemessen ist, weil es um eine lebendige Einheit geht. Die lebendige Person in ihrer Einheit umgreift doch gerade auch die leiblichen Vollzüge. Kann aber eine lebendige Einheit ohne die Relation zu ihrem Anderen sinnvoll zur Sprache kommen? Oder: Kann eine lebendige Einheit ohne eine Selbstunterscheidung gedacht werden? Das Problem spitzt sich letztlich in der Lehre von der göttlichen Dreieinigkeit zu. Die Einheit Gottes ist eine lebendige Einheit in der innertrinitarischen Differenzierung. Aus diesem Grund hat Augustinus – gegen Aristoteles – die Relation, bei Aristoteles ein Akzidens, und zwar als schwächste Kategorie, mit der Substanz auf eine Ebene gerückt.109 Ist es dann sinnvoll, auf der Einheit der Person im Sinne eines personalen Zentrums zu bestehen? Es wäre interessant, die Kategorie der Einheit in kontroverstheologischer Hinsicht weiter zu verfolgen. Folgt nicht auch die ekklesiologische Fassung der Einheit der Kirche auf römisch-katholischer Seite dem aristotelischen Modell bzw. dem Modell einer einheitlichen, in Stufen geordneten Wirklichkeit? Sofern die Einheit der Kirche auf evangelischer Seite eher im Sinne einer Vernetzung ohne Hierarchie begriffen wird, führt das natürlich auch zu Problemen im ökumenischen Dialog. Denn wie soll eine Einheit der Kirche über die Konfessionsgrenzen hinweg aussehen, wenn der Begriff „Einheit“ 107 Vgl. Johannes Paul II, „Fides et Ratio“, Nr. 43 f. u. ö.; Nr. 83. 108 Vgl. ebd., Nr. 5. 109 Augustinus, De trinitate, V.6.

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bereits kontrovers bestimmt wird? Auch hier ist das Anliegen auf der römischkatholischen Seite nachvollziehbar: Die Einheit des Leibes Christi darf nicht gefährdet werden, sie soll sichtbar zur Darstellung kommen.110 Die evangelische Frage lautet dann: Kann die Einheit des Leibes Christi nur in der Gestalt der institutionell verfassten Kirche dargestellt werden, oder käme nicht eine bewegte Einheit über Spannungen hinweg der lebendigen, von Gottes Geist geschaffenen Kirche in besonderer Weise zu? Dabei wird ja die institutionelle Gestalt ebenso wenig prinzipiell abgelehnt wie in der personalen Wirklichkeit die Sprache als objektive, immer schon gegebene Struktur beiseitegeschoben werden kann. Eine andere Kontroverse betrifft den Begriff „Wahrheit“. Wenn im aristotelischen Sinne „Wahrheit“ definiert wird als Korrespondenz von Satz und Wirklichkeit, so ist das zunächst plausibel, aber bei genauerer Betrachtung nicht ganz trivial. Was soll denn mit dieser Korrespondenz gemeint sein, wie kann ein sprachliches Gebilde mit der Wirklichkeit „übereinstimmen“? Das leuchtet ein, solange wir eine einheitliche Struktur der Realität annehmen und Sprache als System von Sätzen mit eindeutiger Bedeutung betrachten. Dann kann die Sprache die Wirklichkeit gleichsam „abbilden“. Man bemerke, dass die Rede von einer „Abbildung“ auch wieder metaphorisch ist, genau genommen sogar die Rede von einer „Übereinstimmung“. Die Fixierung des Nachdenkens über Sprache auf solch eine Abbildtheorie könnte zu den sündigen Zwangsvorstellungen der Vernunft gehören.111 Womit „korrespondieren“ die Sätze der Mathematik? Was für eine „Tätigkeit“ ist gemeint, wenn ich sage: „Ich denke“? Das Bild bricht demnach nicht erst zusammen, wenn wir von Metaphern ausgehen. Hier wird das Problem lediglich besonders aufdringlich: Wir gebrauchen sprachliche Figuren, die im übertragenen Sinne Wirklichkeit zur Sprache bringen, aber gerade nicht abbilden. Bei genauer Betrachtung ist es noch etwas verwickelter, denn wir übertragen Wörter und Wendungen in bildlicher Weise und bringen dabei zugleich die Differenz zum Ausdruck. Es wurde schon betont, dass die personale Wirklichkeit zwar in der Sprache aufgeht, sich aber doch auch davon unterscheiden kann. Nur kann die metaphorische Rede die Person nie beschreiben – wie es eine Aussage über die Eigenschaften einer Weinflasche kann. Allerdings kann gefragt werden nach der Unterscheidung zwischen angemessenen und unangemessenen Metaphern. Das mag eine Frage der Intuition sein. Vielleicht erschließt aber Luthers Überlegung 110 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, „Lumen Gentium“, Nr. 19 u. 23. Allerdings ist in Lumen Gentium 8 von einer komplexen Wirklichkeit die Rede, nach Analogie der Zwei-­Naturen-Lehre! 111 Genau das ist eine Grundeinsicht in der Spätphilosophie Ludwig Wittgensteins, wenn auch ohne die Tiefendimension der Sündenlehre. Vgl. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 225–580.

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zur christologischen Metapher einen Präzisionsstandard, der auch methodologisch auszuarbeiten ist. Hier liegt ja eine Zuspitzung der wechselseitigen Übertragung vor – eben der Personentausch –, in der sich die Geschichte Gottes mit den menschlichen Personen verdichtet. Von hier aus kann die personale Sprache weiter entfaltet werden, wie es oben am Beispiel von 1Kor 12 gezeigt wurde. Die metaphorische Sprache für die personale Wirklichkeit ist also zumindest kritisch zu überprüfen, sie gleitet nicht in eine beliebige Inflation von Gleichnissen ab. Zudem bleibt das Kriterium stets die Geschichte Gottes mit den menschlichen Geschöpfen, wie sie biblisch bezeugt ist. Die Metaphern müssen sich der narrativen Struktur der Person fügen. Hier könnte sich eine Konvergenz abzeichnen. Seit der Offenbarungskonstitution des II. Vaticanums wird der theologische Grundbegriff „Wort Gottes“ von der göttlichen Selbstoffenbarung her gedacht, also nicht mehr im Sinne von Aussagen, die dann der Korrespondenzwahrheit unterliegen müssen.112 Das sollte die unverzichtbare Funktion von Glaubensaussagen natürlich nicht tangieren. Auch auf evangelischer Seite bleibt die Aufgabe, das Verhältnis zwischen dogmatischen Formulierungen und lebendiger Glaubenssprache zu reflektieren. Luthers Betonung des wirksamen Wortes erlangt ihre Tiefenschärfe im Zusammenhang des narrativen und metaphorischen Redens, aber auch in dem forensischen Kontext eines Urteils, insbesondere des Freispruchs vom göttlichen Verdammungsurteil. Wenn Luther vom „Evangelium“ spricht, so meint er den Zuspruch der Sündenvergebung.113 Das kann durch den Verweis auf „performative Sprechakte“ im Sinne John Austins hervorgehoben werden, aber es werden gelegentlich solche Sprechakte gegen die Dogmatik ausgespielt, als habe der Glaube nichts zu bekennen. Das römisch-katholische Misstrauen gegen derart anti-dogmatische Ressentiments ist nur zu verständlich. Auf der anderen Seite hat Luther mit der Betonung des wirksamen Wortes den wichtigen Punkt getroffen, dass Sprache ins Zentrum der Person dringen kann: Ein Wort kann mich treffen und verwandeln. 112 Gleich der zweite Artikel der Konstitution Dei Verbum macht das deutlich (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, „Dei Verbum“, Nr. 2). Im weiteren Verlauf wird eine Schriftexegese gefordert, die auf die jeweils besondere literarische Form der Texte achtet, sie also gerade nicht als allgemeine „Wahrheiten“, sondern in ihrer einzigartigen geschichtlichen Situation liest (vgl. ebd., Nr. 12). Ähnlich interessante Ansätze weist auch das Nachsynodale Apostolische Schreiben Benedikts XVI. von 2010 auf, vgl. Benedikt XVI., „Verbum Domini“, Nr. 6, wo von Gott im Dialog die Rede ist. Vom „Wort“ muss analog gesprochen werden, daher ist der christliche Glaube keine Buchreligion (vgl. ebd., Nr. 7). Aus der göttlichen Selbst­offenbarung in Jesus Christus ergibt sich eine lebendige Überlieferung (vgl. ebd., Nr. 17 ff.). Wie verhält sich dazu die Auffassung von Wahrheit als Korrespondenz im engen Sinne? 113 Über die Grundzüge von Luthers Worttheologie informiert differenziert Körtner, Theologie, 75 ff.

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Wenn im Bereich der personalen Sprache die Metapher zum Paradigma wird, beleuchtet das auch die Gottesrede. Hier bricht das klassische Problem der Analogie auf: Es ist jedenfalls klar, dass von der Wirklichkeit Gottes nicht beschreibend geredet werden kann. Dann müssten wir Gott „von außen“ betrachten können, was natürlich absurd ist. Insofern ist klar, dass alle Begriffe auf Gott nur analog bezogen werden können. Die christologische Metapher im Sinne Luthers gibt hier einen interessanten Hinweis: „Gerechtigkeit“ ist eines der fundamentalen Prädikate Gottes. Wenn die im Glauben gerechte menschliche Person in die Wirklichkeit Jesu Christi verwickelt ist, dann kommt die Gerechtigkeit Gottes an ihr Ziel. Die analoge Rede vom gerechten Gott geht hingegen von der Definition aus, wie sie in der philosophischen Tradition geläufig ist – suum cuique – und sieht zunächst den strafenden oder belohnenden und darin gerechten Gott. Demgegenüber betont Luther die Mitteilung der Gerechtigkeit an die sündige Person, die natürlich auch mit einer dramatischen Verwandlung auf der menschlichen Seite einhergeht, sie aber nicht voraussetzt, sondern freisetzt. So setzt Gott auf schöpferische Weise seine Gerechtigkeit durch (darin besteht bekanntlich Luthers Schlüsseleinsicht). Was hier mit dem Prädikat „Gerechtigkeit“ durchgespielt wurde, kann auch auf die anderen „Eigenschaften Gottes“ (das Wort ist natürlich aus den erörterten Gründen ungeschickt) übertragen werden. Es handelt sich um analoge sprachliche Gebilde, die als Metaphern ihre Bedeutung in der Erzählung der Heilsgeschichte erlangen. Diese heilsgeschichtliche Ausrichtung prägt inzwischen auch die römisch-katholische Lehre. Damit wäre die analogia entis zu vertiefen durch das Ineinander von göttlicher und menschlicher Freiheit, wobei gerade in dieser verwickelten Geschichte die prinzipielle Differenz zwischen göttlicher und menschlicher Wirklichkeit hervortreten müsste.114 Dabei bricht die Frage auf, ob nun doch wieder göttliche und menschliche Freiheit einander gegenüberstehen115 – oder ob hier nicht gerade nach dem Modell der christologischen Metapher der unendliche Unterschied zwischen Gott und dem Geschöpf innerhalb der dramatischen Konfliktgeschichte aufbricht und verwandelt wird. Insgesamt bleibt es aber vorläufig beim Konflikt um die Vernunft. So beharrt noch die Offenbarungskonstitution auf der Erkenntnis Gottes aus der Schöpfung mit dem „natürlichen Licht der Vernunft“ – im Anschluss an das I. Vati-

114 Vgl. Striet, Geheimnis, passim. Striet vertritt allerdings im Anschluss an Thomas von Aquin die These, der Glaube dürfe nicht in Widerstreit geraten zu dem, „was die menschliche ratio als vernünftig einzusehen vermag – eine bis heute bleibend gültige Einsicht“ (ebd., 83). 115 Diese Frage wäre an Striet zu richten (vgl. ebd., 196), der übrigens die menschliche Freiheit sehr stark orientiert an der von Luther gerade problematisierten abstrakten Vernunftautonomie.

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canum.116 Immerhin differenziert der Text zwischen der Vernunft an sich und der gegenwärtigen Lage der Menschengeschlechter. Hier scheint die Vorstellung einer stufenweisen Annäherung vorzuliegen. Schwierig ist allerdings der Bezug auf Röm 1,20. Denn im paulinischen Zusammenhang ist die Möglichkeit der Gotteserkenntnis der Hintergrund für die unentschuldbare Sünde des Götzendienstes als Verwechslung Gottes mit den Geschöpfen. Paulus beschreibt die Gotteserkenntnis aus der Schöpfung durch die Vernunft der Sache nach als Irrealis, um die Perversion der Vernunft hervorzuheben. Damit hängt aber die letztlich unterschiedliche Einschätzung der Vernunft zusammen. Kann der Glaube sich in Harmonie auf das beziehen, was menschliche Vernunft einzusehen vermag117 – oder muss er nicht in einen produktiven Streit mit der Vernunft treten? Was verstehen wir unter Vernunft? Der Begriff wird im römisch-katholischen Kontext univok gebraucht, als liege hier ein eindeutig definierter Begriff vor. Wenn aber Luther den Punkt getroffen hat, dann ist die Vernunft in der Sünde gefangen und auf die Befreiung durch den Heiligen Geist angewiesen – vor allem ist die befreite Vernunft dann eine andere als die geknechtete ratio. Der Glaube kann die Vernunft provozieren, er wird sie gerade dadurch erweitern und in ihr Wesen bringen. Dann ist aber die Fixierung auf einen Vernunftbegriff, der sich wieder an scharf definierten Begriffen und an berechenbaren Syllogismen orientiert, ein Rückschritt. Umgekehrt ist evangelische Theologie verpflichtet, die innere Rationalität der befreiten Vernunft sichtbar zu machen.

116 Zweites Vatikanisches Konzil, „Dei Verbum“, Nr. 6, vgl. auch Johannes Paul II., „Fides et Ratio“, Nr. 22, wo davon die Rede ist, die Augen des Verstandes könnten durch die Schöpfung zur Erkenntnis Gottes gelangen. In ausdrücklicher Bezugnahme auf Röm 1,20 wird betont, der Schöpfer lasse die Vernunft durch seine Geschöpfe seine Macht und seine Gottheit erahnen. 117 Das wird in „Fides et Ratio“, Nr. 34 explizit abgelehnt. Die Wahrheit ist eine, daher gilt auch das Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs.

3. The Perplexity and Complexity of Sinful and Redeemed Reason

Introduction In this essay I will explicate the distinction between sinful and redeemed reason in a perspective inspired by Martin Luther and his Disputatio de homine (1536)118. Furthermore, I will concentrate on structural problems of reason that went undiscovered until the twentieth century (although they may have been implicit in much philosophical reflection). My fundamental thesis may be summarized as follows: Reason is unable to define itself and at the same time is always in the temptation to define itself, with far-reaching consequences. Redemption changes not the structure but rather the perspective: The limits of reason are discovered as creative potential; reason is liberated from self-definition and defined by faith – a peculiar definition that provokes the proliferation of fides quaerens intellectum, of faith seeking understanding, exactly by avoiding clear-cut criteria. The conflict between faith and reason is a Pauline motif, explicit in such difficult passages as Rom 1:18 ff. and 1Cor 1:18–2:16. The passages are difficult because there is no simple confrontation. Human wisdom may be stultified by divine wisdom (1Cor 1:20), but there is a story in the background. The stultification is a reaction – a creative reaction, of course! – to the human presumption of knowledge, including knowledge of divine reality. And God’s creative reaction liberates the human person, including reason. That is why we can talk about such a liberation. We should not forget, however, that this is deeply mysterious: Given the fact that human persons are fallen, even the use of language must be impregnated by sin. Granted that the divine Spirit has liberated us and revealed the divine mystery to us – the depths of God (1Cor 2:10 ff.) – it is nevertheless not self-evident that we communicate this to anybody else. The communication of faith is mysterious, although the forms of language and thought remain human. Indeed, Paul uses argumentative patterns, Stoic insights, and the like in order to communicate the mystery of divine grace. The conclusion must be that language and reason are ambiguous, since there are no clear criteria for the difference between sinful reason and reason informed by faith. 118 Luther, Disputation Concerning Man, 135–144.

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The situation seems to be even more complicated because the term “reason” is not clear even from a philosophical point of view. Recent philosophy of science has intensified some fundamental conflicts implied in the traditional account of human reason. On the one hand, there has been a tendency toward conceptual precision that would have been unimaginable in former centuries. Such precision has to do with the consequent and exclusive application of mathematical tools. Early analytical philosophy played this off against “merely” metaphorical and ultimately senseless philosophical discourse – in the name of an “ideal language,” the isomorphic picture of the ultimate structure of the world. But the same Ludwig Wittgenstein who proclaimed this self-purification of language was finally attracted by the self-evidence of ordinary language and its open-ended variety of language games. The criteria for “ideal language” are too narrow – but the variety of language games may be too wide. What is valid for language (and language is certainly an important aspect of ratio) seems to be true for the definition of reason in general: Science monopolizes the definition of reason at the expense of neglecting all nonmathematical precision – which has to do with the inflationary technical applicability of mathematically designed theoretical structures. But there are spheres of reality that resist quantification. Is it impossible, then, to articulate theories concerning these spheres? Is it impossible to talk about art or feelings or values reasonably – that is, in more than subjective or downright irrational utterances? Once more, the modern self-clarification of reason seems to be caught between “not enough” and “too much.” Such an unsatisfactory situation follows mainly from reason’s modern usurpation of ultimate authority. Finally, the reflexive move whereby clarification of reason can be expected only by pure reason leads to antinomies that corrode, or at least threaten, the foundations of modern scientific rationality. This rather ambivalent result of recent philosophy of science will be sketched in Part I. Interestingly, self-clarification of reason is the point in Luther’s dialectical assessment of ratio: Reason is almost divine, at least within creation, but is unable to know adequately its own exceptional position. Consequently, there is no reliable human self-knowledge available to philosophy.119 This strong conclusion results from the philosophical definition: If the human person is essentially animal rationale, a living being endowed with reason, reason and humanity are not simply the same but are closely connected. Reason’s self-assessment is – or rather, should be – a necessary condition for human self-knowledge. And the disastrous tendency to confuse a necessary condition with a sufficient condition 119 Cf. ibid., 137 (theses 8.10 f.): “Reason is a sun and a kind of god appointed to administer these things in this life. In spite of the fact that it is of such majesty, it does not know itself a priori, but only a posteriori. Therefore, if philosophy or reason itself is compared with theology, it will appear that we know almost nothing about man.”

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narrows the horizon. Such a negative balance, however, is not the last word. What about the positive aspect that reason is indeed almost divine? The theological assessment of reason must take into account that ratio is excellent only within the context of creation and in strict relation to divine wisdom. Reason must reflect that it has been given to human persons. Ratio is not simply at our disposal – which is certainly a limitation, because we cannot fathom our own essential capacity. But if reason turns out to be inexhaustible by reasonable thought, this might indicate the depth of human personality – a reflection that we have been created in the image of God. Surprisingly, the limitations of reasonable self-clarification become transparent for the dramatic story going on between God and human persons. However, there is no simple harmony. Human wisdom is deeply involved in the divine struggle with human presumption. Therefore, the perplexities of reasonable self-clarification are symptomatic of human arrogance – but the same perplexities may be transfigured as soon as they are seen in the light of divine wisdom. Perplexity is transformed into complexity. This “change of aspects” is demonstrated in Part II. Such a change implies that there is no subtractive distinction between sinful and redeemed (aspects of) reason. Rather, reason as a fundamental and essential feature of human personality as a whole participates in sinful and redeemed existence. Tertium non datur – if there is no neutral position in the divine struggle with human presumption, it is not convincing to exempt just ratio as differentia essentialis from this struggle.

1. Perplexity Reason is unable to define itself and at the same time is always in the temptation to define itself, with far-reaching consequences. This is what I call “perplexity.” There are some fundamental structures of reason in which the intellectual grasp of the truth seemingly reaches its peak – and collapses. I use the phrase “fundamental structures” in a quite innocent way. Any analysis of human rationality has to cope with the foundations of mathematics, regardless of ontological decisions. Sometimes the structures of reason seem to correspond to equally fundamental structures of reality. If my desk is gray, I can easily distinguish the desk from its color by imagining this desk painted orange with dark brown stripes. The statement “This desk is gray” corresponds structurally to my gray desk. But this will not be the case with a lot of other statements, including physical laws. What about “Force equals mass multiplied by acceleration”? Or, still more difficult, “Acceleration equals distance divided by the square of time”? What is “the reality” that corresponds to “t2”? However, the idea of an ideal language that corresponds precisely to “what is the case” cannot be discussed in the present

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context. In my view, Wittgenstein’s Tractatus logico-philosophicus produces more problems than it solves. (And here I am in perfect agreement with Wittgenstein himself.) Nevertheless, there is one quite interesting point. Reason – at least since Kant, and certainly in the twentieth century – tends to identify the ontological structure of reality with mathematical regularities. Reality is reduced to what may be reconstructed mathematically. But in that case the structural problems in the foundations of mathematics gain some ontological weight.120 1.1 Infinity There are different concepts of infinity – at least two, and possibly more. The most important distinction has been discovered by Georg Cantor: Given any set of elements, we can take certain elements from such a set in order to define partial sets (Teilmengen). The set of these partial sets will always contain more elements than the original set. A set with three elements contains eight partial sets. A simple example would be the set of three elements {1,2,3}. The set of partial sets (Potenzmenge) contains the following sets: {1}, {2}, {3}, {1,2}, {1,3}, {2,3}, {1,2,3}, and {} (leere Menge). It is intuitively clear that every set containing n elements at the same time contains pairs, triples, …, (n-1)-tuples of elements, and one n-tuple (the set itself). Cantor’s proof demonstrates that this relation is generally true; consequently, it is valid for sets with an infinite number of elements, which may be counted by a progressus ad infinitum. The common example is the set of natural numbers {1,2,3,4, …}. By reductio ad absurdum, we can assume a set that contains the same number of elements as the set of its partial sets. In this case, there will be a “mapping,” or “projection,” between the elements of the set S and the elements of the Potenzmenge. There will be a special set S0 of all the elements of S that are mapped to certain partial sets that do not contain those elements. In our simple set {1,2,3} above, one such mapping would be {1} to {2,3}. We will soon discover that it is impossible to count all the elements of the Potenzmenge with only the elements 1, 2, 3. We can count the pairs of elements and get the special set S0: {1} to {2,3}, {2} to {1,3}, {3} to {1,2}. But there are simply not enough elements to count all the partial sets. Nevertheless, in the case of an infinite set, there should be no problem. We may assume that the stock is big enough. There should always be a natural number mapped to any partial set. Consequently, we may assume that there are natural numbers mapped to partial sets that do not contain those natural numbers, and other natural numbers mapped to partial sets that do con120 I use the term “ontology” in the rather technical sense suggested by Willard V. O. Quine. See, e. g., Quine, Ontological Relativity.

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tain those numbers (which is no problem). The former set S0 is one of the partial sets. But what about the number of S0? Does it belong to S0? In this case, the number is per definition mapped to a partial set that does not contain the number. In other words, it does not belong to S0. But that is the definition of S0! The number is an element of S0 just because it does not belong to S0. This inconsis­ tency demonstrates that it is principally impossible to count the partial sets of a set containing an infinite number of elements by mapping the partial sets to the elements. In such cases, the number of partial sets must be “more than infinite” or, more precisely, infinite in a non-countable way. This is already counterintuitive: There are different levels of infinity. But then a severe argument arises, which is not only counterintuitive but, again, simply inconsistent. The set of all sets must contain all its partial sets. This set of all the partial sets of the set of all sets must contain more elements than the set of all sets. This statement is inconsistent.121 It is notable that this problem arises not in the context of philosophical reasoning but on purely mathematical grounds. Set theory is one of the most fundamental structures in mathematics. Obviously, the fundamental mathematical structure is open to logical consequences that are quite undesirable. Moreover, there have been more discoveries of that kind, especially the famous set of all sets that are not self-containing, which contains itself precisely because it does not contain itself, and vice versa. The discovery of that set by Bertrand Russell was shocking because it destroyed all attempts to lay a foundation of mathematics by reduction to logical and set-theoretical axioms.122 The reaction to those undesired discoveries was mainly characterized by reductionist decisions. Usually, infinity is reduced to the progressus or regressus ad infinitum in order to avoid antinomies. I call this a decision because there is no strict mathematical reason for such a reduction. On the other hand, this decision has been not freely taken but rather dictated by anxiety. For most mathe­maticians and scientists, mathematics is fascinating because of its crystalline hardness and reliability. The crystalline structure has to be preserved in any case, even if there are philosophically and theologically more interesting alternatives. The relation between antinomies and contradiction is quite fascinating in a peculiar perspective. An antinomy is not the same as a contradiction; rather, it is a very precise argumentation. Why should we avoid it? The reduction of mathematical structures to countable (and computable) patterns may expose a perverse self-definition of reason, even a self-determination to mere technical rationality. The question is, rather, are there significant antinomies, and are they representative of just those features of reason that cannot be simu­lated by a computer? Interestingly, 121 Cf. Stegmüller/Varga von Kibéd, Probleme und Resultate, 40 ff. 122 Cf. Torrance, Auditus Fidei, 48.

