Gefahr für den Wettbewerb?: Die Fusionskontrolle der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und die "Rekonzentration" der Ruhrstahlindustrie 1950-1963 9783050042329, 9783050085654

Seit dem Juli 1952 bildete der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) den re

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German Pages 383 [384] Year 2009

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Gefahr für den Wettbewerb?: Die Fusionskontrolle der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und die "Rekonzentration" der Ruhrstahlindustrie 1950-1963
 9783050042329, 9783050085654

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Tobias Witschke Gefahr für den Wettbewerb?

JAHRBUCH FÜR WIRTSCHAFTSGESCHICHTE BEIHEFT 10 Im Auftrag der Herausgeber des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte herausgegeben von Reinhard Spree

Tobias Witschke

Gefahr für den Wettbewerb? Die Fusionskontrolle der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und die »Rekonzentration« der Ruhrstahlindustrie 1950 –1963

Akademie Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-05-004232-9 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2009 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Ingo Scheffler, Berlin Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

5

V ORWORT

Dies ist die überarbeitete und gekürzte Fassung der Arbeit, die im Dezember 2003 am Europäischen Hochschulinstitut als Dissertationsschrift angenommen wurde. Die Jury bestand aus dem Betreuer dieser Arbeit, Professor Alan S. Milward, sowie den Professoren Patrick Friedenson, Werner Plumpe und Pascaline Winand. An dieser Stelle alle Institutionen und Personen aufzuzählen, die zur Erstellung dieser vorliegenden Arbeit beigetragen haben, ist leider nicht möglich. So stellt die Danksagung hier eine stellvertretende Auswahl dar. Ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, bzw. später des Europäischen Hochschulinstituts, ermöglichte mein Studium am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Das Deutsche Historische Institut in Paris gewährte einen mehrmonatigen Aufenthalt in Frankreich. Eine ausdrückliche Danksagung geht auch an die Mitarbeiter der besuchten Archive in Frankreich, der Bundesrepublik, den Niederlanden, Belgien und Italien. Gerade die Einsicht in die Dokumente von Unternehmen und ihrer Verbände in verschiedenen öffentlichen und privaten Archiven erwies sich als sehr aufschlussreich. Ganz besonders möchte ich mich beim Leiter des Thyssen-Krupp Konzernsarchivs, Prof. Manfred Rasch, und seinem Mitarbeiter, Andreas Zilt, bedanken. In diesem Archiv verbrachte ich wohl am längsten Zeit. Den Organisatoren der Konferenzen und Summerschools der European Historical Economics Society und der European Business History Association danke ich für die Gelegenheit, dort Teile meiner Arbeit vorstellen zu können. Das Europäische Hochschulinstitut in Florenz war ein exzellenter Ort, sich mit verschiedenen historischen und sozialwissenschaftlichen Vorgehensweisen in einem internationalen Umfeld interdisziplinär auseinanderzusetzen. Hier seien stellvertretend die Seminare von Prof. Jaime Reis und Prof. Alan S. Milward genannt. Dank meiner Teilnahme am integrierten deutsch-französischen Studiengang zwischen den Universitäten Tübingen und Aix-Marseille I habe ich Kenntnisse der französischen und europäischen Geschichte, der französischen Sprache, aber auch der transnationalen Zusammenarbeit, verbessern bzw. vertiefen können, die sich als sehr wertvolle

6 Erfahrungen bei der Erstellung dieser Arbeit erwiesen. Den Initiatoren und Organisatoren dieses Austausches sei auch hier noch einmal gedankt. Ein ehemaliger Verantwortlicher dieses Austausches, Prof. Franz Knipping, brachte mich vor vielen Jahren dazu, mich mit dem Thema dieser Arbeit zu beschäftigen. Meinen Freunden – insbesondere aus Brüssel und Monheim am Rhein – und meiner Familie sei für die Geduld und Hilfe gedankt, die mir in den letzten Jahren entgegengebracht wurde. Laurence Berton sei für Ihr Verständnis hinsichtlich der Vollendung der Arbeit in den letzten zwei Jahren gedankt. Ganz besonders möchte ich mich schließlich für die Betreuung dieser Arbeit bei Prof. Alan S. Milward bedanken, ohne dessen Interesse die Arbeit wohl nicht so zustande gekommen wäre. Seine Unterstützung, Kritik und Teilnahme waren eine wichtige Motivation für die Vollendung der Arbeit. Eine abschließende Anmerkung: Während der Recherchen zu dieser Arbeit hörte ich oft Bemerkungen über die Stahlindustrie, den Prototyp der ‚old economy‘, die nun endgültig der Verganenheit angehören würde – obwohl der globale Aufschwung dieser Industrie schon längst wieder begonnen hatte. Ein Begriff wie die ‚Entflechtung‘ – heute auch ‚unbundling‘ genannt – war sehr schwer zu vermitteln. Der breit angelegtere Blick des Historikers konnte hier über aufgeregte Schlagzeilen hinwegsehen und kann nun interessiert feststellen, dass die Marktstrukturen von Grundstoffindustrien, insbesondere in der Energiepolitik, wieder im Mittelpunkt des europäischen und internationalen Geschehens stehen – wie zum Beginn der Europäischen Integration.1 Gewidmet sei dieses Buch meinen Großeltern, die diese Zeit völlig anders erlebt haben. Tobias Witschke, Brüssel, den 2. September 2008 1

Zum Beitrag der geschichtlichen Betrachtungsweisen in der Forschung über die Europäischen Union, siehe jetzt Wolfram: Kaiser: History meets Politics: Overcoming interdisciplinary volapük in research on the EU, in: Journal of European Public Policy (15) 2008, S. 300-313. Auch der europäischen Wettbewerbspolitik gilt zunehmendes historisches Interesse; siehe Brigitte Leucht, Katja Seidel: Du traité de Paris au reglèment 17/1962: ruptures et continuités dans la politique de concurrence, 1950–1962, S. 35–46, in: Histoire, Economie, Société 1/2008, La politique de la concurrence communiautaire. Origines et développements (années 1930–années 1990); Brigitte Leucht: Transatlantic policy networks in the creation of the first European anti-trust law: mediating between American anti-trust and German ordo-liberalism, in: Wolfram Kaiser, Brigitte Leucht, Morten Rasmussen (eds.), The History of the European Union. Origins of a trans- and supranational polity, 1950–72, London: Routledge, 2008, 56–73. In diesen Veröffentlichungen – die im Text dieser Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden konnten – wird insbesondere der Einfluss der amerikanischen Berater Jean Monnets auf die Ausgestaltung der EGKS-Wettbewerbsartikel betont. Diese Frage wird in der vorliegenden Arbeit im ersten Kapitel behandelt. Weiter ist auf die spätere Umsetzung der Wettbewerbsartikel in den folgenden Kapiteln hinzuweisen. Schließlich sei noch auf die Arbeit von Bernd Bühlbäcker hinzuweisen, die interessante biographische Informationen über die ersten Beamten und Politiker der EGKS – allerdings nicht Stahlindustrielle – enthält: Bernd Bühlbäcker: Europa im Aufbruch. Personal und Personalpolitik deutscher Parteien und Verbände in der Montanunion 1949–1958, Essen 2007.

7

I NHALTSVERZEICHNIS

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

I.1 I.2

Der Forschungsstand über die Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde . . Theoretischer Rahmen der Arbeit und Arbeitsvorgehen . . . . . . . . . . . . . .

16 28

1. Kapitel Der Ursprung der Fusionskontrolle (Artikel 66) im EGKS-Vertrag „Lex Ruhr“ oder „erstes Wettbewerbsgesetz“ in Europa? . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10 1.11 1.12 1.13

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wettbewerbsfragen zu Beginn der Schumanplan-Verhandlungen . . . . . . . Das Eingreifen der Amerikaner in die Schumanplan-Verhandlungen . . . Der erste Entwurf einer Fusionskontrolle – Vorbild US-Antitrust? . . . . . Die Fusionskontrolle – doch eine „Lex Ruhr“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der zweite Entwurf der Fusionskontrolle und der ‚Zusammenhang‘ mit der Neuordnung der Ruhrstahlindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Position der Bundesregierung hinsichtlich einer Fusionskontrolle im EGKS-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europaweite Widerstände gegen die Einführung der Fusionskontrolle . . . Genehmigungspflicht oder Verbotspflicht – Auseinandersetzungen über den zukünftigen Handlungsspielraum der Hohen Behörde . . . . . . . . Die ‚Rekonzentration‘ der Ruhrstahlindustrie in der Diskussion um die Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Initiative Monnets zum Artikel 66: Die Fusionskontrolle im EGKS-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Artikel 66 und seine Auslegung in den Ratifikationsdebatten im französischen und westdeutschen Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung: Die Fusionskontrolle im EGKS-Vertrag – welches ‚Mandat‘? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41 46 49 51 56 58 62 63 65 68 70 72 78

8 2. Kapitel Die Neuordnung der Ruhrstahlindustrie und der Schumanplan . . . . . . 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8

81

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Die Frage der „Verbundwirtschaft“ zu Beginn der SchumanplanVerhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Das große Tabu: Die alliierten Kontrollbefugnisse und der Schumanplan 89 Ein Ende des Eigentumsverbundes Kohle/Stahl in der Ruhrstahlindustrie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Die Amerikaner und die Verbundwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Der EGKS-Vertrag: Gesicherter Zugang zur Ruhrkohle für die französische Stahlindustrie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Der Kauf der Harpen Bergbau AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

3. Kapitel Die Neuordnung der Ruhrstahlindustrie – eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . 113 3.1 3.2

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertikale und horizontale Unternehmenszusammenschlüsse in der Wirtschaftstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Unternehmensstruktur der Ruhrstahlindustrie in der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die betriebswirtschaftlichen Ziele der Neuordnung – die Alliierten und die Stahltreuhändervereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Umstrittene Unternehmensgründungen während der Verhandlungen über die Neuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Die Nachfolgegesellschaften der ‚Altkonzerne‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Eine Bewertung der Neuordnung – ‚radical discontinuity‘? . . . . . . . . . . . 3.8 Betriebliche Entflechtung – aber bleibende Eigentumskonzentration? . . 3.9 Das Hauptergebnis der Neuordnung – ,Zerschlagung‘ der VSt? . . . . . . . 3.10 ‚Zerschlagung‘ der VSt – die Interessen der Großaktionäre und die Gründung der Handelsunion AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.11 Die ‚Neuordnung der westdeutschen Stahlindustrie‘ – politisches oder wirtschaftliches Programm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113 121 123 127 131 136 144 146 152 155 163

4. Kapitel Die Fusionskontrollenpolitik der Hohen Behörde und die ‚Rekonzentration‘ der mittleren Ruhrkonzerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4.1 4.2 4.3

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Die Anfänge der Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde – die Anwendung des Kartellverbots Artikel 65 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Die Fusionskontrollenpolitik der Hohen Behörde – Verabschiedung von Richtlinien oder Einzelfallentscheidungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

9 4.4

Der erste ‚Rekonzentrations-Genehmigungsantrag‘: die Entscheidung der Hohen Behörde im Falle der Mannesmann AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Die ‚Rekonzentration‘ der Hoesch AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Die ‚Rekonzentration‘ der Klöckner Werke AG – Politik des ‚fait accompli‘? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Die ‚Rekonzentration‘ der HOAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8 Die Fusionskontrollenpolitik der Hohen Behörde – strikte ‚Anwendung‘ des Vertrages? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9 Die Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde – Beispiele aus Belgien und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.10 Die Politik der Hohen Behörde in der öffentlichen Diskussion . . . . . . . .

186 194 197 199 200 203 207

5. Kapitel Die Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde und die Nachfolgegesellschaften der VSt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Aufbaustrategie der ‚Thyssen-Gruppe‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein neuer Konzern? Die Hohe Behörde und die Entstehung der Phoenix-Rheinrohr AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bildung der ATH-Unternehmensgruppe und die Politik der Hohen Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die ATH-Unternehmensgruppe und die Bindung zur Kohle . . . . . . . . . . Die ATH und ihre Beziehungen zu Feinblechproduzenten . . . . . . . . . . . . Die Handelsunion AG – Bindeglied für eine Wiederentstehung der Vereinigten Stahlwerke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zusammenschlusspolitik der Hohen Behörde und die ‚Rekonzentration der VSt‘ – ein Politikwechsel? . . . . . . . . . . . . . . . .

213 216 222 227 233 239 243 250

6. Kapitel Die Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde und die ‚Thyssen-Gruppe‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 6.1 6.2

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Genehmigungsantrag ATH-Phoenix Rheinrohr (PR) – der erste Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Die Position der Bundesregierung und der Antrag . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Die Genehmigung des Antrags Bochumer Verein/Rheinhausen . . . 6.2.3 Überlegungen zu möglichen Genehmigungsauflagen . . . . . . . . . . . 6.2.4 Genehmigungsfähig oder nicht – erste Überlegungen in der Hohen Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.5 Das Einschalten der französischen Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.6 Argumente gegen die Genehmigung des Antrags . . . . . . . . . . . . . . 6.2.7 Die ersten Beratungen der Hohen Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257 258 258 261 264 265 268 270 273

10

6.3 6.4

6.5 6.6

6.2.8 Die Suche nach Genehmigungsauflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.9 Der Rückzug des Antrags: seine Folgen und Ursachen . . . . . . . . . Der Antrag der ATH/HU/Rasselstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Deutsch-französische Kontakte hinsichtlich des Antrags . . . . . . . . 6.3.2 Endgültige Trennung der VSt-Nachfolgegesellschaften? . . . . . . . . ATH/PR – der zweite Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Die Genehmigung der SIDMAR-Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Problemloser Antrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Ende der Lieferbeziehungen mit den Hüttenwerken Siegerland? . . Die Unternehmen DHHU/Hoogovens und Hoesch – Gegenspieler der ATH? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

276 281 288 290 294 297 298 299 301 305 311

7. Kapitel Antitrustgesetzgebung und Preiswettbewerb im Gemeinsamen Markt der EGKS 1952–1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 7.1 7.2 7.3 7.4

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trends des EGKS-Stahlmarktes 1952–1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stahlpreise in der EGKS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preispolitik und -verhandlungen in der EGKS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315 320 324 331

II. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 III. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 IV. Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

V. Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 VI. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

11

E INLEITUNG

Als Charles de Gaulle, erster Präsident der französischen Fünften Republik, im September 1962 die Bundesrepublik besuchte, sprach er auch vor der Belegschaft des bedeutendsten Stahlwerkes der Bundesrepublik, der August Thyssen-Hütte AG, in Duisburg. Vor der Belegschaft, die ihn begeistert feierte, stellte er in deutscher Sprache fest: Die Tatsache, dass Charles de Gaulle hier ist und von Ihnen so herzlich empfangen wird, beweist, wie unsere beiden Völker schon einander vertrauen. Wahrhaftig, was heute an der Ruhr und in diesen Werken Thyssen erzeugt wird, erweckt in meinem Lande nunmehr nur noch Sympathie und Befriedigung.1

Der Präsident der französischen Republik machte so deutlich, dass er die Ruhrstahlindustrie nun nicht mehr als Bedrohung für Frankreich ansah. Dies war eine wichtige Botschaft, war doch in weiten Teilen – nicht nur der französischen Öffentlichkeit – die Ruhrstahlindustrie Symbol wirtschaftlicher, aber auch politischer Hegemonialbestrebungen Deutschlands. Die Ruhrstahlindustrie – so der Vorwurf – hatte diese Hegemonialbestrebungen mit ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht unterstützt.2 Das Wort Ruhr, so stellte das Publikationsorgan der lothringischen Stahlindustrie im Jahre 1956 fest, klinge für die Franzosen immer noch etwas nach ‚Kanonendonner‘.3 Die Wahl der August-Thyssen-Hütte wird für den Auftritt de Gaulles kein Zufall gewesen sein. Symbolisierte dieses „flagship“ der Ruhrindustrie doch den Weg der Ruhrstahlindustrie nach 1945, über Demontage und Entflechtung hin zum Wiederaufbau.4 Stand die August-Thyssen-Hütte (ATH), das größte und nach allgemeiner Auffassung auch leistungsfähigste Hüttenwerk im Ruhrgebiet, noch bis zum Petersberger Abkommen im 1 2 3 4

Pierre Maillard: De Gaulle und Deutschland. Der unvollendete Traum, Berlin 1991, S. 394, zitiert nach: DER SPIEGEL 37/62, 12. September 1962, Bonn. De Gaulle Reise, S. 15. Werner Bührer: Frankreich und das Ruhrgebiet – Mythos und Realität, in: Andreas Wilkens: Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen 1945–1960, Sigmaringen 1997, S. 225–236. Actualités industrielles lorraines, Numéro 41, Janvier-Février 1956, S. 34. John Gillingham: Coal, steel and the rebirth of Europe, 1945–1955, Cambridge 1991, S. 225.

12 November 1949 auf der Demontageliste, diente die ATH nun als ein Symbol der deutsch-französischen Versöhnung bzw. einer neuen Qualität der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa. Die ATH war allerdings nicht nur ein Symbol, sondern auch ein aktiver Akteur dieser neuen Art der Zusammenarbeit in Europa. Seit dem Juli 1952 bildete der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) den rechtlichen Rahmen der europäischen Montanindustrie.5 In diesem Vertrag hatten die Gründerstaaten Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande der Hohen Behörde, dem Exekutivorgan der neuen Gemeinschaft, eine Reihe von Regulierungskompetenzen für die Kohle- und Stahlindustrien ihrer Länder übertragen. Zu einer der bedeutendsten Kompetenzen der neuen Gemeinschaft gehörte die Fusionskontrolle des Vertrages. Unternehmenszusammenschlüsse, an denen ein Kohle- bzw. Stahlunternehmen beteiligt war, mussten von der Hohen Behörde genehmigt werden. Nach Artikel 66 § 2 musste die Genehmigung verweigert werden, wenn das Unternehmen nach dem Zusammenschluss in der Lage war, – auf einem bedeutenden Teil des Marktes dieser Erzeugnisse die Preise zu bestimmen, die Produktion oder die Verteilung zu kontrollieren oder zu beschränken oder einen wirklichen Wettbewerb zu verhindern – oder den aus der Anwendung dieses Vertrages sich ergebenden Wettbewerbsregeln zu entgehen, insbesondere durch Schaffung einer künstlichen Vorzugsstellung, die einen wesentlichen Vorteil im Zugang zu den Versorgungsquellen und zu den Absatzmärkten mit sich bringt. Waren diese beiden Kriterien nicht erfüllt, musste die Genehmigung erteilt werden. Gerade aufgrund des Artikels 65 und des Artikels 66, der ein grundsätzliches Kartellverbot enthielt, ist es richtig, den EGKS-Vertrag als „das erste Antitrustgesetz Europas“ zu bezeichnen.6 Von besonderer Bedeutung war diese ‚supranationale‘ Kompetenzübertragung für die Montanunternehmen in der Bundesrepublik – und gerade jene an Rhein und Ruhr.7 Als

5

6

7

Der EGKS-Vertrag wurde von den beteiligten Mitgliedstaaten für eine Dauer von fünfzig Jahren abgeschlossen. So lief der Vertrag am 23. Juli 2002 aus. Europäische Kommission: CECA–EKSF– EKAX–ECSC–EHTY–EKSG 1952–2002, Luxembourg 2002, S. 7. So Jean Monnet in seiner Einführungsrede als erster Präsident der Hohen Behörde der EGKS am 10. August 1952 in Luxemburg, in: Jean Monnet: Les Etats-Unis d’Europe ont commencé. Discours et allocutions 1952–1954, Paris 1955, S. 80–85. Auf die Unternehmen der Stahlindustrie des rheinisch-westfälischen Industriegebiets fiel 1959 ein Anteil von 90 % der gesamten Rohstahlproduktion der BRD. Der Begriff ‚Ruhrstahlindustrie‘ und ‚westdeutsche Stahlindustrie‘ wird hier deshalb synonym verwandt. Die Neuordnung und die ‚Rekonzentration‘ betrafen vor allem die sechs genannten ‚Altkonzerne‘. Insofern wird sich diese Ar-

13 Ergebnis der Neuordnung der westdeutschen Stahlindustrie durch die Alliierten wurden bis zum 3. Mai 1955 vier der sechs größten Montankonzerne der Zwischenkriegszeit liquidiert: die Vereinigte Stahlwerke AG, die Klöckner Werke AG, die Deutsche Mannesmannröhrenwerke AG, die Hoesch AG.8 Die Firma Fried. Krupp AG und die Gutehoffnungshütte blieben bestehen; Bergbauunternehmen sowie die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung wurden aus diesen Gruppen ausgegliedert. So wurden im Bereich der Eisen- und Stahlerzeugung die sechs Ruhrkonzerne bis zum 2. Mai 1953 durch neunzehn Nachfolgegesellschaften ersetzt. Angesichts dieser Entwicklung ist es nicht überraschend, dass die Montanunternehmen an der Ruhr in den ersten Jahren der Gründung der Gemeinschaft zu den besten ‚Kunden‘ der Hohen Behörde gehörten. Bis zum Frühjahr 1958 hatte die Hohe Behörde einhundertvier Fälle – zum Teil auf Eigeninitiative – untersucht. Davon waren sechsundvierzig Fälle aus der Bundesrepublik.9 In keinem Fall war die Hohe Behörde zu einer negativen Entscheidung gekommen, d.h. die Genehmigung zum Zusammenschluss war nicht gegeben worden. Diese Genehmigungspolitik war gerade für die Ruhrstahlindustrie von Bedeutung: So kamen zeitgenössische Beobachter Anfang 1958 zu dem Schluss, dass der alliierte Entflechtungsversuch zur „historischen Reminiszenz geworden ist“. Innerhalb der eisenschaffenden Industrie habe sich ein Prozess vollzogen, „der im wesentlichen zur Wiederherstellung der Vorkriegsverhältnisse geführt hat“.10 Die ATH wiederum war das erste Unternehmen, dessen Genehmigungsantrag an der Haltung der Behörde scheiterte – und damit zum cause celebre11 der wissenschaftlichen Literatur über die EGKS-Zusammenschlusspolitik wurde. Anfang Mai 1960 zog sie den am 29. November 1958 gestellten Antrag auf Genehmigung der Übernahme der Aktienmehrheit der Hüttenwerke Phoenix-Rheinrohr AG aufgrund der von der Hohen Behörde zu erwartenden Genehmigungsbedingungen zurück. Schließlich stellte die ATH im Herbst 1962 den gleichen Antrag noch einmal. Die von der Hohen Behörde gestellte Bedingung wurde von der ATH schließlich im Dezember 1963 akzeptiert. Der Erwerb der Mehrheit der Hüttenwerke Phoenix-Rheinrohr AG

8

9 10

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beit auf diese Unternehmen konzentrieren. Louis Lister: Europe’s Coal and Steel Community: An Experiment in Economic Union, New York 1960, S. 461. Die genauen Liquidationsdaten: Mannesmannröhrenwerke AG 1. 4. 1952, Hoesch AG 10. 1. 1953, Klöckner Werke AG 31. 1. 1954, VSt 3. 5. 1955. Gloria Müller, Strukturwandel und Arbeitnehmerrechte: Die wirtschaftliche Mitbestimmung in der Eisen- und Stahlindustrie, Essen 1991, S. 104. European Coal and Steel Community, High Authority: Sixth General Report, Luxemburg 1958, Volume II, S. 97f. Günter Sieber: Die Rekonzentration der eisenschaffenden Industrie in Westdeutschland, in: Wirtschaftswissenschaftliche Mitteilungen, 2 (1958), S. 46–55, hier: S. 55, siehe auch Gillingham, rebirth, S. 355, Isabel Warner: Steel and sovereignty: the deconcentration of the West German steel industry 1949–54, Mainz 1996, S. 236. D. Swann, D. McLachlan: Competition Policy in the European Community, London, New York 1967, S. 205.

14 durch die ATH gilt als das Ende der ‚Rekonzentration‘ oder ‚Rückverflechtung‘12 der westdeutschen Stahlindustrie, mit der die Maßnahmen der alliierten Neuordnung oder ‚Entflechtung‘ weit gehend rückgängig gemacht wurden.13 Wie kam es nun dazu, dass die Hohe Behörde wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges über Unternehmenszusammenschlüsse im Duisburger Raum entscheiden konnte – zweiundzwanzig Jahre, bevor eine entsprechende Regelung zum ersten Mal in einem Land der Europäischen Gemeinschaft überhaupt eingeführt wurde und neununddreißig Jahre bevor eine Fusionskontrolle auf Ebene der Europäische Gemeinschaft verabschiedet wurde?14 Wenn der EGKS-Vertrag heute „zu Recht als Initialzündung für den beginnenden europäischen Einigungsprozess“15 gilt und in der Historiographie fast einhellig als westeuropäischer ‚Friedensvertrag‘16 bezeichnet wird, dann stellt sich natürlich auch die Frage nach seiner Umsetzung. Wie wurde der ‚Friedensvertrag‘ in Form der ersten europäischen Fusionskontrolle angewandt? War denn die Entscheidung der Hohen Behörde, die Maßnahmen der alliierten Neuordnung in der 12

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Sowohl die Bundesregierung, die Unternehmen als auch die industrienahe Wirtschaftspresse und die Vertreter der Ruhrindustrie selber benutzten den Begriff ‚Rekonzentration‘ nie. Stattdessen wurde von „Rückverflechtung“ oder „Re-entflechtung“ gesprochen. Siehe auch Gillingham, rebirth, S. 352. Wann nun die ‚Rückverflechtung‘ endete, ist letztlich eine subjektive Entscheidung der historischen Periodisierung. Hans-Günther Sohl, der Vorstandsvorsitzende der August Thyssen-Hütte AG, hat mit der Übernahme der Aktienmehrheit der Phoenix-Rheinrohr AG durch die August Thyssen-Hütte AG die ‚Rückverflechtung‘ für beendet erklärt. Dieser Periodisierung soll hier gefolgt werden. BA 136/8364 Sohl an Adenauer 13. 10. 58. Fragwürdig ist die Position Gillinghams, der behauptet: „Except at Krupp, the reconcentration process was over by 1957.“ Hinsichtlich der Interessen der Erbinnen Fritz Thyssens unterläuft Gillingham auch ein Fehler. Diese kontrollierten nie „Rheinstahl“, d.h. die Rheinischen Stahlwerke. Gillingham, rebirth, S. 355. Den Antrag ATH/ Phoenix-Rheinohr, der die Hohe Behörde bis 1964 beschäftigen sollte, erwähnt Gillingham dann gar nicht mehr, siehe dazu Spierenburg, S. 707–716. In der BRD kam es 1973 zu einer Veränderung des 1957 verabschiedeten Kartellgesetzes, mit der auch eine Fusionskontrolle eingeführt wurde. Die Verordnung über die Fusionskontrolle in der Europäischen Gemeinschaft wurde 1989 beschlossen und trat 1990 in Kraft, Michelle Cini, Lee McGowan: Competition Policy in the European Union, Basingstoke 1998, S. 116. So der Vorstandsvorsitzender der Thyssen-Krupp AG, Ekkehard D. Schulz im Jahre 2002, Ekkehard D. Schulz: 50 Jahre Montanunion – unter dem Strich ein Plädoyer für unverfälschten Wettbewerb, in: Europäische Kommission: CECA – EKSF – EGKS – EKAX – ECSC – EHTY – EKSG 1952–2002, Luxemburg 2002, S. 233–240, hier: S. 233. Als ‚Friedensvertrag‘, ‚Wendepunkt der Geschichte‘ oder ‚Sternstunde‘ wird der Vertrag bezeichnet, in: Alan S. Milward: The reconstruction of Western Europe, 1945–1951, London 1984, S. 420, John Gillingham: The European Coal and Steel Community: an object lesson?, in: Barry Eichengreen (Hg.): Europe’s post war recovery, Cambridge 1995, S. 151–167, hier: S. 151, Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg: 1876–1952, Stuttgart 1986, S. 710, Micheal J. Hogan: The Marshall Plan. American Britain and the reconstruction of Western Europe, 1947–1952, Cambridge 1987, S. 378, Berthold Rittberger: Which institutions for post-war Europe? Explaining the institutional design of Europe’s first community, in: Journal of European Public Policy, 8/5 (2001), S. 673–708.

15 westdeutschen Stahlindustrie durch ihre Wettbewerbspolitik zu revidieren, richtig bzw. vertragskonform? Diese Fragen wurden auch schon von den Zeitgenossen gestellt. So beauftragte die Hohe Behörde anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens eine Reihe von unabhängigen Experten, einer von ihnen der spätere französische Premierminister Raymond Barre, mit der Ausarbeitung eines Berichts über die Bilanz des Gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl und ihrer eigenen Aktivität.17 Der Bericht betonte, dass die Unternehmenszusammenschlüsse in der Bundesrepublik zu keinem größeren Unternehmen als in den anderen Ländern Westeuropas geführt haben. So sei die Unternehmensstruktur auch „kaum“ problematisch.18 Weiter wurde mit einer entsprechenden Tabelle der Anteil der einzelnen Unternehmen an der Gesamtproduktion in der BRD aufgezeigt, dass die Marktstruktur in der Bundesrepublik nun weitaus ausgeglichener sei als vor dem Zweiten Weltkrieg. Anteil an der deutschen Rohstahlproduktion in % Unternehmen VSt

1936/37

1961

39.8

VSt Nachfolge-Gesellschaften August Thyssen-Hütte (ATH)

11.9

Phoenix-Rheinrohr AG

9.4

Dortmund Hörder-Hüttenunion (DHHU)

9.3

Rheinische Stahlwerke

3.9

Stahlwerke Südwestfalen

1.5

Krupp (Rheinhausen)

9.3

11.0

Hoesch

5.8

6.6

Hüttenwerke Oberhausen AG (Ex-Gutehoffnungshütte)

5.7

6.3

Mannesmann

5.1

6.9

Klöckner Anteil an der Gesamtstahlproduktion

4.8

7.5

70.5

74.3

Krupp: einschl. Bochumer Verein, DHHU einschl. Hüttenwerke Siegerland, ATH : einschl. RasselsteinAndernach, Niederrheinische Hütte, Deutsche Edelstahlwerke, 1936/37: Deutsches Reich, 1961: BRD. Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl: Ergebnisse, Grenzen, Perspektiven, Luxemburg, 1963, S. 368.

Sagten diese Anteile der Unternehmen an der Rohstahlproduktion der BRD etwas über die Möglichkeit der Unternehmen aus, im Sinne des Artikels 66 „auf einem bedeutenden

17 18

EGKS: 1952–1962. Ergebnisse, Grenzen, Perspektiven. Bericht eines Sachverständigenausschusses unter Vorsitz von Rolf Wagenführ, (Wagenführ-Bericht), Luxemburg 1963, S. 363. Ders., S. 368.

16 Teil des Marktes dieser Erzeugnisse die Preise“ bestimmen zu können? Nicht die Produktionsmenge an Rohstahl ist für den Absatz eines Stahlunternehmens entscheidend, sondern sein Walzstahlprogramm. Rohstahl in Form von Stahlhalbzeug wurde schon in den fünfziger Jahren in nur sehr geringem Maße von den Unternehmen direkt abgesetzt. Der Rohstahl wird zu verschiedenen Walzstahlsorten, wie zum Beispiel Fein- und Grobblechen, Stabstahl oder Draht verarbeitet, welche dann am Markt angeboten werden.19 Der Artikel 66 des EGKS-Vertrag hatte dies insofern berücksichtigt, da er sich ausdrücklich auf ‚Erzeugnisse‘ bezog. Insofern sagte die Tabelle in dem Bericht nur wenig darüber aus, ob die Unternehmen nun die Möglichkeit hatten, „auf einem bedeutenden Teil des Marktes (…) die Preise“ bestimmen zu können. Der Bericht ging dann auf die Frage der Erfüllung der entscheidenden Kriterien des Artikels 66 § 2 nicht näher ein. Auch der Forschungsstand über die Aktivität der Hohen Behörde der EGKS bzw. der Europäischen Gemeinschaften wirft hier einige Fragen auf. Es liegt keine Monographie über die Fusionskontrollenpolitik der Hohen Behörde vor.

I.1 Der Forschungsstand über die Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde Über die Gründe, im EGKS-Vertrag eine Fusionskontrolle (Artikel 66) und ein Kartellverbot (Artikel 65) aufzunehmen, gibt es in der geschichtswissenschaftlichen, der juristischen und der sozialwissenschaftlichen Literatur keine einheitliche Meinung. So ist der Artikel 66 als ein ordnungspolitischer Durchbruch bezeichnet worden, der sich nach Vorbild der amerikanischen Antitrustgesetze gegen die auf Preisabsprachen beruhende Tradition der europäischen Stahlindustrie gewandt habe.20 Laut Volker Berghahn sind die Antitrustbestimmungen von Monnet – mit großer amerikanischer Unterstützung – in den Vertrag aufgenommen worden, da die Verhandlungsergebnisse in Paris im Sommer 1950 immer mehr kartellähnliche Formen annahmen. Gleichzeitig habe nun Jean Monnet die Möglichkeit gesehen, mit Unterstützung der Amerikaner „die Kernelemente des Montanvertrags so schnell wie möglich abzusichern und zu19 20

Die Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Ein Bericht der Stahltreuhändervereinigung, München, Berlin 1954, (=NESI), S. 126ff. Wyatt Wells: Antitrust & The formation of the postwar world, Columbia 2002, S. 201f., Matthias Kipping, Zwischen Kartellen und Konkurrenz. Der Schuman-Plan und die Ursprünge der europäischen Einigung 1944–1952, Berlin 1996, S. 222, siehe auch S. 217f., ähnlich Volker Berghahn, Unternehmer und Politik in der Bundesrepublik, Frankfurt 1985, S. 138. François Duchêne: Jean Monnet. The first statesman of interdependence, New York 1996, S. 215f., Frances Lynch: The role of Jean Monnet in Setting up the European Coal and Steel Community, in: Klaus Schwabe (Hg.): Die Anfänge des Schuman-Plans, Bruxelles 1988, S. 117–129.

17 dem mit Hilfe der Amerikaner die Reorganisation der Ruhrindustrie abzuschließen.“21 Thomas A. Schwartz wiederum meint, die Wettbewerbsbestimmungen seien nur auf Drängen der Amerikaner, insbesondere des Außenministers Dean Acheson, in den Vertrag aufgenommen worden.22 Matthias Kipping wiederum sieht in der Einführung der Antitrustbestimmungen eigene Bestrebungen Monnets, um durch die Verbote von Kartellen die Wettbewerbsfähigkeit der französischen und auch europäischen Industrie zu steigern.23 David Gerber hat in seiner Abhandlung über die Geschichte des europäischen Wettbewerbsrecht, in der er auch ausführlich auf die Entstehung des „ersten Antitrustgesetz Europas“24 eingeht, diese Thesen als unwahrscheinlich verworfen. Er wendet sich sowohl gegen die These, dass Artikel 65 und Artikel 66 einseitig gegen die westdeutsche Stahlindustrie gerichtet seien, als auch gegen die These von der amerikanischen Einflussnahme. The story of the early development of competition law in the ECSC belies the assumption that the US strongly influenced the development of competition law in Europe, because of its involvement in the drafting of the Paris Treaty. That involvement was clandestine and generally limited to supplying basic ideas, many of which were already known to key drafters. The one area where US experience supplied significant content was the merger control provision, and that area had little subsequent impact on competition law development in Europe.

Auf der anderen Seite ist auch ein direkter Zusammenhang mit der gerade stattfindenden Neuordnung der Stahlindustrie in der Bundesrepublik gesehen worden. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Diskussion um die Neuordnung der Ruhrindustrie und die Ausgestaltung der Kartell- und Konzentrationsbestimmungen im EGKS Vertrag „mehr als alle anderen Streitpunkte das Zustandekommen der Montangemeinschaft“ gefährdete.25 John Gillingham kommentiert den Vorschlag Monnets, eine Fusionskontrolle im Vertrag aufzunehmen:

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Berghahn, Unternehmer, S. 138. Thomas Alan Schwartz: America’s Germany. John J. McCloy and the Federal Republic of Germany, London 1991, S. 105. Er scheint aber davon auszugehen, dass die amerikanische Intervention noch vor der Veröffentlichung des Planes erfolgte. Gérard Bossuat: La France, l’aide américaine et la contruction européenne 1944-1954, 2 Bände, Paris 1997, erwähnt die Antikartellbestimmungen nur sehr flüchtig, S. 763f. Matthias Kipping: Zwischen Kartellen und Konkurrenz. Der Schuman-Plan und die Ursprünge der europäischen Einigung 1944–1952, Berlin 1996. S. 222, siehe auch S. 217f. So Jean Monnet in seiner Einführungsrede als Präsident der Hohen Behörde am 10. August 1952 in Luxemburg, in: Jean Monnet: Les Etats-Unis d’Europe ont commencé. Discours et allocutions 1952–1954, Paris 1955, S. 80–85. Uwe Röndings: Globalisierung und europäische Integration. Der Strukturwandel des Energiesektors und die Politik der Montanunion, 1952–1962, Baden-Baden 2000, S. 94.

18 Monnet, in the name of the High Authority, was asserting the right to forbid re-concentration indefinitely.26

In der Tat gaben in der Ratifikationsdebatte in der französischen Nationalversammlung französische Regierungsvertreter zu verstehen, dass aufgrund der Einführung der Wettbewerbsbestimmungen die durch die alliierte Neuordnung geschaffene Struktur der Stahlindustrie an Rhein und Ruhr aufrechterhalten werde.27 Dies wurde wiederum von Vertretern der Bundesregierung in der Ratifikationsdebatte im Bundestag – und Bundeskanzler Konrad Adenauer persönlich – bestritten. Vielmehr wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der Artikel 66 den Stahlunternehmen an der Ruhr nun eine Revision der Neuordnung ermögliche; Unternehmenszusammenschlüsse waren mit Genehmigung der Hohen Behörde ja im Vertrag ausdrücklich vorgesehen. Die Befürchtung, dass die Maßnahmen der Neuordnung durch den Artikel 66 aufrechterhalten würden, gab es in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit – und dies nicht nur in Fachkreisen. Noch vor der Unterzeichnung des Vertrages schrieb der SPIEGEL, dass „mit den Artikeln 65 und 66 des Montan-Vertrages (…) Rhein und Ruhr auf fünfzig Jahre die Daumenschrauben angelegt“ würden.28 Die Wirkung der ‚Daumenschrauben‘ war dann ganz offensichtlich nicht sehr groß. So konnte dann auch der SPIEGEL schon im Januar 1955 feststellen, dass „Luxemburgs Montanbehörde (…) bisher alle ihr bekannt gewordenen Rückverflechtungen wohlwollend zur Kenntnis genommen (…)“ hat, „weil sie dem Ziel dienen, die Produktion zu rationalisieren und die Preise zu senken“.29 Unterschiedlich wird dann die Genehmigungspraxis der Hohen Behörde bewertet. Diese Bewertungen hängen mit der Erwartungshaltung an die Anwendung des Artikels 66 durch die Hohe Behörde zusammen. Für Gillingham sind die Zusammenschlüsse an der Ruhr ein Indiz dafür, dass die Hohe Behörde letztlich ihrer Aufgabe nicht gerecht wurde, die Vorherrschaft der Ruhrstahlindustrie zu verhindern: During the years when Monnet was President of the High Authority West German industry was reorganized, recapitalized, refurbished, retooled, and expanded. The old trusts reappeared, and the welfare of Europe was no less dependent upon them than before.30 (…) There was reinvest-

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27

28 29 30

John Gillingham: Solving the Ruhr Problem. German Heavy Industry and the Schuman Plan, in: Schwabe, Anfänge, S. 422, siehe auch Gillingham, rebirth, S. 255f., John Gillingham: The European Coal and Steel Community: an object lesson?, in: Barry Eichengreen (Hg.): Europe’s postwar recovery, Cambridge 1995, S. 151–168, hier: S. 156. Werner von Simson: Kartelle und Zusammenschlüsse in der Montanunion, in: Wirtschaft und Wettbewerb, 7 (1955), S. 401–421, Dirk Spierenburg, Raymond Poidevin: Histoire de la Haute Autorité de la Communauté européenne du charbon et de l’acier. Une experience supranationale, Bruxelles 1993, S. 223f. Der Spiegel, Nr. 14, 14. 4. 51, Das größte Abenteuer, S. 16. Der Spiegel 5. 1. 1955, Verbundwirtschaft. Die Töcher kommen wieder. S. 12. Gillingham, rebirth, S. 348.

19 ment, reassembling (Remontage), and reconcentration (Rekonzentration) thanks to which, in part, by the middle of the decade of the Ruhr had regained its traditional prominence in Europe.31

Die Supranationalität sei ein „Papiertiger“ gewesen, da die Hohe Behörde nicht in der Lage gewesen sei, ihre weit reichenden Kompetenzen auch zu nutzen.32 Deutet Gillingham hier an, dass die Ruhrstahlindustrie Monnet bzw. der Hohen Behörde ihren Willen aufzwang? Aus welchen Gründen hatte die Hohe Behörde die Unternehmenszusammenschlüsse erlaubt? Hier begnügt sich Gillingham mit der Feststellung, dass die Hohe Behörde „further agreed to approve all mergers promoting either efficiency or competitiveness“.33 Hier deutet Gillingham an, dass die Hohe Behörde Unternehmenszusammenschlüsse genehmigte, welche die Wettbewerbsfähigkeit förderten. Er geht also davon aus, dass die Hohe Behörde eine wettbewerbspolitische Strategie bzw. einen Plan entwickelt hatte, um kohärente Entscheidungen über die Anträge zu treffen. In diesem Falle wäre die Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde geradezu ein Musterexemplar von ‚Supranationalität‘. Sie beachtete nicht die Äußerungen der Mitgliedstaaten, die in den Ratifikationsverhandlungen schon einseitig das Ergebnis der Anwendung der Fusionskontrolle angekündigt hatten. Kann Gillingham dann aber davon sprechen, dass der Schumanplan „failed to provide an adequate framework for supranational government“?34 Oder wurden die Entscheidungen gar nicht durch interne Diskussion in der Hohen Behörde getroffen? Sind sie durch externe Einflüsse – möglicherweise durch die Regierungen der Mitgliedstaaten – zu erklären? Ein Versuch der Einflussnahme durch die Bundesregierung ist für den ersten Genehmigungsantrag ATH/Phoenix-Rheinrohr bekannt. So schickte Bundeskanzler Konrad Adenauer während der entscheidenden Sitzung ein Telegramm an die Hohe Behörde, in dem er den Zusammenschluss im Namen der Bundesregierung ausdrücklich begrüßte.35 Die Firmengeschichte der ATH deutet an, dass sich noch andere politische Kräfte in das Verfahren einschalteten – diesmal allerdings gegen den Antrag.36 Genaue Informationen über mögliche externe Einflussnahmen sind allerdings in keiner Studie enthalten. Die umfassende Arbeit von Spierenburg und Poidevin über die Tätigkeit der Hohen Behörde behandelt ebenfalls die Wettbewerbspolitik bzw. die Anwendung des Artikels 66. Auch hier heißt es, dass dieser Artikel als ein „sauvegarde contre la reconcen31 32

33 34 35 36

Gillingham, rebirth, S. 352. John Gillingham: European Integration 1950–2003, Superstate or New market Economy, Cambridge, 2003, S. 32 ähnlich Stephen Martin: Building on coal and steel European integration in the 1950s and 60s, in: Desmond Dinan (Hg.) Origin and Evolution of the European Union, Oxford 2006, S. 126–139, hier: S. 136. Gillingham, rebirth, S. 340. Gillinghahm, rebirth, S. 364. Dirk Spierenburg, Raymond Poidevin: Histoire de la Haute Autorité de la Communauté européenne du charbon et de l’acier. Une experience supranationale, Bruxelles 1993, S. 708. Ders., S. 225.

20 tration en Allemagne“ angesehen worden sei.37 Die Studie berichtet von schwierigen Diskussionen über die ‚Rekonzentration‘ innerhalb der Hohen Behörde – gerade hinsichtlich des Antrags der ATH die Aktienmehrheit der Hüttenwerke Phoenix-Rheinrohr zu übernehmen, der die Hohe Behörde dann nach 1958 für mehrere Jahre beschäftigte.38 Weiter heißt es, dass die Hohe Behörde die ersten Jahre eine ‚realistische‘ Politik geführt habe.39 Zum Zeitpunkt der Ende der Präsidentschaft Monnets im Juni 1955 wiederum sei schon klar gewesen, dass die Hohe Behörde keine sehr restriktive Politik betrieben habe – insbesondere nicht gegen die ‚Rekonzentration‘ in der Bundesrepublik.40 Auf der anderen Seite, so die Studie, bedeute die Tatsache, dass die Hohe Behörde bis 1958 alle Zusammenschlüsse aus der Bundesrepublik genehmigt habe, nun aber nicht, dass sie sich des Problems nicht bewusst gewesen sei.41 So habe die öffentliche Meinung in den anderen Ländern die ‚Rekonzentration‘ oft mit dem ‚Gespenst Vereinigte Stahlwerke‘ verbunden und eine Rückkehr des größten Stahlunternehmens Europas der Zwischenkriegszeit befürchtet. Die Studie ist nicht zuletzt deshalb interessant, da sie unter erheblicher Mitwirkung des damaligen Vizepräsidenten der Hohen Behörde, des Niederländers Dirk Spierenburg, verfasst wurde. So lesen sich einige Bemerkungen als ‚Entschuldigung‘ dafür, dass die Hohe Behörde nun mal bis 1958 keinen Unternehmenszusammenschluss in der Bundesrepublik verboten habe. Ein abschließendes Urteil über die Politik der Zusammenschlüsse enthält die Studie dann nicht. Marie-Thérèse Bitsch geht in ihrer Geschichte über die Europäische Integration in einem Kapitel auf die ‚Erfolge‘ und ‚Misserfolge‘ der Hohen Behörde ein. Der ‚Kampf‘ der Hohen Behörde gegen Kartelle und Konzentrationen ist für sie ein Misserfolg: er sei ‚hoffnungslos‘ gewesen.42 Auch Jean-Marie Palayret hat die Tätigkeit der Hohen Behörde unter der Fragestellung untersucht, warum diese nicht energischer gegen die ‚Rekonzentration‘ eingetreten ist.43 Was eigentlich an der ‚Rekonzentration‘ so problematisch war, wieso diese Zusammenschlüsse genehmigt wurden bzw. inwieweit ein Verbot dem Vertrag entsprochen hätte, darauf gehen diese Bewertungen nicht ein. Dies ist bedauerlich, da die Tatsache, dass die Hohe Behörde die ‚Rekonzentration‘ genehmigte, die Frage nicht beantwortet, ob und wie die Hohe Behörde ihre im Vertrag festgeschriebene wettbewerbspolitische Aufgabe erfüllte. 37 38 39 40 41 42 43

Ders., S. 223f. Ders., S. 707–716, hier: S. 707. Ders., S. 394. Ders., S. 398. Ders., S. 396. Marie-Thérèse Bitsch: Histoire de la construction européenne de 1945 à nos jours, Paris 2006, S. 79. Jean-Marie Palayret: Jean Monnet, la Haute Autorité de la CECA face au problème de la reconcentration de la sidérurgie dans la Ruhr (1950–1958), in: Revue d’histoire diplomatique, 3–4 (1991), S. 307–348.

21 Werner Abelshauser wiederum stellt fest, dass die Hohe Behörde es vermieden habe, „allzu dirigistisch von ihrer theoretisch recht großen Macht“ Gebrauch zu machen.44 Dies hat dazu geführt, dass die Hohe Behörde „in den fünfziger Jahren im beträchtlichem Umfang die Rekonzentration der von den Besatzungsmächten zwangsentflochtenen deutschen Kohle- und Stahlindustrie“ erlaubt hat. Werner Bührer wiederum beschränkt sich darauf festzustellen, dass die „Rückverflechtungsbeschlüsse“ der Hohen Behörde die Ruhrstahlindustrie ganz offensichtlich zufrieden stellten.45 Auch hier bleibt allerdings die Frage offen, ob denn die Hohe Behörde vertragsgemäß handelte, als sie die ‚Rekonzentration‘ der Ruhrstahlindustrie genehmigte. Juristische und ökonomische Studien in der Bundesrepublik haben diese Frage bejaht. Arne Gieseck hat in seiner ökonomischen Studie, die sich insbesondere mit der Stahlpolitik der Europäischen Gemeinschaft in den siebziger und achtziger Jahren beschäftigt, darauf hingewiesen, dass die „liberalen Bestimmungen des EGKS-Vertrages“ den „Konzentrationsschub“ der Ruhrstahlindustrie in der unmittelbaren Nachkriegszeit erst ermöglichten.46 Demnach handelte die Hohe Behörde also völlig vertragskonform, als sie die Zusammenschlüsse der Ruhrstahlindustrie genehmigte. Auch zeitgenössische rechtswissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Studien in der Bundesrepublik kamen zum Schluss, dass die Hohe Behörde mit ihren Genehmigungsentscheidungen vertragskonform gehandelt habe. So heißt es in einer juristischen Dissertation, welche die Genehmigungen der Zusammenschlüsse in der Bundesrepublik behandelt, dass die Hohe Behörde über die Erhaltung „einer gesunden Marktstruktur“ wache.47 Weiter wird der Hohen Behörde bescheinigt, dass sie „ihre Aufgabe als eine vorsichtig lenkende Funktion“ verstehe, mit dem Zweck, „die Marktform des Oligopols und ein ausreichendes Maß von Wettbewerb zu erhalten“.48 Weiter seien die Entscheidungen der Hohen Behörde „unter Berücksichtigung einer sich progressiv entwickelnden Technik und einer relativ gleichmäßig wachsenden Wirtschaft mit wesentlich vergrößerten 44 45

46 47

48

Werner Abelshauser: Wirtschaftliche Aspekte der Gründung der Montanunion, in: Walter Först (Hg.): Beiderseits der Grenzen, Köln 1987, S. 147–184, hier: S. 178. Werner Bührer: Dirigismus und Europäische Integration. Jean Monnet aus der Sicht der Deutschen Industrie, in: Andreas Wilkens (Hg.): Interessen verbinden. Jean Monnet und die europäische Integration der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1999, S. 205–224. Arne Gieseck: Krisenmanagement in der Stahlindustrie. Eine theoretische und empirische Analyse der europäischen Stahlpolitik 1975 bis 1988, Berlin 1995, S. 29. Siehe Horst Amereller: Die rechtliche Regelung der Marktbeherrschung im Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und die praktische Anwendungen dieser Bestimmungen. Eine Untersuchung aus dem Wettbwerbsrecht der EGKS unter vergleichender Berücksichtigung des amerikanischen Antitrust-Rechts, Diss., München 1963, Amerellers Fazit nach der Untersuchung mehrerer Fälle ist, dass die Hohe Behörde über die Erhaltung „einer gesunden Marktstruktur“ wacht. S. 171. Gerd Baare: Ausmaß und Ursachen der Unternehmungskonzentration der deutschen Stahlindustrie im Rahmen der Montanunion. Ein internationaler Vergleich, Diss., Tübingen 1965, S. 192.

22 Märkten, Komponenten, die zusammenwirkend entsprechend mitwachsende Unternehmenseinheiten erfordern“ gefällt worden. Dass die Hohe Behörde die Unternehmenszusammenschlüsse zwischen Nachfolgegesellschaften der VSt, die zur Herausbildung einer neuen Unternehmensgruppe um die ATH führten, genehmigte, darauf hat auch Dieter Spethmann – damals Assistent des Vorstandsvorsitzenden der August Thyssen-Hütte AG, Hans-Günther Sohl, und später selber Vorstandsvorsitzender der Thyssen AG – kürzlich hingewiesen, ganz offensichtlich, um die rechtliche und ökonomische Legitimität der Zusammenschlüsse innerhalb der Nachfolgegesellschaften der VSt hervorzuheben: Bis 1974 fand sich die Mehrheit dieser Unternehmungen erneut zusammen, jeder Schritt unter ausdrücklicher Genehmigung der Hohen Behörde für Kohle und Stahl in Luxemburg; der Kommission des Schuman-Plans, diesmal unter dem Dach der Thyssen AG, die unter dem Namen August Thyssen-Hütte AG eine der Nachfolgegesellschaften geworden war.49

Auch Ekkehard D. Schulz, Vorstandvorsitzender der Thyssen-Krupp AG, weist darauf hin, dass sich die deutsche Stahlindustrie nach Demontage und Entflechtung „neu formieren“ konnte – „dank einer elastischen Fusionskontrolle im Rahmen des EGKS-Vertrags, wie sie sich auch später immer wieder bewähren sollte“.50 Mario Monti, damals europäischer Wettbewerbskommissar, weist wiederum darauf hin, dass bis 1958 die meisten genehmigten Unternehmenszusammenschlüsse aus der Bundesrepublik kamen. Die Hohe Behörde – dem Nichtdiskriminierungsprinzip des Vertrages folgend – habe diese Zusammenschlüsse nicht gesondert behandelt.51 Monti weist auch darauf hin, dass Monnet sicherstellen wollte, dass die „great German trusts (Konzerne) that had controlled the coal and steel industries would never be reconstituted“.52 Da es allerdings an europäischen Erfahrungen auf dem Gebiet der Wettbewerbsregeln gefehlt habe, seien die Wettbewerbsartikel mit Hilfe des amerikanischen Juraprofessors, Robert Bowie, verfasst worden. Ernst B. Haas behauptet in seiner berühmten Studie über die EGKS, welche die Grundlage für die neo-funktionalistische Integrationstheorie legte, dass die Hohe Behörde aus fachlicher Überzeugung die Genehmigungen erteilt hatte: „concentrations are beneficial to productivity“.53 Auch hatten zeitgenössische Beobachter der Politik der 49 50 51 52 53

Dieter Spethmann: Begegnungen mit einer jüngeren Ansicht über die Vereinigte Stahlwerke AG, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 46/1 (2001), S. 237–241. Ekkehard D. Schulz: 50 Jahre Montanunion – unter dem Strich ein Plädoyer für unverfälschten Wettbewerb, in: Europäische Kommission: EGKS, S. 233–240, hier: S. 236. Mario Monti: Competition and the ECSC Treaty. The regulation of anti-trust, concentrations and State aid, in: Europäische Kommission, EGKS, S. 157–166, hier: S. 162. Monti, S. 159. Allerdings schränkt Haas ein: „Still no combination approaching in size the once dominant Vereinigte Stahlwerke has yet emerged or is likely to be authorised by the High Authority“, Ernest B. Haas: The Uniting of Europe. Political, social and economic forces 1950–1957, Stanford 1958, reissued 1968, S. 83ff.

23 Hohen Behörde schon darauf hingewiesen, dass „the extent and limits of its responsibility“ für ihre Entscheidungen nur der Vertrag sei.54 Willies wiederum geht nur kurz auf die genehmigten Zusammenschlüsse bis 1959 ein – um dann fortzuführen, dass die EGKS damit ihre Gründung gerechtfertigt hätte.55 William Diebold, der im Jahre 1959 eine umfangreiche ökonomische Studie über die Entscheidungen der Hohen Behörde durchgeführt hatte, kam im Jahre 1957 zu dem Schluss, dass dieser Politikbereich ein „grey area“ sei.56 Einige dieser unterschiedlichen Beurteilungen scheinen sich am Ergebnis der Anwendung des Artikels 66 durch die Hohe Behörde zu orientieren. Je nachdem, ob die Genehmigungen der Zusammenschlüsse in der Bundesrepublik befürwortet werden oder nicht, wird die Politik der Hohen Behörde gelobt oder kritisiert. Der Aufgabe der Hohen Behörde wird eine solche Bewertung aber nicht gerecht. Wenn die Hohe Behörde ihre Entscheidungen auf die Kriterien des Artikels 66 gründete – dies wurde ja auch in einigen besprochenen Stellungnahmen hervorgehoben –, dann handelte die Hohe Behörde völlig vertragsgemäß. Sie entsprach damit dem ihr im Artikel 66 zugesprochenen ‚Mandat‘ – und füllte die ihr im Artikel 66 zugeschriebene Rolle voll aus. Auf der anderen Seite ist nicht nachgewiesen, ob die Hohe Behörde ihre Entscheidungen tatsächlich nur am Artikel 66 ausrichtete. Darüber gibt es in den zitierten Einschätzungen letztlich keine klare Aussage. Daran schließen sich allerdings andere Fragen an: War der Gesetzestext des Artikels 66 überhaupt in der Lage, Wettbewerbspolitik durchzusetzen? Wie lässt sich die Existenz von Wettbewerbspolitik bzw. einer Fusionskontrolle theoretisch begründen? War der Wortlaut des Artikels 66 – auch unter Berücksichtigung moderner ökonomischer Theorien – hier brauchbar? Der Artikel 66 richtete sich gegen die Möglichkeit von Unternehmen, die Preise zu bestimmen. Den Begriffen der Industrieökonomik folgend handelt es sich bei der ‚Möglichkeit den Preis zu bestimmen‘ um Marktmacht: „A firm (or group of firms acting together) has market power if it is probably able to charge a price above that which would prevail under competition, which is usually taken to be marginal costs.“57 Marktmacht kann es nur im ‚unvollkommenen‘ Wettbewerb geben. Unter Annahme vollkommener Konkurrenz oder perfekten Wettbewerbs ist der Preis nur ein mathematischer Parameter, der sich auf dem Markt als Gleichgewicht von Nachfrage und Angebot automatisch ergibt und vom Unternehmen nicht beeinflusst werden kann. Damit befindet sich die Wirtschaft im Gleichgewicht. In der Realität ist dieser ‚Idealzustand‘ des 54 55 56 57

Hans A. Schmitt: The European Coal and Steel Community: operations of the First European Antitrust Law, in: Business History Review (38) 1964, S. 102–122, hier: S. 106. Frank R. Willis: France, Germany and the new Europe 1945–1967, S. 233f. William Diebold: The Schuman Plan. A study in economic operation 1950–1959, New York 1959, S. 378. Dennis W. Carlton: Modern industrial organization, Reading 1999, S. 610f.

24 perfekten Wettbewerbes oder der vollkommenen Konkurrenz praktisch nie erfüllt58. Aus ökonomischer Sicht soll deshalb durch Wettbewerbspolitik die Marktmacht von Unternehmen begrenzt werden. Eine Fusionskontrolle hat deshalb die Aufgabe, Unternehmenszusammenschlüsse zu verhindern, welche die Marktmacht der zu fusionierenden Unternehmen vergrößern: If a sufficient number of firms in one industry merge, the resulting firms would face less competition and acquire additional market power: the ability of a firm to set price profitably above competitive levels (…). Therefore, the elimination of competitors through merging could lead to higher prices for consumers.59

Hier war der Artikel 66, der sich gegen Unternehmenszusammenschlüsse mit einem Zuwachs von Marktmacht wendete, sehr gut formuliert. Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass ein Zusammenschluss aufgrund von Größenskalenvorteilen oder Synergieffekten zu Kosteneinsparungen führen kann: But a merger that leads to reorganization and more efficient use of the assets of parent firms can reduce costs, making the post-merger firm more efficient. This has the potential to improve market performance. The net effect of a merger, therefore, may be positive, increasing the efficiency of the firms that merge, or negative, allowing greater single-firm or joint non-cooperative exercise of market power (…). It is the evaluation of the net effects of a merger, and the weight to be given to the positive and the negative effects of a merger, that is the task of competition authorities as they administer merger policy.60

Diese Berücksichtigung von möglichen ‚Effizienzgewinnen‘ geht aus dem Artikel 66 wiederum nicht direkt hervor. Allerdings gehen eine Reihe der zitierten Beurteilungen der Politik der Hohen Behörde davon aus, dass die Hohe Behörde dies bei ihrer Genehmigungspraxis berücksichtigte. Im Gegensatz dazu bezieht sich die 1989 vom EG-Ministerrat verabschiedete Fusionskontrollverordnung der Europäischen Gemeinschaft weder direkt auf das Konzept der ‚market power‘ oder der ‚efficiencies‘.61 Zusammenfassend ist zu sagen, dass der Artikel 66 aus heutiger Sicht ein geeignetes Instrument war, eine Fusionskontrolle durchzuführen. Er entsprach den Anforderungen 58 59 60 61

Helmut Bester: Theorie der Industrieökonomik, Heidelberg 2000, S. 10ff., Carlton, S. 610. Carlton, S. 22f. Stephen Martin: Industrial Organization. A European Perspective, Oxford 2001, S. 128. Boris Etter: The Assessment of Mergers in the EC under the Concept of Collective Dominance. An Analysis of the Recent Decisions and Judgements – by an Economic Approach, in: Journal of World Competition 23/3 (2002), S. 103–139, hier: S. 103–105, für weitere Kritik siehe: Massimo Motta: Economic Analysis and EC Merger Policy, RSC No. 2000/33, European University Institute, Florence 2000, Ders.: Competition Policy. Theory and Practice, Cambridge 2004, S. 36f. und S. 271ff., siehe auch Nicholas Levy: EU Merger Control: from Birth to Adolescence, in: World Competition 26/2 (2003), S. 195–218, Stephen Wilks: Competition Policy, in: Helen Wallace, William Wallace, Mark A. Pollack: Policy Making in the European Union, Oxford 2005, S. 113–140, Hanns Ullrich (Hg.): The evolution of European competition law, Northampton 2006.

25 der modernen ökonomischen Theorie an eine Fusionskontrolle. Interessant ist allerdings, dass der Artikel 66 des EGKS-Vertrages dann in der europäischen Wettbewerbspolitik und der Rechtswissenschaft in Vergessenheit geriet. So der ehemalige Wettbewerbskommissar Mario Monti: Merger control in the European Communities is 50 years old. This may come as a surprise to many readers, but the High Authority of the European Coal and Steel Community and its successor, the Commission of the European Communities (the Commission) have been engaged in merger control in the coal and steel industries for the past 50 years.62

Monti geht also davon aus, dass die meisten Leser seiner Abhandlung nicht über die Existenz des Artikels 66 informiert sind.63 Dem Artikel 66 wird dann auch wenig Einfluss auf die Entwicklung des europäischen Wettbewerbsrechts bescheinigt.64 Lehrbücher über das Wettbewerbsrecht gehen auf seine Anwendung nicht ein. Zwar wird dem EGKS-Vertrag bestätigt, dass „it embodied for the first time in an international treaty a set of rules of competition tailored to the special circumstances of a particular industrial sector in a group of sovereign states“.65 Weiter werden Artikel 65 und 66 des EGKS-Vertrages auch als „foundations of EU competition policy“ bezeichnet.66 Über die Entscheidungen der Hohen Behörde gibt es dann aber in Lehrbüchern des europäischen Wettbewerbsrechts wenig Auskunft.67 Um es zusammenzufassen: Bei den Wettbewerbsartikeln des EGKS-Artikels handelt es sich zweifellos um eine wichtige Innovation in der europäischen Wirtschafts- und Rechtsgeschichte – erst 1973 führte die Bundesrepublik eine Zusammenschlusskontrolle ein. Die Europäische Gemeinschaft noch einmal siebzehn Jahre später.68 Der Text des Artikels 66 ist aus ökonomischer Sicht besser als die erste EG-Fusionskontrollver-

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Monti, S. 161. Sein Vorgänger, Karel Van Miert, erwähnt den EGKS-Vertrag in seinem geschichtlichen Rückblick auf die Geschichte der Wettbewerbspolitik überhaupt nicht. Karel Van Miert: Markt, Macht, Wettbewerb. Meine Erfahrungen als Kommissar in Brüssel, Stuttgart, München 2000, S. 56. David. J. Gerber: Law and Competition in twentieth century Europe. Protecting Prometheus, Oxford 1998, S. 342, Lee McGowan, Stephen Wilks: The first supranational Policy of the European Union: Competition Policy, in: European Journal of Political research 28 (1995), S. 141–69. D. G. Goyder: EC Competition Law, Oxford 1998, S. 23 Lee Mc Gowan und Stephen Wilks, S. 141. Zum Teil wird das Desinteresse sehr merkwürdig begründet. Ingo Schmidt bestätigt dem „objektiven Gesetzeswortlaut“ des EGKS-Vertrags eine prokompetitive Haltung. Allerdings hätten die Krisen des Kohle-/Stahlmarktes eine effektive Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften verhindert. Diese Aussage ist erstaunlich. Denn von einer Stahlkrise konnte in den fünfziger Jahren, in denen die Hohe Behörde die Fusionskontrolle häufig anwendete, noch nicht die Rede sein. Ingo Schmidt: Europäische Wettbewerbspolitik. Eine Einführung., München 1997, S. 2. auch die neueste Ausgabe von Goyder analysiert die Entwicklung der EGKS Wettbewerbspolitik nicht, D.G. Goyder: EC Competition Law, Oxford 2003. Cini, S. 116f.

26 ordnung.69 Es gibt allerdings unterschiedliche Meinungen darüber, mit welchem Ziel der entsprechende Artikel überhaupt im Vertrag aufgenommen wurde – und ob es dabei überhaupt in erster Linie wirklich um Wettbewerb ging. Über das Ergebnis der Umsetzung dieser Artikel – gerade hinsichtlich der Genehmigungen in der Bundesrepublik – gibt es wiederum unterschiedliche Bewertungen. Diese Bewertungen hängen ganz offensichtlich davon ab, ob man die ‚Rekonzentration‘ der Stahlindustrie begrüßt oder nicht. Vertragswidriges Verhalten wird der Hohen Behörde nicht vorgeworfen. Schließlich gibt es Anzeichen dafür, dass externe Akteure, wie nationale Regierungen, zumindest Versuche unternahmen, auf die Umsetzung des Artikels auf eine vom Vertrag nicht vorgesehene Weise Einfluss auszuüben. Die Frage ist also, wer die Entscheidungen der Hohen Behörde traf bzw. wie und warum diese getroffen wurden. Jedenfalls geriet der Artikel 66 dann in der europäischen Wettbewerbspolitik in Vergessenheit. Wieso hinterließ die erste europäische Fusionskontrolle nur so wenig Resonanz in der späteren Entwicklung der europäischen Wettbewerbspolitik – obwohl sie zumindest auf dem Papier ein brauchbares Instrument war? Ein Erklärungsangebot gibt es dafür nicht. Die folgende Arbeit hat das Ziel, die EGKS-Wettbewerbspolitik am Beispiel der Zusammenschlüsse in der westdeutschen Stahlindustrie zu analysieren. Gerade der Artikel 66 ist ohne Zweifel ein Grund, die Hohe Behörde als die erste supranationale Institution des europäischen Integrationsprozesses zu bezeichnen.70 Die Hohe Behörde konnte ihre Entscheidungen auf der Basis des Artikel 66 treffen, ohne dass den Mitgliedstaaten eine formelle Mitentscheidung eingeräumt wurde. So handelt es sich hier eindeutig um eine Möglichkeit der „governance and networks of policy-making activity above the nationstate“.71 Insofern trifft auch die folgende Definition von ‚Supranationalism‘ zu: Supranationalism involves states working which one another in a manner that does not allow them to retain complete control over developments. That is states may be obliged to do things against their preferences and their will because they do not have the power to stop decisions. Supranationalism thus takes inter-state relations beyond cooperation into integration and involves some loss of national sovereignty.72

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zur Problematik des Begriffs der „dominant position“ in der ersten EG-Fusionsverordnung (Council Regulation 4064/89) Motta, Competition, S. 271ff. Boris Etter: The Assessment of Mergers in the EC under the Concept of Collective Dominance. An Analysis of the Recent Decisions and Judgements – by an Economic Approach, in: Journal of World Competition 23/3 (2002), S. 103–139, hier: S. 103–105. Manfred Zulegg: Supranationales Recht und supranationale Verfahren der Europäischen Union, in: Wilfried Loth, Wolfgang Wessels: Theorien europäischer Integration, Opladen 2001, S. 205–218, hier: S. 206. Ben Rosamund: Theories of European integration, London 2000, S. 204, Joseph H. H. Weiler: The Constitution of Europe. „Do the new clothes have an emperor? And other essays on European Integration“, Cambridge 1999, S. 264–285, insbesondere die Kriterien für „suprantionalism“: S. 275. Nugent, Neill: The Government and politics of the European Union, New York 2003, S. 475.

27 Kein Zweifel besteht, dass es sich bei der heutigen Europäischen Union um eine supranationale Rechtsordnung handelt. Welche Kompetenzen eine solche supranationale Rechtsordnung bzw. Gemeinschaft ausüben soll, wie eine solche Übertragung von Kompetenzen durch demokratische Verfassungsstaaten an die supranationale Ebene legitimiert werden kann und ob es eher die Regierungen der Mitgliedstaaten, aber auch transnationale soziale Interessengruppen oder eben supranationale Institutionen sind, welche die Dynamik bei diesem Prozess vorgeben, ist umstritten.73 Dies zeigt auch die Diskussion um den Verfassungsentwurf für die Europäische Union – handelt es sich bei supranationalen Institutionen um eine „Diktatur der Bürokraten“?74 Um diese Frage zu beantworten, ist zu klären, wie die Existenz von supranationalen Kompetenzen überhaupt theoretisch erklärt wird, um die Ausübung der Kompetenz eben nicht von „political power and rule“ zu trennen.75 Die historischen, politikwissenschaftlichen, rechtlichen und ökonomischen Erklärungsangebote für ‚Supranationalität‘ sollen hier zur Ausarbeitung der Fragestellung bzw. des Untersuchungsplanes der Arbeit berücksichtigt werden, um „ordered observations of social phenomena“ erstellen zu können.76 Die Frage der historischen Entwicklung der Etappen der Europäischen Integration77, die meist von den großen, zwischenstaatlichen Vertragsverhandlungen handelt, ist nicht der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Nicht die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, bzw. die Europäischen Gemeinschaften, ist der Haupterklärungsgegenstand, sondern das Ergebnis der Tätigkeit der Gemeinschaft auf einem ganz klar definierten Gebiet: der Umsetzung des Wettbewerbsrechts bzw. des Artikel 66 des EGKSVertrages. Hier soll die Arbeit einen Beitrag zur Erforschung des Ursprungs und der Entwicklung der supranationalen Rechtsordnung im Bereich der europäischen Integration leisten.78

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Einen guten Einblick in die Diskussionen über die Legitimät von supranationalen Institutionen bei Christian Joerges, Yves Meny, Joseph Weiler (Hgg.): Response to Joschka Fischer. What kind of constitution for what kind of polity?, Florenz 2000, Mark A. Pollack: Theorizing EU Policy-Making, in: Helen Wallace, William Wallace, Mark A. Pollack: Policy-making in the European Union, Oxford 2005, S. 113–140. So der Titel des SPIEGEL 23/2005 vom 6. 6. 2005 nach dem Ausgang des französischen Referendums über die Verfassung der Europäischen Union. Dies eine Kritik von Markus Jachtenfuchs am politikwissenschaftlichen ‚governance‘-Ansatz. Markus Jachtenfuchs: The Governance approach to European Integration, in: Journal of Common Market Studies 39/2 (2001), S. 245–64. „(…) it has a strong biais towards effective and efficient problem-solving and almost completely ignores the questions of political power and rule“, S. 258. Rosamund, S. 4. Europäische Integration sei hier definiert als „voluntary surrender of some element of state sovereignty“, Alan Milward, The springs of integration, in: Peter Gowan, Perry Anderson: The question of Europe, London 1997, S. 5–21, hier: S. 10. Dinan, evolution, S. 320f.

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I.2 Theoretischer Rahmen der Arbeit und Arbeitsvorgehen Für die Geschichtswissenschaft hat Guido Thiemeyer eine „Unsicherheit (…) gegenüber dem Phänomen der Supranationalität“ festgestellt.79 Er selber erklärt die Supranationalität „allein“ aufgrund der sicherheitspolitischen Ziele der französischen Regierung „die Kohle und Stahlindustrie als eines der wichtigsten Attribute einer Großmacht aus dem deutschen und nationalen Zuständigkeitsbereich auszugliedern und einer Hohen Behörde zu unterstellen“.80 Für die wirtschaftspolitischen Ziele des Planes, so Thiemeyer, wäre die Supranationalität nicht erforderlich gewesen. Dass die ‚supranationalsten‘ Bestimmungen des Vertrages – Artikel 65 und 66 – ‚Antitrustgesetze‘ waren, deren Zusammenhang mit Sicherheitspolitik doch recht fragwürdig ist, erwähnt er allerdings nicht. Auch welche Bestimmungen im Vertrag dazu dienen sollten, eine „Großmacht-Stellung des westdeutschen Teilstaates in Europa zu verhindern“, erläutert Thiemeyer nicht. Überhaupt stellt sich die Frage, wieso keine Verteidigungsexperten bei den EGKS-Verhandlungen dabei waren bzw. für die Diskussion um die Entwicklung einer westeuropäischen Sicherheitsstrategie die EGKS keine Rolle mehr spielte.81 Alan Milward erklärt die Funktion der Supranationalität folgendermaßen: When states chose to advance policies by integration one of the advantages that resided in that choice was the greater irreversibility of the commitment. (…) There were other advantages in integration too which could lead to its choice. It offers a central enforceable law in place of international law which has never been enforced (…).82

In diesem Sinne argumentiert auch Andrew Moravcsik. Er geht davon aus, dass „choices to pool and delegate sovereignty to international institutions are best explained as efforts by governments to constrain and control another – in game-theoretical language – by their effort to enhance the credibility of commitments“.83 Hier hat die supranationale Ins79

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Guido Thiemeyer: Supranationalität als Novum in der Geschichte der internationalen Politik der fünfziger Jahre, in: Journal of European Integration History 4/2 (1998), S. 5–22, hier: S. 9, er verweist dabei insbesondere auf: Hartmut Kaelble: Supranationalität in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Einleitende Bemerkungen, in: Hartmut Kaelble, Heinrich August Winkler: Nationalismus, Nationalitäten, Supranationalität, Stuttgart 1993, S. 189–206, Wilfried Loth (Hg.): La gouvernance supranationale dans la construction européenne, Bruxelles 2005; siehe insbesondere die Einleitung von Wilfried Loth und Marie Thérèse Bitsch, welche ‚supranationalité‘ letztendlich nicht klar definiert. Ders., S. 12. Siehe auch Gülnur Aybet: The Dynamics of European Security Co-operation 1945–1991, Basingstoke 2001. Alan Milward: The European Rescue of the Nation State 1992, London, New York, S. 429. Andrew Moravcsik: The Choice for Europe. Social Purpose & State Power from Messina to Maastricht, New York 1998. S. 9.

29 titution also die Aufgabe, die Einhaltung verabschiedeter Verträge und Abmachungen zu überwachen. Ihre Existenz und ihre Aufgabe entsprechen damit den Interessen der Unterzeichnerstaaten – nämlich einmal getroffene Vereinbarungen auch einzuhalten. Die neofunktionalistische Theorie – die gerade entwickelt wurde, um die Gründung und die Entwicklung der EGKS zu erklären – sieht die Existenz supranationaler Institutionen durch die zunehmende transnationale Marktintegration und Interdependenz begründet.84 Dies erfordere Regulierungen auf trans- oder supranationaler Ebene durch „global technocrats“, die „on the basis of expertise“85, nicht zuletzt aufgrund „greater neutrality, (…) technical expertise“86, fachlich bessere Entscheidungen treffen können als die Mitgliedstaaten. Dies führt dazu, dass sich mit dem Anstieg von transnationaler Interdependenz die Nachfrage nach supranationalen Regeln durch transnational operierende soziale Gruppen erhöht. Nationale Regierungen können dann den Prozess der Kompetenzübertragung auf die ‚supranationale Ebene‘, so diese Theorie, nur noch schwer kontrollieren. Die Übertragung und Ausübung von wettbewerbspolitischen Kompetenzen durch die Hohe Behörde entspricht auch gut dem Konzept der europäischen Gemeinschaft als „Zweckverband funktioneller Integration“87 oder des ‚regulativen Staats‘.88 Dieser Ansatz macht keine Aussage über die „driving force of integration“, sondern fragt eher danach, wie das ‚Regieren durch die supranationale Ebene‘ legitimiert werden kann: Ein weiterer Vorteil der Delegation regulativer Kompetenz auf europäischer Ebene liegt darin, dass die EG-Behörden weniger anfällig für politischen Druck oder auch für Lobbying von Firmen und Gewerkschaften sind. Die (relative) politische Unabhängigkeit der Kommission ist besonders wichtig im Falle der Genehmigung von Firmenfusionen, staatlichen Beihilfen für die Industrie und dem Abbau nationaler wettbewerbsfähiger Vorschriften. Alles in allem lässt sich also die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Delegation bedeutender regulativer Kompetenzen an die 84

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Alec Stone Sweet, Wayne Sandholtz: Integration, Supranational Governance, and the Institutionalization of the European Polity, in: Wayne Sandholtz, Alec Stone Sweet: European Integration and Supranational Governance, Oxford 1998. S. 1–26. Zur historischen Entwicklung des Neofunktionalismus, siehe auch Rosamund, S. 50–73, Jonathan P. White: Theory Guiding Practice: the Neofunctionalists and the Hallstein EEC Commission, in: Journal of European Integration History, 9/1 (2003), S. 111–132. Die neofunktionalistische Schlussfolgerung aus diesem Postulat ist, dass die Mitgliedstaaten aufgrund der höheren Effizienz der supranationalen Ebene weiter Kompetenzen abgeben und diesen Prozess nicht mehr kontrollieren. Dieser spill over effekt ist allerdings historisch nicht nachgewiesen. Milward, springs, S. 6, Rosamund, Integration, S. 101ff. Siehe dazu auch Moravcsik, S. 52f. Sweet, Sandholtz, Supranational, S. 5. So die Zusammenfassung bei Moravscik der verschiedenen Integrationstheorien, S. 55. Christian Joerges: Das Recht im Prozeb der europäischen Integration, „Zweckverband funktioneller Integration“, in: Markus Jachtenfuchs, Beate Kohler-Koch: Europäische Integration, Opladen 1996, S. 73–108, hier: S. 75, Hans-Peter Ipsen: Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen 1972, S. 176ff. Giandomencio Majone: Redistributive und sozialregulative Politik, in: Markus Jachtenfuchs, Beate Kohler-Koch: Europäische Integration, Opladen 1996, S. 225–248, hier: S. 229.

30 Kommission und somit zur Schaffung der Grundlagen eines supranationalen regulativen Staates durch die geringe Glaubwürdigkeit und die hohen Überwachungs- und Durchsetzungskosten rein zwischenstaatlicher Vereinbarungen erklären.89

Jedenfalls ist die Übertragung von wettbewerbspolitischen Kompetenzen auf die ‚supranationale‘ Ebene durchaus mit diesen inhaltlich unterschiedlichen Erklärungen in Einklang zu bringen. Die Wettbewerbspolitik „offers a prime example of how European Integration has been driven by a regulatory dynamic from a powerful and autonomous bureaucracy, utilizing a supranational legal order“90 und wird auch als „first supranational policy of the European Union“ bezeichnet.91 Wettbewerbspolitik ist sicher ein gutes Beispiel für eine „efficiency-oriented policy that is best provided by experts independent of political pressure“.92 Eine solche ‚supranationale‘ Wettbewerbspolitik ist auch im Interesse der Regierungen der Mitgliedstaaten einer Wirtschaftsgemeinschaft, um zu verhindern, dass Unternehmen oder womöglich Regierungen anderer Mitgliedstaaten durch Kartellabsprachen oder staatlich unterstützte Unternehmenszusammenschlüsse die erhofften Gewinne durch Marktintegration gefährden. Wettbewerbspolitik ist also ein „System der Regelüberwachung“ im Interesse aller Mitgliedstaaten – selbst wenn dies für einzelne Entscheidungen nicht der Fall sein muss.93 Eine weitere Erklärung für die Übertragung von Kompetenzen auf die supranationale Regierungsebene besteht darin, dass die Mitgliedstaaten eine Kompetenz gar nicht mehr ausüben wollen, da sie unter Umständen mit unpopulären Entscheidungen verbunden ist. Sie geben daher sehr bereitwillig die Verantwortung auf die supranationale Ebene ab.94 Doch was passiert, wenn der ‚supranationale‘ Akteur einmal mit einer Kompetenz durch die ‚nationalen‘ Akteure beauftragt wurde? Muss er dann den ‚objektiven Gesetzestext‘ ‚nur noch umsetzen‘? In diesem Zusammenhang wird gerade der Existenz einer

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Majone, Politik, S. 233. Francis McGowan: Competition Policy: The limits of the European Regulatory State, in: Helen and William Wallace (Hg.): Policy-making in the European Union, Oxford 2000, S. 115–148. Lee McGowan, Stephen Wilks: The first supranational Policy of the European Union: Competition Policy, in: European Journal of Political research 28 (1995), S. 141–69. Markus, Jachtenfuchs: The Governance Approach to European Integration, Journal of Common Market Studies 39 (2001), S. 245–264, S. 253. Berthold Rittberger, Frank Schimmelpfennig: Integrationstheorien: Entstehung und Entwicklung der EU, in: Katharina Holzinger, Christoph Knill, Dirk Peters, Berthold Rittberger, Frank Schimmelpfennig Wolfgang Wagner (Hgg.): Die Europäische Union. Theorien und Analysekonzepte, Paderborn 2005, S. 19–80, hier S: 57. Zu dieser Sündenbockfunktion: Wim Kösters, Rainer Beckmann, Martin Heber: Elemente der ökonomischen Integrationstheorie, in: Wilfried Loth, Wolfgang Wessels: Theorien europäischer Integration, Opladen 2001, S. 35–86, bes. S. 73ff., siehe auch: Carsten Daugbjerg, Alan Swinnbank: The politics of CAP Reform: Trade negotiations, institutional settings and blame avoidance, Journal of Common Market Studies 2007 (45), S. 1–22.

31 supranationalen Rechtsordnung entscheidende Bedeutung beigemessen.95 Denn sowohl die Mitgliedstaaten als auch die supranationale Ebene müssen sich an die vertraglichen Vereinbarungen über die Kompetenzübertragung halten: Wenn die Mitgliedstaaten die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft und jetzt der Europäischen Union nicht einhalten, ist die Integration zum Scheitern verurteilt.96

Diese etwas dramatisch klingende Stellungnahme, aber auch die diskutierten, eher ‚statischen‘ Erklärungsmodelle für Supranationalität erklären dann allerdings nicht, warum eine Umsetzung einer supranationalen Kompetenz nicht stattfindet bzw. ihre Anwendung umstritten ist oder die möglicherweise ursprünglich angestrebte Funktion nicht erfüllt wird: Zumindest eines dieser Elemente scheint unter der Berücksichtigung des dargestellten Forschungsstandes der EGKS-Wettbewerbspolitik aber zuzutreffen. Von Sozialwissenschaftlern ist generell in Frage gestellt worden, inwieweit die Wortlaute von formellen Regelungen und ihre Umsetzung in der Praxis nicht auseinander fallen: The assertion is that there is little correspondence between how institutions are supposed to function according to the Treaties and how they operate in practice.97

Allgemein ist deshalb auch auf die Bedeutung von „Implementationsforschung“98 des Rechts hingewiesen worden. Im Ergebnis bewirkt die Implementationsforschung eine Art Entzauberung des Rechts. Sie begnügt sich nicht, wie dies Juristen können, mit der „Anwendung“ von Rechtsregeln; sie zeigt, dass die politisch intendierten Wirkungen rechtlicher Programme immer nur unvollkommen erreicht werden, dass im Rechtssystem selber nicht vorgesehene Einflussfaktoren die Programmverwirklichung stören und verändern, dass all dies gemeinhin mit unerledigten Problemen der Programmformulierung zusammenhängt.99

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Neill Nugent: The Government and politics of the European Union, New York 2003, „An EU legal order is thus an essential condition of the EU’s existence“. S. 236. Manfred Zulegg: Supranationales Recht und supranationale Verfahren der Europäischen Union, in: Wilfried Loth, Wolfgang Wessels: Theorien europäischer Integration, Opladen 2001, S. 205–218, hier: S. 210. Johan P. Olsen: Reforming Institutions of Governance, in: Journal of Common Market Studies 40/4 (2002), S. 581 – 602, hier: S. 592. Christian Joerges: Das Recht im Prozeß der europäischen Integration, in: Markus Jachtenfuchs, Beate Kohler-Koch, Europäische Integration, Opladen 1996, S. 73–108, hier: S. 88, ähnlich Olsens Ruf nach „empirical studies“: „There is a need for knowledge about the relationships between on the one hand, formal legal institutions, legally binding decisions, and authorized texts and, on the other hands, rule implementation, ‚living institutions‘ and actual political outcomes“. Reforming, S. 593, siehe auch: Ellen Mastenbroek: EU Compliance: Still a ‚black hole‘?, Journal of European Public Policy 2005 (12), S. 1103–1120. Joerges, Recht, S. 88.

32 Wenn Regeln und Gesetze auch als „outcomes of close negotiations among diverse interests“ bezeichnet werden, als „social contracts“, was passiert wenn sich die Interessen der Akteure wieder verändern?100 Auf die Notwendigkeit, Politikentwicklung generell historisch zu analysieren, hat Alan Milward am Beispiel der britischen Europapolitik der Nachkriegszeit hingewiesen: The principal criticism of the European Communities/European Union – that they take away a measure of national democracy without in themselves being democratic – makes it even more necessary to explain who made policy towards the European Communities, for what reasons, and in what context. 101

In diesem Sinne ist es dann allerdings auch gerechtfertigt zu untersuchen, wie innerhalb der EGKS Politik gemacht wurde – auch wenn sich für den Bereich der Wettbewerbspolitik der Vorwurf des ‚demokratischen Defizits‘ womöglich gar nicht stellt. Hier sollen Entscheidungen ja aufgrund von ‚technischem Fachwissen‘ frei von Mehrheitsentscheidungen des politischen Tagesgeschäfts getroffen werden. Sieht man einmal über den Artikel 66 hinaus, so ist eine generelle Skepsis der Historiographie hinsichtlich der rechtlichen ‚Programmverwirklichung‘ des EGKS-Vertrages festzustellen. Im Zusammenhang mit der ‚Programmverwirklichung‘ ist die Untersuchung über die Energiepolitik der EGKS von Uwe Roendings sehr interessant. Sein Fazit über den gerade von der Hohen Behörde betriebenen Versuch, eine gemeinsame Strategie für die unter zunehmendem Wettbewerbsdruck durch Importkohle und Heizöl leidende EGKS-Kohleindustrie zu entwickeln: Andererseits wurde die Kohlenkrise zur institutionellen Krise, weil einige Mitgliedländer – in besonderer Weise Frankreich, aber auch die Bundesrepublik – die Gemeinschaft angesichts der politischen Brisanz der Energiewirtschaft schlechterdings für nicht zuständig erklärten. (…) Das supranationale Modell für Europa, das nach dem Willen seines geistigen Vaters Robert Schuman mit spezifischen, aber echten Kompetenzen ausgerüstet sein und bindende Entscheidungen jenseits nationaler Interessen treffen sollte, scheiterte im Ernstfall. Die institutionellen Bremsen dagegen, die in den Vertragsverhandlungen eingebaut worden waren, erwiesen sich als sehr funktionstüchtig.102

Roendings berichtet auch von schwierigen internen Diskussionen in der Hohen Behörde. So nennt er verschiedene Mitglieder der Hohen Behörde, wie den Belgier Albert Coppé und die Deutschen Franz Blücher und Heinrich Potthoff „nationale Strohmänner“. Was letztlich Roendings nicht erklärt, ist allerdings die Frage, wieso plötzlich ‚na100 101 102

James G. March, Martin Schulz, Xueguang Zhou: The dynamics of rules: change in written organizational codes, Stanford 2000, S. 186ff. Alan S. Milward: The UK and the European Community. Vol. I. The Rise and Fall of a National Strategy 1945–1963, London 2002, S. 6. Uwe Röndings: Globalisierung und europäische Integration. Der Strukturwandel des Energiesektors und die Politik der Montanunion. 1952–1962, Baden-Baden 2000, S. 422.

33 tionale Interessen‘ innerhalb der EGKS im Vordergrund standen. Wieso hatten die Mitgliedstaaten dann ursprünglich die Kompetenzen an die EGKS-Ebene übertragen, wenn diese im Ernstfall nicht angewendet wurden? Spierenburg wird wiederum in der von ihm mitverfassten Studie über die Geschichte der Hohen Behörde als ein mit einer tiefen Überzeugung und Glauben ausgestatteter ‚Diener Europas‘ bezeichnet. Er habe sich als ein wachsamer ‚Hüter des Vertrages‘ verhalten. Ein Europa des Rechts zu bauen, so die Studie, bedeute für Spierenburg vor allem die akzeptierten Verpflichtungen einzuhalten, da man ansonsten der Willkür Tür und Tor öffne.103 Ganz offensichtlich war dies nicht bei allen Mitgliedern der Hohen Behörde der Fall. Schon bei der Anwendung des Artikels 65 – des Kartellverbots – war es zu Meinungsverschiedenheiten gerade mit Jean Monnet gekommen, dem Spierenburg vorwirft, nicht den Vertrag einzuhalten.104 So weit geht Roendings nicht; er stellt nur fest, dass die Hohe Behörde die Kartellfrage „lange vorsichtig vor sich herschob“.105 Gerade die von der Hohen Behörde vergeblich angestrebte supranationale Krisenpolitik für die ab 1958 in eine schwere Krise geratene europäische Kohleindustrie, die von Roendings im Detail untersucht wird, gilt allgemein als ‚das Scheitern der Supranationalität in der EGKS‘. Die Hohe Behörde brauchte für die Durchführung von wirtschaftlichen Krisenmaßnahmen, wie z.B. die Produktionsfestsetzung für EGKS-Unternehmen, das einstimmige Votum des Ministerrates, welches dieser allerdings verweigerte.106 Jedenfalls erlosch gerade nach diesem Vorfall das Interesse an der Hohen Behörde. Auch die sozialwissenschaftliche Integrationsforschung konzentrierte sich nun auf die Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.107 Erklärt man das Leben und

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Spierenburg, S. 632. Spierenburg, S. 119. Röndings, S. 419. Dabei scheint es sich um eine Verfahrensfrage gehandelt zu haben. Frankreich und Deutschland waren bereit, nationale Produktionsbegrenzungsprogramme zu beschließen und auf europäischer Ebene zu koordinieren. Sie verweigerten aber das im Vertrag festgeschriebene Recht der Hohen Behörde, selber die Produktion für einzelne Unternehmen vorzuschreiben. Die Unternehmensanteile an europäisch festgelegten nationalen Produktionsquoten in ihrem Land wollten die französischen und deutschen Regierungen selber festlegen. Im Einzelfall, so der französische Ministerpräsident Debré, müsse nämlich die französische Regierung die Polizei zu streikenden Bergarbeitern schicken, siehe Spierenburg, S. 529–556, hier: S. 550ff. Dies geht so weit, dass die EGKS in aktuellen Theorieentwürfen für die historische Entwicklung der Europäischen Integration der Rechts- oder Politikwissenschaften nicht mehr erwähnt wird. Dies gilt sogar für die neofunktionalistische Integrationsforschung, obwohl die EGKS als Forschungsobjekt zur Entwicklung dieser Theorie in den fünziger Jahren galt, so z.B. Sandholtz, Supranational Governance, S. 1. Dieses Desinteresse lässt sich nicht allein mit der abnehmenden politischen Relevanz der EGKS erklären. Anfang der achtziger Jahre führte die tiefe strukturelle Stahlkrise dazu, dass selbst die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Europäischen Gemeinschaft diskutiert wurde, siehe Yves Mény, Vincent Wright: State and Steel in Western Europe, in: Yves

34 Wirken der EGKS mit dem Jahre 1958 für beendet, wird übersehen, dass auch nach diesem Zeitpunkt wichtige Entscheidungen, wie zum Beispiel die Genehmigungen von Zusammenschlüssen, getroffen wurden. Roendings geht auf eine entscheidende Frage nicht näher ein. Wieso übertragen Mitgliedstaaten Kompetenzen auf die supranationale Ebene, deren Umsetzung sie dann im Ernstfall verhindern? Wie kommt es, dass „die politisch intendierten Wirkungen rechtlicher Programme immer nur unvollkommen erreicht werden?“ Welcher Art sind die nicht vorgesehenen „Einflussfaktoren“, welche die Programmverwirklichung stören? Wie können diese Umsetzungsschwierigkeiten ‚politisch intendierter Programme‘ theoretisch erklärt werden? Bedeutet dies wiederum, dass die „Nicht-Beachtung des Gemeinschaftsrechts“ dazu führt, „dass die EG nicht als supranationales Rechtssystem fungiert?“108 Hier soll ein theoretisches Angebot diskutiert werden, um die Vorgehensweise bzw. Fragestellungen dieser Arbeit zu begründen. Eine Möglichkeit ist, das Verhältnis der Mitgliedstaaten zur supranationalen Ebene mit der Prinzipal-Agententheorie darzustellen.109 Die Mitgliedstaaten, die ‚Prinzipale‘, beauftragen den supranationalen ‚Agenten‘ mit einer bestimmten Funktion, die den Präferenzen des ‚Prinzipals‘ entspricht. Unter Umständen hat aber der Agent eigene Präferenzen, die nicht mit denen des ‚Prinzipals‘ übereinstimmen müssen. Wird er sich dann genau an das ‚Mandat‘ des Prinzipals halten? Besteht der ‚Prinzipal‘ aus verschiedenen Mitgliedern, z.B. Mitgliedstaaten, kann das ‚Mandat‘ an den Agenten nur ein Kompromiss sein. Die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des ‚Mandats‘ können dann unter Umständen auch während der Ausübung des Mandats durch den Agenten weiter bestehen. In diesem Fall sind Auseinandersetzungen über die Umsetzung sehr wahrscheinlich.110 Schließlich ist zu beachten, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten in einem gewissen Sinne auch ‚Agenten‘ ihrer eigenen Bürger sind. Vielleicht geben die ‚nationalen

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Mény, Vincent Wright: The Politics of Steel: Western Europe and the Steel industry in the Crisis Years, Berlin 1987, S. 1–110, hier: S. 3. Der rechtliche Rahmen für die Bemühungen, eine gemeinsame europäische Stahlpolitik zu betreiben, war dann wieder der Krisenartikel des EGKSVertrages, zur EGKS-Stahlpolitik der siebziger und achtziger Jahre: Loukas Tsoukalis, Strauss, Robert: Community Policies on Steel 1974–1982, in: Yves Mèny, Vincent Wright: The Politics of Steel: Western Europe and the Steel industry in the Crisis Years, Berlin 1987, S. 186–221. Joerges, Recht, S. 89. Mark Pollack: The Engines of European Integration. Delegation, Agency, and Agenda Setting in the EU, New York 2003, S. 19f., Ders.: The Engines of Integration? Supranational Autonomy and Influence in the European Union, in: Sandholtz, Supranational, S. 217–249, bes. 219ff., siehe auch Paul Pierson: The Path to European Integration: A Historical-Institutionaist Analysis, in: Sandholtz, Supranational, S. 27–58. Siehe auch: Johannes Lindner, Berthold Rittberger: The creation, Interpretation and Contestation of Institutions – Revisting Historical Institutionalism, Journal of Common Market Studies 41 (2003), S. 445–473.

35 Regierungen‘ als ‚Agenten‘ ‚Mandate‘ an den supranationalen ‚Agenten‘ weiter, die nicht dem ‚Mandat‘ entsprechen, welches sie von der Wählerschaft erhalten haben. Die ‚Prinzipal-Agenten‘-Konstellation bietet also eine Reihe von Erklärungsmöglichkeiten für Schwierigkeiten hinsichtlich der Verwirklichung des ‚Mandats‘. Bezieht man sich wiederum auf den dargestellten Forschungsstand des Artikels 66, so ist der Artikel 66 das ‚formelle Mandat‘ der Unterzeichnerstaaten bzw. ihrer Regierungen an die Hohe Behörde. Laut diesem ‚formellen‘ Mandat war nun die Hohe Behörde der einzige wirklich aktive Akteur der Wettbewerbspolitik bzw. der Entscheidungen über die Zulässigkeit von Unternehmensentscheidungen. Die Regierungen hatten keinerlei formelles Mitspracherecht mehr. Den Unternehmen wurde in Artikel 66 nur die ‚passive‘ Rolle des Antragstellers zugeschrieben. Historisch lässt sich allerdings beobachten, dass es eben nicht nur formelle Regeln sind, welche das Verhalten von Akteuren bei sozialen Transaktionen beeinflusst.111 Eine Wirkungsanalyse einer bestimmten Regulierung, die sich auf die Beschreibung der „formgebundenen Regeln“ begrenzt, greift deshalb zu kurz.112 Hier deutet der Forschungsstand über die EGKS-Wettbewerbspolitik schon an, dass es neben dem ‚formellen‘ Mandat der Hohen Behörde eben auch ein ‚informelles‘ – oder sogar verschiedene ‚informelle‘ Mandate – des ‚Prinzipals‘ an den Agenten gab. Anscheinend rechtfertigten zumindest einige Regierungen die Übertragung der Kompetenzen auf die supranationale Ebene gegenüber ihrem ‚Prinzipal‘, den nationalen Parlamenten, indem sie schon einmal das gewünschte Ergebnis der Ausübung des ‚formellen‘ Mandats ankündigten – sozusagen ein ‚informelles Mandat‘. An diese Bemerkungen schließt sich die Feststellung an, dass es sich sowohl bei dem ‚Prinzipal‘, also den nationalen Regierungen, als auch dem ‚Agenten‘, aber auch den bedeutendsten Akteuren des Artikel 66 – nämlich den Unternehmen und der Hohen Behörde – um soziale Organisationen handelt. Diese sind definiert als „Gruppen von Einzelpersonen, die ein gemeinsamer Zweck, die Erreichung eines Ziels, verbindet“.113 Dieses Ziel kann ein formelles sein, wie zum Beispiel die Umsetzung einer gesetzlich festgelegten Funktion bei einer öffentlichen Verwaltung, oder die Erzielung von Gewinnen für die Eigentümer bei einem Unternehmen. Aus organisationssoziologischer Sicht wird unterstellt, dass letzendlich die Sicherung des Überlebens das Hauptanliegen sozialer Organi-

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siehe die Unterscheidung zwischen „förmlichen, schriftlich niedergeschriebenen Regeln“ und „ungeschriebenen Verhaltenscodices“ bei North, Douglass C. North: Institutionen, institutioneller Wandel und Wirtschaftsleistung, Tübingen 1992, S. 4 und S. 64, Olsen, Governance, S. 592f. So ist es eine simple empirische Beobachtung, gerade für einen Historiker, dass ähnliche Regeln bzw. Verfassungen in verschiedenen Gesellschaften zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. North, Wandel, S. 43f. Zwischen ‚formellen‘ und ‚informellen‘ Kompetenzen bzw. Absichten wird auch unterschieden bei Pollack, agenda setting, S. 47ff. North, Wandel, S. 5.

36 sation sei.114 Dann stellt sich allerdings auch hier die Frage, ob eine Überlebensstrategie einer Organisation immer mit der Erfüllung der ‚formellen‘ Funktion übereinstimmt.115 Wenn also einer Organisation ein ‚formelles‘ und ein ‚informelles‘ Mandat übertragen werden, welches wird sie verfolgen, um ihr Überleben zu sichern? Eine öffentliche Verwaltung mag viel Verwaltungsaufwand demonstrieren, um ihr ‚formelles Mandat‘ umzusetzen, ohne dass sie das eigentliche Ziel des ‚formellen‘ Mandats erreicht. Vielleicht entspricht das Erreichen des ‚formellen Mandats‘ nicht ihrer eigenen Präferenz – oder sie verfügt über falsche Modelle, um das ‚formelle Mandat‘ ausfüllen zu können.116 Am Beispiel der Wettbewerbsfrage ist in diesem Zusammenhang zu fragen, ob eine produktive Wettbewerbsbehörde, gemessen an der Komplexität des Wettbewerbsrechts und der Anzahl der behandelten Fälle, auch ein Indikator dafür ist, dass das Anwachsen von ökonomischer Marktmacht verhindert wird.117 Eine realistische Betrachtungsweise von Organisationstätigkeit kann nicht ausschließen, dass Wettbewerbsbehörden zwar viele Entscheidungen treffen, die Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität aber nicht immer nachzuweisen ist.118 Die gegenwärtige Diskussion über die Anwendung und die Ziele der Wettbewerbspolitik in den USA und der EU stützt diese realistische Betrachtungsweise. Wenn auch grundsätzlich die Legitimität von Wettbewerbspolitik nicht bestritten wird, so sind die materiellen Entscheidungen der Europäischen Kommission auch Gegenstand von grundsätzlicher wissenschaftlicher Kritik und führten erst kürzlich zu grundlegen Reformen.119 Auch die Anwendung des amerikanischen Wettbewerbsrechts in den sechziger und siebziger Jahren – das oft als Erfolgsmodell für Europa gepriesen wurde – gilt heute als „misguided“.120 Die angewandten ökonomischen Theorien sind heute widerlegt. Sie wa-

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Siehe dazu James G. March, Herbert Simon: Organizations, Cambridge 2993, S. 129f., North, Wandel S. 25, auch S. 87ff. Siehe dazu auch Frédéric Jenny: Competition law and policy: achievements and failures from an economic perspective, in: Einar Hope (Hg.): Competition policy analysis. Achievements and failures from an economic perspective, New York 2000, S. 20–34, hier: S. 32. Pollack, agenda setting, S. 34ff., North, Wandel, S. 9. Karel Van Miert scheint von diesem Automatismus auszugehen. So bescheinigt er der Wettbewerbspolitik eine „phänomenale Entwicklung“, ohne darauf einzugehen, ob sie die Wettbewerbssituation in den erwähnten Sektoren auch tatsächlich verbessert hat. Van Miert, S. 58 und S. 388. Piet Jan Slot: A view from the mountain: 40 years of developments in EC competition law, in: Alison Mc Donnel: A review of forty years of Community law. Legal developments in the European Communties and the European Union, 2005, the Hague, S. 165–196, hier: S. 168. Slot stellt fest, dass die Frage des ökonomischen Erfolgs der europäischen Wettbewerbspolitik noch keine ‚convincing answer‘ gefunden habe. Siehe zum Beispiel, Nicholas Levy: EU Merger Control: from Birth to Adolescence, World Competition 26/2 (2003), S. 195–218, hier: S. 218, Ivo van Bael, Jean-Francois Bellis Competition Law of the European Community, The Hague, 2005, S. 730ff. Thomas B. Leary: The essential stability of merger policy in the United States, in: Antitrust Law Journal, Volume 70 Issue 1 (2002) S. 105–142. S. 105–142, hier: S. 105f.

37 ren auch damals schon fragwürdig. Dies wird mit der dominanten Stellung von Juristen bei der Umsetzung der Wettbewerbspolitik erklärt.121 Weiter ist darauf hingewiesen worden, dass es auch innerhalb der Kommission über einzelne Entscheidungen, aber auch die größere Strategie in der Wettbewerbspolitik, durchaus interne Auseinandersetzungen gibt.122 Ganz abgesehen davon besteht über das von Ökonomen geforderte Ziel von Wettbewerbspolitik, nämlich die Durchsetzung von ökonomischer Effizienz, kein uneingeschränkter Konsens.123 Weiter warnen Ökonomen davor, von einigen simplen Marktstrukturmerkmalen, wie dem Konzentrationsgrad eines Wirtschaftssektors oder den Marktanteilen der Unternehmen, auf ihr Marktverhalten bzw. die Intensität des Preiswettbewerbs zu schließen.124 Es wird bezweifelt, ob es überhaupt ein allgemein anwendbares ökonomisches Modellangebot gibt, das die notwendigen wettbewerbspolitischen Maßnahmen für Marktstrukturen verschiedener Wirtschaftszweige vorgeben kann.125 Dies spricht ein generelles Problem der ‚Effizienz‘ oder ‚sachlichen Richtigkeit‘ von Entscheidungen an, welches auch für öffentliche Regulierungsinstitutionen gilt. Die mit der Ausarbeitung der Politik betrauten Organisationen und Personen verfügen auch nur über ‚beschränkte Rationalität‘, da die sozialwissenschaftlichen Modelle, auf denen ihre wettbewerbs- bzw. wirtschaftspolitischen Entscheidungen beruhen, die Realität eben meist nur unvollkommen wiedergeben und sie nur über inkomplette Informationen über

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Dies führt zu der Forderung, Juristen, denen es am nötigen ökonomischen Verständnis fehlt, nicht die Umsetzung der Wettbewerbspolitik zu überlassen, so zum Beispiel: Simon Bishop, Mike Walker (Hgg.): The Economics of EC Competition Law. Concepts, Application and measurement, London, Dublin 1999, siehe Einleitung, interessanterweise beschränkt sich die ‚Verteidigung‘ eines Juristen auf den Hinweis der Verfahrenskomplexität des Wettbewerbsrechts und der Wahrung von Rechtssicherheit für die Beteiligten: Anders Chr. S. Ryssdal: Implementation of second best solutions: the judge or the bureaucrat? A lawyer’s perspective, in: Einar Hope: Competition policy analysis, New York 2002, S. 65–77, hier: S. 65. Johan From: Decision-making in a complex environment: a sociological institutionalist analysis of competition policy decision-making in the European Commission, in: Journal of European Public Policy 9/2 (2002), S. 219–237. Interessant hier die folgende Feststellung hinsichtlich der Wirkung der EU-Wettbewerbspolitik: „The direct impact of EU competition policy is on market integration. Its deeper role is to maintain public confidence in the fairness of market processes, and therefore public support for integration at all levels“, Stephen Martin: Competition Policy, in: Mike Artis, Frederick Nixson (Hgg.): The Economics of the European Union. Policy and Analysis, 2001, S. 125–141, hier: S. 126., siehe dazu auch Motta, Competition, S. 17–29. Siehe zum Beispiel, John Sutton: Technology and market structure. Theory and History, Massachusetts 1998, S. 486ff., George Symeonidis: Price competition and market structure: the impact of Cartel policy on concentration in the UK, in: The Journal of Industrial Economics, 158 (2002), S. 1–26, Gregory J. Werden: Assigning Market Shares, in: Antitrust Law Journal, 70 (2002), S. 67–104. Frédéric Jenny: Competition law and policy: achievements and failures from an economic perspective, in: Hoppe, S. 20–34.

38 den zu bearbeitenden Sachverhalt verfügen.126 Die wenigen wirtschaftshistorischen Arbeiten über die Umsetzung von Wettbewerbspolitik sind dann auch eher skeptisch, ob die Anwendung von Wettbewerbsregeln auch tatsächlich zu günstigeren Marktstrukturen geführt hat.127 Dies sei hier nur angefügt, um einer zu simplen Kritik an der Arbeit der Hohen Behörde vorzubeugen. Was sind also die Schlussfolgerungen dieser theoretischen Erklärungen über supranationale Kompetenzausübung durch Organisationen für das Vorgehen dieser Untersuchung? Diese Frage soll nun durch die folgende Gliederung des Untersuchungsvorganges dieser Arbeit beantwortet werden. Wie kam es zu der Ausformulierung des ‚formellen Mandats‘ des Artikels 66? Wie schon dargestellt ist es wichtig, die Entstehungsgeschichte des ‚Mandats‘ der ‚Prinzipale‘ an den ‚Agenten‘ genau zu untersuchen. Diese ‚Entstehungsgeschichte‘ erlaubt unter Umständen Rückschlüsse auf die spätere ‚Programmverwirklichung‘. Jedenfalls beziehen sich Bewertungen des Forschungsstandes in der Historiographie auf verschiedene, gewünschte Ergebnisse der Anwendung des ‚Mandats‘, die schon zur Zeit der ‚Entstehungsgeschichte‘ geäußert wurden. Dies gilt natürlich gerade für den Zusammenhang zwischen der Neuordnung der Stahlindustrie und der Entstehung des Artikels 66. Hier stehen zwei Thesen im Raum: Einmal wird ein klarer Zusammenhang gesehen, dass der Artikel 66 die Aufgabe hat, die Neuordnung aufrechtzuerhalten; andererseits wird betont, dass die wettbewerbspolitschen Motive bei der Einführung des Artikels im Vordergrund standen. In einem ersten und zweiten Teil sind deshalb die Entstehung des Artikels 66 sowie der Zusammenhang mit der Neuordnung zu untersuchen. Dabei geht es im Besonderen um die Klärung des Zusammenhanges mit der Neuordnung der Stahlindustrie – denn hier wird zum Teil in der Forschung ein Zusammenhang vermutet, ohne dass dies allerdings klar nachgewiesen wird. Die Ergebnisse der Neuordnung der Stahlindustrie werden im dritten Kapitel besprochen. Hier geht es darum, das materielle Ergebnis der Neuordnung herauszuarbeiten. Worin bestand die Neuordnung eigentlich, dass man behaupten konnte, dass durch sie eine drohende ‚Dominanz‘ der Ruhrstahlindustrie in der EGKS beseitigt wurde? Dabei sollen insbesondere zwei Thesen diskutiert werden, welche auch die zeitgenössischen Argumente der Diskussion um die Neuordnung wiedergeben. Werner Plumpe geht davon aus, dass „durch die Entflechtung nach 1945 in der Stahlindustrie eine durchaus

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Siehe dazu North, Wandel S. 9f., Douglass C. North: Understanding the process of economic change, Oxford 2005, S. 13–22, B. D. Jones: Politics and the architecture of choice: bounded rationality and governance, London 2001. George Bittlingmayer: Antitrust and Business Activity: the First Quarter Century, Business History Review 70/3 (1996), S. 363–401, George Symeonidis: Price competition and market structure: the impact of Cartel policy on concentration in the UK, in: The Journal of Industrial Economics, 158 (2002), S. 1–26.

39 funktionsfähige Unternehmensstruktur in kostenmäßig gesehene suboptimale Mittelunternehmen zerschlagen“ wurde.128 Gary Herrigel wiederum sieht in der Neuordnung eine von den Alliierten durchgesetzte „radical fragmentation“, welche dann im Zuge der fünfziger Jahre eine Neuformierung der westdeutschen Stahlindustrie erlaubte, die auf eine „larger scale, more efficient production“ abzielte.129 Beide Aussagen implizieren eine Bewertung der Unternehmenszusammenschlüsse in den fünfziger Jahren, die eine Neuformierung bzw. eben eine Rückkehr zu einer kostengünstigeren Industriestruktur führte. Auf die Politik der Hohen Behörde gehen beide interessanterweise nicht ein. Sie müssten aber deren Entscheidungen, die Unternehmenszusammenschlüsse an der Ruhr zu erlauben, begrüßen. Es ist also wichtig, in diesem Kapitel zu analysieren, worin denn die Neuordnung bestand und zu welchem materiellen Ergebnis sie führte. Teil vier bis sechs behandelt dann die Umsetzung der Fusionspolitik anhand der Behandlung der Anträge aus der Ruhrstahlindustrie. Hier werden die Zusammenschlussanträge zwischen Nachfolgegesellschaften der ‚mittleren‘ Altkonzerne, d.h. des Mannesmann-Konzerns, der Hoesch-Gruppe, der Gutehoffnunghütte und der Klöckner-Werke behandelt, die bis 1958 beendet waren. Im fünften Kapitel soll dann auf die Anträge der VSt-Nachfolgegesellschaften eingegangen werden. Diese Trennung zwischen den ‚mittleren‘ Konzernen und den VSt-Nachfolgegesellschaften rechtfertigt sich schon dadurch, dass die Auflösung der VSt in einer bedeutend größeren Anzahl von Nachfolgegesellschaften der Eisen-Stahl-Erzeugung mündete, als dies bei den ‚mittleren‘ Konzernen der Fall war. Weder ist die Beschreibung der ‚Rekonzentration‘ der Ruhrstahlindustrie noch die allgemeine Entwicklung der Ruhrstahlindustrie in den fünfziger Jahren Hauptgegenstand dieser Untersuchung. Die Unternehmenszusammenschlüsse werden hier behandelt, um die Entscheidungen der Hohen Behörde in einem größeren Rahmen in das Marktgeschehen einordnen zu können. Dabei ist auch die Frage zu beantworten, wie sich die Unternehmen an Rhein und Ruhr hinsichtlich der neuen europäischen Bestimmungen über eine Fusionskontrolle verhielten. Gab es schon bestehende Pläne, wie nun die neuen Nachfolgegesellschaften auf die Ergebnisse der Neuordnung reagieren würden, und wurden diese Pläne womöglich aufgrund des Artikels 66 verändert? Hatte der Artikel 66 einen Einfluss auf die Unternehmensstrategien der Stahlunternehmen an Rhein und Ruhr? Veränderte er sie womöglich? Dies ist auch deshalb schon von Interesse, da eine umfassende archivgestützte Untersuchung über das Wechselverhältnis zwischen Wettbewerbsbehörde und Unternehmen nicht vorliegt. Das sechste Kapital geht dann auf die Zusammenschlussanträge nach 1958 der mittlerweile größten Nachfolgegesellschaft der VSt, die ATH, ein. Der Antrag, die Aktienmehrheit der Phoenix-Rheinrohr AG zu übernehmen, gilt allgemein als das Ende der ‚Rekonzentration‘.

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Plumpe, Desintegration, S. 303. Herrigel, Construction, S. 215.

40 Teil sieben schließlich behandelt die abschließende Frage, ob die Anwendung der Wettbewerbsbestimmungen des EGKS-Vertrages zu mehr Wettbewerb führte bzw. den Wettbewerb aufrechterhalten konnte. Hier hatte die Hohe Behörde ja den klaren Auftrag, zu verhindern, dass die Unternehmen eine „Möglichkeit bekommen würden, die Preise zu bestimmen“. Hier soll also untersucht werden, wie im ersten Jahrzehnt der EGKS im gemeinsamen Stahlmarkt ‚die Preise bestimmt wurden‘. Dies wiederum beantwortet die Fragen: Gefährdeten die Unternehmenszusammenschlüsse der Ruhrstahlindustrie den Wettbewerb? Wurden die Bestimmungen des Artikels 66 des EGKS-Vertrages von der Hohen Behörde ‚falsch‘ umgesetzt? Fing die Geschichte der Umsetzung der supranationalen Rechtsordnung im Rahmen der europäischen Integration möglicherweise mit einem Misserfolg an?

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1. K APITEL D ER U RSPRUNG DER F USIONSKONTROLLE (A RTIKEL 66) IM EGKS -V ERTRAG „L EX R UHR “ ODER „ ERSTES W ETTBEWERBSGESETZ “ IN E UROPA ? 1.1 Einleitung Am 9. Mai 1950 verkündete der französische Außenminister, Robert Schuman, den Vorschlag der französischen Regierung, „die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohleund Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offen steht“.1 Dieser Vorschlag, die westdeutsche und französische Montanindustrie einer gemeinsamen Behörde zu unterstellen, gilt als ein Wendepunkt – oder auch Friedensvertrag – der europäischen Nachkriegsgeschichte.2 1

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Die deutsche Übersetzung der Erklärung ist abgedruckt in: Matthias Kipping: Zwischen Kartellen und Konkurrenz. Der Schuman-Plan und die Ursprünge der europäischen Einigung 1944–1952, Berlin 1996, S. 353–356. Zu Entstehung und Zielen des Schumanplans siehe, Milward, reconstruction, S. 362–420, John Gillingham: Coal, steel, and the rebirth of Europe. 1945–1955. The Germans and French from Ruhr Conflict to economic community, Cambridge 1991, S. 228–298, Manfred Rasch, Kurt Düwell (Hg.): Anfänge und Auswirkungen der Montanunion auf Europa. Die Stahlindustrie in Politik und Wirtschaft, Essen 2007, Ludolf Herbst, Option für den Westen, München 1989, S. 74–86, Gilbert Trausch: Der Schuman-Plan zwischen Mythos und Realität. Der Stellenwert des Schuman-Planes, in: Rainer Hudemann, Hartmut Kaelble, Klaus Schwabe (Hrsg.): Europa im Blick der Historiker. Europäische Integration im 20. Jahrhundert: Bewußtsein und Institutionen, München 1995, S. 105–127, Matthias Kipping: Zwischen Kartellen und Konkurrenz. Der Schuman-Plan und die Ursprünge der europäischen Einigung 1944–1952, Berlin 1996, S. 118–164, Marie Thérèse Bitsch: Histoire de la construction européenne de 1945 à nos jours, Paris 1999, S. 61–79, Wilfried Loth: Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939–1957, Göttingen 1996, S. 81–90, Sylvie Lefèvre: Les relations économiques franco-allemandes de 1945 à 1955. De l’occupation à la coopération, Paris 1998, S. 241–250, Gérard Bossuat: La France, l’aide américaine et la construction européenne 1944–1954, Bd. 2, Paris 1992, S. 736ff., Klaus Schwabe (Hg.): Die Anfänge des Schuman-Plans 1950/51, Baden-Baden, 1988, Francois Duchêne: Jean Monnet. The first statesman of Interdependence, New York, London, 1994, S. 190–203, Raymond Poidévin: Robert Schuman – Homme d’Etat 1886–1963, Paris 1986, S. 244–296, Andres Wilkens (Hg.): Le Plan

42 Bundeskanzler Adenauer begrüßte die Erklärung in einer ersten Reaktion hoch erfreut, da die Beendigung des deutsch-französischen Gegensatzes und eine rasche Integration der noch jungen Bundesrepublik in ein westeuropäisches Sicherheitssystem seinen ureigenen außenpolitischen Zielen entsprachen.3 Die Schumanplan-Erklärung bedeutete in diesem Sinne ein öffentlich angekündigtes, spektakuläres Zeichen der Verhandlungsbereitschaft der französischen Regierung, über die Integration der westdeutschen Montanindustrie im Interesse höherer politischer Ziele zu verhandeln – auf grundsätzlich gleichberechtigter Grundlage.4 Trotz der unbestrittenen Bedeutung des Schumanplans verzögerte eine banal anmutende technisch-wirtschaftliche Frage den Abschluss der Verhandlungen monatelang bzw. verursachte fast ihr Scheitern: die Beschränkung der Eigentumsverflechtung zwischen Kohle und Stahl als Ergebnis der alliierten Neuordnung der westdeutschen Montanindustrie.5 Nur nach erheblichem amerikanischem Druck erklärte die Bundesregie-

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Schuman dans l’Histoire, Intérêts Nationaux et projet européen, Bruxelles 2004, Uwe Röndings: Globalisierung und europäische Integration. Der Strukturwandel des Energiesektors und die Politik der Montanunion, 1952–1962, Baden-Baden 2001, S. 73–77. Ludolf Herbst hat völlig richtig darauf hingewiesen, dass der Schumanplan so geschickt formuliert war, dass er von den Anhängern unterschiedlicher, zeitgenössischer Integrationstheorien (Freihandel, Funktionalisten, Föderalisten) als erster Schritt für die Verwirklichung „ihres“ Modells interpretiert werden konnte. Ludolf Herbst: Die Zeitgenössische Integrationstheorie und die Anfänge der Europäischen Einigung, in: VfZ 34 (1986), S. 161–205. Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg: 1876–1952, Stuttgart 1986, S. 710–715, siehe auch Jean Monnet, Mémoires, Paris 1976, S. 448f. Die historische Forschung hat mittlerweile gut herausgearbeitet, dass die Schumanplan-Erklärung sich in einer längerfristigen Strategie der französischen Außenpolitik einordnet, die seit spätestens 1948 darum bemüht war, ihre Deutschlandpolitik in einen größeren westeuropäischen Rahmen einzubetten. Milward, reconstruction, S. 126–167, S. 396f., John Gillingham: Die französische Ruhrpolitik und die Ursprünge des Schumanplans. Eine Neubewertung, in: VfZ 35 (1987), S. 1–24, Lefèvre, relations, S. 155–163, so kann die ursprüngliche These von Poidevin als revidiert gelten, die den Schumanplan als letzten Verzweiflungsakt einer gescheiterten Annektionspolitik sieht. Raymond Poidevin: Frankreich und die Ruhrfrage 1945–1951, in: HZ 228 (1979), S. 317–334. In einem späteren Aufsatz schreibt auch Poidévin: „L’idée d’un pool charbon-acier est dans l’air même s’il met près de deux ans à se concrétiser dans la déclaration du 9 mai 1950.“ Raymond Poidevin: La France et le charbon allemand au lendemain de la deuxième guerre mondiale, in: Relations internationales 44 (1985), S. 365–377, hier: S. 377, für die französische Europapolitik nach 1945 allgemein, siehe Frances M. B. Lynch: France and the International Economy. From Vichy to the Treaty of Rome, London 1997, Dietmar Hüser: Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“: Dynamik aus der Defensive – Planen, Entscheiden, Umsetzen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, innen- und aussenpolitischen Krisenzeiten: 1944–1950, Berlin 1996. Gérard Bossuat: La France, l’aide américaine et la construction européenne et la construction européenne 1944–1954, 2 Bände, Paris 1992. Duchêne, S. 218, Gillingham, rebirth S. 280, Trausch, Mythos, S. 125, Ulrich Lappenküpper: Die deutsch-französischen Beziehungen 1949–1963: von der „Erbfeindschaft“ zur „Entente élémentaire“, München 1998, S. 267, Thomas Alan Schwartz: America’s Germany. John J. McCloy and

43 rung am 14. März 1951 in einem Brief an die Alliierte Hohe Kommission (AHK) ihr Einverständnis, den Eigenbesitz von Stahlunternehmen an Bergbaubetrieben in der westdeutschen Montanindustrie auf 75 % des Kokseigenverbrauchs des betreffenden Stahlunternehmens zu beschränken. Erst dann konnten die Schumanplan-Verhandlungen beendet werden. Der am 18. April 1951 unterzeichnete Vertrag enthielt eine interessante Innovation: die in dieser Form ersten bzw. striktesten Antitrust-Gesetze in Europa. Neben einem Kartellverbot (Artikel 65) schrieb der Artikel 66 vor, dass Unternehmenszusammenschlüsse in der Montanindustrie zukünftig der Genehmigung der Hohen Behörde, dem Exekutivorgan der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), bedurften.6 Für die westdeutsche Stahlindustrie war nun rechtlich festgeschrieben: Die Ergebnisse der alliierten Neuordnung ließen sich nur im Rahmen der EGKS – mit Genehmigung der Hohen Behörde in Luxemburg – revidieren.7 Dass damit überhaupt zum ersten Mal eine öffentliche Körperschaft in Europa die Kompetenz einer Unternehmenszusammenschluss-Kontrolle übertragen wurde, unterstreicht die Bedeutung des Artikels 66 noch. So hatten die Schumanplan-Verhandlungen zwei bedeutende Auswirkungen auf die zukünftige Struktur der westdeutschen Stahlindustrie. Erstens wurden die Verhandlungen erst dann beendet, nachdem die Bundesregierung die alliierte Neuordnung der Montanindustrie schließlich akzeptierte. Zweitens unterlagen nun zukünftige Unternehmenszusammenschlüsse, mit denen man die Ergebnisse der Neuordnung mindestens zum Teil revidieren konnte, der Genehmigung der Hohen Behörde. Insofern soll dieses erste Kapitel Fragen beantworten, die für die Bearbeitung des Untersuchungsgegenstandes – der Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde gegenüber der westdeutschen Stahlindustrie – von fundamentaler Bedeutung sind. Wieso enthielt der EGKS-Vertrag den Artikel 66 über die zukünftige Genehmigung von Unternehmenszusammenschlüssen? Gab es einen Zusammenhang mit der Tatsache, dass die Schumanplan-Verhandlungen erst dann abgeschlossen werden konnten, als die Bundesregierung sich mit der alliierten Neuordnungspolitik einverstanden erklärt hatte und nun gleichzeitig eine Revision dieser Politik nur über den EGKS-Vertrag möglich war? Insofern sollen hier als Erstes die Ursachen für die Einführung des Artikels 66 analysiert werden, um dann im folgenden Kapitel den genauen Zusammenhang zwischen

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the Federal Republic of Germany, London 1991, S. 189–203, Gillingham, rebirth, S. 276–283, Isabel Warner: Steel and sovereignty. The Deconcentration of the West German Steel Industry 1949–54, Mainz 1996, S. 37. Richard T. Griffiths: The Schuman Plan Negotiations. The Economic Clauses, in: Schwabe, Anfänge, S. 35–72, hier: S. 65. Die Delegation der Bundesrepublik hatte eine Zustimmung zu den Antitrust-Bestimmungen abgelehnt, solange keine Regelung für die Frage der Neuordnung der Montanindustrie mit den Alliierten gefunden war. Duchêne, S. 215, Monnet an Schuman 22. 12. 1950, in: Jean Monnet-Robert Schuman. Correspondance 1947–1953, Lausanne 1986, S. 90.

44 den Schumanplan-Verhandlungen und der Neuordnung der westdeutschen Stahlindustrie zu untersuchen. Der Zusammenhang zwischen der Neuordnung der deutschen Stahlindustrie und der Einführung einer Fusionskontrolle im EGKS-Vertrag ist unterschiedlich bewertet worden. Diese Bewertungen sind infolgedessen hier kurz darzustellen; sie implizieren nämlich unterschiedliche Motive für die Schlussfolgerungen hinsichtlich der Einführung der Wettbewerbsartikel. Laut Volker Berghahn sind die Antitrustgesetze von Monnet mit großer amerikanischer Unterstützung in den Vertrag aufgenommen worden, da die Verhandlungsergebnisse in Paris im Sommer 1950 immer mehr kartellähnliche Formen annahmen.8 Mit der Aufnahme von Antitrustgesetzen im Montanunionsvertrag sollte ein großer Durchbruch gegen die auf Kartellen basierende Marktordnung der Zwischenkriegszeit gelingen. Thomas A. Schwartz wiederum meint, die Wettbewerbsbestimmungen seien nur auf Drängen der Amerikaner, insbesondere des Außenministers Dean Acheson, in den Vertrag aufgenommen worden.9 Auch Wyatt Wells ist der Meinung, dass sich an diesem Punkt die Antikartellüberzeugungen der Amerikaner und Jean Monnets, der sich energisch gegen eine Aufteilung der europäischen Märkte nach Vorbild der Zwischenkriegskartelle aussprach, trafen.10 Die Wettbewerbsbestimmungen seien in Washington wortwörtlich geschrieben worden. In dieser Form wurden sie auch verabschiedet.11 Matthias Kipping wiederum sieht in der Einführung der Antitrustbestimmungen eigene Bestrebungen Monnets mit dem Ziel der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der französischen und auch europäischen Industrie.12 Es war dann ein willkommener Nebeneffekt, dass einer ‚Rekonzentration‘ der westdeutschen Stahlindustrie hier möglicherweise ein Riegel vorgeschoben wurde. Eine gegensätzliche These zu diesem Punkt vertritt John Gillingham. Die Einführung einer Kartellgesetzgebung sei insbesondere eine Reaktion auf das gestiegene Gewicht der westdeutschen Verhandlungsposition nach Beschluss über einen westdeutschen Beitrag zur westeuropäischen Verteidigung auf der alliierten Außenministerkonferenz am 12. bis 14. September 1950 in New York gewesen. Er bejaht klar den Zusammenhang mit der Neuordnung der westdeutschen Stahlindustrie:

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Volker Berghahn, Unternehmer und Politik in der Bundesrepublik, Frankfurt 1985, S. 138. Ähnlich, Duchêne, S. 215f., Lynch, role, S. 127. Thomas Alan Schwartz: America’s Germany. John J. McCloy and the Federal Republic of Germany, London 1991, S. 105. Er scheint aber davon auszugehen, dass die amerikanische Intervention noch vor der Veröffentlichung des Planes erfolgte. Gérard Bossuat: l’aide américaine, erwähnt die Antikartellbestimmungen nur sehr flüchtig, S. 763f. Wyatt Wells: Antitrust & The Formation of the Postwar world, New York 2002, S. 173ff. Siehe Wyatt, S. 173. Kipping, Konkurrenz, S. 222, siehe auch S. 217f.

45 Monnet, in the name of the High Authority, was asserting the right to forbid re-concentration indefinitely.13

In diesem Sinne waren die Antikartellbestimmungen sowie die Neuordnungsmaßnahmen ganz eindeutig gegen die Ruhrstahlindustrie gerichtet. Nicht primär ökonomische Motive standen hinter der Absicht Monnets, eine mögliche ‚Rekonzentration‘ zu verhindern, sondern es ging darum, im Bündnis mit den Amerikanern eigene Stärke zu demonstrieren.14 David Gerber hat in seiner Abhandlung über die Geschichte des europäischen Wettbewerbsrechts, in der er auch ausführlich auf die Entstehung des „ersten Antitrustgesetzes Europas“15 eingeht, diese Thesen als unwahrscheinlich verworfen. Er wendet sich sowohl gegen die These, dass Artikel 65 und Artikel 66 einseitig gegen die westdeutsche Stahlindustrie gerichtet seien als auch gegen die These von der amerikanischen Einflussnahme.16 Er vermutet, dass die Verabschiedung der Antitrust-Artikel am ‚ordoliberalen Einfluss‘ Bundeswirtschaftsministers Erhard und Walter Hallsteins gelegen habe.17 Diese verschiedenen Interpretationen hinsichtlich der Gründe, Wettbewerbsartikel in den Vertrag aufzunehmen, sind insofern interessant, als es sich hier um die Natur des ‚Mandats‘ handelt, mit welchem der ‚Prinzipal‘ – die Unterzeichnerstaaten – den ‚Agenten‘ – die Hohe Behörde – beauftragt hat. War es die Aufgabe der Hohen Behörde, mittels eines Kartellverbots und einer Fusionskontrolle zum ersten Mal wettbewerbspolitische Prinzipien in der traditionell von Kartellen geprägten europäischen Stahlindustrie durchzusetzen – womöglich nach Vorbild eines schon existierenden amerikanischen Modells? Oder war es ihre primäre Aufgabe – aus welchen Gründen auch immer –, eine Revision der Neuordnung der westdeutschen Stahlindustrie zu verhindern? Und waren sich die Unterzeichnerstaaten darüber überhaupt einig? Oder hatten die Unterzeichnerstaaten aus ganz verschiedenen Gründen der Hohen Behörde die13

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John Gillingham: Solving the Ruhr Problem. German Heavy Industry and the Schuman Plan, in: Schwabe, Anfänge, S. 422, siehe auch Gillingham, rebirth, S. 255f. John Gillingham: The European Coal and Steel Community: an object lesson?, in: Barry Eichengreen (Hg.): Europe’s postwar recovery, Cambridge 1995, S. 151–168, hier: S. 156, auch Lefèvre sieht den Vorschlag im Zusammenhang mit der Dekonzentration, Lefèvre, relations, S. 267. Ähnlich auch Loth, Weg, S. 86. So Jean Monnet in seiner Einführungsrede als Präsident der Hohen Behörde am 10. August 1952 in Luxemburg, in: Jean Monnet: Les Etats-Unis d’Europe ont commencé. Discours et allocutions 1952–1954, Paris 1955, S. 80–85. David. J. Gerber: Law and Competition in twentieth century Europe. Protecting Prometheus, Oxford 1998, S. 342. Über das ‚Wettbewerbskonzept‘ der ordoliberalen Schule siehe unter anderem Gerber, S. 232–265, über den Einfluß ‚Ordoliberaler Ideen‘ auf die Wirtschaftspolitik in den fünfziger Jahren siehe Werner Plumpe: The State and Enterprise in the German Economy after the Second World War, in: Hideaki Miyajima, Takeo Kikkawa, Takashi Hikino: Policies for Competitiveness. Comparing Business – Government Relationships in the ‚Golden Age of Capitalism‘, Oxford 1999, S. 251–290.

46 ses Mandat anvertraut, die wiederum verschiedene Erwartungshaltungen hinsichtlich der Anwendung des Artikels 66 durch die Hohe Behörde mit sich brachten? Insofern ist die Entstehungsgeschichte des Artikels hinsichtlich seiner späteren Umsetzung hier zu untersuchen.

1.2 Wettbewerbsfragen zu Beginn der Schumanplan-Verhandlungen Es kann nicht nachgewiesen werden, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Vorstoß Jean Monnets in der Kartellfrage vom 4. Oktober 1950 und der Neuordnung der Ruhrstahlindustrie gibt.18 So war es der aus Sicht Monnets unbefriedigende Verlauf der Pariser Schumanplan-Verhandlungen, der schließlich dazu führte, dass Monnet mit aktiver Unterstützung der Amerikaner die Initiative ergriff, Wettbewerbsartikel im Vertrag einzuführen. Monnets ursprüngliche Verhandlungsstrategie bestand in einer schnellen Einigung der Verhandlungen auf die zukünftigen Aufgaben, Kompetenzen und Zusammensetzung der Hohen Behörde.19 Die Lösung der ‚wirtschaftlich-technischen‘ Fragen sollte dann dieser Behörde überlassen werden, deren Entscheidungen für die Mitgliedstaaten bindend waren.20 Die ursprünglichen institutionellen Vorschläge Monnets für die künftige Gemeinschaft wurden allerdings schon in der Anfangsphase von den Beneluxländern erheblich abgeändert. Zwar hatten die Delegationen der Teilnehmerstaaten, die am 20. Juni 1950 für die Verhandlungen in Paris zusammentrafen, bereits die Gründung der Hohen Behörde als Verhandlungsgrundlage akzeptiert. Die belgische und niederländische Delegation waren allerdings nicht bereit und auch nicht in der Lage, angesichts einer fol18

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So geht Kipping auch davon aus, dass die Frage der Dekonzentration nicht Zielsetzung der beiden Artikel war, sondern dass es darum ging, alle in den Montanindustrien bestehenden Kartelle aufzubrechen. Kipping, Konkurrenz, S. 224. Noch am 28. September 1950 schrieb Monnet in einem Vermerk an den französischen Außenminister über sein Treffen mit Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard, der vom Kanzler nach Paris gesandt worden war, um Monnet auf den vermeintlichen Widerspruch zwischen der Besatzungspolitik der Alliierten und den Grundsätzen des Schumanplans aufmerksam zu machen, dass er viel Verständnis habe für die Position der Bundesregierung. Die für die Besatzungspolitik zuständigen Stellen in der Bundesregierung hätten das Grundprinzip des Schumanplans wohl noch nicht ganz verstanden. Note de Jean Monnet à Robert Schuman, 28. 9. 1950, Correspondance, S. 60. Hier spricht Monnet noch von „décartellisation“ anstatt „déconcentration“ und entwickelt keine eigenen Interessen für diesen Prozess. Duchêne, S. 209ff., Gillingham, Heavy Industry, S. 414, Eric Roussel, Jean Monnet. 1888–1979, Paris 1976, S. 538f. Dirk Spierenburg, Raymond Poidevin: Histoire de la Haute Autorité de la Communauté Européenne du charbon et de l’acier: une expérience supranationale, Bruxelles 1993.

47 genden Ratifikationsdebatte durch das nationale Parlament irgendeinen ‚Blankoscheck‘ für die zukünftige Politik der Hohen Behörde auszustellen.21 Eine Art ‚Blankoscheck‘ stellte das Arbeitsdokument der französischen Delegation dar, das den Delegierten am 24. Juni als Vertragsentwurf zugeleitet wurde.22 Zur Erreichung bestimmter Ziele, wie die Sicherstellung der Versorgung mit Kohle und Stahl zu gleichen Bedingungen, die Beseitigung aller künstlichen normalen Wettbewerbsverhältnisse, sollte die Hohe Behörde über fast uneingeschränkte Mittel verfügen können. Die Beneluxstaaten setzten nun die Bildung eines Rates der Vertreter der Mitgliedstaaten durch, der die meisten Beschlüsse der Hohen Behörde mit Mehrheitsrecht bestätigen musste. Die Hohe Behörde hatte das Initiativrecht für Vorschläge. Weiter gab es einen Gerichtshof, bei dem die Entscheidungen der Hohen Behörde angefechtet werden konnten, und eine Gemeinsame Versammlung mit Vertretern der nationalen Parlamente: ein institutionelles System, das die Basis der Institutionen der heutigen Europäischen Union ist.23 Die Richtlinien, welche der Bundeskabinettsausschuss für den Schumanplan nach Erörterung des Arbeitsdokumentes der bundesdeutschen Verhandlungsdelegation vorschrieb, hatten auch nicht viel mit dem Konzept Monnets gemeinsam.24 Die Hohe Behörde, so das Dokument, sei in erster Linie als ein „Zentrum für gegenseitige Information und dauernde Kooperation“ anzusehen, das mit „begrenztem Verwaltungsapparat“ und dann mit „möglichst wenigen Eingriffen“ arbeiten solle.25 Es handelte sich also um das in Deutschland gängige korporatistische Ordnungsprinzip, in dem die Ausarbeitung und Durchführung wirtschaftspolitischer Maßnahmen unter einer gewissen öffentlichen Kontrolle den Selbstverwaltungsorganen der Unternehmen überlassen wird. Wenn die

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Zit. in: Duchêne, S. 210. PAAA, Sekretariat für Fragen des Schuman-Plans, Bd. 93, englische Fassung, in: FRUS 1950, Vol. III, Western Europe, S. 727–738, Gillinghman weist zurecht darauf hin, dass die Positionen der Verhandlungsparteien überhaupt nicht in diesem Dokument berücksichtigt sind. Gillingham, Heavy, S. 414. „Of the political concept of a balance of powers there was little sign“, Duchêne, S. 211, siehe auch Hans-Jürgen Küsters: Die Verhandlungen über das institutionelle System zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, in: Schwabe, Anfänge, S. 73–102 bes. 82ff. Der französische Botschafter in London berichtet, dass Robert Schuman schon am 6. 9. 1950 erklärt hätte, dass das ‚supranationale‘ Element schon so abgeschwächt sei, dass Großbritannien nun teilnehmen könne. René Massigli: Une comédie des erreurs (1943–1956), Paris 1978, S. 224. Bundeskabinett, Instruktionen für die deutsche Delegation, Archivsammlung, 29. 6. 1950, in: Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich: Dokumente 1949–1963, Band 2: Wirtschaft, herausgegeben von Horst Möller und Klaus Hildebrand, bearbeitet von Andreas Wilkens, München 1997, S. 624f. Eine große Rolle wurde dagegen den im Arbeitsdokument erwähnten regionalen Produzentenvereinigungen zugeschrieben. Diese sollten „organisch selbständig“ sein und nach dem Prinzip der „Selbstverwaltung der Wirtschaft“ operieren. Sie sollten die Informationen für die Maßnahmen der Hohen Behörde beschaffen und gleichzeitig „Träger der Durchführungsarbeit“ sein. Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 625.

48 Produzentengruppen aber kollektiv über Preise, Absatz und Produktion entscheiden würden, war man im Schumanplan damit im Kartell.26 Das, was Monnet ebenfalls verhindern wollte, nämlich die Diskussion ‚wirtschaftlich-technischer Details‘ unter Hinzuziehung von Experten, oft Vertreter der Stahlindustrien, zeichnete sich ebenfalls in der Frühphase der Verhandlungen ab.27 Was die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrages anging, gingen die Verhandlungen immer mehr in die Richtung eines Produzentenkartells.28 Sowohl die institutionelle Ausgestaltung als auch die wirtschaftlichen Bestimmungen entsprachen also nicht mehr den ursprünglichen Vorstellungen Monnets.29 Monnet hatte gerade im September die Verhandlungen nicht mehr genau verfolgt, da er sich schon sehr stark mit der Frage der deutschen Wiederbewaffnung beschäftigte. Die Rolle der Hohen Behörde bestand nur noch darin, die Preisabsprachen der Unternehmen und Produzentenverbände grundsätzlich zu überwachen.30 Um wettbewerbsverfälschende Bestimmungen oder Praktiken zu beseitigen, sollte die Hohe Behörde mit den interessierten Regierungen in Verhandlungen treten.31 So war es schwierig, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass es sich beim Schumanplan nicht um ein Kartell handeln würde.

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Zum Konzept der ‚Selbstverwaltung der Wirtschaft‘ siehe Werner Plumpe: Selbstverwaltung der Wirtschaft, in: Gerold Ambrosius, Dieter Petzina, Werner Plumpe: Moderne Wirtschaftsgeschichte: eine Einführung für Historiker und Ökonomen, München 1996, S. 375–387. Martin Bangemann, Kommissar bei der Europäischen Kommission zuständig für Industriepolitik, sprach sich im Jahre 1999 ebenfalls praktisch für Kartelle aus – hier gibt es also eine Kontinuität. „Er plädierte (…) dafür, dass sich international operierende Unternehmen auf Verhaltenskodizes verständigen, um Auswüchse des Wettbewerbs einzudämmen, ein Plädoyer für eine Selbstorganisation der Wirtschaft durch Kartelle!“. in: Manfred Neumann, Wettbewerbspolitik. Geschichte, Theorie und Praxis. Wiesbaden 2000, Vorwort S. VI. Griffiths, Economic, S. 36. So sollten regionale Produzentenvereinigungen aktiv an der Preisgestaltung teilnehmen. Zu dieser Phase der Verhandlungen: Kipping, Konkurrenz S. 212–214, Berghahn, Unternehmer S. 128ff., Bührer, Ruhrstahl, S. 199f., Gillingham, rebirth, S. 247f. Schon am 6. September konnte Monnet während einer Verhandlungsrunde über das Preissystem nur bemerken, dass man ja kein Kartell wolle, aber ein Kartell sei, wenn über die Festsetzung von Preisen durch Produzentenverbände geredet würde. Werner Bührer, Ruhrstahl und Europa. Die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie und die Anfänge der europäischen Integration 1945–1952, München 1986, S. 197 Anm. 5. Ein Memorandum vom 28. September über die Institutionen und die wirtschaftlichen und sozialen Bestimmungen des Vertrages, welches sich im Nachlass von Jean Monnets Mitarbeiter, Pierre Uri, befindet, gibt den damaligen Verhandlungsstand wieder. HAEU Dep 9 URI Box 28 MEMORANDUM sur les institutions et les dispositions économiques et sociales permanentes du PLAN SCHUMAN (sur la base des solutions adoptés au 27 Septembre 1950). 28 Septembre 1950. Ders., S. 28.

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1.3 Das Eingreifen der Amerikaner in die Schumanplan-Verhandlungen Diese Tendenzen in den Verhandlungen in Richtung Kartell beunruhigten tatsächlich die Amerikaner – „major force behind the scenes“.32 So ist das Eingreifen von Monnet am 4. Oktober wohl ein Versuch gewesen, die Initiative in den Verhandlungen wieder an sich zu reißen. Die technischen Experten, oft Vertreter der Produzentenverbände, wurden nun von den Verhandlungen ausgeschlossen.33 Die US-Regierung sah sich nämlich in ihren Ängsten immer mehr bestätigt, dass das ganze Projekt in ein Kartell münden würde.34 Zwar war dem amerikanischen Außenminister nach der Erklärung vom 9. Mai ausdrücklich in einem von Mitarbeitern Monnets verfassten Memorandum zugesichert worden, dass die angestrebte Behörde genau das Gegenteil eines Kartells sei, die amerikanischen Diplomaten wurden allerdings angewiesen, die Verhandlungen genau zu beobachten und notfalls einzuschreiten, falls der ursprüngliche Vorschlag völlig abgeändert würde.35 Am 7. September 1950 teilte das Department of State der amerikanischen Botschaft in Paris mit, dass man sich nie Illusionen gemacht hätte, dass der Schumanplan ein perfektes Wettbewerbssystem in der europäischen Montanindustrie einführen würde. Allerdings sei man immer davon ausgegangen, dass es das Ziel wäre, ein System zu entwickeln, „in which price competition and price flexibility played some part“.36 Dies sei nun aber nicht mehr der Fall. So gab es Ende September intensive Gespräche zwischen Vertretern der amerikanischen Botschaft und der französischen Verhandlungsdelegation mit der Zielsetzung, die Macht der Produzentenvereinigungen einzuschränken.37 32 33

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Duchêne, p. 212f., Kipping, Konkurrenz, S. 216. Siehe auch den Bericht von Pierre von der Rest, der an den Verhandlungen als Vertreter der belgischen Stahlindustrie bis zu diesem Zeitpunkt kam. Er berichtet, dass man sich im Kreis der Experten, oft Vertreter der privaten Stahlindustrien der beteiligten Länder, auf Regelungen hinsichtlich Preisfestsetzungen und Absprachen geeinigt hatte, die ‚flexibler‘ waren als jene, die Monnet wünschte. Plötzlich sei man aber von den Verhandlungen ausgeschlossen worden. Dann tauchten plötzlich die Wettbewerbsartikel auf. Michel Dumoulin (Hg.): La Belgique et les débuts de la construction européenne de la guerre aux traités de Rome, Louvain la Neuve, 1987, S. 174. Mitte August warnte US-Präsident Truman öffentlich vor der Wiederherstellung eines Kartells im Rahmen des Schumanplans. Berghahn, Unternehmer, S. 133, Alan S. Milward: The Belgian Coal and Steel Industries and the Schuman Plan, in: Schwabe, Anfänge, S. 399, Kipping, Konkurrenz, S. 220. Klaus Schwabe: „Ein Akt konstruktiver Staatskunst“ – die USA und die Anfänge des Schuman-Plans, S. 211–240, in: Schwabe, Anfänge, S. 226ff., Duchêne, S. 211f., Kipping, Konkurrenz, S. 174f. HAEC JMDS 74 (2) Department of State to Embassy Paris 7. 9. 1950. HAEC JMDS 74 (2) Department of State Outgoing Telegramm 27. Sept 1950, Paul Hoffmann, der Koordinator des Marshallplans, hatte auch finanzielle Hilfen in Aussicht gestellt, falls die Hohe Behörde den ordnungspolitischen Vorstellungen der USA entsprechen würde. Schwabe, Staatskunst S. 227, FRUS 1950 III, 2. 10. 1950.

50 Auf der Sitzung der Delegationsleiter am 4. Oktober 1950 hielt dann Monnet eine Tirade gegen Kartelle und schlug eine Ergänzung des Vertragsentwurfs vor, nach dem Abmachungen zwischen Unternehmen zur Produktionsbeschränkung, zur Märkteaufteilung oder Preisfestsetzung grundsätzlich verboten werden sollten.38 Bei diesem Vorstoß handelte es sich allerdings noch nicht um einen ausformulierten Artikel. Fusionen oder Abkommen mit dem Ziel der Produktivitätssteigerung konnten zwischen Unternehmen abgeschlossen werden – allerdings nur mit Genehmigung der Hohen Behörde. Das war ein Novum in den Verhandlungen. Im ursprünglichen Arbeitsdokument der Hohen Behörde hatte es dagegen nur eine vage Formulierung gegeben, dass die Hohe Behörde künstliche Beeinträchtigungen gegen den Wettbewerb verbieten würde.39 Ein Zusammenhang dieser Initiative mit der zwei Wochen vorher angekündigten Liquidation der sechs Montankonzerne an der Ruhr lässt sich nicht feststellen.40 Vielmehr ist sie aus den von amerikanischer Seite geäußerten Befürchtungen hinsichtlich des Verlaufs der Schumanplan-Verhandlungen zu erklären, die auch mit den Antikartell-Absichten Monnets übereinstimmten. Was auch immer die genauen Motive waren, er sicherte sich so die Unterstützung der amerikanischen Regierung, die Monnet wohl gerade hinsichtlich der Haltung der Bundesregierung für absolut notwendig betrachtete. Nach den Beschlüssen der alliierten Außenministerkonferenz in New York, die vom 12. bis 14. September 1950 stattfand und in der de facto die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik beschlossen wurde, hegte er den Verdacht, dass man nun in der Bundesrepublik meinen würde, den Schumanplan gar nicht mehr nötig zu haben, da man nun auch in einem nationalen Alleingang die alliierten Kontrollen abschaffen könne.41 Für erhebliche Aufregung in Paris sorgte auch die Rede von Robert Lehr, CDU-Bundestagsabgeordneter, die dieser am 1. Oktober 1950 im Exportclub München gehalten 38 39 40

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AN 81 AJ 138 Confidentiel Observations sur le Memorandum du 28 Septembre 1950. Siehe auch Kipping, Konkurrenz S. 216. Griffiths, Economic, S. 62. Insofern ist hier Kipping, Konkurrenz S. 222 zuzustimmen. Schröder berichtet, dass Monnet auf der Sitzung vom 4. Oktober auch die Neuordnung der Ruhrindustrie gefordert habe. Die von ihm zitierten Quellen belegen dies allerdings nicht. Holger Schröder: Jean Monnet und die amerikanische Unterstützung für die amerikanische Integration. 1950–1957, Frankfurt 1994, S. 182. Gillingham, Coal, Steel, S. 255f., Monnet an Schuman 14. 9. 1950, Correspondance, S. 56, JMDS 74 (2) Office Memorandum, Jackson to Perkins, JMDS 74 (3) State, 17. 10. 1950 Memorandum of Conversation Mr Wheeler Managing Director British Iron and Steel federation, Jean Monnet à Robert Schuman, 14. September 1950, S. 56., Lappenküpper, Beziehungen, S. 260ff. Gerade im September hatte Monnet sich hauptsächlich mit Plänen beschäftigt, wie die Frage der deutschen Wiederbewaffnung im europäischen Rahmen gelöst werden könnte. Diese Überlegungen mündeten in den Vorschlag des französischen Ministerpräsidenten Pleven, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu gründen. Duchêne, S. 212., Philippe Vial: De la surenchère atlantiste à l’option européenne: Monnet et les problèmes du réarmement occidental durant l’été 1950, in: Gérard Bossuat, Andreas Wilkens: Jean Monnet, l’Europe et les chemins de la Paix, Paris 1999, S. 307–342.

