Gedichte [Reprint 2021 ed.]
 9783112431825, 9783112431818

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DOTI

Johannetlr Lein. Zllit einem Geleitwort von

Alfred Bock.

V Gietzen I. Ricker'sche Verlagsbuchhandlung

1899.

— Alle Rechte vorbehalten. —

v. Münchow'sche Hof- u. Universitäts-Druckerei Gießen.

MhattS-UerZ-eichmK. Seite

\

Geleitwort Mein Dichten

.

.

7

.

8

Ablehnung

wenn Abends ich von tiefem Leid bedrückt

.

.

9

Schöner Tod

.

.

40

Das Wörtchen Muß

\\

Das Dichterpferd

\2

Kampf und Sieg

(3

Aufwärts Die Poesie

15

In einsamer Stunde

16

Geister

\7

Du Stern am hohen Himmelsdom

(8

Such nicht das Glück nach außen

19

Die erste Rose

20

Am Lebensabend

2\

Blumenpredigt

22

Gottvertrauen

23

Bitte.........................................................................

-

Der Dünsberg am Abend..................................

.

25

Mein Vöglein........................................................

.

26

24

Im Wald..............................................................

.

28

Naturgedicht........................................................

.

29

Naturgabe..............................................................

.

50

Sehnsucht..............................................................

-

31

Das Brüderlein...................................................

.

32

Das stille Grüßen ..........

.

33

Die Errungenschaft.............................................

.

34

.

.

36

/.............................................

.

38

Aufruf an Deutschland im August t8?o Die Aeolsharfe .

.

Nach der ersten großen Schlacht.......................

.

39

Die Schmitte bei Rodheim..................................

.

42

Mein Stübchen....................................... ..... Lebensgang ..............................................................

.

45

Der Sündenfall...................................................

.

50

A, s

ist

in

der

Adventszeit

Dor dein Seltersthor

des

Jahres

Stadt Gießen

der

|8t9.

sind

Maurer und Ziinmerleute beim Werk, ein baufälliges

Häuschen niederzureißen.

Die Arbeit geht bei starkem

Schneegestöber langsam von statten.

Auf dem Dachfirst

steht ein stattlicher junger Zimmermann und treibt mit

blitzender Art das Gebälk auseinander.

Sei es, daß

sein Fuß auf dem glatten Holz ben I5alt verliert, fei

es, daß ihm der Schilee in die Augen weht — plötzlich

stößt er einen Schrei aus, die Art entfällt feinen Händen,

er stürzt jähliilgs in die Tiefe. zu Hilfe. ans

Die Kameraden eilen

Der verunglückte liegt reguiigslos am Boden,

klaffender Stirilwunde

rinnt

das Blut.

Basch

richtet mail eine Bahre her, dell BesiililUilgsloseil darauf zu betten.

Hütte

in

Uild da man ihn über die Schwelle feiner

der

Kleinen Mühlgasfe trägt,

ahnungsloses Weib ohnmächtig zusammen.

bricht

fein

Mhne das

Bewußtsein wieder zu erlangeil, geht der Anne anderen

Tages still hinüber.

In der größten Bot bleibt seine

Witwe mit drei unmündigen Kindern zurück, uild daß

das Maß ihres Elends sich fülle, sieht sie voll Bangen der Ankunft eines vierten kleinen Mesens entgegen* —

Der Brave, der in der Blüte der Jahre bei seinem

Handwerk

das

Christian Lein.

Leben

der

war

ließ,

Zimmermann

Als seine Tochter erblickte Johannette

Lein am u. Juni t820 das Licht der Welt.

An ihrer

Wiege reichten sich die finsteren Gestalten der Sorge

und der Armut die Hände.

In schwerer Arbeit schaffte

die Mutter um kärglichen Tageslohn für die vaterlosen Waisen

das

Brod

herbei.

Johannette wuchs heran.

Die

kleine,

schwächliche

Da sie das siebente Lebens­

jahr erreicht hatte, schickte sie die Mutter in die Stadt­

armenschule, wo sie notdürftig lesen und schreiben lernte.

Das Lehramt versah ein ehemaliger Sattlermeister, ein Dummkopf,

den

die

Weisheit

Pädagogen ausersehen hatte.

der

Stadtväter 511111

Bach der Konfirmation

nahm Johannette als Hausmädchen Dienste und blieb bis zum 23. Jahre der Mutter fern.

Während sie sich

in den Willen ihrer Herrschaft schicken lernte und bei fleißiger Hantierung Trübes und Weiteres erfuhr, er­

schien ihr wie eine Botin aus Himmelshöhen die Muse der Dichtkunst, um sie fortan nicht mehr zu verlassen.

