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Pages [328] Year 2012
Abhandlungen zur Musikgeschichte
Band 25
In Verbindung mit Hans Joachim Marx, Martin Staehelin und Ulrich Konrad herausgegeben von Jürgen Heidrich
Rebekka Sandmeier
Geistliche Vokalpolyphonie und Frühhumanismus in England Kulturtransfer im 15. Jahrhundert am Beispiel des Komponisten John Dunstaple
Mit 39 Notenbeispielen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-89971-946-8 ISBN 978-3-86234-946-3 (E-Book) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der University of Cape Town, Südafrika. Ó 2012, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Tabula I, in: Claudius Ptolemaeus, Cosmographia, Ulm: Leonard Holl 1482, fol. 72v – 73r (SUB Göttingen: 2AUCT GR V, 4144 INC) Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Verzeichnis der Notenbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. John Dunstaple und die Musik in England . . . .
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21 29 41 53
Kunstförderung . . . . . . . . . . . . . . Die Bibliotheken . . . . . . . . . . . . . Kulturelle Kontakte: Personen und Orte Musikalische Kontakte: Handschriften .
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61 79 89 103
Die contenance angloise im Schrifttum . . . . . . . Musiktheorie und Humanismus . . . . . . . . . . . Die Humanisten und die Musik . . . . . . . . . . . contenance angloise und Humanismus in der Musik
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115 133 149 161
Grundlagen der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. John Dunstaples Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Werke englischer Komponisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173 179 195
1. 2. 3. 4.
John Dunstaples Leben . . . England im 15. Jahrhundert Musik in England . . . . . . Institutionen . . . . . . . .
II. England und Europa 1. 2. 3. 4.
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III. contenance angloise und Humanismus
1. 2. 3. 4.
IV. Die Musik
6
Inhalt
3. Werke kontinentaler Komponisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Guillaume Dufays Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217 229
Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 1: Werke englischer Komponisten in kontinentalen Quellen . . Anhang 2: Konkordanzen englischer Kompositionen in kontinentalen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 3: Texte und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253 253 262 271
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verzeichnis der Notenbeispiele
1: Anonymus: Ite misssa est: Deo gracias 2: Anonymus: Orbis pium primordium / O bipertitum peccatum 3: Byttering: Nesciens mater 4: John Dunstaple: Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus domini laudans 5: John Dunstaple: Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus domini laudans 6: Englisches Motto und englische Kadenz 7: John Dunstaple: Ave regina celorum / Ave mater expers paris / Ave mundi spes Maria 8: John Dunstaple: Gaude Virgo salutata / Gaude virgo singularis / Virgo mater / Ave gemma 9: John Dunstaple: Gaude Virgo salutata / Gaude virgo singularis / Virgo mater / Ave gemma 10: Symmetrien im Tenor von John Dunstaples Specialis Virgo / Salve parens 11: Die Antiphon Ave regina celorum 12: John Dunstaple: Alma redemptoris mater 13: John Dunstaple: Alma redemptoris mater 14: John Dunstaple: Salve regina 15: John Cooke: Alma proles regia / Christi miles / Ab inimicis nostris 16: Thomas Damett: Salvatoris mater / O Georgi / Benedictus qui ve17: Nicholas Sturgeon: Salve mater Domini / Salve templum gratie / -it in nomine Domini 18: John Forest: Ascendit Christus / Alma redemptoris mater 19: Leonel Power : Ave regina celorum 20: Leonel Power : Salve regina 21: Leonel Power: Salve regina 22: John Forest: Alma redemptoris mater 23: John Cooke: Ave regina celorum 24: Leonel Power : Alma redemptoris mater 25: Leonel Power : Ave regina celorum 26: Johannes Tapissier : Eya dulcis / Vale placens peroratrix
47 48 51 158 159 165 183 185 185 186 189 192 192 193 200 201 202 204 204 206 207 208 209 211 213 220
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Verzeichnis der Notenbeispiele
27: Johannes Franchois: Ave virgo lux Maria / Sancta Maria 28: Johannes Cesaris: A virtutis ignitio / Ergo beata nascio / Benedicta filia tua a domino 29: Gilles Binchois: Ave regina celorum 30: Guillaume Dufay : Fulgens iubar ecclesie / Puerpera pura parens / Virgo post partum 31: Guillaume Dufay : Fulgens iubar ecclesie / Puerpera pura parens / Virgo post partum 32: Guillaume Dufay : Alma redemptoris mater 33: Guillaume Dufay : Alma redemptoris mater 34: Guillaume Dufay : Ave regina celorum 35: Guillaume Dufay : Salve regina 36: Guillaume Dufay : Alma redemptoris mater 37: Guillaume Dufay : Ave regina celorum 38: Guillaume Dufay : Ave regina celorum 39: Guillaume Dufay : Ave regina celorum
221 222 226 232 233 235 236 237 238 239 240 241 241
Dank
Von der ersten Idee, zum Kulturtransfer im Europa des 15. Jahrhunderts zu forschen, über die Themenfindung bis hin zur Abfassung der Habilitationsschrift haben viele Menschen meine Arbeit begleitet und unterstützt. An erster Stelle gebührt Herrn Professor Dr. Jürgen Heidrich und Herrn Professor Dr. Klaus Hortschansky (Universität Münster) Dank für die zahlreichen Gespräche und ermunternden Nachfragen sowie Herrn Professor Dr. Reinhard Strohm (Oxford University) für seine Kommentare und Anregungen zu Fragen des Humanismus und der contenance angloise. Von vielen weiteren Kolleginnen und Kollegen – nicht nur aus der Musikwissenschaft – erhielt ich wertvolle Impulse für meine Forschung. Für diesen regen und anregenden Gedankenaustausch bin ich zutiefst dankbar. Hilfe praktischer Art leisteten Herr Karl-Heinz Glowotz und Herr Wolfgang Jacobmeyer. Ersterem verdanke ich die Übersetzungen aus dem Lateinischen sowie Hinweise zu Versmaß und poetischen Stilmitteln in Motettentexten, letzterem die Tilgung zahlloser Tippfehler und den Feinschliff in der Formulierung. Neben der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Musik des 15. und 16. Jahrhunderts lernte ich deren Schönheit durch das sinnliche Erlebnis des Musizierens unmittelbar kennen. Den Mitgliedern des Ensembles »Musikpraxis des Mittelalters und der Renaissance« am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Münster und seinem Leiter Herrn Garry Crighton (†) danke ich herzlich für diese Erfahrung. Kapstadt, im März 2012
Abkürzungen
AM AfMW CMM CSM DBI DNB DTÖ EECM EHR EM EMH JAMS LexMA MB MD MF MGG1 MGG2 ML MQ MR NGroveD NHMW NOHM PMFC RISM RMA
Acta Musicologica Archiv für Musikwissenschaft Corpus Mensurabilis Musicae Corpus Scriptorum Musicae Dizionario Biografico degli Italiani Oxford Dictionary of National Biography Denkmäler der Tonkunst Österreichs Early English Church Music English History Review Early Music Early Music History Journal of the American Musicological Society Lexikon des Mittelalters Musica Britannica Musica Disciplina Die Musikforschung Die Musik in Geschichte und Gegenwart Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. neu bearbeitete Auflage Music & Letters Musical Quarterly Music Review The New Grove Dictionary of Music and Musicians Neues Handbuch für Musikwissenschaft The New Oxford History of Music Polyphonic Music of the Fourteenth Century R¦pertoire International des Sources Musicales Royal Musical Association
Aosta Bologna Q 15 Modena B Old Hall Trient 87
Aosta, Biblioteca del Seminario Maggiore, MS A1D 19 Bologna, Liceo Musicale, Q 15 Modena, Biblioteca Estense, a.X.1.11 London, British Library, 57950 Trient, Museo Provinciale d’Arte, Cod. 1374
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Abkürzungen
Trient 92
Trient, Museo Provinciale d’Arte, Cod. 1379
CT Mo T Tr t c
Contratenor Motetus Tenor Triplum talea color
Einleitung
Im 15. Jahrhundert treten auf dem europäischen Festland und in England Phänomene auf, die die Musik der Zeit nachhaltig verändern: Die englischen Komponisten des frühen 15. Jahrhunderts werden von humanistisch gebildeten Laien und Musiktheoretikern des Kontinents als Ausgangspunkt in der Entwicklung eines neuen Kompositionsstils beschrieben. Martin LeFranc bezeichnet in dem Gedicht Le champion des dames (1440 – 1442)1 die contenance angloise als Merkmal des neuen Stils, während Johannes Tinctoris im Liber de arte contrapuncti (1477)2 John Dunstaple3 und andere englische Komponisten als dessen Vorboten nennt. So einig sich die schriftlichen Quellen über den Einfluss englischer Musik auf den neuen Stil in Europa sind, so ungenau beschreiben sie jedoch ihre Merkmale. Lediglich der Klang und die Herkunft werden immer wieder als Besonderheit der englischen Musik hervorgehoben, und die Neuheit der Übernahme von Eigenheiten englischer Musik bei europäischen Komponisten wird betont. Andersherum verbreiten sich die Ideen des Humanismus von Italien aus in ganz Europa. Auch hier erwecken regionale und nationale Eigenheiten sowie die historische Abgrenzung gegenüber der Vergangenheit das Interesse der Gelehrten, die zudem Musik nicht länger als theoretisch-mathematische Disziplin betrachten sondern als ausgeübte Kunst, deren Klang die Menschen beeinflussen kann. Da sowohl die historischen und theoretischen Quellen, die den neuen Stil und seinen Ursprung in England beschreiben, als auch die musikalischen Quellen, die den größten Teil der englischen Musik aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts überliefern, in Italien, Süddeutschland und Savoyen entstanden, stellt 1 Vgl. David Fallows, The ›contenance angloise‹: English Influence on Continental Composers of the 15th Century, in: Renaissance Studies 1 (1978), S. 189 – 208, hier S. 205 – 208. Hier sind die verschiedenen Lesarten der musikbezogenen Strophen aus LeFrancs Gedicht kollationiert. 2 In: Johannis Tinctoris Opera theoretica, hrsg. von Albert Seay, 3 Bde., Rom 1975 – 78, (= CSM 22), Bd. 2, S. 11 – 89. 3 Margaret Bent (Dunstaple, London 1981 (= Oxford Studies of Composers 17), S. iv) hat diese Schreibweise des Namens anhand von Quellen des 15. Jahrhunderts überzeugend belegt.
14
Einleitung
sich die Frage nach parallelen Entwicklungen und Überschneidungspunkten in diesem wechselseitigen Kulturtransfer zwischen England und dem europäischen Festland. Zur Untersuchung des kulturellen Austauschs bieten sich Leben, Werke und Umfeld John Dunstaples an, denn dieser galt schon bei seinen Zeitgenossen als der englische Komponist schlechthin. Sein Name wird in den theoretischen Schriften des 15. Jahrhunderts häufig im Zusammenhang mit der Entstehung des neuen Stils genannt und steht in den musikalischen Quellen quasi als Synonym für die englische Herkunft einer Komposition. Die mit dem Kulturtransfer verbundenen Aspekte können von zwei Blickwinkeln aus betrachtet werden: Von der Musik ausgehend stellen sich Fragen nach den Merkmalen des neuen Stils, sowohl in den zeitgenössischen Beschreibungen als auch in den Kompositionen. Zudem ist von Bedeutung warum die Kompositionen im neuen Stil – gerade wenn dieser in England seinen Ursprung haben soll – hauptsächlich in Norditalienischen und Süddeutschen Quellen überliefert sind. Der andere Blickwinkel ist ein geistesgeschichtlicher : Gibt es bei der Verbreitung der englischen Musik Verbindungen zu den ideengeschichtlichen Strömungen des Humanismus? Beide Entwicklungen entstehen etwa zeitgleich: Der neuer Stil in der Musik und die neue Weltanschauung in der Geistesgeschichte sind beides Phänomene, die sich etwa ab der Mitte des 15. Jahrhunderts zeigen. Ist das lediglich ein Zufall, eine Parallele in Musik- und Geistesgeschichte, oder könnte ein Zusammenhang zwischen beiden Entwicklungen bestehen? Der Forscherin, die sich mit diesen Überlegungen konfrontiert sieht, stellt sich als erstes die Frage, wie man solche Zusammenhänge, falls es sie denn geben sollte, überhaupt herausfinden kann. Einerseits ist das behandelte Thema sehr groß, denn es soll von geistesgeschichtlichen Strömungen auf Kompositionstechniken geschlossen werden, also zwei verbundene aber doch mit ganz unterschiedlichen Methoden behandelte Themenkomplexe untersucht werden. Zudem ist die geographische Ausdehnung des Themas weit gefasst, da es sich um Aspekte der Verbreitung und Übertragung von musikalischen und geistesgeschichtlichen Ideen in ganz Europa handelt. Im Gegensatz zum großen Umfang des Themas stellt sich die Quellenlage zu seiner Erforschung recht dürftig dar. Nicht nur in der Musik und in der Musiktheorie, auch in den Archiven sind schriftlichen Quellen des 15. Jahrhunderts eher rar. Ein Großteil der englischen Musik des fraglichen Zeitraums ist fragmentarisch oder eben in den Eingangs genannten kontinentaleuropäischen Quellen überliefert; Archivalien zu den Höfen, an denen Dunstaple angestellt war, sind kaum noch überliefert und schriftliche Zeugnisse zur englischen Musik oder zu Musik und Humanismus, bei denen es sich nicht um musiktheoretische Quellen handelt, sucht die Forscherin wie eine Nadel im Heuhaufen. Zudem betritt sie mit der Untersuchung der Fragen nach dem neuen Stil und
Einleitung
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einem möglichen Zusammenhang mit der Verbreitung humanistischer Ideen in Europa ein regelrechtes Minenfeld der Musikwissenschaft. Beide Aspekte stehen im Mittelpunkt zahlreicher Kontroversen der heutigen Musikgeschichtsschreibung: Immer noch ist nicht geklärt, was denn den neuen Stil eigentlich ausmacht. Schon die Bezeichnung, die LeFranc dafür wählt, contenance angloise ist kontrovers, da sie allein von ihm benutzt wird. Eine Deutung der in den Quellen beschriebenen musikalischen Merkmale des neuen Stils ist noch viel schwieriger. Hier reichen die Interpretationen von Aspekten der Aufführungspraxis über improvisierte Gattungen bis hin zu Merkmalen des Kompositionsstils. In eine ähnliche Situation begibt sich die Forscherin, wenn sie über Humanismus und Musik spricht: Auch hier herrscht keinerlei Einigkeit in der musikwissenschaftlichen Forschung über die Art und Weise, wie sich humanistische Ideen auf musikalischer Ebene wieder finden könnten. Die Ansätze reichen von der Betrachtung der Texte allein, über werkimmanente Merkmale in den Kompositionen bis hin zur Übertragung von Konzepten der Rhetorik auf die Musik. In der vorliegenden Untersuchung werden daher viele unterschiedliche Wege zur Klärung der oben aufgeworfenen Fragen beschritten. Dabei sind die Kreise um das eigentliche Forschungsthema weit gezogen, und dieser breite Kontext wird mit Hilfe von verschiedenen Ansätzen befragt. Zugleich bleibt aber der Fokus auf einen Komponisten, nämlich John Dunstaple, und wenige seiner Werke gerichtet. Die Untersuchung folgt dabei den zwei Entwicklungslinien des 15. Jahrhunderts, dem neuen Stil und dem Humanismus: Sie nähert sich dem Thema demnach aus zwei geographisch unterschiedlichen Richtungen, von England und von Italien aus (wobei das geographische Zentrum der Studie seltsam unbestimmt bleibt), und schaut auf die Entwicklungen in der Musik des 15. Jahrhunderts aus zwei methodischen Blickwinkeln, von der Kompositionstechnik und von der Geistesgeschichte her. Besonders interessant wird es dann, wenn sich diese Ansätze überschneiden, kreuzen oder zu ähnlichen Befunden führen. Insgesamt gliedert sich die Studie in vier Teile. Ausgehend von den Beschreibungen des neuen Stils im Allgemeinen, wird zunächst Dunstaple und die Musik in England genauer betrachtet. Sein Leben, über das relativ wenig bekannt ist, wird in den Kontext der Politik in England, der Höfe, an denen er angestellt war, und der musikalischen Situation in England, wie sie sich anhand der Institutionen und der überlieferten Musik zeigt, gebracht. Danach werden in einem zweiten Teil die Kontakte nach Europa ausgelotet: Welche Übertragungswege der Musik in die norditalienischen Quellen waren überhaupt möglich? Wieder wird die Untersuchung am Kontext, nämlich an den Höfen, an denen Dunstaple beschäftigt war, festgemacht. Das Interesse von Dunstaples Dienstherren für Kunst und Musik sowie ihre Bibliotheken werden untersucht: Dabei zeigt sich, dass sich die Kunstförderung ihrer Höfe deutlich
16
Einleitung
am Vorbild des burgundischen Hofs und der kleineren italienischen Höfe, wie dem des Leonello d’Este, orientiert. Auch die Kontakte nach Europa über dritte Personen und Veranstaltungen, wie Konzile und Friedensverhandlungen im 100jährigen Krieg, können nun aufgezeigt werden. Einen direkten Niederschlag finden diese Kontakte in den musikalischen Handschriften aus Norditalien und Süddeutschland. Hier zeigen sich erste Vermischungen der Übertragungswege für Musik und humanistische Ideen: Verschiedene, humanistisch gebildete Personen, die kontinentaleuropäische Kulturgüter an Dunstaples Dienstherren vermittelten, waren bei den Konzilen und Friedensverhandlungen involviert und können in Zusammenhang mit der Zusammenstellung jener Musikhandschriften, die so gehäuft englische Kompositionen übertragen, gebracht werden, so dass sich humanistische Konzepte auch in der Strukturierung der musikalischen Quellen nach Gattung und Region finden. Im zweiten Teil tat sich ein regelrechtes Netzwerk von Personen auf, die teilweise England bereisten oder anderweitig Kontakte zu den Höfen pflegten, an denen Dunstaple tätig war, die zudem humanistisch gebildet und nicht zuletzt an der Entstehung der musikalischen Quellen beteiligt waren. Daher verläuft ab jetzt die Untersuchung zusammen beziehungsweise parallel: Im dritten Teil werden historische und theoretische Schriften nach Aussagen über die englische Musik, den neuen Stil sowie nach einer humanistischen Auffassung von Musik befragt. Welche Merkmale machen die englische Musik so besonders, dass sie immer wieder hervorgehoben wird und als Ursprung des neuen Stils gilt? Wie nehmen Humanisten Musik wahr, was ist ihnen daran wichtig? Wieder zeigen sich viele Überschneidungen: Zum einen bei den Personen, die sich zur Musik und speziell zur englischen Musik äußern, denn viele von ihnen sind humanistisch gebildet. Dabei verwenden einige Musiktheoretiker in der Beschreibung des neuen Stils humanistisch geprägte Konzepte der Geschichtsschreibung wie die Abfolge von Generationen. Zudem tritt sowohl bei der Beschreibung der englischen Musik, der Musik des neuen Stils und der Musik an sich in humanistisch geprägten musiktheoretischen Schriften der Klang in den Vordergrund. Hier ist nicht mehr die mittelalterliche Lehre von den Proportionen ausschlaggebend für den Wohlklang einer Komposition sondern die Wahrnehmung des zuhörenden Menschen. Im vierten Teil wird nun dieser geistesgeschichtliche und musiktheoretische Hintergrund anhand von musikalischen Analysen wieder konkretisiert; bis hierher wurden die Befunde der Studie immer abstrakter, jetzt sollen sie direkt auf die Kompositionen bezogen werden: Wie stellt sich die englische Musik, der neue Stil und humanistische Strömungen in den Kompositionen dar? Bevor jedoch die Musik selbst untersucht wird, steht ein Überblick über heutige Kommentare zur englischen Musik, zum neuen Stil und zum Humanismus in der Musik. Danach wird eine Auswahl an Kompositionen betrachtet, die alle zur
Einleitung
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Marienverehrung entstanden und ganz unterschiedliche Kompositionsstile zeigen: Darunter finden sich Messen mit einer Marienantiphon als Fremdcantus firmus, isorhythmische Motetten mit Marienthematik und Antiphonvertonungen mit und ohne cantus firmus. Votivmessen zur Marienverehrung, die alle diese Gattungen einschließen können, sind im 15. Jahrhundert noch fast ausschließlich auf England beschränkt, denn die Marienverehrung hat sich dort viel eher ausgeprägt als auf dem europäischen Festland. Zudem sind alle diese Kompositionen in Gattungen, deren Texte vermutlich eher weniger durch humanistisch geprägte Ideen beeinflusst sind. Merkmale, die auf einen humanistischen Einfluss schließen lassen, müssen demnach in der Musik zu finden sein. Die musikalischen Analysen konzentrieren sich auf die Werke von Dunstaple und Guillaume Dufay, der beiden Komponisten die in den schriftlichen Quellen als Ursprung und Vollender des neuen Stils genannt werden. Auch hier muss wieder der Kontext berücksichtigt werden, um auszuschließen, dass es sich beim Kompositionsstil dieser beiden Komponisten um einen reinen Personalstil beziehungsweise um einen direkten, persönlichen Einfluss von Dunstaple auf Dufay handelt. Daher werden in vier Schritten verschiedene Werkgruppen untersucht: zunächst Dunstaples Kompositionen zur Marienthematik. Da durch die alleinige Analyse seiner Werke aber nicht zu erkennen ist, ob es sich um seinen persönlichen Stil handelt oder um einen Kompositionsstil, der in England weiter verbreitet war, werden in einem zweiten Schritt Kompositionen seiner englischen Zeitgenossen betrachtet. Zeigen sich hier gemeinsame Merkmale eines typisch englischen Stils, der zum Ursprung des neuen Stils werden konnte? Um zu erkennen, ob dieser englische Stil tatsächlich etwas Besonderes im Europa des 15. Jahrhunderts darstellt, werden im Folgenden Kompositionen mit Marienthematik, die etwa zeitgleich auf dem europäischen Festland entstanden, untersucht. Zeigen sie ähnliche Merkmale wie Kompositionen aus England oder unterscheidet sich der englische Stil wahrhaftig vom Stil kontinentaler Kompositionen? Zuletzt wird der Blick auf Dufays Kompositionen zur Marienverehrung geworfen: Stimmt es, wenn die Musiktheoretiker sagen, er hätte den neuen Stil aus Merkmalen englischer Kompositionen übernommen? Zumindest in den hier untersuchten Gattungen kann dies klar mit »Ja« beantwortet werden. Dufay ist nicht nur einer der ersten Komponisten, der die typisch englische Gattung der Vertonung von Marienantiphonen auf dem Kontinent übernimmt, in seinem Werk zeigen sich auch andere, direktere Bezüge zur englischen Musik und besonders zu Dunstaple. So ist zum Beispiel seine isorhythmische Motette Fulgens iubar / Puerpera pura parens / Virgo post partum in der Handschrift Modena B zwischen den englischen Motetten notiert. Zudem weist sie etliche strukturelle Merkmale auf, die denen von Dunstaples Motette Salve schema sanctitatis / Salve salus servulorum / Cantant celi agmina gleichen. Hier hat
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Einleitung
Dufay nicht nur die strukturellen Merkmale des englischen Kompositionsstils mit kontinentalen Kompositionstechniken zum neuen Stil verbunden, sondern zudem eine Motette Dunstaples im Sinne humanistischer Ideen und in direkter Anlehnung an rhetorische Konzepte wie imitatio und emulatio zum Vorbild genommen. Fragen zum Kulturtransfer im 15. Jahrhundert sind somit weit gestreut: Sie umfassen konkrete Aspekte der Politik, der Kunstförderung, der Musiktheorie und der Kompositionstechnik im Umfeld der Höfe, an denen Dunstaple tätig war, vor dem Hintergrund der geistesgeschichtlichen Entwicklungen im Europa des 15. Jahrhunderts. Der Fragenkomplex zum »Wie« des Kulturtransfers ist in den ersten beiden Teilen der Arbeit abgehandelt, der zweite zum »Warum« im dritten und vierten Teil.
I. John Dunstaple und die Musik in England
1. John Dunstaples Leben
a.
Lebenslauf
Über John Dunstaples Leben ist nur wenig bekannt, und die spärlichen Hinweise stehen in merkwürdigem Gegensatz zur Reputation seiner Werke.1 Dunstaple wird als einer der wenigen englischen Komponisten des 15. Jahrhunderts in zeitgenössischen Quellen erwähnt. Der Name wurde europaweit als Synonym für Musik aus England eingesetzt. So erscheint er in Musikhandschriften der Zeit oft in Zusammenhang mit Werken anderer englischer Komponisten, deren Namen nicht überliefert sind. Doch auch in der Literatur und in musiktheoretischen Schriften der Zeit steht der Name Dunstaple für die englische Musik schlechthin. Johannes Tinctoris und Martin LeFranc schreiben den englischen Kompositionen und speziell Dunstaples Werken einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Kompositionstechnik auf dem europäischen Festland zu.2 Dieser Ruhm wurde bis in die Musikgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts perpetuiert.3 Unter den Quellen zu Dunstaples Leben sind besonders die zeitgenössischen nicht-musikalischen Zeugnisse rar. Aus den überlieferten Belegen lassen sich folgende Stationen im Lebensweg von Dunstaple rekonstruieren:4 Die Haushaltsbücher von Johanna von Navarra, der zweiten Frau Heinrichs 1 Margaret Bent, Dunstaple, London 1981 (= Oxford Studies of Composers 17), S. 1. 2 Johannes Tinctoris, Liber de arte contrapuncti; Martin LeFranc, Le champion des dames. Schriften zur contenance angloise und kompositionstechnische Entwicklungen werden im dritten und vierten Teil der Arbeit untersucht. 3 Von den Anfängen der Musikgeschichtsschreibung bei Johann Nikolaus Forkel (Allgmeine Geschichte der Musik, hrsg. von Othmar Wessely, Bd. 2, Graz 1967 (= Reprint der Ausgabe 1801), S. 480 f.) über August Wilhelm Ambros (Geschichte der Musik, Bd. 2, Leipzig 21880, S. 351) bis ins 20. Jahrhundert (z. B. Victor Lederer, Über Heimat und Ursprung der mehrstimmigen Tonkunst, Bd. 1, Leipzig 1906, 1. Buch, 1. Kapitel »John Dunstable, der Ahnherr unserer Tonkunst«) wird Dunstaple unter Berufung auf Tinctoris und Franchinus Gaffurius zum Begründer der mehrstimmigen Musik ernannt. 4 Beschrieben in: Judith Stell und Andrew Wathey, New Light on the Biography of John Dunstable?, in: ML 62 (1981), S. 60 – 63 und Andrew Wathey, Dunstable in France, in: ML 67 (1986), S. 1 – 36.
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John Dunstaples Leben
IV. führen John Dunstaple 1427 bis 1428 in der Liste der Angestellten, die eine Livree erhalten.5 Dunstaples Name erscheint in der Liste unter den Namen der Kaplane der Königinwitwe. In der Gehaltsliste wird Dunstaple jedoch nicht erwähnt. Außer einer Livree erhält er in diesem Jahr mehrere Geschenke von Johanna. 1436 versteuert Dunstaple neben Eigentum in London auch eine Jahresrente in Höhe von £80, die ihm von Johanna gewährt wird. Johannes Dunstaple habet in comitatu predicto et in comitatibus Essex’ et London’ xxiiij li. Idem habet quandam annuitatem iiijxx li. De Johanna Regina Anglie6
In den Jahren 1437 bis 1440 erscheint der Name Dunstaple in etlichen Dokumenten im Zusammenhang mit der Verwaltung von Ländereien in Frankreich. Hier wird Dunstaple als »serviteur et familier domestique de Onfroy Duc de Gloucestre« beschrieben.7 Weitere zeitgenössische Quellen zu Dunstaples Leben sind ein Epitaph in der Kirche St. Stephen Walbrooke, dessen Inschrift überliefert ist, obgleich die Kirche im großen Feuer von 1666 zerstört wurde, sowie ein literarisches Epitaph, das gewöhnlich John Whethamstede, dem Abt von St. Albans, zugeschrieben wird. Im ersteren wird das Todesdatum, der 24. Dezember 1453, erwähnt. Clauditur hoc tumulo, qui caelum pectore clausit, Dunstable Ioannes, astrorum conscius. Illo Judice novit Urania abscondita pandere caeli. Hic vir erat tua laus, tua lux, tibi, musica, princeps, Quique duas dulces per mundum sparserat artes. Anno Mil. C quater semel L tria jungito, Christi Pridie natalem, sidus transmigrat ad astra. Suscipiant proprium civem caeli sivi cives.8
5 Wathey, Dunstable in France (s. Anm. 4), S. 6. 6 Zitiert nach Stell und Wathey, New Light on the Biography of John Dunstable? (s. Anm. 4), S. 60. »Johannes Dunstaple besitzt in der vorhergenannten Grafschaft und in den Grafschaften von Essex und London 24 Pfund. / Derselbe ist auf Veranlassung Johannas, der Königin von England, im Besitz einer Jahresrente von 80 Pfund.« 7 Wathey : Dunstable in France (s. Anm. 4), S. 21. 8 Zitiert nach Charles Maclean, The Dunstable Inscription in London, in: Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft 11 (1909 / 10), S. 232 – 249, hier S. 247. »Umschlossen wird von diesem Grabhügel, der den Himmel in sein Herz geschlossen hat, / Johannes Dunstaple, mit den Gestirnen vertraut. Nach seinem / Urteil verstand es Urania, Geheimnisse des Himmels aufzudecken. / Dieser Mann war dein Ruhm, dein Licht, für dich, Musik, war er der Vornehmste / und der, der zwei liebenswerte Künste über die Welt verteilt hatte. / Mit dem Jahr 1000 sollst du viermal 100, einmal 53 [Jahre] verknüpfen, einen Tag vor Christi / Geburt übersiedelt er als Stern zu den Gestirnen. / Aufnehmen mögen sie [ihn] bei sich als ihren Mitbürger, die Bürger des Himmels.«
Lebenslauf
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In seinem Testament vererbt Dunstaple sein Eigentum an Margaret Dunstaple, vermutlich seine Frau. Margaret wird später in den ersten erhaltenen Kirchenbüchern von St. Stephen Walbrooke erwähnt wie auch Agnes Dunstaple, vielleicht eine Tochter.9 Hinweise auf Dunstaple finden sich zudem in einigen Büchern aus dem späteren 15. Jahrhundert mit astronomisch-mathematischem Inhalt.10 Oxford Corpus Christi College MS 118 zeigt einen ausradierten Eigentumsvermerk »John Dunstaple« im vorderen Einband. Es enthält Boethius De musica und De arithmetica; zumindest der zweite Teil wurde von Dunstaple geschrieben. Auch Cambridge Emanuel College MS 70 weist mit den Vermerken »quod Dunstaple« und »Dunstaplus conscripsit hunc librum« auf Dunstaple als Schreiber hin. Es enthält eine Sammlung von Texten zur Astrologie. Im Cambridge St. John’s College MS 162, das ihm möglicherweise gehörte, wird er als »cum duci Bedfordie musico« beschrieben.11 Der Terminus »musicus« weist Dunstaple als Musiktheoretiker aus, da musiktheoretisch ungebildete, lediglich ausübende Musiker meist als »cantor« bezeichnet wurden.12 Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die Verbindungen zur Astronomie und Mathematik, die über die Epitaphe und die oben genannte Handschrift überliefert sind, nicht länger abwegig, bilden diese Disziplinen doch zusammen mit der Musiktheorie das Quadrivium. Aus den zeitgenössischen Quellen lässt sich folgender, in Teilen hypothetischer Lebenslauf rekonstruieren: Demzufolge gibt es halbwegs gesicherte Erkenntnisse über Dunstaples Leben nur für die Jahre 1427 bis 1440. Spätestens ab 1427 war Dunstaple am Hof von Johanna beschäftigt, wobei seine Tätigkeit nicht eindeutig zu bestimmen ist. Dunstaple scheint im engeren Zusammenhang mit der Kapelle gestanden zu haben, jedoch nicht direkt dort angestellt gewesen zu sein. Ab 1437, nach dem Tod von Johanna, bringen die Quellen Dunstaple in Zusammenhang mit Humphrey, Herzog von Gloucester, einem Bruder Heinrichs V.. Nach Heinrichs Tod wurde John, Herzog von Bedford, – ein weiterer Bruder – Regent der von England besetzten Teile Frankreichs. Als dieser 1435 starb, übernahm Gloucester für kurze Zeit die Verwaltung Frankreichs. Die Ländereien in der Normandie mussten nach Bedfords Tod neu geordnet werden.13 Von dieser Situation scheint 1437 auch Dunstaple profitiert zu ha9 Wathey, Dunstable in France (s. Anm. 4), S. 27. 10 Zu Dunstaples Büchern vgl. Rodney M. Thomson, John Dunstable and his Books, in: The Musical Times 150 / 1909 (2009), S. 3 – 16. 11 Bent, Dunstaple (s. Anm. 1), S. 1 und 3; David R. Howlett, A Possible Date for a Dunstable Motet, in: MR 36 (1975), S. 81 – 84, hier S. 83. 12 Vgl. Erich Reimer, Artikel »Musicus – Cantor«, in: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht, Stuttgart 1972 – 2005. 13 Zur Geschichte und Politik Englands im 15. Jahrhundert s. nächstes Kapitel.
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John Dunstaples Leben
ben. 1438 wird er nämlich explizit als »serviteur et familier domestique« des Herzogs bezeichnet. Kurze Zeit später brach Gloucester seine Initiative in Frankreich jedoch ab; um 1440 gab Dunstaple seine Ländereien dort auf. Die Annahme, dass Dunstaple seit 1437 im Dienst von Gloucester stand, liegt somit nahe.14 Weitere Abschnitte in Dunstaples Leben können durch Deduktion erhellt werden: Dunstaples Bücher weisen auf ein Studium in Oxford, möglicherweise am Merton College, hin.15 Für die Zeit vor 1427 ist eine Beschäftigung Dunstaples bei Bedford nicht auszuschließen. Der Hinweis im Cambridge St. Johns College MS kann sich nur auf diesen Zeitraum beziehen, da Bedford schon vor 1440 starb. Zudem ist es nicht ungewöhnlich, dass Bedienstete an die Höfe von Verwandten weitergereicht wurden. So wie Dunstaple nach Johannas Tod an den Hof von Gloucester kam, mag er auch um 1427 vom Hof Bedfords an den Hof von dessen Stiefmutter gelangt sein. Zwischen 1440 und seinem Tod 1453 fehlt jedoch jeder Hinweis auf Dunstaples Lebensweg. Es ist anzunehmen, dass Dunstaple bis zum Tod von Gloucester 1447 in dessen Dienst blieb. Über die letzten sechs Jahre kann nur spekuliert werden: Möglich wäre ein Aufenthalt in St. Albans. Für diese Hypothese sprechen die engen Verbindungen, die alle drei Höfe, an denen Dunstaple tätig war, zur Abtei von St. Albans unterhielten. Ihr Abt Whethamstede gehörte zum Kreis der englischen Frühhumanisten, der sich um Gloucester scharte; er gilt zudem als Autor des literarischen Epitaphs auf Dunstaple und des Textes der Motette Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus domini laudans; nicht zuletzt ist eine weitere Motette einem Heiligen gewidmet, der in der Abtei besonders verehrt wurde, nämlich die Motette Dies dignus decorari / Demon dolens dum domatur / Iste confessor dem Heiligen Germanus.16
b.
Tätigkeit
Die angeführten Belege geben zwar Auskunft über Dunstaples Bezahlung am Hof von Johanna sowie über den Erhalt der Ländereien in Frankreich von Gloucester, sie enthalten jedoch keine Angaben zu seiner Tätigkeit an den Höfen. An Johannas Hof scheint er der Kapelle nahe gestanden zu haben, ist jedoch in deren Unterlagen nicht aufgeführt. Auch lässt der Wert der Geschenke und die 14 Vgl. Wathey, Dunstable in France (s. Anm. 4), S. 24. 15 Vgl. Thomson, John Dunstable and his Books (s. Anm. 10), S. 13 ff. 16 Zu den Beziehungen zwischen Whethamstede und Dunstaple, bzw. dessen Dienstherren, vgl. Bent, Dunstaple (s. Anm. 1), S. 4, David R. Howlett, Studies in the Works of John Whethamstede, Dissertation, Oxford University 1975, S. 200 – 205 und Wathey, Dunstable in France (s. Anm. 4), S. 28 – 29.
Tätigkeit
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Höhe der Jahresrente, die er von ihr erhielt, eher auf eine gehobenere Tätigkeit schließen.17 In den Unterlagen zu seinen Ländereien wird Dunstaple lediglich als »ecuier« oder »anglois« bezeichnet; und auch die Formulierung »serviteur et familier domestique« sagt wenig über seinen Status am Hof aus. Ebenso ist ungewiss, ob Dunstaple als Musiker an Bedfords Hof angestellt war. Die überlieferten Quellen zur Kapelle nennen den Namen Dunstaple nicht. So könnte die Bezeichnung »musicus«, zudem sie erst Ende des 15. Jahrhunderts Dunstaples Tätigkeit im Dienste Bedfords beschreibt, auch einfach zur genauen Identifizierung von John Dunstaple mit dem berühmten Komponisten gedient haben. Einzig der soziale Status von Dunstaple kann mit einiger Genauigkeit aus den Quellen abgelesen werden: Die Ländereien in England und Frankreich weisen auf einen »Esquire« bzw. »Armiger« hin.18 Aufgrund der Geschenke und der Jahresrente, die er von Johanna erhielt, war er zudem recht wohlhabend. Auch zwei Epitaphe geben in gewisser Weise Auskunft über Dunstaples Tätigkeiten, zumindest aber über seine Interessen neben der Musik. In ihnen wird er nicht nur als Komponist, sondern auch als Musiktheoretiker, Astronom und Mathematiker geehrt. Das Epitaph in St. Stephen Walbrooke enthält viele Anspielungen auf Gestirne und den Sternenhimmel. Es könnte vom gleichen Autor stammen wie das oben zitierte literarische Epitaph. Whethamstede vergleicht Dunstaple mit einem Astronomen, Mathematiker und Musikertheoretiker der Antike. Musicus hic Michalus alter, novus & Ptholomeus, Junior ac Athlas supportans robore celos, Pausat sub cinere; melior vir de muliere Nunquam natus erat; vicii quia labe carebat. Et virtutis opes possedit unicus omnes. Cur exoptetur, sic optandoque precetur Perpetuis annis celebretur fama Johannis Dunstapil; in pace requiescat et hic sine fine.19
Die Verbindung zur Astronomie kehrt in der Handschrift Cambridge St. Johns College wieder, die astronomische Schriften enthält. Zudem wird Dunstaple als Autor oder Schreiber in weiteren Traktaten mit astronomischem bzw. mathe17 Stell und Whatey, New Light on the Biography of John Dunstable? (s. Anm. 4), S. 62. 18 Wathey, Dunstable in France (s. Anm. 4), S. 21 und 27. 19 Zitiert nach Bent, Dunstaple (s. Anm. 1), S. 2 – 3. Zur Assoziation von Miccalus mit Musik vgl. ebd., Anm. 6. »Dieser Musikgelehrte, der zweite Michalus, neue Ptolemaeus / und jüngere Atlas, der mit seiner Stärke die Himmel unterstützt, / ruht unten im Grabe; ein besserer Mann war von einer Frau / niemals geboren worden; weil der ohne den Makel eines Fehlers war. / Auch alle Hilfe der Tugend besaß er als einziger. / Deshalb möge man sich ihn herbeiwünschen, so und für Wünschenswertes möge man ihn anrufen. / Fortdauernd über die Jahre möge gepriesen werden der Ruhm Johannes / Dunstaples; in Frieden ruhe er hier und für immer.«
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John Dunstaples Leben
matischem Inhalt genannt.20 Diese Interessenvielfalt deckt sich mit der Vermutung, Dunstaple sei nicht nur als Musiker an den Höfen tätig gewesen. Vielmehr ist anzunehmen, dass er, seinem sozialen Status entsprechend, umfassend gebildet war und eine höhere Stellung innehatte.21
c.
Frankreich
Die Ländereien, die Dunstaple in Frankreich besaß, die Überlieferung seiner Kompositionen in norditalienischen Handschriften sowie die Aussage in Le Francs Le champion des dames und Tinctoris’ Liber de arte contrapuncti, Dunstaple habe die Komponisten des europäischen Festlands beeinflusst, legen die Vermutung nahe, Dunstaple habe sich längere Zeit in Frankreich aufgehalten. Die Quellen unterstützen diese Annahme jedoch laut Andrew Wathey nicht direkt.22 Zwar scheint eine Anstellung Dunstaples am Hofe Bedfords vor 1427 wahrscheinlich, so dass Dunstaples Aufenthalt in Frankreich während dessen Regentschaft nicht ausgeschlossen ist. Da seine Tätigkeit aber nicht eindeutig der Kapelle, die sich zeitweise in Paris und Rouen aufhielt, zugewiesen werden kann, ist keinesfalls sicher, dass Dunstaple Kontakt mit französischen Musikern hatte. Auch die Quellen zu Dunstaples Ländereien in Frankreich können seine Anwesenheit dort nicht konkret belegen, denn es handelt sich meist um Schreiben, die ihm die Erlaubnis zur Abwesenheit gewähren. Eine Lücke in den Belegen zu Dunstaples Eigentum in Frankreich zwischen Juli 1438 und September 1439 könnte laut Wathey auf dessen Aufenthalt in Frankreich hinweisen.23 Der Zweck des Besuchs jedoch lag dann aber in der Verwaltung des Besitzes; die Möglichkeiten zum Austausch mit anderen Musikern waren dabei eher gering. Zudem konnte Dunstaple sich nicht allzu lange vom Hof Gloucesters entfernen, der sich von 1438 bis 1440 ausschließlich in England aufhielt. Um die 20 Oxford, Bodleian Library, MS. Laud misc. 674 und Cambridge, Emmanuel College, MS. 70. Vgl. Howlett, A Possible Date (s. Anm. 11), S. 83; Bent, Dunstaple (s. Anm. 1), S. 3; Thomson, John Dunstable and his Books (s. Anm. 10). 21 Sternbeobachtung war im 15. Jahrhundert eine durchaus angesehene Tätigkeit. Prophezeiungen, die sich auf das Wissen um die Sternbewegungen beriefen, wurden auch von der Politik genutzt. Jedoch konnte das Wissen über die Sterne und andere Naturphänomene auch der Anlass zu Verfolgung und Ächtung sein. Zwei Frauen, mit denen Dunstaple direkten Kontakt hatte – Johanna von Navarra und Eleanor Cobham – mussten dies erfahren; s. nächstes Kapitel. Vgl. zu Johanna: Alec R. Myers, The Captivity of a Royal Witch, in: John Rylands Library Bulletin 24 (1940), S. 263 – 284, zu Eleanor Cobham: Vgl. Ralph A. Griffiths, The Reign of King Henry VI, London 1981, S. 360; K.B. McFarlane, England in the 15th Century, London 1981 und K.H. Vickers, Humphrey Duke of Gloucester, London 1907, S. 270 – 279. 22 Wathey, Dunstable in France (s. Anm. 4), S. 15. 23 Ebd., S. 23.
Frankreich
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große Verbreitung seiner Kompositionen in norditalienischen Quellen sowie die Aussagen von LeFranc und Tinctoris, er habe den Kompositionsstil auf dem Kontinent beeinflusst, erklären zu können, müssen demzufolge andere Verbindungen zum europäischen Festland bestanden haben.
2. England im 15. Jahrhundert
Gerade wegen der Quellenarmut zu Dunstaples Leben scheint es angebracht, die allgemeine politische Situation Englands im 15. Jahrhundert genauer zu betrachten, um einen Eindruck seiner Lebensumstände zu bekommen. Dies ist umso ergiebiger, als die Personen, bei denen er angestellt war, alle »Personen des öffentlichen Lebens« und in die Innen- und Außenpolitik des Landes involviert waren. Beziehungen zum europäischen Festland zeigen sich an den Höfen der Herzöge von Bedford und Gloucester zunächst in ihren politischen und militärischen Aktivitäten in Frankreich. Ihr politischer Rang verleiht ihnen auch gleichzeitig einen repräsentativen Status, der zumeist in kulturellen Aktivitäten zum Ausdruck kommt. Zunächst sei die Regierungszeit der Könige Heinrich IV. bis VI. sowie der Verlauf des 100jährigen Kriegs dargestellt, bevor die politischen Aktivitäten Bedfords und Gloucesters und ihre Beziehungen zum europäischen Festland untersucht werden.
a.
Geschichte und Politik
Unter Heinrich IV. (Reg. 1399 – 1413) wurde England durch den König, den Kronrat und das Parlament regiert. Da er durch den Sturz Richards II. an die Macht gekommen war, wurde seine Herrschaft immer wieder in Frage gestellt und musste legitimiert werden. Adelsrevolten, ein Aufstand in Wales und die Verfolgung der Lollarden prägten seine Regierungszeit. Auch unter Heinrich V. (Reg. 1413 – 1422)1 ließen die Revolten und die Verfolgung der Lollarden nicht nach; doch versuchte dieser, das Land nach innen zu einen, indem er die Aufmerksamkeit auf die Außenpolitik, also den 100jährigen Krieg, lenkte. Die Lage in Frankreich kam seinen Zielen entgegen, da es innenpolitisch äußerst geschwächt war : Der französische König Karl VI. war durch seine Geisteskrankheit kaum fähig, die Regierung zu führen, so dass der Herzog von 1 Vgl. Christopher T. Allmand, Artikel »Henry V«, in: DNB.
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England im 15. Jahrhundert
Orleans und der Herzog von Burgund um die Vormacht im Land stritten und in diesem Bürgerkrieg sogar beide ein Bündnis mit England in Betracht zogen. Die englische Seite stellte jedoch derartige Forderungen, dass sie von keiner der beiden französischen Seiten akzeptiert werden konnten. Daraufhin marschierte England 1415 in Frankreich ein und siegte – nach der Belagerung von Harfleur – im Oktober in der Schlacht von Agincourt gegen eine gewaltige französische Übermacht. Das erneute Aufflammen des Kriegs zwischen Frankreich und England erregte in ganz Europa Aufmerksamkeit. 1416 entsandte das Konzil von Konstanz den späteren Kaiser Sigismund, um zwischen Frankreich und England zu vermitteln. Allerdings schloss er im Vertrag von Canterbury ein Waffenbündnis mit England. In den folgenden Jahren eroberte England die Normandie. Die Ermordung von Johann Ohnefurcht durch Gefolgsleute des Dauphins im November 1419 eröffnete die Möglichkeit eines Bündnisses zwischen Frankreich, Burgund und England. 1420 wurde der Vertrag von Troyes geschlossen. Er sah vor, dass Karl VI. bis zu seinem Tode König von Frankreich bleibt, seine Tochter Katharina Heinrich V. heiratet und dieser nach dem Tod Karls VI. König von Frankreich und England wird. Der Dauphin wurde somit von der Thronfolge ausgeschlossen. In den folgenden Jahren versuchte sowohl die burgundische als auch die englischer Seite, den Vertrag militärisch umzusetzen. Die Tode Heinrichs V. im August 1422 und Karls VI. im Oktober des selben Jahres destabilisierten die Lage jedoch dramatisch, da der Sohn Heinrichs V. nun zwar König von Frankreich und England war, aber, da er erst ein Jahr zählte, die Regierung nicht übernehmen konnte.2 Heinrich V. hatte deshalb in seinem Testament die Regierung zwischen seinen Brüdern Bedford und Gloucester aufgeteilt. Bedford übernahm die Regentschaft in Frankreich, Gloucester regierte England zusammen mit dem Kronrat, jedoch nur während der Abwesenheit Bedfords. Dieses Arrangement führte allerdings zu einer steigenden Instabilität in England, da es immer wieder zu Konflikten um Entscheidungsbefugnisse zwischen dem Kronrat, besonders dem späteren Kardinal Henry Beaufort,3 und Gloucester kam. Selbst mit der Volljährigkeit Heinrichs VI. im Jahr 1431 ebbten die Konflikte zwischen Gloucester und dem Kronrat nicht ab. Henry Beaufort (um 1375 – 1447) wurde als zweites von vier illegitimen Kindern des John of Gaunt geboren und war somit ein Halbbruder Heinrichs IV.. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts war der Bischof von Winchester, neben den direkten Mitgliedern der königlichen Familie, die einflussreichste Persönlichkeit Englands: Unter Heinrich IV. und 2 Vgl. Ralph A. Griffiths, Artikel »Henry VI« in: DNB. 3 Im Folgenden sind Kurzbiographien zu den Personen in Dunstaples Umfeld ›petit‹ gesetzt.
Geschichte und Politik
31
Heinrich V. war er Mitglied des Kronrats und zeitweise Kanzler. Während der Minorität Heinrichs VI. baute er seinen Einfluss in der Regierung weiter aus. Doch das Königshaus baute nicht nur politisch auf ihn – wie zum Beispiel bei der Wahl des englandfreundlichen Papstes Martin V., der sich sogleich mit der Kardinalswürde für Beaufort revangierte –, sondern auch finanziell: Mit dem Einkommen seiner Diözese finanzierte er durch Darlehen an die Krone mehrere Feldzüge in Frankreich.4
Auch zwischen den Brüdern verlief die Regierung nicht immer reibungslos: 1424 startete Gloucester einen Feldzug gegen Brabant, um die Ansprüche seiner Frau Jacqueline zu verteidigen. Dadurch wurde jedoch das Bündnis mit Burgund, dessen Gefolgsmann der Herzog von Brabant war, schwer belastet und konnte nur durch das Eingreifen Bedfords gesichert werden. Neben diesen Machtkämpfen kam es während der Regierung Heinrichs VI. immer wieder zu Aufständen der Landbevölkerung, da sich die Lage in Frankreich trotz des großen finanziellen Aufwands weiter verschlechterte. In Frankreich verliefen Englands Eroberungsbemühungen zunächst recht erfolgreich: 1425 befand sich Maine in der Hand der Engländer, so dass sie sogar einen Ausfall auf die Gebiete des Dauphins unternahmen und Orleans belagerten. Mit dem Auftreten Johannas von Orleans änderte sich dies jedoch. Ab 1429 gewann Frankreich immer mehr Schlachten, und im Juli wurde Karl VII. in Reims zum französischen König gekrönt. Ein Jahr später nahmen die Burgunder Johanna gefangen und lieferten sie an die Engländer aus. Nach einem Schauprozess wurde sie 1431 hingerichtet. Noch im selben Jahr wurde Heinrich VI. in Paris gekrönt, um die englischen Ansprüche auf Frankreich zu festigen. Als jedoch Frankreich und Burgund im Vertrag von Arras miteinander Frieden schlossen, verschlechterte sich die Lage für die Engländer drastisch, und immer mehr Gebiete gingen an die Franzosen verloren. 1444 wurde ein Waffenstillstand und die Heirat Heinrichs VI. mit Margarete von Anjou verhandelt. Die Friedensbemühungen waren jedoch nicht von Dauer : Nach 1448 verloren die Engländer stückweise die Normandie, nach 1451 auch die Gascogne, so dass sich zuletzt nur noch Calais in englischer Hand befand. Die wechselnden Beziehungen Englands zu den Ländern des europäischen Kontinents spiegeln sich in den Bündnissen und Friedensverträgen. Während des 100jährigen Kriegs schloss England mit etlichen der Nachbarstaaten Frankreichs Friedensverträge und Bündnisse zur gegenseitigen Unterstützung.5 4 Vgl. G. L. Harriss, Artikel »Beaufort, Henry [called the Cardinal of England]«, in: DNB. 5 Zur Geschichte Englands im 15. Jahrhundert gibt es zahlreiche Publikationen. Stellvertretend seien einige wenige genannt: Karl-Friedrich Krieger, Geschichte Englands von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert, München 1990, S. 207 – 222; Christopher Allmand, The Hundred Years War (= Cambridge Medieval Textbooks), Cambridge 1988, S. 26 – 36; Ralph A. Griffiths, The Reign of King Henry VI., London 1981; Kenneth H. Vickers, England in the Later Middle Ages, London 1913.
32
England im 15. Jahrhundert
Johanna von Navarra vermittelte 1407 und 1417 Friedensverträge mit der Bretagne. 1420 schlossen Burgund und England ein Bündnis gegen Frankreich im Vertrag von Troyes. Burgund bekam damit die Aussicht, den Mord an Johann Ohnefurcht zu rächen, während England seinen Anspruch auf die französische Krone geltend machte. Im Vertrag von Amiens wurde das Bündnis 1423 zur so genannten »Triple Alliance« ausgeweitet, in der auch die Bretagne einbezogen war. England suchte auch weiter entfernte Bündnispartner : 1416 wurde im Vertrag von Canterbury ein Bündnis zwischen Sigismund und Heinrich V. geschlossen. Der Vertrag diente jedoch eher einer Schaudiplomatie als konkreter Waffenhilfe: England konnte Frankreich auf dem europäischen Festland somit weiter isolieren; Sigismund schloss das Bündnis schon mit Blick auf die Kaiserkrönung. Das Verhältnis Englands mit der Kurie dagegen war eher zwiespältig: England behielt sich die Einsetzung von Bischöfen und Kardinälen vor und unterstützte zeitweilig den Gegenpapst. Doch nach 1399 machte Heinrich IV. Zugeständnisse an die Kirche, um seine Machtübernahme zu legitimieren; die päpstlichen Legaten und Steuereintreiber konnten ungehindert in England arbeiten. Doch auch gegen England wurden Bündnisse geschlossen. Am gravierendsten für die Entwicklung des 100jährigen Kriegs war dabei der Vertrag von Arras, der den Frieden zwischen Burgund und Frankreich regelte. Nicht nur politische Gründe führten zu dem Seitenwechsel der Burgunder ; wirtschaftliche Gründe, wie die Konkurrenz zwischen Flandern und England im Tuchhandel, waren ebenso maßgeblich.
b.
Personen um Dunstaple
Da über die Lebensverhältnisse von Dunstaple nur die im vorhergehenden Kapitel angeführten, recht spärlichen Zeugnisse Auskunft geben, ist es nützlich, zum Zwecke flankierender Informationen die Lebenswege und Höfe seiner Dienstherren, besonders zur Zeit seiner Anstellung dort, in Augenschein zu nehmen. Alle entstammen der königlichen Familie: Bedford (1389 – 1435) und Gloucester (1390 – 1447) waren Brüder Heinrichs V. aus der ersten Ehe Heinrichs IV. mit Mary Bohun, Johanna von Navarra (1368 – 1437) die zweite Frau von Heinrich IV. Auch die Abtei von St. Albans und deren Abt John Whethamstede (um 1392 – 1465) unterhielten enge Beziehungen zur königlichen Familie. Betrachten wir zunächst den Lebensweg Bedfords6 und die politischen Ak-
6 Vgl. Alec R. Myers, ›AVous Entier‹ John of Lancaster, Duke of Bedford, in: History Today 10 (1960), S. 460 – 468; Ethel C. Williams, My Lord of Bedford (1389 – 1435): Being a Life of John
Personen um Dunstaple
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tivitäten, die Auswirkungen auf seinen Hof hatten: Als Kind erhielt Bedford eine umfassende Ausbildung, die auch die Sprachen Latein, Französisch und Englisch beinhaltete. Ab 1400 stand er einem eigenen Haushalt vor, der eine Kapelle einschloss. Schon kurze Zeit später war diese mit eigenen Priestern und Musiker ausgestattet. Sie begleitet ihn auf Reisen und Feldzügen. Um 1419 trat das englische Königshaus in Verhandlungen mit Johanna von Sizilien ein, die jedoch bald scheiterten: Sie wollte Bedford adoptieren und als Thronfolger einsetzen. In Abwesenheit Heinrichs V. war Bedford Leutnant von England, doch oft begleitete er seinen Bruder auf Feldzügen in Frankreich. Als Bruder des Königs und Mitglied des Kronrats war Bedford bei vielen herausragenden Ereignissen der Zeit anwesend: beim Besuch des späteren Kaisers Sigismund im Jahr 1416, bei der Unterzeichnung des Vertrags von Troyes und dem Einzug der Engländer in Paris im Jahr 1420, bei der Krönung Katharinas zur englischen Königin ein Jahr später in Westminster und 1422 am Sterbebett Heinrichs V.. Wie bereits erwähnt, wurde Bedford nach dessen Tod während der Minderjährigkeit Heinrichs VI. Regent von Frankreich sowie von England, wenn er sich dort aufhielt. In Frankreich residierte Bedford, soweit er nicht in Kampfhandlungen verwickelt war, zumeist im Pariser »Palace des Tournelles« oder in Rouen. Da diese Aufenthalte immer länger dauerten – von November 1419 bis Juni 1421 und von Mai 1422 bis Januar 1426, hielt sich mit Bedford auch der größere Teil seines Hofes in Frankreich auf.7 Im Vertrag von Amiens handelte Bedford ein Bündnis mit dem Burgund und der Bretagne aus – die »Triple-Alliance«, das in seiner Heirat mit Anna von Burgund, der Schwester Philipps von Burgund, am 13. Mai 1423 seine Bestätigung fand. Neben den Feldzügen in Frankreich musste Bedford immer wieder Streitigkeiten zwischen seinem Bruder Gloucester und Beaufort schlichten und ernannte letzteren 1427 zum Kardinal. Im gleichen Jahr wechselte Dunstaple zu Bedfords Stiefmutter, Johanna. Wegen der zunehmend schwierigen Lage in Frankreich und als Antwort auf die Krönung Karls VII. im Jahr 1429 in Reims ließ Bedford Heinrich VI. 1431 in Paris zum König von Frankreich krönen. Im gleichen Jahr starb seine Frau, Anna von Burgund, doch Bedford heiratete schon ein Jahr später Jacquetta von Luxemburg. Die politischen Implikationen erregten das Missfallen von Philipp von Burgund, der eigene Ansprüche in Luxemburg geltend machen wollte. Die Heirat gab ihm einen weiteren Grund, das Bündnis mit England aufzukündigen und mit Frankreich den Vertrag von Arras zu schließen. Sehr viel spärlicher als zu Bedfords und Gloucesters Höfen sind – wie so oft, wenn es um Frauen in der Geschichte geht – die Informationen über Johannas Lancaster, First Duke of Bedford, Brother of Henry Vand Regent of France, London 1963; Jenny Stratford, Artikel »John [John of Lancaster], duke of Bedford«, in DNB. 7 Williams, My Lord of Bedford (s. Anm. 6).
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England im 15. Jahrhundert
Leben und Hof.8 Johanna war die zweite Tochter Karls II. von Navarra. In erster Ehe war sie mit Johannes Montfort, Herzog der Bretagne, verheiratet. Sie war Heinrich IV. bei einem Besuch mit ihrem Mann in England im Jahr 1398 erstmals begegnet. Nach Montforts Tod 1399 übernahm sie die Regierung der Bretagne. 1403 heiratete sie Heinrich IV. Obwohl man ihr wegen ihrer Herkunft in England mit Misstrauen begegnete – so durfte sie ihr Personal nicht behalten, sondern musste englisches einstellen – hielt sie den Kontakt zu ihren Söhnen aus erster Ehe aufrecht und vermittelte in den Jahren 1407 und 1417, wie oben beschrieben, Frieden zwischen England und der Bretagne. Auch nach dem Tod ihres Ehemannes blieb sie in England und pflegte die Beziehungen zu den Mitgliedern ihrer englischen Familie. 1419 wurde sie jedoch des Hochverrats angeklagt, gefangen genommen, und ihre Güter wurden beschlagnahmt. Grund für diese radikale Verschlechterung der Beziehung zu ihrer englischen Familie war vermutlich der chronische Geldmangel der englischen Krone, der durch den Einzug ihrer Güter und Mitgift zumindest zeitweise gemildert wurde. Ihre Haft verbrachte sie an verschiedenen Orten unter der Aufsicht von John Pelham. Doch auch während der Haft konnte sie einen angemessenen Lebensstil beibehalten. Sie empfing häufig Besuch und unterhielt die Gäste offensichtlich auch mit Musik: Die Haushaltsbücher erwähnen die Reparatur einer Harfe sowie ein Geschenk an einen Musiker.9 Kurz vor seinem Tod begnadigte Heinrich V. sie, ihre Güter wurden ihr allerdings nur sehr zögerlich von der Krone zurückerstattet. Zuerst lebte sie in Langley als Pächterin von Whethamstede, später in Havering atte Bower.10 Bis 1429 führte sie einen großen Haushalt, danach lebte sie sehr zurückgezogen. Noch 1433 erhielt sie eine Jahresrente von £500. Lenken wir nun den Blick auf Gloucesters11 politische Laufbahn: Wie sein Bruder Bedford erhielt auch Gloucester eine umfassende Ausbildung, die die Sprachen Latein, Französisch und Englisch einschloss. Schon früh kämpfte er mit seinem anderen Bruder, Heinrich V., in Frankreich. Die Feldzüge ließ er ausführlich in der Vita Henrici quinti beschreiben, die er bei seinem Sekretär Titus Livius Frulovisi in Auftrag gegeben hatte. Während Bedfords Abwesenheit von England, zum Beispiel bei den Verhandlungen zum Vertrag von Troyes, übernahm er die Regierung in England. Bei verschiedenen diplomatischen Großereignissen war Gloucester anwe8 Vgl. Alec R. Myers, The Captivity of a Royal Witch, in: John Rylands Library Bulletin 24 (1940), S. 263 – 284; Michael Jones, Artikel »Joan [Joan of Navarra]«, in: DNB. 9 Myers, The Captivity of a Royal Witch (s. Anm. 8), S. 267 und 269. 10 James G. Clark, Artikel »Whethamstede [Bostock], John«, in: DNB. 11 Vgl. G. L. Harriss, Artikel »Humphrey [Humfrey or Humphrey of Lancaster], duke of Gloucester«, in: DNB; R. L. Storey, Artikel »Humphrey, Duke of Gloucester«, in: LexMA und Kenneth H. Vickers; Humphrey Duke of Gloucester, London 1907.
Personen um Dunstaple
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send: Während der Verhandlungen zwischen Heinrich V., Sigismund und Johann von Burgund 1416 in Calais hielt er sich als Sicherheit im burgundischen Lager auf. Beim späteren Besuch Sigismunds in England nahm er den zukünftigen Kaiser in Dover in Empfang. Bei der Krönung Katharinas zur englischen Königin 1421 in Westminster hatte er den Vorsitz. Nach Heinrichs V. Tod interpretierte Gloucester dessen Testament dahingehend, dass ihm die Regierung in England übertragen wurde und er nur Heinrich VI. Rechenschaft schuldig sei. Bedford und der Kronrat jedoch billigten Gloucester lediglich den Vorsitz im Kronrat zu. Zwar setzten die letzteren ihre Position durch, doch führte dies, wie bereits erwähnt, während der Minderjährigkeit Heinrichs VI. immer wieder zu Machtkämpfen zwischen dem Kronrat, dessen prominentestes Mitglied Beaufort war, und Gloucester. 1423 heiratete Gloucester Jacqueline von Hainault und begann im Jahr darauf einen Feldzug, um ihre Ansprüche auf Holland und Zeeland zu verteidigen. Da sich diese Initiative gegen Verbündete des Herzogs von Burgund richtete, brachte sie den Vertrag von Troyes in Gefahr. Nur die Intervention von Beaufort und Bedford rettete das englische Bündnis mit Burgund. Die Ehe wurde annulliert, und Gloucester heiratete 1428 seine Mätresse Eleanor Cobham. Nach der Krönung Heinrichs VI. 1429 wurde Gloucester zum Leutnant von England während des Königs Abwesenheit ernannt, doch wenn Bedford in diesen Zeiten in England war, übernahm dieser das Amt. Zu seiner Ernennung und auch in der Regierung war die Zustimmung des Kronrats notwendig. Dies führte zu einem erneuten Machtkampf zwischen Gloucester und Beaufort um den Einfluss im Kronrat und auf den noch sehr jungen König. Nach Bedfords Tod 1435 übernahm Gloucester zunächst die Verwaltung der englischen Provinzen in Frankreich. Von Juli bis August 1436 hielt er sich dafür in Frankreich auf. Da Gloucester durch Bedfords Tod zum ersten Platz in der Thronfolge aufstieg, verschärften sich die Machtkämpfe im Kronrat. Auch die Anklage gegen Eleanor Cobham wegen Hexerei und Hochverrats muss vor diesem machtpolitischen Hintergrund gesehen werden. Durch die Anklage gegen seine Ehefrau wurde Gloucester diskreditiert und zog sich fast vollständig aus der Politik zurück. Auf dem Weg zum Parlament 1447 wurde er von seinen Gegnern verhaftet und starb wenige Tage später in der Haft. Lange Zeit kursierten Gerüchte, er sei ermordet worden; doch scheint ein Schlaganfall nach den zeitgenössischen Berichten die wahrscheinlichere Ursache seines Todes. Schon zu Lebzeiten war Gloucester eine umstrittene Person, und er bleibt es bis heute: Je nachdem, aus welchem Blickwinkel über ihn berichtet wird, gelten seine politischen Ansichten als verfehlt oder verkannt. Neben der Politik prägte jedoch auch das Interesse an Bildung und Kultur sein Leben. Der Kontakt zu italienischen Humanisten in England und Italien sowie seine Unterstützung der Universität Oxford brachten ihm den Beinamen »The Good Duke« ein.
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England im 15. Jahrhundert
Alle drei Höfe, an denen Dunstaple tätig war, unterhielten enge Verbindungen zur Abtei von St. Albans, besonders während Whethamstede dort Abt war : Die Verhandlungen zur Schlichtung des Streits zwischen Beaufort und Gloucester, die von Bedford geführt wurden, fanden in St. Albans statt. Johanna lebte nach ihrer Rehabilitierung, wie bereits erwähnt, zunächst auf einem Gut Whethamstedes in Langley. Bedford, Johanna und Gloucester waren regelmäßige Besucher der Abtei. Gloucester und seine beiden Frauen wurden in die Bruderschaft aufgenommen; er selbst liegt dort begraben. Von den freundschaftlichen Beziehungen zeugen auch viele Geschenke, die zwischen der Abtei – besonders ihrem Abt Whethamstede – und Gloucester ausgetauscht wurden. Darunter befinden sich sowohl Bücher als auch kostbare Kelche und Gewänder. Die Benediktiner Abtei von St. Albans war die führende Abtei Englands.12 Sie liegt nicht nur günstig am Handelsweg nach London, sondern war auch reich und besaß außergewöhnliche Privilegien, da sie über allen anderen Klöstern Englands stand und von bischöflicher Gewalt exempt war. Im 13. und 14. Jahrhundert gründete sie ihren Ruhm für Handschriften und Buchmalerei, zudem lebten und arbeiteten dort viele Gelehrte und Chronisten. Ihr Abt Whethamstede13 war einziger Sohn einer wohlhabenden Familie und trat mit 16 Jahren ins Kloster ein. Nach St. Albans kam er vermutlich aufgrund familiärer Beziehungen – sein Onkel war Prior eines Tochterklosters von St. Albans – und wegen seiner guten Leistungen in der Schule. Er studierte in Oxford und erhielt 1417 den Doktor der Theologie der Universität. Schon 1420 wurde er zum Abt gewählt. Während seiner ersten Amtszeit vertrat er die Benediktiner in Verhandlungen mit Heinrich V. zur Klosterreform. 1423 reiste er als Vertreter des Ordens zum Konzil von Pavia-Siena. Hier interessierte er sich jedoch mehr für die Lehren der Humanisten und die Bibliothek der Visconti als für die Diskussionen des Konzils.14 Während seines Aufenthaltes in Italien besuchte er mehrmals Rom, um sich der Unterstützung des Papstes für die Privilegien seines Ordens zu versichern. Auf der Hinreise verbrachte er einige Wochen in Mainz, auf der Rückreise hielt er sich mehrere Wochen in Köln auf. Zehn Jahre später sollte er wiederum als Delegierter der englischen Benediktiner am Konzil in Basel teilnehmen; ob er wirklich dorthin reiste, ist jedoch ungewiss. In St. Albans setzte er sich für Reformen ein, konsolidierte die Finanzen der Abtei und führte größere Baumaßnahmen – unter anderem die Bibliothek – 12 Vgl. R. B. Dobson, Artikel »Saint Albans«, in LexMA. 13 Vgl. Winifred J. Mulligan, John Whethamstede: A Neglected Historian of the 15th Century, Dissertation, Duke University 1974, S. 2 – 51; David R. Howlett, Studies in the Works of John Whethamstede Dissertation, Oxford 1975, S. 1 – 8; Clark, Artikel »Whethamstede« (s. Anm. 10). 14 Vgl. George B. Parks, The English Traveller to Italy, Bd. 1, Rom 1954, S. 294 f..
Kulturelle Verbindungen nach Frankreich und Italien
37
durch. Politische Verbindungen pflegte er zu allen Lagern der Regierung: zu Beaufort, Bedford und Gloucester. Mit letzterem teilte er auch intellektuelle Interessen. Wie Gloucester sammelte auch Whethamstede die Schriften der klassischen Autoren und hielt den Kontakt zu humanistisch gebildeten Italienern in England. Einige der Büchertauschgeschäfte zwischen Whethamstede und Gloucester sind belegt. Die Bibliothek der Abtei enthielt dadurch nicht nur theologische Schriften sondern auch Übersetzungen klassischer Autoren. Whethamstede war darüber hinaus selbst schriftstellerisch tätig. Neben Briefen und Gedichten, die teilweise den klassischen Formen verpflichtet sind, ist eine Enzyklopädie von ihm überliefert, die nicht nur klassische und biblische Gestalten aufführt, sondern auch zeitgenössische Autoren erwähnt. Whethamstedes Umgang mit den Quellen zeigt zudem erste humanistische Ansätze, wie etwa die kritische Bewertung und Gegenüberstellung der Quellen.15 1440 trat Whethamstede von seinem Amt als Abt zurück und widmete sich in den folgenden Jahren vermutlich ausschließlich seinen intellektuellen Interessen. 1452 wurde er zum Abt wiedergewählt. In seiner zweiten Amtszeit verbesserte er die Ausbildung der Mönche, bereinigte die Finanzen der Abtei, indem er gegen Korruption vorging, und führte weitere Baumaßnahmen durch. Weiterhin pflegte er politische Verbindungen, doch nun auf der Seite der Tudors und gegen Heinrich VI. Während des Bürgerkriegs löste er die Gemeinschaft zeitweilig auf und kehrte an seinem Geburtsort zurück, wo er nach längerer Krankheit verstarb.
c.
Kulturelle Verbindungen nach Frankreich und Italien
Da das kulturelle Umfeld, in dem Dunstaple lebte und komponierte, nur über die Höfe, an denen er angestellt war, erschlossen werden kann, muss den kulturellen Verbindungen der Höfe zum Kontinent besonderes Augenmerk geschenkt werden. Die Beziehungen, die England auf politischer Ebene mit dem europäischen Festland unterhielt, finden sich auch in kultureller Hinsicht wieder.16 Viele der politischen Kontakte hatten einen hohen repräsentativen Charakter : Die Kapellen der Fürsten waren anwesend und gestalteten liturgische und zeremonielle Feiern musikalisch. Doch waren Englands Beziehungen zum Kontinent im 15. Jahrhundert nicht nur aufgrund des 100-jährigen Krieges sehr eng. Die Höfe, an denen Dunstaple tätig war, unterhielten auch kulturelle Kontakte nach 15 Vgl. Mulligan, John Whethamstede (s. Anm. 13), S. 52 – 106 und Howlett: Studies in the Works of John Whethamstede (s. Anm. 13), S. 170 – 199. 16 Mehr zu den kulturellen Aspekten der Beziehung zwischen England und Europa im zweiten Teil der Arbeit.
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England im 15. Jahrhundert
Frankreich, Burgund, Flandern und bis nach Italien. Da über Johannas Lebensverhältnisse und Kontakte zum europäischen Festland – außer der Verbindung zu ihren Kindern aus erster Ehe, die die Bretagne für sie verwalteten – so gut wie nichts bekannt ist, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Höfe Bedfords und Gloucesters. Betrachten wir zunächst die politischen Großereignisse in der Zeit, zu der Dunstaple am Hof Bedfords war. Einige davon hatten internationale Ausmaße und erforderten ein hohes Maß an Repräsentation: Im Sommer 1416 weilte Sigismund mit einem Gefolge von 1000 Rittern in England, um einen Frieden zwischen England und Frankreich zu vermitteln.17 Er wurde am 29. April von Gloucester in Dover begrüßt, übernachtete auf dem Weg nach London, wo er mit allen Ehren vom König empfangen wurde, bei Bedford in Rochester. Zumindest hier, aber auch am königlichen Hof in London, hatte Dunstaple Gelegenheit in Kontakt mit dem Gefolge Sigismunds kommen. Von den Feierlichkeiten, die mit dem Besuch einhergingen, sei vor allem die Zusammenkunft des Hosenbandordens am 4. Mai erwähnt, bei der Sigismund zum Mitglied ernannt wurde. Die Unterzeichnung des Vertrags von Troyes und die Hochzeit Heinrichs V. mit Katharina von Valois bildeten den Höhepunkt der diplomatischen Bemühungen um einen Frieden mit Frankreich.18 An den Verhandlungen war Philipp von Burgund als Vermittler maßgeblich beteiligt, bei der feierlichen Unterzeichnung des Vertrags am 20. Mai 1420 war Gloucester zugegen. England stärkte sein Bündnis mit Burgund 1424 zusätzlich durch die Heirat Bedfords mit Anna von Burgund, der Schwester Philipps. Bei diesen Begebenheiten wird neben der Kapelle Bedfords auch die burgundische Kapelle zugegen gewesen sein, so dass Möglichkeit zu einem Austausch zwischen Dunstaple und den burgundischen Musikern bestand. Am Rande dieser hervorstechenden Ereignisse war der alltägliche Kontakt mit zumeist französischen Musikern und Komponisten möglich. Nach 1422 residierte Bedford als Regent von Frankreich fast durchgehend in Frankreich. Sein gesamter Hof und somit auch die Kapelle hielten sich in dieser Zeit in Frankreich auf. Der Kontakt mit französischer Musik ist im Nachlass des Herzogs belegt. Dort wird ein »livre de motez a la maniere de France« genannt. Vermutlich handelte es sich hierbei um isorhythmische Motetten.19 Auch wenn Dunstaple sich vermutlich nicht in Frankreich aufhielt, hatte er doch durch die Musikhandschriften im Besitz Bedfords Kenntnis französischer Kompositionen. Der Nachlass gibt auch Aufschluss über die Kapelle Bedfords, die seit ca. 1401 an 17 Vgl. Gesta Henrici Quinti, hrsg. von Benjamin Williams, London 1850 (Reprint Vaduz 1964), S. 75 – 93. 18 Ebd., S. 137 – 142. 19 Jenny Stratford, The Bedford Inventories, London 1991 (= Reports of the Research Committee of the Society of Antiquaries of London 49), B 149.
Kulturelle Verbindungen nach Frankreich und Italien
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seinem Hof bestand:20 Pelzbesetzte Kleidungsstücke und die Vorgabe, die Messe musikalisch zu gestalten, weisen auf einen institutionellen Status ähnlich dem einer Kathedralkirche hin. Da keine Gehaltslisten überliefert sind, kann die Besetzung der Kapelle nicht rekonstruiert werden. Sie wird sich, aufgrund der politischen Bedeutung während Bedfords Regierung in Frankreich, an den Kapellen von Frankreich und Burgund orientiert haben, so dass die Möglichkeit zur Aufführung polyphoner Musik bestanden hätte. Die kulturellen Kontakte florierten auch auf anderen Ebenen: Als Karl VI. 1422 starb, erwarb Bedford neben Juwelen, Porzellan, Wandbehängen und Kleidungsstücken des französischen königlichen Hofes, die gesamte Bibliothek.21 Darin befanden sich sowohl zeitgenössische französische Literatur als auch Übersetzungen antiker Autoren.22 Zudem wurden mehrere reich illustrierte Stunden- und Gebetbücher von Bedford in Frankreich in Auftrag gegeben.23 Ganz anders stellte sich die Situation am Hof Gloucesters dar : Dieser weilte nach 1436 – also auch in der Zeit, in der Dunstaple bei ihm angestellt war – nur noch selten auf dem Kontinent und war politisch zunehmend isoliert. 1416 hatte er während der Verhandlungen um ein Bündnis zwischen Burgund und England, wie bereits beschrieben, einige Zeit am burgundischen Hof als Unterpfand für Johann Ohnefurcht verbracht. Durch seine Heirat mit Jacqueline von Heinault knüpfte Gloucester jedoch direkte Verbindungen nach Brabant und Flandern. Als Gloucester aus der aktiven Politik in England herausgedrängt wurde, widmete er sich mehr und mehr seinen intellektuellen Interessen, knüpfte hier intensive Beziehungen nach Italien an und scharte einen Kreis von Italienern um sich: Über Pietro del Monte, 1435 bis 1440 päpstlicher Verwalter in England, pflegte der Herzog von Gloucester Verbindungen nach Italien. Er beschäftigte italienische Sekretäre, gab Übersetzungen klassischer Autoren bei Italienern und neue Schriften bei Italienern und Engländern in Auftrag und ließ sich Bücher aus Italien schicken.24 So bildete sich ein Kreis von englischen und ita20 Ebd., S. 66 f., 94 f.. 21 Ebd., S. 8. 22 Vgl. L¦opold Delisle, Recherches sur la Librairie de Charles V, Roi de France 1337 – 1380, Bd. 1, Amsterdam 1967, S. 37 – 41; Inventaire de la Bibliotheque du Roi Charles VI fait au Louvre en 1423 par ordre du regent Duc de Bedford, hrsg. von L. Douet-d’Arcq, Paris 1867. 23 »Bedford Hours« London, BL, Add. MS 18850, »Salisbury Breviary« Paris, BN, MS lat. 17294 und »Pontifical of Poitier«. Letzteres wurde 1871 in der Zeit der Pariser Kommune zerstört. Das bekannteste von Bedford in Auftrag gegebene Buch – »Bedford Psalter and Hours« London, BL, Add. MS 42131 – wurde in England hergestellt. Vgl. Jenny Stratford, The Manuscripts of John Duke of Bedford, in: England in the 15th Century – Proceedings of the 1986 Harlaxton Symposium, hrsg. von Daniel Williams, Woodbridge 1987, S. 329 – 350, hier S. 342. 24 Die am italienischen Vorbild orientierte Kunstförderung Gloucesters wird im Kapitel II.1 detailliert beschrieben.
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England im 15. Jahrhundert
lienischen Gelehrten um Gloucester, die den humanistischen Ideen aus Italien zugetan waren. Teile seiner Bibliothek vermachte er noch zu Lebzeiten der Universität Oxford. Sie sind aufgrund von Schenkungslisten gut zu rekonstruieren.25 Repräsentative Anlässe, bei denen auch Musik eine große Rolle gespielt haben könnte, sind an Gloucesters Hof sehr viel seltener als bei Bedford auszumachen. Dunstaple kam durch den Kreis von Humanisten an Gloucesters Hof mit den ideengeschichtlichen Entwicklungen auf dem europäischen Festland in Kontakt. Ob auch Musikhandschriften durch die Humanisten von Italien nach England kamen, und Dunstaple somit Kompositionen aus Italien zugänglich waren, lässt sich allerdings nur vermuten.
25 Vgl. Susanne Saygin, Humphrey Duke of Gloucester and the Italian Humanists, Leiden 2002 (= Brill’s Studies in Intellectual History 105); Alfonso Sammut: Unfredo duca di Gloucester e gli umanisti Italiani, Padova 1980 (= Medioevo e umanesimo 41); Duke Humphrey and English Humanism in the 15th Century – Catalogue of an Exhibition Held at the Bodleian Library, Oxford 1970.
3. Musik in England
Zwar sind aus dem 14. und 15. Jahrhundert nur wenige vollständige und autonome Quellen mit mehrstimmiger Musik aus England überliefert; die vielen Fragmente mit Musik, die für Bucheinbände benutzt wurden, lassen aber dennoch auf eine rege Musikpraxis schließen. Obwohl in England keine kommerzielle Reproduktion oder systematische Sammlung polyphoner Musik stattgefunden zu haben scheint,1 geben die erhaltenen Manuskripte – zusammen mit anderen zeitgenössischen Dokumenten – Aufschluss darüber, wer in England komponierte, wie und in welchen institutionellen Kontexten dort komponiert wurde, und was darüber hinaus an Musik des europäischen Festlands bekannt war. Zunächst werden Quellen aus dem 14. und 15. Jahrhundert, die für Benediktinerabteien, hier besonders für St. Albans, und die königliche Kapelle entstanden, auf das in ihnen überlieferte englische Repertoire hin untersucht werden. Da John Dunstaple bei Mitgliedern der königlichen Familie angestellt war, die auch Regierungsgeschäfte übernahmen und daher mit ihrem Gefolge viel Zeit am königlichen Hof verbrachten, ist es notwendig, auch die Ausstattung der königlichen Kapelle zu betrachten. Zugang zu diesen Musikalien war Dunstaple durch seine Anstellung an den Höfen der Herzöge von Bedford und Gloucester möglich. Zudem geben Quellen, die für die königliche Kapelle hergestellt wurden, in gewissem Maße auch Auskunft über das Repertoire an den Kapellen Bedfords und Gloucesters, über die wenig überliefert ist. Die Übersicht über die Quellen und die nachfolgende Beschreibung der englischen Überlieferung von Werken, die auf dem europäischen Festland entstanden, legen die Grundlage zur Untersuchung der Entwicklungen in der Kompositionstechnik in England und ihre möglichen Wechselbeziehungen mit Entwicklungen auf dem Kontinent. 1 Ausführlich dazu s. Andrew B. Wathey, Music in the Royal and Noble Households in Late Medieval England: Studies of Sources and Patronage, London 1989 (= Outstanding Dissertations in Music from British Universities), S. 13 – 45.
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a.
Musik in England
Quellen
Für das 14. Jahrhundert beschreibt William Summers2 85 in England entstandene Manuskripte, die zumeist fragmentarisch überliefert sind. Soweit bekannt, wurde ein beträchtlicher Teil an Klöstern und Kathedralen geschrieben, wobei der Benediktinerorden mit 23 Manuskripten den größten Anteil der überlieferten Quellen stellte. Drei Fragmente können mit einiger Sicherheit der Abtei von St. Albans als Entstehungsort zugewiesen werden: Das Fragment GB-Cgc 2303 war als Vorsatz in eine Sammelhandschrift gebunden, die John Whethamstedes Epitaph für den Abt Thomas de la Mare (1349 – 1396) und andere Schriften über die Abtei von St. Albans enthielt. Einband und Handschrift stammen aus dem späten 15. Jahrhundert, die Vorsatzblätter aus einem ausgemusterten Chorbuch vermutlich der Abtei: Darauf sind cantus firmus-freie Werke mit lateinischem Text zu Marienfeiertagen sowie ein Credo im englischen Diskant-Stil und ein cantus firmus-freies Credo notiert. Das Fragment GB-Lbl 386514 befand sich im Einband der Aufzeichnungen von John Moot, Abt von St. Albans (vor 1396). Soweit erkennbar, enthält es cantus firmus-freie Kompositionen mit lateinischem Text zu Marienfeiertagen sowie einzelne Messensätze, die teils cantus firmus-frei, teils im englischen Diskant-Stil gesetzt sind. GB-Occ 1445 ist eine Sammelhandschrift, die Geoffrey von Vinsaufs Traktat Liber metricus de nova poetria enthält sowie eine Schrift Richard Wallingfords, der 1326 – 1335 Abt von St. Albans war. Die Handschrift wurde um 1445 einem Tochterkloster der Abtei von St. Albans in Tynemouth von deren Subprior John Bamburgh vermacht. Beide Abschriften wurden vermutlich im ›Mutterhaus‹ St. Albans, hergestellt und erst von Bamburgh zusammengebunden. 16 Seiten von Vinsaufs Traktat sind Palimpsest; sie wurden über ausgeschabte polyphone Notation geschrieben. Soweit die Kompositionen rekonstruiert werden können, handelt es sich um cantus firmus-freie Werke mit lateinischem Text zu Mari2 William J. Summers, English 14th-Century Polyphonic Music, in: The Journal of Musicology 8 (1990), S. 173 – 226. 3 Vgl. ebd., S. 181; Manuscripts of Polyphonic Music, hrsg. von Andrew Wathey, München 1993 (= RISM BIV1-2, Sup. 1), S. 13 – 15; Peter M. Lefferts und Margaret Bent, New Sources of English 13th- and 14th-Century Polyphony, in: EMH 2 (1982), S. 273 – 362, hier S. 295 – 306. 4 Summers, English 14th-Century Polyphonic Music (s. Anm. 2), S. 195 f.; Manuscripts of Polyphonic Music, hrsg. von Gilbert Reaney, München 1969 (= RISM BIV2), S. 238 f. und S. 375 – 378; Margaret Bent, New and Little-known Fragments of English Medieval Polyphony, in: JAMS 21 (1968), S. 137 – 156, hier S. 137 – 139; Gilbert Reaney, The Social Implications of Polyphonic Mass Music in Fourteenth Century England, in: MD 38 (1984), S. 159 – 172, hier S. 165. 5 Summers, English 14th-Century Polyphonic Music (s. Anm. 2), S. 112; Manuscripts of Polyphonic Music (s. Anm. 3), S. 83 – 86; Lefferts und Bent, New Sources of English 13th- and 14thCentury Polyphony (s. Anm. 3), S. 347 – 352.
Quellen
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enfeiertagen, sowie um eine Vertonung der Marienantiphon Alma redemptoris mater mit dem cantus firmus im Superius. Im Gegensatz zu den Benediktinerabteien sind an den Höfen der königlichen Familie nur wenige Manuskripte erhalten, die die Musik des 14. Jahrhunderts überliefern: Das Fragment GB-Ob 3846 entstand vermutlich für die St. Georges Chapel Windsor. Von dort gelangte die Sammelhandschrift mit einem Einband aus dem 15. Jahrhundert an die Bodleian Library in Oxford. Auf den ersten Seiten ist polyphone Musik notiert, die teilweise im 15. Jahrhundert ausgeschabt und überschrieben wurde. Bei den Kompositionen handelt es sich um vier cantus firmus-freie Gloria-Sätze mit dem Tropus Spiritus et alme sowie ein isorhythmisches Gloria. Für das Fragment US-NYpm 9787 schlägt Frank Ll. Harrison eine Entstehung im Umkreis der Kapelle von Edward III. vor ;8 aufgrund einer Konkordanz mit Occ 144 hält Margaret Bent aber ebenso eine Entstehung in der Abtei von St. Albans für möglich.9 Das Fragment enthält neben Messensätzen im englischen Diskant-Stil oder ohne cantus firmus eine Motette und mehrere cantus firmusfreie Werke mit lateinischem Text zu Marienfeiertagen. Die Quellenlage ist im 15. Jahrhundert in England noch dürftiger als im vorhergehenden: Vom Anfang des Jahrhunderts ist aus England nur eine einzige Quelle, die Handschrift GB-Lbl 57950, das berühmte so genannte »Old Hall« Manuskript, vollständig erhalten; alle anderen Quellen sind fragmentarisch überliefert. Ein ähnliches Bild ergibt sich für die zweite Hälfte des Jahrhunderts: Außer dem Manuskript GB-Cmc Pepys 1236 sind nur Fragmente erhalten, sowie einige Manuskripte mit Carols, wie zum Beispiel das Manuskript GB-Lbl Eg. 3307. Doch auch hier sind zwar über 500 Texte überliefert, dagegen nur ca. 130 Melodien. Dunstaples Kompositionen sind in englischen Quellen ebenso gehäuft überliefert wie auf dem Kontinent; doch erscheinen sie wegen der fragmentarischen Quellenlage meist unvollständig. Dagegen finden sich nur vereinzelt Kompositionen, die auf dem europäischen Festland entstanden, in englischen Quellen des 15. Jahrhunderts.10 6 Summers, English 14th-Century Polyphonic Music (s. Anm. 2), S. 209 f.; Reaney, Manuscripts of Polyphonic Music (s. Anm. 4), S. 252 – 254. 7 Summers, English 14th-Century Polyphonic Music (s. Anm. 2), S. 224 f.. 8 Frank Ll. Harrison, Polyphonic Music for a Chapel of Edward III, in: ML 59 (1978), S. 420 – 428. 9 Lefferts und Bent, New Sources of English 13th- and 14th-Century Polyphony (s. Anm. 3), S. 349. 10 Zur Dufay zugeschriebenen Missa Caput und ihrer Überlieferung in englischen Quellen vgl. David Fallows, Dufay, London 1982 (= The Master Musicians Series), S. 192 – 193; Margaret und Ian Bent, Dufay, Dunstable, Plummer – A New Source, in: JAMS 22 (1969), S. 394 – 424; Manfred F. Bukofzer, Caput Redivivum: A New Source for Dufay’s Missa Caput, in: JAMS 4 (1951), S. 97 – 110.