51 hatte und in der dieser den Schumanplan als ein Mittel französischer Hegemoniepolitik bezeichnet hatte. Als dieser vierzehn Tage später zum neuen Bundesinnenminister ernannt wurde und die Rede fast wörtlich am 14. Oktober 1950 in der deutschen Presse erschien, wurde dies in der französischen Presse als eine zunehmend ablehnende Haltung der Ruhrindustriellen bzw. sogar der Bundesregierung gedeutet.42 Auch Monnet berichtete nun der amerikanischen Botschaft in Paris, dass er diese Rede als einen direkten Angriff auf den Schumanplan betrachtete. Als Antwort wolle Monnet nun die Antitrust-Artikel verschärfen und die Neuordnungspolitik in der Ruhr energisch durchführen.43

1.4 Der erste Entwurf einer Fusionskontrolle – Vorbild US-Antitrust? Nach dem Vorstoß vom 4. Oktober dauerte es bis zum 27. Oktober 1950, bis die französische Delegation einen ersten Entwurf für eine Fusionskontrolle und ein Kartellverbot vorlegte. Laut Aussage des amerikanischen Rechtsberaters der AHK, Robert Bowie, entschied Monnet, im Vertrag Wettbewerbsartikel aufzunehmen, die natürlich für alle Länder gelten würden, als ihm klar wurde, dass das Gesetz Nr. 27 über die Neuordnung der Stahlindustrie und das Ruhrstatut infolge des Prinzips der Gleichberechtigung mit der Gründung der EGKS verschwinden würde. Bowie lieferte ihm dann einen Gesetzentwurf.44 Dabei scheint es sich um die Entwürfe vom 27. Oktober zu handeln – nicht um Monnets erste Bemerkungen vom 4. Oktober 1950.45 Am 26. Oktober kabelte dann das State Department nach Paris, dass man die neuen französischen Entwürfe analysiert habe und sie als ausgezeichnet betrachte.46

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Léfevre, relations, S. 267, Schneider an Staatssekretär Schalfejew, Betr. Stand im Schuman-Plan, 25. 10. 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 642, Kipping, Konkurrenz, S. 224f., Bührer, Ruhrstahl, S. 186f. HAEU JMDS 74(3) Paris (Bohlen) to Secretary of State 18. 10. 1950. Laut diesem Bericht wollte Monnet sogar die Neuordnung auf die ganze europäische Stahlindustrie ausweiten. Davon war dann allerdings nie mehr die Rede. Robert Bowie, in: Témoignages à la mémoire de Jean Monnet, Fondation Jean Monnet, Lausanne 1989, S. 82, siehe auch: Etienne Hirsch, Ainsi va la vie, Lausanne, 1988, S. 103, Monnet, Mémoires, S. 514. Die nachweisbare Intervention der Amerikaner liegt zwischen der Zeit vom 4. Oktober und dem 27. Oktober 1950. Siehe auch Kipping, Konkurrenz, S. 220f, JMDS 74 (2) Clarence B. Randall to George W. Perkins, 11. 10. 1950, Perkins to Randall 17. 10. 1950, Eric Roussel: Jean Monnet, Paris 1996, S. 601. JMDS 74 (2) State Department to Paris, 26. 10. 1950.

52 Am 27. Oktober unterbreitete die französische Verhandlungsdelegation detaillierte Vorschläge hinsichtlich der zukünftigen Wettbewerbsartikel.47 Einerseits wurde vorgeschlagen, alle Absprachen zu verbieten, die das Ziel hätten, den freien Wettbewerb zu verhindern. Weiter mussten zukünftig Unternehmen, die dem Vertrag unterstellt waren, die Genehmigung der Hohen Behörde erfragen, wenn sie a) mit einem anderen Unternehmen fusionierten, b) Kapital- oder Aktienbeteiligungen an Unternehmen des Kohle- und Stahlbereichs erwarben, c) auf irgendeine andere Art die Kontrolle über ein Unternehmen übernahmen. Weiter durfte eine juristische Person, die mehr als 10 % des Vermögens eines Kohleoder Stahlunternehmens direkt oder indirekt kontrollierte, keine Interessen oder Anteile an einem anderen EGKS-Unternehmen ohne Genehmigung erwerben. Die Hohe Behörde durfte ihre Zustimmung nur geben, wenn der Zusammenschluss „die Verbesserung der Produktionsbedingungen oder andere wirtschaftliche Vorteile, falls diese im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegen“, zum Ziel habe. Die Kontrolle über 20 % des Kohle- und Stahlmarktes sowie die Verletzung von „normalen Wettbewerbsbedingungen“ im Falle eines Unternehmenszusammenschlusses war verboten. Allerdings war nicht völlig klar, ob sich die 20 % Marktanteil auf die gemeinsame Produktion von Kohle und Stahl bezogen oder je auf die einzelnen Sektoren. Dieser Entwurf bedeutete nicht nur einen sehr tief greifenden Eingriff in die Organisationsstruktur der europäischen Montanindustrie, sondern auch eine sehr große Entscheidungsfreiheit der Hohen Behörde. Die Hohe Behörde musste Genehmigungen nur dann erteilen, wenn sie „im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse“ lagen, was natürlich eine sehr vage Formulierung war. Dieser Artikel hätte erhebliche Auswirkungen auf die Industriestruktur an der Ruhr gehabt. Alle Großaktionäre an der Ruhr wären unter die 10%-Klausel gefallen – hätten also bei jedem Aktienerwerb von einem anderen Montanunternehmen die Genehmigung der Hohen Behörde einholen müssen. Allerdings hätte dies wohl auch die Aktionsfreiheit vieler Unternehmen, Banken und Finanzholdings in Frankreich, Belgien und Luxemburg eingeschränkt. Die Hohe Behörde hätte also erhebliche Interventionsmöglichkeit in die Struktur der europäischen Stahlindustrie gehabt.48

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BA B 146/285 Vorschläge über die Inkraftsetzung des Schuman-Plans im Hinblick auf Vereinbarungen und Praktiken, die einschränkender Natur sind oder die zur Errichtung von Monopolen tendieren. Für Max C. Müller, dem ‚Vertrauensmann‘ der Ruhrstahlindustrie bei den Verhandlungen in Paris, ging gerade diese 10 %-Klausel „entschieden zu weit“. BA N 1384/154 Müller an Fugmann, Henle, 30. 10. 1950 Betreff: Schuman-Plan und Kartelle, zu der Rolle Müllers, Bührer Ruhrstahl, S. 181.

53 Analysiert man den Inhalt des Artikels 42 in der Fassung vom 27. Oktober, die im State Department als „excellent“ eingestuft wurde, wirft das Eingreifen der USA doch einige Fragen auf. Wäre der Artikel 42 in seiner damaligen Fassung in der US-Stahlwirtschaft zur Geltung gekommen, hätte dies die Auflösung des größten amerikanischen Stahlproduzenten bedeuten können.49 Trotzdem war es dieser Entwurf, welcher die ausdrückliche Unterstützung des amerikanischen Außenministers bekam. Wie schon erwähnt sind die amerikanischen Antitrustgesetze als Modell für die inhaltliche Ausgestaltung der Entwürfe zur Fusionskontrolle im EGKS-Vertrag bezeichnet worden.50 Zumindest im Hinblick auf die Kontrolle von Fusionen konnte die Erfahrung mit US-Antitrust aber höchstens zeigen, wie schwierig es war, ein verabschiedetes Gesetz dann auch wirklich anzuwenden. Mit anderen Worten: Als gelungenes Beispiel für eine effektive Fusionskontrolle konnten die US-Antitrust-Bestimmungen nicht dienen. Unbestritten ist, dass „antitrust in his modern forms“ eine nordamerikanische Erfindung ist.51 Antitrust war eine Reaktion auf den sprunghaften Anstieg von ‚big business‘ in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts.52 Der Sherman Act, der 1890 vom Kongress verabschiedet wurde, enthielt vorerst nur Bestimmungen hinsichtlich Verboten von Kartellen. Die Folge war eine Fusionswelle, die auch die amerikanische Stahlindustrie erfasste.53 Im Jahre 1914 verabschiedete der Kongress dann den Clayton Act. Die Federal Trade Commission, die im gleichen Jahr als Wettbewerbsbehörde gegründet wurde, konnte nun das Verbot eines Zusammenschlusses beantragen, wenn „the effect of such a acquisition may be to substantially lessen competition between the corporation whose stock is acquired and the corporation ma49

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Die Anteile sowohl an der Rohstahlproduktion als auch an einzelnen Walzstahlprodukten des größten US Stahlunternehmens US Steel lagen deutlich über 20 %, siehe Herbert Steiner: Grössenordnung und horizontale Verflechtung in der Eisen- und Stahlindustrie der Vereinigten Staaten, Grossbritanniens, Frankreichs, Belgiens, Luxemburgs und Deutschland, Kiel 1952. Unter anderem: Hirsch, Ainsi, S. 109, Henri Rieben: Des ententes de maîtres de Forges au Plan Schuman., Lausanne 1974, S. 428–450. Scherer, performance p. 12ff, siehe auch Gérard Duménil, Mark Glick and Dominique Levy: The history of competition policy as economic history, in: The Antitrust Bulletin, 42 (1997), S. 273–416, James W. Brock: Competition Policy in America: the anti-trust paradox, in: The Antitrust Bulletin, 42 (1997), S. 417–438, Dennis C. Mueller: Merger Policy in the United States: A reconsideration, in: Review of Industrial organization, 12 (1997), S. 655–685. Die beispiellose Konzentration von ökonomischer Macht in den Händen von sehr wenigen Personen, die auch mit entsprechender politischer Einflussmöglichkeit in Verbindung gebracht wurde, wurde zunehmend als eine Herausforderung für die amerikanische Demokratie gesehen, siehe Wyatt, S. 27ff. Claudia Loy: Die Entwicklung des amerikanischen Antitrustrechts – ein kurzer Überblick, in: Hans Pohl: Kartelle und Kartellgesetzgebung in Praxis und Rechtsspechung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart 1985, S. 319–325.

54 king the acquisition“.54 Eine Pflicht für Unternehmen, eine Genehmigung einer Fusion vor der Durchführung bei der Wettbewerbsbehörde zu beantragen, wie es in den Schumanplan-Verhandlungen diskutiert wurde, gab es nicht. Auch der Clayton Act erwies sich als machtlos gegenüber Fusionen. Der Artikel bezog sich nämlich nur auf die Übernahme der Aktien eines anderen Unternehmens, nicht aber auf die direkte Übernahme der Anlagen. Zusätzlich erlaubte der Supreme Court im Jahre 1926 ausdrücklich den Unternehmen, die Aktienmehrheit von anderen Unternehmen zu übernehmen, um dann sogleich die produzierenden Anlagen auf das eigene Unternehmen zu übertragen, bevor die Regierung bzw. die Federal Trade Commission ein Verfahren eröffnen konnte.55 So zog die Federal Trade Commission in einem Bericht im Jahre 1948 über die Anwendung des Clayton Act angesichts der fortschreitenden Fusionswelle in den USA eine sehr ernüchternde Bilanz.56 Im Jahr 1948 erlitt die Federal Trade Commission auch eine deutliche Niederlage vor dem Supreme Court, als sie der US Steel den Erwerb eines Unternehmens verbieten wollte.57 Gerade die US-Steel-Preispolitik, die de facto als Preisführer auf dem USMarkt agierte, war vorher immer wieder Gegenstand von Untersuchungen der Federal Trade Commission gewesen.58 Erst im Jahre 1950 wurde dann durch den Celler-Kefauver Act die Gesetzeslücke des Clayton Act geschlossen.59 Nun sollte in der Tat in den fünfziger und sechziger Jahren eine Periode der sehr strikten Anwendung der Fusionskontrolle, auch durch die US-Gerichte, folgen.60 Im Bezug auf Unternehmenszusammenschlüsse war jedenfalls das US-Wettbewerbsrecht bis zum Jahre 1950 alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Zwar wurde in den fünfziger Jahren in der amerikanischen

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Der Wortlaut des Clayton Act, in: Shy Oz: Industrial Organization: theory and applications, 1995 New York, S. 209. Ernest Gellhorn, William E. Kovacic: Antitrust Law and Economics in a nutshell, 1994, S. 360ff. Federal Trade Commission: The Merger Movement: a summary report, V 68, 1948, zit.: in Steiner, Anm. 2, S. 71. In der US-Stahlindustrie erwarben die acht größten Unternehmen zwischen 1918 und 1945 insgesamt 153 horizontale oder vertikale Beteiligungen. Steiner, p. 67ff, S. 71 Anm. 4, dazu auch Gertrude G. Schroeder, The growth of major steel companies 1900–1950, Baltimore 1953. Duncan Burn: The steel industry. 1939–1959: a study in competition and planning Burn, Cambrigde 1961, S. 476ff. PAM 19455 Les lois anti-trust et le commerce international Marc Schmitt 31 octobre 1949. Thomas K. McCraw, Rinhardt Forest: Loosing to Win: U. S. Steel’s pricing, investment decisions and market share, 1901–1938 S. 539–619, in: Journal of Economic History, 3 (1989). Paul Tiffany: Kefauver Committee on Antitrust and Monopoly, in: Bruce Seely: Iron and Steel in the Twentieth century, Michigan 1994, Encyclopedia of American Business History and Biography, S. 261f. Dies wird heute von Ökonomen kritisiert, da die Entscheidungen der Gerichte und in der von Juristen dominierten Federal Trade Commission ohne Kenntnis und Berücksichtigung ökonomischer Kriterien und Theorien gefällt wurden.George Bittlingmayer: The Antitrust Emperor’s Clothes, in: Regulation 25/3 (2002), S. 46–52.

55 Fachöffentlichkeit die grundsätzliche Berechtigung der Antitrust-Gesetzgebung kaum mehr bezweifelt – über seine konkrete Anwendung bestand allerdings keine einheitliche Meinung.61 Insofern war die Einschätzung von Bundeskanzler Adenauer wahrscheinlich sogar zutreffender als ihm selber bewusst war, wenn er in der AHK über den Rechtsberater und Antitrust-Spezialisten McCloys, den Harvard-Professor Robert Bowie, verkündete, dass es vorkäme, „dass besondere Experten für Dekonzentration oder für andere Sachen, die im eigenen Lande keine Erfolge erreichen, dann in anderen Ländern versuchen, ihre Ideen zu verwirklichen“. Sie würden dann einen besonderen „Fanatismus“ an den Tag legen.62 Die meisten europäischen Stahlindustriellen, welche die Aktivitäten der US-Wettbewerbsbehörden verfolgten, hatten wahrscheinlich Probleme, die Logik der Antitrust-Gesetze zu verstehen. Gerade in der Zwischenkriegszeit entwickelte und verbreitete die US-Stahlindustrie eine Erfindung – trotz zum Teil katastrophaler Kapazitätsauslastungen in der Wirtschaftskrise –, die nach dem zweiten Weltkrieg auch die Struktur der europäischen Stahlindustrie nachhaltig verändern sollte: die vollkontinuierliche Breitbandstrasse. Diese Walzstrasse ermöglichte die Herstellung von Flachstahlprodukten, insbesondere Blechen, mit erheblichen Kostenersparnissen und Qualitätsgewinnen.63 So gab Dancon Burn, führender Vertreter der britischen Stahlindustrie, wahrscheinlich den Eindruck seiner meisten europäischen Kollegen wieder, wenn er im Jahre 1960 schrieb: The Federal agencies whose duty (and as it seemed whose pleasure) it was to enforce the antitrust laws, declared boldly that the practices of the steelmakers in regard to prices bred over capacity, kept inefficient plants alive, made prices needlessly high, and led to restriction of output for the sake of profits. The industry which Europeans came increasingly to admire for its efficiency was thus depicted as grossly and dangerously inefficient owing to monopoly distortions, which the Federal Trade Commission sought to root out.64

Sicherlich hatten Vertreter der amerikanischen Regierung, wie Robert Bowie, eine andere Meinung über den Sinn oder Unsinn der Anwendung von Antitrust-Gesetzen in den USA in der Zwischenkriegszeit. Es ist allerdings verwunderlich, warum selbst das US Department of State einen Artikelentwurf im Schumanplan ausdrücklich begrüßte, der grundsätzlich Fusionen mit einem Marktanteil über 20 % verbot, was in den USA zu diesem Zeitpunkt sicherlich zu erheblichen Protesten seitens der amerikanischen Industrie geführt hätte. Jedenfalls hatte der erste Schumanplan-Entwurf vom 27. Oktober auch rein inhaltlich wenig mit dem Clayton Act gemein. Deshalb ist es sehr problematisch, die 61 62 63 64

Simon N. Whitney: Antitrust Policies. American Experience in Twenty Industries, New York 1958, S. 9f. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1950, Band 2, S. 214. Economic Commission for Europe, United Nations, Department of Economic Affairs: The European Steel Industry and the wide-strip mill, Geneva 1953. Dancon Burn: The Steel Industry 1939–1959, Cambridge 1961, S. 477.

56 beiden vorgeschlagenen Artikel im Schumanplan als einfache Übertragung der amerikanischen Regeln zu sehen.65 Im amerikanischen State Department war man sich des Widerstandes gegen die Artikel bewusst und wies daher die Pariser Botschaft an, die französische Haltung voll zu unterstützen.66 Auch hier ist zu betonen, dass die amerikanische Position nicht nur mit wettbewerbspolitischen Prinzipien zu erklären ist. In der Nachricht an die Pariser USBotschaft wurde darauf hingewiesen, dass die amerikanische Öffentlichkeit den Plan aus politischen Gründen willkommen heiße, dass es aber eine nicht zu unterschätzende Skepsis gebe, ob der Schumanplan nicht doch in ein internationales Kartell münden werde. Schwache Antitrust-Gesetze würden diese Befürchtungen sicher noch verstärken, so das State Department. Die Amerikaner strebten also einen Vertrag an, der es Ihnen erlauben würde, gegenüber ihrer eigenen Öffentlichkeit zu behaupten, dass es sich beim Schumanplan nicht um ein Kartell handeln würde.

1.5 Die Fusionskontrolle – doch eine „Lex Ruhr“? War der Artikel 42 also doch eher eine ‚Lex Ruhr‘? Zwischen der ersten Initiative der französischen Delegation, Wettbewerbsartikel in den Vertrag aufzunehmen, und der Neuordnung an der Ruhr ist kein Zusammenhang nachzuweisen. Auch hatte Monnet von Anfang an deutlich gemacht, dass dieser Artikel grundsätzlich auf alle Stahlindustrien anzuwenden war. Als im Herbst 1950 sehr deutlich wurde, dass die Gründung der EGKS das Ende der Internationalen Ruhrbehörde bedeuten würde, wurden im französischen Außenministerium Überlegungen angestellt, die einen direkten Zusammenhang zwischen dem baldigen Ende des Ruhrstatuts, der Neuordnung der Stahlindustrie und der vorgeschlagenen Fusionskontrolle, damals Artikel 42, herstellten.67 Das französische Außenministerium war auf Beamtenebene bis zu diesem Zeitpunkt weder an der Verfassung der Schumanplan-Erklärung noch an den Schumanplan-Verhandlungen direkt beteiligt.68 Hier wurde 65

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So war die Einschätzung des Handelsblattes, das am 8. November von der Initiative erstmals berichtete, nicht von der Hand zu weisen. Dort wurde der Vorschlag, als gegen die „europäische Tradition“ gerichtet, der noch über die amerikanischen Verhältnisse hinausginge, bezeichnet. Auch hätten alle anderen Länder außer die französische Delegation, so die Zeitung, gegen diesen Artikel stärkste Bedenken. Handelsblatt v. 8. 11. 1950. Antikartell-Vorstoß von Jean Monnet, siehe auch BA B 109/348 Deist an Stahltreuhänder 10. 11. 1950. „Alternative Proposals“ würden die „effective economic operation“ des Schumanplans gefährden. HAEU JMDS 74 (3) Secretary of State to Paris, 17. 11. 1950. MAE DE-CE 507 Memorandum remis par M. Hallstein à Monnet 13. 10. 1950, Communauté Charbon-Acier et Droit d’Occupation. Am 13. Oktober hatte Hallstein offiziell das Ende der Besatzungsmaßnahmen im Rahmen des Schumanplans gefordert. Griffiths, economic, S. 39.

57 nun im Laufe des Oktobers und Novembers auf Beamtenebene die Idee entwickelt, dass die Hohe Behörde mit Hilfe der Wettbewerbsartikel doch die Neuordnung der Ruhrstahlindustrie aufrechterhalten könne. Ursprünglich sollte dies nach deren Ansicht die Internationale Ruhrbehörde leisten – diese sollte aber nach der Gründung der EGKS aufgelöst werden.69 Auch bei der französischen Vertretung der Stahlkontrollgruppe der AHK wurde nun diese These vertreten.70 Allerdings hätten Unternehmen in Lothringen eine deutlich kleinere Produktionskapazität als an der Ruhr. Deshalb seien dort Zusammenschlüsse aus technischen Gründen zu begrüßen. Dieser Vermerk sprach also interessanterweise die Problematik des Arguments, der ‚Aufrechterhaltung‘ der alliierten Neuordnung in der westdeutschen Montanindustrie durch die Fusionskontrolle, an. Da dieser Artikel auf alle Industrien anzuwenden war, musste er letztlich auch die Handlungsfreiheit der lothringischen bzw. der französischen Stahlindustrie begrenzen. Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass dieses Problem innerhalb der französischen Regierung weitergehend diskutiert wurde. Nun übernahm auch Monnet die Argumentation, die im Außenministerium entwickelt worden war.71 Monnet sollte nun auch die Wettbewerbsartikel benutzen, um Befürchtungen vor wirtschaftlicher und politischer Dominanz der Ruhrstahlindustrie – die nur fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ja durchaus verständlich waren – zu 69

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In einem Vermerk vom 4. November 1950 des Außenministeriums, welches die Kompetenzen der Internationalen Ruhrbehörde mit der künftigen Hohen Behörde verglich, hieß es, dass noch nicht sicher sei, wie der Schumanplan-Vertrag die Aufrechterhaltung der ‚Dekonzentration‘ gewährleisten könne. In Artikel 19 des Ruhrstatuts dagegen sei ausdrücklich vorgesehen, dass die Unterzeichnerstaaten beschließen könnten, die Ruhrbehörde mit der Aufrechterhaltung der Dekonzentration zu beauftragen. MAE DE-CE 507 Note Plan Schuman & Accord de la Ruhr 4. 11. 1950. Zur Ruhrbehörde und Neuordnung siehe auch Leiter der Wirtschaftsabteilung des Hohen Kommissariats Leroy-Beaulieu an Hohen Kommissar Francois-Poncet, 19. 1. 1950, Objet: Contrôle des industries minièries et métallurgiques de la Ruhr, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 105 und S. 141–164. Am 20. November wurde dann in einem Vermerk festgehalten: Die Wettbewerbsbestimmungen des Schumanplan-Vertrags ermöglichen der Hohen Behörde, die Neuordnung an der Ruhr aufrechtzuerhalten. MAE DE-CE 507 Note 20 Novembre 1950. Beide Noten, ebenfalls die vom 4. November, stammen wohl von Francois Valéry, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa im Quai d’Orsay, der grundsätzlich Deutschland nicht traute. Lefèvre, relations, S. 157. AN 81 AJ 169 18 Novembre 1950 La déconcentration de la sidérurgie de la Ruhr et le Plan Schuman. Der Autor des Vermerks ist nicht benannt. Vom Inhalt des Dokuments kann man allerdings schließen, dass es sich um Albert Bureau handelt, den französischen Vertreter bei der Stahlkontrollgruppe (CSG) der AHK. Am 22. 12. 1950 übernahm dann Monnet in einem Brief an Schuman die Argumentation, dass die Wettbewerbsartikel die Neuordnung aufrechterhalten würden. Jean Monnet à Robert Schuman, 22. 12. 50, Correspondance, S. 90. Diese Aussage war insofern problematisch, da er damit schon die Politik der Hohen Behörde auf diesem Gebiet bestimmte, ohne dass die Behörde überhaupt zusammengetreten war oder der Vertrag schon ausgehandelt und ratifiziert war.

58 besänftigen.72 So verdeutlichen diese Dokumente sehr gut, dass nach der ersten Intervention Monnets im Hinblick auf eine Fusionskontrolle, die noch in keinem Zusammenhang mit der Neuordnung der Ruhrstahlindustrie stand, dieser Artikel nun tatsächlich eine Aufrechterhaltung der Neuordnung gewährleisten sollte. So war mittlerweile die Fusionskontrolle dann doch eine Art ‚Lex Ruhr‘ geworden.

1.6 Der zweite Entwurf der Fusionskontrolle und der Zusammenhang mit der Neuordnung der Ruhrstahlindustrie Kurz nach Vorlegen der Vorschläge vom 27. Oktober legte die französische Delegation auf Grund der bisher erfolgten Verhandlungen einen ersten Vertragsentwurf vor.73 Der am 27. Oktober vorgelegte französische Vorschlag fungierte in diesem Dokument als Artikel 42 des Vertragsentwurfs. Der zweite Wettbewerbsartikel war Artikel 41, der Kartellabsprachen verbot. Der ganze Vertragsentwurf wurde von der deutschen Delegation auch deshalb scharf kritisiert, da die Produzentenvereinigungen, auf die man in der BRD große Hoffnungen gesetzt hatte, gar nicht mehr erwähnt wurden.74 Die nächste Version dieses Artikels wurde von der französischen Delegation am 6. Dezember 1950 vorgelegt, der nun in Artikel 61 umbenannt wurde. Gegenüber der ersten Fassung gab es erhebliche Änderungen. Es gibt allerdings keine Anzeichen, dass diese auf die Kritik der Verhandlungspartner, einschließlich der deutschen Kritik, zurückzuführen sind.75 Die neuen Entwürfe wurden von einem Memorandum begleitet.76 Hier wurde nun auch die Einführung einer Fusionskontrolle klar begründet. Ein Kartellverbot würde die Tendenz zu Unternehmenszusammenschlüssen beschleunigen. Deshalb müsse die Hohe Behörde auch auf diesem Gebiet Kompetenzen bekommen. In diesem Memorandum wurde nun auch die Neuordnung der Stahlindustrie an der Ruhr direkt angesprochen. Der Ruhr-

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Mémorandum de Jean Monnet à Robert Schuman, 30. 1. 50, Correspondance, S. 71. Dieser Artikel befindet sich in einem ersten Vertragsentwurf vom 8. November 1950. Hinsichtlich der Artikel 41 und 42 – Verbot der Kartelle und Zusammenschlüsse – ist ausdrücklich erwähnt, dass es sich nur um französische Vorschläge handelt. HAEU DEP URI Box 29 Plan Schuman. Première Rédaction du Projet de Traité. Weitere Fundstellen, datiert für den 9. November: PAAA B 15/160 Première rédaction projet de traité Article 42 (auch dt. Übersetzung). Auch Griffiths datiert den ersten Vertragsentwurf auf den 9. November. Griffiths, Economic, S. 37. So berichtete der belgische Verhandlungsleiter, Max Suétens, dass die deutsche Delegation viel Wert auf die Zusammenarbeit der Stahlindustriellen legen würde. Sie seien es, die Stahl produzieren würden, nicht etwa Beamte. HAEU JMDS 73 Plan Schuman. Compte rendu de la réunion du 10 novembre 1950. Griffiths, economic, S. 63. PAAA B 15 167 Memorandum 7. 12. 1950.

59 industrie wurde nun eine ‚dominante Marktposition‘ nachgesagt. Deshalb müsse sie nun ‚dekonzentriert‘ werden. Diese klare Stellungnahme war neu in den Verhandlungen; sie war wettbewerbspolitisch allerdings nicht unproblematisch. Der Tatbestand der ‚Marktdominanz‘ wurde nämlich nicht definiert. Vom inhaltlichen Gesichtspunkt enthielt der nächste Entwurf am 7. Dezember 1950 des Fusionsartikels, der nun Artikel 61 genannt wurde (Ex-Art. 42), eine interessante sprachliche Änderung. So ist nicht mehr von Fusionen die Rede, sondern von „Konzentration“. Dieser Begriff hatte durch die ständige Diskussion über die „deconcentration“ eine gewisse Tendenz erhalten. Der Begriff „Fusion“ war durchaus wertfreier als der Begriff „Konzentration“.77 Allerdings gab es noch wichtigere Änderungen gegenüber der früheren Version. So wurde ausdrücklich betont, dass es nicht darum ginge, alle Konzentrationen zu verbieten. Gerade Unternehmenszusammenschlüsse, die gesamtwirtschaftliche Vorteile mitbringen würden, dürften nicht behindert werden. Aus diesem Grund sei es auch nicht geboten, feste Kriterien über zulässige bzw. unzulässige Marktanteile im Vertrag festzuschreiben, wie dies noch in dem ersten Entwurf der Fall war. Diese Änderung war für die spätere Entwicklung der Unternehmenszusammenschlusspolitik fundamental. Tatsächlich hätte eine Festschreibung einer Grenze von z.B. 20 % Marktanteil, wie es noch in dem im US State Department ausdrücklich begrüßten Entwurf hieß, erhebliche Auswirkungen auf die künftige Entwicklung der Industriestruktur in der künftigen Montanunion gehabt. Ganz abgesehen davon, dass die Klausel 20 % ganz offensichtlich willkürlich war, hätte dies die zukünftige Entwicklung der Struktur der europäischen Stahlindustrie erheblich beeinträchtigen können. Wer diese Änderung letztlich verursachte, lässt sich nicht sagen. Es ist allerdings eine Tatsache, dass Unternehmenszusammenschlüsse in der französischen Stahlindustrie im Rahmen des Modernisierungsplanes der französischen Wirtschaft nach 1944 ausdrücklich gefördert wurden.78 Hierbei sind besonders die Unternehmen USINOR in Nordfrankreich und SOLLAC in Lothringen zu erwähnen. Beide Gesellschaften gruppierten sich um den Aufbau je einer neuen Warmbreitbandtrasse für die moderne Herstellung von Flachstahlerzeugnissen, um diese zu finanzieren und rentabel betreiben zu können. Als Ende November 1950 auch noch die Gründung der Union Sidérurgique Lorraine, SIDELOR, als Fusion von fünf Stahlunternehmen in Lothringen gemeldet wurde, sah man dies in der BRD im direkten Zusammenhang mit der geplanten Fusionskontrolle für den Schumanplan.79 Ein direkter Zusammenhang zwischen den Bemühungen der französischen Verhandlungsdelegation, die Wettbewerbsartikel in den Vertrag aufzunehmen, 77 78

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PAAA B 15 167 Article 61 7 Décembre 1950.

Philippe Mioche: Le Plan Monnet. Genèse et élaboration 1941–1947, Paris 1987, S. 249–258, Philippe Mioche: La sidérurgie et l’Etat en France des années quarante aux années soixante, Thèse pour le Doctorat d’Etat d’Histoire contemporaine, l’Université de Paris IV, 1992, S. 1308, u. S. 56ff. BA N 1384/158 Blankenagel an Risse 29. 11. 1950.

60 und dieser Fusion kann allerdings nicht nachgewiesen werden. Genauso wenig lässt sich nachweisen, dass der Wegfall einer festgeschriebenen quantitativen Grenze für Fusionen in dem zweiten Entwurf der französischen Delegation auf die Überlegung zurückzuführen ist, dass es nun sinnvoll sei, grundsätzlich die Struktur der französischen oder der europäischen Montanindustrie einzufrieren. Die französische Stahlindustrie betonte jedenfalls zur gleichen Zeit im Zusammenhang mit der SIDELOR-Gründung die Rationalisierungsmöglichkeiten von Unternehmenszusammenschlüssen.80 Während man in der Bundesrepublik also eine ausgeklügelte Taktik vermutete, die darin bestand, schnell noch vor der Einführung der Wettbewerbsartikel Fusionen durchzuführen, scheint dies schlicht und einfach ein zufälliger zeitlicher Zusammenhang gewesen zu sein. Wie schon angedeutet, hat es eine offizielle koordinierte Erörterung in den entsprechenden Stellen der französischen Regierung über die Auswirkungen der Fusionskontrolle auf die zukünftige Entwicklung der französischen Stahlindustrie nie gegeben. Die französische Stahlindustrie hatte keinerlei Einflussmöglichkeit auf die Position der französischen Verhandlungsdelegation.81 Gedanken über diese Frage machte man sich innerhalb der französischen Regierung aber schon. So schrieb der damalige französische Premierminister und spätere Präsident der Hohen Behörde, René Mayer, an Monnet nach Vorlage der Dezember-Entwürfe, was denn die Auswirkungen der Artikel 60 und 61 auf die schon existierenden „concentrations“ seien – als Beispiel nannte er die nationalisierte französische Kohleindustrie.82 Eine klare Antwort auf diese Frage ist wiederum nicht bekannt. Aber sie behandelte doch ein Dilemma hinsichtlich der Einführung der Wettbewerbsartikel und gerade des Argumentes, dass die Fusionskontrolle die Neuordnung an der Ruhr aufrechterhalten würde. Musste man dann nicht auch mit einer ungebetenen Intervention der Hohen Behörde gegen eine Fusion oder ein Kartell im eigenen Land rechnen? Auch der Ermessensspielraum der Hohen Behörde bei der Genehmigungspolitik wurde gegenüber der ersten Version des Artikels nun stärker eingeschränkt. Nun durfte die Hohe Behörde die Genehmigung zu einem Zusammenschluss nur dann erteilen, wenn gewisse Tatbestände erfüllt seien.83 Bei diesen Tatbeständen handelte es sich um ein negatives Kriterium und ein positives Kriterium, um die Folgen des Zusammenschlusses beurteilen zu können. So durften die Unternehmen aufgrund des Zusammenschlusses nicht in der Lage sein, auf einem bedeutenden Teil des Marktes für ein Produkt

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Actualités Industrielles Lorraines, Janvier – Février 1951, S. 5ff. Philippe Mioche: Le patronat de la sidérurgie francaise et le Plan Schuman en 1950–1952: les apparences d’un combat et la réalité d’une mutation, in: Schwabe, Anfänge, S. 305–318. AN 363 AP 37 Mayer an Monnet 16. 12. 1950. Weiter erkundigte er sich über die Beibehaltung der Industriekontrollen in der Bundesrepublik. Als Beispiel einer „opération de concentration“ wurde genannt: Fusionen, Aktienerwerb, Kredit, Vertrag oder andere Möglichkeiten der Kontrolle einer Person, eines Unternehmens oder Unternehmensgruppe.

61 den Preis zu bestimmen oder die Produktion und den Vertrieb zu kontrollieren oder sich sonst dem effektiven Wettbewerb entziehen zu können. Weiter musste der Zusammenschluss auch zur Verbesserung der technischen Produktionsbedingungen oder des Vertriebes des entsprechenden Produktes führen. Anstatt also eine willkürliche Grenze für Unternehmenszusammenschlüsse festzulegen, sollte die Genehmigung nun anhand von festgelegten ‚positiven‘ und ‚negativen‘ Kriterien hinsichtlich der wirtschaftlichen Konsequenzen des Zusammenschlusses erteilt werden. Dies war ohne Frage ein weitaus wirksameres Mittel, um Effizienzeffekte durch Fusionen zu erlauben, gleichzeitig aber auch jene zu untersagen, bei denen nur die Marktmacht erhöht wurde. Diese Kriterien waren natürlich interpretationsfähig. Die Beweisschuld lag ganz offensichtlich bei den Unternehmen, die der Hohen Behörde nachweisen mussten, dass die Fusion nicht die negativen Kriterien, aber die positiven Kriterien erfüllte. Insofern gab es immer noch einen großen Ermessungsspielraum für die Hohe Behörde. Willkürliche quantitative Beschränkungen waren aber weggefallen. Insofern war dies ein großer Fortschritt in Richtung einer praktikablen Fusionskontrolle. Danach wurden die Verhandlungen praktisch unterbrochen. Die deutsche Verhandlungsführung erklärte nun, dass sie den Antitrust-Artikeln erst zustimmen könne, wenn die Frage der Neuordnung geklärt sei.84 Die Verhandlungen hörten damit im Dezember 1950 praktisch auf.85 Man wartete auf eine Einigung zwischen den Amerikanern und der Bundesregierung über die Neuordnung der Stahlindustrie. Gleichzeitig machten Jean Monnet und die amerikanische Botschaft in Paris nun deutlich, dass eine Unterzeichnung des Vertrages mit Vorbehalten gegen die beiden Artikel, wie es anscheinend von deutscher Seite erwogen wurde, absolut inakzeptabel sei.86

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HAEU JMDS 74 (3) Bruce to STATE, 18. 12. 1950, Duchêne, S. 215f., Griffiths, economic, S. 63,

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BA N 1384/158 Blankenagel an Henle 20. 12. 1950.

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Gillingham, rebirth, S. 271ff.

Gegenüber McCloy bezeichnete Monnet die Wettbewerbsartikel mittlerweile als ‚Herz‘ des Schumanplans – obwohl diese ursprünglich ja gar nicht vorgesehen waren. Gillingham, rebirth S. 274ff. HAEU JMDS 74 (4) McCloy to State 21. 1. 51. HAEU JMDS 74 (4) Bruce to STATE, 20. 1. 51. Die amerikanische Botschaft empfahl nun auch, keine weiteren Veränderungen an den Entwürfen vorzunehmen, da es in Frankreich selber zunehmend Widerstand gab. So berichtete die amerikanische Botschaft in Paris, dass es Pläne im französischen Parlament gebe, über jeden einzelnen Artikel des Vertragswerkes im Parlament abzustimmen. So wäre es möglich gewesen, störende Artikel aus dem Vertrag zu entfernen, ohne das ganze Vertragswerk abzulehnen. HAEU JMDS 74 (3) Bohlen (Paris) to Secretary of State 30. 12. 1950.

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1.7 Die Position der Bundesregierung hinsichtlich einer Fusionskontrolle im EGKS-Vertrag Wie sah nun die Reaktion in der Bundesregierung auf diese Entwicklung aus? Hier steht die These im Raum, dass dieser Artikel auch von der ‚ordoliberalen Schule‘, welcher Bundeswirtschaftsminister Erhard nahe stand, inspiriert ist.87 Am 10. November hatte das Bundeswirtschaftsministerium (BWM) in einer ersten Stellungnahme zum Vorschlag am 27. Oktober die Kompetenz der Hohen Behörde auf dem Gebiet der Zusammenschlüsse noch ganz abgelehnt, da sie zu tief in die sozio-ökonomische Struktur der Mitgliedstaaten eingreife.88 Ludwig Erhard kam zu dem Schluss, dass sich diese Regelung einseitig gegen die deutsche Seite richte.89 Es war also ersichtlich, dass in der Bundesregierung allgemeine Vorbehalte gegen diesen Artikel bestanden. Fragen wirft die Stellungnahme insofern auf, äußerte sich hier sich doch auch ein Mann, der immerhin dabei war, Wettbewerbsregeln in der Bundesrepublik durchzusetzen.90 Allerdings hatte Erhard sich schon sehr früh gegen das „Dekonzentrationsdiktat“ gewehrt, vor dem er die Industrie retten wolle.91 So hat Volker Hentschel diesen Widerspruch treffend formuliert: „Aber was in Deutschland Recht werden sollte, war in Europa nicht billig.“92 Dies ist allerdings nicht völlig zutreffend. Erhard wollte die ‚europäischen‘ Regeln dem ‚westdeutschen Modell‘ anpassen. Erhard schlug nämlich vor, sich auf Bestimmungen zu beschränken, wie sie in dem damaligen Entwurf eines deutschen Kartellgesetzes für ‚marktbeherrschende Unternehmen‘ vorgesehen waren, die gewisse Möglichkeiten für Kontrollen, z.B. bezüglich der Preisgestaltung, vorsahen – aber keine Genehmigungspflicht.93 Diese Bestimmungen reichten deshalb bei weitem nicht an das heran, was die Franzosen nun für den Schumanplan vorschlugen. Die These von der ‚ordoliberalen‘ Inspiration der Wettbewerbsartikel wird also nicht nur durch dieses Dokument 87 88 89 90

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Siehe David. J. Gerber: Law and Competition in twentieth century Europe. Protecting Prometheus, Oxford 1998. BA B 102/3235 Memorandum 10. 11. 1950 zit. in: Berghahn, Unternehmen, S. 140. BA B 146/265 Erhard an Adenauer 11. 12. 1950. So hatte Erhard noch am 10. September, also noch vor der Veröffentlichung des Gesetzes Nr. 27 und auch der Einführung von Wettbewerbsartikeln „neue Ordnungselemente“ in dem Vertrag gefordert. RWWA Abt. 130 40010150/404 Auszugsweise Abschrift aus der Rede des Bundeswirtschaftsministers Prof. Dr. Erhard vor dem deutsch-französischen Wirtschaftstag am 10. 9. 1950. Diese Äußerung stammt aus einem Brief von Erhard an Fritz Berg, dem Vorsitzenden des BDI. Volker Hentschel: Ludwig Erhard. Ein Politikerleben, München 1996, S. 143. Hentschel, Erhard, S. 143. Wobei hier anzumerken ist, dass das europäische Recht in der Frage der Unternehmenszusammenschlusskontrolle deutlich über das hinausging, was in der Bundesrepublik diskutiert wurde. Diese wurde als lästige „bürokratische Einzelkontrolle“ abgelehnt. BA B 146/265 Stellungnahme des Bundesministers für Wirtschaft zum Abschluss des Schumanplans, 11. 12. 50, S. 7.

63 eindeutig widerlegt. Dabei hätte es durchaus Alternativen für eine deutsche Reaktion gegeben. In einem Vermerk der Rechtsabteilung der Stahltreuhändervereinigung vom 16. November 1950, das deutsche Exekutivorgan der AHK für die Neuordnung der Stahlindustrie, wurde darüber nachgedacht, nun die Wettbewerbsbestimmungen des Schumanplans mit den Neuordnungsplänen der Alliierten zu verbinden.94 So hätte der Vorstoß Monnets mit einer Aufforderung beantwortet werden können, doch einmal die Geschäftspraktiken oder auch die Eigentumskonzentration in der französischen oder der belgisch-luxemburgischen Stahlindustrie zu untersuchen.95 Sicherlich war keine Delegation zu diesem Zeitpunkt inhaltlich darauf vorbereitet, einmal die Frage zu beantworten, ob denn die nationale Montanindustrie nicht auch eine ‚Neuordnung‘ benötige? Es wäre eine interessantere Strategie gewesen als das Erhardsche Lamentieren über die ‚Diskriminierung‘ der deutschen Seite. Wie sah nun die Reaktion der deutschen Delegation bei den Schumanplan-Verhandlungen in Paris aus? Erst der Entwurf vom 27. Oktober rückte die Tragweite der Unternehmenszusammenschlusskontrolle voll in das Bewusstsein.96 Man war sich in der deutschen Verhandlungsdelegation in Paris offensichtlich bewusst, dass eine strikte Ablehnung unrealistisch war.97 Der Artikel 42 sollte abgeändert werden, um weit reichende Auswirkungen auf die spätere Gestaltung der Unternehmensstruktur der westdeutschen Stahlindustrie zu verhindern.98

1.8 Europaweite Widerstände gegen die Einführung der Fusionskontrolle In der Tat kam der Widerstand gegen die geplanten Artikel nicht nur aus Westdeutschland. Die anderen Verhandlungsteilnehmer fürchteten ebenfalls schwere Konsequenzen für ihre Montanindustrie. So wurden von der belgischen Delegation aufgrund der umfangreichen Beteiligungen der Bank Société Générale de Belgique in der Montanindus94 95

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BA B 109/348 Allgemeine Verwaltung Rechtsabteilung an Herrn Dinkelbach 16. 11. 1950.

Dies hätte die französische Delegation durchaus in Verlegenheit bringen können. Gerade der französischen Stahlindustrie wurden von den französischen Stahlverbrauchern, aber auch von der Regierung, Kartellpraktiken vorgeworfen. Siehe Kipping, Konkurrenz, S. 94–109. Berghahn, Unternehmer, S. 138f., Duchêne, S. 215f. Interessant ist auch der Entschluss der deutschen Delegation, über diesen Artikel direkt mit den Amerikanern zu verhandeln, obwohl die natürlich offiziell kein Teilnehmer an den Verhandlungen waren. PAAA B 15/291 In den handschriftlichen Aufzeichnungen Walter Hallsteins ist Artikel 42 unter dem Stichwort „Dekonzernierung“ aufgeführt und als Verhandlungspunkt mit Amerikanern angegeben. PAAA B 15/291, Argumente zu Art. 42 23. 11. 50. Dieser Vermerk enthält einige Argumente, um den Ermessungspielraum der Hohen Behörde einzuschränken.

64 trie schwerste Bedenken gemeldet.99 Der luxemburgischen Delegation wurde eine „short sighted ARBED view“ hinsichtlich dieser Artikel nachgesagt. Das luxemburgische Stahlunternehmen ARBED war eines der größten Stahlunternehmen in Europa.100 Als im Dezember 1950 endlich die betreffenden französischen Ministerien von Jean Monnet über die Verhandlungen informiert wurden, gab es dort auch kritische Kommentare gegen diese Artikel.101 Was die Vertreter der vom Schumanplan betroffenen Stahlindustrien von dem diskutierten Vertrag hielten, wurde dann Mitte Januar publik. Am 8. Januar hatten sich die Mitglieder des Rates der europäischen Industrieverbände (REI), deren Mitglieder die nationalen Arbeitgeberverbände bzw. Industrieverbände waren, in Paris getroffen.102 Kurze Zeit später zirkulierte dann ein Dokument mit dem Titel „Bemerkungen und Vorschläge der nationalen Industrieverbände der Schuman-Plan Länder zu den wirtschaftlichen Klauseln des in Vorbereitung befindlichen Vertragsentwurfs“ unter den Verhandlungsdelegationen.103 Die Industrieverbände machten konkrete Gegenvorschläge hinsichtlich der Wettbewerbsartikel. Die Anklage, dass nationale Regierungen hier Rechte abtraten, über die sie selber gar nicht verfügten, konnte auch als eine Anspielung auf die Wettbewerbsartikel verstanden werden.104 In keinem nationalen Rechtssystem der zukünftigen EGKS-Länder hatte es eine Fusionskontrolle je gegeben. So wurde auch in dieser Stellungnahme gefordert, das Kartellverbot ersatzlos zu streichen. Allerdings enthält das Dokument eine neue Version des Artikels über die Fusionskontrolle. So sollten nur Zusammenschlüsse, die einen noch nicht definierten Anteil von Produktionskapazitäten in Kohle oder Rohstahl der EGKS bzw. der gesamten

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HAEU JMDS 74 (3) Bruce to State 6. 12. 1950. HAEU JMDS 74 (4) Bonsal to Secretary of State 6. 2. 1951.

Monnet à Schuman, 6 Janvier 1951, Correspondance S. 94, AN 363 AP 37 Réné Mayer à Jean Monnet 16. 12. 1950 Concentrations industrielles Article 60 et 61. Schon im Juli 1950 hatten die nationalen Industrieverbände im Rahmen des REI gemeinsame Richtlinien für den Schumanplan verabschiedet. RWWA Abt. 130 40010146/42. Beutler an Präsidiumsmitglieder BDI, Betr. Stellungnahme der Industrien der 6 Schumanplan-Länder zum Schumanplan. Observations & Propositions des Fédérations industrielles des pays intéressés par le Plan Schuman, sur les clauses économiques du „Projet de Traité“ en Préparation. Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass diese Richtlinien auch veröffentlicht wurden. Sie forderten jedenfalls ein sehr weit gehendes, vertraglich festgesetztes Mitspracherecht der nationalen Industrieverbände über Preisfestsetzung, Produktionsprogramme und Investitionen. Kipping, Konkurrenz, S. 231f. nennt Alexis Aaron und Louis Charvet vom Verband der französischen Stahlindustrie als Autoren des Dokuments laut Protokoll der Commission permanente der Chambre Syndicale de la Sidérurgie Francaise (CSSF). Die Gegenvorschläge befinden sich in HAEU JMDS 74 (4) Bonsal to State 27. 1. 1951 und 28. 1. 51. Auf die Gegenvorschläge einigte man sich schon am 17. 1., während die dazugehörige vollständige Erklärung erst Anfang Februar von den sechs Industrieverbänden verabschiedet wurde. RWWA Abt. 130 40010146/46 Riedberg an Reusch 10. 2. 1951. Bundesrepublik Frankreich und Deutschland, S. 656. RWWA Abt. 130 40010146/45 Beutler, Stein an Präsidiumsmitglieder BDI 24. 1. 1951.

65 Produktionskapazität in der EGKS für ein Produkt erreichten, unter die Genehmigungspflicht fallen. Die Hohe Behörde durfte ihre Genehmigung nur nach Anhörung des Beraterausschusses, wo die Stahlproduzenten ein Drittel der Mitglieder stellten, und nach Zustimmung des Ministerrats erteilen. Wahrscheinlich waren die Stahlindustriellen sich nicht der Folgen bewusst, die ein solches Vorgehen gehabt hätte. Es hätte theoretisch einer Regierung eines Mitgliedstaates die Möglichkeit gegeben, Unternehmenszusammenschlüsse in einem anderen Mitgliedstaat zu verhindern. Jedenfalls zeigt dieser Vorschlag, dass die Industrieverbände hier einer völlig neuen Art der Regulierung sehr feindlich gegenüberstanden. Wenn die Unternehmensverbände in allen beteiligten Staaten so heftig gegen den ‚Dirigismus‘ opponierten, so meinten sie wohl damit nicht zuletzt die Einführung einer supranationalen Wettbewerbsbehörde in Europa.105 Wenn Wettbewerbspolitik schon sein musste, sollte sie lieber von der nationalen Ebene geführt werden. Offensichtlich erkannte man gerade auf deutscher Seite nicht, dass eine Revision der Neuordnung durch die Hohe Behörde möglicherweise leichter zu entscheiden war – basierend auf im Vertrag festgelegten Kriterien – als im doch mehr politisierten Ministerrat.

1.9 Genehmigungspflicht oder Verbotspflicht – Auseinandersetzungen über den zukünftigen Handlungsspielraum der Hohen Behörde Am 6. Februar trafen dann die Delegationen wieder aufeinander, um den Wortlaut des Artikels festzulegen.106 Am 13./14. Februar wurde dann der Verhandlungsstand schriftlich festgehalten.107 Die wichtigste Änderung, die wohl auf einen niederländischen Vorschlag zurückgeht, war die Einführung einer Genehmigungspflicht für die Hohe Behörde.108 In der Version vom Dezember hieß es noch, dass die Hohe Behörde die Genehmigung ‚nur‘ erteilen würde, wenn der Unternehmenszusammenschluss nicht zu 105

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Die Vermutung von Gillingham ist wohl richtig, dass die Bindungen zwischen den europäischen Industriellen enger wurden durch die gemeinsame Gegnerschaft gegen die Wettbewerbsgesetze. Gillingham, Heavy, S. 434. Richard T. Griffiths: Die Beneluxstaaten und die Schumanplan-Verhandlungen, in: Ludolf Herbst, Werner Bührer, Hans Sowade (Hgg.): Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt, München 1990, S. 263-S. 278, hier: S. 277, JMDS 74 (4) Later 4631 Bonsal to State 6. 2. 1951. PAAA B 15 170 Réunion de Chefs de Délégation des 13 et 14 Fevrier 1951, Griffiths, economic, S. 65. HAEU JMDS 74 (4) Bonsal to State, 6. 2. 1951, Kurz darauf meldete die amerikanische Botschaft in Paris auch den Wortlaut der von den Niederlanden vorgeschlagenen Änderungen, HAEU JMDS 74 (4) Later 4631 Bonsal to State 6. 2. 1951.

66 einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs und zu einer Verbesserung der Produktionsoder Vertriebsbedingungen führen würde. Das ‚nur‘ wurde nun gestrichen, so dass es nun hieß, die Hohe Behörde erteile die Genehmigungen, wenn die Tatbestände der Einschränkung des Wettbewerbs nicht erfüllt seien. In der Durchführung des Artikels lief es darauf hinaus, dass nun die Hohe Behörde die wettbewerbsbeschränkenden Tatbestände des Unternehmens nachweisen musste. Gelang es ihr nicht, war sie verpflichtet, den Zusammenschluss zu genehmigen. Dies war im Dezember noch genau umgekehrt gewesen. Der Ermessungsspielraum der Hohen Behörde wurde dadurch doch erheblich eingeschränkt. Insofern war dies eine sehr wichtige Änderung, die nur im Sinne der westdeutschen Stahlindustrie sein konnte.109 Schließlich wurde die Hohe Behörde ausdrücklich aufgefordert, das ‚Nichtdiskriminierungsprinzip‘ hinsichtlich der unterschiedlichen Situation in den verschiedenen Regionen zu beachten.110 Ganz offensichtlich wollte man den Eindruck vermeiden, dass der Fusionsartikel einseitig gegen die westdeutsche Stahlindustrie gerichtet sei, um entsprechenden Befürchtungen der deutschen Seite entgegenzutreten. Auf die spätere Entwicklung dieser Klausel wird noch näher eingegangen, denn die deutsche Delegation interpretierte die ‚Nichtdiskriminierung‘ bald als ein automatisches Recht für die Revision der Neuordnungsmaßnahmen. Am 18. Februar 1951 legte dann die deutsche Delegation einen eigenen Entwurf vor.111 Dieser Vorschlag schränkte die Kompetenzen der Hohen Behörde noch erheblicher ein: Zusammenschlüsse zwischen einem Stahlunternehmen und einer Weiterverarbeitungsfirma sollten nun unter Umständen von jeder Regierung genehmigt werden. Der Hohen Behörde wurde praktisch die alleinige Kompetenz zur Erteilung der Genehmigung genommen. Zusammenschlüsse zwischen einem Stahlunternehmen und einer Weiterverarbeitungsfirma hätten unter Umständen von jeder Regierung genehmigt werden müssen. Außerdem schlug die deutsche Delegation eine generelle Freistellung von der Genehmigung der Hohen Behörde für Zusammenschlüsse vor, die 5 % der Produktion von Kohle oder Rohstahl auf dem Gemeinsamen Markt betrafen sowie einem Anteil von 15 % an Produktion eines Produktes oder einer Produktgruppe. Die Definition des relevanten Produktes bzw. der Produktgruppe sollte nach Zustimmung des Rates erfolgen. Der Rat hatte also immer noch die Möglichkeit, die Freistellungsgrenze so hoch anzusetzen, dass die Hohe Behörde praktisch nie dazu gekommen wäre, Genehmigun-

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Insofern können diese Änderungen nicht als „unwesentlich“ bezeichnet werden. Kipping, Konkurrenz S. 222. David Bruce, amerikanischer Botschafter in Paris, berichtete an Dean Acheson, dass diese Formulierung mit Einverständnis aller Verhandlungsteilnehmer aufgenommen wurde, um ausdrücklich eine ‚Diskriminierung‘ der Ruhrstahlindustrie auszuschließen. Bruce to Acheson 21. 2. 1951, FRUS IV 1951, S. 93, AN 81 AJ 135 Monnet à Hirsch 21. 2. 1951 bestätigt diese Aussage. PAAA B 15/78, Deutscher Vermittlungsvorschlag, am 18. 2. 1951 den übrigen Delegationen übergeben. Artikel 61.

67 gen überhaupt erteilen zu müssen. Die deutsche Delegation war also bemüht, den Ermessensspielraum der Hohen Behörde möglichst zu verringern bzw. die Umsetzung der Wettbewerbsartikel unter die Kontrolle der nationalen Regierungen zu bringen. In einer Aufzeichnung, die den Verhandlungsstand vom 27. Februar 1951 wiedergibt, waren die meisten deutschen Vorschläge allerdings nicht übernommen.112 Vielmehr wurden von dem so genannten Comité de Lécture – deutsch auch das juristische Komitee genannt –, welches beauftragt war, den Vertrag genau auszuformulieren, einige Bestimmungen wieder verschärft.113 Die ‚positive‘ Bedingung, nach der ein Zusammenschluss die Wettbewerbsfähigkeit des betreffenden Unternehmens verbessern musste, fiel nun weg. Stattdessen wurde eine zweite ‚negative Bedingung‘ erwähnt, die bei Erfüllung die Verweigerung der Genehmigung bedeuten würde. So hieß es nun, dass die Unternehmen aufgrund des Zusammenschlusses nicht die Macht haben dürften, sich aufgrund einer ‚künstlichen Vorzugsstellung‘ zu Versorgungsquellen und Absatzmärkten dem Wettbewerb zu entziehen. ‚Künstliche Vorzugsstellung‘ – so wurde in internen französischen Dokumenten die Eigentumsbindung zwischen Kohle- und Stahlunternehmen an der Ruhr genannt.114 Außerdem wurde die Referenz an die ‚Situationen in den verschiedenen Regionen der Gemeinschaft‘ abgeschafft. Die französische Delegation argumentierte, dass eine Diskriminierung nicht zwischen Regionen, sondern zwischen Unternehmen auszuschließen sei.115 Ganz offensichtlich waren hier einige Bestimmungen wieder im Sinne einer restriktiveren Genehmigungspolitik beschlossen worden – und dies gegen die vorher eingebrachten Bedenken der deutschen Delegation. Wenn diese Änderungen so im 112

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Dieser Verhandlungsstand vom 27. Februar entspricht einer Version des Artikels 61 vom 22. Februar PAAA B 15/170, Article 61, 22 février 1951. Bei diesen Dokumenten handelt es sich um Verhandlungsunterlagen des Schumanplansekretariats, die den jeweiligen Verhandlungsgegenstand weitergeben, ohne dass es im Kreise der Delegationen zu einer endgültigen Einigung gekommen wäre. B15/170 Artikel 61 Bundeskanzleramt, Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten an Bundesminister für Wirtschaft, Bundesminister für Justiz. Griffiths stellt fest, dass es schwer ist die Verhandlungen in dem Stadium der Comité de Lecture genau nachzuvollziehen „(…) although small changes could have far-reaching consequences (…)“. Griffiths, economic S. 37. B 15/173 Article 61 Neufassung auf Grund der Sitzung des Comité de Lecture vom 27. 2. 1951. Zur gleichen Zeit wurde in Bonn zwischen der AHK und der Bundesregierung genau um den Umfang dieser Bindung gerungen. Ganz offensichtlich wollte man hier sichergehen, dass die Hohe Behörde auf diesem Gebiet später intervenieren konnte. In der endgültigen Fassung heißt es im Artikel 66 § 2 „(…) ou d’échapper, notamment grâce à une position privilégiée dans l’accès aux approvisionnements ou aux débouchés, aux règles de concurrence résultant de l’application du présent Traité.“ AN 81 AJ 169 Memorandum 1 Mars 1951. Originaltext: Dans cette appréciation, la Haute Autorité tient compte, conformément au principe de non discrimination énoncé à l’article 4 alinéa b), de l’importance des entreprises de même nature, existant dans la Communauté, ainsi que conformément aux objectifs définis à l’article 3, notamment aux alinéas c) et g), des améliorations que comportent les opérations envisagées dans les conditions de la production et de la distribution.

68 Detail geschildert werden, dann um aufzuzeigen, dass es bei den Verhandlungen um den Wortlaut des späteren Artikels eben nicht um technisch-juristische Details ging, sondern um den Umfang des ‚Mandats‘ der Hohen Behörde und damit letztlich um die zukünftige Politik der Hohen Behörde.

1.10 Die ‚Rekonzentration‘ der Ruhrstahlindustrie in der Diskussion um die Fusionskontrolle Die Reaktion der deutschen Delegation auf die Ablehnung ihrer Vorschläge ließ nicht lange auf sich warten. Am 1. März legte der Vertreter der deutschen Delegation in der Comité de lecture einen generellen Vorbehalt gegen Artikel 61 ein.116 Die Kompetenzen der Hohen Behörde auf dem Gebiet der Zusammenschlusspolitik gingen der deutschen Delegation entschieden zu weit, so dass sie nun den ganzen Artikel ablehnte. Die Gründe für diese plötzliche Verweigerungshaltung waren für die anderen Teilnehmer an den Verhandlungen offenbar nicht sehr schwierig zu verstehen. So schrieb Pierre Uri, der Mitarbeiter Jean Monnets, am 1. März in einem Vermerk an Monnet, die deutsche These sei nun, die Fusionskontrolle auf die jetzt schon existierenden Unternehmen in den Schumanplan-Ländern anzuwenden.117 Wenn dies nicht der Fall sei, müsste die jetzige Industriestruktur in den sechs Ländern als Richtlinie für zukünftige Zusammenschlüsse gelten. Im Klartext: Zusammenschlüsse seien also bis zu der Größe der nun bestehenden Unternehmen im künftigen Gemeinsamen Markt grundsätzlich zu erlauben. Uri folgerte völlig richtig, dass damit eine Revision der in Deutschland erfolgten ‚Neuordnung‘ oder eine ‚Rekonzentration‘ praktisch ‚automatisch‘ durchgeführt werden sollte.118 Laut Uri habe die französische Delegation, unterstützt von den anderen Delegationen, darauf sofort erwidert, dass das Prinzip der Nichtdiskriminierung nicht be116 117

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PAAA B15/173 Article 61 Réserves de la délégation allemande faites par Mr. OPHÜLS au Comité de Lecture le 1er Mars 1951. 1er Mars 1951. Der Vermerk von Pierre Uri bezieht sich auf eine Sitzung des Comité vom 28. Februar. Hier wurden anscheinend die deutschen Vorbehalte erstmals mündlich vorgetragen und dann in der Sitzung vom 1. März schriftlich festgehalten. AN 81 AJ 169 Memorandum 1 Mars 1951, siehe auch Bossuat, S. 774. Damit wusste auch Jean Monnet, dass zumindest die deutsche Delegation den Nicht-Diskriminierungsparagraphen zur Legitimation zukünftiger Rekonzentrationsbestrebungen benutzen wollte. Jean-Marie Palayret: Jean Monnet, La Haute Autorité de la CECA face au problème de la reconcentration de la sidérurgie dans la Ruhr (1950–1958), in: Revue d’Histoire diplomatique 105 (1991), S. 307–348. Siehe auch die Einschätzung eines der Beteiligten an den Verhandlungen: Paul Reuter: La Communauté européenne du Charbon et de l’Acier, Paris 1953, S. 219, „Les auteurs allemands n’ont pas caché qu’ils estimaient que cette clause leur permettrait d’échapper aux restrictions résultant de la déconcentration alliée en Allemagne.“ Monnet über Paul Reuter: Monnet, Mémoires, S. 426.

69 sage, einfach die Größe der existierenden Unternehmen zu vergleichen. Überhaupt könne bei der Neuordnung nicht von einseitiger Diskriminierung geredet werden, da die ‚neu geordneten‘ Unternehmen zum Teil größer seien als die französischen. Als Konsequenz der Haltung der deutschen Delegation schlug Pierre Uri nun eine weitere Änderung der so genannten Nichtdiskriminierungsklausel vor, welche der Interpretation der deutschen Delegation entgegensteuern sollte. Dieser Vorschlag findet sich dann auch in der Fassung vom 1. März wieder. So hieß es nun, dass die Hohe Behörde bei der Erteilung der Genehmigung die Bedeutung der in der Gemeinschaft vorhandenen Unternehmen gleicher Art berücksichtigen würde, um gegebenenfalls Nachteile, hervorgerufen aus einer Ungleichheit der Wettbewerbsbedingungen, auszugleichen.119 Die Klausel wurde dadurch zwar sprachlich immer unverständlicher, so aber auch schwieriger, einseitig in eine bestimmte Richtung zu interpretieren. Dies war offensichtlich mittlerweile die Absicht der Verhandlungsteilnehmer. Nun schaltete sich nachweislich auch noch einmal Robert Bowie ein. Er schlug vor, die Pflicht der Hohen Behörde, die Bedeutung der Unternehmen gleicher Art zu berücksichtigen, noch abzuschwächen, indem die Ungleichheit der Wettbewerbsbedingungen nun „erheblich“ sein musste.120 Als Hallstein schließlich Bowie mitteilte, dass die deutsche Delegation nun doch dem Wortlaut des Artikels vom 1. März mit gewissen Ausnahmen zustimmen könnte, gehörte der Einspruch gegen die Erwähnung des Wortes ‚erheblich‘ dazu.121 Auf der anderen Seite schlug Hallstein vor, das Wort ‚Nachteil‘ im Text noch mit dem Begriff ‚materiell‘ zu ergänzen. So hätte die Hohe Behörde also ‚materielle Nachteile‘, resultierend aus ungleichen Wettbewerbsbedingungen, in ihrer Zusammenschlusspolitik berücksichtigen müssen. Ob man hier seitens der deutschen Seite verschiedene alliierte Maßnahmen wie z.B. Demontage, Investitionskontrollen und Neuordnung meinte, kann nur vermutet werden. Ob die Hohe Behörde dann auch die Folgen der deutschen Besatzung auf die benachbarten europäischen Montanindustrien berücksichtigen hätte müssen, darüber hatte man wahrscheinlich in der deutschen Delegation nicht nachgedacht. In der Endfassung des Artikels 66 finden sich allerdings beide Begriffe nicht. Die deutsche Delegation konnte noch durchsetzen, dass die Verordnung über die Freistellungsgrenze von der Genehmigungspflicht für Unternehmenszusammenschlüsse nach Vorschlag der Hohen Behörde vom Rat verabschiedet werden sollte. So hatte die Bundesregierung also noch im Rat zukünftig die Möglichkeit, eine möglichst hohe Freistellungsgrenze für Unternehmenszusammenschlüsse durchzusetzen.

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PAAA B15/173 ARTICLE 61, 1er Mars 1951. AN 81 AJ 138 Wortlaut in Französischen: „manifeste“. Projet Bowie Modifications proposées à

l’article 61. AN 81 AJ 138 ARTICLE 60, 14 Mars 1951, Bowies Memorandum on his talks with Hallstein, Article 61

70 Was das Genehmigungsverfahren selber anging, musste die Hohe Behörde nun bei Zusammenschlüssen mit Unternehmen, die nicht direkt dem Vertrag unterstellt waren, eine nicht bindende Stellungnahme der nationalen Regierung einholen. Dies war natürlich weit entfernt von der direkten Mitsprache der nationalen Regierungen, welche die deutsche Delegation ursprünglich durchsetzen wollte.

1.11 Von der Initiative Monnets zum Artikel 66: Die Fusionskontrolle im EGKS-Vertrag Als schließlich der Bundeskanzler in Bonn die Ergebnisse der Neuordnung in einem Brief an die AHK am 14. März akzeptierte, bedeutete dies auch das Ende der Schumanplan-Verhandlungen in Paris. Artikel 66 – die Fusionskontrolle – und der Artikel 65 – ein Kartellverbot – wurden nun in den Vertrag aufgenommen. Gleichzeitig musste die Bundesregierung die Auflösung des Deutschen Kohlen Verkaufs (DKV) – ein lupenreines Kartell – akzeptieren. Die Begeisterung über diese beiden Artikel war, wie schon aufgezeigt, nicht nur in der Bundesrepublik eher bescheiden. Noch am 13. März äußerte der belgische Außenminister Van Zeeland generelle Kritik an den beiden Wettbewerbsartikeln. Außerdem glaubte er, dass die deutsche Delegation ihn nicht akzeptieren werde.122 Ein Einverständnis über diese Artikel kam erst zustande, als Adenauer schließlich das Ergebnis der Neuordnung akzeptieren musste. Erst dann gab die deutsche Delegation auch ihren Widerstand gegen die Artikel auf.123 Die belgische Delegation gab erst ihr „Ja-Wort“, nachdem US-Regierungsvertreter versicherten, dass die USA die Artikel als Prinzip verstanden, aber durchaus bereit wären, einige Absprachen und Konzentrationen zu tolerieren.124 Bei den Verhandlungen über die Wettbewerbsartikel ist auch die Haltung der Vertreter der amerikanischen Regierung interessant zu analysieren. Man intervenierte, als man zunehmend den Eindruck bekam, die Schumanplan-Verhandlungen würden in ein Megakartell münden. Rein materiell mussten die Amerikaner dann aber gegenüber dem ursprünglichen Entwurf vom 27. Oktober, der als „excellent“ eingestuft wurde, erhebliche Abstriche machen. Im Gegensatz zu den amerikanischen Wünschen wurde dieser Entwurf, wie aufgezeigt, noch in erheblichem Maße abgeändert.125 So scheinen die mate122 123 124 125

JMDS 74 (4) Murphy to Sate, 13. 3. 1951. Monnet, Mémoires, S. 514. Milward, Belgium, S. 453. HAEU JMDS 74(3) Bohlen (Paris) to Department of State 30. 12. 1950. Der amerikanische Botschafter in Paris kam schon am 19. Februar 1951 zu dem Schluss, dass der Artikel nun so aufgeweicht sei, dass die deutsche Montanindustrie bald wieder die Neuordnungsmaßnahmen rückgängig machen könne. FRUS, IV 1951, Bruce to Acheson, S. 93ff. Dies waren keineswegs nur „unwesentliche“ Änderungen, so Kipping, Konkurrenz, S. 223.

71 riellen Aspekte des Artikels für die Amerikaner dann doch eher zweitrangig gewesen zu sein. Wichtiger war es, dass man dank der Aufnahme der Wettbewerbsartikel nun gegenüber der eigenen Öffentlichkeit behaupten konnte, hier sei ein wettbewerbspolitischer Durchbruch in Europa gelungen, um so die politische Unterstützung des Planes zu sichern. Wie hatten nun die eigentlich Betroffenen in der Bundesrepublik, die Stahlindustriellen an der Ruhr, auf die Entwicklung reagiert? Schon wenige Tage nach der Vorlegung der ersten Entwürfe wurden die Stahlindustriellen von Teilnehmern an den Verhandlungen informiert.126 Im Januar 1950 ging man allerdings innerhalb der Stahlindustrie davon aus, dass es wohl kaum Möglichkeiten geben würde, diese Bestimmungen grundsätzlich abzuändern.127 So beschloss man innerhalb der WVESI, die endgültige Fassung erst abzuwarten, um dann im Ratifizierungsprozess möglicherweise auf Änderungen zu dringen.128 Immerhin war durch Robert Pferdmenges Bundeskanzler Adenauer, und wohl auch Walter Hallstein, die Einstellung der Industrie zu diesen Bestimmungen mitgeteilt worden.129 Allerdings standen auf der Prioritätenliste der deutschen Stahlindustrie hinsichtlich der Verhandlungen zu diesem Zeitpunkt wichtigere Anliegen, die gerade in materieller Hinsicht für die Stahlindustrie von entscheidender Bedeutung waren: der Eigentumsverbund Verbund Kohle und Stahl.130 In einer Analyse vom 10. März 1951 wurde von der WVESI als das Hauptproblem der Fusionskontrolle die Genehmigungspflicht zwischen Weiterverarbeitung und Stahlproduzenten angesehen.131 Dass es noch Hoffnungen gab, die davon ausgingen, die Artikel tatsächlich in der Ratifikationsphase abändern zu können, geht aus der Einschätzung des Handelsblattes vom 16. März 1951 hervor, das von den „problematischen und hoffentlich noch nicht endgültigen Paragraphen 60 und 61“ sprach.132 Wie noch aufgezeigt wird, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Stahlindustriellen zu dieser Zeit auf die Verhandlung über die Neuordnung, um ein Maximum an

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BA N 1384/154 Müller an Fugmann, Henle 30.10.1950, Betreff: Schuman-Plan und Kartelle. In einer ersten Reaktion hatte die WVESI noch eine Stellungnahme abgelehnt. BA N 1384/158 Blankenagel an Henle, Klöckner, Fugmann, Schwede, Sohl, Barich 29. 11. 1950 RWWA Abt. 130, 40010146/46 Sölter an Beutler 15. 1. 1951, ähnlich scheint die Einstellung der französischen Stahlindustrie zu diesem Zeitpunkt gewesen zu sein, JMDS 74(3) Bohlen (Paris) to Department of State 30. 12. 1950. RWWA Abt. 130 40010146/46 Reich an Blank 23. 1. 1951. Interessant ist auf jeden Fall, dass man in der normalerweise gut informierten WVESI in dieser Frage keinen genauen Überblick über den Verhandlungsstand hatte, schon gar nicht in der entscheidenden Phase im Februar 1951. BA N 1384/156 Blankenagel, Ahrens an Hallstein 27. 2. 1951, BA N 1348/156 Blankenagel an Henle 19. 1. 1951. BA N 1384/159 WVESI Blankenagel an Müller 10. 3. 1951. Handelsblatt v. 16. 3. 1951. Die Montan-Neuordnung steht bevor.

72 Kohle unter die Kontrolle der Stahlunternehmen zu bringen. Dies war sicherlich eine effektivere Taktik, als die Lobbytätigkeit auf die Ausformulierung des Artikels 66 zu fokussieren. Schließlich ist auch die Äußerung von Alexis Aron vom französischen Stahlproduzentenverband interessant, der US-Regierungsvertretern während der SchumanplanVerhandlungen versicherte, er wolle einen Vertrag, der auch tatsächlich anwendbar sei. Seine europäischen Kollegen hätten ihn allerdings beruhigt, dass er sich wegen Detailfragen nicht zu große Sorgen machen solle. Die Stahlindustriellen würden schon einen Weg finden, die Vertragsbestimmungen in ihrem Sinne anzuwenden.133 Interessant ist auch die Einschätzung Gerhard Schröders, später Vorsitzender der Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl (WVESI), der hinsichtlich der Neuordnung am 9. April 1951 schrieb: Unsere Hoffnung und Erwartung ist dabei die, dass die etwa erforderliche Revision der Neuordnung von den anderen Partnern der Montan-Union in der Zukunft, wenn erforderlich, zu erreichen sein wird. Denn ohne einen gesunden deutschen Partner kann die Montan-Union nicht florieren, so dass das deutsche Interesse auch das ihrige sein wird.134

So war man sicherlich über diese Artikel nicht begeistert, betrachtete die Möglichkeit, die Maßnahmen der Neuordnung zu revidieren, letztlich eher als eine politische denn als eine rechtliche Frage. Man hoffte ganz offensichtlich, dass dieser Artikel eine Revision der Neuordnung nicht verhindern würde, da es einen Konsens über die Notwendigkeit der Wettbewerbsartikel in den betroffenen Industrien und Regierungen der Schumanplan-Länder ja nicht gab.

1.12 Der Artikel 66 und seine Auslegung in den Ratifikationsdebatten im französischen und westdeutschen Parlament Die Unterschrift der Regierungen unter den Vertrag war nur der erste Schritt zur Einführung einer Wettbewerbspolitik. Er musste nun auch von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Die unterschiedlichen Motive der deutschen und der französischen Delegation, die Fusionskontrolle zu akzeptieren, wurden in den Parlamentsdebatten deutlich. In der Ratifikationsdebatte im Bundestag benutzte nun die Bundesregierung genau das Argument, welches in den letzten Verhandlungstagen von der französischen Delegation entschieden abgelehnt wurde: Der ‚Nichtdiskriminierungsparagraph‘ würde eine

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HAEU JMDS 74(3) Tomlinson to Department of State 21. 12. 1950. BA N 1384/154 Schroeder an Schippel 9. 4. 1951.

73 rasche Revision der Neuordnung – also die ‚Rekonzentration‘ – ermöglichen.135 So Walter Hallstein: Die Wahrheit ist, dass wir in Art. 66 Ziffer 2, Absatz 2 eine ausdrückliche Vorschrift durchgesetzt haben, die es uns erlaubt bis zu dem Stande nachzurücken, die jede diskriminatorische Behandlung der deutschen Unternehmungen in der Frage der entflochtenen, ausschließt.136

Auch Bundeskanzler Adenauer nahm zu dieser Frage Stellung: Nach den auf besonderen Wunsch der deutschen Delegationen aufgenommenen Bestimmungen des Art. 66 Ziffer 2 des Vertrages ist bei der Genehmigung von neuen Unternehmenszusammenschlüssen die Größe der anderen in der Gemeinschaft bestehenden Unternehmen gleicher Art nach dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung zu berücksichtigen. Andererseits würde es für die Bundesregierung untragbar sein, wenn die jeweilige Unternehmensstruktur auf unbestimmte Zeit Gegenstand von Dekonzentrationsmaßnahmen bliebe.137

Was dies genau hieß, verdeutlichte Adenauer: Wenn die Hohe Behörde in Kraft getreten ist, hat keine Instanz der Welt mehr ein Recht, uns an Verflechtungen, falls wir sie für nötig halten, zu hindern, es sei denn, dass durch unsere Verflechtungen größere Zusammenballungen entstehen als an irgendeiner anderen Stelle der Schumanplan-Länder.138

Die Bundesregierung vertrat also in der Ratifikationsdebatte offen eine These, die ja in den Schumanplan-Verhandlungen ausdrücklich von den anderen Delegationen verworfen wurde, und die auch durch den Vertragstext so nur schwer zu rechtfertigen war. Die Bundesregierung machte keine Aussage über die Struktur der Unternehmen in der Gemeinschaft. Tatsächlich gehörten – wie es gerade die französische Delegation auch immer wieder betonte – die neu gegründeten Unternehmen in der BRD auch nach der Neuordnung durch Gesetz Nr. 27 zu den größten in der Gemeinschaft.139 Zumindest 135 136 137 138 139

Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte, 1. Wahlperiode 1949–1953, Band 10, 182. Sitzung, 9. 1. 1952, S. 7591. Ders., S. 7654. Ders., S. 7596. Zit. in. Müller, S. 296. Geht man von der Rohstahlerzeugung der Stahlgesellschaften aus, so produzierten die fünf größten Unternehmen in Frankreich im Jahre 1949 zwischen 2,3 Mio t und 0,7 Mio t. In der BRD produzierten die fünf größten entflochtenen Werke zwischen 1,8 und 1,1 Mio t. Heribert Steiner: Größenordnung und horizontale Verflechtung in der Eisen- und Stahlindustrie der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens, Luxemburgs und Deutschlands., Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Juni 1952. Diese Zahlen scheinen für Frankreich allerdings zu hoch gegriffen. Die finanziellen Verflechtungen innerhalb der französischen Stahlindustrie ließen bei der Bestimmung der einzelnen Unternehmen zu einer Unternehmensgruppe nämlich einen gewissen Interpretationsspielraum. Eine Untersuchung der Hohen Behörde aus dem Jahre 1953 der Produktionszahlen für das Jahr 1952 kam für de Wendel nur auf 1,48 Mio t, während nach Steiner de Wendel 1949 schon 1,9 Mio t produzierte. De Wendel war nach der Studie der Hohen Behörde in Frankreich das größte Unternehmen. Unter den zehn größten Unternehmen im Jahre 1952 befan-

74 Fachkundigen musste also durchaus bewusst sein, dass dies eine sehr einseitige Interpretation der Nichtdiskriminierungsklausel war.140 Die Nichtdiskriminierungsklausel bot allerdings der Bundesregierung die Möglichkeit, im Parlament eine Korrektur der ‚Dekonzentration‘ zumindest in Aussicht zu stellen. Damit hatte sie sicherlich einen entscheidenden Zweck der Autoren erfüllt. Dies war ein sehr wichtiger Punkt in der Debatte, denn die Aufhebung aller alliierten Restriktionen und Sonderregelungen war für die Fraktionen der Regierungskoalition eine unerlässliche Vorbedingung für die Ratifikation des Schumanplans.141 Insofern war das ‚Mandat‘ des Bundestags an die Hohe Behörde, basierend auf die Interpretation des Artikels 66 durch die Bundesregierung, ziemlich eindeutig: Sie sollte die Revision der Maßnahmen der Neuordnung sehr schnell ermöglichen, durch die Anwendung des Vertrages europäisch ‚legitimieren‘. Dabei sollte die Hohe Behörde möglichst keine Eigeninitiative entwickeln, sondern Unternehmenszusammenschlüsse an der Ruhr unter Hinweis auf die ‚Größe‘ bestehender Unternehmen automatisch genehmigen. Sie durfte schon deshalb keine nennenswerten Bemühungen zur Entwicklung einer Fusionspolitik unternehmen, da sie dann sehr schnell zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass die neu gegründeten Unternehmen keineswegs kleiner waren als die europäische Konkurrenz. In der französischen Ratifikationsdebatte wurde nun aber das genaue Gegenteil verkündet. Jean Monnet hatte schon am 9. März 1951 dem Premierminister, dem Außenminister und dem Präsidenten der französischen Republik, Vincent Auriol, geschrieben, dass der Artikel über die Zusammenschlusskontrolle die Aufrechterhaltung der ‚Dekonzentration‘ ermöglichen würde.142 Die Eigentumsverbindung von Kohle und Stahl sei deutlich reduziert worden.143

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den sich laut Hohe Behörde sechs deutsche entflochtene Werke. N 1384/138 WVESI, 30. 3. 1953, An die Herren Mitglieder der Schumanplan-Kommission Betr. Größe der stahlproduzierenden Unternehmungen in der Montanunion, siehe auch Willam Diebold: The Schuman Plan. A Study in Economic Cooperation. 1950–1959, S. 362. BA N 1348/156 Betr. Sitzung des Wirtschaftspolitischen Ausschusses über die Ratifizierung des Schuman-Plans am 6. 9. 1951 in Bonn, gez. Henle, BA N 1384/146 Zu den Ausschussberatungen über den Schumanplan, 12 Dezember 1951. Henle war sich der Fragwürdigkeit des Argumentes vollauf bewusst. Frankreich bzw. auch die Industrien der anderen Schumanplan-Länder hätten gar keine ‚Überkonzerne‘, notierte sich dazu Henle in einem Vermerk über die Ratifikationsdebatte. Er behielt sein Wissen aber offensichtlich für sich. Warner, Steel, S. 149–151. BA 102/22301 Adenauer an Francois Poncet 13. 12. 1951, Francois Poncet an Adenauer 18. 12. 1951. AN 81 AJ 138 MEMORANDUM sur la DECONCENTRATION de la RUHR et la CONCLUSIONS des NEGOCIANTS SUR LE PLAN SCHUMAN 9 mars 1951. Lappenküpper, Beziehungen, S. 49ff. AN 81 AJ 138 Jean Monnet à Vincent Auriol 16 mars 1951. Eine Kopie des Briefes enthielten ebenfalls der Premierminister als auch die wichtigsten Minister.

75 Wie schon herausgestellt, war die Aussage, dass die Hohe Behörde die Neuordnung der Hohen Behörde aufrechterhalten würde, durchaus problematisch. Denn sie beinhaltete eine Festlegung in einer grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Frage der Hohen Behörde, ohne dass die erste supranationale Institution überhaupt konstituiert war. Allerdings erwies sich der Artikel 66 und die damit verbundene Aufrechterhaltung der Neuordnung als ein wirklich schlagkräftiges Argument für die Ratifizierung des Schumanplanes in der innerfranzösischen Diskussion. Dass in bedeutenden Teilen der französischen Öffentlichkeit der Kurs der Regierung, die junge Bundesrepublik in westeuropäischen Strukturen einzubetten, durchaus umstritten war, muss hier nicht weiter verdeutlicht werden.144 Deutschland war verständlicherweise nur fünf Jahre nach Ende des Weltkrieges ein „Mobilisierungsthema“145 – und der Vorwurf einer zu konzilianten Haltung war konstanter Angriffspunkt gegen die Regierungskoalition der IV. Republik, gerade der Kommunisten und Gaullisten. Auch bei ausdrücklichen Anhängern des Schumanplans, wie zum Beispiel bei René Mayer, späterer Präsident der Hohen Behörde, löste die völlige Abschaffung aller alliierten Kontrollen in der Bundesrepublik doch Unbehagen aus.146 Ein Hauptargument der Schumanplan-Gegner war, dass dies die deutsche Vorherrschaft in Europa auf dem Gebiet Kohle und Stahl bedeuten würde.147 Kurz nach der Erklärung Schumans hatten zum Beispiel die kommunistischen Parteien Westeuropas einen gemeinsamen Aufruf verabschiedet, dass der Plan zur Herrschaft der „Ruhrbarone“ über ganz Europa führen würde.148 Nicht dass das Votum der Kommunistischen Partei ausschlaggebend war, aber nur sieben Jahre nach der deutschen Besatzung mussten auch die Befürworter des Planes solchen Befürchtungen entgegentreten können. Hier war die Argumentation Jean Monnets, dass man nun im Rahmen des Schumanplans, und gerade dank der Wettbewerbsartikel, die Ruhrindustrie nun endgültig gebändigt habe, sehr geschickt. Wie hätte man auch sonst das Argument gegen die ‚Ruhrbarone‘ entkräften können, wenn selbst die französische Stahlindustrie unter einem sehr schlechten Ruf in der französischen Öffentlichkeit litt?149

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Dietmar Hüser: Politik kalkulierter Provokation im Zeichen struktureller Asymmetrie. Frankreich und die Vereinigten Staaten, die deutsche Frage und der Kalte Krieg, Francia Band 27/3 (2000), S. 63–88. Hüser, Kalte Krieg, S. 75. Poidévin, Schuman, S. 286, so schlug z.B. René Mayer, späterer Präsident der Hohen Behörde, vor, die Auflösung der Ruhrbehörde mit der Bestimmung der zukünftigen Eigentümer der Ruhrindustrien zu verbinden, was von Schuman allerdings kategorisch abgelehnt wurde. AN 190 AQ 94 Auf diese Argumente geht das Pro-Schumanplan-Flugblatt, Communauté Européenne Charbon-Acier, Problèmes d’aujourd’hui, Novembre 1951, ein. Humanité, 4 juillet 1950, Bossuat, l’aide américaine, S. 750ff. Zum ‚Ruf‘ der europäischen Stahlindustrie: Philippe Mioche: Jean Monnet et les sidérurgistes européennes 1945–1955: On ne naît pas europeén, on le devient …, in: Bossuat, Wilkens, Jean Monnet, S. 297–306.

76 Gérard Bossuat hat den Schumanplan-Vorschlag als ein Zeichen des „Vertrauens“ der französischen Regierung gegenüber der Bundesrepublik genannt – welches allerdings auch mit gewissen Elementen des „Misstrauens“ verbunden gewesen sei.150 Und in der Ratifikationsdebatte war es nützlich, gerade diese letzteren Elemente herauszustreichen, um den Gegnern einer als riskant betrachteten Versöhnungsstrategie gegenüber der Bundesrepublik – die ja nun die Aufhebung aller alliierten Kontrollmaßnahmen beinhaltete – nicht noch Argumente zu liefern. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Argumentation Monnets vor der Anhörung des ‚Conseil de la Republique‘ – des heutigen Senats – am 10. und 11. Juli 1951, also wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Vertrages und noch einige Monate vor der endgültigen Ratifizierung.151 Der Schumanplan bedeute Kohle und Stahl zum selben Preis wie in Deutschland für die französischen Verbraucher.152 Natürlich wusste Monnet, dass der französische Stahlverband gegen die Wettbewerbsbestimmungen eine heftige Lobbykampagne führte.153 Monnet sagte dazu, dass er sehr gerne bereit sei, grundsätzlich über den Sinn von Absprachen zu sprechen.154 In diesem Falle bedeute eine Ablehnung der Wettbewerbsartikel aber die ‚Rekonzentration‘ der Ruhr. Monnet hatte hier also ein wirklich unschlagbares Argument gegen die Gegner der Kartellbestimmungen, die es ja auch in Frankreich gab, auf seiner Seite: Gegen die Bestimmungen zu sein, hieß die Rekonzentration der Ruhrindustrie zu befürworten.155 Dieser Argumentationslinie folgten dann auch Regierungsvertreter und Befürworter des Vertrages in der Ratifikationsdebatte im französischen Parlament.156

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Gérard Bossuat: Les conceptions françaises des relations économiques avec l’Allemagne (1943–1960) – Détruire, supporter, cooperer: le Quai d’Orsay et le Ministère des Finances entre l’illusion et la résignation, in: Andreas Wilkens: Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen 1945–1960, 1997, S. 26–62, hier: S. 41–43. HAEU Dep 9 URI Box 36 Conseil de la Republique. Sous-Commission de M. Léo Hamon Audition de MM. Monnet, Hirsch, Uri, Lagrange, les 10 et 11 juillet 1951, 19 juillet 1951. Ders., S. 9f. Zur Haltung der CSSF in der Ratifikationskampagne, Kipping, Konkurrenz, S. 258–262, S. 307–311, das Antitrust-Argument wurde auch gegen die CSSF in Frankreich selber angeführt, Kipping, Konkurrenz, S. 304f. HAEU Dep 9 URI Box 36 Conseil de la République, ders., S. 104. Weiter behauptete er, dass die anderen Schumanplan-Länder – Westdeutschland ausgenommen – erst dann die Wettbewerbsartikel akzeptiert hätten, als sie begriffen hätten, dass sie sich vor allem gegen die Ruhr richten würden. Diese Schilderung stimmte natürlich nicht ganz, so hatte die belgische Delegation bis zum Schluss Einwände gegen diesen Artikel erhoben. Auch die niederländische Delegation hatte diesen Artikel keineswegs stillschweigend akzeptiert, obwohl sie um den Zusammenhang mit der Ruhrstahlindustrie wusste. S. 84. CHEVS 1 DE 27 Assemblée Nationale No. 1786. Session de 1951. Annexe au procès-verbal de la séance du 4 décembre 1951. Rapport fait au nom de la Commission des affaires étrangérès (1) sur le projet de la loi (no 727) autorisant le Président de la République à ratifier le traité signé à Paris le 18 avril 1951 et instituant une communauté européenne du charbon et de l’acier ainsi que ses annexes,

77 Aus dem Verlauf der Debatte geht recht deutlich hervor, dass die ‚Deutschlandfrage‘ eine der wichtigsten Punkte der Diskussion im französischen Parlament war – viel wichtiger als die eigentliche Souveränitätsübertragung auf die Hohe Behörde.157 Der Wegfall jeglicher Kontrollmaßnahmen über die westdeutsche Montanindustrie in Folge des Schumanplans wurde auch bei ausgesprochenen Schumanplan-Befürwortern mit einem gewissen Unbehagen gesehen und hatte in der französischen Nationalversammlung schon direkt nach Veröffentlichung der Schumanplan-Erklärung für Unruhe gesorgt.158 Die Argumente der Regierungsseite, dass die Dekonzentration die deutsche Übermacht in der europäischen Schwerindustrie nun beendet habe, dass der zukünftige Koksbedarf der französischen Stahlindustrie nun gesichert sei und dass der Artikel 66 die Stabilisierung der Dekonzentrationsmaßnahmen sicherstelle, hatte deshalb großes Gewicht. Weiter war eine europaweite öffentliche Kontrolle der Grundstoffindustrien eine alte Forderung der französischen Sozialisten, ohne deren Unterstützung das Vertragswerk im französischen Parlament nicht ratifiziert werden konnte.159 Mit anderen Worten: Der Artikel 66 hatte in der Ratifikationsdebatte eine nicht zu unterschätzende politische Funktion. Er sollte es einer Mehrheit in der französischen Nationalversammlung erleichtern, dem Ende der alliierten Kontrollen und der gleichberechtigten Teilnahme der Bundesrepublik in der neuen Gemeinschaft zuzustimmen, indem er als ‚Schutzschild‘ gegen übermäßige wirtschaftliche Macht – vor allem natürlich der Ruhrindustrie – fungieren sollte.160 Es gab zwischen den Zielen, die Neuordnungsmaßnahmen in der Bundesrepublik aufrechtzuerhalten, und gleichzeitig grundsätzlich Fusionen, die zu einer Effizienzsteigerung der Produktion beitragen könnten, einen Widerspruch. Was würde die Hohe Behörde entscheiden, falls eine Revision der Neuordnungsmaßnahme nicht gegen die Kriterien des Artikels 66 verstieß – und damit genehmigungsfähig war? So stieß denn die Versicherung Monnets, dass man mit diesem Artikel nun die Struktur der Neuordnung in der Ruhrstahlindustrie aufrechterhalten könne, auch bei einigen Abgeordneten auf deutliche Skepsis. Sehr heftig wurde Monnet von einem gaullistischen Senator des ‚Conseil de la République‘ angegangen, der ein ausgesprochener

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les protocoles joints et une convention relative aux dispositions transitoires. Par Alfred Coste Floret, Député. S. 21 Zur Diskussion um die Ratifizierung, siehe Kipping, S. 280–301, „Mais les opposants ne désarment pas. C’est surtout le danger allemand qu’ils dénoncent.“ Spierenburg, S. 42f. zur unterschiedlichen Interpretation des Artikels 66, siehe auch Spierenburg, CECA, S. 223. Raymond Poidévin: Robert Schuman. Homme d’Etat. 1886–1963, Paris 1986, S. 284ff. Wilfried Loth: Die Teilung der Welt. Geschichte des Kalten Krieges. 1941–1955, Februar 2000, S. 253ff. Im Jahre 1959 sollte Adenauer in einem Privatgespräch Spierenburg sagen, dass er die Wettbewerbsartikel akzeptiert hätte, um eine Ratifizierung im französischen Parlament zu ermöglichen. Spierenburg, CECA, S. 505.

78 Gegner des Schumanplans war, dem späteren französischen Ministerpräsidenten Michel Debré.161 Dieser ging davon aus, dass Monnet hier Dinge versprach, um sich das Votum des französischen Parlaments zu sichern, die nicht haltbar waren.

1.13 Zusammenfassung: Die Fusionskontrolle im EGKS-Vertrag – welches ‚Mandat‘? Als Verhandlungsergebnis erhielt nun die Hohe Behörde in Form des Artikels 66 ein formelles Mandat, um Fusionen in der europäischen Montanindustrie zu kontrollieren. Wie aufgezeigt, basierte diese Übertragung nicht etwa auf dem gemeinsamen politischen Willen der Mitgliedstaaten, eine ‚supranationale‘ Wettbewerbspolitik – nach amerikanischem Vorbild – durchzuführen. Erstens war die amerikanische Entwicklung kein Vorbild. Zweitens gab es in den beteiligten Mitgliedstaaten praktisch keine ordnungspolitischen Befürworter einer Fusionskontrolle. Wie sah es nun mit den Motiven der Verhandlungspartner aus, diesem Ergebnis zuzustimmen, und den daraus folgenden Erwartungen an die Hohe Behörde hinsichtlich der Anwendung des Artikels 66? Rein rechtlich gesehen war die Hohe Behörde nur an das formelle Mandat – den Artikel 66 – bei ihrer Ausarbeitung einer zukünftigen Genehmigungspolitik gebunden. Die verschiedenen Motive der Regierungen, dieser Mandatsübertragung zuzustimmen, brauchten sie deshalb nicht zu interessieren. Die Einbeziehung der verschiedenen Motive der Unterzeichnerstaaten, dem Artikel 66 zuzustimmen, sozusagen dem ‚informellen Mandat‘ der Hohen Behörde, kann allerdings den Aussagewert einer Analyse der Wettbewerbspolitik erhöhen. Das ‚informelle‘ Mandat, welches der Hohen Behörde nun gegeben wurde, nimmt man alle informellen Absichten der Verhandlungsparteien in Betracht, war ziemlich konfus. Einerseits verfügte die Hohe Behörde über die bis dahin weitestreichenden Kompetenzen in der Wettbewerbspolitik. Auf der anderen Seite waren die Kompetenzen nicht aufgrund eines ordnungspolitischen Konsenses der Beteiligten übertragen worden. Vielmehr war es der äußere Druck gerade der amerikanischen Regierung, welche die Einführung der Artikel über Monnet förmlich den anderen Verhandlungsteilnehmern aufdrängte. So stand die zukünftige Hohe Behörde nun vor der Tatsache, dass ihr zwar alle Regierungen bzw. Parlamente formelle Kompetenzen auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik übertragen hatten – aber informell unterschiedliche Erwartungen hinsichtlich der Anwendung dieser Kompetenzen geäußert hatten. So hatten gerade zwei Regierungen mit der Übertragung des formellen Mandates gleich sich widersprechende Ziele 161

Etienne Hirsch: Ainsi va la vie, Lausanne 1988, S. 110. Debré erwähnt in seinen Memoiren auch ausdrücklich die Unterstützung Hitlers durch die Ruhrkonzerne und die Beschäftigung von Zwangsarbeitern. Debré, Vol. 2, S. 186ff.

79 verkündet. Während die deutsche Seite die Neuordnungsmaßnahmen schnell revidieren wollte, so wollte die französische Regierung diese Maßnahmen durch Anwendung des Artikels 66 aufrechterhalten. Dies stellt nun wiederum die Frage nach dem Zusammenhang der Neuordnung der westdeutschen Stahlindustrie mit dem Schumanplan. Gerade Monnet benutzte sehr geschickt den Artikel 66, um dem Argument gegen eine Übermacht der ‚Ruhrstahlindustrie‘ in der Ratifikationsdebatte entgegnen zu können. Allerdings kam die ursprüngliche Idee, über die Fusionskontrolle die Neuordnung aufrechtzuerhalten, ja aus dem französischen Außenministerium. Gab es neben der politischen Rhetorik noch ein anderes Motiv, dieses Ziel anzustreben? Aus diesem Grund ist im nächsten Kapital der Zusammenhang zwischen Schumanplan und der alliierten Neuordnung zu untersuchen.

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2. K APITEL D IE N EUORDNUNG

DER R UHRSTAHL INDUSTRIE UND DER S CHUMANPLAN

2.1 Einleitung Wie im ersten Teil herausgearbeitet wurde, war das Bemühen um eine Aufrechterhaltung der Neuordnung der Ruhrstahlindustrie nicht die eigentliche Ursache für die Einführung einer Fusionskontrolle in den EGKS-Vertrag. Sie wurde allerdings sehr schnell zum schlagkräftigsten Argument für die Existenzberechtigung einer solchen Regulierung innerhalb der französischen Regierung und der französischen Nationalversammlung. Aber welchen Zusammenhang gab es zwischen der Neuordnung und dem Schumanplan? Welches Interesse hatte die französische Regierung an der Aufrechterhaltung der Neuordnung? Interessant ist festzustellen, dass in den ersten drei Monaten der Schumanplan-Verhandlungen die Frage der Neuordnung der Stahlindustrie nicht offen zur Sprache kam. Erst nach Veröffentlichung der Durchführungsanordnung des Gesetzes Nr. 27 der Alliierten Hohen Kommission am 14. September 1950, welche die ‚Liquidierung‘ der Altkonzerne vorschrieb, argumentierte Adenauer, dass die ganze Entflechtung im Namen der ‚Gleichberechtigung‘ nicht mit dem Schumanplan zu vereinbaren sei. So erklärte Adenauer erst einmal in der AHK, aber auch im Bundeskabinett, dass die Neuordnung den Schumanplan gefährde.1 Solange die Ergebnisse der Neuordnung nicht bekannt seien, wollte Adenauer nicht die Schumanplan-Verhandlungen beenden.2 Interessanterweise wurde diese Einschätzung von Monnet zu diesem Zeitpunkt noch geteilt.3 Drei Monate später hatte er allerdings seine Meinung geändert. Solange die 1

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Kabinettsitzung 29. 9. 1950, in: Hans Booms (Hg.): Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1950, Band 3, S. 723ff., AN 81 J 155 Copie de Telegramme 25. 9. 50, Hans-Peter Schwarz (Hg.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. Adenauer und die Hohen Kommissare. 1949–1951, Band 1, Wortprotokoll der Sitzung vom 23. September 1950, S. 243f. Gillingham, rebirth, S. 256, Adenauer und die Hohen Kommissare, S. 244. Monnet stimmte grundsätzlich mit den Thesen der Bundesregierung überein, dass die Durchführung der Neuordnung im Widerspruch zum Prinzip der Gleichberechtigung des Schumanplans stehe. Note de Jean Monnet à Robert Schuman 28. 9. 1950, Correspondance, S. 60.

82 Ruhrstahl-Konzerne vertikal mit dem Bergbau und der verarbeitenden Industrie verbunden seien, so hieß es nun in einem Brief an Schuman, könne die französische Industrie nicht mit ‚gleichen Waffen‘ konkurrieren.4 In der Forschung ist genau dieser Begriff oft wiedergegeben, ohne allerdings näher zu erläutern, worin die Diskriminierung der französischen Seite in einer Eigentumsbindung zwischen Kohle und Stahl in der westdeutschen Montanindustrie bestand.5 Dann heißt es, dass ohne die „Entflechtungsbestimmungen für die Ruhrindustrie, die Adenauer Mitte März 1951 nach äußerst kritischen Verhandlungen zugestehen musste“, eine „abermalige Übermacht der deutschen Schwerindustrie“ gedroht hätte.6 Tatsächlich waren es gerade die französischen Vertreter in der AHK, die auf ein Ende des Eigentumsbundes zwischen Kohle und Stahl drängten.7 Diese Auflösung oder zumindest Auflockerung der Eigentumsbindung wird wiederum in der Bundesrepublik immer als eine klare Schädigung der Wettbewerbsfähigkeit oder ‚Diskriminierung‘ der westdeutschen Stahlindustrie bezeichnet.8 Ganz offensichtlich gehen diese Fragen an den Kern solcher eher abstrakten Begriffe wie ‚Kontrolle‘, ‚Gleichberechtigung‘, ‚Diskriminierung‘, aber auch ‚Übermacht‘, welche die Beschreibung der Schumanplan-Verhandlungen bzw. die Anfänge der Europäi-

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Monnet à Schuman 22. 12. 1950, in: Correspondance, S 90, Lappenküpper, Beziehungen, S. 263 f. Siehe z.B. Raymond Poidévin: Le rôle de la C.E.C.A. dans la prise de conscience d’une identité européenne, in: Marie Thérèse Bitsch, Wilfried Loth, Raymond Poidévin: Institutions européennes et identités européennes, Bruxelles 1998, S. 155–165, Spierenburg, CECA, S. 27, Bossuat, conceptions, S. 42f., Marie Thérèse Bitsch: Histoire de la construction européenne de 1945 à nos jours, Paris 1999, S. 72. Wilfried Loth, Weg, S. 86. In seinen Memoiren, die im Jahre 1976 veröffentlicht wurden, bezeichnete Monnet den Eigentumsbund zwischen Kohle und Stahl in der Ruhrstahlindustrie, um dessen Aufrechterhaltung es in der Neuordnung ging, nicht anders als die Basis der deutschen Macht in Europa. Solange die „magnats de la Ruhr“ die Kohleversorgung ihrer eigenen Industrien, aber auch die ihrer Nachbarländer beherrschen würden, könne von einem Gleichgewicht in Europa nicht die Rede sein, Jean Monnet: Mémoires, Paris 1976, S. 512. Duchêne, S. 216, Lefèvre, relations, S. 266, Jean Marie Palayret: Jean Monnet, S. 310, Kipping, Konkurrenz, S. 218. Karl Heinrich Herchenröder, Johannes Schäfer, Manfred Zapp: Die Nachfolger der Ruhrkonzerne, Düsseldorf 1953, Werner Plumpe: Desintegration und Reintegration: Anpassungszwänge und Handlungsstrategien der Schwerindustrie des Ruhrgebiets in der Nachkriegszeit, in: Eckhardt Schremmer (Hg.): Wirtschaftliche und soziale Integration in historischer Sicht, Stuttgart 1996, hier: S. 296. Lappenküpper, Beziehungen, S. 263. Werner Bührer geht davon aus, dass die französische Seite aus Konkurrenzgründen auf die Auflösung der Eigentumsbindung Kohle-Stahl im Ruhrgebiet gedrängt habe. Werner Bührer: Frankreich und das Ruhrgebiet – Mythos und Realität, in: Andreas Wilkens (Hg.): Les relations franco-allemandes 1945–1960, S. 225–236, hier: S. 231f., Constantin Goschler, Christoph Buchheim, Werner Bührer: Der Schumanplan als Instrument französischer Stahlpolitik. Zur historischen Wirkung eines falschen Kalküls, VfZ 37 (1989), S. 171–206, hier: S. 204ff.

83 schen Integration überhaupt – nicht nur in dieser Frage – sowohl in zeitgenössischen Dokumenten als auch in der Historiographie bestimmen.9 Hier soll nun dargestellt werden, dass mit dem Prinzip der ‚Gleichberechtigung‘ des Schumanplans – aber auch mit einer einfachen Übertragung von Kompetenzen an die Hohe Behörde – ein entscheidender Interessengegensatz zwischen der deutschen und der französischen Seite nicht gelöst werden konnte: die Frage des gegenüber der Ruhrstahlindustrie gleichberechtigten Zugangs zur Ruhrkohle für die französische Stahlindustrie.

2.2 Die Frage der „Verbundwirtschaft“ zu Beginn der Schumanplan-Verhandlungen Was hatte es mit der Frage des ‚gleichberechtigten‘ Zugangs der französischen Stahlindustrie zur Ruhrkohle auf sich? Was war der Zusammenhang mit der Forderung der westdeutschen Stahlindustrie, ihren Selbstverbrauch an Kohle eigentumsmäßig zu kontrollieren? Wieso waren die Stahlunternehmen bestrebt, sich eigentumsmäßig mit Bergbauunternehmen vertikal zu verbinden? Die Wirtschaftstheorie erklärt vertikale Konzentration mit den relativen Kosten, welche ein Unternehmen für eine Transaktion auf dem Markt aufbringen muss. So wird ein Unternehmen dann verschiedene Produktionsstufen in eine vertikale Unternehmensstruktur integrieren, wenn der Bezug von Rohstoffen bzw. der Absatz der eigenen Produktion innerhalb des eigenen Unternehmens preisgünstiger gestaltet werden kann als auf dem freien Markt.10 Ist zum Beispiel die Marktstruktur für einen wichtigen Rohstoff durch ein Monopol geprägt, kann es für den Bezieher dieses Rohstoffes billiger sein, diesen Rohstoff selbst herzustellen bzw. sich mit der vorgelagerten Produktionsstufe zu verbinden. Aus gesamtwirtschaftlichem Gesichtspunkt, und gerade auch aus Sicht des Endverbrauchers, ist diese Art der vertikalen Gliederung zu begrüßen.11 Nun kann das Unternehmen den Rohstoff zu Selbstkosten verarbeiten und muss nicht den Monopolpreis des Rohstoffes an den Endverbraucher weitergeben. Gegenüber den Konkurrenten kann diese vertikale Gliederung einen maßgeblichen Kostenvorteil bedeuten. Wenn den Konkurrenzunternehmen die Möglichkeit der verti-

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So z.B. Pierre Gerbet: l’Allemagne et les communauté européennes, in: Jean-Paul Cahn, Henri Ménudier, Gérard Schneidlin: L’Allemagne et la construction de l’Europe. 1949–1963, Paris 1999, S. 39–54. Manfred Neumann: Wettbewerbspolitik. Geschichte, Theorie und Praxis, Wiesbaden 2000, S. 163ff. Frederic M. Scherer, David Ross: Industrial market structure and economic performance, Boston 1990, S. 94.

84 kalen Bindung mit den Rohstoffproduzenten verwehrt bleibt, müssen sie weiter den Monopolpreis bezahlen. Noch bedenklicher kann eine solche vertikale Gliederung für die Konkurrenten – und auch für den Endverbraucher – sein, wenn das Unternehmen nicht nur den Bezug der Rohstoffe für den Eigenverbrauch kontrolliert, sondern auch den Rohstoffbedarf von Konkurrenten.12 Selbst wenn die Rohstoffe für Selbstkosten den Wettbewerbern zur Verfügung gestellt werden, besteht doch hier eine potentielle Abhängigkeit der Konkurrenten. Dies kann wiederum zur potentiellen Gefährdung des Wettbewerbs auf anderen Produktionsstufen führen, wenn das mit der Rohstoffseite verbundene Unternehmen als Gegenleistung für eine günstige Belieferung der Rohstoffe seine Konkurrenten zu einem abgestimmten Marktverhalten zwingt. Die eigentumsmäßige Verbindung zwischen Stahlunternehmen und Bergbauunternehmen an der Ruhr kann durch das Bestreben der Stahlunternehmen erklärt werden, ihre Transaktionskosten in einem Kohlenmarkt zu verringern, der durch ein Kartell beherrscht wird. Gerade in der Diskussion um die Aufrechterhaltung der Verbundwirtschaft wurde in der Bundesrepublik – sei es von den Unternehmen selber, aber insbesondere in wissenschaftlichen Publikationen – zwar immer wieder auf die Kostenersparnisse durch den technischen Energieverbund zwischen Hütte und Kokerei als eigentliche Ursache für den eigentumsmäßigen Verbund zwischen Kohle und Stahl hingewiesen.13 Die Standorte, wo diese technische Energieverbundwirtschaft lehrbuchmäßig betrieben werden konnten, waren auch im Ruhrgebiet längst nicht überall gegeben.14 Schon gar nicht erklären die örtlich begrenzten Möglichkeiten eines technischen Energieverbundes den umfangreichen Vorkriegsbesitz der Stahlunternehmen an Kohlenzechen.15 Die Eigentumsbindung zwischen Kohle und Stahl der westdeutschen Stahlindustrie konnte

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Scherer, structure, S. 109ff. Befinden sich Hütte und Kokerei an einem Standort, wird in einem solchen technischen Energieverbund zwischen Hütte und Kokerei das in der Kokerei entstehende hochwertige Koksofengas zur Verfeuerung im Hochofen benutzt und das Gichtgas des Hochofens der Kokerei zugeführt, siehe Wilhelm Hick: Der Verbund von Kohle und Eisen als betriebswirtschaftliches Problem im Spiegel der Neuordnung und Rückverflechtung an der Ruhr, Köln und Opladen 1960, S. 25–34, siehe insbesondere das Schaubild, S. 31. Der Begriff ‚Verbundwirtschaft‘ bezieht sich im eigentlichen Sinne auf diesen technisch-standortbedingten Energieverbund. Allerdings wurde er im Rahmen der Neuordnungsdiskussion immer als generelle Bezeichnung für eine eigentumsmäßige Bindung zwischen Kohle und Stahl verwendet. Insofern soll hier auch generell der Begriff ‚Verbundwirtschaft‘ für die Eigentumsbindung verwendet werden. Hick, S. 42, Hick erwähnt dann auch die „Vorteile der Finanzkraft und des Erlösausgleichs“ des Verbundes, Hick, S. 110. Auch ist nicht ersichtlich, wieso die Ausnutzung der technischen Rationalisierungsmöglichkeiten der energiewirtschaftliche Verbundwirtschaft eine eigentumsmäßige Bindung benötigte – zumal wenn beide Partner von der Zusammenarbeit kostenmäßig profitierten. So waren von der Gesamtkohlenförderung des Ruhrgebietes bis 1945 etwa 55 % eigentumsmäßig mit der Stahlindustrie verbunden, NESI S. 136.

85 aber gegenüber anderen Verbrauchern einen wirtschaftlichen Vorteil bieten – zum Beispiel gegenüber der französischen Stahlindustrie.16 Es wäre falsch, angesichts der politischen Bedeutung des Schumanplans gerade für die Bundesrepublik, auf eine Vernachlässigung der wirtschaftlichen Auswirkungen zu folgern.17 Um es anders auszudrücken: Um politisch ein Erfolg zu werden, musste der Plan den subjektiven wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven der beteiligten Staaten, und natürlich auch der Bundesrepublik, Rechnung tragen.18 Hinsichtlich der wirtschaftlichen Zielsetzungen und Folgen des Planes war es natürlich kein Zufall, dass diese Initiative auf dem Gebiet der Kohle und des Stahls erfolgte. Diese beiden Industriezweige standen seit dem Ende des ersten Weltkriegs im Mittelpunkt der deutsch-französischen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen.19 Mit der Wiedereingliederung Lothringens in das französische Staatsgebiet nach dem ersten Weltkrieg verfügte Frankreich zwar über eine leistungsfähige Stahlindustrie, der französische Binnenmarkt war allerdings zu schwach, um die gestiegene Stahlproduktion aufzunehmen. Zukünftig musste also ein erheblicher Teil der französischen Stahlproduktion auf Exportmärkten abgesetzt werden. Gleichzeitig war die lothringische Stahlindustrie abhängig von der verkoksbaren Ruhrkohle. Dagegen war die Ruhrstahlindus-

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Ähnliche Forderungen erhoben auch Hans Günther Sohl, Vorstandsmitglied der Vereinigten Stahlwerke, und Günther Henle, Gesellschafter der Handelsgesellschaft Klöckner & Co., der Großaktionär der Klöckner-Werke, und ein ausgesprochener Befürworter des Schumanplans, als ersten Schritt einer deutsch-französischen Annäherung in ihren ersten Stellungnahmen zum Schumanplan. Direktor der „Vereinigten Stahlwerke“ Sohl, Aufzeichnung, 2. 6. 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 596, Geschäftsführender Gesellschafter von „Klöckner & Co.“, Henle, Aufzeichnung, 10. 6. 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 606ff. Henle erwähnt auch einen Weg für die Neuordnung, der damals den Stahlindustriellen wohl vorschwebte. So wollte er nur die Vereinigten Stahlwerke, nach Plänen der Eigentümer, in ihre ursprünglichen Besitzungen aufteilen, während die anderen Konzerne fortbestehen sollten. So heißt es in einem Dokument aus der Anfangsphase der Verhandlungen, in dem der Kabinettsausschuss der Bundesregierung der Verhandlungsdelegation Weisungen erteilte, dass „(…) die politische Konzeption des Schuman-Plans nur erreicht werden kann, wenn der Plan ein wirtschaftlicher Erfolg wird (…).“ Nr. 2 Vertraulich, o. D., Bonn und der Schumanplan. Deutsche Europapolitik in den Verhandlungen über die Montanunion 1950/1951. Eine Dokumentation von Hanns Jürgen Küsters, in: Geschichte im Westen 1990, S. 81–100, hier: S. 86. Spierenburg, CECA S. 13–15. Sehr guter Überblick über die Verflechtungen zwischen der deutschen und französischen Stahlindustrie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei Ulrich Wengenroth: Partnerschaft oder Rivalität? Die Beziehungen zwischen der deutschen und der französischen Schwerindustrie vom späten 19. Jahrhundert bis zur Montanunion, in: Yves Cohen, Klaus Manfrass (Hgg.): Frankreich und Deutschland. Forschung, Technologie und industrielle Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, München 1990, S. 321–330, Dietmar Petzina: Von der Konfrontation zur Integration. Die Schwerindustrie in den deutschen und französischen Wirtschaftsbeziehungen 1900–1950, in: Peter Hüttenberger, Hans-Georg Molitor: Franzosen und Deutsche am Rhein 1789–1918–1945, Essen 1989, S. 161–181, John Gillingham, Vorgeschichte, Gillingham, rebirth, S. 2–44.

86 trie nicht mehr von den Erzlieferungen aus Lothringen abhängig, sondern konnte sich in der Zwischenkriegszeit auf den Verbrauch von qualitativ höherwertigen Erzen, insbesondere aus Schweden, umstellen.20 Die französische Stahlindustrie brauchte also Ruhrkohle und Exportmärkte, d.h. Zugang zum deutschen Markt. Diese Frage bestimmte die Industriepolitik Frankreichs gegenüber Deutschland seit dem ersten Weltkrieg, sei es beim Versailler Vertrag, der Ruhrbesetzung und der ersten deutsch-französischen Verständigung auf Produzentenebene im Rahmen der zwischen 1926 und 1933 verabredeten europäischen Stahlkartelle. Nach dem zweiten Weltkrieg hatte sich dieses Problem durch den Ausbau in der französischen Stahlindustrie im Rahmen des Modernisierungsprogrammes für die französische Wirtschaft unter der Leitung von Jean Monnet noch verschärft.21 Die französische Deutschlandpolitik nach 1945 war deshalb auf die zukünftige Kontrolle und Verteilung der Ruhrkohle fixiert und die Forderung, dass Frankreich seinen gerechten Anteil an der Ruhrkohle erhalten müsse, wurde sogar der Slogan von innerfranzösischen Wahlkämpfen.22 Im Jahre 1950 war dieses Problem noch nicht gelöst. Die französische Stahlindustrie musste ihre Kohle nicht nur mit knappen Dollardevisen bezahlen, sondern auch mit einem höheren Preis als die deutschen Verbraucher, da der Inlandspreis für Ruhrkohle deutlich unter dem Exportpreis lag.23 Die Abschaffung der Doppelpreise für Ruhrkohle wie auch zumindest eine Einschränkung des eigentumsmäßigen Verbundes zwischen Kohle und Stahl in der westdeutschen Montanindustrie waren deshalb eine immer wieder vorgetragene Forderung der französischen Regierung hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der europäischen Stahlindustrie.24 Eine französische Initiative im Bereich 20 21

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Milward, reconstruction, S. 372. Alan S. Milward: La Planification française et la reconstruction européenne, in: Bernard Cazes, Philippe Mioche (Hg.): Modernisation ou décadence. Etudes et témoignages et documents sur la planification francaise, Aix-en-Provence 1990, S. 77–115, Francis Lynch: The role of Jean Monnet in Setting Up the European Coal and Steel Community, in: Schwabe, Anfänge, S. 117–130, S. 117, Kipping, Konkurrenz, S. 113–118. Zur Bedeutung der Ruhrkohle für Frankreich, siehe Raymond Poidevin: La France et le charbon allemand au lendemain de la deuxième guerre mondiale, in: Relations internationales 44 (1985), S. 365–377, hier: S. 366f. siehe auch de Gaulles Pressekonferenz am 25. Oktober 1944, in: Charles de Gaulle: Discours et Message, Paris 1970, Band 1, S. 456–458, Lefèvre, relations, S. 37–41, Milward, reconstruction, S. 126–141. Lefèvre, relations, S. 242–245, Kipping, Konkurrenz, S. 98–109. Die Internationale Ruhrbehörde hatte an diesem Dilemma nichts geändert. Zwar konnte der Export von Ruhrkohle der Bundesregierung durch Überstimmung der anderen Mitglieder vorgeschrieben werden, die Behörde hatte allerdings keinerlei Möglichkeiten, die unterschiedlichen Preise für Import und Export zu beseitigen oder gegen höhere Transportraten für Exportkohle vorzugehen. Zur Internationalen Ruhrbehörde, siehe: Carsten Lüders: Das Ruhrkontrollsystem. Entstehung und Entwicklung im Rahmen der Westintegration Westdeutschlands 1947–1953, Frankfurt, New York 1988, Beate Dorfey: Die Beneluxländer und die Internationale Ruhrbehörde: Kontrolle oder europäische Integration, Essen 1999. Die Bedeutung der Ruhrkohlenfrage ist von Uwe Röndings relativiert worden. Er hebt die „zentrale Stelle“ des Binnenmarktkonzeptes für die angestrebte Modernisierung der europäischen Kohle-

87 der Deutschland- oder Europapolitik, die von der amerikanischen Regierung vehement gefordert wurde, musste eine Lösung dieses Problems anbieten.25 Das interne Memorandum Jean Monnets, welches dieser zur Erläuterung der geplanten Erklärung Robert Schuman und dem Premierminister, Georges Bidault, zukommen ließ, sprach das Problem der französischen Kohleversorgung allerdings merkwürdigerweise nicht direkt an. In diesem Memorandum hieß es nur, dass die geplante Initiative gemeinsame Ausgangsbedingungen für die Expansion der deutschen und der französischen Rohstahlproduktion schaffen würde.26 Die Schumanplan-Erklärung wurde hier schon etwas deutlicher. Als Aufgabe der zu schaffenden Hohen Behörde wurde die Lieferung von Stahl und Kohle auf dem französischen und deutschen Markt sowie auf dem aller beteiligten Länder zu den ‚gleichen Bedingungen‘ erwähnt.27 Außerdem solle die Ein- und Ausfuhr von Kohle und Stahl nicht mehr nach verschiedenen Frachttarifen behandelt werden. Damit war deutlich, dass es nun Aufgabe der Hohen Behörde sei, den gleichberechtigten Zugang zur Ruhrkohle zu schaffen.28

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industrie hervor, Roendings, S. 419. Allerdings ändert dies nichts an der spezifischen Abhängigkeit der lothringischen Stahlindustrie von der Ruhrkohle, zumindest bis zum Ende der fünfziger Jahre. Auch Saarkohle konnte ohne Beimischung von Ruhrkohle nicht zu einer zufrieden stellenden Kokskohle verarbeitet werden. Louis Lister: Europe’s Coal and Steel Community: an experience in Economic Union, New York 1960, die These von Matthias Kipping, dass die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie „eine entscheidende Rolle als Motiv“ für die Schumanplan-Erklärung gespielt hat, ändert nichts an der Bedeutung der Ruhrkohlenfrage. Kipping, Konkurrenz, S. 337. Der Unterschied zwischen dem Export- und dem Binnenpreis für Ruhrkohle wurde von der französischen Stahlindustrie als „ihr größtes Handicap“ angesehen, ohne dessen Beseitigung ein freier Wettbewerb mit der deutschen Stahlindustrie nicht möglich sei. Ohne die Lösung der Ruhrkohlenfrage war also an eine weitere Öffnung des französischen Marktes nicht zu denken. Kipping, Konkurrenz, S. 106–118. Milward, reconstruction, S. 362–380, Lefèvre, relations, S. 242–250, Kipping, Konkurrenz, S. 130–141. Lappenküpper, Beziehungen, S. 242. KA NL Hellwig I-083 908, Dies hatte auch die französische Nationalversammlung vor der Erklärung Schumans am 9. Mai noch einmal klar gestellt. Hellwig an Dr. Rust Ministerialrat, Bundeskanzleramt 30. 11. 1950, Betr. Französische Beurteilung der internationalen Ruhrbehörde. Generalkommissar für den Plan, Aufzeichnung, 3. 5. 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 577, das geheime Memorandum wurde mit der zur Veröffentlichung bestimmten Erklärung von Monnet und seinen Mitarbeitern verfasst., Bitsch, Construction, S. 64f., Schwarz, der Aufstieg, S. 718f. Eine deutsche Übersetzung der Schumanplan-Erklärung ist abgedruckt in: Kipping, Konkurrenz, S. 353–356. Auf der ersten Sitzung der Verhandlungsdelegationen in Paris bekräftigte Monnet, dass es die „Aufgabe der Hohen Behörde“ sei, „(…) in kürzester Zeit folgendes sicherzustellen: (…) Belieferung des französischen und deutschen Marktes sowie der Märkte der Mitgliedstaaten mit Kohle und Stahl zu gleichen Bedingungen(…)“. Exposé der ersten Sitzung der Schumanplan-Delegation am 21. 6. 1950, Kurzprotokoll der Sitzung im französischen Außenministerium vom 21. Juni 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 617.

88 Schon sofort nach der Verkündigung des Plans wurde dies in der Ruhrstahlindustrie mit der Forderung beantwortet, den eigentumsmäßigen Verbund zwischen Kohle und Stahl an der Ruhr aufrechtzuerhalten, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu sichern. So deutete Gerhard Schröder, zu dieser Zeit Vorstandsmitglied der Klöckner Werke AG und späterer Vorsitzender der Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl (WVESI) die Erwähnung der ‚gleichen Lieferbedingungen‘ für Kohle und Stahl in der SchumanplanErklärung als Umschreibung der französischen Forderung, Ruhrkoks und Ruhrkohle jeweils zu den deutschen Inlandsbedingungen zu beziehen und französischen Stahl unbehindert nach Deutschland liefern zu können.29 Gerade im Bezug von Ruhrkohle zu deutschen Inlandspreisen sah Schröder erhebliche Möglichkeiten für Kosteneinsparungen für die französische Stahlindustrie. Schröder ging davon aus, dass im Rahmen der Erklärung die Doppelpreise für Erze und Kohle wegfallen würden.30 Um jegliche Auswirkungen einer wie auch immer neu gestalteten Preisbildung für Ruhrkokskohle auf die deutsche Stahlindustrie zu vermeiden, müsse in der Bundesrepublik „eine eigentumsmäßige Verbindung mit völligem Ergebnisausgleich zwischen Kohle und Eisen bestehen“. Schröder weiter: Es bestätigt sich also die alte Forderung, dass schon aus Gründen des Konkurrenzkampfes Kohle und Eisen beieinander bleiben müssen, erneut.

Damit war sichergestellt, dass man selber Kokskohle zu Selbstkosten beziehen konnte, während Konkurrenten, z.B. die französische Stahlindustrie, diese zukünftig für einen wie auch immer gebildeten Inlandspreis beziehen würde – von dem man annehmen konnte, dass er angesichts der langen Kartelltradition auf dem deutschen Kohlenmarkt mehr oder weniger deutlich über den Selbstkosten lag –, von der Frage der Versorgungssicherheit im Falle von Produktionsengpässen einmal ganz abgesehen.31 Hier bahnte sich ein Interessenskonflikt erster Güte zwischen den Vorstellungen der westdeutschen Stahlindustrie und den in der Schumanplan-Erklärung und im Monnet-Memorandum 29 30

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BA N 1384/146 Schroeder an Wagner, 19. 5. 1950. Zu Gerhard Schroeder, siehe Helmut Uebbing: Stahl schreibt Geschichte. 125 Jahre Wirtschaftsvereinigung Stahl, Düsseldorf 1999, S. 290. Die WVESI in einer offiziellen Stellungnahme vom 5. Juli 1950 hatte die Schaffung gleicher Fracht- und Preisbedingungen dagegen als „Vergewaltigung der Natur“ bezeichnet, zit. in: Bührer, Ruhrstahl, Anm 42, S. 176. Ähnliche Forderungen erhoben auch Hans Günther Sohl, Vorstandsmitglied der Vereinigten Stahlwerke, und Günther Henle, Gesellschafter der Handelsgesellschaft Klöckner & Co., der Großaktionär der Klöckner-Werke und ein ausgesprochener Befürworter des Schumanplans als ersten Schritt einer deutsch-französischen Annäherung, in ihren ersten Stellungnahmen zum Schumanplan. Direktor der „Vereinigten Stahlwerke“ Sohl, Aufzeichnung, 2. 6. 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 596, Geschäftsführender Gesellschafter von „Klöckner & Co.“, Henle, Aufzeichnung, 10. 6. 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 606ff. Henle erwähnt auch einen Weg für die Neuordnung, der damals den Stahlindustriellen wohl vorschwebte. So wollte er nur die Vereinigten Stahlwerke nach Plänen der Eigentümer in ihre ursprünglichen Besitzungen aufteilen, während die anderen Konzerne fortbestehen sollten.

89 dargelegten Ziele an. Je nach Ausmaß der Eigentumsbindung Kohle/Stahl hätte die französische Stahlindustrie unter Umständen mit ihrem größten Konkurrenten über die Belieferung eines fundamental wichtigen Rohstoffes für ihre eigene Stahlerzeugung verhandeln können – eine nicht sehr angenehme Vorstellung.32 Jedenfalls konnte bei einer Verbundwirtschaft Kohle/Stahl von den in der Schumanplan-Erklärung erwähnten ‚gleichen Bedingungen‘ für den Zugang zur Ruhrkohle nicht mehr die Rede sein.33 Insofern ist es natürlich interessant zu untersuchen, wie diese Frage zu Beginn der Verhandlungen von beiden Seiten behandelt wurde.

2.3 Das große Tabu: Die alliierten Kontrollbefugnisse und der Schumanplan Mit der Frage der Beibehaltung bzw. Wiederherstellung der Verbundwirtschaft im Rahmen der Neuordnung war das Problem der alliierten Kontrollen und Beschränkungen aufgeworfen, die zur Zeit der Veröffentlichung des Schumanplans noch existierten.34 Für die westdeutsche Stahlindustrie war im Jahre 1950 die erste Priorität, die volle unternehmerische Handlungsfähigkeit und damit die Abschaffung der alliierten Kontroll- und Sonderbestimmungen wiederzuerlangen.35 Neben der Internationalen Ruhrbehörde, der Investitionskontrolle und der Produktionsobergrenze für Rohstahl stand zum Zeitpunkt 32

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Wie es in einem Vermerk der französischen Vertreter der alliierten Stahlkontrollgruppe (CSG) der AHK in der Bundesrepublik fesgestellt wurde: Eine Bergbaugesellschaft, die zu einem deutschen Hüttenwerk gehören würde, könne höhere Preise für die Kokskohle von „Fremdkunden“ fordern, insbesondere von der lothringischen Stahlindustrie. Damit wäre ein ‚gesunder Wettbewerb‘ zwischen der deutschen und anderen europäischen Stahlindustrien nicht mehr möglich. AN 81 AJ 169 Groupe Controle de l’Acier, Düsseldorf, le 2 Novembre 1950, Liaison Charbon-Acier et Liason Minerai-Acier. Aufgrund der fachlichen Ausführungen des Vermerks ist wohl davon auszugehen, dass der Vermerk von Armand Bureau, dem französischen Vertreter in der CSG, stammt. AN 81 AJ 169 Haut Commissaire de la Republique Franncaise en Allemgne. Düsseldorf, le 2 Novembre 1950 Liaison Charbon-Acier et Liaison Minerai-Acier, S. 4. La deconcentration de la sidérurgie de la Ruhr et le Plan Schuman, 18. Novembre 1950, S. 2 Liason Charbon-Acier 1 Décembre. Um so erstaunlicher ist, dass Jean Monnet noch Ende September keinen Anstoß an der Argumentation der Bundesregierung nahm, dass die Durchführung der Neuordnung – und damit ein Ende der Verbundwirtschaft – gegen das Gleichberechtigungsprinzip des Schumanplans verstoßen würde. Generalkommissar für den Plan Monnet an Minister für Auswärtige Angelegenheiten Schuman, Aufzeichnung, 28. 9. 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 122. Hier sei die Internationale Ruhrbehörde genannt, welche die Exportaktivitäten insbesondere des Bergbaus regelte. Gloria Müller: Strukturwandel und Arbeitnehmerrechte: die wirtschaftliche Mitbestimmung in der Eisen- und Stahlindustrie, Essen 1991, S. 58, die Investitionskontrolle für Unternehmen, die Gesetz Nr. 27 unterstanden, Müller, Strukturwandel, S. 204, NESI S. 301f., sowie die mehr de jure als de facto bestehende Produktionsbeschränkung. Bührer, Ruhrstahl, S. 179ff.

90 der Schumanplan-Erklärung auch noch die Neuordnung oder auch ‚Entflechtung‘ und ‚Dekonzentration‘ der westdeutschen Montanindustrie aus, die letztlich auf das Potsdamer Abkommen vom August 1945 zurückging. Die Durchführung der Neuordnung hatten sich die Alliierten auch bei Gründung der Bundesrepublik vorbehalten, ohne dass zum Zeitpunkt der Schumanplan-Verhandlungen irgendwelche endgültigen Entscheidungen gefallen waren.36 Diese Sonderbestimmungen, darüber war man sich innerhalb der westdeutschen Stahlindustrie einig, sollten nun im Rahmen des Schumanplanes – im Namen der „Gleichberechtigung“ – wegfallen oder zumindest sehr großzügig – im Sinne ihrer eigenen Vorstellungen – geregelt werden. Die Neuordnung der Stahlindustrie an der Ruhr durch die Alliierten und der Schumanplan hatten erst einmal nichts gemeinsam.37 Die Neuordnung war eine Maßnahme der Sieger eines Krieges in einem besetzten Land, die Schumanplan-Verhandlungen waren Verhandlungen von gleichberechtigten Partnern. Allerdings war Frankreich sowohl Besatzungsmacht als auch ein Verhandlungspartner im Schumanplan. Inhaltlich war zum Zeitpunkt der Beginn der Schumanplan-Verhandlungen die Neuordnung noch völlig offen. So hatte die Alliierte Hohe Kommission am 20. Mai 1950 das Gesetz Nr. 27 zur Neuordnung der Stahlindustrie erlassen, welches allerdings nur das Verfahren, nicht aber den Inhalt der Neuordnung regelte.38 Weiter war das Problem der Neuordnung der deutschen Montanindustrie nur ein Teil von einer Reihe von alliierten Beschränkungen und Kontrollen, denen die deutsche Montanindustrie noch unterlag. Von der Aufhebung dieser Beschränkungen war in der Schumanplanerklärung nicht die Rede.39 Im Gegenteil: So hieß es in der Schumanplan-Erklärung ausdrücklich, dass die Hohe Behörde die Vollmachten der Internationalen Ruhrbehörde sowie andere Verpflichtungen, die Deutschland auferlegt seien, solange diese bestehen, berücksichtigen werde.40 Allerdings war man sich wohl in der französischen Regierung bewusst, dass diese Beschränkungen im Rahmen des Schumanplans irgendwann fallen würden.41 36 37

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Warner, Steel, S. 11f. Warner, Steel, S. 5, Duchêne, S. 215f., einen sehr guten Überblick über die Neuordnungspläne ab 1945 und ihre Durchführung, Dietmar Petzina: Zwischen Neuordnung und Krise. Zur Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie im Ruhrgebiet seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Ottfried Dascher, Christian Kleinschmidt: Die Eisen- und Stahlindustrie im Dortmunder Raum. Wirtschaftliche Entwicklung, soziale Strukturen und technologischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert, Dortmund 1992, S. 525–558. Müller, Montanmitbestimmung, S. 92, Das Gesetz ist abgedruckt in NESI, S. 341–357, siehe auch NESI, S. 87 Lappenküpper, Beziehungen, S. 413. Roendings, Globalisierung, S. 93. Ein Vermerk der Wirtschaftsabteilung des Außenministeriums, dass es an der Ausarbeitung der Schumanplan-Erklärung nicht beteiligt war, kam schon am 22. Mai 1950 zum Schluss, dass man nicht dauerhaft in einem multilateralen Vertragsverhältnis unilaterale Beschränkungen aufrechterhalten könne. Leiter der Unterabteilung Beziehungen Deutschland und Österreich in der Wirt-

91 Ganz abgesehen davon, dass Frankreich gar nicht in der Lage war, die verschiedenen Beschränkungen der Montanindustrie einseitig aufzuheben, da es sich ja um alliierte Maßnahmen handelte, die französische Öffentlichkeit eine einseitige Aufkündigung der Kontrollen in Verbindung mit der Erklärung sicherlich zu diesem Zeitpunkt auch nicht akzeptiert hätte, wäre es aus taktischen Gründen unklug gewesen, diese „Trumpfkarte“42 noch vor den Verhandlungen aus der Hand zu geben.43 Oder wie es Gillingham formuliert: The promise of equality contained in his message-contrary to what the Germans wistfully later maintained – was something to be earned rather than granted, belonging to the future rather than the present.44

Die Tatsache, dass der Konflikt über die Neuordnung, aber auch anderer alliierter Beschränkungen, erst im September 1950 offen ausbrach, während bis dahin diese Fragen zwischen der bundesdeutschen und französischen Delegation in den Pariser Verhandlungen nicht direkt erörtert wurden, wird oft dem gesteigerten Einfluss der Bundesrepublik nach Ausbruch des Koreakrieges und der Entscheidung der New Yorker Außenministerkonferenz vom 12. bis 14. September 1950 über einen deutschen Beitrag zur militärischen Verteidigung Westeuropas erklärt.45 Die Nichtbehandlung dieser Frage durch die deutsche Verhandlungsdelegation der Schumanplan-Konferenz in Paris beruhte tatsächlich auf taktischen Überlegungen.46 Im Sachverständigenauschuss der Bundesregierung in Angelegenheiten der Pariser Verhandlungen beschloss man die Fragen in Paris gar nicht anzusprechen und einfach davon auszugehen, dass diese Diskriminierungen automatisch fallen würden. Falls dies

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schafts- und Finanzabteilung des Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Aufzeichnung Francois Valery. Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 587. Frank R. Willis: France, Germany and the New Europe, 1945–1967, Standford 1968, S. 104. So betonte Außenminister Schuman wenige Wochen nach der Verkündigung des Schumanplans im außenpolitischen Ausschuss der Nationalversammlung, dass die alliierten Restriktionen nicht abgeschafft würden, man aber eine Fusion der Hohen Behörde mit der Internationalen Ruhrbehörde erwägen könnte. Raymond Poidevin: Le rôle personel Robert Schuman dans les négociations C.E.C.A. (juin 1950-avril 1951), in: Schwabe, Anfänge, S. 105–155. Gillingham, rebirth, S. 231. Siehe, z.B. Lappenküpper, Beziehungen, S. 424, Kipping, Konkurrenz, S. 217, Bossuat, la France, S. 768, Gillingham, rebirth, S. 255f. Gillingham, Heavy industry, S. 420. Griffiths dagegen hat argumentiert, dass für die deutsche Delegation vom Beginn an ein Ende aller Kontrollen ein wichtiges Verhandlungsargument war, dass die deutsche Delegationen diese schwierige Frage erst am Ende der Verhandlungen ansprechen wollten. Griffiths, economic, S. 38. Nur zwei Tage nach der Ankündigung des französischen Vorschlags wurde in einer Besprechung im BWM die Aufhebung aller Beschränkungen sogar als unabdingbare Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen angesehen. Bundesministerium für Wirtschaft, interne Besprechung vom 10. 5. 1950, Protokoll, 11. 5. 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 581.

92 von den Verhandlungspartnern in Frage gestellt würde, wollte man ihnen mangelnde Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Ziele des Schumanplans vorwerfen.47 Bei den Verantwortlichen an der Ruhr waren diese Anliegen zu wichtig, um sich ganz auf die ‚Automatismus‘-These zu verlassen.48 Schließlich beschloss der Kabinettsausschuss für den Schumanplan am 28. August 1950, dass die deutsche Delegation auf Abschaffung des Artikels 34 im ursprünglichen Vertragsentwurf der französischen Delegation drängen sollte, in dem die alliierten Kontrollen in Deutschland ausdrücklich anerkannt worden waren.49 Die Entscheidung, diese Frage offen anzusprechen, fiel also schon vor dem Beschluss der Außenministerkonferenz der Alliierten über die deutsche Wiederbewaffnung.

2.4 Ein Ende des Eigentumsverbundes Kohle/Stahl in der Ruhrstahlindustrie? Die Veröffentlichung der Durchführungsverordnungen zu Gesetz Nr. 27 am 14. September 1950, in der die Liquidation der Altkonzerne angeordnet wurde, zerstörte jegliche Hoffnung in der Bundesrepublik, dass man diese Fragen ohne eine offene Auseinandersetzung regeln könnte. Nun begann die kritischste Phase der Schumanplan-Verhandlungen.50 47

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RWWA Abt. 30, 40010146/42 Bericht über die Sitzungen der beratenden Ausschüsse für den Schuman-Plan am 27.–28. 6. 1950, anwesend u.a. Bundeskanzler Adenauer, Hallstein, Erhard, Blücher, Schäffer, von Beutler, 1. Juli 1950. Zur Bildung des beratenden Ausschusses siehe Bührer, Ruhrstahl, S. 182. Diese Aussage wird von einem Bericht von Günther Henle über die Ergebnisse der Sitzung vom 27. Juni 1950 bestätigt: „Keine Vorwegforderungen wegen Stahlquote, Ruhrbehörde und dergleichen. Diese deutschen Belastungen müssen bei Verwirklichung des Schuman-Planes automatisch hinfällig werden, da solche einseitigen Beschränkungen mit der Gesamtkonzeption unvereinbar sind. (…) Politische Konzeption des Schuman-Planes kann nur erreicht werden, wenn der Plan ein wirtschaftlicher Erfolg wird“, BA 136/2472–4 Ergebnis der Sitzung des Unterausschusses EISEN und STAHL, Bonn 27. Juni 1950, gez. Henle. So berichtete Henle, er hätte mit Hallstein vereinbart, dass dieser Monnet mit der deutschen Rechtsauffassung konfrontieren solle, nach der alle Beschränkungen bei Durchführung des Schumanplans automatisch gegenstandslos würden, um „dieser Erwartung eine etwas zuverlässige Grundlage zu geben“. Ob diese Sondierung tatsächlich stattfand, ist nicht bekannt. BA N 1384/154 Henle an Roelen 18. 7. 1950. BA N 1384/153 Barich an Henle 26. 7. 1950, siehe auch Direktor der „Vereinigten Stahlwerke“ Sohl an Staatssekretär für Auswärtiges im Bundeskanzleramt Hallstein, 25. 8. 1950, in: Deutschland und Frankreich, S. 632. BA N 1384/157 WVESI 25. 8. 1950 Informationsdienst für unsere Mitgliedswerke, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 10. Kurzprotokoll der Sitzung des Kabinettsausschusses für den Schumanplan am Montag, dem 28. August, 15 Uhr, im Haus des Bundeskanzlers, zit. in: Griffiths, economic, S. 62. BA N 1384/157 WVESI 25. 8. 1950 Informationsdienst für unsere Mitgliedswerke, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 10. Gillingham, rebirth, S. 255f., Gillingham, Heavy Industry, S. 421ff., Lappenküpper, S. 260ff., die Verordnungen sind abgedruckt in: NESI, S. 367.

93 Der Protest, der nun in der Bundesrepublik gegen die Durchführungsverordnung des Gesetzes Nr. 27 laut wurde, ist ein Anzeichen dafür, dass man wirklich geglaubt hatte, in Folge des Schumanplanes würden diese Bestimmungen schon von alleine verschwinden.51 Über die inhaltliche Struktur der Neuordnung besagten die Verordnungen nämlich noch nichts – nicht einmal das Ende der Verbundwirtschaft wurde angeordnet. Adenauer erklärte nun in der Sitzung der AHK, dass diese Maßnahmen der Alliierten „in die ganzen Schumanplan-Verhandlungen“ tief hineingreifen würden. Er würde überlegen, die Delegation zurückzurufen.52 Damit war Adenauer der Erste, der ein Junktim zwischen dem Ergebnis Neuordnung und den Schumanplan-Verhandlungen stellte. Zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Durchführungsverordnung am 14. September 1950 zu Gesetz Nr. 27, welche die Liquidation der Altkonzerne anordnete, bestand allerdings unter den Alliierten keine einheitliche Meinung über die künftige Struktur der deutschen Stahlindustrie.53 Den ganzen Sommer 1950 hatte man sich in der Wirtschaftskommission der AHK über die künftige Gestaltung der deutschen Montanindustrie, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses von Kohle und Stahl, nicht einigen können. Der französische Vertreter sperrte sich gegen die amerikanische Forderung, den Deutschen Kohlen Verkauf (DKV), die zentrale Verkaufsgesellschaft der Ruhrbergbauindustrie, ein lupenreines Kartell, aufzulösen. Die Franzosen waren der Meinung, dass ein zentraler Verkauf für Ruhrkohle die Kontrolle, aber auch die Verhandlungen über Lieferungen von Ruhrkohle nach Frankreich eher erleichtern würden. Für die amerikanischen Vertreter in der AHK war es absolut notwendig, das DKV aufzulösen, um den Zielen der Neuordnung und des Schumanplans, einen freien Wettbewerb zu garantieren, zu entsprechen.54 Sie hatten allerdings nichts gegen die Verbundwirtschaft zwischen Kohle und Stahl einzuwenden, die auch in den USA existierte und die sie sogar als logische Folge des Kohlenverkaufsmonopols betrachteten. Solange ein Monopol für den Kokskohlenverkauf existierte, konnte man der Stahlindustrie ihren Wunsch nicht vorwerfen, direkt Kohlenzechen zu besitzen, um den Monopolpreis zu umgehen. Schließlich konnten die französischen Vertreter die amerikanischen Repräsentanten in der Wirtschaftskommission überzeugen, dass nur dort die Verbundwirtschaft aufrechterhalten werden sollte, wo der technische Energieverbund gewährleistet war.55 Der amerikani51

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Als „plötzlich und unerwartet“ bezeichnete Lehr die Verordnungen. BA 1244/17 Lehr an Adenauer 22. 9. 1950. Hinsichtlich des zunehmenden Protestes in der Ruhrstahlindustrie, u.a. Berghahn, Unternehmer, S. 136f., Bührer, Ruhrstahl, S. 186f., Kipping, Kartelle, S. 225, Gillingham, rebirth, S. 256f. Wortprotokoll der Sitzung vom 23. September 1950, Hohe Kommissare 1949–1951, S. 244. Warner, steel S. 15. HAEU JMDS 74(2) McCloy to Secretary of State 27. 9. 1950. Die Deutsche Kohlenbergbauleitung (DKBL) wollte ebenfalls den eigentumsmäßigen Kohle-StahlVerbund verringern. Der im Bundeswirtschaftsministerium gefundene Kompromiss sicherte der Stahlindustrie den Besitz des Selbstverbrauches zu. Ursprüngliche Pläne der DKBL waren, den Kohle-Stahl-Verbund nur da zuzulassen, wo aufgrund der geographischen Nähe ein technischer Verbund effektiv möglich war. Damit lag die DKBL sehr nahe an der Position der AHK. Warner, Steel, S. 20.

94 sche Vertreter gab auch noch zu verstehen, dass die mehr oder wenige strikte Anwendung dieser Formel davon abhängen würde, ob die Franzosen in der Frage des DKV kompromissbereit seien.56 Ende September bahnte sich innerhalb der AHK zwischen Amerikanern und Franzosen ein Kompromiss an. Die Verbundwirtschaft sollte nur da aufrechterhalten werden, wo auch der technische Energieverbund durchführbar war. Weiter würden die Franzosen bei der Auflösung der DKV kompromissbreit sein. Monnet wiederum scheint von dieser Entwicklung zu diesem Zeitpunkt nichts direkt erfahren zu haben.57 Er betonte zwar weiterhin die Bedeutung des gleichberechtigten Zuganges zur Ruhrkohle für die französische Industrie, die nun durch den Schumanplan gegeben sei, war sich allerdings offensichtlich des Zusammenhanges mit der Neuordnung der westdeutschen Stahlindustrie nicht bewusst.58 Falls die westdeutschen Stahlunternehmen nun ihren kompletten Selbstverbrauch an Kohle selbst besaßen, wie konnte die Hohe Behörde dann ‚gleiche Bedingungen‘ beim Zugang zur Ruhrkohle für alle anderen Verbraucher herstellen? Schließlich übergab am 13. Oktober 1950 der Delegationsleiter Hallstein ein Memorandum, in dem er die Abschaffung alliierter Sonderbestimmungen für die deutsche Montanindustrie forderte, da dieser mit den Schumanplan-Zielen nicht vereinbar sei.59 Damit musste nun die Zukunft der Alliierten Kontrollbestimmungen offiziell geregelt werden.60 Innerhalb des französischen Außenministeriums war man nun entschlossen, energisch die Auflösung bzw. Beschränkung der Verbundwirtschaft voranzutreiben.61 Nun wurden das Planungskommissariat und damit die französische Verhandlungsdele56

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AN 81 AJ 137 Note 24 Octobre 1950. Das Telegramm spricht dann von der „décision“ des Wirtschaftsausschusses der AHK vom 27. September. AN 81 AJ 137 Affaires Etrangeres, Direction des

Affaires Economiques, Telegramme au depart 26 octobre 1950. Für die amerikanische Seite siehe McCloy an Acheson, 27. 9. 1950, in Klaus Schwabe: „Ein Akt konstruktiver Staatskunst“ – die USA und die Anfänge des Schuman-Plans, in: Schwabe, Anfänge, S. 233 Anm 85. HAEU Dep 9 URI Box 28, MEMORANDUM sur les institutions et les dispositions économiques et sociales permanentes du PLAN SCHUMAN (sur la base des solutions adoptées au 27 Septembre 1950). 28 Septembre 1950, S. 4. So betonte Monnet in einem Brief an Schuman am 9. September 1950 noch einmal, dass mit dem Schumanplan, durch den gleichberechtigten Zugang zur Ruhrkohle, das größte „Handicap“ der Entwicklung der französischen Stahlindustrie fallen würde. Memorandum Monnet à Schuman, 9. 9. 1950, Correspondance, S. 53f. Er setzte sich nämlich Ende September 1950, nach der Veröffentlichung der Durchführungsverordnungen des Gesetzes Nr. 27, ausdrücklich bei Schuman für eine Teilnahme der Bundesregierung an den Verhandlungen über die Neuordnung ein, die er primär als amerikanische Operation schilderte und nicht in Verbindung mit den Schumanplan-Verhandlungen brachte. Jean Monnet à Schuman 28. 9. 1950, Correspondance, S. 60. Jean Monnet à Schuman 14. 10. 1950, Correspondance, S. 60, MAE DE-CE 507 Mémorandum remis par M. Hallstein à M. Monnet, le 13/10/1950. Die Frage der Aufhebung der Kontrollen wird hier abgesehen von der Durchführung der Neuordnung nicht weiter behandelt, siehe dazu Bossuat, l’aide américaine, S. 767–776, Lappenküpper, Beziehungen, S. 261ff. AN 81 AJ 137, Note 24. Octobre 1950.

