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German Pages [883] Year 2012
QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR HÖCHSTEN GERICHTSBARKEIT IM ALTEN REICH HERAUSGEGEBEN VON FRIEDRICH BATTENBERG, ALBRECHT CORDES, ulrich eisenhardt, peter oestmann, Wolfgang Sellert
Band 61
Geistliche und weltliche Gerichte im Alten Reich Zuständigkeitsstreitigkeiten und Instanzenzüge
von Peter Oestmann
2012 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Der Druck erfolgt mit freundlicher Unterstützung des Exzellenzclusters „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“ der Universität Münster.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Die Paradiesvorhalle des Domes zu Münster. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Fotografen Rudolf Wakonigg.
© 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20865-3
Vorwort
Gegen die vielbeschworene Krise der Monographie1 hilft nur eines: Bücher schreiben. Das aber ist oft nicht leicht. Nur zu häufig fehlt die dafür notwendige Ruhe, vielleicht auch der lange Atem, manchmal wohl eine spannende Fragestellung, fesselnd genug, die Arbeitskraft einige Jahre zu binden. Ablenkungsmöglichkeiten gibt es zuhauf, nicht zuletzt in Form immer häufigerer Tagungen mit immer neuen Schreibverpflichtungen für immer zahllosere Sammelbände. Das Bekenntnis zur Einzelforschung und zum Buch war eine Selbstverpflichtung, die ich 2007 gern abgegeben habe, als in Münster ein geisteswissenschaftlicher Exzellenzcluster über „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“ entstand. Die Vertiefung in eine größere und längere Arbeit erwies sich als belebendes Gegengewicht zur höchst anregenden interdisziplinären Betriebsamkeit. Erste Quellenerschließungen eröffneten mir 2007 ein weitgehend brachliegendes frühneuzeitliches Rechtsproblem. Es folgten zahlreiche Archivreisen, die zu meinen schönsten Erlebnissen der vergangenen Jahre zählen. Die Niederschrift begann 2009. Neben der Arbeit mit den alten Akten bereitete mir das Ringen um die Sprache große Freude. Rechtsgeschichte ist nicht grau und hat es nicht verdient, wenn knöcherner Bürokratenton ihr die Farbigkeit raubt. Aber auch wenn es möglich ist, die lebensprallen frühneuzeitlichen Sachverhalte bunt zu schildern, bleibt doch viel komplizierter Kleinkram am Wegesrand liegen, leider gerade dort, wo es um die rechtlichen Feinheiten geht. Für Begriffe wie „geistliche und weltliche Gerichte“ gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten. Deswegen tauchen sie scharenweise auf. Im Zweifel gebührt der Genauigkeit Vorrang vor allzu flottem Stil. Ein besseres Forschungsumfeld als in Münster hätte ich mir in den vergangenen Jahren nicht wünschen können. Das Rektorat gewährte großzügig Freisemester. Die Beschaffung der Literatur, auch zeitgenössischer gedruckter Quellen, war praktisch unbegrenzt möglich, der Druckkostenzuschuß im voraus bewilligt. Zahlreiche Gespräche mit Kollegen schärften die Sicht und klärten manchen Zweifel. Das gilt zunächst für mehrere Vorträge, die ich im Rahmen verschiedener Clustersitzungen halten durfte. Dann konnte ich aus einem geisteswissenschaftlichen Methodenworkshop Honig saugen. Dabei legten wir eigene Texte vor und diskutierten darüber, ganz so, wie auch der __________________________________ 1
Z i m m e r m a n n , Juristische Bücher, S. 3328.
VI Arbeitskreis „Augen der Rechtsgeschichte“ es seit vielen Jahren erprobt. Bei dieser Gelegenheit las Barbara Stollberg-Rilinger einen Hauptteil der Untersuchung und unterzog ihn ihrem scharfsinnigen Blick. Ihre Anmerkungen haben mir gutgetan, auch ihre Ratschläge zum Schlußkapitel. Auf einer zusammen mit Thomas Duve veranstalteten Arbeitstagung zur frühneuzeitlichen Jurisdiktionskultur in Staat und Kirche habe ich mein Thema ebenfalls vorgestellt. Bewußt verzichteten wir auf den sonst üblichen Sammelband und ließen unsere Gedanken reifen. Besprochen habe ich einige meiner Quellen auch in einer gemeinsam mit Wilfried Reininghaus abgehaltenen rechtshistorischen Übung sowie bei einem mit Heikki Pihlajamäki in Helsinki veranstalteten Seminar. Unkompliziert wie immer verlief die Zusammenarbeit mit den beteiligten Archiven. Leider verweigern zu viele Rechtshistoriker den unmittelbaren Zugriff auf die ungehobenen Schätze der handschriftlichen Überlieferung. Für mich ist das eine wesentliche Motivationsquelle. Der Staub der Archive ist der Dünger der Rechtsgeschichte. Meine Lehrstuhlmitarbeiter hatten nicht nur technische Aufgaben und Literaturbeschaffungen zu bewältigen. Oft genug ging es um kleinste Einzelfragen, deren Klärung viel Zeit in Beschlag nahm. Dies betrifft unter anderem die Auflösung von Allegationen und zeitgenössischen Literaturhinweisen sowie die Erhebung normativer partikularer Rechtsquellen. Ich bin froh, daß ich solche Hilfe in Anspruch nehmen konnte. Vor allem Sandro Wiggerich war mir ein wertvoller und strenger Gesprächspartner, der oft genau die richtigen Fragen stellte. Die Herausgeber der „Quellen und Forschungen“ haben mein Buch in unsere Grüne Reihe aufgenommen, Dorothee Rheker-Wunsch hat es wie immer zuverlässig von Seiten des Böhlau-Verlages aus betreut. Mit diesem Band ändert die Reihe ein wenig ihr Aussehen. Der Umschlag zeigt das Paradies des Münsteraner Domes. Hier tagte das Offizialatsgericht, das im ersten Hauptteil der Untersuchung vielfach auftaucht. Christus als Weltenrichter, Paulus mit Richtschwert und viele Heilige als Schöffen und Urteiler bildeten ein steinernes Rechtssymbol für die katholisch-geistliche Gerichtsbarkeit. Die Abbildung hinter dem Inhaltsverzeichnis zeigt genau darunter den Konsistorialsaal im ehemaligen Katharinenkloster in Lübeck. „Pro veritatem et iudicium pacis iudicate“, lautete die Aufforderung an das evangelische Kirchengericht. Die Bücher, Altbestand der Stadtbibliothek, kamen erst im 18. Jahrhundert hinzu. Vorweg noch ein Wort zu den Fußnoten. Wenn sich die Parteien auf gelehrte Literatur oder Rechtsquellen beriefen, steht das oft im Haupttext. In den Anmerkungen sind die Belegstellen nur dann nachgewiesen, wenn ich
VII selbst sie überprüft habe. Die angegebenen Seitenzahlen und Präzisierungen sind damit oft genauer als die Hinweise der zeitgenössischen Anwälte. Es gibt also in jeder Hinsicht Grund zur Dankbarkeit, wie immer auch gegenüber meiner Familie. Selbst in zwei Sommerurlaube konnte ich mein Manuskript mitnehmen. Wie dort in frühesten Morgenstunden am Dambecker See vor Sonnenaufgang ganze Abschnitte entstanden sind, zählt zu den Eindrücken, die ich nicht vergessen werde. Trotzdem lege ich am Ende die Feder gern aus der Hand. Münster, im November 2011
Peter Oestmann.
Inhaltsübersicht I. Einleitung............................................................................................................... 1 1. Annäherungen ................................................................................................ 3 2. Forschungsziel ................................................................................................ 6 3. Eingrenzung des Untersuchungsraums und Quellenauswahl ............... 14 4. Forschungsstand .......................................................................................... 24 5. Vorgehensweise und Darstellungsprobleme ........................................... 32 II.
Münster ........................................................................................................ 36
III.
Osnabrück .................................................................................................230
IV.
Hildesheim .................................................................................................263
V.
Lübeck ........................................................................................................306
VI.
Mecklenburg ..............................................................................................351
VII. Schleswig-Holstein-Lauenburg...............................................................397 VIII. Lippe ...........................................................................................................423 IX.
Hamburg ....................................................................................................526
X.
Jülich-Berg................................................................................................ .596
XI.
Ergebnisse..................................................................................................716 1. Gegen endlose Vorgeschichten ...............................................................717 2. Überregionale Problemfelder und Argumente ......................................719 3. Prozessuale Besonderheiten .....................................................................722 4. Typische Argumentationsmuster .............................................................723 5. Partikulare Vielfalt......................................................................................728 6. Zum Schweigen religiöser Argumente vor Gericht ..............................736 7. Rechtsgeschichte als Geschichte von Rechtsstreitigkeiten..................737
X
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung............................................................................................................... 1 1. Annäherungen ................................................................................................ 3 2. Forschungsziel ................................................................................................ 6 3. Eingrenzung des Untersuchungsraums und Quellenauswahl ............... 14 4. Forschungsstand .......................................................................................... 24 5. Vorgehensweise und Darstellungsprobleme ........................................... 32 II. Streitigkeiten um den Instanzenzug im Fürstbistum Münster .................. 36 1. Das Münsteraner Offizialat als geistliches und weltliches Gericht ...... 40 a) Name und Funktion des Offizialats als Zivilgericht ........................ 41 b) Geistlicher Streitgegenstand und doppelte Hofgerichtsbarkeit ..... 45 c) Spezielle geistliche Streitgegenstände.................................................. 48 d) Die Rechtsauffassung des Kölner Kurfürsten .................................. 52 e) Zusammenfassung der Quellenaussagen............................................ 53 f) Beurteilung des Offizialats in der historischen Forschung .............. 54 2. Das Kölner Offizialat als Appellationsgericht in weltlichen Zivilsachen......................................................................................................... 58 a) Der Prozeß Komnis gegen Schulte Sudhoff 1595/96 ..................... 67 aa) Das prätorische Edikt und das Verbot widersprüchlichen Verhaltens .............................................................................................. 68 bb) Ein kammergerichtliches Verbot der Appellation von Münster nach Köln .............................................................................. 70 cc) Exzeptionen gegen das Appellationsverbot von Münster nach Köln .............................................................................................. 71 dd) Zur unklaren Haltung des Reichskammergerichts ................... 75 b) Der Prozeß Bischopinck gegen Jungermann 1601 .......................... 77 aa) Argumente gegen die Appellation von Münster nach Köln ........................................................................................................ 78 bb) Zur unklaren Haltung des Reichskammergerichts ................... 79 cc) Unvordenkliches Herkommen als Argument für die Appellation von Münster nach Köln................................................. 81 dd) Die Intervention des Kurfürsten von Köln .............................. 84 aaa) Das Stift Münster als Suffraganat des Erzstifts Köln ....... 85 bbb) Observanz und Gewohnheit ............................................... 86 ccc) Das iurisdictio-Problem ........................................................... 87 ee) Bischopincks Replik auf die kurfürstliche Intervention ........... 92
Inhaltsverzeichnis
XI
aaa) Die Regalienbelehnung als Grundlage territorialer Gerichtsbarkeit ................................................................................ 95 bbb) Gegen böse Appellationsgewohnheiten ............................ 97 ccc) Zur gemischten Zuständigkeit des Münsteraner Offizials ............................................................................................ 98 c) Der Senatsbeschluß des Reichskammergerichts von 1603............100 d) Der Prozeß Heinrich Mumme gegen den Münsteraner Offizial 1608 ..............................................................................................104 aa) Regalien, Jurisdiktionsgewalt und Reichsunmittelbarkeit ......104 bb) Umdeutung in eine geistliche Streitigkeit ................................105 cc) Die Intervention des Kölner Kurfürsten und der Streit um das weltliche Hofgericht .............................................................106 dd) Offene Rechtsprobleme als Argumentationsvorteil ..............109 e) Die hochstift-münsterische Regierung als Revisionsgericht seit 1651 .....................................................................................................112 f) Streitfälle aus dem späteren 17. und 18. Jahrhundert .....................115 g) Ergebnis.................................................................................................121 3. Der Apostolische Nuntius als Appellationsinstanz in weltlichen Zivilsachen.......................................................................................................123 a) Prozeßhandlungen des Apostolischen Nuntius in weltlichen Zivilprozessen ...........................................................................................126 b) Vorwürfe gegen die Anrufung des Nuntius und seine Prozeßführung ..........................................................................................131 aa) Unordentlichkeit des Verfahrens und Verstoß gegen die Reichskammergerichtsordnung ........................................................132 bb) Unzuständigkeit des Nuntius ....................................................134 cc) Vermischung der Gerichtsbarkeiten .........................................136 dd) Beschwerung der Untertanen ....................................................138 ee) Schmälerung des Reichskammergerichts..................................140 ff) Ausländische und fremde Gerichtsgewalt .................................144 gg) Zur Regalienbelehnung durch den Kaiser ...............................147 hh) Zum Quellenwert der Supplikationen und Narrationen .......149 c) Rechtliche Argumente gegen die Zuständigkeit des Nuntius in Zivilsachen ............................................................................................150 aa) Die Konkordate aus dem 15. Jahrhundert ...............................151 bb) Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 .......................155 cc) Der Jüngste Reichsabschied von 1654......................................158 dd) Die kaiserlichen Wahlkapitulationen ........................................163 ee) Zur Untätigkeit des Kölner Kurfürsten....................................169 d) Die Person des Beklagten...................................................................170 e) Die Mandate des Reichskammergerichts .........................................176
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Inhaltsverzeichnis
f) Die Zustellung der Mandate und der Fortgang der Streitigkeiten ..............................................................................................182 g) Die Exzeptionen der Beklagten .........................................................191 aa) Geistliche Parteien und ihr privilegium fori .................................191 bb) Streit um die Prorogation ...........................................................194 cc) Ähnlichkeiten in den Exzeptionsbegründungen .....................196 dd) Streitwert und Rechtswegzuweisung ........................................201 ee) Surrogationsfälle ...........................................................................203 ff) Eine späte Exzeptionsschrift von 1666 .....................................207 gg) Paritionserklärungen ....................................................................210 h) Innerkirchliche und politische Maßnahmen des Nuntius zur Verteidigung seiner Gerichtsgewalt .......................................................214 i) Ergebnis..................................................................................................218 4. Ergebnis .......................................................................................................224 III. Streitigkeiten um den Instanzenzug im Fürstbistum Osnabrück ..........230 1. Ein Mandatsprozeß von 1615 ..................................................................234 2. Justus Möser und der Rekurs an den Apostolischen Nuntius ............238 a) Sachverhalt und Prozeßgeschichte ....................................................239 b) Justus Mösers kammergerichtliche Supplikation ............................241 c) Das Rechtsschutzbedürfnis als besonderes Problem .....................244 d) Das Mandat des Reichskammergerichts ..........................................246 e) Die Exzeptionen des Wiedenbrücker Stifts .....................................247 aa) Rückgriff auf die Rechtsgeschichte und gemeinrechtliche Literatur ................................................................................................247 bb) Zur Osnabrücker Capitulatio perpetua von 1650 ..................249 cc) Weitere Exzeptionen, Aktenversendung, konfessionelle Vorwürfe ..............................................................................................251 f) Die Intervention des kaiserlichen Fiskals .........................................253 g) Justus Mösers Replikschrift ................................................................255 aa) Abgabenpflicht und Verfügungsfreiheit über Grundstücke ........................................................................................255 bb) Rückgriff auf die territoriale Verfassungsgeschichte .............256 cc) Unzuständigkeit der geistlichen Gerichte in Steuersachen ....258 3. Ergebnis .......................................................................................................260
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IV. Der Streit um den Rekurs an die päpstliche Kurie im Hochstift Hildesheim.............................................................................................................263 1. Sachverhalt und Prozeßgeschichte des geistlichen Rechtsstreits........268 2. Das Verfahren vor dem Reichskammergericht .....................................272 a) Politische und geistliche Angelegenheiten und der Reichsabschied von 1512 ........................................................................273 b) Verteidigung der weltlichen Landesherrschaft................................275 c) Das Mandat des Reichskammergerichts ...........................................277 d) Die Exzeptionen des Hildesheimer Stifts ........................................278 aa) Zur Beschränkung der geistlichen Gerichtsbarkeit durch Observanz ............................................................................................281 bb) Das privilegium fori der Geistlichen als zwingendes Recht ......283 cc) Zum Eintritt der Erben in den Rechtsstreit ............................288 3. Das Verfahren vor dem Reichshofrat.....................................................289 a) Unzufriedenheit der Hildesheimer Regierung mit dem Reichskammergericht...............................................................................290 b) Die Einschaltung des Reichshofrats .................................................294 c) Das Reskript Kaiser Karls VI. ...........................................................295 d) Das kaiserliche Promotorialschreiben an das Reichskammergericht .........................................................................................................299 e) Der Brief des Kaisers an seinen Gesandten beim Papst und der Prozeßausgang ...................................................................................300 4. Ergebnis .......................................................................................................302 V. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus der Reichsstadt Lübeck .........................306 1. Ehesachen zwischen Konsistorium, Rat und Appellationsinstanz ....310 a) Eherecht als weltliches Recht .............................................................311 b) Analogie zu strafrechtlichen oder politischen Angelegenheiten ..312 c) Verurteilung zur Eingehung der Ehe ................................................322 d) Ein Rechtsstreit von 1630 ..................................................................324 e) Ein Scheidungsprozeß von 1695 .......................................................326 f) Unterschiede zwischen protestantischen und katholischen Territorien..................................................................................................331 2. Befreiungen von der ordentlichen Gerichtsbarkeit ..............................332 a) Zur Patrimonialgerichtsbarkeit des Johannisklosters .....................332 b) Zur Exemtion eines Hamburger Domherren .................................334 c) Das privilegium fori evangelischer Domvikare....................................337 d) Die Haltung der Stadt Lübeck zum Klerikerprivileg .....................344 3. Ergebnis .......................................................................................................346
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VI. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus Mecklenburg ..........................................351 1. Geistliche Gerichtsbarkeit und Verdichtung der Landesherrschaft ..353 a) Landesherrliche geistliche Gerichtsgewalt als Bedrohung des überkommenen Oberhofzuges ..............................................................353 b) Der Kampf der Stadt Rostock gegen das landesherrliche Konsistorium.............................................................................................358 c) Zur Dingpflicht Wismarer Bürger zwischen Ratsgericht und Konsistorium.............................................................................................363 2. Der mecklenburgische Instanzenzug in Konsistorialsachen...............373 a) Streit um den Rechtsmittelzug 1560 .................................................374 b) Herzog Ulrich von Mecklenburg und der Instanzenzug ...............375 c) Kritik an der herzoglichen Gerichtsverfassung...............................379 d) Der gefestigte dreistufige Instanzenzug ...........................................383 3. Ergebnis .......................................................................................................393 VII. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus Schleswig-Holstein-Lauenburg .........397 1. Die Gerichtsgewalt über die Klosterjungfrauen zu Preetz ..................398 2. Der Streit um den Instanzenzug in Ehesachen im Herzogtum Sachsen-Lauenburg ........................................................................................405 a) Zum summarischen Verfahren in Konsistorialsachen ...................409 b) Zum Appellationsverbot in Ehesachen ...........................................413 3. Ergebnis .......................................................................................................420 VIII. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus der Grafschaft Lippe .........................423 1. Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten .....................................427 a) Der Grundsatzstreit von 1738..........................................................430 aa) Ein landesherrlicher Eingriff in die Konsistorialgerichtsbarkeit .....................................................................................431 bb) Zur Einheit weltlicher und geistlicher Gewalt ........................433 b) Der Grundsatzstreit von 1765/70...................................................438 aa) Die Auffassung der Tübinger Juristenfakultät von der vollen Anwendbarkeit des kanonischen Rechts ............................439 bb) Die Auffassung des Hofrichters von der beschränkten Gerichtsgewalt des Konsistoriums ..................................................441 cc) Die Haltung der lippischen Kanzlei zur Unabhängigkeit des Konsistoriums vom Landesherrn .............................................449 dd) Zwischenergebnis ........................................................................461
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2. Persönliche Befreiung von der Konsistorialgerichtsbarkeit ................463 a) Der Streit um Paderborner Untertanen in der Grafschaft Lippe .........................................................................................................464 aa) Paderborner Einmischung in einen lippischen Konsistorialprozeß .............................................................................465 bb) Streit um den Pastor von Schwalenberg ..................................469 b) Der Streit um die Kapitularjungfrauen von Cappel .....................470 aa) Unterwerfung der Klosterjungfrauen unter das Offizialat Werl.......................................................................................................473 bb) Einbindung der Klosterjungfrauen in den lippischen Flächenstaat .........................................................................................476 c) Der Streit um das privilegium fori für Landsassen ............................482 aa) Die Rechtsauffassung des adligen Hofrichters ........................484 bb) Die Auffassung der lippischen Kanzlei von der umfassenden persönlichen Zuständigkeit des Konsistoriums ....488 cc) Zwischenergebnis .........................................................................489 3. Appellation in Konsistorialsachen...........................................................491 a) Zwangsverheiratung als Grund für eine Nichtigkeitsklage ...........495 b) Appellationserlaubnis in Zehntsachen .............................................502 c) Ein Grundsatzstreit um Fuhrdienste für neue Pastoren................504 d) Seitenblick: Mosers und Pütters Auffassungen zum Hellmund-Prozeß .....................................................................................519 4. Ergebnis .......................................................................................................522 IX. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus der Reichsstadt Hamburg ....................526 1. Streitigkeiten um das privilegium fori für Geistliche ................................529 a) Güterarrest gegen den Domherrn Johann Moller ..........................530 b) Landesverweisung gegen einen Domvikar ......................................537 c) Ein Bürgschaftsstreit zwischen Domangehörigen und Ratsherren ..................................................................................................539 d) Ein Appellationsprozeß zwischen Domkapitel und Rat ...............541 e) Doppelte Rechtshängigkeit vor weltlichem und geistlichem Gericht .......................................................................................................548 f) Das Klerikerprivileg im Spannungsfeld zum Appellationsprivileg ........................................................................................................551 g) Beschränkung des Klerikerprivilegs bei Widerklagen ....................553 h) Ausdehnung des Klerikerprivilegs von Kanonikern auf Vikare ..558 i) Zur Erstreckung des privilegium fori auf Witwen ...............................559 j) Zwischenergebnis .................................................................................561
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2. Spezielle Appellationsverbote in geistlichen Sachen ............................563 a) Zur Appellation in Patronatsangelegenheiten .................................564 b) Streit um einen Ehezärter ...................................................................566 c) Zum Verhältnis von Appellation und Revision ..............................570 3. Stillschweigende Appellationserlaubnis in Ehesachen .........................573 a) Die gescheiterte Ehe des kaiserlichen Hofbibliothekars ...............573 b) Streit um Vaterschaft und Unterhaltszahlungen.............................574 c) Argumente für die Appellationserlaubnis in Scheidungssachen...576 d) Argumente gegen die Appellationserlaubnis in Scheidungssachen .........................................................................................................580 4. Streitigkeiten um den Instanzenzug vom Domkapitel an die Reichsgerichte .................................................................................................583 a) Die Appellation des Hamburger Domdekans .................................585 b) Der Bremer Erzbischof als Metropolit des Hamburger Doms ...586 c) Argumente für die Sprungappellation...............................................589 5. Ergebnis .......................................................................................................592 X. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus dem Herzogtum Jülich-Berg.................596 1. Weltliche Sachen vor geistlichen Gerichten ..........................................603 a) Zur Gerichtsgewalt eines landesherrlichen Sondergerichts ..........604 b) Übergriffe des Lütticher Offizials in weltliche Angelegenheiten aus Jülich-Berg ..............................................................................609 c) Ein jülich-bergischer Diffamationsprozeß vor dem Kölner Offizial........................................................................................................610 d) Streit um die Besteuerung des Ritterordens zwischen der Rota Romana und dem Reichskammergericht ....................................611 e) Der Reichsfiskal im Kampf mit der Rota Romana wegen Erbforderungen eines adligen Bastards ................................................617 f) Streit um Pfründe eines Pfarrers ........................................................626 g) Streit um Zehntforderungen eines Pfarrers .....................................629 2. Geistliche Sachen vor weltlichen Gerichten ..........................................634 a) Zehntpflicht des Stifts Prüm im Dorf Rödingen ............................634 b) Streit um den persönlichen Status.....................................................635 c) Legitimitätsfragen im Erbschaftsprozeß ..........................................636 d) Zwischenergebnis zu den gegenläufigen Argumentationslinien ...........................................................................................................638 e) Streit um das Ehegattenerbrecht einer Klosterjungfrau ................641 f) Tod während des Scheidungsverfahrens ..........................................646 3. Geistliche Gerichtsbarkeit Kurkölns und Lüttichs in Jülich-Berg .....650
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a) Vertreibung einer untreuen adligen Ehefrau ...................................652 b) Streit zwischen Jülich-Berg und Kurköln um belgische Dörfer .........................................................................................................657 c) Offizialatsprozeß trotz Rechtshängigkeit am weltlichen Gericht .......................................................................................................661 d) Verweisung von der jülich-bergischen Hofkanzlei an das Kölner Offizialat.......................................................................................662 e) Spielräume bei Einbindung der Landdechanten in die weltliche Justiz ..........................................................................................665 f) Weltliche Zuständigkeit bei Rechtsverweigerung durch das geistliche Gericht ......................................................................................668 g) Ein Malteserritter als Beklagter in einem weltlichen Injurienprozeß.........................................................................................................672 h) Ein später Grundsatzstreit um die Anrufung des Offizialats in Abgabensachen.....................................................................................674 i) Zwischenergebnis .................................................................................679 4. Appellation an den Apostolischen Nuntius in weltlichen Sachen ..............................................................................................................680 5. Streit um das privilegium fori für Geistliche ..............................................683 a) Ein früher Fall von 1550 .....................................................................684 b) Klostergüter zwischen Jülich-Berg und Brabant ............................684 c) Zum weltlichen Gerichtsstand einer Klosterjungfrau ....................686 d) Die Unterstellung des Kölner Domkapitels unter die weltliche Gerichtsbarkeit .........................................................................686 e) Heranziehung des Stifts St. Mariengraden zu Kriegskosten .........688 f) Die Gerichtsstandsprivilegien des Malteserordens .........................689 g) Das Klerikerprivileg im Lichte des Provisionalvergleichs von 1621 ....................................................................................................691 h) Zwischenergebnis ................................................................................697 6. Allgemeine und spezielle Appellationsverbote......................................699 a) Zur Appellation in possessorischen Streitigkeiten ..........................700 b) Ehegattenbesitz zwischen weltlichem und geistlichem Gericht .......................................................................................................704 c) Die Leibzuchtsrechte der Margaretha von Oeffte ..........................707 d) Anspruch auf Zahlung von Heiratssteuern .....................................709 e) Petitorischer Streit um geistliche Zehntsachen ...............................710 f) Zwischenergebnis .................................................................................711 7. Ergebnis .......................................................................................................712
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Inhaltsverzeichnis
XI. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse .....................................716 1. Gegen endlose Vorgeschichten ...............................................................717 2. Überregionale Problemfelder und Argumente ......................................719 3. Prozessuale Besonderheiten .....................................................................722 4. Typische Argumentationsmuster .............................................................723 5. Partikulare Vielfalt......................................................................................728 6. Zum Schweigen religiöser Argumente vor Gericht ..............................736 7. Rechtsgeschichte als Geschichte von Rechtsstreitigkeiten ..................737 Quellen und Literatur ..........................................................................................739 Register...................................................................................................................832
Geistliches Gericht in Münster (oben, Foto: Rudolf Wakonigg) und Lübeck (unten, Foto: Peter Oestmann). Erläuterungen im Vorwort S. VI.
I. Einleitung
Gerichtsakten bewahren den schriftgewordenen Kampf ums Recht. Das gilt nicht nur heute oder für die Zeit Rudolf von Jherings, der die schöne Formulierung vom Kampf ums Recht 1872 in freilich anderem Zusammenhang prägte1. Auch der Blick in vergilbte Archivalien längst vergangener Jahrhunderte fördert Zwist zu Tage, einen Kampf ums Recht, den die Beteiligten mit Hilfe ihrer Anwälte in der frühen Neuzeit ausfochten. Sie kämpften unter hohem Zeitaufwand um streitige Sachverhalte und knifflige Rechtsfragen. Im folgenden geht es weniger um offene, unklare Tatsachen, sondern um ein spezielles, inzwischen lange verschüttetes, aber damals wichtiges Rechtsproblem. Oftmals entzündete sich der Streit an der Frage nach dem zuständigen Gericht oder nach dem richtigen Instanzenzug. Besonders unübersichtlich sah die Gerichtsverfassung aus, wenn geistliche und weltliche Gerichte aufeinanderprallten oder zusammenwirkten. Davon handelt dieses Buch. Am Beispiel zahlreicher Schlaglichter auf etwa zehn norddeutsche Territorien2 kommen zeitgenössische Anwälte mit ihren rechtlichen Argumenten ebenso zu Wort wie die Gerichte mit ihren Urteilsbegründungen, in gebotenem Maße auch die frühmodernen Rechtsquellen und die vielstimmigen Äußerungen der gelehrten Literatur. Der gezielte Blick auf die Scheidelinie von geistlicher und weltlicher Justiz setzt als Selbstverständlichkeit ein Links und Rechts jenseits und diesseits der Grenze voraus. Diese Kernbereiche klar weltlicher und klar geistlicher Gewalt, weit genug von der Grenze entfernt, um nicht in Streit zu geraten, spielen in der Untersuchung keine Rolle. Ob und in welchem Umfang es sie überhaupt gab, ist nicht Gegenstand der Fragestellung. Vielmehr ist es die Grenzziehung an sich, die aus
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J h e r i n g , Kampf ums Recht, S. 13, spricht unter anderem vom „legalen Kampf ums Privatrecht in Form des Prozesses“. Die Untersuchung deckt mehrfach die Grenzen der quantifizierenden Methode auf. Deshalb ist es unwichtig, die Zahl der verglichenen Territorien hier anzugeben, selbst wenn dies kinderleicht wäre. Zur Vernebelung sind zudem Sachsen-Lauenburg und Holstein unter ein schleswig-holsteinisches Dach gezwängt, Lübeck dagegen nicht. Freilich war die Reichsunmittelbarkeit des Fürstbistums Münster in Gerichtssachen streitig. Es ist daher nicht leicht anzugeben, welches der behandelten Gebiete überhaupt ein Territorium im frühneuzeitlichen Sinne war. Dasselbe gilt für Jülich-Berg. Vielleicht waren die verbundenen Herzogtümer ja zwei Territorien.
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Einleitung
prozeßrechtsgeschichtlicher Sicht ins Blickfeld gerät3. Offenbar gab und gibt es ein Verlangen der Juristen danach, ihren Gegenstand in zwei Hälften zu zerteilen. Eine kurze Rückschau zeigt überall Recht im Plural – „Jura“ im Wortsinn eben. Das Recht läßt sich heute wie früher in verschiedene Gebiete einteilen. Große Weichenstellungen haben mehrfach zu Zweiteilungen geführt. Im antiken römischen Recht waren es öffentliches Recht und Privatrecht oder aber Naturrecht und positives Recht, in das man die Gesamtheit des Stoffes gliedern konnte4. Die Unterscheidung von altem Zivilrecht und neuerem prätorischen Recht war ebenso geläufig5. Die mittelalterliche gelehrte Tradition unterschied unter anderem ius disponens und ius dispositivum, also das gegebene allgemeine Recht und das durch Parteiwillen entstehende spezielle Recht. Einmal handelte es sich um „lex seu statutum“, einmal um „obligatio et actio“6. Ebenso kann man mündlich überliefertes und schriftlich fixiertes Recht voneinander trennen7 oder aber staatliches und nichtstaatliches Recht8. Wenn die europäische Rechtstradition aber von „Jura“ spricht, vom Recht im Plural, und Juristenfakultäten einen Doktortitel „iuris utriusque“ verliehen, einige sogar noch heute, bezieht sich diese Zweiteilung auf eine andere Unterscheidung. Es geht hier um die beiden überkommenen gelehrten Rechte, das weltliche und das geistliche Recht, ius civile und ius canonicum. Über Jahrhunderte hörten europäische Studenten das kanonische Recht oder das weltliche Recht, oder sie studierten beides. Es gab Lehrstühle für die je eigenen Quellenmassen, es gab gelehrte Literatur oder Entscheidungssammlungen, die sich dem einen oder dem anderen Rechtsgebiet widmeten. Die Rede vom rezipierten römisch-kanonischen Recht vergröbert und verwischt den damals wichtigen Unterschied. Im Rückblick erscheinen die Gemeinsamkeiten zwischen römischem und kanonischem Recht natürlich 3
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Zur neueren Diskussion in der Geschichtswissenschaft um Grenzen: H e r b e r s / J a s p e r t , Grenzräume und Grenzüberschreitungen; K n e f e l k a m p / B o s s e l m a n n - C y r a n , Grenze und Grenzüberschreitung im Mittelalter; B o c k / J o s t k l e i g r e w e / W a l t e r , Faktum und Konstrukt; Hinweis auch bei O e s t m a n n , Prozesse aus Hansestädten, S. 115. D. 1, 1, 4; D. 1, 2, pr. Freilich waren auch Dreiteilungen möglich, etwa des Privatrechts bei Ulpian D. 1. 1. 1. 2., kurz dazu W e s e l , Geschichte des Rechts in Europa, S. 71. So bei Papinian: D. 1, 1, 7, dazu W i e ac k e r , Römische Rechtsgeschichte I, S. 470-478; H a r k e , Römisches Recht, S. 8-9; W e s e l , Geschichte des Rechts in Europa, S. 69-70. B a r t o l u s , zu C. 2, 58, 2, 2 (§ quod observari) n. 29-30, S. 298; dazu W i e g an d , Studien, S. 56-57. M e d e r , Ius non scriptum, S. 9-10; K a n n o w s k i , Aufzeichnung des Rechts, Sp. 347355. J a n s e n , Das gelehrte Recht, S. 159-186; d e r s . , The Making of Legal Authority.
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übergroß. So stellt man beide dem ungelehrten Recht gegenüber und erhält damit eine weitere Zweiteilung9, nämlich das gelehrte Recht und die rechtsgewohnheitliche Tradition. Aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht hat die Gleichmacherei beim gelehrten Recht freilich ihre Grenzen. Über Jahrhunderte bestanden bekanntlich zwei europäische Rechtswissenschaften: Legistik und Kanonistik10. Es gab nicht nur zwei gelehrte Rechte, sondern auch zwei Arten von Gerichtsbarkeit, die weltliche und die geistliche Gerichtsbarkeit. Unabhängig von der gelehrten oder rechtsgewohnheitlichen Tradition verweist diese Doppelung auf die alltägliche Praxis. Die Antwort auf die Frage, vor welchem Gericht eine bestimmte Streitsache zur Sprache kam, hing möglicherweise genau davon ab, wo die Grenzlinie zwischen weltlichem und kirchlichem Recht verlief oder welchen Status die jeweiligen Parteien hatten. Diese Grenze ist es, die in der vorliegenden Untersuchung im Mittelpunkt des Interesses steht. Wie der Kirchenhistoriker Rudolf Reinhardt treffend bemerkte, ist es eine „schwierige Aufgabe“, die Gerichtsbarkeit im weltlichen und „geistlichen Wesen“ zu untersuchen, ohne „doktrinäre Grenzen wie kirchlich oder staatlich“ vorschnell festzulegen11.
1. Annäherungen Kirchliches und weltliches Recht lassen sich auf verschiedene Weise voneinander abgrenzen. So kann man diejenigen materiellrechtlichen Bereiche nennen, die im kanonischen Recht besondere Bedeutung hatten12. Wie sich dabei feststellen läßt, waren zahlreiche Fragen, die aus moderner Sicht zum Zivilrecht gehören, lange Jahrhunderte, sogar bis ins 19. Jahrhundert hinein, kirchenrechtlicher Natur. Besonders prominentes Beispiel ist das Eherecht vor Einführung der obligatorischen Zivilehe, also vor der Gründung von Standesämtern13. Auch rechtshistorische Detailstudien enthalten teilweise solche materiellen Unterscheidungen. Siegfried Brie hat in seiner klassischen Untersuchung zur Geschichte des Gewohnheitsrechts die Differenzierung 9 10 11 12 13
W i l l o w e i t , Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, S. 369-385; A v e n ar i u s , Gelehrtes Recht, Sp. 31-37. Ebenso L a n d a u , Einfluß, S. 39: doppelte Rechtsordnung. R e i n h a r d t , Beziehungen, S. 285. Überblick bei L a n d a u , Einfluß, S. 49-56; S c h m o e c k e l , Auf der Suche, S. 102-103. B u c h h o l z , Eherecht zwischen Staat und Kirche, d e r s . , Recht, Religion und Ehe; d e r s . , Ehe, Sp. 1208; S c h u b e r t , Vorgeschichte, S. 43-93.
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in römisches Recht, kanonisches Recht, Glossatoren, Postglossatoren und Kanonisten zur obersten Gliederungsebene erhoben14. Die Bedeutung des kanonischen Rechts für die Geschichte des Zivilrechts war das Thema nicht nur der Monographie von Udo Wolter von 197515, sondern unter anderem auch einer Tagung im April 2008 in der Villa Vigoni, deren Ergebnisse seit 2009 in gedruckter Form vorliegen16. Eine traditionelle Abgrenzung kanonischen und römischen Rechts gerade für das Mittelalter bieten wissenschaftsgeschichtliche Arbeiten, die einzelne gelehrte Juristen als Vertreter der Legistik oder der Kanonistik ausweisen17. Für die frühe Neuzeit werden solche Abgrenzungen immer schwieriger, sind teilweise sogar unmöglich. So verfaßte etwa Justus Henning Böhmer mit seinem vielbändigen „Ius ecclesiasticum Protestantium“ nicht nur eines der wichtigsten rechtswissenschaftlichen Werke des 18. Jahrhunderts überhaupt, sondern daneben ebenso ein sehr erfolgreiches Digestenlehrbuch18. Und Benedikt Carpzov war nicht nur der berühmte Strafrechtler mit seiner „Practica nova“ (1635) und der Zivilrechtler der „Definitionen“ (1638), sondern zugleich Verfasser einer wegweisenden „Jurisprudentia ecclesiastica“ (1649)19. Eine biographische Abgrenzung der beiden Rechtsbereiche nach den beteiligten gelehrten Autoren ist jedenfalls für die frühneuzeitliche deutsche Rechtswissenschaft kaum sinnvoll. Eine dritte Möglichkeit, weltliches und kirchliches Recht voneinander abzugrenzen, bietet die Annäherung über die jeweilige Gerichtsbarkeit der Kirche und der weltlichen Gewalten. Hierbei geht es weniger um das Prozeßrecht als solches. Bekanntlich waren bereits seit den mittelalterlichen ordines iudiciarii römische und kanonische Wurzeln eng verwoben. Ein römisch-kanonisch-gelehrter Zivilprozeß bildete sich heraus, der in seinen wesentlichen Prozeßmaximen die europäische Rechtsgeschichte über Jahrhunderte prägte20. Entscheidend ist demgegenüber der Blick auf die Gerichtsverfassung. Wenn man fragt, welche Personen oder Streitgegenstände 14 15 16 17
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B r i e , Die Lehre vom Gewohnheitsrecht, 1899. W o l t e r , Ius canonicum in iure civili, 1975. C o n d o r e l l i / R o u m y / S c h m o e c k e l , Einfluß der Kanonistik I; Überblick auch bei L a n d a u , Einfluß, S. 39-57. Zur Legistik: S a v i g n y , Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter; L an g e , Römisches Recht I; d e r s . / K r i e c h b a u m , Römisches Recht II; zur Kanonistik: S c h u l t e , Geschichte der Quellen und Literatur. B u c h h o l z , Justus Henning Böhmer, S. 37-49; W o l t e r , Fortgeltung, S. 45; d e W a l l , Zum kirchenrechtlichen Werk, S. 455-472; R ü t t e n , Das zivilrechtliche Werk, S. 1; Kl e i n h e y e r / S c h r ö d e r , Juristen, S. 77-80. L a n d a u , Carpzov, S. 227-256; S c h m o e c k e l , Benedict Carpzov, S. 3; S c h u l t e , Geschichte III/2, S. 39-42. L i t e w s k i , Der römisch-kanonische Zivilprozeß; S c h m o e c k e l , Auf der Suche, S. 100.
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vor kirchliche und welche vor weltliche Gerichte gehörten, hat man die Möglichkeit, die Trennlinie zwischen beiden Bereichen zu erkennen. Man sieht die Grenze dort, wo sie praktisch relevant war, nämlich bei der Frage der notfalls zwangsweisen Rechtsdurchsetzung. Die Zuständigkeiten weltlicher und kirchlicher Justiz waren kaum großräumig und zeitlich übergreifend abstrakt abgegrenzt. Bereits im mittelalterlichen Strafrecht gab es delicta mixti fori, die man prinzipiell vor geistlichen oder weltlichen Gerichten aburteilen konnte21. Und durch Zuständigkeitsvereinbarungen konnten die Parteien zivilrechtliche Streitigkeiten wahlweise vor geistlichen oder weltlichen Gerichten anhängig machen22. Im Falle von Rechtsverweigerung verlor ein weltlicher Gerichtsherr sogar die Entscheidungsmacht und mußte tatenlos zusehen, wie eine außerordentliche kirchliche Zuständigkeit auflebte, ebenso andersherum23. Die Vielfalt der Gerichtsbarkeiten darf man nicht unterschätzen. Vor allem beim Blick in die frühe Neuzeit hat man es im Alten Reich mit ganz unterschiedlichen evangelischen Konsistorien und katholischen Offizialatsgerichten, aber auch weltlichen Hofgerichten, Stadträten und Regierungskanzleien zu tun24. Ihre je eigenen Zuständigkeitsbereiche waren unter anderem durch Partikularrecht festgelegt und schwankten demnach von Territorium zu Territorium. Eine umfassende Antwort, die ein Gesamtbild für „die“ Zuständigkeitsabgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte im Alten Reich entwirft, kann es demnach gar nicht geben, wenn man nicht in quellenferne Verallgemeinerungen verfallen will. Der bunten Viefalt der Territorien entspricht ein ganz uneinheitlicher Grad rechtshistorischer Aufarbeitung. Die Gerichtsverfassung einiger Territorien ist inzwischen gut erforscht, gerade auch im Hinblick auf die Zuständigkeiten kirchlicher und weltlicher Gerichte25. Für andere Territorien fehlen die Vorarbeiten vollends oder doch weitgehend. Ältere rechtshistorisch-germanistische Gesamtdarstellungen blenden die kirchliche Gerichtsbarkeit leichthin aus26, wohl weil sie zum Ideal einer möglichst eigenständigen deutschen Rechtsgeschichte 21 22 23
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H i s , Strafrecht II, S. 20; B e h r i n g e r , Erhob sich das ganze Land, S. 133; O e s t m an n , Hexenprozesse, S. 33-34; H ä r t e r , Policey und Strafjustiz, S. 64. L i t w e s k i , Zivilprozeß I, S. 121; T r u s e n , Reformatio Consistorii, S. 130/326*. O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 53, 78; L i t e w s k i , Zivilprozeß I, S. 119 bei Anm. 604; T r u s e n , Reformatio Consistorii, S. 130/326*; H i l l i n g , Die römische Rota, S. 42-43. Überblick für den niedersächsischen Raum bei Kr o e s c h e l l , recht unde unrecht, S. 199226; O e s t m a n n , Die Gerichte, S. XLIII-XLV. Sachsen: L ü c k , Gerichtsverfassung, S. 50-78, 142-155 zur kirchlichen Gerichtsbarkeit; F r a s s e k , Eherecht. Ke r n , Geschichte, S. 42, 81 knappe Hinweise auf Konsistorien, S. 14, 21 kirchliche Gerichtsbarkeit mit Abriß S. 20 Anm. 1.
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schlecht paßte. Diejenigen, die sich dagegen mit kanonistischer Rechtsgeschichte und speziell mit Fragen der Gerichtsbarkeit beschäftigen, legen ihren Forschungsschwerpunkt oftmals nur zu gern auf das Mittelalter, auf die große Glanzzeit des kanonischen Rechts seit dem 12. Jahrhundert mit seinen berühmten Juristenpäpsten27.
2. Forschungsziel Die vorliegende Untersuchung setzt sich zum Ziel, die von Gerhard Buchda so bezeichnete „Längsspaltung des Gerichtswesens“28 in weltliche und geistliche Gewalten aus einer bisher eher selten verfolgten Perspektive sichtbar zu machen29. Ausgangspunkt sind nicht abstrakte Zuständigkeitsregeln oder Vereinbarungen der Parteien, sondern gezielt Streitigkeiten um das zuständige Gericht. Das lenkt den Blick von den zeitgenössischen Gesetzen und der Rechtslehre auf die Prozeßpraxis. Zu Wort kommen die Parteien und ihre Anwälte. Sie wehrten sich je nach Standpunkt gegen ihre Unterwerfung unter die geistliche oder weltliche Gewalt, kämpften für oder gegen bestimmte Instanzenzüge und versuchten, die für sie wichtigen Streitgegenstände der von ihnen bevorzugten Gerichtsbarkeit zuzuweisen. Die unstreitigen Fälle treten demgegenüber zurück. Wenn in zahlreichen frühneuzeitlichen Territorien Braugerechtigkeiten und Schuldforderungen unwidersprochen vor geistliche Gerichte gelangten30, in anderen wiederum Pfründen, Patronatsrechte und Kirchenbaulasten vor weltliche Gerichte31, wird man darüber in diesem Buch kaum etwas finden. Vielleicht waren die Parteien in solchen Fällen uneins, wer das jeweilige Recht ausüben konnte. Aber das zuständige Gericht als solches stand nicht im Streit. Die Gerichtsprozesse, die im Mittelpunkt des hier verfolgten Interesses stehen, sind immer nur
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Bezeichnend ist der einschlägige HRG-Artikel, der die Neuzeit nicht einschließt: K é r y , Geistliche Gerichtsbarkeit, Sp. 1-8. B u c h d a , Gerichtsverfassung, Sp. 1567; ähnlich L ü c k , Gerichtsverfassung, Sp. 202. Dazu K a u e r t z , Akten I, S. 12: Jurisdiktionskonflikte bisher eher am Rande des Forschungsinteresses. Nur einige Beispiele bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte I, lfd. Nr. 2145; Bd. II, lfd . Nr. 3215. Zum Patronatsrecht: LA Schleswig Abt. 390 Nr. 10, 23, 50, 51, 388, 393, 407, 575; zur mittelalterlichen Diskussion um die Gerichtszuständigkeit L a n d a u , Ius patronatus, S. 206-210.
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solche, bei denen es um die Zuordnung bestimmter Verfahren zur geistlichen oder weltlichen Gerichtsbarkeit geht. Davon zu unterscheiden, wenn in der Verfahrenspraxis manchmal auch schwer abzugrenzen, sind Auseinandersetzungen um die Gerichtsgewalt über bestimmte Orte. Es gab zuhauf Konflikte um die Frage, welcher Hoheitsträger über bestimmte Ortschaften, Wälder, Klöster die Gerichtsbarkeit ausüben durfte. Wenn sich hier ein geistlicher und ein weltlicher Landesherr gegenüberstanden, handelte es sich zumeist um streitige weltliche Gerichtsbarkeit, in heutiger Rechtssprache um die unklare örtliche Zuständigkeit. Wenn andererseits die Reichsstadt Lübeck und der Herzog von Sachsen-Lauenburg um die geistliche Gerichtsgewalt in Breitenfelde bei Mölln stritten32, hat man es zwar nicht mit einer weltlichen Auseinandersetzung zu tun, doch geht es ebenfalls nicht um die Abgrenzung, sondern nur um die Innehabung der Zuständigkeiten. Modern gesprochen, umkreist das Buch weniger die örtliche Zuständigkeit als vielmehr die sachliche Kompetenz und spezielle persönliche Gerichtsstände und Befreiungen. Besonders problematisch sind Streitfälle, in denen sich eine geistliche Partei gegen weltliche Hoheitsträger wehrte, die sich Gerichtsbarkeitsrechte über sie anmaßten. Soweit die Beteiligten darum stritten, ob geistliche Personen der weltlichen Gerichtsbarkeit unterfielen oder allein geistlichen Gerichten unterlagen, kämpften sie um den genauen Verlauf der Grenzlinie, für den sich die Untersuchung interessiert. Wenn es dagegen aber lediglich um die Frage ging, ob die landesherrliche Justiz eine Kirche oder ein Kloster überhaupt umschloß, war es wiederum eine Frage der weltlichen Gerichtsbarkeit, um die sich der Streit entspann. Solche Exemtionssachen und Immunitäten stehen im folgenden nicht im Zentrum des Interesses33, tauchen aber in den Auseinandersetzungen der Parteien gelegentlich auf. Ein Wort zur Begriffsbildung zeigt das Dilemma, in dem sich die rechtshistorische Annäherung an die frühe Neuzeit befindet. „Zuständigkeit“ ist kein Quellenbegriff. Immer auf Latein und nur negativ sprechen die Quellen von „Inkompetenz“34. Wenn nun die Zeitgenossen über einen inkompetenten Richter herzogen, konnten sie damit zweierlei meinen. Vielleicht durfte 32 33
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LA Schleswig Abt. 390 Nr. 245. Dazu nur ein Beispiel: Der Kölner Erzbischof betrieb im Herzogtum Berg um 1555 mehrere weltliche Hofdinge: H ar l e ß , Erkundigung, S. 181-182. Mit der Abgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit hat das nichts zu tun. Beispiele in LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5; M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04r; M 1729, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Supplication“, fol. 10v; N 603, Aktenstück Q 1, fol. 03r; R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 02r; R 1130, Aktenstück Q 1, fol. 02r. Die Liste ließe sich unschwer verlängern.
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er ihrer Meinung nach eine bestimmte Streitsache gar nicht behandeln, vielleicht war er ihr aber auch inhaltlich nicht gewachsen. Den ersten Fall nennt man heute Unzuständigkeit. Rechtshistoriker haben diese Schwierigkeit verschieden bewältigt. Sellert stellt seiner Studie von 1965 eine messerscharfe Begriffsbildung voran, eine Seite mit Definitionen aus dem modernen Recht, um Gerichtsstand im Sinne örtlicher Zuständigkeit vom sachlichen Geschäftskreis eines Gerichts abzugrenzen35. Eine 2011 veröffentlichte Dissertation geht ebenso vor und betont sogar, im 17. und 18. Jahrhundert hätten sich dieselben Fragen gestellt wie heute, weil „sich“ bereits ein geordnetes Gerichtswesen „entwickelt hatte“36. Doch genau diese Klarheit gab es vor dem 19. Jahrhundert noch gar nicht, weder in der Sache noch in der Sprache37. Die Untersuchung verzichtet deswegen auf überjuristische Kategorienbildung. Weder die Brunnersche Forderung nach zeitgenössischen Begriffen hilft weiter38 noch die scheinmathematische Rückverlängerung heutiger Rechtssprache. Michael Stolleis hat den gordischen Knoten durchschlagen und will auf „Begriffe“ ganz verzichten39. Marie Theres Fögen sieht Recht dort, wo Menschen über das Recht reden40. Ähnlich ist es hier. Parteien kämpften um die Behandlung bestimmter Fälle vor bestimmten Gerichten. „Zuständigkeit“ im Sinne der vorliegenden Untersuchung ist der Kampf ums Recht mit denjenigen Gründen, die für oder gegen das jeweilige Gericht sprechen sollten. Persönlich, sachlich, örtlich, instanziell sind dann Spielarten der jeweiligen Vorwürfe oder Verteidigungen, unsystematisch und durchaus nicht im logischen Vorrangverhältnis benutzt. Es geht nicht um normative Begriffe, schon gar nicht um die Nachsubsumtion unter zeitgenössische Prozeßordnungen. Ähnlich steht es mit „geistlichen“ oder „weltlichen“ Streitsachen. Wenn diese Formulierungen auftauchen, zeigen sie ausbuchstabiert immer lediglich den Streit um geistlich-weltlich oder geistlich-politisch an, nicht aber hölzerne Grenzpfosten, die der Historiker in den schwankenden Boden der Vergangenheit rammt. Die so betriebene Rechtsgeschichte ist nicht sehr juristisch und terminologisch vielleicht hausbacken. Aber wenn sie den Blick frei hält für dasjenige, was die Menschen damals bewegte, hat sie ihr Ziel erreicht. Genau deswegen bleiben die in der frühen Neuzeit so zahlreichen Religionsprozesse vorliegend ausgeklammert. Landesherrliche Gewalten ver35 36 37 38 39 40
S e l l e r t , Zuständigkeitsabgrenzung, S. 12-13. Q u i c k , Forum Contractus, S. 15-16. W e i t z e l , Zuständigkeit, Sp. 1815; zeitgenössisch Z e d l e r , Universal-Lexicon 9, Sp. 1558 („forum incompetens“). Klassisch B r u n n e r , Land und Herrschaft, S. 163-164. S t o l l e i s , Rechtsgeschichte als Kunstprodukt, S. 11-12. F ö g e n , Rechtsgeschichte, S. 14-20.
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suchten mehrfach, auf Geistliche oder Klöster überzugreifen und sich diese einzuverleiben. Sie säkularisierten Klöster oder zwangen geistliche Einrichtungen, das Bekenntnis zu wechseln. Solche Vorgänge waren politisch spektakulär und zogen oftmals gerichtliche Auseinandersetzungen nach sich, nämlich die sog. Religionsprozesse41. Mit dem Nebeneinander oder Gegeneinander weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit haben diese Fälle dennoch wenig gemein. Außerdem sind sie inzwischen vergleichsweise gut aufgearbeitet. Das Buch vertieft sich ausschließlich in Auseinandersetzungen um den genauen Weg der Grenzlinie und des oben angesprochenen Längsschnitts. Der Blick auf Einzelfälle zeigt dann zwar Punkte statt Flächen42, ermöglicht es aber, die rechtliche Argumentation der Parteien in grundsätzlicher Hinsicht nachzuzeichnen. Dabei ist es von Vorteil, solche Streitfälle auszuwählen, die im Rahmen von Rechtsmittelprozessen auch an Obergerichte gelangten. Die Ergiebigkeit und das Niveau der Argumentation nahmen auf diese Weise schlagartig zu. Das zeigt etwa das norddeutsche Beispiel um einen Prozeß gegen die evangelische Klosterjungfrau Abel Rantzau vor dem weltlichen Landgericht in Flensburg. In der ersten Instanz gab die adlige Dame ein knappes notarielles Protestschreiben zu Protokoll. Doch erst in den weitreichenden Auseinandersetzungen vor dem Reichskammergericht begründeten die Parteien ihre abweichenden Rechtsauffassungen ausführlich43. Insbesondere die umfangreichen Allegationen aus dem gelehrten Recht sind wertvoll, aber im wesentlichen nur in Schriftsätzen vor oberen Instanzen enthalten. Damit ergibt sich eine Beschränkung der Untersuchung auf diejenigen Zuständigkeitskonflikte, die im Rahmen des Rechtsmittelzuges vor höchste Gerichte gelangten. Auf zwei Weisen lassen sich solche Rechtsmittelprozesse entdecken. Einmal ist es denkbar, die Überlieferung geistlicher Obergerichte daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich die Parteien dort dagegen wehrten, der kirchlichen Jurisdiktion zu unterfallen. Andererseits läßt sich auch die Hinterlassenschaft der weltlichen Gerichte sichten und feststellen, in welcher Weise die Parteien dort die Zuständigkeit der weltlichen Gerichtsbarkeit bestritten. Es gibt daneben auch einen Mittelweg. Um ihn geht es hier. Quellenbasis 41
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Monographische Darstellungen etwa bei R u t h m a n n , Religionsprozesse; Kr at s c h , Justiz; F r i e d r i c h , Territorialfürst; V aj e n , Die rechtliche Anerkennung; Überblick auch bei S c h n e i d e r , Ius Reformandi, S. 214-216; H är t e r , Neue Literatur, S. 226-231; Brükkenschlag bis in die Moderne bei V o ß k u h l e , Religionsfreiheit, S. 6-14. Dazu der noch unveröffentlichte Hauptvortrag von T h o m a s D u v e vom 38. Deutschen Rechtshistorikertag 2010, Inhaltsangabe bei M a e t s c h k e / Ke i s e r , Bericht, S. 1036. LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342; zu diesem Verfahren unten bei Anm. 1837-1871.
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sind Prozesse vor den obersten Gerichten des Alten Reiches, beschränkt auf das Reichskammergericht. Damit hat man einen Adressaten anwaltlicher Schriftsätze mit Zuständigkeit für das gesamte Alte Reich. Jeweils dieselbe Institution nahm also die Auseinandersetzungen der Parteien zur Kenntnis und entschied sie in einigen Fällen auch durch Mandat oder Urteil. Da es in geistlichen Angelegenheiten kein einheitliches Obergericht im Alten Reich gab, bietet die Reichsgerichtsbarkeit hier die quellengemäße Klammer, Streitigkeiten aus verschiedenen Territorien und zu ganz verschiedenen Sachverhalten zusammen zu betrachten. Außerdem kamen die Reichsgerichte oftmals gerade deswegen ins Spiel, weil eine Partei ein angeblich unzuständiges kirchliches Obergericht angerufen hatte. So gibt es allein aus dem Archivsprengel Münster Dutzende von Prozessen, an denen der Apostolische Nuntius in Köln beteiligt war, zumeist als Vorinstanz44. In fast allen Fällen bestritt eine Seite die Zuständigkeit des Nuntius, nachdem beide Parteien die Sache zunächst einvernehmlich vor dem Offizialatsgericht in Münster betrieben hatten. Da die vorinstanzlichen Akten in Reichskammergerichtsprozessen regelmäßig beiliegen45, zeigt das Beispiel zugleich, wie der Blick aus der reichskammergerichtlichen Vogelperspektive die höheren geistlichen Gerichte keineswegs ausschließt. Für niedere geistliche Gerichte gilt das allemal. Der Münsteraner Offizial war in 561 kammergerichtlichen Verfahren als Vorinstanz mit der Sache befaßt gewesen46. Angesichts derartiger Zahlen bleiben die wesentlichen partikularen Streitigkeiten um die Gerichtszuständigkeit auch dann sichtbar, wenn die Quellenmasse auf die Akten des Kammergerichts begrenzt ist. Archivare haben die Gesamtüberlieferung der auf ein frühneuzeitliches Territorium entfallenen Reichskammergerichtsakten geordnet und verzeichnet. Sie bestätigen diese Einschätzung. Die kammergerichtliche Überlieferung zeigt die wesentlichen rechtlichen Konflikte, die innerhalb der Territorien nicht lösbar waren47. Die Konzentration auf Akten verknüpft die Untersuchung des Grundsatzstreits notwendig mit Beispielsfällen, also mit einzelnen Gerichtsprozessen, zumeist mit Verfahren einfacher Untertanen untereinander. Das bringt Farbe und Anschaulichkeit in die leicht spröden Abgründe der Gerichtsverfassung. Machtpolitische Auseinandersetzungen um die Gerichtsbarkeit in den Territorien, also die Perspektive der Landesherrschaft oder kirchlichen 44
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A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des alten Reiches, Teil 3, S. 88. Es handelt sich um das Personen- und Ortsregister. Im Verzeichnis der Vorinstzanzen fehlt der Nuntius dagegen. Bei Mandatsprozessen fehlen die Acta priora häufig. Hier gab es zumeist auch keine Kompulsorialbriefe. A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des alten Reiches, Teil 3, S. 439. K a u e r t z , Akten I, S. 9.
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Gewalten, stehen demgegenüber im Hintergrund. Sie tauchen, wenn überhaupt, nur als eine von mehreren Argumentationslinien in den Schriftsätzen auf. Soweit teilweise Gerichtsherren als Intervenienten in die Streitigkeiten ihrer Untertanen eintraten und ihre Gerichtsverfassung verteidigten, wird diese Form der landesherrlichen Versuche, die Gerichtsbarkeit im eigenen Territorien zu gestalten, in den untersuchten Quellen greifbar48. Wenn andererseits Landesregierungen ihre eigenen geistlichen Stifte vor der Reichsgerichtsbarkeit verklagten49, ging es ebenfalls um die herrscherliche iurisdictio und damit um Grundfragen der Territorialgewalt50. Andere Konflikte politisch-religiöser Art treten dagegen zurück. Die vorliegende Studie beantwortet also selbst für die Territorien, die näher ausgewählt sind, nicht die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche, mithin nach dem Verhältnis von Religion und Politik in einem allgemeinen Sinn51. Die zeitgenössische Sprengkraft von Gerichtsbarkeitsfragen war enorm. In keiner Weise darf man sie unterschätzen. Als wichtigster Inhalt der Landesherrschaft, ja als Inbegriff aller Herrschaftsrechte schlechthin bildete die iurisdictio noch vor der Gesetzgebung das oberste Recht des frühneuzeitlichen Herrschers52. Der Umfang der Gerichtsgewalt war damit nicht nur eine rechtliche, sondern immer auch eine hochpolitische Angelegenheit. Heikel war es insbesondere, wenn Parteien gegen die Urteile geistlicher Gerichte weltliche Appellationsgerichte anriefen oder wenn sie gegen Entscheidungen weltlicher Gerichte an die Geistlichkeit appellierten. Beides ist in den Quellen belegt53. Nun mag der Einwand im Raum stehen, die Reibereien mit der geistlichen Gerichtsbarkeit hätten gar nicht spezifisch religiöse Konflikte zum Gegenstand gehabt, denn geistliche Fälle seien ja ohnehin nicht von der 48
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Beispiel in LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 6: Stellungnahme des Herzogs von Sachsen-Lauenburg zum Aufbau und zu Verfahrensmaximen der Konsistorialgerichtsbarkeit; zwei Interventionen im LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, RKG M 1586, Aktenstück Q 8. HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758; StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723. Ebenso für die katholische Kirche: iurisdictio als Aufluß der summa potestas: M ü n c h e n , Das kanonische Gerichtsverfahren I, S. 1. Hierzu etwa der Hinweis von H ä r t e r , Policey und Strafjustiz, S. 314, das 16. Jahrhundert bezeichne den Höhepunkt der Ausdehnung geistlicher Gerichtsbarkeit in den weltlichen Bereich. Solche Aussagen sind nur quantifizierenden Untersuchungen möglich. C o s t a , Iurisdictio; W i l l o w e i t , Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt, S. 17-47, 186213; S t o l l e i s , Geschichte I, S. 156-157; S t o l l b e r g - R i l i n g e r , Des Kaisers alte Kleider, S. 28; L ü c k , Gericht, Sp. 138; O e s t m a n n , Prozesse aus Hansestädten, S. 114-115; E i s e n h a r d t , Hofgericht, S. 249. R e d l i c h , Kirchenpolitik, S. 4*-5* (mit französischen mittelalterlichen Beispielen); F r i e d b e r g , Gränzen, S. 485-486 (ebenfalls zu Frankreich); F r a n z e n , Krise, S. 63.
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weltlichen Gewalt beansprucht worden. Doch liegt dem ein aus moderner Sicht stark verengter Begriff von Religion und vor allem von Kirche zugrunde. Die Zuständigkeiten, die kirchliche Institutionen in der Praxis für sich in Anspruch nahmen, insbesondere die Reichweite der geistlichen Gerichtsbarkeit, waren in einem erstaunlichen Umfang, jedenfalls im Rahmen erstinstanzlicher Auseinandersetzungen, unstreitig und weitgehehend akzeptiert. Auch ein Streit um gepfändete Pferde konnte etwa in den Jahren um 1600 im Fürstbistum Münster eine Angelegenheit für das geistliche Offizialatsgericht sein54. Es sind sogar normative Quellen bekannt, nach denen die geistlichen Gerichte selbst entscheiden durften, „ob die sach geistlich oder werntlich were“55. Aber wer, wenn nicht ein Gericht, sollte denn auch die Zuständigkeit im Einzelfall prüfen und klären? Dem modernen Historiker oder Rechtshistoriker steht es nicht zu, der frühneuzeitlichen Kirche, vor allem der geistlichen katholischen Gerichtsbarkeit, vorzuwerfen, sie habe ihren Kernbereich überschritten und sich zunehmend in nichtkirchliche Sachen eingemischt. Ältere Forschungen haben in der Tat so argumentiert und die ständigen Zuständigkeitserweiterungen der geistlichen Gerichte problematisiert56. Gelegentlich finden sich solche Äußerungen heute noch57. Wenn aber eine Partei in einem Münsteraner Reichskammergerichtsprozeß betonte, die oberen geistlichen Richter sollten sich lieber um ihren Gottesdienst kümmern als sich in weltliche Angelegenheiten einzumischen58, so war genau dies zwischen den Beteiligten streitig. Ob sich die Geistlichen nach zeitgenössischem Verständnis „wirklich“ in weltliche Sachen einmischten oder ob der Bereich kirchlicher Angelegenheiten nicht einfach weiter gezogen war, läßt sich in der Rückschau nicht entscheiden. Wenn die Grenzziehung zwischen geistlichen und weltlichen Sachen umstritten war, muß man dies hinnehmen und akzeptieren. Nach zeitgenössischer Sichtweise gab es eben Überlappungen, die sich beiden Sphären zuordnen ließen. Ebenso wie im christlichen Mittelalter das
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LA Münster RKG B 1280 und B 1286; kurze Hinweise bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte I, lfd. Nr. 501-502; ebenso in Kurköln: A n t w e i l e r / Ka s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht VI, lfd. Nr. 3765, S. 185. Eichstätter Gerichtsreform aus dem 15. Jahrhundert bei Kü m p e r , Johann III. von Eich, S. 88 Art. 17. L e h m a n n , Preußen und die katholische Kirche I, S. 31; D r e y e r , Verordnungen, S. 248 (Druckfehler, richtig ist: 348). L ü c k , Zurückdrängung, S. 180: Berechtigte Vorwürfe der Fürsten gegenüber den kirchlichen Richtern am Vorabend der Reformation. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r; ähnlich M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04v.
Einleitung
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Heilige und das Profane miteinander verschmolzen waren59, so gelang es auch nicht, die frühneuzeitlichen Gerichtsbarkeiten klar zu scheiden. Auf der anderen Seite wäre es unangebracht, den Bereich des Weltlichen zu streng zu begrenzen60. Wollte man aus heutiger Rückschau einzelne Streitpunkte dem geistlichen oder weltlichen Recht zuordnen, wäre das nichts anderes als eine methodisch verfehlte Nachsubsumtion. Mit den zeitgenössischen Unklarheiten gilt es also zu leben. Freilich zeigt sich, wie nach und nach und vor allem mit steigendem Instanzenweg die Kompetenzen ausschließlich weltlicher Gerichtsbarkeit wuchsen und sich zugleich verfestigten. Die Ausdehnung des Weltlichen verringerte im Gegenzug den Einfluß kirchlicher Institutionen auf denjenigen Bereich von Herrschaft, den ein weltlicher Landesherr für sich beanspruchte. Die jeweiligen Konfliktlinien sind in der vorliegenden Untersuchung beispielhaft an Territorien mit unterschiedlicher Landesverfassung und Konfession dargestellt. Der enge Zusammenhang zwischen Bekenntnis, Regierungsform, Verfassung und Gerichtsverfassung ist dabei stets gegenwärtig. Zahlreiche Reibereien mit der geistlichen Gerichtsbarkeit konnte es nur in katholischen Territorien geben. Vor allem Kurköln, Lüttich und Münster waren für unklare Instanzenzüge berüchtigt. Hier stellte sich die Frage, wer die weltliche Gerichtsgewalt eigentlich ausübte. In protestantischen Territorien dagegen war die gesamte iurisdictio an den Landesherrn angebunden. Das entschärfte Jurisdiktionsstreitigkeiten von vornherein. Die Doppelnatur der Landesgerichte und die unsichere Rechtslage der Konsistorien schufen andererseits aber wiederum neue Grauzonen. Auch daraus entsprangen rechtliche Auseinandersetzungen, die bis vor die obersten Reichsgerichte gelangten. Mit dem Blick auf solche Einzelfälle erhält das zunächst wenig anschauliche Vorhaben Hand und Fuß. Namen, Orte und Prozeßakten schieben den Klimmzügen althergebrachter Dogmengeschichte einen Riegel vor. Im Gegenteil: Erst die Vielzahl einzelner Streitigkeiten erlaubt in der Zusammenschau den Blick auf einige große Linien.
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G r o s s i , Recht, S. 42. S c h m i d t , Sozialdisziplinierung, S. 661-662.
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3. Eingrenzung des Untersuchungsraums und Quellenauswahl Quellen gibt es reichlich. Der Brunnen der Vergangenheit sprudelt. Die Einschätzung Eisenhardts, das Material sei nicht sehr ergiebig61, trifft glücklicherweise nicht zu. Vielmehr ist es umgekehrt. Die übergroße Fülle verlangt nach Beschränkung. Die sinnvolle Begrenzung der Quellenmassen auf handhabbare Ausmaße gebietet deswegen eine geographische Auswahl. Zeitliche Engführungen versucht die Studie dagegen zu vermeiden. Zwar ist es nicht möglich, große Zahlen von Streitfällen engmaschig über lange Zeiträume zu verfolgen. Dennoch bleibt es aufschlußreich genug, wie die schlaglichtartige Beleuchtung von Einzelfällen Streitstände zu Tage fördert, die teilweise vom späten 16. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr ähnlich waren. Verfeinerungen mögen spätere Untersuchungen leisten. Für den Anfang erweist es sich jedoch als sinnvoll, die Zeit bis zum Ende des Alten Reiches als Einheit anzusehen62. Vielleicht zeigt sich daran, wie Streitigkeiten der älteren Zeit, auch solche des konfessionellen Zeitalters, in die Spätzeit des Reiches hinüberschwappten. Der Eindruck eines gleichsam versteinerten Zustands, wie Volker Press ihn empfunden hat63, mag also zutreffen. Vielfach hat die Literatur auf die Zuständigkeitsverschiebungen im Laufe der frühen Neuzeit hingewiesen, auf den Wechsel von den geistlichen zu den weltlichen Gerichten. Das knüpft zumeist an Beobachtungen in katholischen Territorien an und reichte dort bis zur Zuweisung einzelner Streitgegenstände an bestimmte Gerichte64. Diese große Bewegung, die ihren vorläufigen Endpunkt wohl mit der obligatorischen Zivilehe und der flächendeckenden Einführung von Standesämtern in den 1870er Jahren fand65, steht gewiß vielfach im Hintergrund der hier beschriebenen Streitfälle, ist aber als solche nicht Gegenstand der Untersuchung. Die Auseinandersetzungen um die Zuständigkeit selbst sind es mitsamt der juristischen Argumentation, die interessieren. Eine Entwicklungsgeschichte von einer weit ausgreifenden kirchlichen Gerichtsbarkeit zu einer immer umfassenderen Gerichtshoheit des Staates ist nicht die Absicht dieses Buches.
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E i s e n h a r d t , Inanspruchnahme, S. 212. Methodische Bedenken dazu bei C o r d e s , Besprechung Oestmann, S. 341. P r e s s , Kriege und Krisen, S. 287, 32, 479 mit Ausblick auf verschiedene Lebensbereiche. R e d l i c h , Kirchenpolitik I, S. 12*; F r a n z e n , Krise, S. 63; K l u e t i n g , Das kurkölnische Herzogtum, S. 478-479; ganz allgemein P ad o a -S c h i o p p a , Conclusions, S. 363. B u c h h o l z , Ehe, Sp. 1209.
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Die geographische Beschränkung dagegen ist aus mehreren Gründen zweckdienlich und unumgänglich. Die unterschiedlichen Verfassungen der frühneuzeitlichen Territorien spiegeln sich nicht zuletzt in der jeweiligen Justizverfassung. Will man vorschnelle Harmonisierungen vermeiden, gilt es darauf Rücksicht zu nehmen. Der Aufbau der weltlichen Gerichtsbarkeit war bei allen Ähnlichkeiten von Territorium zu Territorium unterschiedlich. Auch die geistliche Gerichtsbarkeit war verschieden organisiert und nahm teils andere Aufgaben wahr. Die evangelischen Konsistorien hatten den Landesherrn über sich, die katholischen Offizialate sahen sich dagegen in die bischöflich-päpstliche Hierarchie eingebunden. Um hier das Partikularrecht und landesspezifische Eigentümlichkeiten beachten zu können, ist die Auswahl einiger beispielhafter Territorien unumgänglich. Der zweite Grund für die Begrenzung folgt aus dem Ziel der Untersuchung, Einzelfälle in der gebotenen Ausführlichkeit und Genauigkeit schildern zu können. Es ist teilweise notwendig, regionalhistorische Vertiefungen vorzunehmen, um den Streit und auch die verschiedenen Sichtweisen der Beteiligten verstehen zu können. Diese landesgeschichtlichen Einbettungen sind nur beschränkt möglich. Die Ausschau nach den näher zu untersuchenden Territorien folgt mehreren Überlegungen. Zunächst schließt die Zuspitzung auf Streitigkeiten, die vor den obersten Reichsgerichten zur Sprache kamen, diejenigen Territorien aus, die von der Reichsjustiz eximiert oder mit unbeschränkten Appellationsprivilegien weitgehend abgekoppelt waren66. Die österreichischen Erbländer sowie die geistlichen und weltlichen Kurfürstentümer fallen damit ebenso weg wie Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt und die 1648 unter schwedische Herrschaft und damit seit 1653 unter die Gerichtsgewalt des Wismarer Tribunals gefallenen norddeutschen Territorien67. Vergleichsweise plausibel bietet sich das Fürstbistum Münster als erste Untersuchungsregion an. Normative Quellen, vor allem der Jüngste Reichsabschied von 1654, weisen den Weg. Sie brandmarken allerhand Mißbrauchsfälle aus den geistlichen Territorien Köln, Lüttich und Münster. Dort hätten die Parteien ihre Zivilstreitigkeiten zunächst vor Offizialatsgerichten geführt und dann durch Appellation und Rekurs an den 66
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Zu unbeschränkten Appellationsprivilegien: E i s e n h ar d t , Die kaiserlichen privilegia de non appellando, S. 21; zur Exemtion von der Reichsgerichtsbarkeit: S e l l e r t , Zuständigkeitsabgrenzung, S. 22; allgemein M e u m a n n , Exemtion, Sp. 1451-1452. Einzelheiten bei S m e n d , Reichskammergericht, S. 59-62 (auch zu praktischen Ausnahmen in der Frühzeit); E i s e n h a r d t , Die kaiserlichen privilegia de non appellando, S. 2122; W e i t z e l , Kampf um die Appellation, S. 36-38: L ü c k , Gerichtsverfassung, S. 35-42; M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 254-272; d e r s . , Gerichtsstruktur, S. 125-129; M o h n h a u p t , Organisation, S. 217-225.
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Apostolischen Nuntius getragen68. Jedenfalls eines dieser Territorien war deswegen näher zu betrachten, und zwar Münster, weil es nicht den besonderen Appellationsprivilegien des Kurfürstentums Köln unterfiel und gleichzeitig nicht in der deutsch-französischen Grenzregion des Reiches gelegen war. Aus reichskammergerichtlicher Perspektive sind im übrigen 561 Fälle bekannt, in denen die Parteien erstinstanzlich in Münster vor dem Offizial und erst danach vor dem Reichskammergericht gegeneinander stritten69. Aus Lüttich gibt es dagegen im kammergerichtlichen Findbuch zum untrennbaren Bestand nur neun Belege für das Offizialat als Vorinstanz späterer Kameralverfahren70. Auch die Appellation an den Apostolischen Nuntius kam in Münster womöglich noch häufiger vor als im Bistum Lüttich71. Doch mag die Quellenüberlieferung hier verzerrt sein. Erstens gibt es im belgischen Staatsarchiv Lüttich gut 1.100 unverzeichnete Reichskammergerichtsakten72. Was sich darin verbirgt, ist unbekannt. Und zweitens waren in Lüttich solche Fälle vielleicht gang und gäbe. Wenn aber die Appellation an den Nuntius in Zivilsachen alltägliche Erfahrung war, bestand vielleicht gar kein Anlaß, sich darüber beim Reichskammergericht zu beschweren. Der Kampf ums Recht hinterläßt mehr Quellen als friedliche Eintracht. Zumindest haben kirchliche Autoritäten dieses Argument benutzt73. Im Vatikanischen Archiv sind tatsächlich zahlreiche Hinweise auf die Tätigkeit des Nuntius in Lütticher Zivilsachen vorhanden. Vielfach sind auch Gegenmaßnahmen des Reichskammergerichts überliefert74. Hier verbleiben erhebliche Unklarheiten. Damit ist jedenfalls Münster ein gutes Beispiel für die reichsweit diskutierten Fälle. Überdies gab es 1603 eine Grundsatzentscheidung des Reichskammergerichts zur Abgrenzung des geistlichen und weltlichen Instanzenzuges im Fürstbistum Münster75. Dieser Glücksfall der Überlieferung bestätigt den reichsweiten Widerhall der Münsteraner Auseinandersetzungen. 68 69 70 71
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JRA 1654 § 164, bei B u s c h m an n , Kaiser und Reich II, S. 250; E i s e n h ar d t , Hofgericht, S. 259, geht demgegenüber von einer „nicht sehr ergiebigen Quellenlage“ aus. Nachweise bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte III, S. 439. Nachweise bei H ü l l b ü s c h / S c h e n k , Reichskammergericht‚ S. 453. Fälle aus Lüttich bei H ü l l b ü s c h / S c h e n k , Reichskammergericht, Nr. 169 S. 98, Nr. 205-206 S. 120-121, Sonderfall Nr. 341 S. 201-202: Appellation vom Lütticher Offizial an den Offizial in Köln, sodann an einen päpstlichen Kommissar; Ko s e r , Repertorium I, Nr. 383-384, S. 122-124. B a t t e n b e r g / S c h i l d t , Reichskammergericht, S. 425. F r a n z e n , Krise, S. 62; dazu unten bei Anm. 1041, 1050-1062. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: F e l d k am p , Studien III/Inventar, ANC 62 Nr. 24; ANC 63 Nr. 11, 14, 23, 32, 36-41, 44, 48; ANC 67 Nr. 7; ANC 189 Nr. 2; ANC 303 S. 373-374. L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, Nr. 349 S. 564; d e r s . , De jurisdictione officialium, Aphorismus 11, Anm. ff, S. 30-31.
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Ausgehend von Münster sind zwei andere Fürstbistümer in die Untersuchung einbezogen, wie Münster über lange Jahrzehnte in Personalunion mit den wittelsbachischen Kurfürsten von Köln verbunden, nämlich Osnabrück und Hildesheim. In den normativen Quellen tauchen diese beiden Territorien als Auslöser weit ausgreifender Zuständigkeitskonflikte nicht auf. In Hildesheim gab es 1643 die Wiederherstellung der geistlichen Landesherrschaft76, in Osnabrück nach 1648 die abwechselnd evangelische und katholische Regentschaft77. Die Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede dieser Territorien erlauben es, die einschlägigen Streitfälle daraufhin zu vergleichen, ob die Zuständigkeitskonflikte zwischen geistlichen und weltlichen Gerichten in den drei norddeutschen Fürstbistümern übergreifende Konfliktlinien zeigen, die ganz offenkundig aus den partikularen Begrenzungen der Hochstifte hinausweisen. Das ist der Fall, wie die Untersuchung ergeben wird, und zwar vor allem im Hinblick auf die Relevanz der landesherrlichen und sogar kaiserlichen iurisdictio und des Lehensrechts für die Abgrenzung der Gerichtssphären. Hier standen Argumente im Raum, die von den Besonderheiten der jeweiligen Landesverfassung oder Konfession unabhängig waren. Die genauere Betrachtung norddeutscher Auseinandersetzungen nimmt sodann einige evangelische Territorien ins Visier. Die Reichsstadt Lübeck bildet den Auftakt für Reibereien um die Reichweite des Klerikerprivilegs in protestantischen Gebieten, um die Appellationsmöglichkeiten in Konsistorialprozessen und um die Gerichtshoheit des weltlichen Landesherrn über die geistlichen Konsistorien. Wesentliches Auswahlkriterium ist unter anderem die gute Aufarbeitung des Partikularrechts, aber auch der Kirchengeschichte78. Von Lübeck aus geraten die schleswig-holstein-lauenburgischen Nachbarterritorien in den Blick. Die neuere Literatur behandelt sie mit Einschluß Sachsen-Lauenburgs oft gemeinsam79, dem kann die Untersuchung folgen. Auch Mecklenburg zählt zu der hier getroffenen Auswahl, trotz aller sprichwörtlichen Rückständigkeit immerhin ein Territorium mit einer Landesuniversität und damit eigener Juristen- und Theologenfakultät. Hier hat man es mit einem seltenen Befund zu tun. Es war nämlich ausdrücklich erlaubt, in Konsistorialsachen die Reichsgerichte anzurufen. Das Verbot der 76 77 78 79
H u m m e l , Über die Wiederherstellung, S. 83-116; Kr u m w i e d e , Kirchengeschichte I, S. 172; Ka u e r t z , Akten I, S. 61-62. Überblick bei W r i e d t , Osnabrück, Sp. 1326-1327; aus der älteren Literatur F r e c k m a n n , Die capitulatio perpetua, S. 37-44. D r e y e r , Einleitung zur Kenntniß, S. 3-34; H au s c h i l d , Kirchengeschichte Lübecks, passim. Einbeziehung Sachsen-Lauenburgs in die schleswig-holsteinische Geschichte P r an g e , Schleswig Holstein, S. 6-7; P o r s k r o g R a s m u s s e n , Einleitung, S. 11-25.
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Appellation an die Reichsgerichte in geistlichen Sachen bestand also gar nicht allerorten und kann nicht länger als rechtshistorischer Allgemeinplatz herhalten. Um die sog. zweite Reformation80 einbeziehen zu können, den vom Landesherrn betriebenen Wechsel zum reformierten Bekenntnis, gehört auch die Grafschaft Lippe zu den untersuchten Herrschaftsgebieten. Als kleineres weltliches Territorium paßt sie gut zur Größenordnung von Sachsen-Lauenburg, Hildesheim oder Osnabrück. Außerdem ermöglicht ein außerordentlich detailreiches gedrucktes Inventar81 die gezielte Suche nach einschlägigen Fällen. Im Ergebnis erweisen sich die lippischen Prozesse sogar als besonders ergiebig. Die Akten breiten umfassende Grundsatzstreitigkeiten aus, die in dieser Ausführlichkeit aus anderen Territorien nicht überliefert sind. In den lippischen Quellen ist insbesondere nachzulesen, wie die Parteien und die Regierung die Frage diskutierten, ob ein protestantisches Territorium aus Rechtsgründen überhaupt eine geistliche Gerichtsbarkeit vorhalten mußte oder ob es sich dabei lediglich um eine politische Zweckmäßigkeitsentscheidung handelte82. In diesem Streit diente unter anderem die Reichsstadt Hamburg als protestantisches Territorium ganz ohne geistliche Jurisdiktion als Präzedenzfall. Deswegen wendet sich die Untersuchung nach der Betrachtung lippischer Prozesse der Elbmetropole zu. Der Verzicht auf eine eigenständige geistliche Gerichtsbarkeit beseitigte die sog. Längsspaltung der Gerichtsverfassung. Dennoch gab es rein tatsächlich auch in der Hansestadt geistliche Angelegenheiten. Das stellt der Blick in die Hamburger Quellen schnell klar. Nur war es eben der Rat, der sie mit erledigte. Ein Konsistorium wie in Lübeck oder in der Grafschaft Lippe gab es nicht. Die ausgreifende Obergerichtstätigkeit in Kirchensachen führte deswegen zum Streit insbesondere mit dem Domkapitel, der in den Reichskammergerichtsakten umfassend nachzulesen ist. Mit Lübeck und Hamburg ist somit der Vergleich zwischen ansonsten ähnlichen evangelischen Reichs- und Hansestädten möglich83, deren Gerichtsverfassung in geistlichen Angelegenheiten freilich stark voneinander abwich.
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S c h i l l i n g , Die „Zweite Reformation“, S. 387-437; Kl u e t i n g , Gab es eine „Zweite Reformation“?, S. 261-279. B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar. LA Detmold L 82 Nr. 276, Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar I, S. 323-325. Zu reichsstädtischen Reichskammergerichtsprozessen, freilich beschränkt auf bloße Quantifizierungen S c h i l d t , Reichsstädte, S. 578-606.
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Probleme bereitet demgegenüber die Einbeziehung eines norddeutschen katholischen weltlichen Territoriums84. Die weltlichen Herrschaftsgebiete in Norddeutschland waren überwiegend lutherisch. Katholisch blieben demgegenüber die geistlichen Fürstentümer. Dort, wo es formal weltliche katholische Territorien gab, waren sie in Personalunion zumeist mit größeren Herrschaftsgebieten verklammert. Das Herzogtum Westfalen etwa war zwar ursprünglich ein weltliches Herrschaftsgebiet, aber über Jahrhunderte in Personalunion mit dem Kölner Kurfürsten verwachsen85. Nach allem, was man weiß, spielte das Offizialat Werl im Herzogtum Westfalen86 eine ähnliche Rolle wie das Münsteraner Offizialat im Fürstbistum Münster. Jedenfalls scheint es einen zivilrechtlichen Instanzenzug vom Offizialat Werl zum Offizialat Köln bzw. zum Hofgericht Köln und weiter zum Kölner Hofrat gegeben zu haben87. Wegen der zu erwartenden weitgehenden Ähnlichkeit der Gerichtsverfassung scheidet das Herzogtum Westfalen als Gegenstück zum Hochstift Münster aus. Damit fällt die Auswahl auf das Herzogtum Jülich-Berg. Auch dies ist nicht unproblematisch. Zweifelhaft ist zunächst, inwieweit man Jülich-Berg wirklich als katholisches Territorium veranschlagen kann. Jedenfalls bis etwa 1600 war hier vieles unentschieden, und die Literatur spricht teilweise von einem reformkatholischen Sonderweg oder von Neutralität88. Allerdings gab es um 1600 auch im Fürstbistum Münster Protestanten, und sowohl Osnabrück als auch Hildesheim waren gemischtkonfessionell. Als klassisches Nebenland der pfälzischen Wittelsbacher war Jülich-Berg ein Territorium mit abwesendem Landesherrn, doch auch dies war keine Seltenheit, wie gleichfalls Münster und Hildesheim veranschaulichen. Immerhin blieben die eigenständige Verwaltung und Policey erhalten, vor allem gab es weiterhin in Jülich-Berg eine eigene Gerichtsverfassung, wenn auch bis 1769 ohne oberstes Hofgericht89. Jedenfalls entbrannten Auseinandersetzungen zwischen dem weltlichen katholischen Landesherrn und der geistlichen Gerichtsge-
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Zu Bayern im 16. Jahrhundert umfassend U n t e r b u r g e r , Das Bayerische Konkordat. S i m o n / Ke l l e r , Kurköln, S. 435-436. Als Vorinstanz zu Reichskammergerichtsprozessen 100 Nachweise bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte III, S. 443; Überblick auch bei M ü l l e r , Territorialarchiv, S. XXVII. Zeitgenössisch: M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 242; d e r s . , Teutsches Staats-Recht IV, S. 18-19 § 5; aus der neueren Literatur: T i l l e , Instanzenzug, 222-232; B u h l m a n n , Hofrat, S. 165-167; S i m o n / K e l l e r , Kurköln, S. 437; Überblick über geistliche Gerichte in Kurköln auch bei E i s e n h a r d t , Aufgabenbereich, S. 46-47, 55-56. S m o l i n s k y , Jülich-Kleve-Berg, S. 90-91; S c h u l t e , Neutralität, S. 231-245; J ai t n e r , Konfessionspolitik, S. 67-69; H är t e r , Jülich-Berg, S. 1165-1166. A d e n a u e r , Entwicklung, S. 32; S c h n o r r e n b e r g , Oberappellationsgericht, S. 8-14, 50; H ä r t e r , Jülich-Berg, S. 1165, 1172-1173.
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walt des Kölner Erzbischofs bzw. Kurfürsten90. Damit tritt eine weitere Konfliktlinie in den Gesichtskreis, die sich in Münster und Hildesheim so nicht nachzeichnen läßt. Bereits die Auswahl der hier näher betrachteten Territorien zeigt damit ein Problem, auf das auch die moderne Geschichtswissenschaft mehrfach hingewiesen hat. Die konfessionelle Eindeutigkeit war jedenfalls im 16. Jahrhundert vielerorts längst nicht so klar, wie es vielleicht einhundert oder zweihundert Jahre später erscheinen konnte. Zum Teil lag das an den Landesherren. Der cuius regio eius religio-Grundsatz des Augsburger Religionsfriedens von 1555 band zwar auf dem Papier die Untertanen an die Konfession ihres Landesoberhaupts91. Doch konnte er die Territorialherren nicht wirklich dazu anhalten, sich ihrerseits immer verbindlich für die katholische oder evangelische Position zu entscheiden. Bekanntlich wollte selbst ein Erzbischof und Kurfürst von Köln, Gebhard Truchseß von Waldburg, sein Erzstift in ein weltliches evangelisches Fürstentum umwandlen92. War das vielleicht Teil des Konfessionsbestimmungsrechts des Landesherrn, so blieb die konfessionelle Lage in Jülich-Berg bis zum Ende des 16. Jahrhunderts weitgehend unklar. Der Landesherr hatte sich schlichtweg nicht auf eines der im Religionsfrieden anerkannten Bekenntnisse festgelegt93. Wer sollte ihn auch dazu zwingen? Zum Teil lag die konfessionelle Uneindeutigkeit auch an den verschiedenen Bekenntnissen der Untertanen. So verharrte etwa in der Grafschaft Lippe, als Graf Simon VI. das reformierte Bekenntnis einführte, die Stadt Lemgo weiterhin beim lutherischen Bekenntnis. Zu einer Zeit, als reichsrechtlich das cuius regio eius religio-Prinzip noch galt, schlossen die Beteiligten in Lippe einen Vertrag, den Röhrentruper Rezeß von 1617, und erkannten die Gemischtkonfessionalität förmlich an94. Im Fürstbistum Münster gab es bis ins 17. Jahrhundert hinein zahlreiche Orte, die überwiegend protestantisch geprägt waren95. Es ist nicht notwendig, an dieser Stelle alle regionalen Besonderheiten aufzuzählen. Die konfessionelle 90 91
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R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 70-94. S c h n e i d e r , Ius reformandi, S. 152-169; H e c k e l , Religionsbann, S. 269; W i l l o w e i t , Verfassungsgeschichte, S. 130-135; L i n k , kirchliche Rechtsgeschichte, S. 76-81; K ä s t n e r , Cuius regio eius religio, Sp. 913-914. L o s s e n , Gebhard, S. 457-470; zum kölnischen Krieg umfangreich d e r s . , Der Kölnische Krieg, 1882/97; auch R ab e , Deutsche Geschichte, S. 573-576; E h r e n p r e i s , Raum Leverkursen, S. 128-129. D e c o t , Katholische Reform, Sp. 459; genauere Nachweise im Abschnitt über JülichBerg. S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 352-353. L u e b k e , Customs of Confession, S. 53-72; K o h l , Christoph Bernhard von Galen, S. 27-28; zur Rekatholisierung unter Ernst von Bayern K l u e t i n g , Die reformierte Konfessions- und Kirchenbildung, S. 224.
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Situation war jedenfalls erheblich bunter, als es die klassischen zweifarbigen Landkarten zu Reformation und Gegenreformation vermuten lassen. Die bei der Vorbereitung dieser Untersuchung zunächst geplante schroffe Gegenüberstellung von Territorien mit verschiedener Regierungsform und Konfessionsverfassung fällt also erheblich weniger plakativ aus, als es für Darstellungszwecke hilfreich gewesen wäre. Das trifft sich freilich mit neueren Ergebnissen der allgemeinhistorischen Konfessionalisierungsforschung. Danach ist im Rückblick nicht nur die konfessionelle Eindeutigkeit von Territorien schwer zu bestimmen. Nein, insbesondere beim Blick vom Herrscher auf einzelne Gemeinden wiesen sogar die Bekenntnisse der jeweiligen Konfessionen noch ein hohes Maß an Uneindeutigkeit auf96. Die Quellenlage für den gezielten Blick auf die reichskammergerichtliche Überlieferung ist günstig. Die einschlägigen Akten in Münster, Osnabrück, Hannover, Lübeck, Schleswig, Schwerin, Detmold, Hamburg und Düsseldorf sind im Rahmen des schon oft in der Literatur behandelten Langzeitprojekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch gedruckte Findbücher erschlossen97. Das bereits etwas ältere Repertorium aus Münster von 1966/73 ist zwar nicht so feinmaschig gestrickt wie die neueren Inventarbände und daher ungenauer und überdies in erschreckendem Ausmaß fehlerbehaftet98. Die Durchsicht der über 6.300 Einzelverzeichnungen förderte allerdings zahlreiche einschlägige Prozesse zu Tage. Die gröbere Angabe des Streitgegenstandes beeinträchtigt den Nachweis von Zuständigkeitsstreitigkeiten offenbar nicht schwerwiegend. Die Suche nach den hier behandelten Streitigkeiten erfolgte sowohl durch systematische Durchsicht der Verzeichnungen als auch durch Auswertungen der verschiedenen Register. Nachgefaßt ist immer bei denjenigen Fällen, zu denen ausdrücklich Kompetenzstreitigkeiten zwischen geistlichen und weltlichen Parteien vermerkt sind, bei denen es um unzulässige Appellationen an den Apostolischen Nuntius ging, 96
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S c h m i d t , Sozialdisziplinierung, S. 680-682; S c h i n d l i n g , Konfessionalisierung, S. 9-44; v o n G r e y e r z u. a., Interkonfessionalität. Ich danke Andreas Pietsch für wichtige Hinweise. Zu den Frankfurter Grundsätzen u. a. H au s m an n , Die Verzeichnung, S. 241-251, mit Wiedergabe der Grundsätze S. 250-251; B at t e n b e r g / S c h i l d t , Reichskammergericht, S. 411-413; zu den Archiven Münster: A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte; Osnabrück: E b e l i n g , Findbuch; Hannover: K au e r t z , Akten; Lübeck: S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Lübeck; Schleswig: S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Schleswig; Schwerin: S t e i n S t e g e m a n n , Inventar; Detmold: B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar; Düsseldorf: A l t m a n n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 1; A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 2-6; B r u c k h au s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht 7-9. Hunderte von Klarstellungen bereits zu Beginn des Registerbandes: A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte III, S. 1-18. Eine Neuverzeichnung des Münsteraner Reichskammergerichtsbestandes ist im Gespräch.
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bei denen geistliche Gerichte als Vorinstanzen weltlicher Rechtsstreitigkeiten auftauchen. Eine Ausnahme in methodischer Hinsicht bilden die Reichskammergerichtsprozesse aus Jülich-Berg, weil das gedruckte Repertorium aus Düsseldorf noch keine Registerbände enthält99. Hier war die Durchsicht aller zehn gedruckten Bände mit etwa 6.800 nachgewiesenen Prozessen notwendig. Da die Zuordnung einzelner kleinerer Orte zum Territorium äußerst schwierig ist, beschränkt sich die Untersuchung auf eindeutige Fälle. Doch handelt es sich immer noch um etwa 30 Verfahren. Mangelnde Vollständigkeit ist deshalb nicht auszuschließen. Vielleicht hat die hier verfolgte Suchstrategie die einschlägigen Fälle nicht lückenlos ermittelt. Ausgehend von den bei derart großen Gesamtmassen an Quellen fast unvermeidbaren Flüchtigkeitsfehlern über falsche Signaturnummern im Register bis hin zu Zuordnungsproblemen einzelner Akten auf die Archivsprengel100, gibt es Unsicherheiten, die das Ergebnis verzerren. Teilweise haben auch Archivare bei ihrer Erschließungsarbeit die rechtlich relevanten Streitstände übersehen101. Allerdings verfolgt die Untersuchung vorrangig auch keine quantitativen Ziele. Die Zahlenangaben in den Kapiteln über einzelne Territorien sollen die Größenordnung umreißen, in der die einschlägigen Fälle überliefert sind, mehr aber nicht. Allerdings sprechen die zahlreichen inhaltlichen Wiederholungen und Anknüpfungspunkte für die Erfassung der wesentlicher Punkte. Mit der gezielten Betrachtung ausgewählter Einzelfälle lassen sich offenbar die entscheidenden, immer wiederkehrenden Konflikte zutreffend erkennen102. Verfeinerungen und Ergänzungen sind dadurch nicht ausgeschlossen, insbesondere im riesigen Bereich potentieller Konflikte, die gar nicht erst vor das Forum des Reichskammergerichts gerieten. Die teilweise geäußerte polemische Kritik an einer „impressionistischen Methode“, die in ausgewählten Quellen nur das finde, was sie ohnehin gesucht habe, und die den quantifizierenden Methoden hoffnungslos unterlegen sei103, geht demgegenüber fehl. Wenn es darauf ankommt, historische Streitigkeiten aufzuarbeiten, typische Angriffs- und Ver99 100
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Das beklagt auch D i e s t e l k a m p , Rückblick, S. 7. Bekanntlich sind die Reichskammergerichtsakten nach dem Provenienzprinzip (erstinstanzlicher Gerichtsstand des Beklagten) aufgeteilt worden, dazu L at z k e , Archiv, S. 321-326. Ein bloßer Parteiwechsel kann dazu führen, daß ganze Konfliktfelder aus dem Blick geraten, gerade bei Parteien oder Untergerichten aus unterschiedlichen Territorien. Beispiel bei K a u e r t z , Akten I, lfd. Nr. 526, S. 518-519; zum Rechtsproblem C r am e r , Wetzlarische Nebenstunden 21, S. 118; weiteres Beispiel: A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte II, lfd. Nr. 3837 S. 116; dazu D i e s t e l k am p , Rechtsfälle, S. 298-302. Zum selben Problem am Beispiel der schottischen Höchstgerichtsbarkeit G o d f r e y , Civil Justice, S. 430. S c h ü ß l e r , Quantifizierung, S. 270-271 (u. a. mit Kritik an Michael Stolleis in Fn. 143); etwas weniger polemisch d e r s . , Verbrechen, S. 148-153.
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teidigungsstrategien nachzuzeichnen, kommt es nicht lediglich darauf an, wie oft es einschlägige Auseinandersetzungen gab, sondern vor allem, welche Argumente das Quellenstudium zu Tage fördert. Der Reichshofrat bleibt in der Untersuchung weitgehend ausgeklammert. Dabei war er an einschlägigen Fällen beteiligt. Hinweise gibt es durchaus. So wandte sich 1646 der Kölner Domkapitular Georg von Eisch an den Reichshofrat. Er hatte in einer weltlichen Sache den Apostolischen Nuntius angerufen und war auf Antrag des Reichsfiskals vom Reichskammergericht zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Am Reichshofrat berief er sich auf seine rechtliche Unerfahrenheit und bat um Verzeihung für seinen Rechtsirrtum. In der Tat hob der Kaiser das kammergerichtliche Urteil 1648 auf104. Aber nicht nur die im Vergleich zum Reichskammergericht immer noch schwierigere Quellenerschließung verhindert umfassendere Vertiefungen. Auch die zeitgenössische Wahrnehmung spricht dafür, sich auf das Kammergericht zu konzentrieren. Die Quellen zur Kölner Nuntiatur zwischen 1584 und 1794 enthalten, soweit sie Fragen der Gerichtsbarkeit betreffen, mindestens acht Hinweise auf das Reichskammergericht, aber nur eine einzige Erwähnung des Reichshofrats105. Die Überlieferung im Vatikanischen Archiv zeigt ebenfalls ein klares Übergewicht kammergerichtlicher Verfahren gegenüber reichshofrätlichen Maßnahmen106. Soweit der Reichshofrat in den hier untersuchten Quellen greifbar wird107, bezieht die Abhandlung ihn ein. Umfassendere Sichtungen der Überlieferung im Wiener Archiv könnten das Bild aber sicherlich weiter verfeinern. Die notwendige Quellenbegrenzung erschwert, ja verbietet es, große und verallgemeinernde Aussagen zu „dem“ Verhältnis geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit in der Frühen Neuzeit zu treffen. Doch auch hier gilt der schöne Satz: „Die Wahrheit ist leise.“108 Es sind Schlaglichter, die es abzubilden gilt, ohne jeden Anspruch, die Konfliktlinien innerhalb der untersuchten Territorien in ihren Verästelungen zu erfassen. Gleichzeitig stellt es aber kein ernsthaftes Problem dar, wenn etwa aus dem Fürstbistum Hildesheim lediglich ein Einzelfall aus dem 18. Jahrhundert eine nennenswerte Rolle spielt. Es geht über weite Strecken um die Art und Weise der anwaltlichen Argumentation und teilweise um die höchstrichterlichen Entscheidungen. Sie lassen sich auch dann rekonstruieren, wenn man in Form einer dichten Beschreibung109 einzelne Prozesse behandelt. Der Verzicht auf die 104 105 106 107 108 109
Nachgewiesen bei S e l l e r t , Akten I/2, S. 63-65, lfd. Nr. 1091. Register bei F e l d k a m p , Studien II/Dokumente, S. 507. F e l d k a m p , Studien III/Inventar, S. 495 (Register). HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758; dazu unten bei Anm. 1391-1423. Für die Rechtsgeschichte H a t t e n h au e r , Die deutschrechtliche Exegese, S. 63 Nr. 14. Umfassend zum Konzept G e e r t z , Dichte Beschreibung.
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große Erzählung110 wird auf diese Weise jedenfalls teilweise durch größtmögliche Quellennähe und den Blick auf die immer wieder spannende und farbige Rechtspraxis ausgeglichen. Insgesamt bilden gut 150 Prozeßakten das wesentliche Gerüst der Untersuchung, ergänzt um weitere Archivalien, normative Quellen und zeitgenössische gelehrte Literatur. 150 Akten sind dabei eine begrenzte Zahl, selbst wenn einzelne Fälle beträchtliche Ausmaße annehmen konnten. Die Geschichte von dickleibigen Reichskammergerichtsakten, so schwer, daß „sie kaum ein Pferd wegziehen würde“, mag auf Übertreibung beruhen. Sie geht auf Johann Jakob Moser zurück und wird immer noch gern erzählt111. Aber das tintenklecksende Säkulum forderte tatsächlich seinen Tribut. Im Vergleich zu einigen schmalbrüstigen rechtshistorischen Abhandlungen sind 150 ausgewertete Akten auch keineswegs wenig. Die Bochumer Dissertation von Christian Vajen zu lippischen Religionsprozessen beschränkt sich auf vier lippische Akten und drei weitere aus dem Hauptstaatsarchiv Wiesbaden112. Und die Arbeit von Hans Seehase zu Eheprozessen vor dem Reichskammergericht kommt mit neun gesichteten Kameralakten und fünf Ratsakten aus113.
4. Forschungsstand Die vorliegende Untersuchung berührt sich mit verschiedenen Themenfeldern und baut daher auf mehreren Forschungsständen auf. Deswegen ist die Weichenstellung erforderlich, in welchen Zusammenhängen welches Maß an Vorwissen vorausgesetzt werden kann. Das betrifft nicht nur die klassische Abgrenzung von Sachbuch und Fachbuch114. Zugleich wirkt sich die Entscheidung unmittelbar auf die Länge des Buches aus. Je stärker sich die Argumentation auf die eigenen Quellen konzentriert, desto spezieller und eigenständiger wird der Gang der Untersuchung, aber desto geringer die Zahl derer, die sich dafür interessieren. Längere Einführungen bieten dem110 111
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Zu sog. großen Erzählungen in der Rechtsgeschichte R ü c k e r t , „Große“ Erzählungen, S. 969-983. M o s e r , Historisch- und Rechtliche Betrachtung, cap. III § 19, S. 156; W i g g e n h o r n , Reichskammergerichtsprozeß, S. 8 Fn. 5; D i e s t e l k a m p , Reichskammergericht im Rechtsleben, S. 240-241; R a n i e r i , Tätigkeit, S. 49; O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 18. V a j e n , Die rechtliche Anerkennung, S. 188. S e e h a s e , Ehesachen vor dem Reichskammergericht, S. 99-100. R e i n e r s , Stilkunst, S. 202; R e i n h ar d t , Vom Wissen zum Buch, S. 19-23.
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gegenüber Anknüpfungspunkte an Bekanntes, sind streng genommen aber nur die Wiederholung und Zusammenfassung fremder Arbeiten. Die vorliegende Studie entscheidet sich für einen Mittelweg. Es kommt für den Gedankengang nicht entscheidend darauf an, für die gerichtsverfassungsrechtliche Fragestellung alle Details der Regionalgeschichte zu kennen. Deswegen sind die landesgeschichtlichen Einführungen zu den näher behandelten Territorien bewußt knapp gehalten. Jeweils dort allerdings, wo die Parteien sich über Fragen stritten, die ohne Kenntnis des landesgeschichtlichen Hintergrunds unverständlich bleiben würden, sind Vertiefungen erforderlich. Zur frühneuzeitlichen Gerichtsverfassung des Reiches, zum gelehrten Zivilprozeß und insbesondere zum Reichskammergericht haben die vergangenen vier Jahrzehnte Berge von Literatur von Historikern und Rechtshistorikern aufgehäuft. Im Abstand einiger Jahre erscheinen inzwischen in Aufsatzform Forschungsüberblicke über neue Fragestellungen und Ergebnisse115. Das maßgebliche Schrifttum ist über die „Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich“ leicht greifbar116. Bei der Schilderung der zeitgenössischen Streitfälle gibt es in den folgenden Kapiteln vielfach Hinweise auf einzelne Verfahrensarten oder auf Begriffe und Institutionen des gemeinen Prozeßrechts. Inhibition, Kassation, Mandat sine clausula, Appellation, Rekurs, Litiskontestation als solche haben andere Rechtshistoriker untersucht. Dennoch genügt hier an einigen Stellen nicht der bloße Verweis auf Vorarbeiten. Zum Verständnis der einzelnen Auseinandersetzungen sind vielmehr Erläuterungen zur Gerichtsverfassung und zum Prozeßrecht mehrfach erforderlich. Das gilt im selben Maße für Fragen der kirchlichen Gerichtsbarkeit. Sowohl zu den Offizialatsgerichten als auch zur evangelischen Konsistorialgerichtsbarkeit gibt es Literatur, zumeist zu einzelnen Territorien117. Einschlägig sind insbesondere die Untersuchungen Ulrich Eisenhardts zur weltlichen
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Beispielsweise H ä r t e r , Neue Literatur, S. 215-240; O r t l i e b / W e s t p h al , Höchstgerichtsbarkeit im Alten Reich, S. 291-304. Zuletzt erschienen: O e s t m a n n (Hrsg.), Zwischen Formstrenge und Billigkeit (2009); B a t t e n b e r g / S c h i l d t , Reichskammergericht (2010); W u n d e r l i c h , Protokollbuch; S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht (2011). F r a s s e k , Eherecht, für Sachsen; M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 36-39, 140-146, 381383, 397-401, 413-414, 451-452; S c h l ü t e r , Calvinismus, S. 133-144; R e i n h ar d t , Beziehungen, S. 285-295; M a y , Die geistliche Gerichtsbarkeit; D e u t s c h , Ehegerichtsbarkeit; P a a r h a m m e r , Rechtsprechung; S t e i n s , Zivilprozeß; Zusammenstellung auch bei S c h r a d e r , Die bischöflichen Offiziale, S. 92; Forschungsgeschichte zu Offizialaten bei G e s c h e r , Besprechung Fournier, S. 614-626.
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Gerichtsbarkeit der Offizialate118, aber auch einige Arbeiten Winfried Trusens119. Dennoch ist der Forschungsstand zur mittelalterlichen geistlichen Gerichtsbarkeit wesentlich besser als zur frühneuzeitlichen Tätigkeit der kirchlichen Gerichte120. Sehr rasant haben sich in den vergangenen Jahren die Forschungen zur Apostolischen Nuntiatur in Köln entwickelt. Die älteren Arbeiten hat Feldkamp in einem kommentierten Überblick von 1990 umfassend zusammengestellt121. Seitdem schreiten die wertvollen Editionen der Nuntiaturberichte und auch die Erforschung der Nuntiatur immer weiter voran122. Schon 1954 hatte August Franzen an etwas entlegener Stelle eine wichtige Studie zur Gerichtsgewalt des Kölner Nuntius veröffentlicht123. Das Archivio Segreto Vaticano besitzt zwar zahlreiche Quellen aus Reichskammergerichtsprozessen. Dieser Bestand konnte aber dennoch ausgespart bleiben, weil die Dokumente nicht aus den hier interessierenden Territorien stammen124. Zur päpstlichen Rota Romana, dem Schauplatz einiger hier untersuchter Prozesse, liegen ebenfalls ausreichende Informationen vor, die auch die Kompetenzkonflikte zwischen weltlichen und kirchlichen Gerichten andeuten125. In methodischer Hinsicht hat bereits Leo Just 1933 angemahnt, die Geschichte der Nuntiaturen als Geschichte der Nuntiaturstreitigkeiten zu verstehen126. Das trifft sich genau mit dem hier
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E i s e n h a r d t , Weltliche Gerichtsbarkeit; später auch d e r s . , Zivilgerichtsbarkeit, S. 406411; d e r s . , Hofgerichte und Offizialate; d e r s . , Inanspruchnahme; Hinweise auch bei E l s e n e r , Exkommunikation, S. 69-86. Im Überblick: T r u s e n , Gelehrte Gerichtsbarkeit, S. 467-504; außerdem d e r s . , Reformatio, S. 127-146 (323*-342*); d e r s . , Auseinandersetzungen, S. 260-268 (381*389*); d e r s . , Aus den Anfängen, S. 321-335 (391*-405*). Das beklagt auch E i s e n h a r d t , Inanspruchnahme, S. 194-195; H a s h ag e n , Zur Charakteristik, S. 292, möchte frühneuzeitliche Quellen gleich „restlos mittelalterlich kommentieren“. F e l d k a m p , Erforschung der Kölner Nuntiatur, S. 212-249; zur Forschungsgeschichte auch R e i n h a r d , Katholische Reform, S. 8-12. Zuletzt erschienen: Nuntiaturberichte aus Deutschland/Die Kölner Nuntiatur Bd. 5, 2. Nuntius Antonio Albergati (1614 Juni - 1616 Dezember) (2009). F r a n z e n , Krise, S. 56-111. Registernachweis bei F e l d k a m p , Studien II/Inventar, S. 495 mit Bestandsangaben. Kirchengeschichtlich: K i l l e r m an n , Rota Romana: jüngster rechtshistorischer Überblick von B e c k e r , Die Sacra Rota Romana, S. 1-18, mit Hinweis auf die Zuständigkeitsstreitigkeiten S. 15-18; außerdem N ö r r , Ein Kapitel, S. 192/135*-209/152*; d e r s . , Rota Romana, S. 220-245; D o l e z a l e k , Litigation, S. 339-373; Überblick bei S c h l i n k e r , Rota, Sp. 400, der als weltliche Verfahren aber wohl nur solche aus dem Kirchenstaat versteht; ähnlich Ki l l e r m a n n , Rota Romana, 99; N ö r r , Ein Kapitel, S. 205/148*. J u s t , Erforschung, S. 258; ähnlich L au x , Reformationsversuche, S. 51: Der Blick auf die kirchliche Praxis zeigt, wie wenig hilfreich die Fixierung auf einen idealen nachtridentinischen Standpunkt wäre.
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verfolgten Anliegen einer Rechtsgeschichte als Geschichte von Rechtsstreitigkeiten. Die Untersuchungen zu materiellrechtlichen Abgrenzungen von weltlichem und kirchlichem Recht sowie nach rechtlichen Konflikten aus religiösen Anlässen betreffen nicht die Probleme, die schwerpunktmäßig die vorliegende Darstellung prägen. Dennoch bieten sich für Einzelfragen mehrfach Querbezüge an. Das gilt etwa für die Arbeit von Hans Seehase zum Thema, ob und in welchem Umfang sich Ehestreitigkeiten in Reichskammergerichtsprozessen verhandeln ließen. Jedenfalls teilweise geht es bei ihm auch um Zuständigkeiten127. Weniger ergiebig sind die zahlreichen Studien zu Rechtsproblemen des ius reformandi und zu zahlreichen sog. Religionsprozessen. Konflikte um Klöster, um die Einziehung von Kirchengut, um die Rechte von Protestanten in katholischen Territorien128 berühren nicht unmittelbar Fragen der gerichtlichen Kompetenzen. Allerdings hat gerade Ruthmann in seiner umfangreichen Arbeit über kammergerichtliche Religionsprozesse aus der Zeit zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Westfälischen Frieden auch Konflikte um die örtliche Zuständigkeit des Kurkölner Offizials aufgegriffen. Sie ergänzen die hier näher verfolgten Streitigkeiten129. Das Kernproblem, um das sich die vorliegene Untersuchung dreht, sind Auseinandersetzungen um die Abgrenzung der sachlichen und persönlichen Zuständigkeit geistlicher und weltlicher Gerichte. Diese Konflikte werden hier nicht normengeschichtlich aufgerollt. Es geht also nicht darum, verschiedene Gerichtsordnungen miteinander zu vergleichen. Ausgangspunkt sind vielmehr Einzelfälle, also gerichtliche Streitigkeiten, in denen eine Partei die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bestritt. Inwieweit die moderne Unterscheidung verschiedener Zuständigkeiten für die frühneuzeitliche Geschichte überhaupt angemessen ist, wird dabei schnell selbst zum Problem. Entscheidend bleibt der Blick auf die Praxis. Schon Emil Friedberg wählte 1872 diesen Weg, um die frühneuzeitlichen Auseinandersetzungen angemessen zu erfassen130. Die Quellenschau aus im wesentlichen reichskammergerichtlicher Warte führt insbesondere Fragen des Instanzen127
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Streitigkeiten zwischen Dortmund und dem Kölner Offizial: S e e h as e , Ehesachen vor dem Reichskammergericht, S. 56-60; zu dieser Arbeit treffend A m e n d , Besprechung von Seehase, S. 682-684. Dazu etwa Kr a t s c h , Justiz – Religion – Politik; R u t h m a n n , Religionsprozesse; zu Rechten von Protestanten im reformierten Territorium: V a j e n , Die rechtliche Anerkennung; S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, 225-364; S c h n e i d e r , Ius Reformandi, S. 214216. R u t h m a n n , Religionsprozesse, S. 314-351. F r i e d b e r g , Gränzen, S. 80.
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zuges vor Augen. Mehrfach entzündeten sich die Auseinandersetzungen der Parteien am Rechtsmittelweg, vor allem bei der Appellation an Obergerichte, deren instanzielle Zuständigkeit fraglich war. Wie schon die ältere Literatur betont hat, luden kirchliche Gerichte seit dem 14. Jahrhundert verstärkt Laien vor ihre Schranken. Die Reichsgewalt, etwa Kaiser Ludwig der Bayer, soll vergeblich versucht haben, die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte auf geistliche Angelegenheiten zu begrenzen. Die überterritorialen Vollstreckungsmöglichkeiten seien aber attraktiv gewesen, und daher hätten sich auch weltliche Parteien in der Folgezeit durch Gerichtsstandsvereinbarung häufig darauf geeinigt, ihre Sachen vor kirchlichen Gerichten auszutragen131. In diesem Punkt scheinen verschiedene neuere Autoren freilich unbekümmert einfach ältere Lehrmeinungen nachzubeten. So unterstreicht eine Untersuchung zu Hildesheim die Bereitschaft der Laien, die Offizialatsgerichtsbarkeit wegen ihrer vielen Vorzüge häufig auch in Zivilsachen in Anspruch zu nehmen132. Zugleich begrüßt dieselbe Arbeit den Rekurs vom Offizialat an weltliche Gerichte, weil die „realen Machtmittel hinter dem Offizial“ zur Urteilsvollstreckung doch beschränkt gewesen seien133. Offenbar ist also einiges unklar. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts war es Kaiser Friedrich III., der die Beeinträchtigung seiner weltlichen Gerichtsgewalt durch geistliche Gerichte ausdrücklich untersagte134. Abgrenzungsstreitigkeiten sind auch am Königlichen Kammergericht des 15. Jahrhunderts dokumentiert135. Aus der Pfalz liegen ähnliche Berichte vor136. In der Sprache der älteren Literatur, etwa bei Theodor Muther 1876, ging es vielfach um die weltlichen Herrscher, die den Übergriffen der Kirche Einhalt gebieten mußten137. Andererseits wehrten sich Provinzialsynoden des 15. Jahrhunderts gerade gegen Kaiser Friedrich III., waren gleichzeitig aber bereit, die Ausdehnung dezentraler landesherrlicher Gerichtsgewalt eher hinzunehmen138. Starke Worte zum grundsätzlichen Kampf zwischen städtischer und geistlicher Gerichtsbarkeit mündeten für die ältere Literatur in die 131
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M u t h e r , Römisches und canonisches Recht, S. 21-22; zu Vorzügen des kirchlichen Prozesses Ké r y , Geistliche Gerichtsbarkeit, Sp. 6; F e i n e , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 434. Ob die Besetzung mit studierten Juristen die kirchlichen Gerichte wirklich attraktiv machte, ist dagegen unklar, so aber E i s e n h ar d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 38. S c h r a d e r , Die bischöflichen Offiziale, S. 140. S c h r a d e r , Die bischöflichen Offiziale, S. 103. Einzelheiten bei O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 84-85. Zahlreiche Nachweise zu geistlichen Gerichten bei B at t e n b e r g / D i e s t e l k am p , Protokoll- und Urteilsbücher, S. 1899, 1901, 1973. Ke r n , Gerichtsordnungen, S. 292-293, für das 15. Jahrhundert. M u t h e r , Römisches und canonisches Recht, S. 21. M i c h e l , Wiener Konkordat, S. 49-50; zur Beschränkung der Eichstätter Offizialatstätigkeit im 15. Jahrhundert B u c h h o l z - J o h an e k , Geistliche Richter, S. 149.
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„Machtfrage zwischen Kirche und Staat vom Mittelalter bis zur Gegenwart“139. Demgegenüber hat vor einiger Zeit Thomas Wetzstein für das 15. Jahrhundert auf regionaler Ebene eine erstaunlich friedliche Kooperation zwischen Offizialaten und städtischen Gerichten nachgewiesen140. Für das frühe 16. Jahrhundert erzielte Mark Godfrey dasselbe Ergebnis für Schottland141. Beim Blick in die frühe Neuzeit und vor allem in die reichskammergerichtliche Überlieferung fällt zuerst die wichtige Quantifizierung von Filippo Ranieri ins Auge. In mehreren Stichproben ermittelte er innerhalb der verschiedenen Streitgegenstände einen Anteil von Jurisdiktionsstreitigkeiten von etwa 10 bis 23%142. Die genauere Aufschlüsselung zeigt sodann, wie gering innerhalb dieser Gruppe der Anteil von Auseinandersetzungen um die geistliche Gerichtsbarkeit war. Nur vier von 141 Jurisdiktionsstreitigkeiten aus der Stichprobe bis 1589 sind hier einschlägig143. Eine Fortführung von 1600 bis 1806 bestätigt diesen Eindruck. Nur 20 von 1397 Jurisdiktionskonflikten betrafen die geistliche Gerichtsbarkeit144. Das spricht freilich nur gegen die quantitative Bedeutung des Konflikts. Tatsächlich können sich auch hinter geringen Fallzahlen grundlegende Streitigkeiten und Entscheidungen von großer Reichweite verbergen. Das hat gerade Ranieri im Anschluß an die ältere Untersuchung Georg von Belows immer anerkannt145. Der Sache nach hat die bisherige Forschung jedenfalls auf einige Konflikte hingewiesen, die im Rahmen dieser Untersuchung im Mittelpunkt stehen. Hans-Jürgen Becker betont, die Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen weltlichen und geistlichen Gerichten im Alten Reich „wäre eine eigene Darstellung wert“146. Einige Hinweise dazu, die teilweise auch in der älteren Literatur schon erwähnt sind, stellt Becker in seinem 2007 erschie139
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Ki r n , Staat, S. 170, 174; ähnlich S c h u l t z e , Stadtgemeinde, S. 105; E i c h m a n n , recursus ab abusu, S. 29: fast wortgleich, nur beginnend mit dem 14. Jahrhundert; M a y , Die geistliche Gerichtsbarkeit, S. 156; L e h m an n , Preußen und die katholische Kirche I, S. 31; ausgewogen H a s h a g e n , Zur Charakteristik, S. 205-292. W e t z s t e i n , Tam inter clericos quam laicos?, S. 70; ähnlich für das 14. Jahrhundert B u d i s c h i n , Zivilprozeß, S. 20; normative spätmittelalterliche Quellen bei S t e i n s , Zivilprozeß, S. 231. G o d f r e y , Civil Justice, S. 187. R a n i e r i , Recht und Gesellschaft II, S. 483-484. R a n i e r i , Recht und Gesellschaft II, S. 496-498. B a u m a n n , Gesellschaft der Frühen Neuzeit, S. 166-169. v o n B e l o w , Ursachen der Rezeption, S. 124-125 Anm. 4; R an i e r i , Recht und Gesellschaft I, S. 172; dazu O e s t m a n n , Rekonstruktion, S. 29; ähnlich A m e n d - T r au t , Wechselverbindlichkeiten, S. 50; zu möglichen Legitimationsproblemen kammergerichtlicher Urteile v o n L o e w e n i c h , Herstellung und Darstellung, S. 180-181. B e c k e r , Die Sacra Rota Romana, S. 15.
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nen Aufsatz kurz zusammen. Zum einen betrifft das normative Quellen, etwa den bereits oben angedeuteten Artikel des Jüngsten Reichsabschiedes. Diese Vorschrift untersagte den Rekurs an den Apostolischen Nuntius in weltlichen Zivilsachen, mahnte die Trennung geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit an und wies dem Kaiser die Aufgabe zu, genau darüber zu wachen147. Auch auf die einschlägigen Verpflichtungen der römischdeutschen Kaiser in ihren Wahlkapitulationen wies Becker kurz hin148. Es gibt darüber hinaus eine sorgfältige, aber wenig bekannte und auch etwas übersystematisierte rechtshistorische Dissertation von Heinz Christian Hafke über die Zuständigkeit der höchsten Reichsgerichte in geistlichen Streitigkeiten. Hafke konzentriert sich auf die Zeit nach 1648 mit deutlichem Schwerpunkt auf dem 18. Jahrhundert. Im wesentlichen beruht seine Frankfurter Dissertation auf zeitgenössischer Literatur sowie auf der Auswertung von Reichshofratsakten149. Die ältere Praxis blendet sie aus, ebenso angesichts der damals komplizierten Quellenlage das Reichskammergericht. Über die zeitgenössische Praktikerliteratur des 18. Jahrhunderts gibt es freilich mehrfach Berührungen mit der hier interessierenden Fragestellung. Ein weiterer Anknüpfungspunkt in der bisherigen Literatur sind die edierten Nuntiaturberichte. Mehrere Herausgeber und andere Bearbeiter dieses reichhaltigen Quellenmaterials haben auf den Konflikt um geistliche und weltliche Jurisdiktion hingewiesen. Die Nuntiaturberichte sprechen das Thema an vielen Stellen an150. Für die Spätzeit des Alten Reiches sind zudem die grundsätzlichen Streitigkeiten um die Gerichtsgewalt des Nuntius bekannt. Im Zuge des Febronianismus, der nationalkirchlichen deutschen Bestrebungen im Anschluß an die Schrift des Trierer Weihbischofs Johann Nikolaus von Hontheim, spitzte sich in den 1780er Jahren die Auseinandersetzung zwischen Metropolitan- und Nuntiaturgerichtsbarkeit zu. Mehrere geistliche Landesherren bekämpften die Gerichtsbarkeit der Apostolischen Nuntien, weil sie ihre eigenen Rechte dadurch geschmälert sahen. Von Kaiser und Reich forderten sie sogar Unterstützung ein151. Hier ging es nicht um die Übergriffe des Nuntius auf zivilrechtliche Sachen. Vielmehr be147 148
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B e c k e r , Die Sacra Rota Romana, S. 16; dazu auch F r a n z e n , Krise, S. 65-66. B e c k e r , Die Sacra Rota Romana, S. 17; mit Hinweis auf B e c k , Vorträge zum Rechtsunterricht/Deutsches Staatsrecht § 8, S. 511; dazu bereits C o n r ad , Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 187. H a f k e , Zuständigkeit, S. 26-28. W i j n h o f e n , Nuntiaturberichte VII/1, S. XXXIII-XXXIV; d e r s . , Nuntiaturberichte VII/2, S. XIX, mit dem Hinweis, die Jahre 1628-1630 seien eher konfliktarm gewesen; S a m e r s k i ; Schrittmacher, S. 199-200; B e c k e r , Die Sacra Rota Romana, S. 16. A r e t i n , Das Alte Reich III, S. 237-292; C o n r ad , Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 184187; L i n k , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 116-117; zur Vorgeschichte J u s t , Die römische Kurie, S. 393-395.
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kämpften die Erzbischöfe die Nuntiaturgerichtsbarkeit schlechthin, also auch und vor allem in geistlichen Angelegenheiten. Der Febronianismus und der Nuntiaturstreit berühren sich damit nur am Rande mit der hier verfolgten Fragestellung, sind als Hintergrund für die politisch-religiöse Stimmung im späten 18. Jahrhundert aber nicht hinwegzudenken. Andere Diskussionszusammenhänge liefern weitere Bausteine zur Vertiefung und Einordnung der untersuchten Quellen. So haben Arbeiten zum Reichsfiskal normative Quellen und Beispiele für seine Aufgabe geliefert, gegen die Anrufung der päpstlichen Kurie in Zivilsachen einzuschreiten und durch Bestrafungen die Trennung weltlicher und geistlicher Justiz zu überwachen152. Im Hinblick auf die persönliche Zuständigkeit der Gerichte sind die Auseinandersetzungen zwischen weltlichen Herrschern und der Kirche um die Reichweite des Klerikerprivilegs, also des privilegium fori, ebenfalls ein Baustein, auf dem sich mehrfach aufbauen läßt153. Ob geistliche Gerichte durch ihre Professionalisierung und ihre überregionale Mehrstufigkeit zur Verdrängung des ungelehrten Laienrichtertums beigetragen haben154, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Der zeitliche Schwerpunkt der hier ausgewerteten Quellen fällt in eine spätere Zeit, in die Epoche nämlich, als im weltlichen Recht Appellationen an gelehrte Obergerichte ohnehin möglich und üblich waren. Freilich können die frühneuzeitlichen Zuständigkeitskonflikte durchaus einen Modernisierungsvorgang veranschaulichen. Die Entflechtung überlappender geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit zeigt, wie die beiden Gewalten auseinanderdrifteten. So kam es nach und nach zur Trennung und damit zu klaren und überschneidungsfreien sachlichen und insbesondere persönlichen Gerichtszuständigkeiten. Zugleich mag sich dadurch die Grenzziehung zwischen der politisch-rechtlichen und kirchlich-religiösen Sphäre verfestigt haben. Vielleicht handelt es sich um das sprichwörtlich gesunkene Kulturgut155, wenn in der Zeit um 1600 Boten und Diener noch ganz mittelalterlich darüber diskutierten, ob der Kaiser dem Papst etwas zu befehlen habe oder nicht. Jedenfalls zeigt die Untersuchung, wie zur Scheidung der weltlichen von der geistlichen Sphäre auch nach über einem halben Jahrtausend immer noch Argumente herhielten, die zumindest teilweise wortgleich mit denen des Investiturstreits waren. Womöglich war das Thema auch gar nicht erledigt. Eichmann und May haben betont, die Abgren152 153
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R a u t e n b e r g , Fiskal, S. 134-139. Dazu etwa B e c k e r , Klerus, Sp. 877; P a ar h am m e r , Rechtsprechung, S. 115-116, 197198; antike Wurzeln bei U n t e r b u r g e r , Das Bayerische Konkordat, S. 90-91; zum Mittelalter D i e s t e l k a m p , privilegium fori, S. 1-25; H e l m h o l z , ius commune, S. 194-215. So die Annahme von S e i f , Recht und Justizhoheit, S. 79. N a u m a n n , Volkskunde, S. 5.
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zung weltlicher und geistlicher Gerichtssachen sei die entscheidende „Machtfrage zwischen Kirche und Staat vom 14. Jahrhundert an bis zur Gegenwart“156.
5. Vorgehensweise und Darstellungsprobleme Der Gang der Untersuchung mag auf den ersten Blick erstaunen. Die zeitgenössischen normativen Quellen stehen nicht prominent am Anfang der Ausführungen und bilden auch nicht die Richtschnur für die Darstellung der Prozeßpraxis. Viele Rechtshistoriker arbeiten genau anders. Im Gegensatz auch zu einigen eigenen älteren Arbeiten157 versucht die vorliegende Studie, die gezielte Hervorhebung von Gesetzen, Gerichtsordnungen und anderen Vorschriften zu vermeiden. Vielmehr sind die normativen Quellen jeweils dort behandelt, wo die zeitgenössischen Beteiligten sich auf sie bezogen oder wo es auffällt, wenn sie sich gerade nicht auf sie beriefen. Dieser Aufbau versucht, die Konsequenz zu ziehen aus der tatsächlichen Bedeutung normativer Quellen, wie sie sich in den Überlieferungen der Gerichtspraxis darstellt. Das ist in der rechtsgeschichtlichen Forschung nicht selbstverständlich. Mathias Schmoeckel etwa betont sehr entschieden, die Grundlage für die Erforschung von Gerichtsverfahren sei die „Kenntnis des Rechts“, „das diese Prozesse geregelt hat“158. Daraus folgert er, man dürfe sich erst nach einer Rekonstruktion des zeitgenössischen Rechts sowie der zeitgenössischen Literatur dem Vergleich mit der Rechtspraxis zuwenden. Die „Theorie in ihrer Komplexität“159 müsse man kennen, bevor sich ein Blick auf die Praxis lohne. Aus zwei Gründen folgt die vorliegende Untersuchung dieser Vorgabe nicht. Erstens handelt es sich bei normativen Quellen, der zeitgenössischen Literatur sowie der Aktenüberlieferung um verschiedene Quellengattungen. Im Rückblick ist es nicht erforderlich, diese Quellengruppen gegeneinander auszuspielen. So, wie der Blick in die Sphäre des Sollens keine Auskünfte über das Sein erteilt, wie es freilich ältere dogmen- und normengeschichtliche Untersuchungen oftmals stillschweigend vorgaukelten160, kann auch die 156 157 158 159 160
E i c h m a n n , recursus ab abusu, S. 29; M ay , Die geistliche Gerichtsbarkeit, S. 156. O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 53-65, 181-189, 267-273, 436-476. S c h m o e c k e l , Humanität und Staatsraison, S. 3. S c h m o e c k e l , Humanität und Staatsraison, S. 4. Speziell für Zuständigkeitskonflikte zwischen geistlichen und weltlichen Gerichten W e t z s t e i n , Tam inter clericos quam laicos?, S. 51; am Beispiel des mittelalterlichen
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Betrachtung der Gerichtspraxis keine unmittelbaren Aussagen über zeitgenössische Gesetze oder Literatur treffen. Es handelt sich um je verschiedene Fragestellungen mit je verschiedenen Quellengrundlagen, die als solche nicht in einem logischen Vorrangverhältnis stehen. Der zweite Einwand gegen den vorrangigen Blick auf die Theorie ist gewichtiger. Das, was die Zeitgenossen unter Recht verstanden, war nämlich ganz wesentlich von der Praxis abhängig. In der Zeit eines treffend so bezeichneten usualen Rechtsdenkens, also bis weit ins 18. Jahrhundert hinein, hing die Geltung von Recht und damit auch der Geltungsanspruch normativer Quellen ganz entscheidend von der tatsächlichen Befolgung ab161. Welche Bedeutung normative Quellen für die Zeitgenossen hatten, kann der alleinige Blick auf die Theorie damit nicht klären. Zudem haben verfassungsgeschichtliche Untersuchungen gezeigt, wie schwierig, ja oftmals unmöglich es ist, eindeutige normative Regelungen überhaupt zu rekonstruieren162. Gerade die in der vorliegenden Untersuchung behandelte Zuständigkeitsabgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte und Instanzenzüge ist normengeschichtlich nur schwer greifbar. Wenn etwa die zeitgenössische Gerichtspraxis geistliche Offizialate völlig unproblematisch als weltliche Gerichte ansah und als solche in beliebigen Streitigkeiten in Anspruch nahm163, mag es zwar interessant sein, falls eine Offizialatsgerichtsordnung in einigen Generalklauseln, aber durchaus Punkt für Punkt, die Zuständigkeiten aufzählte164. Aber die Behauptung, die zeitgenössischen Parteien oder Gerichte hätten gegen die Prozeßordnung verstoßen, kann man bei einer gefestigten Praxis wohl kaum aufstellen. Vielmehr hatten die normativen Texte in solchen Fällen ganz offenkundig nur geringe praktische Bedeutung und spielten nicht einmal als Argument in anwaltlichen Schriftsätzen eine größere Rolle165. An dieser Stelle darf man getrost ein wenig zuspitzen: Eine gefestigte Gerichtspraxis konnte nach vormodernem Verständnis nie rechtswidrig sein. Natürlich gab es in der Sprache der gemeinrechtlichen Rechtsquellen-
161 162 163
164 165
Statutarrechts F r a n k , Rechtsgeschichtliche Anmerkungen, S. 325: Die Frage nach der praktischen Beachtung von Statuten sei nicht immer produktiv. S i m o n , Geltung, S. 102-120; zur usualen Interpretation und damit stärker am Gesetz S c h r ö d e r , Recht als Wissenschaft, S. 76-77, 165-166. S t o l l b e r g - R i l i n g e r , Verfassungsgeschichte, S. 15-27; d i e s ., Des Kaisers alte Kleider, S. 79, 83-85. Dazu unten bei Anm. 203-234; etwas schief behandelt S c h m i d t , Sühne oder Sanktion, S. 38, geistliche Gerichte nur im Hinblick auf die Sanktionierung von Verstößen gegen moralisch-sittlich-religiöse Normen. Beispiel aus Würzburg von 1584 bei T r u s e n , Reformatio Consistorii Wirceburgensis, S. 129-132/325*-328*. Dazu unten bei Anm. 275-292.
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lehre böse Gewohnheiten, die keine Rechtsverbindlichkeit erlangten. Ob man es aber mit einem Verstoß gegen übergeordnete Normen zu tun hatte oder ob gerade diese Normen durch die entgegenstehende Praxis derogiert waren, hing ganz davon ab, aus welchem Blickwinkel und mit welcher Interessenlage ein Zeitgenosse urteilte. Fraglos und anerkanntermaßen wirkte die Praxis auf die Normbildung zurück. Für den Reichshofratsprozeß, der bekanntlich gesetzlich nicht stark normiert war, hat bereits Sellert 1973 betont, die Darstellung des Prozeßrechts sei nur „mit Hilfe des Prozeßmaterials selbst“ möglich166. Ein auf diese Weise rekonstruierter Stilus curiae läßt sich mit dem modernen Gegensatz von Norm und Praxis nicht fassen. Die umfangreiche zeitgenössische Literatur zum Gerichtsgebrauch spiegelt das Problem aus der Sicht der Rechtsgelehrten167. In den Auseinandersetzungen der Parteien in den hier untersuchten Quellen spielten normative Quellen als Autoritäten durchaus eine Rolle, wenn auch nicht mit der Autorität eines alleinigen Maßstabs168. Um das ausreichend deutlich zu machen, ordnet die Untersuchung die zeitgenössischen Gesetze, Gerichtsordnungen und anderes schlicht als „Argumente“ ein, gleichgewichtig anderen Argumenten, die in den rechtskundigen Schriftsätzen ebenfalls aufblitzen. Das Gerüst der Darstellung bilden damit praktisch relevante Streitigkeiten und nicht gelehrte Diskussionen oder Normen. Gegliedert nach Territorien, darin nach typischen Konfliktfeldern oder nach einzelnen Auseinandersetzungen, stehen die normativen Quellen auf einer Stufe mit anderen anwaltlichen Begründungen des eigenen Rechtsstandpunkts. Von hier aus ergibt sich auch der Brückenschlag zur gelehrten Literatur. Soweit die Parteien sich auf gemeinrechtliche Autoritäten oder in selteneren Fällen auf partikularrechtliche Werke beriefen, öffnet sich der Blick für die neben den Prozeßakten und den normativen Texten dritte große Quellengruppe. Damit zeigt sich vor allem die Ausstrahlung der Literatur auf die spätere Praxis, obwohl die gelehrten Werke ja ihrerseits sehr häufig lediglich die ältere Praxis zusammenfaßten und kommentierten169. Diejenigen Autoren, die in den hier untersuchten Gerichtsverfahren von keinem der Beteiligten zitiert wurden, geraten damit möglicherweise aus 166 167 168 169
S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 43-44, 50-51; zur geringeren Formalisierung d e r s . , Agenten, S. 42. Aus der Spätzeit des Alten Reiches H a u s , Versuch über den rechtlichen Werth des Gerichtsgebrauchs, 1798. Dazu das schöne Wortspiel von D u v e , Mit der Autorität gegen die Autoritäten, S. 239; zur relativen Autorität von Texten auch J an s e n , Dogmatisierungsprozesse, S. 142-144. Am Beispiel der privatrechtlichen Werke aus dem Alten Reich G e h r k e , Entscheidungsliteratur; umfassendste Zusammenstellung zur Kanonistik immer noch bei S c h u l t e , Geschichte der Quellen und Literatur.
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dem Blick. Vielleicht sind sie aus anderen Zusammenhängen bereits bekannt. Dann aber drängt sich die Frage auf, warum sie gerade nicht in den Schriftsätzen auftauchen. Doch diese Verengung ist beabsichtigt. Sie unterstreicht zugleich, welche Konflikte, Argumente und Lösungen in der Gerichtspraxis des Alten Reiches wirklich eine Rolle gespielt haben. Das Recht im Sinne objektiv geltender Normen läßt sich auf diese Weise zwar nicht fassen170. Dafür ist der in den Akten überlieferte Kampf ums Recht eine historische Tatsache, die sich genauer zu betrachten lohnt. Damit ist es an der Zeit, die zahlreichen Streitigkeiten aus dem Fürstbistum Münster um die zivilrechtliche Appellation an das Kölner Offizialat und den Apostolischen Nuntius näher unter die Lupe zu nehmen.
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Geradezu rührend beklagt sich ein Regionalhistoriker, daß man in Reichskammergerichtsakten nicht zwischen Tatsachen und Behauptungen, Rechten und bloßen Ansprüchen unterscheiden könne: N i e d e r a u , Geschichte, S. 19.
II. Streitigkeiten um den Instanzenzug im Fürstbistum Münster
Die Anrufung eines geistlichen Obergerichts in weltlichen Angelegenheiten bildete den Streitgegenstand in einer ganzen Serie von Reichskammergerichtsprozessen aus dem Fürstbistum Münster. Mindestens 58 Fälle zwischen 1592 und 1738 sind dokumentiert171, wobei die Jahre zwischen 1608 und 1620 mit allein sechsundzwanzig Verfahren einen deutlichen Schwerpunkt bilden. Die Quellenüberlieferung setzt damit zu einer Zeit ein, in der die katholische Konfession der Landesherrschaft bereits geklärt war. Bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein blieb zunächst offen, ob Münster eher den Weg Jülich-Bergs oder Kurkölns beschreiten würde, doch spätestens mit Ernst von Bayern 1585 war diese Schwebezeit beendet172. In allen hier untersuchten Verfahren ging es jeweils um dasselbe Problem173: Eine Partei hatte einen zivilrechtlichen Rechtstreit vor dem Münsteraner 171
172 173
In chronologischer Reihenfolge: LA Münster RKG M 1675 (1592, keine Appellation an den Nuntius), K 838 (1595), S 2636 (1596), M 741 (1599), R 763 (1600), M 1432 (1600), Anhang D 11 (1600), W 1057 (1601), L 727 (1601), B 1280 (1601, keine Appellation an den Nuntius), B 1286 (1601, keine Appellation an den Nuntius), H 1904 (1604), S 1169 (1604), M 1586 (1608), R 1070 (1609), M 1434 (1609), L 276 (1609), N 603 (1611), M 1223 (1611), R 269 (1611), S 994 (1611), H 1569 (1612), W 1053 (1612), E 561 (1612), A 538 (1613), E 241 (1614), B 26 (1616), S 539 (1616), D 487 (1616), U 8 (1616), F 557 (1616), R 67 (1617), W 271 (1617), W 692 (1617), M 1725 (1618), B 1398 (1619), S 2642 (1620), R 1130 (1620), B 1822 (1620), S 420 (1624), M 1680 (1624), S 2291 (1625), L 204 (1627), K 1068 (1631), H 113 (1633; falsch bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte I, S. 347 lfd. Nr. 2400: „1699“), S 1793 (1634), S 774 (1634), O 273 (1638), O 268 (1639), D 662 (1641), S 878 (1656; falsch bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte II, S. 289 lfd. Nr. 5054: „1698“), N 353 (1666), V 363 (1674), Z 188 (1700), S 1544 (1714), F 270 (1716), M 1729 (1719), K 295 (1738, keine Appellation an den Nuntius). – Wegen der oberflächlichen Verzeichnung der Münsteraner Akten und grob fehlerhafter Register kann die Zahl in Wirklichkeit deutlich höher liegen. Dazu kommen gescheiterte Klagen, die in den Akten teilweise erwähnt sind. Nicht berücksichtigt sind Prozesse um die eigene städtische Gerichtsbarkeit in Münster, dazu W i g an d , Denkwürdigkeiten, S. 243-249; D i e s t e l k am p , Rechtsfälle, S. 298-302. H o l z e m , Religion, S. 21-23. Nicht behandelt sind wie immer sog. Religionsprozesse, etwa Reichskammergerichtsprozesse der Stadt Warendorf um die ungestörte geistliche Gerichtsbarkeit, dazu L u e b k e , Customs of Confession, S. 62, Quellenangaben ebd. S. 71; zum Streit um die Ausübung der Offizialatsgerichtsbarkeit in der Stadt Münster D i e s t e l k am p , Rechtsfälle, S. 298302; W i g a n d , Denkwürdigkeiten, S. 243-249.
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Offizialatsgericht verloren und dagegen Rechtsmittel beim Kölner Offizialat eingelegt. Nach Abschluß der zweiten Instanz gab es sodann eine weitere Appellation an den Apostolischen Nuntius, und genau dagegen wiederum empörte sich der Gegner und rief das Reichskammergericht zu Hilfe. In deutlich über 50 Fällen erlangte der kammergerichtliche Supplikant ein Kassationsmandat174. Trotz der teils erbitterten Proteste der Beklagten blieben diese Mandate allesamt in Kraft175. Das verleiht dem insgesamt schwankenden Recht doch einen vergleichsweise stabilen Boden. Schemenhaft zeichnen sich Bausteine einer ständigen Rechtsprechung ab. Zahlreiche Streitigkeiten vermitteln ein ganz ähnliches Bild. Deswegen ist es angebracht, die typischen Argumente der Parteien jeweils zusammenzufassen und gegenüberzustellen. Der Gang der Untersuchung spiegelt dabei den Instanzenzug und die Prozeßgeschichte wieder. Von den bisherigen Versuchen der Literatur, die Zuständigkeit frühneuzeitlicher weltlicher und geistlicher Gerichte im Rückblick abstrakt-generell voneinander zu trennen, bleibt dabei wenig übrig. Eine landesgeschichtliche Einführung muß an dieser Stelle aus mehreren Gründen unterbleiben. Gerade die verfassungsrechtliche Stellung Münsters war in den hier untersuchten Quellen nämlich Gegenstand erbitterter Streitigkeiten. Das bestätigt freilich den für diese Arbeit gewählten Ansatz. Auseinandersetzungen um die Gerichtsverfassung und damit um die Innehabung der Gerichtsgewalt berührten Grundfragen frühneuzeitlicher Herrschaft überhaupt. Von Detailproblemen über die Pfändung einiger Pferde war es rechtlich nur einer kleiner Schritt zu der Frage, ob Münster überhaupt ein eigenständiges Territorium des Alten Reiches oder lediglich ein unselbständiges Nebenland Kurkölns war176. Je nachdem, ob sie geistliche und politische Herrschaft trennten oder nicht, konnten die Zeitgenossen dies entweder bejahen oder verneinen. Selbst scheinbar gesicherte Grunddaten der Landesgeschichte werden auf diese Weise brüchig. Die Justizreform des Fürstbischofs Johann von Hoya von 1571177 war nicht nur Markstein der Landeskonsolidierung im 16. Jahrhundert, sondern zugleich Gegenstand eines Reichshofratsprozesses, den der Kölner Kurfürst Salentin 174 175
176 177
Teilweise sind verbundene Verfahren in zwei Akten nachgewiesen. Daher liegt die Gesamtzahl der Mandate etwas niedriger als die Gesamtzahl der Akten. Lediglich gegen die Appellation von Münster nach Köln erging in einem Fall ein Kassationsmandat, das das Reichskammergericht später wieder aufhob: LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 1, fol. 03r (von 1596). Ähnliche Ausweitungen für Köln beschreibt Ki s k y , Akten, S. 123. Umfassend S c h u m a c h e r , Rechtssystem, S. 20-150; zu Johann von Hoya (1529-1574): Ko h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 586-595; d e r s . , Durchsetzung, S. 735-736; J ak o b i , Reformer, S. 138-151; S c h r ö e r , Hoya, S. 320-321; Ke l l e r , Gegenreformation I, S. 279-295; G a b e l , Einfluß, S. 84-89.
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von Isenburg gegen Münster anstrengte178. Ob der Fürstbischof von Münster genügend Macht besaß, ein weltliches Hofgericht zu gründen179, und damit die Zuständigkeit der kurkölnischen Gerichte, auch des Kölner Offizialats, begrenzen durfte, war rechtlich streitig. Eine förmliche Entscheidung darüber erging nie – wie bei so vielen in der Schwebe hängenden Rechtsfragen im Alten Reich. Besser als eine landeskundliche Einleitung ist daher der Blick auf konkrete Streitpunkte. Den Wunsch nach der Rekonstruktion einer eindeutigen Rechtslage kann und wird die Untersuchung damit nicht erfüllen. Sie zeigt aber dennoch, „wie es eigentlich gewesen“180. Der Blick fällt auf das, worüber die Zeitgenossen wirklich stritten, und zwar mit einer Entschiedenheit, die sie ihre Sachen bis zum höchsten Gericht des Alten Reiches tragen ließ. Aus demselben Grund ist es auch nicht sinnvoll, scheinbar festes Wissen über die frühneuzeitliche Gerichtsverfassung Münsters voranzustellen. Zwar gibt es eine rechtshistorische Dissertation von Stefan Schumacher, die sogar verspricht, das „Rechtssystem“ des Stifts Münster in der frühen Neuzeit unter Berücksichtigung der Justizreform des Fürstbischofs Johann von Hoya auszubreiten181. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich freilich im wesentlichen um eine Nacherzählung der Hofgerichtsordnung ohne rechten Sinn für die Fragen der Gerichtspraxis. Gerade das hier im Mittelpunkt stehende höchst streitige Verhältnis von geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit ist bei Schumacher in eine einzige Fußnote verbannt: „Das Offizialatgericht war das oberste geistliche Gericht im Stift Münster, zugleich aber auch zuständig für Zivilsachen.“182 Einen der maßgeblichen Aufsätze zum Münsteraner Offizialat183 kennt Schumacher nicht. Erheblich bedeckter hielt sich zu Recht Winfried Trusen. Er teilt nicht mit, welche Zuständigkeiten ein Offizialatsgericht hatte, sondern welche die Kirche „beanspruchte“, nämlich „im Rahmen des privilegium fori für alle Kleriker mit Ausnahme der Lehnssachen. Kreuzfahrer, Pilger, Kaufleute, Scholaren und personae miserabiles konnten ihre Ansprüche vor dem Offizial gel-
178 179 180 181 182 183
Hinweis in LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 8, Art. 4-5, fol. 28r; zu Salentin von Isenburg (reg. 1567-1577) L a u x , Wege und Grenzen, S. 60-62. Zur Organisationsform solcher Hofgerichte jüngeren Typs L ü c k , Kursächsische Gerichtsverfassung, S. 110-120; O e s t m a n n , Hofgerichte, Sp. 1089. R a n k e , Geschichten, Vorrede, S. VI. S c h u m a c h e r , Rechtssystem, S. 1; zutreffend bereits Kl ü m p e r , Landesherr, S. 33: auf keinem anderen Gebiet solche Verworrenheit wie im Gerichtswesen. S c h u m a c h e r , Rechtssystem, S. 20 Anm. 102. M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 143-182.
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tend machen“184. Das Klerikerprivileg bildet in den hier betrachteten Fällen häufig den Gegenstand von Auseinandersetzungen, übrigens auch in evangelischen Territorien. Die personae miserabiles sind dagegen in den Kompetenzkonflikten der untersuchten Gebiete nur selten greifbar. In Münster tauchte das Problem offenbar nicht auf185, wohl aber in der Reichsstadt Hamburg186 und in Jülich-Berg187. Dieser Personengruppe hat Thomas Duve eine umfassende Abhandlung gewidmet188. Trusen weist zudem auf die geistliche Zuständigkeit ratione rerum hin. Er umreißt die sachliche Kompetenz der Offizialate in allen Angelegenheiten, „die den Glauben und die Kirchenverfassung berührten“. Zudem konnten sie subsidiär zuständig werden bei Rechtsverweigerung vor weltlichen Gerichten. Auch im Falle von Prorogationen, also Gerichtsstandsvereinbarungen, sollen sie in zivilrechtlichen Streitigkeiten tätig geworden sein189. Der gedrängte und kenntnisreiche Überblick endet mit dem bezeichnenden Satz: „Nicht selten gab es über die Abgrenzung der Zuständigkeit Auseinandersetzungen mit der weltlichen Obrigkeit, die unterschiedlichen Erfolg hatten.“190 Im Lichte der hier ausgewerteten Quellen läßt sich Trusens Befund noch leicht ändern, vielleicht sogar zuspitzen. Die Prozeßakten geben weniger Auskunft über den Streit zwischen weltlicher Landesherrschaft und kirchlicher Macht um die Gerichtszuständigkeit. Sie belegen vielmehr, wie sich auch die Untertanen, die vor Gericht gegeneinander stritten, genau über diese Grenzziehung uneins waren. Speziell zum bischöflichen Offizialat Münster legte Heinrich Mussinghoff 1990 einen Aufsatz vor. Der Verfasser war zu dieser Zeit selbst Offizial im Bistum Münster und wurde 1994/95 Bischof von Aachen191. Bereits 1965 veröffentlichte Franz-Ludwig Knemeyer eine kleinere Abhandlung zum Münsteraner Offizialat192. Beide haben ebenfalls die Zuständigkeit des 184
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T r u s e n , Offizialat, Sp. 1217; ebenso D i e s t e l k am p , Rechtsfälle, S. 298; E i s e n h a r d t , Hofgericht, S. 251; d e r s . , Inanspruchnahme, S. 195-196, mit ausdrücklichem Hinweis auf den Kompetenzanspruch. Beispiel aus der Stadt Münster, die eine eigene Gerichtsbarkeit besaß, bei D i e s t e l k a m p , Rechtsfälle, S. 298-302. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. S 187, Aktenstück Q 2, Artikel 4, und Aktenstück Q 10. LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 2, fol. 036r. D u v e , Sonderrecht, dort S. 43-144 zur Gerichtszuständigkeit; knapper Hinweis auch bei E r l e r , Miserabiles, Sp. 599. T r u s e n , Offizialat, Sp. 1217; d e r s . , Gelehrte Gerichtsbarkeit, S. 485-486; ähnlich E i s e n h a r d t , Inanspruchnahme, S. 199-200; d e r s . , Hofgericht, S. 254; zur Zuständigkeit bei Rechtsverweigerung vor weltlichen Gerichten auch O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 53; T r u s e n , Gelehrte Gerichtsbarkeit, S. 487. T r u s e n , Offizialat, Sp 1217. Geb. 1940, Bibliographie von E g g e r s (Stand 2004). Kn e m e y e r , Offizialatsgericht, S. 2.
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Offizialats gestreift. Danach hatte das Offizialatsgericht in weltlichen Zivilsachen neben dem weltlichen Hofgericht die konkurrierende erstinstanzliche Gerichtsbarkeit193. In weltlichen Rechtsstreitigkeiten soll die Appellation vom Münsteraner Offizialat an die münsterische Regierung oder an das Reichskammergericht gegangen sein194. Das wird im folgenden zu klären sein. Gerade zum letzten Punkt sprechen die Quellen eine deutlich andere Sprache.
1. Das Münsteraner Offizialat als geistliches und weltliches Gericht Ausgangspunkt war in allen hier einschlägigen Fällen ein Rechtsstreit vor dem Münsteraner Offizial. Die Partei, die später das Reichskammergericht um Hilfe anrief, behauptete regelmäßig, die Auseinandersetzung mit ihrem Gegner betreffe eine weltliche Zivilsache195. Dieser unscheinbare Hinweis ganz zu Beginn war bereits die erste entscheidende Weichenstellung. Denn je nachdem, ob es sich um eine geistliche oder weltliche Streitigkeit handelte, konnte sich die Gerichtszuständigkeit womöglich entscheidend ändern. Mit der größten Selbstverständlichkeit gingen die späteren kammergerichtlichen Kläger davon aus, das Offizialatsgericht sei als weltliches Gericht tätig geworden und sei auch allgemein als weltliches Gericht anzusehen196. Das ist erstaunlich, war teilweise streitig und füllt in einigen Fällen seitenweise die Schriftsätze. Was genau eine weltliche Sache war, von den Parteien als „profan“ angesehen, blieb häufig im Ungefähren und ist heute kaum zu klären. 193 194
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Ebenso K l ü m p e r , Landesherr, S. 35. Kn e m e y e r , Offizialatsgericht, S. 2, 4. Spalte; wörtlich übernommen von M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 155-156; zur münsterischen Regierung L ü d i c k e , Die landsherrlichen Zentralbehörden, S. 21-25, 36-39; konkurrierende Zuständigkeit des Offizialats (in den 1560er Jahren) auch bei L ü d i c k e , Die landesherrlichen Zentralbehörden, S. 90; nach 1571 ebd. S. 102. Die scheinbare sprachliche Doppelung folgt T i e r n e y , Tria quippe distinguit iudicia, S. 53, der Zivilsachen im Verständnis des kanonischen Rechts in geistliche und weltliche aufteilt; zur Diskussion um das Verhältnis von Zivilrecht und weltlichem Recht auch P e n n i n g t o n , Pope Innocent, S. 21. Ähnliche Einschätzung, aber ohne Quellenhinweise, bei E i s e n h a r d t , Hofgericht, S. 251; E l s e n e r , Exkommunikation, S. 72; ähnlich auch M ü l l e r -V o l b e h r , Die geistlichen Gerichte, S. 162-163, bei dem aber unklar bleibt, ob sich die Gerichtsgewalt auf Laien oder Kleriker bezieht; anders für das 15. Jahrhundert B u c h h o l z -J o h a n e k , Geistliche Richter, S. 146-150.
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Oftmals handelte es sich um bloße Schlagworte, die in den Schriftsätzen ebenso unbestimmt waren wie vieles andere. Eisenhardt hat vorgeschlagen, von Zivilsachen dann zu sprechen, wenn dieselbe Angelegenheit in einem weltlichen Territorium von einem weltlichen Gericht entschieden worden wäre197. Das ist ganz handfest und wenig dogmatisch. Dennoch bleibt ein mulmiges Gefühl. Die Zuständigkeitsgrenze zwischen geistlichen und weltlichen Gerichten verlief nämlich in jedem Territorium anders. Gerade der Vergleich zwischen einzelnen Gebieten zerstört mehr Gewißheiten, als daß er sie schafft. Das gilt bereits für das Mittelalter. Die Auseinandersetzungen zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsgewalt verliefen in den großen europäischen Königreichen je verschieden198. Vielleicht waren sie in dieser Schärfe nur möglich, weil es eben keine verbindliche materiellrechtliche Entscheidung gab, welche Sachen „denn eigentlich“ geistlich oder weltlich waren199. Deswegen bleibt kaum eine andere Möglichkeit, als einfach den Sprachgebrauch der Parteien zu übernehmen200. Sie waren jedenfalls davon überzeugt, daß der Münsteraner Offizial Zivilsachen behandelte und sahen es vielfach nicht für notwendig an, dies irgendwie näher zu erläutern. Trusen hat die konkurrierende Zuständigkeit der Offizialatsgerichte in Zivilrechtssachen bestritten und als Geschütze dafür normative Quellen aus dem Spätmittelalter ins Feld geführt201. Die Quellenlage ist freilich erdrückend und seine Auffassung klar widerlegt202.
a) Name und Funktion des Offizialats als Zivilgericht Die Bezeichnung des geistlichen Gerichts durch die späteren kammergerichtlichen Kläger lautete zumeist fürstlich münsterischer Offizial203, war 197 198 199 200 201
202 203
E i s e n h a r d t , Zivilgerichtsbarkeit, S. 406; d e r s . , Inanspruchnahme, S. 196. T r u s e n , Gelehrte Gerichtsbarkeit, S. 488-495, mit Hinweisen auf England, Frankreich, Deutschland, Neapel, Italien, Sizilien, Ungarn, Kastilien und Portugal. M a y , Die geistliche Gerichtsbarkeit, S. 156; T r u s e n , Auseinandersetzungen, S. 260/381*. Zur quellennahen Begrifflichkeit historischer Arbeiten klassisch B r u n n e r , Land und Herrschaft, S. 163-164. T r u s e n , Besprechung von Eisenhardt, S. 563; schon W i g a n d , Denkwürdigkeiten, S. 243, sah die konkurrierende Zuständigkeit als Anmaßung an, freilich in einer sehr polemischen Zuspitzung. Gegen Trusen auch E i s e n h a r d t , Zivilgerichtsbarkeit, S. 406 Anm. 2. LA Münster RKG W 692, Aktenstück Q 1, fol. 02r; RKG U 8, Aktenstück Q 1, fol. 03r; RKG N 603, Aktenstück Q 1, fol. 03r; RKG B 1280, Aktenstück Q 1; RKG S 2291, Aktenstück Q 1.
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aber im Detail schwankend. Manchmal sprach man nur vom münsterischen Offizial204, teilweise stand statt der Person stärker die Institution im Vordergrund, und es hieß fürstlich münsterisches Offizialat205, Offizialatsgericht206 oder sogar „Officialat Hof-Gericht“207. Dieses letzte Beispiel ist besonders interessant, weil ein Notar, der in Rheine ein kammergerichtliches Mandat verkündete, in seiner Pergamentabschrift das Wort „Hof“ nachträglich ergänzte. Die Titulierung stand offenbar nicht ganz fest. Wie es scheint, benutzte man die institutionelle Bezeichnung Offizialatsgericht häufiger in den späteren, die persönliche Bezeichnung Offizial208 dagegen eher in den früheren Streitigkeiten. Der Weg von der Person zur Behörde läßt sich also rein sprachlich schön nachzeichnen. Nachweisbar sind Offiziale in Münster seit 1243209. Die engmaschige Überlieferung der in 441 Kartons erhaltenen Protokollbücher setzt 1537 ein210. Eine kuriose Querverbindung darf nicht unerwähnt bleiben. Der namhafte niederländische Rechtsgelehrte Viglius van Aytta van Zuichem war 1534 Offizial von Münster, bevor Kaiser Karl V. ihn 1535 zum Assessor am Reichskammergericht berief211. Von Viglius stammen im übrigen wichtige zeitgenössische Quellen zum Wiedertäuferwesen212. Manchmal erläuterten die Parteien des späteren Kammergerichtsprozesses knapp die Funktion des Offizials. So meinte der Schriftsatzverfasser eines Heinrich Mumme aus Münster 1608, der erstinstanzliche Ausgangsprozeß habe vor dem Offizial „alß in weltlichen sachen fürstlichen Richtern“ stattgefunden213. Genauso formulierte auch 1611 der Vertreter eines Heinrich von der Wick. In einem Streit von 1601 hieß es, der Münsteraner Offizial sei 204 205 206
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LA Münster RKG R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 02r; RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r; RKG Anhang D 11, unquadr. Aktenstück Replicae, fol. 08r. LA Münster RKG K 1068, Aktenstück Q 1, fol. 14. LA Münster RKG S 774, Aktenstück Q 1, fol. 03v; RKG D 487, Aktenstück Q 1, fol. 005; RKG S 1793, Aktenstück Q 1, fol. 04r; RKG V 363, Aktenstück Q 2, fol. 5r; RKG M 1729, Aktenstück unquadr.: Unterthänigste Supplication, fol. 10r; RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04r; RKG S 420, Aktenstück Q 1, fol. 05r. LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 1, fol. 4r. Offizial als Name des Einzelrichters auch bei M ay , Organisation, S. 117. S c h r ö e r , Kirche in Westfalen, S. 26; S c h u l t e -N ö l k e , Sendgericht, S. 596; allgemein zur Entstehung des Offizialats T r u s e n , Gelehrte Gerichtsbarkeit, S. 467-473; d e r s . , Aus den Anfängen, S. 321-335 (391*-405*); M ü n c h e n , Das kanonische Gerichtsverfahren I, S. 22-26; E b e r s , Archidiakonal-Streitigkeiten, S. 368-369 Fn. 1, nennt 1265; allgemein zu Norddeutschland Kr o e s c h e l l , recht unde unrecht, S. 137-138. Die B e s t ä n d e des Landesarchivs Abt. Westfalen, S. 23. S c h u l z e , Viglius van Zuichem, S. 183-230; P o s t m a , Viglius, S. 52-56; S p r e n g e r , Viglius, S. 27; Ko h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 571. S c h u l z e , Viglius van Zuichem, S. 194-199. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04r.
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„in prophanis ordinarius Judex“214. Auch den Hinweis „fürstlich“ muß man durchaus ernst nehmen, wie der Prozeß von Gerhard Alfferding von 1612 belegt. Er ließ vortragen, „in einer Weldtlichen sachen vor dem Münsterischen Official Alß Fürstlichen Richtern“ einen Rechtsstreit geführt zu haben215. Die allgemeine und weit ausgreifende Zuständigkeit des Offizials in weltlichen Zivilsachen handelten die Supplikationen der kammergerichtlichen Kläger mit wenigen Worten ab. In einem Fall von 1633 liest man, der Kläger habe „in causa plane civili et prophane“ am Offizialatsgericht einen Prozeß ausgetragen216, 1624 sprach ein Supplikant von einer Klage „in causa indubitanter civili“. Bei Schuldforderungen betonten die Kläger besonders, es habe sich um rein weltliche Schulden gehandelt. 1609 war die Rede von „weltlichen schuldtforderungen“217, 1617 von einer Schuldforderung und Profansache218. Den genauen Streitgegenstand vor dem Offizialat gaben die Narrationen regelmäßig nicht an. Nur gelegentlich erlauben die Akten einen schärferen Blick. So stritten die Beteiligten um Kornschulden219 oder Schaftrieb220, um Rentgulden221, Haus und Güter222. Fast immer war das Offizialat dabei erstinstanzlich tätig. Eher selten gibt es Hinweise auf zweitinstanzliche Offizialatsprozesse. So hatte in einem Fall von 1596 jemand vom Gogericht zur Meest „alten gebreuch zufolge“ an das Offizialat appelliert223. Nur ausnahmsweise unterliefen den Klägern Ungeschicklichkeiten bei der Bezeichnung des Gerichts. So betonte ein Hermann von Merveldt zwar, es handele sich in seinem Fall um eine Sache „mere ciuili et prophana“, doch habe der Prozeß „vor dem Geistlichen Officialn Episcopum Monasteriensem“ stattgefunden224. 214 215 216 217 218
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LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 1. LA Münster RKG H 1569, Aktenstück Q 1, fol. 3-4. LA Münster RKG S 774, Aktenstück Q 1, fol. 03v. LA Münster RKG R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 02r. LA Münster RKG W 692, Aktenstück Q 1, fol. 02r; ähnlich RKG Anhang D 11, unquadr. Aktenstück „Duplicae“, fol. 08v: weltliche Güter und Personen; knapper Hinweis auf Geldschulden bei T r u s e n , Aus den Anfängen, S. 330/400*. LA Münster RKG U 8, Aktenstück Q 1, fol. 03r. LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 1, fol. 08r. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04r; RKGM 1729, Aktenstück unquadr. „Unterthänigste Supplication“, fol. 09 r. LA Münster RKG R 1130, Aktenstück Q 1, fol. 02r. LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 1, fol. 03r; zur Zuständigkeit des Gogerichts H e r o l d , Gogerichte, S. 22/450, 29/457-31/459; H a c h e n b e r g , Gogerichte, S. 44-47; L a n d w e h r , Gang, S. 52, erkennt aufgrund normengeschichtlicher Untersuchungen nur die Appellation von den münsterischen Gogerichten an das Hofgericht; ebenso Kl o o s t e r h u i s , Gogericht, S. 157; etwas zurückhaltender H a c h e n b e r g , Gogerichte, S. 105, der eine alte Gewohnheit für das Gogericht Sandwelle für möglicht hält, die geistliche Zuständigkeit aber ebenfalls nicht kennt. LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5.
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In einem anderen Fall sprach ein Kläger vom „officialen des Geistlichen Houeß zu Münster“225. In einem späten Prozeß von 1714 war vom „hochfürstlichen Münsterischen geistlichen Hoffgericht“ die Rede226, doch ging es um eine Geldforderung, und gerade dieser Fall diente später als Beleg für den angeblichen Instanzenzug vom Münsteraner Offizial zum Kölner Offizial und weiter zum Reichskammergericht227. Lediglich in einer der hier untersuchen Akten verneinte ein kammergerichtlicher Kläger 1592 rundum die sachliche Zuständigkeit des Münsteraner Offizials. Dabei handelte es sich aber um einen Sonderfall. Es ging um einen Prozeß, den der adlige Adolf von Raesfeld zu Hengen wegen der Schatzung wüster Erben führte, also wegen Steuerzahlungen für seine Ländereien228. Raesfeld wandte sich gegen eine Entscheidung der münsterischen Stände von 1579 und klagte am Münsteraner Offizial. Der Münsteraner Pfennigmeister trug dort aber vor, die Sache gehöre nicht vor den Offizial, sondern vor die Ständeversammlung229. Dem Offizial als geistlichem Richter gebühre nicht die Erkenntnis in dergleichen Schatzungssachen230. Der Adlige selbst sprach vom „Geistlichenn Official oder Hoffgericht“231. Hier ging es also nicht um die Frage, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig war, sondern um eine vorgelagerte Weichenstellung. Durfte man überhaupt ein Gericht einschalten, wenn die Landstände die Entscheidungskompetenz beanspruchten? Für die Zuständigkeitsabgrenzung der beiden Gerichtsbarkeiten gibt dieser Prozeß daher nichts her. In einem Rechtsstreit von 1600 scheint der kammergerichtliche Mandatsgegner die Zuständigkeit des Münsteraner Offizialats in weltlichen Angelegenheiten rundum bestritten zu haben. Die Einzelheiten sind freilich unklar, weil die Akte unvollständig überliefert ist und lediglich eine Darstellung des Supplikanten vorliegt. Dieser aber verteidigte die Prozeßführung des münsterischen Offizials in Zivilsachen mit starken Worten: „Daß aber Officialis Monasteriensis Nur allein in geistlichen sachen, alß furgegeben zuuertheilen macht haben solte, dasselbe ist gleichfalß Irrig (...), Sondern viel mehr wahr und offenkundig, daß gedachter Officiall von uhralten undencklichen Zeiten alß ordinarij Judices, 225 226 227 228 229 230
231
LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 1, fol. 03r. LA Münster RKG S 1544, Aktenstück Q 5, fol. 20r. Als Präzedenzfall zitiert in LA Münster RKG K 295, Aktenstück Q 2, fol. 9v. Bei S c h ü t t e , Wörter und Sachen, S. 569 („schatting“); ähnliches Problem aus Hildesheim mit den Zustimmungserfordernissen bei Kl i n g e b i e l , Landtagsabschiede, S. 21-22. LA Münster RKG M 1675, Aktenstück Q 2, fol. 06 r. LA Münster RKG M 1675, Aktenstück Q 11, fol. 29 r. Die Hofgerichtsordnung 1571 hatte Schatzungssachen dem weltlichen Hofgericht zugewiesen. Im 17. Jahrhundert gab es deswegen Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen weltlichem Hofgericht und Regierung, dazu S c h m i t z - E c k e r t , Regierung, S. 56. LA Münster RKG M 1675, Aktenstück Q 4, fol. 13 v, Artikel 24.
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vonn Collnischer Churfürstlicher Durchleuchtigkeidt und Bischoffen zu Münster alß Fürsten des Reichs, welche ihre Regalia und weltliche Obrigkeidt ab Imperatore deriuiren, angeordnet, tam in profanis & ciuilibus, quam Ecclesiasticis negociis Jurisdictionem per totam diocesin Monasteriensem & Coloniensem unstreidtbar execiret haben.“232 Diese Argumentation trugen die beklagten Dietrich und Johann Kerckering233 in Speyer vor. Danach befand sich „unter etliche viel tausent und tausent sachen kaum eine Geistliche“ am Münsteraner Offizialat234. Das sollte auf unvordenklichem Herkommen beruhen. Der Offizial hatte seine weltliche Kompetenz angeblich vom Kölner Kurfürsten und dem Bischof zu Münster empfangen. Sie hatten sein Amt geschaffen und ihn eingesetzt. An dieser Stelle fällt ein Subjektwechsel im Schriftsatz auf. Der Satz begann im Singular und bezog sich zunächst nur auf den Münsteraner Offizial. Dann aber erweiterte der Schriftsatzverfasser den Münsteraner um den Kölner Offizial und beendete seinen Satz im Plural. Das mag eine der vielen Schlampigkeiten der so zahlreichen barock-aufgeblähten Schriftsätze sein. Vielleicht aber war die grammatische Uneindeutigkeit durchaus beabsichtigt. Dafür spricht nicht wenig. Denn auf diese Weise konnte man den Schriftsatzverfasser nicht auf eine klare Meinung zum Münsteraner Offizialat festlegen. Ob seine Äußerung sich spezifisch auf Münster oder auf beide genannten Gerichte bezog, blieb offen. Jedenfalls steckte in dem verworrenen Satz unter anderem die Behauptung, der Münsteraner Offizial leite seine weltliche Zuständigkeit seit Alters her vom Kölner Kurfürsten ab und werde de facto gar nicht als geistliches Gericht tätig.
b) Geistlicher Streitgegenstand und doppelte Hofgerichtsbarkeit Auf den regelmäßig knappen Hinweis der kammergerichtlichen Supplikanten, sie hätten vor dem Offizial einen weltlichen Prozeß geführt, erwiderten die Beklagten teilweise mit der gegenteiligen Behauptung. Es habe sich in Wahrheit doch um einen geistlichen Streitgegenstand gehandelt. In einem Verfahren um das Recht zum Torfstechen in der Listrup-Bexter Mark stritten sich die Äbtissin und der Konvent der Überwasserkirche in Münster mit Bürgermeister und Rat der Stadt Rheine. Die Stadt gab sich große Mühe, das Offizialat als geistliches Gericht darzustellen. In der Exzeptionsschrift vom Februar 1618 führte der Schriftsatzverfasser aus, „daß ein Zeitlicher Bi232 233 234
LA Münster RKG Anhang D 11, unquadr. Aktenstück „Replicae“, fol. 09r-09v. Dietrich und Johann Kerckering auch bei H s i a , Society, S. 231. Wegen der häufig identischen Vornamen ist die Zuordnung aber unklar. LA Münster RKG Anhang D 11, unquadr. Aktenstück „Replicae“, fol. 09v.
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schoff unnd LandtsFürst des Stiffts Münster, beim Stifft Zwee underschiedtliche Ubergerichte, Alß das Officialat Geistlichs unnd Fürstlich Weltlichs, Und zu beiden besondere Ordnungen habe unnd halte. Wahr, daß so vile den Weltlichen sachen unnd Personen belanget, daß dieselbe durch eine besondere von dero Rom[ischer] Kays[erlicher] May[es]t[ä]t Unsern allergnedigsten Herrn, bestettigte Ordnung an das Hoffgericht zu determiniren Verwiesen, unnd daran gehorig. Dagegen wahr, daß dero Geistlichen Personen unnd gütter sachen an das Geistliche Officialat-gericht Vermöge deßelben Gerichts Reformation zu decidirn außbedinget unnd verwiesen, Ungeachtet ob woll per consuetudinem auch herpracht sein mag, daß in etlichen Weltlichen sachen Ecclesiasticus Judex concurrentem Jurisdictionem per modum praeuentionis mit dem Fürstlichen Weltlichen hoffgerichte biß herzu gebraucht unnd noch“235. Das gab die Gerichtsverfassung in Münster ziemlich genau wieder. Die Argumentation stellte auf den zeitlichen Bischof und Landesfürsten ab, also auf den Bischof in seiner Funktion als weltlicher Landesherr. In dieser Funktion hatte er zwei Obergerichte, ein geistliches und ein weltliches Hofgericht. In der Tat hatte Fürstbischof Johann von Hoya 1571/72 das weltliche Hofgericht errichtet236, und Kaiser Maximilian II. hatte auch die Gerichtsordnung bestätigt237. Zugleich hatte der Bischof den Plan verfolgt, das Offizialat auf rein geistliche Zuständigkeiten zu beschränken. Schon 1567 wollte er die Appellation in weltlichen Sachen nach Köln beenden und den direkten Weg zum Reichskammergericht eröffnen238. Kurze Zeit später lag 1569/70 eine erneurte Offizialatsgerichtsordnung auf dem Tisch239, die der münsterische Kanzler Dr. Wilhelm Steck entworfen hatte, wie der Fürstbi-
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238 239
LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 4, fol. 07v-08r. S c h u m a c h e r , Rechtssystem, S. 21-23, 49-54; Kl o o s t e r h u i s , Fürstbischof Johann von Hoya, S. 98-108; G a b e l , Einfluß, S. 90-97; G e r s m a n n , Instrumentalisierungsversuche, S. 476-478; erste Sitzung des Gerichts am 2. Juni 1572 in Horstmar, Übersiedlung nach Münster am 19. Oktober 1573, bei L ü d i c k e , Die landesherrlichen Zentralbehörden, S. 98-99. E r h a r d , Geschichte Münsters, S. 395: kaiserliche Bestätigungen vom 9. Oktober (Hofgerichtsordnung) und 8. November 1570 (Landgerichtsordnung); S c h w ar z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 44; Landesprivileg vom 6. April 1570 und kaiserliche Bestätigung vom 9. Oktober 1570 auch bei H o b b e l i n g , Beschreibung, S. 141-157; S c h l ü t e r , Provinzialrecht I, S. 154-163: Privileg vom 6. April 1570, bestätigt am 2. Mai 1735, dort S. 158-159: „Aber in anderen civil- und bürgerlichen Forderungen, wollen wir“, der Fürstbischof, „und unsere Nachkommen einen jeden Unsers Stifts Münster Unterthanen insgemein vor das Gericht besprechen, und antworten lassen, vor welchem er nach diesem Privilegio und Unseren publicirten Ordnungen gehörig und unterworfen ist“; S c o t t i , Sammlung Münster I, S. 159-163. L ü d i c k e , Die landesherrlichen Zentralbehörden, S. 93, mit Verweis auf ein Memorial der bischöflichen Berater. Einzelheiten bei L ü d i c k e , Die landesherrlichen Zentralbehörden, S. 95-96; S c h w ar z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 49-76.
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schof übrigens ein ehemaliger Assessor des Reichskammergerichts240. Zeitgleich fand eine umfassende Visitation der Stiftsgeistlichen statt241. Die Stände hatten der Reform zunächst zugestimmt. In ihrer ersten Freude erließen sie dem Fürstbischof sogar 12.000 Taler Schulden242. Doch dann wurden ihnen die Knie weich. Die Neuerungen gingen zu weit, und der Landtag verwarf nach längeren Streitigkeiten 1573 die Gerichtsordnung endgültig243. Das Domkapitel kaufte sämtliche Exemplare der bereits gedruckten Offizialatsgerichtsordnung für 300 Taler auf stampfte sie ein244. Die dann 1573 beschlossene Reformation des Offizialats aus der Feder des Generalvikars Jakob Voß schuf gerade nicht die vom Fürstbischof zunächst beabsichtigte Klarheit245. Damit gab es de facto in weltlichen Streitigkeiten zwei Obergerichte, wobei die Zuständigkeit des Offizialats in Zivilsachen, wie der Schriftsatzverfasser treffend erkannte, auf Gewohnheit und Herkommen beruhte. Der Paderborner Offizial Theodor Holter bestätigte in einer Stellungnahme noch 1725 genau diesen Eindruck. Der „Official des Geistlichen Hof- und Officialat-Gerichts“ sei wie in Münster und Köln so auch in Paderborn „Judex immediatus & competens (...) tam in Ecclesiasticis, quam Civilibus“ und habe mit dem weltlichen Hofgericht konkurrierende Zuständigkeit246. Georg Melchior Ludolff, der angesehene Reichskammergerichtsassessor, stimmte dieser Sichtweise zu247. Die Offizialate von Münster, Köln und Paderborn waren nach dieser Einschätzung sowohl geistliche wie zivile Gerichte. Deswe240
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Zur Person Stecks S c h w a r z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 23; S c h m i t z E c k e r t , Regierung, S. 62-63; K o h l , Bistum Münster/Diözese 1, S. 228; G a b e l , Einfluß, S. 89. – Johann von Hoya selbst war 1556 sogar für drei Monate Kammerrichter: G a b e l , Einfluß, S. 88; L o e w e n i c h , Amt und Prestige, S. 125. Quellen bei S c h w a r z , Akten, S. 43-232. L ü d i c k e , Die landesherrlichen Zentralbehörden, S. 96 Anm. 1. Kl o o s t e r h u i s , Fürstbischof Johann von Hoya, S. 98, 102; umfassend zum Widerstand gegen die Steck’sche Reform S c h w ar z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 77-91; knapp S c h u m a c h e r , Rechtssystem, S. 20 Fn. 102; M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 153-154; S c h u l t e - N ö l k e , Sendgericht, S. 602. Quelle bei H u y s k e n s , Ankauf, S. 258-260; dazu auch K n e m e y e r , Offizialatsgericht, S 2, 3. Spalte unten; G a b e l , Einfluß, S. 96. Das offenbar einzige erhaltene Exemplar befindet sich im StadtA Münster Hs. 46, fol. 108r-138v: „Reformatio per reverendissimum in Christo patrem S. Rom. Imperii Principem et Dominum, D: Ioannem ex Commitibus de Hoya, Dei gratia Episcopum Monasteriensis Osnabrugensis ac Paderbornensis Ecclesiarum Administratorem perpetuum etc: ad vsum Consistorii sui Ecclesiastici Iurisdictionis Monasteriensis Anni M.D.LXXI. edita, Münster 1571“. StadtA Münster Hs. 46, fol. 3r-16r; zur Gerichtsordnung von 1573 S c h w ar z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 140-160, Abdruck der Ordnung ebd. S. 167-228 (dort als Msc. 398 zitiert). Bei L u d o l f f , Observationen I, obs. V S. 32. L u d o l f f , Observationen I, obs. V S. 31.
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gen war es auf den ersten Blick müßig, wenn die Parteien darum stritten, ob eine vor dem Offizialat verhandelte Sache weltlich oder geistlich war. Im Gegensatz zum weltlichen Hofgericht war das Offizialat nämlich ohnehin in beiden Fällen zuständig. Bedeutsam wurde die Einordnung der Streitigkeit aber im Rechtsmittelverfahren. Ob und inwieweit das Offizialatsgericht in den kirchlichen oder weltlichen Instanzenzug oder in beide eingebunden war, blieb über Jahrzehnte hinweg streitig. Wenn die Parteien also den Rechtscharakter ihrer Auseinandersetzungen vor dem Offizial erörterten, schlugen sie damit zugleich einen Pflock ein, von dem aus sie die Zuständigkeit der später angerufenen Appellationsgerichte leichter beurteilen konnten. Das weltliche Hofgericht kam in solchen Auseinandersetzungen teilweise äußerst schlecht davon. So trug der Schriftsatzverfasser von Dietrich und Johann Kerckering 1600 am Reichskammergericht vor, der Fürstbischof habe das weltliche Hofgericht in Münster nur „den Stiffts Stenden zum besten“ errichtet, damit sie das, was dort verhandelt werde, „besser verstehen mugten.“ Deswegen habe er es „pro amplianda non limitanda ordinarii potestate angerichtet, wie dan auch beede Gerichter durch eine Adeliche Persohn so zugleich Officiall und Hoffrichter ist, beeladet worden, und mennichlichen frey, an welchem er sein sachen anhengig machen wolle“248. Darin steckte die süffisante Bemerkung, die Landstände hätten schon vor Zeiten mangelhafte Lateinkenntnisse gehabt. Zu ihrem besseren Verständnis habe man ein zweites Gericht mit identischen Zuständigkeiten schaffen müssen, das im Gegensatz zum Offizialatsgericht auf deutsch verhandele249. Die völlige Wahlfreiheit zwischen beiden Hofgerichten hielt der Verfasser ebenso fest wie die Personalunion zwischen geistlichem und weltlichem Hofrichter, die in der Tat über drei Jahrzehnte bestand250.
c) Spezielle geistliche Streitgegenstände Mehrfach versuchten die Mandatsbeklagten, das Offizialat im konkreten Fall als geistliches Gericht darzustellen. In einem Streit von 1618 ging es um das Recht zum Torfstechen. Der Schriftsatzverfasser betonte, die Äbtissin von
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LA Münster RKG Anhang D 11, unquadr. Aktenstück „Replicae“, fol. 09v-10r. Kritik an der lateinischen Sprache vor dem Offizialat bereits 1567 in Münster bei L ü d i c k e , Die landesherrlichen Zentralbehörden, S. 92. M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 154; S c h w ar z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 139-140.
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Überwasser sei die Erbholzrichterin251 über das Torfgebiet, und deswegen stehe ihr das Holzgericht „eigenthumblich“ zu. Bürgermeister und Rat zu Rheine müßten ihr in dieser Eigenschaft „alß Ihr heubt folgen, schutz unnd schirm darvon, Alß einer Geistlichen Personen nemmen, unnd bei dem Closter suchen“252. Und da die Äbtissin eine Geistliche sei, folgten die ihr zu Schutz und Schirm253 Untergebenen notwendig auch in Fragen der Gerichtszuständigkeit. Daher sei das Torfstechen, wenn die Äbtissin damit zu tun habe, eine geistliche Angelegenheit, und genau darum müßten die Parteien ihren Streit „am Geistlichen Officialat Alß coram Ecclesiastico Judice und nicht coram ipso ut concurrentem ciuilem Jurisdictionem cum aulico habente“ austragen. In diesem Fall war nach Ansicht der Stadt Rheine das Offizialat also als geistliches und nicht als weltliches Gericht zuständig. Der Charakter des Prozesses sollte sich nach dem geistlichen oder weltlichen Stand der Parteien richten, wobei die Untertanen der geistlichen Obrigkeit ebenfalls als geistliche Personen anzusehen sein sollten. Delikat ist die Angelegenheit, weil beide Parteien einen wesentlichen Gesichtspunkt verschwiegen. Die städtische Führungsschicht in Rheine war zu dieser Zeit nämlich stark protestantisch geprägt. Schon 1603/04 hatte es einen Konflikt zwischen der Bürgerschaft und der fürstbischöflichen Regierung um die Absetzung eines Pastors gegeben, einen Streit, an dem auch das Münsteraner Offizialat beteiligt war254. Fürstbischof Ernst von Bayern (1585-1612) hatte sodann 1611 erfolglos versucht, die Protestanten aus Rheine zu vertreiben, war damit aber gescheitert255. Erst nach 1625, also mehrere Jahre nach dem geschilderten Rechtsstreit, wurde Rheine wieder eine katholische Stadt256. Wenn man Bürgermeister und Rat unter die geistliche Holzgerichtsbarkeit einer katholischen Äbtissin zwängte, versinnbildlichte man damit zugleich die Unterordnung der Lutheraner unter die katholische Geistlichkeit. Dieses auf der Hand liegende Argument taucht in der Akte nicht auf. Vergessen konnte man es nicht. Aber augenscheinlich war es zeitgenössischen Anwälten möglich, in derartigen Auseinandersetzungen zwischen Recht und Religion zu unterscheiden. 251 252 253 254 255 256
Die westfälischen Holzgerichte sind nicht näher erforscht; Hinweise bei K l o o s t e r h u i s , Fürstbischof Johann von Hoya, S. 95-96. LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 4, fol. 08 v. Zu der berühmten Paarformel B r u n n e r , Land und Herrschaft, S. 263-268; A l g az i , Herrengewalt, S. 51-127. D a r p e , Humanismus, S. 23-25; F ü h r e r , Stadt Rheine, S. 122-123, 126. F ü h r e r , Stadt Rheine, S. 127; zu Ernst von Bayern K o h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 601-611; K l u e t i n g , Das kurkölnische Herzogtum, S. 468. D a r p e , Humanismus, S. 37-41; F ü h r e r , Stadt Rheine, S. 156; allgemein zum Protestantismus im Stift Münster L u e b k e , Customs of Confession, S. 53-72; Ko h l , Christoph Bernhard von Galen, S. 27-28.
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Im Streit zwischen einem Heinrich Mumme aus Münster und der Witwe des Bocholter Bürgermeisters Oveling sollte sich 1608 der geistliche Charakter des Offizialatsprozesses aus einer Prorogation der Parteien ergeben, also aus einer Gerichtsstandsvereinbarung. Zugrunde lag eine Auseinandersetzung um Pfandverschreibungen, oder, wie es auch hieß, um hausverschriebene Rentgulden. Wie die Parteien in ihrem Vertrag vereinbart hatten, sollten Streitigkeiten „uff denselben mitt Gaistlichen oder Weltlichen rechtenn (…) mogen procedirt werden“257. In der Tat hatte Mumme wegen Zahlungsproblemen am Münsteraner Offizialat geklagt, wie er meinte, „in weltlichen sachen“258. Die Beklagten gingen dennoch von einer geistlichen Streitsache aus und begründeten dies aufwendig. Sie meinten nämlich, „das ein Bischoff zue Münster daselbst Jederzeitt einen Weltlichenn Richter gehabtt“ habe, dem die Bürger der Stadt Bocholt ursprünglich unterworfen gewesen seien259. Die Stadt Bocholt besitze aber inzwischen seit unvordenklichen Jahren Privilegien und approbierte Statuten, nach denen ihre Bürger erstinstanzlich vor keinem anderen Gericht als vor dem Stadtgericht Rede und Antwort stehen müßten260. In der Tat gab es solche Gerichtsstandsprivilegien im Spätmittelalter außerordentlich häufig. Sie schränkten das Evokationsrecht des Herrschers ein und sicherten dem Empfänger eine gewisse gerichtliche Autonomie261. Für weltliche Prozesse, so meinte die Stadt Bocholt, sei deswegen erstinstanzlich ausschließlich das eigene Stadtgericht zuständig262. Durch die Formulierung in der Pfandverschreibung konnte der Kläger nach dieser Ansicht mit weltlichem Recht ausschließlich in Bocholt, mit geistlichem Recht dagegen auch am Münsteraner Offizialat vorgehen. Die Stadt räumte durchaus ein, „das in dem Stifft Münster zwei Obergerichtere unnd Consistoria sein, Nemblich eins das Officialisch, unnd das Andere ein Fürstlich weltlich Hoffgericht“263. 257 258 259 260 261
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LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, fol. 19 r, Artikel 9. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04 r. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, fol. 18 r, Artikel 4. Landesherrliches Stadt- und Landgericht Bocholt erwähnt bei v o n O l f e r s , Beiträge, S. 80 Nr. 11; zeitgenössischer Bericht von 1571 bei P h i l i p p i , Landrechte, S. 157-160. Das meinte wohl auch der Bericht von 1571: „Am lant- oder gogericht werden allerlei burgerliche und peinliche sachen tractiert, welchs meinem gnedigen fursten und herrn van Munster allein zukummt“, bei P h i l i p p i , Landrechte, S. 157; allgemein: B a t t e n b e r g , Gerichtsstandsprivilegien, S. 11, 17-20 zu Privilegienarten; andere Terminologie bei W e i t z e l , Funktion, S. 191-205. Kn e m e y e r , Offizialatsgericht, S. 2, 4. Spalte, identisch M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 155, weisen darauf hin, das Offizialat habe erstinstantzlich solche Sachen nicht behandelt, für die ein ausschließliches erstinstanzliches Recht eines anderen Gerichts bestand. Das Fallbeispiel zeigt freilich, wie die Einordnung als geistliche Sache genau dieses Gerichtsstandsprivileg aushebeln konnte. – Ob es einen konfessionellen Hintergrund gab, ist unklar. In Bocholt lebten viele Protestanten bzw. war die Lage undurchsichtig, dazu L u e b k e , Customs of Confession, S. 57-58. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, fol. 22 r-22 v, Artikel 34.
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Und dem Offizialat gestand man auch für weltliche Angelegenheiten die sachliche Kompetenz bereitwillig zu. Im übrigen taucht hier der aus protestantischen Territorien geläufige Begriff Konsistorium im ganz untechnischen Sinne auf und bezeichnete beide Obergerichte eines katholischen Fürstbistums gleichermaßen264. Aber, so meinte die Stadt, es sei doch wahr, „das Gegentheilo Mum265 dießer sache vor ge[meltem] Officialn in qualitate, als eines geistlichen Richter hett eingeführtt“266. Da die Auseinandersetzung um die Rentgulden eine geistliche Streitigkeit sein sollte, bot sich der Stadt Bocholt die Möglichkeit, einerseits die strenge Beachtung ihres Gerichtsstands privilegs einzufordern und gleichzeitig die erstinstanzliche Zuständigkeit des Offizialats hinzunehmen. Teilweise sollte sich der geistliche Charakter des Offizialatsprozesses aus dem Vertragszweck ergeben, wenn es um Schuldforderungen aus Verträgen ging. Katharina von Soest, die Witwe eines Lizentiaten der Rechte Philipp Münstermann267, stritt sich mit einem Johann Plate, Kanoniker an St. Martini in Münster, wie sie 1625 meinte, „in Causa prorsus Ciuili“.268 Es ging um Forderungen aus einem Geschäftsbesorgungsvertrag. Das klang nüchtern und geschäftsmäßig. Doch verbarg sich hinter der Fassade ein offenbar gescheitertes Liebes- und Eheabenteuer. Nähere Informationen zum Sachverhalt trug der beklagte Geistliche vor. Die Klägerin, so erfährt man, sei die frühere „concubin“ eines Subdiakons Dungel gewesen, der seine Geliebte gern heiraten wollte. Deswegen hatte er mit dem Kanoniker Plate eine Vereinbarung geschlossen. Plate sollte sich für die Aufhebung von Dungels geistlichen Weihen einsetzen und einen Ehedispens „in Curia Romana à summo Pontifice“ erwirken. 50 Reichstaler hatte Dungel bereits im Vorfeld bezahlt, doch der Ehedispens war nicht zu erlangen, angeblich ohne Verschulden von Plate. Plate weigerte sich nicht nur, das Geld zurückzuzahlen, sondern betonte, „zwischen zweyen geistlichen die vertrag eingangen“, müsse eine geistliche Streitigkeit vorliegen. „So ist handtgreifflich, daß dieße Sach nicht causa mehre ciuilis,
264
265 266 267 268
Zum Konsistorium als Bezeichnung des münsterischen Offizialats StadtA Münster Hs. 46, fol. 3r (Offizialatsgerichtsordnung von 1573), ebd. fol. 108r (die gescheiterte Offizialatsgerichtsordnung von 1571); D e t m e r , Wiedertäufergeschichte II, S. 91; S c h w a r z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 10; Konsistorium als geistliches Hofgericht im katholischen Territorium bei M a y , Metropolitangericht, S. 527; T r u s e n , Reformatio Consistorii Wirceburgensis, S. 127/323*; d e r s . , Offizialat, Sp. 1214; dieselbe Terminologie schon bei G ö n n e r , Rechtsfälle I, S. 316; zur Bedeutungsvielfalt des Begriffs auch P a a r h a m m e r , Rechtsprechung, S. 18-20. Heinrich Mumme, der Prozeßgegner. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, fol. 23 r, Artikel 39. Vermutlich bei H s i a , Society, S. 237, unter Nr. 98 I b) nachgewiesen. LA Münster RKG S 2291, Aktenstück Q 1.
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wie in Supplicatione mit Unwarheit angezogen“269. Wenn Geistliche vor dem Offizialat klagten, so sollte der Leser offenbar verallgemeinern, werde das Offizialat allein aus diesem Grund immer als geistliches Gericht tätig. Hier gab es freilich ein Problem. Die Hochzeit Katharinas mit ihrem geliebten Subdiakon war gescheitert, und später hatte sie einen Juristen geheiratet. Dem geistlichen Stand gehörte die Klägerin damit nicht an. Aber der Beklagte achtete nicht auf die Parteien, sondern nur auf die Entstehungsumstände der Schuldforderung.
d) Die Rechtsauffassung des Kölner Kurfürsten Sehr wichtige Hinweise auf die zeitgenössische Einschätzung des Münsteraner Offizialats geben zwei Interventionen des Kölner Kurfürsten gegen reichskammergerichtliche Klagen Münsteraner Untertanen. Die erste Intervention stammt von 1601. Sie ist deswegen bemerkenswert, weil der Anwalt des Kölner Kurfürsten diesen Schriftsatz noch sieben Jahre später in einem anderen Rechtsstreit als maßgeblich für seine Rechtsauffassung ansah270. Es ging um den Reichskammergerichtsprozeß zwischen einem Schweder Bischopinck271 zur Wisch gegen die kölnischen und münsterischen Offiziale. In erster Linie bezog sich der Konflikt auf die Appellationsmöglichkeit vom Münsteraner Offizial direkt an das Reichskammergericht. Im Schriftsatz des Kölner Kurfürsten heißt es aber auch, daß die Bischöfe von Münster „von 10. 20. 30. 40. 50. 60. 70. 80. 90. 100. 200. und mehr iharen ie und allewege ein frei unverhindert execitium iurisdictionis in allen so woll bürgerlichen weltlichen und prophan, als geistlichen sachen indiscriminatim in erster instantz, durch sich selbsten, oder ihre darzu verordnete Officialen et loci Ordinarios, ruwiglich unnd unuerhindert menniglichs gehabt, verübt, execirt und gebraucht haben, wie noch“272. Der Kölner Kurfürst wies auf die umfassende sachliche Zuständigkeit des Offizialats hin. Sowohl in geistlichen als auch in weltlichen Angelegenheiten sei es tätig – und zwar ohne irgendwelche Einschränkungen. Das entsprach ganz der Sichtweise der Münsteraner Parteien. In dem späteren Schriftsatz von 1608 betonte der Kurfürst sogar, „daß hiebeuor und von Altters hero Im Stifft Münster kein hoffgericht gewesen“273. Damit 269 270 271
272 273
LA Münster RKG S 2291, Aktenstück Q 6, fol. 07v-08r. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 8, fol. 27r-27v. Die Schreibweise des Namens variiert sowohl in den zeitgenössischen Quellen als auch in der neueren Literatur: Bischopinck, Biscopinck und Bisping bezeichnet jeweils dieselbe Familie. Bisping ist die heutige Namensform. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, fol. 015r, Artikel 3. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 8, fol. 27v, Artikel 1.
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spielte er auf die Justizreform unter Johann von Hoya 1571 an. Die Stadt Bocholt, zu deren Gunsten der Kurfürst die Intervention erklärt hatte, behauptete übrigens das genaue Gegenteil. Der Münsteraner Fürstbischof habe schon immer ein oberstes weltliches Gericht gehabt, gab die Stadt gegenüber dem Reichskammergericht an274. Selbst scheinbar einfache Grundfesten der Gerichtsverfassung gerieten also zwischen den Parteien ins Wanken, und dies sogar zwischen denjenigen, die in einem Rechtssteit auf derselben Seite standen.
e) Zusammenfassung der Quellenaussagen An dieser Stelle ist es angebracht, die Quellenauswertung durch eine kurze Zusammenfassung zu unterbrechen. Die kammergerichtlichen Klagen aus dem Fürstbistum Münster gegen die Appellation an den Apostolischen Nuntius in Zivilsachen wurzelten in Auseinandersetzungen, die allesamt am Münsteraner Offizialatsgericht ihren Ausgang nahmen. Die in Speyer als Kläger auftretenden Parteien wiesen mit zumeist wenigen Worten auf die Rechtsnatur ihres Streites hin. Sie verfolgten jeweils weltliche Sachen und sahen genau dafür den Offizial als zuständiges fürstliches weltliches Gericht in Münster an. Die Prozeßgegner widersprachen nicht. Auch sie bestritten die Zuständigkeit des Offizialats in weltlichen Sachen in keinem Fall. Nur einmal pochten die Stände darauf, eine Streitsache unmittelbar vor den Landständen und gar nicht vor einem Gericht zu verhandeln. Teilweise wiesen die Schriftsatzverfasser auf die alte Gewohnheit und das Herkommen hin, die zur konkurrierenden Zuständigkeit des Offizialats in weltlichen Sachen führten. Das ausschließlich weltliche Hofgericht, das neben dem Offizialat bestand, kam durchaus in den Schriftsätzen zur Sprache. Doch zog keiner der Beteiligten die für einen modernen Juristen naheliegende Schlußfolgerung, die weltlichen Sachen ausschließlich dem Hofgericht zuzuweisen. Soweit wegen der erstinstanzlichen Rolle des Offizialats Streit herrschte, bezog sich dieser lediglich darauf, ob im konkreten Fall das Offizialat eine geistliche oder weltliche Streitigkeit behandelte. Das ließ die Zuständigkeit zwar unberührt, entfaltete aber Auswirkungen auf den Instanzenzug. Als Kriterien für geistliche Angelegenheiten nannten einige Beklagte vor allem den Status der Parteien, den Charakter der Streitgegenstände und Gerichtsstandsvereinbarungen.
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LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, fol. 18r, Artikel 4.
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f) Beurteilung des Offizialats in der historischen Forschung Die bisherige Literatur hat mehrfach versucht, die Zuständigkeit des Münsteraner Offizialats nach exakten Kriterien zu bestimmen. Vor allem normengeschichtliche Ansätze sollten dies ermöglichen. Die maßgebliche Untersuchung aus der Feder von Wilhelm Eberhard Schwarz stammt von 1916. Für Schwarz blieb das Münsteraner Offizialat nach der gescheiterten Reform von 1571 und der schließlich verabschiedeten klerusfreundlichen Gerichtsordnung von 1573 ganz so, „wie es sich vom 13. bis zum 16. Jahrhundert allmählich entwickelt hatte“275. Die Geistlichen hätten ihre Interessen gegenüber dem Fürstbischof vollständig durchgesetzt und auch alle ihre Untertanen, soweit deren Angelegenheiten auch nur irgendeinen Bezug zum geistlichen Recht gehabt hätten, unter die Gerichtsbarkeit des Offizialats gebracht. Das war jedenfalls neutraler als die Bewertung Johannes Bartmanns von 1908. Er sprach von der wachsenden Macht der geistlichen Gerichte und von ihren Eingriffen in bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aufgrund von Gewohnheitsrecht276. Den Wertungsmaßstab dafür nannte er freilich nicht. Auch Oppenheim bekräftigte in seiner Studie von 1957 die Gerichtsgewalt des Offizials über geistliche Personen und ihre Eigenbehörigen und Untertanen277. Ganz empört hatte Paul Wigand schon 1854 die weltliche Tätigkeit des Münsteraner Offizialats als „Ueberbleibsel mittelalterlicher Anarchie“ gebrandmarkt, als geistliche Anmaßung auch in neuerer Zeit278. Für Prozesse zwischen Laien war das Offizialat nach übereinstimmenden Ausführungen von Schwarz und Oppenheim in vier Fällen zuständig, nämlich erstens in Sachen der Witwen, Waisen und armen Leute279, zweitens bei geistlichen Streitgegenständen, drittens in Zins-, Einkunfts-, Abgaben-, Lohn-, Darlehens-, Stiftungs- und Testamentssachen sowie viertens, wenn die Parteien das Gericht um eine Entscheidung ersucht hätten280. Solche Annäherungen sind eng an den Wortlaut (Titel 1) der Offizialatsreformation von 1573 angenähert281, verunklaren aber doch mehr, als sie erklären. Denn was geistliche Streitgegenstände oder wer Laie gewesen sein soll, bleibt dabei unklar, ist aber für das Verständnis der normativen Quellen unabdingbar. 275 276 277 278 279 280 281
S c h w a r z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 144. B a r t m a n n , Gerichtsverfahren, S. 59/347. O p p e n h e i m , Gerichtswesen, S. 85. W i g a n d , Denkwürdigkeiten, S. 243. Dazu allgemein die umfassende Studie von D u v e , Sonderrecht. S c h w a r z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 143-144; O p p e n h e i m , Gerichtswesen, S. 85-86. „Quae personae et causae ad officialis nostri jurisdictionem pertineant“, bei S c h w ar z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 167-169.
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Noch gewichtiger ist der offensichtliche Widerspruch solcher modern anmutender Aufzählungen zur Sprache der zeitgenössischen Rechtspraxis. Die einschränkungslose Zuständigkeit des Offizialats für alle denkbaren weltlichen Angelegenheiten war ein ganz verbreitetes Argument in der zeitgenössischen Auseinandersetzung. Wenn es dagegen Widerspruch gab, dann jeweils einzelfallbezogen, weil ein konkreter Streitfall eine geistliche Angelegenheit darstellen sollte, nicht aber prinzipiell. Und weil die allgemeinzivilrechtliche Kompetenz des Offizials in den Augen vieler Zeitgenossen auf Herkommen und consuetudo beruhte, brauchte man dafür auch gar nicht den Wortlaut der Gerichtsordnung282 zu bemühen. Unabhängig davon, ob frühneuzeitliche Gesetze überhaupt die vom Landesherrn gewünschte Beachtung fanden283, besaßen sie jedenfalls in der Praxis kaum höhere Autorität als die grünende Observanz eines alten Herkommens284. Entsprechend selten finden sich in den Schriftsätzen Hinweise auf die Ordnung des Offizialats. Wenn Kloosterhuis demgegenüber meint, durch die Verwerfung der 1571 geplanten Offizialatsreform habe das weltliche Hofgericht seit 1573 „nach wie vor mit dem Offizialatgericht um die Klienten kämpfen“ müssen285, ist dies doppelt unglücklich formuliert. Zum einen gab es das Kompetenzproblem vor 1571 in dieser Schärfe noch nicht, weil ein rein weltliches Hofgericht vor der Justizreform Johann von Hoyas gar nicht vorhanden war286. Zum zweiten konnten die Gerichte sich ihre „Klienten“ ohnehin nicht aussuchen. Vielmehr waren es die Parteien, die sich an das Gericht ihrer Wahl wandten. Und für die Kläger, so legen es jedenfalls die Quellenfunde aus der Gerichtspraxis nahe, bestand in weltlichen Angelegenheiten völlige Wahlfreiheit zwischem dem weltlichen Hofgericht und dem Offizialat. Eine andere Erklärung bietet Andreas Holzem. In seiner kirchengeschichtlichen Untersuchung erkennt er durchaus, wie häufig Münsteraner Parteien das Offizialat in Zivilsachen anriefen. Angeblich soll es dort im Gegensatz zum weltlichen Gericht „keine Berufungsbeschränkungen“ gege282 283 284
285 286
Reformation des Offizialats von 1573, verfaßt von Generalvikar Jakob Voß, bei S c h w a r z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 167-228. Inzwischen klassisch S c h l u m b o h m , Gesetze, S. 647-663. Allgemein zum Autoritätsproblem D u v e , Autorität, S. 239-256; beschränkt auf Texte J a n s e n , Dogmatisierungsprozesse, S. 142-144; zur Observanz O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 116-117; S i m o n , Geltung, S. 112-120; im Kern zutreffend für Münster B ar t m a n n , Gerichtsverfahren, S. 56/344: laxe Auffassung von der Verbindlichkeit des geschriebenen Rechts. Kl o o s t e r h u i s , Fürstbischof Johann von Hoya, S. 102. Zu den Gogerichten als weltlichen Landgerichten B a r t m a n n , Gerichtsverfahren, S. 14/302-21/309.
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ben haben287. Gerade für Münster trägt diese Ansicht aber nicht, denn im Gegensatz zu den meisten Fürstbistümern erhielt Münster ohnehin nie ein weltliches privilegium de non appellando288. Die Berufung war also gerade nicht beschränkt. Im Ergebnis zutreffend gesehen haben die Wahlfreiheit zwischen geistlichem und weltlichem Gericht bereits die alte Arbeit von Clemens von Olfers von 1848 sowie die rechtshistorische Studie von Schmitz-Eckert von 1966. Beide verfolgen freilich andere Fragestellungen. Außer dem bloßen Hinweis, das weltliche und geistliche Hofgericht hätten „in allen CivilSachen in erster Instanz“ miteinander konkurriert, findet sich dort nichts289. Dieser Einschätzung schlossen sich auch Knemeyer und Mussinghoff an290, ohne dies freilich zu begründen oder Quellen zu zitieren. Dennoch trifft ihre Vermutung für die Prozeßpraxis zu. Helmut Gabel geht sogar noch einen Schritt weiter und spricht vom „unverhohlenen, gesetzlich festgeschriebenen Konkurrenzverhältnis“ zwischem dem weltlichen Hofgericht und dem Offizialat in Münster291. Das aber schießt über das Ziel hinaus. Maßgeblich war nicht das Gesetz. Die Offizialatsordnung blieb betont vage. Die Praxis schuf sich selbst ihre Überlappungen, ohne auf den Buchstaben des Gesetzes zu sehen. Wenn Historiker darauf hinweisen, die katholische Reformbewegung nach dem Konzil von Trient habe auf eine Trennung geistlicher und weltlicher Angelegenheiten gezielt292, läßt sich diese Grenzziehung bei der Zuständigkeit des Münsteraner Offizialatsgerichts in keiner Weise erkennen. Der nächste Abschnitt bestätigt diesen Eindruck für das Kölner Offizialat. Zuvor ist ein kurzer Blick auf das in der Geschichtswissenschaft verhandelte Konzept der Justiznutzung angebracht. Das hier erzielte Ergebnis, wonach sich die Parteien aussuchen konnten, vor welchem Gericht sie ihre Zivilsache anhängig machten, trifft sich mit Überlegungen, die Martin Dinges und später andere Historiker als Justiznutzung bezeichnet haben. In dieser Deutung stellen Gerichte ein vom Gerichtsherrn bereitgestelltes institutionelles Angebot dar, auf das die Untertanen mit ihren je verschiedenen
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291 292
H o l z e m , Religion, S. 37 Anm. 105. Lediglich die Stadt Münster war privilegiert, bei E i s e n h ar d t , privilegia, S. 104 Nr. 42. v o n O l f e r s , Beiträge, S. 17; S c h m i t z - E c k e r t , Regierung, S. 50. Kn e m e y e r , Offizialatsgericht Münster, S. 2, 4. Spalte; identisch M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 155; ebenso L ü d i c k e , Die landesherrlichen Zentralbehörden, S. 90 (für die Zeit vor 1567), 102 (Zeit nach 1571); K l ü m p e r , Landesherr, S. 35 (ohne Begründung). G a b e l , Einfluß, S. 96. B e c k e r , Katholische Konfessionalisierung, S. 72.
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Interessen je verschieden zugreifen konnten293. Das Nebeneinander vom gerichtlichen Rechtsweg zur Selbsthilfe und zur gütlichen Einigung ist dabei immer mitgedacht294. Freilich gibt es ein Problem, erklärlich aus den Fragestellungen und Quellen der beteiligten Autoren. Justiznutzung soll den Wandel von der Repression und sozialen Kontrolle hin zu eher gleichrangigen Rollenverständnissen zwischen Obrigkeit und Untertanen andeuten. Damit gerät notwendigerweise die Sanktionspraxis bei Rechtsverletzungen in den Blickpunkt. Kaum erstaunlich liegt der Ausgangspunkt einschlägiger Untersuchungen oftmals bei Kriminalität und Sittenzucht. Doch wer dies verallgemeinert, tappt in die selbstgestellte Falle. Die kirchliche Gerichtsbarkeit soll etwa „eng mit dem Normensystem der Kirchspielbewohner verbunden“ gewesen sein. Die geistliche Gerichtsgewalt habe vor allem „den moralisch-sittlich-religiösen Bereich“ umfaßt295. Doch trugen frühneuzeitliche Dorfbewohner wohl schwerlich ein Normensystem im Kopf herum296. Selbst wenn das so gewesen wäre, fehlt es dafür an Belegen in den Quellen. Deswegen verzerrt der einseitige Blick auf die Ahndung sog. abweichenden Verhaltens das Bild297. Auch in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen gab es mehrere Wege der Streitbeendigung, und die nebeneinander bestehenden geistlichen und weltlichen Gerichte boten hier zwei verschiedene Möglichkeiten. Soweit kirchliche Gerichte beteiligt waren, ging es also überhaupt nicht um den angeblich bedeutsamen Bereich moralisch-sittlich-religiöser Verhaltensregeln. Die rein zivilgerichtliche Tätigkeit der Offizialate spricht Bände, wie auch das Beispiel des Kölner Offizialats als Appellationsgericht zeigt.
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295 296 297
Beispiele aus Ehrkonflikten bei D i n g e s , Maurermeister, S. 177-179; allgemeiner d e r s . , Justiznutzungen, S. 505. Zusammenfassung bei S c h w e r h o f f , Aktenkundig, S. 90; d e r s . , Kriminalitätsforschung, S. 109; ohne derartige Überlegungen setzt D e u t s c h , Ehegerichtsbarkeit, S. 263, Justiznutzung schlicht mit Inanspruchnahme gleich. S c h m i d t , Sühne oder Sanktion, S. 38. Gegen das Systemdenken in einem gewohnheitlich geprägten Recht P i l c h , Rahmen der Rechtsgewohnheiten, S. 530-531. Methodisch ähnlich bedenklich R u d o l p h , Kirchenzucht, S. 631: Sanktion bestimmter Delikte als Hauptstreitpunkt zwischen Bischof und Domkapitel in Osnabrück; S c h m i d t , Sozialdisziplinierung, S. 678-679: Brückenschlag vom Sittengericht zur Kriminalitätsgeschichte; untechnischer Gebrauch der Gerichtsnutzung als bloßer Geschäftsanfall bei A m e n d - T r a u t , Wechselverbindlichkeiten, S. 97-99.
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2. Das Kölner Offizialat als Appellationsgericht in weltlichen Zivilsachen In den hier ausgewerteten Prozeßakten endete die Auseinandersetzung der Parteien nicht vor dem Münsteraner Offizialat. Vielmehr legte die unterlegene Partei gegen das Urteil oder gegen bestimmte Vollstreckungshandlungen Rechtsmittel beim Kölner Offizialat ein298. Dieses Gericht nahm in der etwas unübersichtlichen Gerichtsverfassung Kurkölns offenbar eine „überragende Stellung“ ein299. Während die konkurrierende Zuständigkeit des Münsteraner Offizialats in weltlichen Sachen allseits akzeptiert war, galt das für den Instanzenzug ganz und gar nicht. Vielmehr gab es völlig unterschiedliche Ansichten über die Einbindung Münsters in eine überregionale Gerichtsverfassung. Die Brisanz dieser Frage kann man nicht überschätzen, und deswegen verdienen die einschlägigen Reichskammergerichtsakten große Aufmerksamkeit. Unausgesprochen stand nämlich immer die Frage im Raum, ob das Stift Münster überhaupt ein eigenständiges Territorium des Heiligen Römischen Reiches war oder ob es sich lediglich um einen unselbständigen Wurmfortsatz des Kurfürstentums Köln handelte. Ein ganz erstaunliches Ergebnis läßt sich hier schon vorwegnehmen: Während sich der Kölner Kurfürst mit großem Aufwand für seine Rechtsposition einsetzte und sich deswegen sogar als Intervenient an den Reichskammergerichtsprozessen Münsteraner Kläger beteiligte, sind Äußerungen der Münsteraner Regierung in den Akten nicht überliefert und offenbar auch nicht erfolgt. In mehreren der untersuchten Streitigkeiten setzten beide Parteien den Appellationsweg vom Münsteraner an das Kölner Offizialat als pure Selbstverständlichkeit voraus. In diesen Fällen gab es um den Instanzenzug praktisch keine Diskussion. Dies scheint auch Trusen für den Normalfall anzusehen, wenn er verallgemeinernd lapidar schreibt, die Appellation gegen Offizialatsurteile sei an den Erzbischof gegangen300. Genau in diesem Sinne gaben die späteren reichskammergerichtlichen Supplikanten in ihren Narrationen teilweise schlicht an, gegen ein Urteil des Münsteraner Offizials habe
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Unklar ist die Narratio in LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 1, fol. 08 r, die von der Delegation des Prozesses spricht. Aktenstück Q 4, fol. 18 r, Artikel 9, handelt aber von der Appellation an den Kölner Offizial. E i s e n h a r d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 7; kurze Hinweise auf das Kölner Offizialat als Vorinstanz von Reichskammergerichtsprozessen bei d e m s . , Inanspruchnahme, S. 209-212. T r u s e n , Offizialat, Sp. 1216.
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die unterlegene Partei Rechtsmittel beim Kölner Offizial eingelegt301. Wenn die obsiegende Partei behauptete, ihr Gegner habe „vermeintlich“ die Appellation in Köln eingelegt302, ist das keine Ausnahme, denn dieser Hinweis bezog sich lediglich auf die angebliche Erfolglosigkeit des Rechtsmittels und nicht auf Zulässigkeitsfragen. Deutlich sieht man das in der Narration eines Johann Asbeck Tork von 1633. Er trug vor, sein Gegner Johann Jobst von Dorth habe sich „alß vermeintlich beschweret“ im Wege der Appellation an das Kölner Offizialat gewandt303. In einer späteren Quelle von 1674 heißt es, der Prozeßgegner habe gegen ein in Münster ergangenes Interlokut das Kölner Offizialat angerufen304. Auch solche Mitteilungen trafen über den Instanzenzug selbst keine Aussage, obwohl bekanntlich das kanonische Recht die Appellation gegen Zwischenurteile großzügiger handhabte als das weltliche Recht305. Und wenn ein Supplikant vortrug, das kurkölnische Offizialatsgericht habe einen Appellationsprozeß „mit zuziehung Unpartheyischer Rechtsgelerten“ entschieden306, war der Hinweis auf die Aktenversendung kein Fingerzeig auf die mangelnde Zuständigkeit des Kölner Offizials. Sie war vielmehr einfach vorausgesetzt. Unklarer sieht es aus, wenn in einer Narratio davon die Rede war, der Appellant habe sich mit seinem Rechtsmittel an das kurfürstlich kölnische geistliche Hofgericht gewandt307. Offenbar meinte der Schriftsatzverfasser dieser Supplikation von 1633 das aber nicht technisch, denn kurz darauf hieß es schlicht und unpräzise, der Gegner habe sich gelüsten lassen, „uf Cöln zu appelliren“. Die Anrufung des Reichskammergerichts erfolgte in diesem Fall nicht wegen der Appellation an das Offizialat, sondern wegen der drittinstanzlichen Berufung an den Nuntius. Manchmal wiesen die Supplikanten mit einer kurzen Bemerkung besonders auf die Zuständigkeit des Kölner Offizialats für Münsteraner 301 302 303 304
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LA Münster RKG N 603, Aktenstück Q 1, fol. 03r; RKG W 692, Aktenstück Q 1, fol. 02r; RKG H 113, Aktenstück Q 1, fol. 4r. LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 1°, fol. 04r. LA Münster RKG S 774, Aktenstück Q 1, fol. 03v. LA Münster RKG V 363, Aktenstück Q 2, fol. 5r; Appellation gegen Interlokut auch in einer Narratio von 1665: RKG N 353, Aktenstück Q 1, fol. 52r; zur gemeinrechtlichen Diskussion um Appellationen gegen Interlokute S c h l i n k e r , Die prozessuale Funktion, S. 174-183. Dazu die neuzeitliche Regelung des Trienter Konzils: Decretum de reformatione, Canon 20 (Sessio XXIV vom 11. November 1563), c. 20, bei A l b e r i g o , Conciliorum decreta, S. 748; W e i t z e l , Appellation, Sp. 270; zur mittelalterlichen gelehrten Doktrin S c h l i n k e r , Die prozessuale Funktion, S. 173-174; zum modernen kanonischen Prozeß M o r h a r d , Berufung, S. 132-134; Appellation gegen Interlokute in der Landgerichtsordnung 1571 bei B a r t m a n n , Gerichtsverfahren, S. 42/330. LA Münster RKG D 487, Aktenstück Q 1, fol. 005. LA Münster S 1793, Aktenstück Q 1, fol. 04 r.
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Appellationsprozesse hin. 1609 hieß es knapp, der Appellant habe sich „nach Altherbrachtem gebrauch“ an das Kölner Offizialat gewandt308. In der lateinischen Variante war in einem anderen Fall von 1609 gleichlautend von einer Appellation „ex antiqua consuetudine“ die Rede309. Mehrere Prozesse bieten dieses Bild310. In anderen Fällen war die Zuständigkeit des Kölner Offizials zwar unstreitig anerkannt, doch nahmen sich die Schriftsatzverfasser die Zeit, die Gerichtsverfassung dennoch knapp zu erläutern. 1595 lautete es in einer Supplik, nach altem Gebrauch habe sich der Kläger vom Münsteraner Offizial „an den Cölnischen Officialn tanquàm Judicem Metropoliticum“ gewandt, obwohl die Sache „per se ciuil sey“311. Ganz ähnlich meinte der münsterische Erbmarschall Gerhard von Morrien zu Nordkirchen 1600, der „Churfürstliche Cölnisch Officiall, deß Gaistlichen Gerichtshofes Cöln“ besitze die „ordinariam Jurisdictionem tanquam immediatus Ordinarius superior in causis appellationum ex Commissione Archiepiscopum omnium causarum tam ecclesiasticarum quam ciuilium“ über geistliche und weltliche Appellationen gegen Entscheidungen des Münsteraner Offizials312. Ein Hermann von Merveldt ließ 1599 vortragen, er habe in einem Streit um eine Hypothek über 4.000 Goldgulden „iuxta consuetudinem patriae Monasterienses“ das Kölner Offizialat angerufen und zwar als „in huiusmodi causa, mere ciuili et prophana Judicem competentem, immediate superiorem“313. Damit war ausdrücklich die Überordnung des Kölner Offizialats klargestellt. In weltlichen Sachen war es das zuständige Appellationsgericht für Parteien aus dem Stift Münster. Wenn Knemeyer und Mussinghoff demgegenüber betonen, lediglich in geistlichen Sachen sei die Appellation nach Köln gegangen, in weltlichen dagegen an das Reichskammergericht314, widerspricht ihre Vermutung dem klaren Quellenbefund. Die Narratio der soeben erwähnten Mandatsklage führte aus, an dieser 308 309 310
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313 314
LA Münster RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04r. LA Münster RKG R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 02r. LA Münster RKG U 8, Aktenstück Q 1, fol. 03r; weitere Appellation nach altem Gebrauch: LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r; RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04r; ungewöhnlich dagegen: RKG S 2642, Aktenstück Q 6, fol. 14v: Appellation nach altem Gebrauch an den Nuntius. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r. LA Münster RKG M 1432, Aktenstück Q 2, fol. 03r; zur Familie Morrien in Nordkirchen G e r s m a n n , Konflikte, S. 430-437; E r l e r , Geschichte der Herrschaft und des Schlosses Nordkirchen, S. 7-18; F ah n e , Geschichte II, S. 98; speziell zu Gerhard von Morrien G i l l n e r , Freie Herren, S. 103, 334, 352; kurzer Verweis auf die Familie bei M ü l l e r , Davert, S. 22. LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5; Hermann von Merveldt erwähnt bei G i l l n e r , Freie Herren, S. 390. Kn e m e y e r , Offizialatsgericht Münster, S. 2, 4. Spalte; übernommen von M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 156.
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consuetudo könne kein Zweifel bestehen, denn sie werde täglich praktiziert. Zugleich betonte der Schriftsatzverfasser allerdings nur einen Halbsatz weiter, „das auch von den Münsterischen Officiall in ciuilibus immediate an berürt unser Kay[serliches] Cammergericht, ex capite quod Episcopus Monasteriensis Regalia sua immediate ab Imperio recognoscat zu appelliren menniglichen beuor, und in Wilkhür stehe“. Damit behauptete der namentlich nicht bekannte Anwalt, vom Münsteraner Offizial aus gebe es zwei verschiedene weltliche Instanzenzüge, und der jeweilige Appellant könne frei entscheiden, welchen er einschlagen wolle. Die Appellationsmöglichkeit beim Offizial in Köln beruhe auf täglich praktizierter Gewohnheit und sei deswegen auch in Zivilsachen unproblematisch eröffnet. Die unmittelbare Appellation von Münster aus an das Reichskammergericht sei ebenfalls ohne weiteres möglich, denn der Bischof empfange seine Regalien unmittelbar vom Reich. Der Hinweis auf die Regalien taucht auch in anderen Prozessen auf und war ein wichtiges Argument, um die Reichsunmittelbarkeit eines Territoriums zu begründen. In der Rückschau steht dieser Hinweis wie auch die angeblich doppelte Appellationsmöglichkeit in einer erstaunlichen Tradition, die bis zum Wormser Konkordat zurückreicht. Die geistliche Investitur band den Bischof in die kirchlichen Hierarchien ein, die weltliche Investitur machte ihn zugleich zum Reichsfürsten315. Die Belehnung zeigte immer und dies übrigens in einem sichtbaren, bei jedem Herrscherwechsel wiederholten Akt, wessen Oberherrschaft der Belehnte anerkannte. Die Zeitgenossen maßen dem Belehnungsritual außerordentlich hohe Präjudizwirkung für die Rechtsposition des Belehnten zu316. Das oben angeführte Zitat aus einer Narratio von 1599 bestätigt diesen Eindruck in vollem Umfang. Der Hinweis auf die Belehnung des Münsteraner Bischofs mit den Regalien des Heiligen Reiches war nämlich das einzige Argument, das der Supplikant überhaupt anführte. Offenbar war er der Meinung, dies reiche aus, um die unmittelbare Unterordnung des Fürstbistums Münster unter das Reich und damit unter die Reichsgerichte deutlich zu machen. Wenn Wesel meint, das Lehenswesen sei „nur als leere Form“ in die Neuzeit übergeschwappt317, ist das falsch, denn gerade die Zeitgenossen erkannten anhand solcher Formen die Rechtslage. So einfach, wie der unbekannte Schriftsatzverfasser von 1599 sich die Gerichtsverfassung vorstellte, war sie in den Augen anderer Zeitgenossen 315 316 317
Wormser Konkordat von 1122 bei W e i n r i c h , Quellen bis 1250, S. 182-185. S t o l l b e r g - R i l i n g e r , Verfassungsgeschichte, S. 15-27; d i e s . , Des Kaisers alte Kleider, S. 76, 78, 128; B r ü c k n e r , Lehnsauftragung, S. 150-151, 286. W e s e l , Geschichte des Rechts in Europa, S. 191; ähnlich S p i e ß , Lehn(s)recht, Sp. 1735: wegen der quasisouveränen Stellung der Landesherren kaum Bedeutung des Lehensrechts für königliche Macht.
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aber nicht beschaffen. Es kursierten nämlich noch zwei andere Sichtweisen. Zum einen gab es durchaus Juristen, die nur das Kölner Offizialat als alleinige Appellationsinstanz für Münsteraner Parteien ansahen. Zum anderen gab es ebenso Stimmen, die eine Appellation ausschließlich an die Gerichte des Reiches forderten. Dieser Streit, in der Zeit um 1600 in zahlreichen Gerichtsprozessen ausgetragen, belegt die schwankende und unsichere Verfassungslage des Münsterlandes. Ob das Fürstbistum als eigenes Territorium des Alten Reiches galt, war alles andere als zweifelsfrei ausgemacht. Um es überspitzt zu sagen: Nachdem Fürstbischof Johann von Hoya mit seinem Versuch, die Offizialatsgerichtsbarkeit auf geistliche Angelegenheiten zu begrenzen, gescheitert war318, stand die gesamte Landesherrschaft im Hochstift wieder in Frage. Die politische Tragweite war enorm. Die iurisdictio, die Gerichtsgewalt, erschien den Zeitgenossen als das wichtigste Herrschaftsrecht überhaupt319, und genau sie war streitig. Deswegen ging es in diesen Prozessen um nichts weniger als die Existenz des Fürstbistums. Die Quellen sagen das überdeutlich, und so verwundert es umso mehr, wenn die Münsteraner Obrigkeiten im Gegensatz zum Kölner Kurfürsten in solch wichtigen Verfahren so auffällig untätig blieben. Erstaunlicherweise haben auch neuere Historiker dieses verfassungsgeschichtlich grundlegende Problem nicht gesehen. In einem späteren Rechtsstreit von 1665 behauptete der kammergerichtliche Kläger unwidersprochen, es sei „sothanes Appellation Gericht zu Cölln in civil schuldt sachen, dha die sumb hoher nicht als obg[edachtes] Capital sich erstreckete, daß höchste Appellation Gericht“320. Ganz bezeichnend taucht an dieser Stelle der spezifische Name Offizialat nicht auf, obwohl er in der Narratio mehrfach begegnet. Das Kölner Offizialatsgericht erscheint vielmehr als ganz gewöhnliches Appellationsgericht in Zivilsachen. Der Hinweis auf die Kapitalsumme bezog sich auf eine Auseinandersetzung um eine Pensionszahlung. Der Wert des Talerfußes war nach der sehr langen Laufzeit einer Schuldvereinbarung streitig geworden. Der Sache nach spielte der Schriftsatzverfasser damit auf ein limitiertes Appellationsprivileg an. Sonst wären Wertgrenzen ja rechtlich überflüssig gewesen. Aber gerade dieser Hinweis ist sehr verwirrend.
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Kl o o s t e r h u i s , Fürstbischof Johann von Hoya, S. 98-103; S c h w ar z , Reform des geistlichen Offizialats, S. 77-91. C o s t a , Iurisdictio, passim; W i l l o w e i t , Rechtsgrundlagen, S. 17-47, 186-213; S t o l l e i s , Geschichte I, S. 156-157; S t o l l b e r g -R i l i n g e r , Des Kaisers alte Kleider, S. 28; L ü c k , Gericht, Sp. 138; zum Verhältnis iurisdicio und lex M e c c a r e l l i , Rechtsformat, S. 285311. LA Münster RKG N 353, Aktenstück Q 1, fol. 52r.
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Münster besaß zwar ein Appellationsprivileg von 1561. Dieses bezog sich jedoch nur auf die Stadt, nicht auf das Fürstbistum321. Walter Gymnich, der 1697 eine Neuauflage der berühmten Observationen von Andreas Gail vorlegte, stellte in einem Appendix die Privilegien geistlicher Fürsten zusammen und erwähnte dabei auch Münster: „MONASTERIENSIS Episcopus in causis non feudalibus, beneficio Austregarum in gratiam subditorum renunciavit; adeoque illis in prima instantia in Camera Imperiali iuri stare tenetur, subdito contra subditum; priusquam Episcopus eiusve Consiliarii decernant Citationem, tentare tenentur concordiam A Judice & assessoribus Curiae, in casibus de jure licitis appellatur ad Cameram; Non tamen tenentur admittere appellationem, nisi ante prosecutionem illius, cautione & juramento praestito, vel in persona vel per procuratorem habentem speciale mandatum ad jurandum, in animam tam appellantis, quam propriam. In causis coeptis coram senatu, appellatur ad Episcopum, is vero causam statim ad Cameram tenetur remittere, juxta transactionem 3. Iulii anno 1563, in tam.“322. Genau genommen, kann man dies nicht als Appellationsprivileg verstehen. Das Rechtsmittel sollte nur zulässig sein, wenn der Appellant bestimmte Förmlichkeiten wie den Appellationseid beachtet hatte, aber das war ohnehin in allen Territorien selbstverständlich323. Der letzte Satz, der die Appellation vom Rat der Stadt Münster an den Bischof und nicht direkt an das Reichskammergericht festhielt, spielte auf das städtische Appellationsprivileg an. Zugleich wird deutlich, daß es ein summenmäßig beschränktes Appellationsprivileg für das Fürstbistum Münster nicht gab324. Das Stift Münster besaß lediglich ein päpstliches Gerichtsstandsprivileg von 1508, das ganz im mittelalterlichen Sinn die Evokation von Prozessen untersagte, Appellationen außerhalb des Territoriums aber ausdrücklich gestattete325.
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LA Münster RKG M 1684, fol. 08r (Abschrift von 1562): Darin wird ein älteres, möglicherweise verlorenes Privileg aus der Zeit Kaiser Karls V. erwähnt; zu Münster auch E i s e n h a r d t , privilegia, S. 104; zum Verfahren bei Appellationen aus der Stadt: StadtA Münster Ratsarchiv, Niedergericht A V c Nr. 17: „Vertrag der Appellation halben zwischen Dem Hochwürdigen Fürsten unnd Herrn Hern Bernharten Erwelten unnd bestettigten Bischouen des Stiffts Münster etc. Unnd Herrn Bürgermeister und Rath der Statt Münster denn 30.t Julij Ao. [15]63 aufgericht“; dazu S c h w a r z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 134; G a b e l , Beobachtungen, S. 167, betont, es sei eine Besonderheit gewesen, daß Münster als Fürstbistum kein Appellationsprivileg erhalten habe; knapper Hinweis auf das Hochstift auch bei L u d o l f f , Privilegia, S. 147-148. G a i l / G y m n i c h , Observationes, Appendix I (ohne Paginierung nach De Arrestis). Zum Appellationseid O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 100-102, 105-107, und öfter. Zu der Versuchen des Fürstbistums Münster, die Regierung zum Revisionsgericht auszubauen und damit die Appellation an die Reichsgerichte zu verhindern, W ü l l n e r , Zivilrecht, S. 8; S c h m i t z - E c k e r t , Regierung, S. 49-51. Übersetzung bei H ü s i n g , Kampf um die katholische Religion, S. 202 Nr. 98; S c h w a r z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 117.
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Doch auch für Kurköln gab es zum hier fraglichen Zeitpunkt 1665 kein limitiertes Privileg. Köln hatte seit der Goldenen Bulle als geistliches Kurfürstentum das Evokationsprivileg genossen, eingeschränkt nur in Fällen von Rechtsverweigerung326. Obwohl manche Territorien seit der Wende zum 16. Jahrhundert die Evokationsprivilegien stillschweigend auch als Appellationsprivilegien deuteten, wie dies für Sachsen bekannt ist327, nahm Kurköln erstaunlicherweise ein illimitiertes Appellationsprivileg bis zum Dreißigjährigen Krieg nicht in Anspruch. Ein Gutachten des Reichshofrats von 1653 führte aus, Köln habe 1570 und 1613 beschränkte Appellationsprivilegien erhalten, die eine Appellationssumme von 500 und später 1000 festgelegt hätten328. Das traf zu329. Aber auf Antrag des Kurfürsten gewährte Kaiser Ferdinand III. Kurköln am 29. April 1653 ein Privilegium de non appellando illimitatum. Darin wurden Appellationen aus Kurköln an die obersten Reichsgerichte verboten, der Kurfürst zugleich aber verpflichtet, „dero Unter-, Ober- und Hoff- wie auch das official gericht notturfftiglich zubestellen“330. Die ordnungsgemäße Organisation des Offizialatsgerichts war also eine Anforderung des kaiserlich-weltlichen Appellationsprivilegs. In den Augen des Reichshofrats, der diese Klausel vorgeschlagen hatte331, war das Offizialat zumindest auch ein weltliches Gericht332. Kaum anders dürfte die Quelle zu verstehen sein. Nur ein Jahr später tauchte dieselbe Formel im Appellationsprivileg für Kurmainz erneut auf333. Das entspricht ganz dem oben zitierten Ausgangspunkt, nämlich der Äußerung eines reichskammergerichtlichen Klägers von 1665, wonach das Kölner Offizialat für Kläger aus Münster das oberste weltliche Appellationsgericht gewesen sei. Der damit verflochtene Hinweis auf die Appellationssumme bleibt dagegen unklar. Möglicherweise handelt es sich lediglich um eine Anspielung auf den Jüngsten Reichsabschied von 1654, der eine allgemeine Mindestbeschwer von 400 Gulden für reichskammergerichtliche Appellationen vorgegeben hatte, ohne daß es deswegen auf besondere Appellationsprivilegien ankam334. Abgesehen von diesem undeutlichen Punkt sprach die Supplikation 326 327 328 329 330 331 332 333 334
Goldene Bulle. Nürnberger Gesetzbuch Kap. 11, bei W e i n r i c h , Quellen 1250-1500, Nr. 94 a, S. 354-357; O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 52-53. L ü c k , Gerichtsverfassung, S. 35-42. Wortlaut des Gutachtens bei E i s e n h ar d t , privilegia, S. 234-238. E i s e n h a r d t , privilegia, S. 93-94. Wortlaut bei E i s e n h a r d t , privilegia, S. 240. Bei E i s e n h a r d t , privilegia, S. 237. Ähnlich E i s e n h a r d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 11; d e r s . , Inanspruchnahme, S. 194. Bei L u d o l f f , Privilegia, S. 2. JRA § 112, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 229.
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von 1665 wie selbstverständlich vom Kölner Offizial als weltlichem Appellationsgericht für das Münsteraner Fürstbistum. Der Mandatsgegner im Speyerer Reichskammergerichtsprozeß reichte zwar 1666 „Exceptiones Fori Declinatoriae“ zu den Akten335. Diese aber bezogen sich auf die Unzulässigkeit des Reichskammergerichtsprozesses336, nicht auf die Appellation von Münster nach Köln. Wie der Anwalt des Beklagten darlegte, handelte es sich vielmehr beim Beklagten um eine „persona Ecclesiastica canonicus scilicet Ecclesiae veteris diui Pauli Ciuitatis Monasteriensis“. Für alle Domkanoniker sei es „Notorij autem Juris, daß ein Ecclesiastici cum rebus, bonis, actionibusque suis universis quoscunque ipsi conueniunt, aut a quibus conveniuntur, a saecularium Jurisdictione sint plane exempti quamuis in eorum libero arbitrio positum sit, in causa profana adrium saecularem coram Judice saeculari si malint, conuenire possint“337. Das war ein Verweis auf die Prozeßordnung des Münsteraner Offizialats, die sogenannte Reformation338, und bedeutete für Geistliche die völlige Wahlfreiheit des Gerichtsstandes. Gegen ihren Willen durfte sie niemand vor weltlichen Gerichten verklagen. Wenn sie wollten, stand es ihnen aber dennoch frei, in weltlichen Sachen von sich aus ein weltliches Gericht anzurufen339. Im zugrundeliegenden Streit war der Geistliche der Beklagte. Für seinen Anwalt waren deswegen im Einklang mit dem Privileg sowohl der münsterische als auch der kölnische Offizial als geistlicher Richter tätig geworden. Das war zwar eine andere Rechtsauffassung, als der Kläger sie vertreten hatte, bestärkte aber gleichzeitig die Zuständigkeit des Kölner Offizials. In geistlichen Sachen erschien es gar nicht denkbar, an ein anderes als das Offizialatsgericht zu appellieren. Das verstand sich offenbar von selbst. Damit bekräftigte dieser Rechtsstreit von 1665/66 den anscheinend alleinigen Instanzenzug von Münster nach Köln und erwähnte die Möglichkeit, auch direkt die Reichsgerichte anzurufen, nicht einmal mit einem Wort. Was die bloße Zuständigkeit des Kölner Offizialats als Appellationshof für Münster betraf, waren sich die Parteien einig, auch wenn sie sich ansonsten über vieles stritten. Von besonderem Interesse sind demgegenüber Rechtsstreitigkeiten, in denen die Parteien unterschiedliche Auffassungen zur Funktion des kölnischen Offizialats vertraten. Zwischen 1592 und 1625 gab es mindestens acht
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LA Münster RKG N 353, Aktenstück Q 4, Dorsalvermerk. Zeitgenössische Beispiele für Formulierungen bei M e u r e r , Practica, fol. 263-266. LA Münster RKG N 353, Aktenstück Q 4, fol. 32r. Reformation Titel 1, bei S c h w ar z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 167-169. So auch O p p e n h e i m , Gerichtswesen, S. 86.
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Mandatsprozesse340, in denen genau diese Frage zwischen den Parteien auf den Tisch kam. Dies waren nicht nur Verfahren, in denen später noch eine weitere Appellation an den Apostolischen Nuntius in Köln erfolgte. Vielmehr beriefen sich mehrere Parteien, die vor dem Reichskammergericht über den Appellationsweg an den Nuntius stritten, zugleich auf Präjudizien, in denen es Auseinandersetzungen um die Appellation von Münster an das Kölner Offizialat gegeben hatte. Auch ohne nachfolgenden Rekurs an den Nuntius war die Zuständigkeit des Kölner Offizialats als weltliches Appellationsgericht für Münster unsicher. Diese Streitigkeiten341, denen die Parteien offenbar besondere Bedeutung zumaßen, sind in die vorliegende Studie einbezogen. Außerdem gibt es Hinweise auf weitere Verfahren, die sich ausschließlich mit der Appellation nach Köln beschäftigten342. Allein die Vielzahl der Quellen und der unterschiedlichen Argumente zeigt, wie uneindeutig für die Zeitgenossen die Gerichtsverfassung beschaffen war. Und klare Gesetze, an denen man sich hätte orientieren können, gab es nicht. Normengeschichtliche Ansätze müßten an dieser Stelle die Waffen strecken. Es lohnt sich, diese Fälle aus der Praxis näher unter die Lupe zu nehmen. Hierbei bietet sich eine chronologische Darstellung an. Sie ist nicht zuletzt deswegen geboten, weil der Kölner Kurfürst in seinen Interventionsschriften auf die zurückliegenden Prozesse als Präjudizien einging. Wie so oft zeigen sich bei der Quellenauswertung die Grenzen rechtshistorischer Erkenntnismöglichkeiten. Als historische Tatsache läßt sich der Streit der Parteien um eine bestimmte Rechtslage in den Griff bekommen und verstehen. Aber welche Rechtsansicht zutraf und wie die Gerichtsverfassung oder der Instanzenzug wirklich aussahen, entzieht sich dem historischen Zugriff. In der Rückschau ist es unzulässig343, solche Streitigkeiten zu entscheiden344. Es geht demnach nicht darum festzustellen, ob die Appellation in Zivilsachen vom Münsteraner Offizialat nach Köln oder nach Speyer erfolgen mußte. Gerade die normativen Vorgaben sind nämlich unklar und die zeitgenössi340
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344
LA Münster RKG M 1675, RKG S 2636, RKG B 1286, RKG M 1586, RKG W 1053, RKG H 1569, RKG W 1057, RKG S 2291. Bei der geplanten Neuverzeichnung der Münsteraner Reichskammergerichtsakten kann diese Zahl noch deutlich steigen. LA Münster RKG B 1286. LA Münster RKG K 295. Zu zurückhaltend S c h m i t z - E c k e r t , Regierung, S. 56, der am Beispiel Münsteraner Streitigkeiten aus dem 17. Jahrhundert davon ausgeht, es könne dahingestellt bleiben, welche Auffassung in einem Zuständigkeitskonflikt „richtig war“. Zur Diskussion um das grundsätzliche Problem vgl. die Äußerungen von P e t e r O e s t m a n n und F r a n z - S t e f a n M e i s s e l in: L u m i n a t i / F al k / S c h m o e c k e l , Augen, S. 454-459; wie hier S c h w e r h o f f , Kriminalitätsforschung, S. 69; wörtlich identisch d e r s . , Aktenkundig, S. 66.
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schen Gesetze nicht allein maßgeblich. Wenn die Geschichtsschreibung in diesem Punkt Eindeutigkeit vorgibt, verfälscht sie damit in Wirklichkeit die Buntheit und Vielfalt der Überlieferung. So meinte etwa 1848 Clemens von Olfers, die Appellation vom Münsteraner Offizial sei in geistlichen Sachen an das Metropolitangericht in Köln und in weltlichen Sachen an die Reichsgerichte gegangen345. Schmitz-Eckert schloß sich 1966 dieser Einschätzung an346. Genau solche scheinbar klaren Schlüsse erlauben die Quellen aber nicht347. Ganz knapp wurde der Instanzenzug im frühesten einschlägigen Prozeß von 1592 abgehandelt. Statthalter und Rat des Stifts Münster beschwerten sich am Reichskammergericht über den kölnischen Offizial. Dieser hatte eine Klage des Adolf von Raesfeld angenommen, obwohl „dem Official zu Cöln über dergleichen schatzungs sachen keine Cognitio, sonndern allain den Vorordneten, auß den Stenden deß Stiffts Münster“ zustehe348. Der Adlige ließ dagegen vortragen, er habe „ad Officialem Colonien[sem] nach alltem geprauch appelliert“349. Dagegen meinten Statthalter und Räte, dem Offizial als geistlichem Richter stehe die Gerichtsbarkeit in Schatzungssachen nicht zu350. Hier war zwar die Zuständigkeit des Kölner Offizials zwischen den Parteien streitig. Der Streit beruhte aber auf einem politischen Konflikt um Steuerhoheit. Die Münsteraner Kläger meinten, die konkrete Auseinandersetzung gehöre überhaupt nicht vor ein Gericht, sondern vor eine Ständeversammlung. Genau genommen ging es in diesem Verfahren also nicht um die Gerichtsverfassung mit ihren Instanzen, sondern um die Eröffnung des Rechtsweges in einer speziellen Frage. Um einen Grundsatzstreit handelte es sich nicht.
a) Der Prozeß Komnis gegen Schulte Sudhoff 1595/96 Um die Grundsätze des Münsteraner Instanzenzuges ging es in einer Auseinandersetzung zwischen Johann Schulte zum Sudhoff und Melchior Komnis 1595/96. Kurios und verworren ist bereits der Wechsel der Parteistellungen. Hier gab es nämlich mehrere Prozesse der Beteiligten, die jeweils Probleme der Gerichtsverfassung berührten. Im ursprünglichen Verfahren 345 346 347 348 349 350
v o n O l f e r s , Beiträge, S. 18. S c h m i t z - E c k e r t , Regierung, S. 50. S c h u m a c h e r , Rechtssystem, S. 69-72, beschäftigt sich nur mit Appellationen gegen Urteile des weltlichen Hofgerichts. LA Münster RKG M 1675, Aktenstück Q 2, fol. 06r. LA Münster RKG M 1675, Aktenstück Q 4, fol. 10v. LA Münster RKG M 1675, Aktenstück Q 11, fol. 29r; zu Schatzungssachen in späterer Zeit S c h m i t z - E c k e r t , Regierung, S. 49.
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hatte ein Melchior Komnis aus Münster einen Johann Schulte zum Sudhoff aus Greven vor dem Gogericht auf der Meest verklagt351. Dieses Gericht unterstand offenbar dem Domkapitel und richtete über sechs Dörfer mit ihren dazugehörigen Bauernschaften352. Wie die Gogerichte in die Münsteraner Gerichtsverfassung eingebunden waren, ist ohne weiterführende Forschungen kaum zu klären. Wenn Kloosterhuis betont, „von ihnen allein war eine Appellation an den Landesherrn bzw. an das weltliche Hofgericht möglich“353, so wird sie ebenso wie Landwehr genau durch den hier untersuchten Fall widerlegt. Gegen die gogerichtliche Klage wandte sich nämlich Schulte Sudhoff nicht an das weltliche Hofgericht, sondern an den „officialen des Geistlichen Houeß zu Münster“354. Das Offizialat kam Schulte Sudhoff zu Hilfe und kassierte die gogerichtliche Entscheidung. Daraufhin schaltete Komnis den Kölner Offizial ein. Dieser hob seinerseits den Kassationsprozeß auf. Deswegen appellierte Schulte Sudhoff an den Apostolischen Nuntius als „officialis Judicis Metropolitici immediatum Superiorem“. Hiergegen supplizierte Komnis an das Reichskammergericht, da er den apostolischen Nuntius für unzuständig in Zivilsachen hielt. In Speyer erhielt er ein Kassationsund Inhibitionsmandat355. Damit waren bereits fünf Gerichte im Spiel: das Gogericht, Münsteraner Offizialat, Kölner Offizialat, Apostolischer Nuntius sowie das Reichskammergericht. Soweit die Appellation an den Nuntius im Streit stand, ist auf diese Angelegenheit bei den Auseinandersetzungen um die Einbindung des Nuntius in die weltliche Justiz zurückzukommen. Im Hinblick auf den Münsteraner Instanzenzug ist freilich der Fortgang der Sache interessant. aa) Das prätorische Edikt und das Verbot widersprüchlichen Verhaltens Nachdem der Apostolische Nuntius die Behandlung der Sache aufgegeben hatte, setzte Melchior Komnis den Rechtsstreit vor dem Kölner Offizialat fort. Und hiergegen rief nun seinerseits Schulte Sudhoff das Reichskammer351 352 353
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Weiterer Prozeß der Beteiligten: LA Münster RKG R 1111 (Mandatum de exequendo mit Paritorialurteil vom 22. August 1610). v o n O l f e r s , Beiträge, S. 88-89; H e r o l d , Gogerichte, S. 488-489 [60-61]. Kl o o s t e r h u i s , Fürstbischof Johann von Hoya, S. 95, ebd. 96 zu Reformen der Gerichtsbesetzung; ebenso L a n d w e h r , Gang, S. 52; ausgewogen für die Zeit vor 1571 G a b e l , Einfluß, S. 81; zeitgenössische Berichte zur Untergerichtsbarkeit aus der Zeit um 1571 bei P h i l i p p i , Landrechte, S. 150-180. Prozeßgeschichte in der Narratio in LA Münster K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r; auch in RKG S 2636, Aktenstück Q 1, fol. 03r. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r; erwähnt auch in RKG S 2636, Aktenstück Q 1, fol. 03r.
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gericht an. Er warf Komnis unlautere Machenschaften vor. Komnis verhalte sich nämlich „contra aequissimum praetoris Interdictum, quod quisque Juris in alterum statuit, ut ipse eodem utatur“356. Der Kläger Schulte Sudhoff zitierte an dieser Stelle das Edikt, die in der Antike jährlich erneuerten, aber doch im wesentlichen gleichbleibenden Jurisdiktionsgrundsätze des römischen Prätors357. Um 130 n. Chr. wurde der Text des prätorischen Edikts verbindlich festgelegt, ging dann aber verloren. Erst Otto Lenel gelang es 1883, den Wortlaut des Edikts zu rekonstruieren358. Es gab freilich schon frühere Vorläufer, etwa ein von Abraham Saur 1579 ins Deutsche übersetztes lateinisches Werk des Franzosen François Ragueau359. Diese oder eine andere frühe Annäherung an das prätorische Edikt360 war also bereits um 1595 in Münster bekannt, um den Digestentitel als Teil des Edikts zu erkennen. Das ist zugleich ein erstaunliches Qualitätsmerkmal für einen zeitgenössischen westfälischen Anwalt. Inhaltlich diente das Edikt an dieser Stelle als autoritativ abgesichertes, aber fast schon sprichwörtliches Verbot widersprüchlichen Verhaltens361. Komnis, so sollte man wohl ergänzen, habe zunächst das Verbot erwirkt, den Rechtsstreit vor geistlichen Gerichten auszutragen, und dürfe jetzt nicht selbst erneut am Kölner Offizialat prozessieren. Deswegen meinte Schulte Sudhoff, sein Gegner prozessiere vor dem „iudice merè Ecclesiastico“, dem „praetensus Judex Metropoliticus“ gegen ihn. Genau das hielt Schulte Sudhoff nicht für zulässig, und zwar wegen des vorangegangenen reichskammergerichtlichen Mandats. An dieser Stelle wurde die Supplikation sehr grundsätzlich. Das kaiserliche Pönalmandat habe „alles was derogestalt von den Geistlichen Richtern vorgenommen, alls in sich unrichtig, unnd den Rechten ungemeß“ kassiert und aufgehoben362. Damit interpretierte der Schriftsatzverfasser eine einzelne einstweilige Anordnung des Kammergerichts als verallgemeinerbare Entscheidung gegen die Einschaltung kirchlicher Gerichte in weltlichen Angelegenheiten. Im 356 357
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LA Münster S 2636, Aktenstück Q 1, fol. 03r. Allgemein zu den Edikten: H o n s e l l / M a y e r -M a l y / S e l b , Römisches Recht, S. 11-13; W i e a c k e r , Römische Rechtsgeschichte I, S. 462-470; Ku n k e l / S c h e r m a i e r , Römische Rechtsgeschichte, S. 119-122; B r e t o n e , Geschichte, S. 102-106, 132-137. Dazu das Vorwort von L e n e l , Edictum perpetuum, S. VIII-XII. R a g u e a u / S a u r , Leges politicae, mit dem Hinweis auf dem Titelblatt „nach art der Justinianischen Rechtsbücher/ und ordnung deß Edicti perpetui“. Der Sache nach enthält das Buch dann aber zahlreiche zusammengestellte Biblesprüche. B r e t o n e , Il „Beruf“, S. 191-192. L e n e l , Edictum perpetuum, Tit. II § 8, S. 58: „Quod quisque iuris in alterum statuerit, ut ipse eodem iure utatur“ (= D. 2. 2.) mit dem Hinweis, wonach fast alle frühen Bearbeitungen des Edikts die Worte als Ediktsworte angesehen hätten; ergänzend G e n z m e r , Talion, S. 122-142; W a l d s t e i n , Entscheidungsgrundlagen, S. 87 Fn. 311. LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 1, fol. 03r.
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Hinblick auf das Verbot widersprüchlichen Prozessierens führte er aus, wenn er selbst aufgrund des älteren Mandats den geistlichen Prozeß nicht habe betreiben können, dann dürfe auch Komnis nicht „ab officiali Monasteriensi in causis Ciuilibus inter laicos (...) ad officialem Coloniensem“ appellieren. Vielmehr müsse er seine Berufung „an merbemelt unnser kayserlich Cammergericht“ richten363. Bei Äußerungen wie diesen ist an die gebrochene und mehrschichtige Quellenüberlieferung zu erinnern. Die zitierten Sätze stammen aus den Narrationen kammergerichtlicher Mandate. Der anwaltliche Schriftsatzverfasser des Supplikanten hatte mit diesem Wortlaut ein Kassationsmandat des Reichskammergerichts beantragt. Selbstverständlich handelte es sich um eine parteiische und einseitige Äußerung. Aber sie hatte Erfolg, wie es bei allen Mandatsgewährungen gang und gäbe war und auch im modernen Recht bei vorläufigen Anordnungen üblich ist. Das Gericht hielt den Sachvortrag und offenbar auch die rechtliche Würdigung ohne vorherige Anhörung der Gegenpartei für schlüssig364 und gewährte tatsächlich am 13. Juli 1596 den beantragten einstweiligen Rechtsschutz. bb) Ein kammergerichtliches Verbot der Appellation von Münster nach Köln Das Reichskammergericht kassierte den Appellationsprozeß vor dem Kölner Offizialat. Das Kölner Offizialat mußte sofort nach Verkündung des Mandats seinen „unordentlichen“ Prozeß einstellen. Ohne diesen Befehl zu begründen, zitierte das Speyerer Gericht wie immer vor dem Tenor den klägerischen Vortrag in indirekter Rede. Damit konnte sich Schulte Sudhoff als Sieger fühlen. Nach seiner Rechtsauffassung gab es jetzt eine Entscheidung des Reichskammergerichts, die bei Androhung der hohen Geldstrafe von zehn Mark lötigen Goldes die Appellation von Münster an das Kölner Offizialat untersagte. Je nachdem, welche Reichweite man dem Tenor des zweiten Mandats gerade angesichts des bereits zuvor erlassenen Kassationsmandats zubilligte, stand damit im Umkehrschluß der einzig zulässige Instanzenzug fest. Wenn das Kölner Offizialat ausschied, konnten Münsteraner Appellationen in Zivilsachen nur noch an das Reichskammergericht und nicht mehr an den Metropolitanrichter gehen. Schulte Sudhoff hatte sich aber zu früh gefreut, denn nach den Exzeptionen der Beklagten hob das Reichskammergericht sein Mandat wieder auf. 363 364
LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 1, fol. 03r. Zur Schlüssigkeitsprüfung der Supplikationen O e s t m a n n , Rekonstruktion, S. 40.
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cc) Exzeptionen gegen das Appellationsverbot von Münster nach Köln Der beklagte Melchior Komnis war nicht bereit, sich mit dem Verbot der Appellation von Münster an das Kölner Offizialat abzufinden. Deswegen lohnt es sich, die „Exceptiones sub & obreptionis“ näher zu beleuchten. Darin meinte Komnis oder vielmehr sein Schriftsatzverfasser, der „Reuerentissimus & Illustrissimus ArchiEpiscopus Coloniensis“ habe „non minus sua Regalia à Caesarea maiestate & imperio recognoscat, quam Episcopus Monasteriensis“365. Erneut war es also der Hinweis auf die Belehnung beider Bischöfe mit den weltlichen Regalien des Reiches, die das wesentliche Argument bildete. Im Hinblick auf den Empfang der Regalien waren die Bischöfe von Münster und Köln gleichermaßen reichsunmittelbar. Deswegen fügte der Schriftsatzverfasser hinzu, es müsse „ab utriusque officialibus in negotiis ciuilibus inter laicas personas agitatis nach besag der rechten nicht an päbstliche heylligkeit, sondern an dz hochlöbliche Kay[serliche] Cam[mergericht] pro quantitate summae appellirt werden“366. Hier zog der Anwalt von Komnis die Konsequenzen aus der Regalienbelehnung. Wer seine Regalien vom Reich empfange, unterstehe in Zivilsachen der kaiserlichen Gerichtsbarkeit und nicht dem Papst367. Wenn Bettina Braun 2002 laut darüber nachdachte, „irgendeinen Nutzen“ habe die Belehnung der geistlichen Fürsten durch den Kaiser wohl haben müssen368, so war es gerade die Einbindung in weltliche Herrschaftsrechte, um die es dabei gegangen sein mag. Die Fürstbischöfe waren eben nicht nur Bischöfe, sondern auch Landesherren. Der Belehnungsakt brachte das sichtbar auf den Punkt. Bei weltlichen Landesherren stellte sich das Problem in anderer Weise, da sie keinesfalls als bloße geistliche Würdenträger wahrgenommen wurden. Bis hierhin sah es aus, als entspreche die Darstellung von Melchior Komnis genau der Rechtsauffassung des Klägers, der auch die geistliche Gerichtsbarkeit in Appellationssachen ausschließen wollte. Allerdings fehlte in den Ausführungen von Komnis ein kleines, aber wichtiges Wort. Es findet sich nämlich kein Hinweis darauf, ob von beiden Offizialaten die Appellation unmittelbar, gradatim an das Reichskammergericht erfolgen sollte. Lediglich die höchste Instanz war angegeben, nicht aber eventuelle Zwischenstufen ausgeschlossen. Dennoch fügte der Anwalt fast schon scheinheilig hinzu, es seien „beide Stendt der Appellation halben ad certum summam priuilegirt und [hätten] Ihre deßweg habende priuilegia dem Key[serlichen] 365 366 367 368
LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 3, fol. 07v, Artikel 6. LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 3, fol. 07v, Artikel 7. Zum Zusammenhang von Lehnsbindung und Unterstellung unter die Gerichtsbarkeit des frühneuzeitlichen Reiches B r ü c k n e r , Lehnsauftragung, S. 286. B r a u n , Die geistlichen Fürsten, S. 28-29.
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Cam[mergericht] Insinuiren laßen“369. In der Tat mußten die Reichsstände ihre Privilegien dem Reichskammergericht förmlich bekanntgeben, was die Zeitgenossen als Insinuation bezeichneten370. Aber die Behauptung des Schriftsatzes stimmt mit der Quellenüberlieferung nicht überein. Ein limitiertes Appellationsprivileg für das Fürstbistum Münster hatte kein römischdeutscher Kaiser je erteilt. Für die Beweisführung des Beklagten paßte die angebliche Gleichbehandlung beider Bistümer freilich sehr gut. Genau an dieser Stelle formulierte der Schriftsatzverfasser von Melchior Komnis ein erstes Zwischenergebnis: Die Appellationen von Münsteraner Offizial an den Offizial von Köln „vti Metropolicum in negotiis ciuilibus directae“ könnten „zu abbruch und nachtheill deß hochlöblichen Kay[serlichen] Camm[ergerichts] oder deß heiligen Römischen Reichs deutscher Nation Jurisdiction und freyheit mit nichten gereiche[n]“371. Immerhin könne doch jedermann von Köln aus nach Speyer appellieren. Aus der Sicht des Beklagten kam es also nur auf die letztinstanzliche Möglichkeit an, das Reichskammergericht überhaupt anzurufen. Der direkte Appellationsweg von Münster nach Köln stand dem nicht entgegen. Der Anwalt von Komnis formulierte diesen Verteidigungsartikel ganz aus der Sicht des Reiches. Dessen Freiheit und Jurisdiktion waren durch den Instanzenzug angeblich nicht beeinträchtigt, wobei Freiheit hier wohl die deutsche Übersetzung von Privilegien war. Ungewöhnlich war dabei der vollständige Name des Reiches, insbesondere der Hinweis auf die deutsche Nation. In den allermeisten Schriftsätzen redeten die Advokaten immer nur vom Reich, Römischen Reich oder vom Heiligen Römischen Reich. Die Verbindung von „deutsch“ mit „Freiheit“ scheint hier dennoch nicht eine Anspielung auf die sprichwörtliche deutsche Freiheit zu sein372, sondern diente der Abgrenzung gegenüber dem unfreien Ausland. In mehreren anderen Reichskammergerichtsprozessen betonten nämlich die Kläger, eine Appellation an den Apostolischen Nuntius begründe eine fremde, ausländische Gerichtsgewalt über deutsche Zivilrechtsfälle373. Aus der Perspektive des Reiches, so sollte der Leser wohl schließen, genügte es, wenn eine Streitsache überhaupt irgendwann vor ein Reichsgericht gelangen konnte. Die Gefahr eines ausländischen Übergriffs auf die deutsche Gerichtsbarkeit war durch die letztinstanzliche Unterstellung unter die Reichsgerichte 369 370
371 372 373
LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 3, fol. 07 v-08r, Artikel 8. Reichsabschied vom 12. Dezember 1570 § 70, bei L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, Nr. 179 S. 307; allgemein B o c k , Insinuation, S. 39-55; S e l l e r t , Insinuation, Sp. 385-386; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 56. LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 3, fol. 08r, Artikel 9. Zur deutschen Freiheit H o k e , Libertät, Sp. 1989-1991; G o t t h ar d , Das Alte Reich, S. 10-11; K a n n o w s k i , Sp. 1746-1747; S c h m i d t , Freiheit, Sp. 1153-1155 (m. w. N.). Dazu ausführlich unten bei Anm. 679-696.
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gebannt. Wie viele Zwischeninstanzen es gab, war nach dieser Auffassung gleichgültig. Eine gewisse Furcht vor ausländischen Gerichtshöfen vermeint SchmitzEckert für die Mitte des 17. Jahrhunderts im Stift Münster zu erkennen, gerade weil das Fürstbistum kein Appellationsprivileg erhalten hatte. Sein Gedankengang knüpft vor allem an Staatsfinanzen und Staatsgeheimnisse an. Durch die Appellation gegen Urteile des weltlichen Hofgerichts sowie des Offizialats sei eine nicht geringe Anzahl von Prozessen vor ausländische Gerichte gelangt, und deswegen sei Geld in ausländische Kassen geflossen. Zugleich hätten Landesfremde Einblick in innerstiftische Interessen erlangt. Gemeint ist mit den ausländischen Richtern bei Schmitz-Eckert auch die Appellation an die obersten Reichsgerichte. Deswegen habe Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen (1650-1678)374 seit 1651 versucht, die Münsteraner Regierung zu einem Revisionsgericht auszubauen375. Dieser Erklärungsversuch vermag angesichts der Quellen nicht zu überzeugen. Wenn nämlich Landesherren die Anrufung ausländischer Gerichte zu unterbinden versuchten, boten den Anlaß dafür in der frühen Neuzeit regelmäßig Aktenversendungen an Juristenfakultäten außerhalb des Territoriums. Sie schmälerten die Gerichtsgewalt des Herrschers376. Auch die Anrufung fremder Landesherren bei Streitigkeiten aus Orten mit unklaren Herrschaftsverhältnissen mochte gemeint sein, im Norden vielleicht auch der Rechtszug an einen Oberhof wie Lübeck. Bei einer Appellation an die Reichsgerichte des Alten Reiches war demgegenüber niemals davon die Rede, jemand wende sich an ein ausländisches Gericht. Das Reich war nach allgemeiner Überzeugung kein Ausland. Der Hinweis ist nicht selbstverständlich, denn der Vaterlandsbegriff und wohl auch der Inlandsbegriff waren erstaunlich kleinräumig gedacht377. Wenn ein Territorium die Appellation an das Reichskammergericht einschränken wollte, wie Schmitz-Eckert die Münsteraner Bemühungen um Ersetzung der Appellation durch eine innerterritoriale Revision deutet, ging es den Fürsten in erster Linie darum, ihre politische und gerichtliche Landesherrschaft zu stärken. Ob sie bestrebt waren, Geld-
374
375 376 377
Zu ihm K o h l , Christoph Bernhard von Galen, passim; d e r s . , Bistum Münster/Diözese 3, S. 622-642; G i l l n e r , Freie Herren, S. 402-407, mit weiterer Literatur ebd. S. 403 Anm. 23; B e c k e r - H u b e r t i , Tridentinische Reform, S. 22-29. S c h m i t z - E c k e r t , Regierung, S. 50-51. Zur Einschränkung von Aktenversendungen W e t z e l l , System, S. 537-538; O e s t m an n , Aktenversendung, Sp. 131; zu Verzerrungsproblemen d e r s . , Rechtsvielfalt, S. 596. Zum Vaterlandsbegriff in westfälischen Reichskammergerichtsakten F u c h s , Um die Ehre, S. 280-285; zum deutschlandweiten Vaterlandsbegriff W e s t p h a l , Frauen, S. 377 (ebenso die anderen Beiträge im Sammelband L an g e w i e s c h e / S c h m i d t , Föderative Nation).
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abfluß ins Ausland zu verhindern, und deswegen eigene Obergerichte einrichteten, geht aus den Quellen nicht hervor. Interessant wäre demgegenüber zu klären, ob die Gründung eines Revisionsgerichts, das für beide Münsteraner Hofgerichte zuständig war, zugleich Appellationen an das Kölner Offizialat verhindern sollte. Aber genau dazu sagen die Quellen offenbar nichts Ausdrückliches. Und die häufigen Beschwerden über die Anrufung des Kölner Offizialats waren bereits stark rückläufig, als unter Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen die Personalunion Münsters mit Kurköln für einige Jahrzehnte abbrach. Dennoch ist auf diesen Punkt, der zeitlich einige Jahrzehnte vorausgreift, an späterer Stelle zurückzukommen378. Hier geht es zunächst um die Argumentation im späten 16. Jahrhundert, und in diesen Quellen tauchte der Münsteraner Landesherr überhaupt nicht auf. Die Perspektive des Münsteraner Bischofs nahm auch der Schriftsatz von Melchior Komnis nicht ein und blieb damit unausgesprochen inkonsequent. Denn die von ihm zuvor konstruierte Gleichartigkeit der Bischöfe von Köln und Münster war im Ergebnis gerade nicht gegeben. Obwohl beide ihre weltlichen Regalien vom Reich empfingen, war für den Münsteraner Fürstbischof nach dieser Ansicht mit der Belehnung keine volle Landesherrschaft verbunden. Seine weltliche Gerichtsgewalt, also sein wichtigstes Herrschaftsrecht, war und blieb durch die Unterordnung unter das zivilrechtlich tätige Kölner Offizialat beeinträchtigt. Weshalb Offizialate überhaupt weltliche Gerichte waren, erörterte der Schriftsatzverfasser mit keinem Wort. Auch die brüchige iurisdictio des Stifts Münster blieb unausgesprochen. Statt dessen erfolgte ein Hinweis auf die Praxis. „Vielmhal“ und „noch teglich“ nehme das Reichskammergericht genau solche Appellationen an, die von Münster über Köln nach Speyer gingen379. Zusammenfassend meinte der Schriftsatzverfasser von Komnis, es sei „ein Irriger mißverstandt als solten von der geistlichen Obersten Richter in welttlichen sachen gefellter urtheil ex eo solum capite, quod coram his vtpote Ecclesiasticis causa prophana sit ventilata & decisa, zuuernichtigen, od[er] zu cassiren sein“380. Das war genauso allgemein, wie es Schulte Sudhoff in der Gegensicht darzustellen versucht hatte. Während der Supplikant meinte, alle Appellationen in weltlichen Sachen an den Kölner Offizial seien fortan verboten, meinte Komnis, der Charakter der weltlichen Streitsache schließe die Zuständigkeit des oberen geistlichen Richters gerade nicht aus.
378 379 380
Dazu unten bei Anm. 526-544. LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 3, fol. 08r, Artikel 10. LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 3, fol. 09r, Artikel 15.
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In diesem Fall standen sich zwei unvereinbare Rechtsauffassungen gegenüber, wobei Schulte Sudhoff von vornherein schlechte Karten hatte. Warf er doch seinem Gegner ein Verhalten vor, das genau er selbst im vorangegangenen Prozeß ebenfalls an den Tag gelegt hatte. Wenn er wirklich die geistliche Gerichtsbarkeit in weltlichen Angelegenheiten für ausgeschlossen hielt, blieb er die Erklärung dafür schuldig, warum er im ersten Rechtsstreit sogar den Apostolischen Nuntius eingeschaltet hatte. dd) Zur unklaren Haltung des Reichskammergerichts Das Reichskammergericht hatte Johann Schulte zum Sudhoff das beantragte Kassationsmandat gewährt und damit im Ergebnis die Appellation von Münster nach Köln verboten, wenn auch vielleicht nur in diesem Einzelfall. Warum die Speyerer Assessoren so entschieden, ist unbekannt und kaum verständlich. Denn in der Tat gab es Appellationen von Münster über Köln nach Speyer in großer Zahl381. Ob das Kammergericht tatsächlich selbst schwankte und versuchte, durch sein Mandat die Rolle des Fürstbistums Münster als Reichsstand zu stärken, ist unklar. Jedenfalls hob das Speyerer Gericht sein Mandat im Juni 1600 auf, nur vier Jahre nach seinem Erlaß382. Es wäre spitzfindig zu behaupten, die Appellation von Münster an das Kölner Offizialat in weltlichen Streitigkeiten sei von 1596 bis 1600 verboten gewesen und danach wieder erlaubt worden. Vielmehr wirkt es so, als habe das Gericht seinen Fehler eingesehen und mit der Rücknahme des Mandats die Gerichtsverfassung im Spannungsfeld von Münster und Kurköln weiter in der Schwebe lassen wollen. Für diese Interpretation spricht unter anderem die Kostenentscheidung. Im Gegensatz zur üblichen Praxis der Kostenteilung383 mußte Schulte Sudhoff die gesamten Prozeßkosten allein tragen, auch diejenigen seines Gegners384. Deutlicher konnte das Gericht kaum zeigen, wie wenig es sich um Schulte Sudhoffs rechtliche Argumente scherte. Schaut man genauer hin, erkennt man die enge zeitliche und sachliche Verzahnung beider kammergerichtlicher Mandatsprozesse zwischen den Parteien. Am 25. Juni 1600 hoben die Assessoren in Speyer das zugunsten 381
382 383 384
Das gedruckte Findbuch von A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte III, S. 435, nennt für 241 Fälle das Kölner Offizialat als Vorinstanz westfälischer Reichskammergerichtsprozesse. Freilich stammen nicht sämtliche Verfahren aus dem Fürstbistum Münster. LA Münster RKG S 2636, Protokollbuch, Expeditum vom 25. Juni 1600. S e l l e r t , Akzessorietät, S. 507-537. Zur den Prozeßkosten auch späteres Urteil vom 22. August 1603: LA Münster RKG S 2636, Protokollbuch.
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von Schulte Sudhoff ergangenen Mandat von 1596 wieder auf. Nur wenige Tage zuvor, am 13. Juni 1600, hatte das Reichskammergericht dagegen ein Paritorialurteil im zweiten Mandatsprozeß gefällt, der auf die Supplikation von Komnis hin eröffnet worden war385. In diesem zweiten Prozeß hatte Schulte Sudhoff versucht, sich als Eigenhörigen des Münsteraner Doms darzustellen und damit die Zuständigkeit des geistlichen Gerichts zu begründen386. Angeblich untermauerte sogar das Verhalten des Prozeßgegners Komnis diese Einschätzung, so jedenfalls stellte Schulte Sudhoff es dar. Denn Komnis hatte von Münster aus „nit ad Cameram Imperialem sondern ad ipsum Coloniensem Officialem selbst prouociert und appelliert“. Damit war für Schulte Sudhoff die Zuständigkeit „nit ad superiorem secularem, sondern ad proximum Superiorem Ecc[lesiasti]cum“ verlagert und ein geistlicher Gerichtsstand begründet387. In dem von Komnis betriebenen Mandatsprozeß versuchte Schulte Sudhoff also, die Streitsache als geistliche Angelegenheit darzustellen, um seine Appellation an den Apostolischen Nuntius zu rechtfertigen. Im zweiten Verfahren dagegen verfocht Schulte Sudhoff den Standpunkt, das Kölner Offizialat dürfe die Appellationen aus Münster überhaupt nicht mehr behandeln. Diese widersprüchliche Argumentation scheiterte. Gerade im Zusammenspiel beider kammergerichtlichen Urteile erhält man Auskunft über die Rolle des Kölner Offizialats: Die Appellation an den Apostolischen Nuntius blieb verboten. Genau dies war der Inhalt des Paritorialurteils, und genau in diesem Punkt wankte das Reichskammergericht nie. Das Verbot der Appellation an den Kölner Offizial dagegen hoben die Assessoren des Kammergerichts wieder auf. Auch wenn es keine Entscheidungsbegründungen gibt, muß das Reichskammergericht die Auseinandersetzung zwischen den Parteien, also den ursprünglichen Streit um Pfändungen vor dem Gogericht auf der Meest, als weltliche Auseinandersetzung angesehen haben. Sonst nämlich hätte kein rechtlicher Anknüpfungspunkt bestanden, die Appellation an den Nuntius zu unterbinden. Damit war freilich zugleich in weltlichen Zivilsachen die Appellation von Münster nach Köln anerkannt. Dieser Weg stand offen, und das Kölner Offizialat blieb als Zivilgericht in die Justizverfassung des Alten Reiches eingebunden. Diese Sichtweise vergewaltigt die Quellen nicht, selbst wenn der rote Faden nur unscheinbar im Zusammenspiel beider Mandate zu Tage tritt. Doch die Vermutung trägt: Nur wenige Jahre später sprach das Reichskammergericht genau diesen Grundsatz offen aus. 385 386 387
LA Münster RKG K 838, Protokollbuch, Expeditum vom 13. Juni 1600, fol. 002v. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 3, Artikel 4, fol. 010v; zum persönlichen Status im Überblick Kr o e s c h e l l / C o r d e s , Eigenleute, Sp. 1270-1271. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 3, Artikel 9, fol. 012r-012v.
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Wie die konkrete Auseinandersetzung weiterlief, war selbst den beteiligten Anwälten unbekannt und spielt hier auch keine Rolle. Komnis verstarb, und seine Erben verlangten von Schulte Sudhoff die Bezahlung der Prozeßkosten. In der Tat hatte er zweieinhalb Monate nach dem Prozeßverlust seine Paritionsanzeige abgegeben und sich so mit seiner Niederlage abgefunden. Und da der Speyerer Prokurator im Mai 1603 seit vielen Jahren von Schulte Sudhoff nichts mehr gehört hatte, nahm auch er den vollständigen Mißerfolg seines Mandanten widerstandslos hin388. Die Anerkennung der Appellation nach Köln durch das Reichskammergericht allerdings deutet voraus auf einen Grundsatzbeschluß von 1603, der in engem Zusammenhang mit dem jetzt folgenden Rechtsstreit erging.
b) Der Prozeß Bischopinck gegen Jungermann 1601 War die Appellation nach Köln im Fall Komnis gegen Schulte Sudhoff im Ergebnis erlaubt, so begannen nur ein Jahr später erneut zwei weitere Reichskammergerichtsprozesse, in denen die Parteien sehr grundsätzlich die Gerichtsverfassung im Stift Münster und das Verhältnis der Offiziale von Münster und Köln zueinander erörterten. Kläger war in beiden Fällen ein Sweder Bischopinck zur Wisch. Er entstammte einer weitverzweigten münsterländischen Erbmännerfamilie und zählte damit zum landsässigen Adel. Welchen genauen Rechtsstatus die Familie besaß, war wie so vieles im Alten Reich streitig. Seit 1597 lief ein bis 1685 dauernder Reichskammergerichtsprozeß um die Rechte der Erbmänner. Domkapitel, Ritterschaft und Landesregierung wollten die Erbmänner nicht zu den Landständen zählen. Bekanntlich entschied das Reichskammergericht zugunsten der Erbmänner, und noch 1715 erließ Kaiser Karl VI. einen Mandatsbefehl an den Münsteraner Fürstbischof, sich dem Urteil zu fügen389. Die Familie Bischopinck war in dem Erbmännerprozeß mit beklagt, auch wenn ein von Johannes von Bischopinck ausgehender Zweig seit 1609 förmlich geadelt war390. Erfahrung mit reichsgerichtlichen Prozessen besaß auch Sweder Bischopinck. Er hatte 1586 und 1590 zwei Reichskammergerichtsprozesse begonnen und stritt sich mit dem Hamburger Ratsherrn und Kaufmann Heinrich Koep 388 389 390
LA Münster RKG K 838, Protokollbuch vom 2. September 1600 und 27. Mai 1603, fol. 002v-003r. v o n O e r , Erbmännerstreit, S. 5; dazu auch O e s t m a n n , Besprechung von von Oer, S. 411-414; S m e n d , Reichskammergericht, S. 224. v o n O e r , Erbmännerstreit, S. 29; d i e s . , Erbmänner, S. 283; zur Familie Bischopinck auch W e i k e r t , Erbmänner, S. 207-209; einzelne Vertreter nachgewiesen bei H s i a , Society, S. 210-212.
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wegen eines Bürgschaftsversprechens für die Lieferung englischen Lakens, nachdem Koep ihn vor dem weltlichen Hofgericht Münster verklagt hatte391. Im März 1600 führte Sweder Bischopinck vor dem Münsteraner Offizialat einen Prozeß gegen einen Martin Jungermann aus Bäumerhof und dessen Konsorten392. Es ging um einige abgenommene Pferde, in der Sprache der Zeit also um eigenmächtige Pfändungen. Das Offizialat erließ in einem Vollstreckungsverfahren zugunsten Bischopincks eine sogenannte citatio ad videndum393. Gegen diese Ladung appellierten Jungermann und die anderen Beklagten an das Kölner Offizialat, und genau hiergegen supplizierte Sweder Bischopinck beim Reichskammergericht. aa) Argumente gegen die Appellation von Münster nach Köln Sweder Bischopinck lehnte die Appellation vom Münsteraner Offizial an den Kölner Offizial in Zivilsachen ab. Er verklagte in Speyer den Kölner sowie den Münsteraner Offizial394 und beantragte ein Kassationsmandat. Seiner Meinung nach, besser gesagt: nach den ihm von seinem unbekannten rechtsgelehrten Schriftsatzverfasser in den Mund gelegten Äußerungen, war das Münsteraner Offizialat das ordentliche fürstbischöfliche Gericht „in prophanis“. Den Kölner Offizial dagegen nannte er einen „in causa prophana Judicem planè incompetentem“395. Er verwies auf das offenkundige Recht und die Reichsordnung. Sie wollten angeblich die „alten mißbreüche“ abschaffen und insbesondere Sorge tragen, „das die Gaistliche und Weltliche Jurisdictiones nit confundirt werden“396. Angeblich war „notorie“ das Münsteraner Offizialat auch ein Zivilgericht. Doch bettete Sweder Bischopinck seine Auffassung sofort in die Reichsverfassung ein. Die Bischöfe von Münster, meinte er, würden „Ire Regalia immediatè von (...) dem heiligen Reich recognosciren“. Daher müßten „die 391
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395 396
LA Münster RKG B 1278; RKG B 1279; bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte I, S. 73-74; Heinrich Koep auch erwähnt im Hamburger Reichskammergerichtsbestand: S t e i n S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, Bd. II S. 576, Bd. III S. 920. Weiterer Rechtsstreit zwischen denselben Parteien, der ebenfalls bis zum Reichskammergericht gelangte: LA Münster RKG J 260. Zur verschiedenen Formen der citatio ad videndum knapp S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 174, 187. Da der Rechtsstreit einige Jahre lief, war zumindest zeitweise ein Verwandter Sweder Bischopincks mit beklagt. Seit 1602 ist in Münster der Offizial Hermann Bispinck belegt, bei S c h w a r z , Reform des geistlichen Gerichts, S. 139-140; L a h r k a m p , Münsters Protestanten, S. 133; M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 151. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 1. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 1.
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Appellationes in hujusmodi prophanis causis von einem Münsterischen Officialn anderst nirgendt, als an besagt unser kay[serliches] Cammergericht interponirt397 werden“. Damit gab es wieder den bereits bemerkten sehr engen Zusammenhang zwischen der Belehnung durch das Reich und der Gerichtsverfassung. Im Gegensatz zu einigen anderen Supplikanten behauptete Bischopinck nicht einmal, von Münster aus gebe es zwei Appellationsmöglichkeiten, nämlich an den Kölner Offizial und das Reichskammergericht. Vielmehr sah er das Reichskammergericht als einzig zulässige Appellationsinstanz an. Die Weichenstellung verschob zugleich die Appellation nach Köln auf das Abstellgleis. Der Appellationsprozeß vor dem Kölner Offizialat war automatisch nichtig, und die Entscheidung des Münsteraner Offizials erwuchs in Rechtskraft. Wenn das anders wäre, so malte Bischopinck in seiner Supplikation aus, könnten seine Gegner ihn, den „Supplicanten entlich auß dem heiligen Reich ad [Curiam]398 Romanam zu verderblichen nachtheil und schaden“ ziehen399. Dieses Argument tauchte auch in vielen Supplikationen gegen die Anrufung des Apostolischen Nuntius auf. Wenn es möglich war, dem Heiligen Römischen Reich einen Rechtsstreit zu entziehen, schuf das eine bedrohliche Gefahr. Die iurisdictio des Kaisers und seiner obersten Reichsgerichte drohte nämlich untergraben zu werden, und genau deswegen waren weltliche Streitigkeiten vor den obersten katholisch-geistlichen Gerichten auch alles andere als ein partikulares Problem. So warnte Bischopinck davor, die Reichsordnung nicht sträflich zu verachten. Zugleich stellte er sich als treuen Streiter für die weltliche Gerichtsverfassung des Reiches in helles Licht. bb) Zur unklaren Haltung des Reichskammergerichts Das Reichskammergericht kam dem Supplikanten zu Hilfe und gewährte Sweder Bischopinck am 14. Januar 1601 ein Mandatum inhibitorium et de cassando sine et executoriale cum clausula. Bei Androhung von acht Mark lötigen Goldes mußten die Beteiligten den Kölner Offizialatsprozeß beenden und die Vollstreckung am Münsteraner Offizialat vorantreiben. Dieser zweite Befehl war klausuliert, hielt den Gegnern also alle Verteidigungsmöglichkeiten offen400. Die Geldstrafe von acht Mark war im übrigen geringer als in gleichgelagerten Fällen, die sonst immer zehn Mark androhten401. Dennoch 397 398 399 400 401
Zur Interponierung und Introduzierung der Appellation O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 37. Wort ergänzt, da das Mandat wegen zahlreicher Zustellungen sehr schadhaft ist. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 1. Zur Unterscheidung der beiden Mandatsarten U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 8-9. Androhung von 10 Mark in LA Münster RKG K 838; RKG S 2636; RKG M 741; RKG M 1586; RKG R 1070; RKG N 603; RKG W 1053; RKG H 1569; RKG D 487; RKG W
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konnte der Supplikant einen weitgehenden Erfolg für sich verbuchen. Immerhin nämlich scheint das Reichskammergericht die Supplikation von Sweder Bischopinck für schlüssig gehalten zu haben. Damit widersprach das Gericht seinem eigenen Urteil im zuvor geschilderten Fall Schulte Sudhoff. Denn nur wenige Monate vor dem Erlaß des Mandats in Sachen Bischopinck hatte das Speyerer Reichsgericht das Verbot, an den Kölner Offizial in Zivilsachen zu appellieren, gerade wieder aufgehoben. Von einer eindeutigen Rechtsprechung konnte also keine Rede sein. Vielmehr schwankte sie von Fall zu Fall. Und im Gegensatz zum Prozeß Schulte Sudhoff hob das Reichskammergericht das Mandat zugunsten von Bischopinck auch nicht wieder auf. Dennoch gelang es den Speyerer Assessoren, durch ein feinsinniges Zwischenurteil den Streit dauerhaft in der Schwebe zu halten und damit ihre widersprüchliche Rechtsprechung zu bemänteln. Nach einigen Jahren erging am 7. Juli 1617 der Bescheid, „last man es vorgewenndter einredt ungehindert bey denen in Exceptionibus Interventionalibus und Duplicis beschehenen Anzeigen bleiben, die Gerichtskosten gegen einander compensirendt und vergleichendt“402. Die Kostenteilung verlieh der Entscheidung den Charakter eines Endurteils. Allerdings gab es bei nicht klausulierten Mandaten eigentlich nur drei vorgesehene Ergebnisse: Entweder hob das Gericht das Mandat wie im Fall Schulte Sudhoff auf oder es bestätigte das Mandat durch Paritorialurteil. In der dritten Spielart verzichtete der Mandatsgegner auf Einreden und gab die geforderte Paritionserklärung ab403. Genau das geschah im Prozeß von Sweder Bischopinck nicht. Das Gericht erklärte nämlich, es solle bei den in den Verteidigungsschriften der Beklagten vorgebrachten Anzeigen bleiben. Diese Anzeigen stammten von 1601, waren also schon 16 Jahre alt. Tatsächlich hatten die Beklagten überhaupt kein Interesse, den Mandatsbefehl zu befolgen, und kündigten das auch wortstark an. Damit gelang dem Reichskammergericht mit seiner Entscheidung ein kleines Kunststück. Es bekamen nämlich kurioserweise beide Parteien Recht. Das Mandat blieb in Kraft, obwohl die Beklagten seine Aufhebung beantragt hatten. Zugleich erkannte das Gericht die Verteidigungsschriften der Beklagten förmlich an, dies aber nicht als Parition, sondern ausdrücklich als Protest gegen das weitergeltende Mandat. Es gab damit ein Urteil, aber kein Ergebnis. Ob man vom Münsteraner Offizialat an das Kölner Offizialat appellieren durfte, blieb weiterhin streitig. Jede Seite konnte das höchste Gericht des Reiches für ihre Rechtsauffassung
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692; RKG S 420; RKG S 2291; RKG V 363; RKG M 1729; 8 Mark in: RKG U 8; RKG M 1725; RKG S 774. LA Münster RKG B 1286, Protokollbuch, Expeditum vom 7. Juli 1617, fol. 004r. Zum Fortgang von Mandatsprozessen U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 134-154.
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in Anspruch nehmen. Obwohl gerade ein Gericht ein denkbar untypisches Beispiel bildet, paßt dieser Ausgang in erstaunlicher Weise zu einer Zeit, die offene Verfassungsfragen mit Vorliebe unbeantwortet ließ. Fast gewinnt es den Anschein, als habe man möglichst keine Präzedenzfälle schaffen wollen. Viel lieber blieben sich widersprechende Titel und Rechtsansprüche möglichst kommentarlos nebeneinander stehen. Die Teilnahme evangelischer Fürsten an katholischen Krönungsmessen oder die Doppelbelehnung mit umstrittenen Territorien404 sind nur einige Beispiele für den pragmatischen Umgang mit Rechtsproblemen im Alten Reich. Es ist also nicht nur für den modernen Rechtshistoriker sinnlos und methodisch unzulässig festzustellen, welche Partei damals im Recht war. Selbst das höchste Gericht des Alten Reiches weigerte sich augenscheinlich, diese Frage zu beantworten. Doch ist das nicht unbedingt ein Nachteil. Gerade in diesem in der Schwebe bleibenden Fall ist es möglich, die verschiedenen Auffassungen der Beteiligten sehr genau nachzuvollziehen, denn die Überlieferungslage ist gut. cc) Unvordenkliches Herkommen als Argument für die Appellation von Münster nach Köln Bereits im März 1601, nur zwei Monate nach Erlaß des Mandats, erschien in der kammergerichtlichen Audienz der Prokurator des beklagten Martin Jungermann und legte die Exceptiones sub- et obreptionis vor. Er, genau genommen ein namentlich nicht bekannter Schriftsatzverfasser, wohl ein Advokat aus dem Münsterland, argumentierte zweispurig. Zunächst meinte er, die „propositio quod haec causa sit merè prophana negatur“405. Das war kein prinzipieller Einwand, sondern knüpfte an den konkreten Streitgegenstand an. Jungermann behauptete einfach, es handele sich um eine geistliche Auseinandersetzung. Die gepfändeten Pferde entsprangen einem Streit um Güter und Weidgang auf Ländereien, die dem Münsteraner Domkapitel und der Äbtissin von Freckenhorst406 gehörten und die sich Sweder Bischopinck angeblich nur angemaßt hatte. Daraufhin sei er eine persona ecclesiastica geworden und unterfalle dem gemeinrechtlichen Lehrsatz „Ecclesiastici et illorum serui ad solum tribunal ecclesiasticum trahi possunt“407. Hierfür verwies der Schrift-
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S t o l l b e r g - R i l i n g e r , Des Kaisers alte Kleider, S. 170-171; d i e s . , Verfassungsgeschichte, S. 15-27. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 2, fol. 009v. Zu den Besitzungen des Stifts Freckenhorst K o h l , Damenstift Freckenhorst, S. 219-279. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 2, fol. 010r.
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satzverfasser auf mehrere Stellen aus dem kanonischen Recht408, außerdem auf den Dekretalenkommentar des Felino Maria Sandeo, eines italienischen Kanonisten aus dem späten 15. Jahrhundert409. „Vermöge uhralten geprauchs des Stiffts Münster“ konstruierte die Exzeptionsschrift den Rechtssatz, wonach „personae ecclesiasticae et eorum coloni ac serui nirgent anders alß coram Officiali Monasteriensi daselbsten im Stifft conuenirt werden konnen“410. Wenn also Sweder Bischopinck erstinstanzlich den geistlichen Richter gewählt habe, müsse er auch den zweitinstanzlichen akzeptieren, und die höhere Instanz sei nun einmal der Offizial in Köln. Viel interessanter als dieser Versuch, die Streitigkeit als geistlichen Prozeß zurechtzubiegen, sind prinzipielle Erwägungen, die der Schriftsatzverfasser in einer Hilfsbegründung anführte. Selbst wenn die Sache nämlich eine weltliche Zivilsache war, kam ihm mitnichten das Reichskammergericht die einzige Appellationsinstanz gegen Entscheidungen des Münsteraner Offizialats in den Sinn. Es sei bekanntlich „von unuerdencklichen iharen das contrarium üblich hergebracht, auch mit unzehligen hie rechthangenden Processen in continenti zu erweisen daß iederzeitt den Partheyen frei gestanden von den Urtheilen des Münsterischen Officialis entweder gehn Colln ad officialem daselbst, oder aber hiehero ad Cameram immediate zu appelliren“411. Damit nahm der Beklagte unvordenkliches Herkommen in Anspruch. Danach stand dem Appellanten die Wahl zwischen der Berufung an das Reichskammergericht oder das Kölner Offizialat frei. Der Schriftsatzverfasser hatte sich mit dem Problem offenbar genauer beschäftigt, denn er führte jetzt Beispielsfälle an. Mehrfach hatten andere Parteien erfolglos versucht, Appellationen vom Münsteraner Offizial an den Kölner Offizial durch eine Klage am Reichskammergericht abzuwürgen. Nur ein Jahr zuvor habe das Gericht auf die „verbluemete narrata“ solcher Supplikanten nichts gegeben. Die vossischen Kreditoren412 hätten 408
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Angeführt werden: C. 12 qu. 2 c. 69 (aus dem 2. Teil des Decretum Gratiani: „Serui ecclesiarum publicis angariis non fatigentur“); Archidiaconus n. 8 zu C. 11 qu. 1 c. 17 („c. clericum 11. q. 1.“: „Episcopo non permittente apud secularem iudicem clericus pulsari non debet“ (wohl gemeint: G u i d o d e B a i s i o , Archidiaconus sive Rosarium super Decreto, Bild [404-#] = fol. 201v); F e l i n u s nu. 2. zu X. 2, 2, 2, („in c. 2. x de foro competenti“), Sp. 150 n. 1-2: „Iudex secularis est excommunicatus, qui clericum per se distringit, vel condemnat, & sic per hoc peccat mortaliter. Familia quando gaudeat priuilegio domini“. Zu Felinus (1444-1503): M a d e y , Sandeo, Sp. 1308-1309; S c h u l t e , Geschichte II, S. 350-352; speziell im Hinblick auf die Abgrenzung weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit B a r r e t o , Legal Culture, Ziff. 55; zu päpstlichen Gewalt in weltlichen Sachen bei Felinus auch L e p s i u s , Auflösung, S. 90; zahlreiche Felinus-Zitate am Reichskammergericht im 16. Jahrhundert bei W u n d e r l i c h , Protokollbuch, S. 842. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 2, fol. 010r. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 2, fol. 011v. In Münster gab es einen offenbar calvinistischen Pelzer Bernhard Voß, gestorben 1606, zu ihm L a h r k a m p , Münsters Protestanten, S. 138 Nr. 33; H s i a , Society, S. 271. 1595
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kein Mandat erhalten, ebenso auch Hulterup und Siekmann nicht. Der Verfasser kannte sogar die Daten, an denen das Reichskammergericht den Erlaß eines Mandats jeweils abgelehnt hatte. Damit behauptete der Anwalt von Jungermann, es gebe eine ständige Rechtsprechung des Reichskammergerichts, solche Supplikationen abzuschlagen. Im Umkehrschluß sollte die Appellation von Münster nach Köln reichsgerichtlich erlaubt sein. „Darauß dan folgt dieweill der Herr Officialis Coloniensis so wohl in profanis alß ecclesiasticis causis, eben wie der Monasteriensis Officialis zuiudiciren macht und gewalt hatt, daß dahero das assumptum oder minor propositio angezogene Silogismi falsissima“413. Für den Beklagten bestand nun freilich ein Problem, das er in seinem Schriftsatz nicht lösen konnte. Wenn es nämlich die einschlägigen jüngeren Entscheidungen des Reichskammergerichts gab und wenn die Speyerer Assessoren die Gerichtsverfassung von Münster wirklich so gut kannten, erschien es um so unverständlicher, warum sie jetzt in einem gleichgelagerten Fall zugunsten von Sweder Bischopinck ein Mandat erlassen hatten. Überprüfen lassen sich die angeführten Präzedenzfälle ohnehin nicht. Die Ablehnung kammergerichtlicher Mandate erfolgte im Extrajudizialverfahren zu einem frühen Zeitpunkt, zu dem noch keine Akten angelegt waren. Da es später auch keine Audienzen gab, führte das Gericht nicht einmal Protokollbücher in diesen Sachen. Deswegen haben sich die Quellen solcher extrajudizial gescheiterter Prozesse regelmäßig nicht erhalten414. Selbst wenn ein Schriftsatzverfasser solche Fälle aus der Luft gegriffen hätte, wäre es kaum möglich gewesen, ihn zu überführen. Nicht nur der Gedankengang der Exzeptionsschrift verdient Aufmerksamkeit. Politisch erheblich gewichtiger war es, als in derselben kammergerichtlichen Audienz vom 19. März 1601 zusätzlich zum Prokurator des Beklagten Martin Jungermann auch der kammergerichtliche Prokurator Johann Conrad Lasser415 auftrat. Er sprach für den Kurfürsten von Köln und reichte „Interuentionales articuli, mitt einuerleibten sub: et obreptionis Exceptionalibus des
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gab es einen Dekan Hermann Voß, mitbeklagt in LA Münster RKG M 838. Davor hatte es einen Generalvikar Jakob Voß gegeben: S c h w ar z , Reform, S. 141. Nachweise von Mitgliedern der Familie Voß am Münsteraner Domkapitel bei V e d d e l e r , Domkapitel, S. 1681. Ob es sich bei den „vossischen Kreditoren“ um eine dieser Familien handelt, ist unklar. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 2, fol. 012r. Zur Aktenführung am Reichskammergericht D i c k , Entwicklung, S. 148-150; R an i e r i , Recht und Gesellschaft I, S. 77; O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 22 Anm. 3; S m e n d , Reichskammergericht, S. 327-329; zum Extrajudizialverfahren auch S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht, S. 157-168. Advokat und Prokurator am Reichskammergericht seit 1591, bei G r o h , Personal, S. 165; bei K l a s s , Standes- oder Leistungselite, wegen des späteren Untersuchungszeitraums nicht erwähnt.
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Hochwürdigsten Durchleuchtigsten und Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Ernsten Ertzbischoffen und Churfürsten zu Coln“ zu den Akten416. dd) Die Intervention des Kurfürsten von Köln Ernst von Bayern, der Erzbischof und Kurfürst von Köln, trat in den Reichskammergerichtsprozeß zwischen Sweder Bischopinck und Martin Jungermann ein. Er unterstützte Jungermanns Antrag auf Aufhebung des Mandats. Interventionen von Reichsständen in laufende kammergerichtliche Prozesse waren durchaus üblich, wenn es um die Wahrung ihrer Rechtsansprüche ging. Wie bereits oben kurz bemerkt, ist es ganz verwunderlich, weshalb sich an den einschlägigen Verfahren nicht auch die Regierung des Stifts Münster beteiligte. Eine mögliche Antwort liegt auf der Hand. Offenbar gab es einen klassischen Interessenkonflikt. Der Kurfürst von Köln, Ernst von Bayern, der seit 1583 über Kurköln herrschte, war in Personalunion seit 1585 zugleich Bischof von Münster417. Nach seinem Tod 1612 setzte sich die Personalunion bis 1650 unter seinem Nachfolger Ferdinand I. von Bayern fort418. Ferdinand beherrschte als Koadjutor ohnehin bereits seit 1595 de facto das Kurfürstentum Köln, da der angeblich schnell alternde und verbrauchte Kurfürst Ernst, zunächst „den Freuden der Tafel und der Jagd wie der Liebe hemmungslos frönend“, seine späteren Jahre gemeinsam mit seiner Mätresse etwas ruhiger auf Schloß Arnsberg verbrachte419. Die Bistümer Münster und Köln wurden somit über 65 Jahre von zwei Fürstbischöfen in Personalunion regiert und zusammengehalten. Was das für die Gerichtsverfassung von Münster bedeutete, war in den hier untersuchten Prozessen streitig, und genau mit dieser Frage beschäftigte sich der Schriftsatz des Kölner Kurfürsten vom März 1601. In dem gesamten artikulierten Libell erwähnte der Schriftsatzverfasser mit keinem Wort, daß Kurfürst Ernst zugleich auch Bischof von Münster war. Es ging vielmehr ausschließlich darum, die Interessen Kurkölns zu wahren. In der älteren Zeit hatte sich Fürstbischof Johann von Hoya noch entschieden für die gerichtliche Auto416 417
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LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Dorsalvermerk. E n n e n , Ernst, Herzog von Bayern, S. 250-257; Ko h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 601-611; B r a u b a c h , Ernst, Herzog von Bayern, S. 614-615; K l u e t i n g , Geschichte Westfalens, S. 132; d e r s . , Das kurkölnische Herzogtum, S. 468. F o e r s t e r , Kurfürst Ferdinand von Köln; E n n e n , Ferdinand, S. 691-697; Ko h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 612-622; S c h o r m a n n , Krieg, S. 28-34; R e i n h ar d , Geschichte der Staatsgewalt, S. 135. B r a u b a c h , Ernst, Herzog von Bayern, S. 615; zum Status des Koadjutors H o f m e i s t e r , Koadjutoren, S. 369-436; M e y e r , Bischofswahl, S. 128.
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nomie seines Territoriums eingesetzt. 1567 schrieb er an den Kurfürsten von Köln und bat darum, Appellationen vom Münsteraner Stadtgericht an das Kölner Offizialat in Zukunft nicht mehr anzunehmen420. Nicht einmal vier Jahrzehnte später spielten die Interessen Münsters dagegen keine Rolle mehr. aaa) Das Stift Münster als Suffraganat des Erzstifts Köln Die Interventionalartikel des Kurfürsten nahmen kein Blatt vor den Mund und steuerten den entscheidenden Punkt sofort an. Sie begannen gleich damit, die Zugehörigkeit Münsters zu Köln zu unterstreichen: „Sagt demnach erstlich wahr, notori und offenbar sein, daß ein Bischoff zu Münster und desselbigen Stiffts von 10. 20. 30. 40. 50. 60. 70. 80. 90. 100. 200. und mehr iharen citra et supra dan sich einigs menschen gedencken erstreckt, dem Ertzstifft Coln angehorig, und respectiue dessen Suffraganeus et Suffraganeatus gewesen und noch heutigs tags ist, und von menniglichen hohes und nidern standts, sonderlich im Rom[ischen] Reich solcher Zeit hero dauor gehalten worden und noch“421. Seit Menschengedenken sollte Münster also das Suffraganat von Köln sein. Bezogen auf die Kirchenorganisation entsprach das zweifellos der allgemeinen Meinung. Die Diözese Münster gehörte zum Erzbistum Köln, und der Bischof von Münster unterstand damit dem Bischof von Köln als seinem Metropoliten422. In den Formulierungen hielt der Schriftsatzverfasser die Reichweite seiner Aussage freilich in der Schwebe. Jedenfalls sprach er nicht vom Bistum und Erzbistum, sondern vom Stift. Mit Stift war im frühneuzeitlichen Sprachgebrauch aber regelmäßig das Hochstift im Sinne des weltlichen Fürstentums eines geistlichen Herrschers gemeint423. Ob die Zugehörigkeit Münsters zu Köln sich nur auf die geistliche oder auch auf die weltliche Sphäre bezog, blieb damit offen, sicherlich bewußt. Durch die Aufzählung langer Zeiträume war die Verbindung von Münster nach Köln gleichzeitig von der Person des Herrschers gelöst. Die Personalunion beider Bischofsstühle sollte also keinen Einfluß auf den Rechtsstatus von Münster haben. 420
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StadtA Münster Ratsarchiv, Niedergericht A V c Nr. 27 vom 6. August 1567: Es geht um einen Rekurs des Goswin von Raesfeld bei „E[euer] L[iebden] official dero hoffs zu Cölln, als frembden Richter“ in einer Erbsache; dazu S c h w a r z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 26-27. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Artikel 1, fol. 014 v. E r s c h / G r u b e r , Encyklopädie II/9, Stichwort Hohe Geistlichkeit, S. 343; Ko h l , Bistum Münster, S. 479. Speziell am Beispiel Münster Kl u e t i n g , Geschichte Westfalens, S. 68; allgemein M e r z b a c h e r , Hochstift, Sp. 178-179.
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Inwieweit das Verhältnis von Metropolit und Suffragan weltliche Auswirkungen entfaltete, zeigt der Fortgang des Schriftsatzes. Immer stärker vereinnahmte der Kölner Kurfürst darin Münster als Teil seines Erzstifts. Es hätten nämlich ebenfalls seit Menschengedenken die Bischöfe von Münster als abhängige Suffragane des Kölner Erzstifs dennoch „ein frei unverhindert exercitium iurisdictionis in allen so woll bürgerlichen, weltlichen und prophan, als geistlichen sachen indiscriminatim in erster instantz, durch sich selbsten, oder ihre darzu verordnete Officialen et loci Ordinarios, ruwiglich unnd unherhindert menniglichs gehabt, verübt, exercirt und gebraucht“424. Die Interventionsschrift sprach es nicht wörtlich aus, doch erweckte ihre Formulierung den Anschein, als sei die unverhinderte Ausübung der erstinstanzlichen Gerichtsbarkeit auch in weltlichen Sachen der Großzügigkeit des Kölner Erzbischofs zu verdanken. Die Gerichtsbarkeit in Münster, so sollte man den Schriftsatz offenbar verstehen, war damit nicht originär, sondern abgeleitet. Lediglich das exercitium gestand der Kurfürst dem Münsteraner Bischof zu. Das wichtige Signalwort iurisdictio, das die Landesherrschaft kennzeichnete, fehlte in dem Interventionsschreiben bezeichnenderweise. Deswegen konnte der Schriftsatzverfasser danach auch behaupten, „daß die appellationes von articulirten Officialen und loci Ordinarijs des Stiffts Münster, ie und allewege von 10. 20. 30. 40. 100. 200. und mehr iharen, uber alle menschen gedencken indifferenter in allen obbemelten so woll weltlichen als geistlichen sachen, ad sedem Metropoliticam das Ertzstift Coln, und dessen zur Zeit regierende Ertzbischoffen und Churfürsten, eorundemque Officiales et Ordinarios Metropoliticos, in zweiter instantz deuoluirt, und daselbst angenohmen, ventilirt und außuerübt“425. Die weltliche Gerichtsbarkeit des Kölner Offizialats als zweite Instanz in bürgerlichen Sachen aus Münster sollte demnach aus der Metropolitenstellung Kölns folgen426. Die geistlichen Hierarchien gaben nach dieser Auffassung den Maßstab für die weltliche Gerichtsverfassung. Wirklich stimmig konnte das nicht sein, aber der Schriftsatzverfasser hatte ein wichtiges Argument auf seiner Seite, auf das er auch genüßlich verwies. Es gab nämlich zweifellos die geschilderte Praxis. bbb) Observanz und Gewohnheit Im Laufe der Jahre waren angeblich viele tausend Zivilsachen von Münster an den Kölner Offizial gelangt, und noch zur Zeit des Rechtsstreits schweb424 425 426
LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Artikel 3, fol. 015r. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Artikel 4, fol. 015r. Hinweise zu normativen Quellen für die weltliche Zuständigkeit des Kölner Offizialats bei E i s e n h a r d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 9-10.
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ten dort angeblich mehrere hundert unentschiedene Fälle. Die Zahlen mögen übertrieben gewesen sein, entsprechen aber in ihrer Tendenz dem deutlichen Befund der Quellen. Die rechtliche Konsequenz war einfach. Es gab angeblich „eine stettige unuerbrochene observantia und inueterata consuetudo“, wonach man von Münster aus „in das Ertzstifft Coln uti Metropolim in allen weltlichen und geistlichen Sachen“ appellieren müsse. Und diese Gewohnheit müsse „pro lege“ angesehen werden und habe dieselbe Kraft wie ein Privileg427. Observanz und Gewohnheit waren typische Argumente in frühneuzeitlichen Rechtsstreitigkeiten. Während zahlreiche Rechtspositionen streitig waren, sollte der Hinweis auf die grünende Observanz, die viridis observantia, eine unstreitige tatsächliche Praxis anzeigen, die ihrerseits rechtserzeugende und rechtserhaltende Kraft hatte428. Erstarkt zur consuetudo, also zum Gewohnheitsrecht, wurde sie sogar zur Rechtsquelle. Nach zeitgenössischer Auffassung setzte dies immer lange Zeiträume ungestörter und unbestrittener Praxis voraus. Daran sieht man im Umkehrschluß, wie wichtig es war, abweichende Rechtsansichten jederzeit offen zu äußern und gegen jeden abweichenden Einzelfall deutlich auf eigenen Rechtspositionen zu beharren. Nur wenn es diesen Protest gab, waren die Entstehung von Observanz und Gewohnheitsrecht ausgeschlossen oder jedenfalls erschwert. Die kurkölnische Argumentation war in diesem Punkt schlüssig. Offenbar hatte die Regierung des Stifts Münster seit den Zeiten Johann von Hoyas gegen die Appellation an das Kölner Offizialat in Zivilsachen nichts unternommen und damit die brenzlige Situation mit heraufbeschworen. So konnten kurkölnische Interessenvertreter dem Stift Münster ohne weiteres die iurisdictio und damit die Reichsstandschaft absprechen, und dies lag nicht zuletzt an der Stiftsregierung. Sie hatte die eigenständige iurisdictio nicht jederzeit betont und beherzt eingefordert. ccc) Das iurisdictio-Problem Das Fürstbistum Münster empfing tatsächlich seine Regalien vom römischdeutschen Kaiser. Deshalb war es aus Kurkölner Sicht geboten, jedenfalls die iurisdictio des Reiches nicht zu bestreiten. Dementsprechend beeilte sich der Schriftsatzverfasser des Kurfürsten darauf hinzuweisen, wenn Zivilsachen im Appellationswege von Münster nach Köln gerieten, könnten sie dennoch keinesfalls „auß dem heiligen Reiche (...) ad Curiam Romanam“ gelan427 428
LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Artikel 9, 11, fol. 015v-016r. S i m o n , Geltung, S. 100-137; S t o l l b e r g -R i l i n g e r , Verfassungsgeschichte, S. 30-31; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 116-117.
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gen429. Denn nicht alle Sachen aus der Diözese und dem Metropolitensitz Köln müßten notwendig im Instanzenzug nach Rom gelangen. Vielmehr hätten die Parteien die Wahlfreiheit, wenn das Kölner Offizialat zweitinstanzlich tätig geworden war, ihre Appellationen „an gebuerende Oberrichter pro natura et qualitatibus causarum anzupringen und zu afterfolgen, wie noch“430. Nach der Natur der Sache, gemeint war ihr Charakter als weltliche oder geistliche Streitigkeiten, sollten die Parteien vom Kölner Offizial aus also den Appellationsweg an die je zuständigen Obergerichte beschreiten. Und in Zivilsachen durfte eben niemand an den Apostolischen Nuntius und weiter an die Rota Romana appellieren. Das freilich stand nicht ausdrücklich in diesem Schriftsatz. Sicherlich konnte man den Gedankengang genau so verstehen. Die gemischte Zuständigkeit des Offizialats endete dann spätestens in der dritten Instanz. Aber gerade dieser Hinweis, der eine verbindliche Festlegung des Landesherrn bedeutet hätte, fehlte. Harte und verläßliche Regeln vermißt man ebenso wie Rechtsnormen. Alles hing in der Luft. Der Verweis auf die bloßen Möglichkeiten der Parteien bot Kurköln den Vorteil, keinesfalls die eigenen Rechtspositionen preisgeben zu müssen. Vielmehr bemühte sich der Schriftsatzverfasser, durch ein argumentum ad absurdum die Praxis ganz für sich sprechen zu lassen. Wenn man nämlich die „Jurisdictio Metropolitica“ in weltlichen Sachen „ex defectu iurisdictionis“431 für null und nichtig ansehen würde, dann wären in der Konsequenz alle in Kurköln anhängigen Münsteraner Appellationen kraftlos und desert. Die Desertion konnte eintreten, wenn jemand zunächst ein Rechtsmittel einlegte, aber dann nicht weiter verfolgte432. Das führte im Ergebnis zur Rechtskraft des vorinstanzlichen Urteils. Denn die Zehntagesfrist zur Einlegung der Berufung war in diesem Fall unwiederbringlich abgelaufen. Der kurkölnische Schriftsatzverfasser versuchte den Eindruck zu erwecken, dies dürfe aus Gründen der Rechtsklarheit auf keinen Fall eintreten. In einem solchen Fall würden nämlich „nicht allein iurisdictiones confundirt (...) sondern in gantzem Ertzstifft und Churfürstenthumb Coln und desselben Suffraganeatibus mehr dan Babilonicae confusiones verursacht werden“433. Hier drehte der Verfasser den Vorwurf, den zuvor der Münsteraner Erbmann Sweder Bischopinck wie so viele andere erhoben hatte, kurzerhand um. Nicht die Vermischung weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit 429 430 431 432 433
LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Artikel 13, fol. 016r. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Artikel 14-15, fol. 016r. Zum Konzept der Gerichtsgewalt ex defectu iurisdictionis H e l m h o l z , Spirit of Classical Canon Law, S. 119-120, 132-134, 139 (zu Deutschland). O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 216; D i c k , Entwicklung, S. 201; O e s t m an n , Rekonstruktion, S. 43; im kanonischen Prozeß M ay , Metropolitangericht, S. 548. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Artikel 16, fol. 016r-016v.
