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German Pages [197] Year 2010
Gedächtnisort
Bettina Schmidt-Czaia Ulrich S. Soénius (Hg.)
Gedächtnisort Das Historische Archiv der Stadt Köln
2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildungen: Der Frieden zwischen dem Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden und Bischof Simon von Paderborn aus dem Jahr 1256, Pergamenturkunde Auf der Rückseite des Buches: direkt nach dem Einsturz, recto; auf der Vorderseite des Buches: nach der Restaurierung. Die Lesbarkeit und der Gesamteindruck wurden deutlich verbessert Fotos: Stadtarchiv Neuss, Marcus Janssens
© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlagentwurf: Judith Mullan, Wien Satz und Layout: Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Druck und Bindung: freiburger graphische betriebe GmbH & Co. KG, Freiburg Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20490-7
Inhalt Zum Geleit Bettina Schmidt-Czaia und Ulrich S. Soénius..................................... 7 Gedächtnisort Archiv
Das Historische Archiv der Stadt Köln. Geschichte – Bestände – Konzeption Bürgerarchiv Bettina Schmidt-Czaia ...................................................................... 10 Einsturz – Bergung – Perspektiven. Ansichten und Einsichten Ulrich Fischer . ........................................................................................... 39 Bestandserhaltungsmanagement „nach Köln“ Johannes Kistenich ............................................................................. 66 Digitalisierung – Zukunft des Archivs? Andreas Berger................................................................................... 84 Köln – Stadt der Archive Ulrich S. Soénius ....................................................................................... 96 Der Einsturz. Längerfristige Folgen und Perspektiven für die deutschen Archive Robert Kretzschmar ................................................................................ 117 Das Kölner Stadtarchiv und die Geschichtswissenschaft
Der Einsturz: Folgen und Zukunftserwartungen Jost Dülffer . .............................................................................................. 128 „Die Geschichte der Stadt Köln“ in dreizehn Bänden Werner Eck ...................................................................................... 132
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Inhalt
Forschungen zur rheinischen Geschichte Manfred Groten . ..................................................................................... 151 Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte Marita Blattmann ........................................................................... 159 Frühneuzeitforschung Gerd Schwerhoff . ............................................................................. 170 Kölngeschichte – Stadtgeschichte – Zeitgeschichte Ralph Jessen . ............................................................................................ 181
Zum Geleit Am 3. März 2009 erlebte Köln ein Unglück von nationalem Ausmaß. Anfangs schien es manchem Kommentator als lokales Ereignis, doch bereits kurze Zeit nach den ersten Schreckstunden war vielen Beobachtern klar, dass der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln von der Bedeutung sehr viel höher einzustufen war. Noch nie war seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa Kulturgut in einer solchen Quantität und von einer solchen Qualität von der Vernichtung bedroht worden. Bereits in den Stunden unmittelbar nach dem Unglück galt es aber nicht zu resignieren, sondern mit archivischem Sachverstand bei der Katastrophenhilfe tätig zu sein. Erste Entscheidungen wurden getroffen, um das Archivgut aus dem Trümmerberg und der Unglücksgrube zu bergen. Inmitten dieser Vorbereitungen traf die Nachricht von dem Tod des ersten, später des zweiten jungen Mannes ein, die mit einem der Nachbarhäuser in die Tiefe gestürzt waren. In den folgenden Monaten wurden bis dahin völlig unbekannte Herausforderungen an die archivische Arbeit gestellt, Organisationsaufgaben übernommen und Koordinierungsfunktionen erfüllt. Tausende von Helfern leisteten Tausende von Stunden bei der Bergung der Archivalien, es gab nie erahnte und nie gekannte Erlebnisse, die die Solidarität unter Beweis stellten. Nunmehr, neun Monate nach dem Unglück und bei Redaktionsschluss dieses Bandes, sind ca. 85 Prozent der verschütteten Archivalien geborgen. Sie harren der weiteren Bearbeitung, vor allem der Konservierung und Restaurierung. Dafür wird eine sehr hohe Summe Geld benötigt, die alles bisher an Schadensbewältigung für beschädigtes Kulturgut in den Schatten stellt. Auch wenn der Archiveinsturz die Öffentlichkeit in einer Weise für die Anliegen der Archive interessiert hat, wie es vorher nie vorgekommen war, so ist es absolut unverzichtbar, dass die Bewältigung der Folgen die gleiche Aufmerksamkeit und vor allem die notwendige finanzielle Unterstützung erfährt, die dringend geboten ist, um weitere Schäden vom Archivgut abwenden zu können. Anders gesagt: Es muss nun der Schritt von der Bergung hin zur Rettung gestützt werden, wohl wissend, dass diese Aufgabe noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Hinzuweisen ist auch auf die Unterschiedlichkeit zu anderen Katastrophen – so handelt es sich bei den ca. 27 Kilometern in Mitleidenschaft gezogenen Archivalien um Unikate, um nicht wieder zu
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beschaffende Einzelstücke, deren ideeller Wert für die Kölner, die rheinische, deutsche und europäische Geschichte unermesslich ist. Allein dies mag alle Kräfte mobilisieren, denn ein Verlust nach der Bergung wäre schlichtweg unverantwortlich. Die Archivkatastrophe von Köln hat gezeigt, dass Archive allgemein eine höhere Aufmerksamkeit verdient haben – manche Fehler der Zukunft können in der Gegenwart verhindert werden. Auch die Wertschätzung, die den Einrichtungen und den Archivaren entgegengebracht wird, ist deutlich steigerbar. Eine solche Würdigung erfolgte bereits in diversen Publikationen der vergangenen Monate, hervorzuheben ist an dieser Stelle Band 56 von „Geschichte in Köln“, der im Dezember 2009 erschienen ist. Ein Weg dazu ist die Erinnerung an die schreckliche Katastrophe von Köln. Daher dient das vorliegende Buch nicht nur der Rekonstruktion der Ereignisse, sondern auch der Richtungsweisung für die Archivpolitik der Zukunft. Im Vordergrund steht an dieser Stelle das Historische Archiv der Stadt Köln, vor und nach dem Einsturz. Es werden die Verfahren zur Restaurierung und Digitalisierung, die Auswirkungen auf die Archive insgesamt und die Bedeutung der Kölner Archive für die Stadtgeschichte beschrieben. Dieser Teil wurde von Archivaren verfasst. In einem zweiten Teil sind Historiker gebeten worden, die Auswirkungen der derzeitigen und noch andauernden Behinderung bei der Benutzung zu artikulieren. Dies geschieht bei allen Wissenschaftlern in Bezug auf ihre persönlichen Erfahrungen und in Essayform. Bewusst wurden keine wissenschaftlichen Beiträge, sondern die literarische Form erbeten, weil neben der rationalen auch die emotionale Ebene beachtet wurde. Mit diesem Buch wird zudem die Bedeutung des Historischen Archivs der Stadt Köln dokumentiert. Es ist in erster Linie Gedächtnisort – für die Stadt, die Region und die Nation, für die Bürgerschaft, die Wissenschaft und die Kultur. Der vom Rat der Stadt Köln im September 2009 beschlossene Neubau am Eifelwall wird als moderner Wissensspeicher für die kommenden Generationen errichtet – das Gebäude wird allen Interessierten offen stehen, es wird ein Haus der Information und der Kommunikation, ein Ort der Geschichte, ein Gedächtnisort werden. Die Herausgeber danken allen Autoren für die kurzfristige Einreichung ihrer Beiträge, die teilweise unter sehr hoher Belastung erfolgte. Unser Dank gilt auch Julia Kaun von der Stiftung Rheinisch-Westfäli-
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sches Wirtschaftsarchiv zu Köln und Claudia Tiggemann-Klein vom Historischen Archiv der Stadt Köln für unterstützende Arbeiten bei der Publikation. Unser besonderer Dank gilt dem Böhlau-Verlag und v. a. Dorothee Rheker-Wunsch. Mit der Herausgabe und dem Verkauf dieses Bandes wird die Restaurierung des Archivgutes unterstützt. Köln, im Dezember 2009 Bettina Schmidt-Czaia Ulrich S. Soénius
Das Historische Archiv der Stadt Köln. Geschichte – Bestände – Konzeption Bürgerarchiv Am 3. März 2009 gegen 13:58 Uhr ereignete sich das in der Archivwelt bisher Unvollstellbare. Der Magazinbau des größten deutschen Kommunalarchivs, des Historischen Archivs der Stadt Köln, stürzte ein. Durch dieses Unglück wurde nicht nur ein Großteil des 30 laufende Regal kilometer umfassenden Kölner Archivgutes schwer geschädigt, auch die Erschließungs- und Ordnungsarbeit der städtischen Kölner Archivare wurde zunichte gemacht. Seit der Bestellung des ersten hauptamtlichen Archivars der Stadt Köln, Leonard Ennen, am 1. August 1857, hatten sie sich über 150 Jahre um das Kölner Archivgut wie auch die Erforschung der Kölner Geschichte verdient gemacht. Als besonders niederschmetternd wurde von Archivleitung und Mitarbeitern die Tatsache empfunden, dass sich das zum Zeitpunkt des Einsturzes aus 38 Personen bestehende Archiv seit drei Jahren besonders intensiv um eine technische und inhaltliche Modernisierung bemüht hatte, um von der stadtkölnischen Öffentlichkeit wieder wahrgenommen zu werden. Umfängliche Investitionen in technische Ausstattung und Personal waren nur möglich durch konsequente Ausrichtung aller Kräfte im Sinne eines Dienstleistungsinstitutes für die städtische Verwaltung (Träger) wie auch die historisch interessierten Kölner Bürgerinnen und Bürger (Steuerzahler). Intensivierung und Optimierung der Presseund Öffentlichkeitsarbeit waren Kernpunkte der Neuausrichtung des Archivs. Neben den drei Fachabteilungen „Altes Reich und Französische Zeit“, „Verwaltungsschriftgut nach 1815“ und „Sammlungen und Nachlässe“ wurde ein eigenes Sachgebiet „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ mit Koordinierungsaufgaben geschaffen. Die Organisation des Lesesaals und der Mikrofilmstelle, das Veranstaltungsmanagement, die Betreuung der verschiedenen Internetauftritte und die aufs Neue aufgebaute Historische Bildungsarbeit wurden diesem Sachgebiet angegliedert. Als sich Anfang 2006 abzeichnete, dass gleich zwei größere Jubiläen auf das Archiv und seine Mitarbeiter zukommen würden, ohne dass zur Vorbereitung und Durchführung zusätzliche Personal- und Finanzressourcen zur Verfügung standen, reifte der Entschluss, das erste Jubiläum im August 2006 zur Gründung eines Fördervereins zu nutzen und das zweite Jubiläum im August 2007 mit einer Ausstelllung und einem Sym-
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Abb. 1: Blick aus dem Bürotrakt auf den Trümmerberg und Einsturztrichter des Historischen Archivs, gegenüber der Ikarus, das Wahrzeichen des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums, an der Fassade des Schulgebäudes. Foto: Landesarchiv NRW, Matthias Frankenstein
posium zur Archivgeschichte zu begehen. Beide Projekte sollten dazu dienen, vor dem Hintergrund der Archivgeschichte und dem sich in 150 Jahren gewandelten Berufsbild und Rollenverständnis eine Positionsbestimmung und einen vorsichtigen Blick in die Zukunft des Kölner Archivs zu wagen. Geschichte und Bestände vor dem Einsturz am 3. März 2009 Vor über 600 Jahren, am 19. August 1406, beschloss der Rat der Stadt Köln die Errichtung des Ratsturms, in dem nicht nur ein Weinkeller, sondern auch ein „Gewölbe zu der Stadt Privilegien“ vorgesehen war. Dieses Jubiläum nahm das Archiv zum Anlass, am 16. August 2006 zur Gründungsversammlung der „Freunde des Historischen Archivs der Stadt Köln“ einzuladen. Der inzwischen aus rund 350 Mitgliedern bestehende Verein, in dessen Reihen bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Kölner Lebens mitarbeiten, unterstützt laut Satzung das Archiv in jeder Weise durch Sach- und Geldspenden. Darunter fallen etwa Schenkungen oder die finanzielle Unterstützung beim Erwerb sowie bei Restaurierung
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von Archivalien. Außerdem fördern die Freunde das Haus durch ihre Finanzierung Ausstellungen, Publikationen und Arbeitskräfte, womit die reichhaltigen Bestände des Archivs den Bürgerinnen und Bürgern stärker ins Blickfeld gerückt und die Verbundenheit des Stadtarchivs mit der Kölner Bürgerschaft gestärkt werden soll. Seit dem Einsturz hat der Förderverein hauptsächlich Spenden Kölner Bürger zur Restaurierung des Archivgutes gesammelt. Anlass für die Feiern zum 150jährigen Archivjubiläum im Jahr 2007 bot der Dienstantritt des ersten hauptamtlichen Archivars der Stadt Köln, Leonard Ennen (1820–1880). Die am 9. August 2008 eröffnete und bis zum 18. Dezember laufende Ausstellung „Hüter der Schätze und Digitaler Dienstleister – 150 Jahre Historisches Archiv der Stadt Köln“ wollte vor allem ein breites städtisches Publikum ansprechen. Ihm sollten die Aufgaben und die Entwicklung des Archivs anhand seiner Bestandsgeschichte nahegebracht werden. Die Kölner Öffentlichkeit sollte zudem vom Problem des eklatanten Platzmangels in den Archivmagazinen erfahren. Für den 19. Oktober 2008 wurde zusätzlich unter dem Titel „Überlieferungsbildung im Historischen Archiv der Stadt Köln“ ein Fachsymposium zur Archivgeschichte geplant und durchgeführt. Die Ausstellungseröffnung unter der Schirmherrschaft des damaligen Kölner Oberbürgermeisters Fritz Schramma war ein großer Erfolg. Über 200 Personen kamen, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Und während die Kölner Stadtspitze in ihrer Begrüßung versprach, die Frage des dringend notwendig gewordenen Archivneubaues gemeinsam mit dem Dezernat für Kunst und Kultur zeitnah und konstruktiv anzugehen, wurde der Archivleiterin von Markus Ritterbach, Präsident des Festkommittee des Kölner Karneval von 1823 e. V., im Vorgriff auf die karnevalistische Session 2008 „Jeschenke für Kölle – uns Kulturkamelle“ in Dankbarkeit und Würdigung ihres Engagements für Kultur und Karneval eine Ehrenurkunde verliehen, die allererste der 2007/2008 verliehenen „Kulturkamelle“. Bis zur Schließung der Ausstellung im Dezember nahmen 783 Personen in 42 Gruppen an Führungen teil. Mehr als 220 Besucher fanden auch in der Langen Nacht der Kölner Museen am ersten Novemberwochenende den Weg ins Archiv und in die Jubiläumsausstellung. Die Thematik „Archive“ und „Geschichte des Historischen Archivs“ wirkte auch im Jahr 2008 weiter. Vermehrt fanden interessierte Bür gerinnen und Bürger den Weg ins Archiv, die sich „einfach nur mal über
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das Archiv informieren“ wollten oder konkrete Fragen zu Ihrer Straße, ihrem Wohnhaus oder ihrem Umfeld hatten. Dem wachsenden Interesse von Schulen begegnete das Archiv seit März 2008 mit der Einrichtung einer halben Personalstelle für die Historische Bildungsarbeit. Bis zum Jahresende 2008 wurden mehr als 700 Schüler durch unsere nachfolgenden Ausstellungen geführt. Es wurde deutlich, dass über den direkten Bezug zum eigenen Lebensumfeld und der eigenen Geschichte, Rolle und Funktion von Archiven gut und nachhaltig vermittelbar sind. Die Annahme, dass zwischen der archivischen Arbeit für die Verwaltung und der Wahrnehmung als Kölner Kulturarchiv ein enger Zusammenhang besteht, erwies sich als richtig. Der Rückblick auf die Aktivitäten des Archivs in den Jubiläumsjahren 2006 und 2007 schärfte noch einmal den Blick auf die Anfänge des Historischen Archivs als öffentlicher Einrichtung. Mit dem Dienstantritt Leonard Ennens am 1. August 1857 wurde die Archivarbeit erstmals einem historisch gebildeten Fachmann übertragen. Es war die Zeit des Aufbruchs in die Moderne – Verwaltung und Wissenschaften wurden professionalisiert. Die Verbindung zur eigenen Vergangenheit erlangte immer größere Bedeutung. Die Wiederaufnahme des Dombaus im Jahre 1842 war dafür ein sichtbares Zeichen. Der äußerst selbstbewusst auftretende „Hüter unserer geschichtlichen, wissenschaftlichen und Kunstschätze“ sollte die glorreiche Vergangenheit der alten Reichsstadt auch für die moderne Stadt und den preußischen Staat sichtbar machen. Schon seit etwa 1850 wurde das Archiv von Wissenschaftlern besucht und das Interesse wuchs. Ennen leitete das Archiv bis zu seinem Tod 1880 und entfaltete eine rege Publikationstätigkeit. Er schrieb zahlreiche Artikel mit breitem Spektrum, darunter zum Kölner Karneval und zum Tabak in Köln. Darüber hinaus verfasste er eine Stadtgeschichte in fünf Bänden, die bis ins 17. Jahrhundert reichte. In weiteren sechs Bänden veröffentlichte er rund 3.000 „Quellen zur Geschichte der Stadt Köln“, bis heute unentbehrliche Grundlage historischer Arbeiten. Die Anfänge des Archivs reichen in das frühe 12. Jahrhundert zurück, als die Kölner Bürger versuchten, mit den Schreinskarten, Vorläufern unserer heutigen Grundbücher, ihren Immobilienbesitz rechtssicher zu dokumentieren. Die für die Stadt wichtigen Schriftstücke hatten 1322 noch Platz in einer Kiste im Hause eines Patriziers, wuchsen aber auf dem Weg Kölns zur freien Reichsstadt rasch an. Die sorgfältige Aufbewahrung der Privilegien, die Herrscher, Päpste und Fürsten der Stadt ge-
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Abb. 2: Der Verbundbrief, die erste „Stadtverfassung “ vom 14. September 1396. Foto: Historisches Archiv der Stadt Köln, Bestand HUA K 5788/1
währten, steht am Anfang der Geschichte des Kölner Stadtarchivs. Die Urkunden verbrieften der Stadt ihre Freiheiten und ihre Rechte. Sie wurden viele Jahrhunderte im Ratsturm gelagert. Sofort nach seiner Fertigstellung begannen die damaligen „Hüter der Schätze“ offenbar mit der Erstellung eines ersten Verzeichnisses der vorhandenen Urkunden, das 1409/10 dem Rat vorgelegt wurde. Dieser Kernbestand wird heute das „Haupturkundenarchiv“ der Stadt genannt und trägt folgerichtig die Bestandsnummer 1. Die Urkunden wurden in „Laden“ (Truhen oder Schränke) untergebracht, die mit den Buchstaben A bis X gekennzeichnet waren. Einen „Ehrenplatz“ hatte der Verbundbrief als Verfassungsurkunde der Stadt, der in einer „Lade“ mit Krone gelagert war.
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Abb. 3: Holzkästchen aus Eichenholz mit Schiebedeckel um 1468 aus der Archiveinrichtung des Brügge-Antwerpener Hansekontors zur Aufbewahrung von Pergamenturkunden. Foto: Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 81, Nr. 99
Zahlreiche Urkunden zeugen von Handels- und Handwerkstätigkeit der Kölner Bürger. Glücklicherweise konnte der allergrößte Teil des Haupturkundenarchivs nach dem Einsturz aus dem Keller des Bürotraktes fast unbeschädigt geborgen werden. Andere Bestände legen Zeugnis ab vom Privileg der alten Reichsstadt, Recht und Gesetz in ihren Mauern und auf ihrem Territorium zu wahren. Die Eidbücher des Rates enthalten wichtige Gesetze und Bestimmungen für die Ratsherren und die Bürgerschaft; Turmbücher der Stadt listen die Namen, Vergehen, Verhöre und Strafen der verhafteten Straftäter auf. Die Protokolle der Hexenprozesse des 17. Jahrhunderts zeugen von den Irrungen jener Zeit. Das Kölner Stadtarchiv bewahrt auch reiche und wertvolle Bestände wie das Hansearchiv. In allen Kriegen flohen Menschen vor Gewalt und drohender Zerstörung. Wenn möglich, retteten sie ihre Dokumente, Ausweis ihrer kulturellen Identität. Daher lagern im Kölner Stadtarchiv auch viele Urkunden und Akten auswärtiger Archive. Die in der Hanse verbundenen Handelsstädte unterhielten im 16. Jahrhundert ihr größtes Kontor in Antwerpen. Hier wurden zahlreiche Schriftstücke aus dem Hansekontor von Brügge und aus der Londoner Niederlassung, dem Stalhof, aufbewahrt. Doch die große Zeit der Hanse war damals jedoch schon vorbei; nur noch wenige Kaufleute wickelten ihre Geschäfte über das Antwerpener
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Kontor ab. 1572 begann zudem der Aufstand der protestantischen Niederlande gegen die spanische Oberherrschaft. Die den Aufständischen angeschlossenen Seeleute („Wassergeusen“) sperrten mit ihren Schiffen die Schelde und isolierten auf diese Weise Antwerpen. Der Handel brach zusammen, und die Hansestädte hielten es für ratsam, das Archiv des Antwerpener Kontors nach Köln zu verlagern. 1593 wurden jene Urkunden, Akten und Rechnungsbücher nach Köln geschafft, die für das Tagesgeschäft nicht mehr benötigt wurden. Kölns Mauern versprachen Sicherheit: Nie wurde die Stadt bis zum Zweiten Weltkrieg erobert oder zerstört. Nach dem Tod Leonard Ennens wurde ein ausgewiesener Hanse-Fachmann als Nachfolger berufen: Konstantin Höhlbaum leitete das Haus bis 1890. Er gab dem Archiv im Jahre 1881 eine Satzung, die das Archiv der wissenschaftlichen Forschung weit öffnete. Seitdem erscheint in ununterbrochener Folge die eigene Zeitschrift „Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln“, in der viele wichtige Archivbestände verzeichnet und beschrieben sind. Die politischen Umbrüche der Jahre um 1800 führten zu weitgreifenden Besitzumschichtungen, die nicht nur Immobilien, sondern auch Kunstgegenstände aller Art, Handschriften und Bücher betrafen. Vor dem französischen Revolutionsheer flohen Adlige, die längst nicht alle Besitztümer mitnehmen oder in Sicherheit bringen konnten. Die Klöster und Stifte gerieten schon vorher unter starken wirtschaftlichen Druck, der sich während der französischen Herrschaft noch verstärkte. Notgedrungen mussten viele Immobilien, Bibliotheken und Wertgegenstände veräußert werden. 1802 wurden alle geistlichen Institutionen aufgehoben und ihr Besitz eingezogen. Eigentlich sollten die Urkunden, Akten und Bibliotheken ordnungsgemäß in staatliche Archive und städtische Bibliotheken überführt werden. Vieles kam dennoch in den Kunsthandel. Nun schlug die Stunde der Sammler, der Kunst- und Buchliebhaber. Doch nicht nur Zerstörung und Verlust sind die Ergebnisse der politischen Umbrüche. Während die Stadtverwaltung in allen Bereichen neu strukturiert wurde, wurden immer wieder Akten aller Art aus der laufenden Registratur ausgesondert und an das nunmehr „historische“ Archiv übergeben. Diese Dokumente stellten keine Rechtstitel mehr dar und gehörten nicht mehr in den laufenden Geschäftsgang, sondern waren Zeugen vergangener Zeiten. Auch private Geschäftsbücher, die in ferner Vergangenheit in städtischen Gewahrsam genommen worden waren, ge-
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langten so ins Stadtarchiv, wie z. B. die Chronik des 1597 verstorbenen Ratsherrn Hermann von Weinsberg an der Hohen Pforte. In diesen Zeiten trug der universal gelehrte Natur- und Kunstliebhaber Ferdinand Franz Wallraf (1748–1824) eine riesige Sammlung von Büchern und Handschriften, Gemälden und Skulpturen, Münzen, Medaillen, Fossilien und Raritäten aller Art zusammen, die er nach seinem Tod 1826 seiner Vaterstadt vermachte. Die überaus wertvollen Handschriften – mehr als 500 aus seinem Besitz – werden im Historischen Archiv der Stadt Köln aufbewahrt. Sie wurden durch den Einsturz vom 3. März 2009 schwer getroffen. Beschädigt wurden so berühmte Werke wie das 1258/60 entstandene Autograph des Albertus Magnus mit dem Matthäus-Kommentar (Codex Alberti Magni propria manu conscripta), seine auf die Zeit um 1258 zu datierende Schrift „De animalibus“ oder auch das Evangeliar aus St. Pantaleon aus dem 10. Jahrhundert. Nur mit Unterstützung von Mäzenen wird es möglich sein, diese Handschriften zu restaurieren und so bald wie möglich der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung zu stellen. Das Vermächtnis von Sammlern wie Wallraf oder auch Eberhard von Groote (1789–1864) verpflichtet uns zu Bewahrung und Schutz unserer Kulturgüter. Hinzu kommen andere wertvolle Sammlungen des Hauses. Das Historische Archiv verfügt über 500.000 Fotos und fotografische Materialien zu Kölner Ereignissen, eine städtische Plansammlung im Umfang von 50.000 Stück, 150.000 Stadtpläne und Risse, 2.500 Videos und Tonträger und eine Bibliothek zur Stadtgeschichte mit 140.000 Bänden. Unter den über 800 Nachlässen von Kölner Literaten, Komponisten, Musikern und Architekten finden sich Berühmtheiten, wie der Reichskanzler Wilhelm Marx, der Kölner Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll sowie die Architekten Wilhelm Riphahn und Karl Band. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wuchsen die Bestände des Archivs dadurch massiv an, dass die Stadt immer häufiger Aufgaben im Bereich der Daseinsfürsorge übernehmen musste. Dies betraf auch die Armenverwaltung, die spätere Sozialfürsorge, die Versorgung Kranker und die städtische Schulverwaltung. Ein repräsentatives neugotisches Gebäude bei St. Gereon, in den letzten Jahren erneut als Standort für den Neubau des Historischen Archivs in der Diskussion, bezog das Archiv 1897 zusammen mit der Stadtbibliothek. Wichtige Zuwächse erhielt das moderne Archivgut durch die Eingemeindungen bisher selbstständiger Städte und Gemeinden seit
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Abb. 4: Grundsteinlegung zum ersten Archivzweckbau am 16. Mai 1894. Das repräsentative neugotische Gebäude bei St. Gereon bezog das Archiv 1897 zusammen mit der Stadtbibliothek. Foto: Historisches Archiv der Stadt Köln, ZSB 4/2161
1888. Hier sei nur die Stadt Mülheim erwähnt, deren Archiv 1915 nach Köln gelangte, oder auch die Stadt Porz, die 1975 nach Köln eingemeindet wurde und deren Archiv seit 2003 in der Severinstraße aufbewahrt wurde. Den Zweiten Weltkrieg hat das Archivgut weitgehend unbeschadet überstanden. Noch im September 1939, unmittelbar nach Kriegsbeginn, begann der Leiter des Kölner Stadtarchivs, Erich Kuphal (1895–1965), die Bestände auszulagern. Unterstützt wurde er von seinem damaligen Mitarbeiter, dem späteren Archivdirektor Arnold Güttsches (1904– 1975). Diesen beiden Archivaren ist die Rettung des Stadtarchivs zu verdanken, einschließlich der Akten des 19. Jahrhunderts und der wertvollen Dienstbibliothek. Die Hintergründe dieser erstaunlichen Aktion sind noch wenig erforscht. Wer setzte die Evakuierung, übrigens auch zahlreicher Kunstgegenstände aus den Kölner Museen, gegenüber den Behörden und NS-Dienststellen durch? Wer trug die Kosten? Wie kamen die Kontakte zu mehreren adligen Damen zustande, die ihre
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Abb. 5: Archivgebäude um 1908. Wichtige Zuwächse erhielt das Archiv seit dieser Zeit durch die Eingemeindung bisher selbstständiger Städte und Gemeinden seit 1888. Foto: Historisches Archiv der Stadt Köln, ZSB 6/790
Schlösser und Speicher an der unteren Sieg und im benachbarten Wildenburger Land zur Verfügung stellten? Die Evakuierung des Archivs war offensichtlich von langer Hand sorgfältig vorbereitet worden. Die Transporte wurden per Möbelwagen, Lastwagen und Eisenbahnwaggons durchgeführt. Die Orte wurden ausgewählt, weil sie einerseits abgelegen, aber nicht zu weit von Köln entfernt lagen, andererseits durch Eisenbahnlinien verkehrstechnisch gut angebunden waren. 1942, nach dem verheerenden Tausendbomberangriff auf Köln, wurden auch noch die letzten verbliebenen Bestände per Schiff auf die Festung Ehrenbreitstein in Koblenz verbracht. Unmittelbar nach Kriegsende begann die Rückführung des Kölner Stadtarchivs. Am 7. März 1947 meldete die Kölnische Rundschau voller Stolz: „Kölner Stadtarchiv heimgeholt.“ Während zahlreiche Archive Deutschlands im Bombenkrieg unwiederbringliche Verluste erlitten, wurde eines der bedeutendsten Stadtarchive Europas vollständig gerettet. Allerdings verbrannten im Bombenkrieg fast alle noch in den Amtsstuben liegenden Akten. Daher fehlen fast alle Bestände aus der Weimarer Republik und dem Dritten Reich. Das Unglück vom 3. März 2009 erscheint den Kölner Archivaren vor dem Hintergrund dieser Geschichte als unfassbarer Schicksalsschlag, da das Archivgut nicht durch Krieg und
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Belagerung, nicht durch Brand oder Naturkatastrophen, sondern durch einen technisch verursachten Unfall beschädigt bzw. vernichtet wurde. Es handelt sich um den mit Abstand größten Schaden, den deutsches Kulturgut nach 1945 erleiden musste. Nach einem Vertrag des Landes NRW mit der Stadt Köln vom 3. Oktober 1949 gelangten die Archive der Kölner Klöster und Stifte, seit der Säkularisierung im Staatsarchiv Düsseldorf, wieder nach Köln. Oberbürgermeister Hermann Pünder erbat aus Anlass des Domjubiläums 1948 (700 Jahre Grundsteinlegung des Kölner Doms) die Rückgabe der Archive in die Stadt ihrer Entstehung. Er fand die Zustimmung der Regierung des jungen Landes NRW, nicht zuletzt aufgrund der Haltung der Landesarchivverwaltung. Der zuständige Referent Wilhelm Kisky (1881–1953) war kein Staatsarchivar, sondern kam aus der Archivberatungsstelle der Rheinischen Provinzialverwaltung und stand dem Anliegen Kölns wohlwollend gegenüber. Gegen heftigen Widerstand von Teilen des Landtages wurden die Archivalien – unter Vorbehalt des staatlichen Eigentumsrechts – durch diesen Vertrag bei der Stadt Köln auf Dauer hinterlegt. Bereits am 27. Oktober 1949 kehrten ca. 19.000 Urkunden sowie zahlreiche Aktenstücke und Amtsbücher nach Köln zurück. Für die seit 1945 sprunghaft angewachsenen Aktenablieferungen bot schließlich der moderne, seit 1971 genutzte Neubau an der Severinstraße ausreichenden Platz. Sein auf einen Zuwachs von 30 Jahren kalkulierter, oberirdischer Magazinbau wurde wegen seiner zweckmäßigen Konstruktion, die eine natürliche, von aufwendigen technischen Einrichtungen unabhängige Klimatisierung ermöglichte, als „Kölner Modell“ zum Vorbild für viele Archivbauten in aller Welt. Der gesellschaftliche Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft macht auch vor dem Historischen Archiv der Stadt Köln und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht halt. Das Archiv muss sich an die geänderten Bedürfnisse der Verwaltung und der Archivbenutzer anpassen. Es ist seit einiger Zeit mit einer eigenen Präsenz über die Homepage der Stadt Köln und über das landesweite Archivportal www. archive.nrw.de im Internet vertreten. Die traditionelle Erschließung mittels Karteikarten und gebundenen Findmitteln ist im Zeitalter der Suchmaschinen weitestgehend überholt. Die Erschließung erfolgt mittlerweile nur noch digital mit der Verzeichnungssoftware ACTApro. Altdaten des Archivs und Ablieferungslisten
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Abb. 6: Das Historische Archiv in der Severinstraße, Straßenansicht von Süden nach Norden. Foto: Historisches Archiv der Stadt Köln, Manfred Huppertz
der städtischen Dienststellen werden inzwischen in das System eingepflegt. Zwar ist weiterhin die Erstellung gedruckter Findbücher für den Lesesaal möglich, geplant ist aber die Bereitstellung von Online-Findmitteln über ein Archivportal. Auch die Recherche für die Verwaltung und die Beantwortung schriftlicher Benutzeranfragen werden über die Möglichkeit der Volltextsuche enorm erleichtert. Durch den stetigen Fortschritt bei der Entwicklung der IT im Hardund Softwarebereich stehen die Archive vor enormen Herausforderungen. Ein völlig neuer Aufgabenbereich, die Archivierung elektronischer Unterlagen, ist daher entstanden. Solange das papierlose Büro nur als Zukunftsvision existiert, benötigt das Archiv in steigendem Maße Magazinflächen. Das 1971 auf 30 Jahre Zuwachs ausgelegte Magazin des Historischen Archivs war zum Zeit-
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Abb. 7: Bild von Norden nach Süden auf die Einsturzstelle: Links der Trichter, rechts das Bauwerk, im Hintergrund der Trümmerkegel auf der Severinstraße. Foto: Stefanie Behrendt
punkt des Einsturzes nach 38 Jahren am Ende seiner Aufnahmekapazitäten. Am 12. Februar 2009, drei Wochen vor dem Einsturz, fand auf Anregung des Ratsausschusses für Kunst und Kultur in den Räumlichkeiten des Archivs ein Kolloquium zum Thema „Neubau des Historischen Ar-
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chivs“ statt. Spezialisten zum Archivbau aus der ganzen Bundesrepublik berichteten vor einem großen Publikum einen ganzen Tag lang über ihre eigenen, beim Archivbau gemachten Erfahrungen. Einsturz, Bergung und Erstversorgung Mit dem Einsturz des Magazingebäudes am 3. März 2009 fand diese lange archivarische Tradition sicherer Verwahrung des stadtkölnischen Archivgutes ein Ende. Hatten bislang Brände, Hochwasser, kriegerische Auseinandersetzungen bis hin zu den Flächenbombardements des Zweiten Weltkrieges den Archivbeständen in städtischer Obhut keine bleibenden Schäden zufügen können, so werden von nun an das Stadtarchiv Köln und seine Bestände von den Spuren dieser Katastrophe gezeichnet sein. Unter großem Einsatz haben die Mitarbeiter des Historischen Archivs, der Hilfsdienste und beteiligten Firmen, der Stadtverwaltung, aber auch rund 1.800 freiwillige in- und ausländische Helfer anderer Archive, der Hochschulen und viele Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Monaten daran gearbeitet, die katastrophalen Folgen des Einsturzes für das kulturelle Leben nicht nur der Region, sondern für ganz Deutschland zu begrenzen. Die Aufräum- und Erstversorgungsarbeiten haben glücklicherweise dazu geführt, dass nicht – wie in den ersten Tagen befürchtet – ein Totalverlust eintrat. Gleichzeitig wurde jedoch mehr als deutlich, dass das Kölner Archiv vor einer Herkulesaufgabe steht. Jede einzelne geborgene Akte muss vollständig trockengereinigt werden, Millionen von Fragmente warten auf eine Zusammenführung, Tausende von Beständen auf eine Wiederherstellung ihrer Provenienzen. Das Ausmaß dieser Arbeiten sprengt die Vorstellungskraft und ist daher ohne Beispiel in der Archivgeschichte. Das bisher Erreichte war nur mit der Unterstützung einer breiten Öffentlichkeit und der unbürokratischen Hilfe der internationalen Fachwelt möglich. Im Vordergrund der Arbeiten stand in den ersten Wochen die Schaffung einer Infrastruktur zur Bewältigung der notwendigen Erstversorgungsarbeiten. Dabei haben alle Archivmitarbeiterinnen und –mitarbeiter an den verschiedenen Orten ihres Einsatzes wichtige Beiträge geleistet und oft bis zur Erschöpfung gekämpft. Angesichts des unmittelbaren Handlungsbedarfs konnte dem Einsatz keine Konzept- und Rea-
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Abb. 8: Detail des Trümmerbergs im Süden der Einsturzstelle: Regale, Archivkartons, Bücher und Trümmerteile in Schichtung. Foto: Berufsfeuerwehr Köln, Jürgen Schütze
lisationsphase vorangestellt werden, sodass sich im Bereich der Bergung und Erstversorgung eine Infrastruktur samt eigener Organisationstruktur quasi im Prozess herausbildete. Das Modell war äußerst erfolgreich: Rund 85 % des Archivgutes konnten inzwischen geborgen und erstversorgt werden, d.h. es wurde getrocknet und gereinigt, verpackt, in einer Datenbank mit Workflow-Anwendung erfasst und in derzeit 19 Asylarchive verbracht. Hochgerechnet weisen rund 35 % des Archivgutes schwerste, 50 % mittlere und nur 15 % leichtere Schäden auf. Es hat sich herausgestellt, dass sich die Schadensbilder im Hinblick auf die Archivalienarten stark unterscheiden. Während die Pergamenturkunden und Testamente, aber auch viele andere Bestände aus der Zeit vor 1815 das Unglück verhältnismäßig gut überstanden haben, sind besonders schwere Schäden bei den Siegeln der Urkunden, fotografischen Materialien und Tonträgern zu erwarten. Gerade Bestände, die nur unzureichend oder gar nicht verpackt waren, weisen schwerste Schäden auf. Leider waren große Teile des modernen Verwaltungsschriftgutes, aber auch der Nachlässe und Sammlungen nicht oder nur unzureichend verpackt. Große Teile dieser Bestände waren zudem weder in analoger noch in digitaler Form erschlossen worden, sodass in
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Abb. 9: Auf Vlies werden die aus dem Grundwasser geborgenen Stücke vereinzelt und der Schlamm vor der Gefriertrocknung mittels Gartenbrausen abgewaschen. Foto: Historisches Archiv der Stadt Köln, Nadine Thiel
diesem Bereich die größten Hindernisse bei der Zusammenführung der Bestände zu erwarten sind. Die nächste Aufgabe nach Beendigung von Bergung und Erstversorgung oberhalb des Grundwasserspiegels ist die Abstimmung, Organisation und Umsetzung eines am 10. August 2009 gefassten Ratsbeschlusses zur Bergung im Grundwasserbereich und die Gewinnung von Magazin- und Kühlraum für das noch einzulagernde Archivgut. Mit der Erreichung dieser vorrangigen Ziele einer bestmöglichen Erstversorgung und Verbringung der Archivbestände in die Magazine anderer Archive verändert sich auch die Perspektive des Archivs und seiner Mitarbeiter grundlegend. Die konzeptionellen Arbeiten zur Zukunft des Archivs beanspruchen inzwischen immer mehr Zeit. Es ist nach der Vision, der Perspektive für das Historische Archiv für die nächsten Jahrzehnte, zu fragen. Bewältigung und inhaltliche Innovation werden zu den zentralen Aufgaben gehören. Seit dem Einsturz wurde eine workflowbasierte „Bergungssoftware“ entwickelt und Konzepte für die Erstellung von Digitalisaten aus den Mikrofilmbeständen sowie für die Zusammenführung der Bestände im Laufe der nächsten Jahre, ihre Restaurierung und Digitalisierung erstellt.