95 gation bei den Schumanplan-Verhandlungen mittels mehrerer Vermerke vom Außenministerium und den französischen Vertretern innerhalb der AHK auf die Dringlichkeit einer Lösung des Kohlenproblems aufmerksam gemacht.62 Alles deutet also darauf hin, dass Monnet die Einzelheiten der Neuordnungspolitik und ihr Zusammenhang mit dem Schumanplan vorher nicht geläufig war. Erst der deutsche Widerstand gegen die Neuordnung, die auch Auswirkungen auf die SchumanplanVerhandlungen hatte, lenkte die Aufmerksamkeit Monnets auf dieses Problem.63 Nun wurde ihm von den Stellen im Außenministerium, aber auch von den französischen Vertretern der AHK nur zu bereitwillig erklärt, dass bei einer Beibehaltung der Verbundwirtschaft der vom Schumanplan in Aussicht gestellte gleichberechtigte Zugang zur Ruhrkohle ein leeres Versprechen bleiben würde. Im Dezember 1950 hieß es dann in einem Dokument des Planungskommissariats, dass ohne die Neuordnung der deutschen Stahlindustrie ein Wettbewerb zu ‚gleichen Waffen‘ nicht möglich sei.64 Nun bekamen auch die in den Schumanplan-Verhandlungen diskutierten Wettbewerbsartikel eine ganz andere Bedeutung. Wie schon aufgezeigt, hatten sich weder das Außenministerium noch die französischen Stellen bei der AHK für eine Aufnahme von Wettbewerbsartikeln im Schumanplan interessiert bzw. sie waren auch gar nicht erst informiert worden. Im Gegenteil: Man setzte sich sogar für die Beibehaltung des DKV, ein lupenreines Kartell, gegenüber den amerikanischen Alliierten ein. Wenn es nun aber der französischen Seite tatsächlich gelingen sollte, eine Bindung Kohle/Stahl in der westdeutschen Montanindustrie zu verhindern, dann machte es natürlich Sinn, diesen Zustand über die Fusionskontrolle auch aufrechtzuerhalten. Ansonsten hätte die westdeutsche Stahlindustrie sich durch den Erwerb von Bergbauzechen

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So heißt es zum Beispiel in einem Vermerk vom 28. 10. 1950 an Jean Monnet, dass nach den New Yorker Beschlüssen, nicht de jure, aber de facto, die Rohstahlerzeugungsbegrenzung gefallen sei. Die Frage der Rohstoffverteilung, und insbesondere des Koks, sei also nun der entscheidende Faktor im Kräftemessen zwischen deutscher und französischer Stahlindustrie, AN 81 AJ 136 Fiche pour Jean Monnet, 28. 10. 1950, Origine Affaires Etrangères. Zur Entwicklung der Stahlquote, Müller, S. 194–196. In einer anderen Note wurde Monnet darauf hingewiesen, dass die französische Stahlindustrie dem Schumanplan deshalb skeptisch gegenüber stünde, da er den Binnenmarkt öffnen würde, ohne dies durch entsprechende Preisvorteile bei der Koksversorgung auszugleichen. AN 81 AJ 136 Note pour M. Monnet 28. 10. 1950. CAC 19900482/26 Bureau à Aubrun, 18 Novembre 1950, Aubrun à Bureau 25 Novembre 1950. AN 81 AJ 142 Ein späteres Dokument über die Geschichte der Neuordnung von dem Mitarbeiter Monnets van Helmont deckt sich mit dieser Interpretation. So heißt es dort, dass die französischen Mitglieder der Verhandlungsdelegation erst ab September, nach Ende der Verhandlungen über die Institutionen, sich mit dem Problem der Neuordnung der Ruhr bzw. der Verbundwirtschaft befasst hätten, um allen Industrien einen gleichberechtigten Start zu ermöglichen. JVH (van Helmont) AIDE MEMOIRE sur l’HISTORIQUE de la DECONCENTRATION de la RUHR 2/7/52. AN 81 J 55 Présidence du Conseil. Commissariat Général du Plan Confidentiel. EFFETS DU PLAN SCHUMAN POUR LA FRANCE, Décembre 1950, S. 31.

96 sehr schnell wieder eine privilegierte Stellung verschaffen können. Die verfolgte Linie war deshalb sehr konsequent – ein ‚gleichberechtigter Zugang‘ zur Ruhrkohle. Wichtig ist auch die Tatsache, dass sich in den Oktober- und Novemberwochen nun eine gemeinsame Position des Außenministeriums, der französischen Vertreter in der AHK, die dem Außenministerium unterstanden, sowie des Planungskommissariats und damit der französischen Verhandlungsdelegation in Paris herausgebildet hatte. Die Beamten des Außenministeriums waren bei der Ausarbeitung der Schumanplan-Initiative ja übergangen worden.65 Auch wurden sie kaum über die Schumanplan-Verhandlungen informiert.66 Francois Valery zum Beispiel, in der Wirtschaftsabteilung mit den Fragen der Ruhrkontrolle beschäftigt, gehörte zu den Beamten im Außenministerium, die vor einer zu schnellen Aufhebung der unilateralen Kontrollmechanismen über die deutsche Montanindustrie immer gewarnt hatten.67 In dieser Frage hatte sich nun eine gemeinsame Politik entwickelt. Es ist zu Recht Verwunderung darüber geäußert worden, dass Monnet den Vertrag für die französische Regierung verhandeln konnte, obwohl es eine offizielle Koordinierung der Verhandlungen im Kabinett und auf Regierungsebene nie gegeben hatte, so dass die französischen Minister erst im Dezember 1950 hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung praktisch vor vollendete Tatsachen gestellt wurden.68 Diese neue Einigkeit der Positionen in einem zentralen Punkt mag eine Erklärung dafür sein, dass ohne größere Diskussionen von den verschiedenen Ministerien der französischen Regierung die späteren Vertragsergebnisse akzeptiert wurden.69 Denn nun gab es eine klare Linie sowohl für die Neuordnung als auch für die Wettbewerbsartikel: Auflösung der Verbundwirtschaft und spätere Aufrechterhaltung dieser Struktur durch die Fusionskontrolle, um den gleichen Zugang zur Ruhrkohle für die französische Stahlindustrie zu erreichen bzw. zu bewahren. Die Forderung der Auflösung der Verbundwirtschaft war praktisch die Beantwortung des Junktims des Bundeskanzlers durch die französische Regierung, das dieser noch einmal ganz deutlich am 14. Dezember 1950 in der AHK erneuert hatte.70 „Unsere Leute“, so Adenauer, würden die Verbundwirtschaft als eine Lebensbedingung ansehen. Mit ihrer Zerstörung würde der Schumanplan-Vertrag wohl keine Mehrheit im Bundestag 65 66

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Lappenküpper, Beziehungen, S. 240f. Gérard Bossuat: La vrai nature de la politique européenne de la France (1950–1957), in: Gilbert Trausch (Hg.): Die Europäische Integration vom Schuman-Plan bis zu den Verträgen von Rom, Bruxelles 1993, S. 191–230, hier: S. 206 f. Francois Valery, zum Beispiel, in der Wirtschaftsabteilung mit den Fragen der Ruhrkontrolle beschäftigt, gehörte zu den Beamten im Außenministerium, die vor einer zu schnellen Aufhebung der unilateralen Kontrollmechanismen über die deutsche Montanindustrie immer gewarnt hatten. Dazu Lefèvre, relations, S. 157. Dazu Lefèvre, relations, S. 157. Griffiths, economic, S. 39, Bossuat, l’aide américaine, S. 765f. Bossuat, l’aide américaine, S. 765ff. Schwabe, Staatskunst, S. 234f.

97 finden.71 Mit bloßer Anrufung des ‚Gleichberechtigungsprinzips‘ jedenfalls war diese Auseinandersetzung nicht zu lösen. An der Ruhr wurde zum Beispiel darauf hingewiesen, dass auch andere Stahlindustrien ihre Rohstoffe direkt besitzen würden, so z.B. der Stahl/Erz-Verbund in Lothringen. Dies war grundsätzlich richtig. Genauso richtig war es aber auch, dass die Stahlindustrie nicht in dem Maße von Lothringenerzen abhängig war wie die lothringische Stahlindustrie von der Kohle.72 Wenn die WVESI an Bundeskanzler Adenauer schrieb, es solle vertraglich festgeschrieben werden, dass „wir jedenfalls nicht mehr Roh- und Brennstoffe abgeben müssen, als wir für die deutsche Produktion an Eisen und Stahl benötigen“, so kam es für die französische Seite natürlich genau darauf an, wer bestimmen würde, wie viel Rohstoffe die deutsche Produktion wirklich benötige – gerade im Falle einer Kohlenknappheit.73 Wenn die westdeutsche Stahlindustrie ihren Selbstverbrauch selber kontrollieren würde, konnte sie diese Zahlen natürlich sehr leicht entsprechend beeinflussen. Stimmte es nun, dass die Ruhrstahlindustrie durch die Verbundwirtschaft die anderen Industrien ‚dominieren‘ wollte? So direkt geht dies aus keinem Dokument hervor.74 Vielmehr galt es ein strukturelles Ungleichgewicht zu verhindern, so dass die französische Stahlindustrie hinsichtlich ihrer Rohstoffzufuhr direkt oder indirekt von dem guten Willen eines ihres größten direkten Wettbewerbers abhängig war. Im Übrigen hieße dies auch die grundsätzliche Kooperationsbereitschaft der Ruhrstahlindustrie zu unterschätzen. Es gibt jedenfalls keinen Hinweis, dass die 100 %ige Verbundwirtschaft gefordert wurde, um zukünftig die lothringische Stahlindustrie ‚lahm‘ legen zu wollen. Die Verbundwirtschaft wurde eher als ein wichtiger Trumpf angesehen in einer zu erwartenden

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Wortprotokoll der Sitzung vom 14. Dezember 1950, in: Hohe Kommissare, S. 309. Zur Rolle der Bundesregierung in dieser Phase der Verhandlungen, siehe Warner S. 18ff. Auch im Bundeskabinett wurde in diesem Sinne beschlossen, „dass an der Zulässigkeit der Verbundwirtschaft festgehalten werden muß, und einer Beschränkung in geographischer Hinsicht nicht zugestimmt werden kann“, 116. Kabinettsitzung am Dienstag, den 12. Dezember 1950, Kabinettsprotokolle, S. 880f, Walter Hallstein, der gefragt hatte, ob er nun paraphieren könne, antwortete der Bundeskanzler, dass erst alle Besatzungsfragen zu klären seien, ansonsten solle man „Verhandlungen mit größter Vorsicht“ fortführen., siehe auch Bankier Pferdmenges an Bundeskanzler Adenauer, 27. 12. 1950, Deutschland und Frankreich, S. 652ff. Dieser Tatsache war man sich natürlich in der Bundesrepublik bewusst. Siehe z.B. RWWA Abt. 130 40010146/42 Schumanplan, Der Bundesminister für Wirtschaft, Bonn, den 16. 6. 1950, Unterlagen zum Schuman-Plan, S. 50. „Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie“ an Bundeskanzler Adenauer, 11. 12. 1950 Betr. Schuman-Plan, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich S. 650. AN 81 AJ 135 Aubrun Président CSSF an Monnet, 25. 10. 1950, NOTE sur l’évolution de la PRODUCTION SIDERURGIQUE FRANCAISE 25. 10. 1950. So schrieb der Vorsitzende der CSSF Aubrun an Monnet, dass die französische Stahlindustrie ihre Erzeugung nur ausweiten und modernisieren könne, wenn bald das Problem der Kohlenversorgung gelöst sei, aber auch in internen Berichten, wurde über eine fehlende Kohlenversorgung geklagt. PAM 70671 Compagnie de Pont à Mousson Note de Service, 15 Novembre 1950 Chambre Syndcial de la Sidérugie-Séance du 15 novembre.

98 europaweiten Diskussion über Abstimmung von Investitionen und Erzeugung, in der sich die westdeutsche Montanindustrie aufgrund ihres Investitionsnachholbedarfs eher in der Defensive befand.75 Den Franzosen gelang es nun, einen mächtigen Verbündeten für ihre Ziele zu sichern. Dabei wurde ihnen bald klar, dass sie nicht die totale Trennung der Kohle/Stahl-Verbindungen fordern konnten, da es ja auch Besitz von französischen Unternehmen an Kohlenminen in der Bundesrepublik, insbesondere im Aachener Raum, gab.76 Außerdem war die Verpachtung der Saarminen an den französischen Staat – deren Kohle sich allerdings nicht für die Verkoksung eignete – in den Saarkonventionen vorgesehen.77 Schließlich war die französische Stahlindustrie in Lothringen mit Erzbergwerken verbunden. So gab es hier wieder ein gewisses Risiko: Ein Verbot einer vertikalen Gliederung in der Ruhrstahlindustrie hätte von deutscher Seite ja mit der Forderung beantwortet werden können, doch dann auch in den übrigen EGKS-Ländern prinzipiell vertikale Bindungen zu verbieten. Insofern war es nicht möglich, eine völlige Trennung von Kohle und Stahl an der Ruhr einzufordern. Am 19. Dezember 1950 einigte sich dann Monnet mit dem Rechtsberater des amerikanischen Hohen Kommissars, Robert Bowie, und dem amerikanischen Botschafter in Paris, David Bruce, über eine gemeinsame Linie in der Frage der Neuordnung.78 Diese Einigung erfolgte nach den Überlegungen, die schon vorher im französischen Außenministerium geführt wurden. Die Franzosen akzeptierten nun die Auflösung des DKV, eines lupenreinen Kartells, während die Amerikaner zustimmten, dass nicht der volle Eigenverbrauch der Stahlunternehmen durch eigenen Besitz an Kohlenzechen gedeckt werden sollte.79 Ohne ein Einverständnis der Bundesregierung mit diesen Maßnahmen sollte es keinen Abschluss der Schumanplan-Verhandlungen geben.80 75

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Siehe die ersten Stellungnahmen zum Schumanplan Henles und Sohls, Geschäftsführender Gesellschafter von „Klöckner & Co.“ Henle, Aufzeichnung, 10. 6. 1950, Direktor der „Vereinigten Stahlwerke“ Sohl, Aufzeichnung, 2. 6. 1950, Deutschland und Frankreich, S. 606ff., S. 596f., hinsichtlich des Kapazitätsrückstandes gerade im Flachstahlbereich (Breitbandstraße) der westdeutschen Stahlindustrie, Matthias Kipping: Competing for Dollars and Technology. The United States and the Modernization of the French and German Steel Industries after World War II, in: Business and Economic History 23 (1994), S. 229–240, zu dem Problem der Investitionen siehe auch Bundesministerium für Wirtschaft, Aufzeichnung, 16. 6. 1950, Deutschland und Frankreich, S. 616. AN 81 AJ 139 Affaires Etrangères chiffrement Direction Economique, Secret Télégramme au Départ, Réserve, 23. 12. 1950 (Copie 28. 6. 1951), gez. Clappier, Bossuat, l’aide américaine, S. 768. Lappenküpper, Beziehungen, S. 239ff. Warner, S. 24ff., AN 81 AJ 138 Secret Memo of meeting held 19 decembre on coal and steel problems. 21. 12. 1950, Schröder, Monnet, 189f. Man einigte sich auf Verbindungen zwischen Kohle/Stahl-Unternehmen, die den Stahlgesellschaften ca. 55 % ihrer Kohlebedürfnisse sicherten. Im Laufe der Verhandlungen bis März 1951 wurde dieser Betrag noch auf 75 % erhöht. Warner, steel, S. 30ff. Monnet an Schuman 22. 12. 1950, Correspondance S. 90, Schwabe, Staatskunst, S. 236.

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2.5 Die Amerikaner und die Verbundwirtschaft War die Auflösung des DKV völlig in einer Linie mit den wettbewerbspolitischen Vorstellungen der amerikanischen Vertreter in der deutschen Besatzungsverwaltung, so kann man dies für die Verbundwirtschaft nicht behaupten. Die Tatsache, dass sich Monnet als „Hauptverfechter wettbewerblicher und marktwirtschaftlicher Strukturen“81 präsentierte, kann daher die Haltung der Amerikaner in der Frage der Verbundwirtschaft nicht befriedigend erklären. Die amerikanische Unterstützung für die französische Position, dass die Bundesregierung vor dem Abschluss der Schumanplan-Verhandlungen der Begrenzung der Verbundwirtschaft zustimmen müsse, basierte nicht auf wettbewerbspolitische Konzeptionen, sondern auf der strategischen Bedeutung der Ruhrkohlenfrage für Frankreich.82 So hatten die Amerikaner angesichts eines Kohlenkartells durchaus Verständnis für eine vertikale Verbindung von Kohle und Stahl.83 Amerikanische Stahlunternehmen besaßen außerdem im Jahre 1950 bedeutende Kohleund Erzvorkommen.84 Das Interesse des amerikanischen Hohen Kommissars, John McCloy, bestand nun darin, einen Kompromiss zu finden, der es der deutschen und französischen Seite erlauben würde, die Neuordnung zu akzeptieren und den Schumanplan-Vertrag zu unterzeichnen.85 Letztlich drehte es sich also in der Frage der Verbundwirtschaft um ein klassisches Verteilungsproblem eines knappen Gutes zwischen den in Konkurrenz stehenden westdeutschen und französischen Stahlindustrien.86 Insofern nützte es auch nichts, dass Henle in dieser Auseinandersetzung gegenüber Robert Bowie auf die umfangreiche Verbundwirtschaft in den USA oder den Besitz von Kohlegruben in der Bundesrepublik durch französische Stahlunternehmen verwies.87 Wenn Henle als Argument die notwendige Versorgungssicherheit an Ruhr-

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Schröder, S. 184. Auch Schwartz bemerkt, dass der stärkste Widerstand gegen die Verbundwirtschaft von den Europäischen Alliierten kam. Schwartz, S. 187, siehe auch FRUS IV, S. 88. Warner, Steel, S. 22ff. Walther Lauersen: Ausmaß und Formen vertikaler Verflechtung in der Eisen- und Stahlindustrie der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs, Kiel 1951, S. 11. Briefing Paper Drafted in the Office of the United States High Commissioner for Germany, SCHUMAN PLAN 2. 2. 1951, FRUS IV, S. 86. Insofern kann man der französischen Delegation in dieser Frage auch nicht die Verletzung des Prinzips der ‚Gleichberechtigung‘ vorwerfen. Lappenküpper, Der Schuman-Plan. Mühsamer Durchbruch zur deutsch-französischen Verständigung, in: VfZ 42 (1994), S. 401–445. S. 424. BA N 1384/214 Henle an Bowie 13. 12. 1950. Ein klarer Beweis, dass die Verbundwirtschaft aus den erwogenen wettbewerbspolitischen Gründen an der Ruhr gefordert wurde, und nicht etwa aus den oft erwähnten technischen Notwendigkeiten, geht aus dem Brief von Henle hervor. Er sprach sich bei Bowie entschieden dagegen aus, dass man die Verbundwirtschaft nur da zulassen wollte, wo sie aus rein technischen Gründen sinnvoll war.

100 kohle gegenüber John McCloy ansprach, erwiderte dieser, dass ja genau diese Versorgungssicherheit der Ruhrindustrie gegenüber ihren Konkurrenten einen unbestreitbaren Vorteil geben würde.88 Die Rolle McCloys, und letztlich auch Bowies, bestand in dieser Phase der Verhandlungen in erster Linie nicht darin, den kartellverliebten europäischen Stahlindustriellen amerikanische Wettbewerbskonzeptionen näher zu bringen, sondern den Zugang zur potentiell knappen Ruhrkokskohle einigermaßen ausgewogen zwischen den westdeutschen und französischen Streithähnen zu regeln.89 Wichtige politische Gründe sprachen aus amerikanischer Sicht in dieser Phase für die grundsätzliche Unterstützung der französischen Position.90 Man war irritiert über die Tatsache, dass man in der Bundesrepublik nun ganz offensichtlich dachte, dank des Schumanplans und der Wiederbewaffnung könne auf die Durchführung der Neuordnung völlig verzichtet werden. Viel wichtiger war es aber wohl, dass man in der amerikanischen Botschaft in Paris zu dem Schluss gekommen war, dass die französische Regierung bei einer Nichtdurchführung der Neuordnung in der Bundesrepublik den Schumanplan innenpolitisch nicht durchsetzen könne.91 Der Schumanplan hatte eine zu große außenpolitische Bedeutung hinsichtlich der deutsch-französischen Annäherung und der europäischen Integration,

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BA N 1384/154 Henle an McCloy 1. 2. 51 und McCloy an Henle, 27. 1. 51, so heißt es in der deutschen Übersetzung des Briefs an Henle, dass bei anderen Ländern die Befürchtung bestehe, dass der Kohle-Stahl-Verbund deutschen Stahlgesellschaften unbilligen Vorteil bringen würde. Diese Länder würden auch behaupten, dass der Besitz der Erzgruben durch französische Hüttenwerke nicht zu vergleichen wäre, da die deutsche Industrie sich auf andere Eisenerzquellen stützen könne. Mc Cloy wiederholte hier die Argumente der französischen Seite, machte sich interessanterweise diese Argumente aber nicht zu eigen, sondern gab sie nur als „Vermittler“ wieder. Als Erwiderung bestritt Henle, dass die deutschen Stahlwerke die Konkurrenten in der Kohlenfrage benachteiligen wollten, und erwähnte dann wieder, dass 50 % der Erzerzeugung von europäischen Stahlunternehmen kontrolliert würden, aber nur 5 % der westeuropäischen Kohleproduktion. Es handelte sich also wirklich um einen „dialogue des sourdes“. Laut einem Vermerk Hans Günther Sohls bezeichnete sich McCloy in der Frage der Verbundwirtschaft ausdrücklich als Vermittler. Direkte Verhandlungen mit den Engländern und den Franzosen, so McCloy, würden zu ungünstigeren Ergebnissen führen. BA N 1244/20 Vermerk. Sohl, Besprechung mit Mr. McCloy am 7. 2. 51 im IG Haus in Frankfurt, 9. Februar 1951. BA N 1384/154 McCloy an Henle 27. 1. 51. Gillingham, Heavy Industry, 425f., FRUS 1950 III, p. 765, Gillingham, rebirth, S. 265f. Lynch, Monnet, S. 127f., Hirsch, Ainsi, S. 102f. So schon der amerikanische Botschafter in Paris am 18. 12. 1950. JMDS 74(3) Bruce to Secretary of State 18. 12. 1950, ähnlich argumentierte auch McCloy gegenüber Acheson, Schwartz, S. 186f., Gillingham, rebirth, S. 260ff. So war die Ruhrkohlenfrage auch ein wichtiger Punkt der interministeriellen Beratungen der französischen Regierung am 15. Dezember 1950, genauso wie bei den Anhörungen der betroffenen französischen Industrien, die vom Planungskommissariat organisiert wurden. Palayret, S. 319f.

101 als dass er an der Frage der Neuordnung der Montanindustrie in der Bundesrepublik scheitern durfte.92 Von Ende Dezember bis Anfang März fand nun ein direktes Tauziehen zwischen der Bundesregierung und den Amerikanern statt.93 Auf amerikanischer Seite spielte dabei John McCloy, der amerikanische Hohe Kommissar in der AHK in der Bundesrepublik, den ‚ehrlichen Makler‘, während Robert Bowie, Juraprofessor und Antitrust-Spezialist aus Harvard und gleichzeitig Rechtsberater der Hohen Kommission, großen Druck auf die Industriellen ausübte. Während McCloy für die ganze Entflechtung offensichtlich ursprünglich wenig Interesse zeigte, war Robert Bowie wohl wirklich überzeugt, als ‚antitrust buster‘ mit dieser Politik den Weg für freien Wettbewerb freizumachen.94 Mit dieser Haltung stieß er bei allen beteiligten Europäern eher auf Skepsis. Die Briten nannten Bowie den „mad mullah of decartellisation“.95 Albert Bureau, französischer Vertreter bei der CSG, bezeichnete Bowie später einen „einfachen Juristen“, ohne spezifische Kenntnisse der Stahlindustrie. Bowie sei so naiv gewesen, die Neuordnung sei mit Verboten geregelt, die nur auf dem Papier standen.96 Damit lag er sehr nahe an der Einschätzung von Heinrich Dinkelbach, Leiter der Stahltreuhändervereinigung, der in einer der letzten Pressekonferenzen dieser Behörde im Juli 1954 sich über häufigen Personalwechsel der amerikanischen Seite in Neuordnungsverhandlungen beschwerte: „Man habe hier mit Persönlichkeiten zu tun gehabt, die keine Kenntnisse von den besonderen Verhältnissen in der Ruhrindustrie hatten und sich von ihren theoretischen Dekartellisierungsvorstellungen leiten ließen.“97 Was nun die materielle Politik anging, so scheint McCloy eine deutlich großzügigere Politik für die Ruhrstahlindustrie betrieben haben, als dies ursprünglich von den amerikanischen Sachverständigen in der AHK vertreten wurde.98 Nachdem sich die amerika92

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Schwabe, Staatskunst, S. 237f, Gillingham, Heavy S. 425f., Alan S. Milward, Belgian, S. 451. Wenn Henle an Pferdmenges am 12. 1. 1951 schrieb, dass man „auf’s Ganze gehen könne“, so war für die Amerikaner in diesem Verteilungskampf da die Grenze erreicht, wo diese Auseinandersetzung den erfolgreichen Abschluss des Schumanplan-Projektes gefährden würde. BA N 1384/154 Henle an Pferdmenges 12. 1. 1951. Das Beispiel Henle zeigt auch, dass grundsätzliches europapolitisches Engagement, denn Henle war aus politischen Gründen immer ein ausgesprochener Befürworter des Schumanplans, nicht damit einherging, wirtschaftliche Interessen nicht energisch zu vertreten. Diesen Verdacht äußert Henning Köhler: Adenauer. Eine politische Biographie. Frankfurt, Berlin, 1994, S. 608. Gillingham, rebirth, S. 266–283, Schwartz, Federal, S. 189–197, Warner, steel, S. 29–42. Gillingham, rebirth, S. 260–263, Warner, steel, S. 25. Erwähnt sei auch die lange Freundschaft zwischen Monnet und McCloy, wobei die politischen Gründe für McCloy ganz sicherlich im Vordergrund standen. Schwartz, S. 189. Warner, Steel, S. 25. PAM 19431 Notes prises en vue d’une étude des liaisons entre la sidérurgie allemande et l’industrie de transformation, Düsseldorf, le 25 Novembre 1955. BA N 1384/217, gez. Heller (WV) Düsseldorf, den 19. 7. 1954. AN 81 AJ 169, Liason Charbon-Acier 1 Décembre.

102 nische Seite mit den Franzosen darauf geeinigt hatte, dass Stahlunternehmen 55 % ihres Koksverbrauches direkt besitzen durften, erhöhte Bowie also diesen Anteil im Gespräch mit Bundeswirtschaftsminister Erhard auf 75 %, wobei Bowie darauf bestand, diese 75 % auf den Koksverbrauch für jedes Unternehmen umzulegen und nicht etwa auf den Verbrauch der gesamten Industrie.99 Hatte man noch im August 1950 der Ruhrstahlindustrie vorgeschlagen, die Verbundwirtschaft durch Lieferverträge zu ersetzen, im Dezember 1950 noch auf der französischen und britischen Linie argumentiert, dass nur dort die Verbundwirtschaft aufrechterhalten werden solle, wo sie technisch auch wirklich Sinn mache, war man nun ganz offensichtlich entschlossen, der deutschen Seite aus allgemeineren politischen Gründen in dieser Frage sehr entgegenzukommen.100 Die US-Haltung in dieser Frage kann man deshalb nicht als „dogmatisch“ bezeichnen.101 Vielmehr war die 75 %-Klausel aus rein taktischen Gesichtspunkten gewählt. 75 % waren aus amerikanischer Sicht nötig, um die deutsche Seite zur Unterschrift zu bewegen – mehr weigerte sich auch Monnet in der französischen Regierung bzw. in der Nationalversammlung durchzusetzen.102 Eine Einigung in diesem Sinne zwischen Erhard und Bowie wurde allerdings dann von Adenauer unter dem Druck der Stahlindustrie wieder abgelehnt.103 Adenauer stand unter innenpolitischem Druck, hatte er doch den Stahlindustriellen eine für sie als schmerzlich empfundene Einigung in der Mitbestimmungsfrage ausgehandelt.104 99

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Warner, Steel, S. 30f. AN 81 AJ 137 Report by Cleveland for Tomlinson, Schwartz, S. 190f. JMDS 74 (4) McCloy to Secretary of State 20. 1. 1951, Bruce to Secretary of State, 20. 1. 1951. So sagte Bowie dem Rechtsberater der Vereinigten Stahlwerke, George Nebolsine, auch einem Amerikaner, zu, dass er bereit sei, die Hauptlast des Kampfes für die Rechtfertigung einer 50–75 %igen Kohlendeckung für die deutsche Stahlindustrie auf sich zu nehmen, TA VSt 3136 Abschrift George Nebolsine 2. 2. 1951 Aktennotiz über die Konferenz mit den Herren Bowie und Willner am 1. Februar 1951 in Frankfurt, Gleichzeitig machten sie die Vertreter der deutschen Stahlindustrie darauf aufmerksam, dass ohne die amerikanische Unterstützung, und ohne den Schumanplan, die anderen beiden Besatzungsmächte zu keinem Kompromiss in der Verbundwirtschaftsfrage bereit wären. Außerdem, so Bowie, sei er sicher, dass die deutsche Stahlindustrie im Schumanplan die gleiche Möglichkeit habe, ihre Struktur zu verändern wie ihre europäischen Konkurrenten. TA VSt 3136 George Nebolsine 17. Januar 1951 ÜberS. Aktennotiz über die Konferenz mit den Herren Bowie und Kelleher am 16. Januar 1951 in Frankfurt. TA VSt 3136 George Nebolsine Memorandum of Conference with Messrs Bowie, Clark, Willner of the US element and Sohl, Dr Linz, Nebolsine 5 August 1950, BA 1384/214 Henle an Bowie 13. 12. 1950. Werner Abelshauser, Der Ruhrkohlenbergbau seit 1945. Wiederaufbau, Krise, Anpassung, München 1984, S. 55. FRUS IV, S. 93 Bruce to Acheson 21. 2. 51. Schwartz, Federal, S. 192, AN 81 AJ 137 Note pour Monsieur l’Ambassadeur 22. 2. 1951 Objet: Entretien avec McCloy au sujet du Plan Schuman, JMDS 74 (4) McCloy to Secretary of State 27. 1. 1951. BA N 1384/215 Henle an Pferdmenges 31. 1. 1951. Laut diesem Brief war der deutschen Seite nicht unbedingt klar, dass es sich in der Frage um ein koordiniertes französisch-amerikanisches Vorge-

103 McCloy führte dies zur Feststellung, dass sich die Befürchtungen hinsichtlich des Dominanzstrebens der westdeutschen Stahlindustrie bestätigt hätten. Nun dürfe es keinen Kompromiss mehr geben.105 Am 2. März 1951 gestand McCloy Adenauer, dass er über die Haltung der Bundesregierung tief enttäuscht sei angesichts der großen Bedeutung des Schumanplans für die Europäische Integration und die Wiedereingliederung der Bundesrepublik. Die USA hätten sich gegenüber Frankreich sehr viel Mühe gegeben, einen gleichberechtigten Status für die Bundesrepublik zu sichern. Mehr als eine gleichberechtigte Position dürfen wiederum die Deutschen nicht erwarten. Adenauer bat ihn darauf, noch einmal mit den Industriellen direkt zu reden sowie mit den Gewerkschaften, die sich gegen eine Auflösung des DKV wehrten. Er sicherte ihm aber nun sein Einverständnis zu. McCloy bestärkte dies in seiner Einschätzung, dass Adenauers Bemühungen und Engagement für die westeuropäische Integration ehrlich seien.106 So stimmte Kanzler Adenauer schließlich dem von den Amerikanern aufgezeigten Kompromiss zu.107 Allerdings war es dann auf Bitten Adenauers McCloy selber, der diese Nachricht den versammelten Repräsentanten der Stahlindustrie überbringen musste.108 McCloy verkündete dann den Industriellen die jeweilige Zuteilung von Kohlenzechen für die einzelnen Stahlunternehmen.109 Sohls Schilderung gibt gut McCloys Haltung wieder, dass für die Amerikaner nun keinerlei Verhandlungsspielraum war: Zum Schluss erklärte Herr McCloy, dass er volles Verständnis dafür habe, wenn wir seine Vorschläge nicht erfreut aufnähmen. Er verlangte auch keinerlei Erklärung zu diesen Vorschlägen von uns. Er bat aber darum, dass wir keine Opposition gegen die baldige Unterzeichnung des Schumanplans machen. Auch diese Bitte war so gefasst, dass keine Antwort erforderlich war. 110

Am 14. März schließlich akzeptierte Adenauer offiziell in einem Brief an die AHK die Auflösung des Deutschen Kohlen Verkaufs (DKV) und den von den Amerikanern vorgelegten Neuordnungsplan, der die Beschränkung der Verbundwirtschaft beinhaltete.111

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hen handelte. So schrieb Henle, dass die andere Seite bei grundsätzlicher Anerkennung der Verbundwirtschaft „zum Schluß noch eine Spitze davon“ abhandeln wolle. Für „uns“ sei diese Spitze wichtig, während sie für die anderen „tant de bruit pour une omelette“ seien. Schwartz, Federal, S. 184, AN 81 AJ 137 Conversation téléphonique de M. Monnet avec Mc Cloy, 19. Février, FRUS IV, S. 91 Mc Cloy to Acheson 19. 2. 1951, Otto Lenz: Im Zentrum der Macht: Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz, 1951–1953, bearb. von Klaus Gotto, Düsseldorf 1989, S. 34ff. FRUS IV, S. 93 Bruce to Acheson 21. 2. 51. FRUS 1951 IV, McCloy to Acheson 3. 3. 1951, S. 97, Schwartz, S. 195. Lappenküpper, Schumanplan, S. 433, Schwartz, Federal, S. 195f. Auch der Beschluss, das DKV nach einer Übergangsfrist aufzulösen, wurde in einem Treffen von McCloy der gewerkschaftlichen Seite überbracht. Schwartz, S. 196, AN 81J 155 Copie d’un Telegramme 8 mars 1951, gez. Francois Poncet. N 1244/20 Vermerk Sohl, Besprechung bei Mr McCloy am 5. 3. 51, 7. 3. 51. Ders., S. 5. Lenz, S. 57.

104 Nur mit Hilfe McCloys konnte also diese indirekte Auseinandersetzung zwischen der deutschen und der französischen Seite über den Zugang zur Ruhrkohle beendet werden. Insofern ist es nicht untertrieben, den amerikanischen Einfluss hier entscheidend zu nennen.112

2.6 Der EGKS-Vertrag: Gesicherter Zugang zur Ruhrkohle für die französische Stahlindustrie? Die Begrenzung der Verbundwirtschaft und damit die Versorgungssicherheit mit Ruhrkohle für die französische Stahlindustrie war nun ein Hauptargument, mit dem Monnet innerhalb der französischen Regierung und später auch in den Ratifikationsverhandlungen im Parlament für die Annahme des Vertrages warb.113 Aber war es eigentlich zutreffend, wenn Monnet an den französischen Präsidenten schrieb, dass nun alle Produzenten dank der Neuordnung gleichberechtigt in die Gemeinschaft eintreten würden?114 Immerhin war in fast jedem Stahlunternehmen die Verbundwirtschaft zu 75 % des Selbstverbrauches an Kohle erhalten geblieben.115 Der Adressat der frohen Botschaft wollte dies alles nicht so recht glauben. Grundsätzlich war die französische Stahlindustrie an der Frage der Neuordnung der Ruhrstahlindustrie nicht interessiert.116 Im Übrigen betonten führende Vertreter der französischen 112

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Raymond Poidevin: La Haute Autorité de la CECA et les Etats Unis (1950–1957), in: Guido Müller (Hg.): Deutschland und der Westen: Internationale Beziehungen im 20. Jahrhundert, Festschrift für Klaus Schwabe, Stuttgart 1998, S. 262–269. Bossuat, l’aide américaine, S. 766, Zur Ratifikationsdebatte in Frankreich, siehe Kipping, Konkurrenz, S. 258–326. Kippings Einschätzung: „Möglicherweise wäre ohne die Durchführung der Dekonzentration oder zumindest ohne entsprechende Zusicherungen seitens der deutschen Regierung der Vertrag vom französischen Parlament nicht ratifiziert worden.“ Kipping, Konkurrenz, S. 299. AN 81 AJ 138 Jean Monnet à Auriol Vincent 16. März 1951, copie Queuille, Pleven, Bidault, Louvel, Mayer, Mollet. Mitarbeiter im Generalkommissariat für den Plan Uri, Aufzeichnung, 29. 8. 1951, Vertraulich (Auszug), Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 677ff. AN 81 AJ 137 9 mars 1951 MEMORANDUM sur la DECONCENTRATION de la RUHR et la CONCLUSION des NEGOCIANTS sur le PLAN SCHUMAN. Zwar musste Adenauer in dem Brief an die AHK versichern, dass die Kohlenbergbauunternehmen die mit ihnen verbundenen Stahlunternehmen zu handelsüblichen „Bedingungen“ und „Marktpreisen“ zu beliefern hätten. Allerdings ging wohl jeder davon aus, dass diese Zusicherung rhetorischer Natur war. Sonst hätte man sich den ganzen Streit um die Verbundwirtschaft ja sparen können. NESI, S. 456, auch schon die spätere Diskussion um die rechtliche Form der Bindung zwischen Kohle und Stahl machte deutlich, dass es den Stahlunternehmen um eine effektive Kontrolle ging. Warner, steel, S. 96–102. Zwar gab es innerhalb der CSSF in den Jahren 1949 und 1950 ganz offensichtlich einen Arbeitskreis ‚Ruhr‘, in dem Albert Bureau die französische Stahlindustrie über die Maßnahmen der Alliierten informierte. Aber er beschwerte sich in diesem Kreis über die Passivität und das Desinteresse

105 Stahlindustrie schon im Januar 1951, dass diese Neuordnungsmaßnahmen der Alliierten sowieso nicht von Dauer seien. Die Ruhrstahlindustrie würde schon Wege finden, die alliierten Maßnahmen wieder zu korrigieren.117 Sowohl während des Krieges als auch in den unmittelbaren Jahren danach ging man selbstverständlich davon aus, dass die deutsche Stahlindustrie auf längere Sicht wieder zu den bedeutendsten in Europa gehören würde.118 Das besondere Interesse der französischen Stahlindustrie am Schumanplan gehörte dann dem Zugang zur Ruhrkohle – und man war auch darüber informiert, dass diese Frage auch für die westdeutsche Stahlindustrie bedeutend war.119 Die Beziehungen der französischen Stahlindustrie zur Regierung, und gerade zu Jean Monnet, waren alles andere als unproblematisch. So hatte die französische Stahlindustrie im Gegensatz zur deutschen Stahlindustrie weder einen Informanten bei den Pariser Verhandlungen noch einen direkten Einfluss auf die interne Meinungsbildung der französischen Delegation. Die Bemühungen der französischen Regierung, die Verbundwirtschaft aufzulösen bzw. mindestens zu begrenzen, wurden dann ausdrücklich begrüßt.120 Mit der Ausführung dieses Vorhabens war man dann allerdings weit weniger zufrieden. In einem gemeinsamen Schreiben an Monnet vom Februar 1951 – also während der heißen Phase der Verhandlung – bezeichneten die Direktionen dreier Stahlgesellschaften aus Lothringen (de Wendel & Cie., Société des Aciéries de Longwy, SIDELOR) die re-

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der französischen Seite an den Neuordnungsmaßnahmen der Ruhrstahlindustrie, AM 70455 Roger Martin à André Grandpierre 28 Novembre 1949, COMTE RENDU CHAMBRE SYNDICALE DE LA SIDERURGIE REUNION „RUHR“ du jeudi 17 Novembre 1949. So zum Beispiel M. Fould, Directeur Général des Hauts-Fourneaux Forges et Aciéries de Pompey, AN 81 AJ 135 Comité d’Etudes, Sidérurgie francaise Plan Schuman, Secret Projet Procès-Verbal de la Réunion du 1er Février 1951. So bezeichnet ein Artikel über die Zukunft der französischen Stahlindustrie im europäischen Rahmen in den Actualités Industrielles Lorraines, einem Sprachrohr der lothringischen Stahlindustrie, Deutschland wie auch England, Belgien, Luxemburg und England als „grandes sidérurgies européennes“. S. 31, Actualités industrielles lorraines, Novembre/Decembre 1949, auch Alexis Aron, ein führender Vertreter der französischen Stahlindustrie, der als „Nicht-Arier“ seine berufliche Tätigkeit im zweiten Weltkrieg niederlegen musste, hatte in dieser Zeit einen Nachkriegsplan für die europäische Stahlindustrie entworfen, in dem die deutsche Stahlindustrie integriert war. Philippe Mioche: Une vision conciliante du futur de l’Europe: le plan d’Alexis Aron en 1943, in: Michel Dumoulin (Hg.): Plans des temps de guerre pour l’Europe d’après guerre, 1940–1947, Bruxelles, 1995, S. 307–323, ders.: Jean Monnet et les sidérurgistes européens 1945–1955, in: Gérard Bossuat, Andreas Wilkens: Jean Monnet, l’Europe et les chemins de la paix, Paris 1999, S. 297–306. Auch Albert Bureau machte die französischen Stahlindustriellen schon am 17. November 1949 darauf aufmerksam, dass die deutsche Stahlindustrie bald wieder ein „fast normaler“ Gesprächspartner sein werde, PAM 70455 Roger Martin à André Grandpierre 28 Novembre 1949, COMTE RENDU CHAMBRE SYNDICALE DE LA SIDERURGIE REUNION „RUHR“ du jeudi 17 Novembre 1949. Actualités Industrielles Lorraines, Juillet/Aout 1950, p. 7. CAC 19900482/26 Aubrun à Bureau 25 Novembre 1950.

106 gelmäßige Kokszufuhr von der Ruhr als eine Frage von „Tod und Leben“.121 Die praktischen Möglichkeiten der Hohen Behörde, in der Situation eines Mangels an Kohle diesen Rohstoff gleichmäßig zu verteilen, sahen sie trotz der entsprechenden Artikel im Vertrag als äußerst gering an. Wenn schon unter dem Besatzungsstatut die Lieferungen von der Ruhr völlig unabhängig von den Bedürfnissen Frankreichs von Monat zu Monat abnehmen würden, so die Verfasser, seien die Perspektiven für die Hohe Behörde, bei einem dann grundsätzlich gleichberechtigten Deutschland die Ruhrkohle entsprechend zuzuteilen, äußerst gering einzuschätzen. Weiter, so die Autoren des Briefes, würden sie mit großer Beunruhigung die Verhandlungen der Alliierten mit den deutschen Behörden hinsichtlich der Begrenzung der vertikalen Bindung zwischen Kohle und Stahl in der Presse verfolgen. Das Ausmaß der vertikalen Bindung würde sich ihrem Eindruck nach von Woche zu Woche erhöhen. Von gleichen Bedingungen könne da keine Rede mehr sein.122 Ähnlich drastisch wurde nun auch in der ‚Actualités Industrielles Lorraines‘ im Sommer 1951 die Situation geschildert. Hinsichtlich der Rohstoffe kontrolliere Deutschland Frankreich. Zumindest indirekt könnte der direkte Konkurrent Einfluss auf die Herstellungskosten der französischen Stahlindustrie nehmen. Dies sei ein untragbarer Zustand.123 Tatsächlich waren auch bei näherer Betrachtung gerade die vertraglichen Bestimmungen im EGKS-Vertrag hinsichtlich der Kohlelieferungen nach Frankreich nicht sehr effektiv. Die Hohe Behörde konnte nur bei der Erklärung der ‚ernsten Mangellage‘ die Verteilung von Rohstoffen direkt beeinflussen. Die dann zu treffenden Maßnahmen mussten dann allerdings mit dem Votum des Ministerrats bestätigt werden. De facto ging man in der Bundesregierung von einem Vetorecht aus.124 Kein Wunder, dass sich die französische Stahlindustrie im Bezug auf den Zugang zur Ruhrkohle nicht

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Vertreter der französischen Stahlindustrie an Generalkommissar für den Plan Monnet, 20. 2. 1951, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 662f. Am 14. 3. 1951, an dem Tag, an dem in Bonn schließlich der entscheidende Brief abgefasst wurde, beklagte sich auch Alexis Aron, führender Vertreter der CSSF im Beisein von Robert Lacoste, dem französischen Industrieminister, bitter bei Tomlinson. Solch einen Vertrag, so Aron, hätten die USA für ihre Industrie nie unterschrieben. Die deutsche Stahlindustrie würde nun die Koksbedürfnisse der französischen Industrie kontrollieren. Unter diesen Umständen wäre es besser für die französische Stahlindustrie gewesen, direkt mit der deutschen Seite zu verhandeln. Deutschland brauche selber einige Produkte, die Frankreich liefern könne. FRUS, IV, S. 98, JMDS 74 (3) Tomlinson to Secretary of State 21. 12. 1950. Actualités Industrielles Lorraines, Juillet-Août 1951, S. 5–22. So hatte schon vor der Unterzeichnung Staatssekretär Hallstein in einem Brief von Robert Pferdmenges am 8. 1. 1951 darauf hingewiesen, dass „uns bei diesen Entscheidungen ein Vetorecht gesichert“ sei, „so dass wir nicht gegen unseren Willen bei eigener Mangellage zur verstärkten Abgabe von Kohle gezwungen werden können“. Bankier Pferdmenges an Bundeskanzler Adenauer 27. 12. 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 652, hier: Anm 5 Hallstein an Pferdmenges 8. 1. 1951 S. 654. Auch im BWM war man in einer Sitzung mit Hallstein noch vor der Unterzeichnung des Vertrages zu dem Schluss gekommen, dass der Wortlaut des Artikels 59 eine ganze Reihe von juristischer Argumentation erlaube, die eine einseitige Auslegung gegen Deutsch-

107 auf die Hohe Behörde verlassen wollte. Zu einem ähnlichen Schluss kam das französische Industrieministerium in einem Vermerk am 18. März 1953. Der EGKS-Vertrag gäbe der französischen Stahlindustrie keine wirkliche Garantie für ihre Rohstoffbezüge.125 Aufgrund der Einstimmigkeit im Ministerrat könne Deutschland immer seine Zustimmung während einer Mangellage verweigern. Schon während der Ratifikationsverhandlungen forderten deshalb Vertreter der Stahlindustrie und Parlamentarier, dass sich die französische Regierung für eine französische Beteiligung an Kohlenzechen im Ruhrgebiet einsetzen sollte.126

2.7 Der Kauf der Harpen Bergbau AG Schon im Jahre 1952 kam es zu ersten Verhandlungen zwischen einem Konsortium lothringischer Stahlunternehmen, SIDECHAR, und Friedrich Flick, dessen Bergbaubesitz, darunter die Harpener Bergbau AG, alliierter Verkaufsauflage unterlag.127 Diese Bemühungen wurden von der französischen Regierung finanziell gefördert. Die Harpen-Bergbaugesellschaft AG, so ein Vermerk im Industrieministerium, könnte fast die ganze benötigte Importmenge der französischen Stahlindustrie fördern. Mit dem Verkauf wäre die französische Stahlindustrie von der Abhängigkeit gegenüber der deutschen Industrie befreit.128 Obwohl noch der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Ludger Westrick, in letzter Minute einen Plan entwickelte, mit dem der Verkauf doch noch verhindert wer-

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land verhindere. Das BWM war ausdrücklich der Meinung, dass eine Mangellage gar nicht entstehen könne, da die USA, „wenn auch zu teuren Preisen“, unbeschränkt lieferfähig sei. BA B 109/350 Vermerk für den Herrn Staatssekretär, 26. 2. 1951. Ministerium für Industrie und Energie, Aufzeichnung 18. 3. 1953, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 181ff. Sylvie Lefèvre: Les sidérurgistes francaises propriétaires de charbonnages dans la Ruhr (1945– 1954), in: Andreas Wilkens: Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen 1945–1960, Sigmaringen 1997, S. 237–247, hier: S. 244, CHEVS 1 DE 27 Conseil de la République Année 1952. Avis présenté au nom de la Commission de la production industrielle, sur le projet de loi, adopté par l’Assemblée Nationale, autorisant le Président de la République à ratifier le traité signé à Paris le 18 avril 1951 et instituant une Communauté européenne du charbon et de l’acier ainsi que ses annexes, les protocoles joints une convention relative aux dispositions transitoires par M. Armengaud, Sénateur, S. 18. Lefèvre, sidérurgistes, S. 244f, Gillingham, rebirth, S. 358, Palayret, S. 340. Hoher Kommissar an Minister für Auswärtige Angelegenheiten Bidault, Nr. 921 2. 5. 1953, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich S. 187, Ministerium für Industrie und Energie, Aufzeichnung 18. 3. 1953, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 181, CAC 19771474/83 Achat de la mine HARPENER par un groupe de Sociétés sidérurgiques, le 9 juillet 1953. BA B 136/2461 Friedrich Flick an Adenauer 3. Juli 1953, Referat 6 Betr. Neuordnung der Flick AG, Bonn den 11. März 1953.

108 den konnte, kam das Geschäft zustande.129 Es wurde dann allerdings im Kabinett beschlossen, dass die Bundesregierung den Verkauf nur zur Kenntnis nehme, damit nicht der Eindruck entstehe, der Verkauf würde ausdrücklich gebilligt.130 Dass Bundeskanzler Adenauer letztlich persönlich für den Verkauf eintrat, wie es das Kabinett des französischen Hohen Kommissariats am 30. Mai 1954 an das Außenministerium mitteilte, ist durchaus denkbar.131 Die westdeutsche Stahlindustrie scheint sich wiederum mit dem Verkauf recht schnell abgefunden zu haben.132 Die Bedingungen, unter denen Hüttenwerke Ruhrkohle beziehen konnten, waren mittlerweile im Rahmen der Gemeinschaftsorganisation Ruhrkohle (GEORG), welches den Deutschen Kohlen-Verkauf (DKV) schließlich ersetzt hatte und dessen Auflösung von der Bundesregierung vor der Unterzeichnung des Schumanplans zugesagt worden war, geregelt. Die GEORG, so das französische Industrieministerium, sei kaum weniger zentralisiert als das DKV oder das Verkaufskontor der Zwischenkriegszeit.133 Dank des Kaufes konnte nun SIDECHAR unter den gleichen Bedingungen Ruhrkohle beziehen wie westdeutsche Stahlgesellschaften mit Zechenbesitz. Damit hatte die französische Stahlindustrie kein Interesse, die Untersuchungen der Hohen Behörde hinsichtlich der Vereinbarkeit von GEORG mit dem Kartellverbot des EGKS-Vertrages zu unterstützen.134 So hatte hier die Ruhrindustrie in der Frage des Kohlenkartells eher einen Verbündeten gefunden.135

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BA B 136/2462 Referat 6. Vermerk für die Kabinettssitzung 27. April 1954, gez. Haenlein. BA B 136/2462 Flick an Pferdmenges 6. 4. 1954, BA B 136/2461 Bundesminister für Wirtschaft an Dr. Friedrich Flick 5 Juni 1953, BA B 136/2461, gez. Haenlein Betr. Verkauf der Kohlenbeteiligung

Flick 29. 4. 1953. BA B 136/2462 Fiche 9 Auszug aus dem Protokoll vom 28. 4. 54, Kab.-Sitzung. Die Flickgruppe erwarb dann im Jahre 1955 über ihre neu gegründete Tochtergesellschaft „Mercure“ eine 20 %ige Beteiligung an der Société des Aciéries et Tréfileries de Neuves Maisons-Châtillon. Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 189, Anm. 8. Lefèvre, sidérurgistes, S. 245 Anm 40. Der Harpen-Erwerb wird intern von der westdeutschen Stahlindustrie gerne als ein Beispiel für die „nationalwirtschaftliche“ Politik Frankreichs benutzt. M 12985 Vermerk Gespräch mit den Parlamentariern am 6. 5. 1954 in Bonn, gez. Kox, 7. 5. 1954. Ministerium für Industrie und Energie, Aufzeichnung 18. 3. 1953, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 181ff. Spierenburg, CECA, S. 118ff. Lefèvre, sidérurgistes, S. 246, Der Volkswirt, 22. 5. 1954, Der Verkauf der Mehrheit von Harpen. In einer Rede zur Hundertjahresfeier der Harpen Bergbau AG im Jahre 1956 sollte Louis Charvet als Vertreter der französischen Stahlindustrie den kollegialen Geist bei der Zusammenarbeit mit der Ruhrindustrie und ihren Verbänden – womit sicherlich auch das Kohlenkartell gemeint war – ausdrücklich betonen. CAC 19900482/27 Charvet à Aubrun 10. Janvier 1956, weiter war im Aufsichtsrat von Harpen Robert Pferdmenges vertreten, was wiederum für eine diplomatische Lösung von eventuellen Schwierigkeiten wieder recht gut war. CAC 19770839/3 NOTE POUR MONSIEUR LE MINISTRE, gez. A. Denis 17 mars 1959.

109 So hatte nicht die Anwendung der rechtlichen Bestimmungen des EGKS-Vertrages, sondern der Verkauf eines Bergbauunternehmens durch Friedrich Flick die Kohleprobleme der französischen Stahlindustrie gelöst.136 Für die französische Stahlindustrie bedeutete der Kauf von Harpen die langfristige Sicherung der Kokslieferungen.137 Der Erwerb der Mine Harpen war ein klares Anzeichen dafür, dass die französische Stahlindustrie den gleichberechtigten Zugang zur Ruhrkohle weder durch die Neuordnung noch durch den Schumanplan als gegeben sah. Bei diesem Verkauf ist allerdings nach der Konzeption des BWM zu fragen. Dort wurde in der allerletzten Minute noch eine Art ‚Rettungsplan‘ für Harpen entworfen. Es gibt überhaupt keinen Hinweis, dass entsprechende Anregungen von der westdeutschen Stahlindustrie ausgegangen waren. Ganz offensichtlich wollte man die Anzahl der ausländischen Besitzer an Montanunternehmen aus welchen Gründen auch immer begrenzen. Zumindest stand man ausländischen Investitionen in der deutschen Montanindustrie sehr skeptisch gegenüber. Die französische Regierung, und auch die französische Stahlindustrie, hätte ein dementsprechendes Eingreifen wohl als ‚Kriegserklärung‘ empfunden. Man kann wohl davon ausgehen, dass Bundeskanzler Adenauer dafür sorgte, dass dieser Verkauf doch letztendlich geräuschlos abgewickelt wurde. Wahrscheinlich war Adenauer bewusst, was die ersehnte Versorgungssicherheit der französischen Stahlindustrie bedeutete. Damit musste die Ruhrkohlenfrage, dieses leidige Thema, andere wirtschaftliche oder politische Anliegen im deutsch-französischen Verhältnis, aber auch in der Europäischen Zusammenarbeit im Rahmen der EGKS und anderer Institutionen, nicht mehr belasten. Dies konnte wiederum die zukünftige Arbeit der Hohen Behörde nur erleichtern und der europäischen Integration, aber auch dem deutsch-französischen Verhältnis, nur förderlich sein.

2.8 Schlussbetrachtung Die Frage nach dem Zusammenhang der Neuordnung mit dem Schumanplan kann eindeutig beantwortet werden. Beide Komplexe zielten darauf ab, der französischen Stahlindustrie einen – im Vergleich zur Ruhrstahlindustrie – möglichst gleichberechtigten Zugang zur Ruhrkohle zu beschaffen. Die Diskussion um diesen Zugang verdeutlicht auf sehr anschauliche Weise die institutionellen Mechanismen der Konfliktlösung verschiedener Interessen, um die es letztlich bei den Schumanplan-Verhandlungen ging.

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Der Erwerb von Harpen, so die Analyse im Quai d’Orsay, zeige ihre Skepsis hinsichtlich der Möglichkeiten des EGKS-Vertrages. Der Erwerb sei allerdings eine gute „contre-assurance“. MAE DE-CE 542 Direction des Affaires Economiques et financiers, Note pour M. Maurice Schuman 9. 1. 1954. Actualités industrielles lorraines, Nov. Dec. 1954, S. 34, S. 11.

110 Das Ziel war der undiskriminierende Zugang zur Ruhrkohle – insbesondere für die französische Stahlindustrie. Die Vorstellung Monnets war es, der Hohen Behörde die Lösung dieser technisch-wirtschaftlichen Fragen zu überlassen. Grundsätzlich sprach sich in der Bundesrepublik keiner gegen ein ‚supranationales Mandat‘ aus, um diese Fragen zu lösen. Gleichzeitig forderte man aber im Namen der ‚Gleichberechtigung‘ die Eigentumsbindung zwischen Kohle und Stahl für die Selbstverbrauchsmenge für die Ruhrstahlindustrie. Damit war die ‚Gleichberechtigung‘ hinsichtlich des Zuganges zur Ruhrkohle wiederum ausgeschlossen. Hätten alle Seiten volles Vertrauen in die zukünftige Politik der Hohen Behörde gehabt, wäre ein weiteres Vorgehen gegen die Verbundwirtschaft eigentlich nicht nötig gewesen. Man hätte es der Hohen Behörde überlassen können, gleiche Wettbewerbsbedingungen – ein EGKS-Vertragsziel – durchzusetzen. Allerdings gingen ganz offensichtlich sowohl die deutsche, die französische und auch die amerikanische Seite davon aus, dass der Vertrag nicht halten würde, was er versprach: nämlich ein reichhaltiges billiges Angebot an Kohle mit gleichem Zugang für alle Verbraucher. Wäre man überzeugt gewesen, dass diese im Vertrag deutlich niedergeschriebenen Ziele erreicht worden wären, dann hätte man sich den Streit um die Verbundwirtschaft sparen können. Trotzdem verkündeten Vertreter der französischen Regierung besseren Wissens in der Nationalversammlung, dass der EGKS-Vertrag den ‚undiskriminierten‘ Zugang zur Ruhrkohle für den französischen Verbraucher bedeuten würde. Ganz offensichtlich war für die französische Seite die Hauptmotivation für die Umsetzung des EGKS-Vertrags dann doch nicht ökonomischer, sondern politischer Natur.138 Es ging darum, eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich und anderen Staaten in Westeuropa zu praktizieren. Einiges deutete darauf hin, dass die Zusammenarbeit der beteiligten Akteure innerhalb der EGKS weniger von der Anwendung und Durchsetzung von formellen Regeln des EGKS-Vertrags bestimmt werden würde, sondern vom impliziten politischen Willen auf allen Seiten zur Verständigung im Falle durchaus konträrer Standpunkte im Interesse dieser neuen Form der Zusammenarbeit. Dabei ging es um mehr als Kohle und Stahl. Es ist interessant, einmal zu überlegen, was die Lösung für den französischen Zugang zur Ruhrkohle, nämlich der direkte Erwerb eines Bergbauunternehmens des Ruhrgebietes, für die künftige Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde bedeuten würde. Die ‚formellen‘ Wettbewerbsregeln hatten, wie aufgezeigt, ‚informell‘ die Aufgabe, die Ergebnisse der Neuordnung der Stahlindustrie aufrechtzuerhalten, um den Zugang zur Ruhrkohle zu sichern. Wenn dieser Zugang nun durch den Kauf der Harpen Bergbau AG erreicht worden war, war dieser Auftrag nicht damit obsolet? Aus wettbewerbspolitischer Überzeugung hatte ja kein Mitgliedstaat dem EGKS-Wettbewerbsartikel zugestimmt. Daran schließt

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Zu dem Primat des ‚Politik‘ beim Schumanplan, siehe auch Milward, reconstruction, S. 418ff.

111 sich natürlich die Frage an, wozu die Wettbewerbsartikel im EGKS-Vertrag dann noch benötigt wurden? Insofern stellen sich die folgenden Fragen: Wie sah die Neuordnung der Ruhrstahlindustrie – abgesehen von der Frage des Verbundes Kohle-Stahl – eigentlich konkret aus? Hatte sie zu einer Auflösung von ökonomischer Marktmacht geführt, wie dies ja in der französischen Ratifikationsdebatte behauptet wurde? Wie ist das Ergebnis der Neuordnung zu bewerten? Unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Neuordnung: War eine ‚Rekonzentration‘ der westdeutschen Stahlindustrie notwendig? War sie eine ‚ökonomische‘ Notwendigkeit? Diese Fragen sollen im nächsten Kapitel behandelt werden.

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3. K APITEL D IE N EUORDNUNG DER R UHRSTAHL INDUSTRIE – EINE B ILANZ

3.1 Einleitung Dieses Kapitel soll der Frage nachgehen, mit welcher Struktur die westdeutsche Stahlindustrie schließlich im Sommer 1953 in den gemeinsamen Stahlmarkt der EGKS eintrat. Diese Struktur war das materielle Ergebnis der alliierten Neuordnung der westdeutschen Stahlindustrie. Sie bildete dann die Ausgangsbasis der in den fünfziger Jahren erfolgten Unternehmenszusammenschlüsse. Welches waren nun die Auswirkungen der Neuordnung auf die Unternehmensstruktur der Ruhrstahlindustrie? Die Beschreibung der Ergebnisse der Neuordnung für die jeweiligen Konzerne wird im Vordergrund stehen. Auf die allgemeinen politischen Ziele und Hintergründe der alliierten Neuordnungspolitik soll nur insoweit eingegangen werden, um das Endergebnis der Neuordnung erklären zu können. Die Beschränkung der Eigentumsbindung zwischen Kohle und Stahl als ein Ergebnis der Neuordnung ist in den vorhergehenden Teilen dieser Arbeit schon hervorgehoben worden. Hier soll nun die eigentliche bedeutende materielle Komponente der Neuordnung im Vordergrund stehen: die Auflösung bzw. Umstrukturierung der sechs wichtigsten Montankonzerne des Ruhrgebietes. So wurden im Rahmen der Neuordnung die Vereinigten Stahlwerke AG (VSt) liquidiert. An ihre Stelle traten insgesamt achtzehn Nachfolgegesellschaften, davon dreizehn eisen- und stahlerzeugende Gesellschaften.1 Die Eisen- und Stahlwerke Hoesch Werke 1

Eine Auflistung der neuen Unternehmen, bei Müller, Strukturwandel, S. 98–109, Bernd Huffschmidt: Das veränderte Gesicht der Montanindustrie, in: Zum Eisenhüttentag 1954, Beilage in: Der Volkswirt v. 30. 10. 1954, S. 5–54, NESI, S. 858–870. Der Begriff „eisen- und stahlerzeugende Unternehmen/Betrieb“ bezeichnet hier Betriebe, die entweder Roheisen-Rohstahl oder Walzstahl herstellten. Ein „integriertes oder gemischtes Hüttenwerk“ bezeichnet einen Betrieb, der die Produktionsstufen Hochofen-, Stahl- und Walzwerk zusammenfasst. Im Ruhrgebiet waren die meisten Betriebe entweder integrierte Hüttenwerke oder Betriebe mit Stahl- und Walzstahlerzeugung. „Reine Walzwerke“, ohne eigene Stahlherstellung, gab es nur wenige. Ein „gemischtes Unterneh-

114 AG, die Klöckner Werke AG und die Mannesmannröhren Werke AG wurden ebenfalls

aufgelöst und je drei Nachfolgegesellschaften gegründet. Die Firma Fried. Krupp blieb zwar weiter bestehen, allerdings wurden insgesamt fünf neue Gesellschaften, meist des Bergbaus und der Eisen- und Stahlerzeugung, ausgegliedert. Genauso blieb der Gutehoffnungshütte Aktienverein (GHH) weiter bestehen, drei neue Gesellschaften wurden ausgegliedert. Aus rein formeller Sicht endete die Neuordnung also in der Auflösung der meisten Altkonzerne und der Neugründung einer Vielzahl von Nachfolgegesellschaften insbesondere auf dem Gebiet der Eisen- und Stahlerzeugung. Dieses Ergebnis ist sehr unterschiedlich bewertet worden. Auf diese Bewertungen soll hier kurz eingegangen werden, da sie ja schon eine Bewertung einer ‚Rückverflechtung‘, ‚Rekonzentration‘ oder ‚Reintegration‘ implizieren. Ohne im Einzelnen auf die materiellen Auswirkungen der Neuordnung auf die Struktur der Altkonzerne bzw. der neuen Unternehmen einzugehen, kommt Isabel Warner in ihrer Darstellung der Neuordnung zu dem Schluss, dass diese letztlich ein „good deal“ für die westdeutsche Stahlindustrie gewesen sei.2 In ihrer detaillierten Beschreibung der Neuordnungsverhandlungen zwischen der Bundesregierung, der Ruhrstahlindustrie und den Alliierten kann sie nachweisen, dass die Bundesregierung gerade nach der Unterzeichnung des Schumanplans die ursprünglichen alliierten Pläne zum Teil erheblich abschwächen konnte.3 Zu einer ähnlichen Bewertung kommt Gloria Müller, die auch auf die privatwirtschaftliche Organisation der neu geordneten Stahlindustrie hinweist, und die Tatsache, dass die Verwaltungen und Eigentümer der Altkonzerne nun auch in den Nachfolgegesellschaften entscheidend vertreten bzw. beteiligt waren.4 Angesichts der seit 1945 diskutierten Neuordnungs- und Sozialisierungspläne ein eigentlich erstaunliches Resultat.5

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men/Konzern“ wiederum umfasst in einem Unternehmen/Konzern Werksanlagen wie Kohlenzechen, Kokereien, Hochofen- und Stahlwerke oder Gießereien, aber auch stahlverarbeitende Werke, wie Stahl- und Maschinenbau etc. Dieser Terminologie folgt Alfred Reckendrees: Das „Stahltrust“ Projekt. Die Gründung der Vereinigten Stahlwerke A.G. und ihre Unternehmensentwicklung 1926– 1933/34, München 2000, S. 61 Anm 10. Warner, Steel, S. 235. Warner, Steel, S. 233–236. Müller, Strukturwandel, S. 109. Zu den verschiedenen alliierten Plänen hinsichtlich der Entwicklung des Ruhrgebietes bzw. der Ruhrmontanindustrie seit 1945 siehe insbesondere die Einleitung in: Rolf Steininger (Hg.): Die Ruhrfrage 1945/46 und die Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen: britische, französische und amerikanische Akten, Düsseldorf 1988, Müller, Strukturwandel, S. 49–88, Warner, Steel, S. 1–10, Berghahn, Unternehmer, S. 84–111, Dietmar Petzina: Zwischen Neuordnung und Krise. Zur Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie im Ruhrgebiet seit dem Zweiten Weltkrieg, S. 525–559, in: Ottfried Dascher, Christian Kleinschmidt: Die Eisen- und Stahlindustrie im Dortmunder Raum. Wirtschaftliche Entwicklung, soziale Strukturen und technologischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert, Dortmund 1992, S. 525–558.

115 Hier sollen nun aber die Auswirkungen der Neuordnung auf die Struktur der Altkonzerne im Vordergrund stehen, um die Ausgangsbedingungen für die innerhalb der EGKS vollzogenen Zusammenschlüsse herausarbeiten zu können. Die Auflösung und die erhebliche Zunahme der Anzahl von Unternehmen der Eisen- und Stahlerzeugung in der Bundesrepublik ist aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht sehr unterschiedlich bewertet worden. Die Analyse von Werner Plumpe bezieht sich hauptsächlich auf die zeitgenössischen Stellungnahmen aus Unternehmen, Wissenschaft und Wirtschaftspublizistik, deren praktisch einstimmiges Urteil lautete, dass die neu geschaffenen Strukturen „betriebswirtschaftlich unsinnig“ waren.6 Exemplarisch kann hier die zeitgenössische Aussage von drei zeitgenössischen Wirtschaftspublizisten gelten, welche die Entflechtung folgendermaßen beschrieben: Alliierte oder nach alliierter Weisung arbeitende Kontroll- und Reorganisationsinstanzen haben seit Kriegsende die alten, in Jahrzehnten eines natürlichen Wachstums entstandenen Montangesellschaften an Ruhr und Rhein entflochten, bewährte Verbindungen zwischen Kohle und Stahl getrennt und schließlich die auseinander gerissenen Betriebe teilweise wieder zusammengefügt. (…) Was sich heute als ein neues Strukturbild der westdeutschen Montanindustrie darbietet, kann daher kein endgültiger Zustand sein.7

Ähnlich urteilt Plumpe: Als besonders problematisch erwies sich dabei bis zur Kohlenkrise die Zerschlagung der Verbundwirtschaft und ihre nur teilweise Wiederherstellung, der Auflösung gewachsener arbeitsteiliger Strukturen im Stahlbereich sowie die Abtrennung des größten Teiles der Weiterverarbeitung.8

Plumpe geht davon aus, dass die Auflösung der alten Industriestruktur zu einer Erhöhung der Transaktionskosten der Unternehmen führte.9 Durch die „Zerstörung gewachsener arbeitsteiliger Strukturen und teilweise aus politischen Gründen erfolgenden Neuzuschneidung nicht optimal strukturierter Montangesellschaften“, so Plumpe, erhöhten sich die Kosten der neu gegründeten Unternehmen, da sie nun Aufgaben, wie z.B. im Bereich von Verkauf und Marktbeobachtung, die vorher zentral von der Konzernzentrale übernommen wurden, selber erledigen mussten. Weiter sieht er in dem Weimarer 6

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Werner Plumpe: Krisen in der Stahlindustrie der Bundesrepublik Deutschland, in: Friedrich Wilhelm Hennig: Krisen und Krisenbewältigung vom 19. Jahrhundert bis heute, Frankfurt, Berlin 1998, S. 70–91, hier: S. 78. Karl-Heinz Herchenröder, Johannes Schäfer, Manfred Zapp: Die Nachfolger der Ruhrkonzerne: Die „Neuordnung der Montanindustrie“, Düsseldorf 1953, S. 5 u. 7. Ähnlich Werner Köpf: Die wirtschaftlichen Grundlagen einer sinnvollen Rückverflechtung der deutschen Eisen- und Stahlindustrie unter dem Blickwinkel einer internationalen Strukturidentität und der weltweiten Konzernbildung bei den Montankonzernen, Diss., München 1959. Plumpe, Stahlkrise, S. 77. Werner Plumpe: Desintegration und Reintegration: Anpassungszwänge und Handlungsstrategien der Schwerindustrie des Ruhrgebiets in der Nachkriegszeit, in: Eckhardt Schremmer (Hg.): Wirtschaftliche und soziale Integration in historischer Sicht, Stuttgart 1996, S. 290–303.

116 Modell der Konzernierung durchaus Vorteile, da das Prinzip der Kostensenkung immer im Vordergrund gestanden hätte. Er stellt eine „Angliederung profitabler Weiterverarbeitungsstufen zur Erzielung höherer Margen“ fest. Plumpe sieht in der Ausgliederung kleinerer Unternehmen ein ausgesprochenes Hindernis, die Skalenvorteile, ‚economies of scale‘, größere Produktionsanlagen voll auszunutzen. So resümiert er: Durch die Entflechtung nach 1945 wurde in der Stahlindustrie eine durchaus funktionsfähige Unternehmensstruktur in kostenmäßig gesehene suboptimale Mittelunternehmen zerschlagen.10

Schließlich erweist sich die Entflechtung „als politisch motivierter, ökonomisch unsinniger Eingriff in die gewachsenen Unternehmensstrukturen, deren Entwicklung stets einer ökonomischen, keineswegs aber machtpolitischen Logik gefolgt war“.11 Auch Gary Herrigel sieht in der Nachkriegsentwicklung der deutschen Stahlindustrie eine „radical discontinuity with the industry of the past“.12 Der Sinn der Vorkriegskonzerne sei es gerade gewesen, das Risiko der Spezialisierung der einzelnen Betriebe durch sowohl vertikale als auch horizontale Gliederung auszugleichen.13 Die relativ geringe Anzahl dieser vertikal und horizontal gegliederten Konzerne, die Herrigel ‚Institutionen zur Stabilisierung von spezialisierter Produktion‘ nennt, erleichterte dann auch die Marktabsprachen in der Stahlindustrie.14 Die Nachfolgeunternehmen, meist um ein großes integriertes Hüttenwerk gruppiert, so Herrigel, mussten nun ihre Produktionsstrategie neu ausrichten und konzentrierten sich auf die Herstellung von wenigen Walzstahlprodukten, die sie aufgrund von technischen Skalenvorteilen nun effizienter herstellen konnten:15 The radical fragmentation imposed on the industry by the Allies created the possibility that the pieces could be placed back together, both within firms and across the industry as a whole, in ways that would facilitate larger scale, more efficient production.16

Dabei geht Herrigel davon aus, dass die neu gründeten Unternehmen, gerade was die Verbindungen zwischen Hütten-, Stahl- und Walzwerke angeht, vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt nicht immer technisch optimal waren. Dies sei aber gar nicht das Hauptziel der Neuordnung gewesen:

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Plumpe, Desintegration, S. 303. Ders., S. 303. Gary Herrigel: Industrial Constructions: The sources of German industrial power, Cambridge 1996, S. 210. Herrigel, Construction, S. 92ff. Herrigel, Construction, S. 95–98. Herrigel, Construction, S. 210–219. Herrigel, Construction, S. 215.

117 But this kind of allocation of capacity was desirable from the point of view of the reformers both because it was difficult otherwise to achieve the goal of creating more companies to enlarge the arena of competition and because it raised the costs of diversification and created an incentive for firms to grow by increasing the scale of rolling mills.17

Die Berechtigung der vertikalen Konzernstruktur, so Herrigel, sahen die Alliierten nicht mehr gegeben, da sich das makroökonomische Umfeld gegenüber der Zwischenkriegszeit verändert hatte. Die Neuordnung schuf nun kleinere Unternehmensgruppen, die sich auf die effizientere Massenherstellung von wenigen Walzstahlprodukten spezialisieren konnten. Letztlich trug dies zu einer stärkeren Wettbewerbsfähigkeit der Industrie bei. Es ist festzuhalten, dass Herrigel davon ausgeht, dass die vertikale Gliederung der meisten Konzerne ganz offensichtlich effektiv durch die Neuordnung aufgelöst wurde. Weiter geht er auch von einer gemeinsamen Strategie der Alliierten aus: The Allies agreed that the industry needed to be deconstructed and rearranged in a way that would allow more ‚modern‘ and ‚healthy‘ – that is, larger scale and less horizontally diversified – forms of industrial production to take root.18

Beide Analysen unterscheiden sich insbesondere in der Bewertung der Strukturen der Altkonzerne. Herrigel geht davon aus, dass sich durch eine Veränderung des makroökonomischen Umfelds die Struktur der Zwischenkriegszeit als nicht mehr zeitgemäß herausstellte. Insofern war die Neuordnung eine Chance, die Branche weniger vertikal – vom Bergbau bis zur Weiterverarbeitung gegliedert –, sondern horizontal – mit Schwerpunkt der Stahlerzeugung – zu reorganisieren. Plumpe sieht die Kostenvorteile der vertikalen Konzerne der Zwischenkriegszeit auch in den fünfziger und sechziger Jahren gegeben. Schließlich beinhalten beide Analysen schon eine Einschätzung der ‚Rekonzentration‘. Während es nach Herrigel hier um eine Neuausrichtung nach dem Prinzip der Massenherstellung ging, die auf das Ergebnis der Neuordnung aufbaute, so deutet Plumpe wiederum die Rekonzentration als eine Rücknahme unsinniger alliierter Entscheidungen. Mit der Politik der Hohen Behörde beschäftigen sich beide nicht. Letztlich betrachten aber beide den ‚Rekonzentrationsprozess‘ als kostenmindernd bzw. wettbewerbsfördernd. Wichtig ist herauszustellen, dass beide ihre Analyse auf der Annahme basieren, dass die Maßnahmen der Neuordnung die Strukturen der Stahlunternehmen effektiv veränderten. Hier soll nun argumentiert werden, dass die Industrie der Stahlindustrie durch die Neuordnung weit weniger verändert wurde, als dies Herrigel und Plumpe annehmen. 17

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Gary Herrigel: American Occupation, Market Order and Democracy: reconfiguring the Steel Industry in Japan and Germany after the Second World War, in: Jonathan Zeitlin, Herrigel, Gary (Hg.): Americanization and its limits. Reworking US technology and Management in Post-War Europe and Japan, S. 340–400, in: S. 363. Herrigel, American, S. 363. Die einzige Quelle, die Herrigel für diese angeblich gemeinsame Strategie der Alliierten nennt, ist das Buch des damaligen Leiters der amerikanischen Besatzungsverwaltung in Westdeutschland, Lucius Clay: Decisions in Germany, New York 1950, S. 329–330.

118 Wie schon aufgezeigt, kann von einer grundsätzlichen Auflösung der Verbundwirtschaft zwischen Kohle und Stahl für die meisten Unternehmen nicht die Rede sein. Weiter waren die Veränderungen in der Struktur der mittleren Konzerne, Mannesmann, Hoesch, den Klöckner Werken, Krupp und der GHH, sehr gering. Die VSt wurde zwar aufgelöst und bei der Stahlerzeugung durch dreizehn Nachfolgegesellschaften in der Eisen- und Stahlerzeugung ersetzt, aber schon im Jahre 1954 zeichnete sich bei den VSt-Nachfolgegesellschaften die Bildung mehrerer Unternehmensgruppen ab, die von den ehemaligen Großaktionären der VSt, insbesondere den Rheinischen Stahlwerken sowie den Erbinnen Fritz Thyssens, informell kontrolliert wurden. Schließlich gab es weiterhin Verbindungen zwischen diesen Gruppen. Hier ist insbesondere die Handelsunion AG zu nennen, in der alle Handelsgesellschaften der ehemaligen VSt zusammengefasst waren. So wurde durch die Neuordnung eine ganze Reihe von juristisch unabhängigen Unternehmen geschaffen, gleichzeitig wurde allerdings durch die Entscheidung der AHK, die Aktien der neuen Unternehmen an die Alteigentümer auszugeben, die Konzentration auf Eigentumsebene gefördert. So entsprach das Ergebnis der Neuordnung weniger einem einheitlichen, von allen drei westlichen Besatzungsmächten ausgearbeiteten betriebswirtschaftlichen Konzept, sondern weitestgehend den Zielen der Eigentümer und Verwaltungen der Altkonzerne. Bevor auf die Ergebnisse der Neuordnung im Einzelnen eingegangen wird, soll hier kurz der institutionelle Rahmen der Neuordnung dargestellt werden. Die Neuordnung der westdeutschen Stahlindustrie ist grundsätzlich in der totalen Niederlage des Angriffskrieges des NS-Deutschlands begründet. Im Potsdamer Abkommen einigten sich die drei Kriegsverbündeten USA, Großbritannien und die Sowjetunion auf dem Grundsatz der ‚Dezentralisierung‘ des deutschen Wirtschaftslebens mit dem Ziel der Auflösung von Kartellen und Konzernen.19 Ohne die Stahlindustrie besonders zu erwähnen, waren diese Grundsätze für eine Schlüsselindustrie der Kriegswirtschaft natürlich von besonderer Bedeutung.20 Zu einer gemeinsamen Ausführung des Potsdamer Abkommens der beschlossenen Maßnahmen durch die Unterzeichner kam es aufgrund des baldigen Auseinanderbrechens der Kriegskoalition allerdings nie.21 Die ersten Eingriffe in die bestehende betriebliche Struktur der sechs Altkonzerne wurden dann unter alleiniger Verantwortung Großbritanniens unternommen, da das 19 20

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NESI, S. 33. Der Hauptschwerpunkt der wirtschaftlichen Aspekte der Besatzungspolitik zu diesem Zeitpunkt war allerdings die Frage der Reparationen. Schon im Mai 1946 stoppte der Militärgouverneur für die amerikanische Zone die Reparationslieferungen an die Sowjetunion, was das Ende einer gemeinsamen Politik der Alliierten auf diesem Gebiet bedeutete. Gillingham, rebirth S. 105. Die französische Regierung, die in Potsdam nicht vertreten war, hatte den Potsdamer Beschluss, zentrale Verwaltungen für das besetzte Deutschland einzusetzen, sofort abgelehnt, da die Rheinland bzw. Ruhrfrage unbedingt offengehalten werden sollte. Wilfried Loth: Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte, Berlin 1994, S. 40f.

119 Ruhrgebiet in der britischen Besatzungszone lag.22 So beschlagnahmte die britische Militärregierung am 20. August 1946 alle Eisen- und Stahlkonzerne ihres Kontrollgebiets und setzte als Kontrollinstanz die North German Iron and Steel Control (NGISC) ein.23 Anstatt nun je einen britischen Kontrollbeamten für jeden beschlagnahmten Betrieb einzusetzen, übertrug man die Kontrolle der Unternehmen, als Exekutivorgan der NGISC, einem deutschen Ausführungsorgan, der so genannten Treuhandverwaltung, die drei Monate später gegründet wurde. Als Leiter der Treuhandverwaltung wurde Heinrich Dinkelbach berufen, bis dahin Vorstandsmitglied der VSt. Am 30. November 1946 begann die eigentliche Entflechtungsoperation der Ruhrstahlindustrie mit dem Namen „Operation Severence“, die in der Ausgliederung von fünfundzwanzig Betriebsführungsgesellschaften aus den Altkonzernen bestand.24 Das Grundprinzip war eine vorübergehende Trennung von Eigentum und Verwaltung der Betriebe.25 So war die Entflechtung also alles andere als eine Vorentscheidung über die zukünftigen Eigentumsverhältnisse oder die endgültige Betriebsstruktur der westdeutschen Stahlindustrie.26 Mit der Gründung der Bi- bzw. der Trizone erweiterte sich die NGSCI um die Amerikaner und die Franzosen zur Control Steel Group (CSG). Nach Gründung der BRD war die CSG Teil der Alliierten Hohen Kommission (AHK), die sich das Recht auf Neuordnung der Stahlindustrie im Besatzungsstatut ausdrücklich vorbehalten hatte. Das Exeku-

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Die Sowjetunion wurde schon ab 1945 von der britischen Regierung als die eigentliche Hauptbedrohung für die Sicherheit in Europa angesehen. Die britische Besatzungspolitik zielte deshalb darauf ab, den wirtschaftlichen Wiederaufbau in ihrer Zone rasch anzugehen. Wirtschaftliches Chaos im Ruhrgebiet würde nur der Sowjetunion nützen und die schon erheblichen Besatzungskosten noch erheblich erhöhen. Gerade die Gründung der SED bestärkte Außenminister Bevin in der Ansicht, dass es nun darauf ankam, die westlichen Besatzungszonen wirtschaftlich zu stärken, um einen größeren Einfluss der Sowjetunion zu vermeiden. Anne Deighton: Cold-Diplomacy: British Policy towards Germany, in: Ian D. Turner (Ed.): Reconstruction in Post-War Germany: British Occupation Policy and the Western Zones 1945–55, Oxford 1989, S. 15–37. Siehe für das Folgende, NESI, S. 59–65, Müller, Strukturwandel, S. 74–109, Warner, Steel, S. 1–9, Wolfgang Krumbein: Wirtschaftssteuerung in Westdeutschland 1945 bis 1949: Organisationsformen und Steuerungsmethoden am Beispiel der Eisen- und Stahlindustrie in der britischen Bi-Zone, Stuttgart 1989, S. 28–38. Von Dezember 1946 bis Juni 1948 wurden nun aus den Altkonzernen fünfundzwanzig stahl- und eisenerzeugende Werke in so genannte Betriebsführungsgesellschaften ausgegliedert. In den meisten Fällen bildete ein Werk eine neue Gesellschaft. Die Kapitalbasis waren 100000 RM. Die Treuhandverwaltung war nun vorübergehend die Inhaberin der neuen Aktien. Die Aufsichtsräte waren paritätisch mit je fünf Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzt, das elfte Mitglied war ein Mitglied der Treuhandverwaltung – die Grundlage der späteren Mitbestimmung. Zur Einführung der Mitbestimmung siehe Müller, Strukturwandel, Horst Thum: Mitbestimmung in der Montanindustrie. Der Mythos vom Sieg der Gewerkschaften, Stuttgart 1982, NESI S. 82–83. Siehe NESI, S. 64 Sie sollte vielmehr deren Arbeitsgrundlage regeln, bis eine endgültige Entscheidung über die künftigen Eigentumsverhältnisse getroffen werden konnte. Dies betonte die NGISC in einem Plan vom 23. November 1946 ausdrücklich, NESI, S. 60.

120 tivorgan der CSG war die 1949 gegründete Stahltreuhändervereinigung, die aus deutschen Mitgliedern bestand und deren Aufgabe es war, nun endgültige Pläne für die Neuordnung auszuarbeiten, die dann von der CSG genehmigt werden mussten.27 Die erste gemeinsame Entscheidung der drei Alliierten hinsichtlich der Neuordnung der Stahlindustrie war das Gesetz Nr. 27, welches am 16. Mai 1950 veröffentlicht wurde.28 Am 14. September 1950 verabschiedete die AHK dann die Durchführungsverordnungen für die Liquidation der VST AG, Fried. Krupp, Mannesmannröhrenwerke, Klöckner Werke AG, Hoesch AG und GHH zum 30. September 1950.29 Das Wort Liquidation hatte allerdings nicht sehr dramatische Folgen. Der normale Geschäftsbetrieb konnte weiterlaufen. Die bestehende Geschäftsleitung wurde zu Liquidatoren ernannt, die eigene Umgestaltungspläne ausarbeiten konnten.30 Grundsätzlich war die Neuordnung immer noch die alleinige Kompetenz der alliierten Organe und ihres deutschen Exekutivorgans, der Stahltreuhändervereinigung. Nach der Veröffentlichung der Durchführungsverordnung zu Gesetz Nr. 27 wurde die Bundesregierung allerdings in die Verhandlungen miteinbezogen. Die Bundesregierung hatte argumentiert, dass es ihr nicht möglich sei, den Schumanplan zu unterschreiben, wenn gleichzeitig ohne ihr Mitwirken die Industriestruktur der westdeutschen Montanindustrie verändert würde. Gerade nach Abschluss der Schumanplan-Verhandlungen und dem Beschluss der AHK am 12. April 1951, die Aktien der Nachfolgegesellschaften grundsätzlich an die Eigentümer der Altkonzerne auszugeben, veränderte sich das Verhandlungsklima zu Gunsten der deutschen Seite.31 Nun traten auch die Eigentümer bzw. die Verwaltungen der Altkonzerne in direkte Verhandlungen mit den Alliierten ein. Hier sollen nun die einzelnen Veränderungen bei den jeweiligen Konzernen beschrieben und dann hinsichtlich der Thesen Plumpes und Herrigels bewertet werden. Als erster Schritt soll kurz die Struktur der Altkonzerne in der Zwischenkriegszeit skizziert werden. Dann sollen die Ziele der verschiedenen Akteure an der Neuordnung vorgestellt werden. Schließlich soll die Unternehmensstruktur nach der Neuordnung beschrieben werden und untersucht werden, ob es sich tatsächlich um eine ‚radical discontinuity‘ oder ‚Zerschlagung‘ der alten Unternehmensstrukturen handelte. Vorher soll kurz auf die theoretischen Grundlagen hinsichtlich der Bewertung eines Unternehmenszusammenschlusses eingegangen werden.

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Kurz nach der Gründung der Bundesrepublik versuchte die Bundesregierung, die Zuständigkeit für die Neuordnung zu erlangen, was allerdings von der AHK verweigert wurde. Ein Argument der AHK war, dass die Bundesregierung dann dem starken Druck der Alteigentümer ausgesetzt sein würde. Warner, Steel, S. 13. Warner, Steel, S. 15–17. NESI, S. 367f. Müller, Strukturwandel, S. 95. Warner, Steel, S. 68f. Thum, S. 155f.

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3.2 Vertikale und horizontale Unternehmenszusammenschlüsse in der Wirtschaftstheorie Vom Standpunkt gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtseffekte besitzen Unternehmenszusammenschlüsse ein „Janusgesicht“.32 Viele haben eine Senkung der Produktionskosten zum Ziel, was zu günstigeren Preisen für die Verbraucher führen kann. Auf der anderen Seite können Unternehmenszusammenschlüsse auch die Marktmacht des Unternehmens steigern, d.h. die Möglichkeit die Preise zu bestimmen, wenn die Zahl der Wettbewerber durch einen Zusammenschluss im Markt sinkt.33 Wie erklärt die Wirtschaftstheorie Unternehmenszusammenschlüsse bzw. verschiedene Unternehmensstrukturen?34 Der vertikale Umfang eines Unternehmens wird durch die Transaktionskosten auf dem freien Markt bestimmt. Ein Stahlunternehmen wird dann Bergbauunternehmen erwerben, wenn die Förderung von Kokskohle in eigenen Unternehmen billiger ist als der Erwerb am freien Markt.35 Damit sinken die Produktionskosten des Unternehmens, was wiederum Raum für Preissenkungen gibt. Aus Wettbewerbsgründen können vertikale Gliederungen allerdings dann problematisch sein, wenn ein Unternehmen durch die vertikale Gliederung mit den vorgelagerten Produktionsstoffen auch den Rohstoffzugang von Konkurrenten kontrolliert.36 Bei horizontalen Fusionen von Unternehmen der gleichen Produktionsstufe lassen sich durch Zusammenlegung der Produktion auf die effizientesten Anlagen Kostensenkungen durch Skaleneffekte erreichen.37 Bei Unternehmenszusammenschlüssen zwischen verschiedenen Erzeugnissen können durch Zusammenlegung von Produktionsstufen, wie z.B. Vertrieb oder auch Forschung, Kostensenkungen durch Synergieeffekte erreicht werden. Schließlich kann ein Unternehmen, das mehrere verschiedene Produkte herstellt, aus ganz verschiedenen wirtschaftlichen Sektoren das unternehmerische Risiko abmildern, indem es einen gewissen Finanztransfer bzw. Gewinn-Verlust-Ausgleich ermöglicht.38 32 33 34

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Neumann, Wettbewerbspolitik, S. 135. Dennis W. Carlton: Modern industrial organization, Reading 1999, S. 604ff. Dazu: Massimo Motta: Competition Policy. Theory and Practice, Cambridge 2004, S. 302–346, Paul A. Pautler: Evidence on Mergers and Acquisitions, The Antitrust Bulletin, Vol. XLVIII, No. 1/2003, S. 119–222. Neumann, Wettbewerbspolitik, S. 163f., Scherer, structure, S. 109f. Die Europäische Kommission spricht sich aus ähnlichen Gründen im Jahre 2007 für eine Eigentumstrennug – ‚ownership unbundling‘ – von Produktion und Netzkontrolle in der Energiewirtschaft aus. Commission of the European Communities: An Energy Policy for Europe, COM (2007) 1 final, 10. 1. 2007, S. 7. Motta, Competition Policy, S. 231–263. Diese Skalenerträge scheinen allerdings ab einer bestimmten Größe konstant zu bleiben bzw. abzunehmen. Scherer, structure, S. 102ff. Auch ist der Zugang zum Finanzmarkt für größere Unternehmen leichter. Scherer, structure, S. 126ff.

122 Die Realisierung dieser theoretisch möglichen Kostensenkungen hat sich in der Realität allerdings als nicht unproblematisch erwiesen. So sind Rationalisierungen durch Zusammenlegung der Produktion immer auch mit Marktaustrittskosten für nun stillzulegende Anlagen verbunden.39 Weiter kann die Verwaltung von größeren Unternehmenseinheiten durch einen wachsenden Verwaltungs- und Organisationsaufwand auch zu Kostensteigerungen führen.40 Viele Zusammenschlüsse haben in der Praxis dann nicht zu den erhofften Senkungen der Produktionskosten geführt. Größe an sich ist also für ein Unternehmen keine Garantie für wirtschaftlichen Erfolg. Dies gilt auch für die Stahlindustrie. Dies sei hier noch einmal hervorgehoben, da gerade bei der Stahlindustrie oft implizit eine Verbindung zwischen dem Volumen der Rohstahlerzeugung und dem Vorhandensein von Größenskalenvorteilen gesehen wird.41 Schließlich ist für den Markterfolg nicht die Menge des produzierten Rohstahls, sondern das Walzprogramm entscheidend. Grundsätzlich werden zwei verschiedene Gruppen von Walzstahlerzeugnissen unterschieden, die wiederum von unterschiedlichen Industrien mit durchaus verschiedenen Nachfragezyklen bezogen werden. So werden Langprodukte (Profile, Stabstahl, Draht) eher von Investitionsgüterindustrien bezogen, während Flachstahlprodukte (Grob-, Fein- und Weißbleche) von Konsumgüterindustrien zur Produktion von Autos, Konservendosen, Waschmaschinen etc. verbraucht werden.42 Eine als kostenoptimal angegebene Menge für Rohstahlproduktion sagt daher nicht viel über die Marktposition des Unternehmens aus. Schließlich ist es wichtig, dass die Entscheidungen der Verwaltung bzw. der Eigentümer eines oder mehrerer Unternehmen über horizontale und vertikale Gliederung eines Unternehmens immer auf subjektiven Annahmen der zukünftigen Preisentwicklung, über die sie nur inkomplette Informationen besitzen, basieren.43 Dies erklärt, dass Unternehmen nie endgültige Formen besitzen, sondern ständiger Veränderung unterworfen sind – und die nach Fusionen erzielten Kostenersparnisse oft nicht den ursprünglichen Erwartungen entsprechen.44 Unternehmenszusammenschlüsse, die zu Kostensenkung führen, steigern die wirtschaftliche Effizienz. Auf der anderen Seite können Unternehmenszusammenschlüsse auch zu einer Verringerung der Unternehmen auf einem Markt führen. Dies kann Preis-

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Scherer, structure, S. 165ff. Scherer, structure, S. 105ff. Dies ist schon insofern problematisch, da die Gesamtrohstahlmenge ja auch in verschiedenen kleineren Werken produziert werden kann, wo die Größenskalenvorteile dann eher gering sein werden. Siehe auch Neumann, Wettbwerbspolitik, S. 72. NESI, S. 126f. Preise wiederum verändern sich ständig durch die schwer voraussehbare Entwicklung von Technologie, Angebot und Nachfrage. North, Wandel, S. 86ff. Scherer, structure, S. 173ff.

123 absprachen erleichtern.45 Aus rein wirtschaftstheoretischer Sicht ist deshalb eine ‚Dekonzentration‘ einer Industrie, um mehr Wettbewerb zu erreichen, durchaus denkbar. Für die nun folgende Bewertung bzw. Analyse ist es also entscheidend, welche Ziele hinsichtlich der angestrebten Unternehmensstruktur im Neuordnungsprozess von den unterschiedlichen Akteuren heraus verfolgt wurden. Als Ausgangspunkt der Bewertung ist kurz auf die Unternehmensstruktur der Stahlindustrie in der Zwischenkriegszeit einzugehen. Die Frage wird untersucht, ob die Struktur der Zwischenkriegszeit auch in der Nachkriegszeit wirtschaftliche Vorteile bieten konnte, was Herrigel und Plumpe ja unterschiedlich bewerten.

3.3 Die Unternehmensstruktur der Ruhrstahlindustrie in der Zwischenkriegszeit Die Ruhrkonzerne Mitte der Dreißiger waren oft alle durch eine tief gestaffelte vertikale Struktur charakterisiert, welche die Produktionsstufen von der Kohle bis zum Schiffs- und Fahrzeugbau unter einem Konzerndach vereinigte. Sie umfassten Betriebe der Kohlenund Kokserzeugung, der eisen- und stahlerzeugenden Betriebe, der Stahlverfeinerung und -verarbeitung sowie des Handels.46 Gerade die Herausbildung von Kartellen hatte diesen Trend schon vor dem ersten Weltkrieg beschleunigt.47 Mit der Festsetzung von Preisen für Halbzeug- und Walzstahlprodukte konnte eine Steigerung der Profite durch die Angliederung von stahlverfeinernden und stahlverarbeitenden Betrieben erreicht werden.48 Generell führten Kartelle zu einem Ausbau der Kapazitäten, da die Unternehmen ihre Verhandlungsposition verbessern bzw. ihre ‚Unabhängigkeit‘ sichern wollten.49 45 46

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Stephen Martin, Industrial Organization. A European Perspective, Oxford 2001, S. 128ff. Zur Struktur der Montanindustrie an der Ruhr vor und nach dem ersten Weltkrieg siehe: Herrigel, Constructions, S. 72–98, Reckendrees, Stahltrust, S. 59–121, Müller, Strukturwandel, S. 30–45, Christian Kleinschmidt: Rationalisierung als Unternehmensstrategie. Die Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebietes zwischen Jahrhundertwende und Weltwirtschaftskrise, Essen 1993, Wilfried Feldenkirchen: Die Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebietes 1879–1914. Wachstum, Finanzierung und Struktur ihrer Großunternehmen, Wiesbaden 1982. Reckendrees, Stahltrust, S. 65f. Schließlich waren gerade vor dem ersten Weltkrieg Kartellregelungen nur von relativ kurzer Dauer, so dass eisen- und stahlerzeugende Betriebe mit vertikaler Gliederung zur Stahlverarbeitung in Kartellpreisverhandlungen flexibler agieren konnten als dies bei Betrieben der Fall war, die nur die Kartellprodukte herstellten. Reckendrees, Stahltrust, S. 74f. Siehe zum Beispiel die Bemühungen zwischen VSt und der Mannesmann AG um ein gemeinsamen Vorgehen in der Röhrenproduktion, was darin mündete, dass die Mannesmann AG die Herstellung von Roheisen selber aufnahm, um ihre Unabhängigkeit zu sichern, Reckendrees, Stahltrust, S. 346–350, eine feindliche Übernahme Mannesmanns durch die VSt scheiterte, Horst A. Wessel: Kontinuität im Wandel. 100 Jahre Mannesmann 1890–1990, 1990 Düsseldorf, S. 188–195.

124 So verfolgten die mittleren Konzerne, wie die GHH, Hoesch und Mannesmann, gerade nach dem ersten Weltkrieg, durch Entschädigungszahlungen des Deutschen Reiches für den Verlust von Werken in Lothringen sowie durch die Inflation begünstigt, den Ausbau der vertikalen Gliederung mit der Stahlweiterverarbeitung. Paul Reusch erklärte so dem GHH-Aufsichtsrat im Mai 1930, dass nur ein vertikal diversifizierter Konzern Erfolg versprechend sei, da man mit Kohle und Stahl auf die Dauer keine Gewinne mehr erzielen könne.50 Die Periode war also durch chronisch schwache Gewinnmargen für Kohle und Stahl gekennzeichnet, und dies obwohl der Binnenmarkt durch Zölle und internationale Kartellvereinbarungen geschützt war. Die Initiative zu Zusammenschlüssen Stahl/Weiterverarbeitung ging eindeutig von den Stahlerzeugern aus. Daraus kann man schließen, dass die Vorteile einer vertikalen Bindung zwischen Stahlverarbeitern und Stahlerzeugung eher auf der Seite der Stahlerzeuger waren – und weniger bei den Stahlverarbeitern.51 So lässt sich dieser Trend in die Weiterverarbeitung durch die Marktlage der Zwischenkriegszeit erklären: die relativ höheren Profitmargen für den Verkauf von stahlverarbeitenden Produkten im Vergleich zu Massenstahl oder Kohle. Die Gründung der VSt im Jahre 1926 durch die Thyssen-Gruppe, die Phoenix Gruppe, die Rheinelbe Union und die Rheinischen Stahlwerke wiederum war ein horizontaler Zusammenschluss mit dem Ziel der Marktbereinigung von überflüssigen Kapazitäten. Die Gründungsunternehmen agierten hier aus einer gewissen Notlage, denn viele ihrer Kapazitäten konnten nicht mehr Gewinn bringend ausgelastet werden in einer Zeit der – abgesehen von heftigen Konjunkturschwankungen – stagnierenden Nachfrage in der Zwischenkriegszeit und starkem Wettbewerb auf Exportmärkten.52 Das betriebswirtschaftliche Ziel der Gründung der VSt war es, die Eisen- und Stahlerzeugung der Gründungsunternehmen zu rationalisieren bzw. die Produktion für die jeweiligen Erzeugnisse auf die effizientesten Anlagen zu konzentrieren. Dieses Konzept wurde von Krediten aus den USA unterstützt.53 So sollte die Erzeugung von Walzstahlprodukten, Roheisen und Rohstahl möglichst auf die kostengünstigsten Werke durch Stilllegung von unrentablen Kapazitäten konzentriert werden. Durch ein möglichst umfassendes Produktionsprogramm an Walzstahlprodukten wollte man auch eine gewisse Krisenfestigkeit erreichen. Dieter Spethmann, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Thyssen AG, hat diese Strategie rückblickend im Jahre 2001 wie folgt beschrieben: 50 51

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Reckendrees, Stahltrust, S. 357. So musste sich die VSt bei ihrer Gründung gegenüber der Arbeitsgemeinschaft der verarbeitenden Industrie (AVI) verpflichten, sich nicht weiter auf die Verarbeitung auszudehnen. Im Zuge der Gründung der Internationalen Rohstahlgemeinschaft – einem internationalen Kartell – wurde diese Verpflichtung auf die gesamte Stahlindustrie ausgedehnt. Reckendrees, Stahltrust, S. 260ff. Viele Aktionäre sahen ihr Vermögen in größeren Einheiten besser abgesichert. Reckendrees, Stahltrust, S. 588. Alfred Reckendrees: Die Vereinigte Stahlwerke A.G. und das „glänzende Beispiel Amerika“, in: ZUG 41 (1996), S. 159–189.

125 Die Realität war Mitte der 20er Jahre, dass ein Stahlerzeuger weit mehr Walz- als Rohstahlkapazität haben mußte, damit sein Stahl je nach Marktlage mal in Richtung Flachstahl fließen konnte, z.B. die Grob- oder Feinbleche, mal in Richtung Profile, z.B. in Draht oder Schienen. War die Marktlage allerdings insgesamt schwach, im Inland und im Export, mußte der Produzent seine Produktion insgesamt zurücknehmen – vom Hochofen angefangen, um die Durststrecke der verminderten Produktion durchzustehen. Die VSt wußten, konnten und taten das.54

Die Durchsetzung dieser Rationalisierungsstrategie war nicht einfach. Auch innerhalb des VSt-Bundes standen gemischte Hüttenwerke weiter in Konkurrenz, die sich nicht im Preiswettbewerb, sondern in Auseinandersetzungen der Werksleiter in internen VStGremien über Zuteilung an Investitionen und Aufträgen äußerte.55 Um „Betriebsegoismus“ zu vermeiden, wurden die Werke im Jahre 1933 in Betriebsgruppen zusammengefasst, die je eine 100 %ige Tochtergesellschaft der VSt bildeten, die nun als zentrale Konzernholding fungierte.56 Die Konzernspitze wurde also gestärkt und gleichzeitig die Werke in größeren Organisationen zusammengeschlossen, die um die Zuteilung von Investitionen und Aufträgen konzernintern im Wettbewerb standen. Durchaus verständlich war dann, dass die Entscheidungen, die Produktion auf gewisse Werke zu spezialisieren, die in der Konzernzentrale in Düsseldorf getroffen wurden, nicht immer auf Verständnis bei den betroffenen Werken stieß, was die organisatorische Durchführung erschwerte. Zwei gemischte Hüttenwerke, die nach 1933 innerhalb der VSt je eine Betriebsgesellschaft bildeten und ein ähnlich strukturiertes Walzprogramm besaßen, waren die Duisburger August Thyssen-Hütte AG (ATH) und die Dortmund-Hörder Hüttenverein AG.57 Aufgrund ihrer frachtgünstigen Lage am Rhein produzierte die ATH für den Exportmarkt, während Dortmund Hörde den Binnenmarkt bediente. Sowohl in Dortmund als auch in Duisburg hatte man eine unterschiedliche Sichtweise auf die jeweilige Stellung innerhalb der VSt. So heißt es in einer wirtschaftspublizistischen Darstellung aus dem Jahre 1966, dass Dortmund Hörde in der VSt „stiefmütterlich“ behandelt worden sei.58 Tatsächlich arbeitete die ATH kostengünstiger als die Hüttenunion und wurde bei der Auftragsvergabe bevorzugt.59 Allerdings wurde aus dem Standpunkt der ATH bedauert, dass die Investitions- und Produktionsentscheidungen der Düsseldorfer Zentrale eine volle Entfaltung der

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Dieter Spethmann: Begegnung mit einer jüngeren Ansicht über die Vereinigte Stahlwerke AG, in:

ZUG 2 (2001), S. 237–241.

Hans-Günther Sohl nennt die Leiter der bedeutendsten integrierten Hüttenwerke der VSt (u.a. ATH, Dortmund-Hörde, Bochumer Verein) auch die „Herzöge der VSt“, Sohl, S. 78f., siehe dazu auch Reckendrees, Stahltrust, S. 374ff. Reckendrees, Stahltrust, S. 552–559. Zur ATH: Manfred Rasch: Was wurde aus August Thyssens Firma nach seinem Tod 1926, S. 181–300, in Stephan Wegener (Hg.): August und Joseph Thyssen. Die Familie und ihre Unternehmen, Essen 1994, S. 277ff. Bernd Huffschmid: Das Stahlzeitalter beginnt erst, München 1965, S. 148. Reckendrees, Stahltrust, S. 400.

126 eigenen Stärken verhinderten.60 So ist die VSt ein gutes Beispiel dafür, mit welchen Schwierigkeiten die Durchsetzung einer Kosten senkenden Rationalisierungsstrategie in einer großen und komplexen Unternehmensorganisation verbunden ist.61 Interessant ist auch der Weg seit der Jahrhundertwende der Unternehmensgruppen Otto Wolff und Klöckner.62 Diese hatten sich als Stahlhandelsgesellschaften zunehmend an Unternehmen der Eisen- und Stahlerzeugung und sogar des Bergbaus beteiligt, offensichtlich um die Kosten- und Lieferbedingungen hinsichtlich ihrer Verkaufserzeugnisse besser kontrollieren zu können. Dies kann ein Indiz für die zunehmende Kontrolle der Stahlproduzenten über den freien Stahlhandel sein. Hinsichtlich der Struktur der Altkonzerne nach Ende des Zweiten Weltkriegs und vor ihrer ‚Neuordnung‘ ist es deshalb zu vereinfachend, von einem ‚jahrzehntelangen natürlichen Wachstum‘ zu sprechen. Die Industriestruktur war eine Folge der spezifischen Transaktionskosten der zwanziger und dreißiger Jahre, von denen man nicht ohne weiteres erwarten konnte, dass sie unverändert auch in den fünfziger Jahren anzutreffen seien. Schließlich war die Unternehmensstruktur der Zwischenkriegszeit ganz offensichtlich auch ein Ergebnis der relativen Verhandlungsmacht der Stahlindustrie. Dieser gelang es, Produktionsstufen mit höheren Gewinnmargen als die Stahlerzeugung in ihren Unternehmen einzugliedern – wie verschiedene Unternehmen der Stahlverarbeitung. Wenn man nun diese Bindungen wieder auflösen würde, war dies aus Sicht der Stahlindustrie sicherlich ein ökonomischer Schaden, allerdings nicht unbedingt aus Sicht der stahlverarbeitenden Unternehmen, die ja in der Zwischenkriegszeit der zunehmenden vertikalen Bindung zwischen den beiden Produktionsstufen eher kritisch gegenüberstanden.63 Deshalb ist es in der Debatte um die Bewertung der Neuordnung nicht ausreichend, eine Beibehaltung der Strukturen der Altkonzerne zu fordern, nur weil diese in der Zwischenkriegszeit von den Stahlkonzernen als betriebswirtschaftlich optimal angesehen wurden. Diese Bemerkung schließt sich an die Frage an, welche Ziele hinsichtlich der zukünftigen Unternehmensstrukturen die verschiedenen Akteure in der Neuordnungsfrage befürworteten und welche Annahmen über die zukünftigen Transaktionskosten diesen Zielen zugrunde lagen. 60

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Laut Firmenschrift der ATH aus dem Jahre 1969 habe der VSt-Vorstand die ATH und das Hüttenwerk Ruhrort-Meiderich in einem von den Werksleitern oft beklagten Umfang auf das Halbzeug und die schweren Walzprodukte verwiesen. Uebbing, 1926–1969, S. 46, siehe auch ders., S. 91ff. Zur Rationalisierungspolitik der VSt siehe: Reckendrees, Stahltrust, S. 374–435, Schließlich zeigt der Verlauf der Rationalisierungsmaßnahmen auch den Unterschied zwischen der ursprünglich geplanten Strategie, eine Rationalisierung und Modernisierung der Eisen- und Stahlwerke mit Stilllegung von Kapazitäten, und der tatsächlichen Realisierung. So wurde schließlich im Bergbau mehr investiert als ursprünglich vorgesehen – ohne dass es darüber eine offizielle Entscheidung gab. S. 385. Müller, Strukturwandel, S. 40ff. Ähnliches gilt für die Bergbaugesellschaften, die, so Abelshauser, in der Bindung Kohle/Stahl vor dem 2. Weltkrieg „unternehmerisch bevormundet“ und in der „Investitions- und Finanzpolitik“ benachteiligt worden waren. Abelshauser, Ruhrkohlenbergbau, S. 53.

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3.4 Die betriebswirtschaftlichen Ziele der Neuordnung – die Alliierten und die Stahltreuhändervereinigung Wie sahen nun die Grundsätze bzw. Ziele aus, nach denen die Alliierten die Neuordnungsprozesse gestalteten? Wie schon aufgezeigt, war bis 1950 noch keine endgültige Entscheidung über die künftige Industriestruktur der westdeutschen Montanindustrie gefallen. Die Stahltreuhändervereinigung (STV) war nun beauftragt, Vorschläge nach Richtlinien der CSG für die Neuordnung auszuarbeiten. Infolge der Schumanplan-Verhandlungen wurde nun auch der Bundesregierung gestattet, Vorschläge zu unterbreiten. Dies mündete dann in dem in den Brief vom 14. März 1951 niedergelegten Kompromiss. Allerdings war damit die Neuordnung noch lange nicht beendet. Nun kam es auch zu Einzelverhandlungen zwischen den Altkonzernen und den Alliierten über die Gründung von einzelnen Nachfolgegesellschaften. Wie sahen nun die Richtlinien der Alliierten für die Ausarbeitung der Vorschläge für die STV aus? Laut Bericht der STV entwickelte die CSG die folgenden Richtlinien, die durch die Neuordnung erreicht werden sollten:64 Die Konzerne sollten in eine möglichst große Zahl von Nachfolgegesellschaften aufgeteilt werden, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit allerdings nicht gefährdet werden dürfe. Eine Eigentumsbindung von Kohle und Stahl sollte in der Regel nicht erlaubt werden. Auch die Bildung von Holdinggesellschaften, die Mehrheitsbeteiligungen von Unternehmen verschiedener Produktionsstufen kontrollieren würden, wurde von der CSG sehr kritisch beurteilt. Außerdem sollten zukünftig der Einkauf von Rohstoffen und der Verkauf von Walzwerkserzeugnissen von den Werken in eigener Verantwortung geschehen. Die bestehenden großen Handelsgesellschaften sollten auf die einzelnen Einheitsgesellschaften aufgeteilt werden. Die CSG lehnte auch die Sicherung der Halbzeugversorgung sowie die Notwendigkeit eines möglichst breiten Produktionsprogramms an Walzstahlprodukten, um einen gewissen Gewinn- und Verlustausgleich vornehmen zu können, als Argument für eine vertikale bzw. horizontale Verbindung zwischen den Produktionsstufen Halbzeug-, Walzstahl- und Stahlverarbeitung ab. Die Angliederung profitabler stahlweiterverarbeitender Betriebe, aber auch die Halbzeugsicherung waren genau die Argumente, die in 64

Es ist hier darauf hinzuweisen, dass die Stahltreuhändervereinigung hier die Grundlinien der CSG wiedergibt. Allerdings decken sich diese Grundlinien mit den verschiedenen Interventionen der Neuordnungsverhandlungen der CSG. Ein Grundsatzpapier der CSG oder der AHK über die gemeinsamen Ziele der Neuordnung hinsichtlich der Industriestruktur ist nicht bekannt, NESI, S. 148f. Die Ziele finden sich auch in Papieren der französischen Vertreter in der CSG. AN 81 AJ 134 Plan Schuman Secret Note relative aux effets sur les industries du Charbon et de l’acier en France Présidence du Conseil Commissariat Général du Plan, S. 21. Dieses Dokument ist nicht datiert. Ein sehr ähnliches Dokument im gleichen Ordner trägt das Datum 9 Dezember 1950, S. 24.

128 der Zwischenkriegszeit zu der vertikalen Gliederung der Konzerne geführt hatten. Mit anderen Worten: Dies war ein Programm, welches tatsächlich die Struktur der Stahlindustrie im Vergleich zur Zwischenkriegszeit fundamental verändert hätte. Bei der weit gehenden Auflösung der vertikalen Gliederung der Unternehmen handelte es sich letztendlich um die Beseitigung von Ergebnissen der spezifischen Transaktionskosten der Zwischenkriegszeit. Ging man davon aus, dass sich aufgrund einer Antitrustpolitik, einer allgemeinen Öffnung der europäischen Märkte – eben auch im Rahmen der EGKS –, ein intensiverer Preiswettbewerb bei Kohle und Stahl entwickeln würde als in der Zwischenkriegszeit, war eine Trennung der vertikalen Gliederung der Altkonzerne konsequent. Warum sollte man nun Hüttenwerke, die insbesondere Stahlhalbzeug produzierten, mit Stahl- und Walzwerken oder mit stahlverarbeitenden Betrieben verbinden, wenn diese sich zukünftig unter Umständen billiger mit entsprechenden Importen versorgen konnten? Schließlich waren dank der umfangreichen Investitionen in die Stahlerzeugung anderer westeuropäischer Länder – durch Marshallplangelder finanziert – qualitativ bessere und auch preisgünstigere Stahlimporte in die Bundesrepublik zu erwarten. Alles in allem zielten die Richtlinien auf die Herstellung von mehr Preiswettbewerb in der Stahlindustrie. Diese Richtlinien standen im Gegensatz zu den Grundsätzen für die Neuordnung, welche die Stahltreuhänder, die Bundesregierung, aber auch die Altkonzerne vertraten.65 So war es das Ziel der Stahltreuhänder, die neuen Unternehmen möglichst „krisenfest“ zu strukturieren.66 Um Nachfrageschwankungen der Hauptabnehmer der verschiedenen Walzstahlprodukte zu berücksichtigen, sollten die neuen Unternehmen möglichst Erzeugungsprogramme besitzen, die sowohl die Nachfrage der Konsumgüterindustrie (Feinbleche, Walzdraht, Bandstahl) als auch der Investitionsgüterindustrie (Oberbau, Form- und Stabstahl, Eisenbahnmaterial, Grobbleche und große Rohre) bedienen konnten. Dieses breite, möglichst alle Massenwalzstahlprodukte umfassende Erzeugungsprogramm erinnert wiederum an das der VSt. Gerade das Argument, durch ein möglichst umfassendes Erzeugungsprogramm an Walzstahlprodukten eine gewisse ‚Krisenfestigkeit‘ zu erlangen, wurde auch von der amerikanischen Stahlindustrie zur Rechtfertigung für horizontale Konzentrationen verwandt. Interessant ist allerdings, dass die Entwicklung der amerikanischen Stahlindustrie in der Zwischenkriegszeit den Erfolg einer Strategie, die auf ein möglichst umfassendes Walzprogramm setzte, empirisch nicht stützte. Nicht Unternehmen mit kompletten Walzstahlprogrammen und größten Kapazitäten hatten die höchsten Gewinne zwischen 1901 und 1955 erzielt, sondern die Unternehmen, die sich auf eine Her65

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Die Stahltreuhändervereinigung beriet sich vor der Ausarbeitung ihrer Vorschläge nicht nur mit den Altkonzernen, der WVESI, dem DGB und den Montanindustriegewerkschaften, sondern auch mit der Bundesregierung, was in dem Bericht nicht aufgeführt ist. NESI, S. 148–154, Warner, Steel, S. 19. NESI, S. 126f.

129 stellung von einer begrenzten Anzahl von Walzstahlprodukten, insbesondere Flachstähle, spezialisiert hatten.67 Aus Gründen der Absatzsicherheit und Krisenfestigkeit befürwortete die STV dann auch die Verbindung von Hüttenwerken mit Stahlverfeinerungs- und Verarbeitungsbetrieben.68 Auch befürwortete die STV ausdrücklich die Verbundwirtschaft zwischen Kohle und Stahl.69 Sie befürwortete den Eigentumsverbund auch, um einen Gewinnund Verlustausgleich innerhalb des Gesamtunternehmens vorzunehmen.70 Es ist interessant, sich die Unterschiede beider Auffassungen im Hinblick auf die Erwartung an die Transaktionskosten noch einmal zu verdeutlichen. Wenn die STV den Kohle-/Stahlbund grundsätzlich als positiv einschätzte sowie eine gewisse Bindung zur Weiterverarbeitung, dann ging sie wohl davon aus, dass auch zukünftig die Bergbauunternehmen über nicht unerhebliche Marktmacht verfügen würden. Das Konzept eines Gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl mit Kartellverbot, der ja zur gleichen Zeit verhandelt wurde, war ja genau darauf abgezielt, mehr Preiswettbewerb durchzusetzen.71 Damit fiel auch die ökonomische Begründung für die Verbundwirtschaft bzw. die vertikale Gliederung der Unternehmen. Offenbar glaubte man nicht an die Realisierungschancen bzw. an die ökonomischen Folgen dieser Maßnahmen. Die Begründungen der STV hinsichtlich der Angliederung von Verfeinerungsbetrieben an Hüttenwerken zwecks eines gewissen ‚Risikoausgleichs‘ wiederum entsprach den Interessen der Hüttenwerke – aber nicht unbedingt den Verfeinerungsbetrieben. Diese konnten unter Umständen hoffen, besseren Importstahl zu verarbeiten als die Produkte ihrer ehemaligen Konzernbetriebe. Falls dies nicht der Fall war, konnte man immer noch auf deren Erzeugung zurückgreifen. Mit ihrer Betonung der ‚Krisenfestigkeit‘ und der Angliederung ‚profitabler Weiterverarbeitung‘ verteidigte die STV die ökonomischen Interessen der Eisen- und Stahlindustrie und insbesondere der gemischten großen Hüttenwerke – aber nicht unbedingt der Stahlverbraucher.

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Simon N. Whitney: Antitrust Policies. American Experience in Twenty Industries, New York 1958, S. 298ff. NESI, S. 129f. NESI, S. 137. Die Stahltreuhändervereinigung berichtet, dass die Deutsche Kohlenbergbau Leitung, die DKBL, die Verbundwirtschaft „weitgehend“ bejahte. Tatsächlich hatte es darüber ernste Auseinandersetzungen gegeben, die schließlich nur unter Einschaltung des Bundeswirtschaftsministeriums geschlichtet werden konnten. Diese Lösung entsprach mehr den Wünschen der STV bzw. der Altkonzerne als der DKBL. Warner, S. 19f. Auch die Bedingungen für eine Verbundwirtschaft der DKBL sind interessant. So sollten die benötigten Kohlenmengen nicht über das DKV verkauft werden, „um die Preis- und Verkaufspolitik des Deutschen Kohlenverkaufs nicht zu stören“. NESI, S. 138, der Eigenverbrauch sollte zu Marktpreisen und nicht zu internen Werkspreisen verrechnet werden, was natürlich nur ein buchrechnerischer Unterschied war. NESI, so wird der Schumanplan hinsichtlich des Ausgangspunktes der Planung für die Neuordnung von der STV kaum erwähnt, S. 125.

130 Die CSG ging davon aus, die Stahlindustrie nun erst einmal im wahrsten Sinne des Wortes zu ‚entflechten‘ und damit zumindest viele Bindungen zwischen Unternehmen, die ja das Resultat von Transaktionskosten in der Vergangenheit waren, erst einmal aufzulösen. Dies war angesichts eines neuen rechtlichen Rahmens für die europäische Stahlindustrie, die ja ein Gegenmodell zur Struktur der Zwischenkriegszeit sein sollte, durchaus konsequent. Die Schaffung des Gemeinsamen Marktes, das Verbot von Kartellen, all dies zielte ja darauf ab, den Preiswettbewerb im Vergleich zur Zwischenkriegszeit zu erhöhen. Welche Ziele verfolgten nun die Verwaltungen und Aktionäre der Altkonzerne? Offiziell waren sie an der Neuordnung gar nicht beteiligt. Formell war ihnen auch die Kontrolle über die entflochtenen Werke entzogen. Gab es in den Leitungen der Altkonzerne Vorstellungen über die erwünschte Struktur, welche aus der Neuordnung entstehen sollte? In seiner ersten Stellungnahme zum Schumanplan hatte Günther Henle gefordert, dass „jetzt endlich mit der Neuorganisation unserer Grundindustrien unter alliierter Ägide Schluß gemacht wird. Als zu lösende Aufgaben bleibt nur noch die Zerlegung der Vereinigten Stahlwerke in etwa acht Unternehmen, d.h. in die alten Gruppen, aus denen der Konzern seinerzeit aufgebaut wurde. Die Leitung der VSt strebt selbst eine solche Regelung an“.72 Tatsächlich hatte der VSt-Vorstand schon einen Vorschlag für die Neuordnung der VSt präsentiert, welcher die Ausgliederung der Eisen- und Stahlwerke in mehreren Gruppen vorsah, deren Struktur den früheren Betriebsgesellschaften der VSt ähnelte.73 Die Durchsetzung des Programms der CSG hätte die Auflösung der alten Konzerne bedeutet und den Preiswettbewerb unter den Nachfolgegesellschaften potentiell erhöht. Dies konnte die Position der Eigentümer und Verwaltungen der Altkonzerne nur schwächen. In Anbetracht dieser doch sehr unterschiedlichen Meinungen ist es interessant zu untersuchen, über welche Vorschläge für die Gründung von Nachfolgegesellschaften es zu den größten Auseinandersetzungen zwischen alliierter und deutscher Seite kam, um herauszufinden, welche Prinzipien sich bei der Neuordnung letztendlich durchsetzten.74 Insgesamt drei Fälle werden hier dargestellt. Der erste betrifft die relative Größe eines Unternehmens, gemessen an der Rohstahlerzeugung; die beiden anderen Fälle die vertikale Gliederung zwischen Rohstahlherstellern und Walzstahl bzw. Stahlverfeinerung. 72 73 74

Geschäftsführender Gesellschafter von „Klöckner & Co.“ Henle, Aufzeichnung, 10. 6. 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 611. TA VSt 4291 Sohl an Wenzel, Linz, Schwede, Seelig 17. 1. 1950, Betr. Neuordnung der Vereinigten Stahlwerke. Die entscheidenden Verhandlungen fanden hierzu im Januar 1951 zwischen der Bundesregierung und der CSG statt. NESI, S. 186–191. Die Bundesregierung hatte in einem Treffen mit dem DGB und der Stahltreuhändervereinigung ihre endgültige Position hinsichtlich der Stellungnahme der CSG auf die Vorschläge der Stahltreuhändervereinigung vom 23. November 1950 und den dazu folgenden Stellungnahmen der CSG koordiniert. Dabei wurde ihr von den Gewerkschaften vorgeworfen, sie nehme zu sehr auf die VSt-Interessen Rücksicht. Warner, Steel, S. 25–28.

131 Es soll aufgezeigt werden, dass die Bundesregierung, aber auch die STV konsequent Bindungen förderte, welche die Absatzsicherheit der großen Hüttenwerke erhöhen sollte, während die CSG auf die Auflösung vertikaler Bindungen zwischen Stahlerzeugung und Verfeinerung drängte. Interessant ist, dass der Vorstandvorsitzende der Thyssen-Krupp AG im Jahre 2002 eher dem Neuordnungsziel der CSG Recht gab. So stellt er fest, dass die „frühere Zielsetzung, möglichst alle Stahlprodukte anbieten zu können, (…) in Europa kaum noch anzutreffen“ ist.75 Gleichzeitig weist er auf die überdurchschnittlichen Wachstumsraten bei „Qualitätsflachstahl“ und bei „Edelstahl“ hin.76 Genau diese Spezialisierung der Nachfolgegesellschaften der Altkonzerne auf einzelne Spezialprodukte war das Ziel der CSG.

3.5 Umstrittene Unternehmensgründungen während der Verhandlungen über die Neuordnung Unternehmensgröße – gemessen an der Rohstahlproduktion eines Unternehmens – führte nur in einem Fall zu ernsthaften Auseinandersetzungen zwischen der STV und der Bundesregierung. Dies ist insofern erstaunlich, als oft kritisiert wird, dass die Neuordnung zu einer Vielzahl von kleineren Unternehmen geführt hätte, die „im Bereich der Massenherstellung die Nutzung der economies of scale im Zuge der technischen Anlagenvergrößerung“77 nicht mehr ausnutzen konnten. Hier wird allerdings übersehen, dass weder die Größe von Hochöfen, von Stahlwerken oder der Walzstraßen auf Werksebene von der Entflechtung im Rahmen der ‚Operation Severance‘ oder der endgültigen Neuordnung berührt wurde.78 So war man sich im amerikanischen Hohen Kommissariat auch bewusst, dass die Anzahl der neu zu gründenden eisen- und stahlerzeugenden Betriebe kaum zu größeren

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Ekkehard D. Schulz: 50 Jahre Montanunion – unter dem Strich ein Plädoyer für unverfälschten Wettbewerb, in: Europäische Kommission (Hg.): CECA 1952–2002, Luxembourg 2002, S. 233–240, S. 238. Schulz, Montanunion, S. 239. Plumpe, Reintegration, S. 294. So zum Beispiel bei den Nachfolgegesellschaften der Mannesmann-Gruppe, Hanno Bernett: Von der Entflechtung bis zur Wiederherstellung alter Konzernstrukturen: die Unternehmensorganisation deutscher Montanunternehmen am Beispiel Mannesmann (1945–1958/59), Diss., Bonn 1991, S. 172f., „Die produktionstechnische Leistungsfähigkeit der einzelnen Werke blieb (…) weitgehend unberührt, (…)“. Deshalb ist ein Hinweis auf den gesunkenen Konzentrationsgrad in der westdeutschen Stahlindustrie, gemessen an dem Anteil der Unternehmen an der gesamten Stahlproduktion, kein genügender Beleg für eine geringere Ausnutzung der technischen Skalenerträge. Plumpe, Reintegration, S. 294, siehe auch Warner, Steel, S. 21.

132 Auseinandersetzungen mit der deutschen Seite führen werde. Wie es in einem Grundsatzpapier des amerikanischen Hohen Kommissariats hieß, sei es das Ziel, in der Bundesrepublik Einheiten zu bilden, die auf gleichberechtigter Basis mit anderen europäischen Unternehmen konkurrieren könnten.79 Nach der Veröffentlichung des Gesetzes Nr. 27 im Mai 1950 gab es Pressemeldungen in der Bundesrepublik, nach denen die neuen Unternehmen zwischen einer und eineinhalb Mio t Rohstahl pro Jahr produzieren würden.80 In einem Memorandum, aller Wahrscheinlichkeit nach vom Dezember 1950, des Planungskommissariats der französischen Regierung wurde davon ausgegangen, dass nach der Neuordnung keine Nachfolgegesellschaft an der Ruhr mehr als zwei Mio t Rohstahl produzieren würde.81 Ein Proteststurm blieb an der Ruhr aus. Dies entsprach ungefähr den Produktionskapazitäten der Altkonzerne – die VSt ausgenommen. Von diesen Richtgrößen ausgehend, war es auch nicht verwunderlich, dass man bei den mittleren Konzernen wohl damit rechnete, von der Neuordnung verschont zu bleiben.82 Die Rohstahlkapazität der Nachfolgegesellschaften befand sich auch in Einklang mit zeitgenössischen Vorstellungen über die optimale betriebswirtschaftliche Größe eines Stahlunternehmens.83 Trotzdem führte ein Fall hinsichtlich der Produktionskapazität dann doch zu Auseinandersetzungen zwischen den Alliierten und der STV bzw. der Bundesregierung: die 79

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FRUS, 1951, Briefing Paper Drafted in the Office of the US High Commissioner of Germany, Feb-

ruary 2, 1951, S. 86ff., „The Companies proposed by the Allies were intended to be able to compete efficiently on an equal basis with other European steel enterprises (…)“, S. 88. Das Dokument vom 2. Februar 1951, aus der ‚heißen Phase‘ der Neuordnung, sah die strittigen Punkte der Neuordnung zwischen der deutschen und der alliierten Seite, abgesehen von der Verbundwirtschaft, als relativ leicht lösbar an. Stahl und Eisen 70 (1950), 20. Juli 1950, Notwendigkeit schneller Neuordnung der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie, S. 680. AN 81 AJ 134 Plan Schuman Secret, Note relative aux effets du Plan Schuman sur les industries du charbon et de l’acier en France, o. D, S. 30, fast das gleiche Memorandum befindet sich ebenfalls unter derselben Signatur, datiert vom 9. Dezember 1950. Siehe auch FRUS, 1951, Briefing Paper Drafted in the Office of the US High Commissioner of Germany, February 2, 1951, S. 86ff., „The Companies proposed by the Allies were intended to be able to compete efficiently on an equal basis with other European steel enterprises (…)“, S. 88. Es war richtig festzustellen, dass eine solche Richtzahl bei den mittleren Konzern, wie Mannesmann, Hoesch, GHH und Klöckner, nichts an der Rohstahlkapazität ändern würde. AN 81 AJ 137 Cleveland to Tomlinson Annex I 16. 1. 1951. JMDS 74(4) Bruce to Secretary of State 20. 1. 1951, Wortprotokoll der Sitzung vom 5. April 1950, Hohe Kommissare, S. 181ff. Die zeitgenössische optimale Größe lag nach Angaben der Stahltreuhändervereinigung bei einer bis eineinhalb Mio t pro Jahr für ein gemischtes Hüttenwerk auf Massenstahlgrundlage als Norm. NESI, S. 126, Theodor Beste: Die Entflechtung der Eisen schaffenden Industrie. Eine betriebswirtschaftliche Studie, Köln und Opladen, 1949, S. 14. Die Richtgröße der Alliierten für die neu zu gründenden Stahlgesellschaften entsprach also den damaligen Vorstellungen, um technische Größenskalenvorteile voll ausnutzen zu können.

133 Zusammenführung zweier gemischter Hüttenwerke im Dortmunder Raum, in Dortmund und im benachbarten Hörde, zur Dortmund-Hörder Hüttenunion AG (DHHU). Dies wurde schließlich von der CSG nach Drängen der Bundesregierung genehmigt. Die technischen Argumente für diese Zusammenführung betrachtete Albert Bureau, französischer Vertreter bei der CSG, als nicht sehr seriös. Dies hätte ihm auch ein Mitglied der STV, das gleichzeitig Mitglied des Aufsichtsrates von Hörde war, gesagt.84 Beide Werke hatten ein sich überschneidendes Walzwerkprogramm, in beiden Werken wurde sowohl Roheisen als auch Rohstahl produziert. Damit verstieß die STV eigentlich hier auch gegen ihre eigenen Vorgaben, hatte sie doch ein möglichst breites Erzeugungsprogramm für die Nachfolgegesellschaften gefordert. Was steckte also hinter diesem Vorschlag? Mit der Genehmigung, so Bureaus Vermutung, würde die CSG anerkennen, dass eine Rohstahlkapazität über zwei Mio t Jahresstahlproduktion – so groß war die Rohstahlkapazität dieser Nachfolgegesellschaften – wettbewerbspolitisch unproblematisch sei.85 Damit wäre natürlich ein Präzedenzfall hinsichtlich einer späteren Rekonzentration anderer Werke geschaffen. Ob Bureau mit dieser Vermutung richtig lag, kann hier nicht eindeutig entschieden werden. Tatsache ist, dass die DHHU zwar somit zu einem der größten Rohstahlerzeuger in Europa wurde, allerdings sagt dies nichts über das am Markt entscheidende Walzwerkprogramm aus. In der Hoesch Firmenschrift von 1971, in der die DHHU 1966 aufgegangen war, wird die Einschätzung von Bureau jedenfalls bestätigt. Der Start der DHHU nach dem Kriege sei durch ihre „ungünstige Struktur“ erschwert worden, da sich die Erzeugungsprogramme der beiden Hüttenwerke überschnitten.86 Ein weiterer Punkt, der zu Meinungsunterschieden zwischen den Alliierten und der STV bzw. der Bundesregierung führte, waren Verbindungen zwischen roheisen- bzw. rohstahlproduzierenden Hüttenwerken und kleineren Stahl- bzw. Walzwerken, die auf die Verfeinerung bzw. Veredelung von Stahlhalbzeug oder die Produktion von wenigen einzelnen Walzstahlsorten spezialisiert waren und oft profitabler arbeiteten. Die Bundesregierung schlug in den entscheidenden Gesprächen eine Zusammenfassung des Bochumer Vereins – ein bedeutendes Gußstahlwerk, das allerdings von Kriegsschäden und Demontage schwer betroffen war –, der Wurag AG – ein auf Kalt- und Blankstahl spezialisiertes Spezialwerk ohne eigene Stahlerzeugung –, das Stahlwerk Bochum – ein Spezialwerk mit Schwerpunkt Feinblecherzeugung –, das Gußstahlwerk Witten – ein Edelstahlwerk, beide mit ausreichender eigener Stahlproduktion – und das gemischte Hüttenwerk Henrichshütte in Hattingen vor.87 84 85 86 87

Dabei kann es sich eigentlich nur um Dr. Harders handeln, der später in den Vorstand der DHHU eintrat. AN 81 AJ 137 GCA Objet: Réorganisation de l’industrie sidérugique allemande en éxécution de la Loi No. 27. – plan de base – 27 février 1951. Mönnich, S. 412, Huffschmid, Stahlzeitalter, S. 147. Zu den Werken, NESI, S. 173–175.

134 Die CSG bzw. die AHK lehnte diese Verbindung allerdings strikt ab.88 Die Hauptmotivation hinter diesem Vorschlag waren nicht technische Gründe, so vermutete Albert Bureau.89 Er sah in dem Vorschlag das Ziel, den Wiederaufbau der von der Demontage betroffenen großen gemischten Hüttenwerke (Hattingen, Bochumer Verein) durch die Angliederung von profitablen Spezialwerken (Witten, Stahlwerke Bochum) zu finanzieren. Eine solche Motivation lässt sich aus dem Bericht der STV auch herauslesen. So wurden dort die erheblichen finanziellen Mittel zur Wiederherstellung der Wirtschaftlichkeit des Bochumer Vereins betont.90 Laut Bureau wollte die Leitung des Gußstahlwerks Witten, ein sehr spezialisiertes Qualitäts- und Edelstahlwerk, das über eine ausreichende Stahlversorgung verfügte, diesen Zusammenschluss gar nicht.91 Sie wollte lieber unabhängig bleiben und bestritt auch jeglichen technischen Nutzen der Zusammenführung.92 Die neue Unabhängigkeit, so Bureau, des Gußstahlwerks Witten habe dazu geführt, dass Witten nun sehr erfolgreich einige sehr spezielle Edelstähle produziere, deren Produktion im VSt-Verbund der Deutschen Edelstahlwerke AG in Krefeld vorbehalten war. Auch hier scheint der Wille im Vordergrund gestanden zu haben, modernisierunsgbedürftigen Hüttenwerken ein profitables Edelstahlwerk anzugliedern, was natürlich die Ertragskraft dieses Hüttenwerkes verbesserte, aber nicht unbedingt im Interesse der Gußstahlwerke Witten war – und auch nicht im Sinne eines lebhaften Wettbewerbs auf dem Edelstahlmarkt. Auch die von der STV und der Bundesregierung energisch befürwortete Fusion der Hüttenwerke Phoenix, ein bedeutender Halbzeughersteller, und den Rheinischen Röhrenwerken, neben Mannesmann der bedeutendste Röhrenhersteller in der BRD, wurde von der CSG rundweg abgelehnt.93 Begründet wurde dies von der deutschen Seite durch die ungesicherte Halbzeugversorgung der Rheinischen Röhrenwerke.

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Ebenso lehnte die CSG den Vorschlag ab, die neue Mannesmanngruppe um die Niederrheinische Hütte in Duisburg zu erweitern, die auf die Drahtherstellung spezialisiert war. Die CSG sah keinen Grund, das Erzeugungsprogramm der Mannesmannwerke, ein traditioneller Röhrenhersteller, um die Drahtherstellung zu erweitern. Warner, Steel, S. 27, ganz offensichtlich war die VSt, zu denen die Niederrhein vor dem Krieg gehörte, auch gegen diese Zusammenfassung. Müller, Strukturwandel, S. 102, Wessel, S. 276. Bureau bemerkte noch, dass die Vertreter der Bundesregierung kaum technische Einwände gegen die Pläne der CSG hervorgebracht hätten, was er als Indiz für die Richtigkeit der Pläne der CSG sah. AN 81 AJ 137, G.C.A. AB/MS 16. 1. 1951, Entretiens entre le Groupe de Contrôle de l’Acier et les experts du Gouvernement fédéral sur le plan de réorganisation de la Sidérurgie. NESI, S. 173. AN 81 AJ 137 GCA Objet: Réorganisation de l’industrie sidérurgique allemande en éxécution de la Loi No. 27. – plan de base – 27 février 1951. Tatsächlich stand auch in dem Entflechtungsvorschlag für die VSt, der vom VSt-Vorstand selber ausgearbeitet wurde, dass das Gußstahlwerk Witten AG „alleine durchaus lebens- und konkurrenzfähig“ sei. TA VSt 1436 Vorschlag für die Dekonzentrierung der Vereinigten Stahlwerke AG. Vorläufige Fassung vom 7. August 1950. 14. 8. 1950, S. 70 AN 81 AJ 137, G.C.A. AB/MS 16. 1. 1951, Entretiens entre le Groupe de Contrôle de l’Acier et les experts du Gouvernement fédéral sur le plan de réorganisation de la Sidérurgie

135 Das Argument der Vertreter des BWM, so Bureau, dass Lieferbeziehungen möglichst mit Eigentumsverflechtungen einhergehen müssten, habe seine amerikanischen und englischen Kollegen regelrecht schockiert. Tatsächlich konnte man so Lieferbeziehungen, die sich eigentlich auf dem freien Markt aufgrund von Preisvorteilen ergeben sollten, praktisch durch Eigentumsverflechtung ‚einfrieren‘. Die CSG, so Bureau, seien seitdem noch entschlossener, es nicht zu diesem Zusammenschluss kommen zu lassen. Gerade dieser nicht zusammengeführte Zusammenschluss wurde in der Bundesrepublik später immer als ein gravierender Fehler der Neuordnung angesehen.94 Im Rahmen der EGKS wurde er allerdings schon im Jahre 1955 realisiert.95 Jedenfalls hatten CSG und Stahltreuhändervereinigung sowie die Bundesregierung unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Notwendigkeit vertikaler Bindungen. So bedauerte die STV in ihrem Bereich ausdrücklich, dass die CSG „die Sicherung der Halbzeugversorgung“ oder „die Notwendigkeit eines Ertragsausgleiches“ nicht als ausreichende Begründung einer Zusammenfassung von Unternehmen anerkennen wolle.96 Ganz davon abgesehen, dass langfristige Lieferverträge zumindest eine bedenkenswerte Alternative für die Liefersicherheit der Walzwerke darstellen konnten, ging die Analyse der STV ganz offensichtlich von einem möglichen Halbzeugmangel in Westdeutschland aus, wenn sie die Sicherheit der Halbzeugversorgung als Argument für eine vertikale Verbindung ansah. Allerdings widersprach sie sich selber, wenn sie vermerkte, dass im Vergleich zu der Vorkriegssituation nun ein großer „Halbzeugfluß“ auf dem freien Markt abgesetzt werde.97 Sowohl Bundesregierung als auch die STV vertraten in diesen Fällen also das Interesse der großen Hüttenwerke, wenn sie eine Verbindung von finanzschwachen und investitionsbedürftigen Rohstahlproduzenten mit profitablen Spezialwerken förderten. Die vertikale Verbindung kann also auch als Absatzsicherung für Halbzeughersteller, gegenüber eventueller ausländischer Konkurrenz, die im Rahmen des gemeinsamen Marktes auf den deutschen Markt drängen könnte, verstanden werden. In diesem Sinne bedeutete eine Reduzierung der Kunden an Halbzeug, aber auch anderer Stahlprodukte durch vertikale Gliederungen auch einen gewissen Schutz des Binnenmarktes.

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Gillingham, rebirth, S. 303. Das Eingeständnis des Aufsichtsratvorsitzenden der Rheinischen Röhrenwerke an seinen Kollegen von den Hüttenwerken Phönix AG, dass es eine große Verantwortung sei, die kreditfreien Rheinischen Röhrenwerke mit den kreditbelasteten Phönix zu koppeln, belegen, dass die Vermutung Bureaus, dass profitable Walzwerke den Aufbau von Hüttenwerken mitfinanzieren sollten, nicht völlig falsch war. TA NSt 48 Ellscheid an Steinberg, 28. 9. 1954. NESI, S. 149, siehe auch NESI, S. 128. NESI, S. 128.

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3.6 Die Nachfolgegesellschaften der ‚Altkonzerne‘ In einem nächsten Schritt sollen nun die Ergebnisse der Neuordnung an der Ruhr dargestellt werden. Dabei soll abschließend evaluiert werden, ob die Ergebnisse mit den Thesen Herrigels bzw. Plumpes über die Wirkung der Neuordnung übereinstimmen. Als Erstes sollen die Neuordnungsmaßnahmen bei den mittelgroßen Montankonzernen dargestellt werden.98 Sowohl die Neuordnungsmaßnahmen der Hoesch AG, der Klöckner Werke AG und der Mannesmannröhrenwerke AG vollzogen sich nach einem sehr ähnlichen Muster. Diese Konzerne wurden in drei Obergesellschaften bzw. Holdings aufgeteilt. In der größten dieser Holdings waren jeweils die eisen- und stahlerzeugenden Werke der Altkonzerne und kleinere Beteiligungen am Bergbau und in der Weiterverarbeitung umfasst. Die Eisen- und Stahlerzeugung der alten Mannesmannröhren-Werke AG konzentrierte sich in der neuen Mannesmann AG. In der wichtigsten der drei Nachfolgegesellschaften befanden sich die Werke der Eisen- und Stahlerzeugung der alten Mannesmann-Werke AG, so z.B. die Röhrenwerke in Düsseldorf-Rath, das Hüttenwerk in Huckingen und die Walzwerke des alten Mannesmann-Konzerns. Die neue Mannesmann AG umfasste also Produktionsstufen vom Bergbau bis zum Vertrieb. Die anderen beiden Nachfolgegesellschaften waren die Stahlindustrie und Maschinenbau AG (STAMAG), eine Holding, welche die Stahlverarbeitung des alten Mannesmann-Konzerns vereinigte, u.a. die Maschinenfabrik Meer AG sowie die Consolidation Bergbau AG, welche Bergbauzechen umfassten. 3.A – Neuordnung der Mannesmannröhrenwerke AG Nachfolgegesellschaft Gesetz Nr. 27

Hauptgeschäftsfeld

Mannesmann AG

Bergbau, Eisen-/Stahlerzeugung, Handel, Stahlverarbeitung

Consolidation Bergbau AG

Bergbau

STAMAG AG

Stahlverarbeitung

Quelle: NESI S. 867

Der Mannesmann-Fall ist insofern interessant, als auch die Hoesch-Werke AG, die Klöckner Werke und die GHH in ähnlicher Weise entflochten wurden. Inwieweit kann man von einer ‚Zerstörung jahrzehntelanger gewachsener Strukturen‘ bei der Neuord-

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Zur Neuordnung siehe: Bernd Huffschmidt: Das veränderte Gesicht der Montanindustrie, in: Zum Eisenhüttentag 1954, Beilage in: Der Volkswirt v. 30. 10. 1954, S. 5–54, Müller, S. 98–109, NESI, S. 858–870.

137 nung der Mannesmann AG sprechen? Es ist richtig, dass die wichtigsten eisen- und stahlerzeugenden Werke nun nicht mehr mit allen stahlverarbeitenden Werken der alten Mannesmannröhrenwerke AG verbunden waren. Genauso festzustellen ist allerdings, dass einige Betriebe – wie die Unternehmensgruppe der Familie Hahn, welche die blecherzeugenden Kammerich Werke umfasste – erst 1938 im Zuge der Übernahme „nichtarischen“ Eigentums in den Mannesmann-Konzern kamen.99 Auch hier eine Folge von ganz spezifischen politisch verursachten Transaktionskosten – und wohl nicht das Resultat von jahrzehntelangem natürlichem Wachstum. Ein Beispiel: Die Maschinenfabrik Meer, die nun ausgegliedert wurde, hatte die Mannesmann AG erst 1925 übernommen. Die Fabrik produzierte wichtige Walzanlagen für Mannesmann. Mannesmann wollte durch die Übernahme verhindern, dass diese Anlagen auch an Konkurrenzunternehmen verkauft wurden.100 So bestand nun für die Mannesmann AG das Risiko, dass die Maschinenfabrik Meer ihre Anlagen auch an Konkurrenten von Mannesmann verkaufen würde. Für die Mannesmann AG war dies sicher ärgerlich für die Maschinenfabrik Meer, nun Teil der Stamag AG, bedeutete dies allerdings unter Umständen mehr Umsatz und Gewinn. Für den Mannesmann-Konzern ist die Phase der Entflechtung und Neuordnung in der unmittelbaren Nachkriegszeit – im Gegensatz zu den anderen Montankonzernen – auf breiter archivarischer Grundlage von Hanno Bernett untersucht worden. Sicher hat die Entflechtung zu Kostenerhöhungen im Sinne der von Plumpe angeführten Externalisierung von Funktionen, die vorher im zentralen Konzernverbund angesiedelt waren, geführt.101 Allerdings gelang es auch schon sehr früh – ab dem 30. Juni 1948 –, gemeinsame Einrichtungen wie das Mannesmann Forschungsinstitut durch Ausgliederung in eine GmbH weiterzuführen. Überhaupt habe der alte Vorstandsvorsitzende des Konzerns, Wilhelm Zangen, während des gesamten Neuordnungsprozesses das alte „Konzerndenken“ verkörpert und große „informelle Macht“ besessen.102 Als Ergebnis der Neuordnung des alten Mannesmann-Konzerns gehörten der Mannesmann AG, der größten von den drei Nachfolgegesellschaften, mehr Unternehmen an als dem alten Mannesmann-Konzern im Jahre 1935. Ein „erstaunliches Resultat“, so Bernett, angesichts der „politischen Veränderungen“.103 Auch wenn nach außen die „schmerzliche Abtrennung von Consolidation und Stamag AG“ betont wurde, war man 99

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Diese Werke wurden dann der Familie Hahn, infolge der Gründung der Hahnschen Werke AG, von den Alliierten im Jahre 1951 wieder zurückerstattet. Die Familie Hahn erhielt 55 % der neu gegründeten Hahnschen Werke AG, die Mannesmann AG 45 %. Die Betriebe dieser Gesellschaft wurden dann gemeinsam betrieben, so als ob beide Aktionäre 50 % besäßen. Die Anteile der Familie Hahn wurden schließlich im Jahre 1958 wieder an die Mannesmann AG verkauft. Wessel, S. 229 f. Wessel, 186ff. So konstatiert er eine Ausweitung der Aufgaben der Verwaltungen. Bernett, S. 273ff. Bernett, S. 252f. Bernett, S. 189f.

138 gerade über die Zusammenfassung der Eisen- und Stahlerzeugung in der neuen Mannesmann AG hochzufrieden.104 So kann man wohl zusammenfassen, dass von einer Zerstörung alt gewachsener Strukturen bei Mannesmann nicht die Rede sein kann. Auch sei festgehalten, dass der „vom Hochofen bis zum Walzwerk“105 integrierte Großbetrieb durch die Neuordnung durch die Mannesmann AG nicht beeinträchtigt wurde. Nach einem ähnlichen Verfahren wie Mannesmann wurde auch die Hoesch AG entflochten. 3.B – Neuordnung der Hoesch Werke AG Nachfolgegesellschaft Nr. 27

Hauptgeschäftsfeld

Hoesch Werke AG

Bergbau, Eisen-/Stahlerzeugung, Handel, Stahlverarbeitung

Industriewerke AG

Stahlverarbeitung

Altenessener Bergwerke AG

Bergbau

Quelle: NESI S. 861

Genauso wie bei Mannesmann blieb auch in der größten Nachfolgegesellschaft des alten Konzerns vom Bergbau bis zur Weiterverarbeitung die vertikale Gliederung erhalten.106 Auch der dritte Montankonzern an der Ruhr wurde nach diesem Schema neu geordnet. Auch hier war die Eisen- und Stahlerzeugung der alten Klöckner Werke AG in einer Nachfolgegesellschaft, dem Nordwestdeutschen Hütten- und Bergwerksverein, konzentriert.107 3.C – Neuordnung der Klöckner Werke AG Nachfolgegesellschaft Gesetz Nr. 27

Hauptgeschäftsfeld

Nordwestdeutscher Hütten- und Bergwerksverein AG

Bergbau, Eisen-/Stahlerzeugung, Stahlverarbeitung

Klöckner-Humboldt-Deutz AG

Stahlverarbeitung, insbesondere Maschinenbau

Bergwerke Königsborn-Werke AG

Bergbau

Quelle: NESI, S. 863

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107

Bernett, S. 238. Plumpe, Reintegration, S. 293. Die Firmenschrift der Hoesch AG aus dem Jahre 1971 notiert dann auch, dass Hoesch aus der Neuordnung „in seiner annähernd ursprünglichen vertikalen Unternehmensform hervorging“. Mönich, S. 412. Der Nordwestdeutsche Hütten- und Bergwerksverein änderte dann schon am 3. Dezember 1954 seinen Namen und hieß von nun an Klöckner Werke AG, Müller, Strukturwandel, S. 105.

