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German Pages 62 [72] Year 1900
DOTI
Johannetlr Lein. Zllit einem Geleitwort von
Alfred Bock.
V Gietzen I. Ricker'sche Verlagsbuchhandlung
1899.
— Alle Rechte vorbehalten. —
v. Münchow'sche Hof- u. Universitäts-Druckerei Gießen.
MhattS-UerZ-eichmK. Seite
\
Geleitwort Mein Dichten
.
.
7
.
8
Ablehnung
wenn Abends ich von tiefem Leid bedrückt
.
.
9
Schöner Tod
.
.
40
Das Wörtchen Muß
\\
Das Dichterpferd
\2
Kampf und Sieg
(3
Aufwärts Die Poesie
15
In einsamer Stunde
16
Geister
\7
Du Stern am hohen Himmelsdom
(8
Such nicht das Glück nach außen
19
Die erste Rose
20
Am Lebensabend
2\
Blumenpredigt
22
Gottvertrauen
23
Bitte.........................................................................
-
Der Dünsberg am Abend..................................
.
25
Mein Vöglein........................................................
.
26
24
Im Wald..............................................................
.
28
Naturgedicht........................................................
.
29
Naturgabe..............................................................
.
50
Sehnsucht..............................................................
-
31
Das Brüderlein...................................................
.
32
Das stille Grüßen ..........
.
33
Die Errungenschaft.............................................
.
34
.
.
36
/.............................................
.
38
Aufruf an Deutschland im August t8?o Die Aeolsharfe .
.
Nach der ersten großen Schlacht.......................
.
39
Die Schmitte bei Rodheim..................................
.
42
Mein Stübchen....................................... ..... Lebensgang ..............................................................
.
45
Der Sündenfall...................................................
.
50
A, s
ist
in
der
Adventszeit
Dor dein Seltersthor
des
Jahres
Stadt Gießen
der
|8t9.
sind
Maurer und Ziinmerleute beim Werk, ein baufälliges
Häuschen niederzureißen.
Die Arbeit geht bei starkem
Schneegestöber langsam von statten.
Auf dem Dachfirst
steht ein stattlicher junger Zimmermann und treibt mit
blitzender Art das Gebälk auseinander.
Sei es, daß
sein Fuß auf dem glatten Holz ben I5alt verliert, fei
es, daß ihm der Schilee in die Augen weht — plötzlich
stößt er einen Schrei aus, die Art entfällt feinen Händen,
er stürzt jähliilgs in die Tiefe. zu Hilfe. ans
Die Kameraden eilen
Der verunglückte liegt reguiigslos am Boden,
klaffender Stirilwunde
rinnt
das Blut.
Basch
richtet mail eine Bahre her, dell BesiililUilgsloseil darauf zu betten.
Hütte
in
Uild da man ihn über die Schwelle feiner
der
Kleinen Mühlgasfe trägt,
ahnungsloses Weib ohnmächtig zusammen.
bricht
fein
Mhne das
Bewußtsein wieder zu erlangeil, geht der Anne anderen
Tages still hinüber.
In der größten Bot bleibt seine
Witwe mit drei unmündigen Kindern zurück, uild daß
das Maß ihres Elends sich fülle, sieht sie voll Bangen der Ankunft eines vierten kleinen Mesens entgegen* —
Der Brave, der in der Blüte der Jahre bei seinem
Handwerk
das
Christian Lein.
Leben
der
war
ließ,
Zimmermann
Als seine Tochter erblickte Johannette
Lein am u. Juni t820 das Licht der Welt.
An ihrer
Wiege reichten sich die finsteren Gestalten der Sorge
und der Armut die Hände.
In schwerer Arbeit schaffte
die Mutter um kärglichen Tageslohn für die vaterlosen Waisen
das
Brod
herbei.
Johannette wuchs heran.
Die
kleine,
schwächliche
Da sie das siebente Lebens
jahr erreicht hatte, schickte sie die Mutter in die Stadt
armenschule, wo sie notdürftig lesen und schreiben lernte.
Das Lehramt versah ein ehemaliger Sattlermeister, ein Dummkopf,
den
die
Weisheit
Pädagogen ausersehen hatte.
der
Stadtväter 511111
Bach der Konfirmation
nahm Johannette als Hausmädchen Dienste und blieb bis zum 23. Jahre der Mutter fern.
Während sie sich
in den Willen ihrer Herrschaft schicken lernte und bei fleißiger Hantierung Trübes und Weiteres erfuhr, er
schien ihr wie eine Botin aus Himmelshöhen die Muse der Dichtkunst, um sie fortan nicht mehr zu verlassen.