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the logical and set-theoretical antinomies are mocking our aseitas! Most of them have to do with self-reference and with the attempt to achieve a certain closure or conclusiveness. They have not been intended as – and they disturb mathematical and logical attempts to establish – an ultimate foundation of precise thought. The fascinating point is that the ultimate foundation of precise thought is closely linked to antinomies that prevent such a closure. There are different conclusions from this insight. We may conclude that it is absurd to talk about any ultimate foundation of thought. We may also conclude that there must be something beyond thought, which cannot be explicated. And we may conclude that any explication of the “beyond” will require more than just logically structured language, that is, significant antinomies. (Note that all these “conclusions” are not conclusions in a strong sense of the word, because this would already require an ultimate calculus that cannot be established because of the antinomies.) In a theological perspective, there emerges a description of sinful reason that refuses the confrontation with surprising features of its own reasoning. This is perverse because reason follows an idea of consequence that narrows (or strangulates) its own possibilities. 1.2 Unity Scientific unity tends to reductionism in the sense of physicalism. Since all processes we can observe presuppose physical change, there is nothing more than physical change, and all other reality is only emergent. The self-refuting structure of such a reductionism has been demonstrated by Hilary Putnam: There is always a cut between the observer and the system observed. This cut forces us to give up “the dream of a description of physical reality as it is apart from observers, a description which is objective in the sense of being ‘from no particular point of view.’”123 Putnam ironically characterizes this (absurd) point of view as the “God’s Eye View.” Of course, no scientist expects to reach the ideal of impersonal knowledge in practice. But that there should be principled difficulties with the ideal itself – that it should turn out that we can no longer visualize what it would mean to attain the ideal – this is a fact which constitutes for us, constituted as we are, the most profound of paradoxes.124

The God’s Eye View is inconsistent, because it must include the relation between observer and physical reality. This relation must be analyzed as physical structure, for example, reduced to neural patterns. As ideal theory, the final theory 123 Putnam, Realism, 11. 124 Ibid., 17 f.

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must at the same time describe the structure of the world and give an epistemological analysis of that description. This may be difficult, but possible, as long as we accept different theories that may be related to one another in a meta-theoretical way. But the final theory must be unified in the sense that it is identical with its own meta-theory. This may be possible if all the propositions can be read in at least a double way (note that this is a piece of science fiction theory). But then the theory describes more than reality. In a certain way, we have repeated Cantor’s argument and presupposed a theory that contains more than itself. If the supposition of an all-encompassing, consistent, and objective theory is inconsistent, we may conclude that “objectivity” and “consistency” are not objective in a way that may be operationalized mechanically. Objectivity and consistency are values, and exactly as values, they are not specifiable in nonpersonal terms. Scientific rationality, then, is self-consuming as soon as it is reduced to nonpersonal structures. And at the same time, such a reduction of rationality tends to be a rational denial of rationality. A merely physical description of intellectual “functions” will of course deny all nonphysical features of reason in a trivial way. Such reductionism as rational denial of rationality is a genuine antinomy. Again, we may ask for a certain philosophical or theological – at any rate, existential – dimension of such a decision. Again, there may be a certain anxiety, because value-talk will never be as precise as any physical theory. The interesting question, however, is whether such a lack of precision in the mathematical sense is necessarily a disadvantage. Why should personal talk be unambiguous? We come to a point comparable to the one before: It might be possible to enjoy certain lacks of precision as soon as we discover that such “imprecision” is creative and fruitful. There may be significant antinomies and there may be significant ambiguities (Doppeldeutigkeiten) in semantics (and, of course, nonsignificant inconsistencies due to our failure to do better). There are at least two possible reactions: anxiety or pleasure. With words like “anxiety” and “pleasure,” I do not intend any existential interpretation. Nevertheless, such words can be helpful in underscoring that at the core of rationality there are decisions that are not the result of rational operations. None of the options is compelling or necessary. There are fundamental decisions, but we do not “make” these decisions, although we may identify ourselves with one of the options. This has to do with the affective orientation of the mind. What transcends mere rationality is marked by terms like “intuition” or “disposition,” but both surprisingly converge with our affective life (see below). Therefore, the decision is not a deliberative choice. There are no striking arguments for taking one way or the other. One way is too narrow; the other way seems too wide. (Note that the theological description is exactly the reverse, because few scientists choose the wide way.) There is an inclination rather to

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accept the narrow way of reductionism.125 And this is symptomatic of sinful reason: Both problems – “bad infinity” in the rather boring sense of progressus ad infinitum and reductive unity in the shape of physicalism – emerge from reason’s attempt at ultimate self-constitution. To be precise: The sinful feature is closely connected with claiming ultimacy, replacing the Creator with a created faculty. Reason’s attempt at ultimate self-constitution is provoked by the seemingly embarrassing complexity of the human person that has always been observed: Even if we manage to give a clear definition of “soul” over against “body,” the soul as principle of life “contains” emotions and other capacities (Seelenvermögen). We share some of these emotions with animals. But there may be “higher” emotions, for example, courage. In any case, they have to be governed by ratio. But even ratio is a manifold structure. According to Kant’s distinctions, Verstand is the capacity of logical operations and clear-cut concepts that give structure to the stream of sense-data. This stream has already been ordered by the “pure forms of intuition” (Anschauungsformen), which are not dependent on sensedata: space and time. Mathematical forms and logically connected concepts structured by the pattern of the categories are described as software that processes the sensual input. This function perhaps summarizes the genuine meaning of ratio (mathematical reasoning as a characteristic feature of human persons) and clearly exposes the limitations of mere rationality in comparison with Vernunft. For Kant, this term implies more, especially the ability to anticipate a synthesis by intuition. Again, the ultimate foundations of reasoning – the fundamental unity of my thought as well as the last level of independent reality – escape from the structure of ratio. On the other hand, it is the same mind that is able to impose mathematical structures on the sense-data and that transcends such operations, possibly transcending human existence as spirit. Therefore, all these distinctions are possible and even plausible, but they are not clear-cut. The problematic difference between Verstand and Vernunft anticipates the modern problems with infinity and unity. Axioms have to be grasped by the mind 125 For a more detailed account, see Griffiths, Reasoning. Griffiths argues that the foundations of reasoning are not as self-evident as we tend to assume. This is valid especially for the ontological framework of our arguments, which has to be learned and therefore is a result of adequate catechesis. There is an additional complication, because “the nature and extent of the catechetically-produced convictions that inform a particular judgment about a matter of theory […] ought not to be systematically and deliberately obscured in argument for the truth of that judgment” (ibid., 151). But reason’s seemingly self-disciplined restriction to a mathematically clear ontology exactly obscures its own status as a conviction by claiming self-evidence that even gives conviction-independent criteria for evidence. See Torrance, Auditus Fidei, 48: “Even in the most exact sciences, reason necessarily assumes a series of suppositions and assumptions taken on faith, as these include memory, testimony, the collective testimony of the scientific community – and we might also include non-demon­strable heuristic intuitions, […] subliminal awareness and the like.”

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(Vernunft). This would then lead to an integration of the anima rationalis “topdown.” But mathematical and logical operations as characteristic features of ratio have a tendency to “run away.” At the same time, there must be an integration of scientific knowledge “bottom-up.” Interestingly, scientific rationality (Verstand) stresses the material substrate of knowledge, thus undermining personal unity top-down. The problems are complementary, and both have to do with reflection and self-reference in a strong sense: Reason seeks to determine itself and to overcome its own internal complexity. In order to create a clear arrangement, there must be an integration either top-down or bottom-up. In a more recent staging, we would have to decide whether we want to be compared to computer programs (“artificial intelligence”) or to natural but nonpersonal phenomena like clouds and tornados. As I mentioned before, the problem has to do with the claim for ultimate foundations, which of course must be unequivocal, because otherwise they are not rational. But then the problem might – in a theological perspective – be solved by simply accepting the difference-in-unity between Verstand and Vernunft as well as between body and soul. Why should we expect the ultimate synthesis? Reason may accept its own unfathomableness and enjoy the possibility of ever new discoveries between logical discipline and “bodily” sensitivity. There is no strict argument to refute such a relaxed attitude that receives one’s own personal unity rather than actively constituting such a unity by reduction. And yet there emerges a strong tendency to establish personal unity once and for all. Both models of unequivocal integration, however, ironically produce patterns of argument that are undesirable. Reason either mechanizes reasoning to the effect that antinomies surprisingly “personalize” the mathematical framework or its quest for controlling reality turns out to be a quite strong decision that tends to negate the possibility of decisions. The two strategies seem to be complementary, but there is no perspective within reason that discloses a synthesis. Self-defining reason reaches its peak – and unwillingly produces an abundance of antinomies. This may already be a hint to the second part of my fundamental thesis: Redemption of reason will change not the structure of reason but rather the estimation of the collapse. Redeemed reason will appreciate and even enjoy its own complexity and unfathomableness as creature. However, there are still two more aspects of sinful reasoning that exclude human persons from this joy. 1.3 Abstraction One of the fundamental features of sinful reasoning is omnipresent comparison. Why does the intellect always compare? It has to do with abstraction, which is possible only by comparison and intuition. Prima vista, there are no concepts without abstraction, because clear-cut concepts presuppose genus-species rela-

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tionships in the strict (set-theoretical) sense. The most simple sets are defined by common attributes for all elements of a special set. Of course, scientific concepts are much more complicated. But they are complicated because they try to avoid intuition. Therefore, all qualities are reduced to comparable quantities. This is another version of reductionism (see above). The new aspect is the quest for general, or universal, features. The price for generalization by way of abstraction is an impoverishment of language. This will be evident as soon as we try to analyze metaphorical language. Traditionally, the metaphor is just a rhetorical variation that can in principle be eliminated by propositional language. (In the background there is the ideal of a unified propositional description of all reality.) But there are theories of meta­ phorical language that stress the semantic surplus as the most interesting feature of metaphorical language. My locus classicus may be found in a theological text in which Luther discusses the impossible reduction of successful metaphors to ordinary propositional talk. This passage in the Antilatomus (1521)126 ends with a heavy christological accent: According to 2Cor 5, our sins are transferred to Christ, who is without sin and was made sin for us. This translatio as metapherein is the fundamental metaphor. However, I will not discuss the christological significance of this passage but rather will concentrate on the philosophical content of Luther’s argument, which may be read as piece of linguistic reflection done by a matchless translator. A quite instructive example is the Hebrew word shinnantam in Deut 6:7. The Hebrew root shnn has to do with sharpening. A very literal translation reads as follows: “You shall sharpen [these words] to your children.” “You shall impress these words upon your children” certainly sounds better. Interestingly, we have to replace one metaphor with another. This is not necessary in German, where the word einschärfen is as adequate as the Latin acuere. Of course, such a phrase is metaphorical, because words cannot be sharpened in any literal sense as can a sword or a knife. Moreover, we cannot sharpen words to someone or even into someone’s mind. If we try to explain the metaphor in nonmetaphorical language, we must say, “You shall speak these words to your children again and again, so that they will internalize the meaning of these words and become obedient and wise.” (Note that at least “internalize” is still a metaphor.) In this version, the analogy between sharpening a sword by repeating a certain action and sharpening the mind by repeating a certain exercise has been eliminated. Luther’s point is that this elimination is a loss. The nonmetaphorical version is by no means more precise. Therefore, Luther has greater confidence in the metaphor, which is more

126 Luther, Against Latomus, 195 ff. (WA 8, 83 ff.).

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gracious and perhaps the only adequate expression.127 The metaphor provides a collection and concentration of several aspects that may be explicated – “narration,” “repetition,” “insight,” “judgment” – but understanding the metaphor requires a kind of multidimensional perception, comparable to a three- or fourpart composition in which the polyphony cannot be reduced to the single parts. Luther concludes that it is inadequate to split up the different aspects and translate the same word differently in different contexts. This may be unavoidable in some cases, but it is preferable to collect the different aspects in a single word, so that the different contexts provide semantic variety and at the same time are connected with each other.128 The task is to find the starting point for variation: a “simple signification” that must not be confounded with a nonmeta­phorical meaning but rather will be the most vivid and expressive paradigm for the use of the word. Irreducible metaphors may be interpreted by a chain of analogies that starts with the most simple use of the word (significatio simplex). This consideration reminds me of Wittgenstein’s famous “family resem­ blances.”129 There are words that cannot be defined but nevertheless work well in ordinary language. Actually, most words in ordinary language cannot be defined in a precise way. They get their semantic profiles exactly from chains of overlapping applications to similar situations, starting with self-evident paradigms. Analogy is thus omnipresent in ordinary language. And Luther’s point is that many biblical texts would lose their significance if metaphors were replaced by the “adequate” word with a “proper” meaning, because precisely the analogical relations are (part of) the meaning. He seems to interpret metaphorical language as a special and rather creative case of analogical application of words that discloses surprising horizons of comparison. Such surprise may exhibit essential features of reality. Luther’s insight has inspired Eberhard Jüngel, who supposes that metaphors are genuine language, whereas precise concepts are secondary – an inversion of the traditional view.130 Of course, it is quite difficult to explicate the semantic content of a metaphor, but it is equally difficult to deny that there is such a content if we presuppose that there are parts of reality that must be “seen-as …” or “seen-in-comparison-with …” in order to be seen adequately. This may not be true for pencils and keys, but it is 127 Cf. ibid., 197: “[…] that the first meaning is the more agreeable, and perhaps the only one.” (WA 8, 85: “[…] ut gratiori significationi et fortasse soli.” ) 128 Cf. ibid., 199: “Is it right to make so many terms out of one when you can combine all, or most, into a single meaning and simply vary the figurative uses?” (WA 8, 86: “[…] iustum autemne est tot vocabula ex uno multiplicare, cum possis vel omnia vel plurima in unum significatum colligere et figuris solis variare?”) 129 Cf. Wittgenstein, Philosophical Investigations, § 66 f. 130 Cf. Jüngel, Metaphorical Truth, 16–71.

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certainly true for our “inner life.” If a human person is successfully characterized metaphorically, such a metaphor will have a semantic content that, of course, cannot be grasped intentionally. But is it necessary to restrict “semantic content” to a kind of language that maps reality or to a linguistic structure of oppositions? It is quite interesting to compare Luther’s account with Donald Davidson’s denial of a semantic content, because they are almost in agreement.131 Davidson distinguishes between the semantic content and the point of a metaphor. He does not neglect but rather highlights the peculiar use of words with a simple meaning: such use may disclose surprising and subtle analogies. Meta­phors have a hidden force; they beautifully hit the point. But the words do not change their “normal” semantic content.132 This is exactly what Luther wants to say (see above) when he insists on the significatio simplex and resists any multiplication, because the metaphor would be eliminated, or at least trivialized, by such a pedantic distinction between the original and second and third (and so on) meanings. Metaphorical language cannot be reduced to a cognitive content that in principle may be paraphrased by simple propositions. But there is a quite significant difference: Davidson identifies the semantic content with something that can be said directly. This is begging the question, since Davidson’s sharp distinction between semantic content and use is at least debatable.133 Davidson admits and even underscores that metaphors lead to discoveries. Why is it difficult to call this “content”? He contrasts limited semantic content with possibly (indeed, in most cases) inexhaustible analogies and refinements in the use of a word.134 Perhaps this contrast of limitation and unlimited semiosis results from a naive concept of infinity (see above 1.1). The most striking example for words that cannot be reduced to precise concepts is the expression of feelings. But how can we express feelings? Do we “describe” our “inner” reality? Note that already this distinction between “exter131 Cf. Davidson, Metaphors, 245–264. 132 Cf. ibid., 256 f.: “[T]he unexpected or subtle parallels and analogies it is the business of meta­ phor to promote need not depend, for their promotion, on more than the literal meanings of words.[…] [A]s much of metaphor as can be explained in terms of meaning may, and indeed must, be explained by appeal to the literal meanings of words. A consequence is that the sentences in which metaphors occur are true or false in a normal, literal way, for if the words in them don’t have special meanings, sentences don’t have special truth. This not to deny that there is such a thing as metaphorical truth, only to deny it of sentences. Metaphor does lead us to notice what might not otherwise be noticed, and there is no reason, I suppose, not to say these visions, thoughts, and feelings inspired by the metaphor are true or false.” 133 Cf. ibid., 259: “What distinguishes metaphor is not meaning but use. And the special use to which we put language in metaphor is not – cannot be – to ‘say something’ special, no matter how indirectly.” Cf. Wittgenstein’s extreme suggestion that the meaning of a word is nothing other than its use in language (Philosophical Investigations, § 43). 134 Cf. Davidson, Metaphors, 263: “When we try to say what a metaphor ‘means,’ we soon realize there is no end to what we want to mention.”

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nal” and “internal” reality is metaphorical and, moreover, unsurpassable. The metaphor “internal” cannot be eliminated by nonmetaphorical concepts. One of the most interesting features of this metaphorical context is that language and reality are interwoven and, in certain situations, even result in a feedback. In most cases, there is no inner reality independent of language that may be described more or less adequately. Certainly, there is a difference between inner life and language, because sometimes we do not find the right word, and the feelings may have changed in the process of looking for adequate expression. But this should at once demonstrate the difficulty: There is no adequate “truth-as-correspondence” as soon as our inner life is concerned. And again this difficulty has to do with self-reference (albeit in a less formal structure): Inner reality is my reality, and a very deep level of reality. On the other hand, Wittgenstein has deconstructed the idea of “private language”: There are words in our common language that may be adequate. We are able to express feelings and even to understand each other. Moreover, we are able to enrich each other’s self-understanding by reflecting what we have understood – even without interpreting the other’s self-understanding. My point is that language will become more and more metaphorical the more we approach humanity and personality. Consequently, the task of conceptual talk – claiming any general validity – gets more difficult. Abstraction is not the same as generalization, and we must look for nonabstractive universals. Any work of art – as a very special unity or whole (Ganzheit) – is the result of details growing together. Of course, the Latin version of “growing together” is concrescere. This is the limit of abstractive concepts. They are not excluded in aesthetics: We must compare different works of art by the same artist or by different contemporary artists or by artists in different contexts and so forth in order to find the right accents. But the function of abstraction is quite limited. Any universal “concept of art” is threatened by high generality and insignificance. The comparison aims not at common attributes but at subtle differences, which may indeed connect two works of art much more intensely than common stylistic features. Against this background, the success of quantitative concepts in science – together with the concentration on mechanical causality (in the modern sense of cause-effect succession) – is dangerous as soon as it becomes paradigmatic for universal insights in general. There may be universal contexts constituted by difference, by encounter – including surprise and ambiguity – and by tele­ ology, that is, anticipation of a whole that is not the sum of its parts. This is valid especially for the universality of human nature: Is a human person characterized by qualities or by a story? And is the definition animal rationale possibly wrong in the beginning by comparing us to animals instead of concentrating on divine-human encounter? This is the point in the first part of Luther’s Dis-

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putatio de homine, which concentrates on the possibilities and the tragedy of ratio as differentia essentialis of human being. 1.4 Atomism The reverse of abstraction is a concept – or rather, a metaphor – of personal unity comparable with a zero-point “I.” If the essential feature of human beings is just the difference over against other animals, there is nothing left besides the concept “reason.” But the meaning of this concept must remain unclear. In former times, it may have been unproblematic, because ratio was the human ability to think logically. Now, however, this concentration on logical capacities of the mind as peak of humanity raises the question whether logical capacities restricted to computability reduce the intellect to a computer program. Reason must be “more” than the ability to think logically. But all attempts to say exactly what this “more” may mean are trapped by a certain paradox: If the difference between the mind and a computer program is articulated in precise terms, it will be exactly that precision that allows the computer scientist to simulate the specific difference. The meaning of “I” seems to fade away: Self-transcendence becomes the subject’s attempt to get at a distance from all different reality. This distance implies that no nonpersonal reality can be understood in other than mechanical terms. But at the same time, the term “subject” has become empty. The correct intuition that the “I” is different in principle from all objective reality is distorted by the sharp distinction. There may be interaction, but it is restricted to physical causality. The possibility of interaction sui generis between subjects (including physical reality) has been ruled out. There is even one more paradox: Interestingly and ironically, relations are omnipresent in scientific description but excluded from the realm of the personal. Relations – of course, in the sense of mathematical functions and quantified throughout – are characteristic of scientific theories. But the sharp distinction makes it necessary to describe the inner life in an atomistic manner: I “have” a will and certain feelings. And relations are reduced to reversible connections that will never be encounters in the strong sense. This leads back to the problem of abstraction. As long as all the human “I’s” have nothing in common other than their sharp difference over against physical reality – which is described in relations – the thoughts, wishes, and feelings of such an “I” can always be reduced to physical and neurophysiological patterns. Interpersonal language as language sui generis counts as merely an imprecise and preliminary attempt to express the inner life that might better be replaced by behaviorist descriptions (which in my opinion would be a misreading of the late Wittgenstein).

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I fully agree with Carver Yu’s analysis that there is a dramatic interplay between an overvaluation of reason and an utter devaluation of it. I would even add that there are already theological dimensions in such a drama: It is the story of the interplay between arrogance and despair. Carver Yu’s analysis of strong empiricism is quite instructive, since there is no consistent empiricism: if consistent at all, “it will eventually explode”135. Interestingly, there are the Kantian (imploding) antinomies that show in a complementary way that reason cannot be reduced to the field of experience, because such a reduction is inconsistent – there is always “more” than we can explain rationally and theoretically. I would even argue more strongly for an anti-reductionism, because any truth-relation will immediately transcend the reduction to sense impression, and that may be true for any interesting distinction-in-connection, for example, between me and the external world. The first person is not replaceable. Carver Yu underlines the role of “the complex whole”136, which is prior to any atomistic abstraction. Consequently, the intuition of the world as a complex whole precedes any analysis, and this complex whole integrates the world and me. This is one of the final loops in Wittgenstein’s seemingly reductive Tractatus.137 Obviously, we have met a fundamental structure in the aporetic story of reason.

2. Complexity Redemption changes not the structure but rather the perspective. This difference in perspective may be compared to the difference between a malignant caricature and a kind sketch or a musical theme and its retrograde inversion.138 The limits of reason are discovered as creative potential; reason is liberated from self-­ definition and defined by faith – a peculiar definition that provokes the proliferation of fides quaerens intellectum exactly by avoiding clear-cut criteria. Anselm coined the formula in the context of very strict patterns of argument used to clarify fundamental assertions of Christian faith. My considerations follow a slightly different direction, because the term “reason” is not clear at all and is open to clarification within the confrontation between faith and reason. Therefore, we must distinguish at least two aspects: (a) It is not possible even to start without language and, consequently, without reasonable chains of thought, and (b) It is 135 Yu, Covenantal Rationality, 227. 136 Ibid., 229. 137 See Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, 6.45, 138 The term “structure” is not decisive in this context, but it is helpful to underline that all the elements and their characteristic connections remain the same and yet may be radically transformed by a change of perspective and nuance.

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always possible that our explication of faith leads to counterintuitive patterns of thought, which have to be clarified – otherwise, we might confuse mere absurdity with divine mystery. The clarification, however, may in turn change the character of reason. The two aspects do not necessarily contradict each other – as long as we do not impose rational restrictions on reasonable God-talk that are not consistent even within the realm of scientific argumentation (as shown in the first part). But the relation of the two aspects “reasonable explication of faith” and “reason questioned by faith” remains intricate. The analysis of ratio in the perspective of faith will perhaps discover aspects that may be discovered as well by secular philosophy. But are these aspects really the same? Are there context-independent aspects? Aspects without a certain perspective are a self-­ refuting idea. But then the whole game may be played again one level higher. Subtle philosophical reflection knows that there are no context-independent aspects, and theology may say that the search for such independent insights is a typical feature of sin – striving for the God’s Eye View. Obviously, these insights are not identical but convergent. The whole debate is at least reasonable, not just absurd. But “reasonable” in what sense? The story of the concept “reason” refutes any attempt to get a crisp and short definition. Ratio is what emerges in the debate. At the same time, there will emerge some constant features (cf. Luther’s significatio simplex). These are elementary, but they are not neutral; rather, they are ambiguous in relation to sin or faith. From a theological point of view, reason is fulfilled by the conflict, deepening the self-understanding of ratio. This is what I mean by “proliferation.” Such intricate relations have been taken up by Martin Luther in a twofold line of discussion. On the one hand, Paul’s remarks on human and divine wisdom look like an intellectual version of the Pauline “doctrine” – or rather, “story” – of justification developed in Romans and Galatians. And already at a very early stage in the development of his theological paradigm change, Luther connects this doctrine of the conflict between human and divine justice – between human misunderstanding of the divine law and God’s scandalous presence on the cross – with a discussion of limits and possibilities of philosophy. “He who wishes to philosophize by using Aristotle without danger to his soul must first become thoroughly foolish in Christ.”139 Theological speculation (theologia gloriae) is the intellectual form of self-justification, destroyed by God’s action sub contrario. The critique of presumptive reason follows from the Pauline theologia crucis. On the other hand, Luther always connects his distrust of reason with a high assessment and quite refined use of logical structures. This may be a result of Luther’s nominalist training, but this account is too simple, because Luther refutes any philosophical 139 Luther, Heidelberg Disputation, 41. The phrase “to his soul” has been added by the translator.