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Abb. 10: Friedensvertrag zwischen dem Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden und Bischof Simon von Paderborn aus dem Jahr 1256. Detail der Zerstörung durch mechanische Einwirkungen beim Einsturz. Foto: Stadtarchiv Neuss, Marcus Janssens
Abb. 11: Diapositive mit Einsturzschäden. Foto: Historisches Archiv der Stadt Köln, Heike Koenitz
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Mit dem „Digitalen Historischen Archiv“, das auf eine Initiative der Universitäten Bonn und Köln sowie dem Verein „prometheus“ zurückgeht, wurde wenige Wochen nach dem Einsturz ein Kooperationsvertrag geschlossen, der darauf abzielt, dieses Portal schnellstmöglich in die eigene archivische Verantwortung zu übernehmen und weiterzuentwickeln. Hier gibt es noch viel zu tun, um die Vision eines hochmodernen, der Qualität und dem Wert der archivischen Überlieferung angemessenen und von der Stadtbevölkerung wie der nationalen und internationalen Wissenschaft hochgeschätzten Hauses Wirklichkeit werden zu lassen. Im Spannungsfeld von Verwaltung, Fachwelt, Wissenschaft und Öffentlichkeit Von jeher stehen Archive im Spannungsfeld ihrer Verwaltung, einer aufmerksam die Entwicklung verfolgenden fachlichen Community und einer medialen wie auch bürgerlichen Öffentlichkeit, wobei diese Faktoren jeweils Schnittmengen aufweisen. Daher muss der Neuaufbau des Historischen Archivs zwingend als integrierter Prozess zu verstehen sein. Veränderungen in einem Teilbereich haben immer auch großen Einfluss auf die Arbeit in anderen Bereichen. Archivfachlich bestimmte Arbeitsprozesse haben Auswirkungen auf notwendige Interaktion mit Verwaltung, Fachwelt und Öffentlichkeit. Verzögerungen bei Erwerb, Planung und Ausgestaltung der provisorisch herzurichtenden Immobilien wie auch des unmittelbar zu planenden Neubaus würden die öffentliche Wahrnehmung wie den Ablauf der Arbeitsprozesse maßgeblich beeinflussen. Handlungsfähigkeit im Bereich der Übernahme von Verwaltungsschriftgut und der Sammlungen/Nachlässe sind die Voraussetzung für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den verschiedensten Dienststellen und Ämtern der Stadtverwaltung wie auch den Depositaren. Verwaltungs- und archivfachliche Aufgaben sind nicht voneinander zu trennen. Das Gleiche gilt für das Ineinandergreifen von konzeptioneller und operativer Arbeit. Ein Archiv existiert nur durch und für seine Bestände und ausgestattet mit ausreichenden Magazinkapazitäten für die notwendigen Archivgutübernahmen. Arbeit im Archiv ist immer Arbeit am Archivgut. Restaurierungsmaßnahmen, Verzeichnungsarbeiten, Veröffentlichungen, Bewertungskonzepte, Digitalisierungsmaßnahmen, Be-
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nutzerberatungen, Baumaßnahmen, Durchführung von Ausstellungen. Diese und viele andere Aspekte fachlicher Arbeit sind Ausfluss der gesetzlichen Aufgabe der Archive, die das Archivgesetz NRW in § 1 Abs. 1 für das Landesarchiv wie folgt fasst: „Das Landesarchiv NordrheinWestfalen hat die Aufgabe, Unterlagen von Behörden, Gerichten und sonstigen Stellen des Landes auf ihre Archivwürdigkeit hin zu werten und die als archivwürdig erkannten Teile als Archivgut zu übernehmen, zu verwahren und zu ergänzen, zu erhalten und instand zu setzen, zu erschließen und für die Benutzung bereitzustellen sowie zu erforschen und zu veröffentlichen.“ Gemäß § 10 ArchivG NW gilt dieser Absatz für kommunale Archive entsprechend. Abgesehen von der zentralen Rolle der Fachaufgaben in den Prozessen von Betrieb und Wiederaufbau spielen natürlich verschiedene Teilhaber im Gesamtprozess eine Rolle, die für das Gelingen von Gesamtprozess „Wiederaufbau“ und für viele einzelne Teilprozesse von großer Bedeutung sein werden. Es handelt sich um: – Archivmitarbeiter (Archivare, Restauratoren, Verwaltungspersonal, Magazindienst, Archivpädagogen) – Archivnutzer (Wissenschaftler, Schüler, Ausstellungsbesucher, Verwaltungsmitarbeiter, Familienforscher) – Kulturdezernat und Kulturverwaltung der Stadt Köln – Zentrale Querschnittsämter der Stadt Köln (Personal- und Organisationsamt, Kämmerei u. a.) – Politik der Stadt Köln, des Landes NRW und des Bundes (Kulturausschuss, Hauptausschuss, Finanzausschuss, Rat der Stadt Köln, Ministerpräsident des Landes NRW, Kulturstaatssekretär des Landes NRW, Kulturausschuss des Landes NRW, Kulturausschuss des Bundes, Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien) – Stiftung für die Restaurierung des Archivgutes wie auch bereits vorhandene wissenschaftliche und kulturelle Stiftungen (Kulturstiftung der Länder, Fritz-Thyssen-Stiftung, Kunststiftung NRW u. a.) – Externe Dienstleister (Restaurierung, Digitalisierung, Bau und Vermietung, Findmittelkonversion, Lagerung) – Fachbeirat von Wissenschaftlern, Restauratoren und Archivaren – Öffentlichkeit (mediale Öffentlichkeit, spendende Öffentlichkeit, Ehrenamtliche und Freiwillige)
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Für den Wiederaufbau und die nachhaltige Verankerung des Historischen Archivs als eines der führenden Archive Europas ist die komplexe Gemengelage dieser Teilhaber zu bedenken. Neue Organisationsformen Archivare sind seit der Fachdiskussion der letzten zwanzig Jahre gewohnt, konzeptionell zu denken und sich den Herausforderungen ihrer jeweiligen Gegenwart zu stellen. Die Vervielfältigung der Schriftgutproduktion bei der abgebenden Verwaltung erforderte notwendigerweise die Einführung von Bewertungsmodellen. Massenhaft auftretende Schadensbilder am Archivgut erforderten Bestands- und Schadenskataster, die Umstellung des operativen Verwaltungshandelns auf nunmehr digitale Fachverfahren erforderte die Entwicklung von Modellen und Techniken der elektronischen Archivierung. All diese archivischen Fachaufgaben sind durchsetzt von der Notwendigkeit konzeptioneller Arbeit, und zielen auf die Gewinnung vermittelbarer, quantitativer Aussagen und Zielgrößen. Wo immer die Archivwelt innovativ wurde, geschah dies in Form von Arbeits- und Projektgruppen, häufig orts- und bisweilen archivspartenübergreifend, wie im Bereich des VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare – und der Bundeskonferenz der Kommunalarchive (BKK) allenthalben zu beobachten ist. Auch das Historische Archiv der Stadt Köln hat seit meinem Dienstantritt eine Tradition konzeptioneller sowie arbeits- oder projektgruppenbasierter Arbeit, ohne die der Aufbau seit Ende 2005 nicht möglich gewesen wäre. Als Beispiel sei hier auf die Erstellung des sog. Archivkatasters im Winter 2005/2006 verwiesen, das genauestens Umfang, Lagerungsform, Wertigkeit, Erschließungsstand, Erschließungsbedarf, Restaurierungsbedürftigkeit, Kosten für die Massenentsäuerung und die Versicherungssumme jedes einzelnen Bestandes festschreibt. Außerdem ist die Mitarbeit des Historischen Archivs bei der Weiterentwicklung des NRW-Archivportals oder das in Zusammenarbeit mit dem Organisationsamt und dem Amt für Informationsverarbeitung entwickelte Konzept für das digitale Archiv der Stadt Köln zu nennen. Die Herausforderungen unserer Kölner Gegenwart erfordern es, die bestehenden Organisationsformen des Archivs in Form von Fachabteilungen für eine begrenzte Zeit durch Projektgruppen, die sich aus Mit-
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gliedern verschiedener Bereiche und Abteilungen zusammensetzen, zu ergänzen. Je nach Auftrag ist die Organisationsform, die Tagungshäufigkeit und die Arbeitsdauer in den Gruppen festzulegen. Mit dem Wiedereintritt in operative Arbeiten im jeweiligen Aufgabengebiet erlischt die Notwendigkeit zur projektgruppenbasierten Organisation und die Fachabteilungen gewinnen ihre Bedeutung zurück. Um die gewaltige Aufgabe angehen zu können, wurde innerhalb des Archivs das Projekt „Wiederraufbau des Historischen Archivs“ mit einem eigenen Projektbüro eingerichtet. Es wird von dem stellvertretenden Archivleiter, Dr. Ulrich Fischer, geleitet. Sieben Projektgruppen erarbeiteten und optimieren fortwährend Konzepte für die Bestandszusammenführung, Restaurierung und Konservierung, Digitalisierung und Weiterentwicklung der Software, Öffentlichkeitsarbeit, Hilfekoordination, Betreuung der Nachlassgeber und Depositare, Neubau und Unterbringung im Provisorischen Archiv. Die Projektleitung mit den Projektgruppen unterstützt die Archivleitung bei der Koordination der anstehenden Aufgaben, sodass diese in die Lage versetzt wird, die inhaltlichen und organisatorischen Richtungsentscheidungen zu treffen. In einzelnen Bereichen ist zudem die Zusetzung bzw. Abordnung von Fachpersonal erforderlich, wie z. B. im Bereich von Baufragen, Rechtsfragen etc. Daneben existiert gleichfalls bei der Archivleitung ein Provisorisches Archiv unter eigener Leitung. Archivleitung, Provisorisches Archiv und Projektleitung bilden gemeinsam eine Koordinierungsgruppe, die das Dezernat für Kunst und Kultur, politische Gremien und den sog. Fachbeirat regelmäßig über den Fortgang der Planungen und Arbeiten beraten. Am 1. September 2009 konstituierte sich unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Wilfried Reininghaus, Präsident des Landesarchivs NRW, ein Fachbeirat, dessen Aufgabe die Evaluierung der von den Archivaren der Stadt Köln entwickelten Aufbaukonzepte ist. In dem 16-köpfigen Gremium sitzen Vertreter des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA), der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag, des Bundesarchivs, der Arbeitsgemeinschaft Stadtarchive beim Deutschen Städtetag NRW, der großen Archive in Köln, der Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland, Vertreter der Archive anderer Bundesländer, wie Sachsen und Baden-Württemberg, und aus dem benachbarten Ausland. Ebenso sind vertreten der Leiter des Fachbereiches Restaurierung der Fachhochschule Köln, die Historischen Semi-
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nare der Universitäten Bonn und Köln und die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Aufgabe des Fachbeirates ist, das Archiv und die Stadt Köln zu beraten, wie die von den Archivaren erstellten Konzepte für die sieben Projektgruppen ergänzt und umgesetzt werden können. Der Fachbeirat soll dazu beitragen, dass der vielfältig auf auswärtige Unterstützung und Kooperation angewiesene Wiederaufbauprozess im Konsens mit der Fachwelt beschritten wird. Wichtig scheint vor diesem Hintergrund die Erkenntnis, dass kein Projekt isoliert durchgeführt werden kann. Ohne Rückgriff auf die in den bestehenden Abteilungen vorliegenden inhaltlichen Kenntnisse wird keine durchgreifende Identifikation der Bestände erfolgen können: Ohne eine gemeinsame Strategie für laufende Aufgaben und Wiederaufbau der Bestände kann es keine seriöse Ermittlung von Raumbedarf und -strukturen für einen Neubau geben. Auch ein tragfähiges Konzept für die Öffentlichkeitsarbeit ist nur realisierbar, wenn es im zu konzipierenden Neubau abzubilden ist. Informationsdienstleister für Politik und Verwaltung, die stadtbürgerliche und mediale Öffentlichkeit sowie die wissenschaftliche Forschung Der Einsturz des Historischen Archivs bringt es mit sich, dass der bereits eingeschlagene Weg im Bereich der Anwendung moderner Informationstechnologien sehr viel schneller erfolgen muss, als dies vor der Katastrophe realistisch schien. Politik, Verwaltung, Bürger, Medien und Wissenschaft stellen nunmehr umfassendere Anforderungen an die elektronische Verfügbarkeit und Nutzung von archivischen Informationen als bisher. Die Vertreter der wissenschaftlichen Forschung haben in der entstandenen Notsituation die Initiative zur Gründung eines Archivportals „Digitales Historisches Archiv“ ergriffen. Neben der Zurückführung, Restaurierung und Wiederherstellung der einzigartigen Bestände zur Geschichte der Rheinlande, ihre Erschließung und umfassende Nutzbarmachung wie auch die Übernahme digitaler Verwaltungsdaten tritt der Anspruch, das Wiedergewonnene digital nutzbar zu machen und einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Mit Hilfe des „Digitalen Historischen Archivs“ soll in Zukunft eine Wiederholung der Katastrophe, der drohende Verlust historischer Überlieferung aus über 1.100 Jahren
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Reichs-, Stadt- und Regionalgeschichte, ausgeschlossen werden. Über dieses Portal muss die Diskussion mit dem Publikum gestaltet werden. Es ist ein Blog einzurichten, ein Diskussionsforum, das Bürger wie Wissenschaftler zum Austausch nutzen können. Hier sind neu zusammengeführte und erschlossene Bestände vorzustellen oder auch Übernahmen neuer Bestände aus den Bereichen Verwaltung, Sammlungen und Nachlässe mitzuteilen. Den Kölner Bürgern muss zudem ermöglicht werden, eigene Dokumente und Fotos mit Relevanz zur Stadtgeschichte einzustellen. Das Gleiche gilt für Zeitzeugeninterviews. Die infolge des Einsturzes erlangte mediale und bürgerliche Öffentlichkeit ist um jeden Preis zu erhalten und intensiv zu bedienen. Nicht nur, aber vor allem die Menschen dieser Stadt haben sich durch ihren mannigfaltigen, selbst körperlichen Einsatz, ihre Anteilnahme und regelrechtes Mitleiden vor dem Hintergrund der aus dem Unglück entstandenen politischen Verwerfungen wie auch dem Schaden, den das städtische Ansehen international erlitten hat, ein dauerhaftes Recht auf Teilhabe am Wiederaufbau ihres kulturhistorischen Schatzhauses erworben. Eine auf Initiative des Kölner Kulturrats vom Forschungsinstitut für Soziologie der Kölner Universität durchgeführte Umfrage zum ersten „Kölner Kulturindex“ im Juli 2009 nannte den Einsturz des Historischen Archivs als Spitzenthema der Kulturstadt. 93 % der Befragten stuften es als „sehr wichtig“ oder „eher wichtig“ ein. Die Katastrophe galt den Befragten als größter Schaden, der dem Image der Kulturstadt zuletzt zugefügt worden ist. Die Archivare der Stadt Köln wünschen sich ihr zukünftiges Archiv als einen Ort, den ein breites Kölner Publikum, aber auch Interessierte der ganzen Bundesrepublik wie auch des internationalen Auslands gut kennen und besuchen. Es soll einladend und benutzerfreundlich sein. Die Archivbestände sowie die damit verbundenen Aktivitäten und Tätigkeiten müssen offensiv bekannt gemacht werden. Dazu nutzt das Archiv nicht nur eigene Ausstellungen und Veröffentlichungen im bisherigen Sinne, sondern verfügt darüber hinaus über einen informativen und ansprechenden elektronischen Auftritt, der von Nutzern aus Politik, Verwaltung, Medien und Gesellschaft intensiv und interaktiv genutzt wird. Innerhalb seiner Verwaltung ist das Archiv ein anerkannter und respektierter Partner bei der Bewertung und Übernahme analoger und digitaler Verwaltungsdaten, bei der Beratung im Hinblick auf die analoge und digitale Schriftgutverwaltung, bei der Beantwortung von Verwal-
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tungsanfragen sowie bei der Unterstützung der behördlichen Öffentlichkeitsarbeit. Bestürzung und Verunsicherung der breiten stadtkölnischen Öffentlichkeit nach dem Einsturz des Archivs belegen, dass das Historische Archiv, trotz seines vormals geringen Bekanntheitsgrades vor Ort, immer auch Instrument der Selbstvergewisserung der Kölnerinnen und Kölner, ihrer Herkunft, Bräuche, Parteien, Vereine, Kunst-, Musik-, Literaturund Architekturgeschichte war und ist. Hier ist der Ort, nach Orientierung und Wurzeln in einer sich immer schneller wandelnden Umgebung zu suchen. „Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht!“ Dieser Ausspruch unseres ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss ist daher seit langer Zeit der Wahlspruch des Hauses. Die seit dem Jahr 2008 im Archiv tätige Archivpädagogin hat vor diesem Hintergrund nicht nur ein zielgruppenspezifisches Programm für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Erwachsene entwickelt. Außerdem hat sie die vom Archiv durchgeführten Ausstellungen mit einem eigenen Führungskonzept begleitet. Diese Arbeit ist – auch in Kooperation mit anderen Partnern – in Zukunft wesentlich offensiver und sinnlicher zu gestalten. Das Archivieren ist kein Selbstzweck – die Überlieferung dient der Benutzung und Vermittlung historischer Information zur aktiven Gestaltung von Gegenwart und Zukunft. Die bisherigen Kooperationen, wie z. B. mit dem Museumsdienst der Kölner Museen oder freien Kulturträgern, sind daher zu intensivieren. Das archivpädagogische Netzwerk ist im Hinblick auf die Geschichtslehrer (Lehrerseminare) auszubauen. Es sollen neben zielgruppenspezifischen Führungen Workshops angeboten werden, wie z. B. der geplante, nach dem Einsturz vom 3. März leider ausgefallene Workshop für Familienforscher zum Umgang mit den gerade übernommenen Personenstandsunterlagen oder Anleitungen zum Aufbau privater (digitaler) Fotoarchive sowie Vorschläge zur Bearbeitung eines Vereinsarchivs und ähnliches. Projekte mit Schulen, wie das im Zusammenhang mit dem Kulturentwicklungsplan vorgeschlagene Langzeitprojekt zur „Veedelsgeschichte“, sind in die Tat umzusetzen. Vor dem Einsturz ist es dem Archiv nicht hinreichend gelungen, Politik und Verwaltung der Stadt zu vermitteln, welcher Nutzen mit einem öffentlich präsenten und gut funktionierenden Archiv, ausgestattet mit dienstleistungsbewusstem, gut ausgebildetem, sozial kompetentem Personal und ansprechenden, zur Vermittlung historischer Information
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geeigneten Räumlichkeiten verbunden ist. Der am 10. September 2009 gefasste Ratsbeschluss zum Neubau am Eifelwall macht jedoch deutlich, dass es dem Archiv inzwischen mit Unterstützung der Medien gelungen ist, hier einen Umdenkungsprozess in Gang zu setzen. Vor allen anderen Institutionen ist das Archiv in der Lage, Politik und Verwaltung bei ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen, die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Verwaltungshandeln sowie politischen Entscheidungen dauerhaft zu gewährleisten, andere Verwaltungsbereiche bei der Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen, Hintergrundinformationen zu liefern und Inhalte an die Bevölkerung zu vermitteln. Nur in Archiven findet sich jene authentische, noch nicht aufbereitete Information, die in unserer stark medial dominierten Zeit eine ganz neue Bedeutung für den Bildungsprozess der Menschen gewinnt. Authentische Information befördert die Identitätsstiftung in der Bürgerschaft, dient der Integration in einer stark von Migrationsprozessen geprägten Gesellschaft und unterstützt auf diese Weise die Stadt- und Regionalentwicklung durch ein zunehmendes kulturelles Selbstbewusstsein von Stadt und Einwohnern. Zur Erreichung größerer Akzeptanz bei Politik und Verwaltung ist eine gezieltere, nicht nur medial gesteuerte, Information der Entscheidungsträger über Projekte des Archivs zukünftig unabdingbar. Gedacht ist etwa an einen jährlichen Tätigkeitsbericht, wie ihn das NS-Dokumentationszentrum dem Ausschuss für Kunst und Kultur schon seit Jahren anbietet. Mit ausreichender personeller Unterstützung könnte das Archiv auch jene Institution sein, die die Stadtspitze und die Politik regelmäßig darüber informiert, welche Jubiläen in der jeweiligen Sitzungsperiode des Rates anstehen und Empfehlungen dazu abgeben, wie sie zu begehen sind. An der Vorbereitung und Durchführung dieser Gedenk- und Feiertage sind dann nicht nur das städtische Protokoll, sondern vor allem das Historische Archiv regelmäßig beteiligt. Anders als andere Archive wird der Prozess der Überlieferungsbildung in Köln durch eine aufwändige Rekonstruktion der Überlieferung im Vorfeld sowie eine konsequente Digitalisierung im Nachgang, verbunden mit der Online-Stellung großer Bestandskomplexe, verbunden sein. Die Wertschöpfungskette umfasst daher die Zusammenführung von Provenienzen, Ordnung der Bestände, die Reinigung, Restaurierung, Verpackung/Signierung, ggf. Entsäuerung, Verfilmung/Digitalisierung, Online-Stellung nicht nur der Kataloge und Findmittel, sondern auch des digitalisierten Archivgutes, sowie anschließend die Vermittlung
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der Inhalte an eine breite Öffentlichkeit. Verbunden werden sollte dieser Prozess mit dem Aufbau eines Pay-Portals für digitalisiertes fotografisches Material aus den reichen Fotobeständen des Hauses. Die internationale wissenschaftliche Forschung hat sich nach dem Einsturz des Hauses in hohem Maße für die Wiederherstellung der Arbeitsmöglichkeiten im Archiv eingesetzt, seien es zahlreiche japanische und französische Forscher, seien es die Mitglieder der Berlin-Brandenburgischen Akademie oder auch der regionalen Universitäten. Die seit Jahren zu beobachtende Entfremdung zwischen Wissenschaftlern und Archivaren hat am Beispiel Köln ein Ende gefunden, verbunden mit der Einsicht, dass die Arbeit in und mit Archiven keine Selbstverständlichkeit ist, sondern die notwendige Voraussetzung wissenschaftlicher Arbeit darstellt. Dieser Impetus ist aufzugreifen, denn der Wiederaufbau des Archivs ist zukünftig nur mit Unterstützung dieser einflussreichen Pressure-Group denkbar. Um der Fachwelt, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern möglichst schnell wieder einen Zugriff auf Unterlagen des Archivs zu ermöglichen, wurde daher im Rathaus Deutz ab Mitte Juni ein Mikrofilmlesesaal eröffnet, in dem vor allem die Bestände vor 1815 wieder als Film nutzbar sind. Im ersten Quartal 2010 soll darüber hinaus im Zentrum Kölns ein Lesesaal für Mikrofilme und Digitalisate entstehen, der mit den in Köln erforderlichen Büroarbeitsplätzen verbunden wird. Im Hinblick auf die Medien ist die Zusammenarbeit in den letzten Jahren zwar stark verbessert worden, aber im Hinblick auf die Etablierung einer echten und wiedererkennbaren „Marke Historisches Archiv der Stadt Köln“ noch sehr ausbaufähig. Jedem Mitarbeiter des Hauses ist das Bewusstsein zu vermitteln, dass er Botschafter des Archivs ist, dass seine Serviceorientierung und sein kontinuierliches, gleichbleibend qualitatives Engagement wesentlich zur Außenwirkung des Historischen Archivs beitragen. Mit dem Einsturz hat sich das Interesse regional und überregional stark auf das Archiv fokussiert. Neben der Frage nach Einsturzursache und Schuldzuweisung geraten zunehmend Fragen nach der Zukunft des Archivs als Bürgerarchiv ins Zentrum der Medien. Das Interesse an den Themenkreisen Bergung, Restaurierung, Provisorisches Archiv und Errichtung eines Neubaus sowie die Vermittlung der Bedeutung des Historischen Archivs und seiner Bestände muss aufrecht erhalten werden. Ziel des Bürgerarchivs muss sein: Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am Wiederaufbauprozess, etwa durch Führungen im noch
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einzurichtenden Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum sowie die Konfrontation mit dem beschädigten Archivgut. Das Historische Archiv veranstaltet regelmäßig Pressetermine zu Funden, zur Bergungssituation und zu besonderen Ereignissen, beschickt Fachorgane mit Berichten über den Fortgang der Arbeiten, überarbeitet den städtischen Internetauftritt des Archivs komplett und geht mit dem in Vorbereitung befindlichen städtischen Intranetauftritt des Archivs an den Start. In stärkerem Maße als bisher ist die städtische Verwaltung als Partner in Bezug auf die städtische Öffentlichkeit erkannt worden. Es werden regelmäßige Informationsveranstaltungen für die Nachlassgeberinnen und Nachlassgeber durchgeführt, und das Kölner Kalendarium wird sich für das Jahr 2010 dem Einsturz, dem Bergungsgeschehen und den Konzepten für den Wiederaufbau widmen. Die Aktivitäten um die Einrichtung eines Provisorischen Archivs wie auch der Archivneubau sollen unter großer öffentlicher Beteiligung stattfinden. Es ist eine Wechselausstellung zu Restaurierung, Provisorischem Archiv und Wiederaufbau aufzubauen, und zwar sowohl im Martin-Gropius-Bau in Berlin, um eine nationale Öffentlichkeit für das Thema einzunehmen und der geplanten Stiftung Kapital zuzuführen, wie auch in Köln, um das bürgerliche Interesse wachzuhalten. Hier muss der jeweilige Stand des Wiederaufbaus einer breiten Öffentlichkeit jederzeit zugänglich sein. Der kritische Blick der nationalen und internationalen Fachwelt wird spätestens im Jahr 2012 wieder auf Köln ruhen, wenn der mit der Fachmesse „Archivistica“ verbundene und vom VdA ausgerichtete Deutsche Archivtag erstmals in Köln tagen wird. Die Freunde des Historischen Archivs der Stadt Köln, der seit August 2006 bestehende Förderverein, sind in stärkerem Maße als bisher aktiv an der Öffentlichkeitsarbeit des Hauses zu beteiligen. Es wird zukünftig nicht mehr nur um zwei Mitgliederversammlungen jährlich, die Finanzierung der Publikation eines historischen Jahreskalenders oder anderer Veröffentlichungen gehen. Die Freunde haben sich durch Spendenaufrufe für die Rettung und Restaurierung des Archivgutes stark gemacht. Für dieses Engagement für die kölsche Kultur durfte der Vorstand am 5. September 2009 den mit 2.200 Euro dotierten 26. SeverinsBürgerpreis in Empfang nehmen. Mit dem „Kölner Archivtaler“, der auf Initiative des Fördervereins in Silber- und Goldprägung entstanden ist, soll der Wiederaufbau des Stadtarchivs unterstützt werden. Die Mitglieder des Fördervereins sind zukünftig je nach ihren Möglichkeiten in die
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aktive Öffentlichkeitsarbeit einzubinden (Führungen, Workshops etc.). Das Gleiche gilt für die Einbindung der Vorstände und Mitglieder der Kölner Geschichtsvereine. Die Kooperation mit diesen Gruppierungen ist auf eine breitere Basis zu stellen. Konzeptionell ist inzwischen der lange Weg zum Wiederaufbau inzwischen beschritten worden. Die Beschlüsse des Rates der Stadt Köln geben Anlass zur Hoffnung, in absehbarer Zeit zum Ziel zu kommen. Zum einen beschloss der Rat in seiner letzten Sitzung der bis Oktober währenden Ratsperiode am 10. September, den notwendigen Neubau mit den bisherigen Planungsgrößen auf einem sicheren und verkehrsgünstig gelegenen Grundstück am Eifelwall, in der Nähe von Südbahnhof und Universität, zu errichten. Zum anderen wurde der Weg zur Gründung einer Stiftung freigemacht, die der Bereitstellung der Mittel für die Restaurierung und Beständezusammenführung einen organisatorischen Rahmen geben wird. Am 11. September 2009 ließen die Kölner Verkehrsbetriebe im Rahmen einer Pressemitteilung verlauten, die dortige Straßenbahnhaltestelle der Linie 18 bereits zum Fahrplanwechsel 2009 in „Eifelwall/Historisches Archiv“ umbenennen zu wollen. Auf diese Weise werden die Kölner in Zukunft nie vergessen, wo ihr Historisches Archiv beheimatet ist. Neben den zusätzlichen Arbeiten und Problemstellungen, die der Einsturz mit sich bringt, haben die Archivare der Stadt Köln sukzessive auch ihrer ursprünglichen Tätigkeiten wieder aufgenommen. Es werden bereits wieder Nachlässe akquiriert; so erreichte uns Ende Juli 2009 der Nachlass des Fotografen Charles Fraser aus London, ein Mitgründer der Photokina in Köln. Übernahmen von Akten aus der Verwaltung finden ebenso wieder statt wie intensive Vorbereitungen für die anstehenden Ausstellungen. Der für den 5. März 2009 geplante, vor dem Hintergrund des Einsturzes jedoch ausgefallene Termin für eine Kick-Off-Veranstaltung zur Begründung des digitalen Archivs der Stadt Köln mit dem Amt für Informationsverarbeitung und dem Organisationsamt, konnte inzwischen am 28. September 2009 nachgeholt werden. Ziel aller Aktivitäten ist dabei – wie bisher auch – die Einrichtung eines Bürgerarchivs, in dem Stadtverwaltung, Bürger und Wissenschaft auf Archivgut aller Art konventionell und zunehmend auch elektronisch zugreifen können. Köln soll im Jahr 2015 eines der sichersten und modernsten Kommunalarchive in ganz Europa haben. Es soll seinen (Stadt) Schätzen wie auch den Erforschern der Kölner Stadtgeschichte eine neue
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Heimat sein und als Schaufenster für die Kulturgeschichte des Rheinlands dienen. Vor diesem Hintergrund sind die Zeichen für den Wiederaufbau durchaus ermutigend! Dr. Bettina Schmidt-Czaia, Leitende Archivdirektorin des Historischen Archivs der Stadt Köln
Einsturz – Bergung – Perspektiven. Ansichten und Einsichten Dienstag 14:10 Uhr, Intercity Münster Richtung Köln, Rückfahrt von einem Arbeitsgespräch zur Archivierung digitaler Sitzungsunterlagen. Das Handy klingelt. Am Telefon unser Verwaltungsleiter: „Pass auf – das ist kein Witz: Das Archiv ist eingestürzt!“ Ich frage noch, ob alle Kolleginnen und Kollegen heil aus dem Gebäude herausgekommen sind – das ist offenbar der Fall – dann ist das Gespräch zu Ende. Ohne wirklich zu verstehen, was passiert ist, rufe ich Frau und Familie an, sage, dass es mir gut geht. Die Zeit bis zur Ankunft in Köln vergeht quälend langsam, trotz der vielen Anrufe, die jetzt hereinkommen. In Köln dann: Hektische Betriebsamkeit, Sitzungen im Dezernat, beim Krisenstab der Feuerwehr, vor Ort am Waidmarkt. Dann der erste Blick auf den großen Schutthaufen auf der Severinstraße – und die furchtbare Erkenntnis: Hier ist eine wirklich große Katastrophe eingetreten. Menschen haben ihr Leben verloren (soviel ist jetzt schon klar), ihre Wohnung, ihre Arbeitsstelle. Und dann ist da die kulturelle Dimension: das Gedächtnis der im Mittelalter größten deutschen Stadt, 30 Kilometer Urkunden und Akten, Karten und Pläne, Handschriften, Plakate und Fotos aus tausend Jahren Kölner und rheinischer Geschichte sind völlig zerstört, liegen zwischen – unter – Tonnen von Ziegelmauerwerk, Beton, Stahl. Was war passiert? Die Ursachen für den Einsturz des Stadtarchivs und der beiden Nachbarhäuser sind weiterhin unklar – und es ist abzuwarten, zu welchem Schluss die vielen Sachverständigen und letztendlich die Gerichte kommen werden. Aus der Berichterstattung ergibt sich gegenwärtig folgendes Bild: Die Planung für die Nord-Süd-U-Bahn, die zu einer besseren Anbindung der südlichen Stadtteile und zu einer Verkürzung der Fahrzeit in Richtung Bonn gebaut wurde, sah, leicht nach Norden versetzt, vor dem Stadtarchiv ein sogenanntes Gleiswechselbauwerk vor, also eine Art Weiche, an der Züge von der einen in die andere Tunnelröhre wechseln können. Dieses Bauwerk wurde, anders als die Tunnelröhren, nicht unter der Erde gebohrt, sondern als eine nach oben offene, etwa 25 Meter tiefe Baugrube ausgeführt. Dazu wurden sogenannte „Schlitzwände“ in Beton bis in eine Tiefe von fast 40 Metern und damit bis in die wasserun-
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durchlässigen Schichten abgesenkt. Bevor das eigentliche Gleiswechselbauwerk als eigenständiger Bau in diesem „Trog“ gebaut werden konnte, sollte die Erde entnommen werden und lediglich eine kontrollierbare Menge Grundwasser nachfließen, die durch sogenannte Brunnen abgepumpt wurde. Diese Wasserhaltung war – so erklärt nun ein Sachverständiger – schon in den letzten Februartagen zu einem Problem geworden. Am 3. März jedenfalls beobachten Arbeiter um kurz vor 14 Uhr einen plötzlichen unkontrollierbaren Zufluss von Wasser und Material in der untersten Ebene des Gleiswechselbauwerks. Ihnen ist klar, dass hiermit ein Unglück größeren Ausmaßes droht, und so fliehen sie aus dem Gleiswechselbauwerk. Auf der Straße angekommen, warnen sie Passanten und halten einen Bus der Kölner Verkehrsbetriebe auf, der die betroffene Stelle der Straße passieren möchte. Im Historischen Archiv der Stadt Köln halten sich zu diesem Zeitpunkt etwa 35 Personen auf, Nutzer und Mitarbeiter des Hauses. Der Haustechniker stellt zusammen mit den Magazinarbeitern unbekannte, laute Geräusche aus dem Magazinturm fest, sieht auf die Straße und erblickt klaffende Spalten im Bürgersteig. Sofort bewegt er die Kollegen zum Verlassen ihrer Arbeitsplätze im Erdgeschoss des einstürzenden Magazinbaus. Beim Herauslaufen treffen sie die Restauratorin, die sich bis gerade auf der obersten Etage des Magazinbaus aufgehalten hat und nur durch einen Zufall die Treppe für den Rückweg gewählt hatte. Alle nehmen einen klaffenden Spalt in Wand und Boden zwischen dem Magazinbau und dem Bürotrakt wahr. Man alarmiert und evakuiert alle weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem vorgesehenen Weg auf die Rückseite des Archivs. Die Aufsichtskraft im Lesesaal nimmt unabhängig davon Geräusche wahr, die nur auf einen Einsturz des Gebäudes hindeuten können und evakuiert instinktiv den Lesesaal nach vorn auf die Severinstraße. Neben den letzten Menschen, die das Archiv verlassen, fallen bereits tonnenschwere Platten der Granitfassade zu Boden. Um 13:58 Uhr geht der erste Notruf bei der Kölner Feuerwehr ein, fast gleichzeitig bricht das gesamte Gebäude in einer riesigen Staubwolke zusammen und reißt Teile der angrenzenden Gebäude mit sich. Dieser schnelle Einsturz ergab sich, weil unter der Erde große Mengen Schlamm, Wasser und Rheinkies in das Gleiswechselbauwerk eingedrungen waren. In kürzester Zeit wurde so dem Archivbau gleichsam der Boden unter den Fundamenten entzogen. Das siebenstöckige, massive Gebäude brach etwa in der Mitte und stürzte in sich zusammen. Im Stür-
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Abb. 12: Schematische Darstellung des Einsturzes des Historischen Archivs. Grafik: Berufsfeuerwehr Köln
zen neigte es sich zudem zur Straße hin, sodass große Mengen Bauschutt zusammen mit Archivmaterial in das Gleiswechselbauwerk bzw. auf die Straße stürzten. Unter dem bis zu acht Meter hohen Schuttkegel waren auch Fahrzeuge begraben – zum Glück waren hier keine Menschen betroffen. Weiter östlich stürzten Teile des Gebäudes einfach in die Tiefe, in den sich auftuenden Bruchtrichter. Trümmer und Archivgut finden sich bis in eine Tiefe von 20 Metern unter dem Straßenniveau – und einer der beiden Verstorbenen wurde nach mehrtägiger Suche schließlich in neun Metern Tiefe gefunden. Die gewaltigen Kräfte, die beim Einsturz wirkten, ebenso wie der sich in drei Dimensionen vollziehende Einsturz des Gebäudes, sollten schließlich bewirken, dass vielfach eine beträchtliche Durchmischung der „Fundhorizonte“ stattfand. Waren im Gleiswechselbauwerk durch die Distanz der Sturzbewegung, das Durchschlagen der temporären Bauwerksabdeckung und die schiere Gewalt des Einsturzes Bauschutt und Archivgut gleichsam in „loser Schüttung“ anzutreffen, so hatten sich auf dem Kegel auf der Severinstraße die einzelnen Schichten erhalten. Im Bruchtrichter fand sich später Archivgut aus allen Etagen dicht beieinander, oft zwischen massiven Betonbrocken der ehemaligen Zwischendecken, die nun senkrecht standen. Lediglich im südlichsten Teil des Gebäudes, am weitesten von Gleiswechselbauwerk
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Abb. 13: Die Entdeckung des unversehrten Kellers im Süden der Einsturzstelle. Foto: Berufsfeuerwehr Köln, Bildstelle
und Bruchtrichter entfernt, sollten noch geringe Teile des Magazinkellers intakt gefunden werden. Dienstag, 3. März, späterer Abend. Bei der Feuerwehreinsatzleitung vor Ort wird das weitere Vorgehen besprochen. Es kristallisiert sich heraus, dass mindestens zwei Menschen im nördlichen Bereich der Unglücksstelle vermisst werden, deren Bergung natürlich oberste Priorität genießt. Da der Boden im weiten Umfeld des Einsturzes als unsicher gilt, und da u. a. ein noch stehender Kran umzustürzen und dabei die Rettungsarbeiten zu gefährden droht, entscheidet die Führung der Feuerwehr sich für einen Durchbruch durch die noch stehenden Teile des Historischen Archivs, um Räumgerät an die Stellen zu bringen, wo die Vermissten vermutet werden. Dies bedeutet zunächst die Schaffung von Zufahrten, die Niederlegung von Nebengebäuden und den Durchbruch durch eine Mauer. Entsprechend ausgestattete Kräfte des technischen Hilfswerks werden angefordert. Den Mitarbeitern des Archivs, die sich nach und nach wieder an der Unglücksstelle einfinden, bleiben damit etwa acht Stunden, um so viel wie möglich aus den noch stehenden Gebäudeteilen zu retten, bevor auch diese Gebäudeteile abgebrochen und die Keller darunter verfüllt werden. Eile tut Not, bergen doch die stehenden Keller noch die fast vollständigen Urkun-
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denbestände des Hauses sowie große Teile der Fotosammlungen; im Erdgeschoss befinden sich im Lesesaal die unverzichtbaren Findbücher – also die Verzeichnisse des Archivs, ebenso wie Archivgut, das gerade in Benutzung war. An die Büros, die Lesesaalbibliothek, die technische Ausstattung verschwendet zunächst niemand einen Gedanken. Im Krisenstab wird am Dienstagabend die Abdeckung der Unglückstelle besprochen. Die Befürchtung, der angesagte Regen – der dann doch erst später kam – könne weiteren Schaden verursachen, hält an. Es wird der Bau eines Daches beschlossen, zur Überbrückung der Aufbauzeit werden Planen geordert, die am folgenden Tag unter schwierigsten Bedingungen verlegt wurden. Ich gehe mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr durch das Gebäude. Eine Staubschicht überzieht alles, sonst sieht es gespenstisch normal aus. Auf Schreibtischen stehen noch Tassen, anderswo liegen Fotos, die gerade bearbeitet werden, offen ausgebreitet. Im Keller zeige ich die Urkundenschränke und wir bestimmen, was zunächst – und was später – geborgen werden soll. Ich bekomme mehr als hundert Helfer vom THW, freiwilliger und Berufsfeuerwehr. Freiwilligen der Berufsfeuerwehr gelingt es in den nächsten Stunden, auch die ganz nah am Bruchtrichter stehenden Urkundenschränke in den sicheren Bereich zu bewegen. Während direkt neben dem einzigen verbliebenen, verwinkelten Zugang zu den Archivkellern ein Radlader des THW mit dem Einreißen von Mauern beginnt, läuft die Bergung an. Wie birgt man mitten in der Nacht in einem extrem engen Zeitfenster mehrere zehntausend Pergamenturkunden? Sicherlich nicht, indem man zunächst eine Arbeitsgruppe ein umfängliches Feinkonzept ausarbeiten lässt und dann (wie lang?) auf die Anlieferung geeigneten Verpackungsmaterials wartet, um alle Stücke sortiert und verzeichnet temporär unterzubringen. Ein Überblick über die vorhandenen Ressourcen und Zwänge gab die Richtung vor: Es stand zwar gleichsam unbegrenzt Personalkapazität zur Verfügung, es gab einen Auffangraum (die große Turnhalle des benachbarten Kaiserin-Augusta-Gymnasiums) und zumindest einige Dutzend roll- und abschließbare Behältnisse waren vorhanden. Knapp waren die Zeit und die räumliche Infrastruktur in Gestalt brauchbarer Gebäudeausgänge. Es wurde schnell deutlich, dass eine Befüllung der Container an den Urkundenschränken selbst unpraktikabel war, da die zu benutzenden Notausgänge zu eng, zu steil und zu verwinkelt waren.
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Abb. 14: Die Evakuierung der Urkunden aus dem unzerstörten Kellertrakt am Morgen des 4. März. Foto: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Matthias Frankenstein
Stattdessen wurden die Urkunden mit ihren Hängevorrichtungen aus den Schränken entnommen und so bis zur Auffangstelle getragen, wo sie in die Container (und hinterher in fabrikneue, schnell von den Abfallwirtschaftsbetrieben angelieferte Müllcontainer) gelegt wurden. Auch Kapazitäten für Abtransport- und fachgerechte Lagerung standen schon in der Nacht zur Verfügung – ein Kollege aus einem anderen Kölner Archiv hatte einen entsprechenden Dienstleister spontan gewonnen. Auf diesem Wege gelang es, während nach und nach Teile des Bürotraktes niedergelegt, die Keller darunter verfüllt und Bergungsgerät über die neue „Einsatzfläche“ herangeschafft wurde, alles Material aus dem hinteren, flachen Gebäudeteil zu bergen: Fast 60.000 Urkunden, einige zehntausend Fotos, alle Findmittel des Archivs, die Mikrofilme und Bücher aus dem Lesesaal, das Archivgut aus dem Wiedervorlageraum – und später Büroeinrichtung, Registraturen, Technik und Ausstattung. 4. März morgens – 40. Geburtstag meiner Frau. Ich stehe mit Kollegen in der Sporthalle der Kaiserin-Augusta-Schule. Müde bin ich nicht, trotz der Arbeit der letzten Nacht. Wir überlegen und diskutieren: Wie soll es jetzt weitergehen? Ist die Arbeit in einem städtischen Archiv unter diesen Umständen überhaupt noch denkbar? Was geschieht mit angefangenen Quali-
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fikationsarbeiten, Recherchen, Projekten? Was ist mit dem eingeschlagenen Weg hin zu einem „Bürgerarchiv“? Wie und wo gibt es Ersatzüberlieferung? Es wird deutlich, dass das Arbeitsleben nun auf unabsehbare Zeit anders verlaufen wird als geplant, eine Erkenntnis, die alle Kolleginnen und Kollegen mit der Zeit packen wird. Draußen sind die ersten freiwilligen Helfer angekommen, aus Köln und aus Münster, Archivare und Restauratoren. Sie bringen Notfallboxen, wollen helfen, mit anpacken, Archivgut retten. Es gibt kaum etwas Sinnvolles zu tun – also räumen wir gemeinsam die Büros aus. Am Abend und in der Nacht bin ich einige Stunden zuhause. Früh morgens erwache ich aus dem Schlaf – mit dem Bild fehlender Bände in der bisher vollständigen Protokollserie des reichsstädtischen Kölner Rates noch vor den Augen. Was wird mit der bislang so wohl behüteten, so vollständigen Überlieferung gerade des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Köln? Ist dies – ausgerechnet während meiner Zuständigkeit – das Ende der großen „Alten Abteilung“ des Kölner Stadtarchivs? Notfallszenarien für Kultureinrichtungen kennen eine Phase der „Notfallstabilisierung“. Dies bezeichnet das Einsetzen der koordinierten, nicht mehr ausschließlich durch Notfallmaßnahmen der Einsatzkräfte bestimmten Arbeiten für eine weitere Sicherung des Kulturgutes. Im Kölner Fall trat diese Phase ein mit dem Beginn der Beräumung der drei Teilbereiche der Unglücksstelle: Kegel (auf der Severinstraße), Bauwerk (innerhalb des Gleiswechselbauwerkes, auf den beiden oberen Ebenen) und Trichter (am ehemaligen Ort des Archivs, bis weit unter das Grundwasserniveau). Diese Phase begann am späten Abend des 5. März, als Feuerwehrkräfte eine Schneise zum Haupteingang des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums in den Schuttkegel zu schlagen begannen. Das dabei auftauchende Archivgut übernahmen Studierende der Fachhochschule Köln zur Erstversorgung. Diese Arbeiten fanden in der Aula des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums statt und wurden im Übrigen immer wieder von Evakuierungen des Gebäudes wegen Einsturzgefahr unterbrochen. Die weiteren Bergungsarbeiten sind in ihren Phasen bereits beschrieben und bewertet worden, so u. a. in den Ausgaben des „Archivar“ im Jahr 2009. Im Rückblick wird man die gesamte Phase bis zur Schließung des Erstversorgungszentrums Porz-Lind im September 2009 als Einheit im Sinne der Notfallstabilisierung betrachten müssen. Verfahren, die sich
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Abb. 15: Zerstörte Siegel am Verbundbrief. Foto: Stefanie Behrendt
zu Beginn herausbildeten, wurden bis zum April so weiterentwickelt, dass sie über die gesamte Bergungs- und Erstversorgungsphase hinweg tragfähig blieben. An der Einsturzstelle selbst beruhte das System auf einer tragfähigen Arbeitsteilung zwischen den Einsatzkräften und den Archivaren sowie den freiwilligen Helfern. Wegen der Gefahren bei der Arbeit an der Einsturzstelle selbst waren die Einsatzkräfte der Berufsfeuerwehr für die Beräumung und Archivgutbergung auf dem sogenannten Trümmerkegel und im Trichter zuständig. Angehörige aus wöchentlich wechselnden THW-Ortsverbänden versahen dieselbe Tätigkeit innerhalb des Gleiswechselbauwerks. Mitarbeiter des Archivs übernahmen dann das geborgene Archivgut und separierten trockenes bzw. nur klammes Archivgut. Dieses wurde in Umzugskartons verpackt und dann an das Erstversorgungszentrum weitergeschickt. Übrig blieb an der Severinstraße nasses bzw. kontaminiertes, von Schimmel befallenes Material, das durch Einschlagen in Stretchfolie, Kurzerfassung und Zusammenfassung in Gitterboxen für den Transport auf die Einlagerung in einem Kühlhaus vorbereitet wurden. Insgesamt
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Abb. 16: Bergung im Bauwerk im Norden der Einsturzstelle. Foto: Berufsfeuerwehr Köln, Jürgen Schütze
550 Gitterboxen (mit einem Fassungsvermögen von ca. einem Kubikmeter) wurden so gefüllt. In Zusammenarbeit mit dem LWL-Archivamt für Westfalen und etwas später mit dem LVR Landesmuseum Bonn in Verbindung mit dem LVR Archivberatungs- und Fortbildungszentrum
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Brauweiler sind bislang (Stand Mitte Oktober 2009) mehr als 110 Gitterboxen mit ehemals nassem Archivgut gefriergetrocknet und trockengereinigt worden. An der Einsatzstelle Severinstraße wurde meist mit einer Kernbelegschaft von Mitarbeitern des Hauses (mindestens ein Archivar und eine Restauratorin) im Schichtdienst gearbeitet, zunächst, bis zum Auffinden der beiden Vermissten, rund um die Uhr, später in einem Zweischichtsystem. Vor Ort wurden die Archivkräfte durch eine Bürokraft, vor allem aber von zahllosen freiwilligen Helfern unterstützt. Neben der Bewältigung von großen Mengen an Archivgut, das in kaum kalkulierbaren Rhythmen anfiel, lag die große Herausforderung in der Kommunikation mit Einsatzleitung, Freiwilligen und den Kollegen. Bei dieser Kommunikation, bei der Organisation der Abläufe, bei der Beschaffung von notwendigen Materialien und bei der Sicherstellung erträglicher Arbeitsverhältnisse vor Ort stellte sich hier wie am Erstversorgungszentrum die Notwendigkeit einer eindeutigen und auch optisch nachvollziehbaren Leitungsfunktion („Archivar vom Dienst“; „Restaurator vom Dienst“) als unerlässlich heraus. Insgesamt leisteten an der Severinstraße Mitarbeiter und Freiwillige fast 3.000 Schichten. Mit einer zweiwöchigen Phase der „Nassbergung“, also der Bergung von aus dem Grundwasser geborgenem Archivgut fand der Betrieb an der Severinstraße im Juli seinen vorläufigen Abschluss. Im September wurde noch einmal während einiger Tage Archivgut aus einer Tiefe von etwa 13 Metern unter Straßenniveau (35 m NN) geborgen. Dies war aufgrund des außerordentlich niedrigen Wasserstands möglich. Noch weitaus mehr Schichten als an der Severinstraße wurden durch Mitarbeiter des Archivs und insgesamt über 3.000 Freiwillige im sogenannten Erstversorgungszentrum (EVZ) geleistet, nämlich insgesamt 9.974. Vermutlich mehr als 25.000 Regalmeter Archivgut aller Materialgruppen wurden auf zwei Etagen eines Möbellagers in Köln-Porz-Lind bearbeitet. Insgesamt verließen gut 200.000 Archivkartons und 260 Paletten mit großformatigen Karten, Plänen und Plakaten das EVZ. Das EVZ war an insgesamt 157 Tagen in Betrieb. In dieser Zeit veränderten sich die Arbeitsabläufe kaum, hatten sich doch schon im Vorläufer, einer offenen Halle eines Umwelt-Entsorgungsunternehmens in Köln, die entscheidenden Maßnahmen herausgebildet, die vor allem noch durch eine Trocknungsphase ergänzt wurden. Ziel war es, das Archivgut so aufzubereiten, dass es lagerungsfähig war und ohne Gefahr
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in die Archive verbracht werden konnte, die Lagerflächen angeboten hatten. Im EVZ fanden dazu nacheinander verschiedene Arbeitsschritte statt, während derer jedes Stück Bergungsgut immer seiner sogenannten „Blauen Box“ zugeordnet blieb, also dem Gefäß, in dem es im EVZ transportiert wurde. Kamen also Umzugskisten mit Bergungsgut beim EVZ an, so wurden diese oft zunächst eingelagert, um eine Bearbeitung in der Reihenfolge des Zuganges zu ermöglichen. Kamen die entsprechenden Kisten an die Reihe, so wurden die Stücke jeweils durch Freiwillige auf der unteren Ebene des EVZ grob gereinigt und grob erfasst. Die hohe Staubbelastung in diesem Arbeitsbereich machte größere Vorkehrungen in Sachen Arbeitsschutz erforderlich: Tyvek-Anzüge, Schutzmasken entsprechender Schutzklassen, Handschuhe, Sicherheitsschuhe und anderes mehr wurden zu Tausenden beschafft und verbraucht. Spezielle Säuberungsmaßnahmen und Vorkehrungen für sicheres Essen und Trinken wurden umgesetzt. Der Inhalt mehrerer Umzugskisten wurde bei der Säuberung in einer Blauen Box zusammengefasst, deren Nummer das Bergungsgut weiter begleitete. Die Blaue Box mit Inhalt wurde dann auf die dritte Etage gebracht, wo die enthaltenen Archiveinheiten noch einmal entnommen, auf fahrbaren Regalgestellen (Coletten) ausgelegt und dann in extra beschafften Trockenzelten bei ca. 30 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit und Temperaturen über 25° C getrocknet wurden. Erst danach wurde das Bergungsgut in neue Archivkartons verpackt, auf Paletten zusammengefasst und dann in eines der 19 Asylarchive verbracht. Die Zielorte jeder „Blauen Box“ wurden vor Ort festgehalten, die Groberfassung dann in der Folge von Hilfskräften in die Bergungserfassungssoftware eingegeben. Nach ziemlich genau sechs Monaten wurde im September 2009 die letzte Schicht im EVZ gefahren. Waren zunächst die oben geschilderten Arbeiten in ihren ersten Entwicklungsstufen in der offenen Halle in Porz-Urbach durchgeführt worden, so blieb auch nach der Einrichtung des EVZ in Porz-Lind allerdings die „Sortierstelle“ Urbach erhalten. Hier waren zunächst Feuerwehrleute, später aber Mitarbeiter des Internationalen Bundes für Beschäftigung tätig, die die insgesamt 11.000 Kubikmeter Bauschutt noch einmal nach Archivgut(fragmenten) durchsuchten, die an der Bergungsstelle selbst übersehen worden waren. Die Funde aus Urbach wurden mit in den
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Erstversorgungsprozess im EVZ eingespeist – insgesamt mehr als hundert Wannen. Unterstützt wurden die Arbeiten an allen drei Standorten von den freiwilligen Hilfsdiensten. Von der psychosozialen Unterstützung über die Hilfe in technischen Dingen bis hin vor allem zur Unterbringung und Verpflegung freiwilliger Helfer haben die Hilfsdienste, aber auch die Wohnungsversorgung und andere Teile der Kölner Stadtverwaltung unbürokratisch „mit angepackt“ und Großes geleistet. Damit haben Hilfsdienste und Stadtverwaltung erst ermöglicht, was vielen Mitarbeitern gerade in den schweren ersten Tagen und Wochen nach der Katastrophe wieder Mut und Hoffnung gemacht hat: Die Perspektive auf eine Zukunft des Kölner Stadtarchivs. Mit ihrer Hilfe konnten die vielfältigen Hilfsangebote aus aller Welt erst so umgesetzt werden, dass eine effektive Bergung und Erstversorgung der angeschlagenen Kölner Archivalien möglich wurde. Mehr als 8.000 Übernachtungen hat der städtische Wohnungsversorgungsbetrieb in seiner Unterkunft in der Boltensternstraße gezählt – und niemand kennt die Anzahl an Mahlzeiten, die Malteser, Johanniter, Arbeiterwohlfahrt und Rotes Kreuz zubereitet haben. Sie haben damit im Übrigen auch etwas Erstaunliches ermöglicht: Dass nämlich bei allem Entsetzen über die Katastrophe und bei aller Trauer auch um das verlorene, zerstörte Archivgut eine gute, ja eine fröhliche Stimmung an den Einsatzorten aufkam. Die kaum in Worte zu fassende Solidarität der internationalen Archivgemeinschaft auf der einen und der stadtkölnischen Bürgerschaft auf der anderen Seite tat ein Übriges. Beide Gruppen haben sich um die Bestände „ihres“ Stadtarchivs verdient gemacht, aber sie haben mit ihrem freiwilligen Einsatz – unter keinesfalls angenehmen Bedingungen – auch ein Zeichen gesetzt. Das Stadtarchiv ist und bleibt Teil der internationalen Archivgemeinschaft, und es bleibt auch weiterhin der Sitz des gemeinsamen Gedächtnisses der Stadt Köln und ihrer Bürger. Nahezu alle großen Archive Deutschlands waren bei den Bergungsund Erstversorgungsarbeiten vertreten, ebenso wie die Ausbildungsstellen für das deutsche Archivwesen, die Archivschulen Marburg und München und der Studiengang Archivwesen an der Fachhochschule Potsdam. Gleiches gilt für die Fachhochschulen mit Studiengängen für Papierrestaurierung (Hildesheim, Stuttgart, Köln und Bern) und einige Institute, die selbst Erfahrungen mit Katastrophensituationen gesammelt hatten. Hier ist die Anna-Amalia-Bibliothek Weimar ebenso zu
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Abb. 17: Blick in die Bautrocknerzelte im Erstversorgungszentrum (EVZ). Foto: Historisches Archiv der Stadt Köln, Nadine Thiel
nennen wie die von der Moldau-Flut 2002 geprägten Kolleginnen und Kollegen aus den Archiven der Tschechischen Republik, die über mehrere Wochen hinweg jeweils zu mehreren in Köln präsent waren. Aus dem Stand heraus wurden Koordinierungsstellen eingerichtet, die die vielen Hilfsangebote bearbeiteten. Die Erstanlaufstelle für Archivare war im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv, die Restauratoren meldeten sich bei der Fachhochschule. Hilfsangebote sachlicher Art wurden beim Landschaftsverband Rheinland koordiniert. Der Arbeitskreis Kölner Archivarinnen und Archivare war stets zur Stelle, auch kurzfristig Helfer zu organisieren und vor allem zu motivieren. Überhaupt waren es auch und gerade die internationalen Hilfseinsätze, die der Bergung und Erstversorgung ihr besonderes Gepräge gaben – von den über das Internationale Komitee vom Blauen Schild (Blue Shield) mit Sitz in Den Haag koordinierten zwei Großeinsätzen mit jeweils mehr als achtzig freiwilligen Kolleginnen und Kollegen aus Belgien, den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz über die Wochen an der Bergungsstelle Severinstraße, denen nacheinander Delegationen aus England, Polen und den USA ihre „Stempel“ aufdrückten bis hin zu ein-
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zelnen Helfern, die wochenweise anreisten. Den Rekord hält dabei eine Kollegin aus dem australischen Nationalarchiv in Canberra, die ihren Jahresurlaub (vier Wochen am Stück) damit verbrachte, bei der Erstversorgung in Porz-Lind zu helfen. Gleichzeitig waren Kölnerinnen und Kölner mit von der Partie. Einige hundert Freiwillige wurden über das Internet-Angebot „Wir retten unser Kölner Stadtarchiv“ gewonnen, weitere kamen direkt auf Archivmitarbeiter zu oder meldeten sich, wie die Karnevalsgesellschaft Alt-Severin, kollektiv freiwillig zur „Erstversorgung“. Eine besonders zahlreiche, verlässliche und auch im anfänglichen Drei-Schicht-Betrieb belastbare Helfergruppe stellten die Studierenden der rheinischen Unversitäten (Köln, Bonn, Düsseldorf ), von denen für einige mit dem Einsturz des Archivs auch die Planungen für Qualifikationsarbeiten zusammenbrachen. Aus dem Kreise dieser Studierenden wie auch weiterer Wissenschaftler aus dem In- und Ausland kamen denn auch die ersten Aufrufe, so schnell wie möglich wieder Archivgut zugänglich zu machen – und sei es nur in der Form von seit den 1960er-Jahren angefertigten Mikrofilmen. Für die Überlegungen zur Zukunft des Historischen Archivs war dies einer der Ansatzpunkte. Freiwillige Hilfe gab es allerdings nicht nur an den Bergungsorten. Die Kollegen aus der Fachwelt hatten innerhalb von Tagen nach dem Einsturz bereits große Mengen freier Archivflächen gemeldet, die man dem Historischen Archiv zur Verfügung stellen wollte. Letztendlich wurden große Flächen in Nordrhein-Westfalen in Anspruch genommen – und so liegt geborgenes Kölner Archivgut nicht nur in den Häusern der Kölner Kollegen, sondern in Archiven aller Sparten im ganzen Land – im Stadtarchiv Freudenberg ebenso wie im Universitätsarchiv Münster, im Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn ebenso wie in der Abteilung Ostwestfalen-Lippe des Landesarchivs in Detmold. Alles in allem 26 laufende Kilometer sind in diesen „Asylarchiven“ belegt, hinzu kommen etwa 230 Paletten mit Großformaten. Die auf den ersten Blick erstaunliche Volumensteigerung ergibt sich aus der Neuverpackung der Stücke und der Tatsache, dass beschädigtes, aufgefächertes und deformiertes Archivgut mehr Platz benötigt als solches in gutem Erhaltungszustand. Bei der Rückführung nach Köln, der Restaurierung und der endgültigen Neuordnung und -verpackung ist restaurierungsbedingt mit einer weiteren Zunahme des Umfangs zu rechnen. Außerhalb von NRW gibt es noch zwei Archive, in denen jeweils größere Mengen Kölner Ber-
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Abb. 18: Die 19 „Asylarchive“. Grafik: Historisches Archiv der Stadt Köln
gungsgut liegen: Das Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig und das Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg im Breisgau. Eine besondere Rolle spielt das Historische Archiv des Erzbistums in Köln, in dessen neuem Magazin mehrere Kilometer Archivgut lagern, in dem aber vor allem durch die Mitarbeiter der Dombauhütte ein ingeniöses System, gleichsam zwei begehbare Kleiderschränke zur Hängung der fast 20.000 großformatigen Urkunden, eingerichtet wurde. Freitag, 13. März. Gegen sechs zur Unglücksstelle, um dort die Arbeiten weiter zu organisieren. Zwei Freunde und Fachkollegen waren die Woche über bei mir, um bei der Arbeit zu helfen. Heute werden sie gemeinsam mit unserem Software-Hersteller die Dinge weiterentwickeln, die der dortige Projektleiter (mit roten Augen nach einer Nachtschicht im ersten EVZ) und ich einige Tage vorher angedacht haben. Wie muss ein Software-Modul beschaffen sein, das uns bei der Beschreibung, Lokalisierung, Zuordnung und Schadenserfassung für das geborgene Archivgut hilft? Währenddessen gehen auch für mich und unsere Restauratorin, die gemeinsam mit mir die Bergung koordiniert, die Gedanken schon in die Zukunft. Noch ist die alte Restaurierungswerkstatt nicht vollständig ausgeräumt und eingelagert, da muss bereits für ein Provisorium geplant werden. Denn natürlich ist eine zeitnahe Weichenstellung für ein Restaurierungsprogramm erforderlich, das alles bisher im deutschen Archivwesen Dage-
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wesene übertreffen muss. Eine Gruppe von Archivexperten, gemeinsam mit Restauratoren der Fachhochschule Köln, unterstützt die Bemühungen und nimmt ebenfalls mit uns die Zukunft in den Blick. Auch der Oberbürgermeister will Perspektiven für einen Wiederaufbau schaffen … Auch während der akuten Bewältigung der Katastrophe musste der Blick bereits nach vorn gehen. Im Laufe der Bergungsphase wurde immer mehr deutlich, wo die großen Herausforderungen der Zukunft für das Kölner Stadtarchiv liegen – und dass keinesfalls mit einer Totalamnesie der Stadt nach dem Einsturz zu rechnen ist. Entsprechend verlangten die Politik, aber auch die bald einberufenen Expertengremien und der nordrhein-westfälische Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich GrosseBrockhoff frühzeitig Visionen, aber auch möglichst konkrete Planungen für den Wiederaufbau. Für einen solchen Wiederaufbau würden wir aber auf jeden Fall Neuland betreten müssen – das „Einmaleins“ archivischer Lehrsätze und Notfallvorsorge greift nicht mehr, wenn fast 30 laufende Kilometer Archivgut aus 1.000 Jahren identifiziert, zusammengeführt und restauriert werden müssen. In mindestens elf Bereichen waren daher für die Zukunft neue Verfahren zu entwickeln, um mit der Katastrophe und ihren Folgen fertig zu werden. 1. Bergungsbauwerk Ein Anteil von etwa acht bis zehn Prozent des Archivgutes wird noch im Trichter vermutet, allerdings in Tiefen, die aufgrund der Struktur der Unglücksstelle nicht im „Tagebau“ erreichbar sind. Dieses Material liegt seit dem Einsturz durchgängig im Grundwasserbereich. Da die letzten Bergungen aus dem Grundwasserbereich grundsätzlich zuversichtlich stimmen – es wurden größere Mengen restaurierungsfähig erhaltenen Archivgutes geborgen – arbeitet das städtische Amt für Brücken und Stadtbahnbau fieberhaft zusammen mit einem Stuttgarter Ingenieurbüro und in enger Abstimmung mit den anderen, an der Unglücksstelle tätigen Stellen (KVB, Arbeitsgemeinschaft U-Bahn Los Süd), an der Planung, Genehmigung und dem Bau eines sogenannten Bergungsbauwerkes. Dieses soll eine Grube von 16 x 21 Metern, vermutlich zusätzlich mit einer Art „Apsis“ an ihrer Südseite so abstützen, dass innerhalb die-
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ses Bereiches eine Nassbergung des Archivgutes mit Hilfe eines Seilbaggers möglich ist. Der Bau des Bauwerkes ist für April 2010 geplant, sodass man im Sommer mit der Bergung des noch zu rettenden Archivgutes beginnen kann. Selbst bei einem vollen Erfolg des Bauwerkes ist allerdings davon auszugehen, dass eine Totalverlustquote von mindestens fünf Prozent bleiben wird. 2. Retrokonversion der Findmittel Schon bald nach dem Einsturz wurde deutlich, dass für alle weiteren Arbeitsschritte (Verlustabschätzung und dann objektgenauer -abgleich, Restaurierungsplanung, Auslagerung, Zusammenführung) eine Digitalisierung aller papierenen Findmittel (Kataloge, Karteien usw.) des Archivs erforderlich sein würde. Für den überwiegenden Teil der Bestände liegen Findmittel vor, von denen bislang nur ein Bruchteil in die Archivdatenbank ACTApro eingegangen war. Zwar war das Archiv schon seit 2008 massiv in die Retrokonversion eingestiegen, hatte eigene Personalmittel zur Digitalisierung von Findbüchern und Karteien abgestellt, Dienstleister beschäftigt und an einem DFG-Projekt teilgenommen. Für die Zeit nach dem Einsturz war nun allerdings eine ganz andere Herangehensweise erforderlich, um die Datenbank mit allen verfügbaren (und glücklicherweise am 4. März geretteten) Findbüchern zu füttern. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat hierzu als Nothilfe ganz unbürokratisch Geldmittel zur Verfügung gestellt, sodass zunächst die wichtigsten „klassischen“ Findmittel aus dem Lesesaal digitalisiert werden konnten – es folgen nun die Erschließungskarteien für andere wichtige Bestände, z. B. die umfangreiche „Zeitgeschichtliche Sammlung Bild“. Im November 2009 waren mehr als 1.200 Findmittel in die Datenbank übernommen worden, weitere in dreistelligem Umfang stehen noch aus. 3. Bestandszusammenführung Das Archivgut aus dem Historischen Archiv hat durch den Einsturz seine Bestandskontexte völlig verloren. Archivgut aus den verschiedenen
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Beständen ist vollständig durchmischt worden. Zwar gibt es einzelne „Nester“ bestimmter Bestände, die zusammen geborgen werden konnten, im Ganzen aber ist davon auszugehen, dass von fast allen Beständen Teile auf mehr oder weniger alle „Asylarchive“ aufgeteilt sind. Aber es ist nicht nur das: Auch einzelne Archivobjekte, Akten, Amtsbücher, Korrespondenzsammlungen, Planmappen sind durch den Einsturz zerstört, fragmentiert worden. Einzelne Briefseiten aus Nachlassbeständen, einzelne Teilpläne und Kartenblätter, „halbierte“ Amtsbücher sind in Massen geborgen worden. Hier fehlt häufig die Signatur, sodass der Archivar nur durch intensives Lesen, Fach- und Bestandskenntnis dem Herkunftszusammenhang, der Provenienz, auf die Spur kommen kann. Ist – entweder durch die noch erkennbare Signatur oder durch die Erinnerung oder Erschließungsleistung der Fachleute – ein Stück identifiziert, so muss es noch gegen die Archivverzeichnisse abgeglichen werden. Außerdem muss jede Bergungseinheit konservatorisch verantwortungsvoll verpackt werden. Eine barcode-basierte Verwaltung der Lagerorte sorgt dafür, dass jedes Stück schnell aufgefunden und umgelagert werden kann. Schließlich muss zur Planung der Restaurierungsarbeiten jedes Stück hinsichtlich der Schäden betrachtet und ggf. eine Digitalaufnahme hochgeladen werden. Im ersten Monat der Arbeiten sind etwa 12.000 Bergungseinheiten identifiziert und bearbeitet worden. Die drei „Asylarchive“, aus denen zuerst Kölner Archivgut wieder entfernt werden muss, werden schwerpunktmäßig bearbeitet. Gleichzeitig findet eine Konzentration auf Großformate statt, da diese Materialgruppe nach Ansicht der Restauratoren am Einfachsten ohne eine physische Zusammenführung der Bestände restauriert werden kann. Es ist davon auszugehen, dass die Erfassungsgeschwindigkeit gegenüber den letzten Ergebnissen noch weiter steigt, insbesondere, weil nun erste Freiwillige sich für die einzelnen Standorte gemeldet haben, um die Kölner Teams zu unterstützen. Fast unverzichtbar ist hier die im Nahbereich stattfindende Unterstützung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rheinischen Archiv- und Fortbildungszentrums. Die Kosten für diese dauerhafte Hilfe trägt der Landschaftsverband Rheinland.
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4. Restaurierung/Konservierung Die entscheidende Schwierigkeit für eine Restaurierung des beschädigten Kölner Archivgutes ist nicht Art und Form der Einzelschäden. Mechanische Beschädigungen als Folge der Einsturzenergie, Fragmentierungen, Nässeschäden, Mikrobenbefall, ja Zerstörungen an den empfindlichen Trägerschichten von Fotos und anderen audiovisuellen Informationsträgern – all das können Restauratorinnen und Restauratoren im Einzelfall bearbeiten, zumindest aber stabilisieren. Die besondere Herausforderung im Kölner Fall besteht aber genau darin, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern um fast unvorstellbar große Mengen an Archivgut. Jedes einzelne Stück, das in den Einsturz verwickelt war, ist ohnehin aufwändig zu reinigen. Wegen der kleinen Körnung des hochalkalischen Betonstaubes ist eine solche „Trockenreinigung“ nur unter einem Absaugtisch (auf einer sogenannten „Reinen Werkbank“) durchführbar. Weiterhin sind viele der weiteren Schadensbilder in der Bearbeitung so aufwändig, dass die Arbeiten nicht durch Hilfskräfte, sondern nur durch ausgebildete Restauratorinnen und Restauratoren durchgeführt werden können. Dennoch – oder gerade deswegen – sollen auch mit Hilfe der restauratorischen Forschungskapazitäten an den Fachhochschulen Köln, Stuttgart, Hildesheim und Bern Verfahren entwickelt und untersucht werden, mit Hilfe derer restauratorisch adäquat, aber besonders rationell die „Kölner Schadensbilder“ aufgearbeitet werden können. 200 Restauratoren, so hat ein Unternehmensberater errechnet, müssten zur Behebung der Kölner Schäden mehr als 30 Jahre lang durchgängig arbeiten. In Geld ausgedrückt bedeutet dies: 370 Millionen Euro wird allein die Restaurierung des Archivgutes voraussichtlich kosten. Selbst wenn dieses Geld nun direkt zur Verfügung stünde, so wären doch die notwendigen Restaurierungskapazitäten in ganz Deutschland nicht vorhanden. Aufgebaut werden sollen die erforderlichen Restaurierungskapazitäten auf drei Wegen: Zum einen soll in Köln selbst eine Abteilung für Restaurierung aufgebaut werden, wo Fachleute mit Hilfskräften zusammen auch mengenmäßig relevante Anteile des Archivgutes bearbeiten. Ein möglicher Starttermin dafür wäre Mitte 2010. Die zweite Säule sind Kooperationen mit den großen Restaurierungseinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft. Konkret vorgeplant sind solche Kooperationen mit dem Landesarchiv NRW und dem Sächsischen Staatsarchiv. Weitere Angebote für solche Kooperationen liegen vor. Schließlich sollen auch
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Ulrich Fischer Abb. 19: Der Frieden zwischen dem Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden und Bischof Simon von Paderborn aus dem Jahr 1256 direkt nach dem Einsturz. Pergamenturkunde, recto. Foto: Stadtarchiv Neuss, Marcus Janssens
Abb. 20: Der Frieden zwischen Erzbischof Konrad von Hochstaden und Bischof Simon von Paderborn aus dem Jahr 1256 nach der Restaurierung. Die Lesbarkeit und der Gesamteindruck wurden deutlich verbessert. Foto: Stadtarchiv Neuss, Marcus Janssens
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Restaurierungs-„Pakete“ an kommerzielle Dienstleister oder Bietergemeinschaften gegeben werden. Ziel der Restaurierungsarbeiten ist es aber nicht, durch vollständige „Neuherstellung“ oder Ergänzung von Verluststellen die Anmutung eines unbeschädigten Originales herzustellen. Stattdessen zielt man auf Stabilisierung und Benutzbarkeit. Damit gilt: Das Kölner Archivgut wird weiter die Narben des Einsturzes behalten, aber es wird wieder für Bürger, Verwaltung und Wissenschaft nutzbar werden und eine authentische Brücke in die Vergangenheit schlagen, eine Vergangenheit, zu der nun auch die Katastrophe des 3. März gehört. 5. Digitalisierung Schon jetzt verlangen die Nutzer online – ortsungebunden und zu jeder Zeit – Zugang zu möglichst umfassenden Informationen über das Kölner Archivgut. Da im Moment die Originale nicht verfügbar sind, will man wenigstens Zugang zu den Sicherungsmedien, soweit verfügbar. Teile der Bestände aus der Alten Abteilung sind in den vergangenen 40 Jahren auf Mikrofilm abgelichtet worden; ihre Benutzung ist allerdings unbequem – und jede Nutzung schädigt das Medium, das nun zumindest in einigen Fällen ein verlorenes Original ersetzen muss. Aus diesem Grund – und wegen der starken Nachfrage aus der Forschung – hat das Historische Archiv mit Finanzmitteln des Landes und der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Komplettdigitalisierung aller Mikrofilme begonnen, mit dem Ziel, im kommenden Jahr mehr als zehn Millionen Abbildungen im Netz anzubieten. Mehr dazu berichtet Andreas Berger in seinem Beitrag in diesem Band. 6. Öffentlichkeitsarbeit Die Öffentlichkeitsarbeit hat sich mit dem 3. März grundlegend gewandelt. Ein ungeheures Medieninteresse traf auf eine dafür nicht ausgelegte Infrastruktur. Bis in den Herbst 2009 hinein verfügte das Archiv etwa nicht über die Kapazitäten, eigene Web-Auftritte entschlossen und der Nachfrage gemäß zu pflegen.