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und die Verdoppelung der Instanzenzüge sollte zur Rechtsunsicherheit führen, sondern gerade die Änderung der eingeübten Praxis. Die zahlreichen beim Metropoliten, also wohl vor dem Kölner Offizial anhängigen Zivilsachen könnten nicht einfach unwirksam sein. Die Jurisdiktion im Erzstift und Kurfürstentum sowie in seinen Suffraganaten würde stärker verwirrt werden als im Alten Testament die Sprachen der Völker durch den gescheiterten Turmbau von Babylon434. Das klang wortgewaltig, verdeckte aber zugleich, wie geschickt der Schriftsatzverfasser seinerseits in den Prämissen ebendieser Aussage Verwirrung erzeugte. Denn die sprachliche und sachliche Unterscheidung zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft hob er kurzerhand auf. Erzstift sowie Kurfürstentum waren Begriffe, die man üblicherweise mit weltlicher Herrschaft gleichsetzte. Der Kurfürst hatte eine verfassungsrechtliche Stellung innerhalb des Alten Reiches und gehörte zu den angesehensten Reichsständen, und ein Erzstift war das weltliche Territorium eines besonders herausgehobenen geistlichen Würdenträgers. Aber wie selbstverständlich und ohne jegliche Erläuterung ersann der Kurkölner Interessenvertreter in diesem Schriftsatz die gerichtliche Einheit von Kurfürstentum und Suffraganaten und verteidigte sie zugleich als altes Herkommen. Die iurisdictio des weltlichen Territoriums sollte damit ohne weiteres die in der kirchlichen Hierarchie untergeordneten Gebiete mit umfassen. Das war eine eigenwillige iurisdictio-Lehre. Der Kaiser als Regaliengeber war überflüssig und tauchte auch gar nicht mehr auf. Allein durch Observanz und Herkommen entstand auf diese Weise die Gerichtsgewalt und in der Folge Landesherrschaft. Unausgesprochen war ebenfalls der Anspruch des Metropoliten, über sämtliche ihm untergeordnete Suffraganate auch die weltliche Herrschaft auszuüben. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, für alle mit Kurköln in Personalunion verbundenen Territorien die Unterordnung unter die Kölner Offizialatsgerichtsbarkeit in weltlichen Zivilsachen zu überprüfen. Eine von Armin Tille um 1900 im Bonner Stadtarchiv entdeckte Denkschrift aus dem 17. Jahrhundert bestätigt aus zeitgenössischer Sicht jedoch den Befund für das Herzogtum Westfalen und das Vest Recklinghausen. Auch von diesen Nebenländern sollte die zivilrechtliche Appellation an das Kölner Offizialat oder jedenfalls an kölnische Gerichtsbehörden gehen 435. Typisch für die frühneuzeitliche rechtliche Auseinandersetzung waren derartige provozierende und das Verfassungsverständnis des Alten Reiches sprengende Auffassungen nicht ausdrücklich niedergelegt. Die von Tille 434 435
Anspielung auf 1. Mose 11, 1-9. T i l l e , Instanzenzug, S. 225, Denkschrift §§ 4-5; E i s e n h ar d t , Zivilgerichtsbarkeit, S. 406 Anm. 2, datiert Tilles Quelle ins 18. Jahrhundert; zur Appellation von Werl nach Köln auch M ü l l e r , Territorialarchiv, S. XXVII.
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entdeckte Skizze zur Gerichtsverfassung ist eine Privatarbeit und kein Gesetz436. Auch die hier betrachtete Argumentation des Kurfürsten war nur dann schlüssig, wenn man genau die nicht gesetzlich geregelten Konsequenzen stillschweigend hinzufügte. Den damit verbundenen Angriff auf die Bedeutung des Lehenswesens und die Reichsstandschaft kleinerer geistlicher Herrschaften mußte jeder Leser selbst ergänzen. Der Verfasser selbst verbarg sich lieber hinter dem geschlossenen Visier rechtlich unscharfer Andeutungen. Möglicherweise wollte der Schriftsatzverfasser sogar den Eindruck erwecken, geistliche und weltliche Herrschaft in geistlichen Territorien seien identisch. Wie die Hinweise auf Appellationen in weltlichen Sachen klarstellten, ließen sich kirchliche und profane Rechtsangelegenheiten sprachlich sehr wohl unterscheiden. Auswirkungen auf die als einheitlich gedachte Gerichtsverfassung hatte genau dies aber nicht. Überspitzt könnte man aus heutiger Rückschau sagen, die kurkölnische Rechtsauffassung sei hinter die Bemühungen des Wormser Konkordats zurückgefallen, weltliche und geistliche Herrschaft zu unterscheiden. Und diese kölnische Rolle rückwärts geschah vorsätzlich und in einer Zeit, als der Investiturstreit schon fünfhundert Jahre zurücklag. Politisch bot das dem Kurfürsten den Vorteil, seinen weltlichen Herrschaftsbereich auszudehnen und seine zahlreichen Personalunionen zu einem einheitlichen Ländergebilde zusammenzufügen. Durch die Stärkung der geistlichen Gerichtsbarkeit versuchte der Kurfürst also offenbar, seine weltliche Herrschaft zu festigen und die von ihm ebenfalls beherrschten Bistümer als Nebengebiete enger an den Kölner Krummstab zu binden. Max Braubach beobachtete diesen Trend ebenfalls. Doch sehr zurückhaltend meinte er, Kurfürst Ernst von Köln scheine „übrigens zeitweise geplant zu haben“, die von ihm regierten niederrheinischwestfälischen und kurrheinischen Territorien in „engere föderative Verbindung“ zu bringen437. Angesichts der klaren Quellenbefunde ist das noch eine deutliche Untertreibung. Der Kurfürst drückte vielmehr Münster zu einem seiner untergeordneten Nebenländer herab und erkannte die Reichsstandschaft seines eigenen Bistums im Gerichtswesen nicht an. Ob und inwieweit eine solche Argumentation verallgemeinerbare Aussagen über das Verhältnis von Reichsstandschaft und kirchlicher Organisation traf, ist unklar. Immerhin vermied der kurkölnische Schriftsatzverfasser jeden Hinweis, wonach das Bistum Münster ein selbständiges Territorium des Heiligen Römischen Reichs sein könnte.
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T i l l e , Instanzenzug, S. 222. B r a u b a c h , Ernst, Herzog von Bayern, S. 615.
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Aus moderner Rückschau paßt diese Argumentation nicht zu der gängigen Sichtweise, Münster sei ein eigenes Fürstbistum gewesen. Jedenfalls für die Zeitgenossen scheint die Kurkölner Rechtsauffassung weit weniger absurd gewesen zu sein, als sie heute erscheinen mag. War doch das kurkölnische Interventionalschreiben an die Mitglieder des Reichskammergerichts adressiert, und der Schriftsatzverfasser vereinnahmte die gelehrten Reichsrichter kurzerhand für seine Sichtweise. Es sei nämlich den Assessoren und der Kanzlei des Speyerer Reichsgerichts „notorium“, wie zahlreich die Appellationen vom Münsteraner Offizial zunächst an den Kölner Offizial und erst von dort aus an das Reichskammergericht in gewöhnlicher Devolution erwüchsen. Trotz dieser vielen Gelegenheiten habe das Reichskammergericht noch niemals die Jurisdiktion des Kölner Offizials „in prophanis“ verneint438. Nach der zeitgenössischen Notorietätslehre brauchte man allgemein- oder gerichtskundige Tatsachen eigentlich nicht zu beweisen439, aber das kölnische Interventionalschreiben erreichte gerade an dieser Stelle seine größte Präzision. Der Schriftsatzverfasser kannte die einschlägigen Kammergerichtsprozesse sehr gut und verwies auf den „inhalt und[er]schiedlicher Mandaten (...) und mehr andern so vor und nach ertheilt“440. Vier Präjudizien aus den zurückliegenden sechs Jahren konnte der Kurkölner Interessenvertreter für seine Auffassung aufbieten. An erster Stelle verwies er auf den bereits erwähnten Rechtsstreit zwischen Melchior Komnis und Johann Schulte zum Sudhoff von 1595441. Aber auch die Prozesse Krümmel gegen Metternich von 1599442, Kerckerinck gegen Droste, ebenfalls von 1599443, sowie Erbmarschall Morrien gegen Plathe von 1600444 fanden Eingang in den Schriftsatz. Der kurkölnische Schriftsatzverfasser zitierte damit mehrere Mandate, in denen das Reichskammergericht die Appellation vom Münsteraner an den Kölner Offizial in Zivilsachen unkommentiert hingenommen hatte. In der am selben Tag in Speyer zu den Akten gereichten Exzeptionsschrift des Beklagten Martin Jungermann hatte dessen Prokurator drei weitere Supplikationen zitiert, in denen das Kammergericht es abgeschlagen hatte, gegen die Anrufung des Kölner Offizials Mandate zu erlassen445. Zur Bestärkung verwies der kurfürstliche Schrift438 439 440 441 442 443 444 445
LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Artikel 18-19, fol. 016v-017r. O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 36-37. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Artikel 19, fol. 017r. LA Münster RKG K 838. Die Akte ist im Landesarchiv Münster nicht erhalten. LA Münster RKG Anhang D 11; ein weiterer einschlägiger Prozeß zwischen Angehörigen beider Familien fand erst deutlich später statt: LA Münster RKG K 295 (von 1738). LA Münster RKG M 1432; späterer Prozeß desselben Klägers: RKG M 1434. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 2, fol. 011v.
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satzverfasser noch auf die münsterische Reformation sowie Landes- und Gerichtsordnung, aus der sich die unvordenkliche „possession vel quasi“ ergebe446. Doch bildeten die normativen Quellen mitnichten den Kern der Gedankenführung. ee) Bischopincks Replik auf die kurfürstliche Intervention Nur vier Monate später reichte Sweder Bischopinck seine Replikschrift zu den Akten. Er behauptete darin das genaue Gegenteil dessen, was der Kurfürst vorgetragen hatte, und griff damit zugleich seinen Landesherrn direkt an. Bischopincks Schriftsatzverfasser war durchaus zu gewissen Zugeständnissen bereit. „De facto“ werde vom Münsteraner Offizial an den Kölner Offizial vielfältig appelliert und auf diese Weise „ins gemein die gäistliche mit den weltlichen [Gerichten] confundirt“, das räumte er ein. Aber diejenigen Münsteraner Parteien, die in weltlichen Sachen gegen die Anrufung des Kölner Offizials an das Reichskammergericht suppliziert hätten, seien erfolgreich gewesen. Kassationsmandate und Inhibitionen aus Speyer gebe es in großer Zahl. Davon könne man „viel Exempel“ vortragen, wenn die Sache selbst „am Hochlöblichen Cammergericht nit offenkündig were“447. Vor allem hätten die beklagten Prozeßgegner und geistlichen Gerichte die ausgegangenen Mandate befolgt, also die Partion erklärt. Wegen der angeblichen Offenkundigkeit führte Bischopincks Prokurator keine weiteren Beispiele an. Vielleicht gab es ja gar keine. Die streitenden Parteien nahmen die Rechtsprechung des Reichskammergerichts also vollkommen unterschiedlich wahr und vereinnahmten sie für die je eigenen Rechtsansichten. Mehrfach kommentierten sie die höchstrichterliche Judikatur sogar mit dem Hinweis, die eigene Tatsachenund Rechtsbehauptung sei offenkundig und notorisch. Diese Argumentation war vor allem deswegen möglich, weil die streitigen Entscheidungen lediglich Mandatssachen waren, in denen formal einstweilige Anordnungen ohne vorherige Anhörung der Gegenpartei ergingen. Je nachdem, wie die Parteien den Sachverhalt und teilweise auch die Rechtslage schilderten, war es also unschwer denkbar und gängige Praxis, einander scheinbar widersprechende Mandatsbefehle zu erhalten. Wegen eines Überlieferungsproblems ist es nur bedingt möglich, diesen Streit der Parteien zu klären. Gerade in den beiden eindeutigsten Fällen 446 447
LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Artikel 20, fol. 017r; zur quasi-possessio W e s e n e r , Dogmengeschichte, S. 467-469. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 8, fol. 029v-030r.
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haben sich nämlich die Quellen nicht erhalten. Wenn das Kammergericht Mandate abschlug, gab es gar keine nachfolgende Audienz, und die Supplikation versandete extrajudizial, ohne daß überhaupt jemand eine Akte anlegte448. Wenn andererseits ein Mandat sofortigen Erfolg hatte und der Gegner ohne weitere Proteste parierte, gab es für den Kläger keinen Anlaß, den Reproduktionstermin wahrzunehmen. Deswegen sind auch in diesen Verfahren regelmäßig keine Akten erhalten449. Gerade für die eindeutigen Fälle fehlt es deshalb an Quellen. Wichtiger als die Zahl der jeweils vorhandenen Mandate und abgeschlagenen Supplikationen sind die Argumente, die der Prokurator Sweder Bischopincks gegen die Intervention des Kölner Kurfürsten vorbrachte. Bevor es um die Einzelheiten geht, ist stets die Einbettung des Streits mit zu bedenken. Im Ergebnis lehnte sich hier nicht nur ein landsässiger Edelmann gegen seinen eigenen Landesherrn und Bischof auf, der als Kurfürst zugleich einer der mächtigsten Herrscher im Alten Reich war. Noch weitergehend kritisierte der Kläger seinen Fürstbischof nicht nur, sondern warf ihm mit deutlichen Worten die Verletzung der Reichs- und Gerichtsverfassung vor, und dies im Kernbereich aller Herrschaftsrechte, der Gerichtsgewalt. Damit gibt es eine Verbindungslinie solcher bisher unbekannten Auseinandersetzungen um die Gerichtsbarkeit zu den bereits seit einigen Jahren diskutierten Untertanenprozessen450 und zu den Konflikten um verweigerte und verzögerte Justiz451. Anders als bei gewöhnlichen Untertanenprozessen stritten die Kläger hier aber nicht um ihr eigenes Recht, sondern machten sich gleichsam zum Sprachrohr und Interessenvertreter ihres gesamten Territoriums. Denn ob sich die Siegesaussichten des jeweiligen Klägers bei einem noch rechtshängigen Appellationsprozeß änderten, wenn man an ein geistliches Obergericht oder an ein weltliches Appellationsgericht oder Reichsgericht das Rechtsmittel richtete, war überhaupt nicht vorauszusehen. Deswegen war in diesen Fällen von Seiten der kammergerichtlichen Supplikanten kaum Prozeßtaktik im Spiel. Es ging in nur wenig von Eigeninteressen überdeckter Weise um das Prinzip. Angefügt sei eine vielleicht nicht zufällige Beobachtung. Auch an anderen hier ausgewerteten Streitigkeiten waren Angehörige von Erbmännerfa448 449 450
451
D i c k , Entwicklung, S. 148-150; R an i e r i , Recht und Gesellschaft I, S. 77. Das wird in der Literatur selten klar gesagt, eher Andeutungen bei D i c k , Entwicklung, S. 94; P r a n g e , Reichskammergericht, S. 55; D i e s t e l k am p , Von der Arbeit, S. 304. S c h u l z e , Bäuerlicher Widerstand, S. 76-85; T r o ß b a c h , Reichsgerichte, S. 129-142; d e r s . , Gar herrlichen, S. 63-91; G a b e l , Daß ihr künftig, S. 273-280; M au r e r , Lahrer Prozeß; S a i l e r , Untertanenprozesse; D i e s t e l k am p , Rechtsfälle, S. 111-116, 126-143; für die Spätzeit des Reiches H ä r t e r , Soziale Unruhen, S. 43-104. O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 90-137; P e r e l s , Justizverweigerung, S. 1-46.
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milien beteiligt452. Auf einen in diesem Zusammenhang vielleicht erheblichen Gesichtspunkt hat die neuere Kirchengeschichte aufmerksam gemacht. Im Fürstbistum Münster gab es in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Streit zwischen dem landsässigen Adel und dem Bischof um die Jurisdiktionsgewalt des Sendgerichts. Die Adligen sahen sich in ihrer Herrschaft über das dörfliche Niederkirchenwesen bedroht und wandten sich gegen das wiederbelebte Sendgericht453. Das Bestreben, geistliche Patrimonialgerichtsbarkeit zu erhalten, mag sogar ein Ansporn gewesen sein, das protestantische Bekenntnis anzunehmen454. Ob eine Verbindungslinie zum Widerstand gegen das kölnische Offizialat führt, ist ungewiß. In den hier untersuchten Quellen nahmen die Appellanten bzw. Mandatskläger die Münsteraner Offizialstätigkeit in geistlichen Streitsachen ja widerspruchslos hin. Wie es scheint, war der Bedeutungsunterschied zwischen dem dörflichen Send und dem bischöflichen Offizialat also bekannt. Die Landadligen schieden beide Angelegenheiten klar voneinander und vermengten sie auch in ihren gerichtlichen Schriftsätzen nicht. Der Stiftsadel verfocht nicht durchgehend die Unabhängigkeit der Münsteraner Gerichtsverfassung von Kurköln. Eine dahingehende Verallgemeinerung wäre nicht gerechtfertigt. So hielt es der Münsteraner Erbmarschall Gerhard von Morrien zu Nordkirchen für selbstverständlich, wenn weltliche Appellationsurteile „von gedachtem Colnischen Officialen tanquam ordinario superiori ab Officiali Monasteriensi in causa ciuili gefellet unnd außgesprochen“ wurden455. Die Nähe Gerhard von Morriens zum Protestantismus456 hielt ihn offenkundig nicht davon ab, die Kölner Oberhoheit in weltlichen Rechtssachen anzuerkennen. Für diejenigen freilich, die sich große Mühe gaben, die Gerichtsautonomie Münsters zu verteidigen, kamen eigene Vorteile lediglich mittelbar ins Spiel. Wenn nämlich durch den für unzulässig gebrandmarkten Rechtsweg zugleich Appellationsfristen verletzt waren und somit die Desertion des gegnerischen Rechtsmittels feststand, hatten sie ihren erstinstanzlichen Rechtsstreit unumstößlich gewonnen. Das spielte in den Schriftsätzen aber eine völlig untergeordnete Rolle. So breitete der Schriftsatzverfasser 452 453
454
455 456
Kerckerinck: LA Münster RKG Anhang D 11 und RKG K 295; Auflistung der Erbmännerfamilien bei v o n O e r , Erbmänner, 280-286. H o l z e m , Religion, S. 77-85; G i l l n e r , Autonomie, S. 109; d e r s . , Freie Herren, S. 103; d e r s . , Wölfe, S. 61; allgemein zum Gegensatz von Patrimonialgerichtsbarkeit und Offizialat E i s e n h a r d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 10; zum Münsteraner Streit auch E b e r s , Archidiakonal-Streitigkeiten, S. 364-412. G i l l n e r , Autonomie, S. 109; zum protestantischen Bekenntnis des Adels Ko h l , Christoph Bernhard von Galen, S. 28-29; L ü d i c k e , Die landesherrlichen Zentralbehörden, S. 4. LA Münster RKG M 1432, Aktenstück Q 2, fol. 03r. G i l l n e r , Freie Herren, S. 103, 334, 352.
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des Sweder Bischopinck in seiner Replikschrift vom Juli 1601 die Verfassungslage des Münsterlandes und nicht die Fristversäumnisse seines Gegenparts aus. aaa) Die Regalienbelehnung als Grundlage territorialer Gerichtsbarkeit Der rechtsgelehrte Anwalt Sweder Bischopincks bestritt die zweitinstanzliche Zuständigkeit des Kölner Offizialats in Münsteraner Zivilsachen. Drehund Angelpunkt war der enge Zusammenhang zwischen Regalien, Lehenswesen und territorialer Gerichtsgewalt. Es sei nämlich wahr, betonte er in seinem Schriftsatz, „das ein zeitlicher Bischoff oder Fürst des Stiffts Münster, als der In secularibus seine Regalien und Hocheit nur von Röm[ischer] Kay[serlicher] May[estät] hatt, ein ohngezweifelter Fürst des Heiligen Reiches, und also demselben Immediate underworffen sey und derowegen die Appellationes von den am officialischen Münsterischen Gerichte außgesprochenen Urtheln in Ciuilibus allein ad Cameram Imperialem und anders nirgendt hingehören“457. Ganz anders als der Kurfürst von Köln trennte Sweder Bischopinck hier sprachlich und sachlich klar geistliche und weltliche Gewalt. Der Bischof von Münster erschien als „zeitlicher“, also weltlicher Herrscher mit dem Titel Fürst und mit der Gebietsbezeichnung Stift. Seine weltliche Herrschaft und Hoheit waren „nur“, also ausschließlich vom Kaiser abgeleitet. Der Kölner Erzbischof tauchte in diesem Zusammenhang gar nicht auf. Entscheidend ist das kleine Wort „derowegen“. Gerade weil der Münsteraner Bischof seine Landesherrschaft durch die Regalienbelehnung unmittelbar vom Reich erhalten hatte, konnten nach dieser Ansicht Appellationen nur an das Reichskammergericht und nicht anderswohin gelangen. Eine Wahlfreiheit der Parteien in einem doppelspurigen Rechtsweg war auf diese Weise ausgeschlossen. Münster war deswegen in weltlicher Hinsicht von Kurköln völlig unabhängig. Der Schriftsatzverfasser Bischopincks begründete diese Auffassung „testante Gailio per plurema ibidem allegata lib: 1. obser:30“458. Das war freilich ein problematischer Hinweis. Im berühmten Observationenwerk Andreas Gails ging es an der zitierten Stelle nämlich um das Rechtsproblem, ob ein Domkapitel dem Reichskammergericht unmittelbar unterworfen sei, ein Frage, die Gail im übrigen verneinte. Lediglich in der Einleitung meinte er in seinem ersten Halbsatz, „etsi Ecclesiastici Principes Germaniae immediatè Imperio subjecti sint, idque ratione regalium, privilegiorum, & beneficiorum sive bonorum feudalium, quae ab Imperatore & Imperio habent, & recognoscunt: & proinde ab eorum 457 458
LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 8, fol. 025v. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 8, fol. 025v.
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sententiis in causis civilibus, non ad Pontificem, sed Imperatorem, vel Cameram Imperialem appelletur“459. Gail zitierte im folgenden zwar einige kammergerichtliche Präjudizien, allerdings aus Braurheim, Burscheidt, Aachen, Nassau, Saarbrücken, Magdeburg und Mansfeld, nicht jedoch aus Münster460. Für Sweder Bischopinck war die zitierte Observation nur mit einem Kniff nützlich. Sein Schriftsatzverfasser mußte den Einleitungssatz dahingehend verallgemeinern, daß geistliche Landesherren immer unmittelbar der Reichsgerichtsbarkeit und nie der bischöflich-päpstlichen Jurisdiktion unterstellt waren. Genau das scheint er im Sinn gehabt zu haben, denn neben Gail zitierte der Schriftsatz die Reichskammergerichtsordnung von 1555 mit dem Hinweis auf Teil 2 Titel 28. Das war wiederum äußerst vage und allgemein. Der genannte Titel umfaßt sechs Paragraphen mit zusammen drei Druckseiten und unterschiedlichsten Regelungen, darunter zu Nichtigkeitsklagen in Strafsachen461, zu frevelhaften Appellationen462, zu Rechtsmitteln gegen Interlokute463 und dergleichen mehr. Von geistlichen Territorien oder Gerichten sprach der ganze Titel nicht. Von denjenigen Untergerichten allerdings, die dem Reichskammergericht unmittelbar unterworfen waren, solle „an das keyserlich cammergericht zu appelliren zugelassen sein“464. Das sagte die Gerichtsordnung ausdrücklich. Erneut war es Aufgabe des Lesers, sich seinen Teil dazu zu denken. Ob und inwieweit die Appellation an geistliche Gerichte verboten war, erläuterte die Kammergerichtsordnung nicht ausdrücklich. Genau diesen Eindruck legte Bischopincks Prokurator mit seiner Argumentation aber unterschwellig nahe. Das zeigt zumindest der Fortgang der Replikschrift. Denn wenn jemand „anders wohin“ appelliere, dann müsse das Gericht solche Appellationen als unzulässig an die erste Instanz zurückverweisen. Wenn aber ein unzuständiger Richter dennoch tätig werden wolle, dann sei es am Kammergericht, auf Supplikation des Appellaten Kassationsmandate und Inhibitionen zu erlassen „vermög deß Heiligen Reichs Constitution unnd Cammergerichts Ordnung“465. Es ging um nichts weniger als um die Wahrung der Reichsverfassung. Das stellte der Schriftsatzverfasser durch seinen kurzen Hinweis klar. Die 459 460 461 462 463 464 465
G a i l , Observationen, lib. 1 obs. 30 n. 1, S. 56. G a i l , Observationen, lib. 1 obs. 30 n. 9, 13, S. 57. Es ist teilweise unklar, ob es sich um Partei- oder um Ortsbezeichnungen handelt. RKGO 1555 2, 28, 5, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 206; dazu S z i d z e k , Verbot der Appellation, S. 29. RKGO 1555 2, 28, 3, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 205. RKGO 1555 2, 28, 6, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 207; zur mittelalterlichen gelehrten Diskussion S c h l i n k e r , Die prozessuale Funktion, S. 174-183. RKGO 1555 2, 28, 1, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 204. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 8, fol. 026r.
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Argumentation des Kölner Kurfürsten relativierte die Replikschrift durch den Hinweis, die kurfürstliche Intervention beziehe sich nur „ad spiritualia oder Ecclesiastica, aber mit nichten, quo ad secularia gestanden, daß nemlich ein Ertzbischoff zu Cölln als Metropoliticus Episc[o]pali Monasteriensis auch desselben uberhaupt in secularibus sein soll“466. Das traf genau den Nagel auf den Kopf. Weltliche und geistliche Herrschaft waren nach dieser Auffassung völlig unabhängig voneinander. Die Stellung als Metropolit betraf den Erzbischof von Köln in seiner Funktion als übergeordnetes geistliches Haupt des Bischofs von Münster. Weder die Bezeichnungen Fürst, Kurfürst oder Stift tauchten an dieser Stelle auf. Im Gegensatz zu der bewußt diffusen Sprachverschleierung des Kölner Kurfürsten bzw. seines Schriftsatzverfassers war Bischopincks Anwalt um größtmögliche sprachliche Exaktheit bemüht. Die Ausdifferenzierung einer rein weltlichen und rein kirchlichen Gerichtsgewalt war ohne entsprechende Begrifflichkeit kaum möglich, könnte man verallgemeinernd hinzufügen. Es blieb freilich ein Problem. Das Offizialat war und blieb ein reguläres erstinstanzliches Zivilgericht. Das ließ sich nicht wegdiskutieren, und deswegen lag die Vermischung der Gerichtssphären nicht nur in der Terminologie, sondern vor allem auch im Münsteraner Herkommen begründet. bbb) Gegen böse Appellationsgewohnheiten Für Sweder Bischopinck und seinen Schriftsatzverfasser bot sich die Gelegenheit, mit der zeitgenössischen consuetudo-Lehre gegen die Jurisdiktionsgewalt des Kölner Offizialats vorzugehen. Ihr Schriftsatz verwies erneut auf die Kammergerichtsordnung. Sie besagte: „Doch söllen daneben alle und jede geystliche und weltliche obrigkeyten eyn gebürlichs einsehens thun und verschaffen, daß die mißbreuch und unordnung der geystlichen und weltlichen gerichten abgestelt, an denselbigen vermög gemeyner rechten ordenlich und formlich gehandelt und procedirt werde und je eyns das ander bey seinem proceß und lauf bleiben lassen, allerhandt unrath, widerwill, unwesen, auch nichtigkeyten deß proceß, so darauß erwachsen, damit zufür[zu]kommen“467. Die Kammergerichtsordnung verlangte aus Sicht des Supplikanten mit dieser Vorschrift die vollständige Trennung weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit. Wenn das irgendwo nicht der Fall sei, habe man es dort mit „consuetudines non (...) rationabiles“ zu tun468. Damit versuchte der Schriftsatzverfasser, den kurkölnischen Hinweis auf Observanz und Gewohnheit zu 466 467 468
LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 8, fol. 026v. RKGO 1555 2, 1, 1, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 167, zitiert in LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 8, fol. 028v. LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 8, fol. 028v.
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Fall zu bringen. Denn nach der gelehrten consuetudo-Doktrin konnten nur vernünftige, wohlhergebrachte Gewohnheiten rechtliche Bindungswirkung entfalten469. Der Verstoß der kurkölnischen Praxis gegen die Vorgaben der Kammergerichtsordnung verhinderte damit die Entstehung von Gewohnheitsrecht. Selbst eine langdauernde Übung mit zahlreichen Beispielen konnte nach dieser Auffassung niemals rechtlich beachtlich sein. ccc) Zur gemischten Zuständigkeit des Münsteraner Offizials Eine gewisse Inkonsequenz verblieb freilich auch in der Argumentation Sweder Bischopincks. Wenn nämlich die Gerichtsbarkeiten so strikt getrennt waren, wie die Reichskammergerichtsordnung es angeblich anordnete, dann war unklar, warum dies zwar für das kölnische Offizialat Konsequenzen haben sollte, nicht aber für das geistliche Hofgericht in Münster. Die Selbstverständlichkeit, mit der auch Bischopinck die Zuständigkeit des Münsteraner Offizialats in weltlichen Zivilsachen anerkannte, paßte schlecht zu seiner ansonsten sehr prinzipiellen Argumentation. Bischopinck begründete die Zwitterstellung des Münsteraner Offizials mit der doppelten Herrscherwürde des Landesherrn. Der Bischof von Münster sei nämlich zum einen als Geistlicher seinem Metropoliten untergeben und habe zugleich als weltlicher Herrscher seine Regalien vom Kaiser empfangen470. Daraus sollte sich von Münster aus ein gedoppelter Appellationsweg ergeben, nämlich in geistlichen Angelegenheiten nach Köln und in weltlichen an die Reichsgerichte, „cum appellatio ad eum deuoluetur qui superior est eius instantiae vel judicii“471. Der Schriftsatzverfasser hatte hierfür einige gemeinrechtliche Autoritäten am Schnürchen, nämlich den berühmten Jason de Mayno (1435-1519)472, aber auch die weniger bekannten Dezisionen von Franciscus Marcus aus Grenoble von 1561473, die piemontesischen Dezisionen von Ottavio
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B r i e , Gewohnheitsrecht, S. 69, 76, 114, 152; d e r s . , Stellung, S. 129-164; T r u s e n , Römisches und partikuläres Recht, S. 116-117 (756*-757*). LA Münster RKG B 1280, Aktenstück Q 13, fol. 040r. LA Münster RKG B 1280, Aktenstück Q 13, fol. 040v. J a s o n d e M a y n o zu D. 2, 1, 3 („l. Imperium nu. 29 ff de Jurisdictione Judicum“): „Causae appellationum sunt mixti imperii medij“, fol. 60r, 63r-63v; zu Jason de Mayno S av i g n y , Geschichte des Römischen Rechts VI, S. 397-418 L an g e / K r i e c h b au m , Römisches Recht II, S. 881-892, ebd. S. 887-888 zu seiner Kommentierung. M a r c u s , Decisiones aureae, „nu. 24“, offensichtlich gemeint: fol. 24v, quaestio 73 n. 2: „Et regulariter appellatur à delegato ad delegantem“; knapper Nachweis des Buches bei Z e d l e r , Universal-Lexicon 19, Sp. 1303.
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Cacherano D’Osasco von 1569474 sowie die Konsilien von Jacobus Mandellus von 1597475. Die gemischte Zuständigkeit für geistliche und weltliche Angelegenheiten konnte es nach diesem Großaufgebot nur für die jeweils erste gerichtliche Instanz geben. Solche grundsätzlichen Lehren der Gerichtsverfassung entsprossen dem gemeinen Recht, hingen von den Besonderheiten des Fürstbistums Münster also überhaupt nicht ab. Das stellte der Schriftsatzverfasser allein durch seine europäisch ausgreifenden Literaturhinweise klar. Bei den Rechtsmittelgerichten mußte es dementsprechend zwingend zu einer Zuständigkeitsdifferenzierung kommen, und genau diese Auffächerung kam der klägerischen Argumentation zugute. Unabhängig davon, ob es ein weltliches Hofgericht in Münster gab, war ein geistliches Hofgericht mit allumfassender Zuständigkeit auf jeden Fall eine ordnungsgemäße erste Instanz. Der fernere Instanzenzug dagegen mußte notwendig gespalten sein. Auf die quasi-possessio des münsterischen Appellationsrechts konnte sich der Erzbischof von Köln als Metropolit demnach in weltlichen Angelegenheiten nicht berufen476. Wie bereits erwähnt, ließ es das Reichskammergericht in einem erst 1617, also 16 Jahre nach dem skizzierten Schriftsatzwechsel, ergangenen Urteil bei den Exzeptionen des Kölner Kurfürsten bewenden, hob aber gleichzeitig das zugunsten von Bischopinck ergangene Mandat nicht auf477. Ein zweiter Prozeß zwischen denselben Parteien bezog sich auf denselben Streitgegenstand. Während der zuvor geschilderte Rechtsstreit mit einem kammergerichtlichen Mandat im Januar 1601 begann, datiert ein zweites Mandat vom 17. Juli 1601478. Es ging erneut um die von Bischopinck bekämpfte Appellation Jungermanns an das Kölner Offizialat. Die Schriftsätze der Parteien waren nahezu identisch, auch der Kurfürst von Köln erklärte wieder seine Intervention479. Die Rechtslage blieb somit auch über diesen Streit hinaus in der Schwebe, und so verwundert es nicht, wenn auch in der Folgezeit nahe-
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C a c h e r a n o D ’ O s a s c o , Decisiones, decis. 101 n. 9, Leitsatz fol. 121v: „Princeps reseruando in inuestituris suorum vasallorum ius superioritatis, & resorti, videtur sibi reseruasse saltem secundas appellationes, tam in ciuilibus, quam in criminalibus“. M a n d e l l u s , Consilia, lib. 1 cons. 64 nu. 8, fol. 57v: Beispiel von 1312, „in quo continentur appellationis istorum hominum ad Archiepiscopum Mediolanensem, quae res arguit, quod iurisdictio istorum locorum erat ecclesiae, non autem alicuius Principis saecularis (...) ac debent semper appellationes dirigi ad illum, qui est superior in iurisdictione“; zu Mandellus T a i s an d , Les vies des jurisconsultes, S. 348-349, dort Jacques Mandel genannt. LA Münster RKG B 1280, Aktenstück Q 13, fol. 040v, 042r-042v. LA Münster RKG B 1286, Protokollbuch, Expeditum vom 7. Juli 1617, fol. 004r. LA Münster RKG B 1280, Aktenstück Q 1. LA Münster RKG B 1280, Aktenstück Q 8.
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zu identische Streitstände in kammergerichtlichen Mandatsprozessen immer wieder verhandelt wurden.
c) Der Senatsbeschluß des Reichskammergerichts von 1603 1603 erging eine Grundsatzentscheidung des Reichskammergerichts zu den gerichtsverfassungsrechtlichen Fragen der bis dahin angefallenen Münsteraner Streitigkeiten. Es handelt sich um einen nicht genau datierten Senatsbeschluß, der im Corpus Juris Cameralis von Georg Melchior von Ludolff überliefert ist. Wenn die grundsätzliche Chronologie der Sammlung nicht täuscht, erging die Entscheidung vor dem 3. Juli 1603480. Damit liegt es nahe, einen Zusammenhang mit dem soeben behandelten Rechtsstreit Bischopinck gegen Jungermann zu sehen. In beiden Mandatsprozessen erließ das Reichskammergericht nämlich am 7. April 1603 Interlokute, also Zwischenurteile über Anträge der Prokuratoren481. Außerdem reichte der Prokurator Sweder Bischopincks in der Audienz vom 6. Juli 1603 seine Replikschrift zu den Akten. Darin legte er umfassend dar, warum die Appellation vom Münsteraner Offizial an den Kölner Offizial in weltlichen Sachen unzulässig sei482. Genau in dieser Phase der Auseinandersetzung erließ das Reichskammergericht ein Senatus Consultum. Die Entscheidung bedeutete eine abstrakt-generelle Selbstbindung der Rechtsprechung. Für alle Fälle, in denen Streitigkeiten aus dem Fürstbistum Münster wegen der Appellation an den Kölner Offizial oder an den Apostolischen Nuntius nach Speyer gelangten, kündigte das Gericht eine einheitliche Vorgehensweise an. Es gab drei Regelungen. Die erste Entscheidung betraf die Appellation an das Kölner Offizialat. Sie lautete: „Demnach beym hochlöblichen Kayserl[ichen] Cammer-Gericht in Zweifel gezogen/ ob die Appellation vom Official zu Münster ad Officialem Coloniensem in weltlichen Sachen eingewendet zugestatten/ und auff den Fall/ da dieselbig angeregter Massen beschehen/ auch Appellations-Proceß vom Coloniensi erkannt wären/ ob dann Camera, non obstante tali Appellatione, contra Officialem Monasteriensem Mandata executorialia seine ausgesprochene Sententz zu exsequiren/ oder aber contra Coloniensem Mandata inhibitoria, solche ertheilte Proceß zu cassiren zu erkennen befugt sey oder nicht? Als ist auff beschehene Deputation per majora dahin geschlossen/ daß hinführo angeregte Appellations-Sachen beym Cölnischen Official, uti Judice Appellationis, gelassen/ ihren Austrag allda errei480 481 482
L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, S. 564: Die nächste datierte Nummer (Nr. 350) stammt vom 3. Juli 1603. LA Münster RKG B 1280, Protokollbuch, fol. 001v: Expeditum vom 7. April 1603; RKG B 1286, Protokollbuch, fol. 002r: Expeditum vom 7. April 1603. LA Münster RKG B 1280, Aktenstück Q 13.
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chen/ und à Camera so lang biß darinn ein anders verordnet/ Mandata cassatoriis & inhibitoriis oder sonsten nicht remorirt/ noch auffgehebt werden sollen.“483 Die zweite Anordnung des Senatsbeschlusses betraf die unzulässige Appellation an den Apostolischen Nuntius und wird im Zusammenhang mit diesem Problem näher erörtert484. Die dritte Entscheidung dagegen bezog sich auf die Appellation an das Reichskammergericht selbst: „sonsten bleibt gleichwohl einer jeden Parthey bevor und frey/ auch immediatè vom Münsterischen Officialn an das Kayserl[iche] Cammer-Gericht zu appelliren/ der Electioni alternativae in dem hiemit gantz unabbrüchig.“485 Wenn mehrfach in der Literatur und auch im bisherigen Gang der Untersuchung der Eindruck entstanden ist, ein Strukturmerkmal der frühneuzeitlichen Reichsverfassung, vielleicht sogar des vormodernen Rechts überhaupt, sei seine Uneindeutigkeit gewesen, so bestätigt dieser Senatsbeschluß solche Vermutungen vollauf. Mit dem dritten Entscheidungspunkt billigte das Gericht nämlich allen Parteien aus dem Hochstift Münster ein Wahlrecht bei der Einlegung von Rechtsmitteln an den judex ad quem zu. Jedem sollte es frei stehen, in weltlichen Sachen vom Münsteraner Offizial entweder direkt an das Reichskammergericht oder an das Offizialat in Köln zu appellieren. Das von den Prozeßparteien in den zurückliegenden Jahren mit erbitterter Schärfe diskutierte verfassungsrechtliche Problem der Reichsunmittelbarkeit des Bistums Münster mit seiner Anknüpfung an die Regalienbelehnung wurde vom Speyerer Gericht überhaupt nicht entschieden. Beide Instanzenzüge, die sich nach Auffassung zahlreicher Schriftsatzverfasser gegenseitig ausschlossen, ließ das Reichskammergericht nebeneinander bestehen. Daran erkennt man erneut die normbildende Kraft einer langdauernden Praxis. Ohne daß das Gericht auf die angeblich uralte Gewohnheit ausdrücklich einging, akzeptierte es genau diese Argumentation. Bisher waren Appellationen vom Münsteraner Offizial sowohl direkt nach Speyer als auch nach Köln erfolgt, und weil das so war, sollte es auch zukünftig so bleiben. Die Kraft des Herkommens erstaunt immer wieder. Der erste Entscheidungspunkt zog daraus die prozessualen Konsequenzen. Das Gericht kündigte an, zukünftig gegen die Anrufung des Kölner Offizialats durch Münsteraner Appellanten in Zivilsachen keine Inhibitionen und Kassationsmandate mehr zu erlassen. Vielleicht war das eine Anspielung auf den oben geschilderten Rechtsstreit Schulte Sudhoff gegen 483
484 485
L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, S. 564 Nr. 349; d e r s . , De jurisdictione officialium, Aphorismus 11, Anm. ff, S. 30-31; auch bei M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 243; d e r s . , Teutsches Staats-Recht IV, S. 24-25 §13. Dazu unten bei Anm. 860-863; nur in diesem Punkt erwähnt den Beschluß ganz knapp R a u t e n b e r g , Fiskal, S. 134. L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, S. 564 Nr. 349.
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Komnis, in dem das Reichskammergericht am 13. Juli 1596 genau ein solches Mandat erlassen486, später aber wieder aufgehoben hatte487. Jedenfalls würde das Gericht gegen die Appellation nach Köln nicht mehr einschreiten. Zugleich waren zukünftig Exekutorialmandate an den Münsteraner Offizial nicht mehr statthaft. Solche Mandate befahlen einem Gericht die Urteilsvollstreckung trotz eines noch unentschieden schwebenden Rechtsmittelverfahrens. Die rechtswidrige Appellation an ein unzuständiges Obergericht entfaltete in diesen Fällen keinen Suspensiveffekt488. Das war jetzt anders. Nach einer Appellation an das Kölner Offizialat durfte das Münsteraner Offizialat Zivilurteile nicht vollstrecken. Und das Reichskammergericht kündigte an, auf jeden dahingehenden Druck zu verzichten. Ob die Bedeutung eines kammergerichtlichen Senatsbeschlusses höher war als die eines normalen Urteils, ist unklar. Das Gericht bezweckte offenbar eine über den Einzelfall hinausgehende Ankündigung einer zukünftig widerspruchsfreien und festen Rechtsprechung. Der Reichsabschied von 1570 sah diese Entscheidungsform ausdrücklich vor489. Offenbar gab es ein gesondertes Protokollbuch für solche Senatsbeschlüsse. Zugleich sollte das Gericht sie dem Reichstag zur Ratifikation zuleiten490. Inwieweit ein Senatsbeschluß mit einem Plenarschluß, einem conclusum pleni491, bis auf die geringere Zahl der Mitwirkenden identisch war, muß ebenfalls offen bleiben. Problematisch war offenbar ein anderer Punkt. Im Gegensatz zu Urteilen und Gemeinen Bescheiden, also allgemeinen Verfügungen zumeist zu prozessualen Fragen492, scheint das Reichskammergericht Beschlüsse zu streitigen Rechtsfragen nicht „solemniter publicirt“ zu haben493. Falls das zutrifft, dürfte 486 487 488
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LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 1, fol. 03r. LA Münster RKG S 2636, Protokollbuch, Expeditum vom 25. Juni 1600. O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 463: „Mandatum de exequendo, ist ein Befehl des Ober-Richters an den Unter-Richter oder den Executorem, daß solcher unter öffentlicher Authorität das Urtheil zur Erfüllung bringe“; zur gemeinrechtlichen Unbeachtlichkeit der Appellation für die Exekution W e t z e l l , System, S. 725; zum Exekutorialverfahren am Reichskammergericht selbst D i c k , Entwicklung, S. 211; vor dem Kurpfälzer Hofgericht K e r n , Gerichtsordnungen, S. 238-239. RA 1570 § 77, bei L u d o l f f , Anhang zu dem Concept, S. 100; später COC 1613 I 16 § 5, bei L u d o l f f , Concept, S. 28; B l u m , Concept, S. 37. W e t z e l l , System, S. 5 Anm. 5; wörtlich identisch L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 298. S m e n d , Reichskammergericht, S. 330; D i c k , Entwicklung, S. 82; W e t z e l l , System, S. 5 Anm. 5. Überblick bei D i e s t e l k a m p , Beobachtungen, S. 107-109; d e r s . , Die Gemeinen Bescheide, S. 143-148. L u d o l f f , Anhang zu dem Concept, Vorrede § 8 am Ende: „quaestiones juris (...) aber werden nicht solenniter publicirt/ sondern nur pro norma in denen Senatibus beybehalten“; dazu D i c k , Entwicklung, S. 10.
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der Bekanntheitsgrad solcher Beschlüsse vergleichsweise gering gewesen sein. Die Prokuratoren, die in den gerichtlichen Audienzen anwesend waren, erfuhren jedenfalls offiziell nichts von ihnen. Wenn Georg Melchior von Ludolff das zitierte Senatusconsultum von 1603 nach weit über einhundert Jahren veröffentlichte, ändert das nichts an seinem ursprünglich internen Charakter. Zum Zeitpunkt, als die Assessoren ihn abfaßten, war der Senatsbeschluß außerhalb des Gerichts höchstwahrscheinlich unbekannt. So gingen auch nach 1603 weiterhin Klagen aus dem Fürstbistum Münster am Reichskammergericht ein, in denen die Parteien mit unveränderten Argumenten die Appellation vom Münsteraner Offizial an den Offizial in Köln und weiter an den Apostolischen Nuntius angriffen. Ein möglicher Grund dafür liegt auf der Hand. Die Supplikanten und Appellanten kannten die neue Linie des Gerichts vielleicht noch gar nicht. Auf das Verhalten der Prozeßparteien entfaltete der Senatsbeschluß jedenfalls keine nachweisbaren Auswirkungen. In späteren Jahrzehnten dagegen konnten zeitgenössische Anwälte den Senatsbeschluß des Reichskammergerichts von 1603 durchaus kennen. Ein Rechtsstreit aus den 1640er Jahren belegt das zweifelsfrei. In einem Disput um Weidegerechtigkeiten hatte die kölnische Gemeinde Frimmersdorf drittinstanzlich den Apostolischen Nuntius angerufen. Ein Constantin von Rottkirchen zu Morken erwirkte dagegen ein Kassationsmandat sine clausula am Reichskammergericht. In ihrer Exzeptionsschrift ließ die Gemeinde neben anderen Argumenten vortragen, das Reichskammergericht habe die Appellation von den Offizialatsgerichten in Münster und Lüttich an das Kölner Offizialat ausdrücklich erlaubt494. Für den Rekurs an den Nuntius in weltlichen Sachen war das ein denkbar schlechtes Argument, denn genau diesen Rechtsbehelf hatte das Kammergericht in seiner Entscheidung von 1603 verboten495. Aber den Instanzenzug von Münster nach Köln hatte das Speyerer Gericht tatsächlich anerkannt. Der etwas unpräzise Hinweis der Gemeinde Frimmersdorf steht freilich beim jetzigen Forschungsstand vereinzelt da. Inwieweit kammergerichtliche Senatsschlüsse allgemein bekannt waren, muß weiterhin unklar bleiben.
494 495
LA Düsseldorf RKG R 788/2839, Repertoriumshinweis bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht 7, S. 524 lfd. Nr. 4746. Bei L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, Nr. 349 S. 564; d e r s . , De jurisdictione officialium, Aphorismus 11, Anm. ff, S. 30-31.
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d) Der Prozeß Heinrich Mumme gegen den Münsteraner Offizial 1608 Es ist nicht erforderlich, alle Auseinandersetzungen mit derselben Ausführlichkeit wiederzugeben wie den oben behandelten Rechtsstreit des Sweder Bischopinck. Zahlreiche Argumente wiederholten sich. Besondere Aufmerksamkeit kann gleichwohl ein Mandatsverfahren von 1608 beanspruchen, das die bereits aufgezeigten Gegensätze nochmals verschärfte. Ein Heinrich Mumme aus Münster supplizierte an das Reichskammergericht und beantragte ein Kassationsmandat gegen den Münsteraner Offizial, einen apostolischen Kommissar von St. Aposteln in Köln sowie gegen Elisabeth Schmick, die Witwe des Bürgermeisters Wilhelm Oveling aus Bocholt496. Am 9. April 1608 erließ das Speyerer Reichsgericht das beantragte Mandat sine clausula. Wegen hausverschriebener Rentgulden497, so erfährt der Leser in der Narratio, hatte der Kläger Mumme bzw. sein damaliger Vormund, ein rechtsgelehrter Lizentiat Gerhard Hoerding, vor dem münsterischen Offizial „alß in weltlichen sachen fürstlichen Richtern“ einen Rechtsstreit gegen Oveling begonnen und im Dezember 1599 gewonnen. Gegen das erstinstanzliche Urteil hatte Oveling an das Kölner Offizialat appelliert, das im Oktober 1606 die Appellation „umbgeleittet“ und nach Münster zurückverwiesen hatte. Hiergegen appellierte Oveling erneut, und zwar an den Apostolischen Nuntius in Köln498. Dieser zweite Aspekt soll im folgenden ausgeblendet bleiben. Hier geht es statt dessen um das Verhältnis der Offizialate von Münster und Köln und damit um die Reichsstandschaft des Fürstbistums Münster. aa) Regalien, Jurisdiktionsgewalt und Reichsunmittelbarkeit Das Verhältnis zwischen kaiserlicher Belehnung mit der Gerichtsgewalt und der Reichsunmittelbarkeit kam in den Rechtsausführungen Mummes klar zu Sprache, vielleicht klarer noch als in den Schriftsätzen Sweder Bischopincks. Heinrich Mumme ließ seinen Advokaten dazu umfassend vortragen, und das Reichskammergericht übernahm im Namen von Kaiser Rudolf II. die Formulierung. Danach war „der Münsterischer Landtfürst wegen von uns und dem Heyligen Reich habender Regalien Weldtlicher hoher Obrigkeitt und Jurisdiction dem Colnischen Fürsten gleich und nit demselben, sonder unserm Kay[serlichen] 496
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In der Akte wird der Bürgermeister teilweise Tileman genannt: LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04r; Repertoriumsnachweis bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte II, S. 124 lfd. Nr. 3897. Zum Begriff O g r i s , Rente, Sp. 895-897; H o f m e i s t e r , Reallast, Sp. 205. Narratio in LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04r.
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Cammergericht immediate unterwofen, also die von dir officialn in statt unsers und des Reichs Fürsten, in weltlichen sachen eingewandte appellationes, nicht an das Colnische Officialat, Sondern gedacht Unser Cammergericht gehorigh“499. Die Wortwahl des Klägers war wohlüberlegt. Er sprach lediglich vom Landesfürsten und Fürsten und blendete die Funktion und Amtsbezeichnung Bischof vollkommen aus. Eine stärkere Gleichsetzung geistlicher Territorien mit weltlichen Regierungen war kaum denkbar. Zugleich bestritt Mumme jedes Abhängigkeitsverhältnis des Münsteraner Fürsten vom Kölner Fürsten. Das wichtigste Argument stammte wie in anderen Verfahren ebenfalls aus dem Lehenswesen. Beide hatte ihre Regalien unmittelbar „von uns“, also vom Kaiser empfangen. An dieser standardisierten Formulierung erkennt man, wie wichtig es war, die Regalienbelehnung immer wieder zu erneuern. Der Belehnungsakt, selbst wenn die damit verbundene Rechtsstellung altehrwürdig weit zurückreichte, war immer etwas Gegenwärtiges, das den jeweils regierenden Landesherrn mit dem jeweils regierenden Kaiser persönlich verband. Den im Hinblick auf die Gerichtsverfassung wesentlichen Inhalt der Regalien faßte Mummes Anwalt treffend zusammen. Es ging dabei um die weltliche hohe Obrigkeit und die Jurisdiktion. Die zentrale Rolle der iurisdictio für die Innehabung der Landesherrschaft erweist sich erneut in diesem Rechtsstreit. Mit der hohen Obrigkeit spielte die Narratio zum einen auf die Lehre von der hohen Gerichtsbarkeit an, die in ganz besonderer Weise die vom Königsbann abgeleitete Gerichtsgewalt des Landesherrn veranschaulichte500. Zum anderen war in rechtlichen Auseinandersetzungen „hohe Obrigkeit“ oftmals gleichbedeutend mit dem erst entstehenden Begriff der „Landesobrigkeit“ und stand damit im Gegensatz zur Grundherrschaft501. Genau auf diesen Punkt kam es dem Supplikanten offenbar an. Der Fürst von Münster war für ihn nicht nur ein landsässiger Adliger des Kurfürstentums Köln, sondern ein reichsunmittelbarer Landesherr. Die Gleichrangigkeit der Fürstentümer Münster und Köln war geradezu provozierend deutlich im Mandat niedergelegt. bb) Umdeutung in eine geistliche Streitigkeit Die Witwe des Bocholter Bürgermeisters versuchte durch ihren Prokurator, die Rentenschuld als geistliche Streitigkeit darzustellen. Angeblich hatte der Kläger aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung das geistliche Gericht 499 500 501
LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04r. Umfassend H i r s c h , Hohe Gerichtsbarkeit, S. 173-184. W i l l o w e i t , Verfassungsgeschichte, S. 135.
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angerufen und damit das einzige Schlupfloch erwischt, ein Privileg der Stadt Bocholt zu umgehen502. Zugleich fällt auf, wie der Schriftsatzverfasser sich sprachlich eng an die Argumentation des Kölner Kurfürsten im Fall Bischopinck anlehnte. Ob der Anwalt den einschlägigen Schriftsatz von 1601 kannte, ist unklar. Die Ähnlichkeit in der Formulierung sticht jedenfalls ins Auge. Denn „Jederzeitt von 10. 20. 30. 40. 50. 100. 200. unnd mehr unverdencklichenn Jahren [sei] vonn dem Münsterischen ahnn denn Churf[ürstlichen] Collnischen Officialen in allen unnd jedenn sachen in differenter ob sie Geistlichen oder weltlichen oder mixti fori503 gewesen, appellirt worden“504. Die Regalienbelehnung des Münsteraner Fürstbischofs spielte erneut keine Rolle. Doch seit Menschengedenken ging in jedweder Streitsache die Appellation von Münster nach Köln; das war dem Verfasser der Exzeptionsschrift erwähnenswert. Das entsprach der bereits bekannten Argumentation. Interessant ist nun der Hinweis auf zwei Münsterische Hofgerichte. Der Anwalt der Bocholter Bürgermeisterwitwe führte aus, notorisch beständen in Münster zwei Hofgerichte, nämlich das Offizialat als geistliches Hofgericht sowie das fürstliche Hofgericht. Dieses fürstliche Hofgericht sei aber allein für weltliche Angelegenheiten zuständig505. Die Zweiteilung der Münsteraner Gerichtsbarkeit war auf diese Weise ein Argument für den geistlichen Charakter des Streits. Anderenfalls hätte sich das Offizialat damit gar nicht befassen dürfen. cc) Die Intervention des Kölner Kurfürsten und der Streit um das weltliche Hofgericht Am selben Tag, an dem die Beklagte ihre Exzeptionsschrift zu den Akten reichte, trat in Speyer wie bereits im Fall Bischopinck der Prokurator des Kölner Kurfürsten auf und erklärte die Intervention seines Prinzipials in diesen Streit. Dabei beschrieb er die Gerichtsverfassung deutlich anders als die beklagte Witwe, obwohl er ihr im Ergebnis zu Hilfe kam. Den Zusammenhang mit dem sieben Jahre alten Rechtsstreit des Sweder Bischopinck stellte der Schriftsatzverfasser selbst her, indem er sich sein früheres Interventionalschreiben vollinhaltlich zu eigen machte und genüßlich hinzufügte, dieser Schriftsatz sei vom Reichskammergericht „zugelaßen“ 502 503
504 505
LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, Artikel 9-10, 39-40, fol. 19r, 23r. Zu den res mixti fori, die sowohl die weltliche als auch die geistliche Zuständigkeit begründeten, W e t z e l l , System, S. 339-340; R e i n h ar d t , Beziehungen, S. 291; aus der zeitgenössischen Literatur S t r i m p e r , Sistens iurisdictionem ecclesiasticam. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, Artikel 18-19, fol. 19v-20r. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, Artikel 35-36, fol. 22v.
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worden506. Das zeigt erneut, wie die streitenden Parteien auch in Verfahren, die niemals förmlich endeten, selbst kleine Zwischenurteile als Entscheidungen zu ihren Gunsten für sich vereinnahmten. Die Argumentation des Kurfürsten ging aber jetzt 1608 über die älteren Rechtsbehauptungen noch hinaus. Ein genauerer Blick lohnt sich also. Bereits in der Einleitung bezeichnete es der Prokurator als „unerfindlichen vermeinten grundt als wan das Stifft Münster und das Officialisch Gericht daselbst dem Ertzstift und Churfürstenthumb Collen nit angehorich Sonder g[emel]tem Ertzstifft und Churfürstenthumb gleich diesem Kayserlichen Chammergericht Unuermittelt und[er]worffen“ seien507. So deutlich hatte Kurköln im Fall Bischopinck nicht argumentiert. Jetzt bestritt der Schriftsatzverfasser nicht nur zwischen den Zeilen, sondern ganz offen die Reichsstandschaft des Stifts Münster. Das nahm er zum Ausgangspunkt, um die Gerichtshoheit des Münsteraner Fürstbischofs noch stärker als bisher zu verneinen. Das Interventionalschreiben betonte in einem historischen Rückblick, es sei „von Altters hero Im Stifft Münster kein hoffgericht gewesen“. Erst „vor wenig Jahren“ habe „weilandt Graue von Hoya, zur Zeit Bischoff zu Münster und suffraganeus des Ertzbischofflichen Stuels Colln Im Stifft Münster ein Hoffgericht anzurichten und einzufahren und[er]standen und fürgenohmen“508. Der Ansatzpunkt für den Kölner Kurfürsten war diesmal also anders als im Fall Bischopinck. Damals hatte er Wert auf die lang überkommene Gewohnheit gelegt, von Münster nach Köln zu appellieren. Jetzt drehte er den Spieß um und betonte, eine eigenständige Gerichtsbarkeit habe Münster traditionell ohnehin nie besessen. Mit dem Zeitablauf nahm es der Schriftsatz dabei nicht so genau. Die wenigen Jahre, in denen angeblich seit der Justizreform Johann von Hoyas bisher ein Münsteraner Hofgericht existierte, waren immerhin schon 37 ihrer Zahl. Aber gerade an dieser Stelle erkennt man, wie die dauerhafte Auseinandersetzung um rechtliche Positionen und die Furcht vor verbindlichen Entscheidungen miteinander verschmolzen. In scheinbarer Widersprüchlichkeit gab es ein gemeinsames Ziel. Es ging darum, Herrschaftsansprüche über lange Zeiträume aufrechtzuerhalten. Daher benötigte man einen Rechtsstreit, der zugleich dauerhaft unentschieden fortplätscherte. Der Schriftsatzverfasser meinte, die Gründung des Münsteraner Hofgerichts sei „zu nachtheill und praeiudicio des Ertzbischoff- und Churfürstlichen Cölnischen so woll geist- als weltlichen unuermittelten Obergerichts“ erfolgt509. Die Stoßrichtung war eindeutig: Die Gründung eines eigenen Münsteraner Hofgerichts verletzte die von Kurköln beanspruchte Gerichtsherrschaft über das Bistum Münster sowohl 506 507 508 509
LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 8, fol. 27r. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 8, fol. 27r. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 8, Artikel 1-2, fol. 27v-28r. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 8, Artikel 3, fol. 28r.
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in geistlicher als auch in weltlicher Hinsicht. Und Kurköln hatte diese Anmaßung nie anerkannt. Im Detail ist die Kritik nicht leicht zu verstehen. Denn wenn das Münsteraner Hofgericht nur für weltliche Sachen zuständig war, blieb unklar, warum es dann die kurkölnische geistliche Gerichtsbarkeit verletzen sollte. Zum anderen war die kurkölnische Gerichtsbarkeit mit der Gründung des Hofrats erst 1597 neu geordnet worden510. Ein Hofgericht besaß das Kurfürstentum zwar schon länger, denn bereits seit 1452 waltete ein Hofrichter seines Amtes511. Aber welches weltliche kölnische Gericht durch die Münsteraner Justizreform von 1571 beeinträchtigt sein sollte, blieb offen. Darauf kam es offenbar auch nicht an. Das Interventionalschreiben stellte unmißverständlich den Anspruch des Kurfürsten auf die weltliche Herrschaft in Münster klar. Und ein eigenes Münsteraner Hofgericht war geeignet, genau diese Kölner Begehrlichkeiten im Bereich der weltlichen iurisdictio zu beeinträchtigen. Der Schriftsatz betonte deswegen, bereits der Kölner Kurfürst Salentin von Isenburg habe während seiner Regentschaft gegen die Gründung des Münsteraner Hofgerichts „protestirt und sich mit gepürlichen mitteln zugegen gestalt und opponirt“. Vor allem habe Kurfürst Salentin gegen die Errichtung des Hofgerichts bei der kaiserlichen Majestät geklagt, und der Kaiser habe die Klage zu fernerer Kognition angenommen512. Nähere Informationen gibt der Schriftsatz nicht. Ein knapper Hinweis in den Münsteraner Landtagsakten scheint diese Behauptung jedoch zu bestätigen513. Salentin regierte in Kurköln bis 1577, als er freiwillig zurücktrat, um zu heiraten und die weltliche Herrschaft über die Grafschaft Isenburg-Grenzau anzutreten514. Wichtig ist der Hinweis auf die Klage Salentins vor allem deshalb, weil die Personalunion zwischen Münster und Kurköln erst 1585 begann und unter Salentins Regierung noch gar nicht bestand. Trotzdem scheint bereits er wie später sein Nachfolger Ernst von Bayern den Anspruch erhoben zu haben, das Bistum Münster auch in seinen weltlichen Herrschaftsbereich einzugliedern. Das Interventionalschreiben des Kurfürsten Ernst von Bayern von 1608 blieb hier betont vage und andeutungsreich. 510 511
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Dazu B u h l m a n n , Hofrat, S. 37-86; mit Besprechung von S e l l e r t , in: ZRG Germ. Abt. 120 (2003), S. 695-697; knapp E i s e n h ar d t , Aufgabenbereich, S. 4. In den Einzelheiten ist einiges unsicher, insbesondere ob das Hofgericht (Saalgericht in der Trankgasse) ein weltliches oder geistliches Gericht war und ob der Gerichtsherr eher der Kurfürst oder die Stadt war: R o t t h o f f , Gerichtswesen, S. 262. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 8, Artikel 4-5, fol. 28r. Dazu S c h w a r z , Reform des bischöflichen Offizials, S. 97-98, mit dem Hinweis, dazu sei aus den Akten nichts bekannt. Zu Salentin von Isenburg (1532-1610) L o s s e n , Salentin, S. 216-224; E n n e n , Ernst, Herzog von Bayern, S. 250.
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Den Prozeß vor dem Kaiser, gemeint war wohl der Reichshofrat, konnte der Kurfürst angeblich wegen des niederburgundischen und kölnischen Krieges nicht weiter verfolgen515. Damit spielte der Schriftsatzverfasser auf Auseinandersetzungen an, die auch als truchsessischer Krieg bekannt geworden sind. Als Gebhard Truchseß von Waldburg, der unmittelbare Nachfolger Salentins von Isenburg, Kurköln in ein protestantisches weltliches Fürstentum verwandeln wollte, trat der Papst auf den Plan und rettete die altgläubigen Strukturen. Er setzte Gebhard als Erzbischof ab und exkommunizierte ihn. Das Kölner Domkapitel wählte sodann Ernst von Bayern zum Nachfolger, und der Vorgänger Salentin beteiligte sich zusammen mit Ernst an der Niederwerfung Gebhards und der Wiedererrichtung einer katholischen Herrschaft516. Diese Auseinandersetzungen zogen sich von 1583 bis 1588 hin. Als Ernst von Bayern seine Intervention in den Reichskammergerichtsprozeß Mumme gegen Oveling erklärte, lag der Krieg also schon zwanzig Jahre zurück. Dennoch betonte der kurfürstliche Schriftsatzverfasser, Kurköln habe wegen dieses längst beendeten Krieges den Reichshofratsprozeß gegen Münster nicht fortsetzen können, und deshalb schwebe die Sache immer noch unerledigt am Kaiserhof517. Das verlangt nach einer Erklärung. dd) Offene Rechtsprobleme als Argumentationsvorteil Hier zeigt sich aus der Perspektive einer Prozeßpartei, welche enormen Vorteile es bot, wenn im frühneuzeitlichen Alten Reich selbst wichtige Rechtskonflikte weiter schwelten und nicht zur förmlichen Entscheidung gelangten. Der Verfasser des Schriftsatzes war sich nämlich in seinen rechtlichen Wertungen sicher. Alle Handlungen des Münsteraner Hofgerichts, die mit der hergebrachten Gerichtsverfassung nicht vereinbar waren und zugleich während der Rechtshängigkeit des Reichshofratsprozesses geschahen, sollten als rechtswidrige Attentate, „contra Juris ordinem et antiquum stylum a suffraganeo ad Metropolitanum zu appellirn“, zu werten sein518. Selbst wenn man die Wirren des kölnischen Krieges ausblendet, hätte Ernst von Bayern als Kölner Kurfürst seitdem volle zwanzig Jahre Zeit gehabt, den Rechtsstreit gegen die Errichtung des Münsteraner Hofgerichts wieder aufzunehmen 515 516
517 518
LA Münster RK M 1586, Aktenstück Q 8, Artikel 7, fol. 28r. Umfassend L o s s e n , Der Kölnische Krieg, 1882/77; E n n e n , Ernst, Herzog von Bayen, S. 251-252; L a u x , Wege und Grenzen, S. 63-68; E h r e n p r e i s , Raum Leverkusen, S. 128-129. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 8, Artikel 8, fol. 28r. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 8, Artikel 9, fol. 28r-28v.
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und weiter zu betreiben. Dazu sagte der Schriftsatz bezeichnenderweise kein Wort. Höchstwahrscheinlich kam es dem Kurfürsten oder vielmehr seinem Koadjutor Ferdinand sogar ganz gelegen, wenn der Reichshofratsprozeß eingeschlafen war und keine Notwendigkeit bestand, ständig Schriftsätze an den Kaiserhof zu senden. Dies bot den Kurfürsten die Möglichkeit, ihre Herrschaftsansprüche über das Fürstbistum Münster in vollem Umfang aufrechtzuerhalten. Jederzeit konnten sie auf den noch offenen reichsgerichtlichen Prozeß verweisen, auch wenn er bereits seit einigen Jahrzehnten zu einem Papiertiger geronnen war. Immerhin war der Rechtsstreit um die Münsteraner Justizreform von 1571 noch nicht entschieden. Zugleich waren mit diesem ruhenden Prozeß keinerlei Risiken für den Kurfürsten verbunden. Genau darauf kam es an. Denn solange die Parteien die Sache nicht betrieben, bestand für den Reichshofrat nicht die geringste Veranlassung, eine Entscheidung zu fällen519. Es drohte damit keine Gefahr, rechtliche Ansprüche zu verlieren. Die ältere rechtshistorische Forschung hat die geringe Zahl höchstgerichtlicher Endurteile im Alten Reich oftmals als Schwäche der Reichsgewalt ausgelegt ebenso wie die Langsamkeit des Verfahrens520. Gemessen an Maßstäben des 19. Jahrhunderts, als beispielsweise vor dem angesehenen Oberappellationsgericht der vier freien Städte Deutschlands 89 % aller Prozesse durch Urteil endeten521, war diese Kritik berechtigt. Vermutlich haben die Zeitgenossen in der frühen Neuzeit aber andere Erwartungen an die Gerichtsbarkeit gestellt. Vor allem die neuere Geschichtswissenschaft verweist auf die Befriedungsfunktion der Reichsgerichte. Soziale Konflikte sollte und brauchte man nicht mehr gewaltsam auszufechten, sondern konnte sie in einem verrechtlichten Verfahren austragen522. Darüber hinaus boten die reichsgerichtliche Klage und damit die Gefahr langwieriger und kostspieliger Auseinandersetzungen zugleich die Grundlage für eine gütliche Einigung523. Ernsthafte Vergleichsverhandlungen waren während des schwebenden Rechtsstreits vielleicht zielstrebiger zu führen als im Stadium unverbindlich-vorgerichtlicher Beliebigkeit. Die räumliche Entfernung des Gerichts von den Parteien sowie die Übertragung der Prozeßführung auf pro519 520
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Zur geringen Zahl reichshofrätlicher Endurteile S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 341. Zum Thema Hexen S o l d a n , Geschichte, S. 362; Zusammenstellung von Zitaten bei L i e b m a n n , Reichs- und Territorialgerichtsbarkeit, S. 151-172; Überblick dazu auch bei D i e s t e l k a m p , Reichskammergericht im Rechtsleben, S. 215-216. O e s t m a n n , Schmuggeleiprozeß, S. 202; d e r s . , Richterleitbild, Rn. 1. S c h u l z e , Bäuerlicher Widerstand, S. 76 (mit Verweis auf Gerhard Oestreich); S c h m i d t , Geschichte des Alten Reiches, S. 141. D i e s t e l k a m p , Reichskammergericht im Rechtsleben, S. 257-258; A m e n d -T r a u t , Konfliktlösung, S. 171-172; zu den Kosten der Appellationen vor allem G u d i an , Appellation, S. 1-8.
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fessionalisierte Schriftsatzverfasser mögen zur Versachlichung der Auseinandersetzungen beigetragen haben. Das ist alles bereits bekannt. Die hier geschilderte Auseinandersetzung um die Justizverfassung des Fürstbistums Münster und damit nicht zuletzt um den Bestand Münsters als eigenständiges Territorium lenkt den Blick auf einen weiteren Aspekt, der bisher nur selten in dieser Deutlichkeit zur Sprache kam. Der Streit um nahezu jede hoheitliche Rechtsposition zählte zu den Grundbedingungen des frühneuzeitlichen Verfassungsgefüges. Akzeptiert man diese strukturelle Uneindeutigkeit, war es geradezu notwendig, die unsichere Rechtslage auch förmlich zu zementieren. Das konnte man durch begonnene, aber versandete reichsgerichtliche Prozesse zeigen, durch rechtliche Konflikte also, die immer förmlich ausgetragen, aber nie entschieden wurden. Genau diese Offenheit ermöglichte allen Parteien, ihre ursprünglichen, aber bestrittenen Rechtsauffassungen in vollem Umfang aufrechtzuerhalten. Ob die Gründung des Hofgerichts Münster rechtmäßig war, ob man vom Fürstbistum Münster aus an das Reichskammergericht appellieren durfte oder zunächst nach Köln ziehen mußte oder ob gerade dies verboten war – all dies waren Punkte, die zwischen den betroffenen Herrschaftsträgern umstritten und rechtshängig waren. Für die hier interessierende Frage nach der Vermischung oder Trennung weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit und nach dem Instanzenzug verflüchtigen sich somit feste zeitgenössische Vorgaben. Verbindliche, von allen Beteiligten akzeptierte Maßgaben für den Gerichtsaufbau gab es gar nicht. Dies als Schwäche des Alten Reiches zu werten, ist unangemessen. Vielmehr ermöglichten es gerade die vielfach unentschiedenen Rechtsstreitigkeiten, ganz unterschiedliche, ja sich widersprechende Rechtsmeinungen und Herrschaftsrechte friedlich in den großen Topf des Reiches zu werfen, ohne daß er überkochte524. Es verwundert daher nicht, sondern entspricht ganz den Erwartungen, wenn auch der Rechtsstreit Mumme gegen Ovelings Witwe unentschieden blieb und seit 1610 ohne Endurteil ruhte525. Das Verhältnis der Kölner und Münsteraner Gerichtsverfassung blieb weiterhin streitig. Pragmatische Lösungen gab es zuhauf, und viele Parteien beschritten den einen oder anderen Appellationsweg. Gewöhnlich warfen sie dabei keine Grundsatzfragen auf. Aber immer dann, wenn eine Partei mit dem vom Gegner beschrittenen Rechtsweg nicht einverstanden war, konnte sie problemlos an die seit Jahren 524
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Schönes Beispiel um die Rechtslage der Stadt Köln zwischen Landeshauptstadt des Kurfürstentums und Reichsstadt bei Ki s k y , Akten, S. 120: Mammutprozesse vor Reichskammergericht und Reichshofrat, bis zur französischen Besetzung Kölns nie entschieden. LA Münster RKG M 1586, Protokollbuch, Completum-Vermerk vom 18. September 1610, fol. 01v.
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vorhandenen und offenbar bekannten Argumentationsmuster anknüpfen und die unentschiedenen Probleme erneut in aller Schärfe aufrollen. Hierfür bieten die Quellen auch in den Jahren nach 1608 mehrere ganz bezeichnende Beispiele.
e) Die hochstift-münsterische Regierung als Revisionsgericht seit 1651 Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen erließ im ersten Jahr seiner Regierung 1651 eine Gerichtsordnung, die Reformation des geistlichen Gerichts. Darin führte er die Möglichkeit ein, gegen Urteile der beiden Hofgerichte nicht nur Appellation, sondern auch Revision einzulegen. Die Gerichtsordnung „Reformatio et visitationes curiae ecclesiasticae“ vom 2. Dezember 1651 enthält im Titel „De appellationibus“ einen Abschnitt „Remedium revisorium“. Damit schuf der Fürstbischof das Amt von Revisoren. Sie sollten Revisionen sowohl gegen weltliche als auch gegen geistliche Urteile entscheiden526. Der Terminus Revision war in der Frühen Neuzeit wie auch so vieles andere mehrdeutig. Oberländer umschrieb ihn als das „letzte Rechtsmittel, da einer, der kein ander Rechts-Mittel mehr übrig hat, innerhalb zehen Tagen bittet, daß die Acten aufs neue möchten durchgesehen, und die Sentenz auf diese oder jene Weise und Art verbessert werden“ solle527. Das war wörtlich aus einem lateinischen Anleitungsbuch von Godofredus Bönigk übersetzt528. In Münster scheint die Revision aber nicht so gemeint gewesen zu sein, denn die Appellation als ordentliches Rechtsmittel war nicht völlig ausgeschlossen und konnte sogar gegen ein Revisionsurteil eingelegt werden529. Das sah im 18. Jahrhundert auch der Kammergerichtsassessor Johann Ulrich von Cramer so530. Sellert 526
527 528
529 530
LA Münster Msc I Nr. 270, Titel 35, S. 102; zu dieser Reform auch B e c k e r -H u b e r t i , Tridentinische Reform, S. 39; Nachweis der Quelle auch bei S c o t t i , Sammlung Münster I, Nr. 118 S. 235-236; nur zehn Tage zuvor trat eine neue Kriminalprozeßordnung in Kraft: e b d . , Nr. 116 S. 235; allgemein zur Justizreform T ü c k i n g , Geschichte, S. 278282. O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 623; Beispiele für territoriale Ausgestaltungen bei L u d o v i c i , Civil-Prozeß, cap. 31 §§ 9-10, S. 353-354. B ö n i g k , Practica I, cap. 30, S. 115: „Actorum revisio est remedium juris extremum, quo is, cui aliud remedium non competit, intra decendium petit, ut acta denuo revideantur, & sententia hoc vel illo modo corrigatur.“ S c h m i t z - E c k e r t , Regierung, S. 51. C r a m e r , Wetzlarische Beyträge II, Nr. 15 § 8, S. 140: Einwand der unzulässigen Appellation ist unbegründet, „weilen das dortige [Paderborner] Revisorium pro Remedio ordinario zu erachten ist, und Casus genug vorhanden, daß hiervon so wohl als von dem Münsterischen Revisorio anhero appellirt werden kan.“
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geht aufgrund einer normengeschichtlichen Analyse der obersten Reichsgerichte davon aus, die gemeinrechtliche Revision habe auf jeden Fall Devolutiveffekt entfaltet531. Doch gibt es gerade aus den Territorien Beispiele für eine Revision, die im Gegensatz zur Appellation nicht mit einem Instanzensprung verbunden war, also keinen Devolutiveffekt hatte. Sie führte nämlich lediglich zu einer Wiederholung von Aktenversendungen532. Klarheit über das vom Landesherrn zunächst geplante Münsteraner Modell ist nicht zu erlangen, vor allem deshalb nicht, weil der Fürstbischof die neu geschaffenen Revisorenstellen niemals besetzte533. Die Revision erfolgte vielmehr durch die münsterische Regierung selbst. In der Tat enthalten die Regierungsprotokolle Hinweise auf behandelte Revisionsfälle534, teilweise auch mit dem Offizialat als Vorinstanz535. Schmitz-Eckert sieht in der Einrichtung einer territorialen Revisionsmöglichkeit den Beleg für das Bestreben des Fürstbischofs, sich von der Reichsgerichtsbarkeit zu lösen. Hierfür verweist er auf angebliche wirtschaftliche Beschwerungen, die entstanden sein sollen, wenn Appellationsprozesse vor ausländische Gerichtshöfe gelangten536. Das ist indes zu spekulativ und vermag nicht zu überzeugen. Becker-Huberti hält lediglich die geplante Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens für erwähnenswert und blendet den Instanzensprung ganz aus537. Das wird dem Problem ebenfalls nicht gerecht. Eine andere Überlegung erscheint einleuchtender. Für einen Fürstbischof von Münster, dessen Stellung als Reichsstand streitig und von Kurköln niemals anerkannt war, dürfte es nicht darum gegangen sein, sich der Reichsgerichtsbarkeit zu entziehen, sondern im Gegenteil gerade zu unterwerfen. Denn die direkte Unterordnung unter die Reichsgerichte bekräftigte augenscheinlich die Reichsunmittelbarkeit und Reichszugehörigkeit538. Viel einfacher läßt sich die münsterische Justizreform von 1651 erklären, wenn man an den zweiten bis dahin gebräuchlichen 531
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537 538
S e l l e r t , Revision, Sp. 959; d e r s . , Problematik, S. 414; ähnlich W i g g e n h o r n , Reichskammergerichtsprozeß, S. 237-240; zeitgenössisches Beispiel bei C r am e r , Wetzlarische Beyträge II, Nr. 15 § 7, S. 139-140: Revision gegen ein Urteil des Paderborner Offizialats an die Paderborner Regierung. Beispiel bei O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 207. S c h m i t z - E c k e r t , Regierung, S. 51. LA Münster, Fürstentum Münster, Regierungsprotokolle 57 (1654), fol. 31r, 31v, 63r. LA Münster, Fürstentum Münster, Regierungsprotokolle 69 (1661), fol. 12r. S c h m i t z - E c k e r t , Regierung, S. 50; kurze Erwähnung des irrtümlich Appellation genannten Instanzenzuges an die Regierung auch bei Kn e m e y e r , Offizialatsgericht Münster, S. 2, 4. Spalte; M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 156. B e c k e r - H u b e r t i , Tridentinische Reform, S. 40. Zu Reichsgerichtsbarkeit und Reichsgrenzen O e s t m a n n , Prozesse aus Hansestädten, S. 114-118; D i e s t e l k a m p , Reichsgerichtsbarkeit, S. 37-38.
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Appellationsweg denkt. Neben der Appellation an die Reichsgerichte gab es den Instanzenzug an das Kölner Offizialat, und zwar für weltliche Sachen, die zuvor das Münsteraner Offizialat entschieden hatte. Dieser Appellationsweg beeinträchtigte die Reichsstandschaft des Münsteraner Fürstbischofs. Höchstwahrscheinlich sollte also die Urteilsrevision innerhalb des Münsteraner Hochstifts die Unabhängigkeit Münsters von Köln stärken und nicht die Anbindung an das Reich schwächen. Dafür spricht nicht zuletzt das Datum der ersten Revisionsordnung. Mit Christoph Bernhard von Galen war 1650 die Personalunion mit Kurköln nach über sechs Jahrzehnten zum erstenmal unterbrochen. Nur ein Jahr nach Beginn seiner Herrschaft nutzte der aus dem Münsterland stammende neue Bischof die Möglichkeit, seine eigenständige Gerichtshoheit zu festigen. Es paßt ins Bild, wenn Christoph Bernhard auch die Osnabrücker geistliche Gerichtsbarkeit über das Niederstift, das heutige Oldenburger Münsterland, beendete. 1667 erlangte er zusätzlich zur überkommenen weltlichen Jurisdiktion gegen Geldzahlung auch die geistliche Gerichtsgewalt vom seinerzeit evangelischen Fürstbistum Osnabrück539. Als Landesherr war Christoph Bernhard augenscheinlich bemüht, Territoriumsgrenzen und Gerichtssprengel in Einklang zu bringen und die Abhängigkeit des Hochstifts Münster von den Nachbarterritorien zu beenden540. Für den Plan, eine unabhängige Münsteraner Gerichtsgewalt zu schaffen, spricht auch eine zweite normative Quelle, nämlich eine Revisionsordnung von 1688. Einige Zeit nach Christoph Bernhards Tod war es dem Kölner Kurfürsten Maximilian Heinrich von Bayern 1683 gelungen, zugleich zum Bischof von Münster gewählt zu werden541. Fünf Jahre später starb auch er am 5. Juni 1688. Am 29. Juli 1688 wurde sein Nachfolger Friedrich Christian von Plettenberg gewählt542. Nur zwei Wochen später publizierte der neue Fürstbischof am 14. August 1688 die neue Revisionsordnung. Sie bekräftigte ausdrücklich die Zuständigkeit der Regierung zur Entscheidung der Revisionssachen543 und führte damit den 1651 eingeschlagenen Weg weiter. Erneut fiel eine normative Quelle zur Festigung der jurisdiktionellen Eigen539 540
541 542 543
T ü c k i n g , Geschichte, S. 153-154; Ko h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 633; E b e r s , Archidiakonal-Streitigkeiten, S. 367 Anm. 1. Ähnlich B e n e c k e , Society and Politics, S. 58, mit dem Hinweis auf Christoph Bernhards unmittelbare Unterordnung unter das Reich, wobei das Verhältnis zu den Kurfürsten unklar bleibt. Regierungszeit 1683-1688, zu ihm Ko h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 651-658. Regierungszeit 1688-1706, zu ihm P h i l i p p i , Plettenberg, S. 78; K o h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 659-667. LA Münster Mscr. I Nr. 272, S. 1-2; Nachweis der Quelle auch bei S c o t t i , Sammlung Münster I, Nr. 203 S. 304, dort auch Hinweis auf spätere Änderungen von 1697 und 1705.
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ständigkeit Münsters genau in eine Phase, in der die Personalunion mit Kurköln gerade eben beendet war. Wahrscheinlich sollte die Münsteraner zivilprozessuale Revision also nicht die Appellation an das Reichskammergericht, sondern an das Kölner Offizialat erschweren. Über die genauen Absichten der Beteiligten schweigen die Quellen freilich. In der Praxis kamen sowohl Appellationen vom Münsteraner Offizialat an das Kölner Offizialat als auch an das Reichskammergericht weiterhin vor. Revisionen von den beiden Hofgerichten an die Münsteraner Regierung gab es zuhauf544, auch Appellationen von der Regierung an das Reichskammergericht. Es geht hier also nicht um die Geltungskraft der partikularen Gerichtsordnungen und um den typischen Gegensatz von schriftlicher Norm und Gerichtspraxis. Vielmehr kam es den Landesherren offenkundig darauf an, durch Normsetzung Herrschaftsansprüche zu untermauern. So zeigt die Gesetzgebung zumindest das Bemühen der münsterischen Fürstbischöfe, in Zeiten ohne Personalunion mit Kurköln ihre Offizialatsgerichtsbarkeit aus der Abhängigkeit von Köln zu lösen. Damit ist zugleich eine Antwort auf die oben aufgeworfene Frage gefunden, warum die Münsteraner Regierung in den Jahren um 1600 gegen die massiven Angriffe des Kölner Kurfürsten auf die territoriale Eigenständigkeit des Hochstifts nichts erwiderte: Sobald sich nach dem Ende der Personalunion die Möglichkeit dazu bot, handelte der Münsteraner Fürstbischof tatsächlich. In Zeiten der Personalunion fehlte dagegen das Interesse daran. Das läßt sich auch positiv ausdrücken. Ernst von Bayern sowie sein Nachfolger Ferdinand behandelten Münster eben als unselbständiges Nebenland ihres Kurfürstentums und gingen damit erste Schritte auf dem Weg zu einem frühmodernen Gesamtstaat. Die Straffung territorialer Instanzenzüge war ein entscheidendes Mittel vormoderner Staatswerdung, gleichermaßen Voraussetzung und Folge der Herrschaftsverdichtung. Und die Justizvereinheitlichung über die Grenzen der in Personalunion verklammerten Einzelterritorien hinweg deutete voraus auf den monarchischen Einheitsstaat, der die zahlreichen Belehnungen und Privilegien nicht mehr nötig hatte.
f) Streitfälle aus dem späteren 17. und 18. Jahrhundert Die offenbar späteste Auseinandersetzung um den Instanzenzug nach Köln aus dem Fürstbistum Münster stammt aus den Jahren nach 1738. Aus Os544
LA Münster, Fürstentum Münster, Kabinettsregistratur Nr. 1809: zahlreiche Justiztabellen aus den Jahren 1763-1766, aber ohne Hinweis, ob die Fälle zunächst am weltlichen oder geistlichen Hofgericht verhandelt worden waren.
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nabrück gibt es einen noch jüngeren Fall von 1768545. Und noch 1787 erließ das Reichskammergericht in einem Verbalinjurienprozeß aus Aachen ein Mandat, das die Appellation an den Kölner Nuntius in einer weltlichen Sache untersagte546. Das war sieben Jahre vor dem Ende der Kölner Nuntiatur547 in der Zeit der französischen Revolutionskriege und der Auseinandersetzungen nach dem Emser Kongreß. Aus Münster gelangten derartige Streitigkeiten aber nach 1738, soweit ersichtlich, nicht mehr vor die Reichsjustiz. Es ging in dem letzten Münsteraner Fall um einen Rechtsstreit zwischen einem Herrn von Kerckering zu Stapel und dem Freiherrn Maximilian Heidenreich Droste zu Vischering in Darfeld. Kerckering rief das Reichskammergericht an, weil der gegnerische Freiherr in einer weltlichen Auseinandersetzung von einem Urteil des Münsteraner Offizialatsgerichts an das Kölner Offizialat appelliert hatte. Das Wetzlarer Reichskammergericht erließ ein Mandat, das aber der klägerische Prokurator aufgrund von Schwierigkeiten mit seiner anwaltlichen Bevollmächtigung in der Audienz nicht reproduzieren konnte548. Deswegen ist es verloren. Es gab also Probleme, den extrajudizial begonnenen Kameralprozeß in ein ordentliches Judizialverfahren zu überführen. Immerhin ist der lateinische Tenor des Mandatsbefehls bekannt. Es handelte sich um ein „Mandatum de renunciando Recursi ad Metropoliticum habito nec non processus desuper emanatos cum omnibus subsecutis revocando et cassando iisque non attentis Causae Cognitionem sine ulteriore morâ prosequendo sine clausula“549. Entsprechend dem Gerichtsgebrauch des 18. Jahrhunderts war der Mandatstitel zwar verfeinert bzw. aufgebläht, die Anordnungen entsprachen aber vollkommen den aus der Zeit um 1590 bekannten Befehlen. Die Anrufung des Metropoliten, also des erzbischöflich-kölnischen Offizialats, war verboten. Der Beklagte mußte seinen Rekurs zurücknehmen, das Kölner Gericht die bisher schon erfolgten Prozeßhandlungen aufheben. In spitzfindiger Rückschau könnte man bemäkeln, das Reichskammergericht habe mit diesem Mandat gegen seinen eigenen Senatsbeschluß von 1603 verstoßen, der oben umfassend geschildert ist und genau die Appella545 546
547 548
549
StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723. LA Düsseldorf RKG P 812/2538, nachgewiesen bei O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 596-597; B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht 7, Nr. 4457, S. 231-232. Zur Auflösung der Nuntiatur F e l d k am p , Erforschung, S. 211; d e r s . , Studien 1/Kölner Nuntiatur, S. 159. Zu den Problemen des klägerischen Prokurators, eine Vollmacht vorzulegen: LA Münster RKG K 295, Protokollbuch, zahlreiche Audienzen zwischen dem 13. Oktober 1738 und 14. September 1746. LA Münster RKG K 295, Aktenstück Q 2, fol. 8r.
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tion von Münster nach Köln in weltlichen Offizialatssachen erlaubte550. Erstaunlicherweise tauchte dieses aus heutiger Sicht so naheliegende Argument im gesamten Rechtsstreit nicht auf. Dabei lag zu dieser Zeit das „Corpus Juris Cameralis“ von Georg Melchior von Ludolff bereits seit gut einem Jahrzehnt in gedruckter Fassung vor. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Entscheidung aus dem frühen 17. Jahrhundert herauszusuchen und zu zitieren. Vielleicht hatte sich aber die Einschätzung der Rechtslage geändert. Ludolff überlieferte nämlich in seiner Observationensammlung eine Stellungnahme des Paderborner Offizials von 1725, in der dieser im Rechtsmittelverfahren differenzierte. Danach mußte in weltlichen Sachen von den Offizialaten in Münster, Köln und Paderborn direkt an das Reichskammergericht appelliert werden. Nur in geistlichen Angelegenheiten stand der Weg zum Metropolitangericht offen551. Von der Erlaubnis, weltliche Streitigkeiten vor geistlichen Appellationsgerichten zu führen, war hier keine Rede mehr. Freilich mag die Situation in Paderborn auch anders als in Münster gewesen sein, obwohl der Offizial selbst die Gleichartigkeit der Problemlage betonte. In der Tat scheint das Reichskammergericht seine Rechtsprechung im 18. Jahrhundert verschärft zu haben. 1722 erging ein Mandat gegen den Kölner Offizial, das ihm die Behandlung weltlicher Streitfälle aus Münster untersagte552. Wie im frühen 17. Jahrhundert erklärte der Kölner Kurfürst seine Intervention. Er drohte sogar, „die Sach bey dem Reichs-Tag zu Regensburg anbringen zu lassen“553, blitzte damit aber ab. Die Wetzlarer Assessoren erklärten lapidar, „es stehe nicht in ihren Mächten, gegen die ihnen dißfalls vorgeschribene Geseze etwas vorzunehmen, oder auch nur durch langes Stillestehen derselbigen Effect zu hemmen, zumalen da noch lange Zeit vorbey gehen könnte, biß etwann von dem Kayser und Reich eine Resolution erfolgen möchte“554. Johann Jakob Moser teilte 1774 diese Entscheidung mit und war sich in der Einschätzung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sicher. Sowohl der Kaiser, der Reichshofrat als auch das Reichskammergericht würden „würcklich und ernstlich“ keinerlei weltliche Sachen an geistlichen Gerichten dulden. Die Appellationen von Lüttich oder Münster an das Kölner Offizialat entfalteten deswegen keine Wirkungen. Dennoch lehre die Erfahrung „klar genug“ das Gegenteil. Es gebe „im550 551 552 553 554
L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, Nr. 349 S. 564; d e r s . , De jurisdictione officialium, Aphorismus 11, Anm. ff, S. 30-31. L u d o l f f , Observationen I, obs. V S. 32. Erwähnt bei M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 255; umfangreiches Prozeßschriftgut wiedergegeben bei L u d o l f f , De jurisdictione officialium, Aphorismus 16, S. 55-72. L u d o l f f , De jurisdictione officialium, Aphorismus 16, S. 70. M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 257; L u d o l f f , De jurisdictione officialium, Aphorismus 16, Anm. ss, S. 70-71.
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merzu“ Parteien, die dagegen verstießen, aber „noch mehr der Römische Hof, dessen Nuncii, und die bey denen Officialat-Gerichten Intereßierte“ – und das „bey aller Gelegenheit“555. Die Reichsgerichte hatten es also schwer, sich in der Praxis durchzusetzen. Aufgrund prozessualer Schwierigkeiten des oben erwähnten Münsteraner Verfahrens, die im Verhalten des Prokurators begründet lagen, ist eine Stellungnahme des Klägers in dieser Sache nicht überliefert. Ein kurzer Schriftsatz des beklagten Droste zu Vischering zeigt jedoch, mit welchen Argumenten sich im 18. Jahrhundert ein solcher Mandatsbefehl bekämpfen ließ. Der wesentliche Unterschied fällt sofort ins Auge: Die verfassungsrechtlichen Argumente waren verschwunden. Immerhin bestand zu dieser Zeit in der Person Clemens Augusts von Bayern erneut eine Personalunion zwischen Kurköln und Münster556. Das mag Zufall sein, aber es ist doch bemerkenswert, wenn der Schriftsatzverfasser des Beklagten nur von der Observanz und Praxis der Gerichte sprach557, nicht aber von den Regalien, dem Lehenswesen und der Reichsunmittelbarkeit. Er meinte nämlich, es sei „diesem höchstpreyßlich kayserlichen Cammergericht bekandt, daß die appellationes auch wohl von denen erst ex Judicio officialatus Monasteriensis undt nachgehends ad Metropoliticum via Appellationis introducirten Sachen und daselbst abgefaßeten Spruch undt Ergangener Erkändnus angenohmen, und Processus appellationis Erkandt worden“558. Hier zeigt sich erneut das Bemühen, von einer tatsächlichen Handhabung auf normative Vorgaben zurückzuschließen. Weil das Reichskammergericht, so sollte man den Schriftsatz wohl verstehen, drittinstanzliche Appellationsprozesse angenommen hatte, die aus Münster über den Umweg des Kölner Offizialats nach Wetzlar gelangt waren, mußte diese Praxis höchstrichterlich akzeptiert sein. Im übrigen sei es „von vielen jahren hero hergebracht (…) auch in Causis profanis von dem Münsterischen officialath-gericht die Appellationes in Metropolitico zu introduciren“559. Es ging also um Herkommen, Observanz und Praxis. Das Wort „rechtmäßig“ taucht bezeichnenderweise nicht auf. Als Beleg für das angebliche Herkommen verwies der Schriftsatzverfasser auf den Rechtsstreit Schilling zu Buxfort gegen Werneking und Wacker560. Dieser Rechtsstreit hatte freilich erstinstanzlich vor dem Münste555 556
557 558 559 560
M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 257-258. Zu Clemens August (1700-1761) u. a. B r au b ac h , Die vier letzten Kurfürsten, S. 41-78; Z e h n d e r / S c h ä f k e , Der Riß im Himmel; zur Personalunion B ö n i s c h , Der Sonnenfürst, S. 31-34. LA Münster RKG K 295, Aktenstück Q 2, fol. 9v, Ziff. 4. LA Münster RKG K 295, Aktenstück Q 2, fol. 9r-9v. LA Münster RKG K 295, Aktenstück Q 2, fol. 9r, Ziff. 2. LA Münster RKG S 1544, nachgewiesen bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte, Teil 2, S. 296, lfd. Nr. 5106; zitiert in LA Münster RKG K 295, Aktenstück Q 2, fol 9v, Ziff. 3.
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raner Offizialat bereits 1698 begonnen und war schließlich 1714561 an das Reichskammergericht gelangt. Für die ungebrochene Observanz bis 1739 gab der 25 Jahre alte Präzedenzfall womöglich nicht viel her. Ein nicht unwesentliches Detail unterschlug der Interessenvertreter des Freiherrn dabei. Max Heidenreich Droste zu Vischering hatte zu diesem Zeitpunkt, also 1739, bereits in acht Fällen selbst Prozesse vor dem Reichskammergericht als Kläger angestrengt. Viermal hatte er von einem Rechtsstreit vor dem weltlichen Hofgericht Münster unmittelbar an das Reichskammergericht appelliert562, und ebenfalls viermal hatte er von einem erstinstanzlichen Münsteraner Offizialatsurteil direkt das Reichskammergericht angerufen563. Das Kölner Offizialat hatte der Freiherr in keinem einzigen Fall eingeschaltet. Im Rechtsstreit gegen Kerckering behauptete Droste von Vischering also ein Herkommen, das er selbst in seiner reichhaltigen Prozeßführung nie beachtet hatte. Selbst nach Einreichung des Schriftsatzes 1739 rief Droste zu Vischering in einem anderen Rechtsstreit 1742 das Reichskammergericht unmittelbar vom Münsteraner Offizialat aus an, ohne vorher nach Köln zu ziehen564. Abermals zwei Jahre später schaltete Max Heidenreich Droste zu Vischering das Reichskammergericht drittinstanzlich ein, nachdem der Rechtsstreit zuvor an den Offizialaten Münster und Köln rechtshängig gewesen war565. In seiner eigenen Person bot der Beklagte also den besten Beweis dafür, wie schwierig ein unzweifelhaftes und eindeutiges Herkommen zu belegen war. Rein tatsächlich gab es verschiedene Appellationswege, und der Beklagte kannte und beschritt sie alle zugleich. Möglicherweise hatte der Beklagte selbst Zweifel an seiner eigenen Überzeugungskraft, denn hilfsweise beantragte er die restitutio in integrum und die Avokation des Appellationsprozesses durch das Reichskammergericht566. Das Gericht akzeptierte den Hilfsantrag und verwies den Beklagten auf eine extrajudiziale Supplikation567. Ob das geschah, ist unklar568. Wegen des 561 562 563 564 565 566
567
Die bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte, Teil 2, S. 296, lfd. Nr. 5106, genannte Jahreszahl 1719 ist falsch. Bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte I, S. 239-240: lfd. Nr. 1650 (RKG D 669 (1726)), Nr. 1651 (D 706 (1726)), Nr. 1653 (D 707 (1728)), Nr. 1655 (D 708 (1732)). Bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte I, S. 239-240: lfd. Nr. 1652 (D 715 (1727)), Nr. 1653 a (D 670 (1731)), Nr. 1655 a (D 673 (1735)), Nr. 1655 b (D 671 (1736)). Bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte I, S. 240: lfd. Nr. 1655 c (D 672 (1742)). Bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte I, S. 240: lfd. Nr. 1655 d (D 674 (1744)). LA Münster RKG K 295, Aktenstück Q 2, fol. 10r, Ziff. 5; zur Wiedereinsetzung W e r k m ü l l e r , Wiedereinsetzung, Sp. 1366-1368; S e l l e r t , Wiederaufnahme, S. 368-383; kanonistische Wurzeln bei H e l m h o l z , Spirit of Classical Canon Law, S. 88-115; zur Avokation O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 66-67; P e r e l s , Justizverweigerung, 3637; K i l i a n , Querela, S. 12-15. LA Münster RKG K 295, Protokollbuch, Expeditum vom 14. September 1746.
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widersprüchlichen Verhaltens des beklagten Droste zu Vischering ist es aber besonders interessant zu sehen, welchen Fall der Schriftsatzverfasser als angeblich sicheren Beweis für die überkommene Observanz und Gerichtspraxis anführte. Der Präzedenzfall war aus heutiger Perspektive denkbar schlecht gewählt. Der Adlige Ernst Ludwig von Schilling zu Buxfort führte einen Rechtsstreit gegen den Juristen Dr. Werneking als Prozeßstandschafter der Erben eines Johann Wacker. Es ging um Geldforderungen im Zusammenhang mit dem Kauf eines Kottens, also eines Gehöfts569, von einem Alhart von Knippinck. Werneking hatte erstinstanzlich 1698 vor dem „hochfürstlichen Münsterischen geistlichen Hoffgericht“570 geklagt, aber 1699 verloren. Dagegen appellierte er an das Kölner Offizialat, unterlag dort aber zum zweitenmal. Drittinstanzlich klagte Werneking nun am Reichskammergericht in Wetzlar. Das Protokollbuch erstreckt sich über gut drei Jahre, bricht mit Oktober 1717 ab und verzeichnet weder ein Endurteil noch ein einziges Zwischenurteil. Für die Rechtsauffassung des Reichskammergerichts, wie der Schriftsatzverfasser des Droste zu Vischering es behauptet hatte, gab die Akte also nichts her. Selbst für die Ansichten der Parteien war der Streit zwischen Schilling zu Buxfort und Werneking schlecht zu nutzen. Beide setzten zwar offenbar die Appellation von Münster nach Köln und weiter nach Wetzlar als selbstverständlichen Instanzenzug voraus. Allerdings erhob der beklagte Jurist die Desertions- und Devolutionseinwendung und betonte sogar, das Reichskammergericht müsse dies von Amts wegen berücksichtigen571. Er meinte, der Streit sei gar nicht appellabel, weil der Kläger durch das erstund zweitinstanzliche Urteil nur im Wert von 300,- Reichstalern beschwert sei. Falls das zutraf, war die vorgeschriebene Appellationssumme, also die Mindestbeschwer, gar nicht erreicht572. Aus diesem Grund war bereits die Zulässigkeit der Appellation streitig. Das war alles andere als ein durchschlagender Beleg für den reichsgerichtlich anerkannten Instanzenzug. Falls Droste zu Vischering den Eindruck erwecken wollte, das Kammergericht habe die Appellation des Schilling zu Buxfort immerhin nicht abgewiesen und durch den Erlaß der Zitation zumindest stillschweigend Zulässigkeit 568
569 570 571 572
1752 begann ein Reichskammergerichtsprozeß zwischen den Familien Droste-Vischering und Kerckering, nachdem die Sache über die Offizialate in Münster (1628) und Köln (1719) gelaufen war: A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte I, S. 240 lfd. Nr. 1655 e (D 675). Ob es sich um dieselbe Streitsache handelt, ist unklar, weil der Rechtsstreit K 295 keine Angaben zum Streitgegenstand enthält. Zum Begriff: S c h ü t t e , Wörter und Sachen, S. 389-390. LA Münster RKG S 1544, Aktenstück Q 5, fol. 20r. LA Münster RKG S 1544, Aktenstück Q 18, fol. 44r. Seit 1654 betrug die Appellationssumme 400,- Reichstaler: JRA § 112, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 229.
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und Instanzenzug bejaht, konnte auch das kaum stichhaltig sein. Wie sicherlich alle Beteiligten wußten, fällte das Reichskammergericht in den meisten Fällen keine Urteile. Die Untätigkeit der Reichsjustiz hatte mit einer festen Rechtsansicht im Einzelfall überhaupt nichts zu tun. So ist gerade der von Droste zu Vischering angeführte Präzedenzfall ein weiterer Beweis dafür, wie wenig eindeutig auch im 18. Jahrhundert der Instanzenzug in weltlichen Zivilsachen im Fürstbistum Münster war. Münster war kein Einzelfall. In Kurköln gab es in den 1780er Jahren Diskussionen über die Reform der Offizialate und die Beseitigung einiger dort angeblich eingerissener Mängel573. Die zeitliche Überlappung mit dem Nuntiaturstreit zwischen den deutschen Erzbischöfen und der römischen Kurie scheint mehr als augenfällig, doch ist der genaue Zusammenhang nicht klar ersichtlich. In einem Urteil von 1783 erkannte das Reichskammergericht die Gerichtsbarkeit des Kölner Offizialats in weltlichen Zivilsachen aus der Stadt Brühl an574. Auch wenn es hier um streitige Privilegien ging, nahm das Wetzlarer Reichsgericht an der weltlichen Jurisdiktion des Offizialats als solcher keinen Anstand, selbst in der Spätzeit des Alten Reiches nicht.
g) Ergebnis Die Appellation in weltlichen Zivilsachen vom Münsteraner Offizialat an das Kölner Offizialat kam im gesamten hier untersuchten Zeitraum vor. In zahlreichen Streitigkeiten erschien sie als pure Selbstverständlichkeit und wurde dementsprechend überhaupt nicht problematisiert. Wenn die bisherige Literatur teilweise den weltlichen Instanzenzug vom Offizialat ausschließlich an das Reichskammergericht betont575, greift sie deutlich zu kurz. Interessant sind demgegenüber die Fälle, in denen der Instanzenzug zwischen den Parteien streitig war und deswegen den Gegenstand eines kammergerichtlichen Mandatsprozesses bildete. Als Argumente standen sich im wesentlichen zum einen das angeblich alte Herkommen, nach Köln zu appellieren, und die Zugehörigkeit des Bistums Münster zum Erzbistum Köln, zum anderen die weltliche Belehnung des Fürstbischofs mit den Regalien des Reiches gegenüber. Als Parteien traten in diesen Fällen häufig Angehörige des münsterischen Stiftsadels auf, die hier in Zeiten der Personalunion 573 574 575
E i s e n h a r d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 42-44. E i s e n h a r d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 27-28. Kn e m e y e r , Offizialatsgericht Münster, S. 2, 4. Spalte; M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 156.
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mit Kurköln die rechtliche Selbständigkeit und Reichsunmittelbarkeit des Fürstbistums Münster verteidigten. Auch wenn ein Großteil des Stiftsadels um 1600 evangelisch war576, tauchen konfessionelle oder überhaupt religiöse Streitigkeiten in den Zuständigkeitsprozessen an keiner Stelle auf. Die Parteien benutzten ihre Konfession in den rechtlichen Auseinandersetzungen nicht als Argument. Das Prozeßrecht und die Gerichtsverfassung waren also in einem ganz erstaunlichen Maße unabhängig vom persönlichen religiösen Bekenntnis. Das war keine Selbstverständlichkeit, wie die inzwischen gut erforschten gleichzeitig ausgefochtenen Religionsprozesse zeigen577. Die münsterische Regierung, die in Abwesenheit des Landesherrn die Alltagsgeschäfte im Hochstift abwickelte, hielt sich aus den Auseinandersetzungen heraus, ganz im Gegenteil zum Landesherrn, der ausschließlich als Kurfürst und Erzbischof von Köln und nicht als Fürstbischof von Münster in Erscheinung trat und sowohl die geistliche als auch weltliche Zugehörigkeit Münsters zu Kurköln einforderte. Nach dem Ende der ersten Personalunion zwischen 1585 und 1650 reformierte der Münsteraner Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen die Gerichtsverfassung und führte die Möglichkeit der Revision ein. Mehrere Gerichtsordnungen seit 1651 zeigen das Bestreben, statt der Appellation auch eine inländische Revision durch die Regierung zuzulassen. Ob diese Revision wirklich vornehmlich die Aufgabe hatte, Appellationen an die Reichsgerichte zu verringern, wie die ältere Literatur behauptete, erscheint fraglich. Bemerkenswerterweise erging die Reformation von 1651 nur ein Jahr nach dem Ende der ersten Phase der Personalunion. Und die Revisionsordnung von 1688 trat sogar nur zwei Wochen nach der Wahl eines nicht mit Kurköln verbundenen Münsteraner Fürstbischofs in Kraft. Rein tatsächlich erfolgten aber auch in der Zeit ohne Personalunion Appellationen in weltlichen Sachen von Münster nach Köln. Zu einer eindeutigen Klärung der Rechtslage kam es nie. Ein Reichshofratsprozeß des Kölner Kurfürsten gegen die Errichtung eines weltlichen Hofgerichts in Münster versandete in den 1580er Jahren sang- und klanglos. Ein Grundsatzbeschluß des Reichskammergerichts von 1603 scheint vergleichsweise wenig bekannt gewesen zu sein und hinderte das Gericht selbst nicht daran, später abweichende Entscheidungen zu treffen. Erst im 18. Jahrhundert erklärte das Reichskammergericht die Appellation von Münster nach Köln in weltlichen Sachen für unzulässig. 576
577
L ü d i c k e , Die landesherrlichen Zentralbehörden, S. 4 (für die Zeit um 1575); enge Verbindungen zum Protestantismus später bei Gerhard von Morrien und Hermann von Merveldt, dazu G i l l n e r , Freie Herren, S. 103, 334, 352, 390. Zu den Religionsprozessen K r a t s c h , Justiz – Religion – Politik, S. 136-138.
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In der Praxis funktionierte die unklare Gerichtsbarkeit mit ihren verschwommenen Zuständigkeiten dennoch. Offenbar akzeptierten die Beteiligten in den überwiegenden Fällen die verschiedenen mehrspurigen Zuständigkeiten und Appellationswege, auch wenn sie sich in der Theorie ausgeschlossen haben mögen. Das mag ein Beispiel für die sprichwörtliche grünende Observanz gewesen sein. Diese stillschweigende Hinnahme, vielleicht sogar Bejahung von Vielfalt, gelangte aber sofort an ihr Ende, wenn einer der Beteiligten es wagte, in einer weltlichen Sache durch drittinstanzliche Appellation einen profanen Rechtsstreit vor den Apostolischen Nuntius zu ziehen. Dann schlugen die Wellen hoch. Diese Zuspitzung gilt es im folgenden genauer zu betrachten.
3. Der Apostolische Nuntius als Appellationsinstanz in weltlichen Zivilsachen Die bisher betrachteten Appellationen vom Münsteraner Offizial an den Kölner Offizial in weltlichen Zivilsachen bildeten in den allermeisten Streitigkeiten nur den Auftakt zu einer nochmaligen, noch grundsätzlicheren Ausweitung der Auseinandersetzungen. Diejenige Partei, die den zweitinstanzlichen Prozeß vor dem Kölner Offizialat verloren hatte, legte gegen dieses Urteil Appellation beim Apostolischen Nuntius in Köln ein. Hiergegen wiederum supplizierte die Gegenpartei an das Reichskammergericht. Mindestens 52 solcher Streitigkeiten sind im Münsteraner Landesarchiv überliefert. Die Gesamtzahl der Fälle ist dennoch kaum abzuschätzen. Je nachdem, ob die Archivare bei der Quellenverzeichnung den Nuntius als Partei, als Mitbeklagten oder als Vorinstanz ansahen, lagern die Akten teilweise auch im Düsseldorfer Landesarchiv. Wegen fehlender Register sind sie dort nur schwer territorial zuzuordnen578. Das ist freilich nur ein geringer Nachteil. Eine quantifizierende Untersuchung ist ohnehin nicht beabsichtigt, und weitere Zufallsfunde lassen die tatsächliche Bedeutung der hier behandelten Rechtsprobleme noch größer erscheinen, als sie es auf den ersten Blick ohnehin schon war. 578
Zwei Fälle aus Beckum im Fürstbistum Münster von 1615/1616 bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht V, lfd. Nr. 3379/3380 S. 368-369. Wegen unklarer Zugehörigkeit der fraglichen Orte zum Fürstbistum Münster oder unklarer Streitstände bleiben unberücksichtigt: LA Münster RKG W 1596 (1596), M 739 (1596), W 1783 (1605), B 1150 (1617).
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In der Praxis funktionierte die unklare Gerichtsbarkeit mit ihren verschwommenen Zuständigkeiten dennoch. Offenbar akzeptierten die Beteiligten in den überwiegenden Fällen die verschiedenen mehrspurigen Zuständigkeiten und Appellationswege, auch wenn sie sich in der Theorie ausgeschlossen haben mögen. Das mag ein Beispiel für die sprichwörtliche grünende Observanz gewesen sein. Diese stillschweigende Hinnahme, vielleicht sogar Bejahung von Vielfalt, gelangte aber sofort an ihr Ende, wenn einer der Beteiligten es wagte, in einer weltlichen Sache durch drittinstanzliche Appellation einen profanen Rechtsstreit vor den Apostolischen Nuntius zu ziehen. Dann schlugen die Wellen hoch. Diese Zuspitzung gilt es im folgenden genauer zu betrachten.
3. Der Apostolische Nuntius als Appellationsinstanz in weltlichen Zivilsachen Die bisher betrachteten Appellationen vom Münsteraner Offizial an den Kölner Offizial in weltlichen Zivilsachen bildeten in den allermeisten Streitigkeiten nur den Auftakt zu einer nochmaligen, noch grundsätzlicheren Ausweitung der Auseinandersetzungen. Diejenige Partei, die den zweitinstanzlichen Prozeß vor dem Kölner Offizialat verloren hatte, legte gegen dieses Urteil Appellation beim Apostolischen Nuntius in Köln ein. Hiergegen wiederum supplizierte die Gegenpartei an das Reichskammergericht. Mindestens 52 solcher Streitigkeiten sind im Münsteraner Landesarchiv überliefert. Die Gesamtzahl der Fälle ist dennoch kaum abzuschätzen. Je nachdem, ob die Archivare bei der Quellenverzeichnung den Nuntius als Partei, als Mitbeklagten oder als Vorinstanz ansahen, lagern die Akten teilweise auch im Düsseldorfer Landesarchiv. Wegen fehlender Register sind sie dort nur schwer territorial zuzuordnen578. Das ist freilich nur ein geringer Nachteil. Eine quantifizierende Untersuchung ist ohnehin nicht beabsichtigt, und weitere Zufallsfunde lassen die tatsächliche Bedeutung der hier behandelten Rechtsprobleme noch größer erscheinen, als sie es auf den ersten Blick ohnehin schon war. 578
Zwei Fälle aus Beckum im Fürstbistum Münster von 1615/1616 bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht V, lfd. Nr. 3379/3380 S. 368-369. Wegen unklarer Zugehörigkeit der fraglichen Orte zum Fürstbistum Münster oder unklarer Streitstände bleiben unberücksichtigt: LA Münster RKG W 1596 (1596), M 739 (1596), W 1783 (1605), B 1150 (1617).
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Im Gegensatz zu den Appellationen von Münster nach Köln änderte sich jetzt Grundlegendes. Der Zuständigkeitskonflikt zwischen kirchlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit betraf nicht mehr nur die Frage, ob ein einzelnes Bistum zugleich ein Reichsstand war. Vielmehr stellte die drittinstanzliche Behandlung weltlicher Zivilprozesse vor einem päpstlichen Nuntius zugleich die iurisdictio im Reich und damit die rechtliche und politische Macht als solche in Frage. Wer die oberste Gerichtsbarkeit im Heiligen Römischen Reich ausüben konnte, erwuchs plötzlich zu einem Grundsatzproblem, dessen Anlaß auf den ersten Blick belanglose Weidegerechtigkeiten oder andere Alltagskonflikte in irgendeinem unbekannten Dorf im Münsterland bildeten. Diese Spannungspole zwischen anschaulichem Lebenssachverhalt und leidenschaftlich ausgefochtenem Prinzipienstreit, zwischen Kaiser und Papst, deutscher und ausländischer Majestät machen die hier ausgewerteten Quellen zu einer spannenden Fundgrube für die frühneuzeitliche Rechtsgeschichte. Einige einführende Hinweise zur Kölner Nuntiatur erleichtern das Verständnis der Konfliktlinien. Die ständige Kölner Nuntiatur begann ihre Arbeit 1584 und stand im Zusammenhang mit dem nach dem Trienter Konzil eingerichteten ständigen Gesandtschaftswesen der Kurie. Vor allem unter Papst Gregor XIII. (1572-85) kam es zu einer deutlichen Belebung der Nuntiaturen579. Auch andernorts entstanden Nuntiaturen, doch in Köln war die Errichtung besonders spektakulär. Sie erfolgte nämlich genau zu dem Zeitpunkt, als Kurfürst Gebhard Truchseß von Waldburg versuchte, Kurköln in ein weltliches Fürstentum umzuwandeln. Nach seiner Exkommunikation und der Neuwahl Ernsts von Bayern (1583) fiel die Gründung der Kölner Nuntiatur mitten in den bis 1588 währenden sog. Kölner Krieg, in dem die Beteiligten um die Zukunft Kurkölns als geistliches Territorium rangen580. Auf diese Wirren spielte im übrigen Kurfürst Ernst in seinem oben erwähnten Schriftsatz an das Reichskammergericht an, in dem er vom Reichshofratsprozeß seines Vorvorgängers Salentin von Isenburg gegen die Gründung des Münsteraner Hofgerichts berichtete581. Unterstützte also der Nuntius die Behauptung Kurkölns als katholischgeistliches Territorium und war er insoweit ein Verbündeter des neuen Erz-
579 580 581
Allgemeiner Überblick über Nuntiaturen bei F e i n e , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 553556; W a l f , Entwicklung, S. 87-103, zum hier entscheidenden Zeitraum S. 125-137. F e l d k a m p , Erforschung der Kölner Nuntiatur, S. 205; H a n s e n , Nuntiaturberichte I, S. 719-736; L o s s e n , Geschichte der päpstlichen Nuntiatur, S. 170, 173-174. Dazu oben bei Anm. 178, 512-517.
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bischofs bzw. Kurfürsts Ernst582, so gab es freilich aus anderen Gründen prinzipielle Konflikte. Der Nuntius verkörperte nämlich zugleich die päpstliche Jurisdiktionsgewalt. Das spanische Beispiel zeigt, wie der Nuntius im 16. Jahrhundert immerhin die unmittelbare Appellation an den Papst und die Rota verhinderte und damit durchaus den Interessen des Landesherrn diente. In Spanien nützte die Nuntiatur also der Herrschaft Kaiser Karls V.583 Im Reich war es anders. Hier konnte der Nuntius allzu leicht mit den Bestrebungen geistlicher Landesherren zur Festigung ihrer kirchlichen und weltlichen Herrschaft in Konflikt geraten. Seit 1593/94 gab es deshalb ständig Reibereien zwischen dem Kölner Kurfürsten und dem Apostolischen Nuntius. Sie betrafen zahlreiche Fragen, aber immer auch die vom Nuntius ausgeübte Gerichtsbarkeit584. Vergleichsweise gut behandelt in der bisherigen Literatur sind der Febronianismus und Nuntiaturstreit aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Trierer Weihbischof Johann Nikolaus von Hontheim hatte 1763 eine Zurückdrängung der päpstlichen Macht gefordert. Als der Heilige Stuhl 1785 eine weitere päpstliche Nuntiatur in München gründete, versuchten die deutschen katholischen Erzbischöfe, darunter drei Kurfürsten, weitere Beschneidungen ihrer Jurisdiktion zu verhindern. Sie verlangten die Beseitigung der neuen Nuntiatur585. Der Kaiser sowie katholische weltliche Reichsstände versagten den Metropoliten damals die Unterstützung. Die Konfliktlinien im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert können anders verlaufen sein, sind im Vergleich zum Febronianismusstreit aber längst nicht so gut aufgearbeitet, wie schon Hans Erich Feine beklagte586. Gesichert ist wenig. Jedenfalls stützten sich die Kölner Nuntien bei ihrer Amtsführung auf die Bulle bzw. Breve „Romanum decet Pontificem“ von 1573, die jeder neue Nuntius immer wieder gewährt erhielt587. Die Zuständigkeiten des Nuntius, kirchlicherseits Fakultäten genannt, erstreckten sich nach diesen Sendschreiben auch auf die zivile Gerichtsbarkeit588. Allerdings waren die Jurisdiktionsbefugnisse des Nuntius im Vergleich zu Fakultäten aus der Refor582 583 584 585 586 587 588
Positive Würdigung der frühen Nuntiaturzeit bei F r a n z e n , Wiederaufbau, S. 36-37, mit Hinweis auf die ohnehin schwache Regierung von Kurfürst Ernst. G a m s , Kirchengeschichte von Spanien, S. 162. U n k e l , Nuntiaturstreit, S. 785-786. L i n k , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 117; F e i n e , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 554555; zum Febronius-Streit: P i t z e r , Justinus Febronius, passim. F e i n e , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 555. W a l f , Entwicklung, S. 237; speziell zum Nuntius Attilio Amalteo W i t t s t ad t , Nuntiaturberichte. Kölner Nuntiatur IV/1, S. XLIX. Wortlaut der Bulle bei M e r g e n t h e i m , Quinquennalfakultäten II, S. 228-239; zur Sache d e r s . , ebd. I, S. 252-253; va n d e r E s s e n , Introduction, S. LX; W al f , Entwicklung, S. 238.
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mationszeit beschränkt589. Späterer Streit war dennoch im Keim von vornherein gesät. Insbesondere mit dem Kölner Kurfürsten gab es Dauerzank. Ferdinand von Bayern erließ 1609 und 1638 Edikte gegen die ausufernde Ausübung der Nuntiaturgerichtsbarkeit590. Was die spezifische Frage der Gerichtsbarkeit betrifft, hat Feldkamp einige Konflikte „vor allem im 18. Jahrhundert“ verortet591. Die Auswertung der Münsteraner Quellen wird das Bild deutlich verfeinern. Der Jurisdiktionskonflikt reicht erheblich weiter zurück, und namentlich die Reichsebene reagierte in der älteren Zeit ganz anders als im Nuntiaturstreit des späten 18. Jahrhunderts592. Angesichts des klaren Aktenbefundes ist am Ende des Kapitels die Frage aufzuwerfen, ob es später Interesse an einer Geschichtsfälschung gegeben hat. Einige Kirchenhistoriker behaupteten nämlich im Anschluß an Papst Pius VI. bis in die 1960er Jahre hinein das genaue Gegenteil dessen, was die Quellen zeigen.
a) Prozeßhandlungen des Apostolischen Nuntius in weltlichen Zivilprozessen Die Beschwerden der kammergerichtlichen Supplikanten richteten sich häufig nicht nur gegen die nackte Appellation an den Nuntius in weltlichen Streitsachen. Vielmehr beklagten sich die Antragsteller im Mandatsverfahren mehrfach über Prozeßhandlungen, die der Nuntius als drittinstanzlicher Richter schon vorgenommen oder eingeleitet hatte. Es handelte sich also nicht nur um Klagen gegen bevorstehende, sondern oftmals auch gegen bereits begonnene Nuntiaturprozesse. Dieser Befund ist offensichtlich nicht auf nur ein Hochstift begrenzt. Münster ist zwar das erste Territorium, das im Rahmen dieser Untersuchung eine umfassendere Darstellung erfährt. Streitigkeiten um die Anrufung des Nuntius in Zivilsachen gab es in großer Zahl aber auch aus anderen Territorien. Der Jüngste Reichsabschied von 1654 nannte die Fälle aus Münster in einem Atemzug mit denjenigen aus Köln und Lüttich593. In der Tat fördert eine nur kursorische Durchsicht der 589 590
591 592 593
M e r g e n t h e i m , Quinquennalfakultäten I, S. 272. F r a n z e n , Krise, S. 60; allgemein zum Verhältnis des Nuntius zum Kölner Erzbischof K a l l e n , Bischof und Nuntius, S. 7, mit Schwerpunkt auf dem kirchlichen Benefizienwesen; zum späten 16. Jahrhundert U n k e l , Nuntiaturstreit, S. 784-793. F e l d k a m p , Erforschung der Kölner Nuntiatur, S. 208. Hinweise auf Reichsabschiede und kaiserliche Mandate freilich bei F e i n e , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 555. JRA 1654 § 164, bei B u s c h m an n , Kaiser und Reich II, S. 250; S t r y k , Usus modernus IV, lib. XLIX tit. III § 7, S. 910, nennt außerdem Kurtrier.
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Düsseldorfer Reichskammergerichtsbestände bereits Dutzende einschlägiger Fälle aus Kurköln zu Tage594. Wegen fehlender Register ist zudem mit einer sehr hohen Dunkelziffer zu rechnen. Wie oft sich eine Partei die Mühe machte, gegen einen Nuntiaturprozeß das Reichskammergericht anzurufen, läßt sich nur unter sehr hohem Aufwand exakt ermitteln. Wieviele Rekurse an den Nuntius es insgesamt gab, bleibt damit unklar. Hier kann es daher nicht um Quantifizierungen gehen. Die ausführliche Darstellung der Münsteraner Streitigkeiten schält vielmehr eine Vielzahl grundlegender Argumente heraus und legt Streitlinien frei, die im folgenden exemplarisch und ausführlich zu schildern sind. Prinzipiell anders verliefen die Auseinandersetzungen in anderen Territorien nicht. Schlaglichter auf das Fürstbistum Osnabrück zur Zeit Justus Mösers sowie ganz am Ende der Untersuchung auf das Herzogtum Jülich-Berg bestätigen den Eindruck. Die modernen ausführlichen Repertoriumsmitteilungen aus der Aktenverzeichnung im 594
Das elektronische Findbuch liefert 72 Fälle für den Archivsprengel Düsseldorf, freilich ohne territoriale Differenzierung; im gedruckten Findbuch: A l t m a n n / H o f f m a n n , Reichskammergericht I, lfd. Nr. 567 (S. 570-571), 569 (S. 572-573), 685 (S. 690), 795 (S. 795-796); A n t w e i l e r / K as t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht II, lfd. Nr. 1060 (S. 243-244, Bezug zum Nuntius nur am Rande), 1114 (S. 291-292), 1171 (S. 350352), 1173 (S. 353), 1184 (S. 363-364, Bezug zum Nuntius nur am Rande), 1186 (S. 367368); A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht III, lfd. Nr. 1503 (S. 42-43), 1634 (S. 135, territorial unklar, Fall aus Essen), 1647 (S. 144-145, Fall aus Essen), 1655 (S. 149, Fall aus Essen), 1663 (S. 153-154, Fall aus Essen), 1678 (S. 164), 1853 (S. 284, mit Beteiligung des kaiserlichen Fiskals), 1855 (S. 285, aus Jülich-Berg), 1858 (S. 287-288), 2004 (S. 413-414); A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht IV, lfd. Nr. 2300 (S. 89), 2362 (S. 137), 2456 (S. 204, Parteien aus der Stadt Köln und dem Herzogtum Berg), 2541 (S. 265), 2615 (S. 322), 2650 (S. 353-354), 2774 (S. 472), 2812 (S. 505-506); A n t w e i l e r / K as t e n / H o f f m an n , Reichskammergericht V, lfd. Nr. 2972 (S. 65), 2973 (S. 66), 2989 (S. 75), 3102 (S. 157-158, hier erscheint der Nuntius als erwünschter Richter und das Reichskammergericht in der Sicht einer Partei als unzuständig), 3140 (S. 182), 3229 (S. 249, Kläger aus Trier), 3380 (S. 368, Fall aus Münster), 3429 (S. 407); A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht VI, lfd. Nr. 3765 (S. 185), 4105 (S. 458), 4187 (S. 521, vermutlich aus Lüttich), 4251 (S. 572, Fall aus Essen); B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht VII, lfd. Nr. 4393 (S. 164), 4457 (S. 231-232, Fall aus Aachen), 4490 (S. 262-263), 4555 (S. 341-342: Nuntius erklärt sich für unzuständig), 4556 (S. 342-343), 4745 (S. 523), 4746 (S. 524); B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht VIII, lfd. Nr. 4930 (S. 111-112), 4949 (S. 133-134), 4950 (S. 135), 4951 (S. 135-136), 4954 (S. 138-139), 5009 (S. 196-199, Fall aus Aachen, Zuständigkeit des Nuntius wohl unstreitig), 5131 (S. 330), 5249 (S. 470, Falls aus Hamm), 5379 (S. 576-577), 5448 (S. 627, Fall aus Lüttich), 5522 (S. 684), 5610 (S. 764-765); B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht IX, lfd. Nr. 5760 (S. 111-112, Fall aus Jülich-Berg), 5768 (S. 118-119), 5801 (S. 160-161), 6001 (S. 341-342), 6052 (S. 389-390, Fall aus Werden), 6059 (S. 396-398), 6099 (S. 450-451, kurmainzischer Kläger), 6100 (S. 451, Paderborner Kläger), 6207 (S. 585-586, Fall aus Osnabrück), 6212 (S. 590-591, Fall aus Trier), 6230 (S. 606-607), 6409 (S. 756-757).
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Landesarchiv Düsseldorf fördern ebenfalls keine neuen Gesichtspunkte ans Licht. Die Ausblendung des Kurfürstentums Köln führt somit zu einer vertretbaren Beschränkung der Quellengrundlage, ohne die Reichweite der Ergebnisse übermäßig zu beeinträchtigen. Auch die Streitigkeiten aus dem Fürstbistum Münster enthalten nämlich Sprengkraft, wie wenige Beispiele sofort klarstellen. In einem Münsteraner Rechtsstreit von 1612 nahm der drittinstanzlich angerufene Apostolische Nuntius als weltlicher Richter sofort das Heft des Handelns in die Hand. Er setzte als erstes einen Lizentiaten der Rechte und Kollegiaten der Kirche St. Gereon in Köln zum Kommissar ein. Dieser Kommissar sprach gegenüber dem zweitinstanzlichen Kölner Offizialatsurteil die Inhibition aus und untersagte jegliche Vollstreckung sowie weitere Prozeßhandlungen des Kölner Offizials. Dem kammergerichtlichen Supplikanten, der ja immerhin den Offizialatsprozeß gewonnen hatte, drohte der Kommissar bei Verstößen gegen seinen Befehl den Bann sowie die hohe Geldstrafe von 50 Goldgulden an595. Wie ein Damoklesschwert schwebte hier in einem weltlichen Zivilprozeß eine der schwersten Kirchenstrafen für prozessualen Ungehorsam über den Parteien. Das war ein Streitpunkt, der auch in anderen Zusammenhängen auftauchte. Bereits bei den Verhandlungen um die Reform des Münsteraner Offizialats in den 1570er Jahren gab es Stimmen, die lautstark die Androhung von Kirchenstrafen durch das Offizialat in weltlichen Rechtssachen kritisierten596. Der Münsteraner Rektor Kerssenbroch hielt es 1573 für einen Mißbrauch, wenn ein Offizial bei der Eintreibung von Schulden mit der Exkommunikation drohte597, und der Münsteraner Fürstbischof Wilhelm von Ketteler598 beklagte 1556 insbesondere den „Mißbruck des Bannes“ durch das Offizialatsgericht599. In den hier untersuchten Prozessen tauchen derartige Beschwerden gegen die Offizialatsgerichte nicht auf. Ob es sich dabei um Zufall handelt, ist ohne Gegenprobe nicht zu entscheiden. Vermutlich setzten die Offizialate 595 596
597 598 599
LA Münster RKG H 1569, Aktenstück Q 1, fol. 3-4; zur Androhung des Banns auch T r u s e n , Auseinandersetzungen, S. 267/388*. Anordnung von Fürstbischof Bernhard von Raesfeld von 1560 mit Kritik an Kirchenstrafen in weltlichen Offizialatsprozessen bei S c h w a r z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 161-166. D e t m e r , Wiedertäufergeschichte II, S. 93; K l o o s t e r h u i s , Fürstbischof Johann von Hoya, S. 98. Bischof 1553-1557, zu ihm Ko h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 574-579. Kl o o s t e r h u i s , Fürstbischof Johann von Hoya, S. 98-99, dort auch das Zitat; weitere zeitgenössische Kritik am Offizialat bei d e r s . , Gogericht, S. 154; H o l z e m , Religion, S. 37; allgemein zum Problem E l s e n e r , Exkommunikation, S. 70, 73, 84; für das Mittelalter H e l m h o l z , Spirit of Classical Canon Law, S. 366-393; N ö r r , Rota Romana, S. 231; B u d i s c h i n , Zivilprozeß, S. 61-67.
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in Münster und Köln in den hier interessierenden Streitsachen dieses Druckmittel nicht ein. Jedenfalls aber benutzten der Nuntius und sein Kommissar weiterhin die Drohkulisse schwerster Kirchenstrafen, um ihrem Jurisdiktionsanspruch Geltung zu verschaffen. Auch die 50 Gulden Geldstrafe, um die es in dem Fall von 1612 ebenfalls ging, blieben kein Einzelfall. Noch in einer Mandatsbitte von 1674 prangerte der Kläger die Summe an600. Im Vergleich dazu erscheinen die zehn Mark lötigen Goldes, die das Reichskammergericht für Verstöße gegen seine Mandate vorsah601, geradezu läppisch. Ebenfalls in zwei Fällen drohte der vom Nuntius eingesetzte Kommissar eine kirchliche Zensur an. 1624 verhängte der Kommissar gegenüber dem Kölner Offizialat eine Inhibition „sub censuris Ecclesiasticis“602, und 1674 hatte der vom Nuntius eingesetzte Kommissar, der Münsteraner Domdekan Bernhard Modersohn, einen Appellationsprozeß „sub comminatione grauissimae censurae Ecclesiasticae“ eröffnet603. Im kanonischen Recht galt die Censura als Oberbegriff „non solum interdicti, sed suspensionis et excommunicationis sententia“604. Die Beschwerden über die angedrohte Zensur waren damit womöglich identisch mit den Klagen über angedrohten Kirchenbann. Es scheint in den hier untersuchten Fällen für den Nuntius vergleichsweise üblich gewesen zu sein, die konkrete Prozeßführung einem Kommissar zu überlassen. Im weltlichen Recht ist das Kommissionswesen in den vergangenen Jahren umfassend untersucht worden, vor allem von Historikern605. Vor kirchlichen Gerichten dürfte die Praxis ähnlich ausgesehen haben. Im ältesten hier einschlägigen Streit hatte der Nuntius 1595 einen Hermann Voß, „Veteris Ecclesiae zu Münster Dechan“ durch „rescriptum oder commissionem“ mit der Durchführung der weiteren Verhandlungen betraut606. Reskript und Kommission waren offenbar austauschbare Begriffe; die kammergerichtlichen Supplikanten benutzten sie in Quellen wie dieser jedenfalls synonym607. Gemeint war jeweils dasselbe. Der Nuntius behandelte 600 601
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605 606 607
LA Münster RKG V 363, Aktenstück Q 2, fol. 6r. Androhung von 10 Mark in LA Münster RKG K 838; RKG S 2636; RKG M 741; RKG M 1586; RKG R 1070; RKG N 603; RKG W 1053; RKG H 1569; RKG D 487; RKG W 692; RKG S 420; RKG S 2291; RKG V 363; RKG M 1729. LA Münster RKG S 420, Aktenstück Q 1, fol. 05r. LA Münster RKG V 363, Aktenstück Q 2, fol. 6r. X 5, 40, c. 20; dazu zeitgenössisch O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 120; aus der modernen Literatur G i l c h r i s t , Canon Law, S. 249-250; zur frühen Neuzeit B i an c h i n , Dove non arriva la legge, S. passim; d i e s . , Zensur, S. 263 Anm. 2. O r t l i e b , Im Auftrag des Kaisers; U l l m a n n , Geschichte auf der langen Bank. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r. Ebenso 1599 in LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5: „mit verscheiden Päbstlichen Rescriptis unnd Commissionibus“.
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die anfallenden Zivilprozesse weder als Person noch als Behörde selbst, sondern bevollmächtigte entweder einen Kölner Kanoniker oder einen ortsansässigen Münsteraner Geistlichen mit der Prozeßführung608. Der Kommissar war, wie sich aus den Quellen ergibt, nicht zwingend Jurist, sondern wohl mehrfach, vielleicht sogar regelmäßig Theologe609. Freilich sind auch Kommissare nachweisbar, die zugleich die Rechte sowie Theologie studiert hatten610. Etwas aberwitzig erscheint die Kommissionseinsetzung im Fall Morrien gegen Plathe aus dem Jahr 1600. Dort hatte der Apostolische Nuntius einen Hermann Bisping, den Münsteraner Offizial, zum Kommissar verordnet611. Hermann Bisping war nicht nur Kommissar, sondern als fürstbischöflicher Offizial auch erstinstanzlicher judex a quo des angefochtenen zweitinstanzlichen Urteils612. Wenn an der Entscheidung der dritten Instanz der Richter der ersten Instanz erneut beteiligt war, scheint das nicht weiter gestört zu haben. Jedenfalls gab es erstaunlicherweise keine Beschwerden. Nur ein Jahr später tauchte derselbe Hermann Bisping in seiner Eigenschaft als Apostolischer Kommissar sogar als Beklagter in einem Reichskammergerichtsprozeß auf613. Allerdings handelt es sich hierbei um Einzelfälle. Teilweise behaupteten diejenigen Parteien, die den Nuntius angerufen hatten, ihr Gegner sei mit der Einsetzung einer Kommission einverstanden gewesen. Das gestand der Widerpart jedoch in keinem Fall ausdrücklich zu614. Die genaue Prozeßgeschichte liegt damit nicht immer klar zu Tage. In keinem einzigen der hier ausgewerteten Fälle, dies sei nur der Vollständigkeit halber hinzugefügt, war der Rechtsstreit vor dem Apostolischen Nuntius über das Anfangsstadium der Inhibition bzw. Kommissionseinsetzung hinausgelangt. Es gab also keine Nuntiatururteile, gegen die ein Appellant Rechtsmittel hätte einlegen können. Vielmehr ließen es die kammergerichtlichen Supplikanten so weit gar nicht erst kommen. Sie klagten äußerst zeitnah gegen die Anrufung des Nuntius im Rahmen des einstweili608 609 610 611 612
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Einzelheiten zum Reskriptsverfahren bei P i t z , Papstreskript. So auch in LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5. LA Münster RKG S 420, Aktenstück Q 1, fol. 05r: Caspar Paul Stravius, Doktor der Rechte und Kanoniker an St. Gereon zu Köln. LA Münster RKG M 1432, Aktenstück Q 2, fol. 03r. Nach S c h w a r t z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 139-140, wurde Hermann Bisping zunächst provisorisch, im Juli 1602 dann förmlich zum Offizial bestellt. In dem hier ausgefertigten Mandat vom 4. Dezember 1600 wird er einschränkungslos als Offizial bezeichnet; zu ihm I m m e n k ö t t e r , Protokolle, S. 28-29; Ko h l , Bistum Münster 7/Diözese 4, S. 119, 147-149 (mit Todesjahr 1619). LA Münster RKG L 727, Protokollbuch zunächst mit bloßer Angabe des Kommissars als Beklagten, dann Änderung in „Hermann Bißpinckh“; namentlich als Beklagter auch im Mandat (Aktenstück Q 1, fol. 5r) genannt. 1605 gaben die Parteien einen Vergleichsschluß bekannt (Protokollbuch vom 23. September 1605, fol. 03r). LA Münster RKG Anhang D 11, unquadr. Aktenstück „Replicae“, fol. 11v.
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gen Rechtsschutzes auf Erlaß eines Mandats sine clausula. Deswegen handelt es sich bei den Reichskammergerichtsakten, die der Auswertung zugrundeliegen, weder um Appellations- noch Nichtigkeitsprozesse, sondern in jedem Fall um Mandatsverfahren. Für die Beschwerdeführer scheint es sich also durchweg um eilbedürftige Angelegenheiten gehandelt zu haben. Wer vollendete Tatsachen in einem Nuntiaturprozeß verhindern wollte, schaltete das Reichskammergericht so früh wie möglich ein.
b) Vorwürfe gegen die Anrufung des Nuntius und seine Prozeßführung Diejenigen Kläger, die gegen den Appellationsprozeß vor dem Apostolischen Nuntius das Reichskammergericht zu Hilfe riefen, erhoben in ihren Supplikationen schwere Vorwürfe gegen ihren Gegner sowie gegen den Nuntius und seine Prozeßführung. Die Argumente, die sie hierbei benutzten, waren nur zum Teil mit den Angriffen auf die Appellation von Münster an den Kölner Offizial identisch. Viele der im fortgeschrittenen Verfahrensstadium geltend gemachten Beschwerdegründe waren demgegenüber neu und lassen die Appellation an den Nuntius als etwas grundsätzlich anderes als die Appellation an ein Offizialatsgericht erscheinen. Es ging nicht nur um eine Klage an einem unzuständigen Gericht, sondern um ungleich mehr. Deswegen ist es angebracht, diese Argumente hier festzuhalten und auf ihre Reichweite hin zu prüfen. Vorab ist es nicht weiter verwunderlich, wenn sich in den Supplikationen scharfe Angriffe auf die jeweiligen Prozeßgegner finden. Deren Verhalten empfanden die kammergerichtlichen Supplikanten als frivol615, mutwillig und frevelhaft616, die Appellationen des Gegners an den Nuntius erschienen als unordentlich617. Solche lautstarken Vorwürfe enthielten freilich wenig juristische Substanz. Wenn man den Streit um die Gerichtsverfassung und die Instanzenzüge nachzeichnen möchte, ist dies auf der Basis der gegen die jeweiligen Prozeßgegner gerichteten Rundumschläge nicht möglich. Es ist 615
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LA Münster RKG V 363, Aktenstück Q 2, fol. 6r; zur Frivolität O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 321: „Frivola appellatio, da man wider das gesprochene Urtheil und den Process nichts hauptsächliches, sondern nur Bagatellen einzuwenden hat, welche zu nichts dienen, als die Execution aufzuhalten, und dem Gegentheil die Sache schwer zu machen.“ - Aus der Kameralliteratur D e c k h e r r , Relationen, relatio XVI Leitsatz 19, S. 534: „Appellatio quae sine legitima causa interponitur frivola censetur“; ebd. relatio VI Leitsatz 31, S. 146: „Appellationi manefestè frivolae & iniustae Judex deferre nequit.“ LA Münster RKG S 2642, Aktenstück Q 2, fol. 03r. LA Münster RKG W 692, Aktenstück Q 1, fol. 02r.
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deswegen erforderlich und auch erheblich ergiebiger, die Äußerungen über den Nuntius und seine Kommissare genauer unter die Lupe zu nehmen. aa) Unordentlichkeit des Verfahrens und Verstoß gegen die Reichskammergerichtsordnung Ein Vorwurf tauchte in den Supplikationen gebetsmühlenartig immer auf: die Unordentlichkeit des Appellationsverfahrens. Wie soeben gezeigt, richtete sich diese Anfeindung zugleich gegen den Prozeßgegner. Seine Appellation erschien als unordentlich, aber auch das Verfahren vor dem Nuntius war in dieser Terminologie unordentlich, nämlich nicht ordnungsgemäß. In einem Mandat von 1608 zitierte das Reichskammergericht den klägerischen Vorwurf, wonach die „unordnungh dero Geistlichen Gerichteren abgestelt“ werden solle618. 1611 hieß es ganz ähnlich, „Mißbrauch und Unordtnung dero Geistlichen Gerichtern“ müßten „abgestelt“ werden619, und ein Mandat von 1612 wiederholte wörtlich diese Formulierung, immer im Passiv620. In derartigen Verwendungszusammenhängen benutzte man den Begriff „unordentlich“ ganz offenkundig nicht im alltagssprachlichen Sinne, sondern in spezifisch juristischer Bedeutung. Es handelte sich um eine Anspielung auf die Reichskammergerichtsordnung von 1555, die mit ebendieser Wendung versucht hatte, reichsrechtlich einheitliche Mindeststandards für Untergerichte zu formulieren. Die Parteien sagten das häufig nicht, lehnten sich doch aber weitgehend wörtlich an die Vorlage an. Gleich zu Beginn des zweiten Teils der Kammergerichtsordnung erfolgte eine wesentliche Festlegung: Jeder Reichsangehörige sollte bei seinen ordentlichen inländischen Gerichten gelassen werden. Einen ausdrücklichen Adressaten benannte die Passivformulierung nicht. Doch müsse jedermann innerhalb eines Monats Rechtsschutz erhalten. Das war dieselbe Frist, deren Verletzung Rechtsverweigerungsklagen nach sich ziehen konnte621. Ergänzend bestimmte die Ordnung: „Doch söllen daneben alle und jede geystliche und weltliche obrigkeyten eyn gebürlichs einsehens thun und verschaffen, daß die mißbreuch und unordnung der geystlichen und weltlichen gerichten abgestelt, an denjenigen vermög gemeyner rechten ordenlich und formlich gehandelt und procedirt werde und je eyns das ander bey seinem proceß und lauf bleiben lassen, allerhandt unrath, widerwill, unwesen, auch nichtigkeyten deß proceß, so darauß erwachsen, damit zufür[zu]kommen.“622 Diese 618 619 620 621 622
LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04r. LA Münster RKG M 1053, Aktenstück Q 1, fol. 14v. LA Münster RKG H 1569, Aktenstück Q 1, S. 3-4. O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 64-65. RKGO 1555 2, 1, 1, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 167.
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Bestimmung vermengte in moderner Terminologie Prozeßrecht und Gerichtsverfassungsrecht. Zum einen ging es nämlich um bestimmte prozessuale Mindestanforderungen. Mißbräuche und Unordnung waren nach der Formulierung das Gegenteil von Ordnung und Form. Der Gegensatz von Form und Willkür, den im 19. Jahrhundert Jhering so prägnant herausarbeitete623, war hier bereits ganz deutlich auf den Punkt gebracht. Das betraf das Prozeßrecht im modernen Sinne. Der zweite Halbsatz bezog dagegen die Gerichtsverfassung mit ein. Geistliche und weltliche Gerichte sollten sich gegenseitig in Ruhe lassen und ihren jeweiligen Lauf nicht stören. Die Nichtigkeiten, um die es ganz am Ende des Satzes ging, thematisierten zwar Verstöße gegen das Prozeßrecht, spielten aber offenbar auf rechtswidrige Prozeßhandlungen an, die aus einer Vermengung weltlicher und geistlicher Justiz entspringen konnten. Auf jeden Fall war diese Vorschrift aus der Reichskammergerichtsordnung allgemein formuliert und bezog sich keineswegs nur auf geistliche Gerichte. Genau an dieser Stelle aber gelang den kammergerichtlichen Supplikanten in den hier ausgewerteten Fällen ein kleines rhetorisches Kunststück. Sie schafften es nämlich, einerseits die Gerichtsordnung zu zitieren, anderseits aber die Aussagerichtung vollständig zu ändern. Die Mißbräuche und Unordnung der geistlichen und weltlichen Gerichte, so war die Gerichtsordnung formuliert, sollten die jeweiligen Gerichtsherren abstellen, indem das gemeine Prozeßrecht an die Stelle des mißliebigen älteren und ungeordneten Herkommens trat. Die kammergerichtlichen Supplikanten bezogen zum einen die zitierte Vorschrift ausschließlich auf geistliche Gerichte. Zugleich spitzten sie jedoch die Formulierung zu. Nunmehr schien es, als führe die Kammergerichtsordnung Klage über bekannte Mißbräuche und Unordnung der geistlichen Gerichte und versuche, diese Unordnung einzudämmen. Zahlreiche Belege lassen sich dafür anführen. In einem Mandat von 1608 erweiterten die Kläger ihren Vorwurf. Sie wollten die „vermischungh, zerrüttungh, mißbrauch und unordnungh dero Gerichteren und Jurisdictionum abgeschaffet“ wissen624. 1611 hieß es, der stetige Mißbrauch der geistlichen Gerichte solle den betagten Kläger ermatten625. 1616 mußte sich der Nuntius sagen lassen, er sei eine „unordenliche Obrigkeit“626. Von hier aus war es nur ein kleiner Schritt zu zwei erheblich gravierenderen Punkten. Zum einen warfen die Beschwerdeführer dem Nuntius vor, er sei inkompetent für die fragliche Prozeßführung. Zum zweiten, eng damit verbunden, 623 624 625 626
J h e r i n g , Geist des römischen Rechts II/2 (1858), § 45, S. 497, dazu O e s t m a n n , Zwillingsschwester der Freiheit, S. 1, 20-23; M ü n c h , Richtermacht, S. 56-57. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04r. LA Münster RKG W 1053, Aktenstück Q 1, fol. 14v. LA Münster RKG D 487, Aktenstück Q 1, fol. 005.
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sorge der Nuntius durch seine eingeleiteten Maßnahmen lediglich für eine unzulässige Vermischung der Gerichtsebenen. bb) Unzuständigkeit des Nuntius Die Unzuständigkeit des Nuntius zur Führung von Zivilprozessen setzten die kammergerichtlichen Supplikanten als Selbstverständlichkeit voraus und formulierten entsprechend scharf. Schon 1595 schrieb ein Anwalt, der Nuntius habe sich eine Jurisdiktion „angemast (...), ut pote quae nulla tibi hoc casu competat“627. Manchmal sprachen die Mandatskläger davon, der Nuntius sei „plane incompetens“628, er maße sich eine unerfindliche und ungehörige Botmäßigkeit an629. In den Feinheiten unterschieden sich manchmal die Formulierungen, im Ergebnis war die Aussage immer dieselbe. Der Nuntius sei, „in haec causa ciuili inter Laicos omnino“ unzuständig630, er sei ein in „prophan und civil sachen inter personas Laicas notoriè incompetens Judex“, hieß es gleichlautend 1609 und 1620631. Auch am zeitlichen Ende der hier betrachteten Münsteraner Fälle änderte sich daran nichts. 1719 schrieben einige Streitgenossen in ihrer Supplikation, „daß die nunciatur in Ca[us]a hac merè profanà et Civili Judex Competens keines weg sey“632. Im Gegensatz zu den unklaren Einschätzungen der erst- und zweitinstanzlichen Zuständigkeit der Offizialatsgerichte in Münster und Köln bei der Behandlung von Zivilsachen zwischen Laien war das Ergebnis hier jeweils eindeutig und unmißverständlich. Diejenigen Parteien, die sich an das Reichskammergericht wandten, unterschieden in großer Deutlichkeit zwischen einem Zivilprozeß vor einem Offizialatsgericht und vor dem Apostolischen Nuntius. Unabhängig von allen Diskussionen um die Offizialate lehnten sämtliche Supplikanten eine wie auch immer geartete Zuständigkeit der Nuntiatur in Zivilsachen rundherum ab. Gerade das zuletzt genannte Beispiel von 1719 mag zeigen, wie sich die Fronten hier ändern konnten. Die Supplikanten in diesem späten Rechtsstreit waren nämlich ein Bursarius633 am Alten Dom zu Münster und einige dort ebenfalls tätige Vikare634. Und obwohl die Parteien den Rechtsstreit 627 628 629 630 631 632 633 634
LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r. LA Münster RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04r; M 741, Aktenstück Q 5. LA Münster RKG W 692, Aktenstück Q 1, fol. 02r. LA Münster RKG N 603, Aktenstück Q 1, fol. 03r. LA Münster RKG R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 02r; wörtlich identisch R 1130, Aktenstück Q 1, fol. 02r. LA Münster RKG M 1729, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Supplication“, fol. 10v. Bursarius: Einnehmer einer geistlichen Einrichtung, meistens eines Klosters, Nachweis in: Deutsches Rechtswörterbuch II (1935), Sp. 647. Repertoriumshinweis bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte, lfd. Nr. 3806.
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erst- und zweitinstanzlich vor den Offizialaten in Münster und Köln verhandelt hatten, nahmen Bursarius und Vikare in ihrer Argumentation nicht die geistliche Zuständigkeit aufgrund ihrer kirchlichen Anbindung in Anspruch. Das Klerikerprivileg spielte keine Rolle. Vielmehr bezeichneten sie ihre eigene Angelegenheit, einen Streit um eine Rentverschreibung, als rein weltliche Sache. Das ist ein deutlicher Hinweis: Auch für geistliche Würdenträger bedeutete ein Rechtsstreit vor dem Nuntius etwas grundsätzlich anderes als ein Offizialatsprozeß. Auf diesen Befund wird zurückzukommen sein. Außerdem verbanden die Beschwerdeführer ihren Unmut über die Unzuständigkeit des Nuntius in einigen Fällen mit äußerst scharfen Angriffen auf die persönliche Qualifikation des Kommissars oder sogar des Nuntius selbst. Einem 1595 vom Nuntius eingesetzten Dechanten des Münsteraner Doms warf ein Melchior Komnis in direkter Anrede vor, daß „du dich wol für einen des Rechten gelerten nit außgebest, auch deinen Gottesdinst besser verwaltten, dann mit welttlichen sachen beladen solltest“635. Auch Attilio Amalteo, Titularbischof von Athen und Kölner Nuntius636, mußte sich 1609 ähnliches sagen lassen. Ihm passe „doch das Brevir, und Heylige schrifft besser, allß in cognitas causas civiles zutractiren“637. An solchen Stellen brach mitten in den Supplikationsschriften plötzlich ganz unverhohlen Mißtrauen, ja fast schon Haß gegenüber Theologen als Richtern auf. Mit einem süffisant-hämischen Schuster-bleib-beiDeinen-Leisten-Argument erschienen der Nuntius und seine Kommissare plötzlich als juristische Laien, die durch ihre Amtsanmaßung zugleich ihre kirchlichen Pflichten schleifen ließen und verabsäumten. Beide Prozesse, aus denen die zitierten Äußerungen stammten, dienten später übrigens in den Auseinandersetzungen um die Gerichtsverfassung im Hochstift Münster als wichtige Präjudizien638. Vielleicht lag das nicht nur an dem beherzten Einsatz von Melchior Komnis und Gerhard von Morrien für die jurisdiktionelle Eigenständigkeit des Fürstbistums Münster. Möglicherweise waren die Zeitgenossen gerade von den deutlichen Worten beeindruckt, mit denen beide so überaus scharf die Einmischung des Apostolischen Nuntius in die Zivilgerichtsbarkeit zurückwiesen.
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LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r. 1545-1633, Nuntius 1606-1610; nachgewiesen bei F e l d k am p , Erforschung der Kölner Nuntiatur, S. 266; J u s t , Quellen, S. 259-260; zu seiner Tätigkeit als Nuntius S am e r s k i , Atilio Amalteo, S. 34-39; umfangreiche Quellen bei d e m s . , Nuntiaturberichte IV/2/1; R e i n h a r d , Katholische Reform, S. 44-46. LA Münster RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04r. Zitiert in LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3, Art. 19, fol. 017r.
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cc) Vermischung der Gerichtsbarkeiten Aus der Unzuständigkeit des Apostolischen Nuntius für weltliche Zivilprozesse folgte für die kammergerichtlichen Supplikanten notwendig der nächste Vorwurf. Danach vermischte der Nuntius durch seine Prozeßhandlungen die weltliche und geistliche Gerichtsbarkeit in unzulässiger Art und sorgte auf diese Weise für Konfusion. Der Angriff war regelmäßig mit einer abstrakt-generellen Rechtsbehauptung verknüpft. „Dergleichen confusiones Jurisdictionum“ hielten die Kläger für verboten und glaubten sich damit im Einklang mit den „gemeinen beschriebenen Rechten, alß unsern unnd des heiligen Reichs Constitutionen und Abschieden“639. Diese Formulierung, hier aus einer Quelle von 1595, zog sich über die Jahrzehnte mit nur minimalen Abwandlungen durch die Schriftsätze. Im Heiligen Reich dürfe keine „Jurisdictionum confusio“ entstehen, hieß es 1599640, und auch zahlreiche andere Mandate enthielten in der Narratio dieselbe Wendung641. Manchmal fügten die Kläger hinzu, statt einer schädlichen Konfundierung der Justiz solle jeder Gerichtsbarkeit, also der geistlichen wie der weltlichen, ihr „freyer starckher und unverhinderter lauff gelaßen werden“642. Das war eine Anspielung auf die Reichskammergerichtsordnung von 1555, die bestimmte, „daß dem cammergericht sein stracker lauf gelassen werden soll“643. Schon die Wahlkapitulation Karls V. hatte im Juli 1519 den Hinweis auf den stracken Lauf enthalten, dort bezogen auf das kaiserliche Versprechen, die territoriale Justiz nicht zu beeinträchtigen644. Aus den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts sind weitere Quellen bekannt, die den stracken Lauf des Kammergerichts einforderten645. 639
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LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r; Vorwurf der Konfusion auch in Kurmainz bei Straf- und Policeysachen: H är t e r , Policey und Strafjustiz, S. 316 (Quelle von 1670). LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5. LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 1, fol. 08r (1600); M 1432, Aktenstück Q 2, fol. 03r (1600); R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 02r (1609); U 8, Aktenstück Q 1, fol. 03r (1614); D 487, Aktenstück Q 1, fol. 005 (1616); R 1130, Aktenstück Q 1, fol. 02r (1620); S 420, Aktenstück Q 1, fol. 05r (1624); S 2291, Aktenstück Q 1 (1625); S 774, Aktenstück Q 1, fol. 03v (1633); S 1793, Aktenstück Q 1, fol. 04r (1633); V 363, Aktenstück Q 2, fol. 05v (1674); M 1729, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Supplication“, fol. 11r (1718). LA Münster RKG W 692, Aktenstück Q 1, fol. 02r; S 774, Aktenstück Q 1, fol. 03v; ähnlich, aber nur „Lauff bleiben lassen“: H 1569, Aktenstück Q 1, S. 3-4 (1612). Titelüberschrift vor RKGO 1555 2, 35, bei L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 217. Wahlkapitulation Karls V. Art. 22, in: Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe I, Nr. 387 S. 872; auch bei L ü n i g , Reichs-Archiv II, S. 335 (etwas andere Zählung; dort aber: „starcken Lauff lassen“); dazu E r w i n , Machtsprüche, S. 157. Reichsabschied 1510 § 14, bei S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Neue und vollständigere Sammlung II, S. 134 (mit Hervorhebung); Reichsabschied 1541 § 31, ebd., S. 435 (mit
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Wie bereits bei dem oben behandelten Hinweis auf die Unordnung und Mißbräuche der partikularen Gerichte war auch der stracke Lauf der Justiz, jedenfalls in den normativen Quellen, in keiner Weise mit speziellen Abgrenzungsproblemen weltlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit verbunden. Die Kläger übernahmen freilich die auf den Kameralprozeß gemünzte Formulierung und übertrugen sie bedenkenlos auf die weltliche Gerichtsbarkeit als solche. Sie war es, die durch rechtswidrige Apostolische Nuntiaturprozesse nicht beeinträchtigt werden durfte. Holger Erwin hat angeregt, die genaue Bedeutung des Adjektivs „strack“ in den normativen Quellen einmal unter die Lupe zu nehmen646. So reizvoll das erscheint, ist dennoch Vorsicht geboten. Denn zum einen vermieden die zeitgenössische Rechtslehre und Gesetzgebung Eindeutigkeiten ohnehin gern. Zum anderen zeigen die hier zitierten Belege aus der Prozeßpraxis zugleich die Grenzen dieser Art von Begriffsgeschichte auf. Für die anwaltlichen Schriftsatzverfasser in der Zeit um 1600 war ein stracker Lauf der Justiz offenbar ohne weiteres identisch mit einem starken Lauf. Genau diesen Eindruck vermittelt auch die Reichspublizistik des 18. Jahrhunderts647. Begriffsklauberei mag grundsätzlich für juristische Präzision sorgen und ist in der modernen Dogmatik unerläßlich, um die Rechtssicherheit zu festigen. In einer Zeit freilich, in der sprachliche Nachlässigkeit üblich war und Präzisierungen oftmals nur durch überlange Aufzählungsketten nahezu gleichbedeutender Worte gelangen, ist es besonders schwierig, solche Begriffe auf die Goldwaage zu legen. Die Konfusion und Unordnung der Justiz waren eher allgemein gehaltene Argumente, auch wenn sie durch Hinweise auf normative Quellen abgesichert waren. Warum die Unordnung so schädlich sein sollte, bedurfte weiterer Unterfütterung. Folgerichtig benutzten die kammergerichtlichen Supplikanten noch ein ganzes Arsenal weiterer Vorwürfe, mit denen sie die Prozeßführung des Apostolischen Nuntius in Zivilsachen brandmarkten. Genau an dieser Stelle waren es die Grundfesten der Reichsverfassung, die nach den Worten der anwaltlichen Schriftsatzverfasser durch die Amtsanmaßung des Nuntius ins Wanken gerieten. Aber auch der Rechtsschutz der Unterta-
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Hervorhebung); S m e n d , Reichskammergericht, S. 165; E r w i n , Machtsprüche, S. 162; D i c k , Entwicklung, S. 36, 75; am Reichshofrat benutzte man sogar die Steigerung „stracklichst“: S e l l e r t , Agenten, S. 60. E r w i n , Machtsprüche, S. 144; allgemein zum Wort „strack“: G r i m m , Deutsches Wörterbuch X, Sp. 591-598. L ü n i g , Reichs-Archiv II, S. 335, zitiert in der Wahlkapitulation Karl V. von 1519, Art. 20, den „starcken Lauff“ des Rechts, während E r w i n , Machtsprüche, S. 157 Anm. 77, im Anschluß an Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe I, Nr. 387, S. 872, den „stracken lauf“ betont.
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nen schien durch die Eingriffe des Nuntius beeinträchtigt zu sein. Beides waren schwere Geschütze. dd) Beschwerung der Untertanen Mehrere Kläger sahen durch die Prozeßführung vor dem Apostolischen Nuntius die Untertanen beschwert. Der mutwillige Appellant, so meinte ein Supplikant 1595, wolle „die sach desto lenger mit underschiedenen Bäpstlichen rescriptis und commissionibus in infinitum aufhaltten, und litem immortalem machen“648. Die endlose Verlängerung des Rechtsstreits stand mehrfach im Mittelpunkt der Kritik. Eine Supplik von 1599 verwandte dieselbe Formulierung649, 1620 benutzte ein Kläger die deutsche Umschreibung, wonach „die Sach ohnsterblich“ zu werden drohe650. Die Gefahr, „dadurch Jedesmals die Execution hinderstellig zu machen“651, lag auf der Hand. Denn diejenige Partei, die den Offizialatsprozeß gewonnen hatte, sah sich nun einem fortdauernden Prozeßrisiko ausgesetzt und konnte nicht mit der Urteilsvollstreckung beginnen652. Weniger konkret drückten andere Schriftsatzverfasser die Situation aus. Sie befürchteten allgemein eine Lage, in der die Untertanen durch die Nuntiaturprozesse „auch Vielfaltig können beschwehrt werden“653. Ein Hermann von Merveldt ließ 1599 vortragen, er habe Angst vor „untreglichen uncosten, so woll der proceßen, alß in transferendo maxime actorum germanico volumine in Latinum“654. Das war ein erstaunliches Argument und zugleich unfreiwillig komisch, weil die Furcht vor dem Lateinischen hier gerade auf Latein formuliert war. Die Mitglieder des Reichskammergerichts, an die der namentlich nicht bekannte Schriftsatzverfasser Hermann von Merveldts seine Supplikation richtete, sollten offenbar glauben, die Appellation an den Nuntius sei wegen der erforderlichen Übersetzungsarbeiten besonders kostspielig. Auf den ersten Blick klingt das auch einleuchtend und würde die Fremdheit des Prozesses vor dem Nuntius zusätzlich unterstreichen. Allerdings war der Beschwerdegrund ganz offenkundig falsch, denn eine Übersetzung des bisherigen Prozeßschriftgutes war in keiner Weise notwendig. Sowohl der Rechtsstreit vor dem Münsteraner als auch vor dem 648 649 650 651 652 653 654
LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r. LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5. LA Münster RKG S 2642, Aktenstück Q 2, fol. 03r. LA Münster RKG S 420, Aktenstück Q 1, fol. 05r. Die spätmittelalterlichen Offizialatsstatuten waren demgegenüber um die Prozeßverkürzung des einzelnen Verfahrens bemüht: S t e i n s , Zivilprozeß, S. 211-217. LA Münster RKG D 487, Aktenstück Q 1, fol. 005. LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5.
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Kölner Offizialat verlief in jedem hier untersuchten Fall ohnehin komplett in lateinischer Sprache. Erst ein landesherrliches Edikt von 1725 ließ am Offizialatsgericht Münster die deutsche Sprache zu655. Falls die Parteien nicht lateinkundig waren, mußten die Anwälte also bereits die erstinstanzlichen Schriftsätze übersetzen. Die Appellation nach Köln oder an den Nuntius verursachte insoweit gar keine zusätzlichen Übersetzungskosten. Wenn ein Schriftsatzverfasser dieses Argument überhaupt benutzte und offenbar nicht befürchtete, sofort wegen einer Lüge ertappt zu werden, ist das in doppelter Hinsicht aufschlußreich. Zum einen scheint der Schriftsatzverfasser davon ausgegangen zu sein, den Assessoren des Reichskammergerichts sei unbekannt, in welcher Sprache in Münster und Köln die Offizialatsprozesse abliefen. Die Prozesse vor den evangelischen Konsistorien fanden immer auf Deutsch statt656. Möglicherweise gab es auch andere katholische Gegenden, in denen die Umstellung von der lateinischen auf die deutsche Sprache bei den Offizialatsgerichten erheblich früher als in Münster erfolgte657. Zum zweiten hatte der Schriftsatzverfasser klare und zutreffende Vorstellungen vom Mandatsverfahren. Ein kammergerichtliches Mandat erging zu dieser Zeit noch ohne vorherige Anhörung der Gegenpartei oder des Untergerichts. Sonst hätte man ihn bei seinem Verdrehungsversuch sofort ertappen können. Bei Mandaten gegen reichsunmittelbare Parteien änderte sich diese Praxis spätestens mit dem Jüngsten Reichsabschied 1654658, aber ein halbes Jahrhundert früher erließ das Kammergericht die meisten Mandate ausschließlich auf Grundlage der klägerischen Supplikation. Im Prozeß Hermann von Merveldts erfolgten nach der Reproduktion
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LA Münster, Edikt vom 26. Mai 1725, nachgewiesen im Bestand Fürstbistum Münster, Edikte, Findbuch A 59 a, Band 2, S. 283 Nr. 1391: „Verordnung betreffend die Verwendung der deutschen Sprache bei der Abfassung der Gerichtsurteile“; erwähnt auch bei O p p e n h e i m , Gerichtswesen, S. 85; M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 156; v o n O l f e r s , Beiträge, S. 24; K o h l , Bistum Münster 7/Diözese 4, S. 125; zur lateinischen Sprache am Offizialat auch W i g a n d , Denkwürdigkeiten, S. 246. In Kurköln wurde die Verhandlung von zivilrechtlichen Offizialatssachen in deutscher Sprache 1729 angeordnet, doch kam es wohl erst 1786 zu einer Änderung: E i s e n h a r d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 40. S c h l e u s n e r , Zu den Anfängen IV, S. 141; viele Beispiele auch bei F r as s e k , Eherecht, S. 121, 128, 200, 227, 229, 238, 287, 288-291. Dazu die Beobachtung von C r am e r , Wetzlarische Nebenstunden 17, S. 90, wonach die Offizialate Münster und Köln früher in lateinischer Sprache verhandelt hätten, dieses aber „nach der Hand abgestellet“ hätten. § 105 JRA 1654, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 226-227.
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des Mandats zwar einige Prozeßhandlungen vor dem Reichskammergericht, das Sprachenproblem kam dabei aber nicht mehr zur Verhandlung659. ee) Schmälerung des Reichskammergerichts Großen Aufwand betrieben die kammergerichtlichen Kläger, indem sie die Prozeßführung vor dem Nuntius als Angriff auf die Zuständigkeit des Reichskammergerichts, ja auf das Ansehen und die Hoheit des Reiches selbst darstellten. Die Appellation an den Nuntius führe „zu nachtheill unnd abbrüch deßelben unsers Kay[serlichen] Cammergerichts, wie auch deß gantzen heiligen Reichs in weldtlichen sachen, unnd gegen weldtliche personen herbracht, unnd zustehende Jurisdiction unnd cognition“, betonte der Schriftsatzverfasser von Gerhard von Morrien 1600660. Diese Formel war nahezu standardisiert und tauchte immer wieder auf. Der Nuntius werde tätig „zum Abbruch, und Nachtheil besagts Unßers Kay[serlichen] Cammergerichts, und zuvorab des hey[ligen] Röm[ischen] Reichs Teütscher Nation Jurisdiction und Freyheit“, hieß es gleichlautend 1609 in der Supplikationsschrift eines Nikolaus Rupe661. Einige Jahre zuvor hatte der Schriftsatzverfasser eines Melchior Komnis 1596 betont, die Appellation vom Offizialatsgericht in Münster an das Kölner Offizialat führe nicht zu Abbruch und Nachteil der Jurisdiktion und Freiheit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation662. Das war dieselbe Formulierung lediglich in verneinter Form. Während aber die Appellation an das Offizialatsgericht die Gerichtsbarkeit des Reiches nicht beeinträchtigen sollte, war dies jedenfalls für Nikolaus Rupe bei der Einschaltung des Nuntius der Fall. Der vollständige Name des Reiches tauchte in der Zeit um 1600 in den Anwaltsschriftsätzen eher selten auf und diente für Rupes Advokaten sicher dazu, die deutsche Gerichtsbarkeit des Reiches von der fremden Jurisdiktion des italienischen Papstes und seiner ausländischen Nuntien abzugrenzen. Anhand einiger ausländerfeindlicher Seitenhiebe auf den Nuntius läßt sich dieser Eindruck erhärten. Zunächst soll es um die auf das Reichskammergericht bezogenen Argumente gehen.
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LA Münster RKG M 741, Protokollbuch fol. 001v vom 11. Februar 1600 und Zwischenurteil (Expeditum) fol. 002r vom 27. September 1602: Jeweils Streit um die Parition der Beklagten. LA Münster RKG M 1432, Aktenstück Q 2, fol. 03r. LA Münster RKG R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 02v. LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 3, fol. 08r, Artikel 9.
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Manche Kläger sprachen vom Abbruch und „mercklichen praeiuditz“663. Die geistlichen Gerichte beeinträchtigten die heilsame Justiz, ja es dienten „Geistliche Gerichtere allein zu aufhaltungh der Justitien“664 oder sogar zur völligen Sperrung der ordentlichen Gerichtsbarkeit665. In diesem Zusammenhang war „Justiz“ dann stillschweigend und wie selbstverständlich nur die weltliche Gerichtsgewalt. Mehrfach betonten die Supplikanten ausdrücklich, wie sehr die Appellation an den Nuntius die Reichsgerichtsbarkeit schmälere. Das konnte abermals recht wortgewaltig geschehen. So sei der „Pabstliche Gaistliche Richter zu Schmelerung“ der Reichsjustiz tätig666. Es gehe darum, die „reputation“ des Reichkammergerichts zu erhalten, meinte 1599 der Anwalt Hermann von Merveldts, und protestierte gegen ein „vilipendium“, eine Beleidigung des Reichskammergerichts durch die geistliche Gerichtsbarkeit667. Fast gleichlautend formulierten es 1609 die Supplikationsschrift Dietrich von Morriens668 und auch weitere Schriftsätze669. Gelegentlich hieß es auch, der Prozeß vor dem Nuntius erfolge „in fraudem mehrangeregt unsers Kayß[erlichen] Cammergerichts, als der hochster Justiz im Reich“670. Der Hinweis, drittinstanzliche Zivilsachen dürften „nirgendt anders, allß an berührtem Unßerm Kay[serlichen] Cammergericht zuerörttern stehen“671, verstand sich angesichts der massiven Angriffe gegen den Nuntius fast schon von selbst. An dieser Stelle ist es angebracht, die verschiedenen Argumente der Supplikanten gegen die Appellation an den Apostolischen Nuntius in ihrer prinzipiellen Reichweite zu würdigen. Während die Zuständigkeit des münsterischen Offizialatsgerichts in Zivilsachen weitgehend unstreitig war und 663
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LA Münster RKG D 487, Aktenstück Q 1, fol. 005; ebenso M 1725, Aktenstück Q 1°, fol. 4r: höchstes Präjudiz und Abbruch (1617); S 420, Aktenstück Q 1, fol. 05r: Präjudiz für die Jurisdiktion des Reiches (1624); S 2291, Aktenstück Q 1: verfänglicher Vorgriff und Präjudiz (1625); S 1793, Aktenstück Q 1, fol. 04r: Präjudiz des Heiligen Römischen Reiches (1633). LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04r (1608); ebenso H 1569, Aktenstück Q 1, S. 3-4: Aufhaltung kundiger Justiz durch geistliche Gerichte (1612); V 363, Aktenstück Q 2, fol. 6r: Hemmung der heilsamen Justiz (1674). LA Münster RKG W 1053, Aktenstück Q 1, fol. 14v (1611). LA Münster RKG M 1432, Aktenstück Q 2, fol. 03r (1600); ebenso K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r: „schmelerung“ (1595); R 1130, Aktenstück Q 1, fol. 02r: Jurisdiktion des Reichskammergerichts wird „geschmelert“ (1620); S 420, Aktenstück Q 1, fol. 05r: „schmälerung“ der höchsten Justiz (1624); S 2291, Aktenstück Q 1 (1625); S 1793, Aktenstück Q 1, fol. 04r (1633). LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5. LA Münster RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04v. LA Münster RKG R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 02v (1609); R 1130, Aktenstück Q 1, fol. 02r (1620). LA Münster RKG U 8, Aktenstück Q 1, fol. 03r (1614). LA Münster RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04v (1609).
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zahlreiche Parteien ebenfalls die Appellation an das Kölner Offizialat in Zivilprozessen hinnahmen oder sogar für notwendig hielten, war das bei der drittinstanzlichen Anrufung des Nuntius ganz und gar nicht der Fall. Der wesentliche Unterschied bestand für die Parteien in der unterschiedlichen Einfügung in die Gerichtsgewalt im Reich. Die Offizialatsgerichte, wenn man sie als weltliche Instanzen ansah, blieben zwanglos in die Gerichtsverfassung des Alten Reiches eingebunden und unterstanden nicht der päpstlichen iurisdictio. Sie mochten zwar in Konkurrenz zu fürstlich-weltlichen Hofgerichten stehen, stellten als solche die Herrschaft, auch die Gerichtsherrschaft im Reich aber nicht in Frage. Offizialatsgerichte konnten also die Landesherrschaft einzelner Territorialfürsten schmälern, nicht aber das Ansehen des Kaisers. Das war beim Apostolischen Nuntius anders, und deswegen berührte der Streit um die Appellation an den Nuntius in Zivilsachen Grundpfeiler des Verfassungsverständnisses im Alten Reich. Die Appellation an den Kölner Nuntius stellte anschaulich klar, wer der höchste Richter im Reich war. Für die Appellanten war oberster Gerichtsherr nicht der Kaiser, sondern der Papst. In geistlichen Angelegenheiten entsprach das der allgemeinen Meinung. In weltlichen Rechtsstreitigkeiten dagegen war seit Jahrhunderten das Gegenteil anerkannt. „Omnis iurisdictio“, also alle Gerichtsgewalt, hatte ihren Ursprung in der königlichen, später kaiserlichen Macht. Das war eines der Ergebnisse des Investiturstreits und auch Teil der ronkalischen Gesetzgebung von 1158672. Allen verfassungsrechtlichen Einschnitten zum Trotz beanspruchte der Kaiser seine Gewalt als oberster weltlicher Richter im Reich auch nach 1495 und selbst nach 1648, ja die verfassungsgeschichtliche Forschung betont sogar, „am eindrucksvollsten“ habe sich die kaiserliche Autorität gerade im Bereich der Gerichtsbarkeit gezeigt673. Die Kläger, die gegen die Appellation an den päpstlichen Nuntius in Speyer prozessierten, hatten also vergleichsweise leichtes Spiel bei ihrer Argumentation. Genauso wie derjenige, der die Appellation an das Kölner Offizialatsgericht in Zivilsachen bekämpfte, auf diese Weise die Landeshoheit seines Fürstbischofs stärkte, war es auch eine Instanz höher. Mit ihrem Kampf gegen die Appellation an den Nuntius unterstützten die Supplikanten zugleich die Entflechtung geistlicher und weltlicher Gerichte auf Reichsebene und damit die Unabhängigkeit der Reichsjustiz von der römisch-katholischen Kirche. In den Schriftsätzen war meistens nicht vom Kaiser, sondern nur vom Reichskammergericht die Rede. Ihm stehe die oberste Gerichtsbarkeit im 672
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Die vier ronkalischen Definitionen bei W e i n r i c h , Quellen bis 1250, S. 248-249; A p p e l t , Urkunden, Nr. 238 S. 29-30; dazu C o l o r n i , Gesetze, S. 26; Q u ag l i o n i , Il diritto comune, S. 47-63. W i l l o w e i t , Verfassungsgeschichte, S. 179, ähnlich S. 106.
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Reich zu. Überdeutlich meinte die Supplik des Dietrich Morrien, zivilrechtliche Appellationen seien „nirgendt anders“ als am Kammergericht zu erörtern674. Das war aber sicherlich nicht als Einschränkung der kaiserlichen Gewalt zu verstehen. Vielmehr lag es erstens aus taktischen Gründen nahe, in Reichskammergerichtsprozessen das Speyerer Gericht als oberstes weltliches Gericht darzustellen, ohne den Kaiser mit seinem Reichshofrat überhaupt zu erwähnen. Zweitens sprachen die Schriftsatzverfasser manchmal allgemein von der Schmälerung der Reichsjustiz, die von Seiten des Apostolischen Nuntius drohe675. Drittens zeigen solche Äußerungen, wie in der Wahrnehmung oder zumindest in der Darstellung der Schriftsatzverfasser das Reichskammergericht als das eigentliche oberste Reichsgericht erschien. Das war insoweit nicht falsch, als der Reichshofrat neben seiner Funktion als Gericht noch zahlreiche andere Aufgaben der kaiserlichen Herrschaft erfüllte676. Jedenfalls wollten alle Supplikanten Zuständigkeitsüberlappungen geistlicher und weltlicher Gerichte auf Reichsebene mit allen Mitteln verhindern. In der ersten Instanz mochten die Vermischungen klar zu Tage liegen, und auch in der zweiten Instanz sah man großzügig darüber hinweg. Beim Rekurs an den Nuntius war damit aber Schluß. So übernahmen die Reichskammergerichtskläger wie selbstverständlich die Aufgabe, lautstark das Interesse des Reiches und seines Kammergerichts zu kennen und wahrzunehmen677. Es sei, hieß es 1608 in einem Mandat bei der Wiedergabe der klägerischen Argumentation, „wegen gemeinem Nutz und besten darangelegen Daß des heiligen Reiches hochheitt erhaltenn“ bleibe678. Leider enthalten die Akten keine internen Äußerungen des Reichskammergerichts aus dem Extrajudizialstadium vor der Erkennung der Mandate. Aber, kaum zweifelhaft, konnte es den Mitgliedern des Reichskammergerichts nur hochwillkommen sein, wenn Kläger aus allen Winkeln des Reiches ihre Autorität so deutlich stärkten und das Speyerer Gericht gegen die Anmaßungen der geistlichen Gerichtsbarkeit verteidigten.
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LA Münster RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04r. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r. Zur nicht ausdifferenzierten Zuständigkeit des Reichshofrats: O r t l i e b , Vom Königlichen/Kaiserlichen Hofrat, S. 221-289; M o r aw , Reichshofrat, Sp. 630-631; S t o l l b e r g R i l i n g e r , Würde des Gerichts, S. 212-213. LA Münster RKG S 1793, Aktenstück Q 1, fol. 04r: „aldieweil Camerae huius Jurisdictio wegen kundtbaren hiebie underlauffenden Interesse, in deme dadürch jurisdictio eiusdem geschmelert werden wolte zu allen gnügen begründet“. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04r; ähnlich 1609 in RKG R 1070, Aktenstück Q 2, fol. 02r: „dan auch factum ipsum publicam Imperij Utilitatem, ejusque praejudicium concernire“.
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ff) Ausländische und fremde Gerichtsgewalt In vielen Supplikationen verbanden die Kläger ihren Einsatz für die Unversehrtheit der Reichsjustiz mit teilweise heftigen Angriffen auf ausländische und fremde Richter. Sie warfen dem Apostolischen Nuntius nicht nur vor, er übe geistliche Gewalt aus und trage deswegen zur Verwirrung der getrennten weltlichen und geistlichen Gerichtsbarkeit bei. Vielmehr setzten zahlreiche Mandatskläger die geistliche Gewalt kurzerhand mit einer fremden, ausländischen Gewalt gleich. Auf diese Weise erhielt der Streit um die Appellationen an den Nuntius zusätzlich eine geographische Dimension mit durchaus national gefärbten Untertönen. Es ging auch hierbei um örtliche Zuständigkeiten und um die Reichsgrenzen. Der Grund lag auf der Hand. Der Nuntius selbst war fast immer ein Italiener679. Die klägerischen Schriftsatzverfasser setzten ihn leichthin und nicht unzutreffend mit der päpstlichen Herrschaft in Rom gleich. Wie ausländisch die päpstliche Gerichtsbarkeit tatsächlich war, bleibt an dieser Stelle ausdrücklich ungeklärt. Nach einem Beschluß des Baseler Konzils von 1438 sollten am päpstlichen Gericht die Richter jeweils aus demselben Land wie die Parteien stammen680. Ob das der frühneuzeitlichen Praxis entsprach, ist ungewiß. In ihrer Emser Punktation verlangten die vier deutschen Erzbischöfe 1786, in Berufungsprozessen „an den römischen Stu(h)l“ müsse das richterliche Personal aus „judices in partibus und zwar Natzionalen“ bestehen681. Hierbei beriefen sie sich auf das Konzil von Trient. Wenn die Parteien sich in den hier ausgewerteten Akten also über ausländische Richter beschwerten, kann es einen Unterschied zwischen dem Nuntius und den in Rom beteiligten Personen gegeben haben. Im Streit stand zunächst lediglich die Nuntiatur selbst. Hermann von Merveldt ließ 1599 vortragen, bei der Appellation an den Nuntius könnten die Zivilprozesse „extra fines Imperii vor frembde und außlendische Gericht künfftig gezogen“ werden682. In einem Schriftsatz des Sander Droste zu Senden hieß es dann 1600 schroff, der Nuntius sei „ein außlendische Person“. In weltlichen Sachen dürfe niemand „sich außlendischen Geistlichen Richteren zu hohem nachtheill seines gegentheils, unnd gemeinen nutzen (...) unterwürffig machen“683. Im selben Jahr 1600 nannte auch Gerhard von Morrien den 679 680
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F e l d k a m p , Erforschung der Kölner Nuntiatur, S. 265-273. Der erste nicht italienische Nuntius war 1690 Andreas Eschenbrender. M a y , Organisation, S. 362 Anm. 30; zur internationalen Besetzung der Rota D o l e z a l e k , Litigation, S. 343-344; immerhin gab es den kaiserlichen Auditor: B l a as , Auditoriat, S. 37-152, dort S. 47 zur internationalen Besetzung. Emser Punktation Art. XXI (XXII) d), bei F e l d k am p , Studien II/Dokumente, S. 434. LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5. LA Münster RKG Anhang D 11, unquadr. „Replicae“, fol. 12r.
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Nuntius einen „Gaistlichen Außlendischen Richter“, dessen Tätigkeit in Zivilsachen „zu nachtheill unnd abbrüch“ des Kammergerichts beitrage684. Manchmal sprachen die Kläger auch noch unspezifischer von ausländischer geistlicher Obrigkeit685. Der Umkehrschluß lag auf der Hand: Alle Untertanen mußten „bey ihrenn ordentlichen Innländischen Rechten und Gerichten gelaßen werden“686. In besonderer Schärfe führte die Witwe Katharina Soest 1625 Klage über die Appellation eines Johann Plate an den Nuntius. Ihrer Meinung nach war es „mit keinem schein Rechtens zu bemäntelen, daß denen in Ciuilsachen Niederligenden Partheyen die außflucht an außländische Tribunalia gestattet“ sei, „dergestalt zu hinderstellung der heilsamen gerechtigkeit“687. In solchen Äußerungen zeigen sich eine erstaunlich frühe Ausländerfeindlichkeit sowie ein feines Gespür für die Unterscheidung von Inland und Ausland. In der zivilprozessualen Rechtsanwendungslehre blieb die Grenzlinie zwischen Inland und Ausland bis ins 19. Jahrhundert hinein mit den Territoriumsgrenzen verbunden688. In den hier untersuchten Fällen bildete dagegen tatsächlich die Reichsgrenze die Scheidemarke zwischen In- und Ausland. Das ist begriffsgeschichtlich bemerkenswert. An dieser Stelle ist auf einige normative Quellen hinzuweisen. An erster Stelle steht der Reichsabschied von 1512. Nach seiner Vorgabe mußten alle „Reichs Verwandten (...) bey ordentlichen inländischen Rechten“ gelassen werden. Lediglich bei Rechtsverweigerung galt das nicht. Wenn aber ein ausländisches Gericht rechtswidrig tätig geworden war, sollten seine Prozeßhandlungen „nichtig und unbündig seyn“689. Die Abwehr ausländischer Eingriffe in die Gerichtsgewalt findet sich an dieser Stelle im Wortlaut ebenfalls, ganz ähnlich wie in den klägerischen Schriftsätzen. Nach dem Regelungszusammenhang scheint es sich freilich um Übergriffe von Territorialherren auf Personen oder Gebiete zu handeln, die nicht ihrer iurisdictio unterstanden. Der Gegensatz zwischen weltlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit taucht in dem Reichsabschied selbst nicht auf. Das hielt den Reichsfiskal allerdings später nicht davon ab, sich auf genau diese Regelung zu berufen, als er in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegen die rechtswidrige
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LA Münster RKG M 1432, Aktenstück Q 2, fol. 03r; ebenso 1612 in RKG H 1569, Aktenstück Q 1, fol. 3-4. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04r. LA Münster RKG W 692, Aktenstück Q 1, fol. 02r; ebenso W 1053, Aktenstück Q 1, fol. 14v. LA Münster RKG S 2291, Aktenstück Q 1. O e s t m a n n , Beweis von Rechtsnormen, S. 509. RA 1512 Teil 4 §§ 13-14, bei S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Reichsabschiede II, S. 143144; dazu auch O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 64.
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Anrufung der Rota Romana vorging690. Auch in einem Hildesheimer Streit aus dem 18. Jahrhundert spielte der Reichsabschied von 1512 eine Rolle 691. Die Auslegung des Fiskals traf das Stimmungsbild des frühen 16. Jahrhunderts dennoch erstaunlich gut. Denn 1522 hatte auch der Reichstag von Worms verlangt, die Gerichtsbarkeit der päpstlichen Rota in Zivilsachen einzuschränken692. In den Münsteraner Prozessen sucht man einen ausdrücklichen Hinweis auf diesen Reichsabschied dagegen vergebens. Die Abwehr ausländischer Gerichtsgewalt ergab sich in der münsterischen Praxis demnach wohl kaum aus der Zuspitzung reichsgesetzlicher Vorgaben. Vielmehr lehnten es die Mandatskläger rundweg ab, wenn die ausländischen Nuntien in Angelegenheiten der deutschen Gerichtsverfassung ihre Finger mit im Spiel hatten. Damit erhält man ganz nebenbei einen zusätzlichen Baustein für das aufkeimende frühneuzeitliche Reichsbewußtsein. Allgemeinhistorische Arbeiten haben gezeigt, wie ein frühes deutsches Nationalbewußtsein im Kampf gegen die Türken und weitere äußere Bedrohungen entstand. Flugblattliteratur und andere Quellen zeigen das anschaulich693. Die Diskussion um die Gerichtsverfassung und Appellationsinstanzen belegt nun, wie auch die Abgrenzung von weltlichen päpstlichen Herrschaftsansprüchen zur verstärkten Wahrnehmung des Reiches als eigenes Land beitrug. Das ist erstaunlich und bemerkenswert. Genau dieser Ansatzpunkt zu einem rechtlich abgesicherten Reichsbewußtsein ergibt sich nämlich aus Auseinandersetzungen, die allesamt in einem katholischen geistlichen Territorium wurzelten. Falls einige der Parteien evangelisch gewesen sein sollten, was durchaus möglich, aber ohne übergroßen Aufwand kaum nachweisbar ist, haben sie jedenfalls von konfessionellen Argumenten niemals Gebrauch gemacht. Es gibt in allen ausgewerteten Quellen keinen einzigen antikatholischen Ausfall. Vielmehr verblüfft die Selbstverständlichkeit, mit der die vermutlich altgläubigen Schriftsatzverfasser den Papst und seinen Nuntius als fremde, ausländische, undeutsche Macht kennzeichneten und die Hoheit und Jurisdiktion des Reiches gegen die päpstliche Kirche verteidigten. Aufgrund des 690 691 692
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LA Düsseldorf RKG Nr. 1855 (F 675/2751), Aktenstück Q 9, fol. 33 r (Stempel), 45 r (Bleistift), dort in der Narratio; zu diesem Verfahren unten bei Anm. 2842-2875. HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 3; dazu unten bei Anm. 1299-1305. W r e d e , Reichstagsakten Karl V. II, Nr. 96 S. 670-704, z. B. Art. 73 S. 694: „Item so der cleger gaistlich und der antwurter weltlich ist, wollen die gaistlichen solich weltliche antworter umb ain jede sach, es treff an, was es wöll, an gaistlich gericht ziehen, das doch offentlich wider das recht ist, quia actor tenetur sequi forum rei“; Ki l l e r m a n n , Rota Romana, S. 120. Ko s e l l e c k , Volk, Nation, S. 295; S c h m i d t , Geschichte des Alten Reiches, S. 142, 154155; zum rechtlichen Rahmen und der Rolle des Reichstages S c h u l z e , Reich und Türkengefahr, S. 67-75, 93-98.
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bisherigen Forschungsstandes hätte man solche Befunde eher für das 18. Jahrhundert erwartet. Auch Feldkamp, einer der besten Kenner der Kölner Nuntiatur, sieht den Apostolischen Nuntius erst im 18. Jahrhundert Anfeindungen wegen seiner ausländischen Herkunft ausgesetzt694. Tatsächlich dauerte die Diskussion fast zweihundert Jahre länger an, als bisher vermutet. Die Quellen zeigen in zahlreichen Einzelfällen, wie gerade auch die Vorwürfe des ausländischen und fremden Richters bis in die ersten Jahre zurückreichen, nachdem die Nuntiatur überhaupt ihre Gerichtstätigkeit aufgenommen hatte. Jedenfalls erhielt der Streit um die Abgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte damit zugleich eine nicht zu erwartende nationale Komponente. In Spanien dagegen hatte man das gesamte Problem früh und weitsichtig entschärft. Gleich bei der Errichtung der Nuntiatur in Madrid in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gab es verbindliche Vorgaben für die Nationalität des rechtsprechenden Auditors. Stets mußte es ein Spanier sein, der diesen Posten bekleidete. Kaiser Karl V. hatte sich selbst für diese Lösung stark gemacht und sie 1528 durchgesetzt695. Nationaler Unmut konnte sich deswegen kaum regen. Im Alten Reich gab es einen derartigen Kompromiß dagegen nicht, und so bot die Kölner Nuntiatur vielfältige Angriffsflächen wegen ihres undeutschen Charakters, und das viel früher, als man bisher erwarten durfte. Die vollständige Zuspitzung dahingehend, der Katholizismus an sich sei undeutsch, sucht man in den frühneuzeitlichen Auseinandersetzungen freilich vergebens. Dieser Vorwurf blieb dem 19. Jahrhundert vorbehalten696. Aber daß es sich um eine ausländische Gewalt handelte, die in Form päpstlicher Gesandter im Inland weltliche Herrschaft an sich zu reißen versuchte, war ein immer wieder benutzter Vorwurf gegen den Nuntius bereits in der Zeit um 1600, ein Vorwurf, den Katholiken gegen den Vertreter ihres eigenen Papstes erhoben. gg) Zur Regalienbelehnung durch den Kaiser Das letzte Argument der reichskammergerichtlichen Kläger, das sie gegen die Appellation an den Nuntius in Zivilsachen ins Feld führten, bezog sich 694 695
696
F e l d k a m p , Erforschung der Kölner Nuntiatur, S. 208. G a m s , Kirchengeschichte III/2, S. 162; Hinweis auch bei F e l d k a m p , Erforschung der Kölner Nuntiatur, S. 208 Anm. 41; knapp zum spanischen Nuntiaturgericht W al f , Entwicklung, S. 106. Dieselbe Regelung war auch in einem Breve von 1771 enthalten: T e j a d a y R a m i r o , Collecion, S. 188 Art. 6. – Zum Begriff Auditor: S c h m o e c k e l , Auf der Suche, S. 184-185; F e i n e , Rechtsgeschichte, S. 324; T r u s e n , Gelehrte Gerichtsbarkeit, S. 476. Nachweise bei A n g e n e n d t , Kirchengeschichtsschreibung, S. 22.
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auf die Regalien. Bereits bei der Appellation vom erstinstanzlichen Münsteraner Offizialat an den Kölner Offizial hatten mehrere Parteien sich auf die Belehnung durch den Kaiser berufen. Wenn der Fürstbischof von Münster vom Reich belehnt war, so ihre Argumentation, müsse man auch von landesherrlichen Gerichten direkt an die Reichsgerichte appellieren können697. Bei der drittinstanzlichen Appellation an den Nuntius entspann sich dieselbe Diskussion. Da die Rechtsstellung des Münsteraner Fürstbischofs durch diese drittinstanzliche Appellation aber nicht zusätzlich beeinträchtigt war, verschob sich die Problemlage leicht. Teilweise gaben die Supplikationen nur pauschal an, die Anrufung des Nuntius trage zur „schmelerung unser und des heiligen Reichs Regalien“ bei, so etwa in dem Schriftsatz eines Melchior Komnis 1595698. Deutlicher formulierte es der Anwalt eines Nikolaus Rupe 1609. Das Regalienargument bezog sich demnach auf die Rechtsstellung des Kölner Offizialats. Und mit „uns“ meinten die Schriftsatzverfasser niemand anderen als den Kaiser selbst, dem sie in ihren Supplikationen den späteren Mandatswortlaut in den Mund legten. Die Mitglieder des Kölner Offizialats, so lautete die Überlegung, hätten in Zivilsachen „nicht à summo Pontifice, sondern von Unß und dem H[eyligen] Röm[ischen] Reich, Ihre Regalien“ erlangt. Genau deswegen dürfe die Appellation gegen ein Urteil des Kölner Offizials „nicht an D[eine] A[ndacht] oder summum Pontificem“ gehen699. Diese Einschätzung nahm die Tätigkeit des Kölner Offizials in weltlichen Zivilsachen nicht nur hin, sondern setzte sie geradezu zwingend als ordnungsgemäß und rechtmäßig voraus. Wenn das Reich nämlich die „Ecclesiastici Judices“ in Köln mit der Jurisdiktionsgewalt in Zivilsachen belehnt hatte, war auf diese Weise auch das zweitinstanzliche Offizialatsgericht ein forum mixtum, also sowohl ein geistliches als auch ein weltliches Gericht. Stillschweigend bejahte eine solche Argumentation also den Instanzenzug von Münster nach Köln „ex antiqua consuetudine“700. Mit der in anderen Prozessen vehement verteidigten Reichsunmittelbarkeit des Fürstbistums Münster war das nur schwer vereinbar. In diesem Punkt waren die anwaltlichen Schriftsatzverfasser erstaunlich konsequent. Wenn ihre Supplikationen die Regalienverleihung an das Kölner Offizialat als Argument für ein Appellationsverbot an den Nuntius anführten, setzten sie zugleich den gewohnheitsrechtlichen Instanzenzug von
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Dazu oben bei Anm. 396-397, 457-466; zu diesem Zusammenhang B r ü c k n e r , Lehnsauftragung, S. 286. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r. LA Münster RKG R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 02r. Immer noch LA Münster R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 02r.
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Münster nach Köln voraus, und zwar jeweils ausdrücklich701. Daran erkennt man, wie verschieden dasselbe Argument zu verwenden war. Der Erwerb der weltlichen Gerichtsbarkeit im Wege der Regalienverleihung durch das Reich sollte in allen Fällen die Unzulässigkeit der Appellation an geistliche Gerichte begründen. Trotzdem waren die Auswirkungen ganz verschieden, je nachdem, auf welcher Stufe der Instanzentreppe die Anwälte mit ihren Supplikationsschriften gerade standen. Einmal zeigte die Belehnung die territoriale Unabhängigkeit des Hochstifts Münster vom Kurfürstentum Köln, einmal dagegen den weltlichen Charakter des Kölner Offizialats und damit die Unabhängigkeit Kurkölns vom Papst. In der Tat tauchen in den Quellen die oben zitierten Hinweise auf, das Kölner Offizialat habe seine weltliche Jurisdiktionsgewalt nicht vom Papst erhalten. Damit erkannten die Parteien zugleich die doppelte Verleihung der iurisdictio an, nämlich ganz im alten Sinne des Wormser Konkordats im Hinblick auf Spiritualia und Temporalia. Selbst das Offizialatsgericht am Sitz des Metropoliten war in dieser Deutung kein rein geistliches Tribunal. Daher sollte, wie oben erwähnt, die Appellation drittinstanzlich auch nicht an „Deine Andacht“ oder an den Papst gehen. Mit „Deiner Andacht“ war in solchen Fällen der Nuntius gemeint. Bekanntlich erhielten geistliche Würdenträger wie übrigens auch Frauen in der Parteibezeichnung vor frühneuzeitlichen Gerichten das Attribut „Andächtiger“702. hh) Zum Quellenwert der Supplikationen und Narrationen An dieser Stelle ist ein methodischer Hinweis einzuschieben. Alle Argumente, die für und gegen die jeweiligen Gerichtszuständigkeiten sprachen, finden sich in den Schriftsätzen der seinerzeitigen Kammergerichtskläger, genauer in ihren Supplikationen zur Eröffnung von Mandatsprozessen. Diese Supplikationen sind als solche verloren. Das Reichskammergericht zitierte sie aber wörtlich, wenn auch in indirekter Rede, bis ins 18. Jahrhundert hinein703 in den Mandaten. Diese Wiedergabe von Sachverhalt und Rechtsaus701
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LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r: „altem gebrauch nach“; ebenso RKG U 8, Aktenstück Q 1, fol. 03r; RKG R 1130, Aktenstück Q 1, fol. 02r; RKG M 1434, Aktenstück Q 1. fol. 04r. Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 1, Sp. 607 (Andacht IV); R au c h , Traktat, S. 31; G r i m m , Deutsches Wörterbuch I, Sp. 303; Überblick aus dem frühen 16. Jahrhundert bei G e ß l e r , Formulare, Das.erst.Blat. Visitationsabschied 1713 § 48, in: S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung IV, S. 270-271; S k e d l , Mahnverfahren, S. 82-83 (Visitationsmemorial 1713 § 10); U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 109 Anm. 113.
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führungen in den Mandaten nennt man Narrationen704. Damit gibt es kammergerichtliche Mandate, die scheinbar unvereinbare rechtliche Ausführungen enthalten. Die verschiedenen Regalienbelehnungen zugunsten von Münster und Kurköln entfalteten augenscheinlich völlig entgegengesetzte Wirkungen. Einige Mandate setzten den Appellationsweg von Münster nach Köln als gewohnheitsrechtliche Selbstverständlichkeit voraus, andere unterwarfen das Fürstbistum Münster in weltlichen Sachen der alleinigen Jurisdiktion der Reichsgerichte. Solche Befunde müssen davor warnen, die Narrationen der Mandate vorschnell für Urteilsbegründungen zu halten. Leider kommt das öfter vor, vor allem in allgemeinhistorischen Arbeiten705. Wirft man von den Narrationen aus den Blick auf diejenigen Rechtsnormen, mit denen die Parteien das Appellationsverbot an den Nuntius begründeten, ist ebenfalls Vorsicht geboten. Nicht zwangsläufig muß das Reichskammergericht alle diese Normen für einschlägig gehalten haben. Zweifelsfrei jedoch hatte das Gericht die beantragten Mandate gewährt, und zwar meist in der verschärften Form sine clausula. Sonst würde es die heute vorhandenen Akten gar nicht geben. Auch wenn damit die Schlüssigkeit der klägerischen Supplikationen zeitgenössisch klar war, ist es praktisch ausgeschlossen festzustellen, in welchen spezifischen Punkten das Kameralkollegium den Sach- und Rechtsvortrag für überzeugend hielt. Aus diesem Grund erscheinen vorliegend die Narrationen der Mandatsurkunden ausschließlich als Parteiäußerungen. Vermutlich gibt es zugleich starke Übereinstimmungen mit den Rechtsauffassungen der Reichskammergerichtsmitglieder. Genau dies ist aber nicht nachweisbar, und deshalb haben Spekulationen zu schweigen.
c) Rechtliche Argumente gegen die Zuständigkeit des Nuntius in Zivilsachen Das wesentliche rechtliche Argument gegen die Appellation an den Apostolischen Nuntius lautete in großer Einheitlichkeit, ein solcher Instanzenzug sei „so wol in gemeinen beschriebenen Rechten, alß unsern unnd des heiligen Reichs Constitutionen und Abschieden“ verboten706. Mehrfach war auch nur vom gemeinen Recht und den Reichskonstitutionen bzw. Satzungen ohne speziel704 705 706
O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 89-91; d e r s . , Rekonstruktion, S. 37-41. Zum Problem der Urteilsbegründungen in Mandatsprozessen O e s t m a n n , Rekonstruktion, S. 21-23, 38-41. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r; RKG N 603, Aktenstück Q 1, fol. 03r.
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len Hinweis auf die Abschiede die Rede707. Manchmal variieren die Nennungen in den Schriftsätzen etwas, ohne wohl aber anderes zu bezeichnen. So hieß es in einer Supplikation von 1600, der Nuntius dürfe „sein Exercitium tam de iure quam consuetudine“ nicht auf weltliche Angelegenheiten ausdehnen708. Eine Supplikation fächerte die gemeinen Rechte auf und sprach von den „Allgemeinen so woll geistl[ichen] alß weltlichen rechten“709. In einem vergleichsweise späten Fall von 1674 argumentierte der Kläger mit „allen so gheist- als weltlichen rechten, auch deß Heyl[igen] Romischen Reichs satz: und ordnungen“710. Mit solch generellen Hinweisen auf Rechtsnormen unterstrichen die Anwälte, wie selbstverständlich ihre eigenen Rechtsauffassungen waren. In allen Rechten, „omni Jure“711, sowohl im römisch-kanonischen Recht als auch in den Gesetzen des Alten Reiches, waren danach Appellationen an den Nuntius in weltlichen Zivilsachen verboten. Durch den Pauschalhinweis auf diese allgemeinen Quellen erschien das Verhalten des jeweiligen Prozeßgegners zugleich in einem besonders dunklen Licht. Er hatte nämlich gegen allbekannte Rechtsgrundsätze verstoßen. Der an die Appellanten adressierte Vorwurf, sie hätten das unzulässige Rechtsmittel mutwillig, frivol oder frevelhaft eingelegt712, erklärt sich genau daraus. aa) Die Konkordate aus dem 15. Jahrhundert Neben den allgemein-pauschalen Hinweisen auf weltliches und geistliches Recht sowie auf die Reichskonstitutionen und -abschiede versuchten die kammergerichtlichen Kläger teilweise, das von ihnen behauptete Appellationsverbot näher zu belegen. Dabei gerieten die Reichskonkordate aus dem 15. Jahrhundert ins Visier. Die Witwe Clara von der Wick berief sich 1600 darauf, der Apostolische Nuntius dürfe die „im Reich vor viel Jahren auffgerichten, unnd biß auff dieße Zeit unuerrückt obseruirten Concordaten, so wenig als Bäpstliche Heyligkeit selbsten“ verletzen, sondern müsse sich ihnen „underziehen“. Zur Verstärkung meinte der Schriftsatzverfasser, genau aus diesem Grunde sei „vielmahl in dergleichen sachen Nunciorum Apostolicorum delegatis 707
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LA Münster RKG D 487, Aktenstück Q 1, fol. 005r; RKG H 113, Aktenstück Q 1, fol. 4r; RKG U 8, Aktenstück Q 1, fol. 03r; RKG S 774, Aktenstück Q 1, fol. 03v; RKG S 1793, Aktenstück Q1, fol. 04r; auch auf Latein: RKG K 1068, Aktenstück Q 1, fol. 14r: „tam de iure communi quam constitutionibus Imperij“. LA Münster RKG Anhang D 11, unquadr. „Replicae“, fol. 12r. LA Münster RKG S 2642, Aktenstück Q 2, fol. 03r. LA Münster RKG V 363, Aktenstück Q 2, fol. 5v. LA Münster RKG R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 02v. LA Münster RKG S 2642, Aktenstück Q 2, fol. 03r; V 363, Aktenstück Q 2, fol. 6r.
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Judicibus, an berürtem Unserem Kays[erlichen] Cammergericht inhibirt, unnd zu handthabung des Hyligen Reich Jurisdiction scharpffe Mandata wieder sie erkanndt worden“713. Worauf diese Äußerung genau anspielte, ist aus heutiger Sicht schwer zu klären. Das ist erneut zeittypisch. Auch in der gelehrten Diskussion und im Reichsrecht blieb bis zur Wahlkapitulation Kaiser Leopolds II. 1790 streitig, was genau unter den Concordata Nationis Germanicae zu verstehen sei714. Wenn ein Schriftsatz eines frühneuzeitlichen Advokaten aus dem Münsterland ebenso unbestimmt bleibt, darf das nicht verwundern. Vielleicht gab es bei den Beteiligten um 1600 eine undeutliche Erinnerung an das Wormser Konkordat mit seiner Trennung von Spiritualia und Temporalia, vielleicht sogar an die 1418 vereinbarten Konkordate des Konstanzer Konzils zwischen Martin V. und der „deutschen Nation“, die unter anderem Bestimmungen zur päpstlichen Justizhoheit enthielten715. Jedenfalls bestand seit 1448 ein Reichskonkordat, das Kaiser Friedrich III. mit Papst Nikolaus V. geschlossen hatte716. Dieses Wiener Konkordat hatten die Reichsabschiede von 1497, 1498 und 1500 bestätigt und damit zugleich als Reichsgesetz bekräftigt717. In der Tat war das Appellationsproblem bereits Gegenstand bei den Verhandlungen um das ältere Konstanzer Konkordat von 1418, dies freilich zu einer Zeit, als die römischrechtliche Appellation im weltlichen Prozeßrecht praktisch noch ungebräuchlich war718. Ein Beschluß des Baseler Konzils erlaubte sodann 1438 die Appellation an den Papst nur, wenn zuvor als Zwischeninstanz der Metropolit mit der Sache befaßt gewesen war. 713 714 715
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LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 1, fol. 08r. R a a b , Concordata, S. 3. M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 243 (mit Datierung auf 1417): „De causis tractandis in Romana Curia vel non, Sanctissimus Dominus noster P. P. Martinus V. statuit & ordinat, quod nullae causae in Romana Curia committantur, nisi quae de jure & natura causae in Romana Curia tractari debebunt, & quod causae, quae ad Forum Ecclesiasticum de jure vel consuetudine non pertinent, per Curiam Romanam, etiam praetextu resignationis laicorum, extra tempus passagii generalis, non recipiant, de illis cognoscendo in Curia vel extra committendo, nisi de consensu partium“; auch bei M e r c a t i , Raccolta, S. 161 (Nr. XXVI/3/IV); W e r m i n g h o f f , Nationalkirchliche Bestrebungen, S. 22-32; F e i n e , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 472-473. M i r b t / A l a n d , Quellen I, S. 487-490 Nr. 777; Z e u m e r , Quellensammlung, S. 266-268 Nr. 168; W e r m i n g h o f f , Nationalkirchliche Bestrebungen, S. 86-109; M e y e r , Wiener Konkordat, S. 108-152. RA 1497 §§ 23-24 (Verweisung an künftige Reichstage), bei S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung II, S. 32; RA 1498 § 49 (ebenfalls Verweisung), ebd., S. 49; RA 1500 § 31; ebd., S. 81; dazu auch B e c k e r , Konkordat, Sp. 1068-1069 (mit anderer Zählweise der Reichsabschiede); aus der zeitgenössischen Literatur L i n c k / F al c k , De concordatis. D i e s t e l k a m p , Durchsetzung, S. 12-17; W e i t z e l , Appellation, Sp. 269; Beispiele aus dem 15. Jahrhundert bei O e s t m a n n , Lübisches und sächsisch-magdeburgisches Recht, S. 193-194.
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Außerdem, so hieß es, müsse das päpstliche Gericht mit Richtern aus dem Land besetzt sein, aus dem die Parteien stammten719. Das Dekret wurde von der „deutschen Nation“ mit der sog. Mainzer Akzeptation 1439 angenommen720 und 1447 von Papst Eugen IV. bestätigt721. Den großen Bogen von den Gravamina der deutschen Fürsten und Bischöfe aus dem 15. Jahrhundert bis hin zum Streit um die Gerichtsgewalt des Apostolischen Nuntius hat die Literatur mehrfach gezogen722. Worauf Clara von der Wick mit dem undeutlichen Hinweis auf die Konkordate im genannten Schriftsatz von 1600 genau anspielte, muß also offen bleiben. Das Wiener Konkordat von 1448 selbst beschäftigte sich vornehmlich mit dem kirchlichen Benefizienwesen, also mit Pfründen723. Fragen der Gerichtsbarkeit behandelte es nicht. Die reichsgesetzliche Behandlung der fraglichen Konkordate verlief erstaunlich schleppend. Sowohl der Lindauer Reichsabschied von 1497 als auch der Freiburger Reichsabschied von 1498 begnügten sich damit, das Regelungsproblem zu benennen und seine Lösung einem zukünftigen Reichstag zu übertragen724. Der Augsburger Reichsabschied von 1500 enthielt dann eine butterweiche Regelung, sicherlich ein Beleg dafür, wie schwer es war, trotz zweimaliger Vertagung einen Kompromiß zu erzielen. Unter der Überschrift „Ob sich die Weltliche beklagen, von Geistlichen Richtern übergriffen zu werden“ lautete es wenig erhellend: „Nachdem auch hievor zu gehaltenen Reichs-Tägen von etlichen Weltlichen Ständen, der Geistlichen Gericht halben Ahndung geschehen ist, sollen sich die Geistliche und Weltliche, so deß mit oder gegen einander vermeynen zu thun zu haben, unterstehen miteinander gütlich zu vertragen. Möchten sie sich aber gütlich nicht einigen, so soll unser verordnet Reichs-Regiment auf einiges Theil Klag oder Anruffen, nach Ziemlichkeit zu handeln fürnehmen.“725 Vom Reichskon719
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W e r m i n g h o f f , Nationalkirchliche Bestrebungen, S. 54, dort am Beispiel der französischen Akzeptation; Hinweise auf nichtitalienische Rota-Mitglieder bei Ki l l e r m a n n , Rota Romana, S. 128; C e r c h i ar i , Capellani II, S. 130 lfd. Nr. 452. Die große Mehrzahl waren freilich Italiener. Zu den Auditoren aus den verschiedenen Ländern D o l e z a l e k , Litigation, S. 343-344; Hinweis auf Spanier und Deutsche im ausgehenden Mittelalter bei H i l l i n g , Die römische Rota, S. 58-59. W e r m i n g h o f f , Nationalkirchliche Bestrebungen, S. 37-39, dort S. 41 zum Begriff der „deutschen Nation“. M a y , Organisation, S. 362-363 mit Anm. 30; sehr ähnlich bereits auf dem Baseler Konzil 1432/33: R a a b , Concordata, S. 29-30. F r a n z e n , Krise, S. 58-59; ähnlich J u s t , Die römische Kurie, S. 393; R a ab , Concordata, passim; G e b h a r d t , gravamina, S. 2: roter Faden der Opposition gegen das absolute Papsttum, ebd. S. 113. M e y e r , Wiener Konkordat, S. 113. RA 1497 §§ 23-24; RA 1498 § 49, beide bei S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Reichsabschiede II, S. 32, 49. RA 1500 Art. 31, bei S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Reichsabschiede II, S. 80-81.
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kordat, das 1497 im Reichsabschied noch Erwähnung fand, war nur drei Jahre später keine Rede mehr. Die Vorschrift ist so formuliert, als sollten sich die jeweiligen Gerichtsherren über ihre Zuständigkeitsüberlappungen selbst verständigen. In Zweifelsfällen solle das Reichsregiment die Herrschaftssphären trennen. Ein klares Verbot an die Geistlichkeit, sich in weltliche Angelegenheiten einzumischen, wie es der Schriftsatzverfasser der Clara von der Wick 1600 aus den Konkordaten ableitete, hätte wohl anders ausgesehen. Das Wiener Konkordat von 1448 selbst enthielt ohnehin keine Regelung zur Entflechtung geistlicher und weltlicher Gerichtsgewalt726. Jedenfalls stammten sowohl das Konstanzer als auch das Wiener Konkordat aus der Zeit lange vor Errichtung der Kölner Nuntiatur. Und die wesentlichen normativen innerkirchlichen Quellen für den Nuntius setzten ohnehin andere Schwerpunkte. Sie regelten vor allem seine Rolle bei Bischofs- und Abtswahlen727. Man kann also den Verweis auf die vor vielen Jahren aufgerichteten Reichskonkordate durchaus ebenfalls als pauschale Rechtsbehauptung verstehen728. Dennoch unterstrich dieser Hinweis gerade die Bindungswirkung für die römische Kirche, stärker noch als die bloße Anführung des gemeinen Rechts. In den Quellen aus dem Fürstbistum Münster steht diese Allegation vereinzelt da. Das spricht zugleich für eine gewisse Eigenständigkeit der Advokaten bei der individuellen Gestaltung ihrer Schriftsätze. Offenbar lehnten sich die namentlich nicht bekannten Anwälte in ihren Supplikationen oftmals an die sehr ähnlichen Formulierungen der Vorlagen an. Zugleich blieben aber Freiräume für eigene Farbtupfer. Ebenfalls nur in einem einzigen Prozeß berief sich der Kläger auf das antike Edikt des römischen Prätors. Sein Gegner, der erst eine Appellation an ein geistliches Gericht unterbinden wollte, nun aber selbst ein geistliches Gericht für weltliche Sachen in Anspruch nehme, verstoße damit „contra aequissimum praetoris Interdictum“729. Dieser Hinweis bezog sich eindeutig auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens und richtete sich somit an die Gegenpartei730 und nicht an den Nuntius. Für die Rechtsvorstellungen, die eine Partei und ihr Anwalt mit der Gerichtsverfassung und den Zuständig-
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Text bei S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Reichsabschiede I, S. 179-181; W e i n r i c h , Quellen 1250-1500, S. 498-507; M i r b t / A l a n d , Quellen I, S. 487-490 Nr. 777; Z e u m e r , Quellensammlung, S. 266-268 Nr. 168; W e r m i n g h o f f , Nationalkirchliche Bestrebungen, S. 104. F e i n e , Besetzung der Reichsbistümer, S. 80-83; F e l d k am p , Erforschung der Kölner Nuntiatur, S. 210.; auch R i t z l e r , Informativprozesse, S. 204. Beispiel aus dem 18. Jahrhundert bei R e i n h a r d t , Reichskirchenpolitik, S. 295. LA Münster RKG S 2636, Aktenstück Q 1, fol. 03r. Daher ist die Quelle bereits oben bei Anm. 356-364 behandelt.
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keiten des Apostolischen Nuntius verband, gibt diese Äußerung also nichts her. bb) Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 Am genauesten zitierten die Supplikationen in den hier untersuchten Fällen jeweils die Reichskammergerichtsordnung von 1555. Wie die detaillierten Artikelangaben zeigen, waren es vor allem zwei Vorschriften, aus denen die Kläger die Unzulässigkeit der Appellation an den Nuntius in weltlichen Prozessen ableiteten. Zum einen handelte es sich um Artikel 1 des zweiten Teils der Gerichtsordnung731. Die Vorschrift bestimmte, „daß die mißbreuch und unordnung der geystlichen und weltlichen gerichten abgestelt, an denselbigen vermög gemeyner rechten ordenlich und formlich gehandelt und procedirt werde und je eyns das ander bey seinem proceß und lauf bleiben lassen“ solle732. Das war allgemein formuliert und bezog sich sowohl auf geistliche als auch auf weltliche Gerichte. Unter Mißbräuchen verstand die Gerichtsordnung nach ihrem Regelungszusammenhang in dieser allerersten Vorschrift aus dem verfahrensrechtlichen Teil zweifellos die unzulässige Abweichung vom gelehrten Prozeßrecht. Wie bereits oben bei den Auseinandersetzungen um die Appellation an das Kölner Offizialat gezeigt733, zogen die Parteien die gesetzliche Richtschnur aber mehrfach aus anderen Gründen heran. Sie sollte zugleich das reichsrechtliche Verbot für geistliche Gerichte untermauern, auf weltliche Streitgegenstände überzugreifen. Hierbei war die Argumentation notwendig verbogen und wenig geradlinig. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Offizialatsgerichts hatten die Parteien nämlich in allen hier untersuchten Fällen734 aus dem Hochstift Münster immer hingenommen, und zwar ausnahmslos und unwidersprochen. Damit hoben sie zugleich die angeblich messerscharfe Trennung weltlicher und geistlicher Gerichtsgewalt selbst wieder auf. Nur in den oberen Instanzen sollte nach der Reichskammergerichtsordnung die klare Unterscheidung wirklich notwendig sein. Jedenfalls waren nach dieser Ansicht die Tatbestandsmerkmale „Mißbrauch“ und 731
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Zitiert in LA Münster RKG W 1053, Aktenstück Q 1, fol. 14r; RKG S 420, Aktenstück Q 1, fol. 05r; RKG S 2291, Aktenstück Q 1; RKG M 1729, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Supplication“, fol. 10v; RKG S 2642, Aktenstück Q 2, fol. 03r. RKGO 1555 2, 1, 1, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 167. Dazu oben bei Anm. 467-469. Gemeint sind diejenigen Fälle, die drittinstanzlich vor dem Nuntius landeten. Die bloße Appellation nach Köln war in anderen Prozessen durchaus streitig, dazu oben bei Anm. 298-577. Bei Verfahren aus der Stadt Münster war die erstinstanzliche Gerichtsgewalt des Offizials dagegen zweifelhaft, dazu der Rechtsstreit bei D i e s t e l k a m p , Rechtsfälle, S. 298-302.
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„Unordnung“ bei einer Appellation an den Nuntius erfüllt, bei einer Prozeßführung vor dem ortsansässigen Offizialatsgericht dagegen nicht. Der zweite Artikel, den die Supplikanten regelmäßig anführten, war Titel 23 des zweiten Teils der Reichskammergerichtsordnung735. Diese Vorschrift regelte die Voraussetzungen zum Erlaß kammergerichtlicher Mandate, also einstweiliger Anordnungen mit oder ohne Justifikationsklausel. Die schärfste Form des vorläufigen Rechtsschutzes war das bereits mehrfach erwähnte Mandat sine clausula. Hier gab es nur eine Möglichkeit, den Mandatsbefehl zu kippen. Nur wenn der Kläger das Mandat durch falsche Tatsachenbehauptungen erschlichen hatte und der Beklagte das beweisen konnte, sollte das Gericht die einstweilige Anordnung wieder aufheben736. Der Regensburger Reichsabschied von 1594 legte die Einzelheiten fest und beschränkte die Verteidigung im Anschluß an das römischrechtliche Vorbild auf die sog. Exceptiones sub- et obreptiones737. Insbesondere sahen normative Quellen und die zeitgenössische Literatur rechtliche Einwände gegen die Begründetheit des Mandats als unzulässig an738, selbst wenn die Anwälte oftmals genau so argumentierten. Prozeßpraxis und Gesetzeslage klafften also weit auseinander. Wegen der Schärfe unklausulierter Mandate enthielt die Reichskammergerichtsordnung die sog. vier Fälle, die jeweils den Erlaß eines Mandats sine clausula rechtfertigten. Nur unter den genannten engen Voraussetzungen sollten so einschneidende einstweilige Anordnungen zulässig sein. Die Fälle waren erstens, „daß die sach und handlung, darüber die keyserliche mandata zu erkennen gebetten, an ir selbst von rechts oder gewonheyt wegen verbotten und, wo dieselbig begangen, auch on eyniche weiter erkantnuß für straffwürdig oder unrechtmessig zu halten, [zweitens] oder daß dardurch dem anruffenden theyl eyn sollich beschwerd aufgelegt und zugefügt würde, die nach begangner that nit widerzubringen, [drittens] oder daß die sach wider den gemeinen nutz were [viertens] oder keynen verzug leyden möchte“739. Im Gegensatz zu Artikel 1, der nach klägerischer Darstellung die Abgrenzung weltlicher und geistlicher Gerichte thematisieren sollte, zitierten die Parteien in ihren Supplikationen die Mandatsvorschrift nie im Wortlaut, sondern jeweils nur mit Nennung des Artikels.
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Zitiert in LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5; RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04v; RKG H 1569, Aktenstück Q 1, fol. 3-4 D i c k , Entwicklung, S. 94; zum Reichshofrat S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 174 Anm. 569. Reichsabschied Regensburg 1594 § 77, in: S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung III, S. 434; H i n z , Mandatsprozeß, Sp. 235; antikes Vorbild war anscheinend C. 5. 8. 1. U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 135. RKGO 1555 2, 23, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 200-201.
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Die Schriftsatzverfasser verknüpften mehrfach die Regelungen der Reichskammergerichtsordnung mit ihren eigenen rechtspolitischen Erwägungen. Der Anwalt eines Hermann von Merveldt behauptete 1599, man müsse „damitt Im heiligen Reiche keine Jurisdictionum Confusio entstehe per mandata poenalia starck einsehens zuthuen nach sage der Cammergerichts Ordnung part: 2. tit. 23. woll pfleglich herkommen“740. Welcher der vier Fälle damit erfüllt sein sollte, sagte er in seinem holperigen Satz nicht. Doch behauptete der Verfasser der Supplikation, die Mandatsprozesse verfolgten gerade den Zweck, die unzulässige Vermischung der Gerichtsbarkeiten zu verhindern. Ganz ähnlich formulierte zehn Jahre später der Advokat eines Dietrich von Morrien. Man müsse, „damit im Hey[ligen] Reich keine Jurisdictionum confusio entstehe, per Mandata poenalia, ernstlich einsehen zu thun, nach sage der Cammergerichts Ordnung part. 2 tit. 23. wol pfleglich herkhommen“741. Offenbar benutzten beide Schriftsatzverfasser eine gemeinsame Vorlage, vielleicht kannte der spätere Anwalt auch das zuvor erlassene Mandat. Wenn die Landadligen in solchen Angelegenheiten in Kontakt standen, wäre das jedenfalls nicht erstaunlich, verteidigten sie auf diese Weise doch gemeinsam die gerichtliche Eigenständigkeit ihres heimatlichen Fürstbistums. Etwas anders formulierte eine Supplikation von 1612. Danach hatte das Kammergericht die Aufgabe, den Klägern „zu handthabung des hey[ligen] Reich jurisdiction, unnd zu Abtreibung solcher unuerantworttlicher ungebühr, vermög des 23. Tit: 2. ord. durch notturfftige Mandata unnd Prozeß zuuerhelffen“742. Auch wenn nähere rechtliche Ausführungen nicht erfolgten, sprechen die Quellen eine eindeutige Sprache: Sämtliche kammergerichtlichen Klagen aus dem Fürstbistum Münster gegen die Anrufung des Nuntius erfolgten im Wege des Mandatsprozesses sine clausula. Es gab keine Appellationen, es gab keine klausulierten Mandate. Die Art und Weise, wie solche Gerichtsbarkeitskonflikte zu führen waren, nämlich als Mandatsprozesse, scheint allen Schriftsatzverfassern eine Selbstverständlichkeit gewesen zu sein. Auch andere Jurisdiktionsstreitigkeiten wurden übrigens im Mandatsverfahren abgewickelt743. Die Einschätzung aus der Anwaltsperspektive entsprach voll und ganz der ständigen Gerichtspraxis. Die ortsansässigen Advokaten kannten die höchstrichterliche Rechtsprechung also offenbar erstaunlich gut. Ein späterer Vergleich wird zeigen, wie sehr das Mandatsverfahren bereits im Ausgangspunkt den Klägern zugute kam. Geistliche, die ihr privilegium fori bedroht sahen, mußten in der Praxis immer den schwerfälligeren Weg einer Appellation einschlagen. Das dauerte nicht nur länger, sondern auch die 740 741 742 743
LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5. LA Münster RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04v-05r. LA Münster RKG H 1569, Aktenstück Q 1, fol. 3-4. H a u s m a n n , Mandati, S. 222; O e s t m an n , Hexenprozesse, S. 556, 562.
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Erfolgsaussichten waren von Anfang an schlechter. Wer Mandatsklagen erheben konnte, hatte demgegenüber von vornherein bessere Karten744. cc) Der Jüngste Reichsabschied von 1654 Der Jüngste Reichsabschied spielte in den älteren Mandatsprozessen keine Rolle, weil er erst nach dem Dreißigjährigen Krieg in Kraft trat. Welche Bedeutung er in der Prozeßpraxis haben konnte, zeigt jedoch ein vergleichsweise später Rechtsstreit von 1719. Der Sachverhalt verdient einen näheren Blick, widerlegt er doch voreilige Vermutungen über die Rollenverteilung von Angreifer und Verteidiger. Die Parteistellung mag auf den ersten Blick erstaunen, zeigt aber, wie wenig die hier untersuchten Jurisdiktionsstreitigkeiten den Klischeevorstellungen von widerstreitenden kirchlichen und weltlichen Interessen entsprechen. Als Supplikanten am Reichskammergericht in Wetzlar traten der Bursarius und die Vikare am Alten Dom zu Münster auf. Der Bursarius war der Schatzmeister des Doms745, und in der Tat bezog sich der Ausgangsstreit auf eine Rentverschreibung746. Gegen ein zugunsten des Doms ausgefallenes Urteil des Münsteraner Offizialats hatten die beklagte Witwe von Westerholt und ihre Konsorten an das Kölner Offizialat appelliert. Als auch dies erfolglos blieb, appellierte die Witwe weiter an den Apostolischen Nuntius. Hiergegen riefen der Bursarius und die Vikare das Reichskammergericht zu Hilfe. Also klagte höchstinstanzlich eine geistliche Partei gegen eine weltliche Partei, weil die weltliche Seite ein geistliches Gericht angerufen hatte. Ganz auf dieser Linie betonten die Kläger vom Münsteraner Dom, ihre Streitsache sei weltlich. Deswegen dürfe „die nunciatur in Ca[us]a hac merè profanà Civili judex Cognition keines weg“ ausüben747. Das widerlegt nebenbei ein weiteres Vorurteil. Keineswegs unterwarfen sich katholische Würdenträger ausnahmslos nur der geistlichen Gerichtsbarkeit. Zumindest in diesem Fall unterschieden sie scharf zwischen der Offizialats- und der Nuntiaturgerichtsbarkeit. Und die Gerichtsgewalt des Nuntius bestritten sie gerade mit dem Hinweis auf den zivilrechtlichen Charakter ihrer Zahlungsklage. Darin lag freilich zugleich ein gehöriges Maß an Prozeßtaktik. Wenn die weitergehende Appellation an den Nuntius verboten war, erwuchs nämlich zugleich das erstinstanzliche Offizialatsurteil zugunsten des Bursarius 744 745 746 747
Dazu unten bei Anm. 3194-3198 (Abschnitt: h) Zwischenergebnis). Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 2, Sp. 647; Liste der Bursare bei K o h l , Bistum Münster 4/Domstift 1, S. 359-375. Knapper Hinweis bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte II, S. 111, lfd. Nr. 3806. LA Münster RKG M 1729, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Supplication“, fol. 10v.
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und seiner Konsorten in Rechtskraft. War dagegen die Anrufung des Nuntius möglich, drohte weiterhin noch ein künftiger Prozeßverlust. Rechtssicherheit konnten der Bursarius und die Domvikare nur erhalten, wenn es sich um eine weltliche Streitsache handelte, denn bei einem geistlichen Rechtsstreit wäre die weitere Instanz zwanglos eröffnet gewesen. Der Widerstand der kammergerichtlichen Supplikanten gegen die Gerichtsbarkeit des Apostolischen Nuntius lag also keineswegs nur in einer uneigennützigen Verteidigung der weltlichen Justiz begründet. Eher ungewöhnlich, wenn auch nicht völlig singulär ist in diesem Fall die Quellenüberlieferung. Die Akte enthät nämlich lediglich ein leeres Protokollbuch, und sowohl das Mandat sowie die Supplikation sind nicht quadranguliert. Offenkundig gab es in dieser Sache also keine gerichtliche Audienz und damit auch keine förmliche Reproduktion des Mandats748. In der Supplikationsschrift führten die Kläger einige neuere Rechtsquellen an, die zur Zeit der Prozesse aus dem frühen 17. Jahrhundert noch nicht in Kraft waren. Deshalb verdient auch dieser bereits im Anfangsstadium versandete Rechtsstreit genauere Beachtung. So beriefen sich die Kläger insbesondere auf § 164 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654749. Das war in der Tat ein wichtiger Hinweis, denn diese Regelung war offenbar gerade wegen der Zerwürfnisse um Appellationen an den Nuntius aus den Hochstiften Münster, Lüttich und Köln in den Reichsabschied eingeflossen. Sie ist schwerfällig zu lesen und kommt nur selten auf den Punkt. Dennoch ist der Wortlaut wichtig: „Als sich dann auch die Stände zum höchsten beschwert, daß in den Ertz- und Stifftern Cölln, Lüttich und Münster, wie auch andern Orten des Reichs, allerhand Mißbrauch wegen Vornehmung der Appellationen und Recursen von den Officialibus ad Pontificem und die Nuntios entstehen, indeme man sich derselben fast von allen Urtheilen ohne Unterschied, es betreffe gleich Civil- oder Profan-Sachen, bedient, die Jurisdictiones wider die Ordnung confundirt, die Civil-Sachen ausserhalb des Reichs zu fremden Gerichten gezogen, und die Partheyen mit Verspielung vieler Zeit und Unkosten umgetrieben werden, dahero erfolget, daß nicht allein viel Mandat-Proceß de cassando entspringen, sondern die Nuntii vielmalen durch Gegen-Mandata cassatoria den Partheyen die Cammer-Gerichtliche Verbott auffzuheben bey starcker Geld-Pön oder geistlicher Censur anzubefehlen pflegen, und Uns dann Churfürsten und Stände und der Abwesenden Räthe und Gesandten um Abstellung dergleichen zu Abbruch und schmälerung Unserer und des Heiligen Reichs Hoheit, auch Confusion der Jurisdictionen gereichender, unordentlichen, nachtheiligen Proceduren, durch bequeme thunliche Mittel der Gebühr ersuchet, 748 749
Zur Aktenführung S m e n d , Reichskammergericht, S. 326-328; R an i e r i , Recht und Gesellschaft I, S. 77. LA Münster RKG M 1729, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Supplication“, fol. 10v.
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so wollen Wir in Erinnerung, was auch dieser Sachen halber bereits im Jahr 1548, dem 3. Octobris von weiland Unserm geliebten Vorfahren am Reich Kayser Carl dem Fünfften an die Ständ des Reichs vor Rescripta und Mandata de non evocando vorgangen, an den Päbstlichen Stul zu Rom hierinn die Nothdurfft dahin beweglich gelangen lassen, damit den Nuntiis dergleichen ohnzuläßiges Verfahren im Reich und über dessen Glieder und Unterthanen mit ernst verboten und fürters nicht mehr gestattet, und da dargegen ichtwas attentirt oder gehandelt würde, solches keine Krafft haben, sondern wiederum caßirt, auffgehoben, auch insgemein die Evocationes vor fremde Gericht und ausserhalb des Reichs, wie sie dann ohne das bey Unserm Reichs-Hoffrath und Cammer-Gericht nicht geachtet, keineswegs zugelassen, auch im übrigen dasjenige, was die Stände wegen der Nunciorum absolutionem a iuramentis, und daß dergleichen Relaxationes in den Gerichten, sie geschehen dann vor dem ordentlichen Richter ad effectum agendi, nicht zu attendiren seyn sollen hierbey erinnert, beobachten“750. Diese Regelung zeigt aus der Perspektive des Reichsgesetzgebers zahlreiche Probleme, die auch die Kläger in älteren Prozessen bereits aufgeworfen hatten. Schon 1643 hatte sich das Reichskammergericht beim Kaiser und den Reichsständen über den Nuntius beklagt. Er maße sich vor allem in Sachen aus Lüttich weltliche Gerichtshoheit an und ziehe „die Civil-Sachen extra Imperium zu fremden Gerichten“751. Im selben Jahr 1643 trug auch Maximilian Heinrich von Bayern, der Koadjutor von Kurköln752, beim Papst Beschwerden über die Gerichtstätigkeit des Nuntius vor753. Noch zehn Jahre früher war es der Lütticher Offizial gewesen, der sich beim Reichshofrat über die kammergerichtlichen Kassationsmandate beklagte754. Die Stimmung war also aufgeheizt. Erst jetzt nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges erfolgte 1654 eine ausdrückliche normative Regelung. Der Nuntius verkörperte auch aus der Sicht des Reichstages eine fremde Gerichtsgewalt, die sich von außerhalb des Reichsgebietes Kompetenzen über das Reich in zivilrechtlichen Streitigkeiten anmaßte. Dadurch würden entgegen der Ordnung die Gerichtsbar750
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JRA § 164, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 250-251; auch bei L u d o l f f , De jurisdictione officialium, Aphorismus 12, Anm. gg, S. 32-29 (Paginierungsfehler); M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 247-248; d e r s ., Teutsches Staats-Recht IV, § 17 S. 27; B e k k e r , Die Sacra Rota Romana, S.16-17; F r a n z e n , Krise, S. 65-66; kurzer Hinweis bei C o n r a d , Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 187. M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 245-246; d e r s . , Teutsches Staats-Recht IV, S. 25-26 § 14, mit Hinweis, daß ein Fall aus Lüttich den Anlaß dazu geboten hatte; F r a n z e n , Krise, S. 64-65. 1650 Kurfürst von Köln, 1683 auch Fürstbischof von Münster, zu ihm K o h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 651-658; Kl u e t i n g , Das kurkölnische Herzogtum Westfalen, S. 469. F r a n z e n , Wiederaufbau, S. 48; d e r s . , Krise, S. 72. M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 244-245.
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keiten vermischt, hieß es in Anspielung auf die Reichskammergerichtsordnung von 1555755. Den Abbruch und die Schmälerung der Reichshoheit malte der Jüngste Reichsabschied ebenso aus, wie es Jahrzehnte zuvor die Supplikationen der Kammergerichtskläger vorgeführt hatten. Zugleich zeigt die Quelle, wie schwierig es für das Alte Reich war, dem Nuntius verbindliche Anweisungen zur Beachtung der weltlichen Gerichtsverfassung zu geben. Die Praxis ging damit unkomplizierter um, wie die zahlreichen Reichskammergerichtsmandate belegen, die teilweise an den Nuntius als persönlich Beklagten adressiert waren756. Der Reichabschied dagegen enthielt lediglich eine Bitte an den Papst, den Nuntius zur Beachtung der Reichsgesetze anzuweisen. Ein direkter Zugriff auf den Nuntius war wohl nur der Rechtsprechung, nicht der Gesetzgebung möglich. Der ausdrückliche Hinweis auf Köln, Lüttich und Münster belegt im übrigen, daß die Konflikte um die Gerichtsverfassung im Nordwesten des Reiches besonders gravierend waren. Wohl kaum zufällig handelt es sich bei den genannten drei Städten um die zeitweiligen Residenzen des Nuntius757. Später scheint es dann auch größere Probleme mit Fällen aus Kurtrier gegeben zu haben758. Wie der zugrundeliegende Streit aus Münster gezeigt hat, solidarisierten sich selbst die Mitglieder des Doms in keiner Weise mit den Jurisdiktionsansprüchen des Nuntius, obwohl sie keine Angehörigen der fürstbischöflich-weltlichen Regierung waren. § 164 des Jüngsten Reichsabschieds wiederholte seinem Angeben nach zudem Mandate und Reskripte Kaisers Karls V. vom 3. Oktober 1548. Diese kaiserliche Anordnung spielt in den Prozessen aus Münster keine Rolle, taucht aber einmal in einem Rechtsstreit aus Jülich-Berg auf759. Sie erging auch mehrere Jahrzehnte vor Errichtung der Kölner Nuntiatur. Was genau gemeint war, bleibt im Wortlaut des Reichsabschieds unklar. Die Formulierung legt nahe, Kaiser Karl V. habe an diesem Tag Mandate im Zusammenhang mit dem Evokationsverbot an die Reichsstände erlassen. Tatsächlich wurde am 30. September 1548 das Reichskammergericht nach dem Schmalkaldischen Krieg wiedereröffnet760. Der Augsburger Reichsabschied mitsamt dem Religionsfrieden datiert vom 30. Juni 1548761. Kaiserliche Edikte vom 755 756 757 758 759 760 761
RKGO 1555 2, 1, 1, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 167. Zur Zustellung und Reaktion des Nuntius unten bei Anm. 802-839, 867-910. Zum Sitz des Nuntius knapp F e l d k am p , Erforschung, S. 204; zur Bedeutung der Residenz R e p g e n , Diarium Chigi, S. XXXIV. S t r y k , Usus modernus IV, lib. XLIX tit. III § 7, S. 910, nennt Trier in einem Atemzug mit Münster und Köln. LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 9, fol. 34v-35r Stempel/46v-47r Bleistift; dazu unten bei Anm. 2859. S m e n d , Reichskammergericht, S. 176; D o t z au e r , Die deutschen Reichskreise, S. 459. Bei S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Reichsabschiede II, S. 550.
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August 1548 sind bekannt, betreffen aber Notare und das Münzwesen762. Erst ein Zufallsfund weist den Weg. Der römische Kardinal Giuseppe Sacripanti veröffentlichte eine lateinische Fassung des „mandatum Caroli V. ad omnes Romani Imperii subiectos“ in seinem Buch über die Gerichtsbarkeit in Lüttich. Er verwies zugleich auf den Erstdruck von Melchior Goldast763. Dessen Quellensammlung zur Reichsverfassung enthält das knappe kaiserliche Mandat vom 3. Oktober 1548 ebenfalls auf Latein764. Ob es überhaupt ein deutsches Original gibt, ist unklar. Karl V. richtete seine Anordnung an alle Reichsangehörigen. Er befahl ihnen, ihre Rechtsstreitigkeiten innerhalb des Reiches und nicht „ad externa & foranea tribunalia“ auszutragen. Gegen die geistliche Gerichtsgewalt scheint das nicht gerichtet gewesen zu sein, denn der Kaiser sprach ausdrücklich im Plural von der iurisdictio „externorum Principum“765. Aber wie bei anderen Quellen aus dem frühen 16. Jahrhundert ließen sich die Warnungen vor ausländischen Richtern später problemlos auf die Auseinandersetzungen mit dem päpstlichen Nuntius oder der Rota Romana beziehen. In den Rechtsfolgen gab es auch keine Unterschiede. Kaiser Karl V. drohte bei Verstößen gegen sein Gebot nämlich Prozesse vor dem Reichskammergericht und Bestrafung durch den Fiskal an766. Doch wieder zurück nach Münster! Zuletzt beriefen sich Bursarius und Vikare des Münsteraner Doms allgemein und ohne nähere Präzisierung auf „Kayserliche wahl Capitulationen“, die ebenfalls den Rekurs an den Nuntius in weltlichen Sachen untersagten767. Hier ist zunächst ein Hinweis auf die gewandelte Begrifflichkeit notwendig. Die späteren kammergerichtlichen Prozesse wie auch bereits der Jüngste Reichsabschied sprachen im Gegensatz zur älteren Zeit nicht von einer Appellation an den Nuntius, sondern lediglich von einem Rekurs. Das war betont unspezifisch, übersetzten es Zeitgenossen doch schlicht mit „Wiederkehrung“ oder „Zuflucht“768. Kaum zufällig denkt man an den Recursus ad comitia, die außerordentliche Anrufung des Reichstages gegen Urteile der obersten Reichsgerichte. Die Zulässigkeit
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Bei H ä r t e r , Deutsches Reich, S. 60 Nr. 45-46; M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 245-246, zitiert ein kammergerichtliches Gutachten von 1643, das ebenfalls auf das Reskript bzw. Gesetz Karls V. vom 3. Oktober 1548 abstellt, dort hauptsächlich bezogen auf die Zustände in Lüttich. S a c r i p a n t i , Defensio iurisdictionis, S. 142-143. G o l d a s t , Recessus, Constitutiones II, S. 239; erwähnt auch bei M o s e r , Teutsches Staats-Recht IV, S. 25 §14, dort auf den 4. Oktober 1548 datiert. G o l d a s t , Recessus, Constitutiones II, S. 239. G o l d a s t , Recessus, Constitutiones II, S. 239. LA Münster RKG M 1729, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Supplication“, fol. 10v-11r. O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 596.
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dieses Rechtsbehelfs war bekanntlich immer umstritten769. Im Begriff Rekurs schwang also die ganze Uneindeutigkeit des Instanzenzuges mit. Die Anrufung des Nuntius gegen das weltliche Urteil eines geistlichen Gerichts war nach dieser Begrifflichkeit ein irreguläres Rechtsmittel. Weitere Beispiele aus dem 18. Jahrhundert verstärken diesen Eindruck. Auch in anderen Fällen sprachen die Parteien vom Rekurs an den Nuntius, wenn sie sich beim Reichskammergericht über seine Einmischung in die Zivilgerichtsbarkeit beschwerten770. dd) Die kaiserlichen Wahlkapitulationen In mehreren Supplikationen betonten die kammergerichtlichen Mandatskläger, die zivilgerichtliche Tätigkeit des Nuntius verstoße gegen die kaiserlichen Wahlkapitulationen. Das gilt nicht nur für Fälle aus Münster, sondern ebenso aus anderen Territorien. Was war damit gemeint? Die Wahlkapitulationen771 der römisch-deutschen Kaiser dienen der rechtshistorischen Literatur oft als Belege für die reichsrechtliche Schwächung des Kaisers, ja man betont geradezu die kaiserliche Verpflichtung, an der Stärkung der landesherrlichen Gewalten mitzuwirken772. Häufig erfolgt eine Präzisierung dahin, es sei im wesentlichen um den Machtzuwachs der Kurfürsten und ihre Vormachtstellung gegenüber anderen Fürsten gegangen773. Die Gerichtsbarkeitskonflikte zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt weisen nun auf eine bisher kaum beachtete Bedeutung der Wahlkapitulationen hin. Sie erschienen jedenfalls für die Verfasser der hier ausgewerteten Supplikationen auch als Quellen zur Stärkung der Reichsgewalt gegenüber der katholischen Kirche. Es ging also nicht nur um das Zurückweichen des Kaisers zugunsten der mächtigsten Landesherren, sondern 769 770
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S y d o w , Recursus ad Comitia, S. 104-122; S e l l e r t , Recursus ad comitia, Sp. 446-449; d e r s ., Prozeßgrundsätze, S. 398-412. StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 23r (von Justus Möser 1768); HStA Düsseldorf RKG P 812/2538, nachgewiesen bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht VII, lfd. Nr. 4457 S. 231-232, und bei O e s t m an n , Hexenprozesse, S. 596-597; ebenso L u d o l f f , De jurisdictione officialium, im Untertitel für die verbotene Anrufung des Kölner Offizialats in weltlichen Zivilsachen der Offizialate Lüttich und Münster. Allgemein zum Quellentyp K l e i n h e y e r , Wahlkapitulationen, insbes. S. 135-146; B e k k e r , Wahlkapitulation, Sp. 1086-1089. Ko t u l l a , Verfassungsgeschichte, Rn. 438 (für Kaiser Leopold I.); H ar t u n g , Wahlkapitulationen, S. 335 (für Ferdinand IV. und Leopold I.). W i l l o w e i t , Verfassungsgeschichte, S. 175, 179 (für das frühe 18. Jahrhundert); Kl e i n h e y e r , Wahlkapitulationen, S. 88-89 (für die Mitte des 17. Jahrhunderts); I w a n d , Wahlkapitulationen, S. 4; ähnlich P i c k , Bemühungen, S. 6, 9.
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zugleich um die Behauptung der weltlichen Gewalt gegenüber dem Papst. In dieser Hinsicht waren die Wahlkapitulationen alles andere als kaiserfeindlich. Das empfand auch die römisch-katholische Kirche so, und deswegen protestierte der Apostolische Nuntius Giuseppe Maria Sanfelice774 1658 gegen die Wahlkapitulation des neugewählten Kaisers Leopold I.775 Sanfelice war im übrigen zugleich päpstlicher Beobachter der Kaiserwahl und verfaßte dazu ein Tagebuch, das ein Neffe später in Neapel drucken ließ776. Der geistlich-weltliche Konflikt scheint sich als Grundproblem der Reichsgeschichte aus dem Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert fortgeschleppt zu haben. Vielleicht stand er nicht mehr im Mittelpunkt der Weltpolitik wie im Hochmittelalter. Dennoch gab es ihn weiterhin. In den hier interessierenden Fällen kam es genau auf solche Regelungen an, und genau hier entfaltete die Abgrenzung der weltlichen Reichsgewalt von der päpstlichen Gewalt immer noch praktische Wirkungen. Das Projekt einer beständigen Wahlkapitulation von 1711 enthält tatsächlich eine umfangreiche Bestimmung zur Gerichtstätigkeit des Apostolischen Nuntius in weltlichen Streitigkeiten. Die rechtsgeschichtliche Literatur vertieft diesen Punkt kaum, wenn sie auch teilweise vage von einem Aufsichtsrecht des Kaisers über die ordnungsgemäße Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit spricht777. Der Entwurf einer beständigen Wahlkapitulation von 1711 erlangte bekanntlich nie Gesetzeskraft778. Dennoch lag er der Wahlkapitulation Kaiser Karls VI. zugrunde, die 1713 in Leipzig im Druck erschien779. Vielleicht hatten die Münsteraner Domangehörigen genau diese Bestimmung vor Augen, als sie sich 1719 pauschal auf die kaiserlichen Wahlkapitulationen beriefen. Artikel 14 der beständigen Wahlkapitulation erklärt es in seinem ersten Teil für eine kaiserliche Aufgabe, sich beim Papst für die penible Beachtung der verschiedenen Fürsten- und Reichskonkordate einzusetzen. In barocker Weitschweifigkeit nennt die Vorschrift eine Vielzahl möglicher Konfliktherde. Unvermittelt geht es danach um die Gerichtsbarkeit. Damit wird sofort 774 775
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Nachgewiesen bei J u s t , Quellen, S. 265-267; F e l d k a m p , Erforschung, S. 269 Nr. 10. Bei F e l d k a m p , Studien II/Dokumente, Nr. 27 b, S. 150-153; zeitgenössischer Druck der Wahlkapitulation bei Z i e g l e r , Wahl-Capitulationes, S. 220-270 (mit diversen Monita S. 270-276); der einschlägige Artikel 19 auch bei L u d o l f f , De jurisdictione officialium, Aphorismus 12, Anm. gg, S. 29 (Paginierungsfehler). Giuseppe Maria Sanfelice, Diario dell’Ellezione dell’imp. Leopolo I., Neapel 1717 (das Buch war mir nicht zugänglich); Hinweis bei F e l d k am p , Erforschung, S. 269 Anm. 447. B u s c h m a n n , Kaiser und Reichsverfassung, S. 54-55; keinerlei Hinweis bei H ar t u n g , Wahlkapitulationen, S. 333-344; dagegen bereits F r i e d b e r g , Gränzen, S. 79. Kl e i n h e y e r , Wahlkapitulationen, S. 99; P i c k , Bemühungen, S. 116. B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 273-274; Überblick über zeitgenössische Ausgaben bei H a r t u n g , Wahlkapitulationen, S. 309-310.
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deutlich, wie eng die Gerichtsgewalt mit verfassungsrechtlichen Fragen weiterhin verbunden war. Das entsprach ganz dem zeitgenössischen iurisdictio-Konzept. Der zweite Teil des erwähnten Artikels 14 lautete: „Gleichergestalt will er“ [der Kaiser] „wan es sich etwan begebe, daß die causae civiles von ihrem ordentlichen Gericht im Heil[igen] Reich ab- und ausser dasselbe ad Nuncios Apostolicos und wohl gar ad Curiam Romanam gezogen würden, solches abschaffen, vernichten und ernstlich verbieten, auch seinen Kayserlichen Fiscalen, sowohl bey seinem Kayserlichen Reichs-Hof-Rath als Cammer-Gericht, anbefehlen, wider diejenige, sowohl Partheyen als Advocaten, Procuratoren und Notarien, die sich hinführo dergleichen anmassen und darinne einiger Gestalt gebrauchen lassen würden, mit behöriger Anklag von Amts wegen zu verfahren, damit die Ubertretter demnächsten gebührend angesehen und bestraffet werden mögen. Und weilen vorberührter Civil-Sachen willen zwischen seinen und des Reichs höchsten Gerichten, sodann denen Apostolischen Nunciaturen mehrmalige Streit- und Irrungen entstanden, indeme so ein- als anderen Orts die ab der Officialen Urtheil beschehene Appellationes angenommen, Processus erkannt, selbige auch durch allerhand scharffe Mandata zu gröster Irr- und Beschwerung der Partheyen zu behaupten gesucht worden, wormit dann diesem Vorkommen und aller JurisdictionsConflict möchte verhütet werden, so will er daran seyn, daß die causae seculares ab ecclesiasticis rechtlich distinguiert, auch die darunter vorkommende zweiffelhaffte Fälle durch gütliche mit dem Päbstlichen Stuhl vornehmende Handlung und Vergleich erlediget, fort der geist- und weltlichen Obrigkeit ein jeder ihr Recht und Iudicatur ungestöhrt gelassen werden möge.“780 Im Gegensatz zum Sprachgebrauch des Münsteraner Bursarius und der Domvikare von 1719 bezeichnete die Wahlkapitulation die Anrufung des Nuntius mit dem technischen Begriff Appellation und nicht unklar als Rekurs. Der Text enthält insgesamt drei Regelungen: Zunächst zementiert er die Verpflichtung des römischen Kaisers, Appellationen an den Apostolischen Nuntius in Zivilsachen zu verbieten und bei Verstößen solche Prozesse zu kassieren. Sodann geht es um die Aufgabe des kaiserlichen Fiskals, die Parteien und ihre Rechtsbeistände wegen der verbotenen Anrufung des Nuntius anzuklagen. Diese Zuständigkeit des Fiskals hat in der neueren Literatur bereits knapp Erwähnung gefunden781. Da in einem Rechtsstreit aus dem Hochstift
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Projekt einer beständigen Wahlkapitulation Art. 14, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 293-295; auch bei Z e u m e r , Quellensammlung, S. 484-485; F e l d k a m p , Studien II/Dokumente, S. 159 Anm. 272; B e c k e r , Die Sacra Rota Romana, S. 17; bei L u d o l f f , De jurisdictione officialium, Aphorismus 14, S. 44-45, ist nur der erste Satz der Vorschrift abgedruckt. R a u t e n b e r g , Fiskal, S. 134-135.
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Osnabrück der Fiskal tatsächlich tätig wurde, bietet es sich an, alle damit zusammenhängenden Fragen dort zu behandeln782. Drittens betonte die Wahlkapitulation die kaiserliche Aufgabe, sich für eine gerichtliche Trennung geistlicher und weltlicher Sachen einzusetzen und in Zweifelsfällen einen gütlichen Ausgleich mit dem päpstlichen Stuhl zu suchen. Im selben Atemzug sprach die Vorschrift von Zivilsachen und deren Verhandlung vor Offizialatsgerichten. Wie bereits an anderer Stelle festgestellt, war den Zeitgenossen die nahezu allumfassende Zuständigkeit der Offizialate in weltlichen Angelegenheiten eine offenbar nicht erläuterungsbedürftige Selbstverständlichkeit783. Diese dritte kaiserliche Verpflichtung war auffallend schwach formuliert. Es genügte, wenn der Kaiser „daran“ blieb. Eine weitere Milderung fällt ins Auge. Die Konflikte um die Anrufung des Nuntius waren ganz diplomatisch als „mehrmalige“ Streitigkeiten kleingeredet. Viel schärfer formulierte demgegenüber der Jüngste Reichabschied, der von „allerhand Mißbrauch“ sprach, weil „Appellationen und Recursen“ an den Nuntius von „fast von allen Urteilen“ erfolgten784. Innerhalb von sechs Jahrzehnten zeigen die normativen Quellen somit zumindest sprachlich eine deutliche Entschärfung der Auseinandersetzung, wenn auch die kaiserliche Verpflichtung, solche Justizverwirrung zu verhindern, im Kern dieselbe blieb. Diese Abschwächung läßt sich im übrigen nur durch den Vergleich normativer Quellen feststellen. Im einzelnen Rechtsstreit, hier also im Verfahren der Münsteraner Domvikare von 1719, argumentierten die Schriftsatzverfasser auch im 18. Jahrhundert mit derselben Entschiedenheit wie einhundert Jahre zuvor. Die getrennte Behandlung normengeschichtlicher Tiefbohrungen und praxisgesättigter Aktenbestände reißt also nicht das einheitliche Recht der frühen Neuzeit lebensblind auseinander. Vielmehr zeigen sich so Unterschiede zwischen Theorie und Praxis, Gesetz und Gericht. Auch die Normengeschichte behält ihren Platz und bleibt in der Lage, den Blick auf vergangene Rechtsschichten zu verfeinern. Die vom Bursarius und den Münsteraner Domvikaren herangezogenen Wahlkapitulationen hatten auch vor 1711 und vor der Wahl Karls VI. die Anrufung des Apostolischen Nuntius in Zivilsachen bereits behandelt und dem Kaiser die Pflicht zugeschrieben, dagegen vorzugehen. Nur ein Jahr vor dem Jüngsten Reichsabschied enthielt die Wahlkapitulation des kurze Zeit später verstorbenen Königs Ferdinand IV. 1653 sowohl die Aufgabe des Kaisers, die Anrufung des Nuntius zu unterbinden, als auch die Ver782 783 784
Einzelheiten unten bei Anm. 1210-1217. Dazu auch oben bei Anm. 203-234. Jüngster Reichsabschied § 164, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 250-251.
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pflichtung des Fiskals, sich für eine Bestrafung derjenigen einzusetzen, die dagegen verstießen785. Diese Doppelspurigkeit war zukunftsweisend. Die Wahlkapitulation Kaiser Leopolds I. vom Sommer 1658 wiederholte beide Vorgaben786. Vor 1653 findet sich diese Klausel in den kaiserlichen Wahlkapitulationen dagegen nicht787. Ferdinand III. sicherte 1636 zwar zu, die Landesherren und ihre Untertanen „von ihren ordentlichen Richtern nicht dringen“ zu wollen, doch bezog sich diese Aufgabe insbesondere auf die schwammigen Zuständigkeiten des Rottweiler Hofgerichts788. Streit mit der römischen Kirche thematisierte die Wahlkapitulation nur im Hinblick auf Privilegien und Freiheiten geistlicher Einrichtungen, die durch „unformlichen Gratien/ Rescripten/ Annaten“ unter Verstoß gegen das Lehensrecht verändert worden waren789. Zum Nuntius dagegen bestanden vor 1653 keine Regelungen. Eine kleine spätere sachliche Erweiterung gab es lediglich 1690. In der Wahlkapitulation Josephs I. mußte sich der Kaiser zusätzlich verpflichten, für eine Abgrenzung der geistlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit zu sorgen und in Zweifelsfällen einen gütlichen Ausgleich herbeizuführen790. Genau auf diesen Punkt wies auch Christian August Beck in seinen staatsrechtlichen Vorträgen für den späteren Kaiser Joseph II. 1756/57 hin791. Bis zum Ende des Alten Reiches sahen Staatsrechtler die Verpflichtung des Kaisers, Rekurse an den Apostolischen Nuntius in Zivilsachen zu 785
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M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 246-247; auch bei F r i e d b e r g , Gränzen, S. 78; R a u t e n b e r g , Fiskal, S. 135; zum verfassungspolitischen Hintergrund A r e t i n , Das Alte Reich I, S. 184. Wahlkapitulation Kaiser Leopolds I. Art. 19, bei R e i n k i n g , Tractatus, S. 257-258; L u d o l f f , De jurisdictione officialium, Aphorismus 12, Anm. gg, S. 29 (Paginierungsfehler); F e l d k a m p , Studien II/Dokumente, Nr. 27 a, S. 148-150; d e r s . , Studien I/Kölner Nuntiatur, S. 38, scheint zu glauben, die Wahlkapitulationen sollten die Nuntiaturgerichtsbarkeit allgemein eindämmen und nicht nur im zivilrechtlichen Bereich für eine Änderung sorgen. So auch C o n r a d , Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 187; unzutreffend H ö h l e r , Tagbuch, S. 14, 249, mit Hinweis auf eine angebliche Wahlkapitulation Karls V., die aber offenbar von Karl VII. stammt. Wahlkapitulation Kaiser Ferdinands III. Art. 17, bei L ü n i g , Reichs-Archiv III/2, S. 113; zum Rottweiler Hofgericht M e r z b a c h e r , Österreich, S. 50-63; L au f s , Rottweil, Sp. 1174-1175. Die Wahlkapitulation Karls V. enthielt die Verpflichtung, keine Reichsuntertanen vor ausländische Gerichte zu stellen. Dabei ging es aber um die Unterscheidung des engeren deutschen vom weiteren europäischen Reichsgebiet, dazu P i c k , Bemühungen, S. 9. Wahlkapitulation Kaiser Ferdinands III. Art. 18, bei L ü n i g , Reichs-Archiv III/2, S. 113. Wahlkapitulation Kaiser Josephs I. (1690) Art. 18, bei Z i e g l e r , Wahl-Capitulationes, S. 329-331; auch bei S t r y k , Usus modernus IV, lib. XLIX tit III § 7, S. 910; dazu C o n r a d , Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 187. Bei C o n r a d , Recht und Verfassung, S. 511; dazu B e c k e r , Die Sacra Rota Romana, S. 17.
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unterbinden, als geltendes Recht an. Geradezu gespenstisch erscheint das Lehrbuch von Nicolaus Thaddäus Gönner792 von 1804. Ein Jahr nach dem Reichsdeputationshauptschluß, als es gar keine geistlichen Territorien mit weltlicher Landesherrschaft mehr gab, hielt er unbeirrt an den Wahlkapitulationen fest. Wenige Seiten, nachdem er Savignys „Recht des Besitzes“ zitiert hatte, tauchte in der Fußnote die beständige Wahlkapitulation auf, um das Verbot zu untermauern, in weltlichen Sachen einen Rekurs an den Nuntius zu wagen793. In der Tat mag Gönners Reichsgedanke zu dieser Zeit „einigermaßen illusionär“794 gewesen sein. Die Apostolische Nuntiatur in Köln war zu diesem Zeitpunkt bereits seit zehn Jahren aufgelöst795. Die rechtlichen Argumente der Münsteraner Reichskammergerichtskläger gegen die Appellation oder den Rekurs an den Apostolischen Nuntius lassen sich damit wie folgt zusammenfassen: In den vergleichsweise schlank gehaltenen Supplikationen und Schriftsätzen der Mandatsprozesse überwogen pauschale Hinweise auf das gemeine Recht, Reichskonstitutionen und Abschiede. Die Bestimmung der Reichskammergerichtsordnung von 1555 über das ordnungsgemäße Verfahren vor geistlichen und weltlichen Gerichten im Einklang mit dem gelehrten Zivilprozeß diente regelmäßig als Rechtsgrundlage für die Behauptung, geistliche Gerichte dürften sich nicht in weltliche Angelegenheiten einmischen. Spezifischere Hinweise auf den Jüngsten Reichsabschied und die kaiserlichen Wahlkapitulationen liefern nur späte Streitigkeiten, die nicht aus der Zeit stammen, als der Gerichtsbarkeitskonflikt aus dem Hochstift Münster besonders häufig vor das Reichskammergericht gelangte. Nur der Vollständigkeit halber sei auf einen Negativbefund hingewiesen. Die Narrationen der Mandate selbst sowie auch die Supplikationen enthielten fast nie Verweise auf die gelehrte Literatur. Auch die klägerischen Schriftsätze aus dem weiteren Verfahren argumentierten zur Frage des Instanzenzuges praktisch ohne Verwendung gemeinrechtlicher Allegate. Das mag mit der Eilbedürftigkeit des Mandatsprozesses erklärbar sein. Zeit für die Ausarbeitung umfassender Schriftsätze mit vertiefter Literaturarbeit bestand wohl kaum, wenn es um die Abwehr einzelner Prozeßhandlungen des Nuntiaturgerichts ging. In anderen Verfahrensarten und einigen Großprozessen aus späterer Zeit kam dagegen die gelehrte Literatur gebührend zu Wort. Doch das greift voraus auf Streitfälle aus anderen Territorien. 792 793 794 795
1764-1827, zu ihm H o l z h a u e r , Gönner, Sp. 1752-1755; d e r s ., Gönner, Sp. 463-464; Kl e i n h e y e r / S c h r ö d e r , Juristen, S. 499; N ö r r , Gönner, S. 838-840. G ö n n e r , Staatsrecht, S. 477-478; zu den Wahlkapitulationen auch d e r s . , Rechtsfälle I, S. 321-325. H o l z h a u e r , Gönner, Sp. 1754. F e l d k a m p , Erforschung, S. 211.
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ee) Zur Untätigkeit des Kölner Kurfürsten Ein weiterer Befund ist bemerkenswert. Im Gegensatz zum „Kampf um die Appellation“796 vom Münsteraner Offizial an den Offizial in Köln schaltete sich der Kölner Kurfürst in die Streitigkeiten um die Anrufung des päpstlichen Nuntius nicht förmlich ein. Bei der Appellation von Münster an das Kölner Offizialatsgericht ging es verfassungsrechtlich um die Frage, ob der Kölner Kurfürst die Gerichtsgewalt über das Hochstift Münster ausüben durfte. Das war dem Kurfürsten offenbar wichtig genug, um sich in laufende Reichskammergerichtsprozesse als Intervenient einzumischen797. Seine Untätigkeit im Hinblick auf den Nuntius erstaunt dagegen. Im Prozeß eines Heinrich Mumme hatte das Reichskammergericht im April 1608 ein Mandat erlassen, das die Appellation an den Nuntius mit scharfen Worten brandmarkte. Nicht einmal fünf Monate später erklärte der Kölner Kurfürst seine Intervention und sagte darin zum Rekurs an den Nuntius kein einziges Wort798. Die Literatur hat mehrfach auf die Spannungen zwischen dem Kölner Kurfürsten und dem Apostolischen Nuntius aufmerksam gemacht. Streitigkeiten und Konflikte gab es zuhauf799. Gerade 1607 hatten sich das Kölner Offizialat und der Apostolische Nuntius um ihre Jurisdiktionskompetenzen gestritten. Im Oktober 1607 schlossen sie einen vorläufigen Vergleich800. Weshalb der Kölner Kurfürst, der ohnehin an den einschlägigen Reichskammergerichtsprozessen teilweise beteiligt war, lediglich die Appellation von Münster nach Köln verteidigte, den Rekurs an den Nuntius aber überhaupt nicht kommentierte, ist unklar. Ein mögliches Argument liegt auf der Hand, läßt sich aber nicht weiter klären. Wie sich nämlich zeigen wird, waren sich sämtliche Verfahrensbeteiligte im entscheidenden Punkt einig. Appellationen an den Nuntius in weltlichen Angelegenheiten waren unstatthaft, das war völlig unstreitig. Auch die Reichsgerichtsbarkeit wankte nicht. Das Reichskammergericht entschied solche Fälle ohne viel Federlesens konsequent im Sinne eines strikten Appellationsverbots. Dem Kurfürsten oder Koadjutor konnte diese Rechtsprechung durchaus bekannt sein, denn sein 796 797 798 799 800
Wortspiel von W e i t z e l , Kampf um die Appellation. LA Münster RKG B 1280, Aktenstück Q 8; RKG B 1286, Aktenstück Q 3, fol. 014r; RKG M 1586, Aktenstück Q 8. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 4r (Mandat vom 9. April 1608), Aktenstück Q 8 (Intervention vom 5. September 1608). F e l d k a m p , Erforschung, S. 208 (aber vornehmlich für das 18. Jahrhundert); für das späte 16. Jahrhundert U n k e l , Nuntiaturstreit, S. 784-793. S a m e r s k i , Nuntiaturberichte IV/2/1, Nr. 9 S. 8-9, Nr. 44 S. 40; d e r s . , Schrittmacher, S. 201; U n k e l , Nuntiaturstreit, S. 790, nimmt einen Sieg des Nuntius an.
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Speyerer Prokurator mag ihn ohne weitere Umschweife darüber unterrichtet haben. Gerade dann bestand in solchen Fällen schlichtweg nicht die Notwendigkeit einer Intervention, weil das Reichskammergericht die Rechtsposition des Kurfürsten auch ohne seine direkte Beteiligung gegen Beeinträchtigungen schützte. Die Jurisdiktionsgewalt Kurkölns über Münster war dagegen streitig und auch am Reichskammergericht jedenfalls bis zum nicht veröffentlichten Senatsbeschluß von 1603801 Gegenstand von Diskussionen. Hier drohte durch Untätigkeit der Verlust von Rechtsansprüchen. Im Konflikt mit der Jurisdiktionsanmaßung des Nuntius konnte sich die Regierung des Kurfürstentums dagegen der Unterstützung des Speyerer Reichsgerichts sicher sein.
d) Die Person des Beklagten Die massiven Vorwürfe der kammergerichtlichen Kläger gegen die Appellation an den Apostolischen Nuntius in Zivilsachen und auch die rechtlichen Argumente gegen diesen Instanzenzug werfen die Frage auf, gegen wen sich eigentlich die Angriffe richteten. Drei Möglichkeiten kommen in Betracht, und alle finden sich auch in der Quellenüberlieferung bestätigt. Erstens konnte man zunächst den jeweiligen Prozeßgegner verklagen, der sich durch eine verbotene Appellation der unausweichlichen Niederlage entziehen wollte. Sodann ließ sich zweitens das Offizialatsgericht angreifen mit der Begründung, es vollstrecke sein eigenes Urteil nicht. Mit einer Rechtsmitteleinlegung an einem unzuständigen Gericht konnte der Verlierer niemals den Suspensiveffekt für ein rechtskräftig gewordenes Urteil rückwirkend aufleben lassen, so lautete die dahinter stehende Überlegung. Und drittens schließlich konnte der Nuntius selbst in die Schußlinie geraten, wenn er sich in weltliche Rechtshändel einmischte und damit den zivilrechtlichen Instanzenzug durcheinanderwirbelte. Dieser letzte Punkt war sicherlich am brisantesten. Deswegen geht es im folgenden darum, ob und in welcher Weise die Kläger den Nuntius am Reichskammergericht selbst verklagten. Genau dann nämlich erfuhr der Streit um den weltlichen oder geistlichen Instanzenzug seine denkbar größte Ausweitung. Die bloßen Angaben im etwas älteren und nicht sehr präzisen gedruckten Münsteraner Repertorium sind leider mehrfach unzuverlässig und können die Frage nach der Person des Beklag-
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L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, S. 564 Nr. 349; d e r s . , De jurisdictione officialium, Aphorismus 11, Anm. ff, S. 30-31; dazu oben bei Anm. 480-495.
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ten nicht zuverlässig klären helfen802. Der Blick in die Akten selbst schafft aber einige Klarheit. Auffällig ist zunächst schon der Ausgangspunkt. Soweit ersichtlich, war der erstinstanzliche Prozeßgegner in keinem Fall der alleinige Beklagte vor dem Reichskammergericht, zumindest nicht in den frühen Verfahren. Um die Beklagtenstellung nachzuprüfen, kommen zwei Möglichkeiten in Betracht, zum einen nämlich die Rubrizierung des Protokollbuchs, zum anderen die Adressaten der jeweiligen Mandatsbefehle. Aussagekräftiger ist in jedem Fall das Mandat selbst. Aus anderen Zusammenhängen sind schlampige und ungenaue Rubrizierungen von Protokollbüchern und Schriftsätzen bereits bekannt. Teilweise mußte das Kammergerichtspersonal nachträglich die Parteistellung berichtigen803. Die Parteibezeichnung auf dem Titelblatt des Protokolls war allerdings auch für die Kanzlei des Gerichts bestimmt und nicht für die Goldwaage. In den Mandaten besaß die Adressierung zudem eine andere Funktion als in Appellationsprozessen. In den Ladungen in Appellationssachen erschien das unterinstanzliche Gericht regelmäßig ebenfalls als Adressat, dies aber üblicherweise nur als Empfänger eines Kompulsorialbriefs oder einer Inhibition. Es ging also nur darum, die Prozeßakten an den Rechtsmittelführer herauszugeben804 und den Suspensiveffekt der Appellation zu beachten805. Das war im Mandatsprozeß anders. Hier erließ das Kammergericht eigens beantragte einstweilige Anordnungen und spulte nicht nur standardisierte Prozeßhandlungen ab. Daher ist es geboten, die Adressierungen der Mandate sehr genau zu nehmen. Die Abweichung von Protokollbuch und Mandat zeigt etwa der Streit zwischen Katharina von Soest und einem Johann Plate von 1625. Das Protokollbuch erwähnt lediglich „Johan Plate undt Consorten“ als Beklagte806. Das Mandat galt allerdings zunächst „Petro Aloysio Episcopo Tricariensi“807, also
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Nur zwei Beispiele: A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches I, S. 74 Nr. 502: der Kölner und Münsteraner Offizial werden als Beklagte nicht genannt; ebd. Bd. II , S. 316 Nr. 5252: der Kölner Offizial wird nicht als Beklagter genannt. O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 94-95. Kompulsorialformel bei O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 53, in verschärfter Form S. 148150; knapper Hinweis auch bei S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht, S. 168. Zur Inhibition D i c k , Entwicklung, S. 203-204; O e s t m an n , Hexenprozesse, S. 66 Anm. 222; Formel bei O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 53; zum Suspensiveffekt H i n z , Der Mandatsprozeß des Reichskammergerichts, S. 343-352. LA Münster RKG S 2291, Protokollbuch, Deckblatt. LA Münster RKG S 2291, Aktenstück Q 1 („Instrumentum insinuati mandati“).
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dem Nuntius Pier Luigi Carafa808, und erst in zweiter Linie dem Münsteraner Kanoniker Johann Plate809. In den Mandatsbefehlen spielte der erstinstanzliche Prozeßgegner bloß eine ganz untergeordnete Rolle. Er hatte bereits an den Apostolischen Nuntius appelliert, aus der Sicht des kammergerichtlichen Supplikanten natürlich frivol, mutwillig und rechtswidrig. Von ihm erwartete der Mandatskläger lediglich, sich ohne Gegenwehr in den unvermeidlichen Prozeßverlust zu fügen, wenn das Kammergericht seine Appellation kassierte. Vom Beschwerdeführer bekam der angeblich mutwillige Appellant im Nachtreten aber oftmals noch deutliche Worte zu hören. Er wolle „litem immortalen machen“ und den Rechtsstreit mit „Bäpstlichen rescriptis und commissionibus in infinitum aufhaltten“810. Wenn man pathetisch sein möchte, könnte man gar behaupten, an Stellen wie dieser klinge zum einzigen Mal wenigstens sprachlich ein fast religiös anmutender Ton an. Der mutwillige Appellant wolle nämlich die Sache „ohnsterblich“ machen811, unterstellte der Mandatskläger. Lediglich in einem einzigen Rechtsstreit könnte der erstinstanzliche Gegner des kammergerichtlichen Klägers auch in Speyer alleiniger Beklagter gewesen sein. In diesem Fall, einem von Sander Droste zu Senden 1600 geführten Mandatsprozeß, sind allerdings sowohl das Protokollbuch als auch das Mandat nicht erhalten, die übrigen Quellen nicht quadranguliert812. Vermutlich ist es also lediglich ein Überlieferungsproblem, das in diesem Fall zur Unklarheit führt. Interessanter als der Angriff auf den untergerichtlichen Prozeßgegner ist die Rolle der verschiedenen Offiziale und des Nuntius selbst im Kameralprozeß. In den meisten der hier untersuchten Fälle waren entweder der Offizial oder der Nuntius oder sogar beide verklagt, häufig zusammen mit dem Prozeßgegner. Erst nach 1638 änderte sich das813. Zuvor gab es aber durchaus Rechtsstreitigkeiten, die sich ausschließlich gegen den Apo808
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Nuntius von 1624-1634, zu ihm: W i j n h o v e n , Nuntiaturberichte VII/1, S. XIII-LI; G a u c h a t , Hierarchia Catholica IV, S. 343; J u s t , Quellen, S. 262-263; F e l d k a m p , Erforschung, S. 267 Nr. 7; zu den zeitgleichen Reichskammergerichtsprozessen um die Gerichtsbarkeit in Lüttich C a r a f a , Legatio apostolica, S. 21-26. Das Repertorium ist auch hier ungenau: A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches II, S. 331 Nr. 5358. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r; gleichlautend RKG M 741, Aktenstück Q 5. LA Münster RKG S 2642, Aktenstück Q 2, fol. 03r. LA Münster RKG Anhang D 11. Offenbar letztmalig war der Nuntius in Person verklagt in einem Mandat vom 24. Januar 1638: LA Münster RKG O 273, Aktenstück Q 2, fol. 03r; insoweit unrichtig A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte II, S. 172 lfd. Nr. 4233, die nur den Kommissar als Partei nennen.
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stolischen Nuntius richteten, so etwa der Mandatsprozeß des Dietrich Morrien von 1609. Das Protokollbuch vermerkte als Beklagte zunächst „N. Nuncium Aplium [= Apostolicum] unnd Gotthardt Grauen“, doch dann entfernte ein Schreiber den Hinweis auf Godderd Grau wieder814. Der Nuntius blieb allein stehen. In der Tat entbot das Reichskammergericht im Namen Kaiser Rudolfs II. lediglich „unßerm Lieben Andechtigen Attilio Ertzbischoffen zu Athen, des Stuels zu Rhom in die Niederlandt Reinischen Bezirckhs Abgeordneten Legaten,815 unßer gnad und alles gutes“816. Attilio Amalteo (1545-1633), der von 1606 bis 1610 die Nuntiatur bekleidete817, war also tatsächlich der einzige Beklagte im Reichskammergerichtsprozeß. Der ursprüngliche Gegner hatte keine weiteren Verpflichtungen, als bis zum Ende des Kameralprozesses auszuharren. Im Mandat tauchte er als Beklagter nicht auf, und das Protokollbuch übernahm diese Parteistellung. Gerade wenn man bedenkt, wie wichtig im Ancien Régime die korrekte Titelführung und eine standesgemäße Anrede waren818, lohnt ein Blick auf die nähere Bezeichnung des Nuntius. Mindestens zwei Apostolische Nuntien erscheinen in den Mandaten des Reichskammergerichts als Getreue. Das war die typische Anredeform des Lehensherrn gegenüber seinem Lehensnehmer, des Landesherrn gegenüber seinem Untertanen und des römisch-deutschen Kaisers gegenüber den Reichsangehörigen819. Durch diese Ansprache vereinnahmte das Gericht den aus Italien stammenden päpstlichen Gesandten also kurzerhand als Reichsangehörigen, angesichts der zahlreichen Beschwerden der Kammergerichtskläger über die ausländische und fremde Prozeßführung geradezu eine Kuriosität. Der erste Fall datiert von 1624. Pietro Francesco Montorio, Bischof von Nicastro820, geriet auf diese Weise in die Rolle des getreuen Reichsangehörigen821. Das war zugleich der einzige Münsteraner Kammergerichtsprozeß, an dem Montorio beteiligt 814
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LA Münster RKG M 1434, Protokollbuch, Titelblatt; Änderung des Protokolls auch in LA Münster RKG L 727: Apostolischer Kommissar ersetzt durch Hermann Bisping (1601). Zur lateinischen Titulierung des Nuntius F e l d k am p , Erforschung, S. 206. LA Münster RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 04r; dennoch nennt das gedruckte Repertorium lediglich die Ehefrau von Goddert Grau als Beklagte: A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches II, S. 94 Nr. 3694. Zu ihm als Nuntius S a m e r s k i , Attilio Amalteo, S. 34-39; R i c h ar d , Amalteo, 931-932; F e l d k a m p , Erforschung, S. 266 Nr. 4. Auflistung aus dem frühen 16. Jahrhundert bei G e ß l e r , Formulare. Belege im Deutschen Rechtswörterbuch IV, Sp. 620 (Art. Getreue 1); zum Lehensprozeß S t e f f e n h a g e n , Literärgeschichtliche Mittheilungen, S. 198. Nuntius 1621-1624; zu ihm G a u c h at , Hierarchia Catholica IV, S. 256; J u s t , Quellen, S. 261-262; F e l d k a m p , Erforschung, S. 267 Nr. 6. LA Münster RKG S 420, Aktenstück Q 1, fol. 05r.
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war822. Der Nuntius selbst sprach bei anderer Gelegenheit vom Reichskammergericht abschätzig als von einem „Tribunal, das oft aus Ketzern besteht“823. Nur ein Jahr später allerdings erschien sein Nachfolger Pier Luigi Carafa wieder gewohnt als Andächtiger, also lediglich als kirchlicher Würdenträger ohne Andeutung einer Untertänigkeit824. Demselben Nuntius Carafa wurde aber 1630 die Anrede als „lieben Andechtigen undt deß Reichsgetreuen Petro Aloysio Episcopo Tricariensi“ zuteil825. Diese drei Fälle sind zugleich mit die zeitlich spätesten aus Münster, in denen der Nuntius als Person in Speyer verklagt war. Der letzte Prozeß gegen den Nuntius selbst fand offenbar 1638 statt. Ein Hermann Otterstede erlangte ein Kassationsmandat gegen den Nuntius Martino Alfieri, Bischof von Isola826. Danach gab es zwar weitere Reichskammergerichtsprozesse Münsteraner Kläger gegen die Anrufung des Nuntius in Zivilsachen. Beklagt war jetzt aber neben dem untergerichtlichen Gegner nurmehr der vom Nuntius eingesetzte Kommissar827, selbst wenn dieser gar nicht namentlich bekannt war wie etwa 1633 ein „N. N. als des Nuncij Apostolici deputirten Commissarien“828. Die Anrede des Nuntius begann also gerade in den letzten Prozessen zu schwanken, bevor er später gar nicht mehr in die Verfahren eingebunden war. Das mag Zufall sein, ist aber bemerkenswert. Einen möglichen Einwand gilt es von vornherein zu entkräften. Es wäre allzu erstaunlich, falls die Vereinnahmung des Nuntius als Reichsangehöriger auf einem Versehen der Speyerer Kanzlei beruht haben sollte. Ausgeschlossen ist das nicht. Aber die gerichtlichen Ausfertigungen wurden regelmäßig zweifach gegengelesen und vom Kanzleiverwalter unterschrieben829. Gerade in derart heiklen Angelegenheiten wie den Mandatsprozessen gegen den Nuntius dürften die Betei822
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Es gab einen weiteren Mandatsprozeß von 1624 (LA Münster RKG M 1680), doch erging das Mandat erst am 18. September 1624, der Zustellungsversuch erfolgte am 3. November 1624 (Aktenstück Q 1, fol. 04r-04v). Zu diesem Zeitpunkt war bereits Montorios Nachfolger Pier Luigi Carafa im Amt. M o n t o r i o , Relation, S. 512. LA Münster RKG S 2291, Aktenstück Q 1. LA Münster RKG K 1068, Aktenstück Q 1, fol. 14. LA Münster RKG O 273, Aktenstück Q 2, fol. 03r; Verkündung aber nur gegenüber dem Kommissar; Parteistellung unzutreffend bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte II, S. 172 lfd. Nr. 4233; zu Alfieri, Nuntius von 1634-1639, F e l d k am p , Erforschung, S. 268 Nr. 8; d e r s . , Studien 4/Instruktionen, S. 7 Anm. 30; unzutreffend K o l l e r , Prudenza, S. 51 Anm. 73, wonach Alfieri erst 1643 Nuntius wurde. LA Münster RKG O 268, unquadr. „Instrumentum Insinuirten Kayß. Cammergerichts Mandati“, fol. 01r-01v (1639); RKG Z 188, Aktenstück Q 2, fol. 06r: gegen den angemaßten Kommissar der römischen Kurie (1700); ebenso bereits: RKG H 113, Aktenstück Q 1, fol. 4r (1632). LA Münster RKG S 1793, Aktenstück Q 1, fol. 04r. S m e n d , Reichskammergericht, S. 330-333.
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ligten besonders achtsam gewesen sein. Die Parteistellung, wenn auch nicht die Anrede, entsprach zumeist dem Gesuch des supplikantischen Schriftsatzverfassers, und über dessen Beweggründe sind keine Quellen vorhanden. Es gibt freilich eine Möglichkeit, die Unsicherheiten der Rubrizierung zu erklären. Vielleicht gewann mehr und mehr die Auffassung Oberhand, nach der das Reich über den Nuntius keine Gerichtsgewalt ausüben durfte. Das strenge Personalitätsprinzip galt vor dem Reichskammergericht zwar nicht. Es sind etwa sowohl Klagen von Parteien aus Rom als auch Prozesse gegen in Rom ansässige Beklagte nachweisbar830. Dennoch erlaubt die geographische Herkunft der Parteien gewisse Rückschlüsse auf die zeitgenössische Wahrnehmung der Reichsgrenzen831. Mit dem allgemeinen privilegium fori der Geistlichen kann der Wandel allein nicht zu erklären sein, denn auch den vom Nuntius eingesetzten Kommissaren warfen die kammergerichtlichen Kläger teilweise ausdrücklich vor, sie seien Theologen und keine Juristen. Dennoch war der geistliche Stand kein Grund, ihre Einbindung in kammergerichtliche Prozesse zu hindern832. Schaut man genauer hin, geben die Quellen zumeist nähere Auskünfte über die Person des Kommissars. Fast immer handelte es sich um Deutsche und zwar oft um Kanoniker von St. Gereon oder anderen großen Kirchen in Köln833. Zumindest teilweise waren sie zugleich rechtsgelehrt834 wie auch der Nuntius835. Im übrigen ist das richterliche Personal der Nuntiaturen nicht näher bekannt836. Die schwankende Anrede des Nuntius mag damit ein Zeichen dafür sein, wie selbstverständlich die Gerichtsgewalt des Kammergerichts ausschließlich über Reichsangehörige erschien. In dem Parteiwechsel in den Jahren ab 1630 deutet sich damit möglicherweise zugleich eine Verschiebung an. Die Stoßrichtung der Prozesse änderte sich. Es ging fortan weniger um einen Kampf der Kläger oder gar 830 831
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834 835 836
H ü l l b ü s c h / S c h e n k , Reichskammergericht, S. 47 Nr. 85, S. 121 Nr. 207; erwähnt auch bei Ko s e r , Repertorium I, Nr. 108, 389. D i e s t e l k a m p , Reichsgerichtsbarkeit in den Ostseeländern, S. 19-20; ebenso für Reichsitalien S c h n e t t g e r , „Principe sovrano“, S. 412; ergänzend O e s t m a n n , Prozesse aus Hansestädten, S. 114-116. Zu den Maßnahmen der Kommissare oben bei Anm. 595-614. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 2, fol. 04r: Johann Broelmann, Dechant an St. Aposteln in Köln; RKG H 1569, Aktenstück Q 1, S. 3-4: Scholastiker an St. Gereon; RKG U 8, Aktenstück Q 1, fol. 03r: Zachäus von Horrich, Scholastiker an St. Gereon. H ü l l b ü s c h / S c h e n k , Reichskammergericht, S. 98 Nr. 169 (Fall aus Lüttich 1595); LA Münster RKG H 1569, Aktenstück Q 1, S. 3-4: Hieronymus Hack, Lic. iur. L u t z , Glaubwürdigkeit, S. 264; F e l d k am p , Studien I/Kölner Nuntiatur, S. 90-95; S a m e r s k i , Schrittmacher, S. 197. F e l d k a m p , Erforschung, S. 258.
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des Reichskammergerichts gegen den Nuntius. Der Rekurs an den Nuntius erschien in den Prozessen also nicht mehr vorrangig als Einmischung des Nuntius in die Zivilgerichtsbarkeit, sondern vielmehr als Verstoß des Prozeßgegners gegen die Gerichtsverfassung des Reiches. Tendenziell nahmen die Vorwürfe gegen den Nuntius als Person damit jedenfalls im Bereich des Fürstbistums Münster seit 1630 ab, mithin noch während des Dreißigjährigen Krieges. Und überhaupt ließen nach 1640 die kammergerichtlichen Beschwerden über die Appellation an den Nuntius in Münsteraner Zivilsachen deutlich nach, nachdem sie ohnehin seit 1620 ihren Höhepunkt überschritten hatten837. Der Jüngste Reichsabschied prangerte 1654 „allerhand Mißbrauch“ unter anderem aus dem Hochstift Münster an und meinte damit die verbotenen Appellationen an den Nuntius in weltlichen Sachen838. Der Reichsabschied erging damit zu einem Zeitpunkt, als das Sachproblem schon seit einigen Jahrzehnten seinen Höhepunkt überschritten hatte. Der Vergleich der Prozeßpraxis mit den normativen Quellen kann damit zeigen, wie der Jüngste Reichsabschied jedenfalls in Münsteraner Angelegenheiten 1654 auf eine bereits weitgehend abgeklungene Prozeßwelle zurückblickte. Im Text des Reichsabschiedes entdeckt man dazu freilich kein Wort. Vielmehr erweckt er den Anschein, als gehe es darum, gegenwärtige Mißstände abzustellen und zukünftige zu verhindern. Der Vergleich wird damit tatsächlich zur schärfsten Waffe des Historikers, wie Paolo Grossi in einem schönen Bonmot formuliert hat839. Zugleich ergänzen sich erneut Normengeschichte und Untersuchungen zur Rechtspraxis. Wie das Beispiel zeigt, lassen sich zeitgenössische Gesetze teilweise genauer verstehen, wenn man die unausgesprochenen praktischen Probleme kennt, die den Regelungen vorausgingen.
e) Die Mandate des Reichskammergerichts Bei den vorliegend ausgewerteten Rechtsstreitigkeiten aus dem Fürstbistum Münster handelt es sich ausnahmslos um Mandatsprozesse. Am förmlichen Beginn des Rechtsstreits erkannte das Reichskammergericht den Prozeß, wie es in der standardisierten Mandatsformel hieß840. Der Erlaß des Man837
838 839 840
Spätere Fälle: LA Münster S 878 (1656; falsche Jahreszahl bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte II, S. 289 lfd. Nr. 5054), RKG N 353, Aktenstück Q 1, fol. 52r (1665), RKG V 363 (1674), RKG Z 188 (1700), RKG F 270 (1716), RKG M 1729 (1719). § 164 JRA 1654, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 250-251. G r o s s i , Recht, S. 99. So auch die Artikelüberschrift in RKGO 1555 Art. 2, 23, bei L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 200; etwas anders am Reichshofrat: U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 175.
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dats, also die einstweilige Anordnung des Gerichts, stand damit am Anfang des Verfahrens. Deswegen ist die Quellenlage so günstig. Im Gegensatz zum erstinstanzlichen Zitationsprozeß oder zum zweitinstanzlichen Appellationsverfahren erging im Mandatsprozeß in jedem Fall eine richterliche Entscheidung841. Diese Mandatsbefehle und ihre Tenorierungen verdienen genaueren Blick. Am Reichskammergericht war es üblich, die Prozeßart in lateinischer Sprache anzugeben, selbst wenn der Rechtsstreit normalerweise auf deutsch geführt wurde. Hierbei faßte das Gericht, vielleicht auch schon der Supplikant, den Tenor des Mandatsbefehls in wenigen Worten auf latein zusammen. Das geschah immer im Genitiv. Jeder Leser oder Beteiligte sollte also ergänzen: „Mandatsprozeß wegen...“842. In den hier vorliegenden Streitigkeiten handelte es sich zumeist um Mandate „cassatorii et inhibitorii sine clausula“843. Teilweise ergingen auch nur kassatorische Mandate844. Die Tenorierung stand jeweils in der zweiten Person Plural und war in einen Nebensatz gefaßt. Sie lautete dahin, daß „ihr“, also die Beklagten, an dem auf die Verkündung folgenden Tag „ohne verzug und einredt, von geclagtem unordentlichen Proceß aber, ab und einsteht, denselben cassiret, sincken und fallen lasset, deme also und weniger nit, noch ichts zu wider thutt, Als lieb euch sei obbestimpte pöen zuuermeiden“845. Es gab lediglich ganz geringe Schwankungen in der Tenorierung. Dem soeben genannten Beispiel von 1595 entspricht praktisch wörtlich ein Befund von 1612: „Daß Sie und Ir dennechsten nach überantworttung oder verkündung diß briefs, ohne verzug, unnd Einrede von oblauts beclagter massen vorgenommenen Processen abstehen, denselben gentzlich sincken unnd fallen lassen, auch alles, waß darauff erfolgt, cassiren und aufheben, dem allen also, und weniger nit thun, noch hieran seumig hinderstellig oder ungehorsam seyen“846. Dieser Tenor war zweigliedrig und enthielt sowohl die Mandats- als auch Inhibitionsformel. 841 842 843
844 845 846
O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 74; zur Urteilshäufigkeit insgesamt H ö r n e r , Anmerkungen, S. 79-81. Die Findmittel sind hier nicht immer genau genug, vgl. K au e r t z , Akten, Einführung S. 92. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1 (1595); RKG S 2636, Aktenstück Q 1 (1596); RKG Anhang D 11 (1600): Mandat nicht erhalten, aber Prozeßart erschließbar; RKG M 1434, Aktenstück Q 1 (1609); RKG R 1070, Aktenstück Q 1 (1609); RKG N 603, Aktenstück Q 1 (1611); RKG H 1569, Aktenstück Q 1 (1612); RKG U 8, Aktenstück Q 1 (1614); RKG D 487, Aktenstück Q 1 (1616); RKG W 692, Aktenstück Q 1 (1617); RKG R 1130, Aktenstück Q 1 (1620); RKG S 420, Aktenstück Q 1 (1624); RKG S 774, Aktenstück Q 1 (1633); RKG V 363, Aktenstück Q 2 (1674). LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5 (1599); RKG M 1586, Aktenstücke Q 1 und 2 (1608); RKG M 1725, Aktenstück Q 1 (1617). LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r. LA Münster RKG H 1569, Aktenstück Q 1, S. 3-4.
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Der Mandatsbefehl war die Handlungsanweisung an die Beklagten. Sie sollten den Rechtsstreit vor dem Apostolischen Nuntius beenden. Die Verben „abstehen, sinken lassen, fallen lassen, kassieren und aufheben“ klingen nach einer überflüssigen und typisch barocken Wiederholung des immer Gleichen. Offenbar ging es aber gerade um eine lückenlose Abdeckung aller denkbaren Handlungen. Die Formulierung war doppeldeutig gewählt. Wie oben bereits angedeutet, richtete sich das Mandat sowohl an den päpstlichen Nuntius als auch an den untergerichtlichen Prozeßgegner. Der Gegner durfte seinen Nuntiaturprozeß nicht mehr betreiben, und der Nuntius mußte ihn seinerseits sofort beenden. Die Auflistung der auf den ersten Blick gleichbedeutenden Verben war also nicht nur Geklapper, sondern enthielt Befehle an beide Beklagten. Die Inhibitionsformel schloß sich lediglich an. Darin wiederholte das Gericht die Ermahnung an die Beklagten, dem Mandatsbefehl nicht zuwider zu handeln. Es gibt auch Mandate, die ohne Inhibitionen ergingen, also nicht ausdrücklich vor jedweden Zuwiderhandlungen warnten. Zumindest in einem Fall hatte der Nuntius auch noch keinerlei Prozeßhandlungen vorgenommen847. Ob es freilich eine konsequente Rechtsprechungspraxis gab, ist unklar. Vielleicht hing der Erlaß von Inhibitionen immer davon ab, ob ein Untergericht bereits tätig geworden war. Möglicherweise kam es auf bereits verübte Prozeßhandlungen aber gar nicht an, und die Inhibitionen konnten auch vorbeugend ergehen. Beides ist denkbar, muß aber hier offen bleiben. Eventuell hatten einige Supplikanten auch schlichtweg den Inhibitionsantrag nicht gestellt. Ein allgemeiner Eindruck des kammergerichtlichen Verfahrens zeigt sich auch in den hier ausgewerteten Fällen. Die Standardisierung des Mandatsprozesses ließ seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts augenscheinlich nach. Die Mandatsbezeichnungen wurden individueller und ausführlicher. 1665 erging etwa ein Mandat „ad reuocandum processus Apostolicos sine clausula“848. In diesem Rechtsstreit war der Nuntius nicht selbst verklagt, und das Mandat befahl daher lediglich, den Nuntiaturprozeß zu revozieren und aufzuheben849. In einem Rechtsstreit aus dem 18. Jahrhundert erließen die Wetzlarer Assessoren 1719 ein „Mandatum de cassando et revocando recursum ad judicem Ecclesiasticum in Causa profana nulliter habitum sine- de exequendo et manutenendo verò proprium judicatum cum clausula“850. Die griffige Kurzformel des Mandats de cassando erfuhr damit erhebliche Weiterungen. Aus dem 847 848 849 850
LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 1°, fol. 4r. LA Münster RKG N 353, Protokollbuch, Titelblatt. LA Münster RKG N 353, Aktenstück Q 1, fol. 52r. LA Münster RKG M 1729, unquadr. Aktenstück „Mandatum“, fol. 02r. Das Protokollbuch enthält dieselbe Prozeßbezeichnung.
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18. Jahrhundert sind Mandatsausfertigungen bekannt, die auf dem Titelblatt des Originals praktisch ganzseitig den ins Lateinische übersetzten Tenor als Prozeßbezeichnung anführten. Die in dem soeben angeführten Beispiel von 1719 genannte Revokation, so hat es den Anschein, war wohl die Aufgabe derjenigen Partei, die ordnungswidrig den Nuntius angerufen hatte. Je stärker die Revokation also an die Stelle der Kassation trat, desto tendenziell milder wurden die Mandatsprozesse gegenüber dem Nuntius selbst. Dies entspricht im übrigen dem Befund, der bei der Person des Beklagten bereits aufgefallen war. Zuerst verschwand der Nuntius als Prozeßpartei, sodann ließen auch die scharfen Angriffe auf seine Person etwas nach. Freilich münzte das Kammergericht auch in Mandatssachen nicht schlechthin jeden Antrag des Supplikanten einfach in ein Mandat um. Das zeigt gerade dieser Rechtsstreit von 1719. Dort hatte der supplikantische Schriftsatzverfasser nicht nur das Mandat gegen die Anrufung des Nuntius beantragt, sondern zugleich die Vollstreckung des untergerichtlichen Urteils angemahnt, das der Münsteraner Offizial ausgesprochen hatte und nun vollziehen sollte. Das Wetzlarer Kammergericht hielt das letzte Anliegen aber offenbar für nicht so dringend. Es erließ zwar ein unklausuliertes Mandat, doch mit der Einschränkung: „übriges begehren aber allein cum clausulâ hiemit erkent“851. Die Vollstreckung des untergerichtlichen Urteils zugunsten des Reichskammergerichtsklägers war also nicht derart eilbedürftig wie die Beendigung des verbotenen Nuntiaturprozesses. Deswegen reichte dafür nach Auffassung des Reichskammergerichts offenbar ein klausuliertes Mandat, also das normale, nicht verschärfte Mandat, das alle Verteidigungsmöglichkeiten offenhielt852. Der Fall lag freilich nach Erlaß des Jüngsten Reichabschieds, und gerade dieses Gesetz hatte die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Mandate gegen Hoheitsträger verschärft853. Ein kammergerichtliches Mandat zu erlangen, war in der Praxis viel schwieriger, als es der heutige Blick in die Akten erscheinen läßt. Die Verzerrung ist nicht erstaunlich, denn nur erfolgreich beantragte und gewährte Mandate sind erhalten. Gescheiterte Mandatsklagen hinterließen zumeist keine Quellen. Eine wichtige Ausnahme stammt aus Münster und betrifft 851
852 853
LA Münster RKG M 1729, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Supplication“, Dorsalvermerk der extrajudizialen Reichskammergerichtsentscheidung vom 13. Februar 1719, fol. 12v. Abweichung vom beantragten Mandat auch im Fall StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 19r, dazu unten bei Anm. 1174-1176. Zum Mandat cum clausula justificatoria U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 8-9, 84-87; D i c k , Entwicklung, S. 95. § 105 JRA 1654, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 226-227; dazu auch S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 183-184; O e s t m an n , Hexenprozesse, S. 77.
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das Ende des 18. Jahrhunderts. Wie die rechtshistorische Dissertation von Heinrich Wiggenhorn detailliert nachzeichnet, ergingen in über der Hälfte aller Supplikationen gar keine Mandate854. Über die Zeit davor fehlen verläßliche Untersuchungen und auch Quellen. Wie hoch die Erfolgsquote bei Mandatsanträgen wegen rechtswidriger Appellation bzw. wegen des Rekurses an den Nuntius lag, ist daher unklar. Jedoch dürfte das Gericht mit der Bewilligung der Mandate hier sehr viel großzügiger gewesen sein als in anderen Fällen. Dafür spricht viel, denn der Supplikant kam dem Gericht ja bereits auf halbem Wege entgegen. Behauptete er doch, er verteidige zugleich das Ansehen des Reiches und der Reichsgerichtsbarkeit. Ob das Kammergericht in größerem Ausmaß Kassationsmandate ablehnte, ist unbekannt. Anhaltspunkte dafür sind nicht ersichtlich855. Vor allem benutzte niemals ein Beklagter dieses Argument. Wegen der Verletzung der Reichsjustizverfassung wurde in solchen Fällen auch der Fiskal aktiv und trat auf den Plan. Er verlangte die Bestrafung desjenigen, der es gewagt hatte, das Nuntiaturgericht anzurufen. Mehrere Beispiele aus dem 18. Jahrhundert sind in den Akten greifbar856. Schon für das 16. Jahrhundert ist diese Ausweitung des Verfahrens belegt857, und in normativen Vorgaben wie den Wahlkapitulationen erschien die Pflicht des Fiskals sogar explizit858. Die Quellen zeigen daher die Appellation bzw. den Rekurs an den Nuntius in Zivilsachen als besonders schweren Verstoß gegen die Justizverfassung des Reiches. Deswegen ist es unwahrscheinlich, wenn in diesen Fällen in größerem Ausmaße Supplikationen ergebnislos verpufft sein sollten. Für die Zeit um 1600 gibt es ohnehin Mandatsnarrationen, die zahlreiche andere „scharpffe Mandata“ als Präjudizien nannten859. Vermutlich war die Zahl der erlassenen Mandate also eher höher, als sie sich heute rekonstruieren läßt. Für eine zumindest ab 1603 eindeutige Haltung des Reichskammergerichts spricht weiterhin ein Senatsschluß von 1603. Die Quelle kam bereits 854 855
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W i g g e n h o r n , Reichskammergerichtsprozeß, Tabelle I nach S. 265. Anders etwa in Untertanenprozessen, in denen nach obrigkeitlichem Berichtsschreiben die Mandatsbitten abgeschlagen wurden, dazu Beispiel aus Paderborn bei C r am e r , Wetzlarische Nebenstunden 117, S. 68-92. LA Münster RKG M 1729, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Supplikation“, fol. 12v; StA Osnabrück, Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 14, fol. 62r-64r; in einem Fall um die rechtswidrige Appellation an das Kölner Offizialat schaltete das Reichskammergericht den Fiskal sogar von Amts wegen ein: L u d o l f f , De jurisdictione officialium, Aphorismus 16, S. 72 (Urteil von 1722). H a r p p r e c h t , Staatsarchiv III, S. 123-127 (Beispiel von 1511/12); R au t e n b e r g , Fiskal, S. 135. Dazu oben bei Anm. 780. LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 1, fol. 08r.
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in anderem Zusammenhang zur Sprache, weil sie die wahlweise Appellation vom Münsteraner Offizialat an den Offizial in Köln oder unmittelbar an das Reichskammergericht gestattete860. Für den weiteren Rechtszug an den Apostolischen Nuntius entschloß sich das Speyerer Gericht 1603 „per majora“ zu folgender Grundsatzentscheidung: „Jedoch da solche Appellationes à Monasteriensi zuvor/ oder à Coloniensi hernacher ad Curiam Romanam, oder ad Nuncios Apostolicos und also extra Imperium von den Partheyen gezogen würden/ daß dieselbige quibuscunque remediis opportunis per Cameram annulliret und revocirt werden sollen und mögen.“861 Im Gegensatz zum Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts hatte das Reichskammergericht 1603 offenbar noch keine Probleme damit, die Anrufung des Nuntius als Appellation zu bezeichnen. Der Beschluß, der sich ausdrücklich nur auf weltliche Sachen bezog, wiederholte wörtlich das von zahlreichen Parteien vorgetragene Argument, durch die Einschaltung des Nuntius würden weltliche Zivilsachen aus dem Reich herausgetragen. Die genauen prozessualen Formen, in denen das Kammergericht solche Mißbräuche unterbinden sollte, hielt das Senatusconsultum offen, denn die Verfahrensform hing ja vom jeweiligen Antrag des Klägers ab. Die Doppelung von Annullation und Revokation sollte wohl ein umfassendes Verbot andeuten. In jedem Fall war die Prozeßführung vor dem Nuntius in weltlichen Angelegenheiten untersagt. Sowohl der Nuntius als auch die Parteien mußten den Nuntiaturprozeß unverzüglich beenden. An diesen Senatsschluß scheint sich das Reichskammergericht gehalten zu haben, auch wenn er wohl nie förmlich gegenüber den Beteiligten verkündet wurde862. Bereits die hohe Zahl der überlieferten Quellen spricht Bände. Auch hoben die Speyerer Assessoren, soweit ersichtlich, ihre Kassationsmandate gegenüber dem Nuntius nie wieder auf. Was die Appellation an den Kölner Offizial betraf, schwankte die kammergerichtliche Rechtsprechung nach 1700 wieder863. Im Hinblick auf das Appellationsverbot in weltlichen Sachen an den Apostolischen Nuntius blieb das Reichskammergericht dagegen konsequent. Spätere Erörterungen brachten den Rekurs an den Nuntius mehrfach ins Gespräch, änderten aber in der Sache nichts. Die Visitation von 1713 griff 860 861
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Dazu oben bei Anm. 480-495. L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, S. 564 Nr. 349; d e r s . , De jurisdictione officialium, Aphorismus 11, Anm. ff, S. 30-31; Teilabdruck auch bei M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 243-244. Zum Quellentyp der Plenarschlüsse L u d o l f , Anhang zu dem Concept, Vorrede § 8: dort Gleichsetzung von Dubia Cameralia, Consulta Camerae und Senatusconsulta; D i c k , Entwicklung, S. 10; W e t z e l l , System, S. 5 Anm. 5; L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 298. – Dick scheint durch ihre mehrfachen Verweisungen auf W i g g e n h o r n , Reichskammergerichtsprozeß, S. 243, die Erläuterung von Urteilen mit den Senatsschlüssen und Dubia Cameralia gleichzusetzen. Das aber ist unsicher. Dazu oben bei Anm. 545-574.
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das Thema auf. Ein förmliches Reichsgutachten kam aber nicht mehr zustande. Kaiser Karl VI. unternahm 1719 einen erfolglosen Anlauf, ebenso 1766 der kurpfälzische Vertreter im Fürstenrat864. Änderungen in der Praxis oder bei den normativen Bestimmungen gab es also nie. Angesichts der oftmals unsicheren Rechtslage, des allgegenwärtigen Meinungsstreits und der Entscheidungsschwäche des Reichskammergerichts läßt sich erfreulicherweise ein klares Ergebnis festhalten: Appellationen an den Apostolischen Nuntius in weltlichen Zivilsachen waren nach eindeutiger Rechtsprechung des Kammergerichts jederzeit rechtswidrig und verboten. Die vom Kammergericht angedrohte Geldstrafe für den Fall, daß die Beklagten gegen das Mandat verstießen, betrug überlicherweise zehn Mark lötigen Goldes. In ganz wenigen Fällen war die Strafhöhe auf acht Mark reduziert865. Derartige Summen sind auch aus anderen Mandatsprozessen bekannt866. Vollstreckt wurden sie in den hier interessierenden Fällen nie, wie sogleich deutlich werden wird.
f) Die Zustellung der Mandate und der Fortgang der Streitigkeiten Der Fortgang der kammergerichtlichen Mandatsprozesse war in den hier untersuchten Fällen mit vielfältigen Schwierigkeiten für den Kläger verbunden. Deswegen lohnt sich ein näherer Blick auf die einzelnen Verfahrensschritte. Zunächst ging es um die Zustellung des Mandats beim Beklagten, also in den Fällen von Streitgenossenschaft sowohl beim untergerichtlichen Prozeßgegner als auch beim Nuntius sowie den beteiligten Offizialatsgerichten. Hier gab es bereits erste Probleme. Der Nuntius weigerte sich nämlich teilweise, Befehle, die im Namen des Kaisers ausgestellt waren, überhaupt anzunehmen. Sodann gab es weitere Komplikationen, wenn die beklagten geistlichen Richter sich nicht vor dem Reichskammergericht vertreten ließen und einfach untätig blieben. Die direkte Konfrontation der Reichsgewalt mit der geistlichen Macht der römisch-katholischen Kirche blieb dann oftmals aus. Die Schwierigkeiten der Prozeßführung sind ihrerseits aber gut dokumentiert. Diese Quellen zusammen mit späterem Schriftsatzwechsel der Parteien des Ausgangsprozesses sowie wenigen Folgeurteilen des Reichskammergerichts erlauben Schlüsse über die realen Erfolgsaus864 865
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M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 252-255. LA Münster RKG U 8, Aktenstück Q 1, fol. 03r; RKG M 1725, Aktenstück Q 1°, fol. 04r: hier keine Inhibition erlassen; RKG S 2642, Aktenstück Q 2, fol. 03r: hier keine Inhibition erlassen; RKG S 774, Aktenstück Q 1, fol. 03v: hier zwar Inhibition, aber kein Hinweis, daß die Kassation am nächsten Tag geschehen müsse. U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 111-113, dort auch zur zeitgenössischen Kaufkraft.
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sichten der kammergerichtlichen Mandatsprozesse. Unter Erfolg ist hierbei nicht der bloße Erlaß des Mandatsbefehls zu verstehen. Für die Kläger ging es vielmehr darum, den Prozeß vor dem Nuntius tatsächlich zum Erliegen zu bringen. Genau das aber war unsicher. Die Zustellung der kammergerichtlichen Ladungen und Mandate konnte entweder durch Kammerboten oder durch Notare erfolgen867. Interessant sind die Zustellungen deswegen, weil die Kammerboten oder Notare Zustellungsvermerke anfertigten, bei Boten etwas hochgegriffen zeitgenössisch Relationen genannt. Darin hielten sie die Reaktion des Empfängers fest, schwerfällig und minutiös mit Uhrzeit und genauen Orts- und Personenbezeichnungen. So notierte etwa ein Bote im Dezember 1600 auf der Rückseite eines Kassationsmandats die Antwort der Beklagen: „Sie weren erbüettig, zuuorderst der Röm[ischen] Kay[serlichen] M[ajestä]t unnd dero hochlöblich kay[serlichem] Cammergerichtt zu allerunderthenigsten Ehren, disem Mandat durchauß zugehorchen“868. Dieser Botenbericht bezog sich auf die Zustellung des Mandats bei einem Christoph Bremer, Dechant des St. Ludgerus-Stifts in Münster869. Dieser Dechant war vom Apostolischen Nuntius zur Verhandlung des Rechtsstreits zwischen Clara Schwickers, der Witwe eines Bernhards von der Wick, sowie dem Schultheißen und der Gemeinde auf dem Laer eingesetzt. Die Gemeindebewohner hatten den Apostolischen Nuntius in einem Streit um Schafweidegerechtigkeiten mit ihrer Appellation um rechtliche Hilfe angerufen870. Der Kommissar des Nuntius nahm das kammergerichtliche Mandat an und erklärte gegenüber dem Kammerboten sogar mündlich, er werde es befolgen. Das war keine formgerechte Paritionserklärung871, deutete doch aber zumindest die Gutwilligkeit des Kommissars an. Solche Münsteraner Geistlichen mögen im Spannungsfeld zwischen der Einbindung in die kirchliche Jurisdiktion und der Unterwerfung unter die Reichsjustiz gestanden haben. Wenn sie sich bemühten, Konflikte zu entschärfen, verwundert das nicht.
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S m e n d , Reichskammergericht, S. 363-369; S e l l e r t , Ladung des Beklagten, S. 207-232; P r a n g e , Vom Reichskammergericht, S. 58-74, 76: dort zum quantitativen Verhältnis von Boten- und Notarszustellungen; F u c h s , Mit Wissen und Willen, S. 247-264; M a d e r , Soldateske, S. 265-290. LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 1, fol. 08v. Nachgewiesen bei Ko h l , Bistum Münster 3/Domstift St. Paulus 4, S. 212; d e r s . , Bistum Münster 10/St. Aegidii, S. 426. Knapper Hinweis auf den Rechtsstreit auch bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches II, S. 439, Nr. 6110. Dazu D i c k , Entwicklung, S. 94, 285 Anm. 830.
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Anders sah es dagegen aus, wenn der Nuntius in eigener Person verklagt war und der Kammerbote versuchte, ihm ein Mandat zu insinuieren872. Am 16. Juni 1609 ereignete sich in Köln folgender Vorfall: „Ich Nicolauß Wunderlich, deß Kay[serlichen] Cammergerichtes geschworenen Cammerbotten, Bekhen mit dieser meiner eigenen handtschrifft, auch bey dem aidt den ich zu einem hochermeltten Collegio gethan. Das ich diß Kay[serliche] Mandatum Cassatorium et Inhibitorium sine clausula zu Cölnn dem hochwürdigen Attilio Archiepiscopo Atheniensi, zuinsinuirenn begert, mich auch zum dritten mall bey Ir[er] F[ürstlichen] G[naden] Hoffhalttung bey derro dienern angeben, und zu Ir[er] F[ürstlichen] G[naden] oder dero Secretarien begert, aber bin alzeit von demselbigen abwiesen worden, das niemandts bey der handt wehre, habe letzlich einenn Secretarien in dem Hoffe angedroffen, und Ime das Mandat presendiert, Er aber hats nit vonn mir annemen, noch mich anzeigen wöllen, sonder vonn mir hinweg gangen, so ist letzlich ein anderer Diener kommen, dem hab ich auch angezeigt waß mein begeer wehr, hat er mir zue antwordt geben, mann neme die Brieffe nit ahn (.Den der Keiser hette dem Pabst nit zu gebieten.) Darüber ich geantwordt, so wölle ich dieselbige an die Portten schlagen, hatt er gesagt daß möge ich thuen sein herr frage nichts darnach, es sey die tage auch einer von Speyer dawesen mit brieffen, man habe dieselbige auch nit ahngenommen, so habe ich diß Kay[serliche] Mandat In originali dieser Copeien gleichlaudent ahnn obgedachteß hern hern [sic!] gewönlichen Behausung an die Porten, mit grünnem wachts in die vier Eckhe angehengt und darvon gangen, gescheen den 16. Junij Aldt[en] Calend[ers] vormittag zwischen 10. und 12 Uhren Ano 1609: hab keines dienern Namen erkündigen können:/:“873 Die umfangreiche Relation des Kammerboten ist ein Glücksfall der Überlieferung und in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Zunächst bestätigt der Zustellungsversuch das bereits aufgrund der Inskriptio874 gewonnene Ergebnis. In derartigen Fällen war tatsächlich der Nuntius selbst Partei und tauchte nicht lediglich als Gerichtsherr der Vorinstanz im Mandat auf. Den zweiten Gesichtspunkt gewinnt man durch Vergleich der Botenrelation mit einem anderen Münsteraner Mandatsprozeß. Derselbe Kammerbote wollte nämlich genau an diesem 16. Juni 1609 noch ein zweites Kassationsmandat beim Nuntius zustellen. Er schrieb wörtlich gleichlautend dieselbe Relation auf beide Rückseiten875. Es ging also um zwei Zustellungen, was aus dem einzelnen Botenbericht nicht deutlich wird.
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Zur Bedeutungsvielfalt von „insinuieren“, u. a. als Zustellung von Schriftsätzen, Urteilen und Ladungen S e l l e r t , Insinuation, Sp. 386. LA Münster RKG M 1434, Aktenstück Q 1, fol. 06r. Inskriptio: Bezeichnung des Urkundenempfängers, hier des Mandatsgegners, dazu U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 109; am Beispiel einer Zitation O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 50. LA Münster RKG R 1070, Aktenstück Q 1, fol. 04v.