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patronizing in theology. The radical dimension in Luther’s remarks on reason is not the confrontation but the highly complex dialectical movement between radical criticism and a surprising apotheosis of ratio – a movement concentrated in the Disputatio de homine. This movement indicates that there is no way of formal or subtractive distinction between neutral capacities and their sinful perversion, which is valid especially for the distinction between sinful and redeemed reason.140 A careful analysis of the disputation’s first part demonstrates that the same argument has two different readings. Reason is almost divine but is unable to assess its own exceptional position adequately – and as soon as reason insists on self-clarification, there will emerge structural problems that cannot be solved, above all, the question of personal unity integrating anima and ratio.141 This suggests the picture of a rather slippery slope, because ratio that avoids any selfreference will be nothing more than a computer program, contributing nothing to human self-knowledge. Evidently, such a limitation is absurd. But there is a different reading: Reason may “simply” do without ultimate claims at self-clarification. Such a relaxed reason presupposes the encounter with divine reality (see below). In this widening horizon, reason is liberated from the exertion to control reality (including rationality) – but exactly such a relaxed reason reflects the story going on between God and human persons. In such a narrative context, ratio is embraced by fides in the theological definition of humanity according to Rom 3:28: “Human persons are justified by faith without works.”142 This rather peculiar “definition” by reference to the divine action of justification is a summary of the biblical drama. Since the human person as a whole – and certainly not as an isolated individual – is involved in the story, human reason will be affected by this dramatic struggle. It will be involved, too, and therefore the difference between presumptive and relaxed reason reflects fundamental decisions – which are not free, however, since they are certainly no result of considerations from a distance. The bondage of the will – the most famous theory articulated by Luther – implies that reason is not able to inform the will but rather vice versa, which of course implies that the will’s fundamental direction mysteriously transcends rationality. At this point we are led back to 1Cor 2:6 ff. God’s Spirit penetrates our hearts, so that we participate in the mind of Christ (v.16). But it is not a question of human decision to be penetrated by God’s Spirit, because such an event has never emerged in any person’s 140 Cf. Luther, Disputation Concerning Man, 139 (thesis 26): “[T]hose who say that natural things have remained untainted after the fall philosophize impiously in opposition to theology.” 141 Cf. ibid., 138 (thesis 15): “Indeed, concerning the formal cause which they call soul, there is not and never will be agreement among the philosophers.” 142 Cf. ibid., 139 (thesis 32): “Paul in Romans 3[:28], ‘We hold that a man is justified by faith apart from works,’ briefly sums up the definition of man, saying, ‘Man is justified by faith.’”

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mind (v.9). Nevertheless, Paul envisions a renewed mind (Rom 12:2) – reason illuminated by faith. This renewal makes it possible to describe “the old mind” retrospectively as sinful reason. 2.1  Sinful reason I assume that the core of sin is superbia, prideful presumption. The presumption of divinity leads to various forms of anthropological theories in which the human person illegitimately claims divine predicates.143 There are two fundamental possibilities for a specific role of human reason within a phenomenology of sin. 2.1.1 Self-substantiation

If ratio tries to define itself, such self-substantiation exhibits patterns of incurvatio, of being curved in upon oneself. There is the presumption of aseity. Such an imitation of divine existence leads on the one hand to desperation and on the other hand to arrogance. Both aspects may be traced throughout the exposition of perplexity: Strict reasoning shrinks back from the surprising consequences of mathematical structures (1.1); reason gives its assent to self-sacrifice over against physical reductionism (1.2); human persons are just thinking animals (1.3); and the transcendence of the self, finally, is nothing but emptiness (psychologia nega­tiva) (1.4). These angustiae, these anxieties, however, correspond to intellectual arrogance, since they all presuppose the superiority of ratio in a nonpersonal sense. This is a radical inconsistency, because there is no impersonal reason. There emerges the following irony: Reason seems to have made a decision – the decision to eliminate all decisions theoretically. Paradoxically, consequent behaviorism is a decision. In Luther’s theological perspective, such a decision is not free, however, but a sign of human bondage. Reductionism is obsessive. The intellect must be liberated from such an obsession. Any attempt at self-liberation will repeat or even tighten the vicious circle; new and fresh perspectives must therefore come from outside. My theological suspicion is that faith illuminating reason is a sufficient condition for such a liberation. I will not argue for the stronger version, that faith is the necessary condition, but since there is no self-liberation, any alternative must have redemptive features. Within the theological framework, I suggest that it is exactly the irony that effects such a liberation. The strictness of reductionism would then be comparable to the 143 Paul J. Griffiths discusses Augustine’s remarks on the mind that wants to become like God in its own right instead of simply receiving its God-like status: “This is an account of the fall transposed into psychological and epistemological key” (Griffiths, Reasoning, 157). The second part of my essay tries to work out this transposition.

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usus elenchticus legis, the unmasking and convicting function of God’s law. The self-strangulating reductionism leads to the self-sacrifice of the mind or to redeemed reason. 2.1.2 Universalism

If ratio tries to control all reality, such universalism exhibits patterns of concupiscentia: There is the presumption of infinitas. Freedom and infinite self-transcendence are confused and thereby reduced. Of course, this corresponds to arrogance and anxiety, since ratio must establish itself by theoretical success unlimited. Again, we may trace the confusion throughout the exposition of perplexity: The intellect claims a perfect intuition of reality by logical and mathematical regularities (1.1, 1.2). Universal truth is attained by artificial concepts that exclude metaphorical language (1.3, 1.4). These universalia, however, destroy human freedom exactly by a merely rationalist self-transcendence. The perversion lies in the self-identification with a (pseudo-)universal structure, suddenly and surprisingly confronted with the mockery of antinomies. In a certain sense, the structures emancipate themselves from reason’s control. Again, there emerges an irony: Reason in its idolatrous search for regularity, including the computability of ratio itself, is forced to a cautious use of infinity in order to avoid any discovery of personality in nonpersonal reality. This is a rather strange picture: Within the logical and mathematical structure there emerge structures of personality – and reason refuses to accept them. They are surprising, and surprise has to do with encounter. Of course, antinomies must not be confused with freedom, but perhaps they are the trace of freedom in language. They encourage intuition over against step-by-step argumentation. 2.2  Redeemed reason Created and fallen reason cannot be neatly distinguished. Especially the last point demonstrates the difficulty. Reason just as self-transcending faculty is not neutral in relation to sin and is perhaps the most significant feature in the perverse presumption of divinity. Luther’s position assumes that all elements of reason have been preserved, but in a perverse arrangement. The person as a whole is a caricature of the imago Dei. The characteristic feature of this caricature is the denial and refusal of slight transitions within human reasoning that cannot be controlled by sharp criteria. Therefore, redemption has to liberate the mind by melting these sharp criteria. Since there are no neutral “elements” of ratio (and possibly no “elements” at all but rather complex relations of aspects), the transitions are important and even pleasant. The ironic perplexities of reason push the person toward the hilaritas of faith.

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They heighten the tension, however: On the one hand, they entice reason to give up its overall control with pleasure rather than with resignation. On the other hand, they may provoke even more humorless and possibly desperate attempts at restrictive self-clarification and self-purification. This is not a question of “free” decision; rather, it is comparable to laughing at or feeling offended by a joke. 2.2.1  Passivity

Personal unity and (non-atomistic) individuality emerge from encounter, interaction, relation. This is a decisive insight in Luther’s Disputatio de homine: There is no chance for human self-recognition until persons recognize themselves in their origin, which is God.144 The false assumption that reason is the supreme authority can be shattered only by the encounter with divine reality. We have to receive the faculties and possibilities of reason; we do not control our own reasoning. But this has to do with the fact that we experience creation – including our ratio – as a gift, in order to enjoy it. To experience the rational capacities of human persons as something given is one aspect of faith seeking understanding. This implies not only the reception of natural capacities at the beginning of personal life but also a constant growth of intellectual capacities by experiences of nonrational encounter. We receive the balance of different and various levels and layers of person­ ality from other persons and we pass it on. There is such a thing as an “I,” but it is not a substance; rather, it is a process – but not reducible to neural processes (cf. 1.2). There is such a thing as will, but it is not something we possess. The subject is not at anyone’s disposal (unverfügbar), but that does not imply unqualified transcendence (cf. 1.4); rather, it presupposes a mixture of hilarity and imperturbability (Gelassenheit). The person is not even at his or her own disposal (selbstentzogen). The positive feature of surprise presupposes the concept of story, which needs some specifications in order to become a concept at all. Interestingly, some of these essential conditions remind us of the confusing discoveries in mathematics (cf. 1.1): The tension necessary for any story in a significant sense combines consequence with complication. The persons act in a certain way that results from their character. But at a certain point there emerges a tendency that may confuse the protagonists: Conflict may arise exactly from their attempts to avoid it. The persons may even be created anew by such conflict (even if it is not solved). Another characteristic feature of story is irreversibility. Certain structures may be repeated, but no two occurrences are ever the 144 Luther, Disputation Concerning Man, 138 (thesis 17): “Nor is there any hope that man in this principal part can himself know what he is until he sees himself in his origin which is God.”

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same, nor are they even comparable. The same qualities may result in different individual characters, depending on their arrangement (cf. 1.3). Human persons are unfathomable just because – not although – persons are interwoven in a texture with feedbacks.145 All these aspects have to do with passivity in the positive sense of receiving ourselves but also in the less positive sense of being acted upon (which in certain situations may be very positive, e. g., being liberated or simply being hugged by our children) and possibly in the negative sense of suffering. I may discover my own self in the course of a dialogue with a “Thou”: This may be a surprise, and it will not just reveal some internal quality but also create that quality. It will create that quality because such a quality is a relation that emerges in the dialogue (cf. 1.4). (I cannot rule out the possibility that this quality was “hidden” somewhere in my heart, but who knows? In any case, I do not!) Since something similar may be true for my “Thou,” the situation is a very precious balance. All these personal qualities, including personal language, will not result from abstraction, and the semantics of this language depends on a network of encounters growing together (cf. 1.3). But then it is simply impossible to reduce the “I” to some neural pattern. Quite apart from Putnam’s arguments (cf. 1.2), such a reduction would have to compare stable self-experiences with recurrent neural configurations. But there is nothing like stable self-experience. There may be a certain continuity and certain analogies (“I’m in love again”), but those depend on situations that are not repeatable. They are not repeatable in a trivial way, because I can only once fall in love with one and the same woman for the first time. The semantics of personal language will not be unambiguous; perhaps it will even insist on antinomies as soon as they are condensations of the inner tensions that distinguish a single human person from stones, dogs, and computers (1.1). Is there anything more liberating than a situation that confronts me with a tension in my own personality – and confronts me in a way that I may laugh? Laughter is already a strange combination of passivity 145 Cf. Carver T. Yu’s remarks on pre-established harmony in “Covenantal Rationality”: Neither objectivism nor subjectivism can be argued for with the strength of a logical proof. Knowledge is located in the fullness of life (235). Knowledge is a form of communion and a web of relation prior to reasoning. Assuming this picture – an assumption that is at least not trivial, since there is no proof, but also not arbitrary – we get to the pre-established harmony. The structure of self-forgetfulness (236) will be one of the most fascinating features in this picture. The interpenetration of inside-outside differences may transcend the self-centeredness of sinful reason. My question, then, might be whether self-transcendence is active or passive. In order to avoid a repetition of the modern story, the mind’s transcendence must be understood as a gift. The most basic intuitive trust is indeed a certain form of faith, but this is not the same as Christian faith. The interesting question will be ­whether both the connection and the difference between these two perspectives or levels of faith can be properly described.

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(I am brought to laugh; I never decide to laugh) and a high grade of rationality (I must understand the joke). 2.2.2 Limitation

Created limits are not limitations in the sense of restriction or coercion. Rather, they belong to the beauty of creation, and it is important to rediscover this. Limitation does not contradict infinity; indeed, there is no intensive infinity without limitation. Therefore, universalism will be limited not by clear-cut borders but by transversality and pluralism. By “pluralism” I do not mean arbitrariness in the “postmodern” sense. Rather, this pluralism follows from the insight that relations are the fundamental ontological level of description. Of course, this is a theological insight.146 Indeed, I use not the Aristotelian but the Augustinian concept of “relation” (and possibly not even the latter). In any case, it is a trinitarian concept of relation that prepares the framework for a fresh ontological discussion. One aspect of the trinitarian mystery is the insight that the divine Persons are not connected by the relations but are almost identical with the relations; at any rate, there are no independent relata. To be more precise – and more cautious: The divine Persons are not simply identical with the relations. But the fascination of the trinitarian relations has to do with the strange continuity and transitions mentioned by Basil the Great (or Gregory of Nyssa – philology has not come to a decision): [H]e who has conceived the Father, and conceived of Him apart by Himself, has at the same time mentally accepted the Son also; and he who lays hold of the Son does not dismember the Spirit from the Son, but in due sequence, so far as their order is concerned, yet unitedly, as regards their natures, forms within himself an image of the faith that is a blending of the three in the same way.147

The continuous transitions seem to express exactly the divine mystery and infinity. Another argument leads to a similar point: Augustine underlines the difference between substance and accidental features. But in the case of God-talk – in which the accidental determinations have to be eliminated, because there is no accident in God – there is one of the Aristotelian accidental categories left: relation that seems to be “substantialized.”148 Substance and relation must not be confused, but it is necessary to get an intuition of their convergence. One of the “psychological analogies” for this divine mystery is the inexpli146 Cf. Gunton/Jenson, Logos Ensarkos, 84, where “relationality” is introduced as a key notion: “The being of the triune God is constituted in the relations of the in fact embodied Son to his Father in the Spirit. Must not then the creation have a relational structure that is appropriate to its being created by such a God?” 147 Saint Basil, The Letters, 209.211. 148 Cf. Augustine, De trinitate, V.6.

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cable depth of human self-recognition. There we are confronted with the structural problem of self-reference, that is, the irreducible difference between me as someone referring and me as someone referred to.149 Part of the solution is the threefold self-reference characteristic of the human mind: Insight, memory, and will integrate and penetrate the whole human mind in a threefold way, because each of the three represents me and at the same time is related to the other two.150 If this argument is interpreted in a strict way (and I am not sure whether this is an overinterpretation), each of the three represents me just because it is related to the other two. The true meaning of “me” is disclosed in the transition. The solution may be characterized as a strange concept of relation in which each of the relata contains or encompasses the essence, but in an irreducibly distinctive way, so that the essence realizes itself in the relations. This structure may be found in Anselm’s argument concerning the filioque (possibly independent from this question): The divine mystery has to do with God proceeding from God alone. If this process is an implication of divine aseity, the divine Persons are not identical with, but are an implication of, divine essence.151 Of course, it would be an example of superbia to give an outline of trinitarian relations worked out in the history of theology. I want only to give some hints of the ontological puzzles associated with the category “relation.” The trinitarian explication of Christian God-talk forces us to admit the limits of fundamental logical and ontological patterns. And vice versa: The logically odd movements of biblical and biblically formed language may be the linguistic trace of divine presence. But there is one important further step. If there are ontological puzzles implied in Christian God-talk, we may ask whether this has implications for ontology in general. And at least in the context of Luther’s anthropology and his concept of a person there emerges a relational ontology.152 Biblical texts such as Gal 2:20 – “But it is not me who lives, but Christ lives in me” – seem to imply the external constitution of the human person as a fundamental event connected with redemption by faith: “[…] but I live in the flesh now insofar as I live in the faith 149 Cf. ibid., X.6. 150 Cf. ibid., X.18. 151 Cf. Sancti Anselmi de processione spiritus sancti contra Graecos liber (PL 158, 285–326), 287: “praedictis duobus modis est Deus de Deo.” 152 In an early unpublished communication, Gunton und Jenson started that the prohibition of contradiction is „the self-constraint of discourse, by which it is to be something other than babble. But why would it otherwise be babble? Because then it would not be analogous to the discourse God is. The self-constraint of our discourse […] is an analogue of the fundamental condition of the discourse that God is: that the Son is not the Father and the Father is not the Son.” This argument changes the assessment of the prohibited contradictions, since personal difference in the Trinity must be closely connected with relation and transition. Both cannot be articulated if p and not-p are simply the same. But the difference between p and not-p is grounded in a relation, not vice versa.

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of the Son of God who has loved me and delivered Himself for me.” The person is not only liberated by a personal encounter but driven away from self-constitution and drawn into a miraculous communication with Christ. It may be controversial among Luther’s interpreters whether this is “just” or “irreducibly” metaphorical – and Luther’s anthropology and “ontology of the person”153 will certainly be controversial among Wittenberg and Rome – but these metaphors are recurrent in Luther’s writing and thinking. If we take them as irreducible metaphors (see above 1.3), we get the impression that Luther describes the redeemed person in general, and redeemed reason in particular, in terms of at least mysterious relations. That does not mean that the divine mystery is drawn into anthropological patterns; indeed, it means the opposite. The human person becomes mysterious in the light of Christ. We no longer claim any full understanding of human reality – but we now understand why such a complete self-understanding is not necessary and not even desirable. This experience is both discouraging and enriching. Recall my example of self-discovery-in-dialogue (2.2.1). If it is true that certain qualities are created in this encounter, and that this is experienced by both persons involved in the dialogue, then the persons are, to a certain degree, constituted by the relation (cf. 1.4). As I said, there is a precious balance between the persons and, moreover, between the persons and their relation. It is important that the relation is not something neutral “between” the persons. Rather, each person includes the whole relation, and the persons are distinguished not by qualities but by the different direction of the relation. Perhaps the turning points in the dialogical movement are the most significant points of self-recognition. What interests me in this context is the combination of limitation and infinity, of concreteness and universality. A personal relation is certainly limited, but a successful relation of that kind will never make the persons computable. It is perfectly possible— and in a certain sense desirable—that two persons know each other better and better and yet may constantly surprise one another. Personal interaction creates human subjects in the sense that they are unverfügbar: not at anyone’s disposal (see above 2.2.1). There emerges a certain depth or infinity within a limited situation, infinity free from concupiscentia but oriented toward the abundance of love. Since such a relation is interwoven with further comparable relations, there are manifold interactions that multiply the combination of limitation and infinity. There may emerge nonabstractive universals (cf. 1.3). It is not necessary to find a common language for all situations and for all contexts, although it is highly desirable to find a style of intercontextual dialogue in order to engage all human persons in the liberating dialogical movement started by the divine Word incarnate. I would even say: This ongoing movement is liberating precisely because it 153 The allusion refers to Wilfried Joest’s concise analysis of Luther’s anthropology: Joest, Ontologie.

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does not aim at one universal language but aims at a texture of many limited dialogues growing together (con-crescendo). However, there are precise conditions for adequate terms, which I call “spongy.” This is a metaphor that describes the characteristic features of theological (and most philo­sophical) terms from the perspective of computer science, in which each term has to be well defined in an unambiguous way. The metaphor is not depreciatory, however. The semantic structure of spongy terms – for example, “person” – may be the trace of a movement in human self-discovery. The ambiguities and tensions within the term “person” are adequate, reflecting the human Unverfügbarkeit, which must not be eliminated. There may be other structural aspects in the “evolution” of the term, for example, distinctions that are not clear-cut. For the term “person,” the distinction between “inner life” and “surface” is constitutive. This distinction is not drawn by a hard line but evolves in a fractal way. The finer distinctions are dependent on the way human persons communicate and articulate the term “person.” This may even imply antinomies (“the depth of the surface”) and reflection, since language and reality, word and object, are necessarily entwined (cf. 1.1 and, again, 1.3). The sponginess of terms results from the manifold perspectives concentrated in one term. A spongy term is not vague, then, but ambiguous in a precise and significant way. Thus set theory is not the fundamental structure of the universe. This will be true in all cases of personal knowledge, where intersubjective levels emerge from intersection and interweaving rather than generalization. Ambiguity will become constitutive because the incommensurability of perspective must not be eliminated. Such incommensurability not only may concentrate in antinomies but also will certainly limit any unity of science (cf. 1.2). There are (at least) sciences and humanities, which concentrate on regularity (intellectus) and history (voluntas) in a very complex balance. The person is embedded in various patterns of action and reaction. And these patterns concern the body as well as the soul: That we are organisms is a very important point for epistemology – we do not simply construct a picture of a reality that is completely different from ourselves. Rather, this picture is part of that reality. On the other hand, our intellect will in principle never completely submerge in reality. This is the root of the self-distinction that is concentrated in the term “will.” Is it a power, a potential, or simply the auxiliary verb hypostatized? There is no subtractive distinction between “subject” and “object.” It is not at all clear where the subject “ends” and where reality “begins,” because the subject is part of reality, a very peculiar and strange reality.154 There are even more theories with intersections and theoretical exchange, but without final integration. In this model, reason will be able to develop manifold 154 Of course, the intellect is able to imagine things that may happen in the future and to give its assent.

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perspectives on the human person within creation. This is what I mean by the new definition of reason provoking the proliferation of fides quaerens intellectum exactly by avoiding clear-cut criteria. The complexity of the spongy term “reason” may be sketched as follows: On the one hand, the anima rationalis is distinctive and essential for human persons. But the content of the term vanishes as soon as we try to give a precise definition. The difficulty has to do with the tension between anima and ratio – and it is neither possible nor desirable to eliminate this essential tension. The “definition” necessarily oscillates between the spheres of the animal and of the formal, only touching the extreme positions, following certain trajectories. Reason is different from passion and emotion and is perhaps in control of both – at least sometimes. Reason’s self-discipline leads to logical and mathematical purification, so that precision is optimized by replacing qualitative with quantitative – computable! – concepts. But as soon as “reasonable” becomes synonymous with “computable,” something must have gone wrong. If reality is nothing more than what remains comparable to our artifacts, “artificial intelligence” will give the ultimate definition of “reason.” My alternative takes a turn that discloses essential features: The intellect is embraced by and embedded in processes of human life that are not only complementary but also in tension with formal or mathematical structures of thought. Moreover, these processes cannot be neatly distinguished from reasoning because they are closely connected with intuition. Interestingly, intuition seems to surpass mere reasoning and at the same time may be described as sensitivity, taste, feeling, and timing – in short, Fingerspitzengefühl. But this movement implies that reason is fulfilled and perfected by quite bodily and even instinctive – which implies an animal dimension – (re-)actions. The trajectory takes another turn because sensitivity and taste, feeling and timing, are operative in our holistic intuitions, which are the creative starting point for reasonable analysis and precise conceptual work. From the merely rational – or rather, logical and technical – point of view, these intuitions may only be described negatively, as incommensurable with standards of precision and unambiguity. They resist quantification and conceptual unification. But exactly such a resistance may become a productive challenge for analytical and theoretical work. From another point of view, these irrational ramifications may even emerge from theoretical concentration. The word “intuition” denotes a dimension inherent in reason that essentially remains out of control by reason—and exactly so keeps reason alive and reasonable. 2.3  Redemption and story In the first part, I have tried to give an analysis of reason’s structural limitations, whereas in the second part, I have sketched a theological interpretation of this

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analysis in the categories of sin and redemption. The connection between the two parts is rather complex. The theological interpretation does not simply complete or refute the analysis of ratio, nor does this analysis confirm the theological insight. One of the models for such a connection, as already mentioned, is Luther’s distinction between law and gospel (see above 2.1.1). But this distinction is only the outline of a confrontation or a dramatic development that includes catastrophe and catharsis. In short, although the divine law is designed to lead the human person and this person’s acts by explicating the will of God, the sinful person is actually led astray and provoked by the same law to look for his or her own self-righteousness. Finally, confronted with the law, the same person may experience a desperate self-recognition – the last step before the liberation by the gospel (Rom 7:14 ff.). It is the law as letter that leads to desperation and spiritual death, until Christ’s Spirit enables us to reread the letter in a spiritual way (2Cor 3) in order to discover the gospel between the letters, to understand the divine word as God’s declaration of love. The important structure is that one and the same text may be law or gospel, depending on the reading. The text may be read as letter. In the Spirit, however, the letters will be transformed into a living word. But the letters remain the same. This is the important analogy: The narrative order must not be neglected. If we start with the human mind, and with human possibilities in general, the explication may lead to desperation as far as the human mind seeks to constitute itself. This is even more dangerous if we keep in mind that human reason is something divine – as Luther underlines in the Disputatio de homine – comparable to the law, which may be even more destructive if understood as divine law. In the perspective of faith, this desperation of sinful reason is the last step before reason’s liberation. This step, however, is contingent, unverfügbar. There are no compelling arguments for the human mind to leave behind the obviously fascinating attempts of structural self-constitution by surrender to calculus. Of course, Cantor’s and Putnam’s arguments against logical and physicalist reduction may be seen as conclusive within human reasoning. But there is room for different reactions, and one possible reaction will always be the anxious self-restriction to logical patterns and scientific theories. Consequently, all other dimensions of human personality belong to the suspicious realm of poetry. The human mind fears its own mystery. In 2.1.1, I alluded to the usus elenchticus legis. In the confrontation with the law, we discover our own sinful perversion, especially that we prefer a divine-human contract—a “deal”—to simple love of God. Our attempts to fulfill the law just and only as letter expose our unwillingness simply to respond to the divine declaration of love. In Luther’s interpretation, the law is deeply ambiguous. Similarly, the immense possibilities of human reason may provoke our rebellion against God but at the same time expose the limits of the human attempt

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to control the creation. These limits are exposed exactly within the story of human persons seduced by their own possibilities. This story has its center in the Christ story. According to 1Cor 1:18–2:16, the cross is a scandal for the Jews and simple stupidity for the Greeks. However, Christ crucified has exposed the limitations of all the powers in the world who did not recognize the Lord of glory (1Cor 2:8). God’s wisdom exposes the world’s wisdom as something deeply ridiculous. This confrontation includes the ontological structures – the “elements” (cf. Col 2:8) – that may be grasped by human reason in order to be worshiped in a perverse way. Admittedly, the situation addressed in 1Cor 1:18 ff. is not connected immediately to problems of scientific rationality. Paul is concerned with counterproductive diversity in the community, and his argument aims at reconciliation. But exactly in this context it is clear that the sinful disposition closes the sinner’s mind to the immensity of God’s reconciling love. On the other hand, to have the mind of Christ (1Cor 2:16) means “to think within the framework of Jesus’ own fidelity and joy with respect to the Father’s abundant life; it also means, therefore, to be drawn into God’s own humanly incarnate form of knowing.”155 Such a conversion results in a new pattern of mind, directed by love. The sinful disposition is characterized by envy and fear of scarcity, leading to diversions. Conversely, there emerges “a vision of the divine generosity […] utterly free from fearful grasping.”156 The new pattern of mind is open to abundance exactly by a sense of dependence. Such a combination points to a new assessment of relations; moreover, it does not give up logical precision but relaxes it by “delegating” it to an irreducible plurality of persons and perspectives: It seems that these thoughts […] are too large, as it were, to be thought individually; the mind of Christ seems irreducibly relational in its constitution. … [P]articipation in the mind of Christ is fundamentally a relational activity, a noetic event that transpires in the communion of love.157

Against this background, scientific reason may be transformed without simply losing its characteristic features. But it makes a difference whether the renunciation of a unified theory is nolens volens dictated by the insight that ultimate theories are inaccessible to us – or whether the certainty that precise plurality is beautiful is reflective of the joy that is found in divine abundance. If the universe is “trinitarianly-constituted, then thinking with the mind of Christ will […] make possible a perception of reality in its truest depths.” A Christian scientist exploring quarks, quasars, and the like may at the same time 155 McIntosh, Faith, 135. 156 Ibid. 157 Ibid., 136.