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Neu zu schaffende Stellen, wie zum Beispiel für eine Internetredaktion und die Produktion von Informationsmaterial, und eine stärkere strategische Ausrichtung der begleitenden Pressearbeit in Zusammenarbeit mit dem städtischen Presseamt sollen dazu dienen, die nach wie vor sehr interessierte Öffentlichkeit weiter mit aktuellen Informationen zu versorgen. Die Öffentlichkeitsarbeit muss auch in Zukunft dazu beitragen, dass das Ereignis „3. März“ und die sich daraus ergebenden Folgerungen und (Finanz)Bedarfe nicht in Vergessenheit geraten. Andererseits ist das bewusste Gehen in die Öffentlichkeit auch ein Weg, deutlich zu machen, wie sehr das Stadtarchiv auch schon wieder als Informationsdienstleister, Partner der Wissenschaft und Schaufenster zu oft übersehenen schönen und/oder wichtigen Dokumenten und Dingen agiert. Diese Gründe haben uns dazu bewogen, sowohl eine bereits geplante Ausstellung über den Ingenieur für Brücken- und Spannbetonbau Fritz Leonhardt als auch eine weitere zum Jahrestag des Einsturzes im Berliner Martin-Gropius-Bau zu organisieren. Die Ausstellung in Berlin soll im Übrigen nicht nur die Katastrophe und ihre Folgen in den Blick nehmen, sondern in erster Linie vor Augen führen, wie sehr das Kölner Stadtarchiv Bestände von zumindest nationalem Rang in sich vereint. 7. Hilfekoordination Das vom Personalbedarf überschaubare, ansonsten aber vielseitigste Arbeitsgebiet ist die Koordination der Hilfsangebote. Waren es in den ersten Tagen nach der Katastrophe noch die schiere Anzahl der Schreiben, Anrufe und E-Mails mit ganz verschiedenen Hilfsangeboten, die zu ordnen und nach Möglichkeit zu beantworten waren, so sind die Aufgaben nun gleichzeitig weniger und komplexer. Es geht etwa um das Treffen und Absichern von Vereinbarungen bei der Kooperation mit großen Restaurierungseinrichtungen bundesweit, um Beschäftigungsformen und Einsatzgebiete für freiwillige Helfer im Bereich der Bestandszusammenführung, um die Einwerbung und Vermittlung von Restaurierungspatenschaften. Dabei ist eines besonders erfreulich: Die Bereitschaft, dem Archiv und seinen Beständen in diesen besonders schweren Zeiten zu helfen, ist ungebrochen. Sie reicht von dem freiwilligen und ehrenamtlichen Hilfseinsatz bei der Beständeidentifikation über die Übernahme von Restau-
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rierungen durch Paten, die Gewährung von Sonderkonditionen auf den Bezug von erforderlichen Materialien bis hin zur unentgeltlichen Stellung von Personal und technischer Ausstattung, wie sie etwa vom Bundesarchiv, dem Landesarchiv NRW sowie den Archivberatungsstellen der beiden Landschaftsverbände oder dem Stadtarchiv Neuss geleistet werden. Gerade Letzteres schlägt die Brücke zu einem besonders schönen Hilfseinsatz in den letzten Monaten. In den Werkstätten des Kölnischen Stadtmuseums und des Museums Ludwig, im Technischen Zentrum des Landesarchivs NRW, in den papierrestauratorischen Werkstätten der beiden Landschaftsverbände und beim Stadtarchiv Neuss wurden in Amtshilfe für das Kölner Stadtarchiv jeweils bedeutende Einzelstücke, die beim Einsturz größere Schäden genommen hatten, restauriert. Sie dienen jetzt – mit einer minutiösen Dokumentation von Vorzustand und Maßnahmen – dazu, deutlich zu machen, was restauratorisch mit den oft schwer geschädigten Kölner Objekten getan werden kann. 8. Betreuung der Nachlassgeber und Depositare Die Gruppe der Nachlassgeber und Depositare verfolgt den Einsturz und die Entwicklung bis jetzt mit besonders großem Interesse. Die Depositare – Dauerleihgeber an das Historische Archiv – haben mit dem Einsturz auch Zerstörungen an ihrem Eigentum erlitten. Aber auch Anverwandte von Menschen, deren Papiere durch Stadt und Archiv zu Eigentum erworben worden sind, melden sich zu Wort. Dabei verfolgen (entgegen dem Eindruck der medialen Berichterstattung) die wenigsten das Ziel, Schadenersatz einzuklagen. Vielmehr ist es die Trauer um das Schicksal der eigenen, ins Archiv übergebenen Überlieferung, die diese Menschen verständlicherweise bewegt. Für die Archivare galt bislang bei jedem Umgang mit Archivgut: Privates Eigentum ist genauso zu behandeln wie städtisches. Das gilt für den Verbundbrief (städtisches Eigentum) ebenso wie für Architektenpläne z. B. aus dem Bestand Schneider-Wessling (Depositum). Wichtig ist allerdings weiterhin ein intensiver Informationsaustausch mit den Depositaren. Insbesondere wird mit den Eigentümern zu vereinbaren sein, wie diese über gefundene/identifizierte Stücke aus ihren Beständen Informationen abrufen können.
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9. Provisorisches Archiv Gegenwärtig ist das Historische Archiv der Stadt Köln bestenfalls eingeschränkt arbeitsfähig. Zwar stehen eine Anzahl Büroräume im 14. Stockwerk des Stadthauses Deutz zur Verfügung, aber diese sind für die Arbeit am Archivgut aus statischen und sicherheitstechnischen Gründen nicht geeignet. Außerdem sollen diese Räume eigentlich durch andere Dienststellen belegt werden und wurden nur auf kurze Sicht dem Archiv zur Verfügung gestellt. Es wird also darum gehen, möglichst zeitnah Ersatzräumlichkeiten zu beschaffen. Ein erster Schritt ist die Anmietung von Räumlichkeiten in einem Nebengebäude der Handwerkskammer Köln am Heumarkt, um dort Arbeitsplätze, eine eigene „Zentrale“, einen Lesesaal für Digitalisate und Mikroformen und einen kleinen Ausstellungsbereich unterzubringen. Ein Bezugstermin um den 1. April 2010 steht im Moment zu erwarten. Mindestens ebenso wichtig ist die Wiedereinrichtung einer Abteilung für Bestandserhaltung und Digitalisierung (RDZ), vom Rat der Stadt Köln bereits am 26. März 2009 eingefordert. Hier laufen noch die Verhandlungen mit mehreren möglichen Anbietern. Die Eckdaten stehen hingegen schon fest. Es soll ein Gebäude sein, das große Technikflächen vor allem für die restauratorische Bearbeitung der Bestände in Köln vorhält. Hier sollen rund ein Dutzend Fachleute und 20–30 Hilfskräfte arbeiten; alle Restaurierungsschritte, von der Trockenreinigung bis hin zu komplexen Arbeiten, etwa an Fotografien, sollen möglich sein. Zudem soll eine von der Kulturstiftung der Länder zugesagte Gefriertrocknungsanlage hier eingebracht werden, sodass auch in Köln selbst ein Teil der eingefrorenen Bestände bearbeitet werden kann. Zudem muss das RDZ selbst über fachlich akzeptable Magazinflächen größeren Ausmaßes verfügen. In diesen werden rücklaufende Bestände aus den Asylarchiven gelagert und identifiziert werden, aber auch physische Neusortierungen der Akten vorgenommen werden. Nicht zuletzt werden alle Bestände oder Bestandsteile, die anderswo restauriert werden sollen, hier einer Ausgangs- und nach Abschluss der Arbeiten einer Ergebniskontrolle unterzogen werden. Auch die Digitalisierungsabteilung soll hier ihre Heimat finden. Es ist im Moment denkbar, dass vielleicht zum Sommer 2010 eine solche Liegenschaft zur Verfügung steht.
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10. Neubau Ist mit der provisorischen Unterbringung der verschiedenen Archiv arbeitsbereiche die Bewältigung der akuten Krise möglich, so soll natürlich so schnell wie möglich wieder ein Historisches Archiv entstehen, in dem Benutzer aus Wissenschaft, Verwaltung und Bürgerschaft die Bestände verwenden können, in dem die Kölner Stadtgeschichte vermittelt wird und in dem die Geschichtsinteressierten und ihre Vereine wieder eine Heimat finden. Den Beschluss dazu hat der Rat der Stadt Köln am 10. September 2009 gefällt. Das neue Stadtarchiv wird an der Ecke von Eifelwall und Luxemburger Straße entstehen und in einem Gebäude noch die Kunst- und Museumsbibliothek mit dem Rheinischen Bildarchiv aufnehmen. Etwa 30.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche wird der Baukomplex insgesamt besitzen, sodass am Standort die Archivbestände komplett zusammengeführt werden können (zusätzlich zu den oben genannten Bibliotheksbeständen). Teure, potenziell gefährliche und für die Benutzer unerfreuliche weil zeitraubende Transporte von Archivgut entfallen damit auch künftig. Die Magazinfläche (für beide Institute) ist auf einen Zuwachs von 30 Jahren kalkuliert, eine Zeit, nach deren Ablauf dank der weiter fortschreitenden Digitalisierung aller Lebensbereiche und auch des Verwaltungshandelns zumindest mit einer deutlichen Verringerung der zu übernehmenden Mengen an papiergebundenem Archivgut zu rechnen ist. Für die Planung hat es sich als äußerst förderlich erwiesen, dass schon seit 2007, und dann intensiv noch einmal im Sommer 2008, an der Realisierung eines Neubaus für das Historische Archiv gearbeitet worden ist. Zwar stellen sich nach der Katastrophe vom 3. März einige Anforderungen neu: So ist mit veränderten Zuschnitten, etwa im Bereich der Restaurierung, zu kalkulieren, und es ist auch von einem wesentlich weitergehenden Digitalisierungsprozess auszugehen – mit dem Resultat schnellerer, benutzerfreundlicherer Recherchen und einer effizienteren Magazinbewirtschaftung. Gleichzeitig aber gelten vielfach die alten Vorgaben weiter: Hinsichtlich der klimatischen Bedingungen im Magazin, des Betriebs- und Benutzungskonzeptes und eines möglichst kostengünstigen, nachhaltigen und sicheren Betriebs haben sich keine Änderungen ergeben. Allerdings wird trotz effizienter digitaler Recherchekonzepte durch die Zerstörung der Bestandskontexte und die physische Zersplit-
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terung von Archivgut mehr denn je die Expertise und Bestandskenntnis der Archivare gefragt sein, um auf die Fragen der Benutzer möglichst umfassend antworten zu können. Restaurierte und zersplitterte Bestände nehmen zudem mehr Platz in Anspruch als optimal gelagerte, unbeeinflusste Provenienzbestände. Dies führt dazu, dass die ursprünglichen Platzkalkulationen, trotz der Verluste durch den Einsturz, weiterhin das Minimum an Platzbedarf darstellen, das das Historische Archiv der Stadt Köln in Zukunft brauchen wird. Jürgen Roters, Oberbürgermeister der Stadt Köln, bezeichnete in seiner Antrittsrede vor dem Rat am 29. Oktober 2009 den Neubau des Stadtarchivs als ein „Leitprojekt“, das er in seiner Amtszeit einweihen möchte. Mit entsprechendem Hochdruck schreiten die Arbeiten voran. Während einerseits noch die erforderliche Änderung der Bauplanung am neuen Standort im Gange ist, wird gleichzeitig an der Fertigstellung der umfangreichen Unterlagen für den Realisierungswettbewerb gearbeitet. Das Historische Archiv jedenfalls freut sich auf den Moment, in dem es sein neues Domizil beziehen kann und wieder eine Heimat in der Stadt gefunden hat. 11. Stiftung Schließlich läuft das Projekt der Gründung einer Stiftung, die sich an der Beschaffung der erforderlichen Summen für Restaurierung und Bestandsidentifikation beteiligen soll. Der Rat der Stadt Köln hat am 10. September 2009 beschlossen, der Stiftung insgesamt fünf Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Weitere Stifter haben bereits eine Beteiligung zugesagt bzw. verhandeln noch darüber. Es ist ein Anliegen dieser Stiftung in Gründung, etwas deutlich zu machen, was in der Archivwelt und der historischen Forschung schon lange bekannt ist: Die Bestände des Historischen Archivs gehen in ihrer Bedeutung weit über die Stadt Köln hinaus. Und weil die hier versammelten Urkunden, Briefe, Plakate, Fotografien und Handschriften auch Zeugnisse rheinischer, deutscher, ja europäischer Geschichte sind, ist auch ihre Wiederherstellung eine zumindest nationale Aufgabe. Eine Stiftung, die diesen Gedanken weiter trägt und in die Öffentlichkeit vermittelt, die deutlich macht, wie Hilfe für die Kölner Bestände auch ein Beitrag zum Wiederaufbau eines national bedeutenden Schatzhauses
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schriftlicher Kultur ist, wird, so wünschen wir uns, einen Teil der Kosten für die gewaltige Aufgabe des Wiederaufbaus tragen können. 18. November 2009, wieder früher Nachmittag, wieder ein Intercity, diesmal von Köln nach Stralsund. Anreise zu einer Tagung über die Sicherung nationalen Kulturgutes. Die Gedanken gehen zurück zum ersten Anblick des eingestürzten Magazinbaus vor mehr als acht Monaten. Seitdem haben Mitarbeiter und Helfer, Fachkollegen und Kollegen aus der Stadtverwaltung Unglaubliches geleistet. Heute ist deutlich: Wenn die benötigten Finanzmittel zusammenkommen, dann haben wir trag fähige Konzepte, um die vom Einsturz betroffenen Bestände des Stadtarchivs in den nächsten Jahrzehnten wieder Stück für Stück nutzbar zu machen. Bei aller Trauer um die verlorenen Stücke und jene Fragmente, die niemals wieder ganz zusammenzuführen sein werden, bin ich für diesen Teil der Erfahrung der letzten Monate enorm dankbar. Kevin und Khalil, die beiden jungen Männer aus dem Nachbarhaus, haben am 3. März ihr Leben verloren. Das Historische Archiv wird zwar wieder erstehen, aber es wird nie wieder dasselbe sein wie vor dem Einsturz. Die Katastrophe hat unübersehbare Wunden in Bestände und Einzelstücke geschlagen, Mitarbeiter und Benutzer werden ein neues Historisches Archiv anders wahrnehmen und annehmen als das alte. Es wird aber – die Erinnerung an den 3. März immer in sich tragend – wieder zum Gedächtnis der Stadt, zum Gedächtnisort für ihre Bürger werden. Dr. Ulrich Fischer, stellvertretender Leiter des Historischen Archivs der Stadt Köln
Bestandserhaltungsmanagement „nach Köln“ Einführung Würde man heute, Monate nach dem Einsturz des Historischen Archivs am 3. März 2009, unter Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Köln eine Umfrage machen, was wohl die Hauptaufgabe des Archivs für die nächsten Jahre sei, so fielen neben dem „Archivneubau“ vermutlich vielfach Stichworte wie „Reparatur“, „Instandsetzung“, „Aufarbeitung“, „Wiederherstellung“, „Rekonstruktion“ oder vielleicht auch „Restaurierung der Dokumente“. In der medialen Berichterstattung der zurückliegenden Wochen und Monate standen jedenfalls „Archivbau“ bzw. „Standortfrage“ und „Restaurierung des Archivguts“ in einem weiteren Wortsinn im Mittelpunkt. Wie die Schäden an Archiv- und Bibliotheksgut durch das „Jahrhunderthochwasser“ entlang der Elbe in Sachsen im August 2002, vor allem aber der Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar am Abend des 2. September 2004, so hat auch der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln den Stellenwert des Erhalts unseres schriftlichen, modern gesprochen „analogen“ Kulturerbes, in der öffentlichen Wahrnehmung wie auch in der politischen Diskussion weit über die betroffenen Einrichtungen, ihre Träger und Fachkreise hinaus geradezu schlagartig ins Blickfeld gerückt. Die bereits 2001 gegründete „Allianz zur Erhaltung des schriftlichen Kulturerbes“, ein Zusammenschluss von Archiven und Bibliotheken, führt seit 2005 jährlich Anfang September einen „Nationalen Aktionstag“ durch, der in diesem Jahr in Ludwigsburg unter dem Leitthema „Was lehrt uns die Kölner Katastrophe?“ stattfand. Die Denkschrift „Zukunft bewahren“, die die Allianz am 28. April 2009 Bundespräsident Horst Köhler in Berlin übergab, hat nicht zuletzt vor dem Hintergrund des „Kölner Ereignisses“ besondere Aufmerksamkeit erhalten und inzwischen zu einem intensiven Dialog beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann, über die dringendsten Aufgaben beim Kulturgutschutz, bei der Koordinierung und der Finanzierung der entsprechenden Maßnahmen in Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geführt. Es ist schon ein bemerkenswertes Signal, dass sogar im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vom Oktober 2009 die Erarbeitung eines „nationalen
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Bestandserhaltungskonzepts für gefährdetes schriftliches Kulturgut gemeinsam mit den Ländern“ und die Einrichtung einer „Koordinierungsstelle zum Schutz des schriftlichen Kulturgutes“ ausdrücklich Eingang gefunden haben. So dramatisch und schmerzlich der teilweise unwiederbringliche Verlust an Kulturgut durch Katastrophen wie in Weimar oder Köln ist, es gehört zu den Chancen, die eben auch jeder Katastrophe innewohnen, das jenseits von Fachkreisen, bei Trägern von Museen, Bibliotheken und Archiven, den Akteuren in Politik und Verwaltung auf allen Ebenen nachhaltig ins Bewusstsein gerufen ist, welche Anstrengungen nicht nur bei einem Großschadensereignis sondern auch angesichts des schleichenden Verfalls aufgrund fehlender Ressourcen für die Erhaltung unseres gemeinsamen kulturellen Erbes erforderlich sind. preservation for access Beinahe schon paradox fällt dieser Diskurs um den Erhalt unseres „Kulturerbes auf Pergament und Papier“ in eine Zeit des Web 2.0, von Online-Publikationen, ambitionierten E-Government-Programmen und vermehrt auf komplexe Datenbankanwendungen, Vorgangsbearbeitungs- und Dokumentenmanagementsysteme gestützte Arbeitsprozesse im „papierlosen Büro“ der öffentlichen Verwaltung, die Archive wie Bibliotheken vor ganz andere, neue Herausforderungen an den dauerhaften Erhalt und die langfristige Zugänglichkeit zu digitalen Dokumenten bzw. Informationen stellen. Die als Archivgut übernommenen Unterlagen “sachgemäß zu verwahren, zu sichern, zu erhalten [und] instand zu setzen“, zählt zu den gesetzlich verankerten Kernaufgaben und konstitutiven Merkmalen von Archiven. Die mit solchen Formulierungen umschriebene Bestandserhaltung ist letztlich kein Selbstzweck. Zweck und Ziel der Bestandserhaltung wie der Archivarbeit insgesamt ist es, Archivgut dauerhaft für die Auswertung (Nutzung) zur Verfügung zu stellen. Für die Bezeichnung dieses Verhältnisses zwischen Bestandserhaltung von und Zugang zu Archivgut hat sich im angelsächsischen Sprachraum die eingängige Formel „preservation for access“ geprägt. Grundsätzlich gilt dies für Bestandserhaltungskonzepte bei analogen wie digitalen Unterlagen gleichermaßen, jedoch mit dem zentralen Unterschied, dass der Informationserhalt in der digitalen Welt, der Bitstream also, weitestgehend unabhängig vom Materialerhalt, also einem konkreten Speicherme-
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dium, ist, in der analogen hingegen Information, z. B. der Text oder das Bild, und Substanz, z. B. (Foto-)Papier, beim Original untrennbar aneinander gekoppelt sind. Eine Bestandserhaltungsstrategie für digitale Unterlagen kann sich daher auf die Informationssicherung konzentrieren („Bitstream preservation“), ohne sich mit dem dauerhaften Erhalt des momentan eingesetzten Speichermediums zu befassen, während es beim Originalerhalt analogen Schriftguts, das Gegenstand dieses Beitrags ist, immer um Informations- und Substanzerhalt in ihrer Einheit geht. Wenn nun Ziel und Zweck von Bestandserhaltung der dauerhafte Zugang zum Archivgut ist, sei es nun zur Schonung des Originals anhand eines Schutzmediums, z. B. eines Digitalisats, wenn es um die Auswertung beispielsweise der Textinformationen geht, oder sei es im Original, weil kein Schutzmedium zur Verfügung steht oder sich Fragestellungen (auch) auf die Materialität des Beschreibstoffs beziehen, so ist Bestandserhaltung im Kern Schadensvorsorge (Schadensprävention, Schadensprophylaxe): Es geht darum, Maßnahmen zu ergreifen, bislang ungeschädigtes Archivgut so zu sichern, dass es möglichst keinen Schaden nimmt und (weiter) genutzt werden kann, und geschädigtes Archivgut so zu behandeln, dass sich die vorhandenen Schäden durch Lagerung und/oder Nutzung nicht verschärfen und die Unterlagen archivierungsfähig bleiben. So verstanden ist Bestandserhaltung gleichbedeutend mit Schadensprävention in einem weiteren Begriffssinn. Es geht um die Reduzierung des Risikos für neu entstehende und weiter voranschreitende Schäden, die zu Zerfall oder Zerstörung von Archivgut führen, das dann nicht mehr für die Benutzung zur Verfügung stünde. Schadensvorsorge Auch wenn Bestandserhaltung so verstanden synonym ist mit Schadens prävention, hat sich in der Fachdiskussion doch der Terminus Schadensvorsorge in einem engeren Bergriffssinn für eine ganze Reihe organisatorischer und baulicher Maßnahmen durchgesetzt, mit denen gleichsam, im Lebenszyklus und Umfeld der Unterlagen, Schadensentstehung und Schadensfortgang vermieden oder zumindest minimiert werden können, ohne dass am Zustand des Objekts selbst aktiv konservatorisch oder restauratorisch etwas verändert würde. Hierzu zählen beispielsweise folgende Themenfelder:
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1. Beratung der „Aktenproduzenten“ bei Fragen der Schriftgutverwaltung. Dabei geht es u. a. um die Schaffung von Problembewusstsein im Hinblick auf – die Verwendung alterungsbeständiger Papiere nach DIN ISO 9706, – den sachgerechten Umgang mit Schriftgut in der Behörde, z. B. bei Aktentransporten, – die sachgerechte, sprich v. a. klimatisch geeignete Lagerung der (Alt-)Registratur in den Behörden (orientiert an der DIN ISO 11799) oder angemessene Lagerungsformen für Sonderformate und – das Erkennen von und den Umgang mit Schadensrisiken und Schäden am Registraturgut. 2. Archivbau. Von besonderem Stellenwert sind dabei u. a. – die Trennung von Funktions- und Magazinbereichen (Sicherheit, Schutz vor Brand und Wassereintritt, Schadgasen/Staub usw.), – die Magazinklimatisierung und -hygiene (vgl. DIN ISO 11799) und – ein gebäudebezogenes Risikomanagement. 3. Lagerung und Verpackung des Archivguts. Zu nennen sind vornehmlich – die Verpackung als Schutz vor Verschmutzung und Lichteinwirkung, Hemmung von Wasser-, Brand- und mechanischen Schäden, – die Verwendung alterungsbeständiger Verpackungsmaterialien (z. B. Archivsammelmappen, Archivkartons nach DIN ISO 9706), – der Einsatz geeigneter Lagerungssysteme/Regalanlagen, auch für Überformate (z. B. Planschränke) und – Schutzmaßnahmen beim Transport von Archivgut aus den Magazinen in den Lesesaal (Aushebung) und zurück (Reponierung). 4. Reduzierung von Schäden durch Benutzung. Hierfür stehen hauptsächlich zwei Wege offen: – die Schaffung von Problembewusstsein bei Kundinnen und Kunden (wie auch Archivmitarbeiterinnen und -mitarbeitern) für den sachgerechten Umgang mit Archivgut (klare Hinweise in der Benutzungs- und Lesesaalordnung; Überprüfung der Einhaltung durch die Lesesaalaufsicht; Einbeziehung von Informationen zum
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Umgang mit Archivgut im Rahmen der Erstbenutzerberatung; Bereitstellung und Einweisung zur Benutzung von Hilfsmitteln wie z. B. Buchkeilen) und – die Erstellung akzeptierter Schutzmedien als Nutzungsform (Digitalisate, ggf. als Sicherungsform ausbelichtet auf Mikrofilm), insbesondere für stark benutzte und/oder im Erhaltungszustand stark gefährdete Bestände. 5. Schutz vor Totalverlust im Kriegs- und Katastrophenfall durch Sicherungsverfilmung des Bundes auf der Grundlage der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut (Mikroverfilmung, Einlagerung der Filme im Barbarastollen bei Oberried). 6. Notfallvorsorge und Notfallübungen für den Katastrophenfall, wobei hierzu auch Gesichtspunkte des Archivbaus, der Lagerung, Verpackung und Sicherungsverfilmung bzw. einer mit einer Strategie zum Langzeiterhalt gestützten (Schutz-)Digitalisierung zählen. Schadensbehandlung Schadensprävention ist nicht „zum Nulltarif “ zu haben, im Verhältnis zur Behandlung von Schadensbildern an den Objekten ist sie jedoch weitaus preiswerter, entsprechend der Binsenweisheit, dass Schäden, die erst gar nicht entstehen auch nicht behoben werden müssen. Gleichwohl besteht auch jenseits von Großschadensereignissen wie in Weimar und Köln in den allermeisten Archiven und Bibliotheken enormer Bedarf an aktiv konservatorischen und restauratorischen Arbeiten. Allein den Personalaufwand für die dringenden, innerhalb weniger Jahre abzuarbeitenden Rückstände bei der Schadensbehandlung im Landesarchiv NordrheinWestfalen haben Gutachter 1999/2000 auf 1.400, bei Einsatz modernster Technik mindestens 500 Personenjahre berechnet. Bei den Methoden der Schadensbehandlung können zwei Gruppen unterschieden werden: 1. „Aktive Konservierung“ Im Unterschied zu Maßnahmen der „passiven Konservierung“, zu denen zentrale Aspekte der Schadensprävention, wie beispielsweise Magazinklimatisierung, sachgerechte Lagerung und Verpackung oder die Erstellung von Schutzmedien zählen, und bei der es um die Beeinflussung gleichsam des „Umfelds“ eines konkreten Archivobjekts
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geht, verstehen wir unter „aktiver Konservierung“ solche Maßnahmen, mit denen das Objekt selbst durch eine Behandlung im jeweils vorgefundenen Erhaltungszustand stabilisiert, gesichert und damit – auch dem äußeren Erscheinungsbild nach – möglichst unverändert für die Zukunft erhalten bleibt und weiterer Substanz- und Informationsverlust bei sachgerechter Lagerung und Benutzung vermieden wird. Damit sind die Eingriffe einer „aktiven Konservierung“ selbst wiederum eine Maßnahme der Schadensprävention. Typische Beispiele für aktive konservatorische Maßnahmen sind die Oberflächenreinigung von verstaubten oder verschmutzten Archivalien, die Festigung der Malschicht auf einem Schreibstoff (z. B. Pergament), die Lederpflege an Bucheinbänden oder die sogenannte „Entsäuerung“ von Papier, durch die produktionsbedingte Zerfallsprozesse bei industriell hergestellten Papieren (v. a. aus dem Zeitraum 1850–1970) durch großtechnische Behandlung für eine gewisse Zeit gestoppt bzw. verzögert werden. 2. Restaurierung Unter Restaurierung in einem fachlich engeren Begriffssinn werden Maßnahmen gefasst, mit denen der Erhaltungszustand eines Objekts über die Stabilisierung des „Ist-Zustands“ hinaus in Annäherung an den ursprünglichen Zustand verbessert wird. Restaurierung geht damit immer einher mit einem direkten Eingriff in die bestehende Originalsubstanz, ist immer auch mit konservatorischen Maßnahmen verbunden und mithin auch eine Maßnahme der Schadensprophylaxe. Beispielsweise größere Risse und Fehlstellen im Papier zu schließen oder die geschädigte Bindung eines Buches wieder herzustellen, sorgen immer auch dafür, dass das Risiko für eine weitere Schädigung durch Benutzung minimiert wird. Planungsgrundlagen und Steuerungsinstrumente Die Themenfelder der Bestandserhaltung sind vielfach miteinander verwoben. Hierzu nur zwei Beispiele: Wenn man sich entscheidet, einen viel benutzten, im Erhaltungszustand gefährdeten Archivbestand zu digitalisieren und den Kunden diesen Bestand in einem digitalen Lesesaal oder online bereitzustellen, um den Nutzungskomfort zu erhöhen und zugleich Schäden durch die Benutzung der Originale zu vermeiden,
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dann kann man sich zum Erhalt der Originale selbst in der Regel auf rein konservatorische Maßnahmen beschränken. Eine aufwändige Restaurierung, wie sie notwendig wäre, wenn grundsätzlich die Originale vorgelegt werden sollen, würde man sich im wahrsten Sinne des Wortes „sparen“. Oder ein anderer Fall: Eine von Schimmelpilz befallene Akte aufwändig zu reinigen und keimfähiges Material zu beseitigen, um sie dann wieder in einem Magazin zu lagern, das zu feucht und zu warm ist, sodass ein erneuter Befall durch die überall in der Umgebungsluft vorhandenen Sporen vorprogrammiert ist, wäre letztlich nicht nachhaltig und somit unwirtschaftlich. Hier müsste das Augenmerk zunächst auf die Lagerungsbedingungen gerichtet werden. Angesichts solcher Zusammenhänge und begrenzter Ressourcen besteht eine zentrale Aufgabe des Bestandserhaltungsmanagements darin, in einem integrativen Konzept alle Bereiche archivischer Bestandserhaltung in den Blick zu nehmen, zueinander in Beziehung zu setzen und die operative Umsetzung zu planen und zu steuern. Dabei bilden drei Instrumente gewissermaßen die Säulen des Bestandserhaltungsmanagements: 1. Beständepriorisierung („Eröffnungsbilanz“) Dabei handelt es sich gleichsam um eine „Inventur auf der Ebene der einzelnen Archivbestände“. Erfasst werden in der Regel neben dem Bestandsnamen bzw. der Bestandssignatur, die Laufzeit, die vorherrschenden Archivalientypen (Akten, Urkunden, Amtsbücher, Pläne usw.), -formate und Materialien (Pergament, Papier usw.), der Verpackungsgrad und die Art der Verpackung, der Umfang (Zahl der Archivalieneinheiten, Regalmeter/laufende Meter), der Erschließungszustand (Verzeichnungszustand), das Vorhandensein von Schutzmedien (Mikrofilm, Digitalisate), in jüngerer Zeit durchgeführte oder laufende Maßnahmen der aktiven Konservierung und/ oder Restaurierung. Ergänzt wird diese Bestandsaufnahme durch Einstufungen zum inhaltlichen Wert des Bestandes. Kriterien hierfür können beispielsweise die Benutzungsfrequenz, die Bedeutung der Behörde oder Stelle, aus der das Archivgut des Bestands stammt (Zentralbehörde/Rückgratüberlieferung oder nachgeordnete Behörde), der Stellenwert des Bestands für Zwecke der Rechtssicherung oder der intrinsische Wert (z. B. viele häufig für Ausstellungszwecke angefragte „Zimelien“) sein. Im Hinblick auf zu klärende rechtliche und finanzielle Fragen im Zusammenhang mit Bestandserhaltungs-
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maßnahmen bietet es sich zudem an, Deposita, Nachlässe und Ähnliches in einer Beständepriorisierung eigens auszuweisen. Wie bei allen Planungs- und Steuerungsinstrumenten steht und fällt die Aussagekraft auch der Beständepriorisierung mit deren Fortschreibung und kontinuierlichen Aktualisierung. Bei der Erarbeitung einer Erfassungstabelle für die Beständepriorisierung sollte bedacht werden, dass eine solche Liste mit nur wenigen ergänzenden Informationen (Lagerungsort, Bergungspriorität) auch ein zentrales Instrument der Notfallplanung („Bergungsplan“, „Flüchtungsliste“) liefert. Die Beständepriorisierung kann zudem genutzt werden, um den Fortgang des zweiten Planungs- und Steuerungsinstruments, der Schadenserfassung, zu steuern. 2. Schadenserfassung („Schadenskataster“) Bei der Erstellung eines Schadenskatasters geht es um eine „Inventur auf der Ebene der einzelnen Archivalien“. Erfasst werden dabei „Akte für Akte“ bestimmte (Gruppen von) Schadensarten und das Schadensausmaß, die zusammen die Einstufung in eine bestimmte Schadensklasse ergeben. Im Mittelpunkt stehen dabei der drohende Informations- und/oder Substanzverlust bei Lagerung und Benutzung. Auch hier zielt der Fokus vor allem auf die Benutzung. Liegen komplizierte Schadensbilder, wie Verblockungen oder Mikroorganismenbefall vor, die (ganz abgesehen von Gesundheitsrisiken) bei der Benutzung unmittelbar zu Verlusten an Objektsubstanz und Information führen, so wird eine solche Archivguteinheit für die Auswertung gesperrt und in eine andere Schadensklasse eingeteilt, als wenn sich etwa in einer Akte Knicke und Risse befinden, die unter den üblichen Benutzungsbedingungen im Lesesaal oder bei der Erstellung von Reprografien zu keiner weiteren Verschlechterung des Zustands oder zu Informationsverlusten führen. Die Zahl der Schadensklassen, die Kriterien für deren Abgrenzung und die Differenzierung nach Schadensarten und -ausmaß werden derzeit durchaus unterschiedlich formuliert. 3. Kennzahlen, Standards und Qualitätssicherung Um Bestandserhaltungsmaßnahmen, sei es nun beispielsweise die Behandlung eines Bestandes in der eigenen Restaurierungswerkstatt oder die Durchführung eines Schutzdigitalisierungsprojekts mit Unterstützung eines Dienstleisters, bei begrenzten Ressourcen effektiv und möglichst effizient planen und durchführen zu können, bedarf es
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belastbarer Kennzahlen, etwa für die Mengenabschätzung (z. B. wie viel Blatt befinden sich durchschnittlich in einem Archivkarton?) und den durchschnittlichen Zeitaufwand für bestimmte Arbeitsschritte, beispielsweise für die Reinigung, Fehlstellenergänzung und Stabilisierung einer Karte oder für das Reinigen, Entmetallisieren, Schließen von Rissen und Lösen alter Verklebungen an einer Akte aus dem 20. Jahrhundert. Hinzu tritt die Formulierung verbindlicher Standards für die Art der Ausführung bestimmter Arbeiten. Was bei Outsourcing, also der Vergabe an externe Dienstleister, in detaillierten Leistungsbeschreibungen festgehalten wird, sollte auch für die Arbeit im Archiv vereinbart und festgelegt werden. Im Bereich der Bestandserhaltung geht es dabei etwa um Standards für die Behördenberatung bei gemeldeten Schadensfällen oder für den Transport und Versand von Archivalien oder ebenso um die konkreten Behandlungsschritte und -methoden bei bestimmten Objekten oder Schadensbildern. Schließlich kommt der Qualitätssicherung, nicht zuletzt auch als Grundlage für die Evaluation und Fortschreibung von Kennzahlen und Standards, besondere Bedeutung zu. Sinnvollerweise ist die Qualitätskontrolle im Standardworkflow bereits eingeplant und eingerichtet. Lehren aus Köln Für viele der hier umrissenen Themenfelder ergeben sich im Zusammenhang mit Einsturz, Bergung, Erstversorgung, Schadenserfassung und Schadensbehebung eine Reihe neuer Gesichtspunkte, die als „Lehren aus Köln“ Eingang in die Fortentwicklung des Bestandserhaltungsmanagements finden werden. Dieser Prozess steht noch am Anfang, doch zeichnen sich bereits jetzt einige Schwerpunkte ab.
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Schadensvorsorge Gebäudebezogenes Risikomanagement Die unmittelbar nach dem Einsturz beginnende Diskussion um die Ursachen und mögliche Zusammenhänge mit dem U-Bahn-Bau „vor der Haustüre“, hat die Rolle eines gebäude- und objektbezogenen Risikomanagements auch in der Fachdiskussion deutlich belebt. Der Fall Köln macht besonders augenfällig, dass ein solches Risikomanagement als Daueraufgabe begriffen werden muss. Es geht um die kontinuierliche Überprüfung von Veränderungen bei der Eintrittswahrscheinlichkeit und/oder dem Schadenspotential durch Veränderungen im und am Gebäude bzw. in seinem Umfeld. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Wie verändert sich das Risiko und welche Vorsorge muss getroffen werden, wenn Bauarbeiten am Gebäude stattfinden und dabei möglicherweise noch Brandabschnitte verändert werden, wenn neue Bauwerke in der Nachbarschaft errichtet werden, in der Nähe eines Archivs ein Gewerbegebiet entsteht, wenn infolge des Klimawandels zunehmend Starkregen auftritt und bei der Hanglage eines Archivs mit Wassereintritt gerechnet werden muss, oder wenn das alte Bachbett neben dem Gebäude plötzlich zum Sturzbach anschwillt und aus seinem Bett tritt, wenn ein benachbarter Fluss im Oberlauf kanalisiert wird, wenn die Bepflanzung um das Archiv bis über das Dach wächst oder seine Wurzeln Versorgungsleitungen schleichend beschädigen? Für ein solches gebäudebezogenes Risikomanagement können möglicherweise Checklisten helfen, Hauptgefahrenquellen rechtzeitig zu erkennen, im Blick zu halten und angemessen zu handeln. Der Bestandserhaltungsausschuss der Archivreferentenkonferenz des Bundes und der Länder hat auf seiner Sitzung im Mai 2009 daher eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Leitlinien für das Risikomanagement in Archiven erarbeitet. Verpackung Unter den präventiven Maßnahmen hat sich bei der Bergung und Erstversorgung des Kölner Archivguts die Bedeutung der Verpackung nochmals sehr eindrucksvoll bestätigt. Nicht nur, dass die kartonierten Akten und die in Planschränken aufbewahrten Karten vor den gewaltigen mechanischen Kräften, die auf das Archivgut, insbesondere durch Gebäudeteile
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und die Metallregale in den Magazinen ausgeübt wurden, weit besser geschützt waren als unverpackte (Teil-)Bestände, auch für die Handhabung bei der Bergung und bei der Zuordnung von Archivgut bzw. als bedingter Schutz vor Verunordnung hat sich die verpackte Lagerung bewährt. Als problematisch hat sich hingegen die Tatsache herausgestellt, dass bei farbigen Kartonagen und Archivsammelmappen bei Durchnässung die Farben teils erheblich auf das Archivgut abklatschen. Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen ist aufgrund dieser Erfahrungen inzwischen dazu übergegangen, die im Rahmen des Beschaffungsverfahrens von den Dienstleistern übersandten Muster auf dieses Phänomen hin zu testen. Mehrfachidentifikation Die einsturzbedingte enorme Verunordnung der Bestände und Archivguteinheiten hat zudem ein Thema in den Vordergrund gerückt, dass so bislang kaum berücksichtigt wurde: Der Sinn einer „Mehrfachidentifikation“ in Archivguteinheiten, d. h. neben der Foliierung die komplette Archivsignatur nicht nur auf dem Aktendeckel sondern auf weiteren Blättern in der Akte, im Idealfall auf jedem Blatt aufzubringen, um eine Zuordnung aus dem Aktenzusammenhang gerissener Blätter und Faszikel zu erleichtern. Die technischen Möglichkeiten (Foliierungsmaschinen) hierfür sind vorhanden und werden beispielsweise bei der Vorbereitung von Beständen für die Einzelblattentsäuerung als berührungsfreie und damit Objekt schonende Verfahren seit Jahren angewendet. Im Hinblick auf ästhetische Beeinträchtigungen durch einen entsprechenden Aufdruck sind auch Varianten entwickelt, bei denen der Aufdruck nicht mit bloßem Auge erkennbar, sondern nur mit spezieller Beleuchtung sichtbar wird. Die konsequente Foliierung (einschließlich Archivsignatur) der kompletten Archivbestände dürfte aber insbesondere für größere Einrichtungen beim jetzigen Stand der Technik kaum zu schultern sein. Notfallvorsorge Ad hoc setzten nach dem 3. März 2009 „quer durch die Republik“ Überlegungen zur Erstellung oder Überprüfung bestehender Notfallpläne und zur Gründung oder Wiederbelebung lokaler und regionaler Notfallverbünde ein. In der Tat gleicht das Bild bestehender Notfallverbünde und solcher Kultureinrichtungen, die in Deutschland über aktualisierte,
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objektbezogene Notfallpläne verfügen, eher einem „Flickenteppich mit großen Löchern“; das gilt auch für Nordrhein-Westfalen. Bezeichnenderweise haben gerade die von den Katastrophen der vergangenen Jahre Hauptbetroffenen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hier eine gewisse Vorreiterrolle übernommen. Die Notfallvorsorge für Archive, für die der Bestandserhaltungsausschuss der Archivreferentenkonferenz 2004 Empfehlungen erarbeitet und seitdem mehrfach aufgrund der Erfahrungen im Umgang mit Ka tastrophen überarbeitet hat, konzentriert sich mit gutem Grund zunächst auf die wahrscheinlichere Variante eines (begrenzten) Brand- und Wasserschadens. Den Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln wird man insofern eher als exzeptionellen, denn als typischen Fall begreifen müssen. Notfallvorsorge wird nie für jedes denkbare Szenario adäquate Musterlösungen bereithalten können, wollte man nicht irgendwann auch noch Notfallplanung für einen Meteoriteneinschlag betreiben. Gleichwohl sind aus den Erfahrungen mit Bergung und Erstversorgung eine Reihe wichtiger Aspekte für die Fortschreibung der Notfallvorsorge abzuleiten. Einzelne bekannte Punkte haben sich in diesem Extremfall bestätigt, allen voran die Bedeutung der stetigen Zusammenarbeit mit der Feuerwehr. Andere Aspekte, die man bislang so nicht im Blick hatte, haben sich in Köln in der Praxis bewährt: Als ausgesprochen hilfreich für die Zuordnung von geborgenem Archivgut und den Nachvollzug der Bergungsarbeiten hat sich das Vorhandensein eines aktuellen Magazinbelegungsplans erwiesen. Der Glücksfall, dass die im Lesesaal aufgestellten Findmittel praktisch vollständig geborgen und dank Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft zeitnah digitalisiert werden konnten und nun als Grundlage für die Erfassung in den Asylarchiven dienen, hat nochmals die Augen dafür geöffnet, dass in Bergungs- oder Flüchtungslisten, die sich nicht selten nur auf das Archivgut selbst beziehen, der Rettung der Findmittel höchste Priorität einzuräumen ist. Zu überdenken ist „nach Köln“, ob bei der Planung für den Fall einer vorbeugenden Bergung auch die Frage geklärt werden kann, wie Objekte mit bestimmten Aufbewahrungsformen möglichst geborgen werden sollen, um v. a. den Ordnungszustand zu erhalten, also etwa Kartenschränke schubladenweise oder hängend aufbewahrte Großformate gebündelt z. B. mit Schnüren oder auf Stangen in größeren „Gebinden“.
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Denkanstöße geben die Kölner Erfahrungen mit einem Ansturm vielfältiger Hilfsangebote unmittelbar nach der Katastrophe für Fragen der Koordinierung des Einsatzes von Unterstützungskräften. Hier wäre im Rahmen der Notfallplanung zu überlegen, ob und inwieweit diese Aufgabe bereits bei der Planung auf eine jeweils andere Institution als die betroffene Einrichtung innerhalb des Notfallverbunds delegiert werden kann, sofern im Alarmfall die Kommunikationsstruktur zwischen den Institutionen und Personen gewährleistet ist. Als wichtig für die Anleitung von Unterstützungskräften bei Bergungs- und Erstversorgungsarbeiten haben sich in Köln einfache, klar strukturierte Arbeitsabläufe und leicht vermittelbare Arbeitsanweisungen zum Umgang mit dem geschädigten Archivgut erwiesen. Anknüpfend an Vorerfahrungen und Muster sind in Köln innerhalb weniger Stunden und Tage solche einfachen Workflows und Handlungsanweisungen realisiert und über Wochen und Monate erprobt worden, die für die Fortschreibung dieses Teils der Notfallvorsorge hilfreich sind. Schutz- und Sicherungsverfilmung Bewährt hat sich in Köln die Tatsache, dass die Duplikatfilme aus der Sicherungsverfilmung des Bundes an einem anderen Gebäude gelagert wurden als das verfilmte Archivgut selbst. Auch wenn grundsätzlich die Heranziehung der eigentlichen Sicherungsfilme aus dem Oberrieder Stollen nach einem Katastrophenfall möglich ist, sollte doch eine räumliche Trennung von Schutzfilmen einerseits und dem verfilmten Archivgut andererseits Standard sein. Die Duplikatfilme bzw. die erhaltenen Mikrofilme aus weiteren Verfilmungsaktivitäten bilden nun den Ausgangspunkt für eine auch mit Landesmitteln unterstützte schnelle und wirtschaftliche Digitalisierung von Archivgut, insbesondere der älteren Bestände (vor 1800). Schadensbehebung Die einsturzbedingten Hauptschadensbilder an den Kölner Archivalien, Verschmutzung, mechanische Beschädigungen (Risse und Fehlstellen bis hin zur Fragmentierung, Knicken, Stauchungen und Deformierungen), Feuchtigkeits- bzw. Wasserschäden, teils mit Mikroorganismenbefall, sind keine unbekannten Schadensarten, für die es keine Behandlungs-
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methoden gäbe. Allerdings haben wir es hier einerseits mit bislang wenig erforschten Varianten bekannter Schadensarten (also qualitativ neuer Ausprägungen) zu tun, wie etwa mit dem stark basischen Staub, der sich aus den Baumaterialien beim Einsturz auf bzw. in dem Archivgut ab- und eingelagert hat, andererseits sprengt die quantitative Dimension, in der bestimmte Schadensarten wie Verschmutzung und mechanische Schäden auftreten, den Rahmen dessen, was man bislang selbst bei Mengenbehandlung von Archivgut eines Archivs im Blick hatte. Um diesen Umfang massenhaft ähnlicher Schäden in einer zeitlich überschaubaren Perspektive „in den Griff zu bekommen“, wird man alle Möglichkeiten zur Rationalisierung von Verfahren in Betracht ziehen müssen. Zu erforschen und zu prüfen bleibt dabei, ob und welche Schritte (teil)automatisiert werden können. Grundsätzlich denkbar wäre z. B. bei der Trockenreinigung eine Verbindung der in einigen Buchscannern inzwischen eingesetzten Möglichkeiten zum Umblättern von Seiten mittels Luftsog mit einer Absaugung von trockenem Staub oder Schmutz an Oberflächen zu verbinden. Der bislang von Hand ausgeführte mechanische Abtrag von Oberflächenschmutz wird hingegen voraussichtlich nicht durch eine maschinelle Behandlung ersetzt werden können. Dass und wie Großschadensereignisse Anstoß zu technischen Innovationen sein können, zeigen eindrucksvoll die Abläufe in der 2008 in Betrieb genommenen Spezialwerkstatt für die „Weimarer Aschebücher“. Für die Fehlstellenergänzung an Papieren steht mit der Langsiebanfaserung bereits seit einigen Jahren eine Technik zur Verfügung, die einen zentralen Vorgang maschinell unterstützt; anhand der „Stasi-Schnipsel“ hat das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik eine Technik entwickelt, die möglicherweise auch bei der Rekonstruktion fragmentierter Unterlagen aus dem Kölner Stadtarchiv Anwendung finden könnte. Auch in der Organisation überwiegend manueller Arbeitsabläufe bei konservatorisch-restauratorischen Arbeiten selbst stecken erhebliche Rationalisierungspotentiale, beispielsweise durch Parallelarbeit an ein und derselben Akte. Im Technischen Zentrum des Landesarchivs durchlaufen alle Stücke zunächst die Trockenreinigung, in der Regel an einer Sicherheitswerkbank. Dies wird auch bei der überwiegenden Mehrzahl der geborgenen Kölner Archivalien der Fall sein. Sofern nicht im Einzelfall die Beibehaltung der historischen Bindung einer Akte erforderlich ist, kann bei der Trockenreinigung die Heftung aufgelöst werden, sofern
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eine Foliierung – optimal samt der vollständigen Aktensignatur – aufgebracht wird. So ist es möglich, anschließend nicht die ganze Akte von einer Behandlungsstation zur nächsten zu geben, um bestimmte Arbeiten an einzelnen Blättern durchzuführen, sondern die Blätter der Akte je nach Schadensbildern bzw. den erforderlichen Arbeitsschritten zu sortieren und dann zeitlich parallel an verschiedenen Stellen zu behandeln. Erst am Ende des Prozesses wird anhand der Archivsignatur/Foliierung die ursprüngliche Reihenfolge wiederhergestellt. Damit schreitet die Behandlung der einzelnen Akten deutlich schneller voran, verkürzt also auch die Verweilzeiten in der Werkstatt; die Akten stehen für die Benutzung schneller wieder zur Verfügung. Die Bearbeitung der Schäden an Kölner Archivgut wird zudem voraussichtlich neue Formen einer (arbeitsteiligen) Zusammenarbeit und des Austauschs zwischen der Abteilung für Bestandserhaltung des Historischen Archivs, auf dem Gebiet von Konservierung und Restaurierung bewährten Dienstleistern und (größeren) Werkstätten in öffentlichen Einrichtungen wie Archiven, Bibliotheken, Museen und Forschungseinrichtungen hervorbringen. Während und nach der Hochwasserka tastrophe in Sachsen wie auch im Zuge der Bergung und Erstversorgung, Gefriertrocknung und Trockenreinigung des Kölner Archivguts aus dem Historischen Archiv der Stadt Köln haben sich solche Kooperationen bereits ergeben. Man kann und muss nicht alles selber machen, lautet also die eine Devise, die andere: Man kann und muss nicht unbedingt immer alles machen, was machbar ist. Angesichts der fast überall vorhandenen, gewaltigen Rückstände bei der Behandlung vorhandener Schäden hat bei archivischen wie restauratorischen Fachkräften in den letzten Jahren zunehmend ein Umdenkprozess eingesetzt, der auch für die Benutzung zu Veränderungen führt und deshalb aktiv kommuniziert werden sollte. Im Mittelpunkt der Arbeit in Archivwerkstätten stand lange die Einzelobjektrestaurierung „nach allen Regeln der Kunst“, wie sie im Übrigen auch an den Ausbildungseinrichtungen für restauratorische Fachkräfte noch vorherrscht. Für Konservierung und Restaurierung stellen sich allerdings grundsätzlich vergleichbare Fragen nach den Möglichkeiten zur Senkung von Bearbeitungsstandards wie sie etwa aus der archivischen Diskussion um „flache Erschließung“ vertraut sind. Es geht angesichts der enormen Schäden und begrenzter Ressourcen um die Absenkung des Bearbeitungsstandards auf ein fachlich vertretbares Minimum. Auf
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einem generell hohen Standard der Restaurierung zu beharren, hieße, offenen Auges dem fortschreitenden Verfall anderer dringend behandlungsbedürftiger Stücke und ganzer Bestände untätig zuzusehen bzw. in Kauf zu nehmen, dass andere Objekte und Bestände noch auf Jahre und Jahrzehnte unbenutzbar bleiben. Zweck und Ziel von Bestandserhaltung aber ist, wie ausgeführt wurde, der Zugang zu Archivgut, also die Benutzung. Das heißt aber nicht automatisch eine Benutzung im Original. Im Kölner Fall auf eine Vollrestaurierung aller Stücke mit dem Ziel zu setzen, sie grundsätzlich wieder im Original zur Benutzung vorzulegen, würde den Zuwachs benutzbarer Archivalien erheblich verzögern. Bei der großen Masse an geborgenem Archivgut bieten sich vergleichsweise zeit- und kostengünstigere, rein konservatorische Maßnahmen an, die anschließend eine (einmalige) Digitalisierung oder Mikroverfilmung zur Erstellung eines Schutz- (und Sicherungs-) Mediums für die Benutzung erlauben. Um ein Objekt mit komplizierten Schadensbildern in einen digitalisierungsfähigen Zustand zu bringen, wird man freilich auch auf restauratorische Schritte nicht verzichten können. Das Original kann dann sachgerecht verpackt gelagert werden, und steht fortan nur noch für besondere Nutzungsanliegen zur Verfügung. Gerade die Digitalisierung und softwaregestützte Bildbearbeitungsmöglichkeiten erlauben es z. B. bei den durch Wasserschäden stark verblassten Schriften, den Benutzerinnen und Benutzern sogar eine besser lesbare Quelle zur inhaltlichen Auswertung zur Verfügung zu stellen, als das Original. Eine solche Vorgehensweise stärkt den Weg des Historischen Archivs der Stadt hin zum digitalen Archiv und beschleunigt die Benutzbarkeit von Beständen. Davon unbenommen wird es immer auch „Leuchtturm-Objekte“ geben, bei denen eine Vollrestaurierung die angemessene Behandlungsart ist, und wo sich beispielsweise über „Patenschaften“ für einzelne Archivalien großartige Einzelobjektrestaurierungen realisieren lassen. Beständepriorisierung und Schadenskataster Eine Stellschraube bei den Arbeiten unter dem Blickwinkel der Benutzung ist auch die Priorisierung, wobei im Kölner Fall, abweichend von den sonst praktizierten Verfahren einer Beständepriorisierung, ganz klar Art und Ausmaß der Schäden gegenüber dem inhaltlichen Wert der Bestände einen höheren Stellenwert haben sollten. Sprich: Es liegt nahe,
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in der Regel überwiegend leicht geschädigten Beständen oder Objekten mit dem Ziel, sie vergleichsweise rasch wieder nutzbar zu machen, den Vorrang bei der Schadensbehandlung zu geben gegenüber stark geschädigten Beständen und Objekten, deren konservatorisch-restauratorische Bearbeitung erheblich mehr Zeit in Anspruch nehmen wird. Im Zuge der Erfassung der auf zahlreiche „Asylarchive“ verstreuten Kölner Bestände hat inzwischen auch die Schadenserfassung begonnen. Hierzu setzt Köln ein Verfahren zur Erstellung des Schadenskatasters ein, das es auch mit Bestandserhaltungsfragen wenig vertrauten Personen erlaubt, verwertbare, steuerungsrelevante Ergebnisse zu liefern. Die Schadenserfassung wird für die Schadensbehandlung des Kölner Archivguts zum zentralen Steuerungsinstrument für die Arbeitsplanung, die Durchführung von Vergaben an Dienstleister und die Kooperation mit anderen Werkstätten sein. Die Kopplung der Bestandsaufnahme mit der Erstellung eines Schadenskatasters eröffnet zudem Möglichkeiten, Bestände aus den Asylarchiven über die Bündelung bei der Schadensbehandlung wieder zusammenzuführen und sukzessive für die Benutzung bereitzustellen. Ausblick Die infolge der Katastrophe vom 3. März 2009 erforderlich gewordene „Inventur“ des Historischen Archivs der Stadt Köln auf Objektebene (Was ist wo und in welchem Zustand erhalten?) versetzt das Stadtarchiv innerhalb weniger Jahre in die Lage, so gut wie wohl kaum ein anderes vergleichbar großes Archiv über die von ihm bewahrten Objekte im Bilde zu sein. Umfang und Ausmaß der Schäden werden dazu führen, dass mit einer klaren Priorisierung im Hinblick auf das Ziel der Benutzbarkeit möglichst viele Archivalien und Bestände in möglichst kurzer Zeit alle Möglichkeiten der Rationalisierung von Arbeitsprozessen in der Bestandserhaltung ausschöpfen, in der Regel das konservatorisch Nötigste tun, um die Originale zu erhalten, und im Übrigen für die Benutzung stark auf die Digitalisierung (ggf. in Verbindung mit der Mikroverfilmung) als Sicherungsform setzen. Diese Prozesse werden auch in Zukunft für die unterschiedlichsten Aspekte des Bestandserhaltungsmanagements weit über Köln hinaus Anregungen geben.