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Die Mißachtung, die der Reichsgewalt am Hofe des Nuntius entgegenschlug, ist nicht zu unterschätzen. Immerhin repräsentierte der Kammerbote trotz seines niedrigen persönlichen Ranges die Reichsgewalt876. Die symbolische Dimension seiner Demütigung war offenkundig und sicherlich beabsichtigt. Dreimal mußte sich der Bote bei den Dienern des Nuntius anmelden, aber nicht ein einziges Mal ließ man ihn vor. Deswegen mußte er zwei Stunden unverrichteter Dinge im Hof warten, wohl unter freiem Himmel. Ein Sekretär ging am Boten vorbei und weigerte sich, das Mandat anzunehmen. Ganz zum Schluß erschien ein Diener, der nicht einmal seinen Namen nannte. Statt dessen verspottete er den Kaiser mit einem Satz, der unmittelbar aus dem Investiturstreit zu stammen schien: Der Kaiser habe dem Papst nichts zu befehlen. Der Bote behalf sich deswegen mit einer Ersatzzustellung und klebte das Mandat mit Wachs an eine Tür877. Und daraufhin feixte der Diener des Nuntius sogar, genau dies passiere häufiger, denn gerade wenige Tage zuvor habe man andere Mandate oder Ladungen aus Speyer ebenfalls nicht angenommen. Die erwähnten anderen Dokumente stammten offenbar aus anderen Territorien, denn für Münster ist für 1609 lediglich ein weiteres Mandat des Reichskammergerichts gegen den Nuntius bekannt. Dieses dritte Mandat freilich nahm ein Bediensteter an und erklärte sogar, er werde einen Bericht „an ihr Bäbstliche Heyligkeit gelangen lassen“878. Der Diener im vorgenannten Fall behauptete damit, es gebe eine feste Praxis, reichskammergerichtliche Befehle nicht anzunehmen. Aber das stimmte nicht ganz. Die Handhabung schwankte. Die Szenen konnten sich unterscheiden, waren aber oftmals deutlich als Mißachtung des Reiches inszeniert. Am 24. Juli 1611 erlebte der Kammerbote Burkhard Breitschedel folgende Situation879: Er kam zur „behausung“ des Nuntius und ließ sich durch den Kammerdiener Georg Geimer beim Nuntius anmelden. Im Gegensatz zum Juni 1609 nannte der Diener diesmal wenigstens seinen Namen. Der Diener Georg Geimer ging hinein und ließ sich daraufhin vom Boten eine Ausfertigung des Mandats geben. Während der Nuntius das Mandat las bzw. sich übersetzen ließ, mußte der Kammerbote vor der Tür warten. Dann kehrte der Diener zurück und sagte im Namen des Nuntius, das „Kay[serliche] Chammergericht hete Im nit zu gebieten“. Der Bote erhielt das Mandat wieder zugesteckt, legte es aber offen auf die Erde. „Da sein die diener alle darvon gelauffen. So bin ich auch von gangen und habs inen 876 877
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F u c h s , Mit Wissen und Willen, S. 263. Zur Genauigkeit der Botenberichte in diesem Punkt F u c h s , Mit Wissen und Willen, S. 256; zur Befestigung von Ladungen an Stadttoren F r i c k e , Die westfälische Veme, S. 117. LA Münster RKG L 276, Aktenstück Q 1, fol. 6r. LA Münster RKG N 603, Aktenstück Q 1, fol. 03v.
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Augen scheinlich ligen lasen.“ Wenn man die minimalen Unterschiede zwischen beiden Berichten festhalten möchte, so gab es jetzt 1611 wenigstens eine über den Diener vermittelte indirekte Kommunikation mit dem Nuntius. Möglicherweise war der seit 1610 residierende Nuntius Antonio Albergati880 etwas weniger schroff als sein Vorgänger Attilio Amalteo, der 1609 beklagt war. In der Sache lehnte Albergati jede Gerichtsgewalt des Alten Reiches über den päpstlichen Nuntius freilich ebenso ab wie sein Vorgänger Amalteo. Der Bote teilte solche Vorgänge zwar dem Reichskammergericht, nicht aber den anderen Parteien mit. Als er zwei Wochen nach dem geschilderten Vorfall dem untergerichtlichen Prozeßgegner des Kammergerichtsklägers ebenfalls das Mandat verkündete, meinte dieser, die Sache „hengt doch noch zu Coln Ahm Rechten“. Daraufhin entgegenete der Bote, „das ich dem Reinischen legaten auch verkündt hete“881. Wie demütigend sein Auftritt in der Residenz des Nuntius verlaufen war, hielt der Kammerbote wohlweislich geheim. Auf diese Weise gelang es dem Boten, das Ansehen des Reiches wenigstens gegenüber den anderen Beteiligten zu wahren, wenn er auch den Spott des Nuntius nicht verhindern konnte. Ein halbes Jahr später erlebte ein anderer Kammerbote Ende 1611 in Köln eine ganz ähnliche Situation. Er notierte in seiner Relation, man habe ihm „spötisch darauf vermeldt Ich moege hinziehen Es hab Ihme d[er] Kay[ser] nicht zugebieten“882. Vermutlich herrschte in der Nuntiatur ein fester Sprachgebrauch für den Umgang mit dem Kammerboten. Gerade wenn der unmittelbare Kontakt des Nuntius zum Kammerboten immer über Diener erfolgte, ihre Antworten aber derart ähnlich ausfielen, wird es sich hierbei kaum um Zufälle gehandelt haben. Vielmehr dürften sich die Kölner Diener bei ihren Aussprüchen fester und vorgeprägter Formeln bedient haben. Die Sekretäre oder andere Amtsträger am Nuntiaturhof hatten sie ihnen mit auf den Weg gegeben. Der Kammerbote würde genau diesen entscheidenden Satz wortgetreu protokollieren, das war auch in der Nuntiatur zweifellos bekannt. Deswegen kam es darauf an, die Worte mit Bedacht zu wählen und auf den Kern der Auseinandersetzung zuzuspitzen. Und das war ganz mittelalterlich der Rangstreit zwischen Kaiser und Papst. Um so mehr fällt ins Auge, wie kurz die Zeit der schärfsten Konfrontation nur währte. Nach wenigen Jahren zeigten sich erste winzige Anzeichen für eine Entspannung. Schon im Sommer 1612, also nur ein halbes Jahr nach dem zuletzt genannten Beispiel, wurde ein anderer Kammerbote vom Sekretär des Nuntius 880 881 882
Zu ihm F e l d k a m p , Erforschung, S. 266 Nr. 5; J u s t , Quellen, S. 260-261; R e i n h ar d , Katholische Reform, S. 46-58; G a u c h e t , Hierarchia Catholica IV, S. 368. LA Münster RKG N 603, Aktenstück Q 1, fol. 03v. LA Münster RKG W 1053, Aktenstück Q 1, fol. 14v.
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empfangen. Dieser teilte ihm sogar mit, der Nuntius werde tun, wozu er von Rechts wegen verpflichtet sei883. Der Nuntius oder sein Auditor nahmen fortan die kammergerichtlichen Mandate an884. Nur eine Ausnahme ist für November 1624 bekannt. In der Nuntiatur war abermals niemand bereit, das Mandat anzunehmen. Da legte der Kammerbote es „auf die Steg“885. In diesem Fall hatten sämtliche Kameralen des Domkapitels zu Münster den Nuntius verklagt, weil er einen Appellationsprozeß um eine Geldrente führte886. Abermals waren es Geistliche, die sich dem geistlichen Gericht entziehen wollten. Ansonsten ließ sich der Nuntius die kammergerichtlichen Mandate nach 1611 jedoch zustellen. Die Parallelüberlieferung im Archivo Segreto Vaticano enthält zahlreiche Mandate aus den 1620er und 1630er Jahren, freilich oft in Lütticher Sachen887. Also empfing der Nuntius die Dokumente und leitete sie direkt nach Rom weiter888. 1620 hatte der Auditor sogar angeblich, wie ein Notar festhielt, „paritionem nomine eiusdem Domini Nuncii Apostolici quatenus et in quantum de Jure offerirt“889. Tatsächlich gab der Nuntius nie eine förmliche Paritionserklärung ab und ließ sich auch in keinem einzigen Prozeß in Speyer überhaupt nur vertreten890. Aber der Ton wurde etwas freundlicher, wie ja auch die kammergerichtlichen Kläger zunehmend weniger den Nuntius als vielmehr ihre untergerichtlichen Gegner in Speyer verklagten. Die aggressivste Stimmung zwischen dem Nuntius und dem Reichskammergericht scheint 1609 bis 1611 geherrscht zu haben. Danach entkrampfte sich wenigstens der Tonfall, wenn auch der Nuntius die Gerichtsgewalt des Reiches weiterhin für sich nicht anerkannte. Die Lage blieb aber spannungsreich. 1656 frohlockte der Nuntius Sanfelice in einem 883 884
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LA Münster RKG H 1569, Aktenstück Q 1, S. 5-6; weitere Mandatsannahme 1612 in LA Münster E 561, Aktenstück Q 1, fol. 9r. LA Münster RKG D 487, Aktenstück Q 1, fol. 005v: es solle die Gebühr geschehen (1616); RKG W 271, Aktenstück Q 1, fol. 2v (1617): sogar mündliches Paritionsangebot eines Bediensteten; RKG R 1130, Aktenstück Q 2: Insinuation an Generaldelegat des Nuntius (1620); zum Amt des Auditors T r u s e n , Gelehrte Gerichtsbarkeit, S. 476; S a m e r s k i , Nuntiaturberichte IV/2/1, S. XLVII. LA Münster RKG M 1680, Aktenstück Q 1, fol. 04v (Relation vom 3. November 1624). Knapper Hinweis bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte II, S. 110 lfd. Nr. 3802, freilich ohne den Nuntius als Partei zu erwähnen. F e l d k a m p , Studien I/Kölner Nuntiatur, S. 38 Anm. 27, mit Signaturnummer. Das kündigte ein Bediensteter des Nuntius gegenüber dem Kammerboten bereits 1609 so an: LA Münster RKG L 276, Aktenstück Q 1, fol. 6r. LA Münster RKG S 2642, Aktenstück Q 1, fol. 02r. Überdeutlich LA Münster RKG H 1904, Protokollbuch, fol. 1r: In der ersten Audienz erschien der Prokurator der Beklagten Kölblin, jedoch „ausserhalb des Nuncii Apostolici“. Allerdings beschwerte sich in späterer Zeit der Nuntius beim Kammerrichter Philipp Christoph von Sötern über die Kammergerichtsprozesse, dazu unten bei Anm. 10251026.
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Brief nach Rom, nicht einmal kurkölnische Minister trauten sich, ihm ein Reskript des Reichskammergerichts zuzustellen891. Und in den 1670er Jahren drohte der Nuntius dem Abt aus Werden die Exkommunikation an, falls er einen kammergerichtlichen Appellationsprozeß nicht fallen lasse892. Das provozierte wiederum eine Klage des kaiserlichen Fiskals gegen den Nuntius in Speyer893. Der Fortgang der kammergerichtlichen Prozesse war in vielen hier untersuchten Verfahren für den Kläger mit großen Schwierigkeiten verbunden. Zunächst gab es mehrfach Fälle, in denen die Beklagten gar nicht zum Reproduktionstermin erschienen, also der ersten anberaumten Audienz des Gerichts fernblieben894. Auch später traten sie nicht auf. In den Protokollbüchern ist das leicht feststellbar, so etwa im Prozeß des Dietrich Morrien. Das Spezialprotokoll enthält nur eine Eintragung für den 6. September 1609. Verklagt war der Apostolische Nuntius. Ob der untergerichtliche Prozeßgegner überhaupt Partei in Speyer war, scheint selbst der Reichskammergerichtskanzlei nicht klar gewesen zu sein, denn zunächst schrieb man seinen Namen als Mitbeklagten auf das Deckblatt, strich ihn dann aber wieder durch. Weil aber die Beklagten gar nicht in Speyer verhandelten, beantragte der Prokurator des Klägers das Rufen895. Dabei handelte es sich um eine Verstärkung der Ladung, die bei Mißachtung zu Säumnisfolgen führen konnte. Der Pedell mußte in der Audienz die ausgebliebene Partei förmlich aufrufen896. Dabei wurde der prozessuale Ungehorsam für jeden Anwesenden deutlich hörbar. Ob das Kammergericht den Nuntius als reichsfremden Ausländer und Gesandten des Papstes überhaupt förmlich rufen konnte,
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F r a n z e n , Krise, S. 80. Was „Reskript“ in diesem Zusammenhang bedeutet, ist unklar. Eventuell handelte es sich um ein Urteil. Allerdings war kreisausschreibender Fürst der Kurfürst von Mainz: D o t z a u e r , Reichskreise in der Verfassung, S. 82. Nachgewiesen bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht IX, lfd. Nr. 6059, S. 397; Exkommunikation eines kammergerichtlichen Klägers aus Lüttich 1631 bei W i j n h o v e n , Nuntiaturberichte VII/1, S. 130-133 Nr. 2260-2261; dasselbe 1634 bei W i j n h o v e n , Nuntiaturberichte VII/4, S. 209-210 Nr. 2966. Nachgewiesen bei A n t w e i l e r / K as t e n / H o f f m an n , Reichskammergericht III, lfd. Nr. 1858, S. 287-288; zum Hintergrund auch S t ü w e r , Reichsabtei Werden, S. 456-457. Zum Reproduktionstermin S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 282; W i g g e n h o r n , Reichskammergerichtsprozeß, S. 199-202; D i c k , Entwicklung, S. 138; O e s t m an n , Zivilprozeß, S. 24-27. LA Münster RKG M 1434, Protokollbuch, fol. 02r. L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 49; D i c k , Entwicklung, S. 209; W e t z e l l , System, S. 983; O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 30 Anm. 95.
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war offenbar umstritten. Im erwähnten Prozeß Morrien scheint das Rufen ergangen zu sein, doch läßt sich das nicht sicher nachweisen897. Eindeutig ist ein Fall von 1616. Ein Gerhard Dyckhoff hatte den päpstlichen Nuntius, dessen delegierten Kommissar sowie den untergerichtlichen Gegner im Mandatsverfahren beklagt898. In der ersten Audienz erschien niemand für die Gegenseite. Am 1. Juli 1616 bat der Prokurator um das Rufen, am 2. September 1616 um das Rufen gegen die Konsorten. Am 23. Oktober 1616 vermerkte das Protokollbuch „Ist das gebettene Ruffen Erkhennt“899. Am 26. Juni 1618 erging „das gebetten ruffen contra die Consorten“900. Auch wenn alle Eintragungen sehr knapp sind und es aus unbekannten Gründen zu einer Verzögerung von zwei Jahren kam, erlaubt der doppelte Antrag zusammen mit der doppelten Entscheidung und der unterschiedlichen Tenorierung mit und ohne Konsorten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine eindeutige Schlußfolgerung. Mindestens ein Rufen muß sich ausschließlich auf den Nuntius bezogen haben. Damit hat man zusätzlich zu den Inskriptionen in den Mandaten und der Rubrizierung der Protokollbücher einen dritten Hinweis, wonach das Reichskammergericht tatsächlich in dieser Zeit Gerichtsgewalt über den Nuntius beanspruchte. Mit dem Rufen unterstrich das Gericht die Verpflichtung des Nuntius, sich wirklich auf die Prozeßführung einzulassen. Zugleich endete jegliche Geheimhaltung. Jeder Teilnehmer der kammergerichtlichen Audienz erfuhr von der Gerichtstätigkeit des Nuntius in weltlichen Zivilprozessen, vom Widerstand der Parteien dagegen und von der Mißachtung der Ladung. Im Fall Dyckhoff beantragte der Kläger daraufhin die Verhängung der im Mandat angedrohten Geldstrafe, hatte damit aber keinen Erfolg901. In keinem Münsteraner Fall verhängte das Reichkammergericht eine Strafe gegen den Nuntius. In mehreren Prozessen scheiterte der Kläger bereits mit seinem Versuch, ein förmliches Rufen ergehen zu lassen902. Teilweise ließ sich der untergerichtliche Prozeßgegner in Speyer vertreten, 897
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LA Münster RKG M 1434, Protokollbuch, Expeditum-Vermerk vom 2. Oktober 1609. Der Tenor ist nicht notiert; Rufen gegen den Kommissar Hermann Reck in LA Münster RKG R 67, Protokollbuch, Expeditum-Vermerk vom 11. Juni 1617, fol. 01r. Nachgewiesen bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reichs I, S. 211 Nr. 1473. Damit verbunden ist das etwas spätere Verfahren 1474, bei dem untergerichtlich übrigens ein Jude das Offizialatsgericht Münster angerufen hatte. LA Münster RKG D 487, Protokollbuch, Expeditum vom 23. Oktober 1616. LA Münster RKG D 487, Protokollbuch, Expeditum vom 26. Juni 1618. LA Münster RKG D 487, Protokollbuch vom 1. September 1618. LA Münster RKG R 1130, Protokollbuch, Expeditum vom 10. Mai 1620: „ist das gebettene Rufen abgeschlagen“. Für den 7. Juni 1622 ist ein weiteres Expeditum vermerkt, doch ist unklar, ob es sich dabei um ein Rufen handelte; RKG V 363, Protokollbuch: Antrag auf Rufen vom 11. Mai 1674, aber Kompleturvermerk ohne Expeditum.
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doch blieb das mitbeklagte Offizialatsgericht untätig903. Die Gefahren für den Nuntius, wenn er auf die kammergerichtlichen Mandate überhaupt nicht reagierte, waren also überaus gering. Der Nuntius konnte den Spieß sogar umdrehen, wie aus einem Reichshofratsprozeß hervorgeht. Nach Erhebung einer kammergerichtlichen Klage erließ der Nuntius 1645 seinerseits ein Kassationsmandat und drohte dem Kläger mit der Exkommunikation904. Aus einem Rechtsproblem wurde auf diese Weise eine Machtfrage. Aber Ausnahmen bestätigten die Regel. In einem Fall aus dem niederrheinischen Zons verweigerte der Nuntius 1606 die Entscheidung eines güterrechtlichen Streit zwischen weltlichen Parteien und verwies stattdessen auf die Zuständigkeit des Reichskammergerichts905. Und 1697/98 war das Reichskammergericht plötzlich ungewohnt entscheidungsstark. Es erklärte in einem Lütticher Streit einen Walther Counotte „auf eine solenne Weise“ in die Reichsacht, nachdem er den Apostolischen Nuntius und die Rota Romana in einer weltlichen Sache angerufen hatte906. Angeblich war das zugleich die letzte Achterklärung des Reichskammergerichts überhaupt907. Johann Ulrich von Cramer teilte sogar mit, der Auditor des Nuntius, ein Aloysius Priolus, sei deswegen „in Bann“ des Kammergerichts gefallen908. Schon 1698 erschien in Wetzlar eine kleine Schrift über den aufsehenerregenden Fall909. Auch Samuel Stryk las das Heftchen und zitierte in seinem „Usus modernus“ das „famosum exemplum“910. Solche Ausreißer machen es so schwierig, klare Linien zu erkennen.
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LA Münster RKG S 2636, Protokollbuch vom 23. November 1596 und 16. Februar 1597; RKG M 1432, Protokollbuch vom 11. März 1601, fol. 02r. Nachgewiesen bei S e l l e r t , Akten I/2, S. 65 lfd. Nr. 1091. Nachgewiesen bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht VII, lfd. Nr. 4555, S. 341. M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 249; d e r s ., Teutsches Staats-Recht IV, S. 33-35 § 24, mit umfassendem Sachverhalt; L u d o l f f , De jurisdictione officialium, Aphorismus 13, noch Anm. ll, S. 44, mit Datierung auf 1697 und dem Hinweis, die letzten Urteile in dieser Sache seien erst 1723 ergangen; bei K o s e r , Repertorium, und H ü l l b ü s c h / S c h e n k , Reichskammergericht, ist der Fall nicht nachgewiesen. Vermutlich ist er im belgischen Staatsarchiv Lüttich vorhanden und noch nicht modern verzeichnet. L a n d e s , Acht, Sp. 35 (umfassend zu den normativen Grundlagen und einigen Reichshofratsprozessen d e r s . , Achtverfahren, passim); S z i d z e k , Verbot der Appellation, S. 48 Anm. 194 (dort offenbar als Landfriedensbruch gedeutet). Der Hinweis fehlt bei B a t t e n b e r g , Acht, Sp. 63-65. C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 1, S. 172; auf dem Titelblatt der Justitia declarationis in bannum erscheint Priolus als Auditor der Rota Romana; lustiger Druckfehler bei S c h r a d e r , De causis fori ecclesiastici, cap. 1 tit. 1 § 6, S. 13: Das Kammergericht habe Priolus „in dem Baum“ erklärt. Justitia declarationis in bannum, mit Appendix Sententiarum, S. 31-116. S t r y k , Usus modernus IV, lib. XLIX tit. III § 7, S. 910-911.
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g) Die Exzeptionen der Beklagten Wenn sich die Gegenpartei gegen das Mandat verteidigte, mußte sie die im Mandatsprozeß sine clausula allein zulässigen Exceptiones sub- et obreptionis erheben911. Hierfür boten sich mehrere erfolgversprechende Wege an. Gleich vorweg ist eine ganz augenfällige Einheitlichkeit in einer zentralen Frage festzuhalten, nämlich im rechtlichen Ausgangspunkt des Klägers. In keinem Fall widersprach die Exzeptionsschrift der klägerischen Behauptung, es sei verboten, in weltlichen Zivilprozessen an den Apostolischen Nuntius zu appellieren. Zumindest in der dritten Instanz mußten weltliche und geistliche Justiz streng getrennt sein. Das war als solches jederzeit unstreitig. In einer Zeit vielfacher Uneindeutigkeiten war das ein fester Boden, von dem aus man argumentieren konnte. Die Einwendungen gegen die Mandatsbefehle erfolgten also nicht auf der prinzipiellen Ebene, sondern mit Hinweis auf Besonderheiten des Einzelfalls. So ließ sich der auf den ersten Blick eiserne Grundsatz annagen und letztlich untergraben. Im Ergebnis konnte das auf dasselbe hinauslaufen. Wenn nämlich ein Beklagter mit großem Aufwand begründete, warum der vom Kläger als weltliche Sache charakterisierte Streit in Wahrheit geistlich sei, war genau mit diesem Argument die weltliche Gerichtsbarkeit ausgeschlossen und der Instanzenzug an den Nuntius eröffnet. Auf diese Weise hatte die Grenzziehung weltlicher und geistlicher Sachen, also modern gesprochen eine materiellrechtliche Unterscheidung, zumindest quantitativ erhebliche Auswirkungen auf die Gerichtsverfassung. Der Bereich der geistlichen Jurisdiktion wuchs in dem Maße, wie man bestimmte Streitgegenstände dem kirchlichen Recht zuwies. Einige Exzeptionen zeigen, nach welchem Muster das funktionierte. aa) Geistliche Parteien und ihr privilegium fori Eine erste Möglichkeit, den klägerischen Angriffen auszuweichen, lag im persönlichen Status der Parteien begründet. Der in Speyer Beklagte stellte sich als Kirchenangehörigen dar und führte auf diese Weise seine persönliche Befreiung von der weltlichen Gerichtsbarkeit an, um die Appellation an den Nuntius zu rechtfertigen. So hatte im Prozeß des Melchior Komnis gegen Hermann Voß und Konsorten der Kläger 1595 vorgetragen, es handele sich um einen Streit „inter personas Laicas“ und die Sache sei „per se
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Einzelheiten bei U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 134-138.
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ciuil“912. In der Exzeptionsschrift meinte der Anwalt des Beklagten dagegen, der Beklagte sei „Einem Ehrwürdigen ThumbCapitul der Khirchen zue Münster unnd also mit allem seinigen ad patrimonium Ecclesiae ungezweifelt angehörig“913. Der Sache nach ging es um einen Bürgschaftsstreit, doch der untergerichtlich beklagte Johann Schulte Sudhoff betonte, er sei des „Münsterischen ThumbCapituls Kelnerey eigenhörig“. Daraus folgte sodann die Rechtsbehauptung, ein „colonus Ecclesiae utpote qui in patrimonio Ecclesiae esse censetur singulari gaudet fori priuilegio ex praescripto Juris Co[mmun]is maximè si sit seruus perpetuus alicuius Eccl[es]iae“. Nach diesem Grundsatz hatte der Beklagte auch „in ciuilibus pillich khainem andern alß Judicem Eccl[esiasti]cum recognosciert“914. Ausdrücklich berief sich der Schriftsatzverfasser des Beklagten auf das privilegium fori für geistliche Parteien915. Als Angehöriger, Eigenhöriger oder Servus, wie es offenbar synonym in der Exzeptionsschrift heißt, sollte der Beklagte der weltlichen Jurisdiktion überhaupt nicht mehr unterstehen. Das angesprochene Klerikerprivileg sollte also nicht für alle Untertanen geistlicher Landesherren gelten, sondern nur für persönlich unfreie Untergebene von Grundherren. Damit war dennoch eine große Zahl von Menschen angesprochen, denn in Westfalen waren bis ins 18. Jahrhundert die Eigenbehörigen die wichtigste bäuerliche Bevölkerungsgruppe916. Die Gerichtsbarkeit über Eigenbehörige wird erstaulich selten thematisiert. Es gibt zwar neuere Studien zur Eigenbehörigkeit im Münsterland917, doch berühren sie kaum die Besonderheiten geistlicher Grundherrschaft918. Jedenfalls muß offen bleiben, ob die Patrimonialgerichtsbarkeit, die ein geistlicher Grundherr, hier also das Domkapitel Münster als Landeigentümer, über die
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LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 3, fol. 010r-010v; Nachweis von Hermann Voß 1595 am Domkapitel bei V e d d e l e r , Domkapitel I, S. 332 lfd. Nr. 2839. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 3, fol. 010v-011r. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 3, fol. 011v; zum privilegium fori u. a. H e l m h o l z , ius commune, S. 194-215; T r u s e n , Gelehrte Gerichtsbarkeit, S. 483-484; E i s e n h a r d t , Inanspruchnahme, S. 198-199; F e i n e , Rechtsgeschichte, S. 72, 394; D i e s t e l k a m p , privilegium fori, S. 1-25. Kr o e s c h e l l / C o r d e s , Eigenleute, Sp. 1270; knapper Hinweis bei S c h ü t t e , Wörter und Sachen, S. 205; S c h o t t e , Entwicklung, S. 7-15, 46. R e i n d e r s - D ü s e l d e r , Eigenbehörigkeit, S. 77-98; R e i n d e r s , Grundherren, S. 65-81; W ü l l n e r , Zivilrecht, S. 39-55; B ö l s k e r -S c h l i c h t , Bevölkerungs-, Sozial- und Rechtsverhältnisse, S. 170-175; S c h a r p w i n k e l , Eigentumsordungen, S. 50-151; knapper Hinweis bei S c h ü t t e , Wörter und Sachen, S. 205; aus der älteren Literatur Kl e s s i n g , Beiträge, passim. Kr e u t z k a m p , Bauernbefreiung, S. 19-22, stellt zwar die Niedergerichtsbarkeit knapp dar, läßt aber offen, ob es sich bei geistlichen Grundherren um geistliche oder weltliche Gerichtsbarkeit handelt; G e r s m a n n , Konflikte, S. 426-430.
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dort ansässige bäuerliche Bevölkerung ausübte, in die geistliche oder in die weltliche Gerichtsverfassung eingebunden war. Genau das war auch unter den Zeitgenossen umstritten. Der beklagte Schulte Sudhoff behauptete exakt dies, nämlich die völlige Unterordnung unter die geistliche Gerichtsbarkeit, und sein Schriftsatzverfasser stützte diese Auffassung auf einen italienischen Rechtsgelehrten, auf die Dezisionensammlung von Antoninus Thesaurus. Antonio Tesauro, der Verfasser, war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Richter in Nizza und Präsident des Senats von Piemont919. Seine Dezisionen des von ihm geleiteten Senats von Piemont erschienen 1591 erstmals im Druck und waren 1595, als der Schriftsatzverfasser sie zitierte, ein modernes Werk. Der Schriftsatzverfasser lehnte sich an die von Tesauro vertretene Unterscheidung Freier und Unfreier an920. Die Servi standen danach rechtlich „in dominio Ecclesiasticorum“ und waren dadurch von jeder weltlichen Gerichtsbarkeit abgeschnitten. Erst an zweiter Stelle unterfütterte der Anwalt von Schulte Sudhoff seine Rechtsauffassung durch einen Verweis auf das Partikularrecht. Die münsterische Offizialatsgerichtsordnung verstand er ganz in seinem Sinne. Alle Eigenbehörigen der Kirche unterfielen danach nicht nur nach gemeinem Recht, „sondern auch beneficio ordin[ati]o[n]is quae pro lege in Diocesi Monasteriensi obseruatur“, dem privilegium fori921. In der Tat enthielt die Offizialatsgerichtsordnung eine Bestimmung, nach der auch „servi homines“ vom Privileg umfaßt waren und „coram officiali nostro conveniri debeant“922. Die Sache war aber gar nicht so eindeutig, wie es der Schriftsatzverfasser behauptete. Dies zeigen bereits seine eigenen Hinweise, wonach die Gerichtsordnung „wie ein Gesetz“ observiert werde. Das war der typische Hinweis auf die grünende Observanz, auf das sog. usuale Rechtsdenken. Normative Quellen entfalteten nur dann ernsthaft Wirkungen, wenn sie auch Beachtung fanden923. Genau deswegen ist es im übrigen so schwer, vom Geltungsanspruch frühneuzeitlicher Gesetze zu sprechen. 919 920
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G u e r r a M e d i c i , Principi e giuristi, S. 16-22; ganz vage J ö c h e r , GelehrtenLexicon IV, Sp. 1127. T h e s a u r u s , Decisiones, dec. 22 n. 5, S. 62: „Fallit primò in seruis perpetuis ecclesiae (...) qui ita intelligunt (...) ita intelligendi sunt loci ferè omnes, qui pro contraria sententia adducti fuerunt (...). Diuersa enim ratio est in famulis, & operariis, qui sunt personae liberae, à seruis, qui sunt in dominio ecclesiasticorum“. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 3, fol. 011r-011v. Offizialatsgerichtsordnung 1573 Teil 1, Titel 1 § Sed et servi, bei S c h w ar z , Reform des geistlichen Offizialats, S. 168. S i m o n , Geltung, S. 102-120; S t o l l b e r g -R i l i n g e r , Verfassungsgeschichte, S. 30-31; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 116-118; C ar o n i , Sogar wenn Löwen sprechen könnten, S. 9.
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Wie fraglich das Ergebnis im Spannungsfeld geistlicher und weltlicher Gerichtszugehörigkeit war, verdeutlicht nichts klarer als der Ausgang des erwähnten Rechtsstreits. Das Reichskammergericht verwarf nämlich die Exzeptionen, fällte nach einigen Jahren ein Paritionsurteil und gab dem Beklagten den Nachweis auf, daß „dem außgangnen Verkundt und rep[ro]ducirten kay[serlichen] Mandat alles seines inhalts gehorsamblich gelebt sey“924. Und tatsächlich gab der Prokurator des unterlegenen Beklagten wenige Monate später die geforderte Paritionserklärung ab925. Die kammergerichtliche Entscheidung erging wie im Mandatsprozeß üblich erst nach dem Schriftsatzwechsel der Parteien. Deswegen dürfte das Reichskammergericht die Exzeptionen für unerheblich gehalten haben. Es billigte dem Beklagten das privilegium fori nämlich gerade nicht zu. Andernfalls hätte er als Geistlicher seine Appellation beim Nuntius ja einlegen dürfen. Die eigenhörigen Bauern und Dienstleute geistlicher Grundherren waren jedenfalls in diesem Fall nicht als geistliche Personen anerkannt. Schlaglichter aus anderen Territorien werden diesen Eindruck verfestigen. Das Klerikerprivileg war von zweifelhaftem Wert. Gern und leichthin vorgeschützt, um sich dem weltlichen Arm zu entwinden, hatte diese Exzeption nur geringen Erfolg. Die weltliche Gewalt griff unbedenklich in Bereiche aus, die geistliche Parteien oder diejenigen, die sich dafür hielten, als Kern der Kirche verteidigten. bb) Streit um die Prorogation In dem zuvor behandelten Rechtsstreit von 1595 versuchte der Beklagte, die Zulässigkeit der Appellation an den Nuntius noch mit einem anderen Argument zu begründen. Er trug vor, der Reichskammergerichtskläger habe doch selbst am Kölner Offizialat die erste Appellation eingelegt. Damit habe er „nit ad superiorem secularem sondern ad proximum Superiorem Eccl[esiasti]cum“ appelliert und deswegen „wilkhorlich tribunal Eccl[esiasti]cum elegiert“926. Daraus sollte ein verallgemeinerungsfähiger Grundsatz folgen. Hatte eine Partei nämlich einmal in die Zuständigkeit eines Gerichts eingewilligt, mußte sie sich seiner Gerichtsgewalt auch für die gesamte Dauer des Rechtsstreits unterwerfen. „Etiam Judicis aliàs impertinentis Jurisdictionem solo consensu prorogare possint“, meinte der Beklagte. Auch ein unzuständiges Gericht könne durch Prorogation, also durch Gerichtsstandsvereinbarung, zuständig werden. Das war ersichtlich eine Hilfsbegründung. Sie griff aber gerade für den vom 924 925 926
LA Münster RKG K 838, Protokollbuch, Expeditum vom 13. Juni 1600, fol. 002v. LA Münster RKG K 838, Protokollbuch vom 2. September 1600, fol. 002v. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 3, fol. 012r.
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Beklagten bestrittenen Fall ein, wenn der Rechtsstreit rein weltlich war. Bei einem geistlichen Streitgegenstand wäre die Prorogation dagegen nicht erforderlich gewesen. So war der Beklagte doppelt abgesichert, unabhängig davon, ob die Sache weltlich oder geistlich gelagert war. Eine letzte Hilfsbegründung schob der Schriftsatz noch nach. Als der Kläger seine Appellation einlegte, habe er den Streit „nit ad Cameram Imperialem sondern ad ipsum Coloniensem Officialem selbst prouociert unnd appellert, alß ist Ie pillich daß er nunmehr Tribunal Eccl[esiast]icum et Commissarium R[oma]ni927 Nuncij Ap[osto]lici ad quem ritè et legitimè ab Offi[cia]li Coloniensi appellatum existit nit repudijren unnd deßelben cognition sich eximiren khönne“928. Der Beklagte verband damit zwei Gesichtspunkte. Zum einen behauptete er, durch Prorogation könnten geistliche Gerichte für alle weltlichen Streitigkeiten zuständig werden. Zum anderen meinte er, die Appellation von Münster an das Kölner Offizialat beende endgültig die Zuständigkeit der weltlichen Gerichte. Nach dieser Auffassung bestand also durchaus die Möglichkeit, gegen ein Urteil des Münsteraner Offizials entweder unmittelbar am Reichskammergericht oder aber am Kölner Offizialatsgericht Rechtsmittel einzulegen. Damit sollte freilich zugleich vorgezeichnet sein, wo die Sache zu verbleiben hatte. Jedenfalls konnte es nach dieser Konstruktion niemals eine Appellation vom Kölner Offizialat an das Reichskammergericht geben. In jedem Fall nämlich werde das Kölner Offizialat zweitinstanzlich als rein geistliches Tribunal tätig, von dem aus der weitere Instanzenzug ausschließlich an den Apostolischen Nuntius führe. Ob der Schriftsatzverfasser dieser Behauptung Erfolgsaussichten beimaß, ist unbekannt. Immerhin wird sie deutlich durch die Prozeßpraxis widerlegt. Allein für den Archivsprengel Münster sind über 240 Reichskammergerichtsprozesse dokumentiert, die zuvor am Kölner Offizialat rechtshängig waren929. Rein tatsächlich war das Kölner Offizialat also häufig in die weltliche Gerichtsverfassung eingebunden, weshalb die Auffassung des Beklagten kaum überzeugen konnte. Die Mitglieder des Reichskammergerichts ließen sich auch nicht irre machen. Mit ihrem Paritionsurteil930 verwarfen die Speyerer Assessoren auch die Hilfsbegründung als unerheblich. Wie bereits erwähnt, gab es mehrere kammergerichtliche Prozesse, in denen die Beklagten gar nicht zur Audienz erschienen und einfach untätig blieben. Den Fortgang der Sache kann man in diesen Fällen nicht abschätzen. Immerhin beriefen sich einige Reichskammergerichtskläger auf frühere Mandatsprozesse und eine gefestigte Gerichtspraxis. Demgegenüber sind 927 928 929 930
Auflösung der Abkürzung ist unklar. LA Münster RKG K 838, Aktenstück Q 3, fol. 012v. Auflistung bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches III, S. 435. LA Münster RKG 838, Protokollbuch, Expeditum vom 13. Juni 1600, fol. 002v.
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keine Fälle bekannt, in denen sich jemand darüber beklagte, in zurückliegenden Fällen sei gegen kammergerichtliche Mandate verstoßen worden oder es sei der Mandatskläger Beschwerungen ausgesetzt gewesen. Ob man daraus weitergehende Schlüsse ziehen kann, ist unsicher. Klarer sieht man dagegen in sieben weiteren Prozessen, in denen der Beklagte sich gegen das kammergerichtliche Mandat verteidigte931, sowie in neun anderen Streitsachen, in denen der Gegner die geforderte Paritionserklärung abgab932. Zunächst verdienen die Exzeptionen einen näheren Blick. Schnell wird klar, wie sich die Argumente aus dem zuvor behandelten Rechtsstreit zwischen Komnis und Schulte Sudhoff mehrfach wiederholten. Nicht nur die kammergerichtlichen Kläger, sondern auch ihre Gegner verfügten offenbar über ein Arsenal an immer gleichen Überlegungen und Gedankenketten, das sie einsetzen, ja geradezu abspulen konnten. Es verfestigt sich damit der Eindruck, bei den Mandatssachen um die Anrufung des päpstlichen Nuntius in Zivilsachen habe es sich um weitgehend standardisierte Dutzendware gehandelt. Nicht auf den jeweiligen Einzelfall kommt es daher an, sondern auf die gesamte Serie an sich. cc) Ähnlichkeiten in den Exzeptionsbegründungen Die begrenzte Auswahl an Exzeptionsmöglichkeiten zeigt sich bereits in einer Exzeptionsschrift von 1601. Die Ähnlichkeit der Rechtsausführungen mit dem Streit von 1595 bis in kleine Formulierungen hinein ist verblüffend. Entweder kannte der Schriftsatzverfasser von 1601 die Verteidigung von Schulte Sudhoff von 1595, ja vielleicht war es sogar derselbe Anwalt, der sie verfaßte933. Oder zumindest hatten beide Anwälte eine gemeinsame schriftliche Vorlage zur Verfügung, die ihnen Stichworte für die nahezu wortgleich formulierten lateinischen Rechtssätze in die Feder gab. Schultheiß und Gemeindeleute auf der Laer934 trugen in diesem Schriftsatz von 1601 vor, sie 931 932 933
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LA Münster RKG W 1057, RKG M 1586, RKG M 1725, RKG S 2642, RKG S 420, RKG S 2291, RKG N 353. LA Münster RKG M 1432, RKG Anhang D 11, RKG H 1569, RKG H 113, RKG N 353, RKG V 363, RKG D 662, RKG S 557, RKG M 1223. Die kammergerichtlichen Kläger Melchior Komnis (1595) und die Witwe Clara Schwickers (1601) mandatierten beide denselben Prokurator in Speyer (Dr. Marsilius Bergner). Da die Prokuratoren aber nur die von Advokaten geschriebenen Schriftsätze entgegennahmen, erlaubt allein dies nicht den Schluß, daß beide Kläger auch denselben Münsteraner Anwalt hatten. Die Kontaktaufnahme zwischen Prokuratoren und Privatparteien ist praktisch unbekannt, vgl. B au m a n n , Advokaten, S. 19. Ungenaue Ortsangabe bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches II, S. 439, Nr. 6110; korrigiert ebd. III, S. 17, 202. Es gab eine Bauernschaft Laer, die zum Kirch-
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seien geistliche Personen und deswegen von jeder weltlichen Gerichtsgewalt befreit. Sogar die Dezisionen von Thesaurus zitierten sie mit derselben Fundstelle wie auch die Exzeptionsschrift von Johann Schulte Sudhoff935, und erst im Anschluß daran ging es um die münsterische Offizialatsgerichtsordnung, die „pro beneficio lege in diocoesi Monasteriensi obseruatur“936. Etwas deutlicher als im anderen Prozeß wiesen die Laermänner auf „Res Ecclesiae“ hin, auf Kirchensachen, die im Streit ständen, nämlich Weidegerechtigkeiten auf der gemeinen Heide. Hierfür stützten sie sich auf „Speculator de competentis Judicis addictione“, also auf das berühmte „Speculum iudiciale“ von Guilelmus Durantis aus dem 13. Jahrhundert937. Danach folgten aber die bereits bekannten Argumente. Die Klägerin habe selbst an den Kölner Offizial appelliert und damit die weltliche Gerichtszuständigkeit einfür allemal ausgeschlossen938. Außerdem würden durch Prorogation eigentlich unzuständige Gerichte sachlich zuständig. Und da die Klägerin die erste Appellation nicht gleich am Reichskammergericht eingelegt habe, könne sie sich jetzt von der geistlichen Jurisdiktion des Nuntius nicht mehr „eximeren“939. Eine kammergerichtliche Entscheidung über die Exzeptionsschrift erging nicht940. Die Witwe des Bocholter Bürgermeisters Wilhelm Oveling argumentierte 1608 ebenfalls mit der Prorogation und dem Appellationszug, stellte die Gerichtsverfassung aber deutlich anders dar. Sie meinte nämlich, jedenfalls für Parteien aus Bocholt sei das Münsteraner Offizialat immer ausschließlich als geistliches Gericht tätig. Das sollte an einem Privileg für die Stadt Bocholt liegen, nach dem erstinstanzliche weltliche Streitigkeiten ausschließlich
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spiel St. Mauritz in Münster gehörte, sowie ein Dorf Laer, über das der Alte Dom zu Münster Herrschaftsrechte ausübte, Nachweise bei V e d d e l e r , Domkapitel, S. 192, 556, Registereintragungen, S. 1639. LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 4, Art. 2-4, fol. 16r-16v, mit Verweis auf T h e s a u r u s , Decisionen, dec. 22 n. 5, Leitsatz S. 61: „Serui perpetui ecclesiae eodem priuilegio cum ecclesiis utuntur“. LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 4, Art. 6, fol. 17r. LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 4, Art. 7, fol. 17v; zitiert wird D u r a n t i s , Speculum, additio n. 27 zu de competentis judicis (= Speculum lib. II partic. I), S. 390, 397: „Vicesimusseptimus, in causis rusticorum & seruorum ecclesiae, quorum causae ad ecclesiam spectant. Et idem in alijs ad forum ecclesiae spectantibus“; zu Durantis (um 1230-1296) und seinem Werk L e p s i u s , Durantis, Sp. 1168-1170. LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 4, Art. 9, fol. 18r. LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 4, Art. 11-12, fol. 18v-19r. LA Münster RKG W 1057, Protokollbuch, Expeditum vom 9. Oktober 1615: Der Kläger wird verpflichtet, auf die Exzeptionen zu antworten. Am 19. Februar 1617 endet das Protokollbuch.
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vor dem Stadtgericht auszutragen seien941. Wenn jetzt der Prozeßgegner dennoch eine erstinstanzliche Klage vor dem Münsteraner Offizialat erhoben habe, sei das entweder ein Verstoß gegen das Bocholter Privileg oder vielmehr ein Beleg für seine Absicht, das Offizialatsgericht gerade als geistliches Forum in Anspruch zu nehmen942. Die Witwe erkannte durchaus die übliche Zuständigkeit des Münsteraner Offizialats sowohl für weltliche als auch geistliche Streitigkeiten an943, und sie hielt die Appellation an das Kölner Offizialat in weltlichen wie in geistlichen Sachen seit über zweihundert Jahren und daher „bey menschen gedencken“ in mehreren tausend Fällen für hergebracht944. Es sei aber „vonn unuerdencklichen Jahren vonn dem Churf[ürstlichen] Colnischen Officialn endtweder ahn die Rom[ische] Kays[erliche] May[es]t[ä]t unnd dießes Kays[erliche] Cammergericht, oder ad sedem Apostolicam unnd dero nuncios in partibus appellirt worden“. Deswegen gebe es eine „immemoralis et contenaria consuetudo, stylus mos et observantia“, die „vim legis habeat“945. Anders als in den zuvor geschilderten zwei Exzeptionen verstand der Schriftsatzverfasser der Witwe Oveling das Kölner Offizialat auch in seiner zweitinstanzlichen Funktion als gemischtes Gericht für sämtliche Appellationen aus dem Hochstift Münster. Der Hinweis auf das kurfürstliche Offizialat unterstrich bereits bei der Gerichtsbezeichnung die konkurrierenden weltlichen Zuständigkeiten des Tribunals. Es war kein erzbischöfliches, sondern ein kurfürstliches Gericht. Die Weichenstellung sollte anders als bei den Exzeptionen von 1595 und 1601 erst in der dritten Instanz erfolgen. Je nachdem, ob man es mit einer geistlichen oder weltlichen Sache zu tun hatte, sollten Appellationen entweder an den Nuntius oder an das Reichskammergericht gehen. Im Ergebnis war der Nuntius auch mit dieser Begründung für den Ausgangsstreit der Parteien zuständig, weil bereits die erstmalige Anrufung des Offizials in Münster den geistlichen Charakter verbindlich festgeschrieben hatte. Das lag freilich nur am Privilegium der Landstadt Bocholt. Die Exzeptionsschrift zeigt sehr deutlich, wie verschieden die beteiligten Anwälte die Gerichtsverfassung im Hinblick auf die Instanzenzüge verstanden oder vielmehr darstellten. Obwohl es im Ergebnis immer darum ging, die Zuständigkeit des päpstlichen Nuntius zu bejahen, standen dafür Gedankengänge und Gesichtspunkte zur Verfügung, die sich gegenseitig ausschlossen. Eine Gemeinsamkeit aller Exzeptionsschriften läßt sich freilich unschwer feststellen. Um die Zuständigkeit des Nuntius zu bekräftigen, 941 942 943 944 945
LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, Art. 5, fol. 18r. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, Art. 39, fol. 23r. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, Art. 38, fol. 22v. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, Art. 19-21, fol. 20r. LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 6, Art. 24-25, fol. 20v.
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mußte an irgendeiner Stelle der Verteidigung die Engführung auf eine rein geistliche Auseinandersetzung erfolgen. Denn nach ganz einhelliger Ansicht war der Nuntius nur für geistliche Angelegenheiten der zuständige Richter. Auch die hausverschriebenen Rentgulden bzw. Pfandverschreibung eines Hauses in Bocholt wurde damit zur geistlichen Streitigkeit. Eine sachliche Zuständigkeit des Apostolischen Nuntius für weltliche Zivilsachen nahmen auch diejenigen Parteien niemals in Anspruch, die selbst den Rechtsstreit dort anhängig gemacht hatten. Aus dem bisher deutlich gewordenen Köcher an Rechtsmeinungen bedienten sich spätere Schriftsatzverfasser. Inwieweit sie die früheren Schriftsätze tatsächlich kannten, ist im Einzelfall nicht beweisbar, doch die Übereinstimmungen sind schlichtweg verblüffend. 1618 ließen Bürgermeister und Rat der Stadt Rheine gegen das kammergerichtliche Kassationsmandat einwenden, die kammergerichtlichen Kläger seien Äbtissin und Konvent der Überwasserkirche in Münster und damit geistliche Parteien. Als solche dürften sie sich nicht dagegen wehren, wenn die Stadt Rheine gegen ein Urteil des Kölner Offizials den Nuntius anrufe. Hier wandte die beklagte Stadt das geistliche privilegium fori gleichsam gegen die Kleriker selbst. Plötzlich sollte es die Äbtissin sein, die sich rechtswidrig der geistlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen versuchte, indem sie verbotenerweise das Reichskammergericht anrief. Die Konstruktion war gewagt, aber rechtlich möglich. Die Stadt Rheine betonte nämlich, für alle geistlichen Sachen und Personen gebe es im Stift Münster gemäß der Offizialatsgerichtsordnung ausschließlich das Offizialat als allein kompetentes Gericht. „Per consuetudinem“ sei der Offizial zwar auch für weltliche Sachen „per modum praeuentionis“ als „Judex concurrentem Jurisdictionem“ tätig. Dies gelte aber nach dem „expressum textum“ der Offizialatsreformation nicht für Geistliche und deren „Eigenbehorigen Bauern, so woll in personal Alß real sachen“946. Wie im Prozeß von 1595 behauptete die Stadt Rheine, jeder eigenbehörige Bauer geistlicher Herren unterstehe tatsächlich ausschließlich der geistlichen Gerichtsbarkeit. Da es um einen Konflikt zwischen Bauern und der Äbtissin um das Torfstechen ging, handelte es sich nach dieser Vorentscheidung um eine Angelegenheit des geistlichen Gerichts. Ein solcher Rechtsstreit sei nicht etwa ein Zivilprozeß vor dem Offizialat, sondern tatsächlich ein geistlicher Offizialatsstreit947, betonte der Schriftsatz. Wegen des geistlichen Charakters der Sache hätten die Prozeßgegner auch die Appellation nach Köln und nicht nach Speyer richten müssen. 946 947
LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 4, fol. 08r. LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 4, fol. 08v; zur Listrup-Bexter Mark S c h r i e v e r , Hof Schulte, S. 137-138.
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Diese Auffassung setzte stillschweigend in weltlichen Sachen den Instanzenzug von Münster direkt an das Reichskammergericht voraus. Die scheinbare Umgehung des Kölner Offizials war freilich wohlfeil erkauft, kam doch im konkreten Fall genau dies nicht in Frage. Denn im Streit um das Torfstechen auf der Listrup-Bexter Mark habe man zwingend „ad Metropoliticum Ecclesiasticum Judicem Alß Officialem Coloniensem“ appellieren müssen948. Ob der Kölner Offizial auch weltliche Appellationen aus Münster annehmen durfte, schloß der Schriftsatzverfasser nicht eindeutig aus. Jedenfalls für geistliche Parteien sei der Kölner Offizial aber immer zwingend als geistlicher Richter tätig. Deswegen hätten sich Bürgermeister und Rat von Rheine für „schuldig erachtet“, die drittinstanzliche Appellation an den Nuntius zu richten949. In der Konsequenz dieser Auffassung konnten geistliche Parteien niemals weltliche Rechtsstreitigkeiten vor weltlichen Gerichten führen, ein Gesichtspunkt, der in unterschiedlichen Spielarten auch in anderen Territorien auftauchte und insbesondere in der Reichsstadt Hamburg im evangelischen Umfeld lebhafte Diskussionen entfachte950. Die konfessionelle Situation in der Stadt Rheine kam abermals nicht zur Sprache. Dabei wäre es aus der Rückschau besonders interessant zu wissen, was es für eine weitgehend evangelische Stadt bedeutete, in einem Rechtsstreit den päpstlichen Nuntius anzurufen951. Aber solche Einblicke erlauben die nüchternjuristischen Schriftsätze nicht. Recht und Religion waren überraschend klar getrennt. Der Streit erhält seine besondere Würze durch die im Vergleich zu anderen Fällen spiegelbildliche Parteistellung. Die Äbtissin von Überwasser warf der Stadt Rheine ihrerseits vor, die Stadt trage den Rechtsstreit vor fremde Orte außerhalb des Reichs, was „höchlich verbotten“ sei952. So traten also katholische Geistliche als Interessenwahrer des Reiches gegenüber dem päpstlichen Nuntius auf, während die überwiegend evangelische Stadt Rheine tollkühn versuchte, das Torfstechen als geistliche Tätigkeit darzustellen. Die Frontstellungen in den Gerichtsbarkeitskonflikten waren also verschieden. Keineswegs verteidigten katholische Geistliche durchweg die Jurisdiktionsansprüche des Nuntius. Auf die konfessionelle Gemeinsamkeit oder auf eine engere Verbindung der Kleriker untereinander kam es augenfällig nicht an. Das Reichskammergericht übernahm weitgehend die Sichtweise des Überwasserkonvents und lehnte die Rechtsauffassung der Stadt Rheine bereits im extrajudizialen Vorfeld des Mandatsprozesses ab. Allein die Ge948 949 950 951 952
LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 4, fol. 09r. LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 4, fol. 09v. Dazu unten bei Anm. 2431-2592. Zur konfessionellen Situation in Rheine F ü h r e r , Stadt Rheine, S. 122-127, 156. LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 1°, fol. 04r.
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währung des beantragten Kassationsmandats verwarf die Lehre von der ausschließlichen Unterstellung Geistlicher unter die geistliche Justiz schon im Ansatz. Denn wenn geistliche Parteien unter keinen Umständen vor weltlichen Gerichten hätten Prozesse führen können, wäre die Mandatsklage von vornherein unzulässig gewesen. Rein tatsächlich traten in mindestens 33 Reichskammergerichtsprozessen zwischen 1543 und 1740 geistliche Institutionen aus Münster als Kläger auf, darunter neunmal Äbtissin und Konvent von Überwasser953. Der angebliche Ausschluß münsterischer Geistlicher von den Reichsgerichten war damit alles andere als eindeutig. Die Behauptung der Stadt Rheine war durch die tägliche Gerichtspraxis widerlegt oder zumindest deutlich erschüttert. dd) Streitwert und Rechtswegzuweisung Eine kuriose Begründung führte der Anwalt eines Johann zur Hardt 1620 an, um die Zuständigkeit des Apostolischen Nuntius zu begründen. Es ging um den Suppletionseid954 in einer schuldrechtlichen Streitigkeit. Der Schriftsatzverfasser hielt sich überhaupt nicht mit einer nach modernen Begriffen materiellrechtlichen Zuordnung der Angelegenheit zum kanonischen oder weltlichen Recht oder mit einer Klassifizierung der Parteien auf, sondern behauptete schlechthin, sein Mandant habe, „weil die Sach propter minorem quantitatem uff Speier nit gebracht werden können Altem gebrauch nach ad Nuncium Apostolicum appellirt“955. Da beide Parteien des Ausgangsprozesses aus Osterwick nördlich von Coesfeld stammten, kann es sich bei dieser Äußerung nicht um eine Anspielung auf das Appellationsprivileg der Stadt Münster956 gehandelt haben. Undurchsichtig wird die Sache zudem durch den Hinweis des Schriftsatzverfassers, er spreche nicht nur für den beklagten Johann zur Hardt aus Osterwick, sondern zugleich „interventorio nomine für den hochwürdigen Anthonio Episcopo Vigiliarum Romanae Sedis Apostolicae Nuncio seu Legato“957. Sollte ein Anwalt aus dem Münsterland zugleich die rechtlichen Interessen des Nuntius wahrnehmen? Ausschließen läßt sich das nicht, ist 953
954 955 956 957
A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches II, S. 109-113, Nr. 3790-3822. Tatsächlich dürfte die Zahl erheblich höher liegen, weil das Findbuch aus Münster nur Fälle mit Münsteraner Beklagten erfaßt. Bei Prozessen gegen auswärtige Gegner erhöht sich der Wert. Zum Suppletionseid: W e t z e l l , System, S. 278; L e p s i u s , Von Zweifeln, S. 184; L i t e w s k i , Zivilprozeß, S. 436; O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 201. LA Münster RKG S 2642, Aktenstück Q 6, fol. 14v. LA Münster RKG M 1684, fol. 08r; erwähnt bei E i s e n h ar d t , privilegia de non appellando, S. 104 Nr. 42. LA Münster RKG S 2642, Aktenstück Q 6, fol. 08r.
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aber sehr unwahrscheinlich. Der Nuntius war in diesem Rechtsstreit die hauptsächlich beklagte Partei, Johann zur Hardt war nur Mitbeklagter958. Eine Prozeßpartei konnte aber nach gemeinrechtlichen Grundsätzen nicht zugleich als Intervenient in einen Rechtsstreit eintreten, in dem sie ohnehin bereits verklagt war. Die sog. Litisdenunziation, Streitverkündung, und auch die Intervention war nur bei einem Dritten möglich, der dennoch rechtliches Interesse am Ausgang der Streitigkeit hatte959. Vielleicht versuchte sich der Nuntius auf diese Weise in den Reichskammergerichtsprozeß einzuschalten, ohne sich selbst der Jurisdiktion des Gerichts zu unterwerfen. Immerhin kündigte der Auditor des Nuntius bei der Zustellung des Mandats im Namen des päpstlichen Gesandten an, er werde die „paritionem nomine eiusdem Domini Nuncii Apostolici quatenus et in quantum de Jure“ erklären960. Möglicherweise verhielt sich der Nuntius in diesem Fall wirklich anders als in den älteren Prozessen. Aber das ist unsicher und wenig wahrscheinlich. Ebenso gut kann ein Schriftsatzverfasser ohne nähere Rechtskenntnis die Exzeptionsschrift verfaßt haben, denn seine rechtliche Einwendung war schlichtweg abwegig. Der Nuntius konnte als Beklagter nicht in seinen eigenen Rechtsstreit intervenieren. Im Gegensatz zu zahlreichen bereits erwähnten Streitpunkten war zumindest dies bei den Zeitgenossen anerkannt. Die Zuständigkeit des Apostolischen Nuntius versuchte der Schriftsatzverfasser von Johann zur Hardt 1620 als subsidiäre Gerichtsgewalt für alle diejenigen Fälle darzustellen, in denen die Mindestbeschwer für die Appellation an das Reichskammergericht nicht erreicht war. Auch dies war ein kurioser Gedankengang. Die Wertgrenze kammergerichtlicher Appellationen schwankte in der frühen Neuzeit und erfuhr ähnlich wie die moderne Berufungssumme mancherlei Erhöhungen, um die Reichsgerichte von etlichem Kleinkram zu entlasten. Zum Zeitpunkt des Rechtsstreits im frühen 17. Jahrhundert waren 300 Gulden die geringstmögliche Mindestbeschwer961. Nach der Darstellung Johanns zur Hardt hätte es im weltlichen Recht immer einen dreistufigen Instanzenzug gegeben, nämlich in höherwertigen Sachen an das Reichskammergericht, in kleineren Streitigkeiten dagegen an den Nuntius. Ob das im Ernst ein Zeitgenosse glaubte, ist 958 959
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LA Münster RKG S 2642, Protokollbuch, Titelblatt, und Inskriptio des Mandats: Aktenstück Q 2, fol. 03r. Römischrechtliche Wurzeln bei K as e r / H a c k l , Zivilprozeßrecht, S. 484; Unklarheiten im Mittelalter bei L i t e w s k i , Zivilprozeß I, S. 155; allgemein W e t z e l l , System, S. 47-57; umfassend: S c h ä f e r , Nebenintervention, S. 54-65, dort auch zur Litisdenunziation. LA Münster RKG S 2642, Aktenstück Q 1, fol. 02r; mündliches Paritionsangebot auch 1617 in LA Münster RKG W 271, Aktenstück Q 1, fol. 02v. O p e l t , Einführung, S. 1-2; D i c k , Entwicklung, S. 69.
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unbekannt. Dem nicht namentlich bekannten Schriftsatzverfasser kann der moderne Rechtshistoriker ebenso wenig über die Schulter gucken wie dem hochbetagten Kammergerichtsprokurator Johann Conrad Lasser, der in seinem letzten Lebensjahr den Schriftsatz in der Audienz einreichte962. Im Ergebnis hätte dann nämlich der Nuntius unwichtige, das Reichskammergericht aber wichtige Streitigkeiten zur Entscheidung erhalten. Dieses Rangverhältnis dürfte für den Nuntius kaum akzeptabel gewesen sein. Gleichzeitig war wohl auch für das Reichskammergericht eine solche Rechtsauffassung unannehmbar. Hätte sie doch mit jeder Erhöhung der Appellationssumme oder mit Erteilung weiterer Appellationsprivilegien zugleich die weltliche Gerichtsbarkeit insgesamt begrenzt und geschwächt und die geistliche Jurisdiktion in rein weltlichen Angelegenheiten immer mehr an Boden gewinnen lassen. Das konnte kaum sein. In den im Rahmen dieser Untersuchung ausgewerteten Quellen blitzte das Summenargument an keiner anderen Stelle auf. Niemand sonst benutzt es. Gerade da andere Gesichtspunkte in den Schriftsätzen immer wieder auftauchten, spricht einiges für weitgehend ähnliche Sichtweisen in der Anwaltschaft. Es sprach sich offenbar herum, welche Argumentationsstrategien erfolgversprechend waren und welche nicht. Die Vereinnahmung des Nuntius als weltliches Ersatzgericht für die nicht appellationswürdigen Banalitäten gehörte jedenfalls nicht zu den hilfreichen Exzeptionen gegen ein kammergerichtliches Kassationsmandat. ee) Surrogationsfälle In einem Rechtsstreit von 1624 stand der in Speyer Beklagte ebenfalls unter starkem Druck. Der kammergerichtliche Kläger war nämlich fürstlich münsterischer Richter zu Coesfeld, und ihm konnte man kaum Unkenntnis der Gerichtsverfassung vorwerfen. Der Beklagte argumentierte in diesem Fall materiellrechtlich. Der zugrundeliegende Streit bezog sich auf Pensionszahlungen aus angeblich sicheren Gütern963. Zu einer geistlichen Angelegenheit sollte die Sache wie folgt werden: Der Beklagte Konrad Kettler betonte, ein Teil des Geldes, um das es ging, habe ursprünglich von seiner Frau gestammt. Daher habe sie die Mitgewalt über die fraglichen Güter erlangt. Wenn jetzt ein Fall der „dotis repetitio“ vorliege964, wenn der Sache 962
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Lasser war seit 1591 Advokat und Prokurator, zu ihm G r o h , Personal, S. 165. 1610 war er noch Pate geworden. Zum Geschäftanfall von Lasser bis 1620/21: K au e r t z , Akten IV, S. 3252; B r u n o t t e / W e b e r , Akten N-R, S. 740; Akten S-T, S. 892-893. LA Münster RKG S 420, Aktenstück Q 6, Art. 1, fol. 12v. Als Terminus taucht der Begriff in Inst. 4, 6, 37 auf.
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nach also die Forderung des Klägers auf eine wertmäßige Herausgabe oder Rückgabe des Brautschatzes hinauslaufe, dann greife der Grundsatz ein, „quod causa dotis non minus coram Judice Ecclesiastico, quam saeculari ventilari queat“965. Das sollte wohl so etwas wie eine strenge Surrogation bedeuten. Alles, was vom Brautschatz erworben war, sollte dem Recht der dosBestellung selbst unterfallen966. Die genaue Konstruktion blieb unklar, dafür allerdings führte der Schriftsatzverfasser mächtige mittelalterliche Geschütze ins Feld. Papst Innozenz III.967, Johannes von Imola968, Hostiensis sowie Johannes Andreae969 waren Gewährsleute, die angeblich „außtruecklich“ sämtliche Dotalangelegenheiten den geistlichen Gerichten zur Verhandlung zugewiesen hatten970. Deswegen habe der Beklagte, um den Brautschatz seiner Frau zu verteidigen, „gradatim von einem geistlichen Richter zum anderen“ appellieren und „endtlich ad nuncium Apostolicum“ ziehen können971. Verallgemeinert hätte diese Rechtsauffassung sämtliche Vermögenswerte, die in irgendeiner Beziehung mit dem von der Ehefrau eingebrachten Brautschatz zu tun hatten, der Zuständigkeit geistlicher Gerichte unterstellt. Eine solche unbegrenzte Surrogation hätte allein durch Zeitablauf den Bereich der geistlichen Streitigkeiten immer weiter vergrößert. Es hätte in jedem Fall ausgereicht, wenn ein Vermögensgegenstand irgendwann einmal mit Brautschatzgeldern erworben worden war. Dreimal „hätte“: Mit dieser eigenwillig verdrehten Konstruktion erlitt Konrad Kettler Schiffbruch, was kaum verwundert. Das Reichskammergericht verwarf Kettlers Rechtsauffassung in Bausch und Bogen. In einem der seltenen Paritionsurteile verpflichtete es den Beklagten nicht nur, das Kassationsmandat zu befolgen. Zugleich verurteilte 965 966
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LA Münster RKG S 420, Aktenstück Q 6, Art. 7-9, 16-17, fol. 13r-13v, 14v. Überblick über die Dos bei C o i n g , Europäisches Privatrecht I, S. 239-240; L e p s i u s , Die Ehe, S. 142-144; F l o ß m an n , Privatrechtsgeschichte, S. 102; B r au n e d e r , Dos, Sp. 1138-1139. Innozenz III. X 4, 20, zitiert im kammergerichtlichen Schriftsatz ist c. 3, gemeint wohl c. 5-7; Übersetzung bei S c h i l l i n g / S i n t e n i s , Corpus Juris Canonici I, S. 257-260; zu Innozenz‘ Konzeption der päpstlichen Allzuständigkeit über sämtliche Zivilsachen T i e r n e y , Tria quippe distinguit iudicia, S. 48-59; P e n n i n g t o n , Pope Innocent, S. 6: „papal prerogatives in the secular sphere“. Johannes von Imola, Kommentierung zu D. 24, 3, 1 („L. 1. ff. solumatr“); zu Johannes von Imola (um 1370-1436) L a n g e / Kr i e c h b au m , Römisches Recht II, S. 807-813, dort S. 811 bei Anm. 23 Hinweis auf die Digestenkommentierung. Das Werk lag mir nicht vor. Johannes Andreae, Kommentierung zu D. 24, 3, 1 („L. 1. ff. solumatr“); zu Johannes Andreae (um 1270-1348) S a v i g n y , Geschichte des Römischen Rechts VI, S. 98-125; L a n g e / Kr i e c h b a u m , Römisches Recht II, S. 658-665. Unklarer Hinweis, Johannes Andreae ist nur als Kanonist hervorgetreten. LA Münster RKG S 420, Aktenstück Q 6, Art. 17, fol. 14v-15r. LA Münster RKG S 420, Aktenstück Q 6, Art. 18, fol. 15r.
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das Gericht ihn zusätzlich zu einer Geldstrafe von vier Mark lötigen Goldes. Das war ausgesprochen selten und bedeutete nichts anderes als eine symbolische richterliche Ohrfeige. Hierfür enthielt der Tenor sogar eine ausdrückliche Begründung. „Wegen ad Nuncium ap[osto]li[c]um interponirter App[ellati]on zu abbruch und verletzung des h[eiligen] Röm[ischen] Reichs Jurisdiction und hochheit, auch vergeblichen Excipirens“ mußte er diese Strafe entrichten972. Nicht nur wegen der verbotenen Anrufung des Nuntius und der Verletzung der Reichsjurisdiktion, sondern zusätzlich wegen der rechtsfehlerhaften Exzeptionsschrift fällte das Gericht diese Entscheidung. Das war besonders schneidig und scharf, denn üblicherweise zogen die unerheblichen Verteidigungsversuche als solche keine gesonderten Folgen nach sich. Die Tenorierung schob unausgesprochen, im Ergebnis aber zweifelsfrei der Umdeutung einer Schuldforderung in eine geistliche Sache rechtliche Riegel vor. Nur deswegen, weil auch die Ehefrau wirtschaftlich beteiligt war, geistliche Streitgegenstände zurechtzuzimmern, blieb nicht nur erfolglos, sondern war sogar strafbar. Wenn auch viele Rechtsfragen auf der Trennlinie geistlicher und weltlicher Gewalt ungelöst und streitig waren, gab es doch Grenzen, die eine Partei im Einzelfall nicht überschreiten durfte. Rechtlicher Unsinn gehörte dazu. Er war nicht belanglos, sondern als Kalumnie versuchter Prozeßbetrug. Das mag der Grund für die ungewöhnlich harte Entscheidung des Reichskammergerichts gewesen sein. Ob Kettler die Strafe für seine Rechtsmärchen bezahlte, ist unklar973. Die Paritionserklärung gab der Beklagte immerhin ab und fügte sich damit in seine Niederlage974. Nur ein Jahr später tauchte in einem weiteren Verfahren dasselbe Rechtsproblem auf. Auch in diesem Fall von 1625 versuchte der Beklagte, eine Geldforderung in eine geistliche Sache umzudeuten. Die Witwe des Juristen Philipp Münstermann klagte von einem Münsteraner Kanoniker eine Geldsumme ein. Der Beklagte Johann Plate hatte das Geld von einem Subdiakon Dungel erhalten, um sich für einen Heiratsdispens einzusetzen. Der Subdiakon Dungel wollte nämlich seine Konkubine, die spätere Klägerin, heiraten. Dafür benötigte er einen kirchlichen Dispens, und dieser war um bloßen Gotteslohn nicht zu kaufen. Doch das Geschäft scheiterte, Dispens und Liebesheirat blieben verwehrt. War das nun eine geistliche oder weltliche Angelegenheit? Ging es um die beabsichtigte Eheschließung oder um den bloßen Darlehensvertrag? Der Beklagte meinte, es komme nicht auf 972 973
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LA Münster RKG S 420, Protokollbuch, Expeditum vom 10. Dezember 1624, fol. 02v. LA Münster RKG S 420, Protokollbuch vom 9. März 1626: Nach dem Tod des Beklagten kündigte der Fiskal an, er wolle gegen die Erben vollstrecken. Am 27. Juni 1628 bricht das Protokollbuch ab. LA Münster RKG S 420, Protokollbuch vom 17. Mai 1625, fol. 03r.
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den Status der Klägerin, sondern auf den ursprünglichen Vertrag „zwischen zweyen geistlichen“ an. Daher sei „dieße Sach nicht causa mehre ciuilis, wie in Supplicatione mit Unwarheit angezogen“975. Im Vergleich mit der zuvor beschriebenen summenmäßigen Beschränkung des Nuntius auf kleinere Zivilsachen oder der Konstruktion über das Dotalrecht war der Hinweis auf den Ehedispens vermutlich eine geschicktere Verteidigung. Vielleicht sah das auch der Apostolische Nuntius so, denn er setzte seine Verhandlungen unbeeindruckt vom kammergerichtlichen Mandat parallel zum Rechtsstreit vor dem Reichskammergericht fort976. Damit verstieß er gegen das Mandat, und die Klägerin beantragte nun, die angedrohte Geldstrafe zu verhängen. Doch ob das Reichskammergericht die Pönerklärung aussprach, ist unklar977. Jedenfalls fällt an dieser Stelle ein Unterschied zu den weiter oben geschilderten älteren Exzeptionsschriften auf. Im Gegensatz zu den früheren Beispielen argumentierten die zuletzt geschilderten Einwendungen modern gesprochen materiellrechtlich. Das war eine vorsichtige, in den Münsteraner Quellen aber deutlich sichtbare Neuerung. Es gab innerhalb weniger Jahrzehnte offenbar einen Trend, den Hinweis auf doppelte oder unklare Instanzenzüge zu ersetzen durch die alleinige Behauptung, der Streit sei eine geistliche Angelegenheit. Ob sich hierin veränderte Rechtsauffassungen der beteiligten Anwälte und Schriftsatzverfasser zeigten, läßt sich nicht klären. Allerdings wird man die Rechtsüberzeugungen der Anwälte ohnehin kaum feststellen können, denn vermutlich benutzten sie lediglich diejenigen Argumente, von denen sie sich die größten Erfolgsaussichten erhofften978. Vielleicht ist die Verschiebung in den Begründungen der Exzeptionsschriften sogar ein Zeichen für eine stabilere Gerichtsverfassung. Jedenfalls in der Wahrnehmung der Schriftsatzverfasser scheint sich die Rechtsprechung des Reichskammergerichts zur Gerichtsverfassung und den Instanzenzügen im Hochstift Münster gefestigt zu haben. Falls man wußte, wie das Speyerer Reichsgericht die Appellationsmöglichkeiten von Münster aus beurteilte, nämlich ausweislich der Judikatur tatsächlich so, wie es im Senatsbeschluß von 1603 vorgesehen war979, hatte es fortan wenig Sinn, genau dagegen weiterhin anzurennen. Vielleicht erkannten 975 976 977 978 979
LA Münster RKG S 2291, Aktenstück Q 6, fol. 08r. LA Münster RKG S 2291, Protokollbuch vom 25. Oktober 1625. LA Münster RKG S 2291, Protokollbuch, Expeditumvermerk vom 11. Juni 1629: Der Vermerk spricht für eine verkündete Entscheidung, die aber nicht erhalten ist. O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 683-685; zur Anwaltstaktik auch L au , Rechtsanwalt, S. 75-96. L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, S. 564 Nr. 349; d e r s . , De jurisdictione officialium, Aphorismus 11, Anm. ff, S. 30-31.
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die Schriftsatzverfasser mit ihrer materiellrechtlichen Argumentation also stillschweigend die Münsteraner Gerichtsverfassung doch als stabiler an, als sie selbst vorgaben. In der Praxis konnte man vor Gericht also über vieles diskutieren, aber nicht über alles. ff) Eine späte Exzeptionsschrift von 1666 Die oben beobachtete Verschiebung von den Hinweisen auf die Gerichtsverfassung zu materiellrechtlichen Gesichtspunkten setzte sich fort. Es verwundert daher nicht, wenn auch in der jüngsten überlieferten Exzeptionsschrift der Beklagte nicht mit dem Instanzenzug, sondern mit seinem Status als Geistlicher argumentierte. Der Prozeß fällt in das Jahr 1666. Der Beklagte war Kanoniker am Alten Dom zu Münster und stritt sich mit einem Stephan Dietrich von Neuhof um eine Geldforderung. Rechtlich streitig war der Umrechnungskurs einer bereits sehr alten Geldforderung. Johann Brockhaus, der Kanoniker, hatte erstinstanzlich am Münsteraner Offizialat geklagt. Dort versteifte er sich auf eine geistliche Angelegenheit, denn es sei „Notorij autem Juris, daß (...) Ecclesiastici cum rebus, bonis, actionibusque suis universis quoscunque ipsi conueniunt, aut a quibus conveniuntur a saecularium Jurisdictione sint plane exempti quamvis in eorum libero arbitrio positum sit, in causa profana adrium saecularem coram Judice saeculari si malint, conuenire possint, uti in Reformatione Ecclesiastica“980. Das war das absolute privilegium fori der Geistlichen. Nur freiwillig konnten Geistliche demnach vor einem weltlichen Gericht Partei werden, niemand durfte sie dazu aber zwingen. Der Beklagte berief sich hierbei auf die Reformation des Offizialatsgerichts981 und fügte hinzu, dieser Grundsatz gelte nicht nur für die erstinstanzliche simple Querel, sondern auch für die Appellationsinstanz. Das gab der Wortlaut der Reformation für den Beklagten wohl nicht direkt her. Deswegen meinte er, dies werde „de Consuetudine observetur“. Vermutlich um die Gewohnheit nicht als Abschwächung des Gesetzes zu verstehen, fügte der Schriftsatzverfasser hinzu, „statutum uel consuetudo (...) pro jure communi in Eodem loco habeatur, vocetur Jus commune Illius ciuitatis“982.
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LA Münster RKG N 353, Aktenstück Q 4, fol. 32r. Offizialatsgerichtsordnung 1573 Teil 1, Titel 1 § Ad officialis, bei S c h w ar z , Reform des geistlichen Gerichts, S. 167: „Ad officialis nostri jurisdictionem immediate pertinent omnes ecclesiastici cum rebus, bonis actionibusque suis universis, quoscunque ipsi conveniant aut a quibuscunque conveniantur, quemadmodum illud hactenus observatum extitit. Suntque a secularium jurisdictione omnino exempti.“ LA Münster RKG N 353, Aktenstück Q 4, fol. 32v.
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Die zitierten Sätze spielten unmißverständlich auf die gemeinrechtliche Rechtsanwendungslehre an. Das ius commune in loco war zwar Partikularrecht, aber nach verbreiteter Ansicht von Amts wegen genauso zu beachten wie das gemeine römische und kanonische Recht983. Wegen seines eindeutigen persönlichen Privilegs hatte der Kanoniker Brockhaus auch kein Problem damit, den Forderungsstreit als Zivilsache anzusehen. Dennoch nämlich unterstehe er allein der geistlichen Jurisdiktion. Wenn er als Geistlicher also Rechtsmittel in einem Zivilprozeß einlege, stehe es ihm zu, „ahn hoher Obrigkeidt in specie Nuntium Apostolicum secundum Notoriam Consuetudinem et obseruantiam loci quam allegare sufficit uti Judicem suum competentem et immediate sibi superiorem durch Seinen bevollmächtigten a[nwa]ldtt zu appelliren“984. In dieser Argumentation erschien der Nuntius als hohe Obrigkeit, ein Attribut, das ansonsten Untertanen ihrem Landesherrn beimaßen985. Den Instanzenzug zum Nuntius in Zivilsachen konstruierte der Kanoniker auch für Geistliche mit Hinweis auf Gewohnheit und Observanz. Obwohl er die ius commune in loco-Doktrin verfocht, führte er im Gegensatz zur erstinstanzlichen Zuständigkeit keine Prozeßordnung zu seinen Gunsten an. „In profanis“ mochte zwar ein anderer Instanzenzug „ad laicos verordnet sein“, wie der Beklagte durchaus zugestand. Aber wenn er „alß Eineß Geistlichen Standts person“ vor dem Nuntius drittinstanzlich klage, sei das nicht zum Nachteil des Heiligen Römischen Reichs, sondern entspreche nur den „canones et Ap[osto]licas Constitutiones et oecumenica concilia, praesertim tridentinum“986. Wenn man so will, knüpfte der Kanoniker Brockhaus seine Ausführungen also doch an Rechtsquellen an, nur an sehr allgemein und vage bezeichnete Normmassen eben. Das ist in allen einschlägigen Münsteraner Prozessen der einzige Beleg für einen Hinweis auf Konzilsbeschlüsse, insbesondere auf das Konzil von Trient. Tatsächlich hatte das Tridentinum sich mit dem privilegium fori der Geistlichen beschäftigt, aber lediglich auf die überkommenen Regeln seit Bonifatius VIII. verwiesen. Spätere Versuche, bei der gescheiterten Kompilation eines Liber septimus das Klerikerprivileg systematisch anders zu verorten, scheiterten987. Der Beklagte war in diesem Fall unstreitig ein Kanoniker. Auch der Kläger Stephan Dietrich von Neuhof sprach ihm das nicht ab. Deswegen ist der Ausgang des Rechtsstreits erstaunlich. Die zitierte Exzeptionsschrift stammte vom 31. Januar 1666. Am 28. März übergab der Kläger seine 983 984 985 986 987
W i e g a n d , Studien, S. 151-153; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 9, 15-16. LA Münster RKG N 353, Aktenstück Q 4, fol. 32v. Deutsches Rechtswörterbuch X, Sp. 217-221 (Obrigkeit II); W i l l o w e i t , Obrigkeit, Sp. 1171-1174. LA Münster RKG N 353, Aktenstück Q 4, fol. 33r. D i c k e r h o f f - B o r e l l o , Liber septimus, S. 228.
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Replikschrift, und bereits am 6. Juli desselben Jahres fällte das Reichskammergericht sein Urteil, für Speyerer Verhältnisse also in erstaunlich kurzer Zeit. Der Domkanoniker Brockhaus mußte sich dem Mandat beugen, seine Exzeptionen wurden als unbeachtlich verworfen988. Anfang November erschien der Prokurator von Brockhaus in einer Audienz und übergab dort die geforderte Paritionserklärung. Der Beklagte befürchtete zwar, es könne allgemein „Ordini Clericali nach einig praeiuditz zue wachßen“, doch dieses Bedenken zerstreute er selbst in der Hoffnung, „dah iedoch in dero macht nicht stehet, dero Geistlicher freyheit unnd exception zum nachtheil ichtwas einzugehen“989. Genau diese Gefahr aber bestand. Wenn das Reichskammergericht durch Paritorialurteil die Appellation eines Geistlichen an den Nuntius für unzulässig erklärte, war das ein Paukenschlag. Im Umkehrschluß konnte jedermann die Entscheidung nur genauso verstehen wie zahlreiche andere Nadelstiche gegen Geistliche ebenfalls. Ein ausnahmsloses privilegium fori zugunsten von Klerikern war nicht anerkannt, zumindest nicht vor dem Reichskammergericht990. Auch gegen ihren Willen konnten sie in weltlichen Sachen Partei vor weltlichen Gerichten werden. Damit nahm das Reichskammergericht der Sache nach die Gerichtsgewalt über die erst- und zweitinstanzlichen Offizialate in Zivilsachen in Anspruch, auch wenn geistliche Parteien dort prozessierten. Wie der oben geschilderte Fall der Äbtissin von Überwasser zeigt, stimmten selbst einige Geistliche dieser Haltung zu991. Dieser Eindruck wird sich im Laufe der Untersuchung mehrfach festigen. Das privilegium fori für Geistliche war in der Gerichtspraxis ein vergleichsweise stumpfes Schwert. Streitig war nicht nur die personelle Reichweite der Gerichtsstandsbefreiung, sondern auch die sachliche Ausdehnung mit den Unterscheidungen von Kläger und Beklagtem, possessorischen und petitorischen Klagen992, Klage und Widerklage und so weiter. In anderen Territorien scheint dieser Konflikt noch viel gravierender gewesen zu sein als im katholischen Fürstbistum Münster. Deswegen wird auf diesen Punkt mehrfach zurückzukommen sein993.
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LA Münster RKG N 353, Protokollbuch, Expeditumvermerk am 6. Juli 1666. Das Urteil ist zwar nicht erhalten, doch belegt die Paritionsschrift seinen Inhalt; D e c k h e r r , Rerum in supremo Camerae Imperialis (...), S. 17-18, druckt einige an diesem Tag ergangene Paritorialurteile. LA Münster RKG N 353, unquadr. Aktenstück „Underthanige Parition Schrifft“, fol. 09r. Anders E b e l , Kurialsentenzen, S. 199, für das mittelalterliche Reichshofgericht, das angeblich das Klerikerprivileg strikt beachtet haben soll. LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 1°, fol. 4r. Knapp zur Sache J a c o b i , Besitzschutz, S. 159-161. Zum Streit um das privilegium fori in Osnabrück bei Anm. 1179-1236; Hildesheim bei Anm. 1346-1363; Hamburg bei Anm. 2431-2592.
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gg) Paritionserklärungen Keinesfalls immer verteidigten sich die Beklagten gegen die ergangenen Mandate. Manchmal fügten sie sich und gaben die erforderlichen Paritionserklärungen ab. Bevor also die Rechtsprechung des Reichskammergerichts in den Münsteraner Fällen zu einer zusammenfassenden Betrachtung drängt, ist es geboten, zusätzlich diejenigen Prozesse zu untersuchen, in denen die Beklagten die Paritionserklärungen vorlegten, ohne sich überhaupt zu verteidigen. Die hohen Erfolgsaussichten der Kläger standen in diesen Fällen von Anfang an fest. Die Beklagten streckten die Waffen und verzichteten auf Gegenwehr. Offenbar erschienen die Rechtsauffassungen der Kläger überzeugend genug. Widerspruch war dann zwecklos. In ihren Paritionsanzeigen verzichteten die Beklagten zugleich regelmäßig auf umfassende Erörterungen der Rechtslage. So meinte etwa ein Heinrich Plathe 1601, er habe zwar eigentlich in Speyer Exzeptionen einreichen können. Aber weil das kammergerichtliche Mandat sine clausula ergangen sei, erkläre er die Parition. Der vor dem Nuntius geführte Kommissionsprozeß sei damit beendet, das verkündete er klipp und klar994. Im selben Jahr gab ein weiterer Beklagter eine Paritionserklärung ab. Der Schriftsatzverfasser wies darauf hin, es sei „also stets gehalten worden, daß ab Officiali Monasteriensi ad Coloniensem, und von diesem volglich nicht ad Cameram, sondern ad Pontificem, vel ejus (...) Legatum appellirt“ worden sei995. Erst vor wenigen Jahren sei „dieser error vermerckt“ worden. Unklar blieb an der Passivkonstruktion, wer diesen Fehler bemerkt haben sollte. Ergänzend hieß es, „de consuetudine“ könne man an den Papst oder seinen Legaten vom Kölner Offizial aus appellieren, wie man auch von Münster aus nach Köln appelliere. Freilich sei der Kölner Erzbischof nur „in ecclesiasticis et spiritualibus metropoliticus, non in prophanis superior“. Weil aber die geistliche und die weltliche Jurisdiktion „pares“ seien, schließe die fehlerhafte Appellation an den Nuntius eine nachfolgende rechtmäßige Appellation an das Reichskammergericht nicht aus. Jedenfalls wolle der Beklagte dem Mandat insoweit parieren, beantrage aber zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand996. 994
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LA Münster RKG M 1432, Aktenstück Q 3, fol. 06r; weitere Paritionserklärungen in LA Münster RKG M 1223, Aktenstück Q 7; RKG D 662, unquadr. Paritionsschrift, fol. 005r; RKG S 557, Protokollbuch fol. 01r; Eventualparition in LA Münster RKG L 204, Aktenstück Q 9, fol. 21v. LA Münster RKG Anhang D 11, unquadr. Aktenstück „Duplicae“, fol. 14r. LA Münster RKG Anhang D 11, unquadr. Aktenstück „Duplicae“, fol. 16v-17r; zur restitutio in integrum W e r k m ü l l e r , Wiedereinsetzung, Sp. 1366-1368; S e l l e r t , Wiederaufnahme, S. 368-383.
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Im ersten Fall hatte der Kläger vorgetragen, dem Streit liege ein rein weltlicher Diskussionsprozeß zwischen weltlichen Parteien zugrunde997. Der Diskussionsprozeß bildete eine offenbar nordwestdeutsche Variante des Konkursprozesses. Die neuere Literatur hat ihn nicht behandelt998. Über solche Diskussionssachen gab es mehrfach Auseinandersetzungen. Diese bezogen sich zum einen auf die Gesetzgebungskompetenz. So entbrannte zwischen der Stadt Münster und den fürstlich münsterischen Räten 1613 ein Streit, weil die Regierung die städtische Verordnung über Diskussionsprozesse von 1607 aufgehoben hatte999. Außerdem war streitig, ob das städtische Gericht oder das Offizialat für die Verhandlung von Diskussionssachen zuständig war1000. Zwischen den Parteien des Ausgangsstreites bestand aber zumindest im hier entscheidenden Punkt Einvernehmen: Solche Angelegenheiten gehörten keinesfalls vor den Apostolischen Nuntius. Im zweiten Fall ging es ebenfalls um einen Diskussionsprozeß. Der Kläger betonte die Zuständigkeit des Offizials für solche Sachen und sandte an das Reichskammergericht sogar Auszüge aus der Offizialatsgerichtsordnung1001. Daß aber der Nuntius sich mit einer Streitigkeit über „weltliche gütter und Personen“ beschäftigen dürfe, lehnte er vehement ab1002, und der Beklagte erkannte diese Rechtsauffassung ausdrücklich an. In einem Prozeß von 1612 hatte der Kläger gleich drei Gegner in Speyer belangt, neben dem Apostolischen Nuntius auch dessen Kommissar Hieronymus Hack, rechtsgelehrter Scholastiker an St. Gereon in Köln, sowie seinen untergerichtlichen Widerpart Heinrich von Schwansbell1003. Hack war vom Nuntius als Kommissar eingesetzt. Zugleich hatte der Nuntius die Parteien bei Androhung des Bannes und einer Geldstrafe von 50 Gulden 997 998
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LA Münster RKG M 1432, Aktenstück Q 2, fol. 03r. Zum frühneuzeitlichen Konkursrecht E n d e m a n n , Entwicklung, S. 24-96, dort S. 55 wohl untechnisch als Buchtitel von David Mevius; O g r i s , Konkurs, Sp. 1083-1085 (ohne Hinweis auf den Diskussionsprozeß); F o r s t e r , Konkurs, S. 195-196 (ohne Hinweis auf Diskussion), V o l l m e r s h a u s e n , Konkursprozeß (ohne Hinweis auf den Diskussionsprozeß); kurze Hinweise bei S c h w a r z , Reform, S. 74, 154-155; H u g o , Uebersicht, S. 28; B ä r , Abriß, S. 40. LA Münster RKG M 1690 wegen „Citationis die Discussion Proceß belangend“ (Prozeßbezeichnung im Protokollbuch); nachgewiesen auch bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches II, S. 115 Nr. 3831. Nachweis bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches II, S. 116 Nr. 3840. LA Münster RKG Anhang D 11, unquadr. Aktenstück „Extractus duorum paragraphorum ex Reformatione Eccl[esiasti[cae Curiae Monasteriensis“, fol. 06r: „De processu discussionis“; Regelung des Diskussionsprozesses in der Offizialatsgerichtsordnung von 1573 bei S c h w ar z , Reform des bischöflichen Offizialats, S. 214-215. LA Münster RKG Anhang D 11, unquadr. Aktenstück „Replicae“, fol. 08v. Bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches I, S. 415 Nr. 2872, fehlt Hack als Partei.
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verpflichtet, sich dem Kommissar zu unterwerfen1004. Nach der Zustellung des kammergerichtlichen Kassationsmandats war es in diesem Fall der Kommissar, der eine Paritionserklärung abgab. Hieronymus Hack schrieb im September 1612 an seinen Prokurator Johann Jakob Kölblin1005, es sei ihm ungelegen, sich in fremde Angelegenheiten einzumischen. Deswegen solle der Prokurator die Parition anbieten und leisten, damit Hack in dieser Sache in keine Weiterung gerate1006. Hier sieht man, wie der Kölner Scholastikus, ein studierter Jurist, zwischen Reichstreue und Loyalität gegenüber dem Nuntius hin- und hergerissen war. Wenn er es ablehnte, sich in fremde Angelegenheiten einzumischen, stellte er sich als apostolischer Kommissar gerade nicht auf die Seite der Kirche, und so sah er den Streit zwischen Gerhard Alfferding und Heinrich von Schwansbell als fremde Sache an. Auch wenn der Nuntius selbst untätig blieb1007, war der Nuntiaturprozeß damit beendet. Ohne vorschnelle Verallgemeinerungen läßt sich damit die Autorität des Reichskammergerichts in diesem Einzelfall genau bestimmen. Sie war zumindest groß genug, um den apostolischen Kommissar sein Amt aufgeben zu lassen. Für einen rechtsgelehrten kirchlichen deutschen Scholastiker war die Reichsgewalt also nicht von vornherein schwächer als die Autorität des Nuntius. In einem Streit zwischen zwei Bürgern der Stadt Ahlen um Kornabgaben von 16331008 gab der Beklagte zwar keine Paritionserklärung, sondern eine Exzeptionsschrift zu den Akten. Trotzdem verzichtete er auf große Widerreden. Denn in den Exzeptionen teilte er mit, daß „man von dem coram Nuncio Ap[osto]lico erhaltenen process abgewichen unnd denselben weiter nicht afterfolget“ habe1009. Modern gesprochen, war das eine Erledigung der Hauptsache1010. Die Entscheidungsbedürftigkeit war aus der Sicht des Beklagten entfallen, weil bereits vor Zustellung des Mandats der Prozeß vor dem Nuntius beendet war. Fälle wie dieser, so unscheinbar sich auch der kleine Satz in der ExzepVorwürfe in LA Münster RKG H 1569, Aktenstück Q 1, S. 3-4. Zu ihm G r o h , Das Personal, S. 131-132: Prokurator seit 1590. 1006 LA Münster RKG H 1569, Aktenstück Q 5, S. 12. Dieser Brief wurde am 13. Oktober 1612 in der Audienz produziert. Für den 18. November 1612 vermerkt das Protokollbuch als letzte Eintragung ein Expeditum, doch ist nicht bekannt, welche Entscheidung erging. 1007 Immerhin nahm der Sekretär des Nuntius das Mandat freundlich an und erklärte, man wolle tun, wozu man von Rechts wegen schuldig sei: LA Münster RKG H 1569, Aktenstück Q 1, S. 5-6 (Relation des Kammerboten auf der Rückseite). 1008 Die Jahreszahl 1699 bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches I, S. 347 Nr. 2400, ist falsch. Außerdem fehlt der Hinweis auf den Apostolischen Kommissar als Hauptbeklagten. 1009 LA Münster RKG H 113, Aktenstück Q 9, fol. 13v. 1010 Aus der älteren Literatur R ö m e r , Erlöschen, S. 108-132, zum gemeinen Recht, aber bezogen auf antikes römisches Recht und 19. Jahrhundert. 1004 1005
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tionsschrift ausnimmt, waren für die Kläger die denkbar größten Erfolge. Offenbar hatte der Beklagte große Angst vor einem kammergerichtlichen Mandat. Bereits vorauseilend brach er den Nuntiaturprozeß ab. Nur angedeutet sei das damit verbundene Quellenproblem. Falls der Streit damit wirklich beendet war, mag der kammergerichtliche Kläger in anderen Prozessen zugleich auf die Reproduktion des Mandats in der ersten Audienz verzichtet haben. Dann fehlen aber gerade für solche glatten Erfolgsfälle die Akten. Hier klaffen Überlieferungslücken in einer unbekannten Größenordnung. Der letzte einschlägige Fall einer Parition datiert von 1674. Der Dechant des Alten Doms in Münster erklärte in einem Streit um ein „praedium“1011, nämlich um ein Gut im Vest Recklinghausen, er habe nach der Verkündung des Mandats die Sache sofort am Offizialat in Münster reassumiert und den Apostolischen Prozeß „gäntzlich schwinden und fallen lassen“1012. Die Aufnahme des Verfahrens, gemeinrechtlich litis reassumtio, bezog sich üblicherweise auf eine Verfahrensunterbrechung durch den Tod einer Partei1013. Inwieweit man auch in anderen Situationen, in denen ein Rechtsstreit ruhte, reassumieren konnte, ist unklar1014. Der spätere Reichskammergerichtsassessor Erich Mauritius verfaßte 1660, noch in seiner Tübinger Zeit, dazu eine Dissertation1015. Hier braucht aber nicht zu interessieren, ob aufgrund des kammergerichtlichen Mandats der erstinstanzliche Offizialatsprozeß einfach wiederauflebte und ob der Beklagte auf diese Weise noch etwas retten konnte. Entscheidend ist vielmehr der Blick auf das Nuntiaturgericht. Und genau dort hatte der Beklagte auf die Fortsetzung des Rechtsstreits verzichtet. Insoweit hatte das Mandat Erfolg.
LA Münster RKG V 363, Aktenstück Q 2, fol. 5r; zum praedium S c h ü t t e , Wörter und Sachen, S. 523. 1012 LA Münster RKG V 363, unquadr. Aktenstück „Instrumentum super (...) paritione facta“. 1013 O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 592; O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 121. 1014 Auch W e t z e l l , System, S. 42, sieht in der Litisreassumtion nur einen Zwischenstreit eines Erben auf Zulassung zum Prozeß. 1015 M a u r i t i u s , De citatione, S. 547-587; zu Mauritius L o r e n z , Mauritius, S. 16-36; O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 136-142; bei W e t z e l l , System, S. 41 Anm *, ist die Dissertation irrtümlich auf 1640 datiert. 1011
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h) Innerkirchliche und politische Maßnahmen des Nuntius zur Verteidigung seiner Gerichtsgewalt Der Nuntius selbst oder von ihm beauftragte Prokuratoren traten in den Reichskammergerichtsprozessen nicht in Erscheinung1016. Das verstand sich fast von selbst, denn die Gerichtsgewalt des Kaisers oder des Reiches konnten sie kaum anerkennen. In keiner Weise freilich blieben sie untätig. Das Gegenteil war der Fall. Vielfältige Versuche des Nuntius, seine Gerichtsgewalt in weltlichen Sachen zu verteidigen, sind belegt. Die Einschätzung der Situation war von Nuntius zu Nuntius teils sehr verschieden. Nur stammen diese Quellen nicht aus Reichskammergerichtsakten, sondern aus anderen Verlautbarungen der kirchlichen Autoritäten. So beklagte sich der Nuntius Pietro Francesco Montorio1017 1624 bitterlich über die Zustände in Deutschland. Hier bringe man dem Papst wenig Achtung entgegen, und die Leute nähmen das Nuntiaturgericht nur gelegentlich einmal in Anspruch1018. Der Nuntius selbst verkündete angeblich in Lüttich, er beachte kammergerichtliche Inhibitionen nicht und erkenne „keinen andern Obern (...) als den Papst“1019. Nur ein Jahr später hatte Montorios Amtsnachfolger Pier Luigi Carafa seinen Nuntiatursitz ganz nach Lüttich verlegt1020. Dort frohlockte er 1634, sein Gericht habe enorm großen Zulauf als Appellationsinstanz. Das Reichskammergericht habe er bereits „völlig übertrumpft und ausgeschaltet“1021. In der Tat scheint es um 1626 mehrfach Auseinandersetzungen mit dem Kammergericht in Lütticher Sachen gegeben zu haben1022. Papst Urban VIII.1023 nahm 1626 und 1640 zweimal zu Unklar insoweit ein Schreiben des Nuntius Carafa von 1631 in einer Lütticher Sache: „Al mandato della Camera ho fatto la dovuta replica“, bei W i j n h o v e n , Nuntiaturberichte VII/3, S. 131 Nr. 2260. Offenbar wandte sich der Nuntius direkt an den Kammerrichter: ebd. Nr. 2291 S. 150. 1017 Nachgewiesen bei F e l d k a m p , Erforschung der Kölner Nuntiatur, S. 267 Nr. 6. 1018 M o n t o r i o , Relation, S. 503-504; F r an z e n , Krise, S. 61. 1019 M o n t o r i o , Relation, S. 512. 1020 Hinweis darauf auch in LA Münster RKG L 204, Aktenstück Q 2, fol. 008r: Ein Münsteraner Vikar erklärt dem Kammerboten 1627, die Zustellung des Mandats in Lüttich sei nicht nötig; D e m o u l i n / Ku p p e r , Histoire, S. 164, erwähnen den Nuntius in Lüttich, gehen aber nicht auf den Jurisdiktionsstreit ein. 1021 Zu seinem Kampf gegen das Speyerer Gericht in Lütticher Sachen C a r af a , Legatio Apostolica, S. 24-26; dazu F r a n z e n , Krise, S. 62; d e r s . , Wiederaufbau, S. 46; zu Lüttich auch F e l d k a m p , Studien I/Kölner Nuntiatur, S. 59-60; zum Erfolg des Nuntius gegenüber dem Reichskammergericht kurz W i j n h o v e n , Nuntiaturberichte VII/1, S. XXXIII. 1022 Hinweise bei F e l d k a m p , Studien III/Inventar, ANC 63 Nr. 32, 34, 36-41; 1624 meinte Nuntius Montorio noch, auch in Lütticher Sachen seien die Inhibitionen des Kammergerichts rückläufig: M o n t o r i o , Relation, S. 512. 1016
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der Angelegenheit Stellung1024. Wegen Lütticher Streitigkeiten schrieb der Nuntius auch einen Brief an den Kammerrichter Philipp Christoph von Sötern. Dieser antwortete, er werde sich für die päpstliche Rechtsauffassung in Speyer starkmachen.1025 Der Kammerrichter war nicht irgendwer. Als Kurfürst von Trier und Bischof von Trier und Speyer besaß er durchaus politisches Gewicht und gute Beziehungen zur römischen Kurie1026. Aber in diesem Punkt konnte er die Rechtsprechung der Assessoren nicht verbiegen. August Franzen hat 1954 die wesentlichen Äußerungen verschiedener Nuntien aus dem 17. Jahrhundert nach der Überlieferung im Vatikanischen Archiv zusammengestellt. Als Gegengewicht zu den Reichskammergerichtsakten besitzen diese Quellen hohen Wert und sollen hier in gebotener Kürze zusammengefaßt werden. Zunächst stellt sich heraus, wie der Nuntius versuchte, das Rekursverbot des Jüngsten Reichsabschieds sowie der kaiserlichen Wahlkapitulationen zu Fall zu bringen. In einem Schreiben an den päpstlichen Staatssekretär betonte der Kölner Nuntius Guiseppe Maria Sanfelice1027, er habe gemeinsam mit dem Wiener Nuntius nach der Wahl König Ferdinands IV. 1653 sofort gegen dessen Wahlkapitulation protestiert1028. Vor allem war der Nuntius auf einige geistliche Landesherren wütend, die dem Rekursverbot zugestimmt hatten. Die weltliche Gerichtsbarkeit des Nuntius sei uralte Praxis in Deutschland, und Erzbischof Ferdinand von Köln habe sie stets anerkannt1029. Das war offenkundig falsch. Derselbe Erzbischof Ferdinand hatte in Wirklichkeit 1609 und 1638 zweimal dem Nuntius die Einmischung in Gerichtssachen per Reskript verboten1030. Doch das verschwieg der Nuntius Sanfelice wohlweislich. Wer die weltliche Gerichtsgewalt des Nuntius in Deutschland bestritten habe, sei „grundsätzlich immer nur Häretiker gewesen“1031. Ob das auf Protestanten gemünzt war oder ob der Nuntius unbotmäßige Katholiken vor Augen hatte, bleibt unklar. Der päpstliche Staatssekretär betonte in seiner Antwort, die Appellation von Entscheidungen der Suffraganbischöfe in weltlichen Sachen gehe nicht Papst 1623-1644, zu ihm C e r c h i ar i , Capellani II, S. 142-143; S c h ü t z e , Maffeo Barbarini, S. 13-17. 1024 Bei F e l d k a m p , Studien III/Inventar, ANC 63 Nr. 37, 54. 1025 Bei W i j n h o v e n , Nuntiaturberichte VII/3, S. 187-188 Nr. 2348. 1026 Zu Sötern (1567-1652), seit 1610 Fürstbischof von Speyer, 1611 Kammerrichter, 1624 Kurfürst und Erzbischof von Trier: S e i b r i c h , Sötern, S. 468-471, dort S. 469 der Hinweis auf die guten Kontakte nach Rom. 1027 Nachgewiesen bei F e l d k a m p , Erforschung der Kölner Nuntiatur, S. 269 Nr. 10. 1028 F r a n z e n , Krise, S. 76. 1029 F r a n z e n , Krise, S. 78. 1030 F r a n z e n , Krise, S. 60. 1031 F r a n z e n , Krise, S. 78. 1023
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an ein weltliches Gericht, sondern an den Metropoliten. Dies nahm der Nuntius zum Anlaß, die Gerichtsgewalt im Alten Reich neu zu vermessen. In erster Linie versuchte er, die überragende Bedeutung des Lehensrechts abzuschwächen. Für die Verleihung der Gerichtsgewalt sollte fortan nicht mehr die Belehnung maßgeblich sein, zumindest nicht für geistliche Gerichte. Stattdessen müsse man die iurisdictio der Bischöfe ausschließlich auf das kanonische Recht stützen1032. Rechtlich war das ein Rückfall hinter das Wormser Konkordat, aber der Zweck lag auf der Hand. Die Gerichtsgewalt geistlicher Landsherren band sich nun nicht mehr an den König als Spitze der Lehenspyramide. Sie löste sich vom Reich und seiner Gerichtsverfassung. Deswegen ergab sich von selbst die weitere Appellation an den Nuntius und die Rota Romana, und zwar auch in weltlichen Sachen. Das war der Plan. Nach dem Tod Kaiser Ferdinands III. 1657 sah der Nuntius die Gelegenheit gekommen, die mißliebige Nuntiatur- bzw. Rota-Klausel aus den Wahlkapitulationen streichen zu lassen. Weil Ferdinand IV. bereits 1653 vorverstorben war und die Wahl seines 18-jährigen Bruders Leopold I. zum Kaiser erst 1658 bevorstand1033, gab es ausreichend Zeit. Da als Quellen lediglich die Berichte des Nuntius zur Verfügung stehen, ist unklar, inwieweit Guiseppe Maria Sanfelice die Geschichte zu seinen Gunsten schönte1034. Er behauptete jedenfalls, er sei auf Einladung des Mainzer Kurfürsten nach Frankfurt gereist und habe von den katholischen Landesherren von Mainz, Trier und Bayern die Zusage erhalten, sich für die Abschaffung der Nuntiaturklausel in den Wahlkapitulationen einzusetzen1035. Maximilian Heinrich von Kurköln1036 machte aber offenbar Schwierigkeiten. Der Nuntius vermutete, der Kölner Erzbischof sei es ohnehin gewesen, der das Appellationsverbot an den Nuntius in weltlichen Sachen in der kaiserlichen Wahlkapitulation zu verantworten hatte. Jetzt stellte der Kurfürst eine Konferenz zu diesem Thema in Aussicht, doch kam das Treffen nicht zustande. Später organisierte der Nuntius tatsächlich eine Zusammenkunft mit Vertretern aus Mainz, Trier, Köln und Bayern. Angeblich erklärten die Deputierten die Klausel der Wahlkapitulation für inzwischen veraltet. Das trifft sich mit einem oben erzielten Ergebnis. Die Beschwerden über den Nuntius als F r a n z e n , Krise, S. 79. Kaiser von 1658-1705, zu ihm P r e s s , Leopold I., S. 256-260; S c h i n d l i n g , Leopold I., S. 169-185. 1034 L u t z , Glaubwürdigkeit, S. 261, weist darauf hin, daß gezielte Falschmeldungen in Nuntiaturberichten nicht bekannt seien. 1035 F r a n z e n , Krise, S. 81. 1036 Kurfürst von Köln seit 1650, Bischof von Münster seit 1683, gestorben 1688, bei C h r i s t , Maximilian Heinrich, S. 496-500. 1032 1033
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weltlichen Richter hatten nämlich schon deutlich nachgelassen, als der Jüngste Reichsabschied und die Wahlkapitulationen das Thema reichsrechtlich aufgriffen. Die normativen Quellen blickten auf eine bewegte Praxis zurück, eine Bugwelle, die aber schon seit einiger Zeit wieder abebbte. Während die Kurfürsten von Mainz und Trier wohl weiterhin zum Nuntius standen, hielt sich der kurkölnische Kanzler bedeckt. Er sah Änderungen zu diesem Teil der Wahlkapitulationen im Hinblick auf die protestantischen Kurfürsten als aussichtslos an. Der Nuntius erlitt einen Nervenzusammenbruch1037, der Kaiser wurde gewählt, die Wahlkapitulation vereinbart. Zwei Tage vor der Frankfurter Wahl am 1. August 1658 erklärte der Nuntius am 30. Juli seinen förmlichen Protest gegen die Wahlkapitulation1038. Angeblich sicherte Kaiser Leopold zu, sich um die fragliche Vorschrift der Wahlkapitulation nicht zu kümmern und damit den Rekurs an den Nuntius in Zivilsachen ungestraft hinzunehmen1039. Doch das war butterweich, und die Kammergerichtsprozesse aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sowie vor allem aus dem 18. Jahrhundert zeigen, wie sich tatsächlich an der kaiserlichen Haltung nichts änderte. Es gab zwar weniger gerichtliche Verfahren gegen den Nuntius, aber die Wellen schlugen immer noch hoch. In seiner Schlußrelation vom Oktober 16591040 faßte Sanfelice den Jurisdiktionsstreit für seinen Amtsnachfolger eher knapp zusammen. Aus Lüttich habe er „più negotii“ zu erledigen gehabt als aus allen anderen Diözesen, und zwar „indifferente nelle cause civili anco che profane“1041. Seinen Protest gegen den Jüngsten Reichsabschied und die kaiserliche Wahlkapitulation hielt er nochmals fest. Im Ergebnis freilich hatte der Nuntius mit seinem politischen Ränkespiel Schiffbruch erlitten. Das mag der Grund sein, warum die Auseinandersetzung um die weltliche Gerichtsgewalt, „das mit Abstand folgenreichste Thema der Amtszeit Sanfelices“1042, in der Schlußrelation so zurückhaltende Pinselstriche erhielt. Seine Niederlage wollte er nicht groß herausposaunen. Ein anderer Gerichtspunkt geht in den Nuntiaturberichten vollends unter. Ein Münsteraner Adliger sprach um 1600 einmal andeutungsweise von den „untreglichen uncosten“, die Prozesse vor dem Nuntius verursachten1043. F r a n z e n , Krise, S. 83. Bei F e l d k a m p , Studien II/Dokumente, Nr. 27 b S. 150-153. 1039 F r a n z e n , Krise, S. 83. 1040 Von F r a n z e n , Krise, S. 84 Anm. 96, auf Dezember 1659 datiert. 1041 Bei F e l d k a m p , Studien IV/Instruktionen. S. 40 1042 F e l d k a m p , Studien IV/Instruktionen, S. 35. 1043 LA Münster RKG M 741, Aktenstück Q 5; zu den Kosten der Offizialatsprozesse auch E i s e n h a r d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 40-41; demgegenüber betont J u s t , Die rö1037 1038
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Das läßt sich auch aus der Gegenrichtung formulieren. Für den römischen Fiskus ging es um handfeste finanzielle Interessen, denn die Sporteln des Nuntiaturgerichts1044 waren eine wichtige und dauerhafte Einnahmequelle des Nuntius1045. Die Beschränkung der Gerichtsgewalt führte damit zugleich immer zu einer wirtschaftlichen Schwächung der katholischen Kirche. Die Ausmaße sind freilich unklar. Die römische Kurie griff das Nuntiaturgericht als Thema Ende des 18. Jahrhunderts erneut auf und prägte damit einen ganzen Zweig katholischer Kirchengeschichte bis in die Zeit nach dem zweiten Vatikanischen Konzil. Auf diesen Punkt ist sogleich zurückzukommen. Zuvor sind einige zusammenfassende Bemerkungen zum Fürstbistum Münster angebracht.
i) Ergebnis Der Apostolische Nuntius war kein drittinstanzlicher Richter für weltliche Streitigkeiten aus dem Fürstbistum Münster. Darüber waren sich sämtliche Beteiligte in allen hier ausgewerteten Fällen einig. Wurde er verbotenerweise angerufen, stand es jedermann frei, dagegen das Reichskammergericht zu Hilfe zu rufen. Das Reichskammergericht erließ daraufhin Kassationsmandate sine clausula und untersagte jede weitere Tätigkeit des Nuntius und seiner Kommissare. Die Eindeutigkeit dieser Sätze täuscht freilich1046. In den Einzelheiten herrschte großer Streit. Die kammergerichtlichen Kläger warfen ihren Gegnern vor, durch die Appellation an den Nuntius vermischten sie geistliche und weltliche Gerichtsbarkeit in unzulässiger Weise. Ansehen und Hoheit des Reiches erlitten schwersten Schaden, wenn Zivilsachen vor fremde und ausländische Gerichte abwanderten. Der Mißbrauch der geistlichen Gerichte beschwere die Untertanen und verlängere die Prozesse ins Unendliche. Das verstoße gegen die gemeinen beschriebenen Rechte, Reichskonstitutionen und Satzungen, insbesondere gegen die Reichskammergerichtsordnung. Das Reichskammergericht erkannte auf solche Supplikationen Kassations- und
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mische Kurie, S. 391, ein Rechtsstreit vor dem Nuntius sei preiswerter als vor der Rota Romana gewesen. Beschwerden über die hohen Kosten der geistlichen Gerichte dagegen schon in den Beschwerden der deutschen Nation von 1521: bei W r e d e , Reichstagsakten Karl V. II, Nr. 96 S. 695 Art. 76, S. 701 Art. 94. F r a n z e n , Krise, S. 62, weist darauf hin, daß die Gerichtsgebühren in Lütticher Prozessen geringer gewesen seien. L u t z , Glaubwürdigkeit, S. 260, ebd. S. 266 mit dem Hinweis, daß die Einnahmen des Nuntius zur Deckung seiner Kosten ohnehin nicht ausreichten. Zu energisch etwa F r i e d b e r g , Gränzen, S. 80, der meinte „jeder Uebergriff“ sei von den Reichsgerichten zurückgewiesen worden.
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Inhibitionsmandate. Je nach Antrag der Kläger richteten sich die einstweiligen Anordnungen direkt gegen den Nuntius, gegen einen vom Nuntius eingesetzten Kommissar oder gegen den untergerichtlichen Prozeßgegner. Der Apostolische Nuntius als solcher beteiligte sich an den kammergerichtlichen Prozessen nie. Mehrmals nahm er nicht einmal die Mandate an, sondern ließ es sogar zu, wenn seine Diener den Kammerboten verspotteten. Dabei tauchte das uralte Argument auf, der Kaiser habe dem Papst nichts zu befehlen. Viele Kameralprozesse kamen über das Anfangsstadium nicht hinaus. Ob das für den Erfolg der Mandate spricht, der weiteren Streit überflüssig machte, muß ebenso offenbleiben wie die Möglichkeit, daß der angefochtene Prozeß vor dem Nuntius weiterlief und der Kläger das Reichskammergericht nicht erneut anrief. Soweit der Fortgang bekannt ist, gab es durchaus Fälle, in denen sich der Beklagte beeindruckt zeigte und die geforderte Paritionserklärung abgab. In einem Fall war es sogar der vom Nuntius eingesetzte Kommissar, der die Treue zum Reich über die Loyalität zum päpstlichen Legaten stellte und auf sein Amt verzichtete. In anderen Prozessen verteidigten sich die Beklagten mit Hinweis auf eine doppelspurige Gerichtsverfassung im Stift Münster und insbesondere mit dem materiellrechtlichen Argument, die Parteien des Ausgangsstreits oder der Streitgegenstand seien rein geistlich. Einige Paritionsurteile sowie ein Senatsbeschluß von 1603 erlauben es, die Haltung des Reichskammergerichts genauer zu fassen. In der Tat erkannte das Gericht das Münsteraner Offizialat auch als weltliches Zivilgericht an. Die Appellation konnte entweder direkt nach Speyer oder aber nach Köln zum Offizialatsgericht des Metropoliten gehen. Die Frage, ob Münster damit ein reichsunmittelbares Territorium war, blieb durch diesen Kompromiß unentschieden. Der Kurfürst von Köln, der genau dies in den Jahren um 1600 bestritt, konnte damit seine Rechtsposition wahren; das Kammergericht stieß ihn nicht vor den Kopf. Die Appellation vom Kölner Offizialat an den Apostolischen Nuntius in Zivilsachen gestattete das Reichskammergericht allerdings nicht. Es gibt keine einzige Ausnahme, nicht einmal einen Hinweis auf schwankende Rechtsansichten. Vielmehr scheint das Speyerer Gericht den eigenen Beschluß von 1603 ausnahmslos befolgt zu haben. Parteien, die dagegen verstießen, mußten sogar auf Antrag des Fiskals mit einer Geldstrafe rechnen. Ein strenges privilegium fori für Geistliche erkannte das Reichskammergericht in den Münsteraner Fällen nicht an. Die von den Beklagten mehrfach erhobene Einwendung, Kleriker jeder Art und selbst eigenbehörige Bauern geistlicher Grundherren seien von aller weltlichen Gerichtsgewalt befreit, akzeptierte das Gericht nicht. Wenn das Kammergericht trotz der Exzep-
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tionen der Beklagten die Mandate nicht aufhob, sondern sogar deren Befolgung anmahnte, verwarf es damit zugleich ein ganzes Bündel von Argumenten, die zugunsten einer ausgedehnten ausschließlichen Zuständigkeit geistlicher Gerichte in derartigen Streitfällen sprechen sollten. Angesichts der riesigen Zahl einschlägiger Mandatsprozesse verwundert es, wenn die kirchengeschichtliche Literatur teilweise das genaue Gegenteil behauptet hat. Ob es sich um eine bewußte Geschichtsfälschung handelt, läßt sich kaum entscheiden. Vielleicht ist es vorsichtiger und weniger scharf, von einer Geschichtsumdeutung zu sprechen. Die Rechtsstandpunkte waren eben unvereinbar. Offenbar geht die kirchengeschichtliche Tradition auf Papst Pius VI. zurück. Nachdem die deutschen Erzbischöfe als Reaktion auf die Errichtung der Münchener Nuntiatur in ihrer Emser Punktation 1786 gefordert hatten, die Gerichtsbarkeit der Apostolischen Nuntien ganz zu beenden1047, ging der Papst seinerseits zum Gegenangriff über. Eine gedruckte „Responsio ad Metropolitanos“ legte 1790, zur Zeit der Französischen Revolution, die Ansichten des Heiligen Stuhls umfassend dar. Pius VI. (1775-1799)1048 behauptete in seiner Abhandlung, der Nuntius habe im Alten Reich, besonders in den Diözesen Köln, Lüttich und Münster, schon immer weltliche Gerichtsbarkeit ausgeübt: „Quamvis autem illarum jurisdictio verius fuisset pro causis ecclesiasticis data, in dioecesibus tamen Coloniensi, Leodiensi, Monasteriensi aliisque in locis erat antiqua consuetudine receptum, quam Imperatores quoque in comitiis generalibus probaverant, ut Laico possent, si vellent, causas profanas deferre ad officiales ecclesiasticos, et in gradu appellationis ad Nuntios, et etiam ad urbem“1049. Die weltliche Gerichtsgewalt des Nuntius sollte also auf alter Gewohnheit beruhen und sogar von den römisch-deutschen Kaisern bestätigt worden sein. Der Beleg konnte kaum dünner ausfallen. Der Papst stützte sich auf drei Werke. Zunächst zitierte er den Niederländer Jean de Chokier mit einem Traktat über kirchliche Freiheit. In diesem Buch von 1630 wollte Chokier die geistliche Gerichtsbarkeit gegen die weltliche verteidigen. In weltlichen Sachen, die vor geistlichen Gerichten zur Verhandlung kamen, war für ihn
Abgedruckt bei F e l d k a m p , Studien II/Dokumente, S. 433 Art. XXI (XXII) b): „die päpstliche(n) Nuntii dörfen sich in keiner Sache, weder in der ersten, noch in den folgenden Instantzen, wie oben schon erwä(h)nt worden ist, einmischen“; auch bei H ö h l e r , Tagbuch, S. 171-183; zur Sache F e i n e , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 570-571; L i n k , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 118; M a y , Instanzenzug, S. 128-130; zur Vorgeschichte u. a. J u s t , Die römische Kurie, S. 393-395. 1048 Zu ihm C e r c h i a r i , Capellani II, S. 263; A r e t i n , Das Alte Reich III, u. a. S. 484-486; O t t , Pope Pius VI., S. 131-132. 1049 P i u s V I . , Responsio, cap. VIII n. 172, S. 488-489. 1047
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die Appellation an das Reichskammergericht verboten1050. Der in Lüttich geborene und gestorbene Chokier war alles andere als ein unverdächtiger Schriftsteller. Auf einer Romreise wurde er von Papst Paul V. empfangen, später erhielt er die Priesterweihe. Als er seinen Traktat schrieb, war er Generalvikar der Diözese Lüttich1051. Die zweite Belegstelle des Papstes stammte von 1688, und zwar vom Kardinal Giuseppe Sacripanti1052. Er hatte in Rom eine kleine Schrift über die Freiheit der Appellation vom Lütticher Offizial an die obersten kirchlichen Gerichte auch in weltlichen Zivilsachen zwischen Laien vorgelegt1053. Derselbe Sacripanti war im übrigen Herausgeber der Entscheidungen der Rota Romana1054. Zuletzt schließlich berief sich Papst Pius VI. auf eine anonyme „Istoria Prammatica“1055. Das waren kaum die maßgeblichen Stimmen zur Gerichtsverfassung des Alten Reiches. Der Papst räumte das indirekt selbst ein. Später nämlich sei das Reichskammergericht gegen die richterliche Tätigkeit des Nuntius mit Kassationsmandaten vorgegangen, das gab er zu1056. Dafür hatten er oder seine Berater sogar Georg Melchior von Ludolff gelesen. Kaum verwunderlich, die Literaturhinweise waren ein deutliches Zeichen, ging es dem Papst vor allem um Lüttich. Seit den Vorgängen von 1784 um die Wahl Konstantins von Hoensbroechs zum Fürstbischof schwelten dort Unruhen, die 1789 offen ausbrachen1057. Schon 1786 hatte Pius VI. sich eingeschaltet und auf die Jurisdiktionsbefugnisse des Kölner Nuntius in C h o k i e r , Vindiciae, so bereits der Untertitel: „divisae in duas partes: In quarum primâ ostenditur Appellationes ab Ecclesiasticis Iudicibus in causis ciuilibus inter Laicos motis, in Imperiali Camera non esse interponendas, nec ab ea recipiendas“; zitiert u. a. von S t r y k , Usus modernus IV, lib. XLIX tit. III § 7, S. 910. 1051 J a u m a n n , Handbuch, S. 182; kurzer Hinweis auch bei D e m o u l i n / Ku p p e r , Histoire, S. 164. 1052 Zu Sacripanti (1642-1727) knapp Z e d l e r , Universal-Lexicon 33, Sp. 306-307. 1053 S a c r i p a n t i , Defensio iurisdictionis. Im Fürstbistum Münster wurde die Schrift durchaus beachtet: Besitzervermerk „Ferdinand Baron de Plettenberg, Nordkirchen“ im Exemplar MPI Belg. 33 g 1; Kritik an Sacripanti, der „frustra opponit“, bei L u d o l f f , De jurisdictione officialium, Aphorismus 10, Anm. cc, S. 29; zitiert auch von S t r y k , Usus modernus IV, lib. XLIX tit. III § 7, S. 910. 1054 P r i o l u s / S a c r i p a n t i , Decisiones, auf dem Titelblatt erscheint Sacripanti als Advokat an der Rota; das Buch ist auch nachgewiesen bei D o l e z al e k , Litigation, S. 370. 1055 P i u s V I . , Responsio, cap. VIII n. 172, S. 489 Anm. a). 1056 Pius VI., Responsio, cap. VIII n. 172, S. 490; schon 1585 hatte der päpstliche Gesandte Minutio Minucci eine Abhandlung über das Reichskammergericht verfaßt, die auch ins päpstliche Archiv gelangte: H a n s e n , Nuntiaturberichte I, S. 768. 1057 N è v e , Lütticher Revolution, S. 9-20; A r e t i n , Das Alte Reich III, S. 282-285, 354-360; schon in den 1730er und 1740er Jahren hatte es Auseinandersetzungen um die Gerichtsbarkeit des Lütticher Offizials gegeben: S e i b e r t , Strafgerichtsbarkeit, S. 383. 1050
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geistlichen Angelegenheiten gepocht1058. Es gab also handfeste kirchenpolitische Interessen, die den Papst 1790 zu seiner Darstellung des Nuntiaturgerichts bewogen haben dürften. Erstaunlicherweise traten Kirchenhistoriker auf, die sich der päpstlichen Einschätzung anschlossen. Leo Just sprach 1933 davon, das katholische Volk habe großes Vertrauen in die Gerechtigkeit der päpstlichen Gesandten gehabt. Deswegen habe es seine Zivilsachen direkt vor das Nuntiaturgericht gebracht1059. Die Allzuständigkeit des Nuntius in Zivilsachen hielt er für einen Ausfluß „des strengen Kurialismus“1060. Knut Walf spitzte das 1966 sogar noch zu und betonte, der Papst habe „zu Recht“ auf die zivilgerichtliche Zuständigkeit des Nuntius hingewiesen1061. Im Gegensatz zu offiziellen Erklärungen deutscher Fürsten und den polemischen Schriften der Widersacher unter den aufgeklärten Staatsrechtlern des Alten Reiches sei der Nuntius bei der Bevölkerung für seine Unbestechlichkeit und Gerechtigkeit beliebt gewesen. Aber, so liest man bei Walf wörtlich: „Verständlicherweise sind schriftliche Zeugnisse dafür heute kaum noch erhalten.“1062 Das ist nicht nur methodisch halbseiden, sondern durch Aberdutzende anderslautender Quellen klar widerlegt. Fast alle kammergerichtlichen Klagen gegen die Gerichtsbarkeit des Nuntius in Zivilsachen stammten von Katholiken, und kaiserliche Kumpanei mit dem Nuntius ist nirgends ersichtlich. Weshalb katholische Kirchenhistoriker die Quellen derart gegen den Strich gebürstet haben, ist unklar. Leo Just, der die moderne Verzerrung entscheidend verbreitete, hatte im beginnenden Nationalsozialismus starke Schwierigkeiten mit seinem entschiedenen Katholizismus. 1933/34 wollte er sich zu diesem Themenkreis habilitierten, doch gab es große Probleme mit der Venia legendi, weil er dem Nationalsozialismus zunächst fern stand1063. Andererseits stammen Justs vatikanische Studien aus der Zeit vor seiner Rückkehr nach Bonn. Eugen Ewig verweist darauf, in der Sache sei es Just darum gegangen, „das Staatskirchentum der spätmittelalterlichen Legisten“ als Voraussetzung für den Episkopalismus der Aufklärungszeit ins Bewußtsein zu rufen1064. In der Tat: Der Sache nach, wenn auch nicht ausdrücklich, stellten sich Papst Pius VI. und die spätere Kirchengeschichte in die TraditiAbdruck des Schreibens bei F e l d k am p , Studien II/Dokumente, Nr. 89 S. 436-443. J u s t , Erforschung, S. 256. 1060 J u s t , Erforschung, S. 256. 1061 W a l f , Entwicklung, S. 258. 1062 W a l f , Entwicklung, S. 259 Anm. 1053. 1063 F e l d k a m p , Reichskirchengeschichtsschreibung, dort S. 1025 zu Justs Problemen als „Kathole“. 1064 E w i g , Just, S. 395; dagegen ohne Bezug zum Mittelalter J u s t , Die römische Kurie, S. 395. 1058 1059
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on von Papst Innozenz III. Dieser mächtige Kirchenherrscher hatte mit seiner Dekretale per venerabilem 1202 den grundsätzlichen, nicht nur ausnahmsweisen, Anspruch des geistlichen Richters zur Entscheidung sämtlicher Zivilsachen formuliert1065. So spannt sich ein erstaunlicher Bogen vom Plan einer päpstlichen Weltherrschaft über den Nuntiaturstreit bis hin zur modernen katholischen Kirchengeschichte. Selbst ein aktuelles Findbuch vermag dem nicht völlig auszuweichen. Feldkamp weist in seinem 1995 erschienenen Inventar des Vatikanischen Archivs kaiserliche Privilegien für Lüttich nach, die angeblich die Appellation an das Reichskammergericht ausschlossen1066. Das Dokument stammt von 1624, bezieht sich aber auf Privilegien von 1501 und 1518. Tatsächlich hatte Lüttich damals lediglich ein summenmäßig beschränktes privilegium de non appellando erhalten1067. Die Appellation an das Reichskammergericht war also gerade nicht ausgeschlossen1068. Selbst das heutige Repertorium des Vatikanischen Archivs führt den Unkundigen allzu leicht in die Irre. Leo Just betonte vor vielen Jahrzehnten, mit dem Verzicht der Kurie auf jegliche Einmischung in die Zivilgerichtsbarkeit sei im 19. Jahrhundert eine ganz neue Periode der Kirchengeschichte angebrochen1069. Das stimmt und verdeutlicht, welche grundsätzliche Tragweite die Nuntiaturstreitigkeiten besaßen. Als Beispiel dafür mag ein Lehrbuch zum kanonischen Gerichtsverfahren von 1865 dienen. Der Verfasser Nicolaus München1070 war erzbischöflicher Offizial in Köln und schrieb: „Daher können denn kirchliche Geschäfte und Sachen, negotia, causae ecclesiasticae, nicht Gegenstand der weltlichen, und umgekehrt weltliche, causae, negotia saecularia, nicht Gegenstand der kirchlichen Jurisdiktion werden.“1071 Diese Klarheit gab es in der gesamten frühen Neuzeit nicht.
T i e r n e y , Tria quippe distinguit iudicia, S. 48-59; P e n n i n g t o n , Pope Innocent, S. 6, insgesamt aber etwas zurückhaltender; Kr ü g e r , Traktat, S. 108-118, dort im Anschluß zahlreiche spätere Dekretalen; W a l t h e r , Imperiales Königtum, S. 14-19; L e p s i u s , Auflösung, S. 88-89. 1066 F e l d k a m p , Studien III/Inventar, ANC 63 Nr. 23. 1067 Nachgewiesen bei E i s e n h a r d t , privilegia, Nr. 35 S. 98-100; Druck bei L u d o l f f , Privilegia, S. 103-147, dort S. 103 der Hinweis auf die Wertgrenze von 300 bzw. 600 Gulden. 1068 Ebenso G a i l / G y m n i c h , Observationen, Bd II, Appendix I nach „De arrestis imperii“, nach S. 272. 1069 J u s t , Erforschung, S. 256. 1070 1794-1881, zu ihm H ü f f e r , München, S. 726-727. 1071 Hier zitiert nach der 2. Aufl. 1874: M ü n c h e n , Das kanonische Gerichtsverfahren I, S. 10-11. 1065
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4. Ergebnis Das Fürstbistum Münster steht am Anfang der Quellenauswertung. Zwei wesentliche Streitigkeiten haben sich im Laufe der Untersuchung deutlich herausgeschält. Zum einen ging es um das Verhältnis des Münsteraner Offizialats zum Kölner Offizialat in zivilrechtlichen Streitigkeiten und damit letztlich um die Eigenständigkeit Münsters als Territorium des Alten Reiches. Zum anderen enthielt die Appellation oder der Rekurs an den Apostolischen Nuntius in Zivilsachen weiteren Zündstoff, der in den Quellen gut überliefert ist. Gerade der zuerst angesprochene Streit um die weltliche Gerichtsverfassung im Verhältnis von Münster zu Kurköln rechtfertigt die hier gewählte territoriale Gliederung. Das Abgrenzungsproblem zwischen weltlicher und geistlicher Justiz stellte sich nämlich in jedem Territorium in unterschiedlichen Spielarten. Wegen der engen Anbindung der Gerichtsbarkeit an die Herrschaftsausübung änderte sich mit jeder anderen Form der Landesherrschaft zugleich die Gerichtsverfassung. Gerichtsbarkeit und Herrschaft waren untrennbar zusammengeklettet. Die vorliegende Untersuchung kann das für die Reichweite der landesherrlichen weltlichen Justiz klar bestätigen. Bis in die Jahreszahlen der Gesetzgebung läßt sich die Verknüpfung von Gerichtsherrschaft und Landeshoheit nachzeichnen. Die beiden münsterischen Revisionsordnungen von 1651 und 1688 ergingen nicht zufällig unmittelbar, nachdem die Personalunion mit Kurköln beendet war, ja einmal sogar nur zwei Wochen nach der Wahl eines nicht köln-bayerischen Bischofs. Ob die Appellation von Münster aus an das Kölner Offizialat oder das Reichskammergericht gehen sollte, blieb lange Zeit unentschieden. In einem Senatsbeschluß von 1603 erklärte das Reichskammergericht kurzhand beides für erlaubt. Im Herzogtum Westfalen war es ähnlich, aber selbst in einem geistlichen Fürstbistum wie Paderborn, ebenfalls lange Zeit in Personalunion mit Kurköln verbunden, sah die Situation schon deutlich anders aus als in Münster1072. Erst im 18. Jahrhundert gab es eine ständige reichsgerichtliche Rechtsprechung, die alle Münsteraner Appellationen an das Kölner Offizialat in weltlichen Sachen untersagte1073. Territoriale Vielfalt bestimmt also die Überlieferung, doch ist die zeitliche Verlagerung von geistlichen zu weltlichen Obergerichten deutlich zu erkennen. Die zweitinstanzlichen Offizialate sahen sich immer stärker in die Rolle rein geistlicher GeZu Westfalen T i l l e , Instanzenzug, S. 222-232; zu Paderborn im 18. Jahrhundert: L u d o l f f , Observationen I, obs. V S. 31-33. 1073 M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 257-258. 1072
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richte gedrängt1074. Es dauerte lange, bis diese Verschiebung abgeschlossen war, aber nach 1700 ist sie in den Quellen klar und sicher greifbar. Neben territorialen Besonderheiten enthalten die hier ausgewerteten Quellen zugleich ein ganzes Arsenal überregional verwendbarer Argumente. Sie stammten zum Teil aus dem gelehrten Recht wie das streitige privilegium fori der Geistlichkeit, zum Teil aus dem Reichsrecht wie die Reichsabschiede, Reichskammergerichtsordnung und Wahlkapitulationen, zum Teil wohl auch aus einer in der frühen Neuzeit entstehenden Ausländerfeindlichkeit. Überraschenderweise sucht man religiöse oder konfessionelle Gesichtspunkte in den Münsteraner Akten vergebens, selbst dort, wo möglicherweise evangelische Parteien in Offizialatsprozesse eingebunden waren. Der Vergleich mit anderen Territorien bestätigt den Befund. Die konfessionelle Aufheizung solcher Streitigkeiten um die Gerichtsverfassung kam zwar vor, blieb aber eher selten1075. Bemerkenswert ist das vor allem deshalb, weil die Parteien und ihre Anwälte in den zeitgleichen sog. Religionsprozessen auch vor den höchsten Gerichten des Reiches durchaus mit dem konfessionellen Gegensatz zwischen Altgläubigen und Protestanten argumentierten1076. Die in der Einleitung angeführte Vermutung bestätigt sich damit. Tatsächlich war die Frage nach der Gerichtszuständigkeit gänzlich anders beschaffen als diejenige nach Eingriffen in die jeweiligen Rechte der konfessionellen Gruppen. Der Streit um die iurisdictio war zwar von enormer politischer Bedeutung, aber kaum religiös aufgeladen, und zwar selbst dann nicht, wenn es um geistliche Gerichtsgewalt ging. Schlagender Beleg für dieses Ergebnis sind Geistliche aus Münster, die sich am Reichskammergericht gegen die rechtswidrige Appellation an den Apostolischen Nuntius beschwerten und nicht etwa als Kleriker genau dort ihr Heil suchten. Sie machten keinerlei Anstalten, sich der Reichsgewalt zu entziehen, und ihr religiöses Bekenntnis spielte vor Gericht keinerlei Rolle. Andere konfessionelle Besonderheiten waren den zeitgenössischen Beteiligten vielleicht so selbstverständlich, daß sie kein Wort darüber verloren. Erst im Vergleich mit protestantischen Territorien sind in der Rückschau typische konfessionelle Unterschiede zu erkennen, die in den Quellen nie zur Sprache kommen. Das betrifft vor allem den engen Zusammenhang zwischen Gerichtsgewalt, Reichsstandschaft und Belehnung. In Münster bot In der Tendenz für Kurmainz ähnlich, wenn auch auf Fragen der Strafjustiz bezogen, H ä r t e r , Policey und Strafjustiz, S. 64. 1075 Dazu der Konflikt aus dem Fürstbistum Osnabrück um das Wiedenbrücker Stift, unten bei Anm. 1141-1154, 1205-1209. 1076 R u t h m a n n , Religionsprozesse, z. B. S. 206-207; K r at s c h , Justiz – Religion – Politik, S. 136-138; V a j e n , Die rechtliche Anerkennung, S. 180-187; S c h n e i d e r , Ius Reformandi, S. 214-216. 1074
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diese Verknüpfung einen entscheidenden Gedankengang bei der Verteidigung der territorialen Eigenständigkeit. Sachdienlich war das Argument aber nur, wenn einem Landesherrn von seiten eines anderen, möglicherweise übergeordneten Landesherrn Gefahr für seine iurisdictio drohte. Auf der Grenze zwischen weltlicher und geistlicher Justiz konnte es dieses Argument ausschließlich in katholischen Territorien geben. Jedenfalls in den hier untersuchten protestantischen Gebieten tauchte das Lehensrecht als Stütze der landesherrlichen Gerichtsgewalt niemals auf, weil die landesherrliche Gewalt als solche in keinem Fall von kirchlichen Ansprüchen beeinträchtigt war. Vielmehr stand der Landesherr ja selbst an der Spitze seiner Landeskirche. Für den evangelischen Fürsten war die Lehensbindung zum Kaiser damit vielleicht nur ein lästiger Zopf, für den katholischen war sie unverzichtbar, um seine weltliche von der kirchlichen Herrschaftssphäre abzugrenzen. Bei der zeitlichen Verteilung der Münsteraner Streitigkeiten fällt ein deutlicher Schwerpunkt im frühen 17. Jahrhundert ins Auge. Die dabei entstandenen Akten sind zwar oftmals dünn, weil es sich um Mandatsprozesse handelte und die Gegenpartei vielfach untätig blieb. Dennoch sind die Fallzahlen vergleichsweise hoch. Aus keinem anderen näher untersuchten deutschen Territorium stammen so viele Reichskammergerichtsprozesse um Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen geistlichen und weltlichen Gerichten. Vergleichbar große Prozeßmengen bietet nur noch das Herzogtum JülichBerg, das die Untersuchung abschließt. Die räumliche Nähe zum Nuntius und die Nachbarschaft zu Kurköln verbinden Jülich-Berg und Münster miteinander, doch die Landesherrschaft war grundverschieden. In Münster war die Tätigkeit geistlicher Gerichte in weltlichen Angelegenheiten weitgehend anerkannt. In Jülich-Berg gab es dagegen auch auf Seiten der Landesherren peinlichste Behutsamkeit, keinerlei Herrschaftsrechte an die mit Kurköln verbundenen Offizialate abzutreten. Wenn Münster und Jülich-Berg mit ihren zahlreichen Jurisdiktionskonflikten die Betrachtung einrahmen, sind die mittleren Kapitel des Buches mit mehreren anderen Territorien sattsam gefüllt. Freilich hätte der Innenteil ebenso gut dem Kurfürstentum Köln gebühren können. Jedenfalls für Konflikte mit dem Apostolischen Nuntius scheint die Einschätzung der normativen Quellen zuzutreffen1077 und Köln wirklich Ausgangspunkt der meisten Querelen gewesen zu sein. Zugleich belegen die vielfachen Berührungen der Münsteraner sowie Jülicher Prozesse mit der Gerichtsverfassung von Kurköln die Verzichtbarkeit gerade dieses Territoriums. Kurköln 1077
JRA 1654 § 164, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 250: Köln an erster Stelle genannt.
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braucht man nicht eigens zu behandeln, so zahlreich sind die wesentlichen Konflikte, die sich schon von den Nachbarterritorien aus erschließen. Die Überlieferung zur Nuntiaturgerichtsbarkeit jedenfalls ist äußerst feinmaschig und reichhaltig. Bei aller gebotenen Vorsicht zeigen die zahlreichen Kassationsmandate gegen Zivilprozesse vor dem Apostolischen Nuntius durchaus zeitliche Veränderungen. Besonders schroff prallten die Jurisdiktion des päpstlichen Legaten und die Reichskammergerichtstätigkeit in den Jahren um 1609/11 aufeinander. Der Nuntius verweigerte die Zustellung der Mandate aus Speyer, seine Diener verspotteten die anreisenden Kammerboten. Danach heiterte sich der Ton ein wenig auf, wenn auch nur minimal. Teilweise nahm der Nuntius kammergerichtliche Mandate nun an, teilweise verklagten die Supplikanten eher ihren untergerichtlichen Gegner als den Nuntius selbst. Nach 1638 scheint der Nuntius in Person von Münster aus nicht mehr beklagt worden zu sein. Auch die Fallzahlen gingen nach 1630 zurück. Andererseits bemühten sich die Beklagten, die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte nicht mit ihrer allgemeinen zivilrechtlichen Kompetenz zu rechtfertigen, sondern wiesen verstärkt auf den geistlichen Charakter konkreter Einzelfälle hin. Das alles sind nur Momentaufnahmen, wenn auch in beträchtlicher Zahl. Jedenfalls hatte sich die Lage im Fürstbistum Münster schon weitgehend wieder entspannt, als der Jüngste Reichsabschied die Appellation an den Apostolischen Nuntius 1654 als Mißbrauch deutlich brandmarkte. Die Prozeßpraxis ging der Gesetzgebung also voraus. In anderen Territorien wie etwa Osnabrück, Hildesheim und Lippe gab es im 18. Jahrhundert tiefdringende Grundsatzdiskussionen um die Abgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichtsgewalt. Sie entzündeten sich an Einzelfällen und nahmen immer prinzipiellere Bedeutung an. In Münster ging es bei der angeblichen Unterordnung unter den Kölner Offizial ebenfalls um einen grundsätzlichen Konflikt, doch loderte er in einer ganzen Prozeßlawine. Die einzelnen Akten jedenfalls waren bedeutend dünner als in anderen Territorien. Warum es in der späteren Zeit nicht mehr so viele Streitfälle gab, ist unklar. Falls das Münsteraner Offizialat nach 1651 seine Bedeutung „fast vollständig“ verlor, wie Heinrich Mussinghoff vermutet1078, könnte hierin ein Grund liegen. Das würde zugleich auf einen allgemeinen Ansehensgewinn des weltlichen Hofgerichts im katholischen Fürstbistum Münster hinweisen. Außerdem waren gerade in Osnabrück, Hildesheim, Lippe, aber auch in Jülich-Berg die Landesregierungen mehrfach an den Rechtsstreitigkeiten beteiligt und verliehen den Prozessen damit ausdrücklich politische Bedeutung. Da dies in Münster niemals der Fall war, fehlen ver1078
So M u s s i n g h o f f , Offizialat Münster, S. 157.
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gleichbar wortgewaltige Verteidigungen der eigenen gerichtlichen Selbständigkeit. Im Vergleich zu den aus anderen Territorien überlieferten späteren Zuständigkeitsstreitigkeiten fällt bei den Münsteraner Fällen die nüchterne Gegenwartsorientierung auf. Gerade im Konflikt mit den zivilgerichtlichen Ansprüchen des Apostolischen Nuntius tauchten in den Schriftsätzen keine historischen Argumente auf. Im 18. Jahrhundert war die historische Begründung juristischer Positionen allgegenwärtig1079. Präzise Hinweise auf die Entstehung der Gerichtsverfassung und mittelalterliche Rechtsquellen zeigen mehrere im folgenden betrachtete Prozesse, ganz prominent etwa ein Streit aus dem Fürstbistum Osnabrück aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts1080. Solche Tiefbohrungen der Schriftsatzverfasser sucht man in Münster vergeblich. Dennoch gab es auch in den Münsteraner Prozessen vielfältige allgemeine Hinweise auf Herkommen und Gewohnheit. Diese Verweise betrafen aber oft den Instanzenzug an das Kölner Offizialat in Zivilsachen. Die Kölner Nuntiatur, die zum Zeitpunkt der hier ausgewerteten Gerichtsverfahren erst wenige Jahre alt war, stand dagegen als solche niemals in Frage, weder in ihrem Bestand noch in ihrer Tätigkeit als geistliches Gericht. Wenn derartige Angriffe aussichtsreich gewesen wären, dürften es einzelne Parteien und ihre Anwälte sicherlich versucht haben. Das aber geschah nicht. Die kammergerichtlichen Kläger hätten sich gegen die Übergriffe des Nuntius auf die Zivilgerichtsbarkeit kinderleicht darauf berufen können, dies sei eine rechtswidrige Neuerung, so etwas habe es noch nie gegeben oder ähnliches. Genau das taten sie aber nicht. In einer Frage, in der eine historische Argumentation besonders nahegelegen hätte, war dies für die Beteiligten offenbar kein erheblicher Gesichtspunkt. Der Kurfürst von Köln war dagegen nicht so zimperlich und klagte genau mit einem historischen Argument vor dem Reichshofrat gegen die Errichtung eines weltlichen Hofgerichts in Münster durch Fürstbischof Johann von Hoya. Hierüber fiel zwar keine Entscheidung, aber das war genau das Ergebnis, das der Kurfürst offenbar angestrebt hatte. Er benutzte jedenfalls noch Jahrzehnte später mehrfach das Argument, die Rechtmäßigkeit der münsterischen Gerichtsverfassung sei reichsgerichtlich noch gar nicht anerkannt. Zwei gegenläufige Tendenzen der Münsteraner Prozesse gilt es zudem festzuhalten, weil sich von hier aus spätere Vergleiche mit anderen Territorien anbieten. Es betrifft dies die sachliche Reichweite der geistlichen GeH a m m e r s t e i n , Jus und Historie, passim und S. 376-379; S c h ä f e r , Germanistik, 107115. 1080 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723; dazu unten bei Anm. 1179-1189, 1223-1230. 1079
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richtsbarkeit im Vergleich zu festen Gerichtsstandsprivilegien. Das Münsteraner Beispiel zeigt, wie allen Gerichtsordnungen und Anstrengungen der älteren und neueren Literatur zum Trotz1081 die Zeitgenossen von einer allumfassenden Zuständigkeit des Offizialatsgerichts ausgingen. Wie selbstverständlich sahen sie die Offizialate im Bistum Münster für sämtliche weltlichen Streitigkeiten genauso als zuständig an wie die weltlichen Gerichte auch. Feste Abgrenzungsmaßstäbe gab es nicht, oder sie waren zumindest in der Praxis unwichtig. Zu fragen ist freilich, inwieweit kirchliche Gerichte, die sich für alles zuständig fühlten, dann gleichzeitig noch ausschließliche personelle Zuständigkeiten beanspruchen konnten. Hier jedenfalls konnte sich die faktische Gleichrangigkeit weltlicher und geistlicher Gerichte auch zu Lasten der Kirche auswirken. Vielfache Beschwerden über die Verletzung des angeblich einschlägigen privilegium fori im Rahmen der ausgewerteten Akten lassen daran kaum einen Zweifel. Das Klerikerprivileg war ein schlüpfriges Verteidigungsmittel, vielfach erfolglos und konnte die Einbindung Geistlicher in die weltliche Justiz nicht verhindern. Die Betrachtung anderer norddeutscher Territorien wird neben weiteren landesspezifischen Besonderheiten einige allgemeine Diskussionspunkte immer wiederholen. An diesen Stellen sind später gekürzte Darstellungen möglich. Die Kopflastigkeit des Münster-Kapitels entschlackt somit zugleich den Rest. Andererseits treten durch die umfassenderen anwaltlichen Schriftsätze in den späteren Prozessen die zeitgenössische Literatur sowie vor allem das gelehrte Recht in einem ganz anderen Ausmaß ins Gesichtsfeld, als dies in den Münsteraner Verfahren der Fall war. Das war bereits beim nördlichen Nachbarn so. Damit fällt der Blick auf das Fürstbistum Osnabrück.
1081
S c h m o e c k e l , Auf der Suche, S. 185-186: Sechs Kriterien für Zuständigkeit geistlicher Gerichte; sehr weit bereits P a ar h am m e r , Rechtsprechung, S. 70.
III. Streitigkeiten um den Instanzenzug im Fürstbistum Osnabrück
Das Fürstbistum Osnabrück drängt sich als Untersuchungsraum für die Frage nach Abgrenzungsproblemen zwischen geistlicher und weltlicher Gerichtsgewalt geradezu auf. Es handelt sich nicht nur wie Hildesheim, Jülich-Berg und bis ins frühe 16. Jahrhundert Münster um ein Territorium mit unklarer oder gemischter Konfessionalität. Viel weitergehend war hier die Gleichrangigkeit der Bekenntnisse seit dem Westfälischen Frieden förmlich anerkannt und durch abwechselnd evangelische und katholische Landesherren auch äußerlich klargestellt. Unter Fürstbischof Franz von Waldeck (1532-1553)1082, zugleich Bischof von Münster und Administrator des Stifts Minden, erfolgte der weitgehende Übergang zum Protestantismus. Hermann Bonnus, Superintendent aus Lübeck1083, erarbeitete 1543 eine lutherische Kirchenordnung1084. Im Zuge des sog. Augsburger Interims widerrief der Bischof allerdings 1548 die Ordnung1085. Der Protestantismus breitete sich nach 1574 freilich erneut aus. In der Regierungszeit des Fürstbischofs Franz von Wartenberg (1625-1661)1086 erfolgten mit dem Westfälischen Frieden von 1648 und der Osnabrücker Capitulatio perpetua von 1650 dann die entscheidenden verfassungsrechtlichen Weichenstellungen bis zur Säkularisierung 1802. Auf einen katholischen Bischof sollte immer ein evangelischer folgen und umgekehrt. Für Zeiten evangelischer Landesherrschaft war zugleich das Aufsichtsrecht des Kölner Erzbischofs als Metropolit über das katholische Kirchenwesen in Osnabrück festgeschrieben1087. Der römischen Kurie lag dieses Nebeneinander schwer im Magen. Deswegen Zu ihm B e h r , Franz von Waldeck, passim; K o h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 552573. 1083 1504-1548, zu ihm S a v v i d i s , Hermann Bonnus, speziell zu Osnabrück S. 130-163; H a u s c h i l d , Suchet der Stadt Bestes, S. 129-148. 1084 S t r a t e n w e r t h , Reformation, S. 109-126. 1085 S t r a t e n w e r t h , Reformation, S. 157-165; K o h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 571572; knapp auch W r i e d t , Osnabrück, Sp 1326. 1086 Zu ihm H a u s b e r g e r , Wartenberg, S. 558-561; P h i l i p p i , Wartenberg, S. 185-192; S c h w a i g e r , Franz Wilhelm, S. 365. 1087 IPO 1646 Art. XIII § 8 Sexto, bei Z e u m e r , Quellensammlung, Nr. 197 S. 425; unklare Paragraphenangaben bei W r i e d t , Osnabrück, Sp. 1327; zur Sache F e l d k am p , Bedeutung, S. 84-85; R e n g e r , Landesherr, S. 29-30. 1082
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verhängte der Papst angeblich nach jeder Wahl eines evangelischen Fürstbischofs die Exkommunikation über die katholischen Domkapitularen, ebenso wie auch in den gemischtkonfessionellen Domkapiteln von Lübeck und Minden1088. Ganz so scharf, wie Karl Otmar von Aretins Zuspitzung vorgibt, ging die römische Kirche zwar nicht vor, doch gab es in der Tat ständig Proteste gegen die Wahl evangelischer Bischöfe1089. Neben dem Osnabrücker Offizialat als überkommenem geistlichbischöflichem Gericht nahm ab 1651 ein evangelisches Konsistorium als zweites geistliches Landesgericht die Arbeit auf1090. Wie bereits oben erwähnt, trat Osnabrück unter Regentschaft des evangelischen Fürstbischofs Ernst August I. (1661-1698), dem späteren Kurfürsten von Hannover1091, 1667/68 die geistliche Herrschaft im Niederstift Münster an den Münsteraner Bischof Christoph Bernhard von Galen ab1092. 10.000 Reichstaler im Staatssäckel waren Ernst August wohl wichtiger als die geistliche Jurisdiktion über das Niederstift1093. Damit deckten sich sowohl in Münster als auch in Osnabrück weitgehend die Landesgrenzen mit den Bistumsgrenzen und zugleich die Gerichtssprengel von geistlicher und weltlicher Jurisdiktion. Die wechselnde Landesherrschaft im Spannungsfeld des Hauses Braunschweig-Lüneburg und des Kölner Erzbischofs erschwert eindeutige Aussagen zur territorialen Gerichtsverfassung. Harriet Rudolph und Christine Schmidt haben versucht, das frühneuzeitliche Osnabrücker Gerichtswesen graphisch klarzustellen. Doch das ist problematisch. Bei Rudolph erscheinen die Landes- und Justizkanzlei sowie übergeordnet der Geheime Rat als weltliche Gerichte des Territorialstaats. Das Offizialat sieht sie dagegen wegen der Anbindung an das Domkapitel als ständisches Gericht an1094. Die Verknüpfung der Justiz in der Person des Herrschers ist nicht sichtbar, übergeordnete Instanzen sucht man vergebens1095. Das Konsistorium fehlt, was freilich wegen der Beschränkung von Rudolphs Studie auf Strafsachen sach-
Sehr spitz A r e t i n , Das Alte Reich III, S. 245. F e l d k a m p , Bedeutung, S. 86, 89; H o b e r g , Der Hl. Stuhl, 324-326, 332. 1090 F r e c k m a n n , Capitulatio perpetua, S. 58-62; B är , Abriß, S. 28-29, 42; H u g o , Uebersicht, S. 26-27; L o d t m a n n , Geschichte des Protestantismus, S. 48. 1091 Zu ihm S c h n a t h , Ernst August, S. 608-609. 1092 W r i e d t , Osnabrück, Sp. 1327; K o h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 633. 1093 Kaufpreis bei T ü c k i n g , Geschichte, S. 153-154; R o h m , Osnabrück, S. 145. 1094 R u d o l p h , Eine gelinde Regierungsart, S. 57. 1095 Landesherr, Kölner Hofrat und deutsche Kanzlei in London tauchen aber als supraterritoriale Ebene in enem anderen Schaubild auf: R u d o l p h , Eine gelinde Regierungsart, S. 107. 1088 1089
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lich zu rechtfertigen ist1096. Für das Kriminalverfahren soll „ein geordneter Instanzenzug mit klaren Kompetenzabgrenzungen zwischen den einzelnen Behörden“ bestanden haben1097. Christine Schmidt stellt in einem Schaubild weltliche und geistliche Gerichte des Fürstbistums nebeneinander. Sie gibt den Instanzenzug vom Offizialat zum Erzbischof von Köln an, ebenso in weltlichen Sachen von der Land- und Justizkanzlei an den Reichshofrat1098. Erstaunlicherweise fehlt das Reichskammergericht. Das protestantische Konsistorium taucht auf, allerdings als Gericht der unteren Instanz in Konkurrenz zum katholischen Sendgericht. Was sich wohl nicht abbilden läßt, sind die vom Konsistorium ausgehenden Instanzenzüge, wie sie sich nach den normativen Quellen darstellen. In Zivilsachen, die das Konsistorium ebenfalls behandeln durfte, war die Appellation an den Landesherrn vorgesehen, ebenso in Verfahren aus der Stadt Osnabrück, die ein eigenes Konsistorium besaß1099. Viele dieser Punkte kommen in den hier ausgewerteten Quellen nicht zur Sprache und bedürfen damit keiner Vertiefung. Allerdings war in immerhin 74 Osnabrücker Reichskammergerichtsprozessen das Offizialatsgericht Ausgangspunkt einer kammergerichtlichen Appellation1100. Zwei Appellationen nach Wetzlar erfolgten gegen Urteile des evangelischen Konsistoriums1101. Von klar abgegrenzten Zuständigkeiten der Osnabrücker Gerichte kann im Grenzbereich zivilrechtlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit wohl nur eingeschränkt die Rede sein. Aus dem Fürstbistum Osnabrück sind vier Reichskammergerichtsprozesse überliefert, in denen die Parteien um die Appellation an den Apostolischen Nuntius stritten. Von dort aus entspannen sich Fragen nach der Gerichtsverfassung im allgemeinen. Bereits die im Vergleich zu Münster erheblich geringere Zahl bestätigt den Befund zeitgenössischer normativer Quellen. Wenn der Jüngste Reichsabschied 1654 die mißbräuchlichen Appellationen und Rekurse an den Nuntius vor allem mit den Hochstiften Köln, Lüttich und Münster verknüpfte1102, war das durch die erheblich größeren Fallzahlen aus diesen Territorien gerechtfertigt. Zur Abrundung sind zwei weitere Hinweise hilfreich. Streit um die Grenzziehung zwischen weltlicher Zur Strafgewalt der katholisch-geistlichen Gerichte R u d o l p h , Eine gelinde Regierungsart, S. 59-61; fehlende Strafgewalt des Konsistoriums bei F r e c k m a n n , Capitulatio perpetua, S. 61. 1097 R u d o l p h , Eine gelinde Regierungsart, S. 344. 1098 S c h m i d t , Sühne oder Sanktion, S. 141. 1099 F r e c k m a n n , Capitulatio perpetua, S. 61; B är , Abriß, S. 42; Hinweis auf das städtische Konsistorium auch bei B a d e r / D i l c h e r , Deutsche Rechtsgeschichte, S. 756. 1100 Überblick bei E b e l i n g , Findbuch Osnabrück, S. 1003-1004. 1101 Bei E b e l i n g , Findbuch, S. 601-603, 754-755. 1102 § 164 JRA 1654, bei B u s c h m an n , Kaiser und Reich II, S. 250. 1096
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und geistlicher Gerichtsbarkeit gab es in Osnabrück auch außerhalb des Rekurse an den Nuntius. Es sind aber nur drei Fälle überliefert, also erheblich weniger als in anderen Territorien1103. Deswegen ist es zweckmäßig, die Untersuchung auch in Osnabrück auf die Appellation an den Nuntius zuzuspitzen. Hier lag der meiste Sprengstoff verborgen. Der Blick auf die jeweiligen Vorinstanzen zeigt wie gesagt in 74 Fällen das Osnabrücker Offizialat, dagegen nur zweimal als evangelische Konsistorium als Ausgangspunkt1104. Rechtsunsicherheiten gab es augenscheinlich vor allem im Bereich der katholisch-geistlichen Gerichtsbarkeit. Die evangelischen Kirchensachen konnte der Landesherr dagegen erfolgreich von der Reichsgerichtsbarkeit fernhalten. Der Blick auf klar protestantische Territorien wie Lübeck, Sachsen-Lauenburg oder Lippe wird diesen ersten Eindruck bestätigen. Die vier Osnabrücker Beschwerden über den Apostolischen Nuntius schrumpfen nahezu auf zwei zusammen, wenn man die Überlieferung genauer betrachtet. Der dritte Prozeß ist lediglich durch einen winzigen Papierzettel nachweisbar, auf dem der Reichskammergerichtsprokurator Dr. Gerhard Ebersheim folgenden Antrag an die Kammergerichtskanzlei richtete: „In Causa Ghysen co[ntra] N[uncium] Ap[osto]licum M[an]d[a]ti cassat[orii] et Inhib[itorii] in spe[cie] Henricum Gilis concernente, peto mihi honeste die [?] decretum Judicialiter arctius M[an]d[a]tum pro parte & fisco mature expediri. Signat[um] Spirae 14t April[is] 1627, Expedit[um] 7t Maij, JKrapff D[octor], Gerh. Ebersheim Dr.“1105 Am 14. April 1627 beantragte also der Prokurator Ebersheim, ihm eine Ausfertigung eines verschärften Mandats1106 zu erteilen. Vermutlich hatte ein Heinrich Gilles den Apostolischen Nuntius angerufen, und hiergegen hatte der Kläger Ghyse ein Kassations- und Inhibitionsmandat des Reichskammergerichts erwirkt. Das verschärfte Mandat deutet auf längere Verwicklungen hin. Der Nuntiaturprozeß ging offenbar trotz des ersten Mandats weiter, und der Kläger setzte genau deswegen nach. So ist auch der Hinweis auf den Fiskal zu verstehen. Der Fiskal beantragte mehrfach Geldstrafen wegen der verbotenen Anrufung des Nuntius1107, und genau dies scheint hier geschehen zu sein. Weitere Einzelheiten sind nicht bekannt. Bemerkenswert ist freilich der Zeitpunkt des Rechtsstreits. Offenbar handelt es sich um das einzige der vier Mandatsverfahren, das in einer Phase stattNachweise bei E b e l i n g , Findbuch Osnabrück I, lfd. Nr. 132 (S. 100-101), 143 (S. 109), 335 (S. 247). 1104 E b e l i n g , Findbuch Osnabrück II, S. 1003-1004. 1105 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 332, erwähnt bei E b e l i n g , Findbuch Osnabrück I, S. 245. 1106 Zu den Arctiores am Reichshofrat U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 113. 1107 Geldstrafe in einem Münsteraner Prozeß: LA Münster RKG S 420, Protokollbuch, Expeditum vom 10. Dezember 1624, fol. 02v; Beispiele auch bei R au t e n b e r g , Fiskal, 134-139. 1103
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fand, in der formal ein katholischer Herrscher den Osnabrücker Bischofshut trug1108, nämlich Fürstbischof Franz Wilhelm von Wartenberg. Freilich fiel der Streit genau in ein Machtvakuum, als das Hochstift Osnabrück im Dreißigjährigen Krieg von dänischen Truppen besetzt war und der Bischof noch außer Landes weilte. Weder die päpstliche Bestätigung noch die kaiserlichen Regalien hatte er bis dahin erhalten. Erst 1628 betrat er den Boden seines Bistums1109. Stabile Strukturen der Gerichtsverfassung wird man für das Jahr 1627 deswegen von vornherein nicht unterstellen können. Nur zur Vervollständigung dient ein Hinweis auf den vierten Fall, auf ein im Düsseldorfer Archiv lagerndes späteres Mandatsverfahren aus den Jahren 1672 bis 1675. Einige Mitglieder der Grafenfamilie von Winkelhausen stritten vor dem Osnabrücker Domkapitel um eine Erbschaft1110. Die Appellation ging an das Kölner Offizialat und von dort weiter an den Nuntius. Dagegen richtete sich wie so oft die kammergerichtliche Supplikation1111. Die Kläger verwiesen auf die Zuständigkeit des Kölner Offizials in weltlichen Sachen aus Osnabrück, lehnten die Einmischung des Nuntius allerdings ab. Die Beklagten gingen dagegen von einer geistlichen Streitigkeit aus und sahen den Osnabrücker Bischof als Appellationsinstanz. Das Reichskammergericht befahl 1675, das Mandat zu beachten1112. Im Ergebnis war die Appellation nach Köln in weltlichen Osnabrücker Sachen damit erlaubt, der Rekurs an den Nuntius aber verboten. Das entspricht genau den Gepflogenheiten aus dem Fürstbistum Münster.
1. Ein Mandatsprozeß von 1615 Ein klareres Bild vermittelt ein kammergerichtlicher Mandatsprozeß aus den Jahren ab 16151113. Zu dieser Zeit herrschte Philipp Sigismund von BraunZur Konfession des Osnabrücker Landes u. a. Kr u m w i e d e , Kirchengeschichte I, S. 153-154, 173; W r i e d t , Osnabrück, Sp. 1326-1327. 1109 H a u s b e r g e r , Wartenberg, S. 559; P h i l i p p i , Wartenberg, S. 188. 1110 LA Düsseldorf RKG W 1408/3887; nachgewiesen bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht IX, lfd. Nr. 6207 S. 585586. 1111 Beteiligt am Prozeß war wie in dieser Zeit üblich nicht der Nuntius selbst, wohl aber der eingesetzte Kommissar: LA Düsseldorf RKG W 1408/3887, Aktenstück Q 2, fol. 6r (Inscriptio), 6v (Verkündungsvermekr des Kammerboten). 1112 LA Düsseldorf RKG W 1408/3887, Protokollbuch, Expeditum vom 4. Juli 1674, fo. 3v4r (Paritionsurteil). 1113 Repertoriumsmitteilung bei E b e l i n g , Findbuch Osnabrück II, S. 658. 1108
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schweig-Wolfenbüttel als postulierter Bischof über Osnabrück1114. Er förderte zwar den Protestantismus, doch genau im hier interessierenden Jahr 1615 bekannte sich das Osnabrücker Domkapitel fest zum Katholizismus und zum Tridentiner Konzil1115. In dieser Zeit entspann sich der folgende Reichskammergerichtsprozeß. Die Erben eines Nicolaus von Schaten, darunter ein Osnabrücker Sekretär und ein Richter aus Damme, verklagten den päpstlichen Nuntius Antonio Albergati1116, außerdem Johann von Schorlemmer, Kanoniker und Dompropst in Osnabrück und Minden, sowie den Osnabrücker Offizial in Speyer. Als Streitgenossen richtete sich der Mandatsprozeß auch gegen die untergerichtlich beklagten Rudolf und Georg von Schnetlage aus Wulften, einem Schloß in der Nähe des Osnabrücker Vorortes Sutthausen1117. Ein erstinstanzlicher Streit zwischen Schaten und Schnetlage hatte 1600 „an Fürstlichem Oßnabrüggischem Officialat gericht“ stattgefunden1118. Es ging um eine Geldforderung nebst Verzugszinsen. Bereits sprachlich entspricht die Benennung des erstinstanzlichen Gerichts dem Befund aus dem Hochstift Münster. Die kammergerichtlichen Kläger versuchten, das Offizialat als landesherrliches Zivilgericht darzustellen. In der Tat hatte der evangelische Fürstbischof Philipp Sigismund von Braunschweig-Wolfenbüttel in seiner Wahlkapitulation dem Domkapitel zugesichert, den Bestand der katholischen Institutionen und des katholischen Ritus zu respektieren1119. So war der evangelische Bischof zugleich Gerichtsherr des katholischen fürstlichen Offizialats, und gegen die Entscheidung des Offizials appellierte der unterlegene Schnetlage an das Kölner Offizialat, wie er selbst meinte, „ad Metropolitanum Dominum Officialem“1120. Dort wies man seine Appellation aber zurück, und gegen diese Remission appellierte Schnetlage nunmehr an den Apostolischen Nuntius. Der Nuntius setzte den Osnabrücker und Mindener Kanoniker Schorlemmer1121 als Kommissar ein, und dieser begann ohne Umschweife, die Parteien zum drittinstanzlichen Rechtsstreit zu laden. Genau hiergegen richtete sich die Reichskammergerichtsklage.
Zu ihm Kr a u s e , Philipp Sigismund, S. 69-71. Ki ß e n e r , Ständemacht, S. 28. 1116 Zu ihm G a u c h e t , Hierarchia Catholica IV, S. 368; F e l d k a m p , Erforschung, S. 266 Nr. 5. 1117 Zu Wulften in dieser Zeit B ü s c h i n g , Erdbeschreibung VII, S. 723. 1118 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 897, Aktenstück Q 1, fol. 5r. 1119 Ki ß e n e r , Ständemacht, S. 113-115; Kr au s e , Philipp Sigismund, S. 70; allgemeiner Hinweis auf die Osnabrücker Wahlkapitulationen bei V i e r h au s , Wahlkapitulationen, S. 211-212. 1120 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 897, Aktenstück Q 5, fol. 13v. 1121 Erwähnt bei S t ü v e , Geschichte II, S. 444; S c h r ad e r , Catholic Revival, 42, 48. 1114 1115
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Auf Supplikation der Schateschen Erben erließ das Reichskammergericht im September 1615 ein Kassations-, Inhibitions- und Exekutorialmandat. In der Narratio tauchen dieselben klägerischen Vorwürfe auf wie in den zeitgleichen Münsteraner Prozessen. Es ging um die Verachtung und Verkleinerung der Hoheit des Heiligen Reiches, um unverantwortliche, hochärgerliche, mutwillige und frevelmütige Hintertreibung ordentlicher Justiz, um die Unsterblichmachung aussichtsloser Sachen zur Schädigung der obsiegenden Partei und so weiter1122. Besonderheiten gegenüber den Mandatsprozessen aus Münster gab es insoweit nicht. Der Beklagte berief sich seinerseits auf die Gepflogenheiten des Osnabrücker Landes. Es gebe nämlich einen „Westpfalischen Landes geprauch“, wonach Offiziale „so wohll in Geist: alß weltlichen sachen concurrentem Jurisdictionem partium haben und von undenckligen Jahren continuando observirt“ hätten1123. Ein Landesgebrauch war der rechtliche Ankerplatz. Deswegen ist es so problematisch, die Osnabrücker Gerichtsverfassung in einem Schaubild darzustellen1124. Die Ähnlichkeit mit den Münsteraner Streitigkeiten wird auf diese Weise nochmals verstärkt. Der angebliche Gebrauch sollte nämlich unspezifisch in ganz Westfalen und nicht in einem bestimmten Territorium üblich sein. Hilfsweise beantragte der Schriftsatzverfasser die Umwandlung des Mandatsprozesses in ein weniger belastendes Zitationsverfahren (simple Querel1125). Das war zugleich die einzige Stelle, an der er es für nötig hielt, gelehrte Literatur aufzubieten. Sowohl den berühmten Baldus de Ubalis als auch den Kameralautor Andreas Gail nahm er für diese Rechtsauffassung in Anspruch1126. Zumindest im Hinblick auf Gail war das höchst problematisch, denn seine Observationensammlung vertrat die Umwandlung in Zitationsprozesse nur für die unproblematischen Mandatsprozesse cum
Alle Vorwürfe in StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 897, Aktenstück Q 1, fol. 5r; Hinweis auf unbegrenzte Berufungsmöglichkeiten in der katholischen Kirche auch bei K i l l e r m a n n , Rota Romana, S. 119; H a s h a g e n , Zur Charakteristik, S. 287. 1123 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 897, Aktenstück Q 5, Art. 16, fol. 16v; ähnlicher Hinweis auch bei B ä r , Abriß, S. 40. 1124 So aber S c h m i d t , Sühne oder Sanktion, S. 141; R u d o l p h , Eine gelinde Regierungsart, S. 57. 1125 Zur Terminologie RKGO 1555 3, 4, bei L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 221. 1126 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 897, Aktenstück Q 5, fol. 17r: Zitiert werden Baldus zu X. 1, 3, 11 oder 31 (unklar, zitiert wird „in c. ad audientiam n: II de rescriptis“), eventuell gemeint: Baldus, additio zu D u r an t i s , Speculum, lib. II partic. I, De Rescripti praesentatione, nach § 9, S. 424: „Bald. de Rescripti“; G a i l , Observationen I, obs. 19 n. 5, 78 n. 1; zu Baldus (um 1327-1400) S a v i g n y , Geschichte des Römischen Rechts VI, S. 208-248; L a n g e / K r i e c h b a u m , Römisches Recht II, S. 749-795. 1122
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clausula1127, nicht jedoch für das hier einschlägige verschärfte Verfahren sine clausula. Der Fortgang des Rechtsstreits war für den untergerichtlichen Prozeßgegner des Mandatsklägers denn auch unerfreulich. Zwar nahm ein Vikar des Nuntius das Mandat freundlich entgegen und erklärte sogar, „alle gebühr soll erfolgen“1128. Doch erschien wie üblich kein Vertreter des Nuntius in Speyer. Deswegen ließ das Kammergericht den Nuntius sogar förmlich rufen1129, als erster Schritt des Säumnisverfahrens eine eher seltene Zuspitzung. Die Kläger setzten nach und trugen vor, der Osnabrücker Offizial habe sich lediglich „metu Censuram et poenarum dem Commissario Apostolico“ gefügt. Und „ob timorem Excommunicationis à Nuntio vel eius Commissario“ traue er sich nicht, sein vorlängst gefälltes Urteil zugunsten der Schateschen Erben zu vollstrecken1130. Wie bereits in den Münsteraner Prozessen1131 malten die Kläger auch hier das Schreckbild eines sich krakenhaft ausbreitenden Nuntiaturgerichts an die Wand. Durch seine Fähigkeit, schwere Kirchenstrafen zu verhängen, sicherte sich der Nuntius die Loyalität geistlicher Gerichte und nutzte die Furcht der Offiziale vor Bann und Exkommunikation für seine rechtswidrigen Prozeßhandlungen aus. Die einseitig-parteiische Darstellung dürfte im Kern nicht falsch gewesen sein, denn die Androhung kirchlicher Strafen war in der Tat ein oft gebräuchliches Druckmittel geistlicher Gerichte auch in weltlichen Angelegenheiten1132. Im Ergebnis fällte das Reichskammergericht nach fünf Jahren ein Paritionsurteil1133, und der Beklagte gab auch kurz darauf die von ihm verlangte Paritionserklärung ab1134. Für den Kläger war das ein voller Erfolg. Freilich lief der Rechtsstreit seit Beginn der erstinstanzlichen Auseinandersetzungen nunmehr schon 21 Jahre. Nur noch für die Erben hatte der Prozeßausgang Bedeutung, doch das kam öfter vor. Das Ende jedenfalls war eindeutig. Die Anrufung des Apostolischen Nuntius in Zivilsachen war und G a i l , Observationen, obs. 19 n. 6, S. 37; obs. 78 n. 1, Leitsatz, S. 140: „Mandata cum clausula resolvuntur in citationem per comparitionem.“ 1128 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 897, Aktenstück Q 1, fol. 6r (Relation des Kammerboten auf der Rückseite). 1129 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 897, Protokollbuch, Expeditum vom 8. November 1616, fol. 2v. 1130 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 897, Aktenstück Q 10, fol. 33r-33v. 1131 Zur Androhung kirchlicher Strafen gegen das Untergericht im Hochstift Münster oben bei Anm. 602. 1132 Dazu zahlreiche Hinweise bei N ö r r , Rota Romana, S. 231; E l s e n e r , Exkommunikation, S. 70, 73, 84. 1133 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 897, Protokollbuch, Expeditum vom 14. September 1620, fol. 3r. 1134 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 897, Aktenstück Q 18, produziert am 26. Januar 1621. 1127
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blieb verboten. Damit fügt sich das Osnabrücker Beispiel in die ungleich häufigeren Fälle aus Münster ein.
2. Justus Möser und der Rekurs an den Nuntius Der wichtigste Osnabrücker Reichskammergerichtsprozeß um die rechtswidrige Anrufung des Apostolischen Nuntius stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, genauer aus den Jahren 1768-1772. Zusammen mit einem knapp vierzig Jahre älteren Rechtsstreit aus Hildesheim1135 überragt er die älteren Prozesse, darunter sämtliche Verfahren aus Münster, nicht nur erheblich an Umfang, sondern auch an der Genauigkeit der juristischen Gedankenführung. Die einschlägigen Verfahren aus der Zeit um 1600 vermitteln durchaus den Eindruck gewisser Standardisierung. Es gab einen bunten, aber abgegrenzten Strauß von Vorwürfen, mit denen man den Nuntius sowie den mutwilligen Appellanten immer und immer wieder überzog, und genau dagegen gab es zugleich eine begrenzte Zahl von Exzeptionsmöglichkeiten. Selbst die kammergerichtlichen Kassations- und Inhibitionsmandate waren nahezu schablonenhaft und austauschbar sowohl in der Tenorierung als auch in den Narrationen. Dies zeigt freilich zugleich die Häufung der Vorwürfe. Bei den Mandatsprozessen gegen die rechtswidrige Anrufung des Nuntius in Zivilstreitigkeiten handelte es sich um Dutzendware. Im 18. Jahrhundert änderte sich das Bild. Einschlägige Verfahren waren seltener, nicht nur in Osnabrück, sondern auch in Münster und anderen Territorien. Diese eher wenigen späten Prozesse verursachten andererseits aber sehr grundsätzliche Auseinandersetzungen. Ein Glücksfall der Überlieferung macht den Osnabrücker Rechtsstreit zu einem rechtshistorischen Leckerbissen. Im zentralen Prozeß aus dem 18. Jahrhundert trat kein geringerer als Justus Möser, der berühmteste Osnabrücker Jurist seiner Zeit1136, als Kläger auf. Auf diese Weise sind umfassende und sehr sorgfältige Stellungnahmen aus der praktischen Tätigkeit eines wichtigen Zeitgenossen erhalten. Jetzt kam es auch zu landes- und rechtsgeschichtlichen Vertiefungen, die in den Verfahren aus Münster so häufig fehlen. Johann Ulrich 1135 1136
HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758; Repertoriumsmitteilung bei Kau e r t z , Akten Hannover II, S. 1033-1034 Nr. 1298. Zusammenfassung zu Leben und Werk W e l k e r , Rechtsgeschichte, passim; d e r s . , Möser, S. 64-73; umfassend d e r s . , Rechtsgeschichte, passim; ergänzend R ü c k e r t , Historie, S. 357-381.
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blieb verboten. Damit fügt sich das Osnabrücker Beispiel in die ungleich häufigeren Fälle aus Münster ein.
2. Justus Möser und der Rekurs an den Nuntius Der wichtigste Osnabrücker Reichskammergerichtsprozeß um die rechtswidrige Anrufung des Apostolischen Nuntius stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, genauer aus den Jahren 1768-1772. Zusammen mit einem knapp vierzig Jahre älteren Rechtsstreit aus Hildesheim1135 überragt er die älteren Prozesse, darunter sämtliche Verfahren aus Münster, nicht nur erheblich an Umfang, sondern auch an der Genauigkeit der juristischen Gedankenführung. Die einschlägigen Verfahren aus der Zeit um 1600 vermitteln durchaus den Eindruck gewisser Standardisierung. Es gab einen bunten, aber abgegrenzten Strauß von Vorwürfen, mit denen man den Nuntius sowie den mutwilligen Appellanten immer und immer wieder überzog, und genau dagegen gab es zugleich eine begrenzte Zahl von Exzeptionsmöglichkeiten. Selbst die kammergerichtlichen Kassations- und Inhibitionsmandate waren nahezu schablonenhaft und austauschbar sowohl in der Tenorierung als auch in den Narrationen. Dies zeigt freilich zugleich die Häufung der Vorwürfe. Bei den Mandatsprozessen gegen die rechtswidrige Anrufung des Nuntius in Zivilstreitigkeiten handelte es sich um Dutzendware. Im 18. Jahrhundert änderte sich das Bild. Einschlägige Verfahren waren seltener, nicht nur in Osnabrück, sondern auch in Münster und anderen Territorien. Diese eher wenigen späten Prozesse verursachten andererseits aber sehr grundsätzliche Auseinandersetzungen. Ein Glücksfall der Überlieferung macht den Osnabrücker Rechtsstreit zu einem rechtshistorischen Leckerbissen. Im zentralen Prozeß aus dem 18. Jahrhundert trat kein geringerer als Justus Möser, der berühmteste Osnabrücker Jurist seiner Zeit1136, als Kläger auf. Auf diese Weise sind umfassende und sehr sorgfältige Stellungnahmen aus der praktischen Tätigkeit eines wichtigen Zeitgenossen erhalten. Jetzt kam es auch zu landes- und rechtsgeschichtlichen Vertiefungen, die in den Verfahren aus Münster so häufig fehlen. Johann Ulrich 1135 1136
HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758; Repertoriumsmitteilung bei Kau e r t z , Akten Hannover II, S. 1033-1034 Nr. 1298. Zusammenfassung zu Leben und Werk W e l k e r , Rechtsgeschichte, passim; d e r s . , Möser, S. 64-73; umfassend d e r s . , Rechtsgeschichte, passim; ergänzend R ü c k e r t , Historie, S. 357-381.
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von Cramer1137 und Johann Jakob Moser1138, die fleißigen Chronisten der Rechtspraxis, wurden auf Mösers Mandatsprozeß aufmerksam und behandelten den Fall in ihren Schriften. Damit verschafften sie ihm zugleich überregionale Aufmerksamkeit.
a) Sachverhalt und Prozeßgeschichte Der Kern der Osnabrücker Auseinandersetzung ist schnell erzählt. Er betraf einen Streit zwischen der Stadt Wiedenbrück und dem in Wiedenbrück ansässigen Kollegiatstift Ägidius und Karl der Große1139. Die katholische Landstadt Wiedenbrück hatte versucht, einen Schulmeister zu Steuerabgaben heranzuziehen1140. Dagegen hatte das Stift der Heiligen Ägidius und Karls des Großen erfolgreich ein Inhibitions- und Restitutionsmandat am Osnabrücker Offizialatsgericht erwirkt. Gegen diese einstweilige Anordnung beschwerte sich nun der städtische Wiedenbrücker Magistrat bei der fürstlichen weltlichen Kanzlei in Osnabrück. Die Kanzlei jedoch entschied die Sache nicht und verwies sie an das Offizialat zurück. Die Literatur hat darauf hingewiesen, bereits der evangelische Fürstbischof Ernst August II. (1716-1728) habe sich um 1720 für eine strenge Beschränkung der geistlichen Gerichtsbarkeit auf geistliche Belange eingesetzt1141. Das mag sein, trifft aber nicht das hier entscheidende Problem. Damals war es nämlich um das Archidiakonalgericht1142, nicht um das Offizialat gegangen. In dem nun interessierenden Fall wollte die Regierung jedenfalls zu Beginn dem Offizialat die Zuständigkeit zunächst nicht entziehen. Deswegen erhob die Stadt Wiedenbrück am Offizialat eine Rekonventionalklage, eine Widerklage1143 gegen das gesamte Stift. Es ging C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 84, S. 13-23. Unter der Überschrift „Nachtrag zur Materie von der Nichtigkeit derer ad Nunciaturas Apostolicas in Civil-Sachen ergriffenen Recursuum“ druckte Cramer Mösers Supplikation sowie den Antrag des Fiskals ab. 1138 M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 270. 1139 Bei S c h r ö e r , Kirche in Westfalen, S. 140, ist für Wiedenbrück lediglich ein Aegidiusstift nachgewiesen. Es handelt sich sicherlich um dasselbe Stift; ebd. S. 139 zur Rechtslage von Kollegiatstiften; auch bei P r i n z , Territorium, S. 82-83; zu Wiedenbrück als Teil des Bistums Osnabrück Kl u e t i n g , Bistumsgründungen, S. 73; Landkarte bei R o h m , Osnabrück, S. 130. 1140 Vorgeschichte des Streites in StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 48v. 1141 R u d o l p h , Kirchenzucht, S. 633. 1142 Zum archidiakonalen Gericht T r u s e n , Gelehrte Gerichtsbarkeit, S. 482-483; zum Fürstbistum Münster: E b e r s , Archidiakonal-Streitigkeiten, S. 364-412. 1143 Zur Terminologie O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 595. 1137
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ganz allgemein um die Steuerpflichtigkeit des Kapitels für neuerworbene Grundstücke1144. Das Offizialatsgericht war sich unsicher, holte ein Urteil der Juristenfakultät Erfurt ein, und das fiel zugunsten der Stadt Wiedenbrück aus1145. Hiergegen appellierte das Kapitel an die Kölner Nuntiatur. Der deputierte Kommissar Theodosio Mocenni1146 begann daraufhin die Prozeßführung, und das Osnabrücker Offizialat sandte auch die erstinstanzliche Akte nach Köln. Damit hatte der Rechtsstreit das Fürstbistum Osnabrück verlassen und befand sich in der höheren katholisch-kirchlichen Gerichtsbarkeit. In der etwas verfahrenen Lage wandte sich die katholische Stadt Wiedenbrück hilfesuchend an die Osnabrücker Regierung. Zu dieser Zeit herrschte formal ein evangelischer Fürstbischof, nämlich der fünfjährige Friedrich von York, der letzte Fürstbischof überhaupt. Das Kind stand unter Vormundschaft seines Vaters, des englischen Königs und hannoverschen Kurfürsten Georg III.1147. Der konfessionelle Gegensatz zwischen katholischer Landstadt und evangelischem Landesherrn war aber offensichtlich kein Hinderungsgrund für die Stadt, gerade hier um den Schutz ihrer Rechte gegen das Kollegiatstift anzusuchen. Die Vertreter der Stadt beschwerten sich über die Hartnäckigkeit des Kapitels. Es behaupte nämlich, „daß es zur Zeit eines regierenden Evangelischen Herrn Bischofen, derselben“, also der Regierung, „zu keiner Rechenschaft und Verantwortung verbunden“ sei1148. In der Tat existierte ein Brief des Stifts, in dem es unverwunden hieß, so lange der Magistrat der Stadt Wiedenbrück katholisch sei, „so lange muß es demselben näher am Herzen liegen Censuras ecclesiasticas potestatis ecclesiasticae Catholicae zu vermeiden, als andere poenal Befehle, so besagter Magistrat ohnehin incompetenter wie auch sub et obreptitie erschlichen hat“ 1149. Das Stift versuchte also, im Spannungsgefüge zwischen evangelischer Landesherrschaft und katholischer Kirchenobrigkeit die Stadt eindeutig auf die kirchliche Seite zu ziehen und ihre Loyalität zum Landesherrn zu untergraben. Der Hinweis auf bevorstehende Kirchenstrafen las sich in dieser Situation wie eine Drohung. Zu den Kurien des Stifts im Ort Wiedenbrück F l a s k am p , Funde I, S. 48-52. StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 4 (Anlage A zur Supplikation); Hinweis auf gedruckte Erfurter Fakultätsurteile bei G e h r k e , Entscheidungsliteratur, Nr. 306, 309, S. 219-221 (Sammlung von Christian Friedrich Immanuel Schorch). 1146 Wenig später verwaltete er 1775 für kurze Zeit die Apostolische Nuntiatur in Köln: J u s t , Quellen, S. 291; F e l d k a m p , Erforschung, S. 281 Nr. 31 a; d e r s . , Studien IV/Instruktionen, S. 624 Nr. 38. 1147 W e l k e r , Rechtsgeschichte, S. 811-844; W r i e d t , Osnabrück, Sp. 1327; R u d o l p h , Eine gelinde Regierungsart, S. 56. 1148 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 21r. 1149 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 5 (Anlage C zur Supplikation), fol. 35r. 1144 1145
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Solche Äußerungen empfand der aufmerksame Advokat1150 Justus Möser als „fast bedrohlich“1151, wobei die frühneuzeitliche Bedeutung von „fast“ im Sinne von „sehr“ hier noch mitschwang1152. Die Osnabrücker Regierung beauftragte Justus Möser damit, „gehörigen Orts“ gegen das unbotmäßige Kapitel vorzugehen, ein Mandat zu erwirken und den kaiserlichen Fiskal einzuschalten. Außerdem verbot die Regierung der Stadt Wiedenbrück „nochmals bey schwerer Strafe (...), dieser Sache halber sich vor dem pabstlichen Nuncio einzulaßen“1153. Die Stadt Wiedenbrück sah sich also unvereinbaren Anforderungen gegenüber. Die Landesregierung verwehrte ihr, sich an dem Prozeß vor dem Nuntius zu beteiligen, wie es auch dem Wunsch des städtischen Magistrats entsprach. Das Wiedenbrücker Kollegiatstift drohte dagegen Kirchenstrafen an, falls sich die Stadt den Anordnungen des Nuntius und seines Kommissars widersetzte. An dem Befehl der Regierung zeigte sich im übrigen ein Problem: Wenn die Osnabrücker Regierung der Stadt Wiedenbrück die Prozeßführung vor dem Nuntius verbieten konnte, stellt sich die Frage, warum sie genau dieselbe Anweisung nicht auch dem Stift St. Ägidius und Karl der Große erteilte. Statt dessen verklagte sie ihre eigenen Untertanen in Wetzlar1154. Das war nur eine der zahlreichen Fragen, auf die Justus Möser in seiner sehr sorgfältigen Supplikationsschrift einging.
b) Justus Mösers kammergerichtliche Supplikation Möser begann seinen Schriftsatz mit zwei Rechtsbehauptungen. Erstens fielen danach gemeine Reichs- und Landsteuern in die ausschließliche sachliche Zuständigkeit landesherrlicher Justizkanzleien. Das war angeblich „in ganz Teutschland kundbaren und ausgemachten Rechtens“. Beschwerden über Steuerangelegenheiten, so sollte man folgern, durften also „einzig und allein zur höchsten Reichs oberrichterlichen Erkenntniß gebracht werden“1155. Dem erstgenannten Hinweis auf die weltlichen Zuständigkeiten fügte Möser einen kleinen Nachsatz hinzu. Es sollten nämlich „die geist- und weltlichen Gerichtsbarkeiten ganz von einander unterschieden“ sein. Das war die zweite Rechtsbehauptung. Zu Mösers Amt als Advocatus patriae W e l k e r , Rechtsgeschichte, S. 722-730. StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 21r. 1152 G r i m m , Deutsches Wörterbuch III, Art. „fast“ 4) a)-g), Sp. 1349. 1153 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 7 (Anlage D zur Supplikation), fol. 44r; unterschrieben: von der Bußsche, von Ende, Voigt, zu diesen Geheimräten und Sekretären W e l k e r , Rechtsgeschichte als Rechtspolitik, S. 728 Anm. 187, 921 Anm. 638. 1154 Regierung als Klägerin auch in Hildesheim: HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758; bei K a u e r t z , Akten Hannover II, S. 1033-1034. 1155 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 20r. 1150 1151
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Deswegen seien geistliche Richter in keiner Weise berechtigt, weltliche Sachen zu behandeln. Das klang ganz anders als die 150 Jahre zuvor auch in Osnabrück wie selbstverständlich behauptete konkurrierende Zuständigkeit der Offizialatsgerichte für sämtliche Zivilsachen. Die vollständige Entflechtung der Gerichtsbarkeiten sollte besonders für solche Angelegenheiten gelten, für die „fora privilegiata saecularia“ eingriffen, also ausschließliche weltliche Gerichtsstände. Darunter verstand Möser vor allem die Reichs- und Landesverteidigung. Damit schlug er stillschweigend Steuern dem Verteidigungshaushalt zu, ein ganz erstaunlicher Gedankengang. Doch das Ziel war klar. Die Entscheidung solcher Fragen dürfe „niemahls von dem Urtheil des römischen Stuhls oder eines andern geistlichen Richters“ abhängen. Ansonsten bestehe die Gefahr, „das weltliche ReichsOberhaupt von seinen Gliedern zu trennen; und eine vollkommene Zerrüttung des Reichs-Cörpers zu veranlaßen“1156. Bereits die vorangestellten Rechtsausführungen betonten die Bedeutung der Streitsache. Die Grundfesten der Reichsverfassung gerieten ins Wanken, wenn der Papst oder andere geistliche Richter die Möglichkeit erhielten, sich in weltliche deutsche Reichs- und Landesangelegenheiten einzumischen. Während in den älteren Münsteraner Fällen Untertanen die Hoheit des Reiches zu verteidigen vorgaben und die münsterische Regierung immer untätig blieb, war es hier genau umgekehrt. Nicht die Stadt Wiedenbrück rief das Kammergericht zu Hilfe, sondern wortgewaltig übernahm Justus Möser in Namen der Regierung diese Aufgabe. Vom privilegium immunitatis der katholischen Geistlichen, der Freiheit von weltlichen Verpflichtungen, unter anderem auch von Steuern und Abgaben1157, blieb damit nichts übrig. Bei der Sachverhaltsschilderung fallen zwei Vorentscheidungen ins Auge. Das Stift St. Ägidius und Karl der Große hatte gegen die Entscheidung des Osnabrücker Offizialats unmittelbar den Nuntius angerufen und nicht zuvor an das Kölner Offizialat1158 appelliert, wie es in dem oben erwähnten Fall von 1615 geschehen war1159. Damit hielt sich Möser aber nicht auf. StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 20r-20v. R e i n h a r d , Lebensformen, S. 316; zu den Wurzeln U n t e r b u r g e r , Das Bayerische Konkordat, S. 92-94. 1158 Erst seit 1995 gehört das Bistum Osnabrück zur Kirchenprovinz Hamburg; dazu Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Land Mecklenburg-Vorpommern und dem Land Schleswig-Holstein über die Errichtung von Erzbistum und Kirchenprovinz Hamburg vom 22.09.1994 (Kirchliches Amtsblatt für die Erdiözese Hamburg, Bd. 1, Nr. 1, Art. 1, S. 1 ff., v. 27. Januar 1995) Art. 3; Überblick bei L e i b i n g e r , Bundesrepublik Deutschland, S. 91. 1159 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 897, Aktenstück Q 1, fol. 5r; weiteres Beispiel für Osnabrücker Prozesse vor dem Kölner Offizial bei E b e l i n g , Findbuch Osnabrück I, S. 90 Nr. 118 (aus den 1570er Jahren). Der ebd. S. 176-177 Nr. 235 genannte Fall aus den frühen 18. Jahrhundert wurde erstinstanzlich vor dem Münsteraner Offizial verhandelt; zum 1156 1157
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Denn wenn die Anrufung der geistlichen Gerichte ohnehin streng verboten war, kam es auf die Außerachtlassung des selbstredend rechtswidrigen Instanzenzuges nicht mehr an1160. Die zweite Frage betraf das kategorische Verbot, Steuersachen vor geistlichen Gerichten zu behandeln. Erstinstanzlich war ja nicht die von Möser als allein zuständig angesehene Justizkanzlei damit befaßt gewesen, sondern das Offizialatsgericht. Dieses habe „sonst jurisdictionem ecclesiastico civilem hergebracht“, hieß es in dem Schriftsatz wenig eindeutig1161. Deswegen folgte hieraus einer der zahlreichen Anträge Mösers an das Reichskammergericht. Das Mandat sollte dem Osnabrücker Offizialat aufgeben, „für das künftige die Cognition in dergleichen voluntaria partium prorogatione inattenta zur Land und Justiz Canzley privative gehörigen Steuersachen“ zu unterlassen1162. Wie bereits bei der Klage gegen die eigenen Untertanen stellt sich auch hier die Frage, weshalb die Osnabrücker Regierung dem eigenen Offizialat die Prozeßführung in Steuersachen nicht einfach untersagte. Im Gegensatz zu Münster und anderen rein katholisch regierten geistlichen Territorien mag es konfessionelle Schwierigkeiten gegeben haben, auch wenn diese in den Quellen nicht zur Sprache kamen. Jedenfalls war es schlecht vorstellbar, wie im Fürstbistum Osnabrück ein evangelischer Bischof zugleich Gerichtsherr eines katholischen Offizialats sein sollte1163. In den Regierungsberatungen im Vorfeld von Mösers Klageerhebung wurde dieser Punkt nicht diskutiert bzw. taucht zumindest nicht im protokollierten Beschluß auf. Im Gegensatz zu den anderen Anträgen erhielt Möser auch nicht den ausdrücklichen Auftrag, den Unterlassungsanspruch gegen das Offizialat geltend zu machen1164. Und im Ergebnis war er mit diesem Anliegen auch nur mäßig erfolgreich. Das Wetzlarer Reichskammergericht entschied in diesem Punkt nämlich lediglich, „Sodann Ihr Official-Räthe und Assessoren aber, die durch Eüch selbst in gegenwärtigem Fall ex Prorogatione voluntariâ utriusque Partis gefällte Urthel, des unternommenen Recursus ad Judicium Ecclesiasticum ohngeachtet, ohne Verzug
Rechtsmittel gegen Offizialatsurteile bei konfessionell wechselnden Landesherrn F r e c k m a n n , Die capitulatio perpetua, S. 67. 1160 Zur zweitinstanzlichen Zuständigkeit des Nuntius nach den Vorgaben des Trienter Konzils W a l f , Entwicklung, S. 231. 1161 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 20v; zur zivilgerichtlichen Kompetenz des Offizialats auch F r e c k m a n n , Die capitulatio perpetua, S. 66. 1162 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 21v. 1163 Jedenfalls konnte ein protestantischer Landesherr keine Visiationen durchführen, dazu Capitulatio perpetua Art. 4, bei S e e g r ü n / S t e i n w as c h e r , 350 Jahre Capitulatio perpetua, S. 60; F r e c k m a n n , capitulatio perpetua, S. 68. 1164 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 7, fol. 44r.
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vollstrecken sollet“1165. Das war gerade nicht die generelle Entscheidung für zukünftige Fälle, die Justus Möser erhofft hatte. Das Reichskammergericht äußerte sich zur generellen Zuständigkeit des Offizialats für Steuersachen überhaupt nicht. Es ging lediglich um die Vollstreckung des bereits gefällten erstinstanzlichen Urteils in einem Fall, der durch Prorogation vor den geistlichen Richter gelangt war. Ob das Offizialat ohne Gerichtsstandsvereinbarung überhaupt hätte tätig werden dürfen oder weiterhin tätig sein konnte, blieb offen. Die untergerichtliche Urteilsvollstreckung war ein weiteres Problem. Das Osnabrücker Offizialat hatte die Appellation an den Nuntius widerspruchslos hingenommen und die Akte nach Köln übersandt. Deswegen ordnete das Kammergericht antragsgemäß an, das Offizialatsurteil ohne weiteres zu vollziehen.
c) Das Rechtsschutzbedürfnis als besonderes Problem Die Frage nach der Zuständigkeit des Reichskammergerichts, insbesondere nach dem Rechtsschutzbedürfnis einer Regierung gegen ihre eigenen Untertanen, ging Möser wortgewaltig und offensiv an. Er hob den Streit auf die prinzipielle Ebene der Reichsverfassung und löste ihn damit von den Besonderheiten der Osnabrücker Zustände. Er unterstellte dem appellantischen Stift aus Wiedenbrück nämlich, es betreibe „ausschweiffende Unternehmungen“ zum „offenbaren Umsturz des Systematis Imperii“1166. Deswegen beantragte er zugleich, die Sache an den Fiskal weiterzuleiten, um das Stift mit einer zusätzlichen reichsrechtlichen Geldstrafe zu belegen. Selbstredend führte er an, der Rekurs an den Nuntius in weltlichen Streitsachen gereiche „sowohl dem Bischöflichen Stuhl als der Landes Verfassung der Land und JustizCanzley und gesamten Landständen zum empfindlichen Nachtheil“1167. Entscheidend war für ihn aber ein anderer Gesichtspunkt. Das Wiedenbrücker Stift sollte „verschiedenen Gerichtszwängen“, also dem weltlichen wie auch dem geistlichen Gericht, unterstehen und hatte durch die Appellation an den Nuntius in weltlichen Sachen „die Reichs Jurisdiction selbst angegriffen und beeinträchtiget“1168. Nicht die Landesverfassung, nein, die Reichsverfassung war es, um die es vorrangig ging. Das war in der Sache dieselbe Überlegung, die in den Münsteraner Schriftsätzen aus der Zeit um 1600 ebenfalls auftauchte, seinerzeit als Verachtung und Verkleinerung der Reichsgewalt. Möser konnte sich StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 2, fol. 16v-17r; zugehöriges Extrajudizialdekret auch bei C r am e r , Wetzlarische Nebenstunden 84, S. 20. 1166 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 21r. 1167 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 21r-21v. 1168 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 21v. 1165
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hierfür aber zusätzlich auf eine Autorität aus dem 18. Jahrhundert berufen, nämlich auf den namhaften Wetzlarer Reichskammergerichtsassessor Georg Melchior von Ludolff1169. Er hatte sich in seinem Kommentar zur Kammergerichtsordnung zur Zuständigkeit in derartigen Fällen geäußert1170. Das spezielle Rechtsschutzbedürfnis der Osnabrücker Regierung leitete Justus Möser mit leichter Kritik am Offizialatsgericht ein. Der geistliche Richter habe sich „freiwillig die Hände gebunden“, als er dem Gebot des Nuntius gehorchte. Ohne „oberrichterlichen Befehl“ sei das Offizialat deswegen nicht mehr in der Lage, das zugunsten der Stadt Wiedenbrück ergangene Erfurter Fakultätsurteil zu vollstrecken. Für diese Anordnung kam für Möser durchaus der evangelische Landesherr in Betracht. Trotz der Konfessionsverschiedenheit war die territoriale Herrschaftsgewalt als solche also nicht beeinträchtigt. Lediglich aus Achtung vor der Reichsgerichtsbarkeit verzichtete die Regierung auf eigenmächtigtes Vorgehen und klagte in Wetzlar. So behauptete es jedenfalls Justus Möser. Gewunden klang das so: „Wobey denn noch die Hochfürstl[iche] Osnabrückische Regierung in Betracht daß dieselbe sich gar wohl selbst Recht schaffen und so wohl das Capittel zur schuldigen Verantwortung per arrestum bonorum Saecularium anhalten, als den Officialem zu der ihm amtshalber obliegenden Vollstreckung einer rechtskräftigen Erkenntniß specialiter bevollmächtigen und anweisen können, gleichwohl aber zum Respect des Reichs obristgerichtlichen Erkenntniß hierunter den glimpflichsten Weg einschlagen, und die wohlverdiente Ahndung nebst der ferneren Erkenntniß höchstderoselben anheim gestellet, des besonderen Vertrauens lebt, es werden Eure Hochgräfliche Excellenz gegenwärtige Sache ihrer Wichtigkeit nach, und wegen der für das ganze Reich daraus erwachsen könnenden nachtheiligen Folgen gerechtest beherzigen, und nach einer nathürlichen Folge die dabey einschlagende Reichs- und reichsständische Gerechtsame zu handhaben von selbst mildest geruhen.“1171 Genau dies war der letzte Satz des Schriftsatzes vor der Formulierung des beantragten Mandatstenors. Ob es Möser wirklich darum ging, die Interessen des Reiches oder nicht vielmehr diejenigen seiner Landesregierung zu verteidigen1172, kann und braucht die moderne Rechtsgeschichte nicht zu entscheiden. Die Bestrebungen beider Herrschaftsgewalten liefen hier nämlich parallel, und eine möglichst hohe Beachtung des Falles auf der Bühne der Reichsjustiz kam zugleich der partikularen weltlichen Gerichtsbarkeit zugute. Die Rede von den Reichs- und reichsständischen 1711-1740 Assessor in Wetzlar, zu ihm J a h n s , Reichskammergericht II/1, S. 371-387. Unklarer Verweis, vielleicht ist gemeint: L u d o l f f , De jure Camerali, S. 226. 1171 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 22r-22v. 1172 Zum ähnlichen Konflikt zwischen Landesherrschaft und Archidiakonatsgerichtsbarkeit in Osnabrück im 18. Jahrhundert in Strafsachen R u d o l p h , Eine gelinde Regierungsart, S. 60. 1169 1170
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Gerechtsamen brachte genau diese Interessengleichheit auf den Punkt. Der im Hintergrund schwebende konfessionelle Konflikt blieb gerade in solchen sehr energischen Formulierungen eher nebulös. Karl Welker hat auf Mösers Einsatz für einen konfessionellen Ausgleich im Osnabrücker Land hingewiesen. Trotz seines festen protestantischen Standpunkts verhandelte Möser in den 1770er Jahren, also in derselben Zeit, mit den Domkapitularen über eine Entschärfung religiöser Reibereien. Genau das soll ihm ein besonderes Anliegen gewesen sein1173. Vielleicht ist dies ein Grund für die erstaunlich verfassungsrechtliche und wenig konfessionell-kämpferische Argumentation in seiner Supplikationsschrift. Im übrigen kann die Verlagerung der Entscheidung auf das entfernte Reichsgericht den aufgeheizten Streit zwischen Regierung und Stift durchaus abgekühlt haben. Wenn sich beide Seiten dem Spruch einer dritten, auswärtigen Gewalt fügten, mag dies vor allem für das Wiedenbrücker Kollegiatstift eher hinnehmbar gewesen sein als ein obrigkeitlicher Befehl der eigenen Landesregierung. Im Ergebnis jedenfalls erzielte Justus Möser vor dem Reichskammergericht einen sehr weitgehenden Sieg.
d) Das Mandat des Reichskammergerichts Möser hatte mit seiner Supplikation überwiegend Erfolg. Das Reichskammergericht erließ das beantragte Mandat. Die Tenorierung des am 24. September 1768 ausgefertigten1174 Dokuments bestand aus zwei Entscheidungen. Zunächst befahl das Gericht Dechant, Senior und Kapitularen des Stifts St. Ägidius und Karl der Große, den „nichtiglich genommenen Recursus“ aufzugeben, sich zukünftig damit zurückzuhalten und „dergleichen“ nicht „weiter vor zu nehmen“. Damit waren die Appellationsversuche an den Apostolischen Nuntius in Zivilsachen verboten. Zweitens erhielt das Osnabrücker Offizialat die Verpflichtung auferlegt, das erstinstanzliche Urteil zu vollstrecken1175. Im internen Extrajudizialdekret hieß es, nicht zur Kenntnis der Parteien bestimmt: „Übrigens Begehrens aber facta reproductione judicialiter“1176. Die Einschaltung des Fiskals war also nicht rundum vom Tisch, sondern sollte Gegenstand des späteren Schriftsatzwechsels sein. Auch ob das
W e l k e r , Möser, S. 69-70; R u d o l p h , Kirchenzucht, S. 635, mit dem Hinweis auf die Minderjährigkeit des Bischofs als Grund für die Zurückhaltung. 1174 Beschlossen wurde das Mandat bereits in der extrajudizialen Sitzung vom 1. September 1768: StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 19r: „Decretum“. 1175 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 2, fol. 16v-17r. 1176 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 19r. 1173
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Offizialatsgericht überhaupt für Steuersachen originär sachlich zuständig war, blieb dem Judizialverfahren vorbehalten.
e) Die Exzeptionen des Wiedenbrücker Stifts In der Tat entspann sich im Gegensatz zu den meisten gleichartigen älteren Mandatsprozessen diesmal der übliche Schlagabtausch mit Exzeptionen und Replik. Das beklagte Wiedenbrücker Stift ließ sich von dem vergleichsweise prominenten Prokurator Damian Ferdinand Haas vertreteten1177. Er arbeitete häufig für kirchliche Körperschaften, fast immer für Katholiken, in Wetzlar. Auch die Bischöfe von Augsburg, Salzburg, Eichstätt, Münster und Trient zählten zu seinen ständigen Mandanten1178. Die Exzeptionsschrift, die Haas in einer Audienz im Dezember 1768 in Wetzlar überreichte, stammte dennoch nicht aus seiner Feder, sondern war das Werk des vom Stift eingeschalteten Advokaten. Die Mandatserwiderung beschäftigte sich vornehmlich mit zwei Fragen, nämlich mit der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Offizialatsgerichts sowie mit der Möglichkeit, gegen das Erfurter Fakultätsurteil den Apostolischen Nuntius anzurufen. aa) Rückgriff auf die Rechtsgeschichte und gemeinrechtliche Literatur Der Schriftsatzverfasser des beklagten Wiedenbrücker Stifts zeigte sich tief verwurzelt in der Territorialgeschichte sowie in der gelehrten Literatur. Er verwies auf einen fast 400 Jahre alten Streit zwischen der Stadt Wiedenbrück und dem Klerus, in dem es ebenfalls um Fragen der Steuererhebung gegangen sei. Der damalige Osnabrücker Bischof habe die Zuständigkeit der weltlichen Gerichtsbarkeit 1381 ausdrücklich akzeptiert1179. Als Präjudiz taugte diese uralte Entscheidiung wohl nicht mehr, denn sie war „mithin fast vor 400 Jahren“ ergangen. Immerhin allerdings habe bereits der damalige Bischof einen Prozeß gegen den Klerus vor einem weltlichen Gericht als Verstoß „contra immunitatem ecclesiasticam“ angesehen, „folgsam in beyden Stücken zur Ent1177 1178 1179
Unzutreffend E b e l i n g , Findbuch Osnabrück I, S. 525, der Haas als Prokurator des Intervenienten aufführt. W e i t z e l , Haas, S. 18-20; nachgewiesen auch bei B au m a n n , Advokaten, S. 155-159, 189; K l a s s , Standes- oder Leistungselite, S. 276. Hinweis auf ein Reskript des Bischofs Dietrich vom 18. März 1381; zum Steuerbewilligungsrecht des Osnabrücker Domkapitels im 14. Jahrhundert knapp V i e r h au s , Wahlkapitulationen, S. 211; zur Auseinandersetzung des Kollegiatstifts mit der Stadt S c h m i d t - C z a i a , Kollegiatstift, S. 185.
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scheidung ad forum ecclesiasticum immer zu remittiren sey“1180. Zur Bestärkung verwies die Exzeptionsschrift ferner auf einen Osnabrücker Synodalbeschluß „de immunitate ecclesiastica“ von 16281181, griff dann aber auf die gelehrte Literatur aus. Zum Gewährsmann, auf den der Schriftsatzverfasser sich immer wieder stützte, wurde Thomas Delbene mit seinem Traktat „de immunitate et iurisdictione ecclesiastica“ von 16501182. Der italienische Kanonist Delbene wirkte offenbar im 17. Jahrhundert im apulischen Tarent1183. Freilich soll es einen gleichnamigen Italiener gegeben haben, der einhundert Jahre zuvor am französischen Königshof als Notar-Sekretär arbeitete und zugleich Hofrat des Herzogs von Alençon war1184. Da die Werke des apulischen Delbene allesamt in Frankreich, nämlich in Lyon und Avignon, erstmals erschienen1185, ist nicht auszuschließen, daß es sich um dieselbe Person handelt und spätere Gelehrtengenerationen die verschiedenen Lebensläufe lediglich anhand der Erscheinungsdaten der Bücher ungenau rekonstruierten. Wie dem auch sei, handelte es sich aus der Sicht des Wiedenbrücker Schriftsatzverfassers um ein gelehrtes Werk von europäischem Rang, das bestens zur eigenen Argumentation paßte. Die Exzeptionsschrift führte nämlich Delbenes Traktat zur Beantwortung der Frage an, ob Abgaben und Steuern von Geistlichen vor kirchlichen oder weltlichen Gerichten verhandelt werden mußten. Die Antwort lautete: „coram iudice ecclesiastico: quia potestas secularis non habet in ecclesiasticos iurisdictionem“1186. Die Gerichtsgewalt weltlicher Herrscher über Geistliche sollte damit in allen Streitgegenständen ausgeschlossen sein. Die von Delbene zitierten Autoren tauchten in der Exzeptionsschrift ebenfalls auf und verliehen ihr die Würde der großen alten gemeinrechtlichen Autoritäten: Papst Innozenz III., Baldus, Abbas1187, Rolandus a Valle, Paolo Squillante, Johannes Bertachinus, Marco Antonio Natta, Carolus de Grassis, StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 49v. Zitiert als „Decretum Synodi maiorio Osnabrugensis de immunitate ecclesiastica Cap: XV. pag. 46“. Es handelt sich um den 2. Teil der Synodalbeschlüssse von 1628 (sog. Große Synode), gedruckt in den Acta synodalia, S. 46-47. 1182 D e l b e n e , De immunitate, et iurisdictione ecclesiastica, 2 Bände, Lyon 1650. 1183 S c h u l t e , Geschichte III/1, S. 484; B a r r e t o , Legal Culture, Ziff. 53: dort anderes Todesjahr; nachgewiesen auch bei H e l m h o l z , Spirit of Classical Canon Law, S. 485; Biographie universelle II, S. 821. 1184 H e l l e r , Anti-Italianism, S. 163; B o u c h e r , Société, S. 372, 442. 1185 Biographie universelle II, S. 821. 1186 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 49 v, mit Verweis auf D e l b e n e , De immunitate, p. 1 cap. 5 dubit. 3 sowie dubit. 4, S. 220: „An in caso, quo clericus tenetur soluere gabellam, cogendus sit coram Iudice Ecclesiastico, vel seculari?“ 1187 Gemeint ist der Dekretalenkommentar von Nikolaus de Tudeschis, genannt Abbas Panormitanus; zu ihm P e n n i n g t o n , Nicolaus de Tudeschis, S. 9-36. 1180 1181
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Johannes Petrus Surdus, „Molfessa“1188, das waren klingende Namen, freilich nicht die Zeitgenossen aus dem Jahrzehnt vor der Französischen Revolution. Lediglich der Vollständigkeit halber fügte der Schriftsatzverfasser hinzu, Delbene habe darüber hinaus diejenigen Autoren „vernichtiget“, die genau seine Meinung in Zweifel gezogen hätten1189. bb) Zur Osnabrücker Capitulatio perpetua von 1650 Nach der rechtshistorischen Grundlegung und der Aufarbeitung der gemeinrechtlichen Literatur wandte sich der Schriftsatzverfasser der aktuellen verfassungsrechtlichen Lage in Osnabrück zu. Er verwies auf die Capitulatio perpetua von 1650, das bis 1802 geltende Grundgesetz des Fürstbistums. Häufig erwähnt die Literatur dieses Gesetz lediglich im Hinblick auf die wechselnden katholischen Fürstbischöfe und evangelischen Administratoren aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg1190. In der Tat war genau diese Regierungsform im Westfälischen Frieden festgeschrieben1191. Dort gab es freilich auch den Verweis auf die noch zu schaffende immerwährende Kapitulation1192. Der Schriftsatzverfasser des Wiedenbrücker Stifts behauptete, der Westfälische Friedensvertrag schreibe vor, „daß solche Capitulation nicht weniger als das Instrumentum pac[is] Westph[alicae] selbsten wegen ihres ganzen Einhalt bis zu ewigen Zeiten mit dem Instrumento pacis gleiche Kraft und Verbindungen haben solle“1193. Das stand freilich nicht im Text des Osnabrücker Friedens. Die Kapitulation regelte in ihren 58 Artikeln zahlreiche verfassungsrechtliche Fragen1194. Für das Stift St. Ägidius und Karl der Große waren vor allem drei Paragraphen bedeutsam. Zunächst hielt die Exzeptionsschrift die Grantieerklärung der Kapitulation fest, „daß gleichwie die Catholische Geistliche die Exemtion a iurisdictione seculari tam in actionibus realibus quam personalibus, so Gemeint ist Andrea Molfesio, der Verfasser eines Kommentars zum neapolitanischen Recht aus dem frühen 17. Jahrhundert; alle genannten Autoren zitiert auch bei D e l b e n e , De immunitate, p. 1 cap. 5 dubit. 4, S. 220 n. 2. rechte Spalte. 1189 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 50r. 1190 J a k o b i , Zur religionsgeschichtlichen Bedeutung, S. 94; K o t u l l a , Verfassungsgeschichte, S. 102 Rn. 396. 1191 Instrumentum pacis Osnabrugense Art. 13 § 1, bei Z e u m e r , Quellensammlung, S. 423424; Übersetzung bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 82-83. 1192 Instrumentum pacis Osnabrugense Art. 13 § 3, bei Z e u m e r , Quellensammlung, S. 424; Übersetzung bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 83. 1193 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 50v. 1194 Normengeschichtlicher Überblick bei F r e c k m an n , Die capitulatio perpetua, S. 36-70; S c h i n d l i n g , Westfälischer Frieden, S. 98, 113; W r i e d t , Osnabrück, Sp. 1327; V i e r h a u s , Wahlkapitulationen, S. 211; zum 18. Jahrhundert R u d o l p h , Eine gelinde Regierungsart, S. 49-56. 1188
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wohl für sich, quam pro suis familiis hergebracht haben, es imgleichen pro futuro in perpetuum nicht nur dabej sein bewenden haben, sondern auch Clerus Catholicus dargegen mit keiner Appellation beschwert werden solle“1195. Das war das überkommene privilegium fori für katholische Kleriker1196. Der Schriftsatzverfasser wollte diesen allgemeinen Satz so verstanden wissen, als gebe es keinerlei Ausnahmen. Der „casus controuersiae super Gabellis siue aliis contributionibus ciuicis“ werde nämlich „nicht ausgeschlossen“. Da die Capitulatio perpetua zur Steuerfrage schwieg, sollte das „Canonische Priuilegium exemtionis ab omni iurisdictionem saeculari Behuf Cleri Osnabrugensis Catholici ohne alle Ausnahme“ eingreifen. Der „geringste Abfall a regula“ sei verboten, und „deshalber“ sei von Steuer- und Abgabenangelegenheiten in der Kapitulation kein Wort enthalten. Für den Schriftsatzverfasser war das ein Fall für die „bekandte Rechts Regel (...), quod hoc, quod Instrumentum non cantat, nec nos cantare debeamus“1197. Diesen lateinischen Sinnspruch hatten unter anderem Baldus und Barbosa formuliert. Er tauchte als gemeine „Regel der Practicorum“ in zahlreichen Werken des Usus modernus immer wieder auf1198. Tatsächlich war es keineswegs unstreitig, ob sich das Gerichtsstandsprivileg für Kleriker ausnahmslos auf alle Streitgegenstände bezog, an denen in irgend einer Weise Geistliche beteiligt waren. In der Replikschrift führte Justus Möser dies nur ein halbes Jahr später umfassend aus. Die starken Worte des Schriftsatzverfassers und der Hinweis auf das Rechtssprichwort konnten daher eine wesentliche Schwierigkeit nicht übertünchen: Für die gerichtlichen Zuständigkeiten in Steuerund Abgabensachen gab es in der Osnabrücker Kapitulation gar keine Regelung. Daran anschließend kam die Exzeptionsschrift des Wiedenbrücker Kollegiatstifts auf Verstöße gegen die geistliche Immunität und vor allem gegen die Abgabenbefreiung von Klerikern zu sprechen. Solche Rechtsfragen sollten ausschließlich einem geistlichen Gericht, nämlich dem Osnab-
StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 50v. Capitulation perpetua 1650 Art. 26, bei S e e g r ü n / S t e i n w a s c h e r , 350 Jahre Capitulation perpetua, S. 68-69. 1197 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 50v. 1198 B a l d u s zu C. 4, 19, 21 („in l. ad probationem n. 1 C. de Probationibus“), fol. 45v: „Instrumentum nil aliud probat, quam illud quod continetur in eo et quod omittitur in instrumento, presumitur non actum“; B a r b o s a , Thesaurus I, lib. 9 cap. 73 axioma 1, S. 677: „Vnde dici consuevit, instrumentum quod non cantat, nec nos cantare debere“ (mit Verweisen auf Gutiérrez, Pruckmann und Cothmann); B e s o l d / D i e t h e r / F r i t s c h , Thesaurus practicus, Lit I Nr. 23 Instrument, Additio, S. 482 (sprachlich leicht verändert); M e v i u s , Decisiones, p. 1 dec. 16 Anm. 8, S. 16; L a u t e r b a c h , Collegium, S. 271 Nr. LV; Allgemeines Juristisches Oraculum, Bd. 14, Cap. 3 Cons. 2, Rationes decidendi, S. 183; bei L i e b s , Rechtsregeln, nicht nachgewiesen. 1195 1196
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rücker Offizialat, zur Entscheidung vorbehalten sein1199. Das sollte sich aus Art. 25 der Kapitulation ergeben. In der Tat beschäftigte sich die genannte Vorschrift mit der Immunität und Exemtion der Geistlichen. Der Schutzbereich umfaßte nicht nur Geistliche, Klöster und Bedienstete, sondern auch „schatzungen, contributionen, accisen“1200. Vermutlich spielte der Schriftsatzverfasser auf diese Passage an. Den Abschluß seines Argumentationsstranges bildete dann ein Hinweis auf den Instanzenzug: „eben so gewis ist es, daß nach der, angeregten Controvers halber in iudicio officialatus publicirten gravatorial-Sentenz darob gleichfalls nach keinen andern Obergericht als ad iudicium superius ecclesiasticum die Appellation erwachsen sey, mithin habe devolvirt werden mögen art: 4 Capit[ulatio] perpet[ua] Osnab[rugensis] in fine nicht weniger so zu reden klar im Munde führet, daß in causis ecclesiasticis cum omnibus suis speciebus die Appellation ad Metropolitanum vel Pontificem vorbehalten seyn solle.“1201 Erneut versuchte der Schriftsatzverfasser, das spezielle Problem durch den Hinweis auf einen allgemeinen Grundsatz zu umschiffen. In geistlichen Angelegenheiten waren geistliche Gerichte zuständig, und die Appellation mußte an ein geistliches Obergericht erfolgen. Doch das war eine Binsenweisheit und zwischen den Parteien nicht streitig. Tatsächlich stand es genau so in der immerwährenden Kapitulation, aber nur für diejenigen Gegenstände, bei denen es „von alters hero“ so gewesen war. Für diese Fällen blieb sogar die fernere Berufung bis zum Papst ausdrücklich zugelassen1202. Deswegen ist es im übrigen problematisch, wenn Harriet Rudolph das Osnabrücker Offizialat als ständisches territoriales Gericht ansieht1203. Die Einbindung in die kirchliche Hierarchie nämlich führte aus dem Territorium klar hinaus, und genau dies war ausdrücklich erlaubt, wenn auch in unklarem Umfang. cc) Weitere Exzeptionen, Aktenversendung, konfessionelle Vorwürfe Fraglich war im Wiedenbrücker Fall, ob der Abgabenstreit überhaupt eine geistliche Sache betraf und ob man von einem Zivilurteil des Offizialats an ein nicht-landesherrliches Gericht appellieren durfte oder sogar mußte. Wie in einigen älteren Fällen bemühten sich die Beklagten auch hier, das geStA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 51r. Capitulatio perpetua Art. 25, bei S e e g r ü n / S t e i n w a s c h e r , 350 Jahre Capitulatio perpetua, S. 68. 1201 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 51r. 1202 Capitulatio perpetua Art. 4, bei S e e g r ü n / S t e i n w a s c h e r , 350 Jahre Capitulatio perpetua, S. 60. 1203 R u d o l p h , Eine gelinde Regierungsart, Schaubild S. 57. 1199 1200
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richtsverfassungsrechtliche Problem durch eine materiellrechtliche Einordnung des Sachverhalts als geistliche Streitigkeit zu umgehen. Erstaunlicherweise verwiesen die Beklagten auf die Zuständigkeit des Metropolitanbischofs, denn sie hatten ihre Appellation ja gerade nicht an das Kölner Offizialat, sondern direkt an den päpstlichen Nuntius gerichtet. Das alles blieb jedoch in der Schwebe. Zu Fragen der Gerichtsverfassung im allgemeinen stützte sich die Exzeptionsschrift ganz auf das Partikularrechtslehrbuch des protestantischen Göttinger Professors Gottfried Mascov von 17381204. Zugleich protestierte der Schriftsatzverfasser gegen einen angeblichen Verfahrensfehler des Osnabrücker Offizialatsgerichts. Das Stift St. Ägidius und Karl der Große hatte nämlich darum gebeten, „in hac causa immunitatis ecclesiasticae acta ad facultatem iuridicam catholicam“ zu versenden, weil beide Parteien katholisch waren, also sowohl die Stadt Wiedenbrück als auch das Stift. Das war aber nicht geschehen. Das Offizialat hatte die Akte zwar verschickt, aber nach Erfurt, also an eine Juristenfakultät, „welche sich zur Augspurgischen Confession zum Theil bekennet“1205. An dieser Stelle diente der bloße Hinweis auf die gemischte Konfession als juristisches Argument. Anders als Justus Möser, der die im Hintergrund schwebenden Konfessionskonflikte im Fürstbistum Osnabrück nicht ausdrücklich ansprach, behauptete das Wiedenbrücker Stift, die erstinstanzliche Entscheidung sei bereits deswegen falsch, weil protestantische Juristen an der Ausarbeitung beteiligt gewesen seien. Es klang geradezu nach einem Sprachspiel, wenn gegen das angeblich teilweise evangelische Urteil nun die „Reformation (...) unschwer erfolgen dürfte“1206 Die rechtliche Reformation diente hier als Rechtsbehelf gegen die kirchliche Reformation. Weil die Universität Erfurt zweikonfessionell war1207, mußte ihr Urteil prozessual reformiert werden. Das Argument war freilich erstaunlich, denn es enthielt stillschweigend den Vorwurf, das Osnabrücker Offizialat sei selbst in geistlichen Streitigkeiten zwischen katholischen Parteien nicht katholisch genug. Dem Magistrat der Stadt Wiedenbrück warf das Stift vor, er habe gegen den Nuntiaturprozeß unbegründet die „Einrede non deuolutae appellationis“ erhoben, weil er die Zuständigkeit des Nuntius nicht akzeptiert habe. Daran schloß sich erneut ein konfesisonell gefärbter Vorwurf an. Die Stadt habe M a s c o v , Notitia iuris; zu Mascov (1698-1760) S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte III/1, S. 236-237 Noten S. 154-155; F r e n s d o r f f , Die ersten Jahrzehnte, S. 4 1205 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 52v. 1206 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 52v. 1207 Zum Einfluß des Ramismus in Erfurt um 1600 S t o l l e i s , Geschichte I, S. 105; zu Erfurt als neben Heidelberg einzeiger gemischkonfessionellen Universität im 18. Jahrhundert S c h i n d l i n g , Fürstbischof unf Universität, S. 192-193. 1204
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sich nämlich „an die Osnabrückische Regierung augustanae confessionis incompetentissime gewendet“1208. Das war subtil formuliert, denn das Wort „incompetentissime“ schien sich zwar grammatisch auf das Verhalten der Stadt zu beziehen, kennzeichnete aber gleichzeitig die Unzuständigkeit der Regierung, über diese Sache zu entscheiden. Deswegen war es folgerichtig, wenn der Schriftsatzverfasser die reichskammergerichtliche Klage der Regierung dahingehend zusammenfaßte, sie verstoße „contra Rescriptum et privilegium Episcopi Thiderici, anbey auch contra canones et perpetuam Capitulationem Osnabrugensem“1209. Ausdrücklich vermerkte der Schriftsatz, es könne dahinstehen, wie andere Territorien in Schatzungssachen verführen. Jedenfalls für das Hochstift Osnabrück griffen nach seiner Darstellung die dargelegten Zuständigkeiten ein.
f) Die Intervention des kaiserlichen Fiskals Nur drei Wochen, nachdem das Wiedenbrücker Stift die Exzeptionsschrift zu den Akten gereicht hatte, trat der kaiserliche Fiskal auf den Plan. Schon in seiner Supplikationsschrift hatte Justus Möser den Fiskal zum Tätigwerden aufgefordert. Das geschah jetzt. Der Fiskal erklärte die Intervention in den Reichskammergerichtsprozeß und beantragte die Verurteilung des Stifts zu einer Geldstrafe von zehn Mark lötigen Goldes wegen „angemasten unordentlichen Absprungs an ein auswärtiges geistliche Gericht“1210. In seinen Ausführungen lehnte er sich sehr eng an die Supplikation Justus Mösers an. Einige Punkte verdienen dennoch Aufmerksamkeit. Zur Zuständigkeit des Osnabrücker Offizialats meinte der Fiskal, dieses Gericht habe, „gleich mehreren anderen, die Jurisdiction nicht nur in geistlichen, sondern auch weltlichen Sachen hergebracht“1211. Da aber der konkrete Streit weltlicher und nicht geistlicher Art sei, hätte die unterlegene Partei niemals an ein geistliches Obergericht, sondern nur „an ein immediat höheres weltliche Reichs-Gericht“ appellieren dürfen. In einer knappen Zusammenführung betonte der Fiskal, die Anrufung des Apostolischen Nuntius sei „zum Nachtheil, und Abbruch der Reichs-Jurisdiction gereichend, und denen kundbaren Reichs Gesätzen, Kayserl[ichen] Wahl Capitulationen und Rescripten offenbar zuwider“1212. Das waren in aller Kürze dieselben Vorwürfe, die auch die Parteien in ihren Supplikationen auflisteten. Doch handelte es sich in diesem Fall nicht um die womöglich einseiStA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 52v. StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 53r. 1210 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 14, fol. 63v. 1211 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 14, fol. 63r. 1212 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 14, fol. 63r-63v. 1208 1209
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tige Sichtweise einer Prozeßpartei, sondern um die Rechtsauffassung eines kaiserlichen Amtsträgers1213. Deswegen besaßen die Ansichten des Fiskals hohes Gewicht, auch wenn er sich bei der Sachverhaltsermittlung auf die bloße Zusammenfassung der klägerischen Supplikation beschränkte. Die rechtshistorische Dissertation von Rautenberg zum kammergerichtlichen Fiskal beschreibt einen süddeutschen Fall aus der Zeit um 1750, in dem es um die Appellation an die römische Kurie in einer weltlichen Sache ging. Nach dem Ergebnis der Untersuchung ging „man am RKG“ mit großer Ernsthaftigkeit den Vorwürfen des Fiskals wegen Verletzung des Instanzenzuges nach1214. Aber das ist eine vorschnelle Verallgemeinerung, die das Kind mit dem Bade ausschüttet. Allein aus der Dauer eines einzelnen Verfahrens und der Aktendicke kann man die Rechtsprechung des Reichskammergerichts in typischen Konfliktlagen nicht ermitteln. Bekanntlich mußte das Reichskammergericht nicht nur über viele private Klagen, sondern auch über zahlreiche Anträge des Fiskals entscheiden, tat dies aber nicht. Nicht nur zahlreiche Rechtsstreitigkeiten, sondern auch Fiskalatssachen verplätscherten ergebnislos. Der Osnabrücker Rechtsstreit zeigt das ganz anschaulich. Obwohl der Fiskal die Bestrafung des Wiedenbrücker Stifts verlangt hatte, gewährte das Gericht dem Prokurator des Stifts mehrfach Fristverlängerungen1215. Ein Urteil erging nicht, und über das Engagement oder die Ernsthaftigkeit des Kammergerichts verbieten sich daher jedwede Spekulationen. Immerhin steht der Einsatz des Fiskals selbst außer Frage. Der in der Mitte des 18. Jahrhunderts amtierende Fiskal Johann Conrad von Birkenstock stellte mehrfach Strafanträge wegen der Anrufung geistlicher Gerichte in weltlichen Sachen1216. Rautenberg sieht in den fiskalischen Aktivitäten gegen die Rekurse an den Nuntius Beweise für das schwindende Ansehen des Reichskammergerichts. Für die Zeitgenossen galt das Speyerer bzw. Wetzlarer Reichsgericht angeblich nicht uneingeschränkt als höchstes Gericht im Reich1217. Doch auch dies ist irreführend und mit der Quellenlage nicht belegbar. Denn selbst diejenigen, die an den Nuntius appellierten, verstiegen sich zu einer solchen Behauptung nicht. Niemals sprachen sie Zu seiner Stellung S m e n d , Reichskammergericht, S. 359-363; R a u t e n b e r g , Fiskal, S. 7-12; guter Überblick bei O b e r s t e i n e r , Reichshoffiskalat, S. 89-134. 1214 R a u t e n b e r g , Fiskal, S. 139. 1215 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Protokollbuch, Zwischenurteile vom 23. Februar 1770 (fol. 5r), 15. Oktober 1770 (fol. 7r), 17. Februar 1772 (fol. 10r). 1216 R a u t e n b e r g , Fiskal, S. 138; Birkenstocks Unterschrift auch in StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 14, fol. 64r; ein älterer Fall bei M o s e r , Teutsches Staats-Recht IV, S. 30 § 21. 1217 R a u t e n b e r g , Fiskal, S. 138. 1213
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dem päpstlichen Legaten Zuständigkeiten für die Reichsjustiz zu oder stellten ihn über das Reichskammergericht. Vielmehr nahmen sie die Weichenstellung schon viel früher vor. Ganze Bereiche des Lebens und damit zahlreiche Streitigkeiten überhaupt sollten gar nicht mehr in die Zuständigkeit der weltlichen Gewalt fallen. Für die kammergerichtlichen Kläger war es zweifellos ein großer Vorteil und vielleicht auch Ansehensgewinn, wenn der Fiskal sie unterstützte, auch wenn dies die Wahrscheinlichkeit, ein Urteil zu erlangen, wohl nicht ernsthaft erhöhte. Aber die Behauptung, die Grundfesten der Reichsverfassung zu verteidigen, ließ sich besonders gut vertreten, wenn man den Reichsfiskal auf seiner Seite wußte.
g) Justus Mösers Replikschrift Einige Monate später überreichte der Osnabrücker Prokurator im Juni 1769 die von Justus Möser konzipierte Replikschrift. Er ereiferte sich über die Argumentation der Gegenseite, die „ins Abentheüerliche verfällt, und dem gantzen Reichssteüerwesen auf einmal seine gantze Stüze entziehen würde“1218. Im wesentlichen konzentrierte sich Justus Möser auf drei Gedankengänge. Zunächst schloß er von der Verfügungsfreiheit über Grund und Boden auf die grundsätzliche Steuer- und Abgabenpflicht auch der Geistlichkeit. Sodann malte er das Verhältnis geistlicher und weltlicher Herrschaft mit Beispielen aus der Osnabrücker Verfassungsgeschiche näher aus. Schließlich unterstrich er, teilweise hämisch und süffisant, die Unzuständigkeit geistlicher Gerichte in Steuerangelegenheiten. aa) Abgabenpflicht und Verfügungsfreiheit über Grundstücke In Osnabrück, meinte Möser, herrsche eine üble Gewohnheit. Grundstücke dürfe jedermann ohne gerichtliche Erlaubnis kaufen und verkaufen1219. Deswegen könne auch die Kirche solche Grundstücke jederzeit erwerben. Die weitgehende Erwerbsfreiheit sah Möser notwendig mit einer Gleichheit bei der Abgabenpflicht verbunden. Wenn nämlich Grundabgaben fällig würden, könne es nicht vom zufälligen Eigentümer abhängen, ob es sich um weltliche oder geistliche Angelegenheiten handele. Insbesondere sei es ab1218 1219
StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 15, fol. 66v. Überblick zur richterlichen Mitwirkung an Grundstücksgeschäften bei S t o b b e , Handbuch II/1, S. 172-175.
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wegig zu behaupten, solche Gegenstände müßten „vor dem Geistlichen Richter, und zulezt vor dem päbstlichen Stuhl“ verhandelt werden1220. Mit einem erstaunlichen Argument gelang Justus Möser hier die Ausdehnung weltlicher Streitgegenstände auch auf geistliche Grundeigentümer. Die genehmigungsfreie Verfügung über Grund und Boden war für ihn ein selbstverständliches privatrechtliches Rechtsgeschäft. Wenn kirchliche Rechtsträger sich daran beteiligten, so konnte man nur schließen, handelten sie in diesen Sachen wie eine Privatperson und nicht wie eine geistliche Institution. Die Frage, ob und in welcher Höhe Grundabgaben zu entrichten waren, traf deswegen jeden Eigentümer in derselben Weise. Es ist nicht sicher, ob Möser hier von einem allgemeinen Prinzip ausging oder ob er seine Lehre ausschließlich auf neu hinzugekaufte Grundstücke in kirchlichem Eigentum bezogen sehen wollte. Der Rechtsstreit bezog sich nur auf die zweite Frage, und zur allgemeinen Steuerpflicht der schon lange zur Kirche gehörenden Ländereien äußerte sich Möser ausdrücklich nicht. Mit der Formel von „Bürgerpflichtigen Gründen“1221 behielt er sich jedenfalls die Möglichkeit vor, bestimmte Grundstücke von vornherein von jeder Steuerpflicht auszunehmen. Andererseits zählte ein erheblicher Teil des Kirchenlandes zu genau diesem bürgerpflichtigen Grund und Boden. bb) Rückgriff auf die territoriale Verfassungsgeschichte Ebenso wie das beklagte Stift St. Ägidius und Karl der Große führte auch Justus Möser in seiner Replikschrift mehrere verfassungsgeschichtliche Beispiele an, um seine Rechtsauffassung zu belegen. Zunächst verwies er auf die Freiheit der Kirche zur Zeit Karls des Großen und ging damit bis zu den ältesten Quellen der Osnabrücker Geschichte zurück1222. Auch in Hamburg übrigens bildete der Rückgriff auf die Karolingerzeit die erste Stufe einer historischen Problemherleitung1223. Das Neben-, Mit- und Gegeneinander weltlicher und geistlicher Herrschaft in Deutschland bis in die Frankenzeit zurück war den Zeitgenossen im 18. Jahrhundert also jederzeit bewußt. Als mittelalterliches Beispiel für die Trennung weltlicher und kirchlicher Macht und Gerichtsgewalt diente Justus Möser ein „Privilegium omnes advocatias sui StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 15, fol. 66v. StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 3, fol. 20v. 1222 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 15, fol. 66v; zitiert wird: Karl der Große „Cap. L 1 Cap. 83“, unklarer Hinweis, vielleicht ist die spätere Synode von Meaux und Paris von 845/846 gemeint, bei H ar t m a n n , Konzilien, Nr. 11, S. 127, c. 83; B o r e t i u s / Kr a u s e , Capitularia II, Nr. 293, Index S. 395 c. 83. 1223 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 15-18, Art. 1. 1220 1221
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Episcopatus in complexu“1224, das Bischof Konrad von Osnabrück 1232 von Kaiser Friedrich II. erhalten hatte. Tatsächlich gab es 1232, im Jahr des Statutum in favorem principum1225, sogar mehrere kaiserliche Rechtsakte zugunsten oder unter Mitwirkung des Osnabrücker Bischofs. Bischof Konrad von Osnabrück weilte Ende 1231 am Hofe Kaiser Friedrichs II. in Ravenna und erscheint als Zeuge eines „in forma iudicii“ ergangenen Gesetzes, das später als Gesetz gegen die Freiheit der Bischofsstädte in die Literatur einging. Alle bürgerschaftlichen Zusammenschlüsse in Bischofsstädten wie Gemeindevertretungen, Bürgermeister und Zünfte wurden darin aufgehoben, soweit nicht der Bischof ausdrücklich ihrer Errichtung zugestimmt hatte1226. Zahlreiche Ausfertigungen der Urkunde gingen Ende 1231 und Anfang 1232 an verschiedenste Bischöfe des Reiches. Im Mai 1232 verkündete Kaiser Friedrich II. auf dem Hoftag von Pordenone1227 zwei Urteile, die auf Anfrage des Osnabrücker Bischofs ergangen waren. Es ging um die Teilung von Grundstücken sowie um die Übertragbarkeit von Zinsgütern1228. Die historischen Details spielten für Justus Möser aber nur eine untergeordnete Rolle, wenngleich er in seiner Osnabrückischen Geschichte genau diese Urkunde edierte1229 und damit zweifellos genaue Quellenkenntnis besaß. Wichtig für Mösers praktische Arbeit in diesem Rechtsstreit war allein die Schlußfolgerung: „Was der Bischof erhielt, das erhielt er als Reichsfürst, und blieb dafür unter der Verpflichtung, der gemeinen Reichs defension und Reichssteür. Er blieb deshalben sowohl nach der ausdrücklichen Vorschrift der canonischen Rechte, als der bekannten Lehre und Reichsgesezen den höchsten Reichsgerichten unterworfen.“1230 Die Stroßrichtung war damit klar. Geistliche Herrscher übten seit jeher weltliche Landesherrschaft aus. Daran hatten die Privilegien zugunsten der Kirche und einzelner Bischöfe nichts geändert, so zahlreich sie auch sein mochten. StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 15, fol. 67r. Abdruck der Quelle bei W e i n r i c h , Quellen bis 1250, S. 434-439; Z e u m e r , Quellensammlung, Nr. 53 S. 55-56; zur verfassungsgeschichtlichen Bedeutung W i l l o w e i t , Verfassungsgeschichte, S. 66-67. 1226 Z e u m e r , Quellensammlung, Nr. 52 S. 53-54; Übersetzung: W e i n r i c h , Quellen bis 1250, S. 429-433; auch bei R o t t e r , Die Zeit von Philipp von Schwaben, Nr. 326 S. 277279. 1227 Dazu B e n e d e t t i , La curia generale, S. 37-58, kein Hinweis auf den Osnabrücker Bischof in der Zeugenliste S. 44, aber Urkunde Nr. IV ebd. S. 50-51. 1228 R o t t e r , Die Zeit von Philipp von Schwaben, Nr. 335 S. 287-288; P h i l i p p i , Osnabrükker Urkundenbuch II, S. 232-233 Nr. 292, ebenfalls vom Kaiser an den Bischof ebd. Nr. 290-291 S. 230-232. 1229 M ö s e r , Osnabrückische Geschichte IV, Nr. CLVI S. 211-212; Hinweis auf diese Edition auch bei B e n e d e t t i , La curia generale, S. 51; P h i l i p p i , Osnabrücker Urkundenbuch II, S. 232 Nr. 292. 1230 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 15, fol. 67r. 1224 1225
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Und als Reichsfürsten unterlagen die geistlichen Landesherren denselben Pflichten wie weltliche Herrscher ebenfalls. cc) Unzuständigkeit der geistlichen Gerichte in Steuersachen Wie bereits in der Supplikationsschrift unterstrich Möser abermals den engen Zusammenhang zwischen Steuerfragen und der Verteidigung des Reiches, vielleicht weil Militärangelegenheiten ohne weiteres als weltliche Sachen einsichtig waren. Die Überleitung zur Gerichtszuständigkeit war dann einfach. Der geistliche Richter konnte nach Mösers Auffassung die Feinheiten der Steuererhebung mitsamt den diversen Zustimmungserfordernissen der Stände überhaupt nicht kennen. Inkompetenz war ein Vorwurf, den die Kläger gegenüber den geistlichen Gerichten immer wieder erhoben, wenn sie sich in Zivilsachen einmischten. An dieser Stelle war das durchaus im doppelten Sinne des Wortes gemeint. Möser bezog sich also nicht nur auf die formale Unzuständigkeit, sondern auch materiell auf die mangelnde Beschlagenheit des geistlichen Gerichts in den zu entscheidenden Rechtsfragen. Der inkompetente Richter war auf diese Weise nicht nur ein falscher, sondern auch ein schlechter Richter. In einer Randglosse zitierte der Schriftsatz eine päpstliche Dekretale aus den Jahren um 1180. Schon seit der frühen Blüte des kanonischen Rechts erkannte die Kirche die Zuständigkeit der weltlichen Gerichte an. Genau das unterstrich Möser mit seinem Hinweis, ohne es laut sagen zu müssen. Die Dekretale stammte von Alexander III., einem der großen mittelalterlichen Päpste, der gerade wegen seines Einsatzes für die Reform des Gerichtsverfahrens bekannt ist1231. Er legte darin die Lehenspflichten geistlicher Lehensnehmer fest und unterstellte sie ohne weiteres der Lehensgerichtsbarkeit ihres Oberherrn. Ausdrücklich blieb offen, ob es sich um eine kirchliche Angelegenheit handelte, denn anderenfalls sollte die Entscheidung „imperiali beneplacito“ vorbehalten sein1232. Für Möser reichte dieser knappe Hinweis zur Untermauerung seiner These aus, auch Bischöfe unterständen weiterhin der Gerichtsbarkeit des Reiches. Geradezu süffisant malte Justus Möser die Konsequenzen aus, die sich aus der Rechtsauffassung des beklagten Stifts ergaben, und verwarf sie in vollen Tönen: „so wird es jedannoch von dem höchsten Reichs-Oberhaupt nie zugegeben werden können, daß außer dem ersten Fall (: denn auf das Kirchen Orbar welches (...) 1231 1232
P e n n i n g t o n , Pope Alexander III, S. 120; L au d ag e , Alexander III., S. 223-238. X. 2, 7, von Möser zitiert: StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 15, fol. 67r; ganz knapper Hinweis zur Sache bei L i t e w s k i , Zivilprozeß, S. 118, 137.
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dem Clero pro Servitio parochiali publico zugeleget ist, hat der teutsche Staat ein für allemahl freiwillig verzicht gethan:) der Pabst in materia collectarum imperii der Oberrichter seye oder es mus aller höchst dasselbe auch zugeben, daß die Reichs und CraißSteurn, welche à Comitalibus, Castris, Advocatis, (...) Clero per privilegia imperatoria assignatis bezahlet (...) werden müste, in Cancellaria Romana angesetzt und ermässigt werden können“1233. Mit dem Verweis auf das Kirchenurbar spielte Möser auf eine zentrale Quellengruppe an. Man versteht darunter zum einen ertragbringende Grundstücke von Grundherrschaften sowie zugleich die Bestandsverzeichnisse, die solche Grundstücke und andere Einnahmequellen einem Herrschaftsträger zuordneten1234. Für Möser war das der einzige Fall vollständiger Befreiung kirchlicher Träger von weltlichen Abgaben und Gerichtsbarkeit. Die im Urbar verzeichneten Grundstücke dienten „pro Servitio parochiali publico“ und damit geistlichen und nicht weltlichen Zwecken. Der deutsche Staat, wie das Heilige Römische Reich sprachlich erstaunlich modern hieß1235, habe darauf ein- für allemal verzichtet. Formuliert aus der Perspektive des römisch-deutschen Kaisers befestigte Möser seine Auffassung durch ironische Erweiterungen. Auch Reichs- und Kreissteuern dürfe doch nicht die päpstliche Kurie festsetzen! Das hatte das Wiedenbrücker Stift im übrigen gar nicht behauptet. Vielmehr ging es nur darum, ob sich das Stift der weltlichen Gerichtsgewalt in abgabenrechtlichen Streitfällen fügen mußte oder entziehen durfte. Die Verallgemeinerung auf sämtliche Steuern und Abgaben stellte freilich sofort klar, wie aberwitzig die Rechtsauffassung des Wiedenbrücker Stifts war und wie abgewogen Mösers historisch unterfütterte Sichtweise sich davon abhob. Selbst der moderne Leser kann sich von Mösers Spitzfindigkeit kaum freimachen und erliegt dem Reiz seiner Sprache. Das leitet zu einem weiteren Gesichtspunkt über, der nur der Vollständigkeit halber anzufügen ist. Justus Möser verband nämlich bei der Prozeßführung seine journalistischen und juristischen Fähigkeiten miteinander. In einem späteren Schriftsatz fügte er zwei von ihm selbst verfaßte Artikel aus dem „Osnabrückischen Intelligenzblatt“ als Anlagen bei. Auf diese Weise konnte er auf eine vorgebliche öffentliche Meinung verweisen, ein Kopfschütteln, mit dem angeblich „ein Freyer oder auswärtiger Besitzer bürgerlicher
StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 15, fol. 71v. Definitionen bei H ä g e r m a n n , Urbar, Sp. 1286-1289; R ö s e n e r , Urbar, Sp. 558-562. 1235 Zum Begriff des Reichs-Staats im 18. Jahrhundert, vor allem bei Pütter: S c h m i d t , Geschichte des Alten Reiches, S. 42-44, 288; sehr pointiert aus heutiger Sicht S t o l l b e r g R i l i n g e r , Das Heilige Römische Reich, S. 7: kein Staat und kein Staatenbund. 1233 1234
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Ländereyen“ Steuergerechtigkeit einforderte1236. Besonders transparent war das kaum, hatte er selbst doch die beklagte öffentliche Verunsicherung geschürt und genährt. Aber seine Autorschaft im Intelligenzblatt legte Möser vor Gericht nicht offen. Das war vielleicht nicht ganz redlich, aber anwaltstaktisch brillant. Ein Endurteil des Reichskammergerichts zu dieser Sache erging nicht. Mit einem letzten Kompleturvermerk schloß das Gericht im Dezember 1772 endgültig die Akten. Damit blieb freilich zugleich das Mandat in Kraft. Die Beklagten waren mit ihren Exzeptionen nicht durchgedrungen. Im Ergebnis hatten Justus Möser und die Osnabrücker Regierung gewonnen.
3. Ergebnis Im Vergleich zu den älteren Münsteraner Prozessen zu praktisch denselben Streitgegenständen fällt die erheblich verfeinerte, umfangreichere und historisch rückgebundene Argumentation der Parteien im Osnabrücker Rechtsstreit aus dem 18. Jahrhundert auf. Noch stärker als der offensichtliche Unterschied erscheinen freilich die Gemeinsamkeiten. Das kammergerichtliche Mandat hieß im Osnabrücker Fall zwar anders, bezweckte in der Sache aber die Kassation des Nuntiaturprozesses und die Vollstreckung des erstinstanzlichen Offizialatsurteils. Genau das hatten die Münsteraner Kläger 170 Jahre zuvor ebenfalls schon erreicht. Die wesentliche Neuerung des 18. Jahrhunderts betraf also nicht den Streitgegenstand, der ganz augenscheinlich ein unlösbares Dauerproblem der frühneuzeitlichen Gerichtsverfassung markierte, wenn auch seine Häufigkeit abnahm. Entscheidend ist vielmehr ein auf den ersten Blick formaler Punkt, nämlich die Parteistellung. Jetzt verklagte eine Landesregierung ihre eigenen Untertanen vor den Schranken der Reichsgerichte. Das war bereits als solches ungewöhnlich. In der neueren Forschung haben vor allem Prozesse von Untertanen gegen ihre Landesherren starke Beachtung gefunden1237. Die damit verbundenen weitreichenden Vermutungen über den Ruf des 1236
1237
StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 36, fol. 148r. Die beiden Anlagen stammen aus dem 20. und 26. Stück des Intelligenzblattes von 1771; zu Mösers Tätigkeit für das Intelligenzblatt W e l k e r , Rechtsgeschichte, S. 435-444. T r o ß b a c h , Reichsgerichte, S. 129-142; S ai l e r , Richterliches Selbstverständnis, S. 3-5; d i e s . , Untertanenprozesse, passim; A r n d t , Fall Meier Cordt, S. 8, 14; G ab e l , Daß ihr künftig, S. 273-280; M a u r e r , Lahrer Prozeß, S. 142-148, 168-178; Forschungsbericht bei O r t l i e b / W e s t p h a l , Höchstgerichtsbarkeit, S. 299.
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Ländereyen“ Steuergerechtigkeit einforderte1236. Besonders transparent war das kaum, hatte er selbst doch die beklagte öffentliche Verunsicherung geschürt und genährt. Aber seine Autorschaft im Intelligenzblatt legte Möser vor Gericht nicht offen. Das war vielleicht nicht ganz redlich, aber anwaltstaktisch brillant. Ein Endurteil des Reichskammergerichts zu dieser Sache erging nicht. Mit einem letzten Kompleturvermerk schloß das Gericht im Dezember 1772 endgültig die Akten. Damit blieb freilich zugleich das Mandat in Kraft. Die Beklagten waren mit ihren Exzeptionen nicht durchgedrungen. Im Ergebnis hatten Justus Möser und die Osnabrücker Regierung gewonnen.
3. Ergebnis Im Vergleich zu den älteren Münsteraner Prozessen zu praktisch denselben Streitgegenständen fällt die erheblich verfeinerte, umfangreichere und historisch rückgebundene Argumentation der Parteien im Osnabrücker Rechtsstreit aus dem 18. Jahrhundert auf. Noch stärker als der offensichtliche Unterschied erscheinen freilich die Gemeinsamkeiten. Das kammergerichtliche Mandat hieß im Osnabrücker Fall zwar anders, bezweckte in der Sache aber die Kassation des Nuntiaturprozesses und die Vollstreckung des erstinstanzlichen Offizialatsurteils. Genau das hatten die Münsteraner Kläger 170 Jahre zuvor ebenfalls schon erreicht. Die wesentliche Neuerung des 18. Jahrhunderts betraf also nicht den Streitgegenstand, der ganz augenscheinlich ein unlösbares Dauerproblem der frühneuzeitlichen Gerichtsverfassung markierte, wenn auch seine Häufigkeit abnahm. Entscheidend ist vielmehr ein auf den ersten Blick formaler Punkt, nämlich die Parteistellung. Jetzt verklagte eine Landesregierung ihre eigenen Untertanen vor den Schranken der Reichsgerichte. Das war bereits als solches ungewöhnlich. In der neueren Forschung haben vor allem Prozesse von Untertanen gegen ihre Landesherren starke Beachtung gefunden1237. Die damit verbundenen weitreichenden Vermutungen über den Ruf des 1236
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StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 36, fol. 148r. Die beiden Anlagen stammen aus dem 20. und 26. Stück des Intelligenzblattes von 1771; zu Mösers Tätigkeit für das Intelligenzblatt W e l k e r , Rechtsgeschichte, S. 435-444. T r o ß b a c h , Reichsgerichte, S. 129-142; S ai l e r , Richterliches Selbstverständnis, S. 3-5; d i e s . , Untertanenprozesse, passim; A r n d t , Fall Meier Cordt, S. 8, 14; G ab e l , Daß ihr künftig, S. 273-280; M a u r e r , Lahrer Prozeß, S. 142-148, 168-178; Forschungsbericht bei O r t l i e b / W e s t p h a l , Höchstgerichtsbarkeit, S. 299.
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Reichskammergerichts bei den sprichwörtlich kleinen Leuten verlangen angesichts solcher Fälle wie des hier ausgewerteten nach einer erheblichen Einschränkung. Jedenfalls nach zeitgenössischer Auffassung nicht nur der Osnabrücker Regierung, sondern auch des Reichskammergerichts und des Fiskals verstieß das Wiedenbrücker Stift St. Ägidius und Karl der Große in diesem Konflikt gegen die Reichs- und Landesverfassung. Wenn die moderne rechtshistorische Forschung nicht berufen ist, über Recht und Unrecht in der Vergangenheit zu richten, so ist also auch bei Untertanenprozessen Vorsicht angebracht. Zumindest ist es problematisch, aus einem sicherlich verständlichen modernen rechtspolitischen Wohlwollen heraus die Rechtsauffassung von Untertanen in Konflikten mit ihren Landesherren immer als berechtigt, diejenigen der Herrschaften dagegen als unterdrückerisch anzusehen. Nicht immer standen die braven und tapferen Bauern und Bürger den adligen Blutsaugern gegenüber, so schnell solch leicht klassenkämpferisch angehauchtes Zerrbild auch zur Hand sein mag. Nach einem schönen Bonmot von Nipperdey ist die Grundfarbe der Geschichte grau1238, und das gilt auch für Rechtsstreitigkeiten zwischen frühneuzeitlichen Territorialherren und ihren Untertanen. Gerade für die hier interessierenden Klagen von Regierungen gegen ihre Einwohnerschaft kann man das Verrechtlichungsparadigma von Winfried Schulze und anderen1239 durchaus nutzbar machen. Waren es zu Beginn des 16. Jahrhunderts Untertanen, die gegeneinender und später im Konflikt mit ihren Regierungen rechtliche Institutionen zur Streitentscheidung anriefen, so nahmen im 18. Jahrhundert jedenfalls teilweise auch Regierungen die Reichsgerichte in Anspruch, um unbotmäßige Untertanen nicht gewaltsampolitisch, sondern gerichtsförmlich in ihre Schranken zu weisen. Eine vorschnelle Vereinnahmung des Reichskammergericht als Forum vornehmlich zum Schutz der Untertanen wäre angesichts der wechselnden Parteistellungen ungenau. Ein wenige Jahrzehnte älterer Fall aus dem Hochstift Hildesheim unterstreicht diesen Eindruck, zeigt aber zugleich eine nochmals verschärfte Auseinandersetzung. Doch zuvor gilt es, einen weiteren Befund festzuhalten. Die Hinweise auf die Belehnung des Landesherrn durch die römisch-deutschen Kaiser spielten in den Münsteraner Prozessen eine erheblich größere Rolle als in Osnabrück. Der Grund dafür mag auf der Hand gelegen haben. In Münster war die Reichsunmittelbarkeit des Territoriums streitig, in Osnabrück dage1238 1239
Beeindruckender Schlußsatz in N i p p e r d e y , Deutsche Geschichte 1866-1918 II, S. 905. S c h u l z e , Bäuerlicher Widerstand, S. 141; ergänzend B l i c k l e , Unruhen, S. 78-92; H o l e n s t e i n , Bauern, S. 109-110; O r t l i e b / W e s t p h a l , Höchstgerichtsbarkeit, S. 299; differenzierend H ä r t e r , Soziale Unruhen, S. 100: Unzufriedenheit von Untertanen mit der Langsamkeit des Reichskammergerichts.
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gen nicht. Deswegen bestand weniger Veranlassung, das Lehensrecht zur Verteidigung der weltlichen Gerichtsgewalt heranzuziehen. Bemerkenswert erscheint die augenfällige Bedeutung der Landesgeschichte und der partikularen Rechtsquellen für die Entscheidung streitiger Zuständigkeitsfragen. Die Rückbindung an die Osnabrücker Capitulatio perpetua macht das überdeutlich, aber auf diesen Gesichtspunkt ist bei der Betrachtung anderer Territorien zurückzukommen. In Hamburg ging es um Vereinbarungen zwischen dem städtischen Rat und dem Domkapitel bzw. dem Erzbischof von Bremen-Verden1240. In Jülich-Berg knüpften zahlreiche Gerichtsstandskonflikte an den Provisionalvergleich mit Kurköln von 1621 an1241. Andernorts war es genau so. Damit läßt sich hier ein erster Eindruck formulieren, der sich im Laufe der Untersuchung verfestigen wird. Die Abgrenzung der weltlichen und kirchlichen Gerichtsbarkeit erscheint auf den ersten Blick wie ein allgemeingehaltenes Grundproblem des gelehrten Rechts. In den Niederungen der Praxis und das heißt vor Gericht waren die im Einzelfall gefundenen Lösungen aber oftmals verschieden. Die Buntheit, die der frühneuzeitliche Rechtspluralismus im materiellen Recht zur Folge hatte, gab es auch im Bereich der Gerichtsverfassung. Das spricht abermals dafür, ausgehend von der politisch-geographischen Gliederung die Streitigkeiten getrennt nach Territorien darzustellen. Damit fällt der Blick von Osnabrück auf Hildesheim.
Bremer Vergleich 1561; Stader Rezeß 1692, beide in: StA Hamburg Best. 211-2 Nr. V 15; Einzelnachweise im Sachregister. 1241 Provisionalvergleich 1621, in: LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 18, fol. 28r-38r; späterer Druck bei S c o t t i , Sammlung Jülich I, Nr. 206, S. 73-82; zum Provisionalvergleich R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 70-94; Einzelnachweise im Sachregister. 1240
IV. Der Streit um den Rekurs an die päpstliche Kurie im Hochstift Hildesheim
Aus dem Fürstbistum Hildesheim ist ein sehr umfangreicher Rechtsstreit aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts überliefert. Er thematisierte umfassend die Zuständigkeiten geistlicher und weltlicher Gerichte und die damit verbundenen Instanzenzüge und bezog sogar Kaiser und Papst persönlich in die Auseinandersetzung ein. Im Vergleich zum Hochstift Münster fällt beim ersten Blick auf die Quellenüberlieferung bereits die erheblich weiter vorangeschrittene Trennung geistlicher und weltlicher Gerichte in Hildesheim ins Auge. Bei aller Schwierigkeit, verläßliche Zahlenangaben zu ermittlen, besitzen die ungefähren Werte dennoch hohe Aussagekraft. In Münster stehen sich im Bestand der Kammergerichtsakten 895 Fälle mit erstinstanzlichem Beginn am weltlichen Hofgericht und 561 andere Prozesse gegenüber, in denen der Ausgangsstreit vor dem Offizialat begann1242. Das Offizialat war damit in deutlich über einem Drittel der einschlägigen Reichskammergerichtsprozesse Vorinstanz. Das entspricht dem hier gewonnenen Eindruck, wonach das Offizialatsgericht neben seinen geistlichen Funktionen jedenfalls auch ein reguläres Zivilgericht für weltliche Streitigkeiten jedweder Art war. In Hildesheim war das augenscheinlich anders. In 878 Prozessen bildete die Hildesheimer Regierung die Vorinstanz, in 120 Fällen das weltliche Hofgericht. Lediglich dreimal erscheint das Offizialat als erste Instanz, also in deutlich weniger als einem Prozent der Streitigkeiten1243. Die Appellation vom Offizialatsgericht an das Reichskammergericht war somit in Hildesheim ganz im Gegenteil zu Münster sehr ungewöhnlich. Das Kölner Offizialat, das in den westfälischen Kammergerichtsprozessen immerhin 241mal als Vorinstanz genannt ist1244, taucht als Hildesheimer Vorinstanz überhaupt nicht auf, obwohl über weite Zeit im 17. und 18. Jahrhundert die Kölner Kurfürsten aus dem wittelsbachischen Hause in Personalunion zuAuszählung bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches III, S. 439; G ab e l , Einfluß, S. 82 Anm. 33, mit dem Hinweis, vor den Justizreformen von 1571 seien nur weniger als zwanzig Appellationen vom Münsteraner Offizialat nach Speyer nachweisbar. 1243 Ermittelt nach dem Register der Vorinstanzen bei K au e r t z , Akten IV, S. 3215-3216. 1244 Ermittelt nach dem Register der Vorinstanzen bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte des Alten Reiches III, S. 435. 1242
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gleich Bischöfe von Hildesheim waren (1573-1688, 1702-1761)1245. Das trifft sich mit der Einschätzung Schraders, wonach das Hildesheimer Offizialat ab dem 17. Jahrhundert ohnehin an Bedeutung verloren habe1246. Freilich deckten sich in Hildesheim die Diözesangrenzen nicht mit den Grenzen des Hochstifts1247. In Münster war das seit dem 17. Jahrhundert anders. Das sog. Große Hildesheimer Stift gehörte von 1523 bis 1643 politisch zu den welfischen Fürstentümern Calenberg und Wolfenbüttel1248, und dort breitete sich der Protestantismus immer stärker aus. Auch nach der Wiederherstellung der geistlichen Landeshoheit blieb das Hochstift gemischtkonfessionell1249. Die enge politische Verflochtenheit mit Kurköln änderte auch nichts an der festen geistlichen Anbindung Hildesheims an Mainz. Kirchenorganisatorisch blieb das Bistum Hildesheim dem Erzbistum Mainz als Suffraganat zugeordnet1250. Auch dies kommt im überlieferten Prozeßbestand des Reichskammergerichts aber nicht zum Ausdruck. Lediglich in zwölf Verfahren erscheint das Hofgericht des Kurerzstifts Mainz, also ausdrücklich nicht das Offizialat, als Vorinstanz, und in einem anderen Fall war eine Mainzer päpstliche Kommission in einen Rechtsstreit eingebunden1251. Aus der Vogelperspektive des Reiches erscheint die Zuständigkeitsüberlappung geistlicher und weltlicher Gerichte, die in Münster eine pure Selbstverständlichkeit war, in Hildesheim als kein nennenswertes Problem. So heikel Quantifizierungen auch sind, sprechen die sehr eindeutigen Zahlen doch für eher klare Verhältnisse in Hildesheim. Im Hochstift Hildesheim waren die Instanzenzüge der geistlichen Gerichte von der weltlichen Justiz weitgehend entflochten. Zugleich unterstanden die geistlichen Richter auch nicht den Reichsgerichten. Deswegen verdienen die wenigen aus der Reihe fallenden einschlägigen Rechtsstreite besondere Aufmerksamkeit. Die Argumentationslinien verliefen dort bei zahlreichen Übereinstimmungen mit Zur bayerischen Sekundogenitur über die Fürstbistümer F e i n e , Rechtsgeschichte, S. 580; R e i n h a r d t , Reichskirchenpolitik, S. 272. 1246 S c h r a d e r , Die bischöflichen Offiziale, S. 129. 1247 Die traditionellen Diözesangrenzen bei K r o e s c h e l l , recht unde unrecht, S. 137. 1248 S c h n a t h , Geschichte, S. 38; d e r s . , Sachsenstamm, S. 44, 46; A s c h o f f , Bistum Hildesheim, S. 20; K a u e r t z , Akten I, S. 28. 1249 F o e r s t e r , Kurfürst Ferdinand von Köln, S. 57-124; H u m m e l , Wiederherstellung, S. 94-95; zum Konfessionskonflikt S c h n e i d e r , Ius Reformandi, S. 441-444; knapp: D u n c k e r , Hildesheim, Sp. 1029; aus der Perspektive der Ritterschaft O b e n au s , Matrikel, S. 150-152; K l i n g e b i e l , Landtagsabschiede, S. 27, 41, 48. 1250 M a y , Organisation, S. 19, 192 (Appellation von Hildesheim nach Mainz), zur Zuständigkeit des Offizials für die Suffraganate ebd. 277, 279, 361-365; d e r s . , Instanzenzug, S. 118-119; d e r s . , Metropolitangericht, S. 525; S c h r ad e r , Die bischöflichen Offiziale, S. 102; ganz knapp auch K ö b l e r , Historisches Lexikon, S. 282. 1251 Ka u e r t z , Akten IV, S. 3217. 1245
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den bisher beschriebenen Streitfällen doch etwas anders, und außerdem erreichten die Weiterungen bisher ungekannte Ausmaße. Die Verfassungsgeschichte des Fürstbistums bildet den Ausgangspunkt der spektakulärsten Auseinandersetzung und sei mit wenigen Strichen skizziert. Die zahlreichen territorialen Änderungen des Hochstifts Hildesheim führten nämlich teilweise zu erheblichen Verschiebungen in der Zusammensetzung der jeweils landtagsfähigen Adligen und Institutionen. Die Zersplitterung war jedenfalls groß, wie allein 65 landtagsfähige Rittersitze veranschaulichen1252. Zahlreiche geistliche Klöster und Stifte zählten ebenfalls zu den Landständen (sog. Sieben Stifter)1253, und genau hieran knüpft der im folgenden ausführlich zu behandelnde Hildesheimer Konflikt an. Der Forschungsstand zum Hochstift Hildesheim ist vergleichsweise bescheiden. Das in der Mitte des 17. Jahrhunderts reorganisierte geistliche Territorium galt in der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, ja bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, als unzeitgemäßer Rückschritt und bot aus diesem Blickwinkel ein wenig attraktives Forschungsfeld für die evangelisch angehauchte Landesgeschichte1254. Vor dem großen Streit zwischen der Landesregierung und dem Kollegiatstift St. Johannes sind kurz drei weitere Hildesheimer Reichskammergerichtsprozesse zu streifen. In der Zeit um 1700 entbrannte eine Auseinandersetzung zwischen dem Kollegiatstift St. Crucis in Hildesheim und Bauermeister und Gemeinde zu Dinklar. Das Kreuzstift forderte von einem Kurt Fliege Zehntabgaben für acht Morgen Weideland, doch Fliege bestritt im Einvernehmen mit der Gemeinde das Universalzehntrecht des Stifts. Jetzt klagte das Kreuzstift bei der Hildesheimer Regierung und gewann. Gegen das Urteil wiederum appellierte die Gemeinde Dinklar an das Wetzlarer Reichskammergericht1255. Im gedruckten Findbuch finden sich keine weiteren Angaben. Johann Ulrich von Cramer berichtete aber in seinen „Wetzlarischen Nebenstunden“, wie sehr sich das Kollegiatstift „ex capite non Devolutionis Causae ex qualitate Causae Ecclesiasticae & spiritualis“ gegen den Kammergerichtsprozeß gewehrt habe. Das Reichskammergericht bejahte dennoch seine Zuständigkeit, erkannte auf Ladung und erließ später in der Sache sogar ein Mandat „aus der Ursach (...), weil die Sach Possessorem laicum
L ü c k e , Landständische Verfassung, S. 39: 65 Sitze mit 75 Stimmen; O b e n au s , Matrikel, S. 157-164; zur Geschichte der einzelnen Rittersitze R e d e n - D o h n a , Rittersitze, S. 37-413; Hinweis auch bei K a u e r t z , Akten I, S. 34. 1253 L ü c k e , Landständische Verfassung, S. 32-38; A s c h o f f , Bistum Hildesheim, S. 20. 1254 H u m m e l , Wiederherstellung, S. 85-86, mit treffenden Verweisen auf einschlägige Stellungnahmen von S c h n a t h , Geschichte, S. 38; d e r s . , Vom Sachsenstamm, S. 46. 1255 Repertoriumsangaben bei K a u e r t z , Akten I, lfd. Nr. 526, S. 518-519. 1252
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betreffe“1256. Besitzstreitigkeiten konnten demnach erheblich leichter vor die Reichsjustiz geraten als petitorische Streitigkeiten. In der Grafschaft Lippe diskutierten die Parteien im 18. Jahrhundert diesen Punkt. Auch im Herzogtum Jülich-Berg spielten possessorische Sachen immer eine große Rolle, weil es dort ein spezielles Appellationsverbot gab1257. Der zweite Hildesheimer Fall, der vorab kurze Erwähnung verdient, betrifft ebenfalls das Kreuzstift1258. Der Dechant des Stifts gewann einen Rechtsstreit vor der Hildesheimer Regierung um die Herausgabe von Erbmeierland1259. Gegen diese Entscheidung klagte der Domherr Felix von Wenge vor dem Offizialatsgericht, weil er selbst Ansprüche auf das Land erhob1260. Das Kreuzstift bestritt die Zuständigkeit des Offizialats und reichte eine Klage am Reichskammergericht ein. Dort gewährten die Wetzlarer Assessoren 1746 ein Mandat „de desistendo ab illicito recursu ad officialem qua iudicem incompetentem“1261. Johann Jakob Moser berichtet von einer Beschwerde der Hildesheimer Regierung beim Reichskonvent, also wohl einem Recursus ad comitia beim immerwährenden Reichstag in Regensburg. Die Regierung beklagte sich dort über das Kammergericht, das sich in eine geistliche Sache eingemischt habe. Doch lehnte der Reichstag es ab, die Angelegenheit überhaupt zu behandeln, und so erging unterdessen ein Vergleichsschluß im Kameralverfahren1262. Das frühe Zeitungswesen berichtete umfassend von der Streitigkeit. Der „Welt- und Staatsspiegel“ ging 1748 und 1749 neunmal auf die Auseinandersetzung ein, auch die „Neue Europäische Fama“ brachte fünf Berichte1263. Das bestätigt einen mehrfach gewonnenen Eindruck: Die Streitfälle um die Anrufung geistlicher Gerichte in Zivilsachen waren im 18. Jahrhundert zwar nicht mehr so zahlreich, schlugen aber hohe Wellen. Jedermann hatte die Möglichkeit, sich überregional damit zu beschäftigen. Und immer waren es die weltlichen Gewalten, die sich gegen die Offizialate, den Nuntius und die Rota Romana durchsetzten. C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 21, S. 118; Hinweis auf das Mandat bei Ka u e r t z , Akten I, lfd. Nr. 526, S. 519. 1257 Zur Diskussion in Lippe um possessorische Sachen unten bei Anm. 2380-2389; zu JülichBerg bei Anm. 3200-3229. 1258 Repertoriumsmitteilung bei Kau e r t z , Akten II, lfd. Nr. 1809, S. 1382-1383. 1259 Zum Rechtsstatus von Meiern S c h u l z e , Meierrecht, Sp. 445-447; S c h l i n k e r , Grundstücksrecht, S. 15-17; speziell zu Hildesheim I l l e m a n n , Bäuerliche Besitzrechte, S. 2549; zum Streit um das Meierrecht am Reichskammergericht in einem Fall aus Herford W i g a n d , Denkwürdigkeiten, S. 280-285. 1260 Ältere Streitigkeiten ersichtlich bei Kau e r t z , Akten II, lfd. Nr. 1238-1239, S. 987-988. 1261 Bei K a u e r t z , Akten II, lfd. Nr. 1809, S. 1382; bei M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 266, schon auf 1746 datiert. 1262 M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 266-267. 1263 Detaillierte Nachweise bei M o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 267 Anm. 2. 1256
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Praktisch zeitgleich hatte ein anderer Hildesheimer Fall die Gemüter erhitzt. Wie zuvor ging es um einen Meierhof, den sog. Kapellenhof, diesmal im Ort Grasdorf. Der Besitzer Johann Joachim Wiesenhaver lebte im Streit mit dem Grasdorfer Kapellenherrn, dem örtlichen Pastor. Der Pastor wollte deshalb das Pachtverhältnis beenden und meierte Wiesenhaver ab1264. Der aber blieb auf dem Hof und ließ sich nicht vertreiben. Deswegen erhob der Pastor eine Räumungsklage beim Hildesheimer Offizial. Der geistliche Richter fackelte nicht lange, bis Wiesenhaver „mit Sack und Pack aus dem Hofe geworfen war“1265. Hiergegen rief Wiesenhaver das Wetzlarer Reichskammergericht an und erlangte 1746 zwei Mandate, darunter eines gegen den Offizial „de non permittendo officiali Hildesiensi, ut sibi arroget iurisdictionem incompetentem“1266. Die evangelischen Landstände des Fürstbistums intervenierten zugunsten ihres Glaubensgenossen Wiesenhaver. Als Clemens August von Bayern, der Bischof von Hildesheim, drei Paritionsmandate des Kammergerichts mißachtet hatte1267, leitete das Gericht 1748 die Vollstrekkung ein1268. Friedrich der Große, König von Preußen, sowie der Kurfürst von Hannover erhielten den Exekutionsbefehl und setzten sofort eine Exekutionskommission ein. Jetzt bekam die Hildesheimer Regierung kalte Füße. Sie hob das Offizialatsurteil auf und wies den vertriebenen Pächter Wiesenhaver wieder förmlich in sein Besitztum ein1269. So hatte ganz am Ende die Kammergerichtsklage Wiesenhavers Erfolg. Zahlreiche Prozeßschriften erschienen im Druck1270, und wie im vorigen Fall war auch der Regensburger Reichstag damit befaßt. Kurfürst Clemens August von Bayern hatte als Hildesheimer Bischof den Recursus ad comitia1271 gewählt und dort um Unterstützung durch die katholischen Stände gebeten, zuletzt aber verloren. Abermals schlugen die Wellen hoch. Wenige Jahre später verfaßte Johann Ulrich von Cramer eine 65-seitige Abhandlung zu diesem Rechtsstreit, unterschlug dabei freilich die Urteilsvollstreckung1272. Trotzdem war er um klare Worte nicht verlegen. Wenn das Reichskammergericht es hingeFallschilderung bei K a u e r t z , Akten III, lfd. Nr. 3548 S. 2818; B e r t r am , Geschichte III, S. 154, ergänzend zur Ortsgeschichte ebd., S. 99-100. 1265 C r a m e r , Opuscula III, S. 751. 1266 Prozeßart bei K a u e r t z , Akten III, lfd. Nr. 3549 S. 2820. 1267 Tenorierungen der Urteile bei C r am e r , Opuscula III, S. 758-759. 1268 Zur Urteilsvollstreckung am Reichskammergericht S e l l e r t , Vollstreckung, S. 817-839. 1269 Prozeßausgang bei Ka u e r t z , Akten III, lfd. Nr. 3549 S. 2820. 1270 Dazu der Sammelband Staatsbibliothek Berlin 4‘‘ Sm 5046 Hildesheimischer Sachen II. Band, Nr. 23-32; dort auch K a r g v o n B e b e n b u r g , Pro Memoria. 1271 Zu dem umstrittenen Verfahren S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 398-412; d e r s . , Recursus ad comitia, Sp. 446-449; S y d o w , Recursus ad Comitia, S. 104-122. 1272 C r a m e r , Opuscula III, S. 694-759. Die Abhandlung endet mit den Paritionsurteilen vom 19. Januar 1748. 1264
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nommen hätte, „die Sache an den päpstlichen Stul gedeyhen“ zu lassen, dann wäre „ein elender Zustand in dem teutschen Iustiz-Wesen“ die Folge gewesen1273. Noch spektakulärer war der vierte Hildesheimer Fall. Malte Cramer im Wiesenhaver-Prozeß den Papst nur an die Wand, war er nun leibhaftig mit von der Partie. Zuvor ist an dieser Stelle ein kurzer Hinweis auf das Überlieferungsproblem wichtig. Trotz der engmaschigen Neuverzeichnung der hannoverschen Reichskammergerichtsakten1274 findet sich der rechtlich entscheidende Streitpunkt des Falles von 1700 nicht im Repertorium. Lediglich die Kameralliteratur weist zufällig den Weg. Wieviele derartige Prozesse es noch gibt, ist völlig unklar. Die Gesamtzahl der einschlägigen Auseinandersetzungen dürfte also in jedem Fall höher liegen, als sie mit Hilfe der Findmittel bestimmbar ist. Dieses nicht zu lösende Erschließungsdilemma gilt für alle Archive und läßt sich nicht beseitigen. Das schränkt den Wert der Quellen aber nicht ein. Lediglich mit Quantifizierungen und dem Anspruch auf Vollständigkeit sollte man vorsichtig sein. Alle derartigen Aufhäufungen von Zahlen müssen falsch sein, das steht von vornherein fest. Die quantitative Methode hat ihre Grenzen, weit über die Schwierigkeiten der Kategorienbildung hinaus1275.
1. Sachverhalt und Prozeßgeschichte des geistlichen Rechtsstreits Landtagsfähig in Hildesheim war neben weiteren sechs Stiften unter anderem das Kollegiatstift St. Johannes zu Hildesheim1276. Es handelte sich um ein Stift, das keinem geistlichen Orden angehörte. Seine Mitglieder galten als Kanoniker, verfügten aber weiterhin über persönliches Einkommen1277. Daraus entspann sich ein Problem. Der „Canonicus Senior“, also der Propst
C r a m e r , Opuscula III, S. 724. Dazu O e s t m a n n , Besprechung von Kauertz, S. 668-669. 1275 Zu Quellen- und Methodenproblemen S c h w e r h o f f , Historische Kriminalitätsforschung, S. 55, 59, 63. 1276 Sachverhaltsschilderung in HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 3, ohne Paginierung; Überblick über die Stifte bei L ü c k e , Landständische Verfassung, S. 32. 1277 Zur Rechtsstellung der Kollegiatstifte: S c h r ö e r , Kirche in Westfalen, S. 139; zum geltenden katholischen Kirchenrecht: R o t h e , Kollegiatkapitel, S. 246-278. 1273 1274
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Joachim Lüdgers1278, nahm an den hildesheimischen Landtagen teil und erhielt dafür auch Sitzungsgelder. Bereits zeitgenössisch trugen sie durchgehend die Bezeichnung Diäten. Zwischen dem Kollegiatstift St. Johannes und dem Propst Lüdgers entflammte nun ein Streit darüber, wem im Innenverhältnis dieses Geld zustand – dem Propst als persönliche Aufwandsentschädigung oder dem Stift, als dessen Vertreter er den Landtag besuchte? Das Stift berief sich auf „Capitular-Statuten“, die angeblich private Vermögensanhäufungen begrenzten. Lediglich die vier Ältesten durften bestimmte Kornabgaben als persönlichen Voraus behalten. Das gesamte übrige Einkommen „des Capituli“ sollte dagegen „unter die participirende H[erre]n Canonicos aequaliter zu vertheilen“ sein1279. Es gab also im Binnenrecht des Stifts eine Teilungsverpflichtung für Einkünfte des Kapitels. Damit war freilich nicht geklärt, ob die Landtagsdiäten in diesem Sinne Einnahmen des Stifts oder des Abgesandten persönlich waren. Da man sich nicht einigen konnte und Lüdgers sich weigerte, das von ihm zunächst privat erhaltene Geld mit den anderen Stiftsherren zu teilen, entzog ihm das Kollegiatstift die Vertretungsbefugnis und entsandte einen anderen Kanoniker als Landtagsabgeordneten. In dieser Situation entspann sich ein Rechtsstreit vor dem Offizialatsgericht in Hildesheim1280. Erstaunlicherweise war zwischen den Parteien des 1732 beginnenden Kammergerichtsprozesses streitig, wie genau die Prozeßgeschichte in den Jahren bis 1725 verlaufen war. Da die erstinstanzlichen Schriftstücke in der kammergerichtlichen Mandatsakte nicht enthalten sind und bereits die Parteien Schwierigkeiten hatten, die Prozeßakte aus Rom zurückzuerhalten1281, müssen einige Punkte offen bleiben. Eigentlich hätten die Prozeßchronologie und die jeweiligen Klagearten anhand der Akten für die Zeitgenossen offenkundig sein müssen. Daher verwundert es sehr, wie darum Streit entbrennen konnte. Die Hildesheimer Regierung behauptete, das Stift habe gegen Joachim Lüdgers vor dem Offizialat Klage wegen der Diätengelder erhoben1282. In diesem Fall wäre Streitgegenstand ein Zahlungsanspruch, gestützt auf die Kapitularstatuten, gewesen. Das Stift bestritt dies sowohl mündlich1283 als Erwähnt bei L ü c k e , Landständische Verfassung, S. 35, 172; dort S. 35 auch zur Diskussion, wer das Stift auf Landtagen vertreten sollte. 1279 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 1v. 1280 Zum Offizialat knapp A s c h o f f , Bistum Hildesheim, S. 22. 1281 HStA Hannover Hann. 27 Hildsheim Nr. 758, Protokollbuch vom 6. Juni 1736: mündlicher Rezeß von Lic. Werner für die Beklagten. 1282 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 3, ohne Paginierung. 1283 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Protokollbuch vom 27. Juni 1732: mündlicher Rezeß von Lic. Brack für die Beklagten. 1278
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auch in den Exzeptionen und behauptete, Propst Lüdgers habe als Kläger das Possessorium selbst rechtshängig gemacht und das Stift sei später lediglich im Petitorium als Kläger aufgetreten1284. Offenbar gab es also ein vorläufiges Besitzschutzverfahren und einen nachfolgenden Rechtsstreit um das dahinterstehende materielle Recht. Später gab die Regierung genau diese Zweiteilung in ein possessorisches und ein petitorisches Verfahren zu1285. Daher spricht einiges für die vom Stift beschriebene Chronologie. Streitgegestand des Possessoriums wäre dann also das vorläufige Recht von Lüdgers gewesen, weiterhin gegen Diätenzahlung am Landtag teilnehmen zu können. Das Petitorium wäre dagegen der aus heutiger Sicht materiellrechtliche Zahlungsanspruch des Stifts gegen den eigenen Senior gewesen. Mit der Aufteilung des Streitstoffes lehnten sich die Parteien an die gemeinrechtliche quasi-possessio-Lehre an, die Besitzschutz insbesondere auch für Rechtstitel vorsah. Besitz in diesem Sinne war also nicht nur Sachherrschaft, sondern ebenso die Fähigkeit, Gerichtsurteile zu sprechen wie auch die Teilnahme an Landtagen1286. Unstreitig war zwischen den Beteiligten zunächst die Prozeßgeschichte. Propst Lüdgers hatte den Hildesheimer Offizialatsprozeß im Possessorium gewonnen, und hiergegen appellierte das Stift unmittelbar an die päpstliche Rota Romana1287. Ein zwischengeschalteter Rechtsmittelprozeß vor dem Metropolitangericht, wie er in Münster regelmäßig nachweisbar ist, fand offenbar nicht statt. Doch auch vor der römischen Kurie blieb der Propst siegreich. Durch Urteil von 1719 entschied die Rota Romana, Lüdgers dürfe sein Recht auf private Vereinnahmung der Diäten vorläufig behalten. Das Stift St. Johannes war zur vollen Kostenübernahme verpflichtet und sichtbar düpiert1288. Der erste Prozeßabschnitt ging damit zu Ende. Doch die Aktendeckel blieben nicht lange geschlossen. Die Zuspitzung sollte nämlich erst noch erfolgen. 1725 verstarb der Propst Joachim Lüdgers. Sein Neffe, der Schatzeinnehmer Johann Friedrich Lüdgers, und seine Nichte Anna Elisabeth Zeppenfeld, Ehefrau des Schatzeinnehmers Georg Friedrich Zeppenfeld, traten das Erbe an. Streitig war, ob bereits am 3. Juni 1719, also noch zu HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 1v-2r; zum Possessorium und Petitorium u. a. J a c o b i , Besitzschutz, S. 159-161. 1285 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 10, fol. 2r; zur Trennung in possessorisches und petitorisches Verfahren auch schon die Supplikation (Aktenstück Q 3). 1286 C o i n g , Europäisches Privatrecht I, S. 279-290; W e s e n e r , Dogmengeschichte, S. 467469; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 135, 607-608; ergänzend H a f e r k am p , Besitz, Sp. 83; J a c o b i , Besitzschutz am Reichskammergericht, S. 159-161. 1287 Ältere Rota-Prozesse des Stifts bei H i l l i n g , Die römische Rota, S. 70, 112, 120. 1288 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 3, ohne Paginierung. 1284
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Lebzeiten des Propstes, auf Klage des Stifts das petitorische Verfahren unmittelbar bei der Rota Romana rechtshängig geworden war1289 oder ob das Hauptsacheverfahren erst nach 1725, also nach dem Tod von Lüdgers, dort begonnen hatte1290. Unstreitig wiederum hatten sich Johann Friedrich Lüdgers sowie Anna Elisabeth Zeppenfeld an dem Rota-Prozeß nicht beteiligt und deswegen durch Versäumnisurteil („in Contumaciam“) 1729 das Hauptsacheverfahren verloren. Das Urteil war vollstreckbar, und die Exekution übernahm der Prälat von St. Michael in Hildesheim. Druckmittel war die Androhung der Exkommunikation1291. In dieser Situation schaltete sich die Hildesheimer Regierung in den Rechtsstreit ein. Anna Elisabeth Zeppenfeld hatte sich hilfesuchend an die Regierung gewandt und sich dabei auf das beneficium legis et inventarii berufen. Möglicherweise erfuhr die Regierung erst aus diesem Umstand von dem Rechtsstreit. Das beneficium inventarii war eine gemeinrechtliche Möglichkeit, die Erbenhaftung auf den Nachlaß zu beschränken1292. Römischrechtlich geht sie auf Justinian zurück1293. Offenbar setzte die Regierung entweder zur Ermittlung von Nachlaßgläubigern oder gezielt wegen der Auseinandersetzung mit dem Stift St. Johannes eine Kommission ein. Das Kollegiatstift teilte daraufhin zwar dem Prälaten von St. Michael mit, er solle mit der Vollstreckung des römischen Urteils zunächst zuwarten. Zugleich aber bemühte es sich weiterhin, die Frau des Schatzeinnehmers „ad curiam Romanam zu evociren“1294, setzte also den Rechtsstreit vor der päpstlichen Kurie unverdrossen fort. Deswegen klagte die Hildesheimer Regierung gegen das Kollegiatstift St. Johannes am Reichskammergericht. Damit war der Rechtsstreit parallel am höchsten geistlichen sowie am höchsten weltlichen Gericht anhängig. Kaiserliche und päpstliche Gewalt stießen unmittelbar aufeinander. Das war zwar nicht mehr so welterschütternd wie lange Jahrhunderte zuvor, doch der Fortgang der Sache hatte es auch hier in sich. Es waren nämlich nicht
So das Stift: HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 2r. So die Hildesheimer Regierung: HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 3, ohne Paginierung. 1291 E i s e n h a r d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 38, glaubt dagegen, im 18. Jahrhundert sei die Exkommunikation in kirchlichen Zivilsachen nicht mehr angewandt worden; zum Verhältnis zwischen Contumacia und Exkommunikation E l s e n e r , Exkommunikation, S. 77-78; B u d i s c h i n , Zivilprozeß, S. 61-67; S t e i n s , Zivilprozeß, S. 242; knapp T r u s e n , Aus den Anfängen, S. 329/399*. 1292 Römischrechtlicher Anknüpfungspunkt: C. 6, 30, 22; O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 84; C o i n g , Europäisches Privatrecht I, S. 623-624; W e s e n b e r g / W e s e n e r , Privatrechtsgeschichte, S. 134; F l o ß m a n n , Privatrechtsgeschichte, S. 364. 1293 Ka s e r , Römisches Privatrecht II, S. 543; H ar k e , Römisches Recht, S. 313. 1294 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 3, ohne Paginierung. 1289 1290
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nur die beiden obersten Gerichte, sondern auch die Herrscher in Person, die sich nach und nach einschalteten.
2. Das Verfahren vor dem Reichskammergericht Die Regierung des Hochstifts Hildesheim verklagte vor dem Reichskammergericht in Wetzlar das landsässige Stift St. Johannes, strengte also einen reichsgerichtlichen Rechtsstreit gegen die eigenen Untertanen an. Das war unüblich, wenn auch nicht völlig außergewöhnlich. Der wenige Jahrzehnte jüngere Osnabrücker Prozeß von Justus Möser gegen das Stift Wiedenbrück zeigt dieselbe Rollenverteilung. Auch dort klagte die Regierung gegen ein landsässiges Stift1295. Ging es in Osnabrück um den Rekurs an den Apostolischen Nuntius, stand in Hildesheim der Prozeß vor der Rota Romana im Streit. Ein zwischengeschaltetes zweitinstanzliches Verfahren vor dem Offizialat von Köln oder Mainz hatte es nicht gegeben, und dies wurde auch von keiner Seite problematisiert. Es ging ersichtlich um sehr prinzipielle Fragen, nämlich darum, ob überhaupt die geistliche Gerichtsbarkeit für derartige Streitgegenstände zuständig war und inwieweit dadurch weltliche Herrschaftsrechte beeinträchtigt waren. In Umkehrung zu den besser erforschten Untertanenprozessen warf also die Landesregierung ihren Untertanen vor, sie hätten die überkommenen Rechte der Obrigkeit verletzt. Anstatt deswegen das Stift zu bestrafen, beschritt die Regierung wie im Osnabrücker Fall den Rechtsweg und begab sich daher auf dieselbe Stufe wie die unbotmäßigen Kanoniker, nämlich in die Rolle einer Prozeßpartei. Möglicherweise war wie im späteren Osnabrücker Fall einer der prominenten niedersächsischen Juristen des 18. Jahrhunderts auf Seiten der Hildesheimer Regierung beteiligt. Zwischen 1720 und 1740 wirkte der Partikularrechtler David Georg Strube in Hildesheim, zunächst als Landsyndikus, dann als Hofgerichtsassessor und Hofrat1296. Vielleicht stammten die Regierungsschriftsätze aus seiner Feder. Jedenfalls verfaßte Strube später eine Observation „de potestate iudicum ecclesiasticorum in causis civilibus“. Dort wetterte er, die geistlichen Richter hätten sich „olim“ Gewalt auch über Zivilsachen der Laien „arrogarunt“. Er ging zwar auf Beispiele aus Hildesheim und die kaiserlichen Wahlkapitulationen ein, äußerte sich aber nicht direkt zum Johannes-
1295 1296
StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723; dazu oben bei Anm. 1153-1154, 1166-1173. Zu Strube 1694-1776 O e s t m a n n , Strube, S. 52-58.
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stift1297. Inwieweit Strube die Hildesheimer Regierungsschriftsätze verfaßt hat, muß daher offen bleiben. Bereits im Ausgangspunkt unterschied sich der Hildesheimer Konflikt deutlich von den Münsteraner Prozessen. In Münster bestand rein tatsächlich die Möglichkeit, jeden zivilrechtlichen Konflikt vor dem Offizialatsgericht zu verhandeln. Die Zuständigkeit des Offizialats war in der Praxis nicht erkennbar beschränkt, und deswegen konnten zahlreiche Parteien das Offizialat als reguläres Zivilgericht bezeichnen. Das Reichskammergericht erkannte in einem Senatsbeschluß von 1603 sowohl die Zuständigkeit des Münsteraner Offizialats als Zivilgericht als auch die Appellation in Zivilsachen an das Kölner Offizialat ausdrücklich an1298. Das war in Hildesheim ersichtlich anders.
a) Politische und geistliche Angelegenheiten und der Reichsabschied von 1512 Die Regierung beantwortete die selbstgestellte Frage nach der Rechtsqualität des Streits, der „die Landtages diaeten“ betraf „und ob dieser oder Jener ad Comitia Provincialia zu gehen berechtiget seye?“, mit dem schlichten Hinweis: „Dieses alles nun gehöret nicht ad forum Ecclesiasticum, sondern alß eine res merè temporalis et politica ad forum laicale; Allermaßen dann dergl[eiche]n sachen jederzeith vor hiesiger Churfürstlichen Regierung erörtert undt decidiret worden“1299. Es ging also ersichtlich um eine Begrenzung der kirchlichen Gerichtsbarkeit als solche, auch wenn aufgrund des bereits rechtshängigen Rota-Prozesses die konkreten Vorwürfe oftmals mit der Appellation nach Rom verknüpft waren. Ob die Regierung hier lediglich taktierte, weil der reguläre geistliche Instanzenzug trotz der Personalunion mit Kurköln nach Mainz und im Gegensatz zu Münster und Osnabrück nicht nach Köln führte, ist unklar. Das Argument, es sei eine Instanz übersprungen, taucht jedenfalls in der dickleibigen Akte an keiner Stelle auf, spielte also keine Rolle. Möglicherweise beruhte das Verhältnis geistlicher und weltlicher Gerichte in Hildesheim tatsächlich auf anderen partikularen Traditionen als in den benachbarten norddeutschen geistlichen Territorien, vielleicht gerade wegen der wandernden Grenzen und der gemischten Konfession. Jedenfalls stimmten alle VerfahrensbeteiligS t r u b e , Observationen, obs. 6 §§ 1-3, S. 236-253; zur geistlichen Gerichtsbarkeit in Hildesheim auch d e r s . , Rechtliche Bedenken I, CXXVI. Bedenken, S. 296-301: „Von den Schranken der Ohnabhängigkeit Evangelischer Consistoriorum in Catholischer Herren Landen“. 1298 L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, Nr. 349 S. 564; d e r s . , De jurisdictione officialium, Aphorismus 11, Anm. ff, S. 30-31; dazu oben bei Anm. 480-495. 1299 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 10, fol. 1v-2r. 1297
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ten im Ausgangspunkt überein: Das Hildesheimer Offizialat war ein rein geistliches Gericht und seine Zuständigkeit erstreckte sich ausschließich auf geistliche Streitsachen und Personen. Die Äußerung der Hildesheimer Regierung ist zudem einer der wenigen Belege, in denen Religion und Politik in einem Atemzug genannt wurden. Politische Sachen gehörten nie vor geistliche Gerichte, das war eine der Maximen, die für die Landesregierung „jederzeit“ galten. Die Supplikationsschrift der Regierung datiert vom 10. Oktober 1731 und scheint das Reichskammergericht ohne größere Diskussionen überzeugt zu haben. Bereits zwei Tage später erging das beantragte Kassationsmandat sine clausula. Schon in der Einleitung der Supplikation berief sich die Hildesheimer Regierung auf eine Rechtsquelle, die in den Münsteraner und Osnabrücker Prozessen jedenfalls ausdrücklich keine Rolle gespielt hatte. Der Schriftsatzverfasser zitierte den bereits über zweihundert Jahre alten Reichsabschied von Trier und Köln von 1512. Diese Quelle ist in der verfassungsgeschichtlichen Literatur teilweise noch heute bekannt, weil sie die Selbstbezeichnung Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation in einer reichsgesetzlichen Normierung festigte1300. Der Reichsabschied traf unter anderem Regelungen zum Gerichtsstand der Untertanen. Jedermann sollte bei seinen ordentlichen inländischen Rechten und Gerichten gelassen werden. Lediglich bei Rechtsverweigerung griff eine andere Gerichtszuständigkeit ein1301. Unmittelbar im Anschluß daran hieß es: „Wo aber hiewider jemand den andern mit außländischem Gericht fürnehmen oder belästigen, Ladung und Proceß außbringen würde, so sollen dieselbe Proceß und Handlung, und was darauf gefolgt wäre, nichtig und unbündig seyn, und den Widertheil nichts pflichten oder binden, auch der Kläger durch deß Uberfährers Obrigkeit, oder unsern Kayserlichen Fiscal, umb gebührliche Straff fürgenommen werden.“1302 Von geistlichen Gerichten war in der Regelung mit keinem Wort die Rede, der Zusammenhang mit der zuvor geregelten Gerichtszuständigkeit und Rechtsverweigerung legte sogar anderes nahe. „Fremd“ bezog sich hier wohl eher auf die geographischen Grenzen der landesherrlichen iurisdictio1303. Aber wie in mehreren bereits zuvor untersuchten Prozessen war es für die Zeitgenossen offenbar völlig unproblematisch, RA 1512, Einleitung vor § 1, bei S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Sammlung II, S. 137; insoweit nicht abgedruckt bei Z e u m e r , Quellensammlung, Nr. 179, S. 308; Hinweis bei W i l l o w e i t , Verfassungsgeschichte, S. 107. 1301 RA 1512 Art. IV § 13, bei S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Sammlung II, S. 143; dazu O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 64; P e r e l s , Justizverweigerung, S. 23-24; K i l i an , Querela, S. 12. 1302 RA 1512 Art. IV § 14, bei S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Sammlung II, S. 144. 1303 Zu Jurisdiktionsgrenzen O e s t m an n , Prozesse aus Hansestädten, S. 114-116; D i e s t e l k a m p , Reichsgerichtsbarkeit in den Ostseeländern, S. 19-20. 1300
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geistliche Gerichte mit fremden Gerichten gleichzusetzen. Bei allem Streit der Parteien um tatsächliche und rechtliche Fragen bestritt niemand ernsthaft die Zulässigkeit solcher Zitate und Allegationen. Für die Hildesheimer Regierung bot der Reichsabschied von 1512, den sie inhaltlich zutreffend wiedergab, erhebliche Argumentationsvorteile. Konnte sie doch sowohl die Nichtigkeit des geistlichen Urteils als auch die Zuständigkeit des Reichsfiskals zur Bestrafung des Kollegiatstifts gleich zu Beginn mit reichsgesetzlicher Autorität klarstellen. In dieser Sichtweise waren geistliche Gerichte wirklich „fremd“. Zur Bestärkung verwies der Schriftsatzverfasser der Regierung in seiner Supplikationsschrift mehrfach an hervorgehobener Stelle auf die Rechtsnatur der Diätenzahlungen. Bei den Landtagsdiäten handelte es sich lediglich um eine „causa merè politicà“ und um nichts anderes1304. Politische Sachen, das stellte die Hildesheimer Regierung immer wieder klar, waren von kirchlichen Angelegenheiten streng unterschieden. Eine ganz ähnliche Auslegung des Reichsabschiedes von 1512 läßt sich auch im Herzogtum Jülich-Berg beobachten1305. In Hildesheim schlossen sich an die Beweisführung mit dem Reichsabschied sehr grundsätzliche Erwägungen zur Gerichtszuständigkeit an.
b) Verteidigung der weltlichen Landesherrschaft Die Hildesheimer Regierung versuchte, nicht nur zum streitigen Einzelfall Stellung zu nehmen. Vielmehr verwies sie unmißverständlich auf die Grundlagen der weltlichen Herrschaftsgewalt. „Tam quoad qualitatem causae, quam personarum“, also wegen der Rechtsnatur des Streitgegenstandes als auch wegen ihres eigenen persönlichen Status als „personae Laicae“ hatten die Erben des verstorbenen Propstes die Rota Romana aus Sicht der Regierung zu Recht „pro incompetente“ abgelehnt. Aber nicht nur die Parteien als Privatpersonen waren mit dem römischen Rechtsstreit belästigt. Durch den Übergriff der geistlichen Gerichte sah die Landesregierung zugleich ihre eigenen Kompetenzen bedroht. Es könne nämlich, meinte sie, „die Churfürstl[iche] Cölln[ische] Stiffts Hildesheim[ische] Regir[ung] diesen S[eine]r Churfürstl[ichen] D[urc]hl[aucht] zu Cöllen alß Bischoffs zu Hildesheim zustehenden Regalien und weltl[icher] jurisdiction höchst praejudicirlich[em] verfahren keines wegs nachsehen, noch zu geben (...), daß die weltl[ichen] unterthanen dieses Hochstifts sogar in causis merè
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HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 3, ohne Paginierung. Dazu unten bei Anm. 2842-2875.
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politicis wieder die grundgesätze des heilig[en] röm[ischen] Reichs ad judicia Romana incompetenter evocirn werden solten“1306. Bereits die Titulierung der Regierung und des Bischofs stellte klar, worum es ging. Nicht lediglich um Detailprobleme in irgendeinem kleinen geistlichen Territorium entspann sich der Streit. Nein, sondern mit Clemens August von Wittelsbach, dem Kurfürsten von Köln1307, war einer der mächtigsten Landesherren des Alten Reiches in seinen Rechten betroffen. Weltliche Herrschaft, Gerichtsgewalt und Regalien bildeten abermals den Dreiklang territorialer Eigenständigkeit wie auch in den älteren Verfahren aus Münster. Im selben Atemzug genannt, zeigte das Dreigestirn abermals die fortdauernde Bedeutung der Regalienbelehnung für die landesherrliche Rechtsstellung noch im 18. Jahrhundert. Die Verletzung der Reichsgrundgesetze durch die Appellation an die Rota Romana in weltlichen Zivilprozessen war ebenfalls ein Dauerbrenner. Der Sache nach tauchte das Argument bereits in den ersten einschlägigen Streitfällen aus dem späten 16. Jahrhundert auf. Im Gegensatz zu dem von Justus Möser betriebenen Osnabrücker Rechtsstreit verwendete die Hildesheimer Regierung nicht einmal besondere Mühe darauf, ihr Rechtsschutzbedürfnis für einen Prozeß gegen die eigenen Untertanen darzulegen, so klar und einfach erschien die Rechtslage. Sie betonte lediglich, gegenüber dem Kölner Kurfürsten sei sie durch „Eyd und pflichten“ verbunden, seine landesherrlichen Rechte zu verteidigen. Wieso sie aber nicht obrigkeitlich gegen das Stift St. Johannes vorging, sondern die Reichsjustiz einschaltete, blieb unklar. Lediglich floskelhaft meinte der Schriftsatzverfasser, der Sachverhalt sei „der gestalt beschaffen“, daß die Zuständigkeit des Reichskammergerichts im Mandatsprozeß sine clausula eröffnet sei und überdies die Jurisdiktion „ratione causae fiscalis genugsam fundiret erscheinet“1308. Der Verstoß gegen die Justizverfassung als solcher sollte also bereits die Zuständigkeit des Wetzlarer Gerichts begründen. Daraus folgten die beiden Klageanträge. Zunächst erbat die Hildesheimer Regierung ein unklausuliertes Kassationsmandat. Zweitens erstrebte sie eine Citatio ad
HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 3, ohne Paginierung. 1700-1761, Kurfürst von Köln, Fürstbischof von Regensburg, Münster, Osnabrück, Paderborn, Hildesheim, zu ihm Z e h n d e r / S c h ä f k e , Der Riß im Himmel; E n n e n , Clemens August, S. 302-309; Hinweis zur Personalunion bei R e i n h ar d t , Reichskirchenpolitik, S. 272; B r a u b a c h , Die vier letzten Kurfürsten, S. 46-47; B ö n i s c h , Der Sonnenfürst, S. 31-34. 1308 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 3, ohne Paginierung. 1306 1307
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videndum1309 „se incidisse in poenas juris et constitutionum Imperii“. Dieser zweite Antrag kehrte ganz am Ende der Supplikation der Sache nach zum Reichsabschied von 1512 zurück. Wegen des strafwürdigen Verstoßes gegen die ordentlichen Zuständigkeiten sollte parallel zum Mandatsverfahren das fiskalische Strafverfahren bereits beginnen.
c) Das Mandat des Reichskammergerichts Wie auch im jüngeren Osnabrücker Fall gewährte das Reichskammergericht das beantragte Mandat, behielt einen fiskalischen Prozeß aber dem nachfolgenden Hauptsacheverfahren vor1310. Der Mandatstenor entsprach dem bisher bereits mehrfach beobachteten Modell. Bei Androhung einer Geldstrafe von 10 Mark lötigen Goldes war das beklagte Kollegiatstift verpflichtet, den „Reich Constitutions wiedrig genommenen recurs und waß darauf erfolget“ sofort an dem auf die Verkündung folgenden Tag zurückzunehmen1311. Es entspann sich ein intensiver, für Reichskammergerichtsverhältnisse mit fünf Jahren aber nicht übermäßig langer1312 Rechtsstreit. Der Schriftsatzwechsel erstreckte sich bis zur in diesem Fall ausnahmsweise zulässigen Sextuplik1313. Ein Endurteil des Reichskammergerichts erging nicht. Dennoch endete der Rechtsstreit spektakulär. Auf Bitte des römisch-deutschen Kaisers Karls VI. besiegelte der erblindete und bettlägerige greise Papst Clemens XII.1314 die vollständige Niederlage des Hildesheimer Stifts1315. Dennoch ist es angebracht, auch die vorangehende Auseinandersetzung der Parteien näher unter die Lupe zu nehmen. Die wesentlichen Argumente, verbunden mit zahlreichen Hinweisen auf gemeinrechtliche Rechtsquellen und Literatur, zeigen im Vergleich zu Münster und Osnabrück doch andere Akzentsetzungen. Zur Citatio ad videndum O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 37; S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 187 Anm. 658. 1310 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 3, Dorsalvermerk der Extrajudizialentscheidung vom 12. Oktober 1731. 1311 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 2, ohne Paginierung. 1312 Zur Dauer von Mandatsprozessen H ö r n e r , Anmerkungen, S. 78-79. 1313 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, präsentiert am 9. Juli 1736. – Zur Benennung der Schriftsätze im gemeinen Zivilprozeß und ihrer Funktion G r o l m a n n , Theorie, § 184, S. 366-368; G m e l i n / B o l l e y , Rechtsanwendungskunst, § 182, S. 178-179. 1314 1652-1740, zu ihm C e r c h i a r i , Capellani II, S. 228-229; P a s t o r , Geschichte XV, S. 607754 (zum Gesundheitszustand S. 630-631); R e i n h ar d t , Reichskirchenpolitik, S. 271299; B a u t z , Clemens XII., Sp. 1060-1061; L o u g h l i n , Clement XII, S. 30-32. 1315 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, darin: gedruckter „Kurtzer Bericht“, Hildesheim 1736. 1309
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Trotz der Personalunion mit Kurköln und Münster und weitgehend ähnlicher Sachverhalte wäre es also voreilig, die katholisch-geistlichen Territorien leichthin über einen Kamm zu scheren. Die Grenzen zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt verliefen je verschieden, auch wenn derselbe Landesherr an der Spitze des Territoriums stand.
d) Die Exzeptionen des Hildesheimer Stifts Uneins waren die Parteien über die Frage, ob der Streit um die Landtagsdiäten eine weltliche oder eine geistliche Angelegenheit betraf. Das beklagte Hildesheimer Stift bestritt gerade den von der Regierung betonten politischen Charakter der Auseinandersetzung heftig. Die Ausführungen der Beklagten knüpften an das Verhalten des Kanonikers Lüdgers an. Der ehemalige Senior Lüdgers selbst habe „ahn das Officialatgericht zu Hildesheim sich gewendet, und verfolglich daßelbe selber außgewehlet“1316. Deswegen sei die Sache „selbst beym geistlichen gericht in possessorio anhängig“ gewesen1317. Im Gegensatz zum Hochstift Münster gab es im Hildesheimer Fall keinerlei Diskussionen über die Rechtsqualität des Offizialats. Ein Rechtsstreit vor dem Offizialatsgericht setzte selbstredend den geistlichen Charakter der Angelegenheit voraus, das war für die Beteiligten in Hildesheim ausgemachte Sache. Angesichts der oben erwähnten weitgehenden Trennung weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit in Hildesheim kann das nicht weiter verwundern. Deswegen verschob sich im Gegensatz zu den Münsteraner Prozessen auch die Argumentationslinie. Es ging also nicht nur darum, ob eine Appellation zweit- oder drittinstanzlich beim Reichskammergericht oder beim Apostolischen Nuntius bzw. der Rota Romana einzulegen war. Vielmehr legte die sachliche Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts den gesamten weiteren Rechtsweg fest. Deswegen kam es auf den Charakter der Sache als kirchliche oder politische von Anfang an entscheidend an. Die Verhandlung des petitorischen Anspruchs verkümmerte dann zu einem bloßen Annex ohne weitere Bedeutung. Jedenfalls zitierte das Kollegiatstift St. Johannes einen gemeinrechtlichen Lehrsatz, wonach der petitorische Streit automatisch vor dem Gericht des Possessoriums stattfinden müsse, „cum cognitio super petitorio competat illi, qui in possessorio pronunciavit“1318. Das war freilich keineswegs so eindeutig, wie der Schriftsatz es vorgab. Das Herzogtum Jülich-Berg durchbrach die angebliche Rechtsregel und verfuhr umgeHStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 1v. HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 2r. 1318 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 2v. 1316 1317
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kehrt. Dort gerieten possessorische Streitgegenstände vielfach vor weltliche Schranken, auch wenn das Petitorium eine klar geistliche Angelegenheit darstellte. Gerade im Rechtsmittelverfahren folgten daraus erhebliche Konsequenzen1319. Das Hildesheimer Stift ging auf solche Unterscheidungen mit keinem Wort ein. Neben Hinweisen auf das gelehrte Recht1320 berief sich der Schriftsatzverfasser auf die einschlägige Kameralliteratur, nämlich die Relationensammlung von Caspar Klock1321 sowie die Observationen von Andreas Gail1322. Andreas Gail seinerseits stellte die Rückbindung an die italienischen Gelehrten sicher. In der vom St. Johannes-Stift zitierten Stelle war allerdings mit keinem Wort von der kirchlichen Gerichtsbarkeit die Rede. Lediglich ganz allgemein behandelte Gail possessorium und petitorium. Eine Aufteilung beider Prozeßabschnitte auf verschiedene Gerichte lehnte Gail ab, unter anderem in Anlehnung an den Lehrsatz von Baldus, wonach „finis possessorii, est principium petitorii“1323. Neben Baldus berief sich Gail auch auf Bartolus1324, Alexander1325, Jason de Mayno1326 und Felinus1327. Das Hildesheimer Stift verwies für seine Rechtsauffassung ebenfalls auf das oft zitierte „Collegium“ von Lauterbach1328 sowie auf das heute kaum noch bekannte Werk „De Judiciis“ von Thomas Carlevallius1329. Dieses erstmals Dazu ausführlich unten bei Anm. 3200-3229. Zitiert werden aus dem Codex Iustinianus C. 3, 1, 10: „Nulli prorsus audientia praebeatur, qui causae continentiam dividit et ex beneficii praerogativa id, quod in uno eodemque iudicio poterat terminari, apud diversos iudices voluerit ventilare: poena ei ex officio iudicis imminente, qui contra hac supplicaverit sanctionem atque alium super possessione alium super principali quaestione iudicem postulaverit“; und aus den Dekretalen X. 2, 12, 1: „Causa possessionis et proprietatis sub eodem iudice terminari debet, nec contra absentem est pronunciandum“. 1321 Zitiert wird K l o c k , Relationes, rel. 73, S. 611: „Reus Clericus cum Laico in Camera Conventus absolvitur: alteri Austriaco Vasallo litis contestatio injungitur“, dort n. 46, S. 614 (etwas unpassend): „Fortius enim est jus, quod causatur ab origine, quàm quoad ab incolatu“. 1322 Zitiert wird G a i l , Observationen I, obs. 32 n, 11, S. 62. 1323 G a i l , Observationen I, obs. 32 n. 11 S. 62; zu Gails Konzeption von Petitorium und Possessorium J a c o b i , Besitzschutz, S. 159-161. 1324 Bartolus de Sassoferrato (1314-1357), zu ihm S a v i g n y , Geschichte des Römischen Rechts VI, S. 137-184; L a n g e / K r i e c h b au m , Römisches Recht II, S. 682-733. 1325 Wohl Alexander de Imola/Alexander Tartagnus (etwa 1424-1477), zu ihm S av i g n y , Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter VI, S. 312-319; L a n g e / Kr i e c h b a u m , Römisches Recht II, S. 831-842. 1326 1435-1519, zu ihm L a n g e / Kr i e c h b au m , Römisches Recht II, S. 881-892; W e i m a r , Jason, S. 330-331. 1327 Felino Maria Sandeo (1444-1503), erwähnt bei S c h u l t e , Geschichte II, S. 350-352; L a n g e / Kr i e c h b a u m , Römisches Recht II, S. 94, 874-875; Zitate seines Werks beim Reichskammergerichtsassessor Alber bei W u n d e r l i c h , Protokollbuch, S. 842. 1328 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 2v. 1329 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 2v, mit Verweis auf C a r l e v a l l i u s , De judiciis. 1319 1320
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1660 erschienene umfangreiche Buch hatte Samuel Stryk umfassend ausgeschlachtet1330. Dadurch mochte es den deutschen Zeitgenossen zugänglich sein. Aber auch durch einen Kölner Nachdruck von 17291331 handelte es sich für den Schriftsatzverfasser des Hildesheimer Stifts 1732 quasi um eine Neuerscheinung. Erst nachdem der angeblich untrennbare Zusammenhang zwischen possessorischem und petitorischem Rechtsstreit ins rechte Licht gerückt war, ging die Exzeptionsschrift auf den geistlichen Charakter der Angelegenheit näher ein. Das „emolumentum“, also die Auswirkungen der Streitsache, könne man nur klären, wenn man die rechtlichen Interessen des Kapitels berücksichtige, meinte der Schriftsatzverfasser der Kanoniker. Denn „dare vocem pro Capitulo seu nomine Capituli dependeat à Capitulo et inter fructus Ecclesiasticos reputetur“1332. Die Vertretung auf dem Landtag war nach dieser Ansicht kein verfassungsrechtliches Vorrecht, sondern aus Sicht des Stifts ein kirchenrechtliches Problem. Wie schon beim Hinweis auf Carlevallius überraschte der Schriftsatz erneut durch einen denkbar ungewöhnlichen Literaturverweis. Für das auf den ersten Blick partikularrechtliche Verfassungsproblem zitierte der Anwalt nämlich Garsia Mastrillo, den Verfasser sizilianischer Konsistorialdezisionen aus dem frühen 17. Jahrhundert1333. Vielleicht war das aber auch ein sehr bewußtes taktisches Mittel. Die Einbeziehung internationaler Literatur sprengte nämlich zugleich die Hildesheimer Partikularismen und hob den Rechtsfall auf Augenhöhe mit den großen gemeinrechtlichen Grundfragen. Das Vertretungsrecht bei Abstimmungen war demnach Teil des kirchlichen Rechts, wenn der stimmberechtigte Vertreter einer geistlichen Institution angehörte. Der Gegenstand der Abstimmung verflüchtigte sich daneben in die Bedeutungslosigkeit. Selbst hochpolitische Landtagsentscheidungen waren für einen Kirchenmann geistliche Fragen. So jedenfalls stellte das Johannessstift es gegenüber dem Reichskammergericht dar.