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discern such particles in their true identity as expressive events, outpourings, in the infinite exchange of love that is the divine life. Even the apparent necessities of nature are ultimately gratuitous, luminous with freely-giving love of the Trinity.158

As I said above, the distinction is difficult because all elements of created reason have “survived” the fall, but in a perverse arrangement. The perversion is comparable to obsessive compulsions: As long as human persons insist on human self-constitution over against being constituted by divine creativity, all elements of the human mind have to serve this ultimate goal. And the more the human mind succeeds in eliminating perspectives incommensurable with a certain type of rationality as sketched in the first part, the more it will be unable to recognize creative and liberating alternatives. (This is the story of the Enlightenment, which in fact was the enthronement of technical rationality rather than the human mind’s liberation.) The relecture of this destructive dynamics in the development of the modern mind will expose the hidden irony in this development. But this is already an interpretation from a distance and a sign of liberation. From such a distance, it is possible to rediscover the complexity of reason. We should give thanks to God for the gift of reason – and by the same token, we should not take reason too seriously. The human mind should not try to grasp ultimate insights – and perhaps exactly in this way it may come close to them. The second part, and especially 2.2, may be read in analogy to the tertius usus legis, the “third use” of the law. As members of the body of Christ, we are able to reread the law in a spiritual way and to discover the liberating potential of certain limitations (see above 2.2.2). Similarly, reason’s limitations may reflect the created beauty of the human mind. There is no beauty without limitation – and the question is, rather, whether the limits are the trace of divine creation and creativity or just the result of human blindness and stupidity, which may reflect the human rebellion against God. There is one last level in understanding the combination “redemption and story.” One major aspect of redeemed reason may be the concentration on living language rather than logically structured concepts. This is clear in the context of metaphorical language and spongy terms. Moreover, such strange terms and words have their Sitz im Leben in narrative or dramatic contexts. As Alan Torrance rightly argues in his essay, theological perception (noein) requires the transformation (metanoia) by the spirit of our perception.159 Of course, this implies 158 Ibid., 137. 159 He rendered it very helpfully the following way in an unpublished communication: Adequate theological perception „involves an element of discontinuity (a shift) which means that prospectively, such a perception is unanticipatable. At the same time, however, it denotes retro-

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a profound transformation of the epistemic orientation of the whole person. […] There is a radical discontinuity between the old and new paradigms and there is nothing which can be done from within the old paradigm which may constitute a propaedeutic for the new.160

But there will be criteria developed from “within” and a posteriori. Or rather, there will be a more sensitive judgment, which distrusts criteria, that can be applied mechanically. One of the features of narratives is irreversibility – and this must be opposed to repeatable processes and structures. One and the same sentence may have very different meanings in different situations. Sometimes, such a difference in meaning may be surprising. Against this background, the conceptual analysis of reason’s limitations may change its meaning simply because the second reading follows the surprising discovery of the ironies in the mind’s self-constitution. What before was meant to prepare the ultimate foundation of knowledge is disclosed as a highly interesting part of the picture, interesting because of the creative failure to prepare the ultimate foundation of knowledge.161 That is why the relation between internal conceptual analysis and its fresh and fruitful use in theological contexts is so complex.

spectively an event which constitutes a radical fulfillment by way of this transformation. Thus there is a profound continuity.” 160 Torrance, Auditus Fidei, 36 f. 161 Such a pattern may account for the fact that there is a Christian metaphysics. A sound mind will indeed describe ontological structures of the world – or better, of creation – adequately, and there is no reason why such a (redeemed) description should necessarily differ from classical metaphysics on the propositional level. There may be a sacramental analogy: As the elements are transformed in the context of worship rather than magically, metaphysical propositions are transformed by the widening horizon of human experience in relation to God’s action rather than by falsification or other modifications of their propositional content (see n. 35 on the principle of non-contradiction). In this respect I agree with one of the basic tendencies in Romanus Cessario’s essay, Duplex Ordo Cognitionis, 330, namely, the rejection of fideist irrationalism. In any case, there must be some continuity between a metaphysics of creation and a metaphysics of being, as suggested by Reinhard Hütter in his essay, Directedness of Reasoning, 160–193. However, the picture may be less harmonious. The criterion for the “unity of truth” (ibid., 170) must be relationality – not vice versa. This will indeed lead to a transfiguration of metaphysics. “When transfigured by the normative horizon of the Christian faith, that is, by a redeemed judgment, the metaphysics of being is open to being elevated and assumed into the metaphysics of creation” (ibid, 168). But then, I am not sure whether a metaphysics of creation is vulnerable because of its dependence on a metaphysics of being (cf. ibid., 186). If a metaphysics of creation concentrates on life, relation, irreversibility, etc., there is room for productive debate with metaphysical positions. I assume that there is no metaphysical structure that does not refer to the foundations of mathematics, but it is exactly the question whether logical strictness – a kind of Zwanghaftigkeit – conflicts with redeemed Gelassenheit and the release of Machtförmigkeit (cf. ibid., 191). This conflict demonstrates, however, that the difference is not necessarily on the propositional level but on the level of sinful and liberated will – and on this point, I agree with Reinhard Hütter.

4. Der unverfügbare Wille – jenseits von freier Entscheidung und Determination

Mein Beitrag konzentriert sich auf die reformatorische Lehre vom unfreien Willen. Diese radikale Position muss zunächst angemessen skizziert werden, weil sie sonst allzu schnell missverstanden wird. Sie impliziert weiterhin interessante Durchblicke auf die menschliche Person und ihre Freiheit. Wir gelangen dabei auf eine Ebene jenseits von Determinismus und Willkür. Diese Position ist allerdings theologisch nicht neutral, denn hier zeichnet sich der Gegensatz von Glaubensgelassenheit und sündiger Verkrampfung ab.

1.  Die reformatorische Lehre 1.1  Zur radikalen Unfreiheit des Willens Die Epitome der Konkordienformel geht davon aus, „daß des Menschen unwiedergeborner Wille nicht allein von Gott abgewendet, sondern auch ein Feind Gottes worden, daß er nur Lust und Willen hat zum Bösen und was Gott zuwider ist“162. Daher zielt das gnädige Handeln Gottes an der sündigen Person darauf, dass Gott in der Bekehrung durch das Ziehen des Heiligen Geists aus widerspenstig unwilligen Menschen willige Personen mache.163 In der Bekehrung verhält sich der menschliche Wille pure passive. Das heißt: Der Wille ist niemals untätig – vielmehr ändert der Heilige Geist die Richtung des Willens. Diese Änderung allerdings kann der Wille nicht aus eigener Kraft vollbringen, er ist in der Bekehrung passiv, und zwar ohne Einschränkung. Das muss so radikal formuliert werden, weil der sündige Wille in vollständiger Perversion seine Kraft entfaltet. Er muss daher befreit werden, er wird in der Ausrichtung auf Gott neu entzündet. Der Wille erfährt eine Horizonterweiterung, die ihm aus eigenen Möglichkeiten nicht zugänglich ist, die aber nicht etwa einen gänzlich anderen Willen schafft, sondern diesen Willen radikal erneuert. 162 BSLK 777. 163 Vgl. BSLK 780.

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Die Konkordienformel verwirft auf diesem Hintergrund einerseits den philosophischen Determinismus, dass alles, was geschehe, müsse also geschehen und könnte nichts anders geschehen, und dass der Mensch alles aus „Zwang“ tue, was er auch in äußerlichen Dingen handele.164 Die Passivität des Willens in der Bekehrung schließt nicht aus, dass wir als Personen mit unserem Willen so oder so sehr aktiv dabei sind. Das gilt gerade für die sündige Person, die darauf beharrt, frei zu entscheiden. Bereits Luther unterscheidet zwischen der necessitas coactionis als äußerem Zwang und der necessitas immutabilitatis. Letztere meint die schlichte Tatsache, dass wir nicht willkürlich und zufällig einmal dies, einmal das wollen, sondern dass unser Wille eine innere Richtung aufweist, die sich dann zeigt, wenn wir etwas freiwillig tun, mehr noch, wenn wir etwas nicht freiwillig tun und es eben ungern tun.165 Die Frage lautet nun nicht, ob wir tun können, was wir wollen – sie lautet vielmehr, woher unser Wille seine Bestimmung empfängt. Die reformatorische These lässt sich auch so formulieren, dass unser Wille stets schon bestimmt ist – wobei die wichtige Frage dann lautet, von woher und von wem und also auch wie. Die radikale Erneuerung des Willens darf, auch wenn sie keinen neuen Willen schafft, nicht harmlos dargestellt werden. Es gibt zwischen „vorher“ und „nachher“ keinen gemeinsamen Nenner. Der perverse Wille und der entkrampfte, wieder auf Gott ausgerichtete Wille haben keine neutrale Schnittfläche. Damit nähern wir uns der Pointe reformatorischer Anthropologie, die in Aufnahme paulinischer Gedanken eine radikale Verderbnis der geschöpflichen Person durch die Sünde vertritt. In der Sünde sind alle Strukturmomente der gottebenbildlichen Person noch da, aber sie sind allesamt verzerrt. Daher können sich auch die überragenden Potenzen wie vor allem die Vernunft nur umso destruktiver auswirken. Zwar funktioniert die ratio problemlos – auch der Sünder kann rechnen –, doch wird die Vernunft spätestens bei der Selbsterkenntnis äußerst unzuverlässig oder gar trügerisch. Wegen dieser radikalen Verkehrung kommt es aber darauf an, dass die Person in der Bekehrung tatsächlich rein passiv bleibt. Wenn die Sünde in der Abkehr von Gott besteht, mehr noch: in der Rebellion des Geschöpfs, das wie Gott sein will, so muss die Kehre der Verfügung dieses Geschöpfs entzogen sein.

164 BSLK 778. 165 Vgl. dazu die aufschlussreiche Passage in De servo arbitrio, WA 18,634 f.

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Daher verwirft die Konkordienformel mehrere Spielarten des Pelagianismus166, auch die bescheidene Version, wonach der Wille des Menschen nach dem Angebot der Gnade des Heiligen Geistes aus seinen eigenen natürlichen Kräften etlichermaßen etwas, wiewohl wenig und schwächlich, darzutun, helfen und mitwirken, „sich“ selbst zur Gnade schicken, bereiten, dieselbige ergreifen, annehmen und dem Evangelio gläuben könne.167

Die Sätze treffen den gemeinsamen Nenner der spätmittelalterlichen Gnadenlehre, der es immer darum geht, dass es menschliche Kräfte gibt, die durch die Sünde zwar geschwächt, aber nicht ihrerseits pervertiert sind. Dabei ist stets die Vernunft im Blick, der eine Entscheidung zugetraut wird – sich Gott zuzuwenden oder sich abzuwenden. Das bedeutet aber dann, dass das letzte Urteil wieder bei der menschlichen Person liegt, auch wenn Gott noch so viel für uns tut. Wir können und sollen uns entscheiden, die Gnade anzunehmen. Welchen Standpunkt müssen wir dann einnehmen? Es geht um das Gottesverhältnis und es geht vor allem um die Zuwendung Gottes in Jesus Christus, die das Gottesverhältnis wieder lebendig macht. Solange wir immer noch entscheiden können, ob wir uns davon ergreifen lassen wollen, sind wir nicht ergriffen. Das Zentrum der menschlichen Person darf sich dieser Bewegung gegenüber nicht verselbständigen, und daher muss die Willensrichtung radikal verändert werden. Man könnte noch weiter gehen und sagen: Die Veränderung liegt darin, dass der Wille wieder zu einer Bewegung wird, die von Gott her bestimmt ist, während der sündige Wille sich Gott gegenüber verschließt und sich verkrampft, sodass er überhaupt erst ein Personzentrum bildet. Auch wenn sich dieses Zentrum für Gott entscheidet, bleibt es bei dem Krampf. Nun wäre also der befreite, gläubige Wille nicht mehr zentriert? Darauf kommt es allerdings an. Denn die Konkordienformel verwirft auch die Lehre, „daß Gott in der Bekehrung und Wiedergeburt des alten Adams Substanz und Wesen und sonderlich die vernünftige Seele ganz vertilge und ein neues Wesen der Seele aus nichts in der Bekehrung und Wiedergeburt erschaffe“168. Es ist dieselbe Person, aber nun eine höchst differenzierte Person, der eines vor allem fehlt: ein Kern. Die Person ist charakterisiert durch Bewegungen, vor allem durch Begegnungen mit anderen Personen, auch durch eine sehr radikale Begegnung mit sich selbst, mit ihrem eigenen Unwillen gegenüber Gott, von dem sie sich freilich in der Kraft des Geistes distanzieren lässt, den sie aber auch nicht krampfhaft

166 Vgl. BSLK 778 f. 167 BSLK 779. 168 Ebd.

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verleugnen muss. Dass eine Person gerade unverwechselbar wird vermöge der Kontur einer Bewegung, wird uns noch weiter bringen. 1.2  Freiheit als „Alltagsbegriff“ Auf den ersten Blick haben solche Erwägungen wenig zu tun mit jener Verwendung des Wortes „Freiheit“, die wir üblicherweise voraussetzen. Die lutherischen Bekenntnisschriften betonen, dass es bei der Leugnung des freien Willens um das Gottesverhältnis geht. In CA XVIII wird explizit gelehrt, „daß der Mensch etlichermaß ein freien Willen hat, äußerlich ehrbar zu leben und zu wählen unter denen Dingen, so die Vernunft begreift“169. Das ist recht harmlos gemeint und schon auf den ersten Blick vereinbar mit der anderen These, die ja auf die letzte Ausrichtung der Person zielt und nicht auf alltägliche Entscheidungen. Doch stehen die beiden Ebenen nicht einfach unverbunden nebeneinander. Luther zitiert seine eigene Disputatio de homine in den Schmalkaldischen Artikeln: Es ist Irrtum und Blindheit, wenn die Scholastiker lehren „hominem naturaliter habere rationem rectam et bonam voluntatem […] liberum arbitrium faciendi bonum et omittendi malum et econtra omittendi bonum et faciendi malum“.170 Das ist nicht mehr nur auf die geistlichen Aspekte des Willens bezogen. Luther sieht die Korruption der Vernunft uneingeschränkt, wenngleich nicht undifferenziert. Es gibt Bereiche, wo sie immer noch funktioniert. Und dazu gehört ein gewisses Maß an Konformität im Zusammenleben. Allerdings entschärft das die Situation nicht. Denn die Verlässlichkeit der ratio in Alltag und Naturwissenschaft trägt zur sündigen Verblendung der zentrierten Person erheblich bei, und umgekehrt wissen wir nie, wann wir den Grenzbereich erreichen, wo die Vernunfterkenntnis eher schlüpfrig wird. Denken wir daran, dass auch die sündige Person einen Willen hat. Dieser Wille kann durchaus den Gesetzen zustimmen, möglicherweise aus anderen Motiven als der befreite Wille. Auf der Ebene der Konformität mit Gesetzen ist dieser Unterschied in aller Regel nicht zu entdecken. Er bricht in Konflikten auf. Ob die Menschenwürde theologisch begründet wird oder eher pragmatisch, kann in näherer Zukunft zu signifikanten Differenzen führen. Freiheit zeichnet sich auf der Ebene der Konformität mit Gesetzen ganz einfach darin ab, dass in einigermaßen geregelten Umständen die meisten Personen dem Gesetz folgen, aber nicht alle. Es gibt Spielräume, die mit dem unfreien Willen in einem emphatischen Sinne noch nichts zu tun haben. Diese Spielräume werden in den nächsten Abschnitten aus einer philosophisch-theologischen Perspektive 169 BSLK 73. 170 BSLK 434; vgl. WA 39/I, 176.

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beleuchtet. Dabei wird sich zeigen, dass sie nichts mit einem freien Willen zu tun haben, sondern mit einer beschränkten und keineswegs indeterministisch beschreibbaren Entscheidungsfreiheit, die sich als Hinweis auf die Person interpretieren lässt und daher theologisch nicht einfach neutral ist. 1.3  Freiheit als Befreiung Luther hat neben seiner berühmten Schrift „Vom unfreien Willen“ auch eine nicht weniger berühmte Schrift verfasst und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ genannt. Es ist zu fragen, auf welches Subjekt sich das Prädikat „frei“ nun genau bezieht. Dass der Wille unfrei ist, sofern er immer schon bestimmt ist, bedeutet nicht, dass die Person unfrei ist. Wenn die Person befreit wird von der Zwangsvorstellung eines zentrierten Willens, wenn also der Krampf sich in eine vielfältig differenzierte Bewegung löst – dann kommt es zur gelassenen, spielerischen Einsicht in die eigenen Willensbestimmungen, zu einer Selbsterkenntnis, die weder logisch noch aus anderen Gründen eine zentrale Instanz voraussetzt. Es ist in Wirklichkeit die sündige Tendenz, die Erkenntnis eindeutig zu machen, die uns dazu verleitet, aus Angst vor der Dissoziation an einem „Ich“ festzuhalten. Sobald wir von dieser Zwangsvorstellung befreit sind, kommen aber auch positive Aspekte der Bestimmtheit der Person in den Blick. Genau genommen ist die Erfahrung ambivalent. Ich bin immer bestimmt von irgendwoher, und das ist zunächst noch keine negative Erfahrung. Vor allem bin ich vielfältig bestimmt. Das lässt sich fürs erste so andeuten, dass ich von einer anderen Person bestimmt bin, wenn die Begegnung mit dieser Person mich freisetzt, mir beispielsweise neue Dimensionen meiner Selbsterkenntnis erschließt. Das Wort „Freiheit“ kann vielleicht gar nicht angemessen als Zustand interpretiert werden, bezeichnet vielmehr ein Geschehen. Und keinesfalls hat es mit Beliebigkeit zu tun. Die vielfältige Bestimmung meiner Person und meines Lebens überhaupt ist eine biblische Grunderfahrung. Wenn in der heutigen Diskussion immer stärker die Bestimmung durch physische und neuronale Prozesse in den Blick rückt, so ist das in biblischer Perspektive keine Überraschung. Es ist vielmehr selbstverständlich, dass der Geist Gottes innerhalb der Schöpfung stets materiell wirkt. Gottes Geist ist eine Kraft, die die Materie – biblisch: die Erde – in Bewegung hält. Wenn diese Bewegung endet, zerfallen alle Lebewesen wieder zu Staub, sie sind also nur innerhalb der Bewegung gestaltete Individuen (vgl. Ps 104,29 f.). Von daher können wir getrost der Neurophysiologie eine ganze Reihe von theologisch interessanten Aufschlüssen zutrauen, insbesondere was die Logik der Netzwerke betrifft, die im biblischen Denken überall vorausgesetzt sind. Die Rede von Determination muss differenziert werden: In biblischen

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Texten kann von einer Bestimmung des ganzen menschlichen Lebens durch Gott die Rede sein, besonders kraftvoll in Ps 139,13–16: Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. Es war dir mein Gebein nicht verborgen, da ich im Verborgenen gemacht wurde, da ich gebildet wurde unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.

Das Gebet betont die Ambivalenz: Es ist nicht einfach eine negative Erfahrung, von der schöpferischen Quelle her bestimmt zu sein. Und dazu gehört die materielle Seite. Die physikalische Kausalität widerspricht nicht der Bestimmung durch Gott. Und eine solche Bestimmung kann durch die physikalische Kausalität hindurch realisiert werden. Das heißt allerdings auch, dass die Behauptung, es gebe nur physikalische Kausalität, alles andere als selbstverständlich ist.171

2.  Freiheit und Determinismus 2.1  Philosophische Argumente Determination ist nicht einfach destruktiv, wenn es um die Person geht. Das gilt auch in der philosophischen Sicht: Freiheit hat nichts zu tun mit Indeterminismus, Determinismus und Freiheit sind durchaus vereinbar. Es wird überdies zu bedenken sein, ob „Determinismus“ und „Determination“ wirklich kongruent sind. Freiheit ist Selbstbestimmung und impliziert die Fähigkeit der Person, ihr Handeln zu begründen. Solche Gründe können durchaus determiniert sein. Das durchschlagende Argument läuft darauf hinaus, dass indeterministische Unterbrechungen der Kausalnetze nichts zur Befreiung beitragen, weil die Zurechnung einer Handlung zur Person dann gerade gestört wird.172 Das ist letztlich auch schon bei Kant klar: Freiheit muss zwar qualitativ unterschieden werden von einer naturgesetzlichen Kausalität, doch ist die Person nur insofern frei, als ihre Vernunft einem allgemeingültigen Sittengesetz zustimmt. So kann Freiheit nicht einfach als nicht-kausale Spontaneität definiert werden, und zwar schon aus begrifflichen Gründen, wenn wir eine Person als frei betrachten. Die fundamentale Einsicht liegt darin, dass eine Person jedenfalls nicht nur von ihren neuronalen oder anderen physischen Prozessen in ihrem Handeln bestimmt wird, sondern auch etwa vom Sittengesetz als einer formalen Struktur 171 Zur Ablehnung des Reduktionismus oder Physikalismus vgl. auch Bieri, Regie, passim. 172 Das Argument wird sehr klar exponiert bei Pauen, Illusion, passim.