Was sie erlebte und dachte, das formte sich ihr von selbst zum Gedicht, sich poetisch auszusprechen war ihr innerstes Bedürfnis, war ihr Erquickung und Trost. —
Aus Mainz, wohin sie sich verdungen hatte,
Johannette
18^3
Gießen zurück.
zu
der
kränkelnden
Mutter
kehrte nach
Für die langsam Hinsterbende und für
sich selbst gewann
Lebensunterhalt.
sie
nun
als
„R ähmamselV
den
Bald lernte man in den Familien
der Honoratioren und Universitätsprofessoren das liebens
würdige junge Mädchen schätzen,
verlautbarte,
mit
welch
reichem
und
als nun gar
poetischen
Talent
Johannette begnadet sei, da begegneten ihr Achtung
und Teilnahme, kam.
wohin sie mit ihren: Radelbüchschen
Im Jahre 1853 machte sie die Bekanntschaft des
jungen Malers Carl Rühling aus Göttingen und schloß
mit ihm
einen
innigen Freundschaftsbund.
Ls
sei
verstattet, aus einem Briefe, den Johannette damals
an Rühling schrieb, eine charakteristische Stelle anzuführen:
„Sieh, mein Freund, das ernste vor der Zeit er graute Mädchen zeigt Dir ohne Bedenken sein ganzes Herz.
Du hast wohl soviel Wärme bei mir nicht ge
sucht.
Ich habe auch noch nie in solcher Sprache zu
einen: Manne gesprochen. Lass' Dirs als Beweis dienen,
wie hoch meine Meinung von Dir ist, wie tiefe wurzeln
die so schnell geschlossene Freundschaft schon gefaßt hat. Denke nicht, daß ich Dein Bild mit romantischen: Flitter
umhänge, daß ich mir von Deinen: Ich eine überspannte Vorstellung n:ache.
Rein, das thue ich nicht.
Ich sehe
Dich mit dem klaren ruhigen Auge der Freundschaft,
ich glaube auch nicht, daß Du fehlerfrei bist, ich liebe
Dich, wie Du bist.
Möge die Freundschaft, die zwischen
uns bestehen soll, alle schöne?: Keime in Deine?:: jungen Herze?: zur herrlichste?: Blüte entfalte?:, wir wolle?: ge-
meinschaftlich an ihrer Veredlung arbeiten, und so eines
vom andern lernen, wie man das Leben ausschmücken kann.
Nun mögen die Winterstürme kommen, lass' sie
um Deine ländliche Wohnung brausen;
die Stimme
der Freundschaft ist lauter wie sie, ihr Strahl ist warm
genug, Dein Berz vor jeder Erkältung zu schützen."
warf so die Freundschaft, ja die Liebe auf Johannettens mühevolles Leben einen verklärenden Schimmer,
so blieb ihr der große Schmerz nicht erspart,
ein Jahr
später des Freundes Tod zu beweinen.
raffte die
Cholera in München den talentvollen jungen Maler hin. — Und Jahrzehnt um Jahrzehnt sah das alternde
Mädchen verwehen und vergehen. Regsam von früh bis
spät erfüllte sie getreulich als Nähmamsell ihren Beruf.
Erst an der Schwelle des 7 8. Jahres legte sie die Nadel hin.
Ungebeugt von der Last des Alters, den
sinnenden Blick rückwärts gerichtet, ruht sie nun von
ihrem Tagewerk aus.
wie all die Jahre vorher liest
sie bis zur Stunde fast nichts,
doch
rauscht ihr der Ouell der Poesie.
ununterbrochen
Ihre Freunde aber,
unter denen sie strahlende,: Auges in voller Rüstigkeit einhergeht,
dürfen
aus
ihrem
manches kluge Wort, aus
beredten
Mund
noch
ihrer Leier noch manchen
harnwnifchen Klang erwarten. —
Die Gedichte reden
ihre
eigene
der Naturdichterin Johannete
Lein
Das
den
Sprache.
Gefübl
für
Rhythmus, das ihnen innewohnt, die Fülle von Ge danken, die sie offenbaren, predigen die alte Wahrheit,
daß
nicht
erworbene Kenntnisse,
Anlagen den Dichter machen.
sondern natürliche Über die Grenzen ihrer
hinaus verdient Iohannette Lein, die Dichterin
ans dem Volke, bekannt und geschätzt zu werden.
Und
jetzt, da die Kinder ihrer Muse den weg ins weite
wagen, geben wir ihnen die Worte Goethes zum Ge
leite: „wie mein sich sonst gegen den Menschen dankbar
erzeigt, daß er uns treffliche Poesien liefert, so muß man es hier der Poesie recht lebhaft verdanken, daß sie uns mit einem wackeren Menschen bekannt macht." —
Gietzen, Sylvester t8