139 Die Neuordnung der Gutehoffnungshütte unterschied sich von den drei anderen Nachfolgegesellschaften in dem Punkt, dass der Altkonzern nicht liquidiert wurde. Die Gutehoffnungshütte Aktienverein mit ihrem Hauptsitz in Nürnberg durfte sich nur fortan nicht mehr ‚Aktienverein für Bergbau und Hüttenbetrieb‘ nennen. Als bedeutendste Beteiligung dieser Obergesellschaft sei hier nur die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg M.A.N. genannt. Die Bergbaubetriebe sowie die eisen- und stahlerzeugenden Betriebe wiederum wurden aus der GHH ausgegliedert. 3.D – Neuordnung der Gutehoffnungshütte Aktienverein für Bergbau und Hüttenbetrieb Nachfolgegesellschaft Gesetz Nr. 27

Hauptgeschäftsfeld

Gutehoffnungshütte AK

Stahlverarbeitung, Maschinenbau

Bergbau AG Neue Hoffnung

Bergbau

Hüttenwerk Oberhausen AG

Eisen-/Stahlerzeugung

Beteiligungs-AG Ruhrort

Kohlehandelsgesellschaft

NESI, S. 858

Die Hüttenwerk Oberhausen AG (HOAG), welche aus dem gemischten Hüttenwerk Oberhausen und einer Drahtfabrik in Gelsenkirchen bestand, war im Gegensatz zu den wichtigsten Nachfolgegesellschaften, welche die Eisen- und Stahlerzeugung übernahmen (die Altkonzerne von Mannesmann, Hoesch und Klöckner), nicht mit dem Bergbau verbunden.108 In der Öffentlichkeit wurde gerade diese Lösung immer wieder als ein Beispiel für den wirtschaftlichen Unsinn der Neuordnung zitiert.109 Allerdings lag die Verantwortung für die fehlende Bindung der HOAG zur Kohle nicht bei den Alliierten oder der Stahltreuhändervereinigung, sondern bei der Bundesregierung und dem Altkonzern GHH. So hatte der amerikanische Hohe Kommissar John McCloy in seiner Besprechung am 5. März 1951 mit den Vertretern der Stahlindustrie noch angeboten, die Zeche Osterfeld mit der HOAG zu verbinden. Damit hätte die HOAG 71 % ihres Koksverbrauches abgedeckt. Die HOAG befürwortete auch diesen Verbund. Die Bundesregierung zog allerdings diesen Vorschlag für das Memorandum vom 14. März 1951 zurück, da der Altkonzern GHH erklärt hatte, dass eine einheitliche bergmännische Betriebsführung von Osterfeld ohne die Miteinbeziehung der Zeche Jacobi, die in unmittelbarer Nachbar-

108 109

NESI, S. 191, Warner, Steel, S. 139f.

Der Spiegel, v. 4. 4. 1951 Verbundwirtschaft, Sechs Montan-Krüppel, Herchenröder, Ruhrkonzerne, S. 127.

140 schaft der Zeche Osterfeld lag, nicht möglich sei.110 Dabei hatten die Alliierten ausdrücklich vertragliche Vereinbarungen über eine gemeinsame Verwaltung der beiden Zechen zugestanden.111 Hier war es also die kompromisslose Haltung der GHH, die ihrer entflochtenen Gesellschaft HOAG, mit der Hermann Reusch, der Leiter der GHH, auf Kriegsfuß stand, mit Mitwirken der Bundesregierung eine Eigentumsverflechtung mit der Kohle verwehrte – wohl um eine Art ‚Vorzeigemärtyrer-Betrieb‘ der Entflechtung zu kreieren.112 Einen gesonderten Fall stellt der Krupp-Konzern dar. Die Firma Fried. Krupp, ein sehr undurchschaubares Firmenimperium mit dem Schwerpunkt der Stahlverarbeitung, wurde nicht liquidiert, sondern bestand weiter. Allerdings wurden die Bergbaubetriebe sowie die Eisen- und Stahlerzeugung ausgegliedert. Die Rückgabe des beschlagnahmten Vermögens des 1948 verstorbenen Gustav Krupp an den Alleinerben Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, nach dessen Verurteilung bei den Nürnberger Prozessen und seiner Freilassung aus dem Gefängnis, war mit der Auflage verbunden, die Unternehmen des Bergbaus und der Eisen-/Stahlerzeugung zu verkaufen. Die Durchführung des Verkaufs musste er – im Gegensatz zu allen anderen Großaktionären – in einer persönlichen Erklärung versichern.113 Deshalb lehnte die Firma Krupp auch die Angliederung von drei stahlverarbeitenden Unternehmen wie das Blechwalzwerk Capito & Klein AG, die Westfälische Drahtindustrie AG und Stahlbau Rheinhausen AG an die Hütten-Bergwerke Rheinhausen ab.114 Die ersten beiden Gesellschaften wurden auch aus der Firma Friedrich Krupp ausgegliedert und an andere Familienangehörige der Familie Krupp übertragen.115 Auch die Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG blieben also ohne Verbindung zur Weiterverarbeitung, was auf einer Entscheidung des Eigentümers beruhte.

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NESI, S. 152. Den Alliierten ging es ganz offensichtlich nur um eine formelle Aufrechterhaltung der 75 %-Klausel. Das Ergebnis wären wohl dementsprechende Forderungen auf Ausweitung der 75 %-Klausel von anderen Hüttenwerken gewesen. Dies wiederum hätte die Verhandlungen über die Neuordnung, und damit auch die Schumanplan-Verhandlungen, gefährdet. BA N 1244/20 Vermerk Betr.: Besprechung bei McCloy am 5. 3. 1951, Düsseldorf, den 7. 3. 1951, gez. Sohl. Müller, Strukturwandel, S. 84f. Zu diesem Sonderabkommen zwischen den Alliierten und Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, dem so genannten „Mehlemer Vertrag“, siehe Diana Maria Friz: Die Stahlgiganten. Alfried Krupp und Berthold Beitz, Frankfurt, 1990, S. 48ff., Müller, Strukturwandel, S. 318f. NESI, 262 Herchenröder, Ruhrkonzerne, S. 160f.

141 3.E – Die Neuordnung der Fried. Krupp AG Nachfolgegesellschaft Gesetz Nr. 27

Hauptgeschäftsfeld

1. Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG

Bergbau, Eisen- und Stahlerzeugung

Emscher-Lippe Bergbau AG

Bergbau

Steinkohlenbergwerk Hannover-Hannibal AG

Bergbau

Capito & Klein

Karosserie & Elektrobleche

Westfälische Drahtindustrie

Draht

Bergbau AG Constantin der Große

Bergbau

NESI, S. 864

Schließlich muss auf die Neuordnung im Rahmen der VSt eingegangen werden. Die VSt wurden völlig liquidiert. Insofern ist es wohl hier am gerechtfertigsten, auf die ‚Zerschlagungsthese‘ einzugehen. Aber bei genauerer Betrachtung handelt es sich bei der Auflösung der VSt um eine fein säuberliche Zerlegung – und nicht um eine ‚Zerstörung‘. 3.F – Auflösung und Neuordnung der VSt Nachfolgeunternehmen der VSt nach Gesetz Nr. 27

Hauptgeschäftsfeld

Großaktionär nach CSG Dekonzentrationsplan

August Thyssen Hütte AG (ATH)

Eisen-/Stahlerzeugung, Halbzeug, Feinblech

Deutsche Edelstahlwerke AG (DEW)

Spezialwerk Edelstahl

Thyssen AG für Beteiligungen

Niederrheinische Hütte AG (NH)

Spezialwerk Draht

Thyssen AG für Beteiligungen (transitorisch)

Hüttenwerk Phoenix AG (Phoenix)

Eisen-/Stahlerzeugung, Halbzeug, Grobblech

Fritz Thyssen Vermögensverwaltung (transitorisch)

Rheinische Röhrenwerke AG (Rheinrohr)

Spezialwerk Röhren

Fritz Thyssen Vermögensverwaltung

Gußstahlwerk Bochumer Verein AG

Eisen-/Stahlerzeugung, Guß-Edelstahl

Dortmund Hörde Hütten Union AG (DHHU)

Eisen-/Stahlerzeugung, Halbzeug, Grobblech

Hüttenwerk Siegerland AG (HWS)

Spezialwerk, Feinblech, Weißblech

Hoogovens

142 Nachfolgeunternehmen der VSt nach Gesetz Nr. 27

Hauptgeschäftsfeld

Großaktionär nach CSG Dekonzentrationsplan

Ruhrstahl AG

Eisen-/Stahlerzeugung, Schmiede-Gußstahl

Rheinische Stahlwerke (transitorisch)

Gußstahlwerk Oberkassel AG

Spezialwerk, Gußstahl

Gußstahlwerk Witten AG

Spezialwerk, Edelstahl

Stahlwerke Südwestfalen AG

Spezialwerk, Edelstahl

Rheinisch-Westfälische Eisen- und Stahlwerke AG (Rheinwest)

Gießereieisen, Gußstahl, Weiterverarbeitung

Gelsenkirchener Bergwerks AG (GBAG)

Kohle

Hamborner Bergbau AG

Kohle

Erin Bergbau AG

Kohle

Rheinstahl-Union Maschinen- und Stahlbau AG (Rheinstahl)

Weiterverarbeitung

Rheinische Stahlwerke (transitorisch)

Rheinische Stahlwerke

Bergbau- und Industriewerte GmbH Weiterverarbeitung Handelsunion (HU)

Handel

Müller, S. 101ff., 300–306, NESI, S. 870f.

Die Vielzahl der Unternehmen auf dem Gebiet des Maschinen-, Stahl-, Fahrzeug- und Schiffbaus wurden in einer einzigen großen Weiterverarbeitungsholding zusammengefasst: der Rheinstahl-Union Maschinenbau AG. Die Rheinisch-Westfälischen Eisenund Stahlwerke AG, eine weitere Nachfolgegesellschaft, war ein horizontaler Zusammenschluss der Gießereien der ehemaligen VSt.116 Bei den insgesamt dreizehn Nachfolgegesellschaften auf dem Gebiet der Eisen- und Stahlerzeugung der VSt sind zwei Gruppen zu unterscheiden. Einmal die großen, gemischten Hüttenwerke, die Roheisen-, Stahl- und Walzwerke auf sich vereinigten (z.B. ATH, DHHU, Hüttenwerke Phoenix), sowie eine Reihe von Spezialwerken, die auf die Herstellung von Edelstahl, Gußstahl oder Blechen spezialisiert war. Weiter waren die Kohlenseite bzw. die Weiterverarbeitung und der Handel der ehemaligen VSt in einer bzw. einer sehr geringen Anzahl von Obergesellschaften zusammengefasst worden. Zu betonen sei hier die Gründung einer einzigen Handelsgesellschaft für alle ehemaligen Handelsgesellschaften der VSt: die Handelsunion AG in Düsseldorf. So waren in der Handelsunion AG, nun der Eisen- und Stahlhandel AG in 116

NESI, S. 157, Müller, Strukturwandel, S. 101f.

143 Frankfurt, der insbesondere für den süddeutschen Markt von Bedeutung war, die StahlUnion Export GmbH und auch der Schrotthandel vorm. Albert Sonnenberg GmbH zusammengefasst. Dies hieß aber nichts anderes, als dass auf diesen Gebieten ein institutioneller Rahmen für eine Zusammenarbeit der Nachfolgegesellschaften weiter bestand. Genauso gilt dies für die Rohstoffversorgung hinsichtlich Erze, Kalk und Feuerfeste Steine. Auch hier wurden jeweils eine bzw. mehrere Gesellschaften gegründet, an denen die Nachfolgegesellschaften, insbesondere die großen gemischten Hüttenwerke, gemeinsam beteiligt waren.117 Gerade im Hinblick auf die Versorgung mit Rohstoffen, aber selbst beim Vertrieb, gab es also auch nach der Neuordnung durch die Verwaltung gemeinsamer Gesellschaften der ausgegliederten Nachfolgeunternehmen Möglichkeiten, den Ankauf von Rohstoffen gemeinsam auszuüben. Die Betriebsabteilungen der VSt, welche diese Funktionen ausgeübt hatten, wurden nun als gemeinsame Beteiligungen weitergeführt. In diesen Bereichen dürften deshalb die gesteigerten Transaktionskosten durch die Neuordnung nicht sehr bedeutend gewesen sein. Ein moderner Begriff für diese Auslagerung von ehemaligen Betrieben der VSt in Betriebe, an denen mehrere Nachfolgegesellschaften der VSt gemeinsam beteiligt waren, hieße wohl ‚outsourcing‘. Für das rheinisch-westfälische Industriegebiet war auch noch die Entflechtung des Otto-Wolff-Komplexes von Bedeutung. So wurde die Stahlwerke Bochum AG aus der von Otto Wolff kontrollierten Holding, Eisen- und Hüttenwerke AG Köln, ausgegliedert. Auch die Stahl- und Walzwerke Rasselstein-Andernach AG wurden neu gegründet. Sie blieben allerdings unter 100 %iger Kontrolle der Eisen- und Hüttenwerke AG Köln.118 Beide Gesellschaften waren auf die Herstellung von Blechen spezialisiert. Im Flick-Konzern wurden aus der Friedrich Flick KG drei Unternehmen ausgegliedert. Auf der Bergbauseite die Harpener Bergbau AG, die Essener Steinkohlenbergbau AG und die Merkur Gesellschaft für Industrie- und Handelsunternehmungen GmbH, welche die Maximilianshütte in Sulzbach zu 74 % kontrolliert.119

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Hier sei insbesondere die Barbara Erzbergbau AG genannt, an denen Rheinwest, der Bochumer Verein, die Hüttenwerke Siegerland zu je 8 % bzw. 9 % und die ATH, Phoenix und die DHHU zu je 25 % beteiligt waren. NESI, S. 870f. NESI, S. 870. Schließlich sei noch die Gründung der Stahl- und Röhrenwerk Reisholz AG genannt, die aus der Thyssen Bornemisza Gruppe schon vor dem Gesetz 27 ausgegliedert wurde und die sich später 1953 in eine GmbH umwandelte, Müller, Strukturwandel, S. 107.

144

3.7 Eine Bewertung der Neuordnung – ‚radical discontinuity‘? Bewertet man die Umgestaltung bei den sechs großen Konzernen durch die Neuordnung, ist festzustellen, dass ein bedeutendes Maß an vertikaler Gliederung beibehalten worden ist. Von den sechs Altkonzernen waren die Hoesch AG, die Mannesmann AG, die Klöckner Nachfolgegesellschaft von der Kohle bis zur Weiterverarbeitung vertikal gegliedert. Die Klammer bildete eine Obergesellschaft oder Holding, deren Existenz von den Alliierten bzw. der CSG ja ursprünglich sehr kritisch beurteilt worden war.120 Bei der HOAG und den Hüttenwerken Rheinhausen bildete ebenfalls eine Obergesellschaft die Klammer zwischen Weiterverarbeitung und Hüttenwerk bzw. zwischen Kohle und Hüttenwerk. Die gemischten Konzerne waren also gemischt geblieben.121 Sie waren nun ein bisschen weniger ‚gemischt‘. Auch besaßen die Nachfolgegesellschaften der VSt Verbindung zu Kohle und Weiterverarbeitung. Dort war man so vorgegangen, dass man den größten Teil der Bergbauzechen, fast den gesamten Anteil der Weiterverarbeitung, sowie die Gießereibetriebe und den Handel in je eine Obergesellschaft überführte. Was die ausgegliederten eisenund stahlerzeugenden Nachfolgegesellschaften anging, konnte man zum Beispiel daran denken, die in der VSt praktizierte Arbeitsteilung durch langfristige Verträge u.ä. aufrechtzuerhalten. Mit der Handelsunion AG stand sogar ein gemeinsamer Vertriebskanal zur Verfügung, den man zumindest theoretisch zu einer abgestimmten Verkaufspolitik nutzen konnte – ebenso konnte man durch die gemeinsamen Beteiligungen an Erz- und Kalkunternehmen die Versorgung mit Rohstoffen koordinieren. Insofern war von den Grundsätzen der CSG nicht sehr viel übrig geblieben. Die institutionellen Vorausetzungen für eine abgestimmte Vertriebspolitik der Nachfolgegesellschaften waren gegeben. Insofern wird man nicht zu weit gehen mit der Behauptung, dass es der CSG nicht gelungen war, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Analysiert man diese Struktur, muss man auch die These von Plumpe hinsichtlich der erhöhten Struktur der Transaktionskosten zumindest relativieren. Denn von einer ‚Zerstörung‘ oder ‚Zerschlagung‘ der alten Strukturen kann im Falle der mittleren Konzerne sicherlich nicht die Rede sein. Für die VSt ist der Grad der ‚Zerlegung‘ unter Einbeziehung der Eigentumskonzentration noch näher zu untersuchen.

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BA N 1384/215 Jarres an Henle, Schroeder, Kuhnke Aktenvermerk 2. 6. 1951. Auch die Kohlenindustrie und die Gewerkschaften hatten sich gegen die Gründung von Holdings ausgesprochen, da sie auf „völlige Selbstständigkeit der Bergbaugesellschaften“ großen Wert legten. So spricht sogar Herchenröder, der ansonsten die Neuordnung sehr kritisch darstellt, davon, dass bei Hoesch, Klöckner und Mannesmann es gelungen sei, den „Kern“ der drei Konzerne „geschlossen“ zu erhalten. Herchenröder, Ruhrkonzerne, S. 18.

145 Genauso ist ein Fragezeichen hinter die These von Gary Herrigel zu setzen, dass die Nachfolgegesellschaften der Altkonzerne aufgrund der „radical discontinuity“ mit der Struktur der Zwischenkriegszeit nun gezwungen waren, ihre Produktionsprogramme völlig zu verändern. Der Zwang zur Neuorientierung im Hinblick auf das Walzprogramm des alten Konzerns im Eisen- und Stahlbereich, von der Herrigel ausgeht und die er als einen Hauptgewinn der Neuordnung ansieht, war bei den mittleren Konzernen nicht vorhanden. Die Eisen- und Stahlerzeugung bzw. das Walzprogramm des Altkonzerns wurde bei Mannesmann, Hoesch und Klöckner von einer großen Nachfolgegesellschaft praktisch komplett übernommen. Ähnlich verhielt es sich bei den anderen mittleren Konzernen, wie die Firma Fried. Krupp und die GHH. Bei den VSt wiederum sah die Situation anders aus. Das Ziel der Gründung der VSt im Jahre 1926 war es, gerade die Eisen- und Stahlerzeugung der Gründungsunternehmen zu rationalisieren, indem man die Erzeugung von einzelnen Walzstahlerzeugnissen auf ein oder sehr wenige Werke konzentrierte unter Ausnutzung der Größenskalenvorteile – also eigentlich das ‚Herrigelsche‘ Konzept.122 Die Stilllegung und Konzentration von Produktionsanlagen für bestimmte Produkte auf einzelne Werke gilt als einer der „Erfolge“ der VSt.123 Auch ähnelten die Nachfolgegesellschaften der VSt zum Teil deutlich den 100 % Tochtergesellschaften der alten VSt, die nach einer Reorganisierung des Konzerns im Jahre 1933 mehrere Eisen- und Stahlwerke gruppierten – gerade um eine bessere Investitionsabstimmung zwischen den Werken zu erreichen. Insofern ist es auch hier nicht richtig, von einer „radical discontinuity“ zu sprechen.124 Damit war aber für die von Herrigel erhoffte Spezialisierung der Nachfolgegesellschaften der Altkonzerne auf wenige Massenprodukte durch die Neuordnung nicht viel Spielraum geschaffen. Für die mittleren Konzerne bestand dieser Zwang nach der Neuordnung nicht, da sich letztlich nicht viel verändert hatte. Die VSt hatten dieses Konzept schon in der Zwischenkriegszeit recht erfolgreich betrieben. Dies heißt nun nicht, dass die Fortführung einer solchen Spezialisierung grundsätzlich für die fünfziger Jahre auszuschließen war. Nur hatte sie keinen direkten Zusammenhang mit der Neuordnung. Von einer „radical discontinuity“ kann schon deshalb nicht die Rede sein, da die Nachfolgegesellschaften in fast allen Fällen Betriebe umfassten, die vor der Neuordnung Teile eines einzelnen Altkonzerns waren.125 So wurde nur im Rahmen der Altkonzerne ‚neu geordnet‘.

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Dieses Konzept wurde von Krediten aus der USA unterstützt und lehnte sich ganz bewusst an Strategien der amerikanischen Stahlindustrien an. Alfred Reckendrees: „Die Vereinigte Stahlwerke A.G. und das „glänzende Beispiel Amerika““, in: ZUG 41 (1996), S. 159–189. Reckendrees, Stahltrust, S. 590, siehe auch Herrigel, Constructions, S. 195f. Reckendrees, Stahltrust, S. 374–387, Herrigel, Constructions, 95f. Siehe dazu auch NESI, S. 152, und auch Wessels, Wandel, S. 276: „So hatten z.B. die Pläne der Treuhandverwaltung, neue Röhrengruppen aus Werken von Mannesmann und den Deutschen bzw.

146 Es gibt eine einzige Ausnahme in dieser Hinsicht: Die neu gegründeten Stahlwerke Südwestfalen AG umfasste Werke der ehemaligen Altkonzerne VSt, Klöckner und Hoesch.126 Zwar mussten nun Funktionen wie eine Vertriebsorganisation selber aufgebaut werden; dies sollte die erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung des Edelstahlproduzenten in den fünfziger Jahren allerdings nicht stören.127 Die Chancen für eine Neuorientierung im Sinne Herrigels gab es also in einem einzigen Fall, wobei es sich hier um die sehr individuelle Anfertigung von Edelstahl handelte, in denen Größenskalenvorteile durch Massenherstellung eher zu vernachlässigen sind. Es war also generell nur im Rahmen der bestehenden Altkonzerne bzw. der bestehenden Eigentumsverhältnisse ‚neu geordnet‘ worden. So hing die künftige Zusammenarbeit der Nachfolgegesellschaften der Altkonzerne nicht zuletzt von dem Willen der Eigentümer ab, auch ohne einen offiziellen Konzernverbund weiter zu kooperieren. Insofern ist es notwendig, die Auswirkungen der Neuordnung auf die Eigentumsverhältnisse der Nachfolgegesellschaften zu analysieren.128 Plumpe meint, dass die „ökonomisch gravierenden Folgen der Entflechtung“ nicht primär „in einer Änderung der Eigentumsverhältnisse als vielmehr in der Zerstörung gewachsener arbeitsteiliger Strukturen“ bestanden hätten. Aber lag es nicht an den Eigentümern, die gewachsenen „arbeitsteiligen Strukturen“ aufrechtzuerhalten?

3.8 Betriebliche Entflechtung – aber bleibende Eigentumskonzentration? Um diese Frage beantworten zu können, ist es notwendig, die Eigentumsverhältnisse bei den Nachfolgegesellschaften zu analysieren. Am 12. April 1951 – also nach dem Ende der Schumanplan-Verhandlungen – beschloss die AHK gegen die Stimmen des britischen Kommissars die Ausgabe der Aktien der Nachfolgegesellschaften an die Eigentümer der Altkonzerne.129 Dies geschah mit der Einschränkung, „dass das Wiederentstehen einer übermäßigen Zusammenballung wirtschaftlicher Macht vermieden wird“.130 In diesem Sinne wurden

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Rheinischen Röhrenwerken zu bilden, vereitelt werden können. Auch hatte man es abgelehnt, die Niederrheinische Hütte mit dem benachbarten Huckinger Werk zu vereinigen.“ Siehe Warner, S. 98, erst im Jahre 1975 landete das Unternehmen bei der Fried. Krupp AG. Müller, Strukturwandel, S. 306f. Karl Heinrich Herchenröder: Neue Männer an der Ruhr, Düsseldorf 1958, S. 11ff. Herrigel geht auf den Punkt der Eigentumsverhältnisse gar nicht ein. Dies ist erstaunlich, denn die Eigentumsrechte haben sich als eine „entscheidende Kategorie“ für die Unternehmensgeschichte der VSt erwiesen. Reckendrees, Stahltrust, S. 574. Warner, Steel, S. 68. NESI, S. 461.

147 die Großaktionäre, die 15 % oder mehr an einer der zu liquidierenden Altkonzerne besaßen, besonderen Auflagen unterstellt, welche letztendlich das Ziel hatten, ihren Einfluss auf eine oder nur sehr wenige Nachfolgegesellschaften des Altkonzernes zu beschränken.131 Grundsätzlich wurden die Aktien der Nachfolgegesellschaften pro rata an die Aktionäre der Altgesellschaft verteilt. Da die alte Mannesmann und Hoesch AG im Streubesitz waren, vollzog sich hier die Ausgabe der Aktien ohne irgendwelche Sonderbedingungen. Hier waren de facto durch das Banken-Depotstimmrecht die Banken die entscheidenden Großaktionäre.132 Diese waren bezüglich direkter Einflussnahme auf die Unternehmensstrategie traditionell sehr zurückhaltend.133 Komplizierter war die Ausgabe der Aktien für die Großaktionäre der Altkonzerne. Hier forderten die Alliierten, dass bei Bejahung des Aktientausches die Großaktionäre langfristig nicht gleichzeitig an mehreren Nachfolgegesellschaften des gleichen Konzerns beteiligt bleiben dürften. Hier traten die Großaktionäre nun in Einzelverhandlungen mit den Alliierten.134 Im Bereich der GHH wurde das Stimmrecht der Angehörigen der Familie Haniel, die ca. 45 % der Aktien der GHH hielten, bei den ausgegliederten Gesellschaften HOAG und Bergbau AG Neue Hoffnung auf 10 % des Stimmrechts der anderen Aktionäre beschränkt. Dies war mit dem Ziel geschehen, dass die Familie Haniel diese Aktien veräußern würde. Der Käufer würde dann wieder das volle Stimmrecht ausüben können.135 Die Großaktionäre der Klöckner-Werke AG i.L. waren die niederländische N. V. Handelsmaatschappij „Montan“ mit 30,88 % und die Firma Klöckner & Co. mit 20,6 % des Grundkapitals. Beide Gesellschaften sollten nun ihre Aktien der Nachfolgegesellschaften tauschen, so dass „Montan“ Mehrheitsaktionär bei dem Nordwestdeutschen Hüttenund Bergwerksverein wurde und Klöckner & Co bei Klöckner Humboldt Deutz. Die Aktien an der Königsborn Werke AG und der Stahlwerke Südwestfalen AG sollten beide Aktionäre verkaufen bzw. sie konnten einen Anteil bis zu 6,8 % je nach Unternehmen behalten, für den aber nur ein beschränktes Stimmrecht ausgeübt werden konnte. Aber

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Dass der Neuordnung der Struktur der Altkonzerne auch eine gewisse ‚Neuordnung‘ des Aktienbesitzes folgen musste, war logisch. Es würde ja wenig Sinn machen, so der Chef der Dekartellierungsbehörde der amerikanischen Hochkommission in einem Leserbrief an die New York Times im Oktober 1954, einen Konzern in unabhängige Gesellschaften aufzuteilen, wenn dieser weiterhin durch dieselben Großaktionäre kontrolliert würde. Müller, Strukturwandel, S. 317, siehe auch NESI, S. 104. Die AHK hatte auch hinsichtlich des Depotstimmrechts ursprünglich weit gehende Reformpläne, welche die ‚Rekonzentration‘ erschwert hätten, die aber von der Bundesregierung gerade nach der Unterzeichnung des Schumanplans im Namen der ‚Gleichberechtigung‘ verhindert werden konnten. Siehe dazu Herchenröder, Ruhrkonzerne, S. 32ff., Warner, Steel, S. 69ff. Siehe dazu Harald Wixforth: Banken und Schwerindustrie in der Weimarer Republik, Köln 1995. BA N 1384/217 Betr. Aktientausch und Gesetz Nr. 27, 28. 2. 1952. NESI, S. 286f.

148 auch hier manifestierte sich sehr früh der Wille, die alte Zusammengehörigkeit der Nachfolgegesellschaften zu demonstrieren, indem die Nordwestdeutschen Hütten- und Bergwerke bald wieder den Namen ‚Klöckner‘ annahmen.136 Abgesehen davon, dass der Name „Klöckner“ sicherlich auf dem Stahlmarkt seinen Ruf erworben hatte, wurde mit einer Namensänderung natürlich auch deutlich gemacht, dass man sich in der Tradition des Altkonzern bewegte. Zwei spezielle Fälle bildeten der Flick- und der Krupp-Konzern.137 Die Friedrich Flick KG sollte ihre Beteiligungen in der Kohle- und Stahlerzeugung verkaufen. Dabei sollte die Maximilianshütte AG an die Merkur Gesellschaft für Industrie- und Handelsunternehmen GmbH übertragen werden, deren Gesellschafter die Söhne Friedrich Flicks waren. Die Beteiligungen an den Kohlengesellschaften Harpener Bergbau AG und der Essener Steinkohlenbergwerke AG sollten endgültig verkauft werden. Der „Plan für die Entflechtung, Abtrennung und Verteilung von Vermögenswerten der Firma Fried. Krupp, Essen“ vom 20. Februar 1953 besagte, dass Alfried Krupp von Bohlen und Halbach sich von seinen stahlerzeugenden Unternehmen und den Kohlenbergwerken trennen musste.138 Dies betraf unter anderem die Hütten- und Bergwerke Rheinhausen. Die Firma Otto Wolff konzentrierte sich auf die Stahl- und Walzwerke Rasselstein/ Andernach AG und verpflichtete sich, die Stahlwerke Bochum AG zu veräußern. Diese Bestimmungen wurden durch eine Verordnung pro Großaktionär der AHK erlassen, deren Inhalt vorher in Verhandlungen mit der CSG und dem betreffenden Großaktionär ausgearbeit wurde.139 Bei den Vereinigten Stahlwerken gab es verschiedene Großaktionäre.140 Die Gewerkschaft Preußen hielt die Beteiligung von Fritz Thyssen an der VSt AG in Höhe von 26 % des Grundkapitals der VSt. Nach der Flucht Fritz Thyssens aus Deutschland und seiner späteren Festnahme nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde das Vermögen beschlagnahmt und ein Teil an die von Alfred Hugenberg kontrollierte Ostdeutsche Privatbank KG (Opriba KG) veräußert.141 Nach einem Rückerstattungsvergleich vom 4. April

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Stahl und Eisen 73 (1953), 5. November, S. 1563. Über die Begnadigung von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach durch John McCloy und die heftigen Reaktionen gerade in Frankreich und Großbritannien siehe Schwartz, Federal, S. 169 f. Zur ‚Krupp-Erklärung‘: Lother Gall: Von der Entlassung Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs bis zur Errichtung seiner Stiftung 1951 bis 1967/68, in: Lothar Gall (Hg.): Krupp im 20. Jahrhundert, Berlin 2002, S. 475–486. NESI, S. 286–291. Warner, Steel, die sich auf Quellen der CSG und des Bundeswirtschaftsministeriums bezieht, S. 154, Kurt Pritzkoleit: Männer, Mächte, Monopole. Hinter den Türen der westdeutschen Wirtschaft, Düsseldorf 1963, S. 284,Vermerk aus dem N Birrenbach I-433/206/5 Aufzeichnung, Betr. Gewerkschaft Preußen. Warner, Steel, S. 214f.

149 1952 erhielt die Gewerkschaft Preußen einen Teil dieser Aktien zurück, so dass Opriba dann noch 1,83 % an VSt-Aktien hielt.142 Zur Zeit der Umtauschaktion hielt die Gewerkschaft Preußen noch 20,75 % des Grundkapitals der VSt. Da Fritz Thyssen im Jahre 1951 verstorben war, wurden die Aktien der Gewerkschaft Preußen auf zwei neue Gesellschaften, die Vermögensgesellschaften der beiden Erbinnen von Fritz Thyssen, übertragen:143 die Fritz Thyssen Vermögensverwaltung (FTV) mit Sitz in Köln, deren einzige Aktionärin die Witwe Fritz Thyssens, Amélie Thyssen, war, und die Thyssen AG für Beteiligungen (TfB), die Vermögensgesellschaft der Tochter Fritz Thyssens, Anita Gräfin de Zichy, mit Sitz in Düsseldorf. Der Vorsitzende der FTV war Robert Ellscheid, nach 1945 der Rechtsanwalt Fritz Thyssens. Stellvertretender Aufsichtsratvorsitzender und gleichzeitig Aufsichtsratvorsitzender der August Thyssen Hütte AG war Robert Pferdmenges. Der Vorsitzende von der TfB war Kurt Birrenbach, ein ehemaliger Vertreter der VSt in Argentinien, der die Tochter Fritz Thyssens, Anita Gräfin de Zichy, in Argentinien kennen gelernt hatte und als CDU-Bundestagsabgeordneter insbesondere wegen seiner ausgezeichneten Kontakte in die USA einer der wichtigsten Politiker für außen- und sicherheitspolitische Fragen wurde.144 Neben den Erbinnen Fritz Thyssens war der zweite Großaktionär der VSt die Rheinischen Stahlwerke AG, die 15,65 % am Kapital der VSt hielten.145 Als weiterer bedeutender Aktionär ist noch der niederländische Stahlproduzent Koninklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken N. V. Ijmuiden zu nennen, der 4,45 % hielt. Für die Großaktionäre galt, dass sie sich endgütlig nur auf eine Nachfolgegesellschaft konzentrieren durften.146 Nun fanden im Laufe der Jahre 1953/54 zwischen den Großaktionären der VSt die abgestimmten Aktientauschgeschäfte statt. Gerade um diesen Prozess zu beschleunigen, hatte man den Großaktionären neben der endgültigen Konzentration noch die ‚transitorische‘ Konzentration auf eine weitere Nachfolgegesellschaft ermöglicht, die aber nach fünf Jahren wieder verkauft werden musste.147 Grundsätzlich sollten die Großaktionäre nach dem Ende dieses Prozesses nur an einer Nachfolgegesellschaft beteiligt sein. Die FTV wählte nun als endgültige Konzentration die Rheinischen Röhrenwerke, als transitorische Konzentration wählte sie die Hüttenwerke Phoenix AG. Die TfB wählte als endgültige Konzentration die Deutschen Edelstahlwerke AG (DEW) und als transitorische Konzentration die Niederrheinische Hütte AG.

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Pritzkoleit, S. 284. N Birrenbach I-433/206/5 Aufzeichnung Betr. Gewerkschaft Preußen. BA 102/22311 Coenen an Hambruger 18. 11. 1954, als Anlage: Abschrift Satzung der Thyssen Aktiengesellschaft für Beteiligungen, zu Birrenbach auch Hinrichsen, Hans-Peter E.: Kurt Birrenbach und die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2000. Herchenröder, Ruhrkonzerne, S. 113. Über die Verhandlungen der Behandlung der Großaktionäre, Warner, Steel, S. 168–170, S. 180–182. Herchenröder, Ruhrkonzerne, S. 112–115, Warner, Steel, S. 213ff., Müller, Strukturwandel, S. 108f.

150 Die Rheinischen Stahlwerke konzentrierten sich auf die Rheinstahl-Union Maschinen- und Stahlbau AG und transitorisch auf die Rheinisch-Westfälische Eisen- und Stahlwerke AG sowie die Ruhrstahl AG. Die Bochumer Verein AG, eine weitere transitorische Konzentration von Rheinstahl, wurde schon im Mai 1954 an Axel WennerGren, einen schwedischen Geschäftsmann und alten Freund von Gustav Krupp, verkauft.148 Hoogovens schließlich konzentrierte sich auf die Dortmund-Hörder Hüttenunion (DHHU).149 Schon im März 1952 kam es zu einer Vereinbarung der beiden Thyssen-Gruppen und Hoogovens, dass diese Großaktionäre ihre ‚endgültigen‘ und später auch ‚transitorischen‘ Konzentrationen tauschen würden.150 Diese Vereinbarungen wurden von den Alliierten auf jeden Fall unterstützt, erlaubten sie doch einen recht unbürokratischen Austausch der Nachfolgeaktien im Sinne der gewünschten Kontrolle weniger bzw. langfristig einer Nachfolgegesellschaft pro Großaktionär. Die Erfüllung der Verkaufsauflagen für die ‚transitorischen Konzentrationen‘ wurde in der Endphase der Besatzungszeit noch einmal Gegenstand von schwierigen Verhandlungen.151 Das Besatzungsstatut für die Bundesrepublik wurde offiziell im Oktober 1954 mit Unterzeichnung der Pariser Verträge, die am 5. Mai 1955 in Kraft traten, abgelöst.152 Zu diesen Verträgen gehörte auch „der Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen“ oder auch „Überleitungsvertrag“ genannt. Der Artikel 9 des Vertrages enthielt die Verpflichtung, die Maßnahmen des Gesetzes 27 – einschließlich Verkaufsauflagen – zum Abschluss zu bringen. Großaktionären, die ihrer Verkaufsauflage nicht innerhalb der Frist von fünf Jahren nachkommen konnten, eröffnete Artikel 10 des „Überleitungsvertrages“ die Möglichkeit, eine Verlängerung der Frist um ein Jahr zu be-

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Pritzkoleit, S. 273. ACDP I-433/2065. Betr. Gewerkschaft Preußen. Ebenso tauschte die Opriba AG ihre Nachfolgeaktien gegen Aktien der Stahlwerke Südwestfalen ein. Die Allianz AG übernahm die Anteile der Großaktionäre an den Hüttenwerken Siegerland AG. Dieser gegenseitige Austausch der „transitorischen“ bzw. „endgültigen“ Transaktionen nach der Verteilung der Aktien der Nachfolgegesellschaften an die Alteigentümer ging ursprünglich wohl auf eine Idee von Robert Ellscheid, Aufsichtsratvorsitzender der Fritz-Thyssen-Vermögensverwaltung, der Finanzholding von Amélie Thyssen, zurück. TA VSt 3139 Linz an Wenzel, Pferdmenges, Schwede, Seelig, Sohl 28. 6. 1952. Warner, Steel, S. 224–230, Müller, Strukturwandel, S. 317ff. Zwar war schon am 26. Mai 1952 der Deutschland-Vertrag ausgehandelt worden mit den entsprechenden Bestimmungen. Zur Inkraftsetzung bestand aber ein Junktim zum EVG Vertrag, der von der Pariser Nationalversammlung im August 1954 abgelehnt wurde. Das Besatzungsstatut galt also bis 1955, obwohl seine Aufhebung praktisch schon beschlossen war. Die Alliierte Hohe Kommission trat deshalb schon ab 1952 immer mehr in den Hintergrund. In dieser Phase fanden noch entscheidende Gespräche mit der Bundesregierung über die Neuordnung der Stahlindustrie nach Gesetz Nr. 27 statt. Ludolf Herbst: Option für den Westen. Vom Marshallplan bis zum deutsch-französischen Vertrag, 1989, S. 101. Zu der Konferenz in London (29. 9.54 bis 3. 10. 54) und Paris (19.10 bis 23.10) siehe auch Hans Peter Schwarz, Die Ära Adenauer, 1981 S. 246–254.

151 antragen.153 Über diese Anträge sollte dann ein siebenköpfiger Gemischter Ausschuss befinden, dem drei bundesdeutsche Mitglieder und je ein weiterer französischer, ein britischer und ein US-amerikanischer Repräsentant sowie ein siebentes Mitglied angehören mussten.154 Dieses Gremium musste, falls nach fünf Jahren der Verkauf noch nicht erfolgt war, über die Verlängerung der Verkaufsfrist entscheiden, sobald ein Aktionär einen Antrag in diesem Sinne stellte. Allerdings hatte sich Bundeskanzler Adenauer in einer beigefügten Erklärung noch einmal die Wiederaufnahme von Gesprächen vorbehalten, falls sich kein Käufer finden würde.155 Damit war die Bundesregierung ihrer Auffassung nach letztendlich nicht verantwortlich für die Ausführung der Verkaufsauflage.156 Außerdem hieß es in Artikel 9 (3): Die Bestimmungen dieses Artikels stehen den auf Grund des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zulässigen Erweiterungen oder Zusammenschlüssen von Unternehmen des deutschen Kohlenbergbaues und der deutschen Eisen- und Stahlindustrie nicht entgegen.157

Dies hieß nichts anderes, als dass bei einer Genehmigung einer Fusion durch die Hohe Behörde die Neuordnungsmaßnahmen wieder zurückgenommen werden konnten. Zumindest eine juristische Möglichkeit einer Revision der Neuordnung bzw. auch der Verkaufsauflagen war also nun durch Artikel 66 des EGKS-Vertrags gegeben. Der Artikel 66 wurde nun als Möglichkeit von den Alliierten anerkannt, die Neuordnung wieder zu revidieren – sozusagen als ‚europäische Legitimation‘ einer ‚Rekonzentration‘. Interessanterweise ging dieses auf eine entsprechende Formulierung im Plan für die „Dekonzentrierung der Thyssen’schen Beteiligung an der VSt“, der am 10. Februar 1953 durch Anordnung der CSG in Kraft gesetzt wurde, zurück.158 Kurt Birrenbach, inzwischen Aufsichtsratvorsitzender der Thyssen AG für Beteiligungen und persönlicher Be-

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Auszug des Vertrages findet sich in: PAAA Referat 200 Band 170. Müller, Strukturwandel, S. 318f. Müller, Strukturwandel, S. 318. Müller geht dabei davon aus, dass diese Erklärung von den Stahlindustriellen in letzter Minute angeregt wurde, da Helmut Pohle, der Justitiar des MannesmannKonzerns, eine solche Vorbehaltserklärung in einem Schreiben an Zangen angeregt hatte, M 12170 Vermerk Pohle für Zangen und Winkhaus 18. 10. 1954, Anm 79 Müller, Strukturwandel, S. 319. 28. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft am Montag, den 17. November 1952. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Kabinettsausschuss für Wirtschaft, 1951–1953, S. 208f. Hier im Zusammenhang mit der Erklärung von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, sein Besitz in der Eisen- und Stahlerzeugung zu verkaufen. P 866105 Goergen an Kox 16. 10. 1954, Niederschrift über die Sitzung der Werkszusammenschlusskommision am 11. Oktober 1954. PAAA Referat 200, Band 170, Liste IV. Änderungen zu dem Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen. TA A 8981 Plan für die Dekonzentrierung der Thyssenschen Beteiligung an der Vereinigte Stahlwerke A.G. in Liquidation, ähnlich der Rheinstahl-Plan: VSt 1453 Rheinstahl-Plan, Anordnung der Alliierten Hohen Kommission vom 28.10.1954. ACDP I-433 206/5 Aufzeichnung Gewerkschaft Preußen.

152 rater von Anita Gräfin de Zichy, der Tochter Fritz Thyssens, ging schon 1955 davon aus, dass die Verkaufsauflagen letztlich nicht erfüllt würden.159 Insofern ist natürlich die Frage zu stellen, aus welchen Gründen sich die Großaktionäre auf die einzelnen Gesellschaften konzentrierten – wenn sie zumindest die Hoffnung haben konnten, diese Beteiligungen auf Dauer zu behalten.

3.9 Das Hauptergebnis der Neuordnung – „Zerschlagung der VSt“? Es ist interessant, die Neuordnung der Nachfolgegesellschaften der VSt gerade im Bereich der Erbinnen Fritz Thyssens mit den Plänen zu vergleichen, die nach 1945 in der VSt selber ausgearbeitet wurden. Innerhalb der VSt war man schon seit 1945 davon ausgegangen, dass der Konzern in seiner Vorkriegsform wohl nicht weiter bestehen würde.160 So hatte man in den Jahren 1948 und 1950 selber Pläne für eine ‚Dekonzentration‘ vorgelegt, die allerdings von den Alliierten nie in Betracht gezogen wurden.161 In einem ersten Plan vom 10. Mai 1948, zu einer Zeit, da eine privatwirtschaftliche Lösung noch sehr unwahrscheinlich war, sollten die Montanbetriebe in sechs Werksgruppen aufgeteilt werden. Vier davon sollten im Raum Hamborn, Gelsenkirchen, Bochum bzw. Dortmund gruppiert werden.162 In der Gruppe Hamborn sollten auf der Eisen- und Stahlseite u.a. die ATH, die Hüttenwerke Phoenix, die Rheinischen Röhrenwerke sowie die Niederrheinische Hütte zusammengefasst werden. Schließlich wurde dieser Vorschlag noch einmal im Januar 1950 von Walter Rohland, der nun als Berater für den VSt-Vorstand Studien erstellte, überarbeitet. In der Fassung vom 14. August 1950 im Eisen- und Stahlbereich sah der Vorschlag des VSt-Vorstandes „für die Dekonzentrierung der Vereinigten Stahlwerke AG“ im Duisburger Raum nun die selbstständige Gründung der Deutschen Edelstahl Werke (DEW) und der Niederrheinischen Hütte in Verbindung mit zwei weiterverarbeitenden Betrieben vor.163 Genau in dieser Form wurden die beiden Gesellschaften schließlich nach Gesetz Nr. 27 auch ausgegliedert. Weiter sah der Vorschlag die Gründung einer Einheitsgesellschaft für die drei Betriebe ATH, Hüttenwerk Phoenix und die Rheinischen Röhrenwerke vor.164 Wie schon aufgezeigt, wurden diese drei Unternehmen dann in Folge der Neuordnung in

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ACDP I-433 206/5 Birrenbach an Schedel 11. 3. 1955.

Uebing, 1926–1969, S. 157f. Sohl, S. 116. Uebing, 1926–1969, S. 161ff. TA VSt 1436 Vorschlag für die Dekonzentrierung der Vereinigten Stahlwerke AG. Ergebenst unterbreitet durch Vereinigte Stahlwerke 14. 8. 1950. Ders., S. 27.

153 Form je einer selbstständigen Nachfolgegesellschaft gegründet.165 Dies war am 27. März 1951 in einem Brandbrief der VSt-Liquidatoren und Hermann Wenzels an die Bundesregierung bitter beklagt worden. Insofern war das Ergebnis der Neuordnung im Duisburger Raum nicht mit den freiwilligen Auflösungsplänen identisch. Allerdings wurden von diesen fünf Nachfolgegesellschaften des Duisburger Raums vier nach den Tauschaktionen ‚transitorisch‘ bzw. ‚endgültig‘ von den beiden Vermögensgesellschaften der Erbinnen von Fritz Thyssen kontrolliert. Die Beteiligungen der Erbinnen Fritz Thyssens an den Nachfolgegesellschaften der VSt ähnelten also rein materiell den Auflösungsplänen, welche der VSt-Vorstand selber ausgearbeitet hatte. Sehr verwunderlich ist allerdings, dass sich keine der beiden Erbinnen Fritz Thyssens bzw. auch kein Großaktionär auf die Nachfolgegesellschaft August Thyssen-Hütte AG (ATH) konzentriert hatte. So stand schon längst fest, dass dort die neue vollkontinuierliche Warmbreitbandstraße aufgestellt werden würde – mit finanzieller Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bundesregierung. Damit würde die ATH über die modernste und leistungsfähigste Anlage in der Bundesrepublik auf dem Gebiet der Flachstahlerzeugung verfügen.166 Hans-Günther Sohl, stellvertretender Vorsitzender der VSt vor 1945 und führende Persönlichkeit innerhalb des VSt-Vorstandes nach seinem Wiedereintritt 1948, hatte nun bei der ATH den Vorstandsvorsitz übernommen. Insofern hätten sich die Alliierten schon mit Verwunderung fragen müssen, warum denn kein Großaktionär diese Stahlgesellschaft als Konzentration ausgewählt hatte. So ist es nicht verwunderlich, dass es schon in einem Vermerk von Wilhelm Steinberg vom 10. Februar 1954, damaliger Aufsichtsratvorsitzender der Hüttenwerke Phoenix, über ein Gespräch mit Robert Ellscheid, Treuhänder für Amélie Thyssen und Aufsichtsrat bei den Rheinischen Röhrenwerken, hieß, das Endziel sei „August Thyssen Hütte, Phoenix, Niederrhein und Rheinrohr“.167 Mit diesen Betrieben hatte man eine breite Walzstahlproduktionspalette abgedeckt: Feinbleche (ATH), Grobbleche (Phoenix), Draht und Stabstahl (Niederrhein) und Röhren (Rheinrohr). Pläne für eine mögliche ‚Rückverflechtung‘ waren also hinsichtlich der Beteiligungen der Erbinnen Fritz Thyssens – unter Einschluss der ATH – schon vorhanden. Intern wurde auch schon der Begriff „Thyssengruppe“ verwendet.168 Die Kommunikation solcher Pläne an die Öffentlichkeit musste natürlich vermieden werden.169 165

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BA N 1244/18 Dies war am 27. März 1951 in einem Brandbrief der VSt-Liquidatoren und Hermann Wenzels, des VSt-Aufsichtsratsvorsitzenden, an die Bundesregierung bitter beklagt worden.Vst i. L., gez. Wenzel, Sohl, Schwede, Seelig an Bundeskanzler, 27 März 1951. Gillingham, rebirth, S. 353f. TA NSt 48 Aktenvermerk Düsseldorf, den 10. Februar 1954, Betrifft: Hüttenwerke Phoenix. PR 17191 Ellscheid an Goergen 17. 11. 1953. PR 17191 Ellscheid an Goergen 17. 11. 1953. PR 17191 Ellscheid an Polenz 21. 11. 1953. Die Alliierten, so Ellscheid, müssten schon „einiges schlucken“. Wenn man jetzt schon öffentlich Zusammenschlusspläne erörtere, würden die Alliierten wohl darauf hinweisen, dass es uns mit der transitorischen Konzentration „nicht ernst gemeint“ sei. PR 17191 Ellscheid an Goergen 17. 11. 1953.

154 Wie aufgezeigt hatte man auch schon im Plan für die „Dekonzentrierung der Thyssenschen Beteiligung an der VSt“ einen Rechtsweg für eine ‚Wiedervereinigung‘ gefunden: den Artikel 66 des EGKS-Vertrags.170 Dies verdeutlicht noch einmal die große Bedeutung des Schumanplans bzw. des EGKS-Vertrages für die zukünftige Entwicklung der Ruhrstahlindustrie. Denn dieser hatte zumindest de jure der Ruhrstahlindustrie eine Möglichkeit zur Revision der Neuordnung zugestanden. Dass man sich dieser neuen europäischen Freiheiten an Rhein und Ruhr sehr bewusst war, bezeugt der Thyssensche Neuordnungsplan. Der Artikel 66 sollte nun dazu dienen, bereits bestehende Aufbaupläne von Unternehmensgruppen europäisch zu legitimieren. Zusammenfassend kann also auch im Bereich der VSt gesagt werden, dass die Neuordnung, die für die VSt ja mit der Auflösung endete, unter der Heranziehung der zukünftigen Eigentumsverhältnisse nicht mit ‚radical discontinuity‘ bezeichnet werden kann. Die Nachfolgegesellschaften im eisen- und stahlerzeugenden Bereich befanden sich zu einem nicht unerheblichen Teil nach der unmittelbaren Ausgliederung in der Kontrolle weniger Großaktionäre. Dies führte weiterhin dazu, dass eigentlich alle Möglichkeiten gegeben waren, alte Arbeitsteilungen aufrechtzuerhalten – sei es nun für die mittleren Konzerne oder die VSt. Die möglichen betriebswirtschaftlichen Folgen der Neuordnung, die von Herrigel positiv und von Plumpe negativ beurteilt werden, sind nicht als sehr gravierend einzuschätzen – denn im Großen und Ganzen blieb alles beim Alten. Dies war auf jeden Fall auch das Urteil von zeitgenössischen Fachleuten und unmittelbar Beteiligten. So wunderte sich Henle, Vertreter der Klöckner-Gruppe: Und was kam schließlich bei der ganzen Sache heraus? Der Berg gebar eine Maus! (…) Das Ergebnis war daher schließlich auch, dass man die Vereinigten Stahlwerke in die entsprechenden kleineren, dort schon vorhandenen Einzelunternehmungen auseinanderdividierte, die dann ungefähr die gleiche Größenordnung wie die anderen Konzerne hatten. Dort verblieb es mehr oder minder unverändert bei den alten Kapazitäten, weil man ja schließlich ein Hüttenwerk nicht in zwei voneinander unabhängige Teile zerlegen konnte. Man hätte sich also durchaus darauf beschränken können, die Vereinigten Stahlwerke in ihren Einzelheiten voneinander unabhängig zu machen, die anderen Gesellschaften aber (…) in der alten Weise weiterarbeiten zu lassen.171

Diese Lösung hatte Henle ja schon – wie aufgezeigt – im Jahre 1950 angestrebt. Ebenso lautete das Urteil Albert Bureaus, der als französischer Vertreter in der CSG ja unmittelbar an der Neuordnung beteiligt war. Es sei amüsant, so in einem Bericht über einen Besuch im Ruhrgebiet in seiner neuen Funktion als Berater des französischen Stahlverban-

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TA A 8981 Plan für die Dekonzentrierung der Thyssenschen Beteiligung an der Vereinigte Stahlwerke A.G. in Liquidation, ähnlich der Rheinstahl-Plan: VSt 1453 Rheinstahl-Plan, Anordnung der

Alliierten Hohen Kommission vom 28. 10. 1954. Günther Henle: Weggenosse des Jahrhunderts. Als Diplomat, Industrieller, Politiker und Freund der Musik, Stuttgart 1968, S. 144f.

155 des, an die rein formalistisch-rechtliche Argumentation einiger amerikanischer Berater in der AHK zurückzudenken. Die Maßnahmen der Neuordnung, die nur auf Papier festgeschrieben seien, so Bureau, würden sicherlich nach und nach verschwinden. Aufgrund der unterschiedlichen Interessen der Großaktionäre, aber auch einiger Manager, sei eine Wiederentstehung der VSt nur sehr schwer zu erreichen bzw. sogar praktisch unmöglich. Im Duisburger Raum seien Regruppierungen zu erwarten.172 Dies war eine sehr realistische Einschätzung, gerade angesichts des Verlaufes der langwierigen Verhandlungen, die es um die Neuordnung der VSt gegeben hatte – diesmal allerdings nicht mit den Alliierten, sondern unter den Großaktionären der VSt.

3.10 ‚Zerschlagung‘ der VSt – die Interessen der Großaktionäre und die Gründung der Handelsunion AG Die Diskussion um die Neuordnung der VSt zeigt, dass der Begriff ‚Zerschlagung‘ nicht zutrifft. Vielmehr ist diese Diskussion nach der Entscheidung der Alliierten, die Aktien der Nachfolgegesellschaften an die Alteigentümer auszugeben, von Großaktionären der alten VSt geprägt, die sich strategische Beteiligungen sichern wollten, um den späteren Aufbau einer eigenen Unternehmensgruppe zu erleichtern. Die Herausforderung bestand darin, die Bedürfnisse aller Großaktionäre zufrieden zu stellen, diese mit einer kohärenten industriellen Aufbaustrategie zu verbinden, angemessene Tätigkeiten für den ehemaligen VSt-Vorstand in den neuen Nachfolgegesellschaften bereitzustellen und die Geduld der Alliierten nicht mehr überzustrapazieren. Gerade die Interessensabgrenzung der beiden größten VSt-Großaktionäre, der Thyssengruppe und der Rheinischen Stahlwerke, war schwieriger, als dies nach außen in Erscheinung trat. So bestand natürlich die Gefahr, dass man sich für die gleichen Unternehmen interessierte bzw. die gegenseitigen Interessen nicht genügend berücksichtigte. So war es wohl der ursprüngliche Plan Robert Ellscheids gewesen, die Anteile der beiden Thyssen-Erbinnen an der ehemaligen VSt neben den Rheinischen Röhrenwerken auch auf die Rheinstahl-Union Maschinenbau AG zu konzentrieren – die Aktionärsinteressen der Familie Thyssen also auch auf die Weiterverarbeitung auszudehnen. Dies hatten allerdings auch schon die Rheinischen Stahlwerke vor – der zweite Großaktionär bei der VSt neben der Thyssen-Familie.173 Dieser Streit konnte allerdings in letzter Minute, 172 173

PAM 19431 NOTES PRISES EN VUE D’UNE ETUDE DES LIASIONS ENTRE LA SIDERURGIE ALLEMANDE ET L’INDUSTRIE DE TRANFORMATION, 25 Novembre 1955. TA VSt 3139 Linz an Wenzel Schwede, Seelig, Sohl 16. 6. 1952, Linz an Wenzel, Schwede, Seelig,

Sohl 19. 6. 1952, Betr. Ellscheid/Rheinstahl, Linz an Dr. Wenzel, Schwede, Seelig, Sohl, 23. Juni 1952, Betr. Thyssen/Rheinstahl.

156 bevor er gerade auch in der AHK und in der Bundesregierung publik wurde, geschlichtet werden. So wählte Ellscheid nun die DEW und die Rheinischen Röhrenwerke als permanente Konzentration.174 Bei der ‚Zerschlagung‘ der VSt ist die Gründung zweier großer Holdings für die Bereiche Verarbeitung und Handel als „eines der bemerkenswertesten und innovativsten Ergebnisse“ der Neuordnung bezeichnet worden.175 Die Frage ist berechtigt, inwieweit man von einer ‚Zerschlagung‘ – oder selbst einer effektiven Auflösung – der VSt sprechen kann, wenn die eisen- und stahlerzeugende Seite des ehemaligen Konzerns zu einer Vielzahl von Neugründungen führte, die Weiterverarbeitung und der Handel aber in einer Gesellschaft überführt wurden und auch der größte Anteil der Kohleerzeugung in einer Gesellschaft, der Gelsenkirchener Bergwerks AG, die damit das weitaus größte Bergbauunternehmen in der BRD war, zusammengefasst wurden. Gerade die Gründung der Handelsunion AG (HU), die nun alle Handelsgesellschaften der ehemaligen VSt umfasste, muss doch sehr verwundern – in Anbetracht des ursprünglichen Zieles der Alliierten, eine Verbindung zwischen Produktion und Handel in der Montanindustrie ganz zu unterbinden. Nun hatte man zwar die Eisen- und Stahlerzeugung der VSt in dreizehn Nachfolgegesellschaften aufgeteilt, stellte aber praktisch den Nachfolgegesellschaften einen gemeinsamen Vertriebskanal zur Verfügung. Die Verhandlung um die Gründung der Handelsunion AG soll hier nun dargestellt werden, um aufzuzeigen, dass die Endphase der Neuordnung mehr von den unterschiedlichen Interessen der Großaktionäre geprägt war als irgendeiner gemeinsamen Linie der Alliierten. Gleichzeitig zeigen diese Verhandlungen auf, wie andere offiziell unabhängige VSt-Nachfolgegesellschaften, wie die Erin Bergbau AG und die Gußstahlwerke Witten AG, schon vor ihrer Gründung in die Strategien der Großaktionäre einbezogen wurden. Schließlich zeigt sich auch, dass die Interessen der Großaktionäre Thyssen vom Bundeskanzleramt offensichtlich mit besonderem Interesse verfolgt wurden. Im Frühjahr 1952 war die Aufmerksamkeit der CSG auf ein Rabattsystem im Stahlhandel in der Bundesrepublik gefallen. Dieses System basierte auf einer Verordnung des BWM, um die Einhaltung der öffentlich verordneten Stahlpreise zu garantieren. Die Alliierten kritisierten dieses System als eine Preisabsprache.176 Die Liquidatoren der VSt, also der damalige VSt-Vorstand, insbesondere Sohl, Schwede und Linz, forderten nun gegenüber der CSG – gewissermaßen als Konzession für die Abschaffung des Systems –

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TA VSt 3139 Linz an Wenzel, Pferdmenges, Schwede, Seelig, Sohl 28. 6. 1952. Dazu auch Sohl,

S. 126f. Laut Sohls Aussage waren die beiden Gründungen von ihm und nicht von der Stahltreuhändervereinigung angeregt worden. Müller, Strukturwandel, S. 104 Anm 297. Warner, Steel, S. 188–194.

157 die Gründung einer einzigen Handelsgesellschaft für alle ehemaligen Handelsgesellschaften der VSt, die Handelsunion AG (HU).177 Albert Bureau unterrichtete sofort Jean Monnet, zukünftiger Präsidenten der Hohen Behörde. Bureau prophezeite eine Bedrohung für den Zugang zum süddeutschen Markt und damit auch für den Schumanplan.178 In der dortigen von Landwirtschaft und Mittelstand geprägten Wirtschaftsstruktur seien Stahlverbraucher auf ein gutes Netz von Stahlhändlern angewiesen, da die Mengen zu klein seien, um sie direkt beim Werk zu bestellen.179 Der größte dieser Stahlhändler, die Gesellschaft Eisen und Stahlhandel AG in Frankfurt, solle nun auch Teil der neuen Handelsgesellschaft werden. Dies könne für den Wettbewerb nur fatal sein. So könne die Handelsgesellschaft, die natürlich für mehrere eisen- und stahlerzeugenden Betriebe Produkte verkaufen würde, traditionelle Marktabsprachen respektieren sowie die Auslastung von Kapazitäten bei der Verteilung von Aufträgen berücksichtigen und eine gemeinsame Preispolitik betreiben.180 Monnet protestierte dann auch sofort bei Hallstein, dass man nun auf deutscher Seite die Reform des Rabattsystems mit der Frage der Gestaltung der Handelsgesellschaften verbinden würde.181 Allerdings beließ es die französische Seite nicht bei Protesten, zumal sie ganz offensichtlich mit dem Desinteresse der britischen und der amerikanischen Seite konfrontiert war. Die französischen Vertreter bei der CSG versuchten nun, in direkten Handlungen mit Großaktionären der VSt die gemeinsame Haltung der Ruhrindustrie in dieser Frage aufzubrechen. So war Ernst von Waldthausen, bedeutender Aktionär der Rheinischen Stahlwerke, von einem Mitarbeiter Bureaus am 19. Juni 1952 zum Lunch eingeladen worden und bei „fünf Gängen mit erlesenen Weinen“ auf „charmanteste Weise“ behandelt worden.182 Dort wurde erklärt, dass die AHK den Handels-

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TA VSt 4329 Aktenvermerk über die gestrige Besprechung mit den VSt-Großaktionären, 18. 4. 1952, gez. Dr. Linz, auch Justman-Jacob von Hoogovens unterstütze anscheinend diesen Plan, denn er bekräftigte, dass das Verbot eine Diskriminierung sei. TA VSt 4329 Dr. Linz Aktenvermerk über die gestrige Besprechung mit den VSt-Großaktionären in Düsseldorf, 5. 6. 1952. Gillingham, rebirth, S. 306ff., AN 81 AJ 141 NOTE pour Monsieur Monnet, 6 juin 1952. AN 81 AJ 141 GCA Société Commerciale des Vereinigte Stahlwerke, Note complementaire, 7. 6. 1952. Interessant ist auch eine Vermutung über den Grund der Bildung der großen Handelsgesellschaft von Bureau. Da drei der vier Liquidatoren der VSt in den Nachfolgegesellschaften Führungspositionen einnehmen wollten, womit er ganz offensichtlich Hans-Günter Sohl, Walter Schwede und Wolfgang Linz meinte, müssten einige Nachfolgegesellschaften dementsprechend groß sein. Hier war Bureau ganz offensichtlich gut informiert, denn kurz darauf wurde die Entscheidung getroffen, dass Linz zu den Rheinischen Stahlwerken gehen würde, Sohl zur ATH, und für Walter Schwede die Leitung der Ex-VSt-Handelsgesellschaft vorgesehen. Gillingham, rebirth, S. 306. AN 81 AJ 141 Note pour Monsieur le Conseiller Economique et Financier, 11. 6. 1952, Objet: Holding commercial de Vereinigte Stahlwerke. VSt 3139 Fernschreiben VSt an Rheinische Stahlwerke, 24. 6. 1952. AN 81 AJ 141 Communication personnelle pour M. Hallstein, 8/6/52. TA VSt 3139 Linz an Wenzel, Schwede, Seelig, Sohl 23 Juni 1952 Betr. Rheinstahl. TA VSt 3139 Abschrift Ernst von Waldthausen an Pinot 24. 6. 1952.

158 holdingsvorschlag nicht annehmen könne, und vorgeschlagen, dass die Rheinischen Stahlwerke doch den Eisen- und Stahlhandel in Frankfurt übernehmen könnten. Die VStLiquidatoren forderten dann aber eine „Einheitsfront“ in dieser Frage, zumal man die Unterstützung der Bundesregierung besaß.183 Nachdem Robert Pferdmenges, inzwischen nur noch einfaches Aufsichtsratmitglied der VSt, aber zukünftiger Aufsichtsratvorsitzender der ATH, in der Frage in direkten Verhandlungen mit dem französischen Wirtschaftsberater der AHK Einlenken angedeutet hatte, kehrte er bald wieder auf den alten Standpunkt zurück.184 So schrieb Pferdmenges in einem Brief an die AHK, dass er damals über diese Angelegenheit „nicht genau Bescheid wusste.“185 Er könne nun keinen Kompromiss vorschlagen, da alles andere eine unbegründete Schädigung der Aktionäre sei. Jedenfalls beschloss die AHK nun, der Bewilligung der Gründung der Handelsgesellschaft nur bei einer Ausgliederung der Eisen- und Stahlhandel AG in Frankfurt zuzustimmen.186 Walter Schwede schrieb nun auf Anraten Pferdmenges an das Bundeskanzleramt, um auf die Einbeziehung des Frankfurter Stahlhandels in die Handelsunion zu drängen. Die Entscheidung der AHK, so Schwede, sei von französischer Seite erfolgt, „da bei den Franzosen der Wunsch besteht, dass der süddeutsche Raum als Absatzgebiet der Erzeugnisse der Werke der Eisen schaffenden Industrie der westlichen Nachbarländer freigemacht werden soll“.187 Mit der Ablehnung durch die AHK für die Bildung der Handelsholding beschäftige sich nun das Bundeskabinett.188 So beschloss das Bundeskabinett, den Vorschlag der AHK hinsichtlich der Gründung der Holding ohne den Frankfurter Stahlhandel abzulehnen und den Standpunkt der Bundesregierung der AHK noch einmal schriftlich darzustellen. In der Sitzung forderte gerade der Bundesminister des Inneren, Robert Lehr, ein energisches und grundsätzliches „Nein“ zur Forderung der AHK. Das Interesse des Bundesministers für Inneres an der zukünftigen Gestaltung des Stahlhandels in der BRD, was wahrscheinlich nicht zu den Kernkompetenzen seines Ministeriums gehörte, erklärt sich wohl in erster Linie mit seiner ehemaligen Tätigkeit als Aufsichtsratmitglied der VSt. Die Franzosen, so Lehr, wollten über die Frankfurter Gesellschaft in den süddeutschen Markt eindringen. Dass zunehmendes französisches Stahlangebot auf dem süddeutschen Markt auch zu mehr Preiswettbewerb führen könnte, was dem deutschen Ver183

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TA VSt 3139 24. 6. 1952 Fernschreiben an Rheinische Stahlwerke. TA VSt 3139 Wenzel an Linz 26 Juni 1952. TA VSt 3139 Linz an Wenzel, Schwede, Seelig, Sohl, Betr. Rheinstahl, Eisen- und Stahlhandel AG, Frankfurt, 28. 6. 1952. Warner, Steel, S. 210–212. TA VSt 4427 Pferdmenges an Willner 2. 10. 1952. TA VSt 4427 Pferdmenges an Willner 2. 10. 1952. BA B 136/2461 Der Bundesminister für Wirtschaft an den Herrn Staatskretär des Bundeskanzler-

amtes, 13. Dezember 1952. BA B 136/2461 Schwede an Globke 30. 12. 1952. BA B 136/2461 Der Bundesminister für Wirtschaft an den Herrn Staatskretär des Bundeskanzleramtes, 13. Dezember 1952. Das BMW hatte schon vorher einen Entschluss im Bundeskabinettsausschuss in dieser Frage gefordert. Globke an Schwede 30. 12. 1952.

159 braucher zunutze kommen würde, erwähnte in der Runde allerdings keiner.189 Auch das BWM, das sich schon vor der Kabinettsitzung für die Ablehnung des Vorschlages der AHK ausgesprochen hatte, erwähnte diesen Zusammenhang nicht.190 In der AHK war es nun nur noch der französische Vertreter, der sich für diese Sache interessierte. Die beiden anderen Parteien sahen darin nun offensichtlich eine rein deutsch-französische Angelegenheit.191 Sowohl Pferdmenges und Schwede zogen ihre Konsequenzen aus der verfahrenen Situation und schlugen vor, die Bundesregierung solle doch der französischen Regierung eine französische oder saarländische Beteiligung an der Eisen- und Stahlhandel AG in Frankfurt anbieten. Staatssekretär Westrick lehnte dies schon deshalb ab, da die Bundesregierung keinen eindeutigen Beweis habe, um in einem Schreiben des Kanzlers auf angebliche Wünsche von Monnet oder der französischen Regierung hinsichtlich des Absatzes nach Süddeutschland einzugehen.192 Bei der VSt war man also offener hinsichtlich direkter Beteiligungen der französischen Stahlindustrie an Montanunternehmen in der BRD als die Bundesregierung. Nach Absprache mit Pferdmenges wurde schließlich der AHK am 20. Juli 1953 erwidert, dass „die Gefahr eines erneuten Zusammenschlusses der früher zu den Vereinigten Stahlwerken gehörenden Hüttenwerke über die Handelsobergesellschaft“ nicht bestehe, da die Handelsgesellschaft gar keinen Einfluss auf die Werke ausüben könne. Außerdem würde ein solcher Zusammenschluss nach Artikel 66 auch die Genehmigung der Hohen Behörde benötigen. „Die Errichtung der Handelsobergesellschaft“, so Adenauer, „enthält deshalb nicht die Gefahr einer Rekonzentrierung“.193 Am 18. November 1953 willigte die AHK schließlich in die Gründung der Handelsgesellschaft ein.194 Allerdings stellte sie ausdrücklich fest, dass die Handelsunion AG durchaus eine problematische Konzentration wirtschaftlicher Macht darstellen würde. Die Genehmigung würde aber nun erteilt, um die Neuordnung endlich zu beenden, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Bundesregierung auf weitere Forderungen verzichten würde. Auch nahm die AHK die Ansicht der Bundesregierung „zur Kenntnis“, dass die Hohe Behörde der EGKS die Macht besitzen werde, eine solche Verflechtung zu verhindern. Die AHK stellte allerdings als Bedingung für die Gründung der Handelsholding, dass die Bundesregierung nun zwei noch offene Forderungen hinsichtlich der endgültigen Entflechtung der VSt fallen ließe. So solle sie nun endlich, einer alliierten Anforderung vom September 1953 folgend,

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BA B 136/2461 Zu Punkt 5: Handelsobergesellschaft der Vereinigten Stahlwerke. BA B 136/2461 Der Bundesminister für Wirtschaft an den Herrn Staatssekretär des Bundeskanz-

leramtes, 13. Dezember 1952. Warner, Steel, S. 215–221. BA B 136/2461 Westrick an Pferdmenges 9. Juli 1953. BA B 136/2461 Adenauer an Kirkpatrick 20 Juli 1953. NESI, S 488, AHK an Adenauer 18. November 1953.

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die Gründung der Zeche Erin Bergbau AG als selbstständiges Bergbauunternehmen durchführen, den Antrag der Liquidatoren der VSt zurückziehen, das Gußstahlwerk Witten und das Gußstahlwerk Oberkassel mit der Ruhrstahl AG zu verbinden.195

Beide Forderungen waren schon längst im Prinzip von der Bundesregierung akzeptiert worden. Die Zusammenfassung von Ruhrstahl AG, Witten und Oberkassel war von der deutschen Seite in der Neuordnungsdiskussion im Winter 1950 gefordert worden, allerdings von der AHK verweigert worden. In dem berühmten Brief des Kanzlers vom 14. März 1951, mit dem auch die Verhandlungen um den Schumanplan beendet wurden, war die Gründung dieser Betriebe in drei unabhängige Gesellschaften schließlich akzeptiert worden.196 Die Zusicherung einer unabhängigen Bergbaugesellschaft Erin war nach schwierigen Verhandlungen über die endgültige Gestaltung der Kohlegesellschaften der VSt zutande gekommen. Es war eine alliierte Bedingung für die Gründung der Gelsenkirchener Bergbau Gesellschaft AG (GBAG), die praktisch den gesamten Kohlenbesitz der VSt auf sich vereinigte.197 Gerade die Amerikaner bestanden auf der Unabhängigkeit der Zeche Erin Bergbau AG, der ertragsreichsten Zeche im Ruhrgebiet, um Preiswettbewerb zwischen den Bergbaunachfolgegesellschaften der VSt zu ermöglichen.198 Dies wurde vom VSt-Vorstand zugesagt.199 In dem Schreiben vom 18. November 1953 bestand die AHK nun darauf, die Durchführungsverordnung der AHK zur Gründung der Erin Bergbau AG endlich umzusetzen. Diese Forderung wurde von Robert Pferdmenges, nun Aufsichtsratvorsitzender der ATH, in einem Schreiben vom 22. Dezember 1953 an das Bundeskanzleramt unterstützt.200 Die Frage der Einbeziehung von Erin in GBAG sei nun gegenüber der Tatsache der Genehmigung der einheitlichen Handelsholding nach Meinung der Thyssen-

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NESI, S. 488. NESI, S. 456.

Es mag einige wirtschaftliche Gründe für die Bildung dieser großen Gesellschaft gegeben haben. Ein Grund war wohl auch, das ehemalige VSt-Vorstandsmitglied Otto Springorum mit zufrieden stellenden Aufgaben zu versorgen. So wurde intern diese Holding auch als Holding „Für Springorum“ bezeichnet. TA VSt 3139 Fernschreiben VSt an Rheinische Stahlwerke, 24. 6. 1952. Abelshauser, Ruhrbergbau, S. 55f., Das Verhältnis Gelsenkirchen-Thyssen Hütte in neuem Licht, FAZ, 1. 9. 1956, Adenauer an Kirkpatrick 16. Juli 1952, NESI, S. 485f., Uebing, 1926–1969, S. 168, Sohl, S. 117f. Vor der entscheidenden Sitzung bei der AHK über die Gründung der GBAG AG hatten Sohl und Springorum, der wie auch in der VSt nun die GBAG leiten würde, schon vereinbart, dass die GBAG die „Bemühungen der ATH auf die Dauer eine gleichwertige Kohlenbasis zu erhalten“, unterstützen würde. Beide gingen also ganz offensichtlich davon aus, dass diese Gesellschaft, deren unabhängige Gründung eine Bedingung für die Genehmigung der GBAG war, weiterhin im Einfluss der GBAG bleiben würde. TA A 7591 So genannte „Grundsatzvereinbarung“ aus dem Jahre 1952. BA 136/2461 Pferdmenges an Globke 22. 12. 1953, BA 136/2461 Westrick an Globke 15. 12. 1953.

161 Gruppe, dem größten Aktionär der VSt, so Pferdmenges, völlig untergeordnet. Die Aktionäre der VSt seien sogar gegen die Einbeziehung von Erin in die GBAG. Denn aus „volkswirtschaftlichem“ Standpunkt, so Pferdmenges, sei zu begrüßen, wenn diese sehr profitable Mine mit ihrer ausgezeichneten Kokskohle und modernen Kokerei, einmal unter die direkte Kontrolle von Hüttenbetrieben komme.201 Die GBAG erklärte sich dann mit der Verselbstständigung von Erin einverstanden.202 Bald sollte sich die Hohe Behörde wieder mit den Beziehungen GBAG – ATH – Erin beschäftigen. Weiter hatten die Liquidatoren der VSt der AHK nun noch einmal vorgeschlagen, die Gußstahlwerke Witten und Oberkassel mit der Ruhrstahl AG zu verbinden. Der Zusammenschluss Witten/Ruhrstahl (Hattingen) war ja schon im Januar 1951 von den Alliierten zurückgewiesen worden. Der Hauptvertreter des Wiederzusammenschlusses war der VStLiquidator Linz, der nun an führender Stelle bei den Rheinischen Stahlwerken arbeitete, welche die ‚transitorischen Aktionäre‘ der Ruhrstahl AG waren.203 Es sei eine „weitverbreitete Ansicht“, so der Vermerk des BWM, dass die Ruhrstahl AG, deren Kern das gemischte Hüttenwerk Hattingen war, ohne die Gußstahlwerke Witten und Oberkassel „nicht lebensfähig“ sei. Damit bestätigte sich noch einmal der Verdacht, den Bureau schon in den Verhandlungen im Jahre 1950 hatte, dass es der Bundesregierung darum ginge, investitionsbedürftige und ertragsschwache Hüttenwerke mit Schwerpunkt der Halbzeugversorgung mit ertragreichen Walz- bzw. Spezialwerken anzugliedern.204 Das Argument, dass diese Verbindung auch die Halbzeugversorgung der Gußstahlwerke verbessern würde, war manchmal ausgesprochen konstruiert. Die Gußstahlwerke Witten wollten nämlich keine ‚Wiedervereinigung‘ mit der Ruhrstahl AG. Dies wusste man auch im BWM.205 201

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Es geht wohl nicht zu weit zu vermuten, dass Pferdmenges da schon an die ATH dachte, deren Aufsichtsratvorsitzender Pferdmenges nun war. Ein Jahr zuvor hatte Sohl schon mit dem Leiter der GBAG vereinbart, dass Erin in Zukunft die Koksbedürfnisse der ATH berücksichtigen werde. TA A 7591 So genannte „Grundsatzvereinbarung“ aus dem Jahre 1952, Das Verhältnis GelsenkirchenThyssen Hütte in neuem Licht, FAZ, 1. 9. 1956. BA B 136/2461 Sohl an Pferdmenges 27. 1. 1954. BA B 102/22307 Vermerk, Betr. Wiedereingliederung der selbstständigen Kerngesellschaften Gußstahlwerk Witten und Gußstahlwerk Oberkassel in die Ruhrstahl AG, 29. 9. 1953. Ein weiteres Argument von Westrick für die Zusammenfassung der drei Gesellschaften war, dass gerade die Gußstahlwerke Oberkassel und Witten sehr geringes Grundkapital hätten und so nicht sichergestellt sei, dass gerade die Kleinaktionäre der Vereinigten Stahlwerke eine ausreichende Beteiligung an der Nachfolgegesellschaft erhalten würden. Es sei aber immer das Ziel der Bundesregierung gewesen, alle Aktionäre der VSt an den Nachfolgegesellschaften zu beteiligen. Diese letzte Äußerung war allerdings nur die halbe Wahrheit. Innerhalb der VSt, und dies wusste Westrick, plante man den direkten Verkauf der Oberkassel AG an die Ruhrstahl AG, um den Erlös der Wiederaufbaufinanzierung der ATH zuzuführen. BA B 136/2461 Sohl an Westrick 14. 12. 53. BA B 102/22307 Vermerk, Betr. Wiedereingliederung der selbstständigen Kerngesellschaften Gußstahlwerk Witten und Gußstahlwerk Oberkassel in die Ruhrstahl AG, 29. 9. 1953. Mit gutem Rat stand in dieser Frage auch Heinrich Dinkelbach, der Leiter der Stahltreuhändervereinigung, bei. Er riet dazu, die Gußstahlwerke Oberkassel von den Rheinischen Stahlwerken übernehmen zu lassen und sie dann später mit der Ruhrstahl AG zu vereinigen.

162 Gegenüber der AHK wehrte sich Westrick, Staatssekretär des BWM, den Brief des Bundeskanzlers vom 14. März 1951, in dem die Bundesregierung der AHK ihr Einverständnis hinsichtlich der separaten Gründung von Witten mitteilte, anzuerkennen. Sein Argument, dass er damals noch nicht Staatssekretär war, war allerdings sehr merkwürdig.206 Bundeswirtschaftsminister Erhard übernahm die Forderungen Westricks in einem Brief an Adenauer.207 Erhards direktes Anschreiben an Adenauer hatte einen Grund. Mittlerweile gab es auf deutscher Seite nämlich wichtige Persönlichkeiten, welche von der Aufrechterhaltung der Forderung ‚Wiedervereinigung Witten/Ruhrstahl‘ nichts mehr hielten – die Thyssen-Aktionäre der VSt drängten nun auf ein rasches Ende der Neuordnungsdiskussionen.208 Das Problem war nur, dass auch noch andere Großaktionäre bzw. wichtige Unternehmen wie die GBAG und Rheinstahl sich in der Abschlussphase der Neuordnung einige besondere ‚Rosinenstückchen‘ aus dem VSt-Kuchen sichern wollten. Aus letztlich nicht nachvollziehbaren Gründen hatte das BWM sich nun entschlossen, alles zu tun, um den Rheinischen Stahlwerken, einem ehemaligen Großaktionär der VSt, noch die Kontrolle über ein sehr leistungsfähiges Unternehmen zu beschaffen, obwohl es zwingende technische Gründe für einen solchen Schritt nicht gab, während der andere ehemalige VSt-Großaktionär nun auf ein Ende der Verhandlungen drängte.209 Schließlich beantwortete am 6. März 1954 der Kanzler endlich den Brief vom 18. November 1953 und erklärte sich mit der Selbstständigkeit von Gußstahlwerk Witten als Bedingung für die Gründung der Handelsobergesellschaft einverstanden.210 Die Tatsache, dass es bei der Unabhängigkeit der Gußstahlwerke Witten AG blieb, hinderte wiederum nicht die Rheinischen Stahlwerke, welche die Ruhrstahl AG kontrollierten, „von Anfang an“ die „Wiedervereinigung“ anzustreben.211 Die immer wieder von Bureau befürchtete Kontrolle der Stahlproduzenten über das nun gegründete Handelsunternehmen, HU, war indessen nicht unbegründet. Schon im Februar 1954 vereinbarten die beiden Thyssen-Großaktionäre und die Rheinischen Stahlwerke in einem geheimen Abkommen, ihre Anteile je auf 25,1 % an der Handelsunion zu erhöhen, was zur gemeinsamen Kontrolle der HU ausreichen würde.212 206 207 208 209 210 211

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Warner, Steel, S. 218. BA B 136/2461 Westrick an Globke 4. 12. 1953. BA B 136/2461 Erhard an Adenauer 11. 12. 1953. BA B 136/2461 Ellscheid an Pferdmenges 16. 1. 1954. Ellscheid an Pferdmenges 3. 2. 1954. BA B 136/2461 Erhard an Adenauer 12. 2. 1954. BA B 136/2461 Bundeskanzler an AHK 6. 3. 1954. Warner, Steel, S. 219ff. Seit Ende 1954 hatten die Rheinischen Stahlwerke 30 % der Wittengussaktien erworben und übten gemeinsamen mit dem Bankhaus Merck, Finck & Co. die Kontrolle aus. BA B 102/22307 Rheinische Stahlwerke an Hohe Behörde 10. 11. 1959, Memorandum über einen Tatbestand gemäß Artikel 66 des Vertrages über die Gründung der EGKS zwischen den Rheinischen Stahlwerken und der Gußstahlwerke Witten AG 10. 11.1959. Die Vereinbarung schloss Verständigung über wichtige Fragen der Geschäftspolitik und über gemeinsames Stimmverhalten in Aufsichtsrat und Hauptversammlung ein. Interessanterweise wurde

163 Anzumerken ist auch, dass die DHHU, eine Nachfolgegesellschaft der VSt, welche von Hoogovens kontrolliert wurde, nicht an der HU beteiligt wurde, obwohl die DHHU darauf drängten – sie setzten nämlich eine erhebliche Menge ihrer Produktion über die Handelsgesellschaften der HU ab.213 Die letzten Monate der Neuordnung der VSt wurden also nicht von ‚Zerschlagungswünschen‘ der Alliierten bestimmt, sondern von den Auseinandersetzungen der Großaktionäre über die zukünftige Kontrolle der angeblich unabhängigen Nachfolgegesellschaften.

3.11 Die ‚Neuordnung der westdeutschen Stahlindustrie‘ – politisches oder wirtschaftliches Programm? Das Ergebnis der Neuordnung bestand also darin, dass die Eigentümer und ihre Verwaltungen in erheblichem Maße ihre Ziele erreichen konnten – nämlich bei den mittleren Konzernen alles beim Alten zu belassen und die VSt unter ihren Großaktionären aufzuteilen. Die Ziele der CSG, eine möglichst umfassende Beendigung der vertikalen Gliederung der Unternehmen sowie eine Trennung von Produktion und Vertrieb, war nicht erreicht worden. Von ‚radical discontinuity‘ oder einer ‚Zerschlagung‘ der Altkonzerne kann nicht die Rede sein. Mit anderen Worten: Die Alliierten hatten ihr zumindest öffentlich verkündetes Ziel, die Struktur der Ruhrindustrie dauerhaft zu ändern, nicht erreicht. Dieses Ergebnis lässt sich nur so erklären, dass die Veränderungen in der Unternehmensstruktur nicht das Hauptanliegen der alliierten Neuordnungspolitik waren. Vielmehr wurden unter den Begriffen ‚Dekonzentrierung‘, ‚Dekonzentration‘, ‚Entflechtung‘ bzw. ‚Neuordnung‘, Maßnahmen unternommen, welche die Integration der westdeutschen Montanwirtschaft in die politische und wirtschaftliche Nachkriegsordnung Westeuropas zum Ziele hatten. Und hier kam es dann weniger auf die Einzelheiten der ‚Neuordnung‘ an, sondern auf das übergeordnete politische Ziel der Integrationsstrategie der Alliierten. Wie es Marc Trachtenberg formuliert hat: It was all clear to all three governments, even in 1949, that the occupation regime was not consistent with the policy of integrating Germany into the western community. In the long run that regime would clearly have to go, but it would be dangerous to dismantle it too quickly. It was all question of

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als Schlichter in Streitfragen Heinrich Dinkelbach bestimmt, der frühere Vorsitzende der Stahltreuhändervereinigung und ehemaliges Vorstandsmitglied der Vereinigten Stahlwerke. TA A 8963 Dr. Klaus von Zelewski an Dinkelbach 16. 1. 56 Anlage Vereinbarung. Friedrich Harders, Vorstandsmitglied der DHHU, hatte dem Vertreter seines Großaktionärs, Direktor Ingen Housz von Hoogovens, nahe gelegt, sich bei Ellscheid um eine Beteiligung an der Handelsunion zu bemühen. Ob dieser Versuch dann gemacht wurde, ist nicht nachweisbar. Hoogovens DHHU 2073 Harders an Ingen Housz 10. 3. 1954.

164 timing and of striking the right balance. The allies would have to move carefully and deliberately, gradually relaxing the controls as they became increasingly confident that things were going their way in Germany – that the pro-western elements in the Federal Republic would win out and that the Germans would take their place in the framework, the western powers were constructing.214

Schon Ludolf Herbst hat hinsichtlich der Etappen der Westintegration gefragt, ob sich die Politik der Westintegration der Bundesrepublik nicht „im Rahmen eines von den Regierungen in Washington, London und Paris vorgegebenen Emanzipationsplanes“ bewegte?215 In der Tat gilt dies gerade für die Ruhrstahlindustrie:216 (…) the United States, France, and Britain wanted to welcome industry into a community of democratic economies. The Ruhr would again produce for Europe and the world. On the other hand, Germany had once proven itself incapable of adhering to the standards of international cooperation and peace, and the Allies were not going to pretend they had forgotten about Hitler’s aggressive imperialists aims.

In diesem Sinne lässt sich auch die alliierte Politik hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse bei den Ruhrkonzernen erklären.217 So wurde die Entscheidung der AHK, die Aktien der Nachfolgegesellschaften an die Altkonzerne auszugeben, kurz nach der Unterzeichnung des Schumanplans durch die Bundesregierung, getroffen.218 Eine Art ‚Integrationsbelohnung‘.

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Marc Trachtenberg: A constructed Peace. The Making of the European Settlement. 1945–1963, New Jearsey 1999, S. 106. Ludolf Herbst: Ziel und Handlungsräume westdeutscher Integrationspolitik, Ludolf Herbst, Werner Bührer, Hanno Sowade: Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt, München 1990, S. 3–18. S. Jonathan Wiesen: West German Industry and the Challenge of the Nazi Past 1945–1955, London 2001, S. 209. Zu der Position der westlichen Alliierten hinsichtlich der Eigentumsordnung der westdeutschen Montanindustrie nach 1945 siehe Anne Deighton: Cold-Diplomacy: British Policy towards Germany, in: Ian D. Turner (Hg.): Reconstruction in Post-War Germany: British Occupation Policy and the Western Zones 1945–55, Oxford 1989 S. 15–37, Gerhard Brunn und Jürgen Reulecke: Kleine Geschichte von Nordrhein-Westfalen 1946–1996, Köln, Berlin, 1996, S. 54ff., Werner Bührer: Die französische Ruhrpolitik und das Comeback der westdeutschen Schwerindustriellen 1945–1962, in: Peter Hüttenberger, Hans-Georg Molitor (Hg.): Franzosen und Deutsche am Rhein 1789 – 1918 – 1945, Essen 1989, S. 27–46, Bührer, Ruhrpolitik, S. 27–36, Lefèvre, relations, S. 245–248, Kipping, Konkurrenz, S. 113–118, Albert Diegmann: American Deconcentration Policy in the Ruhr Coal Industry, in: Jeffrey M. Diefendorf, Axel Frohn, Hermann-Josef Rupieper: American Policy and the reconstruction of West Germany 1945–1955, Cambridge 1993, S. 197–216, Berghahn, Unternehmen, S. 87–107, Thum, S. 29ff., Zur Diskussion um die Eigentumsordnung bei den Verhandlungen des Gesetzes Nr. 75 und dem Ruhrstatut, siehe Milward, reconstruction S. 149–164, Lefevre, relations S. 245–248, Wolfgang Krieger: General Lucius D. Clay und die amerikanische Deutschlandpolitik. 1945–1949, Stuttgart 1987, S. 435–440, zu Gesetz Nr. 27 und die Entwicklung der Eigentumsfrage, NESI, S. 341f., Müller, Strukturwandel, S. 89–109. Zu der Entscheidung der Alliierten – mit den Stimmen des französischen und amerikanischen Vertreters – siehe Thum, S. 115f. Warner, Steel, S. 68–76. Schon ein Jahr vorher hatte sich die inhalt-

165 Auch die Ziele der ‚Neuordnung‘ der Stahlindustrie änderten sich mit dem allgemeinen politischen Integrationsklima. Nachdem unmittelbar nach 1945 gerade in den USA die Auflösung von Kartellen und Konzernen, die als die ökonomische Basis politischer Diktatur angesehen wurden, als wichtiger Baustein eines politischen Demokratisierungsprogramms gesehen wurde, war das Ziel des Gesetzes Nr. 27 dann ökonomische Effizienz.219 Dazu mussten „excessive concentrations of ownership and control“ aufgelöst werden – ohne dass dieser Begriff im Gesetz definiert wurde. Das Ergebnis dieser Neuordnung war dann eine Industriestruktur, die den Zielen der Verwaltungen und Großaktionäre der Altkonzerne sehr ähnlich war. Die Alliierten hatten – insbesondere nach der Unterzeichnung des Schumanplan-Vertrages und der Gründung EGKS – das Interesse an den technischen Einzelheiten dieses Prozesses verloren. Die Westintegration war auf politischer Ebene viel wichtiger als die Durchsetzung von Ideen der US-Antitrustanhänger, die ja selbst im eigenen Land umstritten waren.220 So sah gerade McCloy die Durchführung der Neuordnung als Teil eines politischen, nicht ökonomischen, Mandats an. Einerseits musste die effektive Durchführung nach außen darstellbar sein, andererseits durfte die Integration der Ruhrstahlindustrie in die westeuropäische Ordnung nicht gefährdet werden.221 Dies ist insofern bemerkenswert, als es sich ja zumindest offiziell um ein Umstrukturierungsprogramm handelte, welches

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liche Übereinstimmung der amerikanischen und französischen Position sowie des Bundeskanzlers Adenauer in dieser Frage in einer Sitzung der AHK angedeutet, während die britische Regierung eine endgültige Entscheidung dem deutschen Bundestag überlassen wollte und damit eine Verstaatlichung nicht ausschloss. So hatte Adenauer erklärt, dass er eine Verstaatlichung als eine unerwünschte Machtzusammenballung betrachte. Wortprotokoll der Sitzung vom 5. April 1950, Adenauer und die Hohen Kommissare 1952, S. 175ff. Warner, steel, Appendix I, AHC Law No. 27 on the Reorgansiation of the German Coal and iron and Steel industries of 16 May 1950 (extracts), Preamble. Zur Entwicklung der US-Dekonzentrationspolitik, Wyatt Wells: Antitrust & The Formation of the Postwar world, New York 2002., S. 137ff. Bowie oder Willner mögen durchaus vom Erfolg ihrer Maßnahmen überzeugt gewesen sein. Während die amerikanischen Besatzungsstellen die Stahlindustrie im Ruhrgebiet im Sinne eines freieren Wettbewerbs neu ordneten, angeblich basierend auf einen Konsens über eine ‚amerikanische‘ wettbewerbspolitische Verfassung für die Stahlindustrie, sollte sich das Verhältnis zwischen American big business und der demokratischen Regierung unter Präsident Trumen, welche gerade der Stahlindustrie immer wieder Preisabsprachen und andere Ausnutzung von Marktmacht vorwarf, erheblich verschlechtern. Paul A. Tiffany: The decline of American Steel. How management, labor, and government went wrong, Oxford, New York, 1988, S. 43ff. Siehe auch Sidney Willner, in: Allied Decartelization and Deconcentration Laws, in: W: Friedmann (Hg.): Antitrust law S. A comparative Symposium, Toronto 1956, S. 176–188. So gibt es Anzeichen dafür, dass er schon früh in seiner Amtszeit führende Ruhrindustrielle um eine kooperative Haltung bei der Durchführung der Neuordnung bat. So berichtet Sohl in einem Vermerk vom März 1951, dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Neuordnung, dass er McCloy an ihr erstes Treffen in Niedererlenbach erinnert hätte, in der die Industrie ihre Bereitschaft zur Mithilfe an einer „schnellen und vernünftigen Durchführung der Neuordnung“ zugesichert hätte. BA N 1244/20 Vermerk Sohl 7. 3. 51, Betr. Besprechung bei Mr McCloy am 5. 3. 51.

166 das Ziel hatte, die Wettbewerbsfähigkeit der westdeutschen Montanindustrie zu erhöhen. Es wurde nicht als Bestrafungsmaßnahme konzipiert und propagiert, sondern als wirtschaftliches Reformprogramm.222 Folgte man dieser Logik, dass die Neuordnung zu einer produktiveren Struktur in der westdeutschen Stahlindustrie führen würde, dann hätten sich auch die westeuropäischen Regierungen für diese Maßnahmen interessieren müssen. Dafür gibt es allerdings keine Anzeichen. Schließlich war für die französische Regierung eine wirkliche aktive Rolle in der Neuordnung von keinem Interesse, weil sie die zukünftige Zusammenarbeit mit der Bundesregierung im Rahmen der EGKS nur hätte erschweren können. In Paris ließ man Bureau deshalb interessante Vermerke verfassen, in denen er sehr gut darlegte, dass die meisten Maßnahmen der Neuordnung ins Leere liefen – aber man intervenierte nicht.223 Als die französische Regierung versuchte, im Rahmen der Neuordnung eine Auflockerung der Verbundwirtschaft durchzusetzen, trat sie selber gar nicht in Erscheinung, sondern versuchte es über die Amerikaner – mit letztlich wenig Erfolg. Mit Interesse wird man dann in Paris gesehen haben, dass der ersehnte gleichberechtigte Zugang zur Ruhrkohle mit dem Kauf der Harpen AG erlangt wurde – mit stiller Unterstützung Adenauers und ohne offenen Protest der Ruhrstahlindustrie. Dies zeugte von einer prinzipiellen Kooperationsbereitschaft. Auf der anderen Seite erleichterte die Behauptung – wie in der Schumanplan-Debatte gesehen –, tief greifende Reformen in der westdeutschen Montanindustrie durchgeführt zu haben, den Integrationskurs gegenüber der eigenen Öffentlichkeit mit der noch jungen Bundesrepublik zu legitimieren. Über den Artikel 66 wiederum hatte man sich zu222

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So bezeichnete Paul Hoffmann, der US-Koordinator der Marshallplanhilfe, die Dekartellisierung und Dekonzentrationspolitik Anfang Mai 1950 als eine Möglichkeit, eine auf freiem Wettbewerb basierende Wirtschaft in Westdeutschland nach US-Vorbild herzustellen. Als Antwort darauf, so Hoffmann, würden auch die europäischen Nachbarn den Umbau ihrer Wirtschaftsordnung ebenfalls in diesem Sinne forcieren, Berghahn, Unternehmen, S. 135f. McCloy ging sogar so weit zu behaupten, dass nach Vollendung der Neuordnung – die nichts mit einer Strafmaßnahme zu tun hätte – die deutsche Stahlindustrie wettbewerbsfähiger als die französische und englische wäre, Wortprotokoll der Sitzung vom 11. Dezember 1950, Hohe Kommissare 1949–1951, S. 311. Diese Äußerung ist insofern interessant, da bezweifelt werden kann, ob dies McCloys wirkliche Überzeugung war. Als Republikaner und Rechtsanwalt an der Wall Street stand er in der amerikanischen Diskussion über die Rolle der Großindustrie in der Wirtschaft und der Notwendigkeit von staatlichen Eingriffen, unter anderem durch Antitrust-Gesetze, wohl auf der entgegengesetzten Seite als sein Rechtsberater Robert Bowie, ein Demokrat und „New Deal“ Antitrust-Professor aus Harvard. Gillingham, rebirth, S. 260ff. Während der entscheidenden Phase, nämlich der Verhandlungen der Ausarbeitung der Neuordnungspläne mit den Großaktionären, waren die zuständigen französischen Beamten in der Hohen Kommission praktisch ohne Weisung ihrer Regierung – obwohl sie vorher auf die Wichtigkeit dieser Phase der Neuordnung hingewiesen hatten. Hohes Kommissariat der Französischen Republik, Aufzeichnung, 29. 12. 1951, La deconcentration des industries de la Ruhr, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 125ff., Wirtschaftsberater des Hohen Kommissariats Le Vert, Aufzeichnung, 7. 5. 1953, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 133f.

167 mindest formell eine Art ‚gemeinsame Mitbestimmung‘ über die künftige Entwicklung der westdeutschen Montanindustrie gesichert.224 Natürlich stellt sich daran die Frage, warum die Alliierten nicht offen zugaben, dass die Neuordnung eigentlich kaum Veränderungen in den Unternehmensstrukturen an der Ruhr gebracht hatte. Dies wäre in Paris, Washington und London sicherlich kontraproduktiv gewesen. Die Ruhrstahlindustrie galt – nicht nur in Frankreich – als die ‚Waffenkammer‘ Deutschlands. Sowohl den Verwaltungen als auch den Eigentümern der Altkonzerne wurde in der nationalen und internationalen Öffentlichkeit nach dem Ende des zweiten Weltkriegs großes Misstrauen entgegengebracht.225 Deutschland blieb – und die ‚Ruhrmagnaten‘ ganz besonders – verständlicherweise „Mobilisierungsthema“.226 An dieser Stelle kann nicht näher auf die Rolle der Stahlindustrie im Dritten Reich und auf ihre Entwicklung in der unmittelbaren Nachkriegszeit, den Wiederaufstieg der westdeutscher Stahlindustrie nach 1945, eingegangen werden.227 Kurz soll allerdings aufgezeigt werden, dass auch zwei andere wichtige Elemente dieser Entwicklung, nämlich die Kontinuität des Führungspersonals der Ruhrindustrie und die national ausgerichtete Industriepolitik der Bundesregierung, zumindest mit Duldung bzw. auch auf ausdrücklicher Genehmigung der Alliierten erfolgte.

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Schon im Januar 1950 – also noch vor der Schumanerklärung – hatte der Leiter der Wirtschaftsabteilung des Hohen Kommissares sich darüber Gedanken gemacht, wie man das vage Konzept der ‚Internationalisierung‘ der Ruhr, welches offizielle französische Politik war, umsetzen könne. Die Eigentumsfrage sei dabei nicht unbedingt entscheidend. Es müsse aber eine ‚contrôle permanent et effectif de la gestion‘ erreicht werden – und verwies dabei auf die Mitbestimmung der Gewerkschaften in den Aufsichtsräten. Mit Artikel 66 war ganz offensichtlich etwas Ähnliches erreicht worden. Nr. 15 Leiter der Wirtschaftsabteilung des Hohen Kommissariats Leroy-Beaulieu an Hohen Kommissar, 19. 1. 1950, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, S. 105ff. Bührer, Mythos, S. 225–236. Dies wurde den Ruhrindustriellen vom französischen und amerikanischen Hohen Kommissar, jeweils kurz nach ihrem Amtsantritt in der Bundesrepublik, auch noch einmal deutlich vorgetragen, gepaart mit der Aufforderung zur loyalen Zusammenarbeit mit den Alliierten. Die Ruhrindustriellen notierten mit Interesse, dass sie sich die Vorwürfe hinsichtlich der Unterstützung Hitlers nicht zu eigen gemacht hatten. BA N 1244/18 Lehr an McCloy 30. 6. 1950, Henle an Lehr 22. 6. 1950, dazu Wienen, S. 209ff. Dieses Misstrauen gab es natürlich auch in der Bundesrepublik. Siehe dazu die ‚Affäre Reusch‘, S. 89ff. Dietmar Hüser: Politik kalkulierter Provokationen im Zeichen struktureller Asymmetrie. Frankreich und die Vereinigten Staaten, die deutsche Frage und der Kalte Krieg 1940–1950, in FRANCIA, Band 27/3 (2000), S. 63–88, hier S. 75. Zur Rolle der Stahlindustrie im Dritten Reich, Wiesen, S. 11–16, Gustav Luntowski: Hitler und die Herren an der Ruhr. Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich. Frankfurt, Berlin, Bruxelles, 2000, Cornelia Rauh-Kühne: Hitlers Hehler? Unternehmerprofite und Zwangsarbeiterlöhne, in: HZ 275 (2002), S. 1–56. Gerhard Th. Mollin: Montankonzerne und „Drittes Reich“: Der Gegensatz zwischen Monopolindustrie und Befehlswirtschaft in der deutschen Rüstung und Expansion 1936–1944, Göttingen 1988, Avraham Barkai: Die deutschen Unternehmer und die Judenpolitik im „Dritten Reich“, in: GUG 15 (1989), S. 227–247, Henry Ashby Turner: German Big Business and the rise of Hitler, Oxford 1985.

168 Was die Kontinuität der Führungsschicht der Altkonzerne anging, so hatte sich im Laufe des Zweiten Weltkrieges ein Generationswechsel von der alten „Garde“228 der Weimarer Republik, die das Schicksal der Industrie in der Zwischenkriegszeit bestimmte, zu den „jungen Opportunisten“ vollzogen.229 Die jüngere Generation wie Wilhelm Zangen, Hans-Günther Sohl und Walter Schwede, war 1933 im Gegensatz zu der damaligen Führungsgarnitur in die NSDAP eingetreten.230 Sie blieben auch bis 1945 in ihren beruflichen Funktionen mit großer Nähe zu Rüstungsminister Albert Speer; dies war nicht verwunderlich, denn dort wurden nach 1942 die maßgeblichen Entscheidungen für die Ruhrstahlindustrie getroffen.231 Die Loyalität zum NS-Staat hörte erst auf, als es darum ging, die von der NS-Führung angeordnete Selbstzerstörung der Industrieanlagen vor dem Anrücken der Amerikaner im Frühjahr 1945 zu verhindern.232 Die ‚Opportunisten‘ passten sich dann 1945 den neuen politischen Verhältnissen an, ging es doch letztendlich auch bei der Diskussion um die Demontage und die Neuordnung um dasselbe Ziel: den Fortbestand der Unternehmen und eine möglichst weit gehende Selbstverwaltung der Wirtschaft.233 Insofern ist es auch nicht völlig verwunderlich, dass diese Führungsschicht bis 1950 – zum Teil nach Aufenthalt in Internierungslagern und Entnazifizierungsverfahren – wieder in ihre alten Stellungen zurückgekehrt war.234 Dies war mit Wissen der Alliierten geschehen und hatte keine Reaktion ihrerseits provoziert.235 Eine direkte Verantwortung für das NS-Regime wurde wiederum abge228

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Werner Plumpe: Unternehmensverbände und industrielle Interessenpolitik, in: Werner Abelshauser, Wolfgang Köllmann, Franz-Josef Brüggemeier: Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter. Band 1, Düsseldorf 1990, S. 655–728, hier: S. 705, Luntowski, S. 168ff. Hervé Joly: Patrons d’Allemagne: sociologie d’une élite industrielle, 1933–1989, Paris 1996, S. 199ff. Generell für Führungskräfte der deutschen Wirtschaft siehe Paul Erker: Einleitung: Industrie-Eliten im 20. Jahrhundert, in: Paul Erker, Toni Pierenkemper: Deutsche Unternehmer zwischen Kriegswirtschaft und Wiederaufbau. Studien zur Erfahrungsbildung von Industrie-Eliten, München 1999, S. 1–18, Paul Erker: Industrieeliten in der NS-Zeit. Anpassungsbereitschaft und Eigeninteresse von Unternehmern in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft 1936–1945, Passau 1993, insbesondere S. 7–40, über die unmittelbare „Vergangenheitsbetrachtung“ einiger Stahlindustriellen nach 1945, Bührer, Ruhrstahl, S. 15–29 Uebbing, 1926–1969, S. 130. Luntowski, S. 209ff. Klaus-Dieter Henke: Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1995, S. 421–435. Exemplarisch das Verhalten Hans-Günther Sohls: Toni Pierenkemper: Hans-Günther Sohl: Funktionale Effizienz und autoritäre Harmonie in der Eisen- und Stahlindustrie, in Erker, Pierenkemper, S. 53–107, siehe auch M 12923 Sohl an Lehr, Überlegungen zur Wirtschaftslage, 10. 11. 1945, Pierenkemper, S. 73f. Zu den ersten beiden Jahren der Unternehmen unter alliierter Besatzung, Henke, S. 519–533, S. 562–571, Berghahn, Unternehmer, S. 52f., Sohl, S. 89–107, Pierenkemper, S. 75–78, Gillingham, rebirth, S. 194f. Im Prozess der Neuordnung selber übten die Alliierten dann keinen Einfluss mehr auf die Zusammensetzung der Verwaltung der Altkonzerne aus, dazu Werner Bührer: Return to Normality: The United States and Ruhr Industry, 1949–1955, in: Jeffrey M. Diefendorf, Axel Frohn, Hermann-

169 lehnt, sogar als kollektiver Angriff auf das private Unternehmertum in Deutschland aufgefasst.236 Das Selbstbild, welches die deutsche Industrieelite Anfang der fünfziger Jahre propagierte, war das des ehrenhaften, unpolitischen Unternehmers, der in Zeiten des politischen Radikalismus das Prinzip des freien Unternehmertums und der Selbstverwaltung der Wirtschaft – und damit die Basis für Wohlstand und Stabilität – verteidigt hatte.237 Diese Prinzipien galt es nun auch in der ‚Neuordnung‘ und in der EGKS zu verteidigen. Das Dilemma, dass eine technokratische Elite, die sich selber als ‚unpolitisch‘ bezeichnete, durch Erfüllung ihrer funktionellen Aufgabe in einem verbrecherischen Regime selber zur Verwirklichung dieser politischen Ziele beitrug, wurde dagegen offen nie diskutiert. Dies hatte sicherlich nicht nur mit ‚Vergangenheitsverdrängung‘ zu tun. Innerhalb der Ruhrindustrie hatte es gerade hinsichtlich dieses Dilemmas in der NS-Zeit durchaus unterschiedliche Reaktionen gegeben. Ein Fritz Thyssen zum Beispiel, der sich öffentlich vor 1933 für eine Kanzlerschaft Hitlers ausgesprochen hatte, dann aber seine Unterstützung bald beendete und schließlich gegen den Ausbruch des Krieges öffentlich protestierte – was zu seiner Internierung durch die Nationalsozialisten führte –, fühlte sich nach 1945 laut Walter Schwede „von allen verlassen“.238 Von großer Bedeutung ist auch, dass die ‚Opportunisten‘ schon in den ersten Monaten nach dem Krieg wieder in engen Verbindungen mit Persönlichkeiten standen, wie Franz Etzel, Robert Lehr und Robert Pferdmenges, die bekanntermaßen das NS-Regime abgelehnt hatten und sich nun maßgeblich am politischen Neuanfang der CDU beteiligten, welche als Regierungspartei die Geschicke der jungen Bundesrepublik erheblich beeinflussen sollte.239 Von der Notwendigkeit für die ehemaligen Verwaltungen und

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Josef Rupieper: American Policy and the reconstruction of West Germany, 1945–1955, Cambridge 1993, in: S. 135–154, hier: S. 143ff. Siehe dazu: Jonathan S. Wiesen: West German Industry and the Challenge of the Nazi Past 1945–1955, London 2001, S. 67–79. Wiesen, S. 83ff. TA VSt 4467 Schwede an Linz und Wenzel 30. 5. 1950. Zu Fritz Thyssen: Wiesen, S. 82ff., Hans Otto Eglau: Fritz Thyssen. Hitlers Gönner und Geisel, Berlin 2003, Henry A. Turner: Fritz Thyssen and ‚I paid Hitler‘, in: VfZ 19(1971), S. 225–244, Turner, Big Business, S. 338, Helmut Uebbing: Stahl schreibt Geschichte: 125 Jahre Wirtschaftsvereinigung Stahl, Düsseldorf 1999, 134f., Uebbing, 1926–1929, S. 101–113, Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 1 Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben, München, New York, London, Paris 1980, S. 762f. In einem Nachruf zum Tode Thyssens im Handelsblatt wird doch der Vorwurf hörbar, dass man es gerade Thyssens Haltung vor 1933 zu verdanken hatte, dass die Branche nun als ‚Steigbügelhalter‘ Hitlers verschrieen war. Nichts stand allerdings auch über Thyssens mutige Haltung nach 1935 – womöglich hätte man dann die Frage aufwerfen müssen, wie sich der überwiegende Teil der führenden Stahlindustriellen des Jahres 1950/1951 zu diesem Zeitpunkt verhalten hatte. Handelsblatt 12. 2. 1951, Zum Tode von Fritz Thyssen. Sohl zum Beispiel kam in den unmittelbaren Nachkriegsmonaten in Kontakt mit Robert Lehr, Sohl, S. 95, zit. in: Berghahn, Unternehmer S. 59f., Wolfgang Benz, Hermann Graml: Biographisches

170 Eigentümer der Altkonzerne, politische Kompromisse abzuschließen, um ihren Handlungsraum wiederzugewinnen, waren diese Persönlichkeiten schon deshalb überzeugt, da ihnen die verbrecherische Natur des NS-Regimes, dessen ökonomische Stütze die Stahlindustrie gebildet hatte, völlig bewusst war.240 Gerade diese Persönlichkeiten machten sich über den Ruf der Ruhrstahlindustrie keine Illusionen.241 Es ist daher kein Zufall, wenn es nun gerade Leute wie Henle und Pferdmenges waren, die bei schwierigen Verhandlungen – wie dem Schumanplan, der alliierten Neuordnung, aber auch der Montanmitbestimmung, in denen Kompromisse politisch notwendig waren, um für die Stahlindustrie zukünftig Handlungsraum zu gewinnen – eine sehr wichtige Rolle einnahmen. Dies war sicherlich auch ein Grund der Ernennung Franz Etzels als eines der beiden deutschen Mitglieder der Hohen Behörde. Er sah in der EGKS auch eine Möglichkeit für die deutsche Seite, sich nach dem Dritten Reich durch entsprechendes behutsames Auftreten wieder international zu rehabilitieren, um mit den westeuropäischen Nachbarn wieder zusammenarbeiten zu können.242 Auch die Ruhrstahlindustrie war bereit, der EGKS eine Chance als institutionellen Rahmen für die Weiterentwicklung ihrer Unternehmen zu geben. In enger Zusammenarbeit mit den Stahlverbänden der anderen EGKS-Länder diskutierte man schon vor dem Beginn der Arbeit der Hohen Behörde Fragen der Öffnung des Marktes sowie ein möglichst industriefreundliches Personal der Hohen Behörde.243 Wohl auf Initiative Walter Schwedes beschloss man, einen europäischen Dachverband – wenn auch in sehr lockerer Form – für die nationalen Industrieverbände zu gründen.244 Dies ist auch ein Indiz dafür, dass die Beziehungen zu den führenden Vertretern der Stahlindustrien in den besetzten westlichen Staaten wie Frankreich und Belgien, mit denen man schon in der Zwischenkriegszeit in den Stahlkartellen häufiger Kontakt hatte, während des Krieges

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Lexikon zur Weimarer Republik, München 1988, zu Karl Jarres, S. 159, Robert Lehr, S. 205ff., siehe auch Schwarz, Aufstieg, S. 497ff, S. 536ff., S. 604ff., Gerhard Brunn und Jürgen Reulecke: Kleine Geschichte von Nordrhein-Westfalen 1946–1996, 1996 Köln, Berlin, S. 29ff. Zu Pferdmenges: Christoph Silber-Bonz: Pferdmenges und Adenauer. Der politische Einfluß des Kölner Bankiers, Bonn 1997, besonders: S. 52–63. Man kann davon ausgehen, dass gerade Männer wie Jarres, Lehr, Pferdmenges, Henle und Adenauer genau wussten, wer sich von den ‚Opportunisten‘ wie verhalten hatte. Adenauer setzte sich zum Beispiel persönlich für die Interessen der Erbinnen Fritz Thyssens bei den Alliierten ein, „da der Schutz der NS-Opfer ein allgemeines Prinzip auch der alliierten Seite sei“. Nr. 40 Verlaufsprotokoll der Sitzung vom 4. April 1952, S. 37ff., Adenauer und die Hohen Kommissare, Band 2 1952. Dies tat er für andere Aktionäre der Altkonzerne nicht. Siehe auch M 12986 Etzel an Pohle 16. 2. 1954. BA N 1244/18 Henle an Lehr 22. 6. 1950, Lehr an McCloy 30.6.1950. Etzel sah es oft als seine Rolle an, die Ruhrindustrie von zu lauten Tönen gegenüber Luxemburg abzuhalten. M 12170 Pohle an Zangen 14. 4. 1954. Gillingham, rebirth, S. 301–312, Bührer, Ruhrstahl, S. 206ff. Philippe Mioche: La vitalité des ententes sidérurgiques en France et en Europe de l’entre-deuxguerres à nos jours, in: Barjot, Dominique (Hg.): International Cartels, S. 119–128.

171 zumindest so gestalten werden konnten, dass eine neuerliche Zusammenarbeit nach 1945 möglich war.245 Öffentliche Dankbarkeit für den doch sehr glimpflichen Verlauf der Neuordnung konnten die Alliierten allerdings nicht erwarten. Vielmehr erwirkten die alliierten Eingriffe – ähnlich wie bei der Demontage – Solidareffekte mit der Ruhrstahlindustrie in der Bundesrepublik, mit denen man politisch, aber auch finanziell um Unterstützung werben konnte.246 So wurden Unternehmenszusammenschlüsse, deren Ziel es war, Entflechtungsschäden zu beseitigen, genauso wie der Verkauf von Aktienpaketen, die unter Verkaufsauflagen standen, steuerlich begünstigt.247 Dies führt zu der Frage, welche Leitlinien die Politik der Bundesregierung in der Frage der Neuordnung der Stahlindustrie bestimmten. Hier kann man von einer ‚nationalen industriepolitischen‘ Aufbaustrategie sprechen, mit dem Ziel, eine möglichst wettbewerbsfähige Stahlindustrie aufzubauen. Die strategische Bedeutung der ‚Grundstoffindustrie‘ und die Notwendigkeit einer öffentlichen Unterstützung nach Kriegszerstörung, Demontage und Neuordnung war nationaler Konsens. Das BWM versuchte dazu noch, möglichst ausländische Investoren vom deutschen Montanbesitz fernzuhalten – zum Beispiel französische Stahlunternehmen von Bergbaugesellschaften des Ruhrgebietes – und durch die Gründung einer großen Handelsgesellschaft den deutschen Stahlmarkt den heimischen Produzenten zu sichern. Also eine zumindest indirekt staatlich unterstütze, protektionistisch orientierte Industriepolitik – im Gegensatz zur ordoliberalen Rhetorik. Die Stahlindustrie war dann auch der große Gewinner des Investitionshilfegesetzes (IHG), welches durch Aufbringung von finanziellen Mitteln insbesondere durch die Konsumgüterindustrie, der Grundstoffindustrie dringend benötigtes Kapital zuführte.248 Weiter sah das Gesetz Sonderabschreibungsmöglichkeiten bis 1956 vor, mit denen wei-

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Françoise Berger: Les patrons de l’acier en France et Allemagne face à l’Europe (1930–1960), in: Eric Bussière, Michel Dumoulin: Milieux economiques et integration europeénne en Europe occidentale au XXe siècle, Arras 1998, S. 179–196. John Gillingham: Zur Vorgeschichte der MontanUnion Westeuropas Kohle und Stahl in Depression und Krieg, in: VfZ 34 (1986), S. 381–405, Gillingham S. 65–78, Dietmar Petzina: Von der Konfrontation zur Integration. Die Schwerindustrie in den deutschen Wirtschaftsbeziehungen 1900–1950, in: Peter Hüttenberger und Hans-Georg Molitor: Franzosen und Deutsche am Rhein 1789 – 1918 – 1945, Essen 1989, S. 161–182. Francoise Berger: La France, l’Allemagne et l’acier (1932–1952) De la strategie des cartels à l’elaboration de la CECA, thèse de doctorat, Université de Paris I, 2000, vol 4. Siehe dazu: Martina Köchling: Demontagepolitik und Wiederaufbau in Nordrhein-Westfalen, Essen 1995. Müller, Strukturwandel, S. 322. Insgesamt wurden 1,16 Mrd DM von den verschiedenen Wirtschaftszweigen aufgebracht, von denen die Eisen- und Stahlindustrie 296 Mio DM bekam. Heiner R. Adamsen: Investitionshilfe für die Ruhr: Wiederaufbau, Verbände und Soziale Marktwirtschaft 1948–1952, Wuppertal 1981, S. 227ff. Die IHG-Hilfe hatte allerdings einen „Multiplikatoreneffekt“ dank zusätzlicher Finanzierungsmittel, so dass sich die Gesamtkosten der von der IHG geförderten Projekte auf mehr als 4 Mrd DM beliefen – davon 26,6 % für die Stahlindustrie. Diese Kosten wurden zu 21 % aus der IHG, zu 37 % aus Eigenmitteln und zu 32 % aus sonstigen Mitteln – meist Fremdkrediten – finanziert, ders. 230ff.

172 tere Investitionen finanziert werden konnten. Um dafür wiederum die Eigenmittel der Stahlindustrie zu stärken, wurden die amtlich kontrollierten Stahlpreise erheblich angehoben – zwischen 1950 und 1953 um 77 %.249 Das IHG diente ganz offensichtlich dem „politischen Zweck, die deutsche Schwerindustrie zu Beginn der Montanunion zu stärken und wettbewerbsfähig zu machen“.250 Diese öffentliche, finanzielle Unterstützung für Kohle und Stahl ist gerade unter dem Eindruck der Montankrise der achtziger Jahre kritisiert worden.251 Auf der anderen Seite war dies ein indirekt öffentlich gefördertes Expansionsprogramm für die Stahlindustrie, die über eigenes Kapital nicht in genügendem Maße verfügte, wie es auch in Frankreich, Italien und den Niederlanden – unter den jeweiligen nationalen institutionellen Rahmenbedingungen – durchgeführt wurde. Also alles andere als ein ‚europäischer Sonderweg‘.252 Von der Hohen Behörde wurde das IHG, zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt des Beihilfeverbots, nie offiziell untersucht.253 Der nun folgende Ausbau und die Modernisierung der deutschen Kapazitäten konnten gerade wohl auch deshalb von den anderen EGKS-Staaten so problemlos akzeptiert werden, da die europäische und internationale Stahlnachfrage gerade in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre aufgrund des Koreabooms ständig boomte – mit einer Unterbrechung in der zweiten Hälfte des Jahres 1953 – und die Kapazitäten ständig ausgelastet waren. Um auf die Neuordnung zurückzukommen: Alles in allem hatte keiner der beteiligten Akteure – die Alliierten, die Ruhrstahlindustrie, die Bundesregierung, aber auch die Gewerkschaften254 – ein Interesse daran, den tatsächlichen politischen Zweck der Neuord249 250 251

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Ders., S. 233. Adamsen, S. 50. Werner Abelshauser: Wirtschaftlicher Wiederaufbau an Rhein und Ruhr: Weichenstellungen in die Strukturkrise?, in: Gerhard Brunn (Hg.): Neuland. Nordrhein-Westfalen und seine Anfänge nach 1945, Essen 1986, S. 95–110, indirekt auch Ekkehard D. Schulz: 50 Jahre Montanunion – unter dem Strich ein Plädoyer für unverfälschten Wettbewerb, in: Europäische Kommission (Hg.:): CECA 1952–2002, Luxembourg 2002, S. 233–240. Matthias Kipping: A slow and difficult process: The Americanization of the French Steel-Producing and Using Industries after the Second World War, in: Herrigel, Americanization, S. 209–235, Ruggero Ranieri: Remodelling the Italian Steel industry: Americanization, Modernization, and Mass Production, Herrigel, Americanization, S. 236–268. Die Bundesregierung hatte in den Schumanplanverhandlungen ursprüngliche weit reichende Pläne einer Investitionssteuerung bzw. -koordinierung durch die Hohe Behörde verhindern können. Werner Bührer: Ruhrstahl und Europa. Die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie und die Anfänge der europäischen Integration 1945–1952, München 1986, S. 195ff. Auch in Italien und den Niederlanden wurde zu Beginn der Schumanplanverhandlungen die Versicherung gesucht, dass der Schumanplan nicht die Durchführung der bereits beschlossenen Investitionen gefährden würde. Albert Kersten: A Welcome Surprise? The Netherlands and the Schuman Plan Negotiations, S. 285–304, in: Schwabe, Anfänge, Ruggero Ranieri: The Italian Steel Industry and the Schuman Plan negotiations, in: Schwabe, Anfänge, S. 345–356. Die Gewerkschaften sollten sich in der Rekonzentrationsbewegung darauf beschränken, die Montanmitbestimmung aufrechtzuerhalten, Müller, Strukturwandel.

173 nung zu verkünden: nämlich durch die Durchführung eines der Rhetorik nach umfassenden Reformprogramms die Beteiligung der ‚Ruhrbarone‘ an der westeuropäischen Nachkriegsordnung zu legitimieren. Was hieß dies nun für die Zusammenschlusspolitik der Hohen Behörde? Die Aufgabe der Hohen Behörde hatte das ‚formelle‘ Mandat erhalten, die Rechtstexte des Artikels 65 und 66 als erstes europäisches Wettbewerbsgesetz nun umzusetzen – und sie musste bei ihren Entscheidungen nicht die Meinung der Mitgliedstaaten berücksichtigen. Gleichzeitig hatten verschiedene Unterzeichnerstaaten auch die Umsetzung des Artikels 66 mit einem ‚informellen Mandat‘ verbunden – welche sich auch noch widersprachen. Diese ‚Mandate‘ gingen davon aus, dass eine wirklich effektive Neuordnung, deren Folgen unterschiedlich beurteilt wurden und sprachlich je nach Wahl ‚Auflösung exzessiver wirtschaftlicher Macht‘ oder ‚Zerstörung jahrelang gewachsener Strukturen‘ bezeichnet wurde, stattgefunden hatte. Allerdings war ja genau dies nicht der Fall gewesen, wie in diesem Kapitel aufgezeigt wurde. Von allen drei westlichen Alliierten war dem Artikel 66 noch eine weitere Bedeutung – oder der Hohen Behörde ein weiteres ‚informelles Mandat‘ – zugesprochen worden. Über eine mögliche Revision der Neuordnung durfte nun die Hohe Behörde mittels des Rechtsmittel Artikel 66 entscheiden. Dies war sowohl in den individuellen ‚Entflechtungsplänen‘ der VSt-Großaktionäre als auch mit dem Ende des Besatzungsstatuts vertraglich festgelegt worden. Letztlich kamen damit die Alliierten aus einem Dilemma heraus, das nie angesprochen wurde: Wie lange sollte die durch die Neuordnung geschaffene Industriestruktur aufrechterhalten werden? Es entsprach nun allen wirtschaftlichen Denkmodellen und Erfahrungen, dass man eine Industriestruktur nicht für ewige Zeit ‚einfrieren‘ konnte. Die Möglichkeit, durch Unternehmenszusammenschlüsse Produktionskosten zu senken, wurde ja zu keinem Zeitpunkt von den Alliierten bestritten. Die Amerikaner hatten selber in der Neuordnung angedeutet, dass die Ruhrstahlindustrie in der Lage sein würde, ihre Struktur in Zukunft verändern zu können. Nur wer sollte dann darüber entscheiden? Es wäre nicht politisch klug gewesen, dies den Alliierten vorzubehalten. Dies hätte nach einer Verlängerung der alliierten Kontrollen ausgesehen und war in der Bundesrepublik politisch nicht mehr zu vermitteln. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, die Revision der Neuordnung ganz der Bundesregierung zu überlassen. Damit hätte das Risiko bestanden, dass das Werk der Alliierten – immerhin ein Prozess von fast neun Jahren – innerhalb von kürzester Zeit völlig rückgängig gemacht worden wäre. Dies war wiederum für die Alliierten prohibitiv. Dieser Gesichtsverlust gegenüber der internationalen Öffentlichkeit hätte die Strategie der politischen Westintegration der Bundesrepublik durchaus diskreditieren können. Nun wurde der Artikel 66 eine Art Entscheidungsplattform über die Dauer der alliierten Neuordnung der Ruhrstahlindustrie. Wie gut, dass die Alliierten und die betreffenden EGKS Mitgliedstaaten diese Frage nun der Hohen Behörde überlassen konnte – eine Art ‚Schwarzer Peter‘ hatte man ihr überreicht. Anders ausgedrückt: Es war nun

174 Aufgabe der Hohen Behörde, durch eine Genehmigung des Artikels 66 die Revision der Neuordnung bzw. die ‚Rekonzentration‘ zu legitimieren. Diese Angelegenheit wurde noch dadurch kompliziert, dass sich die Hohe Behörde mit einer Unternehmensstruktur konfrontiert sah, die offiziell aufgrund der ‚Auflösung‘ der Altkonzerne aus einer Vielzahl von Nachfolgeunternehmen bestand, die allerdings unter der Kontrolle von wenigen Großaktionären standen. Gleichzeitig hatten alle beteiligten Akteure immer verkündet, dass die Neuordnung effektiv durchgeführt wurde – und keiner hatte ein Interesse, nun plötzlich das Gegenteil zu verkünden. Die Hohe Behörde stand also als erstes vor der Frage, ob die neu geordneten Unternehmen tatsächlich alle effektiv getrennt waren. Sie musste erst die Effektivität der Neuordnung der Alliierten bewerten und gleichzeitig über ihre Zukunft entscheiden. Die Hohe Behörde hatte also ein ziemlich schwieriges ‚informelles Mandat‘ übernommen. Das formelle Mandat hatte sich durch das Ergebnis der Neuordnung natürlich nicht geändert – das ‚informelle Mandat‘ hatte sich kompliziert. In den nächsten Kapiteln soll nun untersucht werden, ob die Hohe Behörde in ihren Entscheidungen dem ‚informellen Mandat‘ bzw. dem ‚formellen Mandat‘ folgte bzw. wie sie mit diesem potentiellen Spannungsverhältnis umging.

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4. K APITEL D IE F USIONSKONTROLLENPOLITIK DER H OHEN B EHÖRDE UND DIE ‚R EKONZENTRATION ‘ DER MITTLEREN R UHRKONZERNE 4.1 Einleitung Im Frühjahr 1958 veröffentlichte die Hohe Behörde in ihrem Gesamtbericht über ihre Jahrestätigkeit seit dem Inkrafttreten des Vertrages zum ersten Mal eine Liste der bis dahin erlaubten Unternehmenszusammenschlüsse. Insgesamt hatte die Hohe Behörde bis dahin hundertvier Fälle unter Artikel 66 untersucht. Davon waren sechsundvierzig Fälle aus der Bundesrepublik.1 In keinem Fall war die Hohe Behörde zu einer negativen Entscheidung gekommen. Die Hohe Behörde hatte weitestgehend die ‚Rekonzentration‘ der Nachfolgegesellschaften der Altkonzerne genehmigt.2 Die Hohe Behörde gab auch eine kurze Begründung ihrer Entscheidungen.3 Kein genehmigter Zusammenschluss erfülle die negativen Kriterien des Artikels 66.4 Laut Urteil der Hohen Behörde hatten die zusammengeschlossenen Unternehmen also nicht die Möglichkeit, – auf einem bedeutenden Teil des Marktes dieser Erzeugnisse die Preise zu bestimmen, die Produktion oder die Verteilung zu kontrollieren oder zu beschränken oder einen wirklichen Wettbewerb zu verhindern

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European Coal and Steel Community, High Authority: Sixth General Report, Luxemburg 1958, Volume II, S. 98f. Günter Sieber: Die Rekonzentration der eisenschaffenden Industrie in Westdeutschland, in: Wirtschaftswissenschaftliche Mitteilungen, 2 (1958), S. 46–55, siehe auch Gillingham, rebirth, S. 351f., Warner, steel, S. 236, Der Volkswirt, Die neuen Stahlkonzerne an der Ruhr. Begehrte Verbundwirtschaft. 11/49. 7. Dezember 1957, S. 2625–2627, hier: 2627. High Authority, Sixth General Report, S. 98f. In einer Tabelle gab sie die jeweiligen Anteile der Zusammenschlüsse an der Gesamtproduktion an Kohle und Stahl in der Gemeinschaft wieder. Keines der nun zusammengeschlossenen Unternehmen kontrollierte mehr als 5 % der Gemeinschaftsproduktion in Kohle oder Stahl. High Authority, Sixth General Report, S. 99f.

176 – oder den aus der Anwendung dieses Vertrages sich ergebenden Wettbewerbsregeln zu entgehen, insbesondere durch Schaffung einer künstlichen Vorzugsstellung, die einen wesentlichen Vorteil im Zugang zu den Versorgungsquellen und zu den Absatzmärkten mit sich bringt. Nur wenn die Erfüllung dieser beiden Kriterien nachgewiesen werden konnte, durfte die Hohe Behörde eine Fusionsgenehmigung vermeiden. Dies war ja ein Ergebnis der langwierigen Verhandlungen um die Ausformulierung des Artikels 66. Die Hohe Behörde behauptete also im Bericht, dass hier eine Politik durchgeführt wurde, die genau diesen vertraglichen Bestimmungen entsprach. Damit hatte die Hohe Behörde, eigener Aussage nach ihren ‚supranationalen‘ Kompetenzen folgend, das im Vertrag festgeschriebene ‚formelle‘ Mandat erfüllt. Lassen sich also die Entscheidungen der Hohen Behörde allein durch das ‚formelle‘ Mandat erklären? Handelte es sich um eine ‚supranationale Politik‘, durchgeführt von einer autonomen Behörde, welche den Auftrag des Artikels 66 nun in eine kohärente Wettbewerbspolitik umsetzte? Wie kann man die Existenz einer solchen Politik nachweisen? Es ist anzunehmen, dass die Hohe Behörde intern gewisse Instrumente entwickelte, nach denen sie beurteilen würde, wann ein Unternehmen eine Absatz- bzw. Preiskontrolle erlangen würde, um eine Kohärenz ihrer Entscheidungen zu erreichen. Es ist zu untersuchen, wie die Hohe Behörde in ihren Entscheidungen die Rechtsprache des Artikels 66 definierte, so zum Beispiel abstrakte Begriffe wie einen ‚bedeutenden Teil des Marktes‘ oder auch ‚Erzeugnisse‘ oder ‚einen wirklichen Wettbewerb zu verhindern‘. Man kann auch erwarten, dass die steigende Anzahl der Anträge dazu beitrug, die Existenz solcher Instrumente und Definitionen zu entwickeln und zu verfeinern. Dies sind die Fragestellungen, nach denen die Zusammenschlussanträge an der Ruhr zu untersuchen sind. Sind diese Instrumente nicht nachzuweisen, ist zumindest zu untersuchen, ob das ‚informelle Mandat‘ der Mitgliedstaaten hinsichtlich des Artikels 66 eine Rolle spielte. Gab es vielleicht innerhalb der Hohen Behörde auch Meinungsverschiedenheiten bzw. Auseinandersetzungen über die Gestaltung der Wettbewerbspolitik in dem Sinne, ob man sich eher am ‚formellen‘ oder ‚informellen‘ Mandat orientieren sollte? Schließlich ist eine Reaktion der ‚europäischen Öffentlichkeit‘ auf die Entscheidungen der Hohen Behörde zu erwarten. Hier konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Reaktion in Frankreich. Von der Aufrechterhaltung der Neuordnung als Ergebnis der Fusionskontrollenpolitik der Hohen Behörde – die ja in der französischen Nationalversammlung von dem späteren Präsidenten der Hohen Behörde, Jean Monnet, in Aussicht gestellt wurde – konnte keine Rede sein. Man kann erwarten, dass dies Reaktionen auslöste. In diesem Kapitel wird die Politik der Hohen Behörde hinsichtlich der Zusammenschlüsse der mittleren Ruhrkonzerne behandelt, um die hier aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Die Zusammenschlüsse insbesondere der Nachfolgegesellschaften der VSt werden im folgenden Kapitel behandelt.

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4.2 Die Anfänge der Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde – die Anwendung des Kartellverbots Artikel 65 Noch bevor sich die Hohe Behörde mit der zukünftigen Fusionskontrollenpolitik beschäftigen konnte, war sie mit der Anwendung des Kartellverbots, des Artikels 65, beschäftigt. Dieser war ja gerade auf Druck der Amerikaner eingeführt worden, die gleichzeitig von der Bundesregierung die Auflösung des Deutschen Kohlen Verkaufs (DKV) forderten. Erst als dies zugesichert worden war und auch die Einführung des Kartellverbots in den Vertrag akzeptiert wurde, konnte der EGKS-Vertrag unterzeichnet werden. Die Amerikaner wiederum hatten im März 1951 während der letzten Tage der Schumanplan-Verhandlungen der Bundesregierung zu verstehen gegeben, dass sie nach der Auflösung des DKV auch gegen enstprechende Kartelle in der Bergbauindustrie in Frankreich und in Belgien vorgehen würden.5 Dies war dann allerdings nicht geschehen. Wie setzte die Hohe Behörde nun den Artikel 65 um? Tatsächlich kam es schon sehr früh nach Aufnahme der Arbeit der Hohen Behörde zu Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern über die Anwendung des Kartellverbots. Sowohl Franz Etzel, eines der beiden deutschen Mitglieder und Vertrauter Adenauers, wie auch Monnet plädierten für eine äußerst behutsame Anwendung des Artikels 65 auf die existierenden Kartelle in der europäischen Kohlenindustrie. In Frankreich hatte unter anderem die ‚l’Association technique de l’importation charbonnière‘ (ATIC) ein Importmonopol für Kohle. In Belgien bestimmte der ‚Comptoir belge des charbons‘ (COBECHAR) die Preispolitik des belgischen Bergbaus. Die jeweiligen nationalen Regierungen unterstützten diese Einrichtungen. Deshalb hatten sie ja nur sehr zögerlich die Einführung des Artikels 65 im Schumanplan-Vertrag zugestimmt. Rasch lenkte sich allerdings die Aufmerksamkeit auf die Nachfolgeorganisation der DKV: die Gemeinschaftsorganisation Ruhrkohle (GEORG). Um die Bedingung der Amerikaner zu erfüllen, die DKV aufzulösen, ersetzte die Bundesregierung die DKV durch sechs Kohlenverkaufsgesellschaften. Ihre Tätigkeit wurde nun allerdings von GEORG koordiniert. Sie hatte ebenso wie die DKV zentrale Funktionen im Bereich der Absatzpolitik und wurde von den Unternehmen, der Bundesregierung und den Gewerkschaften rückhaltlos unterstützt. Dass es sich hierbei um eine kosmetische Reform handelte mit dem Ziel, die Bedingung der Amerikaner formell zu erfüllen, darüber bestand kaum ein Zweifel.6

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So jedenfalls der Tagebucheintrag von Otto Lenz vom 6. März 1951 über eine Ankündigung von Robert Bowie, nun auch gegen den zentralen Kohlenverkauf in Belgien und Frankreich vorzugehen, Lenz, S. 54. Diebold, S. 380ff.

178 Monnet hatte schon im September 1953 erkennen lassen, dass der Kohlenmarkt eine gewisse Regulierung benötigen würde und an eine strikte Anwendung des Kartellverbots nicht zu denken war. Hierbei spielten nicht zuletzt politische Gründe eine Rolle. Monnet fürchtete offensichtlich, dass eine strikte Anwendung des Kartellverbots den Widerstand in Frankreich und in der Bundesrepublik gegen weitere Schritte in der europäischen Integration, einschließlich der Gründung von supranationalen Gemeinschaften wie die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, verstärken würde. Gerade die Aussichten auf eine Ratifikation des Vertrages über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) würden damit weiter sinken.7 Folgt man der Darstellung Dirk Spierenburgs, eines weiteren Mitglieds der Hohen Behörde, so standen hier zwei verschiedene Auffassungen von ‚Integration‘ gegenüber.8 Monnet und Etzel waren bemüht, einen Kompromiss in der Frage des Kartellverbots zu finden, um nicht die politischen Widerstände gegen die Europäische Integration zu stärken, während Spierenburg der Meinung war, der Beitrag der Hohen Behörde zur Integration bestünde gerade in einer strikten Anwendung des Montanunionvertrages – ganz gleich, welche politischen Schwierigkeiten dies auch bereiten würde, und ganz gleich, ob diese politischen Schwierigkeiten letztlich aus der ‚Ursprungsgeschichte‘ des Artikels 65 hervorgingen. So setzten Monnet und Etzel, unterstützt von dem belgischen Sozialisten Finet, gegen den Protest Spierenburgs eine Verlängerung der auf nationaler Ebene festgesetzten Höchstpreise für Kohle, die letztlich eine Anerkennung der Kartellpreise durch die Hohe Behörde bedeuteten, durch.9 Dies führte allerdings zu Protesten der niederländischen Regierung, die damit drohte, die Hohe Behörde wegen Nichtbeachtung des Vertrags vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. So wurden im Mai 1954 die verschiedenen Kartelle von ihrer Nichtübereinstimmung mit dem Vertrag informiert. Unter Leitung von Franz Etzel, welcher der Arbeitsgruppe Wettbewerb vorstand, begann die Hohe Behörde Verhandlungen mit der GEORG über die nötigen Umstrukturierungen, die sich allerdings dann monatelang hinzogen. Nach dem Scheitern der Ratifikation des EVG-Vertrages wiederum war gerade die französische Regierung weniger bereit denn je, über Reformen von ATIC zu sprechen. So konnte von einer strikten Anwendung des Vertrages unter der Präsidentschaft Monnets nicht die Rede sein. Dies wiederum deutet eindeutig darauf hin, dass Monnet in der EGKS primär ein Instrument sah, seine politischen Integrationsvorstellungen zu verwirklichen. Wenn die Anwendung von gewissen Artikeln politischen Widerstand provozierte, der die Europäische Integration allgemein gefährden konnte, musste sie eben pragmatisch ausgelegt werden. Monnet beachtete nicht nur das ‚formelle‘ Mandat, das ihm im Vertragstext von den Mitgliedstaaten als Präsident der Hohen Behörde überge7 8 9

Gillingham, rebirth, S. 338f. Spierenburg, CECA, S. 116–130. Siehe auch Spierenburgs Äußerungen, in: Témoignages à la mèmoire de Jean Monnet, Lausanne 1989, S. 507–511. Spierenburg, CECA, S. 122,

179 ben worden war, sondern eben auch das ‚informelle‘ Mandat. Hier konnte von einer Kartellphobie der meisten Mitgliedstaaten – so Frankreich, Belgien und der Bundesrepublik – nicht die Rede sein. Deshalb zog Monnet hieraus seine Konsequenzen. Eine ähnliche Position wie Monnet hatte Franz Etzel, eines der beiden deutschen Mitglieder der Hohen Behörde und ein Vertrauter Konrad Adenauers. Etzel sah weniger seine Aufgabe darin, den Vertragstext ‚buchstabengetreu‘ umzusetzen, sondern erst einmal für die europäische Integration und die Bundesrepublik Vertrauen zu gewinnen. Er war der Meinung, man solle das Kartellverbot nicht „überdogmatisch“ behandeln.10 So wurde nach langen Verhandlungen von der Hohen Behörde die Bildung von drei Verkaufsorganisationen für die Ruhrkohle gebilligt, die nun Marktabsprachen zu unterlassen hatte. Diese Änderungen traten am 1. April 1956 in Kraft.11 Gleichzeitig wurden nun die von der Hohen Behörde kontrollierten Höchstpreise für Kohle aufgehoben, da es ja theoretisch zu Preiswettbewerb kommen müsse. Spätestens seit der kollektiven Anhebung der Preise des Ruhrkohlenbergbaus im Oktober 1957 gegen den Widerstand Ludwig Erhards war jedermann klar, dass die alten Kartellpraktiken auch weiterhin bestanden. Eine grundlegende Änderung sollte hier nie eintreten. Bis zum Ende der Hohen Behörde im Jahre 1967 musste sie sich mit diesem leidigen Thema beschäftigen.12 Dass die Anwendung des Artikels 65 in der EGKS auf erhebliche Schwierigkeiten stieß, hatte man auch in Washington erfahren. Immerhin war es ja die amerikanische Regierung, welche die Aufnahme dieser Bestimmungen in den Vertrag durchgesetzt hatte. Stimmen, die nun eine Initiative der amerikanischen Regierung bei der Hohen Behörde forderten, wurden vom State Department zurückgewiesen, da die rechtlichen Möglichkeiten des Vertrages ausreichend seien. Die Hohe Behörde sei bemüht, diese für Europa völlig neuen Antikartellgesetze effektiv durchzusetzen. Lerneffekte seien notwendig und bald würden sicher Erfolge erzielt.13

4.3 Die Fusionskontrollenpolitik der Hohen Behörde – Verabschiedung von Richtlinien oder Einzelfallentscheidungen? Wie sah nun die Politik der Hohen Behörde auf dem Gebiet der Zusammenschlüsse aus? Dass gerade mit Anträgen aus der Bundesrepublik gerechnet werden konnte, daran konnte kaum einer zweifeln. Schon im Herbst 1953, die Neuordnung war noch gar nicht 10 11 12 13

M 12985 Vermerk Gespräch mit den Parlamentarieren am 6. 5. 1954 in Bonn, gez. Kox. Diebold, S. 387ff., Spierenburg, CECA, S. 353–359, Roendings, S. 144–150, S. 205–208. Swann, Competiton, S. 119–129, Spierenburg, CECA, S. 593–597, S. 681–696, S. 817–824. Pascaline Winand: Eisenhower, Kennedy and the United States of Europe, New York 1993, S. 65–69, Wyatt, S. 201–205, FRUS 1955–1957, IV, S. 288f., S. 341–343, S. 373f.

180 beendet, wurde in der Bundesrepublik auch öffentlich die Revision der Neuordnung der Industrie gefordert, so dass man im französischen Planungskommissariat schon von einer ‚Kampagne der Rekonzentration‘ sprach.14 Eigentlich hätte die Hohe Behörde sechs Monate nach Inkrafttreten des Vertrages – also zum 10. Dezember 1952 – Entwürfe für die Durchführungsverordnungen zu Artikel 66, welche den Begriff der Unternehmenskontrolle näher definierten und die Freistellungsgrenze von der Genehmigungspflicht für Fusionen festlegten, dem Ministerrat zur Verabschiedung vorlegen müssen.15 Solange diese Verordnungen nicht verabschiedet waren, waren die Unternehmen noch nicht verpflichtet, ihre Fusionspläne anzumelden bzw. genehmigen zu lassen. Die Hohe Behörde konnte allerdings rückwirkend eine solche Fusion wieder aufgrund des Artikels 66 Absatz 5 als ‚übermäßige wirtschaftliche Konzentration‘ auflösen. Warum ließ sich die Hohe Behörde so lange Zeit mit der Ausarbeitung dieser Verordnungen? Die Schwierigkeiten der Hohen Behörde, diese Verordnungen auszuarbeiten, lagen nicht zuletzt daran, so jedenfalls der zuständige Leiter der Kartellabteilung, Richard Hamburger, dass die Mitglieder der Hohen Behörde es unterlassen hatten, Richtlinien für eine Politik auf dem Gebiet der Zusammenschlusspolitik auszuarbeiten.16 Es war die politische Ebene der Hohen Behörde – nicht etwa die Beamtenebene –, welche diese Verzögerung zu verantworten hatte. Auffällig ist, dass zu dem Zeitpunkt, als die Hohe Behörde die ersten Verordnungsentwürfe dem Ministerrat zum Jahresende 1953 vorlegte, die meisten Maßnahmen in Folge der Neuordnung in der Bundesrepublik – insbesondere die Festlegung auf die ‚endgültigen‘ und ‚transitorischen‘ Konzentrationen der Großaktionäre im Rahmen der ‚Entflechtungspläne‘ – fast vollständig vollendet waren. Wie schon dargestellt, war es gerade in dieser Phase, dass die Großaktionäre sich die Kontrolle von Aktienpaketen meist im gegenseitigen Einverständnis sicherten – mit der offensichtlichen Hoffnung, diese später auch offiziell in einer neuen Unternehmensgruppe zusammenzuführen. Die Bundesregierung hatte sich ausdrücklich von der AHK bestätigen lassen, dass die Hohe Behörde diese Maßnahmen nicht mehr zu beurteilen hatte.17 Aus Sicht der Bundesregierung war dies verständlich. Der ganze Prozess hätte sich nun ins unerträgliche Maß kompliziert, wenn die Hohe Behörde auch noch die Entscheidungen der AHK hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit dem EGKS-Vertrag überprüft hätte. So war es die Bundesregierung mit offensichtlichem Einverständnis der AHK, welche den Zeitpunkt bestimmte, an dem die Befugnisse der Hohen Behörde auf ihre eigene

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Neben verschiedenen Presseartikeln hatte Hermann Schenck, der Präsident des Vereins deutscher Eisenhüttenleute, auf der Jahresversammlung des Vereins am 5. November 1953, öffentlich eine Revision der Neuordnung gefordert, AN 81 AJ 142 Commissarait Général du Plan, 4 dec 1953, CAMPGNE EN VUE DE LA RECONCENTRATION EN ALLEMAGNE. MAE DE-CE 503 Convention rélative aux dispositions transitoires § 13. Spierenburg, CECA, S. 255f. HAEU CEAB 4/66 Hamburger an Potthoff 7. Mai 1953. Müller, Strukturwandel, S. 296f.