44
Musik in England
Das »Old Hall« Manuskript11 überliefert ein zwischen 1370 und 1420 entstandenes Repertoire. Es wurde vermutlich für die Kapelle des Herzogs von Clarence hergestellt und später in der königlichen Kapelle benutzt. Die Handschrift enthält Messensätze, Antiphonvertonungen und Motetten, meist in den gängigen Satztechniken der Zeit: isorhythmische und cantus firmus-freie Vertonungen sowie Kompositionen im englischen Diskant-Stil. Die meisten Werke sind englischen Komponisten zugeschrieben oder anonym überliefert; für einige Kompositionen ist ein französischer Ursprung gesichert oder liegt zumindest nahe: Die isorhythmische Motette Are post libamina, die in der Handschrift Mayshuet zugeschrieben ist, wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Franzosen Matheo de Sancto Johanne komponiert. Konkordanzen finden sich in Manuskripten kontinentalen Ursprungs. Vom Komponisten Pycard, der vielleicht aus der Picardie stammte, über den aber sonst nichts bekannt ist, sind in der Handschrift verschiedene, meist kanonische Messensätze überliefert. Zudem enthält die Handschrift ein Gloria, das durch Konkordanzen in kontinentalen Quellen dem Komponisten Zacar zugeschrieben werden kann. Zwischen 1410 und 1435 waren allerdings drei verschiedene Sänger Namens Zacar an der päpstlichen Kapelle tätig.
b.
Überlieferung kontinentaler Musik in England
Einige der in England überlieferten Manuskripte zeigen die musikalischen Verbindungen zum europäischen Festland.12 Zwei in England hergestellte Manuskripte überliefern neben Kompositionen aus England auch Werke französischen Ursprungs.13 Die Sammelhandschrift GB-DRc 2014 mit Huguitos Summa
11 Margaret Bent und Andrew Hughes, The Old Hall Manuscript: A Reappraisal and an Inventory, in: MD 21 (1967), S. 97 – 147. 12 Margaret Bent beschreibt die Verbreitung französischer Musik in englischen Quellen ab dem 14. Jahrhundert in: The Earliest Fifteenth-Century Transmission of English Music to the Continent, in: Essays on the History of English Music in Honour of John Caldwell, hrsg. von Emma Hornby und David Maw, Woodbridge 2010, S. 83 – 96, hier S. 84 f. Allerdings kamen die Noten nicht immer um der Musik willen nach England: Fragmente von Musik aus Italien sind in Einbänden von Büchern des 15. Jahrhunderts, die in Italien angefertigt wurden, überliefert; so z. B. auf den Vorsatzseiten der Handschrift GB-Ob MS Canon. Ital. 16, einer Abschrift von Leonardo Brunis De primo bello punico von 1459. 13 Einflüsse kontinentaler Kompositionspraxis auf englische Komponisten zeigen sich in der Übernahme von Kompositionstechniken wie der Isorhythmie. Isorhythmische Struktur und französischer Text allein reichen allerdings nicht aus, um anonym überlieferten Werken einen französischen Ursprung zuzuschreiben, da Französisch im 14. und 15. Jahrhundert die gängige Sprache in der englischen Adelskultur war. 14 Summers, English 14th-Century Polyphonic Music (s. Anm. 2), S. 187 – 190; Manuscripts of
Überlieferung kontinentaler Musik in England
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super derivationibus und Isidorus’ Etymologies wurde vermutlich von John Wessyngton im 14. Jahrhundert für die Benediktiner Abtei Durham gekauft. Auf den Vorsatzblättern ist polyphone Musik notiert; vorn befinden sich Kompositionen englischen und hinten französischen Ursprungs. Bei den französischen Werken handelt es sich um Motetten mit weltlichen französischen oder geistlichen lateinischen Tenores. Einige Motetten sind Marienfeiertagen zugeordnet. Von fast allen Kompositionen sind Konkordanzen in italienischen oder französischen Quellen überliefert. Dadurch lassen sich zwei Motetten Philippe de Vitry zuschreiben. Die Sammelhandschrift GB-Lbl 2855015 enthält Teile einer Chronik der Abtei Robertsbridge und weitere Dokumente aus dem Umkreis der Abtei, wo sie vermutlich um 1330 entstand. Am Ende der Handschrift finden sich drei Estampien und die verzierten Instrumentalarrangements von zwei Motetten, von denen eine durch Konkordanzen Philippe de Vitry zugeschrieben werden konnte. In englischen Quellen des 15. Jahrhundert sind zudem einige Werke von Gilles Binchois und Guillaume Dufay überliefert:16 Fol. 86 von GB-Ob Mus c60 mit den Fragmenten zweier Sanctus-Sätze von Binchois und Dufay diente als Vorsatzblatt eines Exemplars Speculum peregrinarum questionum Bartolomei Sybille Monopolitanie, Strasburg 1499.17 Wann das Notenblatt in den Einband des Druckes kam, ob es also zuvor als Teil eines Konvoluts in England zirkulierte, ist nicht mehr festzustellen. Zudem finden sich einige Werke, die sowohl Binchois als auch englischen Komponisten zugeschrieben werden, in englischen Quellen: Für die Motette Beata mater wird in GB-Ob Arch Selden B 26 Dunstaple als Komponist geführt, in GB-Olc Latin 89 jedoch Binchois. Das Messensatzpaar Sanctus und Agnus wird in GB-AR M534 A-B John Plummer zugeordnet, in B-Br 5557 jedoch Binchois.
Polyphonic Music (s. Anm. 4), S. 218 – 222; Frank Ll. Harrison, Ars Nova in England – A New Source, in: MD 21 (1967), S. 67 – 85. 15 Summers, English 14th-Century Polyphonic Music (s. Anm. 2), S. 194 f.; Manuscripts of Polyphonic Music (s. Anm. 4), S. 236 – 238. 16 Gareth Curtis und Andrew Wathey, Fifteenth Century English Liturgical Music: A List of Surviving Repertory, in: RMA Research Chronicle 27, (1994), 1 – 69. 17 Manuscripts of Polyphonic Music, hrsg. von Gilbert Reaney, München 1966 (= RISM BIV1), S. 566.
46
c.
Musik in England
Gattungen und Komponisten
Die Entwicklung der musikalischen Formen und Satztechniken verläuft im 14. Jahrhundert in England zunächst weitgehend separat vom Kontinent.18 Den überwiegenden Teil der in den Quellen überlieferten Werke stellen Kompositionen für liturgische Zwecke; weltliche und volkssprachliche Werke sind – bis auf Carols – kaum überliefert.19 So finden sich Messensätze und Motetten sowie paraliturgische Gattungen20 wie Conductus und später Vertonungen von Antiphonen.21 Abgesehen von den Messensätzen sind die Kompositionen meist Marienfesttagen zuzuordnen. Typische Satztechniken sind der so genannte englische Diskant, der cantus firmus-freie Satz und der Rondellus. Der Diskantsatz ist urspünglich eine improvisierte Form der Polyphonie, wie Gymel und Faburden. Notiert werden zunächst zweistimmige Werke mit dem cantus firmus in der oberen Stimme oder ohne cantus firmus. Im späteren dreistimmigen Satz steht der cantus firmus in der mittleren Stimme, wie zum Beispiel im folgenden, anonym überlieferten Ite missa est (siehe Notenbeispiel 1).22 Alle drei Stimmen bewegen sich in unterschiedlichen Lagen; und im Satz werden häufig Terzen und Sexten eingesetzt.23 Die überwiegende Konsonanz und der homorhythmische Satz sind später auch Merkmale des Cantilena-Stils. Während der Conductus zum Ende des 14. Jahrhunderts immer seltener in den Quellen erscheint, übernimmt die Antiphonvertonung im Diskant- oder Cantilena-Stil seinen Platz. Der Conductus des 14. und der Cantilena-Stil des 15. Jahrhunderts teilen etliche Merkmale: Sie haben nur einen Text, folgen keinem cantus firmus und sind meist homorhythmisch. 18 Zu satztechnischen Entwicklungen im späten 14. Jahrhunder in England vgl. Reinhard Strohm, The Rise of European Music, Cambridge 1993, S. 75 – 84. 19 Zu englischen weltlichen Gattungen in kontinentalen Quellen vgl. David Fallows, English Song Repertories of the Mid-fifteenth Century, in: Proceedings of the RMA 103 (1976/77), S. 61 – 79. 20 Zu volkssprachlichen paraliturgischen Gattungen vgl. John Caldwell, Relations between Liturgical and Vernacular Music in Medieval England, in: Music in the Medieval English Liturgy, hrsg. von Susan Rankin und David Hiley, Oxford 1993, S. 285 – 299 und William J. Summers, Art Music in Fourteenth Century England – The Historiographic Conundum of Vernacular Autism, in: Tradition and Ecstasy : The Agony of the Fourteenth Century, hrsg. von Nancy van Deusen, Ottawa 1997 (= Musicological Studies 62/3), S. 251 – 272. 21 Zu den cantus firmus-freien Antiphonvertonungen der Handschrift Modena B vgl. Ann Besser Scott, Coherence and Calculated Chaos: The English Composers of Modena Biblioteca Estense, Dissertation, University of Chicago 1969, S. 137 – 277. 22 Nr. 69, in: English Music for Mass and Offices (I), hrsg. von Frank Ll. Harrison, Ernest H. Sanders und Peter M. Lefferts, Monaco 1983 (= PMFC 16). 23 Vgl. Frank Ll. Harrison, Music in Medieval Britain, London 1958, S. 149 – 153; ders., English Church Music in the Fourteenth Century, in: Ars Nova and the Renaissance, hrsg. von Anselm Hughes, London 1960, (= NOHM 3), S. 95 – 99.
Gattungen und Komponisten
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Notenbeispiel 1: Ite misssa est: Deo gracias
Rondellus-Techniken, die beim Stimmtausch den Text wiederholen, dienen der Durchstrukturierung der Werke,24 die im 15. Jahrhundert dann auch mit anderen Mitteln erzeugt wird, und zeigen die Anfänge einer zunehmenden Beschäftigung der Komponisten mit Kanontechniken und Imitation. Die anonym überlieferte Motette Orbis pium primordium / O bipertitum peccatum,25 zum Beispiel, besteht zur Hälfte aus einem ausgedehnten, zweiteiligen Rondellus. Lediglich die letzten acht Mensuren sind wieder frei komponiert (siehe Notenbeispiel 2). Isorhythmische Kompositionen entstehen in England ab ca. 1350. Sie zeugen, wie die Motetten von Vitry in den englischen Quellen, von dem Austausch mit Frankreich. Englische isorhythmische Kompositionen des 14. Jahrhunderts sind allerdings eher an Machaut orientiert und pflegen weiterhin den konservativen Stil der französischen Werke des 13. Jahrhunderts.26 Der color wird – wie in der anonym überlieferten Motette Barrabas dimittitur dignus patibulo / Barrabas dimittitur inmerito / Babilonis flumina27 – oft ohne proportionale Veränderungen und teilweise unvollständig wiederholt; in den Oberstimmen kommen zudem englische Satztechniken wie Rondellus zum Einsatz. Die Herkunft des Kompositionsstils wird auch in der Notation der Werke deutlich: Werke im Diskantsatz oder Cantilena-Stil sind – aufgrund des meist homophonen Satzes und des gleichen Textes in allen Stimmen – in Partiturform notiert. Werke in Satztechniken, die vom europäischen Kontinent nach England kamen, sind dagegen meist, selbst wenn es sich um englische Kompositionen handelt, in Chorbuchnotation geschrieben.28 24 Vgl. Harrison, Music in Medieval Britain (s. Anm. 23), S. 141 – 149. 25 Nr. 39, in: English Music of the Thirteenth and Early Fourteenth Century, hrsg. von Ernest H. Sanders, Monaco 1979 (= PMFC 14). 26 Vgl. Harrison, Music in Medieval Britain (s. Anm. 23), S. 147 – 149; ders., English Church Music in the Fourteenth Century (s. Anm. 23), S. 99 f. 27 Nr. 32, in: Motets of English Provenance, hrsg. von Frank Ll. Harrison, Monaco 1980, (= PMFC 15). 28 Vgl. Manfred F. Bukofzer, English Church Music of the Fifteenth Century, in: Ars Nova and the Renaissance, hrsg. von Anselm Hughes, London 1960, (= NOHM 3); Margaret Bent be-
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Musik in England
Notenbeispiel 2: Orbis pium primordium / O bipertitum peccatum MM 36 – 70
schreibt die Probleme, die bei der Übertragung von der Partiturnotation in englischen Quellen zur Chorbuchnotation in kontinentalen Quellen entstehen können, in: The Earliest Fifteenth-Century Transmission of English Music to the Continent (s. Anm. 12), S. 88 – 93.
Gattungen und Komponisten
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Auch im 15. Jahrhundert dominieren Messensätze und Motetten die englischen Quellen. Dazu kommen Antiphonvertonungen, meist zu Marienfeiertagen. In Bezug auf die Satztechnik werden die Stile des 14. Jahrhunderts weiterentwickelt und teilweise miteinander vermengt.29 So bildet sich in den Motetten und Antiphonen neben dem Cantilena-Stil eine weitere Form der Satztechnik aus: der sogenannte Chanson-Stil. Hier – zum Beispiel in der Vertonung der Marienantiphon Regina celi von Anglicanus30 – befindet sich der verzierte cantus firmus oder eine freie Melodie in der obersten Stimme, begleitet von zwei tieferen Stimmen in gleicher Lage. Ob diese Satztechnik wirklich vom französischen Chanson übernommen wurde, lässt sich nicht rekonstruieren. Englische Quellen belegen diese weltliche Gattung jedenfalls nicht. Zudem scheint eine Übertragung der Satztechnik einer weltlichen, volkssprachlichen und typisch französischen Gattung in die englische geistliche Kompositionspraxis eher unwahrscheinlich. Im Diskantsatz bleiben die separaten Tonlagen der drei Stimmen im 15. Jahrhundert erhalten. Der cantus firmus findet sich zunächst rhythmisiert aber ansonsten unverziert in der mittleren Stimme – wie in Leonel Powers Vertonung der Antiphon Ave regina celorum,31 später rhythmisch und melodisch ausgeschmückt in der obersten Stimme.32 Hier – zum Beispiel in Dunstaples Vertonungen von Marienantiphonen33 – vermischen sich Merkmale des Chanson-Stils, in dem Melodie bzw. cantus firmus in der obersten Stimme liegen, mit denen des Diskantsatzes, der drei separate Tonlagen der Stimmen aufweist.34 Die Isorhythmie wird in englischen Motetten des 15. Jahrhunderts – ähnlich den Entwicklungen auf dem europäischen Festland – seltener und meist in Werken für besonders repräsentative Anlässe gebraucht. Neben der isorhythmischen Anlage werden die englischen Werke durch stimmreduzierte Passagen und Mensurwechsel gegliedert – beides Techniken, die auch in nicht-isorhythmischen Kompositionen zur Strukturierung angewendet werden.35 Zudem wird die Isorhythmie auf Messensätze übertragen.36 Dunstaples Messensätze Gloria
29 Zu satztechnischen Entwicklungen im 15. Jahrhundert in England vgl. Strohm, The Rise of European Music (s. Anm. 18), S. 197 – 238. 30 Die Komposition wird in Kapitel IV.2 besprochen. 31 Diese Komposition wird in Kapitel IV.2 besprochen. 32 Vgl. Harrison, Music in Medieval Britain (s. Anm. 23), S. 230 – 233. 33 Diese Kompositionen werden im Kapitel IV.1 besprochen. 34 Vgl. Harrison, Music in Medieval Britain (s. Anm. 23), S. 247; Bukofzer, English Church Music of the Fifteenth Century (s. Anm. 28), S. 176 – 181. 35 Vgl. Harrison, Music in Medieval Britain (s. Anm. 23), S. 252 – 257. 36 Vgl. ebd., S. 240 – 242; Bukofzer, English Church Music of the Fifteenth Century (s. Anm. 28), S. 170 f.
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Musik in England
und Credo über Jesu Christe Fili Dei37 sind nicht nur durch ein einheitliches Schema in Isorhythmie und Proportion miteinander verbunden, sondern gleichzeitig durch den cantus firmus. Vermutlich führte die Übertragung der Isorhythmie auf Messensätze zur Verwendung eines fremden, aber für mehrere Sätze gleichen cantus firmus und somit zur Bildung von Messensatzpaaren und Messzyklen. Die neue Gattung der Antiphonvertonung entwickelt sich ab dem späten 14. Jahrhundert aus dem Conductus- und Diskant-Stil. Die Kompositionen sind zunächst homophon und besitzen nur einen Text. Der musikalische Satz durchläuft parallel zu den Satztechniken in Messe und Motette im Laufe des 15. Jahrhunderts mehrere Stadien:38 Die frühen Antiphonvertonungen im Old Hall Manuskript sind im englischen Diskant komponiert, also mit dem cantus firmus in der mittleren Stimme. Seltener wandert der cantus firmus von einer Stimme in die andere, so dass sich Teile des cantus firmus in allen drei Stimmen finden. In Bytterings Vertonung der Antiphon Nesciens mater,39 zum Beispiel, läuft die verzierte Choralmelodie in verschiedenen Transpositionen durch alle drei Stimmen. So befindet sie sich in MM 1 – 8 um eine None nach oben transponiert im Triplum, in MM 9 – 13 um einen Ganzton nach oben transponiert im Contratenor und in MM 14 – 20 in der gleichen Transposition im Tenor (siehe Notenbeispiel 3). Weitere Transpositionen um eine Quarte nach unten sowie untransponierte Abschnitte der Choralmelodie folgen in den verschiedenen Stimmen. In den späteren Antiphonvertonungen des Old Hall Manuskripts40 liegt der verzierte cantus firmus meist in der obersten Stimme; die unteren Stimmen bewegen sich teils in verschiedenen Lagen, teils in einer Lage. Der Aufbau dieser Kompositionen gleicht dem der cantus firmus-freien Werke, die ab Mitte des 15. Jahrhunderts komponiert werden. Diese cantus firmus-freien Kompositionen werden gleich den Motetten durch Duette und Mensurwechsel strukturiert. Vermehrt wird der Vertonung von Antiphontexten ein fremder cantus firmus zugrunde gelegt. Wie bei Messen könnte dies auf die Verwendung bei einem bestimmten oder besonderen Festtag hinweisen. Die Textur der Werke bleibt trotz der Verwendung eines fremden cantus firmus im Diskant-Stil, so dass zwar ein cantus firmus im Tenor erscheint, der melodische Schwerpunkt der Komposition aber in der obersten Stimme liegt. Zu ihrer 37 Nr. 15 und 16 in: John Dunstable: Complete Works, hrsg. von Manfred F. Bukofzer, 2. überarbeitete Auflage hrsg. von Margaret Bent, Ian Bent und Brian Trowell, London 1970 (= MB 8). 38 Vgl. Harrison, Music in Medieval Britain (s. Anm. 22), S. 295 – 307. 39 Nr. 50, in: The Old Hall Manuscript, hrsg. von Andrew Hughes und Margaret Bent, Bd. 1, Rom 1969 (= CMM 46/1). 40 Kompositionen dieser Art werden in den Kapiteln IV.1 und IV.2 besprochen.
Gattungen und Komponisten
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Notenbeispiel 3: Byttering: Nesciens mater : MM 1 – 20
besonderen Blüte kamen die Antiphonvertonungen erst nach Dunstaples Tod, ab den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts. Im Eton Choir Book sind sie neben Magnificatvertonungen und Motetten die am häufigsten vertretenen Kompositionen.
4. Institutionen
In England war die Musik im 14. und 15. Jahrhundert eng an die Liturgie gebunden. So finden sich in den Quellen fast ausschließlich liturgische oder paraliturgische Kompositionen. Die Konzentration auf liturgische Musik spiegelt sich auch in den Institutionen wider, für die diese Musik entstand.1 Sie lieferten den Kontext der Förderung von polyphoner Musik: Von ihnen lebten die Sänger und von der Herstellung von Manuskripten. Die Ausstattung der Kapellen mit Musikalien kann aber nur zu einem weit geringeren Teil als die Ausstattung von Bibliotheken mit Büchern rekonstruiert werden. Denn Bibliothek und Kapelle wurden in der Verwaltung und Registratur zumeist völlig getrennt gehandhabt. Daher sind Aussagen zum Notenbestand der Kapellen nicht im gleichen Ausmaß möglich wie zum Bestand der Bibliotheken. Zunächst wurde polyphone Musik an Klöstern und Kathedralen mit und ohne Kapitel gesungen, später auch in den Hauskapellen der höheren Adligen und an den Kapellen der Universitätskollegien.2 Immer jedoch blieb die polyphone Musik innerhalb der kirchlichen Sphäre, auch in säkularen Institutionen wie Adelshof oder Universität.3 Die Musik hatte somit auch dort noch eher den Status eines gleichwohl sakralen Gebrauchsgegenstandes. In diesem Kontext war die Fähigkeit einiger Sänger zu komponieren im Grunde eine Zugabe zur sängerischen Tätigkeit, zumal gerade an den kleinere Kapellen polyphone Musik 1 Zu allgemeinen Informationen über Institutionen vgl. Frank Ll. Harrison, Music in Medieval Britain, London 1958, S. 1 – 46 und 156 – 218; sowie Roger Bowers, To Chorus from Quartet, in: English Choral Practice 1400 – 1650, hrsg. von John Morehen, Cambridge 1995, S. 1 – 47. 2 Sylvia W. Kenney beschreibt noch für die Generation nach Dunstaple eine Teilung in der musikalischen Ausprägung der Liturgie in England: In der monastischen Liturgie wurde vornehmlich cantus planus gesungen, in der säkularen dagegen Polyphonie. Vgl. Ely Cathedral and the »Contenance Angloise«, in: Musik und Geschichte. Leo Schrade zum sechzigsten Geburtstag, Köln 1963, S. 35 – 49. 3 Vgl. William J. Summers: The Effect of Monasticism on Fourteenth-Century English Music, in: La musique et le rite sacr¦ et profane: Actes du XIIIe CongrÀs de la Soci¦t¦ International de Musicolgie, Bd. 2: Communication libres, hrsg. von Marc Honegger und Paul Prevost, Strasbourg 1986, S. 105 – 142.
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Institutionen
auch im 15. Jahrhundert noch improvisiert wurde. Komposition wurde erst im Laufe des 15. Jahrhunderts autonom und Komponisten wurden zunächst nicht speziell gefördert,4 denn die Kirche gab polyphone Musik nur im Rahmen ihrer liturgischen und außerliturgischen Aufgaben in Auftrag. Musik wurde daher nicht von der Kirche gefördert, sondern von Adligen, zum Beispiel durch Stiftungen an die Kirche oder die Hauskapelle.5
a.
Musikpflege in englischen Klöstern
Im 14. Jahrhundert fand die polyphone Musik an Klöstern und Kollegiatskirchen außerhalb des monastischen Ritus statt, also nicht in den Stundengebeten oder Messen, sondern zum Beispiel zu Marienvespern in der Marienkapelle. Zunächst wurde Polyphonie von Solisten gesungen, denn nur wenige Sänger konnten Mensuralnotation lesen. Später wurden alle Sänger und auch die Knaben im Singen der Mensuralnotation unterrichtet und polyphone Musik wurde im Chor, oft im Wechsel mit Solisten, gesungen.6 Gleichzeitig entstanden neue Formen polyphoner Musik, wie Antiphon und Motette, und die Polyphonie hielt Einzug in die Messe. Zudem wurden im 15. Jahrhundert vermehrt Orgeln in Klöstern und Kathedralen eingeführt. Ob sie bei der Aufführung von polyphoner Musik Verwendung fanden – im colla parte-Spiel oder in für Orgel intavolierten Motetten – ist noch offen. Die Kapelle der Abtei von St. Albans ist wie üblich ausgestattet. Folgende Bücher können in der Abtei nachgewiesen werden: Infra Chorum Et in factura quatuor magnorum Gradalium, pro choro xxlixiiisiiiid Et in factura unius paris [sic!] organarum xviilivisviiid Item, in quadam fabrica lignea pro positione organorum, et lectura Lectionum, praeter pecunias a fratibus datas xliiiliiiisiiid7
4 Vgl. Roger Bowers, Obligation, Agency and Laissez-faire, in: Music in Medieval and Early Modern Europe, hrsg. von Ian A. Fenlon, Cambridge 1981, S. 1 – 19. 5 Hier wird deutlich, dass das System der Kunstförderung, besonders innerhalb der Kirche, in England grundlegend anders organisiert war als etwa in Frankreich oder Italien. Vgl. William J. Summers, Art Music in Fourteenth Century England – The Historiographic Conundum of Vernacular Autism, in: Tradition and Ecstasy : The Agony of the Fourteenth Century, hrsg. von Nancy van Deusen, Ottawa 1997 (= Musicological Studies 62/3), S. 251 – 272. 6 Vgl. Bowers, To Chorus from Quartet (s. Anm. 1). 7 Arundel MS 34, fol. 66a; Appendix A, in: Chronica Monasterii S. Albani, hrsg. von Henry Thomas Riley, Reprint der Ausgabe 1870, Wiesbaden 1965, Bd. 2, S. 259. »Innerhalb des Chores / Sowohl für die Anfertigung von vier großen Gradualien für den Chor : 20 Pfund 13 Schilling 4 Pfennig / als auch für die Anfertigung eines Paares [sic!] von Organa: 17 Pfund 6 Schilling 8 Pfennig / Ebenso, für ein bestimmtes Pult aus Holz zum Aufstellen der
Musikpflege in englischen Klöstern
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[INPRIMIS vnum] diurnale magnum sine matutinis cum Rite [Saresburiensi? ad] vsum fratrum iacet apud Redburnam [ITEM] Duo missalia egregia quorum vnum deseruit fratribus celebrantibus in loco illo vbi pronunc requiescunt ossa sua. Alterum [vero] quod [erat] sollempne donauit fratribus existentibus in cursu apud Redburnam [ITEM] Duo psalteria bene pulcra et satis honesta quorum vnum don[auit in] vsum [con]uentui. Alterum vero remanet in vsum successorum in cape[lla] [ITEM] vnum Pontificale pro Abbate multum in se pulcrum [cultum et sol]lempne8 Facture notabilium Librorum pro Choro tam per dictum Abbatem quam per confratres temporibus sue prelacionis Inprimis in factura quatuor magnorum Gradualium pro Choro per Abbatem xxli Item in factura vnius magni Antiphonarii per Fratrem Johannem Langton protunc Cantorem Monasterii preter precunias contributas per Abbatem --9
Dass diese Bücher zum täglichen Gebrauch bestimmt waren, geht aus dem Zusatz »magnum« hervor, denn der Chor der Mönche sang aus einem Exemplar, das dementsprechend groß zu sein hatte. Während der Amtszeit von John Whethamstede wurden etliche Musikalien für die Abtei angeschafft. Zumindest ein Manuskript enthielt mehrstimmige Organa. Zwar ist nicht ersichtlich, ob alle diese Antiphonarien, Gradualia und weiteren Bücher »pro choro« polyphone Musik enthielten; möglich scheint dies jedoch, da die Exemplare als groß beschrieben werden und gleich mehrere angeschafft wurden. Ein weiteres Indiz dafür könnte sein, dass sich Whethamstede auch für die Aufführung von Musik verantwortlich sah: Er führte die polyphone Musik bei der täglichen Marienmesse ein und stiftete Stipendien für zwei der Organa, und für den Vortrag der Lesungen, außer den Geldmitteln, die die Brüder beigetragen haben: 43 Pfund 3 Schilling 3 Pfennig« 8 Cotton Otho.B.iv ; zitiert nach David R. Howlett, Studies in the Works of John Whethamstede, Dissertation, Oxford University 1975, S. 179. »Vor allem ein großes Diurnale ohne Matutinen nebst Sarum Rite zur Verwendung durch die Brüder in Redburnham / Ebenso zwei vortreffliche Missalien, von denen eines den Brüdern seine Dienste leistet, wenn sie an jenem Ort ihre Messe feiern, wo jetzt ihre Gebeine ruhen. Das zweite aber, das für die Liturgie diente, hat er [Whethamstede] den Brüdern geschenkt, während sie sich im Gottesdienst befanden in Redburnham. / Ebenfalls zwei wunderschöne und hochgeschätzte Psalter, von denen er [Whethamstede] einen der Klostergemeinschaft zum Gebrauch geschenkt hat. Der andere aber verbleibt zur Verwendung durch die Nachfolger in der Kapelle. / Ebenso ein Pontifikale für den Abt, [das] viel schönen Kultus der Liturgie [enthält].« 9 Arundel MS 34, fol 76r ; zitiert nach ebd., S. 182. »Anfertigungen bemerkenswerter Bücher für den Chor sowohl auf Veranlassung des genannten Abtes als auch seiner Mitbrüder zu Zeiten seines Amtes. / Besonders für die Anfertigung von vier großen Gradualien für den Chor auf Veranlassung des Abtes: 20 Pfund / Ebenso für die Anfertigung eines großen Antiphonars auf Veranlassung von Bruder Johannes Langton, den damaligen Kantor des Klosters außer den durch den Abt beigesteuerten Geldern: ---»
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Institutionen
Sänger dieser Messen.10 Zudem verbesserte er die Bedingungen für die Sänger in seiner Abtei und errichtete eine neue Orgel für den Chorraum der Abtei.11 Über die Höfe, an denen er tätig war, stand John Dunstaple in Verbindung mit der Abtei von St. Albans. Demnach könnten also auch Werke Dunstaples für Anlässe, die die Abtei betrafen, komponiert worden sein. Mögliche Anlässe für Kompositionen Dunstaples bieten Gedenktage der Namenspatrone der Abtei und Besuche der Mitglieder der königlichen Familien,12 von denen im Folgenden nur einige genannt seien: Alljährlich fand am Himmelfahrtstag eine Prozession mit den Reliquien der Abtei durch den Ort statt. Johanna von Navarra pilgerte 1427 am Tag des heiligen Gervasius zur Abtei und verbrachte die Osterfeiertage des nächsten Jahres mit Heinrich V. in der Abtei. Der Herzog von Gloucester und seine erste Ehefrau Jacqueline von Brabant hielten sich an den Weihnachtstagen 1423 und 1427 in der Abtei auf. 1427 entrichtete Gloucester ein Dankopfer für Genesung von einer Krankheit am Altar des heiligen Alban. Zwei Komposition Dunstaples zeigen direkte Verbindungen zum Kloster St. Albans und seinem Abt Whethamstede: Die bereits erwähnten Motetten Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus domini laudans13 und Dies dignus decorari / Demon dolens dum domatur / Iste confessor. Konkrete Anlässe für die Kompositionen sind jedoch nicht ersichtlich.
b.
Musikpflege an englischen Höfen
Die Tätigkeiten der königlichen Kapelle sind weit besser belegt als die der kleineren Höfe. Daher wird im Folgenden zunächst die königliche Kapelle betrachtet, bevor die Informationen zu den Kapellen an den Höfen von Bedford und Gloucester zusammengetragen werden. Abschließend sind die politischen Ereignisse genannt, die eine repräsentative Prachtentfaltung der Höfe erforderten und denen Kompositionen von Dunstaple zugeordnet werden können. Der königliche Hof unterhielt in England drei Kapellen: St. Stephen in Westminster, St. George in Windsor und die eigentliche Hofkapelle, die den königlichen Hof auch auf Reisen begleitete. Bei offiziellen Anlässen war die Aufgabe der Hofkapelle meist die musikalische Gestaltung der Liturgie durch polyphone Musik. Sie diente damit nicht nur der Repräsentation, sondern verdeutlichte den gottgegebenen Herrschaftsanspruch des Königs. Seit dem 15. Jahrhundert finden 10 Harrison, Music in Medieval Britain (s. Anm. 1), S. 42. 11 Annales Monasterii, in: Chronica Monasterii S. Albani (s. Anm. 6), Bd. 1, S. 102 – 105, Bd. 2, S. 198, 205 – 206, 12 Chronicon Rerum Gestarum in Monasterio Sancti Albani, in: Chronica Monasterii S. Albani (s. Anm. 6), Bd. 1, S. 3 – 70. 13 David R. Howlett, A Possible Date for a Dunstable Motet, in: MR 36 (1975), S. 81 – 84.
Musikpflege an englischen Höfen
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sich erstmals Knaben und zudem viele Komponisten unter den Sängern der Hofkapelle, wie John Burrel, John Cooke, Thomas Damett, Nicholas Sturgeon, Richard Chirbury und John Pyamour.14 Doch waren die Sänger der Hofkapelle auch mit nicht-musikalischen Aufgaben, meist in der Administration betraut.15 Neben ihren Gehältern erhielten die Sänger für ihren Auftritt bei offiziellen Anlässen und an hohen kirchlichen Feiertagen gesonderte Zahlungen, teils von der Krone, teils von der Kirche. Besonders bei Sängern, die nicht geweiht waren, war die Beziehung zu mehreren Geldgebern durchaus üblich.16 Die Strukturen an der königlichen Hofkapelle lassen sich aber nicht auf die Kapellen an Adelshöfen übertragen. Zwar war der Austausch von Sängern besonders zwischen den Höfen der Mitglieder der königlichen Familie rege;17 doch waren die Kapellen an Adelshöfen meist viel kleiner als die königliche Kapelle. Selbst gut ausgestattete Kapellen hatten zwar eine größere Anzahl Priester aufzuweisen, jedoch nicht unbedingt mehr Sänger.18 Über die Kapelle Bedfords in England, mit der Dunstaple vermutlich assoziiert war, ist nichts bekannt; in Frankreich war sie jedoch reich ausgestattet, sowohl mit dem Privileg der musikalischen Ausführung von Messen als auch mit dem liturgischen Status einer Kathedralkirche.19 Die Bücher der Kapelle sind in Bedfords Nachlass – wenn auch unvollständig – aufgeführt.20 Es handelt sich dabei hauptsächlich um Bücher für den täglichen Gebrauch der Kapelle wie Missale und Lektionare. Von besonderem Interesse, um einschätzen zu können, mit welcher Art polyphoner Musik Dunstaple am Hof Bedfords in Kontakt gekommen sein könnte,21 ist das
14 Harrison, Music in Medieval Britain (s. Anm. 1), S. 22. 15 Andrew B. Wathey, Music in the Royal and Noble Households in Late Medieval England: Studies of Sources and Patronage, London 1989 (= Outstanding Dissertations in Music from British Universities), S. 62 f. 16 Ausführlich hierzu s. ebd., S. 144 – 160. 17 Ebd., S. 136 – 138. 18 Ebd., S. 52 f. 19 Jenny Stratford, The Bedford Inventories: The Worldly Goods of John Duke of Bedford, Regent of France, (= Reports of the Research Committee of the Society of Antiquaries of London 49), London 1993, S. 66 f. 20 Jenny Stratford, The Manuscripts of John Duke of Bedford, in: England in the 15th Century – Proceedings of the 1986 Harlaxton Symposium, hrsg. von Daniel Williams, Woodbridge 1987, S. 329 – 350, hier S. 336 – 339. 21 Es wurde vermutet, dass zeitgleich mit Dunstaple weitere Komponisten an Bedfords Kapelle angestellt waren: John Pyamour, der 1427 in den Büchern der Kapelle erwähnt wird, ist allerdings nicht mit dem Komponisten identisch (vgl. Andrew Wathey, Dunstable in France, in: ML 67 (1986), S 1 – 30, hier S. 5). Die Anstellung Leonel Powers in Bedfords Kapelle zwischen 1421, dem Todesjahr von Thomas, Herzog von Clarence, in dessen Kapelle er zuvor tätig war, und seiner Aufnahme in die Bruderschaft der Christ Church Kathedrale von Canterbury 1423 kann nur vermutet werden (vgl. Roger Bowers, Some Observations on the Life and Career of Leonel Power, in: Proceedings of the RMA 102 (1975 / 76), S. 103 – 126).
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Institutionen
bereits erwähnte Buch mit Motetten »a la maniere de France«22, das vermutlich isorhythmische Motetten enthielt. Ein weiteres Indiz für das Interesse Bedfords an polyphoner Musik sind seine Spenden an die St. Georges Chapel in Windsor zur Bezahlung professioneller Sänger.23 Noch spärlicher sind die Informationen über die Kapelle Gloucesters. Nur wenige Anhaltspunkte zeugen von ihrer Existenz: Henry Abyndon war zunächst Sänger in Eton, dann vermutlich in der Kapelle Gloucesters und nach dessen Tod in der königlichen Hauskapelle.24 Die Karriere Abyngtons legt nahe, dass auch an Gloucesters Hof polyphone Musik erklang. Zudem muss die Kapelle während Dunstaples Anstellung bei Gloucester gut mit Musikalien und Büchern ausgestattet gewesen sein, da die Bibliotheken von Eton und Kings College um Berücksichtigung bei der Aufteilung der Bücher der Kapelle nach dem Tod des Herzogs baten.25 Anlässe zur repräsentativen Prachtentfaltung, bei der auch Musik eine Rolle spielte, gab es während Dunstaples Tätigkeit an den Höfen Bedfords und Gloucesters reichlich. Einige seiner Kompositionen wurden in Verbindung mit konkreten Ereignissen gebracht: Aus Anlass der Befreiung von Harfleur durch Bedford gab es am 21. August 1416 einen Dankgottesdienst in der Kathedrale von Canterbury, bei dem Heinrich V. und der spätere Kaiser Sigismund anwesend waren. Die isorhythmischen Motetten Preco preheminencie und Veni sancte spiritus könnten zu diesem Anlass entstanden sein.26 Durch die liturgische Zuordnung der Texte lassen sich Verbindungen zwischen zwei weiteren Motetten und bestimmten Ereignissen herstellen: Die Motetten Salve schema sanctitatis und Gaude felix Anna sind der heiligen Katharina und der heiligen Anna gewidmet, den Namenspatroninnen von Katharina von Valois und Anna von Burgund. Die Motette Salve schema sanctitatis könnte zur Krönung Katharinas von Valois 1421 in der Kathedrale von Westminster entstanden sein, zu der Bedford sie geleitete. Dieser wiederum heiratete 1423 Anna von Burgund. Aus diesem Anlass könnte die Motette Gaude felix Anna entstanden sein. 22 23 24 25 26
Stratford, The Bedford Inventories (s. Anm. 18), B 149. Vgl. Bowers, Obligation, Agency and Laissez-faire (s. Anm. 3), S. 8 f. Wathey, Music in the Royal and Noble Households (s. Anm. 14), S. 137 f. Harrison, Music in Medieval Britain (s. Anm. 1), S. 25. Für die Motette Veni sancte spiritus zusammen mit der Messe da gaudiorum premia wurden allerdings auch andere Entstehungsanlässe in Erwägung gezogen: Frank Ll. Harrison hält die Entstehung für die Krönung Heinrichs VI. in Paris 1431 für möglich, bei der auch Bedford zugegen war. Für die Messe schlägt Brian Trowell die Hochzeit Heinrichs V. mit Katharina von Valois am 9. April 1420 als möglichen Anlass vor. Jeremy Noble favorisiert aufgrund der liturgischen Zuordnung der Motette die Unterzeichnung des Vertrags von Troyes am Sonntag Trinitatis 1420, bei der Bedford und Gloucester beide anwesend waren. Vgl. Margaret Bent, Dunstaple, Oxford 1981 (= Oxford Studies of Composers), S. 8.
II. England und Europa
1. Kunstförderung
Jahresrente, Geschenke und Ländereien, die John Dunstaple von seinen Dienstherren erhielt, können – wie in der bildenden Kunst oder Literatur – als Honorar für Auftragswerke aufgefasst werden. Da Dunstaple nicht an der Kapelle angestellt war, entstanden seine Kompositionen weniger für den alltäglichen Gebrauch dort, sondern vielmehr für besondere Anlässe. Zwar lassen sich weder aus den Kompositionen Rückschlüsse auf Auftraggeber oder Anlass ziehen noch Gründe für die Schenkungen belegen; doch weist die insgesamt dürftige Quellenlage dennoch auf ein konkretes Verhältnis von Kunstförderer und Künstler, zumindest zwischen Dunstaple und Johanna von Navarra sowie dem Herzog von Gloucester hin. Die Tradition der Kunstförderung, die an den Höfen der Herzöge von Bedford und Gloucester für bildende Kunst und Literatur etabliert war, dürfte somit auch für Musik bestanden haben. Besonders die Kunstförderung Gloucesters orientierte sich stark am Vorbild der italienischen Höfe, wo die Musikförderung durch Aufträge und Honorare weit verbreitet war.1 Zunächst sollen jedoch die verschiedenen Formen der Kunstförderung, die im 15. Jahrhundert praktiziert wurden, erläutert werden: Bei der Patronage erfolgte eine Eingliederung in den Hof durch ein Ehrenamt oder eine Anstellung, wodurch dem Geförderten Schutz und Bevorzugung zuteil wurden. Diese Form der Förderung wurde zum Beispiel am Hof der Herzöge von Burgund gepflegt. In ihren Genuss kamen Historiographen, Dichter, bildende Künstler wie Musiker.2 1 Im Zusammenhang mit etlichen Werken Dufays sind sowohl quasi Widmungen in den Kompositionen zu erkennen als auch weitere, die Förderung belegende Quellen erhalten. So werden in den Motetten Vasilissa ergo gaude und Ecclesie militantis die Auftraggeber, Pandolfo Malatesta und Gabriel Condulmer, der spätere Papst Eugen IV, ausdrücklich genannt (Vgl. Laurenz Lütteken, Guillaume Dufay und die isorhythmische Motette, Hamburg 1993 (= Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster 4), S. 267 – 270 und S. 285 – 287). In seinem einzigen überlieferten autographen Brief bemüht sich Dufay 1456 um die Patronage des Giovanni Medici in Florenz und schickt einige Chansons als Empfehlung mit (Vgl. David Fallows, Dufay, London 1982 (= The Master Musicians Series), S. 71). 2 Vgl. Joseph Calmette, Die großen Herzöge von Burgund, München 1963, S. 231 – 266; Werner Paravicini, The Court of the Dukes of Burgundy – A Model for Europe?, in: ders., Menschen am
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Kunstförderung
Bei der Förderung durch einen Mäzen erhielt der Künstler finanzielle Unterstützung, ohne jedoch direkt an den Hof des Mäzens gebunden zu sein, indem zum Beispiel Kunstwerke in Auftrag gegeben oder Widmungsexemplare belohnt wurden. Diese Form der Förderung wurde an den kleineren Höfen Italiens praktiziert. Auch hier wurden alle Künste gefördert.3 An den Höfen Bedfords und Gloucesters sowie an Johannas Hof sind die Formen der Kunstförderung jedoch nicht immer klar zu trennen. Dunstaple, zum Beispiel, war zwar an den Höfen angestellt, jedoch nicht als Musiker. Im Folgenden sollen daher alle Formen der Kunstförderung dieser Höfe in Bezug auf Literatur, bildende Kunst und – soweit rekonstruierbar – auf Musik in möglichst großer Breite betrachtet werden, von der Anstellung von Künstlern bis hin zur mittelbaren Förderung durch Abschriften ihrer Werke für die Bibliotheken der Herzöge.
a.
Der Hof des Herzogs von Bedford
Bedford betätigte sich auf vielfältige Weise in der Förderung von Kunst. Als greifbare Objekte der Förderung sind jedoch lediglich Bücher überliefert.4 Aufträge für Gemälde, Skulpturen und Gebäude lassen sich nur über Sekundärquellen belegen, da die Kunstwerke selbst nicht erhalten sind. Die reich ausgeschmückten Bücher sind alle liturgischen Inhalts und dienten meist der privaten Devotion. So ließ er etliche Bücher für seine Gemahlin, Anna von Burgund, kostbar illustrieren. Schon die Manuskripte selbst, aber auch andere Quellen belegen die Förderung durch Bedford. Am bedeutendsten sind die um 1420 in England hergestellten sogenannten Bedford Psalter und Hours, die Herman Scheerre,5 der führende Buchmaler in England am Anfang des 15. Jahrhunderts, mit Portraits des Herzogs und seiner Frau verzierte. Auf ein Hof der Herzöge von Burgund. Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Klaus Krüger, Holger Kruse und Andreas Ranft, Stuttgart 2002, S. 507 – 534; Erna Dannemann, Die spätgotische Musiktradition in Frankreich und Burgund, Leipzig 1936, S. 1 – 14. 3 Vgl. Wulf Arlt, Italien als produktive Erfahrung franko-flämischer Musiker im 15. Jahrhundert, Basel 1993 (= Vorträge der Aeneas-Silvius-Stiftung an der Universität Basel 26); Lewis Lockwood, Strategies of Music Patronage in the Fifteenth Century : The ›capella‹ of Ercole I d’Este, in: Music in Medieval and Early Modern Europe, hrsg. von Ian Fenlon, Cambridge 1981, S. 227 – 248. 4 Jenny Stratford, The Manuscripts of John Duke of Bedford, in: England in the 15th Century – Proceedings of the 1986 Harlaxton Symposium, hrsg. von Daniel Williams, Woodbridge 1987, S. 329 – 350. 5 Zu Biographie und Herkunft Scheerres vgl. Charles L. Kuhn, Herman Scheerre and English Illumination of the Early Fifteenth Century, in: The Art Bulletin 22 (1940), S. 138 – 156; Gareth M. Spriggs: The Neville Hours and the School of Herman Scheerre, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 37 (1974), S. 104 – 130.
Der Hof des Herzogs von Bedford
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enges Verhältnis von Kunstförderer und Künstler weisen die Randnotizen »Herman your meke seruant« und »I am Herman your owne seruant« sowie die Portraits hin.6 Scheerres Werkstatt hatte zuvor schon für andere Mitglieder des Königshofs gearbeitet: Die Beaufort Hours enthalten Portraits von John Beaufort, einem Sohn des John of Gaunt, dem Herzog von Lancaster, und seiner Frau. Die Chichele Hours tragen sowohl das Wappen des Erzbischofs Henry Chichele als auch das königliche Wappen. Vermutlich waren sie ein Geschenk des Königs an Chichele. Der Bedford Psalter ist vermutlich das letzte Buch, das in Scheerres Werkstatt in England hergestellt wurde.7 In französischen Werkstätten entstanden zudem weitere reich verzierte Bücher liturgischen Inhalts: das Salisbury Breviary und ein großformatiges Benedictional für die Kapelle.8 Die nicht-liturgischen Bücher, die für Bedford hergestellt wurden, sind sehr viel einfacher ausgestattet. Sie wurden von Mitgliedern seines Hofes in Frankreich und der Universität von Paris geschrieben. Hinweise auf den förmlichen Akt der Förderung liefern Abbildungen der Wappen von Bedford und Widmungen. So beaufsichtigte Jean Tourtier, einer seiner Ärzte, die Abschriften und Übersetzungen von Les Amphorismes Hippocras und der Cyrurgie von Guy de Chauliac für Bedford.9 In nomine Patris et Filii et Spiritus sancti, en l’onneur et en la reverence de tres hault et tres excellent et puissant prince monseigneur le Regent le Royaulme de France, Jehan duc de Bedford, ceste coppie a est¦ faicte de par venerable et discrete personne, maistre Jehan Tourtier, son Cirugien licenci¦ et aprouv¦ en l’estude a Paris. Et fut commenci¦ a Rouen l’an de grace mil CCCC vingt neuf.10 Quod quidem inuentarium … fecit scribi et taliter ordinari venerabilis vir Magister Johannes Tourtier Magister in cirurgia Ad requestam … Domini Johannis Ducis de bedford Regentis regnum francie et protectoris Regni anglie11 6 Kuhn, Herman Scheerre (s. Anm. 5), S. 140. 7 Zur Chronologie der Werke Scheerres vgl. ebd., S. 138 – 156. 8 Jenny Stratford, The Bedford Inventories: The Worldly Goods of John Duke of Bedford, Regent of France, (= Reports of the Research Committee of the Society of Antiquaries of London 49), London 1993, S. 121 f. 9 Ebd., S. 122 f. 10 MS 24246, BibliothÀque Nationale Paris. Zitiert nach Les Amphorismes Ypocras de Martin de Sainte-Gille, hrsg. von G. Lafeuille, Genf 1954 (= Travaux d’Humanisme et Renaissance 9), S. 30. »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes: Zur Ehre und in Verehrung des sehr erhabenen und sehr ausgezeichneten und mächtigen Prinzen, des Herrn Regenten von Frankreich, John Herzog von Bedford, ist diese Abschrift angefertigt worden durch die ehrenwerte und kundige Person, Magister Jean Tourtier, seinem Arzt, geprüft und approbiert durch die Universität Paris. Sie wurde begonnen in Rouen im Jahr des Heils 1429.« (Übersetzung der Autorin) 11 MS 208, Magdalen College Oxford. Zitiert nach The Cyrurgie of Guy de Chauliac, hrsg. von Margret S. Ogden, 2 Bde., London 1971 (= Early English Text Society 265), Bd. 1, S. ix.
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Kunstförderung
Während seiner Regierungszeit in Frankreich förderte Bedford auch dort Kunst und Bautätigkeit: Er ließ seinen Wohnsitz in Paris, das Hútel des Tournelles, umbauen und einen Garten ähnlich dem Garten Philipps von Burgund in Hesdin anlegen.12 Zudem gab er etliche Skulpturen in Auftrag: für das Grabmal von Karl VI. und Isabeau von Bayern, für ein Kirchenportal in Rouen und für das Grabmal seiner Ehefrau, das jedoch erst 1442 errichtet und dann von Philipp von Burgund bezahlt wurde.13 Neben Geldgeschenken an Klöster, Abteien und Kirchen sind auch persönlichere Gaben überliefert; zum Beispiel Abendmahlsgeräte und Ornate für die Kirche des heiligen C¦lestin in Paris zur Feier der Messen und Offizien nach dem Tod Annas von Burgund.14 Auch die für Bedford hergestellten Goldschmiedearbeiten sind persönlicher Natur: Es handelte sich um Luxusgüter, von denen die meisten das Wappen Bedfords tragen. Die Arbeiten wurden von ihm oder seiner Ehefrau in Auftrag gegeben und in London, Paris oder Rouen gefertigt.15 Schließlich konnte Bedford während seiner Regierungszeit in Frankreich etliche schon existierende Sammlungen übernehmen: Er erhielt einen Anteil am Lösegeld für den Herzog von AlenÅon, der sich aus Möbeln und Goldschmiedearbeiten zusammensetzte. Später kaufte er Tafelsilber und andere Luxusgüter sowie die Bibliothek Karls VI.
b.
Der Hof des Herzog von Gloucester
Gloucester förderte hauptsächlich Literatur, und dies besonders intensiv in den Jahren 1430 bis 1440. Dabei lassen sich verschiedene Gebiete der Unterstützung ausmachen: Förderung englischer und italienischer Autoren in England sowie italienischer in Italien.16 John Lydgate (um 1390 – 1449/1450) verbrachte sein ganzes Leben in der Nähe von Bury St. Edmunds. Er wurde im Kloster dort erzogen und studierte in Oxford. 1397 erhielt er die Priesterweihe, 1423 – 1434 war er Prior von Hatfield Regis, lebte jedoch nicht ständig dort. Ab Anfang des 15. Jahrhunderts wurde seine dichterische Tätigkeit, für die er Chaucer als großes Vorbild nennt, gefördert: Er erhielt Aufträge vom späteren König Heinrich V. (Troy Book), vom Herzog von Gloucester (Fall of Princes) und von Heinrich VI. Mit dem Earl of
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»Dass dieses »Inventarium« unter der Aufsicht des Magister Jean Tourtier, Magister der Medizin, auf Anforderung des John Herzog von Bedford, Regent von Frankreich und Protektor von England geschrieben wurde.« (Übersetzung der Autorin) Stratford, The Bedford Inventories (s. Anm. 8), S. 109 – 113 (hier ausführlicher). Ebd., S. 113 – 116 (hier ausführlicher). Ebd., S. 115. Ebd., S. 117 f. Dieser Abschnitt basiert auf Lalage Charlotte Yseult Everest-Phillips, The Patronage of Humphrey Duke of Gloucester : A Re-Evaluation, Dissertation, University of York 1993; nur Zitate sind genau belegt.
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Warwick verbrachte er einige Zeit in Paris: Hier entstanden Übersetzungen aus dem Französischen und ein gereimter Stammbaum Heinrichs VI., der dessen Anspruch auf die Krone Frankreichs legitimieren sollte. Neben diesen Auftragswerken schrieb Lydgate Gedichte zu Illustrationen und Festspielen, oft für Weihnachtsfeierlichkeiten und besondere Ereignisse am königlichen Hof.17
Lydgate schickte Gloucester zu seiner Hochzeit 1422 ein Epithalamium. Es wurde nicht in Auftrag gegeben, sondern diente als Werbegeschenk, um Gloucester für eine Förderung Lydgates zu gewinnen. Fast zehn Jahre später kam Gloucester auf das Angebot zurück und gab The Fall of the Princes in Auftrag. Dabei handelt es sich um eine Übersetzung von Giovanni Boccaccios De casibus illustrium virorum, die Lydgate allerdings nach der Übersetzung von Laurent de Premierfait für den Herzog von Berri anfertigte. Das Vorwort belegt den Auftrag, nicht jedoch die genauen Umstände und Vereinbarungen.18 Dass eine Vergütung des Übersetzers vorgesehen war, geht aus einem späteren Brief Lydgates deutlich hervor. Während er sich im Prolog zum zweiten Buch für eine Geldzuwendung bedankt, fehlt eine ähnliche Passage im Prolog zum dritten Buch. Stattdessen ist in einigen Abschriften ein Brief Lydgates an Gloucester in das dritte Buch eingefügt, in dem deutlich auf eine Vergütung hingewiesen wird.19
17 Douglas Gray, Artikel »Lydgate, John«, in: DNB. 18 »And with support off his magnificence, / Vndir the wyngis off his correccioun, / Thouh that I haue lak off eloquence, / I shal procede in this translacioun, / Fro me auoidyng al presumpcioun, / Lowli submyttyng eueri hour & space / Mi reud language to my lordis grace.« Fall of Princes, Prologue, 11.435 – 41; zitiert nach Everest-Phillips, The Patronage of Humphrey Duke of Gloucester (s. Anm. 16), S. 139. »Und mit der Unterstützung seiner Ehren, / unter den Flügeln seiner Verbesserung, / da ich der Redegabe entbehre, / werde ich mit der Übersetzung anfangen, / werde jede Anmaßung meinerseits vermeiden, / demütig in jeder Stunde und an jedem Platz / meine unbeholfene Sprache [= Volkssprache?] der Gunst meines Herrn unterwerfen.« (Übersetzung der Autorin). 19 »Daunt in Itaile, Virgile in Rome toun, / Petrak in Florence hadde al his plesaunce, / And prudent Chaucer in Brutis Albioun / Lik his desir fond vertuous suffisance, / Fredam of lordshepe weied in ther ballaunce, / Because thei flourede in wisdam and science, / Support of princis fond hem ther dispence.« Fall of Princes, Bk. III, 11.3858 – 64; zitiert nach ebd., S. 147 »Dante in Italien, Vergil in der Stadt Rom, / Petrarca in Florenz hatten seine ganze Gunst; / und der weise Chaucer in Brutus’ England / fand nach seinem Begehren gerechte Versorgung; / fürstliche Freigebigkeit sprach für sie, / denn sie blühten in Weisheit und Wissenschaft; / die Unterstützung der Fürsten gab ihnen ihr Auskommen.« (Übersetzung der Autorin)
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Kunstförderung
Thomas Hoccleve (um 1367 – 1426) arbeitete sein ganzes Leben lang im Office of the Privy Seal; Französisch und Latein, die dort gebräuchlichen Sprachen, müssen daher Teil seiner Ausbildung gewesen sein. Neben seinem Gehalt erhielt er eine Jahresrente von Heinrich IV.. Zudem suchte er mit The Regiment of Princes, das er für den späteren Heinrich V. schrieb, die Förderung des Hofes. Unter Heinrich V. und Heinrich VI. erhielt er immer wieder Zuwendungen. Dem Herzog von Gloucester widmet er seine Complaint Series in der Hoffnung auf Förderung.20
Auch Hoccleve nennt in der Complaint Series Gloucester als Auftraggeber. Bei der Complaint Series handelt es sich um eine Reihe von Gedichten – Prologue, Complaint, Dialogue, Tale of Jereslaus und How to learn to die – deren erste drei originäre Werke zu Übersetzungen aus den Gesta Romanorum hinführen. Gloucester wird im Dialogue von einem Freund als Widmungsträger der Übersetzung des Tale of Jereslaus vorgeschlagen und von Hoccleve als Auftraggeber der Übersetzung von How to learn to die genannt.21 Er gibt jedoch wenig über die Wege der Kommission preis. . . . . . . . . . and as by couenant He sholde han had it many a day ago; But seeknesse and vnlust / and othir mo Han be the causes of impediment.22
Die Authentizität der Kommission ist allerdings nicht eindeutig, da das überlieferte Autograph23 auch eine Widmung an die Herzogin von Westmoreland enthält. Entweder ließ sich Hoccleve von mehreren Personen für ein und dasselbe Werk fördern – was durchaus nicht unmöglich wäre –, oder der Auftrag Gloucesters ist zwar den in der Realität möglichen Gegebenheiten nachempfunden, aber fiktiv. 20 J. A. Burrow, Artikel »Hoccleve, Thomas«, in: DNB. 21 »And of o thing / now wel I me remembre, / Why thow purposist in this book trauaiłł: / I trowe Æat in the monthe of Septembre / Now last, or nat fer from / it is no faiłł, – / No force of the time / it shal nat auaiłł / To my mateer / ne it hyndre or lette, – / Thow seidist / of a book thow wer in dette / ›Vnto my lord / Æat now is lieutenant, / My lord of Gloucestre / is it nat so?‹« Dialogue, 526 – 34; zitiert nach Everest-Phillips, The Patronage of Humphrey Duke of Gloucester (s. Anm. 16), S. 160. »An das eine / erinnere ich mich noch gut, / wie du beabsichtigstest, an diesem Buch zu arbeiten: / Ich denke, im Monat September / im Letzten, oder nicht weit davon / das ist gewiss, – / keine Kraft der Zeit wird meine Sache fördern / sie hemmen oder fallen lassen, – / sprachst du / über ein Buch, das du schuldig warst / meinem Herrn, / der jetzt Leutnant [von England] ist, / meinem Herrn von Gloucester, / ist es nicht so?‹« (Übersetzung der Autorin) 22 Dialogue, 535 – 8; zitiert nach ebd., S. 163. »… und durch Verpflichtung / hätte er es schon vor vielen Tagen haben sollen / aber Krankheit und Abneigung und anderes / waren die Gründe der Hinderung.« (Übersetzung der Autorin) 23 Durham University Library MS Cosin V.iii.9.
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Um 1440 erhielt Gloucester eine Übersetzung von Palladius’ De re rustica.24 Anders als Lydgate und Hoccleve muss der bisher anonym gebliebene Autor eng mit dem Hof verbunden gewesen sein, da er genaue Angaben zu politischen und privaten Ereignissen macht und sich in die Reihe der engsten Freunde und Angestellten Gloucesters stellt: Yit Whethamstede and also Pers de Mounte Titus [Frulovisi] and Anthony [Beccaria] and y last ofre And leest Our newe is old in hym tacounte.25
Weitere Autoren englischer Dichtung geben Gloucester eher allgemein als ihren Förderer in Widmungen an. So eignet Nicholas Upton Gloucester sein Werk De studio militaris zu; George Ashby (A prisoner’s reflection) und John Russel (Boke of Nurture) erwähnen seine Ermutigungen. Die Werke wurden jedoch weder von Gloucester in Auftrag gegeben, noch kann eine direkte Verbindung der Autoren zu seinem Hof hergestellt werden. Die Förderung von Literatur durch Gloucester beschränkte sich nicht auf englische Autoren. Auch Italiener kamen in ihren Genuss, sowohl in England als auch in Italien:26 Pietro del Monte (1400/1404 – 1457) erhielt in Venedig eine humanistische Ausbildung bei Guarino da Verona und studierte später Jura in Padua. Am Konzil von Basel nahm er als Vertreter der Stadt Venedig teil und unterstützte Papst Eugen IV. Dieser ernannte ihn kurz darauf zum apostolischen Protonotar und zum päpstlichen Steuerbeamten in England. Del Monte übte das Amt von 1435 bis 1440 persönlich aus und fungierte zudem als politischer Verbindungsmann zwischen der Kurie und dem englischen Hof. Nach seiner Rückkehr nach Italien führten ihn Legationsreisen nach Frankreich, um die Friedensverhandlungen zwischen England und Frankreich zu unterstützen. Er leitete die Hochzeitsfeierlichkeiten von Heinrich VI. und Margarete von Anjou. Zudem war er ab 1442 Bischof von Breschia und später Gouverneur von Perugia. Seit seiner Studienzeit pflegte Del Monte eine rege Korrespondenz mit anderen Humanisten wie Poggio Bracciolini, Ambrogio Traversari und Pier Candido Decembrio.27
24 Bodleian Library, Oxford, MS Duke Humphrey d.2 (früherer Besitzer : Lord Fitzwilliam); Albinia DeLaMare, Duke Humphreys English Palladius, in: Bodleian Library Record 12 (1985), S. 39 – 51. 25 Prohemium, 102 – 4; zitiert nach Everest-Phillips, The Patronage of Humphrey Duke of Gloucester (s. Anm. 16), S. 75. »Doch führe ich zuletzt Whethamstede und auch Pietro del Monte / Titus Frulovisi und Antonio Beccaria an / damit unser Neues vor ihm nicht alt gilt.« (Übersetzung der Autorin) 26 Vgl. Susanne Saygin, Humphrey, Duke of Gloucester and the Italian Humanists, Leiden 2002 (= Brill’s Studies in Intellectual History 105). 27 R. Ricciardi, Artikel »Del Monte, Pietro« in: DBI; Margaret Harvey, Artikel »Monte, Piero da«, in: DNB.
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Anders als bei seinen Vorgängern entwickelte sich aus der beruflichen Bekanntschaft del Montes mit Gloucester auch eine persönliche Freundschaft. Er schrieb nicht nur für ihn, sondern vermittelte die beiden italienischen »Sekretäre« Titus Livius Frulovisi, mit dem er in Venedig unter Guarino da Verona studiert hatte, und Antonio Beccaria an seinen Hof. Zudem ermutigte er italienische Autoren, Gloucester um Förderung zu bitten. 1438 widmete del Monte sein Traktat De viciorum inter se differencia Gloucester. Im gleichen Jahr versuchte er, seinen Studienfreund Ambrogio Traversari von den Vorzügen der Förderung durch Gloucester zu überzeugen.28 Titus Livius Frulovisi (fl. 1429 – 1456) leitete nach seinem Studium in Venedig und Padua eine Schule in Venedig. Aufgrund seiner satirischen Dramen musste er die Stadt verlassen und kam 1436 nach England an den Hof des Herzogs von Gloucester. Er erledigte dessen Korrespondenz, konzipierte dessen Reden und schrieb Werke mit deutlichem humanistischen Einfluss wie Humphroidis und Vita Henrici quinti sowie etliche Dramen. Schon 1438 suchte er eine andere Anstellung in England, ging jedoch, da er keine ihm genehme Tätigkeit fand, nach Mailand. Auch in Italien wurde er nicht sesshaft: Erst 1456, nach Aufenthalten in Toulouse und Barcelona, ließ er sich in Venedig nieder.29
Frulovisi kam auf Empfehlung von del Monte nach England, nachdem er ohne Erfolg mit der Widmung seiner De Republica um die Förderung von Leonello d’Este geworben hatte. Seine Einbürgerungsurkunde titulierte ihn als »poeta et orator«.30 Obwohl er meist als Sekretär beschrieben wird, waren seine Aufgaben eher die eines Hofpoeten. Während seines Aufenthalts am Hofe Gloucesters schrieb er zunächst die beiden lateinischen Komödien Peregrinatio und Eugenius. Diese Werke sind vermutlich Probestücke, die ohne speziellen Auftrag geschrieben wurden. Später jedoch scheint Gloucester die Wahl der Werke beeinflusst zu haben, denn es entstehen zwei Schriften, die seine politische Karriere fördern könnten: Vita Henrici Quinti und Humphroidis. Die Vita Henrici Quinti stellt eine Mischung der in England beliebten Gattung der Heiligenleben mit den im humanistischen Italien aufkommenden, an Francesco Petrarcas De viris illustribus orientierten Lebensbildern dar. Die Humphroidis kann als Fortsetzung der Vita gesehen werden. Sie beschreibt den Flandernfeldzug Gloucesters. Antonio Beccaria (1400 – 1474) erhielt in Mantua bei Vittorino da Feltre eine humanistische Ausbildung. 1438/39 ging er nach England an den Hof des Herzogs von Gloucester. Für ihn fertigte er Übersetzungen aus dem Griechischen und Italienischen ins Lateinische 28 Der Briefwechsel ist herausgegeben in: Johannes Haller, Piero dal Monte. Ein Gelehrter und päpstlicher Beamter, Rom 1941 (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 19). 29 Anne Curry, Artikel »Livio, Tito, dei Frulovisi«, in DNB. 30 Zitiert nach Everest-Phillips, The Patronage of Humphrey Duke of Gloucester (s. Anm. 16), S. 193.
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und verfasste seine Reden und Korrespondenz. 1447 ging er zurück nach Verona, wo er vom dortigen Bischof gefördert wurde.31
Beccaria, der Frulovisi auf dem Posten des »italienischen Sekretärs« folgte, hatte wohl tatsächlich die Stellung eines Sekretärs inne, so wie es auch von Gloucester selbst in dem ex libris zu Beccarias Übersetzung von Athanasius beschrieben wird: Cest liure est a moy Homfrey duc de Gloucestre lequel Jay fait translater de grec en latyn par un de mes secretaires Antoyne de Beccara …32
Schon die Wendung »lequel Jay fait« weist auf den Auftrag hin. Beccaria übersetzte griechische Traktate des Athanasius und Boccaccios italienischen Il Corbaccio für Gloucester ins Lateinische und schrieb eine eigene Fassung der Vita Romuli nach Plutarch. Da nicht sicher ist, wann Beccaria England wieder verließ, können einige seiner Werke, die Gloucester gewidmet sind, in Italien entstanden sein. Der Kontakt riss auch nach der Rückkehr Beccarias in den letzten Lebensjahren des Herzogs nicht ab. Davon zeugt ein Epigramm, das Gloucester an seine finanziellen Verbindlichkeiten erinnern sollte: Saepe mihi dicis »Si quid, Becaria, voles, me Mane petas, quoniam mane petita dabo« Mane peto, sed me capis, optime princeps. Ast ego nil capio ac vespere deinde petam, Vespere cumque peto, te dicis mane daturum: Mane venit: nihil est quod mihi mane datur. Quid modo vis faciam, si vespere, si quoque mane Nil mihi das, princeps, id nisi »mane dabo?« Verum ego te deinceps repetam quamcumque per horam, Vespere cum princeps sisque mane mihi.33 31 C. Vasoli, Artikel »Beccaria, Antonio«, in DBI. 32 British Library MS.Royal,5.F.II, f. 131v ; zitiert nach Everest-Phillips, The Patronage of Humphrey Duke of Gloucester (s. Anm. 16), S. 221. »Dieses Buch ist von mir, Humphrey Herzog von Gloucester, welches ich habe übersetzen lassen aus dem Griechischen ins Lateinische von meinem Sekretär Antonio Beccaria …« (Übersetzung der Autorin) 33 Zitiert nach ebd., S. 230. »Oft sagst du mir : ›Wenn du etwas möchtest Beccaria, bitte mich / früh am Morgen, weil ich nun einmal erfüllen will, um was in der Frühe gebeten wurde.‹ / In der Frühe äußere ich meine Bitte, doch du überlistest mich, mein gnädigster Fürst. / Ich hingegen erhalte nichts und werde alsdann am Abend bitten; / am Abend und wann immer ich bitte, sagst du, du werdest am Morgen geben: / Der Morgen kommt: Nichts ist es, was ich am Morgen erhalte. / Warum nur willst du, ich solle arbeiten, wenn am Abend, wenn auch am Morgen, / du mir nichts gibst, mein Fürst, es sei denn dies: ›Am Morgen werde ich geben‹? / Aber ich werde später meine Forderung an dich wiederholen zu jeder beliebigen Stunde, / weil du am Abend und am Morgen mein Fürst bist.«
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Kunstförderung
Leonardo Bruni (um 1370 – 1444) erhielt eine humanistische Ausbildung bei Coluccio Salutati in Florenz und lernte dort bei Manuel Chrysolaras griechisch. Schon früh begann er, antike Schriften aus dem Griechischen zu übersetzen und formulierte zudem seine Übersetzungsprinzipien. Auch die historisch-politische Ausrichtung seiner Schriften, die sich durch ihren gewissenhaften Umgang mit den Quellen auszeichnen, zeigt sich schon in den frühen Werken. In den Jahren 1406 – 1415 war er Sekretär verschiedener Päpste. Er nahm am Konzil von Konstanz teil, kehrte aber nach der Absetzung Johannes XXIII. nach Florenz zurück. Ab 1427 bis zu seinem Tod war er dort Kanzler.34
Auch Bruni, den Gloucester 1433 nach England einlud, hatte Schwierigkeiten, sein Honorar zu bekommen. Bruni nahm die Einladung nicht an, erklärte sich aber bereit, ihm eine Übersetzung von Aristoteles’ Politica anzufertigen und zu widmen. Da Gloucester auch nach einer recht deutlichen Aufforderung kein Honorar für die Übersetzung schicken wollte, widmete Bruni die Übersetzung Papst Eugen IV.35 Zanone Castiglione (†1459) war der Neffe des Kardinals Branda Castiglione (um 1360 – 1443). Beide sind für die politischen und kulturellen Beziehungen zwischen England, der Normandie und der Kurie von enormer Bedeutung. Branda vermittelte diplomatisch zwischen der Kurie und dem englischen Königshaus. So war er in das Aufsetzen des Vertrags von Troyes involviert und versah fast die gesamte Korrespondenz der Kurie nach England. Seine Verhandlungspartner waren die Angelegenheiten Englands betreffend der spätere Kardinal Beaufort und für Frankreich der Herzog von Bedford. Ab 1419 hatte sich Branda ganz in dessen Nähe an der Kathedrale von Rouen etabliert, zuerst als Kanonikus, später als Erzdekan. Nach und nach vermochte er es, seine ausgedehnte Familie in der Normandie unterzubringen. Zanone wurde 1424 zum Bischof von Lisieux und 1432 mit Bedfords Hilfe zum Bischof von Bayeux ernannt. In den politisch unsicheren Zeiten der Minderjährigkeit Heinrichs VI. erschloss sich Zanone Verbindungen zu Beauforts Rivalen Gloucester, indem er ihm kulturelle Kontakte nach Italien vermittelte. Zudem sicherte sich Zanone einen Platz in der Politik Englands: Er wurde 1441 Sekretär bei Heinrich VI. und ein Jahr später Mitglied im Royal Council. 1442 bat er Gloucester noch einmal um militärischen Beistand in der Normandie. Eigentlich war dies unnötig: Die Position des Herzogs war inzwischen durch die Affäre um seine zweite Frau, Elenor Cobham, enorm geschwächt; zudem bedurfte die Familie der Castigliones in der Normandie der Hilfe aus England nicht mehr. Alle Mitglieder behielten, aufgrund erstklassiger diplomatischer Beziehungen, ihre Positionen auch nach der Eroberung durch Frankreich.36
Es ist möglich, dass Bruni durch Zanone Castiglione an Gloucester vermittelt wurde, denn Gloucester kannte ihn aus seiner Zeit in Calais. Ähnlich wie später del Monte fungierte Castiglione als sein Agent, indem er den Ruf Gloucesters als 34 G. Busetto, Artikel »Bruni, Leonardo«, in LexMA. 35 U.a. bei Roberto Weiss, Leonardo Bruni Aretino and Early English Humanism, in: Modern Language Review 36 (1941), S. 443 – 448. 36 Saygin, Humphrey Duke of Gloucester and the Italian Humanists (s. Anm. 26), S. 144 – 171.
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Förderer von Literatur auf dem europäischen Festland verbreitete und ihm sowohl Bücher als auch Autoren vermittelte. Lapo da Castiglionchio (um 1406 – 1438) erhielt eine humanistische Ausbildung in Florenz bei Francesco Filelfo. Später stand er im Dienst verschiedener Kardinäle der Kurie. Seine Professur in Bologna konnte er aufgrund einer Erkrankung nur für kurze Zeit halten. Bekannt war er für seine genauen und doch sprachgewandten Übersetzungen aus dem Griechischen.37
Auf Castigliones Rat widmete Castiglionchio Gloucester seine Comparation studiorum et rei militari sowie eine lateinische Fassung von Plutarchs Vita Ataxerxes, die er ihm zusammen mit noch anderen Vitae zuschickte.38 Über Antonio Pacini ist lediglich bekannt, dass er Übersetzungen aus dem Griechischen anfertigte und in Florenz lehrte.
Auch Pacini widmete Gloucester eine Übersetzung aus Plutarchs Vitae – die des Marius. Die Übersetzung enthält eine weitere Widmung an den Erzbischof von Florenz. Vermutlich sollte mit diesem Exemplar die Möglichkeit einer Förderung durch Gloucester eruiert werden. In seiner Bibliothek befanden sich noch weitere Übersetzungen von Pacini: Plutarchs Pelopides und Agis et Cleomenes sowie Gregor von Nazianzus’ De Virtute. Pier Candido Decembrios (1399 – 1477) Vater Uberto war ein bedeutender Humanist. Er führte ihn in die griechische Literatur ein. Pier Candido folgte ihm mit zwanzig Jahren als Sekretär bei den Visconti, wo er unter anderem die Bibliothek betreute. Immer wieder schickte ihn sein Dienstherr auf Legationsreisen: 1423 nach Florenz, 1425 nach Rom zu Martin V., 1426 nach Savoyen zu Amadeus VIII., 1435 zum Kongress von Arras und wiederum zu Amadeus VIII. nach Ripaille, 1443 nach Siena und Rom und 1445 wieder nach Venedig. 1450 wurde er Sekretär in Neapel, ab 1460 war er am Hof der Este-Familie in Ferrara anzutreffen. Decembrio war weniger Politiker denn Literat und somit auf die Förderung von Mäzenaten angewiesen. Nicht mit allen italienischen Humanisten pflegte er freundschaftliche Bande – mit Guarino da Verona, Leonardo Bruni und Francesco Filelfo lag er in erbittertem Streit.39
Decembrio übersetzte Platos Republica für Gloucester ins Lateinische. Er zeigte zudem großes Interesse am Ablauf der Förderung. In den Präsentationsexemplaren der Republica ist die Korrespondenz eingebunden, und ein weiterer Band 37 D. Coppini, Artikel »Lapo da Castiglionchio«, in: LexMA. 38 In den Widmungen wird die Tätigkeit von Castiglione als Vermittler ausdrücklich erwähnt. Castiglionchio bedient mit den Werken somit zwei Förderer, den Herzog von Gloucester und den Bischof von Bayeux. Es scheint fast, als habe Castiglione nicht nur die Vermittlung übernommen, sondern den Übersetzer beraten und vermutlich zudem die Übersetzung der Vita Ataxerxes finanziell unterstützt. Vgl. Everest-Phillips, The Patronage of Humphrey Duke of Gloucester (s. Anm. 16), S. 247. 39 G. Soldi Rondinini, Artikel »Decembrio, Pier Candido« in: LexMA.
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Kunstförderung
Briefe ist Gloucester gewidmet.40 Jedoch hatte auch Decembrio Schwierigkeiten, angemessen für seine Arbeit honoriert zu werden. Gloucester bot schließlich eine Jahresrente von 100 Dukaten: für englische Verhältnisse eine enorme Summe, für italienische ein eher mageres Gehalt. Die Jahresrente war nicht so sehr als Bezahlung der Übersetzung gedacht – auch hier gab es mehrere Widmungsträger, so dass Gloucester sich nicht verpflichtet fühlte, den Autor zu entlohnen – sondern vielmehr als Honorar für Decembrios Beratung bei der Ausstattung seiner Bibliothek.41 Von der Bibliothek Gloucesters und seinen Kontakten nach Italien profitierten auch Personen, die seinem Hof sehr nahe standen oder zeitweise bei ihm angestellt waren. Thomas Beckynton, Vincent Clement und Andrew Holes korrespondierten mit italienischen Gelehrten, bestückten ihre eigenen Bibliotheken mit neuer Literatur und Übersetzungen aus Italien und förderten ihrerseits die Entstehung neuer Werke. Zwei Mitglieder des vom humanistischen Gedankengut beeinflussten Kreises um Gloucester nahmen die neuen Ideen jedoch weniger auf: John Whethamstede und John Capgrave. Capgrave widmete Gloucester seine Kommentare zu den Büchern Genesis und Exodus. Vermutlich in seinem Auftrag schrieb er zudem eine Vita Humfridi Ducis.
c.
Johannas Hof und die Abtei von St. Albans
Zu den anderen beiden Institutionen, an denen Dunstaple angestellt war oder zu denen er engeren Kontakt hatte, sind keine oder nur wenige Zeugnisse der Kunstförderung überliefert. Johannas Haushaltsführung war zwar auch während ihres Arrests 1419 bis 1422 auf Leeds Castle durchaus üppig; doch ist eine besondere Förderung von Kunst, Literatur oder Musik nicht belegt: Sie unterhielt eine Kapelle,42 bewirtete Gäste und tat dies nicht nur zu einzelnen Mahlzeiten, sondern teilweise über Wochen. Zudem erhielten ihre Bediensteten des Öfteren zusätzlich zum regulären Lohn Geschenke und Geld.43 Nach dem Tod Heinrichs V. wurde sie rehabilitiert und erhielt ihre Mitgift zurück. Sie konnte somit ihr Leben weiterhin auf angemessenem Niveau führen. Gewiss gehörte 40 Mario Borsa, Correspondence of Humphrey Duke of Gloucester and Pier Candido Decembrio, in: EHR 19 (1904), S. 509 – 526 und W. L. Newman, The Correspondence of Humphrey Duke of Gloucester and Pier Candido Decembrio, in: EHR 20 (1905), S. 484 – 498; vgl. auch Saygin, Humphrey, Duke of Gloucester and the Italian Humanists (s. Anm. 26), S. 218 – 232. 41 Die Bibliothek des Herzogs von Gloucester ist rekonstruiert in: Alfonso Sammut, Unfredo duca di Gloucester e gli umanisti Italiani, Padova 1980 (= Medioevo e umanesimo 41). 42 Judith Stell und Andew Wathey, New Light on the Biography of John Dunstable?, in: ML 62 (1981), S. 60 – 63. 43 Alec R. Myers, The Captivity of a Royal Witch: The Household Accounts of Queen Joan of Navarre, in: John Rylands Library Bulletin 24 (1940), S. 263 – 284.
Johannas Hof und die Abtei von St. Albans
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auch Musik zu ihrem Lebensstil. Mögliche Anlässe liegen hier nicht so sehr in der politischen Repräsentation, sondern eher im häuslichen Gebrauch: zur privaten Devotion, bei der Unterhaltung von Gästen und in der Kapelle. Auch die Abtei von St. Albans, besonders ihr Abt Whethamstede, betätigte sich aktiv in der Förderung von Kunst. Die Abtei besaß das Privileg, Ländereien zu verpachten, und war daher recht wohlhabend. Whethamstede ließ während seiner Amtszeit eine neue Bibliothek bauen. Eines ihrer Fenster zeigt Mathematiker und Musiker, nämlich Chrysippus und Nicomachus sowie Guido von Arezzo und Michalus. Die Verbindung von Michalus mit Musik ist eher ungewöhnlich, erscheint aber auch in Whethamstedes Epitaph für Dunstaple.44 Die Bildung der Mönche lag Whethamstede besonders am Herzen. Sein Epitaph zeigt, dass seine intellektuellen Bemühungen schon bei den Zeitgenossen Anerkennung fanden: Doctor eram minimus, docui magis ipse docendus; Pastor et exiguus rexi, magis ymo regendus; Mitram deposui, libro studioque vacavi; Rursus eam sumpsi, loca libris hecque paravi.45
Whethamstede bemühte sich neben der Förderung von Literatur demnach auch um die Verbreitung von Literatur und Gelehrsamkeit: Er ließ während seiner Amtszeit für die Bibliothek mehr als 500 nicht nur theologische Bücher anschaffen, abschreiben oder restaurieren. Zudem spendete er der Bodleian Bibliothek sowie der Bibliothek von Gloucester Hall, dem College der Benediktiner in Oxford, Bücher. Sowohl Whethamstede persönlich als auch die Abtei unterstützten ihre Mönche durch Stipendien für Bücher und ein Studium in Oxford.46 Whethamstede schrieb nicht nur selbst und verschenkte seine Werke an die Bibliothek in Oxford, an Gloucester und andere, sondern er gab auch literarische Werke in Auftrag.47 So übersetzte Lydgate für die Abtei das Leben ihres Na-
44 David R. Howlett, Studies in the Works of John Whethamstede, Dissertation, Oxford University 1975, S. 221 – 223. 45 Zitiert nach Roberto Weiss, Humanism in England during the 15th Century, Oxford 1941, S. 38. »Ein ganz unbedeutender Gelehrter war ich, Lehrer bin ich eher gewesen, um mich selbst belehren zu lassen; / auch habe ich als geringer Hirte regiert, nein vielmehr, um regiert zu werden; / die Mitra habe ich abgelegt, Buch und Studium habe ich mich gewidmet; / noch einmal habe ich sie [die Mitra] angenommen, Platz für die Bücher und dies [Studium] habe ich geschaffen.« 46 Winifred J. Mulligan, John Whethamstede: A Neglected Historian of 15th Century England, Dissertation, Duke Universtity 1974, S. 26. 47 Zu Whethamstede als Schriftsteller vgl. Howlett, Studies in the Works of John Whethamstede (s. Anm. 44).
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Kunstförderung
menspatrons, des Heiligen Alban, ins Englische. Einige der erhaltenen Abschriften48 nennen Whethamstede als Auftraggeber. Here endith the glorious Liff and Passioun of the blessid Martyr seynt Alboon and seynt Amphiballus which glorious Lyves were translatyd oute of FFrenssh and Latyn by dan John Lydgate Monk of Bury at request and prayer of Masteir John Whethamsted the yere of oure Lord MCCCCXXXIX and of the seyde Master John Whethamstede of his Abesye XIX.49
Zudem ist dieser Fall von Förderung durch Notizen in den Akten des Abtes und der Abtei belegt. ITEM Librum alium de manu meliori et bene ornatum [in quo continetur] Vita nostri Prothomartiris de latino in vulga[re nostrum moda trad]ucta [rith]mico et translata50 Item idem Abbas suis in temporibus traduci siue transferri fecit in vulgare nostrum vitam sancti Albani martiris. in modoque transferendi posuit huiusmodi ordinem. quod pronunc nullicubi infra Regnum sit vita ea accepcior ad legendum. Et circa hanc translacionem. scripturam libri et apparatum. expendisse fertur ultra summam centum solidorum.51
48 Huntington Library, HM 140, Lincoln Cathedral MS 129, British Museum, Lansdowne MS 699, Inner Temple MS 511, Trinity College Oxford MS 38. Bei keiner der überlieferten Abschriften scheint es sich jedoch um das Exemplar der Abtei zu handeln. Dieses muss aufgrund der Kosten und Beschreibung reich ausgestattet gewesen sein, was auf keine der überlieferten Abschriften zutrifft. 49 Trinity College Oxford MS 38, fol. 66, zitiert nach Howlett, Studies in the Works of John Whethamstede (s. Anm. 44), S. 206. »Hier endet das ruhmvolle Leben und Leiden der gesegneten Märtyrer Sankt Alban und Sankt Amphiballus, deren ruhmvolle Leben aus dem Französischen und Lateinischen übersetzt wurden von John Lydgate, Mönch von Bury, auf Wunsch und Bitte von Magister John Whethamstede im Jahr des Herrn 1439 und im 19. Jahr von desselben John Whethamstedes Vorstand als Abt.« (Übersetzung der Autorin) 50 John Whethamstede, Gesta paucula, Cotton MS Oth.B.iv, fol 13v ; zitiert nach ebd., S. 205. »Ebenfalls ein anderes Buch von fähigerer Hand und reich ausgestattet, in dem die Vita unseres ersten Märtyrers, aus dem Lateinischen in unsere Landessprache in rhythmischer Form sorgfältig übersetzt, enthalten ist.« 51 Cotton MS Nero.D.vii, fol 32r, zitiert nach ebd., S. 205. »Ferner ließ derselbe Abt zu seinen Zeiten die Vita des heiligen Alban, des Märtyrers, in unsere Landessprache übertragen bzw. übersetzen. Und der Art und Weise der Übersetzung legte er eine derartige Anordnung zugrunde, dass es jetzt nirgendwo im Reich eine beliebtere Vita zu lesen gibt als diese. Und zudem soll er, was diese Übersetzung angeht, für das Schreiben des Buches und seine Ausstattung, mehr als eine Summe von 100 Goldstücken aufgewendet haben.«
Förderung von Musik
d.
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Förderung von Musik
Schauen wir zunächst auf die Forschung zur Förderung von Musik: Sie reicht zumeist nur bis ins 16. Jahrhundert zurück. Die Ausbreitung einer am italienischen Vorbild orientierten Förderung von Musikern in Europa wird in verschiedenen Studien zu einzelnen Komponisten oder zur Musikförderung allgemein behandelt.52 Studien zur Musikförderung im 15. Jahrhundert sind äußerst selten, genannt seien Arbeiten über Dufay53 und Andrew Watheys Dissertation,54 die sich jedoch fast ausschließlich mit der Chapel Royal beschäftigt. Die Umstände der Förderung von Kunst und Literatur können jedoch bedingt auf die Musikförderung an kleineren englischen Höfen im 15. Jahrhundert übertragen werden. Untersuchungen zur Förderung von Kunst und Literatur in der Renaissance sind zahlreich,55 zur Kulturförderung im Mittelalter existieren vornehmlich literaturwissenschaftliche Studien.56 Bei dem Versuch einer Übertragung von Methoden und Ergebnissen der Forschungen zur Kunstförderung aus anderen Disziplinen, Jahrhunderten oder Regionen sind jedoch etliche einschränkende Aspekte im Auge zu behalten: Forschungsergebnisse, die sich auf das 16. Jahrhundert beziehen, können nicht ohne weiteres auf frühere Jahrhunderte angewendet werden, da sich gerade im 15. und 16. Jahrhundert in ganz Europa ein tiefgreifender Wandel auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens vollzog,57 und Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wirkten sich auch auf die Kultur in Europa aus.58 Zudem sind regionale Unterschiede in der gesellschaftlichen und politischen Organisation bei der Übertragung von Methoden und Ergebnissen der Forschung zur Kunstförderung zu berücksichtigen: So bedingt zum Beispiel die politische Organisation in Italien, die sich neben dem päpstlichen Hof aus vielen 52 Vgl. David C. Price, Patrons and Musicians of the English Renaissance, London 1981; Howard M. Brown, Local Traditions of Musical Patronage, in: AM 63 (1991), 28 – 32. 53 Vgl. Lütteken, Guillaume Dufay (s. Anm. 1); Fallows, Dufay (s. Anm. 1). 54 Andrew Wathey, Music in the Royal and Noble Households in Late Medieval England, London 1989 (= Outstanding Dissertations in Music from British Universities). 55 Zwei Studien seien hier stellvertretend für die vielen genannt: Michael Brennan, Literary Patronage in the English Renaissance – The Pembroke Family, London 1988; Mary Hollingsworth, Patronage in Renaissance Italy: From 1400 to the Early 16th Century, London 1994. 56 Karl Holzknecht, Literary Patronage in the Middle Ages, London 1966. 57 Einen guten Überblick über die Entwicklungen in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen gibt Erich Meuthen, Das 15. Jahrhundert, München 1996 (= Oldenbourg Grundrisse der Geschichte 9). 58 Aus der gewaltigen Anzahl von Schriften über die Auswirkung von Humanismus auf die europäische Kultur seien stellvertretend genannt: The Impact of Humanism in Western Europe, hrsg. von Anthony Goodman und Angus McKay, London 1990; Jardine, Lisa, Der Glanz der Renaissance, München 1996.