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Die Chancen stehen gut, dass das Historische Archiv der Stadt Köln so binnen weniger Jahre als eines der modernsten Archive zu neuem Glanz aufersteht und der 3. März 2009 in der Geschichte des Hauses nicht nur als ein tiefer Einschnitt, als der „Blick in den Abgrund“ im doppelten Sinne, in Erinnerung bleibt, sondern auch als Katalysator für einen, auch ohne die Katastrophe begonnenen, durch sie aber beschleunigten Weg in die Zukunft als modernes Bürgerarchiv. Dr. Johannes Kistenich, Leiter des Technischen Zentrums des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen in Münster
Digitalisierung – Zukunft des Archivs? Die Digitalisierung stellt mit Sicherheit aus heutiger Sicht nicht die Zukunft der Archive dar. Dagegen sprechen zu viele archivfachliche Gründe und nicht zuletzt prinzipielle technische Probleme, für die zurzeit noch keine Lösungen vorliegen. Ob diese Aussage auch in Zukunft noch haltbar ist oder ob die Digitalisierung eine andere Rolle im Archivwesen einnehmen kann, muss zu gegebener Zeit betrachtet werden. Für das Historische Archiv der Stadt Köln ist die Digitalisierung nicht Zukunft sondern Gegenwart. Die Archivalien des Archivs stehen durch den Einsturz am 3. März 2009 über einen nicht genauer bestimmbaren Zeitraum für eine Nutzung nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Die Archivalien sind aus ihrem Zusammenhang gerissen und teilweise bis hin zu kleinen Fetzen fragmentiert. Günstigstenfalls sind sie nur verschmutzt und bedürfen lediglich einer Reinigung. Schlimmstenfalls weisen sie extreme Schäden auf und können nur mit hohem Aufwand wiederhergestellt werden oder sind sogar ganz verloren. Das bedeutet, dass eine Nutzung auf der einen Seite erst nach einer Restaurierung oder Reinigung möglich ist. Auf der anderen Seite müssen die einzelnen Archivalien identifiziert und die Bestände wieder formiert werden, bevor eine Nutzung stattfinden kann. Wie die Arbeiten im Laufe des letzten Jahres gezeigt haben, wird dies einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen. Erste Bestände sind in absehbarer Zeit wieder nutzbar, andere Bestände werden über Jahre oder Jahrzehnte nicht oder nur sehr eingeschränkt nutzbar sein. Daneben wird es auch Totalverluste geben, deren Anzahl im Moment nicht zu bestimmen ist. Ein Archiv lebt durch Benutzung. Das wertvollste Archivale verliert seinen kulturellen Wert, wenn es nicht benutzbar ist. Das Historische Archiv der Stadt Köln liefe Gefahr, dauerhaft in Vergessenheit zu geraten, wenn man bis zu dem Zeitpunkt, zu dem wieder benutzbare Originale zur Verfügung stehen, keine anderen Nutzungsmöglichkeiten schaffen würde. Die wichtigsten Bestände des Historischen Archivs der Stadt Köln sind im Rahmen der Bundessicherungsverfilmung vom Archiv selbst verfilmt worden und standen in einer guten, fast unbenutzten Kopie oder im Original sofort zur Verfügung, da sie in einem separaten Depot aufbewahrt wurden. Bis zu den 1980er-Jahren wurde auf ein dickes Trägermaterial verfilmt und die Originale wurden vor ihrer Einlagerung
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auf dünneres Material umkopiert und im Barbarastollen eingelagert. Die Originale wurden dann in Köln eingelagert. Ab den 1980er-Jahren wurden Kopien der Originale in Köln eingelagert. Diese Filme wurden bisher nicht genutzt, weil zusätzlich Nutzungskopien erstellt worden waren. Durch die Auswahl der verfilmten Bestände, die sich nach den Regeln der Sicherungsverfilmung richtete, stellen diese einen großen Teil der Kernbestände des Archivs dar. Der Schwerpunkt liegt dabei, konform zu den Regeln der Sicherungsverfilmung, auf den Beständen vor 1815. Mit der Verfilmung jüngerer Bestände wurde erst in den letzten Jahren begonnen. Diese Filme wurden einem beschränkten Nutzerkreis in einem Notlesesaal für dringliche wissenschaftliche Nutzung zur Verfügung gestellt, wobei darauf geachtet wurde, dass möglichst keine Qualitätsverluste an den Abbildungen oder Beschädigungen an den Filmen entstanden. Dieser Zustand war für die Nutzer und das Archiv unbefriedigend, da es einem dem Medium innewohnenden geringen Nutzungskomfort und einen schlechten Zugriff auf einzelne Verzeichnungseinheiten gab. Dieser Notlesesaal wurde möglichst schnell durch einen digitalen Lesesaal abgelöst, der einen höheren Nutzungskomfort und die gleichzeitige Nutzung eines Bestands durch mehrere Nutzer erlaubt. Dazu mussten die Filme digitalisiert werden. Diese über 6.000 Sicherungsfilme mit über 10.000.000 einzelnen Aufnahmen wurden durch einen kommerziellen Anbieter digitalisiert und mit den notwendigen Metadaten versehen. Dabei wurden die Digitalisate so erzeugt und abgelegt, dass diese eine Nutzungskopie darstellen. Durch die Auswahl geeigneter komprimierbarer Dateiformate kann der Speicherplatzbedarf und die Performanz der Anzeige optimiert werden. Dieses Vorgehen folgt der Strategie zur Langzeitarchivierung elektronischer Daten bei der Stadt Köln. Dabei muss aber immer der Fall mit bedacht werden, dass der Film und das Digitalisat im Verlustfall ggf. die einzigen noch existenten Ersatzreprographien darstellen und somit das Original ersetzen müssen. Das Digitalisat allein stellt noch keinen wesentlichen Gewinn an Nutzungskomfort im Vergleich zum Mikrofilm dar. Es bedarf einer Organisation des Zugriffs über elektronische Findmittel, damit eine effektive Recherche mit anschließender Nutzung möglich ist. Da die eine Voraussetzung für die Berücksichtigung eines Bestands für die Sicherungsverfilmung eine vorhandene Erschließung ist und alle Findmittel des Historischen Archivs der Stadt Köln spätestens in den Monaten nach dem Archiv einsturz retrokonvertiert wurden, standen alle Findmittel digital in einer
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archivischen Fachanwendung zur Verfügung. Durch die Verfügbarkeit der Erschließungsinformationen und der zugehörigen Digitalisate ist es möglich, einen digitalen Lesesaal zu errichten. Daneben bildet dies eine wichtige Voraussetzung für die Identifizierung der fragmentierten Archivalien und der zerstreuten Bestände. Dieser Lesesaal soll den „normalen“ Lesesaal nicht auf Dauer ersetzen. Die Nutzung der Originale wird, wenn diese wieder zur Verfügung stehen, weiterhin in einigen Fällen nötig sein und soll dann auch ermöglicht werden. Bis dahin stellt der „digitale“ Lesesaal jedoch mit seinen guten Recherchemöglichkeiten und der sofortigen Anzeige der Ergebnisse einen akzeptablen Ersatz für einen regulären Lesesaal dar. Natürlich muss der Nutzer Einschränkungen hinnehmen. Die Sicherungsfilme liegen als Schwarz-Weiß-Filme vor und damit handelt es sich bei den Digitalisaten auch nur um Bilder in Graustufen. Dadurch wird in bestimmten Fällen nicht nur der Nutzungskomfort, sondern auch die Informationsdarstellung eingeschränkt. Gerade bei stark verblassten Schriften oder einem sehr dunklen Hintergrund stößt die Lesbarkeit bei einer Darstellung in Graustufen an ihre Grenzen. Ein Bild – digital oder analog – kann nicht alle Informationen des Originals wiedergeben. Der Inhalt des Textes, der Abbildungen und Zeichnungen kann wiedergegeben werden. Bei guten Digitalisaten kann die Lesbarkeit durch Möglichkeiten der Bildbearbeitung und der vergrößerten Darstellung verbessert werden. Was früher die Quarzlampe ermöglichte, macht jetzt der PC möglich. Aber schon bei dreidimensionalen Objekten, wie Siegeln, stoßen die Abbildungen an ihre Grenzen. Es ist zwar mit richtiger Beleuchtung und Aufnahmetechnik möglich, ein Siegel interpretierbar darzustellen, der Charakter geht aber oft dabei verloren. Bei den Massenverfahren der Sicherungsverfilmung und auch der direkten Digitalisierung sind die Ergebnisse oft unbefriedigend. Fragen, die das Material betreffen, können meist über eine Abbildung nicht oder nur unzureichend beantwortet werden. Viel schwerwiegender als die eingeschränkte Informationswiedergabe wiegt jedoch der Verlust an Authentizität. Es ist definitiv ein Unterschied, ob ich eine mittelalterliche Urkunde, ein neuzeitliches Amtsbuch und sogar eine Verwaltungsakte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor mir auf dem Tisch liegen habe, sie dreidimensional sehen, sie riechen und ggf. fühlen kann oder ob ich ein Digitalisat über einen Bildschirm betrachte. Die Faszination des Originals ist nicht zu ersetzen. Das bedeutet, dass die
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Vorlage eines Originals nicht nur für bestimmte Forschungsfragen wichtig ist, sondern auch in der Archivpädagogik eine große Rolle spielt. Dennoch sind Digitalisate für die Nutzung wichtig und ihr Einsatz richtig. Der Vorteil liegt aus Sicht des Nutzers im schnellen und gezielten Zugriff, dem unkomplizierten Umgang und der leichten und kostengünstigen Reproduzierbarkeit. Aus Sicht des Archivs wird das Original geschont und kann so länger erhalten werden. Für das Historische Archiv der Stadt Köln ist die Nutzung der Digitalisate zurzeit unumgänglich. Der digitale Lesesaal wird jedoch mit seinen Stärken und Schwächen auch in Zukunft einen prominenten Platz unter den Nutzungsangeboten einnehmen. Die Nutzung am Digitalisat kann und soll vor der Nutzung des Originals stehen und diese in weiten Teilen – nicht jedoch immer – ersetzen oder gerade bei groben Sichtungen unnötig machen. Der Mehrwert für das Historische Archiv in seiner jetzigen Situation ist in verschiedener Weise enorm. Die geborgenen und erstversorgten Archivalien müssen identifiziert werden. Als Unterstützung wird dazu eine Software eingesetzt, mit der ein Zugriff auf die Erschließungsinformationen und eine systematisierte Beschreibung der Bergungseinheiten – bei der Bergung und Erstversorgung entstandene Einheiten, die nicht immer mit Verzeichnungseinheiten identisch sind – möglich ist. Wenn eine eindeutige Identifizierung nicht durchführbar oder nicht sicher ist, können auch Digitalisate als Entscheidungshilfe herangezogen werden. Auch die nachträgliche Verifizierung der getroffenen Identifikationsentscheidung ist möglich. Dieses Verfahren ist natürlich mit einem hohen Aufwand verbunden und kann deshalb nur punktuell eingesetzt werden. Wenn neben den Mikrofilmen auch die restaurierten Originale digitalisiert werden, wird bei den Beständen, die sicherungsverfilmt wurden, zusammen mit der Dokumentation der Restaurierung eine genaue Aussage über die Veränderungen der einzelnen Archivale, die durch Einsturz und Restaurierung bedingt sind, ermöglicht. Diese Informationen geben Auskunft über die Integrität der einzelnen Archivalien. Daneben kann das Unglück mit seinen Auswirkungen genau nachvollzogen werden, woraus wichtige Erkenntnisse in der Archivwissenschaft und beim Archivalienschutz für den zukünftigen Umgang mit Archivgut gewonnen werden können. Für die zukünftige Weiterentwicklung und Planung der Restaurierung in Köln und auch darüber hinaus sind diese Informationen von großem Wert.
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Eine gänzliche andere Funktion nimmt die Digitalisierung bei der Rekonstruktion der fragmentierten Archivalien ein. Diese Digitalisierung dient zuerst nicht der Herstellung von Nutzungskopien, sondern zur Rekonstruktion der Fragmente und erst in zweiter Linie zur Nutzung. Eine händische Wiederherstellung ist gar nicht oder nur mit nicht vertretbarem Aufwand möglich und würde bei der angefallenen Masse voraussichtlich Jahrzehnte dauern. Wenn ein „Puzzlen“ der Fragmente überhaupt möglich ist, dann nur virtuell. Dabei spielen die unterschiedlichsten Merkmale eine Rolle, die zum Teil automatisch von der Software erkannt werden können. Die Form, die Farbe des Papiers und der Schrift und der Zeilenabstand – auch bei handschriftlichen Texten – werden automatisch erkannt und abgeglichen. Papierart, Sprache, Schriftart und andere Eigenschaften können dagegen nur bei der Aufbereitung der Fragmente von den beteiligten Personen in das System eingegeben werden. Mit allen diesen Informationen werden wie bei einem Puzzle die Gegenstücke zu den jeweiligen Teilen gesucht. Die Software setzt dann die einzelnen Blätter virtuell zusammen und stellt so den Zugriff auf deren Inhalt sicher. Bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik wird seit einiger Zeit an der Rekonstruktion von fragmentierten Akten gearbeitet. Hier sind schon wichtige Vorarbeiten geleistet worden. Eine Rekonstruktion der Originale ist erst in einem zweiten Schritt möglich, erfordert aber einen weiteren erheblichen Aufwand. Ein weiterer Vorteil liegt für das Historische Archiv der Stadt Köln ganz simpel darin, dass ein digitaler Lesesaal weniger Raum benötigt als ein Lesesaal, in dem Originale vorgelegt werden. Lagerflächen für die Archivalien, Verkehrswege und große Tische für die Vorlage zur Nutzung entfallen. Dadurch ist es zurzeit besser möglich, das Archiv in provisorischen Räumen zentral in Köln unterzubringen, in denen keine Archivalien gelagert oder vorgelegt werden können. Für einen Mikrofilmlesesaal gilt dies in besonderer Weise im Hinblick auf die Klimatisierung der Lagerräume, die gerade in Bürogebäuden sehr energieintensiv und schwierig durchzuführen ist. Neben den Vorteilen für das Historische Archiv der Stadt Köln in seiner jetzigen Situation, die nicht verallgemeinert werden können, ergibt sich aber auch ein Mehrwert über diese Situation hinaus, der sich auch für andere Archive ergäbe. Es wurde in Köln nicht nur ein Nutzungskonzept entwickelt, dass den Zwängen der Situation geschuldet ist,
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sondern auch in Zukunft viele Vorteile für die Nutzer und das Archiv mit sich bringt. Das Konzept ist nicht neu und wird auch schon punktuell in anderen Archiven eingesetzt. Jedoch fehlt gerade in der deutschen Archivwelt eine konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung dieses Konzeptes über einzelne Projekte hinaus. So werden durchaus einzelne Bestände als Digitalisate präsentiert und den Nutzern zur Verfügung gestellt. Das Historische Archiv der Stadt Köln setzt auf ein dreistufiges Nutzungskonzept, wobei jede der drei Stufen andere Nutzergruppen und andere Nutzungszusammenhänge anspricht. Die erste Stufe ist die Nutzung der Findmittel und der Digitalisate im Internet. Die Recherche wird als einfache Volltextsuche, kombinierte Suche in einzelnen Feldern mit einem Zugang über die Archivsystematik, möglich sein. Dies ist genau der Leistungsumfang den auch Portale wie www.archive.nrw bieten. Inwieweit die Suchfunktionen die Bedürfnisse der einzelnen Nutzergruppen befriedigen oder ob die Suchfunktionen angepasst werden müssen, wird noch zu untersuchen sein. Darüber hinaus ist eine Anzeige der als Digitalisat vorliegenden Archivalien möglich. Die Ergebnisse der Recherche können direkt am PC angesehen werden, sodass die Nutzung ohne Besuch des realen Archivs durchgeführt werden kann. Diese Form der Nutzung richtet sich an unterschiedlichste Nutzergruppen: Für den Interessierten, der „erste Schritte“ in diesem Bereich macht, sinkt die Hemmschwelle eines Archivbesuchs und der Aufwand vermindert sich gerade dann, wenn keine direkte räumliche Nähe zum Archiv vorhanden ist. Letztlich können dadurch auch Nutzer für einen Besuch im realen Archiv gewonnen werden. In der Lehre eröffnen sich neben dem Zugriff während Vorlesungen und Seminaren vielfältige Möglichkeiten. Die Bearbeitung eines Bestandes oder eines Archivales kann von Studentengruppen durchgeführt werden, ohne dass Kopien angefertigt werden müssen. Die zweite Stufe der Nutzung ist eine Nutzung am Digitalisat im Lesesaal des Archivs selbst. Hierbei steht der gleiche Nutzungsumfang wie bei der ersten Stufe zur Verfügung. Darüber hinaus können jedoch auch Digitalisate mit einer besseren Qualität angezeigt werden, die sonst die Übertragung über das Internet unnötig verlangsamen würden. Der eigentliche Mehrwert besteht bei dieser Nutzungsmöglichkeit aber darin, dass zusätzlich eine Fachberatung durch das Archivpersonal stattfinden und die Bibliothek des Archivs bei der Arbeit an den Archivalien genutzt werden kann. Dazu kommt natürlich auch immer der persönliche
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Kontakt zu den anderen Nutzern und den Archivaren, dessen Effekt zwar nicht messbar ist, aber dennoch merklich zur Verbesserung der Forschungssituation beitragen kann. Bis zum Bezug eines Neubaus ist diese Art der Nutzung isoliert von der Nutzung der Originale zu sehen, da diese, sobald sie wieder verfügbar sind, räumlich getrennt stattfinden muss. Danach kann die Nutzung der Digitalisate im Archiv mit der Nutzung der Originale kombiniert werden. Die „klassische“ Nutzung von Originalen im Lesesaal des Archivs mit der Möglichkeit der gewohnten Fachberatung durch Archivarinnen und Archivare bildet die dritte Stufe der Nutzung. Die Funktionen und die angesprochenen Benutzergruppen müssen an dieser Stelle nicht erläutert werden. Auch die Abläufe und Besonderheiten bedürfen in diesem Zusammenhang keiner näheren Ausführung. Hierbei können die Nutzerwünsche abgedeckt werden, die nur durch das Original zu befriedigen sind. Es ist richtig, dass eine Nutzung von Schutzreprographien keine wirklich neue Entwicklung ist, sondern schon seit vielen Jahren angewendet wird. Bisher war diese aber immer nur beschränkt auf kleine Bereiche des Archivs und immer am schlechten Zustand, dem Wert und/oder der Nutzungshäufigkeit ausgerichtet. Der Ansatz, möglichst große Teile des Archivgutes über eine komfortabel nutzbare Schutzreprographie für die Nutzung bereitzustellen, ist jedoch neu. Neu ist es auch, jedenfalls für Archive, große Mengen von Archivalienabbildungen und damit ganze Bestände und nicht nur die Highlights, ortsungebunden über das Medium Internet greifbar zu machen. Der Kernbestand des Archivs soll auf diese Weise verfügbar sein. Die oft damit verbundene Angst vieler Archivarinnen und Archivare, dass so das eigentliche Archiv „überflüssig“ wird, da keine Nutzung mehr im Archiv selbst stattfindet, ist aus meiner Sicht völlig unbegründet. Es entsteht dagegen eine Vielzahl neuer Möglichkeiten für beide Seiten, von denen oben schon einige mit dem dreistufigen Nutzungskonzept angesprochen wurden. Ein qualitativer Sprung in der Interaktion zwischen Archiv und Nutzer ergibt sich jedoch erst aus dem Einsatz durch die digitale Verfügbarkeit von Erschließungsinformationen, Digitalisaten und moderner Internettechnologien. Bisher lief die Kommunikation vorrangig in eine Richtung: Das Archiv stellt dem Nutzer Informationen über seine Bestände und aus seinen Beständen zur Verfügung. Nur sehr selten sind Informationen über das Archivgut vom Nutzer in das Archiv eingeflossen. Bedenkt man jedoch, wie
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viel Fachwissen einzelne Nutzer über Teile des Archivgutes haben, die sie dem Archiv und damit anderen Nutzern zur Verfügung stellen könnten, ist eine Kommunikation in die andere Richtung dringend nötig. Schon im März rief eine Initiative ein Portal ins Leben, das den Grundstock für eine Entwicklung hin zu einer Kommunikationsplattform für das Archiv und seine Nutzer legte. Das digitale Historische Archiv Köln (www.historischesarchivkoeln.de) hatte gleich von Beginn an mehrere Ziele: Zu einer Zeit, direkt nach dem Einsturz des Archivs, als noch nicht annähernd klar war, wie groß die Totalverluste an Archivalien wirklich sein würden, ging es zuallererst darum, Kopien der Inhalte des Archivs zusammenzutragen, um sie Nutzern zur Verfügung zu stellen und durch diese die Rekonstruktion der Bestände zu erleichtern. Der Ansatz, die Kopien, die sich die Nutzer des Archivs hatten anfertigen lassen, zu sammeln und für alle Nutzer verfügbar zu machen, stellte sich durch die große Resonanz als sehr erfolgreich heraus. Nachdem sich der Nutzer für das Portal angemeldet hat, kann er über ein einfaches Webportal direkt digitale Reproduktionen in die Systematik des Archivs einstellen und diese beschreiben. Dabei wird der Benutzer durch die Software unterstützt. Liegen analoge Reproduktionen, Abschriften oder Exzerpte vor, kann die Existenz vermerkt werden, um ein Gesamtbild aller vorliegenden Reproduktionen zu bekommen. Bei Bedarf und mit Zustimmung des Nutzers werden diese dann dem Archiv zur Verfügung gestellt. Bei jedem Upload kann der Nutzer selbst entscheiden, ob er die Reproduktionen im Netz für andere User sichtbar einstellen möchte, oder ob nur das Archiv darüber verfügen kann. Im ersten halben Jahr sind in das Portal auf diese Weise von gut 500 angemeldeten Nutzern mehr als 4.600 Uploads mit einer noch größeren Zahl an Einzeldokumenten durchgeführt worden. Die im Portal verfügbaren Abbildungen können über die Systematik oder eine Volltextsuche durchsucht und angesehen werden. Dabei können unterschiedliche komfortable Ansichten gewählt werden. Neben dieser Funktion bietet das Portal die Möglichkeit, dass sich Forscher über ihre Projekte, die sie mit Archivalien des Archivs bearbeiten, austauschen können, um ggf. voneinander zu profitieren. Dabei entscheidet der Nutzer selbst, was er anderen angemeldeten Nutzern an Informationen und Kontaktdaten preisgibt. Dieses Netzwerk und die Uploads der Abbildungen werden durch einen Mitarbeiter des Portals moderiert, um so die Seiten vor unerwünschten Inhalten zu schützen und offensichtliche Fehleinträge herauszufiltern.
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Als Unterstützer dieses Projekts haben sich im gleichen Zeitraum mehr als 400 Privatpersonen und 20 Verbände und Institutionen im Portal eingetragen. Schon Anfang April 2009 trafen die Initiatoren des Portals „prometheus – Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung & Lehre e.V.“ und die Universität Bonn, Abteilung für Rheinische Landesgeschichte des Instituts für Geschichtswissenschaft, mit dem Historischen Archiv der Stadt Köln eine Kooperationsvereinbarung, mit der die rechtlichen Rahmenbedingungen geklärt und die Weiterführung der Initiative und eine spätere vollständige Übergabe an das Archiv festgeschrieben wurden. Die Initiative liefert schon Ansätze einer Kommunikation vom Archiv zum Nutzer und vom Nutzer zum Archiv. Die Nutzer können Inhalte der Seite selbst (mit)bestimmen und bekommen Informationen über das Archiv und seine Bestände. Daneben kann sogar eine Kommunikation unter den Nutzern stattfinden. Der stufenweise Ausbau dieses Portals, der schon gestartet wurde, soll weiter fortgesetzt werden. Die komplette Tektonik des Archivs wurde in dem Portal hinterlegt und die Findmittel wurden in diese eingestellt, wie dies z. B. auch bei www.archive.nrw. de der Fall ist. Jetzt besteht aber zusätzlich die Möglichkeit, Digitalisate an die korrekte Stelle der Tektonik und der Findmittel zu setzen und sie dort verfügbar zu machen. Das ist nun auch nicht mehr nur durch die Nutzer, sondern auch durch das Archiv möglich. Das bedeutet, dass ein „digitaler Lesesaal“ existiert. Daneben werden Restaurierungspatenschaften über dieses Portal vermittelt, indem strukturiert einzelne Patenschaftsangebote vorgestellt werden. Eine Weiterentwicklung mit Web 2.0-Funktionalitäten ist in unterschiedliche Richtungen geplant. Auf der einen Seite soll der Nutzer nicht mehr nur Inhalte finden und benutzen, sondern diese auch aktiv verändern können. So soll das immense Wissen, über das einzelne Nutzer verfügen, allen zur Verfügung gestellt werden. Das können im Einzelfall Transkriptionen, Übersetzungen, Erläuterungen, Regesten oder Literaturhinweise sein. Mit der Zeit kann so ein großer Wissenspool anwachsen, der weit über das hinaus geht, was das Archiv vom Arbeitsaufwand allein leisten kann, und der auch Wissen enthält, das unter den Mitarbeitern des Archivs selbst nicht vorhanden ist. Auch hier bedarf es einer Redaktion, um Fehler zu filtern. Neben diesen Funktionen werden, wie in einem „normalen“ Lesesaal auch, Nachschlagewerke und Darstellungen zu zentralen Themen oder zu einzelnen Spezialthemen zur Verfügung stehen, und es wird die Mög-
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lichkeit einer „Pinnwand“ angeboten werden, über die sich die Forschenden – ähnlich einem Gespräch in der Kaffeepause – über ihre aktuellen Forschungen austauschen können. Die Funktionalitäten des Portals können auch dazu genutzt werden, das Archiv bei der Rekonstruktion seiner Bestände zu unterstützen. Auch hier gehen wir davon aus, dass Fachwissen zu einzelnen Archivalien und Beständen in der Forschung vorhanden ist, das in dieser Detailfülle nicht im Archiv vorliegt. Gerade dieses Wissen kann helfen, Archivalien zu identifizieren oder einzelne Teile von Archivalien zuzuordnen. Dabei wird es sich natürlich nur um Stücke handeln, die nicht anhand von Signaturen oder einfach zuzuordnender Merkmale identifizierbar sind. Der Identifizierungsversuch über das Portal wird auch erst dann stattfinden, wenn die intern nach einem festen Workflow ablaufenden Vorgänge erfolglos abgeschlossen wurden. Diese Identifizierung kann nur gelingen, wenn auf der einen Seite die Bereitschaft der Forschung zur Mitarbeit vorhanden ist, wovon ausgegangen werden kann. Auf der anderen Seite bedarf es eines „Werkzeugkastens“, der bei der Identifizierung zur Verfügung gestellt wird, um damit systematisch an den einzelnen Stücken arbeiten zu können. Darüber hinaus ist es besonders wichtig, die Qualität der Ergebnisse dieser Identifizierung abschätzen zu können. Dazu müssen jeweils die entsprechenden Werkzeuge noch entwickelt werden. Weitere Projektmöglichkeiten im Bereich des Portals oder Forschungsprojekte, mit denen das Portal, aber auch die Wissenschaft, weiterentwickelt werden kann, sind denkbar. Durch die völlig neuen Recherche-, Nutzungs- und Vergleichsmöglichkeiten, die der Einsatz der gerade beschriebenen Techniken bietet, können in der Archivwissenschaft, den Hilfswissenschaften und vielen Teilgebieten der Geschichtswissenschaften bisher nicht mögliche Forschungsansätze gewählt und systematische Untersuchungen mit anderen Grundlagen durchgeführt werden. Die Frage nach dem Sinn und der Berechtigung des oben Dargestellten muss erlaubt sein. Eine Antwort darauf muss sicherlich nicht von Technikgläubigkeit und der Maxime „alles was technisch möglich ist, muss auch gemacht werden“ geprägt sein. Es muss immer eine Abwägung zwischen Nutzen und Kosten durchgeführt werden. Klar ist es, dass das Historische Archiv der Stadt Köln aus seiner besonderen Situation heraus Lösungsansätze verfolgen muss, wie sie oben beschrieben sind, um überhaupt als Archiv zeitnah wieder für die Nutzung funktionieren zu können. Aber wenn dieser Schritt einmal gegangen ist, ist es faktisch notwen-
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dig, die weiteren Schritte auch noch zu gehen. Ob die Weiterentwicklung in die beschriebene Richtung tatsächlich in allen Teilen von den Nutzern mitgetragen wird und für diese und das Archiv eindeutige Vorteile bietet, kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht beurteilt werden. Sicher ist jedoch, dass die eingeschlagene Richtung richtig ist. Profitieren wird auf der einen Seite das Archiv, durch die aktive Mitarbeit der Nutzer und durch die Möglichkeit, die Nutzung – auch in Hinsicht auf die internen Abläufe – zu vereinfachen. Der Schutz der Archivalien ist offensichtlich. Dass auch der Nutzer von der Digitalisierung und der Verfügung der Archivalien in einem digitalen Lesesaal profitieren kann, scheint sicher. Wie groß der Nutzen sein wird, steht jedoch noch nicht fest. Der einleitende Satz: „Die Digitalisierung stellt mit Sicherheit aus heutiger Sicht nicht die Zukunft der Archive dar“ ist natürlich zu pauschal formuliert und soll als eine Art Resümee noch einmal differenziert werden. Aus heutiger Sicht wird die Digitalisierung nicht alle Aufgaben übernehmen können, die ihr bisweilen schon zugedacht worden sind. Das Digitalisat wird nie das Original ersetzen können. Im Fall des Historischen Archivs der Stadt Köln wird es das leider in einigen Fällen müssen. Das Digitalisat wird auch als Sicherungsmedium dienen können. Dabei sollte weiterhin auf den Mikrofilm mit allen seinen Vor- und Nachteilen gesetzt werden. Das Digitalisat wird jedoch als Schutzmedium in der Benutzung zunehmend Einzug halten. Dafür sprechen nicht nur die praktischen Gründe, wie leichte Handhabung, beliebige Reproduzierbarkeit und gute Qualität, sondern auch die Möglichkeiten dieser Wiedergabeform in Kombination mit dem Einsatz in einem geeigneten Lesesaal oder Internetportal. Bei allen technischen Möglichkeiten, die sich dabei auftun, müssen jedoch die Archive und die Nutzer willens sein, eine neue Form der Kommunikation zuzulassen und diese dann auch zu leben, um die sich öffnenden Möglichkeiten zu nutzen. Die klassische Archivnutzung am Original wird es auch in Zukunft geben, sie wird aber durch andere Nutzungsformen ergänzt werden. Die klassische Erschließung der Bestände durch den Archivar und die Veröffentlichung der Erschließungsergebnisse wird auch weiterhin ein wichtiger Teil der Arbeit der Archive sein. Jedoch kann diese mit der Unterstützung – auch im Nachgang – durch die Nutzer des Archivs optimiert und mit einer Fülle von sinnvollen Informationen angereichert werden. Die Situation des Historischen Archivs der Stadt Köln, die im Hinblick auf den Verlust von kulturellem
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Erbe eine Katastrophe ist, kann aber den Anstoß für den Aufbruch zu einer neuen Qualität von Archiven geben. Das Archiv muss nicht neu erfunden, aber aus lange eingefahrenen Strukturen hin zu einem modernen offenen und transparenten Archiv entwickelt werden. Nicht nur die technischen Möglichkeiten müssen stärker genutzt, sondern gerade das Selbstverständnis von Archiven, der Umgang mit allen Nutzergruppen und die Art und Intensität der Außendarstellung müssen neu definiert werden. Köln muss und will hierbei aufgrund der Katastrophe, die es zu überwinden gilt, und besonders aufgrund der herausragenden Stellung des Archivs, aufgrund seiner Geschichte und der einzigartigen Überlieferung, die es beherbergt, Vorreiter sein. Dr. Andreas Berger, Sachgebietsleiter im Historischen Archiv der Stadt Köln
Köln – Stadt der Archive Seit vielen Jahrzehnten sind in Köln Archive ansässig, die neben dem Historischen Archiv der Stadt Köln Quellen für die Stadtgeschichte bieten. Erst in den letzten zehn Jahren sind diese jedoch einem breiteren Publikum bekannt geworden. Die verstärkte Wahrnehmung der Archive insgesamt wurde durch zahlreiche neue Quellenfunde und durch die kontinuierliche Zusammenarbeit in den letzten beiden Jahrzehnten hervorgerufen. Letzteres führte auch zu einer höheren Präsenz in den Zeitungen, den Fernseh- und Radiosendern sowie im Internet. Köln ist die „Stadt der Archive“ – leider ist dieses Alleinstellungsmerkmal von „offizieller Seite“ bisher wenig beachtet worden. Dabei haben die Archive – respektive die Archivare – in der Vergangenheit alles getan, um ihrer „Gattung“ Geltung zu verschaffen. In der Bewerbungsschrift zur nordrhein-westfälischen Entscheidung um die nationale Bewerbung als „Kulturhauptstadt Europas 2010“ nahmen die Archive bereits einen deutlich größeren Stellenwert ein als jemals zuvor in der Kulturpolitik. Mit dem Archivführer „Signaturen“ publizierte der Arbeitskreis Kölner Archivarinnen und Archivare (AKA) 2006 erstmals ein vollständiges Kompendium über die öffentlich zugänglichen Archive. Während das Stadtarchiv eine breite Überlieferungsbildung anbietet, sind die anderen Archive eher Spezialarchive, wobei der Grad der Spezialisierung durchaus unterschiedlich ist. Die Hauptaufgabe des Historischen Archivs der Stadt Köln ist, die kommunale Verwaltungsüberlieferung dauerhaft zu sichern. Darüber hinaus hat es in den vergangenen Jahrzehnten durch zahlreiche Nachlässe, Vereinsakten und private Sammlungen seinen Bestand angereichert. Im Vordergrund stand dabei die Bedeutung für die Stadtgeschichte. Dieses Überlieferungsprofil ist bei den anderen Archiven nicht vorhanden, dafür sind andere Schwerpunkte gesetzt. Aber durch den Sitz und die Überlieferungsbildung sind auch in den anderen Archiven zahlreiche Quellen erhalten geblieben, die eigenständig und in Ergänzung zur Überlieferung im Stadtarchiv Fragen der Forschung sowie Anliegen der Bürger zur kölnischen Geschichte beantworten. Dies trifft sowohl für die beiden anderen großen Archive, das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv sowie das Historische Archiv des Erzbistums Köln, wie für die rund 40 anderen Archive zu. Dabei verstehen sich die einzelnen Institute als selbstständig und sichern die
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ihnen anvertraute Überlieferung von historischen Quellen. Auch in ihrer Gesamtheit sind die Archive natürlich kein Ersatz für die bereits geborgenen, aber in den nächsten Jahrzehnten zu restaurierenden Quellen des Stadtarchivs, ganz zu schweigen von den Quellen, die wohl für immer verloren zu sein scheinen. Im Folgenden sollen die Archive vorgestellt werden. Aufgrund ihrer Entstehung und ihrer Aufgabe handelt es sich – mit Ausnahme des Historischen Archivs des Erzbistums Köln – um Archive, die vornehmlich Quellen aus den letzten beiden Jahrhunderten aufbewahren. Daher sollen hier Quellenüberlieferungen zur mittelalterlichen Geschichte und zur Geschichte der Frühen Neuzeit nicht behandelt werden. Im Vordergrund stehen folgende Fragen: Welche Schwerpunkte bieten die einzelnen Archive dem Benutzer? Welche Quellen zu welchen Themen können in diesen Häusern gesammelt werden? Welche bisherigen Forschungen wurden mit diesen Quellen zur Kölner Stadtgeschichte veröffentlicht und welche sind noch zu erwarten? Das oberste Ordnungsschema bilden Sachgebiete – Religion, Kultur, Wirtschaft, Sport und Gesellschaft. Bei den Quellen zur Kultur wird nochmals untergliedert in die einzelnen Kulturbereiche sowie den Karneval. Zu Beginn wird die öffentlichrechtliche Überlieferung zur Kölner Geschichte genannt, die sich in staatlichen und kommunalen Archiven außerhalb Kölns befindet. Zum Abschluss wird der Arbeitskreis Kölner Archivarinnen und Archivare, der AKA, vorgestellt, dessen Arbeit seit fast zwanzig Jahren die Kölner Archive zu einer solidarischen Gemeinschaft verbunden hat. Kölner Geschichte andernorts Die Geschichte der Rheinlande ist wesentlich geprägt durch die Besetzung der französischen Revolutionstruppen. Diese Epoche – von 1794 bis 1814 – hat zahlreiche öffentliche Quellen im französischen Nationalarchiv, den Archives Nationales, in Paris hinterlassen. Eine Vielzahl von Quellen des Roerdepartements, zu dessen Territorium Köln und die umliegenden Gemeinden zählten, sind aber auch im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Standort Düsseldorf (LA NRW D), zu finden. Die preußische Zeit ist durch die Quellen des Herrscherhauses und der Regierung inklusive der nachgeordneten Behörden für die Zeit bis 1933 hinreichend im Geheimen Staatsarchiv Preußischer
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Kulturbesitz in Berlin dokumentiert. So finden sich z. B. in den Akten des Innenministers zahlreiche Quellen zur stadtkölnischen Geschichte, aber auch in denen des Handels- und Gewerbeministers. Die Akten des Oberpräsidenten der Rheinprovinz befinden sich im Landeshauptarchiv Koblenz sowie aus der frühen preußischen Zeit 1816–1822 im LA NRW D. Dort sind auch die Quellen des Regierungspräsidenten Köln, der heutigen Bezirksregierung Köln, aufbewahrt. Für die Geschichte der eingemeindeten Orte ist der Bestand des Landratsamtes Köln zu benutzen, dessen Laufzeit von 1818 bis 1936 reicht. Ebenfalls finden sich nachgeordnete Behörden, wie Polizei, Eisenbahndirektion, Wasserstraßendirektion, Arbeitsämter, dort. Auch die Gerichte und die Finanzbehörden sind dort mit Beständen vertreten. Alle Landesbehörden von Nordrhein-Westfalen, beginnend mit der Landesregierung, endend mit einzelnen Landesbetrieben, archivieren im LA NRW D, sodass für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine dichte Überlieferung vorhanden ist. Bei dem nichtstaatlichen Archivgut verwahrt das LA NRW D zahlreiche Bestände von Parteien oder Vereinen sowie Nachlässe aus Köln, letzteres vor allem von Politikern, so z. B. den des Zentrumspolitikers Josef Baumhoff (1887–1962) oder des Sozialdemokraten Willi Schirrmacher (1906–1992), beide aus Köln. Besonders hervorzuheben sind die Notariatsurkunden, die zahlreiche Hinweise zur regionalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Kölns enthalten. Zum Landesarchiv gehört auch das Personenstandsarchiv Rheinland in Brühl. Dort sind vor allem genealogische Fragen zu klären, u. a. mit den Kirchenbüchern aus der Zeit von 1571 bis 1874 sowie anhand von Zweitschriften der Zivilund Personenstandsregister von 1796/98 bis 1938. Weitere Betreffe zur Kölner Geschichte finden sich besonders in den Akten des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) bzw. seiner Vorläuferorganisationen in der Rheinprovinz. Der LVR sitzt zwar in Köln, aber das Archiv ist in der Abtei Brauweiler in Pulheim untergebracht. Die Akten der Provinzialstände (1821 bis 1888) und die der Zentralverwaltung (1888 bis 1945) sowie die der Provinziallandtage und einiger Personen enthalten zahlreiche Themen der Kölner Geschichte. So ist z. B. für die Geschichte der Weimarer Republik der Nachlass des Landeshauptmanns Dr. Johannes Horion, der von 1922 bis 1933 dieses Amt ausübte, heranzuziehen. Hinzu kommen Sammlungen, etwa zur Psychiatriegeschichte, oder Karten, die Bestände ergänzen.
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Für die Archivierung nationaler Quellen ist in Deutschland das Bundesarchiv zuständig. Das Archiv, mit 800 Mitarbeitern das größte in Deutschland, ist auf acht Standorte verteilt. Die für die neuere Geschichte wichtigen Bestände der öffentlichen Institutionen liegen in den Abteilungen B (Koblenz) und R (Berlin). Dort finden sich neben den Ministerien und Oberbehörden auch Bestände mit herausragender Bedeutung für die Kölner Geschichte. Dies gilt ebenso für die Nachlässe, so ist z. B. in Koblenz der des Kölner Braunkohlen-Industriellen Paul Silverberg (1876–1959) archiviert. Dieser war von Herbst 1932 bis Anfang 1933 Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Köln und wurde dann von den Nationalsozialisten aus dem Amt vertrieben. Auch weniger bekannte Personen, die einen Bezug zu Köln haben, haben ihre Unterlagen dorthin gegeben, wie z. B. die Witwe des Widerständlers Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, Hilde, die eine geborene Kölnerin und in erster Ehe mit dem Direktor der Leonhard Tietz AG, der späteren Kaufhof AG, Otto Baier, verheiratet war. Im Militärarchiv Freiburg, Dienststelle des Bundesarchivs, werden die Akten des Rüstungskommandos Köln aufbewahrt. Der Nachlass des wohl bedeutendsten Kölners, Konrad Adenauer, ist im Archiv der Stiftung Bundeskanzler Konrad Adenauer-Haus in Rhöndorf für die Forschung zugänglich. Dort wird auch die Quellenpublikation betreut. Die Dienstakten des Oberbürgermeisters von Köln von 1917 bis 1933 sind hingegen im Historischen Archiv der Stadt Köln vorhanden. Mit „seiner“ Epoche verbunden sind außerdem die englischen Besatzungszeiten der Stadt nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg. Hierzu sind Quellen in den National Archives von Großbritannien heranzuziehen. Allerdings lohnt sich auch für andere Fragen in solchen Archiven eine Online-Recherche. So ist dort in den Unterlagen des Metropolitan Police Office eine Einladung der Kölner Polizei von 1939 dokumentiert. Die amerikanische Besatzungszeit ist in den National Archives in Washington in den Akten der Militärverwaltung überliefert. Aber auch dort sind noch andere Bestände von Interesse, etwa die des US-amerikanischen Konsulats in Köln, dass seit 1871 bis zum Zweiten Weltkrieg bestand. Andere Politiker-Nachlässe sind in den Parteiarchiven zu finden, die von den jeweiligen Stiftungen unterhalten werden. Bei der CDU ist dies die Konrad-Adenauer-Stiftung, bei der SPD die Friedrich-Ebert-Stiftung und bei der FDP die Friedrich-NaumannStiftung. Das Wirken von Politikern, die ein Mandat im Landtag von
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Nordrhein-Westfalen oder im Deutschen Bundestag hatten, ist in den jeweiligen Parlamentsarchiven dokumentiert. Das Archiv der FriedrichEbert-Stiftung verwahrt zudem Bestände von Gewerkschaften und Betriebsräten. Obwohl im Internet keine Kölner Betreffe dazu angegeben sind, lohnt sich eine Nachfrage. Auch das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv, siehe unten, verwahrt Betriebsratsakten. Die Stadt Köln unterhält mit dem NS-Dokumentationszentrum seit 1987 eine besondere Institution, die die Geschichte Kölns während der Zeit des Nationalsozialismus vermitteln, ihrer gedenken und die Erinnerung daran wach halten will. Zwar ist das NS-Dok, so die Kurzbezeichnung, kein Archiv im engeren Sinn, sondern eine Dokumentationseinrichtung und ein Museum, aber aufgrund der intensiven Öffentlichkeitsarbeit erhielt es Originalunterlagen von verschiedenen Provenienzen. Dazu gehören ca. 1.200 Einzelzugänge, von Einzelschriftstücken bis hin zu größeren Konvoluten an Dokumenten, biographischen Materialien und Objekten sowie Nachlässe und Sammlungen von Einzelpersonen oder Organisationen, darunter Schriften und Briefzeugnisse zu dem Widerstandskämpfer Nikolaus Groß sowie die Sammlung Irene und Dieter Corbach über Deportationen aus Köln. Auch die Sicherung von Aussagen von Zeitzeugen über die NS-Zeit stellt eine eigene archivische Überlieferung dar. Bisher sind ca. 1.200 Interviews mit Zeitzeugen geführt worden, die digital erfasst wurden. Davon sind ca. 100 redaktionell bearbeitet und kommentiert als Video-Interviews im Internet einsehbar. Das NS-Dok hat außerdem ca. 22.000 verzeichnete Fotografien sowie zahlreiche thematische Sammlungen, u. a. zu den Themen „Jüdische Bevölkerung“, „Zwangsarbeit“, „Zweiter Weltkrieg“. Hinzu kommt eine Spezialbibliothek mit zeitgenössischer Literatur, Zeitschriften und gedruckten Quellen, deren Katalog online recherchierbar ist. In den vergangenen Jahren sind mehrere Publikationen am NS-Dok erschienen, so zur Kinderlandverschickung 1941 bis 1945, über die Kölner Polizei, zur Arisierung und zum politischen Kabarett 1928 bis 1938. Mithilfe des NS-Dok könnten weitere Themen zur Rezeption der NS-Zeit in Köln nach 1945, Biographien von Familien in Republik und Diktatur oder zum Alltagsleben der jüdischen Bevölkerung erarbeitet werden.
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Zur Geschichte der Religionen Die Stadtgeschichte ist seit zweitausend Jahren geprägt durch die Religion. Dies wird auch in Archiven sichtbar. Die wohl älteste Religionsgemeinschaft ist heute die Jüdische Gemeinde. Sie wurde erstmals urkundlich erwähnt 321 und ist die älteste nördlich der Alpen. 1424 wurden die Juden aus der Stadt vertrieben und erst 1798, vier Jahre nach der Besetzung Kölns durch die französischen Revolutionstruppen, konnte sich der erste jüdische Bürger wieder niederlassen. Wertvolle Quellen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde sind aufgrund von Verfolgung und Ermordung der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus vernichtet worden. Heute gibt es kein Archiv zur jüdischen Geschichte Kölns. Vor dem Rathaus ist seit längerem der Bau eines Hauses und Museums der jüdischen Kultur geplant. Dieses sollte auch eine Dokumentationsstelle beinhalten. In Köln lebte seit 1933 als katholische Ordensfrau die konvertierte Jüdin Edith Stein. Deren Nachlass wird in einem eigenen Archiv aufbewahrt (siehe unten). Die zweitälteste Religionsgemeinschaft ist das Christentum. Die römisch-katholische Kirche ist durch mehrere Archive in Köln präsent. 1921 wurde das Historische Archiv des Erzbistums Köln (AEK) gegründet, aber die älteste Urkunde stammt aus dem Jahr 942. Das Archiv ist nicht nur für die Stadt Köln, sondern für das gesamte Erzbistum und auch national von Bedeutung. In erster Linie werden die kirchlichen Amtsstellen, z. B. Generalvikariat und Priesterseminar, archiviert. Insbesondere die Akten des Generalvikariats sind mit einer Vielzahl von Informationen zur Kölner Geschichte versehen. Bis in das 15. Jahrhundert reichen Quellen zu den Kölner Klöstern zurück. Darüber hinaus sind die Nachlässe der Kölner Erzbischöfe sowie von weiteren bedeutenden Personen der Kölner Kirchengeschichte vorhanden. Zu den bedeutenden Beständen gehören auch einige Pfarrarchive der heutigen Kölner Innenstadt, die Material zu den 1802 säkularisierten Klöstern und Stiften beinhalten. Das AEK archiviert zudem Bestände von Verbänden sowie einige Nachlässe, wie die des Stadtdechanten Robert Grosche (1888– 1967) und der Architekten Rudolf Schwarz (1897–1961) sowie Fritz Schaller (1904–2002). 700 Kirchenbücher aus verschiedenen Pfarrgemeinden des Erzbistums können in Form von Mikrofiches eingesehen werden. Siegel- und Personaliasammlungen runden das Angebot ab. Das AEK berät Pfarreien und Ordensgemeinschaften bei der Einrichtung von
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eigenen Archiven. Die Bestände des Katholischen Büros bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung in Düsseldorf und der Deutschen Bischofskonferenz sind von überregionaler Bedeutung. In den letzten Jahren wurden mit der voluminösen Biographie über Josef Kardinal Frings zwei Bände vorgelegt, die wesentlich mit den Beständen des AEK erarbeitet wurden. Auch ein Buch über Kirchenneugründungen in der Kölner Neustadt, die nach der Niederlegung der Kölner Stadtmauer am Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurde, konnte aus den Beständen bearbeitet werden. Über das katholische Milieu von der Reichsgründung 1871 bis zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten wurde in einer Dissertation berichtet. Mithilfe der Bestände sind noch viele andere Themen zur Kirchengeschichte zu bearbeiten, u. a. zu der Geschichte der Kölner Klöster und Stifte im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit sowie zu der der Pfarrgemeinden im 19. und 20. Jahrhundert. Spezielle Untersuchungen zum Kirchenbau und zur Sakralkunst, v. a. im 20. Jahrhundert, sind ebenfalls noch ein Desiderat der Forschung. Die wohl bedeutendste Kirche ist der Hohe Dom zu Köln. Er ist Ort des Kultes und Sehenswürdigkeit, ca. sechs Millionen Menschen besuchen jährlich das Bauwerk. Die Baugeschichte ist für die Kultur-, aber auch für die Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte von Interesse. Unterlagen zur Baugeschichte sind im Dombauarchiv untergebracht. Die Bestände gehen zurück auf die Wiedererrichtung der Dombauhütte 1823 und bestehen hauptsächlich aus Plänen sowie Fotos, Grafiken und Gemälden. Auch die sakrale Kunst im Dom wird im Dombauarchiv dokumentiert. Alle Unterlagen zur Religionsgeschichte, v. a. die des Metropolitankapitels, sind als Depositum im AEK. Der 1842 gegründete Zentral-Dombau-Verein archiviert aber im Dombauarchiv, da der Verein wesentlichen Anteil an dem Weiterbau und der baulichen Unterhaltung des Domes hat. Schon genannt wurde das Archiv, das den Nachlass der Karmeliterin Edith Stein betreut. Es befindet sich im Karmel Maria vom Frieden in Köln. Dort wird die Lebens- und Wirkensgeschichte der vom Judentum zur katholischen Kirche konvertierten Philosophin, die als Karmeliterin jüdischer Abstammung durch die Shoa umgebracht wurde, dokumentiert. Das Archiv beherbergt den Nachlass mit 25.000 Blatt, die derzeit mit Hilfe der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Essen, restauriert werden. Zudem werden die Werke der Philosophin herausgegeben und Quellen über Edith Stein gesammelt.
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Eine Reihe von katholischen Verbänden unterhält eigene Archive, sofern sie nicht die Bestände an das AEK abgeben. Dazu zählen die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (KAB) und das Kolpingwerk Deutschland. Der Katholische Deutsche Frauenbund e. V. (KFDB) hat ein eigenes Archiv, in dem die Geschichte der katholischen Frauenbewegung dokumentiert ist. Neben den Unterlagen des Verbandes befinden sich dort auch einzelne Schriftstücke von bedeutenden Frauenpolitikerinnen, u. a. der Kölnerin Christine Teusch. Erst 1802 konnte die evangelische Kirche ihren ersten Gottesdienst in Köln feiern – die Stadt war bis dahin weitgehend in katholischer Hand. Im 19. Jahrhundert kam aber eine Reihe protestantischer Unternehmer nach Köln. Aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolgs und der maßgeblichen Beteiligung der Protestanten an der Industrialisierung, war ihr Anteil an der Oberschicht sehr viel höher als dies der Bevölkerungsanteil vermuten ließ. Ein geflügeltes Wort war im 19. Jahrhundert in Köln die Frage: „Sind Sie vermögend oder katholisch?“. Beim Evangelischen Kirchenverband Köln und Region ist ein Archiv ansässig, dessen erste Unterlagen auf das 16. Jahrhundert zurückgehen. Aufbewahrt werden die Akten der Zentralverwaltung des Verbandes sowie Unterlagen der einzelnen Kirchenkreise, der Gemeinde Rondorf und der bedeutenden Emil- und Laura-Oelbermann-Stiftung. Mit Quellen des Archivs wurden in den letzten Jahren Bücher über neugotische Architektur im 19. Jahrhundert, eine Untersuchung über die Frühphase der „Deutschen Christen“ und eine kommentierte Textausgabe einer älteren Geschichte der reformierten Gemeinde seit dem 16. Jahrhundert neben diversen Jubiläumsschriften publiziert. Offene Fragen für die Forschung sind die „geheimen Gemeinden“ in Köln vor 1800, die Integration der protestantischen Zugereisten und die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Kirche. Die Landeskirche Rheinland unterhält ein eigenes Archiv in Düsseldorf, in dem ebenfalls Unterlagen mit Kölner Betreffen vorhanden sind. Dort liegt z. B. der Nachlass von Friedrich Karrenberg (1904–1966), seit 1961 Professor für Sozialethik an der Universität zu Köln.