Was sie erlebte und dachte, das formte sich ihr von selbst zum Gedicht, sich poetisch auszusprechen war ihr innerstes Bedürfnis, war ihr Erquickung und Trost. —

Aus Mainz, wohin sie sich verdungen hatte,

Johannette

18^3

Gießen zurück.

zu

der

kränkelnden

Mutter

kehrte nach

Für die langsam Hinsterbende und für

sich selbst gewann

Lebensunterhalt.

sie

nun

als

„R ähmamselV

den

Bald lernte man in den Familien

der Honoratioren und Universitätsprofessoren das liebens­

würdige junge Mädchen schätzen,

verlautbarte,

mit

welch

reichem

und

als nun gar

poetischen

Talent

Johannette begnadet sei, da begegneten ihr Achtung

und Teilnahme, kam.

wohin sie mit ihren: Radelbüchschen

Im Jahre 1853 machte sie die Bekanntschaft des

jungen Malers Carl Rühling aus Göttingen und schloß

mit ihm

einen

innigen Freundschaftsbund.

Ls

sei

verstattet, aus einem Briefe, den Johannette damals

an Rühling schrieb, eine charakteristische Stelle anzuführen:

„Sieh, mein Freund, das ernste vor der Zeit er­ graute Mädchen zeigt Dir ohne Bedenken sein ganzes Herz.

Du hast wohl soviel Wärme bei mir nicht ge­

sucht.

Ich habe auch noch nie in solcher Sprache zu

einen: Manne gesprochen. Lass' Dirs als Beweis dienen,

wie hoch meine Meinung von Dir ist, wie tiefe wurzeln

die so schnell geschlossene Freundschaft schon gefaßt hat. Denke nicht, daß ich Dein Bild mit romantischen: Flitter

umhänge, daß ich mir von Deinen: Ich eine überspannte Vorstellung n:ache.

Rein, das thue ich nicht.

Ich sehe

Dich mit dem klaren ruhigen Auge der Freundschaft,

ich glaube auch nicht, daß Du fehlerfrei bist, ich liebe

Dich, wie Du bist.

Möge die Freundschaft, die zwischen

uns bestehen soll, alle schöne?: Keime in Deine?:: jungen Herze?: zur herrlichste?: Blüte entfalte?:, wir wolle?: ge-

meinschaftlich an ihrer Veredlung arbeiten, und so eines

vom andern lernen, wie man das Leben ausschmücken kann.

Nun mögen die Winterstürme kommen, lass' sie

um Deine ländliche Wohnung brausen;

die Stimme

der Freundschaft ist lauter wie sie, ihr Strahl ist warm

genug, Dein Berz vor jeder Erkältung zu schützen."

warf so die Freundschaft, ja die Liebe auf Johannettens mühevolles Leben einen verklärenden Schimmer,

so blieb ihr der große Schmerz nicht erspart,

ein Jahr

später des Freundes Tod zu beweinen.

raffte die

Cholera in München den talentvollen jungen Maler hin. — Und Jahrzehnt um Jahrzehnt sah das alternde

Mädchen verwehen und vergehen. Regsam von früh bis

spät erfüllte sie getreulich als Nähmamsell ihren Beruf.

Erst an der Schwelle des 7 8. Jahres legte sie die Nadel hin.

Ungebeugt von der Last des Alters, den

sinnenden Blick rückwärts gerichtet, ruht sie nun von

ihrem Tagewerk aus.

wie all die Jahre vorher liest

sie bis zur Stunde fast nichts,

doch

rauscht ihr der Ouell der Poesie.

ununterbrochen

Ihre Freunde aber,

unter denen sie strahlende,: Auges in voller Rüstigkeit einhergeht,

dürfen

aus

ihrem

manches kluge Wort, aus

beredten

Mund

noch

ihrer Leier noch manchen

harnwnifchen Klang erwarten. —

Die Gedichte reden

ihre

eigene

der Naturdichterin Johannete

Lein

Das

den

Sprache.

Gefübl

für

Rhythmus, das ihnen innewohnt, die Fülle von Ge­ danken, die sie offenbaren, predigen die alte Wahrheit,

daß

nicht

erworbene Kenntnisse,

Anlagen den Dichter machen.

sondern natürliche Über die Grenzen ihrer

hinaus verdient Iohannette Lein, die Dichterin

ans dem Volke, bekannt und geschätzt zu werden.

Und

jetzt, da die Kinder ihrer Muse den weg ins weite

wagen, geben wir ihnen die Worte Goethes zum Ge­

leite: „wie mein sich sonst gegen den Menschen dankbar

erzeigt, daß er uns treffliche Poesien liefert, so muß man es hier der Poesie recht lebhaft verdanken, daß sie uns mit einem wackeren Menschen bekannt macht." —

Gietzen, Sylvester t8