181 Industrie anzuwenden war, ohne dass es darüber je einen offiziellen Beschluss eines zuständigen Organs der EGKS gegeben hätte. Aus rein rechtlicher Perspektive gesehen ein kurioser Vorgang, denn die Entscheidung über die Anwendung eines multilateralen Vertrages auf einen Partner wurde ohne das Einverständnis aller Vertragspartner, aber mit dem Einverständnis von Drittstaaten getroffen. Nur gut, dass die Durchführungsverordnungen erst im Sommer 1954 verabschiedet und die besagten Transaktionen durchgeführt wurden, ohne dass die Unternehmen schon verpflichtet gewesen wären, die Genehmigung der Hohen Behörde einzuholen. Wäre dies der Fall gewesen, eine offenere Debatte über das Verhältnis der Maßnahmen der Neuordnung zum EGKS-Vertragsrecht hätte wohl kaum vermieden werden können.18 Jedenfalls ermöglichte diese lange Zeit der Unsicherheit hinsichtlich der Fusionskontrolle den Unternehmen in der Bundesrepublik einen Zeitgewinn, in dem sie die Beziehungen zwischen den Unternehmen so gestalten konnten, möglichst ein ‚fait accompli‘ zu schaffen.19 Noch vor dem Zeitpunkt der endgültigen Verabschiedung der Durchführungsverordnungen war es zu Zusammenschlüssen in Belgien und in Frankreich gekommen.20 Der wichtigste Zusammenschluss, der mit großer Aufmerksamkeit in der Bundesrepublik verfolgt wurde, war die Gründung von Lorraine-Escaut im Herbst 1953, ein Zusammenschluss von drei Stahlgesellschaften, spezialisiert auf die Produktion von Röhren mit einer Rohstahlproduktion von ca. 1.5 Mio t pro Jahr.21 Der französische Hohe Kommissar in der Bundesrepublik, Fran¸cois-Poncet, wies nun darauf hin, dass ein Hauptaktionär des neuen Unternehmens, die Aciéries de Longwy, auch an anderen Röhrenproduzenten beteiligt sei.22 Nach der Fusion würden sie 85 % des französischen Röhrenmarktes kontrollieren. Eine solche Verbindung, so Poncet, hätte die AHK in der westdeutschen Stahlindustrie nach der Neuordnung niemals zugelassen. Die französische Regierung, 18

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Richard Hamburger, Leiter der Kartellabteilung, vertrat zum Beispiel den Rechtsstandpunkt, dass die Aktientäusche zwischen Großaktionären im Folge der Neuordnungsmaßnahmen sehr wohl in den Zuständigkeitsbereich der Hohen Behörde fallen würden. HAEU CEAB 3/464 Note, l’Application des dispositions du Traité aux opérations de concentration réalisées ou en cours de réalisation á la suite des mesures de réorganisation entreprises par les Alliés, 18 octobre 1954 So waren zum Beispiel auf Druck des Großaktionärs die Rheinischen Röhrenwerke und die Hüttenwerke Phoenix bemüht, einen Interessensgemeinschaftsvertrag noch vor Verabschiedung der Verordnungen zu schließen, um dann argumentieren zu können, dass ein Zusammenschluss schon vorliege. R 160191 Goergen an Ellscheid 30. 1. 1954, Vermerk Dr. Hartmann Betr. Interessensgemeinschaft mit RRW 16. 2. 1954. Spierenburg, CECA S. 226f. BA B 102/22302 III, D2 16. 11. 1953 Betr. Meinungstausch zwischen dem Rat und der HB über die Politik, welche die Hohe Behörde auf dem Gebiet der Kartelle und Zusammenschlüsse einzuschlagen gedenkt. Lister, S. 422f., BA 102/4748–1 Vermerk Betr.: Verflechtung in der Eisen- und Stahlindustrie Frankreichs 26. November 1953, Lefèvre, relations, S. 297f. Alle französischen Unternehmenszusammenschlüsse zwischen 1947 und 1966 sind aufgeführt bei Philippe Mioche, sidérurgie, S. 1308. MAE DE-CE 542 Haut Commissariat de la République francaise en Allemagne. Direction Générale des Affaires Politiques 23. 9. 1953.

182 so sein Vorschlag, solle nun ruhig der Hohen Behörde signalisieren, dass man es durchaus begrüßen würde, wenn hinsichtlich dieser Verflechtungen Auflagen gestellt würden. So sei die Hohe Behörde dann auch leichter in der Lage, gegen wettbewerbsschädliche Konzentrationen in der Ruhrstahlindustrie energisch vorzugehen. Eine schriftliche Reaktion der französischen Regierung auf diesen Vorschlag ist nicht bekannt. Ganz offensichtlich wurde der Vorschlag, der Hohen Behörde strenge Auflagen regelrecht vorzuschlagen, um keinen Präzedenzfall für Zusammenschlüsse in der Bundesrepublik zu bilden, aber nicht befolgt. Die Bedeutung dieses Vorganges für die spätere Politik der Hohen Behörde auf dem Gebiet der Zusammenschlüsse ist wohl nicht zu überschätzen. Hier war die französische Regierung ganz klar aufgefordert, gegen Zusammenschlüsse in der eigenen französischen Stahlindustrie vorzugehen, um keinen Vorwand für eine westdeutsche Rekonzentrationsbewegung zu geben – und sie tat dies nicht. Damit war klar ersichtlich: Die französische Regierung war nicht gewillt, gegen Zusammenschlüsse in der französischen Stahlindustrie zu intervenieren, nur um eine mögliche Rekonzentration der westdeutschen Stahlindustrie zu erschweren. Dies hieß natürlich auch, dass sie ausdrücklich in Kauf nahm, dass sie gegen eine gewisse ‚Rekonzentration‘ der deutschen Stahlindustrie nur schwer Einwände erheben können würde. In der Ratifikationsdebatte hatte sich keiner so hervorgetan wie Jean Monnet, als es darum ging, zu versichern, dass die Hohe Behörde die Dekonzentration der westdeutschen Stahlindustrie aufrechterhalten würde. Wie reagierte man innerhalb der Hohen Behörde auf diesen Zusammenhang? Die Wettbewerbsabteilung der Hohen Behörde hatte am 1. Oktober 1953 einen ersten Bericht über die Fusion angefertigt.23 Der Bericht stellt heraus, dass die Gründung von Lorraine-Escaut durch die indirekte Verflechtung mit existierenden Unternehmensgruppen dazu führe, dass nun 80 % der Röhrenproduktion in Frankreich von einer Gruppe kontrolliert werde. Zwar gehörten Röhren nicht zum EGKS-Vertrag, allerdings würden Röhren zu 100 % aus Stahl hergestellt. Deshalb sei zu bedenken, dass hier ein „quasi monopole“ entstehe. Die Hohe Behörde könne nun den Zusammenschluss durch ihr Schweigen einfach akzeptieren, oder sie könne gegen den Zusammenschluss nachträglich eingreifen. Weiter betonte der Bericht ausdrücklich den Präzedenzfall dieser Entscheidung hinsichtlich zukünftiger Zusammenschlüsse an der Ruhr.24 Hierbei wurde auf eine Klärung der Frage gedrängt, wie Unternehmenskontrolle definiert werden sollte,

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HAEU CEAB 4/83 Division „Ententes et concentrations“, Luxembourg 1. Octobre 1953.

Dt. Übersetzung: Der Fall Lorraine-Escaut kann als ein Vorzeigebeispiel nicht nur voller Erkenntnisse, sondern auch Warnungen bezeichnet werden. Es scheint nicht übertrieben zu sein, dass sich bald noch größere, neue Konzentrationen bilden werden, wenn die Kontrollen in Deutschland aufgehoben werden. Wenn die Aktienpakete in Erfüllung der Verkaufsauflagen auf den Markt kommen, wird dies Gruppen erlauben, die bis jetzt noch im Hintergrund sind, legal finanziell Unternehmen zu konzentrieren, deren Entflechtung erst vor kurzer Zeit vollzogen wurde.

183 wenn Finanzholdings an mehreren rechtlich unabhängigen Unternehmen beteiligt waren – genau diese Fragestellung stelle sich im Augenblick bei Ausgabe der Aktien der ‚entflochtenen‘ Unternehmen an der Ruhr an die Aktionäre der Altkonzerne. Dieser Zusammenhang wurde auch von Franz Etzel gesehen – nur zog er daraus andere Schlüsse. Er jedenfalls argumentierte in einem Treffen mit Vertretern des BWM und CDU-Abgeordneten der Gemeinsamen Versammlung, dass man sich in Deutschland über die französischen Zusammenschlüsse freuen könne. Sie seien als „Schrittmacher“ innerhalb der EGKS anzusehen.25 Diese Argumentation setzte sich auch in der deutschen Stahlindustrie durch. So schrieb Ernst Wolf Mommsen, damals für die WVESI tätig, in einem Vermerk für Günther Henle, über dessen Gespräch mit Monnet und Etzel, in dem es unter anderem um Artikel 66 ging: Im übrigen ist festzustellen, dass die deutsche Eisen- und Stahlindustrie keineswegs die Zusammenschlüsse innerhalb Frankreichs kritisch beurteilt. Sie bejaht sie vielmehr, weil sie der Überzeugung ist, dass nur dem gemeinsamen Markt entsprechende Unternehmen zur Anhebung des Lebensstandards beitragen und die Konkurrenz auf dritten Märkten durchstehen können.26

Die Hohe Behörde behandelte dann den Zusammenschluss Lorraine-Escaut zum gleichen Zeitpunkt, als die erste Genehmigung eines Antrages einer Nachfolgegesellschaft der westdeutschen Stahlindustrie nach Gesetz Nr. 27 – nämlich der alten MannesmannGruppe – erteilt wurde.27 Sie unternahm nichts gegen diese Fusion. Damit war ganz klar, dass der Präsident der Hohen Behörde, Jean Monnet, mittlerweile von seiner in der französischen Ratifikationsdebatte geäußerten Linie abgerückt war. Gegen Unternehmenszusammenschlüsse in Frankreich, die nach Meinung seiner eigenen Wettbewerbsabteilung sowie des französischen Hohen Kommissars schon deshalb problematisch waren, da sie eine Steilvorlage für Zusammenschlüsse in der Bundesrepublik geben würden, unternahm er nichts. Vielleicht hatte er den Fall Lorraine-Escaut stillschweigend akzeptiert, da er wusste, dass es wohl zu erheblichen politischen Schwierigkeiten in der Bundesrepublik und auch in Frankreich kommen würde, wenn die Hohe Behörde nun sehr energisch gegen einen Zusammenschluss vorgehen würde. Unnötigen politischen Ärger mit diesen beiden Staaten auf dem Höhepunkt der Diskussion um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wollte Monnet wohl vermeiden. Im Frühjahr 1954 begann dann endlich die Diskussion über die Durchführungsverordnungen zum Artikel 66 im Ministerrat, die wieder nach den alt bekannten Fronten geführt wurden.28 Die westdeutsche Stahlindustrie verfolgte die Diskussion um die Durchführungsverordnung genau. Die WVESI allerdings war zu dem Schluss gekommen, wie 25 26 27 28

M 12923 Vermerk Gespräch mit den Parlamentariern am 6. 5. 54 in Bonn. BA N 1384/143 Mommsen an Henle 26. 5. 1954 Betr. Artikel 66 Zusammenschlüsse innerhalb der Montan-Union, gez. Kox. Spierenburg, CECA, S. 235. Spierenburg, CECA, S. 223–236.

184 sie dem BWM schrieb, dass es „unter keinen Umständen“ zweckmäßig erscheine, „mit Argumenten zu operieren die zu stark deutsche Interessen betonen oder erkennen lassen“.29 Aus den Aufgaben und Zielen der Hohen Behörde ergäben sich im Blickwinkel des Gemeinsamen Marktes Argumente „in großer Zahl“, die gegen diese Verordnungen vorgebracht werden könnten.30 Auch arbeitete die westdeutsche Stahlindustrie in dieser Frage mit den anderen europäischen Stahlindustrien zusammen.31 So war es das Ziel der westdeutschen Stahlindustrie, eine Genehmigungsfreiheit für Zusammenschlüsse zu erreichen, die eine Menge von 2 Mio t Rohstahl und 1,7 Mio t Walzstahlproduktion betrafen – damit wären die meisten ‚Rückverflechtungsfälle‘ genehmigungsfrei geblieben. Auch die deutsche Bundesregierung trat für eine großzügige Freistellungsgrenze ein. Schließlich kam es über diese Frage zu einem Kompromiss, der direkt zwischen Staatssekretär Westrick und dem französischen Industrieminister Louvel ausgehandelt wurde.32 Die Verordnungen wurden schließlich am 6. Mai 1954 verabschiedet.33 Um genehmigungsfrei zu bleiben, durfte ein Unternehmenszusammenschluss unter anderem die folgenden Produktionsobergrenzen (als Durchschnittswert der letzten drei Jahre) nicht überschreiten: Koks 1,2 Mio t, Stahl und Stahlhalbzeug 1,2 Mio t, Walzwerkserzeugnisse 0,9 Mio t.34 Dies war also deutlich geringer, als es die deutsche oder auch die französische Stahlindustrie gefordert hatte. Auf der anderen Seite enthielt die enstprechende Verordnung keine quantitative Richtzahl, ab wann ein Unternehmen einen ‚beherrschenden Einfluss‘ über ein anderes Unternehmen ausüben würde. Dies entsprach der Position der deutschen Kohle- und Stahlindustrie, die lieber vom Einzelfall ausgehen wolle.35 Eines war wieder deutlich geworden: Die deutsche Stahlindustrie war mit ihrer Skepsis hinsichtlich der zukünftigen Handhabung dieses Artikels nicht allein; die französische Stahlindustrie war über die Verordnungen auch nicht sehr begeistert.36 Die 29 30

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PAAA Referat 200/137 WVESI an Min. D: von der Groeben Betr. Zusammenschlüsse nach Artikel 66 des MUV. Dieses Vorgehen wurde auch später immer wieder angewandt. Es gibt kaum Veröffentlichungen aus Kreisen der westdeutschen Stahlindustrie in den fünfziger Jahren, welche bestimmte Positionen mit dem spezifischen deutschen Interesse begründeten. Vielmehr wurden meist ‚das europäische Interesse‘ oder Prinzipien, die aus dem Vertragswerk hervorgingen, erwähnt, um eigene Positionen oder Forderungen zu legitimieren. BA B 102/22301 BDI Hauptgeschäftsführer an Westrick 8. 4. 1954, UNION DES INDUSTRIES DES SIX PAYS DE LA COMMUNUATÉ EUROPEENNE 3 avril 1954. TA NSt 81 WVESI an Westrick 30. 4. 1954. Spierenburg, CECA, S. 234. Müller, Strukturwandel, S. 299 Anm 24. Der Volkswirt, Die Genehmigung für Montanzusammenschlüsse, 22. 5. 1954, S. 17. Vermerk III C 1, Betr: Die bisherigen Ergebnisse des Arbeitskreises zu Artikel 66 des Montanunionsvertrages. 11. März 1954. Im Sommer 1954 betonte Pierre Ricard, der Präsident der CSSF, die Notwendigkeit für weitere Zusammenschlüsse in der europäischen Stahlindustrie. In: Actualités Industrielles Lorraines, JuilletAôut 1954, Nr. 32, S. 5f.

185 französische Regierung wiederum hatte sich erfolgreich gegen eine Freistellungsgrenze gewehrt, die es den meisten westdeutschen Montanunternehmen erlaubt hätte, sich ‚automatisch‘ zurückzubilden. Einen ‚Automatismus‘ würde es bei der Revision der Neuordnung – hier blieb die französische Regierung ihrer Linie treu – nicht geben. Mittlerweile gab es allerdings deutliche Hinweise, dass die Hohe Behörde grundsätzlich Zusammenschlüssen nicht negativ gegenüberstehen würde.37 So hieß es im Zweiten Gesamtbericht über die Tätigkeit der EGKS im Jahre 1953 vom April 1954: Auf dem Gebiet der Zusammenschlüsse hat sich die Hohe Behörde zu einer realistischen Politik entschlossen, diese wird Zusammenschlüsse, die auf eine größere Rationalisierung der Produktion abzielen, in allen Fällen ermöglichen, in denen nicht die Gefahr besteht, dass die neuen Zusammenschlüsse Auswirkungen haben, die im Widerspruch zu den Bestimmungen des Vertrages stehen.38

In verschiedenen Hintergrundgesprächen gewannen Vertreter der Ruhrstahlindustrie den Eindruck, dass die Hohe Behörde grundsätzlich Zusammenschlüssen – auch im Ruhrgebiet – durchaus aufgeschlossen war.39 Auf der anderen Seite lehnte sie eine Erklärung ab, dass Zusammenschlüsse bis zur größten bestehenden Unternehmenseinheit automatisch genehmigt würden.40 Verschiedene Mitglieder der Hohen Behörde signalisierten sehr bald, dass Fusionen durchaus positiv seien. Es sei auch die Aufgabe der Hohen Behörde, die Neuordnung in der Bundesrepublik aufrechtzuerhalten.41 Als Begründung wurde die fortschreitende technologische Entwicklung, die größere Produktionsanlagen benötigte, der nun größere europäische Markt sowie der geringere Konzentrationsgrad in Europa gegenüber den USA angegeben. Eine offene Aussprache in der Hohen Behörde über die Prinzipien der Politik der Zusammenschlüsse im Kolleg – ge37 38 39 40 41

Siehe auch Diebold, S. 360, Matthias Kipping: La France et les origines de l’Union européenne. Intégration économique et compétitivité internationale, Paris 2002, S. 336. Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Hohe Behörde: Zweiter Gesamtbericht, Luxemburg 1954, S. 123. P 86537 Ahrens an Goergens 20. 1. 1954. P 86537 Vermerk über eine Besprechung am 18. 1. 1954 in Luxemburg 9. 2. 1954, siehe auch R 160191 Goergen an Ellscheid 30. 1. 1954 TA NSt 48 Ellscheid an Steinberg 14. 5. 1954. So Etzel in einem Radiointerview, Kuhnke an Henle BA N 1384/126 14. 12. 1953. Auch Albert Coppé auf der Hauptversammlung der Hüttenwerke Phoenix in Duisburg im August 1954. Seine Rede galt dann als eine förmliche ‚Einladung zur Rekonzentration‘. TA NSt 119 Die Rede Coppés in: NSt 90 Coppé an Steinberg 30. 7. 1954 NSt 119 Ausführungen auf der 5. Ordentlichen Hauptversammlung der Hüttenwerke Phoenix, Duisburg am 28. Juli 1954, Ausführungen zur allgemeinen Lage und zur Montanunion von Dr. Wilhelm Steinberg, Vorsitzender des Aufsichtsrates NSt 119 Wilhelm Steinberg an Coppé 5. 8. 1954. Gillingham, rebirth, S. 340, Spierenburg, CECA, S. 235. Auch der Luxemburger Albert Wehrer äußerte sich in einer Veröffentlichung in diesem Sinne. CAC 19771474/166 Les Fusions et Concentrations d’entreprises dans les pays de la Communauté Européenne du Charbon et de l’Acier. Confèrence faite à Longwy, 12 Novembre 1955, Albert Wehrer: Les Fusions et concentrations d’entreprises dans les pays de la CECA, in: Problèmes Economiques, 11 septembre 1956, S. 1–6.

186 rade auch was den Zusammenhang mit der ‚Neuordnung der Ruhrstahlindustrie‘ anging – gab es allerdings nicht.42 Die Hohe Behörde veröffentlichte allerdings keine öffentlichen ‚Richtlinien‘, um ihre zukünftige Politik näher zu erläutern.43 Jeder Antrag sollte nach seinen Besonderheiten beurteilt werden.44 Die Hohe Behörde hatte also vermieden, sich einer der sich widersprechenden Thesen der französischen und bundesdeutschen Regierung hinsichtlich der zukünftigen Genehmigungspraxis anzuschließen. Damit hatte sie auch im ureigenen institutionellen Interesse gehandelt, denn die Festlegung auf einen der beiden Standpunkte hätte die Gestaltungsfreiheit der Hohen Behörde ganz erheblich eingeschränkt. Gleichzeitig hatte sie aber auch eine nähere Erläuterung ihrer Politik durch die Veröffentlichung von Richtlinien oder ähnliches vermieden. Die Hohe Behörde hatte sich selber also einen zukünftig möglichst großen Handlungsspielraum bei der Beurteilung eingeräumt. Dies hatte allerdings einen Nachteil, was die Berechenbarkeit der Entscheidungen anging. Letztlich kam es also darauf an, wie die Hohe Behörde in einem konkreten Falle eines Antrages reagieren würde.

4.4 Der erste ‚Rekonzentrations-Genehmigungsantrag‘: die Entscheidung der Hohen Behörde im Falle der Mannesmann AG Die erste Unternehmensgruppe an der Ruhr, welche mit Genehmigung der Hohen Behörde die Maßnahmen der Alliierten vollständig rückgängig machen konnte, war die Mannesmanngruppe. So sollen hier nun ausführlich die Fusionsplanungen bei Mannesmann und deren Genehmigung durch die Hohe Behörde dargestellt werden. Wie schon aufgezeigt, wurde die Neuordnung gerade bei den mittleren Konzernen als völlig überflüssig betrachtet. An dem Willen der alten Führung des Altkonzerns der Mannesmannwerke, die alte Struktur wieder herzustellen, konnte gar kein Zweifel bestehen. Am 27. Februar 1953 wurde die neue Mannesmann AG, die Consolidation Berg42

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Direkt wurde der Komplex ‚Neuordung der Ruhrstahlindustrie‘ nur von Dirk Spierenburg während der Diskussion um die Durchführungsverordnungen angesprochen, als er fragte, ob denn nun die deutschen Befürchtungen hinsichtlich einer Benachteiligung durch die Fusionskontrolle ausgeräumt seien. CEAB B 2/719 Protokoll der 179. Sitzung der Hohen Behörde am Freitag, den 30. April um 11 Uhr und um 15 Uhr in Luxemburg, Luxemburg, den 4. Mai 1954. Dem Ausschuss des Gemeinsamen Marktes des Montanparlaments teilte die Hohe Behörde im Juli 1954 mit, dass es angesichts der Verschiedenheit der Ausgangsbedingungen keinen Sinn mache, allgemeine Regeln für die Genehmigung von Zusammenschlüssen aufzustellen und bekannt zu geben. P 36519 Die Welt vom 2 Juli 1954. Konzentration in Kohle und Eisen. Hohe Behörde genehmigt Zusammenschlüsse. Spierenburg, CECA, S. 394ff.

187 bau AG und die Stamag AG, die drei Nachfolgegesellschaften des alten MannesmannKonzerns, offiziell nach einer Verordnung der AHK aus der alliierten Kontrolle entlassen.45 Schon im Sommer 1953 wurden konzernintern konkrete Vorbereitungen für eine Rückgliederung getroffen.46 Bei Mannesmann gelang es sogar innerhalb des Jahres 1954, nicht nur die Neuordnung vollständig rückgängig zu machen, sondern die Unternehmensgruppe gegenüber dem Altkonzern noch zu vergrößern. Bei der Mannesmann AG, der größten Nachfolgegesellschaft der Mannesmannwerke AG, dachte man nämlich schon im Herbst 1953 daran, die Kohlenbasis gegenüber der Nachkriegszeit sogar noch zu erweitern. So wollte man von der Gelegenheit profitieren, dass Friedrich Flick gewillt war, die alliierten Verkaufsauflagen zu erfüllen und die Essener Steinkohlenbergbau AG neben der Harpener Bergbau AG, die er im Frühjahr 1954 an die französischen Hüttenwerke verkaufte, veräußern musste. Der Erwerb sollte allerdings nicht direkt von der Mannesmann AG erfolgen, sondern wie man im Vorstand der Mannesmann AG beschloss, sollte die „ganze Transaktion über Consolidation durchgeführt werden“.47 Die Consolidation Bergbau AG war eine der drei Nachfolgegesellschaften des alten Mannesmann-Konzerns – soviel zur Unabhängigkeit der Nachfolgegesellschaften. Auch die Bundesregierung wurde über diese Pläne informiert, insbesondere, dass der Erwerb der Essener Steinkohlenbergbau AG nur der Anfang des umfassenden Wiederzusammenschlusses der alten Mannesmann-Gruppe sei. Man bat um eine sehr zurückhaltende Berichterstattung in der Öffentlichkeit.48 So schickte nun die Consolidation Bergbau AG am 29. Januar 1954 einen Brief an die Hohe Behörde, in dem sie um die Genehmigung zum Erwerb einer 51 %igen Beteiligung an der Essener Steinkohlenbergbau AG bat.49 Die Mannesmann AG wiederum hatte sich ein Vorverkaufsrecht dieser Beteiligung gesichert.50 Die Consolidation Bergbau AG war rein rechtlich gesehen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht verpflichtet, einen Antrag zu stellen, da die Durchführungsverordnungen zu Artikel 66 noch nicht vom Ministerrat verabschiedet worden waren. Man war also ganz offensichtlich bei Mannesmann bzw.

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M 12171 Anordnung an Mannesmann AG und Stamag 27. 7. 1953. Bernett, S. 241ff., Wessel, Wandel, S. 278f. M 12045 Notiz über die Vorstandsbesprechung am 4. 11. 1953. M 17139 Von P/F an Zangen 15. 1. 1954, M 12170 Pohle an Winkhaus 23. 10. 1953. Schon vor dieser Bemerkung hatte man bei Mannesmann, wie auch z.B. Fritz Hellwig, damals Leiter des Deutschen Industrieinstituts und späteres Mitglied der Hohen Behörde, nach entsprechenden Artikeln in der deutschen Wirtschaftspresse, die im Herbst 1953 offen eine ‚Rückverflechtung‘ forderten, die dortigen Organe kontaktiert und darum gebeten, sich bei der Berichterstattung in diesem Thema doch zurückzuhalten. M 17139 Wilhelm Schulte zur Hausen an Pohle 1. 12. 1953, Rheinfels an Pohle, 8. 12. 1953, Pohle an RheinfelS. 17. 12. 1953, Hellwig an Schulte zur Hausen. BA B 102 2231 Hohe Behörde an Consolidation Bergbau AG 5. Juli 1954. M 12171 Zangen an Mader 13. 8. 1954, M 12170 Zangen an Winkhaus 5. 3. 1954, Zangen an Winkhaus 3. 3. 1954.

188 bei der Consolidation darum bemüht, gar nicht erst den Eindruck aufkommen zu lassen, man wolle der Hohen Behörde irgendetwas verheimlichen. Die Kontaktperson zwischen dem Mannesmann-Konzern und der Hohen Behörde war ein deutscher Anwalt, Werner von Simson – wohl einer der ersten ‚Lobbyisten‘ der europäischen Gemeinschaft.51 Simson suchte den direkten Kontakt mit dem Leiter der Kartellabteilung der Hohen Behörde, Richard Hamburger, der als „Nicht-Arier“ den Krieg versteckt in den Niederlanden überlebt hatte und mittlerweile die niederländische Staatsbürgerschaft besaß.52 Simson hatte sehr schnell häufigen, direkten Kontakt mit Hamburger.53 Dieser begann nun die Ergebnisse der Neuordnung der Mannesmann-Gruppe anhand des Artikel 66 und der Durchführungsverordnungen zu Artikel 66, die im Mai 1954 verabschiedet wurden, zu analysieren und kam zu dem Ergebnis, dass der Tatbestand der Kontrolle im Falle der drei Nachfolgegesellschaften erfüllt sei. In anderen Worten: Hamburger betrachtete die Neuordnung im Mannesmann-Konzern als null und nichtig, da die drei Gesellschaften laut EGKS-Recht immer noch zusammengehörten.54 In der „Entscheidung über die Genehmigung des Zusammenschlusses der Consolidation Bergbau-AG und der Mannesmann AG in Düsseldorf mit der Essener Steinkohlenbergwerke AG in Essen“ wurde so nicht nur der eigentliche Erwerb der Genehmigung des Essener Bergbaus durch die Consolidation erteilt, sondern gleichzeitig festgestellt, dass „ferner die Consolidation Bergbau AG einerseits und die Mannesmann AG, Düsseldorf, sowie die von ihr abhängigen Unternehmen andererseits durch verschiedene langfristige Verträge und durch eine Beteiligung von je 50 % am Grundkapital der Mannesmann Kokerei AG, Gelsenkirchen, derart miteinander verbunden sind, dass Consolidation und Mannesmann hinsichtlich der Kohlenförderung und der Kokserzeugung in ihren eigenen Betrieben und in den Betrieben der von ihnen abhängigen Unternehmen als eine Gruppe von Unternehmen zu betrachten sind“.55 Infolge der Genehmigung des Antrages Consolidation/Essener Bergbau waren nun also laut EGKS-Recht Consolidation, Essener Steinkohlenbergwerke AG und die Mannesmann AG als ein Unternehmen zu betrachten.

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Zu Simson, siehe: Werner von Simson: Reflections on Jean Monnet’s skillfull handling of Member States and people during the first years of the Community, in: Giandomenico Majone, Emile Noel, Peter Van den Bossche (Hgg.): Jean Monnet et l’Europe d’aujourd’hui, Baden-Baden 1989, S. 29–36. Gillingham, rebirth S. 316f. Wunschkandidat der WVESI für den Posten des Leiters der Kartellabteilung war zu diesem Zeitpunkt Ernst Wolff Mommsen, der seine Karriere im Rüstungsministerium Speers als dessen „enger Mitarbeiter“ begonnen hatte. Siehe Deutsche Biographische Enzyklopädie: herausgegeben von Walther Killy, Rudolf Vierhaus (Hgg.): Ernst Wolff Mommsen, 1940, Band 7, S. 195. München 1998. Simson, reflections, S. 35. In einem Gespräch mit Simson, qualifizierte er das Ergebnis der Neuordnung in der MannesmannGruppe als „bestehenden Kontrollzustand“ zwischen den drei Nachfolgegesellschaften. M 17139 Simson an Pohle 13. 7. 1954. B 102 2231 Hohe Behörde an Consolidation Bergbau AG 5. Juli 1954.

189 Das Interessante an dieser Entscheidung war, dass zwei der drei Nachfolgegesellschaften der alten Mannesmann AG von der Hohen Behörde „als eine Gruppe von Unternehmen“ angesehen wurden, ohne die dritte Nachfolgegesellschaft, die Stahlindustrie und Maschinenbau AG (STAMAG), zu erwähnen. Dies war insofern erstaunlich, als es nicht recht ersichtlich war, wieso nicht auch die STAMAG mit der Mannesmann AG verbunden war; zumindest hätte man erwarten können, dass die Entscheidung begründet würde, wieso ein Gruppenverhältnis zwischen zwei der Nachfolgegesellschaften des alten Mannesmann-Konzerns bestand – aber nicht mit der dritten. Die Nichterwähnung der STAMAG hatte taktische Gründe. Dass der ‚bestehende Kontrollzustand‘ auch für die STAMAG AG hätte gelten können, war Hamburger durchaus bewusst. Er hatte diese Kontrolle „stillschweigend unberücksichtigt“, um das Verfahren nicht in die Länge zu ziehen.56 Von Simson hatte auch erfahren, dass die Mitglieder der Hohen Behörde fürchteten, dass sie den zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Aktientausch im Bereich der VSt-Großaktionäre beeinflussen würden, wenn sie ein „bestehendes Kontrollverhältnis“ bei allen drei Nachfolgegesellschaften des alten Mannesmann-Konzerns feststellen würden.57 Die Hohe Behörde musste natürlich trotz der Feststellung, dass zumindest zwei der drei Nachfolgegesellschaften der alten Mannesmann-Werke AG nach EGKS-Montanrecht nie ‚entflochten‘ waren, feststellen, ob die ‚negativen Kriterien‘ des Artikels 66, die ein Verbot einer Genehmigung vorschrieben, nicht erfüllt waren. Die Erfüllung dieser ‚negativen‘ Kriterien wurde von der Hohen Behörde verneint, da die Steinkohlenförderung der beiden Unternehmen (Consolidation/Essener Bergbau) nur 5,2 % des Ruhrbergbaus bzw. in Anteilen der Gemeinschaft nur 2,5% betrug. Bei der Kokserzeugung lagen diese Anteile bei 5,7 % am Ruhrbergbau und 3,1 % an der Förderung der Gemeinschaft. Diese Mengen lagen unter den Anteilen anderer Unternehmen der Gemeinschaft. Für die Hohe Behörde genügte also ganz offensichtlich die niedrige Größe der Produktionsanzahl, um festzustellen, dass keine Kontrolle über Preisgestaltung oder Absatzpolitik erreicht werden konnte.58 Kurz nach Erhaltung der Consolidation/Essener Steinkohlenbergwerke AG-Genehmigung reichte die Mannesmann AG auch den Antrag für die Genehmigung der Aktienmehrheitsübernahme der STAMAG AG durch die Mannesmann AG ein.59 Gleichzeitig wurden nun durch die Aktionärshauptversammlungen der drei Nachfolgegesellschaften der Mannesmann AG, die alle am 16. Juli 1954 stattfanden, auch die als störend empfundenen Artikel der alliierten Mustersatzung endgültig abgeschafft.60 Schließlich ge-

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M 17139 Simson an Pohle 13. 7. 1954. M 12170 Pohle an Herrn Generaldirektor Zangen 11. 6. 1954. Luxemburg, den 26. Juni 1954, Protokoll der 200. Sitzung der Hohen Behörde am Freitag, den 25. Juni 1954. M 17139 Simson an Mannesmann AG 12. 7. 1954, Mannesmann AG an die Hohe Behörde 10. 7. 1954, Aktennotiz 23. 8. 1954 Weizsäcker. Bernett, S. 247f.

190 nehmigte die Hauptversammlung eine Kapitalerhöhung, um die Verbindungen durch Aktientausch zwischen den drei Nachfolgegesellschaften auch materiell wiederherzustellen. In seiner Rede vor den Aktionären hatte Zangen auch die Hohe Behörde positiv erwähnt, was nach Zeitungsartikeln Beifall in der Versammlung auslöste. Hamburger war mit dieser Tatsache sehr zufrieden und ließ diese Presseberichte innerhalb der Hohen Behörde zirkulieren.61 In der Mannesmannführung achtete man allerdings darauf, dass die Entscheidungen der Hohen Behörde nur sehr behutsam in der Öffentlichkeit dargestellt wurden. So hatte Zangen um „zurückhaltende Kommentierung“ auf einer Pressekonferenz gebeten.62 Auch in diesem Antrag bestand ein regelmäßiger Kontakt zwischen der Mannesmann AG und der Hohen Behörde.63 Die Grundidee einer ‚bestehenden Kontrolle‘ zwischen den drei Mannesmann-Nachfolgegesellschaften beruhte auf einer logischen Analyse von Hamburger. Hamburger kam zu dem Schluss, dass die Hohe Behörde Unternehmen, die von denselben Eigentümern kontrolliert wurden, grundsätzlich als eine Einheit angesehen werden müssten, denn sonst könne eine Person ohne die Genehmigung der Hohen Behörde Beteiligungen an verschiedenen Unternehmen erwerben, mit dem Argument, dass dies rechtlich unterschiedliche Unternehmen seien. Nachvollziehbar war diese Argumentation. Sie hätte allerdings weitestreichende Konsequenzen auf die Struktur der Ruhrstahlindustrie gehabt. Wäre dieses Prinzip grundsätzlich von der Hohen Behörde angenommen worden, wäre auf einen Schlag ein großer Teil der Neuordnungsmaßnahmen für nichtig erklärt worden. Denn wie schon dargestellt, hatten viele ‚entflochtenen Unternehmen‘ ja noch immer die gleichen Eigentümer. Die Hohe Behörde hätte mit einer einzigen Entscheidung die Neuordnung in weiten Teilen der westdeutschen Stahlindustrie automatisch revidiert. Angesichts nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der politischen Konsequenzen einer solchen Argumentation ist es nicht verwunderlich, dass dieser Punkt im nun folgenden Genehmigungsverfahren für den Zusammenschluss Mannesmann/STAMAG innerhalb der Hohen Behörde genau erörtert wurde.64 In der Arbeitsgruppe Wettbewerb der Hohen Behörde, der zu diesem Zeitpunkt die Mitglieder der Hohen Behörde Etzel, Coppé, Spierenburg und Daum angehörten, wurde die Argumentation Hamburgers dann

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M 17139 Pohle an Zangen 26. 7. 1954, Simson an Pohle 24. 7. 1954. M 17139 Wilden an Pohle 15. 7. 1954. Pohle an Wilden 14. 7. 1954. So ärgerte sich der in dieser Angelegenheit federführende Justitiar, Helmut Pohle, dass er in der „Westfälischen Rundschau“ das Wort „Re-entflechtung“ gelesen hatte. M 17139 Simson an Pohle 6. 9. 1954, Pohle an von Weizsäcker. M 17139 Simson an Mannesmann 12. 11. 1954, M 17139 Von Simson an die Mannesmann AG 13. 12. 1954, M 17139 Von Simson an die Mannesmann AG 13. 12. 1954. So teilte der deutsche Leiter der Rechtsabteilung, Krawielicki, diese Auffassung nicht. M 17139 Notiz. Angaben des Herrn Dr. Pohle nach seiner Rückkehr von Straßburg zur Durchgabe an Herrn Mader. 4. 12. 1954.

191 auch verworfen.65 Stattdessen sprach man sich für eine Genehmigung aus, ließ die Frage aber, ob beide Unternehmen nicht schon durch einen bestehenden Kontrollzustand verbunden waren, bewusst unbeantwortet. Dieser Linie folgten dann auch die Mitglieder der Hohen Behörde. Die Diskussion drehte sich, laut Protokollvermerk, insbesondere um ‚eine juristische Frage‘, ob denn nun ein Zusammenschluss schon vorläge oder nicht.66 Dies war allerdings eine politische Frage: Sollte die Hohe Behörde auf einen Schlag die meisten Maßnahmen der Alliierten in der Neuordnung im Sinne des EGKS-Vertrag für nichtig erklären? Schließlich bekräftigte die Hohe Behörde, dass sie nicht befugt sei, das Besatzungsstatut, insbesondere Gesetz Nr. 27, und seine Anwendung zu interpretieren: Die Frage der schon bestehenden Kontrolle wurde also einfach offen gelassen. Materiell begründete die Hohe Behörde die Genehmigung mit der Feststellung, dass Mannesmann nur einen geringen Teil seiner Produktion an STAMAG verkaufte und deshalb keine „künstliche Vorzugsstellung“ im Sinne des Artikels 66 erlangen würde. So weigerte sich die Hohe Behörde, die Ergebnisse der Neuordnung zu bewerten. Dies war letztlich eine ‚politische‘ Entscheidung, denn es war eigentlich aus rechtlichen Gründen durchaus schlüssig, erst einmal die bestehenden Kontrolltatbestände bei den Antrag stellenden Unternehmen zu bewerten, um dann über eine nötige Genehmigung zu entscheiden. Die Hohe Behörde wäre dann zum Urteil gekommen, dass es eine ‚Entflechtung‘ des Mannesmann-Konzern nie gegeben habe. Dies hätte eine Reaktion von alliierter Seite geradezu provoziert. Weiter hätte sie weite Teile der Neuordnung für null und nichtig erklärt. So bezog sich die Hohe Behörde nur auf den Artikel 66. Zu den Ergebnissen der alliierten Neuordnung äußerte sie sich nicht. Wenn die Hohe Behörde sich auch ‚politisch‘ äußerst geschickt verhielt, so ist doch festzustellen, dass die Entscheidungen nicht auf einer klar formulierten und kohärenten Umsetzung der Kriterien des Artikels 66 beruhten. Die Frage, ob das neue Unternehmen nicht die Möglichkeit hatte, sich dem Wettbewerb laut Artikel 66 Absatz 2 zu entziehen, wurde mit dem Hinweis auf eine quantitative Angabe, die aktuelle Produktionsmenge, verneint. Allerdings war der Hinweis auf diese bestimmte Menge X bis zu einem gewissen Grade willkürlich. Denn innerhalb der Hohen Behörde wurde überhaupt nicht diskutiert, welche Produktionsmenge Y unter Umständen den Tatbestand des Artikels 66 Absatz 2 erfüllen würde. Wie konnte man aber dies bei X verneinen, ohne auch nur im Geringsten über die Menge Y zu diskutieren? Politisch war die Entscheidung der Hohen Behörde sicherlich geschickt; allerdings hinsichtlich der inhaltlichen Begründung der Entscheidung blieben doch sehr viele Fragen offen. Dies sah eher nach Ausübung des ‚informellen Mandats‘ durch die Hohe Behörde aus. Mit der erhaltenen Genehmigung war von Simson auf jeden Fall hoch zufrieden. Mannesmann habe sich als „Schrittmacher“ Verdienste erworben, weil alle anderen Un65 66

M 17139 Telefonische Durchsage von Herrn v. Simson 18. 12. 1954. HAEU CEAB 2/722 Procès-verbal spécial concernant les points 7 et 9 de la 233e séance de la Haute Autorité tenue le mercredi 22 décembre 1954 à 10 h 30 et 17 h à Luxembourg.

192 ternehmen an der Ruhr nun sich auf diese Entscheidung berufen könnten.67 Weiter sei er verärgert, dass in der Presse Ausdrücke wie „Rückentflechtung“ auftauchten. Die Leute sollten „bloß den Mund halten“.68 Einmal die Genehmigung für den Zusammenschluss erhalten konnte der Mannesmann-Vorstand den Aktionären der ausgegliederten Gesellschaften Mannesmann-Aktien zum Tausch anbieten.69 Auf dieses Angebot gingen die Aktionäre bei der STAMAG und der Consolidation zu fast 100 % ein. So wurde schon auf der Hauptversammlung der STAMAG AG am 30. März 1955 die Verschmelzung mit der Mannesmann AG bekannt gegeben.70 Die Bergbaugesellschaften der Mannesmann AG, der Consolidation Bergbau AG sowie der Essener Steinkohlenbergbau AG wurden in der Essener Steinkohlenbergwerke AG, die von Mannesmann kontrolliert wurde, zusammengefasst. Schon im Sommer 1955 war also die Revision der Neuordnung bei Mannesmann vollzogen, mit dem Ergebnis, dass der Konzern zwar intern noch eine dezentralisierte Struktur hatte, alle ausgegliederten Gesellschaften aber wieder von der Mannesmann AG kontrolliert wurden und der Konzern mehr Bergbaugruppen als je zuvor besaß. Mannesmann hatte bei diesem Genehmigungsantrag einen strikt ‚legalistischen‘ Kurs gefahren. Es war sicherlich eine clevere Idee, einen Anwalt zu beauftragen, um in direkte Verhandlungen mit der Kartellabteilung bzw. den entsprechenden Stellen in der Hohen Behörde zu treten. Diese Verhandlungen drehten sich nur um die konkrete Anwendung des Artikels 66 auf den Mannesmann-Antrag. Irgendeine Erwähnung der ‚Symbolwirkung‘ dieser Entscheidung für die Politik der Hohen Behörde gerade für die ‚Rekonzentration‘ der deutschen Stahlindustrie, derer man sich natürlich bei Mannesmann bewusst war, wurde tunlichst vermieden. Direkte Kontakte mit dem deutschen Mitglied der Hohen Behörde, Etzel, waren dagegen eher die Ausnahme.71 Aus Sicht der westdeutschen Stahlindustrie musste die Mannesmann-Genehmigung eigentlich die Nützlichkeit des ganzen Artikels 66 demonstrieren. So war es möglich, die Maßnahmen der Neuordnung in kürzester Zeit aufgrund einer Genehmigung der Hohen Behörde zu revidieren. Damit hatte diese Revision eine Legitimität bekommen, die auch grundsätzlich von keinem Mitgliedstaat angezweifelt werden konnte. Denn die Mitgliedstaaten hatten ja selber die Hohe Behörde beauftragt, den Artikel 66 anzuwenden. Wenn ein Mitgliedstaat nun nicht mit der Entscheidung einverstanden war, musste er sich mit der Hohen Behörde auseinandersetzen, aber nicht mit Mannesmann.

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M 12986 Simson an Pohle 10. 1. 1954 (der Brief muss allerdings aus dem Jahre 1955 stammen). M 17139 Die entsprechenden Artikel in verschiedenen Zeitungen waren allerdings sehr klein. Keiner der Artikel hatte mehr als 15 Zeilen. Wilden an Pohle 24. 12. 54. Z.B. Handelsblatt 24. 12. 54, Genehmigte Zusammenschlüsse, Rheinische Post 24. 12. 54, Rückverflechtung bei Mannesmann. Wessel, Wandel, S. 278. Kurt Pritzkoleit, Männer, Mächte, Monopole, Düsseldorf 1963, S. 155f., SuE v. 30. 6. 1955, Mannesmann AG, S. 878–879, Stahl und Eisen v. 14. 7. 1955, Mannesmann AG, S. 940–942. M 17139 Von Simson an die Mannesmann AG 13. 12. 1954.

193 Alles dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die Europäische Integration nach der gescheiterten Ratifikation der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft durch das französische Parlament schon fast wieder am Ende schien. Eine Diskussion im Ministerrat der EGKS zu diesem Zeitpunkt hätte eine solche sachliche und stille Genehmigung sicherlich nicht ermöglicht. Der Tagesordnungspunkt ‚Rekonzentration bei Mannesmann‘ hätte sicher zu einer langwierigen politischen Verhandlung geführt. Dies hätte unter Umständen die Integration der westdeutschen Stahlindustrie bzw. der Bundesrepublik und die weitere politische Zusammenarbeit der westeuropäischen Länder erschwert – die ‚supranationale‘ Politik hatte also ihre Nützlichkeit erwiesen. Die ‚politische‘ Hauptfrage beim Mannesmann-Fall war, wie die Hohe Behörde mit dem Dilemma fertig wurde, dass eine Reihe von ‚dekonzentrierten‘ Unternehmen nun wieder einen Zusammenschluss beantragten, die zu keinem Zeitpunkt als völlig selbstständige Unternehmen operiert hatten. Dies durfte die Hohe Behörde wiederum nicht feststellen, denn dann hätte es nicht nur ernsthafte politische Schwierigkeiten mit den Alliierten gegeben, sondern auch eine unkontrollierte automatische Rücknahme fast aller Neuordnungsmaßnahmen. Auf der anderen Seite konnte die Hohe Behörde auch nicht behaupten, dass die ‚dekonzentrierten‘ Unternehmen völlig voneinander unabhängige Einheiten waren, denn dies hätte eine generelle Freistellung von der Genehmigungspflicht von Unternehmen mit ähnlicher Struktur bedeutet, womit dann kaum noch Unternehmen überhaupt verpflichtet gewesen wären, ihre Fusionen durch die Hohe Behörde genehmigen zu lassen. Diese Situation führte laut der Aussage von Werner von Simson, die dieser fast 35 Jahre nach diesen Ereignissen tätigte, zu einer geheimen Verabredung zwischen Monnet, Etzel und der westdeutschen Stahlindustrie. Die Unternehmen an der Ruhr würden mit einem gewissen Zeitabstand ihren Antrag in Luxemburg einreichen – um zu verhindern, dass die Gemeinschaft nun gegen die Alliierten Politik betreibe. Gleichzeitig versicherte Monnet, dass sich die generelle Politik der Hohen Behörde nicht ändern würde, so dass einige Firmen ruhig warten könnten.72 Auszuschließen ist ein solches Abkommen nicht, auch wenn die Bedeutung einer solchen Vereinbarung nicht überbewertet werden darf. Eine Genehmigung musste ja letztlich von allen Mitgliedern der Hohen Behörde beschlossen werden, und da reichten zwei Stimmen, Monnet und Etzel, bei weitem nicht aus. Bei Monnets Ausscheiden aus der Hohen Behörde schließlich hatte sich nur der Mannesmann-Konzern mit Genehmigung der Hohen Behörde ‚rekonzentriert‘. Auch in den internen Dokumenten der Ruhrstahlindustrie ist von dieser Verabredung nie die Rede. Jedenfalls war es das Interesse der Hohen Behörde, dass die ‚dekonzen-

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Simson, von Werner: Reflections on Jean Monnet’s skillfull handling of Member States and people during the first years of the Community, in: Giandomenico Majone, Emile Noel, Peter Van den Bossche (Ed.): Jean Monnet et l’Europe d’aujourd’hui, Baden-Baden 1989.

194 trierten‘ Unternehmen in einem gewissen zeitlichen Abstand ihre Anträge stellten und diese Fälle möglichst diskret vortrugen – was dann auch geschah. Die Hohe Behörde war mit dem Ergebnis der Mannesmann-Entscheidungen zufrieden. So verkündigte sie im Frühjahr 1955 im Gesamtbericht, dass „public opinion“ bis vor kurzem Befürchtungen hatte, dass die Hohe Behörde auch Fusionen verbiete, welche „in actual fact improve technical production conditions“. Nun sei aber deutlich geworden, dass die Hohe Behörde „does not object useful concentrations, and indeed encourages them in every way it can“.73 Dies war eine Folge supranationaler Politik der Hohen Behörde, die diese gerne verkündete. Nur was denn nun „useful concentrations“ und nicht „useful concentrations“ waren, dies war nach der Mannesmann-Entscheidung nicht klarer.

4.5 Die ‚Rekonzentration‘ der Hoesch AG Nach dem Mannesmann-Zusammenschluss verlief die Hoesch-„Rückverflechtung“ ebenfalls problemlos. Ähnlich wie beim Mannesmann-Konzern hatte die Ausgabe der drei Nachfolgegesellschaften im Zuge der Neuordnung der Stahlindustrie an die alten Eigentümer des Hoesch-Konzerns die breite Streuung der Aktien der alten Hoesch AG verdeutlicht.74 Auf der letzten Hauptversammlung der alten Hoesch AG in Liquidation am 24. April 1954 wurde die Rechtmäßigkeit der Eingriffe der Neuordnung – wie es ja auch bei Mannesmann geschehen war – angezweifelt, da der alte Hoesch-Konzern nicht als Konzentration übermäßiger wirtschaftlicher Macht gelten konnte.75 So verkündete der Vorstand auch gleich das Ziel, die ausgegliederten Unternehmen wieder zusammenzuschließen. So stellte die Hoesch Werke AG am 14. Januar 1955 den Antrag, die Aktienmehrheit der Altenessener Bergwerks AG sowie der Industriewerte AG in Dortmund zu übernehmen.76 Wie bei Mannesmann entschloss man sich auch bei Hoesch, den Aktionären der Altenessener Bergwerks AG und der Industriewerte AG Aktien der Hoesch Werke AG zum Tausch anzubieten.77 In seinem Begleitbrief zum Antrag an die Hohe Behörde wies Rechtsanwalt Simson die Hohe Behörde darauf hin, dass trotz Neuordnung die drei 73 74 75 76

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High Authority, Third general Report, April 1955, S. 117f. Horst Mönnich: Aufbruch ins Revier, Aufbruch nach Europa. Hoesch 1871–1971, München 1971, S. 356. Stahl u. Eisen v. 20. 5. 1954: Hoesch AG i. L., S. 740. HAEU CEAB 2/728 Annexe 5 au procès-verbal de la 278ème séance de la Haute Autorité. DECISION relative à l’autorisation de l’acquisiation par la Hoesch Werke AG à Dortmund des actions de Altenessener Bergwerke AG à Essen-Altenessen et de Industriewerte AG à Dortmund du 20 juilet 1955. Hoesch 3304 Betr. Wiedervereinigung mit der Altenessener Bergwerks AG 27. 9. 54.

195 Nachfolgegesellschaften in den Händen derselben Eigentümer liegen würden. Deshalb bitte man um Bestätigung, dass der Zusammenschluss gar keiner Genehmigung bedurfte. Falls dies nicht der Fall sein sollte, reiche man aber gleichzeitig einen Genehmigungsantrag ein.78 Im Antrag wurde insbesondere auf die Investitionsnotwendigkeit der Bergbauzechen hingewiesen, die finanzielle Unterstützung eines größeren Unternehmens wie der Hoesch AG bedürften.79 Im Unterschied zum Mannesmann-Antrag plädierte Hoesch nun auf eine Freistellung von der Genehmigungspflicht, da schon eine Kontrolle bestehe. Auch gegenüber der Bundesregierung argumentierte die Hoesch AG nun, dass die Genehmigung ja eigentlich nicht notwendig sei, da dies gar kein „neuer Zusammenschluss“ sei.80 Hier war allerdings das BWM anderer Meinung. So schrieb Ministerialdirektor Thiesing an Hoesch: Wenn auch die Nachfolgegesellschaften der Hoesch AG aus der Überwachung nach dem Gesetz Nr. 27 entlassen worden sind, scheint es mir doch nicht besonders glücklich zu sein, wenn der Alliierten Hohen Kommission bescheinigt werden würde, dass die angeordneten Entflechtungsmaßnahmen zu einer Trennung der Nachfolgegesellschaften der Hoesch AG nicht geführt hätten.81

In der offiziellen Stellungnahme überließ das BWM der Hohen Behörde, diese Frage zu entscheiden, wenn sie auch darauf hinwies, dass „mindestens 90 % der Aktien der Hoesch Werke AG, der Altenessener Bergwerks AG und der Industriewerte AG“ denselben Aktionären gehörten.82 Innerhalb der Hohen Behörde, so von Simson, gab es hier wieder einen unterschiedlichen Standpunkt zwischen der Rechtsabteilung und der Kartellabteilung. Die letztere war wie beim Mannesmann-Fall der Meinung, dass eine Genehmigung nicht erforderlich sei.83 In ihrer Sitzung am 20. Juli 1955 beschloss die Hohe Behörde dann, dass eine Genehmigung für den Zusammenschluss notwendig sei, die Genehmigung aber gegeben werden könne.84 Vom „juristischen Standpunkt“ läge ein 78 79

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Hoesch 3304 Werner von Simson an die Hohe Behörde 14. 1. 1955. Hoesch 3304 von Simson an die Hohe Behörde 14. 1. 1955, von Simson an Hoesch Werke AG 14. 12. 54, von Simson an die Hohe Behörde, November 1954 (Entwurf). Letztlich ist es natürlich auch hier schwer zu beurteilen, ob die Nachfolgegesellschaften, die Altenessener Bergwerks AG wie auch die Industriewerte AG, wirklich so schnell wie möglich mit der Hoesch AG ‚wiedervereinigt‘ werden wollten. In einer Sitzung mit Hoesch-Aufsichtsratmitgliedern sagte ein Mitglied des Aufsichtsrates der Altenessener Bergwerks AG, dass von „Altenessen geschlossen die Richtigkeit des Wiederzusammenschlusses mit den Hoesch Werken bejaht wird“. Bei einer „Einmischung in die bergmännische Leitung“, so der Altenessen-Vorstand, „würde man aber die Arbeit niederlegen“. Hoesch 3304 Schulte an Hansen, Koch, Ochel 20. 5. 1955. Hoesch 3304 Vorstand an den Herrn Bundesminister für Wirtschaft 5. 2. 1955. Interessant ist auch, dass der Zusammenschluss, der dann von der Hohen Behörde genehmigt wurde, in der Firmenschrift gar nicht erwähnt wird. Hoesch 3304 BWM, gez. Theising an Hoesch Werke AG 14. 2. 1955. Hoesch 3304 Ludwig Erhard an den Vizepräsidenten der HB 19. 3. 1955. Hoesch 3304 Simson an Hoesch Werke AG 15. 6. 1955. HAEU CEAB 2/728 2 Point secrets du procès-verbal de la 278 ème séance de la Haute Autorité du 20 juillet 1955.

196 Kontrolltatbestand noch nicht vor. Dies lässt wohl darauf schließen, dass sich auch hier wieder die Rechtsabteilung durchgesetzt hatte. Gründe für diese Feststellung wurden allerdings weder im Sitzungsprotokoll noch in der Entscheidung angegeben. So kann man auch hier davon ausgehen, dass es sich auch um eine ‚politische‘ Entscheidung handelte. Interessant ist die Tatsache, dass die stahlverarbeitenden Werke der Industriewerte AG nur 7000 t von insgesamt 48000 t verbrauchten Walzwerkserzeugnissen im Jahre 53/54 von der Hoesch AG bezogen.85 Dies lässt doch darauf schließen, dass der unmittelbare Vorteil für diesen Wiederzusammenschluss mehr auf der Seite der Hoesch AG zu finden war – die stahlverarbeitenden Betriebe der Industriewerte AG des alten Hoesch Konzerns kamen ganz offensichtlich auch ganz gut ohne den Walzstahl der alten Muttergesellschaft aus. Auch hieß es in der Entscheidung, dass die Hoesch AG bei einer Produktion von ca. 1 Mio t Walzstahl keine „privilegierte Absatzmöglichkeit“ durch den Zusammenschluss erlangen würde, selbst wenn sie den ganzen Bedarf der Industriewerte AG decken würde. Hier unterließ die Hohe Behörde wieder zumindest eine Andeutung, in welchem Fall eine ‚privilegierte Absatzmöglichkeit‘ möglicherweise festzustellen war. Weiter fand sich eine gewisse Inkonsequenz in der Entscheidung. Die Industriewerte AG, die nun auch offiziell von der Hoesch AG kontrolliert wurde, war neben der Rheinmetall Borsig AG und der Mannesmann AG zu einem Drittel Eigentümer der Eisen und Metall AG, einer Eisen- und Stahlhandelsgesellschaft.86 Durch den Zusammenschluss kontrollierte nun indirekt die Hoesch AG, die Industriewerte AG, ein Drittel an dieser Handelsgesellschaft – wie auch die Mannesmann AG. Zwei ‚rückverflochtene‘ Altkonzerne verfügten nun über einen gemeinsamen Vertriebskanal. Darauf ging die Hohe Behörde allerdings gar nicht ein. Hier hätte man Bemerkungen hinsichtlich der Möglichkeit einer gemeinsamen Preis- bzw. Absatzpolitik im Sinne des Artikels 66 der Mannesmann AG und der Hoesch AG erwarten können. Ähnlich wie im Mannesmann-Fall bleibt also eine Reihe von inhaltlichen Fragen hinsichtlich der Entscheidung der Hohen Behörde offen: So kohärent, wie die Hohe Behörde in ihren Gesamtberichten darstellte, war ihre Politik hinsichtlich der Auslegung der Kriterien des Artikels 66 dann doch nicht.

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HAEU CEAB 2/728 Point secrets du procès-verbal de la 278 ème séance de la Haute Autorité du 20 juillet 1955, Annexe 5 DECISION relative à l’autorisation de l’acquisition par la Hoesch Werke AG à Dortmund des actions de Altenessener Bergwerks-AG à Essen-Altenessen et de Industriewerte AG à Dortmund du 20 juillet 1955. Gleiches traf auf die Eisen und Metall KG Lehr & Co. zu, Herchenröder, Ruhrkonzerne, S. 215.

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4.6 Die ‚Rekonzentration‘ der Klöckner Werke AG – Politik des ‚fait accompli‘? Im Gegensatz zu Hoesch und Mannesmann führte die Klöckner Werke AG noch vor Verabschiedung der Durchführungsverordnungen Zusammenschlüsse durch – ohne die Hohe Behörde ausdrücklich um Genehmigung zu erfragen. Die Neuordnung bzw. Zusammenschlüsse in den Klöckner Werken war insofern komplizierter als bei Mannesmann und Hoesch, als es hier zwei Großaktionäre gab. Einer war die Duisburger Handelsgesellschaft Klöckner & Co., in der seit 1941 Günther Henle der persönlich haftende Gesellschafter war, der Schwiegersohn des 1940 verstorbenen Firmengründers Peter Klöckner.87 Peter Klöckner hatte nach dem ersten Weltkrieg begonnen, aufgrund der politischen Unruhen im Ruhrgebiet ein Teil des Vermögens in die Niederlande zu überführen.88 Am Ende des Zweiten Weltkriegs befanden sich 30 % des Kapitals der Klöckner Werke im Besitz der Klöckner Gesellschaft in den Niederlanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor die Klöcknerfamilie ihren Anteil an der niederländischen Gesellschaft N. V. „Montan“, deren Besitz an den niederländischen Staat überging. Als Folge der Neuordnung konzentrierte sich Klöckner & Co. auf die Nachfolgegesellschaft Klöckner Humboldt Deutz AG, die Gesellschaft „Montan“ auf den Nordwestdeutschen Hüttenbergwerksverein, der die eisen- und stahlerzeugenden Betriebe des alten Konzerns umfasste.89 Eine direkte Einflussnahme des niederländischen Staates auf die Nachkriegsentwicklung der Klöckner Werke bzw. ihrer Nachfolgegesellschaften lässt sich allerdings zu keiner Zeit nachweisen. So nannte sich die Nordwestdeutsche Hütten- und Bergwerksverein AG, auf die sich die „Montan“ konzentriert hatte, schon Ende 1954 wieder in „Klöckner Werke“ um, war also rein sprachlich das direkte Nachfolgeunternehmen des Altkonzerns.90 Auch durfte die Firma Klöckner & Co. für eine Dauer von fünf Jahren aufgrund alliierter Bestimmungen im Aufsichtsrat der Klöckner Werke AG vertreten sein. Aufsichtsratvorsitzender wurde das ehemalige Mitglied der Stahltreuhändervereinigung, Dr. Gotthard Freiherr von Falkenhausen. Als „Statthalter“91 übte er diese Funktion bis zum Ende der Frist für Günther Henle aus, der dann Ende 1957 selber Aufsichtsratvorsitzender bei den 87 88 89

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Henle, Weggenosse, S. 68f. Ders., S. 186ff., Pritzkoleit, Monopole, S. 130. Anfang der fünfziger Jahre begannen Gespräche zwischen Klöckner & Co. und der niederländischen Regierung, die darin mündeten, dass der ehemalige Klöcknerbesitz in den Niederlanden in eine neue Firma eingebracht wurde, deren Eigentum einer Stiftung übertragen wurde. Es ist nicht ersichtlich, wann diese Regelung schließlich mit der niederländischen Regierung getroffen wurde. Henle, Weggenosse, S. 187. Stahl u. Eisen v. 16. 12. 1954: Nordwestdeutscher Hütten- und Bergwerksverein A.G., S. 1751–1753 Henle, Weggenosse, S. 141.

198 Klöckner Werken wurde.92 Auch wenn Henle erst nicht im Aufsichtsrat der Klöckner Werke AG vertreten war und zumindest für eine gewisse Zeit der niederländische Staat der Hauptaktionär der Gesellschaft war, nahm Henle auch an den Planungen des Bau eines neuen Hüttenwerkes für die Gesellschaft teil.93 So scheint es letztlich im Klöckner-Konzern trotz der Bestimmungen über die Großaktionäre genügend Hinweise darauf zu geben, dass der Einfluss der Firma Klöckner & Co. auf die Klöckner-Werke AG nur sehr bedingt eingeschränkt wurde. Im Klöckner-Konzern wurde wiederum die Rückgliederung am schnellsten und am unauffälligsten vollzogen. Allerdings beschränkte sich hier die Rückgliederung nur auf den Zusammenschluss der Bergbaugesellschaft Bergwerke Königsborn-Werne AG und der eisen- und stahlerzeugenden Gesellschaft Nordwestdeutscher Hütten- und Bergwerksverein AG bzw. späteren Klöckner Werke AG. Der Zusammenschluss mit dem Maschienenbaukonzern Klöckner-Humboldt-Deutz AG blieb dauerhaft aus. Hier blieb es bei einer personellen Verbindung, denn Henle wurde auch dort Aufsichtsratvorsitzender. Mit Schreiben vom 15. April 1954 teilte die Nordwestdeutsche Hütten- und Bergwerksverein AG der Hohen Behörde den Erwerb der Aktienmehrheit der Bergwerke Königsborn AG mit. Beide Gesellschaften waren vor der Neuordnung Teil des Altkonzerns Klöckner Werke AG. Dieser Aktienerwerb bedurfte noch keiner Genehmigung der Hohen Behörde, da die Durchführungsverordnungen zu Artikel 66 noch nicht verabschiedet waren. Damit handelte es sich um einen ähnlichen Fall wie der Zusammenschluss Lorraine-Escaut, den die Hohe Behörde ebenfalls nicht genehmigen musste.94 Im Geschäftsbericht für das Jahr 1953/54 wurde dann mitgeteilt, dass die Mehrheit der Bergwerke Königsborn von der Klöckner Werke AG übernommen wurde.95 Die Klöckner-Gruppe hatte also eine Politik der Tatsachen betrieben, so dass ein Wiederzusammenschluss der Bergbau-, eisen- und stahlerzeugenden Unternehmen vollzogen wurde, als noch keine Genehmigungspflicht bei der Hohen Behörde bestand. Dieser Zusammenschluss vollzog sich interessanterweise auch fast unbemerkt in der Öffentlichkeit. Zu irgendwelchen erwähnenswerten Reaktionen in der deutschen Presselandschaft führte er nicht. Es ist allerdings anzumerken, dass dies kaum eine Strategie für alle Nachfolgegesellschaften war. Eine mehrfache Verletzung der alliierten Bestimmungen bzw. häufige Zusammenschlüsse vor der Einführung der Genehmigungspflicht der Hohen Behörde durch Unternehmen an der Ruhr hätten sicherlich zu einer entsprechenden Reaktion alliierter Stellen geführt und die Behandlungen der Zusammenschlüsse innerhalb der Hohen Behörde kompliziert. 92 93 94 95

Pritzkoleit, S. 135 Henle, Weggenosse, S. 188 BA N 1384/141 Vermerk für Herrn Etzel 16. 6. 1954, der Vermerk war Henle von Etzel weitergegeben worden, wann ist allerdings nicht genau ersichtlich. PAAA 2 Referat 200 Band 170, Vermerk Betr. Erwerb der Aktienmehrheit an der Bergwerke Königsborn-Werne AG durch die Klöckner Werke AG, 1. 4. 1955, Köpf, S. 135.

199 Merkwürdig ist allerdings, dass dieser Fall dann erst fast zweieinhalb Jahre später im Kolleg der Hohen Behörde besprochen wurde.96 Der Fall Lorraine-Escaut dagegen war schon im Juni 1954 nachträglich – wenn auch nicht in Form einer offiziellen Entscheidung – genehmigt worden.97 Wieso es also erst am 24. Oktober 1956 zu einer Besprechung über den Klöckner-Fall kam, ist nicht klar zu beantworten. In der Sitzung wurde die Genehmigung dann beschlossen, ohne dass es zu einer mündlichen Erörterung der genauen Gründe kam.

4.7 Die ‚Rekonzentration‘ der HOAG Der Altkonzern, Gutehoffnungshütte Actienverein für Bergbau und Hüttenbetrieb, der in der Neuordnung nicht aufgelöst wurde, hatte als stahlverarbeitendes Unternehmen kein wirtschaftliches Interesse mehr, sich wieder mit den in der Neuordnung ausgegliederten Montanunternehmen, der Bergbaugesellschaft Neue Hoffnung (NH) und der Hüttenwerk Oberhausen AG (HOAG), zu verbinden.98 Ohne Probleme vollzog sich der Wiederzusammenschluss der Bergbaugesellschaft und des eisen- und stahlerzeugenden Unternehmens.99 Diese Verbindung war nun aber eine direkte Folge des Unvermögens der Hohen Behörde, Preiswettbewerb für Kohle im Gemeinsamen Markt durchzusetzen. Um nicht die Preise des Kohlenkartells GEORG und Nachfolgeorganisationen zu bezahlen, konnten Stahlunternehmen, welche selber Bergbauunternehmen besaßen, die Kohle direkt für den ‚Werksselbstverbrauch‘ beziehen.100 Solange die Hohe Behörde nicht in der Lage war, Wettbewerb in der Ruhrkohlenindustrie durchzusetzen, konnte man den Stahlunternehmen nicht vorwerfen, das ‚Werksselbstverbrauchsrechts‘ durch den Erwerb von Bergbauunternehmen anzustreben. Dies war auch der Grund für die Verbindung HOAG/ Neue Hoffnung. 96 97 98

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Protokoll über die 342. Sitzung der Hohen Behörde am 24. Oktober 1956, S. 4. Spierenburg, S. 235 Dazu Dietrich Wilhelm von Menges: Unternehmensentscheide. Ein Leben für die Wirtschaft, Düsseldorf, Wien 1976, S. 281ff., Der Großaktionär in beiden Gesellschaften, sowie im Altkonzern der GHH, waren verschiedene Mitglieder der Familie Haniel. Die alliierten Bestimmungen in der Mustersatzung in den Montanunternehmen der GHH, die das Stimmrecht der Familie Haniel in den Hauptversammlungen einschränkten, waren mittlerweile abgeschafft worden. Zu einer Zusammenfassung der GHH und der HOAG kam es nicht mehr. Allerdings hatte Hermann Reusch in beiden Unternehmen den Aufsichtsratvorsitz inne. HAEU CEAB 3/466 GHH, gez. Goudima Aufzeichnung für Herrn Etzel 14. 5. 1956. Köpf, S. 137f. HAEU CEAB 2/1303 Procès verbaux de la 385ième séance de la Haute Autorité tenue à Luxembourg, le 10 juillet 1957, Procès-verbaux de la 386ième séance de la Haute Autorité tenue à Luxembourg, le 12 juillet 1957, le 13 juillet 1957. Diebold, S. 393ff.

200 Der Antrag HOAG/Neue Hoffnung wurde dann im Rahmen des so genannten ‚Werksselbstverbrauchsrechts‘ diskutiert. Die Hohe Behörde entschloss sich, diesen Komplex unter der Leitung Etzels näher zu untersuchen – ohne nun die Genehmigung eines Antrags auf Verbindung Kohle/Stahl grundsätzlich zu blockieren.101 Der Leiter der Rechtsabteilung kam zu einem anderen Schluss: Er forderte mittlerweile im Namen des Prinzips der Nichtdiskriminierung der Kohlenverbraucher den Verbot des Bundes Kohle/Stahl, da es den Stahlunternehmen gegenüber anderen Verbrauchern eine Vorzugstellung einräumte.102 Juristisch vielleicht logisch gedacht war die ökonomische Folgerung absurd: Die Nichtanwendung des EGKS-Rechts hätte dazu geführt, dass nun eben alle Verbraucher den Kohlenkartellpreis zahlen mussten – somit waren sie zumindest nicht ‚diskriminiert‘. Das Kernproblem war allerdings klar: Die Zusammenschlüsse Kohle/Stahl waren eine direkte Folge der Preisabsprachen auf dem Kohlenmarkt in der Bundesrepublik, dergegenüber sich die Hohe Behörde machtlos zeigte. Mit dem Ausbrechen der Ruhrkohlenkrise im Jahre 1958 erledigte sich dieses Problem dann von selbst.

4.8 Die Fusionskontrollenpolitik der Hohen Behörde – strikte ‚Anwendung‘ des Vertrages? Welche Bilanz kann man hinsichtlich der Entscheidungen der Hohen Behörde über die Unternehmenszusammenschlüsse bei den ‚mittleren‘ Konzernen der Ruhrstahlindustrie ziehen? Der Artikel 66 war offensichtlich die einzige Entscheidungsgrundlage für die Hohe Behörde. Keine direkten Einflüsse von nationalen Regierungen sind festzustellen. Hatte sie sich also strikt an das formelle Mandat bzw. an die Kriterien des Artikels 66 gehalten? Hatte sie eine ‚supranationale Wettbewerbspolitik‘ entworfen, die auf eine kohärente Anwendung des Artikels 66 basierte? Wie in diesem Kapitel aufgezeigt wurde, hatte die Hohe Behörde keine generellen Bewertungskriterien, Instrumente oder Definitionen der Rechtssprache des Artikels 66 ausarbeiten können. Es wurde immer nur im Einzelfall entschieden. Dies geht auch aus dem Gesamtbericht hervor, in dem sie zum ersten Mal öffentlich umfassende Informationen hinsichtlich der Zusammenschlusspolitik darlegte. Sie be-

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HAEU CEAB 2/1304 Protokoll über die 406. Sitzung der Hohen Behörde vom 12. Dezember 1957,

Luxemburg, den 13. Dezember 1957, Anlage Entscheidung über die Genehmigung des Erwerbes von mon. 15300000 DM Aktien der Emscher-Lippe Bergbau AG durch die Phoenix-Rheinrohr Aktiengesellschaft PR 57148 Betr. Politische Atmosphäre im Hinblick auf die Rekonzentration der Vereinigten Stahlwerke, insbesondere einer Verbindung zwischen Phoenix-Rheinrohr und der August ThyssenHütte, S. 5.

201 gnügte sich damit, die Anteile der zusammengeschlossenen Unternehmen an der Gesamtproduktion der Gemeinschaft anzugeben.103 Diese Anteile bezogen sich auf Rohstahl und nicht auf die Produktion oder den Marktanteil von Walzstahlproduktionen. War damit der Begriff „Erzeugnisse“ des Artikels 66 richtig erfasst? Zielte dieser nicht eher auf die Produkte ab, die von dem betreffenden Unternehmen tatsächlich auf dem freien Markt an den Verbraucher verkauft wurden – also praktisch immer ein Walzstahlprodukt? Hatte diese Information also irgendeinen Aussagewert über die Möglichkeit des Unternehmens, den Absatz bzw. die Preise seiner Absatzprodukte zu beeinflussen? Dies ist doch stark zu bezweifeln. Hinzu kam ein zweites Problem: Die Hohe Behörde musste untersuchen, ob das zusammengeschlossene Unternehmen nun in der Lage war, die Preise für seine Produkte zu bestimmen. Die Frage war völlig richtig; allerdings wurden sowohl die Preise für Kohle als auch für Stahl im Gemeinsamen Markt von Regierungen oder Produzentenvereinigungen bestimmt. Die Hohe Behörde hätte also eigentlich die Bindungen von Kohle/Stahl-Unternehmen an der Ruhr mit dem ausdrücklichen Hinweis genehmigen müssen, dass der Zusammenschluss erlaube, sich nach dem Werksselbstverbrauchsrecht der Absatz- und Preiskontrolle des GEORG zu entziehen – eines Kartells, welches trotz des Kartellverbotes im Vertrag leider immer noch bestehe. Stattdessen wurden relativ nichts sagende Produktionsanteile erwähnt, die davon ausgingen, dass auf dem westdeutschen oder dem europäischen Kohlenmarkt ein freier Preiswettbewerb herrschen würde. Genau dies war aber nicht der Fall. So wurden also die Kriterien des Artikels 66 unter einer Annahme geprüft, die in der Realität nicht vorhanden war – und die Hohe Behörde wusste dies natürlich. Dies trifft auch auf den Stahlmarkt zu. Der Hohen Behörde war es nicht gelungen, in Frankreich und auch in der Bundesrepublik einen wirklichen Preiswettbewerb zwischen Unternehmen durchzusetzen. Vielmehr kontrollierten die Regierungen noch mehr oder weniger deutlich die Stahlpreise, die auf Verbands- und nicht auf Unternehmensebene festgesetzt wurden.104 Dirk Spierenburg, das niederländische Mitglied der Hohen Behörde, sprach daher – nicht gerade sehr diplomatisch – bei einer Sitzung der Mitglieder der Hohen Behörde davon, „dass die Hohe Behörde auf dem Gebiet der Preispolitik versagt habe“.105 Wie 103

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So hatte bei keinem der wiederzusammengeschlossenen Unternehmen der Marktanteil der Kohleund Stahlproduktion laut Angabe der Hohen Behörde über 5 % betragen (Mannesmann/Consolidation, Stahl ca. 3 %, Kohle ca. 3 %, Hoesch/Altenessen Stahl 3 %, Kohle 3 %, Kloeckner/Königsborn Stahl 3 %, Kohle ca 2 %, HOAG/Neu Hoffnung Stahl ca 4 %, Kohle ca. 2 %.) High Authority, Sixth General Report 1958, Volume II, S. 99f. BA B 102/34605 Hohe Behörde, Aufzeichnung für die Arbeitsgruppe MARKT – KARTELLE – TRANSPORT, Betr. Im allgemeinen: den Einfluß der Regierungen auf die Preisbildung, 13 August 1955, Spierenburg, S. 371ff. HAEU CEAB 2/1300 355. Sitzung der Hohen Behörde vom 24. Januar, Luxemburg den 26. Januar 1957

202 konnte sie dann aber beurteilen, ob ein Zusammenschluss zweier Unternehmen diesen erlauben würde, die Preise zu kontrollieren, wenn die Stahlpreise unter mehr oder weniger großem Druck der Regierungen bzw. nach kollektiven Absprachen der Unternehmen gebildet wurden? So gab sie auch hier relativ nichts sagende quantitative Produktionszahlen, um dann zu behaupten, dass diese Menge nicht erlauben würde, die negativen Kriterien des Artikels 66 § 2 zu erfüllen. Allerdings unterließ sie es, auf das Dilemma hinzuweisen, dass es trotz des Vertrages bei Kohle und Stahl keine freie Preisbildung gab. Die Hohe Behörde hatte sich auch geweigert zu beurteilen, ob zwischen den ‚entflochtenen‘ Nachfolgeunternehmen eines Altkonzernes nicht noch immer der Tatbestand der Kontrolle erfüllt war. Die Kartellabteilung hatte diese Frage meist bejaht. Dies wiederum war eine hochpolitische Frage, denn damit hätte die Hohe Behörde der AHK attestiert, dass die Neuordnung uneffektiv gewesen wäre. Die Alliierten, allen voran die Amerikaner, aber auch die Franzosen, wären politisch ziemlich blamiert gewesen. Dies wäre aber auch nicht im Interesse der Bundesregierung und der westdeutschen Stahlindustrie – denn es hätte die Aufmerksamkeit der europäischen und internationalen Öffentlichkeit wieder auf die Ruhr gelenkt. Genau dies wollte man ja vermeiden. Zieht man eine Bilanz der Politik der Zusammenschlüsse der Hohen Behörde auf der Basis der bis 1958 erfolgten Zusammenschlüsse, so wird deutlich, dass eine wirklich eingehende Prüfung, ob die Zusammenschlüsse dem neuen Unternehmen erlauben würden, Preise oder Absatz nach Artikel 66 § 2 zu beeinflussen und sich dem Wettbewerb zu entziehen, nicht wirklich stattgefunden hatte.106 Allerdings konnte man dies der Hohen Behörde nicht vorwerfen. War es denn ihr Mandat, eine autonome Wettbewerbspolitik zu entwerfen? Bei der Ausübung der Anwendung des Artikels 66 hatte sie den Spielraum, der ihr informell von den Mitgliedstaaten gegeben wurde, und der war nicht sehr groß. Eigentlich hätte sie zu dem Schluss kommen müssen, dass eine wirkliche Prüfung nach Artikel 66 nicht zu leisten war, da die Mitgliedstaaten, und ebenfalls die Produzenten, sich nicht an die Vorschriften des Vertrages hinsichtlich der Kohlen- und Stahlpreispolitik hielten. Dies tat sie aber nicht. Dies mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass die Hohe Behörde nie generelle Leitlinien oder offizielle Mitteilungen erließ, in denen sie ihre Zusammenschlusspolitik erläuterte, sondern darauf bestand, jeden Fall einzeln zu beurteilen. Ansonsten hätte sie wohl deutlicher auf dieses Dilemma eingehen müssen. So waren diese Widersprüche kein Versäumnis der Mitglieder der Hohen Behörde oder ihrer Beamten, sondern ein Ergebnis des informellen und nicht des im Vertrag festgelegten formellen Mandats, welches der Hohen Behörde tatsächlich von den Mitgliedstaaten auferlegt wurde. Der informelle Spielraum der Hohen Behörde war näm106

Ein ähnliches, zeitgenössisches Urteil über die Punkte, welche die Hohe Behörde bei ihrer Genehmigungspraxis offen ließ, siehe Diebold, S. 376ff. Sein Fazit: „This creates a very „grey area“ of Community policy and uncertainty about the kind of economy that is likely to result.“ S. 378.

203 lich geringer als der formelle. Sie erfüllte damit aber das informelle Mandat, welches ihr die Mitgliedstaaten während der Schumanplan-Verhandlungen übertragen hatten: nämlich durch eine Überprüfung der Zusammenschlüsse in der deutschen Stahlindustrie die Rekonzentration der Stahlindustrie zu legitimieren und diese Unternehmenszusammenschlüsse einer gewissen europäischen Kontrolle zu unterstellen – und ansonsten keine wirklichen Eingriffe in die traditionellen Strukturen der europäischen Stahlindustrie vorzunehmen.

4.9 Die Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde – Beispiele aus Belgien und Frankreich Es ist interessant zu sehen, wie die Hohe Behörde wichtige Unternehmenszusammenschlüsse in anderen westeuropäischen Ländern beurteilte. Die politischen Umstände waren anders als in der Bundesrepublik. Hier hatte es keine Neuordnung gegeben. Im Gegensatz zur Stahlindustrie in der Bundesrepublik, wo sich doch klar getrennte Unternehmensgruppen gegenüberstanden, war es in Frankreich und Belgien schwierig, klar getrennte Unternehmensgruppen bzw. Kontrollverhältnisse zu definieren.107 Hier war es natürlich interessant, einmal zu untersuchen, wie sich diese Industriestruktur hinsichtlich der Absatz- und Preiskontrolle dieser Unternehmen im Sinne des Artikels 66 auswirken würde. Die belgische Regierung war an einer solchen Untersuchung offensichtlich nicht interessiert. Sie hatte sich ja massiv gegen die Einführung des Artikels 66 gewehrt. Im Jahre 1955 wurde die Fusion zwischen den beiden belgischen Stahlunternehmen S. A. John Cockerill und Ougrée-Marihaye zu Cockerill-Ougrée beantragt.108 Die Fusion wurde aus technischen Rationalisierungsgründen befürwortet. So verfügte das Unternehmen Ougrée über eine halbkontinuierliche Warmbreitbandstraße. Cockerill verfügte über moderne Kaltwalzwerkkapazitäten zur Herstellung von Feinblech und Weißblech.109 Beide Unternehmen wurden von Finanzholdings kontrolliert. So kontrollierte die Société Generale de Belgique 20 % des Kapitals von Cockerill. Die Cofindus/Brufina Holding kontrollierte 19,9 % des Kapitals von Ougrée-Marihaye.110 Gleichzeitig besaßen Ougrée und Cockerill noch selber Beteiligungen an anderen Unternehmen, so dass diese

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Swann, S. 215. Zur Fusion siehe Swann, S. 203ff. Eine Fusion verhinderte also entsprechende Doppelinvestitionen. Die Rohstahlproduktion betrug mit 1,8 Mio t ca. 4 % der Produktion der Gemeinschaft und ca. 34 % des belgischen Marktes. HAEU CEAB 3/1242 Bericht über die Fusion zwischen den Unternehmen John Cockerill und Ougree-Marihaze, 3. 5. 1955, gez. Hamburger, Mondaini, S. 9f. Ders., S. 8.

204 Fusion die Frage aufstellte, ob der direkte Zusammenschluss nicht eine Reihe von indirekten Zusammenschlüssen mit sich bringen würde.111 So besaßen zum Beispiel die Société Générale de Belgique 16 % und Cofindus/Brufina 4 % an ARBED, dem größten luxemburgischen Stahlunternehmen.112 War dieses Unternehmen nun Teil des Zusammenschlusses? Bei der Untersuchung der Beteiligungen der Finanzholdings wurde im Kreis der Hohen Behörde schon deshalb zur Vorsicht geraten, da eine Parallele zu der Struktur in der Bundesrepublik gesehen wurde.113 Der Kartellabteilung war es wichtig, dass die Genehmigung von Cockerill-Ougrée ausdrücklich den indirekten Zusammenschluss der Beteiligungen der Holdinggesellschaften ausschließen würde. Deshalb schlug sie vor, „von den Holding-Gesellschaften eine formelle Erklärung zu verlangen, dass sie sich in Zukunft jeder Einflussnahme auf die angeschlossenen Unternehmen mit dem Ziel, den Zugang zu den Versorgungsquellen und Absatzmärkten des neuen Unternehmens Cockerill-Ougrée zu begünstigen, enthalten“.114 Dies wurde von der Hohen Behörde dann abgeschwächt.115 In der Entscheidung hieß es, dass eine Genehmigung der Fusion der Beteiligungen der Finanzholdings nicht beantragt worden sei. Die Hohe Behörde beschränkte also ihre Untersuchung auf die Vorgänge, die tatsächlich beantragt wurden. Sie beließ es bei einer Ankündigung, dass sie in Zukunft diese Frage noch einmal untersuchen könne. In der Entscheidung wurde dann festgestellt, dass das neue Unternehmen 7,1 % der Gemeinschaftsproduktion an Rohstahl und 7,4 % der Gemeinschaftsproduktion an Walzstahl kontrollieren würde. Damit würde das neue Unternehmen keine Kontrolle über Preise, Produktion oder Vertrieb im Sinne des Artikels 66 erlangen. Diese Aussage wirft die Frage nach dem Markt auf, in dem die belgische Stahlindustrie die Möglichkeit hatte, den Preis zu bestimmen – der so genannte ‚relevante Markt‘. War dies denn tatsächlich der EGKS-Markt oder vielleicht der nationale Markt? Der hohe Marktanteil auf dem belgischen Markt, der mindestens 35% der Rohstahlerzeugung umfasste, wurde in der Entscheidung nämlich gar nicht erwähnt.116 Auf der ande-

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Ders., S. 13.

HAEU CEAB 3/1242 Note sur la Concentration Cockerill-Ougrée Marihaye 2 mars 1955, gez. Goudima S. 11, Notice Explicative aux Tableux I et II, CEAB 3/1242 La Société Générale de Bel-

gique. Spierenburg, CECA S. 395f. HAEU CEAB 3/1242 Bericht über die Fusion zwischen den Unternehmen John Cockerill und Ougree-Marihaze, 3. 5. 1955, gez. Hamburger, Mondaini, S. 20. HAEU CEAB 2/727 Points secrets du procès-verbal de la 272ième séance de la Haute Autorité, tenue à Luxembourg le 20 juin 1955, S. 3, Annex I, Décision du 20 juin 1955 autorisant la fusion entre la S. A. JOHN COCKERILL, la S. A. d’Ougrée-Marihaze et la S. A. Compagnie des fers blancs et Tôls à frois „Ferbatil“. Siehe auch Swann, S. 204, er weist darauf hin, dass der US Supreme Court später einen 30 %-Marktanteil als wettbewerbsbeschränkend auffasste. United States v. Philadelphia National Bank, 374 US 321 (1963).

205 ren Seite war Belgien zu dieser Zeit einer der wichtigsten Stahlexporteure der Welt – und dies gerade in Nicht-EGKS-Länder. War vielleicht der Weltstahlmarkt der ‚relevante‘ Markt? Die Hohe Behörde unterließ es, diese Fragen eingehend zu untersuchen. Tatsächlich hätte man anhand einer historischen Analyse der Preise in Belgien seit den zwanziger Jahren ohne große Schwierigkeiten nachweisen können, dass der entscheidende Markt für die belgische Stahlindustrie der internationale Markt war. Die belgischen Binnenpreise folgten meist den Exportpreisen.117 Das war kein Geheimnis, man wusste es auch in der Hohen Behörde. Fast zur gleichen Zeit kam eine Untersuchung der Hohen Behörde über die Entwicklung der belgischen Stahlpreise zu dem Schluss, dass diese seit einiger Zeit erheblich über den Preisen in Frankreich und Deutschland lagen. Es wurde sogar darüber nachgedacht, ob man nicht Höchstpreise festsetzen solle.118 Zur Zeit der Untersuchung gab es sowohl auf den internationalen als auch auf den nationalen Stahlmärkten einen regelrechten Stahlboom. Der Exportpreis für EGKS-Stahl in Drittländer – und damit auch die belgischen Binnenpreise – lag erheblich über dem Binnenpreis in Deutschland und Frankreich. Wenn die Preise in Deutschland und Frankreich billiger waren als in Belgien, dann deshalb, weil dort durch mehr oder weniger freundlichen Druck der Regierungen der Preisanstieg gebremst wurde. Dies war nach dem EGKSVertrag illegal. Bevor die Hohe Behörde gegen den raschen Anstieg der belgischen Preise vorgehen konnte, hätte sie sich also mit Vertragsverletzungen in Frankreich und Deutschland auseinandersetzen müssen. So unterließ sie eine ernsthafte Untersuchung der Frage, welches der tatsächlich relevante Markt für die belgische Stahlindustrie war. Jedenfalls verdeutlicht dies, dass ein Unternehmen mit 90 % Marktanteil in Luxemburg oder Belgien größerem Preiswettbewerb ausgesetzt sein konnte, da es in einem internationalen Markt operierte, als ein Unternehmen mit 10 % Marktanteil in Frankreich oder der Bundesrepublik, wenn es eine Preis-, Absatz- oder Finanzpolitik betrieb, die mit anderen Unternehmen abgestimmt war.119 Schließlich hätte man zumindest intern einmal untersuchen können, wie man aus wettbewerbspolitischer Sicht die Finanzholdings beurteilen solle.120 Monnet hatte noch im Juni 1955 auf das Problem der Holdings 117 118 119

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Conrad Reuss, Emile Koutnz, Léon Tyon: Le Progrès Economique en Sidérurgie, Belgique, Luxembourg, Pays-Bas, 1830–1955, Paris, Louvain 1960, S. 246–256. BA N 1384/138 Kuhnke an Henle 30. 1. 1956, Luxemburg, den 17. 1. 1956 Anschrift, Memorandum über die Entwicklung der Stahlpreise. Auch die internationale ökonomische Theorie war zu diesem Zeitpunkt so weit, dass man von dem Marktanteil eines Unternehmens, selbst wenn es 100 % besaß, also ein Monopol war, keine direkten Folgerungen auf seine Preispolitik bzw. seine Marktmacht schließen konnte, siehe zum Beispiel Fritz Machlup: The Economics of Sellers’competition. Model Analysis of Sellers’Conducts, Baltimoare 1952, S. 543–566, siehe dazu auch Motta, Competition, S. 117ff. Dies wird heute – genau wie personelle Verflechtungen im Aufsichtsrat – als eine Struktur angesehen, die Unternehmensabsprachen erleichtert, Motta,Competition S. 144f.

206 hingewiesen.121 Man unterließ auch dies, wobei dies wiederum im Sinne der Mitgliedstaaten war.122 In der westdeutschen Stahlindustrie kam man bei der Bewertung der CockerillFusion zu einem anderen Schluss als die Hohe Behörde. So hieß es in einem internen Vermerk von Phoenix-Rheinrohr, dass die Unternehmen in Belgien nicht selbst frei handelnde Akteure seien, sondern entscheidende Bedeutung bei den Holdings läge. So ging man auch von einer 4–5 Mio t Rohstahl umfassenden Unternehmensgruppe um die Société Générale de Belgique und Cofindus aus.123 Ein anderer interessanter Fall war die französische Handelsorganisation DAVUM. Diese teilte der Hohen Behörde am 17. Mai 1955 mit, dass sie der Vertriebskanal mehrerer französischer Unternehmen sei, unter anderem von SIDELOR (Union Sidérurgique Lorraine), HADIR und den Forges et Aciéries de DILLING. Die Kartellabteilung brauchte bis zum 19. März 1964, um festzustellen, dass diese drei Unternehmen Teil einer Unternehmensgruppe waren.124 Alle drei Unternehmen hatten auch den gleichen Aktionär, die Compagnie Pont à Mousson. Hier hatte sie also entschieden, dass über die Nutzung eines Vertriebskanals ein Zusammenschluss zustande kam. Allerdings brauchte sie fast neun Jahre, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Über eine andere spezifische Institution der französischen Stahlindustrie ist wiederum keine Untersuchung der Hohen Behörde bekannt, auch wenn diese ganz offensichtlich mit dem Kartellverbot des Artikels 65 nur schwer zu vereinbaren war. Dies war das vom französischen Stahlverband Chambre Syndicale de la Sidérurgie française (CSSF) entwickelte kollektive Finanzierungsinstrument der französischen Stahlindustrie, Groupement d’Industrie sidérurgique (GIS), welches seit Anfang der fünfziger Jahre Anleihen zur Finanzierung der Investitionen aufnahm.125 Die Höhe der Anleihe wurde nach den von den Unternehmen bei der CSSF beantragten Investitionen festgelegt. Dies hieß, dass es im CSSF eine kollektive Abstimmung über Investitionen gab –

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Spierenburg, S. 396. Eine Untersuchung wäre sicherlich ein gewisses Politikum geworden, denn zur gleichen Zeit hatte die größte belgische Gewerkschaft (FGTB), die besonders stark in der wallonischen Stahlindustrie vertreten war, eine Kampagne für eine stärkere wirtschaftliche Demokratisierung und gegen die Finanzholdings gestartet. René Leboutte, Jean Puissant, Denis Scuto: Un siècle d’Histoire industielle. Belgique, Luxembourg, Pays-Bas, Industrialisation et Sociétés 1873–1973, Paris 1998, S. 236, hier hätte eine Untersuchung der Hohen Behörde der Finanzholdings aus Sicht der belgischen Regierung und der Industrie sicher unnötig für Wirbel gesorgt. PR 57175 Notiz von Dr. Köster, Betr. Zusammenschluss Ougrée-Cockerill. Die Beurteilung des Zusammenschlusses Cockerill-Ougrée-Ferblatil, Köster an Mommsen 3.1.1958 Vermerk Betr. Cockerill-Ougrée. HAEU CEAB 02/4127 Linthorst Homan, Haute Authorité an DAVUM EXPORTATIONS 19 März 1964, Rapport sur les organisations de vente DAVUM und DAVUM-EXPORTATION, Roger Martin: Patron de droit divin, Paris 1984, S. 185f. Eine detaillierte Analyse der GIS bei Mioche, S. 132–168.

207 was allerdings in der Praxis dazu führte, dass möglichst die Wünsche aller Mitglieder des Verbandes erfüllt wurden. Weiter war die Verzinsung der Anleihe zum Teil mit der Höhe der Stahlproduktion und des Anstiegs der Stahlpreise verbunden – was die Zeichner der Anleihe, die Kleinanleger, zu politischen Befürwortern der Forderungen der Stahlindustrie machte. Schließlich gingen die Zeichner der Anleihe von einer impliziten Garantie des Staates aus. Die Kompatibilität dieses kollektiven Finanzierungsinstruments mit dem EGKSVertrag wurde anscheinend nie untersucht. Es ist allerdings ziemlich ersichtlich, dass es gegen das Kartellverbot verstieß. Diese Bemerkungen über die verschiedenen spezifischen Institutionen, wie Vertriebsorganisationen und relevante Märkte, beweisen auch, dass die von der Hohen Behörde angeführten Produktions- oder Marktanteile der Unternehmen – oder auch die Konzentrationsgrade der jeweiligen nationalen Stahlindustrien – keinen Aussagewert auf deren Preis- und Absatzverhalten hatten. Damit sind die quantitativen Produktionszahlen, welche die Hohe Behörde in ihren Entscheidungen regelmäßig angab, jeder Aussagekraft eigentlich beraubt.

4.10 Die Politik der Hohen Behörde in der öffentlichen Diskussion Allerdings hatte die Hohe Behörde damit nicht das von Monnet in den Ratifikationsverhandlungen in Frankreich festgelegte ‚Mandat‘ hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Ergebnisse der Neuordnung erfüllt. Insofern ist es natürlich interessant, die Reaktionen in Frankreich auf diese Entwicklung zu analysieren. Die Genehmigung der Zusammenschlüsse durch die Hohe Behörde – und die Durchführung der ‚Rekonzentration‘ – blieb natürlich nicht unbeachtet in Frankreich.126 Der ‚Conseil de la République‘, die Zweite Kammer des französischen Parlaments, in dem Monnet ja die Beibehaltung der Neuordnung angekündigt hatte, kam in einem Bericht am 10. Juni 1955 zu dem gleichen Schluss.127 Gewisse französische Kreise fühlten sich also in dieser Frage von ihrer damaligen Regierung bzw. deren Repräsentanten offensichtlich getäuscht – denn diese hatten ja in der Ratifikationsdebatte das Gegenteil behauptet. Im November 1955 erschien in der Zeitschrift Politique Etrangère ein Aufsatz von einem anonymen Verfasser über die Rekonzentration der westdeutschen Stahlindustrie 126

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Dazu auch Ernst Coenen: Das Verhältnis des Entflechtungsrechts in Deutschland zum Montanunionvertrag, in: Wirtschaft und Wettbewerb, 1956, S. 89–100, S. 89, N 1384/144 Abschrift aus Le Monde 8 April 1955 Lehren der EGKS von Henri Ulver, Minister a.D. Ders., S. 90.

208 im Rahmen der EGKS, dessen Autor im Umfeld des Quai d’Orsay vermutet wird.128 Auch dieser Artikel ging von der Feststellung aus, dass nun in der Bundesrepublik ganz offensichtlich die Maßnahmen der Neuordnung massiv rückgängig gemacht würden. Dabei sei die Neuordnung eine der wenigen Gebiete der alliierten Politik in der Bundesrepublik gewesen, so der Artikel, von dem man sich langfristige Wirkungen erhofft hatte. Angesichts dieser Tatsache stellte der Autor die Frage, wo denn nun die Grenze eines genehmigungsfähigen Zusammenschlusses liegen könne. Über die Beurteilungskriterien der Hohen Behörde konnte der Autor wiederum nur spekulieren. Wenn aber die Größe der existierenden Unternehmen im europäischen Stahlmarkt maßgeblich sei und auch grundsätzlich die Verbesserung der Produktionsbedingungen durch Unternehmenszusammenschlüsse gefördert würden, könne die Hohe Behörde bald Gruppen genehmigen, die zwischen vier und fünf Mio t Rohstahl produzierten. Schließlich schloss der Artikel mit der Feststellung, dass man auch für Frankreich die Möglichkeit in Betracht ziehen solle, ähnliche Zusammenschlüsse vorzunehmen, wie sie gerade in der Bundesrepublik geschehen würden. Die Informationen über den Autor des französischen Artikels sind widersprüchlich. Nach Kenntnissen von Werner von Simson handelte es sich um Maurice Halff.129 Halff war in der Internationalen Ruhrbehörde Assistent des dortigen französischen Vertreters, Alain Poher, gewesen. Dieser wiederum war nun wie Helmut Pohle, der MannesmannJustitiar, Mitglied der christdemokratischen Fraktion in der Gemeinsamen Versammlung der EGKS.130 Nur wenig später erschien wiederum in der bundesdeutschen Fachzeitschrift ‚Wirtschaft und Wettbewerb‘ ein Artikel von Ernst Coenen, ehemaliger Justitiar der STV und nun als Jurist für die Fritz Thyssen Vermögensverwaltung tätig, mit dem Titel „Verhältnis des Entflechtungsrechts in Deutschland zum Montanunionsvertrag“.131 Dieser Artikel war als eine Erwiderung auf die Abhandlung in der ‚Politique Etrangère‘ verfasst worden.132 In dem Artikel wurde die Auffassung vertreten, dass die Bundesregierung sich zu der Durchführung der Neuordnung bereit erklärt habe, aber keineswegs zu ihrer Beibehaltung. Die Äußerungen der französischen Politiker während der Schumanplan-

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XXX, Politique Etrangère, no. 5, novembre 1955, La reconcentration des industries sidérurgiques et minières de l’Allemagne de l’Ouest dans le cadre de la CECA, S. 307–348. Jean Marie Palayret: Jean Monnet, la Haute Autorité de la CECA face au problème de la reconcentration de la sidérurgie dans la Ruhr (1950–1958), Revue d’Histoire diplomatique, 105 (1991), S. 307–348, hier: S. 338. M 12985 Simson an Geisseler 3. 5. 1956. M 12985 Poher an Pohle, 9. 8. 57. Auch der Senator Armand Armengaud, der den Bericht im Conseil de la Republique verfasst hatte, war Pohle bekannt. Armengaud an Pohle 30. 7. 1957. Coenen, Entflechtungsrecht. Coenen beschäftigte sich also beruflich erst mit der Entflechtung – und dann mit der Re-entflechtung. PAAA 2 Referat 200 Band 170 Coenen an Motz 14.4.1956

209 Verhandlungen, die eine Beibehaltung der Neuordnung in Aussicht stellten, seien wohl missverstanden worden.133 Die Artikel sind insofern interessant, als es sich hier um eine in Fachzeitschriften ausgetragene Diskussion über die Auslegung des EGKS-Rechts handeln würde. Diese Diskussion wurde von nichtstaatlichen Akteuren ausgetragen, auch wenn dies wohl mit enger Abstimmung der staatlichen Stellen geschah. Interessant ist auch der sachliche Ton in beiden Artikeln. Nun sollte auch die Gemeinsame Versammlung der EGKS, der Vorläufer des Europa-Parlaments, eine Plattform bilden, wo die Zusammenschlusspolitik der Hohen Behörde und insbesondere ihre Auswirkung auf die Bundesrepublik öffentlich debattiert wurden. Dies lag nicht zuletzt daran, dass ein Mitglied der Versammlung, der Senator Michel Debré, schon bei den Ratifikationsverhandlungen im Conseil de la République die Äußerung Monnets, dass die Hohe Behörde die Neuordnung aufrechterhalten würde, als völlig abwegig bezeichnet hatte.134 Debré stellte nun mehrere Anfragen an die Hohe Behörde hinsichtlich ihrer Zusammenschlusspolitik in der Bundesrepublik, in denen er sich direkt auf Zusammenschlüsse in der Bundesrepublik bezog.135 Die Hohe Behörde antwortete darauf, dass sie sich bei ihrer Entscheidung nur auf das Vertragswerk beziehen könne. In ihrer Antwort vom 16. November 1956 erwähnte die Hohe Behörde auch ausdrücklich, dass sie in ihrer Entscheidung nicht an Bestimmungen auf nationaler Ebene, wie z.B. das Gesetz Nr. 27 der Alliierten in der Bundesrepublik, gebunden sei. Sie habe Zusammenschlüsse in der Bundesrepublik nur nach dem EGKS-Vertrag zu überprüfen. Sie habe auch kein Urteil darüber abzugeben, ob etwa solche Zusammenschlüsse die Folgen der Neuordnung annullieren würden. Auf eine weitere Nachfrage Debrés erklärte sie ebenfalls, dass sie nicht durch Erklärungen von Vertretern nationaler Regierungen während der Ratifikationsdebatten gebunden sei.136 Der Ausschuss für Angelegenheiten des Gemeinsamen Marktes der Gemeinsamen Versammlung bemächtigte sich nun ebenfalls dieses Themas. Er verabschiedete einen vom späteren belgischen Außenminister Henri Fayat verfassten Bericht über „Unternehmenszusammenschlüsse in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und 133

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PAAA 2 Referat 200 Band 170 Coenen an Etzel 15. 3. 1956. Coenen unternahm auch einen Versuch über Franz Etzel, seinen Aufsatz direkt in ‚Politique Etrangère‘ zu veröffentlichen. Hierbei regte er an, den Präsidenten der Hohen Behörde René Mayer anzusprechen, der im Verwaltungsrat der Zeitschrift saß. Dazu kam es allerdings offenbar nicht. CVEHS 1 DE 29 Debré stand zumindest Anfang 1958 in Kontakt mit Maurice Halff hinsichtlich der Unternehmenskonzentration an der Ruhr. Maurice Halff, Centre d’Etudes des Problèmes economiques européennes, 8. 2. 1958 à Debré. Diebold, S. 369f., Amtsblatt der EGKS v. 11. 5. 1955, Amtsblatt der EGKS v. 16. 11. 1956, Amtsblatt der EGKS v. 27. 12. 1956. Schriftliche Anfrage des Herrn Debré und Antwort der Hohen Behörde, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 3. Juni 1957.

210 Stahl“.137 In der Schlussbetrachtung bezeichnete der Bericht das Vorgehen der Hohen Behörde als „pragmatisch“.138 Allerdings solle die Hohe Behörde nun bald die „Grundzüge einer Politik auf dem Gebiet der Zusammenschlüsse“ festlegen. Offenbar war eine solche Politik für die Versammlung noch nicht erkennbar. Der Bericht wies auch darauf hin – was die Hohe Behörde ja immer unterlassen hatte –, dass es keinen Preiswettbewerb zwischen Unternehmen gebe, sondern nur Revierpreise, die sich nach den höheren Kosten der kleinen Produzenten in den einzelnen Regionen richten würden.139 Schließlich betonte der Bericht den Willen des Ausschusses, das Problem der Zusammenschlüsse weiterhin zu verfolgen, um so die Kontrolle der Exekutive zu gewährleisten. Michel Debré bestand in der Debatte darauf, dass die Hohe Behörde ihre Entscheidungen hinsichtlich des Zusammenschlusses nicht nur nach technischen Kriterien treffen sollte.140 Sie mache einen Fehler, wenn sie die politischen Konsequenzen von Unternehmenskonzentrationen nicht beachte. Schließlich wies er darauf hin, dass die Entscheidungen der Hohen Behörde bis zum damaligen Zeitpunkt durchaus legal seien. Nur solle die Hohe Behörde sich in Zukunft nicht nur auf die rein technische Auslegung des Artikels beschränken, sondern die politische Komponente des Konzentrationsprozesses sehen. Helmut Pohle ging als Abgeordneter der Versammlung sehr deutlich auf Debrés Befürchtungen ein. Debré, so Pohle, verstecke anscheinend Furcht vor einer zu mächtigen Ruhrstahlindustrie hinter juristischen Formulierungen. Die Befürchtungen Debrés bedeuteten gerade für die deutsche Seite die Verantwortung, auf jede Abkehr von demokratischen Prinzipien in der Bundesrepublik sofort zu reagieren. Er sei aber der Meinung, dass die deutsche Seite hier das Vertrauen „unserer europäischen Freunde“ verdiene.141 Am Ende der Debatte hatte sich durchaus eine Art Konsens herausgebildet, dass die Entscheidungen der Hohen Behörde auf dem Gebiet der Zusammenschlusspolitik vertragsgemäß waren. Weiter hoffe man darauf, dass die Hohe Behörde in Zukunft die Entscheidungen besser begründen werde. Auch wenn die Gemeinsame Versammlung keinerlei formelles Mitspracherecht hinsichtlich der Politik der Zusammenschlüsse hatte, bildete diese Institution nun eine Plattform, in der verschiedene Politiker aus den Ländern der Gemeinschaft ihre Ansichten hinsichtlich der Politik der Hohen Behörde aus-

137

138 139 140 141

Communauté Europénne du charbon det de l’acier. Assemblée Commune. Exercice 1956–57, Session ordinaire. Rapport fait au nom de la Commission du Marché Commun sur les concentrations d’entrprises dans la Communauté par Henri Fayat, Document N° 26, 1956–57, Der Bericht ist abgedruckt, ohne die Anhänge, in Wirtschaft und Wettbewerb, 2 (1957), S. 771–783. S. 781. S. 782. S. 503f. S. 503f.

211 tauschen konnten. Dabei erörterten sie Argumente und Meinungen, die gerade auch auf nationaler Ebene immer wieder angeführt wurden. Klar ist, dass eine interessierte ‚europäische Fachöffentlichkeit‘ die Unternehmenszusammenschlüsse an der Ruhr aufmerksam verfolgte.142 So wurde in den Debatten über die Ratifikation der Verträge von Rom im französischen Parlament auch über die Rekonzentration der westdeutschen Stahlindustrie gesprochen. Die Rekonzentration war ein Argument, das von den Gegnern der europäischen Integration in Frankreich und auch Skeptikern der deutsch-französischen Annäherung benutzt wurde, um nachzuweisen, dass aufgrund der Schwäche der supranationalen Strukturen eine europäische Gemeinschaft letztlich zu deutscher Dominanz führen würde.143 Die Regierungsseite musste nun die ‚Rekonzentrationsbewegung‘ in der Bundesrepublik rechtfertigen. Hierbei konnte auf die Exporterfolge der französischen Stahlindustrie in der Bundesrepublik hingewiesen. Die ‚Rekonzentration‘ der Ruhrstahlindustrie konnte zwar die Befürworter der europäischen Integration in eine gewisse Verlegenheit bringen – insbesondere, wenn man sie an die Worte französischer Regierungsvertreter während der Ratifikationsdebatten des Schumanplanes erinnerte; allerdings hinderte dies die französischen Regierungen der Vierten Republik nicht daran, grundsätzlich den Weg der Integration und der deutsch-französischen Annäherung fortzuführen. Allerdings musste die französische Regierung schon deshalb die Unternehmenskonzentration an der Ruhr aufmerksam beobachten, da sie von der französischen Öffentlichkeit zumindest indirekt zur Verantwortung gezogen wurde.144 Dies erklärt wohl auch, warum der Artikel 66 nicht etwa im Jahre 1957 den weitaus schwächeren Wettbewerbsartikeln des EWG-Vertrages angepasst wurde. Die westdeutsche Stahlindustrie hätte diesen Schritt befürwortet und wurde auch von ihren westeuropäischen Kollegen unterstützt. Sogar die französische Stahlindustrie hatte sich zur Überraschung der westdeutschen Stahlindustrie dieser Position angeschlossen.145 Gleichzeitig hatte sie zu bedenken gegeben, dass es besser wäre, eine solche Forderung nicht öffentlich zu stellen, da die westeuropäischen Parlamente diesen Wunsch nie umsetzen würden.

142 143 144

145

Siehe auch Le Monde, 23. 6. 1957, Le „Pool“ Charbon-Acier, banc d’essai du Marché Commun. Z.B. Beiträge Réné Pleven und Pierre Andre, Journal officielle de la République Française, Débats Parlementaires, Assemblée Nationale, 1er séance du 17 janvier 1957, S. 99ff. Sicher wurde die Ruhrstahlindustrie von den entscheidenden französischen Stellen nicht mehr – wenn dies überhaupt nach 1945 einmal der Fall war – als verteidigungspolitisches Sicherheitsproblem angesehen. Im Jahre 1957 diskutierten französische und deutsche Regierungsvertreter schon über eine enge Zusammenarbeit bei der Verteidigung – unter Einbeziehung des nuklearen Bereiches, Ulrich Lappenküpper: Die deutsch-französischen Beziehungen 1949–1963. Von der „Erbfeindschaft“ zur „Entente élémentaire“ I. 1949–1958, München 2001, S. 1180–1198. PR 87201 Vermerk über die Vorstandssitzung am 28. 1. 1958, WVESI.

212 Auf der anderen Seite wurde eine Fusionskonstrolle im EWG-Vertrag nicht aufgenommen.146 Die wettbewerbspolitischen Anhänger einer Fusionskontrolle hielten sich also – so wie dies auch bei den Schumanplan-Verhandlungen der Fall war – bei den westeuropäischen Regierungen in Grenzen. Als Institution, die zumindest potentiell eine gewisse öffentliche Kontrolle über Unternehmenskonzentrationen – gerade in der Ruhrstahlindustrie – ausüben konnte, wurde der Artikel 66 ganz offensichtlich aber noch gebraucht. Nun sollte sich aber die Diskussion innerhalb der Hohen Behörde, aber auch in der europäischen Öffentlichkeit, über die Wettbewerbspolitik im Laufe der Jahre 1957 und 1958 wieder intensivieren, wodurch insbesondere die Unternehmenszusammenschlüsse innerhalb der ehemaligen VSt-Gruppe und auch der Firma Krupp beitrugen. Dass die französische Öffentlichkeit gerade diese beiden Konzerne mit besonderem Interesse verfolgte, daran erinnerte auch noch einmal die französische Stahlindustrie die Regierung in einer Eingabe, ohne dass sie sich diese Sorgen zu eigen machte.147 In einem weiteren Schritt soll hier also die Anwendung des Artikels 66 auf diese politisch sensibleren Fälle untersucht werden.

146

147

Dabei wurde eine Fusionskontrolle nach der Messina-Koneferenz durchaus diskutiert, allerdings ohne das Experiment der EGKS zu erwähnen. ACDP I-659–084/2 Regierungsauschuss eingesetzt von der MESSINA-KONFERENZ, Brüssel, den 29. Juli 1955. Ausschuss für den Gemeinsamen Markt für Investitionen und Sozialfragen. Die Regelung des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl, S. 6. CAC 19900482/30 Ribeyre an Raty 2. 4. 1958 Memorandum RECONSTITUTION D’UN PUISSANT GROUPE SIDERURGIQUE ALLEMAND Mars 1958.

213

5. K APITEL D IE W ETTBEWERBSPOLITIK DER H OHEN B EHÖRDE UND DIE N ACHFOLGEGESELLSCHAFTEN DER VS T

5.1 Einleitung Hier ist die These vertreten worden, dass es anstatt zu einer ‚Zerstörung‘ zu einer partiellen ‚Aufteilung‘ der VSt unter den bedeutendsten Großaktionären kam. Der Weg der VSt-Nachfolgegesellschaften bis 1957 bestätigt dies. Die ehemaligen Großaktionäre der VSt, die Familie Thyssen, die Rheinischen Stahlwerke und Hoogovens, kontrollierten Ende 1957 die folgenden Unternehmensgruppen: x

x

x

x

Die Thyssen AG für Beteiligungen (TfB) besaß 40 % am Grundkapital der August Thyssen-Hüte AG, welche wiederum Mehrheitsbeteiligungen an den Deutschen Edelstahl Werken AG, der Niederrheinischen Hütte AG, der Erin Bergbau AG und eine Minderheitsbeteiligung an den Hüttenwerken Siegerland AG hielt. Weiter kontrollierte die TfB 25 % der Handelsunion AG. Die Fritz Thyssen Vermögensverwaltung AG (FTV) kontrollierte die Hüttenwerke Phoenix-Rheinrohr AG (PR), eine Fusion der beiden Nachfolgegesellschaften Hüttenwerk Phoenix AG und den Rheinischen Röhrenwerken. PR hatte eine Minderheitsbeteiligung an der Handelsunion AG. Die Rheinischen Stahlwerke (Rheinstahl) fusionierten mit der Rheinisch-Westfälischen Eisen- und Stahlwerke AG und der Rheinstahl-Union Maschinen- und Stahlbau AG und hatten eine Mehrheitsbeteiligung an der Ruhrstahl AG, die wiederum die Gußstahlwerke Oberkassel kontrollierte. Weiter hielt Rheinstahl ca. 30 % an der Gußstahlwerke Witten AG und 25 % an der Handelsunion AG. Das niederländische Stahlunternehmen, Hoogovens en Staalfabrieken, wiederum kontrollierte die Dortmund-Hörder Hüttenunion AG, die wiederum 51 % an den Hüttenwerken Siegerland besaßen.

214 VSt-Nachfolgegesellschaft (Auswahl)

Hauptgeschäftsfeld

August Thyssen Hütte

Eisen-/Stahlerzeugung

Deutsche Edelstahlwerke AG (DEW)

Spezialwerk Edelstahl

Thyssen AG für Beteiligungen

Niederrheinische Hütte

Spezialwerk Draht

Thyssen AG für Beteili- ATH 96 % gungen (transitorisch)

AG (ATH)

AG (NH)

Großaktionär nach

CSG-Dekonzen-

trationsplan

Hüttenwerk Phoenix AG Eisen-/Stahlerzeugung + Rheinische Röhrenwerke AG – Fusion zu: Hüttenwerk PhoenixRheinrohr AG

Großaktionär Dezember 1957 Thyssen AG für Beteiligungen (Gräfin Zichy) über 40 % ATH 61 %

Fritz Thyssen Vermögensverwaltung

Fritz Thyssen Vermögensverwaltung ca. 52 %

Hoogovens

Hoogovens 41 %

Dortmund-Hörder Hüttenunion AG (DHHU)

Eisen-/Stahlerzeugung

Hüttenwerk Siegerland AG (HWS)

Spezialwerk, Feinblech, Weißblech

Ruhrstahl AG

Eisen-/Stahlerzeugung, Schmiede-/Gußstahl

Gußstahlwerk Oberkassel AG

Spezialwerk, Gußstahl

Ruhrstahl AG 100 %

Gußstahlwerk Witten

Spezialwerk, Edelstahl

Rheinische Stahlwerke und Merck, Finck & Co. je 30 %

Rheinisch-Westfälische Eisen- und Stahlwerke AG (Rheinwest)

Gießereieisen, Gußstahl, Weiterverarbeitung

Gelsenkirchener Bergwerks AG (GBAG)

Kohle

Bankenkonsortium etwa 20 % bis 25 %, Herman Krages knapp 20 %

Erin Bergbau AG

Kohle

ATH 51 %, GBAG 34 %

Rheinstahl-Union Maschinen- und Stahlbau AG (Rheinstahl)

Weiterverarbeitung

Handelsunion (HU)

Handel

AG

ATH 35 %

DHHU 51 %

Rheinische Stahlwerke (transitorisch)

Rheinische Stahlwerke

Rheinische Stahlwerke

Rheinische Stahlwerke 96 %

Fusion mit Rheinische Stahlwerke

Fusion mit Rheinische Stahlwerke Rheinische Stahlwerke über 25 %, Thyssen AG für Beteiligungen über 25 %, Phoenix Rheinrohr rund 25 %

NESI, S. 870f., Der Volkswirt: Die neuen Stahlkonzerne an der Ruhr, 7. 12. 1957, S. 2625ff.

215 Die Tabelle zeigt die VSt-Nachfolgegesellschaften, die im Dezember 1957 von ehemaligen VSt-Großaktionären oder anderen VSt-Nachfolgegesellschaften kontrolliert wurden. Dies belegt, dass es sich mehr um eine ‚Zerlegung‘ als um eine ‚Zerschlagung‘ der VSt gehandelt hatte. Interessanterweise gab es zwischen diesen Nachfolgegruppen gemeinsame Beteiligungen an Nachfolgegesellschaften der VSt – genau diese Situation hatten die Alliierten befürchtet. Die DHHU war mit über 50 % an den Hüttenwerken Siegerland AG (HWS) HWS beteiligt – allerdings auch die ATH mit 35 %. An der Handelsgesellschaft, Handelsunion AG (HU) waren die Rheinischen Stahlwerke, Phoenix-Rheinrohr und die Thyssen AG für Beteiligungen, welche die ATH kontrollierte, mit je 25 % beteiligt. Hatte die Hohe Behörde diese Beteiligungsverhältnisse der Nachfolgegesellschaften der VSt nach Artikel 66 genehmigt? Im vorhergehenden Kapitel ist die These aufgestellt worden, dass die Hohe Behörde kein geschlossenes, kohärentes Konzept entwickelt hatte, um die Kriterien des Artikels 66 anzuwenden. Es ist zu vermuten, dass die Hohe Behörde hier unter einem gewissen Druck stand, genauere Kriterien oder Richtlinien hinsichtlich der Genehmigung von Unternehmenszusammenschlüssen auszuarbeiten. Als Erstes soll die Politik der Hohen Behörde hinsichtlich der Entstehung der beiden Unternehmensgruppen ATH und der Hüttenwerke Phoenix-Rheinrohr (PR) untersucht werden. Gerade die Entstehung einer ‚August Thyssen-Hütte Unternehmensgruppe‘ musste auf den ersten Blick verwundern. Auf die ATH hatte sich nämlich kein Großaktionär der VSt ‚endgültig‘ oder ‚transitorisch‘ konzentriert. Dabei galt die August Thyssen-Hütte (ATH), das „flagship“ an der Ruhr, nicht zuletzt wegen ihres direkten Zugangs zum Rhein in der Zwischenkriegszeit als das leistungsfähigste Unternehmen der Ruhrstahlindustrie.1 Hier soll nun kurz die Strategie der Großaktionäre der Familie Thyssen dargestellt werden, in welcher der Aufbau der ATH eingebettet war.2

1

2

Diese geographischen Standortvorteile hatten sich natürlich auch nach 1945 nicht verändert. So wurde auch von Heinrich Dinkelbach, Leiter der Stahltreuhändervereinigung, gesagt, dass die ATH sehr schnell das leistungsfähigste Hüttenwerk in der Bundesrepublik sein werde. TA RSW 2610 Linz an Söhngen, Dr. Ernst von Waldthausen 25. 1. 1954. Zum Aufstieg der August Thyssen-Hütte nach 1945, Stefan Unger: Wiederaufbau, montanindustrielle Expansion und strategische Planung der August Thyssen-Hütte Aktiengesellschaft, Duisburg-Hamborn von 1945 bis 1960, Schriftliche Hausarbeit zur Erlangung des Grades eines Magister Artium, Ruhr Universität Bochum 1991, S. 50ff. Die Arbeit stellt auf breiter archivischer Grundlage die betriebswirtschaftliche Konzeption dar. Die Eigentumsverhältnisse werden nicht näher behandelt. Ein erst im Jahre 1965 verfasstes Dokument dieser Strategie findet sich im Nachlass Birrenbach: ACDP I-433 045/2 Coenen an Birrenbach 5. 3. 1965, Aufzeichnung 4. 3. 1965, Betr. Tätigkeit von Herrn Professor Dr. R. Ellscheid im Thyssen-Bereich.

216

5.2 Die Aufbaustrategie der ‚Thyssen-Gruppe‘ Die entscheidende Frau hinter dieser Strategie, die Nachfolgeaktien der Beteiligung Fritz Thyssens an der VSt wieder in eine – von der Familie Thyssen kontrollierte – Unternehmensgruppe unterzubringen, war seine Witwe Amélie Thyssen. Sie sah den Wiederaufbau einer Thyssen-Gruppe ganz offensichtlich als eine Erfüllung des Vermächtnisses ihres verstorbenen Mannes an, der die VSt-Beteiligung an sie und ihre Tochter vererbt hatte. Dies geht aus einem Briefwechsel anlässlich des 80. Geburtstages von Amélie Thyssen mit dem Vermögensverwalter ihrer Tochter, Kurt Birrenbach, gut hervor. So schrieb ihr Birrenbach, „dass sie gewissermaßen das Vermächtnis ihres Mannes, an dem sie mit so viel Liebe hängen, erfüllen konnten“.3 Als Antwort bestätigte sie, dass es ihr „vergönnt“ gewesen sei, „nach der Zerstörung des Krieges und der Demontage der Alliierten nachher, zu erleben, dass die Werke meines Schwiegervaters und meines unvergesslichen Mannes wieder auferstehen“. Dies sei hauptsächlich „meinen tüchtigen Mitarbeitern“ zu verdanken. Ohne deren Unterstützung hätte sie, so Amélie Thyssen, dies „trotz guten Willens als Frau nicht gekonnt“: Aber bei allem ist mein Gedanke doch immer: ‚Wenn er es doch hätte erleben können, dass seine Arbeiter wieder beschäftigt werden. Das war doch nach dem Krieg seine ständige Sorge. So werden auch an meinem Geburtstage meine Gedanken in Dankbarkeit bei allen sein die in Treue und Fleiß und Ausdauer mitgeholfen haben, dass die Werke wieder in alter Größe erstanden sind.4

Dies war die eigentliche Unternehmensstrategie, nämlich aus den Beteiligungen Fritz Thyssens an der VSt eine neue Unternehmensgruppe zu bilden, in der die Familie Thyssen nun wieder die alleinige Kontrolle ausüben würde.5 Damit scheint Amélie Thyssen tatsächlich ein ursprünglich angestrebtes Ziel von Fritz Thyssen verfolgt zu haben. Dieser hatte Walter Schwede, damals noch im VSt-Vorstand, am 13. Dezember 1949 brieflich mitgeteilt, dass er nun die „Trennung der früheren Thyssen-Gruppe“ von den Vereinigten Stahlwerken anstrebe.6 Schon damals wurde Thyssen von Schwede, Wenzel und Sohl darauf hingewiesen, dass dieses Bestreben – was grundsätzlich unterstützt werde – nur dann durchgeführt werden könne, wenn im Rahmen der alliierten Neuordnung der VSt-Aktienbesitz auf die neuen Gesellschaften 3 4 5

6

ACDP I 433 116/1 Birrenbach an Amélie Thyssen 30. 11. 1957. ACDP I 433 116/1 Amélie Thyssen an Birrenbach 5. 12. 1957.

Schon aus sehr persönlichen Gründen wird man sich bei der Familie Thyssen den VSt verpflichtet gefühlt haben. Es gibt keine Hinweise, dass man sich bei der VSt nach 1938 für den ehemaligen Großaktionär eingesetzt hat. TA VSt 4467 Fritz Thyssen an Schwede 13. 12. 1949, TA VSt 4467 Aktenvermerk 19. 1. 1950 Schw/R., Schwede an Thyssen 2. 2. 1950. Auch das Interesse von Amélie Thyssen an dieser Strategie ist schon vor dem Tod Fritz Thyssens deutlich. TA VSt 4467 Linz an Schwede 7. 8. 1950, Schwede an Linz 2. 9. 1950.

217 übertragen werde und später eine Konzentration auf mehrere Unternehmen bzw. eine Unternehmensgruppe möglich sei.7 Diese Prinzipien wurden dann im Thyssenschen Dekonzentrationsplan, der von der AHK genehmigt wurde, umgesetzt.8 Die Grundidee war, dass die Großaktionäre ihre Aktien endgültig nur auf eine Nachfolgegesellschaft konzentrieren würden. Sie konnten allerdings die unter Verkaufsauflage stehenden Aktien an eine von ihr kontrollierte Nachfolgegesellschaft weitergeben, wenn dies denn die Hohe Behörde nach Artikel 66 genehmigen würde. Der Aufbau einer neuen Thyssenschen Unternehmensgruppe war also das ‚Endziel‘, wie es Ellscheid im Februar 1954 formulierte.9 Es war klar, dass dieses Ziel nur nach einer ganzen Reihe von Genehmigungsanträgen erreicht werden konnte. Die Hohe Behörde würde also Gelegenheit haben, sich mit dieser Strategie intensiv zu beschäftigen. Bei der Tochter von Fritz Thyssen, Alleineigentümerin der Thyssen AG für Beteiligung, herrschte offensichtlich kein gleich bleibendes Interesse an dieser Aufbaustrategie, so dass zumindest zwischen 1954 und 1956 die Durchführung eines zukünftigen Zusammenschlusses ATH/PR fraglich war.10 Spätestens zum 80. Geburtstag von Amélie Thyssen im Jahre 1957 hatten sich Tochter und Mutter dann „wiedergefunden“.11 Man kann zumindest die Vermutung anstellen, dass die Tochter, die ihren Wohnsitz vollständig nach Argentinien verlegt hatte, sich nicht mehr voll mit dem Sinn der Wiederaufbaustrategie identifizierte. So schrieb Kurt Birrenbach am 18. Dezember 1956 an Gräfin Zichy, dass er vor drei Jahren, als er das Angebot annahm, „ihr Sachverwalter“ zu werden, Sorgen hatte, dass unterschiedliche Meinungen in Geschäftsfragen die menschlichen Beziehungen gefährden könnten. Birrenbach teile nun mal nicht die Auffassung von Gräfin Zichy, „dass ein Kinderheim schöner sei als die Thyssen-Hütte“.12 So lief dann auch der jeweilige Aufbau der ATH und der PR-Unternehmensgruppe bis Sommer 1957 parallel. Irgendwelche Planungen für eine Vereinigung der beiden Gruppen sind in dieser Periode nicht bekannt. Unmittelbar machten sie sich keine Konkurrenz, denn der Schwerpunkt der Produktion lag bei der ATH beim Flachstahl und bei PR auf der Röhrenerzeugung. Ansonsten gab es keine nennenswerte nachweisbare Zu7 8

9 10 11 12

Ählich der vom VSt-Vorstand ausgearbeitete Neuordnungsplan für die VSt. TA VSt 4291 Sohl an Wenzel, Linz, Schwede, Seelig 17. 1. 1950 Betr. Neuordnung der Vereinigten Stahlwerke. An der Ausarbeitung bzw. Umsetzung des Thyssenschen Dekonzentrationsplanes waren auch ehemalige Mitarbeiter der Stahltreuhändervereinigung beteiligt, die nun für die Thyssen-Holdinggesellschaften arbeiteten. Aus professionellen ‚Entflechtern‘ wurden also nun ‚Rückverflechter‘. So zum Beispiel Ernst Coenen, der für die Thyssen AG für Beteiligung arbeitete und bei der Stahltreuhändervereinigung als Justitiar tätig war, siehe Coenen, Entflechtungsrecht, S. 89. TA NSt 48 Aktenvermerk, Steinberg 10. Februar 1954. So sprach Kurt Birrenbach im Dezember 1955 von einem „Familiendrama“, das nicht durch zwingende Lösungen beendet werden könne. ACDP I 433 116/1 Birrenbach an Amélie 7. 12. 1955. ACDP I 433 116/1 Birrenbach an Amélie Thyssen 30. 11. 1957. ACDP I 433 116/1 Birrenbach an Anita Gräfin Zichy 18. 12. 1956.

218 sammenarbeit auf Gebieten wie Investitionen, Produktion oder Absatz.13 Eine auch informelle Zusammenarbeit zwischen beiden Gruppen wurde schon dadurch erschwert, dass zwischen Sohl, Vorstandsvorsitzender der ATH, und Fritz Aurel Goergen, Generaldirektor von PR, eine große Rivalität bestand.14 Eine solche Rivalität zwischen den beiden Leitern der sich nun bildenden Unternehmensgruppen um die ATH und Phoenix mag durchaus im Interesse der Großaktionäre gelegen haben. Ab 1953 waren jedenfalls „Sohl für ATH sowie Niederrhein mit den Kohleninteressen“ und „Goergen parallel geschaltet für die beiden anderen Werke Phoenix und Rhein-Rohr“.15 Allerdings kann man auch in dieser Zeit davon ausgehen, dass eine Zusammenführung aller Unternehmen in einer ‚Thyssen-Gruppe‘ immer noch angestrebt wurde. Wenn Sohl an Birrenbach schrieb, dass er sicher sei, dass es gelingen werde, „eines der führenden Montanunternehmen Deutschlands neu zu schaffen und damit nicht nur das Beste für das Ihnen anvertraute Vermögen herauszuholen, sondern auch eine nationalwirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen“, so kann man davon ausgehen, dass er damit wohl beide Thyssen-Gruppen im Auge hatte.16 Ellscheid, Aufsichtsratvorsitzender der Hüttenwerk Phoenix-Rheinrohr, schrieb an Amélie Thyssen selbst zu diesem Zeitpunkt, dass „von unserer Seite aus für die August Thyssen Hütte unendlich viel mehr getan worden ist, als für jedes andere Unternehmen, vor allem auch für Phoenix Rheinrohr“.17 Amélie Thyssen war zu diesem Zeitpunkt nicht die Mehrheitsaktionärin der ATH. Schließlich achtete Amélie Thyssen darauf, dass ihr Name weiter mit dem Aufbau der ATH verbunden wurde, obwohl sie ja nur Minderheitsaktionärin war. Ihren Vertreter im ATH-Aufsichtsrat, Baron Julian von Godlewski, wählte sie persönlich aus, obwohl Sohl wohl lieber einen Sitz an einen Vertreter der Allianz Versicherung „mit großem Einfluss in der Industrie“ gegeben hätte.18 Bei der Einweihungsfeier der Warmbreitbandstraße der ATH saß Amélie Thyssen in der ersten Reihe als „Repräsentant des Namens und der Familie Thyssen“ und wurde für alle sichtbar „vom Bundeskanzler zu Tisch geführt“.19 13 14

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Die gemeinsame Planung hinsichtlich der Investition einer Verzinkungsanlage wurde von der ATH sogar ausdrücklich abgelehnt. TA VSt 2001 Sohl an Goergen 13. 7. 1955. Goergen gelangte erst nach dem Krieg in eine führende Stellung in der Stahlindustrie, als er 1947 von der Treuhandverwaltung zum Leiter der Hüttenwerke Phoenix ernannt wurde. Erst in einem Abstand von einigen Jahren erschienen Publikationen, die den latenten Machtkampf zwischen Sohl und Goergen beschrieben: siehe DER SPIEGEL 47/1961. Prinz Aurel, S. 34ff., Bernt Engelmann: Meine Freunde – die Manager. Ein Beitrag zur Erklärung des Deutschen Wirtschaftswunders, Darmstadt 1966, S. 15ff. TA NSt 48 Aktennotiz Betrifft: Hüttenwerke Phoenix AG/Telefonat mit Herrn Dr. Ellscheid 15. 12. 1953. ACDP I 433 116/1 Sohl an Birrenbach 20. 5. 1956. ACDP I 433 213/4 Ellscheid an Amélie Thyssen 10. 9. 1955. ACDP I 433 116/1 Julian von Godlweski an Ellscheid 20. 9. 1955, Amélie Thyssen an Ellscheid 14. 9. 1955. ACDP I 433 213/4 Ellscheid an Amélie Thyssen 10. 9. 1955.

219 Gerüchte über eine baldige Fusion zwischen der ATH und Phoenix-Rheinrohr mussten dann auch dementiert werden.20 Diese Situation änderte sich erst mit dem Rücktritt von Fritz Aurel Goergen vom Vorstandsvorsitz der Phoenix-Rheinrohr AG. Der Tagesspiegel in Berlin war eine der wenigen Zeitungen, die dieses Ereignis kommentierten.21 Goergen habe sich zu oft eigenmächtig über den Willen der Großaktionärin, aber auch anderer Vorstandsmitglieder hinweggesetzt. Sachlich sei es um den „Umfang der Expansion“ von Phoenix Rheinrohr gegangen. Das Ausscheiden von Goergen bedeutete zugleich, dass „im grossen Thyssen Bereich Hans Günther Sohl die stärkste Persönlichkeit“ wird. Allerdings war Sohl wohl schon von vornherein als Vorstandvorsitzender der ATH gegenüber Goergen im Vorteil, was die Chancen anging, einmal die Gesamtgruppe zu leiten. So war die ATH „der Mittelpunkt“ einer „grösseren wirtschaftlichen Konzeption“.22 Auch traf Goergen gerne weit reichende Entscheidungen, wie zum Beispiel den Bau des „Prinz Aurel Obelisk“, ein Verwaltungshochhaus für Phoenix-Rheinrohr in Düsseldorf, welches später das „Thyssen-Haus“ wurde, ohne dass dies klar mit dem Großaktionär abgesprochen war.23 Sohl wiederum wusste ganz genau, im Gegensatz zu Goergen, dass seine Position bei der ATH vom Wohlwollen der Großaktionäre abhing. So dankte Sohl an seinem 50. Geburtstag Birrenbach für seine „freundschaftliche Gesinnung“ und die „Unterstützung und Förderung“.24 Von Goergen hieß es, dass er Ellscheid, als Vertreter seines Großaktionärs, auch schon mal öffentlich das Wort verboten hatte.25 Schließlich war das Gleichgewicht, was zum Beispiel die Vertretung von Sohl und Goergen in Aufsichtsräten anderer Nachfolgegesellschaften der VSt wie die GBAG oder auch die HU anging, immer schwieriger zu halten.26 20

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26

So auf der Hauptversammlung der ATH im Oktober 1955, wo Sohl erklärte, dass weder eine Fusion der ATH mit der GBAG noch ein Zusammenschluss ATH mit Phoenix Rheinrohr geplant sei. AN 363 AP 33 Interessanterweise findet sich dieser Zeitungsartikel im Nachlass René Mayers, dem Präsidenten der Hohen Behörde von 1955 bis 1957. Deutsche Zeitung du 14 décembre 1955 Ombres francaises de Luxembourg. TA Sohl 0229/4 Presse- und Informationsdient aus Wirtschaft und Politik Nr. 142/1 1 Juli 1957 „Der Tagesspiegel“ Berlin 30. Juni 1957 Fritz Aurel Goergen. TA RSW 2610 Pferdmenges an Vorstand der Rheinischen Stahlwerke. Telefonisch von Essen durchgegebene Abschrift eines Briefes des Herrn Dr. Pferdmenges vom 24. 2. 1954. Engelmann, Manager, S. 28. ACDP I 433 116/1 Sohl an Birrenbach 20. 5. 1956, ACDP I 433 116/1 Birrenbach an Sohl 24. 5. 1956. Engelmann, Manager, ders., S. 27. Die öffentlichen Äußerungen zwischen Aufsichtsrat und Vorstand deckten sich bei der Phoenix-Gruppe nicht immer. TA NSt 418 Betrifft: Aufsichtsrat GBAG, gez. Steinberg. TA NSt 418 Betrifft: Aufsichtsrat GBAG, gez. Steinberg Am 11. 2. 1957, TA Sohl 0229/4 Goergen an Sohl 5. 3. 1957, TA NSt 418 Betrifft: Aufsichtsrat GBAG Telefonat mit Herrn Ellscheid am 12. 2. 1957 Steinberg.

220 Der entscheidende Grund für Goergens Weggang scheint allerdings seine Strategie gewesen zu sein, den Ausbau einer eigenständigen PR-Unternehmensgruppe anzustreben. Er nahm bewusst in Kauf, dass die Familie Thyssen die Mehrheit im Aufsichtsrat der PR verlieren würde.27 Dies hätte wohl das Ende der Thyssenschen Aufbaustrategie bedeutet. Die Strategie Goergens war damit mit der des Großaktionärs nicht mehr vereinbar. Über die Gründe für den Abgang Goergens wiederum wurde der Vorstand der PR offiziell nie informiert.28 Ein Nachfolger wurde nicht berufen, sondern der Vorstand wurde kollegial zusammengesetzt. An diesem Beispiel lassen sich auch die Entscheidungsstrukturen in der „Thyssengruppe“, die allerdings ihren Namen nicht tragen durfte, gut illustrieren. Nach dem Ausscheiden Goergens wurde in einer Unterredung Birrenbachs und Ellscheids Folgendes vereinbart:29 Um sicherzustellen, dass die beiden Werksgruppen der Thyssen-Familie in Zukunft nach einer einheitlichen industriellen Konzeption geleitet werden, wird im Einverständnis mit Frau Amelie Thyssen und Gräfin Anita Zichy-Thyssen Folgendes vereinbart: 1. Herr Sohl übernimmt die Beratung der beiden Thyssen Verwaltungen auf industriellem Gebiet. Die Beratung erfolgt gegenüber den Herren Dr. Pferdmenges, Professor Ellscheid und Dr. Birrenbach, wobei es die besondere Aufgabe von Herrn Dr. Pferdmenges, als des ältesten Freundes der Familie Thyssen, sein soll, etwa auftretende sachliche Meinungsverschiedenheiten auszugleichen. (…) 4. Die Verantwortung und die Entscheidungsbefugnisse der gesetzlichen Organe sowohl der Thyssen Vermögensverwaltungen als auch von deren Beteiligungsgesellschaften werden durch vorstehende Regelung nicht berührt. 5. Es besteht Einverständnis darüber, dass, wenn die Unterzeichneten später zu der Überzeugung kommen sollten, dass es wirtschaftlich und politisch möglich und zweckmäßig erscheint, die beiderseitigen Beteiligungsgesellschaften zusammenzuschließen, Herr Sohl die Führung des durch diesen Zusammenschluss geschaffenen Konzerns auf Vorstandebene übernimmt.

Die Vereinbarung illustriert den institutionellen Rahmen der Aufbaustrategie der ‚Thyssen-Gruppe‘. Diese bestand aus zwei Vermögensgesellschaften der Erbinnen Fritz Thyssens. Robert Ellscheid war Aufsichtsratvorsitzender der Fritz-Thyssen Vermögensverwaltung, welche im Besitz von Amélie Thyssen war. Kurt Birrenbach war der Vertreter von Anita Gräfin de Zichy, welche die Thyssen AG für Beteiligung besaß. Robert Pferd27

28 29

Fast schon drohend hieß es im Wochendienst des Instituts für Bilanzanalysen über eine Erklärung des PR-Vorstandes: „Im Falle der Phoenix-Rheinrohr hat sich bisher der Vorstand diesen Wünschen des Hauptaktionärs gebeugt, aber alles deutet darauf hin, dass er – auf die Dauer gesehen – auf eine Kapitalerhöhung drängt.“ Wochendienst des Instituts für Bilanzanalysen, Nr. 2 3. April 1957, S. 7 in: Hans Krämer: Die Finanzpolitik westdeutscher Konzerne der Elektroindustrie, der chemischen Industrie und des Kohle-Eisen-Stahlbereiches von 1950–1959, München 1961, S. 42f. TA NSt 48 Niederschrift über die 13. Sitzung des Aufsichtsrates der Phoenix Rheinrohr AG, Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke, Düsseldorf, am Freitag, dem 19. Juli 1957. ACDP I 433 206/5 Birrenbach an Pferdmenges, Birrenbach an Ellscheid 27. 7. 1957, Aide Memoire, Düsseldorf, den 27. Juli 1957.

221 menges wiederum war Aufsichtsratvorsitzender der August Thyssen Hütte und Robert Ellscheid von Phoenix Rheinrohr AG. Einen rechtlich abgesicherten Kontrollmechanismus, dass auch alle Beteiligten weiterhin die Endzielstrategie verfolgten, gab es nicht – denn formell waren ja die beiden Holdings getrennt. Deshalb bestand eine latente Gefahr, dass sich die beteiligten Akteure nicht mehr an der Verfolgung des Endziels beteiligen würden bzw. Meinungsverschiedenheiten auftreten würden, wie dieses Ziel zu erreichen war, da es möglicherweise im Widerspruch zu eigenen Zielen stand. Der Fall Goergen verdeutlicht dies gut: Die Schaffung einer selbstständigen Unternehmensgruppe ‚Phoenix-Rheinrohr‘, was Goergen offensichtlich anstrebte, gehörte nicht zur Strategie der Großaktionäre. Die zentrale Position, um eventuelle Interessenskonflikte zwischen den beteiligten Akteuren zu schlichten, nahm Pferdmenges ein. Er hatte offensichtlich das Vertrauen der Familie Thyssen. So schrieb Birrenbach nach dessen Tod, dass dieser „im Rahmen des gesamten Thyssenkomplexes aufgrund seiner Verbindung mit der Familie eine Schlüsselstellung“ einnahm.30 Als „Mensch für deutsche Verhältnisse“ hätte er „einmalige Qualitäten“ besessen.31 „Sein sicheres Gefühl für wirtschaftliche Zusammenhänge und deren Verflechtung in das Gewebe der inneren und äußeren Politik, seine über fünfzig Jahre hinausreichenden internationalen Erfahrungen als Bankier, eine behutsame Klugheit, seine Redlichkeit und sein soziales Verständnis machten ihn zu einer Autorität in allen wirtschaftlichen, wirtschaftspolitischen und sozialen Fragen.“32 Die entscheidenden Beschlüsse kamen wiederum von Amélie Thyssen. Im Sommer 1957 äußerte sie den Wunsch, alle „industriellen Interessen der Erben Fritz Thyssens“ in der ATH zusammenzufassen.33 Es scheint auch ihre Idee gewesen zu sein, einen großen Teil ihrer eigenen ATH-Aktien in eine gemeinnützige Stiftung, die erste ihrer Art in der Bundesrepublik nach dem Vorbild ähnlicher Einrichtungen in den USA, zur Förderung wissenschaftlicher Zwecke zu übertragen. Diese neu zu gründende Stiftung sollte den Namen ihres verstorbenen Mannes, Fritz Thyssen, tragen. Verkündet werden sollte die Gründung der Stiftung zum Zeitpunkt der Genehmigung des ATH/PR-Antrags durch die Hohe Behörde. Damit hätte ‚Europa‘ also das Aufbauwerk auch symbolisch legitimiert. Pferdmenges berichtete dann Adenauer, dass „Frau Thyssen (…) gerne noch zu Lebenszeiten die Sache in Ordnung haben“ möchte.34 Sie „drängt sehr“. Angesichts dieser ehrgeizigen Aufbaustrategie, die eine ganze Reihe von Unternehmenszusammenschlüssen mit sich brachte, ist es natürlich interessant, die Politik der Hohen Behörde hinsichtlich des Aufbaus der Thyssen-Unternehmensgruppe zu verfolgen. 30 31 32 33 34

ACDP I 433 044/1 Birrenbach an Eddy 27. 12. 1962. ACDP I 433 116/1 27. 12. 1962 Birrenbach an Eduard Wätjen. ACDP Birrenbach I 433 046/1 Birrenbach an Dora Pferdmenges 28. 3. 1963. TA Sohl 0248/02 Vermerk, 4. 11. 1957. Dieser Vermerk ist von Sohl, siehe, TA Sohl 0245–1 Speth-

mann an Sohl 12. 2. 58. BA B 136/7663 Pferdmenges an Adenauer 9 Juli 1959.

222

5.3 Ein neuer Konzern? Die Hohe Behörde und die Entstehung der Phoenix-Rheinrohr AG Der erste Zusammenschluss aus diesem Komplex, den die Hohe Behörde zu beurteilen hatte, war die Fusion zwischen den Rheinischen Röhrenwerken und den Hüttenwerken Phoenix. Die Fusion ist insofern interessant zu analysieren, als sie sehr gut verdeutlicht, auf welcher Ebene die Entscheidungen hinsichtlich der Zusammenschlusspolitik bei den Nachfolgegesellschaften der VSt getroffen wurden. Betriebswirtschaftlich wurde das Zusammengehen beider Unternehmen mit der Halbzeugabsatzsicherung der Hüttenwerke Phoenix und der Versorgungssicherheit der Rheinischen Röhrenwerke, einem bedeutenden Verbraucher von Halbzeug, begründet. Hier ging es also um die Internalisierung von Transaktionskosten, nämlich den Zukauf bzw. Verkauf von Halbzeug, der nun unternehmensintern geregelt werden sollte. Bedeutete dies aber für beide Partner eine Verminderung der Transaktionskosten? So kam es dann auch im Frühjahr 1954 bei der Preisfestsetzung für das Halbzeug von Phoenix zu harten Auseinandersetzungen.35 Die Rheinischen Röhrenwerke warfen nämlich den Hüttenwerken Phoenix vor, zu hohe Halbzeugpreise zu berechnen, was die Rheinischen Röhrenwerke gegenüber ihren Konkurrenten benachteiligen würde.36 Ein großer Befürworter der Fusion war aber Fritz Aurel Goergen. Dieser hatte vor dem Kriege noch keine führende Stellung in der Stahlindustrie und war erst 1947 zum Vorstandsvorsitzenden der Hüttenwerke Phoenix ernannt worden – zu einem Zeitpunkt, als die Persönlichkeiten, die zum Zeitpunkt der Niederlage Hitlers die Montanunternehmen führten, zum Teil noch in Internierungslagern saßen. Die Tatsache, dass Amélie Thyssen nun die Hauptaktionärin des Phoenix und der Rheinischen Röhrenwerke war, wollte Goergen wohl nutzen, um eine schlagkräftige Unternehmensgruppe um den Phoenix aufzubauen.37 Goergen strebte so schnell wie möglich den Abschluss eines Gewinnpoolungsvertrags zwischen beiden Unternehmen an. Die Hüttenwerke Phoenix arbeiteten mit sehr veralteten Anlagen, die während der Weltwirtschaftskrise sogar stillgelegt wurden. Deshalb hatten sie nach dem Krieg ein umfangreiches Investitionsprogramm aufgelegt. Nun 35

36 37

Sehr interessant ist, dass in diesem Streit immer mal wieder der Rat bzw. die Schlichtung von Rohland und Dinkelbach, ehemalige Vorstände der VSt und der letztere immerhin Leiter der Stahltreuhändervereinigung, angefordert wurde. R 16091 Ellscheid an Goergen 24. 4. 1954, Goergen an Ellscheid 9. 4. 1954, Vermerk Halbzeugvertrag Phoenix/Rheinrohr 29. 6. 54. R 160191 Vorstand Rheinische Röhrenwerke an Vorstand Phoenix 6. 4. 1954, R 160191 Goergen an Ellscheid 9. 4. 1954. Großzügig hatte Goergen schon Ellscheid angeboten, die ATH in das Vertragswerk Phoenix/Rheinische Röhrenwerke „letzten Endes einzubeziehen“. Er gab allerdings zu, dass er nicht wusste, ob die Überlegungen Ellscheids in dieser Hinsicht schon abgeschlossen seien R 160191 Goergen an Ellscheid 30. 1. 1954.

223 war das Unternehmen stark verschuldet.38 So drängte Goergen darauf, so schnell wie möglich beide Unternehmen zu leiten, denn er wollte von der „Erzbereitung bis zum jeweiligen Fertigprodukt“ durchrechnen. Nur in diesem Falle werde der „Betriebsegoismus“ vermieden.39 Die Entscheidung für die Fusion wurde dann vom Eigentümer getroffen. Amélie Thyssen hatte sich – wie aufgezeigt – im Rahmen des Aktienaustausches schon an beiden Unternehmen als Mehrheitsaktionärin beteiligt. In einer Besprechung im Beisein von Amélie Thyssen beschlossen Vertreter des Aufsichtsrates und der Vorstände beider Gesellschaften „im Rahmen des Möglichen eine möglichst enge Verbindung“ zwischen den beiden Gesellschaften.40 Hinsichtlich des Zeitpunktes, diese Verbindung herzustellen, musste dann Goergen allerdings mehrfach von Ellscheid gebremst werden. Goergen drängte auf eine rasche Fusion.41 Ellscheid warnte allerdings angesichts der politischen Umstände vor zu großer Eile.42 Um nun eine rechtliche Grundlage für die Zusammenarbeit beider Unternehmen bis zur erhofften Genehmigung der Hohen Behörde zu schaffen und insbesondere die Preisstreitigkeiten zu schlichten, wurden zwei ehemalige Mitglieder des VSt-Vorstandes vor 1945 eingeschaltet:43 Walter Rohland und Heinrich Dinkelbach. Walter Rohland, der Vorstandsvorsitzende der VSt vor 1945, sollte nach dem Kriege keine Stellung mehr in der Stahlindustrie einnehmen. Er war nur als Berater tätig. Heinrich Dinkelbach war zwar noch offiziell Leiter der Stahltreuhändervereinigung, gab aber auch schon Ratschläge an die Großaktionäre für zukünftige Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Nachfolgegesellschaften. Rohland war für die Feststellung der Selbstkosten beider Unternehmen zuständig und Dinkelbach für die Beratung hinsichtlich der geeigneten Rechtsform der Zusammenarbeit. So einigte man sich dann in langen Verhandlungen auf den Abschluss eines Interessengemeinschaftsvertrages.44 Auch hier legten die Beteiligten Wert auf eine möglichst geräuschlose Behandlung dieser Angelegenheit. Die intensiven Verhandlungen in den Jahren 1953/1954 fanden zu einem Zeitpunkt statt, als die Neuordnung selber offiziell noch nicht beendet war. Die Verhandlungen über den „Dekonzentrationsplan“ der Rheinischen Stahlwerke waren zu 38 39 40 41 42 43 44

R 160191 Ellscheid an Goergen 10. 4. 1954, Goergen an Ellscheid 5. 4. 1954. TA NSt 48 Ellscheid an Steinberg 28. 9. 1954. R 160191 Goergen an Ellscheid 5. 4. 1954, TA NSt 48 Aktennotiz Betrifft: Hüttenwerke Phoenix AG/Telefonat mit Herrn Dr. Ellscheid 15. 12. 1953. R 160191 Vermerk Betr. Interessengemeinschaftsvertrag mit RRW, gez. Dr Hartmann 16. 2. 1954. PR 17119 Goergen an Ellscheid 8. 1. 1954. PR 17119 Ellscheid an Goergen 17. 11. 1953, Ellscheid an Goergen 18. 12. 1953, R 160191 Goergen an Ellscheid 8. 4. 1954, R 160191 Ellscheid an Goergen 7. 4. 1954. R 160191 Vermerk, Halbzeugvertrag Hartmann 29. 6. 54. R 160192 Vermerk über die Sitzung der beiderseitigen Aufsichtsratausschüsse betreffend Zusammenschluss Phoenix/Rheinrohr am 18. 11. 1954, gez. Hartmann.