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Handel und Wandel – Quellen zur Kölner Wirtschaft Die Geschichte der Stadt Köln ist seit jeher auch Wirtschaftsgeschichte. Bereits seit der Stadtgründung unter den Römern war Köln ein Handelszentrum. Das von Konrad von Hochstaden 1259 bestätigte Stapelrecht sicherte über Jahrhunderte der Kölner Wirtschaft Reichtum und Macht. Erneuten Auftrieb bekam Köln in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als es zum Hauptort der Frühindustrialisierung wurde und bis zur Reichsgründung auch blieb. Von Köln aus wurden die Montanindustrien an der Ruhr finanziert, hier wurden bedeutende Großunternehmen gegründet und Wirtschaftspolitik gestaltet. Archive mit Quellen zur Wirtschaftsgeschichte sind in Köln hinreichend vertreten. Es wird unterschieden zwischen regionalen Wirtschaftsarchiven, Branchenarchiven und Unternehmensarchiven. Da mit der Gründerkrise 1872/73 und der Wirtschaftskrise 1896 wieder einige der neuen Unternehmen verschwanden, propagierte der Kölner Archivar Armin Tille zu dieser Zeit die Rettung von Wirtschaftsquellen in einem eigenen Archiv. 1906 gründeten die Industrie- und Handelskammer zu Köln sowie die Stadt Köln das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv (RWWA), das älteste regionale Wirtschaftarchiv der Welt, mit dem Auftrag, Quellen aus der Wirtschaft dauerhaft zu sichern. Beteiligt waren an der Gründung auch andere Handelskammern. Das RWWA wurde zunächst als eine Abteilung der IHK angesehen und nach dem Krieg offiziell als eine solche geführt. Seit 1961 war das Archiv in der Trägerschaft eines Vereins, der im Jahr 2000 in eine Stiftung bürgerlichen Rechts umgewandelt wurde. Im Zweiten Weltkrieg erlitt das RWWA empfindliche Verluste, da die Bestände im Magazin des Historischen Archivs der Stadt Köln untergebracht waren, allerdings von dessen Archivaren nicht mit dessen Beständen ausgelagert wurden. Inzwischen besitzt das RWWA 450 Bestände aus dem Rheinland, wobei sich der Sprengel auch auf die Gebiete der ehemaligen Regierungsbezirke Koblenz und Trier erstreckt. Neben den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern, die nach dem nordrhein-westfälischen Archivgesetz archivieren müssen, werden vor allem Bestände von Unternehmen aufbewahrt. Aus Köln sind einige Traditionsunternehmen vertreten: Brügelmann, Chemische Fabrik Kalk, Clouth, Deutz, Farina gegenüber, Felten & Guilleaume, Mülhens (4711), Pohlig, Stollwerck und Otto Wolff. Dies ist nur ein kleiner Auszug aus der Liste. Als bestands-
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ergänzende Sammlungen unterhält das RWWA eine große Firmendokumentation, u. a. Geschäftsberichte, Werkzeitschriften und Zeitungsausschnitte. Weitere Bestände sind Nachlässe, wie die von Adolph von Deichmann (1831–1907), Bernhard Günther (1906–1981), Eugen Langen (1833–1895) oder Otto Wolff von Amerongen (1918–2007), oder solche von Verbänden, wie dem Albertus-Magnus-Verein, der Kölner Europa-Union, dem Bund Katholischer Unternehmer und Die Waage e. V. Auch zu den Personen gibt es als Ergänzung eine umfangreiche Zeitungsausschnittsammlung. Das RWWA hat mit einigen seiner Bestände Quellen von nationaler Bedeutung, neben einigen Großunternehmen sind dies die Archive des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) und des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Damit archivieren zwei der vier großen Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, beide ansässig in Berlin, in Köln ihre Unterlagen. In den letzten Jahren erschienen auf Grundlage von Forschungsarbeiten mit Quellen des RWWA mehrere Bücher über das Kölner Wirtschaftsbürgertum, so eine Vierer-Biographie über Arnold von Guilleaume, Eugen Langen, Simon Alfred von Oppenheim und Ludwig Stollwerck, ein Buch über Hermann Grüneberg, eine Biographie über den Handwerkskammerpräsidenten Bernhard Günther, Arbeiten über die Unternehmen Chemische Fabrik Kalk, Clouth, Kalker Trieur, Stollwerck, Wolff sowie über zahlreiche Sachthemen. Im Durchschnitt erscheinen rund dreißig Veröffentlichungen im Jahr, die mit Hilfe der Quellen des RWWA erstellt werden. In den Beständen, die über 16 laufende Regalkilometer ausmachen, ist eine Vielzahl von möglichen Themen für die Kölner Stadtgeschichte aufzufinden. Neben den reinen Unternehmensgeschichten sind dies vor allem Fragen zu den Infrastruktureinrichtungen, wie den Rheinbrücken, Themen der Baugeschichte oder auch der Sozialgeschichte in einzelnen Orten. Noch weitgehend ungehoben sind Quellen für Fragestellungen an die Kulturgeschichte – v. a. aus dem Bereich Werbung und Produktinformation. Dass Köln die Stadt der Archive ist, wird auch an einem der wenigen deutschen Branchenarchive deutlich. Das Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels (ZADIK) ist hier selbstredend an der richtigen Stelle, da Köln seit dem Wiederaufbau bis in die 1990er-Jahre die Stadt des internationalen Kunsthandels war. Zunächst wurden hier eine Reihe von Galerien gegründet und dann von diesen die Vorläufer der Kunstmesse Art Cologne. Das Archiv wurde 1992 in Bonn gegründet – um in den
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Genuss der öffentlichen Zuschüsse aufgrund des Berlin-Bonn-Gesetzes zu kommen. Nach wenigen Jahren kam es nach Köln, wo es wesentlich von der Sparkasse KölnBonn und der Stadt Köln erhalten wird. Die Bestände kommen von Galerien, Ergänzungen gibt es durch die Nachlässe von Kunstkritikern, Kunstsammlern und Fotografen. Einige Kölner Galerien sind unter den Bestandsbildnern zu finden, wie die Galerie Der Spiegel oder die von Rudolf Zwirner. Durch die Korrespondenz zwischen Galeristen und Künstlern sind die Unterlagen der Galerien nicht nur aus wirtschaftshistorischer, sondern v. a. aus kulturhistorischer Sicht reich an Informationen. Manche der Archivquellen besitzen bereits künstlerischen Wert. Das ZADIK ist durch Ausstellungen, jährlich bei der Art Cologne, präsent, und die Mitarbeiter berichten regelmäßig in der Kunstbeilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über einzelne Quellen. Die Fachzeitschrift „Sediment“ steht jeweils unter einem Thema, u. a. wurden mit Quellen des Archivs Hefte zum Kunstmarkt Köln ’67, der ersten Messe für moderne Kunst, zu Max Ernst und der Galerie Der Spiegel sowie zu den öffentlichen Kunstwerken von Wolf Vostell veröffentlicht. Mit den Beständen des ZADIK wären umfassende Untersuchungen der Kunstmessen in Köln nach dem Zweiten Weltkrieg und zu der Entwicklung der Stadt als Kunststadt mit besonderem Blick auf den Boom 1967 bis 1989 zu schreiben. Ein weiteres Wirtschaftsarchiv ist das des Vereins „Milch & Kultur Rheinland und Westfalen e. V.“. Neben einer sehenswerten musealen Sammlung mit allen Facetten, die das Thema Milch zu bieten hat, werden auch Akten von Milchgenossenschaften und eine Dokumentation zur rheinischen Milchgeschichte aufbewahrt. Das Archiv des Straßenbahn-Museums Thielenbruch widmet sich der Straßenbahngeschichte, insbesondere der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB). Informieren kann man sich hier über Technik und Betriebsablauf, aber auch über Modelle und Arbeitsalltag. Es gibt Archive bei der RheinEnergie AG, den beiden Sparkassen sowie bei einigen Versicherungsunternehmen, u. a. der Zürich Versicherung AG, die v. a. die Unterlagen der Vorgängerin, der Agrippina Versicherung, anbietet, sowie bei der Kölnischen Rückversicherungs-AG und der AXA Versicherung. Der Westdeutsche Rundfunk hat ein Historisches Archiv eingerichtet, das die Unternehmensgeschichte dokumentiert. Das Archiv hat wesentlich an der Aufarbeitung der Kölner Rundfunkgeschichte mitgewirkt, die als WDR-Geschichte auch veröffentlicht ist. Nicht unwichtig für Köln ist auch die Geschichte der Rundfunkbau-
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ten, die aber noch einer Untersuchung harren. Auf die verschiedenen Medienarchive, die eine Fülle von audio-visuellen Medien zur Kölner Geschichte bereithalten, kann hier nicht eingegangen werden, da diese öffentlich nicht zugänglich sind. Dabei spielt auch das Urheberrecht eine nicht unwesentliche Rolle. Eines der großen Bankarchive Deutschlands ist das Unternehmensarchiv bei Sal. Oppenheim jr. & Cie. Das Archiv dokumentiert die Geschichte der Industrialisierung, an der das Bankhaus Oppenheim maßgeblichen Anteil hatte. Dies schlägt sich auch in den Beständen nieder, die die Unternehmen beleuchten, die mit Oppenheim verbunden waren oder sind. Dabei handelt es sich um Versicherungs-, Eisenbahn-, Rheinschifffahrts-, Bau- und Kolonial-Gesellschaften. Auch die mäzenatische Tätigkeit der Bankiersfamilie, insbesondere für deren Stiftungsinitiativen, z. B. zum Dombau, zum Bau der Synagoge in der Glockengasse, zum Zoo und zur Flora, sowie der Nachlass des Forschers Max von Oppenheim (1860–1946), dessen Fotosammlung im Internet zugänglich ist, kann anhand der dortigen Quellen untersucht werden. Eine Reihe von Veröffentlichungen ist in der jüngeren Vergangenheit mit den Beständen ermöglicht worden, mehrere zu Max von Oppenheim und seinen Forschungen, aber auch zur Kulturförderung im 19. Jahrhundert durch die Familie, zur Europäischen Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg sowie mehrere Biographien der Teilhaber. Mit den Beständen ließen sich noch weitere Themen der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts verfassen, zur Kölner Geschichte insbesondere zum Stiftungswesen und Mäzenatentum und zur Bürgertumsgeschichte. Archive der Wissenschaft Köln ist auch eine Stadt der Wissenschaft – etwa ein Dutzend Hochschulen sind hier vorhanden. Sehr unterschiedlich ist aber deren Geschichte dokumentiert. 1919 wurde die Universität unter maßgeblicher Mitwirkung von Oberbürgermeister Konrad Adenauer wiedererrichtet. 1388 war sie erstmals gegründet, 1798 von der französischen Besatzungsherrschaft jedoch geschlossen worden. Damit ging eine über 400 Jahre währende Geschichte zu Ende. Die Unterlagen der Alten Universität werden im Historischen Archiv der Stadt Köln aufbewahrt. Die neue Universität hat zwar keine Kontinuität zur alten, aber sie führt dennoch
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ihre Tradition darauf zurück. Dies spiegelt sich auch in den Beständen des Universitätsarchivs Köln (UAK) wider, das im Wesentlichen die Verwaltungsakten aufbewahrt. Auch die Unterlagen der drei Vorgängereinrichtungen der Universität aus der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind hier vorhanden. Ebenfalls zu finden sind studentische Gremien und einige Nachlässe von Universitätslehrern, darunter der von Kurt Alder (1902–1958), 1950 Nobelpreisträger für Chemie. Bei Führungen wird gerne die Urkunde des Nobelkomitees vorgezeigt. Die Fachhochschule unterhält ein eigenes Archiv in ihrer Bibliothek. Auf die Überlieferung der Deutschen Sporthochschule wird noch eingegangen. Als Spezialarchiv arbeitet an der Universität auch das Husserl-Archiv, das sich um den Nachlass des Philosophen Edmund Husserl kümmert. Kulturgeschichte: Fotos, Literatur, Theater, Tanz, Musik Quellen zur Kulturgeschichte sind auch in den bisher genannten Archiven zu finden. Im AEK etwa werden bedeutende Architektennachlässe aufbewahrt, im RWWA findet man Marketingzeugnisse und im ZADIK aufgrund der Branchenzuordnung eine große Anzahl von Quellen zur Kunstgeschichte. Die Darstellung weiterer Archive beginnt mit den speziellen Fotoarchiven, gefolgt von Literatur, Theater, Tanz und Musik. In kommunaler Trägerschaft befindet sich das Rheinische Bildarchiv (RBA), das seit 1926 existiert. Heute beherbergt das RBA über 750.000 Negative, 25.000 Color-Dias und ca. 19.000 Digitalaufnahmen. Dessen Aufgabe ist in erster Linie die fotografische Dokumentation der Kunstwerke in den Kölner Museen. Dazu gehört auch die fotografische Aufnahme von Ausstellungen. Ältere Fotobestände von Kölner Museen sind dem RBA übergeben worden. Der zweite Schwerpunkt ist die Dokumentation der Architekturgeschichte Kölns und des übrigen Rheinlandes. Dort wird auch der Bestand des Stadtkonservators eingearbeitet. Auch einige Fotografennachlässe wurden übernommen, u. a. von Anselm Schmitz und Karl Hugo Schmölz sowie Teile des Nachlasses von August Sander. Der gesamte Bestand ist online über den Bildindex der Kunst und Architektur im Internet recherchierbar.
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Einem Fotografen und seinem Nachlass gewidmet war ursprünglich die Photographische Sammlung bei der SK Stiftung Kultur. Durch den Ankauf des Archivs von August Sander (1876–1964) wurde dieser bedeutende Fotoschatz 1992 für Köln gesichert. Neben dem künstlerischen und ästhetischen haben die Fotografien einen dokumentarischen Wert. Sie dokumentieren auch Stadtgeschichte. Im folgenden Jahr wurde die Sammlung der Deutschen Gesellschaft für Photographie erworben, weitere Ankäufe folgten. Das berühmte Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher hat sein Archiv der Photographischen Sammlung überlassen. In einem eigenen Ausstellungsraum werden Wechselausstellungen gezeigt. Die Stadtbibliothek Köln hat keine Nachlässe – richtigerweise werden Unterlagen in Archiven aufbewahrt – aber mit der Sammlung „Literatur in Köln“ eine Dokumentation über die Kölner Literaturszene nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Viten der Schriftsteller – Köln ist eine bedeutende Literaturstadt, in der eine Reihe von Schriftstellern und Verlagen ansässig ist – werden hier dokumentiert. Die „Lik“ bildet gemeinsam mit dem Heinrich-Böll-Archiv in der Stadtbibliothek die „Literaturwelt“, die 2009 eröffnet wurde. Das Böll-Archiv ist Dokumentationsund Informationsstelle über Leben und Werk des Schriftstellers. Wesentlich werden hier die Arbeiten Bölls und die Werke über ihn verzeichnet und nachgewiesen. Der originäre Nachlass Bölls wird im Historischen Archiv der Stadt Köln aufgehoben, während das Heinrich-Böll-Archiv Datenbanken zur Sekundärliteratur, Zeitungsausschnittsammlung, zu den Übersetzungen der Werke in über 30 Sprachen sowie zum Korrespondenz- und Manuskriptbestand anlegt und pflegt. In den 1920er-Jahren übernahm Carl Niessen die erste Professur für Theaterwissenschaft an der neu gegründeten Universität zu Köln. Er baute eine Theaterwissenschaftliche Sammlung auf, die heute zu einer der größten weltweit gehört. Vieles zur Kölner Theatergeschichte ist dort zu finden, u. a. Theaterzettel, Programme und Kritiken. Die Theaterwissenschaftliche Sammlung ist Bestandteil der Universität zu Köln. Sie sichert auch Nachlässe, u. a. von Karl Valentin und dem Regisseur Dieter Flimm, der auch in Köln wirkte. Weitere Sammlungsgegenstände sind Bücher, dreidimensionale Objekte, Gemälde, Grafiken und Fotografien. Ebenfalls auf die Leistung eines Sammlers geht die Einrichtung des Deutschen Tanzarchivs (DTA) zurück, dessen Bestände heute professio nell betreut und der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Der Tänzer, Tanzpädagoge, Autor und Verleger Kurt Peters war zunächst in
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Hamburg, dann in Köln tätig. 1965 wurde das Tanzarchiv eingerichtet, zwanzig Jahre später von der Kulturstiftung der heutigen Sparkasse KölnBonn erworben. Die Stadt unterstützt die Einrichtung, die seit 1997 ein eigenes Tanzmuseum unterhält. Das DTA zählt über 300 Nachlässe von Tänzern, Choreographen und weiteren, mit dem Tanz verbundenen Nachlassgebern. Eine Reihe von Beständen hat auch Bezug zu Köln, so die Nachlässe von Else Lang und Karl Foltz, die beide die sehr bekannte Ausbildungsstätte für Tanz in Köln, die Else Lang-Schule, gründeten. Nachlässe sind zudem von einer Gründerin einer Kölner Ballettschule in den 1950er-Jahren und von der Ballettdirektorin Gise Furtwängler vorhanden. Weitere Ballettleiter sind ebenfalls vertreten. Aber auch die Unterlagen der Internationalen Sommerakademie des Tanzes von Anfang der 1960er-Jahre bis in die 1990er-Jahre sind hier vorzufinden. Die Kölner Tanzgeschichte wird hier zwar am deutlichsten dokumentiert, aber Anfang der 1990er-Jahre wurde eine Reihe von Archiven ausgewertet und in dem Standardwerk „Kunst und Kultur in Köln nach 1945“ dokumentiert. Für die Zukunft wünschen sich die Archivare die Untersuchung über die Geschichte des Kölner Tanzforums. Fachleuten bekannt ist das Joseph Haydn-Institut, das das Schaffen des Komponisten (1732–1809) dokumentiert und erforscht. Im Archiv des Instituts werden sämtliche Quellen zu den Werken verzeichnet. Nachlassbestände bedeutender Haydn-Forscher werden ebenso aufbewahrt wie auch über 400.000 Mikrofilmaufnahmen und über 150.000 Rückvergrößerungen auf Papier vom Werk Haydns. Für Köln wichtig – die Sportgeschichte Köln ist die deutsche Metropole der Sportwissenschaft – und auch Sportstadt. Besonders die Deutsche Sporthochschule ist ein bedeutendes Zentrum mit allem, was sich um den Sport dreht. Eine der frühen Gründungen ist das Carl-Diem-Institut, das 1964 den Nachlass des zwei Jahre zuvor verstorbenen Sportfunktionärs und Namensgebers aufnahm. Seit 1992 trug es auch den Namen seiner Frau Liselott, die in diesem Jahr verstarb: CULDA. 2005 wurde das Zentrum für Olympische Studien gegründet, das Forschung, Lehre, Dokumentation und Information betreibt. Dieses Zentrum wurde angereichert mit weiteren Nachlässen von Sportlern und Sportwissenschaftlern, dem eigentlichen Hochschul-
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archiv, einem Sportarten- und Verbandsarchiv, einem Medienarchiv und der Sammlung „Sportmuseales Archiv“. Die Überlieferungssicherung richtet sich nicht auf regionale Kontexte, aber auch zahlreiche Quellen zur Geschichte des Kölner Sports sind dort vorhanden. Seit 2001 ist das Kölner Sportarchiv, getragen vom Kölner Sportgeschichte e. V., Heimat von Nachlässen Kölner Sportler und Sportfunktionäre sowie von Aktenbeständen von Vereinen und des Stadtsportbundes. Gesammelt werden Fotografien, Zeitzeugeninterviews, Zeitungsausschnitte und Drucksachen. Mit dem Deutschen Golf Archiv (DGA) wird einer Sportdisziplin ein eigenes Archiv gewidmet. Dort sind die Akten des Deutschen Golf Verbandes, sowie Nachlässe und Bestände von einzelnen Golfclubs archiviert. Das DGA unterhält ein Fotoarchiv und eine umfangreiche Zeitschriftensammlung. 2007 erschien eine vierbändige Chronik über den Golfsport in Deutschland unter maßgeblicher Mitarbeit des DGA. Gesellschaftsgeschichte Seit 1986 sorgt sich der Kölner Frauengeschichtsverein e. V. um die Geschichte der lokalen Frauenbewegung sowie um die Geschichte einzelner Frauen. Der Verein archiviert Nachlässe von Akteurinnen der Frauenbewegung und hat Dokumentationen eingerichtet. Besonders werden Fotos, die die Geschichte der Frauenbewegung zeigen, erfasst. Der Verein erhielt 1997 den Rheinlandtaler des Landschaftsverbandes Rheinland. Der FrauenMediaTurm (FMT) ist ein Informationszentrum zur Geschichte der Emanzipation. Mit Hilfe der öffentlichen Hand wurde der Bayenturm im Rheinauhafen eigens zu diesem Zweck renoviert, lange bevor der Rheinauhafen die heutige städtebauliche Form hatte. Der FMT bietet Bibliotheks- und Zeitschriftenbestände, Presseausschnitte, Fotos, Plakate, Filme und Tondokumente. Zur Geschichte eines Hilfswerks wird man beim Arbeiter-SamariterBund fündig, dessen Bundesgeschäftsstelle in Köln ansässig ist. Dort unterhält er ein eigenes Archiv, in dem die Verwaltungsakten und die historischen Sammlungen des Hilfswerks aufbewahrt werden. Darüber hinaus dokumentiert das Archiv mit mehreren Tausend Fotos, Plakaten und dreidimensionalen Gegenständen die Geschichte des Rettungswesens.
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Homosexuelle Kultur ist im Kölner Alltag sehr präsent, nicht nur zum Christopher Street Day, der inzwischen schon zur Eventtradition gehört. Daher liegt es nahe, dass in Köln das Centrum Schwule Geschichte ein Archiv aufgebaut hat, das neben Büchern und Zeitschriften auch Akten von Organisationen, Zeitzeugeninterviews, Plakate und Sammlungsgut sammelt. Das Centrum erhielt für seine Verdienste zur Erforschung der rheinischen Geschichte und für sein emanzipatorisches Bemühen den Rheinlandtaler des Landschaftsverbandes Rheinland. Migration ist nicht erst mit den Anwerbeabkommen der 1950er- und 1960er-Jahre als Thema für die Geschichtsforschung von Interesse. In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich die Forschung vermehrt diesem Thema gewidmet. Daher entstand auch 1990 das DOMiD – Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e. V. Neben der Dokumentation hat das DOMiD auch Nachlässe von Privatpersonen übernommen, deren archivische Überlieferung zwar einen sehr privaten Einblick, aber dennoch einen gesamtthematischen Kontext wiedergibt. Von Beginn an hat das DOMiD sich auch mit eigenen Ausstellungen präsentiert. Deren Ergebnisse flossen dabei in entsprechende Publikationen ein. Köln als einer der Hauptmigrationsorte, mit mehr als zehn Prozent Migranten in der Bevölkerung, die aus mehr als 180 Nationen stammen, und einer seit Beginn der Stadtgeschichte andauernden Zuwanderung ist nicht nur der richtige Ort für diese Einrichtung mit nationaler Aufgabe, sondern hier fallen auch viele Quellen an, die diese Migrationsgeschichte dokumentieren. Karneval und Kölsche Sproch – Archive des Brauchtums Köln und Karneval sind zwar keine Symbiose, aber dennoch spielen alljährlich die Haupttage und die davor liegende Session eine wesentliche Rolle im Alltag der Stadt. Nachgewiesen ist auch der wirtschaftliche Effekt des Karnevals. Daneben ist aber Karneval auch Bestandteil der rheinischen Kultur und damit auch der Kulturgeschichte. Die Überlieferung der Karnevalsgeschichte war daher stets eine Aufgabe des organisierten Karnevals, die jedoch aus kurzsichtigen Gründen nur sehr bedingt angegangen wurde. Erst in den letzten Jahren ist durch das Festkomitee das Karnevalsmuseum angemessen untergebracht und sind die vorhandenen Quellen zusammengeführt worden, aber die Einrichtung
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eines zentralen Karnevalsarchivs mit personell fachlicher Besetzung lässt noch auf sich warten. Dagegen haben die Traditionskorps Kölsche Funke rut-wieß vun 1823 e. V., EhrenGarde der Stadt Köln 1902 e. V., Kölner Funken-Artillerie Blau-Weiss von 1870 e. V., Prinzen-Garde Köln 1906 e. V., Altstädter Köln 1922 e. V. und Bürgergarde „blau-gold“ 1904 e. V. vor einigen Jahren die Errichtung von eigenen Archiven unter fachkundiger Leitung beschlossen. Dort sind jeweils Unterlagen zur Vereinsgeschichte, aber auch viele Bezüge zur Stadtgeschichte enthalten. Neben Korrespondenz, Vereinsprotokollen und Chroniken bieten die Archive auch eine Fülle von Abbildungen, die noch so mancher Untersuchung harren. Mit den Akten der Vereine können Forschungsarbeiten zum Vereinswesen, zum Freizeitverhalten oder auch zum Wiederaufblühen des gesellschaftlichen Lebens nach dem Zweiten Weltkrieg erstellt werden. Diverse Veröffentlichungen entstanden bereits durch die Benutzung dieser Archive, so Untersuchungen zur Geschichte der Prinzen-Garde Köln, eine Arbeit über die Stadtmauer und eine über die Hahnentorburg. Besonders soll genannt werden der umfangreiche, von mehreren Wissenschaftlern erstellte Band zur Geschichte der Stadtsoldaten und deren „Nachfolger“, die Roten Funken. Zum Brauchtum gehört auch die Sprache, darum soll hier das Tonträger- und Videoarchiv der Akademie für uns kölsche Sproch bei der SK Stiftung Kultur genannt werden, die außerdem Fotos und Zeitungsausschnitte zur Dokumentation der Sprache sammelt. Vernetzung und Vermittlung – Der Arbeitskreis Kölner Archivarinnen und Archivare (AKA) Die Kölner Archive sind seit Jahren in einem lockeren Verbund organisiert, der öffentliche Aktionen durchführt, über die Arbeit der Archive informiert und Ansprechpartner zu allgemeinen Fragen zum Kölner Archivwesen ist. Der Beginn der Tätigkeit lag in ersten Planungen, die die Mitarbeiter des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs 1989 einleiteten, um einen regionalen Arbeitskreis der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare (VdW) zu organisieren. Doch schon bald wurde deutlich, dass dieser Arbeitskreis um alle Sparten erweitert gehörte. Das erste Treffen fand am 9. Juli 1992 in der Industrie- und Handelskammer zu Köln (IHK) statt. Seither werden alle zwei Monate rund 80 Einladungen zu den Sitzungen des „Arbeitskreises Kölner Archivarinnen und Archi-
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vare“, so der Name seit 2006, versandt. Das Netzwerk der Kölner Archivarinnen und Archivare funktioniert so gut, dass sehr schnell nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 3. März 2009 alle Kölner Archivare informiert und um Mithilfe gebeten wurden. In den folgenden Wochen haben sich die Kölner Archivarinnen und Archivare herausragend an der Bergung, Sichtung und Erstversorgung der Archivalien aus den Trümmern des Kölner Stadtarchivs beteiligt. Neben den Archivaren aus den Archiven in der Stadt Köln werden auch einige aus den benachbarten Gemeinden eingeladen. Die Geschäftsführung des Arbeitskreises liegt seit der Gründung beim Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv. Anlässlich des „Tags der Archive 2006“ wurde ein Archivführer entwickelt und veröffentlicht: „Signaturen“. Auf 190 Seiten präsentieren sich 40 Archive. Ein handliches Format wurde gewählt, damit die Veröffentlichung auch bei Besuchen mehrerer Archive mitgenommen werden kann. Köln und die Archive – die Archive und Köln in Gegenwart und Zukunft Köln ist die Stadt der Archive – die Vielfalt der Einrichtungen, die Breite der Quellen und der hohe Organisationsgrad der Archivarinnen und Archivare, die auch in den nationalen Gremien vertreten sind, zeugt von einem hohen Engagement. In den Archiven ist – auch wenn ihr jeweiliger Sprengel nicht immer identisch mit der Stadtgrenze ist – eine Vielzahl von Quellen zur Kölner Stadtgeschichte vorhanden. Dieser Hinweis ist auch deshalb wichtig, weil manche Fragestellungen in der nächsten Zukunft aufgrund der Situation des Historischen Archivs nur mit Gegenüberlieferungen zu der städtischen Quellenlage beantwortet werden können. Bisher führten die Archive unabhängig von ihren Trägern – trotz großer eigener Anstrengungen – in der Sicht der Kölner Politiker und der Stadtverwaltung keine herausragende Rolle. Das allgemeine Vorurteil gegenüber Archiven, die bei erster Sicht keine herausragenden Exponate zu bieten haben und deren Besucherzahlen sich auch nicht durch spektakuläre Massen-Events steigern lassen, scheint hier eine wesentliche Rolle gespielt zu haben. Eine Bringschuld haben aber die Archivare, die nicht auf die Öffentlichkeit warten dürfen, sondern diese selbst herbeiführen müssen. In den letzten zehn Jahren hat sich auf der Seite der Archivare
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einiges grundlegend gewandelt. Der ungeheure Reichtum an kulturellen Schätzen, die zum Teil noch im Verborgenen schlummern, bietet auch Chancen für die Zukunft. Das Engagement in der Vermittlung von kultureller Information im Archiv darf nicht nachlassen. Dies könnte durch den Aufbau eines Internet-Portals zur Kölner Geschichte, bei dem die Quellen in allen Archiven mit Kölner Bezug beschrieben würden, dienen. Da nicht nur Quellen aus Kölner Archiven dort angeboten werden und der übergreifende Charakter dieser Maßnahme auf der Hand liegt, müssten Stadt, Land und Bund diese Aufgabe finanzieren. Dieses Portal würde einen Teil des Informationsverlustes und -staus, der seit dem 3. März 2009 zur Kölner Stadtgeschichte herrscht, beseitigen. Die Unterstützung eines solchen Projekts ließe den Archiven die Wertschätzung zukommen, die bisher nicht dargeboten wurde. Generell sind auch die Archive finanziell in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben ohne Bittstellerei erledigen zu können. Schließlich ist ohne Archive alles nichts – Museen, Bildung und Medien verdanken ihre Rezeption, ihre Gegenwart und ihre Fortentwicklung im Wesentlichen Informationen, die in Wissensspeichern vorgehalten werden. Eine Idee wäre auch, ein zentrales Magazingebäude zu errichten, in dem die vielen kleineren Archive Raum mieten könnten, um ihre Quellen fachgerecht unterbringen zu können. Die öffentliche Hand ist ebenso aufgerufen, die Vermittlung der Archivinhalte durch Archivpädagogen und Wissenschaftler, die so zur Erhöhung der Bildungsrate und zum Bewusstsein für die Stadt beitragen, zu gewährleisten. Das Interesse an Kölner Geschichte ist ungebrochen groß, in den letzten beiden Jahrhunderten wurde eine unzählbare Menge an Veröffentlichungen dazu vorgelegt. Dies gilt es zu fördern, etwa durch Stipendien, Druckkostenzuschüsse und Veranstaltungen. Davon profitierten die Kölner Archive ebenfalls, die durch die Sicherung der Wissenschaft ihre Rolle in der Stadtgesellschaft der Zukunft finden würden. Die Rezeption Kölner Geschichte ist mit dem Einsturz des Stadtarchivs zwar empfindlich in Mitleidenschaft gezogen worden, aber bleibt dennoch eine Aufgabe und Verpflichtung für die Zukunft. 2012 wird der Deutsche Archivtag – erstmals in seiner 113-jährigen Geschichte – in Köln tagen. Den Beschluss dazu fasste der Veranstalter, der VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare, aufgrund einer Kölner Initiative bereits 2008. Mit dieser Fachtagung, die einhergeht mit einer Fachmesse, bietet sich die einmalige Gelegenheit, den
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Blick auf Köln und die Kölner Archive zu richten. Dies gilt es zu nutzen – und zwar für alle Kölner Archive. Dr. Ulrich S. Soénius, Direktor und Vorstand der Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu Köln
Der Einsturz. Längerfristige Folgen und Perspektiven für die deutschen Archive Dass der 3. März 2009 als Datum der größten Katastrophe für ein deutsches Archiv in Friedenszeiten in die Archivgeschichte eingehen wird, steht außer Zweifel. Inwieweit das Geschehen eine Zäsur in der Entwicklung des deutschen Archivwesens markieren wird, ist dagegen noch offen. Dazu sollen im Folgenden einige allererste Überlegungen angestellt werden. Es geht dabei – dies sei ausdrücklich betont – nicht um eine Bewertung der Vorgänge selbst oder das Handeln der Beteiligten in der Folge, das zwangsläufig auch davon bestimmt war, dass durch den Archiveinsturz zwei Menschen zu Tode gekommen sind und sich juristisch insgesamt die Frage nach der Verantwortlichkeit in ganz anderer Dimension stellt als bei dem Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Gefragt werden soll vielmehr nach möglichen langfristigen Wirkungen und den Perspektiven, die sich daraus ergeben können. Die Diskussion darüber hat sofort nach dem Einsturz eingesetzt, hält noch an und wird die Archivarinnen und Archivare noch lange beschäftigen. Aus der weiteren Perspektive berührt sie die Wahrnehmung der Archive in der Öffentlichkeit und die Wirkungen auf der politischen Ebene wie auch das archivarische Selbstverständnis, aus engerer Sicht die fachlichen Konsequenzen und dabei besonders die Lehren für den archivalischen Kulturgutschutz. Archive in der Öffentlichkeit Schlaglichtartig hat die Öffentlichkeit am und nach dem 3. März 2009 auf das Kölner Stadtarchiv und die deutschen Archive insgesamt geschaut. Das Interesse der Medien war groß und griff grundsätzliche Fragen zur Sicherheit der Archive wie auch ihrer Aufgabenstellung und Bedeutung auf. Bemerkenswert ist dabei zweierlei: einerseits die große Sympathie, die Archivarinnen und Archivare allenthalben entgegen gebracht wurde, andererseits aber doch auch ein großes Unwissen über Archive, das sich dabei oft zeigte. Was keineswegs selbstverständlich ist: Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde nicht in Frage gestellt, ob der Aufwand
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für die Bergung und Rettung des Kölner Archivguts, dessen immense Dimensionen von Anfang an absehbar waren, angemessen sei. Nirgends wurde gefordert, angesichts der Finanzkrise darauf zu verzichten oder Abstriche zu machen. Niemand hat in den ersten Tagen bezweifelt, dass über der Einsturzstelle ein Dach zum Schutz vor Regen errichtet werden muss. Vielmehr wurde über die Medien verbreitet, dass es sich bei den Beständen des Kölner Stadtarchivs um Archivgut von nationalem Rang und Kulturgut von höchster Bedeutung handelt. Entsprechende Erklärungen des Verbands deutscher Archivarinnen und Archivare und des Historikerverbands wie auch einzelner Archivarinnen und Archivare stießen durchweg auf uneingeschränkte Zustimmung und Sympathie bei den Medien. Notwendig bei all dem aber waren nicht nur nähere Erläuterungen zu den Beständen des Kölner Archivs sondern auch zur Funktion der Archive in der Gesellschaft und zum Quellenwert von Archivgut überhaupt. Dies verweist darauf, dass der von den Archiven seit einiger Zeit beschrittene Weg, verstärkt auf sich aufmerksam zu machen, noch einmal unbedingt verstärkt werden muss. Dass solche Artikel wie „Archive – unverzichtbar für das Gedächtnis der Gesellschaft“, der in der Ausgabe 3/2009 der vom Deutschen Kulturrat herausgegebenen Zeitung politik und kultur erschien, notwendig waren, signalisiert jedenfalls, dass Imagekampagnen, wie sie der Berufsverband vorsieht, dringend erforderlich sind und bundesweite Veranstaltungen wie der „Tag der Archive“, der vom Verband deutscher Archivarinnen und Archivare seit gut einem Jahrzehnt im zweijährigen Turnus initiiert und koordiniert wird, eine möglichst breite Beteiligung vor Ort finden sollten. Der für den 6. und 7. März 2010 vorgesehene „Tag der Archive“, der fast auf den Tag mit dem Jahresdatum des Archiveinsturzes zusammenfällt, wird natürlich dazu genutzt werden, „Köln“ erneut in der breiten Öffentlichkeit zu thematisieren und für die laufenden Rettungsmaßnahmen zu werben. Er wird aber auch wieder dazu dienen, auf das Archivwesen insgesamt und das Archiv vor Ort aufmerksam zu machen. Interessanterweise hat der Einsturz des Kölner Stadtarchivs ja nicht nur die Aufmerksamkeit der Medien nach Köln gelenkt, sondern in vielfachen Formen bundesweit auch auf die jeweiligen Archive vor Ort. Indem nach deren Sicherheit gefragt wurde, waren auch sie Gegenstand der Berichterstattung. Verstärkt wurde dieses ortsbezogene Interesse durch die Pressemitteilungen der vielen Archive, die in Köln bei der Bergung
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tatkräftige Hilfe geleistet haben und dies – oft in Verbindung mit Erfahrungsberichten – dann auch öffentlich mitteilten. Die großartige solidarische Hilfe der vielen Archivarinnen und Archivare, die sofort nach dem Einsturz einsetzte und über Monate andauerte, trug so dazu bei, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für den Archiveinsturz und das Archivwesen im Allgemeinen am Leben zu erhalten. Ein gesteigertes Interesse fand so auch der 5. Nationale Aktionstag für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts, den die Allianz für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts am 5. September 2009 in Zusammenarbeit mit dem Landesarchiv Baden-Württemberg veranstaltet hat. Der Aktionstag war ursprünglich ins Leben gerufen worden, um jährlich zum Jahrestag an den Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu erinnern und für den Erhalt des schriftlichen Kulturguts zu werben. Nach dem 3. März 2009 wurde das ursprünglich völlig anders ausgerichtete Schwerpunktthema für den Aktionstag 2009 auf den Einsturz des Stadtarchivs fokussiert. „Was lehrt uns die Kölner Katastrophe? Nachhaltiger Kulturgutschutz für Archive und Bibliotheken“ – unter diesem Motto wurde er durchgeführt, um sich über die Erfahrungen auszutauschen, die für die Notfallvorsorge und -bewältigung beim Elbe-Hochwasser 2002, beim Brand der Bibliothek in Weimar 2004 und bisher in Köln gewonnen wurden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtarchivs Köln informierten aus erster Hand über die Situation vor Ort und die ersten Maßnahmen. Zugleich wurde als Konsequenz aus dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs der jährliche Termin für den Aktionstag in das Frühjahr verlegt. Es stand unter allen Beteiligten völlig außer Zweifel, dass er zukünftig sowohl auf den Brand in Weimar wie auch auf den Einsturz in Köln bezogen sein muss. Standen die Archive bisher auf dem Nationalen Aktionstag eher im Hintergrund, so ist dieser nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs nun in starkem Maße auch auf das Archivwesen ausgerichtet. Nicht zu verkennen ist bei alldem freilich, dass das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit in den letzten Monaten wieder deutlich abgenommen hat. Es wird darauf ankommen, immer wieder Aufmerksamkeit sowohl für den Wiederaufbau des Kölner Stadtarchivs als auch für das Archivwesen als solches neu zu entfachen und am Leben zu erhalten. Hier sind neben der in erster Linie geforderten Stadt Köln, der Stiftung für den Wiederaufbau des Stadtarchivs, dem Berufsverband der Archivarinnen und Archivare und der Allianz für die Erhaltung des schriftlichen
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Kulturguts alle Archive gefordert, in der Öffentlichkeit zu wirken. Dies ist nicht nur wichtig, um die Rettung des Kölner Archivguts nachhaltig zu sichern, sondern muss auch dem Erhalt des Archivguts insgesamt und der Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der politischen Entscheidungsträger dafür dienen. Vor dem Hintergrund, dass der Wiederaufbau nach heutigen Schätzungen Jahrzehnte benötigen wird, kann und sollte der Einsturz des Stadtarchivs langfristig in diesem Sinne als Erinnerungsort wirken. Die politische Ebene Wenn man die politischen Reaktionen auf den Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar und auf den Einsturz des Kölner Stadtarchivs vergleicht, kann man, obwohl es für einen abschließenden Vergleich freilich noch viel zu früh ist, heute eines schon erkennen: Der Bibliotheksbrand hatte sehr rasch Reaktionen auf der höchsten politischen Ebene zur Folge, die man beim Archiveinsturz schmerzlich vermisst hat. Dies hat verschiedene Ursachen. Es steht unter anderem mit der haftungsrechtlich schwierigen juristischen Frage nach der Ursache des Einsturzes im Zusammenhang, aber nicht weniger auch mit der Aura, die in Deutschland auf Anhieb mit den illustren Namen Weimar, Goethe und Schiller verbunden ist. War die Bedeutung des betroffenen Bibliotheksguts jedermann sofort einleuchtend und nachvollziehbar, so musste die durch den Unikatcharakter von Archivgut doch noch viel höher zu veranschlagende Wertigkeit der Kölner Bestände, wie bereits erwähnt, einer breiteren Öffentlichkeit und weiten Kreisen der Politik erst vermittelt werden. Hatte „Weimar“ sehr viel rascher öffentliche Erklärungen höchst gestellter Vertreter der Politik hervorgerufen als „Köln“, so ist andererseits nun zu erkennen, dass in der Folge des Kölner Archiveinsturzes sich aktuell in allerersten Ansätzen etwas auf der politischen Ebene bewegt, das – dafür gibt es Anzeichen und das ist mehr als zu hoffen – vielleicht im Blick auf die langfristigen Wirkungen von weitaus größerer Bedeutung für den Schutz und Erhalt des Archiv- und Bibliotheksguts insgesamt sein wird. Jedenfalls gibt es zwei Initiativen, die im Augenblick (so der Stand im November 2009) zwar auch noch nicht abschließend beurteilt wer-
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den können, die aber zeigen, dass das Thema „Erhalt des schriftlichen Kulturguts“ bei der Politik nun angekommen ist. Eine schon sehr lange vor dem Kölner Archiveinsturz vorbereitete Denkschrift der „Allianz für den Erhalt des schriftlichen Kulturguts“ unter dem Titel „Zukunft bewahren“, die am 24. April 2009 dem Bundespräsidenten persönlich übergeben wurde und unter anderem eine nationale Strategie zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts und gezielte Fördermaßnamen durch den Bund in Höhe von jährlich zehn Millionen Euro fordert, hatte zur Folge, dass der Staatsminister für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt im August eine Arbeitsgruppe eingerichtet hat, die eben eine solche nationale Konzeption für die Bestandserhaltung erarbeiten soll. Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien vom Oktober 2009 findet sich dazu die folgende Absichtserklärung: „Gemeinsam mit den Ländern wollen wir ein nationales Bestandserhaltungskonzept für gefährdetes schriftliches Kulturgut erarbeiten. Zum verstärkten Schutz schriftlichen Kulturgutes wird eine Koordinierungsstelle eingerichtet.“ Zeitgleich hat die Konferenz der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder sich des Themas angenommen und zunächst eine Erhebung des Status quo beschlossen. Wie diese Dinge sich weiter entwickeln werden, bleibt abzuwarten. Gerade aber vor diesem Hintergrund muss das Thema „Erhalt des archivalischen Kulturguts“ in den kommenden Jahren mit langem Atem auf allen politischen Ebenen wachgehalten, müssen entsprechende Maßnahmen bei den Trägern der Archive eingefordert werden. Eben deshalb richtet sich auch die „Kölner Erklärung“ des Verbands deutscher Archivarinnen und Archivare an die Träger aller Archive und die Verantwortlichen auf allen Ebenen, wenn sie die Forderungen erhebt, „alle Maßnahmen zu treffen, die für die sichere Verwahrung und den dauerhaften Erhalt des Archivguts nach den geltenden fachlichen Standards erforderlich sind“ sowie „dem Schutz des Kulturguts die notwendige Aufmerksamkeit zu widmen und die dazu erforderlichen Ressourcen bereit zu stellen“. Denn es muss darum gehen, den Schutz für das Archivgut in Deutschland insgesamt zu erhöhen und mehr für seinen Erhalt zu tun. Dazu bedarf es eines verstärkten Engagements seitens der Träger aller Archive wie auch abgestimmter Strategien zwischen Bund und Ländern. So schrecklich das ist: Wenn es nun gelingt, die Situation beim Schutz und Erhalt des schriftlichen Kulturguts zu erhöhen und die Träger von Archiven wie auch die Entscheidungsträger in der Politik nachhaltig da-
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für zu sensibilisieren, dann hat der Einsturz des Kölner Stadtarchivs wesentlich dazu beigetragen etwas zu erreichen, worauf die Einführung des Nationalen Aktionstags zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts in der Folge des Weimarer Bibliotheksbrands gezielt hat. Die zumindest kurzfristige Sensibilisierung wird auch dadurch belegt, dass bei der Einbringung des Gesetzesentwurfs für das novellierte Archivgesetz Nordrhein-Westfalen ausdrücklich auf den Einsturz des Kölner Stadtarchivs Bezug genommen wurde. Der zuständige Minister für Bauen und Verkehr, Lutz Lienenkämper, führte im Landtag aus: „Der Einsturz des Gebäudes des historischen Archivs der Stadt Köln am 3. März 2009 hat die Bedeutung von Archiven auf tragische Weise ins Bewusstsein gerückt und das Landesarchiv sowie die kommunalen Archive vor besondere Herausforderungen gestellt. Die Landesregierung hat den Entwurf des Archivgesetzes zunächst zurückgestellt und unterschiedliche Konsequenzen für das Landesarchiv und das den Kommunen obliegende Archivwesen geprüft. Die archivrechtlichen Prüfungen sind abgeschlossen. Aus fachlicher Sicht besteht keine Notwendigkeit, diesbezüglich konkrete Regelungen des Archivgesetzes zu ändern oder zu ergänzen. Das geltende Archivgesetz und der Entwurf des Archivgesetzes bieten eine ausreichende Grundlage für die dauerhafte und sichere Verwahrung von Archivgut. Dies ist zuletzt auch durch die im Auftrag der Landesregierung vom Landesarchiv durchgeführte Expertenanhörung am 24. Juni 2009 bestätigt worden. Die Staatskanzlei wird in Umsetzung der Ergebnisse der Expertenanhörung und in Abstimmung mit dem Innenministerium das Gespräch mit den Archivträgern, also den kommunalen Spitzenverbänden und den Landschaftsverbänden, aufnehmen, um zu klären, wie das von der Expertenanhörung geforderte standort- und gebäudebezogene Risikomanagement vor Ort umgesetzt werden kann. Infrage kommen zum Beispiel freiwillige Selbstverpflichtungen der Archivträger.“ Besondere Konsequenzen für die Archivgesetzgebung wurden aus dem Kölner Geschehen also nicht abgeleitet. Dabei konnte sich die Landesregierung auch auf die Ergebnisse der zitierten Expertenanhörung zu den Lehren aus dem Archiveinsturz vom 24. Juni 2009 stützen, die sie nicht zuletzt zur Klärung dieser Frage einberufen hatte. Indes hat diese Expertenanhörung aber mehr als deutlich gezeigt, dass es darauf ankommt, den geltenden gesetzlichen Grundlagen sowie den einschlägigen Bestimmungen und Normen für die sichere Verwahrung von Archivgut
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Beachtung zu verschaffen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Ob es dabei reichen wird, hierbei ganz auf freiwillige Selbstverpflichtungen vor Ort durch die Archivträger zu setzen, wird sich zeigen. Tatsächlich sind aber in diesem Punkt zuvorderst die Archivträger gefordert. Es muss zu den langfristigen Wirkungen des Archiveinsturzes gehören, die Träger kontinuierlich in die Pflicht zu nehmen und die Erfüllung der gebotenen Standards einzufordern. Archivarisches Selbstverständnis Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs ist aber auch nicht ohne Folgen geblieben für das archivarische Selbstverständnis. Er hat bestätigt, von welch zentraler Bedeutung es für die Archive insgesamt ist, in der Gesellschaft mit ihrem spezifischen Aufgabenprofil als Institutionen wahrgenommen zu werden, die von Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger des Landes sind. Deutlich wurde dabei, dass der Nutzen für die Gesellschaft kontinuierlich und wirksam vermittelt werden muss, dass Archive Zielgruppen und breitete Bevölkerungskreise ansprechen müssen, um als nutzbare Einrichtungen bekannt zu sein. Wenn in diesem Punkt nach dem Einsturz Defizite erkennbar waren, kann, wie schon angedeutet, die Folgerung daraus doch nur sein, dass hier noch mehr geschehen muss. Was dafür konkret in Frage kommt, ist Gegenstand der allgemeinen Fachdiskussion. In der Folge von Köln muss sich diese daher nicht nur mit besonderen Fragen der Bestandserhaltung und der Notfallbewältigung befassen, sondern vielmehr auch vertieft und vor diesem besonderen Hintergrund auch mit den Zielen, Produkten und Kommunikationsformen archivischer Arbeit. Und wenn die Stadt Köln das Ziel proklamiert, dass ihr „Bürgerarchiv“ mit dem Wiederaufbau nicht nur das „sicherste“, sondern auch das „modernste“ Stadtarchiv Deutschlands werden soll, dann ist nicht nur der „Fachbeirat für den Wiederaufbau des Stadtarchivs Köln“, der im Sommer 2009 gebildet wurde, gefordert danach zu fragen, was das denn heute bedeutet. Insofern geht es – sowohl im Fachbeirat als auch im allgemeinen Fachdiskurs – beim Thema „Wiederaufbau des Stadtarchivs Köln“ um weitaus mehr als um die Rettung und Rekonstruktion der Bestände (als wäre das nicht schon genug!), sondern geradezu um eine Zukunftsvision für das zeitgemäße Archiv in der digitalen Welt. Und eben aus genau diesem Grund hat die mit dem
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Einsturz verbundene Diskussion von Anfang an auch jenseits aller Erhaltungs- und Restaurierungsstrategien alle Fragen mit einbezogen, die mit genuin digitalen und digitalisierten Beständen und der Rolle des Archivs in der Gesellschaft verbunden sind. Die in diesem Sinne zu führende Diskussion ist alles andere als neu, aber die Planungen für den Wiederaufbau des Stadtarchivs Köln, für das alle Weichen neu gestellt werden können, wird sie wesentlich forcieren und so langfristige Wirkungen entfalten. Zugute kommen wird dieser Diskussion der hohe Stand, den die Reflexion über das archivarische Selbstverständnis gerade im letzten Jahrzehnt erreicht hat. Und ebenso wird sie davon profitieren, dass der Austausch nach der engagierten Berufsbilddebatte der 1990er-Jahre doch immer stärker in einen weitgehenden Konsens eingemündet ist. Denn Letztere hat eben gerade nicht zu einem Berufsbild geführt, bei dem die Archive sich als Dienstleister brav auf die sogenannten Kernaufgaben des Sicherns, Erhaltens, Erschließens und Bereitstellens von Archivgut beschränken. Im Gegenteil! Das Berufsbild des Archivars ist heute – als Ergebnis der intensiven Fachdiskussion – breiter und anspruchsvoller denn je. Denn ihm wurde eine gesellschaftliche Funktionalität verliehen, die sehr weit geht. Archive garantieren die Transparenz des Handelns ihrer Träger. Sie stärken damit die Demokratie und sind eine Säule für Good governance. Als Speicher- und Funktionsgedächtnis, um die Terminologie von Jan und Aleida Assmann aufzugreifen, nehmen die Archive eine wichtige und unverzichtbare Funktion in der Erinnerungskultur und Forschungslandschaft wahr. Als Speichergedächtnis sichern und erhalten sie den archivalischen Teil des Kulturguts und schaffen Zugänge zu ihm – ausgerichtet auf Zielgruppen, die sich keineswegs mehr auf die universitäre historische Forschung und Heimatkunde beschränken. Vielmehr – und besonders dabei kommt die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Archive ins Spiel – wollen Archive heute breitere Kreise mit dem archivalischen Kulturgut vertraut machen, um sie an der Nutzung von Archivgut partizipieren zu lassen. Als Funktionsgedächtnis greifen sie aber auch zunehmend selbst auf ihre Bestände zurück, um aktuelle Themen aus dem weitesten Feld der politischen Bewusstseinsbildung aufzugreifen. Erinnert sei nur an das Motto des Tags der Archive 2008: „Heimat und Fremde“. Nur genutztes und der Öffentlichkeit vermitteltes Archivgut dient der Transparenz und stärkt die Demokratie. Nur vermittelt dient Archivgut der Identitätsstiftung und -pflege, um ein weiteres Stichwort
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aus der allgemeinen Fachdiskussion aufzugreifen. Hierin – und nicht nur in der Eigenwerbung – hat die Bildungsarbeit der Archive ihre Begründung. Auf diesem kollektiven Selbstverständnis wird die Diskussion beim Wiederaufbau des Stadtarchivs aufsetzen. Dazu muss und wird sie auch in einen Dialog mit der Politik, der Öffentlichkeit und nicht zuletzt der historischen Forschung treten, die im Fachbeirat für den Wiederaufbau prominent vertreten ist. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich dieses Selbstverständnis für das Archiv der Zukunft in der digitalen Welt weiter entwickeln und konkret ausgestalten lassen wird. Köln bietet die Chance, hier ganzheitliche Konzepte zu entwickeln und – nicht zuletzt baulich – in geeigneten Formen umzusetzen. Die deutschen Archivarinnen und Archivare werden deshalb in den nächsten Jahren gespannt nach Köln blicken. Galt schon das eingestürzte Stadtarchiv Köln durch sein Klimatisierungskonzept als „Kölner Modell“, das jeder Archivarin und jedem Archivar geläufig war, kann nun ein „Kölner Modell“ in einem wesentlich weiteren, ja geradezu fundamentalen Sinne geschaffen werden. Fachkonzepte Selbstverständlich hat sehr rasch nach dem Einsturz die Fachdiskussion über die Standards der Sicherung und des Erhalts von Archivgut eingesetzt. Hier hat die Öffentlichkeit kritisch nachgefragt, hier stand die Frage im Raum, welche Lehren und Konsequenzen zu ziehen sind. Die soweit gegebenen Antworten sollen hier nicht wiederholt werden. Wichtig im Blick auf die langfristigen Wirkungen und Perspektiven sind sicher die Erkenntnisse der schon erwähnten Expertenanhörung, die am 24. Juni in Köln stattfand und deren Ertrag zum 79. Deutschen Archivtag in Regensburg im Druck vorlag, wo sie auch von der bereits erwähnten „Kölner Erklärung“ aufgegriffen wurden. Schon diese Ergebnisse, die hier ebenfalls nicht im Einzelnen wiedergegeben werden sollen, belegen, dass durch den Archiveinsturz auch die Fachdiskussion über Sicherungs- und Erhaltungskonzepte neu belebt wurde. Ein wesentlicher Ertrag liegt sicher im Begriff des „Risikomanagements“. Die Unterbringung und Verwahrung ist kontinuierlich auf Gefährdungen zu überprüfen, die durch Veränderungen im Umfeld entstehen können. Von besonderer Bedeutung dürfte aber auch sein, dass nach
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dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs der funktionale Zusammenhang zwischen Erhaltungsmaßnahmen am Objekt mit Verfilmungs- und Digitalisierungsmaßnahmen auf den Punkt gebracht wurde. Der Bestands erhaltungsausschuss der Archivreferenten des Bundes und der Länder ist dabei, unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Expertenhearings eine Handreichung zum Risikomanagement zu erstellen und seine „Notfallempfehlungen“ zu überarbeiten. Der Archiveinsturz stellt insofern gewiss eine Zäsur in der deutschen Fachdiskussion zur Bestandserhaltung dar. Da sich erst wenige Monate zuvor der 78. Deutsche Archivtag konzentriert mit Strategien und Praktiken der Erhaltung analoger und digitaler Unterlagen einschließlich der Notfallplanung und -bewältigung befasst hatte, konnte auch hier die Diskussion auf einem sehr hohen Niveau aufsetzen und fortgeführt werden. Im Weiteren wird es darauf ankommen, die beim Wiederaufbau des Kölner Stadtarchivs gewählten Maßnahmen und Verfahren kontinuierlich zu evaluieren und für die Fortführung der Fachdiskussion auszuwerten. Auch in diesem Sinne wird „Köln“ ein Modellfall sein und langfristige Wirkungen entfalten. Es bleibt freilich zu hoffen, dass die in ihrem Ausmaß bisher singuläre Zerrissenheit und Zerstreuung der Entstehungszusammenhänge von Archivgut ein Einzelfall bleiben wird. Wie man mit Archivalieneinheiten, deren physischer Entstehungszusammenhang völlig zerstört ist, umgehen soll, wird gleichwohl ein wichtiger Bestandteil archivischen Fachwissens werden. Bereits jetzt ist Köln ein Modellfall für die Notfallbewältigung durch kollaboratives und solidarisches Handeln. Dass sich spontan so viele Menschen zur Verfügung gestellt haben um zu helfen, ist ein ermutigender Vorgang. Die bei der Bergung gewonnenen Erfahrungen werden langfristig bei der Entwicklung von Fachkonzepten Pate stehen. Ausgelöst hat der Einsturz aber auch vielerorts Initiativen zur Bildung von lokalen und regionalen Notfallverbünden sowie eine Diskussion über bundesweite Strukturen in diesem Sinne. Insgesamt hat er deutlich gemacht, welche Bedeutung der Vernetzung zwischen Archiven, anderen Gedächtnis- und Kulturinstitutionen wie Bibliotheken und Museen und zu beteiligenden Einrichtungen, insbesondere des Zivil- und Katastrophenschutzes, zukommt. Mögliche Zwischenlagerräume und Gefriermöglichkeiten müssen mit einbezogen werden. Wenn Köln hier langfristige Wirkungen zeitigt und zu stabilen Organisationsformen führt, ist viel gewonnen. Dazu gehört auch die Einrichtung eines „Notfallfonds“,
Perspektiven für die deutschen Archive
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auf den sofort zugegriffen werden kann, wie ihn der Verband deutscher Archivarinnen und Archivare nun einrichten möchte; gerade für kleine Archive kann dies wichtig sein. Das Erfahrungspotential, das die „Katastrophe von Köln“ langfristig bereitstellen wird, berührt aber auch rechtliche Fragen, die mit dem Einsturz verbunden sind. Zu verweisen ist nur auf die Haftungsklagen, die Deponenten von Nachlässen eingereicht haben. Hier sind die zu ziehenden Konsequenzen noch im Einzelnen zu durchdenken. Fazit Ist die Welt nach dem 3. März 2009 eine andere? Wenn die soweit greifbaren Auswirkungen sich wie skizziert weiterentwickeln, war der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt ganz sicher eine Zäsur in der Archivgeschichte, aus der sich – so absurd dies auch klingen mag – teils auch „positive“ Perspektiven ergeben. Wir wären trotzdem alle froh, er wäre nicht geschehen. Dr. Robert Kretzschmar, Präsident des Landesarchivs Baden-Württemberg, bis 2009 Vorsitzender des VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare, Honorarprofessor an der Universität Tübingen für Archivkunde, Paläografie und Landesgeschichte
Der Einsturz: Folgen und Zukunftserwartungen Als am 3. März 2009 das Historische Archiv der Stadt Köln einstürzte, war die Anteilnahme von der ersten Stunde an groß – sie ist erhalten geblieben. Diese Betroffenheit und Anteilnahme zeigte sich zunächst bei den Bürgern Kölns. Sie fand aber sogleich in den regionalen und überregionalen Medien Platz und auch bundesweit, ja weltweit, war die Resonanz in den folgenden Wochen beachtlich. Am Tag nach dem Einsturz meldete sich ein amerikanischer Kollege bei mir und wollte zunächst wissen, welche Personen zu schaden kamen, sodann, ob von ihm vor mehr als dreißig Jahren für seine Forschungen benutzte Nachlässe nun auch verschwunden seien. Ich konnte nur sagen, dass die Archivare und einige Benutzer gerade noch mit dem Leben davon gekommen seien. Beim Verlust der Quellen müsse man vom Schlimmsten ausgehen. Diese Einschätzung hat sich mittlerweile glücklicherweise geändert, auch wenn der Zeithorizont bis zur vollständigen Benutzung auf Jahrzehnte in die Zukunft ausgerichtet ist. Diese Kölner Katastrophe – wie auch immer die politische und rechtliche Verantwortlichkeit auf den ersten Anschein und in den zu erwartenden und laufenden Prozessen auch verteilt sein mag – hat Wellen geschlagen, nicht zuletzt in der Geschichtswissenschaft. Die deutsche wie die internationale Historie ist davon betroffen, denn über Köln und aus dem Historischen Archiv der Stadt Köln wird überall in der Welt geforscht. Dennoch haben die Historiker an der Kölner Universität einen besonderen Bezug und eine spezifische Solidarität gegenüber dem wichtigsten hiesigen Archiv. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass sich das Historische Seminar der Universität entschlossen hat, so schnell wie möglich, und das hieß im Sommersemester 2009, eine Vorlesungsreihe an der Kölner Universität zu veranstalten. Diese sprach die Studierenden der Universität an, aber auch und gerade die Kölner Bürger. Dabei waren zwei Überlegungen besonders wichtig. Viele Menschen, welche die Nachricht vom Einsturz des Historischen Archivs gelesen und gesehen haben, wissen vielleicht gar nicht so ganz genau, wozu ein solches Archiv eigentlich da ist. Es ging daher einerseits um einen Überblick darüber, welcher Reichtum und welche Vielfalt die Kölnische Stadtgeschichte auszeichnet. Das reicht vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart. Zu allen diesen Aspekten und Epochen hat
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das Archiv zentrale Dokumente in je nach Epoche wechselnder Dichte aufzuweisen. In diesem Sinne lag es nahe, aus den unterschiedlichen Großepochen Beispiele auszuwählen, die von hervorragenden Sachkennern umrissen wurden. Das begann mit Eberhard Isenmann, der über „Demokratie oder Oligarchie? Die Neuordnung der Kölner Stadtverfassung im Spätmittelalter: Verbundbrief (1396) und Transfixbrief (1513)“ handelte, und reichte über einen Beitrag „Kölner Kriminalgeschichte(n): Verbrechen und Strafen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert“ von Gerd Schwerhoff bis hin zur insgesamt noch wenig erschlossenen und erst recht nicht bearbeiteten Zeitgeschichte. Das war das Thema von Ralph Jessen, der mit einigen Studierenden sprach über „Köln – eine Großstadt in der Moderne nach 1945“ und Schneisen durch die reichen Bestände des verschütteten Archivs schlug. Maren Möhring machte aus einem anderen Blickwinkel klar, wie sich die „Internationalisierung der Ernährung“ in Köln nach dem Zweiten Weltkrieg niederschlug. Ausländische Gastronomie in Köln, ein kultureller Wandel ersten Ranges, lässt sich kaum aus dem Stadtarchiv, sondern aus einer Fülle anderer und ganz disparater Quellen schreiben, die auch in Köln, und zwar in ganz anderen Archiven, vorhanden sind. Hinzu kam eine weitere Überlegung: Was bedeutet der Einsturz des Archivs konkret für die laufenden Projekte der Wissenschaft? Was ist eigentlich der Bestand eines solchen großen Archivs, wenn man über bekannte und immer im Blickpunkt stehende ikonische Quellen wie Heinrich Bölls Nobelpreisurkunde einmal hinaus denkt? Denn gerade Letztere ist nicht der Kern von innovativen Forschungen, sondern oft sind es nur auf den ersten Blick hin unscheinbare, da serielle Quellen. Die Direktorin, Bettina Schmidt-Czaia, gab hierüber ebenso Auskunft wie über das technische und organisatorische Vorgehen bei der Bergung und künftigen Aufarbeitung selbst. Ulrich Soénius ergänzte den Befund insofern, als er erläuterte, dass das Historische Archiv der Stadt Köln zwar singuläre Bestände barg, aber Kölner Stadtgeschichte auch noch aus zahlreichen anderen Archiven in Köln (und anderswo) geschrieben worden ist und weiter geschrieben werden kann und muss. Alle öffentlich sehr schnell verbreiteten Formeln, wie etwa die vom „Tod des Gedächtnisses“ der Stadt, betonten dabei plakativ die Einzigartigkeit des gesamten Historischen Archivs und vieler Unikate, die es enthielt. Diese Ausführungen machten jedoch zugleich deutlich, dass bedeutende Geschichtsschreibung immer mehr als nur ein Archiv als