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Kunstförderung
kleineren Höfen zusammenstellt, ein grundverschiedenes Umfeld der Kulturförderung zu England, wo sich fast ausschließlich die Mitglieder des königlichen Hofs auf diesem Gebiet betätigen. Nicht zuletzt entwickelte sich in der Musik der Status des Komponisten als Künstler und der Werkcharakter erst im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts.59 Die Förderung von Schriftstellern oder Malern kann daher nicht unmittelbar auf Musiker oder Komponisten übertragen werden. Wenden wir uns nach diesem Exkurs zur Forschung und Methodik wieder dem Umfeld Dunstaples zu: Alle Höfe, an denen Dunstaple tätig war, weisen, wie oben gezeigt, eine Tradition der Kunstförderung auf. Für die Mitglieder der königlichen Familie legten schon ihre Abstammung und der damit einhergehende Reichtum eine Betätigung in der Kunstförderung nahe.60 Zudem erforderte ihr politischer Status eine angemessene Repräsentation, die auch dem Vergleich mit den Höfen des europäischen Festlands standhalten sollte. Für Bedford waren aufgrund seiner Kontakte nach Frankreich die Höfe der Herzöge von Berri und Burgund als Vorbilder maßgeblich. Besonders an den Höfen der Herzöge von Burgund hatte die Förderung von Kunst eine lange Tradition: Literatur wurde sowohl in Geschichtsschreibung als auch in Prosa und Lyrik gefördert, wie auch Architektur, bildende Kunst und Musik. Die Künstler waren eng an den Hof gebunden. Meist hatten sie ein Ehrenamt inne oder waren dort angestellt.61 Für den für europäische Verhältnisse äußerst großen Hofstaat wurde eine dementsprechend mit Sängern ausgestattete Kapelle und Musiker für Darbietungen weltlicher Musik unterhalten.62 Großer Aufwand floss in die Repräsentation, die zusammen mit der Kunstförderung am Hof sozusagen institutionalisiert war. Gloucester dagegen orientierte sich an italienischen Höfen, von denen ihm seine Sekretäre berichten konnten. In Italien waren die Höfe – verglichen mit dem burgundischen Hof – eher klein und unterhielten demnach auch kleinere Kapellen, die allerdings, besonders gegen Ende des 15. Jahrhunderts, mit exquisiten Sängern besetzt waren.63 Außer in der Kapelle waren Künstler selten am Hof angestellt. Repräsentation hatte zwar einen ebenso hohen Stellenwert wie am burgundischen Hof, doch musste sie mit geringeren Mitteln bestritten werden. Für besondere Anlässe wurden daher Werke bei Künstlern, die nicht direkt am Hof angestellt waren, in Auftrag gegeben. 59 Vgl. Bonnie J. Blackburn, On Compositional Process in the 15th Century, in: JAMS 40 (1987), S. 210 – 284. 60 Schon als Kinder gaben beide Herzöge teure Geschenke für Familienmitglieder in Auftrag. Vgl. Stratford, The Bedford Inventories (s. Anm. 8), S. 106. 61 Paravicini, The Court of the Dukes of Burgundy (s. Anm. 2). 62 Dannemann, Die spätgotische Musiktradition in Frankreich und Burgund (s. Anm. 2), S. 1 – 14. 63 Lockwood, Strategies of Music Patronage in the Fifteenth Century (s. Anm. 3).
Förderung von Musik
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Wird nun das Verfahren der Förderung genauer betrachtet, das bei Gloucester gut belegt ist, so tritt ein Verhältnis zwischen Künstler und Förderer zutage, das nicht so sehr auf finanzielle Gegenleistungen ausgerichtet war, sondern eher auf ideelle. Besonders bei der Kunstförderung innerhalb Englands entstanden die Werke oft am Hof Gloucesters, gefertigt von seinen Angestellten. Wenige Werke wurden explizit in Auftrag gegeben, und auch diese wurden nicht immer finanziell entlohnt. Vielmehr hat der Autor von der Ehre der Förderung, der Verbindung mit dem Hof und dem damit einhergehenden Schutz profitiert. Gloucester brachte die Förderung von bedeutenden Künstlern im Gegenzug den Ruf eines reichen, mächtigen und kunstverständigen Herrn ein. Diese Art der Kunstförderung entspricht dem Mäzenatentum. Daneben gab Gloucester gezielt Werke in Auftrag, wie die Vita Henrici Quinti oder die Humphroidis, die seinen politischen Zielen nützlich sein konnten. Durch die Förderung von Autoren im Ausland gelang es Gloucester auch, seine Bekanntheit außerhalb von England zu verbreiten. Die Auffassung von Förderung, die auf die gegenseitige Vermehrung des Ruhmes von Autor und Förderer zielte, stieß allerdings auf Unverständnis von Seiten der italienischen Autoren, da sich in Italien im 14. Jahrhundert ein System der Patronage entwickelt hatte, das für den Autor eine finanzielle Entlohnung ausdrücklich vorsah. Gloucester fühlte sich aber selten verpflichtet, seine Aufträge auch zu bezahlen. Forderungen von Decembrio nach einem angemessenen Honorar für seine Übersetzung der Republica würdigte der Herzog nicht einmal einer Antwort.64 Ein bestimmtes Muster durchzieht die Kunstförderung Gloucesters: Viele Werke wurden nicht direkt in Auftrag gegeben; bei ihnen handelt sich um freiwillige Leistungen im Rahmen der Tätigkeit der Autoren am Hof. Diese Werke wurden nicht direkt honoriert, denn Autoren, die am Hof tätig waren, erhielten selten ein Honorar zusätzlich zu ihrem Gehalt. Zahlungen an Autoren außerhalb des Hofes haben nur sporadisch stattgefunden. Die Förderung diente dem Autor, wie auch dem Förderer, somit lediglich in ideeller Weise. Der Status der Autoren, die eine enge Verbindung mit dem Hof des Herzogs von Gloucester hatten, war durchaus gehoben. Beckynton, Frulovisi und Beccaria waren als Sekretäre angestellt, die anderen Autoren verkehrten im Kreis der Humanisten am Hofe des Herzogs. Dieses außergewöhnliche Muster lässt sich auch in den wenigen Quellen über Dunstaples Tätigkeit erkennen: Keines der Werke Dunstaples gibt Aufschluss über einen direkten Auftrag, obwohl einige seiner Motetten mit bestimmten Anlässen in Verbindung gebracht werden können. Er hatte zudem an den Höfen 64 Vgl. auch Everest-Phillips, The Patronage of Humphrey Duke of Gloucester (s. Anm. 16), S. 146 f. und Saygin, Humphrey, Duke of Gloucester and the Italian Humanists (s. Anm. 26), S. 228 – 231.
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Kunstförderung
Bedfords und Gloucesters sowie am Hofe Johannas eine wie auch immer geartete Position außerhalb der Kapelle inne. Die Zahlungen und Geschenke, die er am Hof Johannas erhielt, entsprechen der üblichen Honorierung von Kunstwerken. Die Jahresrente von £80 stellt eine für englische Verhältnisse extrem hohe Gegenleistung dar, ist aber vergleichbar mit Decembrios Honorar für seine bibliographische Beratertätigkeit. Auch die Ländereien, die Dunstaple von Gloucester erhielt, waren ein finanzieller Ausgleich für geleistete Dienste am Hof. Als Bezahlung für Kunstwerke waren Ländereien zwar ungewöhnlich, unter den Musikern in der königlichen Kapelle aber, neben Gehalt und Geschenken, eine weit verbreitete Einnahmequelle, die nur durch den Dienstherrn gewährt werden konnte.65 Zwar bleibt ungewiss, in welcher Position Dunstaple an den Höfen angestellt war ; sein sozialer Status muss jedoch aufgrund der Beschreibung als »serviteur et familier« gehoben gewesen sein.
65 Vgl. Wathey, Music in the Royal and Noble Households (s. Anm. 54), S. 156 – 168.
2. Die Bibliotheken
Neben der individuellen Förderung von Künstlern geben Bibliotheken bedingt Aufschluss über die kulturellen Interessen ihrer Besitzer und zeigen durch die Verbreitungslinien von Büchern deren internationale Kontakte. Ein Vergleich der Bibliothek des Herzogs von Gloucester mit der Bibliothek des Herzogs von Bedford und der der Abtei von St. Albans offenbart den Einfluss von Gloucesters italienischen Kontakten auf die Zusammenstellung der Bibliothek. Hier wird die Verbreitung humanistischer Schriften in England deutlich sichtbar. Bei der folgenden Untersuchung der Bibliotheken von Bedford, Gloucester und St. Albans sollen besonders die Merkmale betrachtet werden, die sie von typisch mittelalterlichen Bibliotheken abheben: der Bestand erstens an Autoren der klassischen griechischen und lateinischen Literatur – speziell in zeitgenössischer, vom Humanismus beeinflussten Übersetzung –, zweitens an volkssprachlicher Literatur – besonders zeitgenössischer italienischer – und drittens an musiktheoretischen Schriften und Noten.
a.
Quellen
Der Bestand aller drei Bibliotheken ist außergewöhnlich gut überliefert. Bedford kaufte 1423 nach dem Tod Karls VI. die Bibliothek des Louvre. Um den Wert zu schätzen, wurde eine Inventur gemacht, deren Listen überliefert sind.1 Ob die Bibliothek in den Händen Bedfords blieb, ist unklar, da nur wenige der aufgelisteten Bücher in seinem Nachlass erscheinen.2 Der Nachlass gibt Auskunft über
1 Inventaire de la Bibliotheque du Roi Charles VI fait au Louvre en 1423 par ordre du regent Duc de Bedford, hrsg. von Louis Claude Douet-d’Arcq, Paris 1867. 2 Jenny Stratford, The Manuscripts of John Duke of Bedford, in: England in the 15th Century – Proceedings of the 1986 Harlaxton Symposium, hrsg. von Daniel Williams, Woodbridge 1987, S. 329 – 350, hier S. 339.
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Die Bibliotheken
weitere Bücher wie auch über Noten und die Ausstattung der Kapelle des Herzogs in Frankreich.3 Gloucester vermachte schon zu Lebzeiten (1439 – 1444) Teile seiner Bibliothek, die aufgrund seiner Verbindungen zu italienischen Humanistenkreisen von englischen Gelehrten hoch geschätzt war, der Universität Oxford. Einige dieser Bücher sowie die Listen der Schenkungen sind überliefert.4 Die Korrespondenz des Herzogs gibt Aufschluss über weitere Bücher, die er aus Italien bestellt hatte.5 Während seines Aufenthaltes in England 1435 – 1440 vermittelte Pietro del Monte, wie im vorigen Kapitel berichtet, den Kontakt zu Ambrogio Traversari und den späteren Sekretären Titus Livius Frulovisi und Antonio Beccaria.6 1437 wandte sich Gloucester mit der Bitte um Bücher an den Bischof von Bayeux, Zanone da Castiglione.7 In einem Brief an Pier Candido Decembrio schreibt Zanone: Habui nuper litteras illius principis qui maximo studio et affectu me hortatur ut opera et translationes huius nostri temporis doctissimorum virorum illic propere destinare festinem.8
Von der Bibliothek in der St. Albans Abtei ist zwar kein zeitgenössischer Katalog überliefert, jedoch lassen sich Teile der Bestände durch Listen der ausgeliehenen Bücher und der Bücher, die nicht ausgeliehen werden durften, sowie durch die Korrespondenz ihres bibliophilen Abtes John Whethamstede rekonstruieren.9 Zudem lässt sich auf einige Bücher, die Whethamstede zumindest gekannt, wenn 3 Jenny Stratford, The Bedford Inventories, London 1991 (= Reports of the Research Committee of the Society of Antiquaries of London 49). 4 Ein Rekonstruktion des Bestandes befindet sich in Alfonso Sammut, Unfredo duca di Gloucester e gli umanisti Italiani, Padova 1980 (= Medioevo e umanesimo 41), besonders »Parte Seconda: La Biblioteca di Unfredo di Gloucester«. 5 Mario Borsa, Correspondence of Humphrey Duke of Gloucester and Pier Candido Decembrio, in: English History Review 19 (1904), S. 509 – 526; W. L. Newman, The Correspondence of Humphrey Duke of Gloucester and Pier Candido Decembrio, in: English History Review 20 (1905), S. 484 – 498. 6 Johannes Haller, Piero dal Monte. Ein Gelehrter und päpstlicher Beamter, Rom 1941 (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 19). 7 Die Korrespondenz Pier Candido Decembrios liegt in Florenz, Biblioteca Riccardiana, MS 827. 8 Zitiert nach Susanne Saygin, Humphrey Duke of Gloucester and the Italian Humanists, Leiden 2002 (= Brill’s Studies in Intellectual History 105), S. 109n. »Ich erhielt vor kurzem einen Brief jenes Fürsten, der mich mit leidenschaftlicher Begeisterung drängt, ich möge doch in aller Eile Werke und Übersetzungen der größten Gelehrten dieser unserer Zeit dorthin übersenden.« 9 Roberto Weiss, Piero del Monte, John Whethamstede and the Library of St. Albans Abbey, in: English History Review 60 (1945), S. 399 – 406; Medieval Libraries of great Britain, hrsg. von Neil Ripley Ker, London 1941, S. 93 – 95; R. W. Hunt, The Library of the Abbey of St. Albans, in: Medieval Scribes, Manuscripts and Libraries, hrsg. von Malcolm B. Parkes und Andrew G. Watson, London 1978, S. 251 – 277.
Die Bücher
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nicht auch gelesen haben muss,10 durch seine Enzyklopädie Granarium11 und die Zitatensammlung Pabularium [sic!] Poetarum12 schließen.
b.
Die Bücher
Allgemein setzte sich der Bestand der drei Bibliotheken nach dem im Mittelalter üblichen Schema zusammen:13 Die Bibliotheken von Bedford und Gloucester enthielten Bücher zur Theologie, Rechtswissenschaft, Grammatik und den Naturwissenschaften – meist Medizin und Astrologie, zu Geschichte und Politik, aber auch Belletristik wie Romans de Chevalerie. In der Bibliothek von Gloucester war auch dessen Aufgabe als Erzieher Heinrichs VI. erkennbar.14 Die Bibliothek von St. Albans umfasste, wie für eine Klosterbibliothek zu erwarten, hauptsächlich theologische Bücher ; jedoch fanden sich auch hier Schriften zur Geschichte und Politik sowie Belletristik. Humanistische Einflüsse lassen sich im Bestand der Bibliotheken an Details ablesen: am Vorhandensein von Schriften klassischer Autoren in neueren Übersetzungen, von zeitgenössischer italienischer Literatur und von bestimmten literarischen Gattungen wie zum Beispiel Lebensbildern. An Schriften klassischer Autoren standen in der Bibliothek Bedfords15 von Aristoteles Les Pronostications, Les Probleumes, Les Secrets, Astronomia, Liber de septuaginta verbis und Politiques et Iconomiques, übersetzt von Nicolaus von Oresme, Plato In timeo, Seneca Les Epitres, Socrates Les Pronostications, Ovid Des remÀdes d’amour, Metamorphoses, De Epistolis, De tristibus und De ponto
sowie weitere, nicht identifizierbare Werke von Titus-Livius, Seneca und Sallust. In der Bibliothek von Bedford sind besonders die Aristoteles-Überset-
10 Winifred Joy Mulligan, John Whethamstede: A Neglected Historian of 15th Century England, Dissertation, Duke University 1974, S. 52 – 106. 11 London, BM, Cotton MS Nero C.VI. und Tiberius D.V. 12 London, BM, Egerton MS 646. 13 A. Derolez, Artikel »Bibliothek, A.I.«, in: LexMA; A. G. Watson: Artikel »Bibliothek, A.IV.«, in: dass. 14 Vgl. Saygin, Humphrey Duke of Gloucester and the Italian Humanists (s. Anm. 8), S. 57 – 68. 15 Zusammengestellt nach Inventaire de la Bibliotheque du Roi Charles VI (s. Anm. 1) und Stratford, The Manuscripts of John Duke of Bedford (s. Anm. 2), S. 329 – 350. Alle Titel sind nach dem Katalog zitiert.
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Die Bibliotheken
zung von Nicolaus von Oresme hervorzuheben sowie das vollständige Fehlen der Schriften von Vergil und Horaz. Die Werke klassischer Autoren in der Bibliothek Gloucesters sind zu zahlreich, um sie alle aufzuzählen. Im Folgenden sind lediglich die Neuübersetzungen und Neuentdeckungen aufgeführt:16 übersetzt / kompiliert von Leonardo Bruni
Autor
Titel
Aristoteles Cicero
Etica, Politica Epistolae
Plato Plinius Secundus
Il fedro Republica Epistolas
Bruni Decembrio Decembrio
Plutarch
Panagericum Vitam Camilli
Decembrio Lapo da Castiglionchio
Vitam Romuli Vitam Timonis et Lucillis, Vitam Marcii Antonii Vita Marii, Vita Pelopide Catonem Sensorium
Castiglionchio / Beccaria Bruni
Bemerkung 1345 von Petrarca wiederentdeckt; von Zanone Castiglione geschenkt Zusammenstellung bekannter und neu entdeckter Texte 1433 wiederentdeckt
Antonio Pacini Francesco Barbaro
Des Weiteren befanden sich Ciceros Philippica und Rhetorica sowie Senecas Epistolae, De Causis, De Brevitate Vite und Tragedie in der Bibliothek. Die Bibliothek von St. Albans dagegen besaß die üblichen mittelalterlichen Übersetzungen von Aristoteles, Homer und Plato.17 An klassischen lateinischen Schriften waren Ciceros Catilinaria und De Officiis, Ovids Fasti, Metamorphoses, De arte amandi und De remedio amandi sowie Senecas De beneficiis vorhanden.18 Über del Monte gelangten eine Übersetzung von Plutarch und del Montes
16 Zusammengestellt nach Sammut, Unfredo duca di Gloucester e gli umanisti Italiani (s. Anm. 4), »Parte Seconda: La Biblioteca di Unfredo di Gloucester«. Alle Titel sind nach dem Katalog zitiert. 17 Nach Weiss, Piero del Monte, John Whethamstede and the Library of St. Albans Abbey (s. Anm. 9) und Medieval Libraries of great Britain (s. Anm. 9), S. 93 – 95. 18 Außer den Fasti können die Werke Ovids jedoch nur durch Zitate oder Hinweise in Whethamstedes Granarium und der Zitatensammlung Pabularium [!] Poetarum erschlossen werden. Vgl. Mulligan, John Whethamstede: A Neglected Historian of 15th Century England (s. Anm. 10), S. 52 – 106.
Die Bücher
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eigene Schrift De Virtutum et Vitiorum inter se Differentia in die Bibliothek der Abtei.19 Auch volkssprachliche Werke und zeitgenössische Literatur, Kennzeichen und oft Wegbereiter des Humanismus, waren in den Bibliotheken zu finden. Die Bibliothek von Bedford hatte in dieser Hinsicht die konservativste Ausstattung: Hier können nur Romans de Chevalerie20 und eine große französische Bibel nachgewiesen werden.21 Die Bibliothek von Gloucester war mit volkssprachlicher Literatur sehr viel besser ausgestattet: Sie enthielt sowohl Werke älterer italienischer Autoren in lateinischer Übersetzung als auch zeitgenössische Schriften aus Italien.22 Giovanni Boccaccio De geneologia deorum gentilum, [De casibus virorum illustrium], [De mulieribus claris], De montibus, Decameron Dante Alighieri commentaria (= lat. Übersetzung der Divina Comedia), [Divina Commedia] Decembrio Declamationes del Monte De vitiorum inter se differentia Frulovisi De republica, Vita Henrici V et VI, Comedie Francesco Petrarca De vita solitaria, [De vita solitaria / Liber variarum?], Rerum memorendarum, De remediis fortuitorum (= De remediis utriusque fortunae), [De remediis utriusque fortunae?], [Epistolae / De viris illustribus?], [De viris illustribus?], Secretum Poggio Bracciolini De avaricia Collucio Salutati Epistole, De seculo religione, De fato et fortuna, De laboribus Herculis
Weitere Werke von del Monte, Boccaccio, Bruni, Castiglionchio, Guarino da Verona, Petrarca und Enea Silvio Piccolomini sind ohne Titel nachweisbar. Als Hilfsmittel zum Studium der Schriften waren außerdem mehrere Wörterbücher, darunter ein griechisches, vorhanden. Für die Bibliothek von St. Albans können volkssprachliche und zeitgenössische italienische Schriften nur indirekt belegt werden. Whethamstede kannte zumindest einige Werke von Boccaccio, Petrarca und Bruni, da diese in seiner Enzyklopädie Granarium und der Zitatensammlung Pabularium [!] Poetarum erwähnt oder zitiert werden. Schon die rekonstruierte Zusammenstellung der Bücher zeigt deutliche Un19 Weiss, Piero del Monte, John Whethamstede and the Library of St. Albans Abbey (s. Anm. 9), S. 399 – 406. 20 Inventaire de la Bibliotheque du Roi Charles VI (s. Anm. 1), S. XXVIII-XXXIII. 21 Stratford, The Manuscripts of John Duke of Bedford (s. Anm. 2), S. 332 – 336. 22 Zusammengestellt nach Sammut, Unfredo duca di Gloucester e gli umanisti Italiani (s. Anm. 4), »Parte Seconda: La Biblioteca di Unfredo di Gloucester«. Titel sind nach dem Katalog zitiert. Titel in eckigen Klammern wurden von Sammut erschlossen.
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terschiede zwischen der Bibliothek von Gloucester und der von Bedford oder St. Albans. In Gloucesters Bibliothek lässt sich die Entwicklung zum Humanismus nachvollziehen: Sie enthielt neue Übersetzungen antiker Schriften, zeitgenössische italienische Literatur, die zentrale Gattung der Lebensbilder – sowohl in Übersetzungen von Plutarch als auch in zeitgenössischen Schriften wie dem Auftragswerk Vita Henrici V von Frulovisi – und del Montes Beschreibung der aktuellen Strömungen im italienischen Humanismus. Zudem geben die Widmungen und Auftragswerke Aufschluss über eine Förderung von Literatur und Übersetzungen, die italienischen Vorbildern nacheifert. Dagegen sind in den Bibliotheken von Bedford und St. Albans nur vereinzelt Schriften zu finden, die eine enge Anbindung an die geistesgeschichtlichen Entwicklungen auf dem europäischen Festland zeigen. Vereinzelte Neuübersetzungen oder zeitgenössische italienische Schriften sind eher zufällig in diese Bibliotheken gekommen.23 Eine gezielte Erwerbungsstrategie aktueller Schriften, wie sie Gloucester – vermutlich auch im Hinblick auf die Erziehung Heinrichs VI. – verfolgte, ist nicht erkennbar. In Bezug auf Schriften, die musikalisch oder musiktheoretisch die neuen Ansätze des Humanismus verbreiten könnten, zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Bibliothek des französischen Königs Karls VI., die Bedford zumindest zeitweise übernahm,24 wies neben Boethius und Aristoteles einige Musiktraktate auf – »Un livre appell¦ Patefit, Johannis de Muris« (448) und »Abraham, de judiciis Astrorum; escript de lettre de note, en latin, & deux coulombes, au commencement duquel livre a un autre Traicti¦ de Musique…« (743). Keines dieser Bücher ist jedoch genauer beschrieben oder erhalten. Die Bibliothek umfasste somit die im Mittelalter üblichen Musiktraktate und Gattungen. Die Bibliothek Gloucesters jedoch enthielt neben neuen Übersetzungen von Cicero und Aristoteles, die wichtige Aspekte der antiken Musiktheorie wieder zugänglich machten, auch Salutatis Schrift De laboribus Herculis, in der die Hierarchie der Künste nach zeitgenössischen Kriterien diskutiert und die charakterbildende Wirkung von Musik beschrieben wird. Auch Beispiele der Musikpraxis der italienischen Humanisten waren in der Bibliothek des Herzogs von Gloucester zu finden, denn in den Komödien Frulovisis wird die Musik nach den Ideen der italienischen humanistischen Schule von Guarino eingesetzt.
23 Z. B. als Geschenke von Gloucester. 24 Inventaire de la Bibliotheque du Roi Charles VI (s. Anm. 1). Die folgenden Nummern beziehen sich auf die Zählung im Katalog.
Verbreitung
c.
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Verbreitung
Viele der oben beschriebenen Bücher wurden nicht in England hergestellt. Dies lässt sich an der Handschrift ableiten, die – besonders bei den Büchern in der Bibliothek von Gloucester – auf eine italienische humanistische Herkunft hinweist.25 Da Bücher im 15. Jahrhundert sehr wertvoll waren, dienten sie oft als Geschenke. Schenker und Beschenkter können im Idealfall an einer Widmung identifiziert werden. So bestand zwischen den Brüdern Bedford und Gloucester ein reger Austausch an Büchern. Anhand von Ex Libris kann der Weg einzelner Bücher aus der Bibliothek Karls VI. von Frankreich über Bedford bis in die Bibliothek von Gloucester verfolgt werden.26 Auch Gloucester und Whethamstede tauschten gelegentlich Buchgeschenke aus. Whethamstede überreichte dem Herzog nicht nur seine eigene Schrift Granarium, sondern auch die Historia Anglorum des Matthaeus Parisiensis und einen Band vermischter Schriften, darunter Platoübersetzungen.27 Die Ex Libris der aus der Bibliothek von Gloucester erhaltenen Bücher belegen jedoch nicht nur Schenkungen aus seinem engsten Bekanntenkreis. Die Bibliophilie des Herzogs war weithin bekannt: Sein Cousin, Graf von Warwick, schenkte ihm Boccaccios Decameron, Nicholas Bildestone, der Verbindungen zu Poggio Bracciolini unterhielt, brachte von seinem Italienaufenthalt 1424 – 25 oder 1434 Schriften von Petrarca für den Herzog mit, und Zanone Castiglione schickte ihm Ciceros Epistolae.28 Zudem wurden Bücher auf Bestellung hergestellt. Bedford ließ nicht nur prachtvolle Bücher für seine persönliche Devotion anfertigen, sondern auch weniger prunkvolle Bücher für seine Bibliothek. Hierbei handelt es sich zumeist um Zusammenstellungen, Übersetzungen und Abschriften von Werken aus der Bibliothek Karls VI., die studierte Mitglieder seines Hofes herstellten.29 Gloucester war besonders gewissenhaft bei der Zusammenstellung seiner Bibliothek. Er ließ sich von Decembrio beraten, welche neueren italienischen Werke und Übersetzungen aus dem Griechischen in seiner Bibliothek vorhanden sein sollten, und bestellte einige Werke dann unverzüglich, wie im folgenden Schreiben das 1433 wiederentdeckte Panegyricon des Plinius.
25 Vgl. Duke Humphrey and English Humanism in the 15th Century – Catalogue of an Exhibition Held at the Bodleian Library, Oxford 1970. 26 Titus Livius, Histoire romaine; Philippe de M¦ziÀres(?), Le songe du Vergier ; La quete du Saint Graal/La mort au roi Artus, dieses Buch gehörte später Philipp dem Guten. Vgl. Sammut, Unfredo duca di Gloucester e gli umanisti Italiani (s. Anm. 4), »Parte Seconda: La Biblioteca di Unfredo di Gloucester«, cs 35, cs 16, cs 1. 27 Ebd., Nr. 202 – 204 (Granarium), cs13 und cs 26. 28 Ebd., cs 33, cs 31, cs 30. 29 Stratford, The Manuscripts of John Duke of Bedford (s. Anm. 2), S. 346 – 349.
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De libris autem quos scibis apud vos esse, id nobis gratissimum esse existima, cum certissimum sit nos maxime librorum excellentia et dignitate delectari, nec ulla posse deterreri mensura, et praesertim si qui sint digni laude, ut Cornelius Celsus et Plinii Physica et Panegiricon, et Apuleius ille, tum etiam Varronis opera quaeque reperiuntur, et in primis illud de origine linguae Latinae, cum ea maxime effectamus quae ad animae eruditionem maxime pertinent.30
Durch die Vermittlung Decembrios wurden zudem, wie im vorhergehenden Kapitel beschrieben, etliche Übersetzungen von Gloucester in Auftrag gegeben. Auf diese Weise entstanden Verbindungen des Hofes zu Literaten, die sich an italienischen Vorbildern orientierten. Nach St. Albans gelangten Werke der italienischen Humanisten zumeist durch Schenkungen von Gloucester oder über den Kreis italienischer Humanisten um den Herzog. So überließ del Monte eine Plutarchübersetzung und seine eigene Schrift De Virtutum et Vitiorum inter se Differentia der Bibliothek der Abtei.31 Whethamstede hielt sich zwar zum Konzil von Padua / Siena auch persönlich in Italien auf und besichtigte dort die Bibliothek der Visconti; ob er allerdings bei dieser Gelegenheit auch Bücher aus Italien nach England brachte oder dort bestellte, ist nicht belegt.32 Schon die viel geringere Überlieferung von Noten weist auf deren anderen Stellenwert im Vergleich zu Büchern hin. Noten waren im 15. Jahrhundert meist Gebrauchsgegenstand. Im Zusammenhang mit den Höfen von Bedford und Gloucester ist der Ankauf oder Tausch von musikalischen Quellen, anders als von Büchern, nicht belegt. Lediglich in der Bibliothek Karls VI., die sich zeitweise in Bedfords Besitz befand,33 sind Bücher mit »Motez & Conduiz« (99), »Motez & ChanÅons not¦es« (191), weiteren »Motez & ChanÅons« (375), »ChanÅons not¦es« (390), »Chant, bien not¦« (389), »ChanÅons, pastourelles couronn¦es« (97), »Laiz notez« (98), »Chans Royaux notez & en prose« (246) und weiteren »Chans Royaux« (247, 251, 270, 292) nachgewiesen. Vermutlich handelt es sich um weltliche Gattungen der Poesie mit und ohne Musik. Zudem 30 Zitiert nach Borsa, Correspondence of Duke Humphrey and Pier Candido Decembrio (s. Anm. 5), S. 517. »Was die Bücher angeht, die, wie du schreibst, in eurem Besitz sind, so ist diese [Nachricht], glaube [uns], höchst erfreulich für uns, weil absolut fest steht, dass wir vor allem an der Erhabenheit und Pracht der Bücher unsere Freude haben und wir uns durch keinerlei Maßhalten einschränken lassen dürfen, und zwar besonders, wenn manche [Bücher] Anerkennung verdienen sollten, wie z. B. Cornelius Celsus, die Physica und das Panegyricon des Plinius und jener Apuleius, dann auch von Varro alle Werke, die aufgefunden werden, und besonders jenes [Werk] über den Ursprung der lateinischen Sprache, weil wir in erster Linie danach trachten, was am meisten der Geistesbildung dient.« 31 Weiss, Piero del Monte, John Whethamstede and the Library of St. Albans Abbey (s. Anm. 9). 32 George B. Parks, The English Traveller to Italy, Bd. 1, Rom 1954, S. 294 f. 33 Inventaire de la Bibliotheque du Roi Charles VI (s. Anm. 1). Die folgenden Titel sind nach dem Katalog zitiert, die Nummern beziehen sich auf die dortige Zählung.
Verbreitung
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befanden sich in der Bibliothek liturgische Bücher, teilweise mit Noten, wie das »Messel not¦, a l’usaige de Paris« (215) und »Plures Antiphone & Hympni notati« (690). Reinhard Strohm34 weist Wege der Verbreitung auf, die auch diese Höfe genutzt haben könnten. Er konstatiert einen Wandel von »Stilzentren« hin zu »Tauschzentren«, der in der wachsenden Mobilität begründet liegt. Zudem gibt Strohm die unterschiedlichen Verbreitungswege von verschiedenen Quellen zu bedenken: So wurden prachtvolle Handschriften zumeist als Geschenke angefertigt und direkt den Beschenkten übergeben. Noten jedoch, die Büchern hinzugefügt wurden, reisten vermutlich eher mit Studenten, Ordensleuten oder Humanisten. Diese Verbreitungswege und ihre Verbindungen zu den Höfen von Gloucester und Bedford sollen im folgenden Kapitel genauer untersucht werden.
34 European Politics and the Distribution of Music in the Early Fifteenth Century, in: EMH 1 (1981), S. 305 – 323, hier S. 318 f. Vgl. auch Parks, The English Traveller to Italy (s. Anm. 32).
3. Kulturelle Kontakte: Personen und Orte
Die Höfe der Herzöge von Bedford und Gloucester unterhielten eine Vielzahl politischer und kultureller Verbindungen nach Frankreich und Italien. Im Folgenden wird der Kontakt mit Musikern und die Übertragung musikalischen Repertoires entlang der Verbindungen, die durch die Kunstförderung an den Höfen etabliert waren, untersucht. Das gleiche gilt für die Kontakte der Kurie nach England. Hier bestanden politische und kulturelle Verbindungen, durch die sich auch musikalische Begegnungen ergeben konnten. Die zumeist brieflichen, teilweise auch persönlichen Bekanntschaften von Humanisten in England und Italien dürften zu einem Austausch von musikalischem Repertoire geführt haben, denn auf ähnlichen Wegen und durch ähnliche Kontakte, durch die humanistische Literatur an die Höfe in England gelangte, konnte auch musikalisches Repertoire dorthin überbracht werden. Reinhard Strohm1 hat den Einfluss politischer Konstellationen und Verbindungen auf die Verbreitung von Musik in Europa im 15. Jahrhundert eingehend untersucht. Kunstförderung, kulturelle und politische Kontakte an den Höfen von Bedford und Gloucester eröffneten somit eine Vielzahl von Übertragungswegen für Kulturgüter. Dabei sind immer auch wechselseitige Beziehungen anzunehmen, die Richtung der Übertragung bleibt offen. Als Übermittler kommen Personen in Frage, die in Kontakt mit den Höfen von Bedford und Gloucester standen und zugleich direkte Beziehungen zu den musikalischen Zentren in Italien hatten. Diplomatische Verbindungspersonen aus Italien verkehrten meist mit dem englischen Königshaus, während der Minderjährigkeit Heinrichs VI., also mit Gloucester und Bedford. So kann ein direkter Kontakt mit der Musik Dunstaples erfolgt sein, auch wenn dieser nie Mitglied der königlichen Kapelle war und seine Kompositionen eher spärlich in englischen Quellen, die im Umkreis des Königshauses entstanden, überliefert sind. Weiterhin fungierten die Konzile in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts als Orte der Begegnung und des Austauschs 1 Reinhard Strohm, European Politics and the Distribution of Music in the Early Fifteenth Century, EMH 1 (1981), S. 305 – 323.
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nicht nur für Politik, Theologie und Philosophie, sondern auch für Musik. Hier trafen die musikalischen Traditionen der verschiedenen Regionen Europas aufeinander, hier wurden ihre Unterschiede offenbar, hier die nationalen Eigenarten zum ersten Mal wahrgenommen. Daher werden im Folgenden verschiedene Kontaktpunkte der Höfe, an denen Dunstaple tätig war, mit dem europäischen Festland auf die Möglichkeiten einer Übertragung von Kulturgütern, besonders aber der Musik, untersucht. Zunächst werden die Personen aus dem Kreis der Humanisten um Gloucester sowie andere italienische Englandreisende genauer betrachtet. Von besonderem Interesse sind hier diejenigen Personen, die direkte Verbindungen zu ihren Höfen hatten und als kulturelle Mittler zwischen England und Italien bzw. Frankreich auftraten. Sodann werden die Konzile mit großer englischer Präsenz als mögliche Orte der Verbreitung von musikalischem Repertoire analysiert.
a.
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Pietro del Monte agierte als kultureller und vermutlich auch politischer Mittelsmann zwischen Gloucester und Rom. Sein Briefwechsel belegt die Kontakte, die er während seines Aufenthaltes in England nach Italien pflegte.2 Sie führen zu Titus Livius Frulovisi, der sein Mitschüler bei Guarino da Verona war, nach Venedig, zu Antonio Beccaria nach Verona, zu Ambrogio Traversari nach Florenz und natürlich an die Kurie – in offiziellen Dingen an den Papst, in persönlichen Anliegen unter anderen an Poggio Bracciolini. An allen Orten seiner Tätigkeit konnte del Monte hervorragende Musik hören: In Venedig und Padua3 war eine hochrangige mehrstimmige Kirchenmusik durch Johannes Ciconia etabliert.4 Vermutlich hielt sich auch Dufay um 1450 einige Zeit in Padua auf, da seine Missa di Sancti Antonii de Padua zur Weihe des Altars der Basilika St. Antonius entstanden war. Die Hauptkirchen Venedigs, San Marco und der Dom, besaßen eine leistungsfähige Kapelle, die auch bei weltlichen Anlässen, wie der Einführung des Dogen, eingesetzt wurde. In Brescia5 hatte Pandolfo III. Malatesta eine große Kapelle eingerichtet, die in reger Verbindung mit anderen Städten Italiens stand.6 Im späteren 15. Jahrhundert begann ein Austausch von Musikern mit England: So hält sich der 2 Johannes Haller, Piero da Monte. Ein Gelehrter und päpstlicher Beamter des 15. Jahrhunderts, Rom 1941 (= Bibliothek des deutschen historischen Instituts in Rom 29). 3 Maria Nevilla Massaro, Artikel »Padua«, in: MGG2, Sachteil. 4 Zum Frühhumanismus in Padua vgl. Annette Kreutziger-Herr, Johannes Ciconia (ca. 1370 – 1412), Eisenach 1991 (= Hamburger Beiträge zur Musikwissenschaft 39), S. 40 – 71. 5 Maria Teresia Rosa Barezzani, Artikel »Brescia«, in: MGG2, Sachteil. 6 So ging z. B. der Sänger Beltrame Feragut später als Kapellmeister nach Mailand.
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Lautenist Pietro Zuan aus Brescia 1496 in London und ein Bassano da Brixia am Hof Heinrichs VIII. auf. Dieser Austausch von Musikern mit England könnte auf die frühere Tätigkeit des Bischofs von Brescia als Steuerbeamter in England zurückzuführen sein. Die Kontakte brachten zudem auch immer eine Verbreitung des Repertoires mit sich. Da sich del Monte als Bischof von Brescia musikinteressiert zeigte, war er dies vermutlich auch vor und während seines Englandaufenthaltes. So könnte über del Monte sowohl italienische Musik und Musiker nach England als auch Musik aus England nach Brescia gekommen sein. Als weiterer kultureller Mittelsmann für Gloucester fungiert Zanone Castiglione. Zanone und sein Onkel Kardinal Branda förderten die kulturellen Beziehungen zwischen Italien und England. An dem 1429 von Branda gegründeten Kolleg der Universität in Pavia war eines der internationalen Stipendien für einen Studenten aus Rouen reserviert. Drei Jahre später führte er zusätzlich zwei Stipendien für Studenten aus Bayeux und Lisieux ein.7 Zusammen mit Bedford trieb er die Gründung der Universität Caen voran. Von Zanone ist eine direkte Förderung von Musik in Bayeux belegt: Er stiftete der Kathedrale nicht nur liturgische Gewänder und Geräte, sondern auch vier Stipendien für Sänger.8 Indirekte Verbindungen zu einigen der musikalisch führenden Höfe Italiens lassen sich über den zweiten »Bücheragenten« von Gloucester, Pier Candido Decembrio, herstellen. Die Widmungsträger seiner literarischen Werke spiegeln sein weitgeflochtenes Netz von Beziehungen wider : Tommaso Fregoso, Doge von Venedig; Filippo Maria Visconti, Lodovico III. Gonzaga, Alfonso von Neapel, Giovanni II. von Castilien, Ercole d’Este, Eugen IV. und weitere weniger hochrangige Mitglieder der Kurie.9 Von musikgeschichtlichem Interesse sind besonders die Kontakte nach Savoyen zu Amadeus VIII. und nach Ferrara zu Ercole d’Este. Die Kapelle von Amadeus VIII.10 war mit Sängern und Instrumentalisten gut ausgestattet. Mit dem Hof von Savoyen, auch unter Amadeus’ Sohn Louis, kam Guillaume Dufay immer wieder in Berührung. Sein Name kann zwischen 1434 und 1439 sowie 1450 in den Registern nachgewiesen werden.11 Zudem residierte Amadeus VIII. als Gegenpapst Felix V. in Lausanne, wo Martin LeFranc sein Sekretär und Kanonikus sowie später Probst des Kapitels war. Er berichtet über den typisch englischen Musikstil in seinem oft zitierten Werk Le Champion des Dames. 1456 erweiterte LeFranc den Knabenchor und kaufte ein Jahr später eine neue Orgel für den Dom. Auch zum Hof der Este-Familie in Ferrara hatte Dufay gute Verbindun7 Susanne Saygin, Humphrey, Duke of Gloucester and the Italian Humanists, Leiden 2002 (= Brill’s Studies in Intellectual History 105), S. 165. 8 Ebd., S. 162 – 164. 9 P. Viti, Artikel »Decembrio, Pier Candido», in: DBI. 10 David Fallows, Dufay, London 1982 (= The Master Musicians Series), S. 36 – 40. 11 Ebd., S. 40 – 43 und S. 68.
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gen. 1433 komponierte er für Niccolo III. die Ballade C’est bien raisan. Später erhielt er von ihm und auch von dessen Sohn Leonello Honorare, vermutlich für weitere Kompositionen. Zudem entstand in Ferrara die Handschrift Modena B, in der viele Werke Dufays und alle isorhythmischen Motteten Dunstaples überliefert sind.12
b.
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Neben den Humanisten um Gloucester kamen auch andere gelehrte Reisende nach England. Viele von ihnen standen in Verbindung mit der Kurie und kamen als Diplomaten nach England oder Schottland. Zwei dieser Englandreisenden werden im Folgenden näher betrachtet – der Humanist Poggio Bracciolini und Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II.. Bei beiden liegt ein Kontakt zum Hof Gloucesters während ihrer Englandreise nahe; zudem hatten beide Verbindungen mit musikalischen Zentren auf dem europäischen Festland. Eine Übertragung von Werken aus England in die musikalischen Quellen des Kontinents war ihnen daher möglich. Sie wurde im Fall Piccolominis auch konkretisiert.13 Ähnliche Möglichkeiten bestanden für andere Englandreisende im Dienst der Kurie wie del Monte und für Italiener im Dienst Gloucesters wie Beccaria oder Frulovisi, auch wenn sich hier die Übertragungswege nicht mehr rekonstruieren lassen. Poggio Bracciolini (1380 – 1459) erhielt eine humanistische Ausbildung in Florenz unter Coluccio Salutati und kam als Sekretär an die Kurie. Er nahm am Konzil von Konstanz teil und suchte dort und auf Reisen durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich nach antiken Handschriften. Die Jahre 1418 – 1423 verbrachte er zum gleichen Zweck im Gefolge Henry Beauforts in England. Auch in seiner Funktion als päpstlicher Sekretär bei Eugen IV. (1431 – 1447) unternahm er ausgedehnte Reisen. 1453 wurde er Kanzler von Florenz. Seine Werke spiegeln das auf der Antike basierende humanistische Wissen der Zeit. Seine Briefe, die er literarisch überarbeitete und nach dem Vorbild Ciceros in drei Sammlungen zusammenstellte, waren schon im 15. Jahrhundert weit verbreitet und geben Aufschluss über Kultur- und Gedankenwelt der Zeit.14
Poggio verbrachte fast fünf Jahre in England am Hof des Bischofs von Winchester, des späteren Kardinals Beaufort. Obwohl er nur über seine erfolglosen 12 Zur Übertragung von Repertoire, wie es sich in den Handschriften darstellt, vgl. nächstes Kapitel. 13 Vgl. Marian Willner Cobin, The Aosta Manuscript: A Central Source of Early-FifteenthCentury Sacred Polyphony, Dissertation, New York University 1978, S. 303 – 315. 14 H. Harth, Artikel »Poggio Bracciolini«, in: LexMA; A. Petrucci, Artikel »Bracciolini, Poggio«, in: DBI.
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Recherchen in Kloster- und Universitätsbibliotheken berichtet,15 muss er am Hof Beauforts auch Mitglieder der königlichen Familie kennengelernt haben, zumindest Heinrich V. und dessen Brüder Bedford und Gloucester, die wie Beaufort in die Regierungsgeschäfte einbezogen waren. In seinem Briefwechsel zeigt sich ein weitverzweigtes Netz der Verbindungen: Poggio pflegte nicht nur Kontakt mit gelehrten Humanisten wie Leonardo Bruni, Traversari und Guarino, die alle zumindest indirekten Kontakt mit Gloucester hatten, sondern auch mit den führenden Förderern von Kunst und Wissenschaft, Cosimo und Lorenzo Medici sowie Leonello d’Este. Auch Richtung England hielten seine Verbindungen an: Er korrespondierte mit del Monte, Nicholas Bildestone und Richard Petworth.16 Die zwei letzteren waren an der Kathedrale von Winchester und bei Beaufort tätig. Da Poggio am Anfang seiner Laufbahn an der Kurie nach England reiste, kann er eher mit der Verbreitung von englischer Musik in Italien in Verbindung gebracht werden. Im Hinblick auf die Musik sind besonders seine Aufenthalte mit der Kurie in Florenz von Interesse, da zu dieser Zeit auch Dufay Mitglied der päpstlichen Kapelle war.17 Dieser komponierte unter anderem die Weihmotette Nuper rosarum flores für den Dom in Florenz. Auf indirektem Wege führt auch Poggios Freundschaft mit Leonello d’Este zu Dufay, der für diesen komponierte. Allgemein herrschte in Florenz im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts ein kulturell äußerst aufgeschlossenes Klima: Musik wurde sowohl an der Universität als auch an den vier Hauptkirchen praktiziert. Die Dommusik trat während der Anwesenheit der Kurie in fruchtbare Konkurrenz mit der päpstlichen Kapelle. Die Medici hatten an ihrem Hof eine Tradition der Förderung von Musik, Literatur und bildender Kunst etabliert. Zudem entstanden an den Kirchen, an der Universität und am Hof Sammlungen weltlicher und geistlicher Musik der Zeit.18 Enea Silvio Piccolomini (1405 – 1464) erhielt eine humanistisch geprägte Ausbildung in Siena und Florenz unter Francesco Filelfo. Er nahm am Basler Konzil teil und wurde Sekretär des Gegenpapstes Felix V. In dessen diplomatischer Mission reiste er 1435 zum Kongress von Arras und anschließend nach Schottland. 1442 wurde er zum Frankfurter Reichstag entsandt und Sekretär der Kanzlei Friedrichs III., für den er auch diplomatisch tätig war. Nach seinem Übertritt zu Eugen IV. und der förmlichen Aussöhnung mit Rom
15 Besonders an Niccolý Niccoli; vgl. Poggio Bracciolini, Lettere I: Lettere a Niccolý Niccoli, hrsg. von Helene Harth, Florenz 1984 ( = Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento), Nr. 2 – 19. 16 Poggio Bracciolini, Lettere II: Epistolarum familiarum libri, hrsg. von Helene Harth, Florenz 1984 (= Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento). 17 Fallows, Dufay (s. Anm. 10), S. 43 – 47. 18 John Walter Hill, Artikel »Florenz AIII«, in: MGG2, Sachteil.
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wurde er 1447 zum Bischof von Triest, 1450 von Siena, 1456 zum Kardinal ernannt und 1458 zum Papst gewählt.19
Aus seinem Briefwechsel20 werden nicht nur die Verbindungen ersichtlich, die Piccolomini nach England unterhielt, sondern auch sein Interesse an Musik. Er korrespondierte mit Adam de Moleyn, dem englischen Protonotar an der Kurie, über die Pflege des Lateinischen in England. Auf seiner Reise in England hatte er nicht nur schlechte Erlebnisse,21 sondern auch die Gelegenheit, positive Entwicklungen auf kulturellem Gebiet zu beobachten. So schreibt er am 29. Mai 1444 an Moleyn über Gloucester : Legi cupide que scripsisti, miratusque sum Romanum facundiam in Brittaniam usque profectam esse. sed fuerunt et alii apud Anglos Tulliane cultores eloquentie, inter quos venerabilem Bedam nemo non posuit. Petrus Blesensis longe inferior fuit, cujus epistolis hanc tuam perbrevem antepono. congratulator tibi et Anglie, quia jam verum dicendi ornatum suscepisti. sed magne ob hanc causam referende sunt grates clarissimo illi et doctissimo principi, Clocestrie duci, qui studia humanitatis summo studio in regnum vestrum recipit, qui, sicut mihi relatum est, et poetas mirifice colit et oratores magnopere veneratur. hoc enim nimirum fit, ut plures Anglores eloquentes evadant, quia quales sunt principes, tales et cives esse consueverunt et imitantur servi studia dominorum.22
Auch an Sigismund von Österreich hatte er sich schon ähnlich über Gloucester geäußert: Egredior Italiam et ›penitus toto divisos orbe Britannos‹ petam; ibi dux est Clocestrie, qui regnum, quod modo Anglicum dicimus, pluribus annis gubernavit. huic tanta litterarum est cura, ut ex Italia magistros asciverit, poetarum et oratorum interpretes.23
19 A. Esch, Artikel »Pius II., Papst (Enea Silvio de’ Piccolomini)», in: LexMA. 20 Der Briefwechsel des Eneas Silvius Piccolomini, hrsg. von Rudolf Wolkan, 2 Bde., Wien 1909 (= Fontes Rerum Austriacarum, Diplomataria et Acta, 61 – 62). 21 Vgl. Enea Silvio Piccolomini – Papst Pius II: ausgewählte Texte aus seinen Schriften hrsg., übersetzt und biographisch eingeleitet von Berthe Widmer, Stuttgart 1960, S. 25 – 27. 22 »Ich habe das Schreiben begierig gelesen und mich gewundert, daß die römische Beredsamkeit bis nach England gedrungen ist. Doch lebten unter den Angeln schon andere, die die Redegabe Ciceros pflegten. Zu diesen wird gewiß jedermann Beda den Ehrwürdigen zählen. Peter von Blois war ihm längst nicht gewachsen, und ich ziehe seinen Briefen Dein Schreiben vor, wie kurz es auch ist. Doch großen Dank hat man in dieser Hinsicht dem überaus herrlichen und in höchstem Maße gelehrten Fürsten, dem Herzog von Gloucester, zu erstatten, der die humanistischen Wissenschaften mit größtem Eifer in Eurem Land aufgenommen hat und der, wie man mir berichtet, die Dichter in wunderbarer Weise achtet und die Redner in hohen Ehren hält. Darum ist es nicht verwunderlich, wenn sich mancher Engländer Beredsamkeit erwirbt, denn wie die Fürsten so sind gewöhnlich auch die Bürger, und die Knechte ahmen gerne die Neigungen ihrer Herren nach.« Zitiert nach ebd., S. 292 – 295. 23 »Ich verlasse Italien, und ›die vom ganzen Erdkreis völlig getrennten Britannen‹ suche ich auf. Hier lebt Herzog von Gloucester, der das Königreich, das man jetzt das englische nennt,
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Die Strategie Gloucesters, durch Förderung von Literatur auf dem europäischen Kontinent auf sich aufmerksam zu machen, war demnach erfolgreich. Auch wenn Piccolomini Gloucester nicht persönlich kannte, so war sein Ruf bis zu ihm vorgedrungen. Zudem zeugen die Briefe von Piccolominis Interesse an der Kultur und besonders an der Ausbreitung humanistischer Ideen in England. Musikalisch war Piccolomini sowohl praktisch als auch theoretisch mehr als nur interessiert. In seiner Beschreibung der Stadt Basel kritisiert er das Fehlen der Fächer Musik, Rhetorik und Arithmetik an der Universität. Maximum autem hujus gymnasii vitium est, quod nimis diutinam operam in dialectica nimiumque temporis in re non magni fructus terunt. qui magisterii artium titulo decorantur, hac una in arte maxime examinantur. ceterum neque musice neque rhetorice neque arithmetice curam gerunt, quamvis metra quedam et epistolas ab aliis editas imperite exhibentem magistrandum compellant. oratorica et poetica apud eos penitur incognita, quibus omne studium in elenchis est vanisque cavillationibus, solidi haudquaquam multum.24
Und in seiner Beschreibung der Krönung von Papst Felix V. schildert er die Schwierigkeiten für ungeübte Sänger bei der Ausführung der Liturgie: Fuit tamen inter hec, ut sepe accidit, res una, que risum movit. moris est, ut inter ipsa solemnia precationes pontifici fiant, quas primus diaconorum cardinalium inchoat scriniariique et judices subsecuntur. hic autem loco judicum advocati responderunt cantantique Ludovico, cardinali sancte Susanne, viro maximo et cerimoniarum apprime gnaro, qui presbiter pro dyacono fuit, responsuri advocati et scrinarii cantum adeo dissonum emiserunt, ut non solum risum sed et lacrimas ab oculis omnium excusserint nec major de ulla re octo post diebus quam de illorum cantu sermo sit habitus. quod etsi aliqui sibi decori existimaverint, ego, qui inter illos fui, nichil mihi ignomine putavi inscitiam cantus, quam rem nemo unquam non levis perfecte adeptus est, ideoque et sequenti die, cum apud predicatores idem officium exigeretur, cantitare meum carmen non erubui.25 viele Jahre lang regiert hat. Seine Sorge um die Wissenschaft ist so groß, daß er aus Italien Lehrer als Interpreten der Dichter und Redner berufen hat.« Zitiert nach ebd., S. 282 f.. 24 »Der größte Fehler dieser Hochschule besteht aber darin, daß man sich hier allzulange mit Dialektik abmüht und allzuviel Zeit für eine unfruchtbare Sache verschwendet. Wer den Titel eines Magisters der Künste erlangt, wird vor allem in dieser einen Kunst geprüft. Im übrigen pflegen sie weder Musik noch Rhetorik noch Arithmetik, obwohl sie einen Stümper, der gewisse Metren und von andern edierte Briefe vorlegt, zum Magister zu befördern bereit sind. Rhetorik und Poetik sind bei ihnen völlig unbekannt, da ihr ganzes Studium in Widerlegungen und Wortklaubereien besteht und es nur wenig substantielle Dinge gibt.« Zitiert nach ebd., S. 278 f.. 25 »Immerhin unterlief, wie das oft geschieht, ein Mißgeschick, das zum Lachen reizte. Man pflegt unter eben diesen Feierlichkeiten für den Papst Bittgebete vorzubringen; der erste Kardinaldiakon beginnt damit, die Sekretäre und Richter fallen ein. An Stelle der Richter nun antworteten die Advokaten. Während aber der Kardinal Ludwig von St. Susanna, ein höchst bedeutender Mann, der in den Zeremonien vorzüglich bewandert war und als Presbyter das Amt eines Diakons versah, den Vorsänger machte, gaben die Advokaten und Sekretäre zur
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Piccolominis Tätigkeit als Sekretär Felix’ V. eröffnete auch ihm die Möglichkeit einer Begegnung mit Dufay, der für Amadeus VIII. und dessen Sohn komponierte. Zudem wird Piccolomini von Marian Willner Cobin26 in Verbindung mit der Entstehung der Handschrift Aosta27 gebracht. Neben hochrangigen Reisenden wie Poggio und Piccolomini durchquerten auch andere Personen Europa und förderten auf diese Weise kulturelle Kontakte sowie möglicherweise die Verbreitung von humanistischen Ideen und Musikhandschriften. Englische Studierende besuchten Universitäten in Italien,28 Händler reisten in entlegene Städte, und Musiker suchten Anstellung an Höfen in ganz Europa. Schriftliche Zeugnisse dieser Reisen sind jedoch rar – zwei Berichte sollen hier genannt werden. In einer der wenigen Autobiographien von Musikern berichtet Johann von Soest29 über eine Begegnung mit zwei englischen Sängern Mitte des 15. Jahrhunderts. Deren Gesangskunst hatte den jungen Sänger so stark beeindruckt,30 dass er – ohne Erlaubnis seines Dienstherren – von Cleve nach Brügge reiste, um von ihnen zu lernen. Gegen Ende des Jahrhunderts reiste Niclas Popplau, ein Händler aus Breslau, durch Europa und besuchte unter anderem auch England.31 Am 2. Mai 1484 hörte er dort eine vermutlich polyphon ausgeführte Messe.
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Antwort einen derart mißtönenden Gesang von sich, daß sie nicht nur Gelächter erregten, sondern auch allen Augen Tränen entlockten und acht Tage lang von nichts häufiger die Rede war als von diesem Gesang. Obwohl sich einige davon beschimpft fühlten, habe ich – denn ich gehörte zu diesen Sängern – diese Unkenntnis im Singen mir nicht zur Schande angerechnet, da diese Kunst noch kein Mann von Würde vollkommen erlangt hat. Daher habe ich am folgenden Tag, als das Offizium in der Predigerkirche wiederholt wurde, mein Lied ein zweites Mal vorgetragen, ohne dabei zu erröten.« Zitiert nach ebd., S. 180 – 183. Cobin, The Aosta Manuscript (s. Anm. 13), S. 303 – 315. Biblioteca del Seminario Maggiore, MS A1D 19. Die Handschrift entstand zwischen 1430 und 1440 im Umfeld des Konzils von Basel und der Krönungsfahrt König Friedrichs III. Sie enthält zahlreiche Werke englischer Komponisten, wie Power, Dunstaple, Byttering, Anglicanus, de Anglia, Bennet und Forest. Zu den Werken englischer Komponisten in kontinentalen Quellen und zur Übertragung des Repertoires s. folgendes Kapitel. Lewis Lockwood, Music in Renaissance Ferrara 1400 – 1505, Oxford 1984, S. 51 – 63. Klaus Pietschmann und Steven Rozenski, Jr., Singing the Self: The Autobiography of the Fifteenth-Century German Singer and Composer Johannes von Soest, in: EMH 29 (2010), S. 119 – 159. Genaueres zu den Merkmalen der englischen Musik bzw. Gesangskunst im Kapitel III.1. Reisebeschreibung Niclas von Popplau, Ritters bürtig von Breslau, Vorwort und Kommentar von Piotr Radzikowski, Krakûw 1998, S. 44 – 61.
Orte der Übertragung
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Orte der Übertragung
Neben den direkten Übertragungswegen durch einzelne Personen bestand Anfang des 15. Jahrhunderts auch die Möglichkeit, bei einem der Konzile das musikalische Repertoire anderer Regionen kennenzulernen und Musik auszutauschen. Die Konzile waren nicht nur Zusammenkünfte der kirchlichen Vertreter einzelner Länder, sondern hatten auch politische Funktion. So nutzte die englische Krone die Konzile von Konstanz und Pavia / Siena, um die politische Lage in Frankreich, die vor Ort kriegerisch durchgesetzt wurde, diplomatisch zu festigen. Zudem waren auf den Konzilen Vertreter der unterschiedlichsten Gruppierungen auf engem Raum anwesend und ein Austausch von Ideen nicht nur innerhalb der Gruppierungen, sondern auch untereinander leicht möglich. Die Anwesenheit von Musikern in den Gefolgschaften der weltlichen und kirchlichen Herrscher, die zumindest zeitweilig bei den Konzilen anwesend waren, förderte einen Austausch von Musik; dass einzelne Personen gezielt zu den Konzilen reisten, um Musik auszutauschen, ist jedoch nicht bekannt. Die Konzile von Konstanz, Pavia / Siena und Basel werden im Folgenden hinsichtlich der Möglichkeiten zur Übertragung von Musik zwischen England und dem Kontinent näher betrachtet. Auf dem Konzil von Konstanz32 fanden sich neben den Klerikern aus Frankreich, Burgund und England auch die Gesandtschaften der weltlichen Macht dieser Länder ein. Der Herzog von Savoyen sowie Vertreter der Familien d’Este und Malatesta aus Italien waren anwesend und aus der Kurie die Humanisten Poggio, Piccolomini, Traversari und Branda Castiglione. Fast das gesamte italienische Netzwerk von Bedford und Gloucester war hier versammelt. Neben der königlichen Gesandtschaft und den Klerikern aus England stellten zwei Reisende eine direkte Verbindung zwischen England und dem Konzil während der Tagungszeit her : 1416 kam König Sigismund nach England, wo er nicht nur mit Heinrich V. sondern auch mit Bedford und Gloucester sowie mit Beaufort zusammentraf, um über einen Frieden mit Frankreich zu verhandeln.33 Er kam im Auftrag des Konzils und war sowohl vor als auch nach seinem Englandaufenthalt wieder in Konstanz anwesend. In seinem großen Gefolge – dies geht aus Beschreibungen sowohl aus Konstanz als auch aus England hervor – reiste seine Kapelle, da er in Konstanz auch liturgische Aufgaben wahrzunehmen hatte. Kurze Zeit später kam Beaufort auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem durch Kon32 Eine umfassende Beschreibung der Ereignisse gibt Walter Brandmüller, Das Konzil von Konstanz 1414 – 1418, 2 Bde., Paderborn 1997 (= Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen). 33 Vgl. Wilhelm Baum, Kaiser Sigismund – Hus, Konstanz und die Türkenkriege, Köln 1993, S. 134 und Norman Simms, The Visit of King Sigismund to England 1416, in: Hungarian Studies Review 17 (1990), S. 21 – 29.
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stanz und vermittelte zwischen den Kardinälen und Sigismund über den weiteren Ablauf des Konzils. Auch Beaufort reiste mit Gefolge: Mit ihm wurden zweiunddreißig englische Pilger in Konstanz begrüßt. Ein Austausch von Repertoire dürfte also nicht nur direkt auf dem Konzil, sondern auch durch die diplomatische Reisetätigkeit Sigismunds und Beauforts stattgefunden haben. Möglichkeiten und Anlässe zur Musikausübung gab es auf dem Konzil reichlich.34 Die Kapellen des Gegenpapstes Johannes XXIII. und König Sigismunds sowie von dessen Vertreter auf dem Konzil, Pfalzgraf Ludwig III., waren zumindest zeitweise anwesend. Carlo Malatesta von Rimini brachte in seinem Gefolge Musiker nach Konstanz. Ob diese aus der Kapelle Gregors XII. stammten, dessen Delegation er leitete, ist nicht überliefert.35 Auch in der englischen Delegation reisten Musiker : Sänger mit den Bischöfen Johannes Catrik von Lichfield und Johannes Wakering von Norwich, Posaunisten im Gefolge von Richard Beauchamp, dem Grafen von Warwick. Sie begingen nicht nur den 29. Dezember, Gedenktag des heiligen Thomas von Canterbury, feierlich,36 sondern hatten auch Gelegenheit, Musik und Musiker aus anderen Delegationen kennenzulernen, sowie Kompositionen auszutauschen. Vermutlich nahm auch Dufay am Konzil in Konstanz im Gefolge des Kardinals Pierre d’Ailly oder des Bischofs Jean de Lens teil. Er hatte hier wahrscheinlich zum ersten Mal Gelegenheit, die Eigenheiten der Musik aus England zu hören.37 Die einzelnen Sessionen und Sitzungen der Nationen wurden meist mit einer Messe begonnen und beschlossen. Der Chronist des Konzils differenziert nach gesungenen und gesprochenen Messen.38 Herausragende Festtage und besondere Ereignisse, wie die Krönung Martins V., wurden von der päpstlichen Kapelle mit liturgischer Musik und zeremoniellen Motetten gestaltet.39 Außer den liturgischen Anlässen für Musik gab es während des Konzils auch eine Reihe weltlicher Ereignisse, die mit Musik begleitet wurden. Die Ankünfte der Delegationen aus den verschiedenen Ländern wurden feierlich begangen. 34 Zur Musik auf dem Konzil von Konstanz vgl. Manfred Schuler, Die Musik in Konstanz während des Konzils 1414 – 1418, in: AM 38 (1966), S. 150 – 168 und Reinhard Strohm, The Rise of European Music, Cambridge 1993, S. 106 – 115. Zum Konzilsalltag vgl. Brandmüller, Das Konzil von Konstanz (s. Anm. 32), Bd.2, S. 55 – 67 und S. 175 – 185. 35 Zu den Musikern, die definitiv oder vermutlich auf dem Konzil anwesend waren, s. Strohm, The Rise of European Music (s. Anm. 34), S. 111 f. 36 Ulrich Richental, deutscher Chronist des Konzils, beschreibt die Eigenarten der englischen Musik. Seine Äußerungen werden in Kapitel III.1 genauer untersucht. Vgl. Schuler, Die Musik in Konstanz (s. Anm. 34). 37 Fallows, Dufay (s. Anm. 10), S. 18 – 21. 38 Schuler, Die Musik in Konstanz (s. Anm. 34), hier S. 160. 39 Die Chronik Richentals enthält einige, wenn auch erst nach dem Konzil angefertigte, so doch vermutlich realistische Illustrationen, die die päpstliche Kapelle darstellen. Da jeweils einer der Sänger an den zwei Pulten den tactus gibt, wurde vermutlich mensurierte Musik gesungen. Vgl. Strohm, The Rise of European Music (s. Anm. 34), S. 112 f.
Orte der Übertragung
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Beaufort wurde bei seinem Eintreffen persönlich von drei Kardinälen und Sigismund begrüßt.40 Auch die Abreise und Ankunft des Königs gab immer wieder Anlass zu feierlichen, also durch Musik bereicherte Begrüßungs- und Abschiedszeremonien. Betrachten wir im Gegensatz zum Konzil von Konstanz nun das nur kurze Zeit später stattfindende Konzil von Pavia / Siena,41 so fällt die geringere Anzahl der Besucher auf. Für die englische Krone war aber auch hier wieder die diplomatische Vertretung ihrer Ansprüche in Frankreich von äußerster Wichtigkeit. Durch den Tod Heinrichs V. und Karls VI. war der Vertrag von Troyes zwar nicht hinfällig, wurde aber von französischer Seite in Frage gestellt. Die englische Delegation war daher mit hochrangigen Diplomaten besetzt.42 Ursprünglich sollte auch Beaufort am Konzil teilnehmen; er blieb aber – wohl aufgrund der innenpolitischen Machtkämpfe mit Gloucester – in England. Bedford schickte zur Vertretung der englischen Interessen auch Delegierte aus der Normandie.43 Unter den weltlichen Machthabern hielten sich neben Filippo Maria Visconti, in dessen Machtbereich Pavia lag, auch Vertreter des burgundischen Hofes am Konzil auf.44 Zwei uns schon bekannte Personen treten in Erscheinung, die direkten Kontakt zu den Höfen Bedfords und Gloucesters hatten und musikalisches Repertoire auf dem Konzil von Pavia / Siena übermitteln konnten: Kardinal Branda Castiglione und John Whethamstede. In den Annalen der Abtei von St. Albans ist die Reise minutiös beschrieben und die Korrespondenz des Abtes aus Italien überliefert:45 Whethamstede reiste mit den zwei Brüdern von St. Albans und vermutlich weiteren englischen Konzilsteilnehmern. Die Annalen beschreiben seinen Reiseweg mit einem Aufenthalt in Köln. In Mainz traf er Kardinal Branda. Branda pflegte also nicht nur politische Beziehungen zu Bedford, sondern auch klerikale zum Abt von St. Albans. Hier bot sich eine Möglichkeit zur direkten Übertragung von musikalischem Repertoire zusätzlich zu den allgemeinen 40 Brandmüller, Das Konzil von Konstanz (s. Anm. 32), Bd. 2, S. 326. 41 Eine umfassende Beschreibung der Ereignisse gibt Walter Brandmüller, Das Konzil von Pavia-Siena, Paderborn 2002 (= Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen). 42 Es besteht eine gewisse Diskrepanz zwischen den vom »Privy Council« ausgewählten Personen und den tatsächlich auf dem Konzil Anwesenden; vom Privy Council wurden außer Henry Beaufort bestimmt: Bischof Philip Morgan von Worcester, Henry Percy Earl of Northumberland, Lord Ferrers of Groby, Ritter John Tiptoft und Walter de la Pole. Vgl. ebd., S. 36 – 38. 43 U. a. den Erzbischof von Rouen, Jean de Rochetaill¦e, der später sein englisches Legat niederlegte und Vorsitzender der französischen Nation am Konzil wurde. Vgl. ebd., S. 49– 59. 44 Ebd., S. 64 f. 45 Johannes Amundesham, Annales Monasterii, in: Chronica Monasterii S. Albani, hrsg. von Henry Thomas Riley, Reprint der Ausgabe 1870, Wiesbaden 1965, Bd. 1, S. 126 – 182. Bevor Whethamstede nach Italien aufbrach, regelte er nicht nur die Führung der Abtei, sondern traf auch Vorsorge für die Musikausübung, indem er Brüder als Sänger einsetzte und ihre Bezahlung sicherstellte; vgl. Kapitel II.1.
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Kulturelle Kontakte: Personen und Orte
Gelegenheiten im Laufe des Konzils. In Pavia angekommen führte Whethamstede nicht nur einen Disput mit Richard Fleming über die Rechtmäßigkeit der Privilegien seiner Abtei, sondern fand zudem Gelegenheit, die Bibliothek der Visconti zu besichtigen.46 Von Pavia aus besuchte er auch den Papst in Rom, um die Privilegien der Abtei von ihm bestätigen zu lassen. Die Anlässe zur Musikausübung waren beim Konzil von Pavia / Siena ähnlich gestaltet wie in Konstanz. Vermutlich waren sie nicht ganz so pompös, da weder der Papst noch König Sigismund anwesend waren. Werfen wir zuletzt noch einen Blick auf das Konzil von Basel: Zu dieser Zeit hatte sich die Position der Engländer in Frankreich dramatisch verschlechtert. Verschiedenen Parteien – Papst, Konzil und Gegenpapst – versuchten, einen Frieden herbeizuführen.47 Zwei englische Delegationen hielten sich zeitweise auf dem Konzil auf. Beiden Delegationen voraus gingen Besuche des Bischofs von Lodi, Gerardo Landriani, in England. Im Juni 1432 verhandelte er mit Beaufort und Gloucester, um die Entsendung einer englischen Delegation zum Konzil überhaupt erst zu ermöglichen.48 Die erste englische Delegation49 setzte sich aus Gesandten des Königs und des Klerus zusammen. Sie erreichte Basel im Februar 1433. Ursprünglich sollten weitere Gesandte folgen, unter anderen auch Kardinal Beaufort und Whethamstede. Die Delegation wurde aber nicht erweitert, sondern im Sommer 1433 vom Konzil abgezogen.50 Im Oktober 1433 reiste der Bischof von Lodi erneut nach England, um eine zweite englische Delegation zum Konzil zu erwirken. Er verhandelte, wiederum erfolgreich, mit Beaufort und Gloucester, sowie vermutlich auch mit Bedford, der sich gerade in England aufhielt. Die zweite Delegation51 bestand jedoch nur aus Gesandten des Königs, da die Kirche nach der Auflösung des Konzils durch Eugen IV. keine Vertreter entsenden wollte. Die Delegation traf im August 1434 in Basel ein.52 Beinahe zeitgleich kamen auch 46 George B. Parks, The English Traveller to Italy, Bd. 1, Rom 1954, S. 294 f. 47 A. N. E. D. Schofield, England, the Pope, and the Council of Basel, in: Church History 33 (1964), S. 248 – 278. 48 Gloucester unterstützte die Entsendung einer Delegation, vermutlich um durch die Wiedereingliederung der Hussiten in die römische Kirche auch Unterstützung im Kampf gegen die Lollarden in England zu erhalten. 49 A. N. E. D. Schofield, The First English Delegation to the Council of Basel, in: Journal of Ecclesiastical History 12 (1961), S. 167 – 196. 50 Grund waren die Friedensverhandlungen mit Frankreich, die Ostern 1433 auf Vermittlung von Kardinal Albergati in Calais stattfanden, jedoch scheiterten. An ihnen nahm neben Bedford und Gloucester auch Beaufort teil. 51 A. N. E. D. Schofield, The Second English Delegation to the Council of Basel, in: Journal of Ecclesiastical History 17 (1966), S. 29 – 64. 52 Die Gesandten Englands hatten ausdrücklich den Auftrag, Friedensvermittlungen mit Frankreich auszuloten, die nach dem Scheitern der Verhandlungen von Calais vom Herzog von Burgund durch das Konzil, bzw. Amadeus von Savoyen und den päpstlichen Gesandten Albergati angestrengt wurden.
Orte der Übertragung
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Vertreter des von England besetzten Teils Frankreichs zum Konzil, unter denen sich Zanone Castiglione befand. Die englische Delegation reiste im Sommer 1435 wieder ab, da inzwischen Friedensverhandlungen mit Frankreich durch Kardinal Albergati in Arras geplant waren. Der Kontakt des Konzils mit England, sowohl durch Gesandte des Konzils nach London als auch durch englische Gesandte in Basel, war sehr intensiv, da es sich aktiv um Friedensverhandlungen zwischen England und Frankreich bemühte. Gloucester und Bedford trafen den Bischof von Lodi mehrmals in England, und mehrere Delegationen waren aus England zum Konzil gereist. Zudem führten die Friedensverhandlungen von Calais und Arras zu einer Begegnung nicht nur zwischen England und Frankreich, sondern auch mit den Vermittlern, mit dem Herzog von Burgund sowie den päpstlichen und konziliaren Gesandten. Die Häufung von Werken englischer Komponisten in der Handschrift Aosta, deren Entstehung Cobin in den Umkreis des Konzils von Basel und der Krönungsfahrt Friedrichs III. stellt, ist in Anbetracht dieser ausgeprägten Kontakte des Konzils nach England nicht überraschend.53 Von der musikalische Präsenz Englands beim Konzil sind nur die Messen des Bischofs von London belegt: Er zelebrierte 1435 das Hochamt in der Kathedrale am Fest der Bekehrung des Apostels Paulus (25. Januar), Maria Lichtmess (2. Februar), Peter und Paul (29. Juli) und eine Messe für den Frieden in Frankreich am 26. Juli. Zudem wurde zumindest ein Mitglied der zweiten Delegation, Edmund Beaufort, Graf von Mortain, von seinen Musikern nach Basel begleitet. Andrea di Gatari, der venezianische Gesandte am Konzil, beschreibt in seinem Tagebuch die Abreise des Grafen mit seinen Rittern und Musikern im November 1434.54 Wird eine Übertragung von Noten ähnlich der von Büchern angenommen, so konnten die politischen und kulturellen Beziehungen sowie die Kunstförderung von Bedford und Gloucester nicht nur humanistisches Gedankengut, sondern auch musikalisches Repertoire zwischen England und Italien verbreiten. Dabei spielten nicht nur die übertragenden Personen eine wichtige Rolle, sondern auch die Orte, an denen sie mit dem musikalischen Repertoire in Verbindung kamen. Besonders auffällig sind die Kontakte zu musikalischen Zentren, in denen Dufay tätig war : zur päpstliche Kapelle in Rom und in Florenz, zur Este-Familie in Ferrara und zum Hof des Herzogs von Savoyen. Die Konzile boten eine weitere Möglichkeit der Verbreitung, nicht nur von politischen, theologischen oder philosophischen Ideen, sondern auch von musikalischem Repertoire. Da jedoch vermutlich weder Dunstaple noch Dufay bei den Konzilen anwesend waren, muss auch hier der Austausch über Kompositionen, also über den Austausch des Repertoires durch Dritte geschehen sein. 53 Cobin, The Aosta Manuscript (s. Anm. 13), S. 303 – 315. 54 Schofield, The Second English Delegation (s. Anm. 47), S. 43.
4. Musikalische Kontakte: Handschriften
Neben den Personen, Orten und Veranstaltungen, die der Ausbreitung von Musik förderlich waren, geben vor allem die überlieferten Quellen Auskunft über mögliche Übertragungswege von musikalischem Repertoire. Ihre Entstehung und ihr Aufbau geben Aufschluss über die Verbreitung von Kompositionen und weisen in einigen Fällen Verbindungen zu den Personen und Orten der Übertragung auf, die im vorhergehenden Kapitel beschrieben wurden. Die hauptsächlich zeitgenössische Überlieferung englischer Musik des frühen 15. Jahrhunderts in kontinentalen, meist norditalienischen Quellen ist besonders auffällig.1 Die Untersuchung und der Vergleich der überlieferten kontinentalen Quellen, die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden, zeigen, wie sich welches Repertoire in Europa verbreitet hat. Neben dem Vergleich der Lesarten verschiedener Niederschriften einer Komposition, durch den auf gleiche Urquellen geschlossen werden kann, gibt die Untersuchung der Gruppierung von Werken Anhaltspunkte zu Übertragungswegen.2 Kompositionen kursierten vermutlich in kleineren Sammlungen und wurden dann in größere Codices abgeschrieben. Gruppen von Werken englischer Komponisten weisen auf solche kleineren Sammlungen hin, besonders wenn gleiche Gruppierungen in mehreren Handschriften überliefert sind. Englandreisende Europäer und auf dem Kontinent reisende Engländer fertigten solche kleineren Sammlungen an, um Musik bequem mitnehmen zu können; doch nur in seltenen Fällen sind sie überliefert oder sind Personen, die das Repertoire verbreiteten, dokumentiert.3 Die Konzile hatten als Begegnungsstätte der Dele1 Zur Überlieferung englischer liturgischer Musik im 15. Jahrhundert vgl. Gareth Curtis und Andrew Wathey, Fifteenth-Century English Liturgical Music: A List of Surviving Repertory, in: RMA Research Chronicle 27 (1994), S. 1 – 69. 2 Zur so genannten »Nestertheorie« vgl. Charles Hamm, A Catalogue of Anonymous English Music in 15th Century Continental Manuscripts, in: MD 22 (1968), S. 47 – 76. 3 Das Fragment Lausanne, Archives Cantonales Vaudoises, A e 15 stellt eine seltene Ausnahme dar: Aufgrund der Kompositionen (Marienantiphone) und ihrer Konkordanzen, der Notation (schwarz) sowie der Initialen läßt sich ein englischer Ursprung mit großer Wahrscheinlichkeit
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Musikalische Kontakte: Handschriften
gierten unterschiedlichster Nationen eine wichtige Funktion als Umschlagplatz von Kompositionen. Bei alledem muss jedoch berücksichtigt werden, dass die sich heute darstellende Quellenlage nur ein schwaches Abbild der Musikalien im frühen 15. Jahrhundert gibt.4 Neben der lückenhaften Überlieferung des Repertoires sind die Provenienz und Entstehungsgeschichte der Quellen zu untersuchen, bevor eine Zusammenschau mögliche Überlieferungswege aufzeigen kann. Im Folgenden werden daher zunächst die vier kontinentalen Hauptquellen englischer Musik des frühen 15. Jahrhunderts – Aosta, Trient 87 und 92, Bologna Q 15 und Modena B – im Hinblick auf die Überlieferung englischer Werke beschrieben.
a.
Aosta
Das Manuskript Aosta5 entstand vermutlich in vier Phasen.6 Werke englischer Komponisten finden sich in allen vier Teilen, vermehrt aber im zweiten und dritten.7 Die Entstehung von Aosta II lässt sich aufgrund von Wasserzeichen auf 1430 bis 1435 datieren. Aosta III entstand vermutlich zwischen 1435 und 1442.8 Marian Willner Cobin9 bringt die Handschrift in Verbindung mit der Kapelle des Herzogs von Savoyen, des späteren Gegenpapstes Felix V. Sie vermutet eine Entstehung im Zusammenhang mit dem Konzil von Basel und der Krönungsfahrt König Friedrichs III. In der Entstehung der Handschrift Aosta könnte Enea Silvio Piccolomini eine Rolle gespielt haben, der sich in dieser Zeit am Hof Friedrichs III. aufhielt. Wie im vorhergehenden Kapitel beschrieben, war er Sekretär Felix’ V. gewesen und hatte in dessen Auftrag sowohl an Verhandlungen zwischen Frankreich und England beim Kongress von Arras teilgenommen als auch in diplomatischer Mission Schottland bereist. Durch ihn könnten die englischen Kompositionen in die Handschrift gelangt sein.
4 5 6 7 8 9
annehmen. Wie diese Seite eines Chorbuchs schon vor 1560, als sie zum Einbinden eines Nachlasses benutzt wurde, nach Lausanne kam, ist jedoch nicht geklärt. Vgl. Martin Staehelin, Neue Quellen zur mehrstimmigen Musik des 15. und 16. Jahrhunderts in der Schweiz, in: Schweizer Beiträge zur Musikwissenschaft 3 (1978), S. 57 – 83, hier S. 59 – 62. Margaret Bent, Manuscripts as R¦pertoires, Scribal Performance and the Performing Scribe, in: Transmissione e recezione delle forme di cultura musicale, 2 Bde., o.O. 1990, Bd. 1, S. 138 – 152. Biblioteca del Seminario Maggiore, MS A1D 19. Die Aufteilung der Handschrift in vier Teile unterschiedlicher Entstehung folgt Marian Willner Cobin, The Aosta Manuscript: A Central Source of Early 15th Century Sacred Polyphony, 2 Bde., Dissertation, New York University 1978, Bd. 1, S. 4 – 20. Eine Liste der englischen Werke in der Handschrift Aosta befindet sich im Anhang 1. Tsutomu Sasaki, The Dating of the Aosta Manuscript from Watermarks, in: AM 64 (1992), S. 1 – 16. Cobin, The Aosta Manuscript (s. Anm. 6), Bd. 1, S. 303 – 315.
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Trient
Die Werke englischer Komponisten finden sich meist in Gruppen. Oft stehen mehrere Messensätze einer Art oder zum Beispiel Marienantiphone in einer Gruppe. Ansatzweise sind Paare von Messensätzen, wie John Dunstaples Credo und Sanctus Da gaudiorum premia,10 fortlaufend notiert. Auch Leonel Powers Messzyklus Alma redemptoris mater erscheint als Gruppe. Zudem sind einzelne Faszikel der Handschrift ausschließlich mit englischen Kompositionen bestückt. In Aosta II weist Faszikel 12 nur Werke englischer Komponisten auf. In Faszikel 7 findet sich außer englischen Werken nur eine Komposition, die in der Handschrift Richard Loqueville zugeschrieben wird. In Aosta III treten englische Kompositionen noch häufiger auf: Die Faszikel 17 und 19 weisen außer englischen Werken je eine Komposition von Dufay auf. Faszikel 18 und 21 enthalten ausschließlich Werke englischer Komponisten. Die nicht-englischen Kompositionen in den Faszikeln 17 und 19 stehen jeweils am Ende der Faszikel auf einer einzelnen Seite (206v, 218r). Sie wurden vermutlich nachträglich eingetragen, um die einzelne leere Seite zu füllen. Auch im vierten Teil der Handschrift, der vermutlich um 1440 entstand,11 befindet sich ein weiteres, ausschließlich mit englischen Werken beschriebenes Faszikel.
b.
Trient
Von den sieben Trienter Codices, die zwischen 1430 und 1475 zusammengestellt wurden, sind aufgrund der frühen Entstehungszeit besonders die Codices 87 und 9212 für die Untersuchung der englischen Kompositionen des frühen 15. Jahrhunderts von Bedeutung. Schon lange wurde eine enge entstehungsgeschichtliche Verbindung der beiden Codices angenommen.13 Anhand von Wasserzeichen konnte die Zusammengehörigkeit des ersten Teils von Tr87 mit dem zweiten Teil von Tr92 nun sicher belegt werden.14 Die Niederschrift des Handschriftenkomplexes TR, bestehend aus Tr87i und Tr92ii, wurde von Johannes Lupi koordiniert. Johannes Lupi (um 1410 – 1466) war um 1440 am Hof des deutschen Königs Friedrich, des späteren Kaisers Friedrich III., vermutlich als Hofkaplan Herzog Sigismunds von Tirol angestellt. Ab 1443 war er Altarist und Organist an der Kathedrale von Trient und ab 1447 Rektor von Caldaro. In seinem Testament von 1455 werden eine Sammlung von Instru10 Die Titel von Messensätzen oder Messzyklen über einen Fremd-cantus firmus sind in Kapitälchen gesetzt. 11 Sasaki, The Dating of the Aosta Manuscript (s. Anm. 8). 12 Museo Provinciale d’Arte, Trient, Cod. 1374 und Cod. 1379. 13 Guido Adler und Oswald Koller, Thematisches Verzeichnis der sechs Trienter Codices, in: DTÖ VII/14 (1900), S. 13 – 21. 14 Peter Wright, The Compilation of Trent 87i and 92ii, in: EMH 2 (1982), S. 237 – 271.
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Musikalische Kontakte: Handschriften
menten und sechs Bücher mit Musik erwähnt. Hierbei handelt es sich um die Trienter Codices 87 und 92, die teilweise von ihm selbst geschrieben wurden. Er hatte Verbindungen zu Johannes Wiser, denn beide waren als Musiker in Trient beschäftigt. Dieser Kompilierte die Trienter Codices 88 – 91 und setzte damit Lupis Arbeit fort.15
Das Papier von TR wurde 1439 bis 1442 und 1445 hergestellt, so dass eine Entstehung des Handschriftenkomplexes bis um 1450 angenommen werden kann. Der größte Teil des Handschriftenkomplexes entstand vermutlich in den Jahren 1439 bis 1443, als Lupi am Hof König Friedrichs III. war. Die Entstehung von TR weist somit Verbindungen zur Handschrift Aosta auf: Beide Handschriften entstanden im gleichen Zeitraum im habsburgischen Umfeld und zeigen Bezüge zum Basler Konzil.16 Auch in TR sind Werke englischer Komponisten in Gruppen angeordnet: In Tr87i erscheinen sie meist in größeren Gruppen von vier und mehr Kompositionen, in Tr92ii dagegen eher in kleineren von zwei oder drei Werken. Oft sind die Gruppen thematisch geordnet und fügen sich so in den Gesamtaufbau der Handschrift. So erscheinen meist Paare von Messensätzen, die nicht notwendigerweise zyklisch angelegt sein müssen, oder Marienantiphone in einer Gruppe. Auch Powers Messzyklus Alma redemptoris mater ist fortlaufend notiert.17 Der Handschriftenkomplex TR wurde nach seiner Niederschrift geteilt und mit anderen Handschriften in Tr87 und Tr92 gebunden.18 Die hinzugefügte Handschrift in Tr87 enthält zumeist Werke des Komponisten H. Battre.19 Der später hinzugefügte erste Teil von Tr92 bildet die früheste Quelle innerhalb der sieben Trienter Codices. Nach den datierbaren Wasserzeichen wurde das Papier zwischen 1431 und 1437 hergestellt. Da in Tr92 die beiden Teile voneinander unabhängig entstanden, erscheinen manche Kompositionen im Gesamtcodex mehrmals. Werke englischer Kompositionen finden sich gehäuft in Abschnitten mit Marienantiphonen. Messensatzpaare, jedoch meist ohne gemeinsamen cantus firmus, treten nur selten auf und erscheinen nicht fortlaufend, obwohl
15 Vgl. Peter Wright, Artikel »Lupi Johannes (I)«, in: MGG2, Personenteil. 16 Vgl. Peter Wright, On the Origins of Trent 87i and 92ii, in: EMH 6 (1986), S. 245 – 270 und ders., The Aosta-Trent Relationship Reconsidered, in: I Codici Musicali Trentini a Cento Anni dalla loro Riscoperta, hrsg. von Pirotta, Nino und Danilo Curti, Trento 1986, S. 138 – 157. Zu den Konkordanzen s. u. 17 Eine Liste der englischen Werke in TR befindet sich im Anhang 1. 18 Vgl. Wright, The Compilation of Trent 87i and 92ii (s. Anm. 14) und Reinhard Strohm, Zur Entstehung der Trienter Codices: Philologie und Kulturgeschichte, in: Gestalt und Entstehung musikalischer Quellen im 15. und 16. Jahrhundert, hrsg. von Martin Staehelin, Wiesbaden 1998, S. 11 – 20. 19 Nur die Initiale des Vornamens ist bekannt.
Modena B
107
zum Beispiel alle Sätze der Messe Rex seculorum, die teils Dunstaple teils Power zugeschrieben sind, in Tr92i notiert sind.20
c.
Bologna Q 15
Die Entstehungsgeschichte der Handschrift Bologna Liceo Musicale Q 15 ist kompliziert. Vermutlich entstand sie über einen längeren Zeitraum ab 1420 im Veneto, in Padua. Zwar wurde sie von einem einzigen Schreiber geschrieben; dieser überarbeitete jedoch die Anordnung der Kompositionen mehrmals.21 Durch die Überarbeitung kann nicht mehr nachvollzogen werden, ob ganze Gruppen von Werken englischer Komponisten aus anderen Handschriften nach Bologna Q 15 übertragen wurden. Gleichwohl kann aber eine bewusste Anordnung, die nicht nach der zufälligen Verfügbarkeit von Kompositionen zum Abschreiben entstand, vermutet werden. Englische Werke fanden in allen Stadien der Entstehung Eingang in die Handschrift und wurden bei den Umarbeitungen in die Anordnung nach Gattungen – Messzyklen, Messensatzpaare, Motetten – mit einbezogen.22 In der Handschrift treten Werke englischer Komponisten höchstens paarweise auf. Meist handelt es sich dabei um Paare von Marienantiphonen. Nur ein englisches Messensatzpaar ist fortlaufend notiert; zudem gibt es jedoch einen eklektischen Messzyklus,23 der aus den Messensätzen verschiedener englischer Komponisten zusammengestellt wurde (fol. 22v26r).24
d.
Modena B
Die Handschrift Modena B (Biblioteca Estense, a.X.1.11) entstand vermutlich zwischen 1440 und 1450 am Hof von Leonello d’Este in Ferrara.25 Laurenz Lütteken erscheint zudem eine direkte Verbindung zwischen der Entstehung der Handschrift und Dufays Aufenthalt am Hof der d’Este möglich, da die Hand20 Eine Liste der englischen Werke in Tr92i befindet sich im Anhang 1. 21 Margaret Bent, Contemporary Perception of Early Fifteenth-Century Style, in: MD 41 (1987), S. 183 – 201. 22 Ebd., S. 198. 23 Zu diesem Messzyklus in Bologna Q15 vgl. Margaret Bent, The Earliest Fifteenth-Century Transmission of English Music to the Continent, in: Essays on the History of English Music in Honour of John Caldwell, hrsg. von Emma Hornby und David Maw, Woodbridge 2010, S. 83 – 96, hier S. 94 f. 24 Eine Liste der englischen Werke in der Handschrift Bologna Q 15 befindet sich im Anhang 1. 25 Ann Besser Scott, English Music in Modena, Biblioteca Estense, a.X.1,11 and other Italian Manuscripts, in: MD 26 (1972), S. 145 – 160.
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Musikalische Kontakte: Handschriften
schrift fast eine Gesamtausgabe der geistlichen Werke Dufays bis 1438 in ungewöhnlich zuverlässiger Überlieferung enthält.26 Die Handschrift Modena B ist durch ihre bewusste Anlage nach Gattungen einzigartig, denn der Motettenteil wird im Index mit dem Hinweis »hic incipiunt moteti« eingeleitet. Zudem befindet sich in diesem Motettenteil eine umfangreiche Unterabteilung, die ausschließlich Werken englischer Komponisten gewidmet ist. Nicht zuletzt bietet die Handschrift zuverlässige Zuschreibungen für fast alle Werke. Der Abschnitt englischer Motetten umfasst 52 Kompositionen, davon allein 30 von Dunstaple. Ihre fortlaufende Niederschrift von fol. 81r bis zum Ende der Handschrift wird nur durch die Motette Fulgens iubar von Dufay auf fol. 121v-123r unterbrochen.27
e.