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der personalen Interaktion. Dabei ist es nicht möglich, die eine Seite zugunsten der anderen zu eliminieren. Wenn diese Einsicht sich erhärten lässt, ist Determination eine vielschichtige Angelegenheit. Vor allem führt die interpersonale Dimension dazu, dass jeder Determinismus sich verästelt. Eine sprachliche Äußerung wird von zwei Personen in der Regel unterschiedlich realisiert. Das zeigt sich insbesondere bei der Unbestimmtheit der Übersetzung.173 Sprache determiniert aber die neuronalen Prozesse. Ich denke ja nicht nur für mich und vor mich hin, sondern ich will die Äußerung einer anderen Person verstehen. Die neuronalen Prozesse werden „gelenkt“ oder besser „geleitet“ von einer syntaktischen und semantischen Struktur, die sie nicht selbst produziert haben, auch wenn sie keineswegs diese Struktur einfach „abtasten“, vielmehr überaus verwickelt und hochgradig selbstreferentiell sind.174 Es gibt demnach eine nicht nur physikalisch determinierte Bestimmung. Hier liegt der Ansatz für eine Unterscheidung zwischen physisch-neuronalen und mentalen Ebenen, die freilich nicht subtraktiv gesondert werden können. Vielmehr kann im Rahmen der „Identitätsthese“ gezeigt werden, dass auf der interpersonalen Ebene die mentale Ebene durch objektive Strukturen realisiert ist und die neuronale Ebene ebenso bestimmt wie umgekehrt. Auch diese objektiven Strukturen sind physikalisch realisiert – aber es treten unterschiedliche kausale Stränge oder Netze auseinander. Es kommt zu einer Vielfalt von Determinationen, die nicht auf eine letzte Ebene zurückgeführt werden können. Diese Rückführung wäre freilich das Ziel einer deterministischen (und in der Regel physikalistischen) Position. Die vielschichtig bestimmte Person wird unverfügbar. Damit ist zunächst gemeint, dass sie aller möglichen Determination zum Trotz – genau genommen gerade wegen dieser! – unberechenbar wird. Es besteht kein Widerspruch zwischen Determination und Nicht-Prognostizierbarkeit eines Systems. Doch ist eine Person in der Regel verlässlich und in ihrem Verhalten identifizierbar. Daher sagt „unberechenbar“ zu wenig. Ich habe eben zwei Ebenen unterschieden, die nicht einfach aufeinander zurückzuführen sind: (1) die physikalische Ebene, zu der auch die neuronalen Prozesse gehören, und (2) die mentale Ebene, die ich aber gerade nicht auf innere Entitäten beziehe, sondern auf äußerlich objektivierbare Strukturen wie Logik, Sprache, Zeichensysteme, Notationen etc.

173 Vgl. Quine, Wort, 59–147. 174 Darauf hat Gerhard Roth in der Diskussion noch einmal hingewiesen. Hier liegt eine Grenze der Analogie zur Turing-Maschine, die von Hilary Putnam ins Spiel gebracht wurde, um Leib und Seele in Entsprechung zu hardware und software zu differenzieren (vgl. Putnam, Life, passim). Putnam hat die Analogie inzwischen korrigiert, aber die Pointe einer Differenzierung ohne ontologischen Dualismus bleibt fruchtbar und zeichnet sich auch bei Bieri, Regie, ab.

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Das sind vermutlich nicht die einzigen Ebenen175, aber die Unterscheidung ist wichtig. Wir können nun eine Perspektive einnehmen, die weder eine eliminative Identität behauptet noch einen Dualismus postulieren muss. 2.2  Jenseits von Identität und Dualismus Innerhalb der geschöpflichen Wirklichkeit ist alles physikalisch realisiert. Das ist nicht dasselbe wie eine durchgängige physikalische Bestimmung. Die Ebene des Denkens und Argumentierens läuft nicht ohne physische Basis ab und ist doch nicht allein durch physikalische Gesetze determiniert. Ich denke an folgende Modellsituation: Wenn ich ein notiertes Musikstück spiele, sind die physischen einschließlich der neuronalen Prozesse, soweit sie in meinem Nervensystem ablaufen, zweifellos auch und wesentlich bestimmt durch die musikalische Struktur. Das gilt für alle vergleichbaren Strukturen, also auch für sprachliche Gebilde aller Art. Diese Strukturen sind durchaus physikalisch realisiert, durch Noten, Buchstaben, akustische Schwingungen etc. – aber ihre innere Konsistenz folgt nicht der physikalischen Kausalität. Das erkennen wir einfach daran, dass dieselbe Fuge in den Noten vorliegt und in meiner Aufführung und vielleicht nach einiger Übung auch in meinem Gedächtnis. Dieselbe Struktur ist multipel realisiert.176 Außerdem ist sie nicht eindeutig von Person zu Person. Natürlich waren es neuronale Prozesse, die zur cis-Moll-Fuge geführt haben, aber die neuronalen Prozesse in Johann Sebastian Bachs Gehirn sind nicht maßgebend für meine Aufführung der cis-Moll-Fuge. Es hätten auch andere Prozesse zu einem identischen Notentext führen können. Und der identische Notentext setzt (Gott sei Dank!) auch unterschiedliche Interpretationen frei. So ergibt sich zwar immer noch kein Indeterminismus (den wir ja gar nicht wollen), wohl aber eine vielfältig aufgefächerte Pluralität von Determinationen. Es mag sein, dass die logischen Strukturen oder auch die viel weiter differenzierten Strukturen natürlicher Sprachen ihrerseits emergiert sind aus physikalischen Prozessen – aber nun sind sie einmal da und bestimmen ihrerseits die neuronalen Prozesse, und zwar nicht vermöge ihrer Genese, sondern eben als Strukturen. Das wird deutlich in der personalen Begegnung. Die neuronalen Prozesse meines personalen Gegenübers sind mir nicht zugänglich (meine eigenen übrigens auch nicht). Nun geht es laut Voraussetzung in der neurophy175 Auch auf der physikalischen Ebene ist die Lage alles andere als übersichtlich. Es sind physikalische Prozesse, die dazu führen, dass ich die Wahl habe zwischen Rotsekt und Sherry. Und es sind neuronale Prozesse, die letztlich meine Wahl bestimmen werden. Demnach ist aber das Endresultat höchst zusammengesetzt und schwerlich aus einer einzigen Formel zu deduzieren. 176 Vgl. zu diesem Begriff Pauen, Philosophie, 107 f. u. ö. Pauen nimmt m. E. die damit verbundenen philosophischen Konsequenzen nicht ernst genug.

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siologischen Analyse stets um Reize. Diese Reize für mich also sind nicht die neuronalen Prozesse des Gegenübers. Die Reize determinieren unterschiedliche Reaktionen je nach „Stil“ des Empfängers. Die Leiblichkeit des Gegenübers ist für mich keine neuronale Realität, sondern ein Gesicht, ein differenzierter Prozess von Mimik und Intonation etc. All das mag sich ausgebildet haben als Evolution des Repertoires animalischer Körpersprache, aber es ist von einem bestimmten Niveau ab auch immer schon logisch strukturiert, nicht zuletzt, weil es stets um Sprache geht. Hier sind ästhetische Prozesse exemplarisch, weil sie auf derart gewachsene und vielleicht gar naturwüchsige Prozesse zurückgreifen. Musikalische Figuren sind überaus aufschlussreich, wenn wir der Gestaltung differenzierter Affekte auf die Spur kommen wollen. Sie zeigen, dass elementare Gefühlsäußerungen stilisiert werden können und dann den Ausgangspunkt einer eigenen Entwicklung bilden. Sie verselbstständigen sich – durch kombinatorisch explosive Strukturbildung – ihrer biologischen Genese gegenüber. Als stilisierte Gestalten bestimmen sie dann umgekehrt unsere musikalische Wahrnehmung. Darin zeichnet sich ab, dass wir unseren Affekten nicht einfach ausgeliefert sind, wenn wir uns auch keine Illusionen machen sollten über das Ausmaß der affektiven Bestimmung unseres Denkens. Künstlerische Gestaltung zielt gerade auf diese Verwicklung von Affekt und Logik. Ich vertrete somit keinen Dualismus, weil ich die durchgängige physische Wirklichkeit nicht aushebeln muss, um Platz für Gottes Wirken oder auch nur für den menschlichen Geist zu schaffen. Ich vertrete allerdings keine eliminative Identitätsthese. Denn gerade auf dem Hintergrund der Identifikation mentaler und physikalischer Realität lassen sich vielfältige Strukturen nachzeichnen, die sogar in Konflikt treten können, wie sich sogleich zeigen wird. Die für unsere Diskussion elementare (aber vermutlich zu einfache) Konfliktsituation ist dabei die zwischen allgemeinen Gesetzen und individueller physischer Konstitution. Denn so wie ich bin, habe ich wohl Lust, gegen gewisse moralische Gesetze zu handeln. Ich bin aber in der glücklichen Lage, gegen diese Lust mein Handeln anders zu orientieren. So bin ich eben auch. Derartige Spannungen in der psychischen Struktur gehören zur Personalität, sie machen jeweils den Charakter einer Person aus, geben ihr im etymologisch exakten Sinne das Gepräge. 2.3  Personale Kontinuität Diese Spannungen sind demnach kein Einwand gegen die Identität oder Kontinuität der Person. Identität hat zu tun mit Prozessen der Selbstdistanzierung und -identifikation. Das ist zweifellos möglich. Ich bin nicht einfach allen neuronalen und neurobiologischen Prozessen ausgeliefert, sondern kann ihnen teilweise

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entgegentreten. Wie ich das realisiere, ist natürlich wieder ein Netz physischer Abläufe, aber dieses Netz ist auch bestimmt durch Prozesse der Argumentation, die nicht einfach nur neuronal determiniert sind. Sie kommen mir ja vor allem in der Gestalt anderer Personen entgegen, sprachlich vermittelt oder von Angesicht zu Angesicht. Nun sollte im Verlauf eines menschlichen Lebens irgendwann der Punkt eintreten, wo die Person so weit aufgefächert ist, dass sie gerade in dieser Vielschichtigkeit eine sehr individuelle und unverwechselbare und letztlich unverfügbare Person ist. Die metaphorische Wendung „aufgefächert“ ist wichtig, denn daran hängt ja die Individualität. Eine einzige Linie kann sich so gestalten, dass ein letzter Überblick nicht mehr möglich ist. Eine Diagonale im Quadrat ist und bleibt den Seiten gegenüber inkommensurabel – wir können auch an ein Möbiusband denken. Nun wird schon erkennbar, dass eine Zentralinstanz namens „Ich“ kaum wahrscheinlich ist – und sie ist in der theologischen Sicht auch gar nicht wünschenswert. Es wird aber zugleich erkennbar, inwiefern die Zurechenbarkeit nicht in Frage gestellt wird, wenn eine Person auf ihre besondere Art und Weise vielschichtig und unverfügbar bleibt. Sie ist ja nicht in einem negativen Sinne unberechenbar – also nicht einfach reine Willkür, sprunghafte oder infantile Spontaneität. Sie ist eher vergleichbar einem Kunstwerk, wo jede gelungene Interpretation wieder neue Interpretationen freisetzt. Diesen inneren Reichtum meinen wir in der Theologie, wenn wir von Gottebenbildlichkeit sprechen. Personalität ist in diesem Bild dann allerdings grundsätzlich bestimmt durch interpersonale Relationen. In diesen Relationen wird aus den oben genannten Gründen die Person bestimmt – und zwar in einer höchst differenziert aufgefächerten Bestimmung. Daraus ergibt sich eine andere grundlegende Dimension, nämlich die Geschichtlichkeit der Person. Aus beidem ergibt sich weiterhin, dass die Frage nach personaler Identität, Freiheit und Zurechenbarkeit und Bestimmung verfehlt wird, wenn eine einzelne Person zu einem isolierten Zeitpunkt t betrachtet wird. Personale Kontinuität hat zu tun mit einem Geheimnis. Darauf verweist gerade die diffizile Auffächerung der Ebenen der Bestimmung. Ich glaube nicht, dass die Homogenität oder geordnete Hierarchie von personalen Präferenzen der Regelfall ist. Theologisch bleibt die Einheit der menschlichen Person eine labile Balance – die Person ist also weder eine Marionette noch ein Gott gleichberechtigtes Gegenüber. Die Labilität der Person gehört zunächst zur Geschöpflichkeit. Meine eigene Balance ist unverfügbar und vielleicht ein Geschenk. Dass ich in einer bestimmten Situation einen Konflikt spüre zwischen der Lust und dem Sittengesetz oder auch der Vernunft – das ist auf den ersten Blick eine Reibung zwischen physischer und logisch-argumentativer Determination. Wie es aber ausgeht, ist nicht einfach nur durch physikalische Kausalität bestimmt.

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Denn ich kann mich ja zu diesem Konflikt verhalten, und das ist oft der Fall, wenn es um alkoholische Exzesse geht, jedenfalls solange ich noch nicht gänzlich dem Dämon Alkohol verfallen bin. Wo kommt hier die letzte Entscheidung her? Es ist so oder so eine, die zu mir gehört. Denn in beiden Fällen bin ich ja dabei. In Konfliktfällen folgt die letzte Entscheidung einer Kausalität, die wir umso weniger erklären können, je komplexer sie wird – und daher ist es zu einfach oder vielmehr einfach trivial, sie dem Unbewussten zuzurechnen. Physikalisch realisiert ist die Entscheidung immer, das war klar. Aber sie kann auch dem Gesetz oder der Vernunft folgen. Und in diesem Konflikt treten die vorbewussten neuronalen Prozesse ans Licht, wenigstens teilweise. Vielleicht wird mir erst in der Auseinandersetzung mit der Vernunft klar, dass ich anderes will – sodass ich fragen kann, was da eigentlich so unvernünftig anders will. Die Entscheidung folgt letztlich aus der Identität der Person, wie sie geworden ist. Und die unverfügbare Person ist auch die unauslotbare Person. Es ist durchaus treffend, hier die Affekte ins Spiel zu bringen. Das ist auch in der Linie der anthropologischen Einsichten Luthers, der die Personmitte immer wieder als „Herz“ bezeichnet und so den alttestamentlichen Sprachgebrauch aufnimmt. Es wäre zu einfach, die Affekte der Vernunft entgegenzusetzen. Denn die Affekte können kultiviert werden – und die Vernunft ist, sofern sie nicht gerade rechnet, stets auch affektiv gefärbt. Wenn ich nun sage, dass die Entscheidung nicht mehr in einem schlichten kausalen Sinne determiniert ist, so vertrete ich keinen Indeterminismus, der das alles von einem Zufall abhängig macht. Vielmehr tritt in solchen Konfliktfällen besonders deutlich hervor, dass die bestimmte, aber in dieser Bestimmtheit nicht mehr berechenbare Person in einem interpersonalen geschichtlichen Kontext lebt und handelt. Dass ich in dieser Situation gerade so gehandelt habe, obwohl ich (von außen gesehen) auch anders hätte handeln können, ist wirklich meine Sache und wird mir a posteriori einiges über mich verraten. In einer ähnlichen Situation werde ich mich dann später vielleicht anders verhalten. Man lernt ja aus Fehlern. Darin zeigt sich, dass die Determination, nach der wir fragen, eine weiche Determination ist, eine Art Gravitation. Daher scheint mir der Begriff „Bestimmung“ angemessener. 2.4  Identität und Wille Es könnte bereits fehlerhaft sein, die Identität der Person zu stark an ihren Willen zu knüpfen, der zudem stets punktförmig gedacht wird. Identität der Person muss der spannungsreichen Vielfalt von Bestimmungen nicht widersprechen, solange sie nicht krankhaft auseinandertreten. Die theologische Beschreibung zielt darauf, dass die Identität der Person geheimnisvoll ist und bleiben soll. Besonders aufschlussreich ist die Erfahrung, dass gelungene Beziehungen die

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Verlässlichkeit und Treue durchaus verbinden können mit der Neugierde auf Aspekte des Gegenübers, die noch zu entdecken sind. Das gilt auch für die Selbsterkenntnis, die stets diesen Umweg geht. Ich will mich um keinen Preis so ergründen, dass ich mir gänzlich transparent wäre. Es ist ja auch die Pointe von Ps 139, dass allein Gott gegenüber eine solche Transparenz denkbar ist – und selbst da ist sie noch ambivalent. Die Rede vom „Geheimnis“ ist also nicht einfach die beliebte Auskunft am Rande des Denkens, sondern das Zeichen für eine wesentliche Verfassung der Person, die nicht wegzudenken ist – es sei denn, wir wollen lieber Computer sein. Die theologische These vom unfreien Willen bezieht sich genau auf diese fundamentale Selbst-Entzogenheit. Unfrei ist der Wille, sofern er so oder so bestimmt ist von anderswo. Das habe ich bewusst unbestimmt gelassen. Dieser so oder so grundlegend bestimmte Wille ist aber durchaus in der Lage, handlungsrelevante Entscheidungen zu treffen, und zwar in beachtlicher Vielfalt. Denn es muss keineswegs eine jede solche „normale“ oder „alltägliche“ Entscheidung zurückgeführt werden auf die Grundbestimmung. Man kann auch aus Angst vor der Strafe normenkonform handeln. Man kann sich auch nicht vor Gericht mit dem Hinweis auf die eigene Sündhaftigkeit herausreden. Schon gar nicht kann man sich herausreden damit, dass man eben Lust gehabt hat auf die Frau, die man vergewaltigt hat. Es kann erwartet werden, dass eine erwachsene Person ihre Triebe kontrolliert. Die Selbstdistanzierung gehört – egal von wo determiniert – zu den Grundzügen erwachsener Personalität. Neuronal realisiert ist natürlich auch der Selbstbezug. Es geht aber dabei um reflektierte Prozesse, um Argumentationen, deren Kausalität ebenso wenig physikalischer Natur ist wie die Konsistenz einer software. Insofern wird die Aussage, alles sei physikalisch bestimmt, umso leerer, je mehr Konfliktmöglichkeiten wir der Person zugestehen. Letztlich kommt es zu einer überraschend paradoxen Situation: Die naturwissenschaftliche oder auch physikalistische Suche nach immer genaueren Kausalketten zerfasert zusehends – und übrig bleibt als Argument für die Determination die philosophische und theologische Einsicht, dass es für eine personale Entscheidung zu simpel ist, sich auf Indeterminismus zurückzuziehen. Die Alternative kann aber dann wieder nur in der Person liegen. Soll diese Aussage nicht ihrerseits leer bleiben, muss sie theoretisch profiliert werden. Das kann nur auf einer interpersonal-geschichtlichen Ebene erfolgen, und dafür sind die humanities zuständig und unverzichtbar. Es wird aber auch deutlich, inwiefern die Verantwortlichkeit der Person nicht in Frage gestellt wird durch die letzte Bestimmung des Willens. Die Identität der Person ist unverfügbar – und damit auch unantastbar, sie muss respektiert werden. Das ist vermutlich auch die Intuition, die der landläufigen Begründung des Strafrechts in der freien Entscheidung zwischen alternativen Handlungs­optionen

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zugrunde liegt.177 Die Identität der Person hat sich gerade in der Begegnung von Personen als unauslotbar herausgebildet. Dann aber ist ganz einfach zu erwarten und zu verlangen, dass sie sich an rationale Argumente hält, die immerhin einen Minimalkanon von Verbindlichkeiten gewährleisten. Es ist möglich, dass sich eine Person dagegen entscheidet. Das ist dann aber niemals eine freie Entscheidung im indeterministischen Sinne. Diese Entscheidung gehört zur Person und wird sanktioniert, weil die Person ihre interpersonal gewachsene Personalität pervertiert. Das kann sie nur, weil sie zunächst einmal interpersonal gewachsen ist. Die Sanktion erfolgt also auch zugunsten der Person. Daher kann das Strafrecht einerseits vorsehen, die Strafe zu mildern in genau dem Ausmaß, wie eine vorgängige Störung der personalen Balance – vor allem durch äußeren Zwang, aber auch durch psychische oder gar physische Determination – nachweisbar ist. Und auf der anderen Seite kann erwartet werden, dass die Person sich entscheidet für eine Intensivierung der interpersonalen Begegnung, also nicht aus dem Fluss der lebendigen Beziehung heraustritt. Insofern ist die personale Freiheit keine Gegebenheit und schon gar nicht eine Eigenschaft der Person.

3.  Gelassenheit und Sünde Das Geheimnis der unverfügbaren Person zeichnet sich ab in der nicht auszulotenden Spannung von Determinationen – oder besser: Bestimmungen –, die nicht auf eine einzige Ebene reduzibel sind. Sie sind zwar physikalisch realisiert, aber eben in unterschiedlichen Strängen und Netzen. Daher kommt keine letzte kausale Ebene in Betracht, schon gar nicht die neuronalen Prozesse. Das Geheimnis ist nicht zu verwechseln mit der Unfreiheit des Willens, wohl aber kommt es zu einer wichtigen Konvergenz. Es geht nämlich darum, ob die Person befreit wird zu ihrem eigenen und eigensten Geheimnis – oder ob sie darauf beharrt, das Geheimnis zu reduzieren auf die einfache Ebene des zentrierten „Ich“ oder auf die ebenso einfache Ebene der physikalischen Erklärung aller Realität. So ist der Wille der Person entweder der sündige Widerwille gegenüber Gott oder der befreite, gelassen von Gottes Geist getragene und durchdrungene Wille. In beiden Fällen bleibt es bei einem Geheimnis. Das tritt in jener nicht 177 Mir ist nicht durchsichtig, warum die Schuld als Zurechenbarkeit einer strafbaren Handlung den freien Willen voraussetzt. Vorausgesetzt wird, dass die Person hätte anders handeln können, nämlich gesetzeskonform. Dass sie in dem oben beschriebenen Konflikt nicht dem Gesetz gefolgt ist, mag zu dieser Person gehören. Aber sofern es nicht um krankhaftes Verhalten geht, muss dann diese Person auch als so oder so geprägt respektiert werden. Sie ist anderen Personen etwas schuldig geblieben, nämlich die gesetzeskonforme Handlung, und diese Schuld kann nicht einfach beiseitegeschoben werden – auch um der schuldigen Person willen.

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ableitbaren Bekehrung hervor, die wir nach evangelischer Auffassung erst nachzeichnen können, wenn unser Wille schon befreit wurde.178 3.1  Theologie und Neurophysiologie im gelassenen Gespräch Greifen wir noch einmal auf den ästhetischen Zusammenhang zurück: Es gehört eine bestimmte Kette neuronaler Prozesse dazu, eine Melodie als Melodie zu hören. Aber dieselbe Melodie kann nun auch anders gehört werden, beispielsweise als überraschend durch die Hintertür eintretender Refrain in einem Rondo. Neuronale Prozesse und strukturelle Merkmale der musikalischen Gebilde sind demnach derart rückgekoppelt und verästelt, dass von einer einlinigen Kausalität keine Rede sein kann. Diese Rückkopplungen und Verästelungen sind (a) keinen Moment lang außerhalb des physikalisch realisierten Geschehens und (b) keinen Augenblick lang nicht von irgendwoher determiniert. Aber sie sind nicht durch die physikalischen Basisprozesse allein determiniert. Es wird dann auch klar, warum die Untersuchung solcher Zusammenhänge aufschlussreich ist, aber den Gehalt eines Kunstwerks nicht erschöpfend freilegt. Die Rückführung gewisser Aspekte auf ihre natürlichen Grundlagen widerspricht nicht der Entfesselung von Kreativität.179 Entsprechend kann die innere Struktur der Person immer noch differenzierter beschrieben werden. Das bedeutet, dass Intersektion und Verknotung von kausalen Ketten oder Netzen nicht zu einer Reduzierung von Freiheit führen müssen, sondern im Gegenteil zu intensiveren Erfahrungen von Spielräumen. Solche Spielräume haben nichts mit einer Unterbrechung der Determination zu tun – es reicht, wenn sich mindestens zwei Bestimmungen in fruchtbarer Weise begegnen. Daher ist die Erfahrung von Kreativität ein besonders elementares Paradigma. In knapper Form gesagt: Kreativ ist nicht die Aufhebung von Regeln, sondern die nicht-prognostizierbare Entdeckung neuer Regeln. Das setzt voraus, dass die Person ihre Bestimmungen reflektieren und sich davon distanzieren kann. Dabei ist nicht vorausgesetzt, dass ein „Ich“ – das es überdies noch „gibt“ – diese Distanz vollzieht. Es reicht aus, wenn das Gehirn nicht homogen und zur Reflexion fähig ist. Wenn es im Gehirn nachweislich nicht ein Zentrum gibt, sind wir sogleich wieder auf dem Boden der Theologie. Die reformatorische Theologie beschreibt die Person als Balance ohne Mitte. 178 Weil wir im Rückblick sagen können, was unserer Befreiung vorausliegt, ergibt sich auch erst in dieser Perspektive die Vorstellung einer Alternative. Das führt zu der perspektivischen Täuschung, wir könnten uns für oder gegen den Glauben entscheiden. 179 An dieser Stelle ist Bieris hilfreiches Beispiel eines Gemäldes noch zu vertiefen, denn die physikalische Realisierung und die ästhetische Ebene sind, auch wenn sie nicht identifiziert werden können, möglicherweise raffiniert ineinander verwickelt. Diese Verwicklungen treten aber erst dann hervor, wenn zunächt die Differenz deutlich ist; vgl. ders., Regie, passim.