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Basis haben kann und muss. Die große Kölner Stadtgeschichte, die seit Jahren von der Historischen Gesellschaft herausgegeben wird, ist durch den Archiveinsturz beeinträchtigt, aber nicht unmöglich geworden. Das unterstrich vor allem deren wissenschaftliche Leiter, Werner Eck, dessen eigene vorliegende Geschichte Kölns in der Antike ganz andere Quellen zur Grundlage hatte als die des Historischen Archivs, dessen Sammlung nur bis ins Mittelalter zurückreicht. Ein dritter Aspekt, den die Vorlesungsreihe verfolgte, ist noch hervorzuheben. Forscher im Historischen Archiv stammen nicht nur aus Köln und arbeiten an der hiesigen Universität, sondern kommen genauso aus den Nachbaruniversitäten, aus ganz Deutschland, aus Europa und der ganzen Welt, insbesondere aus Nordamerika. Ferner gibt es auch viele andere Fächer, die in gleichem Maße vom Historischen Archiv profitiert haben und es hoffentlich künftig und in nicht allzu langer Zeit weiter tun können: Literaturwissenschaftler, Kunsthistoriker, Musikwissenschaftler, Kulturwissenschaftler im weiteren Sinne und viele andere Forscher aus der Universität und aus Forschungsinstituten arbeiten gleichermaßen mit diesen Archivquellen. Insgesamt machte die Ringvorlesung an der Kölner Universität somit ein breites Angebot an Bürger und Studierende, sich über die Dimension des Einsturzes zu informieren. Dieser Band dokumentiert viele der genannten Beiträge in Schriftform. Vor Ort wurden diese Informationen aus der Universität sogleich angenommen. Die Kölner Presse – Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau – berichteten vorab von dem Projekt, Ersterer begleitete die Veranstaltung auch durch laufende Berichterstattung. Das trug wesentlich dazu bei, dass ein relativ großer Hörsaal immer von mehreren Hundert Hörern besucht wurde. Anschließende Frage- und Antwortrunden unterstrichen sowohl das sachliche Interesse an der Geschichte Kölns wie die Dimensionen des Verlustes und die Arbeitsschwierigkeiten für laufende und künftige Forschungen. Immer wieder kam die Diskussion darüber hinaus auf den öffentlichen Umgang mit dem Einsturz des Archivs zu sprechen, über Versagen von Behörden oder Einzelnen, über Verantwortlichkeiten und Schlampereien – Empörung und Verständnis gleichermaßen kamen wiederholt auf. Genau dazu wollte und konnte die Vorlesungsreihe keine Auskunft geben. Sie war ein Akt der Solidarität, einer Solidarität, die durch Aufmerksamkeit und wissenschaftliche Information über den Verlust von unersetzlichen Quellen, auf Zeit oder auch auf Dauer aufklären wollte. Die Folgen und die Zukunftserwartungen waren im Sommer 2009 noch
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nicht absehbar. Forschung wie Lehre an der Kölner Universität haben auf lange Zeit hinaus auf ein zentrales Arbeitsmittel zu verzichten, das nur notdürftig durch andere Medien überbrückt werden kann. Die Arbeit mit Quellen ist zentral für jedes Geschichtsstudium. Diese gibt es in Buchform gedruckt, als Filme, als elektronische Quellen. Aber nichts ist authentischer, nichts macht Studierenden mehr Spaß und erfordert darüber hinaus eine eigene Methode als der Umgang mit Originalen, mit Archivquellen. Das Historische Archiv der Stadt Köln hat in diesem Rahmen in manchen Lehrveranstaltungen an erster Stelle gestanden – natürlich nicht unbedingt bei Seminaren über andere Kontinente oder zur internationalen Politik. Doch auch da hat(te) dieses Archiv einiges zu bieten, was nicht unmittelbar mit der Stadtgeschichte im engeren Sinne zu tun hat, wenn es etwa um den Nachlass eines Reichskanzlers wie Wilhelm Marx geht. Was für die Lehre zutrifft, gilt noch mehr für die Wissenschaft, die Berge von bedrucktem Papier in Büchern und Zeitschriften bereitstellt, aber auch laufend aus Archiven nicht nur ganz neue Materialien und damit Sachverhalte erschließt, sondern unter diesem Eindruck auch neue Blickwinkel und Sichtweisen auf längst bekannte Probleme entwickelt und damit zu einem lebendigen Geschichtsbild oder vielmehr in einer pluralistischen Gesellschaft zu vielen konkurrierenden Geschichtsbildern beiträgt, die immer wieder neu entstehen. Fragen aus der Gegenwart liefern Fragen an die Vergangenheit, deren Antworten wiederum die Gegenwart erhellen und Perspektiven in die Zukunft ermöglichen. Das klingt paradox, ist aber doch eine Grundlage für historische Forschung und Darstellung. Das gilt nicht allein für die Wissenschaft, sondern gerade für deren Beitrag zur Orientierung der Bürger – und dies ganz besonders in Köln. Das Historische Archiv der Stadt Köln platzte schon vor dem Einsturz aus allen Nähten. Ein Neubau war angesagt und ist nunmehr beschlossen. Die Sicherung, Restaurierung und künftige Bereitstellung wird dauern. Nicht nur die Kölner Bürger warten ungeduldig darauf, sondern auch die Wissenschaft, nicht zuletzt die Historiker an der Kölner Universität. Prof. Dr. Jost Dülffer, em. Professor für Neuere Geschichte am Historischen Seminar der Universität zu Köln
„Die Geschichte der Stadt Köln“ in dreizehn Bänden Bei einer Vortragsveranstaltung in der Universität zu Köln zu den Pro blemen, die sich nach dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt ergeben werden oder könnten, hat Gerd Schwerhoff von der TU Dresden einen höchst interessanten und für unsere Thematik aufschlussreichen Vortrag gehalten. Schwerhoff ist einer der Autoren der Kölner Stadtgeschichte, die zurzeit erarbeitet wird. Er hat, auf einer umfassenden Materialkenntnis ruhend, das Thema „Kölner Kriminalgeschichte(n). Verbrechen und Strafen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert“ analysiert. Seine Ausführungen, das wurde unmittelbar deutlich, ruhten vornehmlich auf den zahllosen Dokumenten, die er vor längerer Zeit im Kontext vor allem seiner Dissertation im Historischen Archiv der Stadt Köln studiert und ausgewertet hatte. In seiner im Jahr 1989 abgeschlossenen und 1991 erschienenen Dissertation hatte er sich mit der Kriminalität und ihren sozialen und politischen Folgen in Köln befasst. Die Basis seiner dortigen Untersuchungen waren insbesondere die sogenannten Turmbücher, in denen nicht nur die Namen der jeweils Inhaftierten, sondern auch die Umstände der Verhaftung, die Zeit der Inhaftierung, die Zeugenaussagen und Geständnisse und schließlich das Ergebnis – Verurteilung oder Freilassung – vermerkt wurden. Dabei konnte er die Aussagefähigkeit dieser sehr umfangreichen Dokumentation, aber ebenso ihre Risiken aufzeigen, auch im Vergleich mit anderen Städten, in seinem Fall vor allem mit den Akten der freien Reichsstadt Nürnberg, die schon früher als Köln eine sehr detaillierte Dokumentation für das Phänomen der Kriminalität aufweist. Die generellen Schlussfolgerungen, die Gerd Schwerhoff aus der Auswertung dieser seriellen Quellen ziehen konnte, ließen erkennen, dass die Vorstellung, in der freien und Hansestadt Köln sei die Todesstrafe eine massenhafte Erscheinung gewesen, zu pauschal war. Vielmehr wurde der Großteil aller einschlägigen Fälle vor allem durch Verweisung der beschuldigten Personen aus der Stadt erledigt. Hätte Schwerhoff die entsprechende Dokumentation aus den Turmbüchern für diesen Vortrag erst vorbereiten müssen, dann hätte dieser ganz anders ausgesehen; er hätte nicht die Eintragungen zeigen und die Analyse vorlegen können, wie er es getan hat. Denn die Turmbücher waren im Historischen Archiv der Stadt Köln aufbewahrt. Seit dem
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3. März dieses Jahres, dem Tag der Katastrophe, sind diese Archivalien für die Forschung nicht mehr zugänglich, entweder für eine jetzt noch nicht genauer bestimmbare Periode oder manche wohl auch gar nicht mehr, zumindest nicht mehr als Originale. Was wirklich erhalten und wieder zugänglich sein wird, wird sich in voller Klarheit und im Detail erst dann zeigen, wenn die Aufräumarbeiten an der Einsturzstelle selbst abgeschlossen sind, wenn die Sichtung der geretteten Materialien geschehen ist und wenn vor allem absehbar ist, wie lange es dauern wird, die Archivalien in ihrem Kontext zu rekonstruieren und die halb zerstörten oder zerrissenen Dokumente wieder zusammenzusetzen. Vermutlich werden manche Teile des Archivs früher als andere wieder zugänglich sein – das ist zumindest zu hoffen. Doch das Archiv als Ganzes ist für den Augenblick eine Zukunftsvision. Ganz das alte wird es nicht mehr sein. Ein herber Verlust wird bleiben, auch wenn bereits jetzt mehr als 85 Prozent des Gesamtmaterials geborgen wurden. Als sich die Nachricht vom Einsturz des Archivs im Laufe des 3. März verbreitete, wurde ganz spontan von vielen Seiten geäußert, die Geschichte Kölns sei damit am Ende. Zumeist zwar nicht näher reflektiert, sondern intuitiv wurde dies verstanden als Verlust von Vergangenheit, als Verlust dessen, woran sich eine Stadt wie Köln erinnern sollte und erinnern muss, was sie als Teil ihrer Existenz ansieht. Das ist im Fall dieser Stadt besonders dramatisch, da kein anderes politisches Gemeinwesen in Deutschland auf eine so lange Geschichte zurückblicken kann wie Köln (ob unter Umständen Trier in dieser Konkurrenz mitspielen könnte, ist ziemlich offen; es wurde freilich vor kurzer Zeit in einer Fernsehdokumentation wieder so behauptet). Die politische Gemeinde, die bis heute ohne Unterbrechung besteht, begann mit der Übersiedlung der Ubier aus der Gegend um die Lahn in die Kölner Bucht durch Marcus Agrippa im Jahr 19/18 v. Chr. Die Stadt als politisches Gemeinwesen, das wir heute Köln nennen, ist die direkte Fortsetzung der Gemeinde der Ubier; sie kann somit inzwischen auf 2027 Jahre Geschichte zurückblicken, die Stadt als urbaner Mittelpunkt auf etwa 2015 Jahre. Denn zwischen 7 und 5 v. Chr. haben römische Pionierkräfte begonnen, in dem Bereich, der später durch die römischen Stadtmauern umschlossen war, eine Siedlung anzulegen, wie die Interpretation der frühen römischen Münzfunde durch Johannes Heinrichs gezeigt hat. Diese Siedlung hat von Beginn an einen urbanen Charakter gezeigt; das verdeutlichen mit eindrucksvoller Klarheit die frühen archäologischen Quellen, die vor allem durch un-
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seren früheren Kölner Kollegen, Henner von Hesberg, gesammelt und ausgewertet wurden. Doch Köln kann nicht nur den Anspruch erheben, es sei die älteste Stadt in Deutschland, es spielte auch, jedenfalls bis zum 18. Jahrhundert, stets eine besondere Rolle. Köln war lange Zeit die größte Stadt des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, sie verfügte über Jahrhunderte hinweg über eine ungeheure Wirtschafts- und Finanzmacht. Sie war ebenfalls über Jahrhunderte hinweg im Vergleich mit vielen anderen Städten eine politische Großmacht mit großem diplomatischem Geschick, wodurch es ihr etwa im 30-jährigen Krieg gelang, sich zwischen den Mächten zu bewegen und eine relative Freiheit zu bewahren; Band 6 der Stadtgeschichte, den Hans-Wolfgang Bergerhausen verfasst, wird das eindrucksvoll zeigen. Köln wurde auch nie von außen her erobert, wodurch auch bis zum Zweiten Weltkrieg das Stadtbild nie entscheidend durch Eingriffe von Feinden verändert wurde. Diese über so lange Zeit unangefochtene Stellung der Stadt war eine der entscheidenden Ursachen für die Bedeutung des Historischen Archivs. Denn dieses ist, seitdem es eine organisierte Sammlung von städtischen Dokumenten gab, nie stärker gestört oder gar zerstört worden. Insgesamt umfasst das Historische Archiv Dokumente, Archivalien, Handschriften und Akten aus mehr als tausend Jahren. Die älteste Urkunde stammt aus dem Jahr 922, sie betrifft St. Ursula und nennt Siedlungen und Bauernhöfe im Kölner Umland. Codices antiker Werke gehen sogar noch weiter zurück. Die jüngsten Zugänge ins Archiv gehören wohl in dieses Jahr. Die Geschichte des Archivs nachzuzeichnen, ist hier unnötig, das geschieht in anderen Beiträgen dieses Bandes. Wichtig sind jedoch in dem hier interessierenden Zusammenhang die schiere Menge und die Qualität des Materials, das im Historischen Archiv der Stadt zusammengeflossen ist. Es sind zum einen Materialien, die aus Politik und Verwaltung der Stadtgemeinde stammen. Dazu gehören die frühen Urkunden von Kaisern, Königen und Päpsten über Privilegien für die Stadt, die Verträge zwischen der Bürgerschaft und verschiedenen Erzbischöfen als ursprünglichen Stadtherren. Hinzu kommen die Ratsprotokolle, die Briefbücher über abgesandte und eingegangene Schreiben, die zu Beginn erwähnten Turmbücher und vieles andere, was hier nicht aufgezählt werden kann. Erwähnt sei aber immerhin noch das Aktenarchiv des Hansekontors in Brügge, das 1594 von Antwerpen nach Köln gebracht wurde, und seitdem im Archiv der Stadt ruht. Doch neben diesen direkt auf Amtsträger
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und Institutionen der Stadt zurückgehenden Akten stehen die schriftlichen Unterlagen von kirchlichen Einrichtungen, von Pfarreien, Klöstern, Stiften, aber auch aus unserer Universität, etwa die Urkunde, mit der 1388 die Universität gegründet wurde. Urkunden der Zünfte gehören ebenso dazu wie Gerichtsakten oder Testamente. All das ist erst im Laufe vieler Jahrhunderte, vor allem jedoch im 19. Jahrhundert in den Besitz des Archivs übergegangen. Es gibt, je näher wir an unsere heutige Zeit herankommen, kaum mehr einen Sektor des Lebens der Stadt oder von Gemeinschaften in der Stadt, der nicht seinen Niederschlag im Archiv gefunden hätte. Verwiesen sei etwa auf Todesurkunden von Soldaten aus den Napoleonischen Kriegen. In neuerer Zeit sind so auch Schulzeugnisse und Abiturarbeiten Teil der deponierten Vergangenheit der Stadt und ihrer Bevölkerung geworden. Schließlich sind die Aktenbestände zu erwähnen, die aus Gemeinden stammen, die ehemals selbstständig waren, aber im Laufe der Zeit in der Stadt Köln aufgegangen sind; auch sie wurden dem Archiv anvertraut, ebenso wie viele Archive von Vereinen, Verbänden oder Parteien und die Nachlässe von zahlreichen Persönlichkeiten, die in der Stadt gelebt haben oder zumindest hier geboren wurden. Bestimmte Namen sind in den letzten Wochen immer wieder genannt worden: Offenbach, Adenauer, Böll. Und es steht zu erwarten, dass der Stadt nach dem Einsturz des Archivs gerade wegen dieser Nachlässe nicht geringe Probleme erwachsen werden. Rein mengenmäßig werden alle Bestände auf mehr als 30 Regalkilometer veranschlagt, eine Menge an beschriebenem oder bedrucktem Material, die man sich nur sehr schwer wirklich konkret vorstellen kann. Köln hatte und hat in seinem Archiv jedenfalls einen dokumentarischen Schatz in einer zeitlichen Dimension, inhaltlichen Breite, Reichhaltigkeit und Vollständigkeit, wie ihn wohl kaum eine andere Stadt in Deutschland vorweisen kann. In diesem Haus war und ist ein erheblicher Teil der Vergangenheit Kölns deponiert und verwahrt, hier ruhte und ruht der Kern der Geschichte der Stadt. All dies war auch für den interessierten Laien zugänglich ebenso wie für die vielen, die sich mit verschiedenen Aspekten der Stadt forschend beschäftigen. All dies wird hoffentlich in absehbarer Zeit und Schritt für Schritt auch wieder so sein. Angesichts dieser Fülle an gesammelter Überlieferung erstaunt eine schlichte Tatsache: Es existiert eine ungeheure Fülle an historischen Werken über einzelne Zeitabschnitte und Phänomene der Geschichte der Stadt, in vielfacher Weise auf den Materialien des Archivs beruhend.
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Aber: Es gibt kein Werk, in dem diese exzeptionelle Geschichte der Stadt in ihrer gesamten historischen Dimension und unter allen wichtigen Aspekten wissenschaftlich verlässlich zugänglich wäre. Den letzten Versuch einer auf Überlieferung ruhenden Gesamtgeschichte der Stadt Köln unternahm Leonard Ennen, erster hauptamtlicher Leiter des Kölner Archivs von 1857 bis 1880. Zwischen 1863 und 1875 erschien seine „Geschichte der Stadt Köln“ in insgesamt fünf Bänden, von ihm allein verfasst. Daneben publizierte er sechs Quellenbände zur Geschichte der Stadt Köln, die sukzessiv von 1860–1879 vorgelegt und 1970 nachgedruckt wurden. Doch dieses Werk, so grandios es für seine Zeit auch war, blieb ein Torso; es reichte schließlich nur bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. Seitdem wurde bis ins spätere 20. Jahrhundert, soweit sich das heute feststellen lässt, nicht einmal mehr der Versuch unternommen, eine umfassende Darstellung der Geschichte Kölns zu schreiben, ein Versuch, der dann auch in Realität umgesetzt wurde – bis zum Jahr 1995. Bevor auf dieses Datum eingegangen wird, soll auf ein persönliches Erlebnis verwiesen werden. Im Jahr 1986, ich war damals seit einem halben Jahr Dekan der Philosophischen Fakultät, meldete sich bei mir im Dekanat ein Manfred vom Stein und fragte, ob er mich in einer Kölner Angelegenheit sprechen könne. Als Wahlkölner seit dem Jahr 1969 war ich inzwischen an dieser Stadt höchst interessiert, zumal sie ja in römischer Zeit lange die größte und bedeutsamste Stadt in Deutschland gewesen war und mich damit auch beruflich als Althistoriker betraf. Dass auch der durchschnittliche Kölner mit dieser frühen Zeit etwas Wichtiges verband, war mir längst klar geworden. Herr vom Stein kam in die Fakultät, stellte sich als Geschäftsführer des Greven-Verlags vor und übergab mir ein Exemplar des von Hermann Kellenbenz herausgegebenen Werks „Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft“, das 1975 in seinem Verlag erschienen war. Die Autoren dieses mehr als 1.100 Seiten umfassenden Werks waren renommierte Historikerinnen und Historiker, vor allem von den Universitäten Köln und Bonn, u. a. Edith Ennen, Otto Doppelfeld, Klara van Eyll, Friedrich-Wilhelm Henning, Franz Irsigler und Hermann Kellenbenz selbst. Herr vom Stein kam sogleich zur Sache und meinte, es sei doch höchste Zeit, für die allgemeine Geschichte Kölns ein ähnliches Werk vorzulegen wie das zur Wirtschaftsgeschichte. Dem konnte man nicht widersprechen. Klar war beiden Gesprächspartnern, dass ein solches Unternehmen im Verbund mit der Stadt durchgeführt werden müsse, nicht zum wenigsten wegen der im Historischen Archiv
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liegenden Materialien. Es kam zu einem Treffen mit dem damaligen Oberbürgermeister der Stadt, Norbert Burger; er war zu dieser Zeit nur der politische Vertreter der Bürgerschaft, nicht auch der Chef der Verwaltung, wie das heute der Fall ist. Das ist deswegen erwähnenswert, weil damit der Zugriff auf die Verwaltung und ihre Lenkung für den Oberbürgermeister weniger leicht erwartbar war, als dies heute rechtlich möglich ist. Das Anliegen wurde vorgetragen, es fand auch Interesse. Doch als es zur entscheidenden Frage kam, was denn die Stadt dazu beitragen könne, um ein solches Unternehmen zu ermöglichen, durch ein finanzielles Engagement oder eventuell durch Freistellung von Mitarbeitern im Archiv der Stadt, da kam eine kurze und sehr klare Antwort: Die Stadt könne dafür nichts tun. Damit war die Sache erledigt, der Versuch gescheitert. Ob andere zu anderen Zeiten ähnliche Vorstöße unternommen hatten, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Idee wurde von ganz anderer Seite wieder aufgenommen. Fast zehn Jahre nach diesem Gespräch mit dem Oberbürgermeister kam es im Herbst 1995 zur Gründung der Historischen Gesellschaft Köln. Diese hat vorher nicht bestanden, obwohl dies oft angenommen wird. Sie entstand aus der Überzeugung von Kölner Bürgern, dass ihre Stadt eine neue, umfassende, wissenschaftlich fundierte Stadtgeschichte bräuchte, und aus dem Frust heraus, dass man als bedeutendste Stadt, zumindest des Rheinlandes, hinter vielen anderen Städten zurückzustehen habe. Unter anderem hatte Düsseldorf seit dem Jahr 1988 eine vierbändige Darstellung seiner Geschichte, herausgegeben von Hugo Weidenhaupt. Solches durfte nicht in alle Ewigkeit so bleiben. So wurde aus dem Kölner Hausund Grundbesitzerverein, vor allem aus dessen Beirat heraus, der Gedanke geboren, einen Verein zu gründen, dessen einziger Zweck es sein solle, eine solche wissenschaftliche Stadtgeschichte zu ermöglichen. Stellvertretend für verschiedene Personen, die bei diesen Überlegungen und der anschließenden Gründung beteiligt waren, sollen Pastor Dr. Winfried Hamelbeck und der Vorsitzende des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins, Hanns Schaefer, genannt werden; beide sind dafür bekannt, dass sie sich auch sonst in die Geschicke der Stadt einmischen, weil sie Bürger dieser Stadt sind. Sie betrachteten es als Glücksfall, dass damals der langjährige Leiter des Historischen Archivs der Stadt Köln, Prof. Dr. Hugo Stehkämper, in Pension gegangen war. Er hatte seit den 1960er-Jahren im Archiv gearbeitet und war von 1969 bis 1994 dessen leitender Direktor gewesen. Mit Stehkämper war derjenige von dienstlichen Verpflichtun-
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gen frei, der wie kein anderer innerhalb des Kölnischen Gemeinwesens dessen Geschichte kannte, der vom frühen Mittelalter bis in das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einen umfassenden Überblick über die Quellen und eine durchdringende Kenntnis der Geschichte der Stadt besaß und der selbst mit seltener Intensität darüber publiziert hatte. Er hatte schließlich auch die Organisation des Neubaus des Historischen Archivs seit 1971 geleitet. Er brauchte nicht lange für das Unternehmen überredet zu werden. Er übernahm zum zweiten Mal die Verantwortung für die Geschichte der Stadt Köln. Die Gesellschaft wurde gegründet, die ersten Mitglieder kamen fast alle aus den Reihen des Haus- und Grundbesitzervereins, d. h. Bürger engagierten sich für ihre Heimatstadt. Zum Präsidenten wurde Oberbürgermeister Norbert Burger gewählt. Er sollte die notwendige politische und moralische Unterstützung innerhalb der Stadt ermöglichen. Das ist auch nach dem Ausscheiden Burgers aus dem Amt so geblieben. Nach dem kurzen Intermezzo von Harry Blum haben auch dessen Nachfolger Fritz Schramma und Jürgen Roters die Präsidentschaft übernommen. Die Mitglieder der Gesellschaft halfen dem Unternehmen vor allem durch ihre finanzielle Unterstützung. Denn wenn eine solche Stadtgeschichte allein von einem Verlag getragen werden müsste, würde am Ende ein prohibitiver Preis stehen; doch die Historische Gesellschaft will es ja gerade erreichen, dass viele zu dieser Stadtgeschichte greifen, um sich über die Vergangenheit dieser Stadt zu informieren und zu sehen, welche Kräfte die Stadt gestaltet haben, was auch heute noch wirksam ist, was mit vielem in der Stadt, was heute noch sichtbar ist, verbunden werden muss. Den Mitgliedern und besonders den Kuratoren der Gesellschaft, die sich zu einem höheren Beitrag verpflichtet haben, kann man nicht genügend dankbar sein für ihr Engagement. Das Gleiche gilt auch für die Kulturstiftung der Kreissparkasse Köln, die sich mit namhaften Beträgen an der Finanzierung beteiligt hat. Die wichtigste Aufgabe von Hugo Stehkämper war es, als Herausgeber ein Konzept für die Stadtgeschichte zu entwerfen, deren äußere und innere Struktur zu gestalten und die notwendigen Autoren zu gewinnen. Denn dass er allein ein solches Unternehmen in Angriff nähme, war für ihn von vorneherein ausgeschlossen. Wer daran mitarbeiten würde, hing entscheidend von der Struktur des Werkes ab. Die neueren Stadtgeschichten, also die nach dem Zweiten Weltkrieg erarbeiteten Werke, waren sehr unterschiedlich angelegt. Manche folgten einer strikten chronologischen Ordnung, andere wurden nach Sachthemen geglie-
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dert, etwa nach Wirtschaft, Bevölkerung, Gesundheitswesen, Religion, Kultur, Schule usw. Manche Stadtgeschichten wurden so am Ende von mehreren Dutzend Autoren abgefasst, was zumindest teilweise zu einer Segmentierung innerhalb eines Gemeinwesens führte, bei dem der Zusammenhang, das Zusammenspiel, die gegenseitige Bedingtheit etwa von Sozial-, Wirtschafts- und Kulturpolitik, kaum mehr erfahrbar war. Solche Stadtgeschichten nehmen fast den Charakter von Lexika an. Stehkämper entschloss sich deshalb zu einem chronologischen Konzept, nach dem die gesamte Geschichte der Stadt in unterschiedlich lange, sich aber vornehmlich aus dem Geschehen der Stadt selbst ergebende Zeitabschnitte gegliedert wurden, natürlich stets im Zusammenhang mit der allgemeinen Geschichte. Das Ergebnis war eine Gliederung in 13 Zeitabschnitte, die jeweils in einem Band dargestellt werden sollten. Nach dieser sachlichen Vorentscheidung wurden auch die Autoren ausgewählt, die ohne Ausnahme sich bereits intensiv mit der Geschichte der Stadt befasst hatten, zum Teil am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karriere in ihrer Dissertation, zum Teil im späteren Verlauf ihrer akademischen oder sonstigen wissenschaftlichen Tätigkeit. Die meisten der im Verlauf des Jahres 1996 gewählten Autoren sind auch heute noch Teil des Teams, nur ein Autor, Everhard Kleinertz, der Nachfolger Hugo Stehkämpers im Archiv, musste aus Gesundheitsgründen ausscheiden. Das Team setzte sich aus dreizehn Personen zusammen, die in der folgenden knappen Übersicht jeweils sogleich mit dem von ihnen bearbeiteten Zeitabschnitt verbunden sind: Band 1: Werner Eck, Köln Köln in römischer Zeit. Geschichte einer Stadt im Rahmen des Imperium Romanum. Band 2: Heribert Müller, Frankfurt am Main Köln im Frühmittelalter. Mitte 5. Jahrhundert–1074/75: Von der fränkischen Epoche zur erzbischöflichen Herrschaft.
Band 3: Hugo Stehkämper, Köln Köln in Hochmittelalter. 1074/75–1288: Entstehung und Aufstieg der bürgerschaftlichen Stadt. Band 4: Wolfgang Herborn, Bonn Köln im Spätmittelalter. 1288–1512/13
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Band 5: Gérald Chaix, Straßburg Köln im Zeitalter von Reformation und Katholischer Reform. 1512/13–1610. Band 6: Hans-Wolfgang Bergerhausen, Würzburg Köln in einem eisernen Zeitalter. 1610–1686 Band 7: Gerd Schwerhoff, Dresden Köln im 18. Jahrhundert. 1686–1794 Band 8: Klaus Müller, Düsseldorf Köln von der französischen zur preußischen Herrschaft. 1794–1815
Band 9: Jürgen Herres, Berlin Köln in preußischer Zeit. 1815–1871 Band 10: Thomas Mergel, Berlin Köln im Kaiserreich. 1871–1918 Band 11: Günther Schulz, Bonn Köln in der Weimarer Zeit. 1918–1933: Kriegsfolgen – Aufbau – Wirtschaftskrise Band 12: Horst Matzerath, Köln Köln in der Zeit des Nationalsozialismus. 1933–1945 Band 13: Werner Schäfke, Köln Köln seit 1945
Bevor der erste Band im Jahr 2004 erschien, wurde nach einer Ausschreibung entschieden, dass die Stadtgeschichte im Greven Verlag in Köln erscheinen solle. Ich denke, dass dies eine kluge Wahl gewesen ist. Die bisher erschienenen Bände zeigen das hohe verlegerische Niveau. Von vorneherein war dem Herausgeber Professor Stehkämper klar, dass die Bände nicht zwingend in chronologischer Reihenfolge erscheinen müssten. Denn fast alle Autoren außer ihm standen damals noch im aktiven Dienst, zumeist an einer Universität, oder an der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin oder im Stadtmuseum in Köln bzw. im Historischen Archiv der Stadt. Gerade das akademische Leben aber bringt oft unerwartete Zwänge mit sich, die es nicht möglich machen, sich in voller Konzentration mit einer komplexen Thematik, wie es eine umfassende Stadtgeschichte notwendigerweise darstellt, auseinanderzusetzen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Gérald Chaix, der den Band „Köln im Zeitalter von Reformation und
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Katholischer Reform. 1512/13–1610“, bearbeitet, war, als er den Auftrag übernahm, an der Universität Tours als Professor tätig. Seit seiner Dissertation hatte er sich mit der Thematik von Reformation und Gegenreformation im Rheinland und speziell in Köln befasst; er war auch Ende 1999 schon recht weit mit seinem Manuskript. Doch dann wurde er von Paris aus mit der Leitung des gesamten Erziehungssektors, vom Kindergarten bis zur Universität, zunächst im Elsass, dann in den Pays de la Loire mit Sitz in Nantes betraut; dieser Job ist vielleicht mit einem Schulminister in einem deutschen Bundesland vergleichbar; dass ihm diese Tätigkeit wenig Zeit für wissenschaftliche Arbeit lässt, kann man recht leicht ermessen. Ebenso ist es höhere Gewalt, dass Günther Schulz von der Bonner Philosophischen Fakultät zum Dekan gewählt wurde. Eine große Fakultät, zumal im Zeichen von Bologna und Exzellenzinitiative zu leiten, ist mindestens ein Full-time-Job, sodass sein Band „Köln in der Weimarer Zeit. 1918–1933: Kriegsfolgen – Aufbau – Wirtschaftskrise“ nicht in dem von ihm gedachten Zeitraum fertig gestellt werden kann. Ich betone diese Zwänge, denen manche Autoren unterliegen, weil es natürlich vor allem für Mitglieder der Historischen Gesellschaft, aber auch für viele an der Kölner Geschichte Interessierte enttäuschend sein kann, dass mehr als 13 Jahre nach Beginn des Unternehmens bisher nur drei Bände der Stadtgeschichte erschienen sind. Das sind im Jahr 2004: W. Eck, „Köln in römischer Zeit. Eine Stadt im Rahmen des Imperium Romanum“ und bereits ein Jahr später, 2005, der Band von Klaus Müller von der Universität Düsseldorf „Köln von der französischen zur preußischen Herrschaft. 1794–1815.“ Im Herbst 2009 erschien Band 12 „Köln in der Zeit des Nationalsozialismus. 1933–1945“. Der Autor ist Horst Matzerath, der lange Jahre das NS-Dokumentationszentrum der Stadt geleitet hat. Was die Zeit des Nationalsozialismus für Köln bedeutet, in welchen Formen sich dessen Herrschaft etablierte, welche Methoden seine Anhänger anwandten, das zeigt er mit eindringender Intensität in Wort und Bild. Alle Lebensbereiche werden dargestellt. Besonders die vier Kapitel über 8: Rassismus und rassistische Verfolgung, 9: Kölner Juden unter dem Nationalsozialismus, über diejenigen, die sich zwischen Widerstand und Anpassung bewegten, 10: Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus, und schließlich 11: Köln im Zweiten Weltkrieg,
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hinterlassen ein bedrückendes Gefühl. Doch zahlreiche lieb gewordene Kölner Mythen, etwa von ihrem besonderen Widerstandsgeist, den die Kölner in ihrer Mehrheit weit stärker gezeigt hätten als die Bewohner anderer Städte, diese Vorstellungen entlarvt der Autor. Gleichzeitig führt er die Leser an konkrete Lebensschicksale in der rheinischen Metropole heran, an die der Täter und „Mitläufer“, vor allem aber der zahllosen Opfer. Es ist eine ebenso sachliche, wie bedrückende Studie über diese Stadt, unterstützt durch zahlreiche Abbildungen. Drei Bände der Stadtgeschichte sind somit bisher erschienen. Wären sie auch so geschrieben worden, wenn das Archiv bereits im Jahr 2004 eingestürzt wäre? Was geschieht mit den Bänden, die im Augenblick am weitesten ausgearbeitet, aber noch bei weitem nicht fertig gestellt sind? Als sich die Nachricht vom Einsturz des Archivs im Laufe des 3. März verbreitete, wurde, wie eingangs gesagt, von manchen Seiten geäußert, die Geschichte Kölns sei damit am Ende, wobei die Forschung zur Geschichte Kölns, die Darstellung seiner Vergangenheit mitgedacht war. Inzwischen wird – und zu Recht – die Lage anders gesehen, die Fragen werden anders gestellt. Zum einen geht es noch darum, wie viel von den noch nicht geretteten Materialien, die im Untergrund liegen, vermutlich zum größeren Teil im Wasser, noch gerettet werden können. Das ist sicher auch eine Frage der Finanzen. Doch nach alldem, was von Seiten der Stadt im Kontext des U-Bahn-Baus versäumt wurde, sollte dies gar nicht diskutiert werden, es darf nicht wieder ein fundamentaler Fehler gemacht werden. Die Forderung heißt: Alle Dokumente, die gerettet werden können, sind zu retten. Denn selbst wenn diese z. B. für die aktuelle Erarbeitung der Kölner Stadtgeschichte nicht absolut dringend sein sollten – was im Augenblick noch niemand wirklich sagen kann – dann muss für zukünftige Forschungen das dokumentarische Material möglichst umfassend bewahrt oder, wie in diesem Fall, wiedergewonnen werden. Der zweite sehr wichtige Aspekt betrifft jedoch die Zugänglichkeit des geborgenen Materials. Das betrifft allgemein die Forschung, nicht zum wenigsten diejenigen Studierenden, die z. B. Magisterarbeiten zu Kölner Themen anfertigen oder ihre Dissertation aus der stadtkölnischen Geschichte genommen haben. Die Zahl solcher Arbeiten allein an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln ist beträchtlich. Doch dieser Aspekt betrifft ebenso die Autoren der Stadtgeschichte. Es ist mehr als erleichternd zu hören, dass bereits weit mehr als 85 Prozent der Materialien oder sogar etwas mehr aus dem eingestürzten Gebäude gerettet
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werden konnten. Ferner sind die Mikrofilme vorhanden, auf denen fast die gesamten schriftlichen Unterlagen bis zum Jahr 1815 festgehalten sind. Man muss nicht einmal auf die Mikrofilme zurückgreifen, die – 250 Meter von Gneis überdeckt – im Stollen Barbara eines früheren Zinkbergwerks am Schauinsland bei Freiburg deponiert sind. Zu dem Thema Mikrofilme und Digitalisierung siehe den Beitrag von Andreas Berger in diesem Band. Mit diesen Duplikaten wäre die Geschichtsforschung für einen großen Teil der reichsstädtischen Zeit bis 1794 und in Teilen für das 19. Jahrhundert schon kurzfristig wieder ermöglicht, auch wenn die Filme nicht von erstklassiger Qualität sein sollen. Das erste Entsetzen nach dem Einsturz des Archivs konnte vom Verlust der Kölner Geschichte sprechen. Das war zwar angesichts der Katastrophe mehr als verständlich, sachlich aber war es selbst am 3. März nicht zutreffend. Zahlreiche Städte haben in Kriegszeiten oder vor allem durch große Stadtbrände ihre Archive oder zumindest große Teile des archivarischen Bestandes verloren. Dennoch wurde ihre Geschichte dargestellt. Vieles ließ sich in diesen Fällen auf andere Weise, auch von außen her zurückgewinnen. Das gilt auch für Köln. Das bereits initiierte Digitale Archiv mag in unserem Fall eine solche Hilfe sein. Um ein Beispiel aus meiner eigenen wissenschaftlichen Periode zu geben: Am 21./22. Dezember 69 n. Chr. wurde Rom von den Truppen Vespasians angegriffen, wo sich Kaiser Vitellius mit dem Rest seiner Armee verschanzt hatte. Der Angriff der flavischen Truppen war erfolgreich, aber der gesamte Kapitolshügel ging in Flammen auf. Nicht nur der monumentale Tempel des Iupiter Optimus Maximus wurde zerstört, auch zahllose Urkunden wurden vernichtet, einmal im Tabularium, also im Archiv der res publica populi Romani, aber auch solche, die auf dem gesamten Kapitolshügel auf Bronzetafeln ausgestellt waren, vor allem Bürgerrechtsdekrete, die dort offiziell an den Mauern von Gebäuden und Monumenten publiziert worden waren. Vespasian, ein sehr nüchtern denkender Mann, der vor allem sehr auf die Finanzen achtete und jede Möglichkeit zur Erhöhung der Steuereinnahmen nutzte – er ist der Kaiser, der wegen Tadels an der Urinsteuer seinem Sohn entgegnete: pecunia non olet = Geld stinkt nicht – schrieb dennoch diese Urkunden nicht einfach ab, vielmehr gab er den Befehl, Abschriften von rund 3.000 Dokumenten aus dem gesamten Reich zu sammeln, die sodann wieder in Rom auf Bronzetafeln übertragen und soweit möglich an ihren ursprünglichen Publikationsorten erneut zugänglich gemacht wurden. Was mit den einfachen Mitteln der damaligen
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Zeit wiedergewonnen werden konnte, sollte mit unseren modernen Methoden und unseren technischen Möglichkeiten ebenfalls machbar sein. Es sollte möglich sein, dass am Ende der große oder sogar größte Teil des Bestandes des Historischen Archivs wieder vorhanden ist, und zwar schneller, als es im Augenblick den Anschein hat. Für die Geschichtsschreibung ist aber vor allem von Bedeutung, dass – bei aller Bedeutung des Historischen Archivs – die Überlieferung zur Geschichte Kölns nicht allein auf dessen Beständen beruht. Man braucht ja nur auf das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv zu verweisen, auf das erzbischöfliche Archiv oder die Bestände der Universitäts- und Stadtbibliothek. Und an zahllosen anderen Orten liegen weitere wertvolle Informationen. Ein zufälliger Hinweis, der im Kontext des Bandes der Stadtgeschichte über die NS-Zeit aufgetaucht ist, mag das zeigen. Im Römisch-Germanischen Museum sind Aufzeichnungen darüber erhalten, dass an NS-Größen historische Objekte als Geschenk gegeben werden mussten, die zur Sammlung Diergardt gehörten, der bedeutendsten Sammlung völkerwanderungszeitlicher Kunst, die vor allem fränkischen Schmuck umfasste. Diese Sammlung war durch Freiherrn Johannes von Diergardt, einen Nachkommen von Friedrich von Diergardt, des rheinischen Großindustriellen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auf Burg Bornheim aufgebaut worden. Sie umfasste rund 8.000 Objekte. 1935 gelang es dem damaligen Direktor der Römischen Abteilung des Wallraf-Richartz-Museums, Fritz Fremersdorf, diese Sammlung für seine Abteilung zu erwerben, die daraufhin in Römisch- und Germanische Abteilung umbenannt wurde. Der Erwerb der Sammlung geschah in Konkurrenz zu Heinrich Himmler, der sie aus ideologischen Gründen für die SS nach Berlin holen wollte. Das konnte verhindert werden. Nicht zu verhindern war freilich, dass das Museum Gegenstände aus dieser Sammlung verlor – eine Erscheinung, die auch andere Abteilungen des Wallraf-Richartz-Museums betraf. Immer wieder mussten als Tribut an NS-Größen einzelne Objekte abgegeben werden, zumeist auf Anfrage oder Druck durch den damaligen Oberbürgermeister. So verließen am 10. Januar 1938, auf Weisung und Rechnung des Oberbürgermeisters, silbervergoldete Bügelfibeln den Bestand des Museums. Sie gingen an Hermann Göring, ebenso im Januar 1939 eine Bronzeschnalle und ein etruskischer Spiegel, nachdem er bereits am 14. Januar 1936 ein Beil, einen Dolch und Pfeilspitzen als Geschenk erhalten hatte. Auch andere NS-Führer wurden aus der Sammlung bedacht, so Himmler im Oktober
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1940, als ihm eine Speerspitze und ein Kurzschwert überreicht wurden, für Alfred Rosenberg wurde am 30. Dezember 1941 eine bronzene Gürtelschnalle im Wert von 1.000 Mark bereitgestellt. Immerhin hat Fremersdorf es geschafft, dass keine besonders wertvollen und einmaligen Objekte den NS-Größen ausgeliefert werden mussten. Es braucht kaum betont zu werden, dass ungeheure Mengen an Archivalien an anderen Orten liegen, die für die Rekonstruktion stadtkölnischer Geschichte Wichtigstes beitragen, manchmal sogar das Entscheidende. Dokumente aus dem Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf wurden von Klaus Müller für seinen Band über die Franzosenzeit natürlich herangezogen, ebenso wie all das, was im Pariser Nationalarchiv vorhanden ist. Gerade die Zeit von 1815 bis zum Ende der Weimarer Republik, als das Rheinland und Köln Teil des Preußischen Staates war, kann ohne die Archive in Berlin und Düsseldorf nicht geschrieben werden. Siehe dazu auch den Beitrag von Ulrich S. Soénius in diesem Band. Die Autoren der Stadtgeschichte wissen um den Verlust, der durch den Einsturz des Archivs entstanden ist. Das ist unter zweifachem Aspekt zu sehen: Zum einen wird vieles nicht so rechtzeitig wieder zugänglich sein, wie es für ihre Arbeit nötig wäre, zum andern gibt es sicherlich auch bleibende Verluste. Allerdings betrifft es die einzelnen Bände keineswegs gleichmäßig. Auf meine Nachfrage bei den Autoren, wie ihre Arbeit an der Stadtgeschichte von der Katastrophe betroffen werde, erhielt ich sehr unterschiedliche Antworten, wie es auch fast zu erwarten war. Generell lässt sich sagen: Je weiter zurück ein Band in die Geschichte geht, desto weniger ist jedenfalls der Fortgang der Stadtgeschichte betroffen. Von den ersten 500 Jahren der Kölner Geschichte unter römischer Herrschaft ist hier nicht mehr zu sprechen, da dieser Band erschienen ist; im übrigen sind auch jetzt Arbeiten zu dieser Zeit nicht von der Katastrophe des Archivs betroffen, da alle auf diese Zeit bezüglichen Quellen entweder publiziert sind oder im Römisch-Germanischen Museum bzw. in Museen anderer Städte lagern. Nicht betroffen ist auch das Frühmittelalter, also der Band, den Heribert Müller schreiben soll. Denn alles, was aus dieser quellenarmen Zeit überlebt hat, ist publiziert. Es sind ohnehin zumeist Geschichtswerke wie die von Gregor von Tours, Reichsannalen oder Heiligenviten wie beispielsweise Ruotgers Lebensbeschreibung des Erzbischofs Bruno von Köln. Eigentliche Urkunden sind für diese frühe Zeit noch selten und
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eben wegen ihrer Seltenheit bereits publiziert. Ein totaler Verlust für manche Aspekte, jedenfalls hinsichtlich der Fakten, konnte da gar nicht eintreten. Neue Quellen aber kommen für das 5. bis 11. Jahrhundert vor allem von der Stadtarchäologie, die Einblicke in Lebensbereiche erlaubt, die bisher völlig unbekannt waren. Eine fundamental neue Einsicht ergaben so z. B. die Grabungen auf dem Altermarkt und dem Heumarkt: Das Gelände der Rheininsel, also die Rheinvorstadt, ist nicht erst im 10. Jahrhundert ein Teil der Stadt geworden, sondern bereits seit dem Beginn des 4. Jahrhunderts in den ummauerten Stadtbereich integriert. Handwerkerbereiche und ihre Produkte können erschlossen werden, u. a. Glasproduktion innerhalb der Mauern; die mittelalterliche Archäologie erschloss z. B. eine 16.000 Quadratmeter große, rechteckige Freifläche auf dem Heumarkt. Diese wurde, wie die Grabungen gezeigt haben, sehr systematisch und planmäßig angelegt, wohl im Jahr 957 oder kurz danach, und diente offensichtlich der Abhaltung von Märkten. Die Maßnahme muss vom damaligen Erzbischof Bruno veranlasst worden sein. Den nachfolgenden 3. Band „Köln im Hochmittelalter. 1074/75– 1288: Entstehung und Aufstieg der bürgerschaftlichen Stadt“, hat Hugo Stehkämper als damaliger Herausgeber selbst übernommen. Dieser Band ist ein Herzstück der gesamten Stadtgeschichte, denn in dieser Zeit wurden fast alle Grundlagen politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Art geschaffen, die dann über Jahrhunderte hinweg den Rang der Stadt begründen. Für diese Zeit setzt auch die urkundliche Überlieferung ein. Von besonderer Bedeutung sind die 86 Schreinskarten und 514 Schreinsbücher, von denen 294 aus der Zeit vor dem Jahr 1500 stammen. Durch sie werden Grundstückgeschäfte bezeugt, vor allem Käufe, Vererbungen, Teilungen, Schenkungen, Verpfändungen sowie die Übertragung von dinglichen Rechten; sie sind also eine Art Grundbuch der Stadt, ohne dass freilich der gesamte Grundbesitz damit erfasst worden wäre, da nur dann eine Eintragung erfolgte, wenn es zu einem Rechtsakt kam. Ohne diese Akten wären jedenfalls die Einblicke in die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt in detaillierter Form kaum möglich. Auch diese Schreinsakten waren vom Einsturz betroffen, sie scheinen sämtlich überlebt zu haben, doch wann wären sie wieder zugänglich? Hugo Stehkämper hatte sich, soweit diese Akten nicht schon publiziert waren, Abschriften und Kopien aller dieser Urkunden schon lange vor der Katastrophe besorgt, ebenso wie von anderen Archivalien, die seine Zeit betreffen. Welch detaillierte Aussagen diese zu den inneren Verhältnissen
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der Stadt im Gegensatz zu den historiographischen Quellen erlauben, zeigt die Auswertung, die er vor zwei Jahren in einem umfangreichen Werk „Bürger und Kirchen in Köln im Hochmittelalter“ gegeben hat. Das kann hier auch nicht annäherungsweise beschrieben werden. In der Stadtgeschichte wird die Analyse ihren Niederschlag finden, ebenso in 13 Karten, in die er alle Angaben über Grundbesitz in den einzelnen Sondergemeinden der Stadt übertragen hat. Die Karten sind ausgearbeitet und werden in absehbarer Zeit gedruckt werden. Wäre diese Überlieferung vor der Auswertung vernichtet worden, wären ganze Segmente der Geschichte der Stadt des hohen Mittelalters ausgelöscht gewesen. Je näher wir der Neuzeit kommen, desto wichtiger werden die seriellen Urkunden, d. h. Dokumente eines Typs, die jeweils nur ein einzelnes Element des städtischen Lebens überliefern, das als solches historisch nicht weiter von Relevanz ist; wenn man jedoch die einschlägigen Dokumente in ihrer Gesamtheit auswertet, ergeben sie zumindest tendenzielle Aussagen, oft aber eine sichere statistische Basis für historische Aussagen. Das betrifft etwa die Zusammensetzung des Rats, die Zugehörigkeit zu verschiedenen Familien des Patriziats oder der Gaffeln. Später kommen Heiratsurkunden und Sterberegister hinzu und unendlich anderes vielfältiges Material. Selbst als grober Überblick kann das nicht angeführt werden. Es sei wiederum nur auf ein Beispiel verwiesen, auf das Wolfgang Herborn für das 14. und 15. Jahrhundert aufmerksam machte. Für die Geschichte der frühen Universität liegt das fundamentale Werk unseres Fakultätskollegen Erich Meuthen vor. Allerdings hat er in diesem Band die Studenten als Gruppe nur partiell behandeln können. Da es aber z. B. für die Attraktivität der Stadt in der damaligen Zeit von hoher Aussagekraft ist, aus welchen Gegenden Deutschlands bzw. Europas die Studierenden kamen, ist eine Auswertung der Universitätsmatrikel von Nöten, die noch zu leisten ist. Ob die dafür nötigen Dokumente alle im Original erhalten blieben, muss erst noch geprüft werden. Sie sind auf jeden Fall in verfilmter Form erhalten. Alle Autoren, die die Geschichte der Stadt bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts bearbeiten, sind damit, soweit sie die Archivalien nicht schon eingesehen haben, in der Lage, auf diese Unterlagen zurückzugreifen, allerdings mit einer Einschränkung: Wenn alles direkt aus den unpublizierten Akten gewonnen werden müsste, dann würden nur die jüngeren Kölner einen dieser Bände je zu Gesicht bekommen. Denn die Masse der Quellen nimmt seit dem 14. Jahrhundert sprunghaft zu. Jeder Autor ist auf Vorarbeiten an-
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gewiesen – und es gibt für viele Bereiche umfassende und verlässliche Quellenausgaben und Auswertungen. Der einzelne Autor eines Bandes der Stadtgeschichte muss also eine kluge Auswahl treffen, welche Teile der noch unbearbeiteten Archivalien so wichtig sind, dass er sie noch selbst untersuchen muss. Da werden sicher im einen oder anderen Fall Probleme auftreten, wenn Akten zwar gerettet, aber nicht zugänglich sind. Doch öfter muss ein Autor auch aus Gründen der Zeitökonomie auf die Durcharbeitung von großen Archivbeständen verzichten. Ich will nur auf den Band über das 17. Jahrhundert von Hans-Wolfgang Bergerhausen verweisen. Er hat bereits wesentliche Kapitel geschrieben und es ist zu erwarten, dass sein Band nach dem Werk von Horst Matzerath über die NS-Zeit erscheinen wird. Bergerhausen hat den Archiv-Bestand „Köln und das Reich“ für seinen gesamten Untersuchungszeitraum 1610 bis 1686 (und auch etwas weiter) komplett durchgearbeitet, also einen zentralen Bestand des Stadtarchivs, der es ermöglicht, einen umfassenden, zuverlässigen Überblick über die Entwicklungslinien und Probleme der Kölner Stadtgeschichte in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs und danach zu gewinnen. Ferner hat er die Archivbestände „Ratsprotokolle“, „Verfassung und Verwaltung“, „Köln contra Köln“, „Hanse“, „Briefbücher“, und zwar die „Ausgänge“ sowie das „Haupturkundenarchiv“ durchgesehen. Er hat auf diese Weise, jedenfalls für die politische Geschichte der Stadt in dieser Zeit, eine äußerst solide Quellenbasis erschlossen, alles bereits erarbeitet vor dem Einsturz des Archivs. Was die Wirtschaftsentwicklung angeht, so sind nach seiner eigenen Aussage Abstriche zu machen. Denn die Handels- und Zunftakten konnte er nicht in größerem Umfang durchsehen, da dies in einem angemessenen zeitlichen Rahmen nicht zu leisten gewesen wäre. Da wird er auf die schon erarbeiteten wirtschaftshistorischen Werke zurückgreifen müssen, etwa die von Gertrud Susanna Gramulla und ergänzende, auch außerkölnische wirtschaftshistorische Literatur. Das ist solides, aber auch pragmatisches Arbeiten im Interesse einer Vollendung der Stadtgeschichte. Ähnliche Aussagen erhielt ich auch von anderen Autoren. Gerd Schwerhoff, der das 18. Jahrhundert bearbeitet, eine Zeit relativer Stagnation in Köln, schrieb so, dass der Einsturz des Kölner Stadtarchivs für den Fortgang des Bandes ein ernsthaftes Hindernis, aber sicher keine unüberwindliche Barriere bedeutet. Denn er muss in größerem Umfang serielle Quellen bearbeiten, wie z. B. die Ratsbücher. Diese sind freilich
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verfilmt und damit prinzipiell zugänglich. Da geht es, wie schon einmal gesagt, darum, wie die Nutzungskonditionen derzeit und in naher Zukunft sein werden. Vieles hat auch Schwerhoff bereits gesichtet – der Vortrag über die Kriminalität hat das gezeigt. Schwierig steht es, so seine Aussage, mit gemischten Überlieferungen, wie z. B. den Zunftakten. Diese sind wohl prinzipiell auch auf Film zugänglich, aber dort viel schwieriger benutzbar als die Originale, weil eine Durchsicht des ganzen Materials schwierig ist, eine punktuelle Benutzung aber eben am Original viel besser und zeitsparender bewerkstelligt werden kann. Er wird deshalb zunächst Arbeit an anderem Material als an Kölner Archivquellen vorziehen, zweitens serielle Quellen auf Film sichten und drittens auch abwägen, was von dem anderen Material unbedingt notwendig und was verzichtbar ist. Eine solche Entscheidung ist sicher durch den Einsturz des Archivs mitbedingt, aber die Frage hätte sich auch sonst gestellt, weil die Menge der vorhandenen Archivalien bereits für das 18. Jahrhundert so groß ist, dass nur eine kluge Auswahl eine Fertigstellung des jeweiligen Bandes erlaubt. Cum grano salis gilt dies auch für die Autoren der nachfolgenden Bände. Jürgen Herres etwa betonte, dass es sich in seinem Band deutlich bemerkbar machen werde, wenn er keine weiteren Nachlässe mehr werde einsehen können. Der Einsturz des Archivs werde seine Arbeit erheblich einschränken, aber wahrscheinlich nicht entscheidend behindern. Thomas Mergel machte darauf aufmerksam, dass von den noch vorhandenen Unterlagen der Stadtverwaltung Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Jahr 1918 viele Bestände noch überhaupt nicht von der Forschung bearbeitet seien, etwa Gesundheit und Hygiene, Wohnverhältnisse usw. Das wird jetzt nicht aufzuholen sein. Auf der anderen Seite habe man bisher viel zu wenig, zum Teil überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, dass es zur Kölner Stadtgeschichte im Kaiserreich auch wichtige Bestände in Düsseldorf und Berlin gibt. Auf sie werde er sich stärker stützen als geplant. Dann wird man auch mehr zum Verhältnis zu Preußen und zum Reich erfahren. Schließlich sei noch Günther Schulz erwähnt, der die Weimarer Republik bearbeitet. Gerade für diese Zeit sei die archivarische Überlieferung per se ungünstig; für seinen Band komme das Material aus dem Historischen Archiv der Stadt insofern meist nur ergänzend in Frage – mit Ausnahme des Adenauer- und des Billstein-Bestands. Erneut also ein sowohl als auch. Umgekehrt kommen für Werner Schäfke für die Zeit nach 1945 die Probleme eher aus der Informationsfülle, weniger aus
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dem Mangel oder dem Verlust an Quellen. Dennoch werden ihm vielleicht wichtige Verwaltungsakten, die im Archiv vorhanden, aber nicht zugänglich sind, für seinen Band fehlen. Nach dem ersten Schock durch die Katastrophe des Einsturzes sind dies partiell optimistische Stimmen: Die Darstellung der Geschichte der Stadt kann und wird weitergehen, aber – es bedarf nunmehr schneller Maßnahmen, um zumindest das zugängliche Archivgut, das originale und das verfilmte, wieder für die Arbeit zur Verfügung zu stellen. Archivleitung, vor allem aber die städtische Verwaltung, an der Spitze der Oberbürgermeister, der gleichzeitig Präsident der Historischen Gesellschaft ist, müssen diese Möglichkeiten schaffen. Ein Provisorium ist nicht optimal, doch wenn es Quellen zugänglich macht, ist das eine Chance. Diese sollte die Stadt nutzen. Prof. Dr. Werner Eck, em. Professor für Alte Geschichte am Historischen Seminar der Universität zu Köln
Forschungen zur rheinischen Geschichte Der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln ist gerade für die Rheinische Landesgeschichte eine Katastrophe. Diese lapidare Feststellung lässt sich durch nichts relativieren oder verniedlichen. Nach den Düsseldorfer Beständen des Landesarchivs NRW stellt das Kölner Stadtarchiv das größte Quellenreservoir für die Erforschung der Geschichte des nördlichen Rheinlands vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart dar. Weder die Umwälzungen der Franzosenzeit zwischen 1794 und 1815 noch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs haben die Stadt Köln in vergleichbarem Ausmaß der Medien ihres geschichtlichen Erinnerns beraubt, wie es der Archiveinsturz durch unwiederbringliche Verluste von Archivalien durch Zerstörung oder durch lange währende Benutzungseinschränkungen infolge von Störungen der archivischen Ordnung und Erschließung oder von Restaurierungsbedarf zu bewirken droht. So niederschmetternd die Katastrophe auch ist, sie darf nicht Anlass sein für das Vergießen von Krokodilstränen angesichts von nun vereitelten Forschungsmöglichkeiten, denn man kommt um eine zweite nüchterne Feststellung nicht herum: Die Bestände des Historischen Archivs sind gerade in letzter Zeit keineswegs ihrer Bedeutung und ihrem Potential entsprechend von der historischen Forschung allgemein und von der rheinischen Landesgeschichtsforschung im Besonderen genutzt worden. Darüber können die Dissertationen und anderen Arbeiten, denen der Archiveinsturz unverzichtbare Quellen entzogen hat, nicht hinwegtäuschen. Das Schicksal der Nachwuchshistoriker, die am 3. März 2009 in einigen Fällen vor den Trümmern ihres akademischen Lebensentwurfs standen, ist von verschiedenen Seiten thematisiert worden. Die Betroffenen verdienen alle Unterstützung, die man ihnen zukommen lassen kann. Die digitale Plattform „Das digitale Historische Archiv Köln“ bietet ihnen die Möglichkeit, ihre Anliegen an die Öffentlichkeit zu tragen. Die Bereitstellung von Archivalienreproduktionen durch frühere Archivbenutzer, die für die nächste Zukunft geplante Einstellung der digitalisierten Sicherungsfilme und die nachfolgende Online-Präsentation von Digitalisaten von geborgenen Archivalien werden diese digitale Plattform mit ihren Web 2.0-Anwendungen zum Pionierprojekt eines modernen Zugangs zu den Kölner Archivschätzen ausbauen. Mit dem Hinweis auf
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diese ermutigenden Perspektiven möchte ich es an dieser Stelle bewenden lassen und nicht näher auf gefährdete Projekte eingehen. Ich möchte vielmehr die oben aufgestellte Behauptung begründen, das Historische Archiv der Stadt Köln sei von der universitären Forschung nicht seiner Bedeutung entsprechend genutzt worden. Dafür lassen sich meines Erachtens allgemeine und spezifische Gründe angeben. Eine nicht wegzudiskutierende Tatsache ist ein schleichender Schrump fungsprozess der Landesgeschichte an den deutschen Universitäten, der seit längerem beklagt wird. Die Ausdifferenzierung der universitären Geschichtswissenschaft in den 1970er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, der zahlreiche Lehrstühle für historische Teildisziplinen ihre Errichtung verdankten, droht angesichts einer zunehmenden Reduzierung des geschichtswissenschaftlichen Lehrstoffs auf zentrale Inhalte im Zuge der Einführung von Bachelor-Studiengängen in eine Gegenbewegung umzuschlagen, die zur Abschaffung von spezialisierten Lehrstühlen führt, die nicht aktuelle Modetrends bedienen. Die Landesgeschichte, die seit den 1970er-Jahren einen zeitweise von heftigen Kontroversen begleiteten Transformationsprozess durchgemacht hat, zählt, um es gelinde auszudrücken, nicht zu den Gewinnern der Umstrukturierungen der geschichtswissenschaftlichen Institute an den deutschen Hochschulen. Auch im rheinischen Teil von Nordrhein-Westfalen ist kein Überangebot an landesgeschichtlichen Forschungskapazitäten auszumachen. An der Universität zu Köln gibt es keinen landesgeschichtlichen Lehrstuhl. Allerdings hat die Landesgeschichte dort im Historischen Seminar II einen beachtlichen Stellenwert. In Düsseldorf ist nur die neuere Landesgeschichte im Verbund mit der neuesten Geschichte im Lehrstuhl VI verankert. In Duisburg besteht seit 1998 das Institut für niederrheinische Kulturgeschichte und Regionalentwicklung, das (so die Selbstdarstellung im Netz) es als seine Aufgabe ansieht, „die interdisziplinäre und überregionale Zusammenarbeit im Bereich der Forschung zur Sprache, Kulturgeschichte und Regionalentwicklung des niederrheinischen Raums und seiner Nachbargebiete von den Anfängen bis zur Gegenwart zu fördern“. Nur die Abteilung für Rheinische Landesgeschichte des Instituts für Geschichtswissenschaft der Bonner Universität, hervorgegangen aus dem Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, erhebt den Anspruch, die rheinische Geschichte in europaweit vergleichender Perspektive vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart epochenübergreifend in Forschung und Lehre zu vertreten. Ob auch südlich der
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Landesgrenze in Trier in Zukunft ein ähnlich ausgerichteter Lehrstuhl besetzt werden wird, vermag ich derzeit noch nicht abzusehen. An der Universität Mainz gibt es im Historischen Seminar eine Abteilung für Mittlere und Neuere Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte sowie seit 1960 ein Institut für Geschichtliche Landeskunde. Die Rheinische Landesgeschichte steht insgesamt auf einem schmalen Fundament. Entsprechend klein ist die Zahl der Nachwuchswissenschaftler, die es riskieren, sich diesem Fach zu verschreiben, wobei natürlich einzuräumen ist, dass auch Doktoranden „außerrheinischer“ deutscher und ausländischer Universitäten rheinische Themen bearbeiten. Immer wieder kommen insbesondere japanische Studierende nach Bonn, um in die Landesgeschichte eingeführt zu werden. Derzeit arbeitet dort ein japanischer Doktorand über die Kölner Barbierzunft. Es ist sowohl für die deutsche Landesgeschichtsforschung als auch für die Stadt Köln von großer Bedeutung, dass solche internationalen Kontakte nicht abreißen. Die Stadtgeschichte ist ein facettenreiches Teilgebiet der Landesgeschichte. Ihre Erforschung hat in Bonn große Tradition, die sich auf das Werk Edith Ennens berufen kann, aber bis in das späte 19. Jahrhundert zurückreicht. Köln hat aufgrund seiner reichen Quellenüberlieferung von jeher im Zentrum der rheinischen Stadtgeschichtsforschung gestanden. Jede Generation hat ihre Fragen an das historische Phänomen Stadt mit Vorliebe an die Kölner Quellen gerichtet. Es wäre fatal, wenn dieser Weg für die Forschung auf längere Zeit versperrt bliebe. Man mag mit einigem Recht einwenden, dass eine große Stadt (um nicht zu sagen Großstadt) wie Köln nicht in jeder Hinsicht als Modell der deutschen Stadt taugt. Es würde nicht schaden, wenn Aachen, die aus historischer Perspektive zweitgrößte Stadt der Region, von der Forschung stärker wahrgenommen würde oder wenn die vielen kleineren rheinischen Städte mehr Beachtung fänden. Für eine solche Akzentverschiebung lassen sich nicht nur kurzfristige taktische Gründe ins Feld führen, sondern auch gewichtige Sachargumente, denn die Geschichte der deutschen Stadt ist aus quantitativer Sicht eine Geschichte kleiner und mittlerer Städte, die im Schatten der großen Städte zu Unrecht wenig wahrgenommen werden. Dennoch darf Köln nicht aus dem Gesichtsfeld der landesgeschichtlichen Forschung verschwinden, ganz einfach weil – wie oben schon gesagt – es um die Erforschung der Kölner Stadtgeschichte aufs Ganze gesehen gar nicht so gut steht, wie man annehmen könnte.