S t r y k , Dissertationen VII, disp. VII: De forum ministrorum principis (1694), cap. II § 32, 35, 36, cap. III § 2, 9, 13, 15, S. 191-198. 1331 Nachgewiesen im Catalogus de Grieck, S. 56 lfd. Nr. 1019. 1332 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 2v. 1333 Zitiert wird M a s t r i l l o , Decisiones consistorii, dec. 18 n. 5 (ungenau im Schriftsatz n. 4 zitiert), S. 70: Verweis u. a. auf Felinus, „ubi ait, quod praestatio vocis est fructus canonicatus“; zu Mastrillo P a c e , La laurea del giurista, S. 8-20. 1330
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aa) Zur Beschränkung der geistlichen Gerichtsbarkeit durch Observanz Erst nachdem das Stift den geistlichen Charakter des Diätenstreits klargestellt hatte, wandte sich der Schriftsatzverfasser anderen Fragen zu: „Sondern auch die observantz, mittels welcher die geistliche in actionibus realibus vor weltlichen gerichten besprochen werden wollen (vorbehaltlich daß selbige aller orthen im Römischen Reich Teutscher nation nicht hergebracht seye) weiter alß auf die bona patrimonialia aut aliunde aequisita, seu propria Clericorum bona nicht genommen, mit nichten aber auf das jenige, was von der Kirchen oder dem Capitel dependirt, gezogen werden mag“1334. In einem kleinen Einschub zeigte der Schriftsatzverfasser an dieser Stelle, wie problematisch das Verhältnis geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert beschaffen war. Er benannte nämlich eine Observanz, die festgeklopfte Grundsätze aufweichen konnte. In bestimmten Fällen mußten geistliche Personen es sich gefallen lassen, wenn man sie vor weltlichen Gerichten verklagte. Ob die angebliche Observanz auf katholische geistliche Territorien bezogen war, ist unklar. Als einschlägigsten Beleg für die Zuständigkeit der weltlichen Justiz über Geistliche führte der Autor Benedikt Carpzov an, den wichtigsten Vertreter der lutherischen Jurisprudenz überhaupt1335. Da freilich das Hildesheimer Kollegiatstift katholisch war, übernahm die Exzeptionsschrift Carpzovs Einschätzung stillschweigend auch für katholische geistliche Territorien1336. Im Ergebnis war dies das genaue Gegenteil zu dem Münsteraner Befund. Konnten in Münster praktisch alle weltlichen Streitigkeiten problemlos vor dem Offizialatsgericht verhandelt werden, herrschte vielerorts, nach Auffassung des Verfassers jedenfalls auch in Hildesheim, die Observanz, selbst Geistliche vor weltliche Gerichte zu bringen. Die Einschränkungen waren kaum bedeutend: Die Observanz galt nicht „aller orthen“ im Heiligen Römischen Reich. Im Umkehrschluß herrschte die Gepflogenheit also wohl in vielen Territorien, der Formulierung nach zu urteilen jedenfalls in der großen Mehrzahl. Zum zweiten erstreckte sich die weltliche Gerichtsgewalt nur auf actiones reales, also auf den „Anspruch an ein Gut“1337 und damit nicht auf den Klerikerstatus als solchen. Im Hinblick auf die Vermögenswerte differenzierte der Schriftsatzverfasser dann nochmals zwischen dem Eigentum der Geistlichen, getrennt in die deutschrechtliche HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 3r. Zitiert wird C a r p z o v , Jurisprudentia ecclesiastica, p. 3 tit. 1 def. 7 n. 10: „Respectu bonorum patrimonialium ministri Ecclesiae non sunt privilegiati“, S. 667-668; zu Carpzov als Kirchenrechtler L a n d a u , Carpzov, S. 227-256. 1336 Andere Einschätzung für das konfessionell gefärbte Zitierverhalten bei S c h ä f e r , Juristische Germanistik, S. 32. 1337 O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 23. 1334 1335
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Unterscheidung von Erbgütern und wohlerworbenen Gütern1338, und dem Vermögen, das der Kirche und dem Kapitel selbst zustand. Streitigkeiten um das private Vermögen von Geistlichen gehörten demnach vor die weltlichen Gerichte, Auseinandersetzungen um Kirchengut vor die Kirchengerichte. Das Stift St. Johannes erkannte in diesen vielfachen Differenzierungen mit klarem Blick auf die heimische Praxis eine ganz erhebliche Einschränkung der geistlichen Jurisdiktion ohne weiteres an. Selbst wenn also Prozesse zwischen Geistlichen und Laien vor weltlichen Gerichten rechtshängig waren, wie das Stift in Anlehnung an Gail und Mynsinger zugestand, fügte es fast entschuldigend hinzu, „wird wohl der geringste Zweifel so gar darunter nicht ersitzen, daß ein Clericus actione reali den jenigen, welcher gleichfals geistlichen stands ist, beym geistlichen gericht selbst, wan de bonis patrimonialibus die frag ist, zu besprechen befugt seye“1339. Mit Andreas Gail und Joachim Mynsinger hatte das Stift die beiden wichtigsten Kameralautoren des 16. Jahrhunderts angeführt. Auch im 18. Jahrhundert dienten sie oft und gern als praxiserfahrene Autoritäten1340. Da der Kanoniker Lüdgers selbst am Offizialat geklagt hatte, jedenfalls nach Darstellung der Beklagten, war nicht ersichtlich, weshalb das Stift sich nicht darauf hätte einlassen dürfen. Das war eine Anspielung auf die stillschweigende Gerichtsstandsvereinbarung durch rügelose Einlassung, die auch in Münster als Argument geläufig war. In Prorogationsfällen brauchte man um den heißen Brei nicht herumzureden. Das freiwillig gewählte Gericht war und blieb einfach zuständig. Und wenn zwei Geistliche sich darauf verständigten, ihre Rechtshändel vor dem kirchlichen Richter auszutragen, sollte niemand daran herummäkeln. Nun gab es freilich ein Problem. Den petitorischen Rechtsstreit hatte das Stift begonnen, und der Kanoniker Lüdgers war inzwischen verstorben. Seine Erben waren zweifelsfrei Laien, ein Schatzeinnehmer und die Ehefrau eines Schatzeinnehmers. Doch dies sollte „die geringste anmerckung nicht machen“, da bereits zu Lebzeiten Lüdgers der petitorische Prozeß vor der Rota Romana anhängig gewesen sei1341. Dieser letzte Punkt war zwischen den O g r i s , Erbgut, Sp. 964-965 (der Artikel ist in der 2. Aufl des HRG nicht mehr enthalten); jetzt zum Mittelalter: S c h m i d t -R e c l a , Kalte oder warme Hand, S. 607-610. 1339 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 3v, davor mit Hinweisen auf G a i l , Observationen I, obs. 37 n. 4, S. 73; M y n s i n g e r , Observationen, cent. 1 obs. 22 n. 2, S. 12. 1340 Zu Joachim Mynsinger von Frundeck (1514-1588) S c h u m a n n , Mynsinger, passim; Ko e h l e r / S e l l e r t , Mynsinger, Sp. 810-812; G e h r k e , Entscheidungsliteratur, lfd. Nr. 104 S. 124-125; zu Andreas Gail (1526-1587) A m e n d , Gail, Sp. 1913-1914; K e m p i s , Gaill, passim; N e h l s e n - v o n S t r y k , Andreas Gail, S. 701-715; G e h r k e , Entscheidungsliteratur, lfd. Nr. 106 S. 126-127. 1341 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 4r. 1338
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Parteien streitig, doch die Vorverlagerung der Rechtshängigkeit kam zweifellos dem Stift rechtlich zugute. Das bot abermals die Gelegenheit zur gemeinrechtlich-internationalen Ausweitung der Argumentation, denn „nimirum adstringitur foro haeres, praesertim si coram eo lis est inchoata“1342. Erneut diente der bereits erwähnte Carlevallius als Autorität, flankiert vom Spanier Alfonso Olea1343 und einer spanischen Allegationensammlung von Pedro Diez Noguerol1344. Lediglich ergänzend fügte der Schriftsatz etwas handfestere Hinweise auf die Digesten und Andreas Gail an1345. Aus Sicht des beklagten Stifts stand damit die Zuständigkeit der geistlichen Gerichtsbarkeit fest. Der Parteiwechsel und der Eintritt weltlicher Erben nach dem Tod des Propstes beeinträchtigten das Ergebnis in keiner Weise. bb) Das privilegium fori der Geistlichen als zwingendes Recht Da der Schriftsatzwechsel der Parteien mehrfach hin- und herging, sah sich das Kollegiatstift St. Johannes genötigt, seine Rechtsauffassung im Laufe der folgenden vier Jahre bis zur schließlichen Sextuplikschrift von 1736 immer weiter zu verfeinern. Dabei tauchten mehrere neue Argumente, neue Rechtsquellen und zusätzliche Literaturstellen auf. Sie sollten die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte für den Diätenstreit untermauern. Besondere Bedeutung spielte dabei das Klerikerprivileg, also die Befreiung Geistlicher vom weltlichen Gerichtszwang. Der Schriftsatzverfasser des Stifts meinte, diese Exemtion von Klerikern von jeder „jurisdictione Laicorum sit jure Divino“. Das göttliche Recht selbst schütze die Geistlichen von der weltlichen Justiz. Dafür stützte er sich freilich nicht unmittelbar auf das kanonische Recht, sondern lediglich auf ein Kompendium des Salzburger Professors für kanonisches Recht Ludwig Engel1346. Der Obersatz diente zugleich als Hinführung zu der Behauptung, ein Kleriker könne überhaupt nicht wirksam auf sein Privileg verzichten und insbesondere nicht durch Prorogation einen weltlichen Gerichtsstand begründen1347. Daraus sollte der zwingende ChaHStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 4r. O l e a , Tractatus de cessione, mit unklarer Belegstelle „tit. 4 qu. 16 n. 20“; zu Olea knapp J ö c h e r , Gelehrten-Lexicon III, Sp. 1048. 1344 N o g u e r o l , Allegationes, alleg. 4 n. 19-20, Leitsatz S. 24: „Doctoribus in contrarium allegatis ad probandum submissionem ad haeredes non transire, respondetur“. 1345 Zitiert werden „L 57 ff de judiciis“, D. 5. 1. 57; G a i l , Observationen I, obs. 37 n. 9, S. 73. 1346 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, fol. 1v; zitiert wird E n g e l , Collegium universi iuris canonici, lib. 2 tit. 2 n. 38: „Exemptio Clericorum est de jure divino“, S. 144; zu Engel (gest. 1674) S c h u l t e , Geschichte III/1, S. 150-151. 1347 Der Schriftsatz zitiert hierfür aus dem Titel „De foro competenti“ X. 2, 2, 12 („Clericus non potest constituere sibi iudicem laicum, etiamsi proprium iuramentum et adversarii consensus accedat“ mit 1342 1343
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rakter des Klerikerprivilegs folgen. In Anlehnung an Andreas Gail betonte die Sextuplikschrift, selbst eine ausdrückliche oder stillschweigende Prorogration des weltlichen Gerichtsstands sei nichtig, denn „juri enim publico pactis privatorum non derogatur“1348. In dieser Absolutheit war die Möglichkeit dispositiven Rechts schlechthin ausgeschlossen. Das privilegium fori konnte nie einer Parteivereinbarung weichen. Andreas Gail, den der Schriftsatzverfasser hierfür vereinnahmte, hatte dies freilich nicht in derselben Schärfe verfochten, denn er bestritt nur die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen „absque consensu superioris“1349. Damit galt das privilegium fori gerade nicht absolut, sondern war mit Zustimmung der geistlichen Obrigkeit durchaus verfügbar. Das Stift St. Johannes ging den eingeschlagenen Weg aber unbeirrt weiter und betonte, abermals angelehnt an das Werk von Engel, selbst eine weltliche Gewohnheit oder unvordenkliche Verjährung könne keine Gerichtszuständigkeit über Geistliche begründen1350. Damit sollte das im göttlichen Recht abgesicherte Klerikerprivileg nicht nur gegen Parteivereinbarungen, sondern auch gegen jegliche Derogation gefeit sein. Im Lichte der Rechtsquellenlehre aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren solche Behauptungen erstaunlich. Das usuale Rechtsdenken ließ nach überwiegender gelehrter Lehre immer Raum für abweichende Observanzen oder sogar derogierende consuetudines1351, und in einem früheren Stadium des Rechtsstreits hatte der Schriftsatzverfasser des Stifts selbst diese Beweglichkeit zugestanden. In zahlreichen Territorien des Alten Reiches akzeptierte er zunächst geistliche Sachen vor weltlichen Gerichten, ohne Anstoß daran zu nehmen. Jetzt sah es plötzlich ganz anders aus. Die äußerste Schärfe der Rechtsbehauptungen, die in sich teilweise widersprüchlich waren und sich an ungenaue Literaturhinweise anlehnten, ist aus der Rückschau ein untrügliches Zeichen für die Not, in der sich das Johannesstift befand. Es stand in diesem Rechtsstreit mit dem Rücken zur Wand und versuchte, überhaupt noch etwas zu retten. In der Tat war die prozessuale Situation für das Stift bereits seit einiger Zeit kritisch. Dreieinhalb Monate, bevor die zitierte Sextuplik in Wetzlar auf den Tisch kam, hatte sich nämlich Kaiser Karl VI. in den Rechtsstreit einDekretale von Innozenz III. von 1206); X. 2, 2, 18 („Quanquam laici possunt iurisdictionem non sui iudicis prorogare, clerici tamen non possunt, nisi episcopi dioecesani consensus accedat, et iudex, cuius iurisdictionem prorogare volunt, sit ecclesiasticus“ mit Dekretale Gregors IX. von 1227/34). 1348 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, fol. 1v. 1349 G a i l , Observationen I, obs. 40 n. 7, S. 77. 1350 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, fol. 1v. 1351 S i m o n , Geltung, S. 102-120; S t o l l b e r g -R i l i n g e r , Verfassungsgeschichte, S. 30-31; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 116-117.
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geschaltet. Er hatte unter anderem in einem Promotorialschreiben an das Reichskammergericht verlangt, der Hildesheimer Regierung „schleünige Justiz“ zu gewähren1352. Vor diesem Hintergrund wirkt die Schärfe der Sextuplikschrift wie ein Verzweiflungsakt des Johannesstifts. Auch wenn der Schriftsatzverfasser darauf hinwies, für Prozesse zwischen Geistlichen sowie von Weltlichen gegen Geistliche müßten auch in „causas judiciarias, etiam pecuniarias aliasve merè Civiles“ die kirchlichen Gerichte zuständig bleiben, konnte er dies zwar mit kanonistischen Belegstellen absichern1353. Doch verpuffte das Störfeuer wirkungslos, weil es ein ganz anderes Problem betraf. In Streit stand nämlich die entgegengesetzte Fallkonstellation, in der das Stift St. Johannes die weltlichen Erben des verstorbenen Propstes verklagte. Genau dazu gaben die angeführten Autoritäten nichts her. Der Schriftsatzverfasser hielt erstaunlicherweise einen konfessionsübergreifenden Hinweis für angebracht. Durch den Passauer Vertrag von 1552 und den Augsburger Religionsfrieden von 1555 sei die „jurisdictio Ecclesiastica suspendirt worden“, doch gelte dies nicht für römisch-katholische Territorien1354. Aus der Rückschau erscheint das als Selbstverständlichkeit, vielleicht aber war in Hildesheim mit seinen schwankenden Grenzen und dem lutherischen Umland dieser Fingerzeig geboten. Jedenfalls sicherte sich der Verfasser der Sextuplikschrift durch Verweise auf das Lehnrechtsbuch von Georg Adam Struve1355 und das bekannte Privatrechtswerk von Gerhard Gottlieb Titius1356 mit anerkannten Vertretern der deutschen Rechtsgelehrsamkeit ab. Im Hinblick auf den Hildesheimer Sachverhalt betonte der HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. Aktenstück „Denen Hoch- und Wohlgebohrnen (...) Cammer-Richtern“, mit Präsentationsvermerken vom 25. Mai und 17. Juni 1736. 1353 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, fol. 2r, mit Hinweisen auf die Authentica „Statuimus“ von Kaiser Friedrich II. zu C. 1, 3, 33 (bei G o t h o f r e d u s , Codex Justinianus, Sp. 34: „Statuimus, ut nullus ecclesiasticam personam in criminali quaestione vel civili trahere ad judicium seculare praesumat contra constitutiones imperiales, & canonicas sanctiones. Quòd si actor fecerit, à suo jure cadat: judicatum non teneat: & judex ex tunc potestate judicandi privetur“; dazu E b e l , Kurialsentenzen, S. 199); und auf die Dekretalen X. 2, 2, 4 („Episcopus ut suspectus recusatus, de cuius suspicione notorie constat, potest dare delegatum partibus non suspectum, cuius sententiam poterit per se exsecutioni mandare“ mit Schreiben Gregors des Großen von 601); X. 2, 2, 12 (Wortlaut in Anm. 1347); X. 2, 1, 17 („Praelati debent laicis de clericis, appellatione frustratoria non obstante, iustitiam facere; ad saeculare tamen forum clerici a laicis trahi non debent, etiam data ipsorum praelatorum negligantia“). 1354 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, fol. 2r. 1355 Zitiert wird S t r u v e , Syntagma, cap. 6 th. 17, S. 207-208; zu Georg Adam Struve (16191692) S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte II, S. 146-164, ebd. S. 153-154 zu dem lehensrechtlichen Werk. 1356 Zitiert wird T i t i u s , Iuris privati Romano-Germanici, lib. 9 cap. 1 § 18, S. 1125; zu Titius S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte III/1, S. 138-141, Noten S. 83-84. 1352
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Schriftsatz, bei der Klage des Stifts gegen den ehemaligen Propst Lüdgers habe es sich nicht um eine Real-, sondern um eine Personalklage gehandelt, weil der Propst sich die Landtagsdiäten unter Verstoß gegen die Kirchenstatuten hatte „züeignen“ wollen. Genau für solche Sachen sollte die geistliche Gerichtsbarkeit zuständig sein. Das entsprach nach Einschätzung des Schriftsatzverfassers auch der ständigen Rechtsprechung des Reichskammergerichts. Jedenfalls verwies die Sextuplikschrift auf ein Kassationsmandat aus dem Fürstbistum Lüttich von 1677, das durch seine Aufnahme in die kammergerichtlichen Pandekten Wilhelm Rodings immer noch zu den „Praejudicia Cameralia“ zählen sollte1357. In der Tat sprach Roding oder besser der neue Bearbeiter Christian Philipp Lang1358 davon, „in causis mixtis“ sei die Appellation von den Offizialaten sowohl an das Reichskammergericht als an den Apostolischen Nuntius erlaubt. Die materiellrechtliche Überschneidung von weltlichem und geistlichem Recht entfaltete so unmittelbar gerichtliche Folgen, „electionem habeat appellans“. Als Beispiele nannte Roding „matrimonialibus, decimarum &c.“1359. Darunter ließen sich die Landtagsdiäten ebenfalls fassen, zumindest nach Auffassung des St. Johannesstifts. Die Argumentation des Stifts beschäftigte sich nun mit der Auffassung der Hildesheimer Regierung, ein Diätenstreit sei eine „causa possessorio dicatur merè politica“. Als Einwand konnte das Possessorium für das St. Johannesstift nicht verfangen, weil die Zuständigkeit geistlicher Gerichte sich nicht nur „ob qualitatem causae“, sondern auch „ob qualitatem personae“ ergebe1360. Der Hinweis auf die ausschließliche Zuständigkeit der geistlichen Gerichte für Kleriker ersparte es dem Stift auf diese Weise, einen weitausladenden Streit über die Rechtsnatur der Landtagsdiäten vom Zaun zu brechen. Im Umkehrschluß nahm der Schriftsatzverfasser freilich die sachliche Allzuständigkeit geistlicher Gerichte als selbstverständlich in Anspruch. Auch politische Angelegenheiten konnten vor den kirchlichen Richter kommen, wenn nur auf Beklagtenseite ein Kleriker beteiligt war. Die personale Zuständigkeit der Gerichte überlagerte und verdrängte auf diese Weise jede sachliche Beschränkung. Die Trennlinie zwischen Kirche und Politik verlor damit ihre Schärfe. Hierfür bot der Autor wieder zahlreiche Autoritäten bis hin zu den „DDres omnes“ auf. Da es sich um eine Grundsatzfrage handelte, lehnte sich HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, fol. 2v; mit Hinweis auf R o d i n g , Pandectae juris cameralis, lib. 1 tit. 23 § 18, S. 333: Paritionsurteil vom 13. Dezember 1677 in Sachen Kassationsmandat der Schöffen der Stadt Lüttich gegen den Abt von St. Laurentius. 1358 Die erste Auflage stammte von 1609 und konnte den Hinweis auf das Urteil von 1677 noch nicht enthalten. 1359 R o d i n g , Pandectae juris cameralis, lib. 1 tit. 23 § 18, S. 333. 1360 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, fol. 3r. 1357
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der Schriftsatz abermals an europäische gemeinrechtliche Literatur an. Die Quaestionensammlung von Diego Covarruvias tauchte ebenso auf wie der possessio-Kommentar von Giacomo Menochio1361. Aus der deutschen Literatur bezog sich der Schriftsatzverfasser an dieser Stelle auf zwei katholische Autoren, nämlich auf Andreas Gail und den damals angesehenen Kanonisten Johann Georg, genannt Anaclet Reiffenstuel1362. Damit sollte das Ergebnis klar sein: Ein Geistlicher konnte einen anderen Kleriker niemals vor einem weltlichen Gericht belangen, selbst wenn beide Seiten damit einverstanden waren. Ein Verstoß gegen das zwingende Recht habe nicht nur den Rechtsverlust, sondern sogar die Exkommunikation zur Folge, betonte die Sextuplikschrift. Zahlreiche kanonistische Allegate sowie das protestantische Kirchenrechtswerk von Johann Brunnemann sollten die Unverrückbarkeit des Klerikerprivilegs einschärfen1363.
C o v a r r u v i a s , Practica quaestiones, caput 35 n. 1 § 1, in der hier benutzten Ausgabe wohl eher Ad. num. 1 n. 5, S. 280: „Si clericus conveniatur super possessione Beneficii, vel cujusque rei spiritualis, judex laicus de jure competens nequit esse; nam etsi possessorium deduceretur contra Ecclesiasticum de re omni profana, veluti praedio, aut domo, in suo foro deberet conveniri: quo argumento utitur Barbosa (...) cui assentiuntur Guttier (...) Menoch[ius]“; zu Covarruvias B r i e s k o r n , Diego de Covarrubias, S. 59-75; T a i s a n d , Les vies des jurisconsultes, S. 141-142; M e n o c h i o , De adipiscenda, S. 431: De recuperanda possessione, remed. 15 n. 223: „In interdicto adipiscendae neceßaria est causae cognitio & tituli colorati demonstratio“; ebd. S. 159: De retinenda possessione, remed. 3 n. 347: „Clericum a laico iudice in ius vocari non posse“; zu Menochio H o l t h ö f e r , Menocchio (Menochius), S. 436. 1362 G a i l , Observationen I, obs. 38 n 5, S. 75 (dort mit Einschränkung: „Eodem modo etsi juramenti materia ad judicem Ecclesiasticum pertineat, tamen quod observantiam contractus, judex saecularis vel laicus adiri potest. Et ista observatio intelligenda, quando clericus possessorio, ratione decimarum laicum solvere detractantem conveniri vult, quia potest judicium coram judice laico inchoare.“ Zum Patronatsrecht: „Licet ius patronatus non sit spirituale , cum possit possideri, & per laicum praescribi.“ – R e i f f e n s t u e l , Ius canonicum universum, lib. 3 Decr. tit. 30 § 8 n. 161, S. 454; zu Reiffenstuel (1641-1703) S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte III/1, S. 53, Noten S. 31-32. 1363 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, fol. 3v, mit Verweisen auf das Decretum Gratiani C. 11 qu. 1 c. 42 („Qua pena feriatur clericus ad secularia iudicia pertrahens“); C. 11 qu. 1 c. 11 (mit Anmerkung von Gratian: „Sic et sequentes auctoritates intelligendae sunt, quibus clericorum causas non nisi clerici cognoscere iubentur“); C. 11 qu. 1 (pauschal „per totam“ zitiert); Authentica „Statuimus“ zu C. 1, 3 (dazu Anm. 1353); B r u n n e m a n n , De jure ecclesiastico, lib. 3 c. 1 § 12: „De personis, quae subsunt jurisdictioni Consistoriorum; & quando clericus laicum ad suum forum trahere possit, pariterque de famulis clericorum“, S. 621, 626-627; zu Brunnemann S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte II, S. 101-112; S c h ä f e r , Geltung, S. 221. 1361
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cc) Zum Eintritt der Erben in den Rechtsstreit Der hohe argumentative Aufwand war aus Sicht des Kollegiatstifts St. Johannes offenbar erforderlich, um im nächsten Schritt die gegenwärtigen Parteien des Rechtsstreits in das Spannungsfeld geistlicher und weltlicher Personen näher einzuordnen. Denn der Propst Lüdgers, auf den sich die gesamte wesentliche Argumentation des Schriftsatzes bezog, war bekanntlich seit vielen Jahren tot. Der Schriftsatzverfasser wandte nun zunächst einen Trick an. Er behauptete, der petitorische Rechtsstreit sei schon zu Lebzeiten Lüdgers in Rom rechtshängig gewesen, und genau dies habe sich zwischenzeitlich als unstreitig erwiesen. Deswegen habe die Erbin Anna Elisabeth Zeppenfeld „juxta apertos et claros textus“ den Rechtsstreit genau vor dem bereits zuständigen Gericht weiterführen müssen1364. Das sollte nicht nur aus dem römischen Recht sowie den Werken von Frider Mindanus, Brunnemann und Johann Wolfgang Textor hervorgehen, sondern insbesondere „in Camera imperiali approbatum“ sein1365. Mit seinem Literaturaufgebot wollte der Verfasser zunächst das Klerikerprivileg absichern. Ein Geistlicher behalte nämlich sein einmal erworbenes privilegium fori für alle Zeit, auch wenn er einen Laien beerbte. Dennoch müsse er den vom Laien begonnenen Prozeß dort fortsetzen, wo er bisher rechtshängig gewesen war. Ob der Umkehrschluß zwingend war, ging daraus nicht hervor, war aus der Sicht des beklagten Stifts aber sehr vorteilhaft. Wie viel mehr, fragte der Verfasser rein rhetorisch, müsse das Privileg dann sogar greifen, wenn ein Laie als Erbe eines Klerikers dessen Rechtsstreit übernehme. Natürlich folge der Laie dem Gerichtsstand des Klerikers immer nach. An dieser Stelle war es der evangelische David Mevius, dessen Dezisionen als Stütze herhielten1366. Wie bereits angedeutet, verfaßte der Anwalt des Kollegiatstifts St. Johannes in Hildesheim seinen letzten Schriftsatz in einer äußerst ungünstigen prozessualen Situation. Ein kleiner Einschub im Text machte das für jeden augenscheinlich. Die Gegenseite hatte nämlich eine ihrer Stellungnahmen HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, fol. 4r. Verweise auf F r i d e r M i n d a n u s , De continentia causarum, cap. 5 n. 17, Leitsatz S. 48: „Clericum de communi sententia, propter causae continentiam, coram iudice laico posse reconueniri in causa ciuili“ (der zugehörige Text auf S. 62 fehlt, aber der Leitsatz half dem Stift kaum); B r u n n e m a n n , De jure ecclesiastico, lib. 3 c. 1 n. 29: „Quid si clericus laico succedat“, S. 622, 633; T e x t o r / S c h a r f , De jure Episcopali, §§ 7, 11, S. 5-6, 8-9 (etwas unklarer Hinweis); zur angeblichen Praxis des Reichskammergerichts lehnte sich der Schriftsatzverfasser an G a i l , Observationen I, obs. 37 n. 8-9, S. 73, an. 1366 Zitiert wird M e v i u s , Decisiones, p. 4 dec. 153 n. 2, S. 924: „Transit lis a defuncto coepta in haeredem, sine alio facto, per solam successionem, seu, ut I[uris]Consul]ti phrasis habet, instantia in haeredem transmittitur ipso iure active et passive“. 1364 1365
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inzwischen drucken lassen. Damit war alles publik, und das Stift mußte sich mit dem Vorwurf herumschlagen, es wolle den Erben des verstorbenen Propstes die vom Onkel sauer erworbenen Landtagsdiäten wieder wegnehmen. Das Stift meinte knapp und schroff, der Austausch von gedruckten Abhandlungen sei „der mühen nicht weth“1367. Genau die gedruckten Schriftsätze der Hildesheimer Regierung bzw. der Familie Zeppenfeld von 1735/36, auf die das Stift hier nur ganz knapp anspielte, lieferten jedoch einem breiteren lesekundigen Publikum den Beweis für den erstaunlichen Verlauf der Rechtssache. Inzwischen hatte sich sogar Kaiser Karl VI. zugunsten der Regierung in die Auseinandersetzung eingeschaltet. Deswegen ist es geboten, den Fortgang der Streitigkeit nachzuzeichnen.
3. Das Verfahren vor dem Reichshofrat Der Streit zwischen der Hildesheimer Regierung und dem Kollegiatstift St. Johannes ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zum einen klagte hier eine Territorialregierung gegen ihre eigenen Untertanen vor einem obersten Reichsgericht. Das kam gelegentlich vor, auch in dem oben bereits erwähnten späteren Fall aus Osnabrück, war aber dennoch ungewöhnlich. Zum zweiten setzte das Hildesheimer St. Johannesstift trotz der Rechtshängigkeit der Sache am Reichskammergericht seinen Rechtsstreit in Rom unverdrossen fort. In den sonstigen Mandatsprozessen wegen rechtswidriger Apellation an den Apostolischen Nuntius scheinen die kammergerichtlichen Befehle dagegen meistens befolgt worden zu sein. Jedenfalls berichten die Akten nicht von Verstößen gegen die reichsgerichtlichen Anordnungen. Und zum dritten brach schließlich auch die Hildesheimer Regierung aus dem Kameralprozeß aus. Sie wandte sich hilfesuchend an den Kaiser und seinen Reichshofrat. Um diese Ausweitung der Streitigkeit nachvollziehen zu können, ist zunächst ein Blick auf die Stellungnahmen der Hildesheimer Regierung vor dem Reichskammergericht erforderlich. Daraus erhellt dann, warum die Einschaltung des Reichshofrats für die Regierung erforderlich erschien.
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a) Unzufriedenheit der Hildesheimer Regierung mit dem Reichskammergericht Bereits während des Kammergerichtsprozesses zeigten sich Anzeichen für die Unzufriedenheit der Hildesheimer Regierung mit der Zurückhaltung des Wetzlarer Reichsgerichts, auch wenn das beantragte Mandat zunächst ergangen war. Schon in der Mandatssupplik hatte die Regierung die Einschaltung des Fiskals beantragt, um das Stift wegen der Verletzung der Reichsjustizverfassung zu bestrafen. Die begehrte Citatio „ad vid[endum] se incidisse in poenas juris et Constitutionum Imperii“ lehnte das Gericht aber am 12. Oktober 1731 ab und sparte die Verhandlung darüber für das Judizialverfahren auf1368. Gleich in der ersten Audienz am 7. Januar 1732 wiederholte der Prokurator der Regierung also seinen Antrag1369. Von diesem Prokurator Franz Peter Jung hat sich eine der wenigen Bestallungsurkunden erhalten. Bereits seit 1712 war er als ständiger Prozeßbevollmächtigter des Hildesheimer Bischofs tätig1370. Jung konnte deshalb die Hildesheimer Regierung aufgrund seiner langjährigen Erfahrung sowohl mit dem Reichskammergericht als auch mit Hildesheimer Betreffen sehr gut beraten, starb aber bereits kurz nach Prozeßbeginn. Die Replikschrift vom 7. Mai 1732 reichte er schon nicht mehr selbst in der Audienz ein. In diesem Schriftsatz legte die Hildesheimer Regierung erneut Wert auf den weltlichen Chrakter der Streitigkeit. Landtagsdiäten gehörten als „res merè temporalis et politica ad forum laicale“. Dies entsprach nach den Ausführungen des Schriftsatzverfassers auch der Hildesheimer Praxis, denn es sei noch ein Präjudiz aus einem Rechtsstreit des Kapitels St. Mauritius gegen den Kanoniker Proten „würcklich vorhanden“. Wenn eine Streitsache aber „temporalis et politica“ war, dann unterfiel sie nach dieser Ansicht allein dem weltlichen Gericht. Ohne Verletzung der weltlichen Jurisdiktion konnte die kirchliche Gerichtsbarkeit sich mit derartigen Angelegenheiten also nie befassen1371. Auf den persönlichen Status der Beteiligten kam es im Gegensatz zur Auffassung des beklagten Stifts für die Hildesheimer Regierung gerade nicht an. Deswegen knüpfte die Regierung an den Parteiwechsel vom verstorbenen Kleriker zum eintretenden Laien genau die entgegengesetzte Schlußfolge-
HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 3, mit extrajudizialem Dorsalvermerk. 1369 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Protokollbuch vom 7. Januar 1732. 1370 B a u m a n n , Advokaten, S. 39, erwähnt auch S. 189; Kl a s s , Standes- oder Leistungselite, S. 292. 1371 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 10, fol. 1v-2r. 1368
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rung wie das Stift. „Quando privatus succedit clerico, quia non utitur privilegiis Clerici, privilegium fori non transit in Successorem laicum“1372. Ein Laie hatte seinen Gerichtsstand danach nur vor einem weltlichen Gericht, unabhängig von der Person des jeweiligen Rechtsvorgängers. Als Beleg diente die Konsiliensammlung von Giacomo Menochio1373, also desselben Autors, den auch das Kollegiatstift für die Gegenmeinung heranzog, wenn auch mit einem anderen Werk. Rein tatsächlich sah die Regierung sich zusätzlich durch das Verhalten von Lüdgers Verwandten bestärkt. Die Erben von Propst Lüdgers hätten sich vor der Rota Romana „gahr nicht einlaßen wollen, sondern wieder solches jederzeith protestiret“. Doch insofern hielt die Regierung, wenn auch unter anderem Vorzeichen, die Gerichtszuständigkeiten wie das Stift für zwingendes Recht. Eine Prorogation des geistlichen Gerichtsstands durch einen Laien war zwar grundsätzlich möglich, allerdings „locum non habet, quando laici subditi sunt domino perpetuo“. In diesem Fall „subditi non possunt prorogare Jurisdictionem Judicis Ecclesiastici“1374. Mit dem dominus perpetuus, der beständigen Obrigkeit, griff der Schriftsatzverfasser eine Formulierung der lateinischen Bibel1375 auf, die im Mittelalter zunehmend für Stadtherren gebräuchlich geworden war1376. Für das frühe 18. Jahrhundert ist dominus perpetuus als Selbstbezeichnung von Herrschern in Ungarn belegt1377. Die Hildesheimer Regierung meinte mit dem dominus perpetuus also den eigenen Fürstbischof, das dürfte kaum zweifelhaft sein. Wenn aber die Unterworfenheit unter solch einen Oberherren die Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten geistlicher Gerichte ausschloß, war die kirchliche Gerichtsbarkeit für Laien de facto vollständig ausgeschlossen. Hatte doch jeder Untertan mindestens einen solchen dominus perpetuus über sich. Einen größeren Gegensatz als zum Hochstift Münster, in dem die konkurrierende Zuständigkeit des Offizialats für Zivilsachen aller Art auch zwischen weltlichen Parteien zwar nicht gänzlich unstreitig war, aber doch vielfach nachweisbar ist, konnte es also kaum geben – und dies bei in Personalunion regierten geistlichen Territorien. Als wesentliche Autorität für diese Ansicht diente weiterhin Menochio. Geradezu genüßlich hieß es, „sogahr die jura Canonica, wie aus obangeführet Menochio zu ersehen“, würden „solHStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 785, Aktenstück Q 10, fol. 2r-2v. M e n o c h i o , Consilia IV, consilium 322 Nr. 19, Leitsatz S. 81: „Clericus succedens laico retinet privilegium clericatus quo ad forum, econtra, quando laicus succedit Clerico privilegiis Clerici non utitur“; nähere Ausführungen S. 83. 1374 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 759, Aktenstück Q 10, fol. 3v-3r. 1375 Psalm 9 Vers 8: „At rerum Dominus perpetuum thronum fixit perpetuum iustitiae sibi“ („Der Herr aber bleibt ewiglich; er hat seinen Thron bereitet zum Gericht“). 1376 E n n e n , Stadt des Mittelalters, S. 209: Ferrara; B o t t e r i l l , Verona, S. 1135: Verona 1387. 1377 G e b h a r d i , Weltgeschichte, Bd. 15/2, S. 629 Anm. a); E n g e l , Geschichte, S. 185. 1372 1373
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ches“, also die vom Kollegiatstift betriebene Prozeßführung gegen Laien vor der Rota Romana, „gleich mäßig mißbilligen“1378. Die Regierung hatte sichtlich die Befürchtung, es könne der „Kay[ser]l[iche]n May[es]t[ä]t undt denen sambtlichen Reichs Ständen“ zum „höchsten praejuditz“ gereichen, wenn jedermann in politischen Angelegenheiten geistliche Gerichte ungestraft anrief. Insbesondere diejenigen Laien, die einen Geistlichen beerbt hätten, dürfe man niemals „von denen weltlichen gerichteren ab- und zum Röm[ische]n Hoff ziehen“.1379 Der Schriftsatzverfasser nannte dies einen Verstoß gegen die Reichsgrundgesetze und berief sich auf § 164 des Jüngsten Reichsabschieds. Das war die allgemein formulierte reichsrechtliche Bestimmung zur Entflechtung weltlicher und geistlicher Gerichte. Die Anrufung des Papstes und des Nuntius in weltlichen Angelegenheiten sollte dadurch unterbunden sein1380. Wenn in der Praxis gegen solche Verstöße kammergerichtliche Kassationsmandate ergingen, stand das zwar nicht ausdrücklich im Wortlaut des Reichsabschieds von 1654, doch verwies der Schriftsatzverfasser zusätzlich auf den Kameralautor Blum, um seine Auffassung zu untermauern1381. Von einem strafbaren Verstoß gegen die Reichsverfassung konnte also durchaus die Rede sein. Bis hierhin erweckt die Replikschrift der Hildesheimer Regierung den Charakter eines gewöhnlichen kammergerichtlichen Schriftsatzes. Den Paukenschlag behielt sich der Verfasser allerdings für den Schluß auf. Denn noch nach der Verkündung des kammergerichtlichen Mandats hatte das beklagte Hildesheimer Kollegiatstift St. Johannes „in curia Romana newe Instantien gemacht“ und es zu Wege gebracht, „mit dem geistlichen Banne und Censuren contra haeredes laicos zu verfahren“1382. Das war der schwerstmögliche Verstoß gegen das Reichskammergerichtsmandat. Nicht nur mißachtete das Johannesstift den Kassationsbefehl, sondern der geistliche Rechtsstreit vor der Rota Romana lief unversehens einfach weiter. Das war zugleich eine sehr einseitige Angelegenheit. Die rechtlich beratene und von der Landesregierung unterstützte Anna Elisabeth Zeppenfeld hatte sich nämlich von Anbeginn an geweigert, irgendwelche Prozeßhandlungen vor der Rota vorzunehmen. Deswegen wurde sie „in contumaciam“ verurteilt. Auch im weltHStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 10, fol. 3v.4r. HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 10, fol. 3r-3v. 1380 Wortlaut bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 250-251; zu dieser Regelung oben bei Anm. 745-770. 1381 Zitiert wird B l u m , Processus cameralis, tit. 48 n. 7, S. 389: „Deinceps, quòd si ad Legatum Pontificis, qui Coloniae, vel alibi in Germania morari solet, appelletur in rebus prophanis, ubi ad Cameram appellandum fuisset, Appellatus (sic!) in Camera Mandata avocatoria vel inhibitoria impetrare potest“, mit Verweis auf den Jüngsten Reichsabschied und zwei Mandatsprozesse von 1661/62. 1382 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 10, fol. 4r-4v. 1378 1379
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lichen Recht konnte Ladungsungehorsam Ordnungsstrafen bis hin zur Reichsacht nach sich ziehen1383, wenn auch unklar ist, wie häufig solche Maßnahmen wirklich ergingen. Das kirchliche Recht sah entsprechende geistliche Sanktionen von der Zensur bis hin zum Bann und der Exkommunikation vor1384. Wenn freilich in einem Rechtsstreit, der nach Ansicht der Regierung eine weltliche Angelegenheit betraf, geistliche Strafen in dieser Schärfe bevorstanden, war das für die Hildesheimer Regierung nicht hinnehmbar. Sie beantragte deswegen beim Reichskammergericht den Erlaß eines verschärften Mandats (Mandatum arctius) zur nochmaligen Anordnung des Paritionsbefehls sowie zur Eintreibung der bereits im ersten Mandat angedrohten und nun verwirkten Geldstrafe. Bekanntlich konnte das Reichskammergericht in Mandatssachen sehr zügige Entscheidungen treffen. Auf die erste Supplikation der Regierung hin erließen die Wetzlarer Assessoren bereits nach zwei Tagen das beantragte Kassationsmandat. Jetzt aber geschah nichts mehr. Nur eine Woche später wurde deshalb der Prokurator der Hildesheimer Regierung erneut in Wetzlar vorstellig mit einem nochmaligen Antrag, „ob Summum in mora periculum“ das beantragte Mandat zu erlassen1385. Zur Begründung führte der Schriftsatzverfasser an, das Kapitel habe inzwischen im römischen Prozeß die Exekutoriales erschlichen, und deswegen stehe das kirchliche Vollstrekkungsverfahren unmittelbar bevor. Abermals blieb eine Reaktion des Wetzlarer Reichsgerichts aus. Zweieinhalb Monate später erreichte das Gericht eine weitere „Supplication pro Maturandâ ob Summum in morâ periculum et metum Excommunicationis sententiâ“1386. Die Rota Romana hatte auf Antrag des St. Johannesstifts kurzerhand das Kammergerichtsmandat aufgehoben und zugunsten des kirchlichen Prozesses ein eigenes „mandatum attentatorum revocatorium“ erlassen1387. Das war genau der Eingriff der geistlichen Jurisdiktion in die Reichsgerichtsbarkeit, die bereits der Jüngste Reichsabschied als
B u c h d a , Contumacia, Sp. 636-637; O e s t m an n , Rechtsverweigerung, S. 131; D i c k , Entwicklung, S. 190-192; A h r e n s , Prozeßreform, S. 27-29. 1384 Zum Mittelalter H e l m h o l z , Spirit of Classical Canon Law, S. 366-393; B u d i s c h i n , Zivilprozeß, S. 61-67; S t e i n s , Zivilprozeß, S. 242; N ö r r , Rota Romana, S. 231; für die frühe Neuzeit E l s e n e r , Exkommunikation, S. 70, 73, 84; für das 18. Jahrhundert abweichend, aber unzutreffend E i s e n h ar d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 38. 1385 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 12, präsentiert am 14. Mai 1732. 1386 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gleichnamiger Schriftsatz, vorgelegt am 30. Juli 1732. 1387 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. „Unterthänigste Supplication pro Maturandâ“ vom 30. Juli 1732, ohne Paginierung. 1383
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mißbräuchliche Maßnahme der Nuntius angeprangert hatte1388. Die Regierung, die sich ausdrücklich als „weltliche Regierung“ des Kurfürsten von Köln titulierte, beanspruchte, alleiniger „Judex competens“ zu sein. Mit scharfen Worten wies sie darauf hin, „nec ipse Pontifex habeat exercitium Jurisdictionis contra laicum“1389. Aber auch nach dieser weiteren Supplikation blieb das Reichskammergericht untätig, obwohl nach dem Vortrag der Regierung die Exkommunikation der Anna Elisabeth Zeppenfeld unmittelbar bevorstand. Zu beschönigen gibt es auch im rechtshistorischen Rückblick wenig. Das Kammergericht tat nichts, um die Verletzung des Mandats zu ahnden. Trotz der Zuspitzung des römischen Verfahrens stockte der Wetzlarer Prozeß. Es ist unpopulär geworden, vom „Reichsjammergericht“ zu sprechen1390. Aber genau dieses Wort trifft zu. Das Reich konnte nämlich auch anders mit der Rota Romana umgehen. Der Blick nach Wien macht sofort den Unterschied klar.
b) Die Einschaltung des Reichshofrats Die Hildesheimer Regierung setzte den im Kameralprozeß erforderlichen Schriftsatzwechsel bis zur Quintuplik fort1391. Zugleich wandte sie sich aber auch an den Reichshofrat in der Hoffnung, dort energischere Unterstützung zu erhalten. Die Anrufung des Kaisers bzw. die Einschaltung des Reichshofrats durch eine Prozeßpartei während eines laufenden Reichskammergerichtsprozesses war ein heikles Unterfangen. Die zeitgenössische Literatur stritt sich darüber, ob man auf diese Weise die Reichsgerichte gegeneinander ausspielen durfte1392. Der Prokurator des St. Johannesstifts protestierte jedenfalls in Wetzlar im Juni 1736, die Regierung verstoße damit „gegen die § 164 JRA, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 250. HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. „Unterthänigste Supplication pro Maturandâ“ vom 30. Juli 1732, ohne Paginierung; mit Verweisen auf B l u m , Processus cameralis, tit. 30 S. 212-226: „De causis fiscalibus“; B l u m , Chilias sententiarum, Nr. 751, S. 298-299: Paritionsurteil wegen „violatae jurisdictionis Imperii“; C e v al l o s , Tractatus de cognitione, quaest. 64 n. 12: „Clerici ratione officii saecularis conveniuntur coram iudice saeculari“, n. 14: „Clericus, medicus, vel advocatus, qui delinquit in suo officio, convenitur realiter coram iudice saeculari“, beides S. 311. 1390 Nachweise des Spottworts bei S e l l e r t , Pax Europae, S. 105; d e r s . , Richterliche Unabhängigkeit, S. 120; d e r s . , Parteilichkeit, S. 232. 1391 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 37 vom 11. März 1735. 1392 Zum Verhältnis von Prävention und Avokation zwischen Reichskammergericht und Reichshofrat S e l l e r t , Zuständigkeitsabgrenzung, S. 112-115; zu weitergehend nimmt S e n n , Reichshofrat, S. 28, eine Aufsicht des Reichshofrats über das Reichskammergeircht an; Beispiele bei O e s t m an n , Rechtsverweigerung, S. 123-124. 1388 1389
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gemeine beschriebene rechten so wohl, als kundbare reichs satzungen“, denn die parallele Befassung beider oberster Reichsgerichte mit derselben Streitsache sei „sine collisione jurisdictionum“ gar nicht denkbar1393. Unabhängig von dieser Einschätzung lief der Rechtsstreit tatsächlich zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Monaten parallel vor beiden Gerichten. Am 9. März 1736 erließ Kaiser Karl VI. ein Reskript1394 an das Kapitel des St. Johannesstifts und trat dabei viel schärfer auf als einige Jahre zuvor das Reichskammergericht in seinem Kassationsmandat. Allerdings hatte sich die prozessuale Situation inzwischen auch erheblich zugespitzt. Noch im selben Jahr 1736 erschein das Reskript in Hildesheim im Druck – sieben Seiten schwarz auf weiß kaiserlicher Unmut über die Langsamkeit und Entscheidungsschwäche des Reichskammergerichts, die Unbotmäßigkeit des Hildesheimer Johannesstifts und die Anmaßungen der Rota Romana als weltliches Zivilgericht. In dieser Druckfassung gelangte das Reskript auch in die Kammergerichtsakte. Der Drucker ist nicht genannt. Ebenfalls ist unklar, ob die Hildesheimer Regierung oder die Familie Zeppenfeld die Drucklegung besorgte. Bereits 1735 hatte die Klägerseite ein erstes Druckwerk zu den Akten gereicht, eine „Legitima Defensio Der Lands-Fürstlichen Hohen Jurium, Nebst Rechtlicher Vorstellung“. Bereits die barock-gewundene Betitelung klärte das entscheidende Rechtsproblem: Die Exkommunikation der Anna Elisabeth Zeppenfeld gründete sich auf ein irriges Fundament1395. Da dieser Punkt auch im kaiserlichen Reskript auftaucht, genügt es, diese zweite Quelle näher zu betrachten.
c) Das Reskript Kaiser Karls VI. Das kaiserliche Reskript begann mit umfangreichen Narrationen, die den gesamten Sachverhalt sowie die Prozeßgeschichte wiederholten. Freilich war die Sprache von Anbeginn an scharf. Machtvoll und selbstbewußt trat der Kaiser auf. Der unbekannte Jurist, der ihm das Reskript vorformuliert hatte, nahm kein Blatt vor den Mund. Im Vergleich dazu erschienen die Assessoren des Reichskammergerichts wie eine Handvoll Wetzlarer Waschlappen. Dem St. Johannesstift bescheinigte der Kaiser „Frech- und Muthwilligkeit“, die HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Protokollbuch vom 6. Juni 1736. HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Abdruck Des von Roemisch-Kayserl. und Königlicher Catholischer Majestät (...) erkändt, Und (...) insinuirten Recripti“ (Lit. B); Hinweis auf den Titel Reskrpit auch bei K au e r t z , Akten II, S. 1033 lfd. Nr. 1298. 1395 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckte „Legitima Defensio“ (Lit. D; nach Q 42). 1393 1394
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sich unter anderem im bewußten Verstoß gegen das kammergerichtliche Mandat zeige1396. Im Gegensatz zu kammergerichtlichen Narrationen war die rechtliche Würdigung im Reskriptstext im Indikativ gehalten, während der Sachverhalt in indirekter Rede an die Supplikationsschrift der Hildesheimer Regierung angelehnt war. Damit nahm der Kaiser viel klarer Stellung als das Reichskammergericht in seinen Mandaten. Was er sagte, war seine eigene rechtliche Meinung. Wie das kaiserliche Befehlsschreiben betonte, waren Landtagsdiäten „eine Sache, so ihrer Natur, und Eigenschaft, auch deren darvon dependirenden Verrichtungen nach/ anderst nirgends/ als vor einen weltlichen Richter gehörig ist“1397. Unter einem „vernünfftigen Vorwand“ könne man deswegen nicht an den römischen Richter rekurrieren. Diese Einschätzung bezog sich auf „Inhalts derer Concordatorum Germaniae, und derer Reichs-FundamentalSatzungen“. Auf die Konkordate hatten sich teilweise auch Parteien in Münsteraner Prozessen berufen1398, doch war dieser Hinweis eher selten. Im Vordergrund standen in Münster die Verstöße gegen die Fundamentalgesetze des Alten Reiches. Aus kaiserlicher Sicht waren die Reichskonkordate aber selbst nach dreihundert Jahren noch wesentliche Richtschnur im Verhältnis zur Gerichtsgewalt des Papstes. Die Autorität des Kaisers als oberster weltlicher Richter bewährte sich in diesem Fall auch im Konflikt mit der Rota Romana. Karl VI. beseitigte nämlich mit seiner Unterschrift alle Prozeßhandlungen der römischen Kurie, die „tanquam Judice Notoriè incompetente von Anfang der Sache bis hieher gesprochen worden“. Sie waren „ipso iure null, und nichtig“1399. Aufgrund der allgemeinen Reichsgrundgesetze und der Wahlkapitulation nahm der Kaiser ausdrücklich das Recht in Anspruch, Handlungen, die die Reichshoheit beeinträchtigten und zur Verwirrung geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit beitrugen, für kraftlos zu erklären. In einer Zeit, die überdies großen Wert auf Ehrbezeugungen legte, waren es zudem deutliche Worte, wenn das St. Johannesstift sich anhören mußte, die „gröblich, und unbesonnene Verletz- und Vergreifung Unsers allerhöchsten Obrist-Richterlichen-Amts“ habe den Kaiser mit „euserten Mißfallen, und Kayserlichen Ungnaden wieder Euch“ erfüllt1400.
HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Abdruck Des Roemisch-Kayserl. (...) Majestät (...) erkändt, Und (...) insinuirten Recripti“ (Lit. B), S. 4. 1397 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Abdruck Des Roemisch-Kayserl. (...) Majestät (...) erkändt, Und (...) insinuirten Recripti“ (Lit. B), S. 5. 1398 LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 1, fol. 08r; dazu oben bei Anm. 713-730. 1399 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Abdruck Des Roemisch-Kayserl. (...) Majestät (...) erkändt, Und (...) insinuirten Recripti“ (Lit. B), S. 5. 1400 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Abdruck Des Roemisch-Kayserl. (...) Majestät (...) erkändt, Und (...) insinuirten Recripti“ (Lit. B), S. 5. 1396
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Die Vorwürfe gegen das Stift reihten sich aneinander. Nach dem Erlaß des bereits vor dem Kammergericht angegriffenen „Mandatum attentatorum et revocatorium“ des römischen geistlichen Prozesses hatte sich das Hildesheimer Stift „mit unverantwortlicher Hindansetzung Unserer (...) allein statt habender allerhöchsten Kayserlichen Jurisdiction“ an den Apostolischen Nuntius in Köln gewendet, um das römische Versäumnisurteil vollstrecken zu lassen. Im Gegensatz zu zahlreichen bereits weiter oben angesprochenen Rechtsstreitigkeiten nahm der Nuntius in diesem Fall nicht die Funktion einer Appellationsinstanz gegen Offizialatsurteile wahr, sondern wirkte als Exekutor der Rota Romana. Das Stift St. Johannes hatte jedenfalls beim „Nuncio zu Cölln/ als angegebenen Executore Apostolico, die würckliche Excommunication vorbenahmster Zeppenfeldin zu wegen gebracht“. Das kaiserliche Reskript fügte hinzu, dieser „Frevelmuth, und Kühnheit“ des Hildesheimer Kollegiatstifts müsse „einem jeglichen ehrliebenden teutsch-patriotischem Gemüthe zum eusersten Scandalo gereichen“1401. Hier klang emotional aufgeladen ein Gesichtspunkt an, der in mehreren anderen Auseinandersetzungen ebenfalls eine Rolle spielte. In der Abwehr katholisch-kirchlicher Übergriffe auf die weltliche Herrschaft und Jurisdiktion lag ein wichtigter Ansatzpunkt zur Vergewisserung über die eigene deutsche Nationalität. Bei den Angriffen auf den ausländischen Apostolischen Nuntius kann man in älteren Prozessen durchaus von einer erstaunlich frühen Form der Ausländerfeindlichkeit sprechen1402. Aus der Gegenrichtung erscheint der Befund positiver und läßt sich als beginnende Ausprägung eines allgemeinen deutschen Patriotismus, eng verbunden mit einem deutschen Reichsbewußtsein, beschreiben. Diesen Reichspatriotismus forderte Karl VI. in seinem Reskript ein. Der Hinweis auf die Öffentlichkeit war dabei mehr als eine bloße Floskel. Denn mit der Drucklegung des Reskripts konnte es tatsächlich zur Erregung der Gemüter kommen, die der Kaiser heraufbeschwor. Wegen der Verstöße gegen die Gerichtsverfassung des Alten Reiches gab Kaiser Karl VI. die Sache zugleich an den „Kayserlichen Reich-Hof-Fiscalen“1403 ab, um sowohl das Kollegiatstift St. Johannes als auch die auf Seiten des
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HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Abdruck Des von Roemisch-Kayserl. (...) Majestät (...) erkändt, Und (...) insinuirten Recripti“ (Lit. B), S. 6. Zur Fremdenfeindlichkeit nur punktuelle Hinweise in der Literatur: N o e l , Les pays rhéno-mosellans, S. 172 (zum Verhältnis deutscher und französischer Parteigänger im Elsaß); C o s t e l l o / G l o z i e r , Huguenots, S. 99 (französische Soldaten in Brandenburg); H e r i n g T o r r e s , Fremdheit, Sp. 1227. Zu dieser Zeit Dominicus Joseph Hayeck von Waldstätten, Fiskal 1727-1740, bei O b e r s t e i n e r , Reichshoffiskalat, S. 161
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Stifts tätigen Advokaten, Prokuratoren und Notare zu bestrafen1404. Das wirft erneut einen bezeichnenden Blick auf die unterschiedliche Verfahrensweise am Reichskammergericht und am Kaiserhof bzw. am Reichshofrat. Das Reichskammergericht übertrug die Angelegenheit trotz der entsprechenden mehrfachen Anträge der Hildesheimer Regierung nicht an den kammergerichtlichen Fiskal. Der Reichshofrat schaltete den Fiskal dagegen gleich zu Beginn des Verfahrens ein1405. Die Exkommunikation der Anna Elisabth Zeppenfeld war in den von Seiten der Hildesheimer Regierung oder der Familie stammenden Schriftstücken freilich mit dickem Pinsel aufgetragen. Karl VI. mußte also von einem besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die Autorität des Reichskammergerichts ausgehen1406. Auch die Kirche hatte nämlich den Weg an die Öffentlichkeit gesucht. Das Exkommunikationsdekret des Kölner Nuntius wurde angeblich an alle „Catholische Kirch-Thüren“ gehängt, außerdem durch „Verlesung von einigen Cantzeln (...) dem Publico bekannt gemacht“1407. Offenbar erfolgte dies zunächst auf Latein und schlug deswegen vielleicht nicht so hohe Wellen. Jedenfalls wies ein vermutlich von der Familie Zeppenfeld bei der Hildsheimer Druckerei Schlegels Erben in Auftrag gegebener Privatdruck auf die nochmalige Zuspitzung und größte „Prostitution“ der Zeppenfeldin hin. Nach der Verlesung des lateinischen Textes sollte nämlich das Exkommunikationsdekret „auch in einer sicheren Kirche der Christ-Catholischen Gemeinde verteutschet worden“ sei1408. Die besonders schwerwiegende Demütigung scheint also in der Übersetzung gelegen zu haben. Der Kaiser erließ drei Befehle. Erstens hatte das Kollegiatstift vom Rekurs an die Rota Romana „abzustehen“. Damit sollte der Rota-Prozeß beendet sein. Zweitens mußte sich das Stift um die Rücknahme des römischen Mandats kümmern, das die Rota gegen die angeblichen kammergerichtlichen Attentate verkündet hatte. Drittens und schließlich sollten die Beklagten die Exkommunikation der Zeppenfeldin rückgängig machen. Das kaiserliche Reskript verlangte von dem St. Johannesstift, es müsse diese Maßnahmen „suchen“ und auch „in der That (...) bewürcken“. Die Schärfe der kaiserlichen Anordnung zeigte sich sehr klar an der Strafdrohung für den Fall der HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Abdruck Des von Roemisch-Kayserl. (...) Majestät (...) erkändt, Und (...) insinuirten Recripti“ (Lit. B), S. 6. 1405 Zum Reichshoffiskal O b e r s t e i n e r , Reichshoffiskalat, S. 95-134. 1406 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. Promotorialschreiben „Denen Hoch- und Wohlgebohrnen (...) Cammer-Richtern“, nicht paginiert. 1407 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Kurtzer Bericht“, Hildesheim 1736, ohne Paginierung. 1408 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Kurtzer Bericht“, Hildesheim 1736, ohne Paginierung. 1404
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Nichtbefolgung. Im Gegensatz zu kammergerichtlichen Mandatsprozessen, bei denen die Nichtbefolgung üblicherweise mit zehn Mark lötigen Goldes strafbewehrt war1409, drohte das Reskript Karls VI. die „Sequestir- und Einziehung Euerer sämtlichen zeitlichen Intraden und Gefällen“ an, also die vollständige Vermögenseinziehung1410.
d) Das kaiserliche Promotorialschreiben an das Reichskammergericht Nur zweieinhalb Wochen später schaltete sich der Kaiser bzw. sein Reichshofrat am 27. März 1736 erneut in die Auseinandersetzung ein. Zunächst erließ der Monarch ein Promotorialschreiben an das Reichskammergericht. Darin befahl er, der Hildesheimer Regierung „schleünige Justitz“ zu gewähren1411. Das war insoweit der übliche Inhalt von Promotorialen schlechthin1412. Allerdings gab es noch mehrere weitere Auflagen an das Kammergericht. Der Kaiser, von der Hildesheimer Regierung über die Details der Prozeßgeschichte informiert, verlangte einen Bericht aus Wetzlar. Warum hatte das Kammergericht den Mandatsprozeß nicht längst in einen „Processu Ordinario“ überführt, und weshalb gab es immer noch kein Endurteil, „auch allenfalls in Contumaciam“? Außerdem mußte das Reichskammergericht sich den Vorwurf gefallen lassen, es habe, „wie es zu thuen Eüeren pflichten nach, allerdings obgelegen“, das Hildesheimer Stift nicht wegen des Verstoßes gegen das vorangegangene Kassationsmandat bestraft. Deswegen habe das Reichskammergericht seine in „denen Reichs-Fundamental Satzungen“ wurzelnden Pflichten verletzt. Jedenfalls sollten die Kammergerichtsmitglieder schließlich dem Wiener Hof mitteilen, warum sie diese Angelegenheit nicht von sich aus dem Kaiser „gehorsambst berichtet“ hatten1413. Das war eine Standpauke, die es in sich hatte. Das Promotorialschreiben Karls VI. ist schwer einzuschätzen. Neben der Empörung über den vom Kollegiatstift St. Johannes betriebenen RotaProzeß und dem Ärger über die Langsamkeit und Entscheidungsschwäche Beispiele aus dem LA Münster RKG B 1280, Aktenstück Q 1; D 487, Aktenstück Q 1, fol. 005; H 1569, Aktenstück Q 1, S. 3-4; K 838, Aktenstück Q 1, fol. 004r; K 1068, Aktenstück Q 1, fol. 14; M 741, Aktenstück Q 5; M 1432, Aktenstück Q 2, fol. 03r (viele weitere Fälle); lediglich 8 Mark in LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 1. 1410 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Abdruck Des von Roemisch-Kayserl. (...) Majestät (...) erkändt, Und (...) insinuirten Recripti“ (Lit. B), S. 7. 1411 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. Promotorialschreiben „Denen Hoch- und Wohlgebohrnen (...) Cammer-Richtern“, nicht paginiert. 1412 O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 66-69. 1413 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. Promotorialschreiben „Denen Hoch- und Wohlgebohrnen (...) Cammer-Richtern“, nicht paginiert. 1409
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des Wetzlarer Reichskammergerichts zeigen gerade die verschiedenen Berichtspflichten, wie selbstverständlich der Kaiser bzw. der Reichshofrat ihren Anspruch formulierten, als Aufsichtsorgan dem Reichskammergericht übergeordnet zu sein. Ob der Reichshofrat dies tatsächlich war1414, ist mindestens problematisch und war jedenfalls bei den Zeitgenossen umstritten1415. Weil der Konflikt zwischen Reichskammergericht und Reichshofrat einen der unausgesprochenen Hintergründe jedes kaiserlichen Promotorialschreibens an das Kammergericht bildete, darf man den scharfen Ton des Wiener Hofes gegen die Wetzlarer Assessoren jedenfalls nicht überbewerten.
e) Der Brief des Kaisers an seinen Gesandten beim Papst und der Prozeßausgang Viel wichtiger ist ein zweites kaiserlichen Schreiben vom 27. März 1736, also vom selben Tag wie das Promotorialschreiben. Karl VI. schrieb nämlich an den Grafen Johann Ernst von Harrach1416, seinen Gesandten am päpstlichen Hof. Darin trug er dem Gesandten auf, sich beim Papst für die Aufhebung der Exkommunikation der Anna Elisabeth Zeppenfeld einzusetzen1417. Genau das geschah auch und hatte vollen Erfolg. Der Dekan der Rota Romana, ein Monsignore Callagnini1418, teilte dem Apostolischen Nuntius in Köln am 25. August 1736 nämlich mit: „La Santità Sua per tanto avendo dichiarati nulli tutti gli atti fatti nel giudizio in contumacia di d.a Declaratoria, mi commanda di partecipare à V. S: Ill.ma il Santissimo suo Oracolo, quale si è che ella si contenti di publicare l’annullazione non meno di detti atti, mà ancora delle pred.e Censure relasciate da codesta Nunziatura“1419.
So G s c h l i e ß e r , Reichshofrat, S. 29; S e n n , Reichshofrat, S. 28. W e i t z e l , Besprechung von Amend u. a., Gerichtslandschaft, S. 298; O e s t m an n , Rechtsverweigerung, S. 68. 1416 Zu Graf Harrach B l a a s , Auditoriat, S. 93; C e r c h i a r i , Capellani II, S. 230 lfd. Nr. 559. 1417 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Kurtzer Bericht“, Hildesheim 1736, ohne Paginierung, dort Beilage A. 1418 Carolus Leopoldus Calcagninus, Dekan der Rota von 1734-1743, bei C e r c h i ar i , Capellani II, S. 220 lfd. Nr. 549. 1419 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Kurtzer Bericht“, Hildesheim 1736, ohne Paginierung, dort Lit B. Copia di Lettere, mit deutscher Übersetzung: „Als haben Ihre Heiligkeit für nichtig erklähret alle Actus so in Judicio in Contumaciam besagter Declaratioriae vorgegangen; und befehlen mit Ihr geheiligtestes Oraculum Ew. Hochw. mitzutheilen, selbige nemlich sich gefallen lassen mögen die Annullation nicht nur besagter Actuum, sondern auch der von dortiger Nunciatur relaxirten Censuren zu publiciren.“ 1414 1415
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Der Papst hob also durch seinen Machtspruch das Versäumnisurteil der Rota auf, und damit entfiel auch die Rechtsgrundlage der Exkommunikation. Genau wie zuvor die Exkommunikation mußte jetzt ihre Aufhebung öffentlich bekannt gemacht werden. Dies ist sicherlich der Grund, weshalb dem Schatzeinnehmer Zeppenfeld mit dem Privatdruck daran gelegen war, seiner „so unschüldig/ als widerrechtlich beleidigter/ und vor aller Welt so empfindlich beschimpfter Eheliebste gebührende Satisfaction“ zu verschaffen1420. Zu diesem sehr klaren Prozeßausgang paßt nicht zuletzt das Verhalten des Kollegiatstifts St. Johannes. Es gab klein bei, schrieb an seinen Agenten an der römischen Kurie und beauftragte ihn, „pro cassatione“ des päpstlichen Rechtsstreits tätig zu werden und insbesondere wegen der ergangenen „judicatorum et censurarum“ das Erforderliche zu „besorgen“. Genau dies teilte das Kapitel sodann dem Reichshofrat als auch dem Reichskammergericht mit. Die rechtliche Meinungsverschiedenheit dauerte allerdings noch an. Das geht aus der Quelle gleich zweimal hervor. Denn der Schriftsatz des Stifts hieß ausdrücklich „vorläuffige Paritions Anzeige“, und auch im Text des Dokuments ist lediglich von der vorläufigen Parition die Rede1421. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen jedenfalls waren damit beendet. Am 31. Januar 1737 schloß das Reichskammergericht die Prozeßakten1422. De facto handelte es sich also trotz des schriftlichen Vorbehalts des Hildesheimer Stifts um einen endgültigen Sieg der Lüdgerschen Erben und der Hildesheimer Regierung. Der Vollständigkeit halber ist ein weiterer Rechtsstreit aus Hildesheim nachzutragen. Zehn Jahre später wandte sich der evangelische Prediger Dr. Gläsener gegen ein Hildesheimer Konsistorialurteil an den Reichshofrat. Er kämpfte gegen seine Entfernung aus dem Amt und versuchte, sein Rechtsmittel als Nichtigkeitsklage darzustellen. Das Corpus Evangelicorum protestierte 1750 heftig gegen die Behandlung derartiger Fälle an den Reichsgerichten1423. Das leitet, obwohl das gemischtkonfessionelle Fürstbistum Hildesheim katholisch regiert war, zu den besonderen Rechtsfragen evangelischer Territorien über. Im Anschluß an eine knappe Zusammenfassung 1420 1421 1422 1423
HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Kurtzer Bericht“, Hildesheim 1736, ohne Paginierung. HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. „An die Römisch Kayßerl. Maytt. Allerunterthänigste vorläuffige Paritions Anzeige“. HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Protokollbuch, letzter „Completum“Vermerk vom 31. Januar 1737. S c h a u r o t h , Sammlung I, S. 706-707; P ü t t e r , Historische Entwickelung, S. 435-436 Anm. (u). - Ähnlicher Fall von 1714/15 bei S c h au r o t h , Sammlung I, S. 135-136: Reichshofratsprozeß um das Gehalt eines evangelischen Pastors. Der Prozeß schwebte zwischen der Hildesheimer Lehenskammer und dem Konsistorium von BraunschweigWolfenbüttel.
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können die Quellen aus Lübeck und vor allem Lippe helfen, solche Fragen zu beantworten.
4. Ergebnis Der Rechtsstreit der Hildesheimer Regierung gegen das Kollegiatstift St. Johannes bestätigt einen Eindruck, den auch der etwas jüngere Prozeß der Osnabrücker Regierung gegen das Stift Wiedenbrück vermittelt. Auch wenn Landesherren die Möglichkeit hatten, bei Verletzungen ihrer Gerichtsgewalt unmittelbar gegen ihre Untertanen vorzugehen und ihre obrigkeitliche Rechtsposition durchzusetzen, nahmen sie genau hierfür reichsgerichtliche Hilfe in Anspruch. Ob ein Rechtsschutzbedürfnis im modernen Sinne dafür bestand, mochte fraglich sein, doch die Gegenpartei bestritt das nie. Gerade die Appellation an geistliche Gerichte in weltlichen Angelegenheiten beeinträchtigte nicht nur die durch Regalien empfangene Jurisdiktion des Landesherrn, sondern durch Einschaltung ausländischer und fremder Tribunale auch die Stellung des Kaisers als oberster Richter im Reich. Beim Blick auf die Reichsgerichtsbarkeit hat man es dabei mit einer genauen Umkehrung der oft diskutierten Untertanenprozesse zu tun. Deswegen können die hier untersuchten Beispiele zugleich vor falschen Verallgemeinerungen warnen1424. Die höchsten Gerichte des Alten Reiches waren nicht ausschließlich Schutzinstanzen für bedrückte Untertanen, sondern wurden ebenso zugleich von Obrigkeiten in Auseinandersetzungen mit genau diesen Untertanen in Anspruch genommen. Der Hildesheimer Fall vermittelt darüber hinaus, gerade im Zusammenspiel mit dem von Justus Möser betriebenen Osnabrücker Prozeß, einen Eindruck, in welchen Ausmaßen der Rekurs an den Apostolischen Nuntius bzw. die Appellation an die Rota Romana in weltlichen Zivilsachen zu weitläufigen Grundsatzstreitigkeiten führte. Im zeitgenössischen Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts handelte es sich um politische Sachen von erheblichem Gewicht. Die insgesamt viel zahlreicheren Streitigkeiten aus der Zeit um 1600 waren unspektakulärer und ließen sich prozessual zügiger abwickeln. Die älteren Verfahren waren ebenfalls Mandatsprozesse, doch an sie schloß sich regelmäßig entweder gar kein Schriftsatzwechsel an, oder 1424
Ähnliche Warnung, freilich für Auseinandersetzungen kleinerer Reichsstände gegen mächtigere Fürsten, bei W e s t p h al , Kaiserliche Rechtsprechung, S. 434; für Prozesse aus der Zeit der Französischen Revolution H är t e r , Soziale Unruhen, S. 96-102.
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wenn ja, dann doch nur ein knapper Schlagabtausch. Die Fälle aus dem 18. Jahrhundert sprechen eine andere Sprache. Die Appellation an geistliche Gerichte in weltlichen Angelegenheiten wurde offenbar seltener, aber gerade darum erlangten solche Probleme besondere Bedeutung. Wenn im Hildesheimer Prozeß die glücklichen Gewinner sowohl die kaiserlichen Befehle als auch die päpstliche Kassation der Exkommunikation drucken ließen, legten es die Beteiligten augenscheinlich darauf an, ihre Auseinandersetzung öffentlich bekannt zu machen. Im Hildesheimer Fall war es in geradezu klassischer Weise die Sprache der Aufklärung, mit der die gedruckten Quellen eine ganz besondere Einleitung erhielten: „Obzwarn die Sonne zuweilen verdunckelt wird/ indem die unter derselben sich herziehende trübe Wolcken/ und von der Erde aufsteigender Nebel unseren Augen den Glantz offters benehmen/ so bleibt doch die Sonne an sich eben heiter und klar“1425. Die Aufklärungsmetapher ließ sich problemlos mit mittelalterlichen Juristen kombinieren, etwa mit Paulus de Castro, einem Italiener aus dem frühen 15. Jahrhundert1426. Dessen schöner Satz, die Wahrheit werde zwar bekämpft, aber dennoch „tantò clarior expulsis nebulis in lucem progreditur“, prangte in der Druckfassung als Motto über dem kaiserlichen Reskript1427. Mit viel Pathos feierten die katholischen Erben eines Geistlichen ihren Sieg über das päpstliche Gericht. Der Hildesheimer Streit zeigt zudem überdeutlich, wie verschieden die Gerichtsverfassung in den einzelnen Territorien war. Selbst katholische geistliche Fürstbistümer, in Personalunion über lange Jahrzehnte vom Wittelsbacher Krummstab zusammengehalten, kannten ganz unterschiedliche Trennlinien zwischen der geistlichen und der weltlichen Justiz. Nach Auskunft der normativen Quellen bildete die Anrufung des Apostolischen Nuntius oder gar der päpstlichen Kurie in weltlichen Angelegenheiten vor allem in den „Ertz- und Stifftern Cölln, Lüttich und Münster“ ein ständiges Problem1428. Johann Jakob Moser meinte in den 1770er Jahren, jedenfalls am Reichskammergericht seien nur vier Territorien bekannt, in denen die Offizialate weltliche Gerichtsbarkeit ausüben konnten, nämlich Köln, Lüttich,
HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. „Kurtzer Bericht“, ohne Paginierung, erster Satz. 1426 Gestorben wohl 1441, zu ihm S a v i g n y , Geschichte des Römischen Rechts VI, S: 281293; L e p s i u s , Paolo di Castro, S. 77-105. 1427 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, unquadr. gedruckter „Abdruck Des von Roemisch-Kayserl. (...) Majestät (...) erkändt, Und (...) insinuirten Recripti“ (Lit. B), S. 3, mit Verweis auf P a u l u s d e C a s t r o , Consilia, p. 1 cons. 23, fol. 15r (Ausgabe von 1546); außerdem wird mit ähnlicher Stroßrichtung zitiert C e v al l o s , Speculum aureum, praefatio, S. 1-11. 1428 JRA § 164, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 250. 1425
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Münster und Paderborn1429. Die Fälle aus Osnabrück und Hildesheim erwecken demgegenüber den Eindruck, als handelte es sich bei der Appellation an geistliche Instanzen in weltlichen Angelegenheiten um singuläre Verstöße gegen die partikulare Justizverfassung. Damit passen die normative Überlieferung und die Prozeßpraxis widerspruchsfrei zusammen. Zugleich gaben der Jüngste Reichsabschied und Johann Jakob Moser die tatsächlichen Zustände in den katholischen deutschen Territorien treffend wieder, wenn auch mit gehöriger zeitlicher Verzögerung. Die im Vergleich zu Osnabrück und Hildesheim viel zahlreicheren Streitigkeiten aus Münster stehen für die kleine Gruppe katholischer Territorien, die als solche innerhalb des Alten Reiches eine Ausnahme bildeten. Sie lagen geographisch vergleichsweise dicht zusammen und waren in Personalunion verbunden1430. Das ist bemerkenswert. Durchweg handelte es sich um Kurköln und seine Nebenländer. Der Ausbau der Kölnischen zweitinstanzlichen Offizialatsgerichtsbarkeit bzw. der erstinstanzlichen Offizialate zu weltlichen Gerichten ging dort einher mit den Bestrebungen, einen kölnischen Einheitsstaat unter weitgehender Einebnung territorialer Besonderheiten der gemeinsam beherrschten Länder zu schaffen. Wie der Hildesheimer Fall zeigt, gelang das freilich nicht in allen verbundenen Bistümern. Der Hildesheimer Streit bietet zusätzlich Einblick in die parallele Befassung des Reichskammergerichts und des Reichshofrats bzw. des römischdeutschen Kaisers mit demselben Gegenstand und belegen außerdem den unmittelbaren Kontakt des Wiener Kaiserhofs zum römischen Papst. Im Vergleich zum Reichskammergericht waren die kaiserlichen Befehlsschreiben erheblich schärfer, drohten einschneidendere Strafen an und hatten sofortigen Erfolg. Der oft geäußerte Eindruck, der Reichshofrat sei politisch mächtiger als das Reichskammergericht gewesen1431, entspricht genau dem Befund des Hildesheimer Prozesses. Wenn Rita Sailer auf der Basis von Untertanenprozessen des 18. Jahrhunderts den Eindruck gewann, das Reichskammergericht sei immer dann energisch eingeschritten, wenn es seine eigene Gerichtsgewalt bedroht sah1432, läßt sich dies für die Rechtswegstreitigkeiten um geistliche und weltliche Justiz nicht verallgemeinern. Es war offenbar nicht schwierig, ein Kassationsmandat am ReichskammerM o s e r , Justiz-Verfassung I, S. 241; Bestätigung für Paderborn, Münster und Köln bei L u d o l f f , Observationen I, obs. V S. 31-33; S e i b e r t , Strafgerichtsbarkeit, S. 385, hält dagegen Lüttich für den wohl einzigen Ausnahmefall. 1430 Lüttich wurde 1581 bis 1650 von Ernst von Bayern und Ferdinand von Bayern regiert, knapp zu dieser Epoche: M i n k e , Lüttich, S. 379-380. 1431 P r e s s , Reichskammergericht, S. 31, 33; W e s t p h a l , Kaiserliche Rechtsprechung, S. 433434; S e l l e r t , Parteilichkeit, S. 232. 1432 S a i l e r , Untertanenprozesse, S. 469. 1429
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gericht gegen die Anrufung des Nuntius oder den Rekurs an die Rota Romana zu erhalten. Der Hildesheimer Streit zeigt im Fortgang aber die typische Langsamkeit und Entscheidungsschwäche des Wetzlarer Gerichtshofes. Der Kaiser selbst las den Wetzlarer Assessoren die Leviten und nahm das Heft des Handelns in die Hand. Dann erst wendete sich das Blatt. Dieses Spannungsgefüge zu fremden, auswärtigen, ja ausländischen Gerichten konnte es in protestantischen Ländern nicht geben. Der Blick auf einige norddeutsche Territorien wird zeigen, warum. Am Beginn steht die Reichsstadt Lübeck.
V. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus der Reichsstadt Lübeck
Mit den Fürstbistümern Münster, Osnabrück und Hildesheim standen drei geistliche Territorien im Zentrum der bisherigen Ausführungen. Osnabrück mit seinen seit dem Westfälischen Frieden verschiedenkonfessionellen Bischöfen war kein rein katholisches Hochstift. In Hildesheim führte die zeitweilige Zugehörigkeit von Stiftsteilen zu protestantischen Territorien zu unterschiedlichen Grenzen des geistlichen Bistums und des weltlichen Hochstifts, auch wenn derselbe Herrscher zeitliche und geistliche Gewalt unter seinem Bischofshut vereinte. Selbst in Münster gab es bis ins frühe 17. Jahrhundert noch in erheblicher Zahl Protestanten, wie das Beispiel der Stadt Rheine gezeigt hat. Dennoch sind es vor allem wesentliche Gemeinsamkeiten der drei Fürstbistümer, die im Hinblick auf die hier verfolgte Fragestellung entscheidend sind. Der weltliche Landesherr war zugleich Bischof und Gerichtsherr der erstinstanzlichen Offizialatsgerichtsbarkeit. Das unterschied katholisch-geistliche Territorien von katholisch-weltlichen Herrschaftsgebieten, wie später das Herzogtum Jülich-Berg zeigen wird. Außerdem bestand in den Fürstbistümern je nach Sichtweise die Möglichkeit oder aber Gefahr, weltliche Streitigkeiten vor kirchlichen Gerichten auszufechten und auf dem Instanzenweg aus dem Herrschaftsgebiet des Landesherrn, ja selbst des Kaisers, herauszutragen. Diese Weichenstellung, für die Zeitgenossen im Hinblick auf zentrale Herrschaftsansprüche wie Gerichtsgewalt, Reichsunmittelbarkeit und Lehensrecht hoch bedeutsam, stand im Mittelpunkt der bisherigen Untersuchung. Genau diese Problemstellung gab es in protestantischen Territorien nicht. Es existierte hier keine geistliche Gerichtsbarkeit, die in irgendeiner Weise aus dem Jurisdiktionsbezirk des Landesherrn herausführen konnte. Der Streit um Appellationen und Instanzenzüge, der die Schlaglichter aus katholisch-geistlichen Hochstiften so eindeutig prägte, konnte in protestantisch-weltlichen Gebieten somit von vornherein gar nicht oder nur in völlig anderer Weise entstehen. Wie in katholischen Territorien für die Offizialate so ist auch in evangelischen Gebieten eine griffige Kurzformel für den Rechtscharakter der Konsistorien schwer zu finden. Bekanntlich errichteten fast alle norddeutschen protestantischen Territorien nach dem Vorbild Wittenbergs im 16. Jahrhundert eigene Konsistorien. Eduard Kern kennzeich-
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net sie als Sondergerichte, nämlich als besondere geistliche Gerichte, die staatliche Gerichtsbarkeit ausübten1433. Wie schwierig die Kennzeichnung fällt, zeigt etwa Bernd Christian Schneider, für den Konsistorien ein geistliches Regiment in der Kirche sicherstellten, obwohl sie ein Organ des landesherrlichen Kirchenregiments waren1434. Christoph Link nennt die Konsistorien landesherrliche Oberbehörden, sieht in der üblichen paritätischen Besetzung mit Juristen und Theologen aber den Grund dafür, daß sie trotz ihres formalen Charakters als landesherrliche Behörden dennoch größere Selbständigkeit gegenüber der Staatsspitze behaupten konnten1435. Ralf Frassek hält Konsistorien schlicht für einen Teil der staatlichen Gerichtsverfassung1436. Um die spezifisch verschiedene Ausgangslage in den einzelnen Territorien nicht aus den Augen zu verlieren, soll die geographische Gliederung auch im folgenden weiterhin das Gerüst der Untersuchung bilden. Ein systematisierender Zugriff stände unweigerlich in Gefahr, gleiche Streitgegenstände vorschnell über einen Kamm zu scheren, auch wenn es sich um Antworten auf womöglich ganz verschiedene Fragen handelte. Deswegen sind die in den norddeutschen Reichskammergerichtsakten überlieferten Hinweise auf die Abgrenzung geistlicher und weltlicher Justiz wie schon zuvor nach den verschiedenen Herrschaftsträgern aufgefächert. Am Beginn steht mit Lübeck eine protestantische Reichsstadt, gefolgt von Mecklenburg. Einige Beispiele aus dem schleswig-holsteinisch-lauenburgischen Reichsnorden1437 folgen an dritter Stelle. Die Grafschaft Lippe markiert sodann ein reformiertes Territorium nach der sog. Zweiten Reformation. Schließlich fällt der Blick auf Hamburg, eine lutherische Reichsstadt, die gar keine eigenständige kirchliche Gerichtsbarkeit kannte. Die gezielte Einbeziehung kleinerer Territorien ist nicht risikolos. Große evangelische Reichsstände geraten damit aus dem Blick wie etwa Kursachsen oder Kurbrandenburg. Beide genossen freilich unbeschränkte Appellationsprivilegien1438 und scheiden deswegen aus. Vor dem Forum der Reichsgerichtsbarkeit sind nur äußerst wenige Streitigkeiten aus diesen Län-
Ke r n , Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 42. S c h n e i d e r , Konsistorium, Sp. 1119; ganz knapp d e r s . , Ius reformandi, S. 6. 1435 L i n k , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 84; die verhältnismäßige Unabhängigkeit vom Landesherrn betont auch S m e n d , Konsistorien, S. 136. 1436 F r a s s e k , Eherecht, S. 270-271; verkürzend ebd. S. 12: Konsistorien als bloße Ehegerichte. 1437 Stillschweigende gemeinsame Behandlung dieser Territorien auch bei P r a n g e , Schleswig Holstein, S. 6-7. 1438 Nachgewiesen bei E i s e n h a r d t , privilegia, S. 73-75, 114-116. 1433 1434
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dern nachweisbar1439. Der Verzicht auf Sachsen läßt sich zudem sachlich gut rechtfertigen. Durch die Arbeiten von Heiner Lück und Ralf Frassek sind nämlich sowohl die weltliche Gerichtsverfassung als auch die Konsistorialgerichtsbarkeit insgesamt gut aufgearbeitet1440. Wenn mit Hessen eines der Kernländer der „Zweiten Reformation“ ausgeklammert bleibt1441, ist das ebenfalls zu verschmerzen. Die vorliegende Studie liefert kein Gesamtbild und möchte das auch gar nicht. Wer Verallgemeinerungen vermeidet, muß nicht zu allem etwas sagen. Und wer beherzt die Quellenmasse begrenzt, behält Kraft und Zeit für Tiefbohrungen. Neben der Behandlung evangelisch-lutherischer Länder und eines reformierten Territoriums geht es sodann am Beispiel des Herzogtums JülichBerg um ein katholisch-weltliches Gebiet. Die Plazierung Jülich-Bergs an letzter Stelle bietet einen darstellerischen Vorteil. Im Blick auf die bereits zuvor beschriebenen anderen Territorien werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede besonders schnell klar. Hatte das Doppelherzogtum aufgrund der Konfession seiner Fürsten mit katholisch-geistlichen Hochstiften Gemeinsamkeiten, oder ähnelte es mit seinen weltlichen Landesherren eher den protestantischen Herrschaften? Die verschiedenen Bekenntnisse der Bevölkerung kommen erschwerend hinzu. Diese hier nur knapp angedeuteten Vergleiche leiten von der Quellenanalyse schließlich zwanglos zu einigen zusammenfassenden Schlußbetrachtungen über. Die Reichsstadt Lübeck steht zu Beginn der näheren Betrachtung protestantischer Territorien. Die Reformation hatte sich hier 1530 durchgesetzt; bereits 1531 trat die vom Wittenberger Reformator Johannes Bugenhagen ausgearbeitete Kirchenordnung in Kraft1442. Das Lübecker Domkapitel blieb noch für einige Jahrzehnte altgläubig, doch gewann zum Ende des 16. Jahrhunderts auch hier das evangelische Bekenntnis die Oberhand. Allerdings blieben bis 1804 vier der 33 Präbenden mit Katholiken besetzt1443. Das war Brandenburg: 87 Prozesse, Sachsen: 85 Prozesse; Überblick über die Fallzahlen bei B a t t e n b e r g / S c h i l d t , Reichskammergericht, S. 423-427. 1440 L ü c k , Kursächsische Gerichtsverfassung, dort S. 142-155 auch zur Konsistorialgerichtsbarkeit; d e r s . , Zurückdrängung, S. 172-180; umfassend F r a s s e k , Eherecht, S. 47172, 231-276. 1441 Dazu W i s c h h ö f e r , Kirche als Ort von Disziplinierung, S. 223-232; R i t t e r , Konfession und Politik, S. 173-224. 1442 Edition: B u g e n h a g e n , Kirchenordnung; H au s c h i l d , Kirchenordnung, S. 3-190; zur Sache Einleitung ebd. S. XI-XXXVI; H au s c h i l d , Kirchengeschichte, S. 194-211; d e r s . , Frühe Neuzeit, S. 395-401; d e r s . , Suchet der Stadt Bestes, S. 51-54; zu Bugenhagen (1485-1558) H a u s c h i l d , Reformation, S. 49-71; S c h o l z , Kirchenordnungen, passim; K a u f m a n n , Geschichte, S. 512, 515-516; S a v v i d i s , Hermann Bonnus, S. 29-31. 1443 P r a n g e , Wandel des Bekenntnisses, S. 116-117 (mit graphischer Darstellung); Überblick über die Domherren bei d e m s . , Verzeichnis, S. 47-104; H au s c h i l d , Suchet der Stadt 1439
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eine ganz erstaunliche, frühe und rechtlich abgesicherte Form von Ökumene oder, vorsichtiger ausgedrückt, von Gemischtkonfessionalität. Der Lübecker Bischof galt im übrigen im frühen 16. Jahrhundert als niedrigster aller Reichsbischöfe, jedenfalls was seine Veranlagung zu Reichssteuern betraf1444. Das bischöfliche Fürstentum Lübeck rund um Eutin wird im folgenden aus der Untersuchung ausgeklammert1445. Die Studie konzentriert sich auf das reichsstädtische Herrschaftsgebiet. Der Glanz der Hansezeit war zwar erloschen, aber als stolze Reichsstadt mit großer Tradition und eigenständigem Partikularrecht überdauerte Lübeck als Land bis zur nationalsozialistisch gefärbten Eingliederung in Schleswig-Holstein 19371446. Streitigkeiten zwischen geistlichen und weltlichen Gerichten gab es in Lübeck offenbar bereits seit dem 13. Jahrhundert. Jedenfalls berichtete der Syndikus und Dompropst Johann Carl Henrich Dreyer (1723-1802)1447 von drei Beschwerden des Rates am päpstlichen Hof aus den Jahren 1247, 1256 und 1435. In unüberhörbar kämpferisch-katholikenfeindlichem Ton empörte sich Dreyer, damals sei die geistliche Gerichtsbarkeit, angeblich nach dem Vorbild des Kölner Offizials, sogar „in bloßen Schuldsachen“ tätig gewesen. Erst eine Anordnung des Rates aus dem späten 15. Jahrhundert habe „diese epidemische Krankheit“ beendet. Seitdem müsse ein jeder, der in weltlichen Sachen den geistlichen Richter anrufe, dies „in dem Gefängnisse auf dem Marstalle bereuen“1448. Die Neuorganisation der kirchlichen Gerichtsbarkeit erfolgte dann 1545 mit der Gründung des Konsistoriums. Jetzt gab es ein evangelisches Kirchengericht, dem der älteste Syndikus, andere Vertreter städtischer Gerichte, aber auch der Superintendent angehörten1449. Von hier aus erhält der naserümpfende Rückblick Dreyers aus dem Jahre 1769 eine gehörige Portion Eigenlob. Nur ein Jahr zuvor hatte man ihn nämlich zum Konsistoriumspräsidenten ernannt. Im Nachtreten auf die vorreformatorischen Zustände konnte er zugleich stillschweigend klarstellen, wie fortBestes, S. 44, spricht von 39 Pfründen, wohl aber für die frühere Zeit, ebenso d e r s . , Kirchengeschichte, S. 124. 1444 P r a n g e , Schleswig Holstein, S. 7. 1445 Das Domkapitel Lübeck als erste Instanz eines späteren Reichskammergerichtsprozesses aus dem Fürstbistum Lübeck ist nachgewiesen bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch, S. 339 (K 22), 607 (S 79), 643 (S 113); zum Fürstbistum: L o h m e i e r , Fürstbischöfe, S. 187207. 1446 Groß-Hamburg-Gesetz § 6 (Reichsgesetzblatt 1937 I, S. 91-94), knapper Hinweis bei G r a ß m a n n , Lübeck-Lexikon, S. 133-134. 1447 Zu ihm S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte III/1, S. 269-271, Noten S. 183-185. 1448 D r e y e r , Verordnungen, S. 248 (Druckfehler in der Vorlage; richtig ist: S. 348); zum Lübecker Marstall: G r a ß m a n n , Lübeck-Lexikon, S. 238-239; F i n k , Entwicklung, S. 199-226. 1449 H a u s c h i l d , Kirchengeschichte, S. 277; zum Superintendentenamt S a v v i d i s , Hermann Bonnus, S. 37-40.
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schrittlich die evangelischen Zeiten waren. Übergriffe des geistlichen Konsistoriums auf die Ratsgerichtsbarkeit waren unter Dreyers Vorsitz also ausgeschlossen. Unter den etwa 770 Lübecker Reichskammergerichtsakten befinden sich gut zwanzig, die im Findbuch mit einschlägigen Schlagwörtern wie Konsistorium, Klostergericht, geistliche Gerichtsbarkeit etc. nachgewiesen sind. Neun Verfahren aus dem Zeitraum zwischen 1577 und 1770 bieten sich zur näheren Auswertung an1450 und ermöglichen schlaglichtartig Einblicke in einige Streitstände um Gerichtszuständigkeiten und Rechtswege in der Travestadt.
1. Ehesachen zwischen Konsistorium, Rat und Appellationsinstanz Sechs der neun genauer untersuchten Prozesse entstanden aus Ehestreitigkeiten, ein siebenter Fall behandelt Zuständigkeitsprobleme, knüpft aber ebenfalls an die Erfüllung eines Eheversprechens an. Ein chronologischer Streifzug kann die wesentlichen Rechtsprobleme deutlich machen. Der früheste Fall begann in den 1570er Jahren nach einer gescheiterten Eheschließung. Ein Werner Starcke, Sekretär aus Bergen in Norwegen, hatte vorgehabt, die Lübecker Bürgerstochter Elisabeth Knoeker zu heiraten. Da es Streit um das Verlöbnis gab, klagte Starcke am Konsistorium, konnte sein Begehren dort aber nicht beweisen. Deswegen befreite das Kirchengericht die Verlobte vom angeblichen Eheversprechen1451. Nach dem Ende dieses Verfahrens klagte Starcke am Lübecker Rat auf Schadensersatz in Höhe von 2000 Talern, da ihm durch den Bruch des Eheversprechens angeblich hoher Schaden entstanden war. Die Familie der Braut widersprach. Sie hielt es für unzulässig, im Anschluß an eine rechtskräftig gewordene Hauptsacheentscheidung noch über Nebenpunkte einen weiteren Rechtsstreit zu führen. Starcke behauptete dagegen, das Konsistorium habe ihm die Geltendmachung weiterer Ansprüche vor der „Weltlichen Obrigkeit als ordinario Competenti Judice per sententiam vorbehalten“1452. Im übrigen hänge der Schadensersatzanspruch nicht unmittelbar von der Hauptsacheentscheidung ab. Der AHL RKG A 10, B 59/60, C 6, H 45, J 8, K 32, L 23, P 20, S 89; zu den Vorinstanzen der Lübecker Reichskammergerichtsprozesse F r e i t a g / J ö r n , Lübeck, S. 172-173. 1451 AHL RKG H 45, Aktenstück Q 6, Art. 8-9. 1452 AHL RKG H 45, Aktenstück Q 7, Antwort auf Art. 11. 1450
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nachfolgende Kameralprozeß, teilweise begleitet von intensiven mündlichen Auseinandersetzungen in den Audienzen, erstreckte sich ab 1577 über sechseinhalb Jahre. Ein Urteil erging nicht. Der Fall zeigt, wie eine Prozeßpartei versuchte, Nebenpunkte oder Folgesachen eines Konsistorialprozesses vor dem Ratsgericht anhängig zu machen, damit aber scheiterte und deswegen an das Reichskammergericht appellierte. Der Prozeßgegner erhob von vornherein den forideklinatorischen Einwand. Die Zuständigkeit des Konsistorialgerichts sollte die gleichzeitige Behandlung desselben Falles vor dem weltlichen Obergericht ein- für allemal ausschließen. Jedenfalls handelte es sich nicht um eine direkte Appellation vom Konsistorium an das Reichskammergericht und auch nicht um einen drittinstanzlichen Kameralprozeß. Vielmehr ging es um sich gegenseitig ausschließende erstinstanzliche Zuständigkeiten von Konsistorium und Ratsgericht, diesmal in der Funktion als Obergericht1453. Für die hier verfolgte Fragestellung ist die Akte damit nur von begrenztem Wert. Die anderen Verfahren sind ergiebiger.
a) Eherecht als weltliches Recht In einem 1579 begonnenen Rechtsstreit ging es um ein vom Lübecker Konsistorium ausgesprochenes Eheverbot, gegen das der kammergerichtliche Appellant und seine Frau verstoßen hatten. Heimlich hatten sie ihren Ehebund außer Landes durch eine Trauung in Rostock besiegelt. Die Appellanten sahen sich nun von ihrer häuslichen Nahrung und Übung abgeschnitten und klagten deswegen in Speyer gegen den Lübecker Rat als Inhaber der Gerichtsgewalt1454. Die Gerichtszuständigkeiten standen nicht im Zentrum der Auseinandersetzungen, doch findet man immerhin einen interessanten Hinweis der Klägerseite. Der Schriftsatzverfasser behauptete nämlich, in Lübeck müßten nach der Reformation und dem Erlaß der Kirchenordnung „alle ehesachen Nach Keiser, Undt nicht Nach Bebstlichen rechten entschieden, und verrichtet werden“1455. In der Tat hieß es in der Bugenhagenschen Ordnung „Van Esaken“, der Rat solle den Eherichtern einen Sekretär „to hülpe geuen“, und zwar jemanden „de erfaren is/ dat gerichtet werde na Keyser RechZur Funktion des Lübecker Rates als Obergericht F u n k , Die Lübischen Gerichte, S. 7780; G r a ß m a n n , Beständeübersicht, S. 74. 1454 AHL RKG B 59/60, Aktenstück Q 1. 1455 AHL RKG B 59/60, Aktenstück Q 12: „Libellus nullitatis“, Art. 3. – Die Akte wurde nachträglich aus zwei ehemals getrennten Prozeßakten zusammengefügt, dazu S t e i n S t e g e m a n n , Findbuch, S. 71-72. Deswegen sind zahlreiche Quadrangel doppelt vorhanden, teilweise sogar mit demselben Präsentationsdatum. 1453
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te“1456. Die klägerische Auslegung setzte stillschweigend das Kaiserrecht mit dem römischen Recht gleich1457, auch wenn die Kirchenordnung im Gegensatz zum Schriftsatz das kaiserliche Recht nicht ausdrücklich vom päpstlichen abgrenzte, sondern nur allgemein „etlicke unbillicke und unrechte rechte“ ablehnte1458. Doch offenbar hatte Johannes Bugenhagen tatsächlich vor, das kanonische Eherecht weitgehend durch das römische Recht zu ersetzen1459. Beispiellos wäre die Lübecker Absage an das kanonische Recht nicht gewesen. In der Rechtsprechung der Theologischen Fakultät Rostock hat Thomas Kaufmann eine ganz ähnliche Rechtsquellenlehre festgestellt1460. Wie die späteren Streitigkeiten zeigen, war die Abschaffung des kanonischen Rechts in Lübeck aber keinesfalls so eindeutig, wie die Appellanten 1579 vorgaben. In diesem Rechtsstreit scheint ein Urteil ergangen zu sein, das sich aber nicht erhalten hat1461. Weitergehende Schlußfolgerungen sind nicht möglich.
b) Analogie zu strafrechtlichen oder politischen Angelegenheiten Ein Rechtsstreit von 1590 liefert erheblich genauere Antworten für die Zuständigkeitsabgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte. Es ging um den Bruch eines Eheversprechens. Der Appellant, ein Daniel Clausen, hatte beabsichtigt, die Ehe mit Regina von Stiten einzugehen. Die Braut stammte aus einer namhaften Bürgerfamilie1462, und zu ihren Vormündern gehörte unter anderem der Syndikus Calixtus Schein1463. Der Appellant behauptete, die fragliche Ehe sei „per copulam carnalem consumatum et perfectum“, also allein aufgrund des tatsächlichen Vollzugs der Ehe als rechtliche Verbindung wirksam. Dennoch habe das geistliche Konsistorialgericht in Lübeck „solch matrimonium uncräfftig erkhendt“1464. Stehenden Fußes, „stante pede“, habe er Bei H a u s c h i l d , Kirchenordnung, S. 132; dazu S c h o l z , Kirchenordnungen, S. 24, mit dem Hinweis, in den Bugenhagenschen Kirchenordnungen für Braunschweig und Hamburg habe die Zuständigkeit allein beim Rat gelegen. 1457 Zu diesem Problem Kr a u s e , Kaiserrecht und Rezeption, S. 14 und passim. 1458 Bei H a u s c h i l d , Kirchenordnung, S. 132. 1459 S p r e n g l e r - R u p p e n t h a l , Bugenhagen, S. 392, 395; d i e s . , Rezeption, S. 395-406; d i e s . , Das kanonische Recht, S. 105. 1460 K a u f m a n n , Konfession, S. 355; ebenso die Mecklenburger Konsistorialordnung von 1570: S c h ä f e r , Geltung, S. 193. 1461 AHL RKG B 59/60, Protokollbuch, Expeditum vom 6. Mai 1591. 1462 Zahlreiche Nachweise bei F e h l i n g , Ratslinie, S. 226; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 1-5. 1463 H a r d e r , Calixtus Schein, S. 336-339; O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 107; H a r d e r , Relationen, S. 177. 1464 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 4, Art. 4-5. 1456
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gegen diese Entscheidung an den Lübecker Rat appelliert, doch sei ihm die Führung des Obergerichtsprozesses unmöglich gewesen. Auf Anordnung des Bürgermeisters Hermann von Dorne1465 hatte man ihn angeblich verfolgt und mit Verhaftung bedroht. Die Details brauchen hier nicht zu interessieren. Jedenfalls unterstellte der Appellant, der Lübecker Rat habe ihm vorsätzlich das Recht verweigert1466. Aufschlußreich für die Diskussion um die frühneuzeitliche Gerichtsverfassung ist der Fortgang der Auseinandersetzung. Die am Kammergericht beklagten Vormünder der Regina von Stiten erhoben in Speyer nämlich die forideklinatorische Einrede. Die Vorinstanz war zwar das Obergericht, also der Rat, und nicht das Konsistorium gewesen, aber dennoch bestanden die Beklagten auf der Unzulässigkeit der Appellation und damit auf der Unzuständigkeit des Reichskammergerichts in dieser Sache. Das wesentliche Argument mag aus moderner Sicht erstaunen. Die Appellaten beriefen sich nämlich nicht auf das Appellationsverbot in Kirchensachen oder Eheangelegenheiten, sondern auf das Appellationsverbot in Strafprozessen1467. In der Tat sah die Reichskammergerichtsordnung von 1555 im Anschluß an den Reichsabschied von 1530 diese Einschränkung der Rechtsmittel im Strafverfahren vor1468. Die ausnahmsweise zulässige prinzipaliter erhobene Nichtigkeitsklage wollte der Schriftsatzverfasser im Anschluß an Noe Meurer1469 auf Fälle beschränkt wissen, in denen dem untergerichtlich Beklagten bzw. dem Inquisiten prozessuales Unrecht geschehen war. Das bezog sich sehr technisch auf die Rollenverteilung vor Gericht. Der erstinstanzliche Kläger, so lautete der Umkehrschluß, dürfe in Strafsachen dagegen nie die Nichtigkeitsklage erheben. Die Exzeptionsschrift betonte, wenn das Kammergericht keine Appellationen in Strafsachen annehme, „alß ist es auch in causa matrimoniali quae grauis et ardua est undt causae criminali aequipariret wirdt zuhaltten“1470. Es ging also um die angebliche Gleichartigkeit von Strafsachen und Ehesachen. Der Appellant bestritt genau diese Ähnlichkeit1471, und so verwundert es nicht, 1579-1594 Bürgermeister, bei F e h l i n g , Ratslinie, S. 108 Nr. 689. AHL RKG C 6, Aktenstück Q 4, Art. 13. 1467 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 6, ohne Paginierung. 1468 RKGO 1555 2, 28, 5, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 206; O e s t m an n , Hexenprozesse, S. 51-52; S z i d z e k , Verbot der Appellation, S. 13-31. 1469 M e u r e r , Practica, 3. Teil, fol. 165v: „Solchs aber ist von dem Beklagten allein/ vnd nit von dem Kläger zu verstehen/ also/ so der Beklagt nullitet condemnirt“; zu Meurer (1525/28-1583, Reichskammergerichtsassessor 1557-1563) M an t e l , Forstgeschichte, S. 34-58; Ke r n , Gerichtsordnungen, S. 45-56. 1470 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 6, ohne Paginierung. 1471 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 9, ohne Paginierung. 1465 1466
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wenn die Beklagten nachsetzten und mit sehr hohem Begründungsaufwand versuchten, ihre Ansicht zu untermauern. Als Gewährsleute zählte der Schriftsatzverfasser nicht weniger als sechs gemeinrechtliche Autoritäten auf. Er stützte sich auf Giacomo Menochio1472, Ulrich Zasius1473, Philipp Decius1474, Jodocus Damhouder1475 und die beiden Rechtslehrer aus Padua Petrus Paulus Parisius1476 und Mariano Soccini junior1477, also auf einen bunten Strauß europäischer Autoren des gemeinen Rechts, freilich nicht auf einen klassischen Kanonisten1478. Interessant ist zudem ein weiterer Punkt. Die vom Schriftsatzverfasser der beklagten Vormünder zitierten Autoren waren allesamt Katholiken. Auch die beiden Jüngsten, Damhouder und der als einziger zum Zeitpunkt des Rechtsstreits noch lebende Menochio, waren altgläubig. Der 1581 verstorbene Belgier Damhouder hatte sich in seinem Spätwerk sogar klar zum Katholizismus bekannt1479. Das ist das genaue Spiegelbild des Hildesheimer Befundes, wo der Lutheraner Benedikt Carpzov als Gewährsmann für die Reichweite des katholischen Klerikerprivilegs herhalten mußte1480. Auf diese M e n o c h i o , De arbitrariis iudicum, lib. 2 cent. 3 casus 205 n. 7, fol. 235v: „& tradit Corasius (...) qui subiungit, causas has matrimonii non nisi per doctos & prudentes iudices esse tractandas (...) quo circà probationes ita efficaces ad matrimonii probationem requiruntur, ut in causis criminalibus: ita affirmarunt Decius (...) Parisius (...) Socinus (...) caeteros omitto“. 1473 Z a s i u s , Consilia, lib. 2 cons. 19 n. 17, Leitsatz S. 196: „Causa matrimonii quare aequiparetur causis criminalibus.“ 1474 D e c i u s , Consilia, cons. 133, Epitome, fol. 143v: „Matrimonialis causa est grauis, & criminali aequiparatur, vnde eius probatio sit per iuramentum suppletiuum, nec per famam, neque per personas suspectas. Sed in ea requiruntur testes omni exceptione maiores“; ebd. cons. 310, Epitome, fol. 349v: „Ad probandum matrimonium requiruntur testes omni exceptione maiores, Quia matrimonialis causa est grauis, & per id quaedam seruitus constituitur“; zu Decius (1454-1536/37) T ai s an d , Les vies des jurisconsultes, S. 156-166. 1475 D a m h o u d e r , Enchiridion parium, verb. causa matrimonialis, S. 589: „Causa matrimonialis aequiparatur causae criminali [Verweis auf Zasius u. a.] ubi per hoc insert, quod in causa matrimoniali necessariae sint probationes, quae in causa criminali requiruntur.“ 1476 P a r i s i u s , Consilia, vol. 2, cons. 15 n. 13, Leitsatz S. 39: „Causa matrimonialis grauis est et ardua“; zu Parisius (1473-1545) T ai s an d , Les vies des jurisconsultes, S. 420-421; H o l t h ö f e r , Deciani, S. 170; erwähnt auch bei S c h o t t , Interpretatio, S. 158, 167: wegen seines geflügelten Wortes „interpretatio cessat in claris“ von späteren Autoren oft zitiert. 1477 Zitiert wird „lib. 2 cons. 19 n. 17“, gemeint ist S o c c i n i , Consilia, lib. 2 cons. 29 n. 10: „Causa criminalis, & matrimonialis, in hoc aequiparantur: quia testibus in dictis causis examinatis, non defertur iuramentum, in defectum probationis“; zu Soccini/Socinus (1482-1556) S av i g n y , Geschichte des Römischen Rechts VI, S. 353-354; knapp auch H o l t h ö f e r , Deciani, S. 170. 1478 Menochio hatte zeitweise den kanonistischen Lehrstuhl in Mondovi und Padua inne, ist aber im wesentlichen als Zivilrechtler bekannt geworden, H o l t h ö f e r , Menocchio, S. 436; ebenso F a l k , Consilia, S. 184. 1479 M o n b a l l y u / O p s o m m e r , Damhouder, ohne Paginierung. 1480 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 3r. 1472
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Weise spiegelte die Lübecker Exzeptionsschrift eine gesamteuropäische und überkonfessionelle Diskussion wider, die freilich entscheidende Unterschiede zwischen katholischem und evangelischem Umfeld verwischte. Ansatzpunkt für die Argumentation der Beklagten war wie gesagt das Appellationsverbot in Ehesachen. Dieses konnte es in voller Schärfe nur in protestantischen Territorien geben. In katholischen Regionen gab es mit der mehrstufigen geistlichen Gerichtsbarkeit immer die Möglichkeit, auch Ehesachen im Rechtsmittelverfahren durch Appellation an höhere Instanzen zu bringen. Lediglich die weltliche Justiz, nicht aber die Gerichtsbarkeit als solche war dort ausgeschlossen. In protestantischen Territorien dagegen war die Offizialatsgerichtsbarkeit spätestens seit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 reichsrechtlich suspendiert1481. Wenn die Ehesachen weiterhin nicht der Zivilgerichtsbarkeit, sondern den evangelischen Konsistorien unterstanden, stellte sich das Rechtsmittelproblem nur hier. Die Frage, ob Ehesachen mit Strafprozessen gleichwertig waren, mochte sich in der katholisch-gelehrten Literatur durchaus finden. Die oben aufgelisteten Allegationen belegen das. Aber auch mehrere evangelische Autoren des 18. Jahrhunderts sahen den Konsistorialprozeß selbst als eine Art Strafprozeß an, wenngleich ohne Blutgerichtsbarkeit, wie Mathias Schmoeckel gezeigt hat1482. Nicht die Ähnlichkeit des Streitgegenstandes, sondern die Gleichartigkeit der Rechtsfolgen war es also, die in der protestantischen Literatur eine Rolle spielte. Wenn der Schriftsatzverfasser im Lübecker Prozeß stillschweigend unterstellte, die von ihm gezogenen Schlußfolgerungen entsprächen einer gesamteuropäischen überkonfessionellen Problemsicht, war dies schlichtweg irreführend. In katholischen Territorien hing von der Zuordnung eines Streitgegenstandes als weltlich oder geistlich die Wahl des einschlägigen Instanzenzuges ab, nicht jedoch die Appellationsmöglichkeit als solche. In protestantischen Territorien ging es viel einschneidender um die Frage, ob es überhaupt einen Instanzenzug für geistliche Sachen gab. Der Lübecker Fall zeigt anschaulich, wie man vom erstinstanzlichen Konsistorium durchaus an den Rat als Obergericht appellieren konnte1483. Eine weitergehende Appellation an das Reichskammergericht war dann aber ausgeschlossen, jedenfalls nach Auffassung der Beklagten1484.
Augsburger Reichsabschied 1555 § 20, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich I, S. 226-227. S c h m o e c k e l , Benedict Carpzov, S. 31. 1483 So auch H a u s c h i l d , Kirchengeschichte, S. 277. 1484 Aus der zeitgenössischen Literatur L u d o v i c i , Consistorial-Proceß, 18. Kapitel §§ 9-11, S. 175-176, mit territorialen Instanzen, Appellationsverbot an beide Reichsgerichte sowie Ausschluß der Nichtigkeitsklage; dazu S c h l ü t e r , Calvinismus, S. 141; zu Pommern und 1481 1482
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Das Appellationsprivileg Kaiser Rudolfs II., das zum Zeitpunkt der Exzeptionsschrift gerade einmal drei Jahre alt war, enthielt zu diesem Problem keine Aussage1485 und tauchte in dem Schriftsatz auch nicht auf. Die Reichskammergerichtsordnung von 1555, zeitgleich mit dem Religionsfrieden verkündet, äußerte sich zu Ehesachen nicht, weshalb der Schriftsatzverfasser ja gerade die Analogie mit dem Appellationsverbot in Strafsachen bemühte. Nachdem die Gleichartigkeit des Eherechts mit dem Strafrecht für den Verfasser feststand, fiel es ihm leicht, in wenigen schneidigen Sätzen das gewünschte Ergebnis anzusteuern. Wenn man sich mit Ehesachen beschäftige, meinte er, dann gehe es um den Status der Person, und deswegen nenne man das eine geistliche Angelegenheit: „Quando enim de matrimonio agitur, tunc agitur de statu hominis, ista causa dicitur spiritualis“. Alle geistlichen Sachen allerdings dürfe allein der kirchliche Richter entscheiden, und zwar auch geistliche Angelegenheiten zwischen Laien, insbesondere Ehesachen: „Et de omnibus causis spiritualibus Judex Ecclesiasticus solus cognoscit, etiam inter Laicos, et ita etiam in causa matrimonialis, siue illa sit causa principalis siue emergens“1486. Der Bezug zum Strafrecht war an dieser Stelle nicht mehr nötig. Der etwas gewagte Beginn der Argumentation diente offenbar nur dazu, das Appellationsverbot mit einem Normtext, nämlich der Reichskammergerichtsordnung, in Verbindung bringen zu können. Den Dreischritt von Ehefragen über Statusfragen hin zu geistlichen Fragen, verbunden mit der jeweiligen Gerichtszuständigkeit, belegte der Schriftsatzverfasser nurmehr mit einem einzigen Autor, mit dem populären „Speculum aureum“ von Robert Maranta1487. Der „Goldene Spiegel“ des 1530 gestorbenen Italieners gehörte zu den ganz wenigen Büchern, die ein zeitgenössischer deutscher Jurist nicht nur wie sonst weithin üblich blind zitierte, sondern auch persönlich besaß und benutzte. Der Schreiber der Exzeptionsschrift verwies gleich zweimal auf „mihi pag[ina]“1488 und hob Maranta damit deutlich ab von den anderen gemeinrechtlichen Autoren, die er möglicherweise nicht selbst gelesen hatte.
der großzügigen Auffassung von David Mevius M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 38-39, insbes. Anm. 45. 1485 Appellationsprivileg, in: Revidiertes lübisches Recht, fol. 68v-71v. 1486 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 6, ohne Paginierung. 1487 Einziger Hinweis im Index auf Matrimonialsachen auf M ar a n t a , Speculum aureum (1580), p. 4, dist. 9 n. 172, S. 182, zum summarischen Verfahren in Ehesachen. Die im Schriftsatz angegebenen Seitenzahlen „pag. 232 n. 2; pag. 215 n. 8“ behandeln in den überprüften Auflagen von 1580 und 1650 andere Themen. 1488 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 6, ohne Paginierung.
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Wer hier diese Belesenheit an den Tag legte, ist im übrigen unklar. Im 18. Jahrhundert unterzeichneten die Advokaten die später von den Prokuratoren eingereichten Schriftsätze als sog. Konzipienten, also als Schriftsatzverfasser. Doch läßt sich diese Sitte für das 16. und 17. Jahrhundert nicht nachweisen, und daher ist regelmäßig nicht festzustellen, wer die Schriftsätze für die Reichskammergerichtsprozesse ausarbeitete. Teilweise entdeckt man durchaus überdurchschnittliche Belesenheit, das zeigt gerade der in diesem Rechtsstreit mitbeklagte Syndikus Calixtus Schein. Der Bestand seiner umfangreichen Bibliothek läßt sich heute noch rekonstruieren1489, wie auch aufgrund eines Testaments der weitgespannte Vorrat an Rechtsliteratur eines Lübecker Syndikus‘ aus dem 15. Jahrhundert detailliert feststeht1490. Dennoch waren pagina-mihi-Vermerke in zeitgenössischen Schriftsätzen selten1491. Im hier untersuchten Rechtsstreit demonstrierte der unbekannte Anwalt mit diesem Hinweis seine überdurchschnittlich sorgfältige Literaturauswertung. Um speziell das Appellationsverbot in Ehesachen zu untermauern, verwies die Exzeptionsschrift zusätzlich auf die Observationensammlung von Andreas Gail1492. In der Tat hatte Gail in seinem Werk, das zum Zeitpunkt des Prozesses erst dreizehn Jahre alt war, die Appellation an das Reichskammergericht in Ehesachen kategorisch ausgeschlossen: „Scire tamen oportet, causas matrimoniales ad Cameram non pertinere: & memini in causa quadam matrimoniali ad Cameram appellatum, sed appellationem non admissam fuisse.“1493 Die Gleichwertigkeit mit dem Appellationsverbot in Strafsachen, die der Schriftsatzverfasser an dieser Stelle wieder bemühte, findet sich bei Gail im übrigen nicht. Vielmehr begründete der Kameralautor den Ausschluß ordentlicher Rechtsmittel überhaupt nicht. Ein späterer Bearbeiter fügte einen Hinweis auf ein Memorial von 1570 an. Tatsächlich hatte die Visitationskommission1494 1570 die kammergerichtliche Jurisdiktion in Ehesachen für „nicht fundiret“ gehalten1495. Für den Schriftsatzverfasser des Beklagten bezog sich H a r d e r , Relationen, S. 177 Anm. 10. S c h w e i t z e r / S i m o n , Boeke, S. 141-157. 1491 Beispiel in einer kammergerichtlichen Relation aus dem 18. Jahrhundert bei O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 535. 1492 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 6, ohne Paginierung. 1493 G a i l , Observationen, lib. 1 obs. 112 n. 17, S. 199. 1494 Zur Visitation des Reichskammergerichts M e n c k e , Visitationen, S. 107-111; B e c k e r , Visitation, Sp. 927-928. 1495 Visitationsmemorial 1570 § 7, bei: L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, S. 304; auch bei B l u m , Concept, S. 160; L u d o l f f , Visitations-Abschiede, S. 94; P ü t t e r , Historische Entwickelung, S. 425; S t r i p p e l m a n n , Ehescheidungsrecht, S. 212; Hinweis auch bei G y l m a n n , Decisiones seu praeiudicia (Symphorematis III), S. 228; verunglückte Anspielung auf die Quelle bei B au m an n , Eheanbahnung, S. 34, die von Ehestreitigkeiten 1489 1490
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das Appellationsverbot in Ehesachen im übrigen nur auf das Reichskammergericht. In seiner Duplikschrift erkannte er den Instanzenzug vom Konsistorium an den Lübecker Rat ausdrücklich an1496. Nicht die Appellation als solche, sondern die Appellation an Gerichte außerhalb des eigenen Territoriums war es also, an der er Anstoß nahm. Der kammergerichtliche Kläger, dessen Heiratsabsichten im zu Grunde liegenden Rechtsstreit durchkreuzt waren, bemühte sich nach Kräften, die Zulässigkeit seiner höchstgerichtlichen Appellation darzulegen. Die „angemaste exception rei Criminalis“ kommentierte er mit dem Hinweis, daß „keine Causa Matrimonialis einer Malefits sach gegentheils angeben nach kan aequiparirt undt vorglichen werden, In erwegung das Matrimonium von Godt eingesetzt, wie solches die heilige Godtliche schrifft genugsam bescheinet unndt außweißett unndt alßo kein Criminal werck darauß kan noch mag erzwungen werden“1497. Der tatsächliche Unterschied zwischen Ehe und Straftat war für den Schriftsatzverfasser entscheidend. Gott hatte die Ehe eingesetzt, daher konnte sie nicht kriminell sein. Das schloß zugleich die Anpassung der appellationsrechtlichen Rechtsfolgen aus. Juristisch war das ein schwaches Argument und überdies weder mit Stellen aus dem gelehrten Recht noch Autoritäten aus der gemeinrechtlichen Literatur belegt. Kaum verwunderlich schob der Verfasser noch zwei weitere Begründungen nach, um jedenfalls im Ergebnis die Appellationserlaubnis im konkreten Fall zu verteidigen. Falls man nämlich Ehesachen und Strafsachen „dem gerichtlichen unndt weldtlichen process unndt lauff nach“ wirklich gleichbehandeln müsse, dann gelte jedenfalls das Appellationsverbot nicht absolut. Die „angezogene und allegirte des Heiligen Reichs Constitutiones“ gäben das nicht her. Erstaunlich unpräzise und abermals ohne Hinweis auf irgendwelche Belegstellen verwies der Anwalt des Klägers pauschal auf „die reichs ordnung auch d[en] stylo Camerae“. Diese Gesetze eröffneten jedermann die Möglichkeit, sich an das Kammergericht zu wenden, wenn er mit falscher „bezüchtigung“ angeklagt sei. Das gleiche gelte für den Unschuldigen bei Versagung von Recht und Audienz, also bei der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. In solchen Fällen habe der „beleidigte gutt fügk unndt macht“, „solcher Iniquitet unndt unbilligkeitt halber“ sich am Kammergericht „zubeschweren unndt zubeclagen“1498. Die Replikschrift spielte damit offenbar auf die Zulässigkeitsvoraussetzung der prinzipaliter erhobenen Nichtigkeitsklage an. Genau dort gab es freilich den Unterschied zwischen Iniquitäten, die man nicht rügen durfte, und Nullitä„zwischen evangelischen Reichsständen“ spricht und glaubt, es habe eine „Zuweisung der Zuständigkeit an die Konsistorien“ gegeben. 1496 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 11. 1497 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 9. 1498 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 9.
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ten, die den Weg zur Reichsgerichtsbarkeit eröffneten1499. Ob es sich bei der Verweigerung der Eheschließung bzw. bei dem nachfolgend versagten Schadensersatz um eine Iniquität oder eine Nichtigkeit handelte, machte der Schriftsatzverfasser nicht klar. Abermals blieb seine Argumentation unpräzise. An dieser Stelle eröffnete die Replikschrift ihre dritte Argumentationsebene. Sie ist aus moderner Perspektive am interessantesten, weil sie die prinzipielle Frage nach dem Charakter des Eherechts schlechthin behandelte. Der Verfasser meinte nämlich, „viel wenig kan dem gegentheil ersprießlig od[er] behülfflich sein, dz er In seiner exception schrifft so hoch ufmutzet, diese Sach sey spiritualis unndt konne nicht ad Magistratum politicum deuoluiren unndt erwachsen[;] darauff gibt anwaldt die antwordt dz Causa Matrimonialis zu lübegk nicht spiritualis sondern politica“ sei1500. Diese Äußerung spielte geschickt auf das Grundproblem des evangelischen Eherechts an. Wenn die Ehe „eyn eußerlich leyplich ding (...) wie andere weltliche hanttierung“ war, wie Martin Luther betont hatte1501, waren ihr sakramentaler und geistlicher Stand aufgehoben. Die protestantischen Ehegerichte, zumeist Konsistorien genannt, die, beginnend mit Zürich 1525, nach und nach entstanden waren1502, bewiesen durch ihre schlichte Existenz die „kirchenrechtliche Sonderstellung“ der Ehesachen in evangelischen Territorien1503. Der Schriftsatzverfasser war klug genug, sich nicht mit Aussagen zum Protestantismus als solchem vorzuwagen, sondern er beschränkte sich auf die Reichsstadt Lübeck. Seine Sichtweise berührte sich auffällig mit dem oben erwähnten Schriftsatz aus einem anderen Prozeß von 1580. Dort hatte ein Anwalt betont, in Lübeck würden „alle ehesachen Nach Kaiser, Undt nicht Nach Bebstlichen rechten entschieden, und verrichtet“1504. Damals war die Argumentation aus moderner Perspektive eher materiellrechtlich und an die Bugenhagensche Kirchenordnung von 1531 angelehnt, jetzt ging es dagegen um die Gerichtsverfassung. Dennoch war das Ergebnis gleich. Wenn der Verfasser der Replikschrift von 1591 vom „Magistratum politicum“ sprach, war das abermals geschickt, denn die weite Bedeutung sowohl von Magistrat als auch von politischen Angelegenheiten im zeitgenössischen Sinne schlossen sowohl das Reichskammergericht als auch den Lübecker RKGO 1555 2, 28, 5, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 206-207; O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 63-73; S z i d z e k , Verbot der Appellation, S. 13-31. 1500 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 9. 1501 L u t h e r , Vom Eelichen Leben, Das erst teyll, Die funffte [ursach]; knapp dazu B u c h h o l z , Ehe, Sp. 1199. 1502 Kö h l e r , Zürcher Ehegericht I, S. 28-41; F r a s s e k , Eherecht, S. 33-34, 75-76; d e r s . , Konstituierung, S. 49; E r l e r , Konsistorium, Sp. 1106. 1503 B u c h h o l z , Ehe, Sp. 1203. 1504 AHL RKG B 59/60, Aktenstück Q 12, Art. 3 (das Quadrangel ist doppelt vergeben). 1499
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Rat ein1505. Und daß man sich gegen eherechtliche Entscheidungen des Konsistoriums an den Lübecker Rat wenden konnte, stand außer Streit und entsprach genau der Prozeßgeschichte der vorliegenden Auseinandersetzung. Wie bereits angedeutet, begründete der Schriftsatzverfasser diese Auffassung mit der Gerichtsorganisation. Das Konsistorium, so teilte er den Reichskammergerichtsmitgliedern mit, sei „zu lübegk vornemlich mitt raths Persohnen unndt d[en] Statt Secretarien unndt syndicis besetzt“. Es gebe zwar „wenig Geistlichen, die under des Raths jurisdiction“ ständen, „welche man also pro forma darbey hadt, unndt die da müßten singen und sagen, was die Raths Persohnen Undt d[ie] Statt syndici haben wollen“1506. Das war offenkundig eine Verzerrung, wie die ältere normengeschichtliche Untersuchung von Funk schnell offenlegt. Unter den elf Mitgliedern des Konsistoriums befanden sich immerhin fünf Pastoren und ein Superintendent1507. Freilich soll mit dem ersten Syndikus als Vorsitzenden die weltliche Justiz „an ausschlaggebender Stelle“ im Konsistorium vertreten gewesen sein1508. Mit seinem Zitat aus Luthers Weihnachtslied „Vom Himmel hoch da komm ich her“ stempelte der Schriftsatzverfasser die Lübecker Pastoren vollends zu reinen Befehlsempfängern der Ratsherren ab und unterstrich abermals den politischen Charakter des Gremiums. Nicht nur die Zusammensetzung des Konsistoriums sollte die Lübecker Ehegerichtsbarkeit als weltliche Gewalt kennzeichnen. Hinzu kam der Instanzenzug an den städtischen Rat: „Zum and[ere]n so kan die Causa Matrimonialis in lübegk nicht spiritualis od[er] Geistlich sein od[er] genennet werden, dieweile man vormüge des lübegkischen rechten vom Consistorio daselbsten an dz seculare Brachium Appelliren muß“1509. Die Appellation an den Lübecker Rat in Ehesachen gab es tatsächlich bis 1805. Erst dann trat ein Supplikationsverfahren an ihre Stelle1510. Damit eröffnete die Reichsstadt Lübeck seit dem 16. Jahrhundert eine förmliche Rechtsmittelinstanz über dem Konsistorium, anders als andere kleinere Territorien, die von vornherein mit der Supplikation nur ein eher formloses Bittschriftenverfahren um Abänderung von Urteilen kannten1511. Hier lag Dieselbe Formulierung „Magistratum politicum“ auch bei S t r i p p e l m a n n , Ehescheidungsrecht, S. 213, mit Verweis auf Literatur des 18. Jahrhunderts. 1506 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 9. 1507 F u n k , Die Lübischen Gerichte, S. 85; aus der neueren Literatur H au s c h i l d , Kirchengeschichte, S. 277-278. 1508 G r a ß m a n n , Scheidung auf Lübeckisch, S. 299, ebd. S. 305-306 zur Gerichtsbesetzung um 1800. 1509 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 9; das „säkulare Brachium“ ist die weltliche Gewalt. 1510 F u n k , Die Lübischen Gerichte, S. 86. 1511 Für Pommern M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 38: Revision an ein auswärtiges Konsistorium; für die Grafschaft Wied S c h l ü t e r , Calvinismus, S. 141-142; Appellation an den 1505
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freilich zugleich ein Problem für die Trennung geistlicher und weltlicher Sachen, auf das der Schriftsatzverfasser ausdrücklich hinwies: „Wan nun diese Sach Spiritual sein solte, so hette sie auch an die Geistliche Obrigkeitt müßen Appellirt werden, welches vormügk lubeckschen rechten nicht sein kan noch magk“1512. Spiegelbildlich zeigt sich an dieser Stelle ein ganz ähnlicher Befund wie in den gleichzeitigen Streitigkeiten um den Instanzenzug im Fürstbistum Münster. In Münster war das Offizialat, das auf den ersten Blick als geistliches Gericht erscheint, vielfach mit weltlichen Zivilsachen beschäftigt. Die Appellation ging dann entweder direkt an das Reichskammergericht, sehr häufig aber auch an das Kölner Offizialat, das auf diese Weise ebenfalls eine Zwitterstellung zwischen geistlichem und weltlichem Gericht einnahm. Drittinstanzlich hörten die Uneindeutigkeiten dann auf, denn mit dem Apostolischen Nuntius oder dem Reichskammergericht standen zwei Institutionen zur Verfügung, die entweder klar als geistliches oder als weltliches Gericht anzusehen waren und sich gegenseitig ausschlossen. Der Lübecker Schriftsatzverfasser ging nun ganz ähnlich vor. Das Konsistorium behandelte zwar Ehesachen, war aufgrund seiner personellen Zusammensetzung für ihn aber ein weltliches Gericht. Die erstmalige Appellation ging an den Lübecker Rat, für den Verfasser also ebenfalls an die weltliche Obrigkeit. Geradezu rhetorisch fügte er hinzu, Appellationen an die geistliche Obrigkeit seien in Lübeck undenkbar. Die Rechtswegzuordnung stand nach dieser Auffassung bereits mit der erstmaligen Appellation an das Ratsgericht fest. Wenn die Anrufung der geistlichen Obrigkeit ausgeschlossen war, scheint der Anwalt des Klägers unausgesprochen ein katholisches Verständnis von kirchlichen Hierarchien zugrunde gelegt zu haben. Man hätte nämlich sehr gut einwenden können, in evangelischen Territorien stehe die landesherrliche Regierung, in Lübeck also der Rat, zugleich für die weltliche und geistliche Obrigkeit. Das gesamte Konzept des Summepiskopats baute jedenfalls genau auf dieser Überlegung auf1513. Damit hatten territoriale evangelische Obergerichte womöglich einen ähnlich unklaren Status wie katholische Offizialate. Wenn es auf Appellationsverbote ankam, ging es also nicht an, lediglich auf den Judex a quo als solchen zu sehen, denn die Appellation vom Lübecker Ratsgericht an die Reichsgerichte war unzweifelhaft erlaubt. Vielmehr kam es stillschweigend auf die Rechtswegzuständigkeit an, obwohl dazu weder die Reichskammergerichtsordnung von 1555 noch das Lübecker Appellationsprivileg etwas sagte. Vielleicht also war die unmittelbare AppelRat auch in Zürich: Kö h l e r , Zürcher Ehegericht I, S. 66; allgemein zu Supplikationen U l b r i c h t , Supplikationen, S. 151. 1512 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 9, ohne Paginierung. 1513 H e c k e l , Religionsbann, S. 267-269, zum Episkopalismus; B u c h h o l z , Ehe, Sp. 1202.
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lation von evangelischen Konsistorien an die Reichsgerichte förmlich verboten, doch traf solch ein Satz gerade keine Aussage über einen Rechtsmittelweg, der den Umweg über ein territoriales Obergericht einschlug1514. Wenn das landesherrliche Gericht wie in Lübeck der Rat geistliche und weltliche Gewalt zugleich ausübte, war es schwer, Appellationsverbote klar zu formulieren. Die Unterordnung des Rates als Lübecker weltliches Obergericht unter die Reichsgerichte war ja unzweifelhaft gegeben. Jedenfalls für das Reichskammergericht war das aufgeworfene Problem lösbar. Im Gegensatz zu den meisten anderen Appellationsprozessen erging in diesem Lübecker Fall eine Entscheidung. Durch Prozeßurteil1515 vom 1. April 1595 entschieden die Speyerer Assessoren, daß „diese sach durch vorgenommene ap[el]l[ati]on an dis Kayserlich Cammergericht nit erwachsen, sondern ahn Richter voriger instantz zu remittiren und weysen sey“. Der Kläger mußte sogar die gesamten Kosten allein tragen1516. Damit waren Appellationen in Ehesachen von Lübeck aus an das Reichskammergericht unzulässig, auch dann, wenn zweitinstanzlich der Lübecker Rat entschieden hatte. Ob man die Entscheidung wirklich verallgemeinern konnte, ist wie so oft fraglich. Im vorliegenden Fall hatte der Prokurator des unterlegenen Klägers bereits einige Jahre zuvor den Kontakt zu seinem Mandanten verloren1517. Möglicherweise waren die anwaltlichen Bemühungen deswegen halbherzig ausgefallen. Die Praxis änderte sich nach der höchstrichterlichen Entscheidung nicht sofort. Auch nach 1595 gab es noch Versuche, das Reichskammergericht in Ehesachen einzuschalten. Es handelt sich um drei Fälle aus den Jahren 1609, 1631 und 1695, die nachfolgend dargestellt sind. Auf diese Weise lassen sich aus dem Blickwinkel der Prozeßpraxis weitere Aufschlüsse über das Verhältnis von Konsistorium und Rat und den Appellationsweg in der protestantischen Reichsstadt Lübeck gewinnen. Der erste Fall ist nur ein gutes Jahrzehnt jünger als das soeben erwähnte reichsgerichtliche Urteil zum Appellationsverbot in Ehesachen.
c) Verurteilung zur Eingehung der Ehe Der seit 1609 in Speyer rechtshängige Streit zwischen den Vormündern der Anna Schulte und einem Lorenz Hinrichsen betraf ein typisch frühneuzeitliSo war es auch in Mecklenburg, dazu unten bei Anm. 1745-1813. Zur Erkennbarkeit der Urteilsart anhand der Tenorierung O e s t m a n n , Rekonstruktion, S. 42-44. 1516 AHL RKG C 6, Protokollbuch, Expeditum vom 1. April 1595. 1517 AHL RKG C 6, Protokollbuch vom 24. April 1596: seit drei Jahren keine Nachricht vom Mandanten. 1514 1515
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ches Problem1518. Der Bräutigam wollte seine Anvertraute heiraten, diese aber hatte es sich inzwischen anders überlegt und behauptete, Lorenz Hinrichsen habe bereits vor der Eheschließung Ehebruch begangen. In dieser Situation klagte Hinrichsen gegen seine Braut und ihre Vormünder auf Eingehung der Ehe vor dem Lübecker Konsistorium. Die Braut konnte den angeblichen Ehebruch nicht beweisen, und so wurde sie zur Eheschließung verurteilt. Ein nachfolgendes Appellationsverfahren vor dem Lübecker Rat bestätigte das Ergebnis. Innerhalb von vier Wochen mußte Anna Schulte die Ehe vollziehen, anderenfalls drohte ihr eine Gefängnisstrafe. Damit wollten sich die Vormünder der Braut aber nicht abfinden. Sie bereiteten einen Appellationszettel vor, suchten einen Notar auf und legten dort formgerecht Appellation gegen das obergerichtliche Urteil ein1519. Im Appellationszettel, lateinisch Schedula genannt, bestätigten sie im Ausgangspunkt die Gleichartigkeit von Ehesachen und Strafsachen, die auch im zuvor geschilderten Rechtsstreit eine zentrale Rolle gespielt hatte: „obwoll in den Rechten gefordert, das wir in allen CiuilSachen, also und fürnemblich in Causis Matrimonialibus, welche den criminalibus, ob summam rei prauitatem aequiparirt werden, vor einem Jeden Richter vorsichtig verfahren“1520, hieß es gleich zu Beginn der Rechtsausführungen. Das sollte vermutlich die gravierenden und langwirkenden Rechtsfolgen andeuten. In Ehesachen gingen die Rechtswirkungen über normale zivilrechtliche Geldzahlungen und Herausgabeklagen weit hinaus und berührten den einzelnen ähnlich persönlich wie strafgerichtliche Verurteilungen. Streitig waren im konkreten Fall angebliche Nichtigkeiten bei der Eidesleistung eines von der Braut bestellten Zeugen. Das genaue Zusammenspiel zwischen dem Lübecker Notar, dem Advokaten und dem kammergerichtlichen Prokurator ist wie so oft nicht bekannt. Auf wen also die Rechtsäußerungen der Appellanten zurückgehen, läßt sich nicht mehr klären. Es fällt freilich eine Besonderheit der Verfahrensart sofort ins Auge. Der Notar verfertigte nämlich ein Appellationsinstrument1521, doch begann am Reichskammergericht dennoch ein Nichtigkeitsprozeß. Sowohl das Protokollbuch als auch die reichsgerichtliche Ladung lauteten übereinstimmend auf Citatio super nullitate1522. Einer der rechtlichen Interessenvertreter der Klägerseite scheint also aus dem Appellationsverbot in Ehesachen die sinnvolle Konsequenz gezogen zu haben, die Appellation in eine Nullitätsklage umzudeu-
Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Lübeck, S. 618. Zum Appellationszettel O b e r l än d e r , Lexicon, S. 633; O e s t m an n , Zivilprozeß, S. 61. 1520 AHL RKG S 89, Aktenstück Q 2. 1521 Titel des Schriftsatzes AHL RKG S 89, Aktenstück Q 2. 1522 AHL RKG S 89, Aktenstück Q 1. 1518 1519
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ten1523. Noch im 18. Jahrhundert vermerkte Johann Stephan Pütter, einem beschlagenen Advokaten falle das „so schwer nicht“1524. Damit bestätigten die Kläger indirekt abermals die Ähnlichkeit mit dem Strafprozeß. Gleichzeitig war das ein geschickter Schachzug, denn in Strafverfahren konnte man trotz des Appellationsverbots ebenfalls wegen Verfahrensnichtigkeiten das Reichskammergericht anrufen1525. Auf diese Weise war es also möglich, den Rechtsstreit zunächst per Appellation vom Konsistorium an den Lübecker Rat und von dort durch Nichtigkeitsbeschwerde weiter an das Reichskammergericht zu devolvieren. Damit gab es de facto eine dritte Instanz. Freilich sind Aussagen über die Zuständigkeitsabgrenzung weltlicher und geistlicher Justiz sowie von Unter- und Obergerichten in protestantischen Territorien aufgrund dieses Beispielsfalls kaum möglich, denn nicht die Eheschließung, sondern die verweigerte Eidesleistung bildete den Steitgegenstand. Dazu kommt im konkreten Fall noch ein Problem, das sich bei den Verhandlungen in Speyer herausstellte. Die Klägerseite war wohl nicht ordnungsgemäß legitimiert, deswegen stritten die Prokuratoren um das sog. Rufen1526 sowie um die Absolvation von der Ladung. Anfang 1611 erging ein nicht überliefertes Reichskammergerichtsurteil, möglicherweise die Lossprechung der Beklagten von der Klage1527.
d) Ein Rechtsstreit von 1630 Es dauerte zwei volle Jahrzehnte, bis 1630 erneut ein drittinstanzlicher Lübecker Rechtsstreit das Reichskammergericht erreichte. Auch hier war die Sache über das Konsistorium und das Ratsgericht nach Speyer gewandert1528. Es ging wie im zuvor geschilderten Streit um die Verurteilung zur Eingehung der Ehe. Diesmal hatte die Braut Dorothea Vogt gegen ihren Verlobten vor dem Konsistorialgericht geklagt. Der Beklagte Paul Kolle, ein Lübecker Bürger, machte dagegen aber eine originelle Bedingung geltend. Er werde die Frau nur heiraten, wenn sie ihm dafür vereinbarungsgemäß 4.000,- lübische Mark zahle. Ob das auf Schwierigkeiten hindeutete, einen Brautschatz aufzubringen, tut nichts zur Sache. Nach Auffassung des KonUnzutreffende Prozeßart bei S t e i n - S t e g e m an n , Findbuch Lübeck, S. 618. P ü t t e r , Historische Entwickelung, S. 435; zu Pütter (1727-1807) Kl e i n h e y e r / S c h r ö d e r , Juristen, S. 345-349. 1525 RKGO 1555 2, 28 5, bei L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 206-207; O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 63-70; S z i d z e k , Verbot der Appellation, S. 63-65. 1526 Dazu D i c k , Entwicklung, S. 189, 208; O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 131. 1527 AHL RKG S 89, Protokollbuch, Expeditumvermerk vom 25. Januar 1611. 1528 Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Lübeck, S. 348. 1523 1524
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sistoriums konnte Kolle die Verabredung ohnehin nicht ordnungsgemäß beweisen, wie es ihm aber oblegen hätte. Deswegen verurteilte das Kirchengericht ihn zur Eheschließung mitsamt „Christlichen Ceremonien jnnerhalb Sechswochen“1529. Kolle appellierte an das Obergericht, also an den Lübecker Rat. Doch nach über einjährigem weiteren Prozeß bestätigten die Ratsherren das Konsistorialurteil. Deswegen appellierte Kolle innerhalb der Zehntagesfrist1530 Anfang Februar 1630 an das Reichskammergericht. Die Beschwerdegründe versuchten offenbar wie im vorigen Fall den Brückenschlag zur Nichtigkeitsklage, blieben damit aber wohl erfolglos. Der Appellant betonte, daß „dieser loblichen Statt drei Syndici und etliche Ratsverwandte, alß praesidentes und Assessores in dem Consistorial Gericht mit sitzen, welche auch inter Judices secundae Instantiae hernach mit geseßen“ hätten1531. Die teilweise Personenidentität zwischen erster und zweiter Instanz deutete die Befangenheit des Ratsgerichts an. Erschwerend kamen aus der Perspektive des Appellanten patenschaftliche Verbindungen hinzu. „Einer von den Herren Consulibus“, also einer der vier Lübecker Bürgermeister1532, sollte zugleich „der Clägerin pater spiritualis“ gewesen sein1533. Wegen der Patenschaft und der Personengleichheit zwischen beiden Lübecker Gerichten beantragte Paul Kolle eine Aktenversendung „ad Consilium Sapientis pro concipienda Sententia“. Doch die Ratsherren hielten das offensichtlich für überflüssig und entschieden zweitinstanzlich den Rechtsstreit selbst. Waren das schon so schwerwiegende Vorgänge, um eine Nichtigkeitsbeschwerde zu rechtfertigen? Eine Umdeutung der reichskammergerichtlichen Appellation in einen Nichtigkeitsprozeß gelang dem Appellanten trotz seiner Kritik an der Gerichtsbesetzung und an den Verfahrensmängeln nicht. Es gab auch nur eine Audienz in Speyer, und dort traten die Appellaten gar nicht in Erscheinung. Ein kammergerichtliches Urteil ist für Juni 1631 vermerkt, aber nicht erhalten1534. Ob in diesem Fall die Appellation in Ehesachen erlaubt war, läßt sich also nicht eindeutig klären. Das Verhältnis von Rat und Konsistorium und der Instanzenzug an das Reichskammergericht auf der Grenzlinie von geistlichen und weltlichen Angelegenheiten bleiben wie auch im zuvor behandelten Fall undeutlich. Klare Anzeichen für eine Appellationserlaubnis gibt es jedenfalls nicht. AHL RKG K 32, Aktenstück Q 2, nicht paginiert. Zur Appellationsfrist W e t z e l l , System, S. 722; O b e r l än d e r , Lexicon, S. 385; O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 37; W e i t z e l , Appellation, Sp. 271. 1531 AHL RKG K 32, Aktenstück Q 2, 8. Gravamen. 1532 Zur Vierzahl der Bürgermeister A s c h , Rat und Bürgerschaft, S. 170; E b e l , Lübisches Recht, S. 232. 1533 AHL RKG K 32, Aktenstück Q 2, 8. Gravamen. 1534 AHL RKG K 32, Protokollbuch, Expeditumvermerk vom 7. Juni 1631. 1529 1530
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e) Ein Scheidungsprozeß von 1695 Das zeitlich jüngste Appellationsverfahren aus Lübeck, das vom Konsistorium über den Rat an das Reichskammergericht gelangte, begann 1695 in Wetzlar1535, also nach weiteren sechs Jahrzehnten. Erneut handelt es sich um einen besonders gelagerten Fall und nicht einfach um eine alltäglich übliche oder gar gedankenlose drittinstanzliche Appellation in Ehesachen. Wie im zuvor geschilderten Verfahren von 1630/31 kam es ebenfalls nicht zur Litiskontestation. Lediglich Schriftsätze des Appellanten liegen vor. Der Sachverhalt allerdings war abenteuerlich – jedenfalls in der Sichtweise, wie der Appellant ihn darstellte. Heinrich Außborn, Weinhändler und Bürger in Lübeck, hatte 1685 die Witwe Catharina Witte geheiratet. Nach der Eheschließung stellte sich angeblich heraus, wen sich der brave Mann angelacht hatte. „Ein böses halstarriges, und mit Wein und Brandenwein sich fast stets anfüllendes Weib“ lebte nun bei ihm und bescherte ihrem Mann „die irdische Helle“1536. Da sie ihren Gemahl ständig mit Schimpfworten wie „nackenden Schelmen, Kohlen Dieb und Hundt etc.“ belegte1537, verklagte er sie 1690 vor dem Ratsgericht. Dort versprach Catharina, sich zukünftig ehrerbietig und treu zu betragen, hielt sich aber nach Darstellung des Appellanten nicht daran. In einer besonders peinlichen Situation, als Besuch im Hause war, platzte Heinrich der Kragen. Von seiner Frau in einem fort verunglimpft, holte er aus und gab ihr eine Backpfeife. Nach Darstellung des Mannes nahm die angeblich psychisch gestörte Frau die Maulschelle zum Anlaß, sich mit Nadeln und Nägeln selbst blutig zu kratzen und zu ihrem Schwager zu flüchten. Zusammen mit dem Schwager erhob sie vor dem Konsistorium im Beisein des Superintendenten Klage auf Trennung von Tisch und Bett sowie auf Räumung des ehelichen Hauses1538. Der Ehemann behauptete nun, nur um seine „verdrießlichkeit, ungunst und unruhe zuerwecken, und alles in unordnung zusetzen“, habe seine Frau vom Konsistorium aus „noch weiter aufs newe ad Senatum Ampliss[imum] gantz fälschlich Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Lübeck, S. 9. AHL RKG A 10, Aktenstück Q 4, Art. 1; zum Alkoholkonsum von Frauen in der Frühen Neuzeit S c h m i d t - V o g e s , Weil der Ehe-Stand, S. 143-147; G r aß m a n n , Scheidung auf Lübeckisch, S. 300: Frau als Säuferin. 1537 Zu Ehrkonflikten im Zusammenhang mit Eheschließung und Eheleben F u c h s , Um die Ehre, S. 255-271; zu Schimpfworten unter Eheleuten in Lübeck um 1800 G r aß m a n n , Scheidung auf Lübeckisch, S. 298. 1538 AHL RKG A 10, Aktenstück Q 4, Art. 3-11; zur Trennung von Tisch und Bett C o i n g , Europäisches Privatrecht I, S. 244-245; F l o ß m an n , Privatrechtsgeschichte, S. 90-91; G r a ß m a n n , Scheidung auf Lübeckisch, S. 302-303; D i e s t e l k am p , Rechtsfälle, S. 7782; S c h o l z - L ö h n i g , Eheauflösung, Sp. 53-55; zum Verfahren H e c k e r , Entwicklung, S. 32-53; d e r s . , Ehescheidungsprozeß, Sp. 843-844. 1535 1536
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suppliciret“ und dort ihrem Mann erneut schwere Mißhandlungen vorgeworfen und die Trennung der Ehe beantragt1539. Der Lübecker Rat verwies am 9. Dezember 1693 die Hauptsache zurück ans Konsistorium, erlegte dem Ehemann aber eine Sicherheitsleistung von 1.000,- Reichstalern auf und verlangte, er müsse seine Frau „in ruhe und ungedrückt laßen“. Leider fehlt die erstinstanzliche Akte. Auch liegen keine Stellungnahmen der geflohenen Ehefrau oder ihres Schwagers vor. Der Bescheid des Lübecker Rates nährt dennoch Zweifel an der Fallschilderung des Ehemanns. Ganz so einseitig, wie Heinrich Außborn die Auseinandersetzung darstellte, war sie nach Auffassung des Obergerichts wohl kaum verlaufen. Von diesem Ratsdekret provozierte der Ehemann an das Reichskammergericht. Bereits der Sprachgebrauch „alles mehreren inhalt des darüber außgefertigten und zur execution dem gerichte zugefertigten Decreti à quo jam ad Cameram provocatum“1540 zeigt eine schwer aufzuschlüsselnde prozessuale Situation. Schon die Klage der Ehefrau am Ratsgericht erschien nicht als Appellation, sondern als bloße Supplikation neben dem nicht förmlich beendeten Konsistorialprozeß. Die Entscheidung des Rates war sodann kein Urteil, sondern ein bloßes Dekret. Außerdem unterstrich der Rat durch die Zurückverweisung an das Konsistorium die geistliche Natur des Streitgegenstandes. Die Ratsherren gingen von einer erstinstanzlichen Ehesache aus, und genau dafür waren sie nicht zuständig. Der Appellant war freilich der Meinung, das Ratsdekret sei „nichtiglich“ ergangen. Wenn schon die Ratsherren die Sache nicht für „sui fori“ anerkannten, dann hätte sich der Senat „aller Erkandtnuß der Sachen enthalten“ müssen1541. Nicht die Zurückverweisung als solche war es also, gegen die der Appellant vorging, sondern die Auferlegung der hohen Kautionszahlung. Heinrich Außborn, der Appellant, bezeichnete das Ratsdekret mehrfach als Nichtigkeit. Wenn eine Streitsache bereits am Konsistorium rechtshängig sei, könne „absque attentati et nullitatis vitio anderwerts nicht mögen ferner suppliciret noch decretirt“ werden. Hierfür zitierte er einige Stellen aus dem gelehrten Recht1542, außerdem Angelus de Ubaldis1543, David Mevius1544 und Andreas Gail1545. Gleich zweimal verwies er auf den 1585 verstorbenen Italiener AHL RKG A 10, Aktenstück Q 4, Art. 14. AHL RKG A 10, Aktenstück Q 4, Art. 15. 1541 AHL RKG A 10, Aktenstück Q 4, Art. 17. 1542 D. 5, 1, 2, 6; D. 5, 1, 5; D. 42, 4 (unklare Allegation); D. 2, 1, 20 (unklare Allegation); C. 3, 13, 5; D. 5, 1, 30 (Marcellus: „Ubi acceptum est semel iudicium, ibi et finem accipere debet.“); C. 3, 1. 1543 Zitiert wird die Kommentierung von Angelus de Ubaldis zu C. 7. 64. 1 („l. 1 C. quando provocare necesse non est“). 1544 M e v i u s , Decisiones, p. 2 dec. 7 n. 2-3, S. 214. 1545 G a i l , Observationen, lib. 1 obs. 34 n. 6, S. 67. 1539 1540
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Robertus Lancellottus1546. Neben dem Eingriff des Rates in den schon eröffneten Konsistorialprozeß warf der Appellant dem Obergericht zudem vor, es habe auf „nuda parte ejusque falsa narrata sine ulla probatione et causae cognitione, alterâ parte non planè auditâ vorberührtes decretum emaniret“, also auch im Verfahrensablauf selbst weitere Nichtigkeiten verübt1547. Neben einigen anderen Punkten lautete der gewichtigste Vorwurf gegen die eigene Ehefrau, sie habe „zur schmähelichen confusion der Gerichte und jurisdictionem“ gegriffen1548. Der Rat seinerseits habe das Recht des Appellanten, sich zu verteidigen, verletzt, obwohl „Defensio quippe juris naturalis et Divini est“, wie der Schriftsatzverfasser mit dem Alten Testament1549, dem römischen Recht1550 und den Konsilien von Ernst Cothmann1551 belegte. Die Verletzung natürlicher und göttlicher Rechtsgrundsätze war ein Argument, das gut zum angestrebten Nichtigkeitsprozeß paßte. Die Unterstellung, die Ehefrau habe es lediglich auf die „verwirrung der Gerichte, und der beym Consistorio daselbsten angestelten Klage“ abgesehen, tauchte ganz am Ende des Appellationslibells nochmals auf1552. Es handelt sich dabei um denselben Vorwurf, den auch die Kläger aus katholischen Territorien erhoben, wenn ein Prozeßgegner in einer weltlichen Sache den Apostolischen Nuntius anrief. In diesen Mandatsprozessen sollte das Reichskammergericht als oberstes weltliches Gericht im Alten Reich die Einmischung kirchlicher Institutionen in die ordentliche Zivilgerichtsbarkeit unterbinden. In dem hier betrachteten Lübecker Streit lag das Problem genau andersherum. Der Appellant hielt das Obergericht, also den Lübecker Rat, für jedenfalls erstinstanzlich unzuständig. Deswegen sollte das Reichskammergericht erkennen, der Rat habe „übel decretiret“, der Ehemann selbst dagegen „wohl L a n c e l l o t t u s , Tractatus de attentatis, p. 2. cap. 6 n. 1, Leitsatz S. 172: „Processus per Iudicem recusatum factus post recusationem, an sit ipso iure nullus (...) Secunda, quod sit ipso iure nullus, & ista est magis communis, & secundum hanc ponitur Regula“; zu Lancellottus: Z e d l e r , Universal-Lexicon, Bd. 16, Sp. 367; sein Bruder war der namhafte Kanonist Giovanne Paolo Lancelotti (bei S c h u l t e , Geschichte III/1, S. 451-453); Zitierung von Lancellottus‘ Traktat in Lübeck, ebenfalls zusammen mit Mevius und Gail, auch im 18. Jahrhundert: O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 122. 1547 AHL RKG A 10, Aktenstück Q 4, Art. 19. 1548 AHL RKG A 10, Aktenstück Q 4, Art. 22. 1549 2. Mose (Exodus) 22, 2: „Wirst du sie bedrücken und werden sie zu mir schreien, so werde ich ihr Schreien erhören.“ 1550 Die Vorschriften der Lex Aquilia: D. 9, 2, 4 (Gaius: „nam adversus periculum naturalis ratio permittit se defendere“); D. 9, 2, 45, 4 (Paulus: „vim enim vi defendere omnes leges omniaque iura permittunt“); D. 9, 1, 1, 11; D. 43, 16, 1, 27 (Ulpian: „Vim vi repellere licere Cassius scribit idque ius natura comparatur: apparet autem, inquit, ex eo arma armis repellere licere“, außerdem wird die gesamte Lex „et passim“ zitiert). 1551 C o t h m a n n , Consultationes, p. 3 cons. 2 n. 7, S. 10. 1552 AHL RKG A 10, Aktenstück Q 4, nach Art. 31. 1546
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provociret“. Zudem müsse der Rat auf Anordnung des Reichsgerichts die „Appellatinne aber zu Verfolgung Ihres beym Consistorio in Lübeck angestalten separations proceß (...) verweißen“1553. Im Gegensatz zu einigen zuvor geschilderten Äußerungen paßte dieser Antrag wiederum voll und ganz zu einem Apellationsprozeß. Ob es die Aufgabe des Reichskammergerichts sein konnte, eine geistliche Sache von einem unzuständigen weltlichen Gericht mittlerer Instanz an ein zuständiges geistliches Untergericht zu verweisen, mochte zweifelhaft sein. Vermutlich deswegen vermied der Appellant eine klare Festlegung, ob es sich bei seinem Prozeß um einen weltlichen oder kirchlichen Rechtsstreit handelte. Doch auch wenn er betonte, dasjenige, was der Rat „planè incompetente“ entschieden habe, müsse das Reichskammergericht „de iniquitate ac nullitate“ aufheben, handelte es sich um eine Appellation und nicht um eine prinzipaliter erhobene Nichtigkeitsklage. Der Fortgang der Sache vor dem inzwischen nach Wetzlar verlegten1554 Reichskammergericht spricht deutlich dafür. Das Reichskammergericht hielt in dieser Angelegenheit nur zwei Audienzen ab. Die Gegenpartei trat dabei nicht auf den Plan, ein Prokurator kam gar nicht erst. Doch auch ein Urteil erging nicht. Der Kläger versuchte 1695 noch zweimal, vom Gericht zusätzlich Kassationsmandate zu erhalten. Angeblich hatte der Lübecker Rat gegen die mit der Eröffnung des Appellationsprozesses verbundene Inhibition1555 verstoßen. Doch Heinrich Außborn scheiterte in beiden Fällen. Der Schriftsatzverfasser des Weinhändlers vermutete in seiner Mandatssupplik, das Reichskammergericht habe „etwan wieder Verhoffen die Sache pro Consistoriali angesehen, mithin ob dubietatem jurisdictionis“ dem Ehemann nicht geholfen1556. Das stand freilich im Widerspruch zu den eigenen Rechtsausführungen. Denn mit der zunächst beantragten Verweisung an das Konsistorium hatte der Appellant die streitige Hauptsache selbst als Konsistorialangelegenheit angesehen. Nun versuchte er zu differenzieren zwischen einer „Consistorial-Klag“ zwischen Ehemann und Ehefrau und einer bloßen „Expensen-Klag“ um Prozeßkosten gegen den Schwiegersohn. Erfolg hatte er damit nicht. Später gelang es dem Appellanten allerdings, einen Mandatsprozeß am Reichskammergericht anhängig zu machen, da ihm der Lübecker Rat angeblich in einem Streit mit
AHL RKG A 10, Aktenstück Q 4, nach Art. 31. Zur Verlegung des Gerichts von Speyer nach Wetzlar S m e n d , Reichskammergericht, S. 215-217; S c h m i d t - v o n R h e i n , Reichskammergericht in Wetzlar, S. 5-6. 1555 Zur Inhibition D i c k , Entwicklung, S. 204; O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 53. 1556 AHL RKG A 10, unquadr. „Wiederholte unterthänigste supplication undt gantz flehentliche bitte pro gratiose Decernendo petito Mandato de cassandis et revocandis attentatis S. C.“ mit abschlägigem Extrajudizialdekret des Reichskammergerichts. 1553 1554
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dem bereits erwähnten Schwiegersohn das Recht verweigert hatte1557. Nach dem Tod seiner Ehefrau appellierte der prozeßfreudige Heinrich Außborn schließlich in einer Erbauseinandersetzung erneut an das Reichskammergericht1558. Bei diesen beiden Prozessen ging es aber nicht um die Abgrenzung weltlicher und geistlicher Sachen. Damit läßt sich ein erstes Zwischenergebnis aufgrund der Lübecker Quellen formulieren. Es gab durchaus Streitigkeiten über die Appellabilität von Konsistorialsachen an das Reichskammergericht. Doch ist kein Fall bekannt, in dem das Gericht eine derartige Appellation angenommen hat. Vielmehr belegt ein klageabweisendes Prozeßurteil von 1595 das Gegenteil. Das Reichskammergericht verneinte seine Zuständigkeit in drittinstanzlichen Lübecker Ehesachen. Zugleich spricht die Appellationsmöglichkeit vom Konsistorialgericht an das Obergericht für den doppelten Charakter des Lübecker Rates als sowohl erstinstanzliches weltliches Gericht als auch funktional zweitinstanzliches und damit oberstes geistliches Gericht in der Hansestadt1559. Für die Zuständigkeitsabgrenzung weltlicher und geistlicher Gerichte nahm das oberste Territorialgericht in einer evangelischen Reichsstadt dieselbe Stellung ein wie ein Offizialat im Fürstbistum Münster oder in Kurköln, das ebenfalls sowohl weltliche als auch geistliche Streitigkeiten entschied. Zugleich waren die Appellationsmöglichkeiten in protestantischen Territorien deutlich eingeschränkt. Während es in katholischen Territorien zwei vollständig ausgebildete Gerichtsbarkeiten mit ihren je eigenen Instanzenzügen gab, war eine überterritoriale Appellationsinstanz in protestantischen Territorien nur für weltliche Streitgegenstände zuständig. Die erfolglosen Versuche von Prozeßparteien, Konsistorialsachen dennoch am Reichskammergericht anhängig zu machen, sprechen für das Bedürfnis nach zusätzlichen Rechtsmittelinstanzen. Ob Nichtigkeitsbeschwerden die Möglichkeit eröffneten, wenigstens Verstöße der landesherrlichen Gerichte gegen zwingende Zuständigkeits- oder Verfahrensvorschriften vom Reichskammergericht aufheben zu lassen, muß an dieser Stelle dahinstehen. Jedenfalls in Lübeck blieben auch diese Fälle ohne Erfolg. Dieser Punkt ist freilich bei der Untersuchung anderer Territorien im Auge zu behalten. In Mecklenburg und Hamburg verschob sich das Problem nämlich. Genau der Instanzenzug AHL RKG A 11, bei S t e i n - S t e g e m an n , Findbuch Lübeck, S. 10. AHL RKG A 12, bei S t e i n - S t e g e m an n , Findbuch Lübeck, S. 11. 1559 Zur Kirchenhoheit des Rates seit der Reformation P o s t e l , Kirche und Stadt, S. 182; H a u s c h i l d , Suchet der Stadt Bestes, S. 169-172; es ist demgegenüber unglücklich formuliert, wenn G r a ß m a n n , Scheidung auf Lübeckisch, S. 299, meint, der „Staat“ habe mit der Errichtung von Konsistorien seinen Einfluß über das Eherecht kampflos aufgegeben. 1557 1558
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vom Konsistorium über den Rat an das Reichskammergericht, der in Lübeck mehrfach scheiterte, war in Mecklenburg in zahlreichen Fällen eröffnet und wurde von den Parteien ohne große Diskussionen beschritten. Vom Konsistorium gab es ein Rechtsmittel an das Hofgericht und von dort weiter an das Reichskammergericht. Die Appellation in Konsistorialsachen an die obersten Reichsgerichte war damit ausdrücklich erlaubt1560. In Hamburg dagegen gab es gar kein eigenständiges Konsistorium. Es konnte demnach nur um die Frage gehen, ob gegen Ratsurteile Appellationsmöglichkeiten bestanden, auch wenn sie geistliche Sachverhalte betrafen. Hier entstand eine erstaunliche Unklarheit, ob in allgemein als weltlich angesehenen güterrechtlichen Sachen die Appellation verboten, im geistlichen Kernbereich der Ehe dagegen erlaubt war1561. Das Lübecker Beispiel scheint dagegen für protestantische Territorien typisch zu sein. Die Entscheidungskompetenz nichtterritorialer Gerichte in Konsistorialsachen war mit dem landesherrlichen Kirchenregiment schlechthin nicht vereinbar. Das zeigen auch die folgenden Überlegungen.
f) Unterschiede zwischen protestantischen und katholischen Territorien Aus der Perspektive der Landesherrschaft boten die abweichenden Instanzenzüge in protestantischen und katholischen Territorien möglicherweise ganz verschiedene Anreize, bestimmte Angelegenheiten den jeweiligen Rechtswegen zuzuweisen. Die geistliche Gerichtsbarkeit in katholischen Territorien konnte die weltliche Landesherrschaft latent schwächen, bis hin zur Gefährdung der Reichsunmittelbarkeit in Münster. Dagegen stärkten die Appellationsbeschränkungen in protestantischen Territorien die jurisdiktionelle Eigenständigkeit gegenüber den Reichsgerichten. Die Gefahr von Appellationen an ausländische oder fremde Richter bestand hier im Gegensatz zur Offizialatsgerichtsbarkeit von vornherein nicht. Und eine wie immer geartete Justizaufsicht des Reiches über die Territorien war auf die weltliche Gerichtsbarkeit beschränkt. Ein protestantisches Territorium, das die Konsistorialsachen weit definierte, vergrößerte auf diese Weise also zugleich seine Autonomie gegenüber der Reichsgerichtsbarkeit. In katholischen Territorien gab es dagegen lediglich die Wahl zwischen einer gerichtlichen Anbindung an kirchliche Instanzen oder an die Reichsgerichtsbarkeit. Und hier war die Einzäumung in die schlaffen Zügel der weltlichen Höchstge1560 1561
Dazu unten bei Anm. 1773-1813. Dazu unten bei Anm. 2642-2689.
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richtsbarkeit des Reiches offenbar erheblich weniger einschneidend für die Ausübung der Landesherrschaft als die kurze Leine des Apostolischen Nuntius. Damit bestand für katholische Landesherren im Gegensatz zu evangelischen Obrigkeiten ein handfester Grund, ja geradezu ein Anreiz, im Zweifelsfall den Bereich der weltlichen Justiz gegenüber der geistlichen Jurisdiktion zu stärken. Diese etwas pauschale Zuspitzung verzichtet nicht ohne Grund auf Fußnoten. Um mehr als eine Vermutung handelt es sich nämlich nicht. Deswegen werden die gegenläufigen Interessen bei den folgenden Vergleichen zwischen Jurisdiktionskonflikten in protestantischen und katholischen Territorien erneut auf ihre Stimmigkeit zu prüfen sein. Das Beispiel JülichBerg wird die hier geäußerte Annahme weitgehend bestätigen. Freilich können Unterschiede in den Instanzenzügen auch andere Ursachen gehabt haben, etwa die teilweise erheblichen Abweichungen der territorialen Gerichtsverfassung voneinander. Welche spezifischen Probleme es etwa in Lübeck gab, verdeutlichen die folgenden drei Streitigkeiten, in denen die Parteien um die Befreiung von der ordentlichen Gerichtsbarkeit stritten. Auch daraus konnten reichsgerichtliche Appellationsprozesse entspringen.
2. Befreiungen von der ordentlichen Gerichtsbarkeit In den bisher geschilderten sechs Prozessen ging es um die Appellation in Ehesachen vom Konsistorium über den Rat an das Reichskammergericht. Daneben enthält das Lübecker Archiv drei weitere Akten, die ebenfalls die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen weltlicher und geistlicher Justiz berühren. Die Problemstellungen sind hier verschoben. Ein Fall aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts behandelt die Sondergerichtsbarkeit evangelischer Klöster. Der zweite Prozeß stammt aus den 1620er Jahren und betrifft die persönliche Befreiung von der Konsistorialgerichtsbarkeit. Das dritte Verfahren von 1722 bis 1729 schließlich dreht sich um das in den zuvor untersuchten katholischen Territorien bereits thematisierte Klerikerprivileg, hier in seiner evangelischen Variante.
a) Zur Patrimonialgerichtsbarkeit des Johannisklosters Der Rechtsstreit von 1770 ist im hier interessierenden Zusammenhang lediglich erwähnenswert, weil er die bis zum Ende des Alten Reiches währen-
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de Sondergerichtsbarkeit des evangelischen Jungfrauenklosters St. Johannis in Lübeck belegt. In Lübeck besaßen sowohl das Heilig-Geist-Hospital als auch das Johanniskloster die Patrimonialgerichtsbarkeit in Zivil- und Strafsachen über ihre Eingesessenen, Beamten und Dienstleute1562. Das Johanniskloster bemühte sich vergeblich um Anerkennung seiner Reichsunmittelbarkeit1563, doch waren die beiden ältesten Bürgermeister bis 1803 zugleich Vorsteher des Stifts1564. Die rechtliche Anbindung an die Reichsstadt Lübeck blieb damit erhalten. Daraus folgte der ungewöhnliche Instanzenzug. Erstinstanzlich urteilte ein Vogteigericht, noch ganz altertümlich unter Beteiligung von Hausleuten und Urteilsfindern. Zweitinstanzlich ging die Appellation, im 18. Jahrhundert auch Provokation genannt1565, an den Klostervorsteher, also an einen der Lübecker Bürgermeister. Von diesem aus konnte man an den Lübecker Rat appellieren. Im Gegensatz zu denjenigen Streitsachen, die zunächst am Konsistorium begonnen hatten, gab es die Möglichkeit, die aus dem Johanniskloster stammenden Sachen durch eine dritte Appellation viertinstanzlich am Reichskammergericht anhängig zu machen. Das war konsequent, denn die Eigengerichtsbarkeit des Klosters schloß ja gerade auch weltliche Angelegenheiten ein. Der einzige Fall, der alle vier Instanzen durchlief, betraf in den 1770er Jahren die Ungleichbehandlung von Söhnen und Töchtern bei lebzeitigen Grundstücksgeschäften und bei Verfügungen von Todes wegen1566. Eine letztinstanzliche Entscheidung erging nicht, weil die Parteien einen außergerichtlichen Vergleich schlossen1567. Soweit hier von Belang, zeigt der Rechtsstreit keine Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen geistlicher und weltlicher Justiz. Wenn kirchliche Institutionen also weltliche Patrimonialgerichtsbarkeit ausübten, erweiterte dies zwar die bunte Fülle frühneuzeitlicher Gerichte, schwächte aber nicht die weltliche Justiz als solche. Die Appellationsbeschränkungen in städtischen Konsistorialsachen waren für die Reichweite von Rechtsmitteln viel gravierender als die Sondergerichtsbarkeit weitgehend eximierter Klöster und Stifte. Das bestätigt die in der Einleitung getroffene Entscheidung, Patrimonialsachen aus der Untersuchung auszuD i t t m e r , Geschichte, S. 139-163; F u n k , Die Lübischen Gerichte, S. 89; A h r e n s , Von der Franzosenzeit, S. 554; P r a n g e , Analecta, S. 310-312. 1563 Dazu unter anderem der Rechtsstreit AHL RKG J 6, nachgewiesen bei S t e i n S t e g e m a n n , Findbuch Lübeck, S. 310. 1564 G r a ß m a n n , Beständeübersicht, S. 209-210; H au s c h i l d , Kirchengeschichte, S. 227. 1565 AHL RKG J 8, Aktenstück Q 24, S. 18. 1566 AHL RKG J 8, Aktenstück Q 24, S. 16 § 6. 1567 AHL RKG J 8, Protokollbuch, Titelblatt; wohl aus diesem Grunde wurden die unquadrangulierten Acta priora vom 28. August 1772 vom Reichskammergericht gar nicht mehr geöffnet. Erst 1964 fand mit zweihundertjähriger Verspätung die Exrotulation im Archiv statt. 1562
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klammern und auch Fragen der örtlichen Zuständigkeit nicht zu vertiefen. Konnte also ein Kloster oder eine andere geistliche Einrichtung innerhalb des eigenen persönlichen und räumlichen Herrschaftsbereichs ein gewisses Maß von iurisdictio ausüben, war das unabhängig von der Frage, wo die Trennlinie zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt verlief. Die Zeitgenossen konnten beides auseinanderhalten.
b) Zur Exemtion eines Hamburger Domherren Ein erheblich älterer Lübecker Prozeß von 1622/23 betraf die persönliche Befreiung von der städtischen Konsistorialgerichtsbarkeit1568. Der Appellant war Domherr zu Hamburg, und der Streit nahm wegen der Erfüllung eines Eheversprechens seinen Ausgang vom Lübecker Konsistorium. Der spätere Appellant behauptete, er sei der Jurisdiktion des Konsistoriums „nit unterseßen“, sondern davon „exempt“1569. Durch öffentlichen Aushang an der Kirchentür habe man ihn dennoch nach Lübeck zwingen wollen1570, und genau in diesem Sinne habe das Lübecker Konsistorium durch Subsidialschreiben das Hamburger Domkapitel um Mitwirkung gebeten. Sowohl der Bischof als auch das Hamburger Domkapitel hätten dem Appellanten aber das Erscheinen vor dem Lübecker Gericht verboten. Daraufhin habe das Lübecker Konsistorium trotzdem „ungeachtett“ und zu „seinem und seines Collegij großem despect“ in Abwesenheit verhandelt und ihn sogar verurteilt1571. Gegen ein solches Versäumnisurteil in Ehesachen appellierte Hermann Pincier, der Hamburger Domherr1572, unmittelbar an das Reichskammergericht. Es handelt sich im gesamten Bestand um den einzigen Fall, in dem eine Sprungappellation vom Lübecker Konsistorium direkt an das Kammergericht ging. Der Appellant sprach zwar von den „gravamina manifestissimae nullitatis“, die er in Speyer vortrage1573, doch handelte es sich Nachgewiesen bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Lübeck, S. 494. AHL RKG P 20, Acta Consistorialia, aus der Narration der Ladung vom 26. April 1623, nicht paginiert. 1570 Zur Ediktalzitation S e l l e r t , Ediktalzitation, Sp. 1186-1187; Anschlag von Suchmeldungen in verschiedenen Städten im Lübecker Konsistorialprozeß bei G r aß m a n n , Scheidung auf Lübeckisch, S. 299. 1571 AHL RKG P 20, Acta Consistorialia, aus der Narration der Ladung vom 26. April 1623, nicht paginiert. 1572 Die Familie Pincier stellte nicht nur in Hamburg, sondern auch in Lübeck mehrere Domherren. Ein Hermann Pincier ist nachgewiesen bei P r an g e , Verzeichnis, S. 61 Nr. 212. Ob es sich um dieselbe Person handelt, ist unklar. 1573 AHL RKG P 20, „Acta Consistorialia“, aus der Narration der Ladung vom 26. April 1623, nicht paginiert. 1568 1569
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im weiteren Verfahren zweifelsfrei um eine Appellation und nicht um eine Nichtigkeitsbeschwerde. Das Reichskammergericht erließ antragsgemäß die Zitation und den Kompulsorialbrief zur Aktenherausgabe1574. Leider ist die Kameralakte bis auf die vorinstanzlichen Acta Consistorialia verloren gegangen. So gibt es lediglich einen Halbsatz, der von der appellantischen Narration zur Zitationsformel überleitet und einen gewissen, wenn auch begrenzten Hinweis auf die rechtliche Würdigung des Reichskammergerichts erlaubt. Die Speyerer Assessoren hielten darin die Appellation nach klägerischer Darstellung „in qualitate & quantitate den Rechten des Heil[igen] Reichs Ordnung und gemeiner Clerißey Competirenden immuniteten [für] gemeß“1575. Der letzte Hinweis auf die Immunität der Kleriker fehlt in gewöhnlichen Appellationsverfahren. Wie die Formel damit zugleich belegt, griff das grundsätzliche Appellationsverbot in Ehesachen in dieser Konsistorialangelegenheit nicht ein, obwohl der Lübecker Rechtsstreit sich materiell um die Erfüllung eines Eheversprechens drehte. Ein Fehlurteil in Ehesachen konnte man damit nicht im Appellationswege vor die Reichsjustiz bringen, wohl aber, jedenfalls auf den ersten Blick, den Verstoß gegen Gerichtsstandsbefreiungen. Erstaunlich ist auch die weitere Äußerung des Reichskammergerichts, die freilich die übliche floskelhafte Zulässigkeitsvoraussetzung jeder Ladung zum Appellationsprozeß wiederholte. Es sei nämlich das vorinstanzliche Territorialgericht „ohne mittell dem Heil[igen] Reich underworffen, also iurisdictio ohntzweifentlich fundirt und gegründet“1576. Ebenfalls nach dem ersten Eindruck könnte man jetzt mutmaßen, allein durch den Erlaß von Zitation und Kompulsorialbrief habe das Reichskammergericht die Reichsunmittelbarkeit des Lübecker Konsistorialgerichts anerkannt. Genau das wäre aber voreilig. Solche Schlußfolgerungen sind tückisch. Die Appellation an die Reichsgerichte bei Verstößen gegen Klerikerimmunitäten war zeitgenössisch ebenso umstritten wie die unmittelbare Unterworfenheit von Konsistorien unter die Reichsjustiz ohne zwischengeschaltete territoriale Obergerichte. Beides betraf äußerst zweifelhafte Rechtsprobleme. Es ist deswegen ausdrücklich vor Schnellschüssen zu warnen. Allein die Eröffnung eines Appellationsprozesses trägt derart weitreichende Vermutungen oftmals nicht. Im Gegensatz zum Mandatsprozeß, bei dem tatsächlich der Erlaß der einstweiligen Anordnung auf einer summarischen Schlüssigkeitsprüfung des
Zu den Kompulsorialen im Appellationsprozeß W e t z e l l , System, S. 733; D i c k , Entwicklung, S. 202; Beispiele für Kompulsorialformeln bei O e s t m an n , Zivilprozeß, S. 53, 148-150. 1575 AHL RKG P 20, „Acta Consistorialia“, Ladung vom 26. April 1623, nicht paginiert. 1576 AHL RKG P 20, „Acta Consistorialia“, Ladung vom 26. April 1623, nicht paginiert. 1574
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klägerischen Vortrags beruhte1577, waren die Hürden zum Erlaß einer Ladung erheblich niedriger. Die moderne Literatur hat das kaum klar auf den Punkt gebracht. Wenn etwa Bettina Dick darauf hinweist, über die Zulässigkeit der Appellation habe das Reichskammergericht durch Interlokut entschieden1578, trifft diese Beobachtung durchaus zu. Dennoch fehlt der entscheidende Fingerzeig. Ein Interlokut, also ein Zwischenurteil, erging nämlich nur im Judizialverfahren und setzte den vorhergehenden Erlaß der Ladung voraus. Jessen hat für das Oberappellationsgericht Celle betont, nur bei zulässigen Klagen habe das Gericht den Appellationsprozeß eröffnet1579. Freilich reduziert er dies an anderer Stelle auf die bloße Einhaltung von Form und Frist1580. Für die Kurpfalz geht Kern ganz ähnlich davon aus, bei Ladungen zum Appellationsprozeß habe der Richter lediglich geprüft, ob der Appellant die Einhaltung der Appellationssumme behauptete1581. Eine normengeschichtliche Klärung ist hier nicht möglich, aber auch nicht erforderlich. Es genügt bereits der Hinweis auf appellationsabweisende Prozeßurteile, gerade auch bei der Appellation vom Lübecker Konsistorium an das Reichskammergericht1582. Wenn aber das Gericht eine Appellation erst nach längerem Verfahren als unzulässig abwies, hatte es zunächst doch trotz der unzulässigen Appellation den Judizialprozess eröffnet und die Ladungen erlassen. Die Hürden zur Einleitung eines Appellationsprozesses lagen also niedrig. Der Prüfungsmaßstab des Gerichts am Beginn des Verfahrens war ersichtlich grob und oberflächlich. Für die Frage nach der Reichweite der kammergerichtlichen Ladung von 1623 ist also Behutsamkeit angebracht. Da es weder Stellungnahmen der Appellaten noch des Konsistorialgerichts gibt, lassen sich aus der bloßen Existenz des Ladungsbriefes keine weitreichenden Schlüsse für den direkten Appellationsweg vom Konsistorium zum Reichskammergericht sowie für die angebliche Befreiung ortsfremder Kleriker von der Konsistorialgerichtsbarkeit ziehen.
O e s t m a n n , Rekonstruktion, S. 38-41; für den Reichshofrat U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 107-113. 1578 D i c k , Entwicklung, S. 207. 1579 J e s s e n , Einfluß, S. 176. 1580 J e s s e n , Einfluß, S. 175. 1581 Ke r n , Gerichtsordnungen, S. 222. 1582 AHL RKG C 6, Protokollbuch, Expeditum vom 1. April 1595; allgemein zu Prozeßurteilen O e s t m a n n , Rekonstruktion, S. 42-44. 1577
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c) Das privilegium fori evangelischer Domvikare Erheblich aussagekräftiger für die persönliche Befreiung von der Konsistorialgerichtsbarkeit ist ein einhundert Jahre jüngerer Streit aus den 1720er Jahren. Hier stritten die Parteien intensiv um das privilegium fori, um das Klerikerprivileg für einen evangelischen Domvikar in Lübeck. An dieser Stelle ist ein Hinweis zur Quellenlage angebracht. Im Bestand der Lübecker Reichskammergerichtsprozesse befinden sich insgesamt 17 Verfahren, in denen städtische Geistliche als Kläger auftraten1583. In all diesen Fällen gab es keinen Streit um gerichtliche Zuständigkeiten. Beim Lübecker Dom war das anders. Er spielte eine Sonderrolle in der Stadt, wie sich beim Blick auf die Akten sofort zeigt. Es ging um die Appellation gegen ein Interlokut des Lübecker Obergerichts vom 13. Juni 1721. Handelte es sich im vorigen Fall um einen Hamburger Domangehörigen, der die Unterwerfung unter das Lübecker Konsistorium verweigerte, war es jetzt der Lübecker Domvikar Johann Georg von Lorentzen, der die Gerichtsgewalt des Lübecker Rates über seine Person nicht anerkennen wollte1584. Ausgangspunkt des Streits war der Verkauf eines Brauhauses in der Fleischhauerstraße, über das der spätere Appellant als Vermögensverwalter des verstorbenen Brauers verfügt hatte. Bei den rechtlichen Auseinandersetzungen stellte sich nun die Frage, ob der Domvikar in Person vor dem städtischen Gericht überhaupt verklagt werden konnte. Oder war die Klage abstrakt gegen die Vermögensmasse, vertreten durch den Domvikar, zu erheben? Das sah nach einem bloßen Rubrizierungsproblem aus, doch die Parteifähigkeit enthielt Sprengstoff in prinzipieller Hinsicht. Der Appellant sah nämlich im ersten Fall sein Klerikerprivileg bedroht, hielt die zweite Variante aber für unproblematisch. Die Appellation entzündete sich an der durch Interlokut ausgesprochenen Weigerung des Lübecker Rates, das Rubrum des obergerichtlichen Zivilprozesses entsprechend den Wünschen des Domvikars zu ändern1585. Entscheidend für die hier verfolgte Fragestellung ist die jeweilige Argumentation der Parteien. Hinzu tritt glücklicherweise eine offizielle Stellungnahme des Lü-
F r e i t a g / J ö r n , Lübeck, S. 190. Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Lübeck, S. 386. Bei P r a n g e , Verzeichnis, S. 102, ist Lorentzen nicht genannt, stieg also wohl nicht zum Domherrn auf. 1585 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 6, Prozeßgeschichte vor Gravamen 1. – Rubrum, eigentlich „das Rote“: Im mittelalterlichen gelehrten Recht war es üblich, die Parteien und den Streitgegenstand mit roter Farbe hervorzuheben. Der Begriff für den Kopfteil eines Urteils hat sich bis heute gehalten, ganz knapp L ü c k , Farbensymbolik, Sp. 1510. 1583 1584
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becker Rats zum Umfang des Klerikerprivilegs in der Hansestadt, die in der Akte ebenfalls enthalten ist. Der appellantische Domvikar stellte den rechtlichen Grundsatz voran. Er sei vom weltlichen Gerichtszwang befreit und stehe „sub Jurisdictione Capituli als ein Clericus“. Gegen die Vorladung vor das Ratsgericht erhob er deswegen die „Exceptionem Fori incompetentis“1586. Das Domkapitel unterstützte ihn in diesem Prinzipienstreit. In den Gravamina trat der offenbar rechtsgelehrte Domvikar Lorentzen als sein eigener Advokat auf1587. Im Anschluß an das gemeine Recht betonte er, das Urteil eines unzuständigen Richters sei „ipso iure nulla“1588. Die Unzuständigkeit des städtischen Obergerichts war für ihn „notoriè“, weil „dem Magistratui laico in Clericos keine Jurisdictio zustehet“. Anknüpfungspunkt hierfür war das kanonische Recht1589. Doch fügte der Appellant sogleich hinzu, dieses sei „post tempora Reformationis gar nicht aufgehoben, da die Stifter ihre Jurisdictionem in Clericos suos separatam à Jurisdictione Senatus loci ieder Zeit behalten“1590. Es ging also um die Kontinuität zwischen vorreformatorischer und nachreformatorischer Gerichtsverfassung und damit um einen überkonfessionellen Rechtsgrundsatz. Das kanonische Klerikerprivileg sollte unverändert fortgelten. In der Tat hatte die Stadt Lübeck durch einen Vertrag mit den Vikaren der vier Kirchspielkirchen von 1531 sowie in einem weiteren Vertrag von 1538 mit dem Domkapitel die eigenständige Gerichtsgewalt der Kirche über die Geistlichkeit zunächst anerkannt, wenn auch gegenüber dem Domkapitel zunächst nur mündlich1591. Die fortbestehende eigene Gerichtsbarkeit geistlicher Institutionen auch nach der Reformation war für den Appellanten Lorentzen offenbar dennoch erläuterungsbedürftig. Deswegen stützte er sich auf den Augsburger Religionsfrieden sowie auf den Westfälischen Frieden. Die Anknüpfung an den Religionsfrieden von 1555 bezog sich auf dessen § 20. Die Bestimmung suspendierte die geistliche Gerichtsbarkeit gegenüber den ausgsburgischen Religionsverwandten. Aber es gab eine EinAHL RKG L 23, Aktenstück Q 6, Prozeßgeschichte vor Gravamen 1. So die Rubrizierung in der Zitation: AHL RKG L 23, Aktenstück Q 3; zu den Lübecker Domvikaren P r a n g e , Analecta, S. 260-261. 1588 AHL RLG L 23, Aktenstück Q 6, Gravamen 1, mit Hinweis auf D. 2, 2, 1, 2 (Ulpian: „et ideo si inter eos quis dixerit ius, inter quos iurisdictionem non habuit, quoniam pro nullo hoc habetur nec est ulla sententia, cessare edictum putamus“); D. 2, 1, 20 (Paulus: „Extra territorium ius dicenti impune non paretur. idem est, et si supra iurisdictionem suam velit ius dicere“). 1589 Der Appellant zitierte aus den Dekretalen X. 2, 2, 2 („Iudex saecularis, si clericum per se distringit vel condemnat, excommunicari debet“, mit einem Beschluß des Konzils von Paris von 615). 1590 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 6, Gravamen 1; zur Gerichtsbarkeit über Domangehörige am Vorabend der Reformation P o s t e l , Kirche und Stadt, S. 168. 1591 P r a n g e , Katholisches Domkapitel, S. 139, 157. 1586 1587
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schränkung. Sie lautete: „doch den geistlichen Churfürsten, Fürsten und Ständen, Collegien, Klöstern und Ordensleuten an ihren Renthen, Gült, Zins und Zehenden, weltlichen Lehenschafften, auch andern Rechten und Gerechtigkeiten, wie obstehet, unvergriffen“1592. Die Erwähnung der Landesherren im Religionsfrieden legt die Vermutung nahe, die Vorschrift habe sich auf fortbestehende Rechte katholischer Herrschaftsträger innerhalb protestantischer Territorien bezogen und die Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb des Protestantismus gar nicht berührt. Der Lübecker Appellant meinte zu den im Religionsfrieden genannten „Gerechtigkeiten“ aber lakonisch, „quod pertinet Jurisdictio Ecclesiastica“1593. Hierbei ist eine Beobachtung Wolfgang Pranges hilfreich. Das Lübecker Domkapitel war nämlich tatsächlich nicht rein evangelisch. Vielmehr waren aufgrund eines Konfessionsvergleichs von 1668 bis 1804 jeweils vier von 33 Präbenden mit Katholiken besetzt1594. Auch wenn der Augsburger Religionsfrieden mit der angesprochenen Regelung in erster Linie altgläubigen Einrichtungen Bestandsschutz gewährte, konnten sich offensichtlich auch gemischtkonfessionelle oder rein evangelische Einrichtungen darauf berufen. Sie sahen ihre eigene geistliche Gerichtsgewalt reichsrechtlich garantiert und wandten sich mit diesem Hinweis gegen alle Versuche protestantischer Obrigkeiten, sie unter die weltliche Justiz zu zwingen. Der Hinweis auf Artikel 5 § 1 des Osnabrücker Friedens von 1648, den der Domvikar Johann Georg von Lorentzen hinzufügte, hatte dagegen keinen eigenen sachlichen Gehalt. Diese Bestimmung erhob lediglich den Augsburger Religionsfrieden zum fortgeltenden Reichsgesetz1595. Neben den beiden reichsrechtlichen Quellen führte der Appellant auch das Partikularrecht an, um die Geltung des Klerikerprivilegs in Lübeck zu untermauern. Er verwies auf einen Vertrag zwischen dem Domkapitel und der Stadt Lübeck, der 1595 verschiedene Fragen der Gerichtsbarkeit geklärt hatte1596. Ähnliche Verträge gibt es aus vielen Städten, unter anderem auch aus Hamburg. In Hamburg waren es der Bremer Vergleich von 1561 und der Stader Rezeß von 1692. Sie sollten die rechtlichen Beziehungen vom Domkapitel zur Stadt regeln, doch ihre Auslegung war oftmals streitig und bot vielfachen Anlaß für gerichtliche Auseinandersetzungen1597. In Lübeck ARF 1555 § 20, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich I, S. 226. AHL RKG L 23, Aktenstück Q 6, Gravamen 1. 1594 P r a n g e , Wandel des Bekenntnisses, S. 116; d e r s . , Verzeichnis, S. 48-49; zum späten Übergang zum Luthertum auch H au s c h i l d , Kirchengeschichte, S. 226-227. 1595 IPO Art. 5 § 1, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 34-35. 1596 Vertrag vom 25. Juli 1595; erwähnt auch bei P r a n g e , Katholisches Domkapitel, S. 160. 1597 Umfassend dazu im Abschnitt über Hamburg, unten bei Anm. 2434-2442, 2474, 25012505, 2583-2585. 1592 1593
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war es kaum anders. Der Lübecker Vertrag war ein Vergleich, der allerdings mehrere streitige Punkte offen ließ. So bestand zwischen dem Domkapitel und dem Rat keine Einigkeit darüber, ob es in Lübeck eine einheitliche oder getrennte „Jurisdiction in Criminalibus oder Malefez Sachen über die Clerisey und Freyheiten der Höeffe“ geben sollte1598. In der Tat führten die Stadt Lübeck und das Domkapitel im 18. Jahrhundert sogar einen Rechtsstreit um die Zuständigkeit für die Kriminalgerichtsbarkeit, offenbar vor dem kaiserlichen Reichshofrat in Wien1599. Allerdings hielten beide Seiten bereits 1595 fest, der langdauernde Streit um die Strafsachen solle „in andere Wege“ für „des Capituls hergebrachte Jurisdiction in Causis Civilibus unnachtheilig seyn“1600. Die eigene Zivilgerichtsbarkeit des Domkapitels über die zugehörigen Gebäude und Personen war im Grundsatz damit unstreitig. Und den Vertrag von 1595, da war sich der Appellant sicher, hatten alle Beteiligten „denn auch in beständiger Observantz bißhero gehalten“1601. Der Hinweis auf den Vertrag, die tatsächliche Handhabung und die Observanz erscheinen wie eine Selbstverständlichkeit für die Zeit des sprichwörtlichen usualen Rechtsdenkens. Doch genau solche scheinbaren Floskeln verdeckten einen geschickten Schachzug des Domvikars. Durch das kleine Wörtchen „dergestalt“ gelang es ihm nämlich im unmittelbaren Anschluß, genau die zwischen den Parteien streitige Fallkonstellation als Teil der überkommenen Observanz darzustellen. Er meinte nämlich, zu „jeder Zeit vorhin und noch ietzo“ umfasse die Gerichtsbarkeit des Domkapitels auch solche Personen, die als „Vicarii in Häußern der Stadt Jurisdiction wohnen“. Ja es sei kein einziger Fall bekannt, in dem „Jemals ein solcher in Causis Civilibus coram Senatu dießer Stadt wäre belanget worden, besondern solches ist allemahl coram Ven[erabili] Capitulo beschehen“. Und genau deswegen besaß nach Lorentzens Meinung das Domkapitel die Gerichtsgewalt über seinen Fall und seine Person. Für ihn war das nichts anderes als völlig selbstverständlich – „per iura notoria“1602. Im Hinblick auf den Vertrag zwischen Stadt und Domkapitel war im übrigen unklar, ob die dort angesprochenen Höfe tatsächlich solche innerhalb der städtischen Herrschaft sein konnten. Vielleicht schlossen sich ein Wohnsitz unter der Botmäßigkeit des Rates und die Mitgliedschaft im Domkapitel sogar gegenseitig aus. Das war jedenfalls streitig. Doch zeigt das Beispiel wie viele andere die Taschenspielereien gelehrter Schriftsatzverfasser. Die Behauptung notorischer Observanz scheint oftmals AHL RKG L 23, Aktenstück Q 7, Nr. 3. Etwas unklare Hinweise auf eine Schleswiger Parallelüberlieferung bei P r a n g e , Katholisches Domkapitel, S. 137 Anm. 37, S. 147 Anm. 66. 1600 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 7, Nr. 3. 1601 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 6, Gravamen 1. 1602 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 6, Gravamen 1. 1598 1599
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ein Trick gewesen zu sein, Streitiges als unstreitig darzustellen und gleichzeitig die Beweisbedürftigkeit zu umgehen1603. In seinem zweiten Gravamen wies der Domvikar Lorentzen auf den weithin zwingenden Charakter des privilegium fori hin. Ohne Zustimmung ihrer Oberen konnten die Geistlichen ihren Gerichtsstand „nicht einmahl prorogiren“. Die Behauptung der nicht-dispositiven Natur des persönlichen Klerikerprivilegs, schulmäßig unterfüttert mit dem einschlägigen Dekretalentitel1604, war dasselbe Argument, das in den oben geschilderten Prozessen aus den Fürstbistümern Osnabrück und Hildesheim auch die Angehörigen katholischer Stifte im Streit mit der weltlichen Landesherrschaft benutzten1605. Wenn der Lübecker Appellant die von der Reformation unbeeinträchtigte Wirksamkeit des geistlichen privilegium fori betonte, so entspricht seine Argumentation genau dieser Prämisse. Zwischen katholischen und evangelischen Klerikern bestand insoweit kein Unterschied. Rechtshistorisch ist die Überlieferungslage ein Glücksfall. Zu den vom Appellanten vorgetragenen Behauptungen und Rechtsfragen liegt nämlich nicht nur die Exzeptionsschrift des Lübecker Holzkaufmanns Hinrich Stegelmann1606 vor, sondern auch ein auf Anforderung des Reichskammergerichts vom Lübecker Rat angefertigter Bericht. Es bietet sich an, zunächst die Rechtsauffassung des Appellaten darzustellen und dann die Sichtweise des Rates einzubeziehen. Der Holzhändler bezeichnete die Appellation bereits in der Überschrift seines Schriftsatzes als „frivolè“ eingelegt. Erhebliches Gewicht besaß in seiner Argumentation das revidierte Lübecker Stadtrecht von 1586, das der Appellant gar nicht weiter beachtet hatte. Tatsächlicher Anknüpfungspunkt für die ganz verschiedene Beurteilung des Falles war der Wohnsitz des Appellanten. Er lebte in einem ihm gehörenden, aber „der Stadt Lübeck Bottmäßigkeit unterworffenen Hauße“. Deswegen ergab sich für den Schriftsatzverfasser des Appellaten „von selbsten (...), daß Amplissimus Senatus Lübecensis allerdings, ratione des Appellantis von Lorentzen Judex competens seye, und Er sich vor
Zum Verzicht auf das Beweiserfordernis im Falle der Notorietät S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 321; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 32, 36-37; zeitgenössisch Z e d l e r , Universal-Lexicon, Bd. 10, Sp. 1400. 1604 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 6, Gravamen 2; mit Verweis auf X. 2, 2, 18 („Quanquam laici possunt iurisdictionem non sui iudicis prorogare, clerici tamen non possunt, nisi episcopi dioecesani consensus accedat, et iudex, cuius iurisdictionem prorogare volunt, sit ecclesiasticus“ mit Dekretale Gregors IX. von 1227/34). 1605 StA Osnabrück Rep. 900 Nr. 723, Aktenstück Q 10, fol. 49v-50r; HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, fol. 1v (Prorogation unzulässig, da das Klerikerprivileg „de jure Divino“ herrühre). 1606 Zu ihm und seiner Familie D al l m a n n , Familie Stegelmann, S. 101. 1603
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die dasige StadtGerichte sistiren und cognosciren laßen“ mußte1607. Die Gerichtszuständigkeit knüpfte nach dieser Darstellung also an den Wohnsitz und nicht an den geistlichen Status des Appellanten an. Von hier aus entfaltete die Exzeptionsschrift das Verhältnis von Wohnsitz, Bürgerrecht und Gerichtsgewalt nach lübischem Recht. In dem Schriftsatz ging es sowohl um die Verpflichtung, das Bürgerrecht anzunehmen, als auch um rechtliche Beschränkungen für das Domkapitel, seine Herrschaftsansprüche in die Stadt Lübeck hinein auszudehnen. Das revidierte Lübecker Stadtrecht von 1586 besagte: „Welcher Mann mit seinem Weib und Kindern in die Stadt kompt/ oder sich allda befreyet/ so wol auch ein ledig Geselle/ oder andere Person/ wes Standes die sein möge/ so Rauch und Fewer halten wil/ der oder die mögen wol drey Monat darinnen wohnen/ nach der Zeit/ wöllen sie lenger bleiben/ so sollen sie die Bürgerschafft gewinnen/ Doch stehet es bey dem Rahte/ ob sie ihnen die Bürgerschafft günnen wöllen oder nicht.“1608 Dem Wortlaut nach mochte man diese Regelung auf zugezogene Fremde beziehen, die nicht dauerhaft in Lübeck wohnen sollten, ohne das Bürgerrecht zu beantragen. Der Schriftsatzverfasser des Appellaten verschob freilich die Zielrichtung der Vorschrift. Das Stadtrecht sollte in diesem Artikel keineswegs auf Zuwanderer beschränkt sein, sondern jedermann erfassen. Und daher habe das „Statutum Lübecense keinem Menschen in denen Häusern ihrer Bothmäßigkeit unterworffen, zu wohnen, verstattet“, es sei denn, sie erwürben das Bürgerrecht1609. Diese Sichtweise untermauerte der Verfasser mit einem Hinweis auf den bekannten Stadtrechtskommentar von David Mevius1610. Entscheidend für die Argumentation war sodann der Umkehrschluß. Der Appellant, so lautete jedenfalls die Folgerung, sei bereits Bürger der Stadt Lübeck, „weil, wann Er nicht als ein Bürger der Stadt Lübeck consideriret werden will, derselbe ohnmöglich sein eigen unter der Stadt Bothmäßigkeit belegenes Hauß besitzen, und darinnen mit den seinigen wohnen könne“1611. Deswegen sei der Domvikar ipso iure als Lübecker Bürger anzusehen1612. Im Hinblick auf die üblichen zeitgenössischen Gepflogenheiten, den Bürgerstatus zu erwerben, war die Argumentation der Exzeptionsschrift geradezu kurios. Bürgereid, Zeugengestellung und Bürgergeld, die regelmäAHL RKG L 23, Aktenstück Q 20, fol. 4v; zu den Wohnsitzen der Lübecker Domkapitularen im frühen 16. Jahrhundert P o s t e l , Kirche und Stadt, S. 168. 1608 Revidiertes lübisches Recht 1, 2, 2. 1609 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 20, fol. 4v-5r. 1610 Zitiert wird M e v i u s , Commentarii, lib. 1 tit. 2 art. 2 n. 3: „Lubecensi Jura arctior terminus advenis praescriptum est, trimestre nempe spacium, post quod in urbibus habitaturi jus civitatis petere debent, eoque ipso domicilium contractum censetur.“ 1611 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 20, fol. 6r. 1612 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 20, fol. 8r. 1607
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ßigen Voraussetzungen für das Bürgerrecht1613, spielten hier keine Rolle. Die gewagte Schlußfolgerung war überdies rechtlich kaum notwendig, denn die Gerichtsgewalt des Rates erstreckte sich ja nicht bloß auf Bürger, sondern auch auf andere Einwohner ohne Bürgerrecht. Möglicherweise hatte der Schriftsatzverfasser Bedenken, in welchem Verhältnis das stadtrechtliche Territorialitätsprinzip zu dem am Personalitätsprinzip anknüpfenden Klerikerprivileg stand. Wenn der Anwalt des Holzhändlers den Domvikar aber kurzerhand zum Lübecker Bürger abstempelte, widersprachen sich personale und territoriale Rechtsgeltung überhaupt nicht mehr. Die Unterwerfung des Appellanten unter die iurisdictio des reichsstädtischen Rates ließ sich auf diese Weise sogar doppelt begründen. Mit dieser Argumentation verband sich durchaus ein gewisser bürgerlicher Widerstand gegen die Ausdehnung des Domkapitels in den städtischen Herrschaftsbereich hinein; das gab der Schriftsatzverfasser unumwunden zu. Geradezu genüßlich verwies er nämlich auf einen weiteren Stadtrechtsartikel, der den geistlichen Lübecker Einrichtungen enge Begrenzungen auferlegte: „Der Stifft und Klöster/ auch andere Personen/ welche unsere Bürger nicht sein/ sollen nicht mehr Wohnung in der Stadt Lübeck bawen/ dann itzo stehen/ ihre reume auch/ die sie nun haben/ nicht erweitern noch grösser machen/ sondern lassen wie sie sein/ sollen auch ihre Häuser/ Höfe und Wohnungen nicht von der stette dar sie itzo liegen/ auff andere vorendern/oder mit andern vorbeuten/ dann solches keinem/ wer der auch sey/ in keinerley weise vorstattet oder vorhenget werden sol.“1614 Will man aus moderner Perspektive nicht in die zeitgenössische Falle der strikten Interpretation1615 tappen, darf man dem Schriftsatzverfasser kaum vorwerfen, er habe den Artikel unzulässig ausgedehnt. Jedenfalls war für ihn ein Domvikar, der ein bereits erbautes städtisches Haus kaufte und darin lebte, von der Verbotsvorschrift des Stadtrechts mit erfaßt. Das Domkapitel hielt in einer Stellungnahme praktische Schwierigkeiten dagegen, „maßen nicht alle Clerici können in Häusern des Capittels botmäßigkeit unterworfen, wohnen, weilen der Häuser theilß nicht viel, theilß geringe sind, dennoch selbige niemahls coram Senatu sind belanget worden“1616. Während die Appellaten also streng normativ auf der
B a d e r / D i l c h e r , Deutsche Rechtsgeschichte, S. 447-456, 721-731; speziell zu Lübeck in der Frühen Neuzeit G r a ß m an n , Lübeck im 17. Jahrhundert, S. 453-454; Hinweis auf zeitgenössische Literatur zum lübischen Bürgereid bei E b e l , Jurisprudencia Lubecensis, S. 65 Nr. 0787-0788. 1614 Revidiertes lübisches Recht 1, 2, 6; zitiert in AHL RKG L 23, Aktenstück Q 20, fol. 7r. 1615 Zur strikten Interpretation: C o i n g , Zur romanistischen Auslegung, S. 264-277; L a n g e , Ius Commune, S. 646-651; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 7; S c h r ö d e r , Recht als Wissenschaft, S. 67-68, 157. 1616 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 7, Art. 5. 1613
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Grundlage des Stadtrechts argumentierten, stellten der Appellant und sein Domkapitel die tatsächliche Praxis gegenüber. Der Appellat fügte noch ein weiteres Argument hinzu, das die Abgrenzungsschwierigkeit zwischen geistlicher und weltlicher Justiz umging. Hierfür verwies er auf die „moribus Germaniae“. „Kündigen Rechtens“ nach war angeblich bei Streitigkeiten um Sachen, wohl vor allem um Grundstücke, der Gerichtsstand „in loco rei sitae“ begründet1617. Der Beklagte habe insoweit nicht die Möglichkeit, das vom Kläger gewählte Gericht abzulehnen. Hier konnte die Exzeptionsschrift wieder überregional vorgehen und verwies nicht nur auf David Mevius1618, sondern zusätzlich auf Benedikt Carpzov1619 und den belgischen Rechtsgelehrten Pierre Peck aus dem 16. Jahrhundert1620. Auch aus diesem Grund spielte das angebliche Klerikerprivileg des Domvikars keine Rolle.
d) Die Haltung der Stadt Lübeck zum Klerikerprivileg Der Rat der Stadt Lübeck verfaßte im Streit zwischen Domvikar und Holzhändler einen ausführlichen Bericht für das Reichskammergericht. Er enthält keinen Präsentationsvermerk, dürfte aber von 1723 stammen1621. Darin beschäftigte sich der Senat vor allem mit der Reichweite des Klerikerprivilegs in der evangelischen Reichsstadt. Der Rat kombinierte dabei Personal- und Territorialitätsprinzip und schränkte damit die ausnahmslose Geltung des privilegium fori für Geistliche stark ein. Jedenfalls dann, wenn die Kleriker in einem „unter Unser und dieser guten Stadt jurisdiction unstreitig belegenem Hause wohnhafftig“ waren, griff für den Rat eine Differenzierung ein. Zumindest in „allen andern deßelben beneficium Clericali nicht concernirenden Sachen“ konnte sich der entsprechende Domangehörige nicht auf sein Klerikerprivileg berufen1622. Wenn es aber auf den inhaltlichen Bezug des Streitgegenstandes zu dem jeweiligen „beneficium“ des Vikariats oder anderer kirchlicher Pfründen und Funktionen ankam, galt für die Abgrenzung der Gerichtsstände im Ergebnis eine sachliche und nicht persönliche Zuständigkeitszuweisung. AHL RKG L 23, Aktenstück Q 20, fol. 10r. M e v i u s , Decisiones, p. 2 dec. 239, S. 370-371; ebd., p. 7 dec. 329, S. 533. 1619 C a r p z o v , Responsa, lib. 2 resp. 31, S. 250-251. 1620 P e c k , De jure sistendi, cap. 34 n. 1, S. 136-137: „Appellare ab arrestatione an liceat“; zu Peck B r a n t s , Peck, Sp. 784-792; T a i s a n d , Les vies des jurisconsultes, S. 421-422. 1621 Die Datierung ergibt sich aus den Präsentationsvermerken der benachbarten Schriftsätze in der Akte. 1622 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 15, nicht paginiert. 1617 1618
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Eine klare, verallgemeinerbare Sichtweise liefert der Bericht des Lübekker Rates nicht. Ersichtlich ging es nicht um die Grenzziehung zwischen Konsistorial- und Ratsgerichtsbarkeit, sondern lediglich zwischen Eigengerichtsbarkeit des Domkapitels und städtischer Jurisdiktion. Das unterscheidet den Lübecker Rechtsstreit von den Prozessen aus dem 18. Jahrhundert aus Hildesheim und Osnabrück, wo die Angehörigen der katholischen Stifte keine eigene Jurisdiktion für sich in Anspruch nahmen, sondern sich lediglich der ausschließlichen Offizialatsgerichtsbarkeit unterwerfen wollten. Im Hinblick auf die spezifische Domgerichtsbarkeit löste sich der Rat zumindest einmal von der Frage nach dem konkreten Wohnsitz und meinte, wenn „ungestandenen Fallß, alhier ein Clericus actione merè personali coram Capitulo zu belangen, dennoch solches seinen offenbaren Abfall leyden müste, si Clericus negotiationibus se immiscuerit, cum facto hoc abjiciat Clericale privilegium, et consuetudinibus patriae subjaceat, nec ab Episcopo defendendus sit“1623. Die ungestandene Prämisse war in ihrer Reichweite unscharf. Möglicherweise erkannte der Rat die Kapitelsgerichtsbarkeit über Kleriker überhaupt nicht an. Aber genau dies sagte der Schriftsatz nicht klar und hell, sondern versteckte sich hinter einem Sonderfall, freilich einem sehr wichtigen. Im Falle zivilrechtlicher Rechtsgeschäfte war es für den Rat nämlich eindeutig: Das Klerikerprivileg sollte nicht eingreifen, sondern ein Geistlicher unterfiel der regulären weltlichen Gerichtsbarkeit im Einklang mit den Landesgewohnheiten. Dafür reichte wohl der Beginn der Tätigkeit aus („hoc facto“). Besondere Erklärungen waren nicht erforderlich, vielmehr trat die Kapitelsgerichtsbarkeit ohne weiteres hinter die städtische Justiz zurück. Diese Auffassung begründete das Berichtsschreiben mit dem kanonischen Recht1624, nahm damit also stillschweigend den Gleichklang evangelischer und katholischer Territorien in Anspruch. Bestätigt sah sich der Rat durch ein Urteil der Altdorfer Juristenfakultät. Das katholische Spruchkollegium hatte das obergerichtliche Interlokut des evangelischen Lübecker Rates bestätigt und damit die Grenze zwischen der Gerichtsbarkeit des Domkapitels und der Stadt genauso gezogen, wie der Rat es für richtig hielt1625. Nach knapp fünfjähriger Dauer entschied das Reichskammergericht den Rechtsstreit durch Urteil, allerdings durch eine Desertionsentscheidung1626. AHL RKG L 23, Aktenstück Q 15, nicht paginiert. Zitiert wird eine Dekretale von Honorius III. von 1218: X. 3, 1, 16 (mit der späteren Überschrift: „Clericus, qui tertio monitus a negotiationibus saecularibus non abstinet, interim perdit quoad bona privilegium clericale. H. d. Et est textus multum notab. et qui quotidie allegatur“). 1625 AHL RKG L 23, Aktenstück Q 15, nicht paginiert; Entscheidung der Juristenfakultät in den Acta priora, fol. 468-470. 1626 Zur Desertion der Appellation RKGO 1555 2, 30, 5, bei L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 210; D i c k , Entwicklung, S. 201; O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 30. 1623 1624
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Der Appellant hatte eine angeforderte Bescheinigung nicht vorgelegt, und so wanderte das Verfahren an den Lübecker Rat zurück1627. Im Ergebnis blieb es somit bei der Gerichtszuständigkeit des Obergerichts. Da freilich keine Sachentscheidung erging, läßt sich das kammergerichtliche Urteil nicht als Stellungnahme des Gerichts zu den diskutierten Zuständigkeitsstreitigkeiten verbuchen.
3. Ergebnis Die hier besprochenen neun Rechtsfälle aus der Reichsstadt Lübeck unterscheiden sich in einem zentralen Punkt von den zuvor untersuchten Kompetenzkonflikten aus drei Fürstbistümern. Dreh- und Angelpunkt der Zuständigkeitsprozesse waren dort Appellationen in weltlichen Angelegenheiten an geistliche Gerichte bis hin zum Apostolischen Nuntius und zur Rota Romana. Diesen doppelspurigen Instanzenzug zweier formal getrennter Gerichtsbarkeiten, nämlich der weltlichen sowie der geistlichen, gab es in protestantischen Territorien nicht. Auf diese Weise fielen auch mehrere Folgeprobleme und Argumentationsketten im evangelischen Umfeld weg. Das Verhältnis zwischen Jurisdiktionsgewalt, Gerichtsverfassung, Lehenswesen und Reichsstandschaft spielte in katholischen Territorien bei vermeintlichen Übergriffen der Offizialatsgerichte oder zumindest der oberen geistlichen Instanzen in weltliche Angelegenheiten regelmäßig eine hervorgehobene Rolle. Genau dies war in protestantischen Ländern aber völlig unproblematisch. Eine fremde, auswärtige, ausländische Gerichtsgewalt, die nicht zugleich vom Inhaber der Landesherrschaft abgeleitet war, konnte es dort von vornherein nicht geben. Das Fürstbistum Osnabrück, in dem es aufgrund der Capitulatio perpetua alle Arten von Gerichtsbarkeit gleichzeitig gab, vorbehalten jeweils für die eigenen Konfessionsangehörigen, bildete insoweit eine Ausnahme. Abgesehen von diesem Punkt, fallen mehrere Gemeinsamkeiten ins Auge. Der Vorwurf, der jeweilige Prozeßgegner betreibe mit der Anrufung eines vermeintlich unzuständigen Gerichts eine bewußte Kompetenzverwirrung, tauchte in Lübeck ebenso wie in katholischen Territorien auf, in der Hansestadt freilich bezogen auf die Zuständigkeitsabgrenzung von Rat und Konsistorium. Das privilegium fori der Geistlichen war in Lübeck ebenfalls Gegenstand von Auseinandersetzungen. Die Partei, die sich darauf berief, 1627
AHL RKG L 23, Protokollbuch, Expeditum vom 16. Juni 1727.
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beeilte sich sogleich, auf die Kontinuität zur vorreformatorischen Rechtslage hinzuweisen. Die Reformation und Bugenhagens Kirchenordnung hatten damit weder am Problem noch an der Lösung etwas geändert. So bestritten etwa einige Parteien in Lübecker Rechtsstreitigkeiten die Unabhängigkeit der Konsistorialgerichtsbarkeit vom Rat mit dem Argument, mehrere Ratsangehörige seien zugleich Konsistoriumsmitglieder. Der Sache nach war diese Verquickung im katholischen Umfeld nicht anders. So amtierte ein Mitglied der Erbmännerfamilie Bischopinck im Fürstbistum Münster in der Zeit um 1600 sowohl als weltlicher Hofrichter als auch zugleich als Offizial und damit als Vorsitzender des geistlichen Gerichts1628. Die Personenidentität der jeweiligen Richter beider Gerichtsbarkeiten ist damit ein überkonfessioneller Befund. Die zahlreichen richterlichen Funktionen, die etwa Benedikt Carpzov innehatte, sind hinreichend bekannt1629 und offenbar eher die Regel als die Ausnahme. Eine weitere auffällige Parallele besteht auch im Sprachgebrauch. Jedenfalls in den Fällen aus Hildesheim und Osnabrück war der von den Regierungen benutzte Gegenbegriff zu „geistlich“ nicht „weltlich“, sondern „politisch“. Das war in Lübeck auch so und zwar bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Als „politisch“ bezeichneten die Schriftsätze Angelegenheiten, die einen engen Bezug zur Regierungsgewalt aufwiesen, also Steuersachen, Landtagsangelegenheiten oder in Lübeck Ratssachen. Die Zivilprozesse der Untertanen galten demgegenüber als „profan“. Beides, der politische und der profane Bereich, stand den geistlichen Sachen gegenüber. Rein sprachlich war Politik damit die nicht-religiöse Ausübung von Herrschaftsgewalt. Ob es insofern in der Gerichtspraxis einen festen Sprachgebrauch gab oder ob es sich um Zufallsfunde handelt, die das Bild verzerren, läßt sich an dieser Stelle nicht vertiefen1630. Einige Grundfragen der Konsistorialgerichtsbarkeit waren in den hier ausgewerteten Quellen streitig und zeigen spezifisch innerevangelische Diskussionen. Zunächst war umstritten, ob und in welchem Ausmaß die Reformatoren das kanonische Recht abgeschafft hatten. Die kirchenrechtshistorische Literatur verneint in der Rückschau diese Frage. Trotz der spektakulären Verbrennung des Corpus Iuris Canonici durch Martin Luther im Dezember 1520 habe die subsidiäre Geltung des kanonischen Rechts auch
Dazu I m m e n k ö t t e r , Protokolle, S. 28-29. J e r o u s c h e k , Carpzov, Sp. 819-821; S c h ae t z e , Carpzov, S. 3-8. 1630 Zur Verwendung des Politikbegriffs in der zeitgenössischen Literatur S e l l i n , Politik, S. 807-842; S t o l l e i s , Geschichte I, S. 124-125, mit dem Hinweis, wonach konfessionell besonders engagierte Autoren nicht zwischen Theologie und Politik, sondern eher zwischen Recht und Politik unterschieden hätten. 1628 1629
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in protestantischen Territorien weiterhin festgestanden1631. Das war aber im 16. Jahrhundert nicht sicher1632. Denn selbst lange Jahrzehnte nach der Reformation vertraten Anwälte hier ganz radikale Positionen – offenbar ohne sich damit lächerlich zu machen. Wenn etwa ein Schriftsatzverfasser 1580 meinte, Johannes Bugenhagen habe in seiner Kirchenordnung von 1531 vorgeschrieben, Lübecker Ehesachen seien fortan ausschließlich nach römischem und nicht mehr nach kanonischem Recht zu lösen1633, so war dies zwar streitig, aber ganz offensichtlich vertretbar. Genau dies verweist auf einen bisher nicht beachteten Traditionsstrang zur förmlichen Rezeption des römischen Rechts in Lübeck. Bekanntlich hat die ältere Forschung lange Jahrzehnte eine Übernahme des gelehrten Rechts in Lübeck bezweifelt, wenn nicht gar in deutschnationalem Überschwang bestritten1634. Diese Meinung ist inzwischen widerlegt1635. Jetzt tritt ein weiteres Argument hinzu: Das Kirchenrecht war auch und gerade in der Reformationszeit ein Ansatzpunkt, die Geltung des römischen Rechts in protestantischen Territorien zu festigen1636. Die Verwerfung des kanonischen Rechts durch einige der hier zu Worte gekommenen Parteien paßte nämlich gut zu dem eng verbundenen Argument, die Ehesachen seien in der lübischen Gerichtsbarkeit keine geistliche, sondern weltliche Angelegenheit. Aus dieser grundsätzlichen Absage an die geistliche Jurisdiktion seitens der Parteien bzw. ihrer Anwälte erklärt sich wohl das Bemühen, das Appellationsverbot in Ehesachen nicht durch Verweis auf den fehlenden Instanzenzug in geistlichen Angelegenheiten in protestantischen Territorien zu erklären, sondern durch Gleichstellung mit dem Appellationsverbot in unzweifelhaft weltlichen Strafsachen. Im Ergebnis führte die Zurückdrängung des kanonischen Rechts zu einer Stärkung des römischen Rechts, wie gerade Bugenhagens Kirchenordnung zeigt. Eine direkte Appellation vom Lübecker Konsistorium an das Reichskammergericht, also in moderner Terminologie eine Art Sprungrevision, ist S c h ä f e r , Geltung, S. 165-413; W o l t e r , Fortgeltung, S. 13-47; L i n k , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 56; S t i n t z i n g / L an d s b e r g , Geschichte I, S. 273-283; F r a s s e k , Eherecht, S. 33; M a u r e r , Reste, S. 190-253; zur Deutung auch G r o s s i , Recht, S. 90-91; zur Verbrennung des Corpus Juris Canonici auch S c h m o e c k e l , Einfluß, S. 708. 1632 Zur gelehrten Diskussion des 16. Jahrhunderts S c h m o e c k e l , Einfluß, S. 713-717. 1633 AHL RKG B 59/60, Aktenstück Q 12, Art. 3 (das Quadrangel ist wegen Schwierigkeiten der Aktenüberlieferung zweimal vergeben). 1634 Die traditionellen Ansichten bei D u h n , Geschichte, S. 78-80; G e r m a n n , Eindringen, S. 6-7. 1635 O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 216, 471; aktueller Überblick für die Zeit bis 1555 bei C o r d e s , Kaiserliches Recht, S. 123-145. 1636 Ähnlich, wenn auch nicht speziell für Lübeck: S p r e n g l e r -R u p p e n t h a l , Bugenhagen, S. 392, 395; d i e s . , Rezeption, S. 363-418. 1631
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in den Quellen nur einmal belegt, betraf aber einen Fall, in dem der Beschwerdeführer die Lübecker Gerichtsgewalt über seine Person rundweg bestritt. Drittinstanzliche Prozesse vor dem Reichskammergericht, die vom Konsistorium über den Rat dorthin gelangten, gab es etwas häufiger, doch erklärte das Reichskammergericht eine solche Appellation 1595 in einem Prozeßurteil für unzulässig. Ob das Gericht überhaupt jemals eine Appellation in Ehesachen aus Lübeck angenommen hat, ist unklar. Belege dafür gibt es nicht. Als Möglichkeit, das Appellationsverbot in Ehesachen zu umgehen, bot sich die Nichtigkeitsklage an, die wenigstens einmal ein kammergerichtlicher Kläger auch beschritt. Durch diese prozessuale Handhabung erfuhr die Gleichsetzung von Ehesachen und Strafsachen indirekt eine weitere Bestätigung, denn in Strafprozessen war die Nichtigkeitsbeschwerde in der Kammergerichtsordnung ausdrücklich vorgesehen. Wenn das Kammergericht Appellationen in Ehesachen nicht annahm, entsprach das im übrigen ganz der Maßgabe des katholischen Kameralautors Andreas Gail. Er hatte diesen Grundsatz ohne jeden Hinweis auf konfessionelle Differenzierungen vertreten. Nicht nur Gail tauchte in den Lübecker Prozessen als Autorität auf. Auch zahlreiche andere Rechtsgelehrte dienten zur Klärung von Zuständigkeitsfragen, ohne daß deren katholische oder protestantische Ausrichtung eine erkennbare Bedeutung für die Verwendung als Autoritätsargument gehabt hätte. Auf derselben Linie lag der unbefangene Umgang mit dem kanonischen Recht. Im Gegensatz zu den eben erwähnten Verwerfungen des kanonischen Rechts zitierten nämlich die meisten Schriftsatzverfasser sowie der Lübecker Rat auch für Fragen der Abgrenzung von Konsistorialund Ratsgerichtsbarkeit selbstredend das Decretum Gratiani und die Dekretalen als maßgebliche Rechtsquellen. In der Praxis spielte das kanonische Recht also durchaus eine Rolle. In den jeweils vermischten Zuständigkeiten zeigt sich ein interessantes Spiegelbild zwischen den geistlichen Territorien und Lübeck. Im einzelnen mag das frühneuzeitliche Bild in Deutschland buntscheckig gewesen sein. Ein erster Eindruck läßt sich auf Grundlage der bisher untersuchten Quellen freilich formulieren: In katholischen, jedenfalls geistlichen Territorien waren in den hier untersuchten Fällen die weltlichen Gerichte tatsächlich auf weltliche Streitigkeiten beschränkt, die geistlichen Gerichte dagegen übten rein tatsächlich Gerichtsgewalt über zahlreiche Personen und Sachen aus, insbesondere auch über Laien in reinen Zivilstreitigkeiten. Teilweise empfand man dies zeitgenössisch sogar als Gewohnheit. In Lübeck war es umgekehrt. Hier arbeitete der Rat im Obergericht als mixtum forum, denn als ordentliche Appellationsinstanz für Konsistorialfälle war er zugleich für weltliche wie geistliche Verfahren sachlich zuständig. Da es in weltlichen
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Sachen die Appellationsmöglichkeit an die Reichsgerichte gab, in Konsistorialsachen aber nicht, konnte eine protestantische Landesherrschaft ihre jurisdiktionelle Autonomie stärken, wenn sie den Bereich geistlicher Angelegenheiten möglichst weit definierte. Genau das Gegenteil galt für katholische Landesherren. Da der Instanzenzug von den Offizialatsgerichten aus dem Territorium hinausführte, schwächte die geistliche Gerichtsbarkeit in weltlichen Angelegenheiten die iurisdictio und damit den Kern der weltlichen Landesherrschaft1637. Protestantische Territorien dagegen waren in ihren geistlichen Rechtssachen frei von jeder auswärtigen Herrschaft. Freilich gab es nicht nur protestantische Reichsstädte, sondern vorrangig weltliche evangelische Fürstentümer, und auch nicht nur katholischgeistliche, sondern ebenso katholisch-weltliche Territorien. Eine Ausdehnung der Quellenanalyse auf solche Gebiete kann die bisher gewonnenen Befunde festigen und teilweise modifizieren. Dies soll in den kommenden Abschnitten geschehen. Wie sich schnell zeigen wird, gelang die klare Abkoppelung der Konsistorialsachen von der Reichsgerichtsbarkeit nicht allerorts. In Mecklenburg etwa war der Instanzenzug vom Kirchengericht an das Reichskammergericht ausdrücklich erlaubt, wie die Quellen aus dem Schweriner Landeshauptarchiv belegen.
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Zum Ergebnis ähnlich für den Konflikt zwischen Archidiakonatsgerichten und Landesherrschaft in Osnabrück R u d o l p h , Eine gelinde Regierungsart, S. 60.
VI. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus Mecklenburg
Der vergleichsweise territorial und rechtlich gefestigten Reichsstadt Lübeck mit weit zurückreichender eigener Rechtstradition und langhundertjähriger Ratsherrschaft steht das Herzogtum Mecklenburg gegenüber. Das weltlichlutherische Territorium wurde zwar von 1348 bis 1918 von derselben Herzogsfamilie regiert, war aber zahlreichen Landesteilungen unterworfen1638 und ist auch in seiner Gerichtsverfassung etwas unübersichtlich und schwer greifbar1639. Gehässig sind die üblen Nachreden. Otto von Bismarck spottete angeblich im 19. Jahrhundert, wenn der Weltuntergang bevorstehe, werde er nach Mecklenburg ziehen, weil dort alles einhundert Jahre später stattfinde1640. Der Witz bezog sich möglicherweise auf den landesgrundgesetzlichen Erbvergleich von 1755, der mit ungewöhnlichen Vorrechten des Adels bis 1918 die mecklenburgische Verfassung prägte1641 und dem Land den Vorwurf der Schlafmützigkeit einhandelte. In Wahrheit stammt der Spruch übrigens von einem sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg1642. Im hier interessierenden Zeitraum waren die äußeren Daten dagegen eher zeittypisch. Einer Landgerichtsordnung von 1558 folgten eine Hofgerichtsordnung von 1568 und dann 1622 eine Hof- und Landgerichtsordnung1643. Seit 1569 gab es ein limitiertes kaiserliches Appellationsprivileg mit einigen späteren Wertsummenerhöhungen1644. Seit 1552 galt eine lutherische Kirchenordnung, durchaus wegweisend und später von acht anderen Territorien übernommen1645. Die evangelischen Theologen der landeseigenen Überblick bei K r a u s e , Mecklenburg, Sp. 405-406. Zusammenstellung der Vorinstanzen reichskammergerichtlicher Prozesse bei S t e i n S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 1192-1206. 1640 Die Überlieferung ist halbseriös. Deswegen ist ein nicht ganz aktueller Reiseführer die angemessene Belegstelle: W u r l i t z e r , Mecklenburg-Vorpommern, Vorwort S. 9. 1641 Abdruck bei S a c h s s e , Mecklenburgische Urkunden, Nr. 169 S. 466-534. 1642 K a s t e n , Bismarck und der Weltuntergang, S. 237: Landtagsrede von Franz Starossen. Der erste schriftliche Beleg stammt von 1941 von Walter Görlitz. 1643 S c h w a r z , Zivilprozeß-Gesetzgebung, S. 317-322; Kr au s e , Mecklenburg, Sp. 408; M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 92; gegen zu starke Fixierung auf 1622 D i e s t e l k a m p , Oberhof Lübeck, S. 168. 1644 E i s e n h a r d t , privilegia de non appellando, S. 101-103. 1645 S e h l i n g , Kirchenordnungen, S. 133: übernommen von Pfalz-Zweibrücken, Leiningen, Braunschweig-Lüneburg, Hessen, Kurland, Oldenburg, Hoya; Text der Kirchenordnung: 1638 1639
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Universität Rostock entfalteten eine reiche Gutachtertätigkeit in konfessionellen Fragestellungen1646. In der Tat war Mecklenburg das einzige in dieser Arbeit untersuchte Territorium mit eigener Universität. Die Gründung eines eigenen Konsistoriums für kirchliche Rechtsstreitigkeiten erfolgte erst vergleichsweise spät in den frühen 1570er Jahren1647. Damit sind bereits die hier interessierenden Streitfälle berührt. Aus Mecklenburg sind aus allen geteilten Herrschaftsgebieten insgesamt 1715 Reichskammergerichtsprozesse nachweisbar, teilweise aufgefächert auf ältere Pertinenzbestände. Dreizehn Fälle bilden für die folgenden Überlegungen eine ergiebige Quellengrundlage1648. Die Landesteilungen mit den teilweise gemeinsamen, teilweise getrennt ausgeübten Hoheitsrechten spielten dabei keine entscheidende Rolle. Vielmehr sind es zwei Gesichtspunkte, die besonders ins Auge fallen und Mecklenburg von anderen Territorien unterscheiden. Zum einen zeigen die Zuständigkeitsstreitigkeiten um die geistliche Gerichtsbarkeit sehr deutlich die parallelen Auseinandersetzungen um die Verdichtung der Landesherrschaft an sich. Dieser Punkt steht im folgenden an erster Stelle. So klar ist er in anderen Gegenden Deutschlands nämlich nicht greifbar. Zum anderen gab es teilweise Konflikte um den Instanzenzug in kirchlichen Streitgegenständen. Im Gegensatz zu anderen Territorien war die Appellation in Konsistorialsachen an das Reichskammergericht in Mecklenburg weitgehend anerkannt. Dies verdient ebenfalls besondere Aufmerksamkeit. Zudem waren zwar häufig Geistliche im weitesten Sinne als Parteien an den Verfahren beteiligt, aber es entbrannten überhaupt keine Diskussionen um das privilegium fori. Es fällt ferner im Gegensatz zu anderen Territorien auf, wie häufig die zumeist unbekannten mecklenburgischen Schriftsatzverfasser emotional-religiöse anstatt scharfsinnigjuristischer Argumente benutzten. Auf derselben Linie enthielten zahlreiche Schriftsätze keinerlei Rechtsquellen- oder Literaturangaben. Weitausgreifende juristische Grundsatzkonflikte sehen anders aus. Trotz der landeseigenen Universität war die rechtliche Durchdringung der Mecklenburger Streitsachen deutlich unprofessioneller als in anderen Territorien. S e l i n g , Kirchenordnungen, S. 161-219; aus der DDR-Literatur: C o r d s h ag e n , Mecklenburg, S. 64. 1646 Ka u f m a n n , Konfession, S. 323-363. 1647 Die Konsistorialordnung stammt von 1570, bei S e h l i n g , Kirchenordnungen, S. 231247; bloßer Überblick bei S a c h s s e , Mecklenburgische Urkunden, Nr. 109 S. 262. Die Arbeit des Konsistoriums begann wohl im März 1571, dazu S c h r ad e r , Mecklenburg, S. 178. S t u t z , Lexikon, S. 335, nennt 1573/74 als Gründungsjahr; spätere Gesetzgebungen zum Konsistorium nachgewiesen bei W o l f f , Repertorium I, S. 61-62. 1648 Repertoriumsnachweise bei S t e i n - S t e g e m an n , Inventar Mecklenburg, lfd. Nr. 321, 448, 514, 706, 738, 739, 803, 883, 1060, 1352, 1457, 1500, 1501.
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1. Geistliche Gerichtsbarkeit und Verdichtung der Landesherrschaft Vier mecklenburgische Reichskammergerichtsakten kreisen um die flächendeckende Zuständigkeit der landesherrlichen geistlichen Gerichtsbarkeit. Sie veranschaulichen auf diese Weise den äußerst engen Zusammenhang zwischen einer protestantischen geistlichen Gerichtsbarkeit und der Staatswerdung der Territorien. Der gezielte Blick auf landesgeschichtliche Einzelheiten macht diese säkularen Entwicklungen plötzlich am Detail sichtbar. In der Grafschaft Lippe ist die Zwietracht zwischen Graf Simon VI. und seiner Landstadt Lemgo ein in der Literatur viel diskutiertes Beispiel. Der Herrschaftsverdichtung auf Landesebene stand umgekehrt das zähe Festhalten an mittelalterlichen Gerichtsstandsprivilegien in der Stadt Lemgo gegenüber1649. Konfessionell verschärft war das Problem durch das Spannungsverhältnis zwischen Lemgoer Luthertum und dem landesherrlichen Calvinismus. In Mecklenburg waren es zwei Städte, die vor dem Reichskammergericht ihre gerichtliche Eigenständigkeit verteidigten, Rostock und Wismar. In beiden Fällen zeigt sich überdeutlich, wie der landesherrliche Anspruch, oberster Richter in Kirchensachen zu sein, die nach Selbständigkeit strebenden Städte einschnüren konnte.
a) Landesherrliche geistliche Gerichtsgewalt als Bedrohung des überkommenen Oberhofzuges Aus der Stadt Rostock stammt der älteste der hier einschlägigen Fälle. Bereits 1558 gelangte die Appellation der Ältermänner des Rostocker Goldschmiedeamtes, also wohl der Zunftvorsteher1650, an das Reichskammergericht in Speyer. Sie stritten mit einer Tilsche Leppin, der Witwe des Rostokker Ratsherrn Barthold Leppin, um das Patronatsrecht an einem Altar „corporis christi“ in der Rostocker St. Petri-Kirche1651. Die Witwe Leppin, von den Goldschmieden halb bewundernd, halb verzweifelt als „gewaltigs muthwilligs Weib“ tituliert, hatte ein „geistlich Lehen“ an sich gebracht, nämlich Dazu unten bei Anm. 1968-1972; außerdem S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 225-364. Zur Bedeutungsvielfalt des Wortes S aw y e r , Ealdorman, Sp. 1501-1502; C o r d e s , Aldermann, Sp. 140-141. 1651 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 6; Repertoriumsmitteilung bei S t e i n S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 511-512; zum Patronatsrecht im Protestantismus S p r e n g l e r - R u p p e n t h a l , Das kanonische Recht, S. 55-57. 1649 1650
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das Patronatsrecht mitsamt Zinsen und Pachteinnahmen an der erwähnten Vikarei1652. Der Rechtsstreit begann vor dem Rostocker Rat und ging zugunsten der Goldschmiede aus. Dagegen rief die Witwe Leppin den Lübekker Rat an. Hier steht man vor dem bereits mehrfach in der Literatur behandelten Problem des spätmittelalterlichen Instanzenzuges. Der Lübecker Rat besaß im gelehrtrechtlichen Sinne weder Landesherrschaft noch iurisdictio über Rostock und wurde also ganz traditionell als Oberhof tätig1653. Dennoch erscheint er in den Gravamina als „richter nechstuoergeender Instantz“1654. Quellen wie diese haben Wilhelm Ebel zu der Vermutung geführt, im lübischen Rechtskreis habe es bereits eine mehrstufige Appellation im Sinne eines echten Rechtsmittelzuges, also mit Devolutiveffekt, gegeben1655. Dagegen bestehen erhebliche Bedenken1656, doch ist letzte Klärung noch nicht erfolgt1657. Zweifelsfrei jedoch konkurrierte die Oberhoftätigkeit des Lübecker Rates über lange Jahrzehnte mit dem Anspruch der Mecklenburger Herzöge nach Straffung und Zentralisierung ihrer landesherrlichen Gerichtsbarkeit1658. Im Streit zwischen der Witwe Leppin und den Rostokker Goldschmieden scheiterte der Oberhofzug. Im Gegensatz zu den üblichen Oberhofurteilen entschied der Lübecker Rat den Fall nämlich nicht in der Sache, sondern erklärte sich für unzuständig. Vielmehr remittierte er am 22. April 1558 das Verfahren an den Ordinarius. Diese Tenorierung war schwer verständlich, und dagegen richtete sich die kammergerichtliche Appellation der Rostocker Goldschmiede1659. Das Problem lag auf der Hand. Trotz der rechtsgelehrt-technischen Tenorierung, die Sache werde an den Ordinarius verwiesen, war nicht genau klar, was damit nach der Reformation in einem evangelischen Territorium gemeint sein konnte. Die Älderleute der Goldschmiede betonten jedenfalls, es gebe gar keinen Ordinarius, „welcher noch zur Zeit keiner des Stiffts Schwerin publicert edder confirmeret, des wer einich wissendt haben“1660. Unstreitig hatte der LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, unquadr. Aktenstück „Gravamina appellationis et in eventum conclusiones“. Hinweis auf die partikulare Vielfalt von Patronatsrechten bei L e i s c h i n g , Patronat, Sp. 1561; zum geistlichen Charakter der Patronatssachen nach evangelischer Lehre M ü l l e r - V o l b e h r , Die geistlichen Gerichte, S. 291. 1653 So auch S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 511 1654 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, unquadr. Aktenstück „Gravamina appellationis“. 1655 E b e l , Lübisches Recht I, S. 106, 111-112. 1656 W e i t z e l , Oberhöfe, S. 146-147; O e s t m a n n , Lübisches und sächsischmagdeburgisches Recht, S. 202. 1657 C o r d e s , Kaiserliches Recht, S. 125-126 Anm. 5; Kr o e s c h e l l / C o r d e s / N e h l s e n v o n S t r y k , Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 118. 1658 D i e s t e l k a m p , Oberhof Lübeck, S. 167-171; J ö r n , Lübecker Oberhof, S. 371-380. 1659 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 1, Q 2 und Q 6. 1660 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 7, dort in der Schedula. 1652
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Lübecker Rat den „Ordinarius“ technisch verstanden und die Streitsache an das zuständige geistliche Gericht verweisen wollen1661. Zugleich war nach der Reformation im Bistum Schwerin kein „ordentlicher official geburlicher weiße gesetzet“1662. Die Witwe Leppin betonte deshalb, die Sache sei „vor dem durchleuchtigten hochgebornen fürstenn unnd Herrn Her Ulrichen Hertzog zu Meckleburg als administratorn des stiffs Schwerin gehorig“1663. Genau hier lag der Kern des Streits. Im Spannungsfeld einer weltlichen und geistlichen Sache ging es darum, welcher Richter über das Patronatsrecht in der Rostocker St. Petri-Kirche entscheiden sollte1664. Die Goldschmiede hielten die Entscheidung des Lübecker Oberhofes für falsch. Sie laufe den „gemeinen beschriebenen rechten zu wideren“, doch erläuterten die Älterleute diese Behauptung nicht näher mit Rechtsquellen1665. Ein Ordinarius sei „ab“, hieß es, oder habe zumindest „bisher geruwet“. Wesentlich war für die Appellanten die Qualität der Prozeßparteien, denn „bedens parten“ waren „weltliche personen (...) unterm Radt zu Rostock gelegen“. In Streitfällen, auch bei gewaltsamem Besitzentzug, sei die Ratsgerichtsbarkeit seit Vorzeiten („vurtziden“) bereits hergebracht. Kein Weltlicher aus Rostock konnte sich an den Offizial wenden. Und selbst wenn dies einmal geschehen sei, habe der Offizial die Verfahren „selbeste an diese weltliche Obrigkeit remittert, wie auch geistlichs rechten ist“. Damit beschworen die Goldschmiede die vorreformatorische Gerichtsverfassung mit ihren altgläubigen Offizialaten herauf. Die weltliche Obrigkeit in dieser Hinsicht war der Rat der Stadt Rostock. In der Tat war die Hansestadt gegenüber dem Mecklenburger Herzog um Eigenständigkeit bestrebt und ordnete sich auch nach Errichtung des Hofgerichts lieber dem Lübecker Oberhofverband als der landesherrlichen Gerichtsbarkeit unter. Das war vor allem Gegenstand eines Vergleichs von 1573/76 und eines sogenannten Erbvergleichs von 15841666, der in zwei späteren Zuständigkeitsstreitigkeiten aus Rostock eine Rolle spielte. Wenn vorliegend die Goldschmiede in ihrem Appellationsinstrument von 1558 von der weltlichen Obrigkeit sprachen, geschah das im selben Jahr, in dem die erste mecklenburgische Landgerichtsordnung in Kraft trat. Die weltliche Jurisdiktionsgewalt des Landesherrn spielte aber ersichtlich keine Rolle und Zum Bischof als Ordinarius D e u t s c h , Ehegerichtsbarkeit, S. 63; auch bei G e s c h e r , Besprechung Fournier, S. 614; I h l i , Gerichtsbarkeit, S. 424-425; lediglich auf Universitätsprofessoren bezogen bei S e l l e r t , Ordinarius, Sp. 1287-1289. 1662 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 7, dort in der Schedula; zur Rechtslage des Stifts Schwerin im 16. Jahrhundert B r o d k o r b , Bistum Schwerin, S. 673. 1663 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 8. 1664 Zu ähnlichen Schwierigkeiten in Hessen im 16. Jahrhundert R i t t e r , Konfession, S. 459 1665 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 7. 1666 R i c c i u s , Entwurff, S. 105-106; E b e l , Lübisches Recht, S. 127; Hintergründe schildern b e i d e r W i e d e n , Rostock, S. 126-128; D i e s t e l k am p , Oberhof Lübeck, S. 170. 1661
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wurde im gesamten Rechtsstreit mit keinem Wort erwähnt, auch von der Gegenpartei nicht. Es ging nur um die iurisdictio des Rostocker Rates. Erstaunlich ist der pauschale Hinweis auf das kanonische Recht, ebenso unpräzise wie zuvor der Verweis auf das römische Recht. Offenbar sollten Streitigkeiten zwischen weltlichen Parteien auch nach Grundsätzen des Kirchenrechts ausschließlich vor weltlichen Gerichten zu verhandeln sein. Genauere Ausführungen dazu erfolgten freilich nicht. Ihr Patronatsrecht titulierten die Goldschmiede als „Jus patronatus Laicorum und nit als Ecclesiasticorum mixtum“, die Anmaßung der damit verbundenen Gerechtsamkeiten durch Tilsche Leppin erschien als „Causa spolij“1667. Das war eine deutliche Anlehnung an das gelehrte Recht, das mit dem Spolium den Besitzentzug kennzeichnete und ein spezifisches Besitzschutzverfahren entwickelt hatte. In den Feinheiten gab es allerdings Unterschiede zwischen dem ursprünglichen römischen und dem kanonischen Recht1668, die hier nicht interessieren. Die Appellanten waren sich jedenfalls sicher, „Unnd dan nach löblichem stattgeprauch unnd herkommen zu Rostock alle Judicia possessoria stracks vor ainem Ersamen Rath daselbsten unnd nirgendts anderswo ventilirt werden sollen, wie dan niemals dergleichen gewaltsame sachen zwischen weltlichen personen ad ordinarium remittirt worden sein“1669. Maßgeblich waren also Herkommen und Stadtgebrauch in Rostock. Die Verweise auf die gelehrten Rechte dienten wohl eher als Zierat. Der Landesherr war aus dem Spiel. Die Appellationserwiderung der beklagten Tilsche Leppin führte dagegen die Landesherrschaft in den Prozeß ein. Der Schriftsatz zeigt sehr klar, wie in einem evangelischen Umfeld die landesherrliche iurisdictio die hergebrachte geistliche Gerichtsbarkeit überlagerte und ersetzte und damit zugleich die Autonomie der Landstädte gefährdete. Ihr Schriftsatzverfasser ordnete die mit dem Altar in der Petrikirche verbundenen Rechte zunächst als geistliche Benefizien ein. Dafür galt dann aber, daß „dergleichen sachen, so weder vor dem weltlichen gericht zu Rostock oder Lübeck, noch auch an dissem keyserlichenn Cammergericht Irer art unnd herkomen nach, erortert soll werden, (...) sunder vor dem durchleuchtigten hochgebornen fürstenn unnd Herrn Her Ulrichen Hertzog zu Meckleburg als administratorn des stiffts Schwerin gehorig“1670.
LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, unquadr. Aktenstück „Gravamina appellationis“. B r u n s , Recht des Besitzes, § 32, S. 257; C z e r m ak , Besitz, S. 31-43; W e s e n b e r g / W e s e n e r , Privatrechtsgeschichte, S. 18-19; C o i n g , Europäisches Privatrecht I, S. 285-286, 345-346; ergänzend H af e r k a m p , Besitz, Sp. 83; J a c o b i , Besitzschutz, S. 45-54. 1669 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, unquadr. Aktenstück „Gravamina appellationis“. 1670 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 8. 1667 1668
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Herzog Ulrich, der vielleicht wichtigste mecklenburgische frühneuzeitliche Herrscher mit langjähriger Regierungszeit1671, war nach der Reformation nicht Bischof, sondern lediglich Administrator von Schwerin1672. Beide Parteien sprachen übereinstimmend vom Stift Schwerin und nicht vom Bistum, meinten insoweit aber zweifelsfrei die geistliche und nicht die weltliche Herrschaft1673. Rostock hatte ja niemals zu einem geistlichen Territorium gehört, das war unstreitig und nicht der Erwähnung wert. So konnte es nicht um die weltliche Herrschaft des Stifts Schwerin gehen, sondern nur um die geistliche Gewalt des Bischofs oder Administrators, mochte beides auch nur schwer zu trennen sein. Die Witwe Leppin behauptete sogar, es habe bereits zuvor ein Rechtsstreit zwischen den Parteien vor Herzog Ulrich stattgefunden. Diesen hätten die Goldschmiede allerdings durch Versäumnisurteil verloren. Mit dem Schwenk zum weltlichen Rechtsweg versuchten die Goldschmiede lediglich, sich der Exekution des für sie ungünstigen Urteils zu entziehen1674. Der Rechtsstreit in Speyer endete im November 1566 ergebnislos1675. Das kammergerichtliche Protokoll weist lediglich zuvor einige Zwischenurteile auf. Dennoch zeigen die entgegengesetzten Argumentationen der Parteien sehr deutlich, wie die Eigenständigkeit Rostocks durch den Übergang der geistlichen Gerichtsbarkeit auf den Mecklenburger Herzog bedroht war. Die streitige Vikarei war durch Testament 1512 errichtet und 1521, also noch zur katholischen Zeit, vom Herzog sowie dem Bischof von Schwerin bestätigt worden1676. Falls es sich um eine weltliche Sache handelte, wäre der Rechtszug nach Lübeck eröffnet gewesen. Bei einer geistlichen Streitigkeit hätte man vor dem Schweriner Bischof und seinem Offizial klagen können. Hätte der Streit 1521 stattgefunden, wäre das kaum zweifelhaft gewesen.
1527-1603, seit 1550 postulierter Bischof von Schwerin, zu ihm G r o t e f e n d , Ulrich III., S. 225-226. 1672 W o l g a s t , Reformation in Mecklenburg, S. 31-33; S c h i l d t , Bisthum Schwerin, S. 146; S c h m a l t z , Kirchengeschichte II, S. 40-41, 45, 110-114; W o l g as t , Hochstift, S. 232234; S c h r a d e r , Mecklenburg, 176-177; S e h l i n g , Kirchenordnungen, S. 315-316. 1673 Erst 1567 gab es eine Konsistorialordnung für das Stift Schwerin, die die kirchlichen Verhältnisse klärte: S c h ä f e r , Geltung, S. 192; Text bei S e h l i n g , Kirchenordnungen, S. 319-322. 1674 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 8. 1675 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Protokollbuch, letzte Audienz am 13. November 1566; S e i l e r , Bei unnd end urthail, S. 632, verzeichnet auch kein einschlägiges Urteil für diesen Tag; S e y l e r / B a r t h , Urtheil Und Beschaydt, Bd. IV, S. 430, dokumentiert die Audienz von diesem Tag mit einigen anderen Urteilen. 1676 Hinweis dazu bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 511. Zur im Vergleich zu Lübeck verzögerten Einführung der Reformation K au f m a n n , Geschichte, S. 627, 694. 1671
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Nur eine Generation später sah es ganz anders aus. Der Rechtszug nach Lübeck in weltlichen Sachen stand zwar weiterhin offen1677. Aber in geistlichen Angelegenheiten war es nun der Landesherr, der als Administrator des Stifts Schwerin Jurisdiktionsrechte über Rostock ausüben konnte, die er zuvor nie besessen hatte. Aufschlußreich ist das vor allem, weil das räumliche Ausmaß der geistlichen Gerichtsbarkeit den weltlichen Herrschaftsbereich augenscheinlich überschritt. Rostock gehörte zwar zum Herzogtum Mecklenburg, unterstand aber kaum der landesherrlichen weltlichen iurisdictio. In Kirchensachen war die Kompetenz des Schweriner Bischofs hergebracht. Wenn dieser nun aber durch den Herzog als Administrator ersetzt war, konnte die Personalunion zwischen geistlicher und weltlicher Herrschaft die eigenständige städtische Gerichtsbarkeit bedrohen. Der Herzog erhielt durch die kirchliche Jurisdiktion überhaupt erstmals Gerichtsgewalt über Rostock. Auf dem Weg zur Schaffung eines einheitlichen, flächigen Territoriums ohne ständige Durchlöcherungen von privilegierten Gerichtsständen war dies ein wichtiger Schritt. Eine umfassende geistliche Gerichtsgewalt dann später auf weltliche Angelegenheiten auszudehnen, war möglicherweise nicht schwer. Entscheidend war der Anfang, und der war mit der Übertragung der Administratorenrechte auf den Landesherrn erfolgt.
b) Der Kampf der Stadt Rostock gegen das landesherrliche Konsistorium Bei den Überlegungen zum Verhältnis von weltlicher Landesherrschaft und geistlicher Gerichtsgewalt handelt es sich keineswegs um Überinterpretationen eines Einzelfalls. Das belegen zwei eng miteinander verbundene Rostocker Reichskammergerichtsprozesse aus den Jahren um 1600. Die Verteidigung der gerichtlichen Eigenständigkeit war für den Rat der Stadt Rostock hochbedeutsam. Denn in diesen beiden späteren Verfahren trat der Rat als Kläger in Speyer auf, obwohl er mit den Ausgangsverfahren überhaupt nichts zu tun hatte. Aber es ging ihm darum, seine überkommenen Rechte auf der Bühne der Reichsjustiz zu verteidigen. Die Einbindung der Stadt in weltliche und geistliche Gerichtsherrschaft spielte hierbei eine entscheidende Rolle. Ausgangspunkt der folgenden Auseinandersetzungen war eine Ehestreitigkeit1678. 1598 gaben sich in der Rostocker Marienkirche eine Margarethe 1677 1678
Zum Oberhofzug nach 1550 J ö r n , Lübecker Oberhof, S. 374-375. Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 833-834.
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Uhlenbrock und ein Heinrich Böhmer, beide aus Warnemünde, öffentlich gegenseitig ein Eheversprechen. Jedoch führte das Verlöbnis nicht zur Heirat, denn Margarethe Uhlenbrock entschied sich schließlich für einen Johann Kaffmeister, ebenfalls aus Warnemünde. Darüber war der erste Bräutigam Böhmer sauer. Mit diesem Korb wollte er sich nicht abfinden. Er klagte vor dem Rostocker Kirchengericht gegen seine untreue Braut. Mit einer ersten Klage versuchte er die Eheschließung zwischen Uhlenbrock und Kaffmeister zu verhindern. Das gelang ihm aber nicht. In einem zweiten Verfahren, als die anstößige Ehe dennoch geschlossen war, ging das Kirchengericht sodann von Amts wegen gegen Uhlenbrock und Kaffmeister wegen Ehebruchs und Unzucht vor, weil diese geheiratet hatten, ohne den Ausgang des ersten Verfahrens am Kirchengericht abzuwarten. Sprengkraft erhielt das Ehedrama durch die Tätigkeit des Kirchengerichts selbst. Das Rostocker Kirchengericht war nämlich nichts anderes als das landesherrliche Konsistorium und übte als solches herzogliche Gewalt aus. Der Rat der Stadt Rostock beanspruchte demgegenüber aber die alleinige Gerichtsgewalt in Ehesachen. Deswegen waren es Bürgermeister und Rat der Stadt Rostock, die in beiden Fällen federführend an das Reichskammergericht appellierten. Sie versuchten dort, die unter dem Deckmantel der Konsistorialgerichtsbarkeit getarnte Einbindung der Hansestadt in die landesherrliche Gerichtsverfassung abzuwehren. Der Streit besaß durchaus eine Vorgeschichte. Schon 1557 hatte die Stadt einen eigenen Superintendenten bestellt, und bereits damals hatte Herzog Johann Albrecht dagegen am Reichskammergericht geklagt1679. Es ging in Speyer um die eigenständige Gerichtsgewalt der Stadt Rostock. Das war bereits nach wenigen Zeilen aus dem kammergerichtlichen Ladungsbrief ersichtlich. Bürgermeister und Rat traten nämlich „pro suo Jnteresse“ als Partei auf, obwohl sie im Ehestreit selbst nicht beteiligt waren. Und als sententia a qua, gegen die sich die Appellation richtete, gaben die Ratsherren ausdrücklich ein Urteil an, „so der hochgeborn Unser Lieber Ohm und Fürst, Ulrich, Hertzog zu Meckelnburg, durch dero L[ieb]d[en] Consistoriales und Kirchengerichts Räthe“ am 21. Mai 1600 gefällt hatte1680. Der Zusammenhang zwischen der Zuständigkeit geistlicher Gerichte und der Landesherrschaft, der im Mittelpunkt der vorliegenden Überlegungen steht, war bereits in der Gerichtsbezeichnung der Vorinstanz augenfällig. Das Rostocker Kirchenge-
b e i d e r W i e d e n , Rostock, S. 126-127; Quellen zur Autonomie des kirchlichen Regiments aus Rostock bei S e h l i n g , Kirchenordnungen, S. 281-300; zum Problem auch S c h m a l t z , Kirchengeschichte II, S. 167. 1680 LHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 518, Aktenstück Q 2. 1679
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richt, zu diesem Zeitpunkt knapp dreißig Jahre alt1681, war das landesherrliche Konsistorium. Seine Entscheidungen ergingen im Namen des Landesherrn. Vor dem Reichskammergericht konnte man deshalb dem Herzog die Urteile seines Konsistoriums als eigene Entscheidungen unter die Nase reiben. Genau das taten Bürgermeister und Rat von Rostock. Es ging überhaupt nicht um ein Endurteil des Kirchengerichts, sondern um ein „hochbeschwerliches mandatum oder Citation (...), darin ihnen von dem Durchleuchtigen, Hochgebornen Fürsten und Herrn Hern Ulrichen, Hertzogen zu Mecklenburg, Fürsten zu Wenden, Grafen zu Schwerin, [Herrn] der Lande Rostogk, und Stargart“ befohlen worden war, sich in die „angefangene heurathshandlung ferner nicht einzulassen“, solange das Konsistorium über die Eheschließung noch nicht entschieden habe1682. Der Rostocker Rat empfand diesen Inhibitionsbefehl als Anmaßung. Er wies darauf hin, die beklagte Margarethe Uhlenbrock habe pflichtbewußt eine „Exception fori et incompetentiae“ vorgetragen, sei damit am Kirchengericht aber nicht auf Gehör gestoßen1683. Die Argumentation der Rostocker Appellanten war zweigliedrig. Zunächst betonte die Stadt, sämtliche Einwohner des Fleckens Warnemünde seien „unzweifeliche underthane einß Erbarn Rahts zu Rostogk“1684. Die Stadt berief sich auf einen rechtmäßigen Titel, nämlich auf ein Privileg Herzog Heinrichs von 1323. Diese alte Vergünstigung sicherte dem Rostocker Rat nicht nur die „integritatem Juris Lubecensi“ zu1685. Zugleich legte sie die Herrschaftsrechte der Hansestadt über den Flecken Warnemünde fest, und zwar „cum proprietate fundo et iuditio quolibet maiori et minori usque ad terminos villae Dieterichshagen pro ut in longum et latum extenditur“1686. Die räumliche Ausdehnung der Rostocker Hoheit, von der das Privileg handelt, war unproblematisch und zwischen den Parteien nicht streitig, auch wenn Dietrichshagen noch hinter Greifswald lag. Viel schwieriger war es, welche Rechte mit der 1323 erfolgten und später wiederholten Privilegierung eigentlich verbunden waren. Einige Quellen aus dem 16. Jahrhundert, nämlich Privilegienbestätigungen von 1505 und 1548, wiederholten in typisch frühneuzeitlich-unbestimmter Weise, die Stadt könne bei ihren „Rechten und Rechtigkeiten“ bleiben, ohne diese aber spezifisch anzuführen und festzuklopfen1687. Die Ratsleute beriefen sich vor dem Reichskammergericht deswegen Einzelheiten dazu im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit der Stadt Wismar unten bei Anm. 1712-1725. 1682 LHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 518, Aktenstück Q 3. 1683 LHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 518, Aktenstück Q 2, auch in Q 3. 1684 LHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 518, Aktenstück Q 3. 1685 R i c c i u s , Entwurff, S. 104-104. 1686 LHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 518, Aktenstück Q 3. 1687 R i c c i u s , Entwurff, S. 105. 1681
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pauschal auf die „gemeinen beschriebenen rechte“ sowie speziell auf den Erbvergleich mit dem Herzog von 1584. In der älteren und neueren Literatur spielt dieser Erbvergleich insoweit eine Rolle, als er die Zugehörigkeit Rostocks zum lübischen Rechtskreis bestätigte, gleichzeitig die Stadt aber verpflichtete, ihr Stadtrecht innerhalb von zwei Jahren zu drucken. Letzteres geschah allerdings erst 1597, denn ein Entwurf des Syndikus Heinrich Camerarius stieß nicht auf Zustimmung des Rates1688. Für den Rostocker Rat war im Streit mit dem herzoglichen Konsistorium ein anderer Punkt wichtig. Er betonte, die Bürger und Einwohner von Warnemünde hätten „uber Mensch[en] gedencken und sowol in Bürglich[en] als Peinlich fellen, wie dan auch insonderheit in ehesachen, in prima instantia für niemanden anders“ als vor dem Rostocker Rat ihren Gerichtsstand gehabt, ganz so wie Einwohner der Stadt Rostock ebenfalls1689. In dem zwei Jahre jüngeren zweiten Appellationsinstrument von 1602 führten die Ratsherren diesen Punkt noch näher aus. Seit „undencklichen Jharen“, betonten sie, hätten sie die erstinstanzliche Gerichtsbarkeit unbeeinträchtigt ausgeübt, denn „für etlichen Hundert Jharen“ habe der Herzog die Gerichtsgewalt „umb eine sichere summam geldes einem Erbarn Rahte der Stadt Rostock gentzlich abgetretten und verkaufft“1690. Dabei akzeptierte die Stadt keine Einschränkungen für bestimmte Streitgegenstände, insbesondere auch nicht für Konsistorialsachen. Finanzielle Verschärfungen traten hinzu. Gegen unerlaubte Eheschließungen konnten die Gerichte Geldstrafen verhängen, und deswegen befürchtete Rostock Einbußen. Nicht nur „Cognitio sondern auch Mulcta et executio“ drohten ihr vom landesherrlichen Konsistorium „entzogen und benommen“ zu werden. Es ging also nicht nur um Herrschaftsrechte, sondern auch um Geld. Ob die Summen erheblich waren, ist unklar, denn die Zahl der verbotenen Heiraten ist nicht bekannt. Doch der Konflikt mit dem Landesherrn wird sofort greifbar, wenn Bürgermeister und Rat in ihren Gravamina ausführten, die „Fürstliche Consistoriales“, also die Kirchengerichtsräte des Herzogs, hätten sich zuvor „niemahl understanden“, die Gerichtsbarkeitsrechte der Stadt zu beeinträchtigen. Jetzt bestand genau diese Gefahr. Nicht nur die Rostocker iurisdictio über Warnemünde wurde brüchig. Sondern angeblich wollte das Konsistorium seinen Anspruch auch auf die „in den Rinckmauern D[er] Stadt wohnende und für Jehnen“, also gegenüber den Einwohnern Warnemündes, „nichts mehr priuilegierten Bürgern in gleichmessig und dan folgents auch in andern Sachen ihr Jurisdiction extendiren“. Die Gefahr war nicht diffus-zukünftig, sondern ganz handfest und gegenwärtig. Das KonsistoR i c c i u s , Entwurff, S. 106; K a m p t z , Civil-Recht I, S. 272-275; S t o b b e , Geschichte II, S. 296; E b e l , Lübisches Recht, S. 43; D i e s t e l k am p , Oberhof Lübeck, S. 170. 1689 LHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 518, Aktenstück Q 3. 1690 LHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 520, Aktenstück Q 4. 1688
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rium hatte seine Absicht angeblich „bereits mit unterscheidtlichen nichtigen euocationibus versuchet und fürgenommen“1691. Die Äußerung des Rates zeigt sehr klar, welche Bedrohung die Stadt Rostock angesichts der um sich greifenden mecklenburgischen Konsistorialgerichtsbarkeit empfand. Sie befürchtete, unter dem Deckmantel der vergleichsweise neu organisierten geistlichen Gerichtsbarkeit könnten jahrhundertealte Rechtsgewährungen nach und nach ausgehöhlt werden. In die weltliche Gerichtsbarkeit konnte der Herzog aufgrund der verschiedenen Privilegien und Verträge kaum direkt eingreifen. Mit seiner Gerichtsherrschaft über das Konsistorium besaß der Herzog aber die Möglichkeit, jedenfalls in Ehesachen und anderen geistlichen Angelegenheiten eine landesweite iurisdictio aufzubauen und seine Landesherrschaft zu festigen. Warnemünde war in dieser Sichtweise nur der Anfang. Rostock selbst konnte bruchlos folgen, wie der Verweis auf verschiedene andere Anmaßungen klarstellte. Auch die Ausweitung von Konsistorialangelegenheiten auf andere Streitgegenstände war für den Rostocker Rat nur ein kleiner Schritt. Ohne daß dies ausdrücklich aus den Schriftsätzen hervorgeht, versuchten sich die Rostocker Ratsherren offenbar von vornherein auch gegen Zuständigkeitsanmaßungen des Hofgerichts zu schützen. Die ausgedehnten Kompetenzen des Konsistoriums waren möglicherweie nur die Vorstufe zu einer vollständigen Einbindung der ehrwürdigen Hansestadt in die landesherrliche Jurisdiktion. Bekanntlich bestand die rechtliche und gerichtliche Eigenständigkeit Rostocks noch lange Zeit fort1692. In den Jahren um 1600 war aber genau dies nicht vorhersehbar. In Zusammenschau mit dem zuvor geschilderten Rechtsstreit aus der Zeit vor Errichtung des Konsistoriums wird überdeutlich, wie die Gerichtsgewalt des evangelischen Landesherrn in Kirchensachen nicht nur ein Ersatz für die weggefallene Offizialatsgerichtsbarkeit darstellte, sondern die Landesherrschaft insgesamt stärkte und die Eigenständigkeit privilegierter Städte unterschwellig und beständig aushöhlte. Der Gefährdungslage der Stadt Rostock steht ein erstaunlich ruhiges und selbstsicheres Verhalten des Herzogs gegenüber. Im zweiten Appellationsprozeß war er sogar persönlich in Speyer verklagt1693. Doch in keinem der Fälle legte der mecklenburgische Prokurator auch nur einen einzigen Schriftsatz vor, obwohl sogar ein Rufen gegen den Herzog erging1694, also ein Versäumnisverfahren bevorstand. Einmal betonte der Speyerer Prokurator spitzfindig, die kammergerichtliche Ladung sei irrtümLHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 520, Aktenstück Q 4. E b e l , Lübisches Recht, S. 43. 1693 LHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 520, Aktenstück Q 2. 1694 LHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 520, Protokollbuch vom 18. November 1602; Nr. 518, Protokollbuch vom 28. Januar 1603. 1691 1692
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lich bei der Kanzlei und nicht beim Konsistorium zugestellt worden1695. Hier spielte der Prokurator die geistliche und weltliche Gewalt des Landesherrn zum Nachteil der Stadt Rostock gegeneinander aus. Und im anderen Prozeß beantragte der Herzog, die Ladung aufzuheben, weil die Appellanten angeblich die erstinstanzliche Akte nicht rechtzeitig nach Speyer eingeschickt hatten1696. Angst vor dem Reichskammergericht hatte der Herzog ganz augenscheinlich nicht.
c) Zur Dingpflicht Wismarer Bürger zwischen Ratsgericht und Konsistorium Neben Rostock war es die Hansestadt Wismar, die ihre angestammte gerichtliche Selbständigkeit gegenüber dem Mecklenburger Herzog verteidigte1697. Der Streit fällt genau in die Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Rostocker Prozeß und beschäftigte das Reichskammergericht zwischen 1581 und 1587. Im Kern handelte es sich zunächst um eine Schuldforderung der Kirchenvorsteher zu Parchim gegen die Vormünder des unmündigen Sohnes eines Bastian Brothecker aus Wismar1698. 1578 erhoben die Kirchenvorsteher Klage vor dem Wismarer Rat. Da dort offenbar kaum etwas geschah, wandten sich die Parchimer Kläger an Herzog Ulrich von Mecklenburg und erlangten ein Promotorialschreiben1699. Das war das typische Druckmittel eines übergeordneten Gerichtsherrn gegenüber einem säumigen Untergericht, um Rechtsverzögerungen zu beenden und eine Verfahrensbeschleunigung zu erreichen1700. Diese Form von Justizaufsicht des Mecklenburger Herzogs über die Ratsgerichtsbarkeit scheint man in Wismar akzeptiert zu haben1701. Jedenfalls gab der Rat den Vormündern des Pflegesohns auf, auf die Klage der Kirchenvorsteher zu antworten. Angeblich kam es auf diese Weise zur Litiskontestation des ratsgerichtlichen Prozesses. In LHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 520, Protokollbuch vom 28. März 1603. LHA Schwerin Best. 2.12-4/3 Nr. 518, Protokollbuch vom 10. Februar 1604; Nr. 519: Die Acta priora wurden am 12. Januar 1603 in Speyer vorgelegt, aber erstaunlicherweise erst 1880 von einem Archivar in Schwerin geöffnet. 1697 Allgemein zu Wismars Verhältnis zum Herzog in Kirchensachen S e h l i n g , Kirchenordnungen, S. 303-308. 1698 Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 276-277. 1699 Ausführlichere Fallschilderung in LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 3. 1700 P e r e l s , Justizverweigerung, S. 31; O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 66-68. 1701 Ein Rezeß zwischen Stadt und Herzog schrieb dieses Verfahren sogar fest. Der Vertrag stammt zwar erst von Ende 1581, doch scheint er mit einem Kammergerichtsprozeß von 1579 unmittelbar zusammenzuhängen, Andeutungen bei M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 93 bei Anm. 386. 1695 1696
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dieser Situation, sofern eine eindeutige Rekonstruktion des Sachverhalts möglich ist, wandten sich die Kirchenvorsteher aus Parchim an das mecklenburgische Kirchengericht in Rostock. Offenbar wollten sie den Prozeß lieber dort als vor dem Wismarer Rat durchführen. Damit hatten sie zunächst auch Erfolg. Im Dezember 1579 eröffnete nämlich das Kirchengericht mit einem Ladungsschreiben einen erstinstanzlichen Zitationsprozeß wegen derselben Forderung, die zuvor die Parchimer Kläger in Wismar eingeklagt hatten. Und am 12. September 1581 schließlich urteilten „wir Ulrich von Gottes gnaden Hertzog zu Meckelnburgh, Fürst zu Wenden, Graue zu Schwerin, der Lande Rostock und Stargard Herre, daß erwente Sache, für diß unser Kirchengerichte gehörig, und sindt die Beklagte in derselben ad proximam auff ubergebene Clage gebürlich zu handeln schüldig, Von Rechts wegen, Urkundtlich mit unsers Kirchengerichts Secrett besiegelt“1702. Die Entscheidung stellte die sachliche Zuständigkeit des Kirchengerichts fest und hob in der Tenorierung zugleich den Herzog deutlich als Gerichtsherrn der geistlichen Gerichtsbarkeit hervor. Dagegen appellierten die Wismarer Vormünder an das Reichskammergericht. Im Gegensatz zum zweiten Rostocker Rechtsstreit beteiligten sich Bürgermeister und Rat von Wismar nicht an dem Appellationsprozeß. Die Vormünder Heinrich Eichel und Joachim Reimers waren jedoch beide Bürger der Hansestadt und nahmen zugleich die städtischen Interessen wahr. Im Appellationsinstrument beriefen sich die kammergerichtlichen Appellanten darauf, weder sie noch ihr Mündel seien vor einem anderen Gericht als dem Wismarer Rat „dinckpflichtig“. Mit dieser „Landtkündigen Dingkpflichtigkeit“ argumentierten sie mehrfach1703. Das war der Hinweis auf ein Gerichtsstandsprivileg in deutlich altertümlicher Formulierung1704. Die Vormünder waren aber rechtlich beraten. Denn genau wegen des Wismarer Privilegs hielten sie das Kirchengericht für unzuständig und führten das in der Appellationsschedula näher aus. Deswegen hatten sie am Konsistorium die exceptio fori declinatoria vorgebracht, außerdem, da bereits ein Rechtsstreit in Wismar schwebte, die exceptio litis pendentiae. Der Brückenschlag zum gelehrten Recht erfuhr noch Verstärkung durch den Hinweis, „ein vereideter Underthan kan ohne seiner obrigkeit bewilligung, in eines andern Jurisdiction nicht willigen“1705. Ähnlich wie in Rostock erschien der Wismarer Rat hier als Obrigkeit, der eigene Landesherr dagegen als fremder Richter. Die Bewohner der Stadt LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 3. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 3. 1704 Mittelalterliche Bedeutungsinhalte bei W e i t z e l , Ding, Sp. 1064; Deutsches Rechtswörterbuch II, Sp. 985. 1705 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 3. 1702 1703
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waren danach Untertanen des Rates, nicht des Herzogs. Ohne Zustimmung des Rates, die natürlich nicht vorlag, sollte eine Einbindung Wismarer Parteien in kirchengerichtliche Prozesse in Rostock also nicht möglich sein. Dafür beriefen sich die Appellanten auf einen Professor der landeseigenen Juristenfakultät, nämlich auf die Konsiliensammlung des 1580, also erst ein Jahr zuvor verstorbenen Rostocker Gelehrten Lorenz Kirchhoff1706. Wenn dennoch das Kirchengericht Wismarer Parteien zwinge, in Rostock zu erscheinen, sei das eine Anmaßung für die Stadt Wismar und „Ihrer habenden Bürgerlichen Peinlichen und Geistlichen Jurisdiction gantz praeiudicirlich und nachtheilig“1707. Das war ein ganz ähnliches Argument, wie es auch die Stadt Rostock in dem zuvor geschilderten Rechtsstreit vorgetragen hatte. Der Fortgang der Auseinandersetzung war aber im Wismarer Fall ganz anders. In dieser Situation schaltete sich Herzog Ulrich von Mecklenburg persönlich in den Rechtstreit ein. Sowohl er selbst als auch sein Rostocker Konsistorium hatten eine Ausfertigung des kammergerichtlichen Kompulsorialbriefes erhalten1708. Man konnte sich also nicht wie im Rostocker Fall mit einer angeblich fehlerhaften Zustellung aus der Affäre ziehen. Die Kompulsorialen enthielten die förmliche Aufforderung, die untergerichtliche Akte an das Appellationsgericht zu senden, damit man dort die Tätigkeit des erstinstanzlichen Richters sowie den bisherigen Sach- und Rechtsvortrag der Parteien überprüfen konnte1709. Üblicherweise erstellte das Untergericht sodann eine Abschrift, die der Appellant auf seine Kosten dem Appellationsgericht vorlegte. In diesem Fall allerdings verweigerte Herzog Ulrich die Aktenabschrift und sandte einen refutatorischen Apostelbrief an das Reichskammergericht. Apostelbriefe sind aus dem mittelalterlichen gelehrten Zivilprozeß bekannt und bezeichnen die Stellungnahme des Untergerichts gegenüber dem Obergericht im Falle einer Appellation. Wenn die Appellation verfahrensmäßig und formal unproblematisch erschien, erstellte der Unterrichter einen reverentialen Apostelbrief. Hielt er die Appellation dagegen für unzulässig, machte er dies mit einem refutatorischen Schreiben
Zu Kirchhoff (1529-1580) Kr ab b e , Universität Rostock II, S. 685-686; S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte I, S. 727; G e h r k e , Entscheidungsliteratur, S. 224 Nr. 317; im Schriftsatz zitiert wird Ki r c h h o f f , Consilia, lib. 1 cons. 5 (von Kirchhoff selbst verfaßt) n. 21, S. 36; dort n. 20 S. 36 auch der Satz: „Per hanc tribueretur Sacerdotibus Parochiam siue curam habentibus ius excommunicandi, cum per consuetudinem introducatur Jurisdictio (...). Cum per diurnitatem ius constituatur.“ 1707 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 3. 1708 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 2, Relationen des Kammerboten vom 10. März und 22. März 1582. 1709 D i c k , Entwicklung, S. 202; O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 53, 148-150. 1706
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deutlich1710. Im Reichskammergerichtsprozeß hatte sich diese strenge und umständliche Verfahrensweise in der Praxis weitgehend abgeschliffen. Die Anlehnung Herzog Ulrichs an diese mittelalterlichen Gebräuche war also als solche bereits ungewöhnlich. Noch interessanter fiel freilich die Begründung aus, weshalb der Mecklenburger Landesherr sich weigerte, die Akte nach Speyer zu versenden. In emotional-erregter Sprache wies der Herzog gleich zu Beginn seines Schreibens darauf hin, die Appellanten hätten ihren Eid mißachtet, „damit sie mir alß Ihrem Landesfürsten, unnd erbherrn zugethan“. Sie hätten „kegen mich und das Hauß Mecklenburgk in dieser sachen ganz mutwillig freuenlich und unbefugter weise nicht zu geringer verschmelerung mir über sie gebürenden Obergerichts gewaltt (...) sich nichtiglich uffgelehnet, unnd zur ungebuhr bezeigt“1711. Nach nur wenigen Zeilen war es klar: Hier ging es um eine sehr grundsätzliche Auseinandersetzung. Der Herzog nahm die oberrichterliche Gewalt für sich in Anspruch und sah sich in dieser Position angefochten, wenn seine Untertanen die Unterwerfung unter das Kirchengericht bestritten. Kirchliche Gerichtsgewalt und Landesherrschaft waren aus diesem Blickwinkel deckungsgleich. Die Hinweise auf die mutwillige und frevelige Appellation spielten auf typische Schlagwörter an, die zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels führen sollten. Von hier aus entfaltete Herzog Ulrich die Mecklenburger Gerichtsverfassung. Ohne genaue Datumsangabe wies der Landesherr darauf hin, „verrückten Jahres“ hätten er und sein mitregierender Bruder Johann Albrecht1712 wegen „einreißenden gezencks, der Religion, ergernus, unrath, underdrückung und spolijrung d[er] Armen Kirchen und deren Diener mit hohen schweren (...) uncosten, zu gottes Lob, Heiligung seines teuren Namens nicht weniger auch zu gemeinem trost, erbawung, wolstandt, friede und schuz, d[er] Kirchen, Schulen underhaltung darin angehoriger guter, ein gemeines bestendiges Consistorium in der Stadt Rostockh (...) constituiret und angerichtet“1713. Mit diesen Worten begründete der Herzog gegenüber dem Reichskammergericht, warum er das Konsistorium errichtet hatte. Erstaunlicherweise fehlte in der langen Aufzählung der naheliegende, aber vielleicht selbstverständliche Hinweis auf die gerichtliche Funktion der neuen Einrichtung. Lediglich die wenig präzisen Hinweise auf Zank, Ärger und Spolien deuteZum Apostelbrief M e r z b a c h e r , Apostelbrief, Sp. 195-196; S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht, S. 158; ganz knapp nur noch in der 2. Aufl. W e i t z e l , Appellation, Sp. 271; zur mittelalterlichen Diskussion L i t e w s k i , Zivilprozeß, S. 513-515. 1711 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 4. 1712 Herzog Johann Albrecht I. (1525-1576), zu ihm S c h u l z , Johann Albrecht I., S. 239-243; T h i e r f e l d e r , Johann Albrecht I., S. 499. 1713 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 4. 1710
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ten die Gerichtstätigkeit vage an, doch sagte Herzog Ulrich das nicht klipp und klar. Aus der Grafschaft Lippe liegen Äußerungen der Regierung aus dem 18. Jahrhundert vor, die gegenüber dem Reichskammergericht die Gründung des Konsistoriums mit der Gerichtsverfassung des Reiches und Appellationsprivilegien in Verbindung brachten sowie außerdem Kontinuitäten zur katholischen Offizialatsgerichtsbarkeit betonten1714. Davon ist in dem erheblich älteren Mecklenburger Schreiben nichts zu erkennen. Lediglich indirekt war die gerichtsverfassungsrechliche Einbettung angedeutet. Die kirchlichen Händel hätten nämlich „an unserm Hoff unnd Landtgerichte schwerlich mit fuge und bequemligkeit abgewartet, noch dieselbe Jederzeit erfürdernder gelegenheit nach, schleunigk verhoret, geörtert und entscheiden werden konnen“1715. Zunächst stellte der Herzog seine Gerichtsreformen nebeneinander. Tatsächlich waren das 1558 errichtete Landgericht sowie das Hofgericht von 1568 älter als das Konsistorium1716. Diese zeitgenössische Äußerung des Gerichtsherrn ist im übrigen ein deutliches Argument gegen die Einschätzung Modéers, der den Gründungsvorgang des Mecklenburger Hofgerichts erst 1622 für abgeschlossen hält1717. Für den Herzog spielte die Reihenfolge, in der er seine Gerichte gegründet hatte, offenbar durchaus eine Rolle. Ein zweiter Punkt ist ebenfalls zeittypisch bemerkenswert. Ein Grund für die Schaffung des Konsistoriums war offenbar der Wunsch nach zügiger und schleuniger Prozeßführung. Der sachsen-lauenburgische Herzog berief sich gegenüber dem Reichskammergericht genau auf denselben Gedanken1718, und in der Tat lehnten sich Konsistorialordnungen mehrfach an das summarische Verfahren und nicht an den schwerfälligeren Zitationsprozeß an1719. In der Formulierung des Mecklenburger Herzogs war das Konsistorium eine Art Ausgliederung aus dem Hofgericht, eine funktionelle Differenzierung, nicht aber ein geistlicher Gegenpol zur weltlichen Gerichtsbarkeit. Ob die Stadt Wismar in der weltlichen Gerichtsbarkeit besondere Rechte besaß, die sie vom Landesherrn unabhängig machten und etwa in den Lü-
LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 17v, 32r-32v, 33r-33v; dazu unten bei Anm. 2083-2125. 1715 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 4. 1716 Zur Chronologie K r a u s e , Mecklenburg, Sp. 408. 1717 M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 93; gegen Modéer auch D i e s t e l k am p , Oberhof Lübeck, S. 168. 1718 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 6; Repertoriumsmitteilung bei S t e i n S t e g e m a n n , Reichskammergericht Abt. 390, S. 86; zu diesem Verfahren unten bei Anm. 1891-1916. 1719 S c h m o e c k e l , Carpzov, S. 29-31; allgemein zum summarischen Verfahren A h r e n s , Prozeßreform, S. 34-35. 1714
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becker Oberhofzug einbanden1720, erwähnte Herzog Ulrich mit keinem Wort. Dabei fanden genau gleichzeitig Verhandlungen zwischen dem Wismarer Rat und dem Landesherrn um gerade diese Frage statt1721. Dem Herzog ging es allein um die Konsistorialgerichtsbarkeit. In allen Fällen, so betonte er, wenn Wismarer Bürger erstinstanzlich am Konsistorium geklagt oder dort Rede und Antwort gestanden hätten, habe der Wismarer Rat das „mit wißentlicher geduldt geschehen lassen“. Dabei habe es sich keineswegs um geheime Verfahren gehandelt, denn die Ladungen seien als „offentliche, und von d[er] Cantzel zu Wismar abgelesene proclamata“ weithin bekannt geworden. In einem zweiten Schritt erläuterte der Herzog sodann den Instanzenzug in Konsistorialsachen. Das war ein ganz neuer Gesichtspunkt, der ein eigenes Unterkapitel wert ist1722. Zum Beweis für seine Rechtsauffassung fügte der Mecklenburger Landesherr zunächst seinem refutatorischen Apostelbrief eine Liste mit etwa zehn Wismarer Parteien an, die seit „Anno 70 da das Consistorium angeordnet“, dort ihre Prozesse geführt hatten1723. Auf diese Weise schob Ulrich den Wismarern den Schwarzen Peter zu. Die gegenwärtigen Appellanten, so mochte man zwischen den Zeilen ergänzen, lehnten sich gegen eine Verfahrensweise auf, die der Herzog als völlig normal und üblich einschätzte und die sich vielfach bewährt hatte. Wie genau die angegebenen Jahreszahlen zu nehmen waren, ist in der Rückschau schwer zu beurteilen. Jedenfalls betont die neuere Literatur teilweise, das Mecklenburger Konsistorium sei nicht 1570, sondern 1573/74 errichtet worden1724. Das kann hier dahinstehen, und die ältere Literatur nannte auch das frühere Datum1725. Wichtig war aus landesherrlicher Perspektive allein dreierlei: Erstens handelte es sich beim Konsistorium um ein vom Herzog ins Leben gerufenes Gericht, zweitens folgte seine Gründung der Errichtung des Hofgerichts zeitlich nach, und drittens hatten die Stadt Wismar und ihre Bürger die Gerichtsgewalt des Konsistoriums schon mehrfach akzeptiert. Die städtischen Appellanten bestritten die Darstellung des Herzogs und protestierten gegen die landesherrliche Weigerung, die Prozeßakte herauszugeben. Die Stadt Wismar unterstützte das Anliegen der kammergerichtlichen Kläger und bat den Herzog, unter dem Konsistorialsiegel die Aktenabschrift D i e s t e l k a m p , Oberhof Lübeck, S. 171, mit einem Beispiel von 1581; R i c c i u s , Entwurff, S. 108, mit Verweis auf ein Privileg von 1548. 1721 M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 93-95. 1722 Sogleich unten nach Anm. 1741. 1723 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 3 am Ende. 1724 S t u t z , Lexikon, S. 335. 1725 S e h l i n g , Kirchenordnungen, S. 231-247; S a c h s s e , Mecklenburgische Urkunden, Nr. 109 S. 262; S c h r a d e r , Mecklenburg, S. 178. 1720
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zu erstellen. Auf diese Weise sollte er die im Kompulsorialbrief angedrohte Geldstrafe vermeiden1726. Das war kurios, denn unter dem Deckmantel der untertänigen Bitte verbarg sich die unverhohlene Drohung des Wismarer Rates mit Vollstreckungsmaßnahmen. Da die Stadt weder Prozeßpartei war noch darüber entscheiden konnte, ob die kammergerichtliche Strafe tatsächlich verhängt wurde, erstaunt die Vorgehensweise umso mehr. Immerhin stellten sich die Ratsherren im Jurisdiktionskonflikt offen gegen die Begehrlichkeiten des Konsistoriums und pochten auf ihre Eigenständigkeit. Die Appellanten selbst wiesen ausführlich darauf hin, daß die „Statt Wißmar, so woll die Peinliche, als Purgerliche Jurisdiction daselbst uber alle, unnd Ide deren Bürger, unnd Einwohner, sie seien was standts sie wöllen, geistlich, od[er] weltlich, sie wohnen in der Stat Wißmar unnd einwendig deren Landwehren, an was orten, unnd Pletzen sie mugen, nicht allein zustendig sei“1727. Die Redeweise von der peinlichen und bürgerlichen Gerichtsbarkeit war eine Art Generalklausel. Sie stand für die umfassende Jurisdiktionsgewalt der Stadt. Der Herzog als Gerichtsherr seines eigenen Territoriums tauchte an dieser Stelle bezeichnenderweise überhaupt nicht auf. Allerdings ergab sich ein Problem. Wismar verfügte über landesherrliche Privilegien, die seit 1266 belegt sind und im 14. Jahrhundert mehrfach bestätigt wurden. Auch von 1544 ist das herzogliche Versprechen bekannt, die Stadt in ihren hergebrachten Privilegien und Freiheiten sowie ihrem lübischen Recht und Gericht zu schützen1728. Der Landesherr konnte seiner Stadt freilich nur diejenigen Rechte übertragen, die er selbst besaß. In vorreformatorischer Zeit waren dies durchaus die peinliche und bürgerliche Gerichtsbarkeit, nicht jedoch die Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten. Die kirchliche Jurisdiktion fehlt denn auch bezeichnenderweise in der Aufzählung der kammergerichtlichen Appellanten. Hier argumentierten die Appellanten mit einer anderen Akzentsetzung. Die Vorfahren des jetzigen Rates, so hieß es, hätten „nach reformirter Religion über 10. 20. 30. 40. 50. unnd mehr Jahren solche Jurisdiction, in geistlich und weltlichen sachen, uber Ihre bürger gebraucht, auch d[er] Rhatt noch Itzo solche Jurisdiction gebrauche“1729. Während es zunächst also hieß, die Stadt Wismar besitze die Zuständigkeit in bürgerlichen und peinlichen Rechtsstreitigkeiten, war nunmehr vom geistlichen und weltlichen Recht die Rede. Anknüpfungspunkt war die Reformationszeit. Seitdem habe die Stadt die Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten jedenfalls faktisch allein ausgeübt. Die Appellanten konnten jetzt schlecht behaupten, der Landesherr habe dem Wismarer Rat die iurisdictio in geistlichen Sachen ausdrücklich LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 9. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 15. 1728 R i c c i u s , Entwurff, S. 107-108; ergänzend E b e l , Lübisches Recht, S. 44-45. 1729 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 15. 1726 1727
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verliehen. Das taten sie auch nicht. Nach dieser Darstellung war die städtische Kirchengerichtsbarkeit nämlich älter als das landesherrliche Konsistorium. Die Appellanten wiesen damit modern gesprochen auf die normative Kraft des Faktischen hin1730, die ihrer Ansicht nach in diversen Privilegien ausdrücklich anerkannt war. Denn mehrere Mecklenburger Herzöge hätten der Stadt versichert, „das der Rhatt zue Wißmar das Jenige, so die selben zwo Jare rechtlich unbelanget, ruhelich gebrauchet unnd hergebracht, durchaus veriehret, unnd daß der Rhatt zue Wißmar bei solcher veriährung, bei Irem g[nädigen] Landsfürsten unnd Erbherren den Hertzogen zu Meckleburg, gnediglich geschützet, unnd gehandhabet“1731. Das war eine Anlehnung an die gelehrte Doktrin zur Bildung von Gewohnheitsrecht, eingekleidet freilich in die noch mittelalterlich anmutenden Gerichtsstandsprivilegien. Die Präskription, die lange Verjährungszeit, war eine Voraussetzung für die Entstehung einer consuetudo im gelehrtrechtlichen Sinne. Die genaue Dauer dieser Frist war im kanonischen und römischen Recht verschieden bemessen, jedoch erheblich länger als lediglich zwei Jahre1732. Die Appellanten behaupteten damit, der Landesherr habe in nachreformatorischer Zeit der Stadt Wismar zwar die geistliche Gerichtsbarkeit nicht verliehen, jedoch die städtische Praxis, wonach der Rat diese Jurisdiktion faktisch ausgeübt habe, nicht beanstandet. Deswegen unterfalle die geistliche Gerichtsgewalt nunmehr ebenfalls den Rechtsgewährungen der städtischen Privilegien. So schnell sollte das gehen. Diese Argumentation konnte es nur in einem protestantischen Territorium geben. Nur dort nämlich war die ältere überterritoriale geistliche Gerichtsbarkeit weggefallen und der Landesherr nunmehr zumindest grundsätzlich in der Lage, über diesen Teil seiner neu hinzugewonnenen Gerichtsgewalt zu verfügen. Die Grenzen im Einzelfall waren damit ebenfalls markiert. Gegen bestehende Privilegierungen konnte sich kein Fürst durchsetzen. Und gleichzeitig konnte der Umfang städtischer Privilegien durch kleine tatsächliche Veränderungen schleichend immer weiter wachsen. So jedenfalls kam die Lehre den Städten zugute1733. Zugleich erkennt man die Gefährdung, die aus der Durchlöcherung älterer Privilegien entstand. Eine mittelalterliche Verleihung peinlicher und bürgerlicher Jurisdiktionsgewalt schnitt eine Stadt von der Gerichtsbarkeit Zur berühmten Formulierung Georg Jellineks S t o l l e i s , Geschichte II, S. 452. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 15. 1732 B r i e , Gewohnheitsrecht, S. 105-107, 142-143, 196. 1733 Im Ergebnis ähnlich M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 96, wonach der Rat seine Kompetenzen erweitert habe; T e c h e n , Geschichte der Seestadt Wismar, S. 139: Gerichtsbarkeit des Konsistoriums nie voll in Wismar anerkannt. 1730 1731
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des Landesherrn vollständig ab und gab ihr Unabhängigkeit. Durch die Reformation war genau dies wieder fraglich, denn die Gerichtsgewalt des Landesherrn umfaßte nunmehr weitere sachliche Zuständigkeiten, die von den alten Privilegien nicht geregelt waren. Tendenziell konnte sich dies nur zu Ungunsten privilegierter Gerichtsstände auswirken. Selbst nach der Rechtsauffassung der Wismarer Appellanten konnte ein landesherrlicher Protest den Übergang der geistlichen Gerichtsbarkeit auf die Stadt Wismar jederzeit verhindern. Nur wegen der Besonderheiten des Einzelfalls war es hier anders. Der herzogliche Widerspruch war nicht rechtzeitig erfolgt, und das Konsistorium war zu spät ins Lebens getreten, um die landesherrlichen Rechte gegenüber der Hansestadt zu wahren. Deswegen sollte Wismar seine volle jurisdiktionelle Unabhängigkeit vom Herzog behalten, auch in Konsistorialsachen. Trotzdem läßt sich der durch die Reformation begründete Machtzuwachs des Landesherrn in seiner Gerichtsgewalt auch in der Argumentation der Appellanten deutlich erkennen. Die Stadt hatte sich nämlich rückversichert und an höchster Stelle um Unterstützung bemüht. Der Rat hatte seine diversen Privilegien dem römisch-deutschen Kaiser Rudolf II. vorgelegt und von ihm bestätigen lassen. Das geschah nach der Errichtung des Landeskonsistoriums und sicherlich nicht ohne Blick auf die nach Wismar ausgreifende herzogliche iurisdictio. Die entsprechende kaiserliche Konfirmation der Privilegien ging in Druck und liegt der Akte bei1734. Die Gründung des mecklenburgischen Konsistoriums konnten die Wismarer Appellanten freilich schlecht leugnen. Sie versuchten zunächst, seine Zuständigkeit auf streitige „ehe, unnd Lehr sachen“ zu begrenzen1735. Zudem, und das war viel wichtiger, hatte „die Stat Wißmar sich biß anhero dem Meckelburgischen Consistorio, nit allein nicht und[er]worffen, sondern auch auf den Meckelburgischen Landtagen, So nach anrichtung des Consistorii gehalten offentlich Protestiren laßen, daß deren Bürger, unnd Einwohner, des Consistorii Jurisdiction, nicht underworffen sein sollten“1736. Hier erkennt man besonders deutlich, wie die privilegierte Landstadt den landesherrlichen Machtzuwachs zu begrenzen suchte. Sehr klar malte der Schriftsatzverfasser aus, wie das Konsistorium im Begriff stand, dem Wismarer Rat die Gerichtsgewalt in wichtigen Sachen zu entziehen. Überdies war für Bürger und Einwohner von Wismar die Rechtsverfolgung „mit wennig uncostung an der Stat Wißmar Gerichten“ möglich, während der Konsistorialprozeß in Rostock offenbar erheblich teurer und aufwendiger war. Gudian hat gemeint, die Einführung der Appellation habe im Vergleich zum überkommenen Schöffenrecht zu einer erheblichen ZuLHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 16. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 15. 1736 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 15. 1734 1735
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nahme der Prozeßkosten geführt1737. Die Äußerung der Appellanten zielt genau in diese Richtung. Ein traditionelles ortsansässiges Ratsgericht war danach in der Lage, einen Rechtsstreit kostengünstiger zu entscheiden als ein gelehrtes Landesgericht. Das konnte stimmen, mochte aber auch Prozeßtaktik sein. Der Rechtsstreit zwischen den Wismarer Vormündern und den Kirchenvorstehern aus Parchim endete in Speyer mit einer letzten Audienz im Januar 1587. Das Protokollbuch schließt zwar mit einem Expeditumvermerk, doch ist unklar, ob lediglich eine Fristverlängerung oder eine Entscheidung in der Sache verkündet wurde1738. Weitere Konflikte aus Wismar um die geistliche Gerichtsbarkeit sind nicht überliefert1739. Allerdings dürften es kaum zufällig Prozesse aus Rostock und Wismar gewesen sein, also aus zwei wichtigen Hansestädten, die in Mecklenburg den Anlaß boten, über die Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten umfassend zu diskutieren. Die mittelalterlichen Gerichtsstandsprivilegien hatten beide Städte von der landesherrlichen iurisdictio befreit und in den Lübecker Oberhofzug eingebunden. Mit der lutherischen Reformation erweiterte sich aber zugleich die Gerichtsgewalt des Landesherrn. Die privilegierte Loslösung der Städte von der Landesherrschaft geriet ins Wanken, jedenfalls in kirchlichen Streitigkeiten wurde vieles unklar. Die Mecklenburger Herzöge versuchten, durch die Einbindung beider Städte in ihre geistliche Gerichtsgewalt zugleich ihre Landesherrschaft über Rostock und Wismar zu festigen. Das betraf nicht nur die Zeit nach Gründung des Konsistoriums. Bereits vorher war das Problem überdeutlich, als der Lübecker Rat eine im Oberhofzug an ihn ergangene Urteilsbitte ablehnte und die Sache an den Mecklenburger Herzog als Inhaber der geistlichen Jurisdiktion verwies. Indem der Lübecker Rat seine Oberhoffunktion auf eindeutig weltliche Fälle begrenzte, verschaffte er den Mecklenburger Herzögen doch einen bequemen Ansatzpunkt, von dem aus sie die Einbindung der Hansestädte Wismar und Rostock in landesherrliche Herrschaftsstrukturen vorantreiben konnten. Zugleich zeigt das Beispiel, wie der Lübecker Rat die auf dem Silbertablett servierte Möglichkeit, seine Oberhoffunktion auf geistliche Angelegenheit auszudehnen, verwarf. Indirekt unterstützte er damit die Gerichtsgewalt G u d i a n , Appellation, S. 1-8. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Protokollbuch. Bereits am 17. Oktober 1582, 16. August 1585 und 4. Oktober 1586 ergingen Zwischenurteile, jeweils als Aufforderungen an den appellantischen Prokurator. 1739 Ob T e c h e n , Geschichte der Seestadt Wismar, S. 468 Anm. 97, und M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 95-96, mit einem Wismarer Appellationsprozeß von 1585 auf den hier behandelten Fall anspielen, ist unklar. Beide geben weder die Parteien noch die Signaturnummer an. 1737 1738
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benachbarter Fürsten. Damit trugen die Lübecker Ratsherren im Ergebnis ungewollt selbst zur Schwächung ihrer überregionalen richterlichen Autorität bei. Freilich konnte die Stadt Wismar ihre gerichtliche Autonomie teilweise bis 1879 bewahren1740. Um 1600 konnte dies aber niemand voraussehen. Angesichts der großen Bedeutung der kirchlichen Angelegenheiten ist jedenfalls deutlich darauf hinzuweisen, daß die Sonderstellung der Wismarer Gerichtsbarkeit nur im weltlichen Recht unstreitig war. Wenn in einem etwas späteren Reichskammergerichtsprozeß von 1617 die „Landesfürstliche Oberkeit, alß der Kirchen Oberste Patronen“ erschien1741, war das mit einer eigenständigen geistlichen Gerichtsbarkeit privilegierter Orte nicht vereinbar und sollte es wohl auch nicht sein.
2. Der mecklenburgische Instanzenzug in Konsistorialsachen In Mecklenburg war die Appellation an das Reichskammergericht in geistlichen Streitigkeiten möglich und weithin anerkannt. In diesem wesentlichen Punkt unterscheiden sich die Mecklenburger Reichskammergerichtsprozesse um die Abgrenzung kirchlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit von den übrigen Territorien. Auch sah die Praxis dort anders aus, als die zeitgenössische Literatur sie übereinstimmend schilderte. Das ist erstaunlich und bedarf näherer Ausführung, denn anderswo gab es genau um diese Frage erbitterten Streit. Die bisherige Quellenauswertung hat mehrfach gezeigt, wie unsicher eindeutige Aussagen über das frühneuzeitliche Prozeßrecht und die Gerichtsverfassung sind. Die mecklenburgischen Akten bilden ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sich das Instanzenproblem zunehmend verflüchtigte, nachdem es in der Frühzeit durchaus noch bestanden hatte. Die Gegenprobe ist nicht schwer: Oftmals verzichtete ein Appellat darauf, den auf der Hand liegenden Vorwurf zu erheben, das Obergericht sei unzuständig. Zugleich ist dies ein wichtiges Zeichen für einen grundsätzlichen Konsens. Beide Parteien hielten die vom Appellanten eingelegte Appellation in geistlichen Sachen für erlaubt. Der eingschlagene Weg zum Reichskammergericht stand damit offen. Ein solcher Gleichklang zeigt sich in den Quellen ab dem Ende des 16. Jahrhunderts in erstaunlicher Regelmäßigkeit.
1740 1741
E b e l , Lübisches Recht, S. 45. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 738, Aktenstück Q 10.
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a) Streit um den Rechtsmittelzug 1560 Streit um den Rechtsmittelzug in geistlichen Gerichtssachen gab es vor 1590 offenbar lediglich in zwei Fällen, danach gar nicht mehr. Der älteste Beleg stammt von 1560. Oben war bereits in anderem Zusammenhang von dem Prozeß die Rede. Die Ältermänner des Rostocker Goldschmiedeamtes wandten sich damals an das von ihnen so bezeichnete „Heiliges Christlickes Keiserliches Chamergericht“ mit einer Appellation. Der Lübecker Rat hatte einen im Oberhofzug an ihn gelangten Fall kurzerhand „ahn den Ordinarium“, nämlich den Mecklenburger Herzog als Administrator des Stifts Schwerin, zurückverwiesen1742. Dagegen trat vor dem Reichskammergericht der Schriftsatzverfasser der Rostocker Witwe Tilsche Leppin auf und reichte seine Exzeptionsschrift zu den Akten. Darin beschrieb er den Streit zwischen den Parteien als Auseinandersetzung um „collationem uel praestationem beneficii Ecclesiastici“. In der Tat ging es um einen Altar in der Rostocker Petrikirche und die damit verbundenen Vikareirechte. „Dergleichen sachen“ allerdings, war sich der Anwalt der Witwe sicher, könnten „weder vor dem weltlichen gericht zu Rostock oder Lübeck, noch auch an dissem keyserlichenn Cammergericht Irer art unnd herkomen nach, erortert werden“, sondern gehörten zur alleinigen Zuständigkeit des Herzogs als Administrator von Schwerin1743. Mehr als dieser kurze Hinweis tauchte nicht auf. Es gab keine umfangreichen Rechtsausführungen und auch keine Rechtsquellenverweise oder Zitate aus dem gelehrten Schrifttum. Das entspricht freilich dem Befund zahlreicher Mecklenburger Kammergerichtsprozesse. Die Schriftsätze waren recht grob gehobelt und frei von gelehrtem Zierat. Dennoch zeigt der knappe Hinweis Umsicht in der wesentlichen Rechtsfrage. Das Reichskammergericht war in kirchlichen Angelegenheiten unzuständig, und genau das war als Argument um 1560 in Rostock bekannt und floß auch so in die Prozeßführung ein. Der Rechtsstreit in Speyer scheint versandet zu sein, eine letzte Audienz fand im November 1566 statt1744. Im Umkehrschluß ergibt sich daraus ein wichtges Ergebnis, denn das Kammergericht fällte in diesem wie in vielen anderen Zuständigkeitsstreitigkeiten kein Sachurteil. Ein fester Beleg für das Reichskammergericht als unstreitige Appellationsinstanz in derartigen Sachen, wie die Goldschmiede gehofft haben mögen, fehlt damit. Dieses Beispiel stammt aus der Zeit noch vor der Gründung des landesherrlichen Kirchengerichts in Rostock. Oberster kirchlicher Richter war demnach der Herzog LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 7; Repertoriumsangabe bei S t e i n S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 511. 1743 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 8. 1744 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Protokollbuch vom 13. November 1566. 1742
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in Person, und in seiner Eigenschaft als Administrator des Bistums Schwerin wollte er keiner auswärtigen gerichtlichen Kontrolle unterstehen. Weitere Versuche, seine geistliche iurisdictio auf der Bühne der Reichsjustiz anzukratzen, sind nicht überliefert.
b) Herzog Ulrich von Mecklenburg und der Instanzenzug Das entscheidende Mecklenburger Verfahren fand zwanzig Jahre später und damit wenige Jahre nach Errichtung des Konsistoriums statt. Es handelt sich um den bereits angesprochenen Prozeß zwischen den Wismarer Vormündern eines Bastian Brotheckers und den Vorstehern der Kirche zu Parchim aus den frühen 1580er Jahren1745. Hierbei ging es zum einen um die Frage, ob der Wismarer Rat in nachreformatorischer Zeit die erstinstanzliche Zuständigkeit in geistlichen Rechtssachen erworben hatte oder ob das Rostocker Kirchengericht auch für Wismarer Einwohner zuständig war. In diesem Fall verweigerte Herzog Ulrich von Mecklenburg als iudex a quo die Herausgabe der erstinstanzlichen Prozeßakte an das Reichskammergericht und ging in seinem refutatorischen Apostelbrief umfassend auf die mecklenburgische Gerichtsverfassung ein. Aus dem 18. Jahrhundert sind Quellen aus Lippe bekannt, in denen die landesherrliche Regierung aus der Rückschau von über 150 Jahren die Gründung des Konsistoriums erläuterte1746. Demgegenüber führt das Schreiben von Herzog Ulrich viel näher an die Ereignisse heran. Der Herrscher, der selbst die Gerichtsbarkeit in seinem Herzogtum neu organisiert hatte, legte darüber Rechenschaft ab. Ob man es mit der ungeschminkten historischen Wahrheit zu tun hat, ist wie immer unklar, denn der Herzog verfolgte mit seinem Schreiben durchaus seine eigenen Interessen. Ihm kam es gerade darauf an, seine territoriale Gerichtsgewalt gegenüber dem Reichskammergericht zu verteidigen. Da er aber prinzipiell die Appellationsmöglichkeit nach Speyer zugestand und damit im Gegensatz zu anderen Landesherren keine Autonomie seiner kirchlichen Gerichtsbarkeit in Anspruch nahm, besitzt seine Stellungnahme hohen Wert. Es ging nämlich im Gegensatz zu anderen protestantischen Territorien nicht darum, die landesherrliche iurisdictio in geistlichen Sachen von der Reichsgerichtsbarkeit abzukoppeln. Lediglich ihre Mehrstufigkeit war es, die der Herzog näher erläuterte. Und das war eine Besonderheit.
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Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 276-277. LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 40r-47r; dazu unten bei Anm. 2087, 2098-2106.
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Ulrich von Mecklenburg betonte, er habe gemeinsam mit seinem Bruder, dem Herzog Johann Albrecht I.1747, „ein gemeines bestendiges Consistorium in der Stadt Rostockh“ eingerichtet1748. Die Gründung sei erfolgt wegen „einreißenden gezencks, der Religion, ergernus, unrath, undertrückung und spolijrung d[er] Armen Kirchen und deren Diener mit hohen schweren unsern uncosten, zu Gottes Lob, Heiligung seines teuren Namens nicht weniger auch zu gemeinem trost, erbawung, wolstand, friede und schuz, d[er] Kirchen, Schulen underhaltung darin angehoriger guter“1749. Wenn die lippische Regierung deutlich später die Errichtung der Konsistorialgerichtsbarkeit unmittelbar mit dem landesherrlichen Willen verknüpfte, sich den obersten Reichsgerichten zu entziehen1750, sagte Herzog Ulrich dazu kein Wort und stellte die rein kirchlichen Zwecke in den Mittelpunkt. An dieser Stelle sprach er sogar wörtlich vom Konsistorium, während sonst in Mecklenburg der Name Kirchengericht gebräuchlicher war. Aber daß es sich um ein Gericht handelte, wurde im Mecklenburger Schriftsatz erst im Anschluß daran deutlich. Das Konsistorium, so der Herzog, solle nämlich diejenigen Fälle verhandeln, die am „Hoff unnd Landtgerichte schwerlich mit fuge und bequemligkeit abgewartet, noch dieselbe Jederzeit erfürderner gelegenheit nach, schleunigk verhoret, geörtert und entscheiden werden konnen“1751. Dieser Punkt tauchte oben in anderem Zusammenhang schon einmal auf. Gerade die Verfahrensbeschleunigung, die als Argument diente, scheint tatsächlich einer der Gründe für die Trennung der Konsistorialsachen von der ordentlichen Gerichtsbarkeit gewesen zu sein1752. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Fortgang der herzoglichen Gedankenführung. Sollten die Konsistorialräte „einiche nullitet“ oder andere Verfahrensfehler begangen haben, legte der Herzog hilfweise das Rechtsmittelverfahren dar, wie er es sich vorstellte. Zunächst müsse in diesem Fall die beschwerte Partei „vom Consistorio, vor mein Hoff od[er] Landtgericht, und folgig, da Inen daselbst nicht ladungk oder gefellig Recht begegnete, ferner in E[urer] M[ajestät] löbliches Cammergericht“ appellieren1753. Damit ging Herzog Ulrich von einem dreigestuften Instanzenzug in kirchlichen Rechtssachen aus. Das Rostocker Konsistorium bildete das erstinstanzliche Gericht, das für alle Landesuntertanen in geistlichen Streitigkeiten ausschließlich zuständig war. Die Appellation
Herzog Johann Albrecht I. (1525-1576), zu ihm S c h u l z , Johann Albrecht I., S. 239-243; T h i e r f e l d e r , Johann Albrecht I., S. 499. 1748 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 4. 1749 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 4. 1750 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 46r, 52v-53v. 1751 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 4. 1752 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 6; S c h m o e c k e l , Carpzov, S. 17-32. 1753 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 4. 1747
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gegen Konsistorialurteile sollte sodann an das Hof- oder Landgericht erfolgen. Eine genauere Abgrenzung beider Institutionen Hof- und Landgericht war offenbar nicht geboten. Wegen der teilweise getrennten Herrschaftsgebiete im Mecklenburger Länderverbund war eine nähere Aufschlüsselung auch kaum sinnvoll. In der Tat bestand ein Hofgericht in Güstrow, das in 340 weltlichen Fällen die Vorinstanz reichskammergerichtlicher Prozesse bildete, freilich nur bis 16231754. Das Hofgericht Wismar ist zwischen 1512 und 1604 insgesamt in 43 Fällen als Vorinstanz nachweisbar1755, das Hofgericht Schwerin in 111 Prozessen aus dem Zeitraum von 1540-16221756. Ohne Ortsangabe ist das Mecklenburger Hofgericht zwischen etwa 1534 und 1625 als Vorinstanz in 33 Prozessen belegt1757, während das Hof- und Landgericht unter dem untechnischen Doppelnamen von 1621 bis zum Ende des Alten Reiches 1806 in der großen Zahl von 189 Prozessen Ausgangspunkt der späteren reichsgerichtlichen Klagen war1758. Diese Größenordnungen deuten knapp die überlappenden und nicht klar geschichteten Zuständigkeiten der Landesgerichte an. Um 1580 konnte von einem einheitlichen herzoglichen Gericht keine Rede sein, und dementsprechend stellte die gemeinsame Nennung von Hof- und Landgericht schlichtweg einen Hinweis auf das weltliche Gericht Herzog Ulrichs dar. Der Herzog betonte also die doppelte Funktion des Hof- und Landgerichts. Zusätzlich zu den Fällen, in denen die landesherrlichen Gerichte erstinstanzlich als Zivilgerichte tätig waren und damit die Vorinstanz kammergerichtlicher Appellationen bildeten, sollten sie zugleich zweitinstanzlich für Konsistorialsachen zuständig sein. In Mecklenburg gab es wie in vielen mittleren Territorien kein Oberkonsistorium als förmliche zweite Instanz der evangelischen Kirchengerichtsbarkeit1759. Der Sache nach war das Hof- und Landgericht deswegen nicht nur weltliches erstinstanzliches Gericht, sondern zugleich kirchliches Appellationsgericht. Das entsprach genau der Rechtsstellung, die auch der Lübecker Rat als erstinstanzliches Obergericht in Zivilsachen sowie als Appellationsinstanz in Konsistorialsachen einnahm1760. Damit war in MeckAuflistung bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 1193-1195. S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 1205-1206. 1756 S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 1203-1204. 1757 S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 1198. 1758 S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 1199. 1759 Kurzer Hinweis auf Oberkonsistorien als Appellationsgerichte in größeren Territorien bei W i e s e , Handbuch III/1, S. 236; S c h l ü t e r , Calvinismus, S. 141. 1760 H a u s c h i l d , Kirchengeschichte, S. 277; G r aß m a n n , Beständeübersicht, S. 72; dazu oben bei Anm. 1559. 1754 1755
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lenburg wie in Lübeck zugleich das Stufenverhältnis von geistlichem und weltlichem Gericht klargestellt. Zwischen dem Konsistorium und dem Hofund Landgericht bestand keine Gleichrangigkeit. Die beiden Landesbehörden standen vielmehr in einem klaren Über-Unterordnungsverhältnis zueinander. Vom Hof- und Landgericht ging die weitere Appellation an das Reichskammergericht, wie Herzog Ulrich betonte, vom Konsistorium dagegen nicht. Genau hier lag der Unterschied zu Lübeck. In der Reichsstadt war die Appellation nur gegen Zivilurteile des Rates möglich, nicht jedoch gegen zweitinstanzliche Appellationsurteile in Konsistorialsachen. Diese Differenzierung war in Mecklenburg ungebräuchlich, vielleicht auch gar nicht vorgesehen. Tatsächlich gab es in der herzoglichen Stellungnahme keine Unterscheidung zwischen weltlichen und geistlichen Streitigkeiten. Ausdrücklich bezog der Landesherr seine Darstellung sogar auf geistliche Prozesse mit dem Konsistorium als Ausgangspunkt. Damit bleibt ein erstaunliches Zwischenergebnis festzuhalten: Mecklenburg unterstellte seine evangelische Konsistorialgerichtsbarkeit im Gegensatz zu den meisten anderen protestantischen Territorien voll und ganz den Reichsgerichten. Die in anderen Territorien bedeutsame völlige gerichtliche Autonomie des Landesherrn in Kirchensachen beanspruchte der Herzog gar nicht für sich. Warum Ulrich von Mecklenburg auf diese Weise seine landesherrliche Gerichtsgewalt stärker als üblich einschränkte, ist unklar. Immerhin gibt der Apostelbrief einen Anhaltspunkt. Der Herzog wies nämlich darauf hin, das von ihm dargestellte gestufte Appellationssystem sei mit der „ganzen Mecklenburgischen Landtschaft einhelliger beliebung“ erfolgt1761. Dessen könnten selbst seine „gehorsame Erbunterthanen Bürgermeister und Radth d[er] Stadt Wismar (...) nicht abredig sein“1762. Ohne nähere Angabe zum Datum und näheren Verfahren berief sich Herzog Ulrich damit auf einen älteren Konsens, einen einstimmigen Beschluß von Landständen und Herzog, den Mecklenburger Instanzenzug in Konsistorialsachen genauso zu handhaben wie zuvor geschildert. Diese „Beliebung“ schwächte zwar die herzoglichen Rechte im Vergleich zu den meisten anderen Territorien, aber das konnte Herzog Ulrich augenscheinlich akzeptieren. Im Gegenzug brachte ihm der Kompromiß die geistliche Jurisdiktionsgewalt über diejenigen Städte ein, die in weltlichen Sachen auf ihre noch mittelalterlichen Gerichtsstandsprivilegien pochen konnten. Die Eindämmung mittelalterlicher Sonderrechte und vielleicht auch die Austrocknung der im Ostseeraum noch lebendigen Oberhofzüge waren handfeste Vorteile für den Herzog. Offenbar wogen sie die etwas 1761 1762
LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 4. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 4.