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Die zentrierte und die ausbalancierte Person sind nicht dasselbe. Die ausbalancierte Person hat ihre Mitte außerhalb ihrer selbst und ist gehalten in Gottes schöpferischem Geisteswirken. Die Ergebnisse der Hirnforschung bestätigen bislang diese biblische Einsicht. Freilich bestätigt die Unmöglichkeit, ein Zentrum aufzuweisen, auch die Skepsis bezüglich einliniger kausaler Erklärungen. Der Gedanke reicht noch weiter: Ich kann auf meine Weise extrem determiniert sein – die andere Person ist es auf ihre Weise auch, und mit Sicherheit anders. Daraus ergeben sich subtile Differenzen, die jeweils in die Determination eingreifen. Auch hier kommt es zu Spielräumen, die nicht verwechselt werden dürfen mit Beliebigkeit, denn die jeweils unterschiedlichen Interpretationen etwa einer musikalischen Struktur verweisen wieder auf die unverwechselbaren Bestimmungen der Personen. Dann liegt Freiheit – in der Gestalt von nicht zentrierten Spielräumen zur Selbstdistanz – aber zwischen den Personen. Die letzten Gedankengänge zeigen auch, dass Kreativität und somit Freiheit – im Sinne von Spielräumen – keineswegs einer vielschichtigen Determination widerspricht, sondern sich exakt daraus ergibt. Dazu passt auch die Erfahrung, dass Kreativität stets mit Präzision zu tun hat und interessanterweise auch zumeist mit Affekten. Wichtig ist, dass die physikalisch wirksame Verkettung neuronaler Prozesse dabei zwar das Fundament bildet, aber nicht die fundamentale Determination bewirkt. Es gibt demnach keinen Geist ohne Materie. In der Lehre vom Heiligen Geist und zuletzt in der Eschatologie kommt es stets auf die Leiblichkeit an. Gemeint ist mehr als bloß körperliche Präsenz, das Wort trifft eher die bereits angesprochene Einsicht, dass die mentalen Strukturen zwar von physikalischen Prozessen zu unterscheiden sind, aber nicht vermöge einer merkwürdigen „Innerlichkeit“, sondern als durchaus objektive Strukturen zwischen den Personen. Es wäre zu fragen, ob das auch die Affekte betrifft. Leiblichkeit schließt wesentlich die Möglichkeit der Begegnung ein, also wieder eine spezifische Räumlichkeit, und damit die personale Relation. In diesem Bereich wird besonders deutlich, dass die Begrenztheit der individuellen Person ein schöpferisches Prinzip ist. Indessen ist der Physikalismus der neueren Debatte auf seine Weise auch ein ironisches Zeichen für die sündige Vernunft. Statt der Freude über die enorme Komplexität neuronaler Prozesse, die beinahe vergleichbar ist mit der Komplexität der h-Moll-Messe, kommt die Angst auf, dass wir vielleicht mitsamt unserer Vernunft nur Produkte einer Evolution sind und gar nichts Besonderes. Das erfüllt exakt die Prognose Luthers, dass die Vernunft ungeheuer viel leistet, aber doch klein und erbärmlich wird, wenn es um sie selber geht.180 Nur um der klaren Rationalität willen reduziert sich die Vernunft auf eine bloße ratio. Das 180 Vgl. WA 39/I,176 (Thesen 10 und 11).

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ist eine intellektuelle Musterstudie für den Begriff „Sünde“. Besonders pervers sind dabei jene Argumente, die uns nahelegen, die Konsequenzen zu ziehen und uns eben nicht mehr als Personen zu betrachten. Die Sprache müsste sich dann radikal verändern.181 Das erinnert an den armen Elektrotechniker, der sich wegen seiner scharfsichtigen physiologischen und evolutionsbiologischen Analyse von Verliebtheit nicht mehr verlieben kann. 3.2  Sünde, Gelassenheit und Freiheit Wird die Sünde zerstört, der Krampf gelöst, die Grundausrichtung des Willens durch den Heiligen Geist verändert, so müssen dabei die physikalischen Gesetze nicht außer Kraft gesetzt werden – aber natürlich kommt es zu einer dramatischen Veränderung des personalen Lebens, zur Befreiung dieses personalen Lebens in einer Begegnung von außen. Abgesehen davon, dass ich eher eine Marionette Gottes sein will als ein Lasttier des Teufels – wir sind in dieser Befreiung passiv und dennoch keine Marionetten, weil wir uns selbst in der „Bekehrung“ gerade durchsichtig werden, wenn auch niemals letztendlich. Dass wir die „Bekehrung“ nicht aus eigenem Willen herbeiführen konnten, macht uns sensibel für die Tiefe unserer eigenen Person. Um aber keine Marionette zu sein, ist die letzte Selbsttransparenz gerade nicht erforderlich, nicht einmal wünschenswert, und der verfehlte Griff nach dieser letzten Selbsttransparenz ist nach der Erzählung in Gen 2 und 3 das treffende Charakteristikum des sündigen Menschen. Gelassenheit als Verzicht auf die letzte Selbst-Begründung ist schon aus begrifflichen Gründen nur möglich als Befreiung des Willens. Dazu muss der Wille nicht letztlich frei sein – es reicht, wenn er nicht mehr zwanghaft ist. Wir haben angedeutet, dass Bestimmung nicht notwendig der Kreativität widerspricht, sie vielmehr präziser auszuleuchten erlaubt. Kreativität hat zu tun mit Kombinatorik – und insofern erschließt gerade die präzise Analyse von Prozessen eine Fülle von wuchernden Varianten. Dabei ist Kreativität nicht zu reduzieren auf Kombinatorik. Es muss ja eine neue Dimension aufleuchten, eine in sich evidente Struktur muss sich einstellen oder gar aufdrängen. Das ist eine Befreiung von bisher eingeübten Denkmustern (die ihrerseits auch nicht einfach nur zwanghaft sein müssen). Die Erfahrung von Freiheit wird somit nicht an einer anthropologischen Größe festgemacht – und vor allem nicht an einem sogenannten Vermögen –, sondern an einem Geschehen, einer Befreiungserfahrung. Es geht nicht um alternative Möglichkeiten, zwischen denen ich zu wählen habe, sondern um Möglichkeiten, die mir unerwartet zuwachsen. Die sind 181 Vgl. zu einer derart radikalen Position die Bemerkungen zum eliminativen Materialismus bei Pauen, Philosophie, 90 ff.

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nicht kausal auf mich zurückzuführen (jedenfalls nicht immer, vor allem dann nicht, wenn eine andere Person sie mir erschließt), wohl aber kann ich sie mir aneignen, auch wenn sie meine bisherige Bestimmtheit neu ordnen. Ich habe zwar nicht einen ultimativen, wohl aber einen weitreichenden Zugriff auf meine eigene Bestimmtheit. Und es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich kreative Neuentdeckungen im Bereich der Selbsterkenntnis ereignen. Aus der interpersonalen Konstruktion der Freiheit – als wechselseitiges Befreiungsgeschehen – ergibt sich aber selbstverständlich die Verantwortlichkeit. Es entfällt die geläufige, aber genau genommen inkonsistente Argumentation, dass ich für mein Handeln haftbar gemacht werde, weil ich für mich auch anders hätte handeln können. Ich kann für mich allein immer nur so handeln, wie ich bestimmt bin. Aber ich werde dabei durch andere Personen bestimmt und entweder noch weiter in Zwänge genommen oder aber befreit. Ich bestimme meinerseits andere Personen auch. So ergibt sich eine wechselseitige Erweiterung der Bestimmungen und vertiefte Selbstwahrnehmung, zugleich zeichnet sich ein Konsens über die Grundlagen einer freien Gemeinschaft ab. Das gehört allerdings zur erwachsenen menschlichen Person. Ich habe eine lange Reihe von Chancen gehabt, konsensfähiges Verhalten einzuüben, und viele rationale Gründe dafür etc. Wenn nun jemand sagt, das alles habe ihn nicht überzeugt, weil er nun einmal so sei, wie er sei – so ist das zwar denkbar, aber eben auch fragwürdig. Er muss dann entweder seine physisch-neuronale Konstitution abweichend darstellen oder aber seine Form von Rationalität. Im Übrigen ist es nicht glaubwürdig, wenn jemand so argumentiert, denn genau damit zeigt er ja, dass es auch anders geht. Offenbar entsteht so oder so – unabhängig von persönlichen Determinationen – ein Niveau von Reflexion, das sich begründeter Maßen erwarten lässt. Sollte es zutreffen, dass das limbische System die Letztentscheidung hat, so verweist dies nur auf den starken Einfluss der Emotionen, die auch von der reformatorischen Anthropologie stets hervorgehoben werden.182 Es wäre aber zu fragen, ob die Emotionen einer Gestaltung zugänglich sind. Damit berühren wir wieder den Bereich der Ästhetik. Die Strafe oder auch die Erziehung zielen auf eine freie menschliche Person, die sich zu distanzieren und ihr Handeln zu reflektieren weiß. „Freiheit“ in diesem Sinne ist nicht vorausgesetzt, sondern eine zu realisierende Größe, kein Vermögen, sondern ein zwischen Personen sich bewegendes Geschehen. „Freiheit“ ist ein Prädikat nicht von einzelnen Personen, sondern von Gemeinschaften, ebenso wie „Gerechtigkeit“. Diese Freiheit ist vereinbar mit komplexen Determinationen, sofern diese Bestimmungen kreativ sind und Spielräume der Selbstdistanzierung erschließen. Das kann und muss eingeübt werden. Hier 182 Vgl. dazu Roth, Fühlen, Denken, Handeln, 525 ff.

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erlangt der „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ eine erstaunliche Plausibilität: Die Geschichte einer Person führt zu Handlungen, die wieder zur Geschichte beitragen. Soll diese Geschichte korrigiert werden, so sind kreative Eingriffe erforderlich, die nicht einfach die Vergangenheit vertiefen, sondern Kurven nehmen. Die Determination für die Zukunft eines Schuldigen kann durchaus geändert werden durch eine umgreifende Geschichte, die eine andere Wendung nimmt. Dazu kann die Strafe gehören, die nun als Sühne verstanden wird. Dann gehört aber stets auch die Vergebung hinzu, nämlich als schöpferische Eröffnung einer überraschenden Zukunft für den Täter (und zuweilen auch für die Opfer).

Fuge

Predigt über Röm 11,33–36 Baseler Münster zu Trinitatis 2016

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerspürlich seine Wege! Denn wer hat die Gedanken des Herrn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen? Oder wer hat ihm zuvor gegeben, dass Gott ihm zurückgeben müßte? Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist Alles. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen. (Röm 11,33–36)

Liebe Gemeinde, „wie unergründlich seine Entscheidungen und wie unerspürlich seine Wege!“ (v.33b). Wäre dies das letzte Wort, so könnten wir uns getrost alle Predigten und auch alle Theologie sparen. Vielleicht könnten wir noch über den Widerspruch spotten: Woher sollen wir überhaupt wissen, ob es Entscheidungen sind, wenn wir sie doch nicht ergründen können? Was sind das für Wege, die keine aufweisbaren Spuren hinterlassen? Von Gott müssten wir dann schweigen – und wir wüssten nicht einmal, ob wir von Gott schweigen. Welch eine freudlose Aussicht! Nun findet sich der Halbvers in einem ganz bestimmten Zusammenhang, eben am Ende einer stellenweise verzweifelten und jedenfalls vertrackten Grübelei. Paulus ringt mit der Frage, warum Israel, das erwählte Volk Gottes, sich nicht zu Jesus Christus bekehrt. Dieses Ringen führt zunächst einmal in das gedankliche Labyrinth der Kapitel 9 bis 11 des Römerbriefs. Und doch kommt es am Ende zu einem Durchbruch: Die Verweigerung Israels gegenüber dem Bekenntnis zu Christus entspringt dem Geheimnis Gottes, sie bereitet die Erfüllung vor, sie folgt einem Plan und ist daher weise, sie ist geistreich wie ein Spiel, wo jeder Zug das Spielfeld ändert. Israel als erwähltes Gottesvolk und der Leib Christi bleiben aufeinander bezogen, es gibt keine Schnittmenge, sondern den Streit um Gott, der beide bis ans Ende der Tage aneinander bindet. Das ist geistreicher als ein kleinster gemeinsamer Nenner. So bringt Paulus es auf den Punkt: Wie ihr zuvor Gott ungehorsam wart, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams, so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie Barmherzigkeit erlangen (v.30 f.).

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Fuge

Der menschliche Ungehorsam und die Barmherzigkeit Gottes schaukeln einander hoch, verbinden Israel und den Leib Christi unauflöslich miteinander und lassen in alledem die Fülle Gottes erahnen. Das ist ein geistreiches Spiel. Ich denke an ein Drama, wo immer tiefere Konflikte aufbrechen und gerade darin die Protagonisten immer intensiver aufeinander bezogen sind. Von Euripides bis hin zu Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch wird dabei der Abgrund der menschlichen Existenz bloßgelegt. Das führt entweder zu einer Tragödie oder zu einer Komödie, je nachdem, ob zuletzt alle tot – oder verheiratet sind. Das Gegenüber Israels zum Leib Christi ist allerdings eine göttliche Komödie, in der die Tiefen Gottes aufgerissen werden. So kommt Paulus zu einem Durchbruch aus seiner Grübelei – und an dieser Stelle wandelt sich die Atmosphäre seiner Gedanken und Sätze. Er wird von der Freude an seiner Erkenntnis so überwältigt, dass er zu singen anfängt. Die ganze vergrübelte Argumentation mündet in den Jubel angesichts der glanzvollen Tiefe des göttlichen Reichtums. So formuliert Paulus einen poetischen Lobgesang, ein musikalisches Spiel mit Begriffen, das keine unverbindliche Spielerei ist und die Fülle Gottes aufleuchten lässt. Es geht im gesamten Römerbrief um das Evangelium, um eine freudige Mitteilung. Passt es da nicht gerade, wenn selbst noch das letzte und bedrängende Problem – die sogenannte „Israel-Frage“ – gründlich behandelt, am „Ende vom Lied“ aber doch „mit gutem Humor“183 aufgelöst wird? Wenn sogar die Verstockung Israels auf Gott hin geordnet ist, was sollte sich diesem drive denn entziehen? Das Spiel hat seinen theologischen Ort sogar im ewigen göttlichen Leben. Natürlich ist es eine poetische Zuspitzung, wenn die Weisheit davon erzählt, wie sie vor Gottes Angesicht gespielt hat. „Ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit“ (Spr 8,30). Die Weisheit ist in Ewigkeit geboren aus Gott. Das spielerische Gegenüber setzt die Schöpfung überhaupt erst frei. Dieser poetische Blick in die Tiefen des göttlichen Lebens ist kostbar. Alles ist aus Gott, nicht etwa als Ausfluss, sondern in der spielerischen Freiheit Gottes gegründet. Ein Spiel hat Regeln – und es ist umso interessanter, je weniger wir den Verlauf vorhersehen können. Das bildet der Lobpreis am Ende von Röm 11 nach: Er ist klar gegliedert, und doch lockt er uns in ein semantisches Labyrinth. Wie es sich für einen Lobgesang gehört, ist dieser Jubel streng geformt. Auch ein Kanon wird zwar gespielt, ist aber keine Spielerei, weder für den Komponisten noch für die Musiker noch für die Hörer. Das Gotteslob des Paulus könnte ich mit einem solchen Kanon vergleichen, wo die Stimmen identisch, allerdings gegeneinander verschoben sind und gerade dadurch sinnvolle Zusammenklänge 183 Robert Schumann überschreibt das letzte der Fantasiestücke für Klavier op. 12 mit „Ende vom Lied“ und setzt als Vortragsbezeichnung hinzu: „Mit gutem Humor“.

Predigt über Röm 11,33–36

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ergeben. Auf den ersten Blick erinnert das an ein magisches Quadrat, wo in jeder Zeile und in jeder Spalte die Summe der Zahlen gleich ist. In einem Kanon ist jede Stimme eigenständig und eine charakteristische Melodie, zugleich tragen die Stimmen einander und bilden einen harmonischen Raum. Raffiniert ist ein Kanon, weil die Stimmen identisch sind. Was die Melodie war, wird zur Gegenstimme – oder umgekehrt, und dann gibt es möglicherweise noch mehr als zwei Stimmen. Wer das aufmerksam hört, kann schon an manchen Stellen die Orientierung verlieren – wo ist jetzt „oben“ und „unten“? –, aber auf angenehme Weise, denn alles bleibt in einer geistreichen Balance. Im Lobgesang am Ende von Röm 11 stoßen wir auf drei Begriffe, die unterschiedlich aufeinander bezogen werden können: „Reichtum – Weisheit – Erkenntnis“. Am Ende sind diese drei Wörter keine Begriffe mehr. Sie bezeichnen keine festen Vorstellungen, eher setzen sie unser Denken in Bewegung. Denn jedes der drei Wörter umgreift auf seine Weise die beiden anderen und hebt sich von ihnen ab, indem es in die beiden anderen übergeht. So können die drei Wörter auch als Präpositionen formuliert werden: „von Gott her – durch Gott – auf Gott hin“. Alles wird durchsichtig für Gott, und zwar in drei Perspektiven. Darin leuchtet das Leben Gottes auf, auf Griechisch: die doxa – also Gottes Herrlichkeit oder vielleicht treffender: Gottes Schönheit. Begriffe und feste Vorstellungen werden verwandelt in bewegte Gedanken, aus Substantiven werden Präpositionen, aus „Reichtum – Weisheit – Erkenntnis“ wird „von Gott – durch Gott – auf Gott hin“. Diese Verwandlung formuliert Paulus in zwei Sätzen, die kunstvoll ineinander verschlungen sind. Der erste Satz: Gottes Entscheidungen sind unergründlich. Das demonstriert Paulus gerade am Gegenüber Israels zum Leib Christi: Die Scheidung geht nicht einfach auf. Der Leib Christi übergreift den Unterschied, denn die Gemeinde Jesu Christi wird zusammengefügt aus Juden und Heiden. So gerät die Scheidung in Bewegung, sie wird dynamisch und geistreich. Der Leib Christi steht „quer“ zum Gegenüber von Juden und Heiden. Das verlockt zum „Querdenken“ und lässt die göttliche Fülle erahnen. Die Weisheit, in der Gott unterscheidet, führt immer wieder zu neuer Erkenntnis, überschreitet unsere Festlegungen. – Der zweite Satz: Gottes Wege sind unerspürlich. Wir können Gottes Spuren nicht „feststellen“. Wir dürfen sie aber mitgehen, werden von der Bewegung Gottes mitgerissen und sind mitten darin. In dieser geistreichen Bewegung kommt es zu einem Reden von Gott, das nicht eindeutig und doch präzise ist. Gottes Geist durchdringt unsere Erkenntnis und kehrt unseren Geist um: Wir erkennen Gott, so wie wir erkannt sind (1Kor 13,12). Wir begreifen Gott nicht, weil wir von Gott umgriffen sind. Das ist die Weisheit Gottes, im Unterschied zur Weisheit der Welt, die auf eindeutige Festlegungen, auf „objektive Feststellungen“ drängt und letztlich sogar Gott festnagelt, wenn auch ohne bleibenden Erfolg.

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Fuge

Am Kreuz Jesu Christi verdichtet sich die Weisheit Gottes und macht die Weisheit der Welt lächerlich. Die Mächte der Welt können es nicht ertragen, wenn sie nicht ernst genommen werden, daher reagieren Diktatoren aggressiv auf Satire. Das ändert nichts daran, dass Gott hier das Spiel der göttlichen Weisheit auf die Spitze und ein Spiel mit der Weisheit der Welt getrieben hat. Es bleibt den Mächten verborgen, uns aber ist es enthüllt. Wir werden in die Tiefen des göttlichen Geistes hineingerissen und ergriffen von der Selbsterkenntnis Gottes. Von einem unergründlichen Gott dürfen wir reden, er setzt unser Denken in Bewegung. Die Tiefe Gottes – das ist kein gähnender Abgrund, sondern die unerschöpfliche Kreativität, die spielerische Phantasie, die überschäumende Vielfalt der Ideen, die Gott zu einer wunderbaren Schöpfung gestaltet hat wie ein Kunstwerk, das an jeder Stelle auch anders sein könnte und doch gerade so gelungen ist. So ist alles von Gott her. Die Weisheit Gottes leuchtet auf in den Scheidungen, die schon in der Schöpfung – Licht und Finsternis, Himmel und Erde, Land und Meer – und erst recht in der Geschichte für die besondere Gestalt der Geschöpfe sorgen. Alles hat durch Gott seinen Bestand. Diese Scheidungen sind aber keine digitalen „Schwarz-Weiß“-Definitionen. Sie gehen nicht einfach auf und sorgen immer wieder für frische Bewegung – so wie das unauflösliche Gegenüber von Israel und Leib Christi. Sie sind wie ein Spielfeld, das ein geistreiches Spiel möglich macht und sich im Verlauf des Spiels ändern kann. Dieses Spiel hält die Freude an Gott lebendig und macht unser Leben durchsichtig für die Fülle Gottes. So ist alles auf Gott hin. Fülle, Weisheit und Erkenntnis gehen ineinander über, in jedem der Begriffe stecken die beiden anderen. Ich habe den Lobpreis am Ende von Röm 11 mit einem Kanon verglichen, auch mit einem magischen Quadrat. Treffender könnte ich von einer „magischen Brezel“ sprechen. Die drei Wörter „Fülle – Weisheit – Erkenntnis“ gehen ineinander über und bilden einen Bogen, einen einzigen Zusammenhang, der nicht einfach wie ein Kreis in sich selbst zurückläuft, sondern zunächst in zwei Gedankensträngen weiterläuft. Gottes Scheidungen sind unergründlich, seine Wege sind unerspürlich. Beide Gedanken verknoten sich ineinander und münden dann wieder in den Bogen ein (es ist gar nicht so einfach, eine Brezel mit Wörtern zu beschreiben). So wird eine Brezel zu einer in sich geschlossenen, aber doch – anders als ein Kreis – nicht gleichförmigen, sondern in sich gegliederten Figur. Die Kurven, Bögen und Knoten sind wichtiger als die Einzelteile – wer eine Brezel auseinandernimmt, hat die Teile in der Hand, es fehlt dann nur das geistige Band. Das ist sicherlich ein Hinweis auf die Lehre von der Dreieinigkeit, die nicht den scheinbaren Widerspruch zwischen der Einheit Gottes und der Dreiheit der Personen behauptet, sondern die dreifache und darin unerschöpfliche Einheit Gottes formuliert. Es ist raffiniert, dass Paulus die Dreiheit in der Einheit am Ende nur noch ganz sparsam mit den drei Präpositionen skizziert:

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„Alles aus ihm und durch ihn und zu ihm hin“ (v.36). Wenn alles durchsichtig wird für das göttliche Leben, können wir auch unser freudiges Reden irgendwann auslaufen lassen. Und der Friede Gottes, welcher höher ist als eine jede Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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Nachweis der Erstveröffentlichungen Den nachfolgenden Verlagen sei für die Erteilung der Abdruckgenehmigung gedankt: ȤȤ „cmz-Verlag“ ȤȤ „Edition Ruprecht“ ȤȤ „Evangelische Verlagsanstalt“ ȤȤ „Gütersloher Verlagshaus“ ȤȤ „T&T Clark“ (imprint of Bloomsbury Publishing Plc.) ȤȤ „Verlag Herder“ Maurer, Ernstpeter, Dogmatik als Wissenschaft, in: ders. (Hg.), Grundlinien der Dogmatik, Rheinbach 2005, 23–40. –, Kennwort: Trinitätslehre, in: Glaube und Lernen 17 (2002), 11–23. –, Geist und Spiritualität in religionsphilosophischer Sicht, in: Glaube und Lernen 26 (2011), 190–208. –, Zur Dialektik der Naturwissenschaft im Lichte der Schöpfungslehre, in: Glaube und Lernen 23 (2008) 28–38. –, Wie vernünftig ist der Atheismus?, in: Glaube und Lernen 28 (2013) 122–136. –, Grammatik des biblischen Redens von Gott. Grundlinien der Trinitätslehre Karl Barths, in: ZDTh 14 (1998), 113–130. –, „Für uns“: An unserer Stelle hingerichtet. Die Herausforderung der Versöhnungslehre, in: ZDTh 18 (2002), 190–210. –, „Der königliche Mensch“. Das Leben in Barths Christologie, in: ZDTh 31 (2015), 5–30. –, Narrative Strukturen im theologischen Denken Karl Barths, in: ZDTh 23 (2007), 9–21. –, Theologische Weichenstellungen in Karl Barths Römerbriefauslegung von 1922, in: ZDTh 23 (2007), 209–218. –, Selbstvergessenheit, in: Michael Beintker/Ernstpeter Maurer/Hinrich Stoevesandt/Hans G. Ulrich (Hg.), Rechtfertigung und Erfahrung. FS Gerhard Sauter, Gütersloh 1995, 168–184. –, Lebendige Vernunft? Zur personalen Wirklichkeit bei Martin Luther, in: Bertram Stubenrauch/ Michael Seewald (Hg.), Das Menschenbild der Konfessionen – Achillesferse der Ökumene?, Freiburg 2015, 186–216. –, The Perplexity and Complexity of Sinful and Redeemed Reason, in: Paul J. Griffiths/Reinhard Hütter (Hg.), Reason and the Reasons of Faith, New York/London 2005, 194–220. –, Der unverfügbare Wille – jenseits von freier Entscheidung und Determination, in: Christof Gestrich/Thomas Wabel (Hg.), Freier und unfreier Wille? Handlungsfreiheit und Schuld­ fähigkeit im Dialog der Wissenschaften, Berlin 2005 (BThZ Beiheft), 94–109.