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Dass dem so ist, liegt in nicht geringem Maße an der Struktur des Kölner Quellenmaterials, die eine überwiegend serielle ist. Auf den seriellen Charakter des frühneuzeitlichen Schriftguts geht Gerd Schwerhoff in seinem Beitrag zum vorliegenden Band näher ein. In Köln setzen die Schriftgutserien aber schon im Mittelalter ein. Grundsätzlich ist es, auch nach dem Archiveinsturz, um die Möglichkeiten zur weiteren Erforschung der mittelalterlichen Kölner Stadtgeschichte relativ am besten bestellt. Ein großer Prozentsatz der Quellen liegt in Editionen vor. Darüber hinaus sind mit wenigen Ausnahmen alle Archivalien verfilmt und damit in Kürze zumindest wieder in elektronischer Form zugänglich. Auf die Sicherungsfilme ist die Forschung für die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts und vor allem für das 15. Jahrhundert angewiesen. Im 14. Jahrhundert setzt die Brief- und Briefbuchüberlieferung ein, zu der im 15. Jahrhundert weitere Quellengattungen hinzutreten. Schon im frühen 13. Jahrhundert wurden die ersten Schreinsbücher (oder genauer gesagt deren älteste Bestandteile in Form von losen Lagen) angelegt. Der schlechte Erschließungszustand der Schreinsbücher ist sicher mit dafür verantwortlich, dass, im Gegensatz zu Trier oder Münster, bislang kein einziges Kölner Stift oder Kloster für die Reihe der Germania Sacra bearbeitet worden ist. Allerdings hat Klaus Militzer mit der Veröffentlichung der Namen der in den Schreinsbüchern bis 1.500 belegten Männer und Frauen geistlichen Standes in der Reihe der Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln gezeigt, dass der Beitrag dieser Aufzeichnungen zur Erstellung des Personalteils der Stifts- und Klostermonographien nicht so groß ist, wie man häufig vermutet hat. Der schlechte Erschließungszustand der Schreinsbücher hat allgemein deren systematische Auswertung für die Kölner Sozialgeschichte bislang auf breiter Front vereitelt, und es wird unter den nunmehr erschwerten Bedingungen innovativer Ansätze bedürfen, um diesen einmaligen Quellenbestand stärker in die noch zu leistende Erforschung der Kölner Kulturgeschichte einzubeziehen. Unsere Kenntnis der Veränderungen innerhalb der städtischen Gesellschaft im Laufe des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit ist nämlich nach wie vor unbefriedigend. Noch nicht einmal die exklusive Gruppe der 15 Geschlechter, die die Stadt bis 1396 beherrschten, ist aktuellen Ansprüchen nach genügend erforscht, wenn auch gute Vorarbeiten von Wolfgang Herborn und Klaus Militzer vorliegen. Es gibt noch keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Liste der Ratsherren für die Zeit von 1396 bis 1797. Die gesellschaftliche
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Entwicklung nach 1396 ist insgesamt ganz unzureichend aufgearbeitet. Der größte Teil des einschlägigen Quellenmaterials dürfte vom nächsten Jahr ab wieder zugänglich sein, sodass auf diesem Gebiet eine ernsthafte Behinderung der Forschungsmöglichkeiten nicht zu befürchten ist. Ein Großprojekt dessen Realisierungsmöglichkeit für die Stadt Köln derzeit allerdings schwerer abzusehen ist, ist das „Nordrheinische Klosterbuch“, dessen erster Band seit Ende 2009 vorliegt. Köln war im Mittelalter im europäischen Vergleich eine der am dichtesten mit Stiften, Klöstern und anderen geistlichen Instituten besetzte Stadt, und auch die Gründungswelle des 17. Jahrhunderts machte Köln wiederum zu einem führenden Zentrum kirchlichen Lebens in der katholischen Welt. Diesen Reichtum des heiligen Köln gilt es im dritten Band des Nordrheinischen Klosterbuchs für die zukünftige vergleichende Forschung zu dokumentieren. In welchem Maße das mit den vorhandenen Archivalienreproduktionen und den nach und nach wiederhergestellten Beständen gelingen wird, ist noch nicht abzusehen. In jüngster Zeit hat sich die Erforschung der Kölner Stadtgeschichte vom Mittelalter verstärkt dem 16. Jahrhundert und damit vorwiegend Fragen der Konfessionalisierung zugewandt. Die Entwicklung Kölns im 17. und erst recht im 18. Jahrhundert liegt aber noch weitgehend im Dunklen, wenn man von spektakulären Ereignissen wie dem GülichAufstand absieht. Lange Zeit schreckte die Vorstellung von einem erheblichen wirtschaftlichen und politischen Bedeutungsverlust der Stadt in der frühen Neuzeit die Historiker von einer Beschäftigung mit dieser zumindest äußerlich glanzlosen Epoche ab. So wissen wir noch wenig über die Rekrutierung der Ratsherren und Bürgermeister nach der Konsolidierung der Katholizität des politischen Gemeinwesens durch die Qualifikationsordnungen seit 1583 und 1615/17 und über die konkrete Machtverteilung im städtischen Regiment. Bedeutung über die Kirchengeschichte hinaus haben einerseits die dauerhafte, wenn auch prekäre Existenz protestantischer Gemeinden in Köln, andererseits die Neuansiedlung zahlreicher katholischer Ordensgemeinschaften. Nicht erst während des Dreißigjährigen Krieges war Köln Ziel von politischen Flüchtlingen und Migranten aus sehr unterschiedlichen Milieus. Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage nach der Kohärenz der städtischen Gesellschaft und der Integrationskraft des städtischen Rates. Auf diesem Gebiet ist noch viel zu tun. Derzeit entsteht dazu in Bonn eine Dissertation. Das intellektuelle Klima der Stadt ist nur für das spä-
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te 18. Jahrhundert einigermaßen erforscht. Hier eröffnet vor allem die derzeit verstärkte Hinwendung zur Kulturgeschichte neue Perspektiven, für deren Erschließung die Quellenlage vorerst allerdings ungünstig ist. Neue Grundlagen für die weitere Beschäftigung mit dem 17. und 18. Jahrhundert werden in den nächsten Jahren die Bände 6 und 7 der großen Stadtgeschichte liefern. Für die Franzosenzeit liegt der entsprechende Band von Klaus Müller schon vor. Damit ist die politische Geschichte für vergleichende Fragestellungen ausreichend dokumentiert. Es fehlen für Köln aber noch systematische Untersuchungen der Bevölkerungsentwicklung und der Umstrukturierung der Eliten im Rahmen der Eingliederung des linksrheinischen Deutschlands in die französische Republik und das napoleonische Empire, wie es sie für kleinere rheinische Städte schon gibt. Am schlechtesten ist es seit dem Archiveinsturz um die Quellen zur Geschichte der Stadt Köln im 19. und 20. Jahrhundert bestellt, weil für diesen Zeitraum nur verhältnismäßig wenige Sicherungsfilme (etwa für die Handakten des Oberbürgermeisters Konrad Adenauer) zur Verfügung stehen und aufgrund der Beschaffenheit des Schriftguts mit einem relativ hohen Prozentsatz beschädigter oder zerstörten Archivalien zu rechnen ist. Vor allem durch die Umbettung von Schriftgut aus Stehordnern auf Plastikstifte formierte Einheiten lösen sich schnell auf. Aus diesem Grund ist gerade die Überlieferung der Zeit seit 1945 extrem gefährdet. Damit droht der zeitgeschichtlichen Forschung ein schmerzlicher Quellenverlust, dessen Tragweite nur durch intensive Bemühungen um die Rekonstruktion von Beständen gemildert werden kann. Eine solche Rekonstruktion wird zusätzlich dadurch erschwert, dass viele Archivalien noch gar nicht verzeichnet, zum Teil erst vorläufig mit Signaturen versehen und noch nicht endgültig formiert waren. Die Gegenüberlieferung in staatlichen Archivfonds in Koblenz und Berlin ist nur für bestimmte Fragestellungen ergiebig. Andere Quellen außerhalb Kölns müssen erst ausfindig gemacht werden. Die Erforschung der neuzeitlichen Stadtgeschichte ist damit vorläufig weitgehend lahmgelegt. Am ehesten ist damit zu rechnen, dass fadengeheftete Akten des 19. Jahrhunderts bald für eine Digitalisierung zur Verfügung stehen werden. Aus der Sicht der Landesgeschichte kommt einer Digitalisierung der Akten der Oberbürgermeister, der Schulakten, der Aktenmassen der Armenverwaltung und anderer Spezialbestände des 19. Jahrhunderts sowie der großen Nachlässe (z. B. Gustav von Mevissen) erste Priorität zu. Gelingt es nicht, dieses
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Schriftgut wieder zugänglich zu machen, wird die für die Geschichte des 19. Jahrhunderts unentbehrliche Bürgertumsforschung, die sich bislang nur sträflich wenig mit Köln beschäftigt hat, weiterhin ohne den Kölner Beitrag zu einem Gesamtbild auskommen müssen. Für die Geschichte der Weimarer Zeit stellen die Handakten Adenauers eine Rückgratüberlieferung dar, die wohl bald wieder konsultiert werden kann. In die Überlieferung dieser Epoche hatten schon die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs empfindliche Lücken gerissen. Vom Archiveinsturz nur marginal betroffen ist die Erforschung der NS-Zeit in Köln. Die infolge von Kriegszerstörungen und Aktenvernichtungen völlig unzureichende städtische Quellenüberlieferung für die Zeit von 1933 bis 1945 ist durch die systematische Ermittlung von Ersatzüberlieferung im NS-Dokumentationszentrum inzwischen mustergültig aufbereitet und erweitert worden. Die Darstellung der Geschichte der Stadt Köln in der NS-Zeit von Horst Matzerath legt zudem ein Fundament, auf dem weitere Forschungen aufbauen können. Keine kurzfristige Lösung ist für die Problematik der Zeitgeschichte seit 1945 in Sicht. Die Forschung hat sich der Geschichte der 1950er-, 1960er- und frühen 1970er-Jahre, für deren Quellen die Sperrfristen weitgehend abgelaufen sind, noch recht zögerlich angenommen. Es hatte in den letzten Jahren allerdings hoffnungsvolle Ansätze zu einer Belebung des Interesses an diesem Zeitraum, gerade auch bei angehenden Historikern, gegeben. Unter der Leitung von Jost Dülffer entstanden Sammelbände zur Kölner Nachkriegszeit (1996) und zu den 1950erJahren (2001) mit Beiträgen von Studierenden. Solche Projekte werden auf absehbare Zeit nicht mehr verwirklicht werden können. Überblickt man die Kölner Quellenüberlieferung, die vom 10. bis zum 20. Jahrhundert reicht, so ist nach dem Archiveinsturz das derzeitige Bild zweifellos desolat, aber wir haben keineswegs eine einheitlich graue Trümmerwüste vor uns. Schon jetzt lassen sich fruchtbare Felder ausmachen. Sie gilt es zunächst zu bestellen, um die Jahre zu überbrücken, die für einen zügigen, aber auch behutsamen Wiederaufbau des Historischen Archivs erforderlich sind. In einer Zeit, in der das Handwerk des Editors kein großes Prestige mehr hat, ist die Arbeit der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde um so wertvoller für die Rheinische Landesgeschichte, stellen ihre Publikationen doch kontinuierlich neue Quellen für die Forschung zur Verfügung. Im Publikationsprogramm der Gesellschaft haben Kölner Quellen
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von Anfang an breiten Raum eingenommen. Auch aktuell vorbereitete Publikationen erschließen Kölner Material. Man kann es als eine glückliche Fügung bezeichnen, dass noch in Arbeit befindliche Editionen nur in geringem Maße des Rückgriffs auf derzeit nicht benutzbare Archivalien bedürfen. In den kurzfristigen Planungen der Gesellschaft wird eine Akzentverschiebung hin zu „nichtkölnischen“ Projekten vorgenommen werden müssen. Eine solche Neugewichtung ist aber unproblematisch, da die Gesellschaft ja das gesamte Rheinland als ihr Arbeitsgebiet betrachtet und der Anteil der Kölner Quellen in den vorliegenden Publikationen sehr hoch ist. Dennoch hat der Archiveinsturz die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde hart getroffen, weil durch diese Katastrophe ihre Geschäftsstelle zerstört wurde, die inzwischen ihre Arbeit unter erschwerten Bedingungen wieder aufgenommen hat. Verloren oder verschollen ist auch die Aktenüberlieferung der Gesellschaft, die als Depositum im Stadtarchiv lagerte. Vernichtet wurden zudem größere Bestände ihrer Publikationen. Die von Klaus Pabst bearbeitete Geschichte der Gesellschaft wird das Wirken dieser Institution über mehr als 125 Jahre dokumentieren und damit für ihre Arbeit, die sie auch unter widrigen Umständen unverdrossen fortsetzen wird, das historische Fundament liefern. Prof. Dr. Manfred Groten, Professor am Institut für Geschichtswissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Leiter der Abteilung für Rheinische Landesgeschichte
Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte Am 3. März 2009 morgens um 3:13 Uhr fügte ich der Datei „Turmbuch 1524–28 Transkription“ das Suffix „Endstand“ hinzu. Damit war ein wichtiges Etappenziel des hilfswissenschaftlichen Hauptseminars zu den ‚Kölner Kriminalakten der 1520er Jahre‘ im Wintersemesters 08/09 erreicht. Alle 57 beschriebenen Blätter des Buches HAStK V. u. V. 205 hatten die Seminarteilnehmer/innen anhand von Digitalisaten entziffert und übertragen. Nun waren ihre Lesungen Buchstabe für Buchstaben noch einmal mit den digitalen Fotos verglichen, der endgültige Text lag vor, und die zweite Runde der Bearbeitung konnte beginnen: Klärung letzter unsicherer Lesungen und merkwürdiger Befunde am Originalcodex im Historischen Archiv, und dann in Hausarbeiten die Weiterverfolgung der interessantesten Fälle in den flankierenden Gerichtsaufzeichnungen dieser Jahre. Aber zwölf Stunden später waren alle diese Aufzeichnungen – und mit ihnen auch das Projekt ‚Kriminalakten‘ in der geplanten Form – im Schutt des Archivgebäudes versunken. Ich will hier am Beispiel dieses letzten mit Stadtarchiv-Materialien arbeitenden Hauptseminars aus dem Bereich der Mittelalterlichen Geschichte erläutern, welche Möglichkeiten für den akademischen Unterricht und wissenschaftliche Neuentdeckungen die Originale im Stadtarchiv bis dahin geboten haben – Möglichkeiten, die in dieser Form nun zwei ganzen Kölner Studierendengenerationen fehlen. Denn dass in fünf, sieben, zehn Jahren einige der geretteten Materialien im neuerbauten Archivgebäude wieder zugänglich sind, hilft den gegenwärtig Immatrikulierten nichts: Sie werden ein Studium in Köln absolvieren, ohne eine Schreinsurkunde, einen Ratsprotokollband oder den Verbundbrief im Original gesehen zu haben. Man kann das als Jammern auf hohem Niveau bezeichnen, Köln hat schließlich auch noch andere Archive mit wunderbaren mittelalterlichen Originalen – voran die Dom- und Diözesanbibliothek. Allerdings liegen dort kaum Bestände zur Kölner Stadtgeschichte, die ja nicht einfach nur eine ‚Lokalhistorie‘ betreffen, sondern aus denen sich ein facettenreiches Bild vom politischen, wirtschaftlichen, sozialen Leben der größten Stadt im mittelalterlichen Deutschen Reich gewinnen lässt. Dies in einem kleinen Ausschnitt auch wirklich selbst zu tun, also nicht eine bereits gedruckte und vorinterpretierte Quelle zu benutzen,
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sondern selbst einen Text zu erschließen, den vielleicht seit Jahrhunderten keiner mehr gelesen und noch nie jemand eingehender analysiert hat, gehört immer noch zu den vornehmsten Aufgaben in einem Geschichtsstudium und ist Pflicht im Studium der Historischen Hilfswissenschaften, das ja ganz dezidiert dem Umgang mit Originalen gewidmet ist. Freilich geht man anfänglich im Seminar selbst von Fotos aus – schon deshalb, weil während der Rohtranskription und ersten Sachdiskussionen ja viele Leute gleichzeitig dieselbe Seite sehen müssen. Waren das früher noch kopierte Papierabzüge, so sind es nun Digitalisate, die nur für die Seminarteilnehmer/innen zugänglich auf der Lernplattform der Uni greifbar sind – man kann also beim Vorbereiten, über die im Fokus stehende Seite hinaus, im ganzen Codex ‚blättern‘. Das ‚Schmökern‘ im Bestand belohnte beim ausgewählten Objekt des Seminars – dem ältesten Kölner Turmbuch mit den Vernehmungen von dreißig auf Weisung des Rats Inhaftierten – auch der Inhalt. Verhörprotokolle von Delinquenten sind nun einmal fesselnder und auch aus der heutigen Lebenswelt heraus schneller ‚begreifbar‘ als Urkunden über Rentenkreditgeschäfte. Da ist die Rede von Raub, Mord, Kindesmissbrauch, politischem Aufruhr. Aber auch die zahlenmäßig überwiegenden ‚kleinen Fälle‘ im ersten Turmbuch, die Köln in den 1520erJahren als erstaunlich harmloses Pflaster erscheinen lassen, faszinieren durch interessante Alltagsdetails. Wie man ein paar geklaute Kochtöpfe zu Geld macht; was der gotteslästerlich fluchende Stadtstreicher sagte und was der harmlose ‚lutherische Bube‘, der die Gottesmutter beleidigt haben soll; Material, Farbe, Futter des Mantels, den ein dafür zum Tode (!) Verurteilter nachts einem verängstigten Studenten abnahm ‚zum Versetzen im Weinhaus‘; was dem braven Bürger durch den Kopf ging, während er von zwei finsteren Gesellen genötigt als Zahlender mit ihnen auf Zechtour gehen musste, und mit welchem Trick ein armer Schlucker, der in anderer Leute Keller Salpeter von den Wänden kratzte, die dabei gefundenen Goldmünzen am Besitzer vorbei aus dem Haus schmuggeln konnte – in den Kriminalakten steht’s, und es liest sich spannend, wenn man sich erst einmal in die Kanzleikurrent und in das Kölsch des 16. Jahrhunderts eingefuchst hat. Der in der letzten Seminarsitzung besprochene Turmbuch-Fall drehte sich um einen ‚fremden Mann‘, der, soweit aus den Zeugenaussagen erkenntlich, eigentlich nur zwei zankende Kinder hatte trennen wollen, aber dann, aus welchem Missverständnis heraus auch immer, von einigen
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Einheimischen durch mehrere Gassen gejagt und schließlich mit Schaufeln und Heugabeln erschlagen wurde. Wer den tödlichen Schlag geführt hatte, konnten die Ratsbeauftragten aufgrund der im Turmbuch notierten widersprüchlichen Zeugenaussagen nicht ermitteln, sie überstellten aber einen Hauptverdächtigen dem erzbischöflichen Hochgericht. Entsprechend gespannt fanden sich die Seminarteilnehmer/innen, die ihre Hausarbeit in den ersten vorlesungsfreien Wochen schreiben wollten, Mitte Februar zum Weiterrecherchieren im Historischen Archiv ein. Ich hatte die vielversprechendsten Stücke aus dem Umfeld des Turmbuches per Mail schon einmal vorbestellt mit der kurzen Bemerkung, dass sie einigen Archivneulingen in meiner Begleitung vorgelegt werden sollten. Prompt – und das ist typisch für die Benutzerorientierung des Archivs, dessen Mitarbeiter dafür hier noch einmal ganz herzlich gedankt sei – wurden wir mit unseren Schätzen in einem Sonderraum einquartiert: „Es ergibt sich ja sicher einiger Gesprächsbedarf, und im Lesesaal fühlt sich dann vielleicht jemand gestört.“ Dass uns an diesem Vormittag nur ein Blick in ein Gelobtes Land vergönnt war, das wir dann doch nicht betreten durften, haben wir – neben der allgemeinen Trauer um die verlorenen Menschenleben und Kulturgüter – in unseren Gesprächen nach dem Archiveinsturz am meisten bedauert. Mit einer vollstreckten sententia amputationis manus, mit dem Abhacken der rechten Hand des Hauptbeschuldigten also, hatte das Hochgericht den Fall des mit Schaufeln erschlagenen fremden Unglückswurms beendet – was aber hatten die erneut vernommenen Zeugen denn nun Anderes oder Neues gesagt, dass im Gegensatz zu den Ratsbevollmächtigten die Schöffen des Hochgerichts sich in der Schuldfrage so sicher sein konnten? Und was stand wohl genau in der Kladde, von der wir genug gesehen hatten, um zu wissen, dass sie Aussagen der hingerichteten Aufrührer von 1525 enthielt, und was auf dem losen Doppelblatt, das von der unverkennbaren Hand des Turmbuchschreibers stammte? Ach, hätten wir doch das freundliche Angebot angenommen und schon einmal ein paar Seiten mit der Digitalkamera aufgenommen, um mit ihrer Auswertung die Zeit bis zur Fertigstellung der Digitalisate in der ersten Märzwoche zu überbrücken! Jetzt war alles weg … Zwar hellte sich die Stimmung etwas auf, als schließlich bekannt wurde, dass alle Bestände vor 1815 sicherheitsverfilmt waren, und noch mehr bei der Nachricht, dass nicht nur in einem Stollen bei Oberried, sondern auch in Köln Filmduplikate greifbar seien, die vielleicht in einigen Mo-
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naten in einem Behelfslesesaal vorgelegt werden könnten. Bei den Veteranen, die im Rahmen eines anderen Projektes schon mit einem solchen Sicherungs-Schwarzweißfilm aus dem Archiv gearbeitet hatten, blieb die Freude allerdings gedämpft. Denn dieser Film hatte bei weitem nicht so viel Informationen geboten wie die Originale. „Die kostbaren Originale sollte man zentral in Hochsicherheitsbauten einlagern und nur Digitalisate davon in den lokalen Archiven vorlegen“ oder „Für Archivalien aus dem 20./21. Jahrhundert genügt nun wirklich eine Verfilmung und dann ab mit den Originalen ins Altpapier, das hält auch den Archivneubau in finanzierbaren Dimensionen“ – diese Ansichten wurden im Porzer Erstversorgungszentrum in den Essenspausen immer wieder auch von Leuten vertreten, deren Interesse am Archivgut durch ihre freiwillige Mitarbeit bei der Bergung hinreichend erwiesen war. Nun mag man durch Verfilmung den getippten Inhalt von Behörden-Akten aus dem 20. Jahrhundert einigermaßen adäquat abbilden können – mit handgeschriebenen oder -gezeichneten Unikaten, zu denen auch sämtliche mittelalterlichen Dokumente gehören, geht das nicht. Man kann sie durch Fotos nur mit großen Informationsverlusten konservieren. Denn zur wissenschaftlichen Auswertung eines solchen Dokumentes braucht es weit mehr als nur die Sichtbarkeit des reinen Textinhaltes. Auch diesbezüglich kann das ‚Turmbuchseminar‘ inzwischen mitreden, denn wir haben nach halbjähriger Zwangspause im Wintersemester 2009/10 die Arbeit wieder aufgenommen – mit Digitalisaten der schwarzweißen Sicherungsfilme des Hochgerichtsprotokolls aus den Jahren 1526–28 (HASTK V. u. V. G 310) und eines Dossiers zum Aufruhr von 1525 (HAStK V. u. V. V 108) als Grundlage und folgenden ‚Verlusterfahrungen‘: Zunächst einmal fehlt in den Schwarzweiß-Sicherheitsverfilmungen gegenüber dem Original schlicht die Farbe – wir müssen also sozusagen Gemälde analysieren, von denen wir nur Schwarzweißfotos besitzen. Dass farbige Karten, Pläne, Buchmalereien auf Schwarzweißfotos sehr verlieren, sieht jeder ein. Was Laien aber oft nicht klar ist: auch bei bloßen Textseiten ist der Informationsverlust gewaltig. In modernen Aktenstücken kann man die verschiedenfarbigen Anmerkungen und Paraphen der Referenten nicht mehr auseinanderhalten; in mittelalterlichen lateinischen Texten kommt es reihenweise zu Fehllesungen. Denn hier werden viele Wörter gekürzt, und es ergeben sich ganz verschiedene Lesungen,
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je nachdem, ob es sich bei dem gewellten Strich über einer Buchstabenfolge um ein mit der Texttinte eingetragenes Kürzungszeichen handelt oder nur um einen roten ‚Zierstrich‘, eine auslaufende blaue Ranke vom Kapitelzeichen oder schlicht einen Knick im Blatt, einen Fleck, einen Riss – im Schwarzweißfilm sieht das alles gleich aus. Noch unangenehmer wird es, wenn bei dünnem Pergament oder Papier auf den Fotos die Schrift von der Gegenseite durchschlägt und man stellenweise nur wirre Linien sieht, oder wenn in Rechnungsbüchern mit lateinischen Zahlen ein durchschlagendes X von der Rückseite die Summe verfälscht. Freilich kann man durch mühseliges Abmessen und Abgleichen mit dem Foto der vorangehenden oder der Folgeseite solche Irrtümer korrigieren, aber nur mit großem Zeitaufwand, während man im Original einfach die Seite anhebt, durchblickt – und fertig. Nur noch schemenhaft erkennbar sind auf den Schwarzweißfilmen ausgebleichte Rückvermerke auf Urkunden oder Nachträge mit hellerer Tinte. Der Effekt ist der gleiche, wie wenn man heute eine ausgedruckte Seite mit handschriftlichen Anmerkungen auf einen suboptimal eingestellten Kopierer legt – man sieht nur noch, dass da irgend etwas war – aber was? Wenn Pergament oder Papier gar radiert und neu überschrieben wurde, erkennt man auf den Fotos entweder die radierte Stelle gar nicht oder – schlimmer noch – man sieht durchaus die aufgeraute dunklere Partie, kann aber nicht mehr ermitteln, was vorher da stand. Am Original geht da immer etwas – sei es, dass die ursprünglichen Eindrücke der Feder noch erkennbar sind oder dass eine UV-Lampe die ursprüngliche Beschriftung wieder sichtbar macht. Dass gerade bewusst wieder entfernte oder manipulierte Partien eines Schriftstücke die interessantesten sein können, braucht nicht eigens erläutert werden. Geschriebenes wieder verschwinden lassen konnte man – außer durch Radieren – auch durch Schwärzen oder Blattausreißen. Die Schwärzungen sieht man auf Fotos und Digitalisaten, aber leider nicht mehr das, was darunter steht – hier verhält es sich wie mit der Kopie eines Ausdrucks oder getippten Blattes, auf dem über bestimmte Wörter ein dicker schwarzer Filzstiftstrich gezogen wurde: Im Original erkennt man unter dem Strich noch die Eindrücke oder leichten Hebungen der Buchstaben, auf Kopie, Foto oder Digitalisat erscheint nur noch die undurchdringbare schwarze Fläche. In den Kölner Kriminalakten gibt es ein längeres Vernehmungsprotokoll von 1484, in dem der Name des Beschuldigten konsequent nachträglich geschwärzt ist. Dass es sich da-
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bei um einen amtierenden Ratsherrn handelte, hat ein Kollege glücklicherweise am Original schon festgestellt, ehe es im Einsturztrichter verschwand. Immerhin: Geschwärztes sieht man wenigstens in Fotoaufnahmen, herausgerissene Blätter dagegen sind einfach weg. Das sind sie im Original freilich auch, aber man kann – anders als mit den Sicherungsverfilmungen – feststellen, dass sie einst da waren. Indizien sind winzige Randfetzen an der Ausrissstelle oder die stehengebliebene Falz des herausgeschnittenen Blattes, die bei Fotoaufnahmen aber regelmäßig einfach im dunklen ‚Gräbchen‘ in der Buchmitte verschwinden. Aus dem Hochgerichtsprotokoll der Jahre 1526–28 wurden, wie ich beim letzten Archivbesuch im Februar 2009 notiert habe, an diversen Stellen elf Blätter herausgeschnitten – im Sicherungsfilm sieht man nichts davon, und auch von den wissenschaftlichen Bearbeitern des Buches hat das noch keiner vermerkt. Was da gestanden haben könnte, muss eine nähere Textuntersuchung einkreisen – vielleicht unter der Folter erzwungene Hinweise auf weitere Beteiligte am 1525er Aufruhr, die jemand verschwinden lassen wollte? Ob Blätter aus einer Handschrift entfernt wurden, wo und wann – diese Frage steht am Anfang jeder Analyse einer gebundenen Handschrift: Stets erhebt man zuerst die ‚Lagenformel‘, stellt also fest, wieviele in der Mitte geknickte Doppelblätter wie zu einem jener Hefte zusammengesteckt worden sind, aus denen man dann wiederum den Codex zusammengebunden hat. Hier deuten Unregelmäßigkeiten auf Blattverluste hin, auch ganz ohne Ausrisspartikel und stehengebliebene Falze. Wenn eine Grundaufnahme der Lagenformel am Original nicht vorliegt – und das dürfte bei den weitaus meisten jetzt nur noch über Filme zugänglichen oder gar nur im Film erhaltenen Handschriften im Historischen Archiv der Fall sein –, kann man solche Verluste entweder erst gar nicht wahrnehmen oder nach der Entdeckung etwa eines unharmonischen Textüberlaufs von der einen auf die nächste Seite nicht näher einordnen. Manchmal fehlt vorne ein Blatt, weil die hintere Doppelblatthälfte leer war und vom sparsamen Benutzer für einen anderweitige Benutzung herausgetrennt wurde – wir kennen den so verursachten Ablösevorgang alle noch von unseren Schulheften. Dieser am Original durch einen kurzen Blick, am Film aber allenfalls durch umständliche Rechnereien und Lagenhypothesen feststellbare ursprüngliche ‚Zusammenhang‘ lässt auf einen unbeabsichtigten Verlust des vorderen Blattes schließen. Wurde
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dagegen ein Blatt gezielt ausgerupft, stand entweder ein Missgeschick oder ein bewusstes Interesse dahinter; jedenfalls muss man einen solchermaßen reduzierten Text anders auswerten als einen kompletten. Dem unbeabsichtigten ‚Blatt-Ausrupfen‘ gleichzusetzen sind die Aussetzer des modernen Fotografen, der eine Seite versehentlich ohne Aufnahme überblättert. Das bleibt beim mechanischen Abfotografieren ebensowenig aus wie das Überschlagen von Blättern beim Anbringen von Seiten- oder Blattzahlen. Wer öfter mit Filmen oder Digitalisaten arbeitet, wird die unentrinnbare Gesetzmäßigkeit bestätigen: eine Seite fehlt eigentlich immer (in unserem Turmbuchdigitalisat vom Oktober 2008 war es fol. 36r). Und je nachdem, was darauf stand, kann diese nach Verlust des Originals nicht mehr rekonstruierbare Lücke für den Benutzer sehr schmerzhaft sein. Verschwunden sind in den Sicherungsfilmen aber nicht nur manche Seiten, irreversibel verschwunden sind im Vergleich mit den Originalen auch eindeutige optische Datierungshinweise. Dazu gehören die im 15. Jahrhundert aufgekommenen Wasserzeichen im Papier, d. h. durch ein Drähtchen im Papierschöpfsieb hervorgerufene durchscheinende Stellen mit einem Emblem oder Firmennamen, wie sie sich auch heute noch in Qualitätspapier finden. In guten Farbdigitalisaten kann man sie mitunter noch erkennen, auf dem weißen Hintergrund der kontrastreichen Sicherungsfilme tauchen sie aber völlig ab. Dasselbe gilt auch für die auf Pergamentblättern nur durch Eindrücke ohne Farbe erzeugten Blindlinierungen, die ähnlich wie die Wasserzeichen zusammengehörige Blätter von zufällig zusammengewürfelten unterscheiden helfen: identisch vorliniierte Blätter stammen meist aus demselben Arbeitsgang. Ebenso weisen identische Blatt- und Heftgrößen auf eine planmäßige Anlage eines Codex hin, während eine dazwischenhängende Lage in anderem Format auf eine spätere oder ungeplante Zutat hindeutet. Solche Größenunterschiede fallen aber in den Schwarzweißfilmen nicht unbedingt auf. Selbst wenn beim Lagenwechsel ein kleineres Heft auf einem größeren liegt, sind diese Ränder weiß auf weiß kaum zu erkennen. Überhaupt ist es ein Problem, dass die Sicherungsfilme keinen Hinweis auf die Maße des Codex liefern – was heute dadurch erfolgt, dass man die Archivalien auf einer Unterlage mit Zentimeter-Raster fotografiert. Die Filme hingegen erfassen, unabhängig vom Format, die aufgeschlagenen Doppelseiten möglichst immer so, dass sie das Bildformat
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ganz ausfüllen; dadurch werden Größenunterschiede aufeinanderfolgender Blätter geradezu verwischt. Und das alles sind nur Probleme bei der Bearbeitung sicherheitsverfilmter ‚Flachware‘. Bei dreidimensionalen Objekten wird das nicht besser. So müssen z. B. die Siegel an Urkunden sorgfältig ausgeleuchtet werden, um auf Farbfotos die zarten Ton-in-Ton-Reliefs des Siegelbildes und die teils mehrfarbigen Siegelschnurverläufe wenigstens andeutungsweise festzuhalten. In den Schwarzweiß-Sicherungsfilmen hängen an allen Urkunden nur schwarze Klumpen an grauen Schnüren; und selbst auf den meisten Farbdigitalisaten sind die Siegelbilder allenfalls zu erahnen, ebenso die Verknotungs- und Flechtmuster in den Siegelschnüren, die ja durchaus relevante Echtheitsnachweise liefern. Nicht dokumentiert sind die Notizen unter umgeschlagenen Urkundenpartien oder die zweite Schicht von mehrlagigen Einbänden aus Makulatur. Letztere kann man heute schon, wenngleich aufwendig, ohne Auseinanderlösen einfach durch röntgenartige Fotografie in Schichten ‚durchschauen‘ – wenn man denn das Original unter die Linse schieben kann. Auch mit DNA-Analysen von Pergamentblättern zur Bestimmung von Herkunftszeit und -region hat man schon experimentiert – die gelingen aber sicher nicht an einem Foto. Überhaupt ist nicht absehbar, welche Methoden zur Untersuchung von Originalen die Forschung in 20, 50, 100 Jahren entwickelt haben wird, die man aber nur an Originalen einsetzen kann. Hätte man z. B. vor der Entwicklung der DNA-Analyse das alte Gerümpel aus ungeklärten Kriminalfällen zwecks Platzersparnis einfach nur fotografiert und die Asservatenkammern dann ausgeräumt, sähe es heute übel aus. Unabhängig von all diesen Überlegungen zwingen gegenwärtig die Tatsachen Wissenschaftler aller Ausbildungsstufen bei ihrer konkreten Arbeit mit Kölner Stadtarchivbeständen zu einem Vorgehen, das im Analogfall ein Kriminalpolizist so umschreiben würde: „Wir untersuchen den Fall ausschließlich aufgrund alter Schwarzweißfotos von Tatort und Leiche“. Womit wir wieder bei dem Hauptseminarprojekt ‚Kölner Kriminalakten der 1520er Jahre‘ wären. Das Ziel, von dem nun erschlossenen Turmbuch aus nicht nur die faktische gerichtliche Weiterbehandlung der Fälle, sondern auch die Organisation des Protokoll- und Dokumentationswesens der Kölner Gerichte in dieser Zeit aufzuklären, haben wir aufgeben müssen. Das hätte einer mehrwöchigen Zusammenschau
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schon der Originaldokumente bedurft, die nun anhand von Filmen mit vertretbarem Zeitaufwand unmöglich und auch nicht finanzierbar ist – schließlich müsste man dazu zahlreiche Seiten aus den Sicherungsfilmen rückkopieren, nur um schließlich festzustellen, dass sie nicht in den anvisierten Rekonstruktionszusammenhang gehören. Sicher könnte man die Rücksortierung der herausgenommenen und durcheinandergewirbelten Blätter aus zehn Verwaltungs-Aktenordnern auch anhand eines Schwarzweißfilmstreifens von diesen Objekten vornehmen, wenn man ein Vielfaches der Mühen aufwendet, die ein Zurückhängen der Originale erfordern würde – aber nur bei stark verzerrter Relation von Aufwand und Gewinn. Die Rücksortierung wild durcheinander gemischten Originale aus unterschiedlichen Jahrhunderten, die auf die Betreuer der geborgenen Stadtarchivmaterialien in den künftigen Jahren zukommt, ist – beiläufig bemerkt – schon mühselig genug. Wie soll man in vielen Regalkilometern Material gezielt ein verirrtes Buch oder gar ein einzelnes Blatt wiederfinden, wo es sich in unserem Fall doch schon als unmöglich erwiesen hat, unter den aufgetürmten Bergungskisten eines einzigen Tages jene Kiste auszumachen, in der der Liber Malefactorum, ein Verzeichnis der Turmhäftlinge aus den Jahren 1510–1523, verschwunden war. Dieses einst bei einer Archivrecherche von ihm durchgeblätterte Buch hatte, wie er mir freudig berichtete, ein Magisterkandidat der Hilfswissenschaften am 24. März 2009 bei der Morgenschicht im Porzer Erstversorgungszentrum unter den Geretteten auf dem Sortiertisch seiner Nachbarinnen erspäht – „100prozentig, ich hab’s gleich wiedererkannt!“ Was nebenbei ein Beleg für den Effekt ist, der von Originalen ausgeht (und den ein Film niemals bewirken kann): wer sie einmal zur Benutzung in der Hand hatte, vergisst sie nicht so leicht, sondern baut eine Art emotionale Bindung an sie auf. Emotionen waren auch bei der Doktorandin zu erwarten, deren Hauptgegenstand der noch nicht zu Ende gelesene und in den schwierigen Partien eigentlich nur am Original zu entziffernde Liber Malefactorum ist und die, wie ich wusste, just an diesem Nachmittag zum ersten Mal als Freiwillige in der Porzer Halle stand. Wir riefen sie sofort an, sie solle doch fragen, ob das Verzeichnis nicht dem Strom der Archivalienlandverschickung mit anschließender jahrelanger Nicht-Greifbarkeit entrissen und stattdessen ins Diözesanarchiv überführt werden könne. Das Anliegen stieß bei der diensthabenden Archivarin auf offene Ohren,
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nur – wo war das gute Stück? In Kiste Nr. 1813, wie die Listendurchsicht ergab; diese Kiste jedoch, obwohl mit Sicherheit noch nicht aus der Halle abtransportiert, ließ sich auch durch mehrstündige Suche nicht auffinden. Und so ging der Liber Malefactorum seinen Weg in ein Umlandarchiv – und die Doktorandin seitdem die harte Straße einer Weiterarbeit am Film. Hocherfreulich war diese Episode für das ‚Turmbuch-Seminar‘ dennoch, weil der Liber die Signatur V. u. V. G 204 trägt – und ‚unser‘ Turmbuch die Signatur V. u. V. G 205. Abgesehen davon, dass der Liber gründlich eingestaubt war, ist ihm nichts passiert – also könnte doch auch sein unmittelbarer Nachbar im Regal davongekommen sein … Andererseits ist das Turmbuch für das Seminar im Oktober 2008 farbig digitalisiert worden und gehört damit zu den am besten dokumentierten Stücken aus der Severinstraße überhaupt. Sollte man sich da nicht eher ein ‚Durchkommen‘ für andere Kandidaten wünschen, beispielsweise für das Hochgerichtsprotokoll V. u. V. G 310? Denn das hat als über lange Zeit außerhalb des Archivs nachlässig verwahrter Torso im hinteren Teil Wasser gezogen. Beim letzten Lokaltermin im Archiv hatte ich notiert, dass der Fall der harm- und glücklosen Bagatelldiebes Peter van Berchem, den die Hochgerichtsschöffen nichtsdestoweniger an den Galgen lieferten, nur am Original im Archiv selbst mit einiger Mühe, unter Zuhilfenahme der schwachen Federkratzspuren in den zerflossenen Tintenpartien und vielleicht auch der UV-Lampe, zu entziffern sein würde. Der schwarzweiße Sicherungsfilm bietet hier in der Tat zeilenweise nur graue Schatten. Die Farbdigitalisate dieser lädierten Partien allerdings sind besser, als wir uns das je vorgestellt hätten – hier kann man mit ein bisschen Vergrößern oder Kontrastieren die Partien einwandfrei lesen. Dass diese Digitalisate existieren, ist ein glücklicher Zufall. Ich hatte Aufnahmen von den vier lädierten Seiten über unseren Turmbuch-Bekannten beim letzten Archivbesuch nur deshalb in Auftrag gegeben, um anhand der Fotos eben die Grenzen der Fotografie und die Notwendigkeit einer Arbeit mit dem Original demonstrieren zu können. Eigentlich hätten diese Aufnahmen erst zusammen mit den Bestellungen der für Anfang März annoncierten zweiten Recherchegruppe bearbeitet werden sollen; die Digitalisate wurden dann aber doch noch vor dem Archiveinsturz gefertigt und auf eine CD gebrannt, die im August 2009 überraschend in einer Archiv-Bergungskiste auftauchte.