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engere Einbindung in die Gerichtsverfassung des Alten Reiches mehr als auf. Das ist lediglich eine Vermutung. Sie könnte allerdings erklären, warum die Interessenlage des Mecklenburger Landesherrn sich so deutlich von der auf kirchliche Eigenständigkeit bedachten Politik der Reichsstädte Lübeck und Hamburg sowie der Grafschaft Lippe unterschied. Denn dort gab es keine Oberhofzüge in landesfremde Städte mehr.
c) Kritik an der herzoglichen Gerichtsverfassung Die Stellungnahme Herzog Ulrichs aus den frühen 1580er Jahren sollte nicht unwidersprochen bleiben. Widerstand flammte auf, klar und sofort im selben Rechtsstreit. Erstaunlicherweise bestritten nämlich die kammergerichtlichen Appellanten den vom Mecklenburger Landesherrn dargestellten Rechtsmittelweg. Die Appellanten waren sicherlich anwaltlich gut beraten und vertraten mit hoher Wahrscheinlichkeit die Rechtsauffassung, die auch der Wismarer Rat unterstützte. Daß die Parteien im Zivilprozeß über Tatsachen stritten, wäre als solches nichts weiter als eine Selbstverständlichkeit gewesen. Wenn allerdings Untertanen ihrem Fürsten vorwarfen, er verbreite Lügen über seine eigene Gerichtsverfassung, ist das durchaus bemerkenswert und kam nur selten vor. In zivilprozessual ganz technischem Sinne bestritten die Appellanten die herzoglichen Rechtsausführungen: „Ob aber darwid[er] obgedachte Consistorialn In vielgemelt[em] Documento Refutatorio einwenden, das die gantze Meckelburgische Lanndschafft einhelligklich bewilliget haben soll, das vom Consistorio zu Rostock, erstlich an das Meckelburgische Hofgericht unnd von dem Hofgericht an das Kay[serliche] Cammergericht appellirt werden soll, (...) So konnen, unnd wollen doch die Appellanten solche angezogene bewilligung nit Ehr glauben, Ehe dieselbe von den Consistorialn, wie sich geburet, bescheiniget würd“1763. Modern gesprochen, handelte es sich um eine Erklärung mit Nichtwissen. Die Wismarer Vormünder bestritten den angeblich im Einvernehmen mit den Landständen vereinbarten Instanzenzug vom Konsistorium an das Hofgericht und sodann an das Reichskammergericht, solange der Landesherr dafür keinen stichhaltigen Beweis lieferte. Den unmittelbaren Konflikt mit dem Herzog schwächten sie ab, indem sie sich ausdrücklich lediglich gegen die Konsistorialräte wandten, obwohl der Apostelbrief in erster Person singular aus landesherrlicher Perspektive formuliert war. Jedenfalls verlangten die Appellanten eine förmliche Beweisführung über den mit der Landschaft beschlossenen Rechtsweg. Zugleich führten sie zahlreiche Argumente auf, warum die landesherrliche Rechtsauffassung aus ihrer Sicht unzutreffend war. Irrtümer 1763
LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 15.
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waren ausgeschlossen, das verlieh dem Streit explosive Kraft. Der Landesherr konnte über die Rangordnung seiner eigenen Landesgerichte nicht im unklaren sein. Also mußte er das Reichskammergericht belogen haben. Genau das unterstellten die Appellanten ihm. An erster Stelle ging es um die Konsistorialordnung. Wenn dort dem Rostocker Kirchengericht die Entscheidung der vor das Konsistorium gehörigen Sachen „ohn vermeldung d[er] Appellation befohlen“ war, so schloß das nach appellantischer Einschätzung zwar die Appellation an das Hofgericht, nicht aber an das Reichskammergericht aus. Damit gab es einen zwei-, nicht aber dreigliedrigen Instanzenzug. Auch die landesherrliche Begründung für die Errichtung des Konsistoriums deuteten die Appellanten in ihrem Sinne. Denn vor das Konsistorium gehörten diejenigen Streitigkeiten, die „am Meckelburgischen Hofgericht fueglich nit zuerörtern“ waren. Die Entscheidung von Konsistorialsachen könne nämlich „am Meckleburgischen Hofgerichte schwehrlich mit fueg, unnd bequemlichaitt abgewartet“ werden1764. Bei diesen Zitaten handelte es sich um nahezu wörtliche Anspielungen auf den herzoglichen Apostelbrief. Die Versatzstücke als solche ergaben freilich genau den entgegengesetzten Sinn, den Herzog Ulrich von Mecklenburg ihnen beimessen wollte. Denn in der Zusammenstellung der Appellanten konnte daraus nichts anderes folgen, als daß sich die sachliche Zuständigkeit von Hofgericht und Konsistorium gegenseitig ausschlossen. Im übrigen ist eine kleine sprachliche Abweichung bemerkenswert. Während Herzog Ulrich eher allgemein vom Hof- und Landgericht sprach, redete der appellantische Schriftsatzverfasser präziser nur vom Hofgericht. Ob damit sachliche Veränderungen verbunden sein sollten, geht aus den Schriftsätzen nicht hervor. Die jeweils eigene ausschließliche Zuständigkeit von Hofgericht und Konsistorium für die je eigenen Angelegenheiten untermauerten die Appellanten durch den Hinweis, beide Gerichte seien unmittelbar dem Landesherrn unterstellt, denn „die Urthell am Meckelburgischen Consistorio nit weniger als am Meckelburgischen Hofgericht In der regirenden Meckelburgischen Herrschaft nahmen verfasset, unnd publicirt werden“1765. Das war ein formales, aber nicht ungeschicktes Argument. In den Tenorierungen und offiziellen Dokumenten frühneuzeitlicher Gerichte tauchte in der Tat der Gerichtsherr als Inhaber der iurisdictio auf, zumeist sogar in der ersten Person, als habe er die Entscheidung persönlich gefällt. Selbst das Reichskammergericht erließ seine Ladungen und Mandate im Namen des Kaisers1766, obwohl es zu einem wesentlichen Teil die Reichskreise waren, die das Gericht trugen. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 15. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 15. 1766 Beispiele für kammergerichtliche Schreiben im Namen des Kaisers bei O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 49, 148; Hinweis auch bei D i c k , Entwicklung, S. 183. 1764 1765
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In Mecklenburg urteilten sowohl Hofgericht als auch Konsistorium im Namen des Herzogs. Sie nahmen damit nach außen sichtbar die unmittelbare Anbindung an die landesherrliche Gewalt in Anspruch und zeigten zugleich, wie der Landesherr sowohl die weltliche als auch geistliche Gerichtsgewalt in seiner Person vereinigte. Für die Appellanten folgte daraus zwingend die Gleichordnung beider Landesgerichte. Geistliche und weltliche Justiz standen nebeneinander, nicht aber über- und untereinander. Eine Appellation vom Konsistorium an das Hofgericht hätte dieses Gleichgewicht gestört. Der Gerichtsherr des Untergerichts hätte nämlich als Gerichtsherr des Obergerichts seine eigenen Urteile überprüfen können. Das erschien undenkbar, „nam ab uno, ad eundem non appellatur“1767. Mit dem nicht näher belegten lateinischen Lehrsatz1768 spielten die Appellanten auf einen Grundsatz des ius commune an. Man konnte nicht von einem Richter an denselben appellieren, das sollte selbstverständlich sein. In Mecklenburg durfte es davon keine Ausnahme geben. Aus moderner Perspektive ist das Problem freilich nicht so einfach, wie es im 16. Jahrhundert erschien. Seit 1879 sind Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte den Bundesstaaten bzw. Ländern zugeordnet. Obwohl die drei Ebenen zum selben Träger der Gerichtsgewalt gehören, hat das Gerichtsverfassungsgesetz im Laufe von über 130 Jahren ganz unterschiedliche Instanzenzüge innerhalb dieser drei Stufen ausgebildet, ohne daß die Gerichtsgewalt dabei auch nur die geringste Rolle gespielt hätte1769. Moderne Staatsgewalt und mehrgliedrige Entscheidungsebenen widersprechen sich nicht. Das vormoderne Recht dachte anders. Im Einklang mit der mittelalterlichen Herrscheridee galt der Landesherr noch als Richter in Person. Nicht etwa die juristische Person des Staates war Träger der Gerichtsgewalt, sondern der Fürst selbst. Wenn Herzog Ulrich von Mecklenburg die Appellation vom Konsistorium an das Hofgericht erlaubte oder sogar vorschrieb, brach er damit zugleich mit der Fiktion, er selbst sei für die in seinem Namen ergangenen Urteile auch inhaltlich verantwortlich. Hier stießen zwei verschiedene Auffassungen vormoderner Staatlichkeit aneinander. Wieviel Modernität darf ein heutiger Rechtshistoriker einem mecklenburgischen Landesfürsten aus dem späten 16. Jahrhundert zusprechen? Das ist nicht nur eine Geschmacksfrage. Sehr schnell gerät man nämlich in Gefahr, Geschichte anachronistisch zu verzerren. Gerade beim sprichwörtlich hinterwäldlerischen Mecklenburg ist Vorsicht geboten. Dennoch zeigt die herzogliche Rechtsauffassung, wie sich abweichend von älteren persönlichen LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 15. Bei L i e b s , Rechtsregeln, S. 36, nicht nachgewiesen. 1769 Überblick über die Gerichtsverfassung seit 1879 bei Ke r n , Geschichte, S. 96-337. 1767 1768
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Bindungen Ansätze herausschälten, die verschiedenen herrschaftlichen Institutionen in ein festes Zuständigkeitssystem zu fassen. Für die Staatswerdung der Territorien war die Stabilität einzelner Landesbehörden zweifellos ein entscheidender Schritt1770. Wenn es freilich Staatlichkeit auf verschiedenen Ebenen gab, waren auch Rechtsmittelzüge von einer staatlichen Institution an eine andere nicht ausgeschlossen. Die Über- und Unterordnung von Gerichten war mit dieser Sichtweise zwanglos vereinbar, auch wenn beide landesherrliche Gewalt verkörperten. Die Wismarer Appellanten standen demgegenüber auf dem älteren, noch mittelalterlichen Standpunkt, wonach die Herrschaftsgewalt unmittelbar mit dem Landesherrn als Person verknüpft war und alle Entscheidungen, die im landesherrlichen Namen ergingen, auch direkt dem Herrscher persönlich zuzurechnen waren. Bezeichnenderweise betraf der zweite Streitpunkt der Parteien das Gerichtsstandsprivileg der Stadt Wismar. Abermals stand hier das ältere Herkommen privilegierter Einzelrechte dem Prinzip einer umfassenden flächendeckenden Landesjurisdiktion gegenüber. Nach zeitgenössischen Maßstäben argumentierte der Herzog beide Male modern, die Appellanten bzw. die Stadt Wismar dagegen mittelalterlich und traditionell. In einem wesentlichen Punkt waren sich die Parteien allerdings einig. Eine Appellation an das Reichskammergericht war letztlich erlaubt, auch und gerade in kirchlichen Streitsachen. Die Appellanten betonten das ausdrücklich. Mecklenburgische Untertanen sollten „auch von des Consistorii Urthell, nirgent anders wohin, dan an das Kay[serliche] Cammergericht appelliren konnen“1771. Der Herzog schaltete den Zwischenschritt über das Hofgericht ein, sah letztlich die Appellation nach Speyer aber ebenfalls für ein zulässiges Rechtsmittel in Konsistorialangelegenheiten an. Streitig war damit lediglich, ob es in kirchlichen Rechtssachen einen zwei- oder dreigestuften Instanzenweg gab. Angesichts der Schärfe, mit der die Beteiligten in anderen Territorien um ein absolutes Appellationsverbot an die Reichsgerichte in geistlichen Sachen kämpften, ist die mecklenburgische Einmütigkeit besonders erstaunlich. Die Trennung von weltlichem und geistlichem Recht sowie das landesherrliche Kirchenregiment waren weit weniger deutlich ausgeprägt als in den meisten anderen evangelischen Territorien. Der Fortgang der konkreten Streitigkeit braucht deshalb nicht viele Worte. Die Appellanten boten in ihrem Schriftsatz an, ihr kammergerichtliches Rechtsmittel sofort zurückzunehmen, sobald das Konsistorium die Bewilligung der Landstände beweise, wonach die Appellation zunächst an das Kurzer Hinweis auf die Bedeutung von Institutionen bei der Staatswerdung bei W i l l o w e i t , Staat, Sp. 1794-1795 (m. w. N. Sp. 1797). 1771 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 15. 1770
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Hofgericht erfolgen müsse1772. Diese Bescheinigung legten weder die Kirchenvorsteher aus Parchim als Appellaten noch der Mecklenburger Herzog als territorialer Gerichtsherr vor. Hatte Herzog Ulrich also doch gelogen oder sich lediglich in Speyer nicht vorführen lassen? Wie dem auch sei, die Rechtslage und die Entstehungsgeschichte der Konsistorialordnung blieben in der Schwebe, ein Befund freilich, der für frühneuzeitliche Rechtsstreitigkeiten geradezu bezeichnend ist. Keine Seite brauchte ihre Rechtsposition aufzugeben, weil keine verbindliche Entscheidung erging.
d) Der gefestigte dreistufige Instanzenzug Die Meinungsverschiedenheit zwischen Herzog Ulrich von Mecklenburg und den Appellanten im zuvor geschilderten Streit blieb ungelöst. Eine förmliche gerichtliche Entscheidung erging nie. Ob man vom Konsistorium direkt nach Speyer appellieren durfte oder ob der Zwischenschritt über das Hof- und Landgericht erforderlich war, hing damit weiterhin in der Schwebe. Auch ohne höchstrichterliches Urteil scheint sich freilich in den folgenden Jahrzehnten in der Praxis der dreistufige Instanzenzug in der mecklenburgischen kirchlichen Gerichtsbarkeit durchgesetzt zu haben. Der Blick in mehrere Gerichtsakten aus dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert zeigt vielfach den Dreischritt vom Konsistorium zum Hofgericht und weiter zum Reichskammergericht genau so, wie Herzog Ulrich ihn zu Beginn der 1580 Jahre dargestellt hatte. Streitigkeiten darüber, ob dieser Weg dem geltenden Recht entsprach, entbrannten nicht mehr. Das Appellationsverbot in Konsistorialsachen spielte nicht einmal mehr als Argument eine Rolle, obwohl es aus der Sicht appellatischer Parteien ein wohlfeiles Mittel war, Rechtsmittelprozesse zu Fall zu bringen. Diese bemerkenswerte Einheitlichkeit der späteren Mecklenburger Gerichtspraxis gilt es im folgenden kurz anzudeuten. Bereits ein Jahrzehnt nach dem soeben geschilderten Kampf um den Instanzenzug gelangte 1592/93 ein in Zuständigkeitsfragen völlig unstreitiges Verfahren an das Reichskammergericht. Henning von Gloede und Berendt von Gloede appellierten gegen ein Urteil des Hofgerichts Güstrow vom September 15921773. Es ging um die Holzungsgerechtigkeit im „Heger oder Hohen Holtze“. Fraglich war, ob die Ökonomie oder Geistlichkeit zu Friedland die richtigen Beklagten waren oder aber Bürgermeister und Rat von Friedland, an die das Reichskammergericht auf Antrag der Appellanten die
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LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 15. Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 616-617.
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Ladung adressiert hatte1774. Bevor aber der Rechtsstreit an das Güstrower Hofgericht gelangte, hatte er vor dem Konsistorium in Rostock stattgefunden. Dagegen erhob keine Partei Einwände. Die Zulässigkeit der Appellation stand nicht in Frage. Der mehrstufige Instanzenzug in Kirchensachen war dennoch keine Selbstverständlichkeit. Das läßt sich im Exzeptionsschriftsatz der Appellaten gut erkennen. Der Schriftsatzverfasser berief sich dort auf die korrekte Parteistellung. Sie sei „aus den Acten erster unnd andern instantz vor dem fürstlichem Meckelburgischen Hoffgericht daselbst“ ersichtlich1775. In einem Korrekturdurchgang erschien diese Formulierung wohl als zu ungenau. Deswegen befindet sich am Rand ein Einschub. Statt „Hoffgerichte“ sollte man nun lesen: „vor dem fürstlichen Meckelburgischen Consistorio und ferner vor dem Hoffg Hoffgerichte“1776. Der Dreischritt mit Einschluß des Konsistoriums hatte also stattgefunden, war zunächst in der Akte aber nicht ersichtlich. Der sorgfältige appellatische Anwalt setzte das zunächst fehlende Konsistorium hinzu, ohne einzuwenden, in Konsistorialsachen sei die Appellation an das Reichskammergericht gar nicht erlaubt. Das Holz, um das die Parteien stritten, war im übrigen für die Erbauung einer Propstei bestimmt. Ein findiger Anwalt hätte deswegen leicht eine Kirchensache konstruieren können. Das geschah aber nicht. Die Zulässigkeit der Appellation blieb unstreitig. Ein Kammergerichtsprozeß von 1613 bestätigt diesen Eindruck1777. Es ging um einen schlüpfrigen Sachverhalt. Ein Lucas Schröder hatte ein sechzehnjähriges Mädchen „bey sich (...) im bette gehabt“ und sie „umb ihren Jungfrewligen ehrenkrantz gebracht (...), so das sie von ihme geschwengert worden, undt davon ihme folgendes ein Kindtlein zur weldt gebohren worden“1778. Zuvor soll Lucas Schröder der Engel Böttcher noch die Ehe versprochen haben. Später wollte ein Daniel Rotermund, Bürgermeister von Schwerin, seine Tochter mit Lucas Schröder verheiraten. Schröders Vorleben spielte für den Bürgermeister wohl keine Rolle, anders als für den Vater des geschwängerten Mädchens. Denn Claus Böttcher, Kaufmann und Bürger zu Rostock, rief das Mecklenburger Konsistorium an, um die Eheschließung mit der Tochter Rotermund zu verhindern. Das Konsistorium erließ ein Mandat und untersagte dem Bräutigam Schröder die Heirat mit der Schweriner Bürgermeistertochter1779. Gegen dieses Mandat appellierte Lucas Schröder an das HofgeLHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 1060, Aktenstück Q 1 („Citatio“) und Q 18 („Exceptiones“). LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 1060, Aktenstück Q 18. 1776 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 1060, Aktenstück Q 18. 1777 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 204-205. 1778 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 321, unquadr. Aktenstück „Exceptio contra emanatam Citationem“. 1779 LHA Schwerin Bet. 9.1-1 Nr. 321, Fallschilderung im unquadr. Aktenstück „Libellus Appellationis et Nullitatis“, Art.1-20. 1774 1775
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richt. Er wollte gern heiraten und sich das nicht vom einem Gericht verbieten lassen. Allerdings wurden „die Fürstlige Meklenburgische Mandata, wie die auß dem F[ürstlichen] Mekelnburgischen Kirchengerichte furerst wider sie ergangen, (...) folgendes am F[ürstlichen] Mekelnburgischen hoffgerichte confirmiret“1780. Das Eheverbot blieb also bestehen. Deswegen appellierte Schröder weiter an das Reichskammergericht in Speyer. Es lag damit abermals ein dreistufiger Instanzenzug vor. Ausgangspunkt war eine klare Ehesache mit gebrochenem Heiratsversprechen, Schwängerung und Geburt eines nichtehelichen Kindes. Ausführungen zur Gerichtszuständigkeit sucht man in der gesamten Akte vergeblich. Die Appellation in Ehesachen an das Reichskammergericht über den Zwischenschritt des Mecklenburger Hofgerichts war unstreitig, obwohl sie in anderen Territorien den Gegenstand scharfer Auseinandersetzungen bildete. In einem Prozeß, der 1616 vor das Reichskammergericht gelangte, ging es um die Einkünfte des Pastors zu Nemerow1781. Ein Ludwig von der Groeben1782 hatte offenbar seine geforderten Abgaben nicht ordnungsgemäß entrichtet. Der Pfarrer warf ihm aufgebracht vor, der Adlige wolle „wie man sagt den armen pastorn ad peram et baculum bringen“, obwohl er Frau und kleine Kinder habe und in der kalten Winterszeit frieren müsse1783. Gleichzeitig bewies der Pastor klassische Bildung, denn pera et baculum, Ranzen und Krückstock, waren die antiken Attribute der zynischen Philosophen1784. Die Kammergerichtsakte zu diesem Fall ist nicht erhalten. Es gibt freilich Überlieferungen zum zweitinstanzlichen Prozeß vor dem Hofgericht Schwerin, von dem aus Ludwig von der Groeben später nach Speyer appellierte. In einer Exzeptionsschrift von 1615 wandte sich Andreas Werner, Pastor zu Nemerow, gegen die Appellation an das Hofgericht. Erstinstanzlich hatte der Pastor zuvor vor dem Rostocker Konsistorium gegen den adligen Komtur geklagt und gewonnen. Nachem von der Groeben an das Hofgericht appelliert hatte, trug der juristisch gut beratene Dorfpastor dort vor, „quod in causis cita expediendis non recipiatur appellatio (...) Item quod nec in pia causa appellatio sit“1785.
LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 321, unquadr. Aktenstück „Exceptio contra emanatam Citationem“. 1781 Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 759. 1782 Als Komtur für 1593 nachgewiesen bei L i s c h , Urkunden, Nr. 26-27 S. 285-287. 1783 LHA Schwerin Best. 2.12-3/4 Nr. 6764, Aktenstück Q 9 (der Schweriner Kanzlei- oder Gerichtsakte), fol. 170r. 1784 Quellennachweise bei G e o r g e s , Handwörterbuch, Bd. I, Sp. 776, Bd. II, Sp. 1561. 1785 LHA Schwerin Best. 2.12-3/4 Nr. 6764, Aktenstück Q 9 (der Schweriner Akte), fol. 169v. 1780
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Das war ein klarer Hinweis auf das Appellationsverbot in geistlichen Angelegenheiten. Das Argument als solches war also in Mecklenburg bekannt. Der Schriftsatzverfasser führte sogar Autoritäten aus der gelehrten Literatur ins Feld. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen einschlägigen neueren oder deutschen Werke überrascht es freilich, auf wen die Exzeptionsschrift sich stützte. An erster Stelle stand Antonius Nicellus, der im späten 15. Jahrhundert eine Konkordanz über die Glossen des Corpus Iuris Civilis und Canonici vorgelegt hatte1786. Savigny kannte diesen Gelehrten noch, doch heute ist er vergessen1787. Sodann zitierte der Schriftsatzverfasser Bartholomäus de Bellencini, ebenfalls einen Auditor der Rota Romana des 15. Jahrhunderts. Er hatte eine Abhandlung „De charitativo subsidio“ vorgelegt1788. An dritter Stelle folgte Bartolomeo Soccini, erneut ein Italiener des 15. Jahrunderts, mit einer Sammlung von Rechtsregeln1789. Das waren für einen deutschen Rechtsstreit des frühen 17. Jahrhunderts durchaus ungewöhnliche Literaturhinweise. Die leicht erreichbaren und sehr bekannten Werke von Mynsinger und Gail hätten möglicherweise mehr Eindruck gemacht. Warum der Pastor sie nicht heranzog, ist unklar. Im Ergebnis versuchte der Anwalt des Nemerower Pastors, mit seinem Literaturaufgebot ein Appellationsverbot in geistlichen Rechtssachen zu begründen. Ob dieses Argument, das er vor dem Mecklenburger Hofgericht vorbrachte, auch am Reichskammergericht eine Rolle spielte, ist unklar, weil die dort produzierten Schriftsätze verlorengegangen sind. Allerdings erwähnte der Pastor das Appellationsverbot nur ganz kurz und konzentrierte sich sodann ausschließlich auf die materiellrechtlichen Forderungen. In Fällen aus anderen Territorien, in denen die Zulässigkeit der Appellation ernsthaft streitig war, finden sich dazu erheblich umfangreichere Hinweise. Der Schriftsatzverfasser erinnerte lediglich an einen Grundsatz des gelehrten Rechts, zog aber kaum weitergehende Schlußfolgerungen daraus. Erfolg scheint er überdies nicht gehabt zu haben, denn das mecklenburgische Hofgericht Schwerin bestätigte das Urteil des Konsistoriums. Nur ein Jahr später gab es eine weitere Mecklenburger Appellation an das Reichskammergericht in Konsistorialsachen. Einige Mitglieder der Zitiert wird N i c e l l u s , Concordantie, n. 39 fol. 16r, bei Appellationsversuchen „omisso medio“, wohl passender n. 35 fol. 15v, zu Appellationsbeschränkungen bei „muneribus (...) ecclesiasticis“. 1787 S a v i g n y , Geschichte des römischen Rechts V, S. 294; knapper Hinweis auch bei T a i s a n d , Les vies des jurisconsultes, S. 398. 1788 Zitiert wird B e l l e n c i n i , De charitativo subsidio, qu. 55 n. 2-3, fol. 157r. Ganz knapper Hinweis auf den Traktat bei Kr i s t e l l e r , Iter Italicum II, S. 350. 1789 S o c c i n i , Iuris utriusque regulae, regula 40, S. 22-24, dort 32 Fälle von Appellationsverboten; das Buch ist erwähnt bei M ar t i n o , Die italienische Literatur, S. 253. 1786
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Adelsfamilie von der Lühe stritten sich mit Kirchenvorstehern und Prediger der Kirche zu Sülze um die Herausgabe entfremdeter Kirchengüter1790. Die Kirchenvorsteher hatten vor dem Mecklenburger Konsistorium und auch vor dem Hofgericht Schwerin gewonnen. Dagegen richtete sich die Appellation der Adligen von 1617. Die Kirchenvorsteher wandten zwar ein, daß „dießen mutwilligen Ap[pel]lanten billich keine Proceß zuertheilenh, sondern sie à limine [von] augustissimo hoc tribunali zu repelliren“ seien1791. Allerdings beriefen sich die Appellaten dann lediglich auf die schwierige wirtschaftliche Lage der „Elendeen und Spoliirten Kirchen“, erwähnten den Herzog als „der Kirchen Oberste Patronen“ und betonten, in Spoliensachen seien Appellationen unzulässig1792. Es ging also gerade nicht um das Appellationsverbot in geistlichen Angelegenheiten, sondern um Besonderheiten bei streitigem Besitz. 1619 gelangte die Appellation Gebhardts von der Lühe an das Reichskammergericht, offenbar eines Verwandten der Kläger von 1617. Es ging um die Aufkündigung eines Verlöbnisses, also um eine klassische Konsistorialsache1793. Gebhardt von der Lühe war angeblich mit Ilse von Maltzan verlobt gewesen, behauptete aber, eine solche Verlobung habe von Rechts wegen gar nicht bestehen können. Die vermeintliche Braut sei nämlich früher bereits mit seinem vorverstorbenen Bruder Otto von der Lühe verlobt gewesen. Ein zweites Verlöbnis komme deshalb nicht in Frage, denn angeblich sagten die Rechtsgelehrten „quod fratres praedefuncti sui fratris sponsam uxorem ducere nequeat“1794. Das Rostocker Konsistorium verurteilte Gebhardt von der Lühe zur Zahlung von 2.000 Talern an Ilse von Maltzan, und das mecklenburgische Hofgericht Güstrow bestätigte diese Entscheidung. In der Appellationsschedula begründete Gebhardt von der Lühe seine Beschwer unter anderem mit einem Befangenheitsvorwurf. Die Konzipienten des erstinstanzlichen Urteils hätten auch die Richter der zweiten Instanz beraten. Aus dieser Formulierung geht nicht klar hervor, ob echte Aktenversendungen stattgefunden hatten oder ob lediglich derselbe Rechtsgelehrte sowohl das Konsistorium als auch das Hofgericht beraten hatte. Der Hinweis auf den Konzipienten läßt es auch als möglich erscheinen, daß ein Konsistoriumsmitglied an der hofgerichtlichen Entscheidung mitwirkte. Genauere Aufklärung ist nicht möglich, weil die Acta priora in diesem Fall nicht bei den kammergerichtlichen Akten liegen. Der Appellat reagierte nämlich überhaupt nicht vor dem Reichskammergericht. Der Appellant seinerseits ließ sich die untergerichtliche Prozeßakte offenbar nicht herausRepertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 435. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 738, Aktenstück Q 10. 1792 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 738, Aktenstück Q 10. 1793 Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 435. 1794 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 739, Aktenstück Q 4. 1790 1791
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geben, und beide Parteien schlossen schließlich einen außergerichtlichen Vergleich1795. Zuständigkeitsfragen, üblicherweise vom Appellaten aufgeworfen, um sich dem Prozeß zu entziehen, kamen in diesem Rechtsstreit nicht zur Sprache. Der Appellant warf zwar dem Güstrower Hofgericht Befangenheit vor, weil es zu eng mit dem Konsistorium verbunden sei, doch hatte er durch seine erste Appellation die Zuständigkeit des Hofgerichts als Appellationsinstanz selbst anerkannt. Die Dreistufigkeit der Mecklenburger Appellation in Konsistorialsachen ist durch diesen Rechtsstreit also erneut bestätigt. Etwas unklar ist die Verknüpfung der verschiedenen Gerichtsinstanzen im Rechtsstreit zwischen Christoph von Oldenfleth und Dr. Friedrich Korfey als Vormund der Ingeborg von Stahl aus dem frühen 17. Jahrhundert1796. Abermals stritten die Beteiligten um den Bruch eines Verlöbnisses. Der Gutsbesitzer Christoph von Oldenfleth gab die gegen ihn erhobenen Vorwürfe unumwunden zu. Ja, er hatte der Ingeborg von Stahl die Ehe versprochen. Er versuchte sich aber mit einer abenteuerlichen Ausrede aus der Verantwortung zu stehlen. Zum Zeitpunkt des Eheversprechens sei er nämlich „gahr truncken und seiner glieder und rechten Verstandts entwert“ gewesen1797. Wegen seines Zustands „in Enormi Ebrietato et Impotentiâ mentis“ sollte das Verlöbnis nach Meinung Oldenfleths unwirksam sein. Es ist leider nicht möglich, Sachverhalte wie diesen näher auszubreiten. Die Rechtsgeschichte verfolgt andere Fragestellungen. Deswegen sei ein- für allemal ein Hinweis erlaubt: Die Konsistorialfälle, die das Reichskammergericht erreichten, gehören zu den lebensprallsten Fällen, die in Speyer und Wetzlar zu Gehör kamen. Aberwitzig kuriose Sachverhalte waren hier in feinsinnig durchgearbeitete Anwaltsschriftsätzen eingewoben. Die Verbindung trockener Rechtsgelehrsamkeit mit allen Absonderlichkeiten des Familienlebens ermöglicht einzigartige Einblicke in frühneuzeitliche Lebenswelten, wenn auch immer gefiltert und für Gerichtszwecke maßgeschneidert. Hier liegen reiche Schätze für sozialgeschichtliche Forschungen, die noch nicht einmal ansatzweise gehoben sind. Die prozessuale Situation im Fall Oldenfleth gegen Korfey ist schwer durchschaubar. Das Reichskammergericht erließ 1621 einen Kompulsorialbrief direkt an die „lieben getreuen N. N. f[ürstlich] Mecklenburg[ischen] Consistorial Räthen zu Rostock“1798. Dennoch scheint nicht einfach eine Sprungappellation unter Umgehung des Hofgerichts vorzuliegen. Der LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 739, Protokollbuch, Vermerk auf dem Deckblatt. Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 469-470. 1797 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 803, unquadr. „Acta priora“, darin Aktenstück Q 41, Defensionalartikel 31. 1798 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 803, Aktenstück Q 2. 1795 1796
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Konsistorialprozeß hatte bereits 1607 begonnen, dauerte damit schon über 14 Jahre. Allerdings enthält die Konsistorialakte zusätzlich ein Urteil des Hofgerichts Güstrow vom April 1615. Darin wies das Hofgericht eine Appellation Oldenfleths kostenpflichtig ab1799. Das Hofgericht war als Appellationsinstanz also tätig geworden. Nach dem hofgerichtlichen Urteil lief der Rechtsstreit vor dem Konsistorium offenbar weiter. Eine zusätzliche Verwirrung entstand wohl unmittelbar nach Zustellung des kammergerichtlichen Kompulsorialbriefs. Der Appellant ließ die Abschrift der Konsistorialakte, die für Speyer bestimmt war, augenscheinlich am Mecklenburger Hofgericht anfertigen. Ob es sich um ein oder zwei Gerichte handelte, war gar nicht mehr klar. Doch damit nicht genug. Zeitgleich oder umittelbar danach begann parallel zum Kammergerichtsverfahren noch ein weiterer Appellationsprozeß gegen dasselbe Konsistorialurteil, diesmal allerdings vor dem Hofgericht. Soweit nachvollziehbar, verhandelten die Parteien über die kammergerichtliche Appellation vor dem Konsistorium zwischen September und Dezember 1621. Für 1622 vermerkt die Konsistorialakte: „Beklagter Christoff Oldenfliedt hatt auß dem F[ürstlich] Mecklenburgischen Hofgerichte Compulsoriales insinuiret darauf Ihme dan die Acta gefolgt worden“. In der Tat schrieben die Herzöge Friedrich und Hans Albrecht von Mecklenburg am 30. Januar 1622 an das Konsistorium, Oldenfleth habe an das Hofgericht appelliert1800. Möglicherweise hatte der kammergerichtliche Appellant sein Versehen bemerkt. Die unmittelbare Appellation gegen das Rostocker Konsistorialurteil ging eben nicht an das Reichskammergericht, sondern an das Hofgericht. In Speyer allerdings argumentierte er anders. Dort behauptete sein Schriftsatzverfasser, der mecklenburgische Prokurator Dr. Peter Wahmund habe ohne Wissen Oldenfleths am Hof- und Landgericht „umb mittheilung citation und process: in eadem causa appellationis angehalten“1801. Die doppelte Rechtshängigkeit sollte demnach am ortsansässigen Anwalt liegen, der „ein error begangen“ hatte1802. Inwieweit diese Argumentation glaubwürdig war, läßt sich in der Rückschau nicht sagen. Falls allerdings ein Anwalt zusätzlich zu einem laufenden kammergerichtlichen Appellationsprozeß ohne Zustimmung des Mandanten eine weitere Appellation einlegte, wäre das doch sehr ungewöhnlich gewesen. Vermutlich hat man es also mit einer Schutzbehauptung zu tun.
LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 803, unquadr. „Acta priora“, Anlage A zu Aktenstück Q 14, ohne Paginierung. 1800 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 803, unquadr. „Acta priora“, darin als letztes Dokument Q 66. 1801 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 803, Aktenstück Q 8, Art. IV. 1802 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 803, Aktenstück Q 7 b. 1799
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Das Reichskammergericht scheint 1623 ein Urteil gefällt zu haben. Es hat sich aber nicht erhalten, weil das Protokollbuch wie so häufig mit dem Expeditumvermerk abbricht1803. Möglicherweise erging ein Prozeßurteil wegen Unzulässigkeit der Sprungappellation, doch das ist unklar. Gerade wegen des verworrenen Rechtsmittelzuges bestätigt der Rechtsstreit Oldenfleth gegen Korfey die grundsätzliche Appellationserlaubnis in geistlichen Streitigkeiten. Es mag eine gewisse Unsicherheit bestanden haben, in welchen Situationen die unmittelbare Anrufung des Reichskammergerichts erlaubt war. Den üblichen Weg, nämlich die erste Appellation an das Hofgericht, hatte der Appellant durch seine gescheiterte Berufung von 1615 freilich deutlich zu erkennen gegeben. Ein allgemeines Appellationsverbot in Konsistorialsachen kam auch in diesem Rechtsstreit nie zur Sprache. Erst viele Jahrzehnte später erreichte erneut eine Mecklenburger Konsistorialsache das Reichskammergericht. Es handelte sich um einen Streit um Abgaben an den Pfarrer von Schwaan, der 1700/01 die Assessoren in Wetzlar beschäftigte1804. Bereits in vorreformatorischer Zeit hatten derartige Abgabepflichten der Dorfbewohner bestanden, weil der Prediger aus dem benachbarten Schwaan einige umliegende Dörfer mit versorgt hatte. Aber aufgrund von Kriegsereignissen waren nun „an verschiedenen Orthen die Dorffschaften gantz außgestorben und ruinirt worden“1805. Die evangelischen Pastoren hatten nun kein Einkommen mehr und verlangten ihre Abgaben ersatzweise von den Grundeigentümern der jetzt wüsten Hufen. Aus Anlaß eines Reichshofratsprozesses, den die Mecklenburgische Ritter- und Landschaft gegen den Herzog führte, schlossen die Beteiligten 1686 einen Vergleich vor einer reichshofrätlichen Kommission1806. Der Landesherr kam darin den Adligen weit entgegen. Sie brauchten künftig überhaupt keine Abgaben an die Pastoren zu leisten. Auf Klage des Pastors Joachim Müller verurteilte das Rostocker Konsistorium dennoch einen Rudolf Friedrich von Drieberg, Inhaber des Gutes Klein Sprenz, zur Zahlung bestimmter Abgaben. Es ging um Kinkerlitzchen wie Eier, Flachs und Würste, „welche des iahrs kaum eine ducat außtraget“1807. Der Adlige appellierte an das Land- und Hofgericht, verlor aber auch dort. In der kammergerichtlichen Appellation erfuhr Drieberg Unterstützung vom Rostocker Bürgermeister Georg Melchior Schweder in LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 803, Protokollbuch, Expeditumvermerk vom 31. Januar 1623. 1804 Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 313-314. 1805 LHA Schwerin Best. 9-1-1 Nr. 514, Aktenstück Q 6. 1806 Überblick über mecklenburgische Ständekonflikte am Reichshofrat bei H u g h e s , Law and Politics, S. 62-67; aus der älteren Literatur R a s p e , Immunität, S. 271-332, dort S. 297 Anm. 65 Hinweis auf die kaiserliche Kommission. 1807 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 514, Aktenstück Q 23. 1803
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seiner Eigenschaft als Syndikus der mecklenburgischen Ritter- und Landschaft. Trotz der lächerlich geringen Streitsumme ging es um eine prinzipielle Entscheidung. Der Appellationszug über das Hofgericht bis hin nach Wetzlar war von beiden Parteien offenbar als selbstverständlich anerkannt. Der Pastor beschwerte sich über anderes. Der Rechtsstreit sei nämlich dazu angetan, die „arme Kirchen dadurch in weitere unnöthige unkosten“ zu stürzen1808, aber hierbei handelte es sich ersichtlich nicht um ein rechtliches Argument. Der Appellat warf dem adligen Gutsbesitzer zudem vor, er beabsichtige, „die sach ins weite lergenfeldt zu spielen“. Dies begründete mit den Entscheidungen von „zwey gerichten alß Consistoriali et Provinciali, wie auch drey Collegiis als 1mo des hochfürstl[ichen] Consistorii zu Rostock 2.do des hochfürstl[ichen] Landt- undt Hoffgerichts zu Parchem, undt dan 3.tio von der Juristen Facultät zu Wittenberg“ . Samt und sonders hätten sie die Beschwerdepunkte des adligen Appellanten „vor ungerecht (...) erkandt“1809. Die beiden Vorinstanzen waren hier in drei Abschnitte aufgeteilt, da sogar eine Aktenversendung stattgefunden hatte. Es wäre ein Leichtes gewesen, die grundsätzliche Unzulässigkeit der Appellation anzuführen. Genau dies geschah aber nicht. Der Instanzenzug als solcher war damit unstreitig, selbst wenn der Pastor dem Landsassen vorwarf, er betreibe Mißbrauch mit seiner Prozeßführung. Ein sehr später Fall von 1789 bis 1802 rundet das Bild ab. Er zeigt kirchliche Angelegenheiten auch in Prozessen, die erstinstanzlich vor dem Landund Hofgericht stattfanden. So war es im Streit zwischen dem preußischen Rittmeister und Gutsbesitzer Carl von Altrock gegen den Patronatsherren der Kirche von Sietow1810. Es ging um die Verpflichtung zum Bau und zur Unterhaltung von Predigerwitwenhäusern. Der Provisor des Klosters Dobbertin als Patronatsherr berief sich auf ein Handbuch des mecklenburgischen Kirchen- und Pastoralrechts von Friedrich Wilhelm Christoph Siggelkow1811. Ob die Beteiligten die Hand- und Spanndienste zum Bau des Witwenhauses als weltliche oder geistliche Angelegenheit einschätzten, ist unklar. Jedenfalls sind abermals keine Zuständigkeitsstreitigkeiten in der
LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 514, Aktenstück Q 23. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 514, Aktenstück Q 23. 1810 Repertoriumsnachweis bei S t e i n -S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 812-813 (lfd. Nr. 1457). 1811 LHA Schwerin Best. 2.12-3/4 Nr. 10902, Aktenstück Q 26, fol. 100v, Q 28, fol. 124r124v; bei Q 28 handelt es sich um S i g g e l k o w , Handbuch, § 100-101, S. 74-75: „Prediger Wittwenhäuser müssen, wo keine sind, gebauet werden. (...) Ordentlicher Weise müssen diejenigen, welchen der Bau und die Reparatur der Pfarrgebäude oblieget, auch das Wittwenhaus bauen.“ Dazwischen befinden sich zwei Zitate aus der revidierten Kirchenordnung. 1808 1809
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Appellationsinstanz erkennbar1812. Im Gegenteil: Die Reichskammergerichtsakte gelangte im Rahmen der Reichsjustizgesetze 1879 vom Oberappellationsgericht ins Schweriner Archiv und befand sich bald in einem Pertinenzbestand „Kirchen und Schulen“. In diesem Teilbestand sind insgesamt elf Reichskammergerichtsakten nachweisbar, in denen der Rechtsstreit jeweils vor weltlichen Gerichten und nicht vor dem Konsistorium begann1813. Das Appellationsverbot in Kirchensachen spielte dort von vornherein keine Rolle, weil es sich nicht einmal um Konsistorialangelegenheiten handelte. Am Ende dieses Abschnitts steht damit ein festes Ergebnis, das zur Korrektur hergebrachter verallgemeinernder Aussagen zwingt. Es gab weder ein ausnahmsloses Appellationsverbot an weltliche Gerichte in kirchlichen Streitigkeiten noch war das Reichskammergericht schlechthin unzuständig, kirchliche Angelegenheiten im Appellationswege zu verhandeln. In Mecklenburg gingen die Uhren nicht nur langsamer, sie tickten auch anders. Aus mecklenburgischer Perspektive handelt es sich um eine partikularrechtliche Besonderheit. Ob und wieviele andere Territorien des Alten Reiches die Appellation an die obersten Reichsgerichte in Kirchensachen ausdrücklich anerkannten, können nur weiterführende, nochmals stärker territorial aufgefächerte Untersuchungen zeigen. Aus der Sicht des Reichskammergerichts dürfte dagegen die landesrechtliche Appellationserlaubnis in Kirchensachen unerheblich gewesen sein. Die für das Gericht maßgebliche Prozeßordnung mit ihren Zuständigkeitsregelungen war Reichsrecht, und die sonstigen Prozeß- und Zuständigkeitsmaximen gehörten dem gelehrten und damit ebenfalls überregionalen Recht an. Aus reichsgerichtlicher Perspektive können die geschilderten Mecklenburger Fälle wohl nur als Prorogationen erschienen sein. Genauere Informationen bieten die Quellen nicht, juristisch war das aber möglich. Aus der Warte der Reichsjustiz handelte es sich höchstwahrscheinlich um Gerichtsstandsvereinbarungen, die durchaus die Zuständigkeit des Kammergerichts begründen konnten. Ein strenges Verbot der Appellation an das Reichskammergericht in geistlichen Angelegenheiten bestand also nicht. Verallgemeinernde ältere Untersuchungen haben hier ein schiefes Bild gezeichnet.
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Angeblich schlossen Altrock und das Kloster Dobbertin 1791 einen Vergleich „zur gütlichen Hinlegung der verschiedenen Processe“, bei W o l f f , Repertorium II, S. 116. Nachweise bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, ldf. Nr. 1450-1450 S. 807814, Nr. 1549 S. 855.
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3. Ergebnis Neben den Hinweisen auf die Verdichtung der Landesherrschaft und den Instanzenzug in kirchlichen Angelegenheiten vermitteln die mecklenburgischen Quellen drei weitere Einsichten. Die Punkte sind im folgenden kurz darzustellen, bevor eine knappe Zusammenfassung angebracht ist. Zum einen tauchen in den ausgewerteten Prozeßakten häufig geistliche Parteien im weitesten Sinne auf, zum zweiten spielten religiöse im Gegensatz zu rechtlichen Argumenten in den Mecklenburger Streitfällen eine besondere Rolle, und zum dritten enthalten die Schriftsätze erstaunlich wenig Literaturhinweise. Ob das an einer im Vergleich zu anderen Territorien spürbar schlechteren juristischen Qualifikation der ortsansässigen Advokaten und Schriftsatzverfasser lag, läßt sich nicht feststellen, weil deren Namen unbekannt sind. Die Befunde jedenfalls fallen ins Auge. Zunächst ist erstaunlich, wie häufig in den ausgewählten mecklenburgischen Quellen geistliche Parteien beteiligt waren. Dennoch spielte das privilegium fori der Geistlichkeit in keinem Fall eine Rolle. In einem frühen Streit berief sich ein Hermann von Levetzov 1563 vor dem Reichskammergericht darauf, er habe „vor lenngest primam tonsuram erlangt“ und unterfalle damit nicht der Gerichtsbarkeit des Rostocker Rates1814. Der Appellant betonte zwar, er sei eine privilegierte Person, nahm für sich als Universitätsangehörigen aber nicht die geistliche Gerichtsbarkeit in Anspruch, sondern behauptete, er unterstehe der Universität Rostock als „seiner ordennlicher obrigkhaidt“1815. In dem oben ausführlich geschilderten Wismarer Streit um die Einbindung in die Konsistorialgerichtsbarkeit waren in den 1580er Jahren die Kirchenvorsteher aus Parchim beteiligt1816, wenige Jahre später standen die Ökonomen der Kirche zu Friedland als Partei vor dem Reichskammergericht1817. In einem anderen Fall prozessierte ein Pfarrer zwischen 1613 und 1616 um seine Pfarreinkünfte1818. Nur ein Jahr darauf begann ein Kammergerichtsprozeß mit Beteiligung der Kirchenvorsteher zu Sülze1819. In all diesen Zwistigkeiten hatte der Rechtsstreit vor dem Konsistorium begonnen bzw. stand wie im Wismarer Fall zur Diskussion, ob er vor das Kirchengericht gehörte. Weitere prozessuale Konsequenzen aus der Parteistellung sind LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 706, Aktenstück Q 4, Art. 55. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 706, Aktenstück Q 4, Art. 54, 57-58; ebenso Q 1: „als ein Universitet verwandten in Rostock unnd priuilegirte person“. 1816 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448. 1817 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 1060. 1818 LHA Schwerin Best. 2.12-3/4 Nr. 6764. 1819 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 738. 1814 1815
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nicht ersichtlich. Angesichts der Schärfe, mit der in anderen Territorien geistliche Parteien jede Einbindung in die weltliche Jurisdiktionsgewalt ablehnten, ist die mecklenburgische Ruhe nicht selbstverständlich. Ebenfalls auffällig ist der emotional-unjuristische Sprachstil vieler Schriftsätze. Vielleicht konzipierten einige Parteien ihre Appellationszettel tatsächlich selbst, bevor sie zum Notar gingen und dort die Appellation gegen ein Gerichtsurteil einlegten. Auszuschließen ist das nicht. Es mögen auch die Advokaten auf Wunsch ihrer Mandanten herzerweichende Formulierungen gewählt haben, wenn stichhaltige juristische Argumente fehlten. Aber vielleicht handelte es sich lediglich um schlechte Anwälte, die als Schriftsatzverfasser vor sich hinstümperten. Nähere Aufklärung ist nicht möglich, aber einige Beispiele sprechen für sich. Es begann bereits mit der Titulierung des Reichsgerichts. In einem Fall von 1558 bezeichneten die Appellanten das Speyerer Gericht als „Heiliges Christlickes Keiserlichs Chamergericht“1820. Der Pastor zu Nemerow trug vor dem Mecklenburger Hofgericht vor, er habe zu seinem Landesfürsten „negst Gott (...) sein Zuflucht gesetzet“1821. Die Kirchenvorsteher zu Sülze sahen sich in einer von ihnen selbst unterschriebenen Appellationserwiderung als „arme Prediger“. Ihre Gegner, die Adligen von der Lühe, sollten „den entwanten Rock Christi der entblöseten Kürchen nit lenger vorenthalten, und Gottes Zorn“ vermeiden1822. Sie behaupteten, „der gerechte Gott hatt sich dießer seiner Und unnser armen Kirche so gnedig und vätterlich angenohmen, unndt d[a]z richterliche Herz dahin beweget“. Dem Eingreifen Gottes sei die Bestätigung des Konsistorialurteils durch das mecklenburgische Hofgericht Schwerin zu danken. Vor dem Reichskammergericht beriefen sich dieselben Kirchenvorsteher auf „des Herrn Referenten Christliches Herz“. In der Schlußformel schrieben sie sogar, „Gott der Allmechtige mit reichem Seegen“ solle die Kammergerichtsmitglieder „uberflüßig belohnen“. Weil ihre Dienste gering seien, könnten sie nichts weiter versprechen, als „mit unnser ganzen christliche gemeine andechtigen gebette, seüffzen und ruffen ungespartes fleißes tag und nach[t] bei dem allmechtigten“ für die Speyerer Assessoren zu beten1823. Eine so tiefgläubige Argumentation war vor dem Reichskammergericht selten. Gerade da praktisch alle in dieser Untersuchung ausgewerteten Streitigkeiten mehr oder weniger deutliche Bezüge zu Kirchensachen aufweisen, fällt die Nüchternheit der üblichen Argumentation umso mehr ins Auge, wenn es ganz vereinzelt Gegenbeispiele wie das erwähnte gibt. Möglicherweise hatten die Kirchenvorsteher ihren Schriftsatz wirklich LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 7, dort Appellationsschedula. LHA Schwerin Best. 2.12-3/3, Aktenstück Q 9 der Schweriner Kanzleiakte, fol. 172r172v. 1822 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 738, Aktenstück Q 10. 1823 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 738, Aktenstück Q 10. 1820 1821
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ohne rechtskundige Unterstützung selbst konzipiert. Jedenfalls handelt es sich um eine mecklenburgische Auffälligkeit. Eng verbunden mit der religiösen Sprache ist die letzte Besonderheit. Mehrere Mecklenburger Prozesse sind zwar vollständig überliefert, enthalten aber überhaupt keine Literaturhinweise oder Rechtsquellenangaben. Der Eindruck eher geringer juristischer Durchdringung verstärkt sich auf diese Weise. So fällt es etwa auf, wenn die Appellanten in dem umfangreichen Streit um die Unterwerfung der Stadt Wismar unter das landesherrliche Konsistorium zu Beginn der 1580er Jahre zwar mit der „Landtkündigen Dingkpflichtigkeit“ argumentierten, aber lediglich einmal ganz kurz den Rostocker Professor Lorenz Kirchhoff zitierten1824. Herzog Ulrich von Mecklenburg berief sich im selben Streit auf die Zustimmung der Landstände, hielt weitere Ausführungen aber offenbar für überflüssig1825. Der Vergleich mit Sachsen-Lauenburg zeigt den Unterschied. Herzog Franz II. von Sachsen-Lauenburg betonte 1607 gegenüber dem Reichskammergericht ebenfalls, seine Ritter- und Landschaft habe der Konsistorialordnung zugestimmt. Anders als Ulrich von Mecklenburg ließ er es dabei aber nicht bewenden. Vielmehr führte er gleichzeitig Robert Maranta und Pierre Rebuffi für seine Rechtsauffassung an1826. Im Streit um die Baulasten für die Kirche im mecklenburgischen Friedland zitierte in einem dreijährigen Streit von 1593 bis 1596 keine Partei vor dem Reichskammergericht Rechtsquellen oder Literatur1827. Ebenso war es 1617 bis 1619 beim Streit um die Kirchengüter in Sülze1828 und bei einem Verfahren um die Auflösung eines Verlöbnisses von 1619/201829. Auch in dem Konflikt um Abgaben an den Pastor zu Schwaan aus der Zeit um 1700 sucht man gelehrten Zierat und die sonst üblichen Rattenschwänze von Allegationen vergebens. Freilich gibt es Gegenbeispiele, etwa einen Streit um die Pfarreinkünfte von Nemerow aus dem frühen 17. Jahrhundert, dessen Akte gespickt ist mit alten Autoritäten wie Bartolus und Peter Peck1830. Dennoch wirken die Mecklenburger Schriftsätze im Gesamteindruck eher wenig durchgearbeitet. Die Zusammenfassung der Mecklenburger Streitsachen kann sich ganz auf die beiden Befunde konzentrieren, die auch das Gliederungsgerüst bilden. Vor allem die Fälle aus Wismar und Rostock zeigen sehr genau, wie die LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 3. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 4. 1826 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück 6. 1827 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 1060. 1828 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 738. 1829 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 739. 1830 LHA Schwerin Best. 2.12-3/4 Nr. 6764, Aktenstück Q 9 (der Schweriner Kanzleiakte), fol. 169v, 171r. 1824 1825
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Landesherren im 16. Jahrhundert versuchten, durch die Konsistorialgerichtsbarkeit zugleich ihre Landesherrschaft auszubauen und Gerichtsstandsprivilegien ihrer Landstädte zu begrenzen. Der damit verbundene Machtzuwachs war freilich begrenzt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Territorien war in Mecklenburg die Appellation an das Reichskammergericht in geistlichen Streitsachen erlaubt. In der Praxis handelte es sich seit dem späten 16. Jahrhundert um ein dreigestuftes Verfahren, bei dem das weltliche Hof- und Landgericht zugleich als geistliche Appellationsinstanz judizierte. Selbst wenn es sich im Vergleich zu anderen protestantischen Ländern ersichtlich um eine Ausnahme handelt, sind damit zahlreiche ältere Pauschalurteile über die frühneuzeitliche Gerichtsverfassung im Spannungsfeld kirchlicher und weltlicher Rechtssachen nicht länger aufrecht zu erhalten. Die Buntheit der partikular veschiedenen Rechtspraxis verbietet erneut großräumige Verallgemeinerungen.
VII. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus SchleswigHolstein-Lauenburg
Nach der Reichsstadt Lübeck und einigen Streitfällen aus Mecklenburg können zwei Schlaglichter auf schleswig-holsteinische Prozesse die Betrachtung norddeutscher protestantischer Territorien weiter vertiefen. Erneut ist es die Warte der Reichsgerichtsbarkeit, von der aus die Auseinandersetzungen ins Blickfeld geraten. Dadurch ist zugleich die Verknüpfung von Zuständigkeitsproblemen mit dem Instanzenzug zwanglos gewährleistet. Die schleswig-holsteinische Reichskammergerichtsüberlieferung ist unglücklicherweise auf verschiedene Archivbestände in Schleswig und Kopenhagen aufgeteilt, aber immerhin durch ein modernes Repertorium erschlossen1831. Bei der Quellenauswahl schieden alle diejenigen Prozesse aus, bei denen entweder das Domkapitel von Ratzeburg oder Lübeck lediglich als Partei auftrat1832 oder in denen die Parteien um die örtliche Zuständigkeit für die Gerichtsbarkeit in bestimmten Orten stritten1833. Wenn das Domkapitel Ratzeburg lediglich als Vorinstanz in weltlichen Verfahren tätig geworden war, bleibt dies hier ebenfalls ausgeklammert, weil gerade in diesen Fällen keine Diskussionen über Zuständigkeitsfragen erfolgt sind1834. Von den drei im Findbuch nachgewiesenen Verfahren, die sich mit geistlicher Gerichtsbarkeit beschäftigen, berührt eines lediglich die örtliche Zuständigkeit1835. Der zweite Prozeß ist ein Jurisdiktionsstreit zwischen Mecklenburg und Sachsen-Lauenburg wegen des Ratzeburger Hexenprozesses gegen Telse Clausen aus dem frühen 17. Jahrhundert, trotz des formalen Charakters der Hexerei als crimen mixti fori ein klar weltlicher Rechtsstreit1836. Der S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Schleswig, dort zur Überlieferungsgeschichte S. VIIVIII. 1832 Z. B. LA Schleswig Abt. 390 Nr. 217, 218, 219; ebenso LA Schleswig Abt. 390 Nr. 156: Domkapitel Hamburg als Kläger. 1833 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 245: Streit zwischen der Stadt Lübeck und dem Herzog von Sachsen-Lauenburg über die geistliche Gerichtsbarkeit in Breitenfelde bei Mölln, 16581662. 1834 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 107: Domkapitel als amtierende Regierung bis zur Neuwahl eines Bischofs; Abt. 390 Nr. 108; Abt. 390 Nr. 463. 1835 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 245. 1836 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 271, damit verbunden auch Nr. 291; LA Schleswig Abt. 217 Nr. 87; dazu O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 401-404; L o p au , Hexenprozeß, S. 3-24. 1831
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dritte Fall aus der Mitte des 16. Jahrhunderts ist dagegen ein Treffer. Er behandelt die Abgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichtsgewalt über die Klosterjungfrauen in Preetz und ist im folgenden ausführlich dargestellt. Der zweite hier näher betrachtete Prozeß stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert und betrifft die Appellation an das Reichskammergericht in Konsistorialsachen. Es ist zugleich der einzige schleswig-holsteinische Fall überhaupt, in dem eine Konsistorialsache vor dem Reichskammergericht zur Verhandlung gelangte. Hier zeigen sich typische Konfliktfelder, wie sie etwa auch in den Lübecker Verfahren vorlagen. Die Großzügigkeit des Mecklenburger Herzogs bei der Einbindung des Konsistoriums in die Gerichtsverfassung des Alten Reiches sucht man bei den Lauenburger Landesfürsten vergeblich. Selbst in benachbarten Territorien löste man derartige Fragen also grundverschieden.
1. Die Gerichtsgewalt über die Klosterjungfrauen zu Preetz Die Gerichtsbarkeit über geistliche Personen konnte in verschiedener Hinsicht zum Streitpunkt zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit werden. Die Reichweite des auch in anderen Fällen diskutierten privilegium fori war vielerorts fraglich. Schon die Beispiele aus Hildesheim, Osnabrück und Lübeck haben das klar gezeigt. Hierbei ging es zum einen um die Frage, ob und in welchem Umfang weltliche Gerichte überhaupt über geistliche Personen richten durften. Zum anderen war streitig, ob auch bei Anerkennung einer grundsätzlich geistlichen Gerichtszuständigkeit ausnahmsweise weltliche Gerichte tätig sein konnten. In einem schleswig-holsteinischen Reichskammergerichtsprozeß von 1558-1563 stritten die Parteien um die Gerichtsgewalt über die Klosterjungfrauen zu Preetz. Das Kloster Preetz war ein ehemaliges Benediktinerkloster. Zunächst hatte Herzog Christian III.1837 allen Klöstern Bestandsschutz bis 1547 gewährt, doch dann folgten schnell die entscheidenden Schritte der Reformation. Schon 1542 trat die evangelische Kirchenordnung in Kraft, beschlossen in Rendsburg in Anwesenheit von Johannes Bugenhagen1838. Danach ging es an die Auflösung sämtlicher Klöster. Nur vier blieben als evangelische Damenstifte übrig, damit die Landadligen ihre
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1502-1559, bei R a s m u s s e n , Die dänischen Könige, S. 87-88, 108. S e e g r ü n , Schleswig-Holstein, S. 152, 154.
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Töchter standesgemäß unterbringen konnten. Preetz zählte dazu1839. Welchen Status die nunmehr evangelischen Damen nach der Reformation hatten, war die Frage in einer sehr grundsätzlichen Auseinandersetzung vor dem Reichskammergericht. In einer erbrechtlichen Streitigkeit innerhalb der Adelsfamilie Rantzau1840 hatte das Flensburger Landgericht eine Abel Rantzau, die Tochter des Benedikt Rantzau zu Quarnbek, als Beklagte vorgeladen1841. Abel, latinisiert Apolonia, stand im Verdacht, bestimmte Anteile aus der Hinterlassenschaft des in Lübeck gestorbenen Wulf Rantzau unrechtmäßig erworben zu haben. Das Landgericht urteilte im Namen des dänischen Königs Christian III. als Herzog von Holstein sowie der Herzöge Johann und Adolf1842. Es erging lediglich ein Zwischenbescheid. Die beklagte Abel Rantzau mußte einen Vormund wählen. Dieser sollte zusammen mit elf ebenbürtigen Adligen einen leiblichen Eid schwören, wonach die Beklagte aus der streitigen Erbschaft weder Wertpapiere noch Bargeld erhalten hatte1843. Hier lebte in veränderter Form der altüberkommene Reinigungseid selbzwölft weiter. In Schleswig-Holstein war er als Zwölfmanneid noch in der frühen Neuzeit ganz gebräuchlich1844. Das Beweisurteil bekräftigte unausgesprochen zugleich die Gerichtsgewalt des Landgerichts über die Klosterjungfrau. Und genau das wollte Abel Rantzau nicht akzeptieren. Sie appellierte an das Reichskammergericht und wehrte sich dagegen, als Preetzer Klosterdame überhaupt vor dem Gericht eines weltlichen Landesherrn stehen zu müssen. Das Klerikerprivileg stand im Mittelpunkt der Narratio. Die Appellantin betonte, „Vermög gemeiner Rechten [müßten] geistliche Personen wo man die mit recht beclagen will, für Irer geistlichen Ordenlichen Oberkheit (...) mit recht fürgenomen werden“1845. Das war die typische Konsequenz aus dem privilegium fori der Geistlichen, ganz pauschal begründet mit dem gemeinen Recht. Wenn ein weltlicher Richter dagegen über eine geistliche Person urteilte, so meinte der S e e g r ü n , Schleswig-Holstein, S. 154: Die anderen drei Damenstifte waren Schleswig, Itzehoe und Uetersen; F r e y t ag , Klöster, S. 153-156; H o f f m a n n , Sieg der Reformation, S. 153-155; W i l l e r t , Anfänge, S. 25-29; H o f f m a n n , Preetz, Sp. 183; L o r e n z e n S c h m i d t / P e l c , Lexikon, S. 318-319, 481; v o n S e g g e r n , Holstein, Sp. 1110, spricht demgegenüber von nur drei nicht säkularisierten Klöstern, meint aber wohl nur den Landesteil Holstein. 1840 L o r e n z e n - S c h m i d t , Die Reichsgrafen von Rantzau, S. 404-417. 1841 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n - S t e g e m an n , Findbuch Schleswig, S. 257; erwähnt auch ebd. S. 243 (zum Prozeß LA Schleswig Abt. 390 Nr. 315). 1842 Überblick über die drei Regenten nach der Landesteilung bei S e e g r ü n , SchleswigHolstein, S. 141; R a s m u s s e n , Die dänischen Könige, S. 108-109. 1843 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Aktenstück Q 8, fol. 9v, Urteil vom 9. September 1557. 1844 S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Schleswig, S. 722: Zwölf Nachweise; erwähnt auch bei D r e y e r , Sammlung III, S. 1383, zur Diskussion in Schleswig im frühen 17. Jahrhundert. 1845 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Aktenstück Q 1. 1839
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Schriftsatzverfasser, sei das Urteil „nichtig unnd crafftloß“. Auf dieser Linie bezeichnete der Prokurator von Abel Rantzau den Prozeß immer als Nichtigkeitsbeschwerde. Die Adlige habe in Speyer prinzipaliter auf die Nichtigkeit1846 geklagt und unterfalle daher nicht den Förmlichkeiten des Appellationsrechts, meinte der Anwalt. Die Nichtigkeit des erstinstanzlichen Prozesses wäre für die kammergerichtliche Klägerin eine erheblich bessere Lösung gewesen als die bloße Rechtswidrigkeit eines falschen untergerichtlichen Urteils. Auf diese Weise hätte der besondere Gerichtsstand Geistlicher von Beginn an grundsätzlich und für jedermann sichtbar festgestanden. Prozeßhandlungen weltlicher Gerichte konnten dann gegenüber geistlichen Personen niemals Rechtswirkungen entfalten. In der Tat führte die Entscheidung eines unzuständigen Gerichts über eine von der Gerichtsbarkeit befreite Person nach gelehrter Tradition zur Nichtigkeit des Urteils1847. Appellationsprivilegien und Fristen hätten also bei einem nichtigen untergerichtlichen Urteil keine Rolle gespielt1848. Nach Auffassung Abel Rantzaus bzw. ihres Schriftsatzverfassers war die Feststellung eines nichtigen Verfahrens rein deklaratorisch. Reibungsflächen oder Einschnürungen durch etwaige Appellationsförmlichkeiten waren nicht denkbar, weil das Appellationsrecht gar nicht zum Zuge kam. Dies vorausgeschickt, bot sich die Überleitung zum Geschehen vor dem Flensburger Landgericht an. Die Klägerin meinte, wenn ein weltliches Gericht sie vorlade, sei sie „daselbst zue recht zusten nit schuldig“1849 Deshalb habe sie das Landgericht gebeten, die Sache an ihren ordentlichen Richter zu verweisen. Damit sei sie allerdings auf taube Ohren gestoßen, und deswegen sei das gesamte Flensburger Verfahren nichtig. Ganz so einfach war es aber wohl nicht. Es gab nämlich ein Problem. Abel Rantzau war bei den Verhandlungen in Flensburg 1557 vertreten gewesen und hatte dort sogar eine Exzeptionsschrift eingebracht1850. Zwischen den Parteien entspann sich deshalb ein Streit, ob Abel Rantzau durch ihr Verhalten in Flensburg die Zuständigkeit der weltlichen Gerichtsbarkeit begründet habe. Für die Verwandten von Abel Rantzau stand das fest. Sie gingen von einer Prorogation aus, denn „sie die gegentheilin [sei] bey ihrer geistlichen Profession nit geplieben, sonder daraus geschritten, Und [habe] sich welttlicher henndel underfangen“1851. Modern gesprochen, warf man ihr also ein Zu prinzipaliter erhobenen Nichtigkeitsklagen O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 63-73. L i t e w s k i , Zivilprozeß I, S. 123. 1848 Die Frist verlängerte sich dann auf 30 Jahre, R o d i n g , Pandectae juris cameralis, lib. 1 tit. 33 § 19, S. 409. 1849 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Aktenstück Q 1. 1850 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Aktenstück Q 8, fol. 2v. 1851 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Aktenstück Q 7. 1846 1847
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rügeloses Einlassen auf den Flensburger Rechtsstreit vor. Die Frage, ob weltliche oder geistliche Gerichte über eine Person richten durften, hing nach dieser Auffassung vom Verhalten des Geistlichen selbst ab. Durch die rügelose Einlassung war nach Ansicht der Verwandten die Zuständigkeit des Flensburger Gerichts dauerhaft begründet. Das war bei Geistlichen freilich ein heikler Punkt. Wie bereits in der gemeinrechtlichen mittelalterlichen Literatur anerkannt, konnten Parteien die Zuständigkeit eines eigentlich unzuständigen Gerichts auch durch Verzicht auf eigene Privilegien begründen und nicht nur durch einvernehmliche Zuständigkeitsvereinbarung1852. Deswegen griffen aus dem Blickwinkel der Verwandten die Appellationsund nicht die Nullitätsregeln ein. Das war rechtlich entscheidend, denn die Förmlichkeiten und Termine zur Einlegung der Appellation, die sog. Fatalien1853, hatte Abel Rantzau unstreitig versäumt. Die Verwandten erhoben in Speyer kaum überraschend die Protestation de non consentiendo vel prorogando iurisdictionem nisi quatenus et in quantum. Das war ein häufiges Verteidigungsmittel im Kameralprozeß. Auf diese Weise bestritt man die Zuständigkeit der Reichsgerichtsbarkeit grundsätzlich und ließ sich nur insoweit auf die Sache ein, wie es unvermeidbar war, um prozessualen Nachteilen zu entgehen1854. Das half zugleich, Präzedenzfälle zu vermeiden. Der Begriff Prorogation bezog sich in diesem technischen Sinne auf die Unzuständigkeit des Reichskammergerichts. In einigen zuvor untersuchten Streitigkeiten beriefen sich dagegen diejenigen Parteien, die das geistliche privilegium fori beanspruchten, auf ein kategorisches Prorogationsverbot. Dies bezog sich auf die Gerichtsstandsbefreiung von der weltlichen erstinstanzlichen Justiz. Die geistlichen Parteien hielten ihre Sonderstellung für zwingend und meinten, entweder könnten sie gar nicht oder nur mit ausdrücklicher Zustimmung ihres geistlichen Oberhaupts darauf verzichten1855. Es gab damit zwei verschiedene Bedeutungen der Prorogation. Zum einen handelte es sich um die Zuständigkeitsbegründung eines an sich nicht zuständigen Untergerichts. Dies war wie angedeutet regelmäßig mit der Frage verknüpft, ob die geistlichen Gerichtsstandsprivilegien überhaupt dispositiv waren und damit Gegenstand von Parteivereinbarungen sein konnten. Die zweite Prorogation betraf dagegen die Einbindung in den Reichskammergerichtsprozeß. Diese Einlassung erfolgte üblicherweise L i t e w s k i , Zivilprozeß I, S. 121-122; S al v i o l i , Storia della procedura, S. 205-211. O e s t m a n n , Ein Zivilprozeß am Reichskammergericht, S. 51. 1854 Beispiel aus einem Lübecker Kammergerichtsprozeß von 1618 bei S t r e c k e r , Das vormalige Küstengewässer, S. 222. 1855 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 4, fol. 1v (dazu oben bei Anm. 1346-1363); AHL RKG L 23, Aktenstück Q 6, Gravamen 2 (dazu oben bei Anm. 1604). 1852 1853
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durch Litiskontestation1856. Wie in der Praxis auch das Reichskammergericht durch Prorogationen für bestimmte Streitsachen Zuständigkeiten hinzugewann, hat sich bereits bei den Mecklenburger Appellationen in geistlichen Konsistorialsachen gezeigt1857. Der Vorwurf der Appellaten, die Klosterjungfrau habe sich selbst auf den Landgerichtsprozeß eingelassen, hätte unweigerlich zum Prozeßverlust geführt, wenn die Appellantin ihm in Speyer nicht schnurstracks widersprochen hätte. Deswegen bot der Prokurator von Abel Rantzau zahlreiche gemeinrechtliche Lehrsätze auf, um die Sache zum Guten zu wenden. „Sententia a non competente Iudice lata est ipso iure nulla“, meinte er in seiner Replikschrift1858 und bezog sich damit auf das gelehrte Recht1859. Nach dieser Auffassung blieb die Unzuständigkeit des einmal unzuständigen weltlichen Richters vom Verhalten der geistlichen Person unabhängig und zog ausnahmslos die Nichtigkeit aller späteren Prozeßhandlungen, insbesondere des Urteils, nach sich. Das Prorogationsproblem sprach der Schriftsatzverfasser ebenfalls an, betonte aber, seine Mandantin habe gegenüber dem Flensburger Gericht „In Ir Jurisdiction nitt Consentirt“1860. Lediglich hilfsweise malte der Prokurator praktische Schwierigkeiten an die Wand. Für die Klosterjungfrau war es wohl unmöglich gewesen, die zwölf Eidesleistenden zu finden, also den Kriegsvormund und die elf Eideshelfer. „Impossibilium nulla est obligatio“, heißt es an dieser Stelle in der Replikschrift, und für den berühmten, aber auch wenig schlagkräftigen Lehrsatz bot der Schriftsatzverfasser nicht weniger als drei Allegationen aus dem Corpus Iuris Civilis sowie aus dem Liber Extra an1861. Prozessual fand er auf diese Weise einen weiteren Grund, warum bereits aufgrund der Nichtigkeit des Flensburger Beweisurteils die Appellationsförmlichkeiten nicht streitentscheidend sein konnten. Insbesondere die übliche Zehntagesfrist für die Appellationseinlegung war dann vom Tisch. Ganz andere Zeitdimensionen taten sich auf. Der Prokurator von Abel Rantzau verwies auf „aller rechtgelerten ainhelligen Maynung“, wonach ein nichtiges Urteil „Innerhalb 30. Jharen nit Praescribirt werden mag“1862. Das war die übliche gemeinrechtliche Dazu umfassend S c h l i n k e r , Litis contestatio, passim; ergänzend O e s t m a n n , Einlassung, Sp. 1300-1301. 1857 Dazu oben bei Anm. 1773-1813. 1858 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Aktenstück Q 5. 1859 C. 7, 48, 4 („Et in privatorum causis huiusmodi forma servetur, ne quemquam ligatorum sententia non a suo iudice dicta constringat“); X. 2, 2, 12 (zitiert als „c. si diligenti et de foro competenti“). 1860 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Aktenstück Q 5. 1861 D. 49, 8, 3 („Paulus respondit inpossibile praeceptum iudicis nullius esse momenti. Idem respondit ab ea sententia, cui parere rerum natura non potuit, sine causa appellari“); D. 50, 17, 185 (Celsus: „Inpossibilium nulla obligatio est“); VI. 5, 12, 5, regula 6 („Nemo potest ad impossibile obligari“). 1862 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Aktenstück Q 5. 1856
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Verjährungsfrist1863. Ob der Hinweis auf die Unmöglichkeit des Zwölfmanneides auf spezifische Probleme evangelischer Nonnen anspielte, adlige Eideshelfer zu finden, ist unklar. Die Verwandten der Appellantin nannten diese Form der Eidesleistung in ihrer Duplikschrift jedenfalls einen üblichen Landesgebrauch und verwiesen dafür sogar auf die druckfrische Reichskammergerichtsordnung von 1555. Nach diesem nur wenige Jahre alten Reichsgesetz sollten „die gericht bej Ihren herprachten rechtmesigen gepreuchen und gewonheiten gelassen werden“1864. Die modernste deutsche Prozeßordnung schützte damit das älteste Beweisverfahren, dessen Wurzeln bis in die frühesten Schichten des einheimischen Rechts zurückreichten. Das Flensburger Beispiel wirft im übrigen unabhängig von Zuständigkeitsfragen erstaunliches Licht auf Leumundseide. Offenbar waren sie nicht unbedingt leichter zu erbringen als Tatsachenbeweise. Wenn die geforderten Eideshelfer nicht zur Hand waren, bestand keine Möglichkeit, einen Rechtsstreit zu gewinnen1865. Vielleicht lag genau hier der tiefere Grund für die Appellation Abel Rantzaus. Wenn es nur um die Befreiung von der Landgerichtsbarkeit gegangen wäre, hätte sie vor dem Reichskammergericht das Eidesproblem nicht gesondert ansprechen müssen. Erfolg hatte sie aber mit der von ihr oder vielmehr ihrem Anwalt gewählten Strategie nicht. Das Reichskammergericht entschied den Prozeß durch Urteil vom 20. Dezember 1563. Der Tenor lautete lapidar, „das solche sach an diß keyserlich Chammerg[erich]t nit erwachsen, und gedachte Appellantin, Inen den Appellaten die gerichtscosten an ermeltem Chammerg[erich]t uffgeloffen, nach rechtlicher meßigung zuentrichten und zubezalen schuldig sei“1866. Das war ein Prozeßurteil, die übliche Tenorierung für unzulässige Appellationen1867. Die Entscheidungsgründe des Kammergerichts sind wie regelmäßig in dieser Zeit nicht bekannt, aber es gibt Indizien, die eine Annäherung ermöglichen. So bezeichnete das Gericht das Verfahren von Beginn an als Appellationsprozeß und rubrizierte auch die Akte so, obwohl sich Abel Rantzau erhebliche Mühe gab, die Sache als Nichtigkeitsklage darzustellen. Wie eindeutig das Ergebnis war, zeigt auch die Kostenentscheidung. Die in Sachurteilen übliche Kostenteilung H e r m a n n , §§ 194-225. Verjährung, S. 999 Rn. 7, S. 1027 Rn. 41. LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Aktenstück Q 7; zur Berücksichtigung der ehrbaren Gewohnheiten RKGO 1555 § 1, 13, 1, bei L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 93; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 436-458. 1865 Zum Leumundseid u. a. I g n o r , Indiz und Integrität, S. 77-91; O e s t m a n n , Der vergeßliche Fürsprecher, S. 155. 1866 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Protokollbuch vom 20. Dezember 1563; bei S e i l e r , Bei unnd end urthail, S. 552, ist für diesen Tag kein Urteil überliefert. Das Buch erhebt aber auch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit; möglicherweise ist der Tenor identisch mit S e y l e r / B a r t h , Urtheil Und Beschaydt, Bd. IV, S. 178 D. 1867 Zur Tenorierung von Prozeßurteilen O e s t m an n , Rekonstruktion, S. 42-44. 1863 1864
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war hier nicht ausgeworfen, sondern die Verfahrenskosten trafen allein die Appellantin1868. Vermutlich hatte diese bereits in einem frühen Stadium des Verfahrens einen schweren Fehler begangen. Sie war nämlich am 4. September 1557 in Flensburg zu einem Notar gegangen und hatte dort eine Protestationsschrift aufgesetzt. Darin hatte sie erklärt, sie werde sich auf den weltlichen Landgerichtsprozeß nur insoweit einlassen, wie sie „von rechts wegen schuldig“ sei1869. In Flensburg erklärte Abel Rantzau vor Gericht dasselbe. Sie erscheine dort nur „mit vorbeholde, aller begnadunge, unnd freiheit ock aller andern notturfft, der ße vonn Rechts unnd gewonheit wegen billich tho genothenn“ habe1870. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Entscheidung des Reichskammergerichts zu erklären. Entweder war der untergerichtliche Protest Abel Rantzaus noch zu schwach gewesen. Ihre Protestationsschrift sollte wohl die Exzeption de non consentiendo vel prorogando iurisdictionem nisi quatenus et in quantum bewirken, wie die Verwandten sie später vor dem Reichskammergericht erhoben, verfehlte aber offenkundig ihr Ziel. Vielleicht hätte Abel Rantzau gar nicht in Flensburg verhandeln dürfen und begründete durch ihr prorogatorisches Verhalten die Zuständigkeit des Landgerichts praktisch durch ein venire contra factum proprium. Obwohl sie den Arm der weltlichen Gewalt nicht anerkannte, beugte sie sich ihm doch. In dieser Interpretation wäre das Reichskammergericht der Rechtsauffassung der Rantzauischen Verwandten gefolgt. Im Ergebnis hätte das privilegium fori für die Preetzer Klosterjungfrauen dann entweder gar nicht bestanden oder wäre zumindest dispositiv gewesen. Es gibt auch eine zweite Deutungsmöglichkeit. Eventuell knüpfte das Speyerer Reichsgericht gar nicht an den geistlichen Status der beteiligten Parteien an, sondern beurteilte die Gerichtszuständigkeit nach der weltlichen Qualität des Streitgegenstandes. Eine Erbauseinandersetzung innerhalb einer landsässigen Adelsfamilie wäre bei dieser Sichtweise im Herzogtum Schleswig-Holstein eben eine weltliche Angelegenheit gewesen, auch wenn einzelne Verwandte geistliche Würden angenommen hatten. Letzte Klarheit läßt sich wegen der fehlenden Urteilsbegründung nicht gewinnen. Der bekannte Prozeßausgang erneuert jedenfalls im Umkehrschluß ein bereits geläufiges Zwischenergebnis. Das geistliche privilegium fori war ein Argument, das wie in einigen zuvor geschilderten Fällen so auch hier nicht zum gewünschten Erfolg führte. Entweder war der Personenkreis derjenigen, die sich darauf berufen konnten, enger als die angeblich davon Begünstigten selbst eingestanden, oder die Gerichtszuständigkeit folgte teilweise nicht nur Zu den Prozeßkosten im gemeinen Zivilprozeß S e l l e r t , Akzessorietät, S. 509-537; D i e s t e l k a m p , Prozeßkosten, S. 81-87; F al k , Consilia, S. 102-106. 1869 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Aktenstück Q 6 (Beilage A zu Replik). 1870 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342, Aktenstück Q 8, fol. 3r. 1868
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persönlichen, sondern auch sachlichen Zuständigkeitsregeln, oder aber das Privileg ließ sich jederzeit durch stillschweigende Prorogation verdrängen. Alle diese Möglichkeiten begünstigten im Ergebnis die weltliche Jurisdiktion über Personen, die sich selbst für Geistliche hielten. Einige Streitigkeiten aus der Reichsstadt Hamburg und aus Jülich-Berg werden genau diesen Eindruck verfestigen1871. Das privilegium fori der Geistlichkeit war ein stumpfes Schwert – und zwar genau dann, wenn es darauf ankam. Wie ein Leitmotiv zieht sich dieser Befund von Territorium zu Territorium.
2. Der Streit um den Instanzenzug in Ehesachen in SachsenLauenburg Neben Auseinandersetzungen um die Gerichtsgewalt über geistliche Personen bilden Prozesse um die richtige Zuordnung einzelner Streitgegenstände eine weitere große Gruppe von Verfahren auf der Grenzlinie von weltlicher und geistlicher Gerichtsgewalt. Hier gab es innerhalb des Instanzenzuges Diskussionen, ob bestimmte Fallkonstellationen geistlich oder weltlich beschaffen waren. Davon hing oft die Wahl des zweitinstanzlichen Gerichts ab. Aus moderner Sicht handelt es sich um die materiellrechtliche Frage nach der weltlichen oder geistlichen Natur eines bestimmten Rechtsinstituts oder Streitgegenstandes. Insbesondere die ganz verschiedenen Rechtsmittelverfahren machten aus solchen Konflikten in der frühen Neuzeit aber immer auch Auseinandersetzungen um die Gerichtsverfassung und das anzuwendende Prozeßrecht, wie der folgende Rechtsstreit aus SachsenLauenburg verdeutlicht. Im Verfahren der Marie von Berkentin zu Zecher gegen Johann von Drieberg zu Gottmannsförde aus dem frühen 17. Jahrhundert ging es um die schon bekannte Frage, ob es in Ehestreitigkeiten einen Rechtsmittelweg an das Reichskammergericht gab. In Lübeck lautete die Antwort schlicht nein, in Mecklenburg zur selben Zeit ja. Die Rechtslage in SachsenLauenburg war bis zu diesem Streit offen, weil es zuvor noch keinen Appellationsversuch gegeben hatte. Zugrunde lag ein kurioser Sachverhalt1872. Marie von Berkentin hatte sich mit Johann von Drieberg verlobt. Von Liebe konnte keine Rede sein, denn die Schwiegermutter sowie Maries Brüder hatten die Braut zur Abgabe des Eheversprechens gezwungen. Des1871 1872
Dazu unten bei Anm. 2431-2592, 3126-3198. Repertoriumsmitteilung bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Schleswig, S. 86.
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wegen entspann sich ein Rechtsstreit vor dem sachsen-lauenburgischen Konsistorialgericht über die Wirksamkeit des Verlöbnisses1873. Dieses Gericht entschied am 14. September 1603 gegen die unfreiwillig Verlobte. Der von Marie von Berkentin behauptete „metus, unnd dauon die Zeugen deponiren“ war „der erheblicheit nicht“. So durfte die Braut die Eheschließung nicht mit Recht verweigern1874. Das Konsistorium verurteilte die Beklagte daher, „den Christlichen Kirchgang zuuolziehen“. Falls sie sich weigerte, sollte sie „von der hohen Oberkeit durch gebürliche mittel billich angehaltten“ werden. Hier begegnet das aus moderner Sicht befremdende Institut der Zwangstrauung, das im protestantischen Kirchenrecht seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar ist. Der Schwerpunkt der Eheschließung lag nach reformatorischem Verständnis zunächst auf dem rechtswirksamen Verlöbnis und nicht auf der bloß deklaratorischen Trauzeremonie1875. Wenige Jahrzehnte später befürwortete Benedikt Carpzov ausdrücklich dieses Verfahren1876, bis erst Justus Henning Böhmer die Trauung ins Zentrum des Rechtsgeschäfts stellte1877. Üblicherweise kam der Zwang zur Trauung Frauen zugute, insbesondere deflorierten Jungfrauen1878. Ein lippischer Fall liefert hierfür ein besonders drastisches Beispiel1879. Zwangstrauungen gegen den Willen der Frau scheinen deutlich seltener gewesen zu sein. Der sachsen-lauenburgische Fall gehört dazu. Hier erging die lauenburgische Konsistorialentscheidung zu Lasten der Verlobten. Maries Angst vor der Eheschließung und der Druck der eigenen Verwandten waren nicht stark genug, um rechtliche Berücksichtigung zu finden. In den oben untersuchten Lübecker Streitigkeiten bildete die Verurteilung zur Eingehung der Ehe ebenfalls teilweise den Ausgangspunkt für die nachfolgenden Auseinandersetzungen1880. Und wie dort wollte sich auch Marie von Berkentin mit einer Zwangsheirat nicht abfinden.
Der Beitrag von H a u s c h i l d t , Suchet der Stadt Bestes, S. 155-168, behandelt die Lauenburgische Kirchenordnung, geht aber nicht auf die Gerichtsverfassung ein; zur Eheschließung unter Zwang D i e t e r i c h , Eherecht, S. 129-130, 209; D e u t s c h , Ehegerichtsbarkeit, S. 44. 1874 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 8, Nr. 107. 1875 L a n d a u , Carpzov, S. 237-238; B u c h h o l z , Recht, Religion und Ehe, S. 361-373; K i r s t e i n , Entwicklung der Sponsalienlehre, S. 125-145 (zu Justus Henning Böhmer); D i e t e r i c h , Eherecht, S. 162. 1876 C a r p z o v , Jurisprudentia ecclesiastica, lib. 2 tit. 7 def. 123 n. 6. 1877 B ö h m e r , Jus ecclesiasticum, lib. IV tit. I, § 58, S. 1121; B u c h h o l z , Justus Henning Boehmer, S. 48. 1878 L a n d a u , Carpzov, S. 238. 1879 LA Detmold L 82 Nr. 360, dazu unten bei Anm. 2260-2294. 1880 AHL RKG S 89, dazu oben bei Anm. 1518-1527; ebenso AHL RKG K 32, dazu oben bei Anm. 1528-1534. 1873
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Gegen das lauenburgische Konsistorialurteil appellierte Marie von Berkentin an Herzog Franz II. von Sachsen-Lauenburg1881. Ähnlich wie in Lübeck und Mecklenburg war die Appellation vom Konsistorium an die Landesobrigkeit auch in Sachsen-Lauenburg anerkannt. Die Anrufung unmittelbar des Landesherrn zeugt freilich von einer noch vergleichsweise schwach ausdifferenzierten Gerichtsverfassung1882. Der Herzog wurde aber tätig. Er setzte ein Verfahren in Gang und delegierte einige Kommissare, die sich mit der Sache beschäftigen sollten1883. Nach immerhin vier Jahren bestätigte der lauenburgische Landesherr am 8. Juni 1607 die Konsistorialentscheidung. Doch auch mit diesem Mißerfolg wollte Marie von Berkentin nicht leben. Form- und fristgerecht appellierte sie gegen das Urteil des Herzogs an das Speyerer Reichskammergericht1884. Nun entspann sich eine grundsätzliche Auseinandersetzung über das Verhältnis von Konsistorialgerichtsbarkeit und Reichsgerichtsbarkeit sowie vom summarischen Konsistorialprozeß zum ordentlichen gemeinen Zivilprozeß. Marie von Berkentin bezeichnete ihren Prozeß ähnlich wie die zuvor erwähnte Klosterjungfrau Abel Rantzau aus Preetz ausdrücklich als „Citatio super nullitate“1885. Sie trug bestimmte Verfahrensmängel vor, angeblich schwer genug, um sowohl den Prozeß vor dem Konsistorium als auch die Verhandlung vor den herzoglichen Kommissaren nichtig zu machen. So habe ihr das Konsistorium etwa nur die Zitation, nicht aber den Klaglibell des ungeliebten Verlobten zugestellt, auch habe die Kommission gar keine Ladung an Johann von Drieberg erlassen, sondern sich mit einem Kompulsorialschreiben an das Konsistorium begnügt1886. Die Einzelheiten tun hier nichts zur Sache. Im übrigen galt für Marie von Berkentin der Grundsatz „sententiam latam in causa matrimoniali & alias sententias concernentes matrimonium siue causam peccati, quoad principale vinculum, quod continetur, in sententia, nunquam transire in rem iudicata“1887. Ein Urteil in Ehesachen oder wegen einer Sünde könne insoweit niemals in Rechtskraft erwachsen, wie das Hauptband im Urteil reiche. Ob sich dieses Hauptband konkret auf die eheliche Verbindung oder prozessual allgemein auf die Tenorierung bezie1547-1619, reg. seit 1578/81, zu ihm B o r n e f e l d , Herzöge, S. 380-384, 388-389; zum Problem von Rechtsmitteln gegen Konsistorialentscheidungen S c h l ü t e r , Calvinsmus, S. 141-142. 1882 Ganz knapp zum Verhältnis von Obrigkeit und Konsistorium in Sachsen-Lauenburg S p r e n g l e r - R u p p e n t h a l , Rezeption, S. 398. 1883 Zur Bedeutung von Kommissionen in den Territorien L u d w i g , Herz der Justitia, S. 42. 1884 Einzelheiten in der Zitation: LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 1. 1885 Prozeßart auf dem Dorsalvermerk des Libells: LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 8. 1886 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 8, Art. 81, 111. 1887 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 8, Art. 137. 1881
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hen sollte, ist unklar. Im Ergebnis zog Marie von Berkentin hieraus doppelten Vorteil. Zum einen schied die Vollstreckung des untergerichtlichen Urteils mangels Rechtskraft aus, und zum anderen waren wegen der angeblichen Nichtigkeit zugleich die Appellationsförmlichkeiten unbeachtlich. Mit ihrer Sichtweise befand sich die Appellantin in Übereinstimmung mit der herrschenden Literatur. Auch Andreas Gail betonte dasselbe: „Regulariter sententia in causa matrimonii non transit in rem judicatam, sed revocatur quandocunque error detectus fuerit“1888. Der Widerstreit zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit stand den zeitgenössischen Rechtsgelehrten somit klar vor Augen. In Ehesachen wollte man beweglich bleiben, auf veränderte Sachlagen reagieren und nicht starr einmal gefällte Entscheidungen durchfechten. Aus zeitgenössischer evangelischer Sicht war diese flexible Verfahrensweise unproblematisch mit Zwangstrauungen vereinbar. Diesen letzten Punkt sprach der Katholik Gail freilich nicht an. Neben einem Hinweis auf das gemeine Recht1889 sowie unspezifisch auf die Glosse waren es vor allem die Konsilien von Paulus de Castro, dem 1441 verstorbenen Schüler von Baldus1890, die Andreas Gail für seine Lehrmeinung heranzog. Im Ausgangspunkt konnte sich Marie von Berkentin also mit der gemeinrechtlichen Tradition einig wissen. Allerdings war Andreas Gail aus anderen Gründen ein problematischer Gewährsmann. Hatte er doch die Zuständigkeit des Reichskammergerichts für derartige Streitigkeiten genau in derselben Observation rundum verneint. Das sollte im weiteren Verlauf des Rechtsstreits eine entscheidende Rolle spielen. Gegen die Argumentation der Klägerin wandten sich vor dem Reichskammergericht sowohl die Beklagten als auch Herzog Franz II. von Sachsen-Lauenburg. Im Gegensatz zu den oben geschilderten Fällen aus Osnabrück und Hildesheim ging hier nicht eine Territorialregierung als Klägerin gegen ihre eigenen Untertanen vor. Als Partei des Rechtsstreits hätte der Herzog die Zuständigkeit des Kammergerichts über die sachsen-lauenburgischen Kirchensachen anerkannt. Das wollte er nicht. Dennoch ergriff Herzog Franz das Wort und versuchte, seine Gerichtsgewalt als oberster
G a i l , Observationen, lib. I obs. 112 n. 1. Dekretale Alexanders III. in X. 2, 27, 7 („Sententia lata contra matrimonium nunquam transit in rem iudicatam; unde quandcunque revocatur, quum constat de errore“). 1890 P a u l u s d e C a s t r o , Consilia, p. 1 cons. 355 summaria n. 2, fol. 190v (Ausgabe 1582): „Sententiam in causa matrimonij non transire in rem iudicatam quomodo intelligatur“ (im Register der Druckausgabe von 1582 sowie im anwaltlichen Schriftsatz als cons. 354 angegeben; so auch die Zählung der Ausgabe 1546 fol. 188r mit etwas anderer Summaria); zu Paulus de Castro L a n g e / Kr i e c h b au m , Römisches Recht II, S. 813-826; L e p s i u s , Paolo di Castro, S. 77-105. 1888 1889
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Konsistorialrichter zu behaupten. Seine Stellungnahme ist deshalb von hohem Wert.
a) Zum summarischen Verfahren in Konsistorialsachen Herzog Franz II. von Sachsen-Lauenburg trat auf den Plan und setzte sich mit dem Vorwurf auseinander, er habe Nichtigkeiten zu verantworten. Die Abweichungen vom ordentlichen Zivilprozeß gab der Herzog offen zu, sah sich darin aber gerechtfertigt. Er verteidigte sein Vorgehen nämlich mit prinzipiellen Erwägungen. „Besage der Geistlichen und Weldtlichen Rechte“ müsse man in Ehesachen „summariè“ verhandeln. Es solle „niemandt mit langen Proceßen auffgehalten, noch zu vielen schweren uncosten verursachet“ werden1891. Der Landesherr betonte ausdrücklich, er habe diese Entscheidung „secundum doctrinam“ getroffen, speziell nach der Lehrmeinung von Pierre Rebuffi. Auf den ersten Blick ist das erstaunlich, denn der zitierte Autor wird, wenn überhaupt, heute eher in anderem Zusammenhang erwähnt. Pierre Rebuffi (1487-1557) war ein französischer Kanonist, Advokat am Pariser Parlament und der bis ins 19. Jahrhundert einzige Professor der Pariser Juristenfakultät von europäischem Rang1892. Seine Rolle als Vorläufer des königlichen Absolutismus findet gelegentlich Erwähnung1893. Auch Rebuffis Traktat über Supplikationen ist bereits Gegenstand einer neueren Untersuchung gewesen1894. In Sachsen-Lauenburg waren es 1607 jedoch die „Commentarii in constitutiones seu ordinationes regias“, die als Autorität galten. Mit präziser Angabe einzelner Randnummern erwuchs Rebuffi zum Gewährsmann für das evangelische Konsistorialverfahren. Seiner Lehre nach sollte man „summariè in geistlichen Ehe- und andern sachen für unserm Consistorio procedir[en] und verfahren“1895. So schrieb der Herzog nach Speyer, und in der Tat hatte Rebuffi diese Auffassung in seinem Werk auch vertreten1896. Es gab einen kleinen Haken, handelte es sich bei Rebuffis KommenLA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 6. L l o y d , Constitutional thought, S. 261-262; C h ab a n n e , Rebuffe, Sp. 475-477; H o l f t h ö f e r , Rebuffi, S. 528-529; T ai s a n d , Les vies des jurisconsultes, S. 482-483; zum Einfluß Rebuffis auf die lateinamerikanische Diskussion B a r r e t o , Legal Culture, Ziff. 42. 1893 L l o y d , Constitutional thought; F r i e d e b u r g , Bausteine widerstandsrechtlicher Argumente, S. 149-150; d e r s . , Besprechung von Paul-Alexis Mellet (Hrsg.), Et de sa bouche sortait un glaive. 1894 Z e n d r i , Il „Tractatus de supplicationibus“, S. 33-51. 1895 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 6. 1896 R e b u f f i , Tractatus de sententiis, art. 9 glossa 2. n. 7-8, S. 227: „Quartò idem est dicere simpliciter, vel summariè, quoad istam materiam“. 1891 1892
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tar doch um eine Beschreibung der französischen Rechtslage von 15491897. Aber das spielte für Herzog Franz keine Rolle. Das lutherische Konsistorium1898 folgte hier ohne weiteres den hergebrachten Lehren des kanonischen Rechts. Der Rückbindung an die alten Lehren folgte der Brückenschlag zur gegenwärtigen Praxis. Wie der Herzog hinzufügte, stand das summarische Verfahren am Konsistorialgericht weiterhin „in viridi observatia“1899. In einer Zeit, in der die beständige Übung eines der wichtigsten Geltungskriterien für Recht war1900, besaßen solche Hinweise erhebliches Gewicht. Sie ebneten den Unterschied von Rechtslehre und Gerichtsalltag ein. Für den Landesherrn waren die unterschiedlichen Prozeßmaximen vor geistlichen und weltlichen Gerichten nicht nur eine Behauptung der Rechtslehrer. Nein, sie entsprachen vollauf der überkommenen Praxis in seinem Herzogtum. Zur Bekräftigung verwies Franz abermals auf den „Stylus Consistorij“1901. Einige Beispiele dienten eher der Illustration. Die Verhandlung vor dem Konsistorium sollte nicht schriftlich, sondern mündlich und „summariè“ stattfinden. Deswegen hatte das Gericht den artikulierten Libell des erstinstanzlichen Klägers nicht angenommen. Und aus demselben Grund gab es herzoglichen Mißmut, als anstatt eines ordentlichen Prokurators für Marie von Berkentin ein alter Mann auftauchte, der vor dem Konsistorium „Ex charta“ einen Schriftsatz vorlas und keine Kenntnis der Sache hatte. Im rein schriftlichen gemeinen Zivilprozeß wäre das unproblematisch gewesen1902, vor dem Konsistorium wollte man das aber nicht akzeptieren. Insbesondere nachdem beide Seiten eingewilligt hatten, nach der Kirchenordnung zu verfahren, lag aus der Sicht des Landesherrn in der Abweichung vom ordentlichen gemeinen Zivilprozeß kein Nichtigkeitsgrund. Ob die Zustimmung der Parteien überhaupt erforderlich war, um einen summarischen Prozeß vor dem Konsistorium führen zu können, erscheint fraglich und war mit der Äußerung des Herzogs sicherlich nicht gemeint. Auch die rechtshistorische Literatur sieht im summarischen Verfahren einen entscheidenden Unterschied von Konsistorialprozessen gegenüber Rebuffi hatte sein Buch 1549 sogar dem französischen Kanzler gewidmet: L l o y d , Constitutional thought, S. 262. 1898 Zur Reformation in Sachsen-Lauenburg F i s c h e r -H ü b n e r , Anfang und Fortgang; B a r i n g , Franz Baring, S. 93-136; zur Kirchenordnung von 1585 H au s c h i l d , Suchet der Stadt Bestes, S. 155-169. 1899 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 6. 1900 Zur viridis observantia: O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 116-118; zur usualen Rechtsgeltung S i m o n , Geltung, S. 102-120. 1901 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 6. 1902 Zur Reichweite der Schriftlichkeit D i e s t e l k am p , Beobachtungen zur Schriftlichkeit im Kameralprozeß, S. 105-115. 1897
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ordentlichen Zivilverfahren1903. Durch die Stärkung der Mündlichkeit konnte man den summarischen Prozeß gegenüber dem ordentlichen Zivilprozeß zugleich erheblich schneller beenden. Das sparte Zeit und Geld. Wohl deswegen haben viele Konsistorialgerichte deutlich weniger Gerichtstage für ihre Verhandlungen angesetzt als zeitgenössische Zivilgerichte1904. Die spezifische Verknüpfung von Konsistorialverfahren, summarischem Prozeß, Mündlichkeit und der im Kernland der Reformation noch lebendigen Prägung durch den Sachsenspiegel ist eine Traditionslinie, auf die Mathias Schmoeckel hingewiesen hat1905. Doch ist das nicht der einzige Rahmen, in den sich der evangelische Konsistorialprozeß einfügt, wie gerade der vorliegende Fall verdeutlicht. Der französische Katholik Rebuffi war jedenfalls für den Rechtsberater des sachsen-lauenburgischen Herzogs die wichtigste Autorität auf diesem Feld. Vom Sachsenspiegel oder der Bedeutung der Mündlichkeit in der evangelischen Kirche war in der Akte mit keinem Wort die Rede. Im übrigen praktizierte auch die Rota Romana das summarische Verfahren in Ehesachen1906. Und der spätmittelalterliche Offizialatsprozeß kannte mündliche Verhandlungen in viel weiterem Ausmaß als oft vermutet1907. Um eine Neuerung der Reformationszeit handelte es sich also nicht. Die lauenburgische Kirchenordnung spielte im Schriftsatz des Herzogs eine zentrale Rolle. Wie er betonte, hatten „Ritter und Landtschafft“ der Verabschiedung der Kirchenordnung zugestimmt1908. Herzog Ulrich von Mecklenburg hatte gut zwei Jahrzehnte zuvor in Speyer genauso argumentiert. Doch blieb im Mecklenburger Fall das Gesetzgebungsverfahren zwischen den Parteien streitig1909. In Sachsen-Lauenburg stieß der Herzog dagegen nicht auf Widerstand. In der Tat sah die sachsen-lauenburgische Kirchenordnung von 1585 das summarische Verfahren vor dem Konsistorium
H e c k e r , Ehescheidungsprozeß, Sp. 843; d e r s . , Entwicklung, S. 44, zur Amtsermittlung und zum obligatorischen Sühneversuch; allgemein zur Mündlichkeit im summarischen Verfahren A h r e n s , Prozeßreform, S. 34. 1904 S c h m o e c k e l , Benedict Carpzov, S. 29-31, mit Hinweisen auf verschiedene Konsistorialordnungen; S c h l ü t e r , Calvinismus, S. 140-141. 1905 S c h m o e c k e l , Benedict Carpzov, S. 29-32. 1906 N ö r r , Rota Romana, S. 235; d e r s . , Verfahrensordnungen, S. 91-94; d e r s . , Textrationalität, S. 18, mit Hinweis auf geringere Anforderungen an die Schriftform in der mittelalterlichen Kanonistik; zum summarischen kanonischen Prozeß auch E l s e n e r , Exkommunikation, S. 72; M ü l l e r - V o l b e h r , Die geistlichen Gerichte, S. 186-187; D e u t s c h , Ehegerichtsbarkeit, S. 177-181. 1907 S t e i n s , Zivilprozeß, S. 226. 1908 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 6. 1909 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 448, Aktenstück Q 4, dazu oben bei Anm. 1761-1762; Gegenmeinung ebd. Aktenstück Q 15, dazu oben bei Anm. 1763. 1903
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vor1910. Genau darauf berief sich der Herzog vor dem Reichskammergericht. Auf diese Weise stimmten durch den Hinweis auf Rebuffi sowie die Kirchenordnung das gemeine Recht und das Partikularrecht in ihren Wertungen überein. Auch andere Autoren der Gemeinrechtswissenschaft erkannten das summarische Verfahren in Kirchen- und Ehesachen an. Das Lexikon von Oberländer nannte 1753 unter den „causae summariae“ insgesamt 13 Fälle, in denen die summarische Verhandlung vorgesehen war. Die ersten beiden waren Kirchensachen, beschränkt auf „Election, Praebend, Canonicat, oder (...) andern geistlichen Beneficio“, sowie Ehesachen1911. Oberländer bezog sich als maßgebliche Autorität für die Auflistung der summarischen Sachen auf Robert Maranta, also ebenfalls auf einen katholischen Rechtsgelehrten. Der süditalienische Jurist aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts1912 hatte mit seinem „Speculum Aureum“ eine gewisse Berühmtheit erlangt1913. Seine Distinktionen stellten die ordentlichen und summarischen Verfahrensweisen zusammen1914. Marantas Distinktionen stammten nur zum Teil aus seiner eigenen Feder, im übrigen vom späteren Herausgeber von Marantas Werk, Pietro Follerio1915. Herzog Franz II. von Sachsen-Lauenburg oder seine rechtskundigen Berater kannten Maranta ebenfalls. Sie zitierten ihn jedoch nicht für den summarischen Konsistorialprozeß, sondern wegen der Einzelheiten der Aktenedition1916. Das Ergebnis war jedenfalls für den Landesherrn klar. Die Vorgaben des ordentlichen Zivilprozesses waren der falsche Maßstab, um Nullitäten in Konsistorialsachen festzustellen. Geistliche Angelegenheiten unterfielen anderen Regeln, und die waren nicht verletzt.
Kirchenordnung Lauenburg 4. Teil § Zum dritten, S. 98: „Das niemand mit langen Processen auffgehalten, noch zu vielen schweren Unkosten verursachet, sondern den ConsistorialSachen, ohn verzug, schleunig und bald, den Parteyen zu gute, abgeholffen werde, so sollen die Procuratores nicht schrifftlich, sondern Mündlich, ohn langes unnützes Plaudern und vergeblichen Disputiren, die Klage und Speciem facti (…) anbringen“; auch bei S e h l i n g , Kirchenordnungen, S. 437. 1911 O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 115-116. 1912 Kurze Nachweise bei J ö c h e r , Gelehrten-Lexicon III, Sp. 131; Z e d l e r , UniversalLexicon 19, Sp. 1169. 1913 Erwähnt bei S e l l e r t , Borgerlike, pinlike und misschede klage, S. 341. 1914 M a r a n t a , Speculum aureum (1580), p. IV dist. IX n. 172, S. 182, zu Ehesachen als summarisches Verfahren. 1915 So die Titulatur der Ausgabe Venedig 1568, auch Köln 1650. – Follerio (1510-/201586/90) war vor allem als Kriminalist bekannt, dazu L u d w i g , Herz der Justitia, S. 78 Anm. 289: als Autorität benutzt von der Wittenberger Juristenfakultät. 1916 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 6. 1910
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b) Zum Appellationsverbot in Ehesachen Der kammergerichtliche Appellat Johann von Drieberg, der Verlobte von Marie von Berkentin, konzentrierte sich in seiner Exzeptionsschrift auf einen anderen Gesichtspunkt. Er bestritt rundweg die Zuständigkeit des Reichskammergerichts in Ehesachen. Neben der Verfahrensweise vor dem lauenburgischen Konsistorium war damit ein weiterer Streitpunkt des Prozesses umrissen. Drieberg behauptete, seit „im Fürstenthumb NiederSachsen ein Geistliches Consistorium verordnet“ sei, habe es noch keine einzige Appellation von diesem Gericht an das Reichskammergericht gegeben1917. Das war richtig, jedenfalls im Lichte der erhaltenen Prozeßakten. Aus dem Zeitraum von 1549 bis 1743 sind insgesamt 40 Appellationen vom sachsenlauenburgischen Hofgericht an das Reichskammergericht gelangt. Dreimal ging der Instanzenzug vom Lehensgericht nach Speyer, achtmal von der Regierungskanzlei und einmal von einer Kommission aus herzoglichen Räten. Die Klage der Marie von Berkentin war aber in der Tat der einzige lauenburgische Reichskammergerichtsprozeß, der vom Konsistorium seinen Ausgang genommen hatte1918. Deswegen besaß der Fall für die Beteiligten eine solch grundsätzliche Bedeutung. Sein Ausgang konnte die territoriale Gerichtsverfassung nachhaltig beeinflussen. Der Schriftsatzverfasser des Appellaten war augenscheinlich erstaunt, warum Herzog Franz diesen Gesichtspunkt nicht viel stärker in den Mittelpunkt seiner Stellungnahme gerückt hatte. Die Exzeptionsschrift sprach nämlich davon, sowohl der Fürst als auch seine Söhne August und Philipp1919 hätten durch die Appellation und den Nichtigkeitsvorwurf schwere Injurien erdulden müssen. In der juristischen Argumentation des Appellaten standen sodann zwei andere Aspekte im Mittelpunkt. Zum einen warf er der Appellantin vor, sie habe ihren Prozeß „per sub: et obreptionem“ ausgebracht, durch „suppressionem veri et suggestionem falsi“1920. Die arglistige Erschleichung prozessualer Vorteile durch Vorspiegelung falscher Tatsachen war eine typische Verteidigung gegen kammergerichtliche Mandate sine clausula1921. In Appellations- oder Nichtigkeitssachen, in denen gar keine kammergerichtliche Entscheidung, sondern lediglich eine Ladung vorlag, richtete sich diese Exzeption gegen die Gewährung der Zitation als solcher. Das war aber keine Besonderheit LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 7. Auflistung der Vorinstanzen bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Schleswig, S. 671-672. 1919 August wurde 1619 Herzog, Stammbaum bei B o r n e f e l d , Herzöge von SachsenLauenburg, S. 388-389. 1920 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 7. 1921 H i n z , Mandatsprozeß, Sp. 235; U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 135; O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 74. 1917 1918
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bei geistlichen Streitigkeiten. Ergiebiger ist deswegen die zweite Verteidigungsstrategie. Sie betonte schlicht, „daß berührte sach ahn dieß hochlöbl[iche] judicium nit devolvirt werden könne“, weil sie „anhero nit gehörig“1922. Das war der zentrale Punkt. „Causae matrimoniales sint spirituales et Sacramentales“, lautete knapp und klar die Rechtsansicht des Appellaten, die er mit einem großen Aufgebot an Rechtsquellen und gelehrter Literatur unterfütterte. An erster Stelle bezog sich der Schriftsatzverfasser auf die einschlägigen Rechtssätze des Corpus Iuris Canonici1923 sowie auf die gemeinrechtlichen Autoritäten. Danach führte er reichsrechtliche Normen zur Unterstützung an, gefolgt von der deutschen Literatur. Zum Schluß verwiesen die Exzeptionen auf ein kammergerichtliches Präjudiz. Das war eine geschickte Argumentation vom Allgemeinen zum Besonderen. Bereits an dieser Stelle ist ein Hinweis angebracht: Wenn die Parteien in Lübeck, Hamburg sowie auch in SachsenLauenburg die Appellationsverbote in Kirchensachen verhandelten, diskutierten sie meistens nicht allgemein über das Konsistorium, sondern immer konkret über eherechtliche Fälle. Die neuere Literatur betont, von Konsistorien aus habe man nicht an die Reichsgerichte appellieren dürfen1924. Das ist im Ergebnis für viele Territorien richtig, doch verdeckt diese Sichtweise, wie wenig abstrakt und sehr konkret die zeitgenössischen Parteien und Schriftsatzverfasser hier dachten. Ein Appellationsverbot in Konsistorialsachen wäre immer eine partikulare evangelische Besonderheit gewesen, je nachdem nämlich, ob es überhaupt Konsistorien gab und wie ihre Aufgaben umrissen waren. Von Territorium zu Territorium hätte es Unterschiede gegeben. Ein gemeinrechtliches Appellationsverbot in Ehesachen, jedenfalls im weltlichen Instanzenzug, war dagegen eine universale Maxime des gelehrten Prozeßrechts und nicht an die Konfession gekoppelt. Ehesachen gab es überall, egal wie die Gerichtsverfassung aussah. Dieses Verbot knüpfte nicht an die territoriale Gerichtsverfassung, sondern an den Streitgegenstand an. Ehesachen gab es also allerorten, Konsistorien nicht. Die materiellrechtliche Rückbindung ermöglichte den protestantischen Territorien, Gelehrten und Parteien, problemlos weiterhin katholische Autoritäten heranzuziehen1925, was bei einer spezifischen Diskussion um Konsistorien so nicht denkbar gewesen wäre. Solange man mit sachlichen Zuständigkeiten LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 7. X. 4, 5, 7; C. 27 qu. 2 c. 10 (aus dem zweiten Teil des Decretum Gratiani); X. 4, 14, 1; X. 1, 29, 16; X. 2, 1, 2; außerdem unklarer Verweis auf „C. quatenus de divortiis“ (X. 4, 19 enthält diese Dekretale nicht). 1924 S c h l ü t e r , Calvinismus, S. 141; mit Hinweis auf L u d o v i c i , Consistorial-Proceß, S. 176. 1925 Anders S c h ä f e r , Juristische Germanistik, S. 32. 1922 1923
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argumentierte, ließ sich die Einheit des gemeinen Rechts also trotz konfessioneller Vielfalt in der Gerichtsverfassung wahren. Die Mecklenburger Ausnahme warnt zugleich vor überschnellen Verallgemeinerungen. Von vollständig deckungsgleichen Regelungen in allen Territorien konnte keine Rede sein. An erster Stelle begründete der Schriftsatzverfasser des heiratswilligen Verlobten das Appellationsverbot in geistlichen Ehesachen mit einem Hinweis auf ein Gutachten von Nicolaus Superantius1926. Es schlossen sich zahlreiche weitere europäische Autoren an. Im Anschluß berief sich der Verfasser auf Johannes Baptista Plotus (Giovanni Battista Ploti) mit seiner Konsiliensammlung von 1577, die insbesondere die Mailänder Statuten erläuterten1927. Nach Plotus‘ Lehre durften Ehesachen „non nisi coram judice Eccl[esi]astico agitari tractarique“1928. Auch Diego Covarruvias1929, Antonius Franciscus de Doctoribus1930 und der eher unbekannte Italiener Nicolantonio Gravazio1931 reichten sich die Hand. Sie galten damit als Autoritäten für das Appellationsverbot in Ehesachen. Aus der deutschen Literatur tauchte in diesem gemeinrechtlichen Abschnitt des Schriftsatzes nur Johann Sichard (1499-1552) auf1932. Er hatte sich in seinen Responsa ebenfalls mit der Zuständigkeit geistlicher Gerichte in Ehesachen beschäftigt, und von ihm hatte der Autor der Exzeptions-
S u p e r a n t i u s , Consilium 65 n. 5, summarium: „Vicini melius praesumuntur scire vitam proximi, & quae aguntur in patria quam remoti & extranei“, in: Z i l e t t i / R u c k e r , Matrimonialia consilia, S. 219-220; knapper Hinweis auf Superantius bei Z e d l e r , Universal-Lexicon, Bd. 41 Sp. 298-299 (dort fehlt die Konsiliensammlung in der Literaturliste): Nachweis der Sammlung auch bei G e h r k e , Entscheidungsliteratur, S. 172 Nr. 196. 1927 So der Untertitel des Werkes: P l o t u s , Consilia: „In quibus praeter caetera multa Statuta, ac Nouae Constitutiones Dominij Mediolanensis subtilissime declarantur.“ 1928 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 7; mit Hinweis wohl auf P l o t u s , Consilia, cons. 15 n .15, S. 80: „Causa matrimonij est spiritualis, & potest iudex ecclesiasticus inhibere iudici seculari, ne in ea se intromittat vigore praedictorum statutorum, uel alterius iuris“. 1929 C o v a r r u v i a s , De matrimonio, part. 2 cap. 7 § 6 n. 15, Leitsatz S. 266: „Matrimonialia tractanda coram Ecclesiastico“, und S. 268 n. 15: „Igitur laicus iudex minimè tractabit causam matrimonialem, quamuis ad thori separationem ob adulterium agatur. Nec decet saecularem iudicem hac in lite ius dicere“. 1930 A n t o n i u s F r a n c i s c u s d e D o c t o r i b u s , Consilium 68 n. 26, summarium: „Causae spirituales non possunt nisi per ecclesiasticos iudices iudicari“, in: Z i l e t t i / R u c k e r , Matrimonialia consilia, S. 227-232; zum Autor S c h u l t e , Geschichte II, S. 366 Nr. 173. 1931 G r a v a z i o , Additiones zu Vestrius, Verweis auf „lib. 5 cap. 1 n. 2“; wohl gemeint V e s t r i u s / G r a v a z i o , Introductio, lib. 5 cap. 1, Annotatio b, fol. 103v-104v; kurzer Hinweis auf das Werk von Vestrius bei J ö c h e r , Gelehrten-Lexicon IV, Sp. 1557. 1932 S i c h a r d , Responsa, consilium matrimoniale 4 n. 2, fol. 56v-57r, Leitsatz: „Matrimoniales causae pertinent ad Iudicem Ecclesiasticum“; zu ihm G e h r k e , Entscheidungsliteratur, Nr. 241, 317; K l e i n h e y e r / S c h r ö d e r , Juristen, S. 386-389. 1926
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schrift möglicherweise einige andere Literaturhinweise übernommen1933. Die neuere Forschung betont, Sichard habe sich, auch wenn er 1551 die protestantische Eheordnung Württembergs revidierte, innerlich nie vom altkirchlichen Standpunkt gelöst. Dies erkenne man gerade an der vom ihm bejahten Verknüpfung der Ehe mit dem kanonischen Recht und an der Zuständigkeit der geistlichen Gerichte im Eherecht1934. Wie Sichard genau einzuordnen ist, braucht hier nicht zu interessieren. Jedenfalls zitierte der Schriftsatzverfasser des sachsen-lauenburgischen Bräutigams für das Appellationsverbot im evangelischen Eherecht keinen einzigen eindeutig evangelischen Juristen. Die enge Anlehnung des Konsistorialprozesses an die überkommenen Prozeßgrundsätze des kanonischen Rechts geht aus dem Allegationsverhalten klar hervor. Die Exzeptionen des Appellaten Johann von Drieberg verließen an dieser Stelle die gelehrte Literatur und wandten sich dem Reichsrecht zu. Bei der Überleitung zur reichsrechtlichen Argumentation verwies der Schriftsatzverfasser zunächst pauschal auf die Reichsabschiede, nannte dann aber speziell ein 1570 überreichtes Memorial. Im Schriftsatz faßte der Prokurator diese Vorschrift dahingehend zusammen, „daß dies judicium“, also das Reichskammergericht, „sich der matrimonial sachen entschlagen soll“1935. Zur Bekräftigung verwies der Appellat auf den Kommentar zur Reichskammergerichtsordnung von Nikolaus Cisner (1529-1582)1936. Die einschlägige Stelle zitierte der Schriftsatz sogar wörtlich: „Wann auch der Kaiß[erlichen] Ma[jestä]t in etlichen visitations relationen unndt Abschieden fürkommen, daß Ehesachen am Cammergericht angenommen, da doch in solchen fällen deß Cammergerichts jurisdiction, nit fundirt, Alß will man CammerRichter unndt Beisitzer hiemit befohlen haben, solche oder auch andere sachen, so dahin nit gehörig, keineß Weges anzuenehmen“1937. Dieser Hinweis verdeutlicht schlagartig, wie wichtig es ist, für die frühneuzeitliche Rechtslage Normtext und Rechtspraxis zu unterscheiden, auch wenn das usuale Rechtsdenken stets die Grenzen verwischte und sich in der Grauzone dazwischen tummelte. Die Quelle belegt nämlich den Unterschied von Theorie und Praxis auf geradezu klassische Weise. Einerseits war unmißverLA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 7, mit der Ergänzung, die bisherigen Hinweise seien „inter consil. matrim. Joan Sichard“. 1934 Kl e i n h e y e r / S c h r ö d e r , Juristen, S. 388; weniger eindeutig L u i g , Sichard, Sp. 1656: Sichard wurde der Zuneigung zum Protestantismus bezichtigt; schwankend S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte I, S. 216-217: den großen Prinzipien der Reformation zugetan, gegen stürmische Neuerungen, für Geltung des kanonischen Rechts und für Einigung mit der alten Kirche. 1935 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 7. 1936 Zu Cisner S c h m i d t , Glaube und Skepsis, S. 185-193. 1937 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 7; wörtlich identisch mit dem Druck bei L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, S. 304 Nr. 177 § 7. 1933
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ständlich die Unzuständigkeit des Kammergerichts in Ehesachen klargestellt. Andererseits führt dieselbe Quelle über genau solche Fälle Klage. Im Gerichtsalltag kamen „etliche“ Ehesachen vor, und dies sollte schon früher mehrfach zu Rügen Anlaß gegeben haben. Das Memorial von 1570 stammte aus einer Reichskammergerichtsvisitation, der Text war offenbar von der kurmainzischen Kanzlei ausgearbeitet. Nach Auskunft Georg Melchior von Ludolffs soll das Memorial „auff dem Reichs-Tag Anno 1570. zugestellt“ worden sein. Die Präambel beklagt allgemein „etliche eräugende Unordnungen der Beysitzer“1938. Die zeitgenössischen Beschwerden über den häufigen Verstoß des Reichskammergerichts gegen die normativen Vorgaben muß man als solche aber ebenfalls wieder quellenkritisch überprüfen. Filippo Ranieri hat bei seiner quantifizierenden Untersuchung den Eindruck gewonnen, selbst innerhalb des weit gefaßten Streitgegenstandes „Familienverband“ sei das persönliche Eherecht nur ganz selten überhaupt aufgetaucht. Bei drei Tiefbohrungen im späten 15. Jahrhundert, im ersten Drittel des 16. und am Ende des 16. Jahrhunderts gibt es nur Werte von 2,6 %1939. Also nur 2,6 % der kammergerichtlichen Familiensachen betrafen das persönliche Eherecht. Zudem wurzelten gleichzeitig ohnehin kaum mehr als 10 % der Kameralverfahren schwerpunktmäßig in Familienstreitigkeiten1940. Damit sinkt der Anteil der Ehesachen nochmals in winzige Dimensionen ab. Objektiv gab es also gar nicht viele Eheprozesse am Reichskammergericht1941. Das mag sehr gut ein Zeichen dafür sein, wie unangefochten die geistliche Jurisdiktion in diesen Streitigkeiten weithin funktionierte. Vielleicht sah man die kirchliche Gerichtsbarkeit als selbstverständlich an und thematisierte weltliche Ehejustiz kaum. So erklärt Ranieri die Zahlen1942. Jedenfalls fallen eherechtliche Streitigkeiten vor dem Reichskammergericht im 16. Jahrhundert nicht ernsthaft ins Gewicht. Die Zeit nach 1600 ist nicht klar überschaubar. Eine undifferenzierte Betrachtung des „Familienverbandes“, wie Anette Baumann sie vornimmt, kann das Problem für das 17. und 18. Jahrhundert nicht erfassen1943. Ob die Auffassung Anja Amend-Trauts zutrifft, L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, S. 303 Nr. 177, Überschrift und Präambel; zu dieser Quelle auch P ü t t e r , Historische Entwickelung, S. 425; erwähnt auch bei D i e t e r i c h , Eherecht, S. 266-267. 1939 R a n i e r i , Recht und Gesellschaft II, S. 502-504. 1940 R a n i e r i , Recht und Gesellschaft II, S. 483-484. 1941 D i e t e r i c h , Eherecht, S. 265-267; Erstaunlicherweise geht die Dissertation von S e e h a s e , Ehesachen vor dem Reichskammergericht, S. 53-85, auf die Überlieferungsdichte von Ehesachen und die Appellationsbeschränkungen nicht ein. 1942 So die Überlegung von R a n i e r i , Recht und Gesellschaft I, S. 238, mit Verweis auf N o e l , Les pays rhéno-mosellans, S. 171: „sans nul doute“. 1943 Ohne Binnendifferenzierung B au m a n n , Gesellschaft, S. 89-91, 154. 1938
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Ehesachen seien in der kammergerichtlichen Rechtsprechung „besonders“ ausgeprägt gewesen1944, ist mehr als zweifelhaft. Die reichsrechtlichen normativen Vorgaben scheint das Kammergericht im Gegensatz zum Unterton des Memorials von 1570 und zur Behauptung Cisners doch weitgehend befolgt zu haben. Dies geht nicht nur aus den verfügbaren Zahlen, sondern auch aus der Exzeptionsschrift des kammergerichtlichen Appellaten aus Sachsen-Lauenburg von 1607 unmißverständlich hervor. Der Schriftsatzverfasser bekräftigte nämlich, es stehe „in viridi observantia“, wenn „die matrimonial unndt Ehesachen per viam appellationis ad Cameram nicht devolvirt sein: teste Andr[eas] Gail“1945. Die grünende Observanz sprach auf diese Weise für den Appellaten. Das Reichskammergericht beachtete also die Grenzlinie zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit in Ehesachen durchaus trotz aller gelegentlichen Kritik. Andreas Gail (1526-1587)1946, der katholische Assessor, dessen berühmte Observationensammlung der Schriftsatzverfasser hierfür zitierte, brachte dies klar auf den Punkt: „Scire tamen oportet, causas matrimoniales ad Cameram non pertinere: & memini in causa quadam matrimoniali ad Cameram appellatum, sed appellationem non ad missam fuisse“1947. Walter Gymnich, der im 17. Jahrhundert Gails Werk neu herausgab1948, nahm genau zu diesem Satz als Randglosse den Hinweis auf das Memorial von 1570 auf1949, also exakt auf dieselbe Quelle, die Jahrzehnte zuvor auch der Schriftsatzverfasser im schleswig-holsteinischen Prozeß im Zusammenhang mit Gail zitiert hatte. Zur Abrundung fügte der Prokurator des Appellaten Johann von Drieberg hinzu, die Unzuständigkeit des Reichskammergerichts gelte nicht nur „ratione injustitiae vel iniquitatis, sondern auch ratione nullitatis“1950. Das war eine klare Verschärfung des gemeinrechtlichen Appellationsverbots und sollte wohl Umgehungsversuche bereits im Keim ersticken. Auch wenn der Beschwerdeführer prinzipaliter wegen der Nichtigkeit klagte, begründete dies nach appellatischer Rechtsauffassung keine kammergerichtliche Juris-
A m e n d - T r a u t , Spruchpraxis, S. 12, mit Hinweis auf einen Fall aus Hamburg, bei dem aber gerade die Zuständigkeit des Reichskammergerichts streitig war, vgl. S t e i n S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg IV, S. 1116 (T 36). 1945 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 7. 1946 Zu ihm K e m p i s , Andreas Gaill, passim; N e h l s e n -v o n S t r y k , Andreas Gaill, S. 701715; A m e n d , Gail, Sp. 1913-1914. 1947 G a i l , Observationes, lib. I obs. 112 n. 17, S. 199. 1948 S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte I, S. 499; G e h r k e , Entscheidungsliteratur, Nr. 106, S. 126. 1949 G a i l , Observationes, lib. I obs. 112 n. 17 Anm. d, S. 199. 1950 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 7. 1944
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diktion1951. Zur Bekräftigung der Observanz führte Driebergs Prozeßbevollmächtigter sogar ein Präjudiz an. Es stammte aus den kammergerichtlichen „Decisiones seu praejudicia“ des pseudonymen Adrian Gylmann1952 von 1601. Die unübersichtlichen und dickleibigen Bände, von Gylmann begonnen, ohne Namensnennung fortgesetzt und dann ab 1608 von Paul Matthias Wehner komplettiert, waren 1607, als der norddeutsche Eheprozeß am Reichskammergericht schwebte, die aktuellste Publikation zur Rechtsprechung des Speyerer Reichsgerichts. Aus diesem Werk entnahm der gewissenhaft arbeitende Anwalt Johann von Driebergs den Hinweis auf ein am 23. Juli 1592 ergangenes Urteil. Ergangen war es im Prozeß zwischen einem Jacob Leßner auf der einen und Lucia Freler sowie Herzog Casimir von Stettin als Bischof von Cammin auf der anderen Seite. Die Entscheidung bekräftigte die Unzuständigkeit des Kammergerichts in Ehesachen1953. Das Ergebnis überrascht deswegen nicht. Es sei nämlich, meinte der Prokurator, „jurisdicio augustissimi huius judicij nit fundiret“1954. Offenbar entschied das Reichskammergericht den Rechtsstreit zwischen Marie von Berkentin und ihrem ungeliebten Verlobten am 20. August 1611 durch Urteil. Doch befindet sich im Protokollbuch wie so oft lediglich der schlichte Expeditum-Vermerk1955. Wie in anderen Verfahren1956 fällt jedoch bereits bei der Rubrizierung der Akte auf, wie das Gericht die Prozeßart einschätzte. Die Assessoren und auch die Speyerer Kanzlei wiesen den Versuch der Appellantin, ihre Klage als Nichtigkeitsprozeß auszugeben, jederzeit deutlich zurück. Konsequent war am Speyerer Reichsgericht nur von Zur zeitgenössischen Diskussion in der Literatur: P ü t t e r , Historische Entwickelung, S. 429-430 Rn. XV-XVII; d e r s . , Auserlesene Rechtsfälle I, Themata generalia S. 171; nicht ganz so streng C r a m e r , Systema processus Imperii, sect. 1 tit. IV § 134; dazu auch unten bei Anm. 2378-2409. 1952 Nachgewiesen bei G e h r k e , Entscheidungsliteratur, Nr. 150, S. 150; zum Rätselraten um die Person des Verfassers u. a. J ö c h e r , Gelehrten-Lexicon IV, Sp. 1851; F a h n e n b e r g , Litteratur, S. 55; S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte I, S. 517 Anm. 1. 1953 G y l m a n n , Decisiones seu praejudicia (Symphorematis III), S. 228-229, Stichwort matrimonium. Das Reichskammergericht verweigerte den Erlaß einer Citatio super nullitate, eröffnete also gar nicht erst einen Nichtigkeitsprozeß; zum Stettiner Aktenbestand G a z i ń s k i , Staatsarchiv Stettin, S. 412-414. – Ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Reichskammergerichtsprozeß und einer ab 1593 zunehmenden Selbständigkeit des pommerschen Konsistoriums, ist unklar, zum letzten Punkt M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 38. 1954 LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, Aktenstück Q 7. 1955 Zum Expeditum-Vermerk O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 31 Anm. 93, 44 Anm. 229. 1956 Umdeutung einer versuchten Nichtigkeitsklage in eine Appellation auch in LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342; AHL RKG C 6, Aktenstück Q 9 (dazu oben bei Anm. 1498-1499); AHL RKG S 89, Aktenstück Q 1 (dazu oben bei Anm. 1522); AHL RKG K 32 (dazu oben bei Anm. 1528-1534). 1951
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„Appellationis“ die Rede, schon auf dem Titelblatt des Protokollbuches1957. Angesichts der glasklaren Vorgabe des Memorials von 1570 und des bei Gylmann überlieferten Urteils von 1592 hat das Gericht vermutlich durch Prozeßurteil die Appellation als unzulässig verworfen. Das ist nicht sicher, aber wahrscheinlich.
3. Ergebnis Die beiden hier ausführlich geschilderten schleswig-holsteinischen Streitigkeiten verfeinern in mehreren Punkten das bisher gewonnene Bild. Der Streit um die evangelischen Klosterjungfrauen aus Preetz aus der Mitte des 16. Jahrhunderts zeigt wesentliche Argumente, die auch in den erheblich späteren Streitigkeiten um das Hildesheimer Kollegiatstift und um das Stift Wiedenbrück noch im Mittelpunkt der Diskussion standen. Die personelle und sachliche Reichweite des privilegium fori für Geistliche war in allen Fällen, in denen dieser Punkt auftauchte, höchst streitig. Zwischen dem katholischen und evangelischen Umfeld gab es keine nennenswerten Unterschiede. Ob und inwieweit das Privileg über die reinen Pfarrer und geistlichen Würdenträger hinaus anwendbar war, blieb ebenso fraglich wie die Möglichkeit, das Privileg durch rügelose Einlassung in einen weltlichen Rechtsstreit zu verlieren oder sogar ausdrücklich darauf zu verzichten. Ob es ausschließlich sachliche Zuständigkeiten der ordentlichen weltlichen Zivilgerichte gab, vor denen das geistliche Privileg nie zum Zuge kam, war ebenfalls kontrovers und nicht klar entschieden. Die Quellen, die um dieses Problem kreisen, vermitteln damit das Bild vom gemeinen Recht als Fundgrube für bestimmte mit Autoritäten versehene Argumente, nicht aber für unzweifelhaft feste Lösungen und stabile Rechtssicherheit. Eindeutiger ist der Befund für Appellationen in Ehesachen. Wie schon in den Lübecker Beispielen erklärte das Reichskammergericht auch eine sachsen-lauenburgische Appellation, die vom Konsistorium über den Herzog drittinstanzlich bis nach Speyer gelangte, für unzulässig. Solche Urteile verfehlten offenbar nicht ihre Außenwirkung. Später kam nie wieder eine lauenburgische Ehesache bis vor das Reichskammergericht. Die Argumente der Schriftsatzverfasser für das Appellationsverbot waren nahezu ausschließlich überkonfessionell. Besonderheiten der Konsistorialgerichtsbarkeit kamen nicht zur Sprache. Vielmehr waren es die gelehrte katholische 1957
Prozeßbezeichnung auf dem Protokollbuch: LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97.
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Literatur und einschlägige Stellen des kanonischen Rechts, die auch in protestantischen Territorien die wesentlichen Weichenstellungen vorgaben. Die Verknüpfung mit der vorreformatorischen Tradition oder mit den romanischen Ländern erreichten die Anwälte, indem sie stets auf die Besonderheiten des Eheprozesses hinwiesen und nicht auf die Konsistorialgerichtsbarkeit als solche. Wenn die wichtige Präjudiziensammlung von Gylmann freilich ausgerechnet einen Fall aus dem protestantischen1958 Bistum bzw. Fürstentum Cammin als Beleg für das Appellationsverbot in Ehesachen anführt, ist das ganz bezeichnend. In der Praxis bildete die Appellation in Ehesachen offenbar besonders in protestantischen Territorien ein Problem. Das ist aber nicht erstaunlich, denn die katholischen Gebiete hielten mit der geistlichen Gerichtsbarkeit eine voll ausgebildete mehrstufige Alternative zu den ordentlichen Zivilgerichten bereit. Diese Doppelspurigkeit fehlte in evangelischen Territorien. Die mecklenburgische Appellationserlaubnis an das Reichskammergericht in allen Konsistorialsachen fiel hier aus dem üblichen Rahmen. Aber nicht nur das Appellationsverbot, sondern auch die Maximen des Konsistorialprozesses, vor allem die summarische, mündliche Verfahrensweise, führten die zeitgenössischen Anwälte auf Vorgaben des gemeinen Rechts zurück. Dieser Befund aus der Gerichtspraxis warnt davor, den Zusammenhang zwischen Reformation und ungelehrter Tradition des sächsischen Rechts überzubetonen. Wenn Autoren wie Rebuffi oder Maranta für den summarischen Konsistorialprozeß maßgeblich sein sollten, war den Anwälten, die um 1600 so argumentierten, der spezifisch reformatorische Gehalt des evangelischen Eheprozesses augenscheinlich nicht so wichtig. Ob hier wegen des konfessionell gemischten Reichskammergerichts1959 eine gekünstelte überkonfessionelle Argumentation lediglich vorgeschoben war, ist nicht auszuschließen. Die Quellen legen solche Spekulationen aber in keiner Weise nahe. Das Reichskammergericht sah die problematischen eherechtlichen Rechtsmittelprozesse durchweg als Appellationen an, auch wenn die Kläger sich bemühten, ihr Anliegen als Nichtigkeitsklage zu bemänteln. Das spricht für eine gewisse Bereitschaft, vielleicht sogar Entschiedenheit der Speyerer Assessoren, Umgehungen des Appellationsverbots von vornherein einen Riegel vorzuschieben. In der Praxis handelte es sich womöglich nicht nur um ein nacktes Appellationsverbot, sondern um einen noch weitergehenden Ausschluß der reichsgerichtlichen Zuständigkeit für die gesamten einschlägigen Fälle unabhängig von der jeweiligen Verfahrensart. Einige Lübecker 1958 1959
Kö b l e r , Historisches Lexikon, S. 113. R a b e , Augsburger Religionsfriede, S. 271-275; R u t h m a n n , Religionsprozesse, S. 11.
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Beispiele deuten in dieselbe Richtung1960. Auch das Memorial von 1570, das im Sachsen-Lauenburger Prozeß als Argument für das Appellationsverbot herhielt, sprach mit keinem Wort von der Appellation. Es ging vielmehr darum, dem Reichskammergericht die Befassung mit Ehesachen rundum zu verbieten, und nicht um den Weg, wie solche Sachen dort anhängig wurden. Das Appellationsverbot war in dieser Sichtweise nur ein Reflex der umfassend beschränkten sachlichen Zuständigkeit.
1960
Dazu oben bei Anm. 1516, 1527, 1534.
VIII. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus der Grafschaft Lippe
Die Grafschaft Lippe dient als Beispiel für Zuständigkeitsstreitigkeiten in einem reformierten Territorium. Die lutherische Reformation stand am Anfang. 1538 trat die evangelische Kirchenordnung flächendeckend in Kraft1961. Der Übergang zum reformierten Bekenntnis erfolgte sodann mit dem Übertritt Graf Simons VI. zum Calvinismus in den Jahren um 16001962. Dieser Graf, der in seiner langen Regierungszeit von 1579 bis 1617 zugleich das Hofgericht, Kriminalgericht und das Konsistorium gründete, ist die zentrale Persönlichkeit der frühneuzeitlichen lippischen Geschichte1963. Bei dieser Gelegenheit ist ein terminologischer Hinweis angebracht. Bereits Wilhelm Butterweck sprach in seiner Darstellung der lippischen Kirchengeschichte von 1926 von der „II. Reformation“ und wies ohne Quellenangabe darauf hin, „man“ habe die Einführung des reformierten Bekenntnisses so genannt1964. Offenbar war es ein lippischer Autor des 18. Jahrhunderts, ein heute vergessener Friedrich Christoph Puhstkuchen, der schon 1769 von der „zweyten Kirchenreformation“ redete1965. Das Schlagwort von der Zweiten Reformation stammt also, so eng es mit ihm auch verbunden ist, nicht von Heinz Schilling, was dieser im übrigen auch nie behauptet hat1966. Aber mit der Grafschaft Lippe ist der Begriff seit langem verknüpft. In der Überlieferungsdichte der höchsten Gerichtsbarkeit bildet Lippe eine Ausnahme im Vergleich zu fast allen anderen Territorien des Alten Reiches. Die Zahl der lippischen Reichskammergerichtsprozesse stieg näm-
B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 122-124; S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 417; S c h ä f e r , Geltung, S. 186. 1962 B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 143-161; H a as e , Allerhand Erneuerung, S. 69-81; S c h u m a n n , Lippe, Sp. 2046; B i s c h o f f , Graf Simon VI., S. 27. 1963 B i s c h o f f , Graf Simon VI., S. 9 und passim; F a l k m a n n , Graf Simon VI.; d e r s . , Simon VI., S. 362-367, außerdem E b e r t , Kurzer Abriß, S. 12, 17; D a h l w e i d , Verwaltung, S. 309. 1964 B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 145. 1965 Kl u e t i n g , Zweite Reformation, S. 265-266. 1966 S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 47-50; zur Begriffsgeschichte außerdem Kl u e t i n g , Zweite Reformation, S. 266. 1961
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lich zum 18. Jahrhundert hin an, während sie reichsweit deutlich sank1967. Daher verwundert es nicht, wenn sich unter den hier ausgewerteten Auseinandersetzungen kein einziger Fall aus dem 16. Jahrhundert befindet. Alle Konflikte fallen in die Zeit nach dem zweiten landesherrlichen Konfessionswechsel. Zudem sind die lippischen Quellen für die hier verfolgte Fragestellung äußerst ergiebig. Auf den zweiten Blick war die Grafschaft Lippe freilich keineswegs konfessionell homogen. Das betrifft nicht nur das in der neueren Konfessionalisierungsforschung behandelte Problem, klare konfessionelle Zuschreibungen vorzunehmen oder gar die Eigenheit einzelner Bekenntnisse deutlich zu bestimmen1968. Vielmehr handelte es sich in Lippe um einen handfesten Machtkampf zwischen dem Grafen und einer unbotmäßigen Landstadt. Die Stadt Lemgo nämlich, die bereits erheblich früher als die Grafschaft zum evangelischen Bekenntnis übergegangen war1969, blieb trotz der landesherrlichen sogenannten Zweiten Reformation auch später lutherisch und konnte zugleich eine vergleichsweise eigenständige Gerichtsbarkeit ausüben. Tatsächlich hat die Lemgoer Kriminalgerichtsbarkeit mit ihren exzessiven Hexenverfolgungen traurige Berühmtheit erlangt1970. Der Röhrentruper Vergleich von 1617 sicherte Lemgo den dauerhaften Verbleib bei der lutherischen Konfession. Grundlagen dafür bildeten eine Lemgoer Kirchenordnung von 1533, wie die Lübecker Kirchenordnung von 1531 maßgeblich von Johannes Bugenhagen geprägt, und die lippische Kirchenordnung von 15711971. Die Stadt behielt auch ein eigenes lutherisches Konsistorium1972. Im Vorfeld des Röhrentruper Vergleichs trugen der reformierte Landesherr und seine widerspenstige Stadt ihren Zwist nicht nur mit Waffengewalt, sondern auch in rechtlicher Form unter anderem vor dem Reichskammergericht aus. Soweit dabei Zuständigkeiten zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsgewalt im Streit standen, sind diese Quellen in die Auswertung einbezogen1973. Die bloße Frage allerdings, wer der jeweilige Inhaber der geistlichen iurisdictio war, interessiert hier nicht. Doch gab es auch KatholiB r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, S. 13; V aj e n , Anerkennung, S. 21: 56 % im 18. Jahrhundert; derselbe Befund auch für Untertanenprozesse: B e n e c k e , Society and Politics, S. 275-277; A r n d t , Grafschaft Lippe, S. 162; zum allgemeinen Trend B a u m an n , Gesellschaft, S. 136-137 (dort Abb. 2 auch zu Lippe); zum 16./17. Jahrhundert R a n i e r i , Recht und Gesellschaft, S. 295-297. 1968 Dazu etwa die Beiträge im Tagungsband von G r e y e r z u. a., Interkonfessionalität. 1969 B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 94-109. 1970 W i l b e r t z / S c h w e r h o f f / S c h e f f l e r , Hexenverfolgung und Regionalgeschichte; S c h e f f l e r , Hexenverfolgungen Lippe. 1971 B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 97. 1972 C o n f e s s i o A u g u s t a n a , S. 52-54, mit Abbildung des Rezesses. 1973 B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, lfd. Nr. 408, 410, 412, 448. 1967
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ken in der Grafschaft, etwa die Kapitularjungfrauen zu Cappel. Nach zweifelhaften Reformationsbemühungen behaupteten sie weiterhin unverdrossen, lediglich der Gerichtsgewalt des Kölner Erzbischofs und des Offizials zu Werl zu unterstehen1974. Der katholische Bischof von Paderborn schließlich beanspruchte die geistliche Gerichtsbarkeit über Teile der Grafschaft, nämlich über das Kloster Falkenhagen1975. Die Einzelheiten sind Gegenstand der folgenden Untersuchung. Wie in einigen anderen deutschen Territorien gab es in Lippe mehrere weltliche Obergerichte, insbesondere die 1563 geschaffene Audienz, die später als Justizkanzlei firmierte. Daneben existierte seit 1593 ein Hofgericht, angelehnt an die Münsteraner Reformen unter Johann von Hoya1976. Als wichtigste Vorinstanz späterer Appellationsprozesse dagegen taucht mit großem Abstand die Kanzlei auf. In 292 Fällen nahmen reichskammergerichtliche Appellationen hier ihren Ausgang, dagegen nur in 113 Verfahren vom Hofgericht und in nur 48 Fällen von der Regierungskanzlei aus. Das Audienzgericht als solches erscheint in 22 Prozessen als Vorinstanz1977. Derartige Unterschiede können freilich aus uneinheitlichen Rubrizierungen der zeitgenössischen Akten folgen. So gab es durchaus unscharfe Gerichtsbezeichnungen. Einmal war in demselben Appellationsprozeß die Vorinstanz als lippisches Konsistorium, einmal als lippisches peinliches Gericht bezeichnet1978. In einem anderen Fall gab es ein Ausgangsverfahren vor dem Hofgericht, doch die Urteilsverkündung fand vor dem Konsistorium statt1979. Auch ist unklar, inwieweit die verschiedene Betitelung als Kanzlei oder Regierungskanzlei die unterschiedlichen Funktionen der Behörde klar und eindeutig erfaßte. Immerhin waren Regierung und Justizkanzlei personenidentisch1980. Die Archivare jedenfalls, die die lippischen Reichskammergerichtsakten inventarisierten, nahmen sicherheitshalber mit Kanzlei und Regierungskanzlei zwei Institutionen als verschiedene Vorinstanzen in ihr Repertorium auf1981. Die Frage nach der Zuständigkeitsabgrenzung zwiB r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, lfd. Nr. 94; dazu Ki t t e l , Das Stift Cappel, S. 108-143; zum Offizialat Werl B u c h h o l z -J o h a n e k , Offizialatgericht, S. 161-178; D e i s t i n g , Offizialatsrichter, S. 179-183; E i s e n h ar d t , Weltliche Gerichtsbarkeit, S. 15; Kl u e t i n g , Das kurkölnische Herzogtum, S. 478; M ü l l e r , Territorialarchiv, S. XXVII. 1975 B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, lfd. Nr. 635; dazu G e r k i n g , Kloster Falkenhagen, S. 49-62. 1976 M i e l e , Das lippische Hofgericht, S. 38-55; E b e r t , Kurzer Abriß, S. 32-33; S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 154; S c h u m a n n , Lippe, Sp. 2045. 1977 B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, Verzeichnis der Vorinstanzen; S. 1008-1010. 1978 B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, lfd. Nr. 35. 1979 B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, lfd. Nr. 554. 1980 M i e l e , Das lippische Hofgericht, S. 56; B ar g e , Grafschaft Lippe, S. 24. 1981 B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, S. 1009-1010. 1974
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schen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit drängt sich angesichts solch undeutlicher Repertoriumsmitteilungen geradezu auf. Zugleich ist es unmöglich, den Geschäftsanfall der lippischen Obergerichte verläßlich zu quantifizieren. Die landesgeschichtliche Forschung verweist angesichts der schwankenden Benennungen der Kanzlei auf ihre verschiedenen Aufgaben. In derselben oder nahezu identischen personellen Zusammensetzung arbeitete sie zugleich als oberste Regierungsbehörde bzw. Regierungskanzlei sowie als Obergericht oder Audienzgericht1982. Das Hofgericht selbst kam an Bedeutung der Kanzlei nicht gleich und war ihr im 18. Jahrhundert faktisch untergeordnet1983. Ein kaiserliches Appellationsprivileg hatte die Grafschaft mit der Gründung des Hofgerichts 1593 erhalten. Es war allerdings auf die vergleichsweise bescheidene Summe von 200 Gulden limitiert1984 und bot in keinem hier untersuchten Rechtsstreit zu Diskussionen Anlaß. Das Konsistorium als weiteres landesherrliches Gericht haben einige Abhandlungen zur lippischen Landes- oder Gerichtsgeschichte nicht einmal erwähnt1985. War es wirklich bedeutungslos? Andere haben die Kompetenzen des Konsistoriums zwar umrissen1986, das Abgrenzungsproblem zur weltlichen Justiz aber nicht gesehen. Wenn ein regionalgeschichtlicher Aufsatz von 1962 beiläufig „die große Verwirrung im Rechtswesen“ in der Zeit nach 1700 feststellt1987, besagt eine solch unverbindliche Floskel gar nichts. Die Eingrenzung der Quellenmasse lehnt sich an die verschiedenen Register des lippischen Findbuchs an. Eine Zusammenschau der Sachbetreffe für geistliche Jurisdiktionsrechte, geistliche Gerichtsbarkeit, Zuständigkeit des Konsistoriums, lippisches Konsistorium und Kölner Erzbischof als Vorinstanz ergibt bei einer Gesamtzahl von 829 Akten ohne Doppelnennungen 26 einschlägige lippische Reichskammergerichtsprozesse1988. Eine nochmalige Einengung auf spezielle Zuständigkeitskonflikte läßt zehn VerE b e r t , Kurzer Abriß, S. 36; D ah l w e i d , Verwaltung, S. 311; B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, Einleitung S. 11; E n g e l e i t / R o t h e , Indigenatsrecht, S. 99-105. 1983 D a h l w e i d , Verwaltung, S. 314; M i e l e , Das lippische Hofgericht, S. 64; A r n d t , Der Fall Meier Cordt, S. 12; B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, Einleitung, S. 11; anders noch um 1600: H e i d e m a n n , Gerichtswesen, S. 130-132. 1984 M i e l e , Das lippische Hofgericht, S. 51-52; E b e r t , Kurzer Abriß, S. 33; A r n d t , Der Fall Meier Cordt, S. 12; B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, Einleitung, S. 11. 1985 Keine Hinweise auf das Konsistorium bei E b e r t , Kurzer Abriß; A r n d t , Grafschaft Lippe. 1986 H e i d e m a n n , Gerichtswesen, S. 130-131; D ah l w e i d , Verwaltung, S. 313, 315. 1987 H e i d e m a n n , Gerichtswesen, S. 143. 1988 B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, Jurisdiktionsrechte, geistliche: lfd. Nr. 276, 326, 448, 454, 502, 583, 686, 762; Gerichtsbarkeit, geistliche: 94, 276, 326, 360, 408, 410, 412, 525, 583, 635; Zuständigkeit Konsistorium: 665, 666; Köln, Erzbischof: 794; Konsistorium Lippe: 35, 66, 94, 143, 204, 276, 314, 331, 360, 448, 554, 583, 686, 745, 762. 1982
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fahren übrig, die im folgenden im Mittelpunkt stehen. Es sind vor allem drei Problemkreise, denen sich die genauer beleuchteten Streitfälle zuordnen lassen. Zugleich sind so auch die nur ergänzend herangezogenen weiteren Prozesse zu erfassen. Daraus ergibt sich zwanglos die Gliederung der folgenden Ausführungen. Zunächst geht es um die Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten, sodann um persönliche Befreiungen von der Konsistorialgerichtsbarkeit und schließlich um das Appellationsverbot in Konsistorialsachen.
1. Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten Die Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten stand in protestantischen Territorien dem Landesherrn zu. So jedenfalls lautet die gängige Kurzformel der älteren, aber auch der neueren Literatur, wenn sie die nachreformatorische Gerichtsverfassung beschreibt und dabei mit wenigen Schlagworten die Konsistorien einordnen soll. Wer teilweise die Unabhängigkeit der Kirchengerichte betont, bezieht dies immer auf deren faktische, nie jedoch rechtliche Eigenständigkeit1989. In Lippe war diese scheinbare Eindeutigkeit alles andere als klar. Es gab zum einen in den Jahren bis 1617 einen erbitterten Konflikt zwischen der Landesherrschaft und der Stadt Lemgo genau um diese Frage. Sodann sind zwei weitere Auseinandersetzungen überliefert, in denen die Parteien ausführlich um die Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten stritten. Die Prozesse zwischen Graf Simon VI. zur Lippe und der Stadt Lemgo waren bereits mehrfach Gegenstand historischer und rechtshistorischer Forschungen1990. Das tatsächliche Geschehen ist weitgehend bekannt. Die Darstellung kann sich hier auf eine knappe Zusammenfassung beschränken. Nach dem Übertritt Graf Simons VI. und der Einführung des reformierten Bekenntnisses in der gesamten Grafschaft weigerte sich die Stadt Lemgo, die lutherische Konfession aufzugeben. Lemgo hatte schon im 16. Jahrhundert ein eigenes Konsistorium gehabt und war Schrittmacher der lippischen Reformation gewesen. Die Stadt hatte die Reformation zwischen 1527 und 1532 schon durchgesetzt und mit der Bugenhagenschen Kirchenordnung 1989
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L i n k , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 85-86, mit dem Hinweis, dies sei nicht überall so gewesen; E r l e r , Konsistorium, Sp. 1106, sieht die Konsistorien eher als Ausprägung des landesherrlichen Kirchenregiments. B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 151-155; S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 295-319; V a j e n , Anerkennung, S. 28-63.
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von 1533 verfestigt1991, als die Grafschaft selbst noch beim alten Bekenntnis verblieben war. Deswegen hatte Lemgo später den lutherischen Landeskirchenordnungen auch nicht zugestimmt. Der Rat beanspruchte die Gerichtsherrschaft in geistlichen Angelegenheiten für sich selbst und wollte sie nicht an den Grafen abgeben. Schilling spricht plastisch vom ratsherrlichen Kirchenregiment1992. Es handelt sich um eine ähnliche Situation wie in Rostock und Wismar, den beiden Hansestädten, die sich gegen die Unterwerfung unter die örtliche Zuständigkeit des Mecklenburger Landeskonsistoriums wehrten1993. In Lemgo kam der konfessionelle Gegensatz zum Grafen erschwerend hinzu. Der Konflikt mit dem Landesherrn eskalierte, als die Stadt Lemgo 1607 ohne gräfliche Zustimmung zwei Pfarrstellen an den städtischen Hauptkirchen lutherisch wiederbesetzte und auch weiterhin auf einer eigenständigen Ehegerichtsbarkeit beharrte1994. Graf Simon VI. ließ daraufhin Lemgo durch Straßensperren blockieren. Wegen dieser Punkte entspannen sich vier Prozesse vor dem Reichskammergericht und zwei weitere Verfahren vor dem Reichshofrat1995. Letztlich schlossen die Parteien 1617 den bereits erwähnten Röhrentruper Rezeß1996. Er beließ der Stadt Lemgo das lutherische Bekenntnis und gewährte ihr weiterhin die kirchliche Gerichtsgewalt. Die moderne rechtshistorische Untersuchung Christian Vajens zu diesen Prozessen verfolgt eine anachronistische Fragestellung und ist deshalb als Ausgangspunkt für weitergehende Untersuchungen nur bedingt tauglich. Der Verfasser fragt nämlich, ob die Einführung des reformierten Bekenntnisses in Lippe rechtmäßig war, ob das Vorgehen Graf Simons VI. von den Normen des Reichsverfassungsrechts gedeckt war und welche der beiden Streitparteien ihre Position mit Recht vertrat. Ausdrücklich will er klären, ob dem Grafen das Reformationsrecht „auch wirklich zustand“1997. Das ist genau die brotlose Nachsubsumtion eines seit vierhundert Jahren erledigten Rechtsproblems, die der heutigen Zeit nicht zusteht. Vergangene Streitigkeiten sind für die gegenwärtige Rechtsgeschichte kein zu lösendes Rechtsproblem mehr. Vielmehr bilden sie den überlieferten Quellenbefund, den es zu verstehen gilt1998. Wer dagegen verstößt, macht sich als Historiker B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 97. S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 101-106. 1993 Dazu oben bei Anm. 1678-1741. 1994 V a j e n , Anerkennung, S. 37. 1995 S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 295-319; V aj e n , Anerkennung, S. 40-59. 1996 S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 352-354. 1997 V a j e n , Anerkennung, S. 16-18, 40. 1998 Zum methodischen Problem vgl. die Beiträge von O e s t m a n n und M e i s s e l in L u m i n a t i / F a l k / S c h m o e c k e l , Augen der Rechtsgeschichte, S. 452-459; zutreffend auch S c h w e r h o f f , Kriminalitätsforschung, S. 69. 1991 1992
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überflüssig. Für die vorliegende Untersuchung kommt es ohnehin auf andere Fragen an. Neben den schwerpunktmäßig vier von Vajen und Schilling ausgewerteten Reichskammergerichtsprozessen1999 gab es noch weitere einschlägige Gerichtsverfahren, die den Konflikt zwischen Lemgo und dem Grafen spiegeln. Bisher unbeachtet blieb ein Appellationsprozeß der Stadt Lemgo gegen eine Ilse Tegtmeyer von 16102000. Diese Frau, Einwohnerin von Lemgo, hatte am gräflich lippischen Konsistorium ihren Mann verklagt. Das Konsistorium urteilte in der Grafschaft unter anderem über Ehesachen, wie es auch in anderen protestantischen Territorien üblich war2001. Dort hatte Ilse Tegtmeyer also gegen ihren Mann auf Scheidung geklagt und im März 1610 das gewünschte Urteil erhalten. Vollständigen Einblick in die gescheiterte Ehe gewährt die Gerichtsakte nicht. Aber Abgründe taten sich auf. Der Ehemann nämlich hatte gleichzeitig seine Frau während des schwebenden lippischen Konsistorialprozesses in Lemgo wegen Ehebruchs verklagt. Damit gab es zwei Prozesse vor zwei verschiedenen Gerichten. Städtische und landesherrliche Gewalt prallten aufeinander. In dieser Situation wandte sich die Stadt Lemgo an das Reichskammergericht und erwirkte im August eine Zitation mitsamt Kompulsorialschreiben. Als Adressat der Ladung sind nicht nur Ilse Tegtmeyer, sondern auch Simon Graf zur Lippe sowie seine Konsistorialräte genannt2002. In ihren Gravamina beschwerte sich die Stadt, sie sei „von Graflichen Lippischen Consistorialen (...) contra Judiciorum stylum nichtiglich, oder Je wieder rechtlich“ verletzt worden2003. Den Konsistorialprozeß hielt sie für einen Eingriff in ihre eigene Gerichtsgewalt. In der hergebrachten „Cognition Causarum matrimonialium“ dürfe sie niemand beeinträchtigen, vor allem nicht „bei hangender rechtfertigungh 3ae Appellationis“2004. Damit verknüpfte die Stadt die Eherechtssache gegen Ilse Tegtmeyer mit ihrem eigenen Appellationsprozeß gegen Graf Simon VI. wegen des Konfessionskonflikts. Die Erfolgsaussichten einer solchen Ausweitung waren unklar. Das kammergerichtliche Protokollbuch in dieser Sache blieb leer. Offenbar fanden also in Speyer keine Audienzen statt. Vielleicht war der Streit tatsächlich mit den anderen LemQuellenangaben bei S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 314-315; Quellenverzeichnis bei V a j e n , Anerkennung, S. 188. 2000 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 531-532. 2001 D a h l w e i d , Verwaltung, S. 313, 315. 2002 LA Detmold L 82 Nr. 448, Aktenstück Q 1, fol. 2; persönliche Teilnahme des Landesherrn an Konsistoriumssitzungen auch in Braunschweig-Wolfenbüttel: M ü l l e r V o l b e h r , Die geistlichen Gerichte, S. 264. 2003 LA Detmold L 82 Nr. 448, unquadr. Aktenstück „Articulirte Gravamina“, fol. 3r-3v. 2004 LA Detmold L 82 Nr. 448, unquadr. Aktenstück „Articulirte Gravamina“, fol. 5v. 1999
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goer Sachen verbunden und damit schließlich durch den Röhrentruper Rezeß 1617 beigelegt. Für die hier verfolgten Zwecke sind die Lemgoer Prozesse, so wichtig sie für die Landesgeschichte sein mögen, nur von nachrangiger Bedeutung. Freilich stritten die Parteien auch um die Grenzziehung zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit. Allerdings handelte es sich dabei um eine geographische Grenze. Die Gerichtsgewalt des reformierten Landesherrn erstreckte sich eben nur sehr bedingt auf den Herrschaftsbereich der lutherischen Landstadt. In einem protestantischen Territorium mochte das ungewöhnlich sein, entsprach aber ganz und gar dem Befund katholischer weltlicher Gebiete, in denen der Landesherr ebenfalls nur die weltliche, nicht jedoch die geistliche Jurisdiktion innehatte. Die geographische Beschränkung der geistlichen Gerichtsgewalt sagt als solche nur quantitativ etwas aus, nicht aber qualitativ etwas zum Verhältnis weltlicher und geistlicher Justiz. Viel ergiebiger für die Gerichtsherrschaft in geistlichen Angelegenheiten sind deswegen zwei Reichskammergerichtsprozesse aus dem 18. Jahrhundert. Dort ging es zentral um die Frage, ob und inwieweit es in einem reformierten Territorium überhaupt eine eigenständige geistliche Gerichtsbarkeit geben konnte. Zugleich zeigt sich dort, wie die lippische Regierung ihre Haltung in gerade einmal dreißig Jahren deutlich änderte. In beiden Fällen war die Regierung selbst Prozeßpartei, im Gegensatz zu den Fällen aus Osnabrück und Hildesheim freilich auf Beklagtenseite und nicht als Klägerin.
a) Der Grundsatzstreit von 1738 In einem Mandatsprozeß von 1737/38 stritten die Kirchenprovisoren der Stadt Horn gegen die Gräfinwitwe Johannette Wilhelmine zur Lippe2005. Es ging um den Vorwurf der Kabinettsjustiz im allerwörtlichsten Sinne. Die Horner Kläger erwirkten nämlich in Wetzlar ein Mandat „de non avocando et trahendo causam in consistorio Detmoldiensis pendentem ad cabinetum“2006. Der Streit war entstanden aus einem Konflikt der Horner Kirchenprovisoren mit einem Simon Holtzhausen modo Keßemeyer in Fromhausen „wegen sicherer Länderey“2007. Es ging in einem langwierigen Konsistorialprozeß zwischen den Horner Provisoren und Holtzhausen um bestimmte Abgaben. Regierungszeit 1734-1747. Sie führte die Regentschaft für ihren unmündigen Sohn Simon August, B u l s t , Landesherr und Stände, S. 257; zu ihrem Reichsfürstenstand A r n d t , Grafschaft Lippe, S. 153. 2006 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 387-388. 2007 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 1v. 2005
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Holtzhausen wandte sich wegen des für ihn sehr kostspieligen Prozesses nach achtzehnjähriger Dauer2008 an die Gräfinwitwe „zu Vermeydung seines totalen ruins“2009. Damit hatte er weitgehend Erfolg. Die Regentin restituierte ihm durch Bescheid vom Oktober 1736 die fraglichen Ländereien. Außerdem brauchte er nur bestimmte „praestationes jährlich abzutragen“2010. Die Einzelheiten des Sachverhalts sind nicht bekannt und spielen auch keine Rolle. Viel wichtiger ist die Reaktion der Horner Kirchenprovisoren. Sie wollten den Spruch der Herzoginwitwe nämlich nicht hinnehmen. aa) Ein landesherrlicher Eingriff in die Konsistorialgerichtsbarkeit Die Horner Kirchenprovisoren sahen in der Regierungsentscheidung einen rechtswidrigen Eingriff der Landesherrin in die Autonomie des lippischen Konsistorialgerichts. Ging es in den zuvor untersuchten Streitigkeiten aus Münster, Osnabrück und Hildesheim immer um die rechtswidrige Anrufung kirchlicher Obergerichte in weltlichen Streitigkeiten, liegt hier der entgegengesetzte Fall vor. Die Parteien stritten um die Einmischung einer weltlichen Landesregierung in eine kirchliche Angelegenheit, die rechtshängig vor dem Konsistorialgericht schwebte. Das von den Hornischen Provisoren erwirkte Mandat des Reichskammergerichts ist nicht erhalten. Doch deutet die lateinische Kurzbezeichnung auf den wesentlichen Inhalt hin. Die Kläger warfen der Gräfinwitwe offenbar eine rechtswidrige Avokation vor. Avokation war im gemeinrechtlichen Sprachgebrauch die vom Oberrichter betriebene Wegziehung eines Rechtsstreits aus der unteren Instanz zur eigenständigen Entscheidung. Aus der Diskussion um Rechtsverweigerungen ist die Avokation als Maßnahme der Justizaufsicht gegen säumige Unterrichter bekannt2011. Durch eine Avokation nahm der Oberrichter stillschweigend die übergeordnete Gerichtsgewalt über das Untergericht in Anspruch. Und genau das scheinen die Horner Kirchenprovisoren bestritten zu haben. Mit dem Erlaß des Mandats muß das Reichskammergericht zugleich den klägerischen Sachvortrag für schlüssig angesehen haben, denn sonst wäre das Verfahren bereits im Extrajudizialstadium gescheitert2012. Wo lag das Problem? LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. „Copia Erforderten Unterthänigsten Berichts-Schreibens (N. 3)“, fol. 9v. 2009 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 1v. 2010 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 2r. 2011 O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 69; W e t z e l l , System, S. 815-816; P e r e l s , Justizverweigerung, S. 36-46. 2012 Zur Unterscheidung von Judizial- und Extrajudizialstadium des Reichskammergerichtsprozesses S m e n d , Reichskammergericht, S. 327-328; D i c k , Entwicklung, S. 85, 1482008
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Nach Darstellung der Kläger durfte sich ein Landesherr in einen Konsistorialprozeß nicht einmischen, jedenfalls dann nicht, wenn er noch unentschieden am Kirchengericht schwebte. Ob und inwieweit für die Horner Kirchenprovisoren normative Quellen eine Rolle spielten, ist unbekannt. Die Supplikation ist ja nicht erhalten. Jedenfalls bestand seit Verkündung der Hofgerichtsordnung 1593 die Zusicherung der Landesherren, auf Avokationen zu verzichten und den stracken Lauf der Justiz nicht zu behindern2013. Im überlieferten Schriftsatz der lippischen Kanzlei taucht das gesetzlich verankerte Avokationsverbot dagegen nicht auf. Mag die landesgeschichtliche Literatur also die hohe Wertschätzung der Hofgerichtsordnung bis ins 19. Jahrhundert hinein unterstreichen2014, so spricht der hier untersuchte Rechtsstreit für die Mitte des 18. Jahrhunderts zeittypisch eher dagegen. Ganz offen ließ die Gräfinwitwe ihre Avokation rechtfertigen, ohne sich um die eigene Gerichtsordnung überhaupt zu kümmern. Gesetze waren eben nicht die einzig maßgeblichen Rechtsquellen, auch die landeseigenen Prozeßordnungen nicht. Offenbar, dies ist nicht ganz klar, hatten die Horner Kirchenprovisoren zunächst versucht, wegen der Streitsache am Reichskammergericht einen Appellationsprozeß anzustrengen. Das Wetzlarer Gericht hatte aber den Rechtsstreit nicht förmlich durch Ladung eröffnet, sondern von der Regierung im Einklang mit dem Jüngsten Reichsabschied zunächst ein Berichtsschreiben angefordert2015. Dann aber wandte sich das Blatt zugunsten der Provisoren. Einzelheiten dazu sind nicht bekannt. Der schließlich begonnene Mandatsprozeß war für die Regierung eine klare Verschärfung, denn statt einer Ladung zu einem kontradiktorischen Verfahren hatte man es jetzt mit einer einstweiligen Anordnung zu tun. Sie war in der Welt, und bei Strafdrohung bestand erst einmal die Pflicht, die Verfügung zu befolgen.
150; R a n i e r i , Recht und Gesellschaft I, S. 77; P r a n g e , Vom Reichskammergericht, S. 53-56; O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 22; zum Oberappellationsgericht Celle S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht, S. 157-168. 2013 Hofgerichtsordnung 1593 Teil 2 Titel 54: „Daß diesem unserm Hofgericht ein stracker unverhinderter Lauf gelassen, und desselben Ordnungen festiglich gehalten werden sollen“, in: LandesVerordnungen Bd. I, S. 173-286 (283); dazu E b e r t , Kurzer Abriß, S. 34; Ki t t e l , Detmold, S. 98; H e i d e m a n n , Gerichtswesen, S. 130. 2014 E b e r t , Kurzer Abriß, S. 34-35. 2015 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 2r; § 105 JRA 1654, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 226-227; dazu aus der zeitgenössischen Literatur D e c k h e r r , Processus informativus, S. 1-104.
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bb) Zur Einheit weltlicher und geistlicher Gewalt Die gräfliche Kanzlei wütete über „straffbare Unfuge und criminelles Verfahren“, das die Kirchenprovisoren angeblich betrieben, doch markige Worte allein halfen nichts. Die Regierung mußte sich auf den Rechtsweg einlassen und eine Exzeptionsschrift ausarbeiten2016. Diese Exzeptionsschrift ist das einzige Dokument, das sich von diesem Prozeß erhalten hat. Sie bietet einen detailscharfen Einblick, wie die lippische Regierung 1738 die Gerichtsverfassung in geistlichen Angelegenheiten von der umfassenden Landesherrschaft abgrenzte. Die Mitglieder der lippischen Kanzlei, die die Exzeptionsschrift verfaßten, begannen ihre Rechtsausführungen mit dem schwersten Vorwurf, den sie gegen das Reichskammergericht erheben konnten. Durch das Mandat, meinten sie unverblümt, werde die „Landes-Herrliche Hoheit“ der Gräfinwitwe und ihrer Söhne „als einem unmittelbahren Stande des Reichs (...) wo nicht gar aufgehoben, den noch gewaltig geschmählert, indem solcher gestalt ermeltes höchst deroselben nach gesetztes Consistorium, als ein independenter geistlicher Staat, und folglich in der Grafschaft Lippe eine doppelte independente Herrschaft, nemlich eine weltliche und geistliche Gewalt, introduciret und angesehen“2017. Das war der Kern der im folgenden verfeinerten Argumentation. Ein Konsistorium war „nachgesetzt“, also der Landesherrschaft untergeordnet. Und innerhalb dieser Landesherrschaft konnte es keine strenge Scheidung weltlicher und geistlicher Gewalt geben. Wer hier auf strikter Trennung bestand, wertete das Konsistorium zu einer eigenen Landesherrschaft auf, nämlich zu einem „geistlichen Staat“. Das durfte nicht sein, und die lippische Kanzlei weitete ihre Auffassung gleich ins Allgemeingültige aus. Nicht um Besonderheiten der lippischen Gerichtsorganisation ging es, sondern um einen Grundsatz, der in allen protestantischen Territorien gleichermaßen galt, „da doch außer allen Streit, daß ein Status immediatus in causis ecclesiasticis unter denen Protestanten keinen OberHerren, folglich auch in seinen Staat keine doppelte independente Herrschaft erkennet, sondern die höchste Herrschaft über alle euserliche Verrichtungen, welche in der sichtbaren Kirche etwan vorfallen, von des Landes Herrn Landes Herrlicher Hoheit und Verordnungen schlechterdinges alleine, ohne sich an ein vermeintes Consistorium zu binden, dependirt“2018. Mit dem „Status immediatus“ spielte der Schriftsatz auf die Reichsunmittelbarkeit des Landesherrn an und vertiefte damit die Ausgangsthese. Es ging nicht um irgendwelche Abgabenpflichten irgendeines Simon LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 2v. LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 3v-4r. 2018 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 4r-4v. 2016 2017
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Holtzhausen aus irgendeinem Dorf Fromhausen. Nein, für die Regierung stand in diesem Prozeß nichts weniger auf dem Spiel als die Landesherrschaft selbst. Deswegen kämpfte sie mit Klauen und Zähnen gegen jede Beschränkung der landesfürstlichen Macht. Ein reichsunmittelbarer protestantischer Landesherr konnte in geistlichen Angelegenheiten keine von ihm unabhängige gleichgeordnete Gewalt anerkennen. Die höchste Herrschaft über die sichtbare Kirche war nichts weiter als das landesherrliche Kirchenregiment in der schärfstmöglichen Ausprägung. Nur zur Bekräftigung betonte der Nachsatz, ein Landesherr könne sich auf keinen Fall an Urteile des Konsistoriums binden, sondern dürfe die wesentlichen Entscheidungen jederzeit selbst fällen. Damit lieferte der Schriftsatz zugleich eine ganz offensive Begründung für die Zulässigkeit von Machtsprüchen in geistlichen Angelegenheiten2019. Der Hinweis auf die äußerlichen Angelegenheiten der sichtbaren Kirche griff auf die reformatorische Zwei-Reiche-Lehre zurück. Danach hatte in Fragen der sichtbaren Kirche der weltliche Landesherr das alleinige Bestimmungsrecht. In religiös-inhaltlichen Fragen dagegen konnte es von vornherein gar keine weltliche Herrschaftsgewalt geben2020. Aus moderner Perspektive ist der Schriftsatz der lippischen Kanzlei, den der Wetzlarer Prokurator Dr. Meckel lediglich unterschrieb und zu den Akten reichte2021, ein wertvolles Selbstzeugnis für das Herrschaftsverständnis in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Exzeptionen sind auch deswegen so bestechend, weil sie um eine ganz prinzipielle Argumentation bemüht waren und partikularrechtliches Gestrüpp und das Dickicht des Sachverhalts weitgehend ausblendeten. Mit der Exceptio fori incompetentis wandten sich die lippischen Beklagten nicht nur gegen die Zulässigkeit der Appellation in Konsistorialsachen, wie dies in mehreren anderen Prozessen zu beobachten ist2022. Vielmehr bestritten sie noch grundsätzlicher und schlechthin die Zuständigkeit des Reichskammergerichts in allen Fragen, die das landesherrliche Kirchenregiment betrafen. Deswegen konnten sie diese Einrede auch im Mandatsprozeß erheben. Nicht einmal ein Promotorialverfahren und auch nicht eine Nichtigkeitsklage konnten unter diesen Vorzeichen noch zulässig sein. Das betonte die Kanzlei, gestützt auf
E r w i n , Machtsprüche, geht auf die Machtsprüche evangelischer Fürsten in geistlichen Rechtsfragen nicht ein. 2020 Zur Zwei-Reiche-Lehre L i n k , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 61-63; K au f m an n , S. 604-605; zum Verhältnis von Zwei-Reiche-Lehre und römischem Recht S p r e n g l e r R u p p e n t h a l , Rezeption, S. 375-379. 2021 Unterschrift von Meckel: LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 8r; Dr. Meckel nachgewiesen bei B au m a n n , Advokaten, S. 190. 2022 Einschlägige Appellationsfälle aus Lippe unten bei Anm. 2240-2390. 2019
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den Hallenser Rechtslehrer und Konsistorialrat Heinrich Bodinus2023. Festgemeißelt stand die vollständige Unabhängigkeit des evangelischen Landesherrn in Kirchensachen, unverrückbar und ohne jedes Blatt vor dem Mund. So ungeschminkt liest man das in Reichskammergerichtsakten selten. Um Rechtsquellen, auf die sich die Regierung stützen konnte, ihre Rechtsauffassung zu untermauern, war der Schriftsatzverfasser nicht verlegen. Nichts weniger als einen Rundumschlag bot er feil. Alles, was er behaupte, sei „in der Heyl[igen] Schrifft, Kirchen Historie, den Grundgesetzen des Heil[igen] Römischen Reichs Teutscher Nation und in dem Natur- und Völcker-Rechte fundiret“2024. Das klang gewaltig, blieb doch aber ersichtlich im Ungenauen. Präzise Belegstellen mochten mehr Eindruck schinden als lautstarke Gemeinplätze. Deswegen verwundert es nicht, wenn der Autor ausdrücklich hinzufügte, es sei unnötig, dies alles der Länge nach zu entfalten. Genau dazu habe nämlich „allbereits der Geheimte Rath Thomasius“ die notwendigen Erläuterungen gegeben. Der lippische Schriftsatz stützte sich ganz maßgeblich auf einen Traktat von Christian Thomasius über das Recht evangelischer Fürsten in theologischen Streitigkeiten2025 sowie auf eine anonyme Untersuchung zum wahren Grund der höchsten Gewalt eines Fürsten über die Kirche2026. Die enge Anlehnung an Thomasius ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die lippische Regierung nur drei Jahrzehnte später deutlich anders argumentierte und sich dann viel stärker an Justus Henning Böhmer orientierte. Der Rechtsgrundsatz, auf den die lippische Regierung sich im Anschluß an Thomasius stützte, war kurz und eindeutig. Er lautete schlicht und umfassend, „daß denen evangelischen Ständen das Recht in Kirchen-Sachen, als ein Stück
LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 7r; mit Verweis auf B o d i n u s , De illicita a Principibus protestantibus provocatione, §§ 50-51 (zitiert werden freilich §§ 49-50), S. 53, Randglossen: „Non potest Imp. Cam. decernere promotoriales in Ecclesiasticis. Neque nullitas, ne quidem processus deduci in Cam. potest in Ecclesiasticis“; zu Bodinus (1652-1720) S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte III/1, Noten S. 17. 2024 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 4v. 2025 T h o m a s i u s / B r e n n e y s e n , Das Recht Evangelischer Fürsten. Es handelt sich um die Verteidigungsschrift von Thomasius gegen Anschuldigungen von Dresdener Theologen. - Zu Thomasius’ Haltung zum kanonischen Recht W o l t e r , Fortgeltung, S. 39-42; S c h ä f e r , Geltung, S. 227-262; Überblick über Thomasius (1655-1728) bei K l e i n h e y e r / S c h r ö d e r , Juristen, S. 440-447; L u i g , Thomasius, S. 627-628. 2026 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 5r; gemeint ist Carl Franz Buddeus, Untersuchung des wahren Grundes, aus welchem die höchste Gewalt eines Fürsten über die Kirche herzuleiten ist. Das Werk erschien 1719 in Halle anonym, nannte in der 2. Aufl. Stockholm und Uppsala 1737 dann aber den Verfasser; nachgewiesen im Nachlaß des Autors: Bibliotheca Buddeana, S. 67 Nr. 52. 2023
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der Landes Herrlichen Hoheit völlig alleine zustehe“2027. Das landesherrliche Kirchenregiment war damit Ausfluß der Landeshoheit, und genau deswegen konnte es in einem evangelischen Territorium keine vom Landesherrn verschiedene geistliche Gewalt geben. Die „Lehre einer doppelten independenten (...) Hierarchie“, also von zwei getrennten und voneinander unabhängigen geistlichen und weltlichen Gewalten, ging nach dieser Meinung in die Irre. Sie verstieß allgemein gegen die Pflichten der Bürger und Untertanen gegenüber dem Staat sowie insbesondere gegen die „Verfaßung des Heyl[igen] Römischen Reichs“2028. Die Grenzziehung zwischen geistlichen und weltlichen Angelegenheiten, die Gerichtsgewalt sowie die Möglichkeiten, die obersten Reichsgerichte anzurufen, berührten also unmittelbar die Reichsverfassung. Das ist dasselbe Argument, das in ganz anderem Zusammenhang auch in Münster, Osnabrück und Hildesheim auftauchte. Dort war aus Regierungssicht die Reichsunmittelbarkeit eines geistlichen Landesherrn in Frage gestellt, wenn in weltlichen Angelegenheiten ein auswärtiges geistliches Gericht Recht sprach. Es konnte zwar eine doppelte Gerichtsbarkeit geben. Übergriffe geistlicher Gerichte in den weltlichen Bereich, insbesondere Appellationen an den Erzbischof oder den Nuntius, waren mit der vom Kaiser belehnten iurisdictio aber nicht vereinbar. In katholischen Territorien ging es mithin um die Entflechtung der geistlichen und der weltlichen Gewalt. In Lippe war der Konflikt nochmals verschärft. Die protestantische Landesherrschaft war eben keine rein weltliche, sondern eine umfassende weltliche und geistliche iurisdictio. Diese einheitliche Herrschaftsgewalt war bereits dann bedroht, wenn es in einem protestantischen Territorium überhaupt eine eigenständige geistliche Gewalt gab. Es ging in evangelischen Ländern also nicht um die Trennung der beiden Gewalten, sondern gerade um ihre Vereinigung in der Person des Herrschers. Neben dem verfassungsrechtlichen Argument schob der lippische Schriftsatzverfasser einige politische Überlegungen nach. Das Ansehen eines Fürsten und seine „jurisdiction“ litten bei Fremden wie auch bei den eigenen Religionsverwandten, wenn man eine unabhängige geistliche Gewalt anerkenne. Deswegen sei ein protestantischer Landesherr „absolument“ nicht verpflichtet, überhaupt ein „geistliches Gerichte oder Consistorium“ zu errichten2029. Die Gründung der evangelischen Konsistorien im 16. Jahrhundert war nach dieser Auffassung eine freiwillige, rechtlich nicht notwendige Maßnahme. Sie hatte nicht den Zweck, die umfassenden Rechte des Landesherrn zu beschränken, und konnte das auch gar nicht. Niemals hatte LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 5r. LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 5r-5v. 2029 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 5v. 2027 2028
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nach dieser Ansicht ein evangelischer Fürst Teile seiner Macht an ein Konsistorium abgegeben. So eindeutig, wie die lippische Kanzlei mit ihren markigen Worten vorgab, war die Sache aber nicht. Rechtlich blieb vieles ungeklärt. So hielt der Schriftsatzverfasser es offenbar für angebracht, sich selbst ein wenig Wind aus den Segeln zu nehmen. Einschränkend räumte er ein, es gebe „einige Doctores“, die „wider die LandsHerrliche Hoheit statuiren wollen, daß ein Landes Herr die vor denen Consistoriis rechts hängige Sachen nicht avociren könne“2030. Im Gegensatz zur eigenen Rechtsauffassung war dieser Hinweis bemerkenswert präzise. Er bezog sich nur auf das Avokationsverbot in rechtshängigen Konsistorialsachen, genau auf das Problem also, das in Wetzlar zur Entscheidung anstand. Ob die Landeshoheit oder das landesherrliche Kirchenregiment in anderen Punkten ebenfalls bestritten waren, blieb offen, war für den kammergerichtlichen Mandatsprozeß aber auch nicht kriegsentscheidend. Jedenfalls waren Machtsprüche des Landesherrn in Kirchensachen nach dieser Gegenposition verboten2031. Die lippische Kanzlei vertrat das ganze Gegenteil, nämlich die uneingeschränkte Avokationserlaubnis. So stand Rechtsmeinung gegen Rechtsmeinung. Wie sollte die lippische Regierung das Reichskammergericht dann von ihrer Auffassung überzeugen? Die umfassende Herrschaft des Landesfürsten über alle weltlichen und geistlichen Angelegenheiten sei „von andern mit beßerm Recht“ bewiesen, hieß es hölzern2032. Ein geschliffeneres Argument war wohl nicht zur Hand. Die Exzeptionsschrift jedenfalls nannte keine nähere Begründung, sondern verwies lediglich auf Abhandlungen von Schrader und Brunnemann2033 sowie erneut auf den bereits erwähnten Traktat von Thomasius2034. Zu Thomasius verlor die lippische Kanzlei nur einen Halbsatz. Dieser habe gesagt, bei „dergleichen Vorfallenheiten“ behalte „ein Landes Herr ungebundene Hände“2035. Ungebundene Hände – ein wahres Wort, in der Tat: Die rechtliche Ungebundenheit des protestantischen Landesherrn in Kirchensachen war es, wofür die Kanzlei mit großer Entschiedenheit focht. Gleichsam als NebenLA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 5v-6r. Zur rechtlichen Einschränkung von Machtsprüchen im 18. Jahrhundert allgemein E r w i n , Machtsprüche, S. 126-138, 246-251. 2032 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 6r. 2033 S c h r a d e r , De causis fori ecclesiastici, cap. 1 tit. 1 § 7, S. 13: „An verò avocari causa matrimonialis, vel alia Ecclesiastica possit, non conveniunt Dd. Verius, est, posse, cum ex delegatione habeant Jurisdictionem suam Consistoria, idque non privativè, sed cumulativè“; B r u n n e m an n , De jure ecclesiastico, l. 3 c. 10 § 24: „An Princeps Acta a Consistorio avocare possit“, S. 694, 702. 2034 T h o m a s i u s / B r e n n e y s e n , Das Recht Evangelischer Fürsten, p. 1 thes. 5 § 14; als Erwiderung auf einen Traktat von Heinrich Gebhardi/Andreas Fintzsch, De potestate sive regimine et jurisdictione ecclesiastica (1627). 2035 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 6v. 2030 2031
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folge besaß das Konsistorium keinerlei Autonomie. Seine Verfahren standen landesherrlichen Eingriffen jederzeit offen. Genau dies nahm der Schriftsatzverfasser nicht nur hin, sondern verteidigte es energisch als Ausfluß der umfassenden Landeshoheit. Eine ausformulierte Gegenposition der Horner Kirchenprovisoren zu diesem Punkt ist nicht bekannt. Offenbar endete der Prozeß, bevor er zu längeren Auseinandersetzungen Gelegenheit bot. Vielleicht gelangte er nicht einmal ins Judizialstadium, obwohl dann die Existenz einer Exzeptionsschrift erstaunlich wäre. Allerdings waren die Rechtsauffassungen im 18. Jahrhundert bei weitem nicht so statisch, wie es die lippische Regierung 1738 vorgab. Drei Jahrzehnte später nämlich entbrannte ein Konflikt zwischen dem Hofrichter und dem Konsistorium, in dem es um sehr ähnliche Fragen ging2036. Der Hofrichter wiederholte praktisch die Rechtsposition der Regierung von 1738, doch das Konsistorium, in Wetzlar erneut von der gräflichen Kanzlei gut beraten, bestand jetzt plötzlich auf institutioneller Unabhängigkeit und förmlicher Prozeßführung. So schnell konnte der Wind drehen.
b) Der Grundsatzstreit von 1765/80 Die wichtigste lippische Quelle zur Frage nach der Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten und nach dem Verhältnis der weltlichen Landesherrschaft zur geistlichen Jurisdiktion stammt aus den Jahren 1765 bis 1770. Der lippische Hofrichter Ludwig von Hammerstein zu Hornoldendorf verklagte in einer eigenen Angelegenheit im Appellationswege das lippische Konsistorium vor dem Reichskammergericht in Wetzlar. Der Appellant kannte sich aus. Mehrfach trat er als kammergerichtlicher Kläger in Erscheinung und verknüpfte auch in anderen Prozessen Eigeninteressen mit Grundsatzfragen der Gerichtsverfassung. In einem weiteren Rechtsstreit von 1766/67 belangte er im Mandatsprozeß die lippische Kanzlei, weil sie die Vollstreckung eines hofgerichtlichen Urteils2037 verhindert habe2038. Wegen Spanndiensten klagte Hammerstein 1755/56 am Reichskammergericht, ferner wegen eines Konflikts mit dem Pastor Matthias Jenin aus Heiligenkirchen 1761/652039.
Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 323-325. Zugrunde lag ein Streit um Spanndienste in Hornoldendorf und Fromhausen. Derselbe Konflikt war bereits 1746/54 Gegenstand eines kammergerichtlichen Verfahrens: B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, S. 315-316. 2038 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 322-323. 2039 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 319-322. 2036 2037
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Dieses letzte Verfahren betraf Geldzahlungen aus einem älteren Legat, nämlich aus einem Vermächtnis der Familie von Hammerstein zugunsten eines Totengewölbes in Heiligenkirchen und des dortigen Pastors. Einzelheiten sind unwichtig. Jedenfalls war der Appellant Ludwig von Hammerstein aufgrund des Legats sowie eines Vergleichs von 1756 verpflichtet, der Kirchengemeinde Heiligenkirchen bestimmte Gelder zu entrichten. Das bildete zugleich den Ausgangspunkt für den hier interessierenden Jurisdiktionsstreit. Pastor Jenin hatte den Hofrichter von Hammerstein nämlich vor dem lippischen Konsistorium auf Fortzahlung der Geldunterstützung verklagt und gewonnen. Der Hofrichter aber wollte sich vom Konsistorium zu gar nichts zwingen lassen. Deswegen appellierte er an das Reichskammergericht. Als adliger Landstand, so meinte er, sei er von der Konsistorialgerichtsbarkeit persönlich befreit2040. Dies war der Auftakt zu einer umfangreichen Auseinandersetzung. Zur erstinstanzlichen Akte von 5 cm Umfang kamen noch einmal 11 cm kammergerichtliches Schriftgut hinzu. Genau genommen richtete sich die Appellation gegen ein Urteil der lippischen Kanzlei, das die Juristenfakultät Tübingen im Januar 1764 konzipiert hatte. Darin stellten die Juristen „die Jurisdictio in Ecclesiasticis“ des Konsistoriums über den Hofrichter ausdrücklich fest2041. Und das wollte der Adlige nicht auf sich sitzen lassen. aa) Die Auffassung der Tübinger Juristenfakultät von der vollen Anwendbarkeit des kanonischen Rechts Die Tübinger Urteilsbegründung ist in der Akte nicht enthalten2042. Jedoch gab der Appellant sie ausführlich wieder, ohne daß die Gegenseite daran Anstoß nahm. Vermutlich faßte Hammerstein mit seiner gerafften Fassung die wesentlichen Punkte also zutreffend zusammen. Danach gingen die Tübinger Rechtsgelehrten davon aus, es sei „bey den Protestanten ein ausgemachter Satz, daß nachdem einmahl die Protestantische Landes-Herren durch den Religionsfrieden, die Jurisdictionem Ecclesiasticam Jure quasi post limini wieder erhalten, dieße Geistliche Gerichtsbarkeit anstatt derer bischöflichen Gerichten, denen von Ihnen errichteten Consistoriis übertragen worden, dergestallt, daß der Schluß von der jurisdictione Consistorium Episcopalium, auf die Protestantische Consistoria gantz richtig sey“2043.
Dazu unten bei Anm. 2210-2239. LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 4, fol. 31r-31v. 2042 Ähnlicher Befund in einem anderen Rechtsstreit aus dem 18. Jahrhundert: O e s t m an n , Zivilprozeß, S. 9. 2043 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 62v. 2040 2041
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Das war eine entscheidende Weichenstellung, die im Laufe des Rechtsstreits immer wieder Anlaß zum Streit bot. Nach dieser Auffassung war die Zuständigkeitsabgrenzung von geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit in protestantischen Territorien also exakt genauso wie in katholischen Ländern. Mit der Reformation hätten die Landesherren zwar die Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten zurückgewonnen, diese in vollem Umfang dann aber an die Konsistorialgerichte übertragen. Die Konsistorien seien „anstatt“ der bischöflichen Gerichte, also der Offizialate, ins Leben getreten und erfüllten genau dieselben Aufgaben. Für Rechtsprobleme bedeutete dies nach der Tübinger Urteilsbegründung eine klare Marschroute. Zur Lösung von Streitfällen in protestantischen Territorien konnte man ohne weiteres auf die offenbar weitgehend geklärten Verhältnisse im katholischen Bereich zurückgreifen. Die Anwendbarkeit des kanonischen Rechts war dabei stillschweigend vorausgesetzt. Alle anderen Erwägungen der Spruchfakultät knüpften hieran an. Die Geltung des kanonischen Rechts auch in Fragen der Gerichtszuständigkeit war für die Tübinger Konsiliatoren selbstverständlich. „Nach dem jure canonico“, betonten sie, müßten sich Laien ohne Unterschied auf ihre Standeszugehörigkeit in geistlichen Angelegenheit der Jurisdiktion geistlicher Gerichte unterwerfen. Und deswegen sei genau dasselbe auch in protestantischen Territorien „eine ausgemachte Sache“. Auch hier waren alle Untertanen der geistlichen Gerichtsbarkeit des Landesherrn unterworfen. Im Ergebnis zweifelten die Tübinger Juristen in keiner Weise daran, daß „in gantz Teutschland nicht wohl ein Orth anzutreffen seye, allwo nehmlich ein Consistorium wäre, daß daselbst causae ecclesiasticae von weltlichen Dicasteriis in prima instantia entschieden würden“2044. Wenn es überhaupt Konsistorien gab, sollten diese also gleichzeitig die Zuständigkeitsbegrenzung weltlicher Gerichte auf rein weltliche Angelegenheiten markieren. Zum Teil beschäftigten sich die Tübinger Entscheidungsgründe mit der angeblichen persönlichen Befreiung der Landsassen von der geistlichen Gerichtsbarkeit und griffen dafür auch auf das Partikularrecht zurück. Die Grundsatzfrage dagegen, welchen Umfang die Konsistorialjurisdiktion hatte und in welchem Verhältnis sie zur weltlichen Herrschaft stand, ließ sich nach Meinung der Tübinger Juristenfakultät bereits anhand des kanonischen Rechts lösen. Das Partikularrecht spielte insoweit keine tragende Rolle. Genau so war der Hinweis auf die in ganz Deutschland gleichen Zustände zu verstehen. Die prinzipielle Fragestellung ging damit über das Gebiet der kleinen Grafschaft erheblich hinaus. Das ist rechtshistorisch höchst erfreu2044
LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 62v-64r: Urteilsbegründung Ziff. 2, 3, 10.
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lich. Wenn es schon nicht möglich ist, ein Gesamtbild zu bieten, zeichnen sich doch Probleme, Argumente und Lösungsmöglichkeiten ab, die vielerorts und über längere Zeiträume das Rückgrat der gelehrten Diskussion bildeten. Der scharfe Blick auf Einzelfälle versperrt nicht das Panorama. Der Wald bleibt trotz vieler Bäume sichtbar. bb) Die Auffassung des Hofrichters von der beschränkten Gerichtsgewalt des Konsistoriums Der Hofrichter Ludwig von Hammerstein hatte in dieser Situation das erstinstanzliche Urteil und eine zugespitzt entschieden zweifelsfreie Urteilsbegründung aus Tübingen gegen sich. Sein Schriftsatzverfasser, ein nicht näher bekannter Advokat Dr. Culmann2045, hatte in den Appellationsgravamina die undankbare Aufgabe, die Tübinger Rationes decidendi zu widerlegen und gleichzeitig die eingeschränkte Gerichtsgewalt des Konsistoriums zu untermauern. Als Einstieg wählte er ein Zitat von Justus Henning Böhmer. Der Hallenser hatte sich eingehend mit der Fortgeltung des kanonischen Rechts in protestantischen Territorien beschäftigt. Nach seiner Lehrmeinung konnte man die Vorgaben des kanonischen Rechts nicht automatisch und ungeprüft im protestantischen Umfeld übernehmen. Vielmehr sei zu prüfen, ob die dahinterstehenden katholischen Prinzipien mit den protestantischen Wertungen vereinbar waren oder nicht. Je nachdem konnte das überkommene katholische Kirchenrecht damit bereichsweise überwunden und nicht anwendbar sein. Böhmer selbst nannte diese Auffassung die „media via“2046. Deshalb war es für den Appellanten Hammerstein wichtig, die partikularen lippischen Besonderheiten zu betonen. Die Tübinger, so der Schriftsatzverfasser, hätten den sächsischen Rechtsgelehrten, nämlich Carpzov und Weber2047, nicht folgen dürfen, sondern lieber auf die lippische Konsistorialordnung und auf die landständischen Verträge der Grafschaft Lippe sehen sollen2048. Aber zuviel partikularer Kleinkram vernebelte das Grundsatzproblem. Wohl deswegen bemühte sich der Advokat, bereits auf der prinzipiellen Ebene die erstinstanzliche Urteilsbegründung zu kippen. Nebenbei lieIn der Zitation mit aufgeführt: LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 2, fol. 22r. B ö h m e r , De media via, § 12-13, S. 353-354 = d e r s . , Exercitationes, tom. 1 exercit. 9 § 12, S. 353; zu Böhmers Lehre vom kanonischen Recht S c h n i z e r , Justus Henning Boehmer, S. 383-393; B u c h h o l z , Justus Henning Boehmer, S. 41-43; W o l t e r , Fortgeltung, S. 42-46; d e r s . , Ius canonicum, S. 163-165; R ü t t e n , Das zivilrechtliche Werk, S. 91; S c h u l z e , Böhmer, S. 73. 2047 Gemeint ist W e b e r , Consistorium. 2048 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 65v. 2045 2046
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fern die Ausführungen einen Beleg, welch enorme Bedeutung Benedikt Carpzov noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Autorität im evangelischen Kirchenrecht hatte2049. Im Ausgangspunkt stimmte der appellantische Schriftsatzverfasser dem Tübinger Fakultätsurteil zu. Durch den Passauer Vertrag von 1552, den Augsburger Religionsfrieden von 1555 sowie durch den Westfälischen Frieden von 1648 hätten die protestantischen Reichsstände das „jus circa Sacra, und inspecie die Jurisdictionem ecclesiasticam“ zurückerhalten. Das bedeute aber „keineswegs ergo haben die Protestantische Landes-Herrn das Exercitium Jurisdictionis ecclesiasticae universalis, also bald ihren Consistoriis übertragen. Es war solches möglich aber von der möglichkeit läßet sich nicht auf die Würcklichkeit schliessen“2050. Der Appellant übernahm hier genau die Argumentation, die drei Jahrzehnte zuvor die lippische Gräfinwitwe vor dem Reichskammergericht vertreten hatte. Danach bestand kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Errichtung von Konsistorien und dem Umfang der landesherrlichen Gerichtsgewalt. Insbesondere mußte ein Landesherr keineswegs automatisch seine persönlichen richterlichen Kompetenzen schmälern, wenn er ein geistliches Konsistorium gründete. Der Umfang der Konsistorialsachen konnte damit von Territorium zu Territorium schwanken. Deshalb waren nach dieser Ansicht evangelische Konsistorien nicht ausnahmslos mit den katholischen Offizialatsgerichten funktionsidentisch. Der Schriftsatzverfasser begründete seinen Ansatz, wie es im 18. Jahrhundert weithin üblich war2051, mit historischen Argumenten. Bereits vor den Friedensschlüssen, also offenbar im Mittelalter, hätten der römischdeutsche Kaiser wie auch die deutschen Reichsstände „das jus circa sacra gehabt“ und die geistliche Gerichtsbarkeit „würcklich“ durch weltliche Gerichte ausüben lassen. Auch nach der Reformation sei es möglich gewesen, die geistlichen Streitsachen durch die weltliche Justiz zu entscheiden, ja sogar Geistliche hätten vor weltlichen Gerichten belangt werden können2052. Ein Verweis auf das gelehrte Recht sowie auf einige juristisch-historische Abhandlungen sollte diese Auffassung untermauern2053. Dazu L a n d a u , Carpzov, S. 227-256; S c h m o e c k e l , Benedict Carpzov, S. 1-37. LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 66r. 2051 H a m m e r s t e i n , Jus und Historie, Zusammenfassung S. 376-379; zur historischen Argumentation im Streit der Stadt Horn mit den Hornschen Beamten und dem lippischen Konsistorium: LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 92v-93v; zur historischen Beweisführung im Osnabrücker Prozeß von Justus Möser oben bei Anm. 11791189, 1222-1230. 2052 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 66v. 2053 Der Schriftsatzverfasser zitierte: C. 1, 3, 25 pr., C. 1, 3, 23; R e i n h a r d , De iure principum, sowie weitere, von mir nicht überprüfte Werke: Pistorius, Anmerkungen p. 2 2049 2050
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Das Ziel war klar. Es ging um eine Differenzierung. Einige protestantische Reichsstände hatten zwar ihren Konsistorien diejenigen Sachen zugewiesen, die zuvor der geistlichen Gerichtsbarkeit unterfallen waren. Doch könne man das nicht verallgemeinern, denn es bestehe nicht einmal die Pflicht, überhaupt Konsistorien zu errichten2054. Der Schriftsatzverfasser führte dafür eine der größten Autoritäten an, die man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Wetzlar überhaupt zitieren konnte, nämlich Johann Ulrich von Cramer, den schriftstellerisch so erfolgreichen Assessor2055. Neben Cramers Observationensammlung stützte sich der Advokat des lippischen Hofrichters erneut auf Böhmer, Johann Samuel Stryk sowie auf Christian Thomasius2056. Dabei handelte es sich nicht um rein akademische Glasperlenspiele, das machte der Verfasser schnell deutlich. In Nürnberg und Hamburg gebe es nämlich gar keine Konsistorien, ebenso in Frankfurt am Main. In Celle sei das Konsistorium ein Teil der Regierung wie auch in Berlin beim Kammergericht und in Hessen-Kassel2057. Deswegen modificap. 1; Reinhard, Kleine Schriften VII § 18 Tom 1 p. 337; de Ludwig in Diss. de jure principis, cap. 1-2. 2054 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 67r. 2055 1706-1772, Assessor seit 1752; zu Leben und Werk J a h n s , Reichskammergericht II/1, S. 655-673; zu Cramers Lehre von der Zuständigkeit des Reichskammergerichts in Kirchensachen unten bei Anm. 2378-2379, 2409. 2056 Zitiert sind C r a m e r , Observationen III, obs. 784 § 7, 9, S. 2, dort. § 7: „Ex quo inferas, quod 1) Consistoriales non tantum Politici, sed etiam Theologi esse debeant; adeoque 2) intuitu Juris circa sacra Collegialis, minime vero intuitu Juris circa sacra Majestatici Consistoria necessaria sint, quippe quod, aequae ac reliqua Jura Majestatica, per politicos, qui Regimini seculari praesunt, exerceri posset“; B ö h m e r / E c k , De clerico debitore, cap. 1 § 6, S. 15-18; B ö h m e r , Exercitationes, tom. 3 exercit. 45 § 6, S. 72; ebd. § 14, S. 96: „Consistoria dependent ab arbitrio constituentium“; S t r y k / Ke l l i n g h u s e n , De origine iurisdictionis, cap. 2 § 1, 5, 6, S. 26, 30-33; T h o m a s i u s / B r e n n e y s e n , Das Recht eines Evangelischen Fürsten, V. Satz § XI, S. 54, dort S. 55 der radikale Satz, „daß das Consistorium in der That kein geistlich/ sondern ein Weltlich Gericht sey“. 2057 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 67v-68r, mit Verweis auf: L i n c k / S c h e u r l , De judiciis, cap. 2 § 11-13, S. 11-13: „Causae porro matrimoniales in hoc foro, tanquam competenti, tractantur, quamvis eo in casu Forum insuper Matrimoniale, Das Stadt- und Ehe-Gericht/ in specie vocari soleat“; ebd. § 12 Hinweis, daß keine Geistlichen beteiligt sind, und § 13, S. 13: „Addimus, quod huic Judicio versatissimi in utroque, Canonico scilicet & Civili, Jure Consulti assideant“; B e y e r , Delineatio Juris Civilis, pandectarum lib. II tit. 1: De jurisdictione n. 52, S. 87: „Alibi Senatus promiscuè res utriusqve fori tractat, ut Hamburgi hactenus vidimus“; U f f e n b a c h , Reichs-Hoff-Rath, cap. V sect. 2, S. 15: grundsätzliche Appellationserlaubnis an den Reichshofrat in evangelischen geistlichen Angelegenheiten; Konsistorien gibt es „meistentheils“, aber: „Wiewohl in verschiedenen Orthen im Reich/ als allhier in Franckfurt/ die personae Ecclesiasticae gar kein Consistorium (...) haben (...) und also tàm in primâ quam secundâ instantia weltlicher Jurisdiction unterworffen seyn“; L y n c k e r , De gravamine extrajudiciali, cap. 3 p. 2 sect. 2 § 8 n. 25, S. 252-253: „Utut Laici soli personam Episcopi, ex delegatione, repraesentare queant: quippe quòd Consistoria ex potestate constituentis, ejusve jurisdictione,
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zierte der Advokat die von den Tübingern vorausgesetzte Gleichartigkeit von Offizialaten und Konsistorien. Er betonte, „daß an einem Jeden orth dahin müße gesehen werden, was alle vor Sachen zu des Consistorii Jurisdiction gehören“2058. Soweit die Reichsstadt Hamburg angesprochen war, bleiben die dortigen Besonderheiten der geistlichen Gerichtsbarkeit einem späteren Kapitel vorbehalten. Jedenfalls gab es dort tatsächlich kein Konsistorium. Den von der Tübinger Juristenfakultät vertretenen Grundsatz, wonach sich alle Laien nach Maßgabe des kanonischen Rechts in geistlichen Gerichtshändeln vor dem Konsistorium zu verantworten hatten, lehnte der Schriftsatzverfasser des lippischen Hofrichters ebenfalls ab. Nur für geistliche Angelegenheiten im engeren Sinne könne das gelten. Denn selbst in katholischen Territorien sei das angebliche Prinzip nicht einschränkungslos anerkannt. Hierfür verwies die Exzeptionsschrift wieder auf Johann Ulrich von Cramer. Eine „berühmte Steinbergische zum kaiserlichen Reichshoffrath in appellatorio gediehene Sach“ sollte als schlagendes Präjudiz dienen, und der Kameralassessor Cramer stand mit seinen „Wetzlarischen Nebenstunden“ als Gewährsmann bei Fuß.2059 In der Tat stammte das Zitat wörtlich von Cramer. Der Reichshofrat hatte in der sog. Steinbergischen Sache eine Appellation in einem petitorischen Lehensprozeß angenommen, obwohl das Gut Imshausen einem Bistum gehörte und in ewige Erbleihe („in Emphyteusin perpetuam“) übergehen sollte. Der Herausgabeanspruch fiel in die Zuständigkeit der weltlichen Justiz2060. Cramer zog aus diesem Fall in Zusammenschau mit kammergerichtlichen Beispielen weite Folgerungen. Auch geistliche Sachen gehörten danach nämlich vor die weltlichen Gerichte, wenn sie „nil spiritualitatis in se continent“2061. Das kam dem lippischen Hofrichter zupaß. metiamur [Belege] ubi etiam in Cancellariis alicubi Ecclesiastica expediri, & dein subscribi tradit: Fürstl. zu denen ConsistorialSachen verordnete“ ; S c h r ad e r , De causis fori ecclesiastici, cap. 1 tit. 1 § 1 Anm. (F), S. 5, mit Hinweisen auf Hamburg, Celle, Nürnberg, Hessen und die Pfalz; B ö h m e r , Exercitationes, tom. 3 exercit. 45 § 15, S. 97: „Et haec ipsa quoque praxis non destituit. Noribergae enim et Hamburgi Consistoria peculiaria deficiunt, ibique clerici debitores coram senatu aut eius deputatis conueniuntur. Idem de ciuitate Francofurtensi testatur Uffenbach. Alicubi in Cancellariis consistorialia expediri solent. De Hassiae Landgrauiatu observandum, ibi causas clericorum ciuiles, siue ex debito oriundas, in ordinario et ciuili iudicio ventilari, quod in Regia Berolinensi non minus moris est“. 2058 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 68v; mit Verweis auf D. 1, 21, 1; T e x t o r / S c h a r f , De Jure episcopali, thes. 86; S c h r ad e r , De causis fori ecclesiastici, cap. 1 § 2 lit. b in notis, S. 2-3. 2059 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 69r. 2060 C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 21, S. 118-119; zur Rechtsnatur der Emphyteuse in der Neuzeit B r a u n e d e r , Erbleihe, Sp. 1368-1370; O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 243; O e s t m a n n , Mietvertrag, Rn. 24, 73; umfassend D a n n h o r n , Römische Emphyteuse. 2061 C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 21, S. 117.
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Den Umfang der Konsistoriumszuständigkeit bestimmte Advokat Dr. Culmann der Sache nach im Wege der strikten Interpretation, jener seit dem Mittelalter bekannten Lehre von der Auslegung des Partikularrechts2062. Nur dasjenige, was „expressis verbis“ in der Konsistorialordnung als Zuständigkeit benannt sei, unterliege danach der Gerichtsgewalt des Konsistoriums2063. Die verschiedenen Aufgaben des lippischen Konsistoriums und des Hofgerichts umschrieb die Exzeptionsschrift zunächst negativ: Nicht alle Sachen, die vor das Hofgericht gehörten, könne man am Konsistorium anbringen, ebenso umgekehrt. Wenn der lippische Graf einheitlich „von dem Hoffgericht, und dem Consistorio Judex et director genannt worden“, bedeute das noch lange keine Gleichmacherei. Es gab keine Einebnung, denn „der unterscheidt von dießen beyden Gerichten“ war nicht „aufgehoben“. Zu den wesentlichen zwei Unterschieden zählte aus appellantischer Sicht zunächst die Gerichtsbesetzung. Im Konsistorium saßen nämlich „besage der angezogenen ConsistorialOrdnung (...) ein, oder 2. Commissarien“, Abgeordnete der gräflichen Kanzlei2064. Noch wichtiger war für den Appellanten aber wohl der zweite Hinweis. Von einem Konsistorialurteil konnte die unterlegene Partei nicht an die höchsten Reichsgerichte appellieren, vom Hofgericht aus dagegen schon. „Mithin würde ein Nobilis durch die ungebührliche extension derer Causarum ecclesiasticarum leichtlich um die 2te Instanz gebracht werden können, woran aber einem Lippischen Land-Standt, damit er nicht gedrückt werden können, viel gelegen ist“2065. An zentraler Stelle verknüpfte der Schriftsatzverfasser damit die Zuständigkeit der partikularen geistlichen Gerichte mit der Gerichtsverfassung des Heiligen Römischen Reiches. Das war entscheidend. Für die Zuständigkeitsabgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte war ganz augenscheinlich der jeweils einschlägige Instanzenzug von besonderer Wichtigkeit. Die geistlichen Fürstentümer liefern dafür reiches Anschauungsmaterial, wie die Beispiele Münster, Osnabrück und Hildesheim zeigen. Dort ging es um die Möglichkeit, in weltlichen Sachen überhaupt an die Reichsgerichte appellieren zu können. Diese Aussicht unterstrich gleichsam die Reichsunmittelbarkeit des Fürstbischofs. Zugleich diente sie als Argument zur Zurückdrängung zweitinstanzlicher Offizialatstätigkeit in Zivilsachen und noch mehr zur Abwehr der Nuntiaturgerichtsbarkeit. Aus Dazu C o i n g , Zur romanistischen Auslegung, S. 264-277; L u i g , Conring, S. 365/329*; T r u s e n , Römisches und partikuläres Recht, S. 100, 111; W i e g a n d , Rechtsquellen, S. 240; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 7-8; S c h ä f e r , Juristische Germanistik, S. 54, 231. 2063 Praktisch dasselbe Argument, verbunden mit Präsumtions- und Beweisanforderungen: LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 74r. 2064 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 73v; zur Besetzung des lippischen Konsistoriums B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 253-255; D a h l w e i d , Verwaltung, S. 313. 2065 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 73v. 2062
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der Sicht der Landesherren boten in protestantischen Territorien Konsistorien erhebliche Vorteile, wenn auch spiegelbildlich. Es gab nämlich anders als in katholischen Gebieten keine übergeordnete geistliche Appellationsinstanz. Daher besaß der Landesherr völlige Justizhoheit in geistlichen Sachen, losgelöst selbst von den obersten Gerichten des Alten Reiches. Das oben behandelte Beispiel aus Sachsen-Lauenburg zeigt das ganz deutlich2066, und auch aus Lippe sind genau dazu mehrere Fälle überliefert2067. Der Hofrichter Ludwig von Hammerstein stand nun als adliger Landsasse geradewegs vor diesem Problem. Wenn die Konsistorialgerichtsbarkeit umfassende sachliche und persönliche Zuständigkeiten besaß, waren seine Appellationsmöglichkeiten an die Reichsgerichte erheblich eingeschränkt. Den Instanzenzug offenzuhalten, gerade daran war ihm gelegen, ausdrücklich deshalb, damit er nicht „gedrückt“ würde. Dieses Gedrücktwerden ist ein seltsames Wort. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sollten es die Wetzlarer Assessoren in der Bedeutung von Bedrückung oder Unterdrückung verstehen. Im Umkehrschluß bestätigt der Schriftsatz zur Appellationsbegründung damit die rechtsschützende Funktion, die allein die Eröffnung eines Appellationsweges für Territoriumsangehörige bot. Wenn nämlich die Möglichkeit bestand, territorialgerichtliche Urteile von den Reichsgerichten überprüfen zu lassen, war die Gefahr von Rechtsverletzungen von vornherein erheblich geringer, als wenn der partikulare Gerichtsherr überhaupt keiner Justizaufsicht unterstand2068. Gerade für Landsassen war das entscheidend. In Konflikten mit dem Landesherrn hatte nie der Fürst das letzte Wort. Aber in Kirchensachen sah es ganz anders aus. Genau dieses Problem war aus der Sicht des Schriftsatzverfassers mit den Konsistorien verbunden. Sie waren von den Reichsgerichten losgelöst. Gegen ihre Entscheidungen gab es keine Rechtsmittel, und deswegen war der Schutz hergebrachter, wohlerworbener Rechte für Untertanen und Landsassen im Konsistorialprozeß erheblich schwieriger als in der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Wohl kaum zufällig führten die entgegengesetzten Interessen zu Bestrebungen der Landesherren, die Zuständigkeitsgrenzen zu verschieben. Es kitzelte ihnen in den Fingern, jedenfalls gegenüber der Reichsgerichtsbarkeit ihren Konsistorien weitreichende Zuständigkeiten einzuräumen. Untertanen dagegen waren im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes um die Ausweitung von Appellationsmöglichkeiten bestrebt LA Schleswig Abt. 390 Nr. 97, dazu oben bei Anm. 1872-1957. Dazu unten bei Anm. 2114-2117, 2326-2390. 2068 Zum Rechtsschutz durch Appellationsmöglichkeiten W e i t z e l , Rechtsmittel, S. 10; d e r s . , Kampf um die Appellation, S. 341-357; norddeutsche Beispiele bei D i e s t e l k a m p , Oberhof Lübeck, S. 161-182; E b e l i n g , Appellieren, S. 89-129. 2066 2067
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und zogen den Konsistorialgerichten daher enge Schranken. Hier sieht man eine bisher unbekannte Fernwirkung der Reichsgerichtsbarkeit. Allein die Existenz eines aus den Territoriumsgrenzen hinausführenden Instanzenzuges konnte schon zu Zuständigkeitsverschiebungen zwischen geistlichen und weltlichen Gerichten führen. Die Stoßrichtung war dabei in geistlichen katholischen Territorien genau anders als in protestantischen Herrschaften. Der lippische Rechtsstreit ist eine wertvolle Quelle für dieses kaum thematisierte Problem. Der Schriftsatzverfasser der Appellationsbegründung verknüpfte seine Gedanken sofort mit der gemeinrechtlichen Rechtsanwendungslehre. Sie war jedem Rechtsgelehrten aus der Diskussion um das Anwendungsverhältnis von römischem Recht und Partikularrecht bekannt und besaß auch im 18. Jahrhundert immer noch praktische Bedeutung2069. Bezogen auf die Gerichtszuständigkeit mutierte sie zu einer „Praesumtio allerdings vor einen Jeden Lippischen Unterthanen“. Im Einklang mit dieser Vermutung sollte sich niemand vorschnell der Gerichtsbarkeit des Konsistoriums beugen. Zunächst lag es am Konsistorium zu beweisen, ob es über den Wortlaut der Konsistorialordnung hinaus wirklich eine umfassendere „Jurisdiction hergebracht habe“2070. In der rechtshistorischen Literatur gibt es unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, inwieweit das Beweiserfordernis der Rechtsquellenlehre das gemeine römisch-kanonische Recht begünstigt und das beweisbedürftige Partikularrecht benachteiligt habe. Im ordentlichen Zivilprozeß ist eine eindeutige Antwort kaum möglich2071. Im Streit des lippischen Hofrichters Ludwig von Hammerstein gegen das lippische Konsistorium dagegen fällt die Antwort leicht. Es ging dem Appellanten gerade darum, die Zuständigkeit der Konsistorien zu beschränken, und genau hierfür zog sein Schriftsatzverfasser die gelehrte Rechtsanwendungsdoktrin heran. Das führt zu einem weiteren erstaunlichen Ergebnis. Im Verhältnis von Hofgericht, Kanzlei und Konsistorium galt in der Rechtsauffassung des Hofrichters die weltliche Gerichtsgewalt von Hofgericht und Kanzlei als ordentliche Ziviljurisdiktion, die kirchliche Konsistorialgerichtsbarkeit dagegen als Ausnahme. Sie stand auf derselben Stufe wie das Partikularrecht in der überkommenen Statutentheorie, ja die Konsistorialgerichtsordnung mußte sich sogar die strikte Interpre-
Beispiel bei O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 539-543. LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 74r. 2071 O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 431-667; S c h ä f e r , Juristische Germanistik, S. 236-266; A m e n d - T r a u t , Wechselverbindlichkeiten, S. 422-429; dagegen geht W i e g a n d , Studien, S. 162-180, noch von der starken Bevorzugung des römisch-gemeinen Rechts aus. 2069 2070
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tation gefallen lassen2072. Überraschend ist das vor allem, weil das Kirchenrecht üblicherweise neben dem römischem Recht als zweites gemeines Recht galt und dementsprechend nach überwiegender Lehrmeinung von der fundata intentio des ius commune mit umfaßt war2073. In der Sicht des lippischen Advokaten Dr. Culmann konnte von der Gleichrangigkeit dagegen keine Rede sein. Bereits die Eröffnung des geistlichen Rechtswegs war durch Beweiserfordernisse erschwert. Die Nachordnung des Konsistoriums unter das landesherrliche Hofgericht war dabei keine lippische Besonderheit. Die Beispiele aus Mecklenburg und Lübeck zeigen einen ähnlichen Befund2074. Die Verbindung mit einer fundata intentio zugunsten der weltlichen Justiz war dagegen ein durchaus ungewöhnliches Argument. Wenn man möchte, kann man hier einen juristischen Ansatzpunkt für die Säkularisierung sehen2075: Es gab eine Rechtsvermutung zugunsten weltlicher Zuständigkeiten. Im Zweifel waren Rechtsprobleme weltliche Angelegenheiten, solange nicht die geistliche Zuständigkeit bewiesen war. Die auf den ersten Blick geradezu kuriosen Konsequenzen dieser Auffassung nahm der appellantische Schriftsatzverfasser ausdrücklich in Kauf. Rhetorisch-süffisant griff er den Einwurf der Tübinger Juristenfakultät auf, die gemeint hatte, es sei doch in ganz Deutschland kein Ort anzutreffen, an dem es ein Konsistorium gebe und geistliche Angelegenheiten erstinstanzlich trotzdem vor weltliche Gerichte gelangten. Genau „eben dießes“ war es aber, was der Appellant für die Grafschaft Lippe behauptete. Und damit kehrte er zu seiner Eingangsbehauptung zurück. Protestantische Reichsstände seien überhaupt nicht verpflichtet, Konsistorien einzurichten. Ja selbst wenn es Konsistorien gebe, brauche man ihnen nicht „die Jurisdiction in allen so genannten Causis ecclesiasticis zu übertragen“. Ein kleiner Seitenblick nach Berlin und Kassel sollte das untermauern. „Besonders bei denen Reformirten“ werde „die Jurisdictio ecclesiastica sogar gegen Geistliche vor weltlichen Gerichten exerciret“2076. War es zuvor der enge Zusammenhang zwischen der Gerichtsverfassung des Alten Reiches und der Scheidelinie von weltlicher und geistlicher Justiz, der die Argumentation des Appellanten prägte, ging der Anwalt nun zum Schluß seiner Appellationsbegründung ausdrücklich auf die konfessionellen Besonderheiten ein. Die starke sachliche und persönliche Beschränkung der Konsistorialgerichtsbarkeit war für den lippischen Hofrichter eine Besonderheit der reLA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 72r. W o l t e r , ius canonicum, S. 141-171. 2074 Dazu oben bei Anm. 1464-1466, 1518-1519, 1745-1813. 2075 Auch H ä r t e r , Policey und Strafjustiz, S. 325, spricht am Beispiel kurmainzischer Zuständigkeitsreibereien von Säkularisierung. 2076 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 77r. 2072 2073
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formierten Territorien. Damit standen die evangelisch-lutherischen Konsistorien stillschweigend stärker in der sachlichen Kontinuität zur katholischen Offizialatsgerichtsbarkeit als die evangelisch-reformierten Kirchengerichte. Die Reformierten hatten nach dieser Auffassung durch ihre zweite Reformation noch stärker mit der katholisch-altgläubigen Tradition gebrochen und auch dieses Tau zu vorreformatorischen Zuständen gekappt. Auf die Differenzierung zwischen lutherischen und reformierten Konsistorien wird die evangelische Kirchenrechtsgeschichte in Zukunft verstärkt zu achten haben2077. Bisher spielte sie in der Forschung keine Rolle. cc) Die Haltung der lippischen Kanzlei zur Unabhängigkeit des Konsistoriums vom Landesherrn Die lippische Landesregierung benötigte über zwei Jahre, um auf die Appellationsgravamina des Hofrichters zu antworten. Mehrmals gewährte das Reichskammergericht dem Prokurator Cäsar Scheurer2078 Fristverlängerungen2079, bis er endlich am 1. Juni 1767 die Exzeptionsschrift in der Wetzlarer Audienz übergeben konnte. Obwohl in erster Linie das Konsistorium als appellatische Partei verklagt war, stammte der 250-seitige Schriftsatz aus der Detmolder Kanzlei. Das war dieselbe Behörde, die auch 1738 im zuvor geschilderten Streit um die Avokation von Konsistorialsachen durch die Gräfinwitwe Johannette Wilhelmine zur Lippe die Regierungsinteressen vertreten hatte2080. Allein die Entstehung des Schriftsatzes zeigt, wie eng sich Konsistorium und Kanzlei verbunden wußten und gemeinsame Interessen vertraten. Deswegen ist es besonders aufschlußreich zu sehen, wie sich die Rechtsauffassung der Regierung in den drei Jahrzehnten zwischen 1738 und 1767 gewandelt hatte. War es 1738 die unumschränkte persönliche Gerichtsgewalt des Monarchen, die sich jederzeit gegenüber dem nachgeordneten Konsistorium durchsetzen konnte, vertrat die Kanzlei nunnmehr die Lehre von der weitgehenden Eigenständigkeit des Konsistoriums und seiner Unabhängigkeit von der weltlichen Gewalt des Landesherrn. Der Gedankengang im einzelnen verdient genauere Betrachtung. Die Regierung eröffnete ihre Exzeptionsschrift mit einer Breitseite gegen den Hofrichter Hammerstein. Dieser wolle „auf Kosten der Wahrheit, unverErste Überlegungen bei S c h l ü t e r , Calvinismus, S. 135-136. Nachgewiesen bei B a u m a n n , Advokaten, S. 191; K l as s , Standes- oder Leistungselite, S. 325-326. 2079 LA Detmold L 82 Nr. 276, Protokollbuch, Zwischenurteile vom 11. September 1765 (fol. 11r), 18. Juli 1766 (fol. 13r), 28. Februar 1767 (fol. 14v). 2080 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 1r-8r. 2077 2078
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schämter Weise“ das Appellationsrecht mißbrauchen, um dadurch „dem gräflichlippischen Consistorio, in einer offenbaren geistlichen oder Kirchensache, die Hände zu binden“2081. Da die Appellation in den „bekanntlich privilegierte[n] causae ecclesiasticae protestantium, unter keinerley Vorwand“ möglich war, erhob die lippische Kanzlei die Exceptio non devolutionis2082. Sie hielt die Appellation also für unzulässig und führte dies umfassend aus. Abermals handelte es sich um einen Grundsatzstreit. Doch das versuchte der Schriftsatzverfasser zunächst hinter zwei scheinbar speziellen Fragen zu verstecken. Zum einen untersuchte er nämlich, ob der Streit zwischen Ludwig von Hammerstein und Pastor Jenin zu Heiligenkirchen weltlicher oder geistlicher Natur war. Zweitens überlegte er, ob der Appellant sich auf eine persönliche Gerichtsstandsbefreiung stützen konnte. Innerhalb dieser Obersätze ging es dann aber weniger um Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, sondern um das Eingemachte, nämlich um Grundfragen der Gerichtsorganisation. Bereits die Einordnung als geistliche Streitigkeit war für die Kanzlei gleichbedeutend mit der Untersuchung, ob der Streitgegenstand eine „solche Sache sey, die ex principiis juris Canonici, und in denen Landen der Katholischen Reichsständen bey einem geistlichen Gerichte, nothwendig verhandelt werden muß“2083. Während der Appellant die Anwendbarkeit des kanonischen Rechts von einer vorherigen Prüfung abhängig machen wollte, übernahm die Kanzlei ohne weiteres die katholische Zuständigkeitsabgrenzung. Was in katholischen Territorien notwendig vor die geistlichen Gerichte gelangte, war auch in der reformierten Grafschaft Lippe eine geistliche Streitigkeit. So einfach war das. In einer weitausgreifenden Sacherzählung legte die Exzeptionsschrift den geistlichen Charakter der milden Stiftung und der Erbschaft dar, um die Hammerstein und Jenin im Ausgangsfall gestritten hatten. Das Ergebnis war vorgezeichnet und eindeutig. Es ging um eine „offenbare Kirchensache (...) darinnen also des Consistorii Gerichtsbarkeit, ausser allem Zweifel gegründet, cum causa bona ecclesiastica, qua talia concernens, sit ecclesiastica“2084. Damit stand das Gerippe der appellatischen Exzeptionen. Das Fleisch folgte. Ob es sich um eine geistliche Angelegenheit handelte, sollte sich durch einen Vergleich mit der Zuständigkeit der katholischen Offizialate bestimmen. Und wenn eine geistliche Sache vorlag, dann war das Konsistorium dafür zuständig. Das Konsistorium besaß also dieselbe Funktion und Zuständigkeit wie ein Offizialatsgericht. Ausdrücklich zu sagen brauchte die lippische Kanzlei das nicht, zu eindeutig waren die übrigen Ausführungen. LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 3v (dieser Schriftsatz ist nur zeitgenössisch foliiert). 2082 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 1r, 11v. 2083 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 17v. 2084 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 26r. 2081
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Verweise auf Georg Ludwig Böhmer, Justus Henning Böhmer und David Mevius untermauerten diesen Standpunkt2085. Maßgeblich waren die Prinzipien des kanonischen Rechts, und diese versperrten den Weg an die Reichsgerichtsbarkeit schlechthin, nicht nur durch das Rechtsmittel der Appellation, sondern auch „sonsten“2086. Die gräfliche Kanzlei verfeinerte nun ihre Exzeptionsbegründung und stellte vier kurze Leitsätze zusammen, nämlich „a) daß in denen Landen derer protestantischen Reichsständen die Consistoria an die Stelle der ehemaligen bischöflichen Officialat-Gerichten getretten sind (...) b) daß man sich bey deren Anlegung nach denen Grundsätzen des Canonischen Rechts gerichtet. (...) c) denenselben die Gerichtsbarkeit in allen denen Sachen übertragen, worinnen vor der reformation die vorhin besagte geistliche Officialat-gerichte zu erkennen gehabt haben (...) d) denen protestantischen Ständen des Reichs an der Erhaltung ihrer, in geistlichen Sachen unabhängiger Gerichtsbarkeit, jederzeit sehr viel gelegen gewesen ist, und bleibet, welche aber nicht besser gegen alle Eingriffe sicher gestellet werden konnte, als eben durch die Errichtung derer Consistorien“2087. Ganz anders als der Hofrichter Ludwig von Hammerstein, der in seinen Gravamina die Besonderheiten der reformierten Territorien hervorgekehrt hatte, stellte sich die lippische Regierung ausdrücklich in die vorreformatorische Tradition. Konsistorien und Offizialate waren danach identisch, die volle Geltung des kanonischen Rechts fraglos vorausgesetzt. Wichtig war der Hinweis auf die Unabhängigkeit der protestantischen Territorien in ihrer geistlichen Gerichtsbarkeit. Da im Gegensatz zu katholischen Territorien der Instanzenzug an die Rota Romana nicht in Frage kam, konnte sich diese Äußerung nur auf die Unabhängigkeit von der Reichsjustiz beziehen. Daran war den Landesherren nach eigenem Bekunden „viel gelegen“. Hatte der Hofrichter von Hammerstein die Grenzziehung zwischen kirchlicher und weltlicher Justiz von den Appellationsmöglichkeiten an die Der Schriftsatz verweist auf: B ö h m e r , Principia iuris canonici, lib. IV. tit. 2 § 749, S. 469: „Competens est I. ratione causarum ecclesiasticarum (...) quarum numero sunt causae, actus sacros, matrimonium & sponsalia, beneficia, ius patronatus, (...) loca sacra & religiosa, decimas ecclesiasticas, bona ecclesiasta, quam talia, concernentes: si enim vt secularia possidentur in foro seculari vindicanda sunt: II. intuitu clericorum & personarum ecclesiasticarum & scholasticarum in causis personalibus quibuscunque etiam secularibus non exemtis (...) In foro ecclesiastico ergo iudicium tam ecclesiasticum quam seculare institui potest“; B ö h m e r / H o p f f e n s t o c k , De privilegiis legatorum, cap. 1 § 22, S. 27: „Magistratus ecclesiasticus pro conseruando hoc legato ex officio sollicitus esse debet ut & secularis“; M e v i u s , Decisiones, p. 4 dec. 137 num. 1-3, dort n. 2, S. 910: „Consistoria successerunt in locum iudicii episcopalis, quod in papatu fuit, ideo, quae huius fuerunt, consistoriis censetur relicta, quatenus non sunt excepta“. 2086 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 27v-28r; mit Verweis auf B r an d t , Thematum selectiorum II, cap. 1 § 45, S. 47: „Quodsi enim de caussis ecclesiasticis eo sensu quaeritur, quo a iurisdictione magistratuum superiorum ciuilium in imperio sunt exemtae, eadem principia apud Augustan. confess. consortes obtinent, quae ex pontificum placitis vigent apud catholicos“. 2087 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 33r-35v. 2085
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obersten Reichsgerichte abhängig gemacht, so benutzte die lippische Kanzlei dasselbe Argument, freilich unter genau entgegengesetztem Vorzeichen. Für den Hofrichter ging es darum, durch Beschränkung der Konsistorialgerichtsbarkeit Freiräume für Appellationen zu schaffen. So konnten die adligen Landsassen die Gefahr von Rechtsverletzungen durch landesherrliche Eingriffe wenn schon nicht bannen, dann wenigstens vermindern. Für die Regierung kam es dagegen darauf an, ihre Unabhängigkeit von der Reichsjustiz zu sichern. Das ging nur durch starke Konsistorien, denn deren Rechtsprechung unterlag keiner auswärtigen oder übergeordneten Gewalt. Es gab niemanden, der ein Konsistorialurteil überprüfen, geschweige denn aufheben konnte. Der ständige Hinweis auf die Offizialate stellte zwar die geistlichen Gerichte gleich, verdeckte aber zugleich die unterschiedlichen Folgen, die sich für evangelische und katholische Landesherren daraus ergaben. Ein katholischer weltlicher Landesherr besaß überhaupt keine iurisdictio in geistlichen Angelegenheiten, ein katholischer geistlicher Landesherr sah sich dagegen in geistlichen Sachen seinem Metropoliten, sodann dem Nuntius und letztlich der Rota Romana unterworfen. Der protestantische Landesherr seinerseits konnte in Kirchensachen wirklich frei walten, viel unabhängiger, als dies bei einem katholischen Regenten je sein konnte. Aus zweihundertjähriger Rückschau mochten die Gründe, die zur Errichtung der Konsistorien in der Reformationszeit geführt hatten, keine Rolle mehr spielen oder unwichtig geworden sein2088. Tatsächlich, so jedenfalls neuere kirchengeschichtliche Untersuchungen, hatte Graf Simon VI. nach mäßigen Anläufen im 16. Jahrhundert das Konsistorium mit der Konsistorialordnung 1600 als ständige Einrichtung geschaffen, um vor allem die Visitation der Kirchengemeinden zu verbessern2089. Es ging also ursprünglich nicht um Appellationsprobleme. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war das der lippischen Kanzlei nicht mehr bekannt oder gleichgültig. Der Regierung eines deutschen Kleinstaats erschien die Gründung von Konsistorien vielmehr als wesentlicher Schritt, die Gerichtshoheit des Landesherrn von Kaiser und Reich zu lösen, jedenfalls in sämtlichen kirchlichen Angelegenheiten. Aus prozeßtaktischen Gründen war es ein äußerst geschickter Schachzug, gegenüber dem Wetzlarer Reichskammergericht die Zuständigkeit des Konsistorialgerichts möglichst umfassend und weit darzustellen. Je größer der Bereich der kirchlichen Jurisdiktion gegenüber den weltlichen Gerichten 2088 2089
Zum 16. Jahrhundert F r a s s e k , Eherecht, S. 75-76, 168-172. H a a s e , Allerhand Erneuerung, S. 70; etwas anders S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 137, 176: Gründung, um die seit der Reformationszeit schwebenden Rechtsverhältnisse zu klären und um die institutionelle Schwäche des lippischen Kirchenwesens zu beseitigen. Das Konsistorium scheint erstmals 1556 errichtet worden zu sein: H e i d e m an n , Gerichtswesen, S. 132; aus der älteren Literatur B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 253.
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bemessen war, umso unabhängiger war der Landesherr. Hier ist tatsächlich der Begriff Souveränität angebracht, der für die weltliche Landesherrschaft wegen der Einbindung in die Reichsverfassung unpassend ist2090. Die lippische Regierung stand mit ihrer Rechtsauffassung nicht allein. Der Schriftsatzverfasser konnte sich auf eine Reihe rechtsgelehrter Autoritäten berufen. Sie sollten die Sichtweise der Detmolder Kanzlei stützen. Justus Henning Böhmer, Georg Ludwig Böhmer, David Mevius und Christian Thomasius sicherten die Regierungsmeinung juristisch ab2091. Drei Jahrzehnte zuvor hatte die Kanzlei sich noch schwerpunktmäßig an Thomasius angelehnt. Damals hieß es, für protestantische Fürsten in ihrer Machtfülle sei es gar nicht notwendig, überhaupt Konsistorien zu gründen2092. Jetzt traten Justus Henning Böhmer und mehrfach David Mevius hinzu und rechtfertigten die starke Stellung von Konsistorien mit umfassender geistlicher Jurisdiktion. Das war ein bemerkenswerter Meinungsumschwung. Thomasius hatte 1696 das Konsistorium noch schlichtweg „ein weltlich Gericht“ genannt und dem „Päbstischen Rechte“ keine Bedeutung eingeräumt2093. Die Literatur spricht bei solchen Argumenten wie denen der lippischen Regierung vom Episkopalismus. Die protestantischen Fürsten untermauerten ihre Gerichtsgewalt in geistlichen Sachen gerade mit dem Anspruch, sie hätten die Rechtsnachfolge der katholischen Bischöfe angetreten2094. Trotz der unterschiedlichen Argumentation zeigen die Schriftsätze von 1738 und 1767 freilich eine überwölbende Gemeinsamkeit. Im Ergebnis ging es in beiden Fällen um die rechtliche Begründung einer möglichst autonomen Machtfülle des Landesherrn. Im ersten Fall erreichte die Regierung ihr Ziel, indem sie die jederzeitige Gerichtsgewalt des Grafen über sein Überblick zur zeitgenössischen deutschen Diskussion bei Q u ar i t s c h , Souveränität, Sp. 1717-1718; S t o l l e i s , Geschichte I, S. 174-186. 2091 Zitiert werden: B ö h m e r , Jus ecclesiasticum, lib. 1 tit. 28 § 11: „Consistoria nostra successerunt in locum officialium“, S. 604, § 14: „Et sic principia iuris canonici in constituendis consistoriis secuti sunt“, S. 608, § 48: „Deficiente determinatione res decidenda est ex principiis iuris canonici“, S. 643-644; M e v i u s , Decisiones, p. 4 dec. 137 n. 2; B ö h m e r , Principia juris canonici, lib. 2 sect. 2 § 210, S. 125: „Et inualuit fere principium, vi analogiae ipsa obseruantia comprobatum, ea esse consistoriorum prouincialium, quae olim fuerant officialibus & vicariis generalibus demandata, (...) nisi vbi ex religione & ex statu ecclesiae diuersa ratio apparet“ (mit Verweis auf Mevius); Thomasius verfaßte mehrere Dissertationen mit sehr ähnlichem Titel. Zitiert wird wohl T h o m a s i u s , De jure principis evangelici, § 15-16 S. 21-23. 2092 LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol 5v. 2093 T h o m a s i u s / B r e n n e y s e n , Das Recht Evangelischer Fürsten, V. Satz § 11, S. 55 unten. 2094 D i e t e r i c h , Eherecht, S. 260-263; H e c k e l , Staat und Kirche, 1. Teil, S. 211; Hinweis auf Entstehung der Theorie in Pommern bei M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 37; im 19. Jahrhundert noch episkopalistisch: S t r i p p e l m a n n , Ehescheidungsrecht, S. 209-210; zur Skepsis im Umkreis von Böhmer S c h u l z e , Böhmer, S. 81-91. 2090
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Konsistorium zementierte und Avokationen rechtfertigte. Im zweiten Fall war es die Loslösung des Konsistoriums von der Reichsjustiz, die den Landesherrn in seiner eigenständigen und nicht abgeleiteten iurisdictio unterstützte. So konnte die gegen den Landsassen gerichtete Exzeptionsschrift ausdrücklich betonen, vor das Konsistorium gehörten genau diejenigen Sachen, „welche das jus canonicum denen causis ecclesiasticis beyzählet, und worinnen ehemals und bey denen Catholischen, auch noch heut zu Tage, der Officialat- oder geistlichen Gerichten Jurisdiction, begründet ist“2095. Damit gab es nicht nur die Kontinuität zu den vorreformatorischen Offizialaten, sondern ausdrücklich die Gleichstellung mit den katholischen Zuständen des 18. Jahrhunderts. Die damit verbundene Stärkung der protestantischen Landesherren gegenüber den Reichsinstitutionen lag auf der Hand und bedurfte nicht einmal ausdrücklicher Betonung. Den genialen Schachzug führe man sich gern nochmals vor Augen: Eine reformierte Regierung umschrieb ihre geistlichen Angelegenheiten durch einen Verweis auf den Katholizismus. Vordergründig sah das nach Gleichstellung und Kontinuität aus. In Wirklichkeit war die Gerichtsgewalt evangelischer Fürsten viel umfassender. In geistlichen Sachen waren sie frei. Die Anwendung exakt derselben Rechtsnormen führte in katholischen und protestantischen Territorien zu ganz verschiedenen Ergebnissen. Die Diskussion um den Zölibat evangelischer Pastoren in Hamburg wird auf diesen Gesichtspunkt zurückkommen2096. Die Regierungskanzlei wandte sich nun der vom Hofrichter aufgeworfenen Frage zu, ob es in protestantischen Territorien notwendigerweise Konsistorien geben müsse und ob deren Gerichtsgewalt wenigstens beschränkt oder beschränkbar war. Eine Notwendigkeit im Sinne einer rechtlichen Pflicht zur Errichtung von Konsistorien verneinte der lippische Schriftsatzverfasser2097. Insoweit stand die Argumentation in diesem Punkt in der Kontinuität der Stellungnahme von 1738, wenn auch mit weit weniger Nachdruck. Denn nicht rechtlich, sondern rechtspolitisch, so die Exzeptionsschrift, sei es „vor die protestantischen Landes-herren räthlich gewesen, Consistoria zu errichten und ihnen indistinctè alle Kirchensachen zu übertragen“2098. Und genau dies sei in den meisten protestantischen Territorien auch geschehen. Der „hochberühmte Boehmer“, vom lippischen Hofrichter als Gewährsmann herangezogen, hatte zwar jeden Rechtszwang zur Schaffung von Konsistorien verneint. Wegdiskutieren ließen sich diese Worte kaum, aber auf die Goldwaage legen wollte die Detmolder Kanzlei sie nicht. Böhmer hatte sich nach Einschätzung der lippischen Regierung nur gegen den Mißbrauch des kanonischen LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 37r. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 22; dazu unten 2453-2464. 2097 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 39v. 2098 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 40r-40v. 2095 2096
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Rechts durch diejenigen eingesetzt, die für die „unumgänglich nothwendige Errichtung derer Consistorien streiten“2099. Eine Rechtspflicht zur Gründung und Unterhaltung von Konsistorialgerichten bestand damit für protestantische Landesherren nicht. Die Existenz von Konsistorien in fast allen evangelischen Ländern war freilich eine Tatsache und für die lippische Regierung zugleich der Normalfall. Die vom Hofrichter Ludwig von Hammerstein angeführten Territorien ohne eigenständige Konsistorialgerichtsbarkeit erschienen vor diesem Hintergrund „als Ausnahmen von der Regul“, und für jeden Sonderfall konnten angeblich „zwanzig und mehrere Beyspiele, in contrarium angeführet werden“. Die Einzelheiten ersparte sich der Verfasser der Exzeptionsschrift mit dem schlichten Hinweis, es sei den Konsistorien „in denen mehresten protestantischen Provinzen (...) jurisdictio ecclesiastica universalis anvertrauet“2100. Nicht anders dürfe der unbefangene Leser auch die Hinweise von Justus Henning Böhmer verstehen2101. Die genauere Durchmusterung der Ausnahmen, also der Territorien ohne Konsistorialgerichtsbarkeit, führte erneut zu einer ganz engen Verknüpfung der partikularen Kirchengerichtsverfassung mit der Verfassung des Territoriums und dem Gerichtsverfassungsrecht des Alten Reiches. Die Gerichtsverfassung ist und war wirklich ein Teil der Verfassung, ein wesentlicher sogar. Die Beispiele stießen jeden Leser der Exzeptionsschrift mit der Nase darauf. Diejenigen Territorien nämlich, die keine Konsistorien besaßen, waren entweder Reichsstädte oder solche Fürstentümer, „die mit dem privilegio de non appellando illimitato versehen“ waren2102. Das war ersichtlich richtig, etwa im Hinblick auf die Reichsstädte Frankfurt am Main, Nürnberg und Hamburg2103. Und die Hinweise des appellantischen Advokaten Dr. Culmann auf Celle und das Berliner Kammergericht betrafen mit Kurhannover und Brandenburg-Preußen zwei Monarchien, die im 18. Jahrhundert das unbeschränkte Appellationsprivileg genossen. Im Gegensatz zu Lippe waren sie also ohnehin von der Reichsgerichtsbarkeit weitgehend abgekoppelt2104. Die lippische Regierung nahm dies zum Anlaß, die Verfassungssituation der Territorien noch schärfer unter die Lupe zu nehmen. LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 40r, 41r. LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 44r-44v. 2101 Verweis auf B ö h m e r , Jus ecclesiasticum, lib. 1 tit. 28 § 48, S. 643-644. 2102 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 46r. 2103 Zur Anerkennung Hamburgs als Reichsstadt R e p g e n , Hamburg, Sp. 688. 2104 Zum Appellationsprivileg für Hannover J e s s e n , Einfluß, S. 33-121; zu Brandenburg Ko t u l l a , Verfassungsgeschichte, S. 267-268; Abdruck der Privilegien bei E i s e n h a r d t , privilegia, S. 171-179 (Braunschweig-Lüneburg), S. 73-75 Nr. 6.1-6.14 (nur Nachweise für Brandenburg). 2099 2100
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Im Einklang mit Justus Henning Böhmer2105 sah die lippische Kanzlei bei den Reichsstädten „ihre politische Verfassung Schuld daran daß daselbst keine Consistoria errichtet worden, obgleich dieses, um ein gröseres zu verhüthen, ihrer Verfassung nach nothwendiges geringeres Übel, zu manchem Eingriff in ihre gleichfalls independente potestatem ecclesiasticam Anlaß giebet“2106. Mit der politischen Verfassung der Reichsstädte konnte zweierlei gemeint sein. Zum einen gab es dort keinen monarchischen Herrscher, sondern einen oligarchischen Rat, der die Regierungsgewalt ausübte. Zum anderen saß in oder neben mehreren Reichsstädten ein Bischof, der über das Domkapitel innerstädtischen Einfluß geltend machte und in kirchlichen Rechtssachen gern ein Wörtlein mitgeredet hätte. Der Verzicht auf ein Konsistorium sollte zwar ein Übel sein, im Vergleich zur Errichtung des Konsistoriums aber immer noch das geringere. Lübeck konnte damit nicht gemeint sein, denn dort gab es ja seit 1545 ein Konsistorium2107, nachdem schon die Kirchenordnung Bugenhagens ein Kirchengericht vorgesehen hatte. Der Verfasser spielte vielmehr auf Hamburg an, wenn er betonte, in den Reichsstädten ohne Konsistorien komme es mehrfach zu Eingriffen in die geistliche Gerichtsbarkeit. Eingriffe waren in dieser Sichtweise reichskammergerichtliche Prozesse in Kirchensachen2108. In der Tat mochte es schwierig sein, ein Appellationsverbot an die Reichsgerichte in kirchlichen Streitigkeiten durchzusetzen, wenn es keine institutionelle Trennung zwischen weltlicher und geistlicher Justiz gab2109. Die Gefahr, sich in eigentlich unzulässige reichsgerichtliche Prozesse zu verheddern, wog für die lippische Kanzlei dabei geringer als der städtische Machtverlust gegenüber einer eigenständigen kirchlichen Gerichtsbarkeit. Vielleicht hatte der Schriftsatzverfasser die immer noch schwelenden Konflikte mit den entmachteten Domkapiteln vor Augen. Viel näher an den lippischen Zuständen lag freilich die „Verfassung derer Reichsständischen Landen“, von den Reichsstädten „in diesem Stücke (...) himmelweit unterschieden“. Der wesentliche Unterschied zwischen Flächenterritorien und Städten lag für die lippische Kanzlei in anders zu Tage tretenden Interessenkonflikten zwischen geistlichen Amtsträgern und der weltlichen HerrVerweis im Schriftsatz auf B ö h m e r , Jus ecclesiasticum, tom. 1 tit. 28 § 17: „Consistoria non sunt necessario constituenda“, S. 611. 2106 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 46v. 2107 H a u s c h i l d , Kirchengeschichte, S. 277. 2108 Verweis im Schriftsatz auf B r a n d t , Thematum selectiorum II, cap. 1 § 22 Anm. (uu), S. 27: „Et caussas Hamburgenses ecclesiasticas facilius ea propter pertrahi posse ad suprema imper. tribunalia, caussa supra (...) allegata demonstrat“ mit Verweis auf § 17 Anm. (rr), S. 23-24: Georg Friedrich Richertz gegen Stadt Hamburg und Schulkollegium „ad cameram non pertinere iurisdictionem contenderunt Hamburgenses“. 2109 Zu Hamburg s. u. bei Anm. 2627, 2642-2689. 2105
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schaft. In den fürstlichen Territorien sei „keinesweeges zu befürchten, daß die Geistlichkeit die ihr in Kirchensachen übertragene Gewalt mißbrauchen werde, folglich stehet auch nichts im Weege, welches die Sicherstellung des juris circa sacra absoluti et independentis, durch Errichtung derer Consistorien und so weiter, hindern, oder letztere verdächtig und dem Staat gefährlich machen könnte“2110. Der Schriftsatzverfasser unterstellte damit einen dauerhaft schwelenden Machtkampf zwischen der Geistlichkeit und der weltlichen Regierung in protestantischen Territorien, der dann und wann aufbrach und sich in Städten und Flächenländern ganz unterschiedlich auswirken konnte. In Reichsstädten verspürten kirchliche Würdenträger immer den Kitzel, ihre Macht zu mißbrauchen, in fürstlichen Territorien bestehe die Gefahr dagegen nicht. Was damit genau gemeint war, bleibt verschwommen. Aber der oben geschilderte Rechtsstreit um das privilegium fori bestimmter Lübecker Geistlicher mag andeuten, wie eine evangelische Bischofsherrschaft in einer Stadt Sonderrechtsbezirke und privilegierte Personen umfassend anerkannte und damit die Jurisdiktionsgewalt eines reichsstädtischen Rates in Kirchensachen bedrängte2111. In monarchischen Territorien standen derartige Anmaßungen in den Augen der lippischen Regierung nicht zu befürchten. Deswegen war die Einrichtung von Konsistorien in Fürstenstaaten möglich, ohne die Macht des Herrschers zu schwächen. Das Ziel, das die jeweiligen Regenten mit der Organisation ihrer geistlichen Gerichtsbarkeit verfolgten, war ausweislich der Exzeptionsschrift übrigens identisch. Die Ratsregierungen in den Städten und die Landesherren in den Territorien zogen insoweit am selben Strang. In beiden Fällen ging es darum, das Herrschaftsgebiet vor äußeren Eingriffen in Kirchensachen weitestgehend zu sichern. Da man es in den Reichsstädten mit einer offenbar aufmüpfigeren Geistlichkeit zu tun hatte, war die Errichtung von Konsistorien dort mit Risiken verbunden, die in Fürstenstaaten nicht bestanden. Hier war der Landesherr als Summepiskopus seiner Landeskirche anerkannt und sah sich keiner bischöflichen Konkurrenz ausgesetzt. Die Organisationsform der geistlichen Gerichtsbarkeit war damit im Ergebnis unmittelbarer Ausfluß der weltlichen Herrschaftsform, so behauptete es jedenfalls die Detmolder Kanzlei. Gleichzeitig dienten die kirchlichen Gerichte dem Zweck, die Machtfülle des Herrschers zu vergrößern. Die Geradlinigkeit, mit der die Regierung eines deutschen Territoriums jegliche Unabhängigkeit der Kirche von weltlicher Herrschaft verneinte, mag aus moderner Sicht erstaunen. Aber so sah landesherrliches Kirchenregiment im 18. Jahrhundert
2110 2111
LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 49r-50r. AHL RKG L 23, dazu oben bei Anm. 1583-1627.
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aus. In katholischen Territorien wäre dieses Argument undenkbar gewesen2112. In einem weiteren Schritt spitzte die lippische Kanzlei ihre Argumentation nochmals zu. Sie untersuchte jetzt ausschließlich monarchische Territorien. Hier war es die Trennlinie von Ländern mit und ohne illimitiertes Appellationsprivileg, die für die kirchliche Gerichtsverfassung die maßgebliche Weichenstellung vorgab. Erneut entschied die Einbindung in die Reichsgerichtsbarkeit über Art und Weise der territorialen Kirchenorganisation. Es ist gleichgültig, ob im historischen Rückblick diese Deutung die Beweggründe der Beteiligten aus dem 16. Jahrhundert traf oder nicht. Für das 18. Jahrhundert jedenfalls lag die Verknüpfung von Reichsgerichtsbarkeit und territorialer Kirchenverfassung offen auf der Hand. Und genau auf diesen Punkt kommt es an. Die lippische Kanzlei legte nämlich dar, wie in „Ländern“ mit einem privilegium de non appellando illimitatum geistliche Angelegenheiten problemlos vor weltliche Gerichte gelangten, weil in diesem Fall eine Appellation an die Reichsgerichte ausgeschlossen war2113. Es ging also gerade darum, die Appellation an die obersten Gerichte des Reiches in kirchlichen Streitigkeiten zu versperren. Und weil die reichsgerichtliche Gefahr in Territorien mit unbeschränktem Appellationsprivileg ohnehin nicht bestand, waren Konsistorien zum Schutz der eigenständigen und unabgeleiteten iurisdictio des Landesherrn nicht notwendig. Für Territorien ohne illimitiertes Privileg traf diese Überlegung nicht zu. Die Exzeptionsschrift der lippischen Regierung ließ daran keinen Zweifel. In „denjenigen protestantischen Landen, in welchen die appellationes von denen inländischen Dicasteriis an die höchste Reichsgerichte Statt haben“, seien „fast durchgängig“ institutionell eigenständige Konsistorien vorhanden. Und deren Gerichtsbarkeit umfaßte „alle und jede causas ecclesiasticas, ex jure Canonico tales“2114. Mit solchen Hinweisen knüpfte der Schriftsatzverfasser immer wieder an sein Leitmotiv an, wonach es eben genau darum ging, den Landesherrn von der Kontrolle und Eingriffen des Reiches in seine geistliche Jurisdiktionsgewalt zu lösen. Natürlich verpflichteten weder Reichsrecht noch Kirchenrecht den Fürsten im strengen Sinne dazu, Konsistorien einzurichten. Doch gab es nach dieser Ansicht „wichtige Ursachen“, warum „kein Landesherr, ohne die höchste Noth, entgegen handeln wird“2115. Für die lippische Regierung ging es um Klugheit, aber um politische Klugheit. Es waren politische, nicht aber religiöse oder rechtliche Gründe gewesen, die für die Organisation der kirchlichen Gerichtsbarkeit in protestantischen Territorien den Ausschlag Zum Febronianismus und Nuntiaturstreit oben bei Anm. 150-151, 1047-1049. LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 50v. 2114 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 52v-53r. 2115 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 53r-53v. 2112 2113
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gaben. Nun war der Gedankengang fast beendet. Es fehlte nur noch ein winziger Schritt. All das sollte nämlich genau auf die Grafschaft Lippe zutreffen, die ebenfalls kein illimitiertes Appellationsprivileg besaß. Das summenmäßig beschränkte Privileg von 1593 spielte insoweit ersichtlich keine Rolle2116. Es schloß die Grafschaft in keiner Weise von der Reichsjustiz ab, denn die Hälfte der lippischen Kammergerichtsprozesse blieben weiterhin Appellationen2117. Die lippische Kanzlei verknüpfte die umfassende Zuständigkeit des Konsistoriums in Kirchensachen sodann mit der gemeinrechtlichen Rechtsanwendungslehre. Damit griff sie die Argumentation des Hofrichters Ludwig von Hammerstein auf. Der Appellant wollte durch strikte Interpretation die Konsistorialordnung auf ihren Wortlaut begrenzen und hielt alle Zuständigkeitserweiterungen für beweisbedürftig. Diesen Spieß drehte die Exzeptionsschrift um. Wer nämlich behaupte, „diese oder jene geistliche Sache“ sei von der Gerichtsbarkeit des Konsistoriums ausgenommen, müsse „diese Ausnahme, als eine Restriction oder Limitation des, dem Consistorio anzuüben übertragenen juris episcopalis, seu jurisdictionis ecclesiasticae, und davon dependirender Effecten, aus dem altväterlichen Testamente und brüderlichen Verträgen specifice darthun“2118. An dieser Stelle – angesichts der umfassenden und tiefgehenden Gedankenführung ist man versucht zu sagen: erst an dieser Stelle – kam das positive Partikularrecht ins Spiel. Bisher hatte die Regierung rein überregional mit dem gemeinen Recht und der Reichsverfassung argumentiert. Nun änderte sich das. Wer die Beschränkung der Konsistorialgerichtsbarkeit behauptete, mußte das in den Augen der lippischen Kanzlei „darthun“. Ob damit dasselbe gemeint war wie der Beweis von Partikularrecht in der gemeinrechtlichen Rechtsanwendungslehre, ist ungewiß. Jedenfalls sollte eine Zuständigkeitsbeschränkung des Konsistoriums nur auf der Grundlage der territorialen Herrschaftsverträge möglich sein. Die „brüderlichen Verträge“ waren ausdrücklich als Quelle dafür genannt. Das altväterliche Testament der Familie von Hammerstein spielte hierfür keine entscheidende Rolle2119. Im Text der Exzeptionsschrift tauchte es zwar ebenfalls auf. Aber die Regierung lehnte es ja gerade ab, die Gerichtszuständigkeit der Parteiwillkür zu öffnen. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Quellen waren für die lippische Kanzlei die sog. brüderlichen Verträge. Sie bestimmten als LandesAbgedruckt bei L ü n i g , Reichs-Archiv, partis specialis continuatio II., Von Graffen und Herren, S. 92-94; bei E i s e n h ar d t , privilegia, S. 97; A r n d t , Der Fall Meier Cordt, S. 12. 2117 B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, Einleitung, S. 11. 2118 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 58v-59v. 2119 Es gab ein Testament Graf Simons VI. von 1597 (bei L ü n i g , Reichs-Archiv, partis specialis continuatio II, Von Graffen und Herren, S. 97-102). Ob das der Schriftsatzverfasser „altväterlich“ genannt hätte, ist zweifelhaft. 2116
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recht die Konsistorialzuständigkeit. Tatsächlich hatte es in der frühneuzeitlichen lippischen Geschichte mehrfach Vergleiche und Verträge zwischen verschiedenen Angehörigen der Grafenfamilie gegeben. Dabei ging es regelmäßig um die Verteilung von Herrschaftsrechten zwischen dem regierenden Grafen und seinen apanagierten Brüdern und Verwandten2120. In diesem Rahmen enthielten die Vergleiche oder Rezesse immer auch Klauseln zur Gerichtsgewalt, wer sie innehatte und ausüben durfte. Vor allem zwei Vergleiche erlangten besondere Bedeutung. Zum einen war dies die Vereinbarung zwischen den Grafen Simon, Otto, Hermann und Philipp zur Lippe von 16162121, zum anderen der Herberhausener Vergleich von 1661 zwischen den Grafen Hermann, Adolf und Casimir zur Lippe sowie Graf Philipp von Schaumburg-Lippe. Beide spielten im Rechtsstreit des Hofrichters eine Rolle und finden sich mehrfach in den Schriftsätzen der Parteien. Ludwig von Hammerstein versuchte aus ihnen Sonderrechte des Adels herauszulesen. Landsassen sollten dem Konsistorium überhaupt nicht unterstehen, ein Problem, das dem folgenden Kapitel vorbehalten bleibt2122. Hier interessiert zunächst nur das Ergebnis. „Nichts in der Welt“, da war sich der appellatische Schriftsatzverfasser sicher, konnte den „fuglosen Appellantischen Theil von des Consistorii Gerichtsbarkeit (...) eximiren“2123. Die Gerichtszuständigkeiten waren damit zwingendes Recht. Abdingbar konnten sie nicht sein. Altväterliche Testamente, von der Detmolder Regierung ebenfalls genannt, verpufften demgegenüber wirkungslos. Ganz am Ende der umfangreichen Verteidigungsschrift nannte die lippische Kanzlei den vom Hofrichter beschrittenen Weg einen „gantz unstatthaften Recurs“2124. Damit verstärkt sich ein Eindruck, der bereits bei der Untersuchung katholischer Territorien auf der Hand lag. Wenn die Beteiligten von einem Rekurs sprachen, benutzten sie bewußt einen Begriff, der kein spezifisches gemeinrechtlich anerkanntes Rechtsmittel bezeichnete. Rekurs war vielmehr im Sprachgebrauch des kontradiktorischen Zivilprozesses ein gezielt schwammiges Wort. Es trug die Unzulässigkeit des beschrittenen Instanzenzuges bereits in sich. Das mußte nicht immer so sein, wie der Recursus ad comitia, also der Weg zur Überprüfung kammergerichtliAllgemein zu Apanagen S c h n e t t g e r , Apanage Sp. 485-487; speziell zu Lippe Nachweise im Sachregister bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar II, S. 1166. Das HRG enthält einen Hinweis nur in der 1. Auflage: G o e z , Apanage, Sp. 193-194. Die 2. Aufl. verweist unter dem Lemma zwar auf B r a u n e d e r , Hausgesetze, Sp. 805-807, doch taucht dort das Stichwort Apanage gerade nicht auf. 2121 Wortlaut bei L ü n i g , Reichs-Archiv, partis specialis continuatio II, Von Graffen und Herren, S. 102-103. 2122 Dazu unten bei Anm. 2210-2239. 2123 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 118v. 2124 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 119v. 2120
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cher Urteile durch den Reichstag verdeutlicht. Freilich war auch dieser Recursus ad comitia streitig und spielte in der Praxis kaum eine Rolle2125. Damit drängt sich folgender Zwischenbefund zur frühneuzeitlichen Rechtssprache auf: Die Parteien redeten gern dann von Rekursen, wenn sie einen außerordentlichen, aber unzulässigen und von vornherein erfolglosen Rechtsbehelf meinten. dd) Zwischenergebnis In der Zusammenschau der lippischen Konflikte um die Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten ist es geboten, zunächst die Auseinandersetzungen zwischen Graf Simon VI. und der Stadt Lemgo auszublenden. Sie berühren nicht die prinzipielle Ebene und behandeln nicht die Grenze zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit. Vielmehr ging es hier um die Frage, ob ein frühneuzeitlicher Landesherr eine einheitliche Herrschaftsgewalt über sein gesamtes Territorium ausüben konnte. Das war nicht so leicht der Fall. Vielfach kam es weiterhin auf das überkommene Wechselspiel von herrscherlichen Regalien und den Rechten der Untertanen an. Den sprichwörtlichen Rechtshimmel voller Privilegien2126, aus dem Mittelalter überkommen, gab es auch in Lippe zu bestaunen. Die Stadt Lemgo zog ihre Vorteile daraus. Entscheidend sind die Auseinandersetzungen aus den 1730er und 1760er Jahren. Mit ihren weitausholenden Begründungen und dem Bemühen, den prinzipiellen Kern der Streitigkeiten freizuschälen, erinnern beide Fälle an die fast gleichzeitigen Reichskammergerichtsprozesse aus Hildesheim und Osnabrück. Dort allerdings klagten die Landesregierungen gegen ihre eigenen Untertanen in Wetzlar, hier dagegen sah sich die lippische Kanzlei jeweils in der Rolle des Beklagten. Gerade im Vergleich zu den zahlreichen Mandatsprozessen aus der Zeit um 1600 wegen der Appellation an den Apostolischen Nuntius in Zivilsachen fällt die Besonderheit der späteren Fälle ins Auge. Die prinzipielle Ebene stand bei den Verfahren aus dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert lediglich im Hintergrund. Kaum jedoch griffen die Supplikationen einmal ins Grundsätzliche aus. Vor allem waren sie recht knapp gehalten, wie es im Mandatsprozeß geboten war. Im 18. Jahrhundert berührte die Diskussion dagegen ausführlich die Grundlagen der Landes- und Reichsverfassung und war damit ersichtlich bemüht, S y d o w , Recursus ad Comitia, S. 104-122; S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 398-412; d e r s . , Recursus ad comitia, Sp. 446-449. 2126 Zur prinzipiellen Argumentation der Beteiligten S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 231232; zum schönen Wort über die Privilegien S t u t z , Besprechung von Lindner, S. 256. 2125
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aus Einzelfällen Prinzipienfragen zu machen. Ob jemand also in Heiligenkirchen ein Totengewölbe unterhalten mußte, war nicht etwa eine dörfliche Banalität in einem beliebigen Duodezstaat2127. Nein, solche Kleinigkeiten konnten sich aufschaukeln zu einer großen Auseinandersetzung um die Gerichtshoheit des Landesfürsten, um die Organisation der Konsistorialgerichte und um Appellationsverbote. Die Haltung der lippischen Regierung zur Konsistorialgerichtsbarkeit schwankte. 1738 ging es darum, die jederzeitige Einflußnahme des Landesherrn selbst auf einzelne Konsistorialprozesse sicherzustellen. Deswegen kam es darauf an, die Eigenständigkeit von Konsistorien zu relativieren. Rechtlich verpflichtet, überhaupt Konsistorien einzurichten, sah sich das Grafenhaus nicht. Jedenfalls lehnte es Beschränkungen der landesfürstlichen Macht ab und redete die Konsistorien klein. Das kam der jeweiligen Herrschaftsfülle des nach jurisdiktioneller Autonomie strebenden Territorialfürsten entgegen. Freilich hatte genau in diesem Fall das Reichskammergericht zuvor ein Mandat erlassen und die Avokation eines schwebenden Konsistorialverfahrens durch die regierende Gräfinwitwe verboten. Die völlige Unabhängigkeit der Landesherren von der Reichsjustiz in Kirchensachen war also alles andere als unstreitig. 1767 dagegen hatte sich der Wind gedreht. Die lippische Regierung kämpfte dafür, die Appellation an das Reichskammergericht in kirchlichen Sachen zu beschränken. Ein kammergerichtliches Mandat gab es in diesem Fall nicht. Deswegen war es geboten, die Konsistorialgerichtsbarkeit als eigenständige, unabhängige Institution darzustellen. Das ging bis zur völligen Gleichsetzung der Konsistorien mit katholischen Offizialatsgerichten. Auch übernahm die Detmolder Kanzlei einschränkungslos die aus dem kanonischen Recht überkommene Abgrenzung weltlicher und geistlicher Fragen. Wenn der lippische Hofrichter die Eigentümlichkeiten der reformierten Territorien hervorkehrte und daraus besonders schwache Konsistorien ableitete, nahm die lippische Regierung diesen Ball nicht auf. Selbst die starke Stellung des Herrschers in weltlichen Angelegenheiten hätte ihn von der Reichsgerichtsbarkeit nicht befreit. In einem Kleinstaat ohne Appellationsprivileg wäre er der ständigen Justizkontrolle durch die obersten Reichsgerichte ausgesetzt gewesen. Diese Gefahr empfand die Landesregierung offenkundig als stark genug, um zu reagieren. So hatte sie gar kein Interesse daran, die weltlichen Kompetenzen des Landesherrn zu vergrößern, selbst wenn dies rechtlich möglich gewesen wäre. Aus politischen Gründen konzentrierte man sich vielmehr auf einen möglichst weiten Raum 2127
Hermann Löns bezog seine bissigen Beobachtungen nicht auf die Grafschaft Lippe, sondern auf Schaumburg-Lippe: L ö n s , Duodez, S. 9.
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ungestörter kirchlicher Herrschaft. Denn hier und nur hier war der Landesherr wirklich von jedem äußeren Einfluß unabhängig. Die Machtfülle des frühneuzeitlichen Monarchen in Kirchensachen blieb damit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch ein wichtiges und unverzichtbares zweites Standbein der Landesherrschaft. Dafür nahm man selbst Begrenzungen der weltlichen Gerichtsgewalt in Kauf.
2. Persönliche Befreiung von der Konsistorialgerichtsbarkeit Wer war der Konsistorialgerichtsbarkeit unterworfen? Die Frage nach der Abgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte berührte nicht nur die sachliche, sondern auch die persönliche Zuständigkeit. Neben dem Streit, wer die Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten ausübte und wie unabhängig die Konsistorien waren, fällt der Blick jetzt auf die Bevölkerung, für die das Kirchengericht eingesetzt war. Die persönliche Befreiung von der Konsistorialgerichtsbarkeit war ein weiterer großer Konflikt, der sich in den Reichskammergerichtsakten aus Lippe spiegelt. Wie der bisherige Gang der Untersuchung gezeigt hat, entzündeten sich in anderen Territorien mehrfach Auseinandersetzungen an der Frage nach dem privilegium fori der Geistlichen. Die Kleriker versuchten sich häufig der weltlichen Jurisdiktion zu entziehen und behaupteten, zwingendes Recht gebiete ihnen, ausschließlich geistlichen Gerichten zu gehorchen. Auch die im folgenden noch zu behandelnden Verfahren aus Hamburg und Jülich-Berg enthalten derartige Streitigkeiten. Die einschlägigen Prozesse aus der Grafschaft Lippe schließen an solche Beobachtungen an, fügen dem Bild aber weitere Pinselstriche hinzu. Zum einen ging es um die Frage, ob es in einem protestantischen, genauer: reformierten Territorium neben der einheitlichen Landesherrschaft eine geteilte geistliche Gerichtsbarkeit geben konnte, an der andere oder gar auswärtige Gerichtsherren beteiligt waren. Falls solche überlappenden geistlichen Gerichte bestanden, mochten allein deswegen bestimmte Untertanen von der Konsistorialgerichtsbarkeit ausgespart sein. Zum anderen war fraglich, inwieweit ein privilegium fori für Weltliche existierte, ob also bestimmte Bevölkerungsgruppen von der geistlichen Gerichtsbarkeit befreit waren. Der erste Konflikt entzündete sich in Lippe des öfteren an Mitspracherechten des Bischofs von Paderborn in Fragen der geistlichen Gerichtsbarkeit sowie in Jurisdiktionsansprüchen des westfälischen Offizialats von Werl. Die zweite Streitfrage betraf Bestrebungen der Landesadligen, sich ausschließlich dem Hofgericht oder der gräflichen Kanzlei zu unterstellen. Die dichte Be-
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schreibung der überkommenen Quellen läßt beide Fragen klarer sehen und ermöglicht einige Antworten.
a) Der Streit um Paderborner Untertanen in der Grafschaft Lippe Die uneingeschränkte geistliche Gerichtsherrschaft der lippischen Grafen über ihr Territorium war durch konkurrierende Jurisdiktionsrechte des Paderborner Fürstbischofs beeinträchtigt. Noch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts übte der Bischof von Paderborn das Besetzungsrecht über viele Pfarrstellen der Grafschaft Lippe aus2128. Ja, der Paderborner Bischof besaß in seiner Funktion als Reichsfürst sogar Lehensrechte über die Grafen zur Lippe2129. Auch der Übergang zum Protestantismus änderte zunächst nichts daran. Der benachbarte Bischof redete weiterhin in erheblichem Maße in der geistlichen Gerichtsbarkeit der Grafschaft Lippe mit. Die Kirchenreform Simons VI. zu Beginn des 17. Jahrhunderts drängte den Paderborner Einfluß zurück, und 1620 bestritt Graf Simon VII. die Ansprüche des Paderborner Bischofs mit dem zeittypischen Argument, die einschlägigen Verträge von 1558 und 1567 seien niemals in Observanz gelangt2130. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, wenn in der reichskammergerichtlichen Überlieferung mehrfach die Paderborner Mitwirkungsrechte in der Grafschaft Lippe zur Sprache kamen. Ein Grundsatzstreit, dies sei gleich vorweg gesagt, entsprang daraus nicht. In einem vergleichsweise frühen Fall von 1544 ging es um den Rückkauf zweier Ortschaften durch die Befehlshaber und Verwalter der Grafschaft Lippe2131. Der Kölner Erzbischof als Administrator des Stifts Paderborn hatte den lippischen Befehlshabern das Recht zur Einlösung der Dörfer zuerkannt. Um die Einzelheiten der womöglich gewaltsamen Einnahme der Orte gab es Streit. Insbesondere beschwerten sich die vormaligen Besitzer der Dörfer über die neuen lippischen Befehlshaber. Offenbar hatten die neuen Herren Vermittlungsversuche des Paderborner Domstifts abgelehnt. Die Mitwirkung des Paderborner Bischofs war hier also selbstverständliche Gegebenheit, freilich in einem Fall, der weltliche Angelegenheiten betraf. Vielleicht aus diesem Grunde taucht in der Argumentation der kammergerichtlichen Kläger der Hinweis auf, die Grafschaft Lippe sei gar nicht reichsunmittelbar. Tatsächlich war Lippe kein Reichslehen, und die Grafen empfingen ihre Regalien S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 120. B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 139-140. 2130 S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 136-137; B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 140. 2131 Repertoriumshinweis bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 947. 2128 2129
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nicht vom Kaiser2132. Bezogen auf die zeitgenössische Diskussion war das ein zweifelhaftes Argument. Entscheidend für die Reichsunmittelbarkeit war nach überwiegender Auffassung die unmittelbare Unterstellung unter die Reichsgerichtsbarkeit2133, und die war nicht zweifelhaft. Dennoch war für den Paderborner Bischof die Lehnshoheit über Lippe ein bequemes Argument. Einige Jahrzehnte später klagte 1586 der Paderborner Bischof Dietrich von Fürstenberg2134 gegen Graf Simon VI. zur Lippe am Reichskammergericht. Er beanspruchte die volle geistliche Gerichtsbarkeit über das Kloster Falkenhagen im Amt Schwalenberg2135. Der lippische Graf hatte das Kloster eingenommen, eine Visitation angeordnet und Reiter dort einquartiert. Die Aufteilung der geistlichen Herrschaftsrechte über das Kloster war zwischen den Parteien streitig. Wenige Jahre später begannen Vergleichsverhandlungen2136. Dieser Streit fügt sich in die Konflikte um säkularisierte Klöster ein, die auch Bernhard Ruthmann bei seinen Untersuchungen zu Religionsprozessen der Reformationszeit vor dem Reichskammergericht mehrfach beobachtet hat2137. Zur Zuständigkeitsabgrenzung weltlicher und geistlicher Justiz sagen sie nicht viel, weil es dort nur um die Frage ging, wer die geistliche Gerichtsgewalt ausüben konnte, nicht aber darum, wo die Grenze zur weltlichen Justiz verlief. aa) Paderborner Einmischung in einen lippischen Konsistorialprozeß Der nächste Streit um die Paderborner geistliche Gerichtsbarkeit in der Grafschaft Lippe gelangte 1617 an das Reichskammergericht. Es ging um die Vollstreckung eines Urteils auf Eingehung der Ehe2138. Der Kläger, ein Heinrich Thanäus aus Herford, hatte am lippischen Konsistorium gegen seine Braut erfolgreich auf Eheschließung geklagt. In evangelischen Territorien kam das vor. Offensichtlich ging es aber nicht um Liebe, sondern um Geld. Nachdem aus Sicht des Klägers Rechtskraft des ersten Urteils eingetreten war, verklagte er nämlich den Schwiegervater auf Zahlung des HeiKi e w n i n g , Lippische Geschichte, S. 115; A r n d t , Grafschaft Lippe, S. 151. B r ü c k n e r , Lehnsauftragung, S. 286. 2134 1546-1618, Fürstbischof seit 1585, zu ihm H o n s e l m a n n , Dietrich v. Fürstenberg, S. 684-685; H e n g s t , Fürstenberg, S. 207-209. 2135 Repertoriumshinweis bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 764-765. 2136 Einzelheiten zum Konflikt bei G e r k i n g , Kloster Falkenhagen, S. 51-54. 2137 R u t h m a n n , Religionsprozesse, S. 484-566. 2138 Sachverhalt in LA Detmold L 82 Nr. 762, Aktenstück Q 1, fol. 3r-6v; Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 911-912. 2132 2133
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ratsgutes2139. Inzwischen war die offenbar unwillige Braut ins Fürstbistum Paderborn gezogen und hatte dort einen anderen Mann, einen Jobst Schneidewind, geheiratet. Der Schwiegervater von Thanäus lebte im lippischen Amt Schwalenberg und war nicht bereit, eine Mitgift für die gescheiterte Heirat seiner Tochter zu zahlen. Heinrich Thanäus rief nun das Reichskammergericht um ein Exekutorialmandat an, weil das lippische Konsistorium sich weigerte, mit Hilfe der gräflichen Beamten das Urteil zu vollstrekken. Interesse verdient der Rechtsstreit wegen des persönlichen Status des Schwiegervaters. Der untergerichtlich verklagte Schwiegervater Samuel Therlor war nämlich „soviell die weldtliche hocheit anlangt, ein Fürstlich Paderbornischer und Grafflicher Lippischer unterthan der Herrschaft Schwalenbergh“2140. Dieser Satz stammt aus der Exzeptionsschrift. Verklagt im Mandatsprozeß vor dem Reichskammergericht war nicht der Schwiegervater, sondern die lippischen Gerichtsherren, die Grafen Simon und Hermann zur Lippe. Sie erkannten im Amt Schwalenberg ausdrücklich eine kondominiale weltliche Herrschaft an. Sowohl die lippischen Grafen als auch die Paderborner Fürstbischöfe hatten dort das Sagen. Zugleich erklärten sie, „die Herrn Graffen und Edle Herrn zur Lippe“ hätten „die Geistliche Jurisdiction in der Herrschaft Schwalenbergh allein besitzlich herbracht“2141. Es gab damit in der Rechtsauffassung der lippischen Herrscher eine einheitliche geistliche Gerichtsbarkeit in Schwalenberg, aber eine gespaltene oder je nach Sicht gedoppelte weltliche Jurisdiktion. Formuliert war beides in Anspielung auf die gelehrte quasi possessio. Danach war der Besitz an Rechten möglich, also auch der Besitz der Gerichtsgewalt2142. Die landesgeschichtliche Literatur hat auf die Machtteilung in der Samtherrschaft Schwalenberg gelegentlich hingewiesen, hierbei den Bezug zu geistlichen Angelegenheiten aber nicht hergestellt2143. Der Rechtsstreit ermöglicht nun einen genaueren Blick. Der verklagte Schwiegervater Therlor hatte in einem Gütetermin im Detmolder Schloß erklärt, er habe den Konsistorialprozeß nur deswegen verloren, weil er sich nicht ordnungsgemäß Zu einem ähnlichen Problem in einem katholischen Territorium (Zahlung der Heiratssteuer trotz frühzeitigen Todes der Frau): LA Düsseldorf RKG B 1852/5657 (Rep. 675), Repertoriumshinweis bei A l t m a n n / H o f f m a n n , Reichskammergericht I, S. 677-678; dazu unten bei Anm. 3253-3257. 2140 LA Detmold L 82 Nr. 762, Aktenstück Q 5, fol. 25v, Art. 1. 2141 LA Detmold L 82 Nr. 762, Aktenstück Q 5, fol. 25v, Art. 2. 2142 Hinweise zur possessio vel quasi bei O l e c h o w s k i , Besitz, Sp. 548; C o i n g , Europäisches Privatrecht I, S. 343-346; W e s e n b e r g / W e s e n e r , Privatrechtsgeschichte, S. 19. 2143 H e i d e m a n n , Grafschaft Lippe, S. 25; A r n d t , Grafschaft Lippe, S. 175; B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 579-580; F a l k m a n n , Graf Simon VI. Bd. 3/Beiträge 6, S. 294-296; B a r g e , Grafschaft Lippe, S. 26. 2139
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habe verteidigen können. Der Grund dafür war erstaunlich. Er habe nämlich „von Fürstlicher Paderbornischer Cantzley befelch bekommen, an dem Graflichen Lippischen Consistorio nicht zuerscheinen“. Genau so sei es geschehen, weil er „alß ein Fürstlicher Paderbornischer diener sich seinner Pflicht (...) erinnern müeßen“. Der Paderborner Kanzler hatte diesen Befehl in einem Schreiben festgehalten, und dieses Schriftstück zeigte Therlor beim gräflichen Vergleichstermin in Detmold vor2144. Er war also zwischen zwei Landesherren mit unvereinbaren Herrschaftsansprüchen gefangen. Diese erstaunliche Situation ist schwer zu erklären. Angeblich hatte der katholische Paderborner Fürstbischof als weltlicher Herrscher seinem Untertanen Samuel Therlor die Teilnahme an einem reformierten Konsistorialprozeß in Detmold verboten. Nach der Sachverhaltsdarstellung der lippischen Grafen mischte sich der Paderborner Fürstbischof in die geistliche Jurisdiktion in Lippe ein, obwohl er im Amt Schwalenberg nur weltliche Herrschaftsrechte ausübte. Noch erstaunlicher wirkt es, wenn die Grafen ihrem eigenen Angeben nach den Paderborner Protest hinnahmen und dem untergerichtlich verklagten Therlor weitere Verteidigungsmöglichkeiten in einem Kommissionsverfahren eröffneten. In diesem Zusammenhang findet sich in der Quelle der bereits bekannte Hinweis, „causae matrimoniales sint arduae et graues, adeo ut causis criminalibus aequiparentur“2145. Die Gleichwertigkeit von Ehesachen und Strafsachen war ein Argument, das in anderem Zusammenhang in Lübeck das Appellationsverbot in Ehesachen bekräftigen sollte2146. Dieser Gesichtspunkt findet sich in Lippe nicht. Im Gegenteil: Vielmehr erweiterte die Regierung die Rechtsschutzmöglichkeiten für Therlor sogar. Der gewagte Brückenschlag von Ehesachen zum Strafprozeß erfolgte damit an ganz verschiedene Ufer. Der erste Pflock diente in Lübeck zur Beschränkung von Rechtsmitteln. In Detmold dagegen hielt dasselbe Argument dafür her, zusätzliche Instanzen zu schaffen und Rechtsbehelfe auszuweiten. Ein Punkt, der aus heutiger Sicht wesentliche Bedeutung besitzt, taucht im Schriftsatzwechsel der Parteien dagegen gar nicht auf. Die Konfession der Beteiligten spielte weder für die lippische Regierung noch für den Kläger, den Bräutigam Heinrich Thanäus, eine Rolle bei der rechtlichen Argumentation. Gerade dies ist in der Rückschau freilich besonders interessant. Kann der katholische Paderborner Bischof einem reformierten Angehörigen der Grafschaft Lippe die Teilnahme am Konsistorialprozeß verboten haben? Falls andererseits der Schwiegervater Therlor als Paderborner Untertan LA Detmold L 82 Nr. 762, Aktenstück Q 5, fol. 27r, Art. 9. LA Detmold L 82 Nr. 762, Aktenstück Q 5, fol. 27v, Art. 11. 2146 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 6; dazu oben bei Anm. 1462-1516. 2144 2145
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Katholik gewesen sein sollte, wäre es erstaunlich, wenn Thanäus ihn vor dem Konsistorium überhaupt verklagen konnte. Das Konfessionsgewirr läßt sich nicht entheddern. Die Anwälte im Speyerer Kammergerichtsprozeß verloren dazu kein einziges Wort, und das ist das eigentlich Überraschende. Die Unklarheit, sofern die konfessionelle Lage in Schwalenberg überhaupt eindeutig war2147, ist durch einen etwas späteren Hinweis der lippischen Grafen nochmals verstärkt. Danach hatte nicht die Paderborner Kanzlei, sondern „der Fürstlicher Paderbornischer Officialis, demselben Törlorn amb Grafflich Lippischen Consistorio zuerscheinen, bei Pöen 200 goltg[ulden] verbotten“2148. Falls diese Äußerung der Duplikschrift eine Korrektur der Exzeptionen sein sollte, hätte nicht die weltliche, sondern gerade die geistliche Landesherrschaft Paderborns dem Schwiegervater die Prozeßführung vor dem lippischen Konsistorium verwehrt. Die angedrohte Geldstrafe von 200 Gulden war dabei enorm hoch. Das Reichskammergericht selbst nahm in seine Mandatsklauseln regelmäßig den Hinweis auf, bei einem Verstoß werde eine Pön von zehn Mark lötigen Goldes fällig2149. Die äußerst hohe Paderborner Strafdrohung zeigt, wie wichtig es der Paderborner Seite war, den Untertanen Samuel Therlor vom lippischen Konsistorium fernzuhalten. Die Replik- und Konklusionsschrift des kammergerichtlichen Klägers verschleiert das historische Geschehen noch weiter. Heinrich Thanäus ließ in Speyer den neunten Exzeptionalartikel bestreiten, der genau das angebliche Verbot des paderbornischen Kanzlers enthielt. Sein Widerstand beruhte wohl auf der Erwägung, die geistliche Gerichtsbarkeit in Schwalenberg sei nicht „allererst der Zeit“ streitig geworden, sondern seit je schwer durchschaubar. Deswegen befürchte er, der Mandatskläger, eine unzumutbare Beschwerung. Nach einem siegreichen Konsistorialprozeß wollte er sich mit der von den lippischen Grafen eingesetzten Kommission nicht noch einem weiteren Verfahren ausgesetzt sehen. Das verstoße gegen die Konsistorialordnung2150. Der Rechtsstreit bleibt weitgehend im Dunkeln. Offenbar erließ das Reichskammergericht im Oktober 1619 ein Urteil, doch ist es wie so oft in dieser Zeit nicht erhalten2151. Für die hier interessierende Fragestellung verB u t t e r w e c k , Geschichte, S. 583, mit dem Hinweis, der unbeliebte Pfarrer Ulrich Pierius sei in den Jahren nach 1610 „recht stürmisch“ mit der Einführung des reformierten Bekenntnisses vorgegangen. 2148 LA Detmold L 82 Nr. 762, Aktenstück Q 20, fol. 106r. 2149 Androhung von 10 Mark in LA Münster RKG K 838; RKG S 2636; RKG M 741; RKG M 1586; RKG R 1070; RKG N 603; RKG W 1053; RKG H 1569; RKG D 487; RKG W 692; RKG S 420; RKG S 2291; RKG V 363; RKG M 1729; 8 Mark in: RKG U 8; RKG M 1725; RKG S 774. 2150 LA Detmold L 82 Nr. 762, Aktenstück Q 15, fol. 70v. 2151 LA Detmold L 82 Nr. 762, Protokollbuch, Expeditumvermerk vom 13. Oktober 1619. 2147
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bieten sich damit eindeutige Antworten. Es ging um die persönliche Befreiung eines Untertanen vom Konsistorialgericht. Ob er katholisch, lutherisch oder reformiert war, spielte im Rechtsstreit selbst keine Rolle und war für das Rechtsproblem der Parteien erstaunlicherweise belanglos. Das erinnert an Münsteraner Konflikte, in denen dieser Punkt ebenfalls ungeklärt blieb, obwohl konfessionelle Spannungen höchstwahrscheinlich vorlagen2152. Ob die Paderborner Kanzlei oder der Offizial dem Schwalenberger Untertan die Verhandlung vor dem Konsistorium verboten hatte, konnte selbst der Schriftsatzverfasser der Detmolder Grafen nicht eindeutig angeben. Auf jeden Fall ging es um eine Beeinträchtigung der geistlichen Gerichtsbarkeit der lippischen Landesherren. Doch selbst der geringste Widerstand dagegen blieb aus. Dieser Konflikt fand noch in den letzten Jahren statt, kurz bevor Graf Simon VII. 1620 den Ostschlangener Vertrag aufkündigte2153. Die Akte liefert damit einen Beleg für ein erstaunlich wohlwollendes Verhalten der lippischen Grafen gegenüber den Paderborner Fürstbischöfen. Zu dieser Zeit akzeptierten die Detmolder Landesherren im Einklang mit dem kurz darauf verworfenen Ostschlangener Vertrag noch die Mitsprache der Paderborner Fürstbischöfe in der geistlichen Gerichtsbarkeit. Nach außen beanspruchten sie zwar die alleinige iurisdictio in Kirchensachen, doch wenn Streit entbrannte, wurden sie weich. bb) Streit um den Pastor von Schwalenberg Knapp sechzig Jahre später fand ab 1679 der letzte Reichskammergerichtsprozeß statt, in dem die Beteiligten um die Befreiung Paderborner Untertanen vom lippischen Konsistorium stritten. Der Fall stammte erneut aus dem Amt Schwalenberg. Trotz seines kuriosen Sachverhalts genügt eine geraffte Darstellung. Im Hintergrund stand eine unappetitliche Familientragödie. Ein Ehemann hatte angeblich seine Ehefrau gezwungen, wahrheitswidrig zu behaupten, sie habe Blutschande mit ihrem Vater getrieben. Mit dieser Aussage, so lautete der Vorwurf, wollte der Ehemann von seinem Schwiegervater Geld erpressen2154. Delikat war die Angelegenheit, weil der Schwiegersohn Pastor in Schwalenberg und seine Ehefrau die Tochter des dortigen Amtmanns war. So gerieten die Vertreter weltlicher und geistlicher Herrschaft in bösen Streit. Was wirklich geschehen war, entzieht sich wie so oft dem historischen Zugang. Immerhin hatte der Amtmann einige Zeit im LA Münster RKG M 1725; dazu oben bei Anm. 251-256. Dazu B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 140. 2154 LA Detmold L 82 Nr. 583, dazu Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 704-706. 2152 2153
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lippischen Gefängnis gesessen und war erst durch eine Entscheidung der Rintelner Juristenfakultät freigekommen. Dennoch soll er keine Haftentschädigung erhalten haben, sondern mußte sämtliche Verfahrenskosten selbst tragen. Der Amtmann, der den Inzest mit seiner verheirateten Tochter betrieben haben sollte, unterstand angeblich dem „fürstl[ich] Paderbornische[n] und Gräfl[ich] Lippische[n] SambstGericht zu Schwalenberg“2155, der gehörnte Schwiegersohn dagegen als Geistlicher dem lippischen Konsistorium. An anderer Stelle hieß es, der Amtmann unterfalle allein der geistlichen Jurisdiktion des Paderborner Bischofs. Die Ehefrau des Amtmanns hatte angeblich den Pastor, ihren Schwiegersohn, „halb tot geschlagen“2156 und dann am Reichskammergericht einen Mandatsprozeß gegen die lippische Regierung zu Detmold begonnen. In Speyer standen allerdings nicht die Gerichtszuständigkeiten im Vordergrund. Vielmehr ging es um die Rechtsposition des ehemaligen Amtmanns, der angeblich ein ungerechtes Verfahren über sich hatte ergehen lassen müssen. Auch wenn der Streitgegenstand sich damit verschob, bleibt derselbe Befund festzuhalten wie im vorigen Fall. Die lippische Regierung hatte in den oben behandelten späteren Fällen von 1738 und 17672157 auf der alleinigen und unabhängigen geistlichen Gerichtsgewalt des Landesherrn bzw. des lippischen Konsistoriums bestanden. Der Sache nach vertrat sie das auch schon früher. Doch wie zuvor nahm sie die Mitwirkungsbefugnisse des Paderborner Bischofs hin und erhob keine Proteste, obwohl sich im Amt Schwalenberg immer wieder Streitigkeiten entzündeten.
b) Der Streit um die Kapitularjungfrauen von Cappel Die Einbindung der Kapitularjungfrauen von Cappel in die lippische Konsistorialgerichtsbarkeit war ein ungelöstes Dauerproblem. Neben den Paderborner Mitspracherechten im Amt Schwalenberg schwelte hier der zweite wichtige Konflikt um die persönliche Befreiung von der landesherrlichen geistlichen Gerichtsbarkeit. Im Gegensatz zu den zuvor angeführten Schwalenberger Beispielen zeigte die lippische Regierung gegenüber Cappel ein ganz anderes, erheblich verschärftes Engagement. Beherzt wollte der Graf seine Jurisdiktionshoheit über das Kloster durchsetzen. Cappel, ein bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts gegründetes Prämonstratenserkloster, zählte neben Falkenhagen zu den beiden wichtigLA Detmold L 82 Nr. 583, unquadr. Aktenstück „Copia citationis“, fol. 5r. B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 585. 2157 LA Detmold L 82 Nr. 326 und Nr. 276; dazu oben bei Anm. 1989-2127. 2155 2156
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sten Klöstern des Lipper Landes. Gelegen im Amt Lipperode2158 trat das Kloster im hier interessierenden Konflikt von 1610 bis 1612 als Appellant vor dem Reichskammergericht auf2159. Neben einem Mandatsprozeß aus den 1760er Jahren2160 war dies der einzige kammergerichtliche Rechtsstreit, den das Kloster auf Klägerseite gegen einen lippischen Beklagten anstrengte. Die konfessionelle Ausrichtung des Klosters war undurchsichtig. Sie unterlag Wirrungen und schwankte gerade im hier interessierenden Zeitraum. Ab 1628 waren durchgehend reformierte Gräfinnen und Prinzessinnen zur Lippe die Priorinnen und Äbtissinnen des Klosters2161, aber 1610 war alles noch im Fluß. In den Jahren um 1578 war die Priorin Margarethe von Erwitte lutherisch geworden. Ihre Nachfolgerin Anna Voigt hatte 1588 in Cappel die Reformation durchgesetzt, als Graf Simon VI. das Kloster in ein evangelisches Damenstift umwandelte2162. Doch das war nicht von Dauer. Als die Grafschaft zu Beginn des 17. Jahrhunderts zum reformierten Bekenntnis überging, gelang es zeitgleich den Jesuiten, das Kloster 1604 zu rekatholisieren2163. Das betraf aber wohl nicht alle Jungfrauen und war auch von zweifelhaftem Erfolg gekrönt, denn 1620 rief der Cappeler Pastor den lippischen Grafen gegen die Jesuiten zu Hilfe2164. 1605 verweigerten die Klosterjungfrauen sich der landesherrlichen Kirchenvisitation, und 1609 erklärten sie, bei der 1571 aufgerichteten Konfession bleiben zu wollen. Damit war offensichtlich das lutherische Bekenntnis gemeint, denn 1619 sollen die Sakramente wieder „more lutheranorum“ erteilt worden sein. Dennoch bekannte sich 1620 Christine von Bredenol, die Verwandte einer ehemaligen Priorin, zum Katholizismus. Um 1617 sollen die Jungfrauen alljährlich den Chrisam aus dem Stift Köln geholt haben, gleichzeitig scheint der protestantische Pastor dies akzeptiert zu haben2165. Genaueres weiß man nicht. Zwischen den Äbtissinnen von Cappel und den lippischen Amtleuten von Lipperode herrschte ein gespanntes Verhältnis. Eine Äbtissin fiel sogar dem Zorn lippischer Bediensteter zum Opfer. Sophia von Oer starb, getroffen von der Kugel eines Lippstädter Jägers, nachdem sie ihn bei einem Streit
S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 71; S c h u l z e , Klöster und Stifte, S. 329-330; erwähnt auch bei K i e w n i n g , Lippische Geschichte, S. 14, 56, 63, 79. 2159 Repertoriumshinweis bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 126-127. 2160 Repertoriumshinweis bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 127-128; zu diesem Prozeß auch K i e w n i n g , Entstehung und Säkularisation, S. 123-128. 2161 Überblick bei B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 22-23. 2162 B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 21; Ki t t e l , Stift Cappel, S. 109. 2163 B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 21; F a l k m a n n , Graf Simon VI. Bd. 3/Beiträge 6, S. 310. 2164 B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 21. 2165 B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 21; Einzelheiten zum Chrisam sogleich bei der Quellenauswertung. 2158
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um die Jagdgerechtigkeit mit einer unanständigen Gebärde gereizt hatte2166. In dieses aufgeheizte und von ständigen Konfessionswechseln vernebelte Umfeld gehört der hier interessierende Jurisdiktionskonflikt. Als Appellantin vor dem Reichskammergericht führte im wesentlichen die Domina Catharina Rumpf den Rechtsstreit, eine zweifelhafte Person, die angeblich mit ihrem Bruder in wilder Ehe lebte und sogar ein Kind von ihm hatte. Nicht ohne Schmunzeln ließ sich August Falkmann auf der Zunge zergehen, wie in der späteren Prozeßakte immer von der ehrwürdigen und tugendsamen Domina die Rede war2167. Eine interessante Querverbindung nach Westfalen und ins Münsterland hat die große alte Arbeit Falkmanns ebenfalls aufgezeigt. Er sieht einen Zusammenhang zwischen den Spannungen im Kloster Cappel und der Rekatholisierung des westfälischen Adels nach 1600. Genau Töchter aus diesen Familien waren nämlich die Kapitularinnen. Als die Adelsfamilien nach und nach wieder zum Katholizismus zurückkehrten, begann auch das evangelische Bekenntnis der Klosterdamen zu bröckeln2168. Der Rechtsstreit nahm seinen Ausgang bei einem Injurienprozeß zwischen den Kapitularjungfrauen und einem Hermann Kirchmann, Amtmann zu Lipperode. Es ging zunächst um Holzlieferungen nach Lipperode. Die Klosterjungfrauen waren dazu nicht bereit, spuckten den Holzfällern ins Gesicht und beleidigten den Amtmann als Hurenkind2169. Der Amtmann ließ das nicht auf sich sitzen und verklagte die adligen Fräulein. Im November 1609 erging das Urteil. Es lautete auf offenen Widerruf und Geldbuße von 200 Reichstalern. Ergangen war es vom „Grafflich Lippischen unnd zu diesem intent angeordneten Consistorio In der Statt Lippe“2170. Bereits hier taucht das erste Problem des Falles auf. Es ist erstaunlicherweise unklar, welches Gericht den erstinstanzlichen Rechtsstreit verhandelt hatte. Die appellantischen Gravamina, aus denen das Zitat stammt, nannten ein Konsistorium2171, sprachen dann aber fast immer von gräflichen Kommissaren. Der Schriftsatzverfasser des Amtmanns bezeichnete durchweg den lippischen Grafen als Judex a quo2172. Gesichert ist nur wenig. Das AusC h a l y b a e u s , Lippstadt, S. 133: angeblich 1628, doch wird die Jahreszahl verschieden kolportiert (auch 1619); B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 22; Hinweis auf die Injurien auch bei K i t t e l , Stift Cappel, S. 109. 2167 F a l k m a n n , Graf Simon VI. Bd. 3/Beiträge 6, S. 321. 2168 F a l k m a n n , Graf Simon VI. Bd. 3/Beiträge 6, S. 310. 2169 Fallschilderung bei F a l k m a n n , Graf Simon VI., Bd. 3/Beiträge 6, S. 311. 2170 LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 12, fol. 31v-31r; zu den strafrechtlichen und zivilrechtlichen Rechtsfolgen bei Injurienprozessen F u c h s , Um die Ehre, S. 51-58; B a r t e l s , Dogmatik, S. 32-37. 2171 So auch Ki t t e l , Stift Cappel, S. 109; F a l k m a n n , Graf Simon VI. Bd. 3/Beiträge 6, S. 312. 2172 LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 13, fol. 56v. 2166
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gangsverfahren fand wohl vor einer Kommission statt, und ein Spruch der Marburger Juristenfakultät hatte die Entscheidung vorgezeichnet2173. Es bleibt unklar, ob die erstinstanzliche Kommission unmittelbar im Namen von Graf Simon VI. oder im Namen des Konsistoriums tätig war. Wenn das erstinstanzliche Gericht „zu diesem intent“, also offenbar außerordentlich, extra zusammengetreten war, mag das auf ein Organisationsproblem beim lippischen Kirchengericht hinweisen. Das Generalkonsistorium bzw. das ordentliche landesherrliche Konsistorium verhandelte zunächst nur viermal, später sogar nur zweimal pro Jahr die angefallenen Rechtssachen2174. Aber vielleicht ist die Frage nach der Rechtsnatur der ersten Instanz in der Rückschau bereits falsch, wenn man die Gerichtsgewalt des reformierten Landesherrn sowohl über Hofgericht, Kanzlei als auch Konsistorium in Rechnung stellt. Denn der lippische Graf leitete sogar die Sitzungen des Generalkonsistoriums2175. Wer in seinem Namen Recht gesprochen hatte, verblaßte neben seiner Rolle als Inhaber der iurisdictio. Wie dem auch sei, erstrebten die adligen Stiftsjungfrauen die Aufhebung ihrer untergerichtlichen Verurteilung2176. aa) Unterwerfung der Klosterjungfrauen unter das Offizialat Werl Die Kapitularjungfrauen beriefen sich in Speyer vor allem auf die Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts. Deswegen sprachen sie nicht nur von einem widerrechtlichen, sondern zugleich von einem nichtigen Verfahren. Die inzidente Nichtigkeitsbeschwerde2177 war Teil eines Appellationsprozesses. Sie deutete einen Spagat der Klägerseite an. In Zweifelsfällen, wie hier etwa bei unklarer richterlicher Kompetenz, stand jedermann die forideklinatorische Einrede bzw. die Inkompetenzeinrede offen. So konnte man den Richter ablehnen, ohne sich auf die Sache selbst einzulassen. Bei notorischer Unzuständigkeit, sozusagen bei kraß rechtswidriger Kompetenzanmaßung, war der Beklagte gar nicht zu antworten gehalten. Selbst bei völliger Untätigkeit drohten ihm keine Sanktionen, „impunè non
So auch die Mitteilung von B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 127. B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 254; H e i d e m an n , Gerichtswesen, S. 132; V a j e n , Die rechtliche Anerkennung, S. 33. 2175 B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 254; H e i d e m an n , Gerichtswesen, S. 132; V a j e n , Die rechtliche Anerkennung, S. 33; ebenso in Braunschweig-Wolfenbüttel: M ü l l e r V o l b e h r , Die geistlichen Gerichte, S. 264. 2176 So die Bezeichnung in der Zitation: LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 1, fol. 5. 2177 Dazu O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 70-73; J e s s e n , Einfluß, S. 90-94. 2173 2174
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pareatur“, wie es in rechtsgelehrter Manier hieß2178. Durch die inzidente Nullitätsbeschwerde sicherten sich die Cappeler Jungfrauen also doppelt ab. Je nachdem, wie das Reichskammergericht die erstinstanzlichen Handlungen einschätzte, war man für beide Fälle gewappnet und hatte ordnungsgemäß alle Rechtsbehelfe eingelegt. Die inzidente Nichtigkeit des Ausgangsprozesses begründeten die Kapitularjungfrauen mit den Übergriffen der weltlichen Obrigkeit. Der Graf und seine Gefolgsleute hätten verbotenerweise versucht, sich Gerichtsgewalt über die Geistlichkeit anzumaßen. Dagegen beriefen sich die Appellantinnen auf ihr privilegium fori. Besonderen rechtshistorischen Reiz erhält dieser Rechtsstreit, weil er sich in einem entscheidenden Punkt von den bisher bekannten Diskussionen um das geistliche Gerichtsstandsprivileg in protestantischen Territorien unterscheidet. Sowohl die Klosterjungfrauen von Preetz als auch die Lübecker Domangehörigen verweigerten sich zwar der ordentlichen weltlichen Zivilgerichtsbarkeit. Zugleich erkannten sie aber eine geistliche Obrigkeit an, die innerhalb des Territoriums saß, wenn auch vielleicht als immunisierter oder eximierter Bereich wie Kloster oder Dom2179. In Lippe dagegen steht man in zweifacher Weise vor einer anderen Ausgangssituation. Erstens war unklar, ob erstinstanzlich überhaupt ein ordentliches weltliches oder nicht vielmehr ein außerordentliches geistliches Gericht geurteilt hatte. Und zweitens behaupteten die Klosterjungfrauen, sie unterständen einzig und allein der Gerichtsgewalt des Erzbischofs von Köln und seinem Offizialat in Werl, also einer auswärtigen und vom lippischen Landesherrn konfessionsverschiedenen Obrigkeit. Diese zweite Besonderheit kennzeichnet üblicherweise katholische weltliche Territorien. Dort gab es oftmals geistliche Herrschaft außerhalb der Landesgrenzen. Zahlreiche Streitfälle aus Jülich-Berg belegen das andauernde Gerangel um die geistliche Oberherrschaft2180. Aber in die reformierte Grafschaft Lippe brach dieselbe Wirrnis hinein oder war vielmehr lang überkommen. Wie ein Stachel im Fleisch saß das Kloster in die Grafschaft gepflockt und fühlte sich als Außenposten des Kölner Erzbischofs2181. Die Kapitularjungfrauen wandten viel Sorgfalt auf, um ihre Unterstellung unter den Kölner Erzbischof zu beweisen. Zunächst empfingen sie von ihm ihren Chrisam. Dem Schriftsatzverfasser war damit eine meisterlich doppeldeutige Formulierung in die Feder geflossen. Chrisam bezeichnete nämlich LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 12, fol. 33v-34r, Art. 1-2. LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342; AHL RKG L 23, P 20, zu beiden Fällen oben bei Anm. 1837-1871 und 1568-1627. 2180 Umfassend dazu unten bei Anm. 2980-3114. 2181 Hinweis auf die Kölner Ansprüche auch bei F al k m a n n , Graf Simon VI. Bd. 3/Beiträge 6, S. 312. 2178 2179
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sowohl das heilige Öl, zugleich aber auch den Bereich der bischöflichen Gewalt. Gerade für die zweite Wortbedeutung gibt es Belegstellen aus dem Erzbistum Köln2182. Was genau gemeint war, blieb in der Schwebe, aber die Anbindung an Köln stand nicht in Zweifel. Außerdem, so die geistlichen Frauen, seien ihre Besitzungen mehrheitlich im kölnischen Territorium gelegen. Der Graf zur Lippe dagegen sei „eine Laische Person“ und dürfe sich „uber geistliche Personen keine Jurisdiction oder Juris Episcopalis mit einigem fugen (...) anmaßen“2183. Für das Selbstverständnis evangelischer Herrscher und ihrer Konsistorien traf diese Behauptung ersichtlich nicht zu. Durchaus konnte man es auch in einem protestantischen Territorium mit einer geistlichen Obrigkeit zu tun haben. Sie war eben nur deckungsgleich mit der weltlichen Macht. Aber das erwähnten die Appellantinnen mit keinem Wort. Vielmehr führten die Klosterjungfrauen zu ihrem Schutz den Augsburger Religionsfrieden von 1555 sowie den Passauer Vertrag von 1552 an. Im Einklang mit den reichsrechtlichen Vorgaben betonten die Cappeler Nonnen, von der Einführung der Reformation in Lippe seien sie schon immer „befreiet gewesen“. Sie wollten weiterhin nur „â suis ordinariis regirt und administrirt“ werden, also vom katholischen Erzbischof von Köln. Auch „hernacher“, in den Jahrzehnten seit 1555, seien sie nicht zum Protestantismus übergetreten. Vielmehr habe der Kölner Erzbischof sich „solcher geistlicher Jurisdiction biß auf heutige stunde undernommen“2184. Angeblich hatten sogar kurfürstlich kölnische Räte die Kapitularjungfrauen im Streit vor dem lippischen Grafen vertreten. Diese Verteidigung im Injurienstreit war aber äußerst mager ausgefallen. Lediglich die Unzuständigkeit des Gerichts hatten die Jungfrauen und ihre Kölner Helfer gerügt. Gegen die Injurienvorwürfe des Lipperoder Amtmanns hatten sie sich nicht verteidigt. Vielleicht waren sie nicht einmal zu einer Sitzung der gräflichen Kommisison erschienen. Deswegen hatte das lippische Gericht die adligen Jungfrauen „in uera contumacia“ verurteilt2185. Und dieses Versäumnisurteil war nun in der Welt. Die Appellantinnen entschuldigten ihre erstinstanzliche Untätigkeit mit Hinweis auf ein Machtwort aus dem Erzbistum. Der kölnische Offizial zu Werl sollte ihnen zweimal verboten haben, sich auf einen Rechtsstreit vor dem lippischen Grafen einzulassen. Dabei hatte er ihnen angeblich sogar
Art. Chrisam, in: DRW II, Sp. 676; so auch eine Belegstelle bei F al k m a n n , Graf Simon VI. Bd. 3/Beiträge 6, S. 313. 2183 LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 12, fol. 34v-35r, Art. 5-6. 2184 LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 12, fol. 35r-35v, Art. 7-9; Hinweis auf die Kölner Rechte auch bei K i t t e l , Stift Cappel, S. 110. 2185 LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 12, fol. 36v, Art. 12. 2182
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den Verlust ihrer Güter in Kurköln sowie im Fürstbistum Münster angedroht2186. In derartigen Hinweisen der Kapitularjungfrauen verschwimmen die Grenzen zwischen der geistlichen und der weltlichen Herrschaft des Kölner Erzbischofs. Die Appellantinnen jedenfalls sprachen vom Kurfürsten und seinen Beamten. Üblicherweise redete man von geistlichen Würdenträgern anders, nicht so weltlich. Damit bleibt fraglich, ob die Klosterjungfrauen von Cappel den lippischen Grafen überhaupt als Landesherrn anerkannten. Vermutlich war das nicht der Fall, wenn sie jegliche weltliche Herrschaft ablehnten und sich dafür auf ihr Gerichtsstandsprivileg beriefen. Die Jungfrauen beschwerten sich außerdem über zahlreiche Rechtswidrigkeiten, die im erstinstanzlichen Prozeß vorgekommen sein sollten. Das braucht hier nicht zu interessieren. Wichtiger ist anderes: In der rechtlichen Gedankenführung ähneln die Cappeler Appellationsgravamina den oben untersuchten Schriftsätzen von Beamten und Geistlichen aus dem Amt Schwalenberg. In Schwalenberg war es der Bischof von Paderborn, der geistliche Herrschaftsrechte geltend machte und deswegen seinen Untergebenen die Prozeßführung vor lippischen Gerichten verwehrte. In Cappel ging der Kölner Erzbischof gegenüber den Klosterjungfrauen genauso vor. Bereits in der Appellationsbegründung fällt im Cappeler Prozeß die aufgeheizte Sprache auf. Es ging für das Kloster ersichtlich um einen Präzedenzfall und nicht um ein Alltagsgeschäft aus einem von beiden Seiten hingenommenen Kondominium mit unklarer Herrschaftsaufteilung. Deswegen wehrten sich die Appellantinnen, möglicherweise rechtskundig beraten von den erwähnten kurkölnischen Beamten, mit aller Kraft gegen die Ausdehnung der lippischen Gerichtsgewalt und beharrten auf ihrem persönlichen Gerichtsstandsprivileg. Ob sie immer noch katholisch waren, ging aus ihren Schriftsätzen nicht klar hervor. Anders aber konnten die Mitglieder des Reichskammergerichts die zahlreichen Hinweise auf den Kölner Erzbischof und den Offizial von Werl wohl kaum verstehen. bb) Einbindung der Klosterjungfrauen in den lippischen Flächenstaat Der vor dem Reichskammergericht verklagte Amtmann Hermann Kirchmann antwortete in derselben scharfen Tonlage, mit der auch die Klosterjungfrauen ihren Schriftsatz gewürzt hatten. Anders als in einigen zuvor geschilderten Streitfällen stammte seine Exzeptionsschrift nicht aus der lippischen Kanzlei, sondern von einem namentlich nicht bekannten Advo2186
LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 12, fol. 37v, Art. 17.