Namensregister

Adam 196, 282 Allen, Diogenes 10 Apollinaris (von Laodicea) 173 Aquin, Thomas von 100, 245, 248 Arcimboldo, Giuseppe 20 Aristoteles 235, 245, 265 Augustinus 245, 267, 271 Augustine 267, 271 Austin, John 247 Bach, Johann Sebastian 35, 45 f., 60, 72, 83, 287 Bachmann, Ingeborg 68, 70 Barth, Karl 10, 24, 103–201 Basil the Great 271 Beethoven, Ludwig van 21, 26, 67, 70–72 Benedikt XVI. 247 Boethius 119, 229 Brahms, Johannes 71 Büttner, Gerhard 38 Calvin, Johannes 128 Canterbury, Anselm von 92 f., 99 f., 264, 272 Cantor, Georg 253 David 212–214, 217 Davidson, Donald 261 Dawkins, Richard 95 Erasmus 236 Escher, Maurits Cornelis 38, 187 Eutyches 174

Jenson, Robert William 271 f. Jesus von Nazareth 16, 22, 36 f., 123, 126 Joest, Wilfried 229, 236, 273 Johannes der Täufer 160 Johannes Paul II. 207, 249 Jüngel, Eberhard 239, 260 Kant, Immanuel 7, 10, 55, 59, 99 f., 181, 196, 227, 230 f., 253, 257, 285 Kuhn, Thomas Samuel 208 Latomus 232 Libet, Benjamin 208 Luther, Martin 7, 10, 52 f., 90, 193, 203–297 Mackie, John Leslie 89 Masaccio 38 McCormack, Bruce 178 McIntosh, Mark 277 Mose 113 Nathan 153, 212 f. Nestorius 174 Pannenberg, Wolfhart 55, 74, 196 Pauen, Michael 65, 285, 287, 295 Paulus 146, 160, 166, 215 f., 225, 230, 232, 249 f., 265–267, 277, 301–304 Polkinghorne, John 68 Putnam, Hilary 92 f., 96, 208, 255, 270, 276, 286 Pythagoras 140

Goodman, Nelson 96, 208 Gregory of Nyssa 271 Griffiths, Paul J. 257, 267 Grillmeier, Alois 170 Gunton, Colin 271 f.

Quine, Willard Van Orman 59 f., 96, 208, 253

Härle, Wilfried 57 Haydn, Joseph 70 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 10, 43 f., 49 f., 60–62, 65, 235

Sauter, Gerhard 8 f., 205, 211 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 10, 44, 52, 59, 61 f., 66, 182, 240 f. Shakespeare, William 79

Roth, Gerhard 50, 80, 286 Rupp, Hartmut 38 Russell, Bertrand 254

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Namensregister

Smolin, Lee 70, 72, 76 Spinoza, Baruch de 76 Stubenrauch, Bertram 207

Welker, Michael 54, 170 f., 176, 182, 184, 223 Wittgenstein, Ludwig 10, 59, 82, 96, 106, 111, 246, 251, 253, 260–264

Torrance, Alan James 180, 254, 257, 278 f.

Yu, Carver T. 264, 270

Sachregister

Abbildung 57, 59, 96, 185, 207, 246 Abgrund 29, 136, 302, 304 Abgründig 30, 33 f., 112, 136 f. Abstraction 258, 262–264, 270 Abstrakt 32, 37, 93, 118, 153, 159, 164, 173, 188, 244 Abstraktion 21, 32, 59, 78, 88, 91, 93, 111 f., 125, 140, 156, 158, 165, 179, 187, 231, 239 Abweichung 19, 21, 70 f., 82 f., 151 Aktivität 62, 93, 205, 232, 241 Alexandrinisch 170, 173 f. Allmacht 34, 75 f., 90, 145 Alte Kirche 15, 33, 53, 178 Altes Testament 16, 56, 113, 125, 155, 178 Alttestamentliche Geschichte 114, 160, 163 Ambivalenz 7, 50, 198, 285 Analogia entis 24, 90, 122, 179, 248 Analogia fidei 24, 122, 179 f., 182, 198 Analogia relationis 129 Analogie 24, 58, 69, 74, 76, 90 f., 97, 122, 248 Analyse 59, 62, 99, 235, 288 Analytisch 59, 111 Angst 218, 240 Anhypostasie 108 f., 158, 167, 169–171, 174, 192, 200 Anhypostatische Relation 159 f., 164, 168 Anima 227, 230, 239, 266, 275 Anrede 22, 25, 168 Anstößig 17, 125, 128, 139, 200 Anstößigkeit 17, 108, 125, 159 Anthropologie 10, 226, 239, 241, 281, 296 Anthropologisch 10, 152 f., 207, 210, 290, 295 Antinomie 100, 119 f., 123, 126, 194 Antinomies 254–256, 258, 264, 268, 270, 274 Antiochenisch 170, 174 f. Äon 109, 195 f. Äonenwende 196 Aporien 207 f., 227 Apostel 160 Apperzeption 231 Arianer 34 Asymmetrie 72, 75, 150 f., 175, 196 f.

Atem 37, 53, 211 Atheismus 47, 89–91, 101, 228 Auferstandener 35, 200, 218 Auferweckung 16, 22, 34 Aufleuchten 97, 114 Balance 50, 56 f., 60, 69, 74, 82, 86, 105 f., 140, 147 f., 164, 170, 174, 176, 289, 292 f., 303 Barmherzigkeit 136, 144 f., 184, 224, 301 f. Beauty of creation 271 Befreite Vernunft 91, 101, 230 f., 244 f., 249 Befreiung 63, 90, 147, 153, 169, 207, 216, 218, 222 f., 233, 249, 284 f., 295 f. Bekenntnis 90, 107, 238 Bekenntnisschriften 283 Glaubensbekenntnis 25, 30, 153 Glaubensbekenntnis von Konstantinopel 16 Neutestamentliches Bekenntnis 22 Osterbekenntnis 17 Berechnen 43, 79, 89, 101, 232, 243 Bergpredigt 159–161 Bibel 22, 29, 67, 111, 113, 153 Biblische Geschichte 32 f., 36, 98, 101, 107 f., 116, 135, 152, 177 f., 181, 198 Biblischer Text 11, 15–17, 23, 32, 75, 101, 107, 110, 115 f., 122, 149, 153, 168, 284 Biblische Sprache 15 f., 18, 211 Biblisches Reden 28, 32 f., 37 f., 63, 99, 106, 110, 115, 242 Biblisches Zeugnis 15, 21 f., 25, 27 f., 31, 33 f., 75, 105–107, 110–112, 115–117, 122, 152 Biographie 72, 79, 108, 175 Bottom-up-Erklärung 68, 70–72 Brezel 304 Buchstabe 216–218 Charakter 37 f., 70, 82, 86, 108, 118, 125, 156, 158, 229, 288 Charakteristischer Zug 36–38, 73, 101, 110, 116, 182, 239 Christologie 154, 168, 178, 187, 205, 210 Christusgeschehen 34, 37, 107, 113, 125, 180, 185

Sachregister

Christusgeschichte 33, 107 Christuswirklichkeit 199, 201 Communio 87 Confessio Augustana, CA 283 Denkmuster 24, 56, 105 f., 152, 201, 295 Denkschematismus 27, 105, 110, 115, 129, 149 Determination 25 f., 73 f., 209, 284–287, 289–294, 296 f. Determinismus 25 f., 208, 280 f., 285 f. Deutscher Idealismus 44, 49, 65 Dialektik 44, 61, 64, 83, 113–116, 131, 136, 141, 181–184, 188 f., 191–193, 198–200, 205 Dialektisch 7, 64, 108 f., 113, 116, 132, 149, 171, 179, 181, 192–194, 196, 205, 231, 235 Dialog 69, 220, 231, 245, 270, 273 Didaktisch 32, 153 Dogma 17, 22, 152 Dogmatisch 105 Dogmatische Aussage 18, 22, 24 f., 27, 108, 177, 181 Dogmatische Formel 16 f. Dogmatisches Denken 7, 26 Doxa 77, 186, 303 Doxologie 106 f., 131, 146 f., 150, 184 f., 187 Doxologisch 107 f., 139, 147, 152, 183, 187, 189 Doxologisches Reden 112, 115, 121, 123, 129, 173, 185 Dreieinigkeit 75, 98, 121 f., 245, 304 Dreiheit 121 Dreiheit der Personen 304 Dualismus 192, 243, 286–288 Dynamik 21, 43, 51, 58, 63, 74 f., 79, 157, 166, 169 f., 182–186, 193, 196, 220, 223, 237, 242 Dynamisch 62 f., 76, 303 Dynamische Beziehung 53 Dynamische Einheit 60 Ebenbild 38, 131, 234 Eigenname 21, 111, 192, 218 Eigenschaft 84, 133, 170, 178, 230, 244 Eigenschaft Gottes 248 Eigentliche Rede 98, 206, 234 f., 238 Einheit der Wirklichkeit 43, 49, 65, 208 Einheit Gottes 16, 28, 30 f., 34, 117 f., 121, 124, 127, 245, 304 Einheit in der Differenz 44, 51 f., 59, 62, 66, 98, 100

313 Einheit in Differenzierung 60, 245 Einsicht 39, 50, 59, 65, 75, 77, 87 f., 125, 138, 153, 159, 189, 285, 291, 294 Einzigartige Geschichte 21, 23 f., 107 f., 169, 183, 234 Ek-statisch 44, 229 Ekstatische Erfahrung 53 Emergent 172, 255 Empirisch 91, 93, 99, 147, 226 f. Encounter 262 f., 266, 268–270, 273 Energie 44, 53 f., 63 Entäußerung 36, 85, 125 f., 129 Entfremdung 22, 134 f., 213, 222 Enthüllung 113, 115 f., 118, 181 Enzyklika 207, 244 f. Erbarmen 157 Erfahrung Gottes 32, 53 Ergriffen 24, 49, 55, 115, 152, 282, 304 Ergriffensein 49, 51 f. Erhöhung 156, 162, 166, 169, 171, 174, 186 Erlösungsgeschehen 231 Erschüttern 26 f., 115 Erschütterung 24 f., 53 Erwählen 16, 36, 107 f., 125, 135, 155, 167, 178, 190, 301 Erwählung 26, 125, 135, 162, 168, 173, 182 f., 185, 187, 195 f., 201 Erwählungslehre 108, 137, 153, 155, 164, 173, 178, 186, 190, 196–198, 200 Erzählung 101, 107 f., 122 f., 154, 157, 181, 183, 187, 229 f., 248, 295 Ethik 62, 227 Ethisch 32, 106, 224 Evangelien 108, 150, 153, 155 f., 158, 165 f. Evangelische Theologie 9, 25, 90, 207, 234, 249 Evangelium 16 f., 205, 213, 215–218, 222, 247, 302 Ewig 34, 108, 139, 143, 155, 157, 160, 166 f., 185, 195 Ewigkeit 30, 47, 80, 108 f., 156, 160, 173, 175, 178, 180, 189, 196 f., 199–201, 301 f. Göttliche Ewigkeit 16, 107, 168, 175, 177, 190, 195 Ewigkeitstiefe 183, 187, 196 f. Exakte Wissenschaft 18, 20, 26, 76, 207 Existenz 47, 89, 99 f., 110, 167 Anhypostatische Existenz 167, 172, 176, 195 Geschichtliche Existenz 164

314 Geschöpfliche Existenz 170 Menschliche Existenz 112, 125, 132, 153, 168, 174, 194, 302 Menschlich-personale Existenz 61 Existenzweise 30 f., 156, 170 Exklusiv 131, 174, 188 f. Extra nos 211 Faith 9, 250, 257, 264–272, 276, 279 Family resemblances 260 Fixierung 57, 60, 176, 219, 223, 244, 246, 249 Fleisch 77, 139, 228, 232, 240 f. Formel von Chalcedon 22, 38, 107, 152, 170 Freiheit des Handelns 208 Freiheit des Willens 208 Freiheit Gottes 29–31, 111, 117, 181, 189 f., 302 Freiheitserfahrung 100 Fremde Gerechtigkeit 215 Fröhlicher Wechsel 52, 234 Fülle 28, 30, 47, 72, 106, 153, 165, 168, 173, 181, 187, 190, 227 f., 236, 295, 302–304 Fundamentalismus 63, 208 Gebet 36, 105, 108, 127, 147, 151, 153, 167, 238, 285 Gefangenschaft 145, 147, 164, 229 Gegenwart 15 f., 75, 105 f., 110, 113 f., 117, 128, 151 f., 155, 159 f., 162, 175, 216, 220 Gegenwart Gottes 32 f., 112–114, 120, 128, 145, 155 f., 175, 192, 241 Geheimnis 54, 97, 120, 122, 129, 139, 149, 166, 174, 192, 206, 210, 234, 289, 291 f. Geheimnis Gottes 54, 107, 114, 122, 126, 133, 166, 168, 196, 234, 301 Göttliches Geheimnis 54 Menschliches Geheimnis 54, 149 Gehorsam 7, 31, 33, 36, 120, 124–129, 139, 145, 151, 155, 190 Freier Gehorsam 140, 158, 167, 169, 173 Geisterfahrung 53, 60, 64, 210 f. Geisteswissenschaft 20 f. Geistgewirkte Erfahrung 64 Geist Gottes 63, 83, 87, 117, 205, 212, 219, 221 f., 238, 284 Geistige Struktur 45, 68, 70, 74 Geistlichkeit 192 Geistlos 7, 47, 51, 60, 81, 85, 88, 221 Geistreich 9, 28, 30, 44, 47, 55, 58, 63 f., 80 f., 85, 88, 125, 211, 213, 220, 223, 301, 303

Sachregister

Geistreiche Sprache 87 Geistreiche Vernunft 7 f., 11, 46 Geistreiche Wirklichkeit 55, 57, 59, 62, 66, 80 Geistvoll 28, 32, 34, 43, 52, 59, 63, 82 f. Gelassenheit 170, 173, 269, 279, 295 Gemeinde 37, 158 f., 161, 164, 166, 187, 216, 218 f., 236, 301 Gemeinde Christi 21, 219, 225, 303 Gemeinschaft 17, 172, 211, 222–224, 296, 301 Lebendige Gemeinschaft 87, 225 Geschenk 51, 61, 132, 149, 231, 233, 289 Geschichte Gottes 16, 22, 26, 32, 35, 101, 107, 112, 125, 127, 134 f., 137, 150, 154–156, 158, 173, 175, 230, 234, 247 Geschichtliches Leben 158 Geschichtliche Wirklichkeit 56, 154, 161, 163, 168, 176 Geschöpf 16, 22, 26, 32, 34, 45, 63, 73, 90, 138, 171–174, 178, 180, 189, 207, 226, 228, 230, 240, 248 f., 281, 304 Geschöpfliche Wirklichkeit 31, 53–55, 63 f., 75, 80 f., 86, 88 f., 119, 122, 163, 219, 221, 228, 243 f., 287 Geschöpflichkeit 132, 227, 289 Gesetz 19, 45, 60, 62, 68, 94, 105, 141, 145, 159, 198, 207, 212–217, 222, 283, 287, 290, 292, 295 Gesetzesfrömmigkeit 213 Gesetzespredigt 213 f., 217 f. Gesetz und Evangelium 205, 213, 216 f., 222 Gesicht 22, 37 f., 74, 116, 210–212, 215–218, 288 Angesicht 22 f., 37, 74, 289, 302 Gesicht Gottes 22 Gesichtszug 37, 216 f. Gethsemane 35 f., 120, 127, 140, 150 f., 167 Glaubensgelassenheit 280 Gnadenlehre 228, 282 Gnadenwahl 108, 155, 164, 167, 169, 173, 179–181, 183, 185–189 God’s-Eye View 92, 255, 265 Gottebenbildlichkeit 45 f., 73, 88, 219, 228, 289 Gottesbegriff 89, 91 f., 100, 106, 126 Gottesbeweis 76, 92, 97, 100 f. Gottesbeziehung 15, 31, 132, 226, 230, 240 Gottesbild 32 f.

Sachregister

Gotteserfahrung 33 Gotteserkenntnis 249 Gottesfeindschaft 35, 107, 120, 128 Gottesgeist 32, 35, 37, 44, 74 f., 205 Gottes Geist 10, 17, 23–25, 28, 30, 37, 63, 75, 184, 210, 212, 221, 225, 246, 284, 292, 303 Gottes Gerechtigkeit 145 Gottesknecht 34 f., 134 Gottes Kreativität 67 Gotteslehre 32, 34, 180, 182, 205, 210 Gotteslob 17, 75, 107, 302 Gottesreich 160, 162 Gottessohn 36, 125 f., 128, 134 f., 141 f., 150 f., 158 f., 165–167, 169, 173 f. Gottesvolk 35, 135, 144, 178, 190, 301 Gottes Wille 31, 34, 151 f., 171 Gotteswort 28 f., 36, 75, 106, 108, 113, 123 Gottes Wort 63, 75, 113, 178 f. Gottheit 16 f., 35, 37, 127 f., 130 f., 150, 190, 226, 249 Göttliche Allmacht 76 Göttliche Anrede 22 Göttliche Einheit 16, 28, 30–32, 118, 127 Göttliche Ewigkeit 16, 195 Göttliche Freiheit 30 f., 36–38, 164 Göttliche Gerechtigkeit 232 f. Göttliche Kausalität 74 Göttliche Kreativität 55, 73, 76, 88, 97 Göttliche Liebe 80, 144 Göttliche Logik 78 Göttliche Natur 36, 126 Göttliche Ousia 38 Göttliche Person 23, 36, 119 Göttliche Personalität 66, 124 Göttliche Phantasie 28 Göttlicher Geist 54 f., 304 Göttliche Selbsthingabe 36 Göttliche Selbstverpflichtung 91 Göttliches Handeln 31, 35, 69, 152 Göttliches Leben 29, 34, 36, 61, 155, 169, 175, 177, 180, 182, 185–189, 191, 201, 207, 302, 305 Göttliches Wesen 22 f., 28–30, 32, 34, 118 f., 127, 139 Göttliche Unveränderlichkeit 34 Göttliche Vernunft 85 Göttliche Wirklichkeit 44, 52–54, 62, 75, 101, 106, 154, 159, 161, 187, 189 Göttliche Wirksamkeit 61 Gott-menschliche Wirklichkeit 154, 165, 170

315 Grammatik 10, 33, 80, 82, 106, 111, 113, 118, 190 Güte Gottes 90 f. Handeln Gottes 15, 31, 36, 90, 109, 132, 139, 146, 153, 162 f., 228, 230, 243, 280 Hebräisch 25, 56, 113, 239, 241 Heiden 17, 303 Heiliger Geist 24, 28, 43, 115, 126, 158, 164, 166, 170, 176, 182, 184–187, 190, 194, 205, 210, 214, 219, 221, 249, 280, 282, 294 f., 301 Heiligkeit 114 Heiligung 184, 205, 211 Heilsbotschaft 159 Heilsgeschichte 248 Heilshandeln 237 Hermeneutik 32 Herrschaft 111 f., 128, 155, 158, 163 Herz 17, 145, 157, 213, 290, 305 Historischer Jesus 108, 160 Hoffnung 35, 130 Hohlraum 109, 192–194., 196, 198 f., 241 Human person 250–252, 257 f., 261 f., 266 f., 269 f., 272–278 Hypostase 38, 105, 117, 120, 122, 126, 128 f. Hypostasis 38 Idealismus 43 f., 49, 65, 94, 244 Ideal language 251 f. Identifikation 120–124, 128–130, 167, 288 Identität 17, 23, 43 f., 50, 52, 54, 56, 60, 63 f., 101, 120–124, 127, 131, 133, 136, 138–140, 145, 147, 149, 157–159, 169 f., 173, 176, 179–181, 184, 191, 193 f., 197, 206, 213, 215, 218, 225, 230 f., 233–236, 244, 287–292 Illusion 52, 65, 94, 169 f., 205, 207, 237, 288 Incommensurability 274 Incurvatio 267 Indeterminismus 26, 285, 287, 290 f. Individualität 210, 223, 289 Individuelle Person 51, 223, 294 Individuum 51, 59, 96, 134, 180, 222, 284 Infinity 253 f., 257, 261, 268, 271, 273 Inkarnation 108, 126, 168 f., 173–175, 190 Inklusiv 131, 134, 174, 188 f. Inkommensurabel 140, 155–158, 168, 289 Inkommensurable Geschichte 157, 175 Inkommensurabilität 140, 149, 157 f., 161, 166, 173

316 Inkonsistenz 91, 227 Innenperspektive 26, 124, 179 Innenspannung 52, 115, 168, 184, 235, 243 Innere Notwendigkeit 56, 137, 150, 166, 183 f., 190, 199 Inneres 238, 242 Innergeschöpflich 47, 127 Innergeschöpfliche Kategorie 55 Innergeschöpfliche Kausalität 69, 77 Innergeschöpfliche Ursache 90 Innergöttliche Bewegung 98 Innergöttliche Differenzierung 80 Innergöttliche Spannung 32 Innerweltlich 74, 90 f., 157 Inspiration 7, 44, 55–57, 63, 65, 83, 86 Interpersonale Relationen 289 Inthronisation 35, 166 Ironie 20, 71, 86, 133, 279 Israel 16, 35 f., 112–114, 125 f., 130, 134, 139, 144, 159 f., 162 f., 166–168, 178, 182, 184 f., 187 f., 301–304 Volk Israel 36, 107, 123, 125, 134 f. Iustificatio impii 219 Iustitia distributiva 135, 148, 224 Jahwe 144, 147, 160, 214 Jesus von Nazareth 16, 22, 36 f., 123, 126 Kanon 163, 302–304 Karikatur 64, 92, 110, 133, 212–214, 216, 237 Katastrophe 36, 107, 178, 199, 205 Kausalität 45–47, 55–57, 60, 67–70, 72, 74–77, 86 f., 100, 285, 287, 289–291, 293 Kirche 15, 33, 53, 105, 130, 166, 176, 178, 185, 219, 225, 245 f. Kirchliche Dogmatik, KD 10, 105, 108, 110–112, 115, 131, 153, 177, 181, 183, 191, 195, 199, 201 Komplementär 39, 57, 61, 64, 68, 243 Komplementarität 38 f., 64, 150 Konflikt 22, 107, 136, 148, 150 f., 154, 156, 163, 169, 182 f., 189, 225, 242, 248, 283, 288–292, 302 Konfrontation 21, 105, 107, 129, 134, 143 f., 147, 151, 161, 163, 171–173, 178, 190, 199 f., 212, 233 Königlicher Mensch 154–158, 162, 164–166, 168, 172 Konkordienformel 280–282 Konkretion 29–32, 36, 38, 108

Sachregister

Kontingenz 56, 61, 64, 132, 137, 139, 147, 152, 179, 182, 197, 199–201 Kontrollverlust 43 f., 49 f., 65 Kontur 16, 22, 25, 28, 47, 197, 283 Konzil 208, 246 f., 249 Konzil von Chalcedon 25 Konzil von Konstantinopel 16, 25 Korrespondenz 98, 100, 105, 206, 246 f. Kreativität 56, 71, 77, 225, 293–295, 304 Göttliche Kreativität 55, 73, 75, 88, 97 Kreativität Gottes 46, 63, 67, 73, 75, 81 Kreuz 16, 35 f., 90, 107, 113 f., 120, 127, 133, 144, 147, 150 f., 155 f., 160 f., 164–167, 186, 192, 200, 217, 233 f., 304 Kultur 17, 20, 49, 56, 65, 78, 82 f., 87 Kyrios 106, 111 Labilität 44, 53, 61 f., 64, 106, 176, 198, 289 Law 252, 265, 268, 276, 278 Lebendige Beziehung 52 f., 292 Lebendige Ganzheit 61 Lebendige Gemeinschaft 255 Lebendige Gottesbeziehung 15 Lebendiger Gott 10, 27–29, 35, 105, 128, 190 Lebendiges Bewusstsein 61 Lebendige Sprache 44, 46, 56, 59 f., 63, 82, 243 Lebendige Umwelt 61 Lebendige Wirklichkeit 58, 94, 198, 211, 231 Leben Jesu 108, 156, 158, 160, 164, 166 f. Lebewesen 69 f., 227, 284 Lehre von der communicatio idiomatum 129, 169 Lehre von der Dreieinigkeit 98, 245, 304 Leib Christi 24, 37, 164, 169, 171 f., 175 f., 218–220, 230, 236, 301–304 Leiblichkeit 44, 206, 220, 239, 288, 294 Leiden 16, 22, 34–36, 90 f., 98, 142–146, 148, 150 Lesart 21, 85, 106, 116 f., 123, 153, 211, 214 f., 217, 232 Liberation 250, 267, 276, 278 Libertas christiana 211 Liebe 22 f., 80, 135, 144, 181 f., 212, 218, 236, 301 Lobgesang 147, 302 f. Lobpreis 17, 185, 201, 302, 304 Logik 17, 44, 46, 57, 77 f., 80 f., 84 f., 88, 101, 120, 131, 136 f., 149, 197, 201, 208, 228–231, 234, 242, 284, 286, 288