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Immerhin besteht auch für das Original des Hochgerichtsprotokolls noch Hoffnung – anders als für die beiden Handschriften aus dem 15. Jahrhundert, die eine Hilfswissenschafts-Studentin in ihrer Anfang 2009 abgegebenen Magisterarbeit bearbeitet hatte. Die Historienbibel ist nun spurlos verschwunden, und von dem erst 1989 aufwendig restaurierten Lektionar wurde im April 2009 lediglich ein Teil des Buchblocks mit einigen wenigen Blättern daran wiedergefunden. Da bot auch die Einladung, sie dürfe unter den geborgenen Einzelblättern demnächst nach weiteren Elementen aus ihren Büchern suchen, der Kandidatin wenig Trost. Ihre E-Mail über den Erhalt dieser Nachricht drückt aus, was nach dem Archiveinsturz viele Benutzer empfunden haben mögen: „Ich bin einerseits dankbar dafür, dass ich noch mit ‚meinen‘ Handschriften so viel Zeit verbringen durfte, andererseits aber, auch wenn es vielleicht übertrieben klingt: das Herz tut unheimlich weh, wenn ich nur daran denke, was für Schätze der Geschichte in Boden versunken sind.“ Das kann man nur wiederholen: Welch ein Verlust! An unwiederbringlichen Unikaten, an Primärinformationen, an Lebenszeit für die Mediävisten, die in den kommenden Jahren, mit Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen operierend, auf Umwegen Schlüsse ziehen müssen und sie vielleicht auch publizieren, obwohl eine zehnminütige Inspektion der Originalquelle gezeigt hätte, dass sie auf dem Holzweg sind. Dafür kommen dann manche U-Bahn-Benutzer zwei Minuten schneller von A nach B – aber ob es das wert war? Prof. Dr. Marita Blattmann, Professorin für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften am Historischen Seminar der Universität zu Köln
Frühneuzeitforschung Schon bald nach dem Kölner Archiveinsturz kristallisierten sich in den Medien bestimmte Archivalien heraus, die aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung als Symbole für das Ausmaß der Katastrophe besonders tauglich erschienen. Was die moderne Zeit betrifft, so ragte unter den zahlreichen Nachlässen, um die man bangte, derjenige des Nobelpreisträgers Heinrich Böll besonders heraus. Für das Mittelalter waren es z. B. die Autographen des berühmten Philosophen Albertus Magnus, denen besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde. Und für die Frühe Neuzeit? Als „besonderes Kleinod“ aus dem 16. Jahrhundert und als eines der „wichtigsten Schätze“ des Archivs stellte nicht nur „Die Welt“ (4. und 9. März 2009) das Tagebuch des Ratsherrn Hermann von Weinsberg heraus. Dass der größte Teil des Werkes einen Monat nach der Katastrophe weitgehend unbeschädigt geborgen werden konnte, sorgte für Erleichterung. Tatsächlich sind die drei „Gedenkbücher“ des Hermann von Weinsberg (1518–1597) in vielfacher Hinsicht eine äußerst bemerkenswerte Quelle. Das trifft schon auf ihren Umfang zu, immerhin füllen die handschriftlichen Aufzeichnungen gut 2.500 Seiten. Aber nicht nur von der Masse, auch von der inhaltlichen Qualität her darf das „Buch Weinsberg“ (so der falsche, aber offenbar unausrottbare Sammelname) als das bedeutendste deutschsprachige Selbstzeugnis des gesamten 16. Jahrhunderts gelten. Es ist gar nicht so leicht, ein Thema zu finden, das der manische Vielschreiber Weinsberg nicht traktiert hat. Natürlich geht es auch um die allgemeinen Zeitläufte und um die große Politik, doch finden sich hier nicht nur die üblichen Nachrichten der „Neuen Zeitungen“ reproduziert, sondern auch die Gerüchte und mündlichen Informationen, die Hermann zusammentrug. Dabei gehörte Hermann, obwohl er lange Jahre dem Rat angehörte, keineswegs zum engeren Kreis der politischen Elite. Er verkörperte eher den typischen Hinterbänkler. Aber gerade dessen Perspektive, sein oft frustrierter Blick auf die alltägliche Klüngelwirtschaft der „großen Hansen“, vermittelt wertvolle Einblicke in das politische Leben. Vor allem aber bilden die Gedenkbücher eine Fundgrube für alle, die am Alltag der Epoche interessiert sind. Lebenshaltungskosten, Feste und Streitigkeiten, Erfahrungen mit Liebe, Ehe und Tod – die Fundgrube Weinsberg ist fast unerschöpflich. Selbst seine eigene Leiblichkeit, bis hin zum Gefühlsleben und zur Verdauung,
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findet ihren Niederschlag. Die Offenheit, ja Geschwätzigkeit des Autors, hat ihren Grund im skurrilen Bestimmungszweck seiner Notizen. Sie waren keineswegs zur Veröffentlichung bestimmt, sondern als vertrauliche Mitteilungen an seine Nachfolger als „Hausvater“ derer von Weinsberg gedacht. Hermann betrieb nämlich mit seinen Gedenkbüchern in erster Linie Familienpolitik. Einerseits dienten sie der Pflege des „uralten“ Herkommens des Hauses Weinsberg. Damit war nicht die kurze reale Geschichte seiner Familie gemeint, die nach unseren Maßstäben durchaus eindrucksvoll ausfällt, war sein Großvater doch als armer Pferdeknecht aus dem Bergischen Land eingewandert. Vielmehr fabulierte sich Hermann eine fiktive adelige Genealogie zurecht, die bis in die Zeit Karls des Großen zurückreichte. Ebenso skurril waren Hermanns testamentarische Bestimmungen für eine Stiftung, die den Hausbesitz der Familie in einer Hand, eben der des künftigen Hausvaters, konzentrieren sollte. Was für ein vornehmes Adelsgeschlecht mit weitverzweigtem Besitz durchaus angehen mochte, erschien für eine bürgerliche Mittelschichtfamilie mit bescheidenem Besitz schon in den Augen der Zeitgenossen als anmaßend. Zur Katastrophe wurde die ganze Angelegenheit aber erst nach dem Tod des Chronisten. Über sein Testament zerstritt sich der von ihm als Alleinerbe eingesetzte gleichnamige Neffe, eine verkrachte Existenz, mit der Verwandtschaft. Hermann junior wurde im Sommer 1598, rund ein Jahr nach dem Tod seines Onkels, sogar des Mordes an dessen Schwester Sybille bezichtigt. Überführt werden konnte er zwar nicht, starb aber schließlich 1604 elend im Gefängnis. Bereits vier Jahre zuvor hatte der Kölner Rat den gesamten Weinsbergschen Besitz inventarisiert und im Zuge seiner Untersuchungen wohl auch die Gedenkbücher an sich genommen. So kamen sie in das städtische Archiv und blieben – ein glücklicher Überlieferungszufall! – erhalten. Für Jahrhunderte interessierte sich niemand für diese Quelle. Erst die Historiker des 19. Jahrhunderts entdeckten die Quelle neu, wobei die ersten Herausgeber, Konstantin Höhlbaum und Ferdinand Lau, die „wertvollen Stellen“ (also vor allem die Passagen zur ‚großen Politik’), aus der Masse des als irrelevant betrachteten „Persönlichen und Alltäglichen“ herauszuschälen suchten. Inzwischen bewegen die Forschung gerade diese persönlichen und alltäglichen Seiten des Werkes; sie nutzt es für die Erforschung von Sexualität und Gewalt, von Körper und Krankheit, von Kommunikation und Konflikt im 16. Jahrhundert. Der Sonderling Hermann von Weins-
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berg ist zu einem zentralen Gewährsmann des urbanen Lebens in der Frühen Neuzeit geworden. Es mag ironisch anmuten, dass die zentrale frühneuzeitliche „Vorzeigequelle“ aus dem Historischen Archiv der Stadt Köln kein Stück ist, das die Zeitgenossen als besondere Pretiose betrachteten. Zweifellos gibt es solche Quellen auch, und ebenso zweifellos behalten sie für den Historiker der Epoche ihre Bedeutung. Gleich vierfach ist z. B. der Kölner Verbundbrief von 1396 im Kölner Stadtarchiv vertreten. Ursprünglich war er in 23 Ausfertigungen erstellt worden, eine für den Rat und jeweils eine für die 22 politischen Korporationen der sog. Gaffeln, die das Dokument besiegelt hatten. Mit ihren vielen Siegeln war dieses zentrale Kölner Verfassungsdokument, das die Weichen für das politische Leben der Stadt in den nächsten vierhundert Jahren stellte, sehr ansehnlich. Ein anderes Beispiel für eine nach Maßstäben der Zeitgenossen „kostbare“ Quelle ist der erste Kölner liber ceremoniarum, 1581 anlässlich des Begräbnisses des Kölner Bürgermeisters Konstantin von Lyskirchen angelegt. Ihm kam eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung der repräsentativen Innen- und Außenpolitik der Stadt zu. Beide Dokumente sind für die Kölner Stadtgeschichte zentral und dürfen darüber hinaus exemplarisch für das Zusammenspiel von Partizipation und Herrschaft in der vormodernen Stadt bzw. für die Repräsentation von Herrschaft im Medium der Schrift Aufmerksamkeit beanspruchen. Dass eine Quelle wie das Buch Weinsberg ihnen dennoch den Rang abläuft, darf als symptomatisch für das gewandelte Interesse der Forschung gelten. Zweifellos hängt es aber auch mit der Einzigartigkeit des Textes zusammen. Verfassungsdokumente und Zeremonialbücher gibt es in anderen Archiven ebenfalls, ausführlichere Selbstzeugnisse schon sehr viel weniger, mit dem Buch Weinsberg an Ausführlichkeit vergleichbare fast überhaupt nicht. Ihre Bedeutung reicht damit weit über die Kölner Stadtgeschichte hinaus. Eine solche Quelle macht das Archiv zu einem Gedächtnisort mit nicht nur lokaler, sondern mindestens europäischer Ausstrahlung. Historische Forschung im Kölner Stadtarchiv ist – in diesem wie in vielen anderen Fällen – keine bloße Kölner Geschichtsforschung, sondern eine universal ausgerichtete Geschichtsforschung in Köln. Die Gedenkbücher Hermanns von Weinsberg sind offenbar ein Paradefall des „außergewöhnlich Normalen“ (Edoardo Grendi), eine ungewöhnliche Quelle, die uns das Normale besser sehen lässt. Ihrer sorgsamen Auswertung haben sich gewöhnlich Historiker verschrieben, die unter dem Banner der „Mikrogeschichte“ segeln. Nun kann die Bedeutung eines Ar-
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chivs sich kaum in seiner Rolle als Hort einer außergewöhnlichen „Superquelle“, und sei sie auch noch so bedeutsam, erschöpfen. Und tatsächlich ist ein anderes Kennzeichen viel typischer, gerade für die frühneuzeitlichen Bestände des Kölner Archivs, nämlich seine Vielzahl von Überlieferungsreihen über eine längere Dauer hinweg. Diese „seriellen Quellen“ mögen vielleicht weniger zur öffentlichkeitswirksamen Präsentation taugen. Aber sie prädestinieren das Archiv zu einem Geschichtslaboratorium ersten Ranges, das Material zur Bearbeitung der verschiedensten Forschungsfragen bereitstellt. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: „Serielle Quellen“ sind keineswegs allein und ausschließlich mit den Methoden einer „seriellen Geschichte“ zu bearbeiten. Mit diesem Begriff wird ein durchaus kontrovers diskutierter Zugriff bezeichnet, der große Quellenmassen vorwiegend mit statistisch-quantifizierenden Methoden bearbeitet. Nach den Vorstellungen von Historikern der französischen „Annales“–Schule sollten so über die „namenlose Zahl“ (Pierre Chanu) die vergangenen Mentalitäten der schweigenden Mehrheit erschlossen werden, z. B. über die Floskeln der Testamente die religiöse Einstellung oder über Bilderinventare das kollektive Imaginarium einer Epoche. Der Begriff der ‚seriellen‘ Quelle bezeichnet zunächst einmal ganz neutral die Tatsache, dass über einen längeren Zeitraum hinweg eine nach Form und Inhalt mehr oder weniger konstante Überlieferung vorliegt, die nach den unterschiedlichsten Gesichtspunkten ausgewertet werden kann, die aber jedenfalls die Beobachtung in einer gewissen Dichte und zeitlichen Breite erlaubt. Serielle Quellen gibt es in vielen, wenn nicht den meisten europäischen Archiven. Gerade die Städte mit ihrer langen Tradition von Schriftlichkeit in Recht und Verwaltung zeichnen sich hier besonders aus, wenngleich kriegerische Zerstörungen und auch die Ignoranz früherer Jahrhunderte, die viele serielle Quellen nicht der Überlieferung für wert hielten, empfindliche Lücken geschlagen haben. Nur wenige mitteleuropäische Kommunalarchive aber können auf eine vergleichbar imposante Überlieferung zurückgreifen. Serielle Quellen können durchaus als ein Charakteristikum der Frühen Neuzeit angesprochen werden, wobei die meisten Überlieferungsreihen allerdings schon mit dem Beginn des Aktenzeitalters im 14. Jahrhundert einsetzen. Auch die archivarische Überlieferung setzt damit ein Fragezeichen hinter die überkommene Epochengrenze um 1500, deren Bedeutung von vielen Historikern angesichts der großen Beharrungskraft der administrativen und politischen Institutionen in der niederrheinischen Metropole
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ohnehin nicht sehr hoch angesetzt wird. Einschneidender war, für die politischen Strukturen ebenso wie für die schriftliche Überlieferung, die Zäsur um 1800. So bildet hier z. B. 1798 ein „Grenzjahr“, in dem „in der Kölner Stadtverwaltung Jahrhunderte alte Schriftgutserien beschlossen und das Mittelalter auch hier endgültig verabschiedet wurde“ ( Joachim Deeters). Um welche Serien geht es im Einzelnen? Imposant erscheinen vor allem die 26 Regalmeter einnehmenden Ratsprotokolle, gut 350 Bände, die sich über 400 Jahre (1396–1794) erstrecken. Ihr Inhalt bleibt über diesen langen Zeitraum nicht unverändert. Während sie zu Beginn lediglich ausgewählte Ratsbeschlüsse aufnehmen, wandeln sie sich am Beginn des 16. Jahrhunderts zu echten „Protokollen“, die alle Tagesordnungspunkte und Beschlüsse verzeichnen, jedoch nur phasenweise, vor allem im 17. Jahrhundert, Einblicke in Debatten und Abstimmungsverhalten geben. Überhaupt ist ihr Inhalt oft kryptisch, wenn es z. B. stereotyp heißt, ein Bittschreiben des Bürgers XY sei von zwei genannten Ratsherren zu bearbeiten – der Inhalt der ganzen Angelegenheit bleibt so im Unklaren. So sind die Ratsprotokolle für alle Köln-Forscher eine unverzichtbare Schnittstelle, von der aus die verschiedensten Themen unter Heranziehung weiterer Quellen bearbeitet werden können. Aber sie sind zugleich mehr als das: Eine Durchsicht der dicken Folianten, für die ersten Jahrzehnte der Frühen Neuzeit erleichtert durch hervorragende moderne Regesten, bietet faszinierende Einblicke und Längsschnitte zum Tätigkeitsprofil des frühneuzeitlichen Rates als das zentrale Organ der Obrigkeit im vormodernen Köln. Spätestens seit 1396 liefen im Kölner Rathaus alle politischen Fäden zusammen. Der Magistrat zeichnete für fast alle Bereiche des gemeinschaftlichen Lebens allein verantwortlich. Die Regesten der Ratsprotokolle zeigen das Spektrum der Materien, durch die sich ein Ratsherr dreimal in der Woche durchzukämpfen hatte: von der ‚großen‘ Politik bis hinunter zum buchstäblich letzten Mist, von der Reichspolitik über Streitigkeiten mit dem Erzbischof, Verteidigungsangelegenheiten und Rechtsstreitigkeiten bis hin zur Reinigung von Straßen, Brunnen und einzelner Abtritte. Nehmen wir die Sitzung vom Montag, den 30. August 1546: Thema der „großen Politik“ ist der Reichstag zu Regensburg, zu dem ein Schreiben des Kaisers vorliegt. In den gleichen Kontext gehören Mandate gegen die protestantischen Mächte Sachsen und Hessen, die der Rat in einer Morgensprache, einem städtischen Edikt, zu befolgen anordnet. Diese Verlautbarung warnt zudem vor auswärtigen Geldanlagen und vor der Unsicherheit der Straßen. Verlesen wird auch der Bericht des Frankfurter Rates
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über die Messe. Wirtschaftliche Fragen beschäftigen den Rat weiterhin in Form einiger innerer Angelegenheiten. Vor allem werden Missstände beim Vermessen der Weinfässer debattiert und auf Abhilfe gesonnen – ein lebenswichtiger Punkt für eine Stadt, die einen wichtigen Teil ihrer Steuern durch eine Akzise auf den Umschlag von Wein einnahm und die deshalb auf eine genaue Verzeichnung der Weinmengen durch vereidigte Weinröder angewiesen war. Aber auch andere Fragen der öffentlichen Ordnung finden Berücksichtigung, so die Einrichtung von Abflussrohren oder der Zuschnitt des Tuchs für die Hosen der städtischen Kriegsknechte. Schließlich werden die unvermeidlichen Rechtsfragen traktiert, denn der Rat war nicht zuletzt ein Gerichtsorgan. So wird die Freilassung eines gefangenen Fuhrmanns angeordnet, das Inkrafttreten eines Urteils an die Hallenrichter kommuniziert und eine Appellation entgegengenommen und an die Urteilsmeister weitergereicht; deren Urheber war übrigens ein junger Licensiat der Rechte namens Hermann von Weinsberg. Dieses sehr beliebige Beispiel gibt einen flüchtigen Hinweis darauf, wie wir durch das Fenster der Ratsprotokolle als ferne Beobachter dem Rat beim Management einer – nach Maßstäben der damaligen Zeit – Großstadt zuschauen können. Viele der Fäden, die in den Ratsprotokollen zusammenlaufen, lassen sich im Medium anderer Quellenserien weiterverfolgen. Das gilt etwa für die eingehenden und ausgehenden „Briefe“. Von 1367 bis 1757 reicht die Reihe der sogenannten „Briefbücher“, Register der von der Stadt Köln ausgegangenen Schreiben, die auch vor der Kölner Archivkatastrophe für die Frühe Neuzeit noch nicht wirklich erschlossen waren. Allein für die städtische Außenpolitik im engeren Sinn ist das Potential der Briefbücher bisher etwas näher ausgelotet worden, vor allem durch die Arbeiten von HansWolfgang Bergerhausen. Im Medium der Briefe wurde natürlich Politik gemacht: So offenbart ein vordergründig sehr höfliches Ablehnungsschreiben von Bürgermeister und Rat vom 21. Mai 1616 an den Reichsstädtetag tiefgehende Differenzen zur Mehrheit der protestantischen Reichsstädte im Süden. Der außenpolitische Spielraum der Stadt wurde durch dieses Ausklinken aus dem Konzert der ohnehin auf Reichsebene nicht besonders einflussreichen Städte nachhaltig verengt. Aber auch hier gilt: Die mögliche Bedeutung der Briefbücher reicht weit über das Politische hinaus, denn alle Themen, die der Rat in seinen Sitzungen traktierte, konnten potentiell auch Gegenstand der Korrespondenz sein, sofern auswärtige Akteure betroffen waren. Die Briefbücher gäben somit ein passables Rückgrat ab für eine städtische Kommunikationsgeschichte in der Frühen Neuzeit,
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die systematisch das Netzwerk der Korrespondenten, seine Reichweite und die kommunizierten Inhalte themenübergreifend und im Zusammenhang erfassen müsste. Am Beispiel des zitierten Briefes von 1616 wird jedoch ein virulentes Problem der Kölner Überlieferung deutlich. Er ist nämlich nicht nur in den Briefbüchern überliefert, sondern auch – im Konzept – im Bestand „Köln und das Reich“. Ursprünglich gehört es wohl in den Zusammenhang jener losen Briefeingänge und auch Konzepte von Briefausgängen, die heute – gleichsam flankierend zu den Briefbüchern – lediglich den kümmerlichen Rest vormals imposanter Bestände repräsentieren. Im 19. Jahrhundert vermelden die ersten Kölner Archivare Zahlen von 100.000, ja 150.000 verstreuten Briefen. Diese wurden zusammen mit anderen Archivalien dazu genutzt, um eigene, nach inhaltlichen Kriterien der Historiker gebildete Bestände aufzubauen: „Reformation“, „Handel“, „Zunft“ oder eben „Köln und das Reich“. Schon damals war der Aufbau derartiger Pertinenzbestände umstritten, und nach gegenwärtigem archivarischem Standard gilt er als ärgerlicher Sündenfall. Denn was gestern noch als sachlich zwingend galt, kann heute im Lichte neuer Forschungsfragen bereits überholt erscheinen. Vor allem wird durch die Zerstörung des gewachsenen Überlieferungszusammenhangs kommenden Forschergenerationen die Möglichkeit genommen, sich entlang dieser Provenienz die Bestände für ihre Zwecke immer wieder neu zu erschließen und zu vernetzen. So sind die betreffenden Pertinenzbestände des Kölner Archivs Wundertüten für den erwartungsvollen Forscher, in denen sich verschiedene, manchmal heterogene Quellen, darunter eben häufig Briefe, vereint finden. Das macht die betreffenden Bestände nicht unattraktiv, aber eben auch schwieriger auszuwerten. Mit den Ratsprotokollen und den Briefbüchern ist allerdings die Reihe der Schriften noch längst nicht erschöpft, die in ihrer seriellen Überlieferung erhalten geblieben sind. Vor allem Rechtsquellen sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Urkunden gelten ja gemeinhin als Paradequellen des Mittelalters, aber der Urkundenbestand reicht natürlich in die Frühe Neuzeit hinein. Besonders interessant scheint hier der Sonderbestand der „Testamente“. Ein typisches Dokument dieser Gattung, von der rund 10.000 Stück zwischen dem 14. Jahrhundert und dem Ende des Ancien Régime überliefert sind, ist jene repräsentative Urkunde der Kölner Weinhändlerin Marie Sudermann vom 1. Februar 1500, in der sie verschiedene Kirchen und Klöster reichlich mit Legaten bedenkt, ebenso aber ihren Neffen als Haupterben einsetzt und so das Familienerbe sichert – wahr-
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scheinlich hatte sie mehr Fortune mit dieser Entscheidung als nachmals Hermann von Weinsberg. Im Eingangsteil des Testaments finden sich die zeitüblichen, weitverbreiteten Formeln über die Unvermeidlichkeit des Todes und die Ungewissheit der Todesstunde. Darauf empfiehlt Marie Sudermann ihre Seele Gott, der hochgelobten Himmelskönigin Maria und allen Heiligen und bestimmt, dass ihr Leichnam im Inneren der Minoritenkirche, wo bereits ihre Eltern ruhen, beigesetzt werden soll. Bei aller Formelhaftigkeit war diese Frömmigkeit keineswegs aufgesetzt, sondern sehr ernst gemeint. Im Laufe der Zeit aber konnten sich die Formeln ändern. Bereits 1973 untersuchte Michel Vovelle in der Provence den Prozess der Dechristianisierung auf der Grundlage einer Reihenuntersuchung von Testamenten – ein Klassiker der „seriellen Geschichte“. Für Köln hat Rudolf Schlögl in seinen Fußstapfen ähnliche Forschungen unternommen. Auch in der Rheinmetropole zeigt sich, allerdings vergleichsweise spät in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ein Rückgang der religiös geprägten „memento mori“ und der „commendatio“–Formeln, ebenso ein Niedergang der gestifteten Seelmessen. Ausgeschöpft ist das Potential der Testamente als historische Serienquellen damit noch lange nicht. Andere serielle Rechtsquellen sind noch kaum von der Forschung „angekratzt“ worden. Das betrifft vor allem die lange Reihe der Zivilprozesse privater Parteien vor den verschiedenen Gerichten der Stadt. Der heutige Bestand umfasst über viertausend Nummern, wobei die Mehrzahl aus dem 18. Jahrhundert zu datieren sind. Dabei ist er keineswegs vollständig, denn viele Prozesse wurden nach dem erwähnten Pertinenzprinzip sach thematisch in andere Bestände eingeordnet. Nicht nur diese Tatsache steht einer historischen Auswertung im Wege, sondern auch die hohe juristische Formalisierung der Akten, die ohne rechtshistorische Kompetenz kaum zu analysieren sind. Dabei versprechen sie spannende Einblicke in die Welt der bürgerlichen Konflikte um Erbe, Wirtschaften und Zusammenwohnen in der Frühen Neuzeit. Eine Idee davon erhält man bei einem Blick in die mittlerweile gut verzeichneten Reichskammergerichtsprozesse, gut 1.850 an der Zahl. Freilich handelt es sich dabei nicht um genuin Kölnisches Archivgut, weil die betreffenden Akten nach der Auflösung des Gerichts an die betroffenen Einzelstaaten des Deutschen Bundes (in diesem Fall erst 1926 an das Archiv der ehemaligen Reichsstadt) verteilt wurden. Wer meint, bei diesen Dokumenten der höchsten Reichsgerichtsbarkeit ginge es lediglich um finanziell und sachlich besonders gewichtige Angelegenheiten, sieht sich getäuscht. Vielmehr bieten die Prozesse eine breite
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„Typologie urbanen Rechtsalltags“ (Matthias Kordes) von Testamentsanfechtungen und Erbangelegenheiten über Kindschaftsangelegenheiten, Schuldklagen, Pfandvollstreckungen, Brautausstattungen und Witwenrenten bis hin zu Konkursen, Rechnungsstreitigkeiten, geplatzten Wechseln und schließlich Verbal- und Realinjurien, sprich körperlicher Gewalt. Besonders bau- und nachbarrechtliche Auseinandersetzungen nehmen in der Stadt breiten Raum ein. Exemplarisch dafür steht ein über Jahrzehnte erbittert und mit allen juristischen Finessen geführter Streit zwischen den Eigentümern des Hauses „Niehl“ und denjenigen des Hauses „Zur Lilie“ in der Kölner Vorstadt Niederich um 1600. Auf über 1.300 Aktenseiten ging es dabei letztlich um die Zugangsberechtigung zu einem HinterhofAbort … Von den Akten der zivilen Gerichtsbarkeit ist es nur ein kleiner Schritt zu den Dokumenten der Kriminaljustiz. Hier besitzt das Historische Archiv der Stadt Köln einen im bundesdeutschen Raum wohl einmaligen Schatz in Form der sogenannten Turmbücher. Seit Anfang des 16. Jahrhunderts waren städtische Schreiber gehalten, die Verhöre von Inhaftierten und ergänzende Zeugenaussagen zu protokollieren, die auf Befragung durch die Ratsbeamten meist auf einem der städtischen Türme, die als Untersuchungsgefängnis dienten, getätigt wurden. Die Aufzeichnungen mochten der Obrigkeit durchaus bei der Fahndung nach und der Überführung von Gesetzesbrechern helfen. Ihr Hauptzweck aber lag wohl zunächst einmal auf anderem Gebiet: Durch die schriftliche Dokumentation der städtischen Verhaftungspraxis verteidigte die Stadt dieses sogenannte Antastrecht gegenüber dem Erzbischof, der als ehemaliger Stadtherr die Hochgerichtsbarkeit immer noch für sich reklamierte. Der heutige Kulturhistoriker profitiert so von den jahrhundertelangen Scharmützeln zwischen Stadt und Kurfürst über ihre Rechte, indem ihm die über 70 Folianten aus der Zeit von Mitte des 16. bis Mitte des 18. Jahrhunderts tiefe Einblicke in die frühneuzeitliche Stadtgesellschaft erlauben. Es handelt sich dabei um die Reinschriften der erwähnten Verhöre, die in grober chronologischer Ordnung und zumindest phasenweise ohne größeren Überlieferungsverlust aufgeschrieben wurden. Diese Verhöre sind von oft erstaunlicher Ausführlichkeit und erlauben im Einzelfall die Rekonstruktion menschlicher Schicksale aus sozialen Schichten, die sonst kaum Spuren in der Geschichte hinterlassen haben – Tagelöhner, Prostituierte, Vaganten. Zugleich aber sind auch Häufigkeitsauszählungen möglich über die Anzahl der Gewalttaten oder der Eigentumsdelikte, sodass eine rudimentäre Kriminalstatistik
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Kölns ebenso erstellt werden kann wie ein Profil der verhängten Sanktionen gegen die Gesetzesbrecher. Gerade der serielle Charakter der Quelle ermöglicht interessante Beobachtungen. So werden wir um 1590 Zeugen eines Korruptionsskandals um eine Gruppe kleiner Kölner Amtsträger und den hartnäckigen Versuch eines dieser Delinquenten, des Kornmessers Johann Kramer, seine Ehre und seinen Beruf wiederzuerlangen, der ihn in die Konfrontation mit dem mächtigen Kölner Bürgermeister hineintreibt. Wir können im Medium der Turmbücher in der gleichen Zeit nachverfolgen, wie die Mitglieder jugendlicher Banden sich im Laufe ihrer kriminellen Karriere von einfachen Taschendieben hin zu wirklichen schweren Jungs entwickeln. Wir sehen aber auch staunend, wie die Kölner Obrigkeit mit Vaganten wie Anna Margaretha Deuberg umgeht, die 1696 an den Pranger gestellt und aus der Stadt verbannt wurde. Immer wieder findet diese Anna einen Weg zurück in die Stadtmauern und immer wieder wird sie verhaftet und verbannt. Trotz martialischer Drohungen verschärft die Kölner Obrigkeit ihre Strafen nicht, sondern begnügt sich mit einem nochmaligem Verweis – Beleg für eine eher nachsichtige, fast hilflose Sanktionspolitik, aber auch für die soziale Not der Menschen am Rande der Gesellschaft. Die Turmbücher sind nicht die einzigen Zeugnisse im Historischen Archiv der Stadt Köln, in dem einfache Menschen ihre Spuren hinterlassen haben. Unscheinbare Bittschriften, sogenannte Suppliken (abgeleitet vom lateinischen Verb „supplicare“ = „bitten“, „auf die Knie fallen“), sind eine weitere wichtige serielle Quelle. Auf den ersten Blick ist das kaum zu erkennen, denn das Verzeichnis von Joachim Deeters begnügte sich 1994, dem damaligen Bearbeitungsstand entsprechend, mit sehr summarischen Hinweisen auf den gleichnamigen Bestand. Ganz richtig wird er als eine Restkategorie ausgewiesen, denn auch hier hatten die Archivare des 19. Jahrhunderts zugeschlagen und viele Bittschriften auf die jeweiligen Pertinenzbestände verteilt. So bildeten Suppliken im untergegangenen Archiv nicht nur eine eigene Bestandsgruppe, sondern sie waren zugleich häufig die Grundlage für Zunft-, Handels- oder Reformationsakten. Wahrscheinlich gibt es allein für das 18. Jahrhundert über 10.000 erhaltene Bittschriften. Wie bei allen Quellen muss der Historiker auch bei der Auswertung dieser Suppliken Vorsicht walten lassen – die Bittsteller sprechen nicht unverstellt durch ihre Bitten zu uns, sie hatten formale Vorgaben zu beachten und bedienten sich professioneller Hilfe. Dennoch könnte sich durch eine zusammenhängende Analyse dieser Quelle ein Panoptikum
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der Bedürfnisse der Kölner eröffnen, die ihre Angehörigen aus dem Gefängnis freibitten, ihre Söhne in eine öffentliche Anstellung bringen oder ihre Straßen säubern lassen wollten. Vaganten erbaten sogar Almosen der städtischen Obrigkeit. Handwerkerzünfte und Nachbarschaften supplizierten gemeinsam, um den Rat unter Handlungsdruck zu setzen. Die Herrschaftspraxis der frühneuzeitlichen Obrigkeit, oft als disziplinierend oder gar absolutistisch verschrieen, erweist sich im Spiegel der Suppliken als erstaunlich dialogorientiert. Mit diesem Spaziergang durch einige für die Frühe Neuzeit bedeutende Quellenbestände des Kölner Archivs ist dessen Reichtum natürlich kaum erschöpft. Viele hochinteressante Quellenserien wie die Rechnungsbücher sind nicht zur Sprache gekommen. Deutlich werden sollte, dass sowohl in Hinblick auf das „außergewöhnliche Normale“ wie auf die serielle Quellenüberlieferung das Kölner Archiv an Vielfalt kaum zu überbieten sein dürfte. Als Laboratorium für die internationale Frühneuzeitforschung ist es ein unersetzbarer Ort. Wie kaum irgendwo anders kann hier verwirklicht werden, was Hermann von Weinsberg, in dem eben neben dem skurrilen Hausvater auch der Chronist des frühneuzeitlichen Alltags steckte, am 30. September 1580 halb entschuldigend, halb selbstbewusst schrieb: „Niemand soll mir übel nehmen, wenn ich von geringen Leuten, von meinen Schwestern und Brüdern, von Freunden und Nachbarn, von Bürgern, Bauern und Gesellen, von häuslichen, schlichten, kindischen Dingen und von mir selbst viel schreibe. Denn wer sonst würde es tun, wenn wir es nicht täten; in der Bibel, in den römischen Historien, bei den Philosophen und Dichtern wird man von uns nichts geschrieben finden. Wenn aber mein Buch verwahrt und abgeschrieben wird, dann werden unsere Nachkommen von uns auch etwas zu sagen wissen.“ Hermann hatte recht, aber zugleich war er zu pessimistisch. Auch in anderen Schriftzeugnissen, gerade dem seriellen Verwaltungsschriftgut, gibt es außerordentlich viel über die angesprochenen schlichten Dinge zu lesen. Wir haben gerade erst begonnen, es wahrzunehmen und auszuwerten. Prof. Dr. Gerd Schwerhoff, Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Technischen Universität Dresden
Kölngeschichte – Stadtgeschichte – Zeitgeschichte Vom „Gedächtnis der Stadt“ ist nach dem Einsturz des Historischen Archivs oft gesprochen worden. Die Metapher ist einleuchtend, denn wo sonst, wenn nicht im Archiv, finden sich die schriftlichen Quellen aus über tausend Jahren Stadtgeschichte, auf denen jedes Wissen über die Vergangenheit Kölns letztlich beruht. Auch zeigen die große Erschütterung und Anteilnahme, der spontane Zorn und die anhaltende Hilfsbereitschaft, mit der viele Kölner auf die Katastrophe reagierten, dass sie sich als Bürger der Stadt vom Archiveinsturz fast existentiell betroffen fühlten. Die Geschichte einer Stadt, zumal einer so alten und bedeutenden Stadt wie Köln, spielt für das Selbstverständnis, Selbstbewusstsein und Zugehörigkeitsempfinden ihrer Bürger, kurz: für deren „kollektive Identität“, eine wichtige Rolle. Wie die römischen Ruinen, die romanischen Kirchen oder der gotische Dom werden die Urkunden und Akten des Archivs zu lokalen „Erinnerungsorten“ auch für jene, die den schmucklosen Zweckbau in der Severinstraße nie betreten haben. Auch wenn der bildhafte Ausdruck vom „Gedächtnis der Stadt“ also in doppelter Hinsicht berechtigt ist – als Verweis auf die Überreste der Vergangenheit wie auf deren identitätsstiftende Bedeutung –, ist es doch wichtig zu betonen, dass die geschichtlichen Überreste noch keine „Geschichte“ ergeben. Die zahllosen Vergangenheitspartikel, oft verstreut, schwer deutbar, selbst ohne katastrophale Verluste immer unvollständig, sprechen nicht von sich aus, sondern müssen zum Sprechen gebracht werden. Welche Geschichte sich auf Grundlage dieses bruchstückhaft überlieferten Materials erzählen lässt und welche Bedeutung diese Geschichte hat, hängt zudem immer von den Fragen ab, die wir aus der Perspektive unserer jeweiligen Gegenwart stellen. Das Archiv wird eigentlich erst dadurch zum aktiven „Gedächtnis der Stadt“, dass seine Bestände ausgewählt und ausgewertet, kritisch interpretiert, mit anderen Quellen verglichen und in Beziehung gebracht, sowie letztlich zu einer „Geschichte“ verdichtet werden. Erst dieser Prozess der aktiven, methodisch kontrollierten Erschließung und Deutung der vergangenen Wirklichkeit verwandelt diese in „Geschichte“ und produziert ein Geschichtswissen, das mehr ist als eine Ansammlung zufälliger Fakten und Anekdoten.
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Viel hängt also davon ab, welche Fragen Historikerinnen und Historiker an die Geschichte stellen, welche Zusammenhänge sie herstellen und wie sie ihre Darstellung organisieren. Die Geschichte einer Stadt stellt dabei spezielle Anforderungen. Sie konfrontiert Historiker nämlich auf besondere Weise mit dem allgemeinen Problem jeder Geschichtsschreibung, dem Einmaligen und Unverwechselbaren eines historischen Ortes oder Ereignisses gerecht zu werden, dabei aber gleichzeitig das Typische und Regelmäßige nicht aus den Augen zu verlieren, das diese einzigartige Geschichte mit übergreifenden historischen Entwicklungen verbindet. Verallgemeinernd gesprochen, kann man die Geschichte einer Stadt aus drei unterschiedlichen Perspektiven betrachten und schreiben: Zum Ersten kann man das Individuelle der jeweiligen Stadt ins Zentrum der Betrachtung stellen und sich bemühen, möglichst viele Aspekte, Ereignisse und Entwicklungen zu einer Art lokalen „Totalgeschichte“ zusammenzuführen. Diesen Weg gehen die klassischen Stadtgeschichten, beispielsweise auch das Großprojekt einer Kölner Stadtgeschichte in dreizehn Bänden, das die Geschichte der Stadt von der römischen Zeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts umfasst. Einen zweiten Weg geht die eher vergleichend und typisierend angelegte historische Stadtforschung. Sie ist weniger an den singulären Entwicklungen eines besonderen historischen Ortes interessiert, als vielmehr an der Geschichte des Phänomens „Stadt“ als einer besonderen Form menschlichen Zusammenlebens, der sozialen Organisation, des Wirtschaftens, der politischen Herrschaft, der Raumorganisation oder der Verwaltung. Die Studien Max Webers über die Stadt des Okzidents sind ein klassisches und in ihrem welthistorischen Verallgemeinerungsanspruch auch schon wieder sehr spezielles Beispiel für diese Art von Stadtgeschichte. Viele Untersuchungen zur Stadt der griechischen und römischen Antike, zur Stadt des Mittelalters und zur neuzeitlichen Verstädterung sind so angelegt. Mit dem Einsetzen des modernen Urbanisierungsprozesses im Europa des 19. Jahrhunderts wurden Städte zu den dynamischsten Orten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandels, und sie sind es bis heute geblieben. Eine große Zahl stadtgeschichtlicher Forschungen, die sich mit dem Wachstum der Städte, der Stadtplanung, dem Ausbau der kommunalen Leistungsverwaltung, der Entwicklung des Nahverkehrs, der lokalen Öffentlichkeit, des Kulturbetriebs, der Geschichte sozialer Segregation und vielen anderen Aspekten
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vor allem der Großstadtgeschichte befassen, ist diesem stadthistorischen Zugang zuzurechnen. Drittens werden Städte zum Untersuchungsgegenstand, wenn es da rum geht, allgemeine Prozesse historischen Wandels auf der Ebene lokaler Entwicklungen zu verfolgen. Aus dieser Perspektive steht zunächst einmal nicht die unverwechselbare einzelne Stadt und auch nicht das typisch „Städtische“ im Vordergrund, sondern das Interesse an historischen Phänomenen, die sich auf städtischer Ebene besonders gut untersuchen lassen. Hier kann man sich wiederum verschiedene Abstufungen auf der Skala vom Allgemeinen zum Individuellen vorstellen. Wer etwa an der Geschichte der Bevölkerungsentwicklung oder der sozialen Ungleichheit als solcher interessiert ist und diese am Beispiel einer Stadt verfolgt, wird sich nicht um allzu viele örtliche Besonderheiten kümmern müssen. Anders ist es, wenn es um soziale Phänomene geht, die sich nur im städtischen Kontext überhaupt herausbilden konnten, weil sie von der spezifisch städtischen Raumorganisation mit ihren eigentümlichen sozialen Beziehungen, ihren besonderen Milieus und ihrer dichten face-to-face Kommunikation abhingen. Die Arbeiterbewegung des späten 19. Jahrhunderts etwa war eine sehr städtische Erscheinungsform, ebenso wie die Herausbildung ethnischer Milieus in den Einwanderergesellschaften des späten 20. Jahrhunderts. Man kann beide sinnvollerweise nur auf städtischer Ebene untersuchen. Noch stärker in Richtung örtlicher Spezifika verschiebt sich der Blick, wenn man historischen Phänomenen nachgeht, die zwar übergreifenden Charakter hatten und eine ganze Gesellschaft prägten, sich möglicherweise aber nur an einem besonderen Ort manifestierten: Politische Herrschaft konzentriert sich in modernen Staaten in Hauptstädten – Universitätsstädte wie Cambridge und Oxford versorgten lange Zeit ganz Großbritannien mit seiner politischen und geistigen Elite –; städtische religiöse Zentren – man denke an Rom oder Jerusalem – können globale Ausstrahlungskraft haben. Die zuletzt angesprochenen Beispiele zeigen bereits, dass sich die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen man Fragen an die Geschichte einer Stadt stellen kann, nicht ausschließen müssen, sondern sich sogar häufig ergänzen und letztlich aufeinander verweisen: Soll sich die umfassend angelegte „Totalgeschichte“ einer einzelnen Stadt nicht im beliebigen Detail verlieren, braucht sie Maßstäbe, an denen sie die Bedeutung ihrer Befunde messen kann. Dies kann bis auf die biographische Ebene hinuntergehen: Die Geschichte der großen Kölner Oberbürgermeister
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Adenauer und Burauen wird man zweifellos immer als Geschichte herausragender Kölner Persönlichkeiten erzählen, welche die Stadt nachhaltig gestaltet haben. Man kann an ihrem Beispiel aber auch sehr viel darüber erfahren, wie sich das Amt des Oberbürgermeisters, seine Handlungsspielräume, seine Stellung im politischen System und seine Einbindung in die Stadtgesellschaft zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik gewandelt haben. Ähnliches gilt für mehr strukturgeschichtlich angelegte Stadtstudien, die einerseits immer einen Bezug zu einer konkreten Stadt brauchen und insofern Übergänge zur singularisierenden Stadtgeschichte haben, andererseits aber auf allgemeine Hypothesen und Modellannahmen über Städtetypen, über die Entwicklung von Bürokratien, über Urbanisierungsmuster oder die Dynamik sozialer Segregation angewiesen sind. Systematische Fragestellungen, die sich vor allem für die lokalen Ausprägungen allgemeiner wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Prozesse interessieren, nehmen die konkrete Stadt, mit der sie sich befassen, zwar manchmal bloß als „Fallstudie“ in den Blick. Je komplexer allerdings die Fragen sind, je mehr Faktoren ins Spiel kommen, je intensiver man den historischen Kontexten nachgeht und das vielfältige Bedingungsgefüge rekonstruiert, von dem die jeweiligen Untersuchungsgegenstände abhängen, desto stärker rückt wieder das Individuelle, Einzigartige der Stadt in den Vordergrund. Die folgende, ziemlich grobstrichige Skizze einiger ausgewählter Forschungsfelder und Fragen an die jüngste Geschichte Kölns knüpft an allgemeine Themen, Probleme und Interessen der historischen Forschung an und bringt sie mit der Geschichte der Stadt in Verbindung. Sie bemüht sich also um einen Brückenschlag zwischen dem Allgemeinen und dem Speziellen und ist gerade an solchen Entwicklungen interessiert, an denen die unverwechselbare Geschichte Kölns erkennen lässt, wie sich die Gesellschaft in der Bundesrepublik insgesamt verändert hat. Dabei soll es um die „Zeitgeschichte“ Kölns gehen, noch enger gefasst: um die Geschichte der Stadt nach Abschluss der unmittelbaren Wiederaufbau- und Nachkriegszeit, die Phase ihrer Geschichte also, die seit einiger Zeit stärker in den Horizont – auch der historischen Forschungen – rückt. Diese Schwerpunktsetzung hat natürlich mit Vorlieben und Arbeitsschwerpunkten des Verfassers zu tun, lässt sich aber auch sachlich rechtfertigen: Hier lockt Neuland für die historische Forschung und hier besteht die Möglichkeit, die immer weiter voranschreitende Historisierung der „Bonner Republik“ mit der Geschichte einer ihrer bedeutenden
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Städte zu verbinden. Auch erschließen die im Folgenden kurz zu inspizierenden Forschungsgegenstände solche Themenfelder, an denen sich Umbrüche und Weichenstellungen beobachten lassen, die bis in die Gegenwart von Bedeutung sind. Vorab aber wäre die Frage anzusprechen, in welcher Weise stadthistorische Forschungen, die sich mit der Kölner Geschichte nach 1945 befassen, vom Einsturz des Archivs betroffen sind. Dabei kann es natürlich nicht um Einzelheiten der Quellenlage gehen, die erstens immer von den konkreten Forschungsthemen abhängen und zu denen sich zweitens angesichts des derzeitigen Standes der Bergung und Restaurierung des Archivgutes kaum etwas Genaues sagen lässt. Generell muss man aber wohl festhalten, dass die Forschungen zur neueren Geschichte Kölns und ganz speziell solche zur Zeitgeschichte nach 1945 von der Einsturzkatastrophe besonders hart getroffen sind. Dies liegt zum einen daran, dass die Akten aus dem 19. und 20. Jahrhundert nur in sehr geringem Umfang sicherungsverfilmt wurden. Während die mittelalterliche und frühneuzeitliche Überlieferung bis 1815 auf Mikrofilmen gesichert ist und der Forschung dankenswerterweise in einem Notlesesaal des Archivs schon wieder zur Verfügung steht, müssen Historiker, die sich für das 19. und 20. Jahrhundert interessieren, auf die Restaurierung der geborgenen Archivalien warten – so diese nicht ganz verloren sind. Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass Materialien aus der Zeit nach 1815 den bei weitem umfangreichsten Teil der Archivbestände ausmachen: Je weiter man sich der Gegenwart nähert, desto mehr Papier wurde nicht nur beschrieben, sondern im Allgemeinen auch aufgehoben und archiviert. Da überdies die themenrelevante Überlieferung gerade bei breiter gefassten sozialhistorischen Forschungen oft weit verzweigt und der Informationsgehalt einer einzelnen Akte manchmal recht gering ist, wäre auch mit der gezielten, punktuellen Restaurierung einzelner Aktenbände wenig gewonnen. Erschwerend kommt hinzu, dass die jüngeren Überlieferungsteile nicht nur sehr umfangreich, sondern in mehrfacher Hinsicht auch sehr heterogen sind. So sind nicht nur unterschiedliche Provenienzen – städtische Behördenüberlieferung, Nachlässe, Deposita, verschiedene Sammlungen – zu berücksichtigen, sondern auch eine Vielfalt sehr unterschiedlicher Quellentypen: Selbstverständlich alle möglichen Arten von Texten, aber auch Plakate, Fotos, Mikrofilme, Pläne etc. Als wenn all dies nicht schon genug wäre, kommt schließlich noch hinzu, dass die jüngsten Trägermaterialien historischer Informationen – säurehaltige
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Holzschliffpapiere des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Fotos, Mikroformen – oft die empfindlichsten und unbeständigsten sind. Allerdings ist dagegen in Rechnung zu stellen, dass diese besonders gravierenden Belastungen für die zeithistorische Forschung zur Kölner Stadtgeschichte zumindest teilweise durch gewisse Vorteile gegenüber den älteren Epochen kompensiert werden. Ein erster Vorteil besteht darin, dass gedrucktes Material für die Forschung zum 19. und vor allem zum 20. Jahrhundert eine weit größere Bedeutung hat, als für die Erforschung der vormodernen Epochen. Zu denken ist dabei nicht nur an Buchpublikationen im engeren Sinne, sondern auch an Zeitungen, Zeitschriften und Broschürenliteratur sowie an den immer breiteren Strom periodischer Berichte, den kommunale Stellen, Verbände, Unternehmen und Vereine produzierten. Die verschiedenen Berichtserien des Statistischen Amtes der Stadt Köln und die seit dem 19. Jahrhundert jährlich erscheinenden kommunalen Verwaltungsberichte sind eine schier unerschöpfliche Quelle für alle möglichen Aspekte der Stadtgeschichte. Diese Druckschriften sind sehr oft – leider nicht immer – von verschiedenen Archiven und Bibliotheken gesammelt und aufbewahrt worden, wo man sie heute ohne großen Aufwand heranziehen kann. Zweitens können Neuzeithistoriker von der seit dem 19. Jahrhundert insgesamt zunehmenden Schriftlichkeit, dem Wachstum der Bürokratien und der größeren Neigung von Behörden und Einzelpersonen profitieren, ihren Schriftverkehr zu archivieren. Damit steigt die Chance von Doppelüberlieferungen, die sich eventuell in anderen kommunalen oder staatlichen Archiven aufspüren lassen. Drittens hat sich, wie oben schon kurz erwähnt, das Spektrum potentieller Quellen im 20. Jahrhundert immer weiter verbreitert. Vor allem die ungeheure Vermehrung der auditiven, visuellen und audiovisuellen Quellen, der Fotos, Filme, Videoaufzeichnungen, Tonmitschnitte etc., versorgt die Zeitgeschichte mit einem Materialfundus, der erst in jüngerer Zeit vermehrt in den Blick der Forschung rückt und zum Gegenstand methodischer Reflexionen wird. Auch für die Stadtgeschichte dürfte hier noch einiges zu holen sein. Viertens kommt zeitgeschichtlichen Forschungen, insbesondere dann, wenn sie sich nicht auf die Geschichte der örtlichen Politik und Verwaltung im engeren Sinne konzentrieren, sehr zugute, dass eine große Anzahl nicht-städtischer Archive und Sammlungen höchst relevantes Material für die Kölner Stadtgeschichte bereithält. Zu denken wäre an die verschiedenen Archive der Kirchen und kirchlicher Einrichtungen,
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an Unternehmensarchive, Zeitungsarchive, das Historische Archiv des Westdeutschen Rundfunks, das Archiv der Kölner Universität und natürlich an das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv mit seinen umfangreichen Beständen zu lokalen und regionalen Unternehmen, deren Bedeutung weit über den engeren Bereich der Wirtschaftsgeschichte hinausgeht. Hinzu kommen wichtige Sammlungen wie die des „Dokumentationszentrums und Museums über die Migration in Deutschland“ (DOMiD) oder die Bestände zur Geschichte der neueren Frauenbewegung im „FrauenMediaTurm“. Fünftens verfügen Zeithistoriker als einzige Sparte der Geschichtswissenschaft über die Möglichkeit, durch die Befragung von Zeitgenossen selbst neue Quellen zu „produzieren“. Seit den 1980er-Jahren ist das Instrumentarium der „oral history“ vielfach erprobt und immer weiterentwickelt worden. Auch wenn dies eine anspruchsvolle und sehr aufwendige Forschungsmethode ist, die sich nur für einige Fragestellungen eignet und die hinsichtlich ihrer Aussagekraft keinesfalls überschätzt werden darf, bietet sie doch immerhin gewisse Möglichkeiten, den Verlust anderer Quellen von Fall zu Fall zu kompensieren. Sechstens sollten sich stadtgeschichtlich interessierte Zeithistoriker vor Augen führen, dass sie sich in einem Untersuchungszeitraum bewegen, der bereits zeitgenössisch wissenschaftlich beobachtet worden ist und der zum Teil immer noch das Interesse anderer Wissenschaften auf sich zieht. Geographen, Soziologen, Politikwissenschaftler, Medienwissenschaftler, Kunst-, Kirchen- und Architekturhistoriker haben sich mit den Methoden ihrer Disziplinen immer wieder mit der Stadt im Allgemeinen und auch mit der Stadt Köln im Speziellen befasst und tun dies immer noch. Auch wenn sich deren Untersuchungsgegenstände, Fragen und Forschungszuschnitte nicht mit denen von Historikern decken mögen, haben sie doch umfangreiche Wissensbestände zusammengetragen, Daten erhoben und Interpretationen erprobt, die Historiker nutzen können und müssen. Auch eröffnet sich natürlich die Chance, unter Umständen sogar die Notwendigkeit intensiverer interdisziplinärer Zusammenarbeit und der Ergänzung genuin historischer Forschungspraktiken durch sozialwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Methoden. Der Archiveinsturz könnte so auch Impulse für mehr Interdisziplinarität in der Erforschung der Kölner Stadtgeschichte liefern. Welches könnten nun die Themenfelder kölnhistorischer Forschung sein, die es unter diesen Bedingungen anzugehen lohnt? Vorstellbar wäre sicher Vieles, und jeder wird hier nach eigenen Neigungen und Interes-
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sen andere Schwerpunkte setzen. Ich möchte im Folgenden ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit auf vier Felder hinweisen, die mir chan cenreich erscheinen. Sie alle knüpfen an Themen, Gegenstände und Fragen der zeithistorischen und stadthistorischen Forschung an und ermöglichen daher, Lokalgeschichte aus der Perspektive des allgemeinen historischen Forschungsstandes zu konzipieren und zu schreiben. Zugleich haben sie aber einen besonderen Bezug zur Stadt Köln, greifen Probleme auf, welche die Entwicklung der Stadt in den letzten Jahrzehnten stark prägten, die charakteristisch für die jüngere Kölner Geschichte sind und die insofern weit mehr versprechen, als lediglich exemplarische Fallstudien, die man am Beispiel beliebiger Städte anstellen könnte. Zu allen Themenfeldern liegen bereits historische und sozialwissenschaftliche Forschungen vor, auf die aufgebaut und an die angeschlossen werden kann. Bei allen Themen kann man sich überdies vorstellen, dass sie von einem Mix unterschiedlicher Methoden und Quellen sowie von interdisziplinären Herangehensweisen profitieren würden. Auch ist zu erwarten, dass gedruckte Quellen und Quellen aus anderen Archiven eine wichtige Rolle spielen, sodass der vorübergehende und in noch ungewissem Umfang wohl endgültige Ausfall der Materialien aus dem Historischen Archiv der Stadt Köln zum Teil überbrückt werden kann. Wieweit diese Rechnung wirklich aufgeht, dürfte sich natürlich erst im konkreten Forschungsprozess zeigen. Aus alledem ergibt sich, dass es sich eher um sozial-, wirtschafts- und kulturgeschichtliche Themenfelder und weniger um Themen der kommunalpolitischen Ereignisgeschichte handelt. Es geht erstens um die Geschichte von Köln als Einwanderungsstadt, zweitens um die Kölner De-Industrialisierungsgeschichte, drittens um die Geschichte der immer wieder neuen Erfindung und Inszenierung Kölner Lokalidentität und viertens um Zivilgesellschaft und lokale Öffentlichkeit. Erstens: Migrationsgeschichte – Köln als Einwanderungsstadt. Dass die Bundesrepublik eine Einwanderungsgesellschaft geworden ist, liegt seit langem auf der Hand, obwohl Politik und große Teile der Öffentlichkeit dies erst in jüngster Zeit als Faktum akzeptiert haben und die Konsequenzen dieser Entwicklung nach wie vor umstritten sind. Grenzüberschreitende Migrationsprozesse haben die Entwicklung der westdeutschen Gesellschaft seit Kriegsende zutiefst beeinflusst, auch wenn sie lange Zeit nicht als „Einwanderung“ angesehen wurden, da es sich entweder
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um die Zuwanderung deutscher Staatsangehöriger handelte, wie im Falle der Vertriebenen und DDR-Flüchtlinge, oder weil man von einer temporären Arbeitsmigration ausging, wie im Falle der „Gastarbeiter“-Anwerbung ab Mitte der 1950er-Jahre. Spätestens seitdem der Anwerbestopp von 1973 das Ende der „Gastarbeiter“-Politik aus den Jahren des großen Nachkriegsbooms einleitete, kann man freilich von einer faktischen Einwanderungssituation sprechen, die in den 1980er- und 1990er-Jahren durch neue Zuwanderungsprozesse aus Osteuropa, Afrika und Asien immer heterogener und komplexer wurde. Für die Kölner Stadtgeschichte sind diese Entwicklungen von herausragender Bedeutung. Köln ist eine Einwanderungsstadt: Rund ein Drittel seiner Einwohner kann gegenwärtig einen „Migrationshintergrund“ vorweisen, über 17 Prozent sind „Ausländer“. Einwanderung und ihre vielfältigen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Konsequenzen haben die Stadtgesellschaft seit über vierzig Jahren mehr und mehr geprägt, haben sie heterogener gemacht, neue Lebensformen und neue Konflikte mit sich gebracht. Es wäre sehr vielversprechend, wenn sich die stadthistorische Forschung stärker mit diesem Themenfeld befassen würde. Zwar haben Historiker bereits Einzelaspekte der „Gastarbeiter“-Phase in Köln untersucht, die eigentliche Expansionszeit der Einwanderung ab Anfang der 1970er-Jahre ist aber noch kaum historisiert worden. Historiker würden damit nicht nur einen der ganz maßgeblichen Prozesse in der jüngsten Kölner Geschichte aufgreifen, sondern könnten auch vielfach an sozialwissenschaftliche Forschungen zur Migration, Integration, Diversität und Interkulturalität anknüpfen. Auch könnten sie damit einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum besseren Verständnis und vielleicht sogar zur Rationalisierung gegenwärtiger Konflikte leisten. Der Reiz stadthistorischer Migrationsstudien liegt nicht zuletzt darin, dass sich eigentlich nur auf lokaler Ebene