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katen und Schriftsatzverfasser. Dennoch war Kirchmann Vertreter der Detmolder Obrigkeit in Lipperode. Kaum verwunderlich sprach er in seiner Exzeptionsschrift weniger den ursprünglichen Injurienstreit an als vielmehr die gräfliche Gerichtsgewalt über die Kapitularjungfrauen von Cappel. Das war der Blickwinkel der landesherrlichen Gewalt, irgendwelche Injurien verblaßten daneben. Der Amtmann hielt aus prozessualen Gründen zunächst die Appellation der Klosterdamen für unzulässig und frivol2187. Wenn die Kapitularjungfrauen wegen eigener Nachlässigkeit mit einem Versäumnisurteil beschwert waren, sei ihnen hinterher der Rechtsweg verschlossen2188, war zu lesen. Dies leitete der Schriftsatzverfasser nicht nur aus dem römischen Recht ab2189, sondern ebenso aus der lippischen Gerichtsordnung von 15932190. Die partikulare Gerichtsordnung war nach appellatischer Ansicht auf die Kapitularjungfrauen voll anwendbar, weil sie „In der Graueschafft Lippe außer allen streitt geseßen“2191. Während die adligen Jungfrauen eine persönliche Exemtion von der lippischen Gerichtsbarkeit beanspruchten, argumentierte der Appellat geographisch und hielt Cappel für ein Kloster innerhalb der lippischen Territorialgrenzen. Daraus entsprang zugleich das wesentliche Argument gegen den angeblichen Inhibitionsbrief des kurkölnischen Offizialats zu Werl. Mit einer gewissen selbstverständlichen Ungenauigkeit schlug der Schriftsatzverfasser ebenso wie die Appellantinnen das Werler Offizialat Kurköln zu2192, obwohl das Herzogtum Westfalen ursprünglich weltliche Eigenständigkeit besessen hatte. Das tut aber nichts zur Sache, denn juristisch-verfassungsrechtliche Exaktheit steht für die hier betrachtete Zeit ohnehin nicht zu erwarten. Wichtiger ist die Schlußfolgerung. Darin wies der Amtmann jede Kölner Herrschaftsbefugnis über Cappel weit von sich. Der Werler Offizial, meinte er, könne bereits deswegen „nichts schaffen“, weil „der district unnd das Kloster zu Cappell der Graff: und Herschafft Lippe angehorig, unnd in selbiger Landschafft unter der Herrn Graffen zur Lippe Jurisdiction unnd gebiete unzweifflich gelegen, das also die (...) Appellantinnen, in
Zur Frivolität O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 321: „Frivola appellatio, da man wider das gesprochene Urtheil und den Proceß nichts hauptsächliches, sondern nur Bagatellen einzuwenden hat, welche zu nichts dienen, als die Execution aufzuhalten, und dem Gegentheil die Sache schwer zu machen“. 2188 LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 13, fol. 45r-46r. 2189 Zitiert wird an erster Stelle C. 7, 65, 1 („Eius, qui per contumaciam absens, cum ad agendam causam vocatus esset, condemnatus est negotio prius summatim perscrutato, appellatio recipi non potest“). 2190 Zur Hofgerichtsordnung von 1593 E b e r t , Kurzer Abriß, S. 32-35; H e i d e m a n n , Gerichtswesen, S. 131-132. 2191 LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 13, fol. 47r. 2192 Zur Konkurrenz mit dem Kölner Offizialat B u c h h o l z -J o h a n e k , Offizialatsgericht, S. 172; M o s e r , Teutsches Staats-Recht IV, S. 18-19 § 5. 2187
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mehr hoch: unnd wohlg[edachts] Herrn Graffen dioecesi unnd Pottmeßigkeitt geseßen“2193. Die Argumentation des Amtmanns mutet für das frühe 17. Jahrhundert erstaunlich modern an. Sie paßt aber widerspruchsfrei zu dem Standpunkt, den der lippische Graf Simon VI. im Konflikt mit seiner Landstadt Lemgo vertrat. Die gräfliche Haltung hat Heinz Schilling vor einiger Zeit herausgearbeitet. Wesentlich war danach die Rückbindung aller Rechtsauffassungen an einen möglichst homogenen Flächenstaat2194. Genau dies unternahm der appellatische Schriftsatzverfasser ebenfalls. Allein weil das Kloster Cappel im Gebiet der Grafschaft Lippe lag, konnte es bei dieser Sichtweise dort keine fremden Herrschaftsinteressen mehr geben und also auch keine auswärtige geistliche Gerichtsbarkeit. Freilich erkannten die lippischen Grafen Paderborner Ansprüche im Amt Schwalenberg ohne großen Widerstand an. Das war mit dem streng gemeißelten Grundsatz nicht vereinbar. Die Einheit von Territorialgewalt und Herrschaftsgebiet kennzeichnete also wohl kaum ein einschränkungslos geltendes Rechtsprinzip. Aber der Kern der Gedankenführung war klar. Das Herrschaftsgebiet war maßgeblich geprägt durch die Jurisdiktionsgewalt des Landesherrn, und die erschien weiterhin im Einklang mit zahlreichen zeitgenössischen Stimmen als Inbegriff der Territorialgewalt2195. Mit der Konfession der Beteiligten hatte das auf den ersten Blick nichts zu tun. Auch Katholiken waren lippische Untertanen. Schaut man genauer hin, fällt eine sprachliche Besonderheit ins Auge. Der Schriftsatzverfasser des Amtmanns bezeichnete den Gerichtssprengel des Grafen, also das Landesterritorium, als Diözese. Für die weltliche Herrschaft war das ein eher ungebräuchlicher Ausdruck. Sicherlich war das kein Ausrutscher, und daher dürfte die Exzeptionsschrift Territorialherrschaft und Gerichtsgewalt ausdrücklich auch auf die geistliche Jurisdiktion bezogen haben. Hierbei handelte es sich um eine verfassungsrechtliche Grundfrage des Alten Reiches. Genau das machte der Schriftsatzverfasser den Mitgliedern des Kammergerichts, die seinen Gedankengang lesen sollten, noch auf der selben Seite deutlich. Unmittelbar nach dem Hinweis auf die einheitliche Jurisdiktionsgewalt des Landesherrn kam der Verfasser der Exzeptionsschrift auf die Reichsunmittelbarkeit der lippischen Grafen und ihr verfassungsrechtlich gewährLA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 13, fol. 47v-48r. S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 149, 296-297, zu Begrenzungen S. 379-380. 2195 W i l l o w e i t , Rechtsgrundlagen, S. 17-47, 186-213; C o s t a , Jurisdictio; S t o l l e i s , Geschichte I, S. 156-157; S t o l l b e r g -R i l i n g e r , Des Kaisers alte Kleider, S. 28; L ü c k , Gericht, Sp. 138; O e s t m a n n , Gerichtsbarkeit, S. 275-278, 290-303; d e r s . , Prozesse aus Hansestädten, S. 114. 2193 2194
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leistetes Konfessionsbestimmungsrecht zu sprechen. Seit „ettzlichen hundert Jahren“, hieß es, seien die lippischen Grafen „unmittelbahre lobliche Stende unnd Grauen des heiligen Romischen Reichs gewesen“. In dieser Eigenschaft hatten nicht nur die Detmolder Grafen, sondern alle „der Augspurgischen Confession verwandte Reichs Stende für dreißig, vierzigh, fünffzig, Sechstzig, Siebentzig, Achtzig unnd Merh Jharen In Ihren Chur: und Fürstenthumben, Graff: und Herrschafen gelegene Geistliche Closter unnd Gottsheuser der Religion reformirt unnd verendert“2196. In diesem zweiten Argumentationsstrang diente die Reichsunmittelbarkeit nicht als Begründung für die einheitliche Gerichtsgewalt im Territorium, sondern für das ius reformandi. Genauere Hinweise auf Rechtsquellen oder Literatur waren dem Schriftsatzverfasser an dieser Stelle offenbar unwichtig. Jedenfalls fehlten sie. Entscheidend war vielmehr der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere. Im Einklang mit dem allgemeinen Reformationsrecht, so meinte der Autor der Exzeptionsschrift, hätten die lippischen Grafen das „unstreittigh“ unter ihrer Botmäßigkeit gelegene Kloster Cappel ebenfalls vom Katholizismus zum protestantischen Bekenntnis überführt, nämlich ohne äußere „Verhinderungh die Lehr unnd Ceremonien reformirt“2197. Aus dem Kloster sei daraufhin ein freies weltliches Stift geworden, die Priorin sowie alle Klosterjungfrauen hätten dies angenommen und akzeptiert. Dabei sei es bisher verblieben. Das entsprach nicht ganz den historischen Tatsachen2198. Aber so war der Boden bereitet für die Behauptung, weder der Kölner Erzbischof noch andere Geistlichkeiten hätten sich seit dem Augsburger Religionsfrieden jemals geistliche Rechte über das Kloster Cappel angemaßt. Statt des kurkölnischen Offizials sei es der lippische Superintendent gewesen, der hier Inspektionen und Visitationen durchgeführt habe. In einem dritten Schritt spielte die Exzeptionsschrift undeutlich auf die Rechtsnatur des Ausgangsstreits an, ohne dies aber klar zu benennen. Denn der Schriftsatzverfasser umriß die weit ausgreifende weltliche Gewalt des protestantischen Fürsten auch über die Pastoren. Darum waren die „Unter den protestirenden Reichs Stenden geseßene Geistliche Persohnen in negotiis secularibus für Ihrer weltlichen Obrigkeitt im rechtt zu stehen unnd zuhandlen pflichtig und gehalttenn“2199. Diese Exzeption hatte nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn der Advokat des lippischen Amtmanns damit zugleich behauptete, der erstinstanzliche Injurienstreit aus den Jahren vor 1610 sei eine weltliche Angelegenheit gewesen. Im selben Atemzug, ohne es umständlich auszuführen, LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 13, fol. 48r. LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 13, fol. 48v. 2198 Zur unklaren konfessionellen Situation B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 21; ungenau S c h u l z e , Klöster und Stifte, S. 329: „1588 Umwandlung in ein freiweltliches Damenstift. Um 1650 reformiert.“ 2199 LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 13, fol. 50r. 2196 2197
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bestritt der Verfasser das geistliche privilegium fori. Denn gerade für den entscheidenden Konflikt erkannte er es nicht an. Ein Geistlicher konnte sich in weltlichen Sachen also ohne weiteres einem weltlichen Gerichtsverfahren ausgesetzt sehen. Im eigenen Interesse war er gehalten, dort zu erscheinen und zu verhandeln. Damit hatte das Gerichtsstandsprivileg der Kleriker gar keine Bedeutung mehr. In geistlichen Angelegenheiten waren fraglos die geistlichen Gerichte zuständig, also in protestantischen Territorien die Konsistorien. Das verstand sich ohnehin von selbst. Weltliche Sachen von Geistlichen sollten dagegen immer vor das weltliche Gerichte gehören. Das Klerikerprivileg war im Kern erledigt. Ähnliche Versuche, das geistliche privilegium fori zu beschränken, lassen sich auch in anderen Territorien feststellen2200. Der lippische Schriftsatzverfasser kümmerte sich aber nicht um einen Vergleich mit weiteren deutschen Ländern, sondern griff erheblich großräumiger aus. Er schloß sich dem großen Diego Covarruvias2201 an und betonte, die Unterwerfung Geistlicher unter die weltliche Gerichtsbarkeit des Landesherrn in weltlichen Streitigkeiten sei „nicht allein bey den protestirenden Stenden teutscher Nation des heiligen Romischen Reichs, sondern auch in Franckreich, England unndt, Hispanien, Schweitzerlandt, Dennemarck, Niederlandt, und an andern mehr Ortten gebreuchlich, und in viridi observantia“2202. Zumindest teilweise waren dies Länder, die zum Zeitpunkt des Rechtsstreits, also 1611, katholisch verblieben waren. Unausgesprochen erkannte der europäische Streifzug dem angeblichen Klerikerprivileg die Qualität geltenden gemeinen Rechts ab. Gelten – falls das Wort für die frühe Neuzeit nicht mehr verspricht, als es halten konnte – gelten also konnte das Privileg nicht, weil es nicht in grünender Observanz stand. Und als gemeines, also allgemeines Recht schied es ebenfalls aus, weil es in wichtigen europäischen Ländern nicht anerkannt war. Mit dieser Finesse befanden sich die Kapitularjungfrauen von Cappel plötzlich im juristischen Abseits. Sie versteckten sich hinter einem scheinbar allgemeingültigen Privileg, das nicht einmal die katholischen Glaubensgenossen unzweifelhaft anerkannten. Auch Diego Covarruvias als rechtsgelehrte Autorität war für diesen Seitenhieb sorgsam gewählt. Denn er war selbst Katholik2203 und stand nicht im Verdacht, den Interessen lutherischer oder reformierter Landesherren nach dem Munde zu reden. Der Schriftsatzverfasser der Exzeptionsschrift unterstellte sogar, die Kapitularjungfrauen von Cappel hätten der Sache nach genau diese eindeutige Rechtslage bisher akzeptiert. Den „Absprungh“ zum kurkölnischen Offizial Dazu oben bei Anm. 1607-1627; zu Hamburg unten bei Anm. 2431-2592. Zitiert wird C o v a r r u v i u a s , Quaestiones, cap. 31 n. 5-9, S. 658-665. 2202 LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 13, fol. 50v. 2203 B r i e s k o r n , Diego de Covarrubias, S. 59-60. 2200 2201
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und die Zuflucht zum zweifelhaften Klerikerprivileg hätten sie nur genommen, um sich dem untergerichtlichen Prozeß zu entziehen2204. Dabei hätten sie „wieder Ihr gewißen unnd beser wißen“ gehandelt. Das waren harte Worte. Angeblich hatten die Klosterdamen längst den Grafen zur Lippe als ihren Landesherrn anerkannt. Außerdem sollten sie öffentlich erklärt haben, daß sie an seiner Gerichtsgewalt „keines weges zweiffeln“2205. Wer in klarem Wissen um die Sach- und Rechtslage dennoch an das Reichskammergericht appellierte, für dessen Verhalten gab es in der frühneuzeitlichen Rechtssprache ein besonderes Wort, damals noch viel negativer besetzt als heute. Es tauchte weiter oben im Schriftsatz bereits auf: frivol. Damit war der Boden ausreichend bereitet. Der Schriftsatzverfasser schnürte den Sack zu und verband die bisherigen Stränge miteinander. Das Erzstift Köln und die Grafschaft Lippe, so betonte er, seien „distincta territoria“. Außerhalb der Territoriumsgrenzen dürfe man aber der fremden Rechtsprechung nicht ungestraft gehorchen. Das war für die Exzeptionsschrift der kondensierte Inhalt der Digesten mitsamt allen mittelalterlichen Bearbeitungen, „cum simil ibi per Gloss. et Doct. allegatis“2206. Die Folge war klar. Der kölnische Offizial zu Werl hatte „In der Graueschafft Lippe (...) Im geringsten nichtt (...) zu gebieten“2207. So unbezweifelbar sicher das von Anfang an anvisierte Ergebnis auch erschien, war doch die Leichtigkeit bemerkenswert, mit der einige Unterscheidungen ins Wanken gerieten, die üblicherweise, zumindest aus moderner Sicht, die frühneuzeitliche Gerichtsverfassung prägten. Wenn nämlich das Erzstift Köln und die Grafschaft Lippe verschiedene Territorien waren, bezog sich der Hinweis auf Territorien unmißverständlich auf weltliche Herrschaftsgebiete. Die Kapitularjungfrauen von Cappel nahmen aber gerade die geistliche Jurisdiktion des Werler Offizials für sich in Anspruch. Diözesangrenzen und weltliche Territoriumsgrenzen unterschieden sich durchaus, auch im kurkölnischen Länderverbund. So erstreckte sich die Gerichtsbarkeit eines Offizials in geistlichen Angelegenheiten durchaus auf Kirchengemeinden oder geistliche Orte, die unter anderer weltlicher Herrschaft standen als der Gerichtsort des Offizialatsgerichts selbst. Werl und Cappel gehörten verschiedenen weltlichen Landesherren. Der Schriftsatzverfasser des Lipperoder Amtmanns hielt deswegen abweiLA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 13, fol. 51r. LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 13, fol. 51r-51v. 2206 Zitiert wird „l. ult. ff. de jurisdic.“, also D. 2. 1. 20: „Extra territorium ius dicenti impune non paretur. idem est, et si supra iurisdictionem suam velit ius dicere.“ – Übersetzung von B e h r e n d s u. a., Corpus Iuris Civilis II, S. 177: „Außerhalb des Gebietes, für das er zuständig ist, wird dem, der Recht spricht, straflos der Gehorsam verweigert. Ebenso ist es auch, wenn er über seine sachliche Zuständigkeit hinaus Recht sprechen will.“ 2207 LA Detmold L 82 Nr. 94, Aktenstück Q 13, fol. 52v. 2204 2205
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chende geistliche und weltliche Gerichtsgewalt für undenkbar. Damit konstruierte er die Einheit von weltlicher und geistlicher Herrschaft, jedenfalls deckungsgleiche Grenzen für geistliche und weltliche Jurisdiktionsbezirke. Die Territorialisierung der kirchlichen Gerichtsbarkeit war in lutherischen und reformierten Territorien selbstverständlich. Im Streit mit den Klosterjungfrauen von Cappel geriet sie auf diese Weise zum Maßstab auch für die Beurteilung katholisch-geistlicher Gerichtsbarkeit. Welche der beiden Rechtsauffassungen das Speyerer Reichskammergericht hätte überzeugen können, bleibt offen. Der Rechtsstreit der Kapitularjungfrauen von Cappel mit dem Amtmann von Lipperode endete durch Vergleich2208. Die Klosterdamen erkannten 1611 den lippischen Grafen als geistliche und weltliche Obrigkeit an, brauchten dafür aber den im zugrundeliegenden Injurienprozeß verhängten Widerruf sowie die Geldstrafe nicht zu zahlen2209. Für die hier verfolgte Fragestellung ist die Auseinandersetzung der Parteien auch ohne höchstrichterliches Urteil sehr ergiebig. Im frühen 17. Jahrhundert diskutierte man demnach vor Gericht, ob die geistliche Gerichtsbarkeit immer dieselben örtlichen Jurisdiktionsgrenzen hatte wie die weltliche Justiz, ob katholische Offizialate Gerichtsbarkeit in protestantischen Territorien ausüben konnten und ob den Geistlichen die Berufung auf ihr privilegium fori in einer reformierten Grafschaft vollends versperrt war. Die lippische Regierung gestand dem Paderborner Bischof insoweit Sonderrechte zu, vor allem im Amt Schwalenberg. Die Gerichtsbarkeit des westfälischen Offizials aus Werl wiesen lippische Parteien dagegen scharf zurück.
c) Der Streit um das privilegium fori für Landsassen Die adligen Landsassen der Grafschaft Lippe versuchten, sich der landesherrlichen Konsistorialgerichtsbarkeit zu entziehen. Diese Reibereien bildeten neben den Jurisdiktionsrechten des Paderborner Bischofs und dem privilegium fori der Kapitularjungfrauen zu Cappel zugleich den dritten großen Streitpunkt um die persönliche Befreiung von der Konsistorialgerichtsbarkeit. Im Gegensatz zu den beiden zuvor geschilderten Fällen wies der hier interessierende Anspruch der Adligen auf Gerichtsstandsbefreiung keinerlei
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LA Detmold L 82 Nr. 94, Protokollbuch, Aufschrift auf dem Deckblatt. Ki t t e l , Stift Cappel, S. 109; F al k m a n n , Graf Simon VI. Bd. 3/Beiträge 6, S. 313-314; späterer Einfluß des kurkölnischen Herzogtums Westfalen auf Cappel ist dokumentiert bei M ü l l e r , Territorialarchiv, S. 22, 500.
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auswärtige Bezüge auf. Es handelte sich um ein rein innerlippisches Problem. In den zuvor geschilderten Auseinandersetzungen war das anders. Das Klerikerprivileg, auf das sich die adligen Jungfrauen von Cappel beriefen, ergab sich ihrer Ansicht nach aus dem gemeinen Recht, war also ein allgemeiner Grundsatz, der überall und unabhängig von lippischen Besonderheiten gelten sollte. Konkret ging es um den Wechsel von der reformierten Konsistorialgerichtsbarkeit zum katholischen Offizialat. Daher geriet der Offizial von Werl als weitere Gerichtsinstitution ins Spiel, und es stellte sich das Problem, wie weit der kurkölnische Einfluß auf die lippische Grafschaft reichte. Bei den Paderborner Herrschaftsrechten im Amt Schwalenberg lag es ähnlich. Sie mögen auf hergebrachten Lehensabhängigkeiten beruht haben und waren außerdem im Ostschlangener Vertrag von 1558 sowie im Vertrag von Lippspringe von 1567 ausdrücklich anerkannt2210. Wenn die lippischen Landadligen aber bestrebt waren, sich der Konsistorialgerichtsbarkeit vollends zu entziehen, war das ein rein innerterritoriales Problem. Deswegen ging es in dieser Auseinandersetzung nicht um die Grundlagen des gemeinen Rechts, nicht um den Wechsel von der einen zur anderen geistlichen Gerichtsbarkeit, sondern um verschiedene Auslegungen des Partikularrechts. Im Ergebnis wollten die Adligen von jedem geistlichen Gerichtszwang befreit sein. Selbstbewußt versuchten sie auf diese Weise die Herrschaft des Grafen über die Landsassen zu begrenzen. Erreichen wollten sie das, indem sie sich den Ausweg zum Reichskammergericht für Streitfälle vorbehielten. Der hier interessierende Streit entzündete sich an der bereits weiter oben dargestellten Auseinandersetzung des lippischen Hofrichters Ludwig von Hammerstein mit dem Pastor Jenin um die Unterhaltung eines Totengewölbes in der Kirche von Heiligenkirchen. Vor dem Reichskammergericht handelte es sich in den Jahren ab 1765 um einen Appellationsprozeß des Hofrichters gegen das lippische Konsistorium. Soweit es in diesem Rechtsstreit um die allgemeine Frage nach der Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten ging, ist dies bereits Gegenstand der Untersuchung gewesen2211. Der zweite Aspekt steht noch aus. Der adlige Hofrichter meinte nämlich, das lippische Konsistorium sei bereits deswegen unzuständig, weil lippische Landsassen überhaupt nicht von der geistlichen Gerichtsbarkeit erfaßt waren. Damit stand er nicht allein. Nur zwei Jahre später in einem weiteren kammergerichtlichen Verfahren beanspruchte der kurhannoversche Kammerjunker Johann Friedrich von Reden für sich und alle in der Grafschaft 2210 2211
B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 140; S c h i l l i n g , Konfessionalisierung, S. 135-136. Dazu oben bei Anm. 2037-2127.
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Lippe lebenden Edelleute ebenfalls die ausschließliche Einbindung in die Gerichtsbarkeit von Kanzlei und Hofgericht. Auch er lehnte es ab, sich dem Konsistorium zu fügen2212. In einem weiteren Kammergerichtsprozeß von 1769 war es derselbe Adlige, der sich nun anläßlich einer neuen Rangelei um ein Mühlenprivileg auf die alleinige Zuständigkeit von Kanzlei und Hofgericht stützte2213. Diese beiden Fälle sind aber nicht so umfassend dokumentiert wie der Speyerer Prozeß von 1765. Es ist daher zweckmäßig, den weitausholenden Schriftsatzwechsel zwischen Hofrichter von Hammerstein und der lippischen Kanzlei speziell im Hinblick auf die Sonderrechte des Adels nochmals zu betrachten. Der Sache nach geht es auch hier um ein privilegium fori, nur eben in der Gegenrichtung, also um ein Gerichtsstandsprivileg der Weltlichen, die vor jeder geistlichen Justiz gefeit sein wollten. aa) Die Rechtsauffassung des adligen Hofrichters Der Appellant, Hofrichter Ludwig von Hammerstein, ging gleich in die Vollen. Als ersten Punkt seiner Gravamina von 1765 setzte er voraus, „als Lippischer Landstandt“ könne er „vor keinem andern Gericht, als der Cantzley, und dem Hoffgericht in quacumque causa verklagt werden“2214. Die Tübinger Juristenfakultät sah das anders. Sie hatte das erstinstanzliche Urteil entworfen und war auch später in den nachfolgenden Prozeß des adligen Johann Friedrich von Reden abermals eingebunden2215. Die Tübinger kannten durchaus die lippischen Hausverträge, „worin enthalten, daß die Landes Stände vor keinem andern Gericht, als der Cantzley, und dem HoffGericht zu Dettmold belanget werden sollen“. Doch hätten die Grafen bei Abschluß der einschlägigen Verträge lediglich die Absicht verfolgt, Mißhelligkeiten zwischen verschiedenen Angehörigen der Herrscherfamilie beizulegen. Nicht aber sei es darum gegangen, die „Jura und Privilegia derer landsassen zu bestimmen“. Deswegen bezog sich das in diesen Verträgen formulierte Gerichtsstandsprivileg des Adels für das Spruchkollegium nur auf erstinstanzliche Zivilsachen, keineswegs jedoch auf kirchliche Angelegenheiten2216. Damit war der Weg der rechtlichen Auseinandersetzung vorgezeichnet. Es ging um die Auslegung der für die frühneuzeitliche Landesverfassung maßgeblichen Herrschaftsverträge. Es kann in der vorliegenden Abhandlung nicht darum gehen, die Besonderheiten der lippischen Regierungsformen in allen Verästelungen nachzuRepertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 800-801. Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 801-802. 2214 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 61v. 2215 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 801. 2216 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 63v-64r. 2212 2213
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zeichnen. Allerdings erhält das streitige Gerichtsstandsprivileg des Adels nur dann schärfere Umrisse, wenn wenigstens die groben Linien der Landesverfassung bekannt sind. Im folgenden bildet ein Mittelweg das Gerüst der Darstellung. Soweit für die prozeßrechtsgeschichtliche Fragestellung bedeutsam, geht es auch um den Wortlaut der Herrschaftsverträge. Alle anderen Einzelheiten, insbesondere die historischen Umstände, unter denen diese Dokumente entstanden, sowie ihre Wirkungsgeschichte, bleiben weitgehend ausgespart. Landesgeschichtliche Forschungen, vor allem die große alte Darstellung von August Falkmann aus den Jahren 1847 bis 1902, haben dies ohnehin aufgearbeitet2217. Maßgeblich waren die sog. Brüderlichen Verträge von 1614 und 1616, ein Landtagsschluß von 1651 sowie der Herberhausener Vergleich von 16612218. Die Brüderlichen Verträge regelten die Aufteilung und Abgrenzung von Herrschaftsbefugnissen, als aufgrund des Testaments Graf Simons VI. seit 1613 mehrere Linien des Hauses Lippe die Regentschaft im Land antraten. Darin gab es folgende Bestimmung: „Die Landsassen und Städte, so dem Regierenden Herrn huldigen, seyn für dessen Unterthanen allein zu achten, NB und mögen die an keinem andern Orth, als für der Cantzley, oder Hoffgericht besprochen werden“2219. Hofrichter Ludwig von Hammerstein ließ seinen Schriftsatzverfasser Dr. Culmann diesen Paragraphen wörtlich in den Appellationsgravamina zitieren. Der kleine Einschub „NB“, also „nota bene“, markierte den zentralen Halbsatz. Aus Sicht des Adels lag hier die entscheidende Rechtsgewähr begründet. Von geistlicher Gerichtsbarkeit war an dieser Stelle nicht die Rede. Deswegen behauptete der Appellant, die alleinige und ausnahmslose Zuständigkeit von Kanzlei und Hofgericht für alle Prozesse gegen Adlige sei seit 1616 im lippischen Verfassungsrecht einschränkungslos anerkannt. Ein Landtagsschluß von 16512220 war das zweite Standbein der appellantischen Argumentation. Der Landesherr sicherte darin zu: „Wie wir dann hiemit gnädig versprechen, solte inskünfftige einer von unsern Ständen, und Unterthanen sich beschwehret befinden, daß wir den, oder dießelbigen zu gnädiger Audienz verstatten, ihr vor, und anbringen in gnaden hören, Ihnen Unpartheylich2221 verschaffen, auch auf unterthaniges anhalten, per Deputatos aus Ritter- und Landschafft versuchen lassen wollen, ob die etwa unter ihnen entstandene Mißhelligkeiten, in der Güte Falkmann beendet sein Werk freilich mit dem Tod Graf Simons VI. 1613. Überblick über diese Vereinbarungen bei H e i d e m a n n , Grafschaft Lippe, S. 20-22; ergänzend S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 419. 2219 § 9 des Brüderlichen Vergleichs 1616, zitiert nach LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 74v. 2220 Erwähnt auch bei H e i d e m a n n , Grafschaft Lippe, S. 18. 2221 Nach dem Sinnzusammenhang scheint das Wort „Recht“ zu fehlen. 2217 2218
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beygelegt componiret, und verglichen, und also demselben ohne Weitläuftigkeit abgeholfen werden könnte? Solte aber über etwa allen angewandten Fleiß, die Güte nicht zulangen wollen, bleibt den Streittenden Partheyen ihre Sach für uns als Ordinario et competente Judice an unßerer Cantzley, und Hoffgericht auszuführen, ausdrücklich bevor.“2222 Die Bestimmung verpflichtete den Landesherrn, sich in Konfliktfällen zunächst um Streitschlichtung zu bemühen. Förmliche Gerichtsverfahren sollten erst stattfinden, wenn Vergleichsversuche und Gütetermine gescheitert waren. Dann aber standen den Parteien Kanzlei und Hofgericht offen, nach der Einleitung ausdrücklich auch den Ständen. Die Bezeichnung des lippischen Grafen als Ordinarius erstaunt in diesem Zusammenhang. Häufig sprechen Quellen vom Bischof als Ordinarius und meinen damit seine Eigenschaft als ordentlicher geistlicher Richter seines Bistums2223. Nach der Reformation war die Begrifflichkeit unklar, wie ein Mecklenburger Fall gezeigt hat. Jedenfalls hieß es dort in einem vom Lübekker Oberhof in der Mitte des 16. Jahrhunderts entschiedenen Fall, im Bistum Schwerin gebe es inzwischen keinen Ordinarius mehr, obwohl der Mecklenburger Landesherr Administrator des Stifts Schwerin war2224. Nochmals zweihundert Jahre später war Ordinarius in der Grafschaft Lippe schlicht der oberste weltliche partikulare Richter ohne irgendwelche kirchlichen Anklänge. Der lippische Hofrichter Ludwig von Hammerstein setzte sich zunächst mit dem Einwand der Tübinger Juristenfakultät auseinander. Die Professoren meinten, beim Abschluß der landesherrlichen Hausverträge hätten die lippischen Grafen nicht vorgehabt, die Rechte des Adels schriftlich niederzulegen, geschweige denn auszuweiten. Das ließ der Appellant nicht gelten. Er zitierte eine Disputation von Johann Jakob Moser über Verträge und Privilegien in Religionssachen. Nach Mosers Einschätzung erfolgte die Rechtsgewährung zugunsten der Untertanen zumeist in Form von Urkunden oder Privilegien, die ausschließlich von Landesherren ausgestellt oder unterschrieben waren. Es brauchte sich also nicht um Verträge zwischen Landesherren und Untertanen zu handeln. Dennoch entfalteten die einseitigen Rechtsfestlegungen genau dieselbe Wirkung zugunsten der Landstände und Untertanen2225. Auf diese Weise ließen sich die Rechte der Untertanen
§ 18 des Landtagsschlusses von 1651, zitiert nach LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 74v-75r. 2223 D e u t s c h , Ehegerichtsbarkeit, S. 63; B u c h h o l z - J o h a n e k , Geistliche Richter, S. 23, 199; I h l i , Gerichtsbarkeit, S. 424-425; auch bei G e s c h e r , Besprechung Fournier, S. 614. 2224 LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 7; dazu oben bei Anm. 1650-1677. 2225 M o s e r , De pactis et privilegiis circa religionem, § 36, S. 16-17. 2222
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stärken, auch über Herrschaftsverträge im engeren Sinne hinaus2226. Der Hannoveraner Vizekanzler David Georg Strube vertrat die gleiche Ansicht und erscheint im Schriftsatz als zweiter Gewährsmann des Hofrichters2227. Von hier aus bemühte sich der appellantische Advokat sofort, das zweite Bedenken der Tübinger Professoren zu entkräften. Entschieden war er der Meinung, der Brüderliche Vertrag von 1616 und der Landtagsschluß von 1651 seien nicht nur auf Zivilsachen begrenzt. Eine solche „praejudicirliche interpretation hat noch niemand gemacht“, schimpfte er. Diese Irrlehre verstoße „gegen alle Regeln seiner vernünfftigen interpretation“2228. Auf diese Weise geriet die partikularrechtliche Literatur ins Blickfeld. Für Lippe, im Gegensatz zu Sachsen oder Lübeck ein Territorium ohne nennenswerte mittelalterliche Rechtstradition, geschweige denn Universität, gab es nur wenige gelehrte juristische Abhandlungen. Dennoch war sich der Schriftsatzverfasser sicher: „noch alle scriptores Juris publici Lippiaci“ hätten „von denen landes ständischen Rechten in genere behauptet, daß sie vor keinem andern Gericht, es möge Nahmen haben, wie es wolle, können belangt werden, als allein vor der Cantzley, und dem Hoffgericht“2229. Maßgeblich für das lippische Partikularrecht war nach Einschätzung der Appellationsgravamina die Abhandlung eines heute vergessenen Friedrich Wilhelm Pestel2230. Aber nicht nur heute ist Pestel unbekannt, auch im 18. Jahrhundert scheint es kaum anders gewesen zu sein. Davon ging der Schriftsatzverfasser jedenfalls wohl aus. Für die Mitglieder des Reichskammergerichts, die den lippischen Autor nicht kannten, fügte er der Appellationsbegründung vorsichtshalber einen handschriftlichen Auszug aus Pestels Schrift bei. Der vom adligen Hofrichter erstrebten Befreiung von der Gerichtsgewalt des Konsistoriums war das nur nützlich. Der Kernsatz lautete nämlich, „daß alßo in der Reformirten Graffschafft Lippe, gar wohl möglich seyn könne, daß die Jurisdictio ecclesiastica contra Nobiles von der Cantzley, und dem Hoffgericht exercirt werden solle“2231. Genau anders als in den bisher untersuchten Berufungen auf das privilegium fori ging es nicht um Schranken der weltlichen Justiz gegenüber Geistlichen. Vielmehr wollten sich weltliche Adlige jeder geistlichen Gerichtsbarkeit entziehen. Deswegen legten sie dem Zur Typologie von Herrschaftsverträgen W i l l o w e i t , Verfassungsgeschichte, S. 121-122; W a l z , Stände, S. 35-37. 2227 S t r u b e , Observationen, obs. 4 § 3 Lit. a, S. 175-176; zu Strube (1694-1776) O e s t m a n n , David Georg Strube, S. 52-58. 2228 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 76r. 2229 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 76r. 2230 Zitiert wird P e s t e l / C r o n e m e y e r , Selecta, § 14 S. 38: „Denique inter ipsorum immunitates et hoc refertur, quod soli C. R. subiiciantur, coram cancellaria vel curia prov. conueniantur, et secundum conuenta Herbershusana, executiones aut immissiones, a Gogravio prouinciali aduersus nobiles, aut in praediis equestribus, peragantur“; zu Pestel (1724-1805) E i s e n h ar t , Pestel, S. 461-462. 2231 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 77r-77v. 2226
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Konsistorium harte Fesseln an. Der Appellant hielt dies für eine Besonderheit der reformierten Territorien. Die lippische Regierung aber wollte davon nichts wissen. bb) Die Auffassung der lippischen Kanzlei von der umfassenden persönlichen Zuständigkeit des Konsistoriums Die Detmolder Kanzlei verfaßte für das am Reichskammergericht beklagte Konsistorium die Exzeptionsschrift. Rundweg bestritt sie den besonderen Gerichtsstand des Adels in geistlichen Sachen. Heidemann hat kurz darauf hingewiesen, das lippische Konsistorium erscheine teilweise als bloße „Deputation“ der Kanzlei2232. Das ist nicht nur wegen der personellen Überlappungen naheliegend. Wenn ohne irgend eine Erläuterung die Kanzlei mehrfach die Schriftsätze des Konsistoriums konzipierte, hielt die Praxis das augenscheinlich für unbedenklich. Selbst die Prozeßgegner hatten hiergegen nichts einzuwenden. Strenge institutionelle Trennungen zwischen den landesherrlichen Oberbehörden gab es nicht, aber auch niemand forderte sie ein. Dennoch bestand die Regierung auf einer eigenen geistlichen Gerichtsgewalt des Konsistoriums über alle Angehörigen der Grafschaft, auch über die Landsassen. Wie bereits oben gesehen, verzichtete die Kanzlei darauf, Besonderheiten einer reformierten Gerichtsverfassung darzulegen, und stellte das Konsistorium ganz in die Kontinuität der katholischen Offizialate. Daraus folgte die umfassende Konsistorialzuständigkeit für alle geistlichen Streitigkeiten. In den vom Appellanten angeführten Quellen sei „überhaupt nicht einmahl die Rede davon (...), wie die Gränzen des Consistorii Gerichtsbarkeit zu bestimmen, geschweige denn, daß (...) dieselbe auf Ehesachen allein sollte eingeschräncket, und alle andere causas ecclesiasticas davon ausgenommen“ seien2233. Die lippische Kanzlei hatte es bei ihrer Argumentation vergleichsweise einfach, nicht nur, weil sie das Tübinger Fakultätsurteil auf ihrer Seite wußte. Sie konnte sich ganz auf unklare Formulierungen des Partikularrechts zurückziehen. In den lippischen Herrschaftsverträgen und normativen Regelungen war der Umfang der Konsistorialgerichtsbarkeit eben nicht genau bestimmt. Insbesondere existierte kein positiver Rechtssatz, der Adlige ausdrücklich vom Konsistorium befreite. Deswegen war es methodisch naheliegend, sich ganz auf die gemeinrechtlichen Grundsätze zu stützen. Ob man das strikte Interpretation des Landesrechts nennen mag, ist eine Geschmacksfrage. Dennoch zeigt das 2232 2233
H e i d e m a n n , Grafschaft Lippe, S. 42. LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30, fol. 62r.
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Beispiel, wie verkürzend die ältere Redeweise von der Schwächung des Partikularrechts durch strikte Interpretation sein kann. In diesem Fall war es nämlich die Territorialregierung selbst, die sich ganz den gemeinrechtlichen Grundsätzen unterstellte. Sicherlich wollte sie ihr eigenes Partikularrecht nicht schwächen, das kann als ausgeschlossen gelten. Vielmehr stärkte der Rückgriff auf die gemeinrechtliche umfassende Zuständigkeit der geistlichen Gerichtsbarkeit die Landesherrschaft. War doch nur so die Einlegung von Rechtsmitteln in geistlichen Streitigkeiten versperrt2234. Die Beschneidung des Instanzenzuges kam in jedem Falle dem territorialen Gerichtsherrn zugute. cc) Zwischenergebnis Eine reichskammergerichtliche Entscheidung erging nicht. Das entwertet aber nicht die Quelle. Der Blick in die Zuständigkeitskonflikte und Streitigkeiten um Instanzenzüge zeigt allenthalben umfangreiche anwaltliche Schriftsätze, ganz verschiedene Stroßrichtungen und sich gegenseitig ausschließende Gedankenführungen. Wer dabei „das Recht“ auf seiner Seite hatte, spielt aus heutiger Rückschau keine Rolle, ist sogar eine methodisch bedenkliche, vielleicht gar unzulässige Frage. Wenn Recht der Diskussionszusammenhang über Recht und Unrecht ist2235, hat man es bei den hier ausgewerteten Prozeßakten auch dann mit Rechtszeugnissen zu tun, wenn sie kein höchstgerichtliches Urteil enthalten. Rein tatsächlich standen lippische Adlige ohnehin mehrfach als Beklagte vor dem Konsistorium. Das betrifft nicht nur diejenigen Fälle, die später durch Appellationen an das Reichskammergericht gelangten. Auch Ludwig von Hammerstein, der prozessierende Hofrichter, räumte das ein. Wie er aus eigener Erfahrung wußte, hatte das Detmolder Konsistorium mehrfach gegen die Auffassung der Landsassen entschieden, nur wollte er sich dadurch nicht präjudizieren lassen2236. Der deutliche Abstand zu den damals schon über einhundertfünfzig Jahre zurückliegenden Brüderlichen Verträgen drängt eine Frage geradezu auf: Warum fand der Streit ausgerechnet in den 1760er Jahren statt? Warum beschäftigten sich innerhalb dieser knappen Spanne gleich drei Reichskammergerichtsprozesse mit dem adligen Gerichtsstandsprivileg der lippischen Landsassen? Die normative Ausgangslage war zuvor nicht anders, und denZu diesem Argument oben bei Anm. 2078-2125. F ö g e n , Rechtsgeschichte, S. 15 Nr. 6. 2236 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 80v. 2234 2235
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noch berief sich kein Kläger vor dem Reichskammergericht früher darauf. Solche Unklarheiten lassen sich kaum erhellen. Sie weisen aber auf die Welt hinter den Akten hin2237. Es gab jenseits der Schriftsätze immer noch weitere Interessen und Motive der Beteiligten, die sich dem Zugriff, jedenfalls dem rechtshistorischen Zugriff, entziehen. Sie hinterließen eben keine Spuren in den Archiven. Wilhelm Butterweck erwähnt für die späten 1760er Jahre Kompetenzkonflikte um das Konsistorium, weist hierbei aber auf einen anderen Zusammenhang hin. Er sieht die lippischen Nebenlinien geschwächt, weil im Gegensatz zur Zeit der Herrschaftsverträge aus dem 17. Jahrhundert das Generalkonsistorium im 18. Jahrhundert nicht mehr tätig war. Das Generalkonsistorium hatte noch Ritterschaft und Städte eingebunden. Dagegen bestand das später tätige einfache Konsistorium nur noch aus Präsident, Superintendent sowie rechtsgelehrtem Sekretär2238. Möglicherweise opponierte der landsässige Adel also gegen ein Beamtengericht ohne adlige Beteiligung. Sehr wahrscheinlich ist das aber nicht. Das lippische Generalkonsistorium war nämlich bereits 1684 eingeschlafen2239, also schon achtzig Jahre zuvor. Der Widerstand des Adels gegen die geistliche Gerichtsbarkeit findet daher zwar im Wunsch nach umfassenden Appellationsmöglichkeiten eine überzeugende Erklärung. Der Grund für den gedrängten Zeitraum der gerichtlichen Konflikte bleibt aber unerfindlich. Als Zusammenschau der drei Beispielsfälle bleibt folgendes festzuhalten. Die Ansprüche des Paderborner Bischofs auf Mitwirkung an der geistlichen Gerichtsbarkeit in der Grafschaft Lippe sind mehrfach dokumentiert. Die lippische Regierung nahm sie ohne Murren hin. Die Fälle reichen in den hier betrachteten Verfahren am weitesten zurück, erstreckten sich aber noch bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das geistliche Privileg zugunsten der Kapitularjungfrauen von Cappel akzeptierte die lippische Regierung dagegen nicht. Das Konsistorium galt als ordentliches geistliches Gericht der Grafschaft. Die Regierung vertrat insoweit das strenge Territorialitätsprinzip. Damit waren Übergriffe auswärtiger Offizialate ausgeschlossen. Im Gebiet der Grafschaft hatten die geistlichen Richter aus Werl nichts zu sagen. Schon im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts tritt einem diese Rechtsauffassung als gefestigte Meinung in den Schriftsätzen entgegen, selbst wenn die Konfession des Cappeler Klosters zu dieser Zeit alles andere als eindeutig war. Ein rein innerlippisches Problem war dagegen der AnUmkehrung des Wortspiels von L e p s i u s / W e t z s t e i n , Als die Welt in die Akten kam. B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 254; im frühen 18. Jahrhundert gab es zudem Streit um die Mitwirkung des Adels am Hofgericht, dazu knapp B a r g e , Grafschaft Lippe, S. 112. 2239 Niedergang des Generalkonsistoriums auch in Braunschweig-Wolfenbüttel, bei M ü l l e r V o l b e h r , Die geistlichen Gerichte, S. 265. 2237 2238
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spruch des Landadels, in allen Angelegenheiten ausschließlich Prozesse vor der Kanzlei und dem Hofgericht zu führen. Dieses Ansinnen akzeptierte die Regierung nicht. Nur durch eine großzügige Ausweitung der konsistorialgerichtlichen Zuständigkeit konnte sie Appellationen an die Reichsgerichte abblocken und damit zugleich ihre weitgehende Unabhängigkeit von der Justizaufsicht des Reiches untermauern. Für ein kleineres Territorium ohne unbeschränktes Appellationsprivileg kam es offenbar darauf an, wenigstens in geistlichen Angelegenheiten Eigenständigkeit zu zeigen.
3. Appellation in Konsistorialsachen Die Appellation an das Reichskammergericht in geistlichen Streitigkeiten war ein Dauerbrenner im Alten Reich. Wie die zahlreichen Schlaglichter aus anderen Territorien zeigen, kam es hierbei kaum auf regionale Beschränkungen und Besonderheiten an. Wohl allerdings trat das Problem vornehmlich in protestantischen Territorien auf. Mecklenburg stellte insoweit eine Ausnahme dar. In katholischen Herrschaftsgebieten dagegen stand mit den mehrgestuften Offizialatsgerichten ein Rechtsmittelweg bereit, der den Parteien augenscheinlich ausreichend Rechtsschutz gegen vermeintliche erstinstanzliche Fehlurteile bot. In protestantischen Territorien fehlte genau dieser kirchliche Instanzenzug, sieht man von den Oberkonsistorien in besonders großen Territorien einmal ab2240. Wie bereits erwähnt, stellte das lippische Generalkonsistorium im späten 17. Jahrhundert seine Arbeit mehr und mehr bis zum völligen Erliegen ein. Eine obere Instanz für Kirchensachen gab es damit in der Grafschaft nur auf dem Papier, tatsächlich aber nicht2241. Kaum verwunderlich unternahmen mehrere Parteien Anläufe, Konsistorialsachen zweitinstanzlich am Reichskammergericht anhängig zu machen. Einige dieser Fälle aus der Zeit zwischen 1616 und 1770 gilt es im folgenden näher zu untersuchen. Das erste Beispiel stammt von 1616. Ein Heinrich Kahr oder Kahren verklagte untergerichtlich eine Elisabeth Rust auf Erfüllung eines Eheversprechens2242. Die minderjährige Beklagte bestritt allerdings, mit Heinrich verlobt zu sein, und erschien nicht zur Verhandlung. Stattdessen hielt sie Dazu S c h l ü t e r , Calvinismus, S. 141; zur Ausnahme Bremen-Verden mit Appellation vom Konsistorium an das Wismarer Tribunal M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 399. 2241 D a h l w e i d , Verwaltung, S. 313. 2242 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 825-826. 2240
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angeblich um Bestellung eines Prozeßvormunds an2243. Ihre Eltern waren gestorben, die Brüder lebten angeblich außer Landes. Ob sie den gewünschten Kurator zugeordnet bekam, ist nicht bekannt. Vermutlich nicht, denn Graf Simon VII. zur Lippe und seine Konsistorialräte verhängten ein Zwangsgeld von 70 Gulden gegen Elisabeth und erneuerten die Ladung. Die minderjährige Elisabeth aber wollte nicht zahlen und appellierte an das Reichskammergericht. Als erstinstanzliche Richter gab Elisabeth sowohl den Grafen als auch sein Konsistorium an. Die doppelte Nennung des Landesherrn mitsamt seiner Konsistorialräte als Judex a quo2244 ist leicht zu erklären. In dieser Zeit führte der lippische Graf noch persönlich den Vorsitz des Generalkonsistoriums bzw. ordentlichen Konsistoriums und leitete auch regelmäßig die geistlichen Gerichtsverhandlungen2245. Die Appellantin warf dem lippischen Konsistorium eine nichtige Prozeßführung vor und verband auf diese Weise Appellation und inzidente Nichtigkeitsbeschwerde. Das war gang und gäbe. Das Verfahren am Reichskammergericht scheint für die junge Frau allerdings kaum erfolgreich gewesen zu sein. Es gab zwar zunächst einen Reproduktionstermin2246 im Dezember 1616. Dort legte der Prokurator der Appellantin auch ordnungsgemäß das Zitations- und Kompulsorialschreiben mitsamt Zustellungsvermerk vor. Danach ist aber in Speyer nur für Januar 1617 eine weitere Audienz dokumentiert. Der Prozeßgegner Heinrich Kahr erschien zu keinem Termin. Nicht einmal eine Prokuratorenvollmacht ist von ihm überliefert. Im Februar 1621 erging ein Urteil, doch ist der Wortlaut nicht erhalten2247. Möglicherweise verwarf das Reichskammergericht die Appellation durch Prozeßurteil als unzulässig. Der Fall verdient dennoch Beachtung, weil die Appellantin offenbar um die Risiken einer Appellation in Ehesachen wußte. Sie war zwar jung und einsam, hatte sich aber gut vorbereitet und offenbar beraten lassen. Deswegen legte ihr Prokurator in der ersten Audienz in Speyer ein Gutachten vor, das die Zulässigkeit der reichskammergerichtlichen Prozeßführung bestätigte. Die Verfasser des undatierten Schriftstücks waren Henrich Schrader, Doktor beider Rechte, sowie Bartholomäus Musculus, ebenfalls Doktor. Die Anfrage, aus Sicht der Appellantin in Ich-Form geschrieben, betraf zwei Punkte. Erstens ging es darum, ob Elisabeth wegen Nichtigkeiten oder extrajudizialer Beschwerungen „Pillich“ an die „hohiste Obrigkeitt“ appelliert Zur Geschlechtsvormundschaft über Frauen H o l t h ö f e r , Geschlechtsvormundschaft, S. 390-451; weitere Literatur bei O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 61 Anm. 355. 2244 Bezeichnung der Appellaten in LA Detmold L 82 Nr. 686, Aktenstück Q 3, fol. 7. 2245 Dazu B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 254; V aj e n , Die rechtliche Anerkennung, S. 32-33. 2246 Zu dieser Audienz allgemein D i c k , Entwicklung, S. 111, 138; M au r e r , Lahrer Prozeß, S. 159. 2247 LA Detmold L 82 Nr. 686, Protokollbuch, Expeditumvermerk vom 8. Februar 1621. 2243
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habe. In diesem Fall wären die lippischen Konsistorialräte verpflichtet gewesen, vor dem Reichskammergericht zur Verhandlung zu erscheinen. Das legte die Frage den Gutachtern bereits in den Mund. Zweitens fragte Elisabeth Rust ausdrücklich, „ob ich durch dieße Appellation des Hochwollgebornen Meines gnädigen Landtshern Geistlicher Jurisdiction zuwieder gehandtlett, und deßwegen fueglich in straff genommen werden könne“2248. Bereits die doppelte Anfrage verrät juristisches Fingerspitzengefühl. Die Zulässigkeitsprobleme bei Appellationen in Ehesachen gestand die Appellantin stillschweigend zu. Bereits in ihrer Anfrage verfiel sie auf Sonderfälle und nannte Nichtigkeitsklage sowie Extrajudizialappellation2249. Ebenfalls waren ihr die Folgen offensichtlich unzulässiger Appellationen bekannt. Wer vorsätzlich das Reichskammergericht anrief, obwohl ihm das Verbot bekannt war, riskierte nicht nur Schwierigkeiten im eigenen Territorium, sondern auch Geldstrafen. All das wußte Elisabeth Rust, bevor sie sich an die beiden Rechtsgelehrten wandte. Die Antwort der Doktoren war ein Armutszeugnis der frühneuzeitlichen praktischen Rechtsberatung. Nach fleißiger Erwägung der Umstände und auf Grundlage der überschickten Prozeßakte, so erklärten die Konsiliatoren, habe die Appellantin „alß mercklich gravirt beschehener maßen zu Appellieren gutt fuegh gehabt“. Deswegen sei die Appellation der geistlichen Gerichtsbarkeit des gnädigen Landesherrn „mitt nichten abbrüchigh“. Daher müsse das Untergericht bis auf weiteres abwarten, ohne die bereits verhängte Geldstrafe zu vollstrecken. Eine salvatorische Klausel beschloß das Gutachten. Es sei zwar von Rechts wegen erstattet, „Jedoch eines Jeglichen beßvorstendigen Consultation und meinungh Ohnvergreiflich“2250. Für diesen leicht umständlichen Bandwurmsatz benötigten die Gutachter nicht einmal eine Seite, dann war die Rechtsbelehrung bereits zu Ende – ein Wisch, mehr nicht. Es fehlte jede Begründung, weshalb das Verhalten der Appellantin zulässig war, geschweige denn ein Hinweis auf irgendeine Rechtsnorm. Das Gutachten enthielt nichts weiter als eine unbegründete Rechtsbehauptung, deren Gewicht ausschließlich vom Ansehen der beiden Verfasser abhing. Ob diese sich überregionaler Bedeutung erfreuten, ist nicht bekannt und höchst zweifelhaft. Bartholomäus Musculus hatte zwar einige rechtsgelehrte Werke verfaßt. Aber berühmt, wie das Zedlersche Lexikon meinte2251, muß er deswegen noch lange nicht gewesen sein. Vermutlich verfolgte das Gutachten überhaupt nicht den Zweck, das Reichskammergericht oder gar das lippische LA Detmold L 82 Nr. 686, Aktenstück Q 7, fol. 14r. Einzelheiten dazu bei S e e g e r , Extrajudizialappellation; M au r e r , Lahrer Prozeß, S. 175; O e s t m a n n , Extrajudizialappellation, Sp. 1457-1458. 2250 LA Detmold L 82 Nr. 686, Aktenstück Q 7, fol. 14v. 2251 Z e d l e r , Universal-Lexicon, Bd. 22, Sp. 1341-1342, dort auch der Nachweis von sechs Werken. 2248 2249
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Konsistorium rechtlich zu überzeugen. Viel eher ist an eine weitere Funktion frühneuzeitlicher Rechtsbelehrungen zu denken, die Ulrich Falk hervorgehoben hat. Wenn eine Partei zu ihren Gunsten ein Rechtsgutachten anführen konnte, war das als solches bereits hilfreich. Die Klage oder Appellation galt dann nicht als mutwillig und frivol, sondern zumindest als rechtlich vertretbar. Damit entging die Partei in vielen Fällen Ordnungsstrafen und der einseitigen Aufbürdung von Prozeßkosten2252. Lag hier der Grund für die Vorlage eines derart oberflächlichen Konsils? Wenn ja, bestätigt das Schriftstücks entgegen seinem Wortlaut die übergroßen Zweifel der Appellantin an ihren eigenen Erfolgsaussichten. Jedenfalls liefert dieser Prozeß mit ungewissem Ausgang keinerlei Anhaltspunkte für eine erlaubte Appellation in Ehesachen. Vielmehr ermöglicht die Anfrage an die Konsiliatoren es sogar, die Unsicherheit der Appellantin positiv festzustellen. Noch im selben Jahr 1617, als Elisabeth Rust ihr erstaunliches Rechtsgutachten in Speyer präsentierte, eröffnete das Reichskammergericht den Mandatsprozeß eines Heinrich Thanäus gegen die Grafen Simon VII. und Hermann zur Lippe. Es ging ebenfalls um die Einhaltung eines Eheversprechens. Genau dazu hatte das lippische Konsistorium die Braut des Klägers verurteilt. Mit der Vollstreckung der Nebenfolgen gab es aber Schwierigkeiten, weil der Schwiegervater als Paderborner „Diener“ auf Weisung seiner bischöflichen Regierung am Konsistorialprozeß nicht teilnehmen durfte. Es handelt sich um einen Fall aus dem kondominial beherrschten Amt Schwalenberg. Bereits im Zusammenhang mit der persönlichen Befreiung von der Konsistorialgerichtsbarkeit war die Sache ins Blickfeld geraten2253. Im Hinblick auf den Instanzenzug interessiert an dieser Stelle ein Punkt aus der Exzeptionsschrift der lippischen Grafen vom Februar 1618. So betonten die Landesherren, wie wichtig es in Ehesachen sei, dem Beklagten Verteidigungsmöglichkeiten offenzuhalten. Sie griffen hierfür pauschal auf das Naturrecht zurück und betonten, Ehesachen seien „arduae et graues“. Deshalb ständen sie Strafsachen gleich2254. Das Argument ist bereits aus Lübeck bekannt2255. Hier war es zugunsten des Brautvaters gemeint, den das lippische Konsistorium „nicht rechtloß“ stehen lassen wollte. In anderen Reichskammergerichtsverfahren diente der Brückenschlag von Ehesachen zu Strafsachen dagegen dazu, aus dem ausdrücklich geregelten strafrechtlichen
F a l k , Consilia, S. 106, 112. Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 911-912; dazu oben bei Anm. 2138-2153. 2254 LA Detmold L 82 Nr. 762, Aktenstück Q 5, fol. 27v-28r, Art. 11. 2255 AHL RKG C 6, Aktenstück Q 6 auch Aktenstück Q 9; dazu oben bei Anm. 1462-1517. 2252 2253
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Appellationsverbot2256 das stillschweigend mit enthaltene Appellationsverbot in Ehesachen abzuleiten2257. Hier stand die nackte Behauptung für sich. Erst im nächsten Satz erklärten die Detmolder Grafen, „das am Graflichen Lippischen Consistorio von den daselbsten in ehesachen gesprochenen und ergangenen Urtheilen das appelliren nicht verstattet, noch zugelaßen werde“2258. Das war eine klare Äußerung der Landesregierung. Auch der reichskammergerichtliche Mandatskläger akzeptierte in seinen Antwortartikeln das Rechtsmittelverbot2259. Für den Speyerer Rechtsstreit um die Vollstreckung des Konsistorialurteils kam es hierauf nicht an. Doch spricht auch diese Quelle klar gegen die Möglichkeit, in Konsistorialsachen das Kammergericht anzurufen.
a) Zwangsverheiratung als Grund für eine Nichtigkeitsklage Einige Jahrzehnte später zeigt ein kammergerichtlicher Nichtigkeitsprozeß von 1687/88, wie findige Parteien versuchten, Ehesachen auf geschicktere Weise vor das oberste Gericht des Alten Reiches zu tragen. Der Sachverhalt ist kurios und entstammt dem prallen Leben2260. Der Kläger, Leutnant Moritz von Kerßenbrock, war Sproß einer Adelsfamilie, die oft an Reichskammergerichtsprozessen beteiligt war2261. Er selbst trat aber nur einmal auf. Der lippische Superintendent hatte ihn nämlich gegen seinen Willen und trotz seiner ausdrücklichen Weigerung, aber mit Zustimmung des Landesherrn, mit einer Katharina Amalia von Donop2262 verheiratet, Tochter einer der wichtigen Adelsfamilien des Landes2263. An der Zwangsverheiratung war Kerßenbrock allerdings nicht ganz unschuldig. Wie er selbst einräumte, hatte er ein Verhältnis mit der Dame gehabt und diese schließlich geschwängert. Streitig war, ob es zuvor ein Eheversprechen gegeben hatte. Der Appellant bestritt das. Er hatte sich wohl nur verlustieren wollen. Doch RKGO 1555 Art. 2, 28, 5, bei L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 206-207; Augsburger Reichsabschied 1530 § 95, bei S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung II, S. 321. 2257 Dazu oben bei Anm. 1462-1517. 2258 LA Detmold L 82 Nr. 762, Aktenstück Q 5, fol. 28r, Art. 12. 2259 LA Detmold L 82 Nr. 762, Aktenstück Q 15, fol. 71r: Antwort auf den 12. Artikel; zum Positionalverfahren O e s t m a n n , Artikelprozeß, Sp. 313-314. 2260 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 427-428. 2261 Personenregister bei B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, S. 1096-1097. 2262 Der Vorname ist unsicher, in LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Citatio ad videndum deduci nullitates“, fol. 21r, Anna Amalia genannt. 2263 Zahlreiche Nachweise der Familie bei S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 428-429; B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, S. 1065-1068; zur Familie Donop: E r s c h / G r u b e r , Allgemeine Encyklopädie I/27, S. 65-66. 2256
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Katharina Amalia von Donop meinte es ernst. Ihrer Erinnerung nach hatte der Offizier ihr zum einen die Ehe versprochen. Zum zweiten kramte sie eine originelle Rechtsvermutung hervor: Eine gut beleumundete adlige Jungfer stieg danach nur dann mit einem Mann ins Bett, wenn er zuvor versprochen hatte, sie zu heiraten. Der Skandal war groß. Die unfreiwillige Mutter sah durch die Bettgeschichte das Residenzschloß geschändet und Schmach auf ihrer Familie liegen. Sie verklagte den Leutnant auf Erfüllung des Eheversprechens. Noch während des Verfahrens ließ der Schloßhauptmann, Bruder des blaublütigen Flittchens, den lendenstarken Leutnant in Arrest legen. Gegen die jeweiligen Verfahrensschritte des lippischen Konsistoriums appellierte Moritz von Kerßenbrock „an Ihro Romische Keyserl[iche] May[es]t[ä]t und dero hochste OberGerichte“. Doch blieb sein Ansinnen erfolglos, denn das Reichskammergericht nahm die Appellation nicht an2264. In dieser Situation kam eines Nachmittags der lippische Superintendent zu dem Leutnant, um die Eheschließung zu verrichten. Kerßenbrock verwies auf seine reichskammergerichtlichen Appellationsversuche, doch ließ der Superintendent nicht locker und erklärte kurzerhand die Ehe für geschlossen. Solche Zwangsheiraten sind aus dem frühneuzeitlichen protestantischen Eherecht mehrfach überliefert. Meistens ging es darum, Unterhaltsansprüche lediger Mütter und ihrer nichtehelichen Kinder zu sichern2265. In diesem lippischen Fall hatte man sogar Güter des Leutnants beschlagnahmt, um Zahlungen an Mutter und Kind in Höhe von 100 Talern „alimentations gelder“ jährlich zu garantieren2266. Leutnant Kerßenbrock wollte sich damit aber nicht abfinden. Mit einer vorgefertigten Appellationsschedula ging er zum Notar und erklärte, „nochmalß an Ihro Römische Kayserl[iche] May[es]t[ä]t, und dero höchste Gerichte zu appelliren“. Es sei „in alle ewigkeit nicht erweißlich“, wie er der Eheklägerin jemals die Heirat in Aussicht gestellt haben sollte. Die Selbstverständlichkeit, mit der er bloße Lustbefriedigung ohne weiterreichende Absichten einräumte, mag überraschen. Amalia von Donop hatte das Abenteuer offenbar anders empfunden. Aber es war nicht nur der streitige Sachverhalt, der dem Leutnant Anlaß bot, sich zu beschweren. Auch das Konsistorium hatte seiner Meinung nach „nulliter“ gegen ihn verhandelt. Eine derartige Zwangsehe verstieß für sein Rechtsgefühl gegen die lippische Kirchenordnung sowie gegen die Policeyordnung. Das wollte er näher ausführen und ersuchte den Notar zunächst lediglich, „solche Appellation fleißig ad notam“ zu nehmen2267. LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Instrumentum interpositae querelae“, fol. 2r. L a n d a u , Carpzov, S. 238; kurzer Hinweis auch bei D i e t e r i c h , Eherecht, S. 162. 2266 LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Libellus Nullitatum Summarius“, fol. 8v. 2267 LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Instrumentum interpositae querelae“, fol. 3r. 2264 2265
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Der Notar fällte jetzt, möglicherweise im Zusammenspiel mit dem namentlich nicht bekannten Advokaten oder dem Reichskammergerichtsprokurator Johann Adam Rolemann2268, eine weise Entscheidung. Er deutete die Appellation, die ja bereits zuvor einmal erfolglos verpufft war, in eine Nichtigkeitsklage um. Kerßenbrock hatte zu Protokoll gegeben, er wolle die „nullitates (...) in judicio superiori mit mehrem (...) deduciren“2269. Im Gegensatz zu einigen zuvor angesprochenen Fällen zielte das nicht auf eine inzidente, sondern eine prinzipaliter erhobene Nichtigkeitsbeschwerde. Sie unterlag im Gegensatz zur Appellation anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen2270. Weil die nähere Begründung noch ausstand, beantragte der Kläger in Speyer keine Citatio super nullitate, sondern eine Citatio ad videndum deduci nullitates, und diese wurde ihm vom Reichskammergericht im Februar 1688 gewährt. Im Gegensatz zum Appellationsprozeß, der gar nicht erst zustande kam, hielten die Speyerer Assessoren eine Nichtigkeitsklage in Ehesachen offenbar nicht von vornherein für unzulässig. Jedenfalls begann ein streitiges Verfahren, in dem auch die Appellatin Katharina Amalia von Donop auftrat und im August 1688 ihre Exzeptionen vorlegte. Das Protokollbuch enthält zwar keine Eintragungen, und ein Urteil scheint nicht ergangen zu sein. Doch muß das nicht viel heißen. Bekanntlich geriet das Reichskammergericht in die Wirren der französischen Eroberungszüge und stellte seine Arbeit mit der französischen Brandschatzung von Speyer Ende 1688 für mehrere Jahre ein. Erst 1693 fand die feierliche Neueröffnung in Wetzlar statt2271. Möglicherweise versandete der Prozeß Kerßenbrock gegen Donop in diesem Zusammenhang. Die Rechtsauffassungen der Beteiligten sind überliefert und verraten eine ungleich sorgfältigere Ausarbeitung und Gedankenführung als in den zuvor geschilderten lippischen Appellationsprozessen. Der appellantische Schriftsatzverfasser verwies zunächst auf den offenen Sachverhalt. Ob Kerßenbrock und Donop sich am fraglichen Abend verlobt hatten, war weiterhin streitig. Im „puncto facti“ gebe es aber streng genommen keine geistliche Streitigkeit, „cum illud nihil Spiritualitatis habeat“, und deswegen könne man bei unklarem Sachverhalt „etiam in matrimonialibus“ an das Kammergericht appel-
Zu ihm B a u m a n n , Advokaten, S. 33, 95-96, dort auch der Hinweis, daß Rolemann katholisch war; K l a s s , Standes- oder Leistungselite, S. 317; G r o h , Das Personal, S. 177. 2269 LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Instrumentum interpositae querelae“, fol. 3r. 2270 Zur Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage RKGO 1555 2, 28, 5, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 206-207; O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 63-70; S z i d z e k , Verbot der Appellation, S. 63-65; S e l l e r t , Zuständigkeitsabgrenzung, S. 75. 2271 S m e n d , Reichskammergericht, S. 215-216; S c h m i d t - v o n R h e i n , Reichskammergericht, S. 5-6; H e r b e r s / N e u h au s , Das Heilige Römische Reich, S. 257-258. 2268
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lieren2272. Obwohl es sich nicht um eine Appellation handelte, ging der Kläger in die Offensive und begründete zunächst noch weitergehend die ausdrückliche Appellationserlaubnis. Die beiden wichtigsten Kameralautoren des 16. Jahrhunderts wähnte er auf seiner Seite und berief sich auf Andreas Gail und Joachim Mynsinger2273, beide aus der Zeit nach der Reformation, einer katholisch, einer evangelisch. Gerade die Nichtigkeitsklage erschien aus dieser Warte besonders unproblematisch. Ehesachen könnten durchaus als prinzipaliter erhobene Nullitätsbeschwerden an das Reichskammergericht gelangen. Dafür gebe es viele Präjudizien2274. Das leitete der Verfasser aus den kammergerichtlichen Pandekten von Wilhelm Roding ab2275. Der Nichtigkeitsgrund lag in der unvollständigen Tatsachenermittlung. So hatte das Untergericht angeblich „sine causae cognitione“ entschieden, ohne den Sachverhalt ordnungsgemäß zu klären. Und gerade deswegen könne der Leutnant die Nichtigkeitsklage erheben. Das erschien dem appellantischen Anwalt im Einklang mit David Mevius und Sigismondo Scaccia gewiß2276. Der Prokurator der Appellatin Katharina Amalia von Donop legte nach nur drei Monaten seine Exzeptionsschrift vor. Erwartungsgemäß bestritt er vehement die Zulässigkeit der reichskammergerichtlichen Klage. In seinem Schriftsatz unterstrich der Verfasser zunächst die Zugehörigkeit der Ehesachen zu den geistlichen und damit kirchlichen Angelegenheiten. Der lateinische Begriff causa konnte in der zeitgenössischen Rechtssprache sowohl materiell als auch prozessual zu verstehen sein. Er kennzeichnete zum einen LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Libellus Nullitatum Summarius“, fol. 8r. Zitiert werden G a i l , Observationen I, obs. 37 n. 5, S. 73, und obs. 38 n. 2, S. 74; M y n s i n g e r , Observationen, cent. 2 obs. 67, S. 77-78. 2274 LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Libellus Nullitatum Summarius“, fol. 8r: „et per viam nullitatis principaliter intentatae etiam Causae matrimoniales ad Cameram davolvuntur, et in Causis matrimonialibus ratione nullitatis processus in Camera locum esse multa praejudicia testantur.“ 2275 Zitiert wird R o d i n g , Pandectae juris cameralis, lib. 1 tit. 33 § 7, S. 406-407: „Caeterum, per viam nullitatis principaliter intentatae, etiam causae Matrimoniales, alioquin ex Camerali Judicio exterminatae & relegatae, à Judicibus immediatè Camerae subjectis ad Cameram devolvuntur [Verweis auf Peter Frider Mindanus]. Et causis matrimonialibus, ratione nullitatis processua, in Camera locum esse, multa praeiudicia testantur.“ Eine Differenzierung nach evangelischen und katholischen Territorien nimmt Roding nicht vor. 2276 LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Libellus Nullitatum Summarius“, fol. 10r, mit Verweisen auf M e v i u s , Decisiones, p. 3 dec. 221 n. 5, S. 649: „Sententia super desertione est definitiva (…) ideo sine causae cognitione invalida et nulla“; S c a c c i a , De Appellationibus, quaest. 17 limit. 1 n. 55, S. 288-289, dazu der Leitsatz n. 55 S. 282: „(…) ut licet quis non possit appellare a tertia sententia conformi, tamen potest dicere de nullitate & deinde a sententia super nullitate appellare & sic litem protrahere in infinitum“.; ebd. quaest. 17 limit. 47 n. 99, S. 484, der Hinweis, daß ein Prozeß ohne causae cognitio nichtig sei. – Kurze Hinweise auf Scaccia bei J ö c h e r , Gelehrten-Lexicon IV, Sp. 185; Z e d l e r , Universal-Lexicon 34, Sp. 487. 2272 2273
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die Zugehörigkeit des Eherechts zum Kirchenrecht, aber er markierte auch die Einbindung der eherechtlichen Streitigkeiten in die geistliche Gerichtsbarkeit. Anders ist es kaum zu erklären, wenn die Exzeptionsschrift das Eherecht den „Causis spiritualibus atque Ecclesiasticis“ zuordnete und dann fortfuhr, „dahero sich vi inevitabilis Consequentiae weiter ergibt, quod Causae matrimoniales etiam sint spirituales“2277. Die scheinbare Tautologie läßt sich also erklären. Einmal ging es um die materielle Einordnung, einmal um die gerichtliche Zuständigkeit in Ehesachen. Eine Zeit, die noch nicht scharf zwischen Anspruch und Klage, materiellem und prozessualem Recht trennte2278, konnte das sprachlich nicht präziser ausdrücken. Ein geradezu furchteinflößendes Großaufgebot von Rechtsquellen und Literatur sollte den auf den ersten Blick selbstverständlichen gemeinrechtlichen Lehrsatz untermauern. Neben dem kanonischen Recht2279 und der Reichskammergerichtsordnung von 15552280 gaben zahlreiche in- und ausländische Autoren ihre Visitenkarte ab. Pietro Nicola Mozzi2281 tauchte auf, ebenso Benedikt Carpzov2282, Diego Covarruvias2283 und Johann Sichard2284, sogar die schwer benutzbaren, aber verläßlich ausführlichen „Symphoremata supplicationum“ des pseudonymen Adrian Glymann2285. Auch auf Mynsinger2286 und Gail2287 stützte sich der Schriftsatzverfasser, obwohl die appellantischen Gravamina genau dieselben beiden Autoren für die Gegenmeinung herangezogen hatten. Das wirft ein bezeichnendes Bild auf anwaltliches Argumentationsverhalten in der frühen Neuzeit. Am Beispiel der Reichskammergerichtsordnung LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Exceptiones non devolutae appellationis“, fol. 47r-47v. 2278 Maßgeblich war W i n d s c h e i d , Die Actio des römischen Civilrechts, 1856. 2279 Zitiert wird X. 2, 1, 3 („Causa iuris patronatus spectat ad iudicium ecclesiae. H. dicit specifice et ad literam“ mit Dekretale von Alexander III.). 2280 Zitiert wird RKGO 1555 Art. 2, 1, 1, bei L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 167; Bezüge zum Eherecht enthält die Vorschrift nicht. 2281 M o z z i , Tractatus de contractibus, cap. De Naturalibus Matrimonij, fol. 185r, Summarium n. 18-19: „Cognitio, & iudicium & diffinitio matrimonij ad solos episcopos pertinet. Iudex secularis non potest discutere causam matrimonialem“ (Text dann fol. 189v-190r). 2282 C a r p z o v , Decisiones, dec. 77 n. 13, S. 375: „Nam causa, de qua controvertebatur, erat matrimonialis, ac proinde ecclesiastica.“ 2283 C o v a r r u v i a s , De matrimonio, p. 2 cap. 7 § 6 n. 15, Leitsatz S. 266: „Matrimonialia tractanda coram Ecclesiastico“. 2284 S i c h a r d , Responsa, consilium matrimoniale 4 n. 2, fol. 56v-57r. 2285 G y l m a n n , Symphorematis, tom. 1 p. 1 tit. 3 n. 2, S. 187: „Praeterea causa haec mere spiritualis & ecclesiastica est in qua causa non potest Camera esse Iudex (...) neque principaliter neque indicenter“ (mit Verweis auf Andreas Gail und das kanonische Recht). Der ganze Abschnitt handelt von Klagen wegen Verletzung des Augsburger Religionsfriedens. 2286 M y n s i n g e r , Observationen I, obs. 100, S. 146-147. 2287 G a i l , Observationen I, obs 38. n. 1-3, S. 74. 2277
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sowie Mynsingers und Gails läßt sich dies besonders gut zeigen. Der appellatische Schriftsatzverfasser zitierte Mynsinger und Gail als „viri praxeos Cameralis experientissimi“. Beide hochbeschlagenen Praktiker verneinten angeblich die Zuständigkeit des Reichskammergerichts in Ehesachen rundum, „nec principaliter nec incidenter“2288. Der Appellant dagegen setzte einen anderen Akzent. Sowohl Mynsinger als auch Gail hätten danach den Tatsachenstreit in Ehesachen für eine weltliche und gerade keine geistliche Fragestellung gehalten. Deshalb hätten beide die Nichtigkeitsklage insoweit ausdrücklich offengehalten2289. Die Beteiligten redeten also aneinander vorbei und argumentierten mit verschiedenen Regelungsproblemen. Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 sprach überhaupt nicht von Ehesachen. Sie forderte lediglich die Trennung geistlicher und weltlicher Justiz und war bestrebt, die jeweiligen Mißbräuche abzustellen2290. Mit dem angeblich klaren Buchstaben der Gerichtsordnung ließ sich also argumentieren, wie es dem Schriftsatzverfasser gerade in den Kram paßte. In einem weiteren Gedankengang betonte der appellatische Anwalt, „deß von Kersenbruchs querela nullitatis“ habe „gantz und zumahlen keinen grund (...), in dem Er nicht die geringste nüllität mit bestande rechtens vorstellen viellweniger behaupten kan“2291. In prinzipieller Hinsicht riskierte der Schriftsatzverfasser damit viel. Allzu leicht konnte man ihm diese Worte im Munde umdrehen. Sollte nämlich der unfreiwillig verheiratete Leutnant die angeblichen Nichtigkeiten nicht schlüssig dargelegt haben, konnte es ja möglicherweise genau auf diese Darlegung ankommen. Dann wäre die Zuständigkeit des Reichskammergerichts grundsätzlich eröffnet gewesen, nur hätte Kerßenbrock die Nullitäten des lippischen Superintendenten oder der Konsistorialräte nicht hinreichend ausgebreitet. Modern gesprochen ließ der Schriftsatzverfasser die kammergerichtliche Klage nicht wegen Unzulässigkeit, sondern wegen Unschlüssigkeit scheitern2292. Den Vorposten, von dem aus er alle kammergerichtlichen Ehesachen wegen Unzulässigkeit einfach abwehren konnte, hatte er ohne Not geräumt. Damit untergrub der appellatische Interessenvertreter seinen eigenen Ausgangspunkt, wonach Ehesachen unter keinem Vorwand vor das Speyerer Reichsgericht gelangen durften. Der Schriftsatzverfasser fügte 2288 2289 2290
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LA Detmld L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Exceptiones non devolutae appellationis“, fol. 47v. LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Libellus Nullitatum Summarius“, fol. 8r. RKGO 1555 2, 1, 1, bei L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 167. Für die „confirmationes dotium“ gab es eine außerordentliche Zuständigkeit: RKGO 1555 3, 3, ebd., S. 221. LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Exceptiones non devolutae appellationis“, fol. 48v. Zur fehlenden Unterscheidung von Schlüssigkeit, Beweis und Behauptung im frühneuzeitlichen Prozeß S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 163-164, 287-288.
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sogar hinzu, „deßwegen“, also weil keine Nichtigkeiten „mit bestande“ ausgeführt worden seien, müsse das Reichskammergericht die „sententia a quâ und deren per Copulationem sacerdotalem verfüegte Vollenstreckung bey Kräften zulaßen“2293. Hier traten juristische Unsicherheiten zu Tage. Sie schwächten die Verteidigung der Katharina Amalia von Donop, doch ihr Anwalt, der Verfasser der Exzeptionsschrift, konnte sie nur ganz oberflächlich übertünchen. Der Rechtsstreit zwischen Moritz von Kerßenbrock und Katharina Amalia von Donop erlaubt mehrere Schlußfolgerungen, auch wenn ein höchstgerichtliches Urteil nicht erging. Zunächst waren sich beide Parteien grundsätzlich über den Rechtsweg einig. In Ehesachen bei feststehendem Sachverhalt hielten beide die Appellation an das Reichskammergericht für ausgeschlossen. Bei unklarer Tatsachengrundlage war dagegen streitig, wie weit das Appellationsverbot reichte. Möglicherweise durfte die untergerichtlich unterlegene Seite gegen ihre Verurteilung ausnahmsweise dennoch an das Reichskammergericht appellieren, wenn der Sachverhalt noch unklar und daher nicht entscheidungsreif war. Ob Nichtigkeitsklagen in Ehesachen unzulässige Umgehungen des Appellationsverbots darstellten oder ob sich hier ein Spalt auftat, die Jurisdiktion des Kammergerichts selbst in geistlichen Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen, war ein weiterer Streitpunkt. Die Gegner der kammergerichtlichen Kläger lehnten im Grundsatz jegliche Zuständigkeit des Reichsgerichts in Ehesachen ab und verwarfen daher auch die Nichtigkeitsklage als außerordentliches Rechtsmittel. In der praktischjuristischen Argumentation war das aber schwer durchzuhalten. Insoweit zeigt der Prozeß eine erstaunliche Rechtsunsicherheit. Inwieweit man eherechtliche Nichtigkeitsklagen am Reichskammergericht anhängig machen durfte, war in Lippe im späten 17. Jahrhundert offenbar unklar. Damit hinkte die Grafschaft einigen anderen Territorien hinterher. Dort waren Nichtigkeitsklagen in Ehesachen schon Jahrzehnte zuvor gescheitert und kamen später nie wieder vor2294.
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LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Exceptiones non devolutae appellationis“, fol. 66v. AHL RKG C 6, Protokollbuch, Expeditum vom 1. April 1595 (oben bei Anm. 1516); AHL RKG S 89 (oben bei Anm. 1518-1527); AHL RKG K 32 (oben bei Anm. 15281534); AHL RKG A 10 (oben bei Anm. 1535-1561).
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b) Appellationserlaubnis in Zehntsachen Der folgende Fall, in Wetzlar 1722 verhandelt, gebietet es, den bisherigen Befund in einem wesentlichen Punkt zu erschüttern. Offenbar gab es Appellationen in Konsistorialsachen, die keinen Anlaß zu weitausholenden Erörterungen über Zulässigkeitsfragen boten. Ob derartige Appellationen erlaubt waren oder nicht, steht damit zwar nicht fest. Immerhin ist es aber bemerkenswert, wenn in bestimmten Fällen die kammergerichtlich beklagten Appellaten die naheliegende Einrede des unzuständigen Gerichts gar nicht erst erhoben. Das hier einschlägige lippische Beispiel behandelt Zehntstreitigkeiten zwischen einem adligen Alhard Philipp von der Borch zu Langendreer und den Kirchenvorstehern zu Reelkirchen2295. Es ging um ländliche Abgaben. Die appellatischen Kirchenvorsteher hatten bestimmte Ländereien ausgezehntet2296. In welchem Umfang Grund und Boden zehntfrei waren, geriet zum Streitpunkt, ebenso die Frage, was mit bereits eingefahrenen Zehntfrüchten zu geschehen habe. Unklar blieb, ob Zehntpflichtige berechtigt waren, sog. Sackzehnte2297 zu geben, oder ob sog. Realauszehntung notwendig war. Dazu hatten die Zehntpflichtigen aus der Dorfschaft Belle aus früherem Anlaß bereits gegen „Pfarre und Kirche“ zu Reelkirchen an das Reichskammergericht „zu provociren sich unterstanden“2298. Das Wetzlarer Gericht hatte jedoch zweimal vom lippischen Konsistorium ein Berichtsschreiben eingefordert und daraufhin keinen förmlichen Prozeß eröffnet. Die Einholung von Berichtsschreiben in Prozessen gegen reichsunmittelbare Parteien war seit dem Jüngsten Reichsabschied reichsrechtlich vorgeschrieben2299. Wie das Beispiel zeigt, bot es den Landesherren durchaus gewissen Schutz gegen ihre eigenen Untertanen. Sie konnten nicht mehr leichthin vor den obersten Reichsgerichten verklagt werden. Insoweit hatte das Mandatsverfahren in Untertanenprozessen seit 1654 tatsächlich einiges an Schneidigkeit verloren und war zu einer „stumpfen Waffe“ verkommen2300. Bei der nachfolgenden Appellation des Alhard Philipp von der Borch stellte sich 1722 somit die Frage, ob das zehntrechtliche Problem durch die Nichtannahme der älteren Kammergerichtsklage bereits Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 99-100. Zu den zeitgenössischen Wortbedeutungen: Deutsches Rechtswörterbuch I, Sp. 11431144: Hier wohl gemeint im Sinne von Aufrechnung. – In Kurmainz gab es dagegen ein Verbot von 1670, nach dem kirchliche Gerichte in Zehntsachen nicht mehr entscheiden durften, bei H ä r t e r , Policey und Strafjustiz, S. 316. 2297 Nach S c h ü t t e , Wörter und Sachen, S. 430, 550, 631, eine Form des Kornzehnts. 2298 LA Detmold L 82 Nr. 66, unquadr. Aktenstück „Loco Exceptionum sub- et obreptionis Unterthänigste Remonstration und Bitte“, fol. 49r. 2299 JRA 1654 § 105, bei B u s c h m an n , Kaiser und Reich II, S. 227. 2300 Schönes Zitat bei S a i l e r , Untertanenprozesse, S. 468. 2295 2296
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höchstrichterlich vorentschieden war, ob also „mithin (...) die desfalß ergangene Decreta“ des lippischen Konsistoriums „in rem judicatam erwachsen“ waren2301. Die zehntrechtlichen Details brauchen hier weiter keine Rolle zu spielen, machen aber eines schnell klar: Von einer geistlichen Streitigkeit konnte augenscheinlich nicht die Rede sein. Dennoch nahm zunächst der Appellant die erstinstanzliche Zuständigkeit des lippischen Konsistoriums kommentarlos hin2302. Der Adlige behauptete, er habe das „remedium appellationis ergreiffen müssen, weilen ihme (1) am Hochgräfl[ich] Lippischen Consistorio der Weeg rechtens non sine apertissima nullitate abgeschnitten (...) undt ipso facto justitia denegirt worden“ sei2303. Der erste der drei Beschwerdepunkte bezog sich auf die Nichtigkeit des untergerichtlichen Verfahrens sowie auf Rechtsverweigerung. Angesichts dieser schwerwiegenden Vorwürfe an die Landesobrigkeit bzw. an das Konsistorium liegt die Vermutung nahe, der Appellant hätte mit Sicherheit auch die Unzuständigkeit des Konsistorialgerichts gerügt, wenn sich dafür nur der geringste Anhaltspunkt geboten hätte. Das tat er aber nicht. Wenn er dagegen Verfahrensfehler rügte, selbst schwerwiegender Art, nahm er die Tätigkeit des Konsistoriums als solche kommentarlos hin. Rein tatsächlich war das lippische Konsistorium also auch Zehntgericht. Bemerkenswert ist der Fortgang des Appellationsprozesses. An Stelle der appellatischen Kirchenvorsteher aus Reelkirchen trat nämlich der Anwalt des regierenden lippischen Grafen auf den Plan. Das Reichskammergericht hatte das Ladungsschreiben, also die Zitation, mit einem Mandatsbefehl verstärkt, der den einstweiligen Rechtsschutz des Appellanten absichern sollte. In diesem Rahmen war das lippische Konsistorium Prozeßpartei2304. Die lippische Kanzlei, die wie in anderen Prozessen die Schriftsätze für das Konsistorium konzipierte2305, wandte sich gegen das ergangene Mandat. In Anspielung auf den gescheiterten älteren Appellationsversuch und die tatsächliche Handhabung des Zehnts meinte der Schriftsatzverfasser, daß „Mandata S[ine] C[lausula] contra eum qui in possessione est, decerni non possint“2306. Das sollte im Einklang mit Georg Melchior von Ludolff den vorschnellen und prozeßordnungswidrigen Erlaß der einstweiligen Anordnung anpranLA Detmold L 82 Nr. 66, unquadr. Aktenstück „Loco Exceptionum sub- et obreptionis Unterthänigste Remonstration und Bitte“, fol. 49r. 2302 Zu Zehntsachen vor katholischen Offizialaten P a ar h am m e r , Rechtsprechung, S. 7072; knapp E l s e n e r , Exkommunikation, S. 72. 2303 LA Detmold L 82 Nr. 66, unquadr. Aktenstück „Libellus Gravatorialis et interpositae Appellationis justificatorius“, fol. 17v-18r. 2304 LA Detmold L 82 Nr. 66, unquadr. Aktenstück „Citatio inhibitio & Compulsoriales, cum Mandato attentatorum revocatorio & restitutione sine clausula“, fol. 2r. 2305 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30. 2306 LA Detmold L 82 Nr. 66, unquadr. Aktenstück „Loco Exceptionum sub- et obreptionis Unterthänigste Remonstration und Bitte“, fol. 51v. 2301
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gern2307. Die Unzulässigkeit der Appellation tauchte als Argument dagegen nicht auf. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, das Appellationsverbot in Konsistorialsachen als zusätzlichen Einwand mit aufzulisten. Weshalb das nicht geschah, ist unklar. Möglicherweise gab es auch am reformierten Konsistorium in Detmold weltliche Angelegenheiten, die ebenso unstreitig im Appellationsweg vor die obersten Reichsgerichte gelangen konnten2308. Das legt jedenfalls der Vergleich mit einigen katholischen Offizialatsgerichten nahe. Ob diese Vermutung trägt, ist unklar. Im Gegensatz etwa zum Fürstbistum Münster hat man es in Lippe nicht mit Hunderten von weltlichen Apellationen zu tun, die vom geistlichen Gericht an das Reichskammergericht gelangten2309, sondern nur mit diesem einen Fall. Es gibt noch wenige andere lippische Appellationen, doch betrafen diese Verfahren Geldzahlungen an die Kirche2310, ein weiteres eherechtliches Problem2311 sowie einen Konflikt mit dem Superintendenten2312. Diese Fälle waren also enger mit geistlichen Angelegenheiten und damit mit der üblichen Diskussion um Appellationsverbote verbunden. Die Zehntstreitigkeit steht vereinzelt da, und die zurückhaltende Verteidigung der lippischen Kanzlei fällt deswegen besonders auf.
c) Ein Grundsatzstreit um Fuhrdienste für neue Pastoren Ein knappes halbes Jahrhundert später hatte sich die Situation vollständig geändert. Die lippische Regierung nahm keinerlei Appellationen vom Konsistorium an das Reichskammergericht mehr hin, ohne nicht lautstark dagegen zu protestieren. Die schärfste Auseinandersetzung entspann sich zwischen der Stadt Horn und dem lippischen Konsistorium in einem Rechtsstreit von 1770 bis 1775. Wie bei den Konflikten um die Gerichtsgewalt in Zitiert wird L u d o l f f , De Jure Camerali, S. 118 n. 31: „Non immerito dubitavere veteres, cur in hoc casu Cum Clausula Mandata decernantur, in levioribus causis Sine Clausula. Et illa quidem, quae vulgò adfertur ratione Reus per Mandatum S. C. ex possessione dejiciatur, dudum est explosa, cum eadem in omnibus Mandatis S. C. non inesse, nemo est reum peritus, qui nesciat“; zitiert wird ebenfalls ebd. S. 126 n. 46: „Elucidatio nonnullarum quaestionum de possessorio & petitorio in processu Mandati sine Clausula“. 2308 Ganz traditionell D a h l w e i d , Verwaltung, S. 313. 2309 Nachweis der Appellationen vom Münsteraner Offizial an das Reichskammergericht, teilweise auf dem Umwegen über das Kölner Offizialat bei A d e r s / R i c h t e r i n g , Gerichte III, S. 439: angeblich 561 Fälle. 2310 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 667-668. 2311 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 245-246; zu diesem Prozeß F r o h n e , Bischof, Vogt und Frohnen, S. 125-130. 2312 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 179-180. 2307
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geistlichen Angelegenheiten oder den Bestrebungen der Landadligen, sich von der Konsistorialgerichtsbarkeit zu befreien, fand auch dieser Konflikt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts statt. Das mag Zufall sein, und bekanntlich stammt im Gegensatz zu anderen Territorien der größte Teil der lippischen Kammergerichtsakten ohnehin aus der Spätzeit des Alten Reiches2313. Dennoch bleibt der Befund erstaunlich. Zu allen drei Unterpunkten, die für die Grafschaft Lippe von näherem Interesse sind, fallen die Grundsatzkonflikte in die knappe Zeitspanne von 1765 bis 1772. In dieser Phase, unter Regierung des Grafen Simon August zur Lippe (1747-1782), fanden jährlich Landtage mit Beteiligung der Landstände statt, seit 1767 erschienen die lippischen Intelligenzblätter2314. Die Reichskammergerichtsakten zeigen die Regierungskanzlei genau in dieser Zeit mit großem Engagement und auf juristisch hohem Niveau, wie sie die Rechtspositionen des Landesherrn formulierte und im Streitfall mit Nachdruck verteidigte. Auf Zuständigkeitsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Aufgabenverschiebung vom ehemaligen Generalkonsistorium auf das einfache Konsistorium hat darüber hinaus Wilhelm Butterweck hingewiesen, ohne sie zeitlich näher zu benennen2315. Der seit 1770 verhandelte Streitfall betraf Dienstleistungen bei der Amtseinführung eines neuen Pfarrers2316. Offenbar gab es hierfür ein altes Herkommen. Die Dörfer eines Kirchspiels erbrachten zur Einführung des Predigers Fuhrdienste, um seinen Hausrat zu transportieren. Die Kirche selbst stellte das Essen, die Stadt die Getränke. So war es jedenfalls in Detmold. Bürgermeister und Rat der Stadt Horn beanspruchten nun unter Berufung auf die Kirchenordnung, ebenso wie Detmold von Fuhrdiensten verschont zu bleiben. Die Stadt befand sich allerdings seit 25 Jahren in einem Dauerkonflikt mit einem lippischen Amtmann namens Behmer, und das machte die Sache schwierig. Der Amtmann wollte der Stadt Horn angeblich die bisher ungebräuchlichen Fuhrdienste als neue Servituten2317 aufhalsen und sie „in unendliche Processe und Weitläuffigkeiten“ stürzen, „um deren totalen ruin zu befördern“2318. Das lippische Konsistorium unterstützte den Amtmann. Das Kirchengericht gab der Stadt in einem Bescheid auf, die fraglichen Fuhrdienste zu B r u c k h a u s / B e n d e r , Inventar, S. 13. B u l s t , Landesherr und Stände, S. 257, 265. 2315 B u t t e r w e c k , Geschichte, S. 254. 2316 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / B e n d e r , Inventar, S. 373-374. 2317 Zum gemeinrechtlichen Konzept der Dienstbarkeiten O g r i s , Servitut, Sp. 1645-1648; W e s e n b e r g / W e s e n e r , Privatrechtsgeschichte, S. 126-127; C o i n g , Europäisches Privatrecht I, S. 313-318. 2318 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 25, fol. 106v. 2313 2314
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leisten. Gegen diese Entscheidung appellierte die Stadt Horn an das Reichskammergericht. Die hornschen Beamten, vor allem der in der Stadt verhaßte Amtmann Behmer, traten in Wetzlar überhaupt nicht auf, und so erging im Februar 1771 das Rufen gegen die Beklagten2319, der erste Schritt im kammergerichtlichen Säumnisverfahren2320. In dieser Situation schaltete sich das lippische Konsistorium ein. Es intervenierte im Januar 1772 zugunsten der lippischen Beamten und reichte eine „Unterthänigste Interventional-Handlung cum Exceptione fori incompetentis et causae non devolutae“ zu den Akten2321. Mit großem gelehrtem Aufwand gelang es dem Konsistorium, aus einer kleinstädtischen Posse, der Umzugshilfe für einen Pastor, einen Grundsatzstreit um die frühneuzeitliche Justizverfassung und Zuständigkeitsabgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte vom Zaune zu brechen. Das Konsistorium verfocht mit vielschichtiger Begründung und historischem Tiefgang seine alleinige Zuständigkeit für Kirchensachen aller Art sowie ein ausnahmsloses Appellationsverbot für sämtliche Konsistorialfälle. Die feinsinnige Unterscheidung von Appellationsverboten in Kirchensachen bzw. in Ehesachen und der Appellationserlaubnis in weltlichen Konsistorialsachen gab es nicht mehr. Hatte die lippische Regierungskanzlei in dem zuvor behandelten Zehntstreit keine Notwendigkeit für prinzipielle Ausführungen gesehen, so sah dies ein knappes halbes Jahrhundert später völlig anders aus. Mit großer Entschiedenheit vertrat der Schriftsatzverfasser die Meinung, „1) daß gegenwärtige Sache das gräflich Lippische Consistorium allein angehe“ und „2.) daß gegenwärtige Sache von der Qualität sey, daß dieselbe auf keine Art zur Rechtfertigung an dieses höchste Reichsgericht erwachsen könne“2322. Zunächst gab es ein tatsächliches Problem. Das Konsistorium wies nämlich auf eine prozessuale Besonderheit hin. Die hornschen Beamten waren untergerichtlich gar nicht als Partei aufgetreten. Vielmehr hatte das Konsistorium das Verfahren von sich aus begonnen, sobald es von dem Konflikt um die Fuhrdienste erfahren hatte. Eine derartige Prozeßführung ex officio ist im übrigen eine weitere Ähnlichkeit zwischen Konsistorial- und Strafverfahren, die in ganz verschiedenem Zusammenhang immer wieder als Argument für Appellationsverbote herhielt2323. Den Streit um die Fuhrdienste hielt das lippische Konsistorium für eine klar kirchliche Angelegenheit, für eine „Causam mere ecclesiasticam“ mit der LA Detmold L 82 Nr. 314, Protokollbuch, Expeditum vom 27. Februar 1771, fol. 2r. Zum Rufen O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 30; D i c k , Entwicklung, S. 209; allgemein zum Säumnisverfahren B r o ß , Untersuchungen, S. 44-53. 2321 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, Dorsalvermerk. 2322 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 87v. 2323 Zur Gleichsetzung von Ehesachen und Strafsachen in protestantischen Territorien oben bei Anm. 1462-1517 (Lübeck); 2145-2146 (Lippe). 2319 2320
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Konsequenz einer „daraus folgenden indevolubilitate“. Der Devolutiveffekt, also der Instanzensprung, konnte nach dieser Ansicht in Kirchensachen niemals eintreten. Lediglich um den Grundsatz zu verschleiern, so lautete der Vorwurf, habe die Stadt Horn den offen zu Tage liegenden Sachverhalt notdürftig als Privatstreitigkeit mit dem Amtmann Behmer getarnt. Trotz dieser „Masque“ habe die Stadt aber nur einen Teilerfolg erzielt, denn der Wetzlarer Extrajudizialsenat habe zwar die Zitation und das Kompulsorialschreiben erlassen, die ebenfalls beantragte Inhibition aber verweigert2324. Ersichtlich lavierte der Schriftsatzverfasser ein wenig herum. Das Konsistorium mußte in der Tat eine gefährliche Klippe umschiffen, bevor es seine eigene Argumentation voll entfalten konnte. Das Reichskammergericht hatte den Appellationsprozeß nämlich eröffnet und war augenscheinlich sogar bereit gewesen, das Säumnisverfahren einzuleiten. Der lippische Amtmann und das Konsistorium standen also mit dem Rücken zur Wand. Wenn nämlich die Rechtslage so eindeutig-einfach gewesen wäre, wie das Konsistorium vorgab, stellte sich die Frage, weshalb die Wetzlarer Assessoren dieselben Rechtskenntnisse nicht ebenfalls besaßen. Sie hätten doch dann gleich im Sinne des Konsistoriums entscheiden können. Der lautstarke Protest gegen die Verfahrenseröffnung war also nur millimeterweit von einer ungehobelten Gerichtsbeschimpfung entfernt. Ein möglicher Grund für die abweichenden Sichtweisen von Kammergericht und Konsistorium liegt auf der Hand. Womöglich ließ das Reichskammergericht das Appellationsverbot in Konsistorialsachen doch nicht einschränkungslos gelten, sondern erkannte für Sonderfälle Ausnahmen an. Gerade der zeitgenössisch berühmte Assessor Johann Ulrich von Cramer hatte genau diesen Mittelweg wenige Jahre zuvor eingeschlagen2325. Der Schriftsatzverfasser des lippischen Konsistoriums kam um dieses Problem nicht umhin, sparte es sich aber für den Schluß der Interventionserklärung auf. Viel unverfänglicher war es dagegen, der Stadt Horn zunächst falsche Tatsachendarstellung vorzuwerfen. In diesem Fall nämlich beruhte der unerwünschte Appellationsprozeß auf Täuschung und nicht auf fehlerhaften oder streitbaren Rechtsauffassungen. Das lippische Konsistorium vertrat nicht nur ein Appellationsverbot in sämtlichen Konsistorialsachen, sondern griff noch weiter aus. Ganz umfassend sah es „alle Kirchen Sachen von der Gerichtsbarkeit der höchsten Reichs Gerichte ausgenommen“2326. Das war nichts weniger als die vollständige „Exemtion“2327 der Kirchensachen von der Reichsgerichtsbarkeit. Wie auch in anderen LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 90r-90v. C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 21, S. 114-120; dazu unten bei Anm. 2378-2390. 2326 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 91r. 2327 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 92v. 2324 2325
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lippischen Prozessen begann der Schriftsatzverfasser an dieser Stelle eine Untersuchung der verschiedenen Konfessionen2328. Erneut fällt ins Auge, wie das Konsistorium eines reformierten Territoriums sich um Gleichklang und Kontinuität mit den katholischen Zuständen bemühte und aus der Rechtslage der Katholiken umfassende Schlüsse für die Protestanten zog. Für „die catholische Seite“, soviel schien sicher, werde die Exemtion der Kirchensachen „auf keine Art bezweifelt“. Ein einziger Hinweis auf den Westfälischen Frieden2329 sollte das für die Protestanten ebenfalls klarstellen. Es gebe nämlich das Prinzip „exacta mutuaeque aequalitatis inter utramque religionem, ita ut, quoad uni parti justum, alteri quoque sit justum“. Das allein „redet allso schon hinlänglich für die Wahrheit dießeitiger und aller Protestanten behauptung“2330. Der Gedankengang war höchst simpel. Wenn es bei den Katholiken keinen Streit um die Befreiung der Kirchensachen von weltlicher, gar kaiserlicher Gerichtsbarkeit gab und Protestantismus und Katholizismus gleichgestellt waren, dann durfte auch die Exemtion kirchlicher Fälle von der Reichsgerichtsbarkeit in protestantischen Territorien nicht zweifelhaft sein. Die normative Quelle präziser zu benennen, war nicht einfach, und so beschränkte sich der Schriftsatzverfasser auf die im Osnabrücker Frieden „festgesetzte Suspension, des Juris dioecesani totiusque Jurisdictionis ecclesiasticae“2331. Diese Suspension war bereits im Passauer Vertrag von 1552 sowie im Augsburger Religionsfrieden von 1555 enthalten und bot schon im 16. Jahrhundert vielfältigen Anlaß zu Kontroversen2332. Das lippische Konsistorium konnte das nicht leugnen. Selbstverständlich werde „über die Auslegung dieser Stelle des westphälischen friedens Schluß sehr hefftig gestritten“, räumte der Schriftsatzverfasser ein. Hier endlich nannte er den „hochzuverehrenden Herrn Assessor von Cramer“, der genau die Gegenmeinung vertrat2333, beim Namen2334. In der Tat diente die Formulierung des Westfälischen Friedens von der „aequalitas exacta mutuaque“ mehrfach zur Herleitung einer reichsgerichtlichen Zuständigkeit in geistlichen Sachen. Das konnte dem lippischen KonsistoÄhnlich in den Prozessen LA Detmold L 82 Nr. 326, unquadr. Aktenstück „Exceptio fori incompetentis“, fol. 4r-7r; L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 30. 2329 Zitiert wird IPO Art. 5 § 48, der die geistliche Gerichtsbarkeit über protestantische Territorien suspendiert, bei B u s c h m a n n , Kaiser und Reich II, S. 56-57. 2330 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 91v. 2331 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 92r. 2332 Quellen bei S c h m a u ß / S e n c k e n b e r g , Neue und vollständigere Sammlung III, S. 312, 14-43; H o f m a n n , Quellen 1495-1815, S. 97-105, K au f m a n n , Geschichte der Reformation, S. 697-699; W i l l o w e i t , Verfassungsgeschichte, S. 129-130; R u t h m an n , Religionsprozesse, S. 311-314. 2333 C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 16, Abhandlung 4: „Von denen besondern Gründen, Worauf die Gerichtsbarkeit derer höchsten Reichs-Gerichte in Religions-Sachen beruhet“, S. 66-141. 2334 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 92r-92v. 2328
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rium gar nicht behagen. Dann hätte die konfessionelle Gleichstellung nämlich gerade darin bestanden, nicht nur in katholischen, sondern auch in protestantischen Territorien die Möglichkeit offenzuhalten, geistliche Sachen von einem übergeordneten Appellationsgericht überprüfen zu lassen. Jedenfalls benutzte die Mecklenburger Ritterschaft 1710 diesen Gesichtspunkt und begründete damit die Zuständigkeit des Reichshofrats in einem Streit um die mecklenburgische Kirchenordnung2335. Wie Johann Ulrich von Cramer beobachtete, fanden geistliche Prozesse teilweise vor weltlichen Gerichten statt. Es konnte für ihn aber nicht darum gehen, solche weltlichen Gerichte von jeder Appellationsmöglichkeit zu befreien. Dies würde einer unverantwortlichen „Sclaverey“ Tür und Tor öffnen2336. Nimmt man das beim Wort, steckt im Sklaverei-Vorwurf eine gehörige Portion Kritik an den deutschen Landesherren. Ohne die Einbindung in die Reichsgerichtsbarkeit drohte ihre Herrschaft in Tyrannei auszuarten, ihre Untertanen zu Sklaven zu werden. Wenn ein Reichskammergerichtsassessor so sprach, ging es ihm durchaus eigennützig sicherlich auch darum, das Ansehen seines eigenen Gerichtshofes zu heben. Trotzdem bleibt bemerkenswert, wie kraftvoll Cramer den Bestrebungen der Landesherren, sich von der Reichsgerichtsbarkeit abzusetzen, einen Riegel vorschob. Die Praxis mochte freilich anders aussehen als die Welt der „Wetzlarer Nebenstunden“. Doch Johann Ulrich von Cramer war für das lippische Konsistorium ein unbequemer Kameralautor. Als die lippische Interventionsschrift im Januar 1772 am Reichskammergericht einging2337, lebte Cramer noch. Bis zu seinem Tod ein knappes halbes Jahr später2338 war er einer der angesehensten Assessoren. In einem für das 18. Jahrhundert typischen historischen Rückblick2339 präsentierte der Schriftsatz des lippischen Konsistoriums einen gedrängten Problemabriß seit der Zeit der Christianisierung. Denn nach der Annahme des christlichen Glaubens hatten die Kaiser nach Einschätzung des Konsistoriums „das Kirchen Weeßen an sich gezogen“2340. Ob damit die spätantiken römischen Imperatoren in der Konstantin-Nachfolge gemeint waren oder die karolingisch-deutschen Herrscher seit Karl dem Großen, spielte offensichtlich keine Rolle und bedurfte keiner verfeinerten Ausführungen. JedenH a f k e , Zuständigkeit, S. 93. C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 16, S. 95; dazu H af k e , Zuständigkeit, S. 92-93; zu Cramers Auffassung ausführlicher unten bei Anm. 2378-2390. 2337 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, Präsentationsvermerk vom 27. Januar 1772. 2338 Er starb am 18. Juni 1772. Lebenslauf bei J a h n s , Reichskammergericht II/1, S. 655-673. 2339 Zur Bedeutung historischer Ausführungen zur rechtliche Argumentationen im 18. Jahrhundert H a m m e r s t e i n , Jus und Historie, S. 376-379; aus dem Bereich des Reichskammergerichts O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 547-552. 2340 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 92v. 2335 2336
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falls war nach dieser Auffassung der Kaiser ursprünglich immer auch ein geistlicher Herrscher. Entscheidend war für die folgenden Jahrhunderte, daß die Kaiser „durch die Concordata Nationis Germanicae die Ausübung aller geistlichen Rechte in die Hände des Pabsts und der Bischöfe gegeben haben“2341. Die Reichskonkordate mit dem Papst aus dem 15. Jahrhundert waren bereits in anderem Zusammenhang Gegenstand der Untersuchung. In Münster dienten sie als Argument gegen Übergriffe der geistlichen Obergerichtsbarkeit auf weltliche Streitsachen. Dort ging es in einem katholischen Fürstbistum darum, durch Verweis auf die Konkordate den Zuständigkeitsbereich der Kirche zu begrenzen2342. In Lippe, einer reformierten Grafschaft, war der Hinweis auf die mittelalterlichen Konkordate dagegen eine Möglichkeit, den Kompetenzbereich der institutionalisierten Kirche zu erweitern und denjenigen der weltlichen Herrschaft von allen kirchlichen Zuständigkeiten zu befreien. Die erstaunliche Gegenläufigkeit in konfessionsverschiedenen Stoßrichtungen war in Lippe speziell auf das Amt des Kaisers bezogen. Denn mit der Reformation, so die gängige Argumentation auch in Lippe, hatten die Landesherren ihre Kirchenhoheit zurückerlangt2343. Und die Suspension der geistlichen Gerichtsbarkeit im Westfälischen Frieden von 1648 habe die „Jurisdictio Caesarea nicht wieder hergestellt“2344. Ob sich die Suspension der hergebrachten Diözesangerichtsbarkeit nur auf protestantische Territorien bezog und nur dort der Landesherr die ehemals bischöflichen Befugnisse übertragen bekommen hatte, sagte der Schriftsatzverfasser im übrigen nicht. Vermutlich wußte das ohnehin jeder. Vielleicht aber ging sein Bestreben um Harmonisierung der katholischen und protestantischen Rechtslage noch weiter. Womöglich nannte er selbst Sondervorschriften für lutherische und reformierte Territorien nicht ausdrücklich beim Namen und verstärkte damit die Einheitlichkeit der Rechtslage in allen Gebieten des Reiches ganz unabhängig von der Konfession. Das Ergebnis war etwas kurios: Die Reformation hatte die Rechte des Kaisers gegenüber dem Papst nicht erweitert, und protestantische Herrscher konnten sich im Streit mit den Reichsgerichten auf die Konkordate mit dem Papst berufen. Die Praxis war hier großzügiger als die frühneuzeitliche protestantische Literatur. In der gelehrten Diskussion lehnten die meisten evan-
LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 93r. LA Münster RKG W 1057, Aktenstück Q 1, fol. 08r, dazu oben bei Anm. 713-730. 2343 LA Detmold L 82 Nr. 276, Aktenstück Q 12, fol. 66r. 2344 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 93r-93v; mit Verweis auf IPO Art. 5 § 48, Abdruck der Quelle bei B u s c h m a n n , Kaier und Reich II, S. 56-57 (deutsch); Z e u m e r , Quellensammlung, S. 412. 2341 2342
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gelischen Autoren die Bindungswirkung des Konkordats ab2345. Dem folgte die Grafschaft Lippe nicht. Alle Rechtsgewährungen vom Reich an den Papst wandte das lippische Konsistorium nämlich gegen das Reichskammergericht, das bekanntlich im Namen des Kaisers urteilte2346. Papst und reformierter Landesherr standen damit in einer bemerkenswert ungebrochenen rechtlichen Kontinuität. In diesem Sinne war der protestantische Landesherr Rechtsnachfolger des Papstes. Das erinnert an das geflügelte Wort aus dem 15. Jahrhundert vom „Dux Cliviae est papa in territoriis suis“2347. Angeblich angelehnt an einen Ausspruch Papst Eugens IV. aus dem 15. Jahrhundert, handelte es sich ursprünglich um eine süffisante Übertreibung. Die lippischen Quellen zeigen nun einen reformierten Landesherrn, der den Satz nicht nur als Sprichwort ansah, sondern juristisch durchaus wörtlich nahm. Der Grundsatz „Rex est imperator in regno suo“ hatte bereits mittelalterliche Wurzeln2348. Die Gleichstellung des Landesherrn mit dem Papst war noch schwieriger zu konstruieren. Doch, wie das Beispiel zeigt, auch sie diente in der Praxis durchaus als rechtlicher Grundsatz. Der evangelische Fürst wies mit den päpstlichen Rechten seinen eigenen Kaiser in die Schranken. In einer zweiten Argumentationskette legte das lippische Konsistorium die überkommene Praxis dar. Reichskammergericht und Reichshofrat hätten nämlich noch nie geistliche Sachen angenommen. Für die „ursprüngliche Verfassung dieses höchsten Reichs gerichts“ bezog sich der Schriftsatzverfasser auf normative Quellen: den Passauer Vertrag von 1552, den Augsburger Religionsfrieden von 1555 und das Visitationsmemorial von 15702349. Das waren wichtige Regelungen aus der Reformationszeit, zum Zeitpunkt des Streits mit der Stadt Horn freilich schon über zweihundert Jahre alt. Dennoch markieren sie nicht die ursprüngliche Gerichtsverfassung des Reichskammergerichts, sondern genau die ersten prozessualen Reformen nach dem R a a b , Concordata, S. 51, 58-62; aus der zeitgenössischen Diskussion L i n c k / F al c k , De concordatis, S. 67-80. 2346 Beispiel für den Kaiserbezug bei O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 49 (Zitation). Auch die Urteile ergingen im Namen des Kaisers. In den Protokollbüchern kann man das zwar nicht erkennen, wohl aber in den Ausfertigungen, etwa in LA Düsseldorf RKG I/J 149/632, Aktenstück Q 36, fol. 157v-159v; Abbildung eines Urteils aus dem 16. Jahrhundert bei S c h e u r m a n n , Frieden durch Recht, S. 141. 2347 Nachweise bei F e i n e , Rechtsgeschichte, S. 499; S c h n e i d e r , Ius reformandi, S. 31; M e u t h e n , Das 15. Jahrhundert, S. 38; ähnlich am Beispiel der Reichsstadt Wetzlar im Hellmund-Prozeß M o h r , Helmunds gescheiterter Versuch, S. 178. 2348 Kl i p p e l , Staat und Souveränität, S. 104-105, mit Hinweis auf Frankreich; H o n e c k e r , Staat/Staatsphilosophie, S. 26; K ö l m e l , Regimen Christianum, S. 146; S c h m o e c k e l , Auf der Suche, S. 188-189. 2349 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 93v. 2345
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Ende des Schmalkaldischen Krieges. Gerade weil das Konsistorium die starke Kontinuität zur katholischen Offizialatsgerichtsbarkeit unterstrich, fiel das umso mehr auf. Vorreformatorische Gesetze wie die Reichskammergerichtsordnung von 1495 blendete das Konsistorium nämlich ganz aus. Allerdings hatte gerade die erste sehr kurze Kammergerichtsordnung das hier fragliche Problem auch nicht geregelt. Dennoch war sich der Schriftsatzverfasser über die ungebrochene Rechtsprechungstradition sicher. Deswegen hielt er es für„unnöthig“, „ etwas mehreres zu begründung dieser Exemtion unterthänigst anzuführen“2350. Entsprechend sparsam zitierte das Interventionsschreiben die Kameralliteratur. Lediglich „zwey fürtrefliche Beysitzer“ kamen zu Wort, die vergleichsweise unbekannten Assessoren Friedrich Schrag und Philipp Helferich Krebs. Sie hatten anläßlich eines Einzelfalls, „der bekannten helmundischen Sache“2351, gemeinsam mit ihrem Kollegen Johann Frantz 1714 eine Abhandlung zur Unzuständigkeit des Reichskammergerichts in evangelischen geistlichen Sachen verfaßt2352 und „ans Corpus Evangelicorum“2353 übergeben. Dieser Fall hatte es in der Tat in sich. Die Mandatsklage des Pastors Egidius Günther Hellmund gegen die Stadt Wetzlar vor dem Reichskammergericht aus den Jahren um 1713 hatte reichsweite Beachtung gefunden, nicht erst, als Eberhard Christian Wilhelm von Schauroth sie vierzig Jahre später als Präzedenzfall in seine Sammlung wichtiger Dokumente des Corpus Evangelicorum aufnahm. In dem Streit ging es darum, ob ein evangelischer Pfarrer durch einen Mandatsprozeß eine geistliche Sache vor das Reichskammergericht tragen durfte oder ob es wegen der Gleichstellung der Konfessionen „denen Evangelischen Ständen ohnedem nicht zu zumuthen ist, in causis Ecclesiasticis an demjenigen Foro sich richten zu lassen, wo die Catolische selbst nicht stehen wollen“2354. Das Reichskammergericht hatte dem wegen pietistischer Irrlehren2355 aus dem Amt entfernten Pastor ein unklausuliertes Mandat auf LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 94r. LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 94r-94v, mit Verweisen ferner auf die zeitgenössische Publizistik (von mir nicht überprüft): Europäische Staats Canzley, Tom. 26 p. 54; Selecta iuris publici novissima, Tom. 7 p. 345. 2352 F r a n t z / S c h r a g / Kr e b s , Vorstellung; kurzer Hinweis auf die Schrift bei Ko l l e r , Rolle des Normaljahrs, vor Rn. 5; zu Schrag: L a n d s b e r g , Schrag, S. 440-441; Frantz erwähnt bei A r e t i n , Fleckenbühl, S. 228. 2353 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 94r-94v. 2354 S c h a u r o t h , Sammlung II, S. 102: Das Zitat stammt aus einem Fall aus Lippe von 1708 um ein Kloster in Lemgo, das am Reichshofrat geklagt hatte; ebd. Sammlung I, S. 763770, umfassend zum Hellmund-Prozeß; ebd. Sammlung I, S. 135: Fall aus Hildesheim bzw. Braunschweig-Wolfenbüttel von 1714/15; dazu H a f k e , Zuständigkeit, S. 109; zur reichsweiten Beachtung C o n r ad y , Hellmund, S. 183. 2355 Umfassend faßte Hellmund seine Lehre später in einem Buch über die 418 unbekannten Arten des göttlichen Gerichts zusammen: H e l l m u n d , Judicia Dei. 2350 2351
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Wiedereinsetzung in sein Amt gewährt und diese Entscheidung 1714 durch Urteil bestätigt2356. Kurioserweise waren es zwei katholische Reichsstände, nämlich der Bischof von Worms und der Kurfürst von der Pfalz, die das Urteil gegen die evangelische Reichsstadt Wetzlar vollstrecken sollten. Das protestantische Deutschland war außer sich. Der Fall schlug hohe Wellen, sowohl in der Stadt Wetzlar2357 als auch reichsweit. Zuletzt erhielt Hellmund angeblich einen Schutzbrief Kaiser Karls VI.2358, wurde Hofprediger in Wiesbaden und gründete als ehemaliger Hallenser ganz in der Tradition August Hermann Franckes2359 ein Waisenhaus2360. Schon 1713 bei der Reichskammergerichtsvisitation war es für die evangelischen Visitatoren eine ausgemachte Sache, „daß dem Cammergerichte in evangelischen geistlichen Sachen keine Gerichtsbarkeit, auch nicht unter dem Vorwande begangener Nichtigkeiten, zu gestatten sey“. Das gesamte Corpus Evangelicorum schloß sich 1715 dieser Rechtsauffassung an2361. Ein Kommissionsdekret von 1719 stellte sich allerdings klar hinter den katholischen Standpunkt und hielt die Tür nach Wetzlar in evangelischen Sachen einen Spaltbreit offen. Politisch soll das nach Smend dazu beigetragen haben, den Einfluß Kaiser Karls VI. auf das Reichskammergericht deutlich zu stärken2362. Die reichsstaatsrechtliche Literatur griff noch Jahrzehnte später dieses Beispiel immer wieder auf und beschäftigte sich von hier aus mit der Zuständigkeit der obersten Reichsgerichte in evangelischen geistlichen Sachen. Wie sich leicht erkennen läßt, stand die lippische Regierung mit ihrer ins Grundsätzliche gehenden Ansicht nicht allein. Das zeigt der Blick in das Schrifttum des späten 18. Jahrhunderts. Aber die Rechtslage blieb nach dem Kommissionsdekret von 1719 undurchsichtig. Im Anschluß an die Darstellung des lippischen Verfahrens der Stadt Horn gegen das Konsistorium wird deshalb das Stimmengeflecht der zeitgenössischen Literatur diesen Abschnitt beschließen. Repertoriumsmitteilung bei H a u s m an n , Reichskammergericht Stadt Wetzlar III, lfd. Nr. 47 S. 35-36; U l m e n s t e i n , Geschichte der Stadt Wetzlar II, § 61, S. 555-567 (zum Reichskammergericht S. 563-564); C o n r ad y , Hellmund, S. 218. 2357 M o h r , Hellmunds gescheiterter Versuch, S. 146-203; H a h n , Altständisches Bürgertum, S. 95-96. 2358 Die Literatur ist sehr unzuverlässig und schreibt den angeblichen Brief Karl VII. zu, der aber erst 1742 ins Amt kam, vgl. bei C o n r ad y , Hellmund, S. 216-217; M ü l l e r - W e r t h , Hellmund, S. 486. 2359 1663-1727, erster Zugriff bei O b s t , Francke; Francke besuchte Hellmund in Wetzlar und pflegte auch Briefwechsel mit ihm: M o h r , Hellmunds gescheiterter Versuch, S. 173. 2360 Zum Leben von Hellmund (1678-1749) M ü l l e r -W e r t h , Hellmund, S. 486-487; S c h m i d t , Hellmund, Sp. 212-213 (ohne Hinweis auf den Reichskammergerichtsprozeß). 2361 P ü t t e r , Historische Entwickelung II, S. 421, dort auch das Zitat. 2362 S m e n d , Reichskammergericht, S. 226. 2356
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Das lippische Konsistorium fügte dem Hinweis auf den allseits bekannten Hellmund-Fall lediglich die Bemerkung hinzu, die Exemtion der Kirchensachen von der Reichsgerichtsbarkeit ergebe sich auch aus weiteren Quellen. Das Visitationsmemorial von 1570, das Konzept der Reichskammergerichtsordnung von 1613 sowie die kammergerichtlichen Urteilssammlungen von Barth2363 und Deckherr2364 zielten genau darauf und zeigten die Exemtion der Kirchensachen vom Reichskammergericht zur Genüge. Im Gegensatz zu anderen Allegationen waren die Sammlungen von Barth und Deckherr weder mit Titel noch mit näheren Belegstellen zitiert. Die Titel mochten die Zeitgenossen im Kopf haben. Aber der sachliche Gehalt der bloßen Zusammenstellung von Urteilstenören war zweifelhaft, weil der Streitgegenstand daraus nur selten überhaupt hervorging2365. Lediglich das Konzept der Kammergerichtsordnung von 1613 war präzise zitiert. Die genannte Vorschrift sagte klipp und klar: „Man will auch Cammer-Richter und Beysitzern hiemit befohlen haben/ Ehe-Sachen oder auch andere/ so an Unser CammerGericht nicht gehörig/ keines Wegs anzunehmen.“2366 Das betraf freilich nur Ehesachen und weder Amtsstreitigkeiten wie bei Hellmund noch Fuhrdienste wie in Lippe. Und im Gegensatz zur Ordnung von 1555 zurrte die Vorschrift zwar die Unzuständigkeit des Kammergerichts fest, trat aber nie förmlich in Kraft. Dennoch entsprach die Regelung der verbreiteten Praxis. Im folgenden Gedankengang schlug das lippische Konsistorium den Weg vom Reichskammergericht zurück zu den territorialen Konsistorien ein. Ausgangspunkt war und blieb wie in Lippe üblich die „gleichheit unter denen Protestanten und Catholischen“. Diese Gleichheit sollte sich, anerkannt vom Westfälischen Frieden2367, auf eine vollständige Exemtion geistlicher Sachen vom Reichskammergericht beziehen, nicht nur „auf Lehre und Glauben oder sonst die Religion unmittelbar betreffende oder im eigentlichen Verstand geistliche Sachen“2368. Vielmehr reichte es, wenn eines von drei sehr weiten Kriterien erfüllt war. Entweder es handelte sich um eine Sache, über die reichsständische protestantische Konsistorien urteilten, oder es lag eine geistliche Sache nach den Grundsätzen des evangelischen Kirchenrechts vor, oder aber der Anspielung auf S e y l e r / B a r t h , Urtheil Und Beschaydt. Anspielung auf D e c k h e r r , Rerum in supremo Camerae Imperialis (...),; vielleicht mit einbezogen: D e c k h e r r , Relationen. 2365 Zur Benutzbarkeit der Sammlung von Seyler und Barth P r an g e , Vom Reichskammergericht, S. 9-53. 2366 COC 1613 II 1 § 3, bei L u d o l f f , Concept, S. 143; B l u m , Concept, S. 160 (dort auch der Wortlaut des Memorials), dort am Rand Hinweis auf das Visitationsmemorial von 1570; Hinweis auf das Konzept auch bei P ü t t e r , Historische Entwickelung, S. 425. 2367 Zitiert werden IPO Art. V § 13 und 31; Übersetzungen bei B u s c h m an n , Kaiser und Reich II, S. 38, 49. 2368 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 95r. 2363 2364
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Streitgegenstand unterfiel dem kanonischen Recht. Das war die lückenlose Abriegelung aller Konsistorialsachen von der Reichsgerichtsbarkeit, wie sie in einem Fakultätsgutachten auch Johann Stephan Pütter vertreten hatte2369. Entscheidend waren die Vorgaben des kanonischen Rechts. In Übereinstimmung mit dem wenige Jahre älteren Rechtsstreit gegen den Hofrichter Ludwig von Hammerstein erklärte das lippische Konsistorium in Anlehnung an Justus Henning Böhmer2370, „regulariter“ gehörten vor die Konsistorialgerichte alle Sachen, die auch das kanonische Recht für kirchlich halte. Obwohl der Streit mit der Stadt Horn Fuhrdienste betraf, möglicherweise also nur einen Randbereich geistlicher Sachen berührte, war sich das Konsistorium über die Einschlägigkeit der aufgestellten Rechtsregeln sicher. Denn nach kanonischem Recht werde auch dasjenige zu kirchlichen Sachen gezählt, was „mit der Administratione Ecclesiae nur einige Verwandniß hat“, insbesondere Leistungen der Kirchengemeinde an den Prediger2371. Ein Großaufgebot vom Corpus Iuris Canonici bis zu Georg Ludwig Böhmer, „Senckenberg“, Baudis und David Mevius zeigte entgegen der behaupteten Selbstverständlichkeit an, wie wenig eindeutig die Zuordnung von Fuhrdiensten wohl doch war2372. Wegen der Gleichstellung der Konsistorien mit bischöflichkatholischen Gerichten und wegen einer Bestimmung in der lippischen Kirchenordnung sollten die Fuhrdienste als geistliche Sachen einzuordnen sein. Ohne Literaturhinweis zitierte der Schriftsatzverfasser an dieser Stelle ein geflügeltes Wort des Landgrafen Moritz von Hessen. Dieser hatte betont, die Exemtion geistlicher Sachen von der Reichsgerichtsbarkeit betreffe „summum Regale statuum in germania“2373. Damit war die Rückbindung des kleinen Problems an das große Verfassungsrecht klargestellt. Selbst schein-
Zitiert wird P ü t t e r , Auserlesene Rechtsfälle I, XVI. Deductio, S. 171-220; ebenso d e r s . , Historische Entwickelung II, S. 420-438. Zu Pütters Auffassung vgl. den Schluß des Kapitels. 2370 Zitiert wird B ö h m e r , Jus ecclesiasticum, lib. 2 tit. 2 § 23: „Causae ecclesiasticae in foris Protestantium iudicantur secundum principia iuris canonici“, S. 995. 2371 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 96r. 2372 Zitiert werden X. 2, 1, 2; B ö h m e r , Principia juris Canonici, lib. 2 sect. 2 tit. 2, S. 122-128 (etwas unklare Belegstelle in der Akte); M e v i u s , Decisiones, p. 4 dec. 132, S. 906; „Senkenberg im teutschen fürsten-Staat P. 2. C. 2. n. 2.“ unklarer Nachweis: Bei S e c k e n d o r f f , Teutscher Fürsten-Staat, Teil 2 cap. 2 § 2, S. 43-46, geht es darum, daß der einzelne Fürst bei Erhaltung seines „staats“ auch den „staat“ des Kaisers im Auge haben solle; S e n c k e n b e r g , Bedencken, S. 398-414, setzt sich zwar mit dem „Fürsten-Staat“ von Seckendorff auseinander, hat aber eine andere Gliederung; ebenfalls im Schriftsatz zitiert: B a u d i s , De indole causarum ecclesiasticarum, § 34, S. 72-74. 2373 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 97r; deutsche Übersetzung des Zitats bei L i n c k / F a l c k , De concordatis, S. 76 n. 25: „Daß die Freyheit in Religions-Sachen der Stände höchstes Regal sey“. 2369
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bar winzige Zwistigkeiten berührten Grundinteressen der Territorien und rechtfertigten vollauf die ausladende Prozeßführung. Der Hinweis auf Moritz den Gelehrten von Hessen ist bemerkenswert. Der Landgraf hatte praktisch zeitgleich mit Simon VI. zur Lippe die Grafschaft Hessen-Kassel zum reformierten Bekenntnis überführt, war letztlich aufgrund übergroßer Schwierigkeiten aber gescheitert und 1627 zurückgetreten2374. Weshalb er in Lippe dennoch als calvinistische Autorität in Erinnerung blieb, ist unklar. Möglicherweise gab ein ähnliches Verständnis der Konsistorialgerichtsbarkeit den Ausschlag, den hessischen Landgrafen zu zitieren. Moritz von Hessen hatte nämlich anders als viele Verfechter des reformierten Bekenntnisses auf die presbyterial-synodale Struktur seiner Landeskirche wenig Wert gelegt und sich deutlich als bischöflicher Landesherr gesehen. Dementsprechend war das 1610 geschaffene hessische Konsistorium klar hierarchisch von oben und nach unten organisiert2375. In Lippe sah das lange Jahrzehnte ebenso aus. Auch hier war die Stellung des Landesherrn innerhalb der organisierten Kirche besonders stark; erst seit Ende des 17. Jahrhunderts gab es presbyteriale Kollegien2376. Überdies bestanden enge verwandtschaftliche und persönliche Beziehungen der lippischen Grafen zu Moritz von Hessen2377. Auf den zweiten Blick ist es deswegen nicht verwunderlich, wenn der hessische Landgraf in Lippe als starke Persönlichkeit des konfessionellen Zeitalters populär war. Der letzte Abschnitt des lippischen Interventionsschreibens gegen die Stadt Horn setzte sich mit der abweichenden Meinung Johann Ulrich von Cramers auseinander. Cramer verwarf die völlige Exemtion der Kirchensachen von der Reichsgerichtsbarkeit und war genau zu dieser Zeit der wohl einflußreichste Kameralautor. Der Schriftsatzverfasser versteifte sich nicht allein auf die in den „Wetzlarischen Nebenstunden“ enthaltenen Abhandlungen2378, sondern zog ein anderes Werk des Assessors zu Rate. In der Gesamtsicht stellte er die drei Möglichkeiten dar, in denen nach Cramers Einschätzung die Zuständigkeit des Reichskammergerichts in Kirchensa-
1572-1632, erster Zugriff bei W o l f f , Moritz der Gelehrte, S. 136-139; konfessionsgeschichtlich M e n k , Die „Zweite Reformation“, S. 154, 158; R i t t e r , Konfession und Politik, S. 173-177, 210-216; M ü n c h , Zucht und Ordnung, S. 114. 2375 R i t t e r , Konfession und Politik, S. 223-224; M e n k , Die „Zweite Reformation“, S. 177178, 183; zum Konsistorium auch M ü n c h , Zucht und Ordnung, S. 114-116. 2376 Kl u e t i n g , Die refomierte Konfessions- und Kirchenbildung, S. 229; S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 188-189: dort auch zur Ähnlichkeit Lippes mit Nassau-Dillenburg, Hessen-Kassel und der Rheinpfalz. 2377 S c h i l l i n g , Konfessionskonflikt, S. 167-168. 2378 C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 21, S. 114-120; allgemeiner d e r s . , Wetzlarische Nebenstunden 16, S. 66-141. 2374
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chen eröffnet war2379. Dies waren die drei Sachprobleme „1) propter nullitatis in processu 2) odium Judicis et 3) facta violentia contra pacem religiosam et Instrumentum Pacis“ sowie außerdem, „wenn es eine causa mere possessionis ist“2380. Damit fällt übrigens zugleich ein bezeichnendes Licht auf diejenigen Fälle, in denen zwischen den Parteien streitig war, ob in kirchlichen Angelegenheiten Nichtigkeitsklagen an das Reichskammergericht gelangen konnten. Genau hierfür schränkte Johann Ulrich von Cramer die Exemtion geistlicher Sachen ein. Wenn Prozeßparteien bereits lange zuvor mit ihren Anträgen genau darauf abzielten, waren sie im 17. Jahrhundert damit zwar oftmals erfolglos2381, argumentierten aber nicht im luftleeren Raum. Die Fuhrdienste der Stadt Horn betrafen freilich keinen der drei Ausnahmefälle und waren auch „auf bloß petitorische grund-Sätze gebaut“2382. Die kammergerichtliche Zuständigkeit für Besitzschutz2383 stand also nicht in Frage. Und weil aus Sicht des lippischen Konsistoriums bereits die Zuständigkeit des Wetzlarer Gerichts nicht eröffnet war, erübrigten sich weitere Darlegungen zum näheren Sachverhalt2384. Das war vielleicht etwas getürkt, denn Johann Ulrich von Cramer hatte die Zuständigkeit der Reichsgerichte gerade auch in petitorischen Sachen bejaht, wenn sie nämlich nicht spezifisch geistlich gelagert waren2385. Mit seinem eleganten Schluß war der Schriftsatzverfasser freilich um die unangenehme Aufgabe umhingekommen, den Meinungsstreit mit dem Kameralautor Cramer auszufechten und zu entscheiden. Wenn nämlich nach allen denkbaren Auffassungen eine von der Reichsgerichtsbarkeit eximierte Kirchensache vorlag, kam es auf die genauen Abgrenzungskriterien gar nicht an. Der Weg nach Wetzlar war dann versperrt. Bürgermeister und Rat der Stadt Horn sahen diesen letzten Punkt ganz anders. Sie legten im Juli 1772, einen Monat nach Cramers Tod, eine Replikschrift gegen die Intervention des lippischen Konsistoriums vor. Darin betonten sie, die „Prediger-Fuhren“ seien „keines weges als eine causa mere Zitiert wird C r a m e r , Systema processus Imperii, sect. 1 tit. IV § 134: „Tales mixtae causae Ecclesiasticae Protestantium sunt, quibus querelae moventur 1.) propter nullitates in Processu, 2.) odium Judicis, 3.) facta violenta contra Pacem Religiosam ac Instrumeutum (!) Pacem. Ergo in hisce causis omnibus supremorum Imperii Tribunalium fundata est Jurisdictio (§. 193. Recess. Imper. Noviss.).“ 2380 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 97v, mit wörtlicher Anlehnung an Cramer. 2381 Beispiele aus Lübeck oben bei Anm. 1462-1561, aus Lippe oben bei Anm. 2260-2294. 2382 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 98r. 2383 Dazu J a c o b i , Besitzschutz; C z e r m a k , Besitz; H a f k e , Zuständigkeit, S. 110. 2384 Der Schriftsatz (LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 99v), verweist auf die Exzeptionsvorschriften in JRA 1654 §§ 32, 40; bei B u s c h m an n , Kaiser und Reich II, S. 196, 201. 2385 C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 21, S. 117. 2379
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ecclesiastica zu consideriren“2386. Die reichsrechtlich geschützten Religionssachen betrafen nach Auffassung des Schriftsatzverfassers, eines nicht näher bekannten Advokaten Kestner, „hauptsächlich“ die freie „Ausübung der Religion“ zugunsten der Untertanen2387. Im Streit um den Prediger Wöhlberg und seine Amtseinführung konnte sich der Advokat nicht nur auf Johann Ulrich von Cramer stützen. Zugleich rückte er auch den Sachverhalt zurecht. Vor allem gehe es um die Mitwirkung der „Bürgerschaft“ an den Fuhrdiensten und dies betreffe eine weltliche Frage, nämlich die rechtswidrige Einführung neuer Servituten2388. Ansonsten war der Schriftsatzverfasser sichtlich bemüht, genau die Kriterien Cramers zur Eröffnung der kammergerichtlichen Zuständigkeit abzuarbeiten. Die Stadt Horn, meinte er, habe sich „in immemoriali possessione exemtionis sive libertatis, quae vim legis ac privilegii“, befunden, weil sie noch nie zuvor derartige Dienste habe verrichten müssen. Ohne „manifesta nullitate“ habe sie aus dieser Rechtsposition gar nicht verdrängt werden können. Damit lagen sowohl eine Besitzstreitigkeit als auch eine Nichtigkeit vor. Der Weg nach Wetzlar stand also wieder offen, auch nach Einschätzung des bereits älteren Kameralautors Jakob Blum, den der Verfasser an dieser Stelle zitierte2389. Eine Entscheidung des Reichskammergerichts zu diesem Rechtsstreit erging nicht2390. Das hindert jedoch nicht einige abschließende Bemerkungen zur Appellation in Konsistorialsachen. Neben der Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten und der persönlichen Befreiung von der Konsistorialgerichtsbarkeit handelte es sich bei der Appellationsfrage um den dritten großen Bereich lippischer Auseinandersetzungen zur Abgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte. Die lippischen Fälle bestätigen das Ergebnis aus den anderen Territorien. In eindeutig geistlichen Sachen hatte es praktisch keinen Sinn, Rechtsmittel einzulegen. Das Appellationsverbot in Ehesachen war weitgehend unstreitig, die Ausdehnung auf ein Appellationsverbot in allen Konsistorialangelegenheiten war ebenfalls häufiger Einwand gegen kammergerichtliche Klagen. Ob und inwieweit die Möglichkeit bestand, das Appellationsverbot durch andere Prozeßarten mit veränderten Zuständigkeitsregelungen zu umgehen, war streitig. Mehreren gescheiterten älteren LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 25, fol. 107v. LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 25, fol. 107r. 2388 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 25, fol. 108r, mit Verweis auf M e v i u s , Decisiones, p. 4 dec. 137, S. 910. 2389 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 25, fol. 109r, mit etwas unklarem Verweis auf B l u m , Processus cameralis, wohl auf tit. 41 n. 12, S. 335. 2390 Das Protokollbuch endet am 3. April 1775 mit einem Completum-Vermerk: LA Detmold L 82 Nr. 314, Prokollbuch, fol. 16r. 2386 2387
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Versuchen steht aus dem 18. Jahrhundert die wichtige, aus der Rechtspraxis geschöpfte Auffassung Johann Ulrich von Cramers gegenüber, der etwa Nichtigkeitsklagen in kirchlichen Sachen für möglich hielt. Auch der Hellmund-Fall war für die Protestanten ein gefährliches Präjudiz. Eine lippische Zehntstreitigkeit von 1722 zeigt demgegenüber eine unproblematisch erlaubte Appellation. Wenn das Konsistorialgericht klar weltliche Streitigkeiten verhandelte, war wohl die Appellation an das Reichskammergericht eröffnet. Freilich ist nur ein einzelner Fall nachweisbar, verallgemeinerbare Befunde bleiben also unsicher. Die schärfsten und ums Grundsätzliche bemühten Auseinandersetzungen fanden in Lippe in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts statt. Das Konsistorium, sicherlich nicht ohne Rücksprache mit der Regierungskanzlei, gelangte mit stark historischer und konfessioneller Argumentation zu der Auffassung, daß reichskammergerichtliche Klagen in Konsistorialsachen ausnahmslos verboten waren, unabhängig von Prozeßart und Streitgegenstand. Das war zugleich die weitestgehende Befreiung der Grafschaft von der Justizaufsicht des Reiches.
d) Seitenblick: Mosers und Pütters Auffassungen zum HellmundProzeß Zeitgleich zu dem zuletzt geschilderten lippischen Fall äußerte sich Johann Jakob Moser 1774 zum Wetzlarer Fall Hellmund und damit allgemein zum Verhältnis von Protestanten und Katholiken in Prozessen am Reichskammergericht. Ein gutes Jahrzehnt später erschien 1786 eine Abhandlung Johann Stephan Pütters. Mit Johann Ulrich von Cramer war auch der wohl zeitgenössisch bekannteste Reichskammergerichtsassessor an der Diskussion beteiligt. Schon Jahrzehnte vorher hatte Georg Melchior von Ludolff die „causâ Pastoris Wezlariensis Helmondii“ zitiert, wenn auch nur knapp2391. Es handelte sich um einen der großen Prozesse des 18. Jahrhunderts. Moser widmete dem Problem lediglich eine knappe Seite. Dreh- und Angelpunkt waren für ihn die Beschwerden evangelischer Stände, die Katholiken hätten „allzuwenige Achtung“ für ihre Vorschläge zur Verbesserung des Reichskammergerichts2392. Drei Beispiele führte er an. Zunächst hatte König Friedrich I. von Preußen 1711 gedroht, das Reichskammergericht gar nicht mehr anzuerkennen und keine Kammerzieler2393 mehr zu leisten, wenn die Katholiken die evangelischen Vorschläge nicht zur Kenntnis nähmen. L u d o l f f , De jure Camerali, S. 226 M o s e r , Justiz-Verfassung II, S. 892. 2393 Zum Kammerzieler H e n n i n g , Kammerzieler, Sp. 590-592. 2391 2392
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Aber die preußische Haltung war offenbar selbst unter evangelischen Fürsten streitig, hätte sie doch zur Stärkung des Reichshofrats geführt und damit die evangelischen Stände abermals geschwächt2394. Zweitens wies Moser auf die sogenannten Monita Evangelicorum von 1713 hin, mit denen evangelische Subdelegierte von Wetzlar aus beim Kaiser die Verbesserung des Justizwesens angemahnt hatten2395. Das dritte Beispiel war sodann, „was das Corpus Evangelicorum in gewissen besonderen Angelegenheiten, Z[um] E[xempel] der Cronenbergischen, Helmundischen, Holzhausischen, Wadgaßischen u[sw.] für particularBeschwerden über das Cammergericht geführet habe“2396. Mosers Dreischritt führte ersichtlich vom Allgemeinen zum Besonderen. Erst ging es um Äußerungen der deutschen Reichsfürsten, dann um allgemeine Stimmen der Wetzlarer Deputierten, zum Schluß um denkwürdige einzelne Prozesse. Der Wetzlarer Hellmund-Fall gehörte für Moser in eine Gruppe von mindestens vier ähnlich gelagerten Verfahren. Zum entscheidenden Punkt schwieg Moser freilich, nämlich zur Frage, worauf sich die evangelischen Beschwerden inhaltlich bezogen. Den Streit um die Zuständigkeit des Kammergerichts in evangelisch-geistlichen Angelegenheiten erwähnte Moser mit keinem Wort. Wie der Vergleich mit Pütter zeigt, war der Göttinger Professor Pütter um prinzipielle Durchdringung des Problems bemüht, Moser dagegen nicht. Insofern schneidet Moser als Staatsrechtler trotz aller neueren Relativierungen wirklich schlecht ab2397. Pütter dagegen nahm den Hellmund-Fall zum Anlaß für eine knapp zwanzigseitige allgemeine Abhandlung über die Gerichtsbarkeit der höchsten Reichsgerichte in evangelisch-kirchlichen Angelegenheiten. Er entwirrte zunächst ein wenig die Prozeßgeschichte. Der Hellmund-Fall fiel nämlich genau in die Zeit, als nach dem mehrjährigen Stillstand das Gericht 1711 wiedereröffnet worden war. Seit 1707 war eine Visitationskommission tätig2398. Sie arbeitete bis 1713 die Mißstände auf, die in der skandalösen Absetzung des Kammergerichtspräsidenten Freiherrn von Ingelheim überdeutlich zu Tage getreten waren2399. Pütter hielt den Hellmund-Fall irrtümlich für eine Nichtigkeitsklage2400, sah aber klar den Zusammenhang mit der Stellungnahme der evangelischen Visitatoren von 1713 sowie der Erklärung Dazu in Anlehnung an Moser auch S m e n d , Reichskammergericht, S. 223. M o s e r , Justiz-Verfassung II, S. 893. 2396 M o s e r , Justiz-Verfassung II, S. 893. 2397 Zum Vergleich Moser-Pütter K l e i n h e y e r / S c h r ö d e r , Juristen, S. 316. 2398 Zur Visitation des Reichskammergerichts, aber mit Schwerpunkt auf der früheren Zeit M e n c k e , Visitationen; zur Visitation ab 1707 S m e n d , Reichskammergericht, S. 219220. 2399 S m e n d , Reichskammergericht, S. 218; zu Franz Adolf Dietrich Graf von Ingelheim (1659-1742), dem späteren Kammerrichter, L o e w e n i c h , Amt und Prestige, S. 153-158. 2400 Zutreffend dagegen bei U l m e n s t e i n , Geschichte der Stadt Wetzlar II, S. 561 Anm. *. 2394 2395
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der evangelischen Reichsstände von 1715. Zugleich betonte er die Fernwirkungen der Angelegenheit, die „noch jetzt nicht“ zu einer Lösung gefunden habe2401. Im Ergebnis schloß er sich der evangelischen Sichtweise an. In geistlichen Angelegenheiten konnte ein evangelischer Landesherr keinen weiteren Richter über sich haben, ja genau in dieser Hinsicht hätten protestantische Fürsten sogar mehr Rechte als katholische Herrscher2402. Wenn katholische Bischöfe zur Zeit des Augsburger Religionsfriedens den Anspruch auf Ausübung der Ehegerichtsbarkeit über protestantische Territorien nicht förmlich aufgegeben hätten, sei dieser Punkt spätestens seit 1648 verfassungsrechtlich entschieden. Und für das Reichskammergericht wies Pütter auf das Visitationsmemorial von 1570 sowie auf das Konzept der Kammergerichtsordnung von 1613 hin, wonach Klagen in Ehesachen „keinesweges anzunehmen“ seien2403. Ausnahmen ließ Pütter nicht zu, auch nicht in Nichtigkeitsklagen, selbst wenn man dort über „eine große Analogie“ zu Strafprozessen nachdenke, bei denen ebenfalls die Appellation verboten, aber die Nullitätsklage erlaubt sei2404. Zu diesem letzten Punkt besaß Pütter Erfahrungen aus erster Hand. Schon 1755 hatte er in einem Hamburger Kammergerichtsprozeß ein Gutachten vorgelegt und darin „ac in causis ecclesiasticis euangelicorum“ jedes Rechtsmittel an die Reichsgerichte ausgeschlossen. Sein vierter Leitsatz stand felsenfest gemeißelt über der Deduktion: „Nec vel citatio super nullitatibus in caussis istis locum habet.“2405 Das sah das Reichskammergericht in diesem Fall genau so und entband den Rat der Stadt Hamburg nach gut einjähriger Laufzeit von der Nichtigkeitsklage eines Hamburger Konrektors2406. Kaum verdeckt gab übrigens Pütter den evangelischen Reichskammergerichtsassessoren den Rat, im Falle von Meinungsverschiedenheiten mit den katholischen Kollegen die Mitwirkung an der Bearbeitung solcher Prozesse zu verweigern2407. Eine bessere Lösung war wohl nicht in Sicht, denn über die Zulässigkeitsfragen herrschte im Kameralkollegium zumindest bei Nichtigkeitsklagen keine Einigkeit. Bis zum Untergang des Reiches blieb das Grundproblem ungelöst. Noch 1795 verfaßten die evangelischen Beisitzer des Kammergerichts einen Bericht an P ü t t e r , Historische Entwickelung, S. 421; im Ergebnis ebenso für das Reichskammergericht S t r u b e , Rechtliche Bedenken II, S. 27-28. 2402 P ü t t e r , Historische Entwickelung, S. 426 Rn. X, 432 Rn. XXI. 2403 P ü t t e r , Historische Entwickelung, S. 425 Rn. VII, mit Verweis auf COC 1613 Teil 2 Tit. 1 § 3, abgedruckt bei B l u m , Concept, S. 160; L u d o l f f , Concept, S. 143. 2404 P ü t t e r , Historische Entwickelung, S. 429-430 Rn. XV-XVII. 2405 P ü t t e r , Auserlesene Rechtsfälle I, XVI. Deductio prima die Gerichtsbarkeit der höchsten Reichsgerichte in evangelischen Kirchen- und Schulsachen betreffend, S. 171-220 (Themata generalia S. 171). 2406 Urteil vom 14. April 1755 bei P ü t t e r , Auserlesene Rechtsfälle I, XVI. Deductio, S. 220. 2407 P ü t t e r , Historische Entwickelung, S. 437 Rn. XXVI. 2401
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das Corpus Evangelicorum. Darin lehnten sie die Zuständigkeit des Reichskammergerichts in protestantischen geistlichen Sachen abermals ab und bestanden auf der Gleichbehandlung mit den Katholiken. In einem Rechtsstreit, der „Froriepschen Sache“, war die offene Frage abermals hochgekocht2408. Überscharf darf man den Zusammenhang zwischen Konfession und Rechtsauffassung allerdings nicht ziehen. Johann Ulrich von Cramer, der wie oben gesehen die Nichtigkeitsklage in bestimmten Ehesachen zuließ, war bekanntlich Assessor des evangelisch-fränkischen und kurbrandenburgischen Reichskreises2409. Nicht alle protestantischen Autoren vertraten also dieselbe Meinung. Abermals waren persönliches Bekenntnis und Rechtsauffassung unterscheidbar. Wie ein Leitmotiv zieht sich diese Beobachtung durch veschiedene Kapitel der Untersuchung.
4. Ergebnis Die Grafschaft Lippe erweist sich für die Zuständigkeitsabgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte als äußerst ergiebiger Untersuchungsraum. Im Spiegel der reichskammergerichtlichen Überlieferung zeigen sich drei Konfliktfelder, die allesamt bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts Anlaß zu Auseinandersetzungen mit zunehmendem juristischen Tiefgang boten. Streitig waren die Gerichtsgewalt in geistlichen Angelegenheiten, die persönliche Befreiung vom Konsistorium sowie die Klagemöglichkeiten gegen Konsistorialurteile an den obersten Reichsgerichten. Im Vergleich der näher untersuchten Territorien fallen die häufigen Gleichsetzungen der Zustände im reformierten Lippe mit vorreformatorischen Regelungen oder zeitgenössischen katholischen Gebieten ins Auge. Die lippische Regierung legte vor dem Reichskammergericht offenbar keinen Wert auf die Eigentümlichkeiten einer reformierten Gerichts- oder Religionsverfassung. Sie stellte sich ganz und gar in die Tradition der katholischen Offizialatsgerichtsbarkeit. Selbst die letzte Konsequenz blieb nicht aus: Als oberstes Haupt des geistlichen Gerichts erschien der Landesherr unumwunden als Rechtsnachfolger des Papstes und berief sich im Konflikt mit dem Kaiser auf das Reichskonkordat aus dem 15. Jahrhundert. W i e s e , Handbuch III/1, S. 605, dort auch zur Ausnahmeregelung für evangelische Reichsritter und evangelische Mitglieder des Kammergerichts. 2409 J a h n s , Reichskammergericht II/1, S. 655, 663, 668. 2408
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Ob protestantische Territorien überhaupt eine eigene geistliche Gerichtsbarkeit unterhalten mußten, war fraglich. Aus Rechtsgründen verneinte die lippische Regierung derartige Pflichten. Politisch waren Konsistorien dennoch zweckmäßig, weil durch Ausweitung der geistlichen Gerichtsbarkeit ein Bereich völliger landesherrlicher Autonomie ohne jede Mitspracheoder Kontrollmöglichkeit des Reiches eröffnet war. Dort, wo diese Justizaufsicht nicht bestand, also in protestantischen Territorien mit unbeschränktem Appellationsprivileg, gab es teilweise überhaupt keine Konsistorien. Die lippische Regierung betonte deswegen den Zusammenhang zwischen der territorialkirchlichen Gerichtsverfassung und Umfang der Appellationsprivilegien. Zu dieser Frage gab es im Laufe des 18. Jahrhunderts einen deutlichen Meinungsumschwung in der lippischen Kanzlei. Zunächst begründeten die Regierungsjuristen die persönlichen Eingriffsmöglichkeiten des Monarchen in die Konsistorialgerichtsbarkeit mit seiner Machtfülle und dem Hinweis, Konsistorien seien rechtlich ohnehin nicht notwendig. Doch später unterstrich die Regierungskanzlei mehrfach die Bedeutung und den großen praktisch-politischen Nutzen einer protestantischen kirchlichen Gerichtsbarkeit nach dem Vorbild der Offizialate. Die Interessen katholischer und protestantischer Landesherren konnten im Wechselspiel der geistlichen Gerichtsbarkeit und der Reichsgerichtsbarkeit einander entgegenlaufen. Für katholische Reichsstände, gerade wenn es sich um geistliche Fürsten handelte, war die Einbindung in die Reichsgerichtsbarkeit immer ein Beweis ihrer Reichsunmittelbarkeit sowie äußerer Ausweis ihrer weltlichen Herrschaftsmacht. Ein rein innerkirchlicher Instanzenzug hätte den Status als Reichsfürst in Zweifel gezogen. Die vergleichsweise schwache Justizaufsicht durch das Reich war offenbar weniger gravierend als die Kontrollkompetenz des Apostolischen Nuntius oder der Rota Romana. Das mag der Grund gewesen sein, die Zuständigkeit jedenfalls von Offizialat-Appellationsgerichten in weltlichen Streitigkeiten zu begrenzen und Übergriffe des Nuntius in die Zivilgerichtsbarkeit zu bekämpfen. Demgegenüber befanden sich protestantische Landesherren in einer bequemeren Ausgangslage. Geistliche Kontrollmöglichkeiten über ihr landesherrliches Kirchenregiment gab es gar nicht. Deswegen ermöglichte es die großzügige Definition kirchlicher Angelegenheiten, selbst die schwache Beaufsichtigung der landesherrlichen Justiz durch die Reichsgerichtsbarkeit noch weiter zurückzudrängen. Die überdeutliche Anlehnung der lippischen Grafen und ihrer juristischen Ratgeber an das kanonische Recht und an die Offizialate kann damit nicht verdecken, daß die Anwendung exakt derselben Rechtsnormen in katholischen und protestantischen Territorien zu ganz verschiedenen Ergebnissen führte. Einmal gab es eine institutionalisierte
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überterritoriale Kirchenstruktur, einmal nicht. In moderner Rechtssprache kann man das vielleicht so formulieren: Die vollständige Anlehnung an das kanonische Recht und die Offizialatsgerichtsbarkeit durch die lippische Regierung lief darauf hinaus, Ungleiches gleich zu behandeln. Ob man den Bogen überspannen konnte, war fraglich. Johann Ulrich von Cramer malte jedenfalls das Schreckgespinst landesherrlicher Sklaverei an die Wand, wenn evangelische Fürsten in Kirchensachen nach eigener Willkür schalten und walten durften. Der Vollständigkeit halber ist die häufige Einbindung der lippischen Regierung in die kammergerichtlichen Fälle erwähnenswert. Die Detmolder Grafen, ihre Räte oder das Konsistorium waren teilweise selbst Partei, einmal erklärten sie die Intervention, weil ihre Herrschaftsansprüche betroffen waren. In anderen Gegenden des Reiches war es ähnlich. In Osnabrück und Hildesheim trat die Landesregierung sogar als Klägerin vor dem Reichskammergericht auf, aus Lübeck und Sachsen-Lauenburg liegen Stellungnahmen der Landesobrigkeit vor, und in einigen Münsteraner Prozessen trat der Kölner Kurfürst bzw. Erzbischof als Intervenient bei. Auch wenn ursprünglich Privatparteien wegen geistlicher Kleinigkeiten gegeneinander stritten, lag die Ausweitung zum Prinzipienstreit schnell auf der Hand. Es handelte sich sehr häufig um Auseinandersetzungen, die grundlegende Interessen der frühneuzeitlichen Territorien in besonderem Maße berührten. Eine partikulare Besonderheit waren die Reibereien um ein privilegium fori der Landsassen. Lippische Adlige behaupteten, die Brüderlichen Verträge von 1614 und 1616, ein Landtagsschluß von 1651 sowie der Herberhausener Vergleich von 1661 hätten ihnen einen rein weltlichen Gerichtsstand garantiert. Deswegen sprachen sie dem Konsistorium jede Gerichtsgewalt über ihre Familien ab. Insbesondere auch in allen geistlichen Angelegenheiten wollten sie sich ausschließlich der Kanzlei und dem Hofgericht unterwerfen. Die lippische Kanzlei dagegen bestritt ebenso wie das Detmolder Konsistorium jedes Sonderrecht und wollte den Landadel wie gewöhnliche Untertanen in geistlichen Angelegenheiten dem Konsistorium unterstellen. In den 1760er Jahren kam es deswegen zu drei Reichskammergerichtsprozessen. Warum den Adligen die Einbindung in die Konsistorialtätigkeit gerade in diesem Jahrzehnt so unter den Nägeln brannte, bleibt unklar. Die Appellation an das Reichskammergericht in Konsistorialsachen bildete mehrfach den Streitpunkt in lippischen Kammergerichtsprozessen. Weitgehende Klarheit herrschte über die Unzulässigkeit von Rechtsmitteln in Ehesachen. Ob eine Umdeutung in eine Nichtigkeitsklage zur Umgehung des Appellationsverbots führen konnte, war wie etwa auch in Lübeck streitig. Ein zwielichtiges Parteigutachten von 1617 hielt den Weg nach Speyer für eröffnet, besaß aber praktisch kein Gewicht. Im 18. Jahrhundert war die
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Unzulässigkeit aller Rechtsmittel in protestantischen geistlichen Streitigkeiten in der Kameralliteratur und dem sonstigen Schrifttum weitgehend anerkannt. Mit Johann Ulrich von Cramer vertrat freilich einer der bekanntesten Wetzlarer Assessoren die Mindermeinung und wollte Nichtigkeitsklagen zulassen. Schon im Hellmund-Prozeß aus dem frühen 18. Jahrhundert hatte das Reichskammergericht sich in evangelische Kirchensachen eingemischt. Die lippische Regierung akzeptierte solche besonderen Rechtswege aber nicht. In Zehntstreitigkeiten scheint es zwar Appellationsmöglichkeiten gegeben zu haben, auch wenn die Beteiligten erstinstanzlich vor dem Konsistorium verhandelt hatten. Im Kernbereich des reformierten Kirchenrechts verfocht die Regierung aber eisern ihren Grundsatz der völligen gerichtlichen Eigenständigkeit.
IX. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus der Reichsstadt Hamburg
Die Stadt Hamburg war eines der wenigen Territorien des Alten Reiches ohne eigenständige geistliche Gerichtsbarkeit. In den oben untersuchten Streitigkeiten aus der Grafschaft Lippe diente unter anderem Hamburg als zeitgenössisches Beispiel einer Gerichtsverfassung, die geistliche und weltliche Sachen nicht trennte und daraus unmittelbare Konsequenzen für das Rechtsmittelverfahren zog. Ob Hamburg überhaupt eine Reichsstadt und damit ein reichsunmittelbares Territorium war, blieb lange streitig, auch über ein Reichskammergerichtsurteil von 1618 hinaus, das die Reichsfreiheit anerkannte2410. Die Stadt war seit 1528 evangelisch2411. Im Gegensatz zu anderen Städten verliefen die Auseinandersetzungen zwischen Geistlichkeit und Rat in der Reformationszeit besonders erbittert2412. Es kam sogar zu verschiedenen langwierigen Prozessen am Reichshofrat und Reichskammergericht, die in der Stadtgeschichte bereits gut aufgearbeitet sind2413. Auch in den hier ausgewerteten Quellen verwiesen die Anwälte mehrfach auf die lange zurückliegenden Streitigkeiten zwischen Rat und Domkapitel2414. Das blieb im Hamburger Gedächntis haften und diente je nach Lage der Dinge als Argument vor Gericht. Ob der Konflikt zwischen dem Rat und den Geistlichen in der Sache überhaupt jemals zur Ruhe kam, ist unklar. Noch 1672 betonte ein Reichskammergerichtskläger, in Hamburg herrsche ein „odium Laicorum contra clericos“. Der lange schwelende Haß werde „annoch Allmehr“ empfunden, „wie diesfals die annoch in Aula Caesarea et Camera unerörtert liegende vielle processen darthuen, auch noch mit noch andern gantze Convoluten gravaminum dargethan werden kan“2415. Dieser Kläger, Advokat in Hamburg und gleichzeitig Domherr, R e p g e n , Hamburg, Sp. 688; Überblick bei A u g n e r , Kommission, S. 231-236. Umfassend P o s t e l , Reformation, S. 315-317; W ät j e r , Domkapitel, S. 203-204. 2412 Vergleichende Hinweise bei K au f m an n , Geschichte der Reformation, S. 414. 2413 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 14, H 15, Repertoriumsnachweise bei S t e i n S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 329-331; vertiefend J e n s e n , Hamburger Domkapitel, S. 25-28, 430-436; B e r t h e au , Äpinus, S. 228-231; W e b e r , Die Stellung Hamburgs, S. 175-181; W ä t j e r , Domkapitel, S. 203-208. 2414 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 15-18, Art. 12-13; Rückblick eines Beteiligten in StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 10. 2415 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, Aktenstück Q 4, Gravamen 3. 2410 2411
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hielt die Reibereien zwischen Stadt und Domkapitel für den Hintergrund, vor dem sich die einzelnen Zuständigkeitskonflikte abspielten. Die hier interessierende Blickrichtung auf Auseinandersetzungen um Gerichtszuständigkeiten und Instanzenzüge erlaubt es, die bereits bekannten spektakulären politisch-religiösen Hamburger Streitfälle weitgehend auszublenden, auch wenn sie die aufgewühlte Grundstimmung in der Hansestadt nachhaltig prägten. Der nüchterne Satz jedenfalls, seit 1593 habe der Rat in Hamburg das geistliche Regiment übernommen2416, darf die dahinter stehenden schweren Konflikte nicht verdecken. Schon 1529 hatte Hamburg eine protestantische Kirchenordnung erhalten. Wie kurz zuvor Braunschweig und etwas später Lübeck und andere Territorien folgte die Stadt einem Entwurf des Reformators Johannes Bugenhagen2417. Im Gegensatz zu den anderen norddeutschen protestantischen Territorien richtete Hamburg allerdings kein Konsistorium ein, auch 1603 nicht, als die erneuerte Kirchenordnung in Kraft trat. Die Längsspaltung der Gerichtsverfassung2418, die fast alle Territorien des Alten Reiches kennzeichnete, unabhängig davon, ob sie weltlich oder geistlich, evangelisch oder katholisch waren, kannte Hamburg nicht. Das hatte erhebliche Auswirkungen gerade auch im Instanzenzug. So war es möglich, Rechtsfragen, die in anderen Territorien als klar geistliche Angelegenheiten galten, im Appellationswege vor die obersten Reichsgerichte zu tragen. Von der Scheidung wegen Ehebruchs bis zur Verweigerung des ehelichen Geschlechtsverkehrs reichten Hamburger Streitgegenstände, mit denen sich das Reichskammergericht im 17. und 18. Jahrhundert beschäftigen mußte. Neben Mecklenburg stößt man hier auf eine weitere Ausnahme von der allzu bekannten Regel. Der leichthin formulierte Satz, die Appellation in Ehesachen an die Gerichte des Alten Reiches sei nicht zulässig gewesen2419, trifft in dieser Unumstößlichkeit also nicht zu. So entschieden zeitgenössische Rechtsgelehrte auch dagegen anschrieben, blieb die Praxis doch viel bunter als die graue Theorie. Aus Hamburg sind je nach Zählweise gut 1350 Reichskammergerichtsakten überliefert2420. Fragen der Zuständigkeitsabgrenzung im hier interessieR e p g e n , Hamburg, Sp. 686. P o s t e l , Reformation, S. 27-29; K au f m a n n , Geschichte der Reformation, S. 516; W e b e r , Die Stellung Hamburgs, S. 176; Überblick über Bugenhagens Kirchenordnungen bei R a b e , Deutsche Geschichte, S. 369. 2418 Schönes Wort von B u c h d a , Gerichtsverfassung, Sp. 1567; ähnlich L ü c k , Gerichtsverfassung, Sp. 202. 2419 B a u m a n n , Eheanbahnung, S. 34; nur knappe Hinweise bei S e e h as e , Ehesachen vor dem Reichskammergericht, S. 61-62. 2420 S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch, Vorbemerkung S. VIII (von H an s - D i e t e r L o o s e ); Überblick mit Angabe derjenigen Fälle, zu denen nur erstinstanzliche Akten vorhanden sind, auch bei B a t t e n b e r g / S c h i l d t , Reichskammergericht, Anlage 5, S. 424. 2416 2417
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renden Sinne behandeln davon mindestens fünfzehn Verfahren2421. Darunter befinden sich allerdings vier innerkirchliche Auseinandersetzungen, an denen keine Gerichte der Stadt Hamburg, sondern lediglich das Domkapitel und der Erzbischof beteiligt waren2422. Hinzu kommen zahlreiche weitere Prozesse, in denen mehr oder weniger selbstverständlich Streitgegenstände vor das Reichskammergericht gelangten, die in anderen Territorien als geistliche Sachen galten. In Mecklenburg sind solche Verfahren ebenfalls nachweisbar, dort aber klar erkennbar, weil die Appellation vom Konsistorium an die Reichsgerichte erlaubt war2423. In Hamburg sind derartige Fälle nicht so leicht auszumachen. So spielen in 96 Prozessen Eheverträge eine Rolle2424. Freilich sind sie manchmal lediglich erwähnt, ohne daß es sich deshalb zwingend um eine eherechtliche Streitigkeit handeln müßte. Einige Fälle sind freilich eindeutig. So stritten die Parteien vor dem Reichskammergericht um die Trennung von Tisch und Bett2425, um die Scheidung wegen Ehebruchs2426 oder wegen böswilliger Verweigerung des ehelichen Beischlafs2427. In den meisten Territorien war die Appellation an die obersten Reichsgerichte in solchen Streitgegenständen nicht möglich. Selbst erstinstanzlich war die Befassung weltlicher Gerichte mit derartigen Angelegenheiten ausgeschlossen. Um die besondere Situation Hamburgs, die selbstverständlich-unausgesprochene Appellationserlaubnis in Ehesachen, angemessen zu erfassen, sind einige Verfahren in die Untersuchung einbezogen, wegen der teilweise unscharfen Grenzziehung zu allgemeinen Zivilsachen insoweit ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die Prozesse aus der Stadt Hamburg kreisen um drei wesentliche Problemfelder. Daraus ergibt sich der Gang der Untersuchung. An erster Stelle stehen Fragen nach dem privilegium fori der Geistlichkeit. Die große Bedeutung gerade dieser Auseinandersetzungen in Hamburg ist wohl die Kehrseite der fehlenden Konsistorialgerichtsbarkeit. Deswegen war es für Geistliche von besonderer Bedeutung, ob sie sich der städtischen Einheitsjustiz in irgendeiner Weise entziehen konnten. Vor allem das Domkapitel gerät auf diese Weise ins Blickfeld. Pikant war die Situation in Hamburg deswegen, StA Hamburg Best. 211-2 Nr. C 6, H 22, H 24, H 31, K 27, L 18, L 34, M 75, M 88, N 14, S 187, V 15, Nachtrag I Nr. 10, Nachtrag I Nr. 33; als gedruckte Quelle: P ü t t e r , Auserlesene Rechtsfälle I, XVI. Deductio, S. 171-220; einschlägig, aber nicht selbst ausgewertet, ist ebenfalls T 33, dazu S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 11131114. 2422 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 24, H 31, K 27, Nachtrag I Nr. 10. 2423 Dazu oben bei Anm. 1773-1813. 2424 Nachweise bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 1644. 2425 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. G 42. 2426 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, P 21. 2427 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 131. 2421
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weil bereits seit karolingischer Zeit die Erzbischöfe ihren Sitz von Hamburg nach Bremen verlagert hatten2428. Nach der Reformation gab es in Hamburg also einen Dom mit einem zugehörigen Domkapitel, aber ohne ortsansässigen Bischof und ohne in der Bürgerschaft verwurzelter Kirchengemeinde. Die damit verbundenen Rechtsprobleme und die zwischen der Reichsstadt und dem Domkapitel geschlossenen Verträge von 1561 und 1692 kommen in den Quellen umfassend zur Sprache. Nicht zuletzt aufgrund der frühneuzeitlichen Querelen verkam der Hamburger Dom zusehends und wurde nach und nach nutzlos, steinernes Symbol fremder Herrschaftsansprüche. Davon wollte man später nichts wissen. Zeitgleich zum Untergang des Alten Reiches ließ der Rat der Stadt Hamburg 1804/07 das Gotteshaus abreißen2429. Das zunächst im und am Dom abgehaltene Volksfest besteht freilich unter demselben Namen bis heute fort. Seit 1995 gibt es sogar wieder einen, nun neugotischen, katholischen Mariendom2430. Die ständigen Umgestaltungen des traditionellen Domplatzes weisen ständig auf die städtebaulich kaum vernarbte Wunde hin. Die alten Konflikte zwischen Stadt und Domkapitel sind auf diese Weise im Stadtbild bis in unsere Zeit sichtbar. An zweiter Stelle der Hamburger Rechtsstreitigkeiten folgen in der Darstellung Prozesse um spezifische Appellationsverbote. Das Hamburger Stadtrecht und kaiserliche Appellationsprivilegien kannten jedenfalls für einige geistliche Angelegenheiten spezielle Appellationsverbote. Daraus entsprangen partikulare Besonderheiten. Drittens und zuletzt geht es schließlich um einige Fälle erlaubter Appellation trotz geistlicher Streitgegenstände.
1. Streitigkeiten um das privilegium fori für Geistliche Die Befreiung Geistlicher von der weltlichen Gerichtsgewalt bildete einen häufigen Streitpunkt in den Hamburger Zuständigkeitskonflikten. Insgesamt zehn Verfahren aus dem Zeitraum von 1578 bis 1727 fallen in diese Grup-
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R i c h t e r , Hamburgs Frühzeit, S. 23-25, 47-50, 92-95; W e b e r , Die Stellung Hamburgs, S. 174. A h r e n s , Von der Franzosenzeit [Hamburg], S. 461-462; R i c h t e r , Hamburgs Frühzeit, S. 94; G r e t z s c h e l , Marien-Dom, S. 13, 63; E n g e l s c h al l , Freie und Abrißstadt. G r e t z s c h e l , Marien-Dom, S. 46, mit dem pathetischen Hinweis, das Erzbistum Hamburg sei nach über 1100 Jahren 1995 neu gegründet worden.
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pe2431. Nur ein Fall stammt aus dem 18. Jahrhundert. Angesichts der insgesamt zahlreichen Hamburger Prozesse aus der Wetzlarer Epoche des Kammergerichts2432 ist das bemerkenswert. Zu gerichtlichen Streitigkeiten gab das privilegium fori also vor allem in der früheren Zeit Anlaß. Die Quellenauswertung zeigt, wie häufig Fragen der Gerichtsstandsbefreiung mit der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit vermengt waren und wie oft die Eheschließung von Geistlichen einen Anlaß für Diskussionen schuf. In keinem anderen hier untersuchten protestantischen Territorium tauchte dieser letzte Gesichtspunkt überhaupt auf. Da die Heirat von Pastoren und anderen Geistlichen im Protestantismus erlaubt war und die Reformatoren sie auch selbst vorlebten2433, verwundert es besonders, wenn genau hieran entscheidende rechtliche Differenzierungen für das Klerikerprivileg anknüpfen sollten.
a) Güterarrest gegen den Domherrn Johann Moller Der älteste einschlägige Prozeß aus dem 16. Jahrhundert zeigt bereits eine Vielzahl der auch in späteren Auseinandersetzungen erörterten Gesichtspunkte. Es ging um einen Streit zwischen dem Domherrn Johann Moller2434 und einer ganzen Gruppe von Gläubigern, großenteils Verwandte, darunter zwei Hamburger Bürgermeister und ein Ratsherr2435. Man stritt um aufgetürmte Schulden in beträchtlicher Höhe, um die Arrestierung der appellantischen Güter, Unterhaltszahlungen und Vormundschaft für seine Kinder erster Ehe. Die Einzelheiten spielen keine Rolle. Die Gläubiger hatten den Domherrn 1577 zunächst freilich vor dem Hamburger Niedergericht belangt. Moller wehrte sich, zog zum Rat, doch das städtische Obergericht bestätigte im August 1578 die Entscheidung. Alle seine Güter sollten bis zum Austrag der Sache im Arrest verbleiben. Hiergegen appellierte Moller an das Reichskammergericht. Sein wesentlicher Beschwerdegrund war der Verstoß der untergerichtlichen Kläger sowie der Hamburger Gerichte gegen das privilegium fori der Geistlichen. Es sei nämlich „im Vertrag zwischen In chronologischer Reihenfolge: StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75 (1578), N 14 (1580), M 88 (1587), H 24 (1614), H 22 (1620), Nachtrag I Nr. 10 (1636), Nachtrag I Nr. 33 (1665), L 18 (1672), C 6 (1687), V 15 (1727). 2432 Chronologie bei S t e i n - S t e g e m an n , Findbuch Hamburg, S. 1726-1740: ca. 3,5 Seiten zur Zeit bis 1600, ca. 5,5 Seiten zur Zeit bis 1700, ca. 4,5 Seiten zur Zeit bis 1806. 2433 B u c k w a l t e r , Priesterehe, S. 280-281 (zu Bugenhagen); K au f m an n , Geschichte der Reformation, S. 340-346; speziell zu Hamburg P o s t e l , Horenjegers, S. 87-102. 2434 Nicht identisch mit dem bei J e n s e n , Hamburger Domkapitel, S. 37, 42, erwähnten Dr. Johannes Moller. 2435 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 739-740. 2431
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gemeltem Raht und dem Thumbcapitul zu Hamburg den zweiten tag monats Maij Anno Sechtzig ufgericht, versehen, das kein Capittular anders wo, dan vor dem Thumbcapittel, und hingegen die Bürgerschaft vor einen Raht daselbsten in Recht getzogen werden solte, derowegen diese sach unter der Stadt Jurisdiction nit, sonder an Dechant und Capittul (...) erwachßen“2436. Moller behauptete, es gebe in Hamburg kein allgemeines Gerichtsstandsprivileg für Kleriker, sondern eine vertragliche Befreiung der Domkapitulare von der städtischen Gerichtsbarkeit. Jedenfalls zitierte er an dieser Stelle keine gemeinrechtlichen Vorschriften aus dem kanonischen Recht, sondern einen Vertrag zwischen Domkapitel und Rat. Dabei handelte es sich um den sog. Bremer Vergleich, den das Domkapitel und der Rat am 2. Mai 1561 zur Beilegung verschiedener Streitigkeiten in Bremen geschlossen hatten. Obwohl die Vereinbarung erst wenige Jahre zurücklag, datierte der Schriftsatzverfasser sie erstaunlicherweise ein Jahr zu früh. Das war aber kein Einzelfall. In einem Hamburger Rechtsstreit von 1580, also nur zwei Jahre später, meinte ein anderer Appellant ebenfalls, der Bremer Vergleich sei bereits 1560 vereinbart worden2437. Und 1587 verlegte ein kammergerichtlicher Kläger den Vertrag sogar auf 15622438. Erst ab dem 17. Jahrhundert, also aus der Distanz von über vier Jahrzehnten, gaben die Parteien das Jahr des Vertragsschlusses übereinstimmend mit 1561 an. Die Datierungsschwierigkeiten werfen ein bezeichnendes Bild auf die zeitgenössische Rechtskenntnis. Selbst die wichtigste vertragliche Vereinbarung zwischen Stadt und Domkapitel war nach nicht einmal zwanzig Jahren nurmehr schemenhaft bekannt. Wenn über Inhalt und Auslegung des Vergleichs Streit herrschte, kann dies also nicht verwundern. Erschwert war die Argumentation mit dem Bremer Vergleich nicht zuletzt durch die lieblose äußere Gestalt des Wortlauts. Der umfangreiche Text, immerhin dreizehn Seiten in der späteren Druckausgabe, enthielt keinerlei Artikel- oder Paragrahenzählung und war lediglich durch drei Absatzzeichen unterbrochen2439. Johann Moller, der Appellant von 1578, nahm den Bremer Vergleich von 1561 für eine strenge Scheidung der Hamburger Gerichtsgewalt in Anspruch. Über Angehörige des Domkapitels richtete demnach ausschließlich das Kapitel selbst, über die Bürgerschaft dagegen der Rat. Ausschlaggebend sollte jeweils der Gerichtsstand des Beklagten sein. Im Appellationslibell führte der Appellant die erlittenen Rechtsverletzungen näher aus. Er habe sich auf seinen „ordentlichen Richtere zu Rechte (...) beruffen“ und seine „Rechtmessige Exceptiones declinatoris fore“ [!] „& incompetentiae StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 1. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. N 14, unquadr. Aktenstück „Compulsoriales“. 2438 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 88, Aktenstück Q 2, Art. 15. 2439 Bremer Vergleich 1561, Absätze auf S. 3, 4, 12. 2436 2437
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Iurisdictionis gerichtlich ingewendt, das dennoch gelichewoll Bürgermeister und Radt (...) vor einem bequemlichen und competentem Iudicem deren samptlichen sachen erkleret“2440. Da der Rat die Einlassung nicht beachtet hatte, habe er nicht nur gegen den Bremer Vertrag von „1560“, sondern außerdem gegen „die beschriebene Rechte“ und „lobliche gewonheitt“ verstoßen. Im weiteren Verlauf des Rechtsstreits berief sich der Appellant mehrfach auf den Bremer Vertrag und meinte, „daß in diesem offenbaren faal keiner interpretation (...) vonnöten“ sei2441. Für ihn handelte es sich bei dem Vergleich um ein zweiseitiges Abkommen, das der Rat nicht einseitig wieder aufheben konnte. In der Tat bekannten Senior und Domkapitel sowie Bürgermeister und Rat ganz zu Anfang der Abmachung ihre Eintracht. Mit ihrer „Handlung vnnd vertrage“ sollte der seit „etzlichen Jahrenn am Keyserlichen Cammergericht“ schwebende Rechtsstreit „vorglichen vnnd entlich vertragenn“ sein2442. Es ging also um einen außergerichtlichen Vergleich zur Beilegung eines Rechtsstreits. Der Vertragscharakter sprach aus Sicht des Appellanten für die beidseitige Verbindlichkeit. Damit spielte der Schriftsatzverfasser auf die zeitgenössische Diskussion um Privilegien an. Wenn diese nämlich Verträge und keine Gesetze waren, konnte der Herrscher sie auch nicht mehr widerrufen2443. Deswegen hieß der Vergleich im Schriftsatz unversehens Privileg: „Wie dan auch seltzam zue horenn daß ein Erbar Raht zue Hamburgk dermaßen qualificirt, daß er einem Ehrwürdigen Thomcapittel daselbstenn einiche besonderbare Priuilegia geben oder wieder deßenn willen nemmen noch iure communi Jetziges deregirenn kunte“2444. Unklar bleibt, ob der Appellant am Ende mit dem „deregirenn“ auf die Direktionsbefugnis des Rates, also auf sein Bestimmungsrecht, oder auf die Derogation, die Außerkraftsetzung des Privilegs, anspielte. Nach der Sichtweise des Domherrn Moller war das Hamburger Klerikerprivileg jedenfalls rein partikularrechtlich begründet und umfaßte lediglich Angehörige des Domkapitels. Das kanonische Recht tauchte pauschal als Autoritätsargument kurz auf, stand aber nicht so im Vordergrund wie in anderen Territorien. Die Prozeßgegner, die Gläubiger des Domherrn, bestritten sein privilegium fori aus verschiedenen Gründen. Zunächst betonten sie, Moller sei „ein bürger in Hamburg, daselbst auch mit weib und Kindt er Unuffgekündt seines Bürgerrechts geseßen, und allen Bürgerlichen beschwerden unterworffen, imgleichen im bürgerlichen weltlichen Stant und wesen sich haltet, Und daneben die gutter, daruff der Creditorn Clage dirigirt, in eins erbarn Raths der endt territorio und districtu alle belegen sein, StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 4. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 24. 2442 Bremer Vergleich 1561, S. 1. 2443 M o h n h a u p t , Erteilung und Widerruf von Privilegien, S. 395. 2444 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 24. 2440 2441
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deßwegen er dan ihrem gerichtszwang mit erster Clag tam actiue quam passive underworffen, und für ihnen allein gerichtlich besprochen und angenommen werden kan“2445. Die Zugehörigkeit Mollers zum Domkapitel bestritten seine Gläubiger nicht. Aber das spielte für sie auch keine Rolle. Er mochte zwar „Inwendig drey oder vier Jahren eine Thumbproefe zu Hamburg an sich gebracht haben“2446. Aber daraus allein sollte keinerlei Veränderung der Gerichtszuständigkeit folgen. Die Bepfründung, hier hamburgisch „Proefe“ genannt2447, änderte also nichts am fortbestehenden Bürgerrecht. Auch die weiteren Hinweise schienen zunächst lediglich Ausweichmanöver zu sein. Moller war verheiratet und hatte Kinder, die sichergestellten Vermögensgegenstände befanden sich allesamt im Herrschaftsgebiet des Hamburger Rates. Modern gesprochen, spielten die Appellaten damit auf den ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand an und versuchten auf diese Weise, die persönliche Gerichtsstandsbefreiung von vornherein auszuschließen. Nur sechs Wochen nach diesen ersten Äußerungen von Mai 1580 führte der Schriftsatzverfasser der Appellaten allerdings alle Gesichtspunkte in einer sorgsam zusammengestellten Exzeptionsschrift zusammen. Jetzt erhielt das Gesamtbild Hand und Fuß, abgesichert durch Heerscharen gemeinrechtlicher Autoritäten. Die unstreitig vorhandenen Pfründen des Appellanten waren für die Gerichtszuständigkeit bedeutungslos, das war der Ausgangspunkt der Exzeptionen. Sodann stellte der Schriftsatzverfasser die beiden Eheschließungen des Appellanten voran. Es gab „pacta dotalia und heirats Contract“, außerdem war Moller gleichzeitig „viel und lange Jare ein Kauffman gewesen unnd“ hatte „weltliche hendell gepflogen“2448. Aber plötzlich wurde die Argumentation messerscharf juristisch: „Ratione bonorum et Contractus“ müsse der Domherr „vor einem Erbarn Radte der Stadt Hamburgk zu Rechte stehen“ und könne „einiger incompetentz fori sich nicht behelffen“. Die lange Liste von Überlegungen, warum das Klerikerprivileg zu Gunsten des Appellanten nicht eingriff, hatte es in sich. Sie lieferte ein bestechendes Beispiel dafür, wie es frühneuzeitlichen Anwälten gelang, einen angeblich festen gemeinrechtlichen Grundsatz durch zahlreiche Ausnahmen weichzuklopfen und schließlich zu untergraben. Zunächst meinte der Schriftsatzverfasser, „Clericus ratione contractus, domicilii, bonorum uel rei sortiatur forum“2449. Wenn es auf Verträge, den Wohnsitz, die Belegenheit der Güter oder Sache ankam, sollten diese also den Gerichtsstand vorgeben. Eine große Fülle von Belegstellen aus dem kanoniStA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 15. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 22. 2447 „Proefe“ für Präbende mehrfach auch im Testament des Heinrich Banßkow von 1538, bei S t a p h o r s t , Kirchen-Geschichte I/4, S. 472, 473. 2448 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 22. 2449 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 22. 2445 2446
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schen Recht, aber auch aus den Digesten, untermauerte diese erste Beschränkung des privilegium fori2450. Für zahlreiche wichtige Streitfälle war das Klerikerprivileg bereits damit hinfällig. Als zweiten Grundsatz formulierte die Exzeptionsschrift, „quod Clericus conueniri possit coram Iudice Laico, de gestis ante clericatum“2451. Für Sachverhalte, die in die Zeit vor Eintritt in den Klerikerstand zurückreichten, sollte die Gerichtsstandsbefreiung ebenfalls nicht gelten. Gerade bei Schuldforderungen, die häufig auf sehr alten Verschreibungen beruhten, konnte das privilegium fori nach dieser Ansicht nicht helfen. Im Gegensatz zu den vorigen Äußerungen zum Gerichtsstand stützte der Schriftsatzverfasser sich hier nicht auf die normativen Belegstellen aus dem Corpus Iuris Civilis und Corpus Iuris Canonici, sondern auf die gelehrte Literatur. Johannes Andreae tauchte auf, Panormitanus, Bartolus, Baldus und Felinus ebenso2452, die großen alten Italiener also. Ein dritter Lehrsatz schloß sich an: „Clerici coniugati non gaudent Priuilegio clericatus“2453. Erneut berief sich der Verfasser auf Panormitanus2454, weitete Der Schriftsatz zitiert: X. 2, 2, c. „licet“ (unklar, entweder cap. 10 oder cap. 20); X. 2, 2, 17; X. 2, 2, 15; X. 2, 2, 3 („Ratione rei, de qua agitur, sortitur quis forum ibi, ubi res est. Sic communiter summatur“ mit Konzilsbeschluß); X. 2, 2, 20 („Quisque clericus potest in curia Romana conveniri, licet alias specifice forum ibi non sortiatur; habet tamen ex causa ius revocandi domum“ mit Dekretale von 1227/34); VI. 2, 2, 3; C. 3. 19. 3 (außerdem pauschal „Et ibi DD. ubi in rem Actio exerceri debet“ (= C. 3, 19)); D. 5, 1, 19, 1 (für Vormundschaften, Pflegschaften, Handelsgewerbe und Bankgeschäfte); D. 5, 1, 20 (für Verträge); D. 5, 1, 36, 1 (Geschäftsführung eines Senators in der Provinz); VI. 5, 7, 1 („Exempti vel privilegiati, ut non teneantur nisi sub certo iudice respondere, ratione delicti, contractus aut rei, si haec sint inita vel sita in loco non exempto, conveniuntur coram ordinario; sed ratione domicilii non“ mit Dekretale von Innozenz IV.); zu den jeweiligen Gerichtsständen Q u i c k , Forum Contractus, freilich mit dem Wunsch dogmengeschichtlich-harmonisierender Vereinheitlichung, vor allem S. 119-122. 2451 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 22. 2452 Zitiert werden J o h a n n e s A n d r e ae zu X. 1, 19 („de obligatis ad ratiocinia ordinandis vel non“), cap. unic., vielleicht gemeint Summarium 19, fol. 181r: „Forum anne mutet laicus conuentus coram iudice seculari qui postea factus est clericus, vel professus“; A b b a s P a n o r m i t a n u s in X. 2, 2, 19 („c. proposuisti Ex: de foro competente“), fol. 127r, Summarium nach n. 13: „Clericus coniugatus portans habitum & tonsuram, in criminalibus indistincte gaudet priuilegio, in ciuilibus vero cum fuerit praeuentus“; Bar t o l u s zu D. 48, 19, 1 („in L. 1 ff de poenis“), wohl n. 3, S. 549: „Clericus quando quis est effectus post delictum commissum, à quo iudice puniatur, an à seculari, an ab ecclesiastico“; B a l d u s zu C. 4, 14, 1 (zitiert als „in L. 1 C. an servus ex facto suo“), fol. 30r; F e l i n u s zu X. 2, 2, 19 („c. proposuisti Ex: de foro competente“), Sp. 214-216, Summarium: „Transferens domicilium potest conueniri de contractu facto in primo domicilio in ipso loco contractus. Laicus factus clericus, an & quando possit conueniri in iudicio seculari de gestis in habitu laicali“. 2453 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 22. 2454 A b b a s P a n o r m i t a n u s zu X. 3, 3, 1 („in c. 1. Ex: de Clericis coniugatis“), Summarium 1, fol. 21r: „Matrimonium contractum à clericis in minoribus ordinibus constitutis tenet & ipsi dimittunt 2450
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seine Behauptung aber zugleich aus „per totum Canonistae“. Zu all dem hätten sich die Kanonisten zur Genüge geäußert. Diese Argumentation zeigt, wie leicht die Anlehnung des evangelischen Kirchenrechts an das kanonische Recht zu Verzerrungen führte. In Lippe gab es derartige Überzeichnungen ebenfalls. Sah sich dort der Graf in strenger Anwendung des kanonischen Rechts in der Rolle des Papstes2455, ging es in Hamburg plötzlich um den Zölibat. Verheiratete Geistliche gehörten für die mittelalterliche Kanonistik zu einer vergleichsweise kleinen Gruppe. Mit einem Bein führten sie ein weltliches Leben, und daher mochte es naheliegen, ihnen die üblichen Vorrechte des Klerus zu beschneiden. Nach der Reformation war das anders. Die Priesterehe war erlaubt und gern gesehen. Sie sollte die rechtliche „Andersartigkeit“ der Geistlichen gegenüber den Laien beseitigen2456. In Hamburg hieß es 1551, durch das Eheschließungsrecht Geistlicher sei zugleich „alle limitation“ des Klerikerstandes aufgehoben2457. Eine Besonderheit der evangelischen Pastoren blieb freilich bestehen. Überall, wo es Konsistorien gab, hatten geistliche Parteien dort in kirchlichen Angelegenheiten einen Gerichtsstand. Juristische Diskussionen, ob der jeweilige Pfarrer verheiratet war oder nicht, sind aus anderen Territorien nicht bekannt. Vor allem hätten sie an der Eingliederung der Pastore in die Konsistorialgerichtsbarkeit nichts geändert. Das Hamburger Beispiel fällt aus diesem Rahmen, in diesem Punkt vermutlich von Seiten der städtischen Appellaten sogar unbeabsichtigt. Aber bei buchstabengetreuer Lesart des kanonischen Rechts zog die Frage nach dem Zölibat auch bei evangelischen Geistlichen erhebliche Rechtsfolgen nach sich. Für wichtige Streitgegenstände, für Sachverhalte, die am früheren weltlichen Leben des Klerikers anknüpften, sowie für verheiratete Geistliche sollte das privilegium fori damit ausscheiden. Ob das andernorts überzeugte, ist rechtshistorisch nur bedingt wichtig. Jedenfalls ließ sich gegenüber dem Reichskammergericht so argumentieren. Lediglich zur Abrundung verwies der Schriftsatzverfasser auf die subsidiäre Anwendbarkeit des kanonischen Rechts. Der Hamburger Rat hatte das Domkapitel nicht etwa durch Privilegien von demjenigen, „was Iuris Communis ist“, befreit2458. Der Bremer Vergleich sollte also die gemeinrechtlibeneficia ipso iure. Si verò fuerint in sacris, matrimonium non tenet“; C. 27 qu. 1 c. 40; unklarer Verweis auf C. 28, C. 31, C. 33; außerdem X. 3, 3, 9 („Clerici coniugati in rebus suis non gaudent privilegio clericali“ mit Dekretale von Honorius III.). 2455 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 93r-93v; dazu oben bei Anm. 23412348. 2456 K a u f m a n n , Geschichte der Reformation, S. 345-346 (mit Zitat); D i e t e r i c h , Eherecht, S. 149-150; zu Luthers Konzeption F l ü c h t e r , Zölibat, S. 60-66. 2457 P o s t e l , Horenjegers, S. 94. 2458 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 22.
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chen Lehrsätze nur ergänzen, nicht aber aufheben. Er konkretisiere lediglich den Augsburger Religionsfrieden von 1555, hieß es im Schreiben an das Reichskammergericht. Das entsprach auch der Rückschau des 18. Jahrhunderts. Die Verfasser des Hamburger „Ehren-Tempels“ meinten 1770, der Bremer Vergleich sei geschlossen worden, weil der Ratsherr und spätere Bürgermeister Nikolaus Vogler es zuvor erreicht habe, die Stadt in den Augsburger Religionsfrieden aufnehmen zu lassen und den Reichskammergerichtsprozeß gegen das Domkapitel zu beenden2459. In der Tat erkannte das Domkapitel gleich in der ersten Passage des Vergleichs „vermuge des Religion friedenß“ das Konfessionsbestimmungsrecht des Rates an2460. Die Appellaten hatten also gute Gründe auf ihrer Seite. Und da „1560“ noch kein Mitglied des Domkapitels verheiratet gewesen sei, meinten sie, habe man für diesen Fall auch überhaupt keine Regelung getroffen. Sollte der Vergleich von 1561 also den Zölibat mit dem Klerikerprivileg zusammengeleimt haben? Das bestritt der Appellant Moller. Der Bremer Vergleich spreche nicht nur von den Domkapitularen, sondern auch von ihrer „familia“2461. Die lateinische Begrifflichkeit in seinem Schriftsatz gaukelte freilich vor, das Wort Familie sei eindeutig und unmißverständlich. Doch im Bremer Vergleich war es gar nicht enthalten, weder in der deutschen noch der lateinischen Spielart. In der deutschen Originalfassung erkannte der Rat lediglich die „von Alterßhero“ gebrauchte Gerichtsgewalt des Domkapitels ausdrücklich an, und zwar „uber unnd zwischenn obgedachtenn Gaystlichenn Personenn/ Auch Ihrenn Dienernn und wesentlichenn Hawßgesinde/ In ciuilibus causis unnd Burgerlichen sachenn“2462. Ob die erwähnten Diener und das wesentliche Hausgesinde das Leitbild eines verheirateten Geistlichen voraussetzten und damit etwa auch Ehefrauen und Kinder einschlossen, ist unklar. Jedenfalls wäre es ein Leichtes gewesen, die Angehörigen mit aufzunehmen. Noch schwerer vorstellbar wird die Auslegung des Vergleichstextes im Sinne von Familie, wenn vor 1561 tatsächlich kein Mitglied des Domkapitels verheiratet gewesen sein sollte. Forschungen zum letzten Punkt gibt es wohl leider nicht2463. Eine Entscheidung des Reichskammergerichts in dieser Sache erging nicht. Aber unverdrossen betrieben die rührigen Parteien ihren Rechtsstreit auch über den Tod des Appellanten hinaus bis in den April 1608, also über dreißig Jahre. Inhaltlich schneidet die dickleibige Akte mit ihren 17 Zenti-
W i l c k e n s / Z i e g r a , Hamburgischer Ehren-Tempel, S. 53. Bremer Vergleich 1561, S. 1-2. 2461 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 24. 2462 Bremer Vergleich 1561, S. 2. 2463 W ä t j e r , Das katholische Domkapitel, behandelt nur die Zeit bis zur Reformation. 2459 2460
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metern2464 die wesentlichen Streitpunkte und Besonderheiten der Hamburger Prozesse um das geistliche privilegium fori an. Der Blick auf spätere Verfahren macht das schnell deutlich.
b) Landesverweisung gegen einen Domvikar 1580 begann in Speyer ein Reichskammergerichtsprozeß zwischen einem Vikar der Hamburger Domkirche und seinen Prozeßgegnern aus Emden und Hamburg. Das war dasselbe Jahr, in dem auch der Rechtsstreit zwischen dem Domherrn Moller und seinen Gläubigern mit vielfachem Schriftsatzwechsel hin- und herwogte. Der Appellant2465 in diesem zweiten Fall war ein Bartolt Neithardt, nicht nur Vikar am Dom, sondern ebenso Notar und Advokat in Hamburg2466. Solche Aufgabenhäufungen waren in Hamburg nicht ungewöhnlich bzw. zumindest möglich, ebenso wie die bei Moller ersichtliche Verbindung von städtischem Bürgerrecht und Mitgliedschaft im Domkapitel. Der Stader Rezeß von 1692 führte hierzu später eine Klärung herbei2467. Doch das war noch einhundert Jahre hin. Unter anderem wegen Injurien hatte das Hamburger Obergericht den Vikar Neithardt durch Kontumazialurteil2468 in Abwesenheit für ewige Zeiten aus der Stadt Hamburg verwiesen. Es handelt sich um einen der wenigen Fälle, in denen die Vorgeschichte auf konfessionellen Konflikten beruhte und die Beteiligten das offen ansprachen. Einer der Gegner des Appellanten war der Bürgermeister der ostfriesischen Stadt Emden. Der Appellant, so hieß es im Klaglibell, sei „der Augspurgischen Confession, unnd dero Lehre Lutheri zugethan“, der ehemalige Drost von Emden dagegen „Allß ein Uberauß großer Caluinist, und Zwinglianer“ ihm „hessig und feindt“ gewesen2469. Bartold Neithardt appellierte gegen seine Verurteilung in Hamburg an das Reichskammergericht. Seine Rechtsbehauptung verdient nähere Betrachtung. Es sei „nicht allein in den allgemeinen geschriebenen kaiserlichen Rechten, Sondern auch in Unser und des heiligen Reiches ordnung wohl und heilsamlich versehen und geordnet, das alle des heiligen Reichs verwante und Unterthanen bey Ihrem ordentlichen Inländischen Rechten und gerichten gelassen, Also das ein Jeder in dem gerichte, Nachgemessen von S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg II, S. 741. Ob es sich um einen Appellationsprozeß handelt, ist unklar. Der Kläger versuchte, sein Anliegen als Nichtigkeitsklage darzustellen. Das Protokollbuch fehlt. 2466 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 770-771. 2467 Stader Rezeß 1692 Art. 1 Ziff. 3, S. 15-16, zu diesem Rezeß unten bei Anm. 2582-2585. 2468 Zum gemeinrechtlichen Säumnisverfahren B u c h d a , Contumacia, Sp. 636-637; A h r e n s , Prozeßreform, S. 27-29; zum Reichshofrat S e l l e r t , Prozeßgrundsätze, S. 285-288. 2469 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. N 14, unquadr. Aktenstück „Articulirte Klage“. 2464 2465
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darinnen er ohne mittel gesessen und gehörig uff Rechtliche forderung furgenommen, und nach eines Jeden gerichts löblichen herkommen und gebreuchen gehalten werden solte, da auch ein geistliche oder ander person wissentlichen für Weltliche frembde außlendische gericht vorgeheischen und geladen würd, Als dan der also Citirt nicht allein zuerscheinen nicht schuldig, Sondern alles was daruff gehandelt für ein pur lauter nullitet und nichtikeit zuachten wehre“2470. Die vorangestellte Rechtsausführung lehnte sich teilweise eng an die Formulierungen der Reichskammergerichtsordnung an2471. Es handelt sich weitgehend um den gleichen Ausgangspunkt, der aus den Münsteraner Fällen bereits geläufig ist. Die Stoßrichtung war nur genau entgegengesetzt. In den wenig jüngeren Mandatssupplikationen aus Münster gingen die Kläger auf dieselbe Weise gegen den Apostolischen Nuntius vor, wenn er weltliche Streitigkeiten zur Verhandlung annahm. In Münster wehrten sich also weltliche Parteien gegen Ausgriffe der kirchlichen Jurisdiktion in das allgemeine Zivilrecht. In Hamburg dagegen kämpfte der Domvikar gegen seine Unterwerfung unter die weltliche Ratsgerichtsbarkeit. Der Rechtssatz, der das jeweils absichern sollte, war nahezu wortgleich. In beiden Fällen warfen die Kläger dem für unzuständig gehaltenen Gericht vor, es übe ausländische Gerichtsbarkeit aus. In den Münsteraner Verfahren spricht daraus die Ablehnung des von Rom legitimierten, zumeist italienischen Nuntius, der nicht der Reichsgewalt unterstand. In Hamburg war der Vorwurf der ausländischen Gerichtsbarkeit dagegen erstaunlich. Der Appellant war in Hamburg als Advokat tätig, hielt die Reichsstadt aber dennoch für Ausland, dem er als Domangehöriger nicht untertänig war. Das zeigt noch den alten, kleinräumigen Auslandsbegriff, dem spiegelbildlich ein oft auf einzelne Orte beschränktes Vaterlandsgefühl entsprach2472. Erst 1874 im Zuge der Kodifikation der Reichsjustizgesetze gelang es, die Gleichsetzung des Gerichtssprengels mit dem zivilprozessualen Inland zu durchbrechen2473. In der frühen Neuzeit konnte man den Vorwurf der ausländischen Justiz selbst noch bei Streitigkeiten innerhalb einer evangelischen Reichsstadt erheben. Der Appellant Neithardt berief sich in Speyer auf sein privilegium fori als Geistlicher und begründete seine Rechtsstellung insbesondere mit „offentliche[n] Verträg“ zwischen dem Domkapitel und dem Rat von 1560, also erneut unter Nennung der falschen Jahreszahl des Bremer Vergleichs2474. Da ein Protokollbuch fehlt und Schriftsätze der Gegenpartei nicht vorliegen, ist der Fortgang der Auseinandersetzung unklar. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. N 14, unquadr. Aktenstück „Compulsoriales“. RKGO 1555 2, 1, 2, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 167. 2472 F u c h s , Um die Ehre, S. 280-285. 2473 O e s t m a n n , Beweis von Rechtsnormen, S. 509. 2474 StA Hamburg StA Hamburg Best. 211-2 Nr. N 14, unquadr. Aktenstück „Compulsoriales“. 2470 2471
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c) Ein Bürgschaftsstreit zwischen Domangehörigen und Ratsherren Ergiebiger ist ein wenige Jahre jüngerer Streit von 1586/87. Der Domvikar Claus von Münchhausen sowie der Domherr Johann Schlüter erhoben in Speyer eine Nichtigkeitsklage gegen Erich von der Fechte, Ratsherr und Gerichtsverwalter in Hamburg, sowie gegen einen weiteren Hamburger Bürger. Ausgangspunkt war eine Bürgschaftsstreitigkeit. Sie hatte bereits früher das Reichskammergericht beschäftigt, es gab sogar einige Jahre zuvor ein abweisendes Prozeßurteil2475. Im Rahmen des nachfolgenden Nullitätsverfahrens beriefen sich die beiden Domangehörigen auf ihre Befreiung von der Hamburger Gerichtsgewalt. Sie zitierten den Bremer Vergleich, jetzt auf 1562 datiert, und betonten, „daß kein membrum Capituli in causis Ciuilibus von dem Stattgrichtt gefangenn noch bestricktt werden soll“2476. Die Beklagten widersprachen. Der Stiefvater des Klägers habe die fragliche Bürgschaft abgegeben und sich „freywillig vor gemeltem seinen Sohn fideiubendo bürglich eingelaßen“, obwohl auch er Kanoniker gewesen sei. Daran sei der Stiefsohn gebunden. Wenn der Bürge sein Privileg hätte in Anspruch nehmen wollen, dann hätte er „uf das Capitul sich beruffen unnd erbotten, Er solte schirm und schutz vonn demselben begert und gesucht haben, welchs nicht geschehen“2477. Diese Exzeption lag nahe. Die Beklagten warfen den Klägern vor, freiwillig auf ihr Gerichtsstandsprivileg verzichtet zu haben. Das Privileg sollte grundsätzlich Schutz und Schirm durch die Geistlichkeit verleihen, wie es in der bekannten Paarformel hieß2478. Ein Verzicht darauf war allerdings nur denkbar, wenn das Klerikerprivileg dispositiv war und durch Prorogation außer Kraft treten konnte. Ob das überhaupt möglich war, bildete in den hier untersuchten Konflikten häufig einen Streitpunkt in anderen Territorien. Für die weltlichen Parteien war diese Sichtweise zweifellos vorteilhaft. Sie konnten jede Unsicherheit und taktische Ungeschicklichkeit eines Geistlichen sofort zu einer Gerichtsstandsvereinbarung umdeuten. War das Privileg erst einmal abdingbar, konnte das den Geistlichen nur schaden. Die beiden zeitlich folgenden Zuständigkeitskonflikte behandeln eher innerkirchliche Auseinandersetzungen und geben für die Abgrenzung weltlicher und geistlicher Justiz kaum Hinweise. 1609 gelangte an das ReichsStA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 88, unquadr. Aktenstück „Exceptiones et in Euentum petitio Cautionis“; Hinweis auf den älteren Rechtsstreit bei S t e i n -S t e g e m an n , Findbuch Hamburg, S. 926-927. 2476 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 88, Aktenstück Q 2, Art. 15. 2477 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 88, unquadr. Aktenstück „Exceptiones et in Euentum petitio Cautionis“. 2478 Zur Diskussion um die Formel klassisch B r u n n e r , Land und Herrschaft, S. 263-268; dagegen A l g a z i , Herrengewalt, S. 51-127. 2475
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kammergericht die Appellation eines Johann Kleye des Älteren, Dekan des Hamburger Domkapitels. Es ging um die angebliche Zusicherung einer Kanonikerstelle an einen Vikar2479. Der Streit wurde zuvor am Hamburger Domkapitel und vor der Kanzlei des Bremer Erzbischofs in Bremervörde ausgetragen. Gerichte der Reichsstadt Hamburg waren daran nicht beteiligt. Allerdings war streitig, ob das Reichskammergericht in dieser geistlichen Sache überhaupt zuständig sein konnte. 1614 appellierte die Kalandsbruderschaft nach Speyer in einem Konflikt mit dem Domkapitel. Kaland war der in Norddeutschland gebräuchliche Name für Klerikerbruderschaften2480. Es handelte sich beim Hamburger Kaland um eine von ursprünglich neun Bruderschaften am Dom2481. Bei der Wahl zum Dekan der Kalandsbrüder hatte es Meinungsverschiedenheiten gegeben, davon nahm der Rechtsstreit seinen Ausgang. Erstinstanzlich ging es insbesondere um die Frage, ob der Erzbischof von Bremen und seine Kanzlei jenseits der Elbe überhaupt Gerichtsgewalt ausüben durften2482. Die Kalandsbrüder lehnten das ab. Sie wollten ihren Streit lieber vor dem päpstlichen Gericht in Rom oder vor einer Kommission als vor dem Erzbischof verhandeln. Der Hinweis auf die Rota Romana ist erstaunlich. Der damalige Bremer Erzbischof Johann Friedrich von Schleswig-Holstein-Gottorf war wie bereits seine Vorgänger evangelisch2483. Das Domkapitel bekannte sich ebenfalls zum Protestantismus. Die Kalandsbruderschaften paßten in diesen Rahmen nur schwer hinein. In den meisten norddeutschen Territorien waren sie seit der Reformationszeit aufgelöst2484. Hamburg bildete eine Ausnahme2485. Durch die rechtlichen Fragen hindurch schimmerte hier der Konfessionsstreit. Die Kalande sahen sich der päpstlichen Gerichtsbarkeit unterstellt, der Bischof dagegen nahm geistliche evangelische Gewalt in Anspruch. Aber offensichtlich war es selbst wenige Jahre vor dem Dreißigjährigen Krieg noch möglich, solche Auseinandersetzungen gütlich beizulegen. Der Reichskammergerichtsprozeß endete bereits nach einem Jahr durch einen außergerichtlichen Vergleich2486. Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 556-557. P r i e t z e l , Klerikerbruderschaften, S. 89. 2481 B r a n d e s , Die geistlichen Brüderschaften, S. 80. 2482 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n - S t e g e m an n , Findbuch Hamburg, S. 339-340; zur Gerichtsgewalt nördlich der Elbe R i c h t e r , Hamburgs Frühzeit, S. 92-95; W e b e r , Die Stellung Hamburgs, S. 174. 2483 Zu ihm Kr a u s e , Johann Friedrich, S. 413-415. 2484 P r i e t z e l , Kalande, S. 13-14. 2485 Zur Existenz des Kalands in der frühen Neuzeit: S t ap h o r s t , Kirchen-Geschichte I/2, S. 576-582 (für 1322/23), 707-799 (zahlreiche Quellen bis 1708); B r an d e s , Die geistlichen Brüderschaften, S. 82. 2486 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 24, Protokollbuch vom 28. April 1615. 2479 2480
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d) Ein Appellationsprozeß zwischen Domkapitel und Rat Äußerst ergiebig ist die Appellation des Hamburger Domherrn Johann Kleye von 1619. Ursprünglich handelte es sich um einen Streit zwischen dem Domherrn Kleye und seiner Halbschwester Regina Fischbek um den Nachlaß des Dekans Johann Kleye des Älteren. Das Verfahren weitete sich aber aus, und das Domkapitel schaltete sich in den Konflikt ein. Auch die städtischen Obrigkeiten gerieten in die Auseinandersetzung mit hinein. Vor dem Reichskammergericht lautete das Rubrum dann: Dekan und Domkapitel zu Hamburg gegen Bürgermeister und Rat der Stadt Hamburg2487. In der Tat hatte das Hamburger Obergericht am 31. August 1619 ein Urteil gegen den Domherrn gefällt. Hiergegen legte Kleye nicht nur umgehend Appellation am Reichskammergericht ein, sondern wandte sich auch an seinen Erzbischof Johann Friedrich, Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf2488. Der Erzbischof nahm die Sache ernst und handelte schnell. Bereits am 3. September, nur vier Tage später, erließ Johann Friedrich ein Schreiben an das Hamburger Domkapitel und befahl, „was zu errettung und Conseruation seines unsers supplicirenden Capitularen habenden rechten dienlich, auch unser Kirchen Ewer und Ewerer nachkommen libertet, undt freyheit gehorich“ zu tun, damit der Streit nicht „an das Statt- und Weltliche rechte gerathen“ möge2489. So standen sich weltliche und geistliche Gewalt gegenüber. Das Domkapitel verstand den Hinweis so, wie er vermutlich gemeint war, und erklärte die Intervention in den Kameralprozeß. Kleye sei als „canonicus unser Thumkirchen“ ohne Zustimmung des Kapitels in keiner Weise der weltlichen städtischen Gerichtsbarkeit unterworfen, „cum clerico citra consensum ordinarij jurisdictionem secularem vel tacitè vel expressè prorogare non liceat, so weinig wir auch den Rechten gemeß befinden, das wieder unser Gliedere und Standsgenoßen, in judicijs universalibus, über unser Erb: und verlaßenschafften, durch die welttlichen Statuta dieser oder anderer welttlicher communen geachtet, reguliret, oder geurtheilet“ werden könne2490. Das Klerikerprivileg sollte den Domherrn also von der städtischen Justiz eximieren. Und ohne Einwilligung seines geistlichen Oberhaupts war angeblich kein Geistlicher in der Lage, sich freiwillig
StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Deckblatt des Protokollbuchs; Repertoriumsmitteilung bei S t e i n - S t e g e m an n , Findbuch Hamburg, S. 337-338. – Rubrum: Parteibezeichnungen und Streitgegenstand, früher mit roter Farbe hervorgehoben, heute meist auf den Kopfteil eines Urteils bezogen. 2488 1579-1634, zu ihm Kr a u s e , Johann Friedrich, S. 413-415; S c h u l z e , Johann Friedrich, S. 481. 2489 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 4. 2490 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 3. 2487
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dem weltlichen Gericht zu unterwerfen, weder stillschweigend noch ausdrücklich. Der Domherr Kleye selbst verfeinerte das Argument mit einem zusätzlichen Hinweis. Er unterfalle „weder ratione personae, weder contractus, noch auch sitae hereditatis paternae“ der städtischen Gerichtsbarkeit2491. Kleye berief sich zunächst pauschal auf die „gemeinen beschriebenen Geist: und Weltlichen Rechten“, sodann aber auch auf „sonderbahre hochverpöente und von der Kirchen anvorwandten Persohnen gantz teür erkaufften und wolerlangten brieff und Siegeln“. Aus diesen teuer erkauften Urkunden ergab sich angeblich seine privilegierte Rechtsstellung. Sämtliche Angehörige des Hamburger Domkapitels seien nämlich „allerdings sowol in civilibus als criminalibus gantz exempt und befreyet“ von jeder weltlichen Gewalt. Das war eine Anspielung auf den Bremer Vergleich, den das Domkapitel teuer erkauft hatte. In der Tat hatte es damit seit 1561 jeden Anspruch auf Mitbestimmung über die städtischen Hamburger Kirchen verloren. Wie bereits in früheren Hamburger Streitigkeiten begnügte sich der Appellant mit dem nackten Hinweis auf das privilegium fori der Domkanoniker nicht. Zugleich wies er einen besonderen städtischen Gerichtsstand für Verträge oder die Belegenheit von Erbschaftsgütern weit von sich. Damit schloß er zugleich die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Hamburger Rates ausdrücklich aus. Zuvor schon hatte sich Kleye von der Juristenfakultät Rostock beraten lassen und sich ein unterstützendes Gutachten eingeholt. In Anschreiben an die Professoren betonte Kleye, außer einem einzigen Haus besitze er überhaupt keine Vermögenswerte „in des Rhatts Jurisdiction“2492. In Arrestsachen bestimme zudem das Hamburger Stadtrecht für Konflikte mit Beteiligung von Klerikern, daß „dergleichen Vorträge unnd Concordata in acht genommen werden sollen“2493. Auf eine klare Trennung materiellrechtlicher und prozessualer oder gerichtsverfassungsrechtlicher Gesichtspunkte im modernen Sinne kam es nicht an. So wies der Kläger darauf hin, sein verstorbener Vater habe in seinem Ehevertrag „uf das Hamburgische Stattrecht mit keinem eintzigen Wortte referirt“. Den Mitgliedern des Rostocker Spruchkollegiums legte er die rhetorische Frage in den Mund, „ob dan nicht diese sache nicht nach Hamburgischen Statt, sondern nach dem gemeinen kayserlichen Rechten, und des ThumbCapittulß ge-
StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 2. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 6, dort Anfrage 2. 2493 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 6, dort Anfrage 1; mit Verweis auf das Hamburger Stadtrecht Art. 1, 17, 3, S. 53: „In massen dann bey verstattung des Arrests/ in gute auffacht genommen werden sol/ das die jenigen/ oder derselben Güter/ nicht Arrestiret werden/ welche/ vermüge alter Concordaten, und dero zwischen den benachbarten und uns auffgerichter Verträge/ dauon entfreyet sein/ Und an denen orten dieser Stadt Bürgere mit Arresten auch nicht beschweret werden.“ 2491 2492
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wohnheit decidiret und erorttert werden mueß“2494. Er nahm damit nicht nur eine Befreiung von der städtischen Gerichtsgewalt in Anspruch, sondern betonte zugleich, auch das Hamburger Stadtrecht von 1603/052495 finde auf ihn keine Anwendung. Das Domkapitel setzte nach. In einer weit zurückgreifenden Interventionsbegründung führte der Domsyndikus im März 1621 die Befreiung des Domkapitels von jeder städtischen Herrschaft näher aus. Der Schriftsatz an das Reichskammergericht begann zwar nicht mit Adam und Eva, wohl aber mit der Bistumsgründung an Alster und Elbe. Ausgangspunkt war Karl der Große und damit das verwickelte jahrhundertelange Fortleben des Domkapitels in einer Stadt ohne Bischof: „Sagt und setzet demnach wahr, Reichskündig, und sowol aus alten bewehrten Annalibus, alß auch aus habenden uhralten Documenten klar und beweißlich, das der uhralte keyserlicher freyer Stifft Hamburgk von Carolo Magno Römischen Keyser, zu einer cathedral Kirchen, gemüts und meinung, dieselben zu einem Ertzbischofflichen Metropolitan stifft zu erhöhen, fundiret und gestiftet.“2496 Ludwig der Fromme habe dann 833 die Metropolitankirche errichtet2497, und alle späteren Kaiser hätten das Stift Hamburg mit weiteren Metropolitanrechten ausgestattet. Die Personalunion zwischen den Stiften Bremen und Hamburg mußte der Schriftsatzverfasser zwar ansprechen. Sie änderte für ihn aber nichts an der rechtlichen Selbständigkeit des Hamburger Domkapitels2498. Wegen der Anbindung an den Erzbischof sollte es sogar einen innerkirchlichen Instanzenzug geben, „das weiniger nicht von diesem Hamburgischen alß dem Bremischen ThumbCapitul und beider derselben underschiedtlichen gerichtlichen erkendtnus an ermeldten Herrn Erzbischoffen, alß Ihren ordinarium und regirende negste Obrigkeit, die Appellationes und Provocationes von Alters ergangen, auch noch teglich in begebenden fällen ergehen“2499. Im Umkehrschluß war „ein Ehrw[ürdiges] ThumbCapitul zu Hamburgk sambt deßen Clerisei“ weder „Bürgermeistern und Rhat der Stadt daselbst, noch sonsten jemandem anders“, sondern nur „hochstgedachtem Ihrem ordinario mit einiger Jurisdiction unnd Botmeßigkeit underworffen“2500. Ausschließlicher erstinstanzlicher Gerichtsstand für Klagen gegen Mitglieder des StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 6, dort Anfrage 2. Hinweise zur Entstehung bei R i c c i u s , Entwurff von Stadt-Gesezen, S. 131-137; S t o b b e , Geschichte der deutschen Rechtsquellen II, S. 310-315; W i e ac k e r , Privatrechtsgeschichte, S. 191; R e p g e n , Hamburg, Sp. 686-687. 2496 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 15-18, Art. 1. 2497 Zu Bau und Einweihung des Mariendoms D e h i o , Geschichte I, S. 259 (älterer Bau); zur Bistumsgeschichte d e r s . , Geschichte I, S. 59-75; V o g t h e r r , Erzbistum Bremen(Hamburg), S. 113-127; K l u e t i n g , Bistumsgründungen, S. 74-75. 2498 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 15-18, Art. 7. 2499 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 15-18, Art. 9. 2500 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 15-18, Art. 10. 2494 2495
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Domkapitels war für den Syndikus „vermuge beschriebener geistlicher und weltlicher Rechte“ das Domkapitel selbst. Der Schriftsatzverfasser erwähnte die alten Streitigkeiten, die seit Jahrzehnten zwischen der Stadt und dem Domkapitel schwelten und immer wieder aufflammten. Deswegen hatte es früher den langjährigen Reichskammergerichtsprozeß gegeben, in dem der Stadt Hamburg sogar die Reichsacht gedroht hatte2501. Das diente als Überleitung zum Bremer Vergleich von 1561. Dieser Vergleich erschien hier nicht als bloße Umsetzung und Konkretisierung des Augsburger Religionsfriedens, sondern als Kompromiß, der die jahrzehntelangen rechtlichen Auseinandersetzungen befriedet hatte. Der Syndikus bezog sich auf eine bestimmte Passage und übersandte gleich eine Abschrift des gesamten Vertrages an das Reichskammergericht. Entscheidend war folgender Punkt: „Wir“, also Bürgermeister und Rat der Stadt Hamburg, „wollen auch dem ThumProbst, Dechant und Capittel nicht hindern oder beeindrechtigen, uber und zwischen obgedachten Geistlichen Personen, auch ihren Dienern und wesentlichen Haußgesinde, in civilibus causis und burgerlichen sachen die Jurisdiction, wie sie deren von Alters hero in Ubung gewesen, zugebrauchen, doch mit der bescheidenheit, das wir DomCapittel obgemeltt, auf den vall, da jemands von Bürgern oder Inwohnern und verwandter der Stadt Hamburg, oder sonst andern frembden Personen, einen oder mehr unsers mittels ThumbHerren, andere gäistliche, unsere oder ihre Diener und Haußgesinde, mit rechte anlangen würde, das deme oder denen, auff Ihre ansuchünge, gebührlich unvertzuglich recht durch unß soll mittgetheilet werden.“2502 Was das genau bedeuten sollte, war unsicher. Das Domkapitel jedenfalls sah in dieser Zusage der Stadt das privilegium fori für alle seine Mitglieder und Angehörigen anerkannt, umfassend und ausnahmslos. Auf den ersten Blick problematisch war freilich, wer genau zu den „obgedachten Geistlichen Personen“ zählte. Der Syndikus selbst war zu kleineren Abstrichen bereit. Doktoren der Theologie, der Superintendent, der zweite Lektor und einige andere durften sich auf den Bremer Vergleich von 1561 nicht berufen. Für sie griff die Ratsgerichtsbarkeit ein. Andererseits hatten die elf Domhöfe ihre alten Freiheiten behalten2503. In der Tat enthält der Bremer Vergleich eine lange Liste von Personen, die von der Gerichtsbarkeit des Domkapitels „Exempt“ waren. Das ging bis hin zu den Kirchendienern, Schulmeistern und Schulgesellen2504. Unterhalb des Domkapitels gab es also scharenweise kirchennahe StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 15-18, Art. 12-13; der gemeinte Rechtsstreit ist die Akte StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 15; zur Sache auch J e n s e n , Hamburger Domkapitel, S. 25-28; D ü f e l , Äpinus, S. 538-539. 2502 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 20; wörtlich gleich in der Druckfassung von 1726: Bremer Vergleich 1561, S. 2. 2503 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 15-18, Art. 16-17. 2504 Bremer Vergleich 1561, S. 3. 2501
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Amtsträger und Bedienstete, die zweifellos dem städtischen Gericht zugeordnet waren. Mit dem Verstoß gegen den Bremer Vergleich, das behauptete jedenfalls das Domkapitel, sollte der Rat zugleich sein eigenes „Stadtbuch“ verletzt haben, nämlich das erneuerte Stadtrecht von 1603/052505. Jetzt war es am Hamburger Rat, zu den umfangreichen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Einige Monate später war die Exzeptionsschrift geschrieben. In einer Audienz im Januar 1622 übergab der Prokurator sie dem Reichskammergericht. Wesentlicher Dreh- und Angelpunkt war die Aushöhlung des Klerikerprivilegs. Die Appellaten, Bürgermeister und Rat, bestritten die ausnahmslose Geltung des geistlichen privilegium fori in der Hansestadt. „[D]ie hiebeuor angezogene Rechtes regul, quod clerici coram laico non conveniendi sint“, hatte angeblich „seine viellfaltige, und gewiße abfelle“2506. Das Klerikerprivileg war damit zwar ein Grundsatz, das blieb unbezweifelt, doch war er von vielfachen Ausnahmen durchbrochen. Zunächst sollte die Regel für solche Kleriker nicht gelten, „qui sacris non inserviunt“. Geradezu spöttisch fügte der Schriftsatzverfasser hinzu, etwas anderes könne nur gelten, wenn man Pferdehaltung, Viehzucht, Haus- und Gartenbau als geistliche Angelegenheit bezeichnen wolle2507. Wenn Zeitgenossen die Anspielungen ernst nehmen sollten, erhält man hier zugleich einen lebensnahen Einblick in die ganz und gar ungeistliche Lebensweise der Hamburger Domherren. Aber wie sollten sie sich auch beschäftigen ohne Bischof, ohne Kirchengemeinde, ohne Aufgaben? Doch wenn sie rein weltlich lebten, konnten sie auch keine geistlichen Privilegien genießen. So sah es jedenfalls der Hamburger Rat. Abgesehen davon konnte das Klerikerprivileg nicht eingreifen, wenn ein Geistlicher verheiratet war und auf Habit und Tonsur verzichtete2508. Wie schon in einem älteren Hamburger Fall spielte der Zölibat wieder eine Rolle, sogar in der offiziellen Rechtsauffassung des Hamburger Rates. Robert Maranta und Prosper Farinacius standen als Autoritäten bereit, die Auffassung zu befestigen2509. Ganz bissig führte der Verfasser der Exzeptionsschrift aus, der StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 15-18, Art. 21, mit Verweis auf das Hamburger Stadtrecht Art. 1, 17, 3 und 5, S. 53-54. 2506 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 35. 2507 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 35: „es were dan sache, daß man pro sacris halten wolle, equos alere et pascere copora multa aedificare domus et colere hortos et alia secularia peragere“. 2508 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 35: „Neben dem ist de jure Canonico unstreitich quod clerici conjugati non gaudeant privilegium fori, si non incedant in habitu et tonsura Clericali“. 2509 Die Exzeptionsschrift zitiert M a r a n t a , Speculum aurem (1650), p. IV dist. XI n. 5, S. 149: „Quid autem de clericis coniugatis? Dic, quod gaudent similiter eodem priuilegio fori, dummodo incedat in habitu; & tonsura clericali, & dummodo duxerint vxorem vnicam, & virginem. Si autem 2505
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Appellant habe niemals Habit und Tonsur getragen. Und im übrigen sei es „fast lecherlich“, wenn der Eindruck entstehe, als seien „die Canonici zu Hamburgk getzwungen (...) worden, weiber zu nehmen, dan syndicus nicht glauben kan, daß einer sich den mantell zumalen sie keinen Geistlichen habit tragen thun, deßwegen zerreißen laßen habe, und hetten warlich diese alle darmit woll zu hauß pleiben mugen, dan sie dardurch nicht wenig an den tagh geben, waß die Canonici zu der Zeit (...) im schilde gefürt“2510. Geradezu bissig und ironisch rieb die Exzeptionsschrift den Mitgliedern des Domkapitels ihren doppelbödigen Lebensstil unter die Nase. An dieser Stelle flocht der Verfasser unvorsichtigerweise seinen Namen ein. Der Schriftsatz ist zwar von Lizentiat Martin Kuhn unterschrieben, dem Reichskammergerichtsprokurator der Appellaten2511. Als Konzipient des Schriftsatzes trat aber unverblümt der Syndikus der Stadt Hamburg in Erscheinung. So kreuzten in diesem Rechtsstreit der Syndikus des Domkapitels und sein städtischer Widerpart die Klingen. Neben den Seitenhieben auf die verheirateten und damit privileglosen Kleriker nahm der Hamburger Syndikus noch eine weitere Verengung vor. Das privilegium fori sei schließlich dann nicht einschlägig, wenn „inter laicum et clericum de possessione streit furfelt, daß alse dan der clericus coram judice laico optimo jure convenijrt werden kan, und magh“2512. Modern gesprochen besaß in diesem Fall die sachliche Zuständigkeit Vorrang vor persönlichen Gerichtsstandsbefreiungen. In Besitzstreitigkeiten war danach für Prozesse gegen Geistliche ebenfalls die weltliche Justiz zuständig. Das sei „ihm heyligen Romischen Reich untzwifentlich“, und um das zu bestärken, zitierte der Verfasser die weit verbreiteten Observationen von Andreas Gail. In der Tat hatte Gail unter der Überschrift „clericus coram Judice saeculari quando conveniri possit“ das Problem behandelt. Für den katholischen Kameralautor konnte die geistliche Jurisdiktion „non procedit, quando agitur super possessorio, vel quasi, etiam in causis spiritualibus“2513. Stellen wie diese zeigen anschaulich, wie feinsinnig die zeitgenössischen Anwälte auch mit weitgehend wörtlichen Zitaten Inhalte und Bedeutungen verschieben konnten. Gail bezog seine Einschränkung des Klerikerprivilegs ausdrücklich auf possessorische Klagen. Selbst wenn die Hauptsache geistlich war, handelte es sich beim Possessorium immer um eine weltliche Angelegenheit, da beide Streitgegenstände „nihil commune inter
non incedunt in habitu, & tonsura, vel si sunt bigami, vt quia duas habuerunt vxores, vel vnam viduam, vel alia corruptam, omne priuilegium clericale amittunt“, F ar i n ac i u s , De inquisitione, qu. 8 n. 9 et 60, S. 47, Leitsatz 60: „Clericus non incedens in habitu & tonsura fori privilegio non gaudet.“ 2510 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 35. 2511 Zu ihm G r o h , Das Personal, S. 135: Prokurator seit 1604. 2512 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 35. 2513 G a i l , Observationen I, obs. 37 n. 5, S. 72-73.
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se habeant“2514. Gails Äußerung betraf also eine spezielle Prozeßart, den vorläufigen Besitzschutz2515. Dieselbe Unterscheidung possessorischer und petitorischer Streitigkeiten zeigt sich auch in den weiter unten behandelten Prozeßakten aus Jülich-Berg. Hier lag in der Tat eine vieldiskutierte Grenze des Klerikerprivilegs2516. Der Hamburger Syndikus dagegen sprach offener und untechnischer vom Streit „de possessione“2517. Darunter konnten alle Auseinandersetzungen um Besitz im weitesten Sinne fallen, unabhängig davon, wie sie prozessual abliefen. Diese Ausweitung der Prozeßart Possessorium auf alle Rechtsfragen rund um den Besitz schränkte das geistliche privilegium fori über die von Gail genannten technischen Fälle noch für zahlreiche weitere Sachverhalte ein. Mit dem Hinweis auf spezifische Zuständigkeitsprobleme bei Besitzstreitigkeiten zeigt der Hamburger Rechtsstreit Ähnlichkeiten mit dem oben angesprochenen, über einhundert Jahre jüngeren Prozeß aus dem Fürstbistum Hildesheim2518. Die Art und Weise, wie der Hamburger Domsyndikus auf diesen Einwurf reagierte, entsprach im übrigen ebenfalls dem später in Hildesheim von kirchlicher Seite eingeschlagenen Weg. Erst sechs Jahre später traf 1628 die Ablehnung der Exzeptionsschrift in Speyer ein. Das Reichskammergericht hatte zu diesem Zeitpunkt das Protokollbuch schon seit über drei Jahren nicht mehr geführt. Offenbar ruhte der Prozeß weitgehend, aber es war ja auch mitten im Dreißigjährigen Krieg. Die rechtlichen Argumente des Domkapitels verhallten damit ungehört. Das schmälert freilich nicht den Wert der rechtlichen Argumentation. Der Domsyndikus lehnte die Rechtsausführungen des Hamburger Rates ab und bestand weiterhin auf dem zwingenden Charakter des Klerikerprivilegs. Selbst mit Zustimmung des Bischofs könne ein Geistlicher niemals gezwungen werden, vor das weltliche Gericht zu ziehen. Eine entgegenstehende Gewohnheit habe keine Rechtsbindungswirkung, und sogar der Papst könne, auch wenn er wolle, die Gerichtsgewalt des weltlichen Richters über Kleriker niemals begründen2519. Farinacius, den die Stadt Hamburg für die Gegenmeinung in Anspruch genommen hatte, diente auch dem Domkapitel G a i l , Observationen I, obs. 37 n. 5, S. 73. Zum Besitzsschutzprozeß am Reichskammergericht C z e r m ak , Besitz; J a c o b i , Besitzschutz. 2516 Dazu unten bei Anm. 3217. 2517 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, Aktenstück Q 35. 2518 HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 7, fol. 2r-2v. Zu Appellationsverboten in possessorischen Sachen in Jülich-Berg vgl. unten bei Anm. 3200-3229. 2519 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 22, unquadr. Aktenstück vom 25. August 1628; ähnlich im Hildesheimer Fall: HStA Hannover Hann. 27 Hildesheim Nr. 758, Aktenstück Q 42, fol. 1v-2r. 2514 2515
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als Referenz2520. Außerdem berief sich der Syndikus auf Johannes Andreae2521, Jason de Mayno2522, Hostiensis2523 und die neapolitanitschen Dezisionen von Tommaso Grammatico2524. Unvereinbar standen sich die beiden Auffassungen gegenüber, beide jeweils belegt mit namhaften Autoritäten, teils sogar denselben. Ein Reichskammergerichtsurteil in dieser Sache erging nicht. Der umfangreich überlieferte Rechtsstreit zeigt jedoch, wie stabil die Argumentationslinien in Hamburg über die Jahrzehnte hinweg blieben und wie sie mit großem zeitlichen Abstand auch in anderen Territorien auszumachen sind. Wenn es sich bei dem privilegium fori um zwingendes Recht handelte, stabil und selbst vor einer desuetudo gefeit, erübrigten sich alle Diskussionen um eine möglicherweise abweichende Praxis. In einer Zeit usualen Rechtsdenkens mag es wenig erfolgversprechend gewesen sein, so zu argumentieren. Hing doch die Rechtsgeltung weithin von der praktischen Befolgung der normativen Vorgaben ab. Das Domkapitel scherte hier aus, sicherlich eigennützig, aber in prinzipieller Hinsicht mit einem sehr modernen Ansatz. Der Anspruch auf kontrafaktische Normgeltung war ein erstaunlich wegweisender Gesichtspunkt2525.
e) Doppelte Rechtshängigkeit vor weltlichem und geistlichem Gericht In einem etwas jüngeren Appellationsprozeß von 1635/36 ging es um die gleichzeitige Rechtshängigkeit desselben Streitgegenstandes vor dem weltlichen und geistlichen Gericht. Zugrunde lag eine Auseinandersetzung des Hamburger Domkapitels mit den Erben eines Peter Niemann2526. Es ging unter anderem um Besitzstörungen des sog. Rittmeister Landes im HamZitiert wird: F a r i n a c i u s , De inquisitione, qu. 8 n. 3, S. 48: „Secundo etiam quod Papa conscius fuisset de tali consuetudine, & nihil dixisset ibidemque (...) primam ampliationem declarat: declarationem autem ibi videas. Non enim omnia inhisce additionibus possunt extendi.“ 2521 Zitiert wird Johannes Andreae, Quaestiones mercuriales, zur regula „Scienti et consententi non fit iniuria neque dolus“ (VI. 5, 12, 5, 27). Das Werk lag mir nicht vor. 2522 Zitiert wird: J a s o n d e M a y n o zu D. 2, 5, 2 („ad l 2 D Si quis in jus vocatus“), wohl n. 31, fol. 98r, 99v: „Citatus non tenetur comparere, quando certum est ipsum non esse de iurisdictione citantis“. 2523 Zitiert wird: H o s t i e n s i s , Summa, lib. 2, rubrica De iudiciis § Que sint necessaria, fol. 72v-74r. 2524 Zitiert wird G r a m m a t i c o , Decisiones, decis. 29 n. 11, Leitsatz S. 59: „Clerici ut conveniantur in curia iudicis secularis, minimè Papa hoc facere potest. Imò si Papa hoc faceret, minimè iudex secularis hoc facere posset“. 2525 Zum allgemeinen Wandel erst im 18. Jahrhundert S c h r ö d e r , Recht als Wissenschaft, S. 107-108; zur kontrafaktischen Normgeltung L u h m a n n , Recht der Gesellschaft, S. 134. 2526 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 1219. 2520
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merbrook. Wegen der angeblichen Anmaßungen der Erbengemeinschaft hatte das Domkapitel einen Diffamationsprozeß gegen die Erben vor der Kanzlei des Bremer Erzbischofs angestrengt. Die citatio ex lege diffamari war eine gemeinrechtliche Prozeßart. Sie ermöglichte es, denjenigen, „der einem anderen etwas übels nachgeredet“, insbesondere sich eines Anspruchs berühmte, förmlich aufzufordern, seine beanspruchten Rechtstitel zu beweisen. Wenn dies nicht gelang, und das war regelmäßig das Ziel des Diffamationsklägers, wurde der Beklagte zu ewigem Stillschweigen verurteilt und durfte seine Rechtsbehauptungen nicht weiterhin äußern2527. Nachdem ein solcher Rechtsstreit vor der erzbischöflichen Kanzlei begonnen hatte, erhoben die Erben des Peter Niemann wegen derselben Sache eine Klage gegen das Hamburger Domkapitel vor dem „Borgeschen Gericht“, dem Landgericht Hamm und Horn2528. Das Domkapitel hielt die gesamte weltliche Prozeßführung des Landgerichts für nichtig und wandte sich an den Rat. Ob das eine förmliche Appellation sein sollte, ist zweifelhaft, tut aber nichts zur Sache. Gegenüber dem Hamburger Rat, dem städtischen Obergericht, umriß es die Verpflichtung des weltlichen Richters, nicht in laufende geistliche Rechtssachen einzugreifen: „Iudex enim secularis eo ipso, quod sit litem pendere coram Ecclesiastico, cum timore debet abstinere ab omni novitate, etiam sine ulla inhibitione alias nulliter facit“2529. Das lief auf ein Prioritätsprinzip hinaus für Streitigkeiten, die sich sowohl vor geistlichen als auch vor weltlichen Gerichten verhandeln ließen. War ein geistliches Gericht bereits mit der Angelegenheit befaßt, schloß das zugleich die Zuständigkeit weltlicher Gerichte in derselben Sache aus. Eine Inhibition, also ein ausdrückliches Verbot weiterer gerichtlicher Handlungen2530, sollte in diesen Fällen nicht einmal nötig sein. Die automatische Nichtigkeit des konkurrierenden weltlichen Verfahrens begründete das Domkapitel mit den Konsilien des italienischen Gelehrten Alexander de Imola bzw. Alexander Tartagnus aus dem 15. Jahrhundert2531. 2527
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Zur Diffamationsklage gibt es kaum neuere Literatur. Zeitgenössisch: Z e d l e r , Universal-Lexicon 29, Sp. 1011-1024 (dort Sp. 1011 das Zitat), Bd. 37 Sp. 209; Ko c h / B e s s e r e r , De foro competente; rechtshistorisch B ar t e l s , Dogmatik, S. 38-39; S c h w a r z , Reform, S. 73-74, 154. Fallschilderung in StA Hamburg Best. 211-2 Nachtrag I Nr. 10, unquadr. „Summarische Gravamina nullitatis“ vom 5. Juni 1635. StA Hamburg Best. 211-2 Nachtrag I Nr. 10, unquadr. „Summarische Gravamina nullitatis“ vom 5. Juni 1635. Zur Inhibition: D i c k , Entwicklung, S. 204; zeitgenössische Inhibitionsformel bei O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 53. Zu ihm S a v i g n y , Geschichte des Römischen Rechts VI, S. 312-319 (S. 318-319 zu den Konsilien); L a n g e / K r i e c h b au m , Römisches Recht II, S. 831-842 (S. 841 zu den Konsilien).
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Seine Sammlung war 1610 in Frankfurt am Main neu herausgekommen, stand einem findigen Anwalt also zur Verfügung2532. Für das Domkapitel war die Nachrangigkeit des weltlichen Gerichts bei einem Rechtsstreit, der bereits vor einem kirchlichen Tribunal begonnen hatte, nichts weiter als selbstverständlich. Deswegen leistete es sich sogar die Nachlässigkeit, seine eigenen „iura & immunitates uff dießmahl zue verschweigen“2533. Das Prioritätsprinzip, also die fortdauernde Zuständigkeit des geistlichen Gerichts, sobald die Sache einmal dort begonnen hatte, stand damit selbständig neben dem privilegium fori der Kleriker. Das Domkapitel führte das Klerikerprivileg nicht einmal an, für so überdeutlich hielt es den Vorrang des geistlichen Gerichts. Das war freilich wie so vieles streitig. Beim Hamburger Rat stieß das Domkapitel jedenfalls auf taube Ohren. In seiner Eigenschaft als städtisches Obergericht entschied der Rat gegen die Kleriker. Wie in einem ganz gewöhnlichen weltlichen Zivilprozeß sollte das Domkapitel seine Appellationsgravamina innerhalb der vorgegebenen Zeit einreichen2534. Dazu waren die Domherren aber nicht bereit und appellierten gegen das Zwischenurteil an das Reichskammergericht. Die Einzelheiten sind unklar, weil die Kameralakte unvollständig überliefert ist. Einige grobe Linien zeichnen sich immerhin ab. Augenscheinlich war das Domkapitel vor den städtischen Hamburger Gerichten mit seinem Verweis auf die Rechtshängigkeit beim Erzbischof gescheitert. Der angeblich feste Rechtsgrundsatz von der konkurrierenden Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts war damit kaum so eindeutig, wie das Domkapitel es vorgab. Doch auch die neuere Literatur steht oftmals auf dem damaligen Rechtsstandpunkt des Domkapitels. Im überlappenden Spannungsfeld geistlicher und weltlicher Gerichte soll das zuerst angerufene Gericht die jeweils andere Gerichtsbarkeit ausgeschlossen haben2535. Das klingt einfach und einleuchtend, doch zeigt erst die Praxis die damit verbundenen Schwierigkeiten. So war es gar nicht eindeutig, wann man denselben oder einen sehr ähnlichen Streitgegenstand verhandelte. In der Auseinandersetzung mit den Niemannschen Erben etwa war die Parteistellung vor dem Erzbischof und dem Landgericht verschieden. Wenn es aber möglich war, je nach Stoßrichtung Klage und Widerklage, Anspruch und Gegenanspruch auseinanZitiert wird A l e x a n d e r d e I m o l a ( T ar t ag n u s ) , lib. 3 consil. 63 n. 2, fol. 54v: „(...) quòd licet iudex ecclesiasticus in sententia reuocauerit inhibitiones, tamen si à tali sententia est appellatum, iudex secularis interim nihil potest inuocare“. 2533 StA Hamburg Best. 211-2 Nachtrag I Nr. 10, unquadr. „Summarische Gravamina nullitatis“ vom 5. Juni 1635. 2534 StA Hamburg Best. 211-2 Nachtrag I Nr. 10, unquadr. „Protocoll“, darin Interlokut vom 20. Mai 1636. 2535 Zum Grundsatz bereits LA Münster RKG M 1725, Aktenstück Q 4, fol. 07v-08r. 2532
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derzureißen, war das Prioritätsprinzip kaum mehr als ein stumpfes Schwert. Zusammengehörende Prozesse konnten dann trotz des scheinbar einfachen Grundsatzes vor verschiedenen Gerichten landen. Aber die Widerklage bildete ohnehin einen weiteren ständigen Anlaß für Reibereien, auch in Hamburg2536.
f) Das Klerikerprivileg im Spannungsfeld zum Appellationsprivileg Der nächste Fall aus den 1660er Jahren zeigt abermals einen Hamburger Geistlichen, der gegen seinen Willen vor ein städtisches Gericht ziehen mußte. Auch er versuchte, dagegen rechtlich vorzugehen, wiederum ohne Erfolg vor den städtischen Instanzen. Der kammergerichtliche Appellant Friedrich Seywaldt war Kanoniker in Havelberg und Domvikar in Hamburg2537. Auf der Gegenseite standen einige Gläubiger, die gegen den Appellanten Seywaldt und seine Frau Geldforderungen erhoben. Das Hamburger Niedergericht entschied durch Interlokut im Mai 1663 zu Lasten des Vikars. Seywaldt mußte sich ungeachtet seiner Ausflüchte zur Hauptsache einlassen2538. Hiergegen wandte sich der Domvikar an das städtische Obergericht. Er beantragte die Aufhebung des Zwischenurteils und die Aktenversendung an eine unverdächtige Juristenfakultät. Der Hamburger Rat2539 lehnte beides ab, und dagegen appellierte Seywaldt nach Speyer. Der Fall war heikel. Zwei Privilegien standen sich gegenüber. Das Klerikerprivileg stritt für den Appellanten, das Appellationsprivileg für seine Gegner. Die in Speyer beklagten Gläubiger verwiesen nämlich auf den zu geringen Streitwert. Die Mindestbeschwer des Hamburger Appellationsprivilegs von 1634 in Höhe von 700 Gulden sei nicht erreicht. Außerdem liege eine Schuldurkunde vor, die man im Appellationswege nicht anzweifeln dürfe2540. Der Appellant versuchte zunächst, diese Einwendungen zu entkräften. Juristisch wichtiger war dann allerdings seine Hilfsbegründung. Selbst wenn seine Sache nämlich nicht appellabel sein sollte, müsse hier „ex capite enormis iniquitatis et Nullitatis“ eine Ausnahme greifen2541. An anderer Stelle sind bereits Beispiele aufgetaucht, in denen Appellanten versuchten, Dazu sogleich bei Anm. 2548-2571. Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 1232. 2538 Prozeßgeschichte in StA Hamburg Best. 211-2 Nachtrag I Nr. 33, Aktenstück Q 14. 2539 Zur Identität von Rat und Obergericht B e r t r am , Hamburgs Zivilrechtspflege, S. 27; K ä h l e r , Französisches Zivilrecht, S. 27. 2540 StA Hamburg Best. 211-2 Nachtrag I Nr. 33, Aktenstück Q 7; Einzelheiten zum privilegium de non appellando unten bei Anm. 2595-2641. 2541 StA Hamburg Best. 211-2 Nachtrag I Nr. 33, Aktenstück Q 14. 2536 2537
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sich über bestehende Appellationsverbote unter Hinweis auf angebliche Nichtigkeiten hinwegzusetzen. Manchmal wollten sie auf diese Weise geistliche Streitsachen vor die Reichsgerichte tragen2542. Hier lag das Problem etwas anders, denn der Appellant leitete die untergerichtliche Nichtigkeit „ex defectu jurisdictionis“ her2543. Solche Nichtigkeiten der Gerichtszuständigkeit sollten nicht nur bei der Urteilsfällung, sondern bereits bei der Prozeßeröffnung zu berücksichtigen sein2544. Von hier aus schlug Seywaldt die Brücke zum Status der Kanoniker und Vikare in Hamburg. Sie hatten im Domkapitel „proprium suum Magistratum“, also eine eigene Herrschaftsgewalt über sich. Er berief sich auf den Bremer Vergleich von 1561 und die ausdrückliche Befreiung von Vikaren und Kanonikern von „des Raths jurisdiction undt gerichtszwang“. Daran schloß er die „Exceptio declinatoria fori“ an, den Einwand der Unzuständigkeit städtischer Gerichte. Wurden sie dennoch tätig, lag der Befangenheitsvorwurf in der Luft. So jedenfalls formulierte der Appellant seinen Hinweis, wonach der Hamburger Rat „wegen seines hiebey habenden eigenen interesse (...) nit judiciren muge“. Der Appellant bzw. Nichtigkeitskläger erkannte sehr klar das eigene Interesse des Rates. Mit der Beachtung des Klerikerprivilegs schwächte der Rat zugleich seine Gerichtsgewalt über die Hamburger Einwohner und ließ Ausnahmen zu. Daher mochte er bestrebt sein, die eigene iurisdictio großzügig zu verteidigen. Es lag daher nahe, das Klerikerprivileg zu beschneiden. Wegen der denkbaren Befangenheit bestand Seywaldt auf der Aktenversendung. In diesem Licht sah der Domvikar in jeder eigenständigen Entscheidung des Hamburger Obergerichts eine unheilbare Nichtigkeit, solange sie nicht durch den Spruch einer Juristenfakultät abgesichert war. An dieser Stelle schalteten sich die Appellaten, Seywaldts Gläubiger, erneut in den Rechtsstreit ein. Es ging ihnen besonders darum, die appellantische Hilfsbegründung zu kippen. Sie hielten das Klerikerprivileg in diesem Fall für nicht einschlägig. In „impugnation Sachen, in quibus per impugnationem actio in rem intenditur“, könnten nämlich durchaus Kanoniker und Vikare „p[er] subsidiales ins Hamb[urgische] Niedern gerichte ad videndum prosequi & confirmati impugnationem citiret werden, und daselbsten antworten müßen, wie solches quotidiana praxis nach Hamburgischen Stadt Rechten undt Gerichts-
Beispiele aus Lübeck oben bei Anm. 1462-1561. StA Hamburg Best. 211-2 Nachtrag I Nr. 33, Aktenstück Q 14; zu den kanonistischen Hintergründen der Lehre H e l m h o l z , Spirit of Classical Canon Law, S. 119-120, 132134, 139. 2544 StA Hamburg Best. 211-2 Nachtrag I Nr. 33, Aktenstück Q 14, mit Hinweisen auf Gail und Mynsinger. 2542 2543
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Ordnungen lehret“2545. Das war eine weitere grundsätzliche Einschränkung des geistlichen privilegium fori. Die Impugnationsklage, die es im modernen österreichischen Recht noch gibt2546, war ein gemeinrechtliches Zwischenverfahren. Der Gegner eines Beweisführers konnte auf diese Weise das Ergebnis einer Beweisaufnahme anfechten, bevor es zum Endurteil kam und es dafür zu spät war2547. Das bezog sich insbesondere auf Zeugenaussagen. Für diesen ganzen Bereich sollte das Klerikerprivileg nach Meinung der Hamburger Appellaten gar nicht gelten. Inwieweit der Hinweis auf die tägliche Praxis der städtischen Gerichte der Rechtswirklichkeit entsprach, läßt sich ohne vertiefte Detailstudien nicht feststellen. Das Protokollbuch des Kameralprozesses ist nicht vorhanden, und so bleibt selbst unklar, wie das Verfahren in Speyer weiterlief oder zu einem Ende kam. Entscheidend ist freilich die Tendenz: Immer wenn ein Geistlicher sich auf sein privilegium fori berief, trat der Prozeßgegner auf den Plan und legte dar, warum man das grundsätzlich anerkannte Vorrecht gerade im einschlägigen Fall nicht berücksichtigen dürfe. Der Grundsatz war damit durch vielfache Ausnahmen untergraben. Der nächste Fall, kaum zehn Jahre jünger, bringt eine weitere Durchlöcherung.
g) Beschränkung des Klerikerprivilegs bei Widerklagen Ein Appellationsprozeß von 1672 warf erneut die Frage nach der Reichweite des Klerikerprivilegs auf, diesmal am Beispiel des Gerichtsstands für Widerklagen. Das war eng verbunden mit dem bereits in den 1630er Jahren diskutierten Prioritätsprinzip2548, nur waren in diesem Fall nicht zwei verschiedene Gerichte gleichzeitig mit der Angelegenheit befaßt. Der rechtsgelehrte Appellant, der Domherr Dr. Lucas Langermann, war zugleich sein eigener Advokat. Es ging um den Streit mit einer Anna Wilde um Rentenzahlung. Der Domherr selbst hatte vor dem Hamburger Niedergericht auf Zahlung geklagt. Allerdings hatten die Kuratoren der Gegnerin sofort Widerklage gegen Langermann wegen eines streitigen Vergleichsvertrages erhoben2549. Langermann wehrte sich gegen die Widerklage. Als Geistlicher sollte er plötzlich vor einem weltlichen Gericht Rede und Antwort stehen, StA Hamburg Best. 211-2 Nachtrag I Nr. 33, Aktenstück Q 16. B u r g s t a l l e r / D e i x l e r - H ü b n e r / D o l i n a r , Zivilprozeßrecht II, S. 285-287. 2547 W e t z e l l , System, S. 954; eher untechnisch O b e r l än d e r , Lexicon, Sp. 353: „Impugnare, iren, über einen Hauffen werffen, bestreiten, widerfechten“. 2548 Zum Rechtsstreit Domkapitel ./. Niemanns Erben (StA Hamburg Best. 211-2 Nachtrag I Nr. 10) oben bei Anm. 2526-2536. 2549 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 618-619. 2545 2546
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dagegen berief er sich auf sein Klerikerprivileg. Aber mit seiner Unzuständigkeitseinrede stieß er auf taube Ohren. Die Rationes decidendi des Hamburger Obergerichts, konzipiert von der Juristenfakultät Köln, bestanden aus nur einem Satz: „desuper Communis est D[octorum] opinio, quod Clericus Coram Laico in Causa Ciuili reconueniri possit.“2550 Eindeutiger konnte ein Prozeßverlust kaum ausfallen. Aber gerade gegen diese Urteilsbegründung richtete sich Langemanns verzweifelte Appellation an das Reichskammergericht. Die scheinbare Selbstverständlichkeit, mit der das privilegium fori für Widerklagen hinweggefegt war, wollte er nicht hinnehmen. Seine Appellationsbegründung verwies auf Menochio und betonte, einen Kleriker könne man nie vor ein weltliches Gericht zwingen2551. Wie in der Einleitung zum Hamburg-Kapitel bereits erwähnt, kehrte Langermanns Schriftsatz den angeblichen Haß der Laien gegen die Geistlichkeit in Hamburg hervor, „und die gantze Clerisei in Hamburg solch odium so entpfunden, daß nicht der 10te theill Ihres substantz übrig ist“2552. Die langwierigen Reichshofratsund Reichskammergerichtsprozesse aus den Reformationswirren dienten damit auch nach fast 150 Jahren immer noch als Beleg für die weitergärenden Konflikte. Es gab für den Appellanten freilich ein ernsthaftes Problem. Nach gemeinem Recht war der weltliche Gerichtsstand für Widerklagen gegen Kleriker weitgehend akzeptiert. Wenn nämlich zunächst ein Geistlicher vor einem weltlichen Gericht wegen Schadensersatzes gegen einen Laien vorging, dann sahen es die Gelehrten überwiegend für statthaft an, wenn der Laie ebendort mit einer Gegenklage auch zum Gegenangriff vorging. Sonst hätte man die Verteidigungsmöglichkeiten wohl zu stark beschnitten und zusammenhängende Lebenssachverhalte in verschiedene Gerichtsverhandlungen zerrissen. Der Appellant flüchtete sich deshalb zu einem problematischen Argument. Der kaum bestreitbare gemeinrechtliche Grundsatz sollte in Hamburg einfach nicht gelten2553: „und obschon Clerici jure communi in foro seculari reconveniret werden können, dannoch solches so wenig in Hamburg styli alß nach den alten Concordaten zu läßig sey“2554. Die besondere Privilegierung Hamburger Geistlicher noch über den gemeinrechtlichen Grundsatz hinaus sollte sich StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, unquadr. Aktenstück „Urteil und Rationes decidendi“. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, Aktenstück Q 4, Gravamen 2, mit Verweis auf M e n o c h i o , De arbitrariis iudicum, casus 345 n. 5 (offenbar unpassendes Zitat; die Stelle handelt von den Statuten von Ferrara). 2552 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, Aktenstück Q 4, Gravamen 3. 2553 Zur Verdrängung des gemeinen Rechts durch vorrangiges Partikularrecht T r u s e n , Römisches und partikuläres Recht, S. 101-103/743*-745*; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 6-7; S c h ä f e r , Juristische Germanistik, S. 222-236. 2554 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, unquadr. Aktenstück „An die Römisch Kayßerl[iche] (...) May[estät]“. 2550 2551
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aus der „Uhralten glossa des Hamburger Stadtrechts“ ebenso ergeben wie aus „den Concordatis, welche in Cap[itu]lum et Senatum aufgerichtet“ waren2555. Die „alte Gewohnheit“ war nach Darstellung Langermanns stabil und noch lebendig. Angeblich gab es „kein einig exemplum (...), daß in so viell hundert Jahren ein Clericus in foro seculari reconveniret worden“ sei2556. Schon auf den ersten Blick waren die appellantischen Gravamina erstaunlich unpräzise. Genauere Konkretisierungen am Beispiel des Bremer Vergleichs unterblieben. Der Hinweis auf die vielen hundert Jahre seit 1561 war 1672 eine klare Übertreibung. Und die Langenbecksche Glosse zum alten Stadtrecht von 1497, wohl mit der uralten Glosse gemeint, hatte einen ersichtlichen Nachteil. Das spätmittelalterliche Hamburger Stadtrecht war nämlich seit 1603/05 durch die revidierte Fassung ersetzt2557. Der Sache nach freilich hatte der Appellant einschlägig, wenn auch ohne genaue Fundstelle, zitiert. Die Langenbecksche Glosse enthielt tatsächlich eine Anspielung auf einen mittelalterlichen Vertrag zwischen dem Hamburger Rat und dem Domkapitel. Ausdrücklich findet sich dort der Hinweis: „Wor nu eyn leyge klaget auer enen geystliken man, de schal klagen vor dem gheystliken richter, szo dat de klagher dem antwerder volge.“2558 Ob diese Zuständigkeitsregel nach der Reformation, also nach der Beseitigung einer eigenständigen geistlichen Gerichtsbarkeit und unter Geltung des neuen Stadtrechts, noch anwendbar war, blieb wie so vieles unklar. Jedenfalls noch im frühen 16. Jahrhundert und damit noch vor der lutherischen Reformation konnten die Parteien übereinstimmend weltliche Sachen vor dem Offizialatsgericht anhängig machen2559. Ob das umgekehrt auch so war, geht aus der Langenbeckschen Glosse nicht hervor. Speziell zur Widerklage, die zwischen dem Domherrn Langermann und seinen Gegnern streitig war, enthielt die alte Langenbecksche Glosse genau die gegenteilige Rechtsauffassung als diejenige, die der Appellant aus ihr herauszudeuten versuchte: „Gheestlike lude wann ße claghenn in werthlikem rechte, dath ße den dar ock schollen anthwordenn. (...) Welck ghemeennlikenn holden de lerer der kayßer rechte vnnd vele ghestliker, wowoll de mestenn der gestlikenn dar iegen sy[nn], vnnd ock ßo in wonheyt werth geholdenn, dath ße in werthlikem rechte nicht wedder anthwerenn.“2560 Hermann Langenbeck, der Hamburger Bürgermeister, entschied sich beim Streit um den Gerichtsstand Geistlicher bei Widerklagen also ausdrücklich für den Rechtsstandpunkt des weltlichen, des kaiserlichen, StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, Aktenstück Q 4, Gravamen 4. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, Aktenstück Q 4, Gravamen 4. 2557 Zur Langenbeckschen Glosse E i c h l e r , Langenbeck’sche Glosse, S. 13-17. 2558 Bei E i c h l e r , Langenbeck’sche Glosse, S. 135. 2559 E i c h l e r , Langenbeck’sche Glosse, S. 136 Fn. 342. 2560 E i c h l e r , Langenbeck’sche Glosse, S. 137. 2555 2556
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nicht des kirchlichen Rechts. Danach waren Widerklagen gegen Geistliche bei weltlichen Gerichten anhängig zu machen. Die meisten Kanonisten seien zwar anderer Meinung, und die Praxis gewähre dem Geistlichen auch oft sein privilegium fori. Aber Langenbeck selbst verteidigte den weltlichen Gerichtsstand. Für jemanden, der die Hamburger Partikularrechtstradition genau im Kopf hatte, konnte der Rückgriff des Appellanten auf die Glosse also nicht besonders überzeugend sein. Ob das die Mitglieder des Speyerer Reichskammergerichts freilich ahnen konnten, ist ungewiß. Der appellantische Domherr Langermann wies 1672 zusätzlich auf eine naheliegende Mißbrauchsmöglichkeit hin. Immer dann, wenn ein Laie einen Geistlichen vor einem weltlichen Gericht verklagen wolle, müsse er nur dreist genug sein und ihn zuvor schädigen. Dann sei der Kleriker genötigt, selbst vor dem weltlichen Gericht wegen des Schadens die erste Klage zu erheben. Bei solch arglistigen Gerichtsumgehungen wollte der Appellant den speziellen weltlichen Gerichtsstand für Widerklagen eingeschränkt wissen. In der Tat warf Langermann den Kuratoren seiner Prozeßgegnerin vor, sie hätten ihm den fälligen Zins nur deswegen verweigert, damit sie ihn später wegen des streitigen Vergleichsvertrages vor dem städtischen Gericht verklagen konnten. Der Domherr berief sich auf zahlreiche Juristen, die angeblich derart hinterlistige Vorgehensweisen auch gemeinrechtlich für unzulässig hielten. Er verwies auf Theophilus Gisebert mit einem Traktat über Widerklagen2561, Johannes Grevius2562, Vincentius de Franchis mit den von ihm herausgegebenen neapolitanischen Dezisionen2563 sowie auf die belgischen Dezisionen von Paul Christinäus2564. Der Appellant meinte zwar „ibi DD:“2565 und deutete an, bei Christinäus befänden sich Nachweise weiterer Autoritäten. Dennoch fällt die absonderliche Zitierweise auf. Im wesentlichen stützte sich der Schriftsatz auf entlegene Werke und verzichtete darauf, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bereits reich vorhanStA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, unquadr. Aktenstück „An die Römisch Kayßerl[iche] (...) May[estät]“, mit Verweis auf G i s e b e r t , De reconventione, cap. XI n. 31, S. 64, Leitsatz: „Limitatur Regula clericum coram laico reconueniri posse tribus modus“, ebd. S. 77 n. 31: „Nisi laicus dolo fecisset, iniuriam fortè vel damnum clerico inferens, ut si eo nomine ageret coram Iudice seculari, vicissim eius Iurisdictioni per reconuentionem subijceretur“. 2562 Zitiert wird Grevius ad Gailium 5 obs. 36 n. 12; zu Grevius und seiner Bedeutung im Kampf gegen Folter S c h m o e c k e l , Humanität, S. 137-143. Die Anmerkungen zu Gails Observationen lagen mir nicht vor. 2563 Zitiert wird d e F r a n c h i s , Corpus decisionum, decisio 139 n. 5, S. 298 2564 Zitiert wird C h r i s t i n ä u s , Decisiones I, decis. 280 n. 14: „Deinde secundò fallit, quando laicus conuentionem in se intentatam studio reconueniendi vel in fraudem procurasset“, dort mit Nachweis auf Vincentius de Franchis; Nachweise des „grossen JurisConsulti“ auch bei O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 393-397. 2565 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, unquadr. Aktenstück „An die Römisch Kayßerl[iche] (...) May[estät]“. 2561
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dene deutsche Entscheidungsliteratur einzubeziehen. Wenn es üblich war, alles zu zitieren, das sich zum eigenen Vorteil ausschlachten ließ, fielen Lükken im Literaturaufgebot besonders ins Auge. Wo blieben Mynsinger, Gail, Carpzov, Mevius und all die anderen? Das war ein sicheres Zeichen für zweifelhafte Erfolgsaussichten. Die Appellaten, Kuratoren der Anna Wilde, hatten es in ihren Exzeptionen vergleichsweise einfach. Sie konnten mehrere schwerwiegende Einwände gegen die Zulässigkeit der Appellation vortragen und machten es sich auch mit der angeblichen hamburgischen Ausnahme vom gemeinen Recht leicht. Ihrer Ansicht nach ging es nämlich gar nicht um die Widerklage oder die Vorladung eines Klerikers vor das weltliche Gericht. Zwischen den Parteien werde lediglich „blos de non dividenda Connexitate Causae controvertiret (...): Alß hatt man sich auch desfalß auff gegenseitige glossam und die berührte alte gewohnheit nicht einzulassen“2566. Der Domherr Langermann forderte von Anna Wilde die streitige Rentenzahlung nämlich genau auf Grundlage desselben Vergleichs, dessen Vorlage die Beklagte mit ihrer Widerklage beantragt hatte. Wenn hier nach appellatischer Ansicht lediglich ein einziger Streitgegestand und gar nicht zwei verschiedene Prozesse vorlagen, brach die Berufung auf das Klerikerprivileg ohnehin in sich zusammen. Es ging gar nicht um eine gewöhnliche Widerklage, sondern eher um ein Beweiserzwingungsverfahren. Die Reichsstadt Hamburg geriet in den ohnehin unübersichtlichen Rechtsstreit mit hinein. Das Reichskammergericht hatte ein Mandat erlassen, worin es die gerichtliche Eintreibung der ausstehenden Rentenzahlung verlangte2567. Das kam dem appellantischen Domherrn Langermann zugute. Der Rat wies daraufhin den Gerichtsvogt an, die Zinszahlung anzumahnen. Diese Mitteilung legte der Hamburger Prokurator 1673 als Paritionsrezeß in Speyer vor2568. Im Februar 1674 ging noch eine zweite Paritionsanzeige ein, und damit gab sich das Reichskammergericht zufrieden2569. Ohne Urteil endete der Rechtsstreit im März 16802570. Gleichzeitig war damit das weltliche Hamburger Gericht erneut mit der Angelegenheit befaßt, und sei es mit der Vollstreckung. Für den Domherrn, der sich offenbar eine deutlichere Unterstützung seines privilegium fori durch das Reichskammergericht geStA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, Aktenstück Q 13, Widerlegung des 4. Gravamen. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, Aktenstück Q 20. 2568 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, Aktenstück Q 29. 2569 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, Protokollbuch, Expeditum vom 17. März 1676; Abdruck der Entscheidung bei D e c k h e r r , Rerum in supremo Camerae Imperialis (...), S. 379 Nr. 771. 2570 Revisum-Vermerk in StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, Protokollbuch vom 8. März 1680. 2566 2567
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wünscht hatte, scheint der Prozeßausgang unbefriedigend gewesen zu sein. In dieser Pattsituation wandte sich Langermann 1680 mit einer weiteren Appellation an den Reichshofrat in Wien, wenige Monate, nachdem das Kammergericht die Akten geschlossen hatte2571. Ob er am Kaiserhof mehr Erfolg hatte, ist unbekannt.
h) Ausdehnung des Klerikerprivilegs von Kanonikern auf Vikare Nur wenige Jahre später gelangte 1688 eine weitere Hamburger Appellation an das Reichskammergericht. Ein Dr. Christoph Hermann Carstens, Domvikar und wie zuvor Langermann als sein eigener Advokat tätig, beschwerte sich über ein Urteil des Hamburger Obergerichts. Ein Joachim Arens aus Lübeck hatte ihn auf Schuldzahlung verklagt und den erstinstanzlichen Rechtsstreit gewonnen2572. Der Appellant nahm das privilegium fori für sich in Anspruch, obwohl er kein Domherr, sondern nur Vikar war. Allerdings betonte Carstens, er besitze eine königlich schwedische „Expectance ad Canonicatum Majorem“ beim Hamburger Domkapitel2573. In der Tat unterstand der Mariendom seit dem Westfälischen Frieden dem Königreich Schweden2574. Die genauen Herrschaftsverhältnisse, wie kaum anders zu erwarten, waren angesichts der älteren Streitigkeiten zunächst unklar. Königin Christina von Schweden ließ daher 1651 ihren Kanzleirat Schering Rosenhane die Rechtslage des Domkapitels zusammenstellen2575. Rosenhane war dazu wie kein zweiter berufen, denn er hatte als Gesandter am Westfälischen Friedensvertrag mitgearbeitet, kannte die deutschen Verhältnisse also gut2576. Königlich schwedische Ansprüche auf einzelne Kanonikerstellen, die der Vikar für sich anführte, waren keineswegs aus der Luft gegriffen2577. Der kammergerichtliche Appellant Carstens berief sich für sein Klerikerprivileg 1688 pauschal auf die gemeinen Rechte sowie auf den Osnabrücker Frieden und speziell auf den Bremer Vergleich von 1561. Nähere StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, unquadr. Aktenstück „An die Römisch Kayßerl[iche] (...) May[estät]“, in Speyer abschriftlich vorgelegt am 6. Oktober 1680; bei S e l l e r t , Akten II/1 Nr. 277, S. 247, ist lediglich der Ratsherr Dietrich Langermann nachgewiesen. 2572 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 149. 2573 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. C 6, unquadr. Aktenstück „Libellus Appellationis“. 2574 A p e l , Güterverhältnisse, S. 117-123. 2575 Zum Verhältnis von Hamburg und Schweden und den Konflikten um das Domkapitel D r o s t e , Hamburg, S. 68-69. 2576 Zu Rosenhane (1609-1663): G e r s t l , Schering Rosenhane, S. 218-219; sein Portrait hängt in den Friedenssälen der Rathäuser von Münster und Osnabrück; zu seinem Einsatz für die schwedisch-bremischen Gebiete S t i l l e , Schering Rosenhane, S. 62-91. 2577 Zum Besetzungsrecht A p e l , Güterverhältnisse, S. 119. 2571
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Ausführungen zum Westfälischen Friedensvertrag von 1648 hielt der Appellant offenbar für nicht erforderlich. Wie er das privilegium fori der Geistlichen auf diese Quellen stützte, bleibt deswegen unklar, zumindest für den modernen Betrachter. Nicht einmal ein kontradiktorisches Judizialverfahren kam in Wetzlar zustande2578. Äußerungen des Appellaten befinden sich nicht bei der Akte, und auch das Protokollbuch ist leer. Das Problem freilich lag auf dem Tisch: Ein Vikar, dem eine Kanonikerstelle in Aussicht stand, nahm auch vorher schon das Klerikerprivileg für sich in Anspruch. Das leitet zum letzten und zeitlich jüngsten Rechtsstreit dieser Gruppe über, in dem genau derselbe Knoten zu entwirren war. Vierzig Jahre sollte es bis dahin aber dauern.
i) Zur Erstreckung des privilegium fori auf Witwen Der letzte Hamburger Streit um das privilegium fori der Geistlichen stammt aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Die Witwe des Hamburger Domvikars und schleswig-holsteinischen Landsyndikus Dr. Theodor Friedrich Volckmar berief sich in einem 1727 in Wetzlar begonnenen Appellationsprozeß auf das Klerikerprivileg. Ihren besonderen Gerichtsstand wollte sie durch ihren verstorbenen Mann erworben haben. Der Hamburger Ratsherr Dr. Hermann Langenbeck hatte die Witwe auf Rückzahlung eines Darlehens verklagt, das ihr Ehemann aufgenommen hatte. Esther von Gildehausen aber, die Witwe, hatte schon untergerichtlich sofort das Klerikerprivileg vorgeschützt2579. Sie appellierte gegen ein Beweisurteil des Hamburger Obergerichts vom November 1726. Das Gericht hatte geurteilt, „daß ich beßer alß geschehen erweisen könte, daß der verstorbene H[err] Theodorus Friederich Volckmar, Tempore Contracti debiti (...) würcklich Canonicus gewesen quo facto weiter erkandt werden soll“2580. Auf den ersten Blick klang das durchaus vorteilhaft. Das Obergericht war offenbar bereit, auf das Klerikerprivileg Rücksicht zu nehmen, wenn denn die geistliche Stellung des verstorbenen Ehemanns nachgewiesen war. Die Appellantin beklagte sich aber, ihr sei etwas auferlegt, „welches Ich ohnmöglich beweisen kan“. Ihr Mann war nämlich „nicht würcklich Canonicus wohl aber Vicarius immunis gewesen, welcher eben so wohl
Die Aktenstücke sind unquadranguliert, tragen aber einen Präsentationsvermerk vom 28. August 1688: StA Hamburg Best. 211-2 Nr. C 6: „Citatio“ sowie „Libellus Appellationis“. 2579 Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 1139-1140. 2580 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. V 15, unquadr. Aktenstück „Instrumentum interpositae Appellationis“. 2578
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ab oneribus et nexu Civitatis als ein Canonicus eximiret ist“2581. Stand also ein Vikar rechtlich mit einem Kanoniker auf einer Stufe? Diese Frage sollte das Reichskammergericht klären, und deshalb appellierte die Witwe Volckmar an das Wetzlar Reichsgericht. Damit stellte sich die Frage, welchen Unterschied die Rechtsstellung eines Vikars im Vergleich zum Kanoniker für die persönliche Gerichtszuständigkeit bedeutete. Für die Witwe Volckmar kam es hierauf nicht an, beide sah sie vom Klerikerprivileg erfaßt. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie zunächst ihren Witwenstand „geruhig genoßen“ und war „von allen bürgerl[ichen] oneribus frey gewesen“2582. Lediglich zur Ergänzung berief sich die Appellantin auf den Stader Rezeß von 1692. Dies war eine unter schwedischer Vermittlung geschlossene Vereinbarung zwischen Rat und Domkapitel. Sie ergänzte den Bremer Vergleich von 1561 und sollte weiter bestehende Streitigkeiten einvernehmlich entscheiden2583. Dort hieß es, Domangehörige, „die sich mit Bürger- oder Unterthanen Töchtern verheyrahten, sollen der Immunität verlustig seyn“2584. Die Witwe betonte allerdings, sie sei weder Bürgers- noch Untertanentochter, denn ihr Vater habe „unter dem Nieder-Ländischen oder fremden Schutz gestanden“ und sei von allen bürgerlichen Pflichten frei gewesen2585. Der am Reichskammergericht verklagte Ratsherr Hermann Langenbeck warf der Appellantin widersprüchliches Verhalten vor. Erstinstanzlich hatte die Witwe nämlich behauptet, ihr Mann habe bereits ein Kanonikat innegehabt. Erst als sie in Beweisnot geraten war, habe sie ihren Sachvortrag abgeschwächt. Nun sollte der Verstorbene lediglich eine „Expectanz auf ein Canonicat gehabt“ haben. Das ließ der Schriftsatzverfasser nicht durchgehen. Ganz knapp meinte er, daß „dem expectivato gar kein Jus certum (...) dependet, [und er] am wenigsten aber ein privilegium personale fori, gleich die würcklichen Canonici genießen“ könne2586. Das Protokollbuch des Reichskammergerichts in dieser Angelegenheit blieb leer. Fortgang und Ende des Wetzlarer Rechtsstreits sind damit ungewiß.
StA Hamburg Best. 211-2 Nr. V 15, unquadr. Aktenstück „Instrumentum interpositae Appellationis“. 2582 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. V 15, unquadr. Aktenstück „Libellus Appellationis et Gravaminum Summarius“. 2583 Stader Rezeß 1692, S. 14. 2584 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. V 15, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Replicae“; auch in der unquadr. Druckbeilage vom 1726: Stader Rezeß, Art. 1 Ziff. 3, S. 15-16, durch Notabene hervorgehoben. 2585 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. V 15, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Replicae“. 2586 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. V 15, unquadr. Aktenstück „Unterthänigste Exceptiones appellatoriae“. 2581
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j) Zwischenergebnis In der Zusammenschau ist es schwierig, die in diesem Abschnitt geschilderten Hamburger Zuständigkeitskonflikte auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Jedenfalls fällt die Stoßrichtung auf. In allen Fällen nahm jeweils diejenige Partei das privilegium fori der Geistlichen für sich in Anspruch, die an das Reichskammergericht appellierte. In allen untergerichtlichen Streitigkeiten, dies folgt im Umkehrschluß, hatte der Hamburger Rat das Klerikerprivileg nicht anerkannt. Ob der entgegengesetzte Fall überhaupt vorkam und nur in den Quellen nicht nachweisbar ist, läßt sich nicht klären. Vielleicht hatte ja einmal ein Laie einen Domkleriker in Hamburg vor dem städtischen Niedergericht oder Obergericht verklagt, sich dort aber ein abweisendes Prozeßurteil eingehandelt, weil der Geistliche unter der Ratsjurisdiktion keinen Gerichtsstand besaß. Appellationen gegen derartige Urteile sind nicht bekannt und angesichts der insgesamt guten Überlieferungslage wohl auch nicht ergangen. Selbst wenn es derartige untergerichtliche Klageabweisungen gegeben haben sollte, hätte ein weltlicher Kläger in einem nachfolgenden Prozeß vor dem Domkapitel wohl erneut sein Glück versucht. Als Vorinstanz reichskammergerichtlicher Verfahren taucht das Hamburger Domkapitel im übrigen nur dreimal auf. In einem Fall aus dem späten 16. Jahrhundert war ein Prediger der Nikolaikirche als Kläger des Ausgangsverfahrens beteiligt2587, in einem anderen Prozeß hatte ein Hamburger Bürger den Subsenior des Domkapitels wegen einer Schuldforderung erstinstanzlich vor dem Domkapitel verklagt2588. Der dritte Fall ist die oben erwähnte Appellation des Domdekans Johann Kleye von 1609, der sich zuvor am Domkapitel gegen die Klage eines Domvikars verteidigt hatte2589. Nach 1609 gelangten Prozesse aus dem Hamburger Domkapitel gar nicht mehr vor das Reichskammergericht. Ein zweiter Punkt ist bemerkenswert. Im Gegensatz zu den Quellen aus anderen Territorien erlangte in Hamburg die Eheschließung Geistlicher als Argument für die gerichtliche Zuständigkeit herausragende Bedeutung. Der Stader Rezeß nannte 1692 die Heirat eines Domkanonikers mit einer Bürger- oder Untertanentochter als Grund, ihm sein Klerikerprivileg abzusprechen. Die Praxis freilich ging über diesen Mittelweg noch erheblich hinaus und verfuhr deutlich schärfer. Wie die Anwälte der jeweiligen Prozeßgegner Repertoriumsnachweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 839-841. Repertoriumsnachweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 1049. 2589 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Repertoriumsnachweis bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 556-557. 2587 2588
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immer wieder betonten, sollte jede Heirat eines Kanonikers unabhängig vom Status des Brautvaters zum Verlust des privilegium fori führen. Die katholischen mittelalterlichen Lehrsätze, entstanden in einem Umfeld allseits akzeptierter priesterlicher Ehelosigkeit, entfalteten auf diese Weise schillernde Fernwirkungen in einer evangelischen Reichsstadt, die Priesterehen seit den 1530er Jahren anerkannte2590. Das schließt an eine Beobachtung der lippischen Quellen an2591. Die unveränderte Fortgeltung des kanonischen Rechts in evangelischen Territorien konnte völlig andere Auswirkungen haben als in einem rein katholischen Umfeld. Die Einschränkungen der Gerichtsstandsbefreiung waren einschneidend, wenn die Gegner der Kleriker ihren weltlichen Gerichtsstand verteidigten. Ganze Bereiche von Streitgegenständen sollten allein der städtischen Gerichtsbarkeit zugehören. Am Ende blieb nur ein kleiner Kernbereich ausschließlich geistlicher Jurisdiktionsgewalt übrig. Als ein Appellant in Speyer sich über den ständigen Gegenwind gegen die Domangehörigen in Hamburg beschwerte, mag er damit den richtigen Ton getroffen haben. So spielte an der Alster die Musik. Der Bremer Vergleich von 1561, den die Parteien in der Anfangszeit erstaunlich oft falsch datierten, hatte zwar normativ die Zuständigkeiten von Rat und Domkapitel entflochten. Verhindern konnte er künftige Auseinandersetzungen um genau diesen Punkt nicht. Vor 1561, dies ist nur der Vollständigkeit halber erwähnenswert, gab es im übrigen keine in den Reichskammergerichtsakten dokumentierten Streitigkeiten um das Klerikerprivileg in Hamburg, sieht man von dem großen, jahrzehntelangen und alles überlagernden Prozeß zwischen Domkapitel und Stadt um die Abgrenzung der beiden Rechtssphären einmal ab. Die Erfolgsaussichten der Appellationen wegen Mißachtung des Klerikerprivilegs waren ungewiß. In keinem Hamburger Fall erging ein höchstrichterliches Urteil zugunsten des Geistlichen. Blieb das kammergerichtliche Protokollbuch leer, wie es in mehreren Verfahren vorkam, kann das verschiedene Ursachen gehabt haben. Womöglich versandete der Rechtsstreit noch vor der ersten Audienz, wenn das Reichskammergericht gegen die Zulässigkeit der Appellation Bedenken trug2592. Ein grundsätzliches Appellationsverbot in geistlichen Angelegenheiten bestand in Hamburg freilich nicht, da die Stadt keine eigenständige geistliche Gerichtsbarkeit eingerichtet hatte. Insgesamt verfestigt sich damit der Eindruck, den bereits Dazu P o s t e l , Horenjegers, S. 93-94. Dazu oben bei Anm. 2083-2125, 2326-2377. 2592 Zum Extrajudizialabschnitt des Kameralprozesses und zur Anlegung der Akten S m e n d , Reichskammergericht, S. 327-328; D i c k , Entwicklung, S. 85, 148-150; R an i e r i , Recht und Gesellschaft I, S. 77; P r an g e , Vom Reichskammergericht, S. 53-56; O e s t m an n , Zivilprozeß, S. 22. 2590 2591
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die Auswertung anderer Territorien nahelegte. Ein allseits anerkanntes Klerikerprivileg mit festumrissenen Trennlinien für die Abgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte gab es in der Praxis gar nicht. Es handelte sich vielmehr um ein Argument, das die Parteien je nach ihren Zielen ganz verschieden einsetzen konnten. Über einen vermutlich kleinen Kernbereich hinaus, der gerade, wenn er unstreitig war, keine Spuren in den Quellen hinterließ, führte der Hamburger Rat bzw. das Obergericht durchaus Gerichtsverfahren gegen Domangehörige. Die Rücksicht auf das Klerikerprivileg mag deswegen so gering gewesen sein, weil der Rat anderenfalls seine eigene Gerichtsgewalt selbst begrenzt hätte. Solche sachfremden Erwägungen warfen ihm Mitglieder des Domkapitels jedenfalls vor. Der Erzbischof, in der Stadt gar nicht ansässig, erwartete von seinem Domkapitel Hilfe für bedrängte Kapitularen. Auch verteidigte das Kapitel als Intervenient die erzbischöflichen Rechtsansprüche vor dem Reichskammergericht. Doch führte auch dies nicht zum Erfolg. Das privilegium fori der Geistlichen war vor weltlichen Gerichten ein zahnloser Tiger, nicht mehr als geduldiges Papier.
2. Spezielle Appellationsverbote in geistlichen Sachen In einigen Verfahren stritten die Parteien um spezielle Appellationsverbote. Ein allgemeines Appellationsverbot in Konsistorialangelegenheiten gab es in Hamburg nicht, wie auch, wenn kein Kirchengericht vorhanden war. Dennoch konnten spezielle Rechtsmittelbeschränkungen die gerichtliche Autonomie des Rates stärken und zugleich geistliche Sachen von der Reichsgerichtsbarkeit fernhalten. Teilweise handelte es sich um Appellationsverbote, die bestimmte geistliche Streitgegenstände gezielt für nicht appellabel erklärten, teilweise aber auch um Reflexe anderer Appellationsverbote. Vier Prozesse sind einschlägig. Der erste Fall ist der bereits oben erwähnte Rechtsstreit des Hamburger Domherrn Johann Moller gegen seine Gläubiger aus den Jahren ab 1578. Der Schwerpunkt der Auseinandersetzung lag in der Frage, ob sich der Appellant auf sein privilegium fori als Kleriker berufen konnte, obwohl er angeblich zugleich das Hamburger Bürgerrecht besaß2593. Die Appellaten warfen ihm im Gegenzug vor, er habe gegen das Hamburger privilegium de non appellando verstoßen. Deshalb sei die Reichskammergerichtsklage von 2593
StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 15.
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vornherein unzulässig2594. In der Tat untersagte das Hamburger Appellationsprivileg von 1553, bestätigt 1554, jegliche Appellation „in sachen, bekantliche schulden, iniurien oder schelt wort“2595. Der Domherr Moller hatte zwar in Hamburg wegen verschiedener Schuldforderungen vor Gericht gestanden. Ganz offenkundig betraf der Streit gegen seine Gläubiger vor dem Reichskammergericht aber kein Appellationsverbot, durch das speziell geistliche Angelegenheiten von den Reichsgerichten abgesondert werden sollten. Schuld- und Injuriensachen gab es in allen Rechtsbereichen. Es handelte sich lediglich um die gewöhnliche Auswirkung des Appellationsprivilegs, wenn auch ein Geistlicher sich daran halten mußte.
a) Zur Appellation in Patronatsangelegenheiten Um Geldforderungen ging es im Appellationsprozeß der Gesellschaft der Englandfahrer gegen die Kirchengeschworenen der St. Petrikirche und gegen den Hamburger Rat2596. Die Englandfahrer beanspruchten das Patronatsrecht über die Kapelle des Thomas von Canterbury im Hamburger Johanniskloster. Ihre Gerechtigkeit reichte in vorreformatorische Zeit zurück. „Als die Lutherische wie man sie nennet, nunmehr der Augspurgischen Confession Lehr, angefangen“, hatten die zuvor dort ansässigen Mönche das Kloster verlassen, das daraufhin an die Kirchengeschworenen von St. Petri fiel2597. Später bestritten die Kirchengeschworenen die Rechte der Englandfahrer, und so entspann sich der Streit vor dem Obergericht, der 1592 zur kammergerichtlichen Appellation führte. Gegen die Zulässigkeit der Appellation erklärte der Rat der Stadt Hamburg die Intervention. Er beantragte, die reichsgerichtliche Klage als unzulässig abzuweisen. Die Begründung war denkbar einfach. Das limitierte Hamburger Appellationsprivileg sah eine Mindestbeschwer von 600 Gulden vor2598. Der Rat verwies daher auf den erheblich niedrigeren Streitwert, der lediglich „uff 200. marck Lübisch (deren ein uff einhalben thaler sich erstrecken thuet)
StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 15, ebenso Aktenstück Q 22, Exzeptionsgrund 2. 2595 E i s e n h a r d t , privilegia, Nr. 19, S. 210; zu diesem Privileg A u g n e r , Kommission, S. 103; W e b e r , Die Stellung Hamburgs, S. 89. 2596 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 346. 2597 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 31, Aktenstück Q 4, Art. 7; zur protestantischen Diskussion um Patronatsrechte S p r e n g l e r -R u p p e n t h a l , Das kanonische Recht, S. 5557. 2598 Wortlaut des Privilegs bei E i s e n h a r d t , privilegia, S. 209-211. 2594
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haubt gelts sich (...) erstrecken tuet, unnd also weith unnder 600. goltfl.“ liege2599. Das hatte mit einem spezifisch geistlichen Streitgegenstand ersichtlich nichts zu tun. Die Englandfahrer versuchten allerdings, das privilegium de non appellando von zwei Seiten auszuhebeln. Zunächst betonten sie, die mit der Kapelle verbundenen Einnahmen beträfen jährliche Zahlungen, und für diese greife die Summenbeschränkung des Appellationsprivilegs nicht ein2600. Das entsprach jedenfalls der Lehrmeinung von Andreas Gail2601, den der Schriftsatzverfasser als namhafte Autorität anführte. Das zweite Argument sollte man wohl als spezielle Appellationserlaubnis verstehen. Der Schriftsatzverfasser verwies nämlich auf „das Jus patronatus, sampt andern gerechtigkheiten ann der Capellen der Kirchen St. Johannis inn Hamburg betreffendt (...) Allso auff sollichen fall wie gehört, daß privilegium inn keine consideration gezogen, oder inn acht genommen werden soll“2602. Nach dieser Ansicht sollten streitige Patronatsrechte unabhängig vom Streitwert und jeweiligen Appellationsprivileg immer am Reichskammergericht verhandelbar sein. Im Gegensatz zum Problem jährlicher Geldzahlungen fehlt an dieser Stelle im Schriftsatz der Hinweis auf die zuvor erwähnten „ohnzähligen praejudiciis“ ebenso wie auf die gelehrte Literatur. In Hamburg kamen solche Fälle wohl kaum vor2603. In SchleswigHolstein waren Patronatsstreitigkeiten häufiger2604, ebenso in Mecklenburg2605. Eine Entscheidung des Reichskammergerichts erging nicht, denn der Rechtsstreit geriet 1602 mit dem Tod des klägerischen Prokurators ins Stocken und wurde dann nicht mehr fortgesetzt2606. Ob die Appellation in Patronatsstreitigkeiten damit in Hamburg möglich war oder nicht, bleibt offen. Der Hamburger Rat, der als Intervenient die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hervorhob, scheint auch Patronatssachen ausschließlich an der Wertgrenze des Appellationsprivilegs gemessen zu haben. Die Grundfrage stand weiter unentschieden im Raum. Ob das Patronatsrecht, ohnehin dem
StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 31, Aktenstück Q 10; zur lübischen Mark G r aß m a n n , Lübeck-Lexikon, S. 249-254. 2600 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 31, Aktenstück Q 13. 2601 G a i l , Observationen I obs. 123 n. 6, S. 215. 2602 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 31, Aktenstück Q 13. 2603 Die bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 1687, genannten Fälle betreffen den Inhaber eines Patronatsrechts als Prozeßpartei, aber nicht den Streit um das Patronatsrecht. 2604 Nachweise bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Schleswig, S. 705. 2605 Nachweise bei S t e i n - S t e g e m a n n , Inventar Mecklenburg, S. 1237. 2606 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 31, Protokollbuch, Expeditum vom 8. November 1602 und Completum-Vermerk von 9. Oktober 1605. 2599
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„stärksten Partikularismus“ ausgesetzt2607, in Hamburg als geistliches oder weltliches Rechtsinstitut zu verstehen war und welche prozessualen Folgen das hatte, blieb ungeklärt. Die Englandfahrer jedenfalls hielten die weltliche Appellation in Patronatssachen für unantastbar. Nicht einmal kaiserliche Appellationsprivilegien sollten sie beschränken können.
b) Streit um einen Ehezärter Erheblich näher an einer speziellen Appellationsbeschränkung in geistlichen Angelegenheiten lag der folgende Appellationsprozeß. Ein Joachim Schütte und seine Konsorten führten ihn ab 1656 gegen Ilsabe Schütte, Witwe des Martin Schütte2608. Die Hinterbliebenen stritten um die Erbschaft des verstorbenen Martin Schütte. Hierbei kam es auf die Gültigkeit eines Ehevertrages an, den Martin Schütte mit seiner Frau Ilsabe geschlossen hatte. Der Appellant hielt den Ehezärter2609 für unwirksam, weil er gegen die Vorgaben des Hamburgischen Stadtrechts verstoße. Er berief sich auf einen bestimmten Artikel des Stadtrechts von 1603/05 und meinte, der streitige Ehevertrag sei dessen „Requisitis (...) gänzlich entgegen“2610. Welche Erfordernisse einzuhalten seien, sagte der zitierte Artikel aber gerade nicht. Dort hieß es lediglich allgemein, „wann Ehezärter zwischen Eheleuten sein auffgerichtet/ und von denen die zur verpflichtung darzu erfordert/ sein vollenzogen/ untergeschrieben und versiegelt“2611, dann müsse nach dem Tode von Mann, Frau oder Kindern dieser Vertrag gehalten werden. Die aus moderner Sicht materiellrechtliche Frage nach der Gültigkeit des Vertrages war also nicht leicht zu beantworten. Das konnte aber möglicherweise dahinstehen, und genau hier lag der Ansatzpunkt der Appellaten. Mit der Appellation, so meinte der appellatische Schriftsatzverfasser, verstießen die Appellanten gegen die allgemeinen beschriebenen Rechte, des Heiligen Reichs Ordnung, die Hamburger Statuten sowie gegen die vom Kaiser bestätigten Privilegien2612. Tatsächlich gab es in Hamburg ein erstaunliches stadtrechtliches Appellationsverbot. Das ältere kaiserliche Appellationsprivileg von 1553 hatte die Appellation an das ReichskammerL e i s c h i n g , Patronat, Sp. 1561; mittelalterliche Diskussion bei L a n d au , Ius patronatus, S. 116-127. 2608 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 1066-1067. 2609 Eine der in Hamburg gebräuchlichen Bezeichnungen für Ehevertrag, weitere Synonyme bei B r a u n e d e r , Eheliches Güterrecht, Sp. 1216. 2610 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. S 187, Aktenstück Q 1. 2611 Hamburger Stadtrecht Art. 2, 11, 11, S. 228-229. 2612 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. S 187, Aktenstück Q 10. 2607
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gericht „in sachen, bekantliche schulden“ verboten2613. Das Stadtrecht von 1603/05 erweiterte dieses Apellationsprivileg nun wie folgt: „Es sol aber von keinem Bey- oder Endt-urtheil/ erkandtnuß oder Decret, so an unserm Oberngericht ausgesprochen/ in sachen bekandtliche schülde/ die mit unlaugbaren unverfelscheten briefen und Siegeln/ obligationen und Handtschrifften/ Willküren/ Verträgen/ Heurathsverschreibungen/ Wechselbriefen/ und andern glaubwirdigen Contracten können beweiset werden/ ungeachtet/ wie hoch die klage und förderung angestellet ist“2614, an das Reichskammergericht appelliert werden. Ob es sich dabei lediglich um eine Erläuterung oder um eine Ausdehnung des kaiserlichen Appellationsprivilegs handelte, blieb im Wortlaut der Norm unklar. Doch ist dies geradezu typisch für eine Zeit, die Neuerungen gern als Reformation ausgab, als Präzisierung dessen, was eigentlich schon immer galt2615. Jedenfalls dann, wenn die bekannten Schulden mit Heiratsverschreibungen beweisbar waren, sollte die Appellation verboten sein. Kaiser Ferdinand II. bestätigte diese eigenmächtige Hamburger Ergänzung des alten Appellationsprivilegs mit der Erteilung eines neuen Privilegs 1634 ausdrücklich2616. Nach Wortlaut des neuen Privilegs waren Rechtsmittel dann ausgeschlossen, „da sonsten die Sache schuldt forderungen betreffen thette, welche nach verordnung andern unnd dritten Articuls, tit. 20 unnd tit. 40 art. 2, 3, et 4 part. j. Statut Hamburg mit offentlichen, unlaugbaren und unverfelschten Brieff unnd Sigeln, Hanndtschrifften, Willkuren, Verträgen, Heyrathsverschreibungen, Wechßelbriven unnd anndern glaubwürdigen Contracten, die keine unehrliche Zusag in sich haltten, wann gehörter massen die HaubtSumma auch sybenhundert Goldtgulden übertreffen thuet“2617. Das war teilweise eine wörtliche Anlehnung an das revidierte Hamburger Stadtrecht. Ob das Appellationsverbot damit für alle Eheverträge galt oder nur für bekannte Schulden oder ob dazwischen überhaupt ein Unterschied bestand, blieb im Wortlaut des Privilegs unklar2618. Die Appellaten im Fall Schütte waren sich in ihrer Exzeptionsschrift von 1657 über die Auslegung des Privilegs sicher. Angeblich war dort „gantz hell klar und buchstablich enthalten, daß keiner von einem ahn Hamburgischen Obergericht außgesprochener endt oder beyurtheil In sachen N[ota]B[ene] heyrathsuerschreibungen pp E i s e n h a r d t , privilegia, S. 210; dazu auch W e i t z e l , Kampf um die Appellation, S. 229. Hamburger Stadtrecht Art. 1, 40, 2, S. 131-132. 2615 B a d e r / D i l c h e r , Deutsche Rechtsgeschichte, S. 766-767; D i l c h e r , Stadtrecht, Sp. 1871. 2616 Zur kaiserlichen Anerkennung landesherrlicher Regelungen W e i t z e l , Kampf um die Appellation, S. 39-40; spätere Kritik der Bürgerschaft daran bei A u g n e r , Kommission, S. 103. 2617 E i s e n h a r d t , privilegia, S. 217. 2618 Zu eng A u g n e r , Kommission, S. 103, und W e b e r , Die Stellung Hamburgs, S. 89: Privileg insbesondere für alle Handelssachen. 2613 2614
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belangend, ahn dis hochloblich Kayserlich Cammergericht appelliren könne noch solle“2619. Die bekannten Schulden, auf die sich die Eheverträge im Stadtrecht von 1603/05 sprachlich mit einem Relativsatz bezogen, tauchten hier nicht einmal mehr auf. Deswegen war plötzlich offen, ob die Appellation lediglich bei Schuldforderungen verboten war oder in allen Angelegenheiten, die sich in irgendeiner Weise auf Eheverträge bezogen. Der Rat der Stadt Hamburg verfocht mit Entschiedenheit die zweite Auffassung. Deswegen trat der Kammergerichtsprokurator Johann Georg von Gülich2620 für die Stadt Hamburg als Intervenient in den Reichskammergerichtsprozeß ein. In der Audienz am 14. Mai 1658 erklärte er das Interesse der Reichsstadt an diesem Verfahren: „[W]eilen diese sach uff Clare Ehepacten, worvon vermögh Hamburgischen priuilegij unndt statutorum nit appellirt werden kan, beruhet, alß batt selbige pro non deuoluta zue sprechen“2621. Jegliche Appellation, die Eheverträge betraf, war hiernach im Keim erstickt. Der Prokurator des Appellanten versuchte zu kontern. Der Gegner gehe von irrigen Vorstellungen aus, die Streitsache betreffe gar keine richtigen Ehepakte. Doch der Hamburger Prokurator frohlockte siegesgewiß und verwies kurz und bündig auf den Wortlaut des Privilegs, die Prozeßakte sowie die Exzeptionsschrift der Witwe Schütte. In der Tat geschah ein kleines Wunder, jedenfalls bezogen auf das Arbeitstempo des Speyerer Gerichts. Nur eine Woche später fällte das Reichskammergericht nämlich schon sein Endurteil. Es wies die Appellation als unzulässig ab und verwies die Sache zurück an das Hamburger Obergericht. Die Klageabweisung wegen der Unzulässigkeit des Rechtsmittels läßt sich am Tenor unschwer erkennen. Zunächst wollte der Gerichtsschreiber wohl die Tenorierung mit den Worten „In sachen Joachim Schütte“ beginnen. Dann korrigierte er sich aber selbst und schrieb unmißverständlich: „In angemaster ap[el]l[ati]on sachen Joachim Schütte“2622. In dem Hinweis auf die Anmaßung war das Urteil über die Unzulässigkeit der mutwilligen Klage mit enthalten2623. Vielleicht mußte der Appellant sogar eine Geldstrafe an den kaiserichen Fiskus zahlen2624. Für die Stadt Hamburg war das ein voller Erfolg. Appellationen wegen Problemen mit Ehezärtern waren jetzt nicht mehr möglich. Allerdings sind StA Hamburg Best. 211-2 Nr. S 187, Aktenstück Q 10. 1657 Prokurator am Reichskammergericht, erwähnt bei G r o h , Personal, S. 158 (verschiedene Schreibweisen des Nachnamens). 2621 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. S 187, Protokollbuch vom 14. Mai 1658. 2622 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. S 187, Protokollbuch, Expeditum vom 22. Mai 1658. 2623 O e s t m a n n , Rekonstruktion, S. 42-44. 2624 B l u m , Chilias sententiarum, Nr. 403 S. 148-149, bringt unter dem 27. Mai 1658 einen Urteilstenor, der zu diesem Fall passen würde. Jedenfalls war der Rat „der Stadt H.“ dort Intervenient. Der Appellant mußte wegen seines Frevelmuts eine Mark lötigen Goldes zahlen. Für den 22. Mai 1658 weist Blum kein Urteil nach. 2619 2620
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auch nach 1658 zahlreiche Appellationen aus Hamburg an das Reichskammergericht nachweisbar, in denen die Beteiligten um Eheverträge stritten. Allein aus dem 18. Jahrhundert sind 22 Fälle bekannt2625. Hierbei ging es durchaus auch um die Auslegung, Anfechtung oder Ungültigkeit eines Ehezärters. In welchen Fallkonstellationen die Beteiligten einen Verstoß gegen das Hamburger Appellationsprivileg annahmen, ist deswegen nicht leicht zu klären. Vermutlich hilft der Wortlaut des Privilegs von 1634 weiter. Dort war nämlich das Appellationsverbot jeweils auf diejenige Partei bezogen, die ihre Pflichten aus dem Ehevertrag nicht erfüllte und sich auf andere Beweismittel berief, als nach Stadtrecht zugelassen waren2626. So jemand durfte nicht appellieren, wenn er in der ersten Instanz beweisfällig geblieben war und verloren hatte. Für die hier interessierende Frage nach der Zuständigkeit geistlicher und weltlicher Gerichte bleibt folgendes Ergebnis: Das Hamburger Stadtrecht von 1603/05 in seiner Bestätigung durch das kaiserliche Privileg von 1634 nahm bestimmte Eheangelegenheiten von der reichsgerichtlichen Kontrolle vollständig aus. Auch in anderen Territorien unterfiel das Ehegüterrecht der weltlichen Gerichtsbarkeit, das Recht der Eheschließung dagegen der geistlichen Jurisdiktion2627. In Hamburg gab es diese Unterscheidung nicht, doch ist das Ergebnis dennoch ungewöhnlich: Die allgemein als weltlich angesehenen ehegüterrechtlichen Angelegenheiten waren inappellabel. In geistlichen Streitigkeiten aus dem Kernbereich der Ehe bestand dagegen kein ausdrückliches Rechtsmittelverbot. Solche Ehesachen konnten also womöglich im Appellationswege vor die Reichsgerichte geraten. Ob die sehr zügige Entscheidung des Reichskammergerichts von 1658 mit der Weigerung des Gerichts zu erklären ist, Ehesachen überhaupt anzunehmen, läßt sich nicht klären. Vielleicht kamen die Speyerer Assessoren auch dem Hamburger Rat entgegen und erkannten die extensive Auslegung des Appellationsprivilegs an. Im Ergebnis jedenfalls führte das spezielle Hamburger Appellationsverbot in Ehevertragssachen zu einer Verdrehung üblicher Rechtsmittelbeschränkungen. Das lief der Rechtslage anderer protestantischer Territorien schnurstracks entgegen. Einige Fälle ausdrücklicher oder stillschweigender Appellationserlaubnis im eindeutigen Kernbereich von Eheschließung und Ehetrennung werden diesen Eindruck belegen.
Auflistung bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 1644. E i s e n h a r d t , privilegia, S. 217. 2627 D u n c k e r , Gleichheit und Ungleichheit, S. 197 (protestantische Doktrin vor 1800), S. 200 (Bayern, Hannover im 18. Jahrhundert). 2625 2626
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c) Zum Verhältnis von Appellation und Revision Vor dem Blick auf klare Appellationserlaubnisse ist noch auf einen weiteren Fall spezieller Appellationsverbote einzugehen, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts für Auseinandersetzungen sorgte. Es handelte sich im Kern um eine Ehesache, nach zeitgenössisch überwiegender Ansicht also um eine geistliche Angelegenheit. Ein Jakob Wilhelm Leuffer aus Hamburg hatte angeblich 1748 eine Anna Ilsabe Möller aus Hamburg geschwängert2628. Kurz vor Geburt des Kindes verklagte die Schwangere den mutmaßlichen Vater auf Eheschließung oder hilfsweise auf Unterhaltszahlung für das Kind. Lauffer bestritt den Beischlaf und war mit dem Verfahren vor dem Hamburger Niedergericht alles andere als zufrieden. Das Gericht gewährte der Klägerin nämlich die Möglichkeit, ihre eigene Aussage zu beeiden. Zeitgenössisch sprach man vom Suppletionseid oder Erfüllungseid2629. Jakob Wilhelm Lauffer, der angebliche Kindsvater, sah darin nicht nur das ordnungsgemäße Beweisverfahren unterlaufen. Vielmehr sei der Beweis nur ehrenhaften Personen vorbehalten und nicht „einer schlechten Dirnen“ wie Anna Ilsabe Möller2630. Wichtiger als die materiellrechtlichen Verwicklungen war der prozessuale Streit der Parteien. Die Appellatin Anna Ilsabe Möller, vertreten durch ihren rechtskundigen Kurator, den Lizentiaten Johann Henrich Rassow, bestritt die Zulässigkeit der Appellation. Es hatte nämlich zuvor ein Revisionsverfahren stattgefunden, das sich bis in den März 1751 hingezogen hatte. Der Schriftsatzverfasser der Appellatin behauptete nun schlichtweg, wer das Rechtsmittel der Revision ergreife, verzichte damit endgültig auf die Appellation an die Reichsgerichte. Wer aber einmal die Appellation ausschlage, könne sie später nicht mehr einlegen2631. Darauf kam es an, und für diesen letzten Punkt bemühte die Exzeptionsschrift ein Großaufgebot gelehrter Literatur. Zunächst nannte der Verfasser das Konzept der Kammergerichtsordnung von 16132632, dann die gemeinrechtlichen Axiome von Agostinho Barbosa aus dem 17. Jahrhundert2633 sowie den speziellen kammergerichtlichen KomRepertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 633-634. Einzelheiten bei W e t z e l l , System, S. 278; O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 201 Anm. 1042. 2630 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 34, Aktenstück Q 5, fol. 1r-1v, 16v. 2631 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 34, Aktenstück Q 15, fol. 1r-1v. 2632 Zitiert wird COC II 31 § 1 bei B l u m , Concept, S. 193: Appellation steht grundsätzlich offen, „es wäre dann daß einer sich freywillig und ungetrungen vorhin der Appellation begeben“; bei L u d o l f , Concept, S. 182. 2633 B a r b o s a , Thesaurus II, lib. XVI cap. 43 axioma 2: „Reservatio praesupponit jus reservatum antecedere (...) quia quod non est, reservari nequit (...) ex nihilo nihil sit, juxta Philosophum, quem citat Bald[us] (...) cum reservatio nihil juris tribuat illi, in quem dirigitur, si prius jus non habebat (...) reservatio non reperiens reservabile, nihil operetur“; der Schriftsatz fügt hinzu: „ibiq cit. LL. et DD“. 2628 2629
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mentar von Deckherr2634. Barbosa übrigens war ein streng päpstlicher Rechtsgelehrter, der, wo immer es ging, den Heiligen Stuhl verteidigte und unter dem besonderen Schutz der Kurie stand2635. Doch das spielte im evangelischen Hamburg augenscheinlich keine Rolle. Das Verhältnis der Revision zur Appellation war vielerorts ein praktisches Problem. Jedenfalls war im Partikularrecht die Revision oftmals nicht mit einem Instanzensprung verbunden und stellte damit einen Rechtsbehelf dar, der zwar Suspensiv-, aber keinen Devolutiveffekt bewirkte2636. Der Appellant Leuffer hielt durch seinen Advokaten, einen Lizentiaten Bloon2637, dagegen. Das angeblich partikularrechtliche Appellationsverbot in Fällen vorheriger Revisionseinlegung bestehe zwar, gab er zu, sei aber reichsrechtlich unwirksam. Bis 1732 sei es üblich gewesen, auch nach der Revision die Reichsgerichte im Appellationswege anzurufen. Ein Gemeiner Bescheid der Stadt Hamburg habe das dann aber verboten. Seitdem könnten Revisionsverfahren nur noch stattfinden, wenn die Appellation entweder ohnehin ausgeschlossen sei oder die Parteien ausdrücklich darauf verzichteten. Genau diese eigenmächtige Abkoppelung von der Reichsjustiz hielt der Appellant für rechtswidrig und verwies dafür unter anderem auf Georg Melchior von Ludolffs Observationen2638. Die Appellatin bemühte sich, das Gegenteil zu zeigen. Die Appellationsmöglichkeiten in Hamburg schienen ihr nicht über Gebühr beschränkt. Sie stützte sich auf die Hamburgische Gerichtsordnung von 1645 und meinte, nur wenn beide Parteien freiwillig auf die Appellation verzichteten und beiderseits die Revision beantragten, nur dann könne die Revision an Stelle der Appellation treten2639. Wohl gemeint: D e c k h e r r , Monumenta Lectionis, dort: RKGO 1555 II tit. 28 num. 11 S. 208: „Appellationem ad Cameram à nemine prohibendam; quanquam unusquisque appellationi suae voluntariè renunciare possit“; ebenfalls zitiert: ebd. n. 14 S. 209. 2635 Zu Barbosa (1590-1649) F o r s t e r , Konkurs als Verfahren, S. 11; P e r e i r a , Barbosa, S. 187-188. 2636 Aus der Literatur des 18. Jahrhunderts: L u d o v i c i , Civil-Prozeß, cap. 31 § 9-10, S. 353354; C r a m e r , Wetzlarische Beyträge II, Nr. 15, S. 140; O b e r l än d e r , Lexicon, S. 623; außerdem O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 433: dort ein Fall, in dem nach der Revision die Appellation an das Reichskammergericht erfolgte; S e l l e r t , Revision, Sp. 958-961, nennt nur die Revision gegen Urteile der Reichsgerichte; ebenso W i g g e n h o r n , Reichskammergerichtsprozeß, S. 237-240. 2637 Name genannt in StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 34, Aktenstück Q 2. 2638 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 34, Aktenstück Q 18, fol. 1v-2r, mit Verweis auf L u d o l f f , Observationen, p. 2 obs. 133, S. 120-124. 2639 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 34, Aktenstück Q 20, fol. 4v-5r, mit Verweis auf Hamburgische Gerichtsordnung 1645, cap. 2 § 41, S. 97: „Es soll aber die Revisio allein in solchen Fällen und Sachen zugelassen seyn/ davon nach dieser Stadt habendem Privilegio de non appellando an dem Kayserl. Hof- oder Cammer-Gerichte nicht appelliret werden kan. Wurden aber die Partheyen/ in 2634
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Im Ergebnis setzte sich die Appellantin mit ihrer Auffassung durch. Im Januar 1757 – das Kind, um dessen Zeugung es ursprünglich ging, war bereits über acht Jahre alt – wies das Reichskammergericht die Appellation als unzulässig ab2640. Im Ergebnis hatte das Gericht eine klare Ehesache und nach zeitgenössischer Auffassung damit eine geistliche Sache aus Hamburg nicht angenommen, und zwar nicht wegen eines allgemeinen, sondern eines speziellen Appellationsverbots. In den vorangegangenen Auseinandersetzungen anderer Parteien war es freilich immer allgemein und nicht nur für Kindschaftssachen um das Verhältnis von Revision und Appellation gegangen. Das Appellationsverbot in Revisonssachen verfolgte ersichtlich nicht den Zweck, gezielt geistliche Sachen von der Reichsjustiz fernzuhalten. Dafür sprechen auch die bloßen Zahlen, denn im 18. Jahrhundert tauchte die Revision als Rechtsproblem in 46 Hamburger Reichskammergerichtsprozessen zu allen möglichen Streitgegenständen auf2641. Das Appellationsverbot in dem hier geschilderten Fall um Eheschließung oder Unterhaltszahlung war damit lediglich ein Reflex der partikularrechtlichen Normen, nicht aber ihr Zweck und Ziel. Gerade da es sich um einen klaren eherechtlichen Fall handelte, erstaunt das Schweigen der Quellen. Das Appellationsverbot in Ehesachen wäre ein naheliegendes Argument für die appellatische Seite gewesen, taucht in der Akte aber nicht auf. Das verfestigt den bereits oben gewonnenen Eindruck: In Hamburg scheint es eine Appellationsmöglichkeit für den Kernbereich der Ehe gegeben zu haben. Das Ergebnis ist eindeutig. Es gab in Hamburg spezielle Appellationsverbote für bekannte und verbriefte Schulden und für Revisionssachen. Ausdrücklich war die Appellation versperrt, wenn die Forderung des Gläubigers durch Ehevertrag bewiesen war. Dabei handelte es sich aber um eine güterrechtliche Streitigkeit, die nach zeitgenössischer Auffassung nicht spezifisch geistlich war und auch in anderen Territorien nicht vor geistlichen Gerichten zur Verhandlung kam. Die grundsätzliche Appellationserlaubnis in geistlichen Angelegenheiten war damit nicht durch spezielle Appellationsverbote eingeschränkt. Das leitet zu einigen Schlaglichtern auf Fälle möglicherweise erlaubter Appellation über, die im krassen Gegensatz zu den Befunden aus anderen Territorien stehen. Lediglich in Mecklenburg konnte es solche kammergerichtlichen Appellationen noch geben, doch dort war die Appellation vom Konsistorium über das Landund Hofgericht nach Speyer und Wetzlar ohnehin ausdrücklich vorgesehen. Sachen davon nicht appelliret werden kan/ all solcher Appellation renunciren/ und die Revision beyderseits suchen/ soll ihnen dieselbe auch verstattet werden.“ 2640 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 34, Protokollbuch, Expeditumvermerk vom 12. Januar 1757, dazu beiliegender Zettel: „Anno 1757 ist non devolutoria et remissoria ergangen.“ 2641 Überblick bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 1696.
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3. Stillschweigende Appellationserlaubnis in Ehesachen Vier Schlaglichter auf Verfahren wegen Ehebruchs, böswilligen Verlassens und Scheidung stehen für Appellationen, die in anderen evangelischen Territorien Konsistorialsachen gewesen wären. Da es in Hamburg keine Trennung der Gerichtsbarkeit in geistliche und weltliche Jurisdiktion gab, stellte sich die Frage, ob und inwieweit solche Sachen wie selbstverständlich appellabel waren. Die Quellen zeigen Parteien, die teilweise ungeachtet dieses Problems ihre Prozesse führten, in anderen Fällen aber genau um die Appellationsfähigkeit von Ehesachen stritten.
a) Die gescheiterte Ehe des kaiserlichen Hofbibliothekars Der erste Fall steht genau zwischen Religion und Politik und handelt von einem ehelichen Zerwürfnis. Es ging um die Trennung des Hamburger Professors Peter Lambeck von seiner Ehefrau Anna Lambeck, geborene von Hemmerdt2642. Geheiratet hatte er die sechzehn Jahre ältere Anna nur wegen der 40.000 Mark, die sie in die Ehe einbringen sollte. Die unschöne Verbindung kommentierte er bereits am Tag des Eheschlusses mit den bitteren Worten, „ist unsere unglückliche hochzeit gewesen“2643. Der Historiker Peter Lambeck war 1659 als Nachfolger des namhaften Joachim Jungius2644 Rektor des Hamburger Gymnasiums geworden, geriet wegen seines Hanges zum Katholizismus aber in Konflikt mit dem Hamburger Rat2645. 1662 verließ er die Stadt und wurde ein Jahr später, jetzt offen bekennender Katholik, in Wien Hofbibliothekar Kaiser Leopolds I. Genau in diese Zeit fällt der Beginn des Rechtsstreits, den er vor dem Hamburger Obergericht gegen seine daheimgebliebene Frau führte. Es ging um die rechtliche Aufarbeitung der Trennung. Lambecks sitzengebliebene Frau warf ihrem Ehemann vor, er habe sie böswillig verlassen. Seit „so geraumer langer Zeit“ schon habe er „sie nicht mit einigem schreiben besucht oder gekandt, also für seine frau sie nicht mehr gehalten, derhalben Sie ihn auch nicht mehr vor ihren Ehemann erkennen kan“2646. Im Rahmen Repertoriumshinweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 437; zur Biographie Lambecks (1628-1680) H o f f m a n n , Lambeck, S. 1-8. 2643 H o f f m a n n , Lambeck, S. 2; Kö n i g , Lambeck, S. 127. 2644 1587-1657; zu ihm K a n g r o , Jungius, S. 686-689. 2645 Zu den Hintergründen: H o f f m a n n , Lambeck, S. 1-3; K ö n i g , Lambeck, S. 124-131; zu Lambecks Werk: S y n d i k u s , Die Anfänge, S. 19-26. 2646 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 131, Aktenstück Q 10. 2642
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einer Rekonventionsklage, also einer Widerklage, ging es um die Frage, ob Anna von Hemmerdt von ihrem Mann Sicherheitsleistung verlangen konnte. Der Hamburger Rat lehnte das ab2647, und hiergegen sowie gegen einige andere Zwischenurteile appellierte die Frau an das Reichskammergericht. Der Schriftsatzverfasser von Peter Lambeck bestritt zwar die Zulässigkeit der Appellation, dies jedoch nicht, weil es sich um eine Ehesache handelte, sondern weil die Frau angeblich den Appellationseid nicht ordnungsgemäß innerhalb von zehn Tagen geleistet hatte2648. Ob es um eine Ehesache oder um eine quasi-geistliche Streitigkeit ging, kam nicht zur Sprache2649. Ein kammergerichtliches Urteil erging nicht2650. Ein Appellationsprozeß aus den 1760er Jahren zeigt dasselbe Bild. Eine Katharina Marie Grüner hatte ihren Ehemann Johann Christoph Grüner verlassen2651. Sie behauptete, er habe sie verstoßen2652, wohingegen der Mann meinte, seine Frau sei ihm ohne jegliche Ursache einfach so weggelaufen2653. Der Ehemann wurde in einem Verfahren auf Trennung von Tisch und Bett zur Unterhaltszahlung an seine Frau verurteilt und appellierte dagegen an das Reichskammergericht. Das war eine geradezu klassische Ehesache. In anderen Territorien wäre sie als Konsistorialangelegenheit dem Appellationsverbot unterfallen. In Hamburg dagegen stand der Weg an das Reichskammergericht offen. Nicht einmal der Einwand, man dürfe sich wegen solcher Sachen nicht nach Wetzlar wenden, tauchte auf.
b) Streit um Vaterschaft und Unterhaltszahlungen Mit der naheliegenden Vermutung, die Appellation an das Reichskammergericht in Ehesachen sei in Hamburg in allen Fällen immer unstreitig zulässig gewesen, ginge man aber fehl. Es gibt Gegenbeispiele, in denen die Parteien die Besonderheiten der Hamburger Gerichtsverfassung und die daraus folgenden Konsequenzen für das Rechtsmittelverfahren sehr ausführlich anStA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 131, unquadr. „Rationes Decidendi“. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 131, Aktenstück Q 17. 2649 Kurz dikutiert wurde lediglich, ob Peter Lambeck selbst geistlichen Status besaß oder nicht: StA Hamburg Best. 211-2 Nr. H 131, Aktenstück Q 7. 2650 K ö n i g , Lambeck, S. 127, teilt mit, Lambeck habe den Scheidungsprozeß aufgrund einer Empfehlung des Kaisers an den Kammergerichtspräsidenten Markgraf Wilhelm von Baden gewonnen. Ob es noch ein weiteres Verfahren gab, ist unklar. Die Hamburger Akte enthält keine Entscheidung. Tatsächlich war der Markgraf auch nicht Kammergerichtspräsident, sondern Kammerrichter: L o e w e n i c h , Amt und Prestige, S. 128. 2651 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 312. 2652 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. G 42, Aktenstück Q 35, fol. 110r. 2653 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. G 42, Aktenstück Q 16, fol. 35v. 2647 2648
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sprachen. In einem Streit zwischen dem Hamburger Kaufmann Gerhard Pichel und seiner Frau Anna Gertrud Pichel ging es ab 1724 um die Anerkennung einer Vaterschaft und um Unterhaltszahlungen2654. Die starke religiöse Verwurzelung von Ehesachen geht aus dem Nullitäts- und Appellationslibell der Ehefrau unmittelbar hervor. Inzwischen lebte sie von ihrem Mann schon seit zehn Jahren von Tisch und Bett getrennt. Ihr Schriftsatzverfasser schlug gekonnt die Brücke von heilen und zerrütteten Ehen zum Spannungsfeld von Gott und Teufel. Nachdem zuvor Gott und die Menschen zunächst an der Verbindung der Eheleute Pichel einen Wohlgefallen gehabt hätten, sei es der Satan gewesen „alß ein feind des Ehestandts“, der den Keim des Zerwürfnisses gesät habe. Immer geschäftig arbeite der Erzfeind daran, „Zanck und Zwytracht, hader und Neid“ zwischen Eheleuten zu verbreiten2655. Der Streit eskalierte, als Anna Gertrud Pichel wegen eines Beweisurteils um eine unklare Vaterschaft an das Reichskammergericht appellierte. Mutmaßlich hatte sie ein nichteheliches Kind geboren und verheimlicht. Wegen dieses Streitgegenstandes erklärten Bürgermeister und Rat der Stadt Hamburg die Intervention. Sie wiesen darauf hin, „daß diese Sache eine offenbare matrimonial- und Ehe-scheidungs-Sache sey wovon nach den bekanten Reichs-Gesetzen, an die Höchste Reichs-Gerichte nicht provociret werden mag“2656. Eheschließung und Ehescheidung sollten nach dieser Auffassung nicht appellabel sein. Der Schriftsatzverfasser, vermutlich der Hamburger Syndikus, konnte dafür zahlreiche Autoritäten aufbieten, an erster Stelle das Konzept einer neuen Reichskammergerichtsordnung von 16132657, das zwar nie förmlich in Kraft getreten war, aber doch die Prozeßpraxis nachhaltig prägte. Auch die Kameralliteratur von Andreas Gail bis hin zum Zeitgenossen Georg Melchior von Ludolff sah die Stadt Hamburg auf ihrer Seite2658. Die Schwierigkeit des Falles lag ersichtlich darin, die nicht appellablen Ehesachen von den rechtsmittelfähigen anderen, zivilrechtlich-weltlichen Ehestreitigkeiten zu unterscheiden. Wohl deshalb bemühte sich der Interventionsschriftsatz darum, eine Klageänderung nachzuweisen. Ursprünglich sei es zwischen dem Ehepaar Pichel um Unterhaltszahlungen auf der Grundlage eines vor zehn Jahren geschlossenen Vergleichs gegangen. Jetzt Repertoriumsmitteilung bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 808-809. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. P 21, Aktenstück Q 12, fol. 3v. 2656 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. P 21, Aktenstück Q 22, fol. 1v. 2657 Zitiert wird COC 1613 2, 1, 3, bei L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, S. 668. 2658 Zitiert werden G a i l , Observationen I obs. 112 n. 17, S. 199; R o d i n g , Pandectae juris cameralis, lib. 1 tit. 13 § 5, S. 219 [in Wirklichkeit vertrat Roding das Gegenteil, ebd., lib. 1 tit. 33 § 7, S. 406-407]; ebenfalls zitiert: B l u m , Processus cameralis, tit. 43 n. 14 und 18, S. 342-343; L u d o l f f , De jure Camerali, S. 216 (n. 31)-226. 2654 2655
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aber, nach der Geburt des verheimlichten Kindes, nehme der Ehemann an, seine Unterhaltspflicht sei inzwischen entfallen. Deswegen sei nun „aus der vorigen alimentations Klage, ein matrimonial- und Ehe-scheidungs-Process entstanden“2659. Im Umkehrschluß blieben bloße Unterhaltsverpflichtungen als Zahlungsklagen auch in der Sicht des Rates also appellabel. Sie schienen nicht dem Kern des Eherechts anzugehören, für den die Reichsgerichte unzuständig waren. Diese Auslegung liegt nahe, denn der Exzeptionsschriftsatz der Appellantin gegen die reichsstädtische Intervention weist in dieselbe Richtung. Der Schriftsatzverfasser der Ehefrau blieb bei seiner Einschätzung. Im Kern sollte es um eine reine Alimentationsklage gehen. Eine Klageänderung in eine Matrimonialsache habe gar nicht stattgefunden2660. Die Parteien bzw. die Appellantin und der Hamburger Rat schätzten damit zwar den Sachverhalt verschieden ein, waren sich über die grundlegende rechtliche Weichenstellung aber einig: Unterhaltssachen konnten durch Rechtsmittel vor die obersten Reichsgerichte gelangen, Scheidungsangelegenheiten dagegen nicht. Eine feste Grenze zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit bestand in Hamburg damit nicht. Die Zuständigkeiten lagen allesamt beim Rat, die Appellationswege an das Reichskammergericht waren nicht so strikt verschlossen wie anderenorts. Wie beim Ehegüterrecht zeigt sich freilich auch in Unterhaltsangelegenheiten der Sache nach eine Diskussion, die in anderen Territorien die Grenzziehung zwischen weltlicher und geistlicher Justiz betraf. Ob aus der Einspurigkeit der Hamburger Gerichtsverfassung Besonderheiten folgten, blieb dabei unausgesprochen. Im nächsten Fall, dem letzten Hamburger Beispiel aus den 1760er Jahren, war allerdings genau dies der Streitpunkt zwischen den Parteien.
c) Argumente für die Appellationserlaubnis in Scheidungssachen Der letzte hier näher ausgewertete Hamburger Prozeß geriet durch Appellation 1767 vor das Wetzlarer Reichskammergericht. Es handelte sich um eine klassische Scheidungssache zwischen dem Ehepaar Dendas. In Frage stand, ob der Ehemann, der Hamburger Makler Abraham Reinier Dendas, mit einer Magd außerehelichen Beischlaf getrieben und damit die Ehe gebrochen hatte. Das behauptete jedenfalls seine Frau Anna Katrine Dendas. Zu beweisen war so etwas schwer, und daher versandte das Hamburger Ober2659 2660
StA Hamburg Best. 211-2 Nr. P 21, Aktenstück Q 22, fol. 4r. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. P 21, Aktenstück Q 24, fol. 1v, 2v.