Sachregister

Göttliche Logik 78 Narrative Logik 155 f., 160 f., 168, 172–174, 182, 186, 188 Relationale Logik 57, 123, 126 Logos 29 Lógos ásarkos 173 Macht 54, 90 f., 145, 153, 164, 187, 228, 249 Marionette 289, 295 Mathematik 76, 79 f., 84–86, 88, 94, 97 f., 208, 246 Mehrdeutigkeit 39, 44, 47, 82, 85, 101, 159, 208 Menschensohn 156–159, 165, 167–174, 184 Menschliche Natur 24, 36, 38, 80, 108, 114, 150, 158, 162, 169 f., 172 f., 178, 192, 194 Menschliche Person 10, 15, 17, 22 f., 25, 29, 32 f., 35–37, 53–55, 61, 75, 77 f., 81, 87 f., 90 f., 97, 107 f., 114, 123, 128, 137, 139, 145, 148, 154, 158, 161 f., 166, 168–171, 174, 178, 189, 193, 195, 205 f., 211, 216, 226–232, 234, 237–239, 245, 247 f., 280, 282, 289, 296 Menschlicher Geist 43–45, 54, 60, 63, 72 f., 83, 86, 227, 288 Menschliches Bewusstsein 55, 65, 205 Menschliches Geheimnis 54, 149 Menschliches Geschöpf 16, 22, 26 f., 45 f., 63, 73, 75, 77, 86 f., 98, 101, 108, 154, 156, 171, 173 f., 178, 180, 189, 207, 226–228, 230, 233 f., 240, 247 Menschliches Handeln 94, 136 Menschliches Wesen 22, 171 f., 175, 230 Menschliche Vernunft 17, 76 f., 84, 90, 92, 94, 97, 231, 249 Menschliche Wirklichkeit 21, 24, 45, 53, 57, 60 f., 69, 78, 81 f., 85–88, 95, 154, 172, 180, 226, 248 Metapher 47, 54, 86 f., 98, 141, 206, 220, 232–235, 237–239, 243, 246–248 Metaphor 259–263, 273 f. Metaphorisch 47, 49, 51, 53, 74, 81, 86, 99, 220, 233 f., 236–239, 246, 289 Metaphorische Rede 82, 87, 98, 101, 206 f., 234 f., 238, 246 f. Metaphorische Sprache 98, 206, 243, 247 Meta-Sprache 80 Modalismus 118 f., 124, 127 Moralisch 39, 60, 288 Musikalisch 11, 58, 67, 153, 287 f., 293 f., 302

317 Nachdenken 15, 149, 181, 246 Nähe Gottes 32 Narrativ 11, 15, 27, 32, 38, 45, 76, 106–108, 117, 132, 134–136, 147, 150, 152 f., 266, 278 f. Narrative order 276 Naturkausalität 45, 59, 81 Naturwissenschaft 27, 43–46, 61, 67, 69, 73, 76–80, 84 f., 88, 91, 98, 208, 244, 283 Naturwissenschaftliche Erkenntnis 55, 71, 92 Naturwissenschaftliche Rekonstruktion 55 f., 69 Naturwissenschaftliche Theoriebildung 70, 85, 91, 94, 243 Neues Testament 17, 22, 34, 37, 114, 120, 125, 154, 163 f., 166, 173 Neuronal 60, 70, 79, 95, 242, 286, 288 f., 291, 296 Neuronaler Prozess 26, 68, 80, 86, 95, 208 f., 227, 239, 242, 284–288, 290, 292–294 Neutestamentlich 22, 35 f., 120, 134, 147 Neutestamentliches Zeugnis 168, 170, 176 Offenbarungsdreiheit 197 Offenbarungsherrschaft 111–113, 117 Offenbarungstrinität 117 f. Offenbarungszeugen 115 f. Offenbarungszeugnis 110 f., 116, 123, 129, 188 Ontologie 33 f., 51, 56 f., 109, 156, 158, 167, 170, 207, 219, 229 f., 232, 242–245 Pluralistische Ontologie 59 Relationale Ontologie 57, 232, 234 Opfer 153, 297 Paradigma 43 f., 51 f., 57, 118, 170, 180, 192, 197, 224, 230, 239, 243 f., 248, 293 Paradigmatisch 50, 111, 151–153, 207, 209, 212, 262 Paradigmatische Geisterfahrung 60 Passion 34, 36 f., 136, 142 f., 150, 155, 165, 275 Johannes-Passion 35 Markus-Passion 35 Passion Jesu Christi 151 f., 190 Passionsgeschichte 125, 129, 165 Passivität 34, 205, 233, 241, 281 Passivity 269 f. Pelagianismus 282

318 Perichorese 119–122 Personale Begegnung 55, 97, 219, 221, 287 Personale Beziehung 33, 46, 50–53, 55 f., 60 f. Personale Einheit 50 Personale Identität 23, 43, 50, 64, 133, 136, 138, 140, 145, 147, 149, 169, 173, 176, 179, 197, 230, 235, 244, 289 Personale Realität 98 Personale Relation 157, 237, 294 Personale Sprache 82, 98, 101, 235, 247 f. Personales Reden 97 Personales Selbstbewusstsein 61 Personales Zentrum 164, 169 f., 229, 231, 236–238, 245 Personale Tiefe 97 Personale Wirklichkeit 43 f., 46 f., 55, 60, 63, 81, 86 f., 95, 97–100, 176, 206 f., 220, 222, 228, 231, 235, 239, 242 f., 246 f. Personalität 22, 48, 61, 66, 97, 117, 124, 143 f., 157, 169 f., 210, 223, 238, 288 f., 291 f. Personal unity 258, 263, 266, 269 Personentausch 53, 108, 129–131, 133 f., 136, 152 f., 157, 178, 180, 187, 200, 206, 232, 234, 247 Person Jesu Christi 36–38, 75, 143, 159 Personzentrum 158, 169, 206 f., 282 Pfingsten 33 Phantasie 20, 28, 65, 304 Philosophie 10, 25, 34, 43 f., 49, 51, 55 f., 59 f., 62, 82, 97, 106, 194, 208, 226–229, 242, 246 Physik 18–20, 26, 45, 62, 73 f., 77–82, 84–86, 89, 93–95, 98, 207, 235, 243, 245 Physikalisch 18 f., 21, 25 f., 43, 45 f., 55, 59 f., 64, 67–70, 73 f., 77 f., 80 f., 86, 90–95, 97, 209, 285–295 Physiognomie 74, 210–213, 215–218, 220, 222 f. Pluralität 47, 59, 85 f., 91, 96 f., 119, 208, 245, 287 Pneuma 211 Pneumatologie 54, 61, 183 f., 194, 205, 210 f., 219 Pneumatologisch 146, 168, 176, 191, 193, 211 Pointe 28, 30, 32, 38, 47, 75, 117, 123, 128 f., 138, 152 f., 174, 180, 224, 229, 281, 286, 291 Polyphonie 7, 81 Potenzierung 86, 123, 130 Prädestination 196 Prädikat 57, 91, 128, 138, 191, 194, 248, 284, 296

Sachregister

Prophet 34, 159 f., 212 f. Prophetisches Amt 124 Prósopon 210, 216 Provokation 16 f., 37, 113 f., 123, 127, 154, 217 Provozieren 25, 36, 86, 98, 113, 116, 138, 155, 217, 220 f., 223, 249 Psalm 33, 35, 147 Qualität 172 Quantifizierbar 90 Quantitative 262, 275 Raffinesse 38, 67, 133, 241 Ratio 20, 43, 85, 207, 226, 228, 230, 243 f., 248 f., 251 f., 257 f., 263, 265–269, 275 f., 281, 283, 294 Rationalität 89, 230, 249, 294, 296 Realität 19, 44, 46 f., 56, 59, 62, 78, 92–100, 141, 143, 168 f., 175 f., 193, 207–209, 246, 288, 292 Geschöpfliche Realität 47, 89, 96 Personale Realität 98 Reason 9, 250–258, 261, 263–270, 273–279 Rebellion 143–146, 276, 278, 281 Rechtfertigung 25, 139, 205, 208, 211, 219 Rechtfertigungslehre 179, 210 f., 219 Reden Jesu 159–161 Reductionism 255–257, 259, 267 f. Reductionist 254 Reflection 250, 252, 258 f., 265, 274 Reformatorische Theologie 64, 169, 205, 208, 293 Regressus 100 Regressus ad infinitum 100, 254 Reich Gottes 128 Reichtum 28, 30, 44, 106, 117, 131, 230, 289, 301–303 Relata 119, 121, 126, 271 f. Relation 38, 43, 51, 58 f., 93 f., 96, 100, 119–122, 124–129, 157, 159 f., 163 f., 167, 172, 176, 206, 228, 235–237, 245, 252–255, 260, 263, 265, 268–273, 277, 279, 289, 294 Religion 43, 49, 52, 65 f., 163, 197 f. Repetitio aeternitatis 118, 123 Richter 129–131, 133 f., 139, 141–143, 201 Ruach 211, 239 Rückkopplung 45, 57, 69, 73, 79, 81, 83, 181–183, 187, 190, 293

Sachregister

Sabbat 75, 114 Schachtel 182 Schlechthinnige Abhängigkeit 61 f. Scholastiker 283 Schöpfer 28, 45, 73, 77, 88, 90, 227, 244, 249 Schöpfergeist 219 Schöpfung 17, 26, 31, 44–47, 63–65, 67, 69, 75–77, 79–81, 83, 85–88, 90, 97, 119, 127, 135, 143, 162, 173, 193 f., 221, 226 f., 244, 248 f., 284, 302, 304 Schöpfungslehre 43, 67, 69, 77, 122, 129, 219 Schöpfungsmittlerschaft 219 Schuld 146, 198, 213, 217, 224, 237, 292 Science 73, 85 f., 251, 257, 262, 274 Scientific rationality 251, 256, 258, 277 Seele 52, 99, 170, 228, 240 f., 243, 282, 285 f. Seinsweise 118, 121–125, 127 f., 171, 176, 190 Selbstbegründung 132 f., 135, 143 Selbstbestimmung 31, 34, 36, 167, 169, 173, 181, 189 f., 285 Selbstbewusstsein 44, 61, 74, 228, 235, 240, 242 Selbstdistanzierung 135, 139, 144, 214, 288, 291, 296 Selbstentfremdung 36, 148, 214, 218 Selbstenthüllung 109, 111–114, 116, 120, 122, 182 Selbstentzogen 269 Selbstentzogenheit 56, 64 f., 291 Selbsterfahrung 33, 49 f., 56 f., 211, 229 Selbsterkenntnis 54 f., 130, 142, 149, 213–216, 222, 227–230, 237, 281, 284, 291, 296, 304 Selbstgerechtigkeit 107, 130 f., 133 f., 139–143, 145, 148, 178 Selbsthingabe 36–38, 133–135, 158 Selbstmitteilung 112, 114–118, 181 Selbstoffenbarung 105, 114–116, 131, 188, 247 Selbstunterscheidung 75, 120, 148, 151, 167, 213, 236, 245 Selbstvergessenheit 10, 200, 205, 211, 214 f., 217, 219, 222, 224 f. Selbstverlust 51, 133, 217 f. Selbstverschlossenheit 63, 233 Selbstverwirklichung 140, 174, 207, 215, 217 f., 221 Selbstwiderspruch 132–135, 145, 148 Self-reference 255, 258, 262, 266, 272

319 Semantik 49, 101, 115, 132, 192–194, 198, 211, 239 Semantisch 17, 21, 23, 27, 51, 53, 55, 93 f., 115 f., 118, 133, 191 f., 234 f., 242, 286, 302 Sensibel 44, 55, 73, 110, 217, 221, 295 Sohn 28, 34–36, 38, 107, 117 f., 122, 124 f., 128, 131, 134, 151, 165 f., 169, 172, 174, 182, 184–186, 200, 219, 232 Sohn Gottes 36, 119, 125, 139, 156, 158, 168, 171–173, 175, 215 f. Sola fide 179 Sola gratia 179 Spirit 250, 257, 266, 271, 276 Spiritus creator 219 Sprachliche Dynamik 21 Sprachliche Gestalt 58, 87, 163, 170, 176, 243 Sprachliche Gestaltung 87 Sprachliche Kommunikation 59 Sprachlicher Vollzug 59, 98 Sprachliche Struktur 82 f., 176 Sprachliche Wirklichkeit 56, 81, 100, 168 Sprachlos 78, 81, 165, 176, 184, 210 Sprachlose Wirklichkeit 46, 86 f., 244 Sprachspiel 82, 106 Stellvertretung 137, 140 f., 150, 153 Stories 21, 116, 122, 130, 175, 187, 189 Story 101, 112–114, 116, 120 f., 123–126, 128–130, 136, 149, 177–180, 183–185, 187, 250, 252, 262, 264–266, 269 f., 277 f. Strafe 135, 144, 148, 232, 291 f., 296 f. Subjektivität 91, 170 Subordinatianismus 35, 120, 124, 127 Sühne 297 Sündenbekenntnis 107, 131, 142, 146 f., 150, 152, 214 Sündenfall 146, 243 Sündenvergebung 218, 247 Taufe 193 Teleologie 58, 69, 73, 95, 186 Teleology 262 Teufel 228, 237, 295 Theismus 90, 97 Theologia crucis 147, 265 Theologisches Reden 10, 39, 191, 195 Theophanie 17, 35 Tiefe der Wirklichkeit 49, 51 f., 55, 97, 211 Tod 16, 34, 36, 107, 135, 143, 151, 166 f., 170, 212 f., 228, 237 Tod Jesu 35, 142 f., 166

320 Top-down-Kausalität 68, 72–74 Transparent 38, 111, 120, 122, 154, 159, 200, 252, 291 Transparenz 120, 155, 160, 176, 244, 291, 295 Transzendenz 31, 34 f., 37, 43, 49, 52 f., 66, 75, 114, 157, 161 Treffend 20, 25, 39, 47, 81, 87, 96, 189, 205, 212, 220, 239, 290, 295, 303 f. Treffende Interpretation 20 Treffendes Wort 22, 212 f., 217, 220 Trinitarisch 31 f., 34 f., 75, 105, 108, 121 f., 124, 131, 171 f., 176, 182, 186, 188, 190, 197, 210 Innertrinitarische Einheit 38 Trinitarische Formel 30 Trinitarisches Reden 31–33, 87, 184, 210 Trinitätslehre 10, 16, 25, 28, 31–38, 75, 106 f., 109, 111 f., 115 f., 119 f., 124, 173, 179, 188, 190, 192, 195, 199, 234 Immanente Trinitätslehre 107 f., 116–119, 121, 123, 129, 137, 153, 181, 188–190 Ökonomische Trinitätslehre 116, 137, 190 Propositionale Trinitätslehre 118 f., 126 Strukturelle Trinitätslehre 118 Tritheismus 118–120, 189 Tritheistisch 38, 127, 188 Tun-Ergehen-Zusammenhang 135, 297 Überfluss 30, 164, 190 Überlappung 47, 97, 140 Überraschung 114, 284 Überschreitung 49, 51, 54 Übersetzung 56, 80, 96 Überstieg 47, 52, 89 Übertragung 84, 126 f., 233, 239, 247 Ultimativ 20, 22, 54, 62, 75, 108, 144, 155, 173, 177 f., 180, 183, 185–188, 201, 205, 207, 296 Ultimative Wende 108, 173, 180, 201 Umwelt 56, 61, 80, 84 f., 93, 161 Unableitbarkeit 66, 112, 149 Unauslotbarkeit 75 Unbegreiflich 28, 30, 151 Unbegreiflichkeit Gottes 29 f., 106, 117 Unbelebte Natur 219 f. Unendlichkeit 52, 64, 84, 119 Unenthüllbarkeit 109, 113–115, 117, 123 Unerschöpflich 28, 46, 114 Unfathomableness 258

Sachregister

Unfreiheit 140, 148, 158, 208, 280, 292 Ungehorsam 140, 301 Universal 92, 109, 174, 178, 188, 195, 259, 262, 268, 274 Universalität 187 Unmittelbares Selbstbewusstsein 240 Unmittelbarkeit 197, 199 f., 210 Unsterblichkeit 228 Unteilbar 23 Unverfügbar 44, 51, 55, 113, 211, 269, 273, 276, 286, 289, 291 Unverfügbarkeit 51, 116, 123, 132 f., 137, 144, 149, 234, 274 Unvernünftig 7 f., 89, 91, 231, 290 Ursprung 29 f., 53, 84, 99, 128, 132, 134, 139, 170, 194, 196, 198 Ursprungsbeziehungen 122, 124 Urteil 130, 142, 145, 213, 225, 282 Usus elenchticus legis 152, 268, 276 Vater 10, 17, 28, 34, 36, 38, 117 f., 122, 124 f., 128, 131, 155, 165 f., 182, 185 f., 200 Vaticanum I. Vaticanum 248 II. Vaticanum 247 Verderbnis 281 Verdichten 38, 66, 107, 113 Verflechtung 62, 106, 121, 169 Vergebung 142, 144–146, 149, 151, 213, 224, 297 Verheißung 155, 159 f., 217 Verhüllung 112 f., 115 f., 118, 181 f., 192 Verkündigung 16, 105, 110 f., 116 f., 121, 123, 129 f., 152, 159–161, 217 f. Vernünftig 52, 77, 89, 95, 231, 242, 248 Vernunftlos 85, 244 Versöhnung 128, 143, 160, 198 Versöhnungslehre 124 f., 131, 152, 181, 187 Verstand 43, 60, 68, 85, 101, 241, 257 f. Verstockung 143, 213, 302 Versuchung 37, 46, 132, 151 Verwerfung 107 f., 113, 155, 178, 185, 187, 196, 201 Verwickelt 22 f., 32, 116, 132, 142, 172, 179 f., 216, 234, 248, 286, 293 Verwicklung 22, 36, 82, 96, 107, 117, 134, 156, 169 f., 172, 174, 176, 180, 183, 187, 205 f., 230, 245, 288 Verwirklichen 56, 190, 213 f. Vielfalt 15–17, 22, 44, 59, 64 f., 72, 82 f., 95 f., 106, 117, 181, 222, 235, 242, 286, 290 f., 304

Sachregister

Vollendung 159 f., 166, 168, 187 f. Vollkommenheit Gottes 99 Vorsehung 25 f. Wechsel 65, 131, 177, 183 Fröhlicher Wechsel 52, 234 Wunderbarer Wechsel 53 Weisheit 7 f., 28–31, 47, 80 f., 87, 117, 186, 225, 301–304 Weisheit Gottes 30, 47, 80 f., 303 f. Welt der Sünde 161 Weltgeist 225 Welthaftigkeit 192, 200 Wende 108 f., 160, 173, 180, 184 f., 193, 195, 198 f., 201 Ultimative Wende 108, 173, 180, 201 Wendepunkt 22, 121, 177, 187 Werk 10, 126, 129, 140, 150 f., 186, 194, 237 Wesen Gottes 29, 31, 38, 107 f., 117, 121, 125, 129, 150, 189 Wiedergeburt 282 Wille 29, 31, 34, 129, 132, 135, 137, 140, 151 f., 155, 165, 167, 169–171, 186, 195, 205, 208 f., 237, 280 f., 283 f., 290–292, 295 Freier Wille 23, 207, 231, 283 Menschlicher Wille 26, 170 Willkür 23, 30 f., 56, 79, 149, 176, 181, 197, 199, 236, 280, 289 Wirklichkeitsverständnis 123 f.

321 Wirksamkeit 61, 68, 72, 77, 182 Wisdom 250, 252, 265, 277 Wissenschaftstheoretisch 24, 75 Worte Jesu 159 f. Wort Gottes 17, 23, 28–30, 64, 77, 87, 101, 105, 113, 159 f., 192, 194, 206, 221, 240, 247 Wunder 161 f., 164, 170 Wunder Jesu 161, 164 Wurzel 16, 109, 111 f., 115 f., 140, 145, 148, 184, 186, 198, 231, 233 Zeichen 60, 151, 155 f., 161 f., 166, 193, 225, 291, 294 Zeitgeist 9, 54, 221 Zorn 135 f., 143–145, 212 f. Zuspitzung 34, 112–114, 134, 148, 156, 173, 180–183, 188 f., 198, 227, 229, 234, 237, 247, 302 Zuspruch 215 f., 218, 247 Zuwendung 22, 75, 105, 107, 162, 164, 213, 216 f. Zuwendung Gottes 22, 105, 164, 282 Zwang 47, 56, 63, 167, 176, 195, 208, 225, 234, 236 f., 281, 292 Denkzwang 26, 237 Zwanghaft 140, 143, 295 Zwei-Naturen-Lehre 107 f., 154, 169, 177, 179, 246

Bibelstellenregister

AT Gen 1,1–2,4a Gen 1,2 Gen 1,26 f. Gen 2 Gen 3 Gen 3,5

88 221 46, 73 295 138, 295 17

Ex 3,13 f.

113

2Sam 12,1–15 2Sam 12,7 2Sam 13a 2Sam 13b

212 153 214 213

Ps 8,5a 79 Ps 8,6a 79 Ps 22 35 Ps 51 108, 139, 147, 153, 238 Ps 51,7b 238 Ps 51,12 240 Ps 104,29 f. 51, 219, 284 Ps 139 25 f., 144, 291 Ps 139,5 29 Ps 139,13–16 285 Ps 139,14 f. 88 Ps 139,16 88 Spr 8,22–31 Spr 8,30 Jes 6 Jes 53 Englischspr. Deut 6:7

47, 80, 87 302 147 34 259

NT Mt 3,15 Mt 4,11

134 37

Mt 9,36 Mt 18,23 Mt 18,23–35 Mt 18,29b Mt 18,32 f. Mt 18,35

157 f. 224 224 224 224 224

Mk 10,17–22parr Mk 10,21–27 Mk 10,22 Mk 10,27 Mk 14,36 Mk 15,33 Mk 15,34 Mk 15,37 f. Mk 15,39

212 213 214 214 35 35 35 35 35

Lk 1,46–55

240

Joh 1,1–3 Joh 1,1–18 Joh 1,3 Joh 1,14 Joh 9,1 ff. Joh 16,13a

29, 46, 80 77, 152 219 28 163 187

Apg 2,5–13 Apg 2,7 f. Apg 2,37

221 33 17

Röm 1,18 ff. Röm 1,20 Röm 5–8 Röm 6 Röm 6,3 f. Röm 7 Röm 8 Röm 8,3b.4a Röm 8,14–16 Röm 8,14 ff. Röm 8,16 Röm 8,22

63 249 191, 195 194 233 193, 205 244 232 218 63 200 244

Röm 9–11 Röm 11,33–36

115 106, 301

1Kor 1,18–25 16 1Kor 2,6–8.12–15 225 1Kor 2,16b 8 1Kor 7,31 232 1Kor 12 24, 37, 236, 247 1Kor 13,12 303 2Kor 3,14 f. 2Kor 3,17 2Kor 5,19 2Kor 5,21 2Kor 10,5

213 56 35 206, 232 8

Gal 2,19 215 Gal 2,20 53, 170, 205 f., 214, 229 Gal 2,20a 215 Gal 2,20b 215 Phil 2 129 Phil 2,6–11 17, 106, 152 Phil 2,7 37, 125 Phil 2,8 34, 36, 125 f. Phil 2,11 106 Kol 1,15 Kol 1,15–18 Kol 1,15–20 Kol 1,15 ff. Kol 2,3 Kol 2,15

38 152 17, 106 219 7 146

1Thess 5,23

240

Hebr 1,3 Hebr 4,12 Englischspr. Rom 1:18 ff.

38, 126 218 250

323

Bibelstellenregister

Rom 3:28 Rom 7:14 ff. Rom 12:2

266 276 267

1Cor 1:18–2:16 250, 277 1Cor 1:18 ff. 277 1Cor 1:20 250

1Cor 2:6 ff. 1Cor 2:8 1Cor 2:10 ff. 1Cor 2:16

266 277 250 277

2Cor 3 2Cor 5

276 259

Gal 2:20

272

Col 2:8

277