Konkordanzen
In allen vier Quellen werden Werke englischer Komponisten als etwas Besonderes angesehen, das auch gesondert notiert werden sollte. Doch zeigen sich in der Behandlung englischer Kompositionen deutliche Unterschiede. Es findet eine Entwicklung statt, die parallel zur vermehrten zusammenhängenden Niederschrift von Messensatzpaaren und Messzyklen verläuft: In der frühesten Handschrift – Bologna Q 15 – finden sich englische Kompositionen meist einzeln oder in Paaren. Die Messensatz- und Motettenpaare stammen – soweit bekannt – meist von verschiedenen Komponisten. Zudem ist ein aus Sätzen verschiedener englischer Komponisten zusammengestellter Messzyklus überliefert. Die Handschrift Aosta stellt insofern eine Ausnahme dar, als hier ganze Faszikel mit ausschließlich englischen Kompositionen überliefert werden. Powers Messzyklus Alma redemptoris mater ist fortlaufend notiert. Auch die frühen Handschriften der Trienter Codices – Tr 87i und Tr 92 – überliefern Werke englischer Komponisten in größeren Gruppen, bei denen meist Messensatzpaare oder Marienantiphone zusammen gegliedert sind. Powers Messzyklus ist auch hier fortlaufend geschrieben. In der Handschrift Modena B schließlich ist die in den früher entstandenen Handschriften nur andeutungsweise vorhandene doppelte Gliederung nach Gattungen und nach Ursprungsland der Kompositionen deutlich vollzogen: Der gesamte zweite Teil der überlieferten Motettensammlung ist englischen Werken gewidmet. Somit wird die Anordnung der Werke englischer Komponisten in den Quellen nicht mehr dem Zufall der Überlieferung überlassen, sondern zunehmend nach 26 Laurenz Lütteken, Guillaume Dufay und die isorhythmische Motette, Hamburg 1993 (= Schriften zur Musikwissenschaft in Münster 4), S. 131 – 153. 27 Eine Liste der englischen Werke in der Handschrift Modena B befindet sich im Anhang 1.
Konkordanzen
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dem Ordnungskriterium der Herkunft angelegt. Innerhalb der meist nach Gattungen – einzelne Messensätze, Messensatzpaare, Messzyklen, Motetten – geordneten Handschriften bilden so die Werke englischer Komponisten noch einmal eigene Unterabteilungen.28 Dementsprechend entwickelt sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in norditalienischen Quellen neben dem Ordnungskriterium der Gattung das der Herkunft einer Komposition. Werden nun die Konkordanzen von Werken englischer Komponisten in den vier Quellen betrachtet,29 so scheint eine direkte Übertragung zunächst unwahrscheinlich. Keine der Gruppen englischer Kompositionen findet sich in zwei der Quellen, obwohl besonders zwischen der Handschrift Aosta, den Trienter Codices und der Handschrift Bologna Q 15 viele Konkordanzen bestehen. Bei Bologna Q 15 wurden allerdings eventuelle Gruppen englischer Kompositionen durch die mehrmalige Überarbeitung der Handschrift zerstört. Die Anlage von Aosta mit Faszikeln, die ausschließlich englische Werke enthalten, legt, neben der gesonderten Überlieferung der Werke englischer Komponisten in den Quellen, auch eine gesonderte Übertragung bis zur Abschrift in die Handschriften nahe. Vermutlich kursierten auf dem europäischen Festland schmalere Sammlungen mit ausschließlich englischen Kompositionen und dienten als Vorlage für die größeren Handschriften.30 Zudem gibt es fast identische Niederschriften sechs englischer Messensätze in der Handschrift Aosta und dem Handschriftenkomplex TR der Trienter Codices.31 Viele Merkmale der Abschrift in TR weisen auf eine direkte Übertragung aus der Handschrift Aosta hin: Auslassungen und unnötige Mensurzeichen oder Schlüssel in TR erscheinen dort, wo der Kopist in der Handschrift Aosta einen Zeilen- oder Seitenwechsel vorfand. Zudem sind viele Fehler und Unklarheiten im Text und in der Notation in beiden Handschriften identisch. Die enge Verbindung zwischen den Handschriften Aosta, Bologna Q 15 und den Trienter Codices zeigt sich somit nicht allein in der Häufigkeit der Konkordanzen englischer Kompositionen. Die Handschrift Modena B steht dagegen eher separat. Die wenigen Konkordanzen mit den anderen Handschriften sind vermutlich auch durch die unterschiedlichen Gattungen, die sie überliefern, bedingt: In der Handschrift Modena B sind fast ausschließlich Motetten notiert, ein Messenteil oder zweiter 28 Nicht alle Kompositionen, die nach stilistischen Kriterien als englisch identifiziert wurden, sind mit Zuschreibungen überliefert. Doch zeigen auch ungenaue Zuschreibungen wie »de anglia« oder »anglicus« den Stellenwert der Herkunft einer Komposition. Bewusste Zusammenstellungen englischer Kompositionen wie der englische Messzyklus in der Handschrift Bologna Q 15 und die englische Abteilung der Handschrift Modena B begünstigen genaue Zuschreibungen. 29 Eine Tabelle der Konkordanzen befindet sich im Anhang 2. 30 Vgl. Hamm, A Catalogue of Anonymous English Music (s. Anm. 2). 31 Vgl. Wright, The Aosta-Trent Relationship Reconsidered (s. Anm. 16).
110
Musikalische Kontakte: Handschriften
Band mit Messensätzen ist nicht überliefert. Die anderen Handschriften dagegen enthalten sowohl Messensätze als auch Motetten und Antiphone.
f.
Übertragungswege
Wenn die Werke englischer Komponisten tatsächlich in eigenen Faszikeln oder noch kleineren Sammlungen auf das europäische Festland kamen, können nun die Orte und Personen, die für einen Austausch in Frage kommen, erneut betrachtet werden. Schauen wir zunächst auf die Entstehungsumstände der Handschrift Aosta: Sie entstand, wie beschrieben, vermutlich am Hof des Gegenpapstes Felix V. im Umkreis des Basler Konzils und der Krönungsfahrt Friedrichs III. Besonders die diplomatischen Kontakte zwischen dem Basler Konzil und England waren vor dem Kongress von Arras intensiv. Im Vorfeld der beiden englischen Delegationen hatte der Bischof von Lodi, Gerardo Landriani, in England mit Kardinal Beaufort und dem Herzog von Gloucester verhandelt. Zudem ist bekannt, dass zumindest ein Mitglied der zweiten englischen Delegation mit seinen Musikern nach Basel gereist war. Schließlich fanden während des Konzils auf dem Kongress von Arras unter der Vermittlung des päpstlichen Legaten, Kardinal Albergati, und des Legaten des Gegenpapstes, Piccolomini, Friedensgespräche zwischen England und Frankreich statt. Das Konzil hat somit nicht nur in diplomatischer, sondern auch in kultureller Hinsicht den Kontakt mit England wesentlich gefördert. Auch die Trienter Codices, zumindest Tr 87 und Tr 92, zeigen mit ihrem Kompilator Lupi eine Verbindung zum Hof Friedrichs III. Zudem wurden vermutlich etliche Werke in den Handschriften Aosta und Trient entweder direkt oder zumindest aus der gleichen »Urquelle« kopiert. Als Übermittler kommt für beide Handschriften Piccolomini in Betracht: Er war, wie Lupi, in den 1440er Jahren am Hof Friedrichs III. tätig. Zuvor war er Sekretär bei Felix V., hatte in dessen Auftrag wenige Jahre vor der Entstehung der Handschrift Aosta Schottland bereist und den Kongress von Arras besucht. Er hatte daher unmittelbar die Möglichkeit, Faszikel englischer Musik an den Hof des Gegenpapstes zu bringen, die sich dann über die Handschriften Aosta sowie Trient 87 und 92 weiter verbreiten konnten. Blicken wir in umgekehrter Richtung von England auf den Kontinent, so zeigt sich eine direkte Verbindung zwischen dem Hof des Gegenpapstes Felix V. und dem Hof Gloucesters in Pier Candido Decembrio. Als Sekretär der Visconti besuchte er sowohl den Kongress von Arras als auch wiederholt den Hof des Herzogs von Savoyen. Decembrio konnte allerdings lediglich eine Verbreitung englischer Musik auf dem Kontinent – und nicht für den umgekehrten Weg –
Übertragungswege
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bewirkt haben, da er nie in England war und in seiner umfangreichen überlieferten Korrespondenz zwar der Austausch von Büchern mit Gloucester, nicht aber der von Musikalien erwähnt wird. Auch mit der Entstehung der Handschrift Modena B kann Decembrios spätere Tätigkeit am Hof der d’Este in Ferrara nur indirekt in Verbindung gebracht werden; denn er erscheint erst in den 1460er Jahren am Hof der d’Este, während die Handschrift Modena B vermutlich schon zwischen 1440 und 1450 entstand. Über frühere Kontakte Decembrios zum Hof der d’Este ist nichts bekannt. Eine Verbindung zwischen Ferrara und England über das Konzil von Ferrara herzustellen, wie dies Ann Besser Scott versucht,32 ist durch Lewis Lockwood inzwischen widerlegt;33 es gibt in der Tat keine Beweise dafür, dass eine englische Delegation am Konzil teilnahm. Lockwood sieht Übertragungswege der englischen Kompositionen in der Handschrift Modena B eher durch englische Studenten an der Universität Ferrara, wie William Grey, Robert Flemyng oder Reynold Chichele. Reinhard Strohm34 hält zudem schriftliche Kontakte von Leonello d’Este zum englischen Königshaus oder zu Friedrich III. für möglich, in denen er ganz direkt um Beiträge englischer Musik zu seiner Mottetensammlung bat. Schließlich lassen sich auch im Umkreis der Handschrift Bologna Q 15 Verbindungen nach England ausmachen. Der Veneto betrieb im 15. Jahrhundert regen Handel mit England. Besonders Luxusgüter kamen auf diesem Wege nach England; in umgekehrter Richtung gelangte Wolle in den Veneto. Eine direkte Verbindung zum Hof von Gloucester stellt Pietro del Monte her. Del Monte stammte aus Venedig und studierte in Padua, wo vermutlich die Handschrift Bologna Q 15 entstand. Er nahm am Konzil von Basel teil und war zwischen 1435 und 1440 päpstlicher Steuereintreiber in England. Durch die vielen Umarbeitungen der Handschrift Bologna Q 15 lässt sich deren Entstehungsgeschichte zwar nur andeutungsweise rekonstruieren, doch fallen sowohl das Studium del Montes in Padua als auch dessen Teilnahme am Konzil von Basel sowie sein Aufenthalt in England in den von Margaret Bent vermuteten Entstehungszeitraum. Durch seine Korrespondenz sind del Montes Kontakte nach Italien auch während seiner Zeit in England gut belegt,35 direkte Hinweise auf eine Vermittlerfunktion für Musikalien – ähnlich der, die er für Literatur für Gloucester innehatte – finden sich allerdings nicht. Als Orte, an denen englische Musik möglicherweise ausgetauscht wurde und weitere Verbreitung fand, kristallisieren sich somit die Höfe des Herzogs von 32 33 34 35
Scott, English Music in Modena, Biblioteca Estense, a.X.1,11 (s. Anm. 25). Lewis Lockwood, Music in Renaissance Ferrara 1400 – 1505, Oxford 1984, S. 51 – 63. Reinhard Strohm, The Rise of European Music, Cambridge 1993, S. 265 f. Johannes Haller, Piero dal Monte. Ein Gelehrter und päpstlicher Beamter, Rom 1941 (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 19).
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Musikalische Kontakte: Handschriften
Savoyen und Kaiser Friedrichs III. sowie das Konzil von Basel heraus. Die Handschrift Aosta und die Trienter Codices entstanden im unmittelbaren Umfeld dieser Orte; und auch für die Handschriften Modena B und Bologna Q 15 lassen sich, wenn auch weniger direkte, Verbindungen zu diesen Orten herstellen. Zudem nahmen Personen, die direkten Kontakt zu den Höfen von Bedford und Gloucester hatten, am Konzil von Basel teil. Für das Konzil von Konstanz als Umschlagplatz englischer Musik gibt es dagegen im Zusammenhang mit den hier untersuchten Handschriften wenig Hinweise.
III. contenance angloise und Humanismus
1. Die contenance angloise im Schrifttum
Im vorigen Kapitel wurde die zunehmende Sonderstellung der Werke englischer Komponisten in der musikalischen Überlieferung konstatiert. Die Anordnung der Werke englischer Komponisten, die zunächst in Messensatzpaaren oder Paaren von Marienantiphonen, später in Messzyklen und Gruppen von Motetten und zuletzt zu Faszikeln mit ausschließlich englischen Kompositionen zusammengestellt sind, ist nicht nur im Zufall der Überlieferung begründet, sondern wurde auch bewusst in der Zusammenstellung der Quellen herbeigeführt. Neben anonym überlieferten Werken, die erst in unserer Zeit als englisch identifiziert wurden, finden sich Zuschreibungen zu den berühmten englischen Komponisten der Zeit – wie John Dunstaple, Leonel Power und John Plummer – aber auch Identifizierungen nach dem Herkunftsland, wie »anglicus« oder »de anglia«.1 Es stellt sich die Frage, warum gerade Musik aus England auf diese Art separat notiert wurde – denn Musik aus keinem anderen europäischen Land wird so behandelt –, und nach welchen Kriterien die Schreiber und Kompilatoren der Quellen vorgingen. Daher werden im Folgenden historische und musiktheoretische Quellen nach der Sonderstellung englischer Musik befragt. Zunächst muss jedoch erörtert werden, wie das Gefüge von musikalischen Zentren und Regionen aussah, in dem sich diese Sonderstellung der englischen Musik im 15. Jahrhundert herausbildet.2 1 Vgl. z. B. David Fallows, Robertus de Anglia and the Oporto Song Collection, in: Source Materials and the Interpretation of Music, hrsg. von Ian Bent, London 1981, S. 99 – 128. 2 Die Frage nach musikalischen Zentren und Peripherien sowie nach der Verlagerung von Zentren im Verlauf der Geschichte wird im musikwissenschaftlichen Diskurs seit etwa 30 Jahren gestellt. Mit den Kategorien Zentrum und Peripherie werden Entstehung, Verbreitung und Einfluss musikalischer Stile nicht nur chronologisch sondern auch geographisch greifbar. Vgl. Symposium: »Peripherie« und »Zentrum« in der Geschichte der ein- und mehrstimmigen Musik des 12. bis 14. Jahrhunderts, in: Bericht über den Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongress Berlin 1974, hrsg. von Hellmut Kühn und Peter Nitsche, Kassel 1980, S. 15 – 170; Reinhard Strohm, Centre and Periphery : Mainstream and Provincial Music, in: Companion to Medieval and Renaissance Music, hrsg. von Tess Knighton und David Fallows, London 1992, S. 55 – 59.
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Die contenance angloise im Schrifttum
Einerseits kann im 15. Jahrhundert eine »Internationalisierung« in der Musik wahrgenommen werden, die Musikerkarrieren wie die Guillaume Dufays erst möglich machte, und die durch die weite Verbreitung von musikalischen Quellen mit spezifisch regionalem Inhalt belegt wird. Andererseits hat gerade diese weite Verbreitung von Kompositionen über ihre ursprüngliche Wirkungssphäre hinaus das Augenmerk der Zeitgenossen auf spezifische kompositorische Merkmale des Herkunftslandes gelenkt. Politisch etablierten in dieser Zeit mehr und mehr Staaten ein Nationalbewusstsein.3 Für England und Frankreich galt dies verstärkt, da beide Staaten im hundertjährigen Krieg ein eigenes Profil herausbildeten. Diese Entwicklungen erfassten auch die Musik: War im 14. Jahrhundert Frankreich das unbestrittene musikalische Zentrum Europas und der französische Stil europaweit praktiziert, bildeten sich im 15. Jahrhundert mehr und mehr regionale Zentren, die untereinander vernetzt waren, so in England, den Niederlanden, Deutschland und Italien.4 Aus einem Abstand von über 500 Jahren können Regionen und Zentren und ihre Verschiebungen im 15. Jahrhundert wahrgenommen werden. Die heutige Sicht wird jedoch eingeschränkt durch die zufällige Überlieferung musikalischer wie historischer Quellen. Bei genauer Betrachtung geben auch zeitgenössische Quellen über die Wahrnehmung von nationalen Eigenheiten Auskunft. Dabei sind Zeugnisse kontinentaler Beobachter über die spezifischen Merkmale der englischen Musik besonders zahlreich.
a.
Historische Quellen
Neben der Überlieferung englischer Kompositionen in Musikhandschriften berichten historische und literarische Quellen über englische Musik im frühen 15. Jahrhundert. Da diese Beschreibungen zumeist nicht von musikalisch gebildeten Personen verfasst wurden, berücksichtigen sie ganz unterschiedliche Merkmale der Musik: die an der Aufführung beteiligten Instrumente, den Aufführungs- oder den Kompositionsstil. Die englischen Gesandten am Konzil von Konstanz haben mit ihren Musikern für einiges Aufsehen gesorgt. Auf der Anreise zelebrierten die Bischöfe von Lichfield und Norwich am 8. September 1416, dem Fest Mariä Geburt, eine Messe im Kölner Dom: 3 Die Begriffe »Nationalbewusstsein« und »national« werden hier und im Folgenden nicht in ihrer durch das 19. Jahrhundert geprägten Bedeutung verwendet, sondern im Sinne einer Abgrenzung der politischen und kulturellen Eigenarten verschiedener Regionen, die auch schon im 15. Jahrhundert wahrgenommen wurden. Vgl. Artikel »Nation« in: Konrad Fuchs und Heribert Raab, Wörterbuch Geschichte, München 122001, S. 542 – 543. 4 Strohm, Centre and Periphery (s. Anm. 2), S. 58.
Historische Quellen
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dat wart alz wal van den Engelschen besungen, alz man in 30 jaren in dem dome e hort singen5 Ulrich Richental (um 1360 – 1437) war Sohn eines Konstanzer Stadtschreibers. Ohne speziellen Auftrag verfasste er 1420 eine Chronik des Konstanzer Konzils, die sich neben kirchengeschichtlichen und politischen auch sozial- und stadtgeschichtlichen Themen widmet. Als Quellen dienten ihm statistisches Material und mündliche Überlieferung.6
Auf dem Konzil feierte die englische Gesandtschaft die Messe am 29. Dezember 1416, dem Tag des heiligen Thomas von Canterbury, mit Instrumentalisten und Sängern. Ulrich Richental berichtet: Und mornends do begiengen sy [die Engländer] das fest gar schon und loblich mit großem gelüt mit großen brinenden kertzen und mit Engelschem süssem gesang, mit den ordnen und mit den prosonen, darüber tenor, discant und medium ze vesperzit. Und mornends an sant Thomastag hatten sy das ampt zu˚ dem thu˚m. Und sang die meß der ertzbischoff Salusburgensis, und dienten im zu˚ dem altar zwen ander bischoff usser Engelland.7
Die Instrumentalisten – drei Posaunisten und vier Pfeifer – des Grafen von Warwick, die zumindest teilweise an dieser Messe beteiligt waren, hatten schon beim Einzug der englischen Delegation im Januar 1415 die Aufmerksamkeit Richentals auf sich gezogen: [sie] prusonettend überainander mit dry stimmen, als man gewonlich singet8
Von Gesandten anderer Länder werden zwar Instrumentalisten und Sänger erwähnt; über die Musik, die sie sangen oder spielten, wird jedoch nichts berichtet. Vermutlich entsprach sie dem von Richental erwarteten Klang und hatte daher keine Erwähnung nötig. Die Musik der Engländer beschreibt Richental hier eindeutig als mehrstimmige Musik. Beim Einzug der englischen Delegation in Konstanz spielten die Bläser mehrstimmige Musik. In der Messe wurden die vokalen Stimmen durch Instrumente verstärkt oder ersetzt. Neben der auffälligen Besetzung beschreibt Richental den englischen Gesang als »süß«. Diese qualitative Beschreibung kann sich sowohl auf die Ausführung, also auf die Klangproduktion der Sänger beziehen als auch auf den Kompositionsstil.
5 Zitiert nach Manfred Schuler, Die Musik in Konstanz während des Konzils 1414 – 1418, in: AM 38 (1966), S. 150 – 168, hier S. 158. 6 Vgl. W. Matthiesen, Artikel »Ulrich von Richental«, in: LexMA; Artikel »Richental, Ulrich«, in: DBE& DBI. 7 Zitiert nach Schuler, Die Musik in Konstanz (s. Anm. 5), S. 159. Zum musiktheoretischen Hintergrund, s. später und Kapitel III.2. 8 Zitiert nach ebd., S. 165.
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Die contenance angloise im Schrifttum
Auch in den Berichten Andrea Gataris über das Konzil von Basel werden die Instrumentalisten der englischen Gesandtschaft erwähnt.9 Andrea Gatari (um 1375 – 1454) war zusammen mit seinem Vater und Bruder aktives Mitglied der Gilde der Drogisten (fraglia degli speziali) von Padua. Zusammen schrieben sie eine Chronik der Stadt. Von 1433 bis 1435 war er mit den Gesandten aus Venedig beim Konzil von Basel. Er schrieb dort ein Tagebuch, in dem er eher anekdotisch vom Konzil berichtet. Die Charakterskizzen haben jedoch literarischen Anspruch; hier ahmt er antike Vorbilder wie Titus Livius oder Vergil nach.10
In Gataris Tagebuch finden sich nur äußerst selten Berichte über Musik oder Musiker. Umso mehr fallen die beiden Hinweise auf englische Musiker auf. Am 11. September 1434 beschreibt er die Ankunft der Bischöfe aus der Normandie – »ambassadori del Re d’Ingliterra« – unter denen sich auch Zanone Castiglione befand: Quisti vignia per adimandar la sedia in Concilio, a li quale vescovi ge andý tuti gli inglesi incontro et acompagnolj con instrumenti per fina dentro la terra.11
Auch die Abreise des englischen Gesandten, Edmund Beaufort, Graf von Mortain, am 17. November wurde von Musikern begleitet: Ad 17. novembre da maitina fu apparechiati quatro nave, fra le quale ve n’era una coperta con bandiere a l’arma del Re d’Ingiltera, ne la quale entrý il Conte con suo chavalieri et instrumenti, nel’altra i suo scuderi, ne l’altra i suo cavagli, ne l’altra il cuocho con la vituaria.12
Weder gibt Gatari Auskunft darüber, welche Instrumentalisten die Bischöfe und den Gesandten begleiteten, noch welcher Art die Musik war, die sie spielten. Doch dieses Musikerlebnis muss etwas Besonderes für ihn gewesen sein, da sich keine weiteren Hinweise auf Musik in seinem Tagebuch finden. 9 Vgl. A. N. E. D. Schofield, The Second English Delegation to the Council of Basel, in: Journal of Ecclesiastical History 17 (1966), S. 29 – 64, hier S. 43. 10 Vgl. I. Lazzarini, Artikel »Gatari, Andrea«, in: DBI. 11 Diario del Concilio di Basilea di Andrea Gatari 1433 – 1435, in: Tagebücher und Acten, hrsg. von Gustav Beckmann, Rudolf Wackernagel und Giulio Coggiola, Basel 1904 (= Concilium Basilense. Studien und Quellen zur Geschichte des Konzils von Basel 5), S. 375 – 442, hier S. 405 f. »Dieser kam, um einen Sitz im Konzil zu beanspruchen, und diesem Bischof kamen alle Engländer entgegen und begleiteten ihn mit Instrumenten ins Landesinnere.« Für die Übersetzung danke ich Christoph Miething sehr herzlich. 12 Ebd., S. 411 f. »Am Morgen des 17. November wurden vier Schiffe bereitgemacht, von denen eines mit der Flagge und den Wappen des Königs von England bedeckt war. In dieses begab sich der Graf mit seinen Rittern und Instrumenten, in ein anderes seine Schildknappen, in ein weiteres seine Pferde und in das letzte der Koch mit den Lebensmitteln.« Für die Übersetzung danke ich Christoph Miething sehr herzlich.
Historische Quellen
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Einige Jahre später, um 1440, entstand am Hof des Herzogs von Savoyen das Gedicht Le champion des dames von Martin LeFranc. Martin LeFranc (um 1410 – 1461) studierte in Paris. Mitte der 1430er Jahre ging er an den Hof Alexanders VIII. von Savoyen. Neben vielen anderen kirchlichen Ämtern wurde er 1439 Protonotar des Gegenpapstes Felix V., als dessen Legat er 1447 an den Hof Philipps von Burgund reiste. Auch unter Nikolaus V. blieb LeFranc zunächst Protonotar und wechselte erst 1450 zurück an den Hof von Savoyen. Während seiner Tätigkeit am Hof von Savoyen und unter Felix V. lernte LeFranc vermutlich Dufay kennen, der sich in dieser Zeit immer wieder dort aufhielt. In seinen Schriften (Briefe, Gedichte) werden die Werke Dufays besonders hervorgehoben; die Musik wird mit Begriffen aus der Rhetorik beschrieben.13
Das Gedicht steht in der Tradition des Roman de la rose und ist Philipp dem Guten, Herzog von Burgund gewidmet. Von seinen ca. 24.000 Versen befassen sich sechs Strophen mit Musik.14 Neben mythologischen Figuren der Musik, wie Jubal und Orpheus, beschreibt LeFranc zeitgenössische Musiker und Spielweisen. So vergleicht er französische Komponisten des frühen 15. Jahrhunderts mit Dufay und Gilles Binchois. Tapissier, Carmen, Cesaris, N’a pas long temps sy bien chanterent Qu’ilz eshabirent tout Paris Et tous ceulx qui les frequenterent; Mais onques jour ne deschanterent En melodie de tel chois Ce m’ont dit ceulx qui les hanterent, Que G. Du Fay et Binchois.15
13 Vgl. Craig Wright und Sean Gallagher, Artikel »Martin le Franc«, in: NGroveD; Reinhard Strohm, Artikel »Le Franc, Martin«, in: MGG2, Personenteil. 14 David Fallows kollationiert die verschiedenen Lesarten in seinem Aufsatz The ›contenance angloise‹: English Influence on Continental Composers of the 15th Century, in: Renaissance Studies 1 (1978), S. 189 – 208, hier S. 205 – 208. 15 Zitiert nach ebd., S. 206. Anstelle einer deutschen Übersetzung der in ihrer Bedeutung umstritten Strophen zur Musik (dazu s. Kapitel III.4) sind hier und im Folgenden verschiedene englische Übersetzungen zusammengestellt: »Tapissier, Carmen, C¦saris, / Not long ago so well did sing / That they astonished all Paris / And all who came foregathering. / But still their discant held no strain / filled with such goodly melody – / So folk who heard them now maintain – / As Binchois sings or Dufay¨.« (Gustave Reese, Music in the Renaissance, New York 1954, S. 12 f.) »Not long ago, Tapissier, Carmen and Cesaris sang so well that they astonished all Paris, and all those who came to visit them. But never did they sing discant of such exquisite euphony (as those who were with them have told me) as G. Du Fay and Binchois.« (Rob C. Wegman, New Music for a World Grown Old: Martin Le Franc and the ›Contenance Angloise‹, in: AM 75 (2003), S. 201 – 241, hier S. 240)
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Die contenance angloise im Schrifttum
Diese werden daraufhin in Zusammenhang mit dem Einfluss englischer Musik gebracht: Car ilz ont nouvelle pratique De faire frisque concordance En haulte et en basse musique, En fainte, en pause et en muance; Et on pris de la contenance Angloise, et ensuy Dompstable; Pour quoy merveilleuse plaisance Rend leur chant joieux et notable.16
An erster Stelle wird hier ein neuer Stil in der Musik Dufays und Binchois’ geschildert: Im weitesten Sinne sind der Gebrauch der musica ficta, die Melodieführung und die Phrasierung in der Musik für alta- und bassa-Ensembles erwähnt, die im Höreindruck eine angenehme Konkordanz ergeben. Erst in der zweiten Hälfte der Strophe wird der neue Stil auf englische Einflüsse zurückgeführt. Dufay und Binchois haben, laut LeFranc, in diesem Stil Merkmale der englischen Musik und besonders Dunstaples übernommen. Sie geben der Musik eine wunderbare Gefälligkeit, machen sie fröhlich und bedeutend.17 Der neue Stil, den LeFranc bei Dufay und Binchois ausmacht, wird jedoch nicht mit musikalischen Fachausdrücken beschrieben.18 So bleibt der Spielraum zur Interpretation groß: Die Anordnung der Einflüsse unter den Komponisten 16 Zitiert nach Fallows, The ›contenance angloise‹ (s. Anm. 15), S. 207. »For these a new way have found, / In music high and music low, / Of making pleasant concord sound – / In ›feigning‹, rests, mutatio. / The English guise they wear with grace, / They follow Dunstable aright, / And thereby have they learned apace / To make their musik gay and bright.« (Reese, Music in the Renaissance (s. Anm. 15), S. 13) »For theirs is a new practice of writing high and low music in such a manner that with its musica ficta (application of accidentals), its phrasing, and melodic design it sounds pleasantly consonant. They have taken on the English way and have followed Dunstable, and their music is so woundrously agreeable that it produces joy and fame.« (Ernest H. Sanders, England: From the Beginning to ca. 1540, in: Music from the Middle Ages to the Renaissance, hrsg. von F. W. Sternfeld, London 1973 (= A History of Western Music 1), S. 255 – 313, hier S. 298) »For these have a new practice of making bright consonance, in music loud and soft, in fainte, in pause, and in muance. And they have taken on the English manner, and have followed Dunstable, wherefore a marvellous delight renders their singing joyous and distinguished.« (Wegman, New Music for a World Grown Old (s. Anm. 15), S. 240) 17 Paraphrase nach Sanders’ Übersetzung in: England: From the Beginning to ca. 1540 (s. Anm. 16). 18 »fainte«, »pause« und »muance« könnten französische Übersetzungen der musikalischen Fachtermini ficta, pausa und mutatio sein. (Vgl. Wegman, New Music for a World Grown Old (s. Anm. 15), S. 228 – 230) Da musiktheoretische Schriften im 15. Jahrhundert zumeist in lateinischer Sprache verfasst wurden, bleibt die genaue Bedeutung der französischen Termini jedoch unklar.
Historische Quellen
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kann zum Beispiel politisch gedeutet werden, da LeFranc den Kompositionsstil der Komponisten mit Verbindungen zum burgundischen Hof (Dufay und Binchois) sowohl auf französische (Johannes Tapissier, Johannes Carmen, Johannes Cesaris) als auch auf englische (Dunstaple) Vorläufer bezieht, den englischen Einfluss allerdings hervorhebt. Die politische Deutung gewinnt an Gewicht, da das Gedicht noch vor der Allianz zwischen Frankreich und Burgund entstand und dem Herzog von Burgund gewidmet ist.19 LeFrancs Äußerungen über Musik zeigen den musikalisch und humanistisch gebildeten Laien:20 Zunächst wird die Musik auf ihren Ursprung in der Mythologie zurückgeführt, dann werden Komponisten genannt und zuletzt der Höreindruck und Klang der Musik beschrieben.21 Rückschlüsse auf englische Musik lassen sich nur indirekt ziehen, denn es bleibt offen, ob alle oder nur einige der genannten Merkmale typisch für englische Kompositionen sind. Eines der seltenen Selbstzeugnisse von Musikern im 15. Jahnhundert ist die Autobiographie des Sänger Johannes von Soest. Johannes von Soest (1448 – 1506) wurde in Soest zum Sänger ausgebildet und kam später an die Hofkapelle in Cleve. Nachdem er seine Ausbildung bei zwei englischen Sängern in Brügge vervollkommnet hatte, war er in Aardenberg, Maastricht, vermutlich Köln und Kassel tätig. 1472 wurde er in Soest zum Sängermeister ernannt. 1476 – 1490 studierte er Medizin an der Universität Heidelberg und wurde später Stadtarzt in Weimar, Oppenheim und Frankfurt.22
Hier beschreibt er den gewaltigen Eindruck, den zwei englische Sänger auf ihn Ende der 1440er Jahre machten: 19 Zur Interpretation der musikbezogenen Strophen und besonders des »neuen Stils« im Kontext von Weltende und Fortschrittsgedanken, vgl. Wegman, New Music for a World Grown Old (s. Anm. 15). Das Gedicht kann auch religiös-politisch im Zusammenhang der Hexenverfolgung gedeutet werden, vgl. Georg Modestin und Kathrin Utz Tremp, Zur spätmittelalterlichen Hexenverfolgung in der heutigen Westschweiz. Ein Forschungsbericht, in: zeitenblicke 1 (2002), 1 – 15. 20 LeFranc äußert sich noch in einem weiteren Text zu Dufay und Binchois, allerdings ohne Bezug zur englischen Musik. Jedoch finden sich hier eine Auseinandersetzung mit der Antike und mit dem huamistischen Konzept der imitatio. Ulrich Konrad, Adalbert Roth und Martin Staehelin, Musikalischer Lustgarten. Kostbare Zeugnisse der Musikgeschichte (= Ausstellungskatalog), Wolfenbüttel 1985, S. 37 f. 21 Zur Beschreibung von Musik in der Literatur des Spätmittelalters vgl. Reinhard Strohm, Musik erzählen: Texte und Bemerkungen zur musikalischen Mentalitätsgeschichte im Spätmittelalter (veröffentlicht in: Kontinuität und Transformation der italienischen Vokalmusik zwischen Due- und Quattrocento, hrsg. von Sandra Dieckmann u. a., Hildesheim 2007 (= Musica Mensurabilis 3), S. 109 – 125). Ähnliche Vorgehensweisen wie bei LeFranc finden sich in auch musiktheoretischen Schriften; vgl. Kapitel III.2. 22 Klaus Pietschmann und Steven Rozenski, Jr., Singing the Self: The Autobiography of the Fifteenth-Century German Singer and Composer Johannes von Soest, in: Early Music History 29 (2010), S. 119 – 159, hier S. 120.
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Die contenance angloise im Schrifttum
Off eyn tziit kamen sengher tzwen Uss engellant zu mym herren gen Dy konten ussermoss wol synghen Fast meysterlich in allen dinghen […] Don ich sy hortt in yrer art So kunslich und so meisterlich Sy songhen beyd das ich de glich Myn lebtag ny me hatt gehortt23
Er folgte ihnen daraufhin nach Brügge und nennt später in der Autobiographie die speziell englischen Techniken, die er bei ihnen lernte: Da lert ich synghen erst uss konst Contreyn und fauberdon my gonst Der meister tzweyn uss engellant Proporcion vil mancherhant Dy ich fur nye me hatt erkant24
In Johannes von Soests Beschreibung der englischen Musik stehen Gesangskünste, improvisierte Gattungen wie Descant und Faburden sowie notationstechnische Aspekte (Proportionen) im Vordergrund; über komponierte englische Musik erfahren wir nichts. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts reiste der breslauer Händler Niclas Popplau durch ganz Europa. Niclas Popplau (um 1443 – 1490) stammte aus einer angesehenen Handelsfamilie in Breslau. Er studierte in Leipzig und bereiste in den 1480er Jahren Europa. Vermutlich dienten diese Reisen der Spionage im Vorfeld von diplomatischen Kontakten.25
In seiner Reisebeschreibung erwähnt er auch die Musik bei einer Messfeier in Pontefract. Da diese in Anwesenheit des Königs stattfand, ist es wahrscheinlich, dass hier die königliche Kapelle polyphone Musik sang. Er schreibt: Des anderen Tages schickte der König einen Edelmann zu mir, daß ich in seine Kirch gehen wollt. Da hörete ich die allerliebste Musica, als ich mein Leben lang nie gehöret, welche von Reinigkeit der Stimmen, wohl den lieben Engeln zu vergleichen.26
Wiederum werden die Attribute lieblich und englisch – mit dem deutschen Wortspiel engellisch / englisch – genannt, aber wenig konkrete Auskunft zu speziell englischen Kompositionstechniken erteilt. 23 Ebd., S. 141. 24 Ebd., S. 142. 25 Reisebeschreibung Niclas von Popplau, Ritters bürtig von Breslau, Vorwort und Kommentar von Piotr Radzikowski, Krakûw 1998, S. 5 – 13. 26 Ebd., S. 55.
Theoretische Quellen
b.
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Theoretische Quellen
Auch die theoretischen Quellen des 15. Jahrhunderts beschäftigen sich mit den Eigenarten der englischen Musik und ihrem Einfluss auf die Kompositionspraxis des Kontinents. In älteren musiktheoretischen Quellen sind Hinweise auf eine spezifisch englische Art der Musik eher spärlich und beschränken sich meist auf die Andersartigkeit der Solmisationssilben und Notennamen, wie in Jacobus Leodiensis’ Speculum musicae,27 Johannes de Muris’ Summa28 und Johannes Valendrinus’ Opusculum monacordale.29 Allein der noch früher entstandene Traktat des Anonymus IV äußert sich mehrmals zu den Merkmalen englischer Musik. Hier werden nicht nur spezifische Eigenarten der Musiktheorie und Notation beschrieben,30 sondern auch Aspekte der Aufführung: Boni cantores erant in Anglia, et valde deliciose canebant, sicut Magister Joannes filius Dei, sicut Makeblite apud Wynccstriam [sic!], et Blakesmit in Curia domini Regis Henrici ultimi.31
Im 15. Jahrhundert nehmen die Beschreibungen englischer Musik und eines spezifisch englischen Kompositionsstils besonders in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts stark zu.32 Die meisten Traktate, die sich mit englischer Musik beschäftigen oder diese zumindest erwähnen, entstanden in Oberitalien, wobei die Nähe zu den Quellen, die englische Musik überliefern, hervorzuheben ist. Obgleich viele der Traktate aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts stammen, beschreiben sie die Entwicklung hin zu der ihnen zeitgenössischen Musik. Neben der Auseinandersetzung um die Solmisation von Kadenzen zwischen Bartolomaeus Ramus de Pareia33 und John Hothby34 und dem Lob der Musik-
27 Jacobi Leodiensis Speculum musicae, hrsg. von Roger Bragard, Rom 1973 (= CSM 3 / 3), S. 161 – 317, hier S. 165. 28 In: Scriptores ecclesiastici de musica sacra potissimum, hrsg. von Martin Gerbert, 3 Bde., St. Blaise 1784 (Reprint: Hildesheim 1963), Bd. 3, S. 190 – 248, hier S. 203. 29 In: Fritz Feldmann, Musik und Musikpflege im mittelalterlichen Schlesien, Breslau 1938 (= Darstellungen und Studien zur schlesischen Geschichte 37), S. 157 – 188, hier S. 161. 30 In: Scriptorum de musica medii aevi, hrsg. von E. de Coussemaker, 4 Bde., Paris 1864 (Reprint: Hildesheim 1963), Bd. 1, S. 327 – 364, hier S. 328, 339, 344, 349 und 358. 31 Ebd., S. 344. »Gute Sänger gab es in England und sie pflegten sehr köstlich zu singen, wie Meister Johannes, Gottessohn [= Findelkind], wie Makeblite in Wyncester und Blakesmit am Hofe seines Herrn, des letzten Königs Heinrich [= III].« 32 Gibt man im Thesaurus Musicarum Latinarum (www.chmtl.indiana.edu/tml/start.html) den Suchbegriff »angli*« für musiktheoretische Quellen des 14. Jahrhunderts ein, erhält man 10 Fundstellen in insgesamt 217 Quellen. Für das 15. Jahrhundert steigt die Fundrate auf 25 Stellen in insgesamt 209 Quellen. 33 Johannes Wolf: Musica practica Bartolomei Rami de Pareia Boboniae […]: Nach den Ori-
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Die contenance angloise im Schrifttum
förderung in England bei Adam von Fulda35 dominieren drei Aspekte die Beschreibung der englischen Musik in den Traktaten des 15. Jahrhunderts: die Kompositionstechniken Gymel und Faburden, Aufzählung von Komponisten des neuen Stils und, wie schon im Traktat des Anonymus IV, Qualitäten des Gesanges. Im Folgenden werden zunächst die ersten beiden Aspekte untersucht, da sie auch in den Quellen meist zusammen auftreten. Bevor sich der englische Karmelitermönch John Hothby (um 1430 – 1487) 1467 in Lucca niederließ, war er durch Europa gereist und hatte in Pavia studiert. In Lucca unterrichtete er an der Kathedrale Musik (Gregorianik und Polyphonie), Grammatik und Arithmetik. 1486 reiste er auf Einladung von Heinrich VII. nach England und starb dort. Von keiner seiner Schriften, die sich mit Notation, Kontrapunkt und der Hexachordlehre befassen, gibt es definitive Fassungen sondern lediglich Mitschriften seiner Schüler.36
Der englische Musiktheoretiker Hothby gibt in seinem Traktat Regulae supra contrapunctum,37 der zwischen 1470 und 1480 entstand, neben allgemeinen Kontrapunktregeln auch Regeln für die spezifisch englische Art des improvisierten, sogenannten sight-Singens: Sed quoniam per anglicos iste modus canendi vocatur discantus visibilis, modum infra quatuor lineas illum videre docebo, cui modo dantur novem regulae.38
Beim sight-Singen wird eine zweite Stimme über oder unter einem Choral improvisiert. Dabei dürfen – wie im zweistimmigen Kontrapunkt üblich – nur konsonante Intervalle verwendet werden.
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ginaldrucken des Liceo musicale, Leipzig 1901 (= Beihefte der Internationalen Musikgesellschaft 2), S. 25 – 51. Excitatio, in: Johannis Octobi Tres tractatuli contra Bartholomeum Ramum, hrsg. von Albert Seay, Rom 1964 (= CSM 10), S. 17 – 57. »Quid Christianissimus Francorum rex, ac reges Angliæ, Arragoniæ, Hispaniæ, Hungariæ, Apuliæ, multique principes, prælatique insignes, Civitates liberæ, per Italiam, Galliam ac Germaniam pro nostro ævo musicis fecerunt, & faciunt, nemo est qui nesciat.« Musica, in: Scriptores ecclesiastici (s. Anm. 23), Bd. 3, S. 329 – 341, hier S. 338. »Was der allerchristlichste König der Franken, die Könige Englands, Aragons, Spaniens, Ungarns, Apuliens, viele Fürsten, ausgezeichnete Kirchenfürsten und unabhängige Stadtstaaten in Italien, Gallien und Germanien für Musiker unseres Zeitalters getan haben und tun, [da] gibt es niemanden, der [das] nicht wüßte.« Vgl. Bonnie J. Blackburn, Artikel »Hothby, John«, in: NGroveD; Klaus-Jürgen Sachs, Artikel »Hothby, Johannes«, in: MGG2, Personenteil. Johannes Hothby, De arte contrapuncti, hrsg. von Gilbert Reaney, Rom 1977 (= CSM 26), S. 101 – 103. Ebd., S. 102. »Aber weil von den Engländern diese Art des Singens sichtbarer Diskant [= Sight] genannt wird, werde ich jene Art lehren, innerhalb der vier Notenlinien lesen zu können, eine Art der neun Regeln zugeschrieben werden.«
Theoretische Quellen
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Guilielmus Monachus (spätes 15. Jahrhundert) war vermutlich Italiener. Von ihm ist nichts bekannt, außer der Schrift De praeceptis artis musicae.39
Auch Guilielmus Monachus widmet den englischen Eigenheiten der Kompositionstechnik in seinem einige Jahre später entstandenen Traktat De preceptis artis musice40 zwei ganze Abschnitte. Beide, der Abschnitt IV »Ad habendum veram et perfectam cognitionem modi Anglicorum«41 und der Abschnitt VI Incipit tractatus circa cognitionem contrapuncti, tam secundum modum Francigenorum quam Anglicorum, cum duabus et cum tribus vocibus et cum quatuor compositis42
– darin besonders der Paragraph »Incipiunt regulae contrapuncti Anglicorum«43 –, beschreiben Gymel und Faburden, Kompositionstechniken, die improvisierte Elemente beinhalten. Die Anweisungen des Monachus zum Faburden ergeben einen Klang, der heute englischer Diskant genannt wird. Als Gymel beschreibt er Terzparallelen, die teils über teils unter der Choralmelodie liegen. Eine dritte Stimme kann unter dem Choral hinzugefügt werden.44 So entstehen die auch für komponierte englische Musik typischen, konsonanten Arrangements mit der Choralmelodie in der mittleren Stimme. Etwa um die gleiche Zeit, in den 1470er Jahren, konstatiert Hothby im Traktat Dialogus in arte musica45 Neuerungen wie die Ausweitung des Tonraums in der Kompositionstechnik und benennt unter den Komponisten auch viele Engländer : Johannes Muris artis musicae scriptor nequamquam contemnendus quaerit cur cordae musicae vel litterae non sint plures neque pauciores septem, quarum etiam non mille quae carminibus simpliciter metimur. Satis manifesta sunt veluti in missa Te gloriosus, in qua G acuta depicta aperit carmen illud sicut ostium clavis, in quam plurimus quibusque aliis cantilenis recentissimis quarum conditores plerique adhuc vivunt, 39 Vgl. Andrew Hughes, Artikel »Guilielmus Monachus«, in: NGroveD; Klaus-Jürgen Sachs, Artikel »Guilielmus Monachus«, in: MGG2, Personeteil. 40 Guilielmi Monachi De preceptis artis musicae, hrsg. von Albert Seay, Rom 1965 (= CSM 11). 41 Ebd., S. 29 f. 42 Ebd., S. 33 – 44. »Der Traktat beginnt mit der Auffassung des Kontrapunkts sowohl nach der Art der Franzosen als auch der Engländer, mit zwei, drei und vier auskomponierten Stimmen.« 43 Ebd., S. 38 – 41. 44 Vgl. Bonnie J. Blackburn, Music and Musical Thinking after 1450, in: Music as Concept and Practice (s. Anm. 18), S. 301 – 345, hier S. 337 f. Im Faburden werden zwei Stimmen zu einem Choral improvisiert: Während die Choralmelodie mit den bekannten sight-Techniken eine Quinte und von den Knaben eine Oktave nach oben transponiert wird, singt die FaburdenStimme die Melodie am Anfang und Ende der Phrasen in originaler Lage, in der Mitte der Phrasen um eine Terz nach oben transponiert. Zur Definition von englischem Diskant und Faburden vgl. Reinhard Strohm, The Rise of European Music, Cambridge 1993, S. 207 – 211. 45 In: Johannes Octobi Tres tractatuli (s. Anm. 33), S. 61 – 76.
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Die contenance angloise im Schrifttum
Dunstable Anglicus ille, Dufay, Leonel, Plumere, Frier, Busnoys, Morton, Octinghem, Pelagulfus, Micheleth, Baduin, Forest, Stane, Fich, Caron.46
Hothby stellt Dunstaple an den Anfang seiner Liste und somit nur implizit an den Beginn der kompositionstechnischen Neuerungen. Johannes Tinctoris tut dies ganz explizit. Johannes Tinctoris (um 1435 – 1511) erhielt seine Ausbildung vermutlich an einer Matrise in der Nähe seines Heimatortes bei Nivelles. 1460 war er kurze Zeit als Sänger an der Kathedrale in Cambrai, wo zu dieser Zeit auch Dufay tätig war. Im gleichen Jahr noch wechselte er an die Kathedrale von Orleans und studierte dort Jura. In den späten 1460er Jahren unterrichtete er Chorknaben an der Kathedrale von Chartre. In den frühen 1470er Jahren ging Tinctoris an den Hof des Königs von Neapel. Hier war er nicht nur als Sänger und Kaplan tätig, sondern auch als Jurist und Musiklehrer. Er hielt Verbindung zu den führenden Humanisten der Zeit und zum Hof der d’Este in Ferrara. In den 1490er Jahren reiste er nach Rom und Buda, nachdem er seine Stellung in Neapel vermutlich aufgegeben hatte. Über die letzte Jahre seines Lebens ist wenig bekannt. Seine Schriften, die größtenteils in Neapel entstanden, beschreiben die theoretische Grundlage der franko-flämischen Polyphonie. Sie sind didaktisch konzipiert und decken alle Aspekte der Musiklehre ab.47
Im Traktat Proportionale musices48 von 1473 beschreibt Tinctoris die englischen Komponisten, allen voran Dunstaple, als Ursprung des neuen Stils: Quo fit ut hac tempestate facultas nostrae musices tam mirabile susceperit incrementum quod ars nova esse videatur, cuius, ut ita dicam, novae artis fons et origo apud Anglicos quorum caput Dunstaple exstitit, fuisse perhibetur, et huic contemporanei fuerunt in Gallia Dufay et Binchois, quibus immediate successerunt moderni Okeghem, Busnois, Regis et Caron, omnium quos audiverim in compositione praestantissimi.49 46 Ebd., S. 65. Strohm hält die Liste der Komponistennamen für einen Einschub (The Lucca Choirbook, hrsg. von Reinhard Strohm, Chicago 2008 (= Late Medieval and Early Renaissance Music in Facsimile)). In jedem Falle zeugt sie von der Tradition solcher Listen, an deren Anfang der Name Dunstaple steht. »Johannes Muris, der keineswegs zu verachtende Verfasser der Ars musica, untersucht, warum es in der Musik nicht mehr und nicht weniger als sieben Saiten oder auch Buchstaben gibt, von denen [Buchstaben] es auch nicht 1000 [gibt], die wir Gedichten einfach zumessen. Dies wird genügend bewiesen in der Messe Te gloriosus, in der ein hohes geschwärztes G jenen Gesang eröffnet wie ein Schlüssel die Tür [= ein G-Schlüssel ist vorgezeichnet], und gerade in sehr vielen anderen ganz neuen Kirchengesängen, deren Schöpfer größtenteils noch leben: jener Engländer Dunstaple, Dufay, Leonel, Plumere, Frier, Busnoys, Morton, Octinghem, Pelagulfus, Micheleth, Baduin, Forest, Stane, Fich und Caron.« 47 Vgl. Ronald Woodley, Artikel »Tinctoris, Johannes«, in: NGroveD; Michele Calella, Artikel »Tinctoris, Johannes«, in: MGG2, Personenteil. 48 In: Johannis Tinctoris Opera theoretica, hrsg. von Albert Seay, 3 Bde., Rom 1975 – 78, (= CSM 22), Bd. 2a, S. 9 – 60. 49 Ebd., Bd. 2a, S. 10. »Daher kommt es, dass in der Gegenwart die Kraft unserer Musik eine so erstaunliche
Theoretische Quellen
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Die gleiche Abfolge von Komponistengenerationen findet sich auch in Tinctoris’ Liber de arte contrapuncti50 von 1477. Hier erwähnt er Dunstaple mit Dufay und Binchois als Vorläufer für die Generation der niederländischen Komponisten: Hac vero tempestate, ut preateream innumeros concentores venustissime pronuntiantes, nescio an virtute cuiusdam caelestis influxus an vehementia assiduae exercitationis infiniti florent compositores, ut Johannes Okeghem, Johannes Regis, Anthonius Busnois, Firminus Caron, Guillermus Faugues, qui novissimis temporibus vita functos Johannem Dunstaple, Egidium Binchois, Guillermum Dufay se praeceptores habuisse in hac arte divina gloriantur.51
Wie allerdings der neue Stil kompositionstechnisch entwickelt wurde, lässt auch Tinctoris offen. Er schreibt dies entweder einem Wunder zu oder der unermüdlichen Arbeit der Komponisten. Im Traktat Complexus effectuum musices,52 der zwischen 1472 und 1475 entstand, wird im 19. Kapitel »Musica peritos in ea glorificat« eine ähnliche Reihe von Komponisten aufgezählt, an deren erster Stelle wieder Dunstaple genannt wird: Nostro autem tempore experti sumus quanti plerique musici gloria sint affecti. Quis enim Johannem Dunstaple, Guillelmum Dufay, Egidium Binchois, Johannem Okeghem, Anthonium Busnois, Johannem Regis, Firminum Caron, Jacobum Carlerii, Robertum Morton, Jacobum Obrecht non novit?53
Die englischen Komponisten werden bei Hothby und Tinctoris als Wegbereiter des neuen Stils beschrieben. Dabei wird teils unspezifisch nur ihre Nationalität
50 51
52 53
Steigerung erfahren hat, dass es den Anschein hat, als gäbe es eine neue Kunst; Quelle und Ursprung dieser sozusagen neuen Kunst hätten sich, so wird behauptet, bei den Engländern befunden, als deren führender Kopf Dunstaple hervorgetreten ist; seine Zeitgenossen waren in Frankreich Dufay und Binchois, auf die unmittelbar die jetzt lebenden Okeghem, Busnois, Regis und Caron folgten, von allen, die ich gehört habe, die herausragendsten, was die Komposition angeht.« In: Ebd., Bd. 2, S. 11 – 89. Ebd., Bd. 2, S. 12. »Doch in der Gegenwart stehen – um die vielen Choristen zu übergehen, die wunderschön vortragen – vielleicht aufgrund der Wunderkraft eines gewissen himmlischen Einflusses oder wegen der starken Wirkung der unablässigen Anwendung zahllose Komponisten wie Johannes Okeghem, Johannes Regis, Anthonius Busnois, Firminus Caron, Guillermus Faugues uneingeschränkt in hohem Ansehen, die sich rühmen, sie hätten die vor kurzem verstorbenen Johannes Dunstaple, Egidius Binchois, Guillermus Dufay als Lehrmeister in dieser göttlichen Kunst gehabt.« In: Ebd., Bd. 2, S. 165 – 177. Ebd., Bd. 2, S. 176. Die Namen Carlerius und Obrecht wurden in einer späten Bearbeitung des Textes hinzugefügt. Vgl. »That liberal and virtuous art«: Three Humanist Treatises on Music, hrsg. von J. Donald Cullington und Reinhard Strohm, Newtownabbey 2001, S. 17 f. »In unserer Zeit haben wir aber erfahren, welch hohes Maß an Berühmtheit die meisten Musiker [Komponisten] erreicht haben. Wer kennt nämlich nicht Johannes Dunstaple, Guillelmus Dufay, Egigius Binchois, Johannes Okeghem, Anthonius Busnois, Johannes Regis, Firminus Caron, Jacobus Carlerii, Robertus Morton und Jacobus Obrecht?«
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Die contenance angloise im Schrifttum
genannt, teils werden Komponisten namentlich aufgelistet. Hothby nennt viele verschiedene Namen, Tinctoris jedoch nur Dunstaple, der bei ihm stellvertretend für die englischen Komponisten steht.54 Zudem gliedert Tinctoris die Abfolge der Komponisten in Generationen, die stilistisch aufeinander aufbauen. Ähnlich wie schon im Traktat des Anonymus IV äußern sich auch die Musiktheoretiker des 15. Jahrhunderts zu den sängerischen Fähigkeiten der Engländer. In dem anonym überlieferten Traktat De origine et effectu musicae55 ist um 1430 zu lesen: Anglia cantorum nomen gignit plurimorum.56
Tinctoris lobt zwar den Gesang der Engländer im Traktat Proportionale musices,57 hält sie aber gleichzeitig für wenig einfallsreich in der Komposition: Anglici nunc, licet vulgariter iubilare, Gallici vero cantare dicantur, veniunt conferendi, illi etenim in dies novos cantus novissimae inveniunt, ac isti, quod miserrimi signum est ingenii, una semper et eadem compositione utuntur.58 Franchino Gaffurio (1451 – 1522) wurde in Lodi geboren und erhielt dort seine erste theologische und musikalische Ausbildung. Nachdem er die Priesterweihe erhalten hatte, ging er 1474 als Musiklehrer an den Hof von Ludovico Gonzaga in Mantua, wo er seine ersten Schriften verfasste. Kurze Zeit später unterrichtete er öffentlich in Verona. 1477 holte ihn der Doge als Lehrer nach Genua, später ging Gaffurio mit ihm ins Exil nach Neapel, wo auch Tinctoris tätig war. 1480 kehrte er nach Lodi zurück. Drei Jahr später war er kurzzeitig als Leiter der Kapelle in Bergamo tätig, 1484 erhielt er dieselbe Position am Dom von Mailand. Hier entstanden neben weiteren theoretischen Schriften die meisten seiner Kompositionen. An der Mailänder Universität wurde er vermutlich 1492 Professor für Musik und hielt diese Position bis zu seinem Lebensende. Gaffurio stand in Kontakt mit anderen Musiktheoretikern wie Tinctoris und Ramos de Pareia. Der Austausch mit Giovanni Spataro entwickelte sich jedoch zu einem erbitterten Streit. In seinen Schriften strebte Gaffurio an, die Werke von Boethius zu ersetzen, indem er alle verfügbaren la54 Zum Einfluss der humanistischen Geschichtsauffassung auf Tinctoris Beschreibung des neuen Stils vgl. Rob C. Wegman, Johannes Tinctoris and the ›New Art‹, in: ML 84 (2003), S. 171 – 188. 55 Gilbert Reaney, The Anonymous Treatise »De origine et effectu musicae«, an early 15th Century Commonplace Book of Music Theory, in: MD 37 (1983), S. 109 – 119. 56 Ebd., S. 112. »England schafft den Ruhm der meisten Sänger.« 57 In: Johannis Tinctoris Opera theoretica (s. Anm. 48), Bd. 2a, S. 9 – 60. 58 Ebd., Bd. 2a, S. 10. »Mag man jetzt von den Engländern auch behaupten, sie vollführen gewöhnlich Freudengesänge, von den Franzosen aber, dass sie singen, sie kommen [hier nun] zum Vergleich: jene [die »praestantissimi compositores« Busnois, Ockeghem und Caron des vorhergehenden Satzes; Zitat s. oben] erfinden nämlich von Tag zu Tag neue Gesänge neuester [Gestaltung], und diese [die Engländer] verwenden immer ein und dieselbe Gestaltung, was ein Zeichen ärmster Erfindungsgabe ist.«
Merkmale der englischen Musik
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teinischen und griechischen Quellen zur Musik kompilierte und kommentierte. Da er Griechisch nicht verstand, ließ er die Texte von Mailänder Humanisten übersetzen.59
Zu einem ähnlichen Urteil über den Gesang der Engländer – mit fast den gleichen Worten – kommt noch Ende des Jahrhunderts Franchino Gaffurio in seinem Traktat Theorica musice:60 Anglici enim concinendo iubilant. cantant Galici. Hyspani ploratus promunt. Germani ululatus. Italorum nonnullos ut genuenses & qui ad eorum littora resident caprizare ferunt.61
Ähnliche Vergleiche nationaler Eigenarten sind auch in den theoretischen Texten zu den bildenden Künsten und zur Sprache finden.62 Tinctoris und Gaffurio orientieren sich somit eher an zeitgenössischen Texten anderer Disziplinen als an historischen Vorbildern.
c.
Merkmale der englischen Musik
Während sich die Aussagen über englische Musik im Traktat Anonymus IV noch auf aufführungspraktische Aspekte und die Qualität des Singens beschränken, werden in den später entstandenen Schriften auch spezifisch englische Kompositionstechniken, wie Gymel, Faburden, englischer Diskant und das sightSingen, beschrieben. Alle diese Kompositionstechniken enthalten improvisatorische Elemente, da nicht alle Stimmen vom Komponisten notiert sind, und führen zu einem durchweg konsonanten Klang. In den Beschreibungen der Kompositionstechnik stehen Ausführung, Gesangsstil und Klang im Mittelpunkt. Für die Autoren waren somit die Einbeziehung improvisatorischer Elemente, wie auch das ganz konkrete, hörbare Ergebnis dieser Improvisation im Gesang – der konsonante Klang der Musik – wichtige Aspekte der englischen Musik. Die Attribute, die die Autoren der englischen Musik beifügen, sind je nach musikalischem Bildungsgrad des Schreibenden unterschiedlich. Ist die Musik, die er hört, für Gatari einfach nur »englisch«, so fügt Richental der Herkunfts59 Vgl. Bonnie J. Blackburn, Artikel »Gaffurius, Franchinus«, in: NGroveD; Walter Kreyszig und Ludwig Finscher, Artikel »Gaffurio, Franchino«, in: MGG2, Personenteil. 60 Theorica musice Franchini Gafuri Laudensis, Mailand 1492; Facsimile: New York 1967. 61 Ebd., f. kvr. »Die Engländer lobsingen, indem sie mehrstimmig [konsonant] singen. Die Franzosen singen. Die Spanier bringen Wehklagen vor. Die Deutschen Geheul. Es heißt, einige Italiener, wie die Genuesen und die Bewohner ihrer Küsten, meckerten.« 62 Vgl. Ronald Woodley, Renaissance Music Theory as Literature: On Reading the »Proportionale Musices« of Iohannes Tinctoris, in: Renaissance Studies 1 (1987), S. 209 – 220.
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Die contenance angloise im Schrifttum
angabe das qualifizierende Attribut »süß« bei. LeFranc steuert als weiteres Attribut »neu« zu. Als Merkmale des neuen Stils, der für ihn wie für Tinctoris maßgeblich von der englischen Musik geprägt wurde, führt LeFranc sowohl kompositionstechnische Eigenheiten als auch Hörerfahrungen an: Pour quoy merveilleuse plaisance Rend leur chant joieux et notable.63
Tinctoris beschreibt wie Le Franc die englische Musik nur indirekt. Er erklärt sie im Liber de arte contrapuncti und Proportionale musices zum Vorläufer eines neuen Stils. Im ersteren Traktat belegt er diesen neuen Stil mit den schon bekannten Attributen »süß« und »konsonant«. So heißt es im Liber de arte contrapuncti direkt im Anschluss an die Auflistung der zeitgenössischen Komponisten und ihrer Vorläufer Dunstaple, Dufay und Binchois: Quorum omnium omnia fere opera tantam suavitudinem redolent ut, mea quidem sententia, non modo hominibus heroibusque verum etiam Diis immortalibus dignissima censenda sint. Ea quoque profecto numquam audio, numquam considero quin laetior ac doctior evadam, unde quemadmodum Vergilius illo opere divino Eneidos Homero, ita iis Hercule, in meis opusculis utor archetypis. Praesertim autem in hoc in quo, concordantias ordinando, approbabilem eorum componendi stilum plane imitatus sum.64
Nicht nur beschreibt Tinctoris den Klang der Kompositionen im neuen Stil als süß und konsonant,65 sondern er schreibt ihr zudem eine Wirkung zu: sie mache ihn klug und heiter. Hier zeigt sich Tinctoris’ humanistische Auffassung, die die Musik in ihrem Klang wahrnimmt und in ihr zugleich eine ethische Kraft sieht. Gleichzeitig stellt er die Kompositionen des neuen Stils als Vorbilder für sich selbst und andere Komponisten dar. Während die Attribute »süß« und »konsonant« bei Tinctoris und Le Franc im 63 Zitiert nach Fallows, The ›contenance angloise‹ (s. Anm. 14), S. 207. 64 In: Johannis Tinctoris Opera theoretica (s. Anm. 48), Bd. 2, S. 12 f. »Nahezu sämtliche Werke all dieser [Komponisten] verströmen eine so große Süße, dass sie, zumindest meiner Ansicht nach, nicht nur Menschen und Halbgöttern, sondern auch den unsterblichen Göttern als höchst angemessen zu bewerten sind. Auch sie höre ich in der Tat niemals, stelle nie Betrachtungen [über sie] an, ohne heiterer und klüger daraus hervorzugehen; deshalb verwende ich sie beim Herakles so, wie Vergil in jenem göttlichen Werk der Aeneis den Homer, in meinen bescheidenen Werken als Vorbilder. Besonders aber habe ich ihren anerkennenswerten Kompositionsstil im Anordnen der Zusammenklänge ausdrücklich nachgeahmt.« 65 Die Bedeutung der Phrase »suavitudinem redolent« ist umstritten: Christoper Page deutet sie als Hinweis auf Synästhetik (Reading and Reminiscence: Tinctoris on the Beauty of Music, in: JAMS 49 (1996), S. 1 – 31); Reinhard Strohm dagegen sieht sie in ciceronianischer Tradition als Qualität der eloquentia (Music, Humanism and the Idea of a Rebirth of the Arts, in: Music as Concept and Practice in the Late Middle Ages, hrsg. von Reinhard Strohm und Bonnie J. Blackburn, Oxford 2001 (= NOHM III / 1), S. 346 – 388, hier S. 366 f. ).
Merkmale der englischen Musik
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Rückblick und indirekt auf englische Kompositionen angewandt werden, wählt Richental die gleichen Attribute im direkten Zusammenhang mit englischer Musik. Tinctoris’ Beschreibung des neuen Stils kommt also einer Beschreibung des »englischen Stils« sehr nahe. Die Hervorhebung der typischen Eigenarten der englischen Musik weist zudem auf ein gewandeltes Musikverständnis hin. Reinhard Strohm66 identifiziert das Ideal einer nationalen Kultur als eines der zentralen Elemente der frühhumanistischen Literatur. These three ideas – the emphasis on a renewal of classical eloquence, the belief in a common bond between the arts, and the ideal of a national culture – are primary topics of early humanist literature.67
Alle Beschreibungen der englischen Musik stellen zudem das Gehörte, also rezeptionsästhetische Kriterien, in den Vordergrund. Dies kann sogar für die Traktate behauptet werden, die sich mit Kompositionstechniken befassen, da alle als spezifisch englisch besprochenen Techniken improvisierte Elemente und einen durchweg konsonanten Klang aufweisen. Diese Hervorhebung ästhetischer Kriterien weist auf erste Ansätze von humanistischem Gedankengut im Musikschrifttum hin. Nicht zuletzt führt Tinctoris den Vergleich mit Homer und Vergil an genau der Stelle an, in der es um einen neuen Stil in der Musik und um dessen Ursprung geht.
66 Music, Humanism and the Idea of a Rebirth of the Arts (s. Anm. 65). 67 Ebd., S. 349 f.
2. Musiktheorie und Humanismus
Bereits im 15. Jahrhundert lassen sich einige Hinweise auf humanistische Einflüsse im Umgang mit Musik erkennen. Schon allein der Sammelwille, der zur Erstellung der großen Codices führte, lässt sich mit der Sammeltätigkeit der Humanisten vergleichen. Martin Staehelin1 führt zur Untermauerung einer Analogie zwischen den Trienter Codices und humanistischen Sammelhandschriften das Format der Codices an, das die Handschrift zum gottesdienstlichen Gebrauch gänzlich ungeeignet erscheinen lässt. Zudem ist die Anlage der Codices den Sammelhandschriften der Humanisten ähnlich: In großem Umfang wurden ganz unterschiedliche Werke zusammengetragen, wobei sich an verschiedenen Stellen die Gruppierung von Werken nach Gattung oder Autor bzw. Komponist erkennen lässt. Oft wird in Sammlungen das Material aber auch bewusst ausgewählt und geordnet. Dies gilt gleichermaßen für die Bibliotheken der Herzöge von Bedford und Gloucester, für die enzyklopädischen Schriften des John Whethamstede, wie auch für Musikhandschriften. Diese werden vermehrt nach systematischen Kriterien wie Gattung oder Herkunftsland angelegt. Besonders die Überarbeitungen der Handschrift Bologna Q 15 lassen immer wieder neue Kriterien der Anordnung erkennen. Aufgrund der großen Anzahl von Werken für einen lokalen Kontext stellt Margaret Bent2 die Entstehung der Handschrift in einen Zusammenhang mit den Humanistenkreisen in Padua. Anlage und Format der Quellen können durch Äußerlichkeiten Aufschluss über den Einfluss eines humanistischen Umfelds auf den Umgang mit Musik 1 Martin Staehelin, Trienter Codices und Humanismus, in: I Codici Musicali Trentini a Cento Anni dalla loro Riscoperta, hrsg. von Nino Pirotta und Danilo Curti, Trient 1986, S. 158 – 169. Reinhard Strohm (Artikel »Trienter Codices«, in: MGG2, Sachteil) argumentiert entgegengesetzt: Die Trienter Codices sind von einem Kirchenmusiker angelegt, um mit dieser großen Sammlung sein Chorschulrepertoire zu bestreiten. Dagegen spricht jedoch das Format der Codices, das für den Gebrauch – sei es im Gottesdienst oder in der Schule – zu klein ist. 2 Margaret Bent, Humanists and Music, Music and Humanities, in: Tendenze e Metodi nella Ricerca Musicologica, hrsg. von Raffaele Pozzi, Florenz 1995, S. 29 – 38.
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Musiktheorie und Humanismus
geben. Reinhard Strohm3 nennt drei inhaltliche Aspekte, die zentral für die Idee des Humanismus erscheinen: das Aufkommen eines Nationalbewusstseins, die Wiederbelebung der klassischen Eloquenz und die Verbindungen unter den Künsten. Der erstere Aspekt wurde im vorigen Kapitel erörtert, die letzteren beiden lassen sich in Bezug auf die Musik nur schwer greifen. Sie können unter dem Gesichtspunkt des Zusammenhangs von Musik und Sprache oder der musikalischen Rhetorik gefasst werden und sollen, da sie sich vornehmlich in der Kompositionstechnik zeigen, später untersucht werden.4 Die Verbindung zwischen Musik und Sprache tritt auch im Schrifttum des 15. Jahrhunderts zutage: Musiktheoretiker beziehen sich auf klassische Literatur sowie Rhetorik, und Humanisten schreiben über die Verbindung zwischen Poesie und Musik.5 Kontakte zwischen Musiktheoretikern und Humanisten zeigten sich schon in Johannes Tinctoris’ Aussagen über die englischen Komponisten und den neuen Stil, denn er argumentiert hier wie die Humanisten, die eine Renaissance der Künste konstatieren, indem er einen Wandel in der Musik ausmacht und Datum, beteiligte Personen sowie beispielhafte Kompositionen benennt.6 Im Folgenden sollen drei Aspekte untersucht werden, die vom Einfluss humanistischer Ideen zeugen und zentral für die musiktheoretischen Schriften des 15. Jahrhunderts sind: die Auseinandersetzung mit der griechischen Musiktheorie, die universelle Bildung der Autoren und eine ästhetische Kategorisierung von Musik. Dargestellt werden diese Aspekte am Beispiel der vier Autoren, die im vorigen Kapitel die Beschreibungen der englischen Eigenarten in der Komposition und der Aufführung lieferten.
a.
Antike Musiktheorie
Die Sammeltätigkeit der Humanisten und die damit verbundene Wiederentdeckung antiker Texte schlossen auch musiktheoretische Schriften ein. So lagen bis zum Ende des 15. Jahrhunderts die musiktheoretischen Schriften von Euklid, Pseudo-Aristoteles, Athenaeus, Quintilian, Bacchius d. Ä., Claudius Ptolemaeus und Plutarch zumindest auf Griechisch, wenn nicht in lateinischer oder italie3 Music, Humanism and the Idea of a Rebirth of the Arts, in: Music as Concept and Practice in the late Middle Ages, hrsg. von Reinhard Strohm und Bonnie J. Blackburn, Oxford 2001 (= NOHM III / 1), S. 346 – 388, hier S. 349 f. Zitat s. Ende des letzten Kapitels. 4 Im Kapitel III.4: contenance angloise und Humanismus in der Musik. 5 S. Kapitel III.3: Die Humanisten und die Musik. 6 Vgl. Reinhard Strohm, The Humanist Idea of a Common Revival of the Arts, in: Interdisciplinary Studies in Musicology, hrsg. von Jan Steszewski und Maciej Jablonski, Poznan 1997, S. 7 – 26 und Rob C. Wegman, Johannes Tinctoris and the ›New Art‹, in: ML 84 (2003), S. 171 – 188.
Antike Musiktheorie
135
nischer Übersetzung vor.7 Sind aus dem 11. bis 13. Jahrhundert nur 17 Abschriften von antiken musiktheoretischen Traktaten bekannt, so waren es allein im 14. Jahrhundert schon 23. Im 15. und 16. Jahrhundert stieg die Anzahl der Abschriften auf über 200 an.8 Schon in der Quantität der Abschriften antiker musiktheoretischer Texte zeigt sich das zunehmende Interesse sowohl auf Seiten der Humanisten als auch auf Seiten der Musiktheoretiker an diesen Quellen. Da jedoch die meisten der sammelnden Humanisten keine musikalische Ausbildung hatten, wurden viele musiktheoretische Texte zunächst nicht weiter beachtet. So entstand eine große Verzögerung zwischen der Entdeckung musikalisch relevanter Texte und deren Verarbeitung in der Musiktheorie. Denn obwohl antike musiktheoretische Schriften schon seit dem 14. Jahrhundert wieder zugänglich waren, wurden sie erst ab Mitte des 15. Jahrhunderts in musiktheoretischen Schriften diskutiert. Ein weiterer Grund für die Verzögerung in der Rezeption griechischer Musiktheorie bei den Musiktheoretikern des 15. Jahrhunderts waren deren mangelnde Griechischkenntnisse. Erste lateinische Übersetzungen wurden nicht vor der Mitte des 15. Jahrhunderts gefertigt: So erschienen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gleich zwei neue Übersetzungen der Problemata des Aristoteles,9 sowie die Übersetzungen Giorgio Vallas des Harmonicum introductorium von Kleoneides, der Sectio canonis unter dem Namen Euklids und der Poetik des Aristoteles im Druck. Volkssprachliche Übersetzungen folgten im 16. Jahrhundert.10 Während sich Musiktheoretiker durch das gesamte Mittelalter auf Boethius, Macrobius oder Cassiodorus bezogen, wurden nun neue Quellen der Information erschlossen. Besonders am Beispiel des Boethius wird deutlich, dass die Wiederentdeckung griechischer Texte keinen Bruch oder extremen Wandel in der Musiktheorie nach sich zog, da eine kontinuierliche Überlieferung auch im Mittelalter stattgefunden hatte.11 Vielmehr konnten Unklarheiten und Verzer-
7 Vgl. Claude V. Palisca, Humanism in Italian Renaissance Musical Thought, Ann Arbor 1985, besonders S. 23 – 50, hier S. 23 – 35. 8 Thomas J. Mathiesen, Hermes or Clio? The Transmission of Ancient Greek Music Theory, in: Musical Humanism and its Legacy – Essays in Honour of Claude V. Palisca, hrsg. von Nancy Kovaleff Baker und Barbara Russano Hanning, Stuyvesant 1992 (= Festschrift Series 11), S. 3 – 35, hier S.15. 9 1452 von Giorgio da Trebisonda, 1473 / 75 von Teodore Gaza. 10 Zu den Übersetzungen griechischer Traktate ins Lateinische und Italienische vgl. F. Alberto Gallo, Die Kenntnis der griechischen Theoretikerquellen in der italienischen Renaissance, in: F. Alberto Gallo, Renate Groth, Claude V. Palisca und Frieder Rempp, Italienische Musiktheorie im 16. und 17. Jahrhundert: Antikenrezeption und Satzlehre, Darmstadt 1989 (= Geschichte der Musiktheorie 7), S. 7 – 38. 11 Zur Boethiusüberlieferung und -rezeption im Mittelalter vgl. Michael Bernhard: Überlieferung und Fortleben der antiken lateinischen Musiktheorie im Mittelalter, in: Michael Bernhard, Arno Brost, Detlef Illmer, Albrecht Riethmüller und Klaus Jürgen Sachs, Rezep-
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Musiktheorie und Humanismus
rungen der griechischen Musiktheorie, die durch Boethius überliefert worden waren, nachgeprüft und aufgeklärt, und somit die Vorstellung von griechischer Musik und Musiktheorie konkretisiert werden. War von Boethius im Mittelalter hauptsächlich die Lehre vom Monochord und der arithmetischen Ableitung der Intervalle als Grundlage der Musiktheorie zitiert worden, richtete sich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts das Interesse der Musiktheoretiker auf andere Aspekte seiner Überlieferung der griechischen Musik und Musiktheorie, etwa die Modus- und Ethoslehre. Schon Johannes Gallicus erkannte im Ritus Canendi, dass Boethius nur Übermittler dieser Theorien und nicht etwa ihr alleiniger Autor war. Er benannte zudem deutlich den Unterschied zwischen griechischen Tropen und mittelalterlichen Kirchentonarten.12 Zuvor hatte die Gleichsetzung dieser beiden Tonsysteme in der Beschäftigung mit Boethius für viel Unklarheit gesorgt. Guilielmus Monachus zieht in seinem Traktat De preceptis artis musice Boethius zur Klassifizierung der Intervalle mit Hilfe der arithmetischen Proportionen in konsonant und dissonant heran. Er folgt in seinem Umgang mit Boethius noch gänzlich der mittelalterlichen Tradition. Nota quod secundum Boetium septem sunt consonantiae, scilicet, tonus, semitonus, ditonus, semiditonus, diapason, diapente et diatesseron, de quibus determinabitur in sequentibus et de deductionibus et mutationibus exemplariter notatis.13
Wie Monachus bezieht sich auch Johannes Hothby in der Beschreibung des Monochords, der arithmetischen Proportionen der Intervalle und der Modi in seiner Excitatio14 auf Boethius. Jedoch ist ihm schon bewusst, dass Boethius nicht der Autor dieser Theorien ist, denn er nennt ihn als Überlieferer der Lehren des Pythagoras, Platos und des Aristoxenos.
tion des Antiken Fachs im Mittelalter, Darmstadt 1990 (= Geschichte der Musiktheorie 3), S. 7 – 35, hier S. 24 – 31. 12 Vgl. Claude V. Palisca, Boethius in the Renaissance, in: Music Theory and its Sources: Antiquity and the Middle Ages, hrsg. von Andr¦ Barbera, Notre Dame 1990 (= Notre Dame Conferences in Medieval Studies 1), S. 259 – 280, hier S. 260 – 263. 13 Guilielmi Monachi De preceptis artis musicae, hrsg. von Albert Seay, Rom 1965 (= CSM 11), S. 15 – 59, hier S. 32. »Merke dir, dass es nach Boethius sieben Zusammenklänge gibt, nämlich den Ganzton, den Halbton, die große Terz, die kleine Terz, die Oktav, die Quint und die Quart, bezüglich denen im Folgenden Bestimmungen vorgenommen werden sollen, über Ableitungen und über beispielhaft dargestellte Veränderungen.» 14 Excitatio, in: Johannis Octobi Tres tractatuli contra Bartholomeum Ramum, hrsg. von Albert Seay, Rom 1964 (= CSM 10), S. 17 – 57.
Antike Musiktheorie
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Semitonium maius, quod Plato (ut idem Boetius scribit) apothome appellat, […]15 […] sic enim Boetius, libro quinto, capite quarto, auctoritate Aristoxeni docet:16 […] sic enim Boetius, quem auctorem praecipue sequor, libro primo, capitulo secundo, meminit de Pythagora loquens:17
Auch Tinctoris zieht Boethius im Liber de arte contrapuncti als Autorität zu den arithmetischen Proportionen der Intervalle und zu den Modi heran, doch weiß er um dessen Status als bloßer Überlieferer. Hinc, ut dictum est, secunda perfecta vulgariter appellatur. Et quamvis tonus ipse, prout Macrobius Boethiusque referunt a Pythagora, in proportione sesquioctave consistere inventus sit, non tamen sequitur quod concordet, manifestissimum enim est omnes proportiones etiam superparticulares concordantias non efficere.18
Zudem ist Boethius nicht mehr einzige Quelle der von Tinctoris beschriebenen Phänomene, sondern nur eine unter vielen. Dabei nennt Tinctoris nicht nur die schon im Mittelalter bekannten Autoren neben Boethius, sondern auch die erst kürzlich wiederentdeckten. Quod priusquam exequar, silentio praeterire nequeo complures philosophus ut Platonem, Pythagoram eorumque sequaces, Ciceronem, Macrobium, Boethium ac nostrum Isidorum, orbes siderum sub harmonica modulatione, hoc est concordantiarum diversarum concentu revolvi. […] Concordantiae igitur vocum et cantuum quorum suavitate, ut inquit Lactantinus, aurium voluptas percipitur, non corporibus caelestibus sed instrumentis terrenis cooperante natura conficiuntur, quibusquidem concordantiis, licet veteres etiam musici ut Plato, Pythagoras, Nicomachus, Aristoxenus, Philolaus, Archytas, Ptolomaeus ac alii numerosi, ipse quoque Boethius, operosissime incubuerint, tamen qualiter ordinare componereque soliti sint nobis minime notum est.19 15 Ebd., S. 22. »Der größere Halbton, den Platon (wie derselbe Boethius schreibt) apothome nennt, …« 16 Ebd., S. 30. »… so nämlich lehrt Boethius im fünften Buch, im vierten Kapitel unter Berufung auf Aristoxenos.« 17 Ebd., S. 33. »… so nämlich denkt Boethius, dem als Gewährsmann ich vor allen folge, im ersten Buch im zweiten Kapitel an Pythagoras, indem er sagt:« 18 Liber de arte contrapuncti, in: Johannis Tinctoris Opera theoretica, hrsg. von Albert Seay, 3 Bde., Rom 1975 – 78 (= CSM 22), Bd. 2, S. 92. »Daher wird sie, wie gesagt wurde, gewöhnlich als perfekte Sekunde bezeichnet. Und obschon Pythagoras, wie Macrobius und Boethius berichten, herausgefunden hat, dass sie in der Proportion der Sesquioktav steht, so folgt trotzdem nicht, dass sie konsonant ist, denn es ist völlig bekannt, dass nicht alle superpartikularen Proportionen Konsonanzen erzeugen.« 19 Ebd., S. 11 f. »Bevor ich dies ausführe, kann ich unmöglich mehrere Philosophen, wie Platon, Pythagoras und deren Nachfolger Cicero, Macrobius, Boethius und unseren Isidor stillschweigend übergehen, die meinten, dass die Gestirne nach einem harmonischen Gesang, das heißt unter
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Musiktheorie und Humanismus
Für eine gänzlich andere Beweisführung zieht er Boethius in De inventione et usu musice heran. Hier ist Boethius nicht mehr Überlieferer nur der mathematischen Eigenschaften der Musik, sondern beschreibt zudem die Wirkmächtigkeit der Musik. Quietum ac lenem somnum prouocat, et rursus stuporem ipsius et confusionem purgat. Boetius: In tantum prisce philosophie studiosis uis musice artis innotuit, ut Pythagorici, quom diurnas insomnos resoluerent curas, quibusdam cantilenis uterentur, ut quietus ac lenis sopor irreparet.20 Iracundiam temperat. Boetius: Empedocles quom eius hospitem quidam gladio furibundus inuaderet, quod eius ille patrem accusatione damnasset, inflexisse dicitur modum canendi, atque adolescentis iracundiam temperasse.21
Die Schriften von Tinctoris markieren den Anfang einer neuen Rezeption der griechischen Musiktheorie. Boethius wird nunmehr als Übermittler und lediglich eine von vielen Quellen gesehen, der nicht nur die mathematischen Fundamente der Musik überliefert, sondern sich auch zu ihrer Wirkung äußert. Doch Tinctoris beschränkt sich nicht auf die Beschreibung der Wirkung von Musik, wie sie sich auch bei vielen Musiktheoretikern des Mittelalters findet, er geht einen Schritt weiter. Für ihn ist der Klang der Musik aufgrund seiner Wirkungsmacht ein potentes Mittel in der Bildung des Menschen.22 Hier zeigt sich ein Wandel in den Interessen der Musiktheoretiker von mathematischen zu ästhetischen Kriterien. Bei Francino Gaffurio sind die humanistischen Ansätze in der Musiktheorie dem Zusammenklang verschiedener Konsonanzen kreisen. […] Die Konsonanzen nun der Klänge und Melodien, durch deren Süße man, wie Lactantinus sagt, einen Genuss für die Ohren empfindet, werden nicht von Himmelskörpern, sondern von irdischen Instrumenten unter Mitwirkung der Natur erzeugt; mögen sich namentlich diesen Konsonanzen auch die alten Musikgelehrten wie Platon, Pythagoras, Nicomachus, Aristoxenos, Philolaos, Archytas Ptolemaeus und zahlreiche andere, auch sogar Boethius, mit größter Mühe gewidmet haben; es ist trotzdem zu wenig bekannt, in welcher Art man [sie] gewöhnlich angeordnet und zusammengestellt hat.« 20 Ronald Woodley, The Printing and Scope of Tinctoris’s Fragmentary Treatise »De inventione et vsv mvsice«, in: EMH 5 (1985), S. 259 – 68, hier S. 264. »Einen ruhigen und sanften Schlaf fördert sie, und andererseits macht sie frei von Gefühllosigkeit gegenüber sich selbst und von heftiger Aufregung. Boethius: In einem solchen Grade ist den Studierenden der alten Philosophie die Macht der Musik klar geworden, dass die Anhänger des Pythagoras, weil sie Alltagssorgen durch den Schlaf vertreiben wollten, ganz bestimmte Lieder verwendeten, damit sich ein ruhiger und sanfter Tiefschlaf einstelle.« 21 Ebd., S. 265. »Sie besänftigt den Zorn. Boethius: Empedokles soll, als auf seinen Gastfreund jemand wütend mit dem Schwert eindrang, weil jener dessen Vater in einer Anklage beschuldigt habe, die Art und Weise seines Singens abgewandelt und so den Zorn des jungen Mannes besänftigt haben.« 22 Vgl. J. Donald Cullington und Reinhard Strohm, »That liberal and virtuous art«: Three Humanist Treatises on Music, Newtownabbey 2001, S. 10 f..
Literarische Bildung der Autoren
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noch deutlicher ausgeprägt. Zwar wird Boethius noch immer als Hauptquelle zur griechischen Musiktheorie genutzt, doch bezieht Gaffurio in der Revision der Theorica musice auch neue Quellen ein, wie Plato, Aristoteles, PseudoPlutarch, Themistius und Bacchius.23 Zudem weist er auf Verbindungen zwischen den Künsten hin: Er nennt Vitruv als Vertreter der Architektur und versucht im letzten Kapitel von de harmonia, griechische Musik zu rekonstruieren, indem er Musik und Sprache über die Metrik miteinander verbindet. Et quos tandem uates uetustas coluit musica ratio non reliquit: Calcidius autem & Macrobius Censorinus & Cassiodorus Isidorus & Rabanus nec non & Fabius Quintilianus atque Vetruuius architector uiri grauissimi hanc musices disciplinam summo studio uenerari noscuntur. Sed Boetius seuerinus cuius ingenium neminem post eum legimus attigisse quicquid musice speculationi necessum putauit quincupartito uolumine acuratissime latina interpretatione complexus est.24
b.
Literarische Bildung der Autoren
Schon allein der Umgang der Musiktheoretiker mit neu aufgefundenen griechischen Texten zur Musiktheorie lässt Rückschlüsse auf den Grad und die Art der Bildung der Autoren zu. Noch umfangreicher zeigen die Autoren ihre Bildung jedoch in den so genannten laudes musicae. In den meisten musiktheoretischen Schriften findet sich ein Abschnitt, in dem die Bedeutung der Musik im Laufe der Geschichte mit Zitaten verschiedener Autoren belegt wird. Nicht nur Musiktheoretiker werden zitiert, sondern auch andere Wissenschaftler und Literaten. Die humanistisch gebildeten Musiktheoretiker legen hier Zeugnis ihrer umfassenden Belesenheit ab. Im Mittelalter gehörten Plato, Aristoteles, Boethius, Cassiodorus, Isidorus und die Kirchenväter zu den üblicherweise zitierten Autoritäten. Anfang des 15. Jahrhunderts finden sich vermehrt auch Zitate aus wieder aufgefundenen oder neu übersetzten Schriften der klassischen Antike, wie Cicero, Vergil oder Platos Timaeus. Weder in den Schriften des Monachus, noch in denen Hothbys finden sich 23 Vgl. Palisca, Boethius in the Renaissance (s. Anm. 12), S. 263. 24 Theorica musice Franchini Gafuri Laudensis, Mailand 1492; Facsimile: New York 1967, ff. aviv-aviir. »Und die Dichter schließlich, die das Altertum verehrt hat, hat die Musiktheorie nicht aufgegeben: Andererseits ist von Calcidius, Makrobius, Censorius, Cassiodor, Isidor, Rabanus, natürlich auch von Fabius Quintilianus und dem Baumeister Vitruv, hochbedeutenden Männern, bekannt, dass sie diese Methode der Musiktheorie mit höchster Begeisterung verehren. Aber Boethius Severinus, dessen Begabung niemand nach ihm, wie wir lesen, erreicht hat, hat alles, was nach seiner Auffassung für die musiktheoretische Betrachtung erforderlich ist, in einem fünfbändigen Werk sehr sorgfältig in lateinischer Erklärung zusammengefasst.«
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Musiktheorie und Humanismus
laudes musicae im engeren Sinne. Monachus‹ Traktat sowie die meisten Schriften Hothbys behandeln ausschließlich kompositionstechnische Aspekte der Musik und stützen sich dabei zumeist auf Boethius. Andere Quellen oder Schriften, die streng genommen nicht zur Musiktheorie gehören, werden nicht erwähnt. Nur zwei Schriften zeigen Ansätze humanistischer Einflüsse. In der Excitatio geht Hothby zwar gegen die neuen Ansichten an, die Pareia in seiner Musica Practica anführt,25 und verbleibt somit in der mittelalterlichen Auffassung der Musiktheorie als musica speculativa. Doch argumentiert er auf eine Art und Weise, die deutlich humanistische Einflüsse zeigt. So führt er einen wissenschaftlichen Diskurs, indem er Autoritäten der Musiktheorie wie Ptolemaeus, Pythagoras, Aristoxenos, natürlich Boethius und auch Aristoteles zur Unterstützung seiner Argumente heranzieht. Eruditi autem omnes contendunt Ptholomeum minus intellexisse Pythagoricos atque Aristoxenum quod illi differentiam sonorum putabant certiorem habere rationem in quantitate duntaxat, hic autem in qualitate, cum in utroque differentiam musicae consistere non inficiarentur, quemadmodum ex utrorumque auctoritate atque etiam Boetii facillime postea cognoscetur.26
In Hothbys Dialogus, der als klassisches Gespräch zwischen Lehrer und Schüler aufgebaut ist, werden neben den musiktheoretischen Autoritäten auch Autoren antiker Literatur wie Horaz und Vergil sowie Philosophen, unter anderen Socrates, zur Argumentation genannt.27 Tinctoris beschränkt die laudes musicae in seinen Schriften zur Kompositionstechnik auf das Vorwort. In den allgemeineren Schriften zur Musik – Complexus effectuum musices und De inventione et usu musicae – durchziehen sie das gesamte Traktat. Leofranc Holford-Strevens hat die Zitate und Anspielungen in diesen beiden Schriften zusammengetragen: In the Complexus Aristotle, Cicero, Horace, Vergil, Ovid, Statius, Quintilian, and Juvenal peep through the thicket of church authors, if we may count Isidore with the latter, as well as two hexameters from the medieval Summa musice. […] In De inventione we 25 Pareia meinte, dass Musiktheorie auch für Sänger praktikabel sein müsse und Musik nicht so sehr Philosophie, sondern Klang sei. 26 Excitatio (s. Anm. 14), S. 29. »Doch alle Gebildeten versichern, Ptholemeus habe die Pythagoreer und Aristoxenos zu wenig verstanden, weil jene [die Pythagoreer und Aristoxenos] der Meinung waren, dass die Verschiedenheit der Töne mit einem ganz bestimmten Zahlenverhältnis verbunden ist hinsichtlich der Quantität, dieser [Ptholemeus] aber hinsichtlich der Qualität, auch wenn sie [beide Partien] nicht leugnen, dass die Verschiedenheit in der Musik auf beidem beruhe, wie man infolge der Geltung beider Parteien und auch von Boethius später sehr leicht erkennen wird.« 27 Vgl. Dialogus Johanni Octobi Anglici in arte musica, in: Johannes Octobi Tres tractatuli contra Bartholomeum Ramum, hrsg. von Albert Seay, [Rom] 1964 (= CSM 10), S. 59 – 76, hier S. 63 und 67.