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gericht die Akte an die Juristenfakultät Göttingen. Dort erklärten die Professoren in enger Anlehnung an Samuel Stryk, Justus Henning Böhmer und Johann Heinrich Berger2661, die Anforderungen für den Beweis eines „Adulterium“ seien im Zivilrecht nicht so streng wie im Strafprozeß2662. Nach der Appellation des Ehemanns Abraham Reinier Dendas ging es vor dem Reichskammergericht unter anderem darum, ob man in Scheidungssachen überhaupt von Hamburg aus an das Reichskammergericht appellieren durfte. Der Appellant hob zwei Spezialfälle hervor, in denen die Anrufung der Reichsjustiz „in matrimonialibus nicht schlechthin verboten, sondern alsdann allerdings zugelaßen sey“. Zunächst sollte die Appellation möglich sein, wenn die Parteien nicht über Rechtsfragen stritten, sondern lediglich „wie in substrato, de nuda quaestione facti“ uneins waren2663. Sollte es also unklar sein, ob der außereheliche Geschlechtsverkehr stattgefunden hatte, fiel dies nach appellantischer Auffassung in die sachliche Zuständigkeit des Reichskammergerichts. Das Argument tauchte auch in anderem Zusammenhang gelegentlich auf. Offene Tatsachenfragen waren weder geistlich noch weltlich. Deshalb blieben sie appellabel, auch wenn ansonsten strenge Rechtsmittelbeschränkungen für geistliche Sachen im umfassenden Sinne eingriffen2664. Die daran anschließende Rechtsfrage, ob aufgrund des Ehebruchs die Scheidung erfolgen mußte, hielt der Appellant dagegen für nicht appellabel. Der Schriftsatzverfasser verwies zwar pauschal auf die „ex unanimi Doctorum Sententia“, blieb einen konkreten Nachweis für die Aufspaltung in Tatsachen- und Rechtsanwendungsfragen aber schuldig. Sichereren Boden erreichte die Replikschrift erst mit ihrem zweiten Argument. Immer dann nämlich, wenn „de nullitate in processu commissa principaliter gestritten“ werde, stehe der Weg an die obersten Reichsgerichte offen. Nichtigkeitsklagen seien also auch in Ehesachen jederzeit möglich. Das war in der Tat eine 1657-1732. Berger war unter anderem Direktor des Wittenberger Konsistoriums und später Reichshofrat in Wien, zu ihm S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte III/1, Noten S. 98-100. 2662 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, unquadr. „Rationes decidendi“, zugegangen angeblich am 14. Dezember 1767, Verkündung des Tenors am 24. Oktober 1767. Zitiert werden: S t r y k , De dissensu sponsalitio, sect. V § 3, S. 157-158: „multum enim inter se differunt criminalis adulterii vindicta, ubi probationes luce meridiana clariores exiguntur (...) & civilis prosecutio interesse maritalis, ubi & praesumtiones urgentes sufficiunt“ (die Druckausgabe 1691 enthält nur den ersten Teil); B ö h m e r , Jus ecclesiasticum, lib. IV tit. 19 § 27, S. 344-345, Randglosse: „Est ergo iuxta diuortii causa 1) adulterium verum, 2) adulterium praesumtum, cuius indicia olim varia olim etiam praesumti adulterii suspicio sufficiebat ad diuortium“; d e r s . , Consultationes, tom. 1 responsum 168, S. 533-553 (mit dem Problem einer jüdischen Ehescheidung); B e r g e r , Oeconomia iuris, lib. 1 tit. 3 § 9, S. 89-90. 2663 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 26, fol. 2v. 2664 LA Detmold L 82 Nr. 360, unquadr. Aktenstück „Libellus Nullitatum Summarius“, fol. 8r (dazu oben bei Anm. 2272, 2289). 2661
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Lehrmeinung der zeitgenössischen Literatur, etwa von Wilhelm Roding und Peter Frider Mindanus2665, doch gab es darum Streit2666. Wenn diese „Rechts Wahrheit überhaupt ihre gute Richtigkeit“ hatte2667, mußte sie insbesondere für Hamburg gelten. Hier ergriff der Schriftsatzverfasser die Gelegenheit, um von den allgemeinen Erwägungen überzuleiten auf die Besonderheiten der Hamburger Gerichtsverfassung. Die Appellationserlaubnis in bestimmten Ehesachen griff nach Ansicht des appellantischen Anwalts „besonders in Hamburg“ ein. Er servierte vier Argumente, von a) bis d) scheinbar streng logisch aufgereiht. Am Anfang stand die treffende Erkenntis, daß in Hamburg „in Ermangelung eines geistlichen Gerichts, alle Ehe-Sachen ohnehin coram Judice seculari et ordinario entschieden werden“2668. Wenn es keine geistliche Gerichtsbarkeit gab, konnte nach dieser Auffassung das Appellationsverbot in geistlichen Streitsachen auch nicht gelten. Das war nicht selbstverständlich. Anstatt der in anderen Territorien praktizierten rein formalen Trennung von Konsistorial- und Zivilsachen hätte man die Hamburger Streitigkeiten auch materiell danach unterscheiden können, ob es sich um geistliche oder weltliche Angelegenheiten handelte. Der Schriftsatzverfasser schien dagegen zu glauben, in Hamburg gebe es ausschließlich weltliche Rechtssachen, eben weil gerade keine geistlichen Gerichte existierten. Diejenigen Sachen, die anderenorts geistlich waren, gehörten in Hamburg danach zum weltlichen Bereich. Zum zweiten verwies der Verfasser der Replikschrift auf das Hamburger privilegium de non appellando. Dort war „de exemtione causarum matrimonialium keine einzige Silbe zu finden“2669. Entscheidend sollte wohl der unausgesprochene Umkehrschluß sein. Wenn nämlich das Appellationsprivileg die Appellation in Ehesachen nicht untersagte, sollte sie erlaubt sein. Auch dieser Schluß war alles andere als zwingend. Die Privilegien schufen bekanntlich Sonderrecht, indem sie einzelne Begünstige von der allgemein geltenden Rechtslage befreiten2670. Wenn die Appellation an die Reichsgerichte in Ehesachen grundsätzlich verboten war, hätte es dazu gar keine gesonderte Regelung geben müssen. Die scheinbare Lücke im Appellationsprivileg hätte dann keineswegs eine Appellationserlaubnis geschaffen. Um nämlich allgeDer Schriftsatz zitiert R o d i n g , Pandectae juris cameralis, lib. 1 tit. 33 § 7, S. 406-407, mit Verweis auf Frider Mindanus und dem Hinweis auf angeblich „multa praeiudicia“; F r i d e r M i n d a n u s , De processibus, lib. 1 cap. 10 „De causis matrimonialibus, an & quomodo ad Cameram pertineant“, S. 47-51. 2666 Zur Diskussion in Lippe und der Rechtsauffassung von Johann Ulrich von Cramer oben bei Anm. 2378-2409. 2667 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 26, fol. 3r. 2668 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 26, fol. 3r. 2669 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 26, fol. 3r. 2670 M o h n h a u p t , Untersuchungen, S. 300. 2665
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meines Recht zu bestätigen, bedurfte es bekanntlich keiner Privilegien. Das Argument des Schriftsatzverfassers war damit nur schlüssig, wenn sich die Rechtslage in Hamburg gerade nicht von den Gepflogenheiten anderer Territorien unterschied, insbesondere nicht von solchen ohne Appellationsprivileg. Dann allerdings wäre die Appellation in Ehesachen rundum erlaubt gewesen, was sich nur schwer vertreten ließ. Mit seinem Übermaß an Scharfsinn hatte sich der Schiftsatzverfasser hier ersichtlich im Gewirr von Regel und Ausnahme verhaspelt. Auf welches Appellationsprivileg die Replikschrift anspielte, war ebenfalls unklar. Mit seinem dritten Argument verwies der namentlich nicht bekannte Verfasser auf „die Conditores Statuti Hamburgensis nouissimi“. Sie seien „keines Weegs befugt gewesen, das kaiserliche Appellations-Priuilegium auf andere nicht wörtlich darin enthaltene Fälle eigenmächtig zu extendiren“2671. Freilich stammte das Stadtrecht von 1603/05, die aktuelle Fassung des Appellationsprivilegs dagegen von 1634, in der aktuellsten Bestätigung sogar von 17662672. Es gab zwar den Hamburger Entwurf einer ausführlichen Gerichtsordnung von 1711, doch er hatte keine Gesetzeskraft erhalten2673. Die Verfasser des Hamburger Stadtrechts hatten das kaiserliche privilegium de non appellando schlicht und ergreifend gar nicht ändern können, weil das Stadtrecht mehrere Jahrzehnte älter als das Privileg war. Die Chronologie der Rechtsquellen und die Argumentation des Verfassers paßten schlechthin nicht zusammen. Das vierte Argument der Replikschrift ging dann etwas näher auf das Stadtrecht von 1603/05 ein. Das dort ausgesprochene Appellationsverbot bei Forderungen aufgrund von Eheverträgen erwähnte nicht ausdrücklich Scheidungssachen. In den Augen des Schriftsatzverfassers sollte das dafür streiten, die Appellation zu erlauben2674. Für die vier Gründe, weshalb gerade in Hamburg die Appellation an die Reichsgerichte in Ehesachen eröffnet sein sollte, zitierte der appellantische Schriftsatzverfasser im übrigen keine Literatur. Das ist bemerkenswert. Zu diesem Zeitpunkt existierten nämlich schon deutlich über einhundert Werke zum Hamburger Partikularrecht, darunter mindestens drei einschlägige Abhandlungen zum Appellationsprivileg und seinen Ausnahmen2675. Ob die einheitliche, nicht gespaltene Hamburger Gerichtsbarkeit damit auch zu gleichlaufenden Instanzenzügen führte, blieb in den Ausführungen der Replikschrift merkwürdig blaß. Aber gerade darauf kam es an.
StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 26, fol. 3r-3v. Zu den Bestätigungen E i s e n h ar d t , privilegia, S. 85. 2673 S t o b b e , Geschichte II, S. 315. 2674 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 26, fol. 3v. 2675 Überblick bei R i c c i u s , Entwurff, S. 137-146, insbesondere S. 139 Nr. 26-28. 2671 2672
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d) Argumente gegen die Appellationserlaubnis in Scheidungssachen War die Appellation an das Reichskammergericht in Hamburger Scheidungssachen also erlaubt? Dem Makler Abraham Reinier Dendas im soeben geschilderten Fall wäre das nur lieb gewesen. Deswegen mühte sich sein wackerer Anwalt, die Appellationsmöglichkeit rechtlich abzusichern. Einige Untiefen und Brüche seiner Gedankenführung konnte er dabei nur notdürftig verspachteln. Für den Schriftsatzverfasser der appellatischen Ehefrau Anna Katrine Dendas boten sich daher mehrere Angriffsflächen, die angebliche Appellationserlaubnis zu bekämpfen. In der vom Appellanten vorgegebenen Reihenfolge und mit derselben Zählung von a) bis d) hielt die Duplikschrift vom Oktober 17692676 das Appellationsverbot in Ehesachen aufrecht und ließ die angeführten Hamburger Besonderheiten nicht gelten. Der Anwalt der Ehefrau warf der Gegenseite vor, sie habe sich „in den Hamburgischen Verfaßungen (...) wenig umgesehen“ und kenne sich mit den Gerichtszuständigkeiten nicht aus. Natürlich gab es in Hamburg kein Konsistorium, das lag auf der Hand und war unstreitig. Deshalb verkündete der Appellant ja die Existenz einer ausschließlich weltlichen Justiz. Im Gegensatz hierzu zog der appellatische Schriftsatz eine unsichtbare Trennlinie ein. Der Hamburger Rat übe nämlich sowohl weltliche als auch geistliche Gerichtsbarkeit aus. „Alle Sachen die sonst an andern Orten vor ein Consistorium gehören, gehören vor den Senat, der die Jura Episcopalia hat, vermöge deren derselbe in Kirchen- Matrimonial und andern Sachen, die an andern Orten vor die Geistl[ichen] Gerichte gehören“, Recht spreche2677. Nach dieser Ansicht war der Hamburger Rat kein rein weltliches Gericht, sondern zugleich ein geistliches Forum. Dasselbe galt auch in Lübeck. Dort war der Rat als Obergericht zweite und letzte Instanz in Konsistorialsachen, eine weitere Appellation an das Reichskammergericht schied aus2678. In katholischen Territorien konnte es diese Mischung ebenfalls geben. Wie gesehen, war das Münsteraner Offizialat in einem Großteil seiner Rechtsstreitigkeiten nicht als geistliches, sondern weltliches Gericht tätig2679. Der Instanzenzug in weltlichen Angelegenheiten ging nicht zum Apostolischen Nuntius, sondern letztinstanzlich vor die obersten Reichsgerichte. Waren im katholischen Umfeld die geistlichen Gerichte teilweise weltlich, so waren in einigen evangelischen Territorien die weltlichen Gerichte zugleich mit geistlichen Sachen befaßt. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 27, Präsentationsvermerk vom 6. Oktober 1769. 2677 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 27 ad a). 2678 Zu Lübeck oben bei Anm. 1451-1561. 2679 Zu Münster oben bei Anm. 195-297. 2676
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Hier gerät die Sprache an die Grenze ihrer Ausdrucksmöglichkeiten. „Geistlich“ und „weltlich“ passen als Schubladen nicht wirklich, es sind nur grobe Näherungen. Offizialate und Ratsgerichte waren beides gleichzeitig, nur in verschieden starker Ausprägung. Erst im fortschreitenden Instanzenzug wurden aus den Mischtönen reine Farben. An der Spitze blieb jeweils klar bestimmbar, welchem Rechtsbereich das oberste Gericht zugehörte2680. So war es jedenfalls im Alten Reich. Vielleicht gab es eine Ausnahme. Das Wismarer Tribunal scheint zugleich zweitinstanzliches Konsistorium für kirchengerichtliche Appellationen aus dem schwedischen Erzstift BremenVerden gewesen zu sein2681. Doch das Reichskammergericht war für den Schriftsatzverfasser im Hamburger Dendas-Fall eindeutig kein gemischtes Gericht. Der Beweis dafür waren die Appellationsverbote bei geistlichen Streitgegenständen. Der rein weltliche Charakter des Kammergerichts beruhe gerade darauf, so der Anwalt, „weil dieses höchstpreißl[iche] Gericht, als ein Judicium seculare, nicht über matrimonial Sachen urtheilet“2682. Ehesachen, auch wenn sie aus einem Territorium ohne geistliche Gerichtsbarkeit stammten, blieben danach weiterhin geistliche Angelegenheiten und inappellabel. Mit einem waghalsigen Hochseilakt „secundum regulas hermeneuticas (...) a minori ad majus“ versuchte der appellatische Schriftsatzverfasser das Appellationsverbot in Ehesachen „ganz unwiedersprechlich“ auch mit dem Wortlaut des Stadtrechts und mit dem Appellationsprivileg zu bekräftigen. Das privilegium de non appellando, so schickte er voraus, verweise auf die im „Stadt-Buch“ enthaltenen Appellationsbeschränkungen und erkenne sie damit an. Das traf für das Privileg von 1634 zu2683. Der einschlägige Stadtrechtsartikel, um den sich alles drehte, war das bereits mehrfach erwähnte Appellationsverbot für verbriefte Schuldforderungen. Dort tauchten unter anderem auch „Heyraths-Verschreibungen“ auf2684. Für den Schriftsatzverfasser war das gleichbedeutend mit einem qualitativen Appellationsprivileg für sämtliche Ehesachen. Bei wörtlicher Auslegung konnten Heiratsverschreibungen nämlich entweder Eheschließungen oder aber Eheverträge bedeuten, meinte der Anwalt. Der hermeneutische Schluß sollte a minore ad maius erfolgen. Wenn schon für bloße ehegüterrechtliche Verträge SondervorIn causae mixtae, die sowohl weltlich als auch geistlich beschaffen waren, blieb die Appellation nach Wahl des Appellanten sowohl an das Reichskammergericht als auch an den Apostolischen Nuntius möglich, R o d i n g , Pandectae juris cameralis, lib. 1 tit. 23 § 18, S. 333. Das beeinflußte aber nicht die Zugehörigkeit der beiden Gerichte zu den je verschiedenen Gewalten. 2681 Beispielsfall von 1653 bei M o d é e r , Gerichtsbarkeiten, S. 399. 2682 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 27 ad a). 2683 Wortlaut des Privilegs bei E i s e n h a r d t , privilegia, S. 217. 2684 Vom Schriftsatzverfasser zitiert in: StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 27 ad d). 2680
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schriften eingriffen, dann müßten diese „um so viel mehr bey der Ehe selbst gelten“2685. Damit waren alle Ehesachen von der sachlichen Zuständigkeit des Reichskammergerichts ausgenommen, und zwar nicht nur im Appellationswege, sondern auch in sonstigen Verfahrensarten „per viam simplicis quaerelae“2686. Unterschiede zwischen dem Hamburger Instanzenzug und anderen Territorien lehnte der Verfasser ab. Damit blieb bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts streitig, ob es in Hamburg als Territorium ohne eigenständige geistliche Gerichtsbarkeit überhaupt Besonderheiten bei der Zuständigkeitsabgrenzung beider Jurisdiktionsbereiche gab oder nicht. Das Reichskammergericht fällte nach sechsjähriger sehr intensiver Prozeßführung am 23. Dezember 1773 sein Urteil. Für die Ehefrau Dendas war es ein echtes Weihnachtsgeschenk. Durch Prozeßurteil wies das Gericht die Appellation des Ehemanns als unzulässig ab und verurteilte den Appellanten sogar zur Zahlung sämtlicher Gerichtskosten2687. Die Unzulässigkeit der Hamburger Appellation in Ehesachen war damit unterstrichen. Die bisher geschilderten Schlaglichter stammen allesamt aus der Zeit nach 1650, bis auf einen Fall sogar sämtlich aus dem 18. Jahrhundert. Das ist keine Verzerrung, sondern entspricht ganz der Überlieferung. Ältere Fälle sind nicht bekannt. Als häuptsächlicher Streitgegenstand taucht die Trennung von Tisch und Bett in einem weiteren Appellationsprozeß auf, der 1731 in Wetzlar begann2688. Freilich war in diesem Fall der Ehemann während des Rechtsstreits gestorben. Deshalb traten die vermögensrechtlichen Gesichtspunkte immer stärker in den Vordergrund. Das Zwischenergebnis ist zwiespältig. Obwohl einige Streitfälle den Eindruck vermitteln, die Appellation an die Reichsgerichte in Ehesachen sei in Hamburg womöglich erlaubt gewesen, kamen sie in der Praxis doch erstaunlich selten vor. Das Sachregister des Findbuchs listet sechsmal Ehescheidungen und achtmal Trennungen von Tisch und Bett auf2689. Das ist schon großzügig gerechnet. Teilweise nämlich waren nur die Parteien geschieden oder aber Scheidung und Eherecht bildeten nicht den wesentlichen StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 27, ad d). StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Aktenstück Q 27, ad a); zur simplen Querel: Beschwerde gegen Amtspflichtverletzungen des Richters im Gegensatz zu Rechtsmitteln gegen Urteile, Einzelheiten bei W e t z e l l , System, S. 813-821. 2687 Bundesarchiv Berlin AR 1 III-83, fol. 295r-295v; dort in AR 1 I 254, fol. 136r das Senatsprotokoll vom 15. und 16. Dezember 1773: Dr. Bürgel spracht sich für die Abweisung aus, da die geltend gemachten Nichtigkeiten nicht vorlägen; Hinweis auch im StA Hamburg Best. 211-2 Nr. D 10, Protokollbuch, Expeditum vom 23. Dezember 1767 (ohne Tenor). 2688 Repertoriumsmitteilung bei S t e i n - S t e g e m an n , Findbuch Hamburg, S. 882-883 (= R 62). 2689 S t e i n - S t e g e mann, Findbuch Hamburg, S. 1643, 1711. 2685 2686
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Streitgegenstand. Auch wenn die zeitgenössisch offene Frage nach den Hamburger Appellationen in Ehesachen an die obersten Reichsgerichte damit ungeklärt bleibt, steht ein anderes Ergebnis mit hoher Sicherheit fest: Es gab sie kaum.
4. Streitigkeiten um den Instanzenzug vom Domkapitel an die Reichsgerichte In zwei Fällen appellierten Mitglieder des Hamburger Domkapitels gegen eine Entscheidung des Kapitels unmittelbar an das Reichskammergericht. Streng genommen handelt es sich hierbei nicht um Rechtsstreitigkeiten aus der Reichsstadt Hamburg, wenn auch in einem Verfahren zwei städtische Bürger auf der Gegenseite standen. Das Domkapitel unterstand nicht der Herrschaft des Rates, insbesondere nicht seiner Gerichtsgewalt. Dennoch ist es gerechtfertigt, die beiden Konflikte hier mit einzubeziehen. Sie spiegeln nämlich die einschlägigen Auseinandersetzungen aus dem Fürstbistum Münster, freilich mit entgegengesetztem Vorzeichen. In Münster ging es um die Frage, ob man vom bischöflichen Offizialatsgericht in weltlichen Sachen unmittelbar an das Reichskammergericht appellieren konnte. War dies der Fall, stand damit zugleich die Reichsunmittelbarkeit und damit weltliche Herrschaftsgewalt des Fürstbischofs fest. Sollte dagegen zweitinstanzlich zunächst das Kölner Offizialat zuständig sein, war Münster kaum mehr als ein kurkölnisches Nebenland. Die Unterordnung des Suffraganbischofs unter seinen Metropoliten hätte sich dann auch in der weltlichen Gerichtsverfassung gezeigt. In der Praxis gab es beide Appellationswege, und beide waren jeweils umstritten. Das Reichskammergericht erkannte im frühen 17. Jahrhundert beide Möglichkeiten ausdrücklich an und entschied den Streit um den Instanzenzug nicht2690, wie auch so viele andere Jurisdiktionskonflikte in der Schwebe blieben. Im 18. Jahrhundert bestand das Gericht dann auf der direkten Appellation von Münster nach Wetzlar und drängte damit kurkölnische Herrschaftsansprüche zurück. In Hamburg gab es ein ähnliches Problem: Wenn man vom Domkapitel unmittelbar an das Reichskammergericht appellieren konnte, löste sich das Kapitel damit vom Bremer Erzbischof. Es scherte aus überkommenen Bindungen aus und strebte zur Unabhängigkeit, während Münsteraner Untertanen die überkommene
2690
L u d o l f f , Corpus Iuris Cameralis, Nr. 349 S. 564; dazu oben bei Anm. 480-495.
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Unabhängigkeit verteidigten und noch engere Bindungen an Kurköln kappen wollten. Unproblematische Fälle, in denen die Appellation vom Hamburger Domkapitel über die Kanzlei des Bremer Erzbischofs an das Reichskammergericht ging, kamen kaum vor. Das Inventar der Hamburger Reichskammergerichtsprozesse weist nur einen einzigen Fall nach, in dem ein Hamburger Bürger 1596 das Reichskammergericht anrief, nachdem er zuvor zweitinstanzlich einen Prozeß vor der Kanzlei des Bremer Erzbischofs verloren hatte. Es ging in dem Streit unter anderem um die Vikarie am St. Katharinenaltar im Hamburger Dom. Der Appellant war ursprünglich nicht beteiligt und lediglich Schwiegersohn des ehemaligen Anspruchsgegners. Geklagt hatte vor dem Hamburger Domkapitel ein Prediger der St. Nikolaikirche. Die Zuständigkeit des Kapitels begründete er ausdrücklich mit dem Bremer Vergleich von 15612691. Weitere Appellationen Hamburger Parteien vom Domkapitel über die erzbischöfliche Kanzlei an das Reichskammergericht sind nicht belegt. Der Grund dafür ist nicht bekannt. Aber vielleicht behandelte das Domkapitel ansonsten unstreitig geistliche Angelegenheiten. In Streitfällen aus Bremen, Bremervörde und Stade sind erzbischöflichbremische Gerichte durchaus als Vorinstanz von Reichskammergerichtsprozessen nachgewiesen, aber ebenfalls nur selten: in Lübeck zweimal das Hofgericht2692 und in Schleswig-Holstein einmal die Kanzlei2693. Die beiden hier interessierenden direkten Appellationen vom Hamburger Domkapitel nach Speyer fallen in die Jahre 1575 und 1609. In dem Fall von 1575 appellierte der Hamburger Domherr Johann Schlüter gegen eine Entscheidung des Domkapitels an das Reichskammergericht. Schlüter hatte 1561 den Bremer Vergleich zwischen Domkapitel und Stadt mit ausgehandelt2694 und kannte sich daher in den Zuständigkeitsfragen gut aus. Es ging um einen Streit gegen die Hamburger Bürger Jochim Timme und Heinrich von Spreckelsen um Schuldforderungen aus einem Leibrentenvertrag sowie um den Arrest von Mieteinkünften2695. Erstinstanzlich hatten die Bürger den Domherrn vor dem Domkapitel verklagt. Der Streitgegenstand war weltlich, die erstinstanzlichen Kläger waren ebenfalls weltliche Parteien. Aus der Perspektive des Bremer Erzbischofs handelte es sich deswegen nicht um Repertoriumsnachweis bei S t e i n -S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 839-841 (= H 14). 2692 S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch der Reichskammergerichtsakten im Archiv der Hansestadt Lübeck, S. 978. 2693 S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch der Reichskammergerichtsakten (Abt. 390 und andere), S. 663. 2694 Seine Unterschrift: Bremer Vergleich 1561, S. 13. 2695 Repertoriumsnachweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 1049. 2691
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einen Grundsatzstreit2696. Daher ist es gerechtfertigt, lediglich den zweiten Prozeß genauer unter die Lupe zu nehmen. Er warf nach Auffassung der Beteiligten das Instanzenproblem in prinzipieller Hinsicht auf und deutete auf eine Machtprobe zwischen Domkapitel und Erzbischof hin.
a) Die Appellation des Hamburger Domdekans Der Appellant von 1609 war kein geringerer als der Dekan des Hamburger Domkapitels, Johann Kleye der Ältere, selbst Lizentiat der Rechte. Als junger Jurist war Kleye bereits 1559 in Speyer Sollizitant2697 gewesen. Er hatte dort das Domkapitel in dem großen, seit 1529 währenden Rechtsstreit gegen den Rat der Stadt Hamburg unterstützt2698. Kleye kannte den Konflikt zwischen geistlichem und weltlichem Regiment in der Hansestadt also wie kein zweiter. Als Mitglied einer Erbengemeinschaft hatte er 1583 gegen ein Urteil des Hamburger Obergerichts an das Reichskammergericht appelliert2699. Zwischen 1586 und 1595 taucht er im Auftrag des Speyerer Reichsgerichts viermal als Kommissar in anderen Hamburger Streitigkeiten in den Quellen auf2700. Wenn dieser Mann sich vom Domkapitel aus unmittelbar an das Reichskammergericht wandte, ohne sich um die Kanzlei seines eigenen Erzbischofs zu scheren, besaß das einen Aussagewert, der über den Einzelfall weit hinausging. Der hier interessierende Fall betraf ein Zerwürfnis mit dem Hamburger Domvikar Erpold Lindenbruch. Es ging um die angebliche Zusicherung eines Kanonikats sowie um die Räumung eines Hauses2701. Der nähere Sachverhalt ist unwichtig, jedoch unterlag der Dekan vor seinem eigenen Kapitel. Gegen das Urteil des Domkapitels vom 9. Juni 1609 appellierte Kleye nach Speyer. Mit dem Instanzenzug machte er es sich leicht. Das Ladungsschreiben, vom Reichskammergericht ohne jede Verzögerung bereits am 14. Juli erlassen2702, zitierte den wesentlichen Punkt aus der Supplikation. Danach war der unmittelbare Appellationsweg nach Speyer „aus denn ublichen stylo bekandt und notoriè“. Die Appellationen sollten „von gemeltem StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 14. Zur Sollizitatur F u c h s , Sollicitatur, S. 101-143. 2698 Repertoriumsnachweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 330 (= H 14). 2699 Repertoriumsnachweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 555 (= K 26). 2700 Repertoriumsnachweise bei S t e i n - S t e g e m an n , Findbuch Hamburg, S. 492 (= H 193), 892 (= S 11), 903 (= S 22), 1114 (= T 33). 2701 Repertoriumsnachweis bei S t e i n - S t e g e m a n n , Findbuch Hamburg, S. 556-557. 2702 Der gregorianische Kalender war freilich zehn Tage weiter als der in Hamburg noch benutzte julianische Kalender. 2696 2697
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ThumbCapittul ohne mittel ahn daßelbe unser Kayß[erliche] Cammergericht gehen, dahero deßelben Jurisdiction dies orts gnugsamb fundiert und gegründet seye“2703. Der Hinweis auf die Notorietät war geschickt. Nach gemeinrechtlicher Doktrin bedurften notorische Tatsachen und Rechte keines Beweises2704. Mit dieser gewagten Behauptung stieß der Domdechant freilich auf erbitterten Widerstand, nicht nur von Seiten seines Prozeßgegners, sondern auch des Bremer Erzbischofs. Zunächst zum Prozeßgegner, dem appellatischen Domvikar Lindenbruch. Er ging von einem scheinbaren Gemeinplatz aus. Das Hamburger Domkapitel war „nicht immediatè vom Romisch Reich undt[er]worffen, sed archiepisco Bremensi Und dahero die ap[pel]l[ati]o[n]es nicht hieher, sonnd[ern] zur hochged[achtem] Archiepiscopi gericht gehorig, Immaßen denn auch vonn alters hero dieselbe ap[pe]l[lati]o[n]es dahin deuoluirt werden“2705. Die direkte Appellation an das Reichskammergericht kam nach dieser Auffassung der Reichsstandschaft gleich, angesichts der überragenden Bedeutung der iurisdictio für das frühneuzeitliche Herrschaftsverständnis eine naheliegende Sichtweise. Weil das Domkapitel dem Erzbischof unterstand, mußten nach der Exzeptionsschrift die Appellationen zunächst an das erzbischöfliche Gericht gehen, also an die Kanzlei in Bremervörde. Nach dem zweiten Hinweis des Appellaten entsprach genau dies der eingespielten Praxis. Das war das übliche Gemetzel mit Argumenten und Herkommen. Die Zuspitzung stand noch bevor. Denn als der Erzbischof dem Rechtsstreit beitrat, bekam der Domdekan noch mehr Gegenwind zu spüren.
b) Der Bremer Erzbischof als Metropolit des Hamburger Doms Der Erzbischof von Bremen erklärte die Intervention in den Appellationsprozeß des Hamburger Domdekans. Erheblich aufwendiger als der Appellat ging der Erzbischof ins Grundsätzliche. Der Anwalt des Vikars Lindenbruch hatte in seiner „Exceptio non deuolutionis“ ganz knapp die Zulässigkeit der Appellation bestritten. Der Erzbischof dagegen holte weit aus. Ähnlich wie in einigen Fällen aus Münster der Kurfürst von Köln seine Jurisdiktionsansprüche verteidigte2706, trat nun in Speyer der Prokurator des StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 1. W i e g a n d , Studien, S. 69-70; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 32, 36-37; zur Entstehung der Lehre im gelehrten Recht S c h m o e c k e l , Excessus notorius, S. 178-186 (in Panta rei S. 154-161). 2705 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 8. 2706 LA Münster RKG B 1286, Aktenstück Q 3 (dazu oben nach Anm. 416-446); LA Münster RKG M 1586, Aktenstück Q 8 (dazu oben bei Anm. 506-517). 2703 2704
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Bremer Erzbischofs auf. Bereits vor Eröffnung des Appellationsprozesses hatte der Erzbischof an das Reichskammergericht geschrieben und gebeten, „die sachen nicht anzunehmen“. Er fürchtete um seine Metropolitanrechte. Wenn sich nämlich der Appellant erfolgreich auf ein „Speciale Jus“ berief, dann war der Erzbischof als „Ordinarius Metropolitanus sic Judex Intermedius ubergangen“2707. Allerdings gab es zunächst ein Problem. Der ständige Prokurator des Erzbischofs, Dr. Andreas Pfeffer, war kurz zuvor gestorben 2708 und hatte vor seinem Tod das erzbischöfliche Schreiben offenbar nicht mehr weitergeleitet. Deswegen wandte sich der neue Prokurator abermals an das Reichskammergericht. Er wies auf eine anerkannte Rechtsregel hin. Appellationen müßten „gradatim geschehen (...), Ita quod medio omißo Judice ad superiorem appellare non liceat“2709. Es war demnach verboten, eine Zwischeninstanz zu überspringen und direkt an das oberste Gericht zu ziehen. Das sollte aus dem „Jure Ciuili“, dem gemeinen römischen Recht, ebenso folgen wie aus den Reichskonstitutionen. Mit Joachim Mynsinger und Andreas Gail stützte sich der Schriftsatzverfasser des Erzbischofs auf die beiden namhaftesten Autoritäten, die es zu dieser Frage gab. In der Tat entsprach Gails einschlägige Observation fast wörtlich dem Schriftsatz des Anwalts2710. Lediglich den Hinweis auf die Reichsgesetze hatte der Verfasser hinzugefügt. Zudem hätten die Streitparteien bereits zuvor einmal an den Erzbischof „alß ungezweiffelten Judicem superiore ordinarium et metropolitanum“ appelliert. Soweit der Domdekan zu seinen Gunsten neuere Kameralliteratur anführe und darin die direkte Appellation nach Speyer anerkannt sei, besäßen solche Stimmen nicht „tanti ponderis et aestimationis“. Sie waren also nicht gewichtig genug, das gemeine Recht und die Reichsgesetze außer Kraft zu setzen. Ein neuer stylus oder eine neue consuetudo jedenfalls lasse sich dadurch nicht begründen. Insbesondere ging der erzbischöfliche Schriftsatz auf die bisherige Übung ein. Für die unmittelbare Appellation vom Hamburger Domkapitel nach Speyer gab es offenbar keine Präjudizien. Den oben erwähnten Fall Schlüter von 1574 kannte der Schriftsatzverfasser zwar, betonte jedoch die anders gelagerte Parteistellung. Gegen „puros laicos“ war die damalige Appellation gerichtet, gegen Personen also, die „unter dem rhade zu hamburgh“ standen. Erstaunlicherweise meinte der erzbischöfliche Anwalt, gegen ein Urteil des Domkapitels müsse ein Appellant durchaus das Reichskammergericht StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 14. Nach G r o h , Das Personal, S. 173, war Pfeffer kurz vor seinem Tod 1609 noch Kanzleiverwalter des Kammergerichts geworden. 2709 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 14. 2710 G a i l , Observationen I, obs. 119 n. 2, S. 210: „nam omisso medio Judice, ad superiorem de jure civili appellare non licet“. 2707 2708
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anrufen, immer dann nämlich, wenn auf der Gegenseite weltliche Parteien standen: „Appellans partem aduersam utpote laicos non ad forum Ecclesiasticum sed recta ad Cameram citiren, und appelliren müßen“2711. Das war von kirchlicher Seite eine deutliche und offenbar freiwillige Beschränkung des Klerikerprivilegs. Möglicherweise handelte es sich um eine rein taktisch begründete Rechtsauffassung, um den älteren Rechtsstreit Schlüter nicht als Präzedenzfall für die erlaubte Appellation vom Domkapitel an das Reichskammergericht ansehen zu müssen. Jedenfalls gab es nach dieser Sichtweise eine Unterscheidung danach, ob sich zwei Geistliche gegenüberstanden bzw. ob der Geistliche auf Kläger- oder Beklagtenseite beteiligt war. Wenn eine weltliche Partei einen Geistlichen verklagte, griff nach Auffassung des Bremer Erzbischofs das privilegium fori ein. Dementsprechend hatte der erstinstanzliche Streit im Fall Schlüter vor dem Domkapitel stattgefunden. Der Schriftsatzverfasser behauptete nun eine Differenzierung im Rechtsmittelverfahren. Wenn der Geistliche gegen eine weltliche Partei verloren hatte und Rechtsmittel einlegen wollte, müsse er notwendigerweise direkt an das Reichskammergericht appellieren. Damit wäre die erzbischöfliche Kanzlei als zweitinstanzliches Appellationsgericht lediglich auf Streitigkeiten zwischen und gegen Geistliche beschränkt gewesen. Ob das eine gefestigte Rechtsauffassung war, ist zweifelhaft, sehr zweifelhaft sogar. Es gab ja mit dem Schlüter-Prozeß von 1574 nur einen einzigen Fall, der nach diesem Leitbild abgelaufen war. In anderen Verfahren legten Mitglieder des Hamburger Domkapitels ihr Klerikerprivileg außerordentlich extensiv aus und bezeichneten es als nicht-dispositives Recht für alle Streitsachen mit Beteiligung geistlicher Würdenträger. Die vom erzbischöflichen Interessenvertreter 1610 betriebene Selbstschwächung der eigenen Gerichtsgewalt fällt damit aus dem sonst sehr einheitlichen großen Rahmen heraus. Auffällig ist zudem, mit welch großem Aufwand an Belegstellen aus dem gelehrten Recht oder der einschlägigen europäischen Literatur Hamburger Geistliche ihr Klerikerprivileg üblicherweise verteidigten. Der erzbischöfliche Schriftsatz von 1610 bietet an dieser Stelle dagegen keinen einzigen Nachweis. Über die Motivation der Beteiligten kann man mangels anderer Quellen nur spekulieren. Aber vermutlich wollte der Schriftsatzverfasser lediglich den Fall Schlüter kurz abfertigen und nicht ernsthaft zugleich die Zuständigkeit des eigenen Appellationsgerichts allgemein begrenzen. Seine Worte hätte er dann selbst nicht auf die Goldwaage gelegt. Dafür spricht jedenfalls viel. Vorsorglich schob der Anwalt des Erzbischofs weitere Argumente nach. Falls es noch mehr Appellationen direkt vom Hamburger Domkapitel an 2711
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das Reichskammergericht gegeben haben sollte, wisse der Erzbischof davon nichts. Deswegen dürfe man ihm diese Fälle nicht als Präjudizien unter die Nase reiben. Etwas ins Ungefähre meinte der Schriftsatz, „quod appellatio ad Cameram Imperialem medio Judice omißo Interposita recipiatur et teneat, si partes consentiant et praeteritus Judex nihil opponat“2712. Wenn die Parteien übereinstimmend die zweite Instanz übergingen und der erstinstanzliche Richter nicht widersprach, konnte so etwas „dan auch wol“ ab und zu vorkommen. Hier war also eine zweite Möglichkeit eröffnet, unmittelbar vom Hamburger Domkapitel an das Reichskammergericht zu appellieren. Ein Fall der allseits konsentierten Prorogation lag freilich nicht vor, denn der Appellat rügte gerade die Unzulässigkeit des beschrittenen Instanzenzuges. Immerhin hatte der Schriftsatzverfasser damit eine weitere Bastion geräumt: In gewissem Umfang war das Klerikerprivileg auch für den Bremer Erzbischof dispositiv.
c) Argumente für die Sprungappellation Der Domdechant Kleye beharrte auf dem eingeschlagenen Rechtsweg und versuchte, seine Sprungappellation zu rechtfertigen. Gegen die Exzeptionen des Domvikars Lindenbruch reichte der Appellant Kleye eine Replikschrift zu den Akten2713, gegen das Interventionsschreiben des Erzbischofs eine eigene Exzeptionsschrift2714. Mit dem Notorietätsargument war er ersichtlich gescheitert, das lag auf der Hand. Also konnte ihm nur noch ein Großaufgebot zeitgenössischer Literatur helfen. Ausgangspunkt war die rechtsbegründende Kraft des Gerichtsgebrauchs, des Stilus Curiae. Es sollte nämlich „stylus iudicij pro lege habeatur“ und „obseruandus sit“. Prozeßhandlungen gegen solchen Stilus oder eine gefestigte Gewohnheit hatten demgegenüber keine Wirkung2715. Das waren Allgemeinplätze, die mit dem konkreten Rechtsproblem nichts zu tun hatten. Die Stärke von Gewohnheiten und Stilus begründete der Appellant mit Hinweisen auf Andreas Gail2716, den sächsischen Praktiker Kilian König (1470-1526)2717, den Holländer Nikolaus Everardus (1462-1532)2718 sowie den häufig zitierten Menochio2719. Im Grundsatz StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 14. StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 10. 2714 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 15. 2715 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 10. 2716 Zitiert wird G a i l , Observationen I, obs. 1 n. 1, S. 2. 2717 Zu ihm S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte I, S. 560-562; zitiert wird K ö n i g , Practica, cap. 51. Dort geht es um Vormundschaft, doch findet sich der kleine Halbsatz „Aber Bart[olus] saget alda/ das der gebrauch und ubung deß gerichtszwanges sey“. 2718 Zu ihm V e r v a a r t , Studies, dort S. 281-285 Überblick über die verschiedenen Druckausgaben; S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte I, S. 118-120; zitiert wird E v e r a r d u s , 2712 2713
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konnte man das kaum bezweifeln. Die Zeit dachte eben in Observanzen, Herkommen und Gewohnheiten. Der Appellant leitete damit geschickt zu den Hamburger Besonderheiten über. Es sei nämlich, meinte er, „offenbahr am tag, Undt menniglich bekant, welcher gestalt an diesem keyß[erlichen] Cam[mer]g[eric]ht von Alters ublich herbracht ist, daß die Appellationes vom Thumbcapitul zue Hamburgk (unangesehen selbiges khein standt deß Reichß undt man daher auch wohl â capitulo vor ersten den Herrn Metropolitanum wan die Appellantes diesen Weg erwehlen, sich zue berueffen Pfleget,[)] nichtsominder auch immediate undt ohn mittel gehen mögen“2720. Das Argument war erstaunlich. Wie gesehen hatte es überhaupt erst einmal zuvor eine Appellation vom Domkapitel direkt an das Kammergericht gegeben, nämlich den Fall Schlüter von 1574/75. Der Sache nach nahm der Domdekan dieselbe Doppelspurigkeit wie im Fürstbistum Münster in Anspruch. Auch in Münster wählten sich die Parteien ihr Appellationsgericht aus. Gegen Urteile des Offizialats stand der Weg nach Köln oder nach Speyer offen, beides vom Reichskammergericht 1603 ausdrücklich anerkannt2721. Rein tatsächlich war gar nichts üblich. Für ein Herkommen fehlte es schlicht an einschlägigen Beispielsfällen. Das focht den Domdechanten aber nicht an. Vielmehr präsentierte Kleye zahlreiche Werke aus der Kameralliteratur mit sehr präzisen Fundstellen, die seine Rechtsauffassung untermauern sollten. Von Julian Magenhorst2722 über Adrian Gylmann2723, Paul Matthias Wehner2724 bis hin zu Tilemann de Benignis2725 reichten die Loci argumentorum legales, S. 656-660 „a stylo curiae“; zu diesem Titel V e r v a ar t , Studies, S. 278 unten. 2719 Zitiert wird M e n o c c h i o , De praesumptionibus, lib 2. praes. 8 n. 17-18, Leitsätze: „Stylum non observando iudex, litem suam facit, & tenetur in syndicatu. Stylo notorio non obseruato, sententia redditur nulla“. 2720 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 10. 2721 L u d o l f f , Corpus Juris Cameralis, Nr. 349 S. 564; d e r s . , De jurisdictione officialium, Aphorismus 11, Anm. ff, S. 30-31; zur Sache oben bei Anm. 480-495. 2722 Zitiert wird M a g e n h o r s t , Commentarii, S. 265: „Item usus obtinuit, quod à Scabinis in Gülch/ Ach/ Goßlar/ Hamburg/ Herwerde/ Zenigo/ Sost/ Item vom Thumbcapitel zu Hamburg ad Cameram quoque appellari soleat“. 2723 Zitiert wird G y l m a n n , Decisiones seu praeiudicia (Symphorema III), S. 32: „Appellatur etiam à Scabinis zu Gülich/ Aach/ Goßlar/ Hamburg/ Heßwert/ Lemgaw/ 600. Gülden. Item appellatum ad Cam. vom ThumbCapitul zu Hamburg.“ 2724 Zitiert wird W e h n e r , Tractatus de modo appellandi, cap. 7 § 19: „Praeiudicia extant apud Gylman (...) idem dicit (...) item Vom Thumb Capitel zu Hamburg/ licet non sit status Imperii (...) tamen ad Cameram etiam appellatur“ (mit Hinweis u. a. auf ein bei Gylmann abgedrucktes Votum). 2725 Zitiert wird T i l e m a n n d e B e n i g n i s , Observationes, Pentecoste III obs. 48, S. 101: Dort geht es um ausnahmsweise zulässige Appellationen von nicht reichsunmittelbaren Domkapiteln an das Reichskammergericht. Nach dem Beispiel Mainz heißt es: „Sic etiam
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Belege. Das waren zu Beginn des 17. Jahrhunderts die aktuellsten Werke, die es zum Kameralprozeß gab. Der Schriftsatzverfasser des Bremer Erzbischofs hielt dagegen. Diese „etliche Newe Practicanten“ könnten vom Appellationsproblem lediglich „In genere Meldung thun“, und zwar „ohne einig angezogenes praeiudicium“2726. Der Appellant Kleye ließ aber diesen Einwand nicht gelten. Selbst wenn der Erzbischof die von ihm zitierten Autoren „verkleinerlich“ als bloße Praktikanten ausgebe „unndt ihrer auctoritet halber“ Zweifel anmelde, schmälere das ihr juristisches Gewicht nicht. Die Appellationsmöglichkeit vom Domkapitel an das Reichskammergericht sei schließlich nicht „auß derenn gehirn ersponnen“, auch wenn ihre Werke „allerster Newlicher Zeit in truck“ gegangen waren2727. Der letzte Punkt erinnert auffällig an die mittelalterliche Lehre vom guten alten Recht2728. Für die Klärung eines aktuellen Rechtsproblems, nämlich des vom Hamburger Domkapitel ausgehenden Instanzenzuges, mußte sich der Appellant fast schon entschuldigen, wenn er mit aktueller juristischer Literatur arbeitete. Die Erhärtung des Herkommens wäre mit älteren Werken vielleicht einfacher gewesen. Auf Hinweise wie diese wird künftig verstärkt achten müssen, wer sich mit der Allegationspraxis im Usus modernus beschäftigt. Das hohe Ansehen der alten gemeinrechtlichen Autoren muß also gar nicht an ihrem juristischen Scharfsinn gelegen haben. Vielmehr können alte Bücher schlichtweg höhere Autorität als neuere Werke besessen haben. In der Rückbindung an die langüberkommene Tradition mag man sich zugleich gegen unliebsame Rechtserneuerungen gewappnet haben. Zumindest bot dies einen bunten Strauß von Argumenten, die sich ganz unterschiedlich verwenden ließen. Der Wettlauf um die immer aktuellste Literatur hat im modernen Recht Papierberge an Neuauflagen, Kommentaren und Zeitschriften aufgehäuft. Um 1600 hatte dieses Spiel noch nicht begonnen. Ein letztes Argument für die geradlinige Appellation vom Domkapitel an das Reichskammergericht stellte den Bezug zum alten Herkommen her, auch wenn die gelehrte Literatur das nicht zu leisten vermochte. Der bereits hochbetagte Appellant berief sich auf seine eigenen Erlebnisse. Er erinnerte sich, „wie er für 50. Jahren undt benandtlich A[nn]o 1559 alhier zur Speyer sich auffgehalten, ein sothanes von den damahligen Herrn Assessorn mehrfeltig berichtet worden, undt fleißig ad notam genommen“2729. Der Domdechant verwies damit auf Capitulo Hamburgensi ad Cameram appellatur“; das Werk nachgewiesen als Entscheidungssammlung bei B a u m a n n , Relationen, S. 13, 14. 2726 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 14. 2727 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 15. 2728 Klassisch K e r n , Recht und Verfassung, S. 11-65. 2729 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Aktenstück Q 10.
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seine eigene Rechtserfahrung, die er als junger Sollizitant in Speyer gesammelt haben wollte. Vielleicht hatte er tatsächlich den großen Andreas Gail kennengelernt2730. Doch dieser Gesichtspunkt war von zweifelhafter Schlagkraft. 1559 hatte es noch keine einzige einschlägige Appellation vom Domkapitel an das Kammergericht gegeben. Was hätten ihm die Assessoren damals also sagen sollen? Und warum sollte er sich gerade dieses Detail ein halbes Jahrhundert gemerkt haben? Deswegen war die Behauptung des Appellanten Kleye mehr als gewagt. Sein angeblich eigenes Wissen war offenkundig ein schwaches Argument. Das Protokollbuch enthält einen Expeditum-Vermerk. Vermutlich fällte das Reichskammergericht in diesem Streit 1615 das Endurteil2731. Der Tenor ist nicht erhalten, doch gab es bereits zuvor zwei Zwischenurteile „in puncto devolutionis“. Möglicherweise ist die Appellation als unzulässig verworfen worden. Immerhin gab es späterhin keinen weiteren Versuch solch einer Sprungappellation mehr. Hätte Kleye gewonnen, dürfte die Quellenüberlieferung anders aussehen. Von dem üblichen Herkommen, das der Appellant behauptet hatte, konnte also in keiner Weise die Rede sein. Das Hamburger Domkapitel unterstand in seiner gerichtlichen Tätigkeit damit weiterhin dem Bremer Erzbischof, umfassend und unabhängig von etwaigen Streitgegenständen und Parteistellungen. Die unmittelbare Appellation an das Reichskammergericht fand nicht statt. Das jedenfalls war die tatsächliche Situation. Rechtlich blieb alles streitig, aber genau das entspricht dem Befund zahlreicher anderer Rechtsprobleme der Zeit. Eindeutigkeit zeigt sich selten, zumindest nicht beim Blick in Gerichtsakten.
5. Ergebnis Die Reichsstadt Hamburg kannte keine eigenständige geistliche Gerichtsbarkeit. Ob es deswegen an der Alster in der frühen Neuzeit nur weltliche Justiz gab, war unter den zeitgenössischen Juristen streitig. Der Rat der Reichsstadt Hamburg vertrat diese Meinung jedenfalls nicht. Er unterschied die Obergerichtssachen danach, ob sie aufgrund ihres Streitgegenstandes appellabel waren oder nicht. In zeitgenössischer Rechtssprache bildete die
Gail war ein Jahr zuvor, 1558, Assessor am Reichskammergericht geworden, Hinweis bei S t i n t z i n g / L a n d s b e r g , Geschichte I, S. 496; A m e n d , Gail, Sp. 1913. 2731 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. K 27, Protokollbuch, Expeditum vom 13. Februar 1615. 2730
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Ratsgerichtsbarkeit damit ein forum mixtum.2732 In anderen Territorien hing die Rechtsmittelfähigkeit bestimmter Streitsachen ganz formal davon ab, vor welchem Gericht der Prozeß begonnen hatte. Diese Grenzziehung war in Hamburg nicht möglich. Hier konnte man die Entscheidung nur materiell fällen. Besonders streitig waren Eheschließungen und Scheidungen. Das revidierte Hamburger Stadtrecht von 1603/05 und das erneuerte Appellationsprivileg von 1634 schufen dabei eine kuriose Situation. Streitigkeiten um Geldzahlungen aufgrund von Eheverträgen, in anderen Territorien als Ehegüterrecht eine klar weltliche Angelegenheit, waren nicht appellabel. Bei Eheschließungen und Scheidungen, anderenorts fraglos geistliche Sachen, gab es dagegen immer wieder Anläufe, die Appellation beim Reichskammergericht einzulegen. Der Verzicht auf eine eigene Konsistorialgerichtsbarkeit hatte Folgen für das Ratsgericht. Auch die Kirchensachen der Hamburger Kirchengemeinden sowie Streitigkeiten der evangelischen Geistlichen kamen vor dem städtischen Obergericht zur Verhandlung. Ein jahrzehntelanger Kammergerichtsprozeß hatte im 16. Jahrhundert die Kompetenzbereiche von Stadt und Domkapitel weitgehend entflochten und durch den Bremer Vergleich von 1561 halbwegs geklärt. Danach bildete das Domkapitel einen Fremdkörper innerhalb der städtischen Herrschaft und auch einen eigenen Gerichtsbezirk. Die Domkapitulare beanspruchten das überkommene Klerikerprivileg, gerieten aber mehrfach vor die städtischen Gerichte. Da es schon seit dem 9. Jahrhundert in Hamburg keinen Bischof mehr gab, waren einige Kapitulare zugleich in weltlichen Berufen tätig und lebten auch innerhalb des städtischen Herrschaftsbereichs. Ob und inwieweit das privilegium fori für sie eingriff, war streitig. Einerseits forderte das Domkapitel die Berücksichtigung des Klerikerprivilegs selbst für Familienangehörige. Andererseits tauchte in mehreren Hamburger Streitigkeiten das Argument auf, ein verheirateter Kleriker verliere mit der Eheschließung ohnehin alle geistlichen Privilegien. Dieser Rechtsstandpunkt, scheinbar konsequent aus dem lutherischen Priestertum aller Gläubigen entwickelt und gleichzeitig wortgetreu dem kanonischen Recht entlehnt, ist in Verfahren aus anderen protestantischen Territorien nicht nachweisbar. In strenger Anwendung hätte er das privilegium fori für evangelische Geistliche ganz beseitigt. Kein Pastor hätte sich mehr darauf stützen können. Wie selbstverständlich wendeten Hamburger Juristen mittelalterlichvorreformatorische Rechtsmeinungen unverdrossen und buchstabengetreu auf die gewandelten Lebensverhältnisse der Pfarrer an. Das überrascht. Die 2732
Ebenso B e y e r , Delineatio Juris Civilis, pandectarum lib. II tit. 1: De jurisdictione n. 52, S. 87: Hamburger Rat behandelt „res utriusqve fori“.
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zölibatäre Lebensform, unter Hamburger Geistlichen bereits in den 1530er Jahren überwunden, geriet auf diese Weise zu einer Art Obliegenheit. Sie war keineswegs geboten. Doch wenn ein Geistlicher unbestritten sein Klerikerprivileg wahren wollte, tat er gut daran, nicht zu heiraten. Gegen die verschiedenen Beschränkungen des privilegium fori setzte sich das Domkapitel zur Wehr. Auch der Bremer Erzbischof als Metropolit des Hamburger Domkapitels bestand auf der eigenen iurisdictio des Kapitels. Er forderte die Kleriker dazu auf, ihre Rechte gegen städtische Übergriffe zu verteidigen. Der Stader Rezeß von 1692 belegt in Form einer normativen Quelle die fortdauernden Unsicherheiten. Der Bremer Vergleich hatte eben keineswegs alle Kompetenzfragen geklärt. Doch selbst nach 1692 sind Rechtsstreitigkeiten um das Klerikerprivileg in Hamburg nachweisbar. Einige Angehörige des Hamburger Domkapitels versuchten, gegen gerichtliche Entscheidungen des Kapitels unmittelbar das Reichskammergericht anzurufen. Das weist auf Kompetenzstreitigkeiten nicht nur zwischen dem Kapitel und der Stadt, sondern auch zwischen dem Kapitel und der erzbischöflichen Kanzlei hin. Das Domkapitel versuchte offenbar, sich der Rechtsaufsicht durch den Erzbischof teilweise zu entziehen. Heikel war besonders eine Appellation des Domdechanten an das Reichskammergericht im frühen 17. Jahrhundert. Dieser Senior hatte als Sollizitant die Interessen des Domkapitels in Speyer schon 1559 im Vorfeld des Bremer Vergleichsschlusses vertreten und kannte die vielfältigen Zuständigkeitsprobleme wie kaum ein zweiter. Wenn er einfach direkt an das Reichskammergericht appellierte, bestritt er damit unausgesprochen, aber zugleich unübersehbar, die Jurisdiktionsgewalt des Bremer Erzbischofs über das Hamburger Domkapitel. Nachahmer fand er nicht. Allerdings zeigt der Prozeß des Domdekans, wie vorschnell es wäre, die Trennlinie von weltlicher und geistlicher Justiz zum allein entscheidenden Streitpunkt frühneuzeitlicher Gerichtsprobleme zu erklären. Auch innerhalb der beiden Sphären schwelten langwierige, kaum lösbare Konflikte. Das Hamburger Beispiel stellt in gewisser Weise den Befund aus dem Fürstbistum Münster vom Kopf auf die Füße. In Münster übernahm das Offizialat häufig die Aufgabe eines ordentlichen Zivilgerichts. In Hamburg war das Obergericht zugleich ordentliches Kirchengericht. In Münster versuchte der Kölner Erzbischof seine Metropolitenstellung gegenüber dem Münsteraner Offizialat dazu zu nutzen, das Fürstbistum zu einem unselbständigen Nebenland herabzudrücken. In Hamburg verteidigte der Erzbischof von Bremen dagegen die letzten Metropolitanrechte, die ihm in der Hansestadt verblieben waren. Der Abriß des Hamburger Doms im frühen 19. Jahrhundert, auch wenn er wegen Baufälligkeit erfolgte, war zugleich ein deutliches Zeichen, wer in dem Streit die Oberhand behalten hatte.
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In der reformierten Grafschaft Lippe diente die Hamburger Gerichtsverfassung als wichtiges Argument, um das landesherrliche Kirchenregiment und damit die oberste Gerichtsbarkeit des Grafen in geistlichen Angelegenheiten zu begründen. Wenn es nämlich evangelische Territorien gab, die keine Konsistorien errichtet hatten, konnte man kaum von der Pflicht zur Errichtung protestantischer Kirchengerichte sprechen. Damit konnte die landesherrliche Kanzlei in Detmold ihre Oberhoheit über die Konsistorien verteidigen, wenn sie auch sonst die Kontinuität zu den katholischen Offizialatsgerichten betonte. Wie aber sah es in einem katholischen Territorium aus, das einen weltlichen Herrscher über sich hatte? Überwogen die Gemeinsamkeiten mit den katholischen Fürstbistümern, oder gab es Ähnlichkeiten mit den evangelischen Reichsständen? Der Blick nach JülichBerg wird das klären.
X. Zuständigkeitsstreitigkeiten aus dem Herzogtum Jülich-Berg
Der Streifzug durch die norddeutschen Territorien endet im Herzogtum Jülich-Berg. Es dient nach dem ursprünglichen Plan der Untersuchung als Beispiel für ein katholisches weltliches Territorium in Norddeutschland. Diese Eingruppierung ist freilich höchst anfechtbar. Die meisten katholischen weltlichen Territorien befanden sich in Süddeutschland, allen voran Bayern2733. Als katholisch kann Jülich-Berg ohnehin nur wegen der Konfession seiner Herzöge, später zugleich Pfalzgrafen und Kurfürsten, gelten. Mit Herzog Johann Wilhelm starb 1609 das eigenständige katholische Herrscherhaus aus2734. Pathetisch heißt es in der landesgeschichtlichen Literatur: „Auf den geisteskranken Vater folgte der geisteskranke Sohn, der letzte seines Stammes.“2735 Für das späte 16. Jahrhundert bescheinigt das Schrifttum den Herzögen von Jülich-Kleve-Berg einen „reformkatholischen Sonderweg“2736, der sich konfessionell kaum klar bestimmen läßt. Teilweise ist von einer vorkonfessionell-erasmianischen Mentalität oder Konfessionsneutralität die Rede2737. Überregional rechtshistorisch bekannt ist das Beispiel von Johann Weyer (1515-1588), dem namhaften Gegner von Hexenprozessen und Leibarzt des Herzogs Wilhelm V. von Jülich-Kleve (reg. 15391592). Vielleicht war Weyer sogar Protestant2738. Die Kirchengeschichte betont, in Jülich-Kleve-Berg habe man im 16. Jahrhundert „konfessionell profilscharfe Festlegungen“ vermieden2739.
Zu weltlichen und geistlichen Sachen in Bayern U n t e r b u r g e r , Das Bayerische Konkordat. 2734 H ä r t e r , Jülich-Berg, S. 1165. 2735 H a s h a g e n , Politische und Kirchengeschichte, S. 135; ebenfalls Hinweis auf den Zusammenhang von Geisteskrankheit und Dynastieende bei A d e n au e r , Entwicklung, S. 13. 2736 S m o l i n s k y , Jülich-Kleve-Berg, S. 90-91; H är t e r , Jülich-Berg, S. 1166; ähnlich S a l l m a n n , Organisation, S. 56. 2737 L u t t e n b e r g e r , Glaubenseinheit, S. 94; E h r e n p r e i s , Die Vereinigten Herzogtümer, S. 239; F l ü c h t e r , Konfessionalisierung, S. 233-234; Überblick über die verschiedenen Schlagwörter bei H e l b i c h , Van allem schelden, S. 13. 2738 M i d e l f o r t , Johann Weyer, S. 57-60. 2739 K a u f m a n n , Geschichte der Reformation, S. 632, 654; ähnlich S c h u l t e , Neutralität, S. 232. 2733
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In dieser Zeit hat man es keineswegs mit einem Zwergstaat zu tun. Die ältere Landesgeschichte übertreibt ein wenig mit dem Hinweis auf ein „Fürstentum von überragender Größe“2740 oder einen niederrheinischen Großstaat2741 für die Zeit vor der Landesteilung im frühen 17. Jahrhundert. Aber das größte weltliche Territorium im Nordwesten des Reiches waren die beiden Herzogtümer durchaus2742. Nach dem Ende des Erbfolgestreits entschied sich Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg2743 ab 1614 für die konsequente Rekatholisierung des Herzogtums Jülich-Berg, nun getrennt von Kleve-Mark. Der getaufte Lutheraner trat zum Katholizismus über. 1627 erging ein Verbot, nicht-katholische Bekenntnisse öffentlich auszuüben, und nur ein Jahr später mußten alle protestantischen Geistlichen das Land verlassen2744. In diese Zeit fällt auch der Provisionalvergleich zwischen Jülich-Berg und Kurköln von 1621 über die Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit2745. Dieser Vertrag spielt in den Streitigkeiten, um die es im folgenden geht, eine gewichtige Rolle. Das Herzogtum Kleve, die zweite Hälfte des ehemaligen Verbundes, war nach der Landesteilung in Personalunion mit den reformierten Brandenburger Kurfürsten verbunden. Noch 1620 klagte eine katholische Untertanin vor dem Reichskammergericht auf fortdauernde Tätigkeit der katholischen geistlichen Gerichte im weltlich protestantischen Territorium und erhielt sogar ein Mandat2746. Unklare konfessionelle und gerichtsverfassungsrechtliche Schwebelagen gab es also auch hier. Die Landesherrschaft in Jülich-Berg dagegen war seit 1614 klar katholisch, doch konnten Protestanten ohne weiteres zu hohen Landesbediensteten aufsteigen2747. Freilich saß der Herzog nicht in seinem Territorium. Als klassisches Nebenland war Jülich-Berg in Personalunion mit der Kurpfalz, später mit Kurpfalzbayern verbunden2748. Die Gegenreformation hatte überdies nur begrenzten Erfolg. Im Landesteil Berg war um 1700 nur ein
C ü r t e n , Organisation, S. 205. S t e i n b a c h , Geschichtliche Räume, S. 31-32: zum Königreich fehlte nur der Name, grandioser Ansatz zu einer nordwestdeutschen Großmacht; dazu G ab e l , Beobachtungen, S. 145. 2742 E h r e n p r e i s , Die Vereinigten Herzogtümer, S. 241. 2743 Zu seiner Konversion M a d e r , ...wegen unserer conversion, S. 109-141. 2744 H ä r t e r , Jülich-Berg, S. 1166; Beispiele bei H a s h ag e n , Politische und Kirchengeschichte, S. 144, 146. 2745 R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 70-94; B r z o s a , Geschichte, S. 195-202. 2746 R u t h m a n n , Religionsprozesse, S. 351-356. 2747 E r d m a n n , Hofrat, S. 42. 2748 M ü l l e r , Haus Wittelsbach, S. 16-20; H är t e r , Jülich-Berg, S. 1165. 2740 2741
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Viertel der Bevölkerung katholisch2749. Trotz des hohen Anteils evangelischer Untertanen bleibt die Aussagekraft der Prozesse um weltliche und geistliche Justiz weitgehend ungeschmälert. Die wesentlichen Streitpunkte sind deutlich sichtbar. Der Schwerpunkt liegt im folgenden auf Auseinandersetzungen im katholischen Bereich. Jülich-Berg verfügte über eine an den Landesherrn angebundene weltliche Gerichtsbarkeit. Es gab lange Zeit kein oberstes Hofgericht, sondern einen nicht ausdifferenzierten Hofrat. Er war zugleich für Verwaltungssachen zuständig. Außerdem nahm 1668 ein Geheimer Rat seine Arbeit auf2750. Ein Oberappellationsgericht in Düsseldorf bestand erst seit 17692751. In der Zeit davor waren einzelne Mitglieder des Hofrats und des Geheimen Rates zugleich als Hofgerichtskommissare tätig2752. Man sieht also die vielerorts üblichen Doppel- oder Dreifachzuständigkeiten. In der geistlichen Gerichtsbarkeit bestand der wesentliche Unterschied etwa zu den Fürstbistümern Münster und Hildesheim in der zurückgenommenen Rolle des Landesherrn. In Jülich-Berg besaß der weltliche Herrscher keine Jurisdiktionsgewalt in geistlichen Sachen. Seine iurisdictio beschränkte sich auf weltliche Angelegenheiten. Wie so häufig im vormodernen Recht ist mit solch klaren Festlegungen aber Vorsicht geboten. Ein in den Jahren ab 1584 vor dem Reichskammergericht geführter Rechtsstreit wirft nämlich genau diese Fragen auf. Vielleicht gab es ja doch Versuche, eine Art landesherrliches Kirchenregiment auch im Gerichtswesen einzuführen2753, ein Herrschaftsverhältnis also, das es in einem nicht-protestantischen Territorium eigentlich gar nicht geben konnte2754. Mit dieser Auseinandersetzung H ä r t e r , Jülich-Berg, S. 1166; zur Gemischtkonfessionalität S m o l i n s k y , Jülich-KleveBerg, S. 102-103; um 1600 war etwa ein Viertel der Einwohner reformiert: E h r e n p r e i s , Die Vereinigten Herzogtümer, S. 265. 2750 Zur Besetzung und personellen Verflechtung in den Jahren um 1700 L au , Regierungskollegien, S. 232-236; zum Verhältnis der institutionellen Ausdifferenzierung zur Zahl von Reichskammergerichtsklagen G a b e l , Beobachtungen, S. 161; zur Zeit vor 1668 E r d m a n n , Hofrat, S. 8-19. 2751 S c h n o r r e n b e r g , Oberappellationsgericht, S. 50-124; A d e n au e r , Entwicklung, S. 19, 30-32; S a l l m a n n , Organisation, S. 58-59: kein Hofgericht im 16. Jahrhundert, Gerichtsordnung von 1684; H ä r t e r , Jülich-Berg, S. 1173. 2752 L a u , Regierungskollegien, S. 237; zurückhaltender W a l z , Stände, S. 149, für die Zeit ab 1640. 2753 LA Düsseldorf RKG H 1803/5897; Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K as t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 4, Nr. 2804, S. 498-499. 2754 Ebenso H a s h a g e n , Politische und Kirchengeschichte, S. 149, für die Zeit des Provisionalvergleichs; F l ü c h t e r , Konfessionalisierung, S. 238; H e l b i c h , Van allem schelden, S. 14, für die Zeit um 1500; v . H ae f t e n , Die landständischen Verhältnisse, S. 22, für die Mitte des 16. Jahrhunderts; übereinstimmend am Beispiel Hessens vor der Reformation F r i e d r i c h , Territorialfürst, S. 43-49; S i b e t h , Eherecht, S. 100. 2749
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beginnt sachgerecht die Quellenauswertung. Der Aufbau einer landeseigenen geistlichen Gerichtsgewalt sowie Meinungsverschiedenheiten mit den Kölner Kurfürsten über das Ausmaß seiner gerichtlichen Mitwirkungsbefugnisse sind sodann Besonderheiten der Gerichtsverfassung von JülichBerg. Hier gab es klare Unterschiede zu Münster und Hildesheim. In geistlichen Territorien zeigen die Auseinandersetzungen um Zuständigkeiten doch ein deutlich anderes Bild. Für die evangelischen Untertanen mochte das unerheblich sein. Doch das spielt für die hier verfolgte Fragestellung keine Rolle. Es kommt nicht darauf an, in welchem Umfang die gesamte Bevölkerung den beiden Gerichtsbarkeiten, also weltlicher und geistlicher Jurisdiktion, in ihren jeweiligen konfessionellen Spielarten unterworfen war. Es genügt, wenn es diesen Längsschnitt der Gerichtsgewalt gab, wenn in JülichBerg Prozesse in ausreichender Zahl stattfanden und wenn die Parteien sich um die Zuständigkeit geistlicher und weltlicher Gerichte stritten. Überdies scheinen die Protestanten bis 1668 sogar der katholischen Sendgerichtsbarkeit unterworfen gewesen zu sein2755. Und über Fragen des evangelischen Eherechts entschieden die katholischen Landdechanten2756. Das Gemenge ist nicht leicht zu durchblicken. Die Quellenlage für Jülich-Berg ist schwierig. Deutlich über 30 Reichskammergerichtsakten im Landesarchiv Düsseldorf überliefern die Kompetenzkonflikte. Im Vergleich zu anderen norddeutschen Territorien handelt es sich um eine hohe Zahl. Tatsächlich dürfte sie noch erheblich darüber liegen, weil die territoriale Zuordnung der Fälle nicht einfach ist. Der gesamte rheinländische Aktenbestand ist zwar modern verzeichnet und durch ausführliche Inhaltsangaben gut aufbereitet, zehnbändig mit über 6.800 Inventarisierungen. Jedoch sind die Akten nicht durch Register erschlossen2757. Zugleich umfaßt der Düsseldorfer Archivsprengel eine Vielzahl frühneuzeitlicher Territorien, insbesondere auch Kurköln. Deswegen ist es äußerst schwer zu bestimmen, welcher Rechtsstreit aus welchem Territorium stammt. Bei mehrinstanzlichen Prozessen läßt sich das Problem durch die Zuordnung der Untergerichte halbwegs verläßlich lösen. Bei Mandatsprozessen oder anderen erstinstanzlichen Sachen ist die Bestimmung dagegen fast unmöglich, wenn die Beteiligten in kleineren Ortschaften lebten. Auch bei geistlichen Gerichten erster Instanz ist die Abgrenzung zu Kölner Sachen problematisch. Daraus entspringt die hier befolgte Lösung: Ausgewertet sind nur solche Akten, deren Zugehörigkeit zu Jülich-Berg zweiJ a n s e n , Entwicklung, S. 127; Quellennachweis bei S c o t t i , Sammlung Jülich I, Nr. 540 S. 145-151: 1668 Verkündung des Religionsvergleichs mit Kurbrandenburg vom September 1666. 2756 J a i t n e r , Konfessionspolitik, S. 256. 2757 Dazu auch D i e s t e l k a m p , Rückblick, S. 7. 2755
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felsfrei feststeht. Das schließt selbstverständlich diejenigen Auseinandersetzungen ein, in denen etwa die Unterwerfung eines bestimmten Ortes unter die Herrschaft Jülich-Bergs oder Kurkölns im Streit stand. Zweifelsfälle dagegen bleiben außen vor. Im Ergebnis dürften die Auseinandersetzungen um die Trennlinie weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit in Jülich-Berg also deutlich zahlreicher gewesen sein, als es hier erscheint. Die Nachbarschaft zu Kurköln teilte Jülich-Berg mit dem Fürstbistum Münster. Dennoch waren die Ausgangsbedingungen grundverschieden. Genau deshalb klammern diese beiden Territorien die verschiedenen regionalen Tiefbohrungen als erstes und letztes Kapitel ein. Im Hochstift Münster war es übliche Praxis des Offizialatsgerichts, als geistliches Hofgericht zugleich über sämtliche Zivilsachen zu urteilen, wenn ein Kläger sie dort anhängig machte. Appellationen an das Kölner Offizialat kamen oftmals vor, doch blieb der Instanzenzug streitig. Der Kölner Kurfürst beanspruchte jedenfalls die zweitinstanzliche weltliche Jurisdiktion über das Münsterland. Da er in Personalunion zumeist gleichzeitig Fürstbischof von Münster war, gab der Landesherr die Reichsunmittelbarkeit seines eigenen Territoriums zugunsten der Bildung eines Gesamtstaates stillschweigend auf2758. Freilich kam er damit rechtlich nicht so weit wie etwa die preußischen Könige im 18. Jahrhundert. Für das mit Kurköln ebenfalls verbundene Herzogtum Westfalen und das Vest Recklinghausen gilt übrigens ähnliches2759. In Jülich-Berg war es genau entgegengesetzt. Die Herzöge versuchten, die Jurisdiktion des Kölner Erzbischofs zu begrenzen und jegliche Mitspracherechte in weltlichen Angelegenheiten auszuschließen. Während der Verhandlungen um einen Vergleich zwischen dem Kölner Kurfürsten Ferdinand von Bayern und Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm beschwerten sich der Kurfürst und der Kölner Nuntius sogar beim Papst über die jülich-bergische Gerichtsverfassung. Papst Paul V. schrieb deshalb im November 1620 an Wolfgang Wilhelm einen Brief. Er führte Klage, weil im Herzogtum JülichBerg Laien sich anmaßten, Streitgegenstände an sich zu reißen, die vor das geistliche Gericht gehörten. Insbesondere müßten sich geistliche Personen vor weltlichen Gerichten verantworten2760. Anders als in Münster hat man es in Jülich-Berg also nicht mit einer weit ausgreifenden geistlichen Gerichtsbarkeit zu tun2761. Vielmehr war es die weltliche Jurisdiktion, die den Zeitgenossen sehr weit zu gehen schien. Der Provisionalvergleich von 1621 zwischen Kurköln und Jülich-Berg legte in einigen Einzelfällen fest, welche Dazu oben bei Anm. 421-466, 507. T i l l e , Instanzenzug, S. 222-232. 2760 R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 90. 2761 Vielleicht war die Situation um 1550 anders, dazu E h r e n p r e i s , Die Vereinigten Herzogtümer, S. 248. 2758 2759
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Sachen als weltlich und welche als geistlich anzusehen waren. In den streitigen Fällen von Testamenten und Ehesachen folgte man dabei mehrfach dem Herkommen, das man durch eine Befragung von Landdechanten ermittelt hatte. Für die Gerichtsverfassung sind zwei Punkte bemerkenswert. Zunächst gab es keine messerscharfe Grenze zwischen weltlichen und geistlichen Streitgegenständen. Das war allen Beteiligten klar. Es verblieben zahlreiche Sachen mixti fori. Sie sollte derjenige entscheiden, vor dem das Verfahren gerade anhängig war2762. Außerdem einigten sich die Landesherren von Jülich-Berg und Kurköln 1621 darauf, die erstinstanzliche geistliche Gerichtsgewalt nicht dem Erzbischof oder seinem Offizial, sondern den bereits erwähnten Landdechanten anzuvertrauen. Zu diesem Zweck teilte man sogar das Dekanat Neuß in zwei Hälften. So konnte die Bevölkerung im rechtsrheinischen bergischen Land einen eigenen Dechanten anrufen, der innerhalb ihres Territoriums residierte2763. Der Dechant war zwar kein landesherrlicher Amtsträger, saß aber jedenfalls räumlich innerhalb der Territoriumsgrenzen2764. Die Dezentralisierung der geistlichen Gerichte beantwortete freilich nicht die Frage, wer Inhaber der iurisdictio war. Eine völlige Ablösung von der erzbischöflichen geistlichen Gerichtsbarkeit erfolgte also nicht. Möglicherweise sollte die erstinstanzliche geistliche Jurisdiktion durch die Landdechanten aber dazu beitragen, die Ausdehnung der kölnischen Gerichtsbarkeit in geistlichen Sachen zu begrenzen2765. Im 18. Jahrhundert scheinen sich dann Amtsverständnis und Dienstaufsicht der Landdechanten geändert zu haben. Von geistlichen Amtsträgern wandelten sie sich mehr und mehr zu herzoglichen Beamten2766. Der Historiker Max Lehmann, übereifriger Lutheraner und „konservativer Heißsporn“2767, meinte deshalb 1878 auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes, Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm habe gegenüber dem Kölner Kurfürsten „das Kirchenstaatsrecht seines Territoriums preisgegeben“2768. Diese R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 85. R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 94; B r z o s a , Geschichte, S. 196; Hinweis auch bei J a n s e n , Entwicklung, S. 124. 2764 Ausnahmeregelungen gab es für Dechanten, die sich zwar im Nachbarterritorium, aber nicht weit von der Grenze entfernt befanden: R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 91. 2765 So E h r e n p r e i s , Die Vereinigten Herzogtümer, S. 255, für die Grafschaft Mark und das Verhältnis zum erzbischöflichen Sendgericht. 2766 H a a ß , de Reux, S. 179. 2767 M e i n e c k e , Lehmann, S. 450; zu Lehmann außerdem v o m B r u c h , Lehmann, S. 88-90. 2768 L e h m a n n , Preußen und die katholische Kirche I, S. 31.; zitiert auch von R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 94; ähnliche zeitgenössische Sichtweise zu Bayern im 16. Jahrhundert: U n t e r b u r g e r , Das Bayerische Konkordat, S. 522; abweichend zu Jülich-Berg F r i e d b e r g , Gränzen, S. 108; H a aß , de Reux, S. 176. 2762 2763
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Schärfe in der Einleitung zu seinem bekannten Quellenwerk über Preußen und die katholische Kirche brachte Lehmann deutliche Kritik von der Zentrumspartei und sogar 1883 einen Rüffel durch Reichskanzler Otto von Bismarck ein2769. Für die hier interessierenden Fragen sind die Meinungskämpfe des 19. Jahrhunderts natürlich nicht maßgeblich2770. Sie führen aber vor Augen, welche Bedeutung die Trennlinie weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit nicht nur in der frühen Neuzeit besaß. Wie leicht ließ sich auch später der Blick in die Rechtsgeschichte als kirchenpolitisches Argument benutzen! Ganz im Gegensatz zu Lehmanns Auffassung warf im übrigen die römische Kurie den deutschen Bischöfen vor, sie hätten in der jülichbergischen Angelegenheit den Bruch kirchenrechtlicher Grundsätze hingenommen2771. Die Frage nach Sieger und Verlierer ist daher seit je offen. Eine nüchterne Bestandsaufnahme anhand der Prozeßakten zeigt aber, welche Fragen den Parteien vor Gericht seinerzeit wirklich wichtig waren, wichtig genug immerhin, um die Abgrenzung weltlicher und geistlicher Gewalt zum Gegenstand von Reichskammergerichtsklagen zu machen. Die Quellenauswertung erfolgt in sechs Schritten. Zu Beginn beschweren sich Kläger über geistliche Gerichte, die weltliche Streitgegenstände behandeln. Spiegelbildlich folgen im zweiten Abschnitt Klagen über weltliche Prozesse in geistlichen Angelegenheiten. Ein spezielles regionalgeschichtliches Problem schließt sich an dritter Stelle an. Hier geht es um kölnische geistliche Gerichtsbarkeit in Jülich-Berg, ergänzt um die geistliche Gerichtsbarkeit Lüttichs in Jülich-Berg. Das vierte Kapitel behandelt Klagen über unzulässige Appellationen an den Apostolischen Nuntius in weltlichen Sachen. Dabei ging es zwar auch um weltliche Streitigkeiten vor geistlichen Gerichten, doch waren die Prozesse gegen den Nuntius auch in anderen Territorien eine klar hervorgehobene und eigenständige Gruppe von Konflikten. Das privilegium fori der Geistlichkeit, ihre Befreiung vom weltlichen Gerichtszwang, bildet den fünften Abschnitt. Am Schluß der Bestandsaufnahme folgen sechstens Streitigkeiten um allgemeine und spezielle Appellationsverbote. Hier fällt der Blick auf Auseinandersetzungen um die Zulässigkeit kammergerichtlicher Klagen. Eine Zusammenfassung verbindet dann die einzelnen Stränge miteinander und sucht die „schärfste Waffe des Historikers“2772, nämlich den Vergleich mit anderen Territorien.
v o m B r u c h , Lehmann, S. 89. Erheblich positivere Sicht aber bei R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 94; E h r e n p r e i s , Der Dreißigjährige Krieg, S. 95. 2771 R e i n h a r d t , Beziehungen, S. 69; J a i t n e r , Konfessionspolitik, S. 74. 2772 Schönes Wort von G r o s s i , Recht, S. 99. 2769 2770
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Das leitet schließlich zum Ergebnisteil über. Er sieht sich vor die schwierige Aufgabe gestellt, die zahllosen Details und partikularen Buntheiten zusammenzuschnüren.
l. Weltliche Sachen vor geistlichen Gerichten Unter den jülich-bergischen Reichskammergerichtsakten befinden sich sieben Prozesse, in denen die Parteien sich über die Behandlung weltlicher Angelegenheiten vor geistlichen Gerichten stritten2773. Demgegenüber gab es sechs Verfahren, in denen es um die Übergriffe weltlicher Gerichte in geistliche Sachen ging2774. Auf den ersten Blick handelt es sich um etwa gleichgewichtige Konflikte. Bei genauerem Hinsehen läßt sich eine bezeichnend abweichende zeitliche Verteilung entdecken. Von den sieben Verfahren um die Ausübung geistlicher Gerichtsgewalt in weltlichen Sachen stammen zwei aus der Zeit vor 1600, die übrigen sind jünger, eines sogar noch von 17562775. Im Gegenzug fallen fünf der sechs Prozesse um weltliche Jurisdiktion in geistlichen Sachen in die Zeit vor 1600. Es gibt also einen deutlich gegenläufigen Trend. Die Beschwerden über rechtswidrige weltliche Gerichtsbarkeit in geistlichen Streitgegenständen ließen ab 15882776 sichtbar nach. Dagegen begannen die Klagen wegen Übergriffen geistlicher Gerichte in den weltlichen Bereich überhaupt erst 15852777. Unwägbarkeiten der Quellenerschließung mögen später zu Ergänzungen führen und den Befund einschränken. Die jeweiligen Tendenzen lassen sich aber klar erkennen und benennen. Die Kritik an den weltlichen Gerichten ging zurück, diejenige an den geistlichen Gerichten nahm zu. In Zweifelsfällen waren die Untertanen seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts wohl eher bereit, weltlichen Gerichtszwang hinzunehmen, als sich umstrittener geistlicher Gewalt zu unterwerfen. In der Grauzone zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit hatten es die weltlichen Gerichte also zunehmend leichter, sich durchzusetzen. Möchte man es pathetisch formulieren, zeigt sich hier im Kleinen, wie im Ringen zwischen Staat und Kirche der Staat nach und nach In chronologischer Reihenfolge: LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, G 846/2844b, Q 33/44, G 881/2886, F 675/2751, L 543/2028, N 218/665. 2774 In chronologischer Reihenfolge: LA Düsseldorf RKG P 740/2416, R 979/3284, F 786/2729, S 905/3146, Q 14/23, M 1013/2734. 2775 LA Düsseldorf RKG N 218/665. 2776 Zweitjüngster Fall von 1588: LA Düseldorf RKG Q 14/23. 2777 Ältester Fall: LA Düsseldorf RKG H 1803/5897. 2773
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die Oberhand gewann. Aber es geht nicht um die Bekenntnisse des 19. Jahrhunderts. Jeder Einzelfall warf neue Probleme auf, und bis ins späte 18. Jahrhundert blieben viele Fragen offen. Auch wenn die Auseinandersetzungen um die Ausgriffe kirchlicher Jurisdiktion in den weltlichen Bereich jünger sind, stehen sie doch am Anfang der Auswertung. Genau dieser Abschnitt nimmt nämlich die aus den anderen Territorien vertrauten Fäden auf. Das erleichtert spätere Vergleiche.
a) Zur Gerichtsgewalt eines landesherrlichen Sondergerichts Der erste Fall betrifft einen Streit um die Rechtsnatur des Untergerichts. Der Sachverhalt erschließt sich aus der Narratio der kammergerichtlichen Ladung vom 7. August 15842778. Eine Margaretha von Oeffte war mit dem Junker Eberhard Quadt verheiratet. Ihre Ehe hatte sie in eigenen Worten „offentlich in facie Ecclesiae, Christlichem alten gebrauch nach“ geschlossen2779. Nach dem Tod ihres Mannes beanspruchte die Witwe „vermög ungezweiffelten Landbrauchs (...) Ususfructus und Leibzucht“ an den Gütern ihres Mannes, also Nießbrauch und Witwenunterhalt2780. Dazu gehörten auch Geld- und Kornrenten, die ein Gerhard von Waldenburg dem Ehemann geschuldet hatte. Der aber weigerte sich zu zahlen. Er hielt Margaretha von Oeffte für „eine Closter Jungfraw“, die gar nicht heiratsfähig gewesen sei. Margaretha bestritt allerdings, „Jemals einig Closter glübdt gethan“ zu haben2781. Margaretha von Oeffte klagte „Adelichen Gülchischem gebrauch nach“ die angebliche Zahlungsforderung vor Herzog Wilhelm V. ein. In der Tat kannte das Partikularrecht die erstinstanzliche Zuständigkeit der landesherrlichen Justiz über Ritterbürtige2782. Die Frage, „Ob Margreth von Oefft closter glübdt gethon oder nit“, war der entscheidende Punkt. Das sah der Herzog offenbar auch so. Er entschied die Sache aber nicht selbst, sondern setzte dafür ein besonderes Gericht ein. Handelte es sich also um die geistliche Vorfrage zu einem weltlichen Rechtsstreit? Ging es um die Einrichtung eines geistlichen Gerichts durch den Landesherrn? Genau über diese Fragen stritten die ParRepertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 4, Nr. 2804 S. 498-499; bei N i e d e r au , Geschichte, S. 18 Anm. 17, nicht genannt, weil es sich um einen anderen Zweig der Familie handelt. 2779 LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 1, fol. 14r; kurz zu den Familien Oeffte und Quadt F a h n e , Geschichte I, S. 310, 341. 2780 Zur Leibzucht S c h ü t t e , Wörter und Sachen, S. 414-415; S c h ar p w i n k e l , Eigentumsordnungen, S. 78-81. 2781 LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 1, fol. 14r. 2782 A d e n a u e r , Entwicklung, S. 90, Hinweis auf privilegierte Personen auch S. 72. 2778
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teien. Margaretha von Oeffte erkannte nämlich die ordnungsgemäße Gewalt des neuen Gerichts nicht an. Doch am 3. Juli 1584 erging die Entscheidung, modern gesprochen ein Feststellungsurteil. Die Klägerin sei mit „Kloster glübdt verstrickt“ und daher nicht heiratsfähig2783. Das bestritt Margaretha von Oeffte weiterhin und appellierte empört an das Reichskammergericht. Im Einleitungssatz des angefochtenen Urteils hieß es, das Gericht habe „mit rhat der Herrn Fürstlichen Gülichschen und Bergischen Rhete und Rechtzgelerten zu Recht erkandt“. Diese Herren, wohl überwiegend Juristen, hatten ihr Urteil angeblich „zu Düßeldorf in der Decanien“ gefällt, also am Sitz der regionalen geistlichen Obrigkeit2784. Abweichend von der Prozeßchronologie bietet es sich an, zu diesem Gesichtspunkt zunächst die Beklagten und Appellaten zu Wort kommen zu lassen. Sie gingen von einem ordentlichen geistlichen Verfahren aus. Nichts weiter als die übliche geistliche Gerichtsbarkeit sahen sie am Werke. Der rechtliche Aufhänger war klar. Es entsprach „wolbekandtenn Rechtens Quod causae matrimoniales, et emissi Voti monastici ad forum Ecclesiasticum pertineant“2785. Präjudizierliche geistliche Vorfragen durfte nach dieser Ansicht der weltliche Richter nicht entscheiden und mußte sie an das geistliche Gericht verweisen. Deswegen, so betonten die Appellaten, habe der Herzog als weltlicher Richter die Sache an den Dechanten in Düsseldorf2786 „dimittirt, unnd Ime neben etzlichen beiuerordnetenn adsessores“ befohlen, den Prozeß zu führen. Die Audienzen dieser Institution fanden „außerhalb der fürstlichen Cantzleien und gewonlicher Hoffgericht platz“ statt, nämlich „in priuatis aedibus iudicis ecclesiastici uel adsessorum“. Als die Sache zur Entscheidung reif war und die Parteien um das Urteil baten, befahl Herzog Wilhelm seinen Räten, die Akten durchzusehen. Wohl auf ihr Bedenken hin äußerte sich auch der neue Düsseldorfer Dechant noch zu der Rechtslage. Dann erst erfolgte der Urteilsspruch2787. Wer hatte nun entschieden? Die Appellaten hielten die Art und Weise, wie der Herzog das Gericht eingesetzt hatte, für hergebrachte Praxis. Auch das Verfahren selbst entsprach für sie dem üblichen Entscheidungsgang in geistlichen Sachen. Denn schon „eine gutte geraume Zeitt hero“ habe der Herzog „solliche unnd dergleiche causas matrimoniales et ecclesiastici fori“ abgegeben. Besonders bei Untertanen aus dem bergischen Landesteil „under dem Fluß die wupper genandt geseßen“ lasse Wilhelm V. die geistlichen Vorfragen „durch denn zeitlichen Dechanten zu Düsseldorff unnd etlichenn beiuerordnetenn terminiren und per sententias entscheiden“. LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 8, fol. 38r. LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 8, fol. 38r. 2785 LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 7, Artikel 1, fol. 29r. 2786 Zum Düsseldorfer Dechanten B r z o s a , Geschichte, S. 197; J an s e n , Entwicklung, S. 125. 2787 LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 7, Artikel 12-19, fol. 33r-35r. 2783 2784
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Vielleicht galt das nur für Adlige, denn sonst hätte sich der Herzog wohl kaum persönlich mit der Sache beschäftigt. Dieser Gesichtspunkt spielte für die Appellaten aber keine Rolle. Wichtiger war etwas anderes. Sicherheitshalber versperrte nämlich der Schriftsatzverfasser sogleich den Rechtsweg. Gegen dergleichen „ad forum Ecclesiasticum“ gehörende Sachen und Urteile des Dechanten seien bisher noch niemals Appellationen an das Reichskammergericht erfolgt2788. Es ist nicht einfach, den Gedankengang aus zeitgenössischer Sicht schlüssig nachzuvollziehen. Die Appellaten wollten sicherlich viererlei zeigen. Erstens hatte das zuständige Gericht in einem ordnungsgemäßen Verfahren entschieden. Zweitens war dieses Gericht ein geistliches Gericht. Drittens handelte es sich um einen geistlichen Steitgegenstand. Und viertens war deswegen die Appellation an das Reichskammergericht unzulässig. Die Schlußfolgerung geht bereits aus der Titulierung des Schriftsatzes hervor, den „Exceptiones incompetentiae et non deuolutae Appellationis“2789. Doch tauchten freilich in der Argumentation der Appellaten immer wieder Hinweise auf die direkte Beteiligung des Landesherrn an der Einsetzung des Gerichts und am Verfahrensgang auf. Die Einwirkung der landesfürstlichen Obrigkeit sowie die gemischte Gerichtsbesetzung mit geistlichen Würdenträgern und weltlichen Räten erinnern überdeutlich an evangelische Konsistorien. Wenn die Literatur betont, die konfessionelle Lage in Jülich-Berg sei gegen Ende des 16. Jahrhunderts unklar gewesen2790, so entdeckt man hier die Entsprechung in der Gerichtsverfassung. Konfessionelle Uneindeutigkeit ging mit gerichtlicher Uneindeutigkeit einher. Bei geistlichen Gerichten konnte das auch kaum anders sein. Von einem Ordinarius ist in der Quelle mit keinem Wort die Rede. Der Landesherr übte die Aufsicht und damit im Ergebnis die Gerichtshoheit über das angeblich geistliche Gericht aus, das war zwischen den Parteien unstreitig. Überspitzt könnte man von einem landesherrlichen Kirchenregiment eines formal noch altgläubigen Fürsten sprechen2791. Ob das Verfahren zur Einsetzung des Dechanten-RäteLA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 7, Artikel 22-23, fol. 35v-36r. LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 7, Dorsalvermerk. 2790 F l ü c h t e r , Zölibat, S. 27-30; S a l l m a n n , Organisation, S. 56; Einzelheiten am Beispiel Düsseldorf bei B r z o s a , Geschichte, S. 214-239. 2791 H a s h a g e n , Politische und Kirchengeschichte, S. 149, für Zeit um 1621; H e l b i c h , Van allem schelden, S. 14, für die Jahre um 1500; v . H ae f t e n , Die landständischen Verhältnisse, S. 22; für Hessen vor 1500 S i b e t h , Eherecht, S. 100; „landesherrliche Kirchenaufsicht“ bei E h r e n p r e i s , Die Vereinigten Herzogtümer, S. 246; „vorreformatorisches Kirchenregiment“ bei F l ü c h t e r , Zölibat, S. 95, für das 15. Jahrhundert; für das 16. Jahrhundert d i e s . , Konfessionalisierung, S. 238: landesherrliches Kirchenregiment; S c h u l t e , Neutralität, S. 231; für Bayern ebenso U n t e r b u r g e r , Das Bayerische Konkordat, S. 102-106; zum Verhältnis des landesherrlichen Kirchenregiments zum kanoni2788 2789
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Gerichts tatsächlich so allgemein üblich war, wie die Appellaten behaupteten, ist schwer zu klären. Die gezielte Beiordnung einiger fürstlicher Räte spricht eher gegen klare abstrakte Zuständigkeiten. Vermutlich berief der Herzog solche Gerichte nur von Fall zu Fall ein. Auch das erinnert an evangelische Territorien. Auch dort dauerte es nach der Reformation einige Zeit, bis die Konsistorien fest eingerichtet und mit eigener straffer Gerichtsordnung versehen waren2792. Eine landesgeschichtliche Untersuchung von Sallmann aus dem Jahre 1902 betonte, in kirchlichen Rechtssachen seien in der Zeit Herzog Wilhelms V. des Reichen, also vor 1592, Entscheidungen „stets von der Gesamtheit der Räte erledigt“ worden2793. Das kann nicht sein, denn im hier untersuchten Fall traf das ersichtlich nicht zu. Erdmann erwähnte 1939 einige geistliche Räte, die dem Hofrat formal angehörten, aber nur gelegentlich bei der Beratung geistlicher Sachen an den Sitzungen teilnahmen. Der Düsseldorfer Dechant gehörte dazu2794. Das paßt schon eher mit dem Quellenbefund überein. Aber das Verhältnis dieses erweiterten Hofrats zu dem im Oeffte-Fall 1584 eingesetzten Gericht läßt sich dennoch nicht näher bestimmen. Ein förmliches Consilium ecclesiasticum, einen geistlichen Rat, der auch Rechtssachen erledigte, gab es in Jülich-Berg erst seit 16942795. Die Appellantin Margaretha von Oeffte bzw. der Schriftsatzverfasser ihres zweiten Ehemanns Dietrich von der Hoven zum Stein konnte weit und breit kein geistliches Gericht erkennen. Mochten die Appellaten das landesherrliche Gericht als geistliche Behörde gedeutet haben; Margarethas Anwalt lehnte das ab. „Unser gnediger F[ürst] und Herr“ sei in der Tat am erstinstanzlichen Rechtsstreit beteiligt gewesen, aber als weltlicher Herrscher, „Als secularis princeps Imperij“2796. Das veränderte die Blickrichtung vollständig. An allen Ecken und Enden wollte die Appellantin Hinweise auf weltliche Gerichtstätigkeit erkennen. Es ging für sie um eine Erbschafts- und Statussache, und hier hatte ein geistlicher Richter nichts verloren, „certe Judex ecclesiasticus aut spiritualis non habetur“. Der Blick in die Prozeßakte sollte das erhärten. An keiner Stelle finde sich der ausdrückliche Hinweis, „daß es causa Ecclesiastica sein sollte“. Statt vom geistlichen Gericht sprach der Schriftsatzschen Recht S p r e n g l e r - R u p p e n t h a l , Das kanonische Recht, S. 51-55; Vergleich protestantischer und katholischer Konzeptionen bei S c h i n d l i n g , Kirchenregiment, Sp. 687-688. 2792 F r a s s e k , Eherecht, S. 72-102; zur Grafschaft Lippe H a as e , Allerhand Erneuerung, S. 70; zur erstmaligen Einrichtung des lippischen Konsistoriums 1556 H e i d e m a n n , Gerichtswesen, S. 132. 2793 S a l l m a n n , Organisation, S. 56. 2794 E r d m a n n , Hofrat, S. 59-60. 2795 R e x h a u s , In Gottes Namen, S. 21. 2796 LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 9, fol. 44v.
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verfasser immer nur von den fürstlich jülich-bergischen Kommissaren. Wie er betonte, sei seine Mandantin, nachdem sie die Appellation eingelegt hatte, sogar einmal zur landesherrlichen Kanzlei „citirt gewesen“2797. All das sprach für einen weltlichen Rechtsstreit. Offenbar hatte Margaretha von Oeffte gegen die Einsetzung des gemischten Gerichts sofort protestiert und bereits dagegen nach Speyer appelliert. Doch diese erste Appellation soll „abgeschlagen“ worden sein2798. Unsicher bleibt, ob das Reichskammergericht die erste Appellation gar nicht erst annahm. Vielmehr scheint das geistlich-weltliche territoriale Mischgericht der Appellantin refutatorische Aposteln mitgeteilt zu haben2799. Schwarz auf weiß war das der Beleg für die Unzulässigkeit der Appellation, jedenfalls aus Sicht des Düsseldorfer Gerichts. Die Sache gelangte deswegen im ersten Anlauf wohl gar nicht bis nach Speyer. Jedenfalls zeigen die Äußerungen der Appellantin unmißverständlich ihren Unmut über das schwer zu benennende Mischgericht. Sie hielt das vorinstanzliche Gremium für ein parteiisches, befangenes, außerordentliches weltliches Sondergericht und erkannte es als geistliches Tribunal nicht an. Ging es in diesem Fall um eine weltliche Sache vor einem geistlichen Gericht? Das war doppelt fraglich. Die Rechtsnatur des Gerichts war ebenso unklar wie die Einordnung des Streitgegenstands. Hier setzte die Appellantin nach. Der an das schwer zu bezeichnende Mischgericht ausgelagerte Punkt betraf den Beweis, ob sie in Duisburg ein Klostergelübde abgelegt hatte. Das mochte man durchaus noch als weltliche Frage ansehen. Jedenfalls ging es um ein tatsächliches Problem, um einen unklaren Sachverhalt, den auch andere Parteien als weltliche Frage einstuften2800. Die Tenorierung des angefochtenen Urteils erwähnte dagegen gar nicht das Gelübde, sondern verneinte rundum die Ehefähigkeit der Klägerin. Das war nach zeitgenössischer Einschätzung wohl als geistlich zu verstehen. Stillschweigend räumte die Appellantin das auch ein. Die sonst üblichen Hinweise, es handele sich um einen klar profanen oder zivilen Streit, fehlen nämlich in ihrer Supplikation. Das bestätigt indirekt den oben gewonnenen Eindruck: Beschwerden über die Behandlung weltlicher Streitsachen vor geistlichen Gerichten gehören in Jülich-Berg eher der Zeit nach 1600 an. Der Versuch des Herzogs, eine eigene, wenn auch schwer einzuordnende Konsistorialgerichtsbarkeit aufzubauen, verdient an dieser Stelle aber festLA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 9, fol. 42v-44v. LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 1, fol. 14r. 2799 LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 7, fol. 35v; zum Apostelbrief: M e r z b a c h e r , Apostelbrief, Sp. 195-196; W e i t z e l , Kampf um die Appellation, S. 55, 163; zu den mittelalterlichen Grundlagen L i t e w s k i , Zivilprozeß, S. 513-515. 2800 Dazu oben bei Anm. 2272, 2289, 2664. 2797 2798
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gehalten zu werden. In einer Zeit konfessioneller Uneindeutigkeit geriet auch die geistliche Gerichtsverfassung durcheinander.
b) Übergriffe des Lütticher Offizials in weltliche Angelegenheiten aus Jülich-Berg Die sechs eindeutigeren Fälle dieses Problemkreises lassen sich unschwer in drei Gruppen zu jeweils zwei Verfahren zusammenfassen. 1596 und 1615 entspannen sich Prozesse um die Tätigkeit der Offiziale aus Lüttich und Köln in weltlichen Angelegenheiten aus Jülich-Berg2801. 1627 und in den Jahren ab 1661 ging es um Eingriffe der Rota Romana in die weltliche Gerichtsbarkeit2802. 1672 und 1756 schließlich wehrten sich Parteien gegen eine Verweisung ihrer Rechtshändel vom weltlichen an das geistliche Gericht2803. Die Fälle mit Bezügen nach Lüttich und Kurköln dienen an späterer Stelle nochmals als Quellen für das Bestreben Jülich-Bergs nach umfassender landeseigener iurisdictio, so schwer diese in geistlichen Sachen auch zu erreichen gewesen sein mag. Im folgenden geht es dagegen um die Beeinträchtigung der weltlichen Herrschaft durch ausgreifende geistliche Offizialate. 1596 entzündete sich ein kammergerichtlicher Mandatsprozeß zwischen Herzog Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg und Ernst von Bayern, dem Kölner Erzbischof, in seiner Eigenschaft als Bischof von Lüttich2804. Es ging um die Ausübung der Lütticher Offizialatsgerichtsbarkeit in weltlichen Angelegenheiten in den Herrschaften Grote-Brogel und Erpickum. Die heute in Belgien gelegenen Ortschaften beanspruchte der Jülicher Herzog als Lehensherr, nachdem mit Philipp von Horn die Familie des letzten Lehensnehmers ausgestorben war2805. Johann Wilhelm beschwerte sich in seiner Supplikation über den Bischof von Lüttich. Trotz der Zuordnung zu Jülich-Berg übe Ernst von Bayern in den belgischen Dörfern geistliche Jurisdiktion in weltlichen Angelegenheiten aus. Schon der Lehensnehmer, der Graf von Horn, habe versucht, dagegen vorzugehen. Der beklagte Bischof meinte dagegen, dem Jülicher Herzog stehe die Herrschaft lediglich als „ein eröffnet Lehen eigenthumblich“ zu. Die Jurisdiktionsgewalt aber sei seit unvor-
LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Q 33/44; zum Lütticher Offizial S e i b e r t , Strafgerichtsbarkeit, S. 383-392. 2802 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, F 675/2751. 2803 LA Düsseldorf RKG L 543/2028, N 218/665. 2804 LA Düsseldorf RKG G 846/2844b; Inhaltsangabe bei A n t w e i l e r / Ka s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 2124 S. 524-525. 2805 LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Aktenstück Q 2, fol. 11v. 2801
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denklichen Jahren für den Lütticher „official Alß ordentlichen Richter“ hergebracht, und zwar „in Geist unnd Weltlichen sachen“2806. Das Reichskammergericht entschied den Mandatsprozeß zugunsten des Jülicher Herzogs2807. Freilich handelte es sich ersichtlich um eine hochpolitische Angelegenheit, nämlich letztlich um die Frage nach der Landesherrschaft. Deswegen ist es sachgerecht, die wesentlichen Streitpunkte des Verfahrens im Zusammenhang mit dem Kampf der jülich-bergischen Landesherren um die ungestörte Ausübung ihrer iurisdictio nochmals aufzugreifen2808.
c) Ein jülich-bergischer Diffamationsprozeß vor dem Kölner Offizial Die folgende Auseinandersetzung begann 1615 am Reichskammergericht. Es ging um eine Erbschaftsangelegenheit in der bereits oben erwähnten Familie Quadt. Ein ganzer Strauß ähnlicher Verfahren zwischen denselben Beteiligten war nach und nach in Speyer anhängig. In Frage stand, ob der Erbprätendent ehelich geboren war oder als illegitimer Sproß keinerlei Rechte geltend machen konnte2809. Obwohl die jülich-bergischen Räte den Besitz des Klägers Dr. Hermann Quadt bestätigt hatten, wandten sich seine Verwandten an den „Churfürstl[ich] Collnischen Officialn“ im Wege einer Diffamationsklage2810. Mit dieser Klageart war es möglich, jemanden, der ein Recht für sich in Anspruch nahm, zum förmlichen Beweis dieser Rechtsposition aufzufordern. Wenn das mißlang, verurteilte ihn das angerufene Gericht zum ewigen Stillschweigen2811. Hier ging es um die ehrliche, eheliche Geburt. Der Offizial erklärte sich für zuständig, obwohl die fraglichen Erbgüter „in andern Fürstenthumben alß Bergh, Gülich, Geller, Cleue“ verstreut lagen und Dr. Hermann Quadt „ahn verschiedenen ortern dinckpflichtig“ war. Jedenfalls wollte er sein „beneficium“ zur „Electio fori“ nicht aufgeben2812. Für Hermann LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Aktenstück Q 5, fol. 21v-22r; zur starken Stellung des Offizials S e i b e r t , Strafgerichtsbarkeit, S. 370. 2807 LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Protokollbuch, Expeditum vom 13. Dezember 1602, fol. 03v. 2808 Dazu unten bei Anm. 3006-3024. 2809 LA Düsseldorf RKG Q 33/44; Inhaltsangabe bei B r u c k h au s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht 7, Nr. 4497 S. 269-270; bei N i e d e r a u , Geschichte, S. 18 Anm. 17, taucht der Prozeß nicht auf, weil er einen anderen Zweig der Familie Quadt betrifft. 2810 LA Düsseldorf RKG Q 33/44, unquadr. „Libellus Appellationis“, Art. 5, fol. 13r. 2811 O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 608; zur Diffamation fehlt tiefgehende Literatur, aber immerhin B a r t e l s , Dogmatik, S. 38-39; S c h w ar z , Reform, S. 73-74, 154; F u c h s , Um die Ehre, S. 51 Anm. 108, 71, 168. 2812 LA Düsseldorf RKG Q 33/44, unquadr. „Libellus Appellationis“, Art. 9, fol. 13v. 2806
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Quadt boten die mehreren Gerichtsstände offenbar prozeßtaktische Vorteile, die er bei einer Zusammenfassung aller Streitsachen ausschließlich vor dem geistlichen Gericht gefährdet sah. Es ging in diesem Streit nicht nur um die sachliche Zuständigkeit, also nicht nur um die Behandlung weltlicher Fragen vor dem geistlichen Gericht. Das belegt der Hinweis auf die verstreuten Güter außerhalb der inzwischen wieder getrennten jülichischen Herzogtümer. Vielmehr bestritt der kammergerichtliche Appellant zugleich die örtliche Zuständigkeit des Kölner Offizials. Ob es sich bei der Legitimitätsprüfung, bei der Frage nach der ehelichen Geburt, um ein weltliches Rechtsproblem handelte, verlor aus dieser Blickrichtung an Bedeutung. Nach Ansicht des Appellanten durfte der Kölner Offizial nämlich in keinem Fall darüber entscheiden. Bis nach Geldern und Kleve reichte sein Arm nicht. Deswegen gehört auch dieser Prozeß in die Gruppe von Verfahren, in denen es schwerpunktmäßig um die Verteidigung der jülich-bergischen Landes- und Gerichtshoheit ging. Eine höchstgerichtliche Entscheidung erübrigte sich wegen des vorzeitigen Todes des Appellanten2813. Sowohl der frühere Fall mit Bezug zur Lütticher Offizialatsgerichtsbarkeit als auch der Quadt-Prozeß um das Diffamationsverfahren vor dem Kölner Offizial waren stark geprägt von Fragen nach den räumlichen Grenzen der Landesherrschaft und einer einheitlichen iurisdictio. Genau darum ging es in den Auseinandersetzungen um Eingriffe der Rota Romana in die jülich-bergische Gerichtsgewalt nicht. Die beiden folgenden Verfahren aus dem 17. Jahrhundert sind damit zentral für die Beschwerden über die Ausübung geistlicher Justiz in weltlichen Sachen.
d) Streit um die Besteuerung des Ritterordens zwischen der Rota Romana und dem Reichskammergericht 1627 erhob Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm bei Rhein als Herzog von Jülich eine kammergerichtliche Mandatsklage gegen seinen eigenen Untertanen Konrad Scheiffardt von Merode2814. Der Beklagte war Mitglied des Ritterordens. In der Akte erscheint er einmal als Johanniter, einmal als Malteser, in seiner eigenen Bezeichnung als Ritter des „St Johan orden zu Maltha“2815. Inwieweit er tatsächlich landesherrlicher Untertan war, mochte zweifelhaft LA Düsseldorf RKG Q 33/44, Protokollbuch vom 16. Juni 1617, fol. 2v. LA Düsseldorf RKG G 881/2886; Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 2153 S. 548-549; zur gleichnamigen Unterherrschaft Merode M i r b a c h , Territorialgeschichte I, S. 12. 2815 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, Protokollbuch, Deckblatt: Johanniterorden; Aktenstück Q 1, fol. 4r: Malteserorden; Aktenstück Q 4, fol. 13v (Zitat im Text). 2813 2814
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sein. Scheiffardt war nämlich über dreißig Jahre Komtur des Ordens in Herrenstrunden, Burg an der Wupper, Duisburg und zu Velden und später auch Ordensmeister für Deutschland2816. Anlaß für den hier interessierenden Streit war die Frage, ob und inwieweit jülich-bergische Amtsleute die Ordensgüter bei Düren, Herrenstrunden und Burg zu „collaten, contributionen, und Steuren“ heranziehen konnten2817. Der Orden nahm eine weitgehende Exemtion für sich in Anspruch und wollte sich der jülich-bergischen Landesherrschaft nicht beugen. Die Steuerkonflikte liefen teilweise übrigens in sehr handfesten Formen ab. Bei einem Versuch herzoglicher Schatzeinnehmer, in den Gemeinden Odenthal und Herkenrath Kontributionen einzutreiben und Pfändungen vorzunehmen, war sogar ein Ordensmann ums Leben gekommen2818. Gegen die Aufbürdung der Landessteuern klagte deshalb Konrad Scheiffardt von Merode vor der Rota Romana. Es ging also nicht nur um Abgabenfreiheit, sondern unausgesprochen auch um militärischen Druck des Herzogs auf den Ritterorden. Überdies lebten in Burg zahlreiche Reformierte, die vom Herzog die Übertragung der Ordenskirche an ihre eigene Gemeinde erstrebten2819. Vor der Rota Romana hatte der Ritterorden Erfolg. Der Generalauditor der Rota, der päpstliche Protonotar Georgius Narus2820, erließ ein Mandat bzw. ein Monitorium gegen Bürgermeister und Schöffen der Stadt Düren sowie gegen Johann Marx von Berg, den Vogtverwalter des Amtes Nörvenich2821. Diese sollten sich in Rom für ihr Ansinnen verantworten, den Orden mit Abgaben zu belegen. Dazu waren sie aber offenkundig nicht bereit. Vielmehr scheinen sie ihren Landesherrn zu Hilfe gerufen zu haben. Doch auch Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm wollte sich nicht vor das päpstliche Gericht zerren lassen. Vielmehr verklagte er den Ordenskomtur Konrad Als Kläger in anderen Reichskammergerichtsprozessen genannt, Nachweise bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 5, Nr. 2950, 2951 S. 47-49; erwähnt in Nr. 2946 S. 45; nachgewiesen auch bei J u x , Johanniter-Kommende, S. 41, 55, ebd. S. 64 sein Wappen; LA Düsseldorf Findbuch 121.04 Herrenstrunden JohanniterCommende, S. 355-356; zu den Ordenskommenden W a l d s t e i n - W ar t e n b e r g , Rechtsgeschichte, S. 187-188. 2817 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, Aktenstück Q 1, fol. 4v; allgemein zu Steuerfragen LA Düsseldorf Findbuch 121.04 Herrenstrunden Johanniter-Commende, S. 322 Nr. 136; Besteuerung des Deutschen Ordens als typischer Streitgegenstand bei S e i l e r , Reichshofratsprozesse, S. 145. 2818 Repertoriumshinweis bei A n t w e i l e r / Ka s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 5, Nr. 2950 S. 47-48. 2819 J u x , Johanniter-Kommende, S. 42. 2820 Erwähnt auch bei A n t w e i l e r / K as t e n / H o f f m an n , Reichskammergericht 3, S. 548 lfd. Nr. 2153. 2821 Ausdehnung des Amtes Nörvenich bei E s c h b a c h , Erkundigung, S. 126-127; M i r b a c h , Territorialgeschichte I, S. 9-12. 2816
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Scheiffardt vor dem Reichskammergericht und erhielt dort im September 1627 ein Mandatum „Cassatorij et inhibitorij sine clausula“. Das Speyerer Gericht befahl damit dem Komtur, bei Strafe von zehn Mark lötigen Goldes den päpstlichen Befehl zu kassieren2822. Das kammergerichtliche Mandat blieb auch trotz der Einwendungen des Beklagten in Kraft, und 1655 erging in einem anderen Rechtsstreit ein Urteil des Reichskammergerichts, wonach die Besteuerung des zur Kommende Herrenstrunden gehörenden Hofes Ranzel rechtmäßig war2823. Wichtig für die Frage nach der gerichtlichen Zuständigkeit ist die Argumentation der Beteiligten. Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm begann seine Supplikation mit dem Hinweis auf das Verbot, geistliche und weltliche Sachen miteinander zu vermischen, abgesichert durch Reichskonstitutionen und die Reichskammergerichtsordnung. In „offener pur lautern Civill und prophan sachen“ dürfe kein geistliches Gericht urteilen2824. Pauschal bezog sich der Landesherr zudem auf die Konkordate „germanicae nationis“ mit dem Papst sowie auf die drohende Zerrüttung der guten Policey2825. Der Schriftsatzverfasser malte aus, wie durch ein kirchliches Gerichtsverfahren „der Romischer Kayß[erlichen] May[es]t[ä]t Churfürsten unnd Stenden Ihre Jurisdiction unnd hochstes Regall“ leide, ja geradezu völlig an Bedeutung verliere2826. Der Hinweis auf ausländische Gerichtsgewalt und damit die Ladung einheimischer Untertanen „In frembde Nation“ tauchte ebenfalls auf2827. Für die Bevölkerung bedeute dies „höchsten Schaden, und verderben“, für die Obrigkeiten „Despect, und veracht unserer, und deß Reichs hohen regalien, und jurisdictionen“2828. Das waren ganz ähnliche, bis in die Formulierung hinein nahezu wortgleiche Vorwürfe, die auch in anderen Territorien geläufig waren. Sie dienten dazu, die Gerichtsbarkeit des Apostolischen Nuntius in weltlichen Sachen zu bestreiten. Der Konflikt mit dem Johanniterorden fügte sich in eine ganze Serie von Irrungen ein, wie dem jülich-bergischen Schriftsatzverfasser wohl bewußt war. In seiner Replikschrift betonte er nämlich, das Reichskammergericht habe zum Schutz der kurfürstlichen und ständischen „herligkeit“ die vom Nuntius und seinen Kommissaren in weltlichen Streitsachen ergangenen LA Düsseldorf RKG G 881/2886, Aktenstück Q 1, Prozeßbezeichnung auf dem Dorsalvermerk, Mandatstenor in fol. 5v. 2823 A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 5, Nr. 2951 S. 49. 2824 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, Aktenstück Q 1, fol. 4r. 2825 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, unquadr. „Replica“, fol. 33v; fast wortgleich Aktenstück Q 1, fol. 5r. – Die Schreibweise der Replik schwankt in den Schriftsätzen. Üblich war „Replicae“, bekannt sind aber auch „Replicatio“ und „Replic“, bei O b e r l än d e r , Lexicon, S. 611. 2826 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, unquadr. „Replica“, fol. 33v. 2827 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, unquadr. „Replica“, fol. 33r. 2828 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, Aktenstück Q 1, fol. 5r. 2822
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„geistliche proceß jederzeit annullirt caßirt unnd dagegen poenalia mandata de cassando et Inhibitoria s[ine] cla[usula] decretirt (...) wie solchs die tegliche obseruantz, bekhanter Judicij stylus und viele ruhmliche exempla attestirn unnd bewehren“2829. Auch wenn es sich um den ersten am Reichskammergericht ausgetragenen Konflikt des jülich-bergischen Herzogs gegen die Rota Romana handelte, waren die zahlreichen Mandatsklagen gegen die Einmischung des Kölner Nuntius offenbar allgemein bekannt. Der Düsseldorfer Schriftsatzverfasser zitierte sie mit einem kurzen Fingerzeig, doch im Ergebnis ganz präzise mit Benennung der korrekten kammergerichtlichen Mandatsart. Es machte aus dieser Perspektive keinen Unterschied, ob der Nuntius oder die Rota unmittelbar in die weltliche Gerichtsbarkeit eingegriffen hatten. Beide gefährdeten die Gerichtsverfassung des Reiches. Der Streit mit dem Ritterorden ist damit eng mit den Prozessen aus dem Münsterland verwandt. Mit seinem nächsten Argument scherte der Verfasser aus der üblichen Gedankenführung aus. Der römische Rota-Prozeß, so meinte er, habe „alle gutte policey ordnung zerrüttet“2830. Dieser Gesichtspunkt tauchte in den Beschwerden aus anderen Territorien soweit ersichtlich nicht auf. Tatsächlich haben die Zeitgenossen die Gerichtsgewalt wohl auch nicht als Teil der Policey angesehen2831. Stimmig erscheint der Vorwurf allerdings, soweit sich die Zerrüttung der guten Policey auf den ursprünglichen Konflikt um Steuern und Abgaben bezog. Wenn nämlich landesherrliche Amtsträger Abgaben einforderten, lag nach zeitgenössischer Auffassung zweifellos eine Policeysache vor. Das war in den bisher untersuchten Appellationen an den Apostolischen Nuntius meistens anders. Der Nuntius sollte dort zweitinstanzlich über Streitigkeiten entscheiden, die urspünglich als Zivilsachen zwischen zwei Untertanen begonnen hatten. Modern gesprochen ging es im Konflikt mit dem Johanniterorden aber nicht um eine Zivilsache, sondern um eine öffentlichrechtliche Auseinandersetzung. Der Hinweis auf die gute Policey in den herzoglichen Schriftsätzen schwächte damit die Einordnung als reine Zivilsache ab. Zugleich untermauerte er die Unzulässigkeit der Prozeßführung. In Policeysachen war die Anrufung der Rota Romana erst recht verboten. Bei dieser Gelegenheit ist an die ausgedehnte Diskussion um ein grundsätzliches Appellationsverbot in Policeysachen zu erinnern2832. LA Düsseldorf RKG G 881/2886, unquadr. „Replica“, fol. 33v. LA Düsseldorf RKG G 881/2886, unquadr. „Replica“, fol. 33v. 2831 S i m o n , Gute Policey, S. 112, 352-353; H ä r t e r / S t o l l e i s , Einleitung, S. 17. 2832 C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 1, S. 88: „Von der Gerichtbarkeit derer höchsten ReichsGerichte in Policey- besonders aber Wein-Verfälschungs-Sachen“; H ä r t e r , Reichskammergericht als „Reichspoliceygericht“, S. 239, 246; M au r e r , Lahrer Prozeß, S. 129, 173; S a i l e r , Untertanenprozesse, S. 426-465; d i e s . , Selbstverständnis, S. 15-16; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt, S. 644-645; N o r d l o h , Kölner Zunftprozesse, S. 218-222. 2829 2830
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Wenn das Rechtsmittel schon in weltlichen Sachen umstritten war, galt dies für die Anhänger des Appellationsverbots auf jeden Fall und ausnahmslos bei Appellationen an geistliche Gerichte. Der Komtur des Johanniterordens sah das alles ganz anders. Er berief sich im Februar 1628 auf die Privilegierung seines Ordens durch „beide so wol geist alß weltliche hochste obrigkeiten“, insbesondere durch päpstliche Privilegien, Bullen und Indulte2833 von Pius IV. und ganz aktuell durch den seit 1623 regierenden Urban VIII.2834 Nach diesen Dokumenten war der „orden undt deßen ritterliche mitglieder tam in persona quam rebus & bonis wo dieselbe auch hin und wieder gelegen, von aller weltlich Obrigkeit iurisdiction Zwang undt Pottmeßigkeit, dan auch Diensten, stewern Schatzung undt anlagen und was nhamen undt Titul die gleich uffgesetzt werden wollen gantz und zumhal eximiret undt befreyet“2835. Das war ein Rundumschlag in jeder Beziehung. Konrad Scheiffardt von Merode bzw. sein Schriftsatzverfasser stützte sich damit nicht lediglich auf das privilegium fori des Klerus. Das war bloß ein Aspekt, den die Aufzählung gleichsam mit erledigte. Die Befreiung von jedem weltlichen Zwang verstand er nicht nur für jeden Ordensritter, sondern auch für alle Sachen und Vermögenswerte unabhängig davon, wo sie lagen. Die Exemtion von sämtlichen Steuern und Abgaben war dann nur ein folgerichtiger Reflex, wenn die zugehörigen Grundstücke ohnehin keiner weltlichen Macht unterstanden. Die weltliche Herrschaft war in dieser Sichtweise nicht auf die iurisdictio begrenzt, selbst wenn die Gerichtsgewalt bereits das umfassendste Hoheitsrecht war. Jeder nur denkbare weltliche „Zwang“ über die Ritter sollte vielmehr durch die Privilegierung verboten sein. Hier lebte gedanklich die alte Immunität des Klerus weiter, die Befreiung von sämtlichen weltlichen Pflichten, nicht nur vom Gericht2836. Die Folge war klar. Konflikte des Ordens mit anderen Hoheitsträgern konnten niemals weltlicher Natur sein. Die Frage, ob die zum Johanniterorden gehörenden Güter im Herzogtum Jülich-Berg abgabenpflichtig waren, erschien aus diesem Blickwinkel als „causa mere spiritualis“2837. Der Komtur nahm für sich und seinen Orden eine deutlich andere Rechtsstellung in Anspruch als ein gewöhnlicher Ortspriester oder selbst ein Zum Indult O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 362: „eine durch Päbstliche Bullen ertheilte Begnädigung“. 2834 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, Aktenstück Q 4, Art. 4-5, fol. 14r; Bulle Pius IV. von 1560 erwähnt bei W a l d s t e i n -W ar t e n b e r g , Rechtsgeschichte, S. 196, zu kaiserlichen Privilegien ebd. S. 200-201. 2835 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, Aktenstück Q 4, Art. 6, fol. 14r. 2836 Zur frühneuzeitlichen Diskussion W i l l o w e i t , Immunität, Sp. 1190; knapp auch R e i n h a r d , Lebensformen, S. 316. 2837 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, Aktenstück Q 4, Art. 32, fol. 17r. 2833
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Klosterangehöriger. Die Geistlichen sahen sich gemeinhin als Träger eines privilegium fori und weigerten sich mit diesem Hinweis häufig, ohne Zustimmung der geistlichen Obrigkeit vor weltlichen Gerichten zu erscheinen. Zahlreiche in den vorigen Kapiteln genannte Beispiele bezeugen zugleich, wie wenig erfolgversprechend solche Anläufe waren. Zugleich nahmen Kleriker die ordentliche geistlich-partikulare Gerichtsbarkeit der Offizialate in Anspruch, in Jülich-Berg ergänzt durch die erstinstanzliche Tätigkeit der Landdechanten. Damit zeigten die Geistlichen zugleich ihre territoriale Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirchenprovinz, einer Diözese oder einem Bistum. Wenn man prinzipiell zwischen spiritualia und temporalia unterscheiden konnte, war es also möglich, Geistliche zwei örtlich umgrenzten Herrschaftsträgern zuzuordnen, nämlich einem bestimmten Bischof als geistlichem Ordinarius und einem weltlichen Landesherrn unabhängig von der Frage, wer die Gerichtsgewalt über sie besaß. Das war beim Johanniterorden anders, jedenfalls nach der von ihm selbst verfochtenen Rechtsauffassung. In moderner Terminologie beanspruchte er Exterritorialität und Souveränität, zwei Eigenschaften, die das heutige Recht ihm übrigens zubilligt, freilich ohne seine Mitglieder von jeder Staatsgewalt zu befreien2838. Es war also nur konsequent, wenn der Komtur seine Beschwerde über die Erhebung jülich-bergischer Abgaben nicht bei einem geistlichen Gericht in seiner Nähe anbrachte, sondern direkt bei der Rota Romana. Damit zeigte er, wem er nach seinem Selbstverständnis allein unmittelbar unterstand, nämlich dem Papst. Der Auditor der römischen Kurie erscheint in der Exzeptionsschrift Scheiffardts denn auch als „ordinario (...) uti iudice competente“2839. Ein anderes Gericht als die Rota Romana wollte der Ritterorden nicht anerkennen. Wie immer kann es hier nicht darum gehen, die zeitgenössische Rechtslage des Ritterordens und seine Einbindung in die Gerichtsverfassung zu klären. Die Quellen zeigen Streit um das Recht in vielfacher Hinsicht. Nach dem Tode des Komturs Konrad Scheiffardt von Merode gab es Auseinandersetzungen zwischen seinen Verwandten und dem Orden. Ob Konrad bestimmte Güter dem Orden oder durch letztwillige Verfügung seinen Verwandten geschenkt bzw. vererbt hatte, stand in Frage. Diese Zwistigkeiten fanden zwischen den 1650er und 1670er Jahren gerichtsförmlich vor dem Kölner Offizialat und dem Reichskammergericht statt, offenbar aber
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B a r z , Verfassung des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens, S. 421-445. LA Düsseldorf RKG G 881/2886, Aktenstück Q 4, Art. 33, fol. 17r; zum Auditor D o l e z a l e k , Litigation, S. 340-341.
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nicht vor der Rota Romana2840. Der Orden selbst verfolgte wohl keine einheitliche Linie. Das Reichskammergericht scheint die Rechtsauffassung des Ordens ohnehin nur beschränkt geteilt zu haben. Das mahnt ebenfalls zur Behutsamkeit. Das vom Jülicher Herzog erwirkte Mandat blieb jedenfalls trotz der Exzeptionen des Komturs in Kraft. Und 1655 erging ein Urteil des Kammergerichts, wonach die Befreiung des Ordens von Gewinn- und Gewerbesteuern nur dann eingriff, wenn Ordensleute die Ländereien selbst bebauten, nicht aber, wenn sie das Land weiterverpachtet hatten2841. Das war gerade keine vollständige Exemtion des Ordens von aller weltlichen Obrigkeit, sondern lediglich ein persönliches Privileg für die ritterlichen Mitglieder. Aus der hier verfolgten Fragestellung bleibt folgender Befund festzuhalten: Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm als Herzog von Jülich und Berg hatte erfolgreich das Mandat der Rota Romana an die landesherrlichen Bediensteten abgewehrt. Das Reichskammergericht hatte ihm dabei geholfen. Wie die Besteuerung des Ordens im einzelnen aussah, mochte damit offen bleiben. Der Eingriff der päpstlichen Gerichtsbarkeit in eine Angelegenheit, die der Landesherr als weltlich ansah, war aber reichsgerichtlich verboten.
e) Der Reichsfiskal im Kampf mit der Rota Romana wegen Erbforderungen eines adligen Bastards Ein Rechtsstreit, der gut drei Jahrzehnte später stattfand, bestätigt den bisherigen Eindruck. Das Reichskammergericht war nicht gewillt, die Gerichtsgewalt der Rota Romana in inländischen weltlichen Streitigkeiten hinzunehmen. Der folgende Prozeß begann mit einem Mandat im Herbst 1660 und endete 1665 mit einem Endurteil. Der kaiserliche Fiskal sowie das Reichskammergericht waren hier im Gegensatz zu einigen oben besprochenen Fällen einig und wiesen gemeinsam die päpstliche Gerichtsbarkeit in ihre Schranken. Es ging um eine Erbauseinandersetzung in der bereits erwähnten Adelsfamilie Quadt2842. Dr. Philipp Werner von Emmerich, der kaiserliche Fiskal, sprach von einem Sachverhalt, der in Kurköln sowie den jülich-bergischen Herzogtümern „ahn sich landkündig und notorium“ sei. Den-
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Repertoriumshinweise bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 6, Nr. 3785 S. 203-204, Nr. 4011 S. 380-381. Repertoriumshinweise bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 5, Nr. 2951 S. 48-49. Repertoriumshinweis bei A n t w e i l e r / Ka s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 1855 S. 285.
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noch mußte er die Beteiligten durchnumerieren, um mit der verzweigten Verwandtschaft nicht durcheinanderzukommen2843. Ein Familienmitglied, Johann Quadt junior, hatte mit einer Konkubine einen Bastard gezeugt. Der nicht standesgemäße Sprößling Hermann Quadt war aber nicht auf den Kopf gefallen. Er zog nach Italien, studierte Rechtswissenschaft und kehrte mit dem Doktorgrad nach Deutschland zurück. Dann begann er Rechtsstreitigkeiten gegen seine Halbgeschwister um seinen Anteil an der väterlichen Erbschaft. Der Prozeß fand zunächst vor dem Kölner Offizial statt. Ab 1613 beschäftige der Konflikt mehrfach das Reichskammergericht2844. Ein halbes Jahrhundert später griff der Fiskal ein. Die Erben der Beteiligten stritten sich noch immer und trugen ihre diversen Händel inzwischen vor der Rota Romana aus. Für den Reichsfiskal handelte es sich um eine klare „ca[us]a merè civili et prophanâ super successione bonorum saecularium in sacro Romano nostro Imperio sitorum“2845. Angeblich war es „öffenkundige daß controversiae super successione et immissione haereditatis bonorum laicorum et secularium unzweiffelntlich ca[us]am saecularium et prophanam constituirten und also allein ad Civilia Judicia“ gehörten2846. Erbschaftssachen um die hinterlassenen Güter von Laien waren danach immer weltliche Streitigkeiten und gehörten vor weltliche Gerichte. Die Einzelheiten des Sachverhalts sind nicht wichtig. Der Streit pendelte zwischen der Rota Romana und dem Apostolischen Nuntius hin und her. Auf dem Höhepunkt erließ der römische Richter Hieronymus Priolus2847 einen Vollstreckungsbefehl an den Herzog von Jülich, den Kurfürsten von Köln sowie an den Apostolischen Nuntius. Zwangsgelder in Höhe vierstelliger Dukatenbeträge scheinen den Kölner Kurfürsten zum Nachgeben bewogen zu haben. Er beugte sich dem römischen Befehl und ließ Adelsgüter der Familie Quadt in Groß- und Klein-Collenburg „gewalthätiger weiß“ besetzen2848. Das brachte das Faß für den Fiskal zum Überlaufen. Er erhob am Kammergericht eine Mandatsklage und hatte Erfolg. Die rechtlichen Argumente, die der Fiskal gegen die Rota Romana ins Feld führte, verdienen einen genaueren Blick. Die Rechtsausführungen der Supplikationsschrift sind wie immer im 17. Jahrhundert dem Mandat vorangestellt. An erster Stelle stand der Kölner Reichsabschied von 1512. Die LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 9, fol. 35r Stempel/47r Bleistift. Repertoriumshinweise bei Nr. 4493 S. 265-266, Nr. 4497-4500 S. 269-275 2845 LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 9, fol. 35v Stempel/47v Bleistift. 2846 LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 9, fol. 38r Stempel/50r Bleistift. 2847 Rota-Mitglied 1653-1674, bei C e r c h i ar i , Capellani II, S. 172 lfd. Nr. 494. Priolus war zugleich Herausgeber der Urteile der Rota Romana: P r i o l u s / S ac r i p a n t i , Decisiones; nachgewiesen bei D o l e z a l e k , Litigation, S. 370. 2848 LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 9, fol. 36v Stempel/48v Beistift. 2843 2844
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Vorschriften, um die es ging, sprachen mit keinem Wort von der geistlichen Gerichtsbarkeit. Der Fiskal bezeichnete sie aber haargenau. Es kann daher keinen Zweifel daran geben, was er für einschlägig hielt. Die entscheidenden Sätze des Reichsabschieds lauteten: „§. 13. Item: Es sollen auch alle Unser und deß Heil[igen] Reichs Verwandten, bey ordentlichen inländischen Rechten, ausserhalb der Händel, die nach laut dieser und anderer Unser und deß Heiligen Reichs Ordnung, für Unser Kayserlich Cammer-Gericht gehören, gelassen werden, also daß ein jeder in dem Gericht, darin er ohn Mittel gehörig ist, fürgenommen werden soll. Es wäre dann, daß einem Recht versagt, oder ihm das nicht vollnzogen werden möcht, und das kündlich wäre oder gemacht würd, wie Recht ist, vor dem Richter, da er die Ladung begehrt, so soll der Kläger deß Antworters Herrschaft oder nechste Obrigkeit derselben darinn ansuchen, ihm Recht zuverhelffen. Und wo die ihm auch nicht helffen wolt, so mag er solches an Unser Kayserlich Cammer-Gericht bringen, daselbst ihm fürderlich verholffen werden soll. §. 14. Wo aber hiewieder jemand den andern mit außländischem Gericht fürnehmen oder belästigen, Ladung und Proceß außbringen würde, so sollen dieselbe Proceß und Handlung, und was darauf gefolgt wäre, nichtig und unbündig seyn, und den Widertheil nichts pflichten oder binden, auch der Kläger durch deß Uberfährers Obrigkeit, oder unsern Kayserlichen Fiscal, umb gebührliche Straff fürgenommen werden. Doch soll hiedurch niemand an seinen hergebrachten Rechten, Gebrauch, Herkommen und Gewohnheiten einiger Nachtheil, Abbruch oder Schad entstehen oder gefügt seyn“2849. Die erste Vorschrift sprach zwar von den inländischen ordentlichen Rechten, grenzte sie aber nicht gegenüber ausländischen, sondern gegenüber unordentlichen Rechten ab. Es ging um den Rechtsgewährleistungsanspruch und um die Möglichkeiten, bei territorialer Rechtsverweigerung dennoch gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen zu können2850. Die zweite Vorschrift wandte sich sodann ausländischen Gerichten zu. Ihre Ladungen und Prozesse sollten für Reichsuntertanen in jedem Fall rechtlich unbeachtlich sein. Wirkungen entfalteten sie nicht. Wenn sich dennoch jemand unterstand und sich in einem inländischen Streit an ein ausländisches Gericht wandte, sollte entweder der Landesherr oder der kaiserliche Fiskal2851 ihn bestrafen. Mit keinem einzigen Wort bemühte sich der Fiskal, vor dem Reichskammergericht die Anwendbarkeit des Reichsabschieds zu begründen. Der Gegensatz von inländischen und ausländischen Gerichten war offenbar 2849 2850
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RA 1512 Tit. IV §§ 13-14, bei S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung II, S. 143144. P e r e l s , Justizverweigerung, S. 23-25; O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 64; zum Verhältnis weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit bei Rechtsverweigerung auch H i l l i n g , Die römische Rota, S. 42-43. Die Vorschrift fehlt in der Auflistung der normativen Grundlagen bei R au t e n b e r g , Fiskal, S. 8-9.
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ohne weiteres identisch mit der Abgrenzung weltlicher und geistlicher Gerichte, jedenfalls dann, wenn die geistlichen Gerichte außerhalb des Reiches saßen. Eher kursorisch sprach der Fiskal die Reichskammergerichtsordnung von 1555 mit dem bereits mehrfach erwähnten Paragraphen an2852 und endete dann bei den „teutschen concordatis mit dem Stuhl zu Rom“2853. Innerhalb weniger Zeilen verschwammen auf diese Weise alle fremden Gerichte zu einer untrennbaren, rechtlich gefährlichen Bedrohung. Zuerst mahnte der Fiskal das Verbot an, vor „frembden außländischen Richtern“ zu prozessieren. Sodann sprach er „von den extraneis et Ecclesiasticis Judicibus“. Schließlich hieß es, derjenige sei zu bestrafen, der „außländische frembde geistlich Jurisdiction“ anrufe oder in ihre Prozesse einwillige2854. Die Selbstverständlichkeit, mit der die geistliche Jurisdiktion in den Quellen als rechtswidrige Ausübung ausländischer weltlicher Herrschaft erscheint, überrascht immer wieder, so auch hier. Als der Reichsabschied von 1512 in Kraft trat, wird man bei der Formulierung kaum an die päpstliche Gerichtsbarkeit gedacht haben. Einen ständigen Apostolischen Nuntius in Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Auch konnten normative Texte inländische und ausländische Gerichtsgewalt durchaus gedanklich und sprachlich von der Trennlinie geistlicher und weltlicher Jurisdiktion lösen. Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 zeigt diese Unterscheidung2855. Jedenfalls erkannten die Zeitgenossen inländische geistliche Gerichtsbarkeit an. Nicht alle geistlichen katholischen Gerichte waren also Ausland. Das geht aus den Quellen nicht unmittelbar hervor, ist im Umkehrschluß aber überdeutlich. Der Vorwurf ausländischer, fremder Gerichtstätigkeit lag zwar gegenüber dem Nuntius und der Rota Romana auf der Hand, diente in den hier ausgewerteten Fällen aber in keinem Fall zum Kampf gegen ein bischöfliches Offizialatsgericht. Wenn Parteien die Zuständigkeit geistlicher Offizialate bestritten, wie es im Fürstbistum Münster vorkam, aber auch in mehreren Fällen aus Jülich-Berg belegt ist, nannten sie hierfür andere Ablehnungsgründe. Der Reichsabschied von 1512 konnte dafür nicht herhalten. Mit modernen Worten: Die Offizialatsgerichtsbarkeit reichsangehöriger Bischöfe ließ sich ablehnen, indem die Parteien auf die fehlende sachliche Zuständigkeit hinwiesen. Die Rota Romana und das Nuntiaturgericht mußten sich dagegen viel schärfere Vorwürfe gefallen lassen. Stellten sie doch RKGO 1555 2, 1, 1, bei L a u f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 167; dazu oben bei Anm. 731-744. 2853 LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 9, fol. 33v Stempel/45v Bleistift. 2854 LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 9, fol. 33v-34r Stempel/45v-46r Bleistift. 2855 RKGO 1555 2, 1, 1 mit dem ausdrücklichen Hinweis „daneben“, bei L au f s , Reichskammergerichtsordnung, S. 167. 2852
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die kaiserliche und landesherrliche Herrschaft im Reich schlechthin in Frage, und zwar „in praeiudicium Jurisdictionis Imperii“2856. Sie waren also gleichsam örtlich unzuständig, wo immer auch sie tätig wurden. Die Macht der Kirche drohte damit über die Gerichtsbarkeit in den weltlichen Bereich auszugreifen. Das war beileibe und keineswegs eine rein geistliche Angelegenheit. Die Klarheit, mit der zeitgenössische Anwälte diese Folgerungen in den Prozeßakten aus dem 17. Jahrhundert beim Namen nannten, verblüfft. Der Schriftsatzwechsel der Parteien ist angesichts der sonst völlig unpräzisen und schwer verständlichen Bandwurmsätze oftmals zäh und langatmig. Hier aber, im Angriff auf die weltliche Gerichtsbarkeit von Nuntius und Rota Romana, bekam er Biß und Klarheit. Der weltumspannende Anspruch der römisch-katholischen Kirche war nach derartigen rechtlichen Erwägungen in allen weltlichen Angelegenheiten eindeutig abzulehnen. Ob und inwieweit er im geistlichen Kernbereich überhaupt Anerkennung fand, geht aus den hier untersuchten Quellen nicht hervor2857. Der Reichsfiskal begründete seinen Mandatsantrag im Quadt-Prozeß zusätzlich mit der kaiserlichen Wahlkapitulation von 1658, also mit einer Quelle, die auch in anderen Verfahren auftaucht2858. Großen Raum nahm dann „ein allgemein gebott“ Kaiser Karls V. ein, erlassen am 3. Oktober 1548 in Brüssel, das allen Reichsständen und Untertanen einschärfte, keine Rechtssachen vor ausländische Gerichte zu ziehen und gegen derartige Versuche anderer Parteien sofort den Kaiser und den Fiskal um Hilfe anzurufen. Jedenfalls war es streng verboten, vor fremdländischen Gerichten überhaupt zu erscheinen2859. Das Problem in diesem Fall lag im prozeßordnungswidrigen Verhalten sämtlicher Beteiligter. Auch die Verwandten der QuadtFamilie, die vor der Rota Romana verklagt waren, hatten dort untätig ausgeharrt und sich nicht sofort beim Fiskal über das römische Gericht beschwert. Deswegen ging der Reichsfiskal von Amts wegen gegen alle vor und erwirkte das kammergerichtliche Mandat an sämtliche Verwandte, also auch gegen die Beklagten des geistlichen Prozesses. Sie hätten eben gar nicht erst in Rom verhandeln sollen.
LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 9, fol. 34r Stempel/46r Bleistift. Zu nationalkirchlichen Bestrebungen im 18. Jahrhundert und zum Widerstand gegen die geistliche Gerichtsgewalt des Apostolischen Nuntius vgl. oben bei Anm. 150-151, 10471058. 2858 Dazu oben bei Anm. 771-795. 2859 LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 9, fol. 34v-35r Stempel/46v-47r Bleistift; zur Quelle G o l d a s t , Recessus, Constitutiones II, S. 239; M o s e r , Teutsches StaatsRecht IV, S. 25 § 14; S a c r i p an t i , Defensio iurisdictionis, S. 142-143; dazu auch oben bei Anm. 759-766. 2856 2857
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Zum Ende der Narratio betonte der Fiskal, die rechtswidrige Prozeßführung dürfe „doch unserer und des Heyl[igen] Röm[ischen] Reichs ordentlicher und universal Jurisdiction keinen nachteil bringen“.2860 Jetzt erfolgte ein Schwenk zum gelehrten Recht. Sowohl die päpstlichen Dekretalen von Gregor IX.2861 und Innozenz III.2862 als auch Konstitutionen der spätrömischen Kaiser Arcadius und Honorius2863 sollten die weltliche Gewalt vor kirchlichen Übergriffen schützen. Die namentliche Nennung der beteiligten Päpste und der römischen Kaiser war für Allegationen im 17. Jahrhundert ungewöhnlich und kam in kammergerichtlichen Supplikationen kaum vor. Hier war genau diese Zitierweise aber sehr geschickt. Das römisch-kanonische Recht erschien nämlich nicht als überzeitliche Normenmasse. Vielmehr ging es gerade darum, nach den frühneuzeitlichen Vorschriften des Reichsverfassungsrechts noch tiefer in die Geschichte hinabzusteigen. Damit war der Bogen von der Antike bis zu Neuzeit gespannt. Sowohl das Rechtsproblem als auch die Problemlösung reichten weit zurück. Der Fiskal sicherte sich also bestens ab und konnte zugleich stillschweigend die mittelalterlichen Päpste für seine eigene Rechtsauffassung vereinnahmen. Das Reichskammergericht erließ am 25. September 1660 das beantragte Mandat. Der römische Prozeß sollte kassiert werden, die bereits eingeleiteten Vollstreckungshandlungen waren aufzuheben, die entzogenen Güter sollten zurückfallen. Da zwei der Beteiligten, nämlich Rainer und Margaretha Quadt, sich im Königreich Spanien aufhielten, gab es ein weiteres Problem. Wenn das Mandat die inländische so deutlich von der ausländischen Gerichtsgewalt trennte, konnte man kaum gegen diese beiden Familienmitglieder vorgehen. Deswegen erging knapp zwei Jahre später dasselbe Mandat noch einmal, um es „zu Cölln, Achen und Lüttich edicts weiß ahzuschlagen“2864. Die Ediktalzitation war eine öffentliche Ersatzzustellung2865. Ein Kammerbote oder Notar nagelte oder klebte das Mandat an Kirchentüren und Hauswände. In einem Fall wie diesem war der sichtbare Aushang an drei Orten für das Ansehen der Reichsgewalt sicherlich hilfreich. Der Streit ging nämlich über einen bloßen Familienzwist hinaus. Jeder, der lesen konnte und wollte, hatte nun die Möglichkeit, sich über die gerichtlichen ZustänLA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 9, fol. 37v Stempel/49v Bleistift. Genannt ist X 2, 2, 11. Die zitierte Stelle stammt in Wahrheit ebenfalls von Innozenz III. und nicht von Gregor IX. 2862 Zitiert sind X. 2, 2, 11 (wie zuvor) und X. 2, 2, 10 („Laicus laicum super re civili coram iudice ecclesiastico convenire non potest, nisi in defectu iustitiae saecularis, vel nisi consuetudo id exposcat“ mit Dekretale Innozenz III.). 2863 Zitiert wird C. 3, 13, 5: „In criminali negotio rei forum accusator sequatur“; Kaiser Arcadius und Honorius an den Präfekten Vincentius (397 n. Chr.). 2864 LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 9, fol. 38v Stempel/50v Bleistift. 2865 Überblick bei S e l l e r t , Ediktalzitation, Sp. 1186-1187. 2860 2861
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digkeiten zu unterrichten. So sah er, wie sich das Reichskammergericht in weltlichen Sachen gegen die Rota Romana behauptete oder wie es das wenigstens versuchte. Gewisses Aufsehen erregten Fälle wie dieser zweifellos. Nur der Vollständigkeit halber sei auf die bekannten Vollzugsschwierigkeiten der kaiserlichen Gerichte hingewiesen. Es gab keine Garantie für den Erfolg kammergerichtlicher Maßnahmen, weder bezogen auf die Parteien noch auf die Gerichtsgewalt. Die Durchsetzungsschwäche des Reichskammergerichts braucht man nicht schönzureden. Es gab sie wirklich, gerade auch in heiklen Fällen, wie das folgende Beispiel belegt. Einige Jahre später begann ein Reichskammergerichtsprozeß des Fiskals gegen den Malteserorden in Köln. In diesem Fall appellierte der Komtur des Ordens gegen ein Kammergerichtsurteil an den Apostolischen Nuntius. Dieser sprach daraufhin sogar eine Exkommunikation aus2866. So aufgeheizt konnte es also durchaus zugehen. Die Autorität von Kaiser und Reich saß keineswegs immer am längeren Hebel. Der hier behandelte Prozeß aus Jülich-Berg verlief dagegen erfolgreicher für den Fiskal. Dennoch stieß er auf juristischen Widerstand. Beachtung verdient vor allem die Exzeptionsschrift der Beklagten Hans Werner von Hetzingen sowie Johann Georg und Jakob von Syberg. Die drei Adligen waren vom Fiskal mit verklagt, obwohl sie den RotaProzeß nicht begonnen hatten, sondern bereits dort beklagt gewesen waren. Den Vorwurf, sie hätten sich ohne Protest auf den geistlichen Rechtsstreit eingelassen „undt dadurch iurisdictionem Imperii eludirt“2867, bestritten sie energisch. „Weder zu Rom noch anderstwohe vor dem geistlichen Richter“ hätten sie sich zur Erbangelegenheit selbst geäußert. Im Gegensatz zum Fiskal und dem Reichskammergericht, die von einer reinen Zivilsache gesprochen hatten, erkannten die Beklagten jedoch den geistlichen Anknüpfungspunkt. Man könne den Streit „ad causam legitimitatis“ nämlich von der Frage trennen, „waß es mit den gueteren undt Succession vor bewandtnuß habe“2868. Ursprünglich sei es vor der Rota nur darum gegangen, ob die Kebsehe Johann Quadts mit einer Elisabeth Sturtzelbeck ordnungsgemäß geschlossen und daher der Sohn Hermann Quadt von legitimer Geburt gewesen sei. Das sollte eine Angelegenheit des geistlichen Rechts sein. Der Schriftsatzverfasser listete zwar Massen gemeinrechtlicher Autoritäten auf, die seinen Standpunkt unterstützen sollten, von Barbosa über Vantius2869 bis zum eher unbekannten Andrea Repertoriumshinweis bei A n t w e i l e r / Ka s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 1858 S. 287-288. 2867 LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 5, fol. 23v Stempel/35v Bleistift. 2868 LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 5, fol. 23v Stempel/35v Bleistift. 2869 Sebastian Vantius, Verfasser eines Traktats „De nullitatibus“, knapper Nachweis bei Z e d l e r , Universal-Lexicon 46, Sp. 538. 2866
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Fachinei2870. Danach folgte aber sogleich ein Hinweis auf die Observanz „in den Gülisch undt Bergischen Landen von alters hero“. Dort war es angeblich üblich hergebracht, „daß die geistliche richter zwar super legitima natiuitates, et an matrimonium sit validum cognosciren können super bonis et haereditate aber haben die Landtsfürst[en] ihnen die cognition niehmahlen gestattet noch sich deren begeben“2871. Legitime Geburt und Ehesachen gehörten danach vor das geistliche Gericht, Streit um Güter und Erbschaften vor das weltliche. Interessant an dieser Abgrenzung ist die Rolle des Landesherrn, wie sie der Schriftsatzverfasser mit leichtem Strich andeutete. Der Advokat der Quadts und Sybergs behauptete einfach, ein weltlicher Fürst könne die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte erweitern. Er müsse nur auf seine eigene iurisdictio teilweise verzichten, sie auf die geistlichen Richter übertragen oder ihnen zumindest die Tätigkeit im weltlichen Bereich überlassen. Konnte das sein? Dann wäre die Grenze zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsgewalt von Territorium zu Territorium dispositiv gewesen. Wie umfassend die geistliche Jurisdiktion in weltliche Sachen hineinragte, hing nach dieser Einschätzung vom Willen des weltlichen Regenten ab. Im konkreten Fall konnte das Argument ersichtlich nicht greifen. Es ging nämlich um die Beeinträchtigung der Reichsverfassung durch das päpstliche Gericht, und die iurisdictio des römisch-deutschen Kaisers konnte ein Herzog von Jülich-Berg wohl kaum verschachern. Trotzdem ist die eher beiläufige Äußerung von sehr hohem Wert. Zeitgenössische Anwälte hielten es offenbar für einen unproblematischen Vorgang, wenn Landesherren den Umfang ihrer weltlichen Gerichtsgewalt selbst festlegten. Es ging dabei nicht um die Erweiterung, also nicht um die Evokation geistlicher Sachen, sondern um den freiwilligen Verzicht auf die Entscheidung eigentlich weltlicher Angelegenheiten. Ist man bereit, sich auf dieses Argument einzulassen, wird die bunte Vielfalt der Gerichtsverfassung leichter erklärbar. Wenn die Grenze zwischen weltlicher und geistlicher Justiz in den deutschen Territorien so unterschiedlich verlief und zugleich weltliche Landesherren so häufig die Prozeßführung geistlicher Gerichte in weltlichen Sachen akzeptierten, so führte der Schriftsatzverfasser das auf den Willen des Herrschers selbst zurück. Vor allem die ausgreifende Offizialatstätigkeit in einigen Regionen konnte man auf diese Weise besser verstehen. Das war keine ausgefeilte Lehrmeinung, aber doch ein Gesichtspunkt, den der Schriftsatzverfasser wie selbstverständlich vortrug. Zitiert wird F a c h i n e i , Controversiae iuris, lib. II cap. 28: „De venditione facta datis arrhis, quid iuris, si alter ex contrahentibus promissa non exequatur?“, S. 120-121; zu Fachinei (1545/491609), knapper Nachweis bei Z e d l e r , Universal-Lexicon 9, Sp. 59. 2871 LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 5, fol. 25r Stempel/37 r Bleistift. 2870
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In Jülich-Berg kam freilich ein partikularrechtliches Argument hinzu, das in anderen Gegenden fehlte. Mit dem Provisionalvergleich von 1621 gab es einen Vertrag zwischen dem weltlichen Landesherrn und dem Kölner Kurfürsten als Inhaber der erzbischöflichen geistlichen Gerichtsgewalt, ein Abkommen, das haarfein die jeweiligen Zuständigkeiten voneinander ziselierte. Welche Zugeständnisse Jülich-Berg der geistlichen Gerichtsbarkeit gemacht hatte, ließ sich also ziemlich genau angeben. Auf das Argument ist in einem späteren Abschnitt zurückzukommen2872. Geschwächt mußte der Landesherr dadurch keineswegs sein. Den Hinweis nämlich, ein Landesfürst habe die geistliche Gerichtstätigkeit gestattet, konnte man ebenso gut als unausgesprochenes Herrschaftsrecht verstehen. Dann ergäbe sich dieselbe Situation wie beim Gewohnheitsrecht. Dessen Entstehung hing nach verbreiteter Sicht ebenfalls von der Gestattung durch den Herrscher ab, wenn auch die stillschweigende Zustimmung reichte2873. Wenn es die weltliche Gewalt war, die der geistlichen Gerichtsbarkeit Spielräume eröffnete, wäre das ein weiteres Zeichen für die Verstaatlichung von Recht und Gericht in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das Reichskammergericht entschied den Quadt-Prozeß durch Endurteil. Für den Fiskal war es ein voller Erfolg. In der Audienz vom 12. Mai 1665 verkündete das Gericht, „daß die zu Rom ausgefehlte Urtheil, so viel immissionem in die in dem Heyl[igen] Röm[ischen] Reich gelegene güther und erbschafft belanget zu cassiren und aufzuheben“ seien2874. Das Reichskammergericht hob damit ein Urteil der Rota Romana auf. Gerade in Mandatsprozessen war das eine ungewöhnliche Entscheidung. Wenn überhaupt, ergingen dort üblicherweise Paritionsurteile, doch es erfolgte keine definitive Klärung der Hauptsache2875. Und in vielen anderen Fällen lassen sich die Schwierigkeiten des Fiskals mit Händen greifen, wenn er energisch, aber erfolglos versuchte, gegen die Übergriffe der geistlichen Gerichtsbarkeit in den weltlichen Bereich einzuschreiten. Deswegen scheint aus der Sicht des Reichskammergerichts der Erbschaftsstreit der Quadt-Familie eine besonders klare Sache gewesen zu sein. Die gesetzliche Erbfolge und die Einweisung in hinterlassene Ländereien waren rein weltliche Angelegenheiten. Die päpstliche Justiz sollte ihre Finger davon lassen. Hier erlaubt das klare Ergebnis feste Rück-
Dazu unten bei Anm. 3097-3110, 3180-3194. Zur Rolle des Landesherrn in diesem Zusammenhang S c h r ö d e r , Vorgeschichte, S. 3847; d e r s . , Recht als Wissenschaft, S. 105-107; S i m o n , Geltung, S. 103-104. 2874 LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Protokollbuch, Expeditum vom 12. Mai 1665, fol. 7r Stempel; abgedruckt bei B l u m , Chilias sententiarum, Nr. 24 S. 413-414. 2875 Dazu H ö r n e r , Anmerkungen, S. 77; allgemein zu den Paritoria U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 149-154. 2872 2873
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schlüsse auf die dahinter stehenden Rechtsauffassungen. In dieser Eindeutigkeit ist das nur selten möglich.
f) Streit um Pfründe eines Pfarrers Zwei andere Fälle aus Jülich-Berg runden das Bild ab. Beide Male hatte ein landesherrliches Gericht einen Rechtsstreit an die geistliche Gerichtsbarkeit verwiesen. Hiergegen wandte sich der kammergerichtliche Kläger mit der Begründung, eine weltliche Sache dürfe nicht vor ein geistliches Gericht gelangen. Bezeichnenderweise hatten beide Klagen keinen Erfolg. Das bestärkt den oben gewonnenen Eindruck. In welchem Maße die geistliche Gerichtsbarkeit in der Grauzone zum weltlichen Recht tätig war, hing möglicherweise von der Einwilligung des jeweiligen Landesherrn ab, zumindest in Jülich-Berg. Das wiederum war eine wichtige Weichenstellung für spätere kammergerichtliche Verfahren. Denn wenn der Herzog die Prozeßhandlungen und Entscheidungen der geistlichen Gerichte ausdrücklich hinnahm, ja sogar anordnete, bestand auch für die Assessoren des Reichskammergerichts kein Anlaß, an der einvernehmlichen Grenzziehung zu zweifeln. Rechtsmittel einzelner Parteien gegen angeblich verfehlte Zuweisungen blieben aussichtslos. Der erste Prozeß um eine Verweisung von der weltlichen an die geistliche Justiz begann vor dem Reichskammergericht 1672, also nur sieben Jahre nach dem Endurteil im Quadt-Fall2876. Es handelte sich um eine Auseinandersetzung der Kirchengemeinde und Pfarrgenossen zu Lindlar gegen ihren ehemaligen Pfarrer Anton Krawinckel. Der Pastor hatte offenbar in seiner Amtszeit verschiedene Verträge mit der Gemeinde geschlossen, war aber vorzeitig abgezogen und hatte eine neue Pfarrei in Wesseling im Kreis Köln übernommen. Es gab nun einen Rechtsstreit zwischen den Parteien vor der jülich-bergischen Hofkanzlei in Düsseldorf2877. Der Pfarrer klagte dort, um weiterhin seine vertragsmäßigen Einkünfte von der Gemeinde zu erhalten2878. Kanzler und Räte hielten diesen Anspruch für begründet. Zugleich verwiesen sie die Frage, ob zugunsten des Pfarrers ein perpetuum beneficium bestand, an das geistliche Gericht. Das bezog sich auf eine Vikarie und Pfründe mit einer jährlichen Rentenzahlung. Gegen dieses Urteil appellierten die Pfarrgenossen an das Reichskammergericht. Die Verweisung an die 2876 2877 2878
Repertoriumshinweis bei A n t w e i l e r / Ka s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 5, Nr. 3448 S. 422-423. Zum Kanzleiprozeß vor dem Hofrat A d e n au e r , Entwicklung, S. 71-87. LA Düsseldorf RKG L 543/2028, Aktenstück Q 3, Ziff. 4, fol. 12r; im Findbuch erscheint die Gemeinde als unterinstanzliche Klägerin.
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geistliche Gerichtsbarkeit wollten sie nicht hinnehmen. Sie sahen ihre Rechte verletzt und beriefen sich dafür auf den bereits oben angesprochenen Kölner Reichsabschied von 1512. Damit forderten sie bestimmte Verteidigungsmöglichkeiten ein, die ihnen weiterhin offenstehen sollten2879. Insbesondere betonten sie, es handele sich um eine „profan sach“, in der „also forum Judicis saecularis uberflußig fundirt ist“2880. Dennoch habe die Hofkanzlei ihre Einwendungen nicht angenommen und die Sache unzulässigerweise „ad forum Ecclesiasticum ordinarius verwiesen“. Der Pfarrer hatte es demgegenüber am Reichskammergericht vergleichsweise einfach. Zum einen berief er sich auf das privilegium de non appellando des Herzogtums Jülich-Berg. Darin sei die Appellation an die Reichsjustiz „â sententia in possessorio tam Summario quam ordinario lata“ geregelt2881. Dies ist ein Punkt, der zeitgenössisch wichtig war, in der modernen Forschung aber allzu leicht untergeht. Limitierte Appellationsprivilegien waren nicht nur quantitativ beschränkt, enthielten also nicht nur bestimmte Wertgrenzen, unterhalb derer die Einlegung von Rechtsmitteln verboten war2882. Vielmehr gab es auch mannigfache qualitative Appellationsprivilegien wie etwa die oben erwähnten Schuldverschreibungen in Hamburg2883. In Jülich-Berg waren Appellationen nur von Urteilen über petitorische Ansprüche möglich. In possessorischen Sachen, also in Besitzstreitigkeiten, war der Instanzenzug nach Speyer dagegen nicht eröffnet2884. Dahinter standen wohl Zweckmäßigkeitsüberlegungen. Die Rechtmäßigkeit eines possessorischen Urteils konnte man ebenso gut durch einen territorialen petitorischen Prozeß klären lassen. Erst danach gab es die Möglichkeit zur Appellation an die Reichsgerichte. Deswegen war in einem so frühen Abschnitt der Auseinandersetzung der Rechtsmittelweg noch versperrt. In einem späteren Teilkapitel werden die Appellationsverbote und ihre Auswirkungen auf die Behandlung weltlicher und geistlicher Sachen noch eine größere Rolle spielen. Dort ist auch der Ort, auf die bis heute bestehende Unterscheidung des possessorischen Besitzschutzes vom petitorischen Zitiert wird RA 1512 „§ 10 et 11“, also wohl Art. IV §§ 10-11. Art. I §§ 10-11 behandeln die Abgaben von Geistlichen, bei S c h m au ß / S e n c k e n b e r g , Neue Sammlung II, S. 139, 143. 2880 LA Düsseldorf RKG L 543/2028, Aktenstück Q 3, Ziff. 4, fol. 12r. 2881 LA Düsseldorf RKG L 543/2028, Aktenstück Q 18, fol. 31r; kurz zum possessorium ordinarium und summariissimum O l e c h o w s k i , Besitz, Sp. 548. 2882 E i s e n h a r d t , privilegia, S. 92 Nr. 27.1 – 27.5 nennt zu Jülich-Kleve und Berg nur die jeweiligen Appellationssummen; ebenso A d e n au e r , Entwicklung, S. 13. 2883 Dazu oben bei Anm. 2608-2627. 2884 Zutreffend C ü r t e n , Organisation, S. 213; O p p e n h o f f , Gerichtswesen, S. 169 Anm. 3.; allgemein zu Appellationsbeschränkungen im Possessorium W e i t z e l , Kampf um die Appellation, S. 37; N o r d l o h , Kölner Zunftprozesse, S. 99. 2879
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Rechtsschutz näher einzugehen2885. Hier genügt der bloße Hinweis auf die frühneuzeitliche quasi-possessio-Lehre. In ihrem Fahrwasser war der Bereich von Besitzstreitigkeiten und damit der possessorischen Gerichtsurteile erheblich größer als heute. Erst der von Savigny seit 1803 begründete moderne engere und heute streng auf bloße Sachherrschaft konzentrierte Besitzbegriff2886 drängte die gemeinrechtliche quasi-possessio mit den zahlreichen Auseinandersetzungen um die Innehabung besitzähnlicher Rechte zurück. Der Streit zwischen der Gemeinde Lindlar und dem Pfarrer war nach Auffassung des Geistlichen anfänglich ein Besitzschutzprozeß im summariissimum, also im besonders schleunigen Rechtsschutz gewesen2887. Bereits deswegen sollte die Appellation ausscheiden. Außerdem wandte der appellatische Schriftsatzverfasser ein, es handele sich keineswegs um eine rein weltliche Angelegenheit, wie die Appellanten fälschlich vorgaben. Es sei lediglich die „quaestio possessorij super re Ecclesiasticâ profan“, die „Causa autem Principalis ipsius Constitutionis Vicariae nicht profan, sondern ad forum Ecclesiasticum gehörig“2888. Geschickt spaltete der Pfarrer Anton Krawinckel den Streitgegenstand in zwei Hälften. Das materielle Rechtsproblem, wie es mit seinen Beschäftigungsverträgen und Vikareieinkünften aussah, gehörte nach dieser Ansicht vor das geistliche Gericht und war bereits deswegen nicht an das Reichskammergericht appellabel. Die besitzrechtliche Frage, wem die Einkünfte vorläufig zustanden, sollte zwar weltlicher Natur sein, unterfiel jedoch dem Appellationsprivileg und war ebenfalls inappellabel. Das Ergebnis stand auf zwei Füßen: Für die Gemeinde Lindlar blieb überhaupt keine Möglichkeit übrig, das Reichskammergericht anzurufen. Im Ergebnis scheint die Argumentation des Pfarrers das Reichskammergericht überzeugt zu haben. Es erklärte nach nur einjähriger Verfahrensdauer „Solche Sach (...) ahn dießes kayserlich Cammergericht“ für „nicht erwachsen“ und verwies das Verfahren an die vorige Instanz zurück2889. „In angemaster Appellation Sache“ war das Rechtsmittel der Gemeinde Lindlar also unzulässig. Aus der Sicht der Appellanten geriet auf diese Weise ein von ihnen als weltlich angesehener Streit vor das geistliche Gericht, ohne daß es dagegen eine Rechtsschutzmöglichkeit gab. Für das Reichskammergericht konnte genau diese Frage dahinstehen, weil es um eine possessorische Streitigkeit Dazu unten bei Anm. 3200-3238. Zur zeitgenössischen possessio-Lehre C o i n g , Privatrecht I, S. 279-290, 343-346; F l o ß m a n n , Privatrechtsgeschichte, S. 134; mit Blick ins 19. Jahrhundert W e s e n e r , Dogmengeschichte, S. 474-475; H af e r k am p , Besitz, Sp. 83-84. 2887 Zur rechtlichen Problematik C o i n g , Privatrecht I, S. 286-287. 2888 LA Düsseldorf RKG L 543/2028, Aktenstück Q 18, fol. 32v. 2889 LA Düsseldorf RKG L 543/2028, Protokollbuch, Expeditum vom 14. März 1673, fol. 3r; zur Tenorierung von Prozeßurteilen O e s t m a n n , Rekonstruktion, S. 42-44. 2885 2886
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ging. Hierbei handelte es sich um eine Besonderheit der Zuständigkeitskonflikte aus Jülich-Berg. Mehrfach wird auf diesen Punkt zurückzukommen sein.
g) Streit um Zehntforderungen eines Pfarrers Ein Fall aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zeigt abermals den vergeblichen Versuch, die Verweisung einer Streitsache an ein geistliches Gericht durch Anrufung des Reichskammergerichts zu verhindern. Erneut handelte es sich um einen Prozeß gegen einen Pfarrer2890. Als Kläger trat nun aber nicht seine Kirchengemeinde auf, sondern eine Gruppe von Landbewohnern zu Nierendorf, von denen der eigene Pastor bestimmte Abgaben einforderte. Die Nierendorfer wehrten sich mit der Begründung, ihre Unterherrschaft müsse bereits der Abtei Stablo „schwere unterlasten abtragen“ und außerdem Wachs und Öl an die Nierendorfer Kirche liefern. Weitere Zehnten an den Pfarrer müßten die „Steveloter Zehend freye güther“ nicht leisten2891. Die Prozeßgeschichte erscheint etwas verwickelt. Zunächst verklagte der Pfarrer die Landbewohner vor dem Dechanten Burgi bei der Christianität2892 zu Bonn. Das war in diesem Fall der ordentliche erstinstanzliche geistliche Richter. Dort gewann der Geistliche im Mai 1755. Knapp zwei Wochen später soll diese Entscheidung „bey dem geistlichen Hoffgericht binnen Cölln (...) confirmirt worden“ sein2893. Jetzt wandten sich die Nierendorfer an den jülich-bergischen Geheimen Rat in Düsseldorf, gingen also zum weltlichen Richter. Dort baten sie um „manutenentz ihrer uhralten possession“. Sie wollten ihre Freiheit von neu auferlegten Kirchenzehnten bestätigt sehen. Damit hatten sie Erfolg. Der Geheime Rat erklärte im Juli 1756 die „angemaste erkantnus“ des Landdechanten aus Bonn für „null und nichtig“2894. Das aus der Sicht der Landleute „triumphirliche urthel“2895 untersagte den Einwohnern jede Einlassung „bey dem Chur cöllnischen Officialat“. Der Pfarrer mußte innerhalb von acht Tagen seinen geistlichen Rechtsstreit aufgeben und genau das am Geheimen Rat ordnungsgemäß nachweisen.
Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 6, Nr. 4036 S. 398-399. 2891 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 3, fol. 19v. 2892 Christianität ist die Bezeichnung für die Landdekanate: B e c k e r , Katholische Reform, S. 73. 2893 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q11, fol. 41v. 2894 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 3, fol. 20r. 2895 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 3, fol. 21r. 2890
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Allerdings änderte das Düsseldorfer Gericht im März 1757 seine Entscheidung. Offenbar hatte sich zwischenzeitlich der Fiskal des Erzstifts Köln eingeschaltet und die Düsseldorfer Richter von einem Rechtsirrtum überzeugt. Jetzt meinten sie nämlich anders als zuvor, die Sache gehöre doch „zum geistlichen Richtern hin“2896. Gegen diese Verweisung an die geistliche Gerichtsbarkeit wandten sich die Landleute mit ihrer kammergerichtlichen Supplikation. Es handelte sich nicht um einen Appellationsprozeß, sondern um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Das Wetzlarer Reichskammergericht erließ im Juli 1757 das beantragte Mandat mit einer äußerst schwerfälligen Prozeßbezeichnung2897. Der Sache nach band das Gericht die Düsseldorfer Räte an ihr älteres Dekret2898 vom Sommer 1756 und hob zugleich den späteren Verweisungsbeschluß an das geistliche Gericht auf. Wegen dieser Stoßrichtung erschienen die Geheimen jülich-pfälzischen Räte sogar als Hauptbeklagte im Kameralverfahren. Der Geistliche („du mit-beclagter Pastor“) war aber gleichzeitig angewiesen, seinen Rechtsstreit vor dem geistlichen Gericht zu beenden2899. Bei flüchtigem Blick mochten die Beteiligten den Anschein gewinnen, als habe das Reichskammergericht die Verweisung einer weltlichen Streitigkeit, nämlich einer Zehntsache, an die geistliche Jurisdiktion verhindert. Die Landleute von Nierendorf hatten sich aber zu früh gefreut. Erstens erging das Mandat nur cum clausula. Sein Geltungsbefehl war sofort erschüttert, als der Anwalt des beklagten Pastors Schuld vier Monate später im November 1757 die Exzeptionsschrift zu den Akten reichte2900. Zweitens meldete sich die jülich-bergische Regierung zu Wort und begründete umfassend ihre widersprüchlichen Entscheidungen. Daraufhin hob das Reichskammergericht das Mandat nach nur zweijähriger Prozeßführung im Sommer 1759 wieder auf2901. Die Regierung von Jülich-Berg gewann also auch diesen Rechtsstreit.
LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 11, fol. 42v-43r. – Anders in Kurmainz. Dort waren seit 1670 Zehntsachen von der geistlichen Gerichtsbarkeit ausgenommen, dazu H ä r t e r , Policey und Strafjustiz, S. 316. 2897 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 2, Dorsalvermerk: „Mandatum de non contraveniendo proprio 13. Julij anni praeteriri, anteriori decreto et mandato in rem judicatam pro lapsis, cassando desuper posterius 9.nâ Martij, anni currentis, non citatis nec auditis Partibus, emanatum Rescriptum: manutenendaque in possessione plusquam immomoriali Libertatis Decimarum et desistendo à foro Ecclesiastico, cum clausula.“ 2898 Ob es sich um ein Dekret oder ein förmliches Urteil handelte, war streitig und wird in der Akte unterschiedlich benannt. 2899 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 2, fol. 16r-16v. 2900 Zum klausulierten Mandat U h l h o r n , Mandatsprozeß, S. 8-9. 2901 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Protokollbuch, Expeditum vom 17. Juli 1759, fol. 11v. 2896
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Es sind vor allem die Rechtsauffassungen der streitenden Parteien, die hier interessieren. Wie im zuvor geschilderten Rechtsstreit ging es unter anderem um die Frage, ob es sich um einen possessorischen oder petitorischen Prozeß handelte. Die Nierendorfer beriefen sich auf den Schutz ihrer quasi-possessio, nämlich auf die Befreiung von Abgaben, bewährt seit uralten Zeiten. In diesem Fall hätte es sich um eine weltliche Angelegenheit gehandelt, die vor die Düsseldorfer Räte gehörte. Der beklagte Pastor ließ dagegen vortragen, es sei nicht der „Schatten“ einer Possessionssache vorhanden2902. Es habe sich um eine „Actio merè petitoria“ gehandelt. Das hatte drei Konsequenzen, allesamt mit demselben Ergebnis. Zum ersten sollte es allgemein „geistlichen Rechten, auch Weltkündigen praxi“ entsprechen, „quod Causae Decimarum in petitorio, quidquid alias sit de possessorio coram nullo alio Judice, quam Ecclesiastico, qua unice competente agitari, et definiri valeant“2903. Ob das Argument ernst gemeint war, läßt sich aus der Rückschau kaum sagen. Der Schriftsatzverfasser behauptete allen Ernstes, sämtliche Zehntsachen gehörten immer und überall vor geistliche Gerichte2904. Auf die Art der Abgaben kam es nach dieser Darstellung nicht einmal an. Plausibler wurde das Argument auf der zweiten Stufe. Die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte für Zehntangelegenheiten sollte sich nämlich zusätzlich aus dem Provisionalvergleich zwischen Jülich-Berg und Kurköln von 1621 ergeben. Die dritte Konsequenz mochte ebenfalls zweifelhaft sein, war aber schneidig formuliert. Wenn das Petitorium nämlich vor das geistliche Gericht gehöre, handele es sich um eine geistliche Sache und umgekehrt, denn „res spiritualis nach allgemeiner keinen Widerspruch leydender Lehr ad Forum Ecclesiasticum hingehörig“2905. Daraus folgte ohne weiteres die Unzuständigkeit des Reichskammergerichts. Dort durfte niemand geistliche Sachen anbringen. Das verstand sich für den Verfasser der forideklinatorischen Exzeptionsschrift von selbst. Die jülich-bergische Regierung sah das ähnlich wie der Mandatsbeklagte, formulierte aber nicht ganz so bissig. „Wo es auf das petitorium in causis decimarum Ecclesiasticarum abkommet“, sei für den Streit „nicht die hiesige Regierung, sondern der Judex Ecclesiasticus competens“. Deswegen habe der Kurfürst, zu dieser Zeit kein geringerer als der berühmte Karl Theodor von Kurpfalz-
LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 11, fol. 43v. LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 11, fol. 43v-44r. 2904 In Münster erging hierzu 1575 eine Gesetzesänderung. In der einschlägigen Zuständigkeitsregelung des Offizialats hieß es nun: „Ad tit. 1m § Causae spirituales. In verbo decimarum declarando addendum est ecclesiasticarum“: StadtA Münster Hs. 46, fol. 72r. 2905 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 11, fol. 45r-46r. 2902 2903
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bayern2906, der Herrscher persönlich also habe befohlen, das irrtümlich ergangene possessorische Urteil aufzuheben und die Sache zur petitorischen Entscheidung an die geistliche Gerichtsbarkeit zu verweisen2907. Auch die Regierung bezog sich hierbei auf den Provisionalvergleich mit Kurköln. Die relevante Passage aus dem Vertrag von 1621 liegt sogar der Akte bei. Wolfgang Wilhelm, Herzog von Jülich-Berg, sowie Ferdinand von Bayern, der Erzbischof von Köln, hielten im Provisionalvergleich 1621 fest: „Wann irrthumb zwischen zweyen oder mehr geistlichen Persohnen von gerechtigkeit juris patronatus oder deren geistlichen lehen vorfallet, das solcher bey dem geistlichen richtern aus zu führen, wann aber der streit zwischen weltlichen patronen ist, daß als dann das petitorium bey denen geistlichen, das possessorium aber, vel si de jure patronatus incidenter agat, vor dem weltlichen richtern zu entscheiden.“2908 Hier ging es um die Frage, ob die Nierendorfer Einwohner neben den Abgaben an die Abtei Stablo auch ihrem Pastor persönlich weitere Zehnten zahlen mußten. Das war wohl eine Sachlage, auf die der erste Fall aus dem zitierten Artikel anspielte. Aufschlußreich für die Rechtswegzuweisung ist auch der im zweiten Halbsatz angesprochene Streit zwischen weltlichen Parteien. Der possessorische Prozeß sollte vor dem weltlichen Gericht stattfinden. Freilich bestand gerade hierfür das Appellationsprivileg, das die Einlegung von Rechtsmitteln an das Reichskammergericht ausschloß, wie im vorigen Fall gesehen. Im petitorischen Verfahren sollte dagegen die geistliche Gerichtsbarkeit auch im Streit zwischen weltlichen Patronen urteilen. Es gab also eine förmliche Zuweisung weltlicher Parteien zum kirchlichen Gericht. Der Zusammenhang zwischen erstem und zweitem Halbsatz ist unklar. Inwieweit es sich bei den genannten Gerechtigkeiten um geistliche Lehen handeln mußte, läßt sich schwer entscheiden. Vermutlich, das meint jedenfalls die landesgeschichtliche Literatur, bezog sich die gesamte Passage auf geistliche Lehen2909. Ob es in diesen Fällen dann Appellationen an die Reichsgerichte geben durfte, besagte der Provisionalvergleich nicht. Wahrscheinlich war die Angelegenheit ganz der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen. Genau dieser Auffassung scheint auch das Reichskammergericht gewesen zu sein. Es kassierte wie gesagt das Mandat nach nur zweijähriger Prozeßdauer im Juli 1759. Die Einwohner von Nierendorf waren mit ihrem Anliegen auf der ganzen Linie gescheitert. Herzog in Jülich-Berg seit 1742, zu ihm W i e c z o r e k / P r o b s t / Ko e n i g , Lebenslust und Frömmigkeit; F u c h s , Karl Theodor, S. 252-258; d e r s . , Kurfürst, S. 65-105; H e i g e l , Karl Theodor, S. 250-258; E b e r s o l d , Rokoko. 2907 LA Düsseldorf RKG N 218/665, unquadr. Bericht der jülich-bergischen Regierung, fol. 57r-57v. 2908 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 21, fol. 100v. 2909 R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 81. 2906
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Im Ergebnis bestätigt sich an dieser Stelle die Rechtsauffassung eines kammergerichtlichen Schriftsatzverfassers aus dem Streit um die Legitimation eines nicht standesgemäß geborenen Adligen2910: Bei der Frage, ob geistliche Gerichte weltliche Sachen unter Verstoß gegen zwingende Zuständigkeitsregeln rechtswidrig verhandelt hatten, kam es in erstaunlicher Weise auf die Haltung der weltlichen Obrigkeit an. Hatten die Landesherren solche Verfahren an die geistliche Gerichtsbarkeit abgegeben wie in den zuletzt gezeigten beiden Fällen, gab es für einen Kläger aus Jülich-Berg kaum Aussichten, eine solche Entscheidung vom Reichskammergericht aufheben zu lassen. Protestierte dagegen die Regierung selbst gegen die Einmischung der fremden geistlichen Gerichte in ihre inneren Angelegenheiten, konnten ihr der Reichsfiskal und das Reichskammergericht durchaus zu Hilfe eilen. Zugleich dürfte es kein Zufall sein, wenn in den genannten zwei Prozessen diejenige Partei gewann, die sich auf den 1621 geschlossenen Provisionalvergleich berief. Die Geltungskraft dieses Vertrages war auch nach vielen Jahrzehnten erstaunlich hoch, und der treffsichere Verweis auf partikularrechtliche Quellen schien erfolgversprechender als Rundumschläge im lufleeren Raum. Daraus folgt zugleich ein weiteres Argument für eine bereits mehrfach getätigte Beobachtung. Der Streit um die Zuständigkeiten geistlicher und weltlicher Gerichte war in hohem Maße partikularrechtlich geprägt. Die Scheidung beider Bereiche hing ab von der jeweiligen Konfession, der Regierungsform, Gerichtsverfassung sowie landesrechtlichen Rechtsnormen. Wo jeweils die Trennlinie verlief, die mehrfach benannte Längsspaltung der Justiz in weltliche und geistliche Jurisdiktion, läßt sich damit in der Rückschau nicht eindeutig bestimmen. Selbst zeitgenössisch waren verallgemeinernde Aussagen kaum möglich, trotz der zahlreichen Brocken aus dem gelehrten Recht, die sich allerorts als Bruchstücke in die Argumentation einbauen ließen. Ob Jülich-Berg ein typisches katholisch-weltliches Territorium war, läßt sich ohne Vergleich mit anderen Gegenden nicht klären. Darum geht es hier aber nicht. Es genügt an dieser Stelle ein Hinweis auf die partikulare Buntheit der Überlieferung. Die Düsseldorfer Quellen zeigen Konflikte und Lösungsmöglichkeiten, die in dieser Weise weder aus evangelischen noch aus katholisch-geistlichen Territorien bekannt sind. Vielfalt bestimmt das Bild.
2910
LA Düsseldorf RKG F 675/2751, Aktenstück Q 5, fol. 25r Stempel/37r Bleistift (Prozeß um die Legitimation von Hermann Quadt, dazu oben bei Anm. 2871).
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2. Geistliche Sachen vor weltlichen Gerichten War es erlaubt, geistliche Rechtssachen vor weltlichen Gerichten zu verhandeln? Genau darum geht es in diesem Abschnitt. Den zuvor dargestellten Beschwerden über die Behandlung weltlicher Streitigkeiten vor geistlichen Gerichten stehen sechs Prozesse mit entgegengesetzter Stoßrichtung gegenüber. Mehrfach beklagten sich Parteien am Reichskammergericht über weltliche Gerichte aus dem Herzogtum Jülich-Berg. Angeblich waren sie tätig, obwohl es sich nach appellantischer Auffassung um geistliche Angelegenheiten handelte. Diese Fälle stammen bis auf eine Ausnahme allesamt aus der Zeit vor Abschluß des Provisionalvergleichs von 1621. Allein die zeitliche Überlieferung der Quellen belegt damit schon die erhebliche Befriedungswirkung des mit Kurköln geschlossenen Vertrages trotz mehrerer auch später noch zu behandelnder Streitfälle. Wie der Blick in die Jahre vor 1621 zeigt, waren es in vier Prozessen Fragen um den persönlichen Status, die im Gefüge geistlicher und weltlicher Justiz zu Irrungen führten.
a) Zehntpflicht des Stifts Prüm im Dorf Rödingen Der zeitlich älteste Fall fällt nur begrenzt in diese Gruppe. In einem Reichskammergerichtsprozeß von 1534/35 appellierten Dekan und Kapitel des Stifts Unserer Lieben Frau zu Prüm gegen ein Urteil des Hauptgerichts Jülich2911 nach Speyer2912. Schultheiß und Schöffen in Jülich hatten das Stift für zehntpflichtig in dem Dorf Rödingen erklärt. Streit entbrannte in der Sache um die Verwertung von Rindern. Das Stift betonte im Appellationsinstrument, nach „gemyner bescrebene Rechtten auch der lants ordenung“ und nach dem überlieferten Gebrauch gehörten Zehntsachen vor das geistliche Gericht. Für „geistlich gutter und In sachen Zenntte“ sei der Weg an die weltlichen Gerichte verschlossen, denn „anders nicht dan für gepurlichen geistlichen Richter und Gerichtte sullen und mogen“ sie „tracteret“ werden. Ohne eine besondere Begründung anzuführen, räumten die geistlichen Appellanten aber ein, sie hätten sich „yrs privilegium des orts begeben und ewr liebden gerichts zwanck 2911
2912
Zu den Zwischeninstanzen in Jülich-Berg C ü r t e n , Organisation, S. 210; E h r e n p r e i s , Raum Leverkusen, S. 126; zum Hauptgericht Jülich G ab e l , Beobachtungen, S. 154-155; S t ö l z e l , Entwicklung II, S. 209, mit der Gleichsetzung als Oberhof; Hinweis auf diesen Oberhof auch bei W e i t z e l , Oberhöfe, S. 65. Repertoriumshinweis bei B r u c k h au s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 7, Nr. 4442 S. 215-216; erwähnt auch bei T h e i s e n , Untersuchungen zu Besitz, S. 333; d e r s . , Quellen 2, Nr. 248-250 S. 14-15.
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bewillichet“2913. Deswegen ging es in erster Linie nicht um die Gerichtszuständigkeit. Das Stift hatte sich freiwillig der weltlichen Justiz unterstellt und hielt sich selbst in der Appellationsinstanz an diese Prorogation gebunden. Der Grundsatz, wonach Auseinandersetzungen um geistliche Zehnten vor geistlichen Gerichten zu verhandeln waren, taucht freilich genauso auf, wie der Provisionalvergleich mit Kurköln ihn Jahrzehnte später festschrieb. Nach nicht einmal drei Monaten scheint das kammergerichtliche Verfahren bereits beendet gewesen zu sein. Jedenfalls fehlt ein Protokollbuch, und Äußerungen der Gegenseite liegen ebenfalls nicht vor.
b) Streit um den persönlichen Status Der nächste Appellationsprozeß um geistliche Sachen vor weltlichen Gerichten fand 1580/81 in Speyer statt. Eine Marie von Rurich wandte sich gegen ein Endurteil der fürstlich jülichischen Räte und Kommissare. Es ging um eine Erbschaft. Marie befand sich in der Auseinandersetzung mit einem Peter Keuppen aus Körrenzig2914 und Johann Schloßmecher aus Düsseldorf2915. Im Rahmen dieses Rechtsstreits war es vorinstanzlich um die Frage gegangen, ob die Erbberechtigung vom persönlichen Status abhing. Jedenfalls ließ Marie von Rurich in Düsseldorf „Questionem status excipiren“ und beantragte, den Rechtsstreit „ad Judicem competente zu remittieren“. Das weltliche Gericht lehnte diesen Verweisungsantrag jedoch ab und entschied in der Sache selbst. Darin sah die Appellantin eine Rechtsverletzung, ja sogar eine Nichtigkeit, denn „cognoscere de statu et Natiuitate est causa spiritualis et Matrimonialis“, eine Frage also, die vor das geistliche Gericht gehöre2916. Sie wollte ihren Status vom geistlichen Richter geklärt wissen, denn „secundum expressa Jura nostram causam Indicentem et prejudicialem status remittere ad Forum spiritualem“2917. Ob Marie sich auf die gelehrten „Iura“ bezog oder in grob gehobeltem Küchenlatein mit den „Iura nostra“ auf ein partikulares Herkommen anspielte, ist ungewiß. Trotz des Hinweises „expressa“ waren ihre Rechtsausführungen nur wenig handfest.
LA Düsseldorf RKG P 740/2416, unquadr. „Instrumentum appellationis“, fol. 2r. „Euer Liebden“ bezieht sich auf den Herzog von Jülich. 2914 Ort im Amt Boslar: M i r b a c h , Territorialgeschichte II, S. 11-12. 2915 Repertoriumshinweis bei B r u c k h au s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 7, Nr. 4806 S. 603-604. 2916 LA Düsseldorf RKG R 979/3284, Aktenstück Q 5, fol. 12r. 2917 LA Düsseldorf RKG R 979/3284, Aktenstück Q 5, fol. 12v. 2913
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Äußerungen des Appellaten zu dieser Sache liegen nicht vor. Das Kammergericht erkannte zwar das Rufen und stellte auch die Echtheit eines von der Appellantin vorgelegten Siegels unstreitig2918. Doch ein letztinstanzliches Urteil erging nicht. Das war aber offenkundig auch nicht nötig, denn bereits im Herbst 1581 schlossen die Parteien einen Vergleich2919. Damit zeigt dieser Streit gerade mit seiner kurzen Laufzeit, wie eine Appellation an das Reichskammergericht den Boden für gütliche Einigungen bereiten konnte2920. Dabei bleibt natürlich offen, ob im vorliegenden Fall überhaupt ein geistliches Gericht mit der Sache befaßt war. Das ist bei einer Einigung über die Erbportionen eher unwahrscheinlich. Wie gesagt: Nicht überlesen darf man den knappen Hinweis der Appellantin, mit dem sie die Gerichtszuständigkeit „secundum expressa Jura nostram“ herleitete. Das konnte im späten 16. Jahrhundert als pauschaler Hinweis auf das gelehrte Recht zu verstehen sein oder als partikularrechtliche Anspielung. Genauere Angaben hielt der Schriftsatzverfasser wohl für überflüssig.
c) Legitimitätsfragen im Erbschaftsprozeß Im selben Jahr 1580 begann ein weiterer Reichskammergerichtsprozeß, der offenbar in engem Sachzusammenhang zum vorigen Fall stand2921. Jedenfalls fing der Streit ebenfalls vor Vogt und Schöffen von Körrenzig an und lief dann über Schultheiß und Schöffen des Hauptgerichts Jülich zum Düsseldorfer Hofgericht. Aber nicht nur Zeit und Ort waren identisch. Es ging um eine Erbstreitigkeit zwischen Schwester und Bruder, Margaretha von Koufferen, geborene von Grutter, gegen Johann von Grutter. Es handelte sich um die Kinder der zuvor genannten Appellantin Marie von Rurich. In der Auseinandersetzung um einen Hof in Körrenzig erhob die Schwester die Erbschaftsklage vor dem weltlichen Gericht. Johann von Grutter, der Bruder, bestritt von Anfang an die Legitimität der Klägerin, möglicherweise aus demselben Grund, der bereits bei der Mutter in der Diskussion stand. Die Einzelfragen der Ehelichkeit oder Standesgemäßheit spielten offenbar rechtlich keine Rolle und tauchen im späteren Appellationsinstrument auch nicht auf.
LA Düsseldorf RKG R 979/3284, Protokollbuch, Expeditum vom 13. Januar 1581, fol. 02r, und 17. Februar 1581, fol. 02v. 2919 LA Düsseldorf RKG R 979/3284, Protokollbuch vom 23. November 1581, fol. 03r. 2920 Dazu D i e s t e l k a m p , Reichskammergericht im Rechtsleben, S. 257-258. 2921 Repertoriumshinweis bei A n t w e i l e r / Ka s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 2098, fol. 504. 2918
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Wie im zuvor geschilderten Verfahren beantragte der Beklagte „die quaestionem illegitimitatis ut praeiudicialem vor allen dingen ad iudicem Ecclesiasticum competentem zu remittiren, und so lang coram iudice seculari mit der petition hereditatis stilzuhalten“2922. Der Bruder wollte den weltlichen Rechtsstreit aussetzen und ein geistliches Statusverfahren abwarten. Mit diesem Antrag auf Verweisung an das geistliche Gericht scheiterte er untergerichtlich dreimal. Die Kommissare des Hofgerichts entschieden im Januar 1580 in einem im Jülich verkündeten Zwischenurteil, Johann von Grutter müsse auf die Klage seiner Schwester antworten. Damit erkärte sich das Hofgericht zuständig für die umfassende Entscheidung des Falles, und genau hiergegen richtete sich die kammergerichtliche Appellation des Bruders. Der Schriftsatzverfasser des Appellanten bot mächtige Autoritäten auf, um die Unzuständigkeit der weltlichen Justiz nachzuweisen. So habe Hostiensis gezeigt, „quod ubi petitur ratione filiationis & negatur legitimatio, nullo modo ad secularem pertineat iudicare“2923. Neben Hostiensis, dieser sprichwörtlich „goldenen Summe“ des Dekretalenrechts aus dem 13. Jahrhundert, berief sich das Appellationsinstrument noch zustimmend auf Baldus, Johannes Andreae, Bartolus und Paulus de Castro. An späterer Stelle tauchte auch noch Cynus de Pistoia auf, dessen Meinung der Verfasser freilich verwarf2924. Es waren also durch und durch mittelalterliche Lehrmeinungen, die für die Rechtswegzuweisung bestimmend sein sollten. Die Verweisung an die geistliche Justiz, so meinte der Schriftsatzverfasser, habe für die weltliche Gerichtsbarkeit „desto weniger beschwerung in sich (...), sintemal die Geistliche Jurisdiction auch ad illustrißimum D[omi]num Juliae inlendig
2922 2923
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LA Düsseldorf RKG G 786/2729, Aktenstück Q 4, fol. 113r; zum Legitimationsverfahren im kanonischen Recht P a a r h am m e r , Rechtsprechung, S. 96. LA Düsseldorf RKG F 786/2729, Aktenstück Q 4, fol. 113r, mit Verweis auf H o s t i e n s i s , Summa, lib. 4, rubrica Qui filii sint legitimi § Qualiter et a quo n. 10, fol. 216r; zu Hostiensis M ü l l e r , Hostiensis, S. 302-303. Zitiert werden die Kommentierung des Baldus zu C. 3, 1, 3 („L. quoties C. de Judiciis“); Innozenz und J o h a n n e s A n d r e ae zu X. 2, 10, 3 (zitiert als „c. tuam de ordine cognitionum“), fol. 60v, Summarium 1: „Natalium causa pendente coram ecclesiastico iudice, quaestio haereditatis per secularem iudicem non debet inchoari (...) De matrimonia, & de spirituali nullo regulariter cogniscit laicus“; ebd. fol. 61v in den Annotationes mehrere Hinweise auf Dekretalen von Innozenz (Lit. g); B a r t o l u s zu D. 24, 3, 34 („ in L. Titia ff. soluto matrimonio“), in der Druckausgabe als Lex 29 zitiert, wohl n. 5 S. 67: „Matrimonij causa est examinanda coram iudice Ecclesiastico, quando est dubium, an matrimonium esse poßit“; P au l u s d e C a s t r o , Consilia, p. 2 cons. 2, summaria fol. 2r-2v (Ausgabe 1582): „1. Quaestio facti, vel iuris, quae dicatur. 2. Matrimonii causa, siue in iure, siue in facto consistat, debet remitti ad iudicem ecclesiasticum. 3. Exceptio quòd causa pertineat ad iudicem ecclesiasticum, si non opponatur ante litem contestatam, an poterit postea opponi.“ – Cynus wird nur pauschal genannt, da Baldus dessen falsche Lehrmeinung korrigiert habe.
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spectiren thut“2925. Das sollte wohl kaum dem Herzog von Jülich-Berg die Gerichtshoheit über die geistliche Jurisdiktion einräumen. Allerdings beschwichtigte der Appellant seine Gegner, die gegen das geistliche Verfahren Bedenken trugen. Er ging nämlich davon aus, das geistliche Gericht werde die Sache nach Klärung der vorentscheidenden Geburts- und Legitimitätsfrage wieder an die weltliche Gerichtsbarkeit zurückgeben. Die jülichbergische herzogliche iurisdictio sah er also nicht beeinträchtigt. Das „Spectiren“ der geistlichen Jurisdiktion auf den Herzog deutete eher ein ungezwungenes und in keiner Weise feindseliges Miteinander der beiden Gewalten an. Sorge und Unruhe wegen der Einmischung fremder und ausländischer Richter in inländische Angelegenheiten, bei Eingriffen geistlicher Obergerichte in weltliche Sachen oftmals geschürt, waren nach dieser Ansicht unbegründet. „Inlendig“ gab es ein entspanntes Verhältnis von weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit, deshalb drohte keinerlei „beschwerung“.
d) Zwischenergebnis zu den gegenläufigen Argumentationslinien Im Umgang mit den zitierten Rechtsäußerungen zeigt sich ein bezeichnender Unterschied zwischen den Beschwerden über geistliche Sachen vor weltlichen Gerichten und den Klagen über die Behandlung weltlicher Sachen vor geistlichen Gerichten. In Jülich-Berg mit den ohnehin verschiedenen zeitlichen Häufungen beider Gruppen steht man vor einem erstaunlichen Befund. Den Widerstand gegen den Übergriff der weltlichen Justiz in den geistlichen Bereich formulierten die beteiligten Anwälte in ganz traditionellmittelalterlicher Weise. Die Autoritäten der italienischen Gemeinrechtswissenschaft hielten auch nach Jahrhunderten noch dafür her, die Zuweisung einzelner Streitigkeiten an ein bestimmtes Gericht zu entscheiden. Offenbar handelte es sich aus der Sicht der Schriftsatzverfasser insoweit um die Frage des gemeinen Rechts, tief verwurzelt in den Lehren der alten Italiener. In der Gegenrichtung sah es umgekehrt aus. Die Proteste gegen unzulässige Ausgriffe der geistlichen Gerichte in den weltlichen Bereich wurden juristisch regelmäßig auf der Grundlage der Reichsverfassung verhandelt. Nicht nur die einschlägigen Prozesse stammen also aus einer jüngeren Zeit, auch die juristischen Argumente waren vergleichsweise aktueller. Ganz andere Rechtsschichten kamen zur Sprache. Hier liegt ein Ansatzpunkt für vertiefte Bohrungen, die späteren Verfeinerungen vorbehalten bleiben müssen. Aber falls jüngere Regelungen ältere Vorschriften verdrängen konn-
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ten2926, wäre das im Machtgefüge weltlicher und geistlicher Gewalt dem entstehenden Staat zugute gekommen. Die wesentlichen Regeln zugunsten der geistlichen Gerichtsbarkeit waren alt, diejenigen zugunsten der weltlichen Justiz erheblich neuer. Das ist überzeichnet und ungenau, zeigt aber genau die Verschiebung an, auf die es ankommt. Damit ergibt sich für den Streit um die Zuständigkeiten geistlicher und weltlicher Gerichte die Frage, welche Seite jeweils versuchte, die Grenzziehung zu ihren Gunsten zu verändern. Das hatte unmittelbar Auswirkungen darauf, ob der weltliche oder geistliche Bereich größer oder kleiner wurde. Die Quellen zeigen Wellenbewegungen. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren es jedenfalls in Jülich-Berg weltliche Gerichte, die streitige Kompetenzen in Anspruch nahmen und die landesherrliche Justiz ausweiteten. Im 17. Jahrhundert waren es dann umgekehrt geistliche Gerichte, die auf weltliche Sachen übergriffen. Der Befund ist verzerrt und durch parteiische Schriftsatzverfasser, Zuspitzungen im Instanzenzug und insgesamt nur wenige Fälle behutsam zu deuten. Er paßt freilich zu der alten, bestrittenen und unbequemen Ansicht Max Lehmanns, wonach der Provisionalvergleich von 1621 die weltliche Herrschaft in Jülich-Berg geschwächt habe2927. Derartige Erwägungen bilden selbstredend nicht die historische Wahrheit ab, sondern beruhen ausschließlich auf den zeitgenössischen jeweiligen Sichtweisen einzelner Parteien. Um die Ranke-Frage, wie die Rechtslage eigentlich gewesen, kann es in diesem Zusammenhang ohnehin nicht gehen. Möglicherweise waren es auch nicht die geistlichen Gerichte, die tatsächlich in immer größerem Umfang weltliche Sachen behandelten. Ebenso denkbar ist eine erhöhte Wachsamkeit der Parteien gegenüber Zuständigkeitsverletzungen der geistlichen Justiz. Vielleicht also war die Kirche mit ihren Gerichten nun unter viel stärkeren Rechtfertigungsdruck geraten. Die auffällige zeitliche Verschiebung von den Beschwerden über weltliche Gerichte zu Klagen gegen geistliche Gerichte erlaubt zwei sich scheinbar widersprechende Schlüsse. Zum einen mag das Betätigungsfeld der geistlichen Justiz gewachsen sein. Zum anderen kann es auch größeren Widerstand gegen die geistliche Gerichtsbarkeit gegeben haben. Eventuell lag die erhöhte Abwehrbereitschaft gegen geistliche Übergriffe im 17. Jahrhundert auch gerade an der ausufernden Zuständigkeit der geistlichen Gerichte. Beweisbar sind solche Vermutungen nicht. Die Quellen überliefern 2926
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Für die zeitgenössische Rechtslehre S c h r ö d e r , Recht als Wissenschaft, S. 17. 112; Nachweis des Rechtssprichworts „Lex posterior derogat priori“ bei L i e b s , Rechtsregeln, S. 124 Nr. L 43. L e h m a n n , Preußen und die katholische Kirche I, S. 31; dagegen Kritik bei R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 94; J ai t n e r , Konfessionspolitik, S. 74; für Bayern im Ergebnis wie Lehmann U n t e r b u r g e r , Das Bayerische Konkordat, S. 522.
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verschiedene Gesichtspunkte, sich widersprechende Argumente und juristische Lehrmeinungen. Doch gehen sie jeweils vom Einzelfall aus. Und hier ergaben sich oftmals ganz handfeste Lösungen ohne Bezug zu großen säkularen Entwicklungen. Das verwundert kaum, und damit gerät der zuletzt behandelte Erbschaftsprozeß aus den Jahren um 1580 abermals in den Blick. In dem Streit um geistliche Legitimitäts- und Statusprobleme als Vorfragen weltlicher Erbrechtsprozesse trat 1581 der Anwalt des jülich-bergischen Herzogs Wilhelm auf den Plan. Ob ein Regierungsbeamter, ein ortsansässiger Advokat oder ein ständiger Reichskammergerichtsprokurator den Schriftsatz verfaßte, ist unklar und gleichgültig. Aufschlußreich ist die Begründung, die der Herzog anführte, um die Zulässigkeit der Speyerer Appellation zu bestreiten. Er war zwar nicht Partei, aber „pro interesse“ auf ein abweisendes Prozeßurteil aus2928. Auf die untergerichtlichen Zuständigkeitsfragen ging die herzogliche Exzeptionsschrift mit keinem Wort ein. Lediglich das Appellationsprivileg Kaiser Maximilians II. mit seiner Unterscheidung possessorischer und petitorischer Klagen spielte eine Rolle. Ausdrücklich betonte der Schriftsatz, dieses qualitative Appellationsverbot von 1566 gelte auch für Streitigkeiten mit einem höheren Wert als 600 Gulden2929. Im Gegensatz zu regierungsamtlichen Schriftsätzen des Kölner Kurfürsten in den Münsteraner Streitigkeiten ist auf eine prozessuale Besonderheit hinzuweisen. Üblicherweise bezeichnete ein Landesherr, der sich in einen Rechtsstreit zwischen Untertanen einmischte, um seine Privilegien zu verteidigen, diesen Schriftsatz als Interventionsschrift2930. Daraus folgte dann seine prozessuale Rolle als Intervenient. Im jülich-bergischen Prozeß zwischen Johann von Grutter und seiner Schwester Margaretha reichte der Herzog dagegen eine Exzeptionsschrift zu den Akten. Ob dies an der Parteistellung etwas änderte, ist unklar. Der Schriftsatz ist auch nicht quadranguliert, scheint also im Rahmen einer kammergerichtlichen Audienz nie vorgelegen zu haben. Jedenfalls ist er im Protokollbuch nicht verzeichnet. Dennoch endete der Reichskammergerichtsprozeß genau in diesem Jahr 1581. So setzte sich im Ergebnis die Rechtsauffassung des Landesherrn durch, auch wenn in Speyer kein Endurteil erging. Das kaiserliche Appellationsprivileg schützte also die weltliche Gerichtsbarkeit nicht nur vor Eingriffen des Rei-
LA Düsseldorf RKG G 786/2729, unquadr. „Exceptiones non deuolutae“, fol. 118r. LA Düsseldorf RKG G 786/2729, unquadr. „Exceptiones non deuolutae“, fol. 118 r; falsch bei A n t w e i l e r / Ka s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 2098 S. 504, die die Exzeptionsbegründung in der Unterschreitung der Appellationssumme sehen. 2930 LA Münster RKG B 1280, Aktenstück Q 8; B 1286, Aktenstück Q 3; M 1586, Aktenstück Q 8. 2928 2929
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ches, sondern möglicherweise auch im Spannungsfeld zur geistlichen Gerichtsbarkeit.
e) Streit um das Ehegattenerbrecht einer Klosterjungfrau Abermals 1580 begann ein weiterer Reichskammergerichtsprozeß, in dem es um die Behandlung angeblich geistlicher Streitgegenstände vor weltlichen Gerichten ging. Ob es ein Zufall ist, wenn im selben Jahr drei inhaltlich so eng verwandte Verfahren in Speyer zur Verhandlung kamen, läßt sich nicht feststellen. Erstaunlicherweise war wiederum fraglich, ob ein weltliches Gericht eine geistliche Statusfrage inzident entschieden hatte. Jedenfalls appellierte Catharina von Schüren als Witwe des Adolf Quadt zu Landskron wegen eines Erbrechtsstreits gegen die Brüder ihres Mannes an das Reichskammergericht2931. Ob es sich wirklich um die Witwe und damit um die Schwägerin der Appellaten handelte, bildete den Kern des Streits. Catharina von Schüren beanspruchte nämlich die Herausgabe der Erbschaft, an der sie die Leibzucht, ein dingliches Nutzungsrecht2932, ausüben wollte. Dietrich und Wilhelm Quadt, die Brüder des Verstorbenen, bestritten die Berechtigung der Appellantin. Sie betonten, die Frau habe im Kloster Gevelsberg Profeß2933 abgelegt und sei „also ad matrimonium nitt qualificiert gewesen“2934. War sie eine Nonne und hatte nie heiraten können? Catharina von Schüren hielt genau diesen Punkt für eine Frage des geistlichen Rechts. Ob sie eine klösterliche „begebene Junffer“ sei oder nicht, war die entscheidende Vorfrage des Rechtsstreits, „maxime est praeiudicij (...) myr unnd meinen Kindern“. Ihre Appellationsschedula betonte, „dieße Quaestiones An iusta vel legitima sit uxor nec ne? Item an validum sit vel inualidum votum monasticum sint praeiudiciales & mere spirituales“2935. Die Klärung dieser geistlichen Rechtsfrage sollte unmittelbar über die Erbberechtigung entscheiden und war damit maßgeblich auch für den weltlichen Richter. Deswegen verwies die Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 8, Nr. 5073 S. 270-271. 2932 B r a u n e d e r , Leibzucht, Sp. 1805-1810; S c h ü t t e , Wörter und Sachen, S. 414-415. 2933 O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 571: „Professio, heist in Jure Canonico die Bekänntnuß, daß man in dem Mönchs-Stand, nachdem man die Novität-Jahre vorher ausgestanden, verbleiben, und die drey vota monastica, nehmlich der Armuth, des Gehorsams, und der Keuschheit, observiren wolle.“ – Zu Gevelsberg S c h u l z e , Klöster und Stifte, S. 354-355. 2934 LA Düsseldorf RKG S 905/3146, Aktenstück Q 5, fol. 14r (in der Schilderung des Appellationsinstruments); zur Konfession der Familie Quadt am Beispiel des Luther von Quadt-Landskron G o e t e r s , Protestantismus, S. 4; bei A d e r s , Archiv Gevelsberg, findet sich in den biographischen Anhängen kein Hinweis auf die Frau. 2935 LA Düsseldorf RKG S 905/3146, Aktenstück Q 5, fol. 14r. 2931
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Appellantin auf ihren unklaren persönlichen Status, der vor allen anderen Fragen vorrangig geklärt werden müsse. Genau aus diesem Grunde habe der weltliche Richter die Sache „zu dem geistlichen zu Remittieren unnd hinzuweisen“. Materiell hielt die Appellantin ihre Ehe für wirksam. Angeblich hatten seinerzeit Dietrich und Wilhelm Quadt, die Brüder ihres Mannes, den Ehevertrag sogar mit unterzeichnet. Vor dem geistlichen Statusverfahren war ihr also nicht bang. In ihren Rechten sah sie sich dennoch verletzt. Die fürstlich jülichischen Räte und Generalkommissare in Düsseldorf hatten einfach im erstinstanzlichen Verfahren von 1578/80 ohne Rücksicht auf die geistlichen Fragen durch „interlocutori urteil vim definitiuae habente“2936 ihre Kompetenz zur Entscheidung des gesamten Prozesses festgestellt. Dagegen richtete sich die Appellation. Die Ähnlichkeit dieses Rechtsstreits mit dem zuvor geschilderten Fall liegt offen zu Tage. Die Exzeptionen der appellatischen Quadt-Brüder bestärken diesen Eindruck. Die Brüder beriefen sich nämlich genau so auf das Appellationsverbot wie zuvor der Herzog. Die Frage, wem die hinterlassenen Güter zunächst zuzuweisen seien, war für sie ein lediglich possessorisches Rechtsproblem. Die Entscheidung über den persönlichen Status der angeblichen Schwägerin verkümmerte zu einem bloßen Interlokut. Daraus ergaben sich zwei Exzeptionen. Zum einen war es angeblich „neben vorsehung Allgemeiner Recht, auch in der fürstlich Publicirten Gerichtsordnung nit zugelaßen von Bescheiden oder vururtheilen zu appelliren“. Und zum anderen sollten „auch in allgemeinen Rechte die Appellationes in possessorijs heilsamblich verpotten“ sein. Zur Bekräftigung des letzten Gesichtspunkts verwies der Schriftsatzverfasser auf das jülich-bergische Appellationsprivileg Kaiser Maximilians II. von 1566. Es verwehrte die Anrufung des Reichskammergerichts in possessorischen Streitigkeiten, solange „dem verlustigen theill dz Petitorium vorbehalten“ sei2937. Das war eine doppelte Stoßrichtung mit je doppelter Begründung. Die Unzulässigkeit der Appellation sollte sowohl auf der possessorischen Beschränkung des Verfahrens als auch auf dem fehlenden erstinstanzlichen Endurteil beruhen. Zur Rechtfertigung hielt ganz unbestimmt das gemeine Recht her, im ersten Fall verstärkt durch das Partikularrecht in Form der Gerichtsordnung, im zweiten Fall durch das privilegium de non appellando. Zur Bekräftigung fügte der Schriftsatzverfasser eine Abschrift des Privilegs bei2938. Wie im vorigen Fall schaltete sich auch Herzog Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg in den Streit ein. LA Düsseldorf RKG S 905/3146, Aktenstück Q 2, fol. 10r; zur Unterscheidung von Spezialkommissionen und Generalkommissaren in Jülich-Berg C ü r t e n , Organisation, S. 211-212. 2937 LA Düsseldorf RKG S 905/3146, Aktenstück Q 6, Art. 1, 9-11, fol. 15v, 16v-17r. 2938 LA Düsseldorf RKG S 905/3146, Aktenstück Q 7. 2936
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Erfreulicherweise liegt ein kammergerichtliches Endurteil zu dieser Sache vor. 1588 wiesen die Speyerer Assessoren die Appellation Catharina von Schürens als unzulässig ab. Die angemaßte Appellation war, wie es in der zeitgenössischen Tenorierung hieß, „ahn diß key[serliche] Cammergericht nit erwachsen“2939. Eine Begründung fehlt wie immer. Das abweisende Prozeßurteil zwingt jedoch zu dem Schluß, daß tatsächlich der Verstoß gegen das Appellationsverbot den Ausschlag für die Entscheidung gegeben hatte. Eine Stellungnahme des Kammergerichts zu der Frage, ob die Düsseldorfer Räte und Generalkommissare über die geistlichen Statutsfragen eigenständig entscheiden durften, läßt sich aus dem Urteil nicht herauslesen. Freilich zeigt sich einmal mehr, wie effektiv ein qualitatives Appellationsprivileg die territoriale Gerichtsbarkeit vor reichsgerichtlichen Eingriffen schützte. Ein späteres Kapitel wird diesen Gesichtspunkt vertiefen2940. Ebenfalls 1588, nur wenige Monate nach dem erwähnten Prozeßurteil in Sachen Catharina Scheuren gegen Dietrich und Wilhelm Quadt, begann ein weiterer Streit um unzulässige weltliche Prozeßführung in geistlichen Angelegenheiten. Sieht man genauer hin, handelt es sich um die direkte Fortsetzung des vorigen Prozesses. Dieselben Parteien standen sich abermals gegenüber. Nur das Reichskammergericht und später auch die Archivare bei der Aufteilung der Akten zerrissen den Sachzusammenhang, weil sie den einen Rechtsstreit unter dem Geburtsnamen der Appellantin einsortierten, den anderen unter dem Namen ihres Ehemanns2941. Die Appellantin verfeinerte jetzt ihre Rechtsausführungen. Erneut verwies sie auf die geistliche Beschaffenheit des Streitgegenstandes, denn „causa est merè spiritualis“ und „pertinet ad iudicem Ecclesiasticum“2942. Vor allem sollte das zwingend sein: „Sine superioris consensu in Laicum Judicem non sit prorogabilis“, betonte die Schedula. Das war dasselbe Argument, das in anderen Fällen Geistliche zur Verteidigung ihres privilegium fori vorschützten2943. Die Zuweisung zum geistlichen Richter sollte grundsätzlich nicht dispositiv für die Parteien seien. Lediglich die geistliche Obrigkeit konnte sich ausnahmsweise mit dem weltlichen Prozeß einverstanden erklären, wenn sie auf ihr Privileg verzichtete. Erstaunlich genug führte die Appellantin dieses Argument an und stellte sich gleichzeitig als weltliche Partei dar. Das war unumgänglich, denn anderenfalls hätte sie als geistliche Klosterjungfrau ihr Erbrecht ohnehin verloren. Im Appellationsinstrument stützte sie sich auf LA Düsseldorf RKG S 905/3146, Protokollbuch, Expeditum vom 13. Mai 1588, fol. 04r. Dazu unten bei Anm. 3200-3238. 2941 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 7, Nr. 4479 S. 250-251. 2942 LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Aktenstück Q 3, fol. 8r. 2943 In Jülich-Berg z. B.: LA Düsseldorf RKG P 740/2416. 2939 2940
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eine Äußerung Mynsingers. Er hatte in seiner Observationensammlung den Grundsatz aufgestellt: „Incidens quaestio spiritualis, à seculari ad Iudicem spiritualem remittitur. Idem in alia praeiudicialia.“2944 Überraschend und ungewöhnlich für Mynsingers Observation ist an dieser Stelle die Art und Weise, wie er die gelehrte Literatur einarbeitete. Er verwies nämlich auf einige kammergerichtliche Entscheidungen sowie auf Ulrich Zasius, nicht jedoch auf das gelehrte Recht oder die großen mittelalterlichen Autoritäten, wie er es sonst regelmäßig tat. Insofern erweckt seine Mitteilung einen zwiespältigen Eindruck. Womöglich ging es bei der Verweisung von dem einem an das andere Gericht eher um eine praktische Handhabung als um einen jahrhundertealten gefestigten Rechtsgrundsatz. Vielleicht im Hinblick auf den verlorenen ersten Rechtsstreit ging die Appellantin Catharina von Schüren auf den Einwand ein, alles drehe sich doch nur um ein vorläufiges Possessorium. Sie gestand diesen Punkt nicht zu, trug aber eine umfangreiche Hilfserwägung vor. Denn selbst für das Possessorium sah sie das Statusproblem als wesentliche geistliche Vorfrage an, die „zu den Gaistlichen ordentlichen Richter zu remittieren“ sei. Die jülichbergischen Räte und Kommissare hatten das nicht beherzigt, sondern sogar nach Erhebung der ersten Appellation das Verfahren fortgesetzt. Daher müßten sie sich den Vorwurf gefallen lassen, „zu nit geringer verkleinerungh dero Rom[ischer] Kays[erlicher] May[es]t[ä]t und hochloblichen Kayserlichen Cammergerichts“ beigetragen zu haben2945. Nach dieser Darstellung lag also ein Verstoß gegen den Suspensiveffekt und damit eine klare Mißachtung der Reichsgerichtsbarkeit vor. Und dieser Vorwurf traf nicht die Prozeßgegner, sondern die landesherrlichen Richter selbst. Der Ablauf des Verfahrens ähnelte stark dem vorigen Fall. Erneut erklärte der Herzog von Jülich-Berg seine Intervention2946, und erneut verwiesen die Exzeptionen auf das Appellationsverbot in possessorischen Streitigkeiten und bei bloßen Interlokuten, erneut gestützt auf das gemeine Recht, die jülich-bergische Gerichtsordnung sowie das Appellationsprivileg von 15662947. Ein abschließendes Urteil erging diesmal nicht, weil die Appellantin im März 1590 ihre Appellation zurücknahm. Gründe dafür sind nicht bekannt2948. Ein Expeditumvermerk vom Oktober 15942949 deutet eine kam-
M y n s i n g e r , Observationen I obs. 100, Leitsatz. LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Aktenstück Q 3, fol. 8r. 2946 LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Protokollbuch, fol. 2v. 2947 LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Aktenstück Q 11, fol. 27v-29v; wohl Tippfehler bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht 7, Nr. 4479 S. 250: Appellationsprivileg von 1568. 2948 LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Protokollbuch vom 9. März 1590, fol. 3r. 2944 2945
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mergerichtliche Entscheidung an. Vielleicht ging es aber nur noch um die Kosten der Gegenpartei2950. Der Konflikt beschäftigte das Reichskammergericht noch bis ins erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts hinein. Drei weitere Kameralprozesse entspannen sich um denselben Sachverhalt mit jeweils nur minimal anders gelagerten Streitgegeständen2951. Neue Einzelheiten der Vorgeschichte blitzten an verschiedensten Stellen immer wieder auf. So soll Catharina von Schüren ihren Mann vor seinem Tode verlassen und damit ihre Leibzuchtsansprüche verwirkt haben. Außerdem war sie angeblich aus dem Zisterzienserorden wieder ausgetreten2952. All das mochte für die partikularen Leibzuchtsgewohnheiten wichtig sein, ist hier aber nicht weiter von Belang. Ein Negativbefund verdient genauere Beachtung. Für die Parteien spielte er offenbar kaum eine Rolle. Genau parallel zu den hier geschilderten Rechtsstreitigkeiten begann nämlich die Säkularisierung des Zisterzienserklosters. Beide oben beschriebenen Erbrechtsprozesse begannen 1578 in Düsseldorf. Nur ein Jahr zuvor setzte die Umwandlung Gevelsbergs in ein freiweltliches Simultanstift ein. Sowohl katholische als auch evangelische adlige Damen konnten dort Aufnahme finden2953, sofern diese konfessionelle Unterscheidung für ein noch nicht klar festgelegtes Territorium2954 überhaupt sinnvoll ist. Die Familie Quadt zu Landskron soll angeblich dem reformierten Bekenntnis nahegestanden haben2955. Für den Rechtsstatus einer Frau, deren Zugehörigkeit zu genau diesem Orden fraglich war, scheint aus heutiger Sicht die Klostergeschichte von entscheidendem Einfluß auf ihre persönliche Rechtsstellung gewesen zu sein. Die Quellen bestärken diesen Eindruck aber nicht. Die wesentlichen Argumente in allen diversen Streitfällen waren immer dieselben und sind oben ausführlich zur Sprache gekommen. Das ist derselbe Befund, der auch beim Münsteraner Streit um ein
Tippfehler bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 7, Nr. 4479 S. 251: 1694. 2950 Antrag auf Kostenerstattung in LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Protokollbuch vom 25. April 1590, fol. 3r. 2951 Repertoriumsnachweise bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 8, Nr. 5074-5076 S. 271-274. 2952 Hinweis bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht 8, Nr. 5074 S. 271. 2953 A d e r s , Archiv Gevelsberg, S. 2, mit Hinweisen auf die konfessionsbezogenen Schlüssel zur Aufnahme; Kl u e t i n g , Gevelsberg, S. 350-354; E l m , Zisterziensertum, S. 56-57; S c h u l z e , Klöster und Stifte, S. 354. 2954 S a l l m a n n , Organisation, S. 56; K au f m a n n , Geschichte der Reformation, S. 632, 654. 2955 G o e t e r s , Protestantismus, S. 4, für Luther von Quadt-Landskron (1519-1586/87). 2949
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Verfahren der Stadt Rheine vor kirchlichen Gerichten erstaunt2956, aber auch in einem schleswig-holsteinischen Prozeß einer adligen Stiftsdame aus Preetz2957. Die Auswirkungen der Konfession auf das Recht, die Umwälzungen im Großen, spiegeln sich in den Akten in ganz anderer Weise, als vorschnelle Thesenbildung es nahelegen würde. Das Schweigen der Quellen spricht für eine ganz erstaunliche Selbständigkeit der Gerichtsbarkeit gegenüber Fragen der Religion. Wer möchte, mag hier funktionelle Ausdifferenzierung und frühe Autonomie im Sinne der Systemtheorie erkennen2958. Jedenfalls war es möglich und entsprach sogar bemerkenswert verbreiteter Praxis, juristische Konflikte mit rechtlichen Argumenten auszufechten, selbst wenn vielleicht viel größere politische oder religiöse Umwälzungen im Hintergrund stattfanden. Das ist in denjenigen Fällen, in denen das weitere Umfeld der Streitigkeiten bekannt ist, ein wichtiger Befund. Zugleich wird daraus ein Fallstrick für die Quellenauswertung schlechthin. Wenn die Parteien sich zu derartigen Fragen nicht äußerten, rekonstruiert möglicherweise die moderne Geschichts- und damit auch Rechtsgeschichtschreibung zwar quellennah bestimmte Probleme, sieht dabei aber den Wald vor lauter Bäumen nicht. Vielleicht gab es noch viel mehr schwelende konfessionelle Konflikte, die in Gerichtsakten nicht greifbar sind. Mit dieser Unwägbarkeit muß freilich jede Untersuchung leben, wenn sie mehrere Territorien vergleicht und nicht in der Lage ist, die lokalen Besonderheiten bis zur letzten Untiefe auszuloten. Die vergleichsweise hohe Autonomie und Ausdifferenzierung des Rechts gegenüber reinen Religionsfragen würde freilich durch die Entdeckung anderer hier übersehener Querbezüge eher noch gestärkt als erschüttert. Deswegen verdienen die Fälle, in denen die Mehrschichtigkeit der Problemlage bekannt ist, um so höhere Aufmerksamkeit.
f) Tod während des Scheidungsverfahrens Der zeitlich jüngste Prozeß, in dem sich ein kammergerichtlicher Kläger über die Behandlung geistlicher Angelegenheiten vor einem jülichbergischen weltlichen Gericht beschwerte, fand über einhundert Jahre später als die zuvor geschilderten Verfahren statt. Es ging um eine etwas verworrene Erbschaftsauseinandersetzung innerhalb der Adelsfamilie von LA Münster RKG M 1725. LA Schleswig Abt. 390 Nr. 342; dazu oben bei Anm. 1837-1871. 2958 Dazu allgemein L u h m a n n , Legitimation durch Verfahren, S. 26, 59-74; Brückenschlag zurück in die frühe Neuzeit bei S t o l l b e r g -R i l i n g e r , Einleitung, S. 12-13. 2956 2957
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Meuthen2959. Wilhelm Winand von Meuthen war 1687 gestorben, zu einem Zeitpunkt, als seine Frau Sibylle Margarethe von Zweibrüggen zu Heinsberg gerade eine Scheidungsklage gegen ihn anhängig gemacht hatte. Über die Klage sowie über Rückzahlungen aufgrund des Ehevertrages waren noch keine gerichtlichen Entscheidungen ergangen. Nun kam es unter anderem auf die Frage an, welche Vermögenswerte der Witwe zustanden2960. Sie klagte vor Präsident, Kanzler und Räten der Hofkanzlei Düsseldorf2961 und erlangte dort ein wichtiges Zwischenurteil. Die Beklagten durften nicht untätig bleiben und mußten sich zur Sache einlassen. Das aber wollten sie nicht, und daher appellierten sie an das Wetzlarer Reichskammergericht. Die Appellanten, Vormünder des Johann Franz von Meuthen, des Stiefsohns der Appellatin, trugen vor, ihre Gegnerin habe „Erstlich vor dem landtdechandten der Christianität Susteren, und folgentz coram ArchiDiacono maioris Campiniae zu Lüttich in p[unc]to Divortij“ den Rechtsstreit begonnen2962. Süsteren war ein Ort im jülich-bergischen Amt Born2963, Campine, zu deutsch Kempenland, der Sitz eines lüttichischen Archidiakons2964. Was das divortium, die Scheidung, am Ende des 17. Jahrhunderts in einem nunmehr klar katholischen Umfeld zu bedeuten hatte, benötigt hier keine Vertiefung. Auch die kammergerichtlichen Schriftsätze gingen nicht näher darauf ein. Nach zeitgenössischem Sprachgebrauch dürfte es sich um die Trennung von Tisch und Bett gehandelt haben2965. Offenbar hatte die Witwe Meuthen 1687 einen ersten Versuch unternommen, die Auseinandersetzung auch am jülich-bergischen Hofrat anhängig zu machen. Die Vormünder hatten schon damals dagegengehalten und betont, nach der erstmaligen Verhandlung vor dem Landdechanten dürfe die Sache nur „ad Judicem superiorem Ecclesiasticum vigore concordatum provisionalium dimittirt“ werden2966. Der Provisionalvergleich von 1621 spielte also auch hier für die Zuständigkeitsabgrenzung geistlicher und weltlicher Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K as t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 6, Nr. 3812 S. 226-227. 2960 Das ist bis heute ein klassisches Rechtsproblem. Die moderne Lösung enthält § 1933 BGB. 2961 Gerichtsbezeichnung in LA Düsseldorf RKG 1013/2634, Aktenstück Q 2, fol. 10r; zur Identität von Hofkanzlei und Hofrat im 16. Jahrhundert S a l l m a n n , Organisation, S. 58; zur behördlichen Organisation A d e n au e r , Entwicklung, S. 23, 28. 2962 LA Düsseldorf RKG M 1013/2634, Aktenstück Q 3, Gravamen 4, fol. 17v. 2963 E s c h b a c h , Erkundigung, S. 124; M i r b ac h , Territorialgeschichte II, S. 9-10. 2964 M o r e a u , Histoire V, S. 21; D e h ar v e n g / G h e l l i n c k , Cartes des Diocèses, S. 91-92; M i n k e , Lüttich, S. 375; P e t k e , Siegelfälschungen, S. 135. 2965 M a y , Aufhebung, S. 472, mit Hinweis auf Mainzer Quellen aus dem frühen 18. Jahrhundert; S c h o l z - L ö h n i g , Eheauflösung, Sp. 53; W e s t p h al , Auflösung, S. 191. 2966 LA Düsseldorf RKG M 1013/2634, Aktenstück Q 3, Gravamen 11, fol. 18r. 2959
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Gerichte eine maßgebliche Rolle. Jedenfalls hatte der Hofrat 1687 die Angelegenheit weiterverwiesen. Ein Verfahren vor dem Archidiakon zu Lüttich schloß sich an. Die Appellanten meinten deswegen, die Witwe habe das geistliche Gericht freiwillig gewählt. Dennoch habe sie später erneut vor dem Düsseldorfer Hofrat geklagt, obwohl ihr „ferner zu Düßeldorff zuverfahren sub censuris Ecclesiasticis verbotten“ gewesen sei2967. Trotz angedrohter kirchlicher Strafen hatte sie also abermals Zuflucht zum weltlichen Gericht genommen. Ursache für das häufige Hin und Her war die offene Frage nach der Rechtmäßigkeit der Desertion2968. Das konnte zweierlei bedeuten. Zum einen mochte es materiell um die Trennung der Eheleute und das nachfolgende Scheidungsverfahren gehen2969. Zum anderen konnte auch im bisherigen Rechtsstreit eine Desertion eingetreten sein. Durch eine liegengebliebene und nicht weiter betriebene Rechtsverfolgung hätte die Witwe ihre Rechte verloren oder wäre jedenfalls in ihrer Klagebefugnis weitgehend beschränkt gewesen2970. Beides hieß Desertion. Der jülich-bergische Hofrat stellte in einem Zwischenurteil im August 1694 seine sachliche Zuständigkeit fest und forderte die Vormünder zur Klageerwiderung auf. Das wesentliche Argument der Appellanten dagegen lautete, der einmal beschrittene geistliche Rechtsweg sei für die gesamte Dauer der Auseinandersetzung beizubehalten. Das sollte insbesondere bei prozessualen Komplikationen wie etwa dem Desertionsproblem gelten. Wenn eine Partei die Sache ordnungswidrig schleifen ließ und Nachteile erlitt, mußte sie das hinnehmen. Sie sollte ihre Rechtsverluste nicht dadurch ausgleichen können, indem sie sich späterhin an die weltliche Gerichtsbarkeit wandte. Unausgesprochen ging es um die Gefahr der Instanzverdoppelung. Die Witwe Meuthen dagegen hielt nicht ihren eigenen Prozeß vor dem Düsseldorfer Hofrat, sondern im Gegenteil die reichskammergerichtliche Appellation ihrer Schwägerschaft für unzulässig. Sie behauptete, am Anfang der Auseinandersetzung habe überhaupt nicht das Verfahren vor dem Landdechanten oder dem Archidiakon gestanden, sondern eine Untersuchung vor dem weltlichen „Gülischen Ambtmann zu Millen“2971. Dort sei das Verfahren ins Stocken geraten, und erst deswegen sei sie „novam commissionem zu bitten, undt zu erhalten genöthiget worden“. Daher könne „keine avocatio ad
LA Düsseldorf RKG M 1013/2634, Aktenstück Q 3, Gravamen 21, fol. 18v. LA Düsseldorf RKG M 1013/2634, Aktenstück Q 3, Gravamen 18. 2969 Dazu O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 216: „Desertio, die Desertion oder Verlassung. Also wird von einem Ehegatten, wenn sein anderer Ehegatt ihn bößlich verläst, eine Desertions-Klage angestellet.“ 2970 Zur Desertion eine zeitgenössische Diskussion bei O e s t m a n n , Zivilprozeß, S. 528-534. 2971 LA Düsseldorf RKG M 1013/2634, Aktenstück Q 10, fol. 28r. 2967 2968
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Judicem Ecclesiasticum platzgreiffen“2972. Bei aller streitiger Darstellung herrschte unausgesprochen im wesentlichen rechtlichen Punkt Einigkeit. Beide Seiten gingen stillschweigend vom Prioritätsgrundsatz aus, der die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts festlegte. Dort, wo die Sache einmal rechtshängig war, durfte sie ein anderer Richter nicht einfach wieder abziehen. Die Appellatin setzte nach und betonte, es sei „in p[unc]to dotis acquisitorum et impensarum beym geistlichen Richter niemahlen einige Sententia ergangen“2973. Auch sei es der verstorbene Ehemann gewesen, der den wegen der Scheidung „beym geistlichen Richter befangenen rechtstreit unaußgeeiffert stecken laßen“ habe. Deswegen sei mit seinem Tod der geistliche Prozeß beendet gewesen. Wichtiger als solche Streitigkeiten um den genauen Verfahrensablauf war ein sachlicher Gesichtspunkt. Die Appellatin, besser gesagt ihr Schriftsatzverfasser, wies auf die beschränkte sachliche Zuständigkeit der geistlichen Gerichtsbarkeit hin, nämlich „daß iudice Ecclesiastico im Gülischen bloßhin super matrimonialibus laico autem super dote2974, donatione propter nuptias et impertis2975 zu cognosciren notoriè Competire“2976. Damit sollte die geistliche iurisdictio nur die Eheschließung selbst sowie das Ehegüterrecht mitsamt den Zuwendungen zwischen den Ehegatten erfassen, nicht aber die Vermögensentflechtung im Todesfall. Ausdrücklich stellte die Exzeptionsschrift dies als partikulare Begrenzung geistlicher Zuständigkeiten dar. Der Rechtsstreit endete ergebnislos 17022977. Weitere Beschwerden über die Behandlung geistlicher Sachen vor den jülich-bergischen weltlichen Gerichten gab es später nicht. Ohnehin lag der Streitstand in dem zuletzt geschilderten Fall etwas anders als zuvor. Bei allen Auseinandersetzungen der Parteien scheint es sich um mehrere Gerichtsverfahren parallel oder zumindest nacheinander gehandelt zu haben. Die Vorwürfe der Beteiligten richteten sich immer gegen das Verhalten des jeweiligen Widerparts, während die Angriffe gegen das Düsseldorfer Hofgericht nicht im Mittelpunkt standen. Das war bei den vier Fällen aus den 1580er Jahren anders. Dort fand lediglich je ein einziger untergerichtlicher Prozeß vor dem weltlichen Gericht statt. Die späteren Appellanten erstrebten dort eine Verfahrensunterbrechung, um eine geistliche Vorfrage von einem geistlichen Gericht klären zu
LA Düsseldorf RKG M 1013/2634, Aktenstück Q 10, fol. 28r. LA Düsseldorf RKG M 1013/2634, Aktenstück Q 10, fol. 28v. 2974 Leseproblem, das Wort könnte auch „date“ heißen und sich dann, wenn auch grammatisch falsch, auf „donatione“ beziehen. 2975 Schenkungen. 2976 LA Düsseldorf RKG M 1013/2634, Aktenstück Q 10, fol. 29r. 2977 LA Düsseldorf RKG M 1013/2634, Protokollbuch, letztes Completum am 12. Dezember 1702. 2972 2973
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lassen. Erfolg hatten sie damit weder vor dem Territorialgericht noch am Reichskammergericht. Ob es Zufall ist, wenn gerade drei der in diesem Abschnitt näher betrachteten Verfahren 1580 vor dem Reichskammergericht begannen, ist schwer zu klären. Nach Auffassung einiger Historiker, die das klassische Modell von Reformation und Gegenreformation vertreten, setzte seit den 1570er Jahren die Gegenreformation in den deutschen Territorien voll ein2978. Zugleich soll die nachtridentinische katholische Kirche gegenüber den weltlichen katholischen Gewalten immer durchsetzungsstärker geworden sein2979. Ob hier ein Zusammenhang besteht zu den Bestrebungen der jülich-bergischen Appellanten, die Ausdehnung weltlicher Gerichtsbarkeit in den geistlichen Bereich zu begrenzen, ist unklar. Die zeitliche Parallele ist freilich augenfällig und paßt zur politisch-religiösen Großwetterlage.
3. Geistliche Gerichtsbarkeit Kurkölns und Lüttichs in Jülich-Berg In zahlreichen Auseinandersetzungen aus Jülich-Berg tauchen Hinweise auf die Ausübung geistlicher Gerichtsbarkeit des Erzbistums Köln und des Bistums Lüttich auf, auch in dem im vorigen Abschnitt angesprochenen Fall Meuthen aus dem späten 17. Jahrhundert. Teilweise gibt es bloße Hinweise auf Rechtsstreitigkeiten vor einem solchen auswärtigen geistlichen Richter, ohne daß die Parteien diesen Aspekt weiter vertieften. Mehrfach entzündeten sich genau hieran aber auch Konflikte. Sie verdienen besonderes Augenmerk. Wie Prozesse aus dem Fürstbistum Münster gezeigt haben, konnte die Ausübung landesfremder geistlicher Gerichtsbarkeit leicht in fremde weltliche Landesherrschaft übergehen. Das war jedenfalls die Gefahr. Die Grenze war fließend und nicht klar zu erkennen, solange geistliche Gerichte mit großer Selbstverständlichkeit auch weltliche Streitigkeiten annahmen und entschieden. Dann stellte sich die Frage nach dem Inhaber der iurisdictio in grundsätzlicher Schärfe. Im Fürstbistum Münster, einem geistlichen Territorium, das über lange Zeitläufte mit Kurköln in Personalunion verbunden
D e c o t , Katholische Reform, Sp. 460; R a b e , Deutsche Geschichte, S. 586, mit Beispielen S. 528, 576, 588; etwas später für Nordwestdeutschland K e l l e r , Gegenreformation II, S. 3: 1585 als wichtiger Wendepunkt. 2979 U n t e r b u r g e r , Das Bayerische Konkordat, S. 520. 2978
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war, ging es um die Herunterstufung eines reichsunmittelbaren Hochstifts zu einem unselbständigen Nebenland des Kurfürstentums Köln. In Jülich-Berg lag die Sache anders. Verknüpft war es seit dem Ende des Erbfolgestreits, spätestens seit Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg2980, mit den pfälzischen Ländern als weltliches Nebenland mit durchaus eigenständigen Strukturen2981. Die Tätigkeit kölnischer oder lüttichischer Gerichte erscheint aus dieser Perspektive viel stärker als Einmischung fremder Obrigkeiten als im Falle Münsters. Gleichzeitig war es für die Landesherren schwierig und nach dem klaren Bekenntnis zum Katholizismus nahezu unmöglich, eine einheitliche landeseigene weltliche und geistliche Gerichtsbarkeit aufzubauen, ohne die überkommene Doppelung zu verletzen. Die Einbindung in die Metropolitanstrukturen war letztlich zwingend. Immerhin gelang es den Landesherren, auf der untersten Ebene der geistlichen Jurisdiktion die Anbindung an das Kölner Offizialat erheblich abzumildern. Die Landdechanten vermittelten zwischen herzoglicher iurisdictio und erzbischöflicher Aufsicht. Die Auseinandersetzungen Jülich-Bergs mit Kurköln über die Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit hat die Literatur bereits mehrfach erwähnt, stets in Zusammenhang mit den politischen Diskussionen um Jurisdiktionsverträge im 16. Jahrhundert und im Vorfeld des Provisionalvergleichs 16212982. Es gab deswegen sogar einen Reichshofratsprozeß des Kölner Erzbischofs gegen den Herzog von Jülich, der freilich wie so vieles ergebnislos versandete2983. Im folgenden geht es wie in den anderen Kapiteln darum, die Gerichtspraxis in den Blick zu nehmen. Soweit möglich, sind die Fragen der örtlichen, sachlichen und personellen Zuständigkeit der fremden geistlichen Gerichte getrennt zu behandeln. Strenge Chronologie ist damit nicht möglich, doch geraten sachlich zusammenhängende Fragen nun gemeinsam in den Blick. Dafür steht am Ende eine Streitigkeit aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die umfassend die gesamte Problemlage auch im Rückblick auf die verschiedenen normativen Quellen beleuchtet.
Gestorben 1653, zu ihm B r e i t e n b a c h , Wolfgang Wilhelm, S. 87-116. H ä r t e r , Jülich-Berg, S. 1165. 2982 S a l l m a n n , Organisation, S. 62; R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 72-75; für die Mitte des 16. Jahrhunderts dagegen schon v . H ae f t e n , Die landständischen Verhältnisse, S. 22. 2983 R e d l i c h , Provisionalvergleich, S. 72. 2980 2981
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a) Vertreibung einer untreuen adligen Ehefrau Ein adliges Ehedrama bildet den Auftakt der einschlägigen Fälle. Catharina von der Balen genannt Fleck klagte 1577 vor dem Reichskammergericht erstinstanzlich gegen ihren Ehemann Franz von Hompesch, Herr zu Bollheim, Frauenberg und Wichterich2984. Nach Schilderung der Klägerin hatte sie mehr als vierzehn Jahre mit ihrem Mann friedlich zusammengelebt. Doch aus heiterem Himmel warf er ihr plötzlich Ehebruch vor und sperrte sie in seinem Privatkarzer ein. Mit schändlicher Bekleidung „inn einer Schwartzenn oder Deckbett eingewickelt, und mit einer schlaffhauben, unnd zerrissenn kleidernn angethonn, wider Adeliche gewohnheit, unnd alle Rechten unnd pillichkeitt“ ließ Franz von Hompesch seine Frau von dannen ziehen, bis sie „erbarmlich bloeß unnd arm zu hauß“ ankam2985. 1577 wandte sie sich unmittelbar an das Reichskammergericht. Dafür nannte sie zwei Gründe. Zum einen waren „Hauß und herligkeitt Bolhem zwischen Chur und Fürsten dem Ertzbischoffen zu Colln und Hertzogen zu Gülich (...) noch heuttiges tags streittigh, Also Ir Clegerin beschwerlich fallen will, solcher Irriger Jurisdiction endtschafft abzuwartten“. Zum anderen unterstand sie eigener Einschätzung nach als persona miserabilis „ohne mittel“ dem Kammergericht2986. Es sollte für sie also unzumutbar sein, den Ausgang der Streitigkeiten zwischen Kurköln und Jülich um die Gerichtsbarkeit in Bollheim2987 abzuwarten. Der Hinweis auf die personae miserabiles deutete eine außerordentliche Unterstellung unter den Schutz der kaiserlichen Gerichtsbarkeit an. Das war im Alten Reich ein Problem. Der Kameralautor Andreas Gail betonte im 16. Jahrhundert, arme, bemitleidenswerte Personen müßten Rechtsschutz zunächst von ihren Landesherren begehren und könnten erst anschließend am Kammergericht klagen2988. So war es in der Tat in einem oben erwähnten Fall aus Hamburg2989. Auch die Kirche beanspruchte vielfach die unmittelbare Offizialatsgerichtsbarkeit über personae miserabiles2990, konnte aber wenig ausrichten, wenn derartige Fälle in der Praxis oftmals vor weltliche Gerichte
Repertoriumsmitteilung bei A l t m an n / H o f f m an n , Reichskammergericht 1, Nr. 147 S. 162-164; Franz von Hompesch auch bei M i r b ac h , Territorialgeschichte I, S. 16. 2985 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 4, Art. 36, fol. 046r. 2986 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 2, fol. 036r. 2987 Als Ort im jülichischen Amt Berchem genannt bei E s c h b a c h , Erkundigung, S. 127. 2988 G a i l , Observationen I, obs. 1 n. 40, S. 7, dazu D u v e , Sonderrecht, S. 114; zur landesherrlichen Zuständigkeit in Jülich-Berg A d e n au e r , Entwicklung, S. 11. 2989 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. S 187, Aktenstück Q 2, Art. 4, Aktenstück Q 10; dazu oben bei Anm. 2608-2624. 2990 T r u s e n , Offizialat, Sp. 1217. 2984
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wanderten2991. Für den Schriftsatzverfasser des beklagten Ehemanns ergaben sich jedenfalls vielfältige Angriffsmöglichkeiten. Die forideklinatorischen Exzeptionen ließen nicht lange auf sich warten. Gleich zu Beginn stand der Verweis auf „das beneficium zwaier underschidlicher Instantien“, wie es in der „Reichs ordnung“ vorgegeben sei2992. Da Franz von Hompesch kein reichsunmittelbarer Adliger war, betonte er, „dem Durchleuchtigen hochgepornen fürsten und Hern, Hern Wilhelmen Herzog zu Gülich, Cleue, und Bergk Je undt allweg underworffen gewesen“ zu sein. Dasselbe gelte für seine Ländereien2993. Der Anspruch auf mindestens zwei gerichtliche Instanzen für mittelbare Reichsangehörige war in der Tat unstreitig. Teilweise, etwa in Paderborn, gab es sogar Diskussionen um das Recht auf einen dreistufigen Gerichtsaufbau2994. Was den weltlichen Rechtszug betraf, ging einem Reichsuntertanen tatsächlich die Appellationsmöglichkeit verloren, wenn er sich erstinstanzlich vor einem Reichsgericht verantworten mußte. Der Ehemann verwies zusätzlich darauf, „das die Ehesachen, undt was dem selben mehr anhengt, nit durch die weldtliche, sonder vil mehr durch die gaistliche Obrigkheit sollen undt müßen der gepür discutirt, undt Endtscheiden werden“2995. Mit diesem Hinweis lehnte er die Zuständigkeit des Reichskammergerichts für Ehestreitigkeiten ab. Er behauptete, wegen des angeblichen Ehebruchs seiner Frau habe er „die Bäpstliche hayligkheit angeruffen“ und dort erreicht, „das Ihre hayligkheit, die hilfreiche handt des Gaistlichen Rechtens daran gesetzt“2996. Daraus folgte der Rechtsgrundsatz, wonach „in beiden geistlichen unndt weldtlichen Rechten hailsamblich verordnet“ sei, sämtliche Ehesachen nur vor dem geistlichen Richter zu verhandeln2997. Überdies führte der beklagte Ehemann ein weiteres Argument ins Feld. Es tauchte im Rahmen dieser Untersuchung ausschließlich in Jülich-Berg auf, war dort aber weit verbreitet. Er behauptete nämlich, mit seiner Frau niemals ordnungsgemäß verheiratet gewesen zu sein. Angeblich hatten die Eltern ihre Tochter in ein Zisterzienserkloster für adelige Jungfrauen gegeben, und zwar in das Kloster Marienborn in Zülpich-Hoven2998. Dort sei sie drei Jahre geblieben, habe in dieser Zeit die Haare abgelegt, klösterliche Kleidung getragen, das Klosterleben begonnen und auch gelobt, im Kloster D u v e , Sonderrecht, S. 72. LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 6, Art. 2, fol. 050r. 2993 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 6, Art. 7-9, fol. 050v-051r. 2994 „Discursus Historico Juridico Politicus De Beneficio trium Instantiarum“ in LA Münster RKG S 1934, fol. 01r-32v; ich danke T h o r s t e n S ü ß für den Hinweis auf diese Quelle. 2995 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 6, Art. 5, fol. 050v. 2996 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 6, Art. 33, fol. 055r. 2997 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 6, Art. 35, fol. 055v. 2998 Zu diesem Kloster v a n d e r B r o e k , Der Heilige Hermann-Josef, S. 56-61; zur Gründung R i s s e l , Gründungsgeschichte, S. 29-37, 149-174; S c h i f f e r , Zülpich, S. 52-54. 2991 2992
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zu bleiben2999. Der angebliche Profeß stand damit der Ehefähigkeit entgegen. Das war offenbar ein Hilfsargument gegen die aus moderner Sicht materiellrechtlichen Begehrlichkeiten der verstoßenen Frau. In Zuständigkeitseinreden münzte der Schriftsatzverfasser sie nicht um. Hier eröffnen sich freilich Anknüpfungspunkte für künftige Tiefbohrungen. Es mag Zufall sein, aber der zivilrechtliche Status von Klosterangehörigen scheint besonders in katholisch-weltlichen Territorien zu Rechtsproblemen geführt zu haben. Vertiefende Untersuchungen müßten klären, warum. Möglicherweise wirkte sich die konfessionelle Uneindeutigkeit des Territoriums unmittelbar auf die dort belegenen Klöster aus. Beim Kloster Cappel im Spannungsfeld zwischen den reformierten Grafen zur Lippe und dem Erzbischof von Köln zeigt sich derselbe Befund. Dort ging es freilich nicht um die Ehefähigkeit, sondern nur um den privilegierten Gerichtsstand3000. Die Klägerin versuchte die vielfältigen Angriffe auf doppelte Weise zu parieren. Zum einen beharrte sie auf der unklaren Gerichtsherrschaft, zum anderen auf dem weltlichen Charakter der Streitigkeit. Durch verschiedene Mandate und Ladungen „des Churf[ürstlich] Colnischen officialis“ habe dieser „auch in causis prophanis mehrmals“ in Bollheim Gerichtsgewalt ausgeübt und sogar Rechtssachen gerichtlich entschieden. Die Replikschrift der Ehefrau verwies auf namentlich bezeichnete Präzedenzfälle, die sich „In kurtzenn Jaren“ zugetragen hatten. Wegen einiger gepfändeter Schafe habe es sogar einen Vergleich zwischen den kurfürstlichen und herzoglichen Räten gegeben3001. Dieser letzte Punkt ist wichtig. Bollheim war ein kleines Dorf. Es ist unnötig, sich den Namen zu merken. Aber die unklare Gerichtsgewalt in ebendiesem Weiler Bollheim, für die Klägerin der Anlaß für ihre erstinstanzliche Anrufung des Kammergerichts, beruhte gerade auf der Prozeßführung des Kölner Offizials in weltlichen Streitigkeiten. Damit gab es plötzlich zwei Obrigkeiten, und es war nicht mehr klar erkennbar, wer eigentlich der Inhaber der iurisdictio und damit der Landesherr war. Wenn der Ehemann also betonte, er selbst und seine Güter unterständen der herzoglich-jülichischen Jurisdiktion, hob Catharina von der Balen bzw. ihr Anwalt diese Eindeutigkeit geschickt aus den Angeln. Überall dort, wo der kölnische Offizial Gerichtsbarkeit in weltlichen Sachen ausübte, war die Landesherrschaft ersichtlich streitig. Diese sehr schlüssige prinzipielle Ansicht stand unausgesprochen hinter ihren Rechtsausführungen.
LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 6, Art. 3-11, fol. 060r-061r. Dazu oben bei Anm. 2158-2209. 3001 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 23, fol. 158v-159r. 2999 3000
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Damit zeigt gerade dieser Punkt, wie gefährlich es war, die Tätigkeit auswärtiger Offiziale in weltlichen Streitigkeiten unwidersprochen hinzunehmen. In Münster konnte der Kölner Kurfürst daraus das Argument herleiten, die iurisdictio im gesamten Hochstift unterstehe gar nicht unmittelbar dem Reich, sondern ihm selbst. Im weltlichen Herzogtum Jülich-Berg war das nicht denkbar, dazu war die Trennung der Herrscherhäuser zu offenkundig. Doch nagten die Kölner Offiziale, wohl kaum ohne freundliches Augenzwinkern der Kurfürsten, jenseits der Territoriumsgrenzen an der Einbindung einzelner Ortschaften in andere Herrschaftsverbünde. Die Sichtweise der Klägerin war besonders schlüssig, weil sie im zweiten Schritt den weltlichen Charakter der Auseinandersetzung untermauerte. Der Offizial war angeblich gar nicht als geistlicher Richter tätig, und deswegen betraf die Zuständigkeitsverwirrung genau ihren Fall. Es ging ihrer Meinung nach vorliegend nur um die Wiedereinweisung in die „gütteren gerechtigkeitenn unnd besitzlichenn gepreuchenn“, nicht aber um die Wirksamkeit der Ehe als solche. Daher lag ihrer Meinung nach eine possessorische Auseinandersetzung vor, die als solche niemals geistlich sein konnte3002. In vergleichbaren Fällen habe sich das Reichskammergericht „mehrmaln“ für zuständig erklärt, betonte sie. Lediglich der Vollständigkeit halber fügte der Schriftsatzverfasser hinzu, selbst Ehebruchs- und Scheidungssachen gehörten „ad utrumque forum seculare & ecclesiasticum mistum“3003. Die gleichzeitige Anhängigkeit eines päpstlichen Rechtsstreits bestritt die Replikschrift zu guter Letzt, von einem beflissenen Reichskammergerichtsassessor am Rand sorgfältig mit „Negat“ hervorgehoben3004. Damit ist immerhin eines klar. Die Assessoren des Speyerer Gerichtshofs lasen die Schriftsätze und beschäftigten sich ernsthaft mit der Sache. Deswegen überrascht es kaum, wenn in diesem Verfahren eine Entscheidung überliefert ist. Nach etwa vierjähriger Prozeßdauer erging das Endurteil. Die vertriebene Ehefrau gewann in jeder Hinsicht. Der Mann hatte Unrecht an ihr getan, sie mußte restituiert werden, hatte Anspruch auf Unterhaltszahlungen und erhielt ihre gesamten Gerichtskosten erstattet. Indirekt bestätigte das Kammergericht den vorläufigen Gehalt der bloßen Possessionsentscheidung. Im Nachsatz betonte der Tenor: „Und wollen die partheien ein ander in petitorio spruch und forderung nit erlaßen das sie solches an gepürenden ortten vor dem gaistlichen richter thun solln.“3005 Damit zeigt gerade diese letzte Klausel, wie schwierig es war, LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 23, fol. 166r-166v. LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 23, fol. 167r; „mistum“ scheint ein Schreibfehler zu sein. 3004 LA Düssledorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 23, fol. 167v. 3005 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Protokollbuch, Expeditum vom 21. November 1581, fol. 006v. 3002 3003
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die Gerichtsherrschaft klar zuzuweisen und die Qualität einer Streitigkeit eindeutig zu bestimmen. Die Klägerin hatte zwar vollauf gewonnen, aber im Kern ging das Reichskammergericht wie der unterlegene Ehemann von einer geistlichen Auseinandersetzung aus. Deswegen konnte Speyer über das Petitorium nicht verbindlich entscheiden. Was nun das zuständige Gericht war, vor dem der Streit weitergehen sollte, sagte das Reichskammergericht nicht. Nach den Äußerungen der Klägerin konnte es sich nur um den Kölner Offizial handeln. Wenn er als rein geistlicher Richter tätig wurde, verlor damit zugleich die streitige Landesherrschaft über Bollheim an Bedeutung. Die unsichere weltliche iurisdictio änderte ja nichts an der klaren Zugehörigkeit der geistlichen Gerichtsbarkeit zum Erzbistum. Und wenn andererseits der Offizial als ausschließlich geistlicher Richter tätig war, blieb die jülichbergische Landesherrschaft zugleich unangefochten. Gleich der erste hier besonders ausführlich dargestellte Streit zeigt damit die enge Verknüpfung, aber auch die unterschiedliche Stoßrichtung geistlicher und weltlicher Herrschaftsgewalt. Für ein weltliches altgläubiges Territorium war die Ausübung geistlicher Gerichtsbarkeit innerhalb seiner Grenzen höchst gefahrenvoll, wenn der Inhaber der geistlichen Gerichtsgewalt zugleich weltliche Landesherrschaft über ein benachbartes Gebiet ausübte. Die Vielzahl winzigster Nadelstiche wie die oben erwähnten gepfändeten Schafe konnte einzelne Ortschaften aus der Zugehörigkeit zu ihrem angestammten Landesherrn herausbrechen. Ob die Klägerin Catharina von der Balen diesen Vorgang begrüßte oder durch ihre kammergerichtliche Klage befördern wollte, ist in keiner Weise ersichtlich. Darum ging es auch nicht. Vielmehr erkennt man, wie Untertanen in ihrer Beurteilung der Landesherrschaft verunsichert waren, wenn geistliche Gerichte in weltlichen Angelegenheiten tätig wurden. Genau deswegen wandten sich die Rechtsuchenden unmittelbar an das Reichskammergericht und nahmen eine außerordentliche erstinstanzliche Zuständigkeit wegen streitiger Jurisdiktionsverhältnisse in Anspruch. Die erfolgreiche erstinstanzliche Prozeßführung ermöglicht es ferner, die Rechtsauffassung des Reichskammergerichts näher zu bestimmen. Auch die Assessoren in Speyer müssen aufgrund der Darstellung in den verschiedenen Schriftsätzen von einer unklaren Gerichtsgewalt in Bollheim ausgegangen sein. Sonst hätten sie die Klage als unzulässig abgewiesen. Für den Herzog von Jülich-Berg waren solche Fälle denkbar ungünstige Präjudizien. Sie machen es verständlich, warum die politische Notwendigkeit bestand, mit Kurköln zu klaren Absprachen über die Abgrenzung der beiderseitigen Jurisdiktionsrechte zu kommen. Sonst hätte Unbill gedroht, die Gefahr nämlich, Stück für Stück einzelne Dörfer in ihrer festen Anbindung an die Landesherrschaft zu verlieren und immer stärker in den Machtbereich des Köl-
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ner Kurfürsten zu geraten. Die schleichende Ausdehnung der geistlichen Gerichtsbarkeit war insoweit ein viel feinsinnigeres Machtinstrument als die schroffe Bestreitung weltlicher Herrschaftsrechte des benachbarten Landesfürsten.
b) Streit zwischen Jülich-Berg und Kurköln um belgische Dörfer Vor diesem Hintergrund kann es kaum verwundern, wenn einige Jahre später, nämlich 1596, der Landesherr selbst den Rechtsweg nach Speyer beschritt. Es begann ein Reichskammergerichtsprozeß zwischen Herzog Johann Wilhelm zu Jülich-Kleve-Berg und dem Kölner Erzbischof Ernst von Bayern. Darin ging es um die Gerichtsbarkeit in den heute belgischen Ortschaften Grote-Brogel und Erpickum3006. Das dahinterstehende Rechtsproblem ließ sich freilich unschwer auf andere Ortschaften ausdehnen. Der Herzog beanspruchte die weltliche iurisdictio, da die beiden Dörfer angeblich zum Amt Born gehörten3007. Kurfürst Ernst dagegen nahm die Gerichtsgewalt in seiner Eigenschaft als Bischof von Lüttich in Anspruch und ordnete die Orte der lüttichischen Grafschaft Looz zu. Die Argumente der beiden Landesherren gingen deutlich ins Grundsätzliche. Herzog Johann Wilhelm bezog sich gleich zu Beginn seiner Supplikation auf den Grundatz „gemeiner beschribener Rechten unnd angezogener abschiedenn“, wonach „die Jurisdictio Ecclesiastica et temporalis nit zu confundiren, sondern crafft des heiligen Reichs freiheit unnd Rechten, die weltliche sachen, tam personales quàm reales, bei den Inlendischen weltlichenn Richtern, unnd die Geistlichen vor Ihrem gebürlichen Richter einzufüerenn“ seien3008. Das war eine ähnliche Rechtsbehauptung, wie sie auch in zahlreichen Mandatsklagen von Untertanen auftauchte. Sowohl das gemeine Recht als auch die Reichsgesetze sollten maßgebliche Richtschnur für die Trennung der weltlichen und geistlichen Gewalt sein. Mit der kölnischen und lüttichischen geistlichen Gerichtsbarkeit hatte es im Herzogtum Jülich bereits früher Schwierigkeiten gegeben, wie der Herzog freimütig einräumte. Ganz anders als der Fürstbischof von Münster wehrte er sich vor dem Reichskammergericht mit Klauen und Zähnen gegen die unberechtigten Übergriffe der geistlichen Jurisdiktion in sein Herrschaftsgebiet. Schon seine Amtsvorgänger hätten „underschiedliche ernste offene Edicta“ in ihren Landen anschlagen lassen und darin „die geistliche mandata Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 2124 S. 524-525. 3007 Bei E s c h b a c h , Erkundigung, S. 124, sind sie nicht genannt, doch gibt die dortige Liste auch die ältere Rechtslage wieder. 3008 LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Aktenstück Q 2, fol. 11r. 3006
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unnd processen in Ciuil unnd weltlichen sachen verpieten lassen“. Hierbei handelte es sich nicht um Schönwetterreden. Das unterstrich die in der Mandatsnarratio wiedergegebene Supplikation überdeutlich. Die Landesherren hatten ihren Untertanen nämlich bei hoher Strafdrohung eingeschärft, die weltliche Gerichtsgewalt nicht durch den Gang zum geistlichen Richter auszuhöhlen. Wer aber dennoch „einige Citation, Inhibition, oder dergleichen frembde Gaistliche Mandata, oder Banbrief In ciuill unnd weltlichenn sachen, In iren Hertzogthumben unnd Lanndenn einbringenn, verkundenn unnd Exequirenn wurde, derselb unuerzuglich angehalten, zu recht gesteltt, unnd als verbrecher derselben Landen altenn Heerkommen, freyheit unnd ordnung ernstlich gestrafft werden solle“3009. In dieser Schärfe haben Landesherren ihre iurisdictio gegenüber kirchlichen Herrschaftsrechten vor dem Reichskammergericht selten verteidigt, jedenfalls nicht in Quellen aus den hier untersuchten Territorien. Gerade der offene Aushang der herzoglichen Edikte sollte eine Verunsicherung der Bevölkerung verhindern, wie sie im zuvor geschilderten Fall aus Bollheim überdeutlich zu Tage trat3010. Die unklaren Herrschaftsverhältnisse waren freilich kaum erstaunlich. Mit Graf Philipp von Horn war der letzte eigenständige Lehensträger von Grote-Brogel und Erpickum gestorben. Damit war nach klägerischer Meinung das Gebiet dem Jülicher Herzog als „Lehenherrenn pleno Jure wider auffgestrobenn, unnd das Utile dominium cum directe consolidirt“3011. Die Lehre vom geteilten Eigentum3012, für die rechtliche Bewertung von Lehensverhältnissen wichtig, hielt hierfür eine Lösung bereit. Sämtliche Herrschaftsrechte sollten sich nun wieder in einer Hand befinden, nämlich in der Hand des herzoglichen Lehensherrn. Modern gesprochen gingen hier zivilrechtliche Eigentumslehren und öffentlichrechtliche Herrschaftsfragen ineinander über. Eher zur Abrundung fügte der Herzog hinzu, er habe in beiden Orten ein weltliches Gericht mit Schultheiß und Schöffen zu „Jeder Zeit gehabtt“, und dort hätten die Urteiler im übrigen noch nie „Jemandt das Recht verwaigertt oder verzogen“3013. Dieser letzte Hinweis war aus vorbeugenden Gesichtspunkten hilfreich, denn Rechtsverweigerung oder -verzögerung durch ein weltliches Gericht konnte die außerordentliche sachliche Zuständigkeit der geistlichen Gerichtsbarkeit nach sich ziehen3014. Dieser Fall lag also nicht vor.
LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Aktenstück Q 2, fol. 11v. Dazu oben bei Anm. 2984-3005. 3011 LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Aktenstück Q 2, fol. 11v. 3012 Einzelheiten bei C o i n g , Privatrecht I, S. 292-293; W e s e n b e r g / W e s e n e r , Privatrechtsgeschichte, S. 43. 3013 LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Aktenstück Q 2, fol. 12r. 3014 O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 53, 61, 78. 3009 3010
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Was den Konflikt mit Lüttich betraf, verwies Herzog Johann Wilhelm auf ältere Abwehrmaßnahmen des Lehensträgers Graf von Horn. Schon der Graf habe Versuche des Lütticher Offizials, „in weltlichen sachen die Gaistliche Jurisdiction (...) de facto zu Exercirn“, durch öffentliche Edikte verboten. Dennoch habe der Offizial auf Befehl des Bischofs nach dem Herrschaftswechsel, also dem Lehensanfall an Jülich-Berg, mit der Prozeßführung „In causis personalium merè ciuilibus et prophanis“ wieder begonnen. Selbst der jülichische Schultheiß und ein Schöffe aus Grote-Brogel waren auf Geheiß des Offizials verhaftet worden und nur gegen hohe Kautionszahlung und Urfehdeschwur wieder frei gekommen3015. Das Reichskammergericht erließ antragsgemäß im April 1596 das Mandat „der Pfandung die verbottene geistliche iurisdiction in civilibus auch allerhandt ober unnd gerechtigkeit zu Groten brogel unnd Erbigkheim“ betreffend3016. Die sog. Konstitution der Pfändung, hier zu verstehen als Verbot eigenmächtiger Selbsthilfe, war eine Anknüpfung an den Ewigen Landfrieden mit seinem absoluten Fehdeverbot. Die Zuständigkeit des Kammergerichts für die Eröffnung von Mandatsprozessen bei solchen Übergriffen war weitgehend anerkannt3017. Der Pfändungsvorwurf bezog sich in diesem Zusammenhang auf die Verhaftung von Schultheiß und Schöffen. Unfreiwillig von hoher Aussagekraft ist ein Schreibfehler der kammergerichtlichen Kanzlei auf dem Dorsalvermerk der Mandatsausfertigung. Dort hieß es nämlich zunächst „Mandat und Ladung auff die constitution der Pfänndungh Gülich co[ntra] Coln“3018. Jemand scheint das Versehen dann rechtzeitig bemerkt zu haben, strich Köln durch und ersetzte es durch „Luttich“. Das war genau das Problem. Hinter dem Bistum Lüttich stand nämlich das mächtige Kurköln, das die Gerichtshoheit des Herzogtums Jülich in mehreren wackeligen Ortschaften bedrohte. Schon zur ersten kammergerichtlichen Audienz im August 1596, also in einem erstaunlich frühen Prozeßstadium, legte der Bischof und damit der Kurfürst seine Exzeptionsschrift vor. Grote-Brogel und Erpickum sollten als „ein eröffnet Lehen eigenthumblich“ zu Jülich gehören, das gestand er großmütig zu. Allerdings unterschied der Kurfürst modern gesprochen die öffentlichrechtliche von der zivilrechtlichen Seite. Der Herzog sei nämlich
LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Aktenstück Q 2, fol. 12v-13v. Bezeichnung der Prozeßart in LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Protokollbuch, Expeditum vom 13. Dezember 1602, fol. 03v. 3017 J a c o b i , Besitzschutz, S. 65-83; zum Konzept 1613 Z w i r l e i n , Concept, S. 236-242; zum Augsburger Reichstag 1555 A u l i n g e r / E l t z / M ac h o c z e k , Reichstag zu Augsburg, Teilband 2, S. 838-840; kurzer Hinweis bei D i e s t e l k am p , Privilegien, S. 71. 3018 LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Aktenstück Q 2, Dorsalvermerk. 3015 3016
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nur Eigentümer, freilich mit dem Recht der Schöffeneinsetzung3019, nicht aber Inhaber der landesfürstlichen hohen Obrigkeit. Für die Gerichtsbarkeit hatte das weitreichende Konsequenzen, vor allem für das Schöffengericht. Mit der bloß privatrechtlichen Anbindung an das Eigentum des Lehensherrn wäre das weltliche Schöffengericht zum bloßen Patrimonialgericht herabgesunken3020. Daraus folgte im Gegenzug der maßgebliche Einfluß des Lütticher Offizials. Die geistlichen Richter hatten angeblich „ie unnd alweg ire Jurißdictionn in Geist unnd Weltlichen sachen (...) ublich hergebracht“3021. Die Aufspaltung geistlicher und weltlicher Gerichtsgewalt im Bistum Lüttich lehnte Ernst von Bayern ab. Er habe „nit allein Ecclesiasticam, Sonder auch Secularem iurisdictionem Üblich hergebracht“. Im übrigen lasse jeder Bischof seine Jurisdiktion durch einen Offizial ausüben. In einem späteren Schriftsatz war sogar von der „Universal iurisdiction coram dicto Officialis Leodiensi“ die Rede, bezogen auf „caussae Reales, personales, mixtae, Iniuriarum & passim“3022. Bezeichnenderweise kam die Tätigkeit in geistlichen Sachen in der Aufzählung nicht einmal vor. Der Offizial war nach dieser Darstellung ein allzuständiger weltlicher Richter. Seine geistliche Gerichtsgewalt war kaum der Rede wert. Ähnlich wie im zuvor geschilderten Fall aus Bollheim zeigt damit auch dieser Rechtsstreit, wie die Tätigkeit der Offizialate in weltlichen Sachen die Frage nach dem Inhaber der iurisdictio und damit der Landesherrschaft aufwarf. In einem geistlichen Territorium wie Münster ließen die Bischöfe aufgrund der Personalunion mit Kurköln das Problem schleifen. Die Abrundung eines vergleichsweise homogenen kurkölnischen Gesamtstaates bot offenbar größere Vorteile als die kleinräumige Aufrechterhaltung verschiedener einzelner Herrschaftsrechte. In den im 16. Jahrhundert noch verbundenen jülichischen Herzogtümern fiel dieses Argument weg, und vermutlich genau deswegen betrat der Landesherr auch selbst als Kläger die reichsgerichtliche Bühne. In diesem Fall hatte er damit Erfolg. Das Reichskammergericht erließ 1602 ein Paritionsurteil. Kurfürst Ernst von Bayern mußte als Bischof von Lüttich das Mandat seinem gesamten Umfang nach befolgen und dies gegenüber dem Reichskammergericht sogar schriftlich bescheini-
LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Aktenstück Q 34, fol. 75r. Zur Patrimonialgerichtsbarkeit P a h l o w , Patrimonialgerichtsbarkeit, Sp. 923-924; O e s t m a n n , Gerichtsbarkeit, S. 296, 301; zum 18./19. Jahrhundert W i e n f o r t , Patrimonialgerichte, S. 14-15 (zur Anbindung an das Eigentum); E r l e r , Patrimonialgerichtsbarkeit, Sp. 1547-1549. 3021 LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Aktenstück Q 5, fol. 21v-22r. 3022 LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Aktenstück Q 43, fol. 118r-119r. 3019 3020
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gen3023. In der Tat legte der lüttichische Prokurator nur drei Monate später die geforderte Paritionserklärung vor3024. Damit war zumindest in diesem Fall die Gerichtsbarkeit des Offizials in Grote-Brogel und Erpickum reichsgerichtlich auf rein geistliche Angelegenheiten begrenzt. Übergriffe in den weltlichen Bereich waren jedenfalls nach Auffassung des Reichskammergerichts verboten. Landesherrschaft und Offizialatstägkeit blieben unterscheidbar.
c) Offizialatsprozeß trotz Rechtshängigkeit am weltlichen Gericht In dem bereits oben einmal erwähnten Erbschaftsprozeß aus der Familie Quadt ging es ab 1615 vor dem Reichskammergericht um die Frage, ob der nicht standesgemäß geborene Dr. Hermann Quadt an der Erbschaft seines Onkels Wilhelm Quadt von Rechts wegen zu beteiligen war3025. Seine Verwandten hatten die Statusfrage beim Kölner Offizial anhängig gemacht, obwohl die jülich-bergischen Räte zuvor bereits über das Possessorium entschieden hatten3026. Diesen zweiten Prozeß lehnte Dr. Hermann Quadt ab. Der studierte Jurist betonte, die Verwandten hätten ihn „widder seinen willen“ nicht zwingen können, den Rechtsstreit vor dem Kölner Offizial zu führen, zumal die fraglichen Güter „in andern Fürstenthumben alß Bergh, Gülich, Geller, Cleue erfindtlich und wohnhafft“. Deswegen habe er die „Electio fori“ als „beneficium“ gehabt, und dieses Vorrecht hätten ihm seine Verwandten auch nicht nehmen dürfen3027. Hier ging es um die Prozeßführung vor dem Offizial in einem Streit, der bereits am weltlichen Gericht anhängig war. Dazu kam der Gegensatz von Possessorium und Petitorium. Hermann Quadt meinte, dasjenige Gericht müsse den petitorischen Rechtsstreit entscheiden, das auch im Possessorium bereits geurteilt habe3028. Und genau dies waren die jülich-bergischen Räte. Deswegen appellierte Hermann Quadt an das Reichskammergericht. Er hielt den Kölner Offizial zwar für sachlich unzuständig, doch ging es in dem Verfahren nicht schwerpunktmäßig um den Eingriff der örtlich unzuständigen geistlichen Gerichtsbarkeit in die jülich-bergische ordentliche Justiz. Ein LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Protokollbuch, Expeditum vom 13. Dezember 1602, fol. 03v. 3024 LA Düsseldorf RKG G 846/2844b, Protokollbuch vom 4. März 1603, fol. 04r. 3025 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 7, Nr. 4497 S. 269-270. 3026 LA Düsseldorf RKG Q 33/44, unquadr. „Libellus Appellationis“, Art. 4-5, fol. 13r. 3027 LA Düsseldorf RKG Q 33/44, unquadr. „Libellus Appellationis“, Art. 8-9, fol. 13v. 3028 LA Düsseldorf RKG Q 33/44, unquadr. „Libellus Appellationis“, Art. 4, fol. 13r. 3023
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kammergerichtliches Urteil erging ohnedies nicht, weil der Appellant 1617 verstarb3029.
d) Verweisung von der jülich-bergischen Hofkanzlei an das Kölner Offizialat Gegen Ende des 17. Jahrhunderts spielte sich ein in diesem Zusammenhang einschlägigeres Verfahren ab. Die Appellantin war Anna Elisabeth von Anstel, verheiratete von Gevertzhagen zu Birgel, eine Frau, die zwischen 1685 und 1697 allein im Düsseldorfer Aktenbestand sechsmal als kammergerichtliche Appellantin hervortrat3030. In dem hier interessierenden Verfahren ging es unter anderem um die Gültigkeit einer Schuldverschreibung mit vergleichsweise hohen Zinsen. Zur Sicherheit dienten verschiedene Güter in Drove und Koslar sowie der sog. merodische Hof in der Herrschaft Glehn. Wie die Appellantin betonte, waren die Ländereien „so gar nicht in dem ErtzStifft Cöllen, sondern einer absonderlicher und vielmehr gülischer Herrschaft gelegen“, auch wenn die Herrschaftsverhältnisse teilweise zwischen dem Erzstift und dem Herzogtum streitig gewesen seien3031. Kanzler und Räte der jülichischen Hofkanzlei hätten sich deswegen als „Judices â quibus (...) unzweifentlich pro competentibus erklehret“, nachdem der untergerichtliche Kläger Tilmann von Nickel3032 zunächst versucht hatte, den Kölner Offizial einzuschalten. Anna Elisabeth von Gevertzhagen klagte beim Reichskammergericht gegen Tilmann von Nickel. Letztlich habe er sein Ziel nämlich doch erreicht und die Hofkanzlei dahin verführt, die Sache „ihrer eigener Erkenntnus schnurstrack zugegen (...) nach vielen gepflogenen kostbaren Commissionibus von sich abzuweisen“3033. Die weltliche Hofkanzlei verwies den Streit damit an das Kölner Offizialat zur Entscheidung, trotz der forideklinatorischen Exzeptionen Anna Elisabeths. Die fraglichen Güter lagen nach Auffassung der Appellantin nicht im Erzstift Köln, sondern in Jülich. Deswegen ging es hier nicht nur um die sachliche, sondern auch um die örtliche Zuständigkeit des LA Düsseldorf RKG Q 33/44, Protokollbuch vom 16. Juni 1617, fol. 2v. Repertoriumsmitteilungen bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 1973-1978 S. 383-388. 3031 LA Düsseldorf RKG G 385/1285, unquadr. „Instrumentum interpositae Appellationis“, fol. 6r; unquadr. „Libellus summarius“, fol. 9r. 3032 Vermutlich identisch mit dem bei N i c k e l , Geschlecht, S. 63, nachgewiesenen Tilmann von Nickel. 3033 LA Düsseldorf RKG G 385/1285, unquadr. „Instrumentum interpositae Appellationis“, fol. 5v. 3029 3030
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Offizialats. Hierfür berief sich die Appellantin auf die jülichischen Privilegien „de non evocando nec arrestando“3034. Das war doppelt schlampig formuliert. Zum einen besaß das Herzogtum kein Evokations-, sondern ein Appellationsprivileg.3035 Zum anderen ging es auch sachlich gar nicht um eine Evokation. Unter Evokation verstand das gemeine Recht üblicherweise die von Gerichts wegen betriebene Abziehung eines Streits von einem unzuständigen Gericht, häufig von einem Untergericht, und seine Behandlung vor einem anderen, regelmäßig vor einem Obergericht3036. Hier freilich griff das Kölner Offizialat nicht eigenmächtig ein, sondern die Hofkanzlei verwies die Angelegenheit dorthin. Mit ihrer Appellation wollte Anna Elisabeth zweierlei erreichen: Das Reichskammergericht sollte erstens die Zuständigkeit des weltlichen Gerichts bestätigen und damit zugleich zweitens die Verweisung an das Offizialatsgericht für unzulässig erklären. Allerdings trat in diesem Verfahren der beklagte Tilmann von Nickel überhaupt nicht auf den Plan3037. Das lag bei dem 1688 begonnenen Kameralprozeß sicherlich an der französischen Besetzung Speyers und dem unfreiwilligen Umzug des Gerichts nach Wetzlar3038. Damit geriet das Verfahren ins Stocken. Doch war die Sache noch nicht beendet. Als am Reichskammergericht nach den Feldzügen des Sonnenkönigs Ruhe eingekehrt war, appellierte Anna Elisabeth von Anstel erneut, diesmal nach Wetzlar und nun gegen die Witwe des inzwischen verstorbenen Tilmann von Nickel3039. Hier erlitt sie nach einigen Jahren aber Schiffbruch. Das Gericht entschied nämlich 1699 zugunsten der verklagten Witwe. Der Verweisungsbeschluß des Hofrats bzw. der Hofkanzlei in Düsseldorf war demnach zu Recht ergangen und die Sache gehörte zur weiteren Verhandlung vor das „Chur Cöllnische Officialat gericht“3040. Da es sich um ein Sach- und nicht um ein Prozeßurteil handelte, LA Düsseldorf RKG G 385/1285, unquadr. „Instrumentum interpositae Appellationis“, fol. 5v. 3035 Nachgewiesen bei E i s e n h a r d t , privilegia, S. 92; Abdruck bei L ü n i g , Reichs-Archiv, andere Continuation, 3. Fortsetzung, S. 421-423. 3036 O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 250: „ausfordern, heraus fordern, It[em] citiren, in Gericht fordern“; B u c h d a , Jus evocandi, Sp. 496-498. 3037 Das Protokollbuch ist leer, die Aktenstücke sind nicht quadranguliert. 3038 S m e n d , Reichskammergericht, S. 215-217; S c h m i d t - v o n R h e i n , Reichskammergericht in Wetzlar, S. 5-6; so zu diesem Fall auch A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 1974 S. 385. 3039 Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K as t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 1976 S. 386-387; die Witwe Anna Maria Fabri ist nachgewiesen bei N i c k e l , Geschlecht, S. 63. 3040 LA Düsseldorf RKG G 387/1287, Protokollbuch, Expeditum vom 7. Juli 1699, fol. 5r5v, mit vollständiger Aufbürdung der Gerichtskosten auf die Appellanten und dem Hinweis, weitere Streitpunkte dürften sie ggf. noch am Kölner Offizialat vorbringen. 3034
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steht zugleich fest, wie das Kammergericht die Rechtsnatur des Streites eingeschätzt hat. Es handelte sich danach um eine weltliche und nicht um eine geistliche Streitigkeit. Sonst hätte die Abweisung in der Tenorierung anders gelautet. Unzulässige Appellationen waren nach zeitgenössischem Sprachgebrauch gar nicht an das Reichsgericht „erwachsen“. Damit war unausgesprochen zugleich das Kölner Offizialat als weltliches Gericht über die streitigen Schuldverschreibungen und Sicherheiten anerkannt. Mit ausdrücklicher Billigung des Reichskammergerichts durfte und sollte es den Fall entscheiden. Im Ergebnis unterstanden die fraglichen Güter bzw. Ortschaften also der kurkölnischen Gerichtsgewalt. Ob Weiterungen in dieser Tragweite vom Reichskammergericht gemeint waren, läßt sich im Rückblick nicht klären. Jedenfalls waren Herrschaftsrechte Jülich-Bergs offensichtlich nicht beeinträchtigt. Der Sache nach hatte der Düsseldorfer Hofrat ja genauso entschieden. Im Ergebnis bestätigte das höchste Gericht hier ausdrücklich die Ausübung weltlicher Landesherrschaft durch ein Offizialatsgericht. Die Konsequenzen solch eines Urteils lagen auf der Hand. Wer die sachliche Zuständigkeit des Offizials in weltlichen Streitigkeiten anerkannte, mußte notwendigerweise immer auch zugleich die örtliche Zuständigkeit der kurkölnischen iurisdictio akzeptieren. Mit dem im ersten Hauptteil dieser Untersuchung behandelten Senatsbeschluß aus dem frühen 17. Jahrhundert schuf das Reichskammergericht für das Fürstbistum Münster ausdrücklich Klarheit über die Mitwirkung des Kölner Offizials in der weltlichen Gerichtsbarkeit3041. Für andere Territorien sind derartige Grundsatzentscheidungen nicht ersichtlich. Aus einzelnen Urteilen lassen sich freilich dieselben Schlüsse ziehen. Tendenziell mochten daraus Beschränkungen der weltlichen Landesherrschaft in den Nachbarterritorien folgen. Für die geistlichen Fürsten und ihre iurisdictio dagegen waren solche Entscheidungen durchweg günstig. Erst im 18. Jahrhundert scheint das Reichskammergericht strenger geurteilt zu haben und versuchte, Appellationen an das Kölner Offizialat in weltlichen Streitigkeiten aus Münster zu verhindern3042. Nur zur Klarstellung sei auf den wesentlichen Unterschied zu evangelischen Territorien verwiesen. Sowohl das Regelungsproblem als auch derartige höchstrichterliche Entscheidungen konnte es nur bei katholischen Territorien geben. In protestantischen Gebieten des Reiches deckten sich Landesgrenzen und Kirchengrenzen dagegen.
Abgedruckt bei L u d o l f f , Corpus Iuris Cameralis, S. 564 Nr. 349, dazu oben bei Anm. 480-495. 3042 Dazu oben bei Anm. 552-555. 3041
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e) Spielräume bei Einbindung der Landdechanten in die weltliche Justiz In zwei kammergerichtlichen Verfahren aus dem Winter 1616/17 akzeptierten die Parteien die Tätigkeit des Kölner Offizials bis zu einem gewissen Grade durchaus, auch wenn sie im Herzogtum Jülich-Berg ansässig waren und sich nicht als Kölner Untertanen fühlten3043. Beide Fälle scheinen aber spezielle Problemlagen zu kennzeichnen und nicht verallgemeinerbar zu sein. Der erste Prozeß betrifft den schon oben angesprochenen Erbschaftsstreit der Margaretha von Oeffte gegen die Neffen ihres verstorbenen Mannes Eberhard Quadt. Der Mann war Deutschordensritter, die Frau soll Nonne gewesen sein. Für ihre Erbberechtigung kam es darauf an, „ob eine Junffer Regulae tertiae S. Fancisci de poenitentiâ heirathen und vigore praetensi matrimonij an Ihren angemasten und abgelebten Ehemans güttern die leibzuchtt haben möge“3044. Als geistliche Vorfrage zur Erbauseinandersetzung hatte dieser Aspekt des Rechtsstreits mit einem Verfahren vor dem Dekan in Düsseldorf begonnen. Die Neffen des Ehemanns betonten in einem Schriftsatz, es müßten vom „decano alß der ortt geistlichen Richter (...) die ap[el]l[lationes] an Colnisch H[e]r[rn] Officialen, alß ebenfalß geistlich richter lauffen“, ein Hinweis, der bezeichnenderweise nachträglich am Rand eingefügt war3045. In der Tat gab es dann ein Verfahren vor einem vom Offizial bestellten Kommissar. Die Witwe lehnte sowohl die Tätigkeit des Offizials als auch des Kommissars, eines Dr. Hermann Reck, als verdächtig ab. Mehrfach bezeichnete sie beide als „suspectus“3046. Freilich war unklar, ob es dabei um die unterstellte Parteilichkeit des Kölner Richters ging oder um seine angezweifelte sachliche Zuständigkeit. Die Appellantin buchstabierte das nicht bis zu Ende aus, weil der Schwerpunkt dieser Appellation auf einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lag3047. Die Appellaten dagegen waren sich sicher, es mit einer rein geistlichen Angelegenheit zu tun zu haben. Deswegen wandten sie die Unzuständigkeit des Reichskammergerichts in dieser Sache ein. Denn es sei „bekanten Rechtens
Repertoriumsmitteilungen bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 6, Nr. 4204 S. 536; sowie B r u c k h au s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 9, Nr. 5760 S. 111-112. 3044 LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Exceptiones“, Art. 6, fol. 15r-15v. 3045 LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Exceptiones“, Art. 8, fol. 15v. 3046 LA Düsseldorf RKG O 30/276, Aktenstück Q 3, fol. 4r; unquadr. „Articuli Causales restitutionis in integrum“, Art. 1, fol. 8v. 3047 Begründung für Versäumnisse bei der Appellationseinlegung in LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Articuli Causales restitutionis in integrum“, Art. 3-5, fol. 9r. 3043
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(...), quod sint diuersae Jurisdictiones una Ecclesiastica et altera saecularis“3048. Mit zwei Hilfserwägungen sicherten die Appellaten sich aber zusätzlich ab. Auf die geistliche Natur des Streites sollte es nämlich nicht entscheidend ankommen. Zum einen hätte die Appellantin auch im Falle eines weltlichen Gegenstandes ohnehin den Instanzenzug verletzt. Wenn sie schon den Offizial als „suspectus“ nicht anerkannte, hätte sie dennoch nicht vom Dekan direkt an das Reichskammergericht appellieren dürfen3049. Es fehlten die territorialen Zwischeninstanzen. Und zum zweiten gelte der Grundsatz, „quod ubi semel ca[us]a introducta ex Judex electus ibidemque finienda“3050. Das war zwar in ruppigem Latein formuliert, aber klar verständlich. Es sollte untergerichtlich eine Prorogation stattgefunden haben, also eine Gerichtsstandsvereinbarung. In dem Maße, wie sich beide Seiten auf die Verhandlung vor dem geistlichen Richter eingelassen hatten, sollte dieser seine einmal begründete Zuständigkeit behalten. Ein Wechsel zur weltlichen Justiz schied dann aus. Größere Auseinandersetzungen entzündeten sich hieran aber nicht. Zu Beginn des Jahres 1618 schlossen die Parteien nach nur einjähriger Verfahrensdauer „vermittelß Göttlicher gnaden zu dieserseits begnügen“ einen außergerichtlichen Vergleich3051. Im selben Jahr 1617 fand ein weiterer Reichskammergerichtsprozeß statt, in den abermals der erwähnte Dr. Hermann Reck, Kanoniker zu St. Andreas in Köln, eingebunden war. Diesmal wirkte er nicht im Auftrag des Offizials, sondern des Apostolischen Nuntius als Kommissar3052. Eine Catharina Vendt aus Düsseldorf erstritt ein Kassationsmandat gegen die Anrufung des Nuntius in einer weltlichen Rechtssache. Der Streit hatte vor dem Landdechanten der Christianität Neuss begonnen, einem Unterrichter, der nach unstreitiger Ansicht beider Seiten „von Alters hero utramque Jurisdictionem, tam in Ciuilibus et prophanis, quam Ecclesiasitics exercirt“3053. Das war in der Zeit kurz vor der Vereinbarung des jülich-kölnischen Provisionalvergleichs von 1621. Der Handwerksmann Christian Horster hatte gegen die Entscheidung des Dechanten „ad officialiem Coloniensem uti Judicem Immediate superiorem prouocirt und appellirt“. Auch damit war Catharina Vendt einverstanden. Den Kölner Offizial erkannte sie als ihren Richter an. Als Horster dann aber nach seiner zweitinstanzlichen Niederlage eine weitere Appellation beim Apostolischen Nuntius einlegte, wandte sich die Düsseldorfer Bürgersfrau unter den aus LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Exceptiones“, Art. 1, fol. 14v. LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Exceptiones“, Art. 9-11, fol. 16r-16v. 3050 LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Exceptiones“, Art. 20, fol. 17v. 3051 LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Collationirter Extract“, fol. 24r. 3052 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h au s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht 9, Nr. 5760 S. 111-112. 3053 LA Düsseldorf RKG V 174/330, Aktenstück Q 1a, fol. 08r. 3048 3049
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anderen Territorien bekannten lautstarken Vorwürfen an das Reichskammergericht. Vorher dagegen hielt sie still. Im Umkehrschluß deutet die späte Anrufung des Reichskammergerichts auf eine zuvor einvernehmliche Einschätzung des Instanzenweges hin. Es gab augenscheinlich in Jülich-Berg weltliche Rechtsfälle, in denen die Parteien die kurkölnische iurisdictio in Form der Offizialatsgerichtsbarkeit ausdrücklich anerkannten. Genau genommen suchten die Beteiligten sogar freiwillig die Kölner Gerichtsgewalt, wenn sie ihre weltlichen Streitigkeiten vor dem Dechanten begannen und nicht vor einem Stadt- oder Landgericht als herzoglichem Richter3054. Wie häufig solche Fälle vorkamen, ist unklar. Ebenso bleibt die Frage offen, wie die erstinstanzliche Verteilung weltlicher Sachen auf herzogliche und kirchliche Gerichte aussah und ob der Instanzenzug vom Dechanten immer an den Offizial oder teilweise auch an die Hauptgerichte oder den Hofrat verlief. Eine Quantifizierung wäre nur durch Auswertung großer Mengen untergerichtlicher Akten möglich und braucht hier nicht geleistet zu werden. An dieser Stelle interessiert vielmehr das qualitative Ergebnis. Im Gegensatz zu den am Beginn des Abschnitts vorgestellten Prozessen ging es in diesem Verfahren nicht um Fragen der örtlichen Zuständigkeit. Die kammergerichtliche Supplikantin lebte nicht in einem randständigen Ort mit unklaren Herrschaftsverhältnissen, sondern in einer der Landeshauptstädte. Dennoch rief sie von Düsseldorf aus den Dechanten an. Die sachliche Zuständigkeit der geistlichen Gerichte in weltlichen Sachen scheint sie also als Selbstverständlichkeit angesehen zu haben, ebenso den Instanzenzug nach Köln. Damit war im Kern die gerichtliche Eigenständigkeit JülichBergs in Zweifel gezogen. Fälle wie dieser zeigen, wie notwendig es für die jülich-bergische Landesherrschaft war, mit Kurköln zu festen Absprachen über die Entflechtung der beiderseitigen Gerichtsbarkeiten zu gelangen. Der Provisionalvergleich von 1621 schuf hier vermutlich echte Entlastung. Indirekt spiegelt sich das auch in der kammergerichtlichen Überlieferung. Es dauerte nämlich über hundert Jahre, bis ein ähnlich gelagerter Fall in Wetzlar wieder verhandelt wurde. 1757 begann der Rechtsstreit der Eingesessenen von Nierendorf gegen den kurfürstlich pfälzischen Geheimen Rat zu Düsseldorf und einen Pastor Schuld3055. Die Mandatskläger wandten sich gegen die Verweisung einer Rechtssache vom Geheimen Rat an das geistliche Gericht, also an den 3054 3055
Zur Untergerichtsbarkeit H a r l e ß , Erkundigung, S. 122-180 (zeitgenössische Zusammenstellung von 1555); C ü r t e n , Organisation, S. 209. Parteibezeichnung auf dem Protokollbuch: LA Düsseldorf RKG N 218/665; Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K as t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 6, Nr. 4036 S. 398-399.