224 diesem Zeitpunkt noch nicht beendet. Als dann in Presseberichten am 14. September 1954 gemeldet wurde, dass die Fusion von Phoenix und Rheinrohr bevorstehen würde, standen bei Ellscheid die „Telefone“ nicht mehr „still“.45 Ellscheid waren solche Nachrichten überhaupt nicht recht, befürchtete er doch, dass dann die „CSG wild“ werden könnte. Alle „unsere schönen Pläne“ seien dann zu Ende. Goergen wiederum war über solche Berichte auch nicht erfreut, meinte aber, er habe auf einer Pressekonferenz nicht den „Unwissenden“ spielen können.46 Am 29. November 1954 wurde dann der endgültige Genehmigungsantrag für den Zusammenschluss der Hüttenwerke Phoenix und der Rheinischen Röhrenwerke an die Hohe Behörde versandt.47 Im Antrag wies man darauf hin, dass die Fritz Thyssen Vermögensverwaltung, deren alleinige Aktionärin Amélie Thyssen sei, 44 % bzw. 43,4 % des Grundkapitals der Hüttenwerke Phoenix und der Rheinischen Röhrenwerke besitzen würde. Bei beiden Gesellschaften seien 37 % des Grundkapitals im Streubesitz auf Banken eingeschrieben. Im Antrag wurde hervorgehoben, dass sich die Rheinischen Röhrenwerke gegenüber Konkurrenten, insbesondere Mannesmann, im Nachteil fühlten, die das Halbzeug zur Röhrenherstellung nicht auf dem freien Markt beziehen mussten, sondern in Eigenproduktion herstellen konnten.48 Ob dies nun wirklich ein Preisnachteil für die Rheinischen Röhrenwerke bedeutete, bleibt dahingestellt. Allerdings waren die Rheinischen Röhrenwerke nicht die treibende Kraft bei den Fusionsplänen. Die Bemerkung, dass die Hüttenwerke Phoenix auf die Dauer mit einem reinen Halbzeugprogramm nicht krisenfest sei, sondern auch Walzstahl produzieren wollte, scheint dann doch das entscheidende betriebswirtschaftliche Motiv der Fusion gewesen zu sein.49 Beantragt wurde eine Verschmelzung der beiden Gesellschaften durch eine Fusion, wobei die Hüttenwerke Phoenix in die Rheinischen Röhrenwerke aufgehen würden. Falls die Hohe Behörde die Genehmigung erteilte, so war man der Meinung, damit auch die Verkaufsauflage Amélie Thyssens für die Hüttenwerke Phoenix erfüllt zu haben.50

45 46 47 48 49

50

TA NSt 82 Ellscheid an Goergen 15. 9. 1954. TA NSt 82 Goergen an Ellscheid 20. 9. 1954.

R 160193 Vorstände Hüttenwerke Phoenix und Rheinische Röhrenwerke an Hohe Behörde 29. 11. 1954. Ders., S. 13. Die Fusion von Rheinrohr und Phoenix war ja von der CSG 1951 abgelehnt worden, da man vermutete, dass es in erster Linie um die Absatzsicherung von Phoenix ging. Gillingham, rebirth, S. 303. R 160191 Aufzeichnung. Überlegungen über die zweckmäßige Form der Verschmelzung Rheinrohr/Phoenix, Betr. Gemeinsame Sitzung der Aufsichtsratausschüsse für Zusammenschluss Phoenix/Rheinrohr 16. 11. 1954 BA B 102/22311 Rechtsgrundlage der Verschmelzung der Rheinischen Röhrenwerke AG mit der Hüttenwerke Phoenix AG, 11. 1. 1955 C/P.

225 Hinsichtlich der Genehmigung der Hohen Behörde hatte es in Duisburg-Ruhrort schon im Oktober 1954 Verhandlungen mit Vertretern der Hohen Behörde gegeben.51 Etzel, Hamburger und Krawielicki, als Vertreter der Hohen Behörde, hatten schon erklärt, dass der Zusammenschluss genehmigungsfähig sei. Angesichts der Tatsache, dass beide Gesellschaften schon unter der Kontrolle des gleichen Großaktionärs waren, des abgeschlossenen Interessengemeinschaftsvertrages und der bestehenden Lieferbeziehungen wurde innerhalb der Hohen Behörde argumentiert, dass ein Zusammenschluss schon vorliege – eine Genehmigung also gar nicht nötig sei. Schließlich teilte die Hohe Behörde den Hüttenwerken Phoenix am 9. Februar 1955 mit, dass durch den existierenden Liefervertrag und das Verwaltungsabkommen ein Zusammenschluss schon vorliege, „da die Tätigkeit beider Unternehmen auf allen wesentlichen Gebieten durch gemeinschaftliche Organe bestimmt wird“.52 Ausdrücklich wies die Hohe Behörde in dem Schreiben darauf hin, dass es keinen Grund gab, Artikel 66 § 5 anzuwenden. Dieser Absatz erlaubte es der Hohen Behörde, schon bestehende Zusammenschlüsse wieder aufzulösen. Dies hieß nichts anderes, als dass die negativen Kriterien des Artikels 66 § 2 nicht erfüllt waren. Die Hohe Behörde hätte also den Antrag auch genehmigt, wenn sie zu dem Schluss gekommen wäre, dass die Unternehmen noch getrennte Einheiten darstellten.53 Ein Punkt wurde in dem Schreiben der Hohen Behörde interessanterweise nicht erwähnt: die Tatsache, dass beide Gesellschaften von dem gleichen Aktionär kontrolliert wurden.54 Die abgeschlossenen Verträge waren aber eine Konsequenz der Eigentumsverhältnisse. Nun musste sie auch nicht öffentlich zur Tatsache Stellung nehmen, dass ein sehr enger Verwandter, nämlich die Tochter des Großaktionärs von Phoenix und Rheinrohr, ebenfalls über eine Reihe von Mehrheitsbeteiligungen an Nachfolgegesellschaften der VSt verfügte. Hätte man diese Konstruktion nicht einmal näher untersuchen können? Die Hohe Behörde hatte es offensichtlich bewusst vermieden, die wirklich interessanten Fragen dieses Zusammenschlusses zu behandeln. Unwissen kann es nicht gewesen sein, denn die Kartellabteilung hatte über das Verhältnis zwischen den beiden Thyssen-Finanzholdings, der Fritz Thyssen-Vermögensverwaltungs AG und der Thyssen AG für Beteiligung während des Genehmigungsverfahrens Informationen eingeholt.55 51 52 53 54

55

TA NSt 82 Hartmann an Steinberg 24. 11. 1954. TA NSt 82 Hohe Behörde an Hüttenwerk Phoenix 9. 2. 1955, B 102 Hohe Behörde an Rheinische

Röhrenwerke 9. 2. 1954. Auf diesen Absatz hatten die Unternehmen sehr großen Wert gelegt. TA NSt 82 Hartmann an Steinberg 24. 11. 1954. Die Rechtsabteilung hatte argumentiert, dass eine förmliche Genehmigung notwendig sei. Sie hatte sich aber nicht gegen die Kartellabteilung durchsetzen können. R 160193 Vermerk über die Sitzung des Koordinationsausschusses von Phoenix-Rheinrohr vom 5. 2. 1955 im Kasino des Phoenix 6. 2. 1955, gez. Ellscheid. BA B 102/22311 Coenen an Hamburger 18. 11. 1954.

226 Damit war also nur acht Monate nach Inkrafttreten der Durchführungsverordnungen des Artikels 66, die den wahren Beginn der Genehmigungspolitik bedeutet, schon wieder ein Zusammenschluss möglich geworden, der in der alliierten Neuordnung trotz großen politischen Drucks der deutschen Seite nicht gestattet wurde. Allerdings wurde die Durchführung der Verschmelzung der Hüttenwerke Phoenix auf die Rheinischen Röhrenwerke noch einmal gefährdet – nicht durch die Kartellbehörde, sondern durch einen anderen Aktionär, der andere Ziele verfolgte als die ehemaligen Großaktionäre der VSt. Der Aktionär, der in den folgenden Jahren – letztlich ohne Erfolg – immer wieder Versuche unternahm, die Kontrolle über eine Nachfolgegesellschaft der VSt zu erlangen, war ein Bremer Holzkaufmann namens Hermann Krages. Krages, die „Sensation des Ruhrgebiets“56, hatte in der Zeit vor dem Umtausch der Aktien, als die Zukunft der VSt aufgrund Demontage und Entflechtung völlig ungewiss war, ein Aktienpaket von ca. 13,8 Mio RM zusammengekauft. Nach dem Aktienumtausch war dieses Paket rund 42 Mio DM wert, da auf 1000 RM VSt-Aktien-Anteile im Wert von 3000 DM an die Nachfolgeunternehmen ausgegeben wurden.57 Durch die Ausgabe des Pro-rata-Prinzips war Krages nun Eigentümer an einer Reihe von Nachfolgegesellschaften mit erheblichen Anteilen – wenn auch nie mit einer Hauptversammlungsmehrheit. So teilte Krages den Verwaltungen der Unternehmen Phoenix und Röhrenwerke mit, dass er ein genügend großes Aktienpaket an den Rheinischen Röhrenwerken besitze, um die Verschmelzung, die in der Hauptversammlung eine 75 %-Mehrheit benötigte, zu verhindern. Krages war der Meinung, dass die Verbindung die Hüttenwerke Phoenix begünstige, da die Rheinischen Röhrenwerke auf dem freien Markt zu günstigeren Preisen Halbzeug beziehen könne.58 Dem Vorstand der Rheinischen Röhrenwerke teilte er schriftlich die Bitte mit, die Fusion zu unterlassen.59 Der Rechtsberater von Herman Krages, Professor Dr. Meilicke, hatte sogar schon einen Antrag an die Hohe Behörde verfasst, der wohl nie abgeschickt wurde.60 In diesem betonte er im Namen von Krages die Fusion im Widerspruch zu den alliierten Entflechtungsbestimmungen. Mit einer Genehmigung würde auch die alliierte Verkaufsauflage hinfällig werden. Die Aktionäre, welche ihre Aktien nun im Vertrauen auf die Durchführung der alliierten Entflechtungsmaßnahmen erworben hätten, würden damit benachteiligt.61 Dass eine solche Argumentation die Beliebtheit 56 57 58 59

60 61

Die Legende um Hermann Krages, Der Volkswirt 8/55, S. 23f., Der Spiegel, 26. Januar 1955, Kennen Sie Herrn Krages?, S. 20ff. Der Spiegel, 26. Januar 1955, Kennen Sie Herrn Krages?, S. 20ff. TA NSt 86 Aktenvermerk 23. 10. 1954, Besprechung Krages/Meilicke und Mommsen, Ellscheid an Steinberg 24. 10. 1954. Es gebe genügend Beispiele, wie z.B. das Walzwerk Wuppermann in Leverkusen, die auch ohne eigene Rohstahlbasis erfolgreich seien. R 160193 Krages an Vorstand Rheinische Röhrenwerke 27. 10. 1954, Ellscheid an Krages 31. 1. 1955. Der Spiegel, 8. Februar 1956. Großaktionär Krages, S. 21. TA NSt 86 Prof. Dr. Heinz Meilicke an Krages 7. 1. 1955, Betr. Rheinrohr, Prof. Dr. Heinz Meilicke an die Hohe Behörde o. D.

227 Krages bei den meisten Unternehmensverwaltungen und Großaktionären der Montanunternehmen an Rhein und Ruhr nicht gerade steigerte, ist wohl leicht verständlich. Nach schwierigen Verhandlungen, in denen sich die Verhandlungspartner gegenseitig des Wortbruchs bezichtigten, gelang es Goergen schließlich, Herman Krages die Aktien von Rheinrohr abzukaufen.62 So konnten schließlich die Hauptversammlungen der beiden Gesellschaften Ende Juni 1955 die Fusion beschließen. Das neue Unternehmen hieß nun Phoenix Rheinrohr AG.63 Wie auch bei den mittleren Konzernen versuchte man das Wort ‚Rekonzentration‘ tunlichst zu vermeiden. Auf der Hauptversammlung betonte der Vorstand: In unserem Fall wird nichts konzentriert oder rekonzentriert, sondern lediglich der ursprüngliche, niemals geänderte deutsche Vorschlag verwirklicht, das zusammen zu lassen, was zusammen gehört, und es nicht gegen jede wirtschaftliche Vernunft gewaltsam auseinanderzureißen.64

Das Beispiel Herman Krages wiederum zeigte, dass die Zusammenführungsstrategien einiger Großaktionäre und Unternehmensverwaltungen davon abhingen, dass kein Aktionär Einfluss bekam, der diese Pläne nicht unterstützen würde.65

5.4 Die Bildung der ATH-Unternehmensgruppe und die Politik der Hohen Behörde In einem zweiten Teil sollen nun die Zusammenschlüsse untersucht werden, die bis Ende 1957 zu der Entstehung der „August Thyssen-Hütte Unternehmensgruppe“ führten, die laut Volkswirt vom 7. Dezember 1957 mit über 40 % von der Thyssen AG für Beteiligungen (TfB) kontrolliert wurde. Dies war insofern bemerkenswert, als die TfB sich per-

62

63 64 65

TA NSt 86 Goergen an Hölling 3. 2. 1955, Abschrift, gez. Hölling 31. 1. 1955, NSt 48 Steinberg Aktennotiz 31. 3. 1955 Betrifft: Angriff gegen Herrn Goergen/Telefonat am Abend des 30. 3. 1955, NSt 86 Kleinheidt, Dr. Reinicke an Goergen 24. 3. 1955, Kleinheidt an Hartmann 15. 2. 1955. Interessant ist, dass Ellscheid auch vertrauliche Informationen von der IG Metall bzw. Vorstandsmitglied Heinrich Sträter hatte, der seine Informationen über die Bank für Gemeinwirtschaft hatte. Die Angabe von 18 % hielt Ellscheid aber für zu hoch. TA NSt 48 Ellscheid an Steinberg 16. 5. 1955, NSt 86 Abschrift Vereinbarung, gez. Krages Goergen 1. 6. 1955, NSt 48 Ellscheid an Steinberg 16. 5. 1955. Stahl und Eisen v. 30. 6. 1955, Phoenix-Rheinrohr AG, Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke, S. 879ff. TA NSt 119 Ausführungen von Dr. h. c. Fritz Aurel Goergen auf der 6. Ordentlichen HV der Hüttenwerke Phoenix AG am 22. 6. 1955 in Düsseldorf. Wie es die Großaktionäre später selber schilderten: „Die Ereignisse vor der Verschmelzung von Phoenix Rheinrohr hatten den Thyssengesellschaften gezeigt, wie gefährlich größere Aktienpakete in der Hand von Spekulanten werden können.“ MAE Ambassade RFA 129, Bonn Fritz Thyssen Vermögensverwaltung, Thyssen AG für Beteiligung, gez.: Coenen, Großmann, Henkel, Wecker an den Gemischten Ausschuss z. Hd. Dr Wellhausen, 14. August 1959 S. 8

228 manent auf die DEW und ‚transitorisch‘ auf die Niederrheinische Hütte konzentriert hatte – und nicht auf die ATH. Die Frage der Kontrolle der ATH muss also bei den Zusammenschlüssen eine Rolle gespielt haben. Insofern soll gerade diese Frage und ihre Behandlung durch die Hohe Behörde näher untersucht werden. Eigentlich hätte die ‚Konzentrierung‘ der TfB auf die Nachfolgegesellschaften DEW und Niederrhein – und nicht die ATH – als Ergebnis des ‚Thyssenschen Dekonzentrationsplanes‘ sofort Fragen aufwerfen müssen. Als die ATH schließlich am 2. Mai 1953 offiziell gegründet wurde, war nämlich eine betriebswirtschaftliche Entscheidung gefallen, deren Bedeutung man für die spätere Entwicklung der westdeutschen Stahlindustrie kaum überschätzen kann. Bei der ATH wurde die erste vollkontinuierliche Breitbandstraße in der Bundesrepublik errichtet.66 Damit arbeitete die ATH mit der modernsten Technologie hinsichtlich der Flachstahlerzeugung, welche gerade in den fünfziger Jahren in Europa zunehmend an Bedeutung gewann. Schon auf der Hauptversammlung der ATH am 14. Mai 1954 hatte Sohl die Isolierung der ATH von Werken bemängelt, mit denen sie im alten Verbund der VSt zusammengearbeitet hatte.67 So konnte es deshalb auch nicht völlig überraschen, als die ATH der Hohen Behörde mitteilte, dass sie mit Niederrhein einen Interessengemeinschaftsvertrag abgeschlossen hatte – unter Vorbehalt der Genehmigung der Hohen Behörde.68 Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wurde dieser Zusammenschluss damit begründet, dass die Niederrheinische Hütte ein bedeutender Abnehmer des Halbzeugs der ATH sei, welches zu Stabstahl und Walzdraht weiterverarbeitet wurde. Der Schwerpunkt der ATH liege auf dem Flachstahlgebiet. Ohne eine Verbindung müsse Niederrhein in die Rohstahlerzeugung investieren, die ATH wiederum müsse mittelfristig ihr Walzprogramm nach der Stabstahl- und Walzdrahtseite ausbauen. Deshalb würde ein Zusammengehen interessante Kostenvorteile bieten. Nur kurze Zeit später erklärte die ATH, dass sie der Hauptversammlung am 12. Oktober 1955 eine Ermächtigung einer Kapitalerhöhung bis um 1. Oktober 1960 um 57,5 Mio DM zur Genehmigung vorlegen werde. Die ATH wolle dann im Austausch gegen die Ausgabe neuer ATH-Aktien das Niederrhein-Paket der Thyssen AG für Beteiligungen erwerben.69 Damit würde die ATH die Aktienmehrheit an Niederrhein erwerben.70 Gleichzeitig bedeutete dies auch eine erhöhte Beteiligung der Thyssen AG für Beteili66 67

68 69 70

Treue, 1926–1966, S. 196ff. Stahl u. Eisen v. 17. 6. 1954: August Thyssen Hütte AG, Duisburg – Hamborn, S. 860ff. Die Niederrheinische Hütte war in der alten VSt-Zeit nämlich Teil der Betriebsgesellschaft August Thyssen-Hütte AG – stand also in einer Art Tochter-Mutter-Verhältnis zur ATH. HAEU CEAB 4/1029 Die geschichtliche Entwicklung und wichtigsten Daten der ATH und NH. BA B 102/22310 ATH an Hohe Behörde 15. September 1955. BA B 102/22310 ATH an Hohe Behörde 4. Oktober 1955. BA B 102/22310 13. Juni 1956, Betr.: Abschluß eines Interessensgemeinschaftsvertrages zwischen der August Thyssen Hütte AG (ATH) und der Niederrheinischen Hütte AG (Niederrhein) sowie der Erwerb von Aktien der Niederrheinischen Hütte AG durch die August Thyssen Hütte AG.

229 gung an der ATH. Die TfB würde ihre Anteile an Niederrhein gegen ATH-Aktien eintauschen und damit ihre Beteiligung an der ATH ausbauen. Dieser Zusammenhang des Antrags war natürlich auch nicht den zuständigen Abteilungen in der Hohen Behörde verborgen geblieben.71 Wer kontrollierte die ATH zum Zeitpunkt der Antragstellung? Die Kartellabteilung der Hohen Behörde stellte in ihrem Bericht Ende Januar 1956 fest, dass im Juli 1955 die Beteiligung der TfB 15 % betrug, die der FTV 13 % und die der Rheinischen Stahlwerke 16 %.72 Die Abteilung stellte nun die Frage, ob die TfB und die FTV als eine Gruppe anzusehen seien. Dies hätte eine gemeinsame Kontrolle der ATH und der PR bedeutet. Birrenbach hatte auf Anfrage Hamburgers in einem Memorandum schon darzulegen versucht, dass die Investitions- und Dividendenpolitik der beiden Holdinggesellschaften „mit aller Eindeutigkeit“ unterschiedlich seien.73 Die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Eigentümer der beiden Gesellschaften – Mutter und Tochter – wurden in dem Bericht der Kartellabteilung als „nicht ausreichend“74 angesehen, um eine Verbindung festzustellen. Auch sei der Abteilung von den Mitarbeitern der Vermögensverwaltung erklärt worden, so der Bericht, dass Gräfin Zichy, die Tochter Fritz Thyssens, die ATH-Beteiligung bei günstiger Gelegenheit verkaufen würde. Frau Thyssen wolle wiederum diesen Besitz konsolidieren. Auch seien beide Vermögensverwaltungen voneinander rechtlich getrennt. „Nachweisbare Abreden“ zwischen beiden Gruppen seien nicht bekannt. Deshalb sei auch die Tatsache, dass Vertreter beider Gesellschaften in dem Aufsichtsrat der ATH vertreten seien, nicht als „Baustein“ einer Gruppe anzusehen. Die Kartellabteilung nahm allerdings Anstoß an einem bedeutenden Paket ATH-Aktien, die nun dem Bankhaus Sal. Oppenheim gehörten.75 Dies war die Rheinstahl-Beteiligung von 16 % an der ATH, die diese aufgrund der Verkaufsauflage im Herbst 1955 verkauften.76 Das ATH-Paket wurde von Rheinstahl an das Bankhaus Oppenheim als 71 72 73

74 75 76

HAEU CEAB 4/1029 Bitte um die Erteilung von Richtlinien für die Bearbeitung der Genehmigungsanträge August Thyssen Hütte AG und Niederrheinische Hütte AG 31. Januar 1956. HAEU CEAB 4/1029 Bitte um die Erteilung von Richtlinien für die Bearbeitung der Genehmigungsanträge August Thyssen Hütte AG und Niederrheinische Hütte AG 31. Januar 1956, ders., S. 7. BA N 1254/84 Birrenbach an Hamburger 14. 12. 1955, Aktennotiz Vergleich der Dividenden- und

Investitionspolitik der Thyssen A.G. für Beteiligungen und der Fritz Thyssen Vermögensverwaltung A.G, Düsseldorf, den 12. 12. 1955, gez. Birrenbach, S. 4. TA CEAB 4/1029 Bitte um die Erteilung von Richtlinien für die Bearbeitung der Genehmigungsanträge August Thyssen Hütte AG und Niederrheinische Hütte AG 31. Januar 1956, ders., S. 8. TA A 7591 Aktennotiz 14. 12. 1955, gez. Dr Spethmann. Zwischenzeitlich hatten die Rheinischen Stahlwerke sogar erwogen, dieses Paket Herman Krages zu verkaufen, und erst nach massivem Drängen von Seiten Pferdmenges, wobei er auch das Interesse der Bundesregierung an einem ungestörten Aufbau der Thyssen-Gruppe erwähnte, wurde diese Idee fallen gelassen. Bei den Rheinischen Stahlwerken kam man zu dem Schluss, dass man es sich nicht leisten könne, in zu „starkem Gegensatz zu Pferdmenges“ und wahrscheinlich auch zum Bundeskanzler selbst zu bringen. TA RSW 3913 Linz an Söhngen 11. 7. 1955.

230 Treuhänder verkauft, da aufgrund der alliierten Bestimmungen die beiden Thyssen-Holding-Gesellschaften nicht direkt als Käufer auftreten durften. Bei Oppenheim lagen aus ähnlichen Gründen schon bedeutende Aktienpakete von anderen Nachfolgegesellschaften der VSt (Erin Bergbau AG (44 %) und der GBAG (5 %)). Deshalb äußerte die Kartellabteilung Bedenken, dass hier der Eindruck aufkommen würde, ein großer Zusammenschluss bahne sich an.77 Hier regte die Kartellabteilung nun einen direkten Erwerb der ATH-Aktien durch die Thyssen-Holdings an. Auch auf die Verkaufsauflagen ging der Bericht der Kartellabteilung ein.78 Diese seien nämlich für die Hohe Behörde nicht zu berücksichtigen, da sie sich nur an Artikel 66 zu halten habe. In der Arbeitsgruppe stand dann die Frage im Vordergrund, ob es sich bei den beiden Thyssen-Vermögensgesellschaften um eine Gruppe handle.79 Auch Etzel sollte fast eineinhalb Jahre später berichten, dass er jedes Mitglied der HB aufgesucht habe, um klar zu machen, dass zwischen den Gruppen keinerlei Verbindung bestehe. Die gemeinsame Verbindung über die Beteiligung an der ATH werde schon irgendwie, so Etzel zu seinen Kollegen, abgebaut werden.80 Wie auch immer die Einzelgespräche abliefen, die Hohe Behörde beschloss auf ihrer Sitzung am 23. Mai 1956 gemäß der Sitzung am 25. April, den Erwerb der NiederrheinAktien durch die ATH. Es wurde beschlossen, „die Veränderungen in der Aktienverteilung, die nach dem Ableben eines der Nachfolger Dr. Fritz Thyssens auftreten könnten“, noch nicht zu berücksichtigen.81 Dies hieß nichts anderes, als dass man ganz offensichtlich innerhalb der Hohen Behörde davon ausging, dass es möglicherweise doch eine Auswirkung der verwandtschaftlichen Verhältnisse auf die Unternehmensstruktur gab. Die alleinige Kontrolle der ATH durch die TfB wurde festgestellt. Der Erwerb der Oppenheim ATH-Aktien durch die beiden Finanzholdings dagegen bedurfte deshalb keiner Genehmigung.82 In der Entscheidung wurden dann die folgenden Kontrollverhältnisse festgestellt: Die TfB kontrolliere nun alleine die ATH mit 36,9 %. Die Beteiligung von FTV an der ATH 77 78 79 80

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TA A 7591 Betr. Unsere Anträge in Luxemburg betr. Niederrhein und Erin 10. 1. 1956. TA CEAB 4/1029 Bitte um die Erteilung von Richtlinien für die Bearbeitung der Genehmigungsanträge August Thyssen Hütte AG und Niederrheinische Hütte AG 31. Januar 1956, TA Sohl 1192 Notiz Betr. Stand unserer Anträge an die Hohe Behörde wegen Niederrhein und Erin,

gez. Spethmann, 22. März 1956. Bei der ATH wollte man erfahren haben, dass es Bestrebungen innerhalb der Hohen Behörde gab, die Tochter Thyssen zu verpflichten, im Fall eines „Erbfalles“ einen Genehmigungsantrag hinsichtlich der Übernahme des Besitzes von Amélie Thyssen zu erteilen. Dies wurde mit Art 66 § 3 begründet, in dem es hieß, dass die Hohe Behörde eine Genehmigung mit allen Auflagen erteilen könne. TA Sohl 1192 Aktennotiz Betr ATH Niederrhein Erin-Stand unserer Anträge in Luxemburg 18. 4. 1956, gez. Spethmann. HAEU CEAB 2/731 Protokoll über die 314. Sitzung der Hohen Behörde vom 25. April 1956, Luxemburg, den 28. April 1956, S. 3f. HAEU CEAB 2/732 Protokoll über die 320. Sitzung der Hohen Behörde vom 23. Mai 1956, Luxemburg, den 25. Mai 1956, S. 3.

231 betrug 19,5 %. Die FTV kontrolliere mit 54 % auch die Phoenix-Rheinrohr AG. Da die Verwaltungen der FTV und TfB völlig getrennt seien, könne von einer gemeinsamen Gruppe ATH/PR nicht die Rede sein.83 Weiter kontrolliere die TfB mit 54 % die DEW, so dass es eine indirekte Konzentration zwischen ATH, Niederrhein und DEW gebe. Damit war de facto auch der Zusammenschluss ATH/Niederrhein/DEW genehmigt.84 Die Mehrheit der DEW-Aktien lag bei der TfB (53 %); die TfB wiederum kontrollierte die ATH.85 Das Ergebnis war eine neue Unternehmensgruppe ATH/Niederrhein/DEW, die von der TfB kontrolliert wurde.86 Nach der Genehmigung des Zusammenschlusses ATH/DEW/NH konnte die ATH mit dem genehmigten Kapital von 57,5 Mio DM im Juni 1956 35 Mio DM ATH-Aktien gegen 41 Mio DM Niederrhein-Aktien der TfB tauschen. Ende 1956 wurde dann ein Angebot an die freien Aktionäre gemacht, so dass die ATH danach 96 % der Niederrhein besaß. Die rechtliche Unabhängigkeit blieb erhalten.87 In der gleichen Weise wurden bis März 1958 94 % des Grundkapitals der DEW erworben. So bestand im März 1958 die montanrechtlich sanktionierte Unternehmensgruppe der ATH/Niederrhein/DEW, welche auf die Erzeugung von Flachstahl, Walzdraht, Stabstahl und Edelstahl spezialisiert war. Die Fachabteilungen der Hohen Behörde hätten in der Frage der Existenz einer oder zweier Thyssen-Gruppen wohl anders argumentieren können, wenn sie die entsprechende politische Weisung erhalten hätten. Etzel hatte den beiden Holdings angeboten, die Frage der Behandlung der beiden Thyssen-Erben als eine „Gruppe bei der Hohen Behörde durchzupauken“.88 Dies sei nicht ohne Risiko, er persönlich sei allerdings bereit, „diese Sache auf die Hörner zu nehmen“. Die Vertreter der Thyssen-Gruppen lehnten dies zu diesem Zeitpunkt ab. Auf der anderen Seite bestand im Kreise der Hohen Behörde wohl kein Zweifel darüber, dass die Frage der Zusammengehörigkeit der beiden Thyssen-Gruppen noch einmal auf die Tagesordnung kommen würde. 83

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HAEU CEAB 2/732 Protokoll über die 320. Sitzung der Hohen Behörde vom 23. Mai 1956, Luxemburg, den 25. Mai 1956, Anlage 2, Décision du 23 mai 1956., S. 4, HAEU CEAB 2/4105. Aide Mémoire für den Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments. Historische Darstellung der Zusammenschlussentwicklung im Thyssen-Bereich, S. 6. TA Sohl 1192 Aktennotiz 1. 6. 1956, Betr. Luxemburg, gez. Wecker. HAEU CEAB 2/4105 Hohe Behörde, Historische Darstellung der Zusammenschlussentwicklung im Thyssen-Bereich, 20. 9.1963, S. 6. BA B 102/22310 13. Juni 1956, Betr.: Abschluß eines Interessensgemeinschaftsvertrages zwischen der August Thyssen Hütte AG (ATH) und der Niederrheinischen Hütte AG (Niederrhein) sowie der Erwerb von Aktien der Niederrheinischen Hütte AG durch die August Thyssen Hütte AG., HAEU CEAB 2/4105 Hohe Behörde Aide mémoire für den Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments 20. 9. 1963. S. 6. Uebbing, 1926–1969, S. 216ff. PR 57148 Betr. Politische Atmosphäre im Hinblick auf die Rekonzentration der Vereinigten Stahlwerke insbesondere einer Verbindung zwischen Phoenix Rheinrohr und der August Thyssen Hütte, gez. Köster 6. 9. 1957

232 Dieser Fall zeigt auch wieder den Vorteil für die Hohe Behörde, dass sie es unterlassen hatte, sich auf eine genaue Methode hinsichtlich der Untersuchung der Erfüllung der Kriterien des Artikels 66 § 2 festzulegen. So konnte sie ihre politische Position jeweils mit den gewünschten quantitativen Angaben begründen, deren Bedeutung jedoch überhaupt nicht festgelegt worden war. So kam die Hohe Behörde zu dem Schluss, dass die Gruppe ATH/DEW/Niederrhein im Jahr 1954/55 insgesamt nur 1,64 Mio t Rohstahl produziert habe – was einen Anteil an der Gesamtproduktion der Bundesrepublik von 8 % und nur 3,2 % der Gemeinschaftsproduktion ergab. Bei der Walzstahlproduktion wurden diese Anteile mit 1,01 Mio t Walzstahl angegeben (8 % der Produktion der Bundesrepublik und 3 % der Gemeinschaft). Die Produktion der DEW wurde getrennt angegeben, da es sich um Edelstahl handelte (13,1 % Anteil an der Erzeugung in der Bundesrepublik und 5,6 % Anteil an der Gemeinschaftsproduktion). Diese gaben aber nicht wieder, dass die ATH mittlerweile über ein sehr breit gefächertes Produktionsprogramm verfügte. Die kontrollierenden Werke waren je auf die Produktion von ein oder zwei Walzstahlprodukten spezialisiert (ATH: Flachstahl, DEW: Edelstahl, Niederrhein: Draht, Stabstahl). Dies ging aus Angaben, die sich auf Oberbegriffe wie ‚Rohstahl‘ oder ‚Walzstahl‘ bezogen, nicht hervor. Auch ging aus diesen Zahlen nicht hervor, dass die ATH zu diesem Zeitpunkt das einzige Unternehmen in der Bundesrepublik war, welches eine Warmbreitbandstraße betrieb. Das auf der Straße gewalzte Breitband (Coils) wurde wiederum als Vormaterial für die Herstellung von einer Reihe von Flachstahlsorten (Feinblech, Weißblech) auf Kaltwalzstraßen verwandt. Dies warf hinsichtlich der Möglichkeit der ATH, Kontrolle über Vertrieb und Preise der Coils im Sinne des Artikels 66 auszuüben, einige Fragen auf, die aber in der Entscheidung überhaupt nicht diskutiert wurden. So wurde eine Entscheidung der Hohen Behörde wieder einmal mit quantitativen Angaben begründet, die wenig Aussagewert hatten. Noch merkwürdiger ist die Tatsache, dass die Hohe Behörde in der Entscheidung über die Genehmigung der Aktienmehrheit der Schiffswerft Howaldtswerke Hamburg AG durch die DHHU, die auf der gleichen Sitzung verabschiedet wurde, plötzlich die Produktionsanteile eines einzelnen Walzwerkserzeugnisses aufführte (Grobblech).89 Die DHHU übernahm die Howaldtwerke auch, um einen Absatz für die in der DHHU produzierten Grobbleche zu sichern – insofern war es nachvollziehbar, dass die Hohe Behörde angab, wie viele Grobbleche an die Howaldtwerke geliefert wurden. Aber wieso hatte man sich bei der ATH auf die Angabe von Walzwerkserzeugnissen insgesamt beschränkt und nicht einmal die Marktverhältnisse an einzelnen Walzstahlprodukten untersucht? Die ATH war nämlich Ende 1957 mit einer Reihe von Unternehmen über Minderheitsbeteiligungen und langfristige Lieferverträge verbunden. Diese Unternehmen waren entweder Abnehmer des Hauptprodukts der Warmbreitbandstraße

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HAEU CEAB 2/732 Protokoll über die 320. Sitzung der Hohen Behörde vom 23. Mai 1956, Luxemburg, den 25. Mai 1956, S. 3ff.

233 der ATH – den so genannten Coils, ein Vorprodukt für die Blecherzeugung – oder Bergbaugesellschaften. Es ging also um Sicherung des Absatzes und der Rohstofflieferungen – eigentlich klassische Untersuchungsgebiete des Artikels 66. Wie nun aufgezeigt werden soll, spielte hier die Hohe Behörde nur eine sehr beschränkte Rolle, da die ATH zum Teil geschickt kontraktuelle Verhältnisse mit Kunden einging, die ihrer Meinung nach nicht ein Zusammenschluss im Sinne des Artikels 66 waren. Ähnliches gilt auch für das Verhältnis der ATH zu Bergbauunternehmen.

5.5 Die ATH-Unternehmensgruppe und die Bindung zur Kohle Die ATH gilt in der Forschung als das Unternehmen mit einer – im Vergleich mit anderen Stahlunternehmen an der Ruhr – geringen Neigung zu einer direkten Eigentumsbindung zur Kohle. Sohl habe zwar die Erin Bergbau AG erworben, „fand aber so wenig Freude daran, dass Sohl den Anteil bald wieder abstieß“.90 Ansonsten habe Sohl „keine starke Neigungen zur traditionellen Verbundwirtschaft“ gehabt. Sohl habe ansonsten den „oligopolistischen Wettbewerb“ verfolgt und den Weg in die „Vertrustung nach dem Vorbild der amerikanischen Stahlindustrie“ gesucht.91 Es waren die Bestimmungen der alliierten Neuordnung, die eine enge Bindung der ATH an die Kohle verhinderten. Sohl drängte noch auf eine langfristige Beteiligung an der GBAG, als die Kohlenkrise in der Bundesrepublik schon ausgebrochen war. Auch hier ist interessant zu sehen, wie schon Verabredungen aus der Zeit der Neuordnung die Politik der ATH bestimmten – und wie die Hohe Behörde regelrecht Ratschläge erteilte, wie eine Genehmigung am einfachsten zu erlangen war. Die Verbindung zur Kohle ging auf die „Grundsatzvereinbarung“ vom Juni 1952 zwischen Sohl und Springorum, der in der VSt-Zeit für die GBAG zuständig war und nach ihrer Gründung ihr erster Vorstandsvorsitzender, zurück. Die Amerikaner wollten der Gründung der GBAG, welche die meisten Bergbaugesellschaften der ehemaligen VSt übernahm, in der Neuordnungsdiskussion nur zustimmen, wenn gleichzeitig die unabhängige Gründung der Erin Bergbau AG sichergestellt sei und gleichzeitig die ATH nicht die Zeche Lohberg besitzen würde. Die ATH verzichtete schließlich auf eine Bindung zur Zeche Lohberg, die nun Teil der Hamborner Bergbau AG wurde, die wiederum mit einem dreißigjährigen Liefervertrag mit der ATH verbunden war.92

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Berghahn, Unternehmer, S. 284ff. Berghahn, Unternehmer, S. 285. TA A 7591 Spethmann an Sohl, Betr. Genehmigung Zusammenschluss ATH/GBAG/Erin, Sohl, S. 189f., 20. 7. 1956.

234 Als Gegenleistung für den Verzicht der ATH schlossen Sohl und Springorum eine geheime Grundsatzvereinbarung über eine zukünftige gemeinsame Kontrolle von ATH und GBAG über die Erin Bergbau AG.93 Im Rahmen des Aktientausches zwischen den Großaktionären der VSt hatten die Rheinischen Stahlwerke ihre Aktien der Erin Bergbau AG an die GBAG verkauft.94 Die Thyssen-Holding-Gesellschaften wiederum hätten ihre Erin-Aktien gerne direkt an die ATH weitergegeben. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Besatzungsstatut beendet, so dass die ATH zu dem Kauf laut dem ‚Thyssenschen Dekonzentrationsplan‘ noch nicht berechtigt war. Deshalb übernahm das Bankhaus Oppenheim die ErinAktien, wobei mündlich vereinbart wurde, dass diese später an die ATH abgegeben würden.95 Inoffiziell kontrollierten die ATH und die GBAG gemeinsam über 75 % der Erin Bergbau AG.96 Dies war insofern wichtig, um das Selbstverbrauchsrecht im Rahmen der Verordnungen des GEORG, des Kohlenkartells, zu erlangen.97 Um dieses Recht zu erreichen, musste man mindestens 51 % des Kapitals einer Gesellschaft besitzen. Schließlich reichte die gemeinsame Beteiligung ATH/GBAG an der Erin auch aus, eine steuerliche Organschaft zu begründen, die 75 % des Grundkapitals überschritt.98 So schlossen die beiden Hauptaktionäre am 29. Juni 1955 einen Grundsatzvertrag, in dem einer Tochtergesellschaft der GBAG die Betriebsführung für die Erin Bergbau AG zugeschrieben wurde. Weiter regelte der Vertrag die Gewinn- und Verlustverteilung zwischen ATH und GBAG.99 Der Hohen Behörde wurde nun am 17. Oktober 1955 ein Memorandum vorgelegt, dass ATH und die GBAG gemeinsam 85 % der Zeche Erin besitzen würden.100 Eine Ge93

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TA A 7591 So genannte „Grundsatzvereinbarung“ aus dem Jahre 1952, (handschriftlich zwischen Herrn Dr Sohl und Herrn Springorum GBAG auf dem Wege zum Bundeskanzler fixiert), Sohl

spricht von „gewissen Vereinbarungen“ in seinen Memoiren. S. 190, siehe auch: A 7591 Betr. Erin/ Hohe Behörde, gez. Spethmann 14. 12. 1955. TA A 7590 Ellscheid an Sohl 15. 9. 1954, Betr. Erin Aktien. TA A 7590 Wecker an Sohl Betr. Erin 7. 10. 1954. Darüber gibt es keine schriftlichen Vereinbarungen. TA A 7591 Aktennotiz Betr. Organschaftsvertrag, gez. Jaekel 16. 1. 1956, TA A 7590 Niederschrift über die Sitzung am 6. April 1955 in Essen. Die GBAG hatte mit der ATH einen ‚Sonderlieferungsvertrag‘ abgeschlossen, der es der ATH erlaubte, zu Selbstverbrauchskonditionen Kohle zu beziehen. Diese ‚Sonderlieferungsverträge‘ waren allerdings zeitlich begrenzt, so dass die Kontrolle der Erin Bergbau AG längerfristige Versorgungssicherheit bot. TA A 7590 Niederschrift über die Sitzung am 6. April 1955 in Essen. TA A 7590 Rechtsabteilung an Sohl 26. 7. 1954. HAEU CEAB 2/735 Entwurf für die Entscheidung über die Genehmigung des Erwerbs von Aktien der Erin Bergbau AG durch die ATH und die GBAG sowie des Abschlusses einen Grundsatzvertrages zwischen der ATH und der GBAG und eines Organschaftsvertrages zwischen diesen Gesellschaften einerseits und der Erin Bergbau AG andererseits, S. 4., Der Volkswirt 24. 3. 1956, S. 28, 12 v. H. Dividende für die freien Aktionäre, Der Volkswirt, S. 31 Kapitalerhöhung bei der Thyssenhütte 7. Juli 1956. TA A 7591 An die HB von ATH-Vorstand 14. 1. 1956.

235 nehmigung dieses Kontrollzustandes sei nicht nötig, da dieser auch schon vor der Einführung der Genehmigungspflicht bestanden hätte. Dieser Argumentation wollte dann Hamburger allerdings nicht folgen. Denn damit hätte er zugestimmt, dass „die alliierte Entflechtung praktisch ins Leere gegangen sei“.101 Hamburger war mittlerweile auch hinsichtlich der Rolle der Bank Oppenheim misstrauisch geworden, denn diese hatte – zumindest teilweise – ihre Erin-Aktien an die ATH bzw. GBAG abgegeben. So stellte Hamburger an die GBAG eine Anfrage, ob es zwischen der ATH und der GBAG sowie dem Bankhaus Oppenheim „mündliche“ oder „schriftliche“ Abmachungen über eine gemeinsame Kontrolle der Erin Bergbau AG gegeben hätte.102 Hamburger wies dann im Gespräch mit Spethmann auf einen Weg hin, wie der Zusammenschluss durchaus genehmigungsfähig wäre. Eine Übernahme der Erin-Aktien nur durch die ATH bzw. der GBAG würde kein Problem darstellen. Da die ATH eine Mehrheitsbeteiligung an Erin nachweisen müsse, um das Werksselbstverbrauchsrecht zu erlangen, sei eine Übernahme durch die ATH die einfachste Lösung. Eine Minderheitsbeteiligung der GBAG an Erin würde ihn dann nicht mehr interessieren.103 So beantragte dann die ATH am 14. Januar 1956 in einem Schreiben der Hohen Behörde, 51 % des Grundkapitals der Erin Bergbau AG zu erwerben, um das „Werksselbstverbrauchsrecht“ im Sinne der Ruhrkohlenverkaufsorganisation zu erwerben.104 Damit war auch das Schreiben der Hohen Behörde an die GBAG hinsichtlich der Rolle der Bank Oppenheim hinfällig.105 Dann schwenkte die Hohe Behörde als ein Ergebnis ihrer Untersuchung wieder auf die Position um, dass die beantragte Transaktion zu einer gemeinsamen Kontrolle der Erin durch GBAG/ATH führen würde, so dass sich die GBAG am 13. Juni 1956 dem Antrag der ATH anschloss.106 Als entscheidendes Argument für die Genehmigung wurde in der Diskussion der Hohen Behörde die Tatsache angeführt, dass die ATH mit der Erin-Beteiligung sowie einem langfristigen Vertrag mit der Hamborner Bergbau AG immer noch nur etwa 54 % ihrer notwendigen Kohlenbezüge decken könne. Deshalb könne nicht von einer privilegierten Stellung hinsichtlich der Kohlenversorgung der ATH ausgegangen werden.107 Die Genehmigung wurde dann einstimmig erteilt. 101 102 103 104 105 106 107

TA A 7591 Betr. Erin/Hohe Behörde, gez. Spethmann 14. 12. 1955. TA A 7591 Hohe Behörde an GBAG 9. 1. 1955, Betr. Erin Bergbau AG, das Schreiben muss aller-

dings vom 9. 1. 1956 stammen.

TA A 7591 Betr. Erin/Hohe Behörde, gez. Spethmann 14. 12. 1955. TA A 7591 ATH an Hohe Behörde 14. 1. 1956. TA A 7591 Notiz Spethmann, Betr. Antrag der ATH an die HB wegen Erin 17. 1. 1956. TA A 2/735 Protokoll über die 352. Sitzung der Hohen Behörde vom 19. Dezember 1956, S. 5ff. TA A 2/735 Protokoll über die 352. Sitzung der Hohen Behörde vom 19. Dezember 1956, s. An-

hang 4, Entscheidung über die Genehmigung des Erwerbes von Aktien der Erin Bergbau Aktiengesellschaft durch die August Thyssen-Hütte Aktiengesellschaft und die Gelsenkirchener Bergwerks-Aktien-Gesellschaft sowie des Abschlusses eines Grundsatzvertrages zwischen der Au-

236 Auch hier ließ die Hohe Behörde nun aber die Frage offen, seit wann die ATH und GBAG nun Erin schon kontrollierten. In der Entscheidung der Hohen Behörde hieß es,

dass der Grundsatzvertrag vom 29. Juni 1954 den „Rahmen für ein gemeinschaftliches Handeln der beiden Hauptaktionäre“ bilde. Dieser bestimme, dass die Erin Bergbau AG „vom Beginn ihrer Geschäftstätigkeit ab nach dem einheitlichen Willen der August Thyssen-Hütte AG und der Gelsenkirchener Bergwerks-AG handelt (…)“.108 Die Erin Bergbau AG war erst am 15. Juli 1954 als letzte Nachfolgegesellschaft der VSt begründet worden.109 Also bestand das Kontrollverhältnis schon vor der Vereinbarung. Verklausuliert stellte die Hohe Behörde also fest, dass die Unabhängigkeit der Erin Bergbau AG, die ja eine alliierte Bedingung für die Gründung der GBAG war, nicht einen Tag bestand. Aber auch dieser geglückte Versuch der Verwirklichung der ‚Grundsatzvereinbarung‘ über die Zukunft der Erin Bergbau AG aus dem Jahre 1952 wäre nicht etwa an der Hohen Behörde, sondern fast an der Tätigkeit Herman Krages gescheitert. Dieser hatte im Rahmen der Umtauschaktion der alten VSt-Aktien ein beträchtliches Paket an ErinAktien erworben.110 Damit kam er allerdings den GBAG/ATH-Plänen in die Quere.111 So kam es zu einem Ankaufwettbewerb von Erin-Aktien, den sich GBAG und Krages lieferten. Ende August 1955 schließlich verkaufte Krages die Erin-Aktien dem GBAGVorstand.112 Allerdings sollten nun die Mehrheitsverhältnisse bei der GBAG selber zu einem Problem werden. Krages hatte nämlich den Erlös der Erin-Aktien in GBAG-Aktien inves-

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gust Thyssen-Hütte Aktiengesellschaft und eines Organschaftsvertrages zwischen diesen Gesellschaften einerseits und der Erin Bergbau-Aktiengesellschaft andererseits. Protokoll über die 352. Sitzung der Hohen Behörde vom 19. Dezember 1956, Anhang 4, Entscheidung über die Genehmigung des Erwerbes von Aktien der Erin Bergbau Aktiengesellschaft durch die August Thyssen-Hütte Aktiengesellschaft und die Gelsenkirchener Bergwerks-Aktien-Gesellschaft sowie des Abschlusses eines Grundsatzvertrages zwischen der August Thyssen-Hütte Aktiengesellschaft und eines Organschaftsvertrages zwischen diesen Gesellschaften einerseits und der Erin Bergbau-Aktiengesellschaft andererseits, S. 4. TA A 7591 Betr. Erin/Hohe Behörde, gez. Spethmann 14. 12. 1955. Laut einer SPIEGEL-Titelgeschichte über Hermann Krages hoffte dieser, bei der höchst ertragreichen Zeche Erin, deren Grundkapital relativ gering war, „Herr im Hause“ zu werden. DER SPIEGEL, 8. Februar 1956, Großaktionär Krages. Das Gardemaß der Ruhr, S. 22. DER SPIEGEL, 8. Februar 1956, Großaktionär Krages. Das Gardemaß der Ruhr, S. 20ff. Über den Kaufpreis gibt es unterschiedliche Angaben. Laut DER SPIEGEL, 8. Februar 1956, Großaktionär Krages, Das Gardemaß der Ruhr, S. 21 betrug er 500 % des nominalen Aktienkurses. Ebenso Der Volkswirt, 12 v. H. Dividende für die freien Erin-Aktionäre, VW, 24. 3. 1956, S. 29. Laut Institut für Bilanzanalysen, Nr. 29/30, 31. 10. 1956, GBAG, S. 2 betrug er mindestens 350 %. Es gibt einige Hinweise, dass die Kosten die GBAG zu tragen hatte. Die Grundlage war offensichtlich immer noch die Grundsatzvereinbarung zwischen ATH und GBAG aus dem Jahre 1952. TA Sohl 1092 Spethmann an Sohl 3. April 1956, Betr. Strafsache Krages Rücksprache Korsch bei der Staatsanwaltschaft Bremen am 5. April d. J., TA A 7591 Spethmann an Sohl, Betr. Auskünfte über das Verhältnis ATH/GBAG/Erin, 26. 6. 1956, Pritzkoleit, Monopole, S. 282f.

237 tiert. Nun forderte er ein Mitspracherecht in der GBAG-Verwaltung. Gleichzeitig bot er die GBAG-Aktien zum Kauf an. Bei der GBAG wurde nun dafür gesorgt, dass Krages keinen Einfluss auf die Verwaltung des Unternehmens bekam.113 Aus „volkswirtschaftlichen“ Gründen, so Sohl als GBAG Aufsichtsratvorsitzender, dürfe man die Methoden des Herrn Krages im „Interesse der gesamten deutschen Wirtschaft“ nicht unterstützen. Deshalb sei auch das Kaufangebot abzulehnen. Krages würde nur Gelder bekommen, um bei anderen Unternehmen gleiche Schwierigkeiten zu verursachen. So beschloss die Hauptversammlung der GBAG im Februar 1956 eine Kapitalerhöhung. Die neuen Aktien wurden von einem Bankenkonsortium übernommen.114 Krages war somit jede Teilnahme an der GBAG-Verwaltung verwehrt. Seine Oppositionshaltung in der GBAG sollte zukünftig die Entscheidungen der Verwaltung und des Aufsichtsrates in den Hauptversammlungen nicht mehr beeinflussen können.115 Wer eigentlich die Mehrheitseigentümer der GBAG waren und was dies für die Kontrolle der Unternehmensführung bedeutete, war an der Ruhr wiederum ein gut behütetes Geheimnis. Die Großaktionäre der VSt, wie die Thyssen-Aktionäre und auch Rheinstahl, hatten ihre GBAG-Aktien an ein Bankenkonsortium unter Führung der Dresdner Bank verkauft (Thyssen) bzw. an ihre Aktionäre (Rheinstahl) weitergegeben.116 Anscheinend hat es allerdings über die Kontrolle des Unternehmens Absprachen gegeben, denn Vertreter bedeutender Stahlunternehmen wie die ATH, DHHU und die Rheinischen Stahlwerke bekamen alle einen Sitz im GBAG-Aufsichtsrat – auch wenn ein Zusammenhang ‚Kohle – Stahl‘ immer bestritten wurde.117 Sohl argumentierte, dass er nicht als ATH-Vertreter sein Mandat wahrnehme, sondern als studierter

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Krages schlug einen Verkauf vor oder einen Tausch gegen die GBAG-Töchter Gelsenberg Benzin oder die Handelsgesellschaft Raab Karcher. Auch gab es Gerüchte, dass ein Käufer aus den USA an dem Paket interessiert sei. TA Sohl 1092 Niederschrift über die 13. Aufsichtsratsitzung der Gelsenkirchener Bergwerks-AG am 22. Dezember 1955 im Hauptverwaltungsgebäude in Essen, gez. Sohl, 5. Januar 1956. Volkswirt 6/56, Die Kapitalerhöhung bei Gelsenberg, S. 30f. Zum Bankenkonsortium zählen hier die Rhein Ruhr Bank (Dresdner Bank) sowie die beiden anderen Großbanken in NRW und zahlreiche Privatbanken. GBAG, 1957/58, 15. 2. 1958, Institut für Bilanzanalysen 3. Jahrgang, Gruppe 1, S. 8, Der Volkswirt 30/57, Eine neue Schachtanlage der GBAG. 50000 Aktionäre der GBAG. S. 1625, GBAB, 5. 9. 1962, Institut für Bilanzanalysen, 8. Jahrgang, Gruppe 1, S. 11. Im Jahre 1962 hatte Krages zumindest Teile seines GBAB-Paketes an die Dresdner Bank verkauft. Sohl schreibt, dass das „Schicksal dieses Paketes“ ihn noch über viele Jahre beschäftigt habe. S. 191. MAE Ambassade RFA Bonn 129, Fritz Thyssen Vermögensverwaltung AG Thyssen AG für Beteiligung, gez. Coenen Goßmann Henkel Wecker an den Gemischten Ausschuss z. Hd. Dr Wellhausen, Köln 14 August 1959, Anlage 1, Betrifft: Antrag auf Verlängerung der Frist. So wurden am 28. September 1955 Hans-Günther Sohl, Hermann Abs, Aufsichtsratvorsitzender der DHHU, und Werner Söhngen, Vorstandsvorsitzender der Rheinischen Stahlwerke, in den GBAG-Aufsichtsrat gewählt. TA Sohl 0229 Abschrift F. W. Schulze Buxloh an Goergen, 27. August 1955.

238 Bergassessor als „Bergmann aus dem VSt Kreise“ in Nachfolge des verstorbenen Otto Springorum.118 Gegenüber der Hohen Behörde wurde die Position wiederum als „Persönlichkeitsfrage“ angegeben.119 Ellscheid, dem Aufsichtsratvorsitzenden der Phoenix Rheinrohr AG, versicherte Sohl allerdings, dass „ich in meiner Eigenschaft als Aufsichtsratvorsitzender bei allen Maßnahmen der GBAG“ die Interessen von Phoenix-Rheinrohr „in gleicher Weise berücksichtigen werde wie die Interessen der August Thyssen Hütte“.120 Dann wurde Sohl wiederum als Vertreter der „Anteilseigner“ bezeichnet.121 Wer dies genau war, bleibt unklar. Gegenüber Ellscheid bezeichnete Sohl die GBAG als „eine äußerst delikate Angelegenheit“, „über die zweckmäßigerweise möglichst wenig gesprochen und noch weniger geschrieben werden sollte“.122 Wer genau die Eigentümer der GBAG waren und in welcher Art diese mit den Vertretern der Stahlindustrie verbunden waren, ist also nicht genau zu bestimmen. Danach wurden Pläne diskutiert, die eine direkte Kapitalbeteiligung der ATH, der PR und der DHHU – also der großen gemischten Hüttenwerke der ehemaligen VSt – an der GBAG vorsahen. Die offizielle Begründung war die Erlangung des Werksselbstverbrauchsrechts an der GBAG.123 Dieser von Sohl favorisierte Plan stieß allerdings auf die Skepsis von Birrenbach und Ellscheid, die Vertreter der beiden Thyssen-Holding-Gesellschaften. Sie sahen keine ökonomische Notwendigkeit für einen solchen Schritt, da man in Zukunft durchaus weiter US-Kohle importieren könne.124 Weiter wurden politische Schwierigkeiten befürchtet, wenn sich nun die wichtigsten Nachfolgegesellschaften der VSt wieder in einem Konstrukt vereinigen würden. Tatsächlich äußerten sich dann Anfang 1958 auch mehrere inländische und ausländische Zeitungen, wie „Le Monde“, zu diesem Thema.125 Mit anderen Worten: Bei dieser Aktion kam nun zumindest in Teilen der europäischen Öffentlichkeit der Eindruck auf, dass es sich eigentlich um eine Wiederentstehung der VSt handeln würde.126

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TA Sohl 0229 Sohl an Goergen 22. 2. 1957. Siehe auch Sohl, S. 90f. u. S. 156f. TA A 7591 Notiz, Betr. Antrag der Hohen Behörde 17. 1. 1956, gez. Spethmann. TA Sohl 1092 Sohl an Ellscheid 17. 2. 1956. GBAG, 1957/58, 15. 2. 1958, Institut für Bilanzanalysen 3. Jahrgang, Gruppe 1, S. 8. TA Sohl 1092 Sohl an Ellscheid 17. 2. 1956. TA Sohl 0229/2 Döltgen an Spethmann 1.6.1956, Betr. GBAG Düsseldorf, den 24. 5. 1956. PR 57141 Köln, den 9. September 1956 E/B, Memorandum zu dem Vorschlag des Erwerbes einer 51 %igen Beteiligung an der GBAG durch ein von den Hüttenwerken Dortmund Hörde, August Thyssen Hütte und Phoenix Rheinrohr AG zu gründendes Konsortium. TA Sohl 0245/1 Mommsen an Sohl 2. 4. 1958, Aus „Manchester Guardian“ vom 21. 2. 1958 Über-

setzung 26. 3. 1958, Errichtung von Trusts an der Ruhr, Aus „Le Monde“ vom 25. 2. 1958, Übersetzung 26. 3. 1958, PR 57148, hier weiter Zeitungsartikel vom Herbst 1957, die über eine Rückkehr der VSt spekulierten. PR 57148 Die Zeit 24. 4. 1958, Halb so wild … Stahlverein Gespenster der Vergangenheit gehen um.

239 Auch die französische Stahlindustrie wurde durch dieses Vorgehen beunruhigt. Die Pläne der DHHU, ATH und PR, ein Werkselbstverbrauchsrecht bei der GBAG zu begründen, provozierte eine Intervention des Präsidenten des französischen Stahlproduzentenverbandes, CSSF, bei der französischen Regierung.127 Das Projekt einer Verbindung zwischen DHHU, ATH und PR an die GBAG sei ein Punkt, der besondere Aufmerksamkeit verdiene. Diese Stahlgesellschaften seien bis jetzt ohne Kohlenverbundwirtschaft im Gegensatz zu anderen Gesellschaften an der Ruhr. Deshalb habe die Ruhrindustrie auch oft keine gemeinsame Position hinsichtlich des Ruhrkohlenabsatzes gegenüber der französischen Stahlindustrie gehabt. Dies könne sich aber nun ändern. Schließlich änderte die plötzlich auftretende Bergbaukrise im Ruhrgebiet die Situation grundlegend.128 Der Kohlenmarkt in der Bundesrepublik wurde vom Verkäufermarkt zum Käufermarkt. So hatten die drei Stahlgesellschaften ATH, PR und DHHU auch kaum Mühe, im Frühjahr 1959 von der GEORG zu erreichen, dass die Hütten auch weiterhin im Rahmen von ‚Sonderlieferungsverträgen‘ mit Ruhrkohle beliefert werden sollten.129 Damit war das jahrelange Thema ‚Bindung Kohle/Stahl‘ erst einmal beendet. Allerdings war die Kohle nicht das einzige Feld, auf dem die Nachfolgegesellschaften zusammenarbeiteten, was nun den Verdacht aufkommen ließ, dass sich bald eine neue VSt um die ATH bilden würde. Die ATH war nämlich über Minderheitsbeteiligungen und Lieferverträge mit einer Reihe von Blechherstellern verbunden, die für die Beschäftigung ihrer oft modernisierten Kaltwalzanlagen auf die Lieferung von Warmbreitband (Coils) angewiesen waren. Diese wurden auf der Warmbreitbandstraße der ATH hergestellt.

5.6 Die ATH und ihre Beziehungen zu Feinblechproduzenten Schon im Frühjahr 1953 hatte die ATH einen Liefervertrag für Coils mit den Hüttenwerken Siegerland (HWS) – auch eine Nachfolgegesellschaft der VSt – geschlossen, der nach gegenseitigem Einvernehmen frühestens Ende 1959 gekündigt werden konnte.130 Da die Breitbandstraße der ATH zu dieser Zeit noch nicht einsatzfähig war, die erst am 3. März 1955 in Betrieb genommen wurde, wurden die ersten Lieferungen von der halbkontinuierlichen Breitbandstraße von Hoogovens, dem niederländischen Stahlunterneh127 128 129 130

CAC 19900482/30 Ribeyre an Raty 2. 4. 1958 Memorandum RECONSTITUTION D’UN PUISSANT GROUPE SIDERURGIQUE ALLEMAND Mars 1958. Abelshauser, Ruhrkohlenbergbau, München 1984, S. 87–100, Spierenburg, CECA, S. 529–559. PR 57141 GBAG an Phoenix Rheinrohr 2. 4. 1959. TA A 5319 Vertrag zwischen ATH und Siegerland 4. 3. 53, Vorstand HWS an ATH 22. 10. 54.

240 men aus Ijmuiden, übernommen.131 Die Hüttenwerke Siegerland AG waren innerhalb der VSt auch auf die Herstellung von Flachstahlprodukten spezialisiert und neben der Rasselstein Andernach AG, der Otto Wolff Gruppe, der bedeutendste Feinblech- und Weißblechproduzent der Bundesrepublik. Dabei war klar, dass die ATH/HWS-Bindung längerfristig sein würde.132 So schrieb Hans Cramer, HWS-Vorstandsmitglied, am 25. Mai 1955 an Sohl, dass er der ATH „auch im eigenen egoistischen Werksinteresse“ viel Erfolg wünsche.133 Es war nämlich geplant, eine elektrolytische Verzinnungsanlage, welche die Feuerverzinnung in den USA für die Weißblechproduktion seit 1941 zu 75 % verdrängt hatte, gemeinsam mit der HWS zu bauen bzw. die Standortfrage abzustimmen.134 Diese Pläne wurden nie verwirklicht. Die Planungen für eine langfristige Zusammenarbeit wurden durchkreuzt, als die DHHU, eine weitere Nachfolgegesellschaft der VSt, ihren Erwerb der Aktienmehrheit an der HWS bekannt gab und in Luxemburg am 1. April 1957 einen Genehmigungsantrag für diesen Zusammenschluss stellte.135 Die DHHU begründete den Erwerb der HWS-Aktienmehrheit damit, dass sie selber bald eine Breitbandstraße aufstellen wolle und dann die Lieferungen an Coils selber übernehmen wolle. Nur zwei Tage später teilte die ATH der Hohen Behörde mit, dass die ATH auch eine fast 35 %ige Beteiligung an der HWS erworben habe. Die ATH versicherte allerdings, dass die Minderheitsbeteiligung keine Kontrolle der HWS erlauben würde – deshalb sei keine Genehmigung durch die Hohe Behörde erforderlich. Auch beabsichtigte sie nicht, mit der DHHU die HWS zukünftig zu kontrollieren. Deshalb hätte der 35 %-Erwerb auch keiner Genehmigung bedurft. Ziel sei es, eine „genügend starke Verhandlungsbasis“ zu haben, um eine Verlängerung des Liefervertrages ATH/HWS zu erreichen.136 131

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Uebbing, 1926–1969, S. 202. Das Kaltwalzwerk nahm im Mai 1956 die Produktion auf. Hierbei arbeitete man freundschaftlich mit der Armco Steel Corp. zusammen, wobei man an Bindungen aus dem Jahre 1927 anknüpfte. Eine enge Lieferbeziehung zwischen ATH und HWS war auch in den VSt-Entflechtungsplänen vorgesehen. TA VSt 4291 Sohl an Wenzel, Linz, Schwede, Seelig 17. 1. 1950 Betr. Neuordnung der Vereinigten Stahlwerke, Ergänzungsvorschläge zum Entflechtungsplan der Vereinigte Stahlwerke AG vom 10. 5. 1948, gez. Rohland. TA VSt 2001 Cramer an Sohl 25. 5. 1955. TA A 5319 Sohl an Ganz 22. 10. 1954, TA 0877 Sohl Bericht über die wirtschaftliche Auswirkung einer Zusammenarbeit zwischen der August Thyssen Hütte AG und der Stahl- und Walzwerke Rasselstein für das gesamte Fabrikationsprogramm des Werkes Andernach 17. 3. 1956. HAEU CEAB 2/2 451 Abteilung Kartelle und Zusammenschlüsse Bericht über den Zusammenschluss zwischen der DORTMUNDER HÜTTENUNION AG in Dortmund (DHH) und der HÜTTENWERKE SIEGERLAND in SIEGEN, Stahl u. Eisen v. 30. 5. 1957, S. 767 u. 29. 5. 58, S. 772. N 1384/143 Mommsen an Henle 6. 4. 1954, Sohl, S. 155f. HAEU CEAB 2/2451 Abteilung Kartelle und Zusammenschlüsse Bericht über den Zusammenschluss zwischen der DORTMUNDER HÜTTENUNION AG in Dortmund (DHH) und der HÜTTENWERKE SIEGERLAND in SIEGEN, S. 2.

241 Die DHHU erklärte ebenfalls, dass sie keinesfalls beabsichtige, die HWS gemeinsam mit der ATH zu kontrollieren. Sie wolle stattdessen mit der ATH in Verhandlungen treten, um ihre Pläne hinsichtlich der HWS alleine ausführen zu können, wozu sie allerdings die HWS-Beteiligung der ATH abkaufen müsse. Nach dem deutschen Aktiengesetz war eine Beteiligung über 75 % nötig, um von der steuerlichen Befreiung der Umsatzsteuer zwischen der Mutter- und der Tochtergesellschaft profitieren zu können. Mit anderen Worten: Solange die ATH das HWS-Paket besaß, hatte die DHHU erhebliche Finanzeinbußen zu verkraften.137 Damit waren natürlich auch die Pläne hinsichtlich einer zukünftigen Zusammenarbeit zwischen der ATH und der HWS nicht mehr realisierbar. Allerdings hatte man sich hier ganz offensichtlich schon vor der HWS/DHHU-Transaktion für einen anderen Partner entschieden, da man eine Annäherung DHHU/HWS schon länger beobachtete. Die Rasselstein-Andernach AG, der größte Weißblechproduzent der Bundesrepublik, stand schon spätestens seit Ende Dezember 1954 in Verhandlungen mit der ATH über CoilsLieferungen.138 Die ATH hatte bei der US Export-Import-Bank einen Kredit beantragt, der Ende April 1956 auch bewilligt wurde. Mit diesem Kredit wollte die ATH auch die Anlagen für die Produktion von Weißblech beschaffen.139 Nun entschloss man sich aber zu einer strategischen Partnerschaft mit den Stahl- und Walzwerken Rasselstein-Andernach AG bzw. dessen Großaktionär, der Otto Wolff Gruppe. So wurde die Anlage schließlich in der Rasselstein-Andernach AG aufgestellt bzw. die dortigen Anlagen modernisiert.140 Ab März 1956 wurden konkrete Überlegungen angestellt, wie man die Zusammenarbeit der ATH mit Rasselstein auf dem Gebiet des Weißblechs am besten organisieren könne.141 Im Dezember 1956 kam man zu dem Schluss, dass eine Sperrminoritätsbeteiligung von 25 % plus einer Aktie der ATH an Rasselstein mit einer Option auf Erwerb von 50 % die beste Form wäre.142

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So wurde diese Beteiligung auch intern als „Faustpfand“ gegenüber dem Hauptaktionär der HWS, der Dortmund Hörde Hütten Union (DHHU), bezeichnet. Thyssen A/7579 Vermerk Spethmann Betr. Konzernentwicklung Herr Dr. Sohl 30. 5. 1960, A/7573 Steinmetz an Féblot 9. 9. 60. TA Sohl 0877 Betr. Rasselstein, gez. Cordes 23. 12. 1954. TA Sohl 0877 Otto Wolff von Amerongen an Sohl, 8. Dezember 1955. FRUS 1955–1957 IV, Minutes of the 244th Meeting of the National Advisory Council on International Monetary and Financial Problems, 20. 4. 1956, S. 430f., Sohl, S. 229f. Uebbing, 1926–1969, S. 215ff., Müller, S. 302 Anm. 35. Geschäftsbericht der August ThyssenHütte AG 1958/59, S. 33. TA Sohl 0877 Bericht über die wirtschaftliche Auswirkung einer Zusammenarbeit zwischen der August Thyssen Hütte AG und der Stahl- und Walzwerke Rasselstein für das gesamte Fabrikationsprogramm des Werkes Andernach 17. 3. 1956. TA Sohl 0877 Vermerk 7. Dezember 1956.

242 So wurde schließlich auf die Entscheidung von Sohl nur der Vertrag über eine 25 %-Minderheitsbeteiligung abgefasst mit einer Optionsmöglichkeit auf 50 %.143 Der Kaufpreis für die Rasselstein AG wurde auch schon im Verhältnis zum Grundkapital festgelegt. Allerdings wurde beschlossen, dass dieser nur gelten würde, wenn die ATH die Option zum 31. Dezember 1960 ziehen würde – ansonsten müsste ein neuer Kaufpreis verhandelt werden. Diese Verbindung war offensichtlich zum Nutzen beider Unternehmen. Die ATH hatte so indirekt ihre Produktionspalette auf die Erzeugung von Weißblech ausgeweitet. Die Kartellabteilung der Hohen Behörde hatte nach eigenen Angaben im Juli 1957 von den sich anbahnenden Beziehungen zwischen Rasselstein und der ATH erfahren.144 Sie bat beide Unternehmen um nähere Informationen.145 Die Vertragsunterlagen, die dann angefragt wurden, wurden allerdings erst im April 1959 der Hohen Behörde vorgelegt.146 Noch zu einer dritten Nachfolgegesellschaft bestanden besondere Beziehungen. Schon 1954 wurde ein langfristiger Liefervertrag mit den Stahlwerken Bochum geschlossen, der nicht der Hohen Behörde gemeldet wurde. Die Stahlwerke Bochum waren auf die Erzeugung von Elektroblechen, aber auch Edelstahl spezialisiert und ebenfalls Abnehmer der Coils der ATH. Man kam zu dem Schluss, dass es sich um einen handelsüblichen Vertrag handeln würde. Damit war eine Mitteilung an die Hohe Behörde nicht notwendig. Nach Artikel 66 waren nur diese Verträge der Genehmigung vorzulegen, die nach Menge und Laufzeit das Maß der handelsüblichen Verträge überschritten. 147 Die Stahlwerke Bochum gehörten vor der Neuordnung zum Otto-Wolff-Konzern und wurden von ihm infolge der Neuordnung veräußert. Allerdings behielt auch hier der ehemalige Großaktionär offensichtlich einen gewissen Einfluss bei der entflochtenen Gesellschaft. Er verhandelte mit Sohl über die Verzögerungen der Coils-Lieferungen der 143

TA Sohl 0877 Optionsvertrag 22. 9. 1958, Sohl an Spethmann 11. Juni 1958, Otto Wolff an Sohl

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PR 57148 Betr.: Informatorische Aufzeichnung über die Zusammenschlüsse, die in Deutschland

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17. Juli 1958, Thyssen A 7574 Steinmetz an Féblot 19. 8. 60.

auf dem Gebiet der Feinbleche vorbereitet werden, 17.10.1957, gez. Hamburger, Jaeger. HAEU CEAB 1–470 Informatorische Aufzeichnung für die Herren Mitglieder der Hohen Behörde und der Arbeitsgruppe „Markt, Kartelle, Transport“, 20. November 1957, Betr. Kürzliche Stellungnahmen des Mitglieds der Gemeinsamen Versammlung Herrn Heinrich Deist zu dem Problem der Unternehmenskonzentration auf dem Stahlsektor, gez. Hamburger, S. 4. TA Sohl 0877 Niederschrift. Über die Besprechung der beiden Unterzeichneten bei der Hohen Behörde in Luxemburg am 19. Mai 1958 mit den Herren Hamburger und Jaeger (Mitarbeiter von Herrn Hamburger in der Kartellabteilung) in Sachen Rasselstein, gez. Spethmann Steinmetz, 22. Mai 1958. HAEU CEAB 2/1656 Spierenburg an Sohl, 8. Juli 1959. TA A/5319 Dr. Wecker, je besonders Sohl und Cordes 11. 10. 54. Dieser Vertrag wurde am 26. Mai 1954 abgeschlossen. In einem Bericht der Direktion Kartelle und Zusammenschlüsse vom 7. Juli 1966 hieß es, dass der Hohen Behörde der Vertrag „bekannt“ sei, aber nicht, seit wann. CEAB 2/3460 Betr. Zusammenschluss ATH/Stahlwerke Bochum, Luxemburg, den 7. Juli 1966.

243 ATH an Bochum.148 Je enger die Beziehungen mit Rasselstein geknüpft wurden, dessen

Hauptaktionär Otto Wolff war, je besser gestaltete sich auch die Coils-Versorgung von Bochum. Im Jahre 1958 erhielt die ATH ein Vorzugsrecht an einem Aktienpaket über nominal 6,1 Mio DM an den Stahlwerken Bochum.149 Die ATH erhielt nun die Aufsichtsratsunterlagen der Stahlwerke Bochum, obwohl sie nicht dort vertreten war.150

5.7 Die Handelsunion AG – Bindeglied für eine Wiederentstehung der Vereinigten Stahlwerke? Wirklich kompliziert wurde nun die Entwicklung der VSt-Nachfolgegesellschaften durch die Situation bei der Handelsunion AG (HU). Schon im Februar 1954 vereinbarten die beiden Thyssen-Großaktionäre und die Rheinischen Stahlwerke in einem geheimen Abkommen, ihre Anteile je auf 25 % an der Handelsunion zu erhöhen, was zu einer 50 %igen gemeinsamen Kontrolle der HU ausreichen würde.151 Die Vereinbarung schloss Verständigung über wichtige Fragen der Geschäftspolitik und über gemeinsames Stimmverhalten in Aufsichtsrat und Hauptversammlung ein. Interessanterweise wurde als Schlichter in Streitfragen Heinrich Dinkelbach bestimmt, der frühere Vorsitzende der Stahltreuhändervereinigung und ehemaliges Vorstandsmitglied der Vereinigten Stahlwerke. Wie schon aufgezeigt wurde, war die Handelsunion erst nach intensiven Verhandlungen der Alliierten gegründet worden. Sie war allerdings mit einer alliierten Mustersatzung versehen, um zu verhindern, dass die VSt-Nachfolgegesellschaften bzw. die Stahlproduzenten auf die Geschäftspolitik Einfluss bekommen würden. Ziel war es, die Unabhängigkeit der HU zu sichern. Die HU-Aktien waren vinkulierte Namensaktien, die nicht ohne Genehmigung der Geschäftsführung übertragen werden konnten. Die HU war verpflichtet, die Überschreibung von Aktien auf eine der im Zuge der Entflechtung entstandenen neuen Stahlgesellschaften zu verweigern.152 Im Januar 1956 wurde nun von den Rheinischen Stahlwerken der Schlichter Heinrich Dinkelbach aufgrund der Aktionärsvereinbarung angerufen. Inzwischen hatte nämlich

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TA Sohl 0877 Otto Wolff von Amerongen an Sohl 8. 12. 1955. TA A 7577 Betr. Stahlwerke Bochum 17. 11. 58 Vermerk Spethmann, ATH and Bankhaus Sal. Op-

penheim jr. & Cie. 21. 11. 58, Hohe Behörde, gez. Hamburger an Bayrische Vereinsbank 9. 1. 59. Im Jahre 1966 erwarb die ATH dann eine Schachtelbeteiligung an den Stahlwerken Bochum. CEAB 2/3460 Betr. Zusammenschluss ATH/Stahlwerke Bochum, Luxemburg, den 7. Juli 1966, Uebing, 1926–1966, S. 263f. TA A 8963 Dr. Klaus von Zelewski an Dinkelbach 16. 1. 56 Anlage Vereinbarung. TA Sohl 1189 Sohl Mommsen an Sohl 31. 3. 1958, Informatorische Aufzeichnung über die Handelsunion 3. 3. 1958.

244 eine Bank für Phoenix-Rheinrohr ein HU-Aktienpaket von Herman Krages erworben.153 Der Kauf war ohne die Zustimmung der Vertragsparteien erfolgt, was gegen die Vereinbarung der HU-Großaktionäre verstieß.154 Auf Dinkelbachs Vorschlag beschloss man nun, das informelle Abkommen in einen Organschaftsvertrag umzuwandeln. Weiter sollte die HU nun auch offiziell gemeinsam kontrolliert werden. Man kontaktierte auch schon Franz Etzel, den Vizepräsidenten der Hohen Behörde, wie denn die Genehmigungschancen in Luxemburg stünden. Der informierte zum Ärger der Ruhrindustriellen sofort seine Beamten.155 Der Komplex HU wurde noch durch die Liefer- und Bezugsverhältnisse der Handelsgesellschaft kompliziert. Tatsächlich war es so, dass die DHHU und die HWS, zwei Nachfolgegesellschaften der VSt, sehr enge und intensive Geschäftsbeziehungen mit der HU unterhielten – allerdings keine Aktien an der HU hielten. Die DHHU wiederum war seit Jahrzehnten mit Tochtergesellschaften der Handelsunion verbunden, die nun indirekt von ihren Konkurrenten kontrolliert wurde. Der Vertreter der DHHU meinte, dass man mit einer Absprache über die zukünftigen Lieferbeziehungen zwischen HU-Hauptaktionären und DHUU/HWS als Erstes einverstanden wäre. Ob man langfristig auf eigenen Handel verzichten würde, hinge nicht zuletzt von der „Konzernpolitik Hoogovens“, des Hauptaktionärs der DHHU, „(…) im Punkte Wiederverflechtung im Revier“ ab.156 Ein Vertreter von Rheinstahl versicherte Hoogovens dann, dass die Vereinbarung der Großaktionäre keinen Einfluss auf die Lieferbeziehungen zu DHHU habe, was „freundlich zur Kenntnis“ genommen wurde.157 Kurz darauf wurde von Ingen Housz, Vorstandvorsitzender von Hoogovens, allerdings ein langfristiges Abkommen zur Inte153

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TA A 8963 (Dinkelbach) Notiz Besprechung mit den Herren Dr. Ellscheid, Dr. Goergen, Dr. Coe-

nen am 17. 2. 56, Notiz 31. 1. 56 Besprechung Söhngen/Linz wegen Besprechung Ellscheid/Handelsunion. Der Kauf der HU-Aktien scheint auch ein Alleingang Goergens gewesen zu sein. TA A 8963 Aktenvermerk über die heutige Besprechung im Industrieclub wegen der Handelsunion, gez. Linz 4. 4. 56. Laut diesem Vermerk hatte Robert Ellscheid, Vorsitzer von FTV, also Vertreter des Großaktionärs im Aufsichtsrat der PR, gegen den Kauf gestimmt. TA A 8963 Notiz 18. 2. 1956, gez. Dinkelbach, TA A 8963 Notiz 11. 1. 1956, gez. Dinkelbach, TA A 8963 Aktenvermerk über die heutige Besprechung im Industrieclub wegen der Handelsunion, gez. Linz 4. 4. 56. TA A 8963 ders. Aktenvermerk über heutige Besprechung im Industrieclub v. Linz 30. 6. 56. Inzwischen war auch ein von dem Leiter der Kartellbehörde der Hohen Behörde, Richard Hamburger, verfasstes Schreiben an die Commerzbank eingegangen. Durch die Antwort dieses Schreibens durch die Commerzbank wurde die HB über den Kauf der HU-Aktien durch Goergen offiziell informiert. Betr. Handelsunion 15. 8. 56 Dr. Wolfgang Linz. Die PR-Anteile an der HU waren im Aktienbuch für die Commerzbank eingetragen worden. Linz an Dinkelbach 28. 8. 56. TA A 8963 Je besonders Birrenbach Goergen 22. 8. 1956, gez. Linz. TA A 8963 Dr. Wolfgang Linz 15.8.56, Betr. Handelsunion. Die Hohe Behörde hatte bei der Genehmigung des Zusammenschlusses DHHU/Howaldtwerke entschieden, dass Hoogovens mit 40,8 % die DHHU kontrollierte. Protokoll über die 320. Sitzung der Hohen Behörde vom 23. Mai, Luxemburg, den 25. Mai 1956, Anhang 5, S. 3. TA A 8963 Dr. Wolfgang Linz 20. 8. 56 Betr. Handelsunion.

245 ressenswahrung der DHHU gefordert.158 Zu einer aktienmäßigen Beteiligung von DHHU und HWS an der HU sollte es allerdings nie kommen. Im November 1956 räumte die TfB der ATH ein Vorerwerbsrecht auf ihren 26,08%igen Anteil der HU auf dreißig Jahre ein.159 Damit war die ATH also sicher, dass sie bald selber Aktionär an der HU sein würde. Die Handelsunion war also zum Tummelplatz der Großaktionäre der ehemaligen VSt bzw. der VSt-Nachfolgegesellschaften geworden.160 Als Erstes planten die Großaktionäre nun die Änderung der alliierten Mustersatzungen. Walter Schwede, der HU-Aufsichtsratvorsitzende, war über dieses Vorgehen allerdings alles andere als begeistert. Er warf den Großaktionären der HU vor, „möglichst viel Geld“ aus der HU rausholen zu wollen.161 Er forderte sogar, dass die Großaktionäre die Alliierten um Genehmigung der Änderung der Mustersatzung bitten sollten.162 Tatsächlich hatte der Vorstand der Handelsunion seit der Gründung eine großzügige Dividendenpolitik betrieben, die nicht nach dem Geschmack der Stahlproduzenten war. So hieß es dazu im Volkswirt:163 Die gute Konjunktur, die in den bisher vorgelegten Geschäftsberichten der westdeutschen Stahlgesellschaften für das letzte Jahr erkennbar geworden ist, tritt besonders in den Abschlüssen der großen Eisenhandelsgesellschaften in Erscheinung. (…) Die verbesserte Ertragslage kommt u.a. auch in der erhöhten Dividende zum Ausdruck, die von der am 3. April stattfindenden Hauptversammlung auf 12 vH gegenüber 10vH im Vorjahr festgesetzt werden soll. Mit diesem hohen Dividendensatz dokumentiert die Verwaltung im übrigen nicht nur ihre gute Ertragslage, sondern sie praktiziert auch eine Dividendenpolitik, die man bei vielen anderen Gesellschaften vermißt.

Tatsächlich war den Stahlgesellschaften, einschließlich der DHHU, die Dividendenpolitik der Handelsunion ein Dorn im Auge. „Gegenspielern“ in den Verhandlungen um die Höhe der Stahlpreise und damit die Möglichkeit der Eigenfinanzierung der Unternehmen würde diese „Handelspanne“ nur Munition liefern.164 Allerdings gingen die Aktionäre über diese Einwände von Schwede hinweg.165 So wurde dann in einer außerordentlichen Hauptversammlung die Abschaffung der alliier158 159 160

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TA Sohl 1189 Birrenbach an Sohl 22. 10. 1956. TA A 7579 An den Vorstand der ATH von Thyssen Gesellschaft für Beteiligungen 26. 11. 56.

Der Vertreter der Rheinstahlgruppe traf sich dann auch mit Vertretern von Hoogovens, dem Hauptaktionär von DHHU, dem Hauptlieferanten der HU. Er versicherte Hoogovens, dass die Vereinbarung der Großaktionäre keinen Einfluss auf die Lieferbeziehungen zu DHHU habe, was „freundlich zur Kenntnis“ genommen wurde. TA A 8963 Dr. Wolfgang Linz 20. 8. 56 Betr. Handelsunion. Kurz darauf wurde von Hoogovens allerdings ein langfristiges Abkommen zur Interessenwahrung der DHHU angeregt. Ingen Housz an Wolfgang Linz 30.8.56. Erst forderte er, auch die offizielle Genehmigung der Alliierten für die Satzungsänderung einzuholen. TA Sohl 1189 Schwede an Linz 18. 8. 1956. TA Sohl 1189 Schwede an Linz 18. 8. 1956, Linz an Schwede 16. 8. 1956. Der Volkswirt S. 609 Nr 13/57, 12 v. H. Dividende bei der Handelsunion. TA A 8963 Linz an Birrenbach und Goergen, 22. 8. 1956. TA A 8963 Aktenvermerk, 25. 8. 1956, gez. Linz. Für Schwede, der schon vor dem Krieg in der Handelsgesellschaft tätig war, dann die Stahlkartellverhandlungen führte, war die HU ganz offen-

246 ten Mustersatzung mit ihren beschränkenden Bestimmungen hinsichtlich der Kontrollausübung der Stahlproduzenten beschlossen. Dazu hieß es im Volkswirt:166 Die Handelsunion AG, Düsseldorf, die ihre Existenz der Entflechtung der Vereinigten Stahlwerke verdankt und als Holding neun Handelsgesellschaften dieses ehemals größten deutschen Montankonzerns umfaßt, hat vor wenigen Tagen ihre Satzungen wieder dem deutschen Aktienrecht angepaßt und unter anderem die von den Alliierten dekretierten vinkulierten Namensaktien in Inhaberaktien umgewandelt. Durch diesen wenig beachteten formalen Akt ist nachträglich ein schon einige Zeit zurückliegender Besitzwechsel eines Aktienpaketes der Handelsunion legitimiert worden. Die Commerzbank hatte knapp 20% HU-Aktien im Oktober 1955 von Herman Krages erworben und an den Auftraggeber weitergegeben: die Phoenix Rheinrohr AG. Der Besitzerwechsel ist der Hohen Behörde der Montanunion angezeigt worden. Sie hat keine Einwände erhoben.

Der letzte Satz allerdings entsprach dem Wunschdenken der Großaktionäre. Tatsächlich begann die Hohe Behörde nun erst ihre Untersuchungen. Sie bat die HU um Auskünfte hinsichtlich der Aktionärszusammensetzung und deren Anteil am Umsatz der HU. Auch die Aktionäre wurden nun von der Hohen Behörde mit ähnlichen Fragen angeschrieben.167 Das der Hohen Behörde nun zur Verfügung gestellte Zahlenmaterial der HU und ihrer Aktionäre zeigte, dass die Bezüge der HU von DHHU und HWS im Geschäftsjahr 1955/56 jeweils 22,5 % bzw. 24,1 % der Gesamtbezüge der HU ausmachten. Auf die ATH dagegen fielen 9,9 %, Phoenix Rheinrohr 31 % und die Rheinischen Stahlwerke 12,5 %. Ähnlich sahen die Zahlen für das Geschäftsjahr 1956/57 aus.168 Die DHHU und HWS setzen einige ihrer Walzstahlprodukte sogar ausschließlich über die HU ab.169 Dieser Vertriebskanal wurde nun von Konkurrenzunternehmen kontrolliert. Auch in der Bundesregierung war man durch diese Vorgänge beunruhigt. In einem Brief vom 14. September 1956 schrieb Erhard an Adenauer bestürzt, dass mit einer gemeinsamen Kontrolle der Rheinischen Stahlwerke, Phoenix Rheinrohr und der ‚Mutter‘ der August Thyssen Hütte über die HU „praktisch die Vereinigten Stahlwerke“ wieder entstehen würden.170 Auch Etzel zeigte sich sehr verärgert, dass man ihm die HU-Ver-

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sichtlich das „Lieblingskind“, wie es Sohl in einer Rede zum 70. Geburtstag Schwedes formulierte, und es war für ihn wohl nur schwer erträglich, dass nun wieder offiziell ein Großaktionär die Kontrolle übernehmen würde – bis dahin war die HU ja tatsächlich eine Art ‚Bindeglied‘ der Ex-VStNachfolgegesellschaften. TA Sohl 0234 Redemanuskript 70. Geburtstag Walter Schwede 30. 10. 1957. Der Volkswirt, Gleichgewicht der Großaktionäre, 15. 12. 56, S. 10. TA Sohl 1189 Spethmann an Sohl, 8. 5. 1957, RSW 5209 Hohe Behörde an Rheinische Stahlwerke 10. 4. 1957, Hohe Behörde an Thyssen AG für Beteiligungen, 10. 4. 1957, Hohe Behörde an Handelsunion 10. 4. 1957, TA RSW 5209 Aktenvermerk Linz 5. 4. 1957. TA RSW 5209 Thyssen AG für Beteiligung an die Hohe Behörde 8. 5. 1957, Rheinische Stahlwerke an die Hohe Behörde 15. 5. 1957, Vermerk Betr. Statistik über Beziehungen zur Handelsunion AG 6. 6. 1957. TA 1189 Sohl Momsen an Sohl 31. 3. 1958 Abteilung Kartelle und Zusammenschlüsse, gez. Hamburger 3. 3. 1958. TA 1189 Sohl Spethmann an Birrenbach 21. 5. 1957. BA B 102/22301 Erhard an Adenauer, 14. September 1956.

247 einbarung während des ATH/Niederrhein-Antrags verschwiegen hatte.171 Der Verdacht könne nun aufkommen, dass er seinen Kollegen die Zustimmung zum Zusammenschluss ATH/Niederrhein unter falschen Voraussetzungen abgerungen habe. Von einer Wiederentstehung der VSt war in den Dokumenten der Abteilung für Kartelle und Zusammenschlüsse noch nicht direkt die Rede. In der Hohen Behörde sah man allerdings einen Zusammenhang zwischen der gemeinsamen Beteiligung von ATH und DHHU an HWS, dem Problem der Handelsunion und der zunehmenden Einbeziehung des Großaktionärs der DHHU, Hoogovens, in diesen Komplex.172 Innerhalb der Kartellabteilung machte man sich nun zunehmend darüber Gedanken, wie man diese Verflechtungen zwischen den VSt-Nachfolgegesellschaften wieder auflösen könnte – ohne allerdings zu einer abschließenden Meinung zu kommen. Im Oktober 1957 war die Rede von einer Gruppe ATH/DHHU/Hoogovens/ HWS, die 21 % der Feinblechproduktion der Gemeinschaft auf sich vereinigen und auf dem Gebiet der Bundesrepublik eine „sehr starke Machtzusammenballung“ bilden würde.173 Wenig später hieß es dann, dass es auf die Dauer ein unhaltbarer Zustand sei, dass die DHHU und die HWS einen beträchtlichen Teil ihrer Produktion über die HU absetzen würden und die Gewinne ihren Konkurrenten überlassen müssten.174 Eine Lösungsmöglichkeit wäre, die ATH-Unternehmensgruppe an die Handelsgruppe Otto Wolff anzugliedern. Die DHHU könne dann die HU-Beteiligung übernehmen. Zur Erinnerung: Die Hohe Behörde hatte immer noch keine Entscheidung über den Genehmigungsantrag der DHHU, die Mehrheit der HWS zu übernehmen, getroffen. In einem Gespräch am 13. Mai 1958 mit Vertretern der DHHU und Hoogovens erklärte Hamburger, dass erst die zukünftige Kontrolle der HU geklärt werden müsse.175 Das Doppelverhältnis Aktionär/Lieferant müsse getrennt werden.

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172

173 174 175

TA PR 57148 Betr. Politische Atmosphäre im Hinblick auf die Rekonzentration der Vereinigten

Stahlwerke, insbesondere einer Verbindung zwischen Phoenix Rheinrohr und der August Thyssen Hütte, gez. Köster 6. 9. 1957. Inzwischen war nämlich ein Vorstandsmitglied von Hoogovens, Herr Bentz van den Berg, in den Aufsichtsrat von HWS gewählt worden – „aus rein persönlichen Gründen“, wie die anderen Aktionäre erklärt hatten. Auch gäbe es ein Dreiecksabkommen, das nicht schriftlich fixiert sei, so die Hohe Behörde, nachdem die DHHU an Hoogovens Grobbleche lieferte, die DHHU Rohstahl an die HWS und Hoogovens Coils an die HWS. TA PR 57148 Abteilung Kartelle und Zusammenschlüsse Betr. Informatorische Aufzeichnung über die Zusammenschlüsse, die in Deutschland auf dem Gebiet der Feinbleche vorbereitet werden, 17. 10. 1957. Ders., S. 7. TA Sohl 1189 Abteilung Kartelle und Zusammenschlüsse, gez. Hamburger, 3. 3. 1958. Informatorische Aufzeichnung über die Handelsunion, S. 5. BDT 73–85 (15) Bericht über eine Besprechung mit den Herren Elshoff (DHH) und Justman Jacobs (Hoogovens) 13. 5. 1958, gez. Hamburger.

248 Tatsächlich schritt man nun in der Hohen Behörde zur Tat.176 So wurde am 24. Juni 1958 von Dirk Spierenburg, dem neuen Leiter der Arbeitsgruppe Wettbewerb, an die Aktionäre der HU ein Schreiben verschickt, in dem das Ergebnis der Untersuchung der Hohen Behörde mitgeteilt wurde. Der Zustand, dass zwei Unternehmen, die DHHU und HWS, bedeutende Teile ihrer Erzeugung über die HU verkaufen würden, obwohl sie nicht am Kapital beteiligt seien und diese Produkte zum Teil auch von den HU-Eigentümern hergestellt würden, könne nur durch „verabredete Praktiken“ aufrechterhalten werden.177 Dieser Zustand müsse beendet werden. Die Hohe Behörde wollte deshalb den betroffenen Unternehmen Gelegenheit zu einer Aussprache geben, wie die „gegenwärtigen Verhältnisse geändert werden müssen“. Diese Entscheidung zur Absendung dieses Schreibens war in der Hohen Behörde in relativ kurzer Beratung, ohne grundsätzliche Einwände, getroffen worden.178 Bei Phoenix-Rheinrohr hatte man aber nun den Eindruck, dass die ATH bzw. ihr Aktionär dieser Bitte der Hohen Behörde erst einmal nicht Folge leisten wollte bzw. sich zu einer Verzögerungstaktik entschlossen hatte. Der HU-Komplex diene nun dem „politischen Zweck“, den Widerstand von Luxemburg gegen Zusammenschlüsse auf der „Thyssen Seite“ zu demonstrieren.179 Tatsächlich hatte man sich bei der ATH nämlich jetzt für eine andere Strategie entschieden. So hatte mittlerweile Amelie Thyssen den Wunsch geäußert, alle „industriellen Interessen der Erben Fritz Thyssens“ in der ATH zusammenzufassen.180 Ein Imperativ war hier, dass die Mehrheit der Familie Thyssen bei der ATH – wenn diese die Mehrheit der Phoenix-Rheinrohr AG übernehmen würde – in jedem Fall gewahrt bleibe.181 So wurden im Herbst nun von den beiden Holdings sowie Sohl und Spethmann überlegt, wie dieses Ziel am besten zu erreichen sei.182 Es lief darauf hinaus, dass die ATH beantragen würde, eine kontrollierende Beteiligung an der PR zu erwerben.183 Dies änderte die Lage hinsichtlich der Behandlung der beiden Punkte, welche die größten Problemfelder bei den Nachfolgegesellschaften der VSt waren: die Kontrolle der HU und die gemeinsame Beteiligung der DHHU und der ATH an der HWS. Dass diese Punkte geklärt werden mussten, bevor an eine Genehmigung eines Antrags PR/

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TA RSW 5209 Rheinische Stahlwerke Rechtsabteilung an Herrn Generaldirektor Söhngen 31. 5.

177

TA RSW 5209 EGKS HB Vize-Präsident Spierenburg an die Rheinischen Stahlwerke 24. 6. 1958. TA RSW 5029 Auszug aus dem Protokoll der Sitzung der Hohen Behörde vom 10. 6. 1958. TA RSW 5029 Rechtsabteilung an Herrn Generaldirektor Söhngen 23. 7. 1958. TA Sohl 0248/02 Vermerk, 4. 11. 1957 von Sohl, siehe Sohl 0245–1 Spethmann an Sohl 12. 2. 58. TA Sohl 0248–2 Vermerk Sohl 16. 9. 57, Sohl an Birrenbach 16. 9. 1957. TA Sohl 0245–1 Spethmann an Sohl 12. 2. 58. TA Sohl 0245–1 10. 2. 1958, gez. Spethmann 1. Entwurf. Antrag der August Thyssen-Hütte AG an

178 179 180 181 182 183

1958.

die Hohe Behörde der Montanunion wegen Genehmigung des Erwerbes einer kontrollierenden Beteiligung an der Phoenix Rheinrohr AG durch die August Thyssen Hütte.

249 ATH zu denken war, darüber bestand kein Zweifel.184 Schon in einem der ersten Vermerke Sohls über den geplanten Zusammenschluss ATH/PR vom 16. September 1957 hieß es, dass ein Verkauf des HWS-Paketes als „Entgegenkommen“ für eine Genehmigung ATH – Phoenix eingehandelt werden könnte.185 So sollte die HWS-Beteiligung

so lange behalten werden, bis die Hohe Behörde die Genehmigung für den Zusammenschluss ATH/PR erteilt hatte. Die HU-Beteiligung von 25 % der Phoenix-Rheinrohr und der Thyssen AG für Beteiligung, auf welche die ATH eine Verkaufsoption besaß, wollte Sohl offensichtlich behalten. Die HU wäre so praktisch zu einem ‚Bindeglied‘ der VSt-Nachfolgegesellschaften zu einer ‚Thyssen-Gruppe‘-Werkshandelsgesellschaft geworden.186 Weiter hatte Sohl persönlich entschieden, sich vorerst mit der 25 %-ATH-Beteiligung an der Rasselstein-Andernach AG zufrieden zu geben. Den Antrag bezüglich der 50 %-Beteiligung an Rasselstein, die ja in einer Option festgelegt worden war, solle erst zu einem späteren Zeitpunkt gestellt werden.187 Bei der ATH war man also bereit, einen Beitrag zur Entwirrung des Geflechts zwischen den Nachfolgegesellschaften der VSt zu leisten – allerdings gegen den Preis der Genehmigung des Zusammenschlusses ATH/PR durch die Hohe Behörde einschließlich alleiniger Kontrolle über die HU. 184

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So hatte ein Mitarbeiter Franz Etzels, Wilhelm Krafft, erklärt, dass es gerade in Frankreich den Eindruck gebe, dass an der Ruhr eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen würden, die letztendlich zum Wiederentstehen der VSt führen würden. In diesem Zusammenhang spiele HWS, die HU und die Thyssengruppe eine ganz besondere Rolle. PR 57148 Betr. Politische Atmosphäre im Hinblick auf die Rekonzentration der Vereinigten Stahlwerke, insbesondere einer Verbindung zwischen Phoenix-Rheinrohr und der August Thyssen Hütte, 6. 9. 1957, gez. Köster. Spierenburg hatte Sohl in einem Gespräch erklärt, dass er einer Genehmigung PR/ATH ohne den HWS-Verkauf nie zustimmen würde. Er könne allerdings auch nicht sagen, ob der Verkauf ausreichen würde, die Genehmigung zu erteilen. Cabinet Linthorst-Homan, BDT 73–85 (15) Abteilung Kartelle und Zusammenschlüsse 7. 3. 1958, Aktenvermerke zu der Besprechung zwischen Herrn Spierenburg und Herrn Sohl, Generaldirektor der ATH am 7. 3. 1958, gez. Hamburger. Sohl 0248/2 Vermerk Sohl 16. 9. 57, Sohl an Birrenbach 16. 9. 1957. Sohl wiederum gab gegenüber Otto Wolff von Amerongen an, der die ATH darauf drängte, die HWS-Beteiligung zu verkaufen, da so die ATH gegenüber Rasselstein „nach beiden Seiten spielen könne“, dass man sich prinzipiell darüber einig sei, die Beteiligung an die DHHU zu verkaufen gegen einen Coils-Vertrag mit der HWS, man müsse jetzt aber die Beteiligung als Verhandlungsobjekt beim Genehmigungsantrag ATH/PR behalten. Sohl 0868 Otto Wolff von Amerongen, Mitinhaber der Firma Otto Wolff 19 Juli 1960. Mit Interesse vernahm denn auch Spethmann von Hamburger, dass bei einem Zusammenschluss PR/ATH das HU-Problem nach Artikel 66 untersucht werde, ohne dass das Wort „Thyssensche Werkshandelsgesellschaft“ verwendet worden wäre, welches aber „in der Luft gelegen habe“. Auch deutete Spethmann schon an, dass die ATH ihren HWS-Anteil gegen eine Genehmigung des Antrags ATH/PR aufgeben könne. Sohl 0249/3 Spethmann an Sohl 22. 5. 1958. Sohl 0877 Niederschrift über die Besprechung der beiden Unterzeichneten bei der Hohen Behörde in Luxemburg am 19. Mai 1958 mit den Herren Hamburger und Jaeger (Mitarbeiter von Herrn Hamburger in der Kartellabteilung) in Sachen Rasselstein 22. 5. 1958, gez. Spethmann Steinmetz, Spethmann an Sohl 11. Juni 1958.

250 Völlig anders und problemlos verlief die ‚Rekonzentration‘ bei den Rheinischen Stahlwerken. Die Rheinischen Stahlwerke hatten die Verarbeitungsholding RheinstahlUnion als endgültige Konzentration gewählt. Gleichzeitig behielten sie ihre Mehrheitsbeteiligung an der Ruhrstahl AG und damit auch an den Gußstahlwerken Oberkassel, die schon 1954 von der Ruhrstahl AG übernommen wurden, und der Rheinisch-Westfälischen Eisen- und Stahlwerke AG als transitorische Konzentration. Gleichzeitig wurden 30 % Beteiligung an den Gußstahlwerken Witten gehalten. Im Jahre 1957 entschieden dann die Rheinischen Stahlwerke, die Holdings Rheinwesteisen und Rheinstahl-Union aufzulösen und auf die Rheinischen Stahlwerke direkt zu übertragen. Die Rheinischen Stahlwerke teilten deshalb der Hohen Behörde mit, dass sie diese Maßnahmen getroffen hätten, um die Kontrolle über die Rheinstahl-Union, Rheinwesteisen und die Ruhrstahl AG zu verstärken. Eine Genehmigung sei nach Meinung der Rheinischen Stahlwerke nicht nötig, da die Kontrolle schon am Tag des Inkrafttretens des Vertrages sowie des Endes des Besatzungsstatus bestanden hatte. Die Hohe Behörde beschloss, den Rheinischen Stahlwerken mitzuteilen, dass sie diese Meinung teile und keine Genehmigung nötig sei.188 Als die Rheinischen Stahlwerke auch im Herbst 1959 ihre Beteiligung an den Gußstahlwerken Witten von 30 % auf 60 % erhöhten, erklärte die Hohe Behörde, dass eine gemeinschaftliche Kontrolle zusammen mit dem Bankhaus Merck & Finck Co., welches ebenfalls 30 % hielt, schon bestanden habe und eine Genehmigung nicht nötig sei.189

5.8 Die Zusammenschlusspolitik der Hohen Behörde und die ‚Rekonzentration der VSt‘ – ein Politikwechsel? Welche Bilanz kann man hinsichtlich der Politik der Hohen Behörde gegenüber den Zusammenschlüssen bei den VSt-Nachfolgegesellschaften ziehen? Auch hier kann man nicht behaupten, dass es sich um Entscheidungen handelt, die auf einer klar herausgearbeiteten Methodik beruhten. Vielmehr ging die Hohe Behörde letztlich die Politik des geringsten Widerstandes, in dem sie die wirklich interessanten Fragen – nämlich die Rolle der Finanzholdings der Erbinnen Fritz Thyssens – beim Zusammenschluss Phoenix/Rheinrohr und ATH/Niederrhein aussparte.

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HAEU CEAB 2–1300 Protokoll 356 Sitzung der Hohen Behörde vom 30. 1. 1957, Luxemburg,

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MAE Ambassade, RFA Bonn 129 Hohe Behörde An die Rheinischen Stahlwerke an die Hohe Behörde EGKS 14. Dezember 1959, Luxemburg, Der Präsident, gez. Malvestiti Betr. Erwerb von

31. Januar 1957.

Aktien.

251 Geht man wieder von dem ‚formellen‘ Auftrag der Hohen Behörde aus, nämlich die Unternehmenszusammenschlüsse nach den Kriterien der Artikel 66 zu bewerten, so wirft die inhaltliche Behandlung der Genehmigungsanträge viele Fragen auf. Eine detaillierte Behandlung des ATH/Niederrhein-Antrags hätte zumindest einmal die Marktstellung der ATH auf dem Flachstahlsektor aufzeigen und diskutieren können. Was die Verflechtungen zwischen den Nachfolgegesellschaften der VSt anging, insbesondere den Komplex HU, so trat die Hohe Behörde hier allerdings ein schweres Erbe an. Die Alliierten hatten offiziell verkündigt, dass es sich bei der Neuordnung um eine effektive Entflechtung der VSt handeln würde. Sie hatten es allerdings unterlassen zu erwähnen, dass in den individuellen ‚Entflechtungsplänen‘ der Großaktionäre die Möglichkeit bestand, mit Genehmigungen der Hohen Behörde die ‚entflochtenen‘ Beteiligungen wieder in einem Unternehmen zu vereinigen. Der HU-Komplex wiederum war ein wirkliches ‚cadeau empoisonné‘ der Alliierten. Diese hatten eine echte Trennung von Produktion und Handel bei den VSt-Nachfolgegesellschaften angekündigt: Das Ziel endete in der Gründung der HU, die von Nachfolgeunternehmen der VSt kontrolliert und als wichtigste Vertriebsplattform benutzt wurde – und diese waren nicht einmal identisch! Da ja gleichzeitig die Erwartung geweckt worden war, dass die Neuordnung durch Artikel 66 aufrechterhalten werden würde, konnte sie hier nur an Ansehen verlieren. Der Eindruck musste aufkommen, dass die Hohe Behörde nun aus eigener Schwäche die ‚Rekonzentration‘ der von den Alliierten effektiv ‚neu geordneten‘ Stahlindustrie in Westdeutschland ermögliche. Einer gegenüber der Ruhrindustrie misstrauischen Öffentlichkeit konnte die Hohe Behörde so nicht gerecht werden. Die Hohe Behörde war deshalb wieder nach dem ‚informellen‘ Mandat vorgegangen. Es ging letztlich darum, die ‚Rekonzentration‘ der Stahlindustrie europäisch zu legitimieren – was wiederum den Konsens anderer Mitglieder der Hohen Behörde implizierte. Je geräuschloser dies vonstatten ging, umso besser. Nur kam allerdings der Punkt, an dem dies nicht mehr möglich war. Die Ruhrstahlindustrie rückte zu ihrem Bedauern im Herbst 1957 wieder in den Blickpunkt der europäischen Öffentlichkeit: das leidige Thema der alliierten Verkaufsauflagen. Die Großaktionäre der VSt hatten sich dieser Auflagen zumindest in Teilen elegant entledigt – indem sie einer Klausel in ihren Dekonzentrationsplänen entsprechend die unter Verkaufsauflage stehenden Unternehmen an bereits von ihnen kontrollierte Unternehmen mit Genehmigung der Hohen Behörde verkauft hatten. Diese Möglichkeit hatte allerdings der Großaktionär Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der alleiniger Besitzer der Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG, nicht.190 Die Hüttenwerke Rheinhausen waren im Zuge der Neuordnung aus der Firma Fried. Krupp, einem breit gefächerten Weiterverarbeitungsunternehmen, ausgegliedert wor-

190

Ders., S. 319ff.

252 den. Im Gegensatz zu den Großaktionären der VSt hatte sich Alfried Krupp in einer persönlichen Erklärung dazu verpflichtet, dieses Unternehmen in einer Frist von fünf Jahren zu verkaufen. Erst dann hielt er sein beschlagnahmtes Eigentum zurück.191 Adenauer bat nun, von Krupp gedrängt, in einem Brief an die amerikanische, französische und britische Regierung, der am 18. Februar 1957 abgeschickt wurde, die Durchführung der noch ausstehenden Auflagen auszusetzen.192 Auch wenn die alliierten Regierungen diesem Wunsch durchaus aufgeschlossen waren – aufgrund des Druckes der öffentlichen Meinung konnten sie nicht einfach auf die Erfüllung der restlichen Auflagen verzichten.193 In England gab es mehrere Parlamentsanfragen zu diesem Thema, und in Frankreich warnte Michel Debré vor der ‚Todesgefahr für Europa‘, welche die Rekonzentration der Stahlindustrie für Europa verkörpere.194 Noch beunruhigender aus Sicht der Bundesregierung und der Stahlindustrie war allerdings ein Artikel über die Initiative Adenauers auf der Titelseite Le Monde. Diese Zeitung befürwortete grundsätzlich die europäische Integration und die deutsch-französische Verständigung.195 Im Herbst 1957 wurde die Hohe Behörde noch direkter in den Komplex Verkaufsauflagen involviert. Die Hütten- und Bergwerke Rheinhausen beantragten, die Aktienmehrheit am Bochumer Verein zu übernehmen. Die Mehrheit des Bochumer Vereins – einer Nachfolgegesellschaft der VSt – war schon im Mai 1954 vom schwedischen Geschäftsmann Axel Wenner Gren als ‚Strohmann‘ für Alfried Krupp übernommen worden.196 Der Bochumer Verein sollte die Kruppschen Gußstahlwerke Essen-Borbeck ersetzen, die nach 1945 komplett demontiert wurden. Nun hatte Krupp sich entschlossen, den Antrag einzureichen, um die Aufhebung der Verkaufsauflage durch die Alliierten zu fördern.197 Eine Genehmigung der Hohen Behörde hätte bestätigen können, dass sein Unternehmen keine ‚übermäßige wirtschaftliche Konzentration‘ im Sinne des EGKS191

192 193

194 195 196 197

Diana Maria Friz: Die Stahlgiganten. Alfried Krupp und Berthold Beitz, Frankfurt 1990, S. 49ff. Alfried Krupp betrachtete diese Erklärung als Erpressung, da die Unterschrift die einzige Möglichkeit war, sein Vermögen zurückzuerhalten. Deshalb fühlte er sich auch nicht an sie gebunden. Die Verhandlungen um die Erfüllung der Verkaufsauflage sind geschildert bei Müller, S. 317–329, Friz, S. 80f. Bei den Alliierten erwog man auch die Möglichkeit, die Hohe Behörde mit dieser Frage zu befassen. MAE Ambassade, RFA Bonn, 129 Couve de Murville an Christian Pineau 10. 5. 1957. MAE Ambassade, RFA Bonn, 131 Direction des Affaires Economiques et financières, 29. 3. 1957, Note pour le ministre, S. 2. HAEU CEAB 3/456 Un Pe˙ril Mortel pour l’Europe: la reconstitution politique en cours de la puissance politique de la Ruhr. Carrefour, 22 mai 1957. HAEU CEAB 3/465 Le Monde, En demandant à la France de renoncer a la deconcentration de la Ruhr. Le chancelier Adenauer vole au secours de Krupp et des hérities Thyssen, 17 mai 1957. BA B102/22309 Hohe Behörde, Abteilung Kartelle und Zusammenschlüsse, 22 Januar 1958. Vorläufiger Bericht. P 85605 Vermerk Dr. K/N Betr. Besprechungen in Luxemburg am 11. und 12. Oktober 1957, 14. 10. 1957.

253 Vertrages darstelle.198 Das Problem war nur: Die Erklärung Alfried Krupps hatte eine andere Qualität als die schwer durchschaubaren Entflechtungspläne der VSt-Großaktionäre. Doch die Aufmerksamkeit der interessierten europäischen Öffentlichkeit war mittlerweile auch auf den Komplex ‚Wiederentstehung der Vereinigten Stahlwerke‘ gerichtet. Dafür sorgte nicht zuletzt ein Vortrag des SPD-Montanexperten Heinrich Deist, ehemaliges Mitglied der Stahltreuhändervereinigung, Mitglied der Gemeinsamen Versammlung der EGKS und gleichzeitig Aufsichtsratvorsitzender beim Bochumer Verein. In einem Vortrag am 16. Juni 1957 vor der gewerkschaftsnahen „Hans-Böckler Gesellschaft“ zur Konzentration in der Eisen- und Stahlindustrie sprach Deist über einen generellen Trend zur Konzentration in der Eisen- und Stahlerzeugung, der sich in allen europäischen stahlerzeugenden Ländern, und natürlich auch in den USA, vollzogen habe – und weiter vollziehen werde.199 In der Bundesrepublik sei dieser Trend nur aufgrund der Entflechtung aus politischen Gründen unterbrochen worden.200 Gleichzeitig sprach er ganz offen über einen zukünftigen Zusammenschluss ATH/Phoenix-Rheinrohr, den er auch befürwortete: 201 Mit einem solchen Zusammenschluss würde im Westen des Ruhrgebietes einer der größten und leistungsfähigsten Stahlkonzerne entstehen, in der allein sechs der bisherigen Stahlnachfolgegesellschaften der Vereinigten Stahlwerke zusammengefaßt werden. Es würde ein Komplex mit einer weitschichtigen Rohstoffgrundlage sein, mit einer großen Eisen- und Stahlerzeugung und mit einem breiten Walzprogramm (Schwerpunkte Breitband, Kaltband, Röhren und Draht), also eine Kombination, die mit ganz modernen leistungsfähigen Anlagen ausgestattet wäre, weitgehende Möglichkeiten der technischen Rationalisierung böte, bei breitem Produktionsprogramm sehr krisenfest wäre und über eine bemerkenswerte Finanzstärke verfügen würde. Hinzu kommt die günstige Lage am Rhein, so dass alle Vorbedingungen für eine hohe Wirtschaftlichkeit gegeben wären. Es erscheint unvorstellbar, dass solche Chancen nicht genutzt werden.

Hamburger verfasste einen Vermerk über die Rede für die Arbeitsgruppe Wettbewerb der Hohen Behörde.202 Die Hohe Behörde wurde in einer parlamentarischen Anfrage 198 199

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201 202

Müller, Strukturwandel, S. 327, P 85605 Vermerk Dr. K/N Betr. Besprechungen in Luxemburg am 11. und 12. Oktober 1957, 14. 10. 1957. HAEU CEAB 1–1470 Informatorische Aufzeichnung für die Herren Mitglieder der Hohen Behörde und der Arbeitsgruppe „Markt, Kartelle, Transport“, 20. 11. 57. Der Vortrag wurde später abgedruckt in: Heinrich Deist: Zur Konzentration in der Eisen- und Stahlindustrie, in: Deutsche Stahlindustrie 1957. Zum Eisenhüttentag. Beilage zu Nummer 43 vom 25. Oktober 1957, S. 62–70. Dabei zitierte er den Bericht von Henri Fayat vor der Gemeinsamen Versammlung der EGKS vom Mai 1957, der ebenfalls von weit vorangeschrittenen Zusammenschlüssen in Italien, Belgien, Frankreich und Luxemburg zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages im Jahre 1952 sprach und eine Bewegung in umgekehrter Richtung aufgrund der alliierten Gesetzgebung in der Bundesrepublik feststellte. Ders., S. 63f. Ders., S. 65. HAEU CEAB 1–1470 Informatorische Aufzeichnung für die Herren Mitglieder der Hohen Behörde und der Arbeitsgruppe „Markt, Kartelle, Transport“, 20. 11.57, S. 5.

254 von Debré auf die Rede angesprochen.203 Sie erklärte, dass sie einen erneuten Zusammenschluss der Vereinigten Stahlwerke nicht genehmigen werde. Dies bedeute aber nicht, dass alle weniger bedeutenden Zusammenschlüsse von der Hohen Behörde automatisch genehmigt würden. Dies gelte insbesondere auch dann, wenn eine beherrschende Stellung bei einem einzelnen Walzstahlerzeugnis errungen werden konnte. War dies eine Anspielung auf die in verschiedenen internen Dokumenten der Hohen Behörde festgestellte Konzentration auf dem Gebiet der Flachstahlerzeugung in der Bundesrepublik? Schließlich kam es zu einer weiteren Debatte in der Gemeinsamen Versammlung der EGKS am 26. Februar 1958 über die Zusammenschlusspolitik der Hohen Behörde, welche den politischen Druck noch erhöhte.204 In einer Entschließung wurde die Hohe Behörde aufgefordert, einen Grenzwert zu bestimmen, über den hinaus ein Zusammenschluss nicht mehr wünschenswert sei. Weiter ging die Leitung der Arbeitsgruppe Wettbewerb der Hohen Behörde von Etzel, der nach den Bundestagswahlen 1957 als Finanzminister nach Bonn zurückkehrte, auf Spierenburg über.205 Dieser hatte sich ja schon sehr früh über eine zu laxe Anwendung der Wettbewerbsartikel beschwert. Gerade das ewige Thema ‚Ruhrkohlenverkauf‘ trug dazu bei, dass sich nun der Ton zwischen den Beteiligten verschärfte.206 Als im Sommer 1958 die Stahlunternehmen in der Bundesrepublik zum selben Zeitpunkt ihr Preisniveau anglichen, drängte er auf ein energisches Eingreifen der Hohen Behörde, da dies eine klare Vertragsverletzung darstellte.207 In den Niederlanden werde immer mehr angezweifelt, so Spierenburg, dass die Ruhr und die Hohe Behörde gewillt seien, den Vertrag und insbesondere die Bestimmungen der Artikel 65 und 66 anzuwenden.208 Für ein härteres Durchgreifen gegen die Ruhrstahlindustrie suchte Spierenburg auch nach Verbündeten. So drängte er die französische Regierung, eine Persönlichkeit als Mitglied der Hohen Behörde zu nominieren, welches nicht davor zurückschrecken 203

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Europäisches Parlament: Die Anwendung des Vertrages über die Gründung der EGKS während der Übergangszeit, Luxemburg, April 1958, S. 152, Schriftliche Anfrage des Herrn Debré und die Antwort der Hohen Behörde, Amtsblatt der Gemeinschaft vom 30. Oktober 1957, S. 152, siehe auch Diebold, S. 370. Europäisches Parlament: Die Anwendung des Vertrages über die Gründung der EGKS während der Übergangszeit, Luxemburg, Gemeinsame Versammlung, Sitzung vom 26. Februar 1958, April 1958, S. 153. Spierenburg, CECA, S. 506. Er scheint nun auch in der Hohen Behörde die dominante Persönlichkeit zu sein, zumindest behauptet er dies von sich selber. „On remarque rapidement, dans les chancelleries occidentales comme aux Etats-Unis, qui est la principale cheville ouvrière du collège (…).“ S. 502. Spierenburg, CECA, S. 503ff. Spierenburg, CECA, S. 587ff. Sonderprotokoll über die 475. Sitzung der Hohen Behörde vom 1. Dezember 1958, Luxemburg, den 3. Dezember 1958, S. 2. Spierenburg drohte sogar mit seinem Rücktritt, falls die Hohe Behörde weiter eine Politik der Schwäche verfolgen würde.

255 würde, energisch gegen Verletzungen des Wettbewerbsrechts durch die Ruhrindustrie vorzugehen. Der neue französische Außenminister, Maurice Couve de Murville, reagierte allerdings eher zurückhaltend auf diesen Vorschlag.209 Spierenburg machte sich Sorgen über das Ansehen der Hohen Behörde. In der Auseinandersetzung über die Festsetzung von Produktionsquoten durch die Hohe Behörde für die seit Jahresanfang 1958 in die Krise geratene Kohleindustrie trugen gerade die französische und deutsche Regierung im Frühjahr 1959 dazu bei, der Hohen Behörde eine empfindliche Niederlage zu bereiten, die zu einer allgemein empfundenen Schwächung der Institution führte.210 Schließlich stand die Hohe Behörde nach der Verabschiedung der Verträge von Rom auch im Schatten der Kommission in Brüssel. Energisches Handeln konnte deshalb Existenzberechtigung demonstrieren. Schließlich bestand die französische Regierung im Herbst 1958 nun nach dem Ende der vierten Republik – und der Regierungsübernahme durch de Gaulle – aus den politischen Kräften, den Gaullisten, welche den EGKS-Vertrag grundsätzlich abgelehnt hatten und gerade der Existenz supranationaler Institutionen sehr kritisch, wenn nicht völlig ablehnend gegenüberstanden.211 Die Regierungsübernahme wurde dann auch in Bonn mit viel Misstrauen beobachtet – was sich allerdings zumindest für Konrad Adenauer nach dem ersten Treffen mit de Gaulle wieder legen sollte. Abgesehen von sich ändernden politischen Rahmenbedingungen – was kann man angesichts der Analyse der Genehmigungspolitik der Hohen Behörde bis zu diesem Zeitpunkt zu den Genehmigungschancen eines Antrags ATH/PR sagen? Geht man von dem ‚offiziellen‘ Mandat des Artikels 66 aus, bleibt festzuhalten, dass die Hohe Behörde immer noch kein Instrumentarium entwickelt hatte, um die Genehmigungskriterien zu bewerten. Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwieweit das ‚informelle‘ Mandat noch galt? Wie aufgezeigt, hatte sich die Hohe Behörde verpflichtet, eine Rückkehr der VSt nicht zu genehmigen. Aber auf welcher Grundlage konnte nun die Hohe Behörde über den Antrag ATH/PR entscheiden? War dies eine Gelegenheit, nun einmal klar zu der Anwendung des ‚formellen‘ Mandats Stellung zu nehmen?

209 210 211

Spierenburg, CECA, S. 503. Spierenburg, CECA, S. 542–556. Lappenküpper, S. 1204ff. und zum Regierungsantritt Debrés im Januar 1959, 1481ff.

257

6. K APITEL D IE W ETTBEWERBSPOLITIK DER H OHEN B EHÖRDE UND DIE ‚T HYSSEN -G RUPPE ‘

6.1 Einleitung Am 29. Oktober 1958 reichte die August Thyssen Hütte AG (ATH) den Antrag bei der Hohen Behörde ein, die Kapitalmehrheit an der Phoenix Rheinrohr AG (PR) zu übernehmen – das ‚Endziel‘ der Thyssenschen Aufbaustrategie. Diese neue ‚Thyssengruppe‘ wäre im Jahre 1959 das größte Unternehmen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) gewesen. Es sollte allerdings ganze fünf Jahre dauern, bis die ATH die Genehmigung zur Übernahme von PR schließlich erhielt. In diesem Kapitel sollen die Verhandlungen der ATH mit der Hohen Behörde geschildert werden, die schließlich im Sommer 1963 zur Genehmigung der Übernahme der Aktienmehrheit der PR durch die ATH führten. Diese Verhandlungen lassen sich in drei Phasen aufteilen: Die erste Phase besteht aus dem ersten Genehmigungsantrag der ATH, die PR zu übernehmen. Dieser wurde im April 1960 von der ATH zurückgezogen, da die Auflagen der Hohen Behörde für eine Genehmigung von der ATH zurückgewiesen wurden. Nur ca. sechs Monate später beantragte die ATH, fünfzig Prozent der Aktien der Handelsunion AG (HU) und der Hüttenwerke Rasselstein-Andernach AG (Rasselstein) zu übernehmen. Diesem Antrag wurde unter Auflagen seitens der Hohen Behörde ein Jahr später stattgegeben. Im Mai 1962 stellte die ATH einen erneuten Antrag auf Übernahme der Mehrheit der PR AG. Die Hohe Behörde gab im Juni 1963 ihre Genehmigung – wieder verbunden mit Bedingungen. Gegen die Bedingung, einen Coils-Liefervertrag mit der HWS zu verkürzen, klagte die ATH vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Schließlich zog sie diese Klage wieder zurück und erfüllte die Bedingungen der Hohen Behörde, so dass schließlich im Januar 1964 die Genehmigung endlich rechtskräftig wurde. In den schon analysierten Entscheidungen ist herausgearbeitet worden, dass diese sich nicht aufgrund des offiziellen Mandats, des Rechtstextes des Artikels 66, erklären lassen, sondern eher aufgrund des ‚informellen Mandates‘ der Mitgliedstaaten an die Hohe Behörde, die ‚Rekonzentration‘ der westdeutschen Stahlindustrie europäisch zu legitimie-

258 ren. In Folge dieses Mandates wurden alle Anträge, die von der westdeutschen Stahlindustrie eingereicht wurden, genehmigt. Nun kam es bei dem ersten Antrag ATH/PR offenbar zu Schwierigkeiten. Der Antrag wurde von der ATH aufgrund der zu erwartenden Auflagen der Genehmigung zurückgenommen. Wie lässt sich dies erklären?

6.2 Der Genehmigungsantrag ATH-Phoenix Rheinrohr (PR) – der erste Versuch Der erste Genehmigungsantrag ATH/PR scheiterte Anfang Mai 1960, als die ATH den Antrag eineinhalb Jahre nach der Antragstellung zurückzog. Die Genehmigungsauflagen der Hohen Behörde schienen dem Unternehmen unannehmbar. In der zeitgenössischen wissenschaftlichen Literatur wurde dieser Antrag auch als ‚cause celebre‘1 der europäischen Wettbewerbspolitik bezeichnet. Die Firmengeschichte der ATH aus dem Jahre 1969 spricht von „ausserdeutscher Pressekritik“ am Antrag. Weiter wurde „hinter den Kulissen (…) operiert“.2 Bekannt ist, dass Bundeskanzler Konrad Adenauer der Hohen Behörde während einer Sitzung aller Mitglieder, die über den Zusammenschluss entscheiden sollten, ein Telegramm schickte, in dem er diese Fusion im Namen der Bundesregierung ausdrücklich begrüßte.3 Eine solche offene Intervention einer nationalen Regierung ist bei den schon betrachteten Genehmigungsfällen noch nicht festgestellt worden. 6.2.1 Die Position der Bundesregierung und der Antrag Die Einschaltung der Bundesregierung in das Verfahren begann allerdings schon viel früher – fast eineinhalb Jahre vor dem besagten Telegramm.4 Zwei Wochen vor der Einreichung des Antrags wandte sich Sohl an Kanzler Adenauer: Neben den in Aussicht genommenen Verbindungen Krupp/Bochumer Verein und Dortmunder Hörder Hüttenwerke Siegerland (…) soll diese Neuordnung im Thyssenbereich die sogenannte Re-Entflechtung in der deutschen Montanindustrie abschließen und damit zugleich die Gewähr bieten, dass die früheren Vereinigten Stahlwerke nicht wiederentstehen. An einer abschließenden Regelung dieser Frage, die immer wieder Anlaß zu Verdächtigungen und Angriffen im In- und Ausland ist, dürfte seitens der Bundesregierung ein starkes politisches Interesse bestehen.5 1 2 3 4 5

Swann, Competition, S. 205. Ders., S. 225. Spierenburg, CECA, S. 708. Vorher hatte er sich schon mit Finanzminister Franz Etzel, ehemaliges Mitglied der Hohen Behörde, abgestimmt. TA A 7584 Sohl an Etzel 20. 8. 58, Sohl an Etzel 27.9.1958. BA B 136/8364 Sohl an Adenauer 13. 10. 58.

259 Dieser Zusammenschluss sollte also nun ein Ende der ‚Re-Entflechtung‘ bedeuten. Das Wort ‚Rekonzentration‘ wurde weder von den Stahlindustriellen noch von der Wirtschaftspresse noch von Vertretern der Bundesregierung benutzt, da dies ja impliziert hätte, dass vor der ‚Dekonzentration‘ tatsächlich zu große wirtschaftliche Konzentration bestanden hätten. Genau dies wurde aber immer wieder bestritten. Sohl verwendete nun offen den Begriff „Thyssenbereich“, wobei er ganz offensichtlich alle Unternehmen meinte, die von den beiden Finanzholdings der Erbinnen von Fritz Thyssen kontrolliert wurden. Damit wurde suggeriert, dass es sich bei dem Antrag um eine Umstrukturierung innerhalb einer schon bestehenden Unternehmensgruppe handeln würde. Der Antrag ATH/Niederrhein wurde aber auch deshalb relativ problemlos von der Hohen Behörde genehmigt, da die beiden Holdings als getrennt betrachtet wurden. Nun drehte Sohl den Spieß einfach wieder herum. Bundesfinanzminister Etzel schlug dann Adenauer vor, einmal grundsätzlich „das Problem einer endgültigen Ordnung der Grundstoffindustrie an der Ruhr“ zu besprechen.6 Etzel machte auch schon Vorschläge für die Besetzung einer solchen Runde: Robert Pferdmenges, Ludwig Erhard oder sein Staatssekretär, Ludger Westrick, Etzel selber, BDI-Präsident Fritz Berg, Hans-Günther Sohl, die Vorsitzenden der beiden Thyssen-Finanzholdings, Kurt Birrenbach und Robert Ellscheid sowie eventuell die beiden deutschen Mitglieder der Hohen Behörde, Franz Blücher und Heinz Potthoff. Bei den zuständigen Beamten im Bundeskanzleramt wurde dieser Vorschlag mit einiger Skepsis vernommen. Insbesondere stieß die Besetzung der vorgeschlagenen Runde auf Kritik, da Thyssen zu stark vertreten sei.7 In der Tat befanden sich unter den vorgeschlagenen Namen als Stahlindustrielle nur Vertreter der Thyssen-Gruppe, obwohl ja über die Neuordnung der gesamten Stahlindustrie geredet werden sollte und auch zwei weitere Unternehmen von der Ruhrindustrie Anträge in Luxemburg vorgelegt hatten: den Antrag der DHHU, die HWS zu übernehmen, sowie den Antrag des Hüttenwerk Rheinhausens, den Bochumer Verein zu übernehmen. So wurde dann im Amt überlegt, eine Antwort für Adenauer an Etzel vorzubereiten, in der die Gesprächsbereitschaft grundsätzlich bejaht wurde, eine solche Runde aber gründliche Vorbereitung benötige. Die Einwände der Beamten konnten anscheinend gar nicht mehr vorgebracht werden, da das geplante Treffen mit der Besetzung Sohl, Birrenbach, Berg, Westrick, Globke, Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Ellscheid und Blücher schon kurze Zeit später stattfand.8 6 7 8

BA B 136/8364 Etzel an Adenauer 15. 10. 1958. BA B 136/8364 Min. Dirig. Haenlein an Ministerialdirektor Vialon 18. 10. 1958. Auf dem Vermerk BA B 136/8364 Min. Dirig. Haenlein an Ministerialdirektor Vialon 18. 10. 1958. steht als handschriftlicher Kommentar: „Genannten Herren bereits zum 22.10. zum BK einge-

laden“. Das deutsche Mitglied der Hohen Behörde, Blücher, nahm nur teilweise an der Sitzung teil.

260 In dieser Sitzung wurde dann nur über den Fall ATH/PR gesprochen und der Antrag „gebilligt“.9 Damit hatte die ATH nun die Unterstützung der Bundesregierung, vom Bundeskanzler persönlich im Beisein eines der deutschen Mitglieder der Hohen Behörde ausgesprochen – bevor der Antrag überhaupt eingereicht war. Von einer Diskussion innerhalb der Bundesregierung konnte aber nicht die Rede sein. Durch das direkte Einschalten des Kanzlers erhielt die ATH die Unterstützung der Bundesregierung für den Antrag unter völliger Umgehung der Ministerialbürokratie der Bundesregierung. Dabei hatte es gerade aus dem BWM Bedenken gegen eine bedingungslose Unterstützung des Antrags gegeben.10 Westrick bat noch vor der entscheidenden Besprechung beim Bundeskanzler die zuständigen Stellen im BWM um sorgfältige Prüfung.11 Vor der entscheidenden Sitzung im Bundeskanzleramt wurden die Unterlagen dann aber nicht angefragt.12 Die Unterstützung des BWM wurde dann dadurch erreicht, dass Adenauer Westrick zu der genannten Besprechung hinzuzog.13 Nach kurzer Bedenkzeit sprach er sich für den Zusammenschluss aus. Daraufhin wurde er vom Bundeskanzler beauftragt, die Angelegenheit mit der Hohen Behörde zu besprechen. So erklärte Westrick schon am 5. November, eine Woche nach der Einreichung des Antrages, dem Präsidenten der Hohen Behörde Paul Finet, dass der Bundeskanzler und die Bundesregierung den Antrag billigen würden.14 Laut Finet beteuerte Westrick, dass der Bundeskanzler wirtschaftliche Konzentrationstendenzen grundsätzlich bedauere und ablehne, dass aber in diesem Fall die wirtschaftlichen Vorteile ganz eindeutig überwiegen würden.15 Bewertet hatte diesen wirtschaftlichen Vorteil aber weder die Ministerialbürokratie im Bundeskanzleramt noch im BWM.16

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BA B 136/8364 3. 11. 1958 Haenlein an Vialon. Betr. „Endgültige Ordnung der Grundstoffindustrie an der Ruhr“. Ludwig Erhard hatte schon im Juni 1958 dem Bundeskanzleramt seine Bedenken gegen eine Wiederentstehung der VSt mit einer Rohstahlerzeugung zwischen 10 und 11 Mio t mitgeteilt. BA B 102/22301–2 Bundesminister für Wirtschaft an Staatssekretäre des Bundeskanzleramtes 14. 6. 1958. BA B 102/22301–2 Westrick an Solveen 10. 10. 1958. BA B 102/22301–2 Westrick an Abteilung III 9. 10. 1958. BA B 102/22301–2 IIID2 an Regierungsrat Dr. Krink Abteilung III Betr. Wiederverflechtung einiger großer Montankonzerne 28. 10. 1958. PAAA Referat 200/314 Betr. Zusammenschluss August Thyssen Hütte/Phoenix Rheinrohr 10. 12. 1958. Das Auswärtige Amt wurde in dieser Frage überhaupt nicht konsultiert. BA 136/8364 Westrick an Globke 5. 11. 1958. BDT 73–85 (4) Memorandum 4. 11. 1958, gez. Finet. BA B 102/22301–2 IIID2 Vermerk 31. 10. 1958; siehe auch BA 102 22301–2 IIIC Solveen an Staatssekretär 22. 10. 1958. Die Fachabteilung im BWM hatte sich mit dem Argument der ATH auseinandergesetzt, dass der Zusammenschluss keine Erweiterung der Marktmacht an einzelnen Erzeugnissen bedeute, sondern nur eine Ausweitung des Produktionsprogrammes. Im BWM sah man eine größere Produktionspalette von ATH/PR Phoenix als Vorteil an, da der neue Konzern nun

261 Nach Rücksprache beim BWM war man allerdings im Kanzleramt schon Mitte November der Meinung, dass die Hohe Behörde diesen Antrag sehr gründlich prüfen werde und an eine Genehmigung schon im Februar nächsten Jahres wohl nicht zu denken sei.17 6.2.2 Die Genehmigung des Antrags Bochumer Verein/Rheinhausen Ende Januar 1959 genehmigte die Hohe Behörde die Übernahme der Aktienmehrheit des Bochumer Vereins durch die Hüttenwerke Rheinhausen AG, dessen Alleinaktionär Alfried Krupp von Bohlen und Halbach war. Dies war nicht nur der größte horizontale Unternehmenszusammenschluss in der EGKS zu diesem Zeitpunkt, sondern auch die Demonstration vor der Öffentlichkeit, dass die Verkaufsauflagen für die Großaktionäre nun hinfällig waren. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der eigentlich das Stahlunternehmen Hüttenwerk Rheinhausen verkaufen sollte, vergrößerte nun sogar seinen Besitz im Montanbereich. Allerdings verband die Hohe Behörde die Genehmigung mit einer Investitionskontrolle für das Unternehmen.18 Damit war zum ersten Mal eine Genehmigung eines Unternehmenszusammenschlusses nach Artikel 66 § 5 mit einer Auflage verbunden worden. Wie begründete die Hohe Behörde diesen Schritt? In der Entscheidung gab die Hohe Behörde an, dass die beiden Unternehmen gemessen am Produktionsanteil 1956 in Rohstahl 13,5 % der BRD-Erzeugung kontrollierten, in Walzstahl 9,4 %. Nun führte die Hohe Behörde auch Anteile an einzelnen Walzwerkserzeugnissen an. So kontrollierten die Unternehmen nun 46,6 % des erzeugten Oberbaumaterials in der BRD – eine solch genaue Angabe hatte es bis jetzt in einer Entscheidung noch nicht gegeben. Diese Anteile würden nicht ausreichen, den Unternehmen die Möglichkeit zu gewähren, die Preise oder Verteilung im Sinne des Artikels 66 zu kontrollieren.19 Eine Angabe, bei welchem Anteil dies der Fall sei, wurde nicht gemacht. Weiter wurde die „bedeutende Finanzkraft“ der Firma Fried. Krupp erwähnt.20 Da diese Finanzkraft es dem Unternehmen in Zukunft ermöglichen könne, Kontrolle über

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die Möglichkeit hätte, je nach Marktlage absetzbare Erzeugnisse durch Quersubventionierung zu niedrigeren Preisen zu verkaufen als die Konkurrenz. Wenn Fusionen in der EGKS mit dem Ziel der Ausweitung des Produktionsprogrammes zum Regelfall würden, so die Beamten, „stünde auf dem Gebiet der Konzentration in der Montanindustrie nach Durchführung dieses Zusammenschlussvorhabens wahrscheinlich noch einiges bevor“. BA 136/8364 Betr. Zusammenschluss der August Thyssen Hütte AG mit der Phoeix Rheinrohr AG Haenlein zur Vorlage an Staatssekretär 17. 11. 1958. Spierenburg, CECA, S. 611f., Diebold, S. 366–368. B102/22309 EGKS Hohe Behörde, Entscheidung vom 26. Januar 1959 über die Genehmigung des Erwerbes von nominal 37385000 DM Aktien der Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation Aktiengesellschaft in Bochum durch die Hütten- und Bergwerke Rheinhausen Aktiengesellschaft in Essen, S. 7. Ders., S. 7.

262 Preise und Absatz zu erreichen, müssten die Investitionen zukünftig kontrolliert werden. Auf empirischen Kenntnissen über die Finanzkraft des Krupp-Konzerns kann diese Auflage nicht beruht haben. Denn die tatsächliche finanzielle Situation des Familienunternehmens Krupp, welches kaum Geschäftszahlen veröffentlichte, war nicht einmal den Banken des Unternehmens genau bekannt – sie war übrigens nicht sehr gut.21 Es ist auch nicht bekannt, dass die Hohe Behörde sich ernsthaft mit der Liquidität der Firma Krupp auseinandergesetzt hatte. Vielmehr sollte die Auflage, wie es Spierenburg später formulierte, „die öffentliche Meinung im Hinblick auf die mit der Angelegenheit verbundenen politischen Erwägungen (…) beruhigen“.22 So wurde sie aus politischen Gründen auferlegt, um die Handlungsfähigkeit der Hohen Behörde zu demonstrieren und so den erwarteten Kritikern der Entscheidung besser begegnen zu können.23 Rechtlich war eine Investitionskontrolle als Auflage durchaus umstritten. Zwar durfte die Hohe Behörde nach Artikel 66 § 7 die Genehmigungen mit Auflagen versehen, allerdings waren die Befugnisse auf dem Gebiet der Investitionen in Artikel 54 begrenzt. Artikel 66 § 7 hätte also zu einer schleichenden Kompetenzerweiterung der Hohen Behörde führen können. Was die Verkaufsauflage anging, so hatte die Hohe Behörde ja schon betont, dass es nicht ihre Aufgabe sei, die alliierten Dekonzentrationsbestimmungen durchzuführen. Da diese Entscheidung sehr viel Aufsehen erregte, begründete die Hohe Behörde erstmals ausführlich öffentlich ihre Entscheidung und wies darauf hin, dass es nicht ihre Aufgabe sei, die Verkaufsauflagen der Alliierten durchzuführen.24 Damit mussten die alliierten Regierungen nun schon selber fertig werden – hier wollte die Hohe Behörde den ‚Schwarzen Peter‘ nicht übernehmen.25 Die Entscheidung der Hohen Behörde brachte nun die französische Regierung unter Handlungszwang. Nun war ganz klar, dass die alliierte Neuordnung mittlerweile völlig bedeutungslos geworden war. Die Hohe Behörde hatte bis dahin jeden Antrag genehmigt. Gab es überhaupt noch eine Kontrolle über die Vorgänge in der Stahlindustrie? Der Eindruck konnte nun aufkommen, dass die französische Regierung keinerlei Einfluss mehr auf den ‚Rekonzentrationsprozess‘ ausüben könne, womit wiederum die Geschäftsgrundlage des EGKS-Vertrages – aber wohl auch die Geschäftsgrundlage der deutsch-französischen Zusammenarbeit generell – zur Disposition stand. Die Reaktion der französischen Regierung ließ deshalb nicht lange auf sich warten.

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Diana Maria Friz: Die Stahlgiganten. Alfried Krupp und Berthold Beitz, Frankfurt 1990, S. 130ff. HAEU CEAB 2/1311 Protokoll über die 556. Sitzung der Hohen Behörde vom 16. Dezember 1959 um 10.00 und 15.00 in Luxemburg, 17. 12. 1959, S. 28. Dies geht zumindest aus einer Mitteilung von Leon Daum an seine Kollegen hervor. B 102/22304 Messieurs les membres de la Haute Autorité, Confidentiel, 29. 1. 1959. High Authority, Seventh General Report, S. 157ff. Zum Ende der Verkaufsauflagen siehe Müller, Strukturwandel, S. 327ff.

263 So wurde das Auswärtige Amt von einem Vertreter der französischen Botschaft in Bonn aufgesucht, um mitzuteilen, dass die französische Regierung mit der Bundesregierung die Zusammenschlusspolitik der Hohen Behörde erörtern wolle. Die französische Regierung betrachte die Hohe Behörde auf diesem Gebiet als sehr schwach, was nicht im Interesse der europäischen Zusammenarbeit liege.26 Weiter beantragte die französische Regierung nun, dieses Thema im EGKS-Ministerrat zu besprechen.27 Die Debatte im Ministerrat fand dann am 5. Februar 1959 in Luxemburg statt.28 Westrick selber konnte an der Debatte nicht teilnehmen, sprach aber vor der Sitzung mit dem französischen Industrieminister Jeaneney. Westrick betonte, dass die Bundesregierung Zusammenschlüsse nur fördere, wenn sie auch wirtschaftlich zweckmäßig seien. Was Westrick natürlich nicht erwähnte, war die Tatsache, dass die Bundesregierung ohne eingehende Prüfung der wirtschaftlichen Auswirkungen den Antrag ATH/PR unterstützte.29 In der Debatte im Ministerrat verwahrte sich dann Minister Ludwig Erhard gegen jegliche Kritik.30 Gerade die Wettbewerbspolitik der Bundesregierung sei vorbildlich. Nach seiner Auffassung seien horizontale Zusammenschlüsse weniger gefährlich als vertikale Zusammenschlüsse oder eine Ausdehnung der Konzerne auf die Handelsstufe. Weiter sei es der Wunsch der Bundesregierung, dass auch für den Kohle- und Stahlsektor die deutsche Kartellgesetzgebung gelten solle. Dies war natürlich rechtlich, aber auch politisch eine völlig unhaltbare Position. Wieso sollte sich die Hohe Behörde auf einmal am deutschen Kartellgesetz orientieren? Das bundesdeutsche Wettbewerbsgesetz war erst nach acht langen Verhandlungsjahren im Bundestag im Jahre 1957 verabschiedet worden. Auf dem Gebiet der Zusammenschlüsse sah das Gesetz nur eine Meldepflicht vor – keine Genehmigungspflicht.31 Dies war kein ernsthafter Diskussionsbeitrag der Bundesregierung. Ganz offensichtlich wollte die Bundesregierung eine längere Debatte über dieses Thema vermeiden.

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BA B 102/22304 30. 1. 59 Aufzeichnung Betr. Verkaufsauflage Krupp, gez. Carstens, BA 102/ 22304 Vermerk Herrn Kattenstroth 27. 1. 1959, Le Monde 27. 1. 1959, Müller, S. 327 Anm 111, BA B 102/22304 IIID 3 Betr. Meinungsaustausch zwischen Rat und Hoher Behörde. BA B 102/22304 Botschaft Paris an AA Bonn 30. 1. 59, BA B 102/22304 von Scherpenberg an Westrick 3. 2. 1959, Westrick an von Scherpenberg 4. 3. 1959. PAAA IA2/171 Westrick an von Scherpenberg 4. 3. 1959. Dies galt natürlich insbesondere für das BWM, das in dieser Frage eigentlich federführend war. PAAA IA2/171 BMW III D 2 17. 2. 1959 Vermerk Betr. Meinungsaustausch zwischen Ministerrat und Hoher Behörde im Rahmen der Art. 26. des Montanvertrages über die allgemeine Politik der Hohen Behörde auf dem Gebiet der Zusammenschlüsse am 5. Februar in Luxemburg. Die meisten Unternehmen wussten von dieser Meldepflicht allerdings gar nichts. Der Präsident des Bundeskartellamts, Dr. Günther, stellte in einer Rede vor der IHK Essen am 4. 11. 1958 fest, dass das Kartellgesetz gegen die Entstehung von Machtkonzentrationen durch Zusammenschlüsse nichts ausrichten könne. BA B 102 22301–2 Vereinigte Wirtschaftsdienst (VWD) 7. 11. 58.

264 6.2.3 Überlegungen zu möglichen Genehmigungsauflagen Dabei war dieser Antrag kompliziert genug, um ihm einmal eine längere Untersuchung zu widmen. Wie schon herausgestellt, waren von dem Antrag auch indirekt andere Unternehmen betroffen. x x

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Die HU wurde im Falle einer Genehmigung eine ‚Thyssen Werkshandelsgesellschaft‘. Wichtige Konkurrenzunternehmen (DHHU, HWS) nutzten die HU als einen wichtigen Vertriebskanal.32 Weiter besaß die ATH eine Minderheitsbeteiligung an der HWS, die wiederum mehrheitlich von einem Konkurrenzunternehmen kontrolliert wurde. Dies war die DHHU – die wiederum mit der HSW die HU als Vertriebskanal benutzte. Die HWS war wiederum ein Abnehmer der Coils der ATH.

Die ATH hatte – wie im letzten Kapitel dargestellt – sich auch schon überlegt, wie sie diese Verflechtungen auflösen könnte: So wollte sie die HWS-Beteiligung verkaufen – gegen eine weitere langfristig vertraglich abgesicherte Fortsetzung der Coils-Lieferungen an die HWS. Dies wurde auch im Genehmigungsantrag schon angedeutet.33 Von der HU stand allerdings kein Wort im Antrag. Franz Blücher, eines der deutschen Mitglieder in der Hohen Behörde, hatte Sohl allerdings schon mitgeteilt, welche Lösungen für die ATH hinsichtlich der HU akzeptabel seien: x x

Ein Verkauf der Rheinstahl-Anteile an der HU; eine Vereinbarung über den Absatz von Erzeugnissen über die HU zwischen ATH/PR und DHHU/HWS sowie eine Angliederung von Teilen der HU als Werkshandelsgesellschaft der DHHU. In diesem Fall müsse auch die HWS zwischen ATH und DHHU aufgeteilt werden.34

Da der Antrag auch Unternehmen betraf, die nicht den EGKS-Vertragsbestimmungen unterlagen, wurde nach Art. 66 auch die Bundesregierung von der Hohen Behörde um eine Stellungnahme gebeten.35 In diesem vom BWM verfassten Papier wurden interessanterweise diese komplizierten Fragen, gerade der Rolle der HU, gar nicht erwähnt, obwohl Erhard in der Ministerratssitzung in der EGKS noch betont hatte, die Bundes32

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Auch diese Ausdehnung auf die Handelsgesellschaft veranlasste das BWM nicht, den Antrag ernsthaft zu prüfen, obwohl Ludwig Erhard gerade die Ausdehnung der Konzerne auf den Handel als einen kritischen Punkt im Ministerrat bezeichnet hatte. BA B 136/8364 ATH an Hohe Behörde Betr.: Zusammenschluss im Sinne des Artikel 66 MUV zwischen der August Thyssen-Hütte AG (ATH) und der Phoenix Rheinrohr AG Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke (Phoenix) 29. 10. 1958. BA B 1080/131 Vermerk für Herrn Blücher, Luxemburg, den 28. 11. 1958. Wenn durch einen Zusammenschluss nach Art. 66 auch Unternehmen eines Mitgliedstaates betroffen sind, die nicht dem EGKS-Vertrag unterstehen, ist im Vertrag eine für die Entscheidungsfindung der Hohen Behörde nicht bindende Stellungnahme der jeweiligen Regierung vorgesehen.