Literarische Bildung der Autoren
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find in quick succession Quintilian, Ovid, Vergil, Livy ; and Horace with the commentary attributed to Acro. Then come discussions of mythological songstresses: first the well-known sirens, then the Pierides, often identified with the Muses but made their rivals by Ovid, and Canens daughter of Janus, known only from Ovid; these authors recur, but there is also a reference to Porphyry, Gellius on Alcibiades’ rejection of the aulos, and quotations from Pliny, Plutarch, Valerius Maximus, Appian, Macrobius, Gellius again on the great Theban aulete Antigenidas, Eratosthenes, Statius, Seneca as tragic poet and Manilius. The additional matter discovered by Ronald Woodley adds Musaeus by way of Aristotle.28
Zwischen den Zitaten klassischer Autoren finden sich bei Tinctoris auch immer wieder Bibelzitate und Hinweise auf die Kirchenväter. Eine von ihm nicht belegte Quelle ist ein Traktat des Heiligen Basilius von Caesarea in der Übersetzung von Leonardo Bruni.29 Dennoch zeugt die Zitatensammlung von grundlegender humanistischer Bildung, denn sie bedient sich weit umfangreicheren Materials als die übliche Wiederholung von tradierten Zitaten. Im Traktat Proportionale musices von 1473 zeigt Tinctoris seine Belesenheit und Eloquenz auf andere Weise: Das Vorwort orientiert sich an Ciceros De oratore.30 Gaffurio bezieht nicht mehr nur neu aufgefundene oder übersetzte antike Schriften in seine revidierte Fassung von Theorica musice ein, sondern auch neue Schriften der Humanisten wie Francesco Filelfos Conuiuia, die sich auf Pseudo-Plutarch stützen und wenige Jahre zuvor im Druck erschienen waren. Zitate und Referenzen klassischer Autoren finden sich hauptsächlich im revidierten Abschnitt über die Wirkung von Musik. The section on the effects of music is vastly expanded with a whole sackful of learning; Gaffurius has evidently read Martianus Capella; he also cites Livy, Quintilian, and Dionysius of Halicarnassus’ Roman Antiquities, which had been translated from Greek into Latin by Lapo Birago in 1480 (Gaffurius had no Greek); furthermore he has taken a 28 Leofranc Holford-Strevens, The ›Laudes musicae‹ in Renaissance Music Treatises, Referat anlässlich der Medieval and Renaissance Music Conference, Jena 2003 (veröffentlicht in: Essays on Renaissance Music in Honour of David Fallows, hrsg. von Fabrice Fitch und Jacobijn Kiel, Woodbridge 2011, S. 338 – 348). Im letzten Satz bezieht sich Holford-Strevens auf Woodley, The Printing and Scope of Tinctoris’s Fragmentary Treatise (s. Anm. 20). Zu den Zitaten im Complexus vgl. auch Cullington und Strohm, »That liberal and virtuous art« (s. Anm. 22). 29 Es handelt sich um den Bericht über Timotheus, der mit seiner Musik das Verhalten Alexanders des Großen beeinflusst, im Sermo de legendis libris gentilium (1403 übersetzt). Reinhard Strohm geht den Versionen, Verwandlungen, der Interpretation und Rezeption der Timotheus Geschichte von Plutarch bis Alexander Pope nach in seinem Aufsatz Alexander’s Tinotheus: Towards a Critical »Biography«, in: Journal de la Renaissance 2 (2004), S. 107 – 134. 30 Vgl. Ronald Woodley, Renaissance Music Theory as Literature: on Reading the »Proportionale Musices« of Iohannes Tinctoris, in: Renaissance Studies 1 (1987), S. 209 – 220. Weitere Belege zur Imitation von Cicero bei Tinctoris bei Strohm, Music and Humanism (s. Anm. 3), S. 360 – 368.
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Musiktheorie und Humanismus
great deal from Censorinus, and naturally he knows his Boethius. Apuleius, Diodorus Siculus (translated by Poggio) and Cassiodorus also make guest appearances; Diogenes Laertius (translated by Traversari), though not named, supplies the names of Theodorus the writer on voicetraining, Xanthus of Athens, and Dionysidorus the aulete.31
Gaffurios Zurschaustellung von Bildung dient nicht mehr allein zum Beweis der Bedeutung von Musik. Der Autor zeigt sich damit wie mit der wissenschaftlichen Anmerkung seiner Quellen am Rand des Druckes als Fachmann auf dem Gebiet der Musiktheorie, darüber hinaus als allgemein gebildeter Gelehrter. Als ein solcher wird er denn auch von anderen Autoren als Musiktheoretikern zitiert.32
c.
Die ästhetische Beurteilung von Musik
Die neue Art der Beurteilung von Musik, die auf ästhetischen Kriterien beruht und nicht allein auf mathematischen Berechnungen, zeigt sich schon im Wandel der Rezeption der Schriften von Boethius. Waren für die mittelalterliche Musiktheorie seine Berechnungen der Proportionen die wichtigste Erkenntnis, die aus seinen Schriften übernommen wurde, beachten die humanistisch gebildeten Musiktheoretiker seit Tinctoris auch seine Äußerungen zur Wirkungsgewalt der Musik und zum musikalischen Ethos.33 Musik wird zunehmend als Klang wahrgenommen und nicht mehr als rein philosophische Angelegenheit der musica speculativa betrachtet. Somit bestimmt letztlich das Ohr die ästhetische Qualität der Musik.34 Porro omnis sexta, sive perfecta sive imperfecta, sive superior sive inferior fuerit, apud antiquos discordantia reputabatur, et ut vera fatear, aurium mearum iudicio per se audita, hoc est sola, plus habet asperitatis quam dulcedinis.35 31 Holford-Strevens, The ›Laudes musicae‹ (s. Anm. 28). 32 Zum Beispiel von Cesare Cesariano im Kommentar zu seiner italienischen Übersetzung des Vitruv (Como 1521). 33 Zur Musikästhetik in den Schriften des Tinctoris im Vergleich zu mittelalterlichen Musiktraktaten vgl. Luisa Zanoncelli, Sulla Estetica di Johannes Tinctoris, Bologna 1979. Auch in der Literatur vollzieht sich ein Wandel in der Wirkungsästhetik: Wurde die Wirkung von Musik im Mittelalter generell und pauschal beschrieben, schildern die Beschreibungen in der Frührenaissance den Eindruck den die Musik bei einem Individuum hinterlässt. Vgl. Reinhard Strohm, Musik erzählen: Texte und Bemerkungen zur musikalischen Mentalitätsgeschichte im Spätmittelalter (veröffentlicht in: Kontinuität und Transformation der italienischen Vokalmusik zwischen Due- und Quattrocento, hrsg. von Sandra Dieckmann u. a., Hildesheim 2007 (= Musica Mensurabilis 3), S. 109 – 125). 34 Vgl. Edward E. Lowinsky, Renaissance Writings on Music Theory, in: Music in the Culture of the Renaissance and other Essays, hrsg. von Bonny J. Blackburn, 2 Bde., London 1989, Bd. 2, S. 939 – 944, hier S. 942. 35 Liber de arte contrapuncti (s. Anm. 18), S. 33. »Ferner wurde jede Sexte, mochte sie nun groß oder klein, über oder unter [der Melodie]
Die ästhetische Beurteilung von Musik
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Quinta regula est quod supra nullam prorsus notam sive media, sive superior sive inferior fuerit, perfectio constitui debet per quam cantus distonatio contingere possit. Quodquidem penitus aurium iudicio reliquendum censeo, ut hic:36
Die Auseinandersetzung zwischen Pareia und Hothby liegt in diesem Wandel der Beurteilung der Musik begründet: Während Pareia eine praxisnahe Musiktheorie fordert und die Musik als Klang definiert, verteidigt Hothby die Musik als musica specultativa und mathematische Disziplin. Auch in den laudes musicae finden sich zunehmend Zitate, die die Wirkungsmacht der Musik schildern: So führt Tinctoris in De inventione et usu musicae neben den Sirenen die Musen an. Denique: libet hic in propositum referre: unam ex Sirenibus cantu vocis apud utriusque lingue poetas aliosque rerum scriptores: celeberrimam esse. Sirenes etenim tris Achiloi ex Calliope musa filias: insulas quasdam juxta Pelorum inter Siciliam ac Italiam habitasse ferunt. Quarum una (teste Servio) voce: alia tibia: alia lyra canebat. Uni nomen Parthenope: alii Leucosia: tercie ligia. Que (ut apud Phisiologum legitur) a capite ad umbilicum usque figuram habent hominis: extremas vero partes ad pedes usque volucris. Et (ut subditur) carmen dulcissimum canunt: ita quod suavitate cantus homines a longe navigantes ad se trahant: somnoque gravi sopitos dilanient. Quamobrem: dum Ulixes juxta illas transiturus esset: admonitus a Circe sociorum aures cera obturavit: et ipse (ut etiam illesus evaderet) malo navis alligari se jussit. Unde Ovidius de arte amandi libro tertio. […] Quoniam et novem Pieri filie cantatrices elegantissime fuerint: eas in certamen cantus novem musas provocasse: his verbis in quinto metamorphoseos argutissime finxit Ovidius. […] Cantu vocis etiam: Canentem Jani ex Venilia filiam: Ovidius ipse plurimum commendat. De qua hec inter alia: in quartodecimo metamorphoseos ait.37 gelegen haben, bei den Alten immer als Missklang angesehen und, um die Wahrheit zu gestehen, nach dem Urteil meiner Ohren besitzt sie für sich gehört, das heißt ganz allein, mehr an Herbheit als an Süße.« 36 Ebd., S. 150. »Die fünfte Regel lautet, dass man zusätzlich zu überhaupt keiner Note, mag sie nun in der Mitte, oben oder unten liegen, eine perfekte Konsonanz setzen darf, durch die sich ein Wechsel in der Tonart der Melodie ergeben könnte. Dies allerdings muss man vollkommen dem Urteil der Ohren überlassen, bin ich der Meinung, wie hier : [folgt Notenbeispiel]« 37 Johannes Tinctoris (1445 – 1511) und sein unbekannter Traktat »De inventione et usu musicae«, hrsg. von Karl Weinmann, Regensburg 1917, S. 27 – 46, hier S. 30 f. »Schließlich: [ich] möchte hier zur Hauptsache zurückführen: dass eine der Sirenen wegen des Gesangs ihrer Stimme bei den Dichtern beider Sprachen und anderen Geschichtsschreibern hochberühmt ist. Die Sirenen, die drei Töchter des Achelos von der Muse Kalliope, hätten nämlich, wie es allgemein heißt, einige Inseln in der Nähe von Peloros zwischen Sizilien und Italien bewohnt. Von diesen pflegte (nach dem Zeugnis des Servius) eine mit ihrer Stimme, eine andere auf der Flöte, wieder eine andere auf der Leier zu singen. Eine hieß Parthenope, eine andere Leukosia, die dritte Ligia. Diese besitzen (wie man bei Physiologos liest) vom Kopf bis zum Nabel die Gestalt eines Menschen: als äußerste [Körper-]Teile aber bis zu den Füßen [die Gestalt] eines Vogels. Und (wie hinzugefügt wird) lassen sie einen überaus süßen Gesang erklingen, so dass sie durch die Süße ihres Gesanges Menschen, die in
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Musiktheorie und Humanismus
Gaffurio nennt anstelle mythologischer Figuren reale Personen aus dem antiken Griechenland, die mit Musikausübung oder -unterricht beschäftigt waren. Er bezieht die laudes musicae auf klingende Musik und teilweise auf namentlich genannte ausübende Musiker. Theodorus cyreniacus quem Plato audiuit geometrices musicesque libellum construxit. Alter Theodorus musicus libellum scripsit de uocis exercitatione. Xanthus atheniensis musicus harmonicas regulas descripsit Dionysodorus tibicen regulas tibicinicas tradidit.38
Werden die Schriften zur Kompositionstechnik verglichen, die zumeist keine laudes musicae enthalten, fällt ein Wandel besonders bei den Beschreibungen der Intervalle auf: Beschränken sich Hothby und Monachus zur Begründung der relativen Kon- und Dissonanz der Intervalle mit dem Hinweis auf die Proportion, dient bei Tinctoris im Liber de arte contrapuncti das Ohr als Kriterium. Quaequidem mixtura aut dulciter auribus consonat, et sic est concordantia, aut aspere dissonat et tunc est discordantia.39
Auch die konsonanten Intervalle werden hier mit Steigerungen und Minderungen von »suavis« und »dulcedo« beschrieben.40 Andere Aspekte wie rhetorische Figuren oder eine historische Betrachtungsweise der Materie, die in der humanistischen Bildung eine so große Rolle spielen, werden bei Tinctoris auf die Musik bezogen. Er konstatiert einen Wandel in der Musik und verwirft daraufhin jegliche Musik, die älter als 40 Jahre ist. Die genaue Datierung einer Wende und die Proklamation eines neuen Stils weiter Entfernung segeln, zu sich heranziehen und, wenn die durch einen tiefen Schlaf betäubt sind, zerreißen. Deshalb verstopfte Odysseus, weil er ja nahe an jenen vorbeikommen wollte, von Circe ermahnt, die Ohren seiner Gefährten mit Wachs: und er selbst ließ sich (um ebenfalls zu entkommen) am Mastbaum des Schiffes festbinden. Daher Ovid im dritten Buch über die Kunst zu lieben. […] Weil nun auch die neun Töchter des Pieros überaus geschmackvolle Sängerinnen gewesen seien, hätten sie zu einem Gesangswettstreit die neun Musen herausgefordert: mit diesen Worten hat Ovid im fünften Buch seiner Metamorphosen höchst geistreich gedichtet. […] Wegen des Klanges ihrer Stimme preist sogar Ovid auch Canens, die Tochter des Janus von Venilia, über die Maßen. Über sie sagt er dies unter anderem im 14. Buch seiner Metamorphosen.« 38 Theorica musice (s. Anm. 24), f. aviv. »Theodorus von Kyrene, den Platon gehört hat, hat eine Schrift über Geometrie und Musik verfasst. Ein zweiter Theodorus, ein Musiktheoretiker, hat eine Schrift über die Übung der Stimme geschrieben. Der Musiktheoretiker Xanthos aus Athen hat Regeln des Zusammenklangs dargestellt. Der Flötenspieler Dionysidorus hat Regeln für das Flötenspiel überliefert.« 39 Liber de arte contrapuncti (s. Anm. 18), S. 14. »Die Mischung der Töne freilich klingt entweder süß für die Ohren und ist so eine Konsonanz oder sie bildet einen harten Missklang und ist dann eine Dissonanz.« 40 Vgl. Martin Staehelin, Euphonia bei Tinctoris, in: International Musicological Society : Report of the 12th Congress, Berkeley 1977, hrsg. von Daniel Heartz und Bonnie Wade, Kassel 1981, S. 621 – 625.
Die ästhetische Beurteilung von Musik
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sind häufige Topoi in humanistischen Schriften.41 Zudem rühmt Tinctoris die Vielfalt in den Kompositionen der neueren Generation und regt die Nachahmung ihres Stils an. Am Anfang des Liber de arte contrapuncti wird das Prinzip der imitatio in der Generationenfolge impliziert, die der Ankündigung des neuen Stils vorausgeht.42 Am Ende des Buches propagiert Tinctoris Konzepte der Rhetorik – diversitas, imitatio und emulatio – und überträgt sie direkt auf die Musik. Capitulum VIII – De octava et ultima generali regula quae varietatem in omni contrapuncto exquirendam accuratissime praecipit. Octava siquidem et ultima regula haec est quod in omni contrapuncto varietas accuratissime exquirenda est, nam, ut Horatius in sua Poetica dicit, »Cytharedus ridetur corda si semper oberrat eadem.« Quemadmodum enim in arte dicendi varietas, secundum Tullii sententiam, auditorem maxime delectat, ita et in musica concentuum diversitas animos auditorum vehementer in oblectamentum provocat, hinc et Philosophus in Ethicis varietatem iocundissimam rem esse naturamque humanam eius indigentem asserere non dubitavit. Hanc autem diversitatem optimi quisque ingenii compositor aut concentor efficiet, si nunc per unam quantitatem, nunc per aliam, nunc per unam perfectionem, nunc per unam proportionem, nunc per aliam, nunc per unam coniunctionem, nunc per aliam, nunc cum syncopius, nunc sine syncopis, nunc cum fugis, nunc sine fugis, nunc cum pausis, nunc sine pausis, nunc diminutive, nunc plane, aut componat aut concinnat. Verumtamen in his omnibus summa est adhibenda ratio, quippe ut de concentu super librum taceam qui pro voluntate concinentium diversificari potest, nec tot nec tales varietates uni cantilenae congruunt quot et quales uni moteti, nec tot et tales uni moteti quot et quales uni missae. Omnis itaque res facta pro qualitate et quantitate eius diversificanda est prout infinita docent opera, non solum a me, verum etiam ab innumeris compositoribus aevo praesenti florentibus edita. Plures enim ac aliae varietates existunt tam in missis L’homme arm¦ Guillermi Dufay, Et vinus G. Fauges, quam in motetis Clangat Johannis Regis et Congaudebant Anthonii Busnois, et plures ac aliae tam in his motetis quam in cantilenis Ma maistresse Johannis Okeghem et La Tridaine, a deux Firmini Caron. Quosquidem cantus pro conformatione huius nostrae regulae meis quidem pratermissis in exempla non ab re produxi. Enimvero et eos summis laudibus extollendos et penitus imitandos censeo, ne contra officium boni viri me solum probare, alios autem ubi recte fecerint contemnere videar.43 41 Vgl. Strohm, The Humanist Idea (s. Anm. 6) und Wegman, Johannes Tinctoris and the ›New Art‹ (s. Anm. 6). 42 Vgl. Reinhard Strohm, Neue Aspekte von Musik und Humanismus im 15. Jahrhundert, in: AM 76 (2004), S. 135 – 157. 43 Liber de arte contrapuncti (s. Anm. 18), S. 155 f. »Kapitel 8: Die achte und letzte allgemeine Regel, die vorschreibt, bei jedem Kontrapunkt sei auf das sorgfältigste nach Abwechslung zu suchen. / Die achte und letzte Regel lautet nämlich so, dass bei jedem Kontrapunkt auf das sorgfältigste nach Abwechslung zu suchen ist, denn – wie Horaz in seiner Poetik sagt – »der Spieler auf der Kithara wird ausgelacht, wenn er
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Musiktheorie und Humanismus
Die namentliche Nennung von Komponisten, teilweise sogar einzelner Werke, weist schließlich auf deren Wahrnehmung als Künstler und Kunstwerk hin. Auch das ist ein wichtiges Indiz für die Beurteilung von Musik, die anhand von ästhetischen Kriterien vorgenommen wird. Abschließend seien die Kriterien, die Musiktheoretiker des 15. Jahrhunderts zur ästhetischen Bewertung der Musik ansetzen, zusammengefasst: Sie basieren auf dem Klang der Musik, indem das Ohr die Klänge als süß oder harsch beurteilt. Genau dieselben Wörter – »dulcedo«, »suavitas« – werden auch zur Beschreibung des neuen Stils, der bei den englischen Komponisten seinen Ursprung nahm, gebraucht, teilweise sogar von denselben Autoren. Die ästhetischen Kriterien zur Beurteilung von Musik in den musiktheoretischen Schriften sowie die Wahrnehmung nationaler Eigenarten entstehen unter dem Einfluss des Humanismus vermehrt in musiktheoretischen Schriften des 15. Jahrhunderts. Die Beschreibung der contenance angloise scheint nur möglich, weil mit dem Aufkommen des Humanismus Musik als Klang wahrgenommen und die nationale Eigenart der Kompositionstechnik bedeutsam wurde. Die Betrachtung der Musik nach ästhetischen Kriterien, die in den musikständig auf derselben Saite greift«. [Ars poetica 355 f.] / Wie nämlich in der Redekunst nach der Auffassung des Tullius [Cicero] Abwechslung den Hörer am meisten erfreut, so versetzt auch in der Musik die Verschiedenheit der Zusammenklänge die Gefühle der Zuhörer heftig in Entzücken, daher zweifelte auch der Philosoph [Aristoteles] in seiner Ethik nicht daran, dass Abwechslung etwas sehr angenehmes ist, und er scheute sich nicht, die menschliche Natur als ihrer bedürftig zu bezeichnen. / Aber diese Abwechslung wird jeder Komponist oder Sänger mit einer sehr guten Begabung erreichen, wenn er bald in der einen Tondauer, bald in der anderen, bald in dem einen Rhythmus, bald in dem einen Metrum, bald in dem anderen, bald in der einen Verbindung, bald in der anderen, bald mit Synkopen, bald ohne Synkopen, bald mit Imitation, bald ohne Imitation, bald mit Pausen, bald ohne Pausen, bald diminuiert, bald wie geschrieben, entweder komponiere oder sänge. Aber trotzdem muss man bei all diesen [Dingen] äußerste Klugheit walten lassen, weil ja – um ganz vom Singen »super librum« zu schweigen, das man entsprechend der Absicht, derer die singen, abwandeln kann – Abwechslungen weder in so großer Zahl noch in solcher Beschaffenheit einem Lied angemessen sind, wie einer Motette, aber auch nicht in solcher Anzahl und Beschaffenheit einer Motette wie einer Messe. / Jede Komposition muss daher abwechslungsreich in Qualität und Quantität gestaltet werden, wie es zahllose Werke zeigen, die nicht nur ich sondern auch unzählige Komponisten, die in der Gegenwart leben, geschaffen haben. Noch viele andere Veränderungen gibt es nämlich in den Messen L’homme arm¦ von Guillermus Dufay und Et vinus von G. Fauges, mehr und andere [Veränderungen] in den Motetten Clangat von Johannes Regis und Congaudebant von Antonius Busnois, wiederum mehr und andere [Veränderungen] in den Gesängen Ma maitresse von Joh. Okeghem und La Tridaine, a deux von Firminius Caron. Gerade diese Kompositionen habe ich zur Anschauung dieser unserer Regel nicht ohne Absicht als Beispiele angeführt, während ich aber meine eigenen [Kompositionen] unerwähnt gelassen habe, denn ich bin der Meinung, sie sind es wert, mit höchstem Lob hervorgehoben und durchaus auch nachgeahmt zu werden, nur soll es nicht den Anschein haben, als ließe ich, entgegen der Pflicht eines anständigen Mannes, allein mich gelten, bei anderen aber beachtete ich nicht, worin sie gut gearbeitet haben.«
Die ästhetische Beurteilung von Musik
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theoretischen Schriften des späteren 15. Jahrhunderts einsetzt, geht zudem mit einer engeren Vernetzung zwischen den Künsten und der Einbindung der Musik in die Fächer des Triviums – Grammatik, Dialektik und Rhetorik – einher. Ästhetische Konzepte werden zwischen den verschiedenen Künsten übertragbar, so dass Grundsätze dieser neuen Musiktheorie nunmehr auch für Literatur und bildende Kunst nutzbar gemacht werden können und umgekehrt. Daher werden im Folgenden einige im 15. Jahrhundert entstandene humanistische Schriften der Autoren, die auch Verbindungen nach England hatten, auf ihre Aussagen über Musik untersucht.
3. Die Humanisten und die Musik
Nicht nur die Musiktheoretiker beschäftigten sich im 15. Jahrhundert mit den neuen Funden zur antiken Musiktheorie, sondern auch führende humanistische Gelehrte. Da in den antiken Schriften die Musik in den Zusammenhang mit der Rhetorik gesetzt und ihr eine große Wirkung auf den Menschen zuerkannt wird, erhielt sie auch im Bildungskonzept der Humanisten einen wichtigen Platz. Schwierigkeiten bereitete jedoch die praktische Umsetzung der in den theoretischen Schriften beschriebenen Musik. Die Musik der Antike ist nur in seltenen Fällen überliefert, und die wenigen überlieferten musikalischen Zeugnisse sind schwer zu interpretieren, so dass eine Wiederbelebung der antiken Musiktradition – ähnlich der von den Humanisten angestrebten Wiederbelebung der antiken Dicht- und Redekunst – nicht oder nur auf Umwegen möglich war.1 Im Folgenden wird untersucht, welche Aussagen über Musik und Musiktheorie die Humanisten in den antiken Schriften wiederentdeckten und neu interpretierten, und wie die Erkenntnisse über antike Musik und Musiktheorie ihre eigene Auffassung von Musik beeinflussten.2 Dabei werden Auswirkungen in den Schriften und in der Lehre der Humanisten berücksichtigt. Abschließend wird die Möglichkeit der Übertragung dieser Ideen nach England, besonders an die Höfe der Herzöge von Bedford und Gloucester, erörtert. 1 Der Prozess der Aneignung antiker Ideen im Humanismus bei musikalischen Laien und Musiktheoretikern ist oft beschrieben worden. Stellvertretend für viele sei genannt: Claude V. Palisca, Humanism and Music, in: Renaissance Humanism – Foundations, Forms and Legacy, hrsg. von Albert Rabil, 3 Bde., Philadelphia 1988, Bd. 3, S. 450 – 485. 2 In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind Äußerungen von Humanisten über Musik und Komponisten jedoch eher selten. Erst der Tod Ockeghems 1497 gab Anlass zu zahlreichen Epitaphen aus humanistischen Kreisen. Schon um 1470 schrieb Petrus Paulus Senilis – ein vermutlich in Italien ausgebildeter, später am französischen Hof tätiger französischer Humanist – vier Epitaphe für Ockeghem, in denen er ausdrücklich zwischen klingender und geschriebener Musik unterscheidet, da er Ockeghem als ausübenden Musiker und Komponisten ehrt. Vgl. Reinhard Strohm, »Hic miros cecinit cantus, nova scripta reliquit«, in: Johannes Ockeghem – actes du XLe colloque international d’¦tude humanistes, Tours, 3 – 8 f¦vrier 1997, hrsg. von Philippe Vendrix, Paris 1998, S. 139 – 165.
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a.
Die Humanisten und die Musik
Musik in antiken Schriften
Trotz der Überlieferung antiker Musiktheorie im Mittelalter brachte die Entdeckung, Übersetzung und Interpretation antiker Texte neue Ansätze in die Musiktheorie des 15. Jahrhunderts. Besonders das Verhältnis zur Musik, das humanistisch gebildete musikalische Laien pflegten, wurde hierdurch beeinflusst und verändert. An drei Beispielen sollen Aspekte der antiken Musiktheorie, die miteinander zusammenhängen und im 15. Jahrhundert wieder aufgegriffen wurden, und zwar meist zuerst von eben jenen humanistisch gebildeten musikalischen Laien, untersucht werden: an der Lehre von den Proportionen,3 an der engen Verbindung von Musik und Sprache und an der Wirkung von Musik. Während Boethius, dessen Schriften die wichtigste Quelle antiker Musiktheorie im Mittelalter darstellten, die Proportionslehre vorrangig für die Berechnung von Intervallen heranzieht, werden Proportionen in den antiken Schriften auch in Bezug auf zeitliche Abläufe erwähnt. Oft wird der musikalische Puls mit dem menschlichen verglichen.4 Aber auch die enge Verbindung von Musik und Sprache, besonders von Musik und Dichtung, wird hervorgehoben, denn das musikalische Metrum wird mit dem Metrum in der Dichtkunst verglichen. So ordnet Cicero die Musik meist in einen Zusammenhang mit der Literatur ein: Namque haec duo musici, qui erant quondam idem poetae, machinati ad voluptatem sunt, versum atque cantum, ut et verborum numero et vocum modo delectatione vincerent aurium satietatem. Haec igitur duo, vocis dico moderationem et verborum conclusionem, quoad orationis severitas pati posset, a poetica ad eloquentiam traducenda duxerunt.5
3 Den Wandel im 15. Jahrhundert im Bezug der Proportionen auf die rein mathematische Berechnung von Intervallen zum Vergleich mit Versmetren beschreibt Fabrizio della Seta, Proportio – Vicende di un concetto tra Scolastica e Umanesimo, in: In cantu et in sermone – For Nino Pirotta on his 80th Birthday, hrsg. von Fabrizio della Seta und Franco Piperno, Florenz [1988] (= Italian Medieval and Renaissance Studies 2), S. 75 – 99. 4 Der Vergleich von musikalischem und menschlichem Puls wurde von Medizinern und Musiktheoretikern im 15. Jahrhundert aufgenommen. Vgl. Werner Friedrich Kümmel, Musik und Medizin im Humanismus, in: Musik in Humanismus und Renaissance, hrsg. von Walter Rüegg und Annegrit Schmitt, Weinheim 1983 (= Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung 7), S. 31 – 53 und Dale Bonge, Gaffurius on Pulse and Tempo – a Reinterpretation, in: MD 36 (1982), S. 167 – 174. 5 De Oratore, III.174; Zitat und Übersetzung nach Marcus Tullius Cicero, De oratore / Über den Redner, übersetzt und hrsg. von H. Merklin, Stuttgart 1976, S. 554 / 555. »… beides, Verse und Gesang, ersannen ja die Musiker, die einst auch Dichter waren, zur Freude, um sowohl durch den Rhythmus der Worte wie durch die Melodie der Töne den Überdruss des Hörers mit Kurzweil zu vertreiben. Sie hielten es nun für geboten, diese beiden
Musik in antiken Schriften
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Quis musicis, quis huic studio litterarum, quod profitentur ei, qui grammatici vocantur, penitus se dedit, quin omnem illarum artium paene infinitam vim et materiem scientia et cognitione comprehenderit?6
Die enge Verbindung von Musik und Sprache zeigt sich auch im Vergleich der Rhetorik mit der Musik: So, wie eine rhetorisch gut konstruierte Rede die Zuhörer mit bestimmten Mitteln beeinflussen kann, so können auch bestimmte Parameter der Musik Einfluss auf den Zuhörer ausüben. Beim musikalischen Ethos spielt der Modus der Musik, sowohl der melodische als auch der rhythmische, eine entscheidende Rolle, denn je nach seiner Gestaltung löst die Musik nach Auffassung der antiken Autoren unterschiedliche Wirkung im Menschen aus.7 X. primum quia nihil intrare potest in adfectus quod in aure velut quodam vestibulo statim offendit, deinde quod natura ducimur ad modos. Neque enim aliter eveniret ut illi quoque organorum soni, quamquam verba non exprimunt, in alios tamen atque alios motus ducerent auditorem. XI. In certaminibus sacris non eadem ratione concitant animos ac remittunt, non eosdem modos adhibent cum bellicum est canendum et cum posito genu supplicandum est, nec idem signorum concentus est procedente ad proelium exercitu, idem receptui carmen. XII. Pythagoreis certe moris fuit et cum evigilassent animos ad lyram excitare, quo essent ad agendum erectiores, et cum somnum peterent ad eandem prius lenire mentes, ut, si quid turbidiorum cogitationum, componerent. XIII. Quod si numeris ac modis inest quaedam tacita vis, in oratione ea vehementissima, quantumque interest sensus idem quibus verbis efferatur, tantum verba eadem qua compositione vel in textu iungantur vel in fine cludantur :8 Dinge, Modulation der Stimme und rhythmische Wortstellung, solange es der Ernst der Rede dulde, von der Dichtung auf die Beredsamkeit zu übertragen.« 6 Ebd., I.10; Zitat und Übersetzung nach ebd., S. 46 / 47. »Wer hätte sich um die Musik, wer um das Studium der Texte, das die Grammatiker für sich in Anspruch nehmen, mit Nachdruck bemüht, ohne die fast unendliche stoffliche Fülle dieser Fächer mit wissenschaftlichem Erkennen zu umgreifen?« 7 Die Wirkung von Musik wurde auch zu medizinischen Zwecken eingesetzt. Vgl. Kümmel, Musik und Medizin (s. Anm. 4), S. 48 – 52. 8 Quintilian, Institutio oratoria IX.4.10 – 13; zitiert nach: The Latin Library (www.thelatinlibrary.com) »X. Zunächst, weil nichts die Empfindungen erfassen kann, was im Ohr wie in einen Eingang sofort anstößt, dann weil wir durch die Natur zu den Melodien geführt werden. Denn anders würde es nicht geschehen, dass auch jene Klänge der Musikinstrumente, obschon sie keine Worte zum Ausdruck bringen, den Hörer trotzdem bald zu diesen, bald zu jenen Bewegungen veranlassen. XI. Im heiligen Wettstreit wiegelt man die Gemüter nicht in derselben Weise auf, wie man sie wieder beruhigt, nicht dieselben Melodien wendet man immer dann an, wenn es gilt, die Kriegstrompete zu blasen und wenn Gott auf Knien angerufen werden soll, auch ist der Zusammenklang der Signale nicht derselbe, wenn das Heer zum Gefecht vorrückt, wie das Lied zum Rückzug. XII. Für die Pythagoreer gehörte es ohne Zweifel zu ihrem Lebenswandel, sowohl ihren Geist, nachdem sie aufgewacht waren, zur Lyra anzuregen, um dadurch zum Handeln frischer zu sein, als auch, sobald sie den Schlaf suchten, zuvor zu derselben [Lyra] ihre Stimme zu entspannen, um, falls [es] noch irgendwie einen Rest allzu aufgeregter Gedanken [geben sollte], [diese] zu beruhigen. XIII. Wenn aber Rhythmen und Melodien ir-
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b.
Die Humanisten und die Musik
Musik bei den italienischen Humanisten
Von den Humanisten wird besonders der Bezug der Musik zum Menschen, also die Wirkung der Musik, hervorgehoben. Aufgrund der geringen Überlieferung von antiker Musik und den Schwierigkeiten bei der Interpretation der wenigen Quellen weisen die Humanisten zudem immer wieder auf die enge Verbindung von Musik und Sprache im antiken Griechenland hin. So kreisen denn auch die Aussagen über Musik in den theoretischen Schriften der Humanisten im 15. Jahrhundert um diese Aspekte, während ihre künstlerischen Werke die Einheit von Musik und Sprache in der griechischen Dichtung nachzubilden versuchen. Konkret zeigt sich die enge Verbindung zwischen Musik und Sprache in der Anordnung der septem artes liberales, die im 15. Jahrhundert anfängt sich zu wandeln. Obwohl die Musik ihre Stellung in den mathematischen Fächern weiterhin behält, wird jetzt auch ihre enge Beziehung zur Rhetorik hervorgehoben. Die Musik wird zunehmend, wie Rhetorik und Poetik, als ausgeübte Kunst angesehen und nicht mehr als rein theoretisches Fach. Die Erneuerung der Künste, die sich in den anderen Fächern des Triviums auf antike Vorbilder bezieht, macht sich bei der Zuordnung der Musik dadurch geltend, dass an ihr der Klang bemerkt wird.9 Coluccio Salutati, Vittorino da Feltre und Pier Candido Decembrio rechnen die Musik zwar noch zu den mathematischen Wissenschaften der septem artes liberales.10 Doch schon Salutati beginnt, Verknüpfungen zur Dichtung über die antiken Metren herzustellen. Dieser Wandel im Bezug der Proportionen von den Intervallen zur Metrik wirkt sich später auch auf die Einordnung der Musik innerhalb der septem artes liberales aus. Die Beziehung zwischen Musik und Sprache wird jedoch auch ganz konkret behandelt, besonders dort, wo es sich um metrische Aspekte der Dichtung und der Musik handelt. Oftmals werden in sprachtheoretischen Schriften sogar Musikbeispiele angeführt, um metrische Aspekte der Rezitation zu verdeutlichen. Francesco Negro veröffentlicht in seiner Grammatica brevis (Venedig gendeine geheime Kraft innewohnt, [ist] diese in einer Rede äußerst wirksam, und sofern es von Bedeutung ist, mit welchen Worten der gleiche Sinn zum Ausdruck kommt, genauso [wichtig ist es], durch welche Anordnung dieselben Worte entweder im Zusammenhang der Rede [wohlklingend] miteinander verknüpft werden oder auch am Ende ihren Abschluss finden:« 9 Vgl. Reinhard Strohm, The Humanist Idea of a Common Revival of the Arts, and its Implications for Music History, in: Interdisciplinary Studies in Musicology, hrsg. von Maciej Jabłonski, Poznan 1997, S. 7 – 26. 10 Zu Salutati und Vittorino da Feltre vgl. Carlo Vecce, Gli humanisti et la musica – un antologia di testi umanistici sulla musica, Mailand 1985, S. 19 – 23 (Salutati) und S. 39 – 43 (Vittorino); zu Decembrio vgl. Ernst Ditt, Pier Candido Decembrio – contributo alla storia dell’ umanesimo italiano, Mailand 1931 (= Memorie del R. Istituto Lombardo die Science e Lettere: Classe di Lettere, Scienze Morali e Storiche Bd. 24, Serie III / 15, Teil 2), S. 48 – 51.
Musik bei den italienischen Humanisten
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1480) Verse mit Musiknotation, um die verschiedenen Gattungen der Dichtung zu erläutern.11 In den Dramen steht das Bemühen im Vordergrund, die Kunstwerke der Antike nachzuahmen. Für Musik und Dichtung dient dabei das griechische Theater als Vorbild. Aufführungen solcher, dem griechischen Theater nachempfundenen Werke wurden nicht nur im kleinen Kreis von Gelehrten gegeben, sondern ergänzten die Feierlichkeiten auch bei offiziellen Ereignissen. Bei der Hochzeit von Constanzo Sforza und Camilla von Aragon ergänzten Musik und Tanz die Darbietungen während der Feiern, die sich über mehrere Tage hinzogen, nicht nur in Intermedien, sondern waren in die Handlung eingearbeitet. Zumindest Teile der Aufführungen wurden vermutlich gesungen, da sie, mit thematischer Affinität zu den theoretischen Annahmen über die Wirkung von Musik, die Geschichte des die Tiere zähmenden Orpheus erzählen.12 Nicht nur in den Werken der humanistisch gebildeten Gelehrten spiegelt sich die neue Auffassung von Musik, sondern auch in ihrer akademischen Lehre. Zumeist waren sie an Universitäten tätig oder hatten eigene Ausbildungsstätten gegründet. Dort setzten sie die in ihren Schriften propagierte Ausbildung um. Während Musiktheorie auch im Mittelalter selbstverständlich zur Allgemeinbildung gehörte und somit an den Universitäten gelehrt wurde, wurde nun die Fähigkeit der klingenden Musik hervorgehoben, den Menschen zu beeinflussen und seinen Charakter zu formen. Angefangen bei Baldassare Castigliones Il Cortegiano spielt die Musik in der Literatur zur Erziehung von Fürsten eine immer größere Rolle.13 So war nicht mehr nur die Musiktheorie, die meist in Verbindung mit Arithmetik gelehrt wurde, für den Unterricht maßgeblich, auch die Wirkung der klingenden Musik wurde untersucht. Diese Wirkung wurde sowohl theoretisch erörtert als auch praktisch gezeigt. Der Zusammenhang von Musik und Sprache, besonders von musikalischem und poetischem Metrum, wurde ganz konkret in Rezitationen umgesetzt. So führte Guarino da Verona einen ganzheitlichen Unterricht durch, der sowohl Körpertraining als auch das Verfassen und Deklamieren von eigenen Werken einschloss.14 11 Vgl. Edward E. Lowinsky, Humanism in the Music of the Renaissance, in: Music in the Culture of the Renaissance and other Essays, hrsg. von Bonnie J. Blackburn, 2 Bde., London 1989, Bd. 1, S. 154 – 218, hier S. 158 – 160. 12 Im Bericht über die Feierlichkeiten wird nicht immer schlüssig zwischen Deklamieren und Singen unterschieden. Vgl. Nicoletta Guidobadi, Musique et danse dans une fÞte »humaniste« – les noces de Constanzo Sforza et Camilla d’Aragona (Pesaro 1475), in: Musique et humanisme la Renaissance, Paris 1993 (= Cahiers V.L. Saulnier 10), S. 25 – 35. 13 Vgl. Adolfo Jenni, La musica nella vita e negli scritti di autori italiani del Rinascimento, in: Festschrift Arnold Geering zum 70. Geburtstag, hrsg. von Victor Ravizza, Stuttgart 1972, S. 33 – 37. 14 H.-B. Gerl, Artikel »Guarino«, in: LexMA.
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c.
Die Humanisten und die Musik
Bildungshintergrund der italienischen Humanisten in England
Auch wenn die Universitäten in England als ein Zentrum der Scholastik bekannt waren, wurden die Entwicklungen auf dem europäischen Festland auf die Insel getragen. Die Rezeption humanistischen Gedankenguts fand jedoch nicht so sehr an den Universitäten statt, sondern zunächst an einzelnen Höfen, die Kontakte nach Italien pflegten, wie die der Herzöge von Bedford und Gloucester oder des Kardinals Henry Beaufort. Die Italiener, die im direkten Kontakt zum Hof von Gloucester standen, hatten in den Zentren der humanistischen Ausbildung in Italien studiert:15 Pietro del Monte und Titus Livius Frulovisi in Venedig bei Guarino da Verona, Antonio Beccaria in Mantua bei Vittorino da Feltre. Die Italiener mit indirektem Kontakt zum Hof von Gloucester, die Übersetzungen für ihn anfertigten oder ihm in der Ausstattung seiner Bibliothek behilflich waren, hatten in Florenz studiert: Leonardo Bruni bei Salutati und Manuel Chrysolaras, Lapo da Castiglionchio in der nächsten Generation der Studenten bei Francesco Filelfo. Decembrio dagegen erhielt seine Ausbildung bei seinem Vater, dessen Stellung am Hof der Visconti er später übernahm. Die Italiener, die nach England kamen oder schriftliche Kontakte zum Hof Gloucesters pflegten, hatten somit bei den führenden humanistischen Gelehrten in Italien studiert: Salutati hatte zusammen mit Chrysolaras in Florenz die Grundlagen der humanistischen Bildung gelegt. Er beschäftigte sich hauptsächlich mit Übersetzungen aus dem Griechischen und mit der philologischen Aufarbeitung von Texten. Zudem beteiligte er sich in De laboribus Herculis an der Debatte über die Hierarchie der Künste und ihren Beitrag zur Formung des Charakters. Guarino beschäftigte sich in Venedig dagegen mehr mit der griechischen Grammatik. In seinem ganzheitlichen Unterricht spiegelte sich seine Auffassung von der Einheit von Geist und Körper, die sich in der Einheit von Wissen und Tun ausdrücken sollte. Venedig zog auch andere Gelehrte an: Vittorino da Feltre und Filelfo verbrachten einige Zeit dort. Vittorino lehrte später in Mantua und hatte dort Beccaria unter seinen Studenten; Filelfo ging nach Bologna, wo Castiglionchio bei ihm studierte, und später nach Mailand. Dort hatte er Kontakt zu den Visconti und – wenn auch in einem angespannten Verhältnis – zu Decembrio.
15 Biographische Informationen nach DBI.
Humanismus und Musik am Hof des Herzogs von Gloucester
d.
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Humanismus und Musik am Hof des Herzogs von Gloucester
Del Monte machte Gloucester durch seine Schriften und in seinen Briefen mit den Grundzügen des italienischen Humanismus vertraut. In seiner Schrift De Virtutum et Vitiorum inter se Differentia, die er dem Herzog widmete, stellt er die Lehren Guarinos, Francesco Barbaros und Pietro Mianis vor und vergleicht sie. In einem Brief an Gloucester16 vergleicht er Guarino und Poggio Bracchiolini, indem er Scipio und Caesar als Vorbild anführt. Diese Informationen ermöglichten es Gloucester, die Erziehung Heinrichs VI. an humanistischen Idealen auszurichten: Die umfassende Bildung schloss nach Auffassung der Humanisten Musik ein; Lebensbilder dienten als nachzuahmendes Vorbild. Auch John Lydgate trug mit dem bereits erwähnten The Fall of Princes, einem Fürstenspiegel mitsamt Staatslehre nach Giovanni Boccaccios De casibus, den Gloucester in Auftrag gegeben hatte, zur Erziehung Heinrichs VI. bei.17 Die theoretischen Ausführungen über den italienischen Humanismus und seine Vertreter werden durch die von Del Monte an Gloucester vermittelten italienischen Sekretäre konkretisiert: Frulovisi setzte in England die Produktion von Komödien nach griechischem Vorbild fort. In seiner ersten, noch in Italien entstandenen Komödie wird ein Flötenspieler in den Regieanweisungen genannt.18 Musik war vermutlich auch in den späteren, in England geschriebenen Komödien integraler Bestandteil des Dramas. Nach dem Vorbild Plutarchs schrieb er die Viten Heinrichs V. und Gloucesters19 – eine Gattung, die bis zu diesem Zeitpunkt in England unbekannt war. Sein Nachfolger Beccaria dagegen ist eher durch seine Übersetzungen als durch eigene Werke bekannt. Er übersetzte sowohl aus dem Griechischen als auch aus dem Italienischen ins Lateinische, so dass Gloucester nicht nur antike Literatur zur Verfügung stand, sondern auch zeitgenössische humanistische. Die Humanisten, die in Italien mit Gloucester in Kontakt standen, widmeten sich ähnlichen Tätigkeiten. Sie übersetzten Werke der antiken Literatur aus dem Griechischen: So stellte Castiglionchio eine Sammlung der Vitae Plutarchs von verschiedenen Übersetzern für Gloucester zusammen. Er selbst übersetzte das Leben des Ataxerxes. Bruni und Decembrio lieferten sich einen Wettstreit im Preis ihrer Heimatstädte Florenz und Mailand.20 Hier tritt das im 15. Jahrhun16 Vat. Lat. 2694, veröffentlicht in: Aangelo Maria Querini, Epistolae, hrsg. von N. Coleti, Venedig 1756, S. 50. 17 Vgl. Susanne Saygin, Humphrey, Duke of Gloucester (1390 – 1447) and the Italian Humanists, Leiden 2002 (= Brill’s Studies in Intellectual History 105), S. 57 – 68. 18 G. Arbizzoni, Artikel »Frulovisi, Tito Livio«, in: DBI. 19 Vita Henrici Quinti und Humphroidis. 20 Laudatio Florentinae Urbis und De laudibus Mediolanensium urbis panegyricus.
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Die Humanisten und die Musik
dert unter den Humanisten aufkeimende Bewusstsein für die eigene Herkunft zutage, das – wie ausgeführt – auch in musiktheoretischen Schriften zu finden ist. Bruni beschreibt zudem in seiner Apologie der Dichtkunst die charakterformenden Eigenschaften der Dichtung21 und verteidigt sie vehement gegen die der vorangegangenen Jahrhunderte.22 Parallelen zu Johannes Tinctoris, der die Musik früherer Jahrhunderte pauschal verwirft und nur die Kompositionen der letzten vierzig Jahre wertschätzt, sind dabei nicht zu übersehen. Beide, Bruni und Tinctoris, sehen ihre Disziplin in historischer Perspektive und betonen ihre Wirkungskraft auf den Menschen. Genau diese Aspekte zeichnen den Umgang der Humanisten mit den Künsten aus. Für den Dogen von Venedig, Tommaso Fregoso, schrieb Decembrio zwischen 1420 und 1425 eine Schrift über die sieben freien Künste De VII liberalium artium.23 Seine Aussagen basieren, wie er selbst im Vorwort erklärt, auf Schriften älterer Autoren. Der Abschnitt über die Musik stützt sich vor allem auf Isidorus und vereinzelt auf die Metamorphosen des Ovid. Für Decembrios Auffassung von Musik sind jedoch nicht die von ihm herangezogenen Quellen bezeichnend, sondern seine Auswahl der Informationen über das Fach: Zwar nennt er Pythagoras als den Erfinder der Musik, doch beschreibt er dann verschiedene Musikinstrumente. Pitagora, il primo maestro dell’aritmetica, À considerato dal Decembrio ›primus inventor musice‹, Orfeo inventore delle orgie, Arion delle cetra, Pan del flauto e Mercurio delle lira. Ma anche prima di Orfeo egli ritinine che esistessero altri strumenti musicali, come il ›sistrum‹ di Iside, la ›tuba‹ dei Tirreni, la ›tibia‹ dei Frigi.24
Decembrio hält demnach die Instrumente und die klingende Musik für erwähnenswert, nicht aber die Musiktheorie. Auch hier zeigen sich Parallelen zu den musiktheoretischen Schriften des 15. Jahrhunderts, in denen die Musik zunehmend als Klang betrachtet wird und immer weniger in ihren Bezügen zur Mathematik.25
21 De studiis et litteris tractatulus ad Baptistam Malatestam. 22 Dialogi ad Petrum Paulum Istrum. 23 Vittorio Zaccaria, Sulle opere di Pier Candido Decembrio, in: Rinascimento 7 (1956), S. 13 – 74. 24 Ditt, Pier Candido Decembrio (s. Anm. 10), S. 49. 25 Vgl. Kapitel III.2: Musiktheorie und Humanismus.
Exkurs: Die Motette Albanus roseo rutilat
e.
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Exkurs: Die Motette Albanus roseo rutilat
Einen direkten Bezug zwischen den Humanisten um Gloucester und John Dunstaple stellt die isorhythmische Motette Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus domini laudans her. Daher soll hier – im Vorgriff zu den Analysen im vierten Teil – untersucht werden, ob sich das humanistische Umfeld, in dem Dunstaple tätig war, in der Komposition erkennen lässt. Der Motette liegt eine Antiphon aus einem versifizierten Offizium für den Heiligen Alban zugrunde. Die Texte in den Oberstimmen sind Zusammenstellungen aus verschiedenen Quellen zum Leben des Heiligen; sie sind in klassischen Hexametern geschrieben.26 Vermutlich stammen sie von John Whethamstede, der auch das bereits erwähnte Epitaph auf Dunstaple verfasste. Die Verwendung des Versmaßes ist vermutlich auf Whethamstedes Kontakt zu den Humanisten um Gloucester zurückzuführen. Zwar sind die Quantitäten des Hexameters nicht immer korrekt, doch verwendet der Dichter die klassischen Stilmittel Tmesis und Adynaton.27 Dennoch bleiben die Texte der Motette auch der mittelalterlichen Dichtung verhaftet, da die Verse in einem Endreim schließen und Alliterationen besonders in den ersten Versen häufig benutzt werden.28 Die Motette29 ist dem Heiligen Alban gewidmet und für die Abtei von St. Albans komponiert. Vermutlich entstand sie bei einem Besuch eines der Dienstherren von Dunstaple in der Abtei. Da sowohl Bedford als auch Gloucester Beziehungen zu dieser Abtei unterhielten und dort oft zu Besuch waren, ist es nicht einfach ein konkretes Datum für die Entstehung der Motette zu bestimmen. Ein möglicher Anlass für die Komposition der Motette könnte der Besuch von Bedford mit großem Gefolge zum Gedenktag des heiligen Alban im Jahre 1426 gewesen sein.30 Möglich wäre aber auch eine Entstehung in den 1430er Jahren während Dunstaples Zeit am Hof Gloucesters,31 denn dieser war Mitglied der Gemeinschaft von St. Albans. Die dreistimmige Motette ist in allen Stimmen isorhythmisch; es fallen jeweils drei taleae auf einen color, der in der Proportion 6:4:3 wiederholt wird. Am Ende der talea befindet sich ein Duett, das in der jeweils dritten talea, also am 26 Text s. Anhang 3. 27 Für diesen Hinweis bin ich Karl-Heinz Glowotz sehr dankbar. 28 Vgl. David R. Howlett, Studies in the Works of John Whethamstede, Dissertation, Oxford University 1975 und Winifred J. Mulligan, John Whethamstede: A Neglected Historian of 15th Century England, Dissertation, Duke University 1974. 29 Nr. 23, in: John Dunstable: Complete Works, hrsg. von Manfred F. Bukofzer, 2. überarbeitete Auflage hrsg. von Margaret Bent, Ian Bent und Brian Trowell, London 1970 (= MB 8). 30 David R. Howlett, A Possible Date for a Dunstable Motet, in: MR 36 (1975), S. 81 – 84. 31 Jon M. Allsen, Style and Intertextuality in the Isorhythmic Motet 1400 – 1440, Dissertation, University of Wisconsin 1992, S. 483 f.
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Die Humanisten und die Musik
Ende jedes color, entfällt. Die talea ist auch intern durch Pausen im Tenor gegliedert: Nach einem Viertel ihrer Länge erscheint ein weiterer kurzer zweistimmiger Abschnitt, da der Tenor pausiert (siehe Notenbeispiel 4).
Notenbeispiel 4: Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus domini laudans: Tenor in originaler Notation (John Dunstable Complete Works (s. Anm. 29), S. 162)
In den dreistimmigen Abschnitten weisen die drei Stimmen verschiedene Bewegungsebenen auf; dort liegen Tenor und Motetus in einer Stimmlage, so dass der Motetus zeitweilig den tiefsten Ton im Satz gibt. In den Duetten gleicht sich der Motetus dem Triplum sowohl in der Bewegung als auch in der Stimmlage an. Die Dissonanzbehandlung ist äußerst kontrolliert. Selbst in den dreistimmigen Abschnitten treten Dissonanzen fast ausschließlich als Durchgangsnoten, seltener als kurze Vorhalte auf. Nur vor Klauseln, von denen manche auf einem Zusammenklang mit Terz enden, zeigen sich längere Dissonanzen. Klauseln treten häufig auf und enden fast immer auf der finialis oder der Quinte des transponierten sechsten Modus. Sie sind mit dem isorhythmischen Schema koordiniert und fallen meist mit dem Ende der Tenorpausen, der Duette oder dem Wechsel der colores, also der Mensur, zusammen. In den Oberstimmen treten Pausen zwar versetzt auf; doch definieren sie zusammen mit den Klauseln deutliche Abschnitte, besonders beim Wiedereinsatz des Tenors nach den taleainternen Pausen. Ganz selten finden sich kurze Imitationen oder Kanons zwischen Motetus und Triplum (siehe Notenbeispiel 5). Sowohl die Klauseln und Phrasen als auch die isorhythmische Struktur der Motette orientieren sich an der Form des Textes im Triplum. Besonders im ersten Teil fallen Klauseln immer mit Versenden zusammen; oft befinden sich an den Zäsuren des Hexameters Pausen. Auch die Duette enden an Versenden. In den folgenden beiden Teilen wird dieses Schema der Textverteilung jedoch nicht aufrecht erhalten. Auch Längen und Kürzen des Versmaßes, oder die Wortakzente sind in der Vertonung nicht berücksichtigt. Die Textverständlichkeit ist aufgrund der verschiedenen Texte, die lediglich im Versmaß übereinstimmen, nicht gewährleistet. Zwar wird die Form des Textes in der Vertonung berücksichtigt, gleichzeitig wird aber die Textverständlichkeit gerade durch Form und Versmaß erschwert. Die Verwendung eines in einem humanistischen Umfeld entstandenen Textes in der Motette führte demnach nicht zu einer auf den Text bezogenen Vertonung. Die humanistischen Ideen von Musik als Klang zeigen sich vielmehr in den rein
Exkurs: Die Motette Albanus roseo rutilat
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Notenbeispiel 5: Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus domini laudans: MM 1 – 34 (= talea 1)
musikalischen Parametern der Komposition, und hier besonders deutlich in der klaren Struktur : Nicht nur die isorhythmische Kompositionstechnik gibt der Motette einen klaren Aufbau; dieser Aufbau wird zudem in den unmittelbar hörbaren Parametern der Musik nachvollzogen. Die Duette und Proportionen verdeutlichen die isorhythmische Anlage, zudem fallen Klauseln mit den Übergängen von zwei- zu dreistimmigen Abschnitten und mit den Mensurwechseln zusammen. Der der Komposition zugrunde liegende isorhythmische
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Die Humanisten und die Musik
Aufbau wird durch die unmittelbar hörbaren Merkmale des Satzes wie die kurzen Phrasen und häufigen Klauseln weiter gegliedert. Zudem wird der harmonische Zusammenhalt der Komposition durch eine kontrollierte Dissonanzbehandlung und die Klauseln auf wenigen unterschiedlichen Tonstufen gewährleistet. Auf diese Weise entsteht in der Komposition ein Geflecht von aufeinander abgestimmten Elementen – wie Text, Isorhythmie, Phrasierung, Modus, das dem Hörer zwar nicht das Textverständnis erleichtert, aber den musikalischen Zusammenhang der gesamten Komposition vermittelt.
4. contenance angloise und Humanismus in der Musik
Bevor im letzten Teil der Arbeit dem Phänomen der Sonderstellung der Werke englischer Komponisten in diesen Werken selbst auf den Grund gegangen wird, sei das bisher zur contenance angloise und zum Humanismus Gesagte knapp rekapituliert und auf den Forschungsstand bezogen. Die musikalischen Quellen gruppieren diese Werke separat; sie schreiben sie explizit den großen englischen Komponisten zu, auch wenn sich die Zuschreibung nicht immer als korrekt erweist, oder sie geben als Identifikation das Ursprungsland des Komponisten an. Auch die historischen und theoretischen Quellen beschreiben besondere Eigenarten der englischen Kompositionen, sei es in den Kompositionstechniken Gymel und Faburden, in der Gesangstechnik der Aufführung oder in der bewussten Dissonanzbehandlung. Aus diesen Gründen wird der Ursprung des neuen Stils in den englischen Kompositionen gesehen. Zeitgleich lässt sich in Italien mit dem Aufkommen humanistischen Gedankenguts ein Wandel in der philosophischen Weltauffassung beobachten, der sich rasch nach England, an die Höfe, an denen Dunstaple tätig war, ausbreitet und alle Bereiche des Lebens – so auch die kulturellen und speziell die musikalischen – beeinflusst. Der aufkommende Humanismus schlägt sich in einer vermehrten Sammeltätigkeit und insbesondere in der Kategorisierung der gesammelten Objekte, in einem erstarkenden Interesse für die eigene Herkunft und in der Stellung des Menschen als Mittelpunkt aller theoretisch-philosophischen Überlegungen nieder. In den musikalischen Quellen zeigen sich die Sammeltätigkeit und auch die Systematisierung der gesammelten Werke nach Ursprungsland und Gattung. Zudem zeugen einzelne Quellen, wie die Trienter Codices, eher vom sammlerischen Interesse ihrer Kompilatoren als von der Tauglichkeit im Gebrauch. In den musiktheoretischen Schriften wird durch die Nennung nationaler Merkmale ein Bewusstsein für die Herkunft von Werken deutlich. Bei Johannes Tinctoris wird zum ersten Mal ein Geschichtsbewusstsein erkennbar, indem er eine Entwicklung des musikalischen Stils, ausgehend von Dunstaple, konstatiert und jedwede zuvor entstandene Musik verwirft. Zudem
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contenance angloise und Humanismus in der Musik
stellt er die Musik als Klang dar, dessen Wohllaut vom menschlichen Ohr bemessen wird, und nicht als mathematisch abzuleitende Folge von Proportionen. Im frühen 15. Jahrhundert greifen also verschiedene Phänomene, die sich in der Musiktheorie und im Umgang mit Kompositionen zeigen, ineinander : Anhand der Entwicklungen im Kompositionsstil und der Auffassung von Musik als Klang kann diese Interdependenz auch in den Werken gezeigt werden.
a.
Die contenance angloise in der Musik
Die Beschreibung der contenance angloise bei Martin LeFranc wirkt aus heutiger Sicht eher unpräzise, da die musikalische Bedeutung der Ausdrücke »fainte«, »pause« und »muance«1 nicht mehr fassbar ist. Auch die Beschreibung des neuen Stils bei dem Musiktheoretiker Tinctoris2 weist auf einen Einfluss der englischen Musik auf kontinentale Komponisten hin, ohne jedoch die Merkmale des dadurch entstandenen neuen Stils mit einem konkreteren Begriff als »süß« zu belegen. In den Musikhandschriften des 15. Jahrhunderts werden zwar englische Kompositionen meist zusammen gruppiert; nach welchen Kriterien diese Anordnung vorgenommen wurde, ist jedoch nicht überliefert. Die separate Wahrnehmung von englischer Musik ist somit nicht nur in zeitgenössischen historischen und musiktheoretischen Quellen, sondern auch in den Musikhandschriften belegt. Worin die musikalischen Merkmale der englischen Kompositionen konkret bestehen, bleibt jedoch offen. Seit der Aufarbeitung der musikalischen Quellen, die im späten 19. Jahrhundert neben den musiktheoretischen Texten3 auch englische und kontinentale Kompositionen des 15. Jahrhunderts in Denkmälereditionen4 für weitergehende Forschung zugänglich machte, gab es verschiedene Deutungen der spezifischen Merkmale englischer Kompositionen. Frühe Untersuchungen beruhen zumeist auf dem Missverständnis, die Beschreibungen der contenance angloise bei Le Franc und des neuen Stils bei Tinctoris bezögen sich direkt auf englische Kompositionen und nicht auf spätere Werke kontinentaler Komponisten. So wurden zunächst vermehrt auftretende Terzen und Sexten als typisches Merkmal englischer Musik gedeutet. Kompositionstechniken, die zu Terzschichtungen und Sextakkorden führen, finden sich schon in den Worcester Fragmenten5 1 Nach David Fallows, The ›contenance angloise‹: English Influence on Continental Composers of the Fifteenth Century, in: Renaissance Studies 1 (1987), S. 189 – 208, hier S. 201 – 203. 2 Proportionale musices, in: Johannis Tinctoris Opera theoretica, hrsg. von Albert Seay, 3 Bde., Rom 1975 – 78, (= CSM 22), Bd. 2a, S. 9 – 60. 3 Edmond de Coussemaker, Scriptorum de Musica Medii Aevi, 4 Bde., Paris 1864. 4 Wie z. B. CMM und MB. 5 Ernst Apfel, Studien zur Satztechnik der mittelalterlichen englischen Musik, 2 Bde., Heidel-
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sowie später im englischen Diskantsatz und im Fauxbourdon, dessen Ursprung in England vermutet wurde. Dabei herrscht in der frühen Literatur zur englischen Musik im 15. Jahrhundert jedoch erhebliche Verwirrung in der Definition von Diskantsatz, Faburden, Fauxbourdon und der englischen »sight« Technik.6 Heinrich Besseler7 unterscheidet zwischen dem englischen Vollklang, der auf einem System von Terzen und Sexten basiert, und dem italienischen »dominantischen« Satz, der auf Quintrelationen aufbaut. Im konduktischen Satz konstatiert er häufige Folgen von Sextakkorden und Parallelführungen. Dabei unterscheidet sich der englische Kompositionsstil vom italienischen Lied durch seinen freien akkordischen Satz. Als weitere typisch englische Merkmale nennt er Pentatonik, Ostinati und die Neigung zur Subdominate. Besseler wertet den englischen Vollklang im musikgeschichtlichen Verlauf als Vorstufe der Tonalität. Die spezifischen Merkmale der englischen Musik wurden jedoch nicht nur auf der Ebene der Zusammenklänge gesucht, sondern auch auf melodische oder strukturelle Elemente zurückgeführt. Ernest H. Sanders8 zieht in der Untersuchung der typisch englischen Merkmale einer Komposition auch Periodisierung, Struktur der Werke und Kadenzen heran. Diese Aspekte werden später von Ann Besser Scott9 genauer beschrieben. Sie teilt die englischen Kompositionen in zwei Gruppen: Manche Werke sind streng gegliedert, andere jedoch eher planlos. Der Zusammenhalt der durchorganisierten Werke wird durch Wiederholungen, Stimmtausch, Kanontechniken, Sequenzen, Refrains und Variation gewährleistet. Besser Scott weist zudem auf eine zeitliche Entwicklung der Kompositionstechnik hin: Je später die Kompositionen entstanden, desto weniger durchorganisiert sind sie. Der sinnliche Höreindruck eines Werkes gewinnt somit gegenüber seiner kompositionstechnischen Konstruktion an Gewicht. Charles Hamm10 entwickelt eine Reihe rein äußerlicher Kriterien, die auf einen englischen Entstehungskontext anonym überlieferter Werke deuten. So
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berg 1959 (= Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 5). Z. B. bei Manfred Bukofzer, Geschichte des englischen Diskants und des Fauxbourdons nach den theoretischen Quellen, Strassburg 1936 (= Sammlung Musikwissenschaftlicher Abhandlungen 21). Eine Beschreibung der verschiedenen Satztechniken findet sich bei Reinhard Strohm, The Rise of European Music, Cambridge 1993, S. 207 – 211. Heinrich Besseler, Bourdon und Fauxbourdon: Studien zum Ursprung der Niederländischen Musik, Leipzig 1950. Ernest H. Sanders, Die Rolle der englischen Mehrstimmigkeit des Mittelalters in der Entwicklung von Cantus-Firmus-Satz und Tonalitätsstruktur, in: Archiv für Musikwissenschaft 24 (1967), S. 24 – 53. Ann Besser Scott, Coherence and Calculated Chaos: The English Composers of Modena Biblioteca Estense, Dissertation, University of Chicago 1969. Charles Hamm, A Catalogue of Anonymous English Music in Fifteenth-Century Continental Manuscripts, in: MD 22 (1968), S. 47 – 76.
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contenance angloise und Humanismus in der Musik
können cantus firmi, die dem englischen Ritus entnommen sind, oder Texte zur Marienverehrung auf den Entstehungsort hinweisen. Die Technik, Abschnitte des langen Textes im Credo in verschiedenen Stimmen gleichzeitig zu setzen, und Messzyklen ohne Kyrie11 zählt Hamm zu weiteren möglichen Merkmalen englischer Kompositionen, ebenso die Abwechslung stimmreduzierter Passagen mit dem drei- oder vierstimmigem Satz sowie bestimmte Proportions- und Mensurschemata. Zudem identifiziert Hamm ein »englisches Motto«12 und eine »englische Kadenz« (siehe Notenbeispiel 6). Neben der Diskussion um typische Merkmale der englischen Musik, die sich am Notentext ablesen lassen, wurde die contenance angloise immer häufiger im Kontext der Aufführung, also als eine bestimmte Art des Singens, gedeutet. Doch auch David Fallows13 nennt, neben aufführungstechnischen Kriterien, als typische Merkmale englischer Kompositionen den cantus firmus aus dem englischen Ritus, die Struktur, die Notation – besonders der Gebrauch einer bestimmten Kombination von Mensurzeichen14 – und die Kadenzen. Er erkennt zudem einen englischen Einfluss in den cantus firmus-Messen von Guillaume Dufay und Johannes Ockeghem. Diesen Ansatz unterstützt auch Philip R. Kaye15 in seiner Studie zu Terzen und Sexten in englischen Kompositionen des 14. Jahrhunderts. Er widerlegt die Annahme, in englischen Kompositionen seien mehr Terzen und Sexten zu finden als in Werken, die auf dem Festland entstanden, und weist stattdessen eine unterschiedliche Art der Dissonanzbehandlung in englischen kontinentalen Kompositionen nach. Die englische Art der Dissonanzbehandlung führt zu einem insgesamt konsonanteren Eindruck der englischen Werke, da die Dissonanzen kontrolliert eingesetzt werden. Sie treten also selten unvorbereitet auf und werden meist auch aufgelöst. Kaye belegt zudem einen Einfluss der engli11 Das Fehlen von englischen Kyrie in kontinentalen Quellen darf jedoch nicht als Hinweis auf ein generelles Fehlen von englischen Kyrie gedeutet werden. Vgl. Margaret Bent, The Transmission of English Music 1300 – 1500: Some Aspects of Repertory and Presentation, in: Studien zur Tradition in der Musik, hrsg. v. Hans-Heinrich Eggebrecht und Max Lütolf, München 1973, S. 65 – 84 und dies., Manuscripts as R¦pertoires, Scribal Performance and the Performing Scribe, in: Transmissione e recezione delle forme di cultura musicale 1 (1990), S. 138 – 152. 12 Vgl. auch Manfred Bukofzer, John Dunstable and the Music of his Time, in: Proceedings of the Musical Association 65 (1939), S. 19 – 43. 13 Fallows, The ›contenance angloise‹ (s. Anm. 1). Zur Interpretation der contenance angloise als Aufführungsstil vgl. auch Rob C. Wegman, New Music for a World Grown Old: Martin Le Franc and the ›Contenance Angloise‹, in: AM 75 (2003), S. 201 – 241. 14 Vgl. verschiedene Studien speziell zum Gebrauch von Mensurzeichen im 15. Jahrhundert: Andrew Hughes, Mensuration and Proportion in Early Fifteenth Century English Music, AM 37 (1965), S. 48 – 61; Margaret Bent, The Early Use of the Sign ¦, in: EM 24 (1996), S. 199 – 225. 15 Philip R. Kaye, The ›contenance angloise‹ in Perspective, London 1989 (= Outstanding Dissertations in Music from British Universities).
Die contenance angloise in der Musik
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Notenbeispiel 6: Englisches Motto und englische Kadenz (nach Hamm, A Catalogue (s. Anm. 10), S. 58 f.)
schen Kompositionen auf kontinentale Komponisten. Dieser Einfluss findet sich allerdings nicht in der Dissonanzbehandlung, sondern auf struktureller Ebene der Kompositionen, wie dem gliedernden Einsatz stimmreduzierter Passagen und den deutlich voneinander abgegrenzten Stimmlagen. In der Forschungsliteratur zur contenance angloise zeigen sich somit zwei Richtungen: Die Ansicht, es handele sich um ein rein aufführungstechnisches Phänomen der englischen Musik und ihrer Ausführenden, und die Ansicht, typische Merkmale der englischen Musik ließen sich an der Kompositionstechnik und den äußeren Eigenschaften der Kompositionen ablesen. Bei der Untersuchung der überlieferten Kompositionen kommen wiederum zwei Ansätze zum Tragen: Neben kompositionstechnischen Merkmalen, wie musikalischer Satz, Dissonanzbehandlung, Form und Struktur, Anzahl der Stimmen oder Gattung, spielen die Begebenheiten der Überlieferung sowie Merkmale der Notation eine gewichtige Rolle.
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b.
contenance angloise und Humanismus in der Musik
Humanismus in der Musik
Nicht nur die contenance angloise bereitet der Musikforschung Schwierigkeiten in der Übertragung auf konkrete kompositionstechnische Merkmale, auch humanistische Ideen lassen sich nicht ohne weiteres auf Kompositionstechniken übertragen. Entwicklungen in der Literatur – wie die Verwendung von antiken Metren oder die Anlehnung an die Rhetorik klassischer Autoren – und der Philosophie – wie das neue Geschichts- und Nationalbewusstsein – hatten Einfluss auf die Musik, führten aber nicht zu einem eigenen Musikstil, da sich die Rückbesinnung aufgrund mangelnder Überlieferung von musikalischen Quellen auf die Musiktheorie beschränken musste. Zumeist wird der Einfluss des Humanismus auf die Musik an der Vertonung von Texten in antiken Versmaßen gemessen. Dadurch muss er allerdings auf bestimmte Gattungen, wie die Motette, beschränkt bleiben. Erst in der neueren Forschung wird die Frage aufgeworfen, ob es »humanistische Musik« ohne antikisierende Texte geben kann. Dennoch bleibt der Begriff in der Musikwissenschaft weiterhin umstritten. Zunächst wurde der Humanismus in der Forschung als Epochenbegriff gehandhabt, ohne auf einer klaren kompositionsgeschichtlichen Grundlage zu fußen.16 Allerdings zeigen sich Merkmale, die auf den neuen Umgang mit der Sprache sowie auf eine Rückbesinnung auf die Antike zurückzuführen sind, in der Musik erst sehr viel später als in den anderen Künsten. So traten die musikalische Figurenlehre, die sich direkt auf rhetorische Vorbilder bezieht, und die Oper, die zumindest nach den theoretischen Quellen im antiken Drama ihren Ursprung findet, erst um 1600 in der Musik auf.17 Eine Übertragung dieser vom Humanismus beeinflussten musikalischen Konzepte auf frühere Jahrhunderte ist jedoch schwierig. Mögliche Ansätze für eine Untersuchung der Einflüsse des Humanismus auf die Musik vor 1600 finden sich in der humanistischen Musikanschauung, der Kunstförderung durch Humanisten sowie dem Geschichtsbewusstsein und der Kanonbildung in der Musiktheorie.18 Einen Einblick in die Wechselwirkungen zwischen frühhumanistischem Umfeld, Musik-
16 August Buck und Hans Albrecht, Artikel »Humanismus«, in: MGG1. 17 Vgl. Heinz Brandes, Studien zur musikalischen Figurenlehre im 16. Jahrhundert, Berlin 1935. Einen Überblick über den Stand der Forschung gibt Klaus Wolfgang Niemöller, Die musikalische Rhetorik und ihre Genese in Musik und Musikanschauung der Renaissance, in: Renaissance-Rhetorik, hrsg. von Heinrich F. Plett, Berlin 1993, S. 285 – 315. 18 Vgl. Reinhard Strohm, Music, Humanism and the Idea of a ›Rebirth‹ of the Arts, in: Music as Concept and Practice in the late Middle Ages, hrsg. von Reinhard Strohm und Bonnie J. Blackburn, Oxford 2001 (= NOHM III / 1), S. 346 – 388; ders., Neue Aspekte von Musik und Humanismus im 15. Jahrhundert, in: AM 76 (2004), S. 135 – 157.
Humanismus in der Musik
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theorie und Musik in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Padua gibt zum Beispiel Annette Kreutziger-Herr in ihrer Studie über Johannes Ciconia.19 Als einer der ersten wies Willem Elders20 auf werkimmanente Ebenen hin, die humanistische Einflüsse in der Musik zeigen. In seinen Untersuchungen verbindet er bestimmte Merkmale des vertonten Textes mit musikalischen Strukturen: So sieht er rhetorische Elemente in der musikalischen Form gespiegelt, metrische Aspekte jedoch in der melodischen Struktur. Er zieht außer literaturwissenschaftlichen Parallelen auch solche zur Kunstgeschichte und vergleicht die perspektivischen Mittel der Malerei des späten 15. Jahrhunderts mit den verschiedenen Funktionen der einzelnen Stimmen in einer Komposition. Während die Übertragung formaler und metrischer Aspekte eines Textes auf die Musik, die ihn vertont, noch nachzuvollziehen ist, erscheinen Analogien zwischen den Funktionen in der Malerei und der Musik, zumal die zu vergleichenden Kunstwerke keinen direkten Bezug zueinander aufweisen, allerdings mehr als fragwürdig. Werkimmanente Ansätze wurden später ergänzt durch entstehungsgeschichtliche Komponenten. Untersuchungen zur Förderung von Musik führten verstärkt dazu, auch den Status des Auftragswerks als ein Kriterium für »humanistische« Kompositionen aufzufassen.21 Zudem wurde eine neue, humanistisch geprägte Beziehung zwischen Text und Musik nicht mehr nur auf der kompositionstechnischen Ebene gesucht, sondern auch in der Rezeption der Werke. So deutet Don Harran22 auch die Textverständlichkeit als ein Merkmal der humanistischen Textvertonung. Diese wird einerseits durch die am Versmetrum orientierte melodische Betonung und den Ausdruck der Bedeutung des Textes durch die Musik gewährleistet, andererseits durch homophone Satztechniken wie zum Beispiel Fauxbourdon ermöglicht. Dadurch wird die Textunterlegung, die zwar im Laufe des 15. Jahrhunderts deutlicher wird, aber keinesfalls immer eindeutig ist, zu einem zentralen Problem der Forschung.23 Die Umsetzung einer metrisch korrekten Betonung des Textes in der Musik stößt 19 Johannes Ciconia (ca. 1370 – 1412), Eisenach 1991 (= Hamburger Beiträge zur Musikwissenschaft 39). 20 Willem Elders, Humanism and Early-Renaissance Music, in: Tijdschrift van de Vereniging voor Nederlands Muziekgeschiedenis 27 (1977), S. 65 – 101. 21 Vgl. z. B. Laurenz Lütteken, Guillaume Dufay und die isorhythmische Motette, Hamburg 1993 ( = Schriften zur Musikwissenschaft in Münster 4). 22 Don Harran, The Impact of Humanism, in: Word-Tone-Relations in Musical Thought, hrsg. von dems., Stuttgart 1986 (= Musicological Studies and Documents 40), S. 76 – 101. 23 Vgl. Margaret Bent, Text-Setting in Sacred Music of the Early 15th Century : Evidence and Implications, in: Musik und Text in der Mehrstimmigkeit, hrsg. von Ludwig Finscher und Ursula Günther, Kassel 1984, S. 291 – 326 und Thomas Schmidt-Beste, Textdeklamation in der Motette des 15. Jahrhunderts, Tournhout 2003, besonders S. 475 – 493. Die Analysen zum Wort-Ton-Verhältnis in den folgenden Kapiteln basieren auf der Textunterlegung der jeweiligen Editionen der untersuchten Werke.
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contenance angloise und Humanismus in der Musik
allerdings auf einige Unwägbarkeiten, da Wort- und Versakzent nicht immer übereinstimmen müssen, mit der Vertonung aber eine bestimmte Betonung festgelegt wird. Zudem lassen sich Quantität und Qualität der klassischen Metren nicht ohne weiteres in die volkssprachliche Dichtung übertragen. Diese Faktoren schränken die als vom Humanismus als beeinflusst anzunehmenden Kompositionen auf die Gattung Motette ein. Auch Thomas Schmidt-Beste24 widmet sich in der Untersuchung von humanistisch geprägter Musik der Motette, im Besonderen der Festmotette. Bei der Auswahl der Texte stellt er einen Zusammenhang zwischen Versmetrum und Aufführungskontext her : Weltliche Texte gebrauchen den klassischen Hexameter, geistliche Texte den leoninischen. Bei der Umsetzung von Versmetren in der Musik weist er auf die Grenzen der Mensuralnotation hin: Es können zwar die Quantitäten des Versmetrums mit längeren und kürzeren Notenwerten wiedergegeben werden, da die Mensuralnotation über keinen Taktschwerpunkt verfügt, aber nicht die Qualitäten, also die betonten oder unbetonten Silben. Neben diesen Untersuchungen stehen in jüngerer Zeit Forschungen, in denen die direkte Übertragung der typischen Merkmale humanistischen Denkens auf die Musik mit Skepsis betrachtet wird.25 Rhetorische Verfahren wie varietas, emulatio oder imitatio lassen sich nicht so sehr auf die Struktur der musikalischen Komposition übertragen, sondern bilden vielmehr den ideengeschichtlichen Hintergrund, der sich musikalisch in der Intertextualität von Kompositionen zeigt. Diese Ebene des Einflusses von Humanismus auf die Musik zeigt sich auch in Texten des 15. Jahrhunderts: In ihren Beschreibungen zur Entstehung des neuen Stils und der contenance angloise führen Tinctoris und LeFranc eine Generationenfolge von Komponisten auf und implizieren damit einen musikalischen Fortschritt durch imitatio und emulatio. Auch die Aufmerksamkeit, die im Humanismus der Wahrnehmung und Ästhetik eines Kunstwerks geschenkt wird, zeigt sich nicht so sehr in der konkreten Umsetzung durch musikalische Figuren, sondern eher in der allgemeinen Wirkmächtigkeit und den Affekten der Komposition. Und das im Humanismus aufkeimende Geschichtsbewusstsein lässt sich eher im Umgang mit der musikalischen Tradition wahrnehmen als im konkreten Rückbezug auf antike Musik. So beschreibt Tinctoris eine Abfolge von Komponistengenerationen, deren Musik er aufeinander bezieht, und verwirft jegliche Musik, die vor mehr als 40 Jahren komponiert wurde. Die Forschung zum musikalischen Humanismus betrachtet demnach ver24 Schmidt-Beste, Textdeklamation (s. Anm. 23), S. 475 – 493. 25 Michael Zywietz, Musik in der Hofkultur Karls V., Habilitationsschrift Münster 2000 (ungedruckt), Kapitel 5: »Musikalischer Humanismus – Humanismus in der Musik – Humanistischer Stil in der Musik – Probleme mit einem unverzichtbaren Begriffspaar«.
Humanismus in der Musik
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schiedene Ebenen, auf denen humanistische Ideen Einfluss auf die Musik genommen haben. So werden Konzepte der Rhetorik auf einer Art »Meta-Ebene« auf Musik und ihren Entstehungskontext übertragen. Der Einfluss des Humanismus kann dabei im zeitgenössischen Umgang mit Musik gesehen werden, aber auch ganz konkret in einer nach rhetorischen Prinzipen gestalteten Struktur der Musik. Das Interesse des Humanismus am Menschen hingegen bewirkt eine größere Aufmerksamkeit gegenüber der Wirkung und Ästhetik von Musik. Die kontrollierte Dissonanzbehandlung und vermehrt auftretende homophone Passagen lassen nicht nur ein Bestreben nach Wohlklang, sondern auch nach einer besseren Textverständlichkeit zutage treten. Ein direkter Bezug zur Metrik eines Textes lässt sich in der melodischen Struktur der Komposition wiederfinden.
IV. Die Musik
Grundlagen der Analyse
Die musikalischen Merkmale, die zur Untersuchung der contenance angloise und der Einflüsse des Humanismus auf die Musik herangezogen werden, weisen in ihren zentralen Punkten Überschneidungen auf: Die kontrollierte Dissonanzbehandlung löst nicht nur den für humanistisch gebildete Ohren so angenehmen Wohlklang aus, sondern bildet auch den charakteristischen Klang der contenance angloise. Die für englische Kompositionen typischen stimmreduzierten oder homophonen Passagen gliedern die Werke und verbessern zudem die Textverständlichkeit, sie scheinen somit auf einen humanistisch geprägten Umgang mit dem Text hinzuweisen. Diese Merkmale sollen in den folgenden Analysen berücksichtigt werden. Der Kompositionsstil ist jedoch auch von Gattungen abhängig, daher ist eine nach musikalischen Gattungen gegliederte Betrachtung der Kompositionen, die etwa zeitgleich mit den Werken von John Dunstaple entstanden, unerlässlich. Da das überlieferte Werk Dunstaples zum größten Teil aus geistlichen Kompositionen besteht, und der Text somit – außer in den Motetten – von vornherein festgelegt ist, werden neben isorhythmischen Motetten mit Marienbezug Vertonungen der vier Marienantiphonen Alma redemptoris mater, Ave regina celorum, Regina celi letare und Salve regina zur Analyse herangezogen.1 Zudem werden Messen, denen einer dieser Choräle als Fremd-cantus firmus zugrunde liegt, untersucht. Die Marienverehrung erlebte am Anfang des 15. Jahrhunderts einen großen Aufschwung in England, der sich später in ganz Europa ausbreitete. An vielen Kirchen wurden an bestimmten Wochentagen Marienmessen gefeiert, die von Laien gestiftet oder in den Statuten des Kapitels verankert waren. Diese gaben Kompositionen für die Marienmessen in Auftrag.2 Da sich die Marienverehrung 1 Die einzige auf einem Text in klassischen Metren basierende Motette, Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus domini laudans, wurde bereits im Kapitel III.3 besprochen. 2 Vgl. Roger Bowers, Obligation, Agency and Laissez-Faire: The Promotion of Polyphonic Composition for the Churchin Fifteenth-Century England, in: Music in Medieval and Early Modern Europe, hrsg. von Ian Fenlon, Cambridge 1981, S. 1 – 19, hier S. 12. Kenney beschreibt
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Grundlagen der Analyse
in England viel früher ausprägte als auf dem Kontinent, wurden Vertonungen von Marienantiphonen, sei es als Motetten, Vertonungen gregorianischer Melodien oder cantus firmus-freie Kompositionen, im 15. Jahrhundert als eine typisch englische Gattung angesehen und in den kontinentalen Quellen mit anonym überlieferten, vermutlich englischen Werken dieses Typs zusammen gruppiert.3 Charles Hamm sieht denn auch in der Marienthematik ein Merkmal zur Identifizierung von Werken englischen Ursprungs.4 Satztechnisch bietet sich ein weites Spektrum, denn es werden in der Analyse Messen ebenso wie Vertonungen gregorianischer Melodien und cantus firmusfreie Kompositionen mit liturgischen Texten berücksichtigt – die in Manfred Bukofzers Ausgabe der Werke Dunstaples5 so genannten Cantilena-Motetten. Bukofzers Definition6 der Cantilena-Motetten beschränkt sich auf den fehlenden cantus firmus. Peter M. Lefferts7 dagegen beschreibt ihren historischen Ursprung als eine der typischen Gattungen im 14. Jahrhundert in England. Der Satz ähnelt dem des Conductus, denn die Cantilena-Motetten sind zumeist dreistimmig und homophon gesetzt und in Partiturform notiert. Ihre Form dagegen entspricht der Sequenz, da jeder musikalische Abschnitt jeweils für zwei Verse des Textes wiederholt wird. Die meisten Cantilena-Motetten wurden für die Liturgie an Marienfesten komponiert. Diese ursprünglichen Merkmale treffen aber in ihrer Gesamtheit weder auf die cantus firmus-freien Motetten im 15. Jahrhundert generell noch auf Dunstaples Motetten ohne cantus firmus zu, denn in der Satztechnik vermischen sich im Laufe des 15. Jahrhunderts die Merkmale der Vertonungen gregorianischer Melodien und der Cantilena-Motette in England immer mehr : Der Text der im homophonen Cantilena-Stil komponierten Motetten ist nicht mehr ähnlich der Sequenz paarweise gereimt, sondern immer öfter in Prosa gefasst. Mit der Form des Textes ändert sich auch seine Vertonung, und der homophone Satz wird immer seltener. So verbinden sich die Kompositionsmerkmale der mehrstimmigen Antiphon mit denen der
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4 5 6 7
diesen Prozess für das späte 15. Jahrhundert in: Ely Cathedral and the »Contenance Angloise«, in: Musik und Geschichte. Leo Schrade zum sechzigsten Geburtstag, Köln 1963, S. 35 – 49. Charles Hamm, A Catalogue of Anonymous English Music in Fifteenth-Century Continental Manuscripts, in: MD 22 (1968), S. 47 – 76. Martin Staehelin geht im Umkehrschluss davon aus, dass das Fragment Lausanne, Archiv Cantonales Vaudoises, A e 15 englischen Urpsungs sein muss, da in ihm mehrere Marienantiphonen hintereinander notiert sind; in: Neue Quellen zur mehrstimmigen Musik des 15. und 16. Jahrhunderts in der Schweiz, in: Schweizer Beiträge zur Musikwissenschaft 3 (1978), S. 57 – 83, hier S. 59 – 62. Hamm, A Catalogue of Anonymous English Music (s. Anm. 3). John Dunstable: Complete Works, hrsg. von Manfred F. Bukofzer, 2. überarbeitete Auflage hrsg. von Margaret Bent, Ian Bent und Brian Trowell, London 1970 (= MB 8). Manfred Bukofzer, Studies in Medieval and Reneaissance Music, New York 1950, S. 148 ff. Peter M. Lefferts, Cantilena and Antiphon: Music for the Marian Services in Late Medieval England, in: Studies in Medieval Music – Festschrift for Ernest H. Sanders, hrsg. von Peter M. Lefferts und Brian Seirup, New York 1990 (= current musicology 45 – 47), S. 247 – 282.