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Landdechanten und zweitinstanzlich an das Kölner Offizialat. Der Fall ist in anderem Zusammenhang oben bereits wiedergegeben3056. Im jetzigen Kapitel ist die sachliche Zuständigkeit näher unter die Lupe zu nehmen. Die jülich-bergische Regierung räumte im Kameralprozeß ihre sachliche Unzuständigkeit ohne weiteres ein und begründete dies mit dem Provisionalvergleich von 16213057. Von einer Verletzung der weltlichen Landesherrschaft durch die Kölner Offizialatstätigkeit konnte also keine Rede sein. Vielmehr zeigt dieser Fall, wie der Provisionalvergleich auch nach weit mehr als einhundert Jahren immer noch für Rechtssicherheit sorgte3058. Das Reichskammergericht scheint das genauso gesehen zu haben und entschied den Fall gegen die Nierendorfer Kläger zugunsten der jülich-bergischen Regierung3059. Im Widerstreit der sachlichen Zuständigkeiten zwischen kölnischer geistlicher Gerichtsbarkeit und jülich-bergischer weltlicher Justiz gab es damit offenbar größere Spielräume als bei Konflikten um örtliche Zuständigkeiten. Jedenfalls zeigen die genannten Fälle von Prorogationen sowie die Stellungnahme der Regierung im zuletzt behandelten Prozeß, wie verschieden die Bewertungen in den jeweiligen Sachverhaltskonstellationen aussehen konnten. Bei den rein geographischen Fragen war das anders. Ob ein bestimmter Ort zu Jülich-Berg gehörte oder nicht, war nicht Gegenstand des Provisionalvergleichs von 1621 und im Ansatz auch nicht verhandelbar. Hier standen sich einfach unvereinbare Ansprüche und damit letztlich verschiedene politische Machtinteressen gegenüber. Die sachliche Zuständigkeit dagegen ließ sich augenscheinlich vertraglich regeln. In Fragen der personellen Zuständigkeit, das zeigen die folgenden zwei Fallbeispiele, kam es wiederum auf den Einzelfall an.
f) Weltliche Zuständigkeit bei Rechtsverweigerung durch das geistliche Gericht Ein 1596 begonnener Reichskammergerichtsprozeß zeigt die jeweiligen gerichtlichen Zuständigkeiten personell und sachlich eng verwoben. Es ging um eine Auseinandersetzung zwischen Caspar Kannengießer, dem Altbürgermeister von Köln, und dem Kölner Domkapitel. Rückständige Rentzahlungen aus verschriebenen Gütern in Lövenich und Kirchherten Dazu oben bei Anm. 2890-2910. LA Düsseldorf RKG N 218/665, unquadr. Stellungnahme der Regierung, fol. 57r-57v. 3058 Zu fortdauernden Schwierigkeiten mit der kurkölnischen Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert unten bei Anm. 3097-3110. 3059 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Protokollbuch, Expeditum vom 17. Juli 1759, fol. 11v. 3056 3057
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waren der Auslöser3060. Beide Parteien stammten aus Köln; mit Bürgermeister und Kölner Dom waren geradezu die kölnischsten Institutionen schlechthin beteiligt. Die streitigen Güter lagen dagegen im Herzogtum Jülich3061. Kannengießer begann seine Zahlungsklage vor dem Kölner Offizial. Er wies später darauf hin, auch das Domkapitel habe sich auf den Rechtsstreit am Offizialat ohne weiteres eingelassen. Das Kapitel habe sich „des officialis Jurisdiction/: der zuuoern ihr ordinari Richter nicht geweßen guttwillig underworffen“3062. An anderer Stelle sprach er von „dem Official und Geistlichen Richter (:dem sie sunsten nicht underworffen geweßen:)“3063. Das lief auf eine Prorogation hinaus, also auf eine einvernehmliche Gerichtsstandsvereinbarung. Das Domkapitel bestritt die Darstellung Kannengießers. Es habe „sich nit specialiter, souil die personal action anlangt, sonder simpliciter des Officials zu Colln Jurisdiction underworffen“3064. Wie man die spezielle und einfache Unterstellung unter die Offizialatstätigkeit voneinander unterscheiden sollte, blieb unausgesprochen. Offenbar ging es für das Domkapitel darum, weitreichende und verallgemeinerbare Präzedenzfälle zu vermeiden. Grundsätzlich sahen sich die Kapitularen des Kölner Doms nämlich von der Jurisdiktion des Offizials als befreit an. Jedenfalls war zwischen den Parteien die rechtliche Sonderstellung des Kölner Doms unstreitig. Das Domkapitel war danach von der Offizialatsgerichtsbarkeit eigentlich eximiert, sollte sich in diesem Fall aber ausdrücklich auf eine Gerichtsstandsvereinbarung eingelassen haben. Durch diese Prorogation wurde der Offizial personell, nämlich für das eximierte Domkapitel, und sachlich, nämlich für die im Jülichischen gelegenen Güter, zuständig. Die kurkölnische geistliche Gerichtsbarkeit war damit ausnahmsweise in einer weltlichen jülichischen Sache begründet. Jetzt geschah aber etwas Kurioses. Es soll nämlich „der Official den anfangk des Proces und Mandatum verweigert oder vertzuget“ haben. Angeblich über eineinhalb Jahre gab es keinerlei gerichtliche Tätigkeit3065. Deswegen, so der ehemalige Bürgermeister, sei er als Kläger genötigt gewesen, seine Forderungen „mit weltlichem Rechten (...) wie des orths preuchlich mit Recht anzusprechen“. Dabei bezog er sich ausdrücklich auf die Jülichische Reformation, also auf die
Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 5, Nr. 3032 S. 108-109. 3061 v o n B e l o w , Landständische Verfassung Teil 3, Heft 1, Kap. 3, S. 157 Anm 2, weist darauf hin, daß sich der Großteil des Grundvermögens des Kölner Domkapitels in Jülich-Berg befand. 3062 LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 7, Art. 10, fol. 14v. 3063 LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 7, Art. 12, fol. 15r. 3064 LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 11, Antwort auf Art. 10, fol. 28v. 3065 LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 7, Art. 17-19, fol. 16r-16v. 3060
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Rechtsordnung bzw. das Landrecht von 15553066. Das Domkapitel bestritt die Rechtsverweigerung im übrigen nicht, hielt sich vielmehr im Ungefähren bedeckt3067. Wegen Rechtsverweigerung des geistlichen Richters gelangte die Sache vor die weltliche Justiz. Hier steht man vor einer Zuständigkeitsverschiebung, wie sie die ältere Literatur auf der Grundlage mittelalterlicher normativer Quellen gelegentlich beschrieben hat3068, nach Ansicht Schlossers in der Praxis aber nicht vorkommen konnte3069. Die Begründung für die Undenkbarkeit solcher Fälle liefert Schlosser gleich mit. Der weltliche Richter nämlich wäre bei der Entscheidung geistlicher Sachen überfordert gewesen und hätte damit der rechtsuchenden Partei keinen Dienst erweisen können. Der Denkfehler von Schlossers Lehre liegt auf der Hand. Für ihn sind geistliche Gerichtsbarkeit und geistliche Streitsachen kurzerhand gleichzusetzen. Genau dies ist unrichtig. Die Ableitung der iurisdictio von einem obersten Herrschaftsträger war jedenfalls im kirchlichen Bereich weitgehend, teilweise sogar vollständig gelöst von Fragen der sachlichen Zuständigkeit. Ein geistliches Gericht war vielerorts in keiner Weise auf geistliche Streitigkeiten beschränkt. Selbst die Generalklauseln der einschlägigen Gerichtsordnungen waren niedrige Hürden, die sich in der Praxis leicht überspringen ließen. Wenn man bedenkt, in welch erheblichem Ausmaß kirchliche Gerichte weltliche Streitigkeiten behandelten, bricht der Hinweis auf die mangelnde Sachund Rechtskenntnis der weltlichen Gerichte in sich zusammen. Vielmehr zeigen die bereits weiter oben zusammengetragenen Angriffe auf den Apostolischen Nuntius das Gegenteil. Es waren weltliche Parteien, die der kirchlichen Gerichtsbarkeit vorwarfen, die dort tätigen Theologen seien den weltlichen Rechtsfragen nicht gewachsen3070. So spricht der Kölner Fall von Bürgermeister und Dom vom Ausgang des 16. Jahrhunderts eine klare Sprache. Der Anwalt des Klägers war überzeugt, wenn die „forderung vor dem LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 7, Art. 20-21, fol. 16v; zitiert wird das jülich-bergische Landrecht, cap. 107 § „So aber die jährliche Renthe“; in der Druckausgabe 1696 S. 94-95; bei M a u r e n b r e c h e r , Landrechte I, S. 300; Nachweis der verschiedenen Revisionen auch bei K a m p t z , Die Provinzial- und statutarischen Rechte III, S. 115; umfassende Würdigung bei S t ö l z e l , Entwicklung II, S. 245-262; kurze Einordnung der Reformation in das zeitgenössische Geflecht anderer Gerichtsordnungen bei S c h w ar t z , Zivilprozeß-Gesetzgebung, S. 37. 3067 LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 11, fol. 30r, Art. 9-10, fol. 34v. 3068 S c h r ö d e r / Kü n ß b e r g , Lehrbuch, S. 634; P l an c k , Gerichtsverfahren I, S. 3: „wenigstens dem Prinzip nach“; zum umgekehrten Fall, der Zuständigkeit des geistlichen Gerichts bei Rechtsverweigerung durch den weltlichen Richter T r u s e n , Reformatio Consistorii Wirceburgensis, S. 130/326*. 3069 S c h l o s s e r , Gerichtsverfahren, S. 90 Anm. 107; zur Diskussion O e s t m a n n , Rechtsverweigerung, S. 78. 3070 Zu solchen Vorwürfen in den Fällen aus Münster oben bei Anm. 635-637. 3066
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Gaistlichen Richter ausgefocht[en] werden solte, das alßdann anwaldts Principall schwerlich oder bei seinem leben nit zur entschafft seiner forderung wie iust und richtig auch dieselbige ist gerathen würde“3071. Deswegen erhob der Kölner Altbürgermeister eine zweite Klage, diesmal vor dem weltlichen Hauptgericht Jülich. Er berief sich dabei nicht auf den gemeinrechtlichen Grundsatz subsidiärer sachlicher Zuständigkeit bei Rechtsverweigerung, sondern auf eine alte Schuldverschreibung von 1466. Dort hatten die Parteien angeblich vorausschauend an Rechtsverweigerung und -verzögerung bereits gedacht. In diesem Fall sollte die benachteiligte Seite „mit geistlichem und welttlichem Rechten wie sie am besten kunnen undt thun mögen“ vorgehen3072. Das Domkapitel sah diesen letzten Punkt anders. Wenn tatsächlich Rechtsverweigerung nachgewiesen sei, hätte der Kläger „nicht die weltliche obrigkeit sondern superiorem Judicem ecclesiasticum“ anrufen müssen3073. Mit dieser Begründung wäre der geistliche Instanzenzug eröffnet gewesen, nicht aber die weltliche Justiz. Dekan und Kapitel pochten genau darauf. Als „Gaistliche Standts Personen“ hätten sie „vor weltlichem gericht nicht sollen besprochen werden“. Damit beriefen sie sich der Sache nach auf das geistliche privilegium fori und breiteten vor dem Hauptgericht Jülich ihre zahlreichen Privilegien aus. Die Kaiser Friedrich III., Maximilian I., Karl V. und Rudolf II. hatten sie angeblich von jeder weltlichen Justiz befreit3074. Deswegen verweigerten sie vor dem Hauptgericht Jülich die Einlassung auf die nunmehr weltliche Klage. Die Folge war absehbar: Das Gericht fällte ein für sie nachteiliges Beweisurteil. Der Rechtsmittelzug dagegen war ungewöhnlich. Das Domkapitel appellierte gegen das Urteil nämlich gleich zweifach, einmal direkt an das Reichskammergericht3075, einmal an das jülich-bergische Hofgericht. Das Hofgericht ließ das Klerikerprivileg nicht gelten. Der Einwand „wegen der angemasten geistlichen freiheitt und priuilegien“ verhallte ungehört und war kurzerhand und ohne Federlesens „Alß in diesem fall unerheblich abgeschlagen“3076. Wegen einer für den Kläger dennoch ungünstigen Entscheidung über den Zahlungsanspruch appellierte der Altbürgermeister Kannengießer ebenfalls an das Reichskammergericht3077. Jetzt gab es kreuzweise zwei Appellationen in derselben Sache. Bei noch genauerem Hinsehen steht man vor einer ganzen Prozeßserie. Mindestens elfmal klagte das Kölner DomkaLA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 7, Art. 35, fol. 19v. LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 7, Art. 14, fol. 15v. 3073 LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 11, Art. 10, fol. 34v. 3074 LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 11, Art. 3-4, fol. 33v. 3075 Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 2, Nr. 1018 S. 205-206. 3076 Tenor der Entscheidung in LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 3, fol. 10r. 3077 Zur prozessualen Situation LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 1, fol. 4r-4v. 3071 3072
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pitel vor dem Reichskammergericht wegen der Einbindung in die jülichbergische weltliche Gerichtsbarkeit3078. Allein im hier interessierenden Jahr 1595/96 begannen in Speyer genau deswegen fünf Prozesse. Darin lag nicht unbeträchtliche Symbolkraft für erhebliche Weiterungen. War das Klerikerprivileg selbst für die Angehörigen der größten und prächtigsten deutschen Kirche nicht anerkannt, war es wohl kaum einen Pfifferling wert. Um dieses Problem geht es in einem späteren Abschnitt3079. Hier interessiert zunächst die Abgrenzung der weltlichen Gerichtsbarkeit Jülich-Bergs von der geistlichen Jurisdiktion Kurkölns. Und da zeigt dieser Prozeß, wie die Parteien zuerst das ortsansässige geistliche Kölner Offizialat einschalteten, der Rechtsstreit dann aber an das Jülicher Hauptgericht gelangte. Die Zuständigkeitsverlagerung wegen Rechtsverweigerung belegt damit zugleich den Wechsel vom geistlichen zum weltlichen Gericht. Derartige Verschiebungen gab es entgegen einiger Literaturmeinungen in der Praxis durchaus. Auch geistliche Parteien konnten auf diese Weise weltlicher Gerichtshoheit unterliegen. In einer Zeit, in der die Durchsetzung von Rechtszwang immer schwierig war, konnte diese Zuständigkeitsregel sogar vorbeugend hilfreich sein. Juristisch spitzfindig mag man ihr gar generalpräventive Wirkung zumessen. Denn wenn ein geistliches Gericht seine Jurisdiktionsgewalt nicht an weltliche Herrschaftsträger verlieren wollte, durfte es nicht untätig bleiben, sondern mußte im Einklang mit den Vorgaben des gelehrten Rechts für eine ordnungsgemäße Justizgewähr sorgen.
g) Ein Malteserritter als Beklagter in einem weltlichen Injurienprozeß Ein Beispiel aus dem späten 17. Jahrhundert verbindet wie der soeben geschilderte Streit Fragen der kölnischen geistlichen Gerichtsbarkeit mit dem Klerikerprivileg. Nur ging es in diesem Fall um den adligen Malteserritter Maximilian Heinrich von Bourscheidt zu Laach3080. Der Sachverhalt war denkbar unerfreulich und unschön. Der Ritter von Bourscheidt lebte nämlich im Kampf mit seinem Onkel, einem Freiherrn Franz Dietrich Beissel von Gymnich, zugleich Domkapitular in Hildesheim. Angeblich hatte der Nachweise bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 2, Nr. 1012 (begonnen am RKG: 1595), 1013 (1600), 1014 (1600), 1015 (1595), 1016 (1596), 1017 (1613), 1018 (1596), 1019 (1596), 1020 (1636), 1021 (1662), S. 198-208; Nachweis eines weiteren Rechtsstreits um die Einbindung des Domkapitels in ein Mühlengericht bei Ko r d e s , Reichskammergericht Köln I, S. 336 lfd. Nr. 282 (zum Verfahren C 521/1327). 3079 Dazu unten bei Anm. 3144-3149. 3080 Repertoriumsmitteilung bei A l t m an n / H o f f m an n , Reichskammergericht 1, Nr. 696 S. 702. 3078
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Onkel seinen Neffen im Februar 1685 in einem Wirtshaus in Eil im Amt Porz überfallen und ihn hinterrücks mit einer „bürstbüchsen“, wohl einem Gewehr, lebensgefährlich verletzt3081. Später soll dann der Neffe den Onkel beleidigt, Sachen wie „Vogelßgarn, flinten“ entwendet und Eichbäume gefällt haben. Jedenfalls entsprossen daraus zwei Prozesse, beide vor der Düsseldorfer Hofkanzlei. Das Verfahren wegen des versuchten Totschlags verwiesen Kanzler und Räte jedoch „ad evitandam nullitatem zu Ihrer Churfürstl[ichen] D[urc]hl[auch]tt zu Cöllen“, nachdem der Hildesheimer Domherr „Exceptionem fori eingewendt“ hatte3082. Die Räte hatten also Angst vor Nichtigkeitsvorwürfen und gaben die Totschlagssache nach Köln ab. Die Beleidigungsklage jedoch verblieb am Düsseldorfer Hofrat, obwohl der Malteserritter hier ebenfalls auf die Klerikerkarte setzte und die Verweisung nach Köln verlangte. Seine forideklinatorische Einrede verpuffte jedoch erfolglos, und das weltliche Gericht verurteilte ihn zum Widerruf, zur Bußzahlung „loco civilis“, aber auch zu einer öffentlichen „straf“ „wegen verwirckten hochfürstl[ichen] interesse“3083. Genau dagegen richtete sich die Appellation. Der Freiherr von Bourscheidt verwies auf ein Privileg de non evocando des „löblichen Ritterlichen Maltheser oder Joanniter ordenß“, das seit 1615 beim Reichskammergericht insinuiert war3084. Auch das kanonische Recht zog er heran, um seine Befreiung vom weltlichen Gericht zu belegen. Es sollte sich dabei um zwingendes Recht handeln, nicht dispositiv und nicht offen für anderweitige Absprachen3085. Der Appellat, also der Onkel, machte es sich dagegen vergleichsweise einfach. Sein Ansatzpunkt war nicht das Klerikerprivileg. Vorgelagert noch ging es zuerst um einen Gemeinplatz. Angeblich war es gemeinrechtlich verboten, gegen Urteile in Verbalinjuriensachen zu appellieren3086. Das behauptete er jedenfalls. In dieser Eindeutigkeit galt das Verbot freilich überhaupt nicht. Allein aus Westfalen hat Ralf-Peter Fuchs über 150 kammergerichtliche Appellationen wegen Beleidigungen zusammengetragen3087. Als Argument ließ sich der Rechtsmittelausschluß jedoch bestens gegen die Zulässigkeit der Appellation ins Feld führen. Sodann ging
LA Düsseldorf RKG B 1900/5721, Aktenstück Q 5, fol. 17v Stempel, 9v Bleistift. LA Düsseldorf RKG B 1900/5721, Aktenstück Q 4, fol. 14v Stempel, 6v Bleistift. 3083 LA Düsseldorf RKG B 1900/5721, Aktenstück Q 4, fol. 14v Stempel, 6v Bleistift, zu den verschiedenen Rechtsfolgen bei Injurien F u c h s , Um die Ehre, S. 51-54. 3084 LA Düsseldorf RKG B 1900/5721, Aktenstück Q 5, fol. 17r Stempel, 9r Bleistift; das Privileg taucht bei E i s e n h a r d t , privilegia, nicht auf; zur Insinuation von Privilegien allgemein B o c k , Insinuation, S. 39-55. 3085 Verweis auf X. 2, 2, 12 („Clericus non potest constituere sibi iudicem laicum, etiamsi proprium iuramentum et adversarii consensus accedat“ mit Dekretale von Innozenz III.). 3086 LA Düsseldorf RKG 1900/5721, Aktenstück Q 14, fol. 30r Stempel, 22r Bleistift. 3087 F u c h s , Um die Ehre, S. 336-358. 3081 3082
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es um den Unterschied beider Prozesse zwischen Onkel und Neffe, versuchter Mord auf der einen, Beleidigung auf der anderen Seite. Offenbar kam es darauf an, wie lange die beiden Kontrahenten bereits zum geistlichen Stand gehörten. Der Onkel war seit „zwantzig und mehr iahren hiesigz Dombstiffts Speyer und Hildesheim Canonicus“, der Neffe aber erst seit 1682 „zu deme Maltheser orthen uff und ahngenohmen“. Sein Eintrittsdatum lag damit nach der Eröffnung des untergerichtlichen Beleidigungsverfahrens. Deswegen sollte die Verweisung an das kölnische geistliche Gericht ausscheiden3088. Jedenfalls, so meinte der Onkel in seinen Hilfserwägungen, habe der Neffe den Verweisungsantrag viel zu spät gestellt. Damit steht man vor einem erstaunlichen Befund: Zwei Geistliche führten gegeneinander einen Rechtsstreit vor dem weltlichen Gericht, und der Domherr widersprach dem Antrag auf Verweisung an das Kölner Offizialat ebenso wie der jülich-bergische Hofrat. Wenn es in diesem Abschnitt um Jurisdiktionsbefugnisse der Kölner geistlichen Gerichtsbarkeit in jülich-bergischen Angelegenheiten geht, läßt sich ein verblüffendes Zwischenergebnis ziehen: Derjenige, der ein Klerikerprivileg in Anspruch nahm, mußte deswegen noch lange nicht der kölnischen Justiz unterstehen. Das war keine ausgemachte Sache. Von einer Aushöhlung der Landesherrschaft kann in diesem Zusammenhang ganz und gar keine Rede sein.
h) Ein später Grundsatzstreit um die Anrufung des Offizialats in Abgabensachen Der letzte Fall, in dem es um die Abgrenzung der geistlichen gerichtlichen Zuständigkeiten Kurkölns und der weltlichen Herrschaftsrechte JülichBergs ging, ist zugleich der späteste hier einschlägige Streit. Er stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und zurrt zum Schluß die versponnenen Fäden zusammen. Vor allem die partikularen normativen Quellen spielten hier eine besonders große Rolle. Wie im zuletzt geschilderten Verfahren stammte der Appellant aus der Familie von Bourscheidt, diesmal war es ein Franz Carl von Bourscheidt zu Burgbrohl3089. Er stritt sich mit dem Prior des Kreuzbrüder-Klosters in Köln3090 um Abgaben. Gemäß „dem Gülischisch Statutarischen jure revolutionis“ hatte die Familie von Bouscheidt ein landtagsfähiges Gut im Ort Efferen erworben, auf dem die Zahlungspflicht LA Düsseldorf RKG 1900/5721, Aktenstück Q 14, fol. 32v-33r Stempel, 24v-25r Bleistift. 3089 Repertoriumsmitteilung bei A l t m an n / H o f f m an n , Reichskammergericht 1, Nr. 702 S. 709-710. 3090 Zu diesem Orden H a a ß , Kreuzherren, S. 71-91. 3088
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an die Kirche lasten sollte3091. Das Revolutions- oder Rekadenzrecht war in Jülich-Berg anerkannt und regelte grob gesagt den Güteranfall an Seitenverwandte beim Tode des Erblassers. Der jülich-bergische Partikularrechtler Melchior Voets, zugleich Vogt des Amtes Nörvenich, widmete dem Problem im 17. Jahrhundert einen ganzen Traktat3092. Das fragliche Gut jedenfalls lag nach Ansicht Bourscheidts „außer aller Churcöllnischen Jurisdiction im Hertzogthumb Gülich“. Auch der Freiherr selbst wollte „keiner Officialischen Jurisdiction unterworffen“ sein. Dennoch klagten die Kreuzbrüder vor dem Kölner Offizial auf Zahlung, und mit Zwischenurteil vom 3. Februar 1766 stellte der Offizial seine eigene Zuständigkeit fest. Hiergegen richtete sich die Appellation. Da es noch keine untergerichtliche materielle Entscheidung gab, ging es ersichtlich ums Prinzip. Der Freiherr verteidigte die weltliche Gerichtsbarkeit gegen geistliche Übergriffe, so zumindest stellte er sein Anliegen dar. Das ist ohnehin in zahlreichen hier untersuchten Akten augenfällig. Wenn sich die Appellanten gegen bloße Zuständigkeitsbeschlüsse beschwerten, hatten sie ihren untergerichtlichen Rechtsstreit noch keineswegs verloren. Sie kramten also nicht lediglich Einwände gegen falsche Zuständigkeiten hervor, um ihre eigene Sache zum Besseren zu drehen. Anders als vorschnelles Schubladendenken mit seinen Instrumentalisierungen und Justiznutzungen wahrhaben möchte, gab es in derartigen Fällen offenbar wirklich Streit um den ordnungsgemäßen Rechtsweg, und dies ganz erstaunlich ohne viele Tücken und Hintergedanken. Denn woher hätte ein Appellant im voraus wissen sollen, ob er vor einem weltlichen Gericht bessere Karten haben würde als vor einem geistlichen? Ob und wie oft es evangelische Parteien waren, die in gemischtkonfessionellen Territorien die geistlichen Gerichte als suspekt darstellten oder aus anderen Gründen ablehnten, ist unklar. In den Quellen taucht dieses Argument jedenfalls nie auf. Man kann mit Fug und Recht die frühneuzeitliche Rechtspraxis als Markt für professionelle juristische Dienstleistungen bezeichnen3093 und die Anrufung des Reichskammergerichts als bloßes Druckmittel sehen, um gütliche Einigungen zu erleichtern3094. Aber immerhin manchmal und vielleicht gehäuft in den hier LA Düsseldorf RKG B 1910/5733, Aktenstück Q 4, fol. 15v. V o e t s , Tractatus de iure revolutionis, wohl erstmals 1691 gedruckt; Überblick über die zeitgenössische Literatur bei Ka m p t z , Die Provinzial- und statutarischen Rechte, S. 159-160, auch mit Hinweisen auf Georg Melchior Ludolff und Johann Ulrich von Cramer; zur Fortgeltung des Revolutionsrechts im 19. Jahrhundert Urteil des preußischrheinischen Appellationsgerichtshofs vom 19. Dezember 1832 bei S a n d t , Archiv 19/1, S. 33-35. 3093 F a l k , Consilia, S. XIX, 406. 3094 D i e s t e l k a m p , Reichskammergericht im Rechtsleben, S. 257-258. 3091 3092
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ausgewerteten Fällen ging es den Parteien wohl tatsächlich um ordentliche Rechtsanwendung. Wenn die bloße Verweisung einer Streitsache vom einen an das andere Gericht nicht unmittelbar eigene Vorteile präjudizierte, war die Appellation weitgehend uneigennützig. Vielleicht ist das ein Argument für eine überraschende Autonomie des Rechts in einer Zeit, in der Religion und Politik noch eng verbunden waren. Es gab offenbar Juristen, die wirklich juristisch dachten und argumentierten und nicht nur unter dem Deckmantel gelehrter Versatzstücke politische, religiöse, wirtschaftliche oder andere Interessen verschleierten. Der Freiherr von Bourscheidt im Streit gegen die Kreuzbrüder oder sein Schriftsatzverfasser mag einer dieser wackeren Streiter mit Blick für das Grundsätzliche gewesen sein. Der „ChurCöllnische Officialis“ war für ihn „nicht allein ein incompetenter Richter“. Nein, mehr noch. Er hatte „nicht die mindeste Jurisdiction jemalen gehabt (...), weder haben können, nachdem weltkündig ist, daß ein ChurCöllnischer Official im Herzogthum Gülich über weltliche real- oder personalSachen gar keine Jurisdiction habe“. Bourscheidt war sich sicher: Es dürften „niemalen (...) in weltlichen Sachen einige Ansprachen (...) zu denen ChurCöllnischen Gerichteren (...) hingezogen werden“3095. Das waren markige Worte. Vor allem springt ins Auge, wie das Offizialat mit beiläufiger Selbstverständlichkeit als kurkölnisches Gericht erscheint. An anderer Stelle sprach der Appellant vom „Officialen des geistlichen Ertzbischoflichen Churcöllnischen Hofgerichts“3096. Geistliche und weltliche Justiz verflossen ineinander. Mit seinen bewußt unklaren Gerichtsbezeichnungen hob der Schriftsatzverfasser genau dies deutlich hervor. Von besonderem rechtshistorischen Reiz sind die präzisen Angaben des Appellanten zu den landesrechtlichen Vorschriften über die Gerichtsverfassung. An erster Stelle stand der Verweis auf einen Vertrag zwischen dem Kölner Kurfürsten Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels3097 und Kurfürst Karl Theodor von Kurpfalz vom 25. Juni 1763. Es handelte sich um einen „in beiderseits Landen aller Orts publicirten und affigirten besonderen Vertrag in weltlichen Sachen“3098. Tatsächlich ist die Kundmachung für September 1763 in Jülich-Berg nachweisbar3099. Unklar ist die Situation in Kurköln3100. LA Düsseldorf RKG B 1910/5733, Aktenstück Q 6, fol. 30v-31r. LA Düsseldorf RKG B 1910/5733, Aktenstück Q 4, fol. 15r. 3097 1761-1784; zu ihm C h r i s t , Maximilian Friedrich, S. 500-502; B r au b ac h , Die vier letzten Kurfürsten, S. 79-102; K l u e t i n g , Das kurkölnische Herzogtum Westfalen, S. 474-475; K o h l , Bistum Münster/Diözese 3, S. 698-712. 3098 LA Düsseldorf RKG B 1910/5733, Aktenstück Q 6, fol. 31r-31v; Ausfertigung des Vertrages ebd. Aktenstück Q 8. 3099 H ä r t e r , Jülich-Berg, Nr. JLB 1503, S. 1361; S c o t t i , Sammlung Jülich I, Nr. 1935 S. 531. 3095 3096
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Das Abkommen verfolgte den Zweck, im Falle von Güterarresten die Gerichtsbarkeiten zu entflechten. „Wegen geistlichen Sachen“, so fuhren die Appellationsgravamina fort, gelte „weltkündiger Dingen“ nach weiterhin der Provisionalvergleich von 1621. Danach dürfe „ein ChurCölnnischer Officialis ebenfalls kein unmittelbarer Richter“ sein, denn die erste geistliche Instanz sei „im Herzogthum Gülich vor dasig-verordneten Geistlichen Consistoriis Decano cum ruralium gehörig“3101. Durch die beiden Hinweise auf Kurköln und das Herzogtum Jülich erweckte der Schriftsatz den Eindruck, als handele es sich bei der erstinstanzlichen geistlichen Gerichtsbarkeit ebenfalls um landesherrliche Justiz. Wie zur Untermauerung verwiesen die Gravamina auf herzogliche Bekräftigungen des Provisionalvergleichs, die es „unter schwerer Straf“ untersagten, unmittelbar am Kölner Offizialat zu klagen oder „von selbigen Consistoriis zum ChurCöllnischen Officialen anderster, als von einer solchen à Decanis ruralibus in prima Instantia ergangenen Sentenz, die entweder eine definitiva, oder vim definitivae habens seyen, jemalen zu provociren“3102. Durch die konsequente Titulierung der Landdechanten als Konsistorien verstärkte der Schriftsatz den Eindruck, als gehe es dabei um eine Form der landesherrlichen Gerichtsbarkeit. Die erstinstanzliche Tätigkeit des Kölner Offizials in Jülich-Berg sollte damit unterbunden sein. Offenbar gab es aber Schwierigkeiten in der Praxis. Selbst die vom Appellanten genannten Quellen konnten kaum darüber hinwegtäuschen. Pfalzgraf Johann Wilhelm3103 erließ als Herzog von Jülich-Berg im April 1704 eine Verordnung, in der er seinen Untertanen die strenge Befolgung des Provisionalvergleichs einschärfte3104. Genau dies scheint nötig gewesen zu sein. In der Präambel sprach der Landesherr nämlich davon, ihm sei „von verschiedenen stiffteren, Land-Dechanten, Camerarien, und Assessorn“ der Mißbrauch berichtet worden, „wasmaßen die Pastores so wohl, als andere unsere Lands Eingesessene und Unterthanen mit vorbeygehung ihrer in geistlichen sachen vermög des mit ChurCölln im jahr 1621. getrofenen provisional-Vergleichs, Competirender 1ter instanz, wider die Lands-privilegia und altes herkommen, sich außer Lands zu denen Cölnischen oder Lüttischen Oficialen und Archidiaconen, hinwenden“3105. Also nicht nur GeistliBei S i m o n / Ke l l e r , Kurköln, S. 538-544, wird bis Ende 1766 kein Publikationspatent genannt. 3101 LA Düsseldorf RKG B 1910/5733, Aktenstück Q 6, fol. 31v-32r; zu Karl Theodors Kirchenherrschaft E b e r s o l d , Rokoko, S. 54. 3102 LA Düsseldorf RKG B 1910/5733, Aktenstück Q 6, fol. 32r-32v. 3103 1679-1716; zu ihm H a s h ag e n , Politische und Religionsgeschichte, S. 157-167; B r a u b a c h , Johann Wilhelm, S. 516-518. 3104 Nachgewiesen auch bei H ä r t e r , Jülich-Berg, Nr. JLB 658 S. 1267; S c o t t i , Sammlung Jülich I, Nr. 986 S. 262. 3105 LA Düsseldorf RKG B 1910/5733, Aktenstück Q 9, fol. 45r Stempel, 43r Bleistift. 3100
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che, sondern auch Laien sollen die Kölner und Lütticher Offizialatsgerichtsbarkeit angerufen haben. Das bezog sich nicht auf weltliche, sondern auf geistliche Angelegenheiten, denn anderenfalls hätte kaum ein Verstoß gegen die erstinstanzliche Zuständigkeit der Landdechanten vorgelegen. Vom Wortlaut her betraf die herrschaftliche Mißbilligung unerlaubte Appellationen gegen Zwischenurteile zu einem Zeitpunkt, in dem der erstinstanzliche Streit vor dem Dechanten noch nicht entschieden war. Es ging damit nicht um erstinstanzliche Offizialatsprozesse, sondern um den vorschnellen Instanzensprung. Aber gerade der Hinweis, die Landdechanten seien bei ihrer „wohl herbrachter 1ter instantz kräftigl[ich] zu manuteniren“, barg bereits die Verallgemeinerbarkeit in sich. Die Jurisdiktionsbefugnisse der Offizialatsgerichte sollten auf das im Provisionalvergleich anerkannte Maß begrenzt bleiben. Erweiterungen darüber hinaus nahmen die Landesherren von Jülich-Berg nicht widerspruchslos hin. Wenn man den einleitenden Worten Johann Wilhelms Glauben schenken darf, gehört der Provisionalvergleich wie so viele andere frühneuzeitliche Vorschriften zu den sprichwörtlichen Gesetzen, die nicht durchgesetzt wurden3106. Es paßt ins Bild, wenn ein halbes Jahrhundert später Pfalzgraf und Kurfürst Karl Theodor 1757 das Dekret von 1704 erneuerte und abermals publizierte3107. Die Zuständigkeitsquerelen mit Kurköln waren damit wohl nur auf dem Papier geklärt. Die Praxis bliebt vertrackt. Der mehrfache Erlaß von Normen erhöhte nicht unbedingt die Bereitschaft der Bevölkerung, sie auch geflissentlich zu befolgen3108. Wenn es also aus dem 18. Jahrhundert vergleichsweise wenige Reichskammergerichtsprozesse gibt, in denen die Kölner Offizialatstätigkeit in Jülich-Berg den Streitgegenstand bildete, legen die Reskripte von 1704 und 1757 dafür eine Erklärung nahe, die den Landesherrn nicht erfreut haben dürfte. Gab es nämlich nur wenig Streit um diesen Punkt, mußte sich noch lange nicht jedermann an den Provisionalvergleich halten. Ganz im Gegenteil können durchaus in vielen Fällen beide Streitparteien freiwillig die Offizialate angerufen haben. Dann bestand gar kein Anlaß für Appellationen, und die Gerichtsgewalt des Landesherrn war trotzdem geschwächt. Schweigen die Quellen, kann das also ebenso die Einhaltung des Provisionalvergleichs beweisen wie den selbstverständlichen, allseits hingenommenen Verstoß. Hier liegt freilich ein methodisches Problem, denn unstreitige Fälle sind schwerer zu finden als Streit, und vor allem gelangten solche Verfahren nie Klassisch S c h l u m b o h m , Gesetze, S. 647-663. LA Düsseldorf RKG B 1910/5733, Aktenstück Q 10, fol. 47r Stempel, 45r Bleistift; nachgewiesen auch bei H ä r t e r , Jülich-Berg, Nr. JLB 1391 S. 1348. 3108 L a n d w e h r , Normdurchsetzung, vor allem die Zusammenfassung S. 161-162; S c h m i d t , Sühne oder Sanktion, S. 36. 3106 3107
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vor das Reichskammergericht. Unter hohem Aufwand ließen sich vielleicht einverständliche Prorogationen nachweisen, indem man die Überlieferung der Offiziale aus Lüttich und Köln im Hinblick auf die Wohnsitze und damit den Gerichtsstand der Beteiligten durchmusterte. Darum kann es hier aber nicht gehen. Festzuhalten bleibt anderes: Aus landesherrlicher Sicht hatten die verbotenen Klagen und Appellationen „außer Lands“3109 offenbar ein Ausmaß erreicht, das gesetzliche Gegenwehr für geboten erscheinen ließ. Andere religionspolitische Konflikte zwischen Jülich-Berg und Kurköln um die Besteuerung von Geistlichen gab es ohnehin. Der Streit erreichte sowohl die Rota Romana als auch den Reichshofrat. Das kaiserliche Gericht schützte mehrfach die geistlichen Güter vor den Übergriffen des Herzogs3110.
i) Zwischenergebnis Damit endet dieser Abschnitt mit einem zwiespältigen Befund. Jülich-Berg war, jedenfalls in der Person seiner Fürsten seit dem Übertritt Wolfgang Wilhelms zum Katholizismus 1613/14, ein klar altgläubig regiertes Territorium, wenn auch mit großen protestantischen Bevölkerungsanteilen3111. Für einen weltlichen katholischen Landesherrn bedeutete eine von seiner Person unabhängige geistliche Gerichtsbarkeit immer eine Einschränkung seiner Hoheitsrechte. Protestantische Herrscher mochten weltliche und geistliche Justiz ausüben, ja der lippische Graf bezeichnete sich unbemäntelt offen als Rechtsnachfolger des Papstes3112. Ein katholischer geistlicher Fürst konnte als Bischof zugleich Inhaber der Offizialatsgewalt sein, wenn er sich auch mit einem gespaltenen Instanzenzug in weltlichen und geistlichen Rechtssachen abzufinden hatte. Für katholische weltliche Fürsten war die Sache dagegen verzwickt. Ihre weltliche iurisdictio war im Grundsatz unangefochten, aber unterschwellig immer durch die an benachbarte Bischöfe angebundenen geistlichen Gerichte bedroht, wenn diese wie in der Praxis regelmäßig auch weltliche Streitigkeiten verhandelten. Deswegen ist das Bestreben verständlich, die geistliche Gerichtsbarkeit zu territorialisieren und aus der Abhängigkeit von Bischof und Erzbischof zu lösen. Wenn Hashagen für Pfalzgraf Wolfgang LA Düsseldorf RKG B 1910/5733, Aktenstück Q 9, fol. 46r Stempel, 44r Bleistift. E h r e n p r e i s , Wollen, S. 198-199. 3111 H a s h a g e n , Politische und Kirchengeschichte, S. 142; F l ü c h t e r , Zölibat, S. 31; H ä r t e r , Jülich-Berg, S. 1166; E h r e n p r e i s , Die Vereinigten Herzogtümer, S. 265. 3112 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 93r-93v; dazu oben bei Anm. 23412348. 3109 3110
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Wilhem das Schlagwort „Kirchenregiment“ verwendet, das eigentlich für den evangelischen Summepiskopus einer Landeskirche vorbehalten ist, trifft er der Sache nach ins Schwarze3113. Das landesherrliche Bestreben, fremde Einmischung in die inländische Gerichtsbarkeit abzuschütteln, war groß. Nur allzu leicht kann man es unterschätzen. Antje Flüchter geht etwa davon aus, der Provisionalvergleich zwischen Jülich-Berg und Kurköln von 1621 habe vornehmlich dazu gedient, die vom Erzbischof und dem Herzog gemeinsam betriebene Politik der katholischen Konfessionalisierung zu erleichtern3114. Das mag ebenfalls ein Gesichtspunkt gewesen sein, gaukelt aber mehr Eintracht vor, als die Quellen zulassen. Die Territorialisierung der Justiz als wesentlicher Schrittmacher der Staatswerdung war nur möglich, wenn auswärtige geistliche Gerichte keine weltlichen Zivilsachen mehr behandelten und wenn die geistliche Jurisdiktion mit ihren Gerichtssprengeln möglichst ebenfalls den Landesgrenzen folgte. Wie die Verordnungen von 1704 und 1757 sehr klar zeigen, ging es hier darum, die Eigenständigkeit der herzoglichen Justiz zu behaupten. Die Reibereien mit dem Kölner Offizialat führen damit anschaulich Störfaktoren der landesherrlichen Gerichtsgewalt vor Augen, die es in dieser Ausprägung nur in einem katholisch regierten weltlichen Territorium geben konnte. Nur der Vollständigkeit halber bleibt eine Beobachtung zu wiederholen, die an so vielen Stellen der Untersuchung immer erneut auffällt. Die gemischtkonfessionelle Bevölkerung im Herzogtum ist in den hier ausgewerteten Gerichtsakten praktisch nicht greifbar. Das Schweigen der Quellen ist damit ein ganz erstaunlicher Beleg für die weitgehende Verselbständigung der Gerichtsbarkeit gegenüber Religionsfragen.
4. Appellation an den Apostolischen Nuntius in weltlichen Sachen Auch aus dem Herzogtum Jülich-Berg sind Reichskammergerichtsklagen überliefert, in denen sich Landesuntertanen über Eingriffe des Apostolischen Nuntius in weltliche Rechtshändel beschwerten. Hier genügen wenige H a s h a g e n , Politische und Kirchengeschichte, S. 149; allgemein zu Bestrebungen katholischer weltlicher Herrscher nach kirchlicher Eigenständigkeit F e i n e , Rechtsgeschichte, S. 497-499; L i n k , Rechtsgeschichte, S. 41; für Kleve-Mark im 16. Jahrhundert v . H a e f t e n , Die landständischen Verhältnisse, S. 22; für Hessen vor 1500 nimmt S i b e t h , Eherecht, S. 100, ein „vorreformatorisches landesherrliches Kirchenregiment“ an. 3114 F l ü c h t e r , Zölibat, S. 31-32. 3113
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Hinweise, denn in Münster waren solche Fälle Dutzendware, in anderen Territorien kamen sie ebenfalls vor3115. Für das Herzogtum Jülich-Berg wirkt sich gerade in diesem Punkt das fehlende Register der neuverzeichneten Reichskammergerichtsakten nachteilig aus. Da die Klagen gegen den Apostolischen Nuntius praktisch immer als Kassationsmandate liefen, handelte es sich nie um Appellationen. Deswegen fehlt in den Verzeichnungen der Hinweis auf ein erstinstanzliches Gericht, das sich ohne weiteres einem Territorium zuordnen ließe. Nur über die Wohnsitze der Parteien sowie die Inhaltsbeschreibungen in den Inventarbänden kommt man weiter. Es mag deshalb durchaus mehrere Beschwerden gegen den Rekurs an den Nuntius gegeben haben, nicht nur den einen Fall, der 1617 in Speyer begann3116. Es handelt sich um einen Mandatsprozeß einer Catharina Vendt gegen den Apostolischen Nuntius Antonio Albergati, Bischof von Bisceglia3117. Obwohl der Nuntius wie so oft ein Italiener war, dazu im Auftrag des Papstes nach Deutschland entsandt, nannte ihn das Reichskammergericht im Mandat vom Januar 1617 einen „Reichs getrewen“3118, ein Mißgeschick, das auch in anderen Akten auffällt. Die Vorwürfe waren praktisch dieselben wie in den zahlreichen Prozessen aus Münster. Insbesondere auf die „veracht und verkleinerung des Heiligen Reichs hocheitt“ stellte die Klägerin ab. Falls den „freuelmüttigen in weltlichen recht underliegenden Parhtien, zu hinderstellung der Justiz (...) die Gaistliche Gerichtte soltten offenstehen“, sah Catharina Vendt die Reichsverfassung wanken3119. Interessant im Hinblick auf die im vorigen Abschnitt behandelten überlappenden Zuständigkeiten mit Kurköln ist die beiläufig mitgeteilte Prozeßgeschichte. Das Verfahren hatte nämlich „In einer mere Ciuili et prophana causa, vor Landdechanten und Christianitatis“ in Neuss begonnen, also vor einem Gericht, „so von Alters hero utramque Jurisdictionem, tam in Ciuilibus et prophanis, quam Ecclesiasticis exercirt“ hatte. Ein erstes Appellationsverfahren fand vor dem Kölner Offizial „uti Judicem Immediate superiorem“ statt3120. Beides nahm die kammergerichtliche Klägerin nicht nur hin. Damit hatte es sogar, wie sie betonte, genau seine Richtigkeit. Beispiel aus Recklinghausen: LA Düsseldorf RKG W 650/2028; Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht 9, Nr. 6052 S. 389-390. 3116 Ebenfalls 1617 begann ein Mandatsprozeß des bergischen Kellners zu Bensberg gegen den Apostolischen Nuntius. Die untergerichtlichen Prozeßgegner stammten jedoch aus der Stadt Köln, und dort hatte auch der Rechtsstreit begonnen. Deswegen ist der Fall territorial wohl nicht einschlägig: A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 4, lfd. Nr. 2456 S. 204. 3117 Repertoriumsnachweis bei B r u c k h au s / R ö l k e r / H o f f m a n n , Reichskammergericht 9, Nr. 5760 S. 111-112; Nachweis des Nuntius bei F e l d k am p , Erforschung, S. 266. 3118 LA Düsseldorf RKG V 174/330, Aktenstück Q 1a, fol. 08r. 3119 LA Düsseldorf RKG V 174/330, Aktenstück Q 1a, fol. 08r. 3120 LA Düsseldorf RKG V 174/330, Aktenstück Q 1a, fol. 08r. 3115
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Die Landdechanten waren nach Auffassung der Mandatsklägerin keine rein geistlichen Richter und das Offizialat in dieser Zeit vor Verabschiedung des Provisionalvergleichs ein reguläres weltliches Appellationsgericht. Gerade mit der Neusser Christianität soll es vor 1621 mehrfach Streit gegeben haben, weil der Landdechant so deutlich die kurkölnische Politik unterstützte und nur eine geringe Bindung zum jülich-bergischen Landesherrn hatte3121. Übten die Landdechanten also auch weltliche Gerichtsbarkeit aus, ist es in Ergänzung zum vorigen Kapitel besonders einleuchtend, wenn die jülich-bergischen Herzöge die Territorialisierung ihrer Justiz auch in der geistlichen Gerichtsbarkeit betrieben. Der Rekurs an den Apostolischen Nuntius scheint dagegen in Jülich-Berg zahlenmäßig nicht ins Gewicht gefallen zu sein. Es handelte sich zwar um einen Mißbrauch, der aber selten blieb. Selbst der Mandatsprozeß der Catharina Vendt besitzt eine Sonderstellung, da ihr untergerichtlicher Gegner Christian Horster offenbar geisteskrank war. Jedenfalls war er mit „LeibeßSchwachheitt“ geplagt und wurde letztlich „sinnloß“3122. Ob es eine Verrücktigkeit war, die den geistesgestörten Beklagten in einer weltlichen Streitsache den Nuntius einschalten ließ oder ob er wie in anderen Territorien den geistlichen Rechtsweg gezielt beschreiten wollte, bleibt offen. Ein später Fall von 1755 dreht den Spieß um. In einem Streit um Baurechte am Fischmarkt in Aachen standen sich der Rat von Aachen und ein Aachener Stift gegenüber3123. Hilfesuchend wandte sich das Stift an den Apostolischen Nuntius, um hergebrachte geistliche Immunitäten zu verteidigen. In diesem Fall gewährte der päpstliche Legat dem Stift ein Mandat. Die Stadt ihrerseits nahm einstweiligen Rechtsschutz des Kammergerichts in Anspruch und erhielt aus Wetzlar ein Kassationsmandat. Das ist insoweit nichts Besonderes. Erstaunlich ist freilich ein Brief des Apostolischen Nuntius an den Rat der Stadt Aachen vom Mai 1755. Darin drohte der Nuntius an, „das Brachium seculare, welches die Jülich-Bergische Regierung ist, pro executione zu imploriren, gleich er in einer solchen bey Reichs-Hof-Rath anhängig gewesenen RecursSache gethan, und würcklich Hilfe erhalten hat“3124. Hier war es der Nuntius, der den weltlichen Arm anrief. Die Regierung von Jülich-Berg sollte als weltliZu Neuss und zur geistlichen Gerichtsgewalt L au x , Reformationsversuche, S. 83-91, 104-107; F l ü c h t e r , Zölibat, S. 230. 3122 LA Düsseldorf RKG V 174/330, Protokollbuch vom 26. Juni 1617 und 10. Dezember 1617, fol. 02r-02v. 3123 Fallschilderung bei C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 1, S. 169-192, unter der Überschrift „Offenbare Nichtigkeit der an Apostolische Nuntiaturen beschehenen Evocationen, in Fällen, wo eine Kirche Sachen vindiciren will, die als Seculares besessen werden“. 3124 C r a m e r , Wetzlarische Nebenstunden 1, S. 171, mit Verweis auf die Dokumente S. 188192. 3121
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che Macht die geistlichen Ansprüche des Aachener Stifts schützen und den Rat der Stadt in seine Schranken weisen. Einzelheiten führen in die Aachener Stadtgeschichte und können hier ausgespart bleiben. Das Beispiel warnt jedoch davor, das Verhältnis zwischen dem Nuntius und territorialen Gerichtsherren zu überzeichnen. Es gab viel Streit, gewiß. Aber in Einzelfragen der Gerichtsbarkeit wirkten geistliche und weltliche Gewalt doch manchmal zusammen. Wie häufig das geschah, ist unklar. Doch das einträchtige Miteinander, das etwa Eike von Repgow im Sachsenspiegel gezeichnet hatte3125, war nicht nur mittelalterliches Wunschdenken. Auch im 18. Jahrhundert gab es diesen friedlichen Umgang.
5. Streit um das privilegium fori für Geistliche Wie in anderen bereits untersuchten Territorien bildet das privilegium fori der Geistlichen einen erheblichen Streitpunkt auch in den Reichskammergerichtsakten aus Jülich-Berg. Mindestens zehn Fälle von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des 17. Jahrhunderts sind bekannt. Je nachdem, wie man die Prozeßlawine des Kölner Domkapitels in den Jahren ab 1595 zählen möchte, läßt sich die Zahl mühelos verdoppeln. Als Argument taucht das Klerikerprivileg in den Quellen in zweifacher Stoßrichtung auf. Zum einen versuchten geistliche Parteien, sich in bestimmten Sachfragen jeder weltlichen Herrschaft zu entziehen, etwa bezogen auf Steuern und Abgaben. Das war nicht auf die gerichtliche Ebene beschränkt, sondern weitete sich aus zu einer umfassenden Immunität3126. Zum anderen lehnten sie es unabhängig von der Art des Streitgegenstandes ab, sich der weltlichen Justiz zu unterstellen, und verwiesen auf den besonderen Status ihrer Person. Dabei handelte es sich um überregional anzutreffende Einwände gegen die Einbindung in weltliche Rechtsstreitigkeiten und nicht um territoriale Besonderheiten. Beide Argumente ließen sich vor Gericht in geeigneten Fällen bündeln, waren aber nicht deckungsgleich. In jedem Fall handelte es sich um defensive Einwendungen. Die Geistlichen beriefen sich erst darauf, nachdem weltliche Herrschaftsträger oder Gerichte bereits tätig geworden waren.
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Sachsenspiegel Landrecht I 1, bei E b e l , Sachsenspiegel, S. 29. Zur geistlichen Immunität in der frühen Neuzeit im Überblick K o h l , Immunität, Sp. 799; übergreifend W i l l o w e i t , Immunität, Sp. 1180-1192.
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a) Ein früher Fall von 1550 Ein erster früher Fall stammt von 1550/51. Ein Johann Lincks, Pastor zu Holzweiler, appellierte an das Reichskammergericht gegen ein Urteil des Schöffengerichts Holzweiler sowie des Hauptgerichts Düren3127. In einem Streit um eine Geldforderung wies der Appellant darauf hin, „das Ich eyne geistliche person byn und noet mit weltligen kommer recht angesprengt soll werden, dan vur mynen gebuirlichen richter als coram Judice competenti“3128. Mit Kummer oder Bekümmerung, der älteren Bezeichnung für Arrest3129, spielte der Pastor auf eine Beschlagnahme seiner Güter an. So etwas wollte er nicht hinnehmen, wenn ein weltliches Gericht die Zwangsvollstreckung betrieb. Es entspannen sich jedoch keine weiteren Auseinandersetzungen, weil der Beklagte gar nicht in der Audienz auftrat. Das kurze Zitat zeigt aber sehr klar, wie ein Geistlicher durch den bloßen Hinweis auf das privilegium fori jede Einlassung auf die weltliche Gerichtsbarkeit verweigerte.
b) Klostergüter zwischen Jülich-Berg und Brabant Die jeweiligen Fallgestaltungen konnten sehr verschieden sein, wie ein 1555 begonnener Reichskammergerichtsprozeß vor Augen führt. Abt und Konvent des Klosters Klosterrath prozessierten gegen einen adligen Heinrich von Reuschenberg zu Rurich3130. Es ging um verpachtete Ländereien und damit zusammenhängende Forderungen. Einer Klage des Adligen setzte das Kloster sein privilegium fori entgegen, „dweil diese sach geistliche guther und personen belangen thut und für layen und weltliche richter nit gehörig“3131. Der Prozeß veranschaulicht zugleich, wie die Rechtsprobleme in der Praxis sich auftürmten und zu vertüftelten Situationen führten. Hier behauptete das Kloster nämlich, die fraglichen Güter hätten zum streitentscheidenden Zeitpunkt 1543 gar nicht zu Jülich-Berg gehört, sondern brabantischer Jurisdiktion unterstanden3132. Auch seien „alle prelaten In Brabant gesessen und darunter gehörig actiue Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 5, Nr. 3452 S. 425; Hinweis auf das Hauptgericht Düren bei C ü r t e n , Organisation, S. 210; Dingstuhl Holzweiler bei M i r b a c h , Territorialgeschichte II, S. 28. 3128 LA Düsseldorf RKG L 555/2064, Aktenstück Q 3, fol. 5r. 3129 Einzelheiten bei B u c h d a , Kummer, Sp. 1257-1263; K i s c h , Arrestprozeß, S. 147. 3130 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 7, Nr. 4563 S. 348-349. 3131 LA Düsseldorf RKG R 95/187, unquadr. „Grauamina Articulata“, Art. 19, fol. 44v. 3132 Zu den territorialen Wirren im Herzogenrather Land 1543 A u g u s t u s , Abtei Klosterrath, S. 34-35. 3127
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und passiue“. Der Herzog von Brabant war aber niemand anderes als „die Rö[mische] Key[serliche] Ma[jes]t[ä]t als ein Hertzog von Brabant und Limburg“3133. Das war Karl V. selbst, in dessen Namen das Reichskammergericht nach dem Willen der Appellanten urteilen sollte. Die ursprüngliche Klage des Adligen vor dem Gericht zu Baesweiler erschien von diesem Winkel aus als doppelt unzulässig. Er hatte zum einen die weltliche Rechtsverfolgung verbotenerweise gegen Kirchenmänner angestrengt und die Klage zum zweiten vor einem falschen, örtlich unzuständigen Gericht erhoben. Der letzte Punkt war freilich unklar. Der adlige Appellat betonte, die fragliche Herrlichkeit Wassenberg sei „einem Hertzogen zu Gülich, Cleue, und Berge p eigenthumblich zustendig gewessen“, bis Kaiser Karl V. sie „hostili bello occupirt“ habe3134. Das spielte wohl auf den Vertrag von Venlo an, mit dem Herzog Wilhelm V. der Reiche von Jülich 1543 nach dem erfolgreichen Kriegszug Karls V. auf die Provinz Geldern verzichten mußte3135. Hier gab es durchaus einen handfesten konfessionellen Hintergrund, denn der Vertrag sollte zugleich die Reformation in Jülich-Berg aufhalten. Herzog Wilhelm verpflichtete sich jedenfalls, nicht zum Protestantismus überzutreten3136. Die jüngere Forschung warnt zwar vor Überzeichnungen3137, doch für die konfessionelle Lage im Herzogtum handelte es sich gewiß um einen Einschnitt. Von all dem erfährt man in der Gerichtsakte wie so häufig nichts, obwohl sich der Fall nur wenige Jahre später zutrug. Lapidar meinte der Adlige, wenn für den Prozeß um die verpachteten Ländereien schon die geistliche Gerichtsbarkeit zuständig sein sollte, müsse das Kloster „coram competente Judice Ecclesiastico in ipsius territorio non autem coram incompetente Judice extra territorium“ den Rechtsstreit führen3138. Hier wehrte sich also ein Kloster gegen die jülichische Gerichtsgewalt, war aber zugleich bereit, sich der iurisdictio des Herzogtums Brabant zu unterwerfen. Deswegen stand der Einwand des Klerikerprivilegs auf tönernen Füßen. Vielleicht wollte das Kloster in ein sichereres katholisches Umfeld eingebunden bleiben und nicht in die konfessionell uneindeutigen Strukturen Jülich-Bergs geraten. Das ist unklar, aber möglich. Einigkeit herrschte zwischen den ParLA Düsseldorf RKG R 95/187, unquadr. „Grauamina Articulata“, Art. 9-12, fol. 43v. LA Düsseldorf RKG R 95/187, unquadr. „Exceptiones“, fol. 53r; zu Wassenbergs Anbindung an Limburg A u g u s t u s , Abtei Klosterrath, S. 26. 3135 Vertragstext bei L a c o m b l e t , Urkundenbuch IV, Nr. 547 S. 679-683; zum Hintergrund H e i d r i c h , Erbfolgekrieg; P e t r i , Landschaftliche und überlandschaftliche Kräfte, S. 92113; nach M i r b a c h , Territorialgeschichte II, S. 23, verzichtete Kaiser Karl V. 1544 auf sein Eigentumsrecht am Amt Wassenberg. 3136 K l u e t i n g , Protektoren, S. 237-238; M e y e r , Rheinland, S. 162; wenig präzise H a s h a g e n , Politische und Kirchengeschichte, S. 110. 3137 E h r e n p r e i s , Die Vereinigten Herzogtümer, S. 246. 3138 LA Düsseldorf RKG R 95/187, unquadr. „Exceptiones“, fol. 55r. 3133 3134
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teien immerhin über den Grundsatz, „quod consuetudo det Jurisdictionem, welchs man gestandig und nit in Abred ist“3139. Verhandlungen in Speyer dazu sind nicht nachvollziehbar, weil das Protokollbuch keine Eintragungen enthält. Es erstaunt freilich die Offenheit, in der Heinrich von Reuschenburg dem Kaiser am kaiserlichen Kammergericht die feindseligen Kriegshandlungen vorwarf.
c) Zum weltlichen Gerichtsstand einer Klosterjungfrau Die beiden nächsten Prozesse, in denen es um das geistliche privilegium fori ging, sind bereits in anderem Zusammenhang aufgetaucht3140. Bei der Appellation Catharina von Schürens in einer Erbauseinandersetzung der verzweigten Quadt-Familie ging es ab 1588 um die Frage, ob die Appellantin Klosterjungfrau geworden war und damit überhaupt einen weltlichen Gerichtsstand besaß3141. Auch wenn die Appellantin ihre Ehefähigkeit als Voraussetzung der Erbberechtigung verteidigte, wollte sie diesen Punkt von einem geistlichen Gericht geklärt wissen. Deswegen hob sie den geistlichen Charakter der Streitigkeit hervor. Catharina meinte sogar, „quod merè spiritualium causarum Jurisdictio sine superioris consensu in Laicum Judicem non sit prorogabilis, ob publicum scilicet utilitatem, ne Jurisdictionum fiat confusio“3142. Das war ein typisches im Zusammenhang mit dem Klerikerprivileg gebräuchliches Argument. Der einzelne Geistliche sollte Gerichtsstandsvereinbarungen gar nicht wirksam schließen können, sondern immer auf die Zustimmung seines Oberen angewiesen sein. Größere Streitigkeiten entbrannten um diesen Punkt nicht, und die Appellantin nahm ihr Rechtsmittel nach nicht einmal zwei Jahren zurück3143.
d) Die Unterstellung des Kölner Domkapitels unter die weltliche Gerichtsbarkeit Auch das folgende Appellationsverfahren tauchte bereits oben bei den Abgrenzungsproblemen zwischen jülich-bergischer und kölnischer Justiz auf. Es handelt sich um den Prozeß des Kölner Altbürgermeisters Caspar KanLA Düsseldorf RKG R 95/187, unquadr. „Conclusiones“, fol. 81v. Zum ersten Verfahren oben bei Anm. 2931-2958. 3141 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 7, Nr. 4479 S. 250-251. 3142 LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Aktenstück Q 3, fol. 8r. 3143 LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Protokollbuch vom 9. März 1590, fol. 3r. 3139 3140
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nengießer gegen das Kölner Domkapitel3144. In der Sache war Kannengießer durch eine Entscheidung der Düsseldorfer Räte beschwert3145, doch viel wichtiger ist an dieser Stelle das Verhalten des Domkapitels. Es appellierte nämlich doppelspurig und gleichzeitig vom Hauptgericht Jülich aus an das Reichskammergericht sowie an das jülich-bergische Hofgericht und berief sich lautstark auf den Grundsatz, nach dem „Gaistliche Standts Personen vor weltlichem gericht nicht sollen besprochen werden“3146. Die Quellen zeigen das genaue Gegenteil und überraschen aus diesem Grunde. Die Angehörigen des Kölner Doms führten eine Vielzahl von Reichskammergerichtsprozessen gegen Parteien aus Jülich-Berg und gegen jülichische Räte. Anlaß für die Appellationen war im Kern immer die Verletzung des geistlichen privilegium fori3147. Dabei zeigt die hohe Zahl der Prozesse schon auf den ersten Blick, wie häufig gerade dieses Gerichtsstandsprivileg unbeachtet blieb. Oftmals fand es keine Anerkennung, seine Geltung war höchst zweifelhaft. Das Hofgericht in Düsseldorf konnte ohne mit der Wimper zu zucken kurzerhand entscheiden, die „angemasten geistlichen freiheitt und priuilegien“ seien „Alß in diesem fall unerheblich abgeschlagen“3148. Aber dann handelte es sich ersichtlich um ein wenig durchschlagendes Argument, genau dieses Privileg dennoch wieder und wieder ins Feld zu führen. Für die Angehörigen des Domkapitels war die Situation brenzlig, die völlige Mißachtung der behaupteten Vorrechte zum Greifen nahe. Hier fehlen wie so häufig Quantifizierungen. Die reichskammergerichtliche Überlieferung weist selbstredend nur diejenigen Fälle auf, in denen das Kölner Domkapitel mit seiner Einrede vor dem Hofgericht gescheitert war. Fand das Klerikerprivileg dagegen Beachtung, bedurfte es keiner Appellation. Ob also der zitierte Hinweis des Düsseldorfer Gerichts sich wirklich nur auf einen Einzelfall bezog oder ob das Domkapitel dort regelmäßig in weltliche Streitigkeiten eingebunden war, ist nicht bekannt. Jedenfalls konnte die hohe Zahl der Reichskammergerichtsverfahren leicht selbst zum Problem werden. Jede neue Appellation war ein Beweis gegen die unstreitige Anerkennung des geistlichen privilegium fori. Je öfter sich die Domangehörigen in Speyer beklagten, desto stärker untergruben sie ihr eigenes Privileg. Für die Geistlichen war das ein Teufelskreis. Die Praxis wich von den Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 5, Nr. 3032 S. 108-109; dazu auch oben bei Anm. 3060-3079. 3145 LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 3, fol. 10r. 3146 LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 11, Art. 3, fol. 33v. 3147 Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 2, Nr. 1012-1020 S. 198-208. 3148 LA Düsseldorf RKG K 79/271, Aktenstück Q 3, fol. 10 r: Urteil vom 12. Dezember 1595. 3144
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Rechtsbehauptungen der geistlichen Parteien erheblich ab. In einer Zeit, für die Observanzen rechtsverändernde Kraft besaßen, konnte eine aufgehäufte Zahl von Ausnahmen und Verstößen leicht zur desuetudo, zum gewohnheitsmäßigen Verlust des Privilegs führen3149. Darauf ist unten zurückzukommen.
e) Heranziehung des Stifts St. Mariengraden zu Kriegskosten Auch Dechant und Kapitel zu St. Mariengraden in Köln3150 erlitten mit dem Hinweis auf das Klerikerprivileg Schiffbruch, dies sogar in sehr wörtlichem Sinne, denn es ging um eine Zahlungsforderung auf der Grundlage des römischen Seewurfs, der berühmten Lex Rhodia de iactu3151. Das Stift hatte Besitzungen in den Dörfern Groß und Klein Vernich3152. Im Kölner Krieg 1588 hatte ein Oberst Bellemont mit der Einäscherung der Ortschaft gedroht3153. Daraufhin hatte ein Johann Lange mit einigen Nachbarn den Überfall durch eine Geldzahlung abgewendet. Man könnte auch von Erpressung reden, aber das Wort taucht in der Akte nicht auf. Vor dem jülichbergischen Hofgericht verklagten die Dorfbewohner dann das Stift St. Mariengraden auf anteilige Übernahme der für die Rettungstat aufgebrachten Gelder. Doch Dechant und Konvent weigerten sich zu zahlen. Als das nichts half und sie ein Urteil des Hofgerichts kassiert hatten, appellierten sie 1605 nach Speyer. Zwei Gründe sollten das Rechtsmittel abstützen. Zum einen meinten Dechant und Kapitel, Geistliche unterfielen einem eigenen Abgabenrecht. Mit diesem ganz unscheinbaren Argument behauptete das Kapitel originellerweise zugleich, die Geistlichkeit habe aus der Verschonung der beiden Weiler keinen Nutzen gezogen. Angeblich war es „wolkhundigen Rechtens, quod huiusmodi L[egis] Rhodiae de iactu kheinen andern bestricke, alß welch vortheill und genoß per conservationem rerum erlangtt“3154. Da das Gotteshaus angeblich nichts gewonnen hatte, sollte zugleich der Aufopferungsanspruch entfallen. Vielleicht hätten sich die Klosterleute bei einer Zur Lehre von der Gewohnheit im 16. Jahrhundert u. a. S c h r ö d e r , Recht als Wissenschaft, 14-15; d e r s . , Vorgeschichte, S. 34-42. 3150 Zur Rechtsgeschichte des Stifts H ar d e g e n , Kanonikerstift, S. 56-192. 3151 Repertoriumsmitteilung (ohne Hinweis auf die Rechtsquellen) bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 2, Nr. 1113 S. 291; zur Lex Rhodia de iactu (D. 14, 2) Z i m m e r m a n n , Law of Obligations, S. 406-412; C o i n g , Privatrecht I, S. 554-555; knappe Hinweise auch bei J an s e n , Struktur des Haftungsrechts, S. 15, 218. 3152 Orte erwähnt bei M i r b a c h , Territorialgeschichte II, S. 2. 3153 Zum Kriegszug Bellemonts M o n e , Einfall, S. 286-296. 3154 LA Düsseldorf RKG C 670/1497, Aktenstück Q 9, Art. 3, 13, fol. 14v-15r. 3149
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Brandschatzung einfach auf andere Weise schadlos halten können und rechtlich gesehen keinen Schaden erlitten. Das zweite Argument für die Appellation war die Verletzung des privilegium fori. Der Schriftsatzverfasser beschwor die alten Worte, wonach „wir als Gaistliche personen vermugh der gemeinen so wohl Gaist: als weltlichenn Rechten, vor keinem anderm als unserm gebürlichem Gaistlichen Richtern besprochen werdenn mugen“3155. Hier tauchte ein erstaunliches Zulässigkeitsproblem auf. Der Appellat ließ nämlich vortragen, der auf das Stift St. Mariengraden entfallende Teil seiner Aufwendungen betrage lediglich 40 Gulden. Der Streitwert liege damit erheblich unter der im Appellationsprivileg festgesetzten Mindestbeschwer3156. Das war ein formal einwandfreier Einwand, freilich mit weitreichenden Folgewirkungen. Die Exzeption hätte nämlich den Geistlichen gerade in kleineren Streitigkeiten jeglichen Rechtsschutz versperrt, wenn weltliche Gerichte sehenden Auges das Klerikerprivileg verletzten. Die Kölner Appellanten von St. Mariengraden hatten aber einen umsichtigen Schriftsatzverfasser, der die Appellation sofort mit einer inzidenten Nichtigkeitsklage verband3157. Damit konnten sie diese Klippe möglicherweise umfahren, wenn auch das Verhältnis beider Rechtsmittel lebhaft umstritten war3158. In der Tat wäre es seltsam gewesen, wenn Beschwerden über die Verletzung des Klerikerprivilegs von der Einhaltung der Appellationssumme abhängig gewesen wären. Beides gehörte zu verschiedenen Rechtsbereichen und hatte nichts miteinander zu tun. Aber genau dies war zwischen den Parteien streitig. Eine kammergerichtliche Entscheidung erging wie so oft nicht.
f) Die Gerichtsstandsprivilegien des Malteserordens In gleich zwei kammergerichtlichen Verfahren ging es ab 1627 sowie ab 1686 um Gerichtsstandsprivilegien für Angehörige des Malteserordens. Im ersten Fall hatte der Komtur Konrad Scheiffardt von Merode die päpstliche Kurie angerufen3159. Im zweiten Rechtsstreit war es der Ordensritter MaxiLA Düsseldorf RKG C 670/1497, Aktenstück Q 2, fol. 5. LA Düsseldorf RKG C 670/1497, Aktenstück Q 5, fol. 7v. 3157 Dorsalvermerk in LA Düsseldorf RKG C 670/1497, Aktenstück Q 9; zur Verknüpfung von Appellation und Nullitätsbeschwer in der inzidenten Nichtigkeitsklage D i c k , Entwicklung, S. 209-210; O e s t m a n n , Hexenprozesse, S. 70-73. 3158 Nachweise zur zeitgenössischen Diskussion bei W e i t z e l , Kampf um die Appellation, S. 46-51. 3159 Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 2153 S. 548-549. 3155 3156
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milian Heinrich Freiherr von Bourscheidt zu Laach, der sich der weltlichen Justiz nicht unterwerfen wollte3160. Im älteren Prozeß hatte der Komtur vor der päpstlichen Kurie geklagt, weil die Stadt Düren Ordensgüter in Herrenstrunden und anderswo mit Abgaben belegt hatte. Gegen den Rota-Prozeß supplizierte Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm an das Reichskammergericht und erwirkte dort ein Kassationsmandat3161. Der Ordenskomtur Scheiffardt berief sich demgegenüber auf päpstliche Privilegien aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Sie sollten den Orden „von aller weltlich Obrigkeit iurisdictio Zwang undt Pottmeßigkeit“ befreien3162. Untergerichtlich hatte in diesem Fall wohl noch kein weltlicher Rechtsstreit begonnen. Es ging damit nicht um ein privilegium fori im engeren Sinne, sondern um die Exemtion bzw. Immunität des Ordens gegenüber aller weltlichen Gewalt schlechthin. Der Pfalzgraf akzeptierte das nicht und verwies auf die drohende Zerrüttung der Policeyordnung, die Einbindung fremder Nationen in inländische weltliche Zivilsachen und stützte sich zudem auf die deutschen Reichskonkordate mit dem Heiligen Stuhl3163. An dieser Stelle ist ein kurzer Fingerzeig auf die Grafschaft Lippe angebracht. Dort berief sich der reformierte Landesherr im Streit um die Jurisdiktionsgewalt ebenfalls auf die Konkordate aus dem 15. Jahrhundert und sah sich wie selbstverständlich als Rechtsnachfolger des Papstes. Die damals vereinbarten Garantien zugunsten der Kirche nahm er jedenfalls für sich persönlich in Anspruch3164. In Jülich-Berg war es umgekehrt. Hier bezog sich der katholische Herzog auf die Rechte des Reiches, also auf die verbrieften weltlichen Befugnisse. Die Einheit geistlicher und weltlicher Macht in der Person des evangelischen Landesherrn führte damit zu einem erstaunlichen Ergebnis. In Fragen der iurisdictio waren protestantische Territorien enger mit katholisch-geistlichen Ländern verbunden als mit katholischweltlichen. Ob dieser Eindruck verallgemeinerbar ist, muß späteren Klärungen überlassen bleiben. Die Herleitung landesherrlicher Rechte aus dem Reichskonkordat deutet zumindest in diese Richtung. Der Ordenskomtur Scheiffardt übrigens trat vor dem Reichskammergericht mehrfach in Erscheinung. Einige Jahre später verklagte er seinerseits ab 1640 als Appellant den jülich-bergischen Landesherrn, Pfalzgraf WolfRepertoriumsmitteilung bei A l t m an n / H o f f m an n , Reichskammergericht 1, Nr. 696 S. 702. 3161 Ausfertigung in LA Düsseldorf RKG G 881/2886, Aktenstück Q 1. 3162 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, Aktenstück Q 4, Art. 6, fol. 14r; zu den Privilegien auch W a l d s t e i n - W a r t e n b e r g , Rechtsgeschichte, S. 196. 3163 LA Düsseldorf RKG G 881/2886, unquadr. „Replicae“, fol. 33r-33v. 3164 LA Detmold L 82 Nr. 314, Aktenstück Q 22, fol. 93r-93v; dazu oben bei Anm. 23412348. 3160
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gang Wilhelm3165. Aber 1655 entschied das Speyerer Gericht gegen den Orden. Die herzoglichen Amtsleute hatten die fraglichen Abgaben zu Recht erhoben3166. Weder mit der Exemtionseinrede noch mit dem Klerikerprivileg war der Komtur also erfolgreich. Der zeitlich jüngere Appellationsprozeß des Freiherrn von Bourscheidt aus den 1680er Jahren betraf den bereits erwähnten Konflikt zwischen Onkel und Neffen um einen Mordversuch und Beleidigungen3167. Der Freiherr, Mitglied „deß löblichen Ritterlichen Maltheser oder Joanniter ordenß“3168, drang mit seinem Hinweis auf das privilegium fori ebenfalls nicht durch. Er verwies zwar auf das in diesem Punkt angeblich zwingende kanonische Recht. Das Kirchenrecht gebe ihm keinerlei Möglichkeiten, sich auf ein weltliches Gerichtsverfahren einzulassen3169. Aber der Prozeßgegner trug in Speyer vor, sein Neffe sei erst nach Eröffnung des untergerichtlichen Verfahrens als Ritter angenommen worden und habe außerdem seine forideklinatorische Einrede zu spät und damit verfristet geltend gemacht3170. Ein kammergerichtliches Urteil erging nicht. Eine spätere Fortsetzung des Verfahrens deutet jedoch für 1691 einen weiteren Rechtsstreit der Beteiligten vor dem Provinzialkapitel des Malteserordens in Deutz an3171. Möglicherweise hatten sich die Parteien also auf den Gang zum Ordensgericht verständigt.
g) Das Klerikerprivileg im Lichte des Provisionalvergleichs von 1621 Es sind noch drei weitere Reichskammergerichtsprozesse zu Fragen des geistlichen privilegium fori aus Jülich-Berg bekannt, alle aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, von denen aber nur der dritte größere Aufmerksamkeit beansprucht. In diesem dritten Verfahren aus Sittard stritten die ParteiRepertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 5, Nr. 2951 S. 48-49. 3166 LA Düsseldorf RKG I/J 149/632, Protokollbuch, Expeditum vom 13. Dezember 1655, fol. 11v: „daß die Aplatn [Appellaten] bei der herbrachter possession deß Aplanten [Appellanten] pfächtern deß hoffes zu Rantzel wegen ihres gewinn und gewerks zu Collectirn, zu manutenirn und handthaben, der Aplant [Appellant] aber, wan er durch sich oder die seinen angeregten hoff, selbst akkern oder bauern laßen würde, von den gewin und gewerbs steuern zu eximiren und befreyn sein“ solle; Abschrift der Urteilsausfertigung auch in Q 36, fol. 157v-159v. 3167 Dazu oben bei Anm. 3080-3088. 3168 LA Düsseldorf RKG B 1900/5721, Aktenstück Q 5, fol. 17r Stempel, 9r Bleistift. 3169 Hinweis im Schriftsatz auf X. 2, 2, 12 („Clericus non potest constituere sibi iudicem laicum, etiamsi proprium iuramentum et adversarii consensus accedat“ mit Dekretale von Innozenz III.). 3170 LA Düsseldorf RKG B 1900/5721, Aktenstück Q 14, fol. 32v Stempel, 24v Bleistift. 3171 Repertoriumsmitteilung bei A l t m a n n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 1, Nr. 697 S. 703. 3165
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en umfassend um das Verhältnis des Klerikerprivilegs zu den Vorschriften des Provisionalvergleichs. Für die beiden anderen Fälle genügen kurze Hinweise. So appellierte 1677 das Kölner Domkapitel nach Speyer und beschwerte sich über jülich-bergische Steuererhebungen in Freialdenhoven3172. Das verstoße „wider die gaistliche Freyheitt und immunitäten, zumahlen auch wider die Landtabschieden“ sowie gegen eine Deklaration Herzog Wolfgang Wilhelms von 16383173. Betroffen war damit nicht nur das Gerichtsstandsprivileg, sondern umfassender die Immunität, also die Freistellung von weltlichen Abgaben3174. Die Akte ist nur als Bruchstück überliefert, zeigt aber erneut, wie das Kölner Domkapitel versuchte, sich weltlicher Herrschaft zu entziehen. Zwei Jahre später begann 1679 ein Appellationsprozeß mit stark landständischem Einschlag. Der Christianitätenlanddechant des Herzogtums Jülich führte im Namen sämtlicher Pastoren Klage gegen die Landstände, bestehend aus Räten, Ritterschaft und Städten3175. Es ging um neu eingeführte Kopfsteuern. Landtagsfähige Rittergüter waren von den Abgaben zwar befreit, Geistliche aber nur für ihre eigene Person und nicht mit „der gaistlichen Haußgenoßen Knecht, magd undt Viehe“3176. Das war ein ähnlicher Zankapfel, der sich auch bei Hamburger Streitigkeiten beobachten läßt. Inwieweit die Familienmitglieder und das Gesinde von Geistlichen ebenfalls Klerikerprivilegien genießen konnten, war in normativen Quellen nicht klar bestimmt und bot reichlich Anlaß für Zwist3177. Im Zank um Steuerbefreiungen trifft sich dieser Prozeß mit der Klage des Kölner Domkapitels. Um ein Gerichtsstandsprivileg im eigentlichen Sinne ging es auch hier nicht. Bemerkenswert ist der Hinweis, der Landdechant und die Pastoren hätten „zuflucht zu Ihro Churfürstl[ichen] D[urc]hl[auch]tt zu Cölln alß dero Ertzbischoffen unndt geistlichen oberhaupt genohmen“. In der Tat verfaßte der Kurfürst ein Interzessionsschreiben, mit dem die Geistlichen in Repertoriumsmitteilung A n t w e i l e r / Ka s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 2, Nr. 1025 S. 210-211; Freialdenhoven erwähnt bei M i r b ac h , Territorialgeschichte I, S. 5. 3173 LA Düsseldorf RKG Nachtrag 30, fol. 1v; bei H ä r t e r , Jülich-Berg, S. 1221, nicht nachgewiesen, wohl weil es sich um ein Privileg handelt. 3174 LA Düsseldorf RKG Nachtrag 30, fol. 1v: „uralte meiner gnädiger Herren principalen possesionem vel quasi possessionem libertatis“. 3175 Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 2167 S. 559-560. 3176 LA Düsseldorf RKG G 895/2901, Aktenstück Q 6, fol. 14v. 3177 Bremer Vergleich 1561, S. 2; StA Hamburg Best. 211-2 Nr. M 75, Aktenstück Q 24, dazu oben bei Anm. 2461-2463; zur Besteuerung von Geistlichen in Jülich-Berg v o n B e l o w , Landständische Verfassung, Teil 3, Heft 1, Kap. 3, S. 156-173, mit Schwerpunkt auf der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. 3172
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Jülich aber nichts ausrichten konnten3178. Jedenfalls unterstreicht die klare Anerkennung des Erzbischofs als geistliche Obrigkeit, wie beschwerlich es für die weltlichen Landesherren in Jülich-Berg war, eine eigene katholische landeskirchliche Struktur mit Kirchenregiment3179 aufzubauen. Gerade bei Konflikten mit den weltlichen Landständen stand der Klerus geschlossen hinter seinem Erzbischof und nicht auf Seiten der weltlichen Herrschaft. Am Schluß dieses Kapitels steht ein 1662 begonnener Reichskammergerichtsprozeß zwischen Dechant und Kapitularen der Kollegiatkirche St. Petri in Sittard sowie einer Anna Eussem, Schwester eines verstorbenen Kanonikers3180. Aussagekraft besitzt die Akte deswegen, weil die Parteien hier ausführlich um die Auslegung des Provisionalvergleichs von 1621 stritten. Es ging um die Frage, inwieweit die unterschiedlichen Parteirollen als Kläger und Beklagter Wirkungen auf das Klerikerprivileg entfalteten, insbesondere in Fällen der Widerklage. In einem oben behandelten Verfahren aus Hamburg tauchte dieser Punkt ebenfalls auf3181. In dem Fall aus Sittard ging es aber weniger um die gemeinrechtlichen Grundsätze, sondern vor allem um das Partikularrecht. Die Feinheiten der Prozeßgeschichte waren zwischen den Parteien streitig und lassen sich kaum rekonstruieren. Eine erste Appellation der Kapitularen war bereits extrajudizial am Reichskammergericht gescheitert, und eine zweite war als bloßer Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in den Kameralprozeß eingebettet. Klar war jedenfalls zunächst das äußere Geschehen. Nach dem Tod des Kanonikers Eussem war seine Schwester mit ihren zwei Töchtern im brüderlichen Hause wohnen geblieben. Sie hatte ihm zuvor „die haußhaltung gethan“, und er hatte sie im Gegenzug „verpflegt und beköstigt“3182. Allerdings gab es Getuschel über den Lebenswandel der verwitweten Schwester. Angeblich führte sie ein „ärgerlich und schandaloß leben“, und eine Tochter hatte sogar „offenbahren streit“ wegen einer nichtehelichen Schwängerung. Mit der anderen Tochter stand es den Gerüchten nach zu urteilen noch „viel erger“. In dieser Lage wurde aus dem bloßen Ärgernis ein handfester Rechtsfall. Dekan und Kapitulare der Kollegiatkirche St. Petri in Sittard vertrieben nämlich die Frauen aus der geistlichen Immunität. Wegen angeblich unbeglichener Schulden leiteten die Kapitulare zugleich Vollstrekkungsmaßnahmen ein, verhängten den Arrest über die Güter Anna LA Düsseldorf RKG G 895/2901, Aktenstück Q 6, fol. 14v. Begriff für Jülich-Berg bei H a s h a g e n , Politische und Kirchengeschichte, S. 149. 3180 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 8, Nr. 5333 S. 539-540. 3181 StA Hamburg Best. 211-2 Nr. L 18, unquadr. Aktenstück „An die Römisch Kayßerl[iche] (...) May[estät]“; außerdem Aktenstück Q 4, Gravamen 4; dazu oben bei Anm. 2548-2571. 3182 LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 31, fol. 63v. 3178 3179
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Eussems, beschlagnahmten „die wenige in der immunität erfindtliche mobilia“ und deponierten sie bei den Dominikanern. Dabei nahmen Dechant und Kapitel in Anspruch, kraft „in ihren statutis fundirter iurisdiction, alß Competentes iudices“ gehandelt zu haben3183. Gegen diese Maßnahmen rief die Witwe den Vogt zu Sittard um Hilfe an. Zugleich verklagte sie die Kollegiatkirche vor der Düsseldorfer Kanzlei und damit, wie die späteren Reichskammergerichtskläger betonten, „nichtiglich coram Judice Laico“. Danach geriet die Sache „vors hoffgericht aldha (...) quod Judicium planè incompetens“3184. Ob die Sache vor das weltliche oder das geistliche Gericht gehörte, stand also in Frage. Die Angehörigen der Kollegiatkirche St. Petri waren nicht bereit, sich der weltlichen Gerichtsbarkeit im Herzogtum unterzuordnen. Deswegen appellierten Dechant und Kapitulare gegen das ihnen nachteilige Urteil des Hofgerichts an das Reichskammergericht, freilich offenbar vergebens. Der „begehrte processus appellatorius“ soll nämlich „negsthernacher denegirt worden“ sein3185. Das war nicht technisch als Vorwurf der Rechtsverweigerung zu verstehen, sondern sollte lediglich die Weigerung des Kammergerichts andeuten, das Verfahren überhaupt einzuleiten. Bereits extrajudizial war die erste Appellation gescheitert. Nicht einmal ein Ladungsschreiben zur Eröffnung des Judizialverfahrens war ergangen. In einem zweiten Anlauf wandte sich die Kollegiatkirche erneut nach Speyer. Die Gründe für die angestrebte restitutio in integrum können hier außen vor bleiben. Entscheidend sind die Äußerungen zu den gerichtlichen Zuständigkeiten. Die kammergerichtlichen Kläger hatten in ihrer Supplikationsschrift eine entscheidende Kleinigkeit verschwiegen. Genau dies ist zum Verständnis der Sache aber wichtig. Ganz offensichtlich hatten sie nämlich selbst nicht nur aufgrund ihrer vermeintlichen statutarischen Gerichtsgewalt ein Verfahren gegen Anna Eussem eingeleitet. Vielmehr hatten sie die Frau zugleich wegen einiger bei den „bruedern“ noch unbezahlter Schulden vor dem Hofgericht zu Düsseldorf belangt. An der Zahlungsklage als solcher hatte Anna Eussem nicht einmal etwas auszusetzen. Ihr Schriftsatzverfasser beschwerte sich allerdings über vorausgegangene Maßnahmen der Kollegiatkirche. Die Brüder waren danach wegen „einiger angemaster Jurisdiction (:welche Sie doch fallß wie nicht einige hette in eigenen sachen nicht exerciren, sic in propria causa Judices sein können:) propriâ authoritate“ gegen die Witwe vorgegangen3186. Je nachdem, wie man das schwer einzuordnende Vorverfahren verstand, hatte man es entweder mit einem regulären geistlichen Gerichtsverfahren LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 2, fol. 9r. LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 2, fol. 9v. 3185 LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 2, fol. 9r. 3186 LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 24, fol. 46r-46v. 3183 3184
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oder aber mit einer schlichten Gewalttat zu tun. Die Kapitularen sahen sich in der Rolle „geistlicher obrigkeit“, die „in loca et personas etiam laicos in districtu Capitulari siue Claustruali habitantes omnem iurisdictionem habeant“. Es gebe „rechtmäßig ertheilte Urthel“, und wenn Anna Eussem kein Rechtsmittel vor dem geistlichen Gericht eingelegt habe, sei die Anrufung der jülichbergischen weltlichen Justiz ausgeschlossen. Die Verdoppelung der Gerichtsbarkeiten könne nur „in omnimodam confusionem Jurisdictionum ecclesiasticae et saecularis“ herbeiführen, und genau das war verboten3187. Anna Eussem ihrerseits stritt jede Gerichtsgewalt der Kollegiatkirche ab. Geradezu genüßlich malte ihr Schriftsatzverfasser die Einzelheiten des angeblichen geistlichen Verfahrens aus. Der Güterarrest soll „tumultariè bey nächtlicher weil“ und dazu noch „militari manu“ geschehen sein3188. Deswegen sprach der Anwalt der Witwe konsequent nur vom Spolium. Das war die gemeinrechtliche Bezeichnung für rechtswidrige Besitzentziehungen3189 und zugleich der Grund für ihre Klage bei der Düsseldorfer Kanzlei und am Hofgericht. Dechant und Kapitulare erkannten diesen Gerichtsstand nicht an. Sie bezogen sich dafür auf den Provisionalvergleich mit Kurköln von 1621, obwohl es sich klar um eine inländische Angelegenheit ohne jeden Bezug zu Kölner Herrschaftsrechten handelte. Aber das war genau das Problem der katholischen geistlichen Gerichte. Jedenfalls an der Spitze blieben sie immer an ihren Erzbischof angebunden, und so kamen letztlich doch kölnische Belange mit ins Spiel. Die Sittarder Appellanten meinten, wenn „ein weldtlicher Ein Gäistlichen will persohnlich gerichtlich ansprechen, daß solcheß von Ihme, vor dem geistlichen Richter, wie von alters gewhonlich beschehen“ müsse3190. An das Reichskammergericht überschickte der Anwalt der Kollegiatkirche eine Druckfassung des Provisionalvergleichs. Da stand für jedermann schwarz auf weiß zu lesen: „Dergleichen wa ein Weltlicher einen Geistlichen woll Persönlich Gerichtlich ansprechen/ daß solichs van Ime für dem Geistlichen Richter/ wie van alders gewohnlich/ beschehen. Aber da Geistliche gegen Weltliche Personen Forderungen fürwenden wolten/ daß die für dem Weltlichen gebürlichem Richter fürgenommen werden.“3191 Das war zunächst einmal eine Klarstellung. Dechant und Kapitulare LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 31, fol. 64r-64v. LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 24, fol. 47r-47v. 3189 O b e r l ä n d e r , Lexicon, S. 657: „Spolium, der Raub, wird alles dasjenige genennet, daraus jemand entsetzet, oder das ihm abgenommen worden ist“; C o i n g , Privatrecht I, S. 345-346; W e s e n b e r g / W e s e n e r , Privatrechtsgeschichte, S. 18-19, 42; zum älteren Spolienrecht B e c k e r , Spolienrecht, Sp. 1779-1780; zum letzteren auch F l o ß m a n n , Privatrechtsgeschichte, S. 341. 3190 LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 2, fol. 9v. 3191 Provisionalvergleich 1621 Art. 17, in: LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 18, fol. 30v. 3187 3188
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hatten tatsächlich in Düsseldorf gegen Anna Eussem klagen können. Ob das umgekehrt ebenfalls galt, blieb dagegen streitig. Die kammergerichtlichen Kläger konnten sich mit dem schlichten Wortlaut des Provisionalvergleichs begnügen. Danach hatten Kleriker das Recht, an ihrem geistlichen Gerichtsstand belangt zu werden. Das war das klassische geistliche privilegium fori, landesrechtlich bekräftigt durch den Kölner Erzbischof als Vertragspartner des Provisionalvergleichs und kirchliches Oberhaupt der jülich-bergischen Geistlichkeit. Vielleicht griff aber genau hier eine Ausnahme ein. Der Schriftsatzverfasser der Beklagten meinte ohne große Umschweife, es sei „menniglichen bewust, quod Clericus in causa Ciuili coram Judice saeculari maxime ex eadem causa resultante reconueniri possit, cum non debeat quis dedignare Judicem cuius in agendo arbitrium secutus“3192. Der Geistliche konnte nach dieser Auffassung im Rahmen einer Widerklage durchaus vor dem weltlichen Gericht in einen Rechtsstreit geraten. Und weil er selbst zuvor den weltlichen Richter ausgewählt hatte, durfte er dessen Spruch dann auch nicht mehr ausweichen. Mit dem angeblich zwingenden Gerichtsstandsprivileg sollte es dabei kein Problem geben. Das übliche Argument, das privilegium fori sei nicht dispositiv, und selbst durch Prorogation dürfe ein Kleriker niemals darauf verzichten, ließ die Duplikschrift Anna Eussems nicht gelten. Mit einem erstaunlich gesetzesformalistischen Hinweis meinte der Anwalt, „hoc casu prorogat non Clericus set ipsa lex“.3193 Von einer Gerichtsstandsvereinbarung konnte und brauchte also keine Rede zu sein. Die gerichtlichen Zuständigkeiten standen vielmehr von Gesetzes wegen fest. Wie immer ist es nicht die Aufgabe der Rechtsgeschichte zu entscheiden, wer Recht hatte. Welche Auslegung des Provisionalvergleichs 1621 ursprünglich geplant war oder welche der Praxis des späteren 17. Jahrhunderts entsprach, steht ohnehin nicht fest. Es gab aber ein Urteil des Reichskammergerichts, das zumindest diesen Fall entschied. Nach vergleichsweise knapper Verfahrensdauer von nicht einmal zwei Jahren entschieden die Speyerer Assessoren 1664, „daß gedachte beklagtin von angestelter Klag zu absolviren, und endtledigen seye (...) (:iedoch Erm[elten] Klageren gestalten sachen nach ihre rechtliche notturfft, so sie wieder den von besagter beklagtin in litem außgeschwornen Aydt zu haben vermeinen mögen, bey voriger instantz Richteren, ahn, und vorzubringen hiemitt ohnbenohmen; sondern vorbehalten:)“3194. Leider hat man nur den Urteilstenor, weil die zugehörigen Relationen aus der Speyerer Zeit nicht erhalten sind. Es ist also nicht mit letzter Sicherheit zu klären, warum das Reichskammergericht die Klage des Sittarder Stifts LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 36, fol. 82r. LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Aktenstück Q 36, fol. 82v. 3194 LA Düsseldorf RKG S 1897/6840, Protokollbuch, Expeditum vom 7. Juli 1664, fol. 5v; B l u m , Chilias sententiarum, S. 396-397, weist die Entscheidung nicht nach. 3192 3193
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abwies. Mit dem Hinweis, Dechant und Kapitel könnten ihre Einwendungen beim vorigen Richter weiterhin vortragen, erfolgte im Ergebnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Eine solche Entscheidung konnte offenbar auch dann ergehen, wenn die kammergerichtliche Klage ansonsten erfolglos blieb. Vielleicht kamen zusätzliche Erwägungen im Zusammenhang mit dem erwähnten Eid hinzu. Damit war im Ergebnis freilich die untergerichtliche weltliche Zuständigkeit anerkannt, denn sonst hätte man die Kollegiatkirche gegen ihren erbitterten Widerspruch wohl kaum erneut zum Düsseldorfer Hofgericht verweisen können. Unausgesprochen hatte das Reichskammergericht damit zugleich das Klerikerprivileg nicht gelten lassen und den Provisionalvergleich von 1621 genau so verstanden, wie die beklagte Anna Eussem es auch getan hatte. In Fällen der Widerklage verloren die Geistlichen zumindest in der Fortspinnung der Entscheidung ihren geistlichen Gerichtsstand. Das paßt ins Bild.
h) Zwischenergebnis Berief sich ein Geistlicher aus Jülich-Berg vor dem Reichskammergericht auf sein privilegium fori, scheiterte er. In keinem Fall drang er damit durch. Diesen eindeutigen Befund gilt es zunächst festzuhalten. Die Reichweite und scheinbare Klarheit des Ergebnisses bedürfen aber behutsamer Interpretation. Ganz so einfach wie die schlichte Feststellung wirkt, war die Rechtslage nämlich vielleicht doch nicht. Im Hinblick auf die Quellenüberlieferung sind mehrere Bedenken gegen die vorschnelle Überzeichnung der eigentlich klaren Aussage zu berücksichtigen. Zunächst behandelte dieses Kapitel ausschließlich Streitigkeiten um das privilegium fori. Das war die Suchstrategie. Das Klerikerprivileg der Geistlichen spielte darin immer eine Rolle, und genau das war bei jedem Verfahren von vornherein bekannt. Der Streit dürfte wohl vor allem dann überliefert sein, wenn ein Kleriker um die Berücksichtigung seiner Rechte fürchtete und mit genau dieser Begründung den weltlichen Gerichtszwang verweigerte. Unstreitige Fälle hinterlassen keine Quellen, und immer dann, wenn das Klerikerprivileg Beachtung fand, brauchte eine geistliche Partei gar keine forideklinatorischen Einreden vorzutragen. Dann erfährt man gerade davon nichts. Das ist ein Einwand freilich nur gegen die Quantitäten. Dennoch war untergerichtlich der Einwand des unzulässigen weltlichen Rechtsweges immer folgenlos verhallt, ja von den Prozeßgegnern sogar ausdrücklich bestritten worden. Darin stimmen die hier untersuchten Prozesse allesamt überein. Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in der Erfolglosigkeit der kammergerichtlichen Prozesse.
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Hierbei verdient eine prozessuale Besonderheit Beachtung. Die Klagen gegen die unzulässige Prozeßführung des Apostolischen Nuntius oder anderer geistlicher Gerichte in weltlichen Streitsachen liefen am Reichskammergericht fast immer als Mandatsprozesse, also als Schnellverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Knappe, angesichts der hohen Zahl von Supplikationen geradezu standardisierte Mandatsbefehle verteidigten die weltliche Herrschaft und iurisdictio gegen kirchliche Beeinträchtigungen. Die Beschwerden über die Verletzung des privilegium fori waren dagegen erheblich schwerfälligere Appellationsprozesse. Selbst die vielfachen Klagen des Kölner Domkapitels gerieten auf dem Appellationswege nach Speyer. Das ist in mehrfacher Hinsicht erstaunlich. Appellieren konnte man nur gegen eine gerichtliche Entscheidung. Die Geistlichen warteten damit zumeist ab, bis ein weltliches Gericht seine sachliche und personelle Zuständigkeit bejaht hatte. Erst gegen diesen Bescheid oder ein nachfolgendes Urteil richtete sich sodann die Appellation. Bei den Klagen gegen den Nuntius war der Rechtsschutz dagegen vorverlagert. Bereits der bloße Rekurs an den päpstlichen Legaten bot ausreichenden Anlaß für Kassationsmandate, und jede noch so kleine Handlung eines beauftragten Kommissars rief Supplikationen der weltlichen Parteien hervor. Warum die Geistlichen nicht viel früher gegen die Einbindung in weltliche Gerichtshändel vorgingen, ist unklar. Vermutlich hofften sie bis zum abschlägigen Zwischenurteil auf eine Verweisung an das geistliche Gericht. Möglicherweise erwirkten einige Kleriker am Kölner Offizialat Mandate gegen die weltliche Gerichtsbarkeit. Falls daraufhin die weltlichen Prozesse endeten und das Verfahren zu allseitiger Zufriedenheit an die geistliche Justiz wanderte, hätte man dazu erneut keine Quellen reichskammergerichtlicher Herkunft. Der Fall ist aber unwahrscheinlich. Denn wenn es bereits Streit um den Rechtsweg gab und beide Seiten kampfeslustig Rechtsmittel einlegten, müßte sich dies gerade in mehrinstanzlichen Verfahren deutlicher widerspiegeln. Ob die Erfolglosigkeit der reichskammergerichtlichen Klagen ein tragfähiges Argument für die beschränkte Reichweite des Klerikerprivilegs sein kann, ist ebenfalls alles andere als sicher. Bedenkt man die hohe Zahl nicht durch Urteil entschiedener Rechtssachen, könnte man vorschnell die übergroße Menge von Klagen aus allen Rechtsgebieten als erfolglos abtun. Das wäre aber voreilig. Die von verschiedenen Seiten vorgetragenen Überlegungen zu gütlichen Einigungen und anderen Formen der Streitbeilegungen haben die traditionelle Urteilszentristik als fragwürdig3195, zumindest als 3195
Begriff von R u t h m a n n , Religionsprozesse, S. 277; angebliches Schreckgespenst der Urteilszentristik ist H e r t z , Rechtsprechung, S. 331.
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begründungsbedürftig erwiesen3196. Das mindert aber nicht den Wert der wenigen dennoch überkommenen Endurteile3197. Und diese gingen eben zu Ungunsten desjenigen aus, der sich auf das Klerikerprivileg gestützt hatte. Die Aussagekraft des Befundes wächst sogar noch, wie eine weitere Überlegung verdeutlicht. Die Geistlichen schlugen nicht den Mandatsweg ein, obwohl hier schnellerer und besserer Rechtsschutz lockte. Vielleicht gab es Versuche, die im extrajudizialen Stadium versickerten. Vielleicht erließ das Reichskammergericht bei Streitigkeiten um das privilegium fori nur ungern Mandate, und vielleicht war den Parteien genau dies bekannt. All das bleibt unklar. Über ein Vielleicht kommt die Rechtsgeschichte nicht hinaus. Bei allen Unwägbarkeiten dürfte zumindest soviel feststehen: Die Befreiung Geistlicher vom weltlichen Gerichtsstand war ein häufig benutztes Argument, aber alles andere als ein eisern durchgehaltenes, ausnahmslos geltendes Prinzip. Man könnte von einem durchlöcherten Grundsatz sprechen. An allen Ecken und Enden gab es Einbruchstellen für Ausnahmen. Doch diese Ausnahmen bestätigten die Regeln gerade nicht, sondern stellten sie in Frage. Ob es sinnvoll ist, von der Existenz eines Klerikerprivilegs überhaupt zu sprechen, wenn es gerade in den streitigen Fällen unbeachtlich war, mag eine Geschmacksfrage sein. Ein hartes Abgrenzungskriterium für die Scheidung weltlicher und geistlicher Gerichtszuständigkeit war es jedenfalls nicht. Das entspricht den Beobachtungen von Richard Helmholz für englische Zivilprozesse. Dort waren Geistliche ohne weiteres in die weltliche Gerichtsbarkeit eingebunden. Das privilegium fori galt nicht3198.
6. Allgemeine und spezielle Appellationsverbote Der abschließende Abschnitt zu den Prozessen aus Jülich-Berg befaßt sich mit der Zulässigkeit kammergerichtlicher Appellationen. Er spinnt den Faden fort, der sich auch durch die Hauptteile zu Lippe und Hamburg hindurchzurrt und ebenfalls in anderen Territorien sichtbar bleibt. Das Problem ist schnell auf den Punkt gebracht. Die Zuständigkeitsabgrenzung weltlicher und geistlicher Gerichte konnte nur dann Gegenstand kammergeÜberblick über verschiedene Forschungsansätze bei D i e s t e l k am p , Tedenzen, S. 279, 281; R u t h m a n n , Religionsprozesse, S. 12; nicht ganz so entschieden F u c h s , Um die Ehre, S. 330; zum Problem auch O e s t m a n n , Rekonstruktion, S. 15. 3197 Zutreffend R a n i e r i , Recht und Gesellschaft I, S. 172; im Hinblick auf die Sammlung von Barth P r a n g e , Reichskammergericht, S. 21. 3198 H e l m h o l z , ius commune, S. 237-239. 3196
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richtlicher Verhandlungen sein, wenn man deswegen überhaupt die Reichsgerichtsbarkeit anrufen durfte. Ein Appellationsverbot in geistlichen Sachen war insoweit eine ernste Hürde. Aufgrund verschieden umfassender Privilegierungen der Landesherren, aber auch vielfältig bunter partikularer Gerichtsordnungen3199 waren die Unterschiede von Territorium zu Territorium beträchtlich. Dies rechtfertigt abermals die auf den ersten Blick wenig rechtshistorische, unsystematische geographische Gliederung der Untersuchung. Doch die je eigenen landesrechtlichen Besonderheiten lassen sich nur erkennen, wenn man weder die normativen Quellen noch die Argumente der Parteien in einen Topf wirft. So zeigen etwa zehn kammergerichtliche Akten aus Jülich-Berg Diskussionen rund um die Appellationserlaubnis. Mehrfach stritten Kläger und Beklagter dabei sehr speziell über landeseigene Regelungen. Diese Fälle stehen am Anfang der Auswertung. Es ging dort um die Abgrenzung possessorischer und petitorischer Streitigkeiten und das Appellationsverbot gegen possessorische Urteile.
a) Zur Appellation in possessorischen Streitigkeiten Insgesamt fünf Prozesse behandeln die Appellation in possessorischen Streitigkeiten. Zwischen 1580 und 1693 erreichten sie das Reichskammergericht. In diesen Verfahren spielte das Appellationsprivileg mit seiner Beschränkung von Rechtsmitteln in possessorischen Sachen eine entscheidende Rolle. Der erste Fall betrifft die Erbschaftsauseinandersetzung der Catharina von Schüren, Witwe des Adolf Quadt, gegen die Verwandten ihres verstorbenen Mannes3200. Fraglich war, ob die Frau Profeß im Kloster Gevelsberg abgelegt hatte und damit ihr Leibzuchtsrecht verloren hatte. Gegen die kammergerichtliche Appellation wandten die appellatischen Brüder ein, es handele sich um „ein bloße Possessoris Clag“3201. Sie verwiesen auf das Privileg von 1566, wonach „von Kheinen bey oder EndtUrtheiln Erkhentnußen oder Decreten so durch hochgedachten Fürsten, oder Ihrer F[ürst]l[icher] G[naden] Ratthen oder Hoffgericht in possessorio außgesprochen, davon dem verlustigen theill d[a]z Petitorium vorbehaltten, weder an Ihrer Kay[serlichen] May[es]t[ä]t Cammergericht soll mügen Appellieret supplicirt noch Reduciret werdenn“3202. Wer diese Einwendung vor Einordnung der jülichischen Gerichtsordnung (Reformation) von 1555 in die Familie der mainzerisch beeinflußten Prozeßgesetze bei S c h w a r t z , Zivilprozeß-Gesetzgebung, S. 37. 3200 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 8, Nr. 5073 S. 270-271; dazu auch schon oben bei Anm. 2931-2958. 3201 LA Düsseldorf RKG S 905/3146, Aktenstück Q 6, Art. 1, fol. 15v. 3202 LA Düsseldorf RKG S 905/3146, Aktenstück Q 6, Art. 11, fol. 17r. 3199
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Gericht vortrug, hatte einen großen Vorteil. Die Einzelheiten des Sachverhalts und die rechtlichen Probleme traten plötzlich vollständig zurück und waren praktisch belanglos. Einzig auf die Abgrenzung von Possessorium und Petitorium kam es noch an. Auch für das Reichskammergericht war die Entscheidung leicht. Im Mai 1588 erging das Prozeßurteil. Die angemaßte Appellation war „ahn diß key[serliche] Cammergericht nit erwachsen“3203. Ob und inwieweit der Ausgangsstreit geistlich oder weltlich war, brauchte das Reichskammergericht nicht zu interessieren. Es hatte sich zunächst um einen bloßen Besitzschutzprozeß gehandelt, das genügte. Diese schlichte Tatsache kam den Appellaten zu Hilfe. Die Feinheiten des Falles spielten keine Rolle, die Appellation war unzulässig. Selbst der Rechtsschutz der Appellantin war nicht übermäßig beschränkt, denn ihr stand das petitorische Verfahren ja ausdrücklich offen. Im selben Jahr 1580 begann der Appellationsprozeß eines Johann von Grutter gegen seine Schwester Margaretha von Koufferen3204. Auch hier ging es um Erbstreitigkeiten. Der Appellant hielt im Kern die geistliche Gerichtsbarkeit für zuständig. Er berief sich auf zahlreiche Autoritäten. Hostiensis, Baldus, Bartolus, Johannes Andreae und Paulus de Castro schmückten sein Appellationsinstrument3205. Die Verweisung an ein geistliches Gericht sah er als ungefährlich an, weil „die Geistliche Jurisdiction auch ad Ilustrißimum D[omi]num Juliae inlendig spectiren thut“3206. Das sollte wohl bedeuten, die Rechtsposition der weltlichen Landesherrschaft werde durch einen geistlichen Rechtsstreit nicht übermäßig beeinträchtigt. Die Exzeptionsschrift ließ aber nicht lange auf sich warten und kam direkt von Herzog Wilhelm. Er reichte durch seinen Speyerer Prokurator das Appellationsprivileg von 1566 zu den Akten3207. Unabhängig davon, ob die Sache mehr oder weniger als 600 Goldgulden betrage3208, sollten Appellationen in possessorischen Streitigkeiten verboten sein, soweit „der verlustigen Parthey das petitorium vorbehaltten würdt“3209. Damit war der Appellation aber-
LA Düsseldorf RKG S 905/3146, Protokollbuch, Expeditum vom 13. Mai 1588, fol. 04r. Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 3, Nr. 2098 S. 504. 3205 LA Düsseldorf RKG G 786/2729, Aktenstück Q 4, fol. 113r. 3206 LA Düsseldorf RKG G 786/2729, Aktenstück Q 4, fol. 113r. 3207 LA Düsseldorf RKG G 786/2729, unquadr. „Copia der confirmirten Erhohung unndt Extension des Key: Priuilegij de non appellando“, fol. 121-127. 3208 Hinweis auf den Mindeststreitwert auch bei E i s e n h ar d t , privilegia, Nr. 27.4 S. 92. 3209 LA Düsseldorf RKG G 786/2729, unquadr. „Exceptiones non devolutae Appellationis“, fol. 118r. 3203 3204
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mals ein Riegel vorgeschoben, auch wenn ein kammergerichtliches Urteil wohl nicht erging3210. 1588 geriet der bereits erwähnte Streit um die Leibzuchtsrechte Catharina von Schürens erneut nach Speyer3211. Und auch in diesem Fall erklärte der Herzog seine Intervention, um das Appellationsprivileg zu verteidigen3212. Bezeichnend hieß es in der Exzeptionsschrift, es sei „zu außfüerung Irer angeregten Possessori Clag nit vonnöten das Articulierte Votum Monasticum od[er] diuortium in Rea zubeweisen“3213. Der Antrag der Quadt-Witwe auf Verweisung der Sache an ein geistliches Gericht sollte damit schlechterdings hinfällig sein, denn für die bloßen Besitzfragen kam es nach Auffassung der Appellaten nicht auf einen etwaigen geistlichen Status Catharinas an. Das in dem älteren Verfahren ergangene kammergerichtliche Prozeßurteil diente den Appellaten als Präjudiz, auf das sie auch im jüngeren Rechtsstreit hinwiesen3214. Dagegen ließ sich wenig sagen. So ließ in dieser Situation die Klägerin ihre zweite Appellation fallen3215. Acht Jahrzehnte später brachte ein Streit zwischen den Pfarrgenossen aus Lindlar und ihrem ehemaligen Pastor Anton Krawinckel das Appellationsprivileg 1672 zurück aufs Tapet3216. Der verklagte Pastor räumte in seinen Exzeptionen ein, „daß quaestio possessorij etiam super re Ecclesiasticâ profan“ sei, allerdings „Causa autem Principalis ipsius Constitutionis Vicariae nicht profan, sondern ad forum Ecclesiasticum gehörig“3217. Soweit es also bloße Besitzstände betraf, waren nach dieser Ansicht auch im Kern geistliche Fragen weltlicher Natur. Hier ging es um streitige Ansprüche aus dem Beschäftigungsverhältnis eines Dorfpfarrers, und das waren rechtlich gesehen weltliche possessorische Angelegenheiten. Genau aus diesem Grunde, so meinte der Pastor, habe die jülich-bergische Hofkanzlei den Streit „in so weith petitorium cum annexâ praetensa quaestione falsi verwiesen“, und zwar an das geistliche Gericht. Damit war den Pfarrgenossen von Lindlar die Appellation doppelt versperrt. Gegen das possessorische Urteil konnten sie wegen des LA Düsseldorf RKG G 786/2729, Protokollbuch vom 13. Januar 1581, enthält zwar am Rand einen Expeditum-Vermerk, doch handelt es sich möglicherweise bloß um die Erkennung einer Inhibition. 3211 Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 7, Nr. 4479 S. 250-251. 3212 Prozeßbeitritt in LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Protokollbuch vom 31. Oktober 1589, fol. 2v. 3213 LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Aktenstück Q 11, Art. 4, fol. 28r. 3214 LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Protokollbuch vom 6. November 1589, fol. 3r. 3215 LA Düsseldorf RKG Q 14/23, Protokollbuch vom 9. März 1590, fol. 3r. 3216 Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 5, Nr. 3448 S. 422-423. 3217 LA Düsseldorf RKG L 543/2028, Aktenstück Q 18, zum 4. Gravamen, fol. 32v. 3210
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Appellationsprivilegs nicht vorgehen. Gegen das petitorische Verfahren schied der Gang an das Reichskammergericht ebenfalls aus, weil in geistlichen Sachen die Appellation an die Reichsgerichte verboten war. Das Reichskammergericht sah das offenbar ganz genau so und wies die Appellation nach nur einem Jahr als unzulässig ab3218. Der letzte hier einschlägige Fall stammt von 1691. Im Kern ging es um einen Streit zwischen dem adligen Philipp Wilhelm von Zweifel zu Overheid und dem Ratinger Richter Wolfgang Wilhelm Quiex. Beide stritten um einen Kirchenstuhl3219. Das Hin- und Hergerücke des Stuhls, das leicht als barocker Kleinkram erscheinen mag, besaß freilich hohen Symbolgehalt für dahinterstehende Patronats- und Erbbegräbnisrechte3220. Der in Wetzlar beklagte Appellat Quiex trug vor, „daß ohne dem gegenwertige sach anhero keines wegß erwachsen, sondern wan ratione Possessorij streitige Kirch- und resp[ectiv]è begräbnüß gerechtigkeit, worin sich a[nwa]ldts Pr[incip]al notoriè befindet, remedio quodam possessorio ex aduerso agirt werden wollen, solcheß in hoc supremo dicasterio wieder A[nwa]ldts Pr[incip]alen eineß Theilß quà subditum mediatum, andern theils aber ratione des Gülich- unndt Bergischen Privilegij de non appellando in possessorio nit geschehen könne“3221. Das Petitorium dagegen gehöre „aber nit ad forum saeculare sed Ecclesiasticum“, und diese beiden Gerichtsbarkeiten dürfte niemand vermengen3222. Erneut gab es wie im vorigen Fall den doppelt versperrten Weg zum Reichskammergericht: Im Possessorium durfte man nicht appellieren, und für das Petitorium war nicht einmal der weltliche Rechtsweg eröffnet. Das Argument, um die Appellation an das Reichskammergericht aus den Angeln zu hebeln, war in allen fünf Beispielsfällen gleich. Geistliche Streitigkeiten gehörten damit bei possessorischen Ansprüchen vor die weltlichen Gerichte. Zugleich schied die Appellation gegen die possessorischen Entscheidungen aus. Das Appellationsverbot von 1566 richtete sich nicht gezielt gegen die Appellation in geistlichen Sachen. Aber die Reflexwirkung war eindeutig und kannte keine Ausnahmen. Nachfolgende genauere Klärungen sollten im Petitorium erfolgen, und dafür waren die kirchlichen Gerichte vorgesehen. Weshalb angesichts der vergleichsweise klaren Rechtslage, die auch das Kammergericht mehrfach durch Urteil befestigte, dennoch LA Düsseldorf RKG L 543/2028, Protokollbuch, Expeditum vom 14. März 1673, fol. 3r. Repertoriumsmitteilung bei B r u c k h a u s / R ö l k e r / H o f f m an n , Reichskammergericht 9, Nr. 6315 S. 691-692. 3220 Kurzer allgemeiner Hinweis auch bei G m ü r / R o t h , Grundriß, Rn 119 S. 56; zum Thron des Nuntius im Kölner Dom F r an z e n , Wiederaufbau, S. 38-39; am Oberappellationsgericht Celle: S t o d o l k o w i t z , Oberappellationsgericht, S. 87. 3221 LA Düsseldorf RKG Z 78/276, unquadr. „Unterthänigste anzeig Loco Exceptionum“, fol. 36v. 3222 LA Düsseldorf RKG Z 78/276, unquadr. „Unterthänigste anzeig Loco Exceptionum“, fol. 36v37r. 3218 3219
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Appellationsversuche erfolgten und die Appellanten nicht die geistliche Gerichtsbarkeit einschalteten, ist unklar. Möglicherweise handelte es sich um protestantische Parteien, die auf diese Weise die katholische Jurisdiktion zu umgehen versuchten. Ferner mochte auch fraglich sein, ob ein Streit überhaupt possessorisch oder petitorisch war. Jedenfalls war das qualitative Appellationsverbot verblüffend effektiv. Wer sich darauf berief, gewann. Erstaunlicherweise hat Weitzel diesen Aspekt in einem längeren Kapitel zu Jülich-Berg nicht behandelt3223. Eisenhardt erwähnt diese Appellationsbeschränkung auch nicht3224. Die rechtshistorischen Untersuchungen Adenauers und Schnorrenbergs über die frühneuzeitliche jülich-bergische Obergerichtsbarkeit übersehen die Hürde ebenfalls3225. Auch Gabel schließlich kennt in seiner Regionalstudie nur die Berufungssumme3226. In der Praxis war die zweite Beschränkung aber wichtig und konnte wie gesehen durchaus im Kern kirchliche Sachen vom Reichskammergericht abschotten, auch wenn weltliche Gerichte darüber entschieden hatten. In einer Fußnote hat vor über einhundert Jahren der Landrichter Joseph Oppenhoff das qualitative Appellationsverbot schon bemerkt3227. Und 1758 verfaßte der Reichskammergerichtsassessor Johann Ulrich von Cramer dazu eine kurze Observation3228. Mit der Errichtung des Oberappellationsgerichts Düsseldorf war das Rechtsmittelverbot in possessorischen Sachen weitgehend entschärft. Die Appellation blieb zwar unzulässig, an ihre Stelle trat jedoch die gemeinrechtliche Revision3229.
b) Ehegattenbesitz zwischen weltlichem und geistlichem Gericht Neben den geschilderten sehr gleichförmigen Verhandlungen um Appellationsverbote in possessorischen Streitigkeiten lassen sich fünf weitere Akten ermitteln, in denen der Rechtsweg zum Reichskammergericht aus anderen Gründen in Zweifel stand. Der Blick auf diese Verfahren fügt den bisherigen Befunden neue Gesichtspunkte hinzu. W e i t z e l , Kampf um die Appellation, S. 172-185. Der Abschnitt behandelt allerdings vornehmlich die Zeit bis 1559. 3224 E i s e n h a r d t , privilegia, S. 92. 3225 A d e n a u e r , Entwicklung, S. 13; S c h n o r r e n b e r g , Oberappellationsgericht, S. 9. 3226 G a b e l , Beobachtungen, S. 160; ebenso S t ö l z e l , Entwicklung II, S. 290. 3227 O p p e n h o f f , Gerichtswesen, S. 169 Anm. 3. 3228 C r a m e r , Observationes I, obs. CCCCXXIII S. 948-950: „Quodsi Sententia qualitati praetensae Bonorum revolutariorum vel veri Feudi ceu Fundamento innititur, Privilegium Julio Montense locum non habet“; nachgewiesen auch bei K am p t z , Die Provinzial- und statutarischen Rechte III, S. 176. 3229 Aus der zeitgenössischen Literatur E i c h m a n n / Kr e y , De appellatione, S. 12 § XI. 3223
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Am Anfang steht der bereits oben angesprochene Unterhalts- und Ehebruchsstreit zwischen Catharina von der Balen und ihrem Ehemann Franz von Hompesch3230. Der Mann hatte seine Frau eigenmächtig inhaftiert und dann unter entehrenden Umständen aus der Herrlichkeit Bollheim verwiesen. Am Reichskammergericht klagte sie 1577 wegen „spoliatae possessionis“, also erstinstanzlich und nicht im Appellationswege3231. Die Gerichtsbarkeit in der Herrlichkeit Bollheim, so behauptete es jedenfalls die Klägerin, war zwischen Kurköln und Jülich-Berg streitig, und deshalb habe sie kein unterinstanzliches Verfahren beginnen können3232. Der Ehemann sah sich dagegen als Landsasse fest mit dem Jülicher Herzog verbunden. Wichtig für Zuständigkeitsfragen ist ein Hinweis in seinem Schriftsatz. „Ehesachen, undt was dem selben mehr anhengt“, meinte Franz von Hompesch, sollten „nit durch die weldtliche, sonder vil mehr durch die gaistliche Obrigkheit (...) der gepür discutirt, undt Endtscheiden werden“3233. Er behauptete sogar, er habe die „Bäpstliche hayligkheit angeruffen“, und der Papst habe bereits „die hilfliche handt des Gaistlichen Rechtens daran gesetzt“3234. Daraus sollte die Unzulässigkeit der kammergerichtlichen Klage folgen. „In beiden geistlichen undt weldtlichen Rechten“ war angeblich die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte für Ehesachen festgeschrieben, „etiam in possessoriis“3235. Genau der letzte Punkt war streitig. Die vertriebene Ehefrau entgegnete nämlich, die Wiedereinweisung in ihr Besitztum sei „non principaliter super re spirituali“. Es gebe vielmehr den Rechtsgrundsatz, „quod non debeat simul tractari causa spolij, & divortij“3236. Der klägerische Schriftsatzverfasser unterschied damit klar zwischen possessorischen und petitorischen Klagen. Das Possessorium sollte selbst dann weltlich sein, wenn die dahinterstehenden Rechtsgründe aus dem geistlichen Recht stammten und eine Klärung vor geistlichen Gerichten erforderten. Das entsprach exakt der Argumentation, wie sie auch in Appellationsprozessen zu beobachten ist, allerdings mit einem tiefgreifenden Unterschied. Im Appellationsprivileg von 1566 war die erstinstanzliche Verhandlung possessorischer Streitigkeiten ebenfalls den weltlichen Gerichten zugewiesen, unabhängig davon, in welchen Rechtsquellen der Kern der Auseinandersetzung wurzelte. Das Possessorium war insoweit immer weltlich und entzog sich einer Zuordnung zu weltlichen und Dazu oben bei Anm. 2984-3005. Repertoriumsmitteilung bei A l t m an n / H o f f m an n , Reichskammergericht 1, Nr. 147 S. 163-164. 3232 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 2, fol. 036r. 3233 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 6, Art. 5, fol. 050v. 3234 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 6, Art. 33, fol. 055r. 3235 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 6, Art. 53, fol. 055v. 3236 LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 11, fol. 086r-086v. 3230 3231
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geistlichen Rechtsnormen. Das scheint die gefestigte Rechtsauffassung gewesen zu sein. Zugleich war die Appellation an das Reichskammergericht in genau diesen Fällen verboten, weil für das nachfolgende Petitorium der Weg zur geistlichen Justiz offen stand. Catharina von der Balen drehte den Spieß kurzerhand um. Wenn das Possessorium weltlich war, wollte sie erst recht damit an das Reichskammergericht ziehen können. Erstinstanzlich konnte man nach dieser Ansicht possessorische Klagen auch aus dahinterstehenden geistlichen Rechten vor die Reichsgerichte tragen, zweitinstanzlich aber nicht. Das wirkt sehr spitzfindig, war aber konsequent. War nämlich das Appellationsverbot durch ein besonderes Privileg festgeschrieben, folgte daraus im Umkehrschluß die grundsätzliche und selbstverständliche Appellationserlaubnis in possessorischen Sachen, immer dann nämlich, wenn ein solches Privileg nicht bestand. Das war nichts anderes als die Umkehrung des Regel-AusnahmeVerhältnisses. Und gegen erstinstanzliche Kammergerichtsklagen konnte es ohnehin nie Appellationsprivilegien geben. Damit sollten erstinstanzliche possessorische Klagen am Reichskammergericht möglich bleiben, auch für mittelbare Reichsangehörige. Um ihren Standpunkt zu bekräftigen, betonte die Klägerin mehrfach, sie wolle „mit nichten aber super validitate matrimonij“ mit ihrem Mann rechten. Der Streit werde „alleinn super nudo possessorio vel quasi ad restitutionem faciendam gehandlet (...) quod possessorium nihil spirituale continet“3237. Die haarspalterische Spitzfindigkeit der Klägerin wirkt verstörend, führte aber zum Ziel. Das Reichskammergericht stimmte Catharina von der Balen im Ergebnis zu. Obwohl die Zuständigkeitsfragen großen Raum in den Parteischriften einnahmen, erging 1581 eine Sachentscheidung zugunsten der Ehefrau. Ausdrücklich enthielt sie den Vorbehalt, „und wollen die partheien ein ander in petitorio spruch und forderung nit erlaßen das sie solches an gepürenden ortten vor dem gaistlichen richter thun solln“3238. Das war nichts anderes als die Anerkennung einer geistlichen petitorischen Streitsache, die im Possessorium trotzdem in die Zuständigkeit des Reichskammergerichts fiel. Hier gab es also ganz augenfällig einen deutlichen Unterschied zwischen Appellationen und erstinstanzlichen Klagen. Freilich konnte dieser rechtlich mögliche Weg rein praktisch nicht häufig eröffnet sein. Er setzte ja gerade territoriale Verwerfungen voraus, eine Gemengelage unklarer Hoheitsrechte, in der es kein territoriales weltliches Gericht gab, das die Parteien im Possessorium anrufen konnten. Nur bei streitigen Herrschaftsverhältnissen wie im vorlie-
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LA Düsseldorf RKG B 52/327, Aktenstück Q 23, fol. 166v-167r. LA Düsseldorf RKG B 52/327, Protokollbuch, Expeditum vom 21. November 1581, fol. 006v.
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genden Fall konnten Untertanen solche Spolienklagen im Zitationsverfahren in Speyer anbringen. Dann aber hatten sie damit durchaus Erfolg.
c) Die Leibzuchtsrechte der Margaretha von Oeffte Die beiden folgenden Beispiele stammen aus der Gruppe von Reichskammergerichtsklagen um die streitigen Leibzuchtsrechte der Margaretha von Oeffte an den Gütern ihres verstorbenen Ehemanns Eberhard Quadt3239. In beiden Fällen von 1584 und 1616 handelte es sich um Appellationen, und beidemale hielten die jeweils verklagten Verwandten des Ehemanns das Rechtsmittel für unzulässig. Sie stützten sich aber nicht auf das privilegium de non appellando, sondern führten andere Gesichtspunkte zu ihren Gunsten an. Da ganz am Ende ein Vergleich stand3240, kann es hier nicht um die gerichtliche Entscheidungsfindung gehen. Es gilt lediglich herauszuarbeiten, in welcher Weise die Parteien die Zuständigkeit des Reichskammergerichts herleiteten oder verwarfen. Interessant ist der Vergleich der beiden Prozesse. Hatte doch im ersten Fall die erstinstanzliche Verhandlung vor einem weltlichen Gericht, den jülich-bergischen Räten in Düsseldorf, stattgefunden, im anderen Fall aber vor einem geistlichen Gericht, nämlich vor dem Dekan in Düsseldorf und danach vor einem Kommissar des Kölner Offizials. In dem ersten Appellationsverfahren gegen das weltliche Urteil aus Düsseldorf beriefen sich die Appellaten auf den geistlichen Charakter der Streitigkeit. In einer Ehe- und Gelübdesache müsse man „ad forum Ecclesiasticum“ ziehen. Sei der weltliche Richter dennoch angerufen, müsse er solche Angelegenheiten ohne weiteres an das geistliche Gericht verweisen3241. Zur Klärung der geistlichen Vorfragen hatte der Herzog freilich ein besonderes Gericht eingesetzt, das weltlich-geistlich gemischt besetzt war und angeblich „in priuatis aedibus iudicis ecclesiastici uel adsessorum Jeder Zeitt gehalten worden“ war3242. Inwieweit es sich um eine ständige Einrichtung handelte, bleibt offen. Doch wies der appellatische Schriftsatzverfasser darauf hin, schon „eine gutte geraume Zeitt hero“ lasse der Herzog geistliche Sachen und Ehestreitigkeiten auf diese Weise mit Zuziehung des Düsseldorfer Dechanten und
Repertoriumsmitteilungen bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 4, Nr. 2804 S. 498-499; A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 6, Nr. 4204 S. 536. 3240 LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Collationirter Extract“, fol. 24r. 3241 LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 7, Art. 1-2, fol. 29r. 3242 LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 7, Art. 15, fol. 34r. 3239
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anderer Beigeordneter aburteilen. Bisher habe es gegen solche Entscheidungen noch nie Appellationen an das Reichskammergericht gegeben3243. In der Sache beriefen sich die Verwandten des Ehemanns auf die Observanz. Ob der Herzog selbst ein besonderes Gericht eingesetzt hatte, sollte keine Rolle spielen. In jedem Fall, meinten die Appellaten, habe es sich schon damals um eine Form der geistlichen Gerichtsbarkeit gehandelt. Die Appellantin stritt das ab3244, aber das ist hier gleichgültig. Wichtig ist der Schluß vom Sein auf das Sollen. Weil es noch nie zuvor Appellationen gegen Entscheidungen des herzoglichen Mischgerichts gegeben hatte, sollte der nun vorliegende erste Versuch ohne weiteres zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels führen. Wenn früher niemand gegen Urteile des schwer zu fassenden Gerichts appelliert hatte, war dies ein Argument für den gegenwärtig geistlichen Charakter des Tribunals. Und jetzt paßte das Appellationsverbot in geistlichen Streitgegenständen stimmig ins Bild. Auf die vom Kaiser verliehenen weltlichen Privilegien kam es in diesem Zusammenhang dann nicht an. Wäre das Mischgericht weltlich gewesen, sollte offenbar der Leser ergänzen, hätte es bereits öfter Appellationen geben müssen. Im zeitlich späteren Fall, der in derselben Auseinandersetzung wurzelte, appellierte Margaretha von Oeffte gegen das Urteil eines vom Kölner Offizial eingesetzten Kommissars. Das Reichskammergericht nahm die Appellation zunächst nicht an, wohl aber nicht wegen der Unzulässigkeit des Rechtsweges, sondern wegen handwerklicher Fehler des appellantischen Notars3245. Als später das Verfahren in Speyer dann doch zustande kam, beriefen sich die Verwandten des verstorbenen Ehemanns erneut auf das Appellationsverbot in geistlichen Angelegenheiten. Es sei die „sache hiehin nicht gehörig“, bekamen die Speyerer Asessoren zu lesen, da die geistliche von der weltlichen Gerichtsgewalt getrennt sei3246. Das Reichskammergericht erkannten die Appellaten ausdrücklich als „die hochste weltliche Oberkeit“ an, aber gerade deswegen dürften „propter incompetentiam fori“ keine geistlichen Sachen dorthin gelangen3247. Doch selbst wenn es sich um eine weltliche Streitigkeit handeln sollte, gab es angeblich keinen Weg zurück von den geistlichen an die weltlichen Gerichte. Dort, wo man sich einmal auf einen Prozeß eingelassen habe, müsse man ihn auch zu Ende führen, und dies
LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 7, Art. 22-23, fol. 35v-36r. LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, Aktenstück Q 9, fol. 40r-45r. 3245 LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Articuli Causales“, Art. 3-5, fol. 9r. 3246 LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Exceptiones incompetentiae non deuolutae“, fol. 14v. 3247 LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Exceptiones incompetentiae non deuolutae“, Art. 4, fol. 15r. 3243 3244
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durch alle Instanzen, betonte der Verfasser der Exzeptionsschrift3248. Wenn überhaupt, dann sollte Margaretha von Oeffte nach dieser Ansicht ihre Appellation beim Kölner Offizial einlegen3249. Daraus erwuchs das Argument, „quod gradatim appellandum“3250. Danach durfte man im Rechtsmittelverfahren keine Instanz überspringen. Das Verbot der Sprungappellation diente hier als bloße Hilfserwägung, falls das Reichskammergericht doch von einer weltlichen Streitsache ausgehen sollte. Der Schriftsatzverfasser sah damit das Kölner Offizialat ohne weiteres auch als gewöhnliches weltliches Gericht an. Das war dieselbe Einschätzung, die oben am Beginn der Regionalstudien auch im Fürstbistum Münster regelmäßig zu beobachten war3251. Die Zuständigkeit des Reichskammergerichts war auf diese Weise nicht ausgeschlossen, jedoch wegen Verletzung des ordentlichen Instanzenzuges in dieser Phase des Prozesses noch nicht eröffnet. Ein Detailproblem bezog sich auf die Frage, ob die Appellantin ausnahmsweise den Offizial wegen angeblicher „suspicion“, möglicherweise also wegen Parteilichkeit, hatte auslassen und damit eine Instanz einsparen dürfen3252. Wichtiger war aber der Grundsatz. Und genau dieser war eindeutig. Zum einen war das Reichskammergericht keine Appellationsinstanz in geistlichen Angelegenheiten, und zum anderen war zugleich das Offizialat als ordentliches zweitinstanzliches Zivilgericht anerkannt.
d) Anspruch auf Zahlung von Heiratssteuern Der folgende Appellationsprozeß stammt aus den 1680er Jahren und entzündete sich an der angeblich heimlichen Eheschließung des Appellaten Wolfgang Wilhelm Wittmann mit der minderjährigen Tochter der Appellantin Anna Elisabeth von Lohe3253. Der Beklagte, Kammerdiener von zwei Prinzen der jülich-bergischen Herzogsfamilie, stand im Verdacht, die
LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Exceptiones incompetentiae non deuolutae“, Art. 20, fol. 17v. 3249 LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Exceptiones incompetentiae non deuolutae“, Art. 910, fol. 16r. 3250 LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Exceptiones incompetentiae non deuolutae“, Art. 9, fol. 16r. 3251 Dazu oben bei Anm. 298-577. 3252 LA Düsseldorf RKG O 30/276, unquadr. „Exceptiones incompetentiae non deuolutae“, Art. 11, fol. 16r-16v. 3253 Repertoriumsmitteilung bei A l t m an n / H o f f m an n , Reichskammergericht 1, Nr. 675 S. 677-678. 3248
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Tochter entführt und dann mit ihr einige Kinder gezeugt haben3254. Obwohl die junge Frau früh gestorben war, forderte der Witwer noch nach ihrem Tod von der Mutter die Zahlung einer bestimmten Heiratssteuer3255. Das jülich-bergische Hofgericht fällte ein Zwischenurteil zugunsten des Witwers. So moralisch anstößig sein Ansinnen erscheinen mochte, hielten es die territorialen Richter wohl für begründet. Dagegen richtete sich die Appellation der Mutter nach Speyer. Wittmann, der Appellat, wandte ein, es sei „diese sache ahn dieses höchste Gericht nicht erwachsen“3256. Das Reichskammergericht nahm die Exzeptionen ausdrücklich an3257. Das Protokollbuch ist zwar leer, aber ein kurzer Hinweis auf der Rückseite eines Schriftsatzes spricht für die Erfolglosigkeit des Rechtsmittels. Die Appellantin scheint also gescheitert zu sein. Intensive Erörterungen zu Appellationsverboten in geistlichen Sachen enthält die Akte nicht, selbst wenn die Heiratssteuer möglicherweise ein geistlicher Streitgegenstand war.
e) Petitorischer Streit um geistliche Zehntsachen Der späteste Fall, der zur hier einschlägigen Gruppe gehört, stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Es handelt sich um den bereits in anderem Zusammenhang erwähnten Rechtsstreit der Einwohner von Nierendorf gegen ihren Pastor Schuld3258. Es ging um Abgabenforderungen. Der Pastor erhob am Reichskammergericht 1757 die forideklinatorische Einrede. Er betonte, „daß in streitigen ZehendSachen quoad petitorium das Forum Decanorum Ruralium, und demnächst des Erzbischöflichen geistlichen Hoffgerichts binnen Cölln in Instantia appellationis fundiret“ seien3259. Da es sich um eine geistliche Streitsache handeln sollte, gehörte diese „nach allgemeiner keinen Widerspruch leydender Lehr ad Forum Ecclesiasticum“3260. Die jülich-bergische Regierung schaltete sich in den Rechtsstreit ein und bestätigte die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte. Dabei verwies sie in ihrem Bericht auf den Provisionalvergleich von Zu einem Entführungsfall vor dem Reichskammergericht auch O e s t m a n n , Lübecker Rechtspraxis, S. 259-293. 3255 Zum Anspruch auf Zahlung der Mitgift nach dem Tode der Frau L e p s i u s , Die Ehe, S. 129-146. 3256 LA Düsseldorf RKG B 1852/5657, unquadr. „Underthänigste Exceptio Desertionis notoriae seu non devolutionis“, fol. 7r Stempel, 30r Bleistift. 3257 Dorsalvermerk in LA Düsseldorf RKG B 1852/5657, unquadr. „Citatio, inhibitio et Compulsoriales“ vom 23. August 1688. 3258 Repertoriumsmitteilung bei A n t w e i l e r / K a s t e n / H o f f m a n n , Reichskammergericht 6, Nr. 4036 S. 398-399; dazu auch oben bei Anm. 2890-2919. 3259 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 11, fol. 38v-39r. 3260 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Aktenstück Q 11, fol. 46r. 3254
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1621, der bei geistlichen Patronats- und Lehenssachen jedenfalls das Petitorium der geistlichen Justiz überantwortete3261. Das Reichskammergericht war davon überzeugt und hob im Juli 1759 ein zunächst zugunsten der Nierendorfer erlassenes Mandat wieder auf3262. In diesem Fall hatte es sich also nicht um einen Appellationsprozeß gehandelt, sondern um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Die Einwendungen des appellatischen Pastors bezogen sich damit nicht auf ein Appellationsverbot, sondern noch vorgelagert auf den völligen Ausschluß reichskammergerichtlicher Zuständigkeit in derartigen geistlichen Sachen. Das war die Exemtion geistlicher Streitsachen von der weltlichen Gerichtsbarkeit schlechthin. Genauso war auch der Bericht der jülich-bergischen Regierung zu verstehen.
f) Zwischenergebnis Das Urteil im zuletzt behandelten Fall erlaubt eine vorsichtige Verallgemeinerung, selbst wenn die in diesem Unterkapitel betrachteten Rechtsstreitigkeiten einen längeren Zeitraum erfassen und teilweise verschieden gelagert sind. Aber immer dann, wenn die Landesregierung von Jülich-Berg die Unzulässigkeit der kammergerichtlichen Klage einwandte und sie mit dem Landesrecht begründete, also mit dem Appellationsprivileg oder dem Provisionalvergleich, stiegen die Aussichten, ein abweisendes Prozeßurteil zu erhalten, ganz beträchtlich. Dabei handelt es sich jeweils um Fallgestaltungen, in denen die weltliche Landesherrschaft die Zuständigkeit ihrer eigenen Justiz verneinte und zumindest im Instanzenzug die geistliche Gerichtsbarkeit für eröffnet hielt. Die Unzuständigkeit des Reichskammergerichts war dann kaum mehr als die Folgewirkung aus der ohnehin nicht gegebenen Jurisdiktionsmacht der weltlichen Gerichte. Wenn sich das Reichskammergericht in solchen Fällen für unzuständig erklärte, konnte es also nie in einen Interessengegensatz zur weltlichen Territorialgerichtsbarkeit geraten. Für die kammergerichtlichen Appellanten und Kläger war die Lage besonders dann unangenehm, wenn es sich bei ihnen um Protestanten handelte. Angesichts des hohen Anteils evangelischer und reformierter Bevölkerung in den vereinigten Herzogtümern sind solche Fälle in keiner Weise unwahrscheinlich. Diese Parteien an die katholische geistliche Gerichtsbarkeit zu ketten, mochte eine Zumutung sein, über die man in den Akten erLA Düsseldorf RKG N 218/665, unquadr. Bericht der Regierung, fol. 57r-57v, mit Anlage Q 21, fol. 100r-100v. 3262 LA Düsseldorf RKG N 218/665, Protokollbuch, Expeditum vom 17. Juli 1759, fol. 11v. 3261
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staunlicherweise kein Wort erfährt. Dabei könnte gerade hier ein wichtiger Beweggrund protestantischer Parteien gelegen haben, in zweifelhaften Fällen zunächst auf dem weltlichen Rechtsweg vorzugehen. Ohne überaus zeitraubende Nachforschungen in den Kirchenbüchern der jeweiligen Wohn- oder Geburtsorte läßt sich dieser Punkt nicht klären und muß daher offen bleiben. Die Verfahren aus Jülich-Berg zeigen außerdem, wie abstrakt-generelle Formulierungen des Appellationsprivilegs erhebliche Ausstrahlung auf die Rechtswegzuweisung zu den weltlichen und geistlichen Gerichten entfalteten. Die schlichte Unterscheidung possessorischer und petitorischer Streitsachen und das Appellationsverbot im Possessorium galten für sämtliche Arten von Gerichtsverfahren. Wenn aber gerade in geistlichen Sachen aufgrund des Landesrechts eine Behandlung der possessorischen geistlichen Verfahren vor der weltlichen Justiz vorgesehen war, gab es in diesen Fällen überhaupt kein Rechtsmittel. Vielmehr stand lediglich der Weg ins Petitorium offen, aber das Hauptverfahren wiederum war der weltlichen Justiz entzogen. Possessorische Entscheidungen der weltlichen Gerichte aus Jülich-Berg in geistlichen Angelegenheiten waren damit nicht überprüfbar.
7. Ergebnis Die Streitigkeiten aus dem Herzogtum Jülich-Berg um Zuständigkeiten und Instanzenzüge auf der Grenzlinie weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit beschließen die Tiefbohrungen. Die Quellen runden die in den anderen Länderkapiteln gewonnenen Eindrücke ab, fügen aber auch weitere Gesichtspunkte hinzu. Ein Wimmelbild füllt sich mit immer neuen Einzelheiten. Bevor sich die Landesherren ab dem frühen 17. Jahrhundert klar zum Katholizismus bekannten, war das Territorium auch nach dem Vertrag von Venlo 1543 von konfessioneller Uneindeutigkeit gezeichnet. In dieser Situation konnte ein vom Herzog eingesetztes Gericht die Aufgabe erhalten, den persönlichen Status einer Klägerin zu bestimmen, die angeblich als Klosterjungfrau nicht heiratsfähig war und doch ihr Ehegattenerbrecht einforderte3263. Ob es sich bei diesem Gericht um ein geistliches oder weltliches Forum handelte, blieb zwischen den Parteien streitig. Wie will dann die Rechtsgeschichte das entscheiden? In einem katholischen Umfeld hätte ein weltlicher Landesherr nur schwer ein ordentliches geistliches Gericht selbst 3263
LA Düsseldorf RKG H 1803/5897, dazu oben bei Anm. 2778-2800.
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errichten können. In einem protestantischen Territorium wäre genau das dagegen eine Selbstverständlichkeit gewesen. So wird am Einzelfall exemplarisch deutlich, wie eng konfessionelle Uneindeutigkeit auch mit Unklarheiten der Gerichtsverfassung einherging. Die scharfe Trennung weltlicher und geistlicher Justiz war nach der Reformation offenbar nur möglich, wenn man wußte, mit welcher Art von Herrschaft man es zu tun hatte, mit weltlicher oder mit geistlicher, protestantischer oder altgläubiger. Dieser Eindruck erfährt eine indirekte Bestätigung durch einen Mecklenburger Fall aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Dort gab es eine traditionelle Oberhofanfrage in einer geistlichen Angelegenheit. Doch der Lübecker Rat wies die Sache an den zuständigen Ordinarius, den Bischof von Schwerin, zurück. Freilich war der evangelische Mecklenburger Herzog alles andere als ein typischer bischöflicher Ordinarius-Richter. Deswegen tauchte in diesem Rechtsstreit das Argument auf, nach der Reformation im Bistum Schwerin gebe es nunmehr gar keinen Ordinarius mehr3264. Landesherrschaft und Gerichtshoheit waren plötzlich unklar. Damit bekräftigen solche Fälle die überragende Bedeutung der zeitgenössischen iurisdictio-Lehre. Wenn sich in der Gerichtsgewalt alle Herrschaftsrechte bündelten, hatte im Umkehrschluß eine Änderung der Herrschaftsverhältnisse immer auch Auswirkungen auf die Gerichtsbarkeit. In Jülich-Berg ist sodann besonders deutlich, wie ein katholischer weltlicher Landesherr versuchte, seine Herrschaftsrechte auch auf den Bereich der geistlichen Gerichtsbarkeit auszudehnen. Das blieb höchst schwierig und war Anlaß für ständige Reibereien und Vertragsschlüsse mit Kurköln. Der Provisionalvergleich von 1621 stand nicht allein und bildete nur die bekannte Spitze des Eisbergs einer größeren Zahl von Abmachungen. Die Literatur spricht geradezu von Versuchen der katholischen Herzöge, selbst ein Kirchenregiment aufzubauen3265. Erfolgreich waren solche Ansätze wohl eher in größeren Territorien, auch wenn das einschlägige Sprichwort ausgerechnet auf den Herzog von Kleve abstellte, der in seinem Territorium papstgleiche Rechte beanspruchte: „Dux Cliviae est papa in territoriis suis.“3266 In der Tat berief sich der jülich-bergische Herzog für die Trennung geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit auf die Reichskonkordate aus dem 15. Jahrhundert. Ohne weiteres nahm er die Rechtsposition des Reiches für sich in Anspruch. Anders war dies in der reformierten Grafschaft Lippe, wo der Landesherr sich als Rechtsnachfolger des Papstes aus der Gegenrichtung auf das Reichskonkordat stützte. LHA Schwerin Best. 9.1-1 Nr. 883, Aktenstück Q 7, dazu oben bei Anm. 1660. H a s h a g e n , Politische und Kirchengeschichte, S. 149. 3266 F e i n e Rechtsgeschichte, S. 499. 3264 3265
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Das Einverständnis des weltlichen Landesherrn mit dem Umfang der geistlichen Gerichtsbarkeit taucht in den Quellen mehrfach als Argument auf. Ersichtlich war es von hoher Bedeutung für die höchstrichterliche Entscheidung von Konflikten. Besonders dann, wenn weltliche Gerichte eine Streitsache an die geistliche Justiz abgegeben hatten, sah das Reichskammergericht keinen Anlaß, diese Verweisungen aufzuheben. Anders war es, wenn die Landesregierung selbst gegen geistliche Übergriffe in den Bereich der weltlichen Justiz wetterte. Hier gab es Rechtsschutz durch die Reichsgerichtsbarkeit, auch durch den kammergerichtlichen Fiskal. Beschwerden über rechtswidrige weltliche Tätigkeit geistlicher Gerichte und über rechtswidrige geistliche Tätigkeit weltlicher Gerichte unterscheiden sich in der jülich-bergischen Überlieferung in mehrfacher Hinsicht. Die Vorwürfe über unzulässige Behandlung geistlicher Sachen vor den weltlichen Gerichten stammten zumeist aus der Zeit vor 1600. Die Appellanten untermauerten ihre Angriffe mit den Autoritäten der mittelalterlichen Rechtswissenschaft und Belegstellen aus dem gelehrten Recht. Die Erfolgsaussichten kammergerichtlicher Klagen waren gering. Demgegenüber fallen die Klagen über rechtswidrige Eingriffe der geistlichen Gerichtsbarkeit in den weltlichen Bereich überwiegend in die Zeit nach 1600. Die juristischen Argumente entnahmen die Anwälte in diesem Fall überwiegend der Reichsverfassung. Die Zerrüttung guter Policey taucht als Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang nur in Jülich-Berg, nicht aber in anderen Territorien auf, doch mag das an Zufällen der Überlieferung liegen. Die Nachbarschaft des altgläubigen Herzogtums zum Kurfürstentum Köln bot Anlaß für Jurisdiktionskonflikte, die es in dieser Art nur in katholisch-weltlichen Territorien geben konnte. Die geistliche Gerichtsbarkeit des Erzstifts ließ sich im Grundsatz kaum leugnen, selbst wenn die erstinstanzliche Tätigkeit der Landdechanten im Provisionalvergleich von 1621 fest verankert war. Die Appellation an das Kölner Offizialat oder Ladungs- und Vollstreckungshandlungen der geistlichen Richter aus Köln und Lüttich waren dagegen gefährliche Präzedenzfälle, wenn es sich um weltliche Streitgegenstände handelte. Hier konnte die erzbischöfliche Kirchenhoheit leicht in weltliche Landesherrschaft umschlagen. Besonders heikel war das in Verfahren aus kleinen Orten und Herrschaften, deren lehensrechtliche Zugehörigkeit zum Herzogtum Jülich-Berg ohnehin unsicher war. Quellen aus dem 18. Jahrhundert belegen Reibereien mit der kurkölnischen geistlichen Gerichtsbarkeit auch in der Zeit nach dem Provisionalvergleich. Die Konflikte hörten also nie ganz auf. Der jülich-bergische Herzog nahm freilich das Recht in Anspruch, bei Rechtsverweigerung durch die geistlichen Gerichte eigene weltliche Jurisdiktion auszuüben. Damit praktizierte er die subsidiäre
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Zuständigkeit der weltlichen Justiz für geistliche Sachen. Die ältere Literatur hatte das noch für undenkbar gehalten. Die gemischte Konfessionalität im Herzogtum kommt in den Quellen nicht zum Vorschein. Das entspricht dem Befund aus Münster. Die Weigerung einzelner Parteien, sich der geistlichen Justiz zu unterwerfen, mag mehrfach durchaus konfessionell bedingt gewesen sein. Doch dazu erfährt man nichts. Selbst in einem Fall, als gerade ein Kloster säkularisiert wurde, stritten sich die Beteiligten über den Rechtsstatus einer Klosterjungfrau, ohne auf den Umbruch auch nur mit einem Wort einzugehen. Die Gerichtsverfassung erweist sich in verblüffender Weise als unabhängig von Glaubensfragen. Schwer einzuordnen bleiben landestypische Besonderheiten. Streit um den persönlichen Status einzelner Parteien gab es in dieser Häufung nur in Jülich-Berg. Mehrfach lag genau hier der Grund, eine Klärung durch die geistliche Gerichtsbarkeit anzustreben. Auch die intensiven Auseinandersetzungen um das Appellationsverbot in possessorischen Sachen fallen in Jülich-Berg auf. Genau für diesen Punkt gab es freilich das Privileg von 1566. Die weitgehende Zahnlosigkeit des geistlichen privilegium fori ist zwar in den Verfahren aus dem Herzogtum besonders augenfällig, fügt sich in den Befund anderer Territorien aber ein. Damit bleibt die schwere Aufgabe, aus all diesen Einzelheiten Lehren zu ziehen, ohne die bunte Vielfalt unter Vergewaltigung der Quellen zwanghaft zu einem Gesamtbild zusammenzupinseln.
XI. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Es gibt kein Gesamtbild. Die vorliegende Untersuchung leistet genau das nicht, was vor wenigen Jahrzehnten noch der Hauptzweck eines vergleichbaren Unterfangens gewesen wäre. Das Buch nimmt Streitigkeiten um die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen weltlichen und kirchlichen Gerichten unter die Lupe, doch bietet es keine gleichsam materiellrechtliche oder gerichtsverfassungsrechtliche Rekonstruktion. Welche Sachen weltlich und welche geistlich waren und wo die Trennlinie zwischen beiden Rechtsbereichen verlief, bleibt damit ungeklärt. Eine eindeutige Antwort auf die naheliegende Frage, wo denn nun genau die Grenze zwischen weltlichem und geistlichem Gericht lag, läßt sich nicht geben. Diese Verweigerung ist keine Feigheit, kein fehlender Mut zur großen These, sondern notwendige Folge einer umfassenden Quellensichtung. Gegenstand des Buches sind Streit, sich widersprechende Sichtweisen und unvereinbare Rechtsstandpunkte. Beim Blick in die Prozeßakten wird die Annahme einer eindeutigen Rechtslage im Usus modernus schnell widerlegt3267. Wenn aber selbst die Zeitgenossen über die hier interessierende Frage uneins waren, kann es nicht Aufgabe der Rechtsgeschichtsschreibung sein, dort messerscharf Grenzen zu ziehen, wo die Quellen genau diese Schärfe nicht erlauben3268. Die großen Linien lösen sich damit auf. Übrig bleiben Wimmelbilder, wie Tilman Repgen augenzwinkernd anmerkt3269. Eine Alternative zur Zerstörung klarer und einfacher Antworten gibt es aber nicht. Das hat auch Hans-Peter Haferkamp zu Recht betont3270. Die vormoderne Buntheit beruht freilich auf strukturellen Gegebenheiten, die sich ihrerseits sehr klar bestimmen lassen. Die Sachverhalte, an denen sich Kompetenzstreitigkeiten zwischen weltlicher und geistlicher Justiz entzündeten, ähnelten einander, und dies über die Territoriumsgrenzen hinweg. Auch die Argumente für und gegen das jeweils zuständige Gericht waren alles andere als an den Haaren herbeigezogene Gesichtspunkte. Damit gab es doch Stabilität, nämlich ein abgrenzbares Arsenal rechtlicher Ebenso für die gelehrte Literatur J an s e n , Dogmatisierungsprozesse, S. 15-16. Ebenso als Kritik an der Verfassungsgeschichtsschreibung S t o l l b e r g -R i l i n g e r , Des Kaisers alte Kleider, S. 133. 3269 R e p g e n , Produktive Unruhe, S. 233. 3270 H a f e r k a m p , Wie weit, S. 279. 3267 3268
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Denkfiguren, die für eine beschränkte Zahl von Konfliktherden verwendbar waren. Der genaue Blick darauf eröffnet wertvolle Einsichten in die vormoderne Rechtspraxis, in das Ringen um geistliche und weltliche Gerichtsgewalt. Und scheinbar so versprengt liegende Fragen wie die Lehensbindung des territorialen Herrschers an den Kaiser, die Über- und Unterordnung gerichtlicher Instanzen und die einheitlichen Grenzen von Herrschaftsgebiet und Gerichtssprengel fügen sich auf den zweiten Blick paßgenau zusammen. Sie zeigen im Kleinen, aber tiefenscharf, nichts weniger als die Entstehung des modernen Staates.
1. Gegen endlose Vorgeschichten Auch in einer zweiten Hinsicht ist methodische Strenge geboten. Ebensowenig wie sich im Rückblick die Zuständigkeiten der frühneuzeitlichen Gerichte normativ klar bestimmen lassen, gibt es Probleme, die man nur in Kenntnis ihrer Vorgeschichte wirklich verstehen kann3271. Die Geschichte und damit auch die Rechtsgeschichte sonnt sich in falscher Selbstüberheblichkeit, wenn sie vorgibt, langverflochtene Fäden ließen sich ausschließlich mit immer tieferem Blick in den Brunnen der Vergangenheit entwirren. Thomas Mann konnte im Anschluß an Richard Wagner mit diesem schönen Wort den Mythos ins Zeitlos-Unendliche auflösen3272. Als Historiker kann und muß man dagegen mit der Quellenauswertung zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnen. Wie jedes moderne Gerichtsurteil zeigt, sind Rechtsprobleme auf vielerlei Arten und nicht nur historisch lösbar. Zuständigkeitsstreitigkeiten um den Weg zu weltlichen und geistlichen Gerichten gab es nicht erst seit dem 16. Jahrhundert. Auch das Mittelalter ist voll davon. Schon der Kanonist Hostiensis beklagte sich im 13. Jahrhundert, heutigen Tages, „hodie“, seien weltliche und geistliche Gerichtsgewalt vermengt3273. Heerscharen älterer Autoren haben sich mit markigen, teils sehr bewegten Worten seit dem 19. Jahrhundert dazu geäußert. Aber selbst wenn in den hier untersuchten Quellen Versatzstücke aus dem gelehrten Recht auftauchen, Auszüge aus den Schriften der mittelalterlichen Gemeinrechtswissenschaft und andere ältere Gesetze, Privilegien oder Verträge, so hanIn der Durchführung anders: U n t e r b u r g e r , Das Bayerische Konkordat, S. 87-220. M a n n , Joseph und seine Brüder/Die Geschichten Jaakobs, S. 7; das Zitat nimmt auf: J a n s e n , Tief ist der Brunnen der Vergangenheit, S. 202. 3273 L e p s i u s , Auflösung, S. 89-90. 3271 3272
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delt es sich bei ihnen im Verwendungszusammenhang um nichts anderes als um frühneuzeitliche Argumente. Ob das Mittelalter diese Bruchstücke anders benutzte, ob die ursprünglichen Autoren in Wirklichkeit etwas anderes meinten, als die Juristen des 16. bis 18. Jahrhunderts verstehen wollten, ist interessant zu wissen, verschiebt aber die Fragestellung und wird im Rahmen dieser Untersuchung nur gelegentlich erörtert. „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“3274, und frei nach Wittgenstein ist auch die Verwendung mittelalterlicher Belegstellen in frühneuzeitlichen Gerichtsverfahren nicht lediglich geschwätzig-epigonales Geplappere, sondern ihr bewußt neuzeitlicher Gebrauch in Schriftsätzen und Relationen. Für die Rechtspraxis der frühen Neuzeit ist die Rückbindung an mittelalterliche Autoritäten weithin bezeichnend, ebenso wie für die gelehrten Autoren des Usus modernus. Das bereitete den Boden für ein usuales Rechtsdenken, ein Recht, für das langes Herkommen und tatsächliche Gewohnheit zugleich Ausfluß von Rechtsgrundsätzen war, aber auch Erkennungsmerkmal sowie Entstehungsvoraussetzung von Recht überhaupt. Juristische Diskussionen kreisten nicht selten um die Frage, ob es ein solches Herkommen gab und ob Einzelne kraft wohlerworbener Rechte davon befreit waren. Die Streitstände in den Jurisdiktionsprozessen machen hier keine Ausnahme. Auch die Herrschaftsgrenzen zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt bestimmten die Zeitgenossen mit Blick auf Herkommen, Gewohnheit und grünende Observanz. Was aber bleibt dann übrig? Wenn es keine sichere Klärung der Rechtslage gibt und auch keine langgezogenen Entwicklungsgeschichten, welche Krümel liegen dann noch herum, um sie an dieser Stelle zusammenzufegen? Zunächst ist eines gewiß: Das Buch handelt von Fragen, mit denen sich die Zeitgenossen in Zuständigkeitskonflikten vor Gericht wirklich beschäftigten. Dabei steht im Einklang mit der Quellenüberlieferung die anwaltliche Argumentation im Mittelpunkt. Alle hier untersuchten Fälle endeten vor den obersten Gerichten des Alten Reiches. So wichtig immerhin nahmen die Beteiligten ihre rechtlichen Angelegenheiten. Bei dieser Blickrichtung geraten nur mittelbar die großen zeitgenössischen Rechtslehrer ins Gesichtsfeld, ebenfalls nur in einem Teil der Verfahren eine Territorialregierung. Meistens ging es um Konflikte, die Untertanen gegeneinander ausfochten, manchmal, aber nicht immer, landsässige Adlige oder Geistliche bzw. solche, die für sich beanspruchten, zu den Geistlichen zu zählen. Wenn die Grenze zwischen geistlichen und weltlichen Sachen kaum zu ziehen ist, gilt dies teilweise ebenso für die konfessionelle Zuordnung des Untersuchungsraumes. Frühneuzeitliche Territorien nach Konfession und Herrschaftsform zu un3274
W i t t g e n s t e i n , Philosophische Untersuchungen, Nr. 43 S. 262.
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terscheiden, ist vor allem für das 16. Jahrhundert schwierig. Hier deckt sich der Befund mit Erkenntnissen der neueren Konfessionalisierungsforschung3275.
2. Überregionale Problemfelder und Argumente Angesichts mehrfacher Schwierigkeiten klarer Grenzziehung überrascht ein anderer Befund nicht. Der Köcher an Argumenten war vielerorts gleich bestückt. Wenn frühneuzeitliche Parteien um die Zuständigkeitsabgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte stritten, war das Arsenal an zur Verfügung stehenden Rechtsstandpunkten begrenzt. Deswegen gab es Gedankenstränge, die sowohl in Streitigkeiten zwischen katholischen als auch zwischen evangelischen Parteien weitgehend übereinstimmten. Dazu gehört das Gerichtsstandsprivileg der Geistlichen, das privilegium fori, und vor allem die Art und Weise, wie es sich einsetzen ließ. Unstreitig daran war wenig. Geistliche hatten in geistlichen Angelegenheiten ihren Gerichtsstand vor geistlichen Gerichten, das mochte weitgehend klar sein. Doch selbst in diesem Punkt scherte die Reichsstadt Hamburg aus. Danach begannen vielfach verworrene Gemengelagen. Das betraf zum einen die Frage, wer überhaupt zu den Geistlichen gehörte. Wie sah es aus mit einer evangelischen Adligen in Schleswig-Holstein, die in einem umgewandelten protestantischen Jungfrauenkloster lebte? Was war mit einem Landsassen geistlicher Herrschaftsträger in Westfalen? Was war mit den Mägden eines Hamburger Pastors? Zum zweiten stritten die Beteiligten nicht nur um die Person, sondern auch um die Reichweite geistlicher Sachen und Zuständigkeiten. Teilweise unterschieden die Zeitgenossen geistliche von politischen Angelegenheiten, etwa wenn von Steuern, Abgaben oder Landtagsdiäten die Rede war. Teilweise betonten die Parteien, auch Zivilsachen gehörten vor die geistlichen Gerichte, wenn entweder Geistliche daran beteiligt waren oder wenn weltliche Parteien dies so wollten. Neben der Prorogation diskutierten Kläger und Beklagte über Fragen der Rechtsnachfolge. Wenn Geistliche einen Weltlichen beerbten oder in die Fußstapfen eines Rechtsinhabers traten oder umgekehrt, zerbrachen sich Anwälte die Köpfe darüber, ob sich nun die Ge3275
v o n G r e y e r z u. a., Interkonfessionalität; S c h i n d l i n g , Konfessionalisierung, S. 24-28, 36-39; für die Mitte des 16. Jahrhunderts bereits L u t t e n b e r g e r , Glaubenseinheit, S. 9396.
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richtszuständigkeit änderte oder bestehen blieb. Auch stritt man sich, inwieweit es einen Unterschied machte, ob ein Geistlicher als Kläger oder als Beklagter vor Gericht auftrat oder ob sich Klage und Widerklage gegenüberstanden. Die rügelose Einlassung zur Hauptsache konnte jedenfalls nach einigen in den Quellen ersichtlichen Auffassungen auch zur Zuständigkeitsausweitung weltlicher Gerichte gegenüber Geistlichen führen. Die Berufung auf das privilegium fori der Geistlichen war in allen hier untersuchten Fällen ein Verteidigungsmittel. Eine Partei wies immer dann darauf hin, wenn sie sich bemühte, selbst unter die Privilegierten zu zählen und die Verwicklung in ein weltliches Gerichtsverfahren zu vermeiden. Es verwundert nicht, wenn dieser Gesichtspunkt mehrfach in der zweiten Instanz auftauchte. Durch Appellation oder Nichtigkeitsklage wollten die Betroffenen ihrer Auffassung nach rechtswidrige Prozeßhandlungen eines Untergerichts aus der Welt schaffen. Daher überrascht auch der weitere Befund nicht. Der Hinweis auf das privilegium fori verpuffte in vielen Fällen wirkungslos. Höchstwahrscheinlich hielten zahlreiche Beteiligte, insbesondere die Richter selbst, das wohlfeile Argument für eine Schutzbehauptung. Nicht zwingend wollten weltliche Gerichte auf diese Weise den Einfluß geistlicher Gerichte begrenzen oder ihre eigene Gerichtsgewalt immer mehr ausdehnen. Solche weitreichenden Aussagen wären nur möglich, wenn Prozesse von Angehörigen immer dergleichen Statusgruppe, in denen immer dieselben Exzeptionen erhoben wurden, vor genau demselben Gericht über einen längeren Zeitraum beobachtet würden. Das ist jedenfalls hier nicht möglich. Statt auf zu schmaler Quellengrundlage brüchige Vermutungen zu formulieren, ist es angemessener, das praktische Ergebnis festzuhalten: Das geistliche privilegium fori war ein zweischneidiges Argument mit hohem Prozeßrisiko. Dort, wo es allseits anerkannt gewesen sein mag, kann es durchaus Streit erspart haben. Genau dann sind aber keine Quellen überliefert. Doch wo es tatsächlich Auseinandersetzungen gab, diente das Gerichtsstandsprivileg nur als ein Argument neben anderen. Ein Berichtsschreiben der Stadt Lübeck zur personellen Zuständigkeit des Konsistoriums von 1723 bestätigt genau diesen Eindruck. In dem Maße, wie geistliche Parteien mit ihrem privilegium fori scheiterten, verschob sich die Gerichtsgewalt zugunsten der weltlichen Herrscher. Ob weltliche Gerichte den Begriff des Geistlichen immer enger faßten oder ob immer weitere Ausnahmen des Klerikerprivilegs Anwendung fanden, ändert nichts am grundsätzlichen Ergebnis. Angesichts der zahlreichen Konflikte um gerichtliche Zuständigkeiten verdient ein anderer Befund Beachtung: Es war nicht alles streitig. Manche Rechtsfragen beantworteten alle Beteiligten in derselben Weise. Dazu gehört in einigen Territorien, jedenfalls im Fürstbistum Münster, die Auffassung,
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das Münsteraner Offizialat sei ein ganz reguläres Zivilgericht. Die Begrenzung der sachlichen Zuständigkeit, von der Offizialatsgerichtsordnung von 1573 mehr angedeutet als angeordnet, aber in der modernen Literatur gern zitiert, taucht in den zeitgenössischen Schriftsätzen der Parteien kaum auf und spielte in der Praxis offenbar keine große Rolle. Hier sind allerdings erhebliche territoriale Unterschiede anzunehmen, insbesondere in Territorien mit weltlicher Landesherrschaft. Doch selbst aus Jülich-Berg, das immer darauf bedacht war, die herzogliche Landesherrschaft nicht durch die geistliche Kölner Offizialatsgerichtsbarkeit auszuhöhlen, gibt es solche Hinweise. Hier war die Tätigkeit der Landdechanten in Zivilsachen, teilweise sogar die Rechtsprechung der Offiziale selbst, durchaus akzeptiert. Der Widerstand äußerte sich freilich ungleich lauter als in Münster. Erst das 18. Jahrhundert brachte den Umschwung. Johann Jakob Moser sah es als ständige Rechtsprechung beider Reichsgerichte an, jegliche Behandlung weltlicher Streitfälle vor geistlichen Gerichten zu unterbinden. In der Praxis mag sich wenig geändert haben, aber die rechtliche Bewertung auf der Reichsebene war von nun an einheitlicher. Ebenfalls weitgehend unstreitig war es, die Behandlung weltlicher Rechtssachen auf Gerichte zu beschränken, die unter der iurisdictio des Reiches oder der Territorialherren standen. Katholische Parteien, selbst wenn sie weltliche Angelegenheiten vor kirchlichen Gerichten ausfochten, durften ihre Zivilsachen keinesfalls durch Appellation oder Rekurs vor den Apostolischen Nuntius oder gar die Rota Romana bringen. Die normativen Quellen, die seit dem 17. Jahrhundert diese Praxis als Mißbrauch brandmarkten und zu verbieten suchten, also die Wahlkapitulationen und der Jüngste Reichsabschied, entsprachen einem Gerichtsgebrauch, der bereits Jahrzehnte zuvor dieselben Argumente benutzte. Es mag ein Zeichen von Trotz, von unvereinbaren rechtlichen Ansichten, aber auch von Einsicht gewesen sein, wenn in zahlreichen kammergerichtlichen Mandatsprozessen wegen verbotener Appellationen an den Nuntius der angegriffene Appellant untätig blieb und auch der Nuntius selbst sich nie förmlich vor der Reichsjustiz zu rechtfertigen versuchte. Teilweise suchte der Nuntius den direkten Weg zum Kammerrichter, doch hatte dies keinerlei Auswirkungen auf die bereits begonnenen oder bevorstehenden Kammergerichtsprozesse. Die Klagen gegen den Nuntius oder gegen unzulässige Rekurse gingen bereits mehrere Jahrzehnte vor Erlaß des Jüngsten Reichsabschieds deutlich zurück. Die später normierte Sichtweise hatte sich augenscheinlich bereits zuvor weitgehend durchgesetzt. Die normativen Quellen folgten also der praktischen Entwicklung nach. Spektakuläre Einzelfälle gab es freilich weiterhin bis ins späte 18. Jahrhundert. Vor allem Lüttich blieb ein Dorn im Auge der obersten Reichsgerichte. Aber Reichskammergericht und Reichs-
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hofrat haben die Rekurse an den Nuntius oder die Rota in Zivilsachen nie akzeptiert. Vielleicht ging der Reichshofrat hiergegen sogar energischer vor als das Reichskammergericht. Ein spektakulärer Fall aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigt, wie erfolgreich die Reichsgerichte hierbei in Einzelfällen sein konnten. Kaiser Karl VI. intervenierte bei Papst Clemens XII. und setzte sich durch. Blind und bettlägerig schlug der altersschwache Heilige Vater einen Rota-Prozeß nieder und beendete die Vollstreckung. Der greise Papst wies sogar den Kölner Nuntius an, die Exkommunikation einer Hildesheimer Bürgersfrau aufzuheben. Das ist nur ein Einzelfall, doch er zeigt, wie die römische Kirche ihren Anspruch auf allumfassende Gerichtsgewalt in der Praxis nicht mehr durchsetzen konnte. Wenn Päpste und Nuntien bis zum Ende des 18. Jahrhunderts so häufig auf das Fürstbistum Lüttich verwiesen, um ihre weltliche Gerichtsgewalt zu untermauern, so war das vielleicht das einzige Territorium, um das sich noch ernsthaft zu streiten lohnte. In allen anderen Gebieten war die Machtfrage dagegen bereits entschieden. Die weltlichen Herrscher nahmen päpstliche Eingriffe in die Zivilgerichtsbarkeit nicht mehr hin.
3. Prozessuale Besonderheiten Die Beschwerden über rechtswidrige Eingriffe der geistlichen Gerichte in den weltlichen Bereich verliefen am Reichskammergericht fast immer als Mandatsprozeß sine clausula. Es gab damit von Beginn an eine höchstrichterliche einstweilige Anordnung. Ihr standardisierter, stets wiederholter Tenor belegt zugleich, wie häufig derartige Fälle vorkamen. Rechtsschutz in Speyer oder Wetzlar ließ sich auf diese Weise vergleichsweise schnell erlangen. Die Klagen über die ordnungswidrige Verhandlung geistlicher Sachen vor weltlichen Gerichten waren dagegen Zitations-, zumeist Appellationsprozesse, insbesondere bei den Beschwerden über Verletzung des angeblichen Klerikerprivilegs. Durch die schwerfälligere und langwierigere Verfahrensart boten diese Prozesse für die Kläger und Appellanten von Beginn an Nachteile, und zudem waren die Erfolgsaussichten deutlich schlechter als bei den Kassationsmandaten gegen den Nuntius. Scheinbar trockene Zuständigkeits- und Verfahrensregeln waren damit ein wichtiger Grund für die so unterschiedlich schneidige Prozeßführung. Die Abwehr geistlicher Übergriffe gelang um vieles leichter als der Kampf der Geistlichkeit gegen überhandnehmende weltliche Gerichtsgewalt. Winzige Weichenstellungen
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im Verfahrensrecht und in der Gerichtsverfassung begünstigten auf diese Weise den Staatsbildungsprozeß.
4. Typische Argumentationsmuster Die rechtlichen Argumente waren in der entgegenlaufenden Beschwerderichtung bei aller Vielfalt im einzelnen in der Grundrichtung verschieden. Beschwerden über unzulässige Übergriffe geistlicher Gerichte in den weltlichen Bereich unterfütterten die Kläger, teilweise auch die betroffenen Landesherren, gern mit Hinweisen auf die Reichsverfassung, das Lehensrecht und andere frühneuzeitliche Normen. Ging es dagegen um geistliche Sachen, die angeblich verbotenerweise vor einem weltlichen Gericht zur Verhandlung kamen, bedienten sich die Parteien häufig aus dem römischkanonischen Recht und der gelehrten Literatur. Die Entstehungszeit der normativen Quellen deutet damit eine Verschiebung der machtpolitischen Einflüsse an. Das überbordende Allegationsgetümmel, auf den ersten Blick kaum mehr als halbgelehrte Tintenkleckserei, hatte auf diese Weise ein ganz handfestes Ergebnis: Es standen sich zwei klar trennbare Zeitschichten gegenüber. Die Kirche beschwor die Vergangenheit, die weltliche Gewalt stützte sich auf die Gegenwart. Das Regelwerk zur Einhegung der geistlichen Justiz wurde nach und nach immer engmaschiger, bis ab 1653 jede Wahlkapitulation die Verpflichtung des römisch-deutschen Kaisers enthielt, gegen die Einmischung der geistlichen Justiz, vor allem des Nuntius, in weltliche Sachen vorzugehen. Noch 1804 sah Gönner hierin einen staatsrechtlichen Grundsatz des Alten Reiches3276. Wenn im sog. Nuntiaturstreit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sogar katholische Erzbischöfe die Abschaffung der Jurisdiktionsgewalt des Nuntius forderten, paßt das ins Bild. Selbst geistliche Landesherren dachten zuerst daran, ihre eigene Macht auszubauen. Die direkte Konfrontation von Kaiser und Papst auf der klassischen Scheidelinie zwischen temporalia und spiritualia war in den hier betrachteten Fällen selten. Im Hintergrund blieb die große alte Auseinandersetzung freilich präsent, wenn etwa auf der untersten Ebene Diener und Boten darüber stritten, ob der Kaiser dem Papst etwas zu sagen habe oder nicht. Fünfhundert Jahre nach dem Investiturstreit war das nunmehr gesunkene Kultur-
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G ö n n e r , Teutsches Staatsrecht, S. 477-478.
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gut3277 bei den Dienern und Fußboten angelangt. Doch wenn der Nuntius den Kammerboten nicht empfing und dieser seine Mandate mit grünem Wachs in einen Türrahmen klebte, in dem schon ältere kammergerichtliche Befehle ungelesen verstaubten, flackert in solchen Feinheiten der nicht erledigte Machtkampf immer wieder auf. In der Asche des Investiturstreits loderte noch Glut. Die prinzipielle Ebene der gerichtlichen Kompetenzkonflikte spielt in den Schriftsätzen der Parteien eine große Rolle. Das gilt für zahlreiche Hinweise auf die Gerichtsgewalt, die iurisdictio des Landesherrn, aber auch des römisch-deutschen Kaisers. Wenn in einem katholischen Territorium die Appellation in weltlichen Angelegenheiten an das Offizialatsgericht des Metropoliten ging und dieses außerhalb des eigenen Landes saß, sprach ein solcher Instanzenzug dem Landesherrn stillschweigend die Reichsunmittelbarkeit ab. Seine iurisdictio war in diesem Fall gerade nicht vom Reich abgeleitet, sondern einem anderen Fürsten unterworfen. Deswegen tauchen Hinweise auf Regalien und das Lehensrecht in den anwaltlichen Auseinandersetzungen häufig auf. Auf der Reichsebene war es ähnlich. Sah eine Partei das Reichskammergericht in seiner Stellung als oberstes Gericht des Alten Reiches durch die Prozeßführung vor dem Apostolischen Nuntius in Frage gestellt, traten Schriftsatzverfasser auf den Plan, die wortgewaltig die Grundfesten der Reichsverfassung gegen die Anmaßungen der geistlichen Gerichtsbarkeit verteidigten. Jeder noch so kleine Präzedenzfall war in den Augen der Juristen geeignet, das Verfassungsgebäude des Alten Reiches einstürzen zu lassen. In einem hier untersuchten Osnabrücker Prozeß gesellte sich auch Justus Möser zu den Verfechtern der Reichsgrundgesetze. Eng verbunden mit der Fixierung auf die Reichsverfassung war die Ablehnung fremder, ausländischer und nicht-rechtsgelehrter Gerichtsgewalt über deutsche Untertanen. Die Schärfe, mit der einige Anwälte in rein innerkatholischen Konflikten die Gerichtsbarkeit des Apostolischen Nuntius angriffen, ist bemerkenswert. Wenn die ältere katholische Kirchengeschichte den allzuständigen Nuntius zum gütig-beliebten altväterlichen Richter umstempelte, von den Gläubigen in weltlichen Rechtssachen gern um Rat gerufen, ist sie durch alle hier vorgelegten Quellen widerlegt. Welche unmittelbaren Vorteile die Beschwerdeführer aus einer Verweisung von dem einen an das andere Gericht ziehen konnten, ist oftmals nicht ersichtlich. Diese Unklarheit fällt besonders dann auf, wenn der untergerichtliche Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif war. Ob wirklich ein geistliches Gericht einen Rechtsstreit anders entscheiden würde als ein weltliches und ob die Beteiligten das vorausahnen konnten, ist nicht belegt. 3277
Zum volkskundlichen Konzept N au m an n , Grundzüge, S. 5.
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Deswegen scheinen zahlreiche Parteien bzw. ihre Schriftsatzverfasser ihre rechtlichen Ausführungen wahrhaft ernst gemeint zu haben und nicht nur aus taktischen Spielchen oder zur Instrumentalisierung des Gerichts vorgeschoben zu haben. Die Parteien vor Gericht dachten nicht immer um drei Ecken. Damit stößt zugleich die beliebte Justiznutzungsthese an ihre Grenzen. In protestantischen Territorien war das Instanzenproblem anders gelagert als in katholischen Gebieten. In lutherischen und reformierten Ländern gab es keine geistliche Gerichtsbarkeit, die im Rechtsmittelzug aus dem Herrschaftsbereich der weltlichen Obrigkeit hinausführte. Die Konsistorien folgten in ihrem Jurisdiktionssprengel den Landesgrenzen. Das stärkte die Landeshoheit. In den Quellen erscheint der evangelische Fürst keineswegs als rein weltlicher, sondern durchweg als geistlicher und weltlicher Herrscher. Die weltlich-geistliche Mischherrschaft war das typische Modell in protestantischen Territorien, die auf diese Weise den katholisch-geistlichen Ländern stark ähnelten. Ein häufig benutztes Argument in protestantischen Territorien war das absolute Appellationsverbot in allen Konsistorialsachen. Einige kammergerichtliche Kläger versuchten, dennoch an die Reichsgerichte zu gelangen. Sie nahmen Zuflucht zur Nichtigkeitsklage, die nicht den Appellationsbeschränkungen unterfiel. Das durchschauten findige Prozeßgegner regelmäßig als Umgehungsversuche. Die versuchte Appellation in Konsistorialsachen blieb jedenfalls in Lübecker Fällen immer erfolglos, und auch mit ihren Nullitätsbeschwerden drangen die Kläger in Speyer und Wetzlar nicht durch. In Lippe dagegen gab es zumindest einmal eine erfolgreiche Appellation vom Konsistorium an das Reichskammergericht, ohne daß der Prozeßgegner die Unzuständigkeitseinrede erhob. Und in Mecklenburg war die Appellation an die Reichsgerichte in geistlichen Angelegenheiten sogar audrücklich erlaubt. Freilich entstand gerade in Lippe Streit darüber, ob die geistliche Konsistorialgerichtsbarkeit überhaupt eine eigenständige iurisdictio ausübte oder dem reformierten Landesherrn gänzlich unterstellt war und seinem jederzeitigen Zugriff offenstand. Bezogen auf das Wechselspiel von Reich und Territorium entfalteten die Instanzenzüge in evangelischen und katholischen Territorien ganz unterschiedliche Wirkungen. In katholischen Territorien war es gerade der unmittelbare Appellationsweg an das Reichskammergericht, der die Reichsstandschaft des Landesherrn anzeigte. Der Instanzenzug der geistlichen Offizialatsgerichtsbarkeit unterwarf den Landesherrn dagegen fremden Obrigkeiten, und genau das erschien in weltlichen Streitsachen untragbar. In protestantischen Territorien dagegen war die Konsistorialgerichtsbarkeit gegen außerterritoriale Einflußnahmen vollständig abgeschottet. Selbst
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wenn die Konsistorien, wie die Literatur betont, gewisse Eigenständigkeit gegenüber dem Landesherrn besessen haben mögen, so festigte doch das Konsistorium die gerichtliche Autonomie des Herrschers. Im Gegensatz zur weltlichen Gerichtsbarkeit, die in protestantischen Territorien wie in katholischen vom Kaiser abgeleitet war, erwuchs die geistliche iurisdictio, die Gerichtsgewalt des evangelisch-landesherrlichen Kirchenregiments, tatsächlich originär und war von keinerlei anderen Machthabern entlehnt. Das Appellationsverbot in Konsistorialsachen stärkte damit die Eigenständigkeit protestantischer Territorien. Das führte zu unterschiedlichen Bestrebungen weltlicher und geistlicher Herrscher, die Grenze zwischen weltlichen und geistlichen Gerichten zu verschieben. Geistliche Herrscher mußten darauf bedacht sein, in weltlichen Angelegenheiten ihre Gerichtsgewalt nicht vom Apostolischen Nuntius oder sogar der Rota Romana beeinträchtigen zu lassen. Die vergleichsweise lasche Justizaufsicht durch die Gerichte des Reiches mochte weniger einschneidend sein als die enge Anbindung an die Hierarchie der kirchlichen Jurisdiktion. Daher konnte der Anreiz bestehen, den Bereich der weltlichen Rechtssachen möglich weit abzustecken, um die Mitsprache von Nuntius und Kurie auf einen unerläßlichen geistlichen Kernbereich zu begrenzen. Die Appellation an den Metropoliten in weltlichen Sachen war teilweise noch hinnehmbar, aber der Rekurs an den Nuntius und die Rota überschritt die Grenze und forderte den katholischen Landesherrn zum Widerstand. In protestantischen Territorien war es umgekehrt. In der geistlichen Gerichtsbarkeit waren sie völlig selbständig, lediglich im weltlichen Bereich gab es die Einbindung in die Reichsgerichtsbarkeit. Ein protestantischer Fürst, der die Zuständigkeit seiner Konsistorialgerichte stärkte, gewann damit zugleich an Autonomie gegenüber Reichskammergericht und Reichshofrat. In protestantischen Territorien entzündeten sich Zuständigkeitskonflikte mehrfach an Ehesachen, die einzelne Kläger im Appellationswege an die Reichsgerichte bringen wollten. Erstaunlicherweise gab es darüber in katholischen Territorien kaum Streit. Die Zugehörigkeit des Eherechts zur geistlichen Gerichtsbarkeit, so läßt sich annehmen, war im katholischen Umfeld weitgehend anerkannt. Bezeichnende Ausnahme war Jülich-Berg, und zwar genau dann, wenn weltliche Gerichte eherechtliche Statusfragen im Rahmen größerer Auseinandersetzungen mitentscheiden wollten. In protestantischen Territorien war die Lage erheblich unübersichtlicher. Jedenfalls gab es Parteien, die im 16. Jahrhundert betonten, Ehesachen seien seit der Reformation ausschließlich nach weltlichem Recht zu beurteilen. Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 gab darauf keine eindeutige Antwort, und so versuchten mehrere zeitgenössische Juristen, das Appellationsverbot in Ehesachen in protestantischen Territorien durch eine Gleichsetzung mit
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Strafsachen zu erreichen, denn hier war seit 1530 fraglos die Appellation an die Reichsgerichte verboten. Ein Negativbefund verdient beiläufige Erwähnung. Die Literatur verweist gelegentlich darauf, geistliche Gerichte hätten gegenüber der weltlichen Justiz den Vorteil geboten, professioneller organisiert zu sein. In vorreformatorischer Zeit und späterhin in katholischen Gebieten sollen sie überterritoriale Vollstreckungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt haben und deswegen beliebt gewesen sein. Das mag so stimmen, und in der Tat waren Exkommunikationen durch Versäumnisurteil, die auch die hier ausgewerteten Quellen belegen, schneidige Sanktionen, wenn auch weltliche Herrschaftsträger immer dagegen angingen. In der Gegenrichtung taucht der Gesichtspunkt aber nicht in den Akten auf. Es gab keinen Kläger, der ausdrücklich betonte, er wolle vor dem geistlichen Gericht seinen Prozeß führen, weil dort die Vollstreckungsmöglichkeiten um soviel besser waren als vor der weltlichen Justiz. Hier kann gerade die landesherrliche Normsetzung das Argumentationsverhalten der Parteien verändert haben. Der Erlaß partikularer Gerichtsordnungen mit ihrer Anlehnung an den römischkanonischen Zivilprozeß führte durchaus zur Annäherung beider Gerichtsbarkeiten. Die weltliche Justiz funktionierte nun ähnlich wie die geistliche. Durch Straffung und Modernisierung der landesherrlichen weltlichen Gerichte drängten die Territorien vielleicht zugleich den Einfluß der kirchlichen Instanzen in weltlichen Angelegenheiten zurück3278. Damit lassen sich die zahlreichen Justizreformen des 16. Jahrhunderts aus bisher eher ungewohnter Sicht neu verstehen. Üblicherweise verweist die Literatur darauf, die Rezeption des römisch-kanonischen Prozeßrechts und der Gerichtsverfassung seien notwendig gewesen, um bei Appellationen an die Reichsgerichte den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes erstinstanzliches Verfahren genügen zu können3279. Jetzt kommt eine weitere Überlegung hinzu. Möglicherweise wollten die Landesherren durch die Reformation der Gerichtsbarkeit ihre weltliche Herrschaft auch gegenüber der geistlichen Justiz stärken. Auch wenn sich diese Absicht schwerlich nachweisen läßt, war die Aufwertung der weltlichen iurisdictio gegenüber der geistlichen Gerichtsbarkeit gewiß keine unerwünschte Nebenwirkung. Überspannen darf man das Bild vom hochgelehrten Offizialatsprozeß freilich nicht. In Münster etwa spottete der Chronist Kerssenbroch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts über die drastischen Zustände. Die Gerichts-
Andeutung in diese Richtung bei S i b e t h , Eherecht, S. 101-102; H as h ag e n , Zur Charakteristik, S. 205. 3279 Sehr plausibel P r a n g e , Schleswig Holstein, S. 40-41. 3278
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verhandlungen des Offizialats fanden im Paradies des Domes statt3280. Christus als Weltenrichter und Paulus mit Richtschwert, flankiert von zahlreichen Heiligen als Schöffen oder Beisitzern, gaben in ihrer Würde den steinern-mittelalterlichen Rahmen. Dennoch herrschte „an den Gerichtstägen ein solcher Lärm und Zulauf von Menschen, und ein solches Schreien, der innerhalb den Gerichtsschranken sich bis zur Heischerkeit zankenden Rabulisten ist, daß man meinet, die Nüchternen wären betrunken, und man gehe ein Wirthshaus vorüber, das voll von Zechern ist.“3281. Es wäre also falsch, beim Offizial nur an den gelehrten Juristen in seinem unterkühlten Arbeitszimmer zu denken, beim weltlichen Gericht dagegen an die ungelehrte Dingversammlung unter der knorrigen Eiche. Solche Klischees bedienen die frühneuzeitlichen Quellen nicht. Der Usus modernus war die Zeit des Mischrechts schlechthin. Grautöne regierten allenthalben, auch im Gericht.
5. Partikulare Vielfalt Der Verzicht auf ein großes Gesamtbild der frühneuzeitlichen Gerichtsverfassung liegt nicht zuletzt an der partikularen Buntheit des Rechts und der Gerichtsbarkeit. Seit einigen Jahrzehnten ist das für das Mittelalter anerkannt. Ein gemeines germanisch-deutsches Recht in ungelehrten Zeiten hat es wohl nie gegeben3282. Im Usus modernus liegt das Problem tiefer. Es gab durchaus einen überregionalen Austausch der gelehrten, meist auf Latein verfaßten Literatur. Aber nach der zeitgenössischen Rechtsquellenlehre waren partikulare Gewohnheiten, Statuten und Gesetze vorrangig vor dem römisch-kanonischem Recht zu beachten, auch wenn die fundata intentio des Zum Paradies, jeweils mit Hinweis auf den Gerichtsort: Ke r s s e n b r o i c k , Geschichte der Wiedertäufer, S. 30, 82, 138, 144; J an s s e n , Chroniken, S. 9, 229; kunstgeschichtlich G e i s b e r g , Stadt Münster/Dom, S. 55-74; J á s z a i , Dom zu Münster, S. 14-17, 19-21; Hinweis in einem Reichskammergerichtsprozeß von 1633 bei W i g a n d , Denkwürdigkeiten, S. 243. 3281 Übersetzung aus dem 18. Jahrhundert: Ke r s s e n b r o i c k , Geschichte der Wiedertäufer, S. 82 das lateinische Original bei D e t m e r , Wiedertäufergeschichte II, S. 93: „Locum huius iudicii Paradisum vocant, ubi tantus iudicii tempore est strepitus et hominum peregrinorum concursus, tanta rabularum ad ravim usque intra septa contendentium vociferatio, ut sobrios esse ebrios ac tabernam combibonibus plenam te praeterire putes“; auch J an s s e n , Chroniken, S. 9, bietet eine Quelle aus dem 16. Jahrhundert, die „spiegelfechtunge“ vor dem geistlichen Gericht beklagt, wo jedermann zu Wort komme, „ehr were gelert oder nicht“; zur Sache auch H o l z e m , Religion, S. 37; S c h u l t e - N ö l k e , Sendgericht, S. 601. 3282 Kr o e s c h e l l , Germanisches Recht, S. 16-19; D i l c h e r , Leges – Gentes – Regna, S. 16. 3280
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gelehrten Rechts hier einen festeren Rahmen bot3283. Der Blick auf die Justiz zeigt einen ähnlichen Befund. Die Gerichtsverfassung war keineswegs überall gleich. Es gab zahlreiche territoriale Unterschiede, häufig normativ abgesichert durch jeweils anderslautende partikulare Gerichtsordnungen3284. Das ist nicht neu und nicht überraschend. Erstaunlich klingt es jedoch, wenn diese territoriale Farbigkeit sich so deutlich auch in der Abgrenzung geistlicher und weltlicher Gerichte niederschlug. Vorschnell ließe sich annehmen, die Trennlinie weltlicher und geistlicher Justiz hätte ein Problem des universellen gemeinen Rechts sein müssen. Immerhin gab es genau zu diesem Punkt einschlägige Bestimmungen im Corpus Iuris Civilis ebenso wie im Corpus Iuris Canonici und vor allem scharfsinnige Erörterungen der Gemeinrechtswissenschaft. Aber auch diese Vorgaben besaßen in der Praxis nur relative Geltung. Sie standen einerseits neben den Grundgesetzen des Alten Reiches, aber vor allem neben territorialen Gerichtsordnungen, Privilegien, Herkommen und Observanzen. Daher ist es angebracht, auch im Schlußkapitel der Untersuchung einige Worte zu den einzelnen Territorien zu verlieren, aus denen die ausgewerteten Quellen stammen. Mehr als ein Vergleich ist nicht möglich, aber dieser ist nach einem altersweisen Wort Paolo Grossis „die schärfste Waffe des Historikers“3285. Das Fürstbistum Münster steht zu Beginn der Untersuchung. Es bietet mit mehreren Dutzend kammergerichtlichen Mandaten eine reiche Fundgrube für Prozesse gegen den Apostolischen Nuntius wegen rechtswidriger Übergriffe in den weltlichen Bereich. Ein deutlicher zeitlicher Schwerpunkt lag im frühen 17. Jahrhundert, vor allem im Jahrzehnt vor 1620. Danach ebbte die Welle ab. Die Vorwürfe gegen den Nuntius waren wortgewaltig formuliert und erfuhren ihre Zuspitzung in dem Angriff, Geistliche sollten sich gefälligst lieber um ihren Gottesdienst kümmern. Außerdem hätten sich Ausländer nicht in die deutsche Gerichtsbarkeit einzumischen. Juristisch ging es um die Verteidigung des Reichslehensverbandes und der Reichsgrundgesetze. Führte der Jüngste Reichsabschied auch Klage über die Rekurse an den Nuntius, so war die Ursache des Ärgernisses doch 1654 gar nicht mehr so aktuell wie noch einige Jahrzehnte zuvor. In Münster war das Offizialat als reguläres Gericht in geistlichen sowie ohne ersichtliche Beschränkungen auch in weltlichen Angelegenheiten anerkannt. Wenn Historiker betonen, im Katholizismus habe die nachtridentiniZum Problem: W i e g a n d , Herkunft und Ausbreitung, S. 126-170; O e s t m a n n , Rechtsvielfalt; S c h ä f e r , Juristische Germanistik, S. 236-252. 3284 Überblick über die wesentlichen zeitgenössischen partikularen Normen bei S c h w ar t z , Zivilprozeß-Gesetzgebung, S. 792-809. 3285 G r o s s i , Recht, S. 99. 3283
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sche Reformbewegung zur Trennung von geistlicher und weltlicher Sphäre geführt3286, galt das vielfach und offensichtlich nicht für Offizialatsgerichte. Ebenfalls weitgehend unstreitig war in Münster die Appellation an das Metropolitangericht, das erzbischöflich-kölnische Offizialat, in weltlichen Sachen. Teilweise gab es hiergegen Klagen, doch das Reichskammergericht hielt sich bedeckt. Eine Grundsatzentscheidung von 1603 erkannte ausdrücklich einen doppelten Instanzenzug an. In weltlichen Sachen konnten Münsteraner Appellanten sowohl zum Kölner Offizial als auch unmittelbar zum Reichskammergericht ziehen. Ob Münster damit ein reichsunmittelbares Territorium war, hing bemerkenswert in der Schwebe. Einige Parteien führten die Regalienbelehnung durch das Reich an, um die eigene weltliche iurisdictio herzuleiten. Der Fürstbischof selbst nahm die Anbindung an die Kölner Obergerichtsbarkeit aber für gewöhnlich hin. Das ist auch nicht verwunderlich, denn der Münsteraner Landesherr war zugleich Kurfürst von Köln und legte auf die Stärkung des einheitlichen Gesamtstaates ersichtlich mehr Wert als auf dezentralisierte Selbständigkeit der unter seinem Bischofshut verknüpften Gebiete. Es waren gerade die Zeiten, in denen die Personalunion unterbrochen war, als Münsteraner Bischofe darangingen, ihre weltliche Justiz von Kurköln abzutrennen. Die versuchte Einführung der inländischen Revision 1651 und 1688 als Ersatz für die Appellation an das erzbischöflich-kurfürstliche Offizialat spricht Bände. Erst im 18. Jahrhundert ging das Reichskammergericht gegen die Appellation in weltlichen Münsteraner Sachen an das Kölner Offizialat energischer vor und hob damit in der Sache den Beschluß von 1603 wieder auf. Im Fürstbistum Osnabrück gab es die enge Anbindung an Kurköln trotz einiger Zeiten unter gemeinsamem Bischofshut nicht. Die Capitulatio perpetua von 1650, das Verfassungsgesetz nach dem Dreißigjährigen Krieg, legte die wechselnde Konfession des Landesherrn fest. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter der Regierung des letzten evangelischen Fürsten gerät ein Verfahren in den Blick, in dem der namhafte Justus Möser als Vertreter der Landesregierung gegen ein katholisches Stift klagte. Das Stift hatte es gewagt, in einer als politisch-weltlich angesehenen Sache die geistliche Gerichtsbarkeit anzurufen. Hier verklagte eine Landesobrigkeit vor dem Reichskammergericht ihre eigenen Untertanen, eine Fallgestaltung, die beim starken Interesse an Untertanenprozessen allzu leicht aus dem Blickfeld neuerer Forschungen verschwindet. Unterstützung erfuhr Justus Möser durch den Reichsfiskal, der sich ebenfalls für die Bestrafung unzulässiger Appellationen an die Geistlichkeit einsetzte. Im Gegensatz zu den viel früheren Münsteraner Fällen spielte in der Osnabrücker Diskussion die histori3286
B e c k e r , Katholische Reform, S. 72.
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sche Herleitung des Problems aus den mittelalterlichen Quellen eine überragende Rolle. Das muß freilich keine partikulare Besonderheit sein, sondern kann an dem gewandelten Methodenverständnis der germanistischen Rechtsantiquare des 18. Jahrhunderts gelegen haben. Ein Hildesheimer Fall aus den 1730er Jahren war ähnlich gelagert wie der Osnabrücker Prozeß. Auch hier verklagte eine Landesregierung ein ansässiges Stift. Das Johannesstift hatte angeblich rechtswidrig eine weltliche Sache vor der geistlichen Gerichtsbarkeit betrieben. Hiergegen wandte sich die fürstbischöfliche Regierung an das Reichskammergericht. Die Weiterungen waren aber enorm. Es hatte nämlich bereits einen Rechtsstreit vor der Rota Romana mitsamt Exkommunikation gegeben. Das Reichskammergericht erwies sich nach dem erstmaligen Erlaß eines Mandats als typisch entscheidungsschwach. Der Reichshofrat schaltete sich ein, und zuletzt verlangte selbst Kaiser Karl VI. persönlich von Papst Clemens XII., die Exkommunikation einer Hildesheimer Bürgersfrau wieder aufzuheben. Damit hatte der Kaiser Erfolg. Der Fall erregte offenbar größeres Aufsehen, weil die Familie der nun rehabilitierten Frau die wesentlichen Dokumente mitsamt kaiserlichen und päpstlichen Schreiben im Druck veröffentlichte. Ganz pathetisch im Sinne der Aufklärung hieß es darin, der klare und heitere Glanz der Sonne setze sich letztlich gegen trübe Wolken und Nebel durch. Klar und heiter sollte die weltliche Justiz sein, neblig-trüb das päpstliche Gericht. Das sagten Katholiken im 18. Jahrhundert. Mit der Reichsstadt Lübeck gerät ein lutherisches Territorium mit eigener Konsistorialgerichtsbarkeit in den Blick. Hier gab es nach der Reformation keine fremde, auswärtige oder ausländische Gerichtsgewalt, die in geistlichen Sachen die weltliche Landesherrschaft bedrohen konnte. Das Konsistorium war seit Bugenhagens Kirchenordnung fest an den Rat angebunden. Als geistliche und weltliche Regierung übten die Lübecker Ratsherren zugleich die gesamte iurisdictio aus. Dennoch gab es Vorwürfe wegen Zuständigkeitsverwirrungen zwischen Konsistorium und Rat. Geistliche, die sich auf ihr Klerikerprivileg beriefen, betonten im 16. und 17. Jahrhundert immer wieder, die Reformation habe an ihrer Exemtion von der weltlichen Justiz überhaupt nichts geändert. Auch ein sprachlicher Befund verdient Beachtung. Die Parteien in Lübeck sprachen wie in Hildesheim und Osnabrück gar nicht vom Gegensatz geistlich-weltlich, sondern geistlich-politisch. In dieser Sichtweise bedrohten geistliche Sonderinteressen die politische Macht. Die Appellation vom Konsistorium ging in Lübeck an den Rat. Der Rat war damit ein forum mixtum, sowohl ein weltliches als auch ein geistliches Gericht. Das unterschied ihn von weltlichen Hofgerichten in katholischen Territorien, die keine geistlichen Sachen behandelten. Die drittinstanzliche Appellation an das Reichskammergericht in Konsistorialsachen kam ab und
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zu vor, blieb aber immer erfolglos. Dazu erging 1595 ein wohl klärendes Reichskammergerichtsurteil. Das Appellationsverbot fand also weitgehende Beachtung. Genau in diesem letzten Punkt gibt es einen überraschenden Unterschied zu Mecklenburg. Hier war die Appellation an das Reichskammergericht in Konsistorialsachen erlaubt und kam auch tatsächlich mehrfach vor. Zunächst zeigen die Quellen, wie die ehemals bischöfliche Jurisdiktion um 1550 auf den evangelischen Landesherrn übergegangen war und zu deutlichen Verunsicherungen im Oberhofzug führte. Festere Ordnung gab es mit der Errichtung des Konsistoriums in Rostock. Mit der Gründung dieses Gerichts verfolgten die Herzöge wohl nicht nur den Zweck, die geistliche Justiz besser zu organisieren. Mehrere Prozesse aus Wismar und Rostock zeigen zugleich, wie die bis dahin recht eigenständigen Hansestädte um ihre landesherrlich privilegierte eigene Gerichtsgewalt fürchteten. Das Konsistorium stärkte ersichtlich die Landesherrschaft gegen die hergebrachte Eigenständigkeit der Städte. Die Appellation lief vom Kirchengericht an das weltliche Hof- und Landgericht, das damit zugleich geistliches Obergericht war. Das bestritten freilich manche Parteien. Aber zahlreiche unstreitige Fälle zeigen den Instanzenzug seit dem späten 16. Jahrhundert genau so, wie der Herzog ihn haben wollte. Die drittinstanzliche Appellation an das Reichskammergericht war ohne weiteres erlaubt, anders als bisherige Pauschalurteile es glauben ließen. Auffällig in den Mecklenburger Akten ist die weitgehend unjuristische, emotionalreligiöse Sprache. Es ging nicht um ernsthaft theologische Anliegen. Aber wenn jemand 1558 vom Heiligen Christlichen Kammergericht sprach, war das auch zu dieser Zeit völlig ungewöhnlich. In Sachsen-Lauenburg war dagegen wie in Lübeck die Appellation an die Reichsgerichte in Ehesachen verboten. Den einzigen Versuch einer Partei, im frühen 17. Jahrhundert in einem Konsistorialprozeß nach Speyer zu appellieren, nahm Herzog Franz II. zum Anlaß, die Prozeßmaximen in Konsistorialangelegenheiten ausführlich darzulegen. Dabei berief er sich auf das summarische Verfahren im Gegensatz zum ordentlichen Zivilprozeß. Dieser Gesichtspunkt taucht in den anderen Akten nicht auf, wird in der Literatur aber gelegentlich erwähnt. Neuere rechtshistorische Untersuchungen meinen, das summarische, also nicht überformalisierte und von mehr Mündlichkeit geprägte Konsistorialverfahren finde seine Ursache in der Bedeutung des Wortes für Martin Luther und in der engen Verbindung von Reformation und Sachsenspiegeltradition3287. Doch legt die Quelle aus Sachsen-Lauenburg anderes nahe. Zum Beleg für die Geltung des summarischen Prozesses in Ehesachen dienten ausschließlich Hinweise auf ausländische 3287
S c h m o e c k e l , Carpzov, S. 29-32.
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und katholische Autoren. Für das Zitierverhalten spielte die Konfession der Gelehrten ohnehin keine entscheidende Rolle. Darauf ist unten kurz zurückzukommen. Anders als Lübeck, Mecklenburg und Sachsen-Lauenburg war die protestantische Grafschaft Lippe nicht lutherisch, sondern reformiert. Die kammergerichtliche Quellenüberlieferung findet hier abweichend von anderen Territorien im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Zuständigkeitkonflikte aus dem 16. Jahrhundert sind nicht bekannt. So hat man es ausnahmslos mit Streitigkeiten aus der Zeit nach dem Übertritt Graf Simons VI. zur sog. zweiten Reformation zu tun. Die lippische Regierung, die an mehreren hier untersuchten Verfahren beteiligt war, verneinte die Notwendigkeit, in protestantischen Territorien eine eigene geistliche Gerichtsbarkeit zu errichten. Sie sah einen engen Zusammenhang zwischen einem illimitierten Appellationsprivileg und dem Verzicht auf Konsistorien. Das Band zur Reichsgerichtsbarkeit, das die Konsistorialgerichte kappten, war ja nicht weiter gefährlich, wenn ein privilegium de non appellando denselben Erfolg herbeiführte. In Lippe gab es dieses Privileg nicht, und so saß in Detmold ein Konsistorialgericht. Die Regierung stellte es ganz in die rechtliche Kontinuität zu den katholischen Offizialaten und sah den protestantischen Landesherrn als Rechtsnachfolger des Papstes in seinem Herrschaftsbereich an. Streitig war in Lippe, ob sich die geistliche Gerichtsgewalt des Grafen auf alle Einwohner des Landes erstreckte. Zweifelhaft war dies zunächst in einzelnen Orten, die kondominial auch Paderborner Hoheitsrechte anerkannten, sowie im Einflußbreich des katholisch-kölnischen Offizials von Werl. Besonders konfliktbeladen war die Weigerung des lippischen Landadels, sich dem Konsistorium zu unterwerfen. Die Landsassen behaupteten in den 1760er Jahren abweichend von Konsistorium und Kanzlei, sie hätten lediglich einen einzigen Gerichtsstand, und der liege für alle Arten von Streitigkeiten beim weltlichen Hofgericht. Da es gerade der lippische Hofrichter selbst war, der diese Rechtsansicht unterstützte und verbreitete, waren die gegensätzlichen Auffassungen jeweils gut begründbar. Einige Herrschaftsverträge aus dem Grafenhaus hatten im 17. Jahrhundert Gerichtsstandsregelungen enthalten, und deren verschiedene Auslegung sorgte für langdauernden Ärger. Ebenfalls streitig war die Frage, ob es gegen lippische Konsistorialurteile die Appellation an das Reichskammergericht gab. Auf dem Papier bestand zwar ein Oberkonsistorium. Das aber blieb weitgehend untätig und erlosch im späten 17. Jahrhundert der Sache nach ganz. Einige Parteien versuchten deswegen, nach Speyer, später Wetzlar zu appellieren. Findige Anwälte formulierten die Appellationen in Nichtigkeitsklagen um und wollten auf diese Weise die Zulässigkeitshürden überspringen.
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In einem Grundsatzstreit aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verlangte die lippische Regierung, Rechtsmittel in Konsistorialsachen an die Reichsgerichte müßten in protestantischen Territorien genauso verboten sein wie die Appellation von katholischen Offizialatsurteilen in geistlichen Sachen an das Reichskammergericht. Durch die Gleichbehandlung mit katholisch-geistlichen Gerichten entzog die reformierte Grafschaft ihre Konsistorien jeder Rechtsaufsicht. Der Einmut in der zeitgenössischen Literatur und wohl auch in der verbreiteten praktischen Handhabung war freilich durch eine wichtige Ausnahme durchbrochen. Mit Johann Ulrich von Cramer setzte sich ausgerechnet einer der bekanntesten Kameralautoren der Wetzlarer Zeit dafür ein, Nichtigkeitsklagen auch in protestantischen Kirchensachen am Reichskammergericht anzunehmen. Seine Begründung enthielt besondere Sprengkraft für jede absolutistische Regung. Cramer warnte nämlich vor landesherrlicher Sklaverei, wenn erst die Rechtsaufsicht des Reiches abgeschüttelt sei. In der evangelischen Reichsstadt Hamburg gab es kein Konsistorium, ganz im Einklang mit der Rechtsauffassung der lippischen Regierung. Der Rat als Obergericht behandelte sämtliche geistlichen und weltlichen Rechtssachen gleichermaßen. Das Appellationsverbot in geistlichen Angelegenheiten nahm der Rat dennoch für sich in Anspruch und unterschied appellable weltliche von nicht appellablen geistlichen Obergerichtsurteilen. War also in katholisch-geistlichen Territorien das Offizialat teilweise ein gewöhnliches weltliches Zivilgericht, so war der Hamburger Rat gleichzeitig ein ordentliches geistliches Gericht. Das Appellationsverbot umschloß erstaunlicherweise in Hamburg in Anlehnung an das Stadtrecht von 1603/05 und ein Appellationsprivileg von 1634 das Ehegüterrecht und damit einen Gegenstand, der üblicherweise als weltlich galt. Probleme bereitete die Zuständigkeitsabgrenzung zur Jurisdiktion des Domkapitels. Der Bremer Vergleich von 1561 und der Stader Rezeß von 1692 führten nicht ernsthaft zum Rechtsfrieden. Zudem versuchte das Domkapitel zumindest in einem spektakulären Fall, sich der Unterordnung unter die Gerichtsgewalt des seit Jahrhunderten im Bistum Bremen-Verden ansässigen Bischofs zu entziehen. Kurios in Hamburg war eine Auseinandersetzung über den Zölibat der evangelischen Pastoren. Jedenfalls gab es Juristen, die betonten, das geistliche privilegium fori dürfe nur dann auf Kleriker Anwendung finden, wenn sie die Anforderungen des mittelalterlichen kanonischen Rechts an die Ehelosigkeit erfüllten, und das war bekanntlich bei fast keinem der Fall. Durch die Gleichbehandlung ersichtlich ungleicher Ausgangslagen versuchten Anwälte, das Klerikerprivileg vollends auszuhebeln und lächerlich zu machen. Ein katholisch-weltliches Territorium für einen norddeutschen Ländervergleich ist kaum zu finden. Auch Jülich-Berg mit seiner gemischtkonfes-
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sionellen Bevölkerung, der diffusen religiösen Lage im 16. Jahrhundert und der späteren Verknüpfung mit Kurpfalz und Bayern ist alles andere als typisch. Aber immerhin war das Herzogtum seit dem frühen 17. Jahrhundert klar katholisch regiert. Schon im Vertrag von Venlo 1543 mußte der unterlegene Herzog Wilhelm V. dem siegreichen Kaiser Karl V. versprechen, nicht zum Luthertum überzutreten. Im weltlichen Herzogtum spielte die Absage an die geistliche Gerichtsbarkeit des Kölner Erzbischofs eine bedeutende Rolle. Der Provisionalvergleich zwischen Jülich-Berg und Kurköln von 1621 war eine später oft zitierte Vereinbarung von Verfassungsrang. Sie entflocht die jeweiligen Einflußsphären, entschärfte die unterschwellige Gefahr für den Herzog aber nicht vollends. Einzelne Orte und Herrschaften in Randlage gerieten unter den Einfluß der weltlichen Gerichtsgewalt des Offizials aus Köln und Lüttich, und Appellationen von Verfahren vor den jülichischen Landdechanten in weltlichen Sachen an das Kölner Offizialatsgericht schwächten die weltliche Landesherrschaft ebenfalls. In mehrfacher Hinsicht behauptete sich die Gerichtsgewalt des Herzogs allerdings. Zunächst gab es seit 1566 ein Appellationsprivileg, das alle Rechtsmittel in possessorischen Sachen ausschloß. Damit konnten weltliche Gerichte ohne Appellationsmöglichkeit über Besitzstreitigkeiten entscheiden, auch wenn es sich in der Hauptsache um geistliche Angelegenheiten handelte. Außerdem nahm die weltliche Regierungskanzlei ihre subsidiäre sachliche Zuständigkeit in geistlichen Streitfällen wahr, wenn sich Parteien über Rechtsverweigerung vor kirchlichen Gerichten beschwerten. Zur Trennung der weltlichen und geistlichen Gerichtsbarkeit berief sich der katholische Herzog von Jülich-Berg unter anderem auf das Reichskonkordat aus dem 15. Jahrhundert. Hierbei sah er sich in der Rechtsnachfolge des Kaisers, ganz im Gegensatz zum reformierten Grafen zur Lippe, der das Konkordat ebenfalls zitierte, für sich selbst aber die Rolle des Papstes beanspruchte. Das geflügelte Wort vom „Dux Cliviae est papa in territoriis suis“, angelehnt an ein Privileg Papst Eugens IV. von 14443288, mochte in der Tat für ein altgläubiges Territorium wenig zutreffend sein3289. Es blieb trotz aller Bemühungen, ein katholisches landesherrliches Kirchenregiment3290 aufzubauen, rechtlich halbseiden und ungenau. Für ein protestantisches Fürstentum traf das Sprichwort aber schlechthin ins Schwarze.
S c h n e i d e r , Ius reformandi, S. 31 F e i n e , Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 499. 3290 H a s h a g e n , Politische und Kirchengeschichte, S. 149. 3288 3289
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6. Zum Schweigen religiöser Argumente vor Gericht Zu einem auf den ersten Anschein entscheidenden Punkt schweigen die Quellen in geradezu gespenstischer Stille. Konfessionsunterschiede der Beteiligten sind nirgendwo auch nur in Ansätzen greifbar. Das ist umso bemerkenswerter, als der Blick in die religiöse Buntheit der ausgewerteten Territorien eindeutige Hinweise auf Konfessionsunterschiede zu Tage fördert. Die Parteien drechselten hieraus aber nie ihre Argumente. Wenn sie die Unterwerfung unter die katholisch-geistliche Gerichtsbarkeit ablehnten, mag es sich durchaus um evangelische Untertanen gehandelt haben, die sich den Fallstricken der Papisten entziehen wollten, wie man damals viellecht gesagt hätte. Fälle aus dem Fürstbistum Münster und dem Herzogtum Jülich-Berg stoßen den Leser geradezu mit der Nase darauf. Aber vor Gericht hantierten die Anwälte mit rein rechtlichen Gesichtspunkten und nie mit dem Glaubensbekenntnis ihres Mandanten, selbst wenn in Schleswig-Holstein, Lippe und Jülich-Berg im 16. Jahrhundert Klöster säkularisiert wurden und genau in dieser Zeit gerichtliche Zuständigkeiten zu bröckeln begannen. In Osnabrück blitzt der Gegensatz von evangelischer Regentschaft und katholischem Stift in einer Quelle aus dem 18. Jahrhundert auf, doch bewegten sich die Argumente im Rahmen der landesrechtlichen Capitulatio perpetua. Die bemerkenswerte Trennung rechtlicher Gesichtspunkte von religiösen Überzeugungen zeigt sich ebenfalls im Zitierverhalten. Die beteiligten Juristen argumentierten oftmals rein ergebnisorientiert und kümmerten sich um die konfessionelle Bindung der herangezogenen Autoren ersichtlich nicht. Ohne Bedenken ließ sich der strenge Lutheraner Benedikt Carpzov auch im katholischen Umfeld als Autorität anführen wie auch der katholische Andreas Gail in evangelischen Territorien3291. Diese Überraschungen erlauben einen wichtigen Schluß. Recht und Gericht waren jedenfalls in Fragen der Gerichtsverfassung weitgehend, ja nahezu vollständig von Glaubensfragen getrennt. So eng auch weltliche und kirchliche Herrschaft und Gerichtsgewalt aneinanderstießen oder verflochten waren, mit dem persönlichen Glauben einzelner hatte das nichts zu tun. Das unterscheidet die hier behandelten Zuständigkeitskonflikte ganz augenfällig von den seit längerem bekannten sog. Religionsprozessen, in denen unter anderem um das Ausmaß und die Auswirkungen des Reformationsrechts und das Bekenntnis einzelner Untertanen Streit entbrannte. Aller-
3291
Etwas andere Einschätzung bei S c h ä f e r , Juristische Germanistik, S. 32, für Hermann Conring und Nikolaus von Kues.
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dings versuchte das Reichskammergericht auch dort, Glaubensfragen wenn möglich auszuklammern3292.
7. Rechtsgeschichte als Geschichte von Rechtsstreitigkeiten Damit steht am Ende nicht eine messerscharfe Abgrenzung, wie es im Rankeschen Sinne mit den Zuständigkeiten weltlicher und geistlicher Gerichte im Alten Reich „eigentlich gewesen“3293. Wo die Grenze verlief, bleibt unklar. Die Quellen zeigen anderes. Sie überliefern uns, in welchen Streitlagen und Auseinandersetzungen frühneuzeitliche Parteien Zuständigkeitsabgrenzungen und Instanzenfragen zwischen geistlichen und weltlichen Gerichten zum Gegenstand ihrer Verhandlungen machten. Die Akten lassen Landesherren zu Worte kommen, die ihre weltliche iurisdictio gegen kirchliche Anmaßungen behaupteten, zugleich aber auch geistliche Obrigkeiten, die mit Hilfe ihrer geistlichen Gerichte ihre Einflußbereiche erweiterten. Diese Rechtsprobleme lassen sich quellennah ermitteln. Je unterschiedliche Sichtweisen der Zeitgenossen nachzuzeichnen und zu verstehen, ist das Ziel der hier vorgelegten rechtshistorischen Forschung. Das Recht der Vergangenheit schlicht festzustellen, ist nicht möglich und letztlich sinnlos. Es kann nicht darum gehen, Eindeutigkeiten zu suchen, wenn die Zeit selbst Rechtsfragen in der Schwebe hielt und sogar höchstrichterliche Entscheidungen sich offen zur Uneindeutigkeit bekannten. Es gibt kein Gesamtbild, aber der Kreis schließt sich. Die Untersuchung kehrt an ihren Ausgangspunkt zurück: Gerichtsakten bewahren den schriftgewordenen Kampf ums Recht.
H e c k e l , Reformationsprozesse, S. 36; K r a t s c h , Justiz – Religion – Politik, S. 136-138 (theologische Begründungen der Parteien), 139-140 (Argumentation des Reichskammergerichts); zur Definition von Religionsprozessen als Streitigkeiten über und um Rechtspositionen aus dem Ausgsburger Religionsfrieden von 1555 R u t h m a n n , Religionsprozesse, S. 10, freilich mit der Einschränkung, daß auch dort Glaubensfragen eher selten zur Sprache kamen. 3293 R a n k e , Geschichten, Vorrede, S. VI. 3292
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Quellen und Literatur
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II. Gedruckte Quellen und Literatur vor 1806 Anmerkung: Die in den zeitgenössischen Schriftsätzen zitierte Literatur ist hier nur aufgenommen, soweit ich die Werke selbst eingesehen habe. Auflagen und Seitenzahlen können sich daher im Vergleich zu den in den Akten zitierten Belegstellen unterscheiden. Abbas Panormitanus s. Nicolaus de Tudeschis Acta synodalia Osnabrugensis ecclesiae ab anno Christi MDCXXVIII, Köln 1628 Al be r ig o , J o se ph us u. a. (Hrsg.), Conciliorum oecumenicorum decreta, Basel, Freiburg 1962 Ale xa nd e r d e I m ola ( Ale xa nd er Ta r ta g nu s) , Consiliorum Alexandri Tartagni Imolensis (...) liber tertius, Frankfurt am Main 1625 Allgemeines Juristisches Oraculum oder Des Heiligen Römisch-Teutschen Reichs Juristen-Facultät, Bd. 14, Leipzig 1753 A pp e l t, He i nr ic h (Bearb.), Die Urkunden Friedrichs I. 1158-1167. Die Urkunden der deutschen Kaiser und Könige X/2 (Monumenta Germaniae Historica. Diplomata regum et imperatorum Germaniae X/2), Hannover 1979 Archidiaconus s. Guido de Baisio Aul i nge r , R o se ma r ie / E lt z , Er we i n H./ Mac h oc ze k, Ur sul a (Bearb.), Der Reichstag zu Augsburg 1555 (Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. = Jüngere Reihe Bd. 20), 4 Teilbände, München 2009 Bald u s d e U b ald i s , Baldi Perusini in quartum et quintum codicis libr. praelectiones, Lyon 1556 Bar b os a, Ag o s ti n h o , Thesaurus Locorum communium Jurisprudentiae, Ex Axiomatibus Augustini Barbosae Et Analectis Johannis-Ottonis Taboris aliorumque analectis, concinnati, Pars Prima, hrsg. v. Johann Sebastian Gambs, Straßburg 1652
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Register
Aachen 39, 96, 116, 127, 590, 622, 682-683 Abbas Panormitanus 248, 534 Abbruch der Jurisdiktion 140-143, 161, 253 Abgaben 385, 390, 430, 472, 502504, 612, 614, 616, 627, 629, 631632, 674-679, 683, 688, 690-692, 710, 719, s. a. Steuern Abgrenzung s. Grenzziehungen Absolutismus 409 Acta priora 10, 387 Adel 94, 121-122, 157, 398-399, 439, 460, 472, 482-491, 524, 606, 652653, 718, 733 Adenauer, Hans-Günther 704 Administrator 357-358, 374-375, 486 Advocatus patriae s. Möser Advokaten 154, 323-324, 338, 394, 476-477, 497, 518, 537-538, 553, 558, 571, 640, 718 Adulterium s. Ehebruch Ahlen 212 Aktenedition 412 Aktenführung 83, 93, 179 Aktenversendung 59, 73, 113, 325, 387, 391, 551-552 Albergati, Antonio s. Nuntius Alençon, Herzog von 248 Alexander III. s. Papst Alexander de Imola (Tartagnus) 297, 549-550 Alfferding, Gerhard 43, 212 Alfieri, Martino s. Nuntius Alimentation s. Unterhaltsanspruch Alkoholkonsum 326, 388, 728 Allegation 9, 154, 168, 352, 374, 393, 395, 514, 591, 622, 723 Altdorf, Juristenfakultät 345
Altrock, Carl von 391 Amalteo, Attilio s. Nuntius Amend(-Traut), Anja 27, 57, 417 Amtsermittlung 411 Anachronismus 428 Analogie 521 Andreae s. Johannes Andreae Angelus de Ubaldis 327 Anmaßung der Gerichtsgewalt 134 - des Rechtsmittels 568, 643, s. a. Mutwilligkeit Anstel, Anna Elisabeth 662-665 Antonius Franciscus s. Doctoribus Annullation 181, s. a. Revokation Anspruch 499, 549 Apanage 460 Apostelbrief 365-366, 368, 375, 378380, 608 Apostolischer Nuntius s. Nuntius Appellation 58-123, 152, 157, 165, 330, 354, 366, 373, 375-379, 382, 400, 403, 420, 473, 490-522, 561, 570-572, 608, 640, 698, 720, 722, s. a. Frevelhaftigkeit, Frivolität, Mutwilligkeit - an den Nuntius 123-223 - Unordentlichkeit 132 Appellationseid 63, 574, s. a. Eid Appellationsinstrument 323, 361, 364, 634, 636, 643 Appellationslibell 328, 531 Appellationsprivilegien 15-16, 56, 6264, 73, 203, 223, 307, 316, 321, 351, 367, 400, 426, 455, 458-459, 462, 491, 523, 529, 551-553, 563565, 627, 632, 640, 642-643, 700705, 712, 733
824 Appellationssumme 64, 120, 202203, 336, 351, 551, 564, 627, 640, 689, 701, 704 Appellationsverbot 17-18, 150, 181, 246, 322, 382, 385-387, 392, 456, 462, 495, 504, 506, 529, 562-573, 602, 643, 699-712 - in Ehesachen 315-322, 335, 348, 413-420, 467, 493-495, 497, 500501, 514, 518, 521, 524, 527, 569, 572, 574, 578-583, 708, 726, 734 - in Injuriensachen 673 - gegen Interlokute 678 - in Konsistorialsachen 518, 524, 725, 731-732, 734 - in Policeysachen 614-615 - im Possessorium 700-704, 712, 715 - in Strafsachen 313-322, 467, 494495 Appellationszettel s. Schedula appellationis Apulien 248 Arcadius s. Kaiser Archidiakon 647-648, 677 Archidiakonatsgerichte 239, 350 Arctiores 233, 293 Arens, Joachim 558 Aretin, Karl Otmar von 231 Arglist 413, s. a. Exceptiones sub- et obreptionis Arnsberg 84 Arrest 530, 542, 584, 618, 663, 677, 684, 693, 695 Artikelprozeß s. Positionalverfahren artikulierter Libell 410 Assessoren 394, 591, 655 Athen 135 Attentate 109, 293, 297-298 Audienz 83, 93, 100, 103, 116, 159, 188-189, 203, 212-213, 290, 311, 325, 329, 372, 374, 429, 449, 492, 545, 562, 568, 605, 625, 640, 659 Auditor 144, 147, 153, 187, 190, 202, 386, 616
Register
Aufklärung 222, 303, 731 Aufopferung 688-689 Aufrechnung 502 Augner, Gerd 567 Augsburg 153, 247 Augsburger Interim 230 Augsburger Religionsfrieden 20, 27, 161, 285, 315, 338-339, 439, 442, 475, 479, 499, 508, 511, 517, 521, 536, 544, 737 Ausland 72-73, 113, 144-147, 162, 181, 218, 346, 538, 613, 619-621, 638, 679, 690, 724, 729 Ausländerfeindlichkeit 140, 144-147, 225, 297 Auslegung 567, 569, s. a. strikte Interpretation Außborn, Heinrich 326-327, 329-330 auswärtiges Gericht s. fremde Gewalt Auszehntung s. Zehnten Autonomie der Gerichte s. Unabhängigkeit der Gerichte - des Rechts 676, 680, 715, 736 Avignon 248 Avokation 119, 294, 430-432, 437, 449, 454, 648 Aytta, Viglius van 42 Babylon, Turmbau 89 Baden, Markgraf Wilhelm 574 Baesweiler 685 Baldus de Ubaldis 236, 248, 250, 279, 408, 534, 637, 701 Balen genannt Fleck, Catharina von der 652-656, 705-707 Bann 128-129, 190, 211, 237, 292293 Banßkow, Heinrich 533 Barbosa, Agostinho 250, 570-571, 623 Bargeld 399 Barth, Christian 514 Bartmann, Johannes 54 Bartolus de Sassoferrato 279, 395, 534, 589, 637, 701
Register
Basel s. Konzil Bastard 610, 617-626 Baudis, Gottfried Leonhard 515 Bauern 192-193, 199, 219 Baulast s. Kirchenbaulast Baumann, Anette 317, 417 Bäumerhof 78 Baurecht 682 Bayern 19, 216, 569, 596-597, 601, 606, 639, 735 - Karl Theodor s. Pfalz Beamte 601 Beck, Christian August 167 Becker, Hans-Jürgen 29-30 Becker-Huberti, Manfred 113 Beckum 123 Befangenheit 325, 387-388, 552, 608 Begriffe 8 Begriffsgeschichte 137, 145 Behauptung 500 Behmer, Amtmann 505-507 Behörden 42 Beissel von Gymnich, Franz Dietrich von 672-674 Belehnung s. Lehenswesen Beleidigung 141, 326, 472, 673, 691, s. a. Injurien Belgien 657-661 Belle 502 Bellemont, Oberst 688 Bellencini, Bartholomäus de 386 Below, Georg von 29, 669 beneficium inventarii 271 Benefizien s. Pfünden Benignis, Tilemann de 590 Bensberg 681 Berchem 652 Berg, Herzogtum 7, 597-598, 601, 605, 610, 661, s. a. Jülich-Berg Bergen 310 Berger, Johann Heinrich 577 Bergner, Marsilius 196 Berichtsschreiben s. Schreiben um Bericht Berkentin, Marie 405-420
825 Berlin, Kammergericht 443-444, 448, 455 Bertachinus, Johannes 248 Beschlagnahme 496 Besitz 503, 517-518, 628, 655, 691 Besitz der Gerichtsbarkeit 466, s. a. quasi-possessio Besitzschutz 356, 517, 547, 701, 705707, s. a. Possessorium, Spolien Besitzstreitigkeiten 265-266, 387, 546, 627-628, 735, s. a. Possessorium Beweis 325, 341, 379, 403, 445, 447448, 459, 500, 549, 553, 557, 569, 576-577, 586, 608, 610 Beweisurteil 399, 402, 559, 570, 575, 671 Bibel 291, 328, 435 Birgel 662 Birkenstock, Johann Conrad von 254 Bisceglia 681 Bischöfe (allgemein) 456, 486 Bischofsstädte 257, 457 Bischopinck, Hermann 78, 130, 173, 347 - Johannes von 77 - Schweder (Sweder) 52, 77-100, 104, 106-107 Bismarck, Otto von 351, 602 Bisping s. Bischopinck Bloon, Lizentiat 571 Blum, Jakob 292, 518, 568 Blutgerichtsbarkeit 315 Bocholt 50-51, 104-106, 197-199 Bodinus, Heinrich 435 Böhmer, Georg Ludwig 451, 453, 515 - Heinrich 359 - Justus Henning 4, 406, 435, 441, 443, 451, 453-456, 515, 577 Bollheim 652-656, 658, 660, 705 Bönigk, Godofredus 112 Bonn 222 - Christianität 629, s. a. Landdechanten
826 Bonnus, Hermann 230 Borch, Alhard Philipp von der 502504 Born 647, 657 Boslar 635 Böttcher, Claus 384 - Engel 384 Bourscheidt, Franz Carl von 674-679 - Maximilian Heinrich von 672674, 689-691 Brabant 684-686 Brack, Wilhelm Maximilian 269 Brandenburg 297, 307, 597, 599 - Preußen 455 Brandschatzung 688-689 Braubach, Max 90 Braugerechtigkeit 6 Braun, Bettina 71 Braunschweig-Lüneburg 231, 249, 455 - Konsistorium 301 Braunschweig-Wolfenbüttel 264, 490, 512 - Philipp Sigismund von s. Osnabrück Braurheim 96 Brautschatz 204, 324, 573, s. a. Dos Bredenol, Christine von 471 Breitenfelde 7, 397 Breitschedel, Burkhard 185 Bremen 529, 531, 584 Bremen-Verden, Erzbischöfe 262, 540, 583-592, 594, 734 - - Johann Friedrich von SchleswigHolstein-Gottorf 540-541 - Erzbistum 491, 543, 581 - Hofgericht 584 - Kanzlei 540, 549, 584, 586, 588, 594 Bremer Vergleich 339, 531-532, 535536, 538-539, 542, 544-545, 552, 555, 558, 560, 562, 584, 593-594, 734 Bremer, Christoph 183 Bremervörde 540, 584, 586
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Brie, Siegfried 3 Brockhaus, Johann 207-209 Broelmann, Johann 175 Brothecker, Bastian 363, 375 brüderliche Verträge (Lippe) 459460, 485, 487, 489, 524 Brühl 121 Brunnemann, Johann 287, 437 Brunner, Otto 8 Brüssel 621 Buchda, Gerhard 6 Buchholz-Johanek, Ingeborg 40 Buddeus, Carl Franz 435 Bugenhagen, Johannes 308, 312, 347348, 398, 424, 456, 527, 731 Bulle 615 Burg an der Wupper 612 Burgbrohl 674 Bürgel, Dr. 582 Bürgerrecht 342-343, 532, 537, 560, 563 Bürgschaft 78, 192, 539-540 Burgi, Dechant 629 Bursarius 134-135, 158-159, 162, 165-166 Burscheidt 96, s. a. Bourscheidt Bußsche, von der, Geheimrat 241 Butterweck, Wilhelm 423, 490, 505 Buxfort 118, 120 Cacherano D’Osasco, Ottavio 98-99 Calenberg 264 Callagnini, Carolo Leopoldo 300 Calvinismus 353, 423, 537, s. a. Lippe, Reformierte, zweite Reformation Camerarius, Heinrich 361 Cammin 419, 421 Campine 647 Capitulatio perpetua 230, 249-251, 262, 346, 730, 736 Cappel, Kapitularjungfrauen 425, 470-483, 490, 654 Carafa, Pier Luigi s. Nuntius Carlevallius, Thomas 279-280, 283
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Carolus de Grassis 248 Carpzov, Benedikt 4, 281, 314, 344, 347, 406, 441-442, 499, 557, 736 Carstens, Christoph Hermann 558 Castro s. Paulus de Castro causa 498-499 causae cognitio s. cognitio causae causae mixtae 286, 581, 601, 655 Celle, Konsistorium 443-444, 455 - Oberappellationsgericht 336, 703 Cevallos, Géronimo de 303 Chokier, Jean de 220-221 Chrisam 471, 474-475 Christianisierung 509 Christianität 666, 681-682, 692, s. a. Landdechanten Christinäus, Paul 556 Cisner, Nikolaus 416, 418 citatio ad videndum 78, 276-277, 290, 497 citatio super nullitate 323, 407, 497, s. a. Nichtigkeitsklage Clausen, Daniel 312 - Telse 397 Clemens XII. s. Papst Clemens August von Bayern s. Hildesheim, Köln Coesfeld 201, 203 cognitio causae 429, 498 communis opinio 554, 577 completum s. Kompleturvermerk Compulsoriales s. Kompulsorialbrief conclusum pleni s. Plenarschluß Conring, Hermann 736 Consilium s. Rechtsgutachten consuetudo s. Gewohnheitsrecht Consulta Camerae 181 contumacia s. Säumnis, Versäumnisurteil Corpus Evangelicorum 301, 512-513, 520, 522 Corpus Iuris Canonici 347, 386, 414, 515, 534, 729 Corpus Iuris Civilis 386, 402, 534, 729
827 Cothmann, Ernst 328 Counotte, Walther 190 Covarruvias, Diego 287, 480, 499 Cramer, Johann Ulrich von 112, 190, 239, 265, 267-268, 443-444, 507509, 516-522, 524-525, 578, 675, 704, 734 crimen mixti fori 397 Cronenbergische Sache 520 cuius regio eius religio 20 Culmann, Dr. 441, 445, 448, 455, 485 Curia Romana s. Rota Romana Cusanus s. Nikolaus von Kues Cynus de Pistoia 637 Damhouder, Jodocus 314 Damme 235 Dänemark 234, 480 - Könige - - Christian III. 399 Darfeld 116 Darlehen 559 Decius, Philipp 314 Deckherr, Johann 514, 571 Decretum Gratiani 82, 349 Dekretalen 82, 258, 341, 349, 622, 637 - per venerabilem 223 Delbene, Thomas 248, 249 delicta mixti fori 5 Dendas, Abraham Reinier 576-577, 580, 582 - Anna Katrine 576, 580, 582 Derogation 34, 284, 532 Desertion 88, 94, 120, 345, 648 desuetudo 548, 688, s. a. Gewohnheiten, Gewohnheitsrecht Detmold s. a. Lippe - Konsistorium 430, s. a. Lippe, Konsistorium - Landesarchiv 21 - Schloß 466-467, 496 - Stadt 505 Deutscher Orden 612, 665, s. a. Ritterorden
828 Deutz 691 Devolutiveffekt 113, 120, 252, 354, 450, 506-507, 568, 572, 586, 592 Diätenzahlung 268-305, 719 Dick, Bettina 181, 336 Dienstbarkeiten s. Hand- und Spanndienste Diestelkamp, Bernhard 367 Dietrichshagen 360 Diez Noguerol s. Noguerol Diffamationsprozeß 549, 610-611 Digesten 4, 69, 283, 481, 534, s. a. Corpus Iuris Civilis Dinges, Martin 56 Dinggenossen 333, 728 Dingpflicht 364, 395, 610, s. a. Gerichtsstandsprivileg Dinklar 265 Diözese 478 Diskussionsprozeß 211 Dobbertin 391 Doctoribus, Antonius Franciscus de 415 Dogmengeschichte 13, 32, 534 Dominikaner 694 dominium directum 658 dominium utile 658 dominus perpetuus 291 Donop, Katharina Amalia von 495501 Dorne, Hermann von 313 Dorth, Johann Jobst von 59 Dortmund 27 Dos 203-204, 206, 500, 649 Dreißigjähriger Krieg 234, 540, 547, 730 Dresden 435 Dreyer, Johann Carl Henrich 309 Drieberg, Johann von 405-420 - Rudolf Friedrich von 390 Droste 91 Droste zu Senden, Sander 144, 172 Droste zu Vischering, Maximilian Heidenreich 116, 118-121 Drove 662
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Dubia Cameralia 181 Duisburg 608, 612 Dungel, Subdiakon 51, 205 Duplik 403, 468, 580 Durantis, Guilelmus 197 Düren 612, 684, 690 Düsseldorf 605-606, 608, 626, 629, 635, 667, s. a. Jülich-Berg - Dechant, Dekan 605, 607, 665, 707 - Landesarchiv 21-22, 123, 234, 599, 662 - Oberappellationsgericht 598, 704 Duve, Thomas 39 Dyckhoff, Gerhard 189 Ebel, Wilhelm 354 Ebersheim, Gerhard 233 Edikte 657-659 Ediktalzitation 334, 622, s. a. Ladung Efferen 674 Ehebruch 323, 359, 429, 527-528, 573, 576, 652-653, 655, 705-707 Ehedispens 51, 205-206 Ehefähigkeit 608, 641, 653-654, 665, 686, 712 Ehegattenerbrecht 641-646 Ehegerichte 307, 521, s. a. Konsistorien Eherecht 3, 24, 27, 310-332, 348-349, 414, 467, 498-499, 514, 599, 601, 605, 624, 649, 653, 705, 707, 726 Ehescheidung 326-331, 429, 527528, 573, 575-583, 593, 647-649, 655, 705 Eheschließung 310, 323-324, 358361, 406, 465, 530, 533, 561-562, 570, 572, 593, 623, s. a. Zwangsheirat Eheverbot 311, 384-385 Eheversprechen s. Verlöbnis Eheverträge 528, 533, 542, 566-569, 581, 593, 642, 647 Ehezärter s. Eheverträge Ehre 570, s. a. Injurien
Register
Ehrkonflikte 57, 326, s. a. Beleidigung Eichel, Heinrich 364 Eichmann, Eduard 31 Eichstätt 12, 247 - Offizialat 28 Eid 323-324, 342, 366, 399, 570, 696697 Eideshelfer 402-403, s. a. Zwölfmanneid Eigenbehörige 54, 76, 192-194, 199, 219 Eigentum 660, s. a. dominium, geteiltes Eigentum Eike von Repgow 683 Eil 673 Einheit weltlicher und geistlicher Gewalt 482, s. a. Trennung weltlicher und geistlicher Gewalt Einheitsstaat 115, 304, 358, 600, 660, 730 Eintritt in den Rechtsstreit 288 Einzelfallgerechtigkeit 408 Eisch, Georg von 23 Eisenhardt, Ulrich 14, 28, 41, 673, 704 Elsaß 297 Emden 537 Emmerich, Philipp Werner von 617 Emphyteuse s. Erbleihe Emser Kongreß 116 Emser Punktation 144, 220 Ende, von, Geheimrat 241 Engel, Ludwig 283-284 England 41, 480, 699 - Georg III., König 240 Entführung 710 Entjungferung 406 Entscheidungsgründe s. Urteilsbegründung Entscheidungsliteratur 557 Entwicklungsgeschichte 14, 717-718 Episkopalismus 222, 453 Erasmianismus 596 Erbenhaftung 271
829 Erbgüter 282, 610 Erbholzrichter s. Holzgericht Erbleihe 444 Erbmänner 77, 93-94 Erbmeier s. Meierrecht Erbprätendent 610 Erbrecht 399, 404, 624-625, 641, 643, 645, 675, 712 Erbschaft 234, 330, 450, 542, 549, 585, 618, 623, 635-636, 640, 646, 661, 665, 686, 701 Erdmann, Kurt 607 Erfurt, Juristenfakultät 240, 245, 252 Erledigung der Hauptsache 212 Ernst von Bayern s. Köln, Münster Erpickum 609, 657-661 Erpressung 469 Erster Weltkrieg 351 Erwin, Holger 137 Erwitte, Margarethe von 471 Eschenbrender, Andreas s. Nuntius Essen 127 Eugen IV. s. Papst Eussem, Anna 693-697 Eutin 309 evangelisch-lutherisch s. Lutheraner evangelisches Kirchenrecht 439-442, 449, 496, 513-515, 520, 525, 535, 599 (und passim in den Abschnitten zu protestantischen Territorien) Everardus, Nikolaus 589 Evokation 50, 63, 161, 362, 624, 663, 682 Evokationsprivileg 64, 663, 673 Ewig, Eugen 222 Ewiger Landfrieden 659 exceptio fori incompetentis 338, 360, 434, 473, 506, 531-532, 708, s. a. Unzuständigkeit exceptio forideclinatoria s. forideklinatorische Einwendung exceptio non devolutionis s. Devolutiveffekt
830 Exceptiones sub- et obreptionis 71, 81, 156, 191-213, 238, 247-253, 278-289, 413 Exekutorialmandat 466, s. a. Urteilsvollstreckung Exemtion 7, 15, 197, 251, 283, 333336, 460, 477, 507-508, 512, 514515, 517, 541, 544, 612, 615, 617, 669, 690-691, 711, 731 Exkommunikation 109, 124, 128, 188, 190, 231, 237, 271, 287, 293295, 298, 300-301, 303, 623, 722, 727, 731 Exterritorialität 616 Extrajudizialappellation 493 Extrajudizialdekret 246, 329 Extrajudizialverfahren 83, 93, 116, 431, 562, 693-694, 699 Exzeptionsschrift 341, 374, 400, 413, 415-416, 418, 433, 438, 444, 449, 466, 468, 479, 497-499, 533-534, 545, 567, 576, 586, 589, 606, 623, 630, 640, 644, 659, 701-702 Fabri, Anna Maria 663 Fachinei, Andrea 623-624 Fakultäten des Nuntius 125-126 Falk, Ulrich 494 Falkenhagen, Kloster 425, 465, 470 Falkmann, August 472, 485 Familienangehörige 536, 560, 593, 692 Farinacius, Prosper 545, 547 Febronianismus 30-31, 125, 458, s. a. Hontheim Fechte, Erich von der 539 Fehdeverbot 659 Feine, Hans Erich 125 Feldkamp, Michael F. 26, 126, 147, 223 Felinus 82, 279-280, 534 Ferdinand von Bayern s. Köln, Münster Feststellungsurteil 605, s. a. Urteil Fischbek, Regina 541
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Fiskal 23, 31, 145-146, 162, 165-167, 180, 188, 205, 219, 233, 239, 241, 244, 246, 253-255, 261, 276-277, 290, 297-298, 617-626, 630, 633, 714, 730 Flächenstaat 478, s. a. Staatswerdung Fleck s. Balen Flensburg 9, 399-404 Fliege, Kurt 265 Flüchter, Antje 680 Fögen, Marie Theres 8 Follerio, Pietro 412 Folter 556 Forderung 386, s. a. Schuldforderung forideklinatorische Einwendung 65, 311, 313, 364, 473, 531, 552, 631, 653, 662, 673, 691, 697, 710 Form 133, 336, 400, 567 Formalismus 61 Formeln 186 forum mixtum 148, 286, 349, 580581, 593, 731 forum privilegiatum 242, s. a. Klerikerprivileg Franchis, Vincentius de 556 Francke, August Hermann 513 Frankfurt am Main 216-217, 443444, 455, 550 fränkische Zeit 256 Frankreich 11, 41, 248, 297, 409-410, 480, 511, 663 - Ludwig XIV. 663 Franzen, August 26, 215 Franziskaner 665 Französische Revolution 220, 249 Frassek, Ralf 307-308 Frauenberg 652 Frechheit 295 Freckenhorst, Äbtissin 81 Freialdenhoven 692 Freiburg 153 Freiheit, s. a. Privilegien - der Person 193 - des Reiches 72 - deutsche 72
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geistliche 167, 209, s. a. Klerikerprivileg Freler, Lucia 419 Fremde 342 fremde Gewalt/Richter 144-147, 162, 200, 274-275, 318, 346, 364, 474, 478, 538, 613, 619-621, 638, 650-651, 658, 679, 690, 724-725, s. a. Ausland Frevelhaftigkeit 131, 151, 236, 297, 366, 568, 681 Frider Mindanus, Peter 288, 578 Friedberg, Emil 27, 218 Friedensbruch 517 Friedland 383, 393, 395 Friedrich II. s. Kaiser Friedrich II. der Große von Preußen 267 Friedrich III. s. Kaiser Friedrich von York s. Osnabrück Frimmersdorf 103 Fristen 94-95, 254, 325, 336, 372, 400, 402, 449, 550, 574, 691 Frivolität 131, 151, 172, 341, 477, 481, 494 Fromhausen 430, 434 Froriepsche Sache 522 Fuchs, Ralf-Peter 673 Fuhrdienste 504-519, s. a. Hand- und Spanndienste fundata intentio 448, 728, s. a. Rechtsanwendungslehre Funk, Martin Samuel 320 Fürst 105, 511, 607 Fürstenberg, Dietrich von s. Paderborn, Bischöfe Fürstenrat 182 Gabel, Helmut 56, 704 Gail, Andreas 63, 95-96, 236, 279, 282-284, 287-288, 317, 327-328, 349, 386, 408, 418, 498-500, 546547, 552, 556-557, 565, 575, 587, 589, 592, 652, 736
831 Gebrauch 60, 82, 236, 356, 370, 403, 480, 538, 604, 634 Gefängnis 309, 323, 470, 652, 659, 705 Gegenreformation 471-472, 597, 650, 680 Geimer, Georg 185 Geisteskrankheit 682 Geistliche 54, 81-82, 130, 251, 281, 337-344, 393, 526, 528, 535, 544, 600, 632, 671, 674, 683-699, 718, 729, 731 geistliche Gewalt s. Obrigkeit geistliche Sachen 319, 347, 414, 440, 444, 450, 497-499, 503, 506, 512, 514, 517-518, 545, 581, 593, 601, 615, 623, 631, 634-650, 719, 731, s. a. politische Sachen Geldern 610-611, 661, 685 Geldforderung 207, 551, 564, 593, 684, s. a. Schuldforderung Geldstrafe 244, 361, 468, 493, s. a. Pön lötigen Goldes gelehrte Literatur 34, 168, 374, 393, 395, 591, 638, 644, 714, 723 Geltung 115, 193, 410, 480, 548, 678, s. a. Observanz Gelübde 604-605, 609, 707 Gemeine Bescheide 102, 571 gemeine beschriebene Rechte 150, 218, 295, 355, 361, 532, 542, 634, 657 gemeiner Nutzen 143 gemeines deutsches Recht 728 gemeines Recht 399, 447-448, 480, 483, 542, 554, 558, 638, 642, 644 Generalkonsistorium 473 Georg III., s. England, Hannover Gerichtsgebrauch 34, 115, 589, 721, s. a. Stilus curiae Gerichtsgewalt s. iurisdictio Gerichtskosten 75, 80, 138, 217-218, 322, 371-372, 391, 403-404, 494, 582, 645, 655, 663 Gerichtspraxis 195
832 Gerichtsschranken 728 Gerichtssprache 138-140 Gerichtsstand 7 Gerichtsstandsprivileg 50, 63, 229, 364, 370, 372, 378, 382, 396, 450, 463, 469, 482-491, 518, 522, 524, 615, 733, s. a. Klerikerprivileg, privilegium fori Gerichtsstandsvereinbarung 5, 28, 39, 50, 53, 105-106, 194-197, 243-244, 282-284, 291, 341, 353, 392, 400-402, 420, 539, 589, 635, 666, 668-669, 679, 686, 696, 719 Gerichtsverfassung 4, 381, 455, 458 und passim Gerichtswahl 101 Germanistik 5 Gesamtbild 716, 737 Gesamtstaat s. Einheitsstaat Geschlechtsverkehr 527-528, 577, s. a. Ehebruch, Inzest, Schwängerung Geschlechtsvormundschaft 492, s. a. Prozeßvormund Gesetze (Bedeutung) 33-34, 532 Gesetzgebung 11 geteiltes Eigentum 658 Getreuer 173-174, 681 Gevelsberg 641, 645, 700 Gevertzhagen s. Anstel Gewaltentrennung 436, 449 Gewohnheiten 34, 47, 86-87, 97, 101, 148, 208, 220, 228, 255, 284, 345, 349, 403, 532, 542-543, 547, 555, 557, 587, 589-590, 652, 686, 695, 718 Gewohnheitsrecht 3, 54-55, 60-61, 87, 98, 148-150, 199, 207, 210, 370, 625 Ghyse 233 Gildehausen, Esther von 559 Gilles, Heinrich 233 Gisebert, Theophilus 556 Gläsener, Dr. 301
Register
Gleichheit der Konfessionen 512, 514, 522 Glehn 662 Gloede, Berendt von 383 - Henning von 383 Glossatoren 4 Glosse 408, 481 Godfrey, Mark 29 Gogericht 43, 55 - Sandwelle 43 - zur Meest 43, 68, 76 Goldast, Melchior 162 Goldene Bulle 64 Gönner, Nicolaus Thaddäus 168, 723 Görlitz, Walter 351 Goslar 590 Gott 575 Gottesdienst 12 Göttingen 252, 520, 577 göttliches Recht 328, 341 Gottmannsförde 405 gradatim 587, 709, s. a. Instanzenzug, Sprungappellation Grammatico, Tommaso 548 Grasdorf 267 Grau, Godderd 173 Gravazio, Nicolantonio 415 Gregor der Große s. Papst Greifswald 360 Grenoble 98 Grenzziehungen 1-4, 7, 9, 41, 481482, 576, 581, 593, 619-620, 624, 633, 639, 717-718, 726, 737 Greven 68 Grevius, Johannes 556 Groeben, Ludwig von der 385 Groß-Collenburg 618 Groß Vernich 688 große Erzählungen 24 Grossi, Paolo 176, 729 Grote-Brogel 609, 657-661 Grundherrschaft 105, 192, 194, 219 Grundsteuer 240, 255-256, s. a. Steuer Grundstücksgeschäfte 333
833
Register
Grundstücksrecht 255-256, 259 grünende Observanz s. Observanz Grüner, Johann Christoph 574 - Katharina Marie 574 Grutter, Johann von 636-637, 640, 701 Gudian, Gunter 371 Gülich, Johann Georg von 568 Güstrow 377, 383-384, 387-389 Gutachten s. Rechtsgutachten gutes altes Recht 591 Güteversuch 466, 486, s. a. Vergleichsschluß Gylmann, Adrian 419-421, 499, 590 Gymnich, Walter 63, 418 Haas, Damian Ferdinand 247 Habit 545-546 Hack, Hieronymus 175, 211-212 Haferkamp, Hans-Peter 716 Hafke, Heinz Christian 30 Haftentschädigung 470 Halle 435, 513 - Juristenfakultät 435, 441 Hamburg 18, 39, 77, 200, 256, 262, 307, 330-331, 379, 405, 414, 418, 443-444, 454-456, 463, 480, 521, 526-595, 652, 692, 699, 719, 734 - Appellationsprivileg 551, 564567, 569, 578, 581, 593, 627, 734 - Bürgermeister 530 - Dom 529, 540, 543, 558, 584, 594 - Domhöfe 544 - Domkapitel 18, 262, 334-336, 526-529, 531, 533, 535, 539-540, 543-563, 583-594, 734 - Englandfahrer 564-566 - Erzbischof 528-529, 541, 563, 593, s. a. Bremen-Verden - Erzbistum 529, 543 - Gerichtsordnung 552-553, 571 - Johanniskloster 564-565 - Kirchenprovinz 242 - Landgericht Hamm und Horn 549-550
-
Niedergericht 530, 551-552, 570 Nikolaikirche 561, 584 Obergericht 530, 541, 551, 554, 558-559, 573, 593-594, 734 - Offizialat 555 - Petrikirche 564-566 - Rat 262, 521 526, 530-531, 549, 573, 580, 584, 734 - Staatsarchiv 21, 584 - Stadtrecht 529, 542-543, 545, 552, 555, 566, 569, 579, 581, 593, 734 - Superintendent 544 - Syndikus 546-547, 575 Hamm 127, 549 Hammerbrook 548-549 Hammerstein, Ludwig von 438-463, 483-491, 515 Hand- und Spanndienste 391, 438, 504-519 Handelssachen 567 Hannover - Hauptstaatsarchiv 21 - Kurfürsten 231, 267 - - Georg III. 240 - Kurfürstentum 455, 483, 487, 569, s. a. Braunschweig-Lüneburg Hanse 309, 372 Hardt, Johann zur 201-202 Harrach, Johann Ernst von 300 Hashagen, Justus 679 Haß auf Geistliche 526, 554 Hausgesinde 536, 544 Havelberg 551 Hayeck von Waldstätten, Joseph 297 Heidelberg 252 Heidemann, Joachim 488 Heiligenkirchen 438-439, 450, 462, 483-491 Heinsberg s. Zweibrüggen Heirat s. Eheschließung Heiratsgut 465-466, s. a. Dos Heiratssteuer 466, 709-710 Heiratsverschreibung s. Eheverträge Helmholz, Richard 699
834 Hellmund, Egidius Günther 511-514, 519-522, 525 Hemmerdt, Anna von 573-574 Hengen 44 Herberhausener Vergleich (Lippe) 460, 485, 524 Herford 266, 465, 590 Herkenrath 612 Herkommen 45, 47, 55, 82, 89, 97, 101, 118-119, 121, 198, 228, 356, 370, 382, 538, 586, 590-592, 601, 624, 635, 658, 660, 718, 729 Herrenstrunden 612-613, 690 Herrschaftsverträge 459-460, 484488, 490, 733, s. a. brüderliche Verträge Hertz, Friedrich 698 Herzogenrather Land 684 Hessen 308, 351, 355, 598, 680 - Darmstadt 15 - Kassel 15, 443-444, 448, 515-516 - - Landgraf Moritz 515-516 Hetzingen, Hans Werner von 623 Hexenprozesse 397, 424, 596 Hildesheim, Bischöfe - - Clemens August von Bayern 267, 276 - Domkapitel 266, 672-674 - Fürstbistum 17-20, 23, 28, 44, 146, 209, 227, 230, 238, 261, 263306, 314, 341, 345, 347, 398, 408, 430-431, 436, 445, 461, 512, 524, 547, 598-599, 722, 731 - Großes Stift 264 - Hofgericht 263 - Kollegiatstift St. Crucis s. Kreuzstift - Kollegiatstift St. Johannes 265, 268-305, 420, 731 - Konsistorium 301 - Kreuzstift 265-266 - Landstände 267 - Lehenskammer 301 - Offizialat 263, 267, 269, 278 - Regierung 263
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- Ritterschaft 265 - Sieben Stifter 265 - St. Mauritius 290 - St. Michael 271 Hilfsbegründung 194-195 Hinrichsen, Lorenz 322-323 historische Argumente 228, 247-249, 256-258, 509, 519, 622, 730-731, s. a. Rechtsantiquare Hoensbroech, Konstantin von 221 Hoerding, Gerhard 104 Hofding 7 Hofgericht Rottweil 167 hohe Obrigkeit 105, 208, 660, 708 Hoheit des Reiches 140-143, 161, 218, 236, 242, 296, 681 Holstein 1, 398-405 s. a. SchleswigHolstein Holter, Theodor 47 Holtzhausen, Simon 430-431, 433434 Holzem, Andreas 55 Holzgericht 49 Holzhausische Sache 520 Holzlieferungen 472 Holzungsgerechtigkeit 383 Holzweiler 684 Hompesch, Franz von 652-656, 705707 Honorius s. Kaiser Hontheim, Johann Nikolaus von 30, 125 Horn, Kirchenprovisoren 430-438 - Stadt 442, 504-519 - Stadtteil von Hamburg 549 Horn, Philipp von 609, 658-659 Hornoldendorf 438 Horrich, Zachäus von 175 Horster, Christian 666, 682 Horstmar 46 Hostiensis 204, 548, 637, 701, 717 Hoven s. Zülpich-Hoven Hoven zum Stein, Dietrich von der 607 Hoya 351
Register
Hulterup 83 Hypothek 60 Immunität 7, 242, 247-248, 250-252, 335, 550, 560, 615, 682-683, 690, 692-693 Imola s. Johannes von Imola Impugnationsklage 552-553 Imshausen 444 Indult 615 Ingelheim, Franz Adolf Dietrich von 520 Inhibition 68, 79, 92, 96, 101, 128130, 171, 177-178, 182, 214, 219, 233, 236, 238-239, 329, 360, 477, 507, 549, 613-614, 702 Iniquität 318-319, 329 Injurien 413, 472, 475, 477, 482, 537, 564, 672-674, s. a. Beleidigung Inkompetenz 7, 133-134, 253, 258, 329, s. a. Unzuständigkeit, Zuständigkeit Insinuation 72, 182-190, 673, s. a. Zustellung Inskriptio 184, 189 Instanzenzüge 27-28, 48, 61, 101, 113, 120-123, 163, 198, 206, 251, 306, 315, 320, 330-332, 350, 352, 373-393, 413, 445-447, 458, 460, 489, 491, 523, 527, 543, 579-580, 583-592, 648, 653, 666-667, 671, 678, 709, 717, 725, 730 - Zahl der Instanzen 653 Instrumentalisierung der Justiz 675, 725, s. a. Justiznutzung Interlokut 59, 96, 100, 336-337, 357, 550-551, 574, 637, 642, 644, 647648, 675, 678, 698, 710 Interponierung der Appellation 79 Intervention 11, 52-53, 66, 83-92, 99, 106-109, 169, 201-202, 253-255, 506, 509, 516, 524, 541, 543, 563, 564-565, 568, 575, 576, 586-589, 640, 644, 702 Interzessionsschreiben 692
835 Investitur 61 Investiturstreit 90, 142, 185, 723-724 Inzest 469-470, 472 Isenburg-Grenzau 108 Isola 174 Italien 41, 144, 153, 173, 248, 303, 316, 327, 386, 412, 534, 618, 638, 681 Itzehoe 399 iura quaesita s. wohlerworbene Rechte iurisdictio 11, 13, 17, 62, 74, 79, 8692, 104-105, 108, 124, 142, 145, 149, 216, 225-226, 274, 334, 343, 350, 354, 356, 361-362, 369, 371372, 375, 380, 424, 436, 442, 446, 454, 458, 461, 469, 473, 477, 552, 586, 594, 598, 601, 609-611, 615, 624, 638, 650-651, 654-658, 660, 664, 667, 670, 679, 685, 690, 698, 713, 721, 724, 726 ius commune in loco 207-208 ius disponens 2 ius dispositivum 2 ius reformandi 27, 479, 736 iustitia denegata vel protracta s. Rechtsverweigerung, Rechtsverzögerung Jagdgerechtigkeit 472 Jason de Mayno 98, 279, 548 Jenin, Matthias 438, 450, 483 Jessen, Peter 336 Jesuiten 471 Jesus Christus 728 Jhering, Rudolf von 1, 133 Johann von Hoya s. Münster Johannes Andreae 204, 534, 548, 637, 701 Johannes von Imola 204 Johanniter s. Ritterorden Judizialverfahren 116, 290, 336, 438, 694
836 Jülich 590 - Hauptgericht 634, 636, 671-672, 687 - Oberhof 634 Jülich-Berg 1, 19-20, 22, 36, 39, 127, 161, 226-227, 230, 262, 266, 275, 278, 306, 308, 332, 405, 463, 474, 547, 596-715, 721, 726, 734-736, s. a. Provisionalvergleich - Appellationsprivileg 627-628, 632, 640, 642, 644, 663, 689, 700705, 707, 711-712, 715, 735 - Geheimer Rat 598, 629-631, 667 - geistlicher Rat 607 - Gerichtsordnung 642, 644 - Herzöge 651-652, 677 - - Johann Wilhelm 596, 609, 657 - - Wilhelm V. 596, 604-605, 607, 640, 642, 653, 685, 701, 735 - - Wolfgang Wilhelm s. PfalzNeuburg - Hofgericht 19, 598, 605, 636-637, 671, 687-688, 694-695, 697, 710 - Hofkanzlei 626-627, 647, 662665, 673, 702, 735 - Hofrat 598, 607, 626, 647-648, 664, 673-674 - Kanzlei 605, 694-695 - Landrecht 670 - Oberappellationsgericht 598 - Räte 635, 642-644, 661-662, 687, 707 - Sendgericht 599 Jülich-Kleve-Berg 596, s. a. JülichBerg Jung, Franz Peter 290 Jungermann, Martin 78-100 Jungius, Joachim 573 Jüngster Reichsabschied 15, 30, 64, 126, 139, 158-163, 168, 179, 215217, 227, 232, 292-293, 304, 432, 502, 721, 729 Jura 2 Juristen 175, 212
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Juristenfakultäten 240, 252, 345, 365, 439-441, 470, 473, 484, 486, 542, 552, 554, 577 Just, Leo 26, 217, 222-223 Justinian 271 Justizaufsicht 331, 363, 431, 519, 523, 726, 734 Justizgewähr s. Rechtsgewährleistungsanspruch Justizkanzlei (allgemein) 241 Justiznutzung 56-57, 675, 725 Justizverweigerung s. Rechtsverweigerung Kabinettsjustiz 430 Kaffmeister, Johann 359 Kahr(en), Heinrich 491-494 Kaiser 30-31, 89, 105, 117, 124-125, 142-143, 148, 185-186, 214, 219, 263, 271, 380, 436, 442, 465, 509511, 515, 520, 613, 621, 623-624, 708, 723, 735 - Arcadius 622 - Ferdinand II. 567 - Ferdinand III. 64, 167, 216 - Ferdinand IV. 163, 166, 215-216 - Friedrich II. 257, 285 - Friedrich III. 28, 152, 671 - Honorius 622 - Joseph I. 167 - Joseph II. 167 - Justinian 271 - Karl der Große 256, 509, 543 - Karl V. 42, 63, 125, 136, 147, 160-162, 167, 621, 671, 685-686, 735 - Karl VI. 77, 164, 166, 182, 277, 284, 289, 295-300, 513, 722, 731 - Karl VII. 167, 513 - Konstantin 509 - Leopold I. 163-164, 167, 216217, 573 - Leopold II. 152 - Ludwig der Bayer 28 - Ludwig der Fromme 543
Register
- Maximilian I. 671 - Maximilian II. 46, 640, 642 - Rudolf II. 104, 173, 316, 371, 671 Kaiserrecht 311-312, 319 Kaiserwahl 164 Kalande 540 Kalumnien 205 Kameralliteratur 268, 279, 512, 525, 587, 590-591 Kammerbote 183-190, 214, 219, 237, 365, 622, 724 Kammergericht s. Königliches Kammergericht Kammerrichter 47, 187, 215, 574, 721 Kammerzieler 519 Kannengießer, Caspar 668-672, 686688 Kanoniker 65 kanonisches Recht 216, 280, 312, 345, 348, 356, 410, 451, 499, 515, 532-535, 673, 691 - Fortgeltung in protestantischen Territorien 416, 440-441, 444, 449-451, 453-454, 508, 523-524, 562, 593 (und passim in den Abschnitten zu den protestantischen Ländern) Kanonisten 4, 314, 535, 556 Kanonistik 3-4, 411 Karl der Große s. Kaiser Karl Theodor s. Pfalz Karolinger 256, 529 Karzer 652, s. a. Gefängnis Kassationsmandat 37, 68, 79, 92, 96, 101, 177-182, 190, 204, 218, 221, 227, 233, 236, 238, 260, 274, 276, 286, 293, 299, 304, 329, 613-614, 622, 666, 681-682, 690, 698, 722, s. a. Revokation Kassel s. Hessen-Kassel Kastilien 41 Katholiken 598 Katholizismus 147, 651 Kaufleute 533, 575
837 Kaufmann, Thomas 312 Kaution s. Sicherheitsleistung Kellner 192 Kempenland 647 Kerckering 91, 94 - Dietrich 45, 48 - Johann 45, 48 - zu Stapel 116, 119 Kern, Bernd Rüdiger 336 - Eduard 306 Kerssenbroch (Kerssenbroick), Hermann von 128 Kerßenbrock, Moritz von 495-501 Keßemeyer s. Holtzhausen Kestner, Advokat 518 Ketteler, Wilhelm von s. Münster Kettler, Konrad 203-205 Ketzer 174, 215 Keufferen s. Koufferen Keuppen, Peter 635 Kirchenbann s. Bann Kirchenbaulast 6, 395 Kirchendiener 544 Kirchengut 282 Kirchenordnung - Braunschweig 312, 527 - Braunschweig-Lüneburg 351 - Hamburg 312, 527 - Hessen 351 - Holstein 398 - Hoya 351 - Kurland 351 - Leiningen 351 - Lemgo 424, 427 - Lippe 423-424, 496, 505 - Lübeck 308, 311-312, 319, 347348, 424, 527, 731 - Mecklenburg (Konsistorialordnung) 312, 351, 391, 509, s. a. Mecklenburg - Oldenburg 351 - Osnabrück 230 - Pfalz-Zweibrücken 351 - Sachsen-Lauenburg 406, 410-412
838 Kirchenregiment 428, s. a. landesherrliches Kirchenregiment Kirchensachen 450, s. a. geistliche Sachen Kirchenstaat 26 Kirchenstrafen s. Bann, Exkommunikation, Zensur Kirchenstuhl 703 Kirchherten 668 Kirchhoff, Lorenz 365, 395 Kirchmann, Hermann 472, 476-477 Klageänderung 576 Klagerücknahme 644, 686 Klein-Collenburg 618 Klein Sprenz 390 Klein Vernich 688 Klerikerprivileg 17, 31, 38-39, 65, 135, 157, 175, 191-194, 199-201, 207-209, 219, 225, 229, 250, 283288, 337-348, 352, 393, 398-405, 420, 457, 463, 474-483, 490, 528563, 588, 593-594, 602, 615-616, 643, 654, 671-674, 683-699, 715, 719-720, 731, 734 Kleve 511, 597, 610-611, 661, 713, 735, s. a. Jülich-Berg - Mark 680 Kleye, Johann der Ältere, Domdekan 540-541, 561, 585-592 - Johann der Jüngere, Domherr 541-548 Klock, Caspar 279 Kloosterhuis, Elisabeth 55, 68 Klöster 9, 27, 49, 251, 265, 332-334, 343, 391, 398-405, 465, 470-482, 564, 604, 616, 641, 643, 645, 653654, 674-679, 684-686, 700, 712, 715, 719, 736 Klosterrath 684-686 Klümper, Theresia 38 Knemeyer, Franz-Ludwig 39, 56, 60 Knippinck, Alhart von 120 Knoeker, Elisabeth 310 Koep, Henrich 77-78 Kölblin, Johann Jakob 187, 212
Register
Kolle, Paul 324-325 Kollegiatstift 239, 265, 268, s. a. Hildesheim, Wiedenbrück Köln - Beamte 476 - Dom 703 - Domkapitel 23, 668-672, 683, 686-688, 692, 698 - Erzbischöfe 7, 20, 230-231, 425, 464, 474-482, 524, 594, 600-601, 651, 692-693, 695-696, 735 - Erzbistum 471, 475-482, 650, 656 - Fiskal 630 - Hofgericht 19, 108 - Hofrat 19, 108 - Juristenfakultät 554 - Kirchenkreis 626 - Kreuzbrüder-Kloster 674-679 - Kurfürsten 45, 52-53, 169-170, 294, 476, 524, 586, 599-601, 625, 640, 673, 692, 730 - - Clemens August von Bayern 118, 267, 276 - - Ernst von Bayern 20, 84-92, 108109, 115, 124-125, 304, 609, 657, 660 - - Ferdinand I. von Bayern 84, 110, 115, 126, 215, 304, 600, 632 - - Gebhard Truchseß von Waldburg 20, 109, 124 - - Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels 676 - - Maximilian Heinrich von Bayern 114, 160, 216 - - Salentin von Isenburg 37-38, 108-109, 124 - Kurfürstentum 13, 15-17, 37, 128, 159-161 (auch bis 229), 232, 273, 477, 481, 483, 584, 597, 599600, 617, 631, 634-635, 650-662, 676, 680, 695, 713-714, 735 - Nuntius s. Nuntius - Offizialat 19, 27, 37-38, 45, 47, 58-123, 126, 169, 180, 223, 234235, 252, 263, 272, 303, 309, 321,
Register
330, 477, 479, 504, 583, 590, 600601, 609-611, 616, 618, 629, 651, 654-656, 661-669, 672, 674-679, 681-682, 698, 707-710, 714, 721, 730, 735 - Räte 475 - Saalgericht 108 - St. Andreas 666 - St. Aposteln 104, 175 - St. Gereon 128, 175, 211 - St. Mariengraden 688-689 - Stadt 111, 127, 280, 622, 668-672, 681 Kölner Krieg s. Truchsessischer Krieg Kommentatoren s. Postglossatoren Kommissare 104, 128-130, 174-175, 183, 195, 210, 212, 219, 234-235, 237, 240, 264, 390, 407, 413, 467468, 472-473, 475, 513, 540, 585, 608, 613, 635, 637, 642-644, 648, 662, 665-666, 698, 707-708 Komnis, Melchior 67-77, 91, 101, 135, 140, 148, 191, 196 Kompleturvermerk 260 Kompulsorialbrief 10, 171, 335, 365, 369, 388-389, 407, 429, 492, 507 Kondominium 466, 476, 494, 733 Konfession 146, 200, 467-468, 471, 478, 508, 715, 732, 736, s. a. Uneindeutigkeit der Konfession Konfessionalisierung 21, 36, 424, 596, 680, 712-713, 719 Konfessionsbestimmungsrecht s. ius reformandi Konfessionskonflikt 49, 122, 225, 243, 246, 252, 428, 469, 537, 540, 573-574, 646, 675, 685, 715, 736 Konfessionsneutralität 596 Konfessionswechsel 472, 516, s. a. Gegenreformation, Reformation, zweite Reformation Konfiskation s. Vermögenseinziehung
839 Konfusion 78, 88, 92, 136-138, 157, 328, 657 König 216 König, Kilian 589 Königliches Kammergericht 28 Königsbann 105 Königsegg-Rothenfels. s. Köln, Kurfürsten Konkordate s. Reichskonkordate Konkubine 205 Konkurs s. Diskussionsprozeß Konsistorien (allgemein) 13, 15, 25, 273, 306-307, 319, 321, 331-332, 347-348, 421, 427, 436-444, 448, 451-452, 454-458, 462, 480, 506, 514-515, 523, 595, 606-607, 725726, 733 Konsistorium (Begriff) 51, 306-307, 677 Konsorten s. Streitgenossenschaft Konstantin s. Kaiser Konstanz s. Konzil Konstanzer Konkordat s. Reichskonkordat Konzil - Basel 144, 152 - Konstanz 152 - Paris 338 - Trient 56, 59, 124, 144, 208, 235 Konzipient 317, 387, 503, 546, s. a. Schriftsatzverfasser Kopenhagen 397 Korfey, Friedrich 388-390 Kornabgaben 212, 269 Kornschulden 43, 604 Körperverletzung 470, 673, 691 Körrenzig 635-636 Koslar 662 Kosten s. Gerichtskosten Kostenteilung 403-404 Koufferen, Margaretha von 636, 640, 701 Krapf, J. Dr. 233 Krawinckel, Anton 626, 628, 702 Krebs, Philipp Helferich 512
840 Krieg 390, 685-686, 688-689, s. a. Dreißigjähriger Krieg, Truchsessischer Krieg Kriegsvormund s. Prozeßvormund Kriminalität 57, s. a. Strafrecht Krümmel 91 Kuhn, Martin 546 Kulturkampf 601 Kummer s. Arrest Kurator 553, 570, s. a. Prozeßvormund Kurbrandenburg s. Brandenburg Kurfürsten 163, s. a. Köln Kurialismus 222 Kurköln s. Köln Kurland 351 Kurmainz s. Mainz Kurpfalz s. Pfalz Kursachsen s. Sachsen Laach 672, 690 Ladung 120, 171, 323, 335-336, 359, 362-364, 368, 380, 389, 407, 413, 429, 432, 492, 503, 507, 585, 604, 619, 654, 714 Ladungsungehorsam 293 Laer, Gemeinde 183, 196-197 Laien 54, 134, 191, 208, 272, 275, 282, 288, 291, 316, 440, 475, 526, 535, 546, 587-588, 600, 618, 678 Laienrichter 31 Lambeck, Anna 573 - Peter 573-574 Lancellottus, Johannes Paulus 328 - Robertus 328 Landdechanten 599, 601, 616, 647648, 651, 665-668, 677-678, 681682, 692, 710, 714, 721 Landesgeschichte 262 landesherrliches Kirchenregiment 307, 331, 433-434, 437, 457, 510, 523, 595, 598, 606, 680, 693, 713, 726, 735 Landesherrschaft 62, 71, 89, 142, 216, 224, 257, 275, 331, 339, 341,
Register
346, 350, 352-373, 393, 396, 433434, 437, 463, 476, 478, 481, 489, 511, 522, 610-611, 621, 624, 650, 656, 660-661, 664, 668, 674, 690, 701, 714, 725 - streitige Landesherrschaft 652656, 662, 668, 685, 705-706, 714 Landeskirche 226, 516, 680 Landesteilungen 351-352, 399, 597 Landesverfassung 456, 461, 478, 485, 580, s. a. Reichsverfassung Landesverteidigung 242 Landesverweisung 537 Landsassen 94, 157, 391, 439-440, 445-446, 452, 454, 460, 463, 482491, 505, 524, 692, 705, 718, 733 Landskron 641 Landstädte 485 Landwehr 369 Landwehr, Götz 68 Lang, Christian Philipp 286 Lange, Johann 688 Langenbeck, Hermann (Bürgermeister) 555-556 - Hermann (Ratsherr) 559-560 Langenbecksche Glosse 555-557 Langendreer 502-504 Langermann, Dietrich 558 - Lucas 553-558 Lasser, Johann Conrad 83, 203 Lateinkenntnisse 48, 138-139, 298, 635, 666 Lauenburg s. Sachsen-Lauenburg Lauterbach, Wolfgang Adam 279 Legat s. Vermächtnis Legistik 3-4 Legitimität 611, 623-624, 633, 636638, 640, s. a. Bastard Lehensrecht, Lehenswesen 61, 71, 78-79, 81, 90, 95-97, 104-106, 118, 121, 147-150, 167, 173, 216, 225-226, 258, 261-262, 276, 285, 306, 346, 353-354, 444, 464-465, 483, 609, 632, 658-660, 711, 714, 717, 723-724, 729
841
Register
Lehmann, Max 601-602, 639 Leibrente 584 Leibzucht 604, 641, 645, 665, 700, 702, 707-709 Leipzig 164 Lemgo 353, 424, 427, 429-430, 461, 478, 512, 590 Lenel, Otto 69 Leppin, Barthold 353 - Tilsche 353-358, 374 Leßner, Jacob 419 Leuffer, Jakob Wilhelm 570-571 Leumundseid 403, s. a. Zwölfmanneid Levetzov, Hermann von 393 Lex Rhodia de iactu 688 Liber Extra 402, s. a. Corpus Iuris Canonici Liber septimus 208 Limburg 685 Lincks, Johann 684 Lindau 153 Lindenbruch, Erpold 585-586, 589 Lindlar 626-628, 702 Link, Christoph 307 Lippe - Appellationsprivileg 426, 459 - Audienz 425-426 - Grafen 472, 503, 524, 713 - - Adolf 460 - - Casimir 460 - - Hermann 460, 466, 494 - - Johannette Wilhelmine (Gräfinwitwe) 430-438, 449 - - Otto 460 - - Philipp 460 - - Simon VI. 20, 353, 423, 427-429, 452, 459, 461, 464-465, 471, 473, 478, 485, 516, 733 - - Simon VII. 460, 464, 466, 469, 492, 494 - - Simon August 430, 505 - Generalkonsistorium 473, 490492, 505 - Gerichtsordnung 477
-
Grafschaft 18, 24, 227, 233, 266, 302, 307, 353, 367, 375-376, 379, 423-525, 535, 562, 578, 595, 607, 654, 690, 699, 713, 725, 733-736 - Hofgericht 423, 425-426, 445, 447, 463, 484-487, 490, 524, 733 - Hofgerichtsordnung 432 - Justizkanzlei 425 - Kanzlei 425-426, 433-434, 438439, 447, 449-461, 463, 476, 484488, 503, 524, 595, 733 - Konsistorium 423, 425-426, 429430, 436-439, 442, 445, 447, 449461, 467, 472, 483, 488-489, 492, 494, 496, 500, 503-519, 524, 595, 607, 733 - Kriminalgericht 423, 425 - Landtag 485, 487, 505, 524 - Obergericht 426 - peinliches Gericht s. Kriminalgericht - Policeyordnung 496 - Regierungskanzlei 425, 470, 505506, 519 - Superintendent 479, 490, 495496, 500, 504 Lipperode 471-472, 475, 477, 482 Lippspringe, Vertrag von 483 Lippstadt 471 Listrup-Bexter Mark 45, 199-200 Litisdenunziation s. Streitverkündung Litiskontestation 326, 363, 402, 637, 647 Litispendenz 364, s. a. Rechtshängigkeit Litisreassumtion s. Wiederaufnahme des Verfahrens Lohe, Anna Elisabeth von 709-710 London, deutsche Kanzlei 231 Löns, Hermann 462 Looz 657 Lorentzen, Johann Georg von 337344 Lövenich 668
842 Lübeck 1, 7, 17-18, 230, 233, 302, 306-350, 357, 378-379, 397-398, 405-407, 414, 421-422, 448, 456457, 467, 487, 494, 524, 558, 580, 720, 725, 731-733 - Archiv der Hansestadt 21, 584 - Bischöfe 309 - Bürgermeister 313, 325, 333 - Domkapitel 231, 308-309, 337344, 397, 474 - Fürstbistum 309 - Heilig-Geist-Hospital 333 - Johanniskloster 332-334 - Konsistorium 309-312, 320, 325, 456, 731 - Obergericht s. Rat - Oberhof 73, 353-358, 372, 374, 486, 580, 713 - Rat 310, 320, 333, 354, 356, 373374, 377, 580, 713, 731 - Stadtrecht 341-343 - Superintendent 309, 326 - Syndikus 309, 312, 320, 325 lübisches Recht 360-361, 369, s. a. Lübeck, Stadtrecht Lück, Heiner 308 Lüdgers, Joachim 269-271, 278, 282, 286, 288-289, 291 - Johann Friedrich 270-271 Ludolff, Georg Melchior von 47, 100, 103, 117, 221, 245, 417, 503, 519, 571, 575, 675 Ludwig der Bayer s. Kaiser Lühe, Familie 394 - Gebhard von der 387 - Otto von der 387 Luther, Martin 319-320, 347, 732 Lutheraner 449, 471, 480, 537, 564, 593, 597-599, 711, 735 Lüttich 13, 15, 126-127, 159-163, 175, 187-188, 190, 214-215, 217218, 220-221, 223, 232, 286, 303, 602, 622, 647-648, 650-651, 657661, 721-722
Register
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Bischöfe 609, 657, s. a. Köln, Kurfürsten - Offizialat 16, 103, 117, 609-611, 659-660, 677-679, 735 - St. Laurentius 286 Lyon 248 Machtsprüche 434, 437, s. a. Kabinettsjustiz Madrid 147 Magdeburg 96 Magenhorst, Julian 590 Magistrat s. Obrigkeit Mailand 415 Mainz 64, 127, 136, 188, 216-217, 264, 272-273, 448, 502, 630, 647, 700 - Domkapitel 590 - Hofgericht 264 - Kanzlei 417 Mainzer Akzeptation 153 Malteser s. Ritterorden Maltzan, Ilse von 387 Mandat 79, 171, 176-182, 246-247, 266-267, 277-278, 296, 360, 380, 384-385, 462, 503, 557, 597, 612, 614, 617-618, 621, 630, 654, 657, 659, 711, 724, 729, 731, s. a. Arctiores, Kassationsmandat Mandatsprozeß 66, 75, 80, 91-93, 116, 139, 156-158, 226, 236, 293, 302, 329, 335, 432, 434, 461, 466, 470-471, 502, 512, 599, 610-611, 625, 667, 698-699, 721 Mandatum cum clausula 79, 179, 236-237, 630 - executoriale s. Urteilsvollstrekkung - sine clausula 131, 150, 156-158, 210, 218, 237, 276, 413, 503, 512, 722 Mandellus, Jacobus 99 Mann, Thomas 717 Mansfeld 96
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Maranta, Robert 316, 395, 412, 421, 545 Marburg, Juristenfakultät 473 Marienborn 653 Marcus, Franciscus 98 Mark, Grafschaft 601, s. a. JülichBerg Martin V. s. Papst Marx von Berg, Johann 612 Mascov, Gottfried 252 Mastrillo, Garsia 280 materielles Recht 3, 41, 191, 203, 206-207, 252, 270, 286, 405, 499, 542, 566, 628, 654, 716 Mauritius, Erich 213 Maximilian Heinrich von Bayern s. Köln, Münster May, Georg 31 Meaux, Synode von 256 Meckel, Philipp Ludwig 434 Mecklenburg 17, 307, 322, 330-331, 351-396, 397, 402, 405, 407, 411, 415, 448, 486, 491, 527-528, 565, 572, 713, 725, 732-733 - Erbvergleich 351, 355, 361 - Herzöge 398, 486, 713 - - Friedrich 389 - - Hans Albrecht 389 - - Heinrich 360 - - Johann Albrecht I. 359, 366, 376 - - Ulrich 355-357, 359, 363-368, 375-381, 383, 395, 411 - Hofgericht 331, 351, 355, 367368, 376-385, 387, 389-390, 572 - Kanzlei 363 - Konsistorium 331, 352, 358-363, 367-368, 371, 374, 376-385, 387389, 392-393, 428, 572, 732 - Landgericht 351, 355, 367, 376380, 383, 390, 572 - Landstände 378-379, 390-391, 395 - Landtag 371 - Offizial 355 - Ritterschaft 390-391, 509
843 Mecklenburg-Vorpommern 242 Meierrecht 266-268 Menochio, Giacomo 287, 291, 314, 554, 589 Merode 611, s. a. Scheiffardt Merveldt, Hermann von 43, 60, 122, 138-139, 141, 144, 157 Metropolit 30, 60, 67, 69, 85-86, 8889, 97-98, 152, 200, 210, 216, 230, 235, 252, 270, 452, 543, 583, 586-589, 594, 651, 724, 726, 740 Metternich 91 Meurer, Noe 313 Meuthen, Johann Franz von 647, 650 - Wilhelm Winand von 647, 650 Mevius, David 288, 316, 327-328, 342, 344, 451, 453, 498, 515, 557 Miete 584 Millen 648 Militärangelegenheiten 242, 258 Mindanus s. Frider Mindanus Minden 230-231, 235 Minucci, Minutio 221 Mißbrauch der Appellation 450, 500 - der geistlichen Gerichte 132-133, 155, 166, 176, 218, 677 - der geistlichen Gewalt 457 - des kanonischen Rechts 454-455 - der weltlichen Gerichte 556 Mitgift 466, 710, s. a. Dos Mocenni, Theodosio 240, s. a. Nuntius Modéer, Kjell Åke 367 Modersohn, Bernhard 129 Molfesio, Andrea 249 Moller, Johann 530-537, 563 - Johannes 530 Möller, Anna Ilsabe 570 Mölln 7, 397 Mondovi 314 Montorio, Pietro Francesco s. Nuntius mores 344 Moritz von Hessen, s. Hessen-Kassel Morken 103
844 Morrien, Dietrich von 143, 157, 173, 188-189 - Gerhard von 60, 91, 94, 122, 130, 135, 140-141, 144 Moser, Johann Jakob 24, 117, 239, 266, 303-304, 486, 519-520, 721 Möser, Justus 127, 238-262, 272, 302, 442, 724, 730 Mozzi, Pietro Nicola 499 Mühlengericht 672 Mühlenrecht 484 Müller, Joachim 390 Müller-Volbehr, Jörg 40 Mumme, Heinrich 42, 50-51, 104112, 169 München 125, s. a. Nuntius München, Nicolaus 223 Münchhausen, Claus von 539 Mündlichkeit 410-411 Münster - Bischöfe 52, 247, 657 - - Bernhard von Raesfeld 63, 128 - - Christoph Bernhard von Galen 73-74, 112, 114, 122, 231 - - Ernst von Bayern 36, 49, 84 - - Ferdinand I. von Bayern 84 - - Franz von Waldeck 230 - - Friedrich Christian von Plettenberg 114 - - Johann von Hoya 37-38, 46-47, 53, 55, 62, 84, 87, 107, 228, 425 - - Maximilian Heinrich von Bayern 114 - - Wilhelm von Ketteler 128 - Dom 65, 76, 158, 197, 207, 728 - Domkapitel 68, 81, 129, 134, 166, 187, 192, 213 - Fürstbistum 1, 12-13, 15-17, 20, 36-229, 230, 232, 236, 242, 263264, 281, 291, 296, 303-304, 306, 331, 425, 431, 436, 445, 469, 472, 504, 510, 524, 538, 583, 586, 590, 594, 598-600, 620, 640, 645, 650, 655, 660, 664, 681, 709, 715, 720721, 727, 729-730, 736
Register
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Hofgericht 38, 40, 44, 46, 50, 52, 55, 78, 99, 106-109, 111, 119, 124, 263 - Landesarchiv 10, 21, 123 - Landgericht 46-47 - Landstände 44, 48, 67, 77 - Niederstift 114, 231 - Offizialat 10, 12, 16, 19, 46-47, 53, 98-100, 104-112, 263, 273, 321, 330, 504, 580, 583, 594, 600, 721, 728-729 - Pfennigmeister 44 - Regierung 40, 44, 73, 112-115, 211 - Stadt 36, 39, 56, 63, 85, 155, 201, 211, 558 - Ständeversammlung 44 - St. Ludgeri 183 - St. Mauritz 197 - St. Martini 51 - Überwasserkirche 45, 49, 199201, 209 Münstermann, Philipp 51, 205 Musculus, Bartholomäus 492-493 Mussinghoff, Heinrich 39, 56, 60, 227 Muther, Theodor 28 Mutwilligkeit 131, 151, 172, 236, 295, 366, 387, 494, 568 Mynsinger, Joachim 282, 386, 498500, 552, 557, 587, 644 Nachsubsumtion 8, 13, 81, 261, 428, 696 Narrationen 43, 58, 70, 149-150, 238, 295-296, 399, 604, 622, 658 Narus, Georgius 612 Nassau 96 - Dillenburg 516 Nationalbewußtsein 144, 146, 297 Nationalsozialismus 222, 309 Natta, Marco Antonio 248 natürliches Recht 328, 435, 494 Neapel 41, 164, 548, 556
Register
Nebenländer 90, 115, 304, 583, 594, 597, 651 Neithardt, Bartolt 537-538 Nemerow 385-386, 394-395 Neuburg s. Pfalz-Neuburg Neuhof, Stephan Dietrich von 207208 Neuss, Dekanat 601, 666, 681-682 Nicastro 173 Nicellus, Antonius 386 nichteheliche Geburt s. Bastard nichteheliche Lebensgemeinschaft 472 Nichtigkeit 275, 296, 318-319, 323, 327-328, 334, 338, 362, 376, 400, 402, 409, 412-413, 492, 496-497, 500-501, 513, 517-518, 538, 551552, 582, 635, 673 Nichtigkeitsklage 96, 313, 318-319, 323-325, 328, 330, 335, 349, 400, 403, 418-421, 434, 473-474, 492493, 495-501, 517, 520-522, 524525, 537, 539, 551-552, 575, 577, 689, 720, 725, 733-734 Nichtwissen, Erklärung mit 397, 589 Nickel, Tilmann von 662-665 Niederau, Kurt 35 Niedergerichtsbarkeit 192 Niederlande 480, 556, 560, 589 Niedersachsen s. Sachsen-Lauenburg Niemann, Peter 548-549, 553 Nierendorf 629-633, 667-668, 710711 Nießbrauch 604 Nikolaus V. s. Papst Nikolaus de Tudeschis s. Abbas Panormitanus Nikolaus von Kues 736 Nipperdey, Thomas 261 Nizza 193 Noguerol, Pedro Diez 283 Nordkirchen 60, 94, 221 Normengeschichte 27, 32, 54, 66, 166, 176, 336, 416 Nörvenich 612, 675
845 Norwegen 310 Notare 42, 162, 183, 323, 394, 404, 496-497, 537, 622, 708 Notorietät 78, 91-92, 207, 338, 340, 473, 586, 589, 617 Nullität s. Nichtigkeit Nuntiaturberichte 30, 216 Nuntiaturstreit 31, 121, 125-126, 220, 223, 458, 723 Nuntius 10, 16, 23, 26, 30, 36-229, 232-262, 266, 321, 328, 332, 346, 436, 445, 452, 461, 523, 538, 580581, 600, 602, 613-614, 618, 620621, 623, 666, 670, 680-683, 698, 703, 721-724, 726, 729 - - Albergati, Antonio 186, 201, 235, 681 - - Alfieri, Martino 174 - - Amalteo, Attilio 125, 135, 173, 184, 186 - - Carafa, Pier Luigi 171-172, 174, 214 - - Eschenbrender, Andreas 144 - - Mocenni, Theodosio 240 - - Montorio, Pietro Francesco 173, 214 - - Sanfelice, Giuseppe Maria 164, 187, 215-217 - Fakultäten 125 - Kölner Nuntiatur 124-126 - Münchener Nuntiatur 125, 220 - Wiener Nuntiatur 215 Nürnberg 443-444, 455 Oberappellationsgericht der vier freien Städte Deutschlands 110 Oberhof 353-358, 368, 372, 374, 378, 634, 713, 732, s. a. Lübeck Oberkonsistorium 377, 491, 733, s. a. Konsistorien (allgemein) Oberländer, Samuel 112, 412 Obrigkeit 133, 364, 393, 474-475, 479, 482, 492, 543, 552, 613, 616, 654, 693, 695, s. a. hohe Obrigkeit
846 Obrigkeitenprozeß 241, 260-261, 272, 302, 408, 461, 730 Observanz 55, 86-87, 89, 97, 118120, 123, 193, 208, 281-284, 340, 410, 418-419, 464, 480, 590, 614, 624, 688, 708, 718, 729 Odenthal 612 Oeffte, Margaretha von 604-608, 665, 707-709 Oer, Sophia von 471 offene Rechtsprobleme 81, 109-112 Offenkundigkeit 92 Offizialate (allgemein) 15, 25-26, 29, 33, 38, 209, 242, 266, 306, 315, 321, 330-332, 346, 350, 362, 367, 411, 439-440, 442, 444, 450-451, 454, 462, 482, 488, 491, 503-504, 512, 515, 522, 581, 616, 620, 624, 652, 655, 660, 679, 724, 727-728, 730, 733 Offizialmaxime 506 Olea, Alfonso 283 Oldenburg 351 Oldenburger Münsterland 114 Oldenfleth, Christoph von 388-390 Olfers, Clemens von 56, 67 Oppenheim, Karl 54 Oppenhoff, Joseph 704 Ordinarius 43, 310, 354-355, 374, 475, 486, 543, 587, 606, 616, 669, 713 ordines iudiciarii 4 Osasco s. Cacherano Osnabrück s. a. Capitulatio perpetua - Archidiakonatsgericht 239, 245, 350 - Bischöfe - - Dietrich 253 - - Ernst August I. 231 - - Ernst August II. 239 - - Franz von Waldeck 230 - - Franz von Wartenberg 230 - - Franz Wilhelm von Wartenberg 234 - - Friedrich von York 240
Register
- - Konrad 257 - - Philipp Sigismund von Braunschweig-Wolfenbüttel 234-235 - Domkapitel 231, 234-235, 246 - Fürstbistum 17-18, 114-116, 127, 166, 209, 227-228, 230-262, 272273, 289, 302, 304, 306, 341, 345347, 398, 408, 430-431, 436, 442, 445, 461, 524, 724, 730-731, 736 - Geheimer Rat 231 - Konsistorium 231-233 - Landes- und Justizkanzlei 231232, 243 - Offizialat 231, 233, 235 - Sendgericht 232 - Staatsarchiv 21 - Stadt 232, 558 - weltliche Kanzlei 239 Österreich 15, 553 Osterwick 201 Ostschlangener Vertrag (Lippe) 469, 483 Otterstede, Hermann 174 Oveling, Wilhelm 104, 197 - Witwe 50, 109, 111, 197-198 Overheid 703 Pachtvertrag 267-268, 617, 684, 691 Paderborn 112, 127, 180, 224, 276, 304, 425, 464-470, 478, 483, 494, 653, 733 - Bischöfe 463-465, 469-470, 476, 482, 490 - - Dietrich von Fürstenberg 465 - Kanzlei 467-469 - Offizialat 47, 113, 117, 468-469 - Regierung 113 Padua 314 Panormitanus s. Abbas Panormitanus Papinian 2 Papst 6, 31, 71, 109, 124, 140, 142, 146, 149, 160-161, 164-166, 185186, 214, 219, 231, 234, 242, 251, 256, 263, 268-305, 309, 510-511,
Register
522, 535, 547, 571, 613, 616, 620, 653, 679, 681, 690, 705, 713, 722723, 733, 735 - Alexander III. 258, 408 - Bonifatius VIII. 208 - Clemens XII. 277, 301, 722, 731 - Eugen IV. 153, 511, 735 - Gregor der Große 285 - Gregor IX. 284, 341, 622 - Gregor XIII. 124 - Honorius III. 345, 535 - Innozenz III. 204, 223, 248, 284, 622, 673, 691 - Innozenz IV. 534 - Martin V. 152 - Nikolaus V. 152 - Paul V. 221, 600 - Pius IV. 615 - Pius VI. 126, 220-222 - Urban VIII. 214, 615 Parchim 363-364, 372, 375, 391, 393 Paris 256, 409 Parisius, Petrus Paulus 314 Parition 93, 202 Paritionsanzeige 77, 80, 183, 187, 194, 196, 205, 209-213, 219, 237, 301, 557, 661 Paritorialurteil 76, 194-195, 209, 219, 237, 267, 293, 513, 625, 660 Parteiwechsel 283, 290-291 partikulare Vielfalt 414 Partikularrecht 193, 262, 339, 392, 412-414, 434, 440-441, 445, 447, 459, 477, 483, 487-489, 532, 556, 566, 571-572, 578-579, 604, 625, 633, 642, 649, 693-697, 700, 728735 Passauer Vertrag 285, 442, 475, 508, 511 Patrimonialgericht 94, 192, 332-334, 660 Patriotismus s. Nationalbewußtsein Patronat 6, 287, 353, 355-356, 391, 564-566, 711 Paulus (Apostel) 728
847 Paulus de Castro 303, 408, 637, 701 Peck, Pierre 344, 395 Pedell 188 Pensionszahlung 62, 203 personae miserabiles 38-39, 54, 652 Personalitätsprinzip 175, 343-344 Personalklage 286 Personalunion 84, 90, 115, 122, 224, 263, 273, 278, 291, 303-304, 543, 597, 600, 650, 660, 730 Pestel, Friedrich Wilhelm 487 Petitorium 209, 270, 278-280, 282, 444, 517, 547, 627, 631-632, 640, 642, 655-656, 661, 700-706, 710712 Pfalz 516, 597, 735 - Kurpfalz 28, 102, 182, 336, 444, 513 - - Karl Theodor 631-632, 676, 678 - Pfalz-Neuburg - - Johann Wilhelm 677-678 - - Wolfgang Wilhelm 597, 600-601, 611-613, 617, 632, 651, 679-680, 690-692 - Pfalz-Zweibrücken 351 Pfändung 12, 37, 76, 78, 612, 654, 656, 659 Pfandverschreibung 50, 199 Pfarrbesetzungen 464 Pfeffer, Andreas 587 Pfründen 6, 153, 344, 533, 626-629 Pichel, Anna Gertruf 575 - Gerhard 575 Piemont 193 Pierius, Ulrich 468 Pietismus 512-513 Pietsch, Andreas 21 Pincier, Hermann 334 Planck, Julius Wilhelm 670 Plat(h)e, Johann 51, 91, 130, 145, 171-172, 205 - Heinrich 210 Plenarschluß 102, 181
848 Plettenberg, Ferdinand von 221 - Friedrich Christian von s. Münster Plotus, Johannes Baptista 415 Policey 19, 136, 496, 613-614, 690, 714 politische Sachen 274-276, 278, 286, 290, 292, 319, 347, 573-574, 610, 719, 731 Pommern 320, 419, 453 Pön lötigen Goldes 79, 129, 182, 189, 205, 219, 253, 277, 293, 299, 369, 468, 613 Pönerklärung 206 Pordenone 257 Portugal 41 Porz 673 Positionalverfahren 495 possessio vel quasi s. quasi-possessio Possessorium 209, 266, 270, 278-280, 286, 517, 546-547, 627-628, 631632, 640, 642, 644, 655, 661, 700706, 712, 715, 735 Postglossatoren 4 Präjudizien 91, 135, 141, 209, 247, 290, 292, 414, 419, 444, 476, 498, 512, 519, 565, 587-589, 591, 605, 621, 635, 641, 644, 654, 656, 702, 724 Prämonstratenser 470, s. a. Cappel Prange, Wolfgang 339 Präsentationsvermerk 344, 559 Präskription 370, 402, s. a. Gewohnheitsrecht Präsumtion 445, 447, 496 Prätor/prätorisches Edikt 2, 68-70, 154 Prävalenz 550 Prävention 199, 294 Präzedenzfall s. Präjudiz Preetz, Kloster/Damenstift 398-405, 407, 420, 474, 646 Presbyterien 516 Press, Volker 14
Register
Preußen 267, 455, 519-520, 600, s. a. Brandenburg-Preußen - Friedrich I. 519 - Friedrich II. der Große 267 Priesterehe 535, 562, 593-594, s. a. Zölibat Priestertum aller Gläubigen 593 Priolus, Aloysius 190 - Hieronymus 618 Prioritätsprinzip 550-551, 553, 649 Privilegien 50, 72, 87, 167, 197-198, 257, 360, 362, 369-371, 450, 461, 484, 486, 518, 532, 578-579, 615, 617, 634, 640, 671, 690, 700, 729, s. a. Appellationsprivilegien privilegium de non appellando s. Appellationsprivilegien privilegium fori s. Klerikerprivileg privilegium fori der Landsassen 440 profane Sachen 40-41, 78, 134, 208, 347, 613, 618, 627-628, 659, 702 Profeß 641, 654, 700, s. a. Gelübde Professionalisierung 31 Prokuratoren 103, 189, 196, 322-323, 362, 389, 410, 497, 557, 565, 586587, 661 Promotorialschreiben 285, 299-300, 363, 434 Prorogation 401-402, s. a. Gerichtsstandssvereinbarung Proten, Kanoniker 290 Protestanten 215 Protestationsschrift 404 Protokollbuch 83, 102, 120, 159, 171-172, 188, 323, 357, 372, 420, 429, 497, 511, 538, 547, 553, 559560, 562, 592, 635, 640, 710 Provenienzprinzip 22 Provisionalvergleich 262, 597, 600, 625, 631-635, 639, 647, 651, 666668, 677-678, 680, 682, 691-697, 710-711, 713-714, 735 Provokation 333, 543, s. a. Appellation Prozeßbeschleunigung 367, 411
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Prozeßbetrug s. Kalumnien Prozeßkosten 409, 470, 494, s. a. Gerichtskosten Prozeßmaximen 4, 11, 392, 410, 421, 732 Prozeßtaktik 158-159 Prozeßurteil 322, 330, 336, 349, 390, 403, 420, 492, 539, 572, 582, 628, 640, 643, 701-702, 711, s. a. Urteil Prozeßvormund 399, 402, 492, 553, 570 Prüm 634 Publizistik 512 Puhstkuchen, Friedrich Christoph 423 Pütter, Johann Stephan 324, 515, 519-520 Quadrangel 311, 559, 640 Quadt (Familie) 617, 621, 624-626, 645, 661, 686, 702 - Adolf 641, 700 - Dietrich 641-643 - Eberhard 604, 665, 707 - Hermann 610-611, 618, 623, 633, 661 - Johann (junior) 618, 623 - Luther von 641 - Margaretha 622 - Rainer 622 - Wilhelm 641-643, 661 quantifizierende Methode 1, 11, 22, 29, 123, 127, 268, 687 Quarnbek 399 quasi-possessio 92, 99, 270, 466, 518, 628-629, 631, 692 querela simplex s. simple Querel Quiex, Wolfgang Wilhelm 703 Quintuplik 294 Raesfeld, Adolf von 44, 67 - Bernhard von s. Münster - Goswin von 85 Ragueau, François 69
849 Ramismus 252 Ranieri, Filippo 29, 417, 699 Ranke-Frage 38, 639, 737 Rantzau, Abel 9, 399-405, 407 - Benedikt 399 - Wulf 399 Ranzel 613, 691 Rassow, Johann Henrich 570 Ratifikation 102 Ratingen 703 Rationes decidendi s. Urteilsbegründung Ratzeburg, Domkapitel 397 Räumung des Hauses 326, 585 Rautenberg, Björn Alexander 254 Ravenna 257 Realklage 286 Rebuffi, Pierre 395, 409-412, 421 Recht 489, s. a. materielles Recht rechtliches Gehör 318 Rechtsantiquare 731 Rechtsanwendung 577, 676 Rechtsanwendungslehre 145, 208, 447, 459 Rechtseinheit 440, 510 Rechtsgewährleistungsanspruch 619, 672 Rechtsgewohnheiten 3 Rechtsgutachten 492-494, 521, 524 Rechtshängigkeit 109, 283, 288, 327, 429, 432, 437, 548-551, 649, 661662 Rechtskenntnis 507, 531 Rechtskraft 88, 310, 407-408, 465, 503 Rechtsmittel 9, 163, 446, 460, s. a. Appellation, Rekurs, Revision Rechtsnachfolge 719 Rechtspraxis 6, 416, 511-512, 675, 717-718 Rechtsquellenlehre 284, 312, 432, 447, 728 Rechtsschutzbedürfnis 244-246, 276, 302 Rechtssicherheit 137, 159, 408, 668
850 Rechtssprichwort 250 Rechtsunsicherheit 81, 101, 109-112, 501, 592, 594, 656 Rechtsverweigerung 5, 39, 64, 93, 132, 145, 274, 313, 431, 503, 619, 658, 668-672, 714, 735 Rechtsverzögerung 93, 363, 658, 669 Rechtsvielfalt 262, 303, 728-735 Rechtsweg nicht aufgenommen Reck, Hermann 665-666 Recklinghausen, Vest 89, 213, 600, 681 Recursus ad comitia 162, 266-267, 460-461, s. a. Rekurs Reden, Johann Friedrich von 483 Redlich, Otto Reinhard 602 Reelkirchen 502-504 Reformation 12, 252, 308, 311, 338, 341, 347-348, 355, 357, 369, 371372, 398-399, 410-411, 416, 421, 427, 434, 440, 442, 451-452, 464465, 471, 475, 479, 486, 498, 510511, 526, 529, 535, 540, 554-555, 564, 607, 685, 713, 731-732 Reformierte 307, 448-449, 451, 462, 468, 488, 508, 522, 525, 598, 612, 645, 711, 733, s. a. Lippe, zweite Reformation Regalien 61, 71, 78-79, 87, 95-98, 104-106, 121, 147-150, 234, 275276, 302, 464-465, 613, 724, 730 Regensburg 117, 156, 266, 276 Regionalgeschichte 25 Reichsabschiede 225, 416 - 1497 153-154 - 1498 153 - 1500 153-154 - 1512 145-146, 274-275, 277, 618620, 627 - 1530 313, 727 - 1555 s. Augsburger Religionsfrieden, Reichskammergerichtsordnung - 1570 102 - 1594 156
Register
- 1654 s. Jüngster Reichsabschied Reichsacht 190, 544 Reichsbewußtsein 146-147, 297, s. a. Nationalbewußtsein Reichsdeputationshauptschluß 168 Reichsfiskal s. Fiskal Reichsgesetze 575, 587 Reichsgrenzen 144-145, 175 Reichsgrundgesetze 276, 296, 299, 435, 724, 729 Reichshofgericht 209 Reichshofrat 23, 30, 34, 37, 64, 109110, 117, 122, 124, 143, 156, 165, 190, 228, 232, 289-305, 340, 390, 428, 443-444, 509, 511-512, 520, 526, 554, 558, 577, 651, 679, 682, 721-722, 731 Reichsjustizgesetze 392, 538 Reichskammergericht nicht aufgenommen - Extrajudizialsenat 507 - Kanzlei 419, 587 Reichskammergerichtsordnung von 1495 512 - von 1555 96-98, 132-133, 136, 155-158, 168, 218, 225, 313, 316, 321, 349, 403, 416, 499-500, 514, 538, 613, 620, 726 - von 1613 (Konzept) 514, 521, 570, 575 Reichskreise 380, 522 Reichskonkordate 151-155, 164, 296, 510-511, 522, 613, 620, 690, 713, 735 Reichsordnung 79 Reichsregiment 154 Reichssatzungen 150 Reichs-Staat 259 Reichsstädte 456-457, 526 Reichsstände 479, 621 Reichsstandschaft 90, 104-105, 107, 114, 225, 346, 586, 725 Reichstag 102, 117, 142, 146, 160, 162, 266, 417, 659
Register
Reichsunmittelbarkeit 1, 37, 61, 71, 101, 104-105, 113, 118, 122, 148, 219, 224, 261, 306, 331, 333, 335, 433, 436, 445, 464-465, 478-479, 523, 526, 583, 586, 730 Reichsverfassung 96, 137, 180, 242, 244, 255, 277, 292, 428, 436, 455, 461, 478-479, 513, 613, 638, 681, 714, 723-724 Reichszugehörigkeit 113 Reiffenstuel, Anaclet (Johann Georg) 287 Reimers, Joachim 364 Reinhardt, Rudolf 3 Reinigungseid 399 Rekadenzrecht s. Revolutionsrecht Rekonventionalklage s. Widerklage Rekurs 15, 30, 103, 116, 143, 162163, 165, 215, 217, 224, 246, 298, 460-461, 681-682, 698, 721-722 Relation 696 Religion 12, 274 Religionsprozesse 8-9, 24, 27, 36, 122, 225, 465, 736-737 Religionsvergleich 599 religiöse Argumente 393-394, 732 Rendsburg 398 Rentenzahlung, Rentgulden 43, 50, 104-105, 135, 158, 187, 199, 553, 557, 604, 626, 668 Repgen, Tilman 716 Replik 247, 255-260, 290, 292, 318319, 402, 468, 517, 577, 589, 613, 654 Reproduktion 93, 139, 159, 188, 213, 492 res ecclesiae 197 res iudicata s. Rechtskraft res mixti fori 106 Reskript 129-130, 188, 295-300, 678 restitutio in integrum 119, 210, 665, 693-694, 697 Restitutionsmandat 239 Reuschenberg, Heinrich von 684-686
851 Revision 63, 73, 112-115, 122, 224, 570-572, 704, 730 Revokation 178-179, 181, 293, 297, s. a. Kassationsmandat Revolutionsrecht 674-675 Rezeption 2, 348, 727 Rheine 42, 45, 49, 199-201, 306, 646 Richertz, Georg Friedrich 456 Richter 381, s. a. Kammerrichter Rinteln, Juristenfakultät 470 Ritter 604, 692 Ritterorden 611-617, 623, 665, 672674, 689-691 Rittmeister Land 548 Roding, Wilhelm 286, 498, 575, 578 Rödingen 634-635 Röhrentruper Rezeß 20, 424, 428, 430 Rolandus a Valle 248 Rolemann, Johann Adam 497 Rom 175, 187-188, 269, s. a. Papst, Rota Romana römisches Recht 312, 348, 356, 447, 477, 587 römisch-kanonisches Recht 2, 447, 622, 723 Roncaglia 142 Rosenhane, Schering 558 Rostock 311, 353-365, 372, 374, 390, 395, 428, 732 - Juristenfakultät 542 - Kirchengericht s. Mecklenburg, Konsistorium - Rat 356, 393 - St. Marien-Kirche 358 - St. Petri-Kirche 355-356 - Universität 312, 352, 393, 395 Rota Romana 26, 79, 87-88, 118, 125, 146, 162, 190, 216, 218, 221, 242, 266, 270-305, 346, 386, 411, 451-452, 523, 540, 609, 611-625, 653, 679, 689-690, 721-722, 726, 731 Rotermund, Daniel 384 Rottkirchen, Constantin von 103
852 Rottweil 167 Rubrum, Rubrizierung 171, 175, 189, 337, 419, 425, 541 Rudolph, Harriet 57, 231, 251 Rufen 188-190, 237, 324, 362, 506, 636 rügelose Einlassung 282, 291, 401, 539, 589, 623, 720, s. a. Gerichtsstandsvereinbarung Rumpf, Catharina 472 Rupe, Nikolaus 140, 148 Rurich 684 Rurich, Marie von 635-636 Rust, Elisabeth 491-494 Ruthmann, Bernhard 27, 465 Saarbrücken 96 Sachsen 64, 307-308, 487, 589 Sachsen-Lauenburg 1, 7, 11, 17-18, 233, 367, 397, 405-420, 446, 524, 732-733 - Herzöge 397 - - August 413 - - Franz II. 395, 407-413, 732 - - Philipp 413 - Hofgericht 413 - Konsistorium 406 (und bis 420) - Lehensgericht 413 - Regierungskanzlei 413 Sachsenspiegel 411, 683, 732 Sachurteil 374, s. a. Prozeßurteil, Urteil Sachverhaltsermittlung s. cognitio causae Sackzehnten s. Zehnten Sacripanti, Giuseppe 162, 221 Sailer, Rita 304 Säkularisation 230, 465, 645, 715, 736 Säkularisierung 448 Salentin von Isenburg s. Köln Sallmann, K. 607 Salzburg 247, 283 Samtgericht 470, s. a. Kondominium Samtherrschaft 466, s. a. Kondominium
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Sandeo, Felino Maria a. Felinus Sanfelice, Giuseppe Maria s. Nuntius Säumnis 237, 362-363, 506-507, s. a. Rufen, Versäumnisurteil Saur, Abraham 69 Savigny, Friedrich Carl von 168, 386, 628 Scaccia, Sigismondo 498 Schadensersatz 310, 319, 554 Schäfer, Frank Ludwig 736 Schaftrieb 43 Schaten, Nicolaus von 235-237 Schatzung 44, 67 Schaumburg-Lippe 462 - Graf Philipp von 460 Schauroth, Eberhard Christian Wilhelm von 512 Schedula appellationis 323, 364, 387, 394, 496, 641, 643 Scheidung s. Ehescheidung, Trennung von Tisch und Bett Scheiffardt von Merode, Konrad 611-613, 616, 689-690 Schein, Calixtus 312, 317 Scheurer, Cäsar 449 Schilling, Ernst Ludwig von 118, 120 - Heinz 423, 428-429, 452, 478 Schlegel, Druckerei 298 Schleswig - Damenstift 399 - Landesarchiv 21, 397, 584 Schleswig-Holstein 242, 309, 398405, 559, 565, 719, 736 - Herzöge - - Adolf 399 - - Christian III. 398 - - Johann 399 Schleswig-Holstein-Lauenburg 307, 397-422 Schlinker, Steffen 26 Schlosser, Hans 670 Schloßmecher, Johann 635 Schlüssigkeit 70, 80, 335, 431, 500 Schlüter, Johann 539, 584, 587-588, 590
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Schmälerung - der Landesherrschaft 433 - des Obergerichts 366 - des Reichskammergerichts 140143, 148, 161 Schmalkaldischer Krieg 161, 512 Schmick, Elisabeth 104 s. a. Oveling Schmidt, Christine D. 33, 231-232 Schmitz-Eckert, Hans-Georg 56, 67, 73, 113 Schmoeckel, Mathias 32, 315, 411 Schneider, Bernd Christian 307 Schneidewind, Jobst 466 Schnetlage, Georg von 235 - Rudolf von 235 Schnorrenberg, Ulrich 704 Schorlemmer, Johann von 235 Schottland 22, 29 Schrader, Gerhard 264 - Henrich 492 - Martin 190, 437 Schrag, Friedrich 512 Schreiben um Bericht 299-300, 341, 344-346, 432, 502, 720 Schriftlichkeit 410-411 Schriftsatzverfasser 70, 81, 111, 154, 196, 247, 317, 394, 441, 477, 518, 546, 614, 640, 689 Schröder, Lucas 384 Schuld, Pastor 630, 667-668, 710-711 Schuldforderung 6, 43, 51, 62, 205, 309, 530, 534, 558, 561, 564, 567568, 584 Schuldurkunde, Schuldverschreibung 551, 564, 567, 572, 581, 627, 662, 664, 671 Schulen 366, 376 Schulmeister 239, 544 Schulte, Anna 322-323 Schulte (zum) Sudhoff, Johann 6777, 80, 91, 101, 192-193, 196-197 Schulze, Winfried 261 Schumacher, Stefan 38 Schüren, Catharina von 641, 643645, 686, 700, 702
853 Schütte, Ilsabe 566 - Joachim 566, 568 - Martin 566 Schutz und Schirm 49, 539 Schwaan 390, 395 Schwäche der Reichsgewalt/ Reichsgerichte 110-111, 623 Schwalenberg 465-470, 476, 478, 482-483, 494 Schwängerung 384-385, 495-501, 570, 693, 710 Schwansbell, Heinrich von 211-212 Schwarz, Wilhelm Eberhard 54 Schweden 15, 558, 560, s. a. Wismarer Tribunal - Königin Christina 558 Schweder, Georg Melchior 390 Schweiz 480 Schwerin, Bistum s. Stift - Grafen 360, 364 - Hofgericht 377, 385, 387, 394 - Landeshauptarchiv 21, 392 - Stadt 384 - Stift 354-358, 374-375, 486, 713 Schwickers, Clara 183, 196, s. a. Wick Seckendorff, Veit Ludwig von 515 Seehase, Hans 24, 27, 417 Seewurf 688 Selbsthilfe 57, 659, s. a. Pfändung Sellert, Wolfgang 8, 34, 112 Senatsbeschluß 100-103, 116, 170, 180-181, 206, 219, 224, 273, 590, 664 Senckenberg, Heinrich Christian von 515 Senden s. Droste zu Senden Sendgericht 94, 232, 599, 601 Separation s. Trennung von Tisch und Bett Servituten 505, s. a. Hand- und Spanndienste Sextuplik 277, 283-287 Seywaldt, Friedrich 551-553 Sichard, Johann 415-416, 499 Sicherheitsleistung 327, 659
854 Siegel 636 Siekmann 83 Sietow 391 Siggelkow, Friedrich Wilhelm Christoph 391 simple Querel 207, 236, 582 Simultanstift 645, s. a. Stift Sittard 691-697 Sittenzucht 57 Sizilien 41, 280 Sklaverei 509, 524 Smend, Rudolf 513 Soccini, Bartolomeo 386 - Mariano jr. 314 Soest 590 Soest, Katharina von 51-52, 145, 171 Sollizitatur 585, 592, 594 Sondergerichtsbarkeit 332-334, 604609, 707 Sötern, Philipp Christoph von 187, 215 Souveränität 453, 616 Sozialgeschichte 388 Spanien 125, 147, 153, 283, 480, 622 Spanndienste s. Hand- und Spanndienste Speyer 329, 497, 585, 591-592, 594, 663, als Sitz des Reichskammergerichts nicht aufgenommen - Domkapitel 674 - Bischöfe 215 Spiritualia 97, 149, 152 Spolien 356, 366, 376, 387, 695, 705707 Spreckelsen, Heinrich von 584 Sprungappellation 334, 348, 388, 390, 585-586, 589-592, 709, s. a. Appellation Squillante, Paolo 248 Staatsgeheimnis 73 Staatswerdung 382, 478, 625, 639, 680, 717 Stablo 629, 632 Stade 584
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Stader Rezeß 339, 537, 560-561, 594, 734 Stahl, Ingeborg 388 Standesämter 3, 14 Starcke, Werner 310 Stargard 360, 364 starker Lauf s. stracker Lauf Starossen, Franz 351 status immediatus s. Reichsunmittelbarkeit Statuten 50, 207 Statutentheorie 447, s. a. Rechtsanwendungslehre, Rechtsquellenlehre, strikte Interpretation Statutum in favorem principum 257 Steck, Wilhelm 46 Stegelmann, Hinrich 341 Steinbergische Sache 444 Stettin, Herzog Casimir von 419 Steuern 44, 67, 239-244, 247-248, 250-251, 255-256, 258-260, 612, 614, 617, 683, 691-692, 709-710, 719 Stift 85, 95, 265, 398, 479, 634, 645, 688-689, 730-731 Stiftung 450 Stilus Camerae 318 Stilus curiae 34, 410, 429, 589, 614 Stiten, Regina von 312-313 Stockholm 435 Stollberg-Rilinger, Barbara 259 Stolleis, Michael 8, 22 stracker Lauf der Justiz 136-137, 432 Strafprozeß 96, 506, 521, 577 Strafrecht 312-322, 340, 348-349, 361, 467, 494, 727 Streitgenossenschaft 182, 189 Streitverkündung 202 Streitwert 201-203, 564-565, 689, s. a. Appellationssumme strikte Interpretation 343, 445, 447448, 459, 488-489 Strube, David Georg 272, 487 Struve, Georg Adam 285
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Stryk, Johann Samuel 443 - Samuel 190, 280, 577 Sturtzelbeck, Elisabeth 623 Subsidialschreiben 334 Suffraganat 85-86, 89, 215, 264, 583 Sühneversuch 411 Sülze 387, 393-395 summariissimum 628, s. a. Possessorium summarisches Verfahren 316, 367, 409-412, 421, 627, 732 Summepiskopat 321, 457, 680, s. a. Episkopalismus, landesherrliches Kirchenregiment Sünde 407 Superantius, Nicolaus 415 Suppletionseid 201, 570, s. a. Eid Supplikationen 70, 93, 119, 149-150, 179, 241-244, 274-277, 290, 293, 296, 461, 538, 585, 609, 618, 622, 630, 657-658, 690, 694, 698 Supplikationsverfahren 320, 327 Surdus, Johannes Petrus 249 Surrogation 203-207 Suspension der geistlichen Gerichtsbarkeit 285, 315, 508, 510 Suspensiveffekt 102, 170, 644 Süsteren 647 Sutthausen 235 Syberg, Jakob von 623-624 - Johann Georg von 623-624 Synoden 28, 248, 256 Systemdenken 57 Tarent 248 Tartagnus s. Alexander de Imola Tatsachenstreit 500-501, 507, 577, 608 Tegtmeyer, Ilse 429 Temporalia 149, 152 Tenorierung 177, 189, 205, 238, 245246, 277, 354, 364, 380, 403, 407, 514, 568, 608, 655, 664, 696 Territorialgewalt 478, s. a. iurisdictio, Landesherrschaft
855 Territorialitätsprinzip 343-344, 490 Territorium 1, 58, 90, 481, 526, 583, s. a. Landesverfassung Tesauro s. Theraurus Testamente 54, 317, 357, 439, 459, 533, 601, 616 Teufel 575 Textor, Johann Wolfgang 288 Thanäus, Heinrich 465, 468, 494 Therlor, Samuel 466-468 Theologen 130, 135, 175, 312, 544, 670 Thesaurus, Antoninus 193, 197 Thomas von Canterbury 564 Thomasius, Christian 435, 437, 443, 453 Tille, Armin 89 Timme, Jochim 584 Titius, Gerhard Gottlieb 285 Tonsur 393, 545-546 Torfstechen 45, 48-49, 199-200 Tork, Johann Asbeck 59 Totengewölbe 439, 462, 483 Trennung von Tisch und Bett 326, 329, 528, 574, 582, 647, s. a. Ehescheidung Trennung weltlicher und geistlicher Gewalt 97, 111, 142, 155, 166, 191, 241-242, 256-257, 263-264, 278, 321, 382, 436, 456, 500, 526, 602, 620, 660, 713, 716, 729-730, 735 Trient 247, s. a. Konzil Trier 30, 125-127, 161, 215-217, 274 Truchsessischer Krieg 109, 124, 688 Trusen, Winfried 26, 38-39, 41, 58, 670 Tübingen, Juristenfakultät 439-442, 444, 448, 484, 486-488 Tudeschis, Nikolaus de s. Abbas Panormitanus Türkengefahr 146 Tyrannei 509
856 Übersetzungen 138, 298 Uetersen 399 Uhlenbrock, Margarethe 358-360 Umdeutung 325, 524, 551-552 Umgehung 421, 524, 725 Umsturz 243 Unabhängigkeit der Gerichte 431, 438, 451-452, 462, 646, 680, 715 Unabhängigkeit vom Reich/von den Reichsgerichten 451-454, 462463, 491, 509, 519, 521, 523, 726 Uneindeutigkeit 101, 111, 137, 321, 592, 716, 737 - der Konfession 471, 479, 490, 596-597, 606, 609, 645, 654, 712713, 718-719, 735 unendlicher Rechtsstreit s. unsterblicher Rechtsstreit Unfreiheit 193 Ungarn 41 universelles Recht 414 Universitäten 2, 240, 393, 618 Unordnung der Gerichte 133, 137, 156 Unschlüssigkeit 500, s. a. Schlüssigkeit unsterblicher Rechtsstreit 138, 172, 505 Unterhaltsanspruch 496, 530, 570, 572, 574-576, 604, 655, 705-707 Untertanen 138-140, 167, 192, 272, 274, 302, 366, 376, 408, 436, 440, 446-447, 463, 466-470, 478, 485, 509, 518, 524, 560, 583, 597, 603, 605, 611, 613-614, 619, 621, 640, 653, 656-657, 677, 718 Untertanenprozesse 93, 260-261, 272, 302, 304, 424, 502, 730 Unzucht 359 Unzulässigkeit 336, 496, 500, 557, 564, 568, 572, 582, 606, 608, 628, 642, 648, 703, 708, s. a. Zulässigkeit
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Unzuständigkeit 8, 134-135, 150-170, 354, 392, 502, 631, 637, s. a. Zuständigkeit Uppsala 435 Urbar 259 Urfehde 659 Urkunden 486 Urteil 80, 99, 102, 110, 121, 260, 299, 322, 329, 390, 419, 468, 472, 497, 514, 518, 526, 548, 562, 568, 592, 613, 617, 625, 632, 655, 663, 696, 698-699, 706 Urteilsbegründung 75, 150, 205, 403, 439-441, 554, 643, 696-697 Urteilsfinder 333 Urteilsvollstreckung 28, 78, 100, 102, 128, 138, 179, 236, 244, 246, 260, 267, 271, 293, 297, 357, 369, 408, 465-466, 477, 495, 501, 557, 618, 622, 714, 722, 727 Urteilszentristik 698 usuales Rechtsdenken 33, 193, 284, 340, 410, 548, s. a. Observanz Usus modernus 250, 591, 718, 728 Ususfructus s. Nießbrauch 604 Vajen, Christian 24, 428-429 Vantius, Sebastian Vaterland 73, 538 Vaterschaft 574-576, s. a. Schwängerung Vatikanisches Archiv 16, 23, 26, 187, 215, 223 Vatikanisches Konzil (zweites) 218 Velden 612 Venlo 685, 712, 735 Vendt, Catharina 666, 681-682 venire contra factum proprium 404 Verallgemeinerung 5, 23, 57, 302, 396, 711 Verden s. Bremen-Verden Vergleich 41, 331-332, 602, 633, 729 Vergleichsschluß 110, 130, 266, 333, 388, 390, 439, 465, 482, 486, 532,
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540, 553, 556-557, 575, 636, 654, 666, 698, 707 Verjährung 403, s. a. Gewohnheitsrecht Verkündung 298 Verlöbnis 310, 312, 334, 359, 384, 387, 395, 405-406, 491, 494-497, s. a. Eheschließung Verlöbnisbruch 388 Vermächtnis 439 Vermengung geistlicher und weltlicher Gerichte 133, 136-138, 157, 161, 166, 328, 613, s. a. Konfusion Vermischung s. Vermengung Vermögenseinziehung 299 Vermutung s. Präsumtion Verrechtlichung 110 Versäumnisurteil 271, 292-293, 297, 334, 357, 475, 477, 537, 727 Verteidigung 328, 494, 627 Vertrag 532-533 Vertrag von Venlo 685, 712, 735 Verurteilung zur Eingehung der Ehe s. Zwangsheirat Verweisung 329, 400, 605, 609, 626627, 629-630, 635, 637, 642, 644, 648, 662-665, 673-674, 676, 698, 701-702, 714, 724, s. a. Zurückverweisung Vest Recklinghausen s. Recklinghausen Vestrius, Octavianus 415 Vikar 134-135, 162, 337-344, 537540, 551, 558-559 Vincentius, Präfekt 622 viridis observatia s. Observanz Vischering s. Droste zu Vischering Visitation - Lippe 452, 465, 471, 479 - Münster 47 - Osnabrück 243 - Reichskammergericht 181-182, 417, 513, 520
857 Visitationsmemorial 317, 416-418, 420, 422, 511, 514, 521 Voets, Melchior 675 Vogler, Nikolaus 536 Vogt, Dorothea 324 Vogteigericht 333 Voigt, Anna 471 - Sekretär 241 Volckmar, Theodor Friedrich 559 Völkerrecht 435 Vollmacht 116, 492 Vollstreckung s. Urteilsvollstreckung Vollzug der Ehe 312, 323, s. a. Eheschließung Vorgeschichten 717-719 Vormund 530, 589, 647-648, s. a. Prozeßvormund Voß, Bernhard 82 - Hermann 83, 129, 191-192 - Jakob 47, 55, 83 Wacker, Johann 118, 120 Wadgassische Sache 520 Wagner, Richard 717 Wahlkapitulationen 137, 152, 162168, 215-217, 225, 235, 253, 272, 621, 721, 723 Wahmund, Peter 389 Waldburg, Gebhard Truchsess von s. Köln Waldeck, Franz von s. Münster, Osnabrück Waldenburg, Gerhard von 604 Waldstätten s. Hayeck Walf, Knut 222 Warendorf 36 Warnemünde 359-362 Wartenberg, Franz von s. Osnabrück Wassenberg 685 Weber, Christian 441 - Sybille 567 Wehner, Paul Matthias 419, 590 Weidegerechtigkeit 103, 124, 183, 197 Weitzel, Jürgen 704
858 Welker, Karl H. L. 246 weltliche Sachen 40-41, 347, 479, 504, 519, 546, 578, 581, 584, 601, 603-633, 655, 664 weltliches Gericht 578, 580, 592, 603, 607 Wenden 360 Wenge, Felix von der 266 Werden 127, 188 Werl, Offizialat 19, 89, 425, 463, 474477, 480-483, 490, 733 Werneking, Dr. 118, 120 Werner, Andreas 385 Wertpapiere 399 Wesel, Uwe 61 Wesseling 626 Westerholt, Witwe, 158 Westfalen, Herzogtum 19, 89, 224, 472, 477, 482, 600 - Landschaft 236 Westfälischer Frieden 27, 230, 249, 306, 338-339, 442, 508, 510, 514, 517, 558-559 Wetzlar 190, 329, 497, 511-513, 519520, 663, als Sitz des Reichskammergerichts nicht aufgenommen Wetzstein, Thomas 29 Weyer, Johann 596 Wichterich 652 Wick, Bernhard von der 183 - Clara von der 151, 153-154, 183 - Heinrich von der 42 Widerklage 239, 550-551, 553-558, 574, 693, 696-697, 720 Wied 320 Wiedenbrück 239-262 - Kollegiatstift St. Ägidius und Karl der Große 239-262, 272, 302, 420 Wiederaufnahme des Verfahrens 213 Wiedereinsetzung s. restituio in integrum Wiegand, Wolfgang 447 Wien 215, 294, 340, 577
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Wiener Konkordat s. Reichskonkordat Wiesbaden 513 Wiesenhaver, Johann Joachim 267268 Wigand, Paul 41, 54 Wiggenhorn, Heinrich 180 Wilde, Anna 553-558 Willkür 133 Winkelhausen, Grafen von 234 Wismar 353, 360, 363-373, 375, 377379, 382, 393, 395, 428, 732 Wismarer Tribunal 15, 491, 581 Witte, Catharina 326 Wittenberg 306, 308, 391, 412, 577 Wittgenstein, Ludwig 718 Wittmann, Wolfgang Wilhelm 709710 Witwen 391, 559-560, 604 wohlerworbene Güter 282 wohlerworbene Rechte 446 Wohnsitz 341-342, 344-345, 533 Wolfenbüttel s. BraunschweigWolfenbüttel Wolter, Udo 4 Worms 146, 513 Wormser Konkordat 61, 90, 149, 152, 216 Wulften 235 Wunderlich, Nikolaus 184 Wupper 605 Württemberg 416 Würzburg 33 Wüstungen 390 Zasius, Ulrich 314, 644 Zecher 405 Zedlersches Lexikon 493 Zehnten 265, 502-504, 506, 519, 525, 629-635, 710-711 zeitlicher Herrscher 95 Zensur 129, 237, 240, 292-293, 300, 648 Zentrumspartei 602
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Zeppenfeld, Anna Elisabeth 270-271, 288, 292, 294-295, 298, s. a. Lüdgers - Georg Friedrich 270, 301 Zeugen 323, 342, 553 Zisterzienser 645, 653 Zitation s. Ladung Zitationsprozeß 177, 236, 367, 722 Zivilehe 3, 14 Zivilprozeß nicht aufgenommen Zivilsachen 40-41, 361 Zölibat 454, 534-536, 545, 561-562, 593-594, 734 Zons 190 Zuichem s. Aytta Zulässigkeit 336, 562 Zülpich-Hoven 653 Zünfte 257, 353-358 Zürich 319, 321 Zurückverweisung 322, 327, 354355, 568, 572 Zuständigkeit 7-8, 27, 377 - ausschließliche 286 - konkurrierende 41, 46, 55-56, 82, 142, 236, 242, 253, 291, 550 - örtliche 7-8, 334, 430, 530, 611, 661-662 - persönliche 27, 31, 229, 286, 404405, 446, 463-491, 542, 698, 720 - ratione rerum 39, 54 - sachliche 7-8, 27, 39, 229, 369, 371, 405, 414, 422, 434, 446, 530, 546, 577, 611, 620, 631, 648-649, 658, 667-668, 670, 698 Zuständigkeitsvereinbarung s. Gerichtsstandsvereinbarung Zustellung 182-190, 227 Zwang zum Verlöbnis 405 Zwangsgeld 618, s. a. Urteilsvollstreckung Zwangsheirat 323-325, 406, 408, 495-501 Zwangsvollstreckung 684, s. a. Arrest, Urteilsvollstreckung Zwei-Reiche-Lehre 434
859 Zweibrüggen zu Heinsberg, Sibylle Margarethe 647 Zweifel, Philipp Wilhelm von 703 zweite Reformation 18, 307-308, 423, 427, 471, 733 Zwinglianer 537, s. a. Calvinismus Zwischenurteil s. Interlokut Zwischenverfahren 553 Zwölfmanneid 399, 403 Zyniker 385
Quellen und Forschungen zur höchsten gerichtsbarkeit im alten reich Herausgegeben von anja amend-TrauT, IgnacIo czeguHn, FrIedrIcH baTTenberg, albrecHT cordes, ulrIcH eIsenHardT, PeTer oesTmann und WolFgang sellerT
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