265 regierung werde Zusammenschlüsse unter Einschluss des Handels sehr aufmerksam verfolgen.36 Dies lag nicht an fehlendem Wissen: Ein Vermerk des BWM vom 27. Juli 1959 listete die verschiedenen Aspekte des Zusammenschlusses auf.37 Die Bundesregierung war offensichtlich nicht gewillt, sich mit den kritischeren Punkten hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs des Zusammenschlussantrags ernsthaft zu befassen. Trotzdem leistete sie volle politische Unterstützung. 6.2.4 Genehmigungsfähig oder nicht – erste Überlegungen in der Hohen Behörde Die Bearbeitung des Antrags zog sich in die Länge. Dies lag sicherlich auch an der Erneuerung der Zusammensetzung der Hohen Behörde, die erst am 16. September 1959 offiziell ihre Funktionen aufnahm.38 So hatte die Hohe Behörde nun einen neuen Präsidenten, den Italiener Pierro Malvestiti.39 Fritz Hellwig ersetzte Franz Blücher als zweites deutsches Mitglied der Hohen Behörde. Schließlich wurde Léon Daum, eines der französischen Mitglieder, durch den Sozialisten Pierre-Olivier Lapie ersetzt, der als ein Vertrauensmann von General de Gaulle galt.40 Für die Erfolgschancen des Antrags war dies nicht unbedingt von Nachteil. Denn sowohl in Frankreich als auch in der Bundesrepublik war man bemüht, nach der gescheiterten Krisenpolitik der Hohen Behörde für den Kohlensektor, die man nicht zuletzt einem zu starken Einfluss der Beneluxländer zuschrieb, die Interessensvertretung stärker zu koordinieren. Dabei hatten sowohl Lapie als auch Hellwig anscheinend den Auftrag, die deutsch-französische Zusammenarbeit auch innerhalb der EGKS wieder zu verbessern.41 Schließlich sollte Hellwig diplomatisch geschickter vorgehen als Blücher. So schrieb Adenauer Hellwig zur Amtsübergabe:42 Man hat mir schon vor geraumer Zeit gesagt, und zwar ist das von wohlmeinenden Angehörigen anderer europäischer Nationen gesagt worden, dass man von der deutschen Aktivität, mit der seinerzeit die ganze Europäisierung begonnen wurde, nichts mehr spüre. (…) Sie haben also ein großes und wichtiges Arbeitsfeld vor sich, wichtig für die Bundesrepublik, wichtig für Europa.

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BA B 102 35225 III D2 Kattenstroth an Präsidenten der EGKS 21. 2. 1959. BA B 102 35225 III C 1 Betr. Zusammenschluss der ATH AG mit der PR AG 27. 7. 1959, ATH an

Hohe Behörde 1. 7. 1959. Spierenburg, CECA S. 629–636. In der Bundesrepublik war man der Meinung, dass Malvestiti fachlich nicht für diese Position geeignet sei und dachte deshalb daran, Ludger Westrick als Präsidenten durchzusetzen. Ein Machtwort von Brentano war nötig, damit die Abmachungen mit Italien eingehalten werden konnten. B 136/8363 Pella an Brentano, 23 Juni 1959, Dem Herrn Bundeskanzler vorzulegen 8 Juli 1959, Adenauer an Brentano, 8 Juli 1959, Brentano an Etzel 10. 7. 1959, Spierenburg, S. 519f. Zur Neubesetzung der Hohen Behörde und ihrer Mitglieder siehe Spierenburg, S. 630ff. In diesem Sinne hatte sich Hellwig mit dem französischen Botschafter vor seinem Amtsantritt unterhalten. Spierenburg, S. 519f. BA B 136/8363 Adenauer an Hellwig 20. 8. 1959.

266 Auch wenn die zukünftige Besetzung der Hohen Behörde lange unsicher war, so hieß dies natürlich nicht, dass die Arbeit der entsprechenden Fachabteilungen der Hohen Behörde dadurch unmöglich wurde. Am 16. März 1959 kam es endlich – als Folge des Briefes von Spierenburg vom 24. Juni 1958 zwecks Auflösung der HU als ‚Bindeglied‘ der VSt-Nachfolgegesellschaften – zu einem Treffen aller Beteiligten bei der Hohen Behörde. Spierenburg teilte mit, dass im Falle einer Genehmigung des ATH/PR-Antrags diese die Mehrheit bei der HU erlangen würde. Aufgrund der engen Lieferbeziehung der HU zu HWS und DHHU würde die ATH deshalb die Kontrolle über DHHU/HWS erlangen, was nicht akzeptabel sei. Es müsse also eine Lösung gefunden werden, die Trennung der beiden Unternehmensgruppen zu garantieren. Eine eigene Lösung präsentierte die Hohe Behörde allerdings nicht.43 Der Verkauf der HWS-Beteiligung an die DHHU sollte nun die Bedenken der Hohen Behörde ausräumen. Gleichzeitig wolle die ATH aber der Hauptlieferant für Warmbreitband (Coils) der HWS bleiben.44 Die ATH wollte nun Coilslieferungen für eine Dauer von zwanzig anstatt ursprünglich dreißig Jahren an die HWS vertraglich zugesichert bekommen. Die Liefermenge wurde von monatlich 22000 t auf 13000 t heruntergesetzt.45 Hinsichtlich der HU bot die ATH Lieferverträge zwischen der HU und HWS/DHHU an, um den weiteren Absatz der DHHU/HWS-Produkte über die HU zu garantieren. In diesem Sinne legte die ATH am 31. August 1959 der Hohen Behörde Vertragsentwürfe vor.46 Hinsichtlich des Verhältnisses DHHU/HWS/HU war eine gegenseitige Liefer- und Abnahmeverpflichtung vorgesehen. Bei Weißblech und Feinstblech sowie Export sollte die vollständige Erzeugung der HWS über die HU abgesetzt werden. Es bleibt zu fragen, ob diese Vertragsentwürfe das von der Hohen Behörde gewünschte Ziel erfüllten: eine klare Abgrenzung zwischen den Gruppen HWS/DHHU und ATH. Grundsätzlich bestand die Situation weiter, dass die Gruppe DHHU/HWS einen erheblichen Anteil ihres Absatzes über die Handelsgesellschaft eines Hauptkonkurrenten abwickelte.47 Die Verträge regelten dieses Verhältnis neu, änderten aber an der grundlegenden Verflechtung nichts. Wie beurteilte man auf Ebene der Fachabteilungen innerhalb der Hohen Behörde die Genehmigungsfähigkeit des Antrags bzw. die Bemühungen der ATH, die inoffiziell geäußerten Bedenken der Hohen Behörde auszuräumen? Im August 1959 hatte 43 44

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HAEU CEAB 2/1656 Spierenburg an Sohl 8. 7. 1959, Sohl 0865 Betr. Stand des Zusammenschlussantrags ATH/PHX in Luxemburg 7. August 1959 Vermerk, gez. Spethmann. Die DHHU hatte keine Warmbreitbandstraße, konnte diese Lieferungen also nicht selber von der ATH übernehmen. Die Menge und die Laufzeit dieses Vertrages waren dann auch der schwierigste Punkt zwischen DHHU und ATH bei den Verhandlungen im Sommer 1959. BA B 136 8364 Sohl an

Westrick 29. 8. 1959. TA Sohl 0865 Sohl an Kühnen, Birrenbach 15. 10. 1959. TA A 7790 Niederschrift über die außerordentliche Aufsichtsrat-Sitzung der ATH AG 27. 8. 1959. Die ATH – im Gegensatz zur DHHU – war allerdings nur im Falle einer Genehmigung bereit, die Verträge zu unterschreiben. BA B 136/8364 Sohl an Globke 31. 8. 1959, eine Kopie des Vertragsentwurfes HU/HWS findet sich bei HAEU CEAB 2–1656 Contrat 31 aout 1959.

267 die Kartellabteilung der Hohen Behörde ihren Bericht über den Zusammenschluss fertig gestellt. Es sei richtig, so der Bericht, dass sich die Produktionsstruktur der beiden Unternehmen ergänze. Dadurch komme es im Falle einer Genehmigung nicht zu einem Anstieg von Marktanteilen an einzelnen Walzstahlerzeugnissen.48 Insofern würde der Zusammenschluss nicht dazu beitragen, dass die ATH nun die Kontrolle über Preise und Absatz im Sinne des Artikels 66 erlangen würde. Eine Genehmigung des Antrags könne allerdings dazu führen, dass Konkurrenzunternehmen sich um ein ebenso breit gefächertes Produktionsprogramm wie auch um eine so große Rohstahlbasis bemühen würden. Dies würde die oligopolistische Struktur des Gemeinsamen Marktes noch verstärken.49 Der Bericht überließ es dann der Arbeitsgruppe Wettbewerb bzw. der Hohen Behörde, eine Entscheidung zu fällen und verzichtete auf eine konkrete Empfehlung. Im Falle einer Genehmigung forderte die Kartellabteilung eine klare Trennung der beiden Gruppen ATH/PR und DHHU/HWS.50 Die bei der Hohen Behörde von der ATH vorgelegten endgültigen Verträge mit DHHU/HWS u. a. über die Lieferbeziehungen mit der HU garantierten dies nur in „nicht vollkommener Weise“. Eine Kontrolle der ATH/PR-Gruppe über die DHHU/HWS-Produkte sei zukünftig nicht ausgeschlossen.51 Auch die Rechtsabteilung enthielt sich eines endgültigen Urteils. Sie verwies allerdings noch einmal mit Nachdruck auf die Tatsache, dass die Hohe Behörde Entscheidungen nur im Rahmen der Tatbestände des Artikels 66 treffen könne.52 Allgemeine wettbewerbspolitische Bedenken würden für eine Ablehnung nicht ausreichen. So zeigten die Fachabteilungen eine Möglichkeit, die Genehmigung nach Artikel 66 zu verweigern, nicht auf. Jetzt mussten also die Mitglieder der Hohen Behörde selber eine Entscheidung fällen und sie vertragskonform begründen.

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Division Ententes et Concentrations, Luxemburg 19 aout 1959, Rapport concernant la demande presentee par la August Thyssen-Hütte AG en vue de l’obtenir d’autorisation d’acquerir une participation majoritaire dans la Phoenix-Rheinrohr AG – Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke du 29 octobre 1958, S. 59f. Die Fachabteilung im BWM war interessanterweise im Herbst 1958 zur gleichen Einschätzung gekommen. BA B 102/22301–2 IIID2 Vermerk 31. 10. 1958; siehe auch BA 102 22301–2 IIIC Solveen an Staatssekretär 22. 10. 1958. So auch die Marktabteilung, Division du marché, gez. Rollmann, Objet: Concentration ATH-PR 28 Octobre 1959. CEAB 2/1656 Hamburger an die Herren Mitglieder der Arbeitsgruppe Wettbewerb und Transportfragen, 11. November 1959, Betr. Verträge der Dortmund-Hörder Hüttenunion und die Hüttenwerke Siegerland mit der Handelsunion im Zusammenhang mit den vorliegenden Anträgen auf Genehmigung der Zusammenschlüsse ATH/PR DHH/Siegerland, S. 2, TA Sohl 0865 Sohl an Kühnen, Birrenbach 15. 10. 1959. TA A 7554 Rechtsabteilung Note an die Herren Mitglieder der Hohen Behörde 29.9.1959, Betr. Zusammenschluss ATH-Phoenix. Aufbau für die Begründung einer Entscheidung gemäß Artikel 66 des Vertrages 2. 12. 1959.

268 Nun kam es also auf das Votum der Mitglieder der Hohen Behörde an. Damit trat der Antrag in ein neues Stadium – gerade auch was die Rolle der Bundesregierung anging.53 6.2.5 Das Einschalten der französischen Regierung Bisher hatte Westrick nur mit Richard Hamburger, dem Abteilungsleiter der Direktion Kartelle und Zusammenschlüsse in der Hohen Behörde, sowie mit einigen Mitgliedern der Hohen Behörde, wie z.B. Albert Wehrer und Dirk Spierenburg, in Verbindung gestanden.54 Nun weitete man allerdings den Kontakt noch zu einem anderen – formell in der Prozedur des Artikels 66 gar nicht vorgesehenen – Akteur aus: der französischen Regierung. Hamburger hatte Westrick mitgeteilt, dass ihm „undeutlich“ sei, ob die französische Regierung einer Genehmigung zustimmen könne.55 Mit Sohl verabredete Westrick nun, dass Erhard eine von Sohl verfasste Notiz an den französischen Industrieminister Frankreichs, Jeanneney, übergeben würde. Sohl schickte Westrick darauf einen Entwurf eines Schreibens, der im BWM allerdings leicht abgeändert wurde.56 Auch Etzel schickte nun einen Brief mit dem gleichen Wortlaut an seinen französischen Kollegen, Antoine Pinay. Der Brief endete mit der Bitte, falls Pinay den von Etzel dargelegten Erwägungen zustimme, den ihm „nahe stehenden“ Mitgliedern der Hohen Behörde wissen zu lassen, dass er keine Einwendungen gegen den Antrag habe.57 Gerade dieser letzte Paragraph überraschte den zuständigen Beamten in der französischen Botschaft – denn hier ging ja die Bundesregierung ganz offenbar davon aus, dass

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136/8364 Globke an Bundeskanzler Dem Herren Bundeskanzler vorzulegen 1. 8. 1959, BA B 102/35225 III C 1 3. 6. 1959 Vermerk Betr. Steuerfragen beim geplanten Zusammenschluss der ATH AG und der Phoenix Rheinrohr AG; Besprechung am 2.6.1959 im Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen unter Leitung von Min.-Dirigenten Dr. Thiel. BA B 136/8364 Westrick an Globke 5. 8. 1959. BA B 102/35225 Vermerk Betr. Fusion ATH, Phoenix Rheinrohr 5. 8. 1959, gez. Westrick. BA B 102/35225 Westrick an Sohl 29. 8. 1959, Enwurf 1) Schreiben des Herrn Bundesministers der Finanzen an den französischen Finanzminister Pinay, Schreiben des Herrn Staatssekretärs Westrick an den französischen Wirtschaftsminister Jeanneney, BA B 102/35225, Zusammenschluss der August Thyssen Hütte mit Phoenix Rheinrohr 17. 9. 1959. Das BWM übernahm nicht die Formulierung Sohls, dass sich die Marktanteile der Walzerzeugnisse des Unternehmens gar nicht verändern würden. Auch wurde die Äußerung Sohls, dass die erhöhte Rohstahlkapazität des Unternehmens „ebenso kein Argument gegen den Zusammenschluss sein kann, wie andere Argumente“ nicht wiedergegeben. Ob der Entwurf, der auf den Namen von Ludwig Erhard verfasst wurde, dann tatsächlich abgeschickt wurde, ist nicht ganz klar. Sicher ist, dass Etzel den Brief an Finanzminister Antoine Pinay abschickte. Sohl berichtete kurz darauf, Westrick habe den Industrieminister JeanMichel Jeanneney mündlich auf den Fall angesprochen. BA B 136/8364 Sohl an Globke 8. 10. 1959, BA B 102/35225 Etzel an Pinay 14. 9. 1959. BA 102/35225 Pinay an Etzel 14. 9. 1959.

269 die französische Regierung die Position der französischen Mitglieder der Hohen Behörde beeinflussen könne.58 Die beiden angeschriebenen Minister wiederum entschieden – nach einem Gespräch des Industrieministers mit Regierungschef Michel Debré –, die Briefe nicht zu beantworten.59 Es blieb allerdings nicht nur bei der Intervention zweier Minister der Bundesregierung. Sohl schlug nun dem Bundeskanzler vor, selber die französische Regierung zu kontaktieren.60 Angesichts der Initiative der Bundesregierung gegenüber der französischen Regierung ist die Frage zu stellen, ob es innerhalb der französischen Regierung schon Überlegungen hinsichtlich des PR/ATH-Antrages gab. Nach dem fehlgeschlagenen Versuch infolge der Krupp-Entscheidung der Hohen Behörde im Januar 1959, mit der Bundesregierung in bilaterale Kontakte über die Unternehmenszusammenschlüsse zu kommen, kam man im französischen Außenministerium zu dem Schluss, dass es nötig sei, einmal im Detail die Strukturen in der deutschen Stahlindustrie zu untersuchen. Diese Bemühungen wurden von Michel Debré, seit Januar 1959 französischer Premierminister, prominenter Kritiker der Ruhrstahlindustrie im Europäischen Parlament, ausdrücklich gebilligt.61 Es ergab sich aber kein klares Ergebnis der Untersuchungen, an dem auch die französische Stahlindustrie teilgenommen hatte.62 Es wurde ausdrücklich festgestellt, dass die deutschen Unternehmen den Gemeinsamen Markt nicht dominierten. Die französische Stahlindustrie fühle sich auch nicht ‚bedroht‘. Dies sagte allerdings noch nichts über die konkrete Haltung der französischen Regierung zum ATH/PR-Antrag aus. Die entsprechenden Fachabteilungen beschäftigten sich mit dieser Frage, nachdem Lapie, französisches Mitglied der Hohen Behörde, das Kabinett des französischen Präsidenten General de Gaulle kontaktiert hatte, um vor dem Antrag zu warnen. Lapie ging davon aus, dass Adenauer dieses Thema bei seinem nächsten Besuch in Frankreich ansprechen würde. Auf Nachfrage des Kabinetts de Gaulles kam die Wirtschaftsabteilung des Außenministeriums zum Schluss, dass der Zusammenschluss ATH/PR unausweichlich sei. Deshalb sei es nicht sehr sinnvoll, Lapie zu raten, sich für eine Ablehnung der Genehmigung auszusprechen.63 Vielmehr sollten

58 59 60 61

62 63

MAE, Ambassade Bonn 136, Leduc an Rodocanachi 3. 12. 1959.

B 177730 Ministère des Finances et Affaires Economiques, Direction des Finances Exterieures, Objet: Lettre de M. Etzel du 14 septembre. BA 136/8364 Sohl an Globke 8. 10. 1959. CAC 771474/084 Ministre des Affaires Etrangères. Direction des Affaires Economiques et Financières. 14 mars 1959, Présidence du Conseil Comité Interministériel pour les questions de coopération économique Européenne, Paris le 27 mars 1959, CAC 19771474/166 Présidence du Conseil Comité ministériel pour les questions de coopération économique européenne, Secrétariat Général, 4 avril 1959, Objet: Concentration de l’industrie sidérurgique en Allemagne. CAC 19771474/168 3 juin 1959 Direction des Affaires Economiques et Financieres Note pour le Ministre. CAC 19771474/166 RP/GG Concentration dans la sidérurgie du marché commun 4/9/59. MAE Ambassade, RFA Bonn 136, Rodocanachi an Leduc 28. 11. 1959, Note Direction des Affaires Economiques et Financières 25 Novembre 1959.

270 Bedingungen gestellt werden, welche die Trennung der wichtigsten Nachfolgegruppen der VSt sicherstellen würden. So solle die ATH die HWS-Beteiligung an die DHHU verkaufen. Weiter sei die HU zwischen den VSt-Nachfolgegesellschaften aufzuteilen, so dass ATH/PR, DHHU/HWS und auch eventuell Rheinstahl ihre eigenen Handelsgesellschaften kontrollieren könnten. Falls dies nicht möglich sei, solle ATH/PR auf jeden Fall mit weniger als 50 % an der HU beteiligt werden. Hier hatte die französische Regierung dieselbe Haltung wie bei der Neuordnung: Eine Kontrolle der größten deutschen Stahlhandelsgesellschaft durch das bedeutendste Stahlunternehmen sollte verhindert werden. Diese Überlegungen spiegelten auch zum großen Teil die Ansichten der französischen Stahlindustrie wider, so der Vermerk. Falls Adenauer mit de Gaulle über dieses Thema sprechen würde, solle darauf hingewiesen werden, dass es sowohl im französischen, im deutschen und auch europäischen Interesse sei, dass kein deutsches Stahlunternehmen so groß sei, dass es einen übermäßigen politischen Einfluss in Deutschland und Europa ausüben könne. In der französischen Botschaft in Bonn schloss man sich diesen Überlegungen an, gerade hinsichtlich der Unvermeidbarkeit der Fusion ATH/PR. Man betonte weiter ausdrücklich, dass die Entflechtung der Vereinigten Stahlwerke definitiv sei. Das wichtigste zu lösende Problem sei die HU.64 Ob und welcher Rat vom Kabinett de Gaulle an Lapie gegeben wurde, ist nicht bekannt. Sicher ist, dass die zuständigen Abteilungen, gerade im Außenministerium, sich nicht gegen eine Genehmigung des Antrages ATH/PR aussprachen. 6.2.6 Argumente gegen die Genehmigung des Antrags Lapie blieb bei seiner negativen Meinung. In der Hohen Behörde zirkulierte ein Entscheidungsentwurf, offensichtlich im Kabinett des französischen Mitglieds der Hohen Behörde ausgearbeitet, der eine Begründung für eine Ablehnung der Genehmigung vorsah.65 Der mehrseitige Entwurf, der sehr kenntnisreich die Situation auf dem bundesdeutschen Stahlmarkt beschrieb, argumentierte, dass die neue Thyssen-Gruppe tatsächlich eine dominante Stellung im bundesdeutschen Markt haben würde. Dank des breiten Produktionsprogrammes könne die neue Gruppe die Erlöse der einzelnen Produkte miteinander verrechnen und gegebenenfalls Erlösschwankungen zwischen verschiedenen Produkten ausgleichen – ähnliches hatten ja auch die Beamten im BWM beanstandet.66 64 65 66

MAE Ambassade RFA Bonn 136 Leduc an Rodocanachi 3. 12. 1959. TA A 7552 Entscheidungsentwurf, Lapie I Phönixfall Winter 59/60.

Dabei wurde argumentiert, dass der französische Begriff „reconnaît“ im Vertrag weiter zu fassen sei als der deutsche Begriff „feststellen.“ Daher sei die Handlungsmöglichkeit der Hohen Behörde nicht so eng zu fassen wie von der Rechtsabteilung vertreten.

271 Der Entwurf lehnte auch die Gewährung der Genehmigung mit Auflagen ab. Die vorgelegten Vertragsentwürfe der ATH würden nur die augenblicklichen Strukturen zwischen ATH/HWS/DHHU/HU festschreiben. So kam der Entwurf zu dem Schluss, dass die Genehmigung abzulehnen sei. Allerdings ist auch bei diesem Entwurf anzumerken, dass es schwierig war, einen Ablehnungsgrund ausdrücklich im Sinne der Kriterien des Artikels 66 aufzuzeigen. Auch gab es Stimmen innerhalb der Hohen Behörde, die eine Genehmigung nur dann erteilen wollten, wenn die Hohe Behörde eindeutig zum Schluss komme, dass durch den Zusammenschluss die Bedingungen des Art. 66 § 2, die eine Ablehnung vorschreiben, nicht erfüllt seien. Habe sie Zweifel, könne sie die Genehmigung verweigern. Dieser Ansicht widersprach die Rechtsabteilung.67 Hier kamen also die geschilderten Verhandlungen um die Ausformulierungen des Artikels 66 im Februar 1951 zum Tragen, welche die Genehmigungspflicht der Hohen Behörde festschrieb, falls es ihr nicht gelang, eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Artikels nachzuweisen. Am 19. November 1959 berichtet schließlich Globke dem Kanzler, dass Lapie erklärt habe, „wenn de Gaulle ihm einen Wink gäbe, sei die Sache gemacht“.68 Diese Äußerung Lapies war Globke von Robert Pferdmenges berichtet worden. Dieser hatte sie wahrscheinlich von Hellwig gehört.69 Schließlich wurde von drei Abgeordneten des Europäischen Parlaments, darunter den Franzosen Armengaud und Pleven, ein Resolutionsentwurf im Marktausschuss des Europäischen Parlaments vorgelegt, in welchem der Hohen Behörde nahe gelegt wurde, eine Genehmigung zu verweigern.70 Dieser Antrag war das erste Zeichen in der Öffentlichkeit, dass es doch ganz erhebliche Widerstände gegen diesen Antrag bei den verschiedenen Europäischen Institutionen und einigen nationalen Regierungen gab. In der westdeutschen Wirtschaftspresse sprach man nun von einem „Störfeuer“ aus Frankreich.71 Die Unterscheidung in sachlich wirtschaftliche Argumente und politisch motivierte, die gerade in der Bundesrepublik gerne gemacht wurde, war allerdings sehr oberflächlich.72 So hatten die Gegner dieses Antrags ja durchaus bedenkenswerte Gegenargumente hervorgebracht, wie aus dem Entscheidungsentwurf La67

TA 7553 Rechtsabteilung An die Herren Mitglieder der Arbeitsgruppe „Wettbewerbs- und Trans-

68

BA B 136/8364 Globke an Adenauer Dem Herrn Bundeskanzler vorzulegen 19. 11. 1959. BA B 136/8364 Vialon, Gumbel an Bundeskanzler 30. 11. 1959 In dieser Vorlage der Beamten des

69

70 71 72

portfragen“ Betr. Auslegung des Artikels 66.

Bundeskanzleramts steht, dass dies Herr Helbig berichtet hätte (womit nur das deutsche Mitglied der Hohen Behörde Fritz Hellwig gemeint sein kann). BA B 136/8364 Entschließungsantrag Armengoud, Pleven, Bousch betreffend die Zusammenschlüsse von Unternehmen, EP Dokument Nr. 77 59 25. 11. 59, auch in CEAB 2/1656. Handelsblatt v. 30. 11. 1959 Thyssen-Zusammenschluss im Störfeuer. Was steckt hinter dem französischen Antrag im Europa-Parlament?. Handelsblatt v. 30. 11. 1959 Politische oder wirtschaftliche Entscheidung?

272 pies hervorgeht. Die Schwierigkeit bestand nur darin, diese Gegenargumente mit dem Wortlaut des Artikels 66 in Einklang zu bringen. Dies lag nicht an der Unsachlichkeit der Gegenargumente, sondern daran, dass die Hohe Behörde keine zusammenhängende Wettbewerbskonzeption entworfen hatte. Ein Ergebnis dieser Tatsache war allerdings, dass alle Unternehmenszusammenschlüsse aus der BRD bisher von der Hohen Behörde genehmigt wurden – ohne die Existenz der nun angemahnten Wettbewerbskonzeption, die bis dahin in der BRD wohl auch noch keiner wirklich vermisst hatte. So wurden durch den Antrag im Parlament die verschiedenen Ansichten hinsichtlich des Genehmigungsantrags an die Öffentlichkeit getragen, was bei der ATH verständlicherweise bedauert wurde.73 Der Wunsch von Sohl nach einem direkten Eingriff Adenauers wurde nun erfüllt.74 Auf seiner Reise nach Paris übergab Adenauer persönlich einen Brief an Debré. Adenauer bezeichnete sein Eintreten für die Thyssen-Gruppe als eine persönliche Angelegenheit, da dieses Unternehmen von einem alten Freund gegründet worden sei.75 In dem Brief hieß es dann: Mir liegt persönlich außerordentlich viel daran, dass auf den deutschen Antrag bald eine positive Entscheidung ergeht. Ich habe die Familie Thyssen, insbesondere den verstorbenen Herrn Thyssen, gut gekannt. Aus dieser Kenntnis heraus bin ich der festen Überzeugung, dass nachteilige Folgen aus dem Zusammenschluss nicht entstehen werden. Ich wäre Ihnen, sehr verehrter Herr Ministerpräsident, außerordentlich dankbar, wenn Sie die französischen Mitglieder der Hohen Behörde davon unterrichten lassen könnten, dass die französische Regierung keine Bedenken gegen eine Genehmigung des Antrags hat.76

Ob Debré davon beeindruckt war, dass laut Adenauer „nachteilige Folgen aus dem Zusammenschluss“ nicht entstehen könnten, da er die Familie Thyssen gut kennen würde, bleibt dahingestellt. In einem sehr kurzen, beiliegenden Memorandum versuchte die Bundesregierung dann noch, die Argumente der Gegner einer Genehmigung zu widerlegen, indem sie wieder auf ihre angeblich konsequente wettbewerbspolitische Haltung verwies.77 In seinem Gespräch mit de Gaulle ging Adenauer auf diese Frage allerdings nicht ein.78

73 74 75

76 77 78

BA B 136/8364 Sohl an Globke 27. 11. 1959. BA B 136/8364 Vialon, Gumbel an Bundeskanzler 30. 11. 1959. Documents Diplomatiques Français, 1959 Tome II, S. 650, Adenauer erwähnte auch, dass die Er-

binnen einen großen Teil ihres Vermögens einer Stiftung zu wohltätigen Zwecken übertragen wollen. Debré versprach, diese Angelegenheit mit größter Aufmerksamkeit zu behandeln. BA B 136/8364 Adenauer an Debré 30. 11. 1959. BA B 136/8364 Memorandum zur Frage des Zusammenschlusses der August Thyssen Hütte AG (ATH) und der Phoenix Rheinrohr AG (PHX). Siehe dazu Lappenküpper, Beziehungen, S. 1341ff.

273 6.2.7 Die ersten Beratungen der Hohen Behörde Mitte Dezember begannen dann endlich die entscheidenden Beratungen bei der Hohen Behörde. Am 16. Dezember schickte Adenauer ein Telegramm an den Präsidenten der Hohen Behörde, Pierro Malvestiti. Adenauer befürwortete den Zusammenschluss „wärmstens und nachdrücklich“.79 Zu diesem Schritt entschloss man sich, nachdem Malvestiti Westrick von ernsthaften Schwierigkeiten berichtet hatte.80 Adenauer bat im Telegramm die Hohe Behörde, „baldmöglichst eine positive Entscheidung zu treffen“. Dieses Telegramm lag allen Mitgliedern der Hohen Behörde offensichtlich noch nicht vor, als Coppé den Bericht der Arbeitsgruppe Wettbewerb präsentierte. Der Bericht betonte, dass mit ca. 5 Mio t Rohstahlproduktion das neue Unternehmen ca. 8,5 % der Rohstahlerzeugung der Gemeinschaft produzieren würde und 21% der Produktion der Bundesrepublik und damit das größte Unternehmen in der Bundesrepublik sei.81 Eine klare Empfehlung gab Coppé am Ende des Berichts nicht ab. Er wies auch darauf hin, dass man bei Betrachtung der Marktanteile der einzelnen Walzwerkserzeugnisse den Zusammenschluss wohl genehmigen müsste. Bei einer Gesamtbeurteilung kämen dann wieder Zweifel, die allerdings grundsätzliche Fragen der Stahlpolitik aufwerfen würden. Laut Protokoll kam es zu keiner Grundsatzdebatte, da die einzelnen Mitglieder noch zusätzliche Informationen anforderten. Malvestiti wurde allerdings sehr bald klar, dass eine schnelle Genehmigung, wie vom Kanzler gefordert, nicht zu erreichen sei. So schickte Malvestiti am nächsten Tage zwei Telegramme an den Kanzler.82 Im ersten schrieb er noch, dass es wohl schwierig sei, eine Entscheidung sehr bald zu fällen. Im zweiten Telegramm, das er am gleichen Tage abschickte, riet er den Antrag zu verschieben, da eine Entscheidung wohl nun negativ ausfallen könne. Inzwischen wurde die Hohe Behörde nämlich zeitlich vom Bundeskanzler unter Druck gesetzt. Wenn die Entscheidung nicht bis Ende des Jahres gefällt werden könne, verzögere sich die Gründung der gemeinnützigen Fritz-Thyssen-Stiftung. Diese Stiftung war von den Erbinnen Fritz Thyssens im Falle des Zusammenschlusses zwischen den Unternehmen in Aussicht gestellt worden. Es mag ein zusätzlicher Grund für Adenauer gewesen sein, den Antrag auch persönlich zu unterstützen. So teilte Adenauer am 19. Dezember 1959 Malvestiti noch einmal mit, dass es ja eigentlich auch um das Ziel der Thyssen-Stiftung ging, welche „insbesondere sozialen Zwecken zugedacht ist“. So Adenauer:

79 80 81 82

BA B 136/8364 Adenauer an Malvestiti 16. 12. 1959. BA B 136/8364 Dem Hern Bundeskanzler vorzulegen Betr. Zusammenschluss zwischen ATH AG und der Phoenix Rheinrohr AG, gez. Vialon16. 12. 59.

Protokoll über die 556. Sitzung der Hohen Behörde vom 16. Dezember 1959, 17. 12. 1959, S. 8ff. BA B 136/8364 Malvestiti an Adenauer 17. 12. 59 19.44, Malvestiti an Adenauer 17. 12. 1959 12.53.

274 Ich wäre deshalb sehr dankbar dafür, wenn die Hohe Behörde meiner Bitte auf bald möglichste Entscheidung zustimmen würde.83

Als schließlich am 22. Dezember, nach den Beratungen in der Arbeitsgruppe, das Kollegium der Hohen Behörde den Fall beriet, wurde das Telegramm vom 16. Dezember von Adenauer verlesen sowie das erste Antworttelegramm Malvestitis. Das Telegramm Adenauers erwies sich allerdings als äußerst kontraproduktiv, da dies als eine nicht akzeptable Einmischung empfunden wurde. Die Verhandlungen wurden unterbrochen.84 So sah Lapie darin einen Angriff auf den Eid der Mitglieder der Hohen Behörde vorm Europäischen Gerichtshof, indem die „Loslösung von nationalen Interessen“ und „Einflüssen der Regierungen“ festgeschrieben wurden.85 So bekam die Hohe Behörde am gleichen Tag noch ein Telegramm von Adenauer, um ein „Mißverständnis“ zu klären.86 Bei dem Telegramm habe es sich nur um eine Bestätigung der Befürwortung der Stellungnahme nach Art. 66 des BWM vom Februar 1959 gehandelt. „Die Zuständigkeit der Hohen Behörde für Zeitpunkt und Inhalt der Entscheidung ist selbstverständlich dadurch nicht beeinträchtigt“, präzisierte Adenauer. Schließlich hatte Hellwig noch darauf hingewiesen, dass aufgrund der Übersetzung ins Französische „verschiedene Ausdrücke“ des Telegramms „viel härter“ geworden seien.87 Aber Adenauer telegraphierte in diesen Tagen nicht nur nach Luxemburg. Am 19. Dezember schickte er ein Telegramm an den französischen Ministerpräsidenten Michel Debré. Er wollte noch einmal die Bitte wiederholen, die er schon in seinem Brief vom 30. November ausgesprochen hatte.88 Allerdings erhielt Adenauer auch diesmal keine Antwort von Debré. Erst am 4. Februar 1960 wurde ihm durch den französischen Botschafter in Bonn mitgeteilt, dass Ministerpräsident Debré zu seinem großen Bedauern dem Wunsch Adenauers nicht entsprechen könne.89 Der Versuch der Bundesregierung, über den direkten Kontakt auf Ministerebene bzw. sogar auf Ebene der Regierungschefs die französische Regierung zu einer positiven Haltung zum Genehmigungsantrag zu bewegen, war fehlgeschlagen. Vielleicht hatten diese Versuche auch kontraproduktiv gewirkt. Dies mag nicht zuletzt daran gelegen haben, 83 84 85 86 87

88 89

B 136/8364 Adenauer an Malvestiti 19. 12. 1959. Spierenburg, CECA, S. 708. HAEU CEAB 2/557 Sonderprotokoll des geheimen Teiles der 557. Sitzung der Hohen Behörde vom 22. und 23. Dezember in Luxemburg, 4. 1. 1960, S. 2ff. BA B 136/8364 Adenauer an Malvestiti 22. 12. 1959. HAEU CEAB 2/557 Dabei kann es sich eigentlich nur um den Begriff ‚bald möglichst‘ handeln, der „dans le plus bref délai“ übersetzt wurde. Sonderprotokoll des geheimen Teiles der 557. Sitzung der Hohen Behörde vom 22. und 23. Dezember 1959. BA B 136/8364 Adenauer an Debré 19. 12. 1959. Dies geht aus einem späteren Memorandum der französischen Regierung an die Bundesregierung hervor. PAAA IA2 580 V. Scherpenberg Betr. Konzentration in der französischen Stahlindustrie 31. 1. 1961.

275 dass es sich nicht um ein Dialogangebot handelte. Vielmehr wurde die französische Regierung einfach darum gebeten, den Antrag zu unterstützen – einen Dialog hatte die Bundesregierung ja Anfang 1959 im Ministerrat verweigert. Bei den Beratungen, die am 22. Dezember begannen, ergab sich, dass die Hohe Behörde bei der Einschätzung des Falles in drei Lager zerfiel.90 Die deutschen Mitglieder, Potthoff und Hellwig, befürworteten eine Genehmigung. Das Hauptargument war, dass es andere Unternehmen gab, die eine größere wirtschaftliche Konzentration in ihrem Land darstellten (so z.B. Cockerill in Belgien, Finsider in Italien). Für die meisten Walzerzeugnisse sei das Unternehmen nur auf dem zweiten, dritten oder vierten Rang hinsichtlich des Marktanteils.91 Spierenburg, Lapie, Finet und Reynaud sprachen sich deutlich gegen eine Genehmigung des Antrags aus. Sie wiesen darauf hin, dass man auch die zukünftige Entwicklung des Unternehmens in Betracht ziehen müsste. Spierenburg vertrat die Ansicht, dass die neue Gruppe in der Lage sei, durch ‚price leadership‘ die Preise zu bestimmen. Die Gruppe habe eine sehr starke Stellung im Markt, moderne Anlagen mit wahrscheinlich niedrigeren Produktionskosten als die Konkurrenten und ein breit gefächertes Produktionsprogramm. Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass es nun eine Frage der Glaubwürdigkeit der Hohen Behörde sei bzw. ihrer weiteren Daseinsberechtigung, diesen Antrag nicht zu genehmigen. Eine Genehmigung würde als Machtlosigkeit der Hohen Behörde aufgefasst. Malvestiti, Coppé und Wehrer waren nur bereit, die Genehmigung unter Auflagen zu erteilen. Wehrer machte deutlich, dass er keine wirtschaftlichen Bedenken habe, allerdings sei es aus politischen Gründen angesichts der Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung und der Entwicklung der europäischen Integration nicht opportun, den Antrag ohne Auflagen zu genehmigen. Auch wollte er eine Entscheidung mit knappem Ausgang innerhalb der Hohen Behörde vermeiden. Nun zeigte sich auch ganz deutlich, dass die Hohe Behörde die Kriterien des Artikels 66 (Preis- und Absatzkontrolle) nicht klar definiert hatte. So konnte jeder seinen Standpunkt mit unterschiedlichen Referenzen hinsichtlich Marktanteilen oder ‚price leadership‘ begründen, da diese Kategorien vorher nicht klar definiert worden waren. Coppé bedauerte dann auch, dass eine Entscheidung leichter fallen würde, wenn „die Hohe Behörde vorher eine Zusammenschlusspolitik auf dem Stahlsektor festgelegt hätte“.92 Eine Entscheidung wurde schließlich vertagt. Coppé hatte vorgeschlagen, auf den nächsten Sitzungen mögliche Auflagen vorzuschlagen.

90 91 92

Spierenburg, CECA, S. 707ff. Spierenburg, CECA, S. 707ff. HAEU CEAB 2/557 Protokoll über die 557. Sitzung der Hohen Behörde vom 22. Dezember um 10.00 Uhr und 15.15 Uhr und vom 23. Dezember 1959 um 8.30 und 15.00 Uhr in Luxemburg, S. 31.

276 6.2.8 Die Suche nach Genehmigungsauflagen Im Januar führte Sohl in Luxemburg noch einmal Gespräche mit mehreren Mitgliedern der Hohen Behörde.93 Malvestiti gab den Rat, den Antrag aufgrund der politischen Widerstände erst einmal zurückzuziehen. Der Luxemburger Albert Wehrer bemerkte noch, dass eine Aufschiebung schon deshalb tragbar sei, da die ATH de facto die PR schon kontrolliere. Der Artikel 66 sei ja gerade wegen des ‚Ruhrkomplexes‘ entstanden. Innerhalb der Hohen Behörde begann nun die Diskussion über geeignete Auflagen, die das zukünftige Verhältnis der ATH mit HWS, Rasselstein und der HU endgültig regeln würden. Auch wurde eine Kontrolle der Investitionen der ATH durch die Hohe Behörde erwogen.94 Die entsprechenden Fachabteilungen zeigten sich allerdings sehr zurückhaltend, was den wirtschaftlichen Sinn und die rechtliche Zulässigkeit von solchen Auflagen anging. Dies galt gerade auch für eine Investitionskontrolle. Anfang März war Sohl wieder in Luxemburg zu Gesprächen mit Coppé über mögliche Auflagen. Coppé forderte nun einen zunehmenden Abbau der Lieferbeziehungen zwischen DHHU, HWS und der HU in den vertraglichen Vereinbarungen.95 So schlug er nun vor, dass die DHHU und HWS langfristig über eine andere Handelsgesellschaft verkaufen sollten.96 Schließlich wurden nach Forderung von Coppé die Verträge mit der DHHU und HWS bezüglich HU so abgeändert, dass ein langfristiger Abbau der Handelsbeziehungen vereinbart wurde.97 Nun wurde von der Hohen Behörde eine erhebliche Änderung der Geschäftspolitik von DHHU und HU vorgeschrieben – aufgrund eines Zusammenschlussantrags zweier Konkurrenten. Auch eine eher denkwürdige Folge der Auflagenpolitik der Hohen Behörde. Man hätte der Thyssen-Gruppe ja auch die alleinige Kontrolle über die HU versagen können – was Spierenburg befürwortete.98 93 94 95 96

97

98

BA B 136/8364 Sohl an Globke 26. 1. 1960. Spierenburg, CECA, S. 711, CEAB 4/817 Note Rechtsabteilung, 17. März 1960, gez. H. Matthies. TA Sohl 0866 Notiz über das Gespräch bei der Hohen Behörde in Luxemburg am 1. März 1960,

gez. Risser.

HAEU CEAB 4/817 Objet: Concentration ATH/Phoenix Rheinrohr 9 mars 1960, gez. Coppé, TA A

7552 Hohe Behörde Arbeitsgruppe Wettbewerb und Transportfragen, Betrifft: Zusammenschluss ATH/PR Maßnahmen bezüglich der Handelsunion am 7. 3. 60 aufgrund von Aufzeichnungen Kartelle und Zusammenschlüsse, gez. Der Vorsitzende Coppé, 9. 3. 1960, BA 136/8364 Sohl an Malvestiti 2. 3. 1960. TA Sohl 0866 Notiz über das Gespräch bei der Hohen Behörde in Luxemburg am 1. März 1960, gez. Risser. HAEU CEAB 4/817 Objet: Concentration ATH/Phoenix Rheinrohr 9 mars 1960, gez. Coppé, TA A 7552 Hohe Behörde Arbeitsgruppe Wettbewerb und Transportfragen, Betrifft: Zusammenschluss ATH/PR Maßnahmen bezüglich der Handelsunion am 7. 3. 60 aufgrund von Aufzeichnungen Kartelle und Zusammenschlüsse, gez. Der Vorsitzende Coppé, 9. 3. 1960, BA 136/8364 Sohl an Malvestiti 2. 3. 1960. TA Sohl 0866 Notiz über das Gespräch bei der Hohen Behörde in Luxemburg am 1. März 1960, gez. Risser. BA 136/8364 Sohl an Malvestiti 25. 1. 1960. BA 136/8364 Sohl an Malvestiti 2. 3. 1960. HAEU CEAB 2/1313 Protokoll über die 570. Sitzung der Hohen Behörde vom 16. März 1960.

277 Für Aufregung sorgte dann eine Äußerung des französischen Außenministers, Couve de Murville, vor dem außenpolitischen Ausschuss der französischen Nationalversammlung. Laut deutschen Zeitungsberichten hatte er gesagt, die französische Regierung werde alles versuchen, diesen Antrag zu verhindern.99 Hellwig hatte im Kreise der Hohen Behörde auf eine mögliche „Beeinflußung“ der Hohen Behörde durch diese Ministeräußerung hingewiesen.100 Lapie und das französische Außenministerium meinten allerdings, dass sich die Stellungnahme gegen ‚exzessive wirtschaftliche Konzentrationen‘ allgemein gewandt habe.101 Der tatsächliche Wortlaut lag dann etwa zwischen den Aussagen der deutschen Presse und derjenigen Lapies: Nous avons eu toujours la même politique qui consiste à éviter que se reproduisent en Allemagne des reconcentrations excessives qui pourraient présenter des inconvénients tant sur le plan économique que sur le plan politique. En pratique, la question qui se pose est celle du groupe Thyssen, de ce qu’on appelait autrefois les Vereinigte Stahlwerke qui ont tendance à se reconcentrer et au sujet desquelles certaines affaires sont en cours devant la Haute Autorité du charbon et de l’acier à Luxembourg. Dans cette affaire, notre position est la même d’une manière générale que celle que je définissais tout à l’heure, c’est à dire que nous désirons éviter des reconcentrations de cette nature. Telle est notre position de principe. Si jamais ces reconcentrations se révèlent inévitables du fait que la majorité de la Haute Autorité ne nous suive pas, certaines précautions devront alors être prises (…).102

Schließlich beschloss die Hohe Behörde am 16. März, dass Coppé einen Entscheidungsentwurf mit Auflagen vorlegen sollte, ohne den Inhalt der Auflagen zu bestimmen. Die Rechtsabteilung wiederum sah sich vor einem Dilemma, denn die diskutierten Auflagen waren in den entsprechenden Fachabteilungen schon im Januar als nicht vertragskonform abgelehnt worden. So hieß es in einer Note der Rechtsabteilung:103

99

TA Sohl 0866 Sohl an Pferdmenges 16. 3. 1960, Die Welt 16 März 1960, Thyssen-Pläne sachlich

100

HAEU CEAB 2/1313 Protokoll über die 570. Sitzung der Hohen Behörde vom 16. März, S. 9f. MAE Ambassade, RFA Bonn 129 Wormser an Leduc 25. 3. 1960.

101 102

103

überprüfen.

Dt Übersetzung: Wir haben immer die gleiche Politik betrieben, die darin besteht, in Deutschland die Wiederentstehung von zu mächtigen Rekonzentrationen zu verhindern, welche Nachteile aus wirtschaftlicher und politischer Sicht mit sich bringen könnten. Nun stellt sich gerade die Frage der ‚Thyssengruppe‘, die man früher ‚Vereinigte Stahlwerke‘ nannte, und welche die Tendenz haben sich wiederzubilden. Die Hohen Behörde für Kohle und Stahl in Luxemburg beschäftigt sich gerade mit dieser Angelegenheit. Unsere Position ist diejenige, die ich gerade beschrieben habe. Wir wünschen, dass Rekonzentrationen dieser Art verhindert werden. Dies ist unsere prinzipielle Position. Falls sich diese Rekonzentrationen als unabwendbar erweisen, da die Mehrheit der Hohen Behörde uns nicht folgt, müssen gewisse Vorkehrungen getroffen werden. Archives de l’Assemblée Nationale, Assemblée Nationale, Commission des Affaires Etrangères, Séance du Mardi 8 mars 1960, S. 44. HAEU CEAB 4/817 Note Betr.: Zusammenschluss ATH-PHOENIX – Beschluss der Hohen Behörde vom 16. März 1960, gez. H. Matthies.

278 Der Rechtsabteilung ist es dagegen nicht möglich, die Begründung für einen Standpunkt frei zu erfinden, für den die zuständigen Abteilungen nicht nur keinerlei Begründungen gegeben haben, sondern gegen den sie im Gegenteil erhebliche Bedenken erhoben haben.

Auch auf der nächsten Sitzung konnte sich die Hohe Behörde nicht auf Auflagen einigen.104 Hellwig gingen die Auflagen viel zu weit, Malvestiti wollte unbedingt eine Investitionskontrolle, Spierenburg wiederum hielt Auflagen – und ganz besonders eine Investitionskontrolle durch die Hohe Behörde – für rechtlich nicht haltbar. 105 Bei der ATH verfolgte man mit zunehmender Irritation die Diskussion um die Auflagen. Sohl hatte den Verdacht, dass nun Coppé eine „Verzögerungstaktik“ betreibe.106 Dieser Eindruck lässt sich so nicht bestätigen, vielmehr stand Coppé vor der fast unmöglichen Aufgabe, mittels der ‚Erfindung von Auflagen‘ eine Mehrheit für eine Entscheidung in der Hohen Behörde herbeizuführen.107 Die Frage war nun, ob der Besuch Malvestitis in Bonn an der offensichtlich festgefahrenen Situation in Luxemburg etwas ändern könnte.108 Malvestiti kam nicht nur wegen des Falls ATH/Phoenix nach Bonn. Ein weiterer Fall, der die Hohe Behörde gerade in diesen Monaten intensiv beschäftigte, war einmal wieder die Frage des Ruhrkohlenverkaufs.109 Die Ruhrkohlenindustrie hatte gerade einen Antrag zur Genehmigung eines zentralen Kartells an die Hohe Behörde gestellt, der im Februar 1960 trotz großen Drängens der deutschen Mitglieder abgelehnt wurde. Spierenburg, Coppé und Finet setzten sich am deutlichsten für ein hartes Vorgehen gegen die Kohlenindustrie ein. Bei diesem Thema wurde der Bundesregierung letztlich vorgehalten, sie verhalte sich nicht

104 105

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108

109

HAEU CEAB 2/1313 Protokoll über die 573. Sitzung der Hohen Behörde vom 30. März 1960,

4. April 1960. Auch die Vertreter der Investitionskontrolle in der HB bezogen eine mögliche Ablehnung der Entscheidung durch den Gerichtshof ganz bewusst mit ein. So heißt es in einem Vermerk für die Mitglieder der Hohen Behörde, deren Verfasser nicht aus der Not hervorgeht, dass die Investitionsbedingungen so formuliert werden müssen, dass die Hohe Behörde die Genehmigung verweigern könne, wenn der Gerichtshof der HB das Recht absprechen würde, zwecks Vermeidung des Risikos der Genehmigung eine solche Kontrolle zu verhängen. TA A 7552 Notiz für die Herren Mitglieder der Hohen Behörde 6. 4. 1960. Die Hohe Behörde würde dann argumentieren, dass sie das Risiko einer Genehmigung nur in Verbindung mit der Investitionskontrolle vertreten könne, der Gerichtshof der Hohen Behörde es aber untersagt hätte, eine solche Auflage auszusprechen. Deshalb bliebe ihr gar nichts anderes übrig, als die Genehmigung zu verweigern, der „Schwarze Peter“ wäre dann beim Gerichtshof. Siehe auch BA B 136/8364 Sohl an Globke 19. 4. 1960. BA B 136/8364 Sohl an Globke 2. 4. 1960. Dies war auch nicht auf der Sitzung am 6. April möglich. Protokoll über die 574. Sitzung der Hohen Behörde vom 6. April 1960, Luxemburg, den 7. April 1960, siehe ebenso BA B 136/8364 Sohl an Globke 2.4.1960. BA B 136/8358 Meyers an Adenauer 4. 3. 1960. Auch der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen setzte sich bei Adenauer nach einem Gespräch mit Heinz Potthoff, dem deutschen Mitglied der Hohen Behörde, für den Antrag ein. Spierenburg, CECA, S. 683ff.

279 vertragskonform. Dass es ein durchaus schwieriges Gespräch würde, hatte Malvestiti schon vor dem Besuch geahnt, wenn er in einem Brief an ihn schrieb: Ich möchte Ihnen aber schon jetzt sagen, wie sehr ich seit jeher davon überzeugt bin, dass eine intensive Mitwirkung des deutschen Volkes am Aufbau Europas unerlässlich ist und dass Bevölkerung und Regierung der Bundesrepublik es als unbedingt notwendig empfinden, den Weg in dieser Richtung beharrlich fortzusetzen (…).110

Der Standpunkt der Bundesregierung wurde Malvestiti von Adenauer deutlich dargestellt. Dies geht zumindest aus dem von Adenauer wohl selber diktierten Gesprächsvermerk hervor, den er an Etzel und Erhard weiterleitete, damit die beiden Minister „energisch meinen Standpunkt vertreten“.111 Hinsichtlich der gemeinsamen Verkaufsgemeinschaft für Kohle an der Ruhr forderte Adenauer „Ruhe“ bis zu den nächsten Wahlen, wofür Malvestiti wohl auch Verständnis hatte.112 Was den Zusammenschlussantrag anbelangte, insbesondere eine Investitionskontrolle als Auflage, so wurde auch hier Adenauer sehr deutlich: Es erinnere an die Verhältnisse während der Besatzungszeit. Wenn Krupp damals sich einer solchen Kontrolle unterworfen hätte, so sei das die Sache von Krupp, Krupp tue manches, was ich nicht billigte. Aber unsere politische Stellung in der Welt sei jetzt derartig, dass wir so etwas unter keinen Umständen mitmachen könnten (…) Im Übrigen stehe auch die Sache so: Frau Thyssen sei über 80 Jahre alt, sie könne natürlich jeden Tag sterben. Dann würde alles der Tochter gehören, die Argentinierin sei. Und dann hätte die Hohe Behörde überhaupt nichts mehr dazu zu sagen. Er bat mich, auch über diese Frage mit Spierenburg zu sprechen.113

Es sei hier nur angemerkt, dass Adenauer zum Zeitpunkt des Gespräches 84 Jahre alt war.114 Tatsächlich verglich man nun in der Bundesrepublik die Auflagen der Hohen Behörde mit den Maßnahmen der Besatzungsmächte.115 Dies war ungerecht. Die Hohe

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BA B 136/8358 Malvestiti an Adenauer 18. 3. 1960. BA B 136/8358 Adenauer an Etzel und Globke 8. 4. 1960.

Laut dem Sitzungsprotokoll der Hohen Behörde unterstrich der Präsident dann, dass der Kanzler die Notwendigkeit, den sozialen Frieden zu bewahren, betont habe kurz vor einem Wahltermin, der sehr wichtig für die zukünftige Europapolitik der BRD und für die Zukunft Europas sei. Spierenburg, CECA, S. 686. BA B 136/8358 Unterhaltung mit Präsident Malvestiti am 8. 4. 1960. Die Rechtslage in einem Erbfall war von der Rechtsabteilung der Hohen Behörde auch schon geprüft worden. Man kam zu dem Schluss, dass auch in diesem Fall die HB den Zusammenschluss nach Art. 66 prüfen und auch Bedingungen stellen könne. TA A 7552 Verschlusssache „Wettbewerbs- und Transportfragen“ Betr. Zusammenschluss durch Erbfall 4. 12. 1959. Als Vorlage zum Gespräch mit Präsident Malvestiti gehörte auch ein Brief von dem damaligen Vorsitzenden der Hohen Kommission, André François-Poncet, in dem dem Bundeskanzler noch einmal ausdrücklich bestätigt wurde, dass die Montanindustrie der BRD nach der Durchführung des Gesetzes Nr. 27 keinen beschränkenden Maßnahmen mehr unterliegen würde außer denen, die sich aus dem EGKS-Vertrag ergeben würden.

280 Behörde hatte in ihrer Genehmigungspraxis von Zusammenschlüssen in der BRD die Maßnahmen der alliierten Neuordnung als irrelevant für ihre Entscheidungen erklärt.116 Die heftige Reaktion lässt sich wohl mit der Rolle der Hohen Behörde begründen, welche diese nach weit verbreiteter Auffassung in der Bundesrepublik erfüllen solle: Sie sollte die Rücknahme der alliierten Gesetzgebung durch Anwendung des Artikels 66 europäisch legitimieren – d.h. Anträge rasch genehmigen –, eigene Initiativen sollte sie möglich nicht ergreifen. Aber auch diese energische Intervention Adenauers führte nicht zu einer Genehmigung des Antrags in Luxemburg, auch wenn Malvestiti sich nun gegen eine unbegrenzte Investitionskontrolle aussprach. Vielmehr ließen sich die Meinungsunterschiede zwischen den Mitgliedern der Hohen Behörde nicht mehr zusammenführen, so dass die Hohe Behörde faktisch blockiert war.117 So fand sich auch für einen von der ATH freiwillig angebotenen Investitionsverzicht auf dem Walzstahlsektor für die folgenden zwei Jahre keine Mehrheit.118 Hellwig fragte nun, ob er Sohl fragen könne, ob er auch eine Genehmigung unter Einschluss einer generellen Investitionskontrolle akzeptieren könne. Die ATH könne dann ja die Zulässigkeit dieser Auflage – die Hellwig nicht gegeben sah, da eine solche Auflage über die in Artikel 54 gestatteten Maßnahmen auf dem Gebiet der Investitionen hinausging – vor dem Gerichtshof überprüfen. Coppé konnte sich dieser Position anschließen, aber nur unter der Bedingung, dass die ganze Genehmigung hinfällig sei, wenn der Gerichtshof Teile für unzulässig erklären würde. Spierenburg behielt sich noch grundsätzliche Bedenken vor. Die Hohe Behörde wollte nun ganz offensichtlich dem Gerichtshof die Verantwortung für eine endgültige Entscheidung übergeben, indem sie eine Genehmigung verabschieden wollte, die im Kreise der Hohen Behörde selber als nicht vertragskonform angesehen wurde.119

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BA 136/8358 Francois-Poncet an Bundeskanzler 18. 12. 1951; der Brief wurde dann während der Beratungen der Hohen Behörde von Hellwig erwähnt. Spierenburg, CECA, S. 711. BA B 136/8364 Vermerk, Dem Herrn Bundeskanzler vorzulegen 22. 1. 60. Im Übrigen war Adenauer auf seine Nachfrage, ob denn die Hohe Behörde auch bei Zusammenschlüssen in anderen Ländern der EGKS solche Schwierigkeiten machen würde, schon Ende Januar die Meinung des BWM mitgeteilt worden, „dass die Hohe Behörde bei einem gleich bedeutenden Zusammenschluss von Stahlerzeugern in den übrigen Mitgliedstaaten der Montangemeinschaft eine Genehmigung auch von Auflagen abhängig machen würde“. Spierenburg, CECA, S. 711. Nur Malvestiti, Potthoff und Hellwig sprachen sich für eine Begrenzung der Investitionskontrolle auf zwei Jahre aus, wie dies von der ATH vorgeschlagen wurde. BA B 136/8364 Dem Herrn Bundeskanzler vorzulegen Betr. Zusammenschluss Thyssen-Rheinrohr 29. 4. 60. Coppé, Finet, Reynaud und Spierenburg stimmten dagegen, wobei Lapie sich enthielt. Gegen eine von der Hohen Behörde als Auflage ausgesprochene Investitionskontrolle sprachen sich Spierenburg, Finet, Pothoff und Reynaud aus. Protokoll über die 575. Sitzung der Hohen Behörde vom 20. April 1960, Luxemburg, den 21. April 1960. HAEU CEAB 2/1313 Protokoll über die 576. Sitzung der Hohen Behörde vom 27. April 1960, Luxemburg, den 28. April 1960.

281 6.2.9 Der Rückzug des Antrags: seine Folgen und Ursachen Am 27. April 1960 zog die ATH schließlich den Antrag schriftlich bei der Hohen Behörde zurück.120 Dies geschah nicht ohne polemische Untertöne, da den Gegnern des Antrags attestiert wurde, dass sie der europäischen Wirtschaftsentwicklung keinen Dienst erwiesen hätten.121 In einem Brief an den Bundeskanzler berichtete Sohl, dass über sämtliche Auflagen in letzter Minute Einvernehmen mit der Hohen Behörde erzielt wurde.122 Nur die Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Investitionskontrolle sei nicht zu überbrücken gewesen. Die Hohe Behörde wollte sie auf drei Jahre begrenzen, aber das Recht vorbehalten, nach Ablauf der Frist ähnliche Maßnahmen zu verhängen. Für die ATH ging es um ihre Handlungsfreiheit in unternehmerischen Fragen. Ganz offensichtlich sah man das Risiko, dass die Hohe Behörde nun bei schwierigen Fällen – wie schon bei der Krupp-Genehmigung – immer eine Investitionskontrolle aussprechen würde, was natürlich auf die Dauer eine beträchtliche potentielle Einschränkung der unternehmerischen Freiheit bedeutet hätte.123 Dass man sich nicht auf das Spiel mit dem Gerichtshof einlassen wollte, war auch verständlich. Das Verfahren hätte sich wohl auf unbestimmte Zeit verzögert. Als Allererstes wurde nun versucht, ein für alle Mal das Instrument ‚Investitionskontrolle‘ zu bannen. Nach dem Rückzug des Genehmigungsantrags wurde im Europäischen Parlament von deutschen Parlamentariern eine Anfrage hinsichtlich der Legalität dieser Kontrolle gestellt.124 Nun äußerte auch Malvestiti öffentlich, dass man aufgrund der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung auf dem europäischen und internationalen Stahlmarkt größere Einheiten bei Stahlunternehmen akzeptieren solle.125 Der Druck aus der Bundesrepublik hatte insofern etwas gebracht, als man sich in der Hohen Behörde nun darauf einigte, eine Investitionskontrolle als Auflage einer Genehmigung künftig nicht mehr in Erwägung zu ziehen. Wer waren nun die Gewinner und Verlierer dieses insgesamt eineinhalb Jahre lang dauernden Verfahrens, das mit dem Scheitern des ersten Genehmigungsantrags für die ATH endete? Die ATH kann nur zu einem gewissen Grade als ‚Verlierer‘ bezeichnet 120 121

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BA B 136/8364 ATH an die EGKS 27. 4. 1960.

Diese Stelle führte zu einer Antwort von Malvestiti an Adenauer, in der er seine positive Einstellung gegenüber dem demokratischen deutschen Volk betonte, und er betonte, dass die Tageszeitung „Die Welt“ v. 4. 5. 60 seine Anstrengungen hinsichtlich der Genehmigung des Antrags ausdrücklich betonte. BA B 136/8364 Malvestiti an Adenauer 4. 5. 1960. BA B 136/8364 Sohl an Adenauer 28. 4. 1960. So schrieb Sohl an verschiedene Kollegen, in denen er auf die Gefahr der Einführung einer Investitionskontrolle über Unternehmen hinwies. TA Sohl 0866 z.B. Sohl an Falck, 22. 4. 1960, Sohl an Ferry 22. 4. 1960. BA B 102/22301–2 Handelsblatt v. 27. 6. 1960 Wettbewerbsfragen ohne Coppé, Hohe Behörde distanziert sich von der Investitionskontrolle Süddeutsche Zeitung 28. 6. 1960. BA B 136/8364 Malvestiti an Adenauer 27. 9. 1960.

282 werden. Sicher waren viel Zeit und Arbeit in den Antrag investiert worden, aber an der schon bestehenden Struktur der Unternehmensgruppe ATH hatte sich ja nichts verändert. So besaß die ATH immer noch die Beteiligung an der HWS sowie indirekt 50 % an der HU. Die klare Trennung zwischen der ATH und der DHHU, ein schon lange geäußertes Ziel der Hohen Behörde, bestand noch immer nicht. In der Praxis gab es auch schon eine enge Koordinierung der Geschäftspolitik zwischen ATH und PR, so dass man schon von einer „Thyssen Unternehmensgruppe“ sprechen konnte.126 Sicherlich war diese informelle Zusammenarbeit kein Ersatz für eine offizielle Anerkennung des Zusammenschlusses ATH/PR durch eine Genehmigungsentscheidung durch die Hohe Behörde. Auf der anderen Seite hatte es die ATH nicht ohne Grund unterlassen, sich einer langfristigen Investitionskontrolle durch die Hohe Behörde auszusetzen. Das Unternehmen hatte nämlich eine Reihe von Großinvestitionen schon fertig geplant, die nun realisiert werden konnten. Dazu gehörten der Bau einer zweiten Warmbreitbandstraße und der Bau eines völlig neuen Oxygenstahlwerks in Duisburg-Beeckerwerth. Beide Investitionen verdeutlichen die herausragende Stellung der ATH in der deutschen Stahlindustrie – kein anderes Unternehmen in der Bundesrepublik verfügte schon über zwei Breitbandstraßen und ein Stahlwerk, welches nur auf Oxygenstahlproduktion setzte.127 Schließlich hinderte das Scheitern der Genehmigung Amélie Thyssen nicht daran, die Fritz-Thyssen-Stiftung zu gründen, womit sie ganz offensichtlich die gelungene Aufbaustrategie einer Unternehmensgruppe aus dem Eigentum ihres Mannes krönte. Die Fritz-Thyssen-Stiftung war die erste private Stiftung für die Wissenschaftsförderung in der Bundesrepublik und nach dem Vorbild ähnlicher Institutionen in den USA konzipiert.128 Ungünstiger sah die Situation für die Bundesregierung aus. Bundeskanzler Adenauer hatte sich persönlich für diesen Antrag bei der französischen Regierung und auch bei der Hohen Behörde eingesetzt – allerdings ohne Erfolg. Dies lag wohl nicht zuletzt daran, dass man nicht sehr diplomatisch vorgegangen war. Ein erstes Gesprächsangebot der französischen Regierung, die ja auch unter dem Druck ihrer eigenen innenpolitischen Meinung stand, wurde nicht angenommen. Dann bat man schließlich die französische Regierung, den Antrag zu befürworten. Dass die französische Regierung dann nicht einfach die Haltung der Bundesregierung übernahm, ist durchaus verständlich. Schließlich stand auch die Hohe Behörde in sehr schlechtem Licht. Die Stellungnahmen der Fachabteilungen der Hohen Behörde hatten am Ende keinen Einfluss mehr auf 126

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BA B 102/35225 III C1 Vermerk Betr. Steuerfragen beim geplanten Zusammenschluss der ATH AG und der Phoenix Rheinrohr AG, Besprechung am 2. 6. 1959 im Finanzministerium des Landes NRW unter Leitung von Herrn Min.-Dirigenten Dr. Thiel 3. 6. 1959.

Uebbing, 1926–1969, S. 204ff. Uebbing, 1926–1969, S. 235ff., Thomas Rother: Die Thyssens. Tragödie der Stahlbarone, Frankfurt 2003, S. 126ff.

283 den Verlauf des Verfahrens. Die Mitglieder der Hohen Behörde waren in der Angelegenheit völlig unterschiedlicher Meinung. Dies betraf nicht nur den Inhalt der Entscheidung, was bei einem so wichtigen Antrag sicher zu erwarten war, sondern auch über die Form. Wurden von einigen Mitgliedern Auflagen vorgeschlagen, hielten andere dies für rechtlich nicht haltbar. Ganz offensichtlich bestand in der Hohen Behörde keine gemeinsame Vorstellung über das Ziel und auch die Instrumente einer Zusammenschlusspolitik.129 Es war also nun klar ersichtlich, dass es der Hohen Behörde nicht gelungen war, auch nur eine ungefähre gemeinsame Vorstellung zu entwickeln, wie eine Absatz- und Preiskontrolle im konkreten Fall nachzuweisen war – darum ging es aber beim Artikel 66. Weiter trugen auch die massiven Einflussnahmen von außen sicherlich nicht zu einer Stärkung des Prestiges der Hohen Behörde bei. Schließlich hatten sich die Beteiligungsverhältnisse bei der HU sowie die Beteiligung von ATH und DHHU an der HWS nicht geändert. Genau diese Strukturen waren aber schon seit geraumer Zeit von der Kartellabteilung als unhaltbar bezeichnet worden – und sie bestanden nun fort. In der deutschen Öffentlichkeit wurden in der Presse nach dem Antrag der Hohen Behörde heftige Vorwürfe gemacht. Man konnte von einer wahren Pressekampagne gegen die Hohe Behörde sprechen.130 Bereitwillig wurde das Argument wiederholt, dass die Hohe Behörde Instrumente der ehemaligen Besatzungsmächte anwenden wollte.131 Auch der Bundeskanzler sprach sich in einem Brief an Sohl nach dem Rückzug deutlich gegen die Investitionskontrolle aus, da sie „nach meiner Meinung völlig dem Geist der Montanunion und sicher den heutigen Verhältnissen“ widerspreche.132 Die ATH wiederum distanzierte sich sehr schnell von den polemischen Angriffen aus der Bundesrepublik gegen die Hohe Behörde. Man wusste wohl ganz genau, dass eine Zusammenarbeit mit der Hohen Behörde auch zukünftig notwendig war.133 Gab es ein französisches Veto des Antrags? Lapie jedenfalls schrieb zufrieden an das Büro des französischen Präsidenten, dass das gewünschte Resultat erreicht worden

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HAEU CEAB 2/1313 Protokoll über die 578. Sitzung der Hohen Behörde vom 18. Mai 1960, Luxemburg, den 19. Mai 1960 S. 5. TA Sohl 0867 Woopen an Spethmann 5. 5. 1960. Nach dem gescheiterten Antrag musste sich Robert Schuman in einem Fernsehinterview anlässlich des zehnten Jahrestages der Schumanplanerklärung im deutschen Fernsehen die Frage gefallen lassen, ob denn die Montanunion gegründet wurde, um die deutsche Industrie zu kontrollieren. Schuman erwiderte, dass nie die Absicht einer ungleichen Behandlung bestand, Kontrolle könne nur gemeinschaftlich ausgeübt werden. BA 136/8364 Anhang IA Robert Schuman 10 Jahre Montanunion. Deutsches Fernsehen 9. 5. 60, BA 102/22301–2 Westrick an Dr. Fritz Hellwig 8. 1. 1960. BA B 136/8364 Adenauer an Sohl 2. 5. 1960. In diesem Sinne teilte Hellwig mit, dass ihm Birrenbach erklärt habe, dass sich die Thyssengruppe von diesen Angriffen distanzieren würde. Birrenbach sei geradezu „entsetzt“ über die Reaktion. Auch andere befreundete Stahlindustrielle hätten den Schaden, der dem Gedanken der europäischen Integration und der Zukunft der Montanunion zugefügt werden könne, bedauert. Protokoll über die 577. Sitzung der Hohen Behörde vom 5. Mai 1960, Luxemburg, den 6. Mai 1960, S. 2ff.

284 sei.134 Mit de Gaulle selber hatte sich Lapie weder bei seinem Antrittsgespräch im Januar 1959 noch während des Antrags unterhalten – wohl aber mit seinem Kabinett.135 Allerdings ist es – wie aufgezeigt – nicht richtig, dass die französische Regierung systematisch auf ein Scheitern des Antrags hinarbeitete. Berücksichtigt man die Entstehungsgeschichte des Artikels 66, so war innerhalb der verschiedenen französischen Regierungen schon sehr schnell klar, dass dieser nicht dazu dienen würde, die Struktur der neu geordneten Ruhrstahlindustrie aufrechtzuerhalten. Es gab auch kein wirtschaftliches oder politisches Interesse an einer solchen Position. Der Artikel 66 diente nun einer potentiellen Kontrolle oder auch ‚Mitbestimmung‘ der Konzentrationsbewegung an der Ruhr – denn abschaffen wollte man den Artikel 66 ja nicht. Da die Hohe Behörde nun aber alle Genehmigungen erteilte, ohne dass ersichtlich wurde, auf welche Grundlagen sie sich bezog, und auch in der französischen Öffentlichkeit aufgrund der Namen VSt und Krupp Beunruhigung entstand, kam man ganz offensichtlich zu dem Schluss, dass es ein stärkeres Engagement der französischen Regierung benötigte, damit die Fusionskontrolle nicht jegliche Bedeutung verlor. So wurden nach der Krupp-Entscheidung erste Signale ausgesandt, dass man sich über dieses Problem gerne bilateral mit der Bundesregierung unterhalten wollte. Dieses Angebot wurde allerdings abgelehnt. Die Strategie der ATH – unterstützt von der Bundesregierung – bestand dann darin, innerhalb der Hohen Behörde auch gegen die französischen Bedenken eine Mehrheit für den Antrag zu organisieren. Die Bundesregierung hatte es nicht einmal für nötig gehalten, den Antrag einmal vernünftig zu analysieren, obwohl es ja auch grundsätzliche Bedenken im BWM gab. Aus diesen Gründen entschloss sich wohl Lapie, sicherlich in Absprache mit Debré und den Mitarbeitern de Gaulles – und man kann wohl davon ausgehen, mit Bewilligung de Gaulles –, eine Genehmigung möglichst zu verhindern. Weiter war die Politik der französischen Regierung, so Lapie in einem Brief an Debré, auf zwei Ziele ausgerichtet: die Wiederentstehung der Vereinigten Stahlwerke zu verhindern und die HU aufzuteilen.136 Damit befand sich die französische Regierung in bemerkenswerter Kontinuität zu ihrer Position während der Neuordnung – auch damals hatte sie sich gegen die Gründung der HU ausgesprochen. Diese Ziele hatte die französische Regierung mit dem Scheitern des Antrags aber gerade nicht erreicht. Denn nun kontrollierte die ATH ja indirekt immer noch die HU bei Aufrechterhaltung der Lieferbeziehungen zu DHHU/HWS. So war die bewusste Inkaufnahme des Scheiterns des Antrags keine Entscheidung, die aus Konkurrenzgedanken oder anderen wirtschaftlichen Erwägungen getroffen wurde. Die entsprechenden Fach-

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AN 331 AP 4 Lapie an Geofferoy de Courcel 5. 5. 1960, Sécretariat Général Présidence de la République an Lapie 9. 5. 1960. AN 331 AP 4 Lapie an de Gaulle 1. 6. 1960, Notes 1959, 28. Janvier 1959 à midi de Gaulle. AN 331 AP 4 Lapie an Débré 20. 7.1961.

285 abteilungen hatten ja eine Genehmigung befürwortet, falls eine klare Trennung zwischen den Nachfolgegesellschaften der VSt sichergestellt sei. Ganz offensichtlich hatte man bei der französischen Regierung – letztlich nicht zu Unrecht – das Gefühl, aus deutscher Sicht sei die Aufgabe der Hohen Behörde, grundsätzlich Zusammenschlüsse zu genehmigen. Dies hätte auf die Dauer auch die französische Regierung in Schwierigkeiten gebracht, denn sie stand bei diesen Fragen auch innenpolitisch unter Druck. Eine intensivierte deutsch-französische Mitarbeit wäre erschwert worden, hätte die französische Regierung nicht verdeutlichen können, dass der EGKS-Vertrag nicht mehr in der Lage war, eine gewisse Kontrollfunktion auszuüben. Eine zukünftige Zusammenarbeit sollte dadurch nicht erschwert, sondern erleichtert werden. Bemerkenswert ist, dass beide Regierungen sich bemühten, ihre Einflussnahme auf das Verfahren nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Adenauer informierte die Stahlindustrie über seine gescheiterte Intervention bei Debré nicht. Die französische Regierung hielt die verschiedenen Interventionen der Bundesregierung ganz offensichtlich geheim. Als Lapie nach dem Rückzug des Antrags durch die ATH in die Bundesrepublik fuhr, traf er auch Adenauer. Über den Inhalt der Gespräche ist nichts bekannt. Die Presse in der Bundesrepublik erwähnte den Besuch kaum.137 Dies kann kein Zufall gewesen sein, denn die französische Haltung war den involvierten Persönlichkeiten in der Bundesrepublik ja durchaus bekannt. Stattdessen konzentrierten sich die publizistischen Attacken auf die Hohe Behörde. Die Hohe Behörde wurde so zum ‚Blitzableiter‘ deutschfranzösischer Meinungsverschiedenheiten. Dies hatte den Vorteil, dass die von beiden Seiten offensichtlich gewünschte intensivere Zusammenarbeit durch diesen Vorfall in der Öffentlichkeit keinen Schaden nahm. Beide Regierungen waren offensichtlich darum bemüht, eine künftige Zusammenarbeit durch diese Angelegenheit nicht zu gefährden. So schlug de Gaulle Adenauer beim Treffen in Rambouillet am 29./30. Juli 1960 eine deutsch-französische Konföderation vor, aus der sich dann später die Fouchet-Pläne für die Gründung einer Europäischen Union entwickeln sollten.138 Adenauer sprach noch einmal seine Bewunderung über de Gaulles Haltung im Zweiten Weltkrieg aus und betonte, dass er seit vierzig Jahren in seinem öffentlichen Leben die Überzeugung habe, dass Frankreich und Deutschland zusammenarbeiten müssen.139 Auch über die Aufgabe von supranationalen Institutionen unterhielten sich die beiden Politiker. Laut de Gaulles Meinung wurden diese nach dem

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AN 331 AP 4 Traduction VWD Montan, 3. 5. 1960, Rencontre Lapie/Adenauer, Handelsblatt du 4 mai Traduction „Lapie chez Adenauer“. Wilfried Loth: Jean Monnet, Charles de Gaulle et le projet d’union politique, in: Gérard Bossuat, Andreas Wilkens: Jean Monnet, l’Europe et les chemins de la Paix, Paris 1999, S. 357–368. Documents Diplomatiques francais, 1960, Tome II, S. 163f. u. S. 170f. Dazu auch Hans-Jürgen Küsters: Konrad Adenauer und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtung mit Frankreich, in: Wilkens, Wirtschaftsbeziehungen, S. 63–84.

286 Kriege gegründet, um die fast unüberwindbaren Gegensätze zwischen Deutschland und Frankreich zu überbrücken. Nun sei dieser Gegensatz überwunden. Die Regierungen könnten nun direkt zusammenarbeiten. Supranationale Institutionen seien den Mitgliedstaaten untergeordnet. Adenauer stimmte diesen Ausführungen für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ausdrücklich zu.140 Was nun die EGKS angehe, sehe dies anders aus – hier sei die Supranationalität im Vertrag festgeschrieben. Dies sei ein ‚juristisches‘ Problem. Weiter würde nur einer das Sagen haben in Luxemburg: Dirk Spierenburg, der niederländische Kommissar.141 Dass eine direkte deutsch-französische Konsultation möglicherweise die Bearbeitung zukünftiger Anträge erleichtern könnte, darauf war man bei der ATH zu diesem Zeitpunkt schon gekommen.142 Die Initiative ging von einem französischen Politiker aus, der schon seit der Ratifikationsdebatte im französischen Parlament die ‚Rekonzentration‘ sehr kritisch verfolgte. Armengaud, der sich ja auch im Europäischen Parlament gegen den Antrag ausgesprochen hatte, hatte über Jacques Féblot, einen französischen Anwalt in Paris, der dort die ATH-Interessen vertrat, eine Bereitschaft zu einem Treffen mit Sohl angeregt. Er war nach dem Treffen durchaus von Sohls Argumenten beeindruckt. Man hatte sich ganz offensichtlich bei der ATH entschlossen, selber diplomatisch tätig zu werden, nachdem sich die direkte Einschaltung der Bundesregierung als kontraproduktiv erwiesen hatte. Letztendlich waren auch bei den Gegnern des Antrags in der Hohen Behörde die wirtschaftlichen Aspekte ganz offensichtlich zweitrangig – auch das Argument von der Wiederentstehung der Vereinigten Stahlwerke. Denn die gemeinsame Beteiligung der DHHU und der ATH an der HWS bestand ja weiter fort. Auch war die Lage bei der HU unverändert. Beide Komplexe sollten eigentlich bei einer Genehmigung des ATH/PRAntrags im Sinne einer vollständigen Trennung der Nachfolgegesellschaften der VSt geregelt werden – darauf hatte die Kartellabteilung schon im Herbst 1957 hingewiesen. Davon konnte nun keine Rede mehr sein – alles blieb beim Alten. Dieser Widerspruch wurde bei der Genehmigung des Zusammenschlusses DHHU/ HWS deutlich. Denn nun wurde der gleiche Sachverhalt völlig anders beurteilt. Der Antrag DHHU/HWS stand ja seit dem 1. März 1957 aus. Er war noch nicht genehmigt worden, da die Hohe Behörde vorher die Fragen HWS und HU im Rahmen des Antrags ATH/PR klären wollte. Davon war nun nicht mehr die Rede. Die Hohe Behörde beschloss nun, dass die Unternehmen nun nicht mehr länger auf eine Entscheidung über den Antrag warten sollten – nach über drei Jahren Wartezeit, in der sich die indirekten Verflechtungen mit der ATH eben nicht aufgelöst hatten. Die Hohe Behörde stellte die Bildung einer Gruppe DHHU/HWS/Hoogovens fest, die je auf dem Gebiet der warmge140 141 142

Documents Diplomatiques francais, 1960, Tome II, S. 171. Documents Diplomatiques francais, 1960, Tome II, S. 174. TA Sohl 0867 Herrn Dr. Sohl Betr. Unterhaltung mit Senator Armengaud im Hause Féblot, gez. Steinmetz 25 Mai 1960.

287 walzten und kaltgewalzten Feinbleche den höchsten Produktionsanteil (rund 15 %) in der Gemeinschaft habe. Da sich die Absatzmärkte allerdings in verschiedenen Regionen befänden und der Feinblechmarkt an sich sehr dynamisch wachse, könne eine wettbewerbsverhindernde Vorzugsstellung nicht festgestellt werden. Auch sei der Marktanteil nicht bedeutend genug, um sich dem Wettbewerb zu entziehen.143 Weiter war die Arbeitsgruppe Wettbewerb der Hohen Behörde nun zum Schluss gekommen, dass es nicht möglich sei, „das Vorhandensein einer gemeinsamen Kontrolle von ATH und DHHU über Siegerland nachzuweisen.“144 In dem PR/ATH-Antrag hatte die Hohe Behörde genau das Gegenteil behauptet.145 Hellwig führte allerdings an, dass die zwischen der DHHU und Siegerland einerseits und der ATH andererseits vorhandenen Beziehungen, gegen die die Hohe Behörde Bedenken hege, unverändert weiter bestehen. Das Gleiche gelte für die Beziehungen zur HU. Er könne den Antrag nur befürworten, wenn die noch „ungelösten Probleme“ später nicht auf Kosten der „Thyssen-Gruppe“ geregelt werden. Spierenburg befürwortete den Antrag, da er noch vor dem ATH/PR-Antrag gestellt worden sei und nicht länger verwehrt werden könne. Ein Zusammengehen zwischen ATH/DHH im Hinblick auf HWS sei nun aufgrund des Einflusses von Hoogovens sehr unwahrscheinlich. Die Genehmigung des Antrags stützt deshalb die These, dass die Ablehnung des Antrags PR/ATH auf höheren politischen Erwägungen beruhte, um die Handlungsfähigkeit der Hohen Behörde zu demonstrieren. Es galt beim bis dahin bedeutendsten Genehmigungsantrag aus der Ruhrstahlindustrie einmal ein Exempel zu statuieren. Von einer sauberen Trennung zwischen den Nachfolgegesellschaften der VSt – ein wichtiges wirtschaftliches Ziel der Hohen Behörde bei dem ATH/PR-Antrag – konnte nun nicht die Rede sein. Trotz dieser Tatsache wurde der HWS/DHHU-Antrag genehmigt. Die ATH besaß noch immer die HWS-Minderheitsbeteiligung und konnte diese auch als ‚Faustpfand‘ in zukünftigen Anträgen benutzen.146

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CEAB 2/1313 Protokoll über die 578. Sitzung der Hohen Behörde vom 18. Mai 1960, Luxemburg, den 19. Mai 1960, S. 6ff. Ders., S. 8. So hatte Hamburger im September 1959 über den Antrag DHHU/HWS geschrieben: „Falls die Hohe Behörde die Genehmigung des Zusammenschlusses ATH-PHOENIX verweigern würde, gäbe es keine Möglichkeit, diese Unabhängigkeit durch Auflagen in der Genehmigung zu dem Antrag der DHHU effektiv zu gewährleisten. Denn im Falle einer durch die THYSSEN-Gruppe auf SIEGERLAND und gegebenenfalls auf die DHHU ausgeübten Kontrolle wären diese beiden Unternehmen das passive Objekt einer solchen Kontrolle, und man könnte die durch die DHHU beantragte Genehmigung nicht von der Aufhebung einer Kontrolle abhängig machen, der sie unterliegt, die sie aber nicht ausübt.“ HAEU CEAB Bericht über den Zusammenschluss zwischen der DORTMUND-HÖRDER HÜTTENUNION AG in DORTMUND (DHHU) und der HUETTENWERKE SIEGERLAND AG in SIEGEN, 18. 9.1959, S. 4. TA Sohl 0867 Notiz Betr. Besprechung im Essener Hof am 19. August 1960 zwischen den Herren Bary, Elshoff, Harders (DHHU), Sohl, Cordes, Michel, Risser (ATH).

288 Wirklich interessant wäre es gewesen, welche Unternehmensstruktur die Hohe Behörde bevorzugen würde: ein Unternehmen mit einem breiten Produktionsprogramm wie die ATH, aber mit relativ niedrigen Marktanteilen je Walzstahlprodukt, oder ein Unternehmen, welches auf die Produktion von einigen wenigen Walzstählen spezialisiert war, aber mit entsprechend höheren Marktanteilen – eher wie DHHU/HAS/Hoogovens? Welche Struktur war für den Wettbewerb förderlicher? Diese Frage wurde dagegen im Kreise der Hohen Behörde offensichtlich nie besprochen.

6.3 Der Antrag der ATH/HU/Rasselstein Die Strategie des Aufbaus der ‚Thyssengruppe‘ wurde nach dem Rückzug des Antrags ATH/PR bei der ATH nicht aufgegeben. Nach der Rücknahme des Antrags sah die Situation so aus, dass PR und die ATH zwar offiziell völlig getrennte Unternehmen waren. Tatsächlich wurden die großen Linien der Geschäftspolitik zwischen beiden Unternehmen schon abgestimmt.147 Die führende Rolle lag eindeutig bei der ATH, was schon daran zu sehen ist, dass die Zusammenschluss-Verhandlungen ATH/PR mit der Hohen Behörde nur von der ATH geführt wurden. Weiter waren nun die ATH sowie die PR zu je 25 % an der HU beteiligt, die somit auch zumindest mittelbar zur „Unternehmensgruppe“ ATH gehörte.148 Zu deren Hauptlieferanten zählten weiter die HWS und DHHU. Weiter hatte die ATH eine Kaufoption über 25 % des Grundkapitals der Rasselstein-Andernach AG. Faktisch bestand also schon eine Gruppe ATH/PR, welche die HU kontrollierte, die allerdings noch nicht rechtlich anerkannt war – dazu brauchte es die Genehmigung der Hohen Behörde. Die Überlegungen, wie der Aufbau der ‚Thyssen-Gruppe‘ am besten weiterzuverfolgen wäre, begann innerhalb der ATH schon wenige Tage nach Rücknahme des ATH-Antrags. Erst wurde erwogen, dass die PR nun weitere 25 % an der Handelsunion erwerben sollte. Damit würde PR mit 50 % im montanrechtlichen Sinne die HU kontrollieren.149

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So jedenfalls im Gespräch mit Landesregierung NRW und Bundesregierung Vertreter der Großaktionäre beider Unternehmen. BA 102/35225 III C1 Vermerk Betr. Steuerfragen beim geplanten Zusammenschluss der ATH AG und der Phoenix Rheinrohr AG, Besprechung am 2. 6. 1959 im Finanzministerium des Landes NRW unter Leitung von Herrn Min.-Dirigenten Dr. Thiel 3. 6. 1959. TA A 7579 Flume an Sohl 30. 4. 60. Die 25 % sollten offenbar von Rheinstahl erworben werden. Dieser ehemalige Großaktionär hatte ebenfalls eine Beteiligung an HU. Dieser Austausch von Beteiligungen zwischen ehemaligen Großaktionären der VSt legt die Vermutung nahe, dass es hier grundsätzliche Interessensabsprachen gab hinsichtlich der Beteiligung an den Nachfolgegesellschaften der VSt. TA A 7579 Vermerk Steinmetz Besprechung Dr. Sohl, Dr. Spethmann, Dr. Steinmetz am 12. 5. 1960, 13. 5. 60.

289 Der Aktienbesitz der HU befand sich zu dieser Zeit zu 25 % bei der ATH, zu 25 % bei PR und zu 25 % bei Rheinstahl.150 Schließlich entwarf der Assistent Sohls, Dieter Spethmann, aber andere grundsätzliche Überlegungen. Über die HWS-Beteiligung der ATH hieß es, dass sie immer als „Faustpfand“ einerseits gegenüber DHHU/HWS, andererseits gegenüber der Hohen Behörde betrachtet worden sei.151 Für die ATH stelle sich nun die Frage, zu welchem Preis sie die HWS abgeben würde. Ursprünglich war ganz offensichtlich daran gedacht, die HWS-Beteiligung gegen die Genehmigung PR/ATH auszutauschen. Dies würde nun aber bedeuten, dass man die HWS-Beteiligung noch lange behalten müsse. Der Druck auf eine Abgabe der HWS-Beteiligung käme nun aber von mehreren Seiten. Einerseits war man sich sicher, dass die Hohe Behörde bei der ersten Gelegenheit eine Aufgabe der HWS-Beteiligung fordern würde. Eine Beteiligung der ATH an beiden großen Weißblechherstellern (Rasselstein/Siegerland), wie dies im Augenblick der Fall sei, könne die Hohe Behörde auf Dauer nicht akzeptieren. Aus den gleichen Gründen drängte auch Otto Wolff, Großaktionär bei der Rasselstein AG, auf ein Ende der ATH-Beteiligung an der HWS. Dieser sah es nicht gerne, dass die ATH beide Weißblechproduzenten gegeneinander ausspielen konnte.152 Deshalb sei die HWS-Beteiligung als Pfand gegen die ATH/PR-Genehmigung nicht mehr brauchbar. Spethmann kam deshalb zu dem Schluss, die Abgabe der HWS-Beteiligung als Gegenleistung für eine Genehmigung der Hohen Behörde für die Erhöhung der Beteiligung der ATH an der HU und an Rasselstein zu benutzen. Bei einem kombinierten HU/Rasselstein-Antrag werde die Hohe Behörde sicher eine Abgrenzung der Handelsinteressen von DHHU/HWS gegenüber HU fordern, wobei das Muster dieser Abgrenzung schon beim gescheiterten PR-Antrag ausgehandelt wurde. Gerade beim Antrag der ATH weitere 25 % an der HU zu übernehmen, ging man von der Hohen Behörde montanrechtlich anerkannten Tatbeständen aus, die allerdings mit der tatsächlichen Situation bei der ATH nichts mehr zu tun hatten. Die HU wurde ja schon von der ATH kontrolliert, da es de facto schon einen Zusammenschluss ATH/PR gab.153 Die Tatsache, dass die ATH schon die HU kontrollierte, wurde von der ATH im Zusammenhang mit dem Antrag natürlich bestritten – selbst gegenüber dem französischen Anwalt, der allerdings nicht lange brauchte, um die wirklichen Zusammenhänge zu durchschauen.154

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TA A 7574 Steinmetz an Féblot 19. 8. 60, TA A 7574 So schrieb der Anwalt auch später, dass „Sie im Grunde genommen genau dasselbe wie vorher wollen, nur dass Sie auf die äußere Form, nämlich Zusammenschluss Phoenix verzichten“. Féblot an Steinmetz 10. 10. 60. TA A 7579 Spethmann an Sohl Betr. Konzernentwicklung 30. 5. 60. TA A 7575 Otto Wolff an Sohl 6. 2. 61. TA A 7579 Flume an Sohl 30. 4. 60. TA A 7574 Steinmetz an Féblot 19. 8. 1960. Offiziell wusste die französische Regierung allerdings schon seit Dezember 1959, dass die ATH praktisch die HU kontrollierte. In einem Dokument der

290 Hinsichtlich Rasselsteins lag seit zwei Jahren bei der Hohen Behörde ein Vertrag zwischen der Firma Otto Wolff und der ATH, dem Großaktionär von Rasselstein, vor. Dank eines Vertrages mit der Firma Otto Wolff besaß die ATH eine Option auf eine Beteiligung von 50 % an Rasselstein – diese Option wollte man nutzen und den entsprechenden Antrag bei der Hohen Behörde stellen.155 Die Bereitschaft der ATH, die HWS abzugeben, wurde in beiden Anträgen nicht erwähnt. Es wurde als taktisch klüger angesehen, wenn die Hohe Behörde mit „Wünschen“ komme.156 Die Abgabe sollte nur erfolgen, wenn beide Anträge genehmigt würden: die Übernahme einer 50 %-Beteiligung der ATH an HU und Rasselstein.157 In der ATH hielt man unter all diesen Aspekten den Rasselstein-Antrag für „einfach“, den HU-Antrag allerdings für ein „bißchen kritisch“.158 6.3.1 Deutsch-französische Kontakte hinsichtlich des Antrags Dass man auch diesen Antrag der ATH sehr aufmerksam in den europäischen Hauptstädten verfolgen würde, wurde schon zwei Wochen nach Antragsstellung deutlich. So erschienen in großen französischen Tageszeitungen am 15. September 1960 Meldungen über den Antrag, deren Grundtenor war, dass die ATH nun versuchen würde, in Etappen vorzugehen, um ein möglichst enges Netz zwischen den Nachfolgegesellschaften der

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Thyssen-Holdinggesellschaften über die Erfüllung der Verkaufsauflagen an den Ausschuss, der über die Erfüllung der alliierten Verkaufsauflagen zu entscheiden hatte, in dem auch ein französischer Vertreter saß, wurde die Handelsunion schon als Werksgesellschaft der Thyssen-Gruppe bezeichnet. MAE Ambassade, RFA Bonn 129 Fritz Thyssen Vermögensverwaltung AG, Thyssen AG für Beteiligung, gez. Coenen an den Gemischten Ausschuss 14. 8. 1959, Betrifft: Antrag auf Verlängerung der Frist, Mitte Dezember 1959 hatte der Ausschuss festgestellt, dass die Thyssens und die Rheinischen Stahlwerke die Auflagen erfüllt hatten. Warner, S. 231ff. TA A 7574 Steinmetz an Féblot 30. 8. 60. TA A 7574 A Steinmetz an Féblot 19. 8. 60 ATH besaß 25 % und eine Aktie an Rasselstein, der Rest lag bei den Eisen- und Hüttenwerken Köln AG, deren Aktien mehrheitlich bei Otto Wolff gehalten wurde. Über Rasselstein verständigte sich die ATH direkt mit Otto Wolff. Der Vorstand der Eisen- und Hüttenwerke Köln wurde z.B. über den Antrag auf Übernahme von 50 % am Kapital Rasselstein durch die ATH gar nicht informiert. TA A 7574 Vorstand Eisen- und Hüttenwerke Köln an Vorstand ATH 17. 9. 60. TA A 7574 Steinmetz an Féblot 9. 9. 60 Die Bereitschaft der ATH, ihre HWS-Beteiligung abzugeben, war der HB grundsätzlich vom PR ATH-Antrag bekannt. Es wurde aber auf Anraten eines Sachbearbeiters der ATH im Antrag nicht erwähnt. Der Großaktionär von DHHU war Hoogovens, ein niederländisches Stahlunternehmen. Da die DHHU aufgrund von steuerlichen Gründen die HWS-Beteiligung der ATH brauchte, erhoffte man sich bei der ATH auch ein wohlwollendes Verhalten der Niederländer im Hinblick auf den ATH/ Rasselstein/HU-Antrag. TA A 7574 Herrn Dr. Cordes Betr. Aktenvermerk von Herrn Dr. Kuhn wegen HWS Paket 9. 9. 60; Steinmetz an Féblot 30. 8. 60. TA A 7574 Steinmetz an Féblot 30. 8. 60.

291 VSt zu knüpfen.159 Die Veröffentlichungen basierten ganz offensichtlich auf Informationen von gut unterrichteten Kreisen.160 So war die ATH nun auch bemüht, möglichen Bedenken in Frankreich entgegenzutreten.161 So hatte die ATH einen Kooperationsvertrag

mit dem französischen Unternehmen Châtillon-Commentry über den Erwerb eines Patentes über die Herstellung von kornorientierten Blechen von dem amerikanischen Unternehmen ARMCO erworben.162 Dieser Vertrag wurde von der ATH zu diesem Zeitpunkt natürlich auch als ein gelungenes Beispiel deutsch-französischer Zusammenarbeit präsentiert.163 Die ATH ging allerdings noch darüber hinaus: Sie begann direkte Verhandlungen über ihren Anwalt, Féblot, mit der französischen Regierung.164 So hatte Féblot Albert Denis, Leiter der Stahlabteilung im französischen Industrieministerium, besucht, um ihm mitzuteilen, dass Herr Sohl der französischen Stahlindustrie als ‚freundschaftliche Geste‘ verschiedene Industriebeteiligungen anbieten könne. So könne die ATH eigene Aktien anbieten. Darauf reagierte allerdings Denis, dass eine solche Beteiligung auf der einen Seite wohl nie zur direkten Einflussnahme auf die Unternehmensverwaltung ausreiche, man allerdings auf der anderen Seite die Entscheidungen der Verwaltung dann mittragen müsse. Eine weitere Möglichkeit wäre die Abgabe der 25 % ATH-Beteiligung an Rasselstein. Dieses Angebot war interessant, denn gleichzeitig beantragte die ATH ja, ihre Beteiligung an Rasselstein auf 50 % zu erhöhen. Auch hier kam allerdings Denis zu dem Schluss, dass Otto Wolff letztlich die Mehrheit an Rasselstein behalten würde und die Beteiligung nicht zu einem wirklichen Einfluss auf das Unternehmen ausreiche. Weiter könne ja die ATH die Beteiligung an den HWS von 34 % an eine französische Gruppe

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Am 14. 9. 60 gab es eine Meldung der Agence France Presse. Am nächsten Tag folgten Artikel in mehreren Zeitungen u.a. in le Figaro, Le Monde, Les Echos. TA 7574 Steinmetz an Féblot 14. 9. 60, Féblot an Steinmetz 16. 9. 60. Der französische Anwalt in Paris sprach daher nicht mehr von einer Indiskretion, sondern von einer „attacke concerté“. In einem wahrscheinlich von Spethmann unterzeichneten Brief widersprach die ATH auch Meldungen, dass ATH und PR auch ohne Zusammenschluss eine gemeinsame Geschäftspolitik betreiben würden. TA A 7574 An Jean Hussard Administrateur Délegué 16. 9. 60. TA A 7574 Bei der ATH erhielt man die Meldung, dass die französische Regierung aus der Hohen Behörde schon inoffiziell über den Zusammenschluss informiert wurde. Steinmetz Betr. Luxemburger Anträge Aktenvermerk 26. 9. 60. Auch in der BRD tauchten aus Gewerkschaftskreisen Gerüchte auf, die besagten, dass die ATH praktisch die PR, und auch die HU, schon kontrolliere. Sohl bezeichnete dies als gezieltes Störmanöver, die „den Kräften die gegen uns sind in Luxemburg Auftrieb geben soll“. TA A 7575 Sohl an Richter 27. 2. 61. Sohl, S. 230f. So schrieb Sohl an den ATH-Anwalt in Paris: „Je crois que l’on sera d’accord avec nous, pour dire qu’il s’agit là d’une expression de nos sentiments prouvant combien une coopèration amicale avec cette société francaise, par conséquent avec la France, nous tient à coeur.“ Sohl an Féblot 23. 11. 60 TA A 7574. CAC 19770839/3 Note pour Monsieur le Ministre 2. 11. 1960, gez. A. Denis.

292 verkaufen, so Sohl. Hier befürchtete allerdings Denis eine mögliche Verärgerung in den Niederlanden, denn die von Hoogovens kontrollierte DHHU war ja an dieser Beteiligung interessiert. Schließlich schlug Denis eine Beteiligung der französischen Stahlindustrie an der HU vor – dies war ja bei den Gründungsverhandlungen über die HU schon einmal von Pferdmenges vorgeschlagen worden. Féblot antwortete darauf, dass er sich erst einmal mit Sohl konsultieren müsse. Von dieser Möglichkeit war dann nie mehr die Rede. Denis hatte durchschaut, dass Sohl letztlich keine Beteiligung anbot, die einem französischen Unternehmen wirklich Einfluss in der Ruhrstahlindustrie gegeben hätte. Allerdings stellte Denis einen wirklichen Willen zur Verständigung fest. Auch hatte Denis verstanden, dass die französischen Mitglieder bei der Hohen Behörde als Gegenleistung eine wohlwollende Haltung bei der Behandlung des HU/Rasselstein-Antrags einnehmen sollten.165 Die ATH ging mit folgenden Zielen in das Genehmigungsverfahren. So war man bereit die HWS-Beteiligung an die DHHU zu verkaufen. Allerdings wollte die ATH trotz der Abgabe der Beteiligung weiter Warmbreitband an die HWS liefern. Dies sollte vertraglich auf Dauer von zwanzig Jahre festgeschrieben werden – einschließlich einer Erlösbeteiligung der ATH.166 Über das zukünftige Verhältnis von ATH/HU und DHHU/HWS wurde allerdings nicht nur in Luxemburg nachgedacht. Am 31. Januar 1961 übergab der französische Botschafter Seydoux in Bonn dem Auswärtigen Amt ein Dokument, welches die offizielle Position der französischen Regierung im Hinblick auf den Rasselstein/HU-Antrag der ATH enthielt.167 Die französische Regierung führte aus, dass man auf französischer Seite bereit sei, eine Genehmigung des Antrags zu befürworten und auch auf die Verkaufsauflage der Firma Krupp für Rheinhausen zu verzichten – die ja offiziell noch bestand –, wenn die ATH ihre Beteiligung an der HWS abgeben würde und sich DHHU/HWS von der HU trennen und eine eigene Verkaufsgesellschaft aufbauen würde. Einen Vorschlag für einen starken Partner der DHHU enthielt das Memorandum auch schon: die Hoesch AG. Tatsächlich hatten beide Unternehmen, Hoesch und DHHU, beide in Dortmund gelegen, 165

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So knüpfte der Anwalt der ATH auch Kontakte zu Lapie im Rahmen dieser ‚ATH-Diplomatie‘. TA A 7574 Jean Féblot à Lapie 28. 11. 60. Eine „Zielperson“ war auch der Senator Armengaud. TA A 7574 Steinmetz Betr. Luxemburger Anträge Aktenvermerk 26. 9. 60. Im Dezember 1960 glaubte man bei der ATH auch zu wissen, dass ein Bericht, den der Senator Armengaud über die Anträge der ATH Lapie übergeben hatte, zumindest keine ausgesprochen negative Position einnahm. So verwies der Bericht anscheinend auf andere bedeutende Verbindungen zwischen Handel und Vertrieb in anderen Fällen der EGKS, so z.B. die französische Handelsgesellschaft DAVUM, die von der französische Gesellschaft Sidelor kontrolliert wurde, aber auch Produkte anderer Unternehmen verkaufte. TA A 7574 Steinmetz an Sohl Betr. Gutachten Armengaud 21.12.60. TA A 7575 Steinmetz an Féblot 12. 5. 61. PAAA IA2/580 Vermerk Scherpenberg Betr. Konzentrationen in der Stahlindustrie 31. 1. 1961, PAAA IA2 580 Aide Memoire (Abschrift).

293 mittlerweile technische Abkommen wie Lohnwalzverträge u.a. abgeschlossen. Die ATH dürfe nicht beide Weißblechproduzenten in der BRD kontrollieren, womit Rasselstein und HWS gemeint waren. Oder wie es Lapie später formulieren sollte, Sohl dürfe nicht „l’empereur du fer blanc“ werden – der Kaiser des Weißblechs.168 Innerhalb der Bundesregierung war es das BWM und insbesondere Ministerialdirigent Kattenstroth, der nun Gespräche mit der französischen Regierung aufnahm.169 Kattenstroth schlug vor, die betreffenden Unternehmen und auch zumindest die deutschen und französischen Mitglieder der Hohen Behörde über den Dialog der beiden Regierungen zu informieren. Die Verknüpfung mit dem Problem Verkaufsauflage Krupp lehnte Kattenstroth ab, da dies zu Spannungen zwischen den deutschen Stahlunternehmen führen könne. Kattenstroth fragte dann auch vorsichtig, ob man sich in Frankreich nicht mit dem Zusammenschluss ATH/PR anfreunden könne. Der französische Vertreter bejahte, dass man auch in Frankreich wisse, dass diese Unternehmen über kurz oder lang zusammenkommen würden, hoffe aber, dass dann auch in Frankreich und Italien Stahlunternehmen mit ähnlich hoher Produktion existieren würden.170 Sohl begrüßte es in einem Gespräch mit Kattenstroth, dass die Bundesregierung die eingeleiteten bilateralen Gespräche führe.171 Der Komplex ATH/Phoenix Rheinrohr solle jedoch seiner Meinung nach dabei nicht weiter verfolgt werden, da die ATH der Hohen Behörde gegenüber die Erklärung abgegeben habe, man werde einen Zusammenschlussantrag ATH/PR bei Genehmigung der jetzt laufenden Anträge einstweilen nicht vorlegen. Werde dieser Antrag jetzt bilateral ins Gespräch gebracht, könnten sich nur Schwierigkeiten ergeben.172 Inzwischen waren die deutschen Mitglieder der Hohen Behörde informiert. Spierenburg hatte Kattenstroth darauf angesprochen und den Inhalt des Mémoirs gutgeheißen.173 Die wichtigsten Eckpunkte dieses Verfahrens wurden nun also von den Regie168 169 170 171

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AN 331 AP 4 Lapie an Debré 21.7.1961. PAAA IA2 580 Dr. Lantzke Vermerk Betr. Gespräch zwischen Herrn Féquant von der französischen Botschaft und Herrn Kattenstroth am 27. 2. 1961 III D 2, 28.2.61. PAAA IA2/580 Betr. Konzentration in der deutschen Stahlindustrie, 1. 3. 61, Bezug: Aufzeichnung St.S. I – 378/61 geh. Vom 31. 1. 1961, gez. Jansen, PAAA IA2/580 Vermerk 5. 4. 1961. PAAA IA2/580 Vermerk Betr. Ergebnis des Gesprächs zwischen Herrn Sohl und Herrn Katten-

stroth am 17. April 1961 über die in dem französischen Aide-Mémoire vom 31. Januar 1961 enthaltenen Gedanken zu Zusammenschlussfragen im deutschen Montanbereich 19. 4. 1961. PAAA IA2/580 An Staatssekretär Carstens Vermerk 10. 4. 61, TA A 7575 Féblot an Steinmetz 13. 4. 61. Sohl war wahrscheinlich über den Anwalt in Paris überhaupt erst über die Gespräche informiert worden. TA A 7575 In diesem Gespräch weigerte sich die ATH, ihre Kontakte in der französischen Regierung über den Anwalt zu benennen, 18. 4. 61 Aktenvermerk über die Besprechung bei Herrn Ministerialdirigent Kattenstroth. PAAA IA2/580 III D Vermerk Betr. Ergebnis des Gesprächs zwischen Herrn Féquant, Herrn Henry und Herrn Kattenstroth am 17. Mai 1961 über die in dem französischen Aide-Mémoire vom 31. 1. 1961 enthaltenen Gedanken zu Zusammenschlussfragen im deutschen Montanbereich, 2 2. 6. 1961.

294 rungen selber verhandelt. Das Problem Krupp wurde sehr schnell ausgeklammert, der Antrag ATH/PR auf Wunsch der ATH gar nicht diskutiert, wobei man von der französischen Regierung inoffiziell erfahren hatte, dass man sich dort auf lange Sicht mit dem Zusammenschluss abgefunden hatte. Die Bedingungen der französischen Regierung für die Genehmigung Rasselstein/ATH/HU betrafen die DHHU – und weniger die ATH. Auf diese Bedingungen hatte man sich bei der ATH schon eingestellt. 6.3.2 Endgültige Trennung der VSt-Nachfolgegesellschaften? Tatsächlich gab es nun Gespräche zwischen der ATH, der DHHU, deren niederländischem Großaktionär, Hoogovens, und der Hohen Behörde über die genauen Modalitäten des Abbaus der Handelsbeziehungen zwischen DHHU, HWS und HU. Nun nahm wieder Spierenburg eine zentrale Stellung in den Verhandlungen ein, der die Einzelheiten der Trennung zwischen HWS/DHHU und der ATH im Hinblick auf die HU regeln sollte sowie die Modalitäten des zukünftigen Liefervertrages zwischen der ATH und der HWS.174 Die ATH hatte nämlich deutlich gemacht, dass sie bei einer Abgabe der Beteiligung an die HWS weiter Coils an die HWS liefern wollte. Spierenburg stellte klar, dass er nur eine Vertragsdauer über zehn Jahre akzeptieren könne – und nicht über zwanzig Jahre, wie es beim Antrag ATH/PR abgesprochen war. Montanrechtlich wollte Spierenburg diese Verkürzung nicht begründen. Es würde eine Genehmigung innerhalb der Hohen Behörde erleichtern.175 Dieser Vertrag wurde schließlich zwischen DHHU, ATH, Hoogovens und HWS ausgehandelt und die Hohe Behörde unmittelbar darüber in Kenntnis gesetzt.176 Der Vertrag sollte nun über eine Laufzeit von zehn Jahren über eine Gesamtmenge von 1,5 Mio t coils laufen. Die Lieferbeziehungen zwischen HWS/DHHU über die HU sollten nach einer vertraglich fest geregelten Frist von zehn Jahren auslaufen.177

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Laut Hellwig war die aktive Rolle Spierenburgs der Grund für die ablehnende Haltung Coppés, da Zusammenschlüsse eigentlich in sein Ressort fielen. Stattdessen gab es nun Vorverhandlungen zwischen den Unternehmen, Spierenburg und wohl auch Hellwig, um alle Probleme im Vorfeld auszuräumen. TA A 7576 Telefonische Erklärung Féblot 11. 7. 61. Der ATH-Anwalt teilte mit, dass die französischen Mitglieder in der Hohen Behörde einer Einigung zwischen Spierenburg und Sohl in jedem Fall zustimmen würden. TA A 7576 Vermerk Betr. Besprechung zwischen den Herren Dr. Hellwig und Dr. Sohl am 12. 7. 1961 im Anschluss an die Besprechung im größeren Kreise bei Herrn Spierenburg, gez. Spethmann. TA Sohl 0868 Vermerk, gez. Sohl 19 Juli 1961, TA A 7576 Sohl an Hellwig 14. 7. 61. TA A 7576 Aktennotiz Betr. Besprechung in Amsterdam am 15. 7. 61 zwischen den Herren Benz van den Berg, Justman Jacob, Ijmuiden, Bart, Dr. Elshoff DHHU, Risse, Sohl. TA A 7576 Sohl an den Vorstand der HU AG 12. 7. 61, Sohl an EGKS, Hohe Behörde 17. Juli 1961.

295 Spierenburg und Lapie erklärten nun, dass sie unter diesen Umständen eine Genehmigung befürworten könnten.178 Nun musste die Hohe Behörde dieses Ergebnis nur noch formell verabschieden. Im Kreise der Hohen Behörde empfahl der Leiter der Arbeitsgruppe Wettbewerb, Coppé, dann die Verhandlungsergebnisse als Auflage für eine Genehmigung. Die bestehenden Verbindungen HWS/DHHU/HU/ATH könnten einen wirklichen Wettbewerb im Sinne des Artikels 66 § 2 verhindern. Die Hohe Behörde stellte allerdings fest, dass diese Bedenken durch die erklärte Bereitschaft der ATH, die HWS-Beteiligung zu verkaufen, und der DHHU, die Lieferbeziehungen zur HU auslaufen zu lassen, ausgeräumt werden könnten. Die Kartellabteilung wies noch darauf hin, dass die Forderung der Aufgabe der Handelsbeziehungen zwischen HU und DHHU/HWS keine Auflage im formellen Sinne sein dürfe.179 Die Hohe Behörde könne keine Auflagen an Parteien stellen, die gar nicht Teil des beantragten Zusammenschlusses seien. Deshalb könne eine Lösung nur durch die interessierten Parteien selber gefunden werden. Genau dies war geschehen. Spierenburg bemerkte bei den Beratungen noch, dass man nicht die Möglichkeit aus dem Auge verlieren dürfe, dass jeden Tag die Frage der Nachfolge der Witwe Amélie Thyssens akut werden könne.180 Damit hatte Spierenburg als Einziger die Frage einer Gruppenbildung ATH/PR angesprochen. Dass diese in nicht sehr ferner Zukunft realisiert werden würde, daran zweifelte offenbar im Kreise der Hohen Behörde keiner. Allerdings wurde die Frage nicht aufgeworfen, ob man nicht einmal untersuchen könne, ob ATH und PR nicht schon eine Gruppe bildeten und damit die HU bereits kontrollierten. In dem Sinne dieser Verabredungen erwarb die DHHU das Stahlgroßhandelsunternehmen Establech, Gesellschaft für Eisen-, Stahl- und Blecherzeugnisse mbH. Damit stand der DHHU nun auch ein eigener Vertriebskanal zur Verfügung.181 Auf ihrer Sitzung am 27. September 1961 verabschiedete dann die Hohe Behörde die Genehmigungen für eine Erhöhung der ATH-Beteiligung am Aktienkapital der Stahlund Walzwerke Rasselstein/Andernach AG von 25 % und der Aktien auf 50 %. Weiter wurde der Erhöhung ihrer Beteiligung am Aktienkapital der Handelsunion AG von 26,1 % auf eine Aktienmehrheit zugestimmt.182 Die Entscheidungsbegründung weist einige interessante Punkte auf. Nun wurde wieder argumentiert, dass die ATH aufgrund der Lieferbeziehungen zwischen der HU und 178 179

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Sohl 0868 Vermerk, gez. Sohl 19. Juli 1961, AN 331 AP 4 Lapie an Debré 20. 7. 1961. HAEU CEAB 2023/2 Der Text spricht von den „possibilités limitées“ der Hohen Behörde, Note à Messieurs les Membres de la Haute Autorité, Luxemburg, le 17 juillet, gez. Regul, Petrick, 1961, S. 4. CEAB 2/1316 Protokoll über die 641. Sitzung der Hohen Behörde am 19. Juli 1961, S. 21. CEAB 2/2023 Dortmund-Hörder Hüttenunion, Vorstand an die Hohe Behörde 5. 9. 1961 Vertrag, CEAB 2/1317 Protokoll über die 645. Sitzung der Hohen Behörde vom 27. September 1961, Luxemburg, den 28. September 1961, Anlage 3. CEAB 2/1317 Protokoll über die 645. Sitzung der Hohen Behörde vom 27. September 1961, Luxemburg, den 28. September 1961, Anlage 2.

296 der DHHU/HWS sowie der gemeinsamen Beteiligung der ATH und DHHU an der HWS die Möglichkeit habe, „den Wettbewerb auf einem bedeutenden Teil dieses Marktes weitestgehend zu verhindern“. Deshalb sei auch die Aufgabe der HWS und die Beendigung der Lieferbeziehungen zwischen HU und DHHU/HWS gefordert worden. Nun hatte man diesen Tatbestand schon wieder anders beurteilt. Ein gemeinsamer Komplex DHHU/ATH/HWS/HU war intern aufgrund der gemeinsamen HWS-Beteiligung und der verflochtenen Lieferverhältnisse während des ersten ATH/PR-Antrags festgestellt worden, dann aber wieder verneint worden, damit man den Zusammenschluss HWS/DHHU genehmigen konnte. Nun wurde dieser Tatbestand wieder bejaht, um endlich die Aufgabe der ATH-Beteiligung an der HWS sowie das Ende der Lieferbeziehungen HU/DHHU/HWS fordern zu können.183 Jedenfalls hatte damit der Antrag einen völlig anderen Verlauf genommen, als dies beim Antrag ATH/PR noch der Fall war. Die Hohe Behörde musste nun nur das Verhandlungsergebnis akzeptieren, welches die beteiligten Parteien, die durch den Antrag direkt und indirekt betroffenen Unternehmen sowie die französische und die deutsche Regierung erzielt hatten. Dies tat sie auch.184 Die Fachabteilungen der Hohen Behörde hatten auf die Entscheidungsfindung keinen nennenswerten Einfluss mehr. Interessant ist auch, dass über die zukünftigen Lieferbeziehungen HU/DHHU zwischen den Beteiligten verhandelt wurde, insbesondere zwischen der Hohen Behörde, Hoogovens und DHHU, ohne dass die HU eingeschaltet wurde. Diese wurde erst von Sohl über die Verhandlungen in Kenntnis gesetzt, als die Ergebnisse schon feststanden – wohl auch ein Indiz dafür, dass man sich bei der Hohen Behörde mit der De-facto-Kontrolle der HU durch die ATH schon abgefunden hatte.185 Die HU war über dieses Ergebnis nicht sehr glücklich, da sie die Beziehungen mit der DHHU und der HWS für Erzeugnisse, die von der ATH nicht hergestellt wurden, auf dem aktuellen Niveau einfrieren wollte.186 Die HU wurde also vor vollendete Tatsachen gestellt und kam in einem ersten Treffen mit der DHHU zum Ergebnis, dass der prozentuale Abbau der Lieferungen – wie vertragsmäßig mit der Hohen Behörde vereinbart – mit großen Schwierigkeiten verbunden sei. Um dies zu erreichen, müsse man eine genaue Marktabsprache zwischen der neuen Handelsgesellschaft der DHHU und der HU einführen – Marktabsprachen waren aber laut EGKS-Vertrag illegal.187 Es ist also nicht

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CEAB 2/1317 Protokoll über die 645. Sitzung der Hohen Behörde vom 27. September 1961, Luxemburg, den 28. September 1961, Anlage 2, S. 8ff. TA A 7576 Betr. Spethmann Betr. Besprechung mit Krafft und von der Heide in Luxemburg am 21. 7. 61, gez. Spethmann. TA A 7576 Sohl an den Vorstand der HU AG 12. 7. 61. Die ATH war darauf bedacht, dass sie an den Verhandlungen nicht direkt beteiligt war. TA A 7576 Handelsunion Vorstand an ATH 17. 7. 61. TA A 7576 Walter Boeck an Sohl 21. 7. 61, TA A 7576 Steinmetz Betr. Handelsunion Aktenvermerk 21. 8. 61, TA A 7576 Hans Schmidt an Steinmetz 25. 8. 61.

297 klar zu sagen, wie die von den Unternehmen grundsätzlich akzeptierte Trennung der Handelsbeziehungen tatsächlich umgesetzt wurde. Schließlich ist fraglich, ob mit den ausgehandelten Bedingungen nun wirklich das Ergebnis eingetreten war, welches Lapie und Debré verkündigten – nämlich die komplette Trennung von „Thyssen“ und „D. H. H.-Siegerland“ – wobei Lapie offensichtlich schon ATH und PR als eine Gruppe betrachtete. Denn es gab ja noch den zehnjährigen Liefervertrag der Coils zwischen ATH und der HWS. Da ja die ATH auch einen unmittelbaren Konkurrenten der HWS mit Coils belieferte, nämlich Rasselstein, konnte die ATH über den Coils-Preis für HWS zumindest theoretisch eine gewisse Kontrolle ausüben, indem sie zum Beispiel für die Coils von der HWS einen höheren Preis verlangte als von Rasselstein. Gerade die Preisklausel des Vertrages ATH/HWS warf Fragen auf. Dort hieß es, dass die ATH die Coils mit dem ‚Marktpreis‘ berechne – ohne dessen Feststellung genauer zu definieren.188 War damit wirklich ausgeschlossen, dass die ATH unter Umständen die HWS erheblich teurer beliefern würde als Rasselstein?

6.4 ATH/PR – der zweite Versuch Nicht viel länger als sechs Monate nach der erfolgten Genehmigung HU/ATH//Rasselstein kam es zu einem erneuten Antrag der ATH, die Mehrheit bei PR zu übernehmen. Der Antrag wurde von Sohl persönlich am 23. Mai 1962 den deutschen Mitgliedern der Hohen Behörde zugesandt sowie auch dem ehemaligen Außenminister Heinrich von Brentano mit der Bitte, Bundeskanzler Adenauer einmal anzusprechen.189 Der Anwalt der ATH in Paris berichtete, dass im letzen Antrag de Gaulle das letzte Wort gesprochen habe. Wenn er sich noch einmal dagegen aussprechen würde, sei jegliche politische Intervention zwecklos.190 Mittlerweile hatten sich die gesamtpolitischen Rahmenbedingungen für diesen Antrag verbessert. Erstens gab es ehrgeizige Pläne von Adenauer und de Gaulle hinsichtlich einer deutsch-französischen Zusammenarbeit, die schließlich in der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages mündeten. Während seines triumphalen Besuches in der Bundesrepublik besuchte de Gaulle auch die ATH. Der Tag des Besuches bei der ATH, so schrieb de Gaulle später an Sohl, sei eine große Hoffnung für die deutsch-französi-

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HAEU CEAB 2023/2 Vertrag zwischen der August Thyssen-Hütte (…) und der Dortmund-Hörder

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TA A 7555 Sohl an Dr. Heinrich Potthoff 23. 5. 62, Sohl an Heinrich von Brentano 23. 5. 62, Sohl

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TA A 7555, gez. Steinmetz Über die Besprechung in Paris mit Herrn Féblot am 20. Mai 1962 23. 5.

Hüttenunion.

an Hellwig 23. 5. 62, Sohl an Adenauer 23. 5. 62.

62.

298 sche Freundschaft.191 Dies gab Sohl wohl die Hoffnung, dass von dieser Seite keine Schwierigkeiten mehr zu erwarten seien.192 Auf der anderen Seite gab es Anfang der sechziger Jahre einen generellen Trend zum Ausbau größerer Rohstahl- und Walzstahlkapazitäten, der auch durch die Einführung neuer Technologien wie die Oxygenstahlherstellung gefördert wurde. Die Rohstahlerzeugung per Unternehmen stieg ebenfalls beträchtlich. So baute die italienische Gruppe FINSIDER ein neues Stahlwerk in Taranto, welches die gesamte Rohstahlerzeugung des Konzerns bis zum Jahre 1966 auf über 10 Mio t steigern sollte.193 6.4.1 Die Genehmigung der SIDMAR-Gründung Weiter hatte die Hohe Behörde es mit einem Antrag zu tun, der an Bedeutung sofort mit dem Antrag ATH/PR verglichen wurde. So genehmigte die Hohe Behörde am 25. April 1962 die Neugründung des Unternehmens SIDMAR (Syndicat Sidérurgique Maritime). An SIDMAR waren die wichtigsten belgisch-luxemburgischen Stahlunternehmen bzw. Finanzholdings beteiligt, so die Société Générale de Belgique, Cockerill-Ougrée, la Compagnie financiére et industrielle ‚Cofindus‘, das luxemburgische Stahlunternehmen ARBED sowie das französische Unternehmen Schneider et Cie.194 Die Unternehmen gründeten nun mit SIDMAR in der Nähe von Gent ein neues Stahlwerk mit modernem Oxygenstahlwerk, spezialisiert auf die Flachstahlerzeugung und mit Zugang zum Meer, was vom Standort her mittlerweile als optimal angesehen wurde. Langfristig wurde eine Rohstahlproduktion von 6 Mio t geplant.195 Alle an SIDMAR beteiligten Unternehmen produzierten 10,6 Mio t Rohstahl. Im Unterschied zur westdeutschen Stahlindustrie, wo sich untereinander doch recht deutlich abgegrenzte Unternehmensgruppen gegenüberstanden, bestand sowohl die französische als auch die belgisch-luxemburgische Stahlindustrie aus kleineren Stahlunternehmen, die untereinander – durch gegenseitige finanzielle Beteiligungen – eng verflochten waren.196 Die Hohe Behörde entschied nun, dass infolge des SIDMAR-Antrags die vier beteiligten Gruppen gemeinsam die SIDMAR-Anlagen kontrollierten – unter-

191 192 193 194

195 196

Willies, S. 307, ACDP I 083/038 Charles de Gaulle an Sohl 23. Januar 1963. TA A 7555 Sohl an Brentano 21. 9. 62. Margherita Balconi: La siderurgia italiana (1945–1990). Tra controllo pubblico e incentivi del mercato, Bologna 1991, S. 129f. Spierenburg, CECA, S. 717f., Eleventh General Report, p. 320ff., Michel Capron: The State, the Regions and Industrial Redevelopment, S. 692–790, in: Yves Meny, Vincent Wright (Hg.): The Politics of Steel: Western Europe and the Steel Industry in the Crisis Years (1974–1984), Berlin, New York, 1987. Swann, Competition, S. 208ff. Ders., S. 216.

299 einander aber rechtlich getrennt blieben.197 Die Genehmigung galt deshalb nur für die geplante gemeinsame Erzeugung, die ausschließlich Flachstahl betraf.198 Es wäre einmal interessant gewesen, welche Form von Beteiligungen die Hohe Behörde wettbewerbsfreundlicher einschätzte: eine klare Trennung zwischen größeren Unternehmen, wie in Deutschland, oder eine Struktur, in der kleinere Unternehmen untereinander verflochten waren – und eine gewisse gegenseitige Kontrolle ausüben konnten, um eine zu große Konkurrenz zwischen den beteiligten Unternehmen zu verhindern.199 Auf jeden Fall konnte die SIDMAR-Entscheidung hinsichtlich der zulässigen Größe von Unternehmen die Rahmenbedingungen für die Genehmigung des Antrags ATH/PR nur erleichtern. 6.4.2 Problemloser Antrag? In dem zweiten Antrag ATH/PR sollte die politische Unterstützung vom ehemaligen Außenminister von Brentano kommen. Dieser unterhielt sich Anfang September 1961 schon mit Couve de Murville, dem französischen Außenminister, über die Angelegenheit, wobei dieser sich wohl sehr passiv verhielt.200 Sohl wurde von der Kartellabteilung versichert, dass diesmal die Rahmenbedingungen für eine Genehmigung viel besser seien.201 Die neue ATH-Gruppe werde nur an dritter Stelle in der Erzeugung von Walzwerkserzeugnissen im Jahre 1965 stehen.202

197

198 199 200

201 202

Zwischen den vier Gruppen gab es wiederum finanzielle Verflechtungen. So waren an dem luxemburgischen Stahlkonzern ARBED auch der Schneider-Konzern mit 14,8 % beteiligt sowie die Société Generale de Belgique mit 16 %. HAEU CEAB 4/1021 An die Herren Mitglieder der Hohen Behörde, Betr. SIDMAR 12. 3. 1962, HAEU CEAB 2/1318 Protokoll über die 679. Sitzung der Hohen Behörde vom Mittwoch, den 25. April 1962, um 10 Uhr in Luxemburg, Luxemburg den 26. April 1962, Anlage 2, S. 11 High Authority, Eleventh General Report, S. 320ff. Ein Schaubild über die gegenseitige Verflechtung der Industrie in Belgien, Luxemburg und Frankreich, siehe Swann, Competition, S. 212. TA A 7555 12.9.62 Persönlich-Vertraulich Telefonische Durchsage eines Schreibens von Herrn D. von Brentano vom 10. 9. 62 Herrn Dr. Sohl, gez. Steinmetz, Der Außenminister, Gerhard Schröder, wurde über den Antrag informiert. TA A 7555 Gerhard Schröder an Sohl 6. 6. 62. TA A 7555 Dr Steinmetz an Herrn Dr. Kunze Dr. Spethmann 17. 9. 62 In steuerlichen Fragen wurde der ATH vom Finanzminister des Landes NRW mitgeteilt, dass die im Jahre 1959 gefundene Regelung wieder angewandt würde – egal wann der Zusammenschluss stattfinden würde. TA A 7555 Der Finanzminister des Landes NRW an ATH 3. 8. 62. TA A 7555 Steinmetz an Sohl 7. 12. 62, TA 7555 Steinmetz an Sohl 31. 1. 63, TA 7555 v. Brentano an Malvestiti 4. 2. 63. Der Vorschlag von Herrn Schmitz, Sachbearbeiter bei der Hohen Behörde, Hellwig als Leiter der Arbeitsgruppe vorzuschlagen, wurde ganz offenbar nicht befolgt. TA A 7555 Steinmetz an Sohl 31. 1. 63 Luxemburg, den 14. Februar 1963, TA A 7555 Wehrer an Sohl 22. 2. 63, Sohl an Etzel 4. 2. 63.

300 Die Kartellabteilung der Hohen Behörde kam in ihrem Bericht schließlich zu dem Schluss, dass es sich grundsätzlich um einen genehmigungsfähigen Antrag handeln würde. Wieder wurde darauf hingewiesen, dass ein Zusammenschluss nicht die Marktanteile an den einzelnen Walzstahlerzeugnissen erhöhen würde, da das Produktionsprogramm beider Unternehmen komplementär sei und sich nicht überschneide. Auch wurde auf die Tendenz zu einer Vergrößerung der Anlagen, die gerade die SIDMAR-Gründung aufzeige, hingewiesen, welche die oligopolistische Struktur des Marktes verstärken würde. Weiter wurde empfohlen, eine sich anbahnende Zusammenarbeit zwischen ATH, Mannesmann und der HOAG, welche zum Ziel hatte, die zweite Warmbreitbandstraße der ATH zur Auswalzung von bei Mannesmann und HOAG produziertem Rohstahl zu Coils zu nutzen, einer späteren Genehmigung zu unterstellen.203 Eine wirklich inhaltliche Auseinandersetzung über den Antrag fand erst wieder auf der Sitzung am 25. März 1963 statt. Das neue niederländische Mitglied der Hohen Behörde, Linthorst Homan, teilte dem Kolleg mit, dass die Arbeitsgruppe Wettbewerb eine Ablehnung des Antrags auf Zusammenschluss nicht ins Auge gefasst habe. Sie diskutiere die Zweckmäßigkeit von Auflagen.204 Das neue französische Mitglied, Reynaud, bemerkte, dass die Hohe Behörde eine Politik auf dem Gebiet der ‚Zusammenschlüsse‘ entwerfen solle. Ganz offensichtlich hatte sie dies bis zu diesem Zeitpunkt unterlassen. Schließlich wurde beschlossen, Herrn Sohl grundsätzlich über die Genehmigung zu unterrichten, ihm allerdings mitzuteilen, dass eine Auflage sehr wahrscheinlich sei.205 Weiter wurde die Arbeitsgruppe beauftragt, den ‚relevanten Markt‘ des Zusammenschlusses zu untersuchen. So wurde Sohl von Coppé telefonisch unterrichtet, dass die grundsätzliche Genehmigung der Hohen Behörde von der ATH der Öffentlichkeit mitgeteilt werden könne.206 Bei der ATH machte man sich nun schon Gedanken über eine mögliche rechtliche Auseinandersetzung mit der Hohen Behörde über Auflagen.207 Dabei kam man zu dem

203 204 205

206 207

HAEU CEAB 2452/2 Note à Messieurs les Membres de la Haute Autorité en vue de l’introduction aux débats relatifs à la concentration ATH/Phoenix-Rheinrohr, 11. 2. 1963, Sohl, S. 232f. HAEU CEAB 2/1322 Protokoll über die 731. Sitzung der Hohen Behörde vom 25. März, Strassburg, den 27. März 1963, S. 4ff. TA A 7558 Steinmetz an Sohl, Betr. Mannesmann-Verträge/Phoenix-Antrag 4. 4. 63, TA A 7558 Steinmetz an Sohl und Cordes Betr. Mannesmann Verträge 29. 3. 63. Dabei warnte Schmitz auch vor seinem Vorgesetzten Petrick, der keine Möglichkeiten sehe, Auflagen zu stellen und deshalb auf die Idee kommen könne, den Vertrag mit Mannesmann zu verhindern. TA A 7558 Vermerk Sohl, 27. 3. 63. Coppé informierte telefonisch persönlich Hans Günther Sohl mit den Worten: „Die Liebe zu Sohl ist grenzenlos.“ TA A 7558 Die ATH lieferte auch Zahlen an die Abteilung Stahl in der Hohen Behörde, um gegen das Argument der Preisführerschaft vorgehen zu können. Steinmetz an Spethmann Betr. Luxemburg 19. 3. 63, Steinmetz an Sohl Betr. Luxemburg 26. 3. 63, TA 7558 Telefonisch von Steinmetz an Herrn Dr. Spethmann Betr. Luxemburg 25. 4. 63.

301 Schluss, dass die Anfechtung der Auflagen einer Genehmigung dazu führen könne, dass der Gerichtshof die ganze Genehmigung für ungültig erklären würde. Damit müsste die ATH wieder einen völlig neuen Antrag stellen.208 6.4.3 Ende der Lieferbeziehungen mit den Hüttenwerken Siegerland? Auch in der französischen Regierung wurde mittlerweile über mögliche Auflagen für die Genehmigung nachgedacht. Der interministerielle Ausschuss für Fragen der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, welcher die Position der französischen Regierung in den europäischen Gemeinschaften koordinierte, betonte, dass es immer das Ziel der französischen Politik gewesen sei, die Wiederentstehung der VSt zu verhindern. Deshalb sei es wichtig, die Unabhängigkeit der Gruppe DHHU/HWS zu sichern. Der Coils-Vertrag zwischen ATH und der HWS gefährde aber die Unabhängigkeit der Gruppe DHHU/HWS. Der Preis, den HWS für die ATH-Coils bezahle, sei der offizielle Listenpreis, der allerdings nicht mit den tatsächlichen Marktpreisen übereinstimme. Weiter gebe es eine Gewinnbeteiligung der ATH an den verkauften Blechen der HWS. Die Lieferbeziehungen zwischen ATH und HWS seien noch so eng, dass diese einer Beteiligung von der ATH an der HWS gleichkommen. Alles in allem bringe der Vertrag unverhältnismäßige Vorteile für die ATH. Deshalb müsse nun in diesem Antrag die Unabhängigkeit der DHHU gefördert bzw. endgültig gesichert werden. Die französischen Mitglieder der Hohen Behörde sollten deshalb auf diese Tatsachen hingewiesen werden.209 Auf der nächsten Sitzung stellte die Arbeitsgruppe ihre theoretischen Überlegungen zu dem Thema ‚relevant market‘ vor. Schon bald war klar, in welche Richtung sich die Diskussion bewegen würde: So wiesen Reynaud und Lapie im Zusammenhang mit den Auflagen auf den Liefervertrag zwischen HWS und DHHU hin.210 Hellwig entgegnete, dass dieser Vertrag ja Bestandteil der Genehmigung der Hohen Behörde des Antrags HU/Rasselstein durch die ATH sei. In den nächsten Wochen stand nur noch der HWSLiefervertrag der ATH im Vordergrund.211 So berichtete die Kartellabteilung nun, dass die DHHU/HWS-Gruppe selber ihre Zukunft ziemlich pessimistisch einschätze. Die Werke im ‚östlichen Ruhrgebiet‘ seien nicht so günstig gelegen wie die Werke in Duisburg am Rhein. Allerdings sei es nicht die Aufgabe des Artikels 66, hier einen Ausgleich 208 209

210

211

TA A 7558 Steinmetz an Sohl, Betr. Anfechtung von Auflagen 26. 3. 63. MAE DE-CE 1092 Premier Ministre. Comité Interministeriel pour les questions de coopération

economique européenne. Sécretariat Général, Paris 30. 3. 1963, Note, Objet: Concentrations dans l’industrie sidérurgique allemande. Affaire Phoenix-Rheinrohr-August Thyssen. HAEU CEAB 2/1322 Protokoll über die 733. Sitzung der Hohen Behörde vom 24. April, Luxemburg, den 26. April 1963, TA 7558 Telefonisch von Steinmetz an Herrn Dr. Spethmann Betr. Luxemburg 25. 4. 63 HAEU CEAB 2/1322 Sonderprotokoll über die 736. Sitzung der Hohen Behörde vom 8. Mai 1963, Luxemburg, den 10. Mai 1963.

302 zu schaffen. Reynaud stellte dazu fest, dass der von der Hohen Behörde geforderte Abbau der Handelsbeziehungen zwischen DHHU/HWS und der HU der Gruppe DHHU/ HWS mehr geschadet habe. Die Auflage der Hohen Behörde habe das Gegenteil des erwünschten Ergebnisses – eine Stärkung der Unabhängigkeit der DHHU – erreicht. Schließlich wies Hellwig darauf hin, dass schon heute Hoesch 57 % der Warmbreitbandlieferungen an HWS übernehme, während die ATH 43 % liefere. Hoesch würde also die Coils-Lieferungen übernehmen, wenn diese nicht mehr von der ATH getätigt würden.212 Nun erinnerte man sich bei der ATH an Gespräche mit Willy Ochel, dem Vorstandsvorsitzenden der Hoesch AG, vom Dezember 1961, in denen dieser Sohl hatte wissen lassen, dass die Chancen für den Antrag ATH/PR sich deutlich verbessern würden, wenn die ATH die Coils-Liefermenge an die HWS reduzieren würde.213 Tatsächlich wurde nun der Liefervertrag ATH/HWS direkt von der DHHU angesprochen. Harders, vom Vorstand der DHHU, meinte dazu, dass sich die Situation ungünstig für die DHHU entwickle und fragte, ob Sohl nicht bereit sei, den Vertrag vorzeitig zu beenden. Dies lehnte Sohl entschieden ab.214 In der Hohen Behörde besprach man nun ganz offen das Kräfteverhältnis zwischen der DHHU und ATH. Die Kartellabteilung verfasste einen Bericht, in dem sie den wirtschaftlichen Nachteil des Coils-Vertrages der DHHU auf 1,5 Mio DM im Monat bezifferte. Allerdings gab es auch Stimmen wie Finet und Hellwig, die darauf hinwiesen, dass es nicht Aufgabe der Hohen Behörde sei, die DHHU zu schützen.215 Im Kreise der Hohen Behörde hatte die Arbeitsgruppe Wettbewerb der Hohen Behörde nun auch die Aufhebung des Liefervertrages ATH/HWS als Bedingung vorgeschlagen. Die Kartellabteilung und die Marktabteilung erhoben allerdings starke Bedenken gegen diese Auflage, da der Zusammenschluss ATH/PR nicht direkt mit der Gruppe DHHU/HWS zusammenhängen würde. Schließlich stellte die Rechtsabteilung fest, dass eine solche Auflage nur schwer mit dem Artikel 66 begründet werden könnte und deshalb das Risiko einer erfolgreichen Anfechtung vor dem Gerichtshof sehr hoch sei.216 Intern hatte man sich bei der ATH darauf abgestimmt, gegen die Auflagen beim Europäischen Gerichtshof zu klagen. Gleichzeitig wollte man dann DHHU/HWS-Verhandlungen über eine Abänderung des Vertrages anbieten.217 Seine Verhandlungsbereitschaft scheint Sohl auch Harders von der DHHU mitgeteilt zu haben; jedenfalls schickte Sohl 212 213 214 215 216 217

HAEU CEAB 2/1322 Sonderprotokoll über die 739. Sitzung der Hohen Behörde vom 22. Mai 1963, Luxemburg, den 27. Mai 1963. Der Anwalt der ATH hatte auch von Kontakten des Quai d’Orsay mit Ochel berichtet. TA A 7558 Dichgans an Sohl 22. 12. 61, Note 20 Avril 1962, Sohl an von Brentano 9. 5. 63. TA A 7558 Vermerk Sohl 9. 5. 63. TA A 7558 Vermerk Sohl 9. 5. 63, Sonderprotokoll über die Sitzung der Hohen Behörde vom 22. Mai 1963, Luxemburg, den 27. Mai 1963. Sonderprotokoll über die 741. Sitzung der Hohen Behörde vom 5. Juni 1963, Luxemburg, den 6. Juni 1963. TA A 7558 Sohl an Hellwig 4. 6. 63, 3. 6. 63 Aktenvermerk Betr. Stand unseres Antrages in Luxemburg.

303 ihm nach einem Telefongespräch eine schon formulierte Erklärung zu, mit der er bei der Hohen Behörde erklären sollte, dass der Liefervertrag in keinem Zusammenhang mit dem Antrag stünde.218 Eine solche Erklärung wurde von Harders abgelehnt, da die DHHU in das Verfahren gar nicht eingegriffen hätte und sich deshalb ein solches Schreiben gar nicht rechtfertigen würde.219 Ochel, der nun auch für die Hoesch AG erklären sollte, dass es keinen Zusammenhang gäbe zwischen dem Vertrag und dem Antrag, lehnte aus ähnlichen Gründen eine solche Erklärung bei der Hohen Behörde ab.220 Der Ton zwischen den Beteiligten wurde jetzt allerdings schärfer. So schrieb Sohl nun an Harders, dass er am 27. April 1963 gegenüber Harders einen Verzicht auf den Vertrag abgelehnt hätte. Am 3. Mai habe Ochel dann schriftlich den Vertragsverzicht gefordert. Erst dann sei diese Forderung auf einmal in Luxemburg diskutiert worden. Deshalb sei seine Bitte, diesen Sachverhalt bei der Hohen Behörde aufzuklären, „im Sinne der zukünftigen Beziehungen unserer Unternehmen“.221 Innerhalb der Hohen Behörde fand sich keine gemeinsame Linie. Reynaud, Coppé und Lapie sprachen sich dafür aus, die Genehmigung des Antrags solange aufzuschieben, bis der Vertrag nicht mehr bestehe. Hellwig und Finet sprachen sich gegen eine solche Auflage aus.222 Sohl machte selber in einem Gespräch mit Mitgliedern der Hohen Behörde deutlich, dass er die in Aussicht genommene „Auflage für diskriminierend, rechtlich unmöglich und kommerziell nicht berechtigt halte“. Die „gesamte Stahlindustrie der Gemeinschaft“ würde sich mit Sicherheit gegen eine solche Klausel wehren, da sie einen „Präzedenzfall“ schaffen würde.223 Schließlich wurde auch noch Harders von der DHHU nach Luxemburg gebeten. Er sagte, dass seine wirtschaftliche Situation sehr schlecht sei, dies sei aber nicht Sache der Hohen Behörde. Er wolle den Zusammenschluss nicht verhindern. Er vertraue nun auf die Fairness von Herrn Sohl hinsichtlich einer Änderung des Liefervertrages.224 Schließlich 218 219 220 221 222

223

224

TA A 7558 Sohl an Harders Mitglied des Vorstandes der DHHU 4. 6. 63. TA A 7558 Harders an Sohl 6. 6. 63, TA A 7557 27. 6. 63 Aktennotiz persönlich streng vertraulich (unterzeichnet von Brandi, siehe: Keller an Sohl 2. 7. 63 Betr. Zusammenschlussantrag ATH/Phoenix.) TA A 7558 Sohl an Willy Ochel 6. 6. 63. TA A 7558 Sekretariat Sohl an Sekretariat Harders telefonisch durchgegeben 11. 6. 63. Darauf er-

hielt Sohl eine versöhnliche Antwort von Harders.

HAEU CEAB 2/1322 Sonderprotokoll über die 743. Sitzung der Hohen Behörde vom 17. Juni

1963, Luxemburg, den 18. Juni 1963, Aktenvermerk 18. 6. 63 Steinmetz Betr. Sitzung der Hohen Behörde am 17. 6. 63. HAEU CEAB 2/1323 Sonderprotokoll über die 745. Sitzung der Hohen Behörde vom 25. Juni 1963, Strassburg, den 26. Juni 1963, S. 1ff., TA A 7557 26. 6. 63 Aktenvermerk Betr. Besprechung von Herrn Dr. Sohl in Strassburg mit den Herren Coppé, LH, R und Hettlage (Gespräch fand am 25.6 statt). HAEU CEAB/1323 Sonderprotokoll über die 747. Sitzung der Hohen Behörde vom 3. Juli 1963, Luxemburg, den 4. Juli 1963, TA A 7557 Aktenvermerk 3. 7. 63 Steinmetz, Sohl an Harders 3. 7. 63. HAEU CEAB 2/1323 Sonderprotokoll über die 747. Sitzung der Hohen Behörde vom 3. Juli 1963, S. 1f., und Sonderprotokoll über die 747. Sitzung der Hohen Behörde vom 3. Juli 1963, Luxemburg, den 4. Juli 1963, S. 14.

304 fiel doch noch die Entscheidung in Luxemburg. Erst hatte Hellwig die mit der ATH abgesprochenen „Kompromisse“ als Auflagen vorgeschlagen, dann schlug allerdings Karl Hettlage, das zweite deutsche Mitglied der Hohen Behörde, noch weitergehende Auflagen vor, die dann auch prompt von einer Mehrheit der Mitglieder der Hohen Behörde angenommen wurden.225 So wurde beschlossen, dass die Coils-Vertragszeit bis zum 31. Dezember 1966 zu begrenzen sei. Der Vertrag solle nicht mehr als 33,5% der Bedarfsmenge der HWS abdecken. Schließlich verfalle die Genehmigung, wenn der Vertrag bis zum 31. Dezember 1963 nicht dementsprechend abgeändert sei.226 Hellwig äußerte in der entscheidenden Sitzung allerdings seine „stärksten Bedenken“ gegen diese Auflage.227 Die Rechtfertigung der Entscheidung unterschied sich zu den vorhergehenden Entscheidungen der Hohen Behörde schon dadurch, dass der relevante Markt, das heißt, „der Markt“ (…), „auf dem die Erzeugung der beteiligten Unternehmen mit der anderer Unternehmen im Wettbewerb steht“, zum ersten Mal definiert wurde.228 Dies sei das Gebiet der Bundesrepublik; nur bei der Flachstahlerzeugung ist als Markt das Gebiet des Gemeinsamen Marktes, ausschließlich Italien, anzusehen. Auch wurde anerkannt, dass der gemeinsame Markt eine „oligopolistische Struktur“ aufweise.229 Die Beurteilung der Entscheidung wurde also immer mehr verfeinert – nur hatte dies mit den Entscheidungsprozessen innerhalb der Hohen Behörde nichts zu tun. Bei der ATH war man mit dem Ergebnis nicht zufrieden.230 Gleichzeitig wurde von Mitarbeitern Hellwigs der ATH zu verstehen gegeben, dass die Erfolgschancen für eine Klage beim Europäischen Gerichtshof sehr gut seien.231 Ende August reichte die ATH gegen die Hohe Behörde Klage ein – auch auf Rat des früheren Vizepräsidenten der Ho225

226 227

228 229

230 231

HAEU CEAB 2/1323 Sonderprotokoll über die 747. Sitzung der Hohen Behörde vom 3. Juli 1963,

S. 1f., und Sonderprotokoll über die 747. Sitzung der Hohen Behörde vom 3. Juli 1963, Luxemburg, den 4. Juli 1963, S. 16, Sonderprotokoll über die 748. Sitzung der Hohen Behörde vom 10. Juli 1963, Luxemburg, den 11. Juli 1963, S. 7, Anlage 1, Entscheidung vom 10. Juli 1963 über die Genehmigung des Erwerbs der Mehrheit der Aktien der Phoenix-Rheinrohr Aktiengesellschaft Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke durch die August Thyssen-Hütte Aktiengesellschaft. Zu Hettlage: Mauve Carbonel: Karl Maria Hettlage (1902–1995): un expert au service de l’Europe et des Allemagnes, Journal of European Integration History, 2006, Volume 12 (1), p.67–86 TA A 7557 Aktennotiz 3. 7. 63, 1. Aktennotiz Steinmetz 4. 7. 63, 2. Aktennotiz Steinmetz 4. 7. 63, Aktennotiz Dr. Kunze 4. 7. 63. HAEU CEAB 2/1323 Sonderprotokoll über die 748. Sitzung der Hohen Behörde vom 10. Juli 1963, Luxemburg, den 11. Juli 1963, S. 7, Anlage 1, Entscheidung vom 10. Juli 1963 über die Genehmigung des Erwerbs der Mehrheit der Aktien der Phoenix-Rheinrohr Aktiengesellschaft Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke durch die August Thyssen-Hütte Aktiengesellschaft. Ders., S. 4. HAEU CEAB 2/1323 Sonderprotokoll über die 748. Sitzung der Hohen Behörde vom 10. Juli 1963, Luxemburg, den 11. Juli 1963, Anlage 1, Entscheidung vom 10. Juli 1963 über die Genehmigung des Erwerbs der Mehrheit der Aktien der Phoenix-Rheinrohr Aktiengesellschaft Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke durch die August Thyssen-Hütte Aktiengesellschaft, S. 9. TA A 7557 2. Aktennotiz Steinmetz 4. 7. 63. TA A 7557 Besuch von Dr. Krafft Kabinettschef Hellwig 6. 7. 63.