Grundlagen der Analyse
175
Cantilena-Motette zu einer neuen Form, die den Text der Antiphon beibehält, aber keinen cantus firmus zitiert. Der Satz ist melismatisch und wenig homophon, so dass die einzelnen Stimmen recht unabhängig voneinander sind.8 Daher wird in der Analyse nicht nach Setzweise der Kompositionen unterschieden, sondern nach Werken mit oder ohne cantus firmus. Die ausgewählten Kompositionen sind fast ausschließlich in den bereits beschriebenen vier großen Handschriften des 15. Jahrhunderts Aosta, Bologna Q 15, Modena B und den Trienter Codices sowie in der Handschrift »Old Hall« überliefert. Nach der Untersuchung der isorhythmischen Motetten mit Marienbezug sowie der Vertonungen von Marienantiphonen in Dunstaples Werk werden diese dann mit Kompositionen anderer englischer Komponisten verglichen. Auf diese Weise können persönliche und übergreifende Herkunftsmerkmale unterschieden werden.9 Ausgewählt wurden, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wiederum isorhythmische Motetten mit Marientexten sowie Vertonungen der Marienantiphone mit und ohne cantus firmus, die englischen Ursprungs sind und etwa zeitgleich mit Dunstaples Kompositionen entstanden.10 In einem dritten Schritt wird der geographische Umkreis erweitert, und es werden Kompositionen, die auf dem Kontinent entstanden, nach den gleichen Kriterien ausgewählt und untersucht. Bei der Analyse von Werken kontinentaler Komponisten wird jedoch nicht nach einzelnen Ländern differenziert, da in Italien viele Personen aus Ländern nördlich der Alpen als Sänger und Komponisten tätig waren. Der Austausch von Sängern und Komponisten im 15. Jahrhundert war sehr rege und macht hier die Zuordnung nach Herkunft gegenstandslos. Eine Differenzierung einzelner Kompositionsstile nach Ländern ist weder möglich noch angebracht. Vielmehr soll untersucht werden, ob Veränderungen im Kompositionsstil der Komponisten auf dem europäischen Festland auf mögliche Einflüsse englischer Kompositionstechniken zurückgeführt werden können. Dabei werden zunächst schwerpunktmäßig isorhythmische Motetten mit Marienbezug analysiert, denn hier ist ein breites Repertoire überliefert, das die Untersuchungsergebnisse stabilisiert, auch wenn die Kompositionen für verschiedene Anlässe und unterschiedliche Kontexte entstanden. Auf dem Kontinent entstandene Vertonungen von Marienantiphonen werden am Beispiel von Dufays Werken analysiert, da hier – anders als bei den meisten 8 Nach ebd., S. 264. 9 Dass der englische Stil auch persönliche Eigenheiten zulässt, wurde schon oft festgestellt; vgl. Ann Besser Scott, Coherence and Calculated Chaos: The English Composers of Modena Biblioteca Estense, Dissertation, University of Chicago 1969. 10 Sylvia Kenney untersucht die Merkmale der contenance angloise in den Werken der nächsten Generation englischer Komponisten in: Ely Cathedral and the »Contenance Angloise«, in: Musik und Geschichte. Leo Schrade zum sechzigsten Geburtstag, Köln 1963, S. 35 – 49 und Walter Frye and the ›Contenance Angloise‹, New Haven 1965.
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Grundlagen der Analyse
anderen kontinentalen Komponisten des 15. Jahrhunderts – eine vermehrte Vertonung dieser Texte zu finden ist. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts finden Vertonungen von Marienantiphonen Eingang in das Repertoire der Komponisten auf dem Kontinent. Zur gleichen Zeit erleben die Laienbruderschaften, die die Marienmesse am Sonnabendabend ausrichteten, einen enormen Zulauf. Für ihre Messen wurden im frühen 16. Jahrhundert viele Vertonungen der Marienantiphone, besonders des Salve regina, in Auftrag gegeben.11 Dufay nimmt mit seinen Vertonungen von Marienantiphonen diese Entwicklung voraus. Die Werke Dufays eignen sich besonders gut zu einem Vergleich mit Kompositionen englischen Ursprungs, weil sie schon in den zeitgenössischen theoretischen Quellen immer wieder in genau diesem Zusammenhang erwähnt werden.12 Dufay wird als einer der Komponisten genannt, die den englischen Stil übernommen haben: Sein Name erscheint ebenso häufig wie der Dunstaples, um die Verbreitung des neuen Stils zu belegen. Auch in der heutigen musikwissenschaftlichen Literatur werden Vergleiche zwischen Dunstaples und Dufays Werk gern herangezogen, um einerseits die Verbreitung von bestimmten Stilmerkmalen zu zeigen, andererseits aber auch um eine Verortung von Dunstaples Werk in mittelalterlichen Strukturen von Dufays Kompositionen jedoch im Renaissancezeitalter vorzunehmen.13 In die Analysen werden ausschließlich Werke einbezogen, die vollständig und mit Komponistennamen überliefert sind.14 Durch die Zuschreibung ist – außer bei widersprüchlichen Zuschreibungen in verschiednen Quellen – die Herkunft der Komposition gesichert. Die Lebensdaten der Komponisten geben einen Anhaltspunkt zur Entstehung, denn die meisten untersuchten Kompositionen lassen sich nicht datieren. Zwar kann für einige isorhythmische Motetten ein Anlass und somit ein Datum der Aufführung vermutet werden; doch gerade bei den Vertonungen von Choralmelodien ist eine Datierung meist nicht möglich. 11 Sonja Stafford Ingram, The Polyphonic Salve Regina 1425 – 1550, Dissertation, University of North Carolina Chapel Hill 1973, S. 31 – 49. 12 Vgl. Kapitel III.1: Die contenance angloise im Schrifttum. 13 Z.B. Laurenz Lütteken, Guillaume Dufay und die isorhythmische Motette, Hamburg 1993, (= Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster 4), S. 179 – 188. 14 Bei den auf dem Kontinent entstandenen isorhythmischen Motetten nimmt das zypriotische Repertoire in der Handschrift I-Tn 9 eine Sonderstellung ein, denn die Werke sind ausschließlich anonym überliefert. Von den 32 isorhythmischen Motetten mit lateinischem Text widmen sich sieben Motetten Maria, während alle französisch textierten Motetten einen Marienbezug aufweisen (Statistik nach Jon M. Allsen, Style and Intertextuality in the Isorhythmic Motet 1400 – 1440, Dissertation, University of Wisconsin 1992, S. 78 – 81). Die anonyme Überlieferung, die Eigenart des Repertoires und seine Entstehungsgeschichte (vgl. Richard H. Hoppin: The Cypriot-French Repertory of the Manuscript Torino, Biblioteca Nazionale J II 9, in: MD 11 (1957), S. 79 – 125) führten zu der Entscheidung, das zypriotische Repertoire von der folgenden Untersuchung auszuklammern.
Grundlagen der Analyse
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Daher wurden, um zumindest ansatzweise eine zeitliche und örtliche Einordnung der Werke zu ermöglichen, keine anonym überlieferten Werke in die Untersuchung aufgenommen.
1. John Dunstaples Werke
Bevor einige Kompositionen John Dunstaples im Detail untersucht werden, ist es notwendig, einen Blick auf den Forschungsstand zum Werk insgesamt zu werfen. Die Kompositionen zu Marienfeiertagen werden dann – nach Kompositionstechniken geordnet – betrachtet: isorhythmische Motetten zu Marienfeiertagen sowie Vertonungen von Marienantiphonen im Cantilena-Stil mit und ohne cantus firmus. Die Analysen sind dabei auf die Strukturierung der Werke, Dissonanzbehandlung und Textbehandlung ausgerichtet; damit werden Merkmale adressiert, die zum einen eine typisch englische Kompositionsweise, also eine contenance angloise belegen und zum anderen – über den Aspekt der Wahrnehmung von Musik als Klang – Bezüge zu humanistischen Ideen herstellen.
a.
Forschungsstand
Seit der Edition der Werke Dunstaples 19531 entstanden vermehrt Studien zu den Kompositionen. Manfred Bukofzer2 veröffentlichte seine im Zusammenhang mit der Edition erworbenen Erkenntnisse über Leben und Werk Dunstaples in mehreren Aufsätzen. Darin beschreibt er zwar die Kompositionen, geht aber nicht analytisch vor. Ende der 1960er Jahre entstand die erste analytische Studie von Dunstaples Kompositionsstil.3 Raymond E. Stahura bedient sich vorrangig statistischer Methoden, um Melodie, Rhythmus und Harmonik zu beschreiben. Er gliedert die Werke nach cantus firmus-gebundenen bzw. -freien Kompositionen, so dass eine differenzierte Betrachtung des Kompositionsstils in verschiedenen Gattungen nur eingeschränkt möglich ist. Rund zehn 1 John Dunstable Complete Works, hrsg. von Manfred Bukofzer, London 1953; 2., überarbeitete Ausgabe hrsg. von Margaret Bent, Ian Bent und Brian Trowell, London 1970 (= MB 8). 2 Manfred Bukofzer, John Dunstable and the Music of His Time, in: Proceedings of the Musical Association 65 (1939), S. 19 – 43. 3 Raymond E. Stahura, A Stylistic Study of the Works of John Dunstable, Dissertation, Indiana University 1969.
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John Dunstaples Werke
Jahre später erschien Margaret Bents Monographie Dunstaple.4 Sie beschreibt Leben und Werk des Komponisten und bringt – soweit dies auf knapp 100 Seiten möglich ist – wenige Details zu Entstehung und Kompositionsstil der verschiedenen Gattungen. Während zu Guillaume Dufay und dessen Werken in den letzten 25 Jahren mehrere große Monographien erschienen,5 werden Dunstaple und seine Kompositionen lediglich in Studien über Gattungen, Epochen oder eben über Dufay betrachtet.6 Anders als bei den Kompositionen Dufays lassen sich die Anlässe, für die Dunstaples Werke entstanden, meist nicht rekonstruieren. Zwar wurden einigen isorhythmische Motetten Entstehungskontexte zugeordnet; doch sind diese nicht eindeutig durch Quellen oder werkimmanente Hinweise zu belegen. Rein liturgische Werke lassen sich noch seltener bestimmten Anlässen zuschreiben. So sind diese Kompositionen noch schwieriger zu datieren.7 Einzelne Untersuchungen zur Entstehungszeit stehen daher neben Studien mit analytischer Fragenstellung, die einen breiteren geschichtlichen bzw. regionalen Kontext abdecken.8 Abgesehen von Messen und Messensätzen nimmt der überwiegende Teil der geistlichen Kompositionen Dunstaples liturgisch Bezug auf Maria. Zwar werden ihm ein Messzyklus sowie mehrere Messensätze und Messensatzpaare zugeschrieben; doch werden sie im Folgenden nicht berücksichtigt, da keines der Werke auf einer Marienantiphon basiert. Auch unter den isorhythmischen Motetten finden sich vergleichsweise wenige Kompositionen zu Marienfesten. Die nicht-isorhythmischen Werke mit und ohne cantus firmus im so genannten Cantilena-Stil dagegen sind zum größten Teil auf Texte der Marienverehrung komponiert. Dunstaples Werke 6 einzelne Messsätze 6 Messsatzpaare (davon 2 isorhythmisch) 1 Messzyklus 12 isorhythmische Motetten 4 Margaret Bent, Dunstaple, London 1981 (= Oxford Studies of Composers 17). 5 Peter Gülke, Guillaume Du Fay. Musik des 15. Jahrhunderts, Kassel 2003; David Fallows, Dufay, London 1982; Laurenz Lütteken, Guillaume Dufay und die isorhythmische Motette, Hamburg 1993 (= Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster 4). 6 Lütteken, Guillaume Dufay (s. Anm. 5); Jon Michael Allsen, Style and Intertextuality in the Isorhythmic Motet 1400 – 1440, Dissertation, University of Wisconsin 1992; Reinhard Strohm, The Rise of European Music 1380 – 1500, Cambridge 1993. 7 Die Annahme, Dunstaple hätte in den letzten 20 Jahren seines Lebens nicht komponiert, lässt sich nicht halten; vgl. Peter M. Lefferts, Artikel »Dunstaple, John«, in: MGG. 8 Zu historischen Studien vgl. Bent, Dunstaple (s. Anm. 4); David R. Howlett, A Possible Date for a Dunstable Motet, in: MR 36 (1975), S. 81 – 84. Zu analytischen Studien vgl. Stahura, A Stylistic Study (s. Anm. 3); Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 6).
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Isorhythmische Motetten
5 Vertonungen gregorianischer Choräle 14 Motetten 2 weltliche Werke zahlreiche Fragmente und Kompositionen unsicherer Zuschreibung9
b.
Isorhythmische Motetten
Von den zwölf isorhythmischen Motetten Dunstaples sind drei auf Texte zu Marienfesttagen geschrieben.10 Nach Jon Michael Allsen,11 der auf der Basis von stilistischen Kriterien eine Chronologie der isorhythmischen Motetten Dunstaples erstellt, können die drei auf Marientexte komponierten Motetten zeitlich der zweiten und dritten, sowie der so genannten »experimentellen« Gruppe zugeordnet werden. Isorhythmic motets attributed to John Dunstable motet A) early group (c. 1421 or earlier) Preco preheminencie Salve scema sanctitatis Veni sancte / Veni creator
date 1416 or earlier 1421?
B) middle group (1420s) Ave regina celorum Christe sanctorum decus Dies dignus decorari Gaude felix Anna C) late group (late 1420s or 1430s) Albanus roseo rutilat Gaude virgo salutata
1430s? (or 1426?)
D) »experimental« motets Specialis virgo Veni sancte spiritus isorhythmic tenor textless motet a312 9 Nach John Dunstable Complete Works (s. Anm. 1). In diesem Kapitel werden nur Werke mit gesicherter Zuschreibung untersucht. Die Analysen folgen dem Notentext der Gesamtausgabe. 10 Einer textlos überlieferten Motette wurde in der Gesamtausgabe der Text der Marienantiphon Nesciens mater unterlegt. Sie soll hier nicht besprochen werden. 11 Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 6), S. 177 – 182. 12 Ebd., Example 4.18, S. 179.
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John Dunstaples Werke
Alle Untersuchungen zu den isorhythmischen Motetten Dunstaples stellen eine Regelhaftigkeit in den Kompositionen fest: Zwei oder drei taleae verlaufen zeitgleich mit einem color. Am Anfang jeder talea befinden sich stimmreduzierte Abschnitte. Die colores werden in den Proportionen 6:4:3 oder 3:2:1 wiederholt. Somit ergibt sich eine dreiteilige Struktur. Pankonsonanz ist – besonders in den stimmreduzierten Abschnitten – häufig festzustellen. Auch die Funktion und Anordnung der Stimmen ist häufig nach einem Muster angelegt: Der Tenor liegt mittig im Satz und wird oft vom Motetus unterschritten. Die Abfolge der Klänge in der Komposition kann daher weitgehend unabhängig von der Choralvorlage gestaltet werden. Der melodische Schwerpunkt liegt bei dreistimmigen Kompositionen allein im Triplum.13 Ave regina celorum / Ave mater expers paris / Ave mundi spes Maria Die Motette14 entstand vermutlich in den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts.15 Der Tenor basiert auf dem ersten Vers der Sequenz Ave mundi spes Maria zum Fest Mariae Verkündigung. Der Text16 im Triplum besteht aus drei achtzeiligen Strophen mit einem abschließenden dreizeiligen Zitat der Sequenz. Die Strophen lassen sich jeweils in zwei vierzeilige Hälften gliedern, die nach dem Schema 8a8a8a7b konstruiert sind. Zumindest die erste Zeile jeder Strophenhälfte beginnt mit »Ave«. Der Text im Motetus gliedert sich in drei sechszeilige Strophen mit abschließendem »Amen«. Die ersten beiden Strophen folgen dem Schema 8a8b8a8b8a8b; die dritte zerfällt in zwei dreizeilige Hälften nach dem Schema 8a8a8a8b8b8b. Auch im Text des Motetus werden die ersten beiden Strophen durch »Ave« eingeleitet. Die isorhythmische Struktur der Motette stimmt mit dem für Dunstaple typischen Muster überein: Ein color umfasst jeweils zwei taleae. Die Wiederholungen des color stehen in der Proportion 6:4:3 zueinander. Am Anfang jeder talea ist der ansonsten dreistimmige Satz auf zwei Stimmen, Motetus und Triplum, reduziert. Durch die Wiederholung und proportionale Verkürzung der Duette wird das isorhythmische Schema der Motette hörbar. Die unmittelbar hörbaren Merkmale wie Phrasierung und Textverteilung verschleiern jedoch den isorhythmischen Aufbau. Die taleae der isorhythmischen Struktur stimmen mit Zeilenenden des Motetustextes überein. Zu den ersten zwei taleae sind jeweils vier Zeilen Text gesetzt; zum zweiten Paar jeweils zwei Zeilen und zum dritten Paar jeweils drei. Die Textverteilung auf die colores ist zwar mit dem Text des Motetus koordiniert, 13 14 15 16
Ebd., S. 144 – 146. John Dunstable Complete Works (s. Anm. 1), Nr. 24. Nach Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 6), S. 179. Text s. Anhang 3.
Isorhythmische Motetten
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folgt aber weder der strophischen Form des Textes, noch dem Proportionsschema der Komposition. Die Phrasierung dagegen richtet sich nach dem Text im Triplum. Im ersten und dritten color befinden sich Pausen und Klauseln am Zeilenende, die meist auf der finalis oder eine Quinte höher liegen, oder sie stellen das Wort »Ave« heraus (siehe Notenbeispiel 7).
Notenbeispiel 7: Ave regina celorum / Ave mater expers paris / Ave mundi spes Maria: Triplum, MM 97 – Ende
Zum ersten color sind insgesamt drei Halbstrophen gesetzt. In den folgenden colores ist eine Koordination zwischen Text und Phrasierung nicht mehr zu erkennen. Vermutlich wird diese Art der Abstimmung durch die kompositorischen Vorgaben des Proportionsschemas und der Panisorhythmie verhindert. Die Phrasierung fördert somit die Textverständlichkeit im Triplum, während der Motetustext mit der Struktur der Komposition übereinstimmt. Zudem werden Zeilenanfänge auf »Ave« in beiden Stimmen immer wieder durch einen stimmreduzierten Satz hörbar gemacht. Der textliche Bezug zwischen Triplum und Tenor wird auf diese Weise besonders hervorgehoben. Gaude Virgo salutata / Gaude virgo singularis / Virgo mater / Ave gemma Die Entstehungszeit dieser Motette17 ist umstritten: Bent vermutet, analog zu den anderen vierstimmigen isorhythmischen Motetten Dunstaples, eine Ent17 John Dunstable Complete Works (s. Anm. 1), Nr. 28.
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John Dunstaples Werke
stehung vor 1425; Allsen datiert die Motette in den 1430er Jahren;18 doch lässt sich keine der Datierungen belegen. Die Melodie im Tenor stammt aus der Sequenz Ave mundi spes Maria; der unterlegte Text ist jedoch unbekannt. Die Texte der anderen Stimmen legen einen liturgischen Zusammenhang mit Mariae Verkündigung nahe; auf diesem Feiertag bezieht sich auch die Sequenz. Anders als in der Motette Ave regina celorum folgen die drei Texte in den Oberstimmen einem ähnlichen Muster :19 Der Text in Triplum und Motetus gliedert sich in jeweils vier achtzeilige Strophen im Kreuzreim. Syntaktisch zerfällt jede Strophe in zwei vierzeilige Hälften. Die Anzahl der Silben in jeder Zeile variiert nach keinem ersichtlichen Muster zwischen fünf und neun. Der Text des Contratenors ist syntaktisch in dreimal vier Zeilen gegliedert. Das Reimschema ist durchgängig 8a7b. Auch der isorhythmische Aufbau unterscheidet sich von der bereits untersuchten Motette: Es liegen drei taleae über zwei colores. Die melodische Wiederholung der colores ist allerdings schon im Choralausschnitt angelegt, denn auch dieser wird in der Sequenz wiederholt. Die Proportion von 6:4:3 und die Einleitung jedes der drei Teile mit einer stimmreduzierten Passage entsprechen dem für Dunstaple üblichen Schema. Das Duett erscheint jedoch nicht am Anfang jeder talea, sondern steht außerhalb der isorhythmischen Struktur. Die Dreiteiligkeit der Komposition wird, wie in der Motette Ave regina celorum, durch die Duette verdeutlicht. Auch die Texte in Triplum und Motetus sind nach dieser Struktur eingeteilt: Die Mensurwechsel befinden sich am Ende der zweiten Strophe und zwischen der dritten und vierten Strophe der beiden Texte. Die Wiederholungen von talea und color verlaufen zwar in den Texten von Triplum und Motetus parallel, sind aber in keinem der drei Texte systematisch an Zeilen- oder Strophenenden gebunden. Die Phrasierung durch Pausen folgt weitestgehend dem Text im Triplum. Klauseln sind spärlich gesetzt und liegen zumeist auf der finalis. In den ersten Takten der Motette ist die Textverständlichkeit durch den homophonen Satz und den übereinstimmenden Text in Triplum und Motetus gewährleistet (siehe Notenbeispiel 8). Wie in der Motette Ave regina celorum wird der isorhythmische Aufbau der Komposition durch Stimmreduktion und Mensurwechsel hörbar. Auf der melodischen Ebene wird das Hören des musikalischen Zusammenhangs zusätzlich durch ein besonders im ersten Teil immer wieder in leichten Variationen erscheinendes und in Triplum und Motetus imitiertes Motiv gefördert (siehe Notenbeispiel 9).
18 Bent, Dunstaple (s. Anm. 4), S. 7 – 9; Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 6), S. 179. 19 Texte s. Anhang 3.
Isorhythmische Motetten
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Notenbeispiel 8: Gaude Virgo salutata / Gaude virgo singularis / Virgo mater / Ave gemma: Triplum und Motetus, MM 1 – 5
Notenbeispiel 9: Gaude Virgo salutata / Gaude virgo singularis / Virgo mater / Ave gemma: Triplum und Motetus, MM 33 – 47
Specialis Virgo / Salve parens Die Entstehungszeit dieser Motette20 ist noch ungewisser als die der beiden anderen Marienmotetten. Allsen21 stuft sie, da ihre isorhythmische Struktur nicht dem üblichen Schema entspricht, als »experimentell« ein. Damit ist sie zwar stilistisch eingeordnet, aber diese Einordnung sagt nichts über die Entstehungszeit aus. Die Melodie im Tenor stammt aus der Sequenz Post partum virgo Maria zu Mariae Himmelfahrt. In der Quelle ist ihr allerdings ein falscher Text zugeordnet: »salve sancta [parens]« anstelle von »salve parens [inclita]«. 20 John Dunstable Complete Works (s. Anm. 1), Nr. 31. 21 Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 6), S. 179.
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John Dunstaples Werke
Neben der isorhythmischen Struktur ist auch die Textierung ungewöhnlich, denn beide Oberstimmen singen den gleichen Text.22 Der Text ist unregelmäßig geformt, da weder die Zeilenlänge noch der Endreim einem erkennbaren Muster folgt. Der Choralausschnitt ist rhythmisch durch Wiederholungen und Diminution geordnet; seine Melodie wiederholt sich aber nicht. Vor der ersten talea befindet sich eine Einleitung, nach der letzten talea eine Art Coda, an der auch der Tenor beteiligt ist. Die Rhythmisierung der Choralmelodie zeigt eine komplexe spiegelbildliche Anordnung der Länge von Noten und Pausen im Tenor, sowohl in den taleae als auch im Vor- und Nachspiel (siehe Notenbeispiel 10).23
Notenbeispiel 10: Symmetrien im Tenor von Specialis Virgo / Salve parens (nach Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 6), Example 4.13, S. 161)
Die einzelnen taleae werden nicht mit stimmreduzierten Passagen eingeleitet. Durch die Pausen des Tenors am Ende des Vorspiels und der taleae entsteht jedoch ein Wechsel von drei- und zweistimmigen Abschnitten. Klauseln befinden sich jeweils an den Übergängen in der isorhythmischen Struktur : zwischen Vorspiel und erster talea, zwischen den taleae, sowie zwischen letzter talea und Nachspiel. Sie unterstützen somit die Hörbarkeit der isorhythmischen Struktur und gliedern zudem den Text in Sinnabschnitte. Harmonisch sind die Klauseln weit gestreut: Sie fallen nicht nur auf die finalis, sondern auch auf die Quinte und Quarte, sowie die Sexte und Obersekunde. Die unmittelbar hörbaren Merkmale der Komposition fallen somit – anders als bei den anderen isorhythmischen Motetten – mit der zugrundeliegenden isorhythmischen Struktur zusammen. Außerdem wird die Textverständlichkeit 22 Text s. Anhang 3. 23 Allsen stellt in Style and Intertextuality (s. Anm. 6), S. 159 – 161 zu Recht fest, dass die Motette zwar einen rhythmisch äußerst komplex geordneten Tenor aufweist, der aber nicht im eigentlichen Sinne »isorhythmisch« zu nennen ist.
Werke mit cantus firmus
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erhöht, indem an den Klauseln auch der in beiden Stimmen sonst nicht immer genau gleichzeitig gesungene Text wieder synchronisiert wird. Dunstaple experimentiert in dieser Motette also nicht allein mit dem isorhythmischen Aufbau, sondern auch mit dem Verhältnis von Isorhythmie und Text, mit der Koordination von hörbaren und zugrunde liegenden Merkmalen der Komposition und daher mit der Hörbarkeit und Verständlichkeit von Strukturen an sich. Bestimmte Kompositionsmerkmale lassen in den isorhythmischen Motetten Dunstaples den Aufbau der Komposition hörbar werden. Die Isorhythmie wird zum Beispiel durch Duette am Anfang oder Ende der taleae hervorgehoben. Obgleich sich auch ein Text an der isorhythmischen Struktur orientiert, wird dies jedoch kaum wahrgenommen, da es sich hierbei um den Text der mittleren Stimme handelt. Die unmittelbar hörbaren Merkmale sind nach dem Text des Triplum gestaltet; nach ihm richten sich Phrasierung und Klauseln. Die Textverständlichkeit ist aufgrund der unterschiedlichen Texte in den verschiedenen Stimmen eher gering und nur an einzelnen Stellen gewährleistet. Dadurch treten allerdings die verständlichen Wörter umso mehr in den Vordergrund (»Ave« / »Gaude virgo«). Sie verkünden meist das liturgische Motto der Motette. Der Tenor ordnet zwar die isorhythmische Struktur der Komposition; Phrasierung, Klauseln und auch die Abfolge der Klänge sind aber unabhängig von dieser Stimme komponiert, da sie an das Triplum bzw. den Motetus gekoppelt sind. Die überwiegende Mehrzahl der Klauseln fallen auf die finalis, gefolgt von der Quint. Der kontrollierte Einsatz von Klauseln ist nur durch die Lage des Motetus unter dem Tenor möglich. In dieser Anlage lassen sich Ähnlichkeiten zu den Kompositionen im Cantilena-Stil erkennen.
c.
Werke mit cantus firmus
Nicht-isorhythmische Kompositionen mit cantus firmus haben weit weniger als die isorhythmischen Motetten Dunstaples das Interesse der Forschung geweckt, da es sich lediglich um liturgische Gebrauchsmusik handelt. Bukofzer24 und Bent25 differenzieren dabei nicht zwischen Werken mit und ohne cantus firmus. Von den fünf Vertonungen gregorianischer Choräle sind vier liturgisch Marienfeiertagen zuzuordnen, zwei basieren auf Marienantiphonen.26 Auch in diesen Kompositionen lassen sich wiederkehrende Muster in der Kompositionstechnik erkennen: Die ausgeschmückte Melodie liegt im Superius. Diese Stimme ist auch durch ihren Ambitus von den unteren Stimmen abgesetzt; in ihrer melodischen 24 Bukofzer, John Dunstable and the Music of His Time (s. Anm. 2). 25 Bent, Dunstaple (s. Anm. 4), S. 39 – 51. 26 Texte s. Anhang 3.
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John Dunstaples Werke
und rhythmischen Bewegung unterscheiden sich die drei Stimmen jedoch nur unwesentlich. Textiert sind alle drei Stimmen oder nur der Superius. In den Antiphonen wird die Form des Textes durch Mensurwechsel oder stimmreduzierte Passagen nachvollzogen. Meist entsteht eine dreiteilige musikalische Struktur. Ave regina celorum In der Marienantiphon Ave regina celorum27 sind alle drei Stimmen textiert. Die ausgeschmückte Choralmelodie wird nach der Intonation im Superius fortgeführt. Die unteren beiden Stimmen liegen im Ambitus tiefer als der Superius, jedoch nicht in exakt der gleichen Lage. Klauseln fallen zumeist auf die finalis sowie die Quint und Quart. Rhythmisch und melodisch sind die drei Stimmen weitgehend unabhängig voneinander, da nur selten gleiche Rhythmen in zwei Stimmen und keine Ansätze von Imitation erscheinen. Schon die Choralmelodie ist gemäß der Form des Textes angelegt (siehe Notenbeispiel 11): Im ersten durch den Reim verbundenen Verspaar wiederholt sich die Melodie; hier findet sich die eröffnende Anrede und Begrüßung. Im zweiten und dritten Verspaar wird die jeweils zweite Hälfte wiederholt; hier wird Maria ausführlicher beschrieben. Im letzten Verspaar finden sich keine Wiederholungen; hier wird auf die Vermittlerrolle Marias hingewiesen. In Dunstaples Vertonung wird jeder der acht Verse mit einer Klausel beendet, lediglich der letzte Vers wird durch mehrere weitere Klauseln unterteilt. Die Komposition spiegelt die melodische Struktur der Choralmelodie, indem die wiederholten Abschnitte des Chorals in stimmreduzierten Passagen wiedergegeben werden. Ave / Regina celorum, Ave Domina angelorum. Salve radix sancta, ex qua mundo lux est orta. Ave (Gaude) gloriosa super omnes speciosa, vale, valde decora. Et pro nobis semper Christum exora.
Intonation / 3stimmig 2stimmig 3stimmig
M 10 M 17
2stimmig
M 44
2stimmig 3stimmig
M 69 M 81
Der neue Abschnitt im dritten Vers der Choralmelodie wird mit einem kurzen Fauxbourdonsatz (MM 17 – 20) eingeleitet, während der Übergang vom sechsten zum siebten Vers, die beide zweistimmig gesetzt sind, durch einen Wechsel der Besetzung in der unteren Stimme verdeutlicht wird. Im letzten Verspaar findet der Wechsel der Stimmenanzahl in umgekehrter Reihenfolge statt. Zudem wird der letzte Vers durch den Mensurwechsel vom Vorhergehenden abgehoben. 27 John Dunstable Complete Works (s. Anm. 1), Nr. 37.
189
Werke mit cantus firmus
Notenbeispiel 11: Die Antiphon Ave regina celorum
Dieser Abschnitt ist im Vergleich zu den anderen Versen überproportional lang und durch interne Klauseln gegliedert. Einen anderen übergreifenden Aufbau weist der Schreiber der Handschrift Modena B der Komposition zu, indem er den gesamten zweistimmigen Mittelteil mit der Überschrift »Duo« versieht. So entsteht eine dreiteilige Struktur, die sich an der Stimmenanzahl und dem Mensurwechsel orientiert: Ave / Regina celorum, Ave Domina angelorum. Salve radix sancta, ex qua mundo lux est orta. Ave (Gaude) gloriosa super omnes speciosa, vale, valde decora. Et pro nobis semper Christum exora.
Intonation / 3stimmig (mit kurzem Duett) 2stimmig
M 44
3stimmig, Mensurwechsel!
M 81
In beiden Lesarten wird auch der Text in besonderer Weise berücksichtigt, denn die Grußworte »Ave«, »Salve« und »Ave/Gaude« sind durch den Satz hervorgehoben. Das erste »Ave« wird intoniert, das zweite (M 10) leitet ein kurzes Duett ein. »Salve« (MM 17 – 20) ist im Fauxbourdon gesetzt und »Ave/Gaude« (M 44) leitet wiederum ein Duett ein.
190
John Dunstaples Werke
Regina celi In der Vertonung der Marienantiphon Regina celi28 erscheint die Choralmelodie verziert in der obersten Stimme, die auch – bis auf das letzte »Alleluia« – als einzige textiert ist. Nach der Intonation ist die Komposition durchgehend dreistimmig. Durch einen Mensurwechsel wird sie in der Mitte, nach zwei Versen, gegliedert. Die Verse der Antiphon und des anschließenden »Alleluia« enden jeweils in einer Klausel. Wie in der Antiphon Ave regina celorum liegt die melodische und rhythmische Bewegung zumeist in der Oberstimme, während der Tenor die Abfolge der Klänge bestimmt. Klauseln fallen meist auf die finalis und die Quinte. Die beiden unteren Stimmen verlaufen oft homorhythmisch. Im zweiten Teil sind die drei Stimmen eher gleichberechtigt in der Bewegung; es scheint eine Beschleunigung zu entstehen. In den beiden Vertonungen gregorianischer Choräle folgt die Struktur der Komposition dem Aufbau des Textes und der Choralmelodie. Dabei kommen verschiedene Kompositionstechniken zum Tragen: Phrasierung und Klauseln befinden sich an Versenden und folgen damit sowohl dem Text als auch der Vorgabe der Choralmelodie. Klauseln fallen meist auf die finalis und Quinte. Sie können gezielt gesetzt werden, da die ausgezierte Choralmelodie in der obersten Stimme liegt und der Tenor frei geführt ist. Zusätzlich heben stimmreduzierte Passagen melodische Wiederholungen im Choral hervor. Gleichzeitig gliedern diese Duette zusammen mit Mensurwechseln die Komposition unabhängig von der Choralmelodie nach dem Text. Einzelne Wörter werden auf diese Weise und durch Fauxbourdon hervorgehoben. Die Textverständlichkeit ist durch die gleiche Textierung aller Stimmen oder durch alleinige Textierung des Superius gewährleistet. Auch die Choralmelodie tritt klar hervor, da sie im Superius ausgeschmückt wird. Die beiden unteren Stimmen haben eine begleitende Funktion, so dass ein zweigeteilter Satz entsteht, der sich in den Duetten mit einem Satz von zwei gleich bewegten Stimmen abwechselt. Die mehrstimmige Komposition erweitert den Choral nicht nur durch Zusammenklänge und melodische Ausschmückung, sondern lässt auch die Melodie und den Text klarer hervortreten.
d.
Werke ohne cantus firmus
Zu den Werken ohne cantus firmus gehört auch Dunstaples wohl bekanntestes Werk Quam pulchra es. Als »typisch englischer« Kompositionsstil werden cantus firmus-freie liturgische Werke oft beschrieben;29 Dunstaples Kompositionen werden in diesen Studien jedoch eher am Rande bearbeitet. 28 Ebd., Nr. 38. 29 Vgl. z. B. Ernst Hermann Meyer, Klangsinnlichkeit, Terzengesang und Kantilenenmelodik, in:
191
Werke ohne cantus firmus
Zwölf der vierzehn Motetten in diesem Stil sind liturgisch Marienfesten zuzuordnen. Besondere Merkmale weisen den Stil dieser Motetten aus: Die Kompositionen sind dreistimmig und basieren nicht auf einem gregorianischen Choral. In Kompositionen mit homophonem Satz sind alle drei Stimmen textiert, ansonsten im dreistimmigen Satz der Superius und in Duetten beide Stimmen. Die Melodie befindet sich, auch wenn sie nicht einem Choral nachgebildet ist, im Superius, seltener sind beide Oberstimmen melodisch gleichberechtigt. Auch in den Motetten ohne cantus firmus gliedern stimmreduzierte Passagen die Komposition. Alma redemptoris mater In der Vertonung des Marienantiphon-Textes Alma redemptoris mater30 lassen sich, besonders in den ersten Takten, Anklänge an die Choralmelodie im Superius feststellen. Dieser Anfang stimmt zudem mit dem von Bukofzer31 identifizierten »englischen Motto« überein. In den dreistimmigen Abschnitten ist nur der Superius textiert, im Duett im Mittelteil dagegen beide Stimmen. Die Stimmreduzierung in der Mitte gliedert die Komposition in drei Teile (MM 1 – 57, MM 58 – 86, MM 87 – 125), von denen der dritte zudem durch einen Mensurwechsel abgesetzt ist. Den Beginn der beiden ersten Teile kennzeichnet ein homophoner Satz. In der Dreiteiligkeit folgt die Komposition dem Text, der sich syntaktisch in drei Teile gliedern lässt. Alma redemptoris mater, que pervia celi porta manens et stella maris, succurre cadenti, surgere qui curat, populo. Tu, que genuisti natura mirante tuum sanctum genitorem. Virgo prius ac posterius, Gabrielis ab ore sumens illud ave peccatorum miserere.
3st.
2st. 3st., Mensurwechsel
Renaissance-Muziek, hrsg. von Jozef Robijns, Leuven 1969, S. 169 – 177; Friedemann Otterbach, Kadenzierung und Tonalität im Kantilenensatz Dufays, München 1975 (= Freiburger Studien zur Musikwissenschaft 7); Peter M. Lefferts, Cantilena and Antiphon: Music for Marian Services in Late Medieval England, in: Studies in Medieval Music, hrsg. von Peter M. Lefferts, Brian Seirup, New York 1990 (= current musicology 45 – 47), S. 247 – 282. 30 John Dunstable Complete Works (s. Anm. 1), Nr. 40. Die Vertonung wurde in Bologna Q 15 zunächst Gilles Binchois zugeschrieben, der Name dann abgeschabt und »Leonelle« darüber geschrieben. 31 Bukofzer, John Dunstable and the Music of His Time (s. Anm. 2); später auch bei Charles Hamm, A Catalogue of Anonymous English Music in Fifteenth-Century Continental Manuscripts, in: MD 22 (1968), S. 47 – 76.
192
John Dunstaples Werke
Die Melodie liegt, erkennbar schon durch die alleinige Textierung in den dreistimmigen Abschnitten, im Superius. Hier sind die Unterstimmen weniger bewegt und teilweise homorhythmisch gesetzt. Sie haben eher begleitende Funktion. Klauseln fallen fast ausschließlich auf die finalis und die Quarte. Im Duett sind beide Stimmen Melodieträger. Die beiden Unterstimmen liegen im Ambitus etwa eine Quinte tiefer als der Superius. In der melodischen Gestaltung ist nicht nur der Superius freier als in den Kompositionen mit cantus firmus, da hier keine Choralparaphrase erscheint, sondern auch die beiden anderen Stimmen. So lassen sich erste Ansätze von Imitation in zwei oder sogar drei Stimmen finden (siehe Notenbeispiel 12). Im dritten Teil tritt zudem in den Unterstimmen ein hoquetus-artiges Motto auf (siehe Notenbeispiel 13).
Notenbeispiel 12: Alma redemptoris mater : MM 31 – 35
Notenbeispiel 13: Alma redemptoris mater : MM 103 – 106
Salve regina Wie in England üblich, vertont Dunstaple den Tropus Virgo mater zusammen mit der Marienantiphon Salve regina.32 Die Verse des Tropus sind dabei zweistimmig, die der Antiphon dreistimmig gesetzt. Die Anrufungen »o clemens, o pia, o dulcis Maria« erscheinen zwischen den Strophen des Tropus, so dass ein Wechsel zwischen zwei- und dreistimmigen Abschnitten entsteht. Zugleich wird die Komposition durch Mensurwechsel gegliedert:
32 John Dunstable Complete Works (s. Anm. 1), Nr. 46.
193
Werke ohne cantus firmus
Text Antiphon, Vers 1 – 5 Antiphon, Vers 6 Tropus, Strophe 1 »o clemens« Tropus, Strophe 2 »o pia« Tropus, Strophe 3 »o dulcis Maria«
Mensur o c c o c/ c/ o o
Stimmen 3 3 2 3 2 3 2 3
Durch Pausen im Tenor entstehen auch in den ersten sechs Versen der Antiphon kurze Duette, die zusätzlich Gliederungsfunktion haben. Obwohl die melodische und rhythmische Bewegung wie in der Antiphon Alma redemptoris mater allein in der obersten Stimme liegt, während die beiden unteren Stimmen die Abfolge der Klänge bestimmen, sind beide oberen Stimmen textiert. Klauseln fallen auf die finalis und Quinte, seltener auf die Obersekunde. Besonders in den Duetten finden sich wenige Dissonanzen, die zumeist kontrolliert eingesetzt werden. Das Wort »dulcedo« ist durch den Satz im Fauxbourdon hervorgehoben (siehe Notenbeispiel 14).
Notenbeispiel 14: Salve regina: MM 13 – 16
Generell ist die Textverständlichkeit in den Kompositionen ohne cantus firmus wie auch in Kompositionen mit cantus firmus dadurch gewährleistet, dass nur ein Text im Superius oder – in homophonen Werken – in allen drei Stimmen gesungen wird. In den längeren Kompositionen wird der Text seiner syntaktischen Anlage folgend durch stimmreduzierte Passagen und Mensurwechsel strukturiert. Einzelne Wörter oder Satzteile können durch homophonen Satz oder Fauxbourdon hervorgehoben werden. Wie in den Werken mit cantus firmus wird die überwiegend konsonante Abfolge der Klänge in der Komposition durch den Tenor geregelt, während der melodische Schwerpunkt im Superius liegt. Klauseln fallen wie in den Werken mit cantus firmus meist auf die finalis, Quinte oder Quarte. Besonders in den stimmreduzierten Abschnitten domi-
194
John Dunstaples Werke
nieren Terzen und Sexten den Satz; Dissonanzen werden nur vor Klauseln und dort äußerst kontrolliert eingesetzt.
e.
Zusammenfassung
Die untersuchten Werke Dunstaples zeigen deutliche Ähnlichkeiten in der Kompositionstechnik: Werke mit und ohne cantus firmus sind oft durch einen stimmreduzierten Mittelteil dreiteilig strukturiert und weisen einen Mensurwechsel gegen Ende der Komposition auf. Diese Strukturen spiegeln den syntaktischen Aufbau der Texte. Neben den stimmreduzierten Passagen, die in den isorhythmischen Motetten die Struktur hörbar werden lassen, bestehen weitere Bezüge in der Kompositionstechnik: Die Kompositionen sind meist dreistimmig, mit einer melodietragenden Stimme, die durch ihre Lage von den anderen beiden Stimmen abgesetzt ist. Die Melodieführung der obersten Stimme ist am Text orientiert. Dieses Arrangement der Stimmlagen und Funktionen entspricht nicht dem englischen Diskant-Stil, sondern eher dem Satz kontinentaler, weltlicher Gattungen wie der Chanson.33 In den stimmreduzierten Passagen wird diese Satztechnik durch zwei gleichberechtigt an der Melodieführung beteiligte Stimmen kontrastiert. Ansätze zur Imitation finden sich vermehrt in den isorhythmischen und cantus firmus-freien Motetten; in den Werken mit cantus firmus sind sie durch die im Superius liegende Choralmelodie weitgehend ausgeschlossen. Die Zusammenklänge werden in allen drei Kompositionstypen frei gestaltet, da der Motetus in der isorhythmischen Motette meist unter dem Tenor liegt und somit die Abfolge der Klänge unabhängig von der Choralmelodie verlaufen kann. Klauseln können dadurch gezielt gesetzt werden. Meist fallen sie auf die finalis, Quinte oder Quarte. Die Dissonanzbehandlung ist zumeist äußerst kontrolliert, dies zeigt sich noch deutlicher in den Werken mit und ohne cantus firmus als in den isorhythmischen Motetten. Ob diese Merkmale der Kompositionstechnik einen eigenen Stil Dunstaples ausmachen oder eher die kompositorischen Eigenheiten englischer Komponisten darstellen, soll im folgenden Kapitel durch einen Vergleich mit Werken anderer englischer Komponisten untersucht werden. Erschwert wird der Vergleich durch die uneindeutige Zuschreibung von Kompositionen. Besonders die Werke mit und ohne cantus firmus sind oft verschiedenen englischen Komponisten zugeschrieben. Namen wie Dunstaple oder Power haben hier eher die Funktion, das Werk einem englischen Umfeld zuzuordnen als einem bestimmten Komponisten. 33 Vgl. Frank Ll. Harrison, Music in Medieval Britain, London 1958, S. 247; Manfred F. Bukofzer, English Church Music of the Fifteenth Century, in: Ars Nova and the Renaissance, hrsg. von Anselm Hughes, London 1960, (= NOHM 3), S. 176 – 181.
2. Werke englischer Komponisten
Bei den Werken englischer Komponisten sollen wiederum verschiedene Gattungen auf die »typisch englischen« Merkmale der Kompositionstechnik untersucht werden. Neben isorhythmischen Motetten mit Marienbezug und Vertonungen von Marienantiphonen mit und ohne cantus firmus werden im Folgenden auch Messensätze mit einer Marienantiphon als Fremd-cantus firmus analysiert, die etwa zeitglich mit Dunstaples Kompositionen entstanden.1 Da von John Dunstaple keine solche Komposition überliefert ist, konnte die Gattung Messe im vorhergehenden Kapitel nicht berücksichtigt werden. Die Analysen konzentrieren sich, wie bei der Untersuchung von Dunstaples Werk, auf die Gliederung der Komposition, die Dissonanzbehandlung und Aspekte der Textverständlichkeit. Dadurch soll ein Vergleich mit Dunstaples Kompositionen ermöglicht und der Frage nach einem Personalstil innerhalb des englischen Stils nachgegangen werden.
a.
Messensätze und Messzyklen
Von englischen Komponisten sind viele Messensätze, Messensatzpaare und einige Messzyklen überliefert. Die Zusammengehörigkeit von Messensatzpaaren geht nicht immer aus den Quellen hervor, da diese zunächst nach Messensätzen geordnet angelegt sind. Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts werden Messensatzpaare und Messzyklen in den Handschriften fortlaufend notiert. Eine Hilfe bei der Identifizierung von zusammengehörigen Messensätzen gibt zum Beispiel ein Fremd-cantus firmus, über den verschiedene Messensätze komponiert wurden; doch sind Messensätze mit Fremd-cantus firmus im 15. Jahr1 Sylvia Kenney untersucht die Merkmale der contenance angloise in den Werken der nächsten Generation englischer Komponisten in: Ely Cathedral and the »Contenance Angloise«, in: Musik und Geschichte. Leo Schrade zum sechzigsten Geburtstag, Köln 1963, S. 35 – 49 und Walter Frye and the ›Contenance Angloise‹, New Haven 1965.
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Werke englischer Komponisten
hundert noch recht selten. Unter Messensätzen mit Fremd-cantus firmus finden sich einige, die auf einer Marienantiphon basieren: das Anglicanus oder John (?) Forest zugeschriebene Credo über Alma redemptoris mater und Leonel Powers Messzyklus über dieselbe Marienantiphon, einer der frühesten Messzyklen mit Fremd-cantus firmus. Leonel Power : Missa Alma redemptoris mater Die Messe Alma redemptoris mater ist viersätzig überliefert.2 Wie so oft in englischen Messenkompositionen fehlt das Kyrie. Die Melodie der Marienantiphon wird im Tenor nicht vollständig zitiert, sondern nur bis »po-[pulo]«. Die beiden oberen der drei Stimmen sind mit dem Messentext unterlegt. Der Tenor zeigt lediglich die ersten Worte der Antiphon als Textmarke. Schon im Gloria zeigen sich Merkmale, die auch in den anderen Sätzen zu finden sind: Alle Sätze werden durch Duette und Mensurwechsel strukturiert. Die äußeren beiden der drei Stimmen sind in ihrer Lage deutlich unterschieden, während sich die mittlere Stimme in den Duetten der Lage der Oberstimme, in den dreistimmigen Abschnitten der des Tenors angleicht. Die Bewegung der beiden oberen Stimmen ist jedoch immer deutlich rascher als im cantus firmustragenden Tenor. Die Phrasierung richtet sich zumeist nach dem Messentext der beiden Oberstimmen; selten fallen deren Phrasenenden mit denen des cantus firmus zusammen. In den dreistimmigen Abschnitten fallen die Klauseln meist auf F; die Duette bewegen sich harmonisch freier mit Klauseln auf C, D und G. Diese Diskrepanz entsteht durch die Kürzung der Antiphon, der zwar im Tenor weiterhin ein B vorgezeichnet ist, die aber nun auf G endet, und durch die daraus resultierenden unterschiedlichen Vorzeichnungen in den drei Stimmen. In den Duetten und über Liegetönen im Tenor finden sich manchmal kleine Imitationen oder Sequenzbildungen. Diese eben beschriebenen Eigenschaften treffen auf alle Sätze der Messe zu. Im Folgenden werden daher nur davon abweichende oder ergänzende Merkmale beschrieben. Das Credo beginnt mit einem Duett der Oberstimmen. Bis zum Einsatz des cantus firmus im Tenor haben beide Stimmen den gleichen Text; die folgenden Textabschnitte werden zwischen den Oberstimmen aufgeteilt und gleichzeitig gesungen. Die Phrasierung folgt dabei dem Text der oberen Stimme. Klauseln sind äußerst selten, da die Phrasierung der beiden Oberstimmen nicht synchronisiert ist. Mit dem Mensurwechsel (M 95) kehren die beiden Oberstimmen zu einem gemeinsamen Text zurück (»Qui ex Patre filioque procedit…«), der Satz bleibt jedoch dreistimmig. Im Sanctus befindet sich das 2 Vollständige Überlieferungen befinden sich in Ao 219v – 226r und Tr87 3v – 8v. Das Gloria ist zudem in Tr 90 und Tr 93 überliefert. Transkription in: Fifteenth Century Liturgical Music: Early Masses and Mass-Pairs, hrsg. von Gareth Curtis, London 2001 (= EECM 42), S. 30 – 56.
Messensätze und Messzyklen
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»englische Motto« am Beginn des Anfangsduetts, das zudem die Melodie der Antiphon nachzeichnet. Die internen Duette im Benedictus beteiligen den Tenor, während die mittlere oder obere Stimme pausiert (MM 79 – 100). Auch am Anfang des zweiten Agnus befindet sich ein langes Duett der Oberstimmen, für das die mittlere Stimme wegen der hohen Lage vom Mezzosopran- in den Sopranschlüssel wechselt. Wiederum gibt es ein internes Duett, an dem der Tenor beteiligt ist. Für das dritte Agnus wechseln die beiden unteren Stimmen in eine binäre Mensur. Anglicanus / John (?) Forest: Credo Alma redemptoris mater Im Credo über die Marienantiphon Alma redemptoris mater, das in Tr 93 Anglicanus zugeschrieben ist und möglicherweise von Forest stammt,3 befindet sich eine cantus firmus-Paraphrase sowohl in der Oberstimme als auch im Tenor. Im Tenor wird der cantus firmus ab »passus et sepultus est« wiederholt; in der Oberstimme erscheint die Melodie im Abschnitt »et incarnatus est« bis »sub Pontio Pilato« nicht. Die Lagen der äußeren Stimmen der drei Stimmen sind wie in Powers Messe deutlich von einander abgegrenzt. Die mittlere Stimme bewegt sich dagegen in der gleichen Lage wie der Tenor. Dadurch kommt es zu häufigen Stimmkreuzungen, so dass die mittlere Stimme die Abfolge der Zusammenklänge gemeinsam mit dem Tenor bestimmt. Auch in der Bewegung ähneln sich die unteren Stimmen. Die beiden oberen Stimmen sind textiert, wobei auch hier der Text des Credo auf beide Stimmen aufgeteilt und gleichzeitig gesungen wird. In der obersten Stimme ist der Text meist syllabisch vertont und lediglich einzelne Wörter wie »secula« oder »sine fine« werden durch ein Melisma hervorgehoben. In der zweiten Stimme ist die melismatische Textvertonung jedoch die Norm. Der Satz ist durch Mensurwechsel gegliedert und weist keine stimmreduzierten Passagen auf. Phrasierung und Klauseln sind mit dem Text der obersten Stimme koordiniert. Klauseln fallen meist an das Ende von Sinnabschnitten auf die finalis. Betrachtet man die Messensätze im Vergleich mit anderen Gattungen, so unterscheiden sie sich in Gliederung und Satztechnik nicht wesentlich: In Powers Messe wird interne Struktur der Sätze durch Duette und Mensurwechsel verdeutlicht. Durch die restriktive Dissonanzbehandlung in den Duetten und die Klauselbildung treten diese Strukturen nicht nur durch die Anzahl der Stimmen zutage, sondern zusätzlich im musikalischen Satz und seinem harmonischen Verlauf. Die Textverständlichkeit ist in den Messen wie in den Vertonungen von Marienantiphonen meistens – das heißt: außer in den Credosätzen – gewähr3 Sieben Trienter Codices: Geistliche und Weltliche Kompositionen des XV. Jahrhunderts. Fünfte Auswahl, hrsg. von Rudolf Ficker, Wien 1924 (= DTÖ 31. Jahrgang, Band 61), S. 92 – 93.
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Werke englischer Komponisten
leistet, da nur ein Text in beiden Oberstimmen gesungen wird. Ob der cantus firmus mit Text gesungen wurde, ist nicht gesichert. Die rhythmisierte Melodie im Tenor ist zudem nicht unbedingt in der komplexen Satzstruktur hörbar. Anspielungen auf die Melodie der Antiphon in den Oberstimmen lassen den cantus firmus dennoch klar hervortreten.
b.
Isorhythmische Motetten
Die bei Dunstaples isorhythmischen Motetten erkannten Merkmale treffen zum größten Teil auch auf die isorhythmischen Motetten in England in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu:4 Die Motetten sind meist dreistimmig, mit Triplum als melodietragender Stimme sowie Tenor und Motetus als den die Abfolge der Klänge bestimmenden Stimmen. Im Satz überwiegen – besonders in stimmreduzierten Passagen – konsonante Intervalle; Dissonanzen werden meist kontrolliert eingesetzt. Das Proportionsschema ist dreiteilig; im isorhythmischen Aufbau erstrecken sich ein oder zwei colores und drei taleae über jeden der drei Teile. Die taleae beginnen mit Pausen im Tenor, so dass stimmreduzierte Passagen in regelmäßigen Abschnitten wiederkehren. Die Texte der Motetten sind nicht neu geschrieben, sondern stammen meist aus dem Stundenbuch. So bildet sich am Anfang den 15. Jahrhunderts eine spezifisch englische Art der isorhythmischen Motette, während diese im 14. Jahrhundert noch stark von Frankreich beeinflusst war. Dunstaples isorhythmische Motetten sind innerhalb dieser englischen Art einer noch rigideren Struktur im Verhältnis von color und talea sowie im Proportionsschema unterworfen. Von den 35 zum Teil nur fragmentarisch überlieferten isorhythmischen Motetten englischen Ursprungs aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts verwenden neun Texte zu Marienfeiertagen. Vier von diesen neun Motetten wurden von Dunstaple komponiert.5 Neben zwei fragmentarisch und anonym tradierten Motetten existieren drei Motetten mit Texten zu Marienfeiertagen, bei denen der Anlass der Komposition vermutet werden kann: John Cookes Alma proles regia / Christi miles / Ab inimicis nostris, Thomas (?) Dametts Salvatoris mater / O Georgi / Benedictus qui ve- und Nicholas (?) Sturgeons Salve mater Domini / Salve templum gratie / -it in nomine Domini entstanden zur Rückkehr Heinrichs V. nach dem Sieg der englischen Armee bei Agincourt im November 4 Jon M. Allsen, Style and Intertextuality in the Isorhythmic Motet 1400 – 1440, Dissertation, University of Wisconsin 1992, S. 173 – 174. 5 Statistik nach der Tabelle in: Ebd., S. 183 – 186. Die nachträglich textierte Motette Nesciens mater wurde hier mitgezählt.
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Isorhythmische Motetten
1415.6 Die Motetten von Cooke und Damett weisen in den Contratenorstimmen eindeutige Bezüge zu diesem Anlass auf; Sturgeons Motette kann dem Ereignis durch die Gruppierung in der Handschrift »Old Hall« zusammen mit den anderen beiden Motetten und durch den Choralausschnitt zugewiesen werden, da dieser den Tenor von Dametts Motette fortführt. John Cooke: Alma proles regia / Christi miles / Ab inimicis nostris Cookes Motette7 basiert auf dem Choralausschnitt einer Bittlitanei in Kriegszeiten. Der Text zu Maria im Triplum gliedert sich in zehn vierzeilige Strophen mit dem Silben- und Reimschema 7a6b7a6b. Der Text im Motetus zum Heiligen Georg, dem Schutzpatron der Engländer, zu Maria und Heinrich V. besteht aus fünf sechszeiligen Strophen, die sich durch das Reimschema 7a7a7b 7c7c7b in jeweils zwei dreizeilige Hälften gliedern lassen. Alle Texte der Motette stehen im trochäischen Versmaß: Im Triplum wechselt ein katalektischer trochäischer Dimeter mit einem Vers aus drei trochäischen Versfüßen, im Motetus finden sich ausschließlich Verse im kataletktischen trochäischen Dimeter, während der Text im Tenor aus einem katalektischen trochäischen Trimeter plus einem einzelnen trochäischen Versfuß besteht.8 In der isorhythmischen Struktur formen zwei taleae einen color, der in dem Proportionsschema 9:6:4 wiederholt wird. Jede talea wird durch ein Duett eingeleitet. Zudem pausiert der Tenor mehrfach innerhalb der talea. Die Pausen markieren den Beginn des zweiten Drittels und des letzten Sechstels der talea. talea-Struktur 2M 4M Pause Tenor 1/3
j1M jPause j1/2
8M Tenor
j1M jPause j1/6
2M Tenor
Die Motette ist panisorhythmisch und die Texte der oberen Stimmen sind mit der isorhythmischen Struktur koordiniert. Jeweils fünf Strophen oder Halbstrophen entfallen auf den ersten color, drei auf den zweiten und zwei auf den dritten color. Die oberen Stimmen sind zudem bewegter als der Tenor und tragen somit die melodische Funktion. Der Motetus liegt aber oft unter dem Tenor, so dass beide Stimmen die Abfolge der Klänge in der Motette bestimmen. Klauseln fallen auf die finalis und die Obersekunde. In den Duetten finden sich über6 Vgl. Margaret Bent, The Sources of the Old Hall Music, in: Proceedings of the RMA 94 (1968), S. 19 – 35, hier S. 22 – 26. Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 4) S. 427, 452 – 455 und 534 – 535 hält auch eine Entstehung der Motetten zum Einzug Heinrichs und Katharina von Valois in London im Februar 1421 für möglich. 7 Nr. 112, in: The Old Hall Manuscript, hrsg. von Andrew Hughes und Margaret Bent, Bd. 2, Rom 1969 (= CMM 46 / 2). Text s. Anhang 3. 8 Für die Informationen zum Versmaß danke ich Karl-Heinz Glowotz herzlich.
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Werke englischer Komponisten
wiegend Konsonanzen, lediglich kurz vor Kadenzen werden Vorhaltsdissonanzen eingeführt. Das erste Duett zeigt eine ausgedehnte Aneinanderreihung von Terzklängen (siehe Notenbeispiel 15).
Notenbeispiel 15: John Cooke: Alma proles regia / Christi miles / Ab inimicis nostris: MM 1 – 3
Phrasierung und Klauseln sind in den beiden oberen Stimmen oft mit dem Text koordiniert, fallen aber selten in allen Stimmen zusammen. Auch die Mensurwechsel sind nicht durch Einschnitte in der Phrasierung in allen Stimmen gekennzeichnet, so dass die isorhythmische Struktur allein durch die Duette am Beginn der taleae hörbar wird. Der Bezug zum Heiligen Georg und Heinrich V. im Text des Motetus ist nur schwer hörbar, obwohl das Wort »regemque« am Anfang des zweiten color durch eine der seltenen Stimmkreuzungen über dem Text des Triplum liegt. Thomas (?) Damett: Salvatoris mater / O Georgi / Benedictus qui veDer Choralausschnitt im Tenor von Dametts Motette9 stammt aus einem Marientropus zum Sanctus. Im Triplum wurde der Text einer Mariensequenz adaptiert. Wie in Cookes Motette wurde der Text im Motetus zu Maria, dem Heiligen Georg und Heinrich V. für die Motette geschrieben. Die Texte in Triplum und Motetus sind in ihrer Form gleich: Sie bestehen aus sechszeiligen Strophen, die durch das Silben- und Reimschema 8a8a7b 8c8c7b in zwei dreizeilige Hälften fallen. Die isorhythmische Struktur entspricht in dieser Motette nicht dem typischen Schema: Zwar werden jeweils zwei taleae in einer color wiederholt, doch gliedert das Proportionsschema 6:3:2:1 die Motette in vier Teile. Jede talea wird von einem Duett, das ein Sechstel der gesamten Länge der talea einnimmt, eingeleitet. Auch die oberen beiden Stimmen sind isorhythmisch. Die Textverteilung ist weder in Motetus noch Triplum an der isorhythmischen Struktur orientiert. Wie in der Motette von Cooke sind die beiden oberen Stimmen bewegter als der Tenor und übernehmen somit die melodische Funktion. Ebenso liegt der Motetus oft unter dem Tenor, so dass beide Stimmen die Abfolge der Klänge in 9 Nr. 111, in: Ebd.. Text s. Anhang 3.
Isorhythmische Motetten
201
der Motette bestimmen. Klauseln fallen zumeist auf die Obersekunde, seltener auf Quint und finalis. Phrasen werden in beiden Stimmen nur selten durch Pausen oder Klauseln strukturiert. Oft befinden sich diese innerhalb von Textzeilen oder Wörtern. Erst im vierten color sind Klauseln, Phrasierung und Text zumindest im Triplum mit dem Ende der taleae koordiniert. Die Bezüge zum Heiligen Georg und Heinrich V. im Text des Motetus sind nur hörbar, da sie in beiden Stimmen unmittelbar aufeinander folgend erscheinen (siehe Notenbeispiel 16).
Notenbeispiel 16: Thomas Damett: Salvatoris mater / O Georgi / Benedictus qui ve-: MM 49 – 61
Nicholas (?) Sturgeon: Salve mater Domini / Salve templum gratie / -it in nomine Domini Der Choralausschnitt in Sturgeons Motette10 schließt direkt an den Tenor von Dametts Motette Salvatoris mater an. Der Text im Triplum gliedert sich in drei vierzeilige Strophen mit dem Silben- und Reimschema 12a12a12a12a. Im Motetus besteht der Text aus zwei vierzeiligen Strophen mit dem Silben- und Reimschema 13a13a13a13a. Darauf folgen 21 ungereimte Silben. Die isorhythmische Struktur folgt dem für englische Kompositionen typischen Schema: Ein color umfasst jeweils drei taleae. Das Proportionsschema ist 3:2:1. Alle Stimmen sind isorhythmisch. Am Anfang der taleae befinden sich jeweils stimmreduzierte Passagen von einem Sechstel der Länge der gesamten talea. 10 Nr. 113, in: Ebd.. Text s. Anhang 3.
202
Werke englischer Komponisten
Das Triplum ist deutlich melodischer als die anderen beiden Stimmen. Sie haben den gleichen Ambitus, so dass der Motetus oft unter dem Choralausschnitt im Tenor liegt und zusammen mit dieser Stimme die Abfolge der Zusammenklänge bestimmt. Klauseln fallen meist auf die finalis oder die Quart. Die Phrasierung richtet sich in beiden Oberstimmen nach dem Text; innerhalb der ersten talea sind die Phrasen zudem untereinander koordiniert. Taleaund color-Wechsel fallen meist mit einem Versende im Text des Triplum zusammen und sind somit durch Pausen oder Klauseln gekennzeichnet. Im zweiten Teil der Motette lässt diese Koordination zwischen Oberflächenstruktur, Text und Isorhythmie nach, nimmt jedoch im dritten Teil wieder zu. Die Textverständlichkeit ist durch die verschiedenen Texte in Triplum und Motetus nicht gewährleistet. In den ersten Duetten des ersten und zweiten Teils werden jedoch, aufgrund der gleichen Thematik der beiden Texte, zwei Mal die gleichen Wörter gleichzeitig gesungen (siehe Notenbeispiel 17). Hier kann vom Hörer die Kernaussage der Texte erfasst werden.
Notenbeispiel 17: Nicholas Sturgeon: Salve mater Domini / Salve templum gratie / -it in nomine Domini: M 1 und MM 59 – 62
Insgesamt zeichnet sich bei den englischen isorhythmischen Motetten – wie auch bei Dunstaple – ein klarer Aufbau ab, auch wenn sich nicht immer alle Merkmale in jeder Motette zeigen: Die Struktur wird durch das Verhältnis von color und talea, durch das Proportionsschema und die am Anfang jeder talea wiederkehrenden Duette bestimmt. Im Zusammenklang der Stimmen finden sich viele Terzen und Sexten – die Duette sind oft sogar pankonsonant – während Dissonanzen kontrolliert eingesetzt werden und meist als Vorhalte oder Durchgangsnoten auftreten. Der der Motette zugrunde liegende Choral im Tenor bestimmt nicht allein die Abfolge der Klänge, sondern wird darin durch den Motetus unterstützt, der zeitweise unter dem Tenor liegt und so die Abfolge der Klänge unabhängig von der Choralmelodie bestimmen kann. Klauseln können somit gezielt gesetzt werden und fallen meist auf die finalis und – anders als bei Dunstaple – Obersekunde, sowie Quint oder Quart. Obgleich auch in den englischen isorhythmischen Motetten mehrere Texte gleichzeitig erklingen und die Textverständlichkeit daher kaum gewährleistet ist, stellen manche Komponisten
Werke mit cantus firmus
203
an einzelnen Stellen die Kernaussage der Texte, die zumeist alle die gleiche Thematik haben, für den Hörer deutlich heraus. Zudem orientieren sich Phrasierung und Klauseln am Text der obersten Stimme, sodass zumindest dort eine dem Sinn entsprechende Deklamation zustande kommt.
c.
Werke mit cantus firmus
Neben den mehrtextigen isorhythmischen Motetten schrieben englische Komponisten auch Vertonungen liturgischer Texte, teils ohne die dazugehörige gregorianische Melodie zu zitieren. Alle diese Kompositionen haben nur einen Text, und viele vertonen Marienantiphone. Betrachten wir zunächst die Werke mit cantus firmus und später die cantus firmus-freien Kompositionen. John (?) Forest: Ascendit Christus / Alma redemptoris mater Forests Motette Ascendit Christus / Alma redemptoris mater11 nimmt eine Sonderstellung unter den Vertonungen gregorianischer Choräle ein: Im Tenor liegt die ausgeschmückte Choralmelodie der Marienantiphon Alma redemptoris mater ; allen drei Stimmen ist jedoch der Text der Antiphon zu Maria Himmelfahrt Ascendit Christus unterlegt. Jacques Handschin will die Melodie dieser Antiphon in den Oberstimmen erkennen, Manfred Bukofzer sieht dies jedoch nicht.12 Allenfalls kann von einer sehr freien Paraphrase der Melodie von Ascendit Christus in den Oberstimmen gesprochen werden. Die Komposition ist durch den Wechsel von zwei- und dreistimmigen Abschnitten gegliedert. In den Duetten sind beide Stimmen gleichermaßen bewegt, in den dreistimmigen Abschnitten verläuft der Tenor unwesentlich ruhiger als die Oberstimmen. Die Abfolge der Klänge wird nicht allein durch den Choral im Tenor bestimmt, sondern von den beiden unteren Stimmen gemeinsam. Klauseln fallen zumeist auf die finalis und Quinte, seltener auf die Obersekunde. Die Duette sind zumeist pankonsonant: Soweit überhaupt Dissonanzen auftreten – meist unmittelbar vor Klauseln –, werden sie sowohl vorbereitet als auch aufgelöst. Manche dieser Wendungen sind sequenzartig gereiht (siehe Notenbeispiel 18). 11 Nr. 68, in: The Old Hall Manuscript, hrsg. von Andrew Hughes und Margaret Bent, Bd. 1, Rom 1969 (= CMM 46 / 1); unterschiedliche Zuschreibungen in den Handschriften Modena B (Dunstaple) und Old Hall (Forest). 12 Vgl. Jacques Handschin, Gregorianisch-Polyphones aus der Handschrift Paris B. N. lat. 15129, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 25 (1930), S. 60 – 76; John Dunstable Complete Works, hrsg. von Manfred Bukofzer, London 1953; 2., überarbeitete Ausgabe hrsg. von Margaret Bent, Ian Bent und Brian Trowell, London 1970 (= MB 8), S. 205 (kritischer Bericht zu Nr. 61).
204
Werke englischer Komponisten
Notenbeispiel 18: John Forest: Ascendit Christus / Alma redemptoris mater : MM 27 – 33
Während die Duette oft in beiden Stimmen homorhythmisch beginnen, werden die dreistimmigen Abschnitte dagegen mit einer kurzen Imitation eingeleitet. Leonel Power : Ave regina celorum Von Power sind zwei Vertonungen der Marienantiphon Ave regina celorum überliefert. Die dreistimmige Fassung13 basiert auf der Choralmelodie der Antiphon. Sie liegt, anders als in Dunstaples und Forests Vertonungen, in der mittleren der drei Stimmen, die jeweils unterschiedlichen Ambitus besitzen. Die Vertonung ist also im englischen Diskant-Stil komponiert. Die Choralmelodie ist nicht melodisch ausgeschmückt, sondern lediglich rhythmisiert. In der obersten Stimme erscheint am Anfang der Komposition das »englische Motto«, allerdings nicht bis zur Sechste hinaufgeführt (siehe Notenbeispiel 19).
Notenbeispiel 19: Leonel Power : Ave regina celorum: MM 1 – 3
Von den drei Stimmen haben die beiden oberen eher eine melodische Funktion; die tiefste bestimmt die Abfolge der Zusammenklänge und gibt meist den Grundton des darüber liegenden Klanges. Klauseln fallen ausschließlich auf die finalis. Diese Klänge enthalten meist eine Terz oder Sexte; bei längeren 13 Nr. 2, in: Leonel Power Complete Works, hrsg. von Charles Hamm, Bd. 1: Motets, Rom 1969, (= CMM50).
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Werke mit cantus firmus
Ruhepunkten jedoch erscheint ein Quint-Oktav-Klang. Diese Ruhepunkte strukturieren die Komposition in unregelmäßige Abschnitte. Sie treffen weder stets mit Klauseln zusammen, noch sind sie mit Textabschnitten koordiniert. So scheint die Musik immer im Fluss, da sie zudem nie von Pausen unterbrochen wird. Lediglich der Mensurwechsel, der in der Mitte der Choralmelodie platziert ist, teilt die Komposition in zwei Hälften. Powers Ave regina celorum scheint einer gänzlich anderen, womöglich älteren Tradition der Antiphonvertonung anzugehören. Im Gegensatz zu den anderen englischen Kompositionen enthält sie keine stimmreduzierten Passagen, der Tenor allein bestimmt die Abfolge der Klänge, und sie ist im Diskant-Stil geschrieben. Anglicanus: Regina celi In dieser dreistimmigen Vertonung von Regina celi letare14 liegt die extrem verzierte Choralmelodie der Antiphon in der obersten Stimme. Diese Stimme ist auch als einzige textiert; in den beiden anderen befinden sich lediglich Textmarken. Die Komposition wird durch Duette und Mensurwechsel gegliedert. Text Regina celi letare, alleluia: Quia quem meruisti portare, [alleluia fehlt] Resurrexit, sicut dixit, alleluia: ora pro nobis Deum, alleluia.
Mensur o o c c o
Stimmen 2 3 2 3 3
Wie üblich sind die beiden unteren Stimmen in den dreistimmigen Abschnitten deutlich weniger bewegt als die obere, in den Duetten zwischen unterster und oberster Stimme sind beide Stimmen gleich aktiv. Die unteren Stimmen befinden sich in etwa der gleichen Lage, so dass sie sich oft kreuzen. Beide Stimmen regeln daher die Zusammenklänge und die Klauselbildung in der Komposition. Phrasierung und Klauselbildung richten sich nach dem Text in der obersten Stimme. In dem sehr melismatischen Satz erhält jedes Wort eine Phrase, die mit einer Klausel – meist auf der finalis, Quinte oder Obersekunde – geschlossen wird. Am Anfang des zweiten Verses wird der Quintsprung mit folgender Sexte aus der Choralmelodie in der obersten Stimme als englisches Motto gesetzt. Leonel Power : Salve regina Beide Vertonungen der Marienantiphon Salve regina von Power schließen, wie in England üblich, den Tropus Virgo mater ein. In dieser Vertonung15 befindet sich in der jeweils obersten Stimme nicht die Melodie zum Salve regina sondern 14 Trient 92, f. 230 – 231; eine moderne Transkription existiert nicht. 15 Nr. 10, in: Leonel Power Complete Works (s. Anm. 12).
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Werke englischer Komponisten
zur Marienantiphon Alma redemptoris mater. Die Choralmelodie erscheint allerdings unvollständig: Der letzte Abschnitt der Melodie zu den Wörtern »peccatorum miserere« fehlt im ersten Teil und wird auch nicht in den Versen des Tropus oder den Anrufungen der Antiphon genutzt. Die Vermutung, zumindest der Anfang der Komposition sei ursprünglich eine Vertonung der Antiphon Alma redemptoris, die später umtextiert und erweitert wurde, liegt daher nahe.16 Während der Text der Antiphon dreistimmig gesetzt ist, sind die Verse des Tropus wie bei Dunstables Vertonung als Duette konzipiert. Zudem wurden sie von Solisten gesungen, da alle drei vom Schreiber mit dem Zusatz »Unus« versehen sind.17 Neben diesem Wechsel von zwei- und dreistimmigen Abschnitten gliedern Mensurwechsel am Beginn der Tropus-Verse die Komposition. Auch die letzten beiden Verse der dritten Strophe des Tropus sind durch einen Mensurwechsel abgesetzt. Zunächst ist in der dreistimmigen Vertonung der Antiphon nur die oberste Stimme textiert, später in den Anrufungen »o clemens, o pia, o dulcis Maria« jedoch alle drei. In den Duetten sind beide Stimmen textiert. Wie so oft in englischen Antiphonvertonungen liegt der melodische Schwerpunkt in den dreistimmigen Abschnitten in der obersten Stimme; die mittlere befindet sich zeitweilig unter dem Tenor, so dass beide Stimmen die Abfolge der Klänge bestimmen. Klauseln fallen ausschließlich auf die finalis, Quint und Quart. Das Satzgerüst besteht aus Superius und Tenor, da die mittlere Stimme meist dem Melodieverlauf im Superius in der Unterquart folgt. In den Duetten sind beide Stimmen gleich aktiv, bis hin zu homorhythmischen Passagen und Anklängen von Imitation (siehe Notenbeispiel 20).
Notenbeispiel 20: Leonel Power : Salve regina: MM 97 – 101
So wie die Melodie der Antiphon Alma redemptoris mater, die im ersten Abschnitt der Komposition im Superius liegt, mit dem »englischen Motto« be-
16 Ebd., S. XIV – XV. 17 Vgl. Roger Bowers, To Chorus from Quartet: The Performing Resource for English Church Polyphony, c. 1390 – 1559, in: English Choral Practice, 1400 – 1650, hrsg. von John Morehen, Cambridge 1995, S. 1 – 47, hier S. 15 – 20.
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Werke mit cantus firmus
ginnt, so erscheint dieses Motto jeweils in leicht veränderter Form auch zu Beginn der Tropusstrophen im Superius (siehe Notenbeispiel 21). Power wendet hier ein neues Instrument zur musikalischen Vereinheitlichung einer Komposition an.
Notenbeispiel 21: Leonel Power : Salve regina: MM 1 – 6, MM 92 – 97 und MM 122 – 123
Leonel Power : Salve regina Die ausgeschmückte Melodie der Antiphon erscheint im Tenor lediglich in den Anrufungen »o clemens, o pia, o dulcis Maria«, zwischen denen die einzelnen Strophen des Tropus eingefügt sind. Die Komposition18 ist durch den Wechsel von zwei- und dreistimmigen Abschnitten gegliedert, die dem Text folgen: Die Verse der Antiphon sind wie bei Dunstaple dreistimmig vertont, der Tropus zweistimmig. Zudem gliedern Mensurwechsel die Komposition, so dass eine komplexe Strukturierung aus Stimmzahl und Mensur entsteht. Text Antiphon, Vers 1 – 4 Antiphon, Vers 5 – 6 Tropus, Strophe 1 »o clemens« Tropus, Strophe 2 »o pia« Tropus, Strophe 3 »o dulcis Maria«
Mensur o c/ o o c/ c/ o o
Stimmen 3 3 2 3 2 3 2 3
Während in den dreistimmigen Abschnitten die oberste Stimme die melodische Bewegung dominiert, sind die beiden Stimmen in den Duetten melodisch eher gleichberechtigt. In den dreistimmigen Abschnitten haben die beiden unteren Stimmen fast den gleichen Ambitus, daher liegt die mittlere Stimme oft unter 18 Nr. 22, in: Leonel Power Complete Works (s. Anm 13). Zur Analyse vgl. auch Ann Besser Scott, Coherence and Calculated Chaos: The English Composers of Modena Biblioteca Estense, Dissertation, University of Chicago 1969, S. 137 – 277.
208
Werke englischer Komponisten
dem Tenor und bestimmt mit diesem zusammen die Abfolge der Klänge. Klauseln fallen zumeist auf die finalis, sind harmonisch aber weit gestreut. Die Gliederung durch Klauseln und Phrasierungen folgt sowohl in den zwei- als auch dreistimmigen Abschnitten dem Text der Antiphon. Bis zum ersten TropusEinschub ist nur die oberste Stimme textiert, danach alle Stimmen.
d.
Werke ohne cantus firmus
John (?) Forest: Alma redemptoris mater Anders als die meisten englischen Marienantiphonvertonungen wird Forests Alma redemptoris mater19 nicht durch einen Mensurwechsel strukturiert. Lediglich ein ausgedehntes Duett in der Mitte der Komposition gliedert diese in drei Teile (MM 1 – 49, MM 49 – 74, MM74 – 111). In den Trienter Codices ist – auch in dem Duett – nur die oberste Stimme textiert, während in der Handschrift Modena B die zweite Stimme mit dem Text »Anima mea liquefacta est« unterlegt wurde. Vermutlich handelt es sich hierbei um einen alternativen Text und nicht um eine Adaption der Komposition zu einer mehrtextigen Motette.20 Dem Ambitus nach liegen die beiden unteren Stimmen separat von der obersten, doch sind die beiden oberen Stimmen etwa gleich bewegt. Sie verlaufen, besonders im ersten Teil der Komposition, oft homorhythmisch und seltener auch imitierend (siehe Notenbeispiel 22).
Notenbeispiel 22: John Forest: Alma redemptoris mater : MM 30 – 33
19 In: Sechs Trienter Codices: Geistliche und weltliche Kompositionen des XV. Jahrhunderts, hrsg. von Rudolf Ficker und Alfred Orel, Graz 1960 (= DTÖ 53), S. 34 – 35. Zur Analyse vgl. auch Scott, Coherence and Calculated Chaos (s. Anm. 18). 20 Vgl. Manfred F. Bukofzer, Artikel »Forest«, in: MGG1; Margaret Bent, Artikel »Forest«, in: NGroveD.
209
Werke ohne cantus firmus
Während Klauseln in den dreistimmigen Abschnitten durch das Überlappen der Stimmen oft verdeckt werden, gliedern sie zusammen mit den – zwar in beiden Stimmen versetzten – Pausen das Duett deutlich. Sie fallen auf die finalis, Quart und Untersekunde. John Cooke: Ave regina celorum In Cookes Vertonung der Marienantiphon Ave regina celorum21 hat, wie in den meisten englischen Antiphonvertonungen, die oberste Stimme melodische Funktion, während die als »Counter« bezeichnete der beiden unteren Stimmen, die den gleichen Ambitus besitzen, die Abfolge der Klänge bestimmt. Klauseln fallen ausschließlich auf die finalis, Quart und Obersekunde. Alle drei Stimmen singen den gleichen Text; jedoch ist nur die unterste der im Partiturformat notierten Stimmen textiert. Die Komposition schließt mit einem »Alleluya«, das aber in der Passionszeit wegfallen könnte, da schon in M 48 eine Schlussklausel erreicht wird (siehe Notenbeispiel 23).
Notenbeispiel 23: John Cooke: Ave regina celorum: MM 46 – 50
Die Struktur der Komposition folgt dem Text, da die einzelnen, mit den Grußformeln »Ave«, »Salve« oder »Vale« beginnenden Abschnitte jeweils durch kurze Duette eingeleitet werden. Text Ave regina celorum, Ave domina angelorum, Salve radix sancta ex qua mundo lux est orta. Ave gloriosa super omnes speciosa. Vale valde decora et pro nobis semper Christum exora.
einleitendes Duett Tr, T Tr, CT Tr, T
Mensur 1–4 8–9 14
fehlt Tr, T
21 No. 52, in: The Old Hall Manuscript (s. Anm. 11).
34 – 35
210
Werke englischer Komponisten
Dieser Aufbau ist zusätzlich durch Klauseln jeweils am Ende der zwei- und dreistimmigen Abschnitte kenntlich gemacht. Genau in der Mitte des Textes und der Komposition – lässt man das »Alleluya« außer Betracht – befindet sich anstelle des Duetts ein Mensurwechsel (M 24). Mit der letzten Bitte »et pro nobis…« kehrt die Mensur des Anfangs zurück. Cooke lässt somit formale und auch inhaltliche Aspekte des Textes in die Strukturierung der Komposition einfließen. Leonel Power : Alma redemptoris mater Der Satz in Powers Vertonung Alma redemptoris mater22 entspricht dem in England üblichen Aufbau: Die in den dreistimmigen Abschnitten allein textierte oberste Stimme hat eine deutlich höhere Lage und eine melodische Funktion. Die beiden unteren Stimmen befinden sich etwa in der gleichen Lage. Dadurch entstehen viele Stimmkreuzungen, so dass beide Stimmen die Abfolge der Klänge bestimmen. Klauseln fallen besonders in den Duetten vornehmlich auf die finalis und Quint. Auffällig dagegen sind die wiederholten Quartsprünge in der tiefsten Stimme im ersten und zweiten dreistimmigen Abschnitt, die beinahe Ostinato-Charakter haben (siehe Notenbeispiel 24). Liegt die zweite Stimme in der Mitte des Satzes, so ist sie durchaus auch an dessen melodischer Gestaltung mit beteiligt. Dasselbe gilt auch für den vom Schreiber der Handschrift Modena B als Duo gekennzeichneten Abschnitt der Komposition, in dem beide Stimmen textiert sind. Das Duo wird in der oberen Stimme mit dem »englischen Motto« eingeleitet. Die Wechsel zwischen drei- und zweistimmigen Abschnitten sowie die Mensurwechsel gliedern die Komposition. Alma redemptoris mater que per via celi porta manes et stella maris succurre cadenti surgere qui curat polulo. Tu que genuisti natura mirante tuum sanctum genitorem: Virgo prius ac posterius Gabrielis ab ore sumens illud: Ave peccatorum miserere.
3stimmig
2stimmig
54 MM
Mensurwechsel
3stimmig 2stimmig 3stimmig
72 MM 72 MM
Mensurwechsel
8 MM 26 MM
So entsteht eine drei- bzw. fünfteilige Form, deren längerer Mittelteil von kürzeren Außenteilen umrahmt wird. Power hebt damit auch die wörtliche Rede des 22 Nr. 21, in: Leonel Power Complete Works (s. Anm. 13). Zur Analyse vgl. auch Scott, Coherence and Calculated Chaos (s. Anm. 18).
Werke ohne cantus firmus
211
Notenbeispiel 24: Leonel Power : Alma redemptoris mater : MM 33 – 47
Erzengels Gabriel durch die reduzierte Stimmzahl und ein extrem langes Melisma hervor. Die Textierung ist generell sehr melismatisch. So entstehen lange Phrasen in allen Teilen der Komposition. Ein besonders fließendes Klangbild wird durch die Vermeidung von Klauseln in den dreistimmigen Abschnitten erreicht. Im Duo dagegen treten Klauseln häufiger auf und werden nicht durch Überlappen der Phrasierung in den Stimmen verschleiert. John (?) Forest: Ave regina celorum Forests Vertonung der Antiphon Ave regina23 ist nicht so deutlich gegliedert, wie die der anderen englischen Komponisten: Es finden sich keine Mensurwechsel; und auch das Duett, das den Text des dritten Verses setzt, wird von unterschiedlichen Stimmkombinationen gesungen. Die Duette sind fast ausschließlich konsonant mit häufigen Sext- und Dezimparallelen zwischen den Stimmen. 23 Trient 87, f. 126v – 127r ; Modena B, f. 118v – 119r ; eine moderne Transkription existiert nicht. Zur Analyse vgl. auch Scott, Coherence and Calculated Chaos (s. Anm. 18).
212
Werke englischer Komponisten
Obwohl die Stimmlage der beiden unteren Stimmen in den dreistimmigen Abschnitten deutlich von der obersten Stimme getrennt ist, kreuzen sich Tenor und oberste Stimme in den Duetten häufig. Dort ist der Tenor auch bewegter als in den Duetten mit der mittleren Stimme und in den dreistimmigen Abschnitten. Da die beiden unteren Stimmen in der gleichen Lage gesetzt sind, kreuzen sie sich in den dreistimmigen Abschnitten oft und bestimmen dort die Abfolge der Zusammenklänge gemeinsam. Die Choralmelodie wird in dieser Vertonung nicht genutzt, doch liegt der melodische Schwerpunkt in der obersten Stimme, die auch als einzige textiert ist. Die Phrasierung und Klauselbildung folgt dem Text, da jeweils ein Halbvers mit einer Klausel, die meist auf die finalis, Quinte oder Obersekunde der Tonart fällt, geschlossen wird. Leonel Power : Ave regina celorum (4st.) In Powers Vertonung der Marienantiphon Ave regina celorum24 ist die Choralmelodie in den Oberstimmen sehr frei paraphrasiert; es handelt sich vielmehr um eine Komposition ohne cantus firmus. Schon durch ihre Vierstimmigkeit hebt sie sich von der in England üblichen Setzweise ab. Die Stimmen sind jeweils paarweise gruppiert: Die beiden oberen, textierten Stimmen bestimmen das melodische Geschehen, die unteren beiden die Abfolge der Klänge. Dies ist vor allem durch die gleiche Lage der Stimmpaare und die daraus resultierenden Stimmkreuzungen bedingt. Klauseln fallen fast ausschließlich auf die finalis und Quint. Die Komposition wird durch stimmreduzierte Passagen und Mensurwechsel strukturiert. Durch den zweistimmigen Satz werden die Grußworte »Ave regina« (MM 1 – 6), »Salve« (MM 29 – 33) und »Vale« (MM 64 – 67) hervorgehoben. Die letzte stimmreduzierte Passage fällt zudem mit einem Mensurwechsel zusammen. Die Duette sind zusätzlich durch vorhergehende und abschließende Klauseln von der ansonsten vierstimmigen Faktur abgesetzt. Vereinzelt finden sich Ansätze von Imitation in den Oberstimmen (siehe Notenbeispiel 25).
24 No. 7, in: Leonel Power Complete Works (s. Anm. 13). Zur Analyse vgl. auch Scott, Coherence and Calculated Chaos (s. Anm. 18).
213
Werke ohne cantus firmus
Notenbeispiel 25: Leonel Power : Ave regina celorum: MM 72 – 76
Leonel Power : Regina celi Powers Vertonung der Marienantiphon Regina celi25 wird durch den Wechsel von zwei- und dreistimmigen Passagen und durch Mensurwechsel gegliedert. Text Regina celi letare, alleluia: Quia quem meruisti prtare, alleluia: Resurrexit, sicut dixit, alleluia: Ora pro nobis Deum, alleluia.
Mensur o o c/ c/ o
Stimmen 2 3 2 3 3
Dadurch entstehen zwei verschiedene Abläufe: ein linearer Ablauf in der alternierenden Stimmzahl und ein zirkulärer Ablauf in den Mensuren. Auch in den Duetten, die vom Schreiber »ad duo« gekennzeichnet wurden, ist – entgegen den anderen englischen Antiphonvertonungen – nur die oberste Stimme textiert. Während diese in der gesamten Komposition eine melodische Funktion übernimmt, hat die untere Stimme verschiedene Aufgaben: In den dreistimmigen Abschnitten bildet sie mit dem Superius das Satzgerüst, da die mittlere Stimme meist der Melodie in der Unterquart folgt. In den Duetten liegt sie höher und übernimmt fast gleichberechtigt mit dem Superius die Melodieführung. Während Klauseln und Phrasierungen in den dreistimmigen Abschnitten von den unteren Stimmen überbrückt werden und nur am Versende sowie vor dem »alleluia« klar hervortreten, sind die überwiegend konsonanten Duette klar durch Klauseln und Pausen gegliedert. Zu Beginn der Komposition fallen die Klauseln meist auf die Quart, gegen Ende dann vermehrt auf die finalis. Am Anfang der Komposition erscheint das »englische Motto« im Superius. Fassen wir die Kompositionsweise in den Vertonungen der Marienantiphone, seien sie nun mit oder ohne cantus firmus geschrieben, zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: In den Kompositionen mit cantus firmus liegt die Choralmelodie – anders als bei Dunstaple – nicht immer in der obersten Stimme. Es finden sich sowohl Kompositionen im englischen Diskant-Stil mit der Choralmelodie in der 25 Nr. 19, in: Leonel Power Complete Works (s. Anm. 13). Zur Analyse vgl. auch Scott, Coherence and Calculated Chaos (s. Anm. 18).
214
Werke englischer Komponisten
mittleren Stimme, Werke mit cantus firmus im Tenor und solche mit der Choralmelodie im Superius. Dennoch hat in den Kompositionen mit und ohne cantus firmus meist die oberste Stimme melodische Funktion, während die anderen beiden die Abfolge der Klänge in der Komposition bestimmen. Seltener tragen die beiden oberen Stimmen die Melodie, während die unterste die Abfolge der Klänge allein regelt. Dadurch können Klauseln gezielt gesetzt werden und fallen meist auf die finalis und Quint oder Quart. Die Struktur der Komposition orientiert sich am Text: Melodische Einheiten werden mit Hilfe von Klauseln gebildet, größere Abschnitte durch Mensurwechsel und stimmreduzierte Abschnitte. Oft wird die Bitte am Ende der Antiphon durch einen Mensurwechsel vom Vorhergehenden getrennt; die Duette heben meist wichtige Worte hervor. In vielen Kompositionen finden sich zudem Techniken wie Imitation, homorhythmische Passagen oder ein wiederholtes Motto, die einzelne Wörter hervorheben oder den Aufbau der Komposition verdeutlichen. Die Salve regina-Vertonungen der englischen Komponisten weisen alle ähnliche Strukturen auf, die sich auch noch im späten 15. Jahrhunderts in den Salve regina-Vertonungen des Eton Choir Book finden.26 Ebenso ähneln sich die englischen Vertonungen der Antiphon Ave regina celorum – gleichgültig, ob sie auf der Choralmelodie basieren oder nicht: In allen Vertonungen wird der Mittelpunkt der Antiphon durch Stimmreduktion oder Mensurwechsel artikuliert. Oft wird zudem der Schluss, der meist ein oder zwei Verse umfasst, durch dieselben Mittel vom Vorhergehenden abgesetzt. Auch die Antiphon Alma redemptoris mater wird von englischen Komponisten dreiteilig vertont. In Dunstaples Vertonung werden die Teile zunächst durch Stimmreduktion, dann durch einen Mensurwechsel definiert. In Powers Vertonung gliedern stimmreduzierte Abschnitte die durch Mensurwechsel artikulierten Teile intern.
e.
Zusammenfassung
In den Analysen der beiden vorhergehenden Kapitel werden einheitliche Merkmale in den Kompositionen aus England deutlich sichtbar. Nicht nur die Marienthematik, sondern auch spezifische kompositionstechnische Aspekte kehren in den Kompositionen immer wieder.27 Trotzdem bleiben persönliche Eigenheiten in den Werken Dunstaples erkennbar : In seinen isorhythmischen 26 Vgl. Carol J. Williams, The Salve regina Settings in the Eton Choirbook, in: Miscellanea musicologica 10 (1979), S. 28 – 37. 27 Scott (Coherence and Calculated Chaos, s. Anm. 18) kommt zum gleichen Ergebnis bei der Analyse der cantus firmus-freien Werke in der Handschrift Modena B.
Zusammenfassung
215
Motetten erarbeitet sich Dunstaple ein noch rigideres Schema für Proportionen und das Verhältnis von color und talea. Zudem ist in seinen Werken die Abfolge der Klänge in den Kompositionen unabhängiger vom cantus firmus, da der Motetus öfter unter dem Tenor liegt und somit die Abfolge der Klänge beeinflusst werden kann. In den englischen Kompositionen können Klauseln dadurch gezielt gesetzt werden und fallen meist auf die finalis, Quint oder Quart, in den isorhythmischen Motetten zudem – anders als in Dunstaples Kompositionen – auf die Obersekunde. In den Werken mit und ohne cantus firmus gliedern die englischen Komponisten durch Stimmreduzierung und Mensurwechsel. Wie Dunstaple benutzen sie aber auch andere Mittel, um einzelne Wörter hervorzuheben oder Textabschnitte zu gliedern. Während bei Dunstaple die Choralmelodie meist in der obersten Stimme liegt, kann sie sich in den Werken anderer englischer Komponisten in jeder der meist drei Stimmen befinden. Die drei Stimmen sind in Dunstaples Kompositionen unabhängiger voneinander, auch wenn ihnen die gleiche Funktion wie in den Werken anderer englischer Komponisten zugeordnet ist. Selten folgt in seinen Kompositionen die mittlere Stimme der melodischen Bewegung des Superius in der Unterquart. Auch die Eigenart, zwei Texte in einer Komposition zu verwenden, gibt es bei Dunstaple nicht. Auffällig unterschiedlich ist zudem die Art der Notation, denn wenige von Dunstaples Werken sind in der typisch englischen Partiturform notiert. Dies liegt vermutlich in ihrer überwiegenden Überlieferung in kontinentalen Quellen begründet, da dort die Notation in Partitur äußerst selten vorkommt.
3. Werke kontinentaler Komponisten
Nachdem in den vorhergehenden Kapiteln die englischen Eigenarten der Kompositionstechnik untersucht wurden, soll nun der Blick auf den Kontinent gelenkt werden um zu ermessen, inwiefern die Kompositionsmerkmale eine englische Eigenart sind. Um einen Vergleich zwischen Kompositionen, die in England und solchen, die auf dem Kontinent entstanden, zu ermöglichen, werden wiederum die Gattungen Messe, isorhythmische Motette und Vertonungen liturgischer Text mit und ohne cantus firmus betrachtet. Ebenso wird die Anzahl der Kompositionen durch den Marienbezug beziehungsweise die Verwendung von Marienantiphonen begrenzt. Auch bei der Analyse von Werken kontinentaler Komponisten wird besonders die Gliederung der Kompositionen, die Dissonanzbehandlung und die Textverständlichkeit untersucht, also die Merkmale, in denen sich ein Einfluss der contenance angloise und des Humanismus zeigen könnte.
a.
Messensätze
Wie bei den englischen Komponisten sind auch von kontinentalen Komponisten viele Messensätze überliefert. Jedoch gibt es prozentual weniger Messensatzpaare und Messenzyklen. Ob dies an der insgesamt geringeren Überlieferung englischer Kompositionen liegt oder an den generellen Schwierigkeiten der Zuordnung zusammengehöriger Messensätze sei dahingestellt. Unter den eher seltenen Messensätzen mit Fremd-cantus firmus findet sich lediglich ein Credo von Johannes Franchois über die Marienantiphon Alma redemptoris mater.
218
Werke kontinentaler Komponisten
Johannes Franchois: Credo Alma redemptoris mater Das Credo1 über die Marienantiphon Alma redemptoris mater ist in der Handschrift Bologna Q 15 zusammen mit einem Gloria von Franchois überliefert, das allerdings auf keinem cantus firmus basiert. Der cantus firmus liegt im Tenor und ist in der Quelle Aosta textiert. Anspielungen auf die Melodie der Antiphon finden sich auch in der obersten Stimme, teilweise als eine Art Vorimitation (MM 1 – 2, 17 – 18, 23 – 24, 29 – 31, 90 – 91). Die äußeren der drei Stimmen sind in ihrer Lage deutlich voneinander getrennt, während die mittlere sowohl die oberste als auch den Tenor kreuzt. Sowohl die Textverteilung als auch die rhythmische Bewegung der Oberstimmen erfolgt rascher als im Tenor. Mehrere kurze Phrasen in den Oberstimmen werden am Ende einer cantus firmus-Zeile durch eine Klausel abgeschlossen. Der Satz ist insgesamt sehr konsonant: Dissonanzen werden meist kontrolliert eingesetzt, und über Liegetönen im Tenor finden sich oft Dreiklangsbrechungen (MM 44 – 47). Anders als in den englischen Messensätzen erfolgt die Strukturierung des Satzes nicht durch Stimmreduzierung oder Mensurwechsel, sondern ist viel deutlicher an den cantus firmus gebunden: durch Imitation des cantus firmus in den Oberstimmen, durch Liegetöne im Tenor und durch Klauseln am Ende der cantus firmus-Zeilen. Der Messensatz von Franchois zeigt eine deutliche Struktur, ist aber mit anderen Mitteln gegliedert als die englischen Messkompositionen, denn hier orientieren sich Abschnitte am cantus firmus. Die Textverständlichkeit ist auch im langen Text des Credo gewährleistet, da er in beiden Oberstimmen zur Gänze gesungen wird.
b.
Isorhythmische Motetten
Die isorythmische Motette war zu Beginn des 15. Jahrhunderts auf dem europäischen Festland eine führende Gattung. Obschon einige Motetten speziell zu bestimmten politischen oder kirchlichen Anlässen komponiert wurden, sind auch viele rein liturgisch motivierte Kompositionen überliefert, von denen wiederum einige zu Marienfeiertagen gehören. Dreiviertel der zwölf in Frankreich und Burgund entstandenen Motetten sind Marienfeiertagen zugeordnet; von den 29 in Italien entstandenen Motetten dagegen nur vier.2 Nach 1430 wurden sehr viel weniger isorhythmischen Motetten komponiert 1 Bologna Q 15, 115v – 117r (Credo), 114v – 115r (Gloria); Aosta 114v – 117r (Credo), 90v – 92r (Gloria). Transkription in: James T. Igoe: Johannes Franchois de Gembloux, in: Nuova Rivista Musicale Italiana 4 (1970), S. 3 – 50, hier S. 21 – 28. 2 Statistik nach Jon M. Allsen, Style and Intertextuality in the Isorhythmic Motet 1400 – 1440, Dissertation, University of Wisconsin 1992, S. 77 f. und 126 – 128.
Isorhythmische Motetten
219
als im ersten Drittel des Jahrhunderts. Kompositionen dieser Gattung wurden nunmehr fast ausschließlich zu politischen oder hohen kirchlichen Anlässen geschrieben.3 Daher sind Motetten zu Marienfeiertagen eher selten. Einzig Guillaume Dufays Motette Fulgens iubar / Puerpera pura parens / Virgo post partum, die im nächsten Kapitel besprochen wird, stellt Bezüge zu einem Marienfest her. Johannes Tapissier : Eya dulcis / Vale placens peroratrix Die Motette4 von Tapissier entstand vermutlich um 1400 am burgundischen Hof, denn der Text im Triplum erwähnt das abendländische Schisma. Von den vier Stimmen der Motette sind nur Triplum und Motetus textiert. Beide Texte zeigen eine eigenartige Mischung als mittelalterlicher, christlicher Symbolik, Bibelverweisen und Anspielungen auf klassische Mythologie.5 Der untextierte Tenor basiert vermutlich nicht auf einem Choral. Der Text im Triplum besteht aus vier Strophen mit jeweils vier zehnsilbigen Versen mit nur einem Reim (10a10a10a10a). Der Text im Motetus enthält ebenfalls vier Strophen, jedoch mit dem Reimschema 8a8a8a7b, wobei der b-Reim des ersten und zweiten Strophenpaares jeweils gleich ist. Die Textierung der Motette ist nach dem isorhythmischen Schema ausgelegt: In beiden Oberstimmen fallen zumindest Versenden mit Mensurwechseln und talea-Enden zusammen.6 Im isorhythmischen Schema ergeben drei taleae einen einzigen color. Die Motette besitzt daher auch kein Proportionsschema im eigentlichen Sinn; doch wechselt die Mensur in den beiden oberen der insgesamt vier Stimmen von tempus imperfectum prolatio maior zu tempus imperfectum prolatio minor und später wieder zurück. Da die Motette panisorhythmisch ist, wiederholt sich dieser Wechsel in jedem color, sodass eine dreiteilige Form deutlich hörbar wird (3:2:3 + 3:2:3 + 3:2:3). Die Dreiteiligkeit wird zudem durch Pausen am Anfang und in der Mitte jeder talea unterstützt, die mit dem Mensurwechsel zusammenfallen (siehe Notenbeispiel 26).7 Die Duette am Anfang jeder talea kennzeichnet eine fanfarenartige Melodieführung in den Oberstimmen und eine Quintfallsequenz beziehungsweise die beharrliche Wiederholung einer Tonhöhe im Contratenor. Auch das kurze Duett in der Mitte der talea ist von seiner Umgebung durch synkopisch versetzte Terzsequenzen in beiden oberen Stimmen abgehoben.
3 Vgl. Albert Dunning, Die Staatsmotette 1480 – 1555, Utrecht 1970, S. XIII – XXIV, 3 – 8. 4 Early Fifteenth-Century Music, hrsg. von Gilbert Reaney, Rom 1955 (= CMM 11 / 1), S. 72 – 78. 5 Für Informationen zu den verschiedenen Anspielungen im Text bin ich Karl-Heinz Glowotz sehr dankbar. 6 Text s. Anhang 3. 7 Vgl. Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 2), S. 535 – 537.
220
Werke kontinentaler Komponisten
Notenbeispiel 26: Johannes Tapissier : Eya dulcis / Vale placens peroratrix: Tenor, MM 1 – 14
Außer in den stimmreduzierten Passagen, in denen dem Contratenor eine aktivere Rolle zukommt, übernehmen die beiden oberen Stimmen die melodische Funktion, während Tenor und Contratenor die Zusammenklänge definieren. Dabei liegt der Contratenor meist über dem Tenor, so dass die Abfolge der Klänge durch den Tenor bestimmt wird. Die wenigen Klauseln fallen auf die Quint und Obersekunde, seltener auf die finalis. Johannes Franchois: Ave virgo lux Maria / Sancta Maria Die Motette8 entstand vor 1428 vermutlich am burgundischen Hof. Sie ist in vielfacher Hinsicht außergewöhnlich für das französisch-burgundische Repertoire der Zeit: Es existieren zwei Fassungen – eine vier- und eine fünfstimmige; zudem wird im extrem langen »Introitus« eine weitere Tenorstimme »Trumpetta« benötigt. Der Introitus ist fast genauso lang wie die eigentliche Motette und nicht in deren isorhythmische Struktur integriert. In dieser fallen jeweils zwei taleae auf einen color. Das Proportionsschema ist mit 3:2 diminuierend; die Oberstimmen sind panisorhythmisch.9 Die beiden obersten Stimmen sind mit demselben Text unterlegt. Er besteht aus vier sechszeiligen Strophen mit dem Reimschema 8a7b8a7b8a7b. Tenor und Contratenor der fünfstimmigen Fassung sind mit der Textmarke »Sancta Maria [succurre miseris]« versehen. Die Choralmelodie erscheint jedoch nicht.10 Die Textverteilung richtet sich nach der isorhythmischen Struktur, da jede talea mit einer Strophe textiert ist.11 In der vierstimmigen Fassung ergänzen sich Tenor und Contratenor, so dass in den tiefsten Stimmen keine Pausen entstehen. In der fünfstimmigen Fassung wird meist eine der unteren Stimmen verdoppelt; nur im letzten Viertel jeder talea verlaufen die drei Unterstimmen unabhängig. In beiden Fassungen liegt der Contratenor über dem Tenor, so dass letzterer allein die Abfolge der Klänge bestimmt. Die wenigen Klauseln fallen zumeist auf die finalis. 8 Sieben Trienter Codices: Geistliche und weltliche Kompositionen des XIV. und XV. Jahrhunderts, bearbeitet von Rudolf von Ficker, Wien 1933 (= DTÖ 76), S. 19 – 21. 9 Vgl. Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 2), S. 507 – 509. 10 Hierüber herrscht Uneinigkeit: Allsen, (ebd., S. 507) kann den Choral nicht entdecken; James T. Igoe (Johannes Franchois de Gembloux, s. Anm. 1) findet ihn im Contratenor. 11 Text s. Anhang 3.
Isorhythmische Motetten
221
Die beiden Oberstimmen sind die Melodieträger der Motette. Schon im Introitus imitieren sie einander im Kanon über der freien »Trumpetta«-Stimme. Im Verlauf der Motette finden sich in den Oberstimmen immer wieder imitatorische Abschnitte, regelhafte Kanons und Passagen im Stimmtausch (siehe Notenbeispiel 27).
Notenbeispiel 27: Johannes Franchois: Ave virgo lux Maria / Sancta Maria: Triplum und Motetus, MM 42 – 57
Johannes Cesaris: A virtutis ignitio / Ergo beata nascio / Benedicta filia tua a domino Die einzige von Cesaris überlieferte Motette12 entstand vermutlich um 1400 in Frankreich oder Burgund. Der Komponist könnte am burgundischen Hof tätig gewesen sein, da er – wie berichtet – in Martin LeFrancs Gedicht Le champoin des dames erwähnt wird. Die vierstimmige Motette ist panisorhythmisch, besitzt aber wie die Motette 12 Early Fifteenth-Century Music (s. Anm. 4), S. 32 – 39.
222
Werke kontinentaler Komponisten
von Franchois kein Proportionsschema: Vier taleae gliedern einen einzelnen color im Tenor. Die beiden Oberstimmen sind jedoch durch einen Mensurwechsel strukturiert, der jeweils am Ende des ersten Drittels der taleae wiederkehrt.13 Anders als in der Motette von Tapissier dient Mensurwechsel vermutlich lediglich der Vermeidung allzu kurzer Notenwerte, da die ternäre rhythmische Organisation der Oberstimmen durchgängig beibehalten wird. Im letzten Drittel jeder talea findet sich in allen vier Stimmen ein wiederkehrender verschränkter hoquetus-artiger Rhythmus (siehe Notenbeispiel 28).
Notenbeispiel 28: Johannes Cesaris: A virtutis ignitio / Ergo beata nascio / Benedicta filia tua a domino: MM 16 – 21
Der Text in Triplum und Motetus besteht aus fünfzeiligen Strophen mit dem Reimschema 8a8a8a8b8b.14 Beide Stimmen beginnen und enden mit einer unvollständigen Strophe. Im Triplum scheinen sich die unvollständigen Strophen durch den Reim -io zu ergänzen. Der Tenor zitiert einen Ausschnitt einer Antiphon zum Fest Mariä Himmelfahrt. Die Textverteilung richtet sich im Motetus in gewisser Weise nach der isorhythmischen Struktur : Zwar befinden sich die Strophenenden immer an der gleichen Stelle in der talea, doch fallen sie nicht zusammen mit deren Ende. Im Triplum geschieht dies nur in der Mitte der Motette, am Ende der zweiten talea. Die rhythmisch komplexen Oberstimmen sind eindeutig Melodieträger der Motette. Nur in den hoquetus-artigen Passagen am Ende jeder talea sind die unteren Stimmen fest in das melodisch-rhythmische Gefüge eingebunden. Ansonsten bestimmen sie die Abfolge der Zusammenklänge. Dabei liegt der Contratenor meist unter dem Tenor, so dass – im Gegensatz zur Motette von Franchois – die Abfolge der Klänge unabhängig von der Choralmelodie verlaufen kann. Die seltenen Klauseln fallen auf die finalis, Quart und Untersekunde. 13 Vgl. Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 2), S. 440 f. 14 Text s. Anhang 3.
223
Isorhythmische Motetten
Aubert Billart: Salve virgo virginum / Vita via veritas / Salve Regina misericordie Die vierstimmige Motette15 entstand um 1400 vermutlich in Paris. Das isorhythmische Schema ist äußerst ungewöhnlich: Im Tenor erscheint zunächst ein Teil der Marienantiphon Salve regina, der dann in der Proportion 6:4 wiederholt wird. Es folgt ein weiterer Choralausschnitt, der in der Proportion 2:1 wiederholt wird. Im letzten Teil werden nun die beiden Choralausschnitte direkt nacheinander in der Proportion 3:2 geführt. Die Proportionsschemata der beiden Choralausschnitte sind somit ineinander verwoben: Choralausschnitt A Choralausschnitt B
6
4
2
1
3
2
In den Oberstimmen treten zudem häufig Mensurwechsel auf, die jedoch meist der Vermeidung von kleineren Notenwerten dienen.16 Der Text im Triplum zitiert die Mariensequenz Salve virgo virginum. Der Text im Motetus ist in der gleichen Form gedichtet. Er besteht aus jeweils drei achtzeiligen Strophen mit dem Reimschema 7a6b7a6b 7a6b7a6b. In beiden Stimmen enden die Strophen jeweils am Ende der durch die isorhythmische Struktur markierten Teile.17 Die beiden oberen Stimmen haben eine melodische Funktion, während die unteren die Abfolge der Klänge bestimmen. Der Contratenor liegt wie in der Motette von Franchois meist über dem Tenor, so dass die Zusammenklänge von der Choralmelodie bestimmt werden. Klauseln fallen auf die finalis und Quart. Johannes Brassart: Ave Maria / O Maria Die vierstimmige Motette18 entstand um 1425 vermutlich in Rom. In der isorhythmischen Struktur fallen fünf taleae auf einen color. Die erste talea ist dreistimmig gesetzt. Sie wird notengetreu wiederholt, wobei die Oberstimme nun nicht im Triplum, sondern im Motetus liegt und mit dem Anfang des zweiten Textes unterlegt ist. So entsteht eine Art Echo-Einleitung. Der Mensurwechsel mit der vierten talea bewirkt keine Änderung in der Proportion, sondern lediglich in der rhythmischen Organisation der Oberstimmen, nämlich von binär zu ternär, wobei die Oberstimmen rhythmisch sehr frei gestaltet sind. Bei den beiden Texten der Motette – »Ave Maria gratia plena« und »O Maria gratia plena« – handelt es sich um Ave Maria-Tropen.19 Der Tenor ist mit der Textmarke »Ave Maria gracia plena« versehen, die Melodie ist aber keinem 15 16 17 18
Polyphonia Sacra, hrsg. von Charles van den Borren, Pennsylvania 1963, S. 159 – 166. Vgl. Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 2), S. 422 – 424. Text s. Anhang 3. Johannis Brassart, Opera Omnia: Motetti, hrsg. von Keith E. Mixter, Rom 1971 (= CMM 35 / 2), S. 13 – 15. 19 Text s. Anhang 3.
224
Werke kontinentaler Komponisten
Choral entnommen. Die Textierung ist der isorhythmischen Struktur angepasst: In den ersten beiden taleae wird jeweils die erste Strophe der Texte gesungen. Auch der Mensurwechsel fällt zumindest im Motetus mit einem Strophenende zusammen. Der Mensurwechsel wird zudem durch eine Zäsur im musikalischen Satz hervorgehoben. So entsteht eine dreiteilige Form mit dreistimmigem ersten Teil und durch den Mensurwechsel voneinander abgesetzten zweiten und dritten Teilen.20 Im drei- und im vierstimmigen Satz sind die Oberstimmen durch reichere Bewegung und Melodik hervorgehoben. Im vierstimmigen Satz bestimmt der Contratenor mit dem Tenor die Abfolge der Klänge. Beide Stimmen verlaufen oft homorhythmisch. Der Contratenor liegt nicht immer über dem Tenor und bestimmt so die Abfolge der Klänge in der Komposition mit. Klauseln treten häufiger auf als in den zuvor besprochenen Motetten. Sie sind harmonisch weit gestreut und fallen auf die finalis, Quint, Quart und Terz. Generell sind die auf dem europäischen Festland entstandenen isorhythmischen Motetten zu Maria nicht nach einem strengen Schema komponiert wie die ihrer englischen Gegenstücke, sondern für jede der Motetten individuell gestaltet. Hier könnte der individuelle Entstehungskontext eine größere Rolle spielen als der allen Motetten gemeinsame Marienbezug. Nur wenige Merkmale – etwa die Vierstimmigkeit – treffen auf alle untersuchten Motetten zu. Eigenschaften, die in den englischen isorhythmischen Motetten schematisiert sind – wie Duette am Anfang jeder talea oder die interne Strukturierung der talea durch Pausen im Tenor – gibt es nur in Tapissiers Komposition. Die in Dunstaples isorhythmischen Motetten so typische Pankonsonanz findet sich in den kontinentalen Kompositionen nicht: Zwar sind auch hier die stimmreduzierten Abschnitte konsonanter als die vollstimmigen; jedoch werden Konsonanzen bei weitem nicht so konsequent und Dissonanzen nicht so kontrolliert eingesetzt wie bei den englischen Komponisten und besonders bei Dunstaple.21 Die Tenöre der Motetten basieren nicht, wie in den englischen isorhythmischen Motetten, ausschließlich auf Choralausschnitten, sondern sind bei den Motetten von Brassart und Franchois frei komponiert. Dennoch wird Abfolge der Klänge in den Kompositionen – außer in den Motetten von Cesaris und Brassart – allein vom Tenor bestimmt. Dadurch können Klauseln nur bedingt gezielt gesetzt werden. Sie treten wesentlich seltener auf als in den englischen isorhythmischen Motetten und sind zudem harmonisch weiter gestreut. Einzig die Motette von Brassart ähnelt den englischen Motetten in der Behandlung von Klauseln. 20 Vgl. Allsen, Style and Intertextuality (s. Anm. 2), S. 428 f. 21 Zum Einfluss englischer Werke auf die Dissonanzbehandlung in kontinentalen Kompositionen vgl. Philip R. Kaye, The ›Contenance Angloise‹ in Perspective, London 1989, S. 366 – 369.
Vertonungen von Marienantiphonen
225
Einige der Motetten fallen durch ungewöhnliche Merkmale auf und lassen sich dadurch noch weniger in ein Schema einordnen: die Motette von Franchois durch Kanontechniken, Imitation und Stimmtausch; Billarts Motette durch die verschachtelte, quasi doppelte isorhythmische Struktur und die Motette von Brassart durch die Textierung und die isorhythmische Struktur von fünf taleae auf einen color.
c.
Vertonungen von Marienantiphonen
Auf dem Kontinent wurden Antiphonmelodien zunächst mehrtextigen Motetten – seien sie isorhythmisch wie Billarts Salve virgo virginum / Vita via veritas / Salve Regina misericordie oder nicht – als cantus firmus zugrunde gelegt. Erst gegen Ende des Jahrhunderts treten dort auch die in England schon länger üblichen Vertonungen mit einheitlichem Text in allen Stimmen auf. Der für englische Kompositionen so typische Cantilena-Stil wird in diesen Kompositionen oft, aber nicht regelmäßig, übernommen.22 Sehr frühe Beispiele von Vertonungen der Marienantiphone mit cantus firmus finden sich im Schaffen Dufays. Sie sollen im folgenden Kapitel besprochen werden. Abgesehen von Dufays Kompositionen lässt sich für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts lediglich eine Vertonung der Antiphon Ave regina celorum ohne cantus firmus von Gilles Binchois nachweisen. Gilles Binchois: Ave regina celorum In Binchois’ Ave regina celorum23 sind die beiden Außenstimmen miteinander gekoppelt. Oft folgen sie einander im Kanon, seltener verlaufen sie – zumindest an Phrasenanfängen – parallel (siehe Notenbeispiel 29). Die Phrasierung folgt in den Außenstimmen deutlich dem Text. Zwar enden nicht alle Phrasen in einer Klausel; doch beginnen die meisten mit einem kanonischen Einsatz oder der Parallelführung der Außenstimmen. Da der Komposition keine Choralmelodie zugrunde liegt, ist die dritte Stimme – der Contratenor – frei zu den beiden Außenstimmen komponiert. Contratenor und Tenor besitzen den gleichen Ambitus und der Contratenor umspielt den Tenor frei, so dass die Abfolge der Klänge frei vom Kanon in den Außenstimmen gestaltet werden kann. Klauseln fallen fast ausschließlich auf die finalis.
22 Vgl. Sonja Stafford Ingram, The Polyphonic Salve Regina 1425 – 1550, Dissertation, University of North Carolina Chapel Hill 1973, S. 91 – 101. 23 The Sacred Music of Gilles Binchois, hrsg. von Philip Kaye, Oxford 1992, S. 183 – 185.
226
Werke kontinentaler Komponisten
Notenbeispiel 29: Gilles Binchois: Ave regina celorum: MM 1 – 7 und MM 46 – 49
d.
Zusammenfassung
Ein Vergleich der nicht-isorhythmischen Vertonungen von Marienantiphonen bei kontinentalen und englischen Komponisten hebt ihre eigentliche Unvergleichbarkeit hervor: Im Schaffen der englischen Komponisten des frühen 15. Jahrhunderts nehmen die Vertonungen von Marienantiphonen mit und ohne cantus firmus einen ungleich größeren Platz ein als bei den kontinentalen Komponisten. In Dunstaples Werk stellen die nicht-isorhythmischen Werke mit cantus firmus, neben Motetten und Messensätzen, einen gleichwertigen dritten Bereich bei den geistlichen Kompositionen. Auf dem Kontinent dagegen treten Vertonungen mit nur einem Text in allen Stimmen und dem cantus firmus im Diskant oder ohne cantus firmus vermehrt erst gegen Ende des Jahrhunderts auf. Die Antiphonmelodien bilden eher die Grundlage von Motetten. Diese unterscheiden sich jedoch grundlegend von den isorhythmischen Motetten englischen Ursprungs: Ihr Aufbau ist weniger schematisiert, sowohl in der isorhythmischen Struktur als auch in den Duetten oder Mensurwechseln. Die Abfolge der Klänge wird weitgehend vom Choral im Tenor bestimmt, und Dissonanzen werden seltener kontrolliert eingesetzt als in englischen Kompositionen. Zwar sind auch in den kontinentalen Kompositionen stimmreduzierte Passagen konsonanter als vollstimmige, es finden sich jedoch nur wenige pankonsonante Duette. Auch der Messensatz von Franchois ist deutlich gegliedert; zur Gliederung werden aber nicht, wie in englischen Kompositionen, Duette und
Zusammenfassung
227
Mensurwechsel eingesetzt, sondern die Satztechnik und am Choral orientierte Klauselbildung. In kontinentalen Kompositionen zeigen sich demnach ähnliche Bestrebungen zur Strukturierung wie in den Werken englischen Ursprungs; doch werden diese auf andere Art realisiert. Die »typisch englischen« Gattungen und Satztechniken, wie zum Beispiel die Vertonung von Antiphonen im Cantilena-Stil, finden zumindest in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf dem Kontinent keine Verwendung. Im folgenden Kapitel wird nun untersucht, ob bestimmte Merkmale der Werke Dufays den englischen Kompositionen ähneln, denn von ihm wird in historischen und theoretischen Schriften des 15. Jahrhunderts ganz konkret behauptet, er komponiere im neuen Stil, dessen Ursprung in England liege.
4. Guillaume Dufays Werke
In den theoretischen Schriften des 15. Jahrhunderts wird Dufay als einer der Komponisten genannt, die im neuen Stil schreiben, die also die contenance angloise übernommen hätten. Im Folgenden werden seine Kompositionen sowohl mit John Dunstaples Werken und den englischen Komponisten als auch mit den kontinentalen Komponisten verglichen. Zunächst wird ein kurzer Überblick über den Forschungsstand zu Dufays Werk gegeben, bevor dann, wie in den vorhergehenden Kapiteln, Messen mit einer Mareinantiphon als Fremd-cantus firmus, isorhythmische Motetten mit Marienbezug sowie Vertonungen von Marienantiphonen mit und ohne cantus firmus mit besonderem Augenmerk auf ihre Gliederung, die Dissonanzbehandlung und die Textverständlichkeit untersucht werden. Auf diese Weise können am Ende des Kapitels mögliche Einflüsse englischer Kompositionen und Entwicklungen in der Kompositionstechnik auf dem Kontinent nachvollzogen werden.
a.
Forschungsstand
Die Literatur zu Dufay und seinen Kompositionen ist reichhaltig: Zwei Monographien wurden in den letzten 25 Jahren vorgelegt, die nicht nur das Leben des Komponisten detailliert beschreiben, sondern auch seine Kompositionen eingehend betrachten.1 Umfangreiche Untersuchungen erschienen zu Dufays Messen und Motetten.2 Zudem wurden einzelne Gattungen und Kompositionstechniken in kleineren Studien untersucht. Kontakte mit und mögliche 1 David Fallows, Dufay, London 1982 (= Master Musicians Series) und Peter Gülke, Guillaume Dufay: Musik des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2003. 2 Vgl. z. B. Rudolf Bockholdt, Die frühen Messenkompositionen von Guillaume Dufay, Tutzing 1960 (= Münchner Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 5); Laurenz Lütteken, Guillaume Dufay und die isorhythmische Motette, Hamburg 1993 (= Schriften zur Musikwissenschaft in Münster 4); Wolfgang Nitschke, Studien zu den cantus firmus Messen Guillaume Dufays, 2 Bde., Berlin 1968 (= Berliner Studien zur Musikwissenschaft 13).
230
Guillaume Dufays Werke
Einflüsse von englischen Komponisten werden in den größeren Arbeiten in eigenen Kapiteln erörtert,3 sie spielen in den Untersuchungen zur Kompositionstechnik allerdings eine eher untergeordnete Rolle.4 Fragestellungen zum Einfluss englischer Werke auf den Kompositionsstil Dufays werden in kleineren Aufsätzen abgehandelt.5 So wie Dufays Lebensweg besser als der Dunstaples belegt ist, so sind von ihm auch wesentlich mehr Werke überliefert. Zudem sind durch sein Testament Werke belegt, die nicht mehr existieren. Dufays Werke6 Messen 9 Messzyklen (2 davon verschollen) 9 Messensatzpaare 18 Einzelsätze 10 Propriumssätze (teilweise zu den Messzyklen, s. o.) Motetten 14 isorhythmische Motetten 9 Motetten (2 davon verschollen) 2 Motettenchansons Vertonungen gregorianischer Choräle 24 Antiphonen (1 davon verschollen) 31 Hymnen (2 davon verschollen) 5 Magnificatvertonungen (1 davon verschollen) 2 Benedicamus 1 Choral 85 weltliche Werke mit lateinischem, italienischem oder französischem Text (Rondeaux, Balladen, Ballate und Virelais)
b.
Messen
Wie oben zu sehen, komponierte Dufay die meisten Messensätze in Paaren oder Zyklen. Viele der Sätze, Paare und Zyklen basieren auf Fremd-cantus firmi, die sowohl dem Repertoire der gregorianischen Choräle als auch dem weltlichen 3 Vgl. Lütteken, Guillaume Dufay (s. Anm. 2), S. 179 – 188; Gülke, Guillaume Dufay (s. Anm. 1), S. 93 – 104 4 Vgl. z. B. Friedemann Otterbach, Kadenzierung und Tonalität im Kantilenensatz, München 1975 (= Freiburger Schriften zur Musikwissenschaft 7). 5 Vgl. z. B. Thomas Brothers, ›Contenance angloise‹ and Accidentals in Some Motets by Du Fay, in: Plainsong and Medieval Music 6 (1997), S. 21 – 51; David Fallows, The ›contenance angloise‹: English Influence on Continental Composers of the Fifteenth Century, in: Ders., Songs and musicians in the fifteenth century, Aldershot 1996, S. 189 – 208. 6 Werkliste nach Gülke, Guillaume Dufay (s. Anm. 1), S. 455 – 468.
Messen
231
Liedgut entnommen sind. Jedoch basiert lediglich ein Messzyklus auf einer Marienantiphon. Missa Ave regina celorum Die Messe Ave regina celorum7 wurde von Dufay gestiftet und vermutlich ab 1473 jährlich am Tag Maria Schnee (5. 8.), nach Dufays Tod jedoch an seinem Todestag aufgeführt.8 Zusammen mit der Motette stellt sie ein musikalisches Vermächtnis des Komponisten dar : In ihr befinden sich Bezüge zu früheren Kompositionen, wie den Messen Se la face y pale und Ecce ancilla domini und besonders zur Motette Ave regina celorum, die im Agnus dei zu den Anrufungen »miserere nobis« zitiert wird. Auch die verwendeten Kompositionstechniken fassen die Entwicklungen im kompositorischen Schaffen Dufays noch einmal zusammen: So finden sich Imitationen und Kanons, interne Verweise unter den einzelnen Messensätzen sowie Bezüge sowohl zwischen dem Messentext und dem Text der Antiphon, als auch zwischen dem gesungenen Messentext und seiner Vertonung. Peter Gülke beschreibt eindrucksvoll, wie das Zitat der Motette durch wiederkehrende Motive, Satztechniken und Wortausdeutungen vorbereitet und in die Messe eingefügt ist. Kompositionstechnisch zerfließen die Grenzen zwischen den Gattungen Messe und Motette.9 Eine detaillierte Analyse würde hier den Rahmen sprengen; einzelne Aspekte, die die harmonische Organisation und die Gliederung der Messe betreffen, sollen dennoch kurz angedeutet werden: Die vier Stimmen teilen sich in eine Oberstimme, zwei Stimmen in einer mittleren Lage, von denen der Tenor eine Paraphrase der Marienantiphon trägt, und einen Bass. Der Choral im Tenor bestimmt zwar die Klauseln, jedoch nicht den harmonischen Verlauf zwischen den Klauseln. Vereinheitlichende Merkmale markieren die Strukturen der Messe im Großen: Neben dem cantus firmus, der alle Sätze durchzieht, gleichen sich Anfang und teilweise auch Ende der einzelnen Sätze. Zudem durchzieht die gesamte Messe eine graduelle Akkumulation wiederkehrender Motive, die teilweise auch an bestimmte Kompositionstechniken, wie Kanon oder Imitation, gekoppelt sind. Gliedernd wirken innerhalb der Sätze Mensurwechsel und stimmreduzierte Passagen, die meist auch andere Satztechniken bringen.
7 Brüssel, BibliothÀque Royale, Ms. 5557, 110v-120v ; Modena Biblioteca Estense, Cod. lat. 456, Messe Nr. 14 (= S. 1 – 33). Transkription in: Guglielmi Dufay Opera Omnia: Missarum pars altera, hrsg. von Heinrich Besseler, Rom 1951 (= CMM 1 / 3), S. 91 – 121. 8 Gülke, Guillaume Du Fay (s. Anm. 1), S. 400 f. 9 Ebd., S. 182 – 183 und 400 – 403.
232
c.
Guillaume Dufays Werke
Isorhythmische Motetten
Zu fast allen isorhythmischen Motetten Dufays ist der Anlass und somit auch das Datum ihrer Entstehung überliefert. Oft sind es politische Ereignisse oder besondere kirchliche Feiern, für die die Motetten entstanden. Dementsprechend sind sie selten bestimmten Festtagen im Kirchenjahr, Heiligen- oder Marienfesten zugeordnet; und nur eine von 14 Motetten weist einen Bezug zu Maria auf. Fulgens iubar ecclesie / Puerpera pura parens / Virgo post partum Der vierstimmigen Motette10 kann aufgrund des Akrostichon »Petrus de Castello canta« im Motetus eine Entstehungszeit um 1445 zugeschrieben werden.11 Pierre du Castel war von 1442 bis 1447 magister puerorum in Cambrai. Der genaue Anlass für die Komposition der Motette und der Grund, warum Dufay sie seinem Kollegen zueignete, bleiben jedoch offen. Etliche »typisch englische« Merkmale finden sich in ihrer isorhythmischen Struktur : Jeweils zwei taleae fallen auf einen color. Jede talea wird von einem Duett eingeleitet und ist durch Pausen im Tenor intern strukturiert (siehe Notenbeispiel 30).
Notenbeispiel 30: Fulgens iubar ecclesie / Puerpera pura parens / Virgo post partum: Tenor
Die vierstimmigen Passagen werden im Verlauf jeder talea somit immer kürzer. Die Motette ist panisorhythmisch und dreiteilig mit dem Proportionsschema 6:4:3. Die Anlage folgt somit dem rigiden Schema von Dunstaples isorhythmischen Motetten. Die Texte in Triplum und Motetus beenden jede der Strophen mit einem wiederkehrenden Vers, und weisen zudem das gleiche Reimschema mit verschiedenen Verslängen auf. Der Text im Triplum besteht aus vier achtzeiligen Strophen mit dem Reimschema 10a10b10a10b 10b10c10b10c. Der Text im Motetus besteht ebenfalls aus vier achtzeiligen Strophen, allerdings mit dem Reimschema 8a8b8a8b 8b8c8b8c. Beide Texte wurden vermutlich für die Motette geschrieben. Der Tenor basiert auf einem Marien-Responsorium zum Fest Mariä Reinigung. 10 Guglielmi Dufay : Opera Omnia: Motetti, hrsg. von Willem de Van, Rom 1947 (= CMM 1 / 1), S. 52 – 61. 11 Vgl. Lütteken, Guillaume Dufay (s. Anm. 2), S. 299 – 302; Fallows, Dufay (s. Anm. 1), S. 60 f.
Isorhythmische Motetten
233
In beiden Oberstimmen ist der Text mit der isorhythmischen Struktur koordiniert: Zwei Strophen werden zum ersten color gesungen, zu den beiden anderen jeweils eine. Auch die talea-Enden fallen mit Strophen oder Halbstrophen zusammen. Die Form des Textes und die musikalische Form unterstützen sich somit gegenseitig. Am Anfang des letzten color wird der Zusammenhang von Text und musikalischer Form noch auf eine andere Art sinnfällig gemacht: Der in beiden Stimmen gleiche Textanfang der letzten Strophe wird musikalisch durch einen Kanon dargestellt (siehe Notenbeispiel 31).
Notenbeispiel 31: Fulgens iubar ecclesie / Puerpera pura parens / Virgo post partum: MM 129 – 135
Die beiden Oberstimmen bestreiten die melodische Aktivität in der Motette, während Tenor und Tenor secundus die Abfolge der Zusammenklänge regeln. Der Tenor secundus liegt dabei oft unter dem Tenor, so dass – wie in den englischen Kompositionen – die Abfolge der Klänge nicht von der Choralmelodie abhängig ist. Klauseln fallen fast ausschließlich auf die finalis und die Quint. Beide Tenorstimmen ergänzen sich rhythmisch, und der Satz bleibt somit – außer in den Duetten – immer mindestens dreistimmig. Auf ganz ähnliche Weise sind die beiden Tenöre in Dunstaples vierstimmiger Motette Salve schema sanctitatis / Salve salus servulorum / Cantant celi agmina aufeinander abgestimmt.12 Dufays Motette zeigt eine deutliche Annäherung an das Schema der englischen isorhythmischen Motetten in den Duetten am Anfang der talea, der taleaKonstruktion, dem Proportionsschema und der Bestimmung der Abfolge der Klänge durch den unter dem Tenor liegenden Tenor secundus. Auch die Duette 12 Vgl. Jon M. Allsen, Style and Intertextuality in the Isorhythmic Motet 1400 – 1440, Dissertation, University of Wisconsin 1992, S. 462 f.
234
Guillaume Dufays Werke
sind beinahe pankonsonant, doch finden sich Terzen und Sexten nicht so gehäuft wie in den Duetten von Dunstaples isorhythmischen Motetten. Dissonanzen treten oft als Vorhalte vor Klauseln auf. Klauseln werden durch den Tenor und Tenor secundus gezielt gesetzt und fallen – wie in Dunstaples isorhythmischen Motetten – meist auf die finalis und Quint. Nur selten werden die ohnehin wenigen Dissonanzen in den Duetten unkontrolliert eingesetzt. Aufgrund dieser Merkmale könnte die Motette englischen Ursprungs sein. In der Handschrift Modena B ist die Motette bezeichnenderweise – wenn auch nachträglich – zwischen den Werken englischer Komponisten notiert. Allein der Text weist deutlich auf ein anderes Entstehungsumfeld hin: Obwohl für einen liturgischen Kontext komponiert – also von der Funktion her nicht anders als die englischen isorhythmischen Motetten – lässt er vage Rückschlüsse auf einen besonderen Anlass für die Entstehung zu.13 Beide Texte wurden für den Anlass geschrieben sowie durch die Strophenform und den am Ende jeder Strophe wiederholten letzten Vers aufeinander abgestimmt. Das Akrostichon im Text des Motetus weist zusätzlich auf die künstlerischen Ansprüche des Textdichters hin.
d.
Werke mit cantus firmus
In Dufays nicht-isorhythmischen Kompositionen mit cantus firmus stellen Vertonungen von Antiphonen und Hymnen den größten Anteil. Von den 24 Vertonungen von Antiphonen sind sieben Werke Maria und vier dem Magnificat zugeordnet. Von den 33 Hymnus-Kompositionen weisen dagegen nur die zwei Ave maris stella-Vertonungen einen Marienbezug auf. Wie bei den HymnusVertonungen finden sich auch unter den Antiphonen oft mehrere Vertonungen desselben Textes. Für nur wenige dieser Kompositionen sind Datum und Anlass der Entstehung bekannt. Dies deutet darauf hin, dass sie – anders als die isorhythmischen Motetten Dufays – für den allfälligen liturgischen Gebrauch komponiert wurden. Alma redemptoris mater (2) In der Vertonung der Marienantiphon Alma redemptoris mater14 liegt eine Choralparaphrase in der Oberstimme. Die Komposition beginnt mit einer rhythmisierten Intonation. In dem rhythmisch binär organisierten ersten Teil entstehen mit dem Einsatz der beiden unteren Stimmen zwei Bewegungsebenen. Die Unterstimmen verlaufen weniger bewegt und oft rhythmisch parallel zu13 Vgl. Lütteken, Guillaume Dufay (s. Anm. 2), S. 299 – 302. 14 Guillelmus Dufay: Opera omnia: Compositiones liturgicae minores, hrsg. von Heinrich Besseler, Rom 1966 (= CMM 1 / 5), S. 117 – 119.
235
Werke mit cantus firmus
einander. Sie sind beide nur mit einer Textmarke versehen. Die Oberstimme dagegen ist textiert und rhythmisch freier gestaltet. Im nächsten, rhythmisch ternär organisierten Abschnitt sind alle drei Stimmen textiert. Hier gibt es nur eine Bewegungsebene, alle Stimmen sind rhythmisch gleich aktiv. Der folgende Teil kehrt zur Textierung, zur rhythmisch binären Organisation und den zwei Bewegungsebenen des Anfangs zurück. Der letzte Teil ist als Norma rhythmisch frei. Wieder sind alle Stimmen textiert. Text Alma redemptoris mater que pervia celi Porta manes et stella maris succurre cadenti Surgere qui curat populo. Tu que genuisti natura mirante tuum sanctum genitorem, Virgo prius ac posterius Gabrielis ab ore Sumens illud Ave peccatorum miserere
rh. Organisation 2
Textierung 1
Ebenen 2
3
alle
1
2
1
2
frei
alle
1
Klauseln auf der finalis und der Quint untergliedern die einzelnen Teile und folgen dabei, wie auch die Phrasierung, dem Text. Imitation findet sich aufgrund der verschiedenen Bewegungsebenen in den binären Teilen nur im ternär organisierten Teil. Über vier Mensuren nehmen alle drei Stimmen an einer hoquetus-artigen, rhythmischen Imitation teil (siehe Notenbeispiel 32).
Notenbeispiel 32: Alma redemptoris mater : MM 43 – 48
Obwohl die Choralmelodie in der Oberstimme paraphrasiert wird und nicht im Tenor liegt, ist der Contratenor meist unter dem Tenor geführt. Er bestimmt somit die Abfolge der Klänge in der Komposition und vollzieht bei Klauseln zwischen Oberstimme und Tenor oft einen Quintfall (siehe Notenbeispiel 33).
236
Guillaume Dufays Werke
Notenbeispiel 33: Alma redemptoris mater : M 11 und MM 21 – 22
Die Dissonanzbehandlung sowie die Behandlung von Terzen und Sexten unterscheidet sich in den verschiedenen Teilen nicht wesentlich: Am Anfang und Ende der Phrasen finden sich wenige, in der Mitte vermehrt Terzen und Sexten. Die Dissonanzen nehmen zur Klausel hin zu. Im letzten rhythmisch freien Teil finden sich nur wenige Dissonanzen, dagegen in fast jedem Akkord eine Terz oder / und Sexte. Ganz am Ende der Komposition wird der Satz um eine Stimme erweitert. So wird der Klang – über den homophonen Satz in der Normapassage hinaus – noch volltönender. Ave regina celorum (2) Diese Vertonung15 der Marienantiphon Ave regina celorum entstand um 1450.16 Die Choralmelodie in der Oberstimme ist viel weitgehender paraphrasiert als in der Vertonung der Antiphon Alma redemptoris mater. Die Oberstimme ist als einzige Stimme textiert. Die Komposition wird durch Mensurwechsel und zweistimmige Passagen strukturiert. Durch die Mensurwechsel entsteht eine dreiteilige Form, deren beide ersten Teile wiederum durch Duette dreigeteilt sind. Text Ave regina celorum, Ave domina angelorum, Salve radix sancta Ex qua mundo lux est orta. Gaude gloriosa Super omnes speciosa, vale valde decora. Et pro nobis semper Christum exora.
Mensur o
Stimmen 3 2
c bzw. c/ 17
3 3
o
2 2 (untextiert) 3 3
15 Ebd., S. 121 – 123. 16 Gülke, Guillaume Dufay (s. Anm. 1), S. 393. 17 c/ in der Handschrift Modena B, c in den Trienter Codices.
237
Werke mit cantus firmus
Die Phrasierung der Oberstimme folgt dem Text. Auch die Klauseln – ohne Ausnahme auf der finalis – finden sich zumeist am Ende einer Zeile. Contratenor und Tenor bewegen sich in der gleichen Lage und bestimmen die Abfolge der Klänge in der Komposition. Sie sind über weite Strecken ebenso rhythmisch aktiv wie die Oberstimme. In den dreistimmigen Abschnitten treten vermehrt Terzen und Sexten auf, und die Dissonanzbehandlung ist kontrolliert. Die Duette sind überwiegend pankonsonant. Imitation zwischen den Stimmen ist selten. Nur im Duett des zweiten Teils werden die Stimmen bei dem Wort »speciosa« im Kanon in der Unterquart geführt (siehe Notenbeispiel 34).
Notenbeispiel 34: Ave regina celorum: MM 71 – 77
Salve regina Auch in dieser vierstimmigen Salve regina-Vertonung18 liegt die verzierte Choralmelodie zunächst in der obersten Stimme. Bei den drei Anrufungen am Ende der Antiphon wandert sie vom Tenor über den Contratenor zurück in den Superius. Die Vertonung wird durch Mensurwechsel strukturiert: Die Verse fünf und sechs sowie die letzte Anrufung stehen in einer binär organisierten Mensur. So entstehen zwei Teile, die jeweils im letzten Drittel die Mensur wechseln. Die binären Abschnitte sind jeweils etwa um die Hälfte länger als die ternären. Text Vers 1 – 4 Vers 5 – 6 Anrufung 1 – 2 Anrufung 3
Mensur o c/ o c/
Länge 65 MM 108 MM 22 MM 30 MM
Phrasierungen folgen im Superius dem Text, auch wenn nicht jede Phrase mit einer Klausel schließt. Die beiden oberen Stimmen dominieren den Satz in der melodischen Bewegung. Jedoch sind sie durch ihre Lage voneinander abge18 Thematisches Verzeichnis der Trienter Codices sammt (sic!) Vorwort und Einleitung zur Ersten Auswahl, bearbeitet von Guido Adler und Oswald Koller, Wien 1900 (= DTÖ 14 / 15), S. 178 – 183. Die Zuschreibung ist umstritten; vgl. Karl DÀzes, Das Dufay zugeschriebene ›Salve regina‹ eine deutsche Komposition: stilkritische Studie, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft 10 (1927 / 28), S. 327 – 362 und Fallows, Dufay (s. Anm. 1), S. 178, Fußnote 20.
238
Guillaume Dufays Werke
grenzt. Die mittleren Stimmen besitzen den gleichen Ambitus, die untere der beiden ist jedoch weniger bewegt. Die als »Bassus« bezeichnete Stimme bildet meist das Fundament des Satzes. Klauseln, die zumeist auf die finalis fallen, werden jedoch im Superius und Tenor vollzogen, während der Bassus eine Oktave nach oben in die Quinte des letzten Klanges springt. Die einzelnen Verse der Antiphon beginnen meist homophon. In den Versen fünf und sechs wird der homophone Satz fast statisch (siehe Notenbeispiel 35), während die Anrufungen wieder freier gesetzt sind.
Notenbeispiel 35: Salve regina: MM 90 – 96
In der letzten Anrufung erscheint im Superius noch einmal die Melodie der Intonation. Die Strukturierung durch Mensurwechsel, die Proportionen der einzelnen Abschnitte und die Wiederholung der Intonation im letzten Abschnitt geben der Komposition musikalische Geschlossenheit. Auch die Textverständlichkeit ist durch die gleiche Textierung aller Stimmen und den homophonen Anfang der Verse gewährleistet. Alma redemptoris mater (1) Anders als bei den zuvor besprochenen Antiphonvertonungen liegt die Choralmelodie in der Vertonung der Antiphon Alma redemptoris mater19 im Tenor. Sie ist kaum ausgeschmückt und zurückhaltend rhythmisiert. Alle drei Stimmen sind textiert. Contratenor und Tenor haben den gleichen Umfang; der Contratenor umspielt den Choral im Tenor frei. Die Abfolge der Klänge in der Komposition wird somit, wie in den anderen Vertonungen, von beiden Stimmen bestimmt. Ebenso finden die Klauseln, die fast ausschließlich auf die finalis 19 Compositiones liturgicae minores (s. Anm. 14), S. 115 – 117.
Werke mit cantus firmus
239
fallen, immer zwischen oberster Stimme und Tenor statt. Die Komposition ist durch Mensurwechsel gegliedert. Während in den binär organisierten Teilen (MM 1 – 30, MM 46 – 75) die Oberstimme rhythmisch deutlich bewegter ist, nimmt die rhythmische Aktivität der unteren Stimmen im zweiten Teil mit der Mensur O merklich zu. Der letzte Teil ist, wie in Dufays anderer Vertonung der Antiphon Alma redemptoris mater, rhythmisch frei und homophon gesetzt. Dieser Teil ist – mit häufigen Terzen und Sexten – fast durchgehend konsonant gestaltet. Hier finden sich auch die einzigen beiden kurzen Fauxbourdonpassagen der Komposition (siehe Notenbeispiel 36).
Notenbeispiel 36: Alma redemptoris mater : MM 83 – 85
Die Textdeklamation geschieht in allen Stimmen überwiegend parallel, so dass eine hohe Textverständlichkeit gewährleistet ist. Phrasierungen und Klauseln folgen den syntaktischen Einheiten des Textes und fallen meist in Tenor und Oberstimme zusammen. Besonders der ternär organisierte Teil wird von einer deutlichen und gleichzeitigen Phrasierung in allen drei Stimmen geprägt. Sie wird durch die homophonen Anfänge der Phrasen sowie durch die synchrone Textdeklamation unterstützt. Ave regina celorum (3) Dufays dritte Vertonung20 der Marienantiphon Ave regina celorum entstand vor 1460, vermutlich in den 1440er Jahren.21 Zwanzig Jahre später verfügt Dufay in seinem Testament die Aufführung dieser Motette an seinem Sterbebett. In dieser Zeit entstand vermutlich auch die Messe Ave regina celorum, die sich explizit 20 Ebd., S. 124 – 130. 21 Vgl. Entstehungsgeschichte und Analyse in Gülke, Guillaume Dufay (s. Anm. 1), S. 393 – 399. Eine Interpretation der Motette im Kontext der Sterberiten des Mittelalters gibt Boris Voigt, Musikalisierung des Sterbens – Guillaume Du Fays ›Ave regina celorum III‹, in: Die Musikforschung 64 (2011), S. 321 – 334.
240
Guillaume Dufays Werke
auf diese Vertonung der Antiphon bezieht. Alle vier Stimmen sind textiert. Im Tenor erscheint die rhythmisierte Choralmelodie mit leichten melodischen Abänderungen. In den anderen drei Stimmen wird der Text der Antiphon unterbrochen von tropierten Abschnitten, die in verschiedenen Formulierungen die Intervention Marias für den Sterbenden erbitten. Miserere tui labentis Dufay, ne peccatorum, ruat in ignem fervorum. Miserere genitrix Domini, ut pateat porta celi, debili. Miserere supplicanti Dufay sitque in conspectu tuo mors ejus speciosa. In excelsis ne damnemur, miserere nobis et juva, ut mortis hora nostra sint corda decora.22
Die Komposition wird durch Mensurwechsel in drei Teile gegliedert (MM 1 – 76, MM 77 – 149, MM 150 – 170). Die beiden ersten Zeilen der Antiphon sind zweistimmig vertont mit einer Paraphrase der Choralmelodie in der oberen Stimme. Stimmreduzierte Passagen leiten alle drei Teile ein und gliedern zudem die ersten beiden Teile der Komposition intern. Auf die Wörter »Salve« und »Gaude« und »Vale« findet eine Art Vorimitation des Choralabschnitts in den anderen Stimmen statt (siehe Notenbeispiel 37).
Notenbeispiel 37: Ave regina celorum: MM 77 – 81
22 »Erbarme Dich Deines sterbenden Dufay / auf dass er nicht hinabstürze in das Höllenfeuer für die Sünder. / Erbarme Dich, Mutter des Herrn, / damit die Pforte des Himmels für den Kraftlosen offen steht. / Erbarme Dich Dufays, der [zu Dir] fleht / und bei Deinem Anblick möge sein Tod schön sein. / Damit wir in der Höhe nicht verdammt werden, erbarme Dich unser / und steh [uns] bei, damit in der Todesstunde / unsere Herzen würdig sind.«
Werke mit cantus firmus
241
Der letzte Teil ist nicht nur kürzer als die beiden vorangehenden; er führt zudem die Stimmen durch die kurzzeitige Rückkehr zur ternären rhythmischen Organisation zum Höhepunkt am Ende der Komposition. Auch die tropierten Abschnitte, die nach jeweils zwei Zeilen der Antiphon in den Oberstimmen einsetzen, stehen musikalisch in enger Verbindung zur Choralmelodie (siehe Notenbeispiel 38).
Notenbeispiel 38: Ave regina celorum: MM 21 – 23
Zudem finden sich hier Imitationen zwischen den Stimmen, die – anders als in den Vorimitationen der auf dem Choral basierenden Abschnitte – von der Choralmelodie unabhängig sind (siehe Notenbeispiel 39).
Notenbeispiel 39: Ave regina celorum: MM 86 – 92
Klauseln fallen fast ausschließlich auf die finalis; in den satztechnisch komplexeren Abschnitten treten sie insgesamt seltener auf.
242
e.
Guillaume Dufays Werke
Werke ohne cantus firmus
Neben den zahlreichen Vertonungen von Marienantiphon mit cantus firmus ist nur eine Komposition ohne cantus firmus überliefert. Ave regina celorum (1) Diese Vertonung23 der Marienantiphon Ave regina celorum entstand vermutlich Mitte der 1420er Jahre.24 Sie ist fast durchgängig homophon und syllabisch gesetzt. Nur das einleitende »Ave« sowie die Worte »Christum« und »Alleluia« am Ende der Komposition sind melismatisch vertont. Alle drei Stimmen sind textiert; durch den überwiegend homophonen Satz ist eine gute Textverständlichkeit gewährleistet. Die Phrasierung richtet sich in allen Stimmen nach dem Text; alle Phrasen schließen mit einer Klausel. Diese Klauseln fallen zumeist auf die finalis, sind aber ansonsten harmonisch weit gestreut. Fast alle Akkorde im Satz enthalten eine Terz; vor Klauseln finden sich öfters kurze Abschnitte im Fauxbourdonsatz. Da dem Satz keine Choralmelodie zugrunde liegt, bestimmt der Tenor – selten der Contratenor – als tiefste Stimme die Abfolge der Klänge in der Komposition.
f.
Zusammenfassung
Anders als bei den im vorhergehenden Kapitel besprochenen Komponisten auf dem europäischen Festland nehmen die Vertonungen liturgischer Texte mit oder ohne Verwendung der dazugehörigen Melodie einen breiten Raum im Werk Dufays ein. Die Werke mit Marienbezug, die datiert werden können, entstanden fast ausschließlich in Cambrai. So liegt die Vermutung nahe, dass dort die Marienverehrung schon etabliert war, während sie in Italien erst später Fuß fasste. In der Gliederung der Werke steht Dufay den englischen Komponisten näher als den kontinentalen, denn bei den Werken mit cantus firmus sowohl der englischen Komponisten als auch Dufays richtet sich die Struktur der Kompositionen nach dem Text. Auch die Mittel, die eingesetzt werden, um diese Strukturen in der Musik zu verdeutlichen, nämlich Mensurwechsel und Stimmreduktion, sind die gleichen.25 So entsteht – orientiert an der Struktur des Textes – zum Beispiel in den Vertonungen der Antiphon Ave regina celorum 23 Compositiones liturgicae minores (s. Anm. 14), S. 120. 24 Gülke, Guillaume Dufay (s. Anm. 1), S. 393. 25 Anklänge an den englischen Stil in Dufays Kompositionen führen immer wieder zu Problemen in der Zuschreibung von Werken. Vgl. Peter Wright, Englishness in a Kyrie (Mis) attributed to Du Fay, in: Essays on the History of English Music in Honour of John Caldwell, hrsg. von Emma Hornby und David Maw, Woodbridge 2010, S. 185 – 214.
Zusammenfassung
243
generell eine Einteilung der acht Verse in 4+3+1 Verse. Die Binnenstrukturen sind jedoch in jeder Komposition anders gestaltet. Klauseln sind in den Vertonungen mit cantus firmus – wie in den englischen Werken – sehr gezielt gesetzt und fallen fast ausschließlich auf die finalis, selten auf die Quint. In der cantus firmus-freien Vertonung des Ave regina-Textes sind Klauseln harmonisch weiter gestreut, fallen jedoch auch hier am häufigsten auf die finalis. Dufays Komposition der Antiphon Ave regina mit dem cantus firmus im Tenor ist mit keiner englischen Vertonung dieser Antiphon vergleichbar. Der Text ist durch die Tropierung nicht mehr in allen Stimmen identisch und der Satz äußerst kunstvoll. Vermutlich gab hier der Anlass den Ausschlag für die ungewöhnliche Art der Vertonung. Ganz anders ist die Komposition derselben Antiphon ohne cantus firmus gestaltet: Der Satz ist fast durchgehend homophon und konsonant und gleicht darin den englischen Vertonungen im Cantilena-Stil. Im Schaffen Dufays liegt der cantus firmus, wenn er vorhanden ist, im Diskant oder Tenor. So scheinen sich Merkmale der Motette – cantus firmus im Tenor – mit denen des Cantilena-Stils – ein Text in allen Stimmen – zu vermengen. Zudem liegt der melodische Schwerpunkt des Satzes bei Dufays Werken wie bei denen Dunstaples immer in der obersten Stimme, während die unteren eher begleitend agieren. Die Stellung der Vertonungen von gregorianischen Chorälen im Schaffen von Dunstaple und Dufay ist ähnlich: Bei beiden Komponisten stellen sie neben Messen und Motetten den dritten Schwerpunkt der geistlichen Musik. In Dunstaples Werk sind ein Großteil der Motetten und Kompositionen mit cantus firmus liturgisch Marienfeiertagen zuzuordnen, der Anteil bei Dufay ist nicht so hoch. Bei Dufay finden sich aber auch in anderen Bereichen Bezüge zu Maria. Zumindest eine Messe über die Marienantiphon Ave regina celorum und eine isorhythmische Motette mit Bezug zu einem Marienfeiertag sind überliefert. Beide Kompositionen zeigen in ihrer Gliederung und in der Funktion der vierten Stimme, die mit dem Tenor zusammen die Abfolge der Zusammenklänge regelt, deutliche Ähnlichkeiten zu englischen Kompositionen. Die Motette Fulgens iubar ecclesie / Puerpera pura parens / Virgo post partum stellt aufgrund der Entsprechungen mit Dunstaples rigidem Schema für isorythmische Motetten und der beiden Tenorstimmen, die sich wie in Dunstaples Motette Salve schema sanctitatis / Salve salus servulorum / Cantant celi agmina ergänzen, eine direkte imitatio oder emulatio dar. Messe und Motette über die Antiphon Ave regina celorum dagegen zeigen das kompositorische Vermächtnis des Komponisten, da sie spät in Dufays Schaffen entstanden und viele Verweise auf eigene Werke enthalten. In diesen Werken greift Dufay Kompositionstechniken beider Regionen auf und verbindet sie miteinander.
Schlussbemerkungen
Kehren wir zu den anfangs thematisierten Fragen zurück. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildete die Entstehung eines neuen Stils in der Musik des 15. Jahrhunderts, dessen Ursprung in historischen und theoretischen Quellen nach England gelegt wird. Gleichzeitig mit der Übernahme englischer Merkmale in der Musik des neuen Stils breiteten sich von Italien die Ideen des Humanismus in ganz Europa aus. Beide Entwicklungen sind jedoch in der Musik schwer fassbar ; im weitesten Sinne stehen sie im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Musik als Klang sowie mit der räumlichen und zeitlichen Abgrenzung des neuen Stils. Die Musik, die von den Zeitgenossen auf dem Kontinent als etwas Besonderes wahrgenommen wurde, entstand im Zentrum der Macht in England, da John Dunstaple, wenngleich nie an der Chapel Royal, so doch an den Höfen der Herzöge von Bedford und Gloucester tätig war. Seine Dienstherren gehörten zum engsten Umkreis der königlichen Familie und pflegten Beziehungen zum europäischen Festland: Der Herzog von Bedford hielt sich, da er nach dem Tode Heinrichs V. Regent von Frankreich war, oft dort auf; der Herzog von Gloucester dagegen unterhielt Verbindungen nach Italien, um seine Bibliothek mit aktueller Literatur zu bestücken. Die politische Stellung der Herzöge erforderte zudem ein hohes Maß an diplomatischer und kultureller Repräsentation: Hier zeigen sich erste Verbindungen zwischen den Auslandskontakten der Herzöge und dem Einsatz von Musik. Das Musikleben in England war ausgesprochen rege. Polyphonie wurde – auch im 15. Jahrhundert teils improvisiert – an den Klöstern außerhalb des monastischen Ritus sowie an höfischen Kapellen und später an Kathedralen und Universitäten gesungen. Die zwar oft nur fragmentarisch überlieferten englischen Quellen zeigen die für die Insel spezifischen Kompositionstechniken wie Diskantsatz und Rondellus, die teils aus der improvisierten Mehrstimmigkeit entwickelt wurden sowie Gattungen, die aus Frankreich übernommen wurden, wie zum Beispiel die isorhythmische Motette. Die Aneignung dieser Gattungen ist aufgrund der politischen Nähe zu Frankreich nicht verwunderlich. Zudem
246
Schlussbemerkungen
sind etliche geistliche Werke französischen Ursprungs in englischen Quellen überliefert und Sammlungen französischer Chansons befanden sich zumindest zeitweise in Bedfords Besitz. Die politische Stellung Bedfords und Gloucesters mit ihrer diplomatischen Tätigkeit drückte sich auf der kulturellen Ebene durch die Förderung von Kunst, insbesondere aber von Literatur aus. Gerade in den Bibliotheken spiegeln sich die Interessen der Herzöge deutlich wider : Bedfords Bibliothek war durch den Kauf der Bibliothek Karls VI. ganz auf Quantität des Bestands angelegt und enthielt nur wenige vom Humanismus beeinflusste neue Werke oder Übersetzungen. Er förderte eher die bildende Kunst und erteilte Künstlern Aufträge für Gebäude, Geschirr und auch kunstvoll ausgestattete Handschriften, die dann privat oder öffentlich am Hof genutzt wurden. Seine Kunstförderung war somit zentralisiert und am burgundischen Vorbild orientiert. Gloucester dagegen hielt seine Bibliothek durch Verbindungen nach Italien auf dem neuesten Stand und gab selbst Übersetzungen und Abschriften in Auftrag. Besonders an seinem Hof wurden die humanistischen Strömungen aus Italien aufgenommen und in England weiterverbreitet. Er förderte eher das Wissen an sich, das sich dann in den Büchern seiner Bibliothek widerspiegelt. Seine Kunstförderung war damit dezentral organisiert und eher an italienischen Vorbildern orientiert. Auch bei der Organisation der Kunstförderung unterscheiden sich die beiden Höfe deutlich: Bedford diente der burgundische Hof zum Vorbild; er band die Künstler eng an den Hof. Gloucester dagegen eiferte den italienischen Höfen wie demjenigen Leonello d’Estes in Ferrara nach, indem er als Mäzen Aufträge an Künstler in ganz Europa vergab. Dunstaples Kompositionen sind in beiden dieser Systeme schwer zu verorten, da er an keinem Hof direkt an der Kapelle tätig war. Lediglich während seiner Anstellung an den Höfen von Johanna und Gloucester kann von einer Bezahlung seiner Kompositionen im Sinne von Auftragswerken für einen Mäzen ausgegangen werden. Anhand der Bibliotheken konnten neben den kulturellen Verbindungen nach Frankreich und Italien auch die Verbreitungswege, speziell von Büchern, von Italien nach England rekonstruiert werden. Besonders in der Bibliothek Gloucesters befanden sich neben neuen Übersetzungen klassischer Autoren auch etliche Werke der zeitgenössischen italienischen Humanisten. Durch den Kauf dieser Bücher für seine Bibliothek verfügte Gloucester über direkte Kontakte in die Zentren des italienischen Humanismus Venedig, Verona und Florenz sowie zu den führenden Humanisten Guarino und Vittorino da Feltre. Verbindungen über Dritte wie Pier Candido Decembrio führten zudem an die Höfe von Savoyen und Ferrara, die in der Förderung von Musik besonders aktiv waren, und für die auch Dufay tätig war. Auf ähnlichen Wegen können auch Musikhandschriften nach Italien gelangt sein, denn Mitglieder der Netzwerke um Bedford und Gloucester nahmen an den Friedensverhandlungen zwischen
Schlussbemerkungen
247
Frankreich und England sowie an den Konzilen teil und hatten so die Möglichkeit, Musik auszutauschen. Einige prominente Beispiele bilden der Bischof von Lodi, der auf dem Konzil von Basel anwesend war und im Zusammenhang mit den Friedensbemühungen des Konzils mehrere diplomatische Reisen nach England unternahm, sowie der Bischof von Rouen, Zanone Castiglione, der als Vertreter des von England besetzten Teils Frankreichs am Konzil von Basel teilnahm und zudem italienische Autoren in Gloucesters Förderung vermittelte, und schließlich Enea Silvio Piccolomini, der sowohl am Kongress von Arras als auch am Konzil von Basel teilnahm. Zudem reisten Vertreter der Kurie und andere Diplomaten sowie Humanisten und Studenten häufig zwischen England und Italien. Als Umschlagplätze von Musik kristallisieren sich somit neben zahlreichen anderen Friedensverhandlungen und Konzilen besonders der Kongress von Arras und das Konzil von Basel heraus. Zwar wird die Beschreibung der englischen Musik auf dem Konzil von Konstanz, die der Chronist Ulrich Richenthal gibt, oft als Beleg für einen Austausch von Kompositionen genannt, doch boten die Konzile von Pavia/Siena und Basel dafür mehr Gelegenheit, besonders für Personen im Umfeld der Höfe, an denen Dunstaple tätig war. An ersterem nahm der Abt von St. Albans, John Whethamstede teil, während im Umkreis des letzteren vermutlich die Handschrift Aosta entstand. Diese Verbreitungswege werden somit durch Befunde in den musikalischen Quellen gestützt. Einige der vier wichtigsten Quellen des 15. Jahrhunderts entstanden in einem humanistisch geprägten Umfeld: Die Handschrift Aosta wurde vermutlich für die Kapelle des Herzogs von Savoyen zusammengestellt. Sie wird in Verbindung mit dem Konzil von Basel und der Krönungsfahrt Friedrichs III. gebracht. An dessen Hof war auch Johannes Lupi, der die Trienter Codices kompilierte. Die Quellen Aosta und Trient weisen denn auch etliche Konkordanzen auf. Die Handschrift Modena B dagegen entstand an einen anderen Hof, zu dem die Kontakte Gloucesters führen, am Hof Leonello d’Estes in Ferrara. Der Einfluss eines humanistischen Kontextes zeigt sich zudem in der Anlage der Handschriften. Die in ihnen gesammelten Werke sind nach bestimmten Ordnungskriterien notiert, und zwar nach Gattung und Herkunft. Bei der Gattung Messe wurden zunächst jeweils gleiche Messensätze zusammengruppiert, auch wenn sie mit einem anderen Messensatz ein Paar bilden oder zu einem Messzyklus gehören. Erst in den späteren Quellen wurden Messensatzpaare und Messzyklen auf den ersten Seiten der Handschrift fortlaufend aufgeschrieben. Auch Werke, die in England entstanden, wurden zumeist in Paaren oder größeren Gruppen notiert. Dies ist einerseits durch die Verbreitung von Musik in kleineren Sammlungen bedingt, andererseits zeigt die Zusammenstellung englischer Werke zu in sich geschlossenen Abschnitten innerhalb der Handschriften, wie es in den Quellen Aosta und Modena B der Fall ist, dass englische Musik eine Sonderstellung unter den Kompositionen einnahm und von den Kompi-
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Schlussbemerkungen
latoren als etwas Besonderes wahrgenommen wurde. Teilweise scheint die Einordnung als englisches Werk von den Kompilatoren auch an der Marienthematik und der damit verbundenen Gattung der Marienantiphon festgemacht zu sein, denn Marienantiphone waren schon im 15. Jahrhundert in England weit verbreitet. Die Quellen zeigen somit eine parallele Entwicklung in ihren Ordnungskriterien: Einerseits werden zunehmend Messensätze mit gleichem cantus firmus zusammen notiert, andererseits wird auch nach der Herkunft der Kompositionen gegliedert. Die Handschriften wurden also sowohl mit Blick auf die liturgische Funktion als auch auf den Entstehungsort zusammengestellt; die Kompilatoren scheinen mit der Kombination dieser Kriterien auch den Kompositionsstil im Auge zu haben. Diese Sonderstellung der englischen Musik stellt sich auch in den historischen und musiktheoretischen Schriften dar. Die historischen Zeugnisse beschreiben allerdings weniger den Kompositionsstil als den besonderen Klang der englischen Musik. Viele sprechen von ihrer Süße und ihrem Wohlklang; dabei bleibt allerdings offen, ob es sich um Merkmale der Ausführung oder der Komposition handelt. Martin LeFranc nennt zwar einige kompositionstechnische Merkmale der contenance angloise, die von kontinentaleuropäischen Komponisten der nächsten Generation aufgenommen wurden, doch ist die Bedeutung der von ihm gewählten Termini nicht geklärt. Wie Johannes Tinctoris hebt er aber den Wohlklang der Werke hervor, die nach dem Vorbild der englischen Kompositionen entstanden. Beide beschreiben also die englische Musik indirekt, über ihre Verarbeitung im neuen Stil, doch bleibt dabei offen, welche kompositionstechnischen Merkmale dabei von den europäischen Komponisten übernommen wurden. Beiden gemein sind das Hervorheben des Klangs der englischen Musik und das Denken in Komponistengenerationen. In diesen Aspekten ihrer Argumentation zeigt sich eine neue, von der mittelalterlichen Theorie abweichende Auffassung von Musik. In der Einteilung der Komponisten in Generationen spiegeln sich vom Humanismus geprägte Konzepte der imitatio und emulatio wider, die von Tinctoris explizit auf die Musik übertragen werden. Zudem werden die Intervalle bei ihm nicht mehr nur über Proportionen als konsonant oder dissonant klassifiziert, sondern die Wahrnehmung über das Ohr wird als Maßstab herangezogen. Zwar wird der durch das Mittelalter tradierte Einfluss der Musik auf den Menschen auch bei Tinctoris anekdotisch wiedergegeben, doch plädiert er außerdem für ihren Einsatz zur Bildung des Charakters nach humanistischen Idealen. Die Wirkung der Musik auf den Menschen und damit ihre Wahrnehmung als Klang war schon in der Antike verbreitet und wird von den humanistisch gebildeten Musiktheoretikern des 15. Jahrhunderts wieder vermehrt aufgegriffen. Die Beschreibungen der englischen Musik in den historischen Quellen und des neuen Stils bei Tinctoris
Schlussbemerkungen
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beruhen somit auf der gleichen Basis wie die humanistische Auffassung von Musik. Die Ideen der Humanisten, wie deren Auffassung der Musik als Klang und ihr bewusster Einsatz zur Charakterbildung, gelangten auch nach England. Besonders von Pier Candido Decembrio und Pietro del Monte wurden sie in den Kreis der Humanisten am Hof Gloucesters getragen. Auch Dunstaple hatte somit Zugang zu diesem Gedankengut, zumal er kein Kleriker und daher vielleicht eher an Verbindungen zum Kontinent und an humanistischen Ideen interessiert war. Eine direkte Verbindung zwischen den humanistischen Ideen und der englischen Musik stellt Dunstaples Motette Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus domini laudans mit einem Text in Hexametern von John Whethamstede dar. Doch zeigt sich die Verarbeitung dieser Ideen nicht im WortTon-Verhältnis, sondern vielmehr in den musikimmanenten Parametern wie der Gliederung durch stimmreduzierte Passagen und dem nicht nur durch den Tenor bestimmten, harmonischen Zusammenhalt der Komposition. Zudem orientiert sich die isorhythmische Struktur an der Form des Textes in der mittleren Stimme, die Phrasierung und Klauselbildung jedoch nach den Sinneinheiten des Textes in der obersten Stimme. Dadurch wird sowohl die isorhythmische Anlage der Komposition durch den Text bestimmt, als auch der unmittelbar hörbare Ablauf. Die Übertragung geistesgeschichtlicher Ideen wie des Humanismus auf die Musik ist in der musikwissenschaftlichen Forschung allerdings umstritten. Erst im 16. Jahrhundert lässt sich der Einfluss des Humanismus anhand metrisch genauer Vertonungen von Texten in klassischen Metren nachweisen. Werkübergreifende Konzepte der emulatio oder imitatio finden sich jedoch auch schon im 15. Jahrhundert. Ähnlich ungewiss ist die Deutung der contenance angloise. Die gängigen Interpretationen reichen von aufführungspraktischen bis zu kompositionstechnischen Aspekten. In Dunstaples Kompositionen mit Bezug zu Marienfeiertagen finden sich allerdings ganz ähnliche Merkmale wie in der Motette Albanus roseo rutilat. Diese Merkmale sind demnach nicht abhängig von der Vertonung eines Textes aus humanistisch geprägtem Umfeld. Zudem unterscheidet sich auch der Kompositionsstil der untersuchten Gattungen, wie isorhythmische Motetten und Antiphonvertonungen mit oder ohne cantus firmus, nicht wesentlich voneinander. Die Merkmale sind also nicht spezifisch für eine bestimmte Kompositionstechnik. Doch lassen die isorhythmischen Motetten zu Marienfeiertagen, anders als die Motette Albanus roseo rutilat, neben der isorhythmischen Struktur und der Oberflächengliederung der Komposition durch Phrasierung und Klauseln auch das liturgische Motto der Motette hörbar werden, da die verschiedenen Texte an einigen Stellen gezielt aufeinander abgestimmt sind. Besonders die Verwendung von Duetten in der extrem schematisierten iso-
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Schlussbemerkungen
hythmischen Struktur deutet auf einen ausgeprägten Personalstil Dunstaples hin. Dieser ist zudem von kontinentalen Kompositionstechniken geprägt, denn Dunstaple schreibt – zumindest in den untersuchten Kompositionen – nicht im englischen Diskantsatz, so dass die Abfolge der Zusammenklänge nicht allein vom Tenor, und damit vom cantus firmus, abhängig ist. Doch die englischen Kompositionen und Dunstaples Werke weisen neben der Marienthematik und der Gattung der Antiphonvertonung mit nur einem Text deutlich einheitliche kompositionstechnische Merkmale auf. Dabei zeigen sich die Merkmale in Dunstaples Werken in reiner Ausprägung; bei seinen englischen Zeitgenossen finden sich dagegen mehr Varianten. Englische Kompositionen werden durch Duette und Mensurwechsel gegliedert. Mit der wechselnden Anzahl der Stimmen gehen Unterschiede im Dissonanzgrad einher, da die Duette meist pankonsonant sind und in den dreistimmigen Abschnitten Dissonanzen kontrolliert eingesetzt werden. Bei den isorhythmischen Motetten wird so der zugrunde liegende Aufbau hörbar, der hinsichtlich des Verhältnisses von color und talea und der Proportionen einem einheitlichen Schema folgt. Der melodische Schwerpunkt – in den Antiphonvertonungen oft der cantus firmus – liegt in der obersten Stimme, die auch durch ihren Ambitus von den restlichen Stimmen abgesetzt ist. Über weite Strecken vieler Kompositionen kreuzt die mittlere Stimme im dreistimmigen Satz den Tenor, so dass in cantus firmusgebundenen Kompositionen die Abfolge der Zusammenklänge unabhängig von der Choralmelodie verläuft. Dadurch können Klauseln häufig und auf immer wiederkehrende Tonstufen gesetzt werden. Auf diese Art entstehen wohlklingende Kompositionen, deren Aufbau durch eine hörbare Gliederung nachzuvollziehen ist. In den Antiphonvertonungen ist zudem auch die Textverständlichkeit gewährleistet, da jeweils nur ein Text vertont wird. Ebenso kann die Choralmelodie, wenn sie in der obersten Stimme liegt, gut wahrgenommen werden. Neben diesen Merkmalen, die mit denen in Dunstaples Kompositionen weitgehend übereinstimmen, zeigen etliche in England entstandene Kompositionen deutliche Unterschiede zu dessen Kompositionsstil: Manche der Antiphonvertonungen sind im Diskantsatz geschrieben und einige isorhythmische Motetten entstanden für bestimmte politische Anlässe. Während dies für Dunstaples isorhythmische Motetten nur vermutet werden kann, können die Anlässe in anderen englischen Motetten aus den Texten erschlossen werden. Somit weisen die Diskrepanzen mit Dunstaples Kompositionsstil in zwei unterschiedliche Richtungen: Zwar verwenden einige Antiphonvertonungen mit dem Diskantsatz eine typisch englische Kompositionstechnik, der Hinweis auf ein politisches Ereignis in den Texten der isorhythmischen Motetten gleicht dagegen der gängigen Praxis auf dem europäischen Festland. Hier zeigt sich ein
Schlussbemerkungen
251
weiterer Beleg für die Einordnung von Marienantiphonen als englische Kompositionen in den Quellen des frühen 15. Jahrhunderts. Ganz anders stellen sich die Kompositionen dar, die auf dem Kontinent entstanden: Hier gab es bis Ende des 15. Jahrhunderts fast keine Antiphonvertonungen, da die Marienverehrung bei weitem nicht so ausgeprägt war wie in England. Zudem entstehen die isorythmischen Motetten meist für spezielle liturgische oder politische Anlässe und somit für einen anderen Kontext als die isorhythmischen Motetten Dunstaples. Der Aufbau jeder dieser Motetten ist daher individuell gestaltet. Lediglich Johannes Tapissiers Motette wird durch Duette gegliedert, die jedoch nicht pankonsonant sind. Dadurch ist ein Wechsel im Dissonanzgrad des Satzes zwischen zwei- und vierstimmigen Passagen nicht möglich. Da selbst im vierstimmigen Satz die Zusammenklänge – außer in den Motetten von Johannes Cesaris und Johannes Brassart – vom cantus firmustragenden Tenor bestimmt werden, entstehen insgesamt weniger Klauseln, die aber harmonisch weiter gestreut sind als in den englischen Werken. Der Gesamtklang der Kompositionen ist harscher und die isorhythmische Struktur wird nicht durch hörbare Parameter in der Musik sofort nachvollziehbar. Auch die Textverständlichkeit ist aufgrund der Mehrtextigkeit nicht gewährleistet. Allerdings werden zum Beispiel in der Motette von Johannes Franchois kunstvollere Satztechniken wie Imitation, Kanon und Stimmtausch eingesetzt. Die Merkmale der englischen Kompositionen werden demnach zwar vereinzelt übernommen, jedoch bei weitem nicht alle von allen Komponisten. Die Befunde der Analysen widersprechen damit zumindest in Teilen den Aussagen von Le Franc und Tinctoris, die Guillaume Dufay als den ersten Komponisten des neuen Stils darstellen, denn vor diesem übernahmen schon einige andere Komponisten des europäischen Festlands einzelne Merkmale der englischen Musik. Doch erst in Dufays Werken finden sich die englischen Kompositionstechniken gehäuft wieder : Die Kompositionen sind durch Mensurwechsel und Duette klar gegliedert. Durch die konsequente Führung der vierten Stimme unter dem Tenor können die Klauseln häufig und auf wenige verschiedene Tonstufen gesetzt werden. Besonders auffällig sind die Verbindungen zu Dunstaples Kompositionsstil in der Motette Fulgens iubar / Puerpera pura parens / Virgo post partum: In ihr ergänzen sich die beiden Tenöre ähnlich wie in Dunstaples Motette Salve schema sanctitatis / Salve salus servulorum / Cantant celi agmina; zudem ist sie in der Handschrift Modena B zwischen den englischen Motetten notiert. Erst mit Dufays Werken setzt auf dem Kontinent die Vertonung – mit und ohne cantus firmus – von Antiphonen mit nur einem Text ein. In seinen Kompositionen verbindet er die kunstvolleren Satztechniken der europäischen Komponisten mit den Merkmalen der englischen Musik. Dabei stellen besonders die Messe und Motette über die Antiphon Ave regina celorum ein Kompendium seines kompositionstechnischen Könnens dar.
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Schlussbemerkungen
Genau hierin zeigt sich der neue Stil, die contenance angloise, dessen wesentliche Eigenschaften sich auf die englischen Kompositionen zurückführen lassen. Übernommen wurden gerade diejenigen Merkmale, welche die Musik im Hören verständlich machen, wie die Gliederung durch Duette, der harmonische Zusammenhang durch gezielt gesetzte Klauseln und die Textverständlichkeit durch die Verwendung nur eines Textes. Kombiniert mit Kanon- und Imitationstechniken entstehen die kunstvollen, aber doch durch hörbare Strukturen nachvollziehbaren Kompositionen im neuen Stil. Nicht nur basiert damit die Kompositionstechnik, die bereits ins 16. Jahrhundert verweist, auf der humanistischen Auffassung von Musik als Klang, sondern es stehen auch die Bezüge innerhalb Dufays Werk sowie zwischen seiner Motette Fulgens iubar / Puerpera pura parens / Virgo post partum und Dunstaples Motetten den humanistischen Konzepten von imitatio und emulatio nahe.
Anhang
Anhang 1: Werke englischer Komponisten in kontinentalen Quellen In den Listen sind unter den Anonyma alle jemals für englisch erklärten Kompositionen genannt. Kriterien, die ein Werk als englisch identifizieren, sind bestimmte melodische Figuren und stilistische Merkmale sowie die Gruppierung zwischen anderen, eindeutig englischen Kompositionen. Die in den Handschriften vermerkten Komponistennamen sind in originaler Schreibweise wiedergegeben; Zuschreibungen durch Konkordanzen wurden in der heute üblichen Schreibweise in eckigen Klammern ergänzt. Die Listen der Werke englischer Komponisten und die Zuordnung von Anonyma folgt Charles Hamm, A Catalogue of Anonymous English Music in 15th Century Continental Manuscripts, in: MD 22 (1968), S. 47 – 76; sowie Gareth Curtis und Andrew Wathey, Fifteenth-Century English Liturgical Music: A List of Surviving Repertory, in: RMA Research Chronicle 27 (1994), S. 1 – 69.
a.
Aosta
Die Aufteilung der Handschrift in vier Teile unterschiedlicher Entstehung folgt Marian Willner Cobin, The Aosta Manuscript: A Central Source of Early 15th Century Sacred Polyphony, 2 Bd., Dissertation, New York 1978, S. 4 – 20. Die Liste der Werke englischer Komponisten in der Handschrift Aosta entstand nach: Guillaume DeVan, A recently discovered Source of early fifteenth century polyphonic music, in: MD 2 (1948), S. 5 – 74.
254
Anhang
Aosta II Komponist Dunstable [/ Power] Dunstapell [/ Power] Dunstapell
Dunstapell [Anglicanus] Knyff [?] Jo. Dunstapell Dunstapell
Werk Gloria [Missa Rex seculorum] Gloria [Missa Rex seculorum] Gloria Gloria [Missa Iacet Granum] Gloria Gloria Credo Credo Credo Credo Sanctus Sanctus Sancta Maria virgo
Folio 39v – 40r 072v – 074r 078v – 080r 082v – 084r 084v – 086r 087v – 089r 135v – 138r 138v – 140r 140v – 143r 142v – 144r 145v – 146v 152v – 154r 158v
Fasz. 04 06 07 07 07 08 12 12 12 12 12 13 13
Werk Beata viscera Beata viscera Kyrie Kyrie Beata Dei genetrix Credo [Gloria-Credo]
Folio 010r 010v 011v – 12r 012v 167v – 168r 176v – 179r
Fasz. 01 01 01 01 14 15
Agnus Sanctus Alma redemptoris mater Quam pulcra es Regina celi letare Descendi in ortum meum Sanctus [Missa]
181r 183r 187v – 188r 188v – 189r 191v – 193r 193v – 194r 194v – 195r
15 16 16 16 16 16 17
Ave regina celorum Alma redemptoris mater Sancta Maria succurre miseris Gloria Spiritus et alme Gloria Agnus Salve regina
195v – 196r 196v – 197r 197v – 198r
17 17 17
198v – 201r 201v – 202v 203r 203v – 206r
17 17 17 17
Aosta III Komponist Leonell Leonell Bynchoys [/ Dunstaple] Anglicus [/ Bodoil / Binchois]
[Power / Dunstaple] Dunstapell Dunstaple Bennet [/ Dunstaple / Power] [Power] [Forest] [Dunstaple] [Dunstaple]
[Dunstaple / Power]
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Werke englischer Komponisten in kontinentalen Quellen
(Fortsetzung) Komponist Bennet [/ Dunstaple / Power] Bennet [/ Power] Leonelle [/ Dunstaple]
[Dunstaple] Leonell Dunstapell Leonell Dunstapell [Power] [Byttering] [Power] Blome Soursby [?] Soursby Soursby [?] Neweland [Power]
Werk Gloria-Agnus [Missa]
Folio 207r – 210r
Fasz. 18
Gloria Alma redemptoris mater Sanctus [Missa Iacet granum] Agnus Sub tuam protectionem Missa Alma redemptoris mater [ohne Kyrie] Credo-Sanctus [Missa Da gaudiorum premia] Gloria Credo Gloria-Credo Credo Credo Gloria Agnus [Sanctus-Agnus] Gloria Sanctus Sanctus-Agnus Sanctus Agnus Sanctus Sanctus Sanctus [Sanctus-Agnus]
210v – 212r 212v – 214r 214v – 216r
18 18 18
216v – 217r 217v – 218r 219v – 226r
18 18 19
226v – 230r
19
231v – 233r 233v – 234r 234v – 238r 238v – 240r 240v – 242r 242v – 244r 245v – 246r 246v – 248r 248v – 250r 250v – 252r 251v – 253r 253v – 254r 254v – 256r 256v – 257r 257v – 258r
20 20 20 20 20 20 21 21 21 21 21 21 21 21 21
Aosta IV Komponist
Jo. Dunstapell [Dunstaple / Power] [Dunstaple / Binchois]
Werk Gloria Credo Nesciens mater Veni sancte Spiritus / Veni creator Spiritus Gloria Beata mater
Folio 270v – 271r 271v – 273r 273v – 274r 276v – 279r
Fasz. 23 23 23 24
279v – 280r 280v – 281r
24 24
256 b.
Anhang
Trient
Die Liste der Werke englischer Komponisten in den Trienter Codices 87i/92ii und 92i entstand nach: Guido Adler und Oswald Koller, Thematisches Verzeichnis der sechs Trienter Codices, in: DTÖ VII/14 (1900), S. 31 – 80.
Trient 87i Komponist [Power]
Bloym [Dunstaple]
[Binchois] Dunstable Leonellus [/ Dunstaple / Benet]
[Power / Dunstaple / Benet] [Leonel / Dunstable / Benet]
Dunstable [Forest] [Dunstaple] Johannes Benet Jo. Dumstabl Anglicus [/ Dunstaple]
Binchois [/ Dunstaple] [Pullois]
Werk Missa Alma redemptoris mater [ohne Kyrie] Credo Sanctus-Agnus Sanctus Agnus Agnus Credo Gloria [Missa Iacet Granum] Sanctus Salve regina Credo [Missa] Magnificat Magnificat Kyrie Sanctus [Missa] Sanctus [Sanctus-Agnus] Agnus [Missa] Agnus Agnus Gaude virgo mater Christi Kyrie Ave regina celorum Sancta Maria succurre miseris Kyrie Sanctus Agnus Sanctus [Missa Iacet Granum] Sancta Maria non est tibi Beata Mater Kyrie-Gloria Alma redemptoris Missa
Folio 87: 003v – 008v 87: 009r – 010r 87: 017r – 020r 87: 020v – 021r 87: 021v – 022v 87: 023r – 023v 87: 030v – 031v 87: 031v – 033r 87: 033v – 34r 87: 34v – 36r 87: 37v – 39r 87: 81v – 82v 87: 82v – 84v 87: 89v – 90r 87: 103v – 104r 87: 105r – 105v 87: 106v – 107r 87: 107v – 108r 87: 108r – 108v 87: 121v – 122r 87: 126r 87: 126v – 127r 87: 128v – 129r 87: 130r – 130v 87: 138r – 139r 87: 139v – 140r 87: 141v – 142v 87: 144v – 145r 87: 145v – 146r 87: 146v – 149r 87: 167v – 174r
Werke englischer Komponisten in kontinentalen Quellen
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Trient 92ii Komponist Anglicanum Bloym [?] Bloym Ricardus Markham Dunstaple / Dunstabel Benet Dunstable Leonel [/ Dunstaple] [Power] [Piamor] De Anglia [Dunstaple] [Leonel] Jo. Dunstabl [Dunstaple] Forest [Dunstaple] Dunstable Leonel [/ Dunstaple] Winchois [/ Sandley]
Sorbi Driffelde [Anglicanus] Dunstable [Dunstaple?] [Power / Dunstaple]
Benet [?]
Anglicanum Dunstable [/ Power]
Werk Gloria Gloria Credo Credo Gloria-Credo Jesu Christe Fili Dei Gloria [Missa] O crux gloriosa Alma redemptoris mater Ave regina celorum Quam pulcra es Gaude Dei genitrix Benedicta es celorum Speciosa facta es Mater ora filium Veni sancte Spiritus / Veni creator Spiritus Preco preheminencie / Precursor premittitur / Inter natos mulierum Credo O mire pietas Sancta Maria non est tibi Veni sancte Spiritus / Consolator optime / Sancti Spiritus assit Salve mater salvatoris Virgo prefulgens Agnus Sanctus Sanctus Agnus [Sanctus-Agnus Regnum mundi / Eructavit cor meum] Credo Agnus Sanctus Salve mater salvatoris Sanctus Agnus Sanctus Agnus Sanctus Sancta Maria non est tibi Salve regina Regina celi letare Salve regina
Folio 92: 151v – 152v 92: 153v – 154r 92: 154v – 155v 92: 156v – 158v 92: 159v – 165r 92: 165v – 167v 92: 168v – 169r 92: 169r – 171r 92: 171v – 172r 92: 172v – 173r 92: 173v – 174r 92: 177v – 178r 92: 180v – 181r 92: 181v – 182r 92: 182v – 184r 92: 184v – 186r 92: 188v – 190r 92: 190v – 191r 92: 192v – 193r 92: 193v – 195r 92: 195v 92: 198v – 199r 92: 199v – 200v 92: 200v – 202r 92: 202v – 203v 92: 204r – 205r 92: 207v – 208r 92: 212r – 213r 92: 215r – 215v 92: 220v – 222r 92: 222r – 223r 92: 223v – 224v 92: 225r – 226r 92: 226v – 227r 92: 228r 92: 228v – 229v 92: 230r – 231r 92: 231v – 233v
258
Anhang
Trient 92i Komponist Leonellus [/ Dunstaple] Binchois [/ Dufay / Dunstaple]
Leonellus [/ Dunstaple] Leonellus [/ Benet] Leonellus [/ Dunstaple] Jo. Dunstaple J. Bodoil [/ de Anglia / Binchois] Benet Leonelli [/ Dunstaple] [Dunstaple] Leonel [?] [Dunstaple / Power / Benet] [Power] Forest Anglicanus Jo. Dunstaple Dunstaple [Dunstaple] [Dunstaple] Anglicanus [Forest] Anglicanus [/ Sorbi] [Leonel]
[Dunstaple] [Dunstaple] Jo. Dunstaple [Power]
[Power]
Werk Gloria Magnificat Sanctus [Missa Iacet granum] Gloria [Missa Rex seculorum] Gloria Credo-Sanctus [Missa Rex seculorum] Gloria Spiritus et alme Credo Credo [Gloria-Credo] Sanctus Agnus [Missa Rex seculorum] Ave regina celorum Ave maris stella Sanctus [Missa] Salve sancta parens Tota pulcra es Credo Gloria Credo Sub tuam protectionem Gloria laus et honor Quam pulcra es Credo Alma redemptoris Credo O mire pietas Sanctus Gloria Ave regina celorum O admirabile commercium Regali ex progenie / Sancta Maria virgo Hac clara die / Nova efferens Specialis virgo / Salve sancta parens Sancta Maria succurre miseris Crux fidelis Mater ora filium O sanctissime presul Donatiane / O Christi pietas Regina celi letare
Folio 8v – 9r 17v – 18r, 19v – 21r 18v – 19r 39r – 40r 44v – 45v 46v – 49r 69v – 71r 71v – 73r 79v – 82r 82v – 83r 94v – 95r 96v – 97r 97v 98r 102v 104v – 105r 105v – 106v 106v – 107r 107v – 108v 108v – 109r 110r 110v – 111r 113v – 114r 115v – 116r 127v – 128r 128v – 130r 132v – 133r 133v – 134r 134v – 135r 136v – 137r 137v – 138r 138v – 139r 139v – 140v 140v – 141r 141v – 142r 142v – 143r
259
Werke englischer Komponisten in kontinentalen Quellen
c.
Bologna Q 15
Die Liste der Werke englischer Komponisten in der Handschrift Bologna Q 15 entstand nach: Guillaume DeVan, Inventory of Manuscript Bologna Liceo Musicale, Q 15, in: MD 2 (1948), S. 231 – 257. Komponist Gervaysius de Anglia Johannes Dunstaple Anglicus Jo. Benet Anglicus / Jo. Benet de Anglia H. de Lantins [/ Benet] De Anglia [/ Power] Anglicanum [/ Binchois / Bodoil] Binchois [/ Anglicanus / Bodoil] Dufay [/ Binchois / Dunstaple] [Forest]
De Anglia Leonelle [Binchois / Dunstaple] Leonell Power Dunstaple Leonel Binchois [/ Dunstaple] Dunstaple Dunstaple
d.
Werk Gloria Credo Sanctus-Agnus [Missa] Gloria Credo Gloria Credo [Gloria-Credo] Gloria [Gloria-Credo] Magnificat Alma redemptoris mater / Anima mea Spes nostra salus Benedicta es celorum Descendi in ortum meum Alma redemptoris mater Regina celi letare Salve regina Regina celi letare Ave regina celorum Beata Dei genitrix Sub tuam protectionem Quam pulcra es
Folio 22v – 23r 23v – 24r 24v – 26r 84v – 85r 109v – 110r 158v – 159r 159v – 161r 170v – 171r 183v – 185r 186v 204v – 205r 205v – 206r Interp. 6v – 7r Interp. 7v – 8r 242v – 243r 243v – 245r 276v – 277r 277v – 278r 282v – 283r 283v – 284r 284v – 285r
Modena B
Die Liste der Werke englischer Komponisten in der Handschrift Modena B entstand nach: Charles Hamm und Ann Besser Scott, A Study and Inventory of the Manuscript Modena, Biblioteca Estense, a.x.1.11 (Mod. B), in: MD 26 (1972), S. 101 – 143. Komponist Dunstaple Dufay [/ Binchois / Dunstaple] Leonel
Werk Magnificat Magnificat
Folio 033r – 034v 037r – 038v
Salve regina Gloriose virginis
069r 074r
260
Anhang
Fortsetzung Komponist Dunstaple Dunstaple Dunstaple Dunstaple Dunstaple Leonel [/ Dunstaple] Dunstaple Dunstaple Dunstaple Dunstaple Dunstaple Piamor Forest Dunstaple Dunstaple [/ Forest] Dunstaple Leonel Forest Dunstaple Dunstaple [/ Power] Polumier Dunstaple Stone Stone Polumier Dunstaple Polmier [/ Forest] Leonel Leonel Leonel Leonel Dunstaple Dunstaple Dunstaple
Werk Specialis virgo / Salve sancta parens Quam pulcra es Salve regina Gaude virgo Katherina Ave regina celorum / Ave mater / Ave mundi Salve regina Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus Domini laudens Sancta Dei genitrix Beata Mater Salve regina mater mire Dies dignus decorari / Demon dolens / Iste confessor Quam pulcra es Alma redemptoris mater / Anima mea Christe sanctorum / Tibi Christe Ascendit Christus / Alma redemptoris Crux fidelis Ibo michi ad montem Tota pulcra es Speciosa facta es Alma redemptoris mater Tota pulcra es Ave regina celorum Tota pulcra es Ibo michi ad montem Descendi in ortum meum Veni sancte Spiritus / Veni creator Spiritus Qualis est dilectus Salve sancta parens Mater ora filium Anima mea liquefacta est Quam pulcra es Gloria sanctorum Gaude virgo salutata / Gaude virgo singularis / Virgo mater / Ave gemma Sancta Maria non est tibi similis
Folio 81r 081v – 082r 082v – 084r 084v – 085r 085v – 086r 086v – 088r 088v – 89r 089v – 090v 91r 091v – 092r 092v – 093r 093v – 094r 094v – 095r 95v – 96r 096v – 097r 097v – 098r 098v – 099r 099v – 100Ar 100Av 100Br– 101r 101v – 102r 102v – 103r 103v – 104r 104v – 105r 105v – 106r 106v – 108r 108v – 109r 109v 110r 110v – 111r 111v – 112r 112v – 113r 113v – 114v 115r
261
Werke englischer Komponisten in kontinentalen Quellen
Fortsetzung Komponist Dunstaple Dunstaple [/ Power] Leonel Forest Dunstaple Polumier Dunstaple Jo. Benet Forest Dunstaple Dunstaple Dunstaple Sandley [/ Binchois] Dunstaple [/ Binchois] Dunstaple [/ Power / Binchois] Benet Dunstaple
Werk Sub tuam protectionem Salve mater salvatoris Anima mea liquefacta est Ave regina celorum O crux gloriosa Tota pulcra es Salve scema sanctitatis / Salve salus servulorum / Cantant celi salus Telus purpurium genuit / Splendida flamigero Gaude martyr / Collaudemus / Habitat Deus Oswaldus Preco preheminencie / Precursor premititur / Inter natos mulierum Gaude felix Anna / Gaude mater / Anna parens Veni sancte Spiritus / Consolator optime / Sancti Spiritus assit Virgo prefulgens Beata Dei genitrix Alma redemptoris mater
Folio 115v – 116r 116v – 117r 117v – 118r 118v – 119r 119v – 120r 120v – 121r 123v – 125r
Lux fulget / O pater pietatis / Salve Thoma Sancta Maria succure miseris
135v – 136r
125v – 126r 126v – 127r 127v – 129r 129v – 131r 131v – 132r 132v – 133r 133v – 134r 134v – 135r
136v
262
Anhang
Anhang 2: Konkordanzen englischer Kompositionen in kontinentalen Quellen Die Liste der Konkordanzen wurde erstellt nach: Guido Adler und Oswald Koller, Thematisches Verzeichnis der sechs Trienter Codices, in: DTÖ VII/14 (1900), S. 31 – 80; Gareth Curtis und Andrew Wathey, Fifteenth-Century English Liturgical Music: A List of Surviving Repertory, in: RMA Research Chronicle 27 (1994), S. 1 – 69; Charles Hamm, A Catalogue of Anonymous English Music in 15th Century Continental Manuscripts, in: MD 22 (1968), S. 47 – 76; Charles Hamm und Ann Besser Scott, A Study and Inventory of the Manuscript Modena, Biblioteca Estense, a.x.1.11 (Mod. B), in: MD 26 (1972), S. 101 – 143; Guillaume DeVan, A recently discovered Source of early fifteenth century polyphonic music, in: MD 2 (1948), S. 5 – 74; Guillaume DeVan, Inventory of Manuscript Bologna Liceo Musicale, Q 15, in: MD 2 (1948), S. 231 – 257. Die Namen der Komponisten sind in der heute üblichen Schreibweise aufgeführt.
Power
Dunstaple
Power / Dunstaple / Benet Benet / Power
Dunstaple
Dunstaple
Dunstaple Knyff [?]
Dunstaple
Dunstaple / Power
Power Power
Komponist
Gloria Gloria Gloria Credo Credo Credo Sanctus Sancta Maria Virgo Agnus Sanctus Descendi in ortum meum Gloria Spiritus et alme Gloria Agnus Gloria [Missa] Gloria Agnus Credo-Sanctus [Missa Da gaudiorum premia] Gloria
Werk Beata viscera Beata viscera Kyrie Kyrie Gloria [Missa Rex seculorum]
20: 231v – 233r
Aosta, fasz.: fol. 01: 010r 01: 010v 01: 011v – 12r 01: 012v 04: 039v – 040r, 6: 072v – 074r 07: 078v – 080r 07: 084v – 086r 08: 087v – 89r 12: 135v – 138r 12: 140v – 143r 12: 142v – 144r 13: 152v – 154r 13: 158v 15: 181r 16: 183r 16: 193v – 194r 17: 198v – 201r 17: 201v – 202v 17: 203r 18: 208v – 210r 18: 210v – 212r 18: 216v – 217r 19: 226v – 230r
Trient 87i/92ii
Bol. Q 15
ModB
Konkordanzen englischer Kompositionen in kontinentalen Quellen
263
Bloym
Dunstaple / Power Power
Power
Blome Soursby [?] Soursby Soursby [?] Neweland
Dunstaple Power Byttering
Komponist
Fortsetzung
Werk Credo Gloria-Credo Credo Gloria Gloria Sanctus Sanctus-Agnus Sanctus Agnus Sanctus Sanctus Sanctus [Sanctus-Agnus] Gloria Credo Nesciens mater Gloria Missa Alma redemptoris mater [ohne Kyrie] Credo Sanctus-Agnus Sanctus Agnus
Aosta, fasz.: fol. 20: 233v – 234r 20: 234v – 238r 20: 238v – 240r 20: 242v – 244r 21: 246v – 248r 21: 248v – 250r 21: 250v – 252r 21: 251v – 253r 21: 253v – 254r 21: 254v – 256r 21: 256v – 257r 21: 257v – 258r 23: 270v – 271r 23: 271v – 273r 23: 273v – 274r 24: 279v – 280r 19: 219v – 226r 87: 009r – 010r 87: 017r – 020r 87: 020v – 021r 87: 021v – 022v
87: 003v – 008v
Trient 87i/92ii
Bol. Q 15
ModB
264 Anhang
Pullois Anglicanus
Dunstaple Benet Dunstaple
Power / Dunstaple / Benet Power Power / Dunstaple / Benet
Binchois Power / Dunstaple / Benet
Komponist Dunstaple
Fortsetzung
Kyrie-Gloria Alma redemptoris Missa Gloria
20: 240v – 242r 07: 082v – 084r
Credo Gloria [Missa Iacet Granum] Sanctus Credo [Missa] Magnificat Magnificat Kyrie Sanctus [Missa] Agnus [Sanctus-Agnus] Agnus [Missa] Agnus Gaude virgo mater Christi Kyrie Kyrie Sanctus Sanctus [Missa Iacet granum] Sancta Maria non est tibi 12: 145v – 146v 18: 214v – 216r
17: 194v – 195r 21: 245v – 246r 18: 207r – 208v
Aosta, fasz.: fol.
Werk Agnus
87: 167v – 174r 92: 151v – 152v
Trient 87i/92ii 87: 023r – 023v, 139v – 140r 92: 207v – 208r 87: 030v – 031v 87: 031v – 033r 87: 033v – 34r 87: 037v – 039r 87: 081v – 082v 87: 082v – 084v 87: 089v – 090r 87: 103v – 104r 87: 105r – v 87: 106v – 107r 87: 108r – 108v 87: 121v – 122r 87: 126r 87: 130r – 130v 87: 138r – 139r 87: 141v – 142v 87: 144v – 145r 92: 228r 87: 146v – 149v
Bol. Q 15
ModB
Konkordanzen englischer Kompositionen in kontinentalen Quellen
265
Anglicanus Gervasius de Anglia
Benet [?]
Anglicanus
Driffelde
Soursby
Forest
Benet
Komponist Bloym [?] Bloym Ricardus Markham Dunstaple
Fortsetzung
Werk Gloria Credo Credo Gloria-Credo Jesu Christe Fili Dei Gloria [Missa] Gaude Dei genitrix Credo O mire pietatis Agnus Sanctus Sanctus Agnus Agnus [Sanctus-Agnus Regnum Mundi / Eructavit cor meum] Credo Sanctus Sanctus Agnus Sanctus Agnus Sanctus Salve regina Regina coeli Gloria 12: 138v – 140r
Aosta, fasz.: fol.
92: 204r – 204v 92: 212r – 213r 92: 220v – 222r 92: 222r – 223r 92: 223v – 224v 92: 225r – 226r 92: 226v – 227r 92: 228v – 229v 92: 230r – 231r
92: 165v – 167v 92: 173v – 174r 92: 188v – 190r 92: 198v – 199r 92: 199v – 200v 92: 200v – 202r 87: 107v – 108r 92: 202v – 203v
Trient 87i/92ii 92: 153v – 154r 92: 154v – 155v 92: 156v – 158v 92: 159v – 165r
022v – 023r
Bol. Q 15
ModB
266 Anhang
Salve regina Gloriose virginis Specialis virgo / Salve sancta parens
Quam pulcra es Salve regina
Dunstaple Dunstaple
Werk Credo Sanctus-Agnus [Missa] Gloria Credo Gloria Credo [Gloria-Credo] Gloria [Gloria-Credo] Spes nostra salus Benedicta es celorum Regina celi letare Salve regina Regina celi letare Ave regina celorum Descendi in ortum meum Magnificat Magnificat
Power Dunstaple
Dunstaple Dufay / Binchois / Dunstaple
Power Dunstaple Power
De Anglia
Anglicanus / Bodoil / Binchois Binchois / Anglicanus / Bodoil
Komponist Dunstaple Benet H. de Lantins / Benet De Anglia / Power
Fortsetzung
16: 188v – 189r
16: 191v – 193r 17: 195v – 196r
15: 176v – 179r
Aosta, fasz.: fol.
87: 034v – 036r
92: 17v – 18r, 19v – 21r
92: 171v – 172r
92: 177v – 178r
92: 79v – 82r
Trient 87i/92ii
284v – 285r
183v – 185r
Bol. Q 15 023v – 024r 024v – 026r 084v – 085r 109v – 110r 158v – 159r 159v – 161r 170v – 171r 204v – 205r 205v – 206r 242v – 243r 243v – 254r 276v – 277r 277v – 278r Interp. 6v – 7r
081v – 082r 082v – 84r
069r 074r 081r
033r – 034v 037r – 038v
ModB
Konkordanzen englischer Kompositionen in kontinentalen Quellen
267
Crux fidelis Ibo michi ad montem Tota pulcra es
Speciosa facta es
Dunstaple Dunstaple / Binchois Dunstaple Dunstaple
Dunstaple Power Forest
Dunstaple
Dunstaple / Forest
Dunstaple
Piamor Forest
Dunstaple / Power Dunstaple
Werk Gaude virgo Katherine Ave regina celorum / Ave mater / Ave mundi Salve regina Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus Domini laudens Sancta Dei genitrix Beata mater Salve regina mater mire Dies dignus decorari / Demon dolens / Iste confessor Quam pulcra es Alma redemptoris mater / Anima mea Christe sanctorum / Tibi Christe Ascendit Christus / Alma redemptoris
Komponist Dunstaple Dunstaple
Fortsetzung
17: 196v – 197r
24: 280v – 281r
17: 203v – 206r
Aosta, fasz.: fol.
92: 180v – 181r
92: 104v – 105r
92: 172v – 173r
87: 145v – 146r
92: 231v – 233v
Trient 87i/92ii
186v
Bol. Q 15
097v – 098r 098v – 099r 099v– 100Ar 100Av
096v – 097r
095v – 096r
093v – 094r 094v – 095r
089v – 090v 091r 091v – 92r 092v – 093r
086v – 088r 088v – 089r
ModB 084v – 085r 085v – 086r
268 Anhang
Tota pulcra es Ave regina celorum Tota pulcra es Ibo michi ad montem Descendi in ortum meum Veni Sancte spiritus / Veni creator Spiritus Qualis est dilectus Salve sancta parens Mater ora filium Anima mea liquefacta est
Plummer Dunstaple Stone Stone Plummer Dunstaple
Quam pulcra es Gloria sanctorum Gaude virgo salutata / Gaude virgo singularis / Virgo mater / Ave gemma Sancta Maria non est tibi Sub tuam protectionem Salve mater salvatoris
Anima mea liquefacta est Ave regina celorum O crux gloriosa
Dunstaple Dunstaple Power / Dunstaple
Power Forest Dunstaple
Power Dunstaple Dunstaple
Plummer / Forest Power Power Power
Werk Alma redemptoris mater
Komponist Power / Dunstaple
Fortsetzung
18: 217v – 218r
24: 274v – 275r
Aosta, fasz.: fol. 18: 212v – 214r
87: 126v – 127r 92: 168v – 169r
92: 193v – 195r, 215r – 215v
92: 190v – 191r
92: 102v 92: 181v – 182r
92: 182v – 184r
92: 96v – 97r
Trient 87i/92ii 92: 169r
283v – 284r
Bol. Q 15
117v – 118r 118v – 119r 119v – 120r
115r 115v – 116r 116v – 117r
111v – 112r 112v – 113r 113v – 114v
108v – 109r 109v 110r 110v – 111r
ModB 100Br– 101r 101v – 102r 102v – 103r 103v – 104r 104v – 105r 105v – 106r 106v – 108r
Konkordanzen englischer Kompositionen in kontinentalen Quellen
269
Gaude felix Anna / Gaude mater / Anna parens Veni Sancte Spiritus / Consolator optime Virgo prefulgens Beata Dei genitrix Alma redemptoris mater Lux fulget / O pater pietatis / Salve Thoma Sancta Maria succurre miseris
Dunstaple
Dunstaple
Sandley / Binchois Binchois / Dunstaple Power / Binchois / Dunstaple Benet
Dunstaple
Dunstaple
Forest
Benet
Werk Tota pulcra es Salve scema sanctitatis / Salve salus servulorum / Cantant celi salus Telus purpurium genuit / Splendida flamigero Gaude martyr / Collaudemus / Habitat Deus Oswaldus Preco preheminencie / Precursor premititur / Inter natos mulierum
Komponist Plummer Dunstaple
Fortsetzung
17: 197v – 198r
14: 167v – 168r 16: 187v – 188r
Aosta, fasz.: fol.
87: 128v – 129r
92: 195v
92: 192v – 193r
92: 184v – 186r
Trient 87i/92ii
282v – 283r Interp. 7v – 8r
Bol. Q 15
136v
132v – 133r 133v – 134r 134v – 135r 135v – 136r
131v – 132r
129v – 131r
127v – 129r
126v – 127r
125v – 126r
ModB 120v – 121r 123v – 125r
270 Anhang
Texte und Übersetzungen
271
Anhang 3: Texte und Übersetzungen1 a.
John Dunstaples isorhythmische Motetten
Albanus roseo rutilat / Quoque ferendus eras / Albanus domini laudans TRIPLUM Albanus roseo rutilat semper astra decore, cujus purpureo rubet Anglia cincta cruore, hancque color rubens variat candore genarum et splendor vincens dat luce nitere rosarum, qua specie decor ecclesie signatus habetur et vario sub misterio res clausa tenetur, qui tacite menti magis est quam multa loquenti in requie pura per Christum vota figura. Citius estatis nimium ver temperat estum in populi veniam Albani solvere festum. Sit igitur tanti patris jam festa colamus, omnibus ut magnis meritis ejus non careamus, Martir amande Dei, nos respice te venerantes et miserorum miserere tibi nos conjubilantes. MOTETUS Quoque ferendus eras, properas concede mortem: occupat oppositi fluvium plebs maxima pontem, martirii metuendo moras tunc poplice flexo incumbis precibus; plebs transit et amne reflexo; denique cum rapidus tibi gurgite cesserat amnis, mox oritur fons ante pedes in monte perennis, lictor et huic gladium jaciens dum talia cernit, qui delictus erat te cedere, tangere spernit tantum cervicem, caput amputat ense lanista; sed non insultat qua misera luce cari ista. Spiritus astra petit, caro sub tellure locatur, teque exire terens tibi miles associatur. TENOR Albanus Domini laudans mirabile nomen.
1 Soweit nicht anders angegeben stammen Übersetzungen und Anmerkungen von Karl-Heinz Glowotz.
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Texte und Übersetzungen
TRIPLUM Albanus färbt immer mit rosigem Glanz den Himmel rötlich, Von dessen purpurnem Blut rings bedrängt, errötet England [vor Scham], Und zwar bringt in dieses [England] für das Weiss der Wangen die Farbe Rot eine Veränderung, Und [ihr] helles Leuchten bewirkt siegreich, dass [jene] im Glanz der Rosen schimmern, Wie der Schmuck der Kirche in ihrer äußeren Erscheinung als erkennbar gilt2 Und unter so manchem Geheimnis eine Sache verschlossen gehalten wird, Wie die um Christi Willen aufgeopferte Gestalt in der ungestörten Ruhe des Grabes Für ein stilles Gemüt einen höheren Wert besitzt als für eines, das viel redet.3 Eher mildert der Frühling die übergroße Hitze des Sommers,4 Könnte ich auf den Gedanken kommen,5 ein Volksfest für Albanus aufzugeben. Wohlan denn, so lasst uns hinfort für einen so bedeutenden Vater Feste feiern, So dass wir all seiner großen Verdienste nicht entbehren, Liebenswerter Märtyrer Gottes, nimm uns in deine Obhut, die wir dich verehren, Die wir dir zusammen zujubeln, und erbarme dich [unser], der Elenden. MOTETUS Und wohin du eilen musstest, beschleunigst du, gib es zu, deinen Tod: Es bemächtigt sich auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses eine riesige Volksmenge einer Brücke Als sich dann in der Öffentlichkeit die Befürchtung einerVerzögerung des Martyriums gebildet hat, Wendest du dich Gebeten zu; die Volksmenge geht hinüber und zwar, nachdem der Strom sich zurückgewendet hat; Als schließlich der reißende Strom in einem Strudel vor dir zurückgewichen war, Entspringt alsbald eine nie versiegende Quelle vor [deinen] Füßen auf einem Berg Und6 indem der Henker, während er dergleichen erblickt, diesem das Schwert zuwirft, Der übrig geblieben war, dich zu erschlagen, verschmäht er es, Einen so bedeutenden Nacken zu anzurühren, [dein] Haupt schlägt mit dem Schwert ein lanista7 ab; Doch treibt er nicht seinen Spott infolge welch elendem Augenlicht8 mit dem, was [dir] Teurem widerfuhr.9
2 signatus – erkennbar, deutlich; aber auch – der Kreuzfahrer. Alternative Übersetzung für diesen Vers: wie der Kreuzfahrer surch seine Haltung als Zierde der Kirche gilt. 3 D.h. ein lebhaftes Gemüt. 4 Stilmittel des Adynaton. 5 in und veniam durch populi in Tmesis getrennt. 6 et lictor – die Wörter sind vertauscht, um den »Henker« an exponierter Stelle am Anfang des Verses zu präsentieren. 7 lanista – Lehrmeister der Gladiatoren. 8 Bezieht sich auf die Erblindung des zweiten Scharfrichters als Strafe für die Hinrichtung Albans. 9 Quantitäten des Hexameters sind in diesem Vers mehrfach inkorrekt.
Texte und Übersetzungen
Der Geist strebt empor zu den Sternen, das Fleisch wird unter die Erde gelegt, Und dir gesellt man einen Soldaten zu, der dich davon abhält,10 hervorzukommen. TENOR Albanus, der des Herrn wunderbaren Namen preist.
10 terens offenbar aus metrischen Gründen für terrens.
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Texte und Übersetzungen
Ave regina celorum / Ave mater expers paris / Ave mundi spes Maria TRIPLUM Ave regina celorum, ave decus angelorum, ave gaudium sanctorum, ave solis regia; Ave virgo, fons ortorum, servans virginale thorum, ave scala peccatorum, ave celia janua. Ave summa spes post Deum que Theophilum tam reum, qui sic deliquit in eum, reformasti glorie. Ave virgo novum mirum que claudentem celigirum mulier circumdans virum eterne memorie. Ave Mater Jesu Christi, ave quia tu fuisti sola digna que sumpsisti »Ave« Gabrielis ore. Ave, quia credidisti, ave, quia concepisti, ave, quia peperisti virgo mater novo more. Ave mundi spes Maria; ave mitis, ave pia, ave plena gratia.
TENOR Ave mundi spes Maria. Ave mitis, ave pia.
MOTETUS Ave mater expers paris, ave virtutum doctrina, porta vite, portus maris portans vite medicina, potum vite salutaris sitientibus propina. Ave, de qua flos virtutis procreatur vi divina, confer opem destitutis, et in hora vespertina sis nobis porta salutis liberans a morte trina. O castitatis lilium, tuum precare filium, qui salus est humilium, ne nos pro nostro vitio in flevili judicio subiciat supplicio. Amen.
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Texte und Übersetzungen
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TRIPLUM Gegrüßet seist du, Königin der Himmel, Gegrüßet seist du, Zierde der Engel, Gegrüßet seist du, Freude der Heiligen, Gegrüßet seist du, Königspalast der Sonne; Gegrüßet seist du, Jungfrau, Quell der Gärten,11 Hüterin des Jungfrauenlagers, Gegrüßet seist du, Leiter der Sünder,12 Gegrüßet seist du, Pforte des Himmels.
MOTETUS Gegrüßet seist du, Mutter ohne Gatte, Gegrüßet seist du, Lehre der Tugenden, Pforte des Lebens, Hafen des Meeres, Die du die Heilmittel des Lebens bringst, Gib den Trank eines gnadenreichen Lebens Den danach Dürstenden zu trinken.
Gegrüßet seist du, größte Hoffnung nach Gott Die du den so sündhaften Theophilus,13 Der sich so gegen Ihn [Gott] versündigt hat, Der Ehre wiedergegeben hast. Gegrüßet seist du, Jungfrau, o Neuheit, o Wunder,14 Denn den Mann, der das Himmelsrund begrenzt, Umschließest du als Frau Zu ewigem Gedächtnis.
Gegrüßet seist du, die die Blume der Tugend Hervorbringt durch göttliche Kraft, Hilf du den Hilflosen Und in [unserer] Abendstunde Sei du für uns das Tor zu [unserem] Heil, Indem du [uns] errettest vor dem dreifachen Tod.
Gegrüßet seist du, Mutter Jesu Christi, Gegrüßet seist du, denn du bist Allein würdig gewesen, die du empfangen hast Durch Gabriels Mund: »Gegrüßet seist du.« Gegrüßet seist du, denn du hast geglaubt, Gegrüßet seist du, denn du hast empfangen, Gegrüßet seist du, denn du hast geboren Als Jungfrau, als Mutter von neuer Art.
O Lilie der Keuschheit, Bitte deinen Sohn, Der das Heil ist der Schwachen, Dass er uns nicht für unsere Schuld In einem beklagenswerten15 Urteilsspruch Der Bestrafung anheim fallen lasse. Amen.
Gegrüßet seist du, Hoffnung der Welt, Maria; TENOR Gegrüßet seist du sanfte, gegrüßet seist du fromme Gegrüßet seist du, Hoffnung der Welt, Gegrüßet seist du, voll der Gnade. Maria; Gegrüßet seist du sanfte, gegrüßet seist du fromme.
11 ortorum = hortorum 12 Alternative Übersetzung: Waage der Sünden 13 Theophilus von Adama verschrieb seine Seele dem Teufel gegen Zusicherung von irdischem Erfolg und wurde durch die Fürsprache Marias gerettet. 14 que = suffix zu mirum 15 flevili = flebili.
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Texte und Übersetzungen
Gaude Virgo salutata / Gaude virgo singularis / Virgo mater / Ave gemma TRIPLUM Gaude virgo salutata angelico relatu, mox es gravida libera omni reatu; in te deitas humanata celesti flatu, virgo manens illibata re et cogitatu. Quod mirum si paveas, dum conceptus pandit, quanto magis caveas, cum ad partum scandit. Dum virgo [per]maneas, mens hec verba pandit; dicens »ne timeas«, te mulcendo blandit. Nondum contentaris, cum dicit parituram: quomodo miraris fietque curam nescisse virum flaris, sed semper es / se puram, credo, quod miraris, mutasse naturam. Angelus: concipies de superis celestem Deum et tu paries filium terrestrem. In te non est caries, natum habes testem. Levia / tan insanies, hic fert tibi pestem.
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Duett t1
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Duett t1 c3 t2 / t3
MOTETUS Gaude virgo singularis, mater nostri salvatoris, radix vite popularis, germen novi floris. Ex te sumpsit hinc tu paris ampul[l]a[m] liquoris que virtute aquas maris tenes stilla roris. Dic quo verbo concepisti, angeli vultui »Dominus tecum« audisti dicens, »fuitui.« Presentem conclusisti, tunc naturam sui, Messiam invenisti de natura tui. O celestis / armonia, in hac junctione, caro nostre cum sophia in unum persone; qualiter ex qua via studeas / colone, hec sola mater novit pia et tu Jesu bone. Mater heres De[i] mundi redemptoris, pia tu memento mei in extremis horis; ne coartent me[i] rei, secum suis horis [et] presentas / faciei mei plasmatoris.
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Duett / t1 t2 / t3
Duett t1 c1 t2 / t3
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Texte und Übersetzungen
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TRIPLUM Freue dich, Jungfrau, gegrüßt Durch die Botschaft des Engels, Bald bist du schwanger, frei Von aller Sünde; In dir [ist] die Gottheit Mensch geworden Durch den göttlichen Geist, Jungfrau bleibst du unversehrt In Wirklichkeit und im Denken.
MOTETUS Freue dich, du einzigartige Jungfrau, Mutter unseres Erlösers, Du Wurzel des Lebens eines Volkes,16 Spross einer neuen Blume. Aus dir nahm sie, hieraus gebierst du Das Gefäß ihres Honigs, Durch deine Macht hältst du Meeresfluten In einem Tautropfen umschlossen.
Kein Wunder, wenn du besorgt wärest, Während die Leibesfrucht wächst, Um wieviel mehr du dich wohl vorsiehst, Wenn sie zur Geburt emporsteigt. Weil du ja Jungfrau bleibst, Verkündet [dein] Sinn folgende Worte; Indem er sagt: »fürchte dich nicht«, Schmeichelt er dir durch freundlichen Zuspruch.
Sag: durch welches Wort hast du empfangen, Dem Blick des Engels »Der Herr [ist] mit dir« hast du Folge geleistet, Indem du sagtest, »ich war dein«. Den Gegenwärtigen hast du umschlossen, Dann hast du sein Wesen, Messias, entdeckt Aus deinem Wesen.
Noch gibst du dich nicht zufrieden, Wenn er sagt, [du] werdest gebären: So wie du dich wunderst Und deine Liebe Keinen Mann [in seiner Blüte]17 erkannt haben wird, Sondern immer rein ist, Glaube ich, was dich erstaunt, Hat eine Veränderung der Natur bewirkt. Der Engel: Empfangen wirst du Von den Himmlischen den Gott Des Himmels und du wirst gebären Einen Erdensohn. In dir ist keine Verderbtheit, Den Sohn hast du zum Zeugen. Leviatan, den Verstand wirst du verlieren, Dieser hier bereitet dir den Untergang.
O welch himmlische Harmonie In dieser Verbindung, Das Fleisch eines Menschen von uns, Mit Weisheit gepaart; Wie, auf welchem Leidensweg Du dich mühst, Fremdling, Das weiß allein deine gottesfürchtige Mutter Und du, gütiger Jesus. Mutter, Erbin Gottes, Des Erlösers der Welt, Gottesfürchtige du, gedenke mein In [meinen] letzten Stunden; Damit nicht meine Mitmenschen, Sünder, sich [dir] aufdrängen18 In ihren [letzten] Stunden, Und du bringst [sie] vor das Antlitz Meines Schöpfers.
16 Alternative Übersetzung: Du Wurzel der Christenheit, 17 Orig. flaris; vermutlich floris. 18 Alternative Übersetzung: damit nicht die Meinen, Sünder, dich bedrängen mit sich, in ihren letzten Stunden.
278 CONTRATENOR Virgo mater comprobaris matrem partus indicat, claustrum ventris virginalis intactam te judicat. Virginem cum divinalis natus ille benedicat, celum, tellus, unda maris laudes tuas predicat. Non est partus hic penalis qui matrem letificat. Christus factus fraternalis sic[ut] exemplificat.
TENOR Ave gemma celi luminarium. Ave Sancti Spiritus sacrari[um.]
Texte und Übersetzungen
Texte und Übersetzungen
CONTRATENOR Als Jungfrau, als Mutter wirst du anerkannt, Eine Geburt offenbart die Mutter, Die Unversehrtheit deines jungfräulichen Leibes Erklärt dich für unberührt. Weil jene göttliche Geburt Die Jungfrau preist, Verkündet der Himmel, die Erde, die Woge des Meeres Deinen Ruhm. Qualvoll ist diese Geburt nicht, Die die Mutter erfreut. Christus wurde wie ein Bruder Wie er durch Beispiele bezeugt.
TENOR Gegrüßet seist du, Juwel der Gestirne des Himmels. Gegrüßet seist du, Heiligtum des heiligen Geistes.
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Texte und Übersetzungen
Specialis Virgo / Salve parens TRIPLUM / MOTETUS Specialis virgo inter agmina (virginum) gaude, munere magnifico que sola regem ferre, Maria, digna fuisti casta intra viscera: quo minoratus paululum ab angelis est deitate qui Patri consimilis.
TENOR Salve parens inclita [felix puerpera.]
Einleitung t1 t1 t2 t2 Nachspiel
Texte und Übersetzungen
TRIPLUM / MOTETUS Besondere Jungfrau In den Reihen (der Jungfrauen), freue dich, Über die herrliche Gnade,19 Maria, allein du bist würdig gewesen, Den König zu tragen Keusch im Mutterleib: Dadurch hat er, der dem Vater vollkommen gleicht, Durch die Engel für kurze Zeit Eine Einschränkung seiner Gottheit erfahren.
TENOR Gegrüßet seist du, erlauchte Mutter [glückliche Gebärerin.]
19 munus – Auftrag, Dienst, Geschenk, Aufgabe.
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b.
Texte und Übersetzungen
Marienantiphone
Alma redemptoris mater20 Alma redemptoris mater, que pervia celi porta manes, et stella maris, succurre cadenti surgere qui curat populo: Tu que genuisti, natura mirante, tuum sanctum Genitorem: Virgo prius ac posterius, Gabrielis ab ore sumens illud Ave, peccatorum miserere.
Ave Regina celorum21 Ave Regina celorum, Ave Domina Angelorum: Salve radix, salve porta, ex qua mundo lux est orta: Gaude Virgo gloriosa, Super omnes speciosa: Vale, o valde decora, et pro nobis Christum exora.
Regina celi letare22 Regina celi letare, alleluia: Quia quem meruisti portare, alleluia: Resurrexit, sicut dixit, alleluia: Ora pro nobis Deum, alleluia.
20 Anonyme Übersetzung in: Laudate: Gebetbuch und Gesangbuch für das Bistum Münster, Münster 1967, S. 644 f. 21 Anonyme Übersetzung in: ebd., S. 645 f. 22 Anonyme Übersetzung, in: Gotteslob – katholisches Gebet und Gesangbuch mit dem Anhang für das Erzbistum Berlin, hrsg. von den Bischöfen Deutschlands und Österreichs und der Bistümer Bozen-Brixen, Lüttich und Luxemburg, Stuttgart / Berlin 1975, S. 549.
Marienantiphone
Erhabene Mutter des Erlösers, Du allzeit offene Pforte des Himmels, Du Stern des Meeres, Komm zu Hilfe dem sinkenden Volke, Das sich zu erheben sucht. Zum Staunen der Natur Hast du deinen heiligen Schöpfer geboren. Jungfrau warst du vor und nach der Geburt, Aus Gabriels Mund Nahmst du den herrlichen Gruß entgegen; Erbarme dich der Sünder.
Sei gegrüßt, du Königin des Himmels. Sei gegrüßt, du Herrscherin der Engel! Sei gegrüßt, du Wurzel, sei gegrüßt, du Pforte, aus der der Welt das Licht erschienen ist. Freu dich, du glorreiche Jungfrau, Du Schönste von allen, Du Herrlichste, sei gegrüßt, und bitte für uns bei Christus, deinem Sohn.
O Himmelskönigin, frohlocke, Halleluja. Denn er, den du zu tragen würdig warst, Halleluja, Ist erstanden, wie er sagte. Halleluja. Bitt Gott für uns, Maria. Halleluja.
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Texte und Übersetzungen
Salve Regina (mit Tropus Virgo Mater)23 Salve Regina, mater misericordie: Vita dulcedo, et spes nostra, salve. Ad te clamamus, exsules, filii Eve. Ad te suspiramus, gementes et flentes in hac lacrimarum valle. Eia ergo, advocata nostra, illos tuos misericordes oculos ad nos converte. Et Jesum, benedictum fructum ventris tui, nobis post hoc exsilium ostende. Virgo mater ecclesie, eterna porta glorie esto nobis refugium apud Patrem et Filium. O clemens: Virgo clemens, Virgo pia, Virgo dulcis, o Maria, exaudi preces omnium ad te pie clamantium. O pia: Funde preces tuo nato, crucifixo, vulnerato, et pro nobis flagellato spinis puncto, felle potato. O dulcis Virgo Maria.
23 Anonyme Übersetzung der Antiphon, in: ebd., S. 547; Tropus übersetzt von der Autorin.
Marienantiphone
Sei gegrüßt, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit, Unser Leben, unsre Wonne Und unsre Hoffnung, sei gegrüßt! Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas; Zu dir seufzen wir trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen. Wohlan denn, unsere Fürsprecherin, wende deine barmherzigen Augen uns zu, Und nach diesem Elend zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes. Jungfrau, Mutter der Kirche Ewige Pforte der Ehre Sei unsere Zuflucht Bei Vater und Sohn. O gütige, O milde, o gütige, O süße Jungfrau Maria Vernimm unser Gebet; Zu dir rufen wir. O milde, Trag das Gebet zu deinem Sohn; Der für uns gekreuzigt, verwundet, Gemartert, mit Dornen gekrönt, Und mit Galle getränkt. O süße Jungfrau Maria.
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c.
Texte und Übersetzungen
Englische isorhythmische Motetten
John Cooke: Alma proles regia / Christi miles / Ab inimicis nostris TRIPLUM Alma proles regia celi imperatrix omni plena gracia mundi dominatrix Que misericordie fontem genuisti, ac totius gracie rivum peperisti; Venam fontis aperi mater pietatis ut qui sumus miseri mersi in peccatis Consequamur veniam, et da prece pia veram penitenciam dum sumus in via. Quid agemus miseri opem si negabis? Heu, perimus perditi te dum elongabis. Nescit tua pietas succursum negare illis quos humilitas cogit postulare. O immensa bonitas matris / salvatoris, o magna securitas pii petitoris. Hec vota petencium solet prevenire atque penitencium luctus delinire. Jesu serva servulos tue pie matris quos a labe liberos in conspectu Patris Dones frui gloria tante majestatis quo regnas in secula regno claritatis.
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MOTETUS Christi miles inclite Georgi sanctissime qui es decus militum celum nunc inhabitas ubi tua sanctitas chorum fulget martirum. Quicquid tu oraveris impetrare poteris propter tua meritum. Regnum serves Anglie que non ruat misere nostra per demerita. Matris tocius gracie instes tu clemencie ferat ut auxilium terram suam protegat regemque custodiat ab incursu hostium. Virgo decus virginum regi sis refugium quem serves ab hostibus; quicquid vis ut faciat semper tibi placeat in ipsius actibus. O columpne auree pacem veram poscite nostris in temporibus. date / seu victoriam et post mortem gloriam regnis in celestibus.
TENOR Ab inimicis nostris defende nos Christe
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Englische isorhythmische Motetten
TRIPLUM Erhabene Tochter, königliche Gebieterin des Himmels Aller Gnade voll, Beherrscherin der Welt, Du hast die Quelle Der Barmherzigkeit hervorgebracht, Und den Strom Aller Gnade hast du geboren; Die Ader der Quelle öffne, Mutter der Sanftmut, Damit wir, die wir schwach sind, Versunken in Sünden, Vergebung erlangen, Und schenke in frommem Gebet Echte Reue, Solange wir auf dem Wege sind. Was werden wir Armen ausrichten, Wenn du deine Hilfe verweigerst? Ach, verloren sind wir rettungslos, Wenn du dich fernhältst. Nicht versteht es deine Güte, Hilfe zu verweigern Denen, die ihre Schwachheit Zwingt zu beten. O unermessliche Güte Der Mutter des Erlösers, O große Gewissheit Des frommen Bittstellers. Diesen Wünschen der Bittsteller Pflegt sie zuvorzukommen Und den Jammer Der Büßer zu lindern. Jesus, errette die treuen Diener Deiner gütigen Mutter, Vergönne ihnen, wenn sie von Sünde frei sind, Im Angesicht des Vaters Die Ehre einer So hohen Erhabenheit zu genießen, Wo du immerdar herrschest In Herrlichkeit.
MOTETUS Berühmter Streiter für Christus, Hochheiliger Georg, Der du die Zierde der Kämpfer bist, Den Himmel bewohnst du, jetzt, Wo dein heiliges Wesen In der Schar der Märtyrer erstrahlt. Was immer du erbittest Du wirst es erreichen können Um deiner Verdienste24 Willen. Bewahre den Thron Englands, So dass es nicht kläglich zu Fall kommt Durch unsere Vergehen. Dränge die Mutter aller Gnade In ihrer Güte, Dass sie möge helfen, Ihr Land beschützen Und den König behüten möge Vor einem Ansturm [seiner] Feinde. Jungfrau, [du] Zierde der Jungfrauen, Dem König sei eine Zuflucht, Um ihn zu bewahren vor seinen Feinden; Was immer er nach deinem Willen tun soll, Allzeit möge es dir gefallen An seinen Handlungen. O ihr goldenen Säulen Um wahren Frieden bittet In unseren Zeiten. Verleiht auch Sieg Und nach dem Tod Ehre Im Himmelreich. TENOR Vor unseren Feinden bewahre uns, Chistus.
24 meritum anstelle von meritorum, vermutlich wegen des Versmaßes.
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Texte und Übersetzungen
Thomas (?) Damett: Salvatoris mater / O Georgi / Benedictus qui veTRIPLUM Salvatoris mater pia mundi hujus spes Maria, ave plena gracia, porta celi templum Dei portus maris ad quam rei currunt cum fiducia, summi regis sponsa digna cunctis / clemens et benigna operum suffragio, cecis lumen, claudis via nudis Martha et Maria mentis desiderio. inter spinas flos fuisti sic flos flori placuisti pietatis gracia. Verbo verbum concepisti regem regum peperisti virgo viro nescia. Tutrix pia tui gregis memor sis Henrici regis pro quo pete Filium ut exutus carne gravi vite / scriptus sit suavi post presens exilium. Regis nostrique regi / na ora natum ut ruina relaxetur debita et regnare fac / renatos, a reatu expurgatos pietate solita.
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Tu qui noster advocatus es jus tui patronatus defendas ab hostibus. et Anglorum gentem serva pace firma / sine guerra tuis sanctis precibus.
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TENOR Benedictus Mariae Filius qui ve-
MOTETUS O Georgi Deo care salvatorem deprecare ut gubernet Angliam ipsum teque commendare valeamus et laudare deitatis graciam.
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Miles fortis custos plebis sis Henrici nostri regis pre / sens ad consilium; contra hostes apprehende arma, scutum, archum tende sibi fer auxilium. Gloriosa spes Anglorum audi vota famulorum tibi nunc canencium per te nostrum ut patronum consequamur pacis do / num in terra vivencium.
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Englische isorhythmische Motetten
TRIPLUM Gütige Mutter des Erlösers, Hoffnung dieser Welt, Maria Gegrüßet seist du, voll der Gnade, Pforte des Himmels, Tempel Gottes, Hafen des Meeres, zu der die Sünder Eilen mit Zuversicht,
MOTETUS O Georg, [der du] Gott teuer [bist], Bitte den Erlöser, Dass er England leite, Und wir dich selbst empfehlen Und die Gnade [deiner] Vergöttlichung Preisen können.
Des höchsten Königs würdige Braut, Allen gnädig und freundlich gesinnt Durch [deine] Hilfe bei [ihren] guten Werken, Den Blinden ein Licht, den Lahmen ein Weg, Den Bedürftigen Martha und Maria Um der Sehnsucht [ihres] Herzens willen.
Du, der du unser Fürsprecher Bist, verteidige das Recht deines Patronats Gegen [deine] Feinde. Und das Volk der Engländer bewahre Durch einen sicheren Frieden ohne Krieg, Durch [deine] heiligen Fürbitten.
Unter Dornen warst du die Blüte, So hast du, die Blüte, der Blüte gefallen Wegen [deiner] Milde. Durch das Wort hast du das Wort empfangen, Den König der Könige hast du geboren Als Jungfrau, dem Manne unbekannt.
Sei ein mutiger Streiter, ein Hüter des Volkes Für unseren König Heinrich, Hilfreich in der beratenden Versammlung; Gegen die Feinde ergreife Die Waffen, den Schild, den Bogen spanne, Ihm25 leiste Hilfe.
Gütige Beschützerin deiner Herde, Gedenke König Heinrichs, Bitte [deinen] Sohn für ihn, Dass er, wenn er des lästigen Fleisches entkleidet ist, Für ein angenehmes Leben ernannt ist Nach dem Elend hier auf Erden. Unseres Königs Königin, Bitte [deinen] Sohn auch, dass [uns] das verdiente Verderben erlassen wird, Und lass Getaufte26 herrschen, Von Schuld gereinigt Durch [deine] gewohnte Barmherzigkeit.
Ruhmreiche Hoffnung der Engländer, Erhöre die Gebete [deiner] Diener, Die dir jetzt lobsingen, Damit wir durch dich, unseren Patron, Das Geschenk des Friedens erreichen Für die auf Erden Lebenden. TENOR Gebenedeiter Sohn Mariens, der gekom[men ist im Namen des Herrn.]
25 sibi – im Mittellateinischen auch »ei«; also König Heinrich. 26 renatus – wiedergeboren.
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Texte und Übersetzungen
Nicholas (?) Sturgeon: Salve mater Domini / Salve templum gratie / -it in nomine Domini TRIPLUM Salve mater Domini que spes es salutis qui contrivit moriens jugum servitutis juva nos in tempore nostre servitutis nos in celum subleva gradibus virtutis. Salve cujus gratia veniam meretur fidemque catholicam pie confitetur. Tuis virgo precibus meritisque detur ut quod Eva perdidit per te reformetur. Salve per quam Domino pie confitemur cujus ope veniam consequi meremur. tuis sanctis precibus mater adjuvemur ut cum tuo nato semper colletemur.
TENOR -nit in nomine Domini
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MOTETUS Salve templum gracie, templum sanctitatis, templum Sancti Spiritus, templum majestatis: salva nos te rogamus salva tutrix gratis ut sortiri valeamus regnum cum beatis. Ave virgo virginum nostri miserere languescentis anime morbos intuere. tu miserta miseris et compassa vere, morbi causam auferens mentibus medere. Et cum judex advenerit judicis ad dexteram jube nos venire.
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Englische isorhythmische Motetten
TRIPLUM Gegrüßest seist du, Mutter des Herrn, Du bist die Hoffnung auf das Heil, Er hat durch seinen Tod zerbrochen Das Joch der Knechtschaft; Hilf du uns in der Zeit Unserer Knechtschaft, Hebe uns in den Himmel empor Auf den Stufen der Tugend. Gegrüßet seist du, deren anmutiges Wesen Vergebung erreicht Und sich zum christlichen Glauben Fromm bekennt. Deinen Bitten, Jungfrau, Und deinen Verdiensten möge beschieden sein, Dass, was Eva verdorben hat, Durch dich wieder hergestellt wird. Gegrüßet seist du, durch die wir uns zum Herrn Fromm bekennen, Durch deren Beistand wir verdienen, Vergebung zu erlangen. Deine heiligen Fürbitten, Mutter, mögen uns helfen, Dass wir uns zusammen mit deinem Sohn Immer freuen.
MOTETUS Gegrüßet seist du, Tempel der Gnade, Tempel der Heiligkeit, Tempel des heiligen Geistes, Tempel der Erhabenheit: Rette uns, dich bitten wir, [Du] unberührte Beschützerin der [dir] Dankbaren,27 Damit wir mit den Seligen Die Königsherrschaft empfangen können.28 Gegrüßet seist du, Jungfrau der Jungfrauen, Erbarme dich unser, Schau auf die Krankheiten [Unserer] ermattenden Seele. Du, die du dich erbarmt hast der Elenden Und in Wahrheit Mitleid hast [mit ihnen], Heile [unsere] Herzen, Indem du hinwegnimmst die Ursache [unserer] Krankheit. Und wenn der Richter da ist, Heiße du uns zu kommen Zur Rechten des Richters.
TENOR [Gebenedeiter Sohn Mariens, der gekom-] men ist im Namen des Herrn.
27 gratis (dat. pl.) anstelle von gratorum (gen. pl.); vermutlich wegen der Anzahl der Silben im Vers und des Reims mit beatis. 28 Alternative Übersetzung: Unberührte, wir bitten dich, / du keusche Beschützerin der [dir] Dankbaren, / dass wir imstande sind, / mit den Seligen die Königsherrschaft zu empfangen.
292
d.
Texte und Übersetzungen
Kontinentale isorhythmische Motetten
Johannis Tapissier: Eya dulcis / Vale placens peroratrix TRIPLUM Eya dulcis adque vernans rosa, virgo placens puella formosa, dei mater valde gloriosa, spira preces voce clamorosa. O spes nostra, multum indigemus, plorat Roma omnis nos rigemus; »Tolle scisma!« ad te dirigimus, corda laudes tibi porrigimus. Nunc lilium alti regiminis, pressum telis multi gravaminis, te postulat, uber subaminis, sis lilio rosa solaminis. Salus nostra, nunc est mali hora, populorum fletus rigant ora; nostris pacem periodis rora, quod pro tuis semper clementiora.
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MOTETUS Vale placens peroratrix, salve decens impetratrix, gaude potens imperatrix virtutis et glorie. Semper dum oras impetras, semper cum preces perpetras polosque deum penetras tue vi theorie; cum Josue facis stare. Phebum Dyanam restare, Thiphon vales impetrare sacrum cum muneribus. Electorum est orare, tuum deo imperare, gloriamque pacem dare angelis ac hominibus.
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Kontinentale isorhythmische Motetten
TRIPLUM Wohlan, liebliche und blühende Rose, Du liebenswerte Jungfrau, du schöne junge Frau, Gottes überaus glorreiche Mutter, Schenke gütig den Gebeten Gehör, [in denen du] mit laut klagender Stimme [angerufen wirst].29 O unsere Hoffnung, vieles haben wir nötig, Es wehklagt laut ganz Rom, wir stehen wie erstarrt; »Beseitige das Schisma!« an dich wenden wir uns, [Unsere] Herzen, [unseren] Lobgesang bringen wir dir dar. Die Lilie des erhabenen Lenkers, Niedergedrückt von den Geschossen schwerer Bedrängnis, Fordert jetzt dich auf, du Fülle des Beistands, Sei für die Lilie die Rose des Trostes.34
MOTETUS Sei gegrüßt, liebenswerte Fürbitterin, Sei gegrüßt, anmutige Durchsetzerin, Freue dich, du machtvolle Gebieterin Über Stärke und Herrlichkeit. Immer, wenn du Gebeten zum Erfolg verhilfst, Immer, wenn du Fürbitten ausführst Und den Himmel, Gott, ergriffen machst Durch die Kraft deiner Kontemplation; Wenn du Josua Geltung behalten läßt.30 Dann vermagst du Phoebus, Diana aufzuhalten,31 Aus Thiphon32 einen Heiligen Mit Aufgaben zu machen. Auserwählten kommt es zu zu bitten, Dir, zur Ehre Gottes zu gebieten,33 Und Herrlichkeit und Frieden zu schenken Den Engeln und den Menschen.
Unser Heil, jetzt ist die Zeit des Bösen, Die Tränen der Völker benetzen ihre Antlitze, Frieden taue35 unseren Zeitläufen, Denn für die deinen [taust du] immer Güte in höherem Maß.
Alternative Übersetzung: begünstige die Gebete, mit laut [zu dir] rufender Stimme. Vgl. Josua, Kapitel 23 – 24. Phoebus und Diana als Symbole für Sonne und Mond. Ungeheuer, Sohn des Tartaros und der Gaia, von Zeus unter den Ätna verbannt. Vgl. Ovid, Metamorphosen 5, 346 – 358. 33 Alternative Übersetzung: Dir, mit Gottes Hilfe zu gebieten. 34 Rose und Lilie als Symbole für Maria und Christus. 35 Vgl. Introitus am 4. Sonntag im Advent: Rorate celi desuper.
29 30 31 32
294
Texte und Übersetzungen
Johannis Franchois: Ave virgo lux Maria / Sancta Maria TRIPLUM / MOTETUS Ave virgo, lux Maria, deitatis atrium sedes patris imperia ferens palmam inicium, preclara solis gloria laudem sume gencium.
t1
Conditorem tu terrarum tenuisti gremio, corpus Christi nobis carum positum presepio puritatis lumen clarum oremus corde pio.
t2
Sponsa virgo tu beata, mater tui factoris, sedes tua sublimata, solis fulgens fulgoris, ab angelis collaudata, o mater creatoris.
t1
Redemptoris tu regina, filii habitaculum, ave demonum o spina, pietatis vasculum, pia virgo medicina, da salutis ferculum. Amen.
t2
TENOR / CONTRATENOR Sancta Maria [succurre miseris]
c1
c2
Kontinentale isorhythmische Motetten
TRIPLUM / MOTETUS Sei gegrüßt, Jungfrau, du Licht Maria, Du Vorhalle der Göttlichkeit, Du thronst im Reich des Vaters, Du trägst als Ehrenpreis deine Vorrangstellung, Strahlender Glanz der Sonne, Empfange den Lobpreis der Völker. Den Schöpfer der Welt hast du In deinem Schoß getragen, Zu Christi Leib, der uns teuer ist, Der in der Krippe liegt, Dem reinen Licht der Lauterkeit, Lasst uns beten frommen Herzens. Jungfräuliche Braut, du glückselige, Mutter deines Schöpfers, Dein Thron ist hoch erhoben in der Höhe, Leuchtend im Glanz der Sonne, Von allen Engeln gepriesen, O Mutter des Schöpfers. Du, des Erlösers Königin, Deines Sohnes Wohnung, Sei gegrüßt, du Stachel gegen die Dämonen, Du Gefäß der Barmherzigkeit, Milde, heilende Jungfrau, Reiche [uns] des Heiles Speise. Amen.
TENOR / CONTRATENOR Heilige Maria [eile den Elenden zu Hilfe.]
295
296
Texte und Übersetzungen
Johannis Cesaris: A virtutis ignitio / Ergo beata nascio / Benedicta filia tua a domino TRIPLUM A virtutis ignitio salutis operatio recipiat fundamentum, cuius est integumentum oratio repetita sub his verbis exhibita: Ave mater insignita dyademate regali, florigero virginali
t1
t2
utero flexit natura, quam non capit creatura: sed latet ut res obscura in qua sensus electatur hic sincera mens probatur. Quare, peccator, quid agis, qui detur paris tot plagis? Fetidior eris magis; invertaris celeriter virgini que suaviter fructum tulit iustitie quo pagantur tristitie quas non obedientie patres nostri commiserunt, nos cum eis ligaverunt, donec stella nova fulsit que reatum sic indulsit et humanum genus mulsit merito beneficio.
TENOR Benedicta filia tua a domino
t3
MOTETUS Ergo beata nascio,
t1
cuius floris purpurey vapor odorum rosey liliorum nec aurey thesauri neque mortale quocumque sit casuale
t2
sibi valet comparari, fons purus appropriari fulgoris lux maritari verbo possunt avologo, non / directe virologo,
/ t3
in hac luce deitatis effulgens bonitatis, plena nodum vanitatis et doctat ede regia preci / bus tuis socia
/t4
te suppliciter rogantes quod sint iugiter laudantes ante thronum trinitatis et turbam divinitatis. t4
297
Kontinentale isorhythmische Motetten
TRIPLUM Vom Anbeginn36 des Wunders Empfange das Erlösungswerk Sein Fundament, Dessen Schutz Das wiederholte Gebet ist, Das in folgenden Worten dargelegt ist: Gegrüßet seist du, Mutter, ausgezeichnet Mit der Königskrone, Durch deinen jungfräulichen, eine Blume tragenden Schoß hat die Natur eine Veränderung geschaffen, Wie die Schöpfung sie nicht fassen kann: Sondern im Verborgenen bleibt sie wie etwas Unverständliches, Bei dem nach seiner Bedeutung geforscht wird: Hier wird ein reines Herz für würdig befunden. Deshalb, du Sünder, was denkst du dir, Wie könnte es so vielen Plagen überlassen werden? Allzu widerwärtig wirst du sein, bei weitem; Wende dich rasch der Jungfrau zu, die lieblich die Frucht der Gerechtigkeit getragen hat, durch die das Unselige beglichen wird, was an Ungehorsam unsere Väter begangen haben, uns haben sie damit fest verknüpft,
MOTETUS Also gesegnet die Geburt, Der Dufthauch welcher Purpurblüte Der rosenfarbenen Lilie, weder goldene Schätze noch sonst Irdisches, Welcher Art auch immer es zufällig sein mag, Kann mit ihr verglichen werden, Einen reinen Quell kann man zuweisen, Die Helligkeit eines Blitzes kann man verbinden mit Einer Äußerung, in der von einem Ahn die Rede ist, Nicht unmittelbar von einem Mann, In diesem Glanz der Göttlichkeit Erstrahlt sie im Licht der Gnade, Reichlich versehen mit den Verwicklungen der Unwahrheit, Und sie lehrt beständig im Hause des Königs, Deinen Fürbitten zugesellt, Die zu dir demütig Betenden, Auf ewig den Lobpreis anzustimmen Vor dem Throne der Dreifaltigkeit Und der Schar der Himmlischen. TENOR Deine vom Herrn gesegnete Tochter
bis der neue Stern erstrahlt ist, der [uns] dadurch [unsere] Schuld vergeben und das Menschengeschlecht getröstet hat durch die Gnade, die es empfangen hat.
36 ignitium – auch: das Entfachen, das Entzünden; also auch das Beginnen, der Anbeginn.
298
Texte und Übersetzungen
Aubert Billart: Salve virgo virginum / Vita via veritas / Salve Regina misericordie TRIPLUM Salve Virgo virginum stella matutina, sordidorum criminum vera medicina, consolatrix hominum qui sunt in ruina. quae re precaminum teris draconica, regina regnantium, Virgo puellaris peperisti filium mater singularis. sacratum palatium Dei coronaris, divinum auxilium nobis largiaris fons misericordie tu nos meruisti, atque mater gratie, quando concepisti summum regem glorie quem peperisti, largitorem venie mundo contulisti.
CONTRATENOR Vita via. Et dicitur ut tenor.
TENOR Salve Regina misericordie
A1
A2
B1
B2
A3
B3
MOTETUS Vita, via, veritas est de te regnata et semper virginitas restat illibata, nam tua humilitas fuit operata quod in te divinitas esset incarnata, dulcedo dulcedinis, fructus benedictus ventris tui, Virginis Agnus Dei filius cujus unda sanguinis homo derelictus lotus labe criminis fit et demon victus. Et spes nostra solida es, Virgo Maria, virga Jesse florida, ut in Isaia rore celi madida dicit prophetia, pulchra, ut nix candida, Dei mater pia.
A1
A2
B1
B2
A3
B3
299
Kontinentale isorhythmische Motetten
TRIPLUM Gegrüßet seist du, Jungfrau der Jungfrauen, Du Morgenstern, Du wirkliches Heilmittel Gegen niederträchtige Sünden, Du Trösterin der Menschen, Die sich im Unglück befinden. Die du durch die Wahrheit deiner Gebete Zertrittst, was zur Schlange gehört, Du Königin der Herrschenden, Als mädchenhafte Jungfrau Hast du einen Sohn geboren, Du einzigartige Mutter. Im geheiligten Palast Gottes, trägst du die Krone, Göttlichen Beistand schenke uns. Quell des Erbarmens, Du hast uns würdig befunden, Und Mutter der Gnade, Weil du empfangen hast Den höchsten König der Herrlichkeit, Den du geboren hast, Den Spender der Vergebung Hast du der Welt geschenkt.
CONTRATENOR Leben, Lebensweg. Sie wird auch genannt wie der Tenor [sagt].
37 Vgl. Jesaja 11, 1 – 10.
MOTETUS Du, das Leben, der Lebensweg, die Wirklichkeit Stehtunter deinem Gebot, Und immer bleibt Deine Jungfräulichkeit unberührt, Denn deine Demut War dafür geschaffen, Dass in dir die Gottheit Mensch geworden war, Die Süßigkeit der Süße, Die gebenedeite Frucht Deines Leibes, der Jungfrau Sohn, das Lamm Gottes, Durch dessen Strom des Blutes Der gefallene Mensch Vom Makel der Sündenschuld rein gewaschen und der Teufel bezwungen wird. Und unsere ganze Hoffnung Bist du, Jungfrau Maria, Du blühendes Reis Isais, Wie bei Jesaia Die vom Tau des Himmels getränkte Weissagung sagt,37 Schön [bist du], wie der blendend weiße Schnee, Gottes gütige Mutter.
TENOR Gegrüßet seist du, Königin der Barmherzigkeit.
300
Texte und Übersetzungen
Johannis Brassart: Ave Maria / O Maria TRIPLUM Ave Maria, gracia plena, Dominus tecum. Et tua gracia sit mecum. Gloria mulierum, gemma virgi / num, stella sacerdotum, rosa martirum, domina apostolorum, regina angelorum, jocunditas celorum, Jhesu De / i mater. Amen.
TENOR Ave Maria, gracia plena
t1a t2 / t3
t4 / t5
MOTETUS O Maria, gracia plena, ego peccator suspiro ad te. Inclinans ad me, intercede pro me ad dilectissimum Filium tuum, ut mundet me a / peccatis, liberet me a penis, ut salvet me in celis, ut vivam cum beatis. Benedicta tu in mulieribus, et benedictus Jhesus, dulcissimus fructus ventris tu / i. Amen.
t1b t2 t3
t4 / t5
Kontinentale isorhythmische Motetten
TRIPLUM Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade, Der Herr [ist] mit dir. Und deine Gnade sei mit mir! Du Zierde der Frauen, Du Juwel der Jungfrauen, Du Stern der Priester, Du Rose der Märtyrer, Herrin der Apostel, Königin der Engel, Lieblichkeit des Himmels, Jesu, Gottes Mutter. Amen.
TENOR Gegrüßest seist Du, Maria, voll der Gnade.
301 MOTETUS O Maria, voll der Gnade, Ich Sünder seufze zu dir. Neige dich zu mir Und setze dich ein für mich Bei deinem innig geliebten Sohn, Damit er mich rein wasche von meinen Sünden, Mich befreie von Strafen, Damit er mich erlöse im Himmel, Damit ich leben kann mit den Heiligen. Gebenedeit [bist] du unter den Frauen, Und gebenedeit [ist] Jesus, Die lieblichste Frucht deines Leibes. Amen.
302
e.
Texte und Übersetzungen
Guillaume Dufay
Fulgens iubar ecclesie / Puerpera pura parens / Virgo post partum TRIPLUM Fulgens iubar ecclesie dei peccatorum salus promtissima, si precibus quibuscumque flecti queas, nobis da, virgo beata, ut omnes qui tue misteria purificationis colimus, post temporis huius curricula sublimemur sanctorum sedibus.
t1
Que semine viri peperisset mulierem lex quondam cogebat ut ad templum purganda veniret partum ferens. Lex hec non urgebat Mariam, que virum non noverat; illa tamen pro nobis omnibus legem tulit, ut nos, quos amabat, sublimemur sanctorum sedibus.
t2
Quod purgari non indiguerit huius festo monstrat ecclesia per cereum quem tunc quisque tenet, luce enim qua fulget candela per splendorem vite in Maria concorditer omnes ostendimus, ut per sua tandem precamina sublimemur sanctorum sedibus.
t1
O igitur virtutis exemplar, virginum lux, gloriosa virgo, decus nostrum et, ut verum loquar, viva virtus, pulcra pulcritudo, sanctitatis excellens ymago, humiliter a te requirimus ut post mortem cum dulci gaudio sublimemur sanctorum sedibus.
c1
c2
t2
t1
t2
TENOR Virgo post partum quem genuit adoravit
c3
MOTETUS P uerpera pura, parens E nyxa regem seculi, T ibi non fit orba, parens, R itu mens: vales seculi V itam reddere. Nonnulli S aluati sunt hoc limite; D as hec merito tituli: »Fili, peccata remitte.«
t1
E ya, virgo, lapsu carens, C arta qua ditem expuli A nnuisti, legi verens, S olvere legem et pulli T urturum tis infantuli E x monstrant oblati vite L ucem. Prome quod intuli: »Fili, peccata remitte.«
t2
L arga, mater, lux oriens O men dedit opusculi: C um Simeon non moriens A mplexatur hunc, oculi N umen / vident et servuli T enore dat verbum. Mitte A d Christum dicta; protuli: »Fili, peccata remitte.«
t1
O igitur, virgo clemens, que nos omnes redemisti, domus dei, gemma fulgens, dulcis porta paradisi, dic nunc, queso, tue proli quem lactasti tuo lacte, istis qui seruiunt tibi: »Fili, peccata remitte.«
c1
c2
/ t2
t1
t2
c3
Guillaume Dufay
303
TRIPLUM Strahlender Glanz der Kirche Gottes, Der Sünder bereitwilliges Seelenheil, Wenn Bitten irgend in der Lage sein sollten, Dich gnädig zu stimmen, so gibt uns, selige Jungfrau, Dass wir alle, die wir die Geheimnisse deiner Reinigung verehren Nach dem Ablauf unserer Zeit hier Erhöht werden zu den Wohnungen der Heiligen.
MOTETUS Du keusche Gebärerin, die bereitwillig Den König dieser Welt geboren hat, Dir bleibt erhalten, Mutter, Die Art deines Wesens: Du hast die Macht, Das Leben des Menschengeschlechts zu vermitteln. Etliche Sind zur Seligkeit gelangt auf diesem Scheideweg; Eine Frau, die durch den Samen eines Du sprichst folgende Worte aus auf Mannes geboren hatte, Grund der Würde deines Zwang einst das Gesetz, Ehrentitels: Zum Tempel zu kommen, um sich reinigen zu »Mein Sohn, vergib die Sünden.« lassen Mit ihrem Kind auf den Armen.38 Dies Gesetz Wohlan, Jungfrau, obwohl du drängte nicht keinen Fehltritt begangen hast, Maria, die noch keinen Mann erkannt hatte; Hast du in der Schrift, mit der ich Trotzdem hat sie für uns alle den Teufel39 vertrieben habe, Das Gesetz erfüllt, damit wir, die sie liebte, Dem Gesetz genüge getan, weil du Erhöht werden zu den Wohnungen der befürchtetest, Heiligen. Du könntest das Gesetz brechen, und die jungen Dass Maria der Reinigung nicht bedurft habe, Turteltauben, für das Leben deines Macht in einem Fest ihr zu Ehren die Kirche kleinen Kindes deutlich Geopfert, weisen hin auf Durch die Kerze, die dann ein jeder hält, Das Licht [der Welt]. Sprich du Denn durch das Licht, in dem die Kerze aus, was ich schon erwähnt habe: leuchtet, »Mein Sohn, vergib die Sünden.« Durch das Ansehen, das einem Lebenswandel beschieden ist, der in Maria sein Vorbild hat, Bereitwillig, Mutter, hat das Bringen wir alle einhellig zum Ausdruck: emporsteigende Licht Mögen wir doch am Ende durch ihre Bitten Die Vorbedeutung der knappen Erhöht werden zu den Wohnungen der Handlung angezeigt: Heiligen. Während Simeon kurz vor seinem Tod Also nun, du Abbild der Tugend, IHN in seine Arme nimmt, sehen Der Jungfrauen Glanz, du glorreiche seine Augen Jungfrau, Das Walten Gottes und nach der Unsere Zierde und, um die Wahrheit zu Art sagen, Eines gehorsamen Dieners Du Kraft des Lebens, du edle Schönheit, spricht er. Du der Heiligkeit erhabenes Bildnis, Überbringe Demütig fragen wir dich Christus meine Worte: gesagt Wie wir nach dem Tode und zu süßer Freude habe ich:
38 Vgl. Leviticus 12, Exodus 13, 2 und 13 – 15 sowie Lukas 2, 22 – 32. 39 dis, ditis – in der antiken Literatur die Bezeichnung für den Jupiter der Unterwelt, d. h. Pluto.
304 Erhöht werden können zu den Wohnungen der Heiligen. TENOR Die Jungfrau hat nach der Geburt dem gehuldigt, den sie geboren hat.
Texte und Übersetzungen
»Mein Sohn, vergib die Sünden.« Also, gütige Jungfrau, Die du uns alle losgekauft hast, Du Wohnung Gottes, du funkelnder Edelstein, Du Pforte zum süßen Paradies, Sprich jetzt bitte zu deinem Sohn, Den du gestillt hast mit deiner Milch, Für diejenigen, die dir dienen: »Mein Sohn, vergib die Sünden.«
Weitere Texte
f.
305
Weitere Texte
Ascendit Christus Ascendit Christus super celos, et preparavit sue castissime Matri immortalitatis locum: et hec est illa preclara festivitas, omnium Sanctorum festivitatibus incomparabilis, in qua gloriosa et felix, mirantibus celestis curie ordinibus ad ethereum pervenit thalamum, quo pia sui memorum immemor nequaquam existat.
Aufgefahren ist Christus über die Himmel empor,40 Und bereitet hat er seiner keuschen Mutter den Ort ihrer Unsterblichkeit: Und dies ist ihr glanzvoller Festtag, Der nicht vergleichbar ist mit den Festtagen aller Heiligen, An dem sie glorreich und gesegnet Unter der staunenden Bewunderung der Stände des himmlischen Königshofes, Zu ihrer himmlischen Wohung gelangt ist, Wo sie in ihrer Güte keineswegs die vergessen möge, Die ihrer im Gebet gedenken.
40 Anspielung auf die Communio zu Christi Himmelfahrt: Psallite Domino, qui ascendit super celos (Ps. 68).
Literatur
a.
Notenausgaben
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308
Literatur
Sieben Trienter Codices: Geistliche und Weltliche Kompositionen des XV. Jahrhunderts. Fünfte Auswahl, hrsg. von Rudolf von Ficker, Wien 1924 (= DTÖ 61). Sieben Trienter Codices: Geistliche und weltliche Kompositionen des XIV. und XV. Jahrhunderts, bearbeitet von Rudolf von Ficker, Wien 1933 (= DTÖ 76).
b.
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Register
Abyndon, Henry 58 Ailly, Pierre d’ 98 Albergati, Niccolo 101, 110 AlenÅon, Herzog von 64 Allsen, Jon Michael 181, 184 f. Anglicanus 49, 196 f., 205 Anjou, Margarete von 31, 67 Anonymus IV 123 f., 128 f. Aragon, Camilla 153 Arezzo, Guido von 73 Aristoteles 70, 81 f., 84, 139 f. Aristoxenos 136, 140 Ashby, George 67 Ataxerxes 71, 155 Athanasius 69 Athenaeus 134 Bacchius 134, 139 Bamburgh, John 42 Barbaro, Francesco 155 Battre, H. 106 Bayern, Isabeau 64 Beauchamp, Richard 98 Beaufort – Edmund 101, 118 – Henry 30 f., 33, 35 – 37, 70, 92 f., 97 – 101, 110, 154 – John 63 Beccaria, Antonio 68 f., 77, 90, 92, 154 f. Beckynton, Thomas 72, 77 Bedford, John 23 – 26, 29 – 41, 56 – 58, 61 – 64, 70, 76, 78, 81, 83 – 87, 89, 91, 93, 97, 99 – 101, 112, 133, 149, 154, 157, 245 f.
Bent, Margaret 43, 111, 133, 180, 183, 187 Berri, Herzog von 65, 76 Besseler, Heinrich 163 Bildestone, Nicholas 85, 93 Billart, Aubert 223, 225 Binchois, Gilles 45, 119 – 121, 127, 130, 225 f. Boccaccio, Giovanni 65, 69, 83, 85, 155 Boethius 23, 84, 128, 135 – 140, 142, 150 Bohun, Mary 32 Brabant – Herzog von 31 – Jacqueline 31, 35, 39, 56 Bracciolini, Poggio 67, 83, 85, 90, 92 f., 96 f., 142, 155 Brassart, Johannes 223 – 225, 251 Brixia, Bassano da 91 Bruni, Leonardo 70 f., 83, 93, 141, 154 – 156 Bukofzer, Manfred 49, 174, 179, 187, 191, 203 Burgund – Anna 33, 38, 58, 62, 64 – Familie 30, 35, 76, 101, 119, 121 – Johann Ohnefurcht 30, 32, 35, 39 – Philipp 33, 38, 64, 119 Burrel, John 57 Byttering 50 f. Caesar 155 Capgrave, John 72 Carmen, Johannes 121 Cassiodorus 135, 139, 142
326
Register
Castiglionchio, Lapo da 71, 83, 154 f. Castiglione – Baldassare 153 – Branda 70, 91, 97, 99 – Zanone 70, 85, 91, 101, 118, 247 Castilien, Giovanni II. 91 Catrik, Johannes 98, 116 Cesaris, Johannes 121, 221, 224, 251 Chaucer, Geoffrey 64 Chauliac, Guy de 63 Chichele – Henry 63 – Reynold 111 Chirbury, Richard 57 Chrysippus 73 Chrysolaras, Manuel 70, 154 Cicero 82, 84 f., 92, 94, 139 – 141, 150 Ciconia, Johannes 90, 167 Clarence, Thomas 44 Clement, Vincent 72 Cobham, Eleanor 35, 70 Cobin, Marian Willner 96, 101, 104 Cooke, John 57, 198 – 200, 209 f. Damett, Thomas 57, 198 – 201 Dante Alighieri 83 Decembrio, Pier Candido 67, 71 f., 77 f., 83, 85 f., 91, 110 f., 152, 154 – 156, 246, 249 Dufay, Guillaume 17 f., 45, 75, 90 – 93, 96, 98, 101, 105, 107 f., 116, 119 – 121, 126 f., 130, 164, 175 f., 180, 219, 225, 227, 229 – 234, 239 f., 242 f., 246, 251 f. Dunstaple – Agnes 23 – John 13 – 18, 21 – 26, 29, 32 f., 36 – 41, 43, 45, 49, 51, 56 – 58, 61 f., 72 f., 76 – 78, 89 f., 92, 101, 105, 107 f., 115, 120 f., 126 – 128, 130, 157, 161, 173 – 176, 179 – 184, 187 f., 190, 192, 194 f., 198, 202, 204, 207, 213 – 215, 224, 226, 229 f., 232 – 234, 243, 245 – 247, 249 – 252 – Margaret 23 Edward III. von England Elders, Willem 167
43
Este – Ercole d’ 91 – Familie 16, 71, 91, 97, 101, 107, 111, 126 – Leonello d’ 16, 68, 92 f., 107, 111, 246 f. – Niccolo d’ 92 Eugen IV., Papst 67, 70, 91 – 93, 100 Euklid 134 f. Fallows, David 164 Felix V. 91 Feltre, Vittorino da 68, 152, 154, 246 Filelfo, Francesco 71, 93, 141, 154 Fleming, Richard 100 Flemyng, Robert 111 Forest, John 196 f., 203 f., 208, 211 Franchois, Johannes 218, 220, 222 – 226, 251 Fregoso, Tommaso 91, 156 Friedrich III., Kaiser 93, 101, 104 – 106, 110 – 112, 247 Frulovisi, Titus Livius 34, 68 f., 77, 83 f., 90, 92, 154 f. Fulda, Adam von 124 Gaffurio, Franchino 128 f., 138 f., 141 f., 144 Gatari, Andrea di 101, 118, 129 Gloucester, Humfrey 23 f., 26, 29 – 41, 56, 58, 61 f., 64 – 73, 76 – 78, 81 – 87, 89 – 95, 97, 99 – 101, 110 – 112, 133, 149, 154 f., 157, 245 – 247, 249 Gonzaga, Lodovico 91, 128 Gregor XII., Papst 98 Grey, William 111 Guarino da Verona 67 f., 71, 83 f., 90, 93, 153 – 155, 246 Gülke, Peter 231 Hamm, Charles 163 f., 174 Handschin, Jacques 203 Harran, Don 167 Harrison, Frank Ll. 43 Heinrich IV. von England 22, 29 f., 32, 34, 66
327
Register
Heinrich V. von England 23, 29 – 36, 38, 56, 58, 64, 66, 72, 93, 97, 99, 155, 198 – 201, 245 Heinrich VI. von England 30 f., 33, 35, 37, 64 – 67, 70, 81, 84, 89, 155 Heinrich VII. von England 124 Heinrich VIII. von England 91 Hoccleve, Thomas 66 f. Holes, Andrew 72 Holford-Strevens, Leofranc 140 Horaz 82, 140 Hothby, John 123 – 128, 136, 139 f., 143 f. Huguito 44 Isidorus von Sevilla
45, 139, 156
Johannes XXIII. 70, 98 John of Gaunt 30, 63 Karl VI. von Frankreich 29 f., 39, 64, 84 – 86, 99, 246 Karl VII. von Frankreich 31, 33 Kaye, Philip R. 164 Kleoneides 135 Kreutziger-Herr, Annette 167 Landriani, Gerardo 100 f., 110, 128 LeFranc, Martin 13, 15, 21, 26 f., 91, 119 – 121, 130, 162, 168, 221, 248, 251 Lens, Jean de 98 Leodiensis, Jacobus 123 Lichfield, Bischof von 98 Lockwood, Lewis 111 Lodi, Bischof von 247 Loqueville, Richard 105 Ludwig III., Pfalzgraf 98 Lupi, Johannes 105 f., 110, 247 Lütteken, Laurenz 107 Luxemburg, Jacquetta 33 Lydgate, John 64 f., 67, 73, 155 Machaut, Guillaume de Macrobius 135, 141 Malatesta – Carlo 98 – Familie 97
47
– Pandolfo III. 90 Mare, Thomas de la 42 Martin V., Papst 31, 71, 98 Matheo de Sancto Johanne 44 Mayshuet 44 Medici – Cosimo 93 – Familie 93 – Lorenzo 93 Moleyn, Adam de 94 Monachus, Guilielmus 125, 136, 139 f., 144 Monte, Pietro del 39, 67 f., 70, 82 – 84, 86, 90 – 93, 111, 154 f., 249 Montfort, Johannes 34 Moot, John 42 Muris, Johannes de 84, 123 Navarra – Johanna 21, 32, 56, 61 – Karl II. 34 Nazianzus, Gregor von 71 Neapel, Alfonso 91 Negro, Francesco 152 Nicomachus 73 Norwich, Bischof von 98 Ockeghem, Johannes 164 Oresme, Nicolaus 81 f. Orleans – Familie 30 – Johanna von 31 Ovid 81 f., 140, 156 Pacini, Antonio 71 Palladius 67 Pareia, Bartolomaeus Ramus de 123, 128, 140, 143 Parisiensis, Matthaeus 85 Pelham, John 34 Petrarca, Francesco 68, 83, 85 Petworth, Richard 93 Piccolomini, Enea Silvio 83, 92 – 97, 104, 110, 247 Pius II. 92 Plato 71, 81 f., 136, 139
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Register
Plinius secundus 85 Plummer, John 45, 115 Plutarch 69, 71, 82, 84, 134, 141, 155 Popplau, Niclas 96, 122 Power, Leonel 49, 105 – 108, 115, 194, 196 f., 204 f., 207, 210, 212 – 214 Premierfait, Laurent de 65 Pseudo-Aristoteles 134 Pseudo-Plutarch 139, 141 Ptolemaeus 134, 140 Pyamour, John 57 Pycard 44 Pythagoras 136, 140, 156 Quintilian
134, 140 f.
Richard II. von England 29 Richental, Ulrich 117, 129, 131 Russel, John 67 Sallust 81 Salutati, Coluccio 70, 83 f., 92, 152, 154 Sanders, Ernest H. 163 Savoyen – Amadeus VIII. 71, 91, 93, 95 f., 104, 110, 119 – Familie 13, 97, 101, 104, 110, 112, 119, 246 f. – Louis 91 Scheerre, Herman 62 f. Schmidt-Beste, Thomas 168 Scipio 155 Scott, Ann Besser 111, 163, 208 Seneca 81 f., 141 Sforza, Costanzo 153 Sigismund, Kaiser 30, 32 f., 35, 38, 58, 94, 97 – 100, 105 Sizilien, Johanna 33 Socrates 81, 140 Soest, Johannes von 96, 121 f. Spataro, Giovanni 128
Stahura, Raymond E. 179 Strohm, Reinhard 87, 89, 111, 131, 134, 180 Sturgeon, Nicholas 57, 198 f., 201 Summers, William 42 Tapissier, Johannes 121, 219, 222, 224, 251 Themistius 139 Tinctoris, Johannes 13, 21, 26 f., 126 – 131, 134, 137 f., 140 – 145, 156, 161 f., 168, 248, 251 Titus-Livius 81 Tourtier, Jean 63 Traversari, Ambrogio 67 f., 90, 93, 97, 142 Upton, Nicholas
67
Valendrinus, Johannes 123 Valla, Giorgio 135 Valois, Katharina 38, 58 Vergil 82, 118, 131, 139 f. Vinsauf, Geoffrey von 42 Visconti – Familie 36, 71, 86, 100, 110, 154 – Filippo Maria 91, 99 Vitruv 139 Vitry, Philippe de 45, 47 Wakering, Johannes 98, 116 Wallingford, Richard 42 Warwick, Familie 65, 85, 98, 117 Wathey, Andrew 26, 72, 75 Wessyngton, John 45 Westmoreland, Familie 66 Whethamstede, John 22, 24 f., 32, 34, 36 f., 42, 55 f., 72 – 74, 83, 85 f., 99 f., 133, 157, 247, 249 Zacar 44 Zuan, Pietro 91