305 hen Behörde, Franz Etzel.232 Die Klage wurde allerdings aus taktischen Überlegungen erhoben. In der Entscheidung gab es eine gesetzte Verhandlungsfrist für einen neuen Vertrag ATH/HWS – dies war ein großer Verhandlungstrumpf für DHHU/HWS. Weiter wäre es ein Prozessrisiko gewesen, wenn der Gerichtshof die ganze Genehmigung wegen mangelhafter Begründung aufgehoben hätte, da dann die ATH noch lange Zeit auf die Genehmigung hätte warten müssen. Der Coils-Vertrag zwischen ATH und HWS wurde dann entsprechend der Auflage der Hohen Behörde abgeändert und die Klage zurückgezogen, womit die Genehmigung des Zusammenschlusses erreicht wurde.233 Wie aufgezeigt vermutete die ATH gerade beim letzten Antrag, dass die Entscheidung nicht von wettbewerbsrechtlichen Prinzipien abhing, sondern vom betriebswirtschaftlichen Interesse der Konkurrenz. Mit dieser Einschätzung lag sie nicht falsch. Hier soll nun untersucht werden, inwieweit konkurrierende Unternehmen auf die drei Verfahren Einfluss nahmen. Die Hohe Behörde hatte die Gruppe DHHU/HWS/Hoogovens anerkannt.234 Aber welche Rolle spielte die Hoesch AG? Gab es eine gemeinsame Strategie dieser Unternehmen, um die Entscheidungen der Hohen Behörde über die Anträge der ATH in ihrem Sinne zu beeinflussen?

6.5 Die Unternehmen DHHU/Hoogovens und Hoesch – Gegenspieler der ATH? Hier soll nun kurz auf die Geschichte der Beziehungen zwischen diesen Unternehmen eingegangen werden, um ihren Einfluss auf das Verfahren besser analysieren zu können. Die Dortmund-Hörder Hüttenunion AG (DHHU), die hauptsächlich aus zwei Hüttenwerken in Dortmund und im benachbarten Hörde bestand, war nach 1945 das Unternehmen mit der größten Rohstahlerzeugung in der Bundesrepublik. Das Unternehmen ist ein gutes Beispiel dafür, dass die reine Rohstahltonnage nichts über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens aussagt. Das Unternehmen produzierte nämlich kaum Walzstahl, das am Markt entscheidende Endprodukt, sondern hauptsächlich Halbzeug, welches von Walzwerken weiterverarbeitet werden musste.235 Weiter waren die 232 233 234

235

TA A 7557 Sohl an Brentano 9. 7. 63. TA A 7569 Sohl an von Brentano 28. 12. 63, Etzel an Sohl 31. 12. 63, Spierenburg, S. 714. CEAB 2/1313 Protokoll über die 578. Sitzung der Hohen Behörde vom 18. Mai 1960, Luxemburg, den 19. Mai 1960, S. 6ff., HAEU CEAB 2/1323 Sonderprotokoll über die 748. Sitzung der Hohen

Behörde vom 10. Juli 1963, Luxemburg, den 11. Juli 1963, Anlage 1, Entscheidung vom 10. Juli 1963 über die Genehmigung des Erwerbs der Mehrheit der Aktien der Phoenix-Rheinrohr Aktiengesellschaft Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke durch die August Thyssen-Hütte Aktiengesellschaft, S. 7. Bernd Huffschmid: Das Stahlzeitalter beginnt erst, München 1965, Zur Entwicklung der DHHU, S. 147ff.

306 Produktionsanlagen völlig veraltet. Das Thomasstahlwerk in Hörde stammte noch aus dem Jahre 1879. Ein Zusammengehen mit der DHHU lehnte die Hoesch AG im Rahmen der Neuordnung Anfang der fünfziger Jahre ab, da man sich nicht mit „veralteten und sehr einseitig orientierten Anlagen befassen wollte“.236 Bei der DHHU wurden nun umfangreiche Investitionen durchgeführt – gerade auch um die Walzstahlerzeugung auszubauen. Dabei wählte man die Erzeugung von Grobblechen, insbesondere Schiffsblechen, deren Absatz in den fünfziger Jahren allerdings eher stagnierte und deutlich hinter der boomenden Nachfrage für Feinbleche zurückblieb. Hoogovens wurde bei der DHHU mit ca. 40 % Großaktionär. Das Werk Hörde war Teil der alten Phoenix-Gruppe, an der sich Hoogovens schon 1921 beteiligt hatte und die dann 1926 in den Vereinigten Stahlwerken aufging.237 Die Hoogovens-Beteiligung an der Ruhrstahlindustrie diente nicht in erster Linie kommerziellem Interesse. Es ging auch darum, die wirtschaftliche und technische Entwicklung des damals bedeutendsten Montanreviers Westeuropas möglichst nah verfolgen zu können. Dass sich im Bereich der Vereinigten Stahlwerke sehr früh neue Unternehmenszusammenschlüsse anbahnten, darüber wurde man bei Hoogovens schon sehr früh von der DHHU informiert. So berichtete Harders, Vorstandsmitglied der DHHU, schon am 23. Januar 1954, dass sich eine Zusammenfassung der Werke Phoenix, ATH, Rheinische Röhrenwerke und Niederrheinische Hütte anbahne.238 Es gibt allerdings keinen Nachweis, dass Hoogovens eine maßgebliche Rolle auf die Geschäftsführung der DHHU ausübte oder auch in die Neuordnungsdiskussion aktiv eingriff.239 Vielmehr war man bemüht, die Kontrolle der DHHU durch einen niederländischen Großaktionär, an dem indirekt auch der niederländische Staat beteiligt war, nicht zu sehr in Erscheinung treten zu lassen.240 Das erste Dokument einer intensiveren Zusammenarbeit ist eine Vereinbarung vom 19. September 1958 über verstärkte technische Zusammenarbeit.241 236 237 238

239

240 241

Hoesch 5220 Ochel an Janberg, 10. 7. 1961, Entwicklungen auf dem Gebiet des Eisenhandels. Hoogovens DHHU 2076 Berichten in Jaarsverslagen Koninklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken N. V., Ijmuiden betreffende Dortmund-Hörder Hüttenunion AG., Dortmund. Hoogovens DHHU 2073 Harders an Ingen Housz 23. 1. 1954, Betr. Ihr Schreiben vom 15. 1. 1954, Es wurde bei der DHHU auch vermutet, dass die Coilsverträge der ATH mit Abnahmeverpflichtungen von Halbzeug gekoppelt waren. Hoogovens DHHU 2073 Ausführungen über die Verkaufsauflage Aufsichtsratsitzungen am 16. 3. 1954 Janaschek, S. 6. Hoogovens DHHU 2073 Harders an Ingen Housz 10. 3. 1954, Schnell wurde allerdings klar, dass die Produktionskosten bei der DHHU erheblich höher waren als bei Hoogovens DHHU 2073 Vertrouwelijk, 22 Juli 1953, v. Casteren, Kostprijzen DHHU, Notitie voor de Heer Ingen Housz, Ingen Housz an Harders 23. 1. 1954. Zum Beispiel Hoogovens DHHU 2075 Ingen Housz an Elshoff 22. 2. 1955, Abs. an Ingen Housz 15. 4. 1955. Hoogovens DHHU 2075 19.91958, Vereinbarung zwischen Koninklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken N. V. Ijmuiden/Holland, nachstehend kurz „Hoogovens“ genannt, und Dortmunder Hörder Hüttenunion AG Dortmund, nachstehend kurz „Hüttenunion“ genannt.

307 Vielmehr demonstrierte die Stahlflaute im Frühjahr 1959 die Krisenanfälligkeit der

DHHU, was bei der DHHU auch mit der ungünstigen Struktur aus der Neuordnung be-

gründet wurde. Ein engeres Zusammengehen, welches Hoogovens auch wirtschaftlich an die DHHU anbinden würde, wurde deshalb bei Hoogovens skeptisch beurteilt.242 Trotz der Mehrheitsbeteiligung von Hoogovens kann von einer Gruppe DHHU/Hoogovens, im Sinne einer einheitlich abgestimmten Geschäftsführung, zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede sein. So kam es, dass die DHHU über die HU, aber auch noch über einige andere Beteiligungen im Rohstoffbereich eng mit den anderen Nachfolgegesellschaften der VSt verflochten blieb. Auch auf die Entscheidung der DHHU, ein Paket der HWS zu erwerben, ist kein Einfluss von Hoogovens nachzuweisen.243 Ursprünglich wollte die ATH im Frühjahr 1957 einen Coils-Vertrag über monatliche Lieferungen von 44000 t für eine Dauer von dreißig Jahren gegen eine Abgabe ihrer HWS-Aktien durchsetzen.244 Diese Menge wurde dann allerdings noch auf 22000 t pro Monat gesenkt.245 Nach dem Scheitern des ersten PR/ATH-Antrags weigerte sich die ATH, das Paket zu verkaufen.246 Dass Hoogovens selber die Coils-Lieferungen für HWS übernehmen könnte, stand dabei offensichtlich nicht zur Debatte.247 Es gab allerdings einen anderen Interessenten für die Coils-Lieferungen an die HWS. War bis zum Jahr 1958 auf dem Gebiet der Bundesrepublik nur die kontinuierliche Breitbandstraße der ATH in Betrieb, so fingen im Laufe des Jahres 1958 auch die halbkontinuierlichen Straßen der Klöckner AG und der Hoesch AG an, Coils zu produzieren. Der ATH-Anteil an den Coils-Lieferungen in der Bundesrepublik fiel so im Laufe des Jahres 1958 von 86 % auf rund 66 %.248 Anscheinend war es der DHHU-Vorstand sowie die HWS selber, die nun Hoesch für einen Anteil der Coils-Lieferungen für die HWS ins Gespräch brachte.249 Die HWS wollten nun neben den Coils von ATH und Hoogovens, die oft mit Terminschwierigkeiten zu kämpfen hatten, auch Coils von Hoesch bezie-

242

243 244

245 246 247 248 249

Hoogovens DHHU 2075 A. Drijver an Harders 14. 5. 1959, (D. H.H.U, 11–2–59) Enige punten van vergelijking met ons eigen bedrijf, Stellungnahme zu dem Bericht aus Ijmuiden: „Eine allgemeine Beurteilung des technisch-wirtschaftlichen Wertes der DHHU.“ Siehe Huffschmid, Stahlzeitalter, S. 153. Die 44000 t entsprachen dem ersten Liefervertrag zwischen ATH und HWS. CEAB 2/2453 Note für die Herren Mitglieder der Hohen Behörde, Luxemburg, den 18. April 1963, S. 15, Sohl 868 Steinmetz an Cordes 10. 7. 1961 Betr:. Siegerland. TA Sohl 0865 Sohl an Kühnen, Birrenbach 15. 10. 1959. Hoogovens DHHU 2075 Justman Jacob 13 September 1958 Punten voor het gespreek met Minister Etzel. Hoogovens DHHU 2075 Justman Jacob 13 September 1958 Punten voor het gespreek met Minister Etzel. TA A 7790 Niederschrift über die Aufsichtsratsitzung der ATH AG, 27. 8. 1959. Hoesch 5217 Fr an Dr Harr, 12. 2. 1959 Betr. Besuch bei Herrn Illert, DHHU am 11. 2. 1959, Fr an Herrn Ochel Betr. Besprechung mit Herrn Illert, DHHU, am 13. 3. 1959.

308 hen.250 Jedenfalls sah man bei Hoesch den Zusammenhang mit dem Genehmigungsantrag PR/ATH. So schrieb Ochel an seinen Aufsichtsratvorsitzenden schon im April 1959: Alle anderen größeren Kaltwalzkapazitäten in Deutschland waren hinsichtlich der Bandlieferung schon seit einigen Jahren fest an die ATH gebunden, insbesondere Stahlwerke Bochum (10-jähriger Vertrag), Rasselstein und Hüttenwerke Siegerland. (…) Die ATH besitzt 35 % des Aktienkapitals von Hüttenwerke Siegerland und möchte nun diese 35 % an die DHHU verkaufen und damit einen weiteren, wahrscheinlich zehnjährigen Liefervertrag auf 20000 to durch die Hüttenunion bei Siegerland erzwingen. Andererseits ist sie nach meinem Wissen gezwungen, die 35 % zu verkaufen, um bei der HB, die Genehmigung zum Zusammenschluß mit PR zu bekommen (…). Uns geht es aber darum, einen größeren Liefervertrag mit Hüttenwerke Siegerland zu bekommen. Dortmund Hörde seinerseits ist gezwungen, wenn es Breitbandlieferungen durchführen will, auf uns, ATH oder Klöckner zurückzugreifen, da es selbst keine Breitbandtandemstrasse besitzt (…). Das würde bedeuten, dass auf jeden Fall die ATH, die eine so umfassende Beschäftigung auf dem Gebiet der Coils hat, das Ostruhrgebiet einschließlich Siegerland den beiden Werken überläßt und die Hüttenunion keinen weiteren Liefervertrag nach dem 1. Januar 1960 zustimmt. (…) Der Firma Hoogovens ist klar, dass die Hüttenunion auf sich allein gestellt ein Torso ist und dass große Investitionen gemacht werden müßten, die bei Hoesch bereits durchgeführt worden sind. (…)251

Dieser Brief vom April 1959, also noch im Anfangsstadium des ersten Genehmigungsverfahren ATH/PR, zeigt die Konsequenzen der Bildung der ATH-Unternehmensgruppe auf die übrige Stahlindustrie an der Ruhr – und insbesondere auf die unmittelbaren Wettbewerber, die ebenfalls Coils produzierten. Die ATH hatte es sehr gut verstanden sich Kunden für ihre Coils, die Vormaterial für die Blechherstellung waren, langfristig zu sichern, als sie die einzige moderne Warmbreitbandstraße in der Bundesrepublik betrieb. Die ATH-Konkurrenten mit Breitbandstraße sahen sich mit einer Situation konfrontiert, ihr Warmbreitband selber durch aufwändige Investitionen auf noch zu errichtenden Kaltstraßen zu verarbeiten. Die möglichen Coils-Kunden waren schon vertraglich an die ATH gebunden. Sowohl bei Hoesch als auch bei der DHHU sah man nun eine Möglichkeit, die eigene Kapazitätsausnutzung durch eine Verringerung des Volumens des ATHLiefervertrages an die HWS zu verbessern. Einen sich anbahnenden Dreibund zwischen DHHU/HWS und Hoesch sah man auch bei Hoogovens mit Interesse. So produzierte nun die DHHU das Halbzeug, welches bei Hoesch zu Coils gewalzt wurde und dann zur Kaltwalzung an die HWS geliefert wurde.252 Ob diese Konstellation nun dazu beitrug, dass das Volumen des ATH-Liefervertrags an die HWS während der Verhandlungen über den Verkauf der HWS-Beteiligung verringert wurde, kann hier nicht entschieden werden. Sicher scheint, dass weder 250

251 252

Hoesch 4403 Aktenvermerk Stamme/Franksen 20. 3. 1959. Hoesch 5217 Fr an Dr Harr, 12. 2. 1959 Betr. Besuch bei Herrn Illert, DHHU am 11. 2. 1959, Fr an Herrn Ochel Betr. Besprechung mit Herrn Illert, DHHU, am 13. 3. 1959. Hoesch 5217 Ochel an Bechtolf 21. 4. 59. Hoogovens DHHU 2075 DHHU den 27. Januar 1960.

309 Hoesch, die DHHU, HWS oder Hoogovens einen Kontakt mit der Bundesregierung während dieses Verfahrens hatten – im Gegensatz zur ATH. Sicher ist auch, dass ein Scheitern des ATH/PR-Antrags nicht im Interesse von DHHU, Hoesch, HWS oder Hoogovens war. Mit dem Rückzug des Antrags blieb die Situation erst einmal beim Alten. Dies unterstützt die Argumentation, dass der ATH/PR-Antrag insbesondere aus prinzipiellen Prestigegründen und nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen zum Scheitern gebracht wurde. Ganz offensichtlich hatte auch die französische Botschaft nun Kontakte mit Ochel, dem Hoesch-Vorstandsvorsitzenden und Konkurrenten der ATH.253 In einem Exposé an das Hoesch-Aufsichtsratmitglied, Dr. Janberg von der Deutschen Bank, schilderte er die Situation aus seiner Sicht im Juni 1961, zu einem Zeitpunkt, als in Luxemburg wie beschrieben das zukünftige Verhältnis HWS/DHHU/HU/ATH verhandelt wurde und die französische Regierung in ihrem Memorandum an die Bundesregierung eine klare Trennung zwischen den Vertriebswegen DHHU/HWS und ATH/HU schon im Januar 1961 gefordert hatte: Zu diesem Zeitpunkt haben die Hohe Behörde und auch der Quai d’Orsay Hoesch als den Favoriten angesehen, den Gordischen Knoten zu durchschlagen. Wenn Hoesch und DHHU einen gemeinsamen Handel hätten, ATH sich vollkommen aus dem Ostruhrgebiet einschließlich Siegerland heraushalten würde, so wäre für die Hohe Behörde und den Quai d’Orsay nach deren Dafürhalten die Sicherheit gegeben, dass Herr Sohl nicht zu irgendeinem Zeitpunkt auch noch die DHHU einschließlich Siegerland in seinem Machtbereich einschließen könnte. (…) Herr Sohl betreibt selbst ein Dreifach-Tandem und baut ein weiteres Kaltwalzwerk. Über Rasselstein ist er stark im Feinstblech für die Emballagenindustrie engagiert. Wir wissen genau, dass er Nachlässe an das Volkswagenwerk gewährt hat und Siegerland in seinen Preisen stabil blieb. (…) Meine Meinung geht dahin, man sollte (…) bei Verkauf der 35 % Siegerland von ATH und DHHU auch die Freigabe der 13000 to als Lieferung verlangen.254

Aus diesem Memorandum geht hervor, dass die ATH tatsächlich Nutzen aus der Situation zog, dass sie mit HWS und Rasselstein die beiden größten Weißblechhersteller in der Bundesrepublik belieferte. So belieferte sie Rasselstein offensichtlich billiger als die HWS. Dies war aus ihrer Sicht durchaus rational, denn mit Rasselstein hatte sie eine langfristige Zusammenarbeit vertraglich vereinbart, während die HWS von der Konkurrenz kontrolliert wurde. Dies wiederum erklärt, wie wichtig die Klärung des Coils-Vertrages zwischen der ATH und der HWS war – und gerade auch die Preisfrage. Bei Hoogovens und der DHHU war man übereingekommen, dass man einen Abbau der Lieferungen zwischen HWS und ATH innerhalb von zehn Jahren fordern solle.255 253 254 255

Siehe auch Hoogovens DHHU 2076 Ijmuiden 27 Januari 1961 Korst verslag gesprek tD/Abs d. d. 25 januari te Düsseldorf na afloop van de vergadering van de Finanzausschuss D.H.H.U. Hoesch 5220 Ochel an Janberg 10. 7. 61, Entwicklungen auf dem Gebiet des Eisenhandels 10. 7. 61. Hoogovens DHHU 2076 Vertraulich Ijmuiden, den 22. Juni 1961, Niederschrift über die Besprechung in der Rijzenburg am 13. 6. 1961, Anwesend: DHHU, die Herren Elshoff und Barz, KNHS: Die Herren Bentz van den Berg, Justman Jacob, Langkemper und van Vliet. Gesprächsthema: Übernahme des 35 %-Paketes der Hütte.

310 Hoesch wäre ein sofortiges Ende lieber gewesen. Wichtig sei, dafür zu sorgen, dass die HWS bei diesen Lieferungen preislich keinen Nachteil gegenüber ihren Konkurrenten haben werde. Die nun von der DHHU/HWS und der ATH bei der Hohen Behörde vorgelegten Vertragsentwürfe wurden bei Hoogovens kritisiert, da sie genau diese Gleichstellung nicht garantieren würden. Gerade die Formulierung, dass die Lieferung zum jeweiligen „Marktpreis“ abgerechnet würde, wurde als zu vage kritisiert.256 Mit der Bewilligung des ATH/Rasselstein-Antrags konnte die ATH dann mit der Genehmigung der Hohen Behörde einen weiteren Coils-Liefervertrag über zehn Jahre mit der HWS schließen. Wie von der ATH vermutet wurde, stand nun Hoesch bereit, die frei gewordenen Lieferungen zu übernehmen. Warum letztlich diese Konstellation Hoesch/DHHU/Hoogovens nicht in der Lage war, die Bedingung zu fordern, den Vertrag ATH/HWS zu beenden, kann nicht endgültig beantwortet werden. Wieso dann schließlich trotz Warnungen Hoogovens einer Preisklausel zugestimmt wurde, die eine Schlechterstellung der HWS gegenüber anderen Kunden der ATH nicht verhinderte, ist wiederum schwer erklärbar. In der Hohen Behörde interessierte sich offensichtlich keiner für diese so wichtigen Detailfragen. Die Kartellabteilung sollte sogar später behaupten, dass die Coils zu „Tagespreisen“ abgerechnet würden.257 Beim zweiten Antrag ATH/PR entschloss man sich dann zu einer direkten Konfrontation mit der ATH. So forderte das DHHU-Vorstandsmitglied Harders am 27. April 1963 und Ochel in einem Brief an Sohl vom 3. Mai 1963 ein Ende des Vertrages ATH/HWS, um ein Gleichgewicht zwischen ‚östlichem‘ und ‚westlichem‘ Ruhrgebiet herzustellen. Dies würde die Genehmigungsantrags-Chancen erheblich erhöhen.258 So Ochel an Sohl:259 Dieser Liefervertrag bedeutet tatsächlich eine ganz wesentliche Abhängigkeit der Hüttenwerke Siegerland und damit der Hüttenunion von der August-Thyssen Hütte. (…) Ich werde mich jedenfalls, wie Ihnen bereits angekündigt, auch um unserer Nachkommen im Amt willen sowohl im Interesse des östlichen Ruhrgebiets als auch im Interesse der eigenen Gesellschaft dagegen wehren, dass die August Thyssen Hütte auf das Geschehen im östlichen Ruhrgebiet, wenn auch nur mittelbar, Einfluß behält. (…) Berücksichtigt man, welche Mühe und Opfer die gesamte deutsche Stahlindustrie auf sich genommen hat, um ihnen bei der Erfüllung einer nationalen Aufgabe, nämlich der Wiedererichtung der August Thyssen Hütte und deren demontierte Breitbandstrasse zu helfen, so meine ich, dass ich Ihnen einen guten Rat geben würde, wenn Sie von sich aus dem, der durch sein Programm auf der Schattenseite der wirtschaftlichen Entwicklung steht, den Weg dafür freigeben würden, dass er wenigstens sein eigenes Werk in vollem Umfang beliefern kann, zumal die August Thyssen-Hütte nach Ihren eigenen Worten mit ihren Erträgen dank ihres guten Programms vollauf zufrieden sein kann. 256

257 258 259

Hoogovens DHHU 2076 Deelnemingen Ijmuiden 3 augustus 1961, Van Vliet, Verdragen ATHDHHU-Handelsunion en H.W.S., Ijmuiden 18 september 1961 van Vliet Algemene zaken, Deelnemingen Contracten ATH-DHHU-HWS. HAEU CEAB 02/2453 Note fuer die Herren Mitglieder der Hohen Behörde, 18. April 1963, S. 15. Siehe dazu Hoesch 4040–1a Franksen an Hümme 11. 6. 63, Ochel an Sohl Entwurf 10. 6. 63. Hoogovens DHHU 2611 Ochel an Sohl 3. Mai 1963.

311 Dass Hoesch oder die DHHU vorher Kontakt mit der französischen Regierung hatten, ist zu vermuten, denn die französische Regierung stützte sich bei ihrer Entscheidung, den Coils-Liefervertrag zwischen HWS und der ATH möglichst zu beenden, auf sehr detaillierte Informationen über die tatsächlichen Lieferbedingungen. Die Verbindungen Hoesch/DHHU/Hoogovens lassen also einige Fragen offen bezüglich der Behandlung der Anträge der ATH in Luxemburg. Sicher ist, dass diese Unternehmen ihre Position in der Hohen Behörde nicht so effektiv vertreten konnten wie die ATH. Der Einfluss der ATH war bedeutend größer, was nicht zuletzt daran lag, dass die Bundesregierung im ersten Antrag ganz massiv die Strategie der Thyssen-Gruppe vertreten hatte und zumindest Fritz Hellwig innerhalb der Hohen Behörde Positionen vertrat, die den Thyssen-Interessen sehr entgegen kamen. Hier hatte die viel heterogenere Gruppe DHHU/HWS/Hoogovens zusammen mit Hoesch viel größere Schwierigkeiten, ihre Anliegen innerhalb der Hohen Behörde zur Sprache zu bringen. Die Verbindungen zeigen aber, dass das Genehmigungsverfahren von Zusammenschlüssen der ATH nach Artikel 66 viel mehr war als nur ein technisches Prüfungsverfahren nach wettbewerbsrechtlichen Kriterien der Hohen Behörde. Letztlich waren es Verhandlungen über die künftige Struktur der Thyssen-Unternehmensgruppe, im Laufe derer sich grenzüberschreitende Interessenskoalitionen ergaben, die man nicht unbedingt erwartet hätte. Die jeweiligen Ergebnisse der Genehmigungsverfahren wiederum lassen sich durch die jeweilige Verhandlungsmacht der beteiligten Akteure erklären.

6.6 Zusammenfassung Welche Bilanz kann man hinsichtlich der Zusammenschlusspolitik der Hohen Behörde nach Betrachtung der drei Genehmigungsanträge der ATH ziehen? Die Hohe Behörde ging in die Prüfung der Anträge, ohne dass sie in den zurückliegenden Entscheidungen ein einheitliches Konzept oder eine Methodik entwickelt hatte, um die formelle Rechtssprache des Artikel 66, das ‚formelle Mandat‘, in kohärenten Entscheidungen umsetzen zu können. Es war schlicht und einfach nicht möglich vorauszusagen, wann die Hohe Behörde die Genehmigung eines Unternehmenszusammenschlusses nach Artikel 66 § 2 verweigern würde. Ein Indiz dafür ist, dass die Mitglieder der Hohen Behörde sehr unterschiedliche, oft auch wechselnde und sich widersprechende Positionen vertraten. So wurde der Komplex des ATH/HWS-Liefervertrages sowie die DHHU/HWS-Lieferbeziehungen zur HU in allen Verfahren unterschiedlich – und zum Teil auch widersprüchlich – gehandhabt. Überlegungen, die Hamburger schon im Herbst 1957 und Frühjahr 1958 im Sinne einer klaren Trennung der VSt-Nachfolgegesellschaften schriftlich formulierte, flossen in die Entscheidungsfindung der Hohen Behörde später nicht mehr ein. Ein weiteres Indiz ist, dass sich die Fachabteilungen eines Urteils enthielten und sie die Entscheidung über den

312 Antrag der in dieser Frage völlig uneinigen politischen Führung ihrer Institution überließen. So wurde der Artikel 66 nicht so sehr Ausgangsbasis für die Entwicklung und Formulierung von rechtlichen oder auch ökonomischen Grundsätzen hinsichtlich einer Zusammenschlusspolitik, sondern der Bezugspunkt in der Auseinandersetzung über die so genannte ‚Rückverflechtung der deutschen Stahlindustrie‘, die ab 1958 eigentlich nur noch die Herausbildung einer neuen Thyssenunternehmensgruppe um die ATH war – also das ‚informelle Mandat‘. Diese Auseinandersetzung lief in verschiedenen Phasen ab. Während des ersten ATH/PR-Antrags war es das Ziel der französischen Regierung, den Artikel 66 als ‚Mitbestimmungsinstrument‘ weiter aufrechtzuerhalten. Dies war ja von der Bundesregierung im EGKS-Vertrag akzeptiert worden. Vorsichtige Kontaktaufnahmen mit der Bundesregierung, dieses Thema angesichts der Anträge ATH/PR, Krupp/Bochumer Verein einmal bilateral zu besprechen, wurden Anfang 1959 von der Bundesregierung zurückgewiesen. Der Antrag ATH/PR wurde von der Bundesregierung ohne ernsthafte Analyse voll unterstützt, wobei der direkte Kontakt der Thyssen-Gruppe zu Bundeskanzler Adenauer hervorzuheben ist. Merkwürdigerweise bat dann die Bundesregierung im Laufe des Verfahrens auf einmal die französische Regierung um Unterstützung, obwohl Sachgespräche zwischen beiden Regierungen über dieses Thema von der Bundesregierung abgelehnt worden waren. Dass dies eine Gegenreaktion bei der französischen Regierung provozieren würde, darf nicht verwundern. So konnten die Gegner einer Genehmigung des Antrags, wobei hier insbesondere Lapie und Spierenburg zu nennen sind, Bedingungen durchsetzen, welche die ATH zum Rückzug des Antrags zwangen. Die Hohe Behörde hatte ihre Handlungsfähigkeit demonstriert. Der zweite Antrag verlief insofern anders, als die ATH schon sehr geschickt die Handlungsmöglichkeiten der Hohen Behörde in ihre Überlegungen mit einbezog. Dabei suchte sie auch zumindest indirekt Kontakt zur französischen Regierung. Die durch die französische Initiative hervorgerufenen deutsch-französischen Regierungskontakte erleichterten die Gewährung des zweiten Antrags enorm. Nun nahm die Bundesregierung das Gesprächsangebot an. So kam es zu einer bedeutenden Erleichterung des ganzen Genehmigungsverfahrens. Die französische Regierung teilte ihre Bedingungen für die Genehmigung der Hohen Behörde mit und die Bundesregierung bzw. die ATH konnte sich darauf einstellen. Schließlich kam es hier zu einer ersten gewissen Koordinierung von Interessen zwischen Hoesch, der französischen Regierung, DHHU und Hoogovens, die in diesem Verfahren aus durchaus unterschiedlichen Motiven die bestehenden Verbindungen zwischen ATH/HWS/DHHU verfolgten. Das vorherrschende Ziel der französischen Regierung, aber auch von Spierenburg, war es, die Trennung der Nachfolgegesellschaften der VSt zu erreichen. Warum allerdings die DHHU einen Coils-Vertrag für die HWS mit der ATH aushandelte, der sich als sehr unvorteilhaft erweisen sollte, ist unklar. Schließlich ist auf den dritten Antrag kurz einzugehen. Hier ist zu betonen, dass das

313 Urteil der Fachabteilungen innerhalb der Hohen Behörde keinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess hatte. Das Ergebnis war denkwürdig: Die der ATH auferlegten Bedingungen waren die Rücknahme einer vorherigen Entscheidung der Hohen Behörde. Wenn der Coils-Vertrag der ATH es nicht ermöglichte, im Sommer 1961 DHHU/HWS zu kontrollieren, warum forderte die Hohe Behörde die Verkürzung dieses Vertrages im Sommer 1963? Hier gelang es nun der Koalition Hoesch/DHHU, mit Hilfe der französischen Regierung eine Auflage durchzusetzen, die ihren wirtschaftlichen Interessen entsprach. Dies verdeutlicht wohl, dass es sich bei der Zusammenschlusspolitik der Hohen Behörde nicht um eine langfristig angelegte Wettbewerbspolitik handelte, wie immer eine solche auch hätte aussehen können, sondern um hart errungene Kompromisse zwischen verschiedenen Meinungen innerhalb der Hohen Behörde, die wiederum unterschiedliche Interessen von Akteuren widerspiegelten, die formell am Entscheidungsprozess des Artikels 66 gar nicht beteiligt waren. Der Ausgang der Entscheidung wiederum hing von den Strategien und Zielen dieser Akteure und ihrer Verhandlungsmacht ab. Die Hohe Behörde wiederum bildete die Plattform, auf der diese Verhandlungen ausgeführt wurden, und der Artikel 66 gab die Sprache vor, der sich die Akteure bedienen mussten, um ihre Forderungen durchzusetzen. Die Tatsache, dass gerade die externen Akteure bemüht waren, mit ihrer Einflussnahme nicht öffentlich in Erscheinung zu treten, beweist wiederum, dass sie diese Art der Zusammenarbeit als durchaus nützlich empfanden. Zwar war die Hohe Behörde nicht das alleinige bestimmende supranationale Entscheidungszentrum über Unternehmenszusammenschlüsse – wie es im ‚formalen Mandat‘ des Artikels 66 vorgesehen war. Vielmehr befolgte die Hohe Behörde das ‚informelle Mandat‘. Sie arbeitete kein grundsätzliches Wettbewerbskonzept aus; sie bildete aber die Entscheidungsplattform für die Legitimation der ‚Rekonzentration‘ der Stahlindustrie – und ganz besonders für die Zusammenschlüsse zwischen den Nachfolgegesellschaften der VSt. Es ist sehr schwer zu überlegen, wie dieser Prozess der Rückverflechtung ohne eine solche Verhandlungsstruktur stattgefunden hätte. Die unterschiedlichen Auffassungen über die Unternehmenszusammenschlüsse an der Ruhr hätten sicherlich zur Belastung der bilateralen Verhältnisse der Regierungen der Mitgliedstaaten der EGKS, gerade der Bundesrepublik und Frankreich, beigetragen. So konnten die Mitgliedstaaten die Regelung des Problems auf die Ebene der EGKS transferieren und der Hohen Behörde überlassen, um gegebenenfalls sich mehr oder weniger deutlich in die Auseinandersetzung einzuschalten. Weiter konnte man die Hohe Behörde anklagen, falls die Ergebnisse nicht den eigenen Interessen entsprachen. Mit Erfüllung des ‚informellen‘ Mandats erfüllte die Hohe Behörde den Auftrag der Mitgliedstaaten und erleichterte die Vertiefung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften. Die Funktion bzw. das Mandat des Artikels 66 sollte sich dann nach 1963 wieder ändern, da sich die Strategien der Mitgliedstaaten änderten. So verfolgte nun die französische Regierung in Zusammenarbeit mit

314 der französischen Stahlindustrie eine Strategie der Rationalisierung der Anlagen. Dies beinhaltete Unternehmenszusammenschlüsse bis hin zur Bildung eines „national champion“.260 Der Artikel 66 war nun störend – und geriet bald in Vergessenheit.261 Damit stellt sich allerdings noch eine andere Frage: Wenn der formelle Wortlaut der Artikel 65 und 66 nicht Richtschnur des Verhaltens bzw. der Entscheidungen der Hohen Behörde waren – bedeutet dies, dass es zu keinem Wettbewerb im Sinne des Vertrages kam? Hatten die Unternehmen nun also trotz des Vertrages die Möglichkeit, „auf einem bedeutenden Teil des Marktes dieser Erzeugnisse, die Preise zu bestimmen, die Produktion oder die Verteilung zu kontrollieren oder zu beschränken oder einen wirklichen Wettbewerb zu verhindern“? Welche Folgen hatte die Tatsache, dass die Wettbewerbsregeln nicht konsequent angewandt wurden? Weniger Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt?

260 261

Anthony Daley: Steel, state, and labor: mobilization and adjustment in France, Pittsburgh 1996, S. 93f. So erklärte dann Lapie im Jahre 1966 anlässlich der Behandlung des Zusammenschlusses Usinor und Lorraine-Escaut, dass einige Bestimmungen, die aufgrund von politischen Überlegungen hinsichtlich Nachkriegsdeutschland entstanden seien, heute nicht mehr im gleichen Maße gelten würden. AN 331 AP 4 Lapie à Xavier de la Chevalerie, Directeur du Cabinet Présidence de la République, 8. 3. 1967.

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7. K APITEL A NTITRUSTGESETZGEBUNG UND P REISWETTBEWERB IM G EMEINSAMEN M ARKT DER EGKS 1952–1963 7.1 Einleitung In den vorangegangenen Kapiteln ist herausgearbeitet worden, dass es der Hohen Behörde nicht gelang, ein klares Konzept für die Umsetzung des Artikels 66 zu entwickeln. Vielmehr wurden die Entscheidungen des Artikels 66 nach dem ‚informellen‘ Mandat getroffen, dessen Auftrag war, die ‚Rekonzentration‘ der Ruhrstahlindustrie zu legitimieren bzw. eine gewisse öffentliche Kontrolle auf diesen Prozess auszuüben. Damit stellt sich allerdings die Frage nach den wirtschaftlichen Konsequenzen der Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde. Trugen diese überhaupt zu mehr Wettbewerb in der europäischen Stahlindustrie bei? Gab es einen intensiveren Wettbewerb in der Stahlindustrie in der EGKS? Hier ist wieder auf den ursprünglichen Auftrag der Hohen Behörde einzugehen. Die Hohe Behörde musste nach Artikel 66 § 2 Genehmigungen für einen Zusammenschluss erteilen, wenn sie nicht feststellte, dass die Unternehmen nach dem Zusammenschluss in der Lage seien, x

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auf einem bedeutenden Teil des Marktes dieser Erzeugnisse die Preise zu bestimmen, die Produktion oder die Verteilung zu kontrollieren oder zu beschränken oder einen wirklichen Wettbewerb zu verhindern oder den aus der Anwendung dieses Vertrages sich ergebenden Wettbewerbsregeln zu entgehen, insbesondere durch Schaffung einer künstlichen Vorzugsstellung, die einen wesentlichen Vorteil im Zugang zu den Versorgungsquellen und zu den Absatzmärkten mit sich bringt.

Daraus ergibt sich die Frage nach den ökonomischen Auswirkungen des Artikels 66 bzw. der Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde. Gelang es etwa Unternehmen, die Preise zu bestimmen bzw. die Produktion oder Verteilung zu kontrollieren trotz der Wer Unternehmen, ‚den Preis zu bestimmen‘, d.h. ihre Marktmacht auszunutzen bzw. zu erhöhen. Damit entspricht der Artikel interessanterweise heutigen wirtschaftswissenschaftlichen Forderungen hinsichtlich der Aufgabe von Wettbewerbspolitik. Aufgabe

316 von Wettbewerbspolitik ist es, einen möglichst intensiven Preiswettbewerb zwischen Unternehmen auf einem bestimmten Markt zu garantieren.1 Der Begriff Wettbewerb ist klar definiert: In modern economic theory, a market is said to be competitive (or precisely purely competitive) when the number of firms selling a homogenous commodity is so large, and each individual firm’s share of the market so small, that no individual firms finds itself able to influence appreciably the commodity’s price by varying the quantity of output it sells. (…) This technical definition of competition differs markedly from the usage adopted by the business people who see competition as a conscious striving against other business firms for patronage perhaps on a price basis but possibly also (or alternatively) on non price grounds.2

Unter Annahme vollkommener Konkurrenz ist der Preis also nur ein mathematischer Parameter, der sich auf dem Markt als Gleichgewicht von Nachfrage und Angebot automatisch ergibt. Einen Einfluss auf den Preis hat der einzelne Produzent nicht. Seine Marktmacht, d.h. seine Möglichkeit den Preis zu bestimmen, ist gleich null. Im Gleichgewicht der vollständigen Konkurrenz maximalisiert der Konsument seinen Nutzen und der Produzent seinen Gewinn. In der Realität ist dieser ‚Idealzustand‘ des perfekten Wettbewerbes, oder der vollkommenen Konkurrenz, allerdings praktisch nie erfüllt.3 Vielmehr sind die meisten Märkte oligopolistischer Natur. In einer oligopolistischen Marktstruktur steht eine begrenzte Anzahl von Produzenten im Wettbewerb, die alle über ein gewisses Maß an Marktmacht verfügen können. Diese begrenzte Anzahl von Anber Unternehmen, ‚den Preis zu bestimmen‘, d.h. ihre Marktmacht auszunutzen bzw. zu erhöhen. Damit entspricht der Artikel interessanterweise heutigen wirtschaftswissenschaftlichen Forderungen hinsichtlich der Aufgabe von Wettbewerbspolitik. Aufgabe von Wettbewerbspolitik ist es, einen möglichst intensiven Preiswettbewerb zwischen Unternehmen auf einem bestimmten Markt zu garantieren.4 Der Begriff Wettbewerb ist klar definiert: In modern economic theory, a market is said to be competitive (or precisely purely competitive) when the number of firms selling a homogenous commodity is so large, and each individual firm’s share of the market so small, that no individual firms finds itself able to influence appreciably the commodity’s price by varying the quantity of output it sells. (…) This technical definition of competition differs markedly from the usage adopted by the business people who see competition as a conscious striving against other business firms for patronage perhaps on a price basis but possibly also (or alternatively) on non price grounds.5

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Motta, Competition, S. 39ff., Scherer, structure, S. 12f. Scherer, structure, S. 16f. Helmut Bester: Theorie der Industrieökonomik, Heidelberg 2000, S. 10ff. Joseph E. Stiglitz: Information and the Change in the Paradigm in Economics, in: Michael Szenberg, Lall Ramrattan: New frontiers in economics, Cambridge 2004, S. 17–67. Motta, Competition, S. 39ff., Scherer, structure, S. 12f. Scherer, structure, S. 16f.

317 Unter Annahme vollkommener Konkurrenz ist der Preis also nur ein mathematischer Parameter, der sich auf dem Markt als Gleichgewicht von Nachfrage und Angebot automatisch ergibt. Einen Einfluss auf den Preis hat der einzelne Produzent nicht. Seine Marktmacht, d.h. seine Möglichkeit den Preis zu bestimmen, ist gleich null. Im Gleichgewicht der vollständigen Konkurrenz maximalisiert der Konsument seinen Nutzen und der Produzent seinen Gewinn. In der Realität ist dieser ‚Idealzustand‘ des perfekten Wettbewerbes oder der vollkommenen Konkurrenz allerdings praktisch nie erfüllt.6 Vielmehr sind die meisten Märkte oligopolistischer Natur. In einer oligopolistischen Marktstruktur steht eine begrenzte Anzahl von Produzenten im Wettbewerb, die alle über ein gewisses Maß an Marktmacht verfügen können. Diese begrenzte Anzahl von Anbietern wird ihre Interdependenz bei der Verfolgung des Zieles der Gewinnmaximierung erkennen, da ihre Entscheidungen über den zu verlangenden Preis direkte Auswirkungen auf den Absatz ihrer Konkurrenten haben.7 Eine Senkung des Preises eines Unternehmens führt zu einem geringeren Absatz der Konkurrenten, die nun ebenfalls den Preis senken. Damit verringern sich – gerade bei geringer Preiselastizität der Nachfrage – die Erträge aller Unternehmen. In einer solchen Marktstruktur werden die Produzenten versuchen, aus dieser gegenseitigen Abhängigkeit für ihre Preisentscheidungen Konsequenzen zu ziehen. So können Preisabsprachen zu höheren Gewinnen führen als bei Preiswettbewerb zwischen den Unternehmen. Die Herausforderungen der Preisentscheidungen in einem solchen Oligopol hat Scherer wie folgt beschrieben: From the perspective of participants, the oligopoly-pricing problem shares all the characteristics of a contest or a game. The firms are players. Each seeks to win by choosing a strategy (a move, series of moves, or rules for choosing moves based on the environment and moves of rivals) designed to maximise its payoff, here profit. Each firm recognises that its profit depends directly on the strategies of its rivals.8 (…) Any realistic theory of oligopoly must tackle as a point of departure the fact that when market concentration is high, the pricing decisions of sellers are interdependent and firms involved can scarcely avoid recognizing their mutual interdependence. Perspective managers will recognize that their profits will be higher when cooperative policies are pursued that when each firm looks after its own narrow self-interest. (…) However, oligopolistic rivalry is played out in an uncertain ever-changing environment. While the evolution of this environment permits managers to learn

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Helmut Bester: Theorie der Industrieökonomik, Heidelberg 2000, S. 10ff. Joseph E. Stiglitz: Information and the Change in the Paradigm in Economics, in: Michael Szenberg, Lall Ramrattan: New frontiers in economics, Cambridge 2004, S. 17–67. Für Oligopole, Robert S. Pindyck, Daniel L. Rubinfield, Microeconomics, New Jersey 1995, S. 413–452, Oz Shy: Industrial Organization. Theory and Applications, Cambridge, London 1996, S. 57–62, Scherer, structure, S. 15f. Scherer, structure, S. 208.

318 about market conditions and rival intentions, it also poses the constant danger that a rival will undercut the existing price structure in a reach of competitive advantage.9

Preisentscheidungen in einer oligopolistischen Marktstruktur sind also kompliziert. Kollektiv lassen sich die Gewinne durch Preisabsprachen zwischen den Unternehmen maximalisieren. Diese Preisabsprachen, selbst wenn Kartelle grundsätzlich erlaubt sind, sind meistens langfristig nicht sehr stabil, denn kurzfristig kann ein Mitglied durch Unterbieten des Kartellpreises wiederum seinen Gewinn maximalisieren. In der Tat sind viele Kartelle deshalb auch nicht sehr langlebig. Auch in einem Kartell bestehen für die Unternehmen Anreize, ihre Produktionskosten zu senken. So können sie durch Kosten sparende technologische Innovationen ihre Gewinne bei einem gleich bleibenden Preis steigern.10 Die Stahlindustrie ist ein sehr gutes Beispiel für eine oligopolistische Marktstruktur. Neben einer relativ geringen Anzahl von Produzenten und einer meist viel größeren Anzahl von Kunden ist die Industrie auch durch hohe Fixkosten, hohe Marktaustritts- und Eintrittskosten, hohe Transportkosten und große Nachfrageschwankungen bei geringer Preiselastizität geprägt.11 Eine Überlebensstrategie für ein Unternehmen in einer solchen Industrie kann darin bestehen, in Boomzeiten das Preisniveau in Abstimmung mit den Konkurrenten möglichst anzuheben, um sie in Baissezeiten dann möglichst stabil zu halten.12 So ist die Geschichte der Stahlindustrie dann auch durch reichhaltige Formen von – oft instabilen – Marktabsprachen geprägt.13 Dies wiederum hat den rasanten Fortschritt der Produktionstechnologie nicht verhindert.14 Dass die europäischen Stahlproduzenten seit langem ihre Marktmacht, ihre gegenseitige Interdependenz, aber auch die Schwierigkeit, dauerhafte Preiskoordinierungen aufrechtzuerhalten, erkannt hatten, zeigt ihre Geschichte in den zwanziger und dreißiger Jahren. Die Zeit nach dem ersten Weltkrieg war von einer wachsenden Einsicht der Interdependenz der europäischen Stahlindustrien in Westeuropa geprägt, was zur Grün-

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13 14

Scherer, structure, S. 226. Siehe zu dem Zusammenhang Marktstruktur und technologische Innovation auch: Motta, Competition, S. 55f., dazu auch: Daniel L. Rubinfeld: Innovation and Antitrust Enforcement, in: Jerry Ellig: Dynamic competition and public policy: technology, innovation and antitrust issues, Cambridge 2001, S. 65–94. Siehe dazu auch: Arne Gieseck: Krisenmanagement in der Stahlindustrie. Eine theoretische und empirische Analyse der europäischen Stahlpolitik, Berlin 1995, S. 27f. Vgl. „dazu über die Preispolitik der europäischen Stahlindustrie in den neunziger Jahren: P. K. Richardson: Steel price determination in the European Community, in: Journal of Product & Brand management, 1 (1998), S. 62–73. Daniel Jacobs: Gereguleerd staal: nationale en internationale economische regulering van de westeuropese staalindustrie 1750–1950, Nijmwegen 1988. Ulrich Wengenroth: The Resistible Decline of the Heavy Industries of Germany and France, 1920–1990, in: Karen R. Merrill (Hrsg.), The Modern Worlds of Business and Industry – Cultures, Technology, Labor, Turnhout, 1998, S. 63–76.

319 dung der Internationalen Rohstahlgemeinschaft im Jahre 1926 führte.15 Diese zerbrach an den unterschiedlichen Interessen und Strategien ihrer Mitglieder in der Weltwirtschaftskrise. 1933 kam es dann zur Gründung der Stahlexportgemeinschaft – der Wille zur Preisabstimmung zwischen den Stahlproduzenten war also klar vorhanden. Welche Auswirkungen auf den Wettbewerb sind nun von der Gründung eines Gemeinsamen Marktes zu erwarten? Das wirtschaftliche Ziel des Gemeinsamen Marktes besteht darin, durch die Abschaffung von Zöllen und anderen Handelshemmnissen die nationalen Märkte zu vereinigen, um den Wettbewerb unter den Produzenten zu erhöhen und niedrigere Preise zu erreichen.16 Auch bei unvollkommener Konkurrenz ist davon auszugehen, dass durch die Schaffung eines solchen Gemeinsamen Marktes die Konkurrenz erhöht wird, was wiederum eine Verringerung der Marktmacht der Produzenten auf ihren nationalen Märkten bedeuten würde.17 Es war also nicht auszuschließen, dass die Unternehmen auf die Vergrößerung des Marktes und die damit verbundene Zunahme des Wettbewerbs mit verstärkten Preisabsprachen reagieren würden, um ihre Marktmacht zu sichern.18 Deshalb war es durchaus konsequent, im EGKS-Vertrag Wettbewerbsbestimmungen aufzunehmen, deren Ziel es war, Preisabsprachen zu verbieten sowie Unternehmenszusammenschlüsse zu kontrollieren (Artikel 65 und 66). Inkonsequent im Sinne der Durchsetzung von mehr Preiswettbewerb in der EGKS war die Einführung eines Frachtbasenpreissystems in Artikel 60 des EGKS-Vertrages.19 Ein solches System war im Jahre 1950 in den USA als illegale Preisabsprache von den US-Wettbewerbsbehörden verboten worden und wurde nun im EGKS-Vertrag, dem angeblich ersten Antikartellgesetz Europas, merkwürdigerweise vertraglich festgeschrie15 16 17

18 19

Daniel Barbezat: A price for Every Product, Every place: The International Steel Export Cartel 1933–39, in: Business History, 33 (1991), S. 68–86. So noch einmal Jean Monnet in seiner ersten Rede als Präsident der Hohen Behörde, Jean Monnet: Les Etats-Unis d’Europe ont commence. Discours et allocutions 1952–1954, Paris 1955, S. 80ff. Siehe Stephen Martin: Industrial Organization. A European Perspective, Oxford 2001, S. 140–159, zur Marktintegrationstheorie: Willem Molle: The Economics of European Integration, Theory, Practice, Policy, Aldershot 1997, Stephen Martin: Industrial Organization. A European Perspective, Oxford 2001, S. 211–219. Neumann, S. 73. Für die wirtschaftlichen Auswirkungen des EGKS-Preissystems (Artikel 60) siehe: Louis Phlips: Competition policy: a game-theoretic perspective, Cambridge 1995, S. 119–123, Louis Phlips: Price Leadership and Conscious Parallelism, in: Stephen Martin (ed): The construction of Europe: essays in honour of Emile Noel, Dordrecht 1994, S. 239–261, Klaus Stegemann: Price Competition and Output Adjustment in the European Steel market, Tübingen, 1977, Martin, Organization, S. 53ff., S. 219ff., vgl. auch James W. Hughes and Daniel P. Barbezat: Basing Point Pricing and the Stahlwerksverband: An Examination of the „New Competitive School“, in: Journal of Economic History, 56 (1996), S. 215–222, Neumann, S. 133. Stephen Martin: Building on coal and steel European integration in the 1950s and 60s, in: Desmond Dinan (Hg.) Origin and Evolution of the European Union, Oxford 2006, S. 126–139. Christoph Conrad erwähnt das System merkwürdigerweise nicht. Christoph Conrad: Europäische Stahlpolitik zwischen politischen Zielen und ökonomischen Zwängen, Baden-Baden 1997.

320 ben.20 Den Regelungen des Artikels 60 folgend waren die Produzenten verpflichtet, die Preislisten ihrer Produkte zu veröffentlichen. Die Preise galten von einem bestimmten Ort, der Frachtbasis, zuzüglich der Transportkosten zum Verbraucher. Gleichzeitig durften die Preislisten von Konkurrenten an anderen Frachtbasen nicht unterboten werden, es sei denn, die eigene Preisliste war zuzüglich der Transportkosten niedriger als die Preisliste dieses Konkurrenten. Weiter konnten die Produzenten sich an die niedrigeren Preise von Konkurrenten anpassen, d.h. in den niedrigeren Preis eintreten – allerdings durften sie ihn nicht unterbieten –, ohne dass die eigene Preisliste gesenkt werden musste. Die Produzenten waren also über die Preise ihrer Konkurrenten informiert. Sie durften die Preise nur unterbieten, wenn sie auch ihre eigenen Preise auf ihren Stammmärkten bzw. an ihrer Frachtbasis unter das Niveau des Konkurrentenpreises senkten. Es ist ziemlich ersichtlich, dass ein solches System einer geographischen Marktaufteilung gleicht: In other words, the ECSC Treaty established a basing point system (…) for distribution of steel in the ECSC, and this system, which had all the effects of a cartel, was enforced by the Community’s High Authority.21

So ist dann auch Handelsaustausch und Preiswettbewerb in der EGKS als Ergebnis von „imperfect collusion“ anstatt „perfect competition“ beschrieben worden.22 Hier soll nun untersucht werden, wie sich dieses System auf den Handel und die Preise im Gemeinsamen Markt auswirkte, um die Fragen zu beantworten, inwieweit die Produzenten Marktmacht besaßen – und diese möglicherweise durch die Anwendung der Antitrustgesetzgebung verringert wurde.23

7.2 Trends des EGKS-Stahlmarktes 1952–1963 Die ersten zehn Jahre des Gemeinsamen Marktes betten sich in ein sehr kräftiges Wachstum der Stahlproduktion der EGKS-Staaten ein (Tabelle 7.A).24 Der Anteil der EGKSProduzenten stagnierte allerdings auf dem Weltmarkt – die globale Stahlproduktion stieg schneller als die EGKS-Produktion. Anfang der sechziger Jahre hatte sich der ge20 21 22 23

24

Dancon Burn: The Steel Industry 1939–1959. A study in competition and planning, Cambridge 1961, p. 504f. Martin, Organization, S. 219. Stegemann, S. 239. Siehe auch Tobias Witschke: Steel Prices, Trade and Producers’ strategies in the European Coal and Steel Community from 1952 to 1964, in: Hubert Bonin, Christophe Bouneau, Ludovic Cailluet, Alexandre Fernandez, Silvia Marzagali (Hgg.): Transnational Campanies 19th–20th Centuries, Paris 2002, S. 815–S. 830. Jan Jörnmerk: Coal and Steel in Western Europe 1945–1993, Innovative Change and institutional adaptation, Göteborg 1993, S. 167ff.

321 meinsame Anteil von EGKS und US-Produzenten an der Weltstahlproduktion gegenüber 1952 deutlich reduziert: 7.A – Anteil des Rohstahlanteils in % der Weltstahlproduktion EGKS

USA

UK

Japan

1913

33.9

41.1

11.3

0.3

1929

30.7

47.4

8.1

1.9

1938

31.9

26.6

9.6

5.9

1952

19.6

41.1

7.8

3.3

1964

19.4

27.7

6.2

9.3

Quelle: Office Statistique des Communautés Européennes (Eurostat), Sidérurgie, 1966, Weltstahlproduktion geschätzt (China und URSS), S. 4.

Innerhalb der EGKS ist der Anstieg der italienischen und der niederländischen Stahlindustrie eine wichtige Entwicklung in den fünfziger Jahren, während der Anteil der traditionellen Rohstahlproduzenten wie Belgien, Frankreich, Luxemburg und Westdeutschland stagnierte.25 Ein Vergleich der Rohstahlproduktion gibt einen wichtigen Trend nicht wieder, der sich in der Nachkriegszeit in den fünfziger Jahren durchsetzte und bis zum heutigen Tag anhält: den Aufstieg der Flachstahlerzeugung. Bei den Walzstahlerzeugnissen ist es wichtig, zwischen Halbzeug und Fertigerzeugnissen zu unterscheiden. Halbzeug bedarf einer weiteren Warmumformung, um ein Walzstahlfertigerzeugnis herzustellen, was meist direkt im Hüttenwerk geschieht.26 Walzstahlfertigerzeugnisse werden nach Querschnittsform zwischen Langerzeugnissen und Flacherzeugnissen unterschieden. Zu den bedeutendsten Langerzeugnisse zählen Formstahl (einschl. Breitflanschträger), Stabstahl, Walzdraht und Eisenbahnoberbau. Zu den wichtigsten Flachstahlerzeugnissen zählen Grobblech, Feinblech und andere oberflächenbehandelte Feinbleche wie z.B. Weißblech. Fein- und Weißbleche werden vor allem von der Konsumgüterindustrie nachgefragt – insbesondere von der Automobilindustrie für die Herstellung von Fahrzeugkarosserien. Investitionsgüterindustrien wie der Maschinenbau, die Bauindustrie und der Schiffsbau verbrauchen Stabstahl und Grobblech. Die Stahlindustrie wurde nun in den fünfziger Jahren zunehmend der Zulieferer für klassische Massenkonsumprodukte – der Anteil der Stahlprodukte für die Investitionsgüterindustrie ging relativ zurück. 25

26

Dazu auch, Matthias Kipping, Ruggero Ranieri, Joost Dankers: The Emergence of new Competitor Nations in the European Steel Industry: Italy and the Netherlands, 1945–65, in: Business History, 43 (2000), S. 69–96. Verein deutscher Eisenhüttenleute (Hg.): Stahlfibel, Düsseldorf 1989, S. 80ff.

322 Dies galt natürlich auch für die Bundesrepublik: Statt gepanzerte Fahrzeuge, Schiffe und Kanonen wurden nun von den Stahlverbrauchern Waschmaschinen, Konservendosen und leichte Personenkraftwagen nachgefragt.27 Alle EGKS-Produzenten passten ihr Produktionsprogramm in den fünfziger Jahren der steigenden Bedeutung der Flachstahlproduktion an – allerdings mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität.28 Auf die Bedeutung der ATH-Warmbreitbandstraße in diesem Zusammenhang ist schon hingewiesen worden. Grundsätzlich ist zu erwarten, dass der Gemeinschaftshandel nach der Öffnung des EGKS-Stahlmarktes im Sommer 1953 ansteigen würde – und dies auch schneller als die allgemeine Produktion. Im Jahre 1952 war der EGKS-Gemeinschaftshandel nicht sehr bedeutend. Die EGKS-Mitgliedstaaten exportierten eher in Drittstaaten anstatt in benachbarte Schumanplan-Länder.29 Dies ist eine Erklärung für die eher ablehnende Haltung der Stahlproduzenten gegenüber dem Schumanplan. Oft wird diese mit einer protektionistischen, innovationsfeindlichen Haltung der europäischen Stahlindustrie im Gegensatz zu den wettbewerbswilligeren US-Produzenten begründet.30 Allerdings berücksichtigt diese Kritik nicht die unterschiedlichen Marktstrukturen in der EGKS und in den USA.31 Im Gegensatz zur europäischen Stahlindustrie war die US-Stahlindustrie nur sehr gering mit dem internationalen Stahlmarkt verflochten.32 Auch gab es keinen Preiswettbewerb zwischen den Unternehmen auf dem amerikanischen Stahlmarkt in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, da alle Produzenten jeweils der Preispolitik des größten Unternehmen, der US Steel, folgten.33 So schafften es die US-Stahlproduzenten, in der weltweiten Stahlrezession 1953/54 sogar die Stahlpreise zu erhöhen, während es auf dem EGKS-Markt zu einem Preisverfall aufgrund eines heftigen Preiswettbewerbs kam.34 Die EGKS-Produzenten dagegen, besonders Belgien und Luxemburg, setzten den bedeutendsten Teil ihrer Produktion auf dem Weltmarkt ab – und nicht auf anderen EGKS27

28 29 30

31 32 33 34

Zur Veränderung der Abnehmerstrukturen der Stahlindustrie in den fünfziger Jahren, siehe Marcus, Hermann, Oppenländer, Karlheinz: Eisen- und Stahlindustrie. Strukturelle Probleme und Wachstumschancen, Berlin, München 1966, S. 54–74. Siehe auch Jörnmark, S. 167–194. Lister, S. 50ff. Siehe dazu auch Philippe Mioche: Jean Monnet et les sidérurgistes européenns 1945–1955: On ne naît pas européen, on le devient, in: Gérard Bossuat, Andreas Wilkens: Jean Monnet. L’Europe et les chemins de la Paix, Paris 1999, S. 297–307. Marktstruktur ist definiert als „(…) a description of the firms’ behavior in a given industry or market“. Shy Oz: Industrial Organization: theory and applications, New York 1995, S. 59f. See Paul Tiffany: Opportunity denied: The abortive attempt to internationalize the American Steel Industry, 1903–1929, in: Business and Economic History 16 (1987), S. 229–246. Diebold, S. 263f., Dieter Fock: Oligopole der Stahlindustrie in der Montanunion. Ihre Struktur und ihr Einfluß auf die Wettbewerbsintensität, Köln 1967. S. 92ff. J. Blair: Economic concentration: structure, behavior and public policy, New York 1972. S. 485f., Diebold, S. 265f.

323 Märkten. Daran änderte auch die Gründung der EGKS erst einmal nichts. So wurde die Intensität des innergemeinschaftlichen Stahlhandels vom Preisniveau auf dem Weltstahlmarkt bestimmt. Die EGKS-Produzenten exportierten auch nach der Öffnung des Gemeinsamen Stahlmarktes im Sommer 1953 nur dann in andere EGKS-Märkte, wenn die zu erzielenden Erlöse höher waren als auf dem Weltmarkt. Abgesehen von der Periode 1953/54 fielen die Exportpreise erst nach 1958 unter das Preisniveau auf dem EGKS-Markt (Tabelle 7.B), so dass sich erst dann der innergemeinschaftliche EGKSHandel intensivierte.35 7.B – EGKS-Exportpreise Antwerp f. o. b. für Stabstahl 36 Westdeutscher Listenpreis = 10037 Exportpreis Stabstahl (Thomas Steel) 1953

95

1954

88

1955

110

1956

117

1957

119

1958

78

1959

92

1960

95

1961

84

1962

71

1963

71

Quelle: Eigene Berechnungen, Statistische Bundesamt (Hg.) Wirtschaft und Statistik, mehrere Jahrgänge, 1963 nur bis November.

35 36

37

Witschke, S. 817f. Es ist nicht ganz ersichtlich, ob dieser Preis der verhandelte Kartellpreis ist oder der tatsächliche Marktpreis. Der Trend ist auf jeden Fall eindeutig und wird auch von anderen Quellen wiedergegeben. Lennart Fridén: Instability in the international steel market: A study of import and export fluctuations, Stockholm 1972. S. 39. 1 $ = 4,20 DM, nach dem 6. 3. 1961 1 $ = 4,00 DM.

324

7.3 Stahlpreise in der EGKS Wie entwickelten sich nun die Preise in der EGKS? Vor dem Inkrafttreten des Vertrages waren die Stahlpreise in der Bundesrepublik und in Frankreich öffentlichen Kontrollen unterworfen, um eine gewisse Preisstabilität zu gewährleisten.38 Mit dem Inkrafttreten des EGKS-Vertrages waren diese Interventionen der Regierung nicht mehr gestattet – genauso wie Kartelle verboten waren. Allerdings war schon 1955 klar, dass die französische Regierung zumindest indirekt weiterhin die Stahlpreise kontrollierte. Dabei war ihr offizieller Gesprächspartner die CSSF, was wiederum eine Vertragsverletzung darstellte – denn eigentlich sollten die Unternehmen nun eine autonome Preispolitik betreiben.39 Auch in der Bundesrepublik wurden die Preise weiterhin kollektiv im Rahmen der WVESI festgesetzt. Dabei mussten Preissteigerungen mit dem BWM bzw. mit dem Bundeskanzler persönlich ausgehandelt werden.40 Der Artikel 65, der ein Verbot jeglicher Kartelle vorsah, wurde also nicht eingehalten. Vielmehr begrenzten die Regierungen durch die öffentliche Kontrolle die Marktmacht der Produzenten – also deren Möglichkeit, die Preise zu bestimmen. Dies war ganz offensichtlich eine wirkungsvollere Methode, Marktmacht zu begrenzen, als auf die Umsetzung des Kartell-Artikels durch die Hohe Behörde zu warten. Weiter gab es im EGKS-Vertrag kein Verbot von Exportkartellen. Kurz vor der Öffnung des Gemeinsamen Marktes verkündeten die EGKS-Produzenten die Gründung eines Exportkartells. Das Kartell vereinbarte Minimalpreise, ohne dass es wirklich effektive Sanktionsmechanismen bei Nichtbeachtung umfasste, so dass die Preisdisziplin nicht sehr groß war.41 Die Exportabsprachen hatten wiederum Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt, denn eine Absprache über die Exporte regelte implizit auch den Absatz der Pro-

38 39

40

41

Diebold, S. 255ff. Durch die weiter anhaltende Preisbindung für stahlverarbeitende Produkte in Frankreich war die Stahlindustrie de facto dazu verpflichtet, ihr Preisniveau dementsprechend anzupassen. Manchmal musste sie aufgrund des Drucks der Regierung und der Stahlverarbeiter ihre veröffentlichten Preise unterbieten. Die Hohe Behörde konnte die direkten und indirekten Einflussnahmen der französischen Regierung nie beenden, Spierenburg, CECA S. 371–373. Bis in die siebziger Jahre gab es in Franrkeich und der Bundesrepublik praktisch einen Einheitspreis für die Produzenten auf dem nationalen Markt bzw. regionalen Teilmärkten, Stegemann, S. 39. Zu den Preisverhandlungen zwischen Industrie und Regierung siehe F. Lammert: Das Verhältnis zwischen der Eisen schaffenden und der Eisen verarbeitenden Industrie seit dem ersten Weltkrieg, Diss., Köln 1960, auch Sohl. Charles Barthel: De l’entente belgo-luxembourgoise a la Convention de Bruxelles 1948–1954, in: Michel Dumoulin u.a. (Hg.): L’Europe du patronat. De la guerre froide aux années soixante. Bern 1993, Philippe Mioche: La vitalité des ententes sidérurgiques en France et en Europe de l’entre deux guerres à nos jours, in: Dominique Barjot: International Cartels Revisited, Caen 1994, 1994, S. 119–128.

325 duktion auf dem EGKS-Binnenmarkt. Von einer strikten Anwendung des Kartellverbots des EGKS-Vertrages konnte also keine Rede sein. Angesichts des Verlaufs der Schumanplan-Verhandlungen konnte dies wiederum nicht sehr verwundern. Ohne das Eingreifen Monnets und der Amerikaner wäre ein Kartellverbot wohl nicht im Vertrag aufgenommen worden. Vor dem Einschreiten der Amerikaner hatten sich die Verhandlungsteilnehmer in Paris de facto auf ein öffentlich überwachtes Kartell geeinigt. Dies war dann auch die ‚Verfassungsrealität‘ des EGKS-Vertrages. Eine Art Marktabsprache war ja auch der Artikel 60. So war das Ergebnis der Schumanplan-Verhandlungen hinsichtlich des Preissystems dann völlig widersprüchlich. Einerseits verbot man Kartelle und schuf dann in Artikel 60 ein Frachtbasissystem (basing point system), welches in den USA als Kartell verboten worden war. Das Prinzip des Preissystems war die Nichtdiskriminierung, d.h. für vergleichbare Transaktionen mussten für alle Kunden die gleichen Preise berechnet werden.42 Tatsächlich bewirkte dieses Preissystem ein Abkommen über eine geographische Marktaufteilung zwischen den Produzenten.43 Durch die Veröffentlichung der Preise waren die Konkurrenten über die Preispolitik ihrer Konkurrenten bestens informiert. In der Bundesrepublik war der wichtigste Preisbasispunkt in Oberhausen. Alle Produzenten an der Ruhr berechneten ihre Preise von dieser Frachtbasis. In Lothringen war die Frachtbasis Thionville. Wenn die Preislisten der Frachtbasis Thionville nun im Raum Stuttgart billiger waren als der Preis Oberhausen, brauchte sich der Produzent von der Ruhr nur dem billigeren ThionvillePreis anzugleichen. Gleichzeitig konnte er aber an der Ruhr weiterhin den höheren Preis seiner Liste verlangen. Waren die französischen Produzenten wiederum nicht in der Lage, der Nachfrage der süddeutschen Verbraucher nachzukommen, konnten die Ruhrstahlproduzenten schnell wieder den höheren Ruhrpreis verlangen.44 Insbesondere Produzenten mit einem bedeutenden Binnenmarkt, wie Frankreich und Deutschland, konnten versuchen, in diesem System durch gezielte Preisangleichungen ihren eigenen Markt zu schützen bzw. versuchen, zu einer gewissen Marktaufteilung zu kommen. Dies war für sie eine profitablere Strategie als ein aggressives Senken der Preise auf ihrem Territorium. Zwischen 1954 und 1958 ist dann auch kein Preiswettbewerb auf dem EGKS-Markt festgestellt worden.45 Alle Kapazitäten in der Industrie waren praktisch voll ausgelastet. Weiter konnten Produzenten zu diesem Zeitpunkt in Drittländern höhere Preise erzielen als auf dem Binnenmarkt, wo zumindest die offiziellen Preise in Frankreich und der Bundesrepublik einer öffentlichen Kontrolle unterlagen. Einen Grund zu Preissenkungen gab es daher nicht. 42 43 44 45

Mit dem Verbot der Preisdiskriminierung wollte die französische Regierung ganz offensichtlich die Doppelpreise für Ruhrkoks endgültig verbieten. Diebold, S. 237ff. Stegemann, S. 4–15, McLachlan D. L., Swann, D.: Competition Policy in the European Community, London New York 1967, S. 256–276. Für mögliche Strategien in solch einem Markt: Stegemann, S. 23–38. Louis Lister, Europe’s Coal and Steel Community, New York 1960, p. 237–240.

326 Man kann wohl davon ausgehen, dass die Preiskontrollen der Regierungen hier einen bedeutenderen Preisanstieg in der Hochkonjunktur verhinderten. Obwohl dies gegen den Vertrag verstieß, kontrollierte gerade die französische Regierung weiterhin die Preise der Produzenten. Dies begrenzte deren Möglichkeiten im Sinne des Artikels 66, die Preise zu bestimmen bzw. zu erhöhen. Aufgrund dieser Preiskontrolle waren die französischen Preise die niedrigsten auf dem EGKS-Markt seit Jahresende 1957.46 Dazu hatten nicht zuletzt die Währungsabwertungen in Frankreich im August 1957 und Dezember 1958 beigetragen.47 Ab 1958 lag der EGKS-Exportpreis dann deutlich unter dem deutschen Inlandspreis.48 Dies änderte nun die Situation im EGKS-Markt, da traditionelle Exporteure, wie die belgischen Stahlunternehmen, neue Märkte in der EGKS finden mussten. Als ‚Neulinge‘ im EGKS-Markt versuchten sie nun, durch eine aggressive Preisstrategie neue Marktanteile zu gewinnen. Nun wurde auch ein anderer Effekt des Preissystems deutlich: eine Art Schneeballeffekt. So konnte nun auf einmal der Preis eines kleinen Stahlunternehmens in Belgien der billigste Preis in der gesamten EGKS werden.49 Belgische Produzenten wurden der ‚Schrittmacher‘ für Preissenkungen in allen EGKS-Märkten.50 Wo deutsche und französische Produzenten sich relativ einfach auf eine gewisse Marktaufteilung ihrer Binnenmärkte einigen konnten, war dies nicht für die belgischen Produzenten der Fall, die durch Preissenkungen neue Absatzgebiete gewinnen mussten. Eine ähnliche Preisentwicklung auf dem Weltstahlmarkt – nämlich ein Preisverfall nach dem Ausklingen des Koreabooms – hatte schon zu den ansteigenden Exporten in der Bundesrepublik gerade belgischer Produzenten zwischen Sommer 1953 und Frühjahr 1954 geführt.51 Wie aus einer internen Vorlage der WVESI vom Mai 1954 über die Entwicklung der Importe in die BRD seit 1952 hervorgeht: Die Entwicklung im 2. Halbjahr 1953 wurde entscheidend durch die weiterhin schwache Konjunktur in Frankreich, Belgien und dem Weltmarkt beeinflusst. Die Erzeuger in Belgien, Luxemburg und Frankreich begannen in stärkerem Maße sich für die Aufrechterhaltung ihrer Produktion notwendige Aufträge durch Unterbietung der veröffentlichten Preislisten bei Abnehmern in der BRD zu beschaffen.52

46 47 48 49

50 51 52

Stegemann, S. 311. Spierenburg, CECA S. 581–587. Lister, S. 230. Der Drahtpreis der Forges de Clabecq, ein kleines, unabhängiges Stahlunternehmen in der Nähe von Brüssel, war der niedrigste Preis im September 1963 in Mailand, Bordeaux, Stuttgart und Duisburg. Swann, Competition, S. 266, Stegemann, p. 72f. High Authority, Twelfth General Report, S. 163. Lister, S. 223. BA N 1384/143 Walzstahl-Vereinigung, gez. H. Schuz Vermerk, Betrifft: Entwicklung der Importe seit 1952.

327 Sobald es allerdings wieder „Chancen zur Erzielung höherer Exporterlöse“ gab, hätten sich die westlichen Exporte aus der BRD wieder zurückgezogen „unter Ausserachtlassung des Bedarfs ihrer süddeutschen Kunden“. Für den Verfall der Exportpreise nach 1958 können hier nur sehr generelle Begründungen gegeben werden. Dies scheint ein Ergebnis der steigenden Stahlproduktion in der Welt gewesen zu sein.53 Die Weltstahlproduktion stieg rasch an in den Fünfziger Jahren – sehr viel schneller als in der EGKS. Viele so genannte Entwicklungsländer begannen in den fünfziger Jahren, Stahl zu produzieren. Man kann davon ausgehen, dass diese Stahlproduktion von entsprechendem Schutz des Binnenmarktes begleitet war. So sanken die EGKS-Exporte deutlich in den Märkten der Entwicklungsländer in Lateinamerika und Asien.54 Dagegen stiegen die EGKS-Exporte in die USA erheblich an.55 Nach 1958 konnten die EGKS-Produzenten ihre Exporte in die USA erheblich steigern. Die US-Binnenpreise waren seit 1957 höher als die EGKS-Binnen- und Exportpreise.56 Gleichzeitig stiegen die Importe von Drittländern in den EGKS-Markt an.57 Im Vergleich zu den frühen Jahren der EGKS präsentierten niedrigere Exportpreise und ansteigende Importe aus Drittländern eine wirkliche Herausforderung für die EGKS-Produzenten. Nun waren es nicht mehr die Preislisten der EGKS-Produzenten, sondern die Importpreise, welche das Marktgeschehen bestimmten. Die der Hohen Behörde gemeldeten Preisangleichungen an Importe erhöhten sich nun massiv.58 Das Stahlangebot auf dem EGKS-Markt nahm also zu, sei es durch Importe aus Drittländern oder durch größere Angebote von EGKS-Produzenten, die ihren Absatz nun zunehmend auf dem EGKS-Markt anstatt auf den internationalen Exportmärkten absetzten.59

53 54 55

56

57

58

59

Dieter Fock: Die Oligopole der Stahlindustrie in der Montanunion: Ihre Struktur und ihr Einfluss auf die Wettbewerbsintensität, Köln 1967. S. 103–111. Fridén, Instability, S. 119, Witschke, S. 818. Siehe auch die Befürchtungen der amerikanischen Stahlindustrie, dass sich die Investitionen in der europäischen Stahlindustrie zu ihrem eigenen Nachteil auswirken könne: Paul A. Tiffany: The Decline of American steel industry, New York, Oxford 1988, p. 110ff. So zum Beispiel für Stabstahl, John M. Blair: Economic concentration. Structure, behaviour and public policy, New York, Chicago 1972, S. 515f. Dies scheint eine Folge der Preispolitik von US Steel gewesen zusein. US Steel erhöhte die Preise, und die Konkurrenten folgten mit entsprechenden Preiserhöhungen. In den Rezessionen 1953/54 und 1957/58 gelang es US Steel sogar, die Preise für die gesamte amerikanische Stahlindustrie zu erhöhen, Blair, Concentration, S. 485f., Scherer, structure, S. 252ff. Die Oligopole der Stahlindustrie in der Montanunion, Köln 1967, S. 108–114, über Doppelpreise (Binnenmarkt/Export) siehe Lennart Fridén, Instability in the international steel market: A study of import and export fluctuations, Stockholm 1972, S. 34. Preisangleichungen an Drittländerimportangebote mussten bei der Hohen Behörde notifiziert werden. Die notifizierten Mengen zwischen 1960 und 1963 stiegen von 250000 t auf über 2 Mio t an, Fock, S. 274. Stegemann, S. 72f.

328 Hinsichtlich des Artikels 66 ist wiederum ersichtlich, dass die EGKS-Produzenten als Gruppe zunehmend – nach 1958 – die Möglichkeit verloren, die Preise auf dem EGKS-Markt zu bestimmen. Die EGKS-Produzenten verloren nach 1958 auf ihrem Binnenmarkt dramatisch an Marktmacht. Wie sah dies nun in der Bundesrepublik aus? Die westdeutschen Produzenten verteidigten ihre Binnenmarktanteile nicht durch offenen Preiswettbewerb. Steigende Importe war der Preis, den die westdeutschen Produzenten bezahlten, um auf dem eigenen Markt ein möglichst hohes Preisniveau zu erreichen. Ansteigende Produktion wurde dann zunehmend exportiert – gerade auch in Drittländer, wohl auch um den EGKS-Markt zu entlasten.60 Interessant ist es hier, sich die deutsch-französische Handelsentwicklung näher anzuschauen. Obwohl die französischen Preise unter den deutschen Preisen lagen, exportierte ab 1960 die deutsche Stahlindustrie mehr Stahl nach Frankreich – gemessen für alle EGKS-Stahlprodukte – als die französische nach Deutschland. 7.C – Westdeutsche Stahlhandelsbilanz für EGKS-Stahlprodukte mit Frankreich in 1000 t

BRD

1954

1955

1956

1957

1958

1959

1960

1961

1962

1963

1964

–731

–1043

–809

–627

–740

–628

459

479

370

524

426

Quelle: Eigene Berechnungen, Sidérurgie 1966, S. 111ff.

Die Handelsspezialisierung kann dieses Paradox erklären. Tabelle 7.C zeigt die deutsche Handelsbilanz mit Frankreich für die meisten EGKS-Walzstahlprodukte zwischen 1960 und 1962 auf. Die Bilanz ist negativ für die Produkte mit dem größten Mehrwert und den höheren Preisen, wie Flachstahlprodukte, während die Bilanz für Halbzeug und Stabstahl positiv ist. Im deutsch-französischen Handel hatte sich also der eine Partner, Frankreich, auf die Exporte hochwertiger, moderner Stähle spezialisiert, während die Bundesrepublik eher billigere Stähle exportierte, deren relative Bedeutung in der europäischen Stahlindustrie abnahm. Angesichts der Bedeutung der französischen Flachstahlexporte in die Bundesrepublik ist es nicht verwunderlich, dass der Aufstieg der ATH, einer auf die Produktion von Flachstahl spezialisierten Unternehmensgruppe, aufmerksam verfolgt wurde – und die Diskussionen bei den ATH-Anträgen über die Dauer, die Menge und die Preisklausel des Warmbreitbandliefervertrags zwischen der ATH und der HWS.

60

Dieser Trend sollte sich noch Mitte der sechziger Jahre für fast alle Walzstahlprodukte verstärken. Westdeutsche Produzenten weiteten ihren Absatz auf Drittmärkte aus, während die Importanteile auf dem heimischen Binnenmarkt anstiegen, Stegemann, S. 204, Witschke S. 822f.

329 7.D – Westdeutsche Handelsbilanz mit Frankreich für EGKS Walzstahlprodukte in 1000 t Grobbleche Stabstahl

Walzdraht

Feinblech

Weißblech

Halbzeug

Anteil am Gesamthandel %

1960

207

268

–131

–315

– 97

357

90.7

1961

301

219

–177

–289

– 90

369

92.7

1962

181

273

–182

–349

–106

412

88.2

Quelle: Eigene Berechnungen, WVESI mehrere Jahrgänge.

Eine Analyse der Entwicklung des Feinblechmarktes in der Bundesrepublik kommt zu dem gleichen Ergebnis. Feinblech war ein Produkt mit einer chronisch negativen Handelsbilanz für die Bundesrepublik. Seit 1959 lieferten Importe mehr als ein Viertel des Verbrauchs in der BRD. Die Qualität der heimischen Feinblechproduktion stieg allerdings stetig – und die Produktionskosten sanken, aufgrund der Inbetriebnahme einer Reihe von Warmbreitbandstraßen. Gleichzeitig stiegen die Exporte der westdeutschen Produzenten an. Kostenvorteile können die Importe deshalb nicht befriedigend erklären, denn warum gelang es den westdeutschen Produzenten, zunehmend Feinblech zu exportieren? Weiter war das Preisniveau in den Exportmärkten generell niedriger als in der Bundesrepublik. Die westdeutschen Produzenten waren ganz offensichtlich der Überzeugung, dass ein aggressives Verteidigen oder eine Rückeroberung ihres Binnenmarktes nur zu einem verlustreichen Preiskrieg mit anderen EGKS-Produzenten führen würde. Bis 1959 hoben sie die Binnenpreise sogar an – trotz steigender Importe. Dann wurde das Preisniveau im Binnenmarkt von den Importen bestimmt. Die Preislisten der deutschen Produzenten waren möglicherweise nur kosmetischer Natur – da sie sich niedrigeren Importpreisen angleichen mussten. Von einer ‚prominence‘ der Ruhrindustrie kann also nicht mehr die Rede sein. Stattdessen wurde der bundesdeutsche Stahlmarkt Ende der fünfziger Jahre zum Tummelplatz für Stahlimporte aus anderen EGKS-Ländern und Drittstaaten. 7.E – Anteil der Importe am westdeutschen Binnenstahlverbrauch und westdeutsche Exporte als Anteil der Binnenerzeugung von Feinblechen in % Marktanteile Importe

Export/Binnenerzeugung

Davon Exporte in Preisliste für Feinblech die EGKS 1954=100

1954

9.49

3.93

0.98

100

1955

12.70

5.39

1.57

100

1956

11.30

13.26

2.26

102

1957

12.22

14.21

2.44

105

330 Marktanteile Importe

Export/Binnenerzeugung

Davon Exporte in Preisliste für Feinblech die EGKS 1954=100

1958

16.68

14.63

2.15

111

1959

24.88

17.63

6.34

117

1960

27.24

17.59

8.67

115

1961

24.26

14.33

7.00

115

1962

26.84

15.12

5.40

110

1963

26.06

15.26

6.58

110

Quelle: Eigene Berechnungen, Marktanteile, Eurostat: 1952–1982, S. 50, WVESI S. 103, Preise: Sidérurgie,

1966 S. 399.

Hinsichtlich des Artikels 66 ist deshalb festzustellen, dass die Marktmacht der westdeutschen Stahlindustrie in der EGKS abnahm. Wurde diese erst von der Bundesregierung kontrolliert, sorgten ab Ende der fünfziger Jahre die Importe aus der EGKS und Drittländer für den entsprechenden Preisdruck, so dass die Preislisten der deutschen Produzenten kaum noch Bedeutung für den tatsächlich gezahlten Preis hatten. Insofern ist es richtig, den Gemeinsamen Markt der EGKS als eine ‚unvollkommene‘ oder nicht funktionierende kollektive Preisabsprache zu bezeichnen.61 Der EGKS-Vertrag war also hinsichtlich der ökonomischen Ziele völlig widersprüchlich. Er behauptete, ein Antitrust-Gesetz zu sein, beinhaltete aber gleichzeitig die Möglichkeit einer geographischen Marktaufteilung. Dies war sicherlich von den Mitgliedstaaten gewollt. Fast alle EGKS-Mitgliedstaaten hatten nach dem Krieg umfangreiche – meist aus Marshallplangeldern finanzierte – Aufbau- und Modernisierungsprogramme für die Stahlindustrie bereits durchgeführt bzw. mindestens geplant.62 Der Schwerpunkt der Modernisierung, z.B. der Bau einer Warmbreitbandstraße und entsprechender Kaltwalzkapazitäten, war meistens auf ein oder sehr wenige Unternehmen beschränkt. Diese Unternehmen verfügten natürlich dann auch über eine entsprechende Marktmacht – so dass die Regierungen gleichzeitig auch eine gewisse Preiskontrolle ausübten, um die Marktmacht zu beschränken. Öffentliche Investitionen bzw. Subventionen und Preiskontrolle waren also durchaus komplementäre und auch kohärente Instrumente einer industriepolitischen Strategie, die praktisch von fast allen EGKS-Ländern durchgeführt wurde – auch wenn sie sprachlich unterschiedlich bezeichnet wurde. Da die Amerikaner – nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen – keine europäischen Marktorganisation unterstützen konnten, die nach einem Kartell aussah, schrieben 61 62

Stegemann, S. 239. Lister, S. 219ff.

331 die Mitgliedstaaten also ein Kartellverbot in den Vertrag und gleichzeitig ein Preissystem, welches de facto eine Marktabsprache erlaubte. Weiter ließ sich der Vertrag als erster Schritt der Integration der europäischen Märkte, auf Freihandel basierend, verkaufen. Die internationale Rechtswissenschaft – und es waren und sind ja auch meist Juristen, welche wettbewerbspolitische Entscheidungen ausarbeiten, verkünden und durchsetzen – hat diesen Widerspruch in der EGKS bis heute nicht rezipiert.63 Dies ist allerdings etwas beunruhigend.

7.4 Preispolitik und -verhandlungen in der EGKS Wie gingen wiederum die damaligen Akteure mit diesem Widerspruch um? Erkannte die Hohe Behörde die Mechanismen des Artikels 60? Wies sie die Mitgliedstaaten auf den vermeintlichen Widerspruch hin? Welcher Spielraum blieb der Hohen Behörde eigentlich noch für ihre Wettbewerbspolitik, wenn sie mit Artikel 60 eigentlich eine Marktabsprache aufrechterhalten musste? Wie kann eine Wettbewerbsbehörde Preiswettbewerb durchsetzen? Eine Wettbewerbsbehörde wird nicht in der Lage sein, eine oligopolistische Marktstruktur in eine Struktur mit perfektem Wettbewerb umwandeln zu können. Ökonomen fordern daher, dass sich die Wettbewerbspolitik darauf beschränken soll, explizite Preisabstimmungen unter den Unternehmen zu verhindern.64 Wie war dies nun aber möglich, wenn Preisabstimmungen durch einen Vertrags-Artikel im EGKS-Vertrag geradezu gefördert wurden? Deshalb soll hier kurz die Diskussion um die Stahlpreise in der EGKS geschildert werden. Die möglichen Auswirkungen der Preisunterschiede in den EGKS-Staaten auf die jeweiligen Industrien waren schon während der Schumanplan-Verhandlungen ein wichtiges Thema. Damals waren die westdeutschen Preise die niedrigsten. So enthielt der Vertrag sogar eine Schutzklausel, um bei einem zu starken Handelsungleichgewicht Gegenmaßnahmen treffen zu können.65 Im Jahre 1953 war allerdings der Stahlpreis in der Bundesrepublik mittlerweile deutlich höher als der Preis in Frankreich, in Belgien oder den Niederlanden. Gerade zwischen 1950 und 1952 hatte es vom BWM verordnete Preiserhöhungen gegeben, da man wohl die Finanzkraft der eigenen Stahlunternehmen angesichts der bevorstehenden Marktöffnung stärken wollte.66 63 64 65 66

Siehe zum Beispiel das Kapitel über die EGKS bei Goyder, EC Competition, Auflagen 1998 und 2003. Phlips, Competition policy, S. 10f., Motta, S. 137ff. Richard Griffiths: The Schuman Plan Negotiations: The Economic clauses, in: Klaus Schwabe (Ed.): The beginnings of the Schuman Plan, Baden-Baden 1988, S. 35–72. Adamsen, S. 233. Dieser Preisanstieg war integraler Bestandteil einer industriepolitischen Unterstützungsstrategie der Bundesregierung für die Ruhrstahlindustrie. Die westdeutsche Stahlindustrie hatte erheblich weniger Marshallplangelder als die Industrien der westlichen Nachbarländer erhalten. Nun unterstützte die Bundesregierung die Stahlindustrie, indem sie durch höhere Preise die

332 Die Veröffentlichung der ersten Listenpreise im Sommer 1953 kam dann als Enttäuschung für all diejenigen, die sich durch den Gemeinsamen Markt sinkende Preise erhofft hatten.67 Die Preise der Produzenten hatten sich nämlich in Richtung der deutschen Preise angeglichen. Die Hohe Behörde ging dann auch richtigerweise davon aus, dass dies kein Zufall war – sondern auf Absprachen der Produzenten beruhte. Schon vor der Öffnung des Gemeinsamen Marktes hatten die deutschen Produzenten ihren französischen Kollegen verdeutlicht, dass sie ihre Preise nicht senken wollten. Deshalb waren sie an einer abgestimmten Preisstrategie interessiert. Die französischen Produzenten betonten, dass es nicht in ihrem Interesse sei, wenn die Preise in der Bundesrepublik nun sinken würden. Beide Seiten waren sich darüber einig, dass sie auf ihren jeweiligen nationalen Märkten keine Preisunterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen haben wollten.68 Selbst wenn die westdeutschen Produzenten eine Exportoffensive nach Frankreich starten wollten – nichts deutet darauf hin, dass dies ihre Absicht war: Der Artikel 60 stand dem entgegen. Die französischen Produzenten hatten ihren Frachtbasispunkt in Thionville, direkt an der Grenze zur Bundesrepublik, eingerichtet. Die meisten französischen Verbraucher lagen westwärts von Thionville, so dass die deutschen Produzenten schon einmal die Transportkosten bis Thionville selber zahlen mussten. So wurde intern der Basispunkt Thionville auch als „Maginot-Linie“ der französischen Stahlverbraucher bezeichnet.69 Von Jahresbeginn 1954 erholte sich die Nachfrage auf den Weltstahlmärkten wieder, so dass die belgischen und französischen Produzenten nun wieder in Drittländer exportierten.70 Preissteigerungen in der Bundesrepublik mussten nun allerdings mit der Bundesregierung verhandelt werden. Die Hohe Behörde wusste um diese Einflussnahme der Regierungen.71 Wahrscheinlich wird diese vertragswidrige Preiskontrolle der Hohen Behörde ganz recht gewesen sein, denn ohne die Einflussnahme wären die Preise wohl noch stärker gestiegen, was ja einem Ziel der EGKS widersprach. Diese Situation änderte sich erst um 1958. Aufgrund der fallenden Exportpreise wurden nun zunehmende Mengen von Stahl auf dem EGKS-Markt abgesetzt. Weiter war inzwischen aufgrund einer Währungsabwertung der französische Stahlpreis der niedrigste in der EGKS. Die deutsche Stahlindustrie beschwerte sich nun bitterlich über diese

67 68 69 70 71

Selbstfinanzierung stärkte und steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten erleichterte. Dies war ein durchaus kohärentes Stützungsprogramm. Siehe dazu Helge Berger, Albrecht Ritschl: Germany and the Political Economy of the Marshall Plan, 1947–52: A Re-Revisionist View, in: Barry Eichengreen (Hg.): Europe’s Postwar Growth, Revisited, Cambridge University Press, 1995. Spierenburg, CECA, S. 138ff, Lister S. 223. BA N 1384/138 Vermerk über die Besprechung mit Vertretern des Chambre Syndicale, Paris am Sonntagabend, den 28. Februar 1953. BA N 1384/143 Mommsen an Henle 24. 2. 1954. Lister, S. 244. Spierenburg, CECA, p. 372ff.

333 „politischen“ Preise in Frankreich und verlangte von der Bundesregierung Gegenmaßnahmen. Erst dann, so Sohl in einem Brief an Erhard, könnten auch die Verbraucher in Form von niedrigen Preisen von der technischen Rationalisierung profitieren.72 Ein Jahr später, im Jahre 1960, war es Adenauer persönlich, der Sohl um eine Senkung der Stahlpreise bat.73 Sohl wiederum forderte dann als Gegenleistung für niedrigere Preise, eine geplante Großinvestitionen, nämlich den Bau einer Warm- und Kaltbandstraße im staatlich kontrollierten Stahlunternehmen Salzgitter AG, nicht durchzuführen.74 Dieser Streit verdeutlicht die Preisstrategie der Produzenten. Obwohl im Jahre 1960 schon drei Warmbreitbandstraßen anliefen, die Produktionskosten sich also erheblich verringert hatten, waren die Feinblechpreise nicht gesunken. Im Gegensatz zum US-Markt waren die Preise für Feinbleche nach den offiziellen Listen immer noch unter den höchsten, verglichen mit anderen Walzstahlprodukten.75 Die Industrie setzte die Preise so hoch, dass auch Produzenten mit veralteten Straßen noch Gewinn erzielten.76 Die geplante Investition bei Salzgitter sollte der Regierung auch mehr Einfluss auf die Preisgestaltung geben.77 Der Hohen Behörde waren die Industriepreisabsprachen in der Bundesrepublik nicht verborgen geblieben.78 Solange allerdings die Hohe Behörde die Preiskontrolle durch die französische Regierung nicht unterband, war sie kaum in der Lage, gegen Vertragsverletzungen der deutschen Stahlindustrie vorzugehen. Auch war der Hohen Behörde natürlich bekannt, dass es in Frankreich und der Bundesrepublik keinerlei Preisunterschiede zwischen den Preislisten der Unternehmen gab. Diese Punkte führten innerhalb der Hohen Behörde gerade beim ersten Antrag ATH/PR zu interessanten Diskussionen. Ein Argument gegen eine Genehmigung des Antrags ATH/PR hatte Spierenburg vorgebracht: Er behauptete, das neue Unternehmen würde im Falle einer Genehmigung ein ‚price leadership‘ erreichen.79 Es könne also eindeutig die Preise bestimmen, zumal es sich ganz offensichtlich um das dynamischste und effizienteste Stahlunternehmen handeln würde. Dies war allerdings ein fundamentaler ökonomischer Widerspruch. Denn ein ‚price leadership‘ eines der effizientesten Unternehmen des EGKS-Marktes hätte mehr Preiswettbewerb hervorgerufen als die bestehenden kollektiven Preisabsprachen. Es wäre gut gewesen, wenn das Unternehmen 72 73 74 75 76 77

78 79

BA N 1384/292 Sohl an Erhard 27. 4. 1959. BA 136/7633 Adenauer an Sohl 10. 3. 1960. BA 136/7633 Sohl an Adenauer 16. 3. 1960. BA 136/7633 Vermerk -IIIC- 19. 4. 1960. BA 136/7633 Westrick an Vialon 18. 7. 1960.

Sohl konnte die zumindest teilweise Realisierung der Investition nicht verhindern. Statt dessen verkündete er bald darauf den Bau einer zweiten Warmbreitbandstraße in einem völlig neuen Oxygenstahlwerk in Duisburg-Beeckerwerth bei der ATH, siehe dazu Helmut Uebing: Stahl schreibt Geschichte. 125 Jahre Wirtschaftsvereinigung Stahl, Düsseldorf 1999, S. 317ff. Spierenburg, CECA, S. 587ff. Siehe dazu auch High Authority, Sixth General Report, S. 36ff.

334 mit den niedrigsten Kosten durch geringere Preise als seine Konkurrenten die Kostenvorteile an den Verbraucher weitergegeben hätte. Daran war man bei der ATH allerdings nicht besonders interessiert. Insofern hatte man bei der ATH auch überhaupt nichts dagegen, die eigene Preisführerschaft auszuschließen.80 Mommsen machte auch die Auswirkungen auf die ThyssenGruppe klar: (…) uns kostet dies nichts, weil immer der Preiseintritt vorhanden ist und wir ausserdem sicher nicht das Interesse haben, nun unbedingt der billigste zu sein. 81

Dies hatte auch ein Mitglied der Hohen Behörde erkannt. So argumentierte Coppé nun, dass ein solcher ‚price leadership‘ zu mehr Preiswettbewerb führen könne als die vorhandenen kollektiven impliziten Preisabsprachen zwischen den Produzenten.82 Das effizienteste Unternehmen könnte durch seine niedrigeren Preise die Wettbewerber ebenfalls zu Preissenkungen zwingen – ein Zusammenhang, der Spierenburg ganz offensichtlich entgangen war. Coppé regte deshalb auch an, dass die Hohe Behörde die Produktionskosten der Unternehmen untersuchen solle, um so entsprechende Preissenkungen und Preiswettbewerb durchsetzen zu können. Am 20. Januar 1960 heißt es in einem Vermerk von Coppé: Sieben Jahre nach der Errichtung des Stahlmarktes muss die Hohe Behörde in der Lage sein, eine genaue umrissene Politik auf dem Gebiet der Preisbildung festzulegen, wobei sie insbesondere die unerlässliche Verbindung zwischen den einschlägigen Artikeln des Vertrages herzustellen hätte.83

Das Kabinett Hellwig war gegen ein solches Einschreiten der Hohen Behörde. Eher solle die Hohe Behörde sich doch an die Tatsache gewöhnen, dass es nun einmal innerhalb der Reviere bzw. der Frachtbasen keinen Preiswettbewerb gebe bzw. der Preiswettbewerb eigentlich nur durch die Angleichung an Importen aus Drittländern entstehe.84 Mit anderen Worten: Die Hohe Behörde solle anerkennen, dass der Vertrag eben nicht zu mehr Preiswettbewerb führe – es sei denn durch entsprechende Entwicklungen auf dem Weltstahlmarkt. Schon zu Anfang des Gemeinsamen Marktes hatte die Hohe Behörde durch eine Entscheidung anerkannt, dass sie laut Vertrag sogar verpflichtet war, unter Umständen 80

81 82 83 84

TA Sohl 890 Betr. Haltung der ATH zu der von der Hohen Behörde aufgeworfenen Frage von Auflagen gemäß Art 66 § 2 Abs 3 MUV in Verbindung mit ihrer Genehmigung des Thyssen-Zusam-

menschlusses, 4. 1. 1960, S. 11. TA Sohl 890 Mommsen an Sohl 4. 1. 1959 (das Datum muss allerding der 4. 1. 1960 sein). BDT Coppé 74/85 Note a l’attention de Monsieur Coppé, Cros à Coppé, 9. 12. 1959, Ref: Note sur Thyssen, Exposé Mr Coppé, ATH ACDP I 083/631 Arbeitsgruppe „Wettbewerb und Transport“, Luxemburg, den 10. Januar 1960, Vermerk für die Herren Mitglieder der Hohen Behörde, gez. Coppé. ACDP I 083/631 Rollmann an Hellwig 28. 1. 1960, Herrn Dr. Hellwig, Betr.: „Tinbergen Ausschuss“ für Stahlpreisbildung, 29. 1. 1960.

335 Preiswettbewerb zu verbieten.85 Beim Rückgang der Stahlnachfrage in der zweiten Hälfte des Jahres 1953 hielten sich die meisten EGKS-Stahlproduzenten nämlich nicht mehr an die in Luxemburg hinterlegten Preislisten. Vielmehr versuchten sie durch das Gewähren von geheimen Preisrabatten auf die offiziellen Preislisten Marktanteile zu verteidigen bzw. zu gewinnen. Dies war zwar im Sinne des Preiswettbewerbs, aber verstieß gegen den Wortlaut des Artikels 60, der in einem solchen Fall eine offizielle Senkung der Preislisten verlangte. Die Hohe Behörde entschied daher im Januar 1954, eine Abweichung von 2,5 % auf die Preislisten zu gestatten. Nach einer Klage der französischen Regierung wurde diese so genannte ‚Monnet-Marge‘ dann vom EGKS-Gerichtshof wieder aufgehoben. Der Gerichtshof setze also die Beachtung des Marktaufteilungsabkommens nach Artikel 60 durch. Damit bestrafte er Preiswettbewerb. Die Hohe Behörde hatte den Gerichtshof darauf hingewiesen, allerdings offensichtlich hatte dies Argument keinen Eindruck gemacht. Wen wundert es, dass sich die Ruhrstahlindustrie im Jahre 1964 während der Diskussion um eine mögliche Fusion der EGKS/EWG-Verträge für die Beibehaltung des Artikels 60 einsetzte?86 Die europäische Stahlindustrie mochte den Artikel 60 offensichtlich. Hoch interessant ist auch die Stellungnahme zur Preisfrage des Leiters der Wirtschaftsabteilung der Hohen Behörde, Tony Rollmann, eines ehemaligen Stahlindustriellen des luxemburgischen Unternehmens ARBED. Das Problem des Oligopols im bundesrepublikanischen Stahlmarkt, so Rollmann anlässlich des Antrags PR/ATH, stelle sich gar nicht, da dieser Markt ja der Konkurrenz aus den anderen fünf Ländern sowie von Drittländern offen stehe.87 Auf die Bedeutung des Artikels 60, aber auch die offensichtlichen Preisabsprachen in der Bundesrepublik ging er gar nicht ein. Diese Stellungnahme kann nicht durch Unwissen erklärt werden oder durch ein Glauben an die ‚vollkommene Konkurrenz‘.88 Es wird wohl kaum eine Person in der Hohen Behörde gegeben haben, welche als ehemaliger ARBED-Verantwortlicher so profunde Kenntnisse von den Marktpraktiken der Stahlindustriellen – um ihrer Interdependenz Rechnung zu tragen – hatte. Indem er sich auf ein theoretisches Modell, welches aber die Realität nicht widerspiegelte, nämlich den perfekten Wettbewerb, bezog, entzog er allerdings möglichen Eingriffen der Hohen Behörden die Legitimität. Ganz offensichtlich lag seine Loyalität hier eher bei seinen ehemaligen Kollegen, so dass er sich praktisch für völlige Passivität der Hohen Behörde aussprach und Markteingriffe seinen ehemaligen Kollegen überließ. Damit ist jedenfalls deutlich, dass der Vertrag an sich nicht viel zu Preiswettbewerb in der EGKS beitrug. Die Regierungen und auch Produzenten führten ihre traditionelle Preispolitik fort – ganz egal, ob sie mit dem Vertrag übereinstimmte oder nicht. Der Ver85 86 87 88

Dazu Lister, S. 220ff. ACDP Hellwig I 083/038 Sohl an Hellwig 14. Juli 1964. BDT Linthorst-Homan/Spierenburg 73/85 (4), Divisons du Marché 27. 11. 1959. Dazu auch Martin, evolution, S. 131f.

336 trag wiederum war hinsichtlich der Durchsetzung dazu noch höchst widersprüchlich. Damit stand die Hohe Behörde vor einem klaren Dilemma: Einerseits sollte sie nach Artikel 66 Unternehmenszusammenschlüsse beurteilen, ob dies zu einem Einfluss auf die Preisbestimmung führen würde, andererseits schrieb Artikel 60 eine Möglichkeit der Unternehmen zur Preiskoordinierung fest. Dies war nicht zuletzt auf den Willen der Mitgliedstaaten zurückzuführen, weiterhin über einen solchen Preiskoordinationsmechanismus zu verfügen. Dieses Dilemmas war man sich innerhalb der Hohen Behörde durchaus bewusst – und entschied sich, dieses nicht offen anzusprechen und es einfach zu ignorieren. Damit wiederum handelte die Hohe Behörde sicherlich nach dem Willen der meisten Mitgliedstaaten im Sinne des ‚informellen Mandates‘. Die Hohe Behörde gab den Anschein, dass sie die Wettbewerbsartikel umsetzte. Die Mitgliedstaaten gaben den Anschein, dass sie sich an den Vertrag hielten. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass trotz der Nichtanwendung der Wettbewerbsartikel und der Tatsache, dass der Vertrag sogar ein De-facto-Marktaufteilungsabkommen enthielt, Anfang der sechziger Jahre ein reger Preiswettbewerb im Gemeinsamen Markt herrschte. Dies war die Folge von recht dramatischen Veränderungen auf dem Weltstahlmarkt, so dass die EGKS-Produzenten, und gerade die belgischen Stahlexporteure, zunehmend ihre Produktion auf dem Gemeinsamen Markt absetzen mussten. Eine implizite Marktaufteilung – wie sie zwischen den deutschen und französischen Unternehmen bestanden hatte – war nun nicht mehr möglich. Dies führte zu einem generellen Verlust von Marktmacht der Produzenten. Im Jahre 1963 – als die ‚Rückverflechtung‘ vollzogen war – hatten die Unternehmen im Gemeinsamen Markt und auch in der Bundesrepublik immer weniger die Möglichkeit, ‚auf einem bedeutenden Teil des Marktes dieser Erzeugnisse, die Preise zu bestimmen, die Produktion oder die Verteilung zu kontrollieren oder zu beschränken oder einen wirklichen Wettbewerb zu verhindern‘.

337

II. Z USAMMENFASSUNG

Wie lassen sich die Entscheidungen der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) über die Unternehmenszusammenschlüsse in der Ruhrstahlindustrie im ersten Jahrzehnt der Existenz der EGKS erklären? Die Fusionskontrolle des Artikels 66 des EGKS-Vertrages war eine ökonomische und rechtliche Revolution in der europäischen Rechtsordnung. Die Ausgangsfrage war deshalb, ob die Hohe Behörde mit der Genehmigung der Zusammenschlüsse der Ruhrstahlindustrie das ‚Mandat‘ des Artikels 66 korrekt erfüllte. Wie ist also die Anwendung des Mandats – eine supranationale Kompetenz – zu beurteilen? Es ist aufgezeigt worden, dass die Fusionskontrolle des Vertrages bzw. die Hohe Behörde, die mit ihrer Anwendung beauftragt war, kein ‚Papiertiger‘ war. Auch handelte es sich bei der Revision der Neuordnungsmaßnahmen der Ruhrstahlindustrie, der ‚Rekonzentration‘, nicht um ein „non-problem“.1 In diesem Falle hätten sich die französischen und westdeutschen Regierungsspitzen Ende der fünfziger Jahre nicht mit der Behandlung der Genehmigungsanträge durch die Hohe Behörde beschäftigen müssen. Grundsätzlich wurde das Verfahren des Artikels 66 formell respektiert. Unternehmen beantragten den Zusammenschluss. Die Hohe Behörde entschied über den Antrag. Diese Entscheidungen wurden dann von den betroffenen Unternehmen respektiert.2 Wie diese Arbeit herausgearbeitet hat, gelang es der Hohen Behörde aber nicht, ihr ‚formelles‘ Mandat umzusetzen. Zu Anfang der Arbeit ist die Erwartung formuliert worden, dass die Hohe Behörde Definitionen und Instrumente entwickeln würde, um die Rechtsprache des Artikels 66 kohärent anzuwenden.3 Im Jahre 1963 wusste man immer

1 2

3

Gillingham, superstate, S. 32. Insofern ist es zu einfach zu behaupten, dass die EGKS Regeln systematisch ignoriert wurden, so Karen J. Alter, Davis Steinberg: The Theory and Reality of the European Coal and Steel Community, in: Sophie Meuner, Kathleen R. Mc Namara: Making History. European Integration and Institutional change at fifty. The State of the European Union Volume 8, New York 2007, S. 89–104, hier S. 90. Dieser Erwartungshaltung ist allerdings hinzuzufügen, dass Definitionen, Instrumente und Anwendung des Wettbewerbsrechts auch in der Gegenwart Gegenstand intensiver wissenschaftlicher

338 noch nicht, was denn nun ‚ein bedeutender Teil‘ des Marktes war oder wie man nachweisen konnte, dass ein Unternehmen die Möglichkeit hatte, die ‚Preise zu bestimmen‘. Vielmehr hatte die Hohe Behörde oft den gleichen Sachverhalt in verschiedenen Entscheidungen unterschiedlich beurteilt. Auch hatte sie sich oft auf eine oberflächliche Untersuchung der Anträge beschränkt. Weiter nahm der Einfluss der Kartellabteilung bzw. der anderen Fachabteilungen der Hohen Behörde auf die Entscheidungsfindung im Laufe der Zeit immer mehr ab. Die Mitglieder der Hohen Behörde entschieden nun oft unabhängig vom Urteil der Beamtenebene, aber nach Anhörung und Abstimmung mit nationalen Regierungen oder Unternehmen. Die ‚formelle Umsetzung‘ des Artikels 66 kann die Entscheidungen der Hohen Behörde also nicht erklären. Hat die Hohe Behörde also ihre Aufgabe, die von den Mitgliedstaaten im Vertragstext gestellt wurde, nicht erfüllt? Ist ihr die ‚Nichtumsetzung des Vertrages‘ vorzuwerfen? Genau zu diesem Schluss kommt die Arbeit nicht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die „politisch intendierten“ Wirkungen der Einführung einer Fusionskontrolle im EGKSVertrag nicht mit dem formellen, schriftlich niedergeschriebenen, rechtlichen „Programm“ des Artikels 66 übereinstimmten.4 Um diese Dynamik zwischen den Mitgliedstaaten und der Hohen Behörde darstellen zu können, ist auf das Verhältnis ‚Prinzipal‘ und ‚Agent‘ eingegangen worden.5 Hier hat die Arbeit zwischen zwei Mandaten unterschieden: einem ‚formellen‘, der Rechtsprache des Artikels 66, und einem ‚informellen‘, der nicht eindeutig schriflich niedergelegten politischen Absichten der Mitgliedstaaten. Um diese ‚informellen‘ politischen Absichten herauszuarbeiten, wurde die Ausübung der supranationalen Kompetenz mit ihrer Entstehungsgeschichte verknüpft. Wenn ein Gesetz auch als ein Ergebnis von „close negotiations among diverse interests“6 bezeichnet wird, ist die spätere Umsetzung einer Regel unter Berücksichtigung ihrer Ursprungsgeschichte besser zu erklären.7 Was war nun genau die Natur des Mandats des Artikels 66? Hier hat diese Arbeit herausgearbeitet, dass die Einführung der Wettbewerbsartikel im EGKS-Vertrag nicht auf die wettbewerbspolitische Überzeugung der Mitgliedstaaten zurückzuführen ist. Erst auf

4 5 6 7

Diskussion und regulativer Reformen sind. Hanns Ullrich (Hg.): The evolution of European Competition Law, whose regulation, which competition? Northhampton 2006, S. 3f., Ivo van Bael, JeanFrancois Bellis: Competition law of the European Community, The Hague 2005, S. 730ff. Christian Joerges: Das Recht im Prozeß der europäischen Integration, in: Markus Jachtenfuchs, Beate Kohler-Koch, Europäische Integration, Opladen 1996, S. 73–108, hier: 88. Fabio Franchino: The Powers of the Union, Cambridge 2007, S. 11ff. James G. March, Martin Schulz, Xueguang Zhou: The dynamics of rules: change in written organizational codes, Stanford 2000, S. 186ff. Damit wird auch eine Forderung Fritz Hellwigs erfüllt, der in einem rückschauenden Beitrag darauf hinweist, dass Verträge ‚abstrakte Instrumente‘ seien. Hinsichtlich des historischen Urteils über den EGKS-Vertrag seien auch das Verhalten der Menschen und der Regierungen in Betracht zu ziehen. Fritz Hellwig: Bericht eines Zeitzeugens, in: Manfred Rasch, Kurt Düwell: Anfänge und Auswirkungen der Montanunion auf Europa, Essen 2007, S. 163–172, hier: S. 171.

339 Druck Monnets und der amerikanischen Regierung wurden ein Kartellverbot und die Fusionskontrolle in den Vertrag aufgenommen. Die Mitgliedstaaten hatten – abgesehen von Monnet – das Ziel, eine Europäische Gemeinschaft zu begründen, in deren Rahmen die Produzentenverbände und die Regierungen der Mitgliedstaaten – mit der Hohen Behörde als ‚Koordinator‘ – Entscheidungen über Preisabsprachen und Marktaufteilungen treffen würden. Die Hohe Behörde sollte also nicht als ‚Regierung für Kohle und Stahl‘ agieren, sondern als ein Informationsund Koordinierungszentrum der Akteure der Mitgliedstaaten. Dies trifft auch auf den Ursprung des Artikels 66 zu. Keine europäische Regierung begrüßte die Einführung einer Fusionskontrolle aus wettbewerbspolitischen Gründen. Vielmehr lassen sich die folgenden ‚informellen‘ Mandate für die Anwendung des Artikels 66 herausarbeiten. Im französischen Außenministerium wurde die Fusionskontrolle als eine Möglichkeit gesehen, den Zugang zur Ruhrkohle für die französische Stahlindustrie zu garantieren. Deshalb sollte durch die alliierte Neuordnung der Eigentumsverbund der Stahlunternehmen in Westdeutschland mit Bergbaugesellschaften aufgehoben bzw. beschränkt werden.8 Die Hohe Behörde sollte dann diesen Zustand durch die Anwendung der Fusionskontrolle, aufrechterhalten. Noch bevor die Hohe Behörde dann mit der Anwendung der Fusionskontrolle beginnen konnte, hatte sich dieses Problem dank des Erwerbs der Harpener Bergbau AG durch ein Konsortium der französischen Stahlindustrie praktisch erledigt. Dieses ‚informelle Mandat‘ war damit gegenstandlos geworden. Weiter wurde der Artikel 66 – gerade von Monnet – als eine Art ‚Kontroll- und Zähmungsinstrument‘ der Ruhrstahlindustrie, die gerade in Frankreich einen äußerst schlechten Ruf hatte, präsentiert. So beruhigte gerade Monnet in den Ratifikationsverhandlungen geäußerte Befürchtungen, dass die Ruhrstahlindustrie Europa wirtschaftlich oder politisch dominieren könne. Die Ruhrindustrie war ein Symbol für deutsche Hegemonieprogramme des Kaiserreichs, deutschnationaler Kreise in der Weimarer Republik und des Dritten Reichs. Dieses ‚informelle‘ Mandat erklärt dann auch, dass sich die französische Regierung für die Anwendung des Artikels 66 auf die Ruhrstahlindustrie interessieren musste – ganz egal, ob die entscheidenden Stellen eigentlich überzeugt waren, dass die Unternehmenszusammenschlüsse für Frankreich politisch und ökonomisch völlig harmlos waren. Die französische Öffentlichkeit machte ihre Regierung letztendlich für die Entscheidungen der Hohen Behörde verantwortlich. Für die Bundesregierung diente der Artikel 66 dazu, die Maßnahmen der alliierten Neuordnung zu revidieren. Dies hatte sie klar dem Bundestag in den Ratifikationsverhandlungen mitgeteilt – irgendwelche grundsätzlichen wettbewerbspolitischen Interes8

Hier ist kurz auf die Aktualität der Fragestellung hinsichtlich der ‚Entflechtung‘ vertikaler Eigentumsverbindungen zwischen Produktion und Vertrieb im Energiesektor, heute ‚unbundling‘ genannt, hinzuweisen, European Voice 31st May – 6 June 2007, Energy giants renew unbundling battle, S. 41.

340 sen an der Fusionskontrolle hatte sie nie gezeigt. Damit teilte die Bundesregierung die Position aller anderen Mitgliedstaaten. Grundsätzliches wettbewerbspolitisches Interesse an einer Fusionskontrolle hatte kein EGKS-Mitgliedstaat geäußert. Mit dem Abschluss der alliierten Neuordnung hatte der Artikel 66 seine wichtigste ‚informelle‘ Funktion erhalten – die Revision der Neuordnung ‚europäisch‘ zu legitimieren. Anders als von alliierter Seite öffentlich verkündet – und von deutscher Seite heftig beklagt – hatte die Neuordnung der Stahlindustrie nicht zu einer ‚radical discontinuity‘ geführt. Die neu gegründeten Unternehmen wurden zu einem überwiegenden Teil von den alten Eigentümern kontrolliert. Die Ergebnisse der Neuordnung waren also im erheblichen Maße Augenwischerei. Nur: Wer sollte in Zukunft über die Legitimität dieser ‚informellen‘ Kontrollverhältnisse entscheiden? Das Risiko war nicht gering, dass man dem ausführenden Träger dieses Mandats vorwerfen würde, einen Beitrag zur Wiederherstellung alter Kontrollverhältnisse in der Ruhrstahlindustrie zu leisten – nach der angeblich so erfolgreichen ‚Entflechtung‘ der Vorkriegskonzerne. Diese Zuständigkeit wurde nun in den vertraglichen Bestimmungen über das Ende der Neuordnung, die von den Alliierten, den Großaktionären bzw. der Bundesregierung unterzeichnet wurden, ausdrücklich der Hohen Behörde überlassen. Hier hatten also die Alliierten, aber auch die Großaktionäre und die Bundesregierung einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden, wer nun über die Zukunft der von der Neuordnung geschaffenen Unternehmensstrukturen entscheiden würde. Die Verantwortung für „unpopular decisions“ wurde auf die supranationale Ebene übertragen.9 Der Hohen Behörde wurde der ‚Schwarze Peter‘ zugeschoben. Gerade das letzte ‚informelle‘ Mandat sollte dann für die Entscheidungsfindung in den Anträgen aus der Ruhrstahlindustrie bis 1958 das Entscheidende sein. Die Hohe Behörde stand vor der Wahl, öffentlich zu verkünden, dass die ‚Neuordnung‘ praktisch ins Leere gelaufen war, oder über das faktische Ergebnis der Neuordnung hinwegzusehen und die ‚informellen‘ Kontrollverhältnisse möglichst geräuschlos durch die Erteilung einer Genehmigung nach EGKS-Recht zu legalisieren. Angesichts der Tatsache, dass die Alliierten, die Bundesregierung oder die Großaktionäre nun gar kein Interesse hatten, das wahre Ergebnis der Neuordnung öffentlich zu verkünden, ist es nicht erstaunlich, dass die Hohe Behörde die zweite Handlungsoption wählte. Die erste Möglichkeit hätte sicherlich ihre eigene Existenz gefährdet. Schon bei dem ersten Antrag aus der Ruhrstahlindustrie – der Mannesmann AG – kam die Kartellabteilung schnell zu dem Schluss, dass die ‚entflochtenen‘ Unternehmen noch immer von den gleichen Eigentümern kontrolliert wurden. Erklärte sie nun also die 9

Zu dieser ‚blame avoidance‘, oder auch Sündenbockfunktion, bei Entscheidungsverfahren, Carsten Daugbjerg, Alan Swinbank: The politics of CAP reform: trade negotiations, institutional settings and blame avoidance, JMCS 45 (2007), S. 1–22, bes. S. 6f. Wim Kösters, Rainer Backmann, Martin Heber: Elemente der ökonomischen Integrationstheorie, in: Wilfried Loth, Wolfgang Wessels: Theorien europäischer Integration, Opladen 2001, S. 35–86, bes.73ff.

341 Entflechtung in diesem Fall für null und nichtig, hätte dies Auswirkungen auf ähnliche ‚entflochtene‘ Unternehmen gehabt. Damit hätte die Hohe Behörde praktisch mit einem Schlag die alten Verhältnisse in der Ruhrstahlindustrie öffentlich wiederhergestellt. Diese Optionen konnte die Hohe Behörde natürlich nicht wahrnehmen. Hätte einer der ersten Rechtsakte einer europäischen supranationalen Gemeinschaft zu einer Restaurierung der Vorkriegsverhältnisse in der westdeutschen Stahlindustrie geführt, hätte dies der Legitimation und den Überlebenschancen der Europäischen Gemeinschaft dauerhaft geschadet. Auf der anderen Seite konnte sie aber auch nicht öffentlich verkünden, dass es sich bei ‚entflochtenen‘ Unternehmen mit den gleichen Eigentümern um unabhängige Unternehmen handeln würde. Denn dann konnte ein Aktionär ohne die Genehmigung der Hohen Behörde in zwei rechtlich getrennten Unternehmen die Aktienmehrheit erlangen. Damit wäre die Kompetenz der Hohen Behörde völlig ausgehöhlt worden. So beschloss die Hohe Behörde, die Frage, wer in der Ruhrstahlindustrie nach der Neuordnung welches Unternehmen kontrollierte, nicht generell zu untersuchen bzw. zu beantworten. Dies war keine ‚juristische‘ Fragestellung, wie es immer wieder in den Quellen heißt, sondern eine grundsätzliche politische Entscheidung. Es war auch eine äußerst geschickte Entscheidung hinsichtlich der Erfüllung des ‚informellen‘ Mandats der Hohen Behörde: nämlich die ‚Rekonzentration‘ der Ruhrstahlindustrie zu legitimieren. Die Ruhrstahlindustrie hatte ebenfalls genau verstanden, wie sie sich gemäß dem ‚informellen‘ Mandat zu verhalten hatte. So wäre es taktisch unklug gewesen, nach der ersten grundsätzlichen Entscheidung der Hohen Behörde im Sinne einer ‚Rekonzentration‘ in Triumphgesten zu verfallen. Vielleicht hätte die Hohe Behörde dann wirklich – um ihre Existenz zu rechtfertigen – das formelle und nicht das informelle Mandat anwenden müssen. So spielte die Ruhrstahlindustrie die Bedeutung dieser Entscheidung ganz bewusst herunter. Die Entscheidungen der Hohen Behörde hatten für die Ruhrstahlindustrie aber weit reichende Bedeutung. Sie legitimierten die ‚Rekonzentration‘ ihrer Unternehmen. Jeglicher Kritik an der ‚Rekonzentration‘ konnte die Stahlindustrie durch den Hinweis auf eine Genehmigung der ersten supranationalen europäischen Gemeinschaft, deren Wettbewerbsinstrumente weiter auf den angeblich effektiven amerikanischen Antitrust-Regeln beruhten, begegnen. Jegliche Kritik an der ‚Rekonzentration‘ konnte also nach Luxemburg verwiesen werden. Eine sehr praktische, fast geniale Konstellation. So erlaubte die Hohe Behörde bis 1957 ohne viel großes Aufsehen und Aufregung in der europäischen Öffentlichkeit die formelle ‚Rekonzentration‘ von ‚entflochtenen‘ Unternehmensgruppen wie Mannesmann und Hoesch. Nur: Wie lange war dieses ‚informelle‘ Mandat gültig? Diese unbeantwortete Frage trug dazu bei, dass der erste Antrag der August Thyssen-Hütte AG, die Phoenix-Rheinrohr AG zu übernehmen, scheiterte. Fachlich-technische Gründe sprachen für eine Genehmigung, verbunden mit Auflagen, um eine klare Trennung zwischen den Nachfolgegesellschaften der VSt sicherzustellen. Es setzten sich aber schließlich die Kräfte durch, die durch ein Scheitern eines Antrags die Handlungsfähigkeit der Hohen Behörde demonstrieren woll-

342 ten. Das ‚informelle Mandat‘ hatte offenbar seine Gültigkeit verloren. Ein ‚informelles‘ bilaterales Gesprächsangebot der französischen Regierung über die Zukunft der EGKSWettbewerbspolitik auf dem Gebiet der Unternehmenszusammenschlüsse war von deutscher Seite abgelehnt worden. Dies trug sicherlich auch zum Scheitern des Antrags bei. Interessant ist die Tatsache, dass die ‚Thyssen-Gruppe‘ bald verlauten ließ, dass sie sich von der sehr harten Schelte der Presse in der Bundesrepublik am Ausgang des Antrags distanziere. Die ATH hatte wohl durchaus die Nützlichkeit des Artikels 66 erkannt. Vielmehr nahm man nun als Konsequenz aus dem Verfahrensverlauf zumindest indirekt Kontakt mit der französischen Regierung auf, was dort freundlich registriert wurde. Dass dann im folgenden Genehmigungsantrag der ATH die französische Regierung direkt Kontakte mit der Bundesregierung aufnahm, um im Einzelnen die Auflagen einer Genehmigung dieses Antrags zu verhandeln, verwundert kaum. Dabei scheint es, dass es eher auf die grundsätzliche Bereitschaft der Bundesregierung und auch der ATH ankam, sich über mögliche Auflagen im Sinne des Artikel 66 als ‚Mitbestimmungsinstrument‘ zu unterhalten und weniger um das materielle Ergebnis dieser Verhandlungen. Die Frage der ‚Rekonzentration‘ spielte in den darauf folgenden Anträgen der ATH keine Rolle mehr. Der Artikel 66 diente nun als Gelegenheit, den Umfang der Marktmacht der zukünftigen ‚Thyssen-Gruppe‘ zwischen betroffenen und interessierten Akteuren zu verhandeln. Da die ATH aus ihrer Zeit des Monopols der Warmbreitbandherstellung in der Bundesrepublik vertraglich die wichtigsten Verbraucher von Breitband an sich gebunden hatte, versuchte nun die Konkurrenz in einer allerdings nicht sehr stabilen Koalition, Hoogovens/DHHU/Hoesch über den Artikel 66 durch die Entscheidungen der Hohen Behörde den Umfang dieser ATH-Lieferungen zu verringern. Dieses Anliegen wurde von der französischen Regierung bereitwillig unterstützt. Der westdeutsche Markt war der wichtigste Exportmarkt für die französischen Fein- und Weißblechhersteller. Da konnte es nur recht sein, das Entstehen eines ‚Weißblechsimperiums‘ bei der ‚Thyssen-Gruppe‘ im Auge zu behalten. Die Hohe Behörde bildete nun die Verhandlungsplattform, auf welcher die Beteiligten bemüht waren, ihre Interessen durchzusetzen. Die Fachabteilungen der Hohen Behörde hatten auf die Entscheidungen der Hohen Behörde keinen Einfluss mehr. Daran anschließend stellt sich die Frage, ob die Nichtanwendung des ‚formellen‘ Mandats negative Auswirkung auf die Preiswettbewerbsintensität im EGKS-Markt hatte. Es wurde nun eben nicht systematisch untersucht, ob laut des ‚formellen Mandates‘ nach Artikel 66 die fusionierten Unternehmen nach einer Genehmigung die Möglichkeit bekommen würden, die ‚Preise zu bestimmen‘. Hier lautet die eindeutige Antwort: Nein. Die Intensität des Preiswettbewerbs vollzog sich auf dem EGKS-Stahlmarkt unabhängig von der Anwendung des Wettbewerbsrechts durch die Hohe Behörde. Bis 1958 sorgten die impliziten Preiskontrollen der Bundesregierung und der französischen Regierung dafür, dass die einheimischen Stahlproduzenten ihre aufgrund der boomenden Nachfrage und der Abwesenheit von Preisdruck durch Exporte erhebliche Marktmacht nicht durch ein zu starkes Drehen an der Preisschraube ausnutzen konnten.

343 Nach 1958 führte das steigende Weltstahlangebot zu einem Rückzug der belgischen Stahlexporteure vom Weltstahlmarkt. Stattsessen versuchten die belgischen Unternehmen nun durch eine aggressive Preisstrategie auf dem EGKS-Markt neue Absatzmärkte zu gewinnen, was zu einem Preisverfall gerade auch in der Bundesrepublik führte. Dies heißt dann aber auch, dass die genehmigten Unternehmenszusammenschlüsse der Ruhrstahlindustrie keine erheblichen Auswirkungen auf das Preisniveau hatten. Hier stellt sich die Frage, ob die Anwendung des ‚formellen Mandats‘ durch die Hohe Behörde die Entwicklung von Preiswettbewerb unterstützt hätte. Verfügte die Hohe Behörde über das technische Wissen, um durch die Anwendung von Wettbewerbsrecht den Wettbewerb zu fördern bzw. herzustellen oder zu garantieren? Hier ist interessant festzustellen, dass gerade die Rechtsabteilung bzw. auch der Jurist Spierenburg in Wettbewerbsfragen mit ihren Analysen in entscheidenden ökonomischen Fragen daneben lagen.10 Wäre man ihrer Interpretation des Artikels gefolgt, hätte dies Preiswettbewerb eher verhindert. Insofern war es für den Preiswettbewerb auf dem Stahlmarkt im ersten Jahrzehnt der EGKS nicht hinderlich, dass die Hohe Behörde den EGKS-Vertrag nicht umsetzte. Schließlich hätte die Hohe Behörde öffentlich auf den Widerspruch zwischen den Marktabsprachen des Artikels 60 und dem Kartellverbot des Artikels 65 hinweisen müssen. Mit einem solchen Schritt hätte die Hohe Behörde sicher viel politischen Ärger riskiert. Deshalb akzeptierte sie stillschweigend die Widersprüche des Vertrages.11 Hätte die Hohe Behörde auf der Ausübung des ‚formellen‘ Mandats bestanden, so hätte sie den EGKS Vertrag als wettbewerbspolitische Mogelpackung und die alliierte ‚Entflechtung‘ als weitgehend kosmetische Veranstaltung öffentlich entlarven müssen. Dies wäre wohl einem politischen Selbstmord nahe gekommen.12 Welche Erkenntnisse lassen sich nun aus dieser Analyse der Anwendung des Artikels 66 gewinnen hinsichtlich der Funktion von supranationalen Institutionen bzw. supranationaler Rechtsordnung? Bedeutet dies, dass diese Arbeit über den Ursprung und die Umsetzung des EGKS-Wettbewerbsrechts, eine Art „Implementationsforschung“, zur „Entzauberung des Rechts“13 führt? 10

11

12 13

Zu der oft impliziten – aber unrealistischen – Annahme, dass Akteure bei sozio-ökonomischen Entscheidungen stets über richtige Modelle verfügen, North, Wandel S. 9, ders. Economic change, S. 13–22, Martin, coal and steel S. 131f, siehe dazu auch die jüngste Geschichte der EU-Wettbewerbspolitik, welche die Annulierung von Kommissionsentscheidungen durch den Gerichtshof aufgrund von ‚lack of empirical evidence‘ beinhaltet, Ivo van Bael, Jean-Francois Bellis: Competition law of the European Community, The Hague 2005, S. 732ff. Allerdings ist erstaunlich, dass dieser Wiederspruch bis heute in der europäischen Rechtswissenschaft nicht rezipiert wird, Goyder, competition law, 2003 oder auch Clifford A. Jones: Foundation of competition policy in the EU and the USA: conflict, convergence, beyond, in Ullrich, S. 17–37. Siehe dazu auch Vincy Fon, Francesco Parisi: On the optimal specificity of legal rules, Journal of Institutional Economics (2007), S. 147–164, hier: S. 160. Joerges, Recht, S. 88.

344 Die ‚politisch intendierten‘ Wirkungen der Einführung von Wettbewerbsregeln im

EGKS-Vertrag stimmten mit dem formellen, rechtlichen ‚Programm‘ des Artikels 66

nicht überein. Im Vertrag standen Dinge, die eigentlich keiner wirklich umsetzen wollte. Die Hohe Behörde handelte dann im Sinne des impliziten Mandats, der ‚politisch intendierten‘ Wirkung, indem sie die ‚Rekonzentration‘ der Ruhrstahlindustrie legitimierte, ohne wirkliche Anstrengung zu übernehmen, eine kohärente Wettbewerbspolitik zu entwickeln. Dies implizierte dann allerdings, dass die formelle ‚Rechtsordnung‘ des EGKS-Vertrages zu großen Strecken nicht eingehalten wurde. Dieser Umgang mit dem formellen Vertrag führte aber interessanterweise nicht zum Scheitern der Integration. Solange die Nichtanwendung bzw. -durchsetzung von zentralen Vertragsbestandsteilen, wie z.B. das Wettbewerbsrecht, auf einen impliziten Konsens der Mitgliedstaaten beruhte, war dadurch die Basis für die Zusammenarbeit, der politische Wille, nicht berührt. Vielmehr wurde das Feld der Zusammenarbeit zwischen den EGKS-Mitgliedstaaten im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, welche ebenfalls eine supranationale Institution beinhaltete, noch ausgeweitet. Die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit in Westeuropa – trotz oft intensiver Diskussionen und Auseinandersetzungen über ihren genauen Gegenstand und die anzuwendenden Entscheidungsverfahren – intensivierte sich weiter.14 Diese Zusammenarbeit unterschied sich von autoritären, unilateralen Handlungsstrategien in Europa, die gerade von deutscher Seite in den vorherigen Jahrzehnten verfolgt wurden. Genau diese Zusammenarbeit, die darin bestand, dass man grundsätzlich bereit war, die Interessen bzw. Strategien anderer Staaten zu berücksichtigen und ihnen auch Rechnung zu tragen, muss dem wirklichen politischen Ziel der Mitgliedstaaten entsprochen haben. Die formelle Anwendung des Vertrages, der letztlich eine Art ‚Regierung für Kohle und Stahl‘ vorsah, kann es ja nicht gewesen sein. Vielmehr bildete die EGKS den Rahmen, in dem Kohle- und Stahlfragen zwischen den Mitgliedstaaten in den fünfziger Jahren im Interesse höherer politischer Ziele behandelt wurden. Dadurch kompliziert sich auch die Funktion der Hohen Behörde oder einer supranationalen Institution. Sie ist nicht einfach ein technisch-funktionelles Überwachungsorgan der Vereinbarungen der Mitgliedstaaten. Wenn die formellen Vereinbarungen, oder das ‚central enforceable‘ law, nicht immer mit den ‚politisch intendierten‘ Wirkungen der Mitgliedstaaten übereinstimmen, kann die Existenz der supranationalen Institutionen mit der „Regelüberwachung“15 nicht befriedigend erklärt werden. Die EGKS Wettbewerbsregeln stellten also kein reines supranationales System der „Regelüberwachung“ des Artikel 66 dar, sondern bildete eine Kommunikationsplatform

14

15

Siehe dazu Bitsch, histoire, Anne Deighton, Alan Milward (Hg.) Widening, deepening and acceleration: the European economic community 1957–1963, Bruxelles 1999, Wilfried Loth (Hg.): Crisis and compromises: the European project 1963–1969, Bruxelles 2001. Rittberger, Integrationstheorien, S. 57.

345 über die Entwicklung der europäischen Stahlindustrie, insbesondere der Ruhrstahlindustrie, zwischen den beteiligten Unternehmen und Mitgliedstaaten. Die ‚informelle Absicht‘ des EGKS Vertrages bestand darin, eine engere politische Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten durch die Entwicklung der europäischen Stahlindustrie zu fördern bzw. zumindest nicht zu behindern – als Übergang von einer Konflikt zu einer Zusammenarbeitsstrategie.16 In diesem Zusammenhang ist interessant festzustellen, dass Charles de Gaulle ausgerechnet während seines Besuches bei einem ‚Dauerkunden‘ der Hohen Behörde in Sache Artikel 66, der ATH, – wie in der Einleitung erwähnt – verkündete, dass Frankreich gegenüber der Ruhrstahlindustrie nur noch freundschaftliche Gefühle hegen würde. So erleichtern offenbar supranationale Vereinbarungen, bzw. Institutionen, eine Verständigung der Mitgliedstaaten über ihre verschiedenen Interessen bzw. über die Durchführung gemeinsamer Projekte, indem sie einen engen Rahmen vorgeben, sei es durch die Existenz einer gemeinsamen Rechtssprache, sei es durch die Bereitstellung einer Verhandlungsplattform, in der die verschiedenen Interessen und Strategien der Mitgliedstaaten abgestimmt werden können – oder gegebenenfalls eben auch durch die Bereitstellung eines ‚Sündebocks‘.17 So lässt sich auch die weitere Entwicklung der EGKS – bis zum Ablaufen des Vertrages im Jahre 2002 – erklären. In den sechziger und siebziger Jahren versuchten die Mitgliedstaaten, in nationalen Alleingängen die Probleme ihrer Stahlindustrie zu lösen. Erst als das Scheitern dieser Strategien offensichtlich war, bemühte man sich wieder um eine Koordinierung der Stahlpolitik im Rahmen des EGKS-Vertrages. Die offensichtliche Nichteinhaltung zentraler Bestimmungen des EGKS-Vertrages, wie das Subventionsverbot, hinderte die Mitgliedstaaten wiederum nicht, im Jahre 1986 sich vertraglich zu verpflichten, den Binnenmarkt zu vollenden – was wiederum eine erhebliche Stärkung der formellen Rechte der supranationalen Regierungsebene beinhaltete.18 Daraus lässt sich ableiten, dass die Weiterentwicklung der Europäischen Integration eben nicht nur von der Effizienz der formellen supranationalen Regeln, Vertragswerke oder Institutio-

16

17

18

Michelle Garfinkel, Stergios Skaperdas: Contract or war? On the consequences of a broader view of self-interest in economics, in: Michael Szenberg, Lall Ramrattan: New Frontiers in Economics, Cambridge 2004, 261–280. Eine hier nicht zu führende Diskussion ist es, wie sich dieser Zusammenhang zwischen „förmlichen“ und „ungeschriebenen“ Verhaltenscodices (nach North, Wandel, S. 4) auf die Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Entscheidungsverfahren auswirkt. In diesem Zusammenhang ist die Bemerkung von Loth interessiert, der feststellt, dass politische Diskussion über die Rechtfertigung von supranationalen Kompetenzen in der Geschichte der europäischen Integration bis heute von Taktik, Polemik und Missverständnissen geprägt sind, Wilfried Loth: Mise en perspective de la constitution européenne, in: Loth, gouvernance, S. 339–372. Zur EGKS-Politik in der Stahlkrise, Uebbing, Wege, S. 130f., Meny, Martin, coal and steel, Philippe Mioche: Les cinquante années de l’Europe du charbon et de l’acier. 1952–2002, Luxembourg 2004.

346 nen abhängt. Entscheidend scheint der politische Wille zur Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu sein bzw. die Unterstützung der Bürger der Mitgliedstaaten für diese Zusammenarbeit, die mit der Effizienz der formellen Regeln nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen muss.19 Insofern schließt diese Arbeit mit der Feststellung, dass eine weitere historische Analyse des Ursprungs und der Anwendung von supranationalen Regeln das Wissen über ihre Funktion im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften, bzw. der heutigen Europäischen Union, verbessern kann.20 Die Vermutung ist, dass es in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaften, und in der Geschichte der supranationalen europäischen Rechtsordnung, noch mehr Artikel 66 gibt.

19

20

Siehe dazu Johan P. Olsen: Europe in search of political order: an institutional perspective on unity/diversity, citizens/their helpers, democratic design/historical drift and the co-existence of orders, Oxford 2007, S. 102f. Historische Beschreibung, die der Komplexität der Fragestellung Rechnung trägt, kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. Siehe dazu Robert Geyer: European Integration, the Problem of Complexity and the revision of Theory, in: JCMS 41 (2003), S. 15–35, hier: S. 30.

347

III. A BKÜRZUNGSVERZEICHNIS

AHK

Alliierte Hohe Kommission

ATH

August Thyssen-Hütte AG

BWM

Bundeswirtschaftsministerium

CSSF

Chambre syndicale de la Sidérurgie française

CSG

Control Steel Group

DEW

Deutsche Edelstahlwerke AG

DHHU

Dortmund-Hörder Hüttenunion AG

EGKS

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

FRUS

Foreign Relations of the United States

IHG

Investitionshilfegesetz

GEORG

Gemeinschaftsorganisation Ruhrkohle

GHH

Gutehoffnungshütte

HOAG

Hüttenwerk Oberhausen AG

KHD

Klöckner-Humboldt Deutz AG

MU

Montanunion

NESI

Die Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie (Stahltreuhänderbericht)

STV

Stahltreuhändervereinigung

VfZ

Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte

VSWG

Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

348 VSt

Vereinigte Stahlwerke AG

WUW

Wirtschaft und Wettbewerb

WVESI

Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie

349

IV. Q UELLENVERZEICHNIS

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C. Statistiken Eurostat: Eisen und Stahl 1952–1982, Luxemburg 1982 (= Eurostat 1952–1982). Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften: Eisen und Stahl, Sidérurgie Jahrbuch, Luxemburg, 1964 (= Sidérurgie 1964). Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften: Eisen und Stahl, Sidérurgie Jahrbuch, Luxemburg 1966. (= Sidérurgie 1966). Statistisches Bundesamt (Hg.): Die Eisen- und Stahlindustrie, Statistische Jahreshefte, Außenstelle Düsseldorf, 1950–1964. Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie: Jahrbuch Eisen- und Stahlindustrie, Düsseldorf, 1950–1964. Statistisches Bundesamt: Wirtschaft und Statistik, Stuttgart, 1949–1963.

D. Zeitschriften: Actualités industrielles lorraines 1949–1964 Stahl und Eisen 1950–1964 Der Volkswirt 1950–1964 DER SPIEGEL 1950–1964

E. Geschäftsberichte: August Thyssen-Hütte AG 1953–1964 Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation AG 1953–1964 Dortmund-Hoerder Hüttenunion 1953–1964 Hoesch AG 1953–1963 Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG 1953–1963 Hüttenwerk Oberhausen AG 1953–1963 Mannesmann AG 1952–1963.

352 Nordwestdeutsche Hütten- und Röhrenwerke 1953–1964. Rheinische Stahlwerke AG 1954–1964 Ruhrstahl AG 1953–1963 Stahlwerke Bochum AG 1953–1963 Phoenix-Rheinrohr AG Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke 1953–1963 Stahl-Walzwerk Rasselstein-Andernach AG 1953–1963 Hüttenwerk Siegerland AG 1953–1963 Stahlwerke Südwestfalen AG 1953–1963

Unveröffentlichte Quellen Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (=PAAA) B 15 Schumanplansekretariat Referat 200 Politische Abteilung 2 IA2 Bundesarchiv, Koblenz (=BA) B 102 Bundesministerium für Wirtschaft B 136 Bundeskanzleramt B 146 Ministerium für den Marshalplan/Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit B 109 Stahltreuhändervereinigung N 1384 Nachlaß Henle N 1359 Nachlaß Hellwig N 1266 Nachlaß Hallstein N 1254 Nachlaß Etzel N 1239 Nachlaß von Brentano N 1080 Nachlaß Blücher N 1244 Nachlaß Lehr Staatsarchiv Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf (=NW) NW 182 Staatskanzlei NW 74 Wirtschaftsministerium Mannesmann-Archiv, Mülheim-Ruhr (=M) P Hüttenwerke Phoenix R Rheinische Röhrenwerke M Mannesmann

353 Thyssen-Krupp Konzernarchiv, Duisburg-Ruhrort (=TA) A August Thyssen-Hütte Sekretariat Sohl RSW Rheinische Stahlwerke THU Handelsunion VSt Vereinigte Stahlwerke NSt Nachlaß Wilhelm Steinberg Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Köln (=RWW) RWW 130 Gutehoffnungshütte Historisches Archiv Krupp Hüttenwerk Rheinhausen/Friedrich-Alfred-Hütte, Rheinhausen Hoesch-Archiv, Dortmund (Hoesch) Hoesch Dortmund-Hörder Hüttenunion (DHHU) Archives Nationales, Paris (AN) AN 363 AP Nachlaß René Mayer AN 331 AP Nachlaß Olivier Lapie 81 AJ Commissariat du Plan Archives Nationales, Centre des Archives contemporaines, Fontainebleau (CAC) Premier Ministre, Secrétariat général du Comité interministeriel (19880256, 197714661, 19880256, 19771474) Ministère de l’Industrie (19800116, 19830560, 19770839) Chambre syndicale de la Sidérurgie française (19900482) AS 62 Ministère des Affaires Etrangères, Archives Diplomatiques, Paris (MAE) DE-CE 1945–60 Direction économique – Coopération économique DE-CE 1960–66 Direction économique – Coopération économique Ministère des Affaires Etrangères, Archives Diplomatiques, Nantes (MAE) Ambassade de France, Republique Fédéral d’Allemagne, Bonn Ministère de l’Économie, Archives Économiques et Financiers, Savigny-le-Temple B Ministère des Finances, Direction des Rélations Economiques Extérieures Archives de l’Assemblée Nationale, Paris Commission des affaires étrangères

354 Archives de Saint-Gobain-Pont-à-Mousson, Blois (PAM) PAM Pont à Mousson Historical Archives of the European Union, Firenze (HAEU) Dep 9 URI Pierre Uri JMDS Jean Monnet Duchêne Sources CEAB – Hohe Behörde EGKS PE1 Gemeinsame Versammlung EGKS CM 1 Ministerrat EGKS Archiv Europäische Kommission, Brüssel (AEC) BDT 74 /85 Cabinet Coppé BDT 137/1987 Cabinet Daum/Reynaud BDT 73/85 Cabinet Linthorst-Homan BDT 135/87 Cabinet Spierenburg Archives Corus, Ijmuiden Hoogovens – DHHU Archives d’histoire contemporaine, Centre d’histoire de l’Europe du Vingtième siècle, (CHEVS) Paris JMJ Nachlaß Jean-Marcel Jeanneney 1 DE Nachlaß Michel Debré CM Nachlaß Couve de Murville Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), St. Augustin I 083 Nachlaß Hellwig I 659 Nachlaß von der Groeben I 433 Nachlaß Birrenbach

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381

VI. P ERSONENREGISTER

Auriol, Vincent 74 Adenauer, Konrad 19, 42, 71, 73, 93, 96, 97, 102, 109, 151, 179, 246, 258, 259, 260, 265, 269, 272, 273, 274, 279, 280, 285, 297 Aron, Alexis 72 Acheson, Dean 44 Armengaud, André 271 Barre, Raymon S.15 Bechtholf, Erich 308 Berg, Fritz 259 Birrenbach, Kurt 151, 216, 217, 219, 220, 259 Brentano Heinrich von 297 Blücher , Franz 32, 259, 265 Bowie, Robert 22, 51, 55, 69, 98, 99, 100, 101, 102 Bruce, David 98 Bureau, Albert 101, 133, 134, 135, 157

Debré, Michel 78, 209, 210, 252, 254, 269, 272, 274, 284, 285, 297 De Gaulle, Charles, 11, 255, 269, 272, 284, 285, 297, 345 Denis, Albert 291, 292 Dinkelbach, Heinrich 101, 119, 223, 244 Ellscheid, Robert 149, 153, 155, 156, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 224, 238, 259 Erhard, Ludwig 45, 62, 102, 179, 245, 263 Etzel, Franz 169, 177, 178, 183, 190, 192, 193, 225, 230, 231, 244, 245, 258, 259, 305 Falkenhausen, Gotthard Freiherr von 197 Fayat, Henri 209 Féblot, Jacques 286, 291 Flick, Friedrich 109, 148 Finet, Paul 260, 275, 278, 302 François-Poncet, Jean 181

Coenen, Ernst 208 Coppé, Albert 32, 190, 275, 276, 277, 278, 280, 295, 300, 303, 334 Cramer, Hans 240 Couve de Murville, Maurice 255, 277, 299

Godlewski, Baron Julian von 218 Goergen, Fritz Aurel 218, 219, 220, 221, 222, 227 Globke, Hans 259, 271

Daum, Léon 190, 265 Deist, Heinrich S. 253

Hallstein, Walter 45, 69, 71, 73, 94, 157 Hamburger, Richard 225, 235, 268

382 Harders, Friedrich 302, 303, 310 Henle, Günther 99, 154, 170, 183, 197, 198 Hellwig, Fritz 265, 271, 275, 278, 280, 287, 302, 304, 334 Hitler, Adolf 169 Hugenberg, Alfred 148

Ochel, Willy 302, 303, 308, 310 Pferdmenges, Robert 71, 158, 159, 160, 161, 169, 170, 220, 259, 271 Pleven, René 271 Pohle, Helmut 210 Potthoff, Heinrich 32, 259, 275 Pinay, Antoine S. 268

Ingen Housz, Arnold 244 Janberg, Hans 309 Jeaneney, Jean-Marie 263 Kattenstroth, Ludwig 293 Klöckner, Peter 197 Krages, Hermann 226, 227, 236, 237, 244 Krafft, Wilhelm S.249 Krawielicki, Robert 225 Krupp, Alfried von Bohlen und Halbach 148, 251, 252, 253, 261, 279 Krupp, Gustav 150 Lapie, Pierre-Olivier S. 265, 269, 271, 274, 277, 283, 284, 293, 295, 297, 301 Lehr, Robert 50, 158, 169 Linz, Wolfgang 156, 161 Malvestiti, Pierro S. 265, 273, 275, 278, 279 Mayer, René 75 McCloy, John 55, 99, 100, 101, 103, 139, 165 Meilicke, Andreas 226 Mommsen, Ernst Wolff 183, 334 Monnet , Jean 16, 17, 18, 19, 44, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 57, 61, 64, 68, 75, 76, 77, 78, 81, 86, 87, 94, 95, 98, 99, 105, 110, 157, 176, 178, 183, 193, 205, 339 Monti, Mario 25

Reusch, Hermann 140 Reynaud, Roger 275, 300, 302, 303 Rohland, Walter 223 Rollmann, Tony 335 Schuman, Robert 41, 82 Schröder, Gerhard 72, 88 Schwede, Walter 156, 170, 216, 245 Simson, Werner von 188, 189, 190, 193, 194, 208 Spethmann, Dieter 22, 124, 289 Spierenburg, Dirk 20, 33, 178, 190, 201, 248, 254, 255, 265, 280, 286, 287, 293, 295 Springorum, Otto 233, 238 Sohl, Hans-Günther 103, 156, 159, 216, 218, 219, 233, 237, 238, 240, 249, 258, 259, 264, 268, 272, 276, 280, 283, 286, 292, 293, 297, 298, 300, 301, 302, 303, 309, 310 Schulz Ekkehard D. 131 Seydoux, François 292 Speer, Albert 168 Thiesing, Jochen 195 Thyssen, August 153 Thyssen Amélie 149, 216, 217, 218, 220, 221, 222, 223, 224, 282, 295 Thyssen, Fritz 118, 148, 149, 152, 153, 169, 216, 221, 250, 272, 273 Uri, Pierre 68, 69

383 Van Zeeland, Paul 70 Valery, Francois 96 Waldthausen, Ernst von 157 Wehrer, Albert S 268, 275, 276 Wenner-Gren, Alex 150, 252 Wenzel, Hermann 153, 216

Westrick, Ludger 107, 162, 259, 260, 263, 268 Wolff Otto 143, 148, 290, 291 Zangen, Wilhelm 137, 168 De Zichy, Anita Gräfin 149, 152, 217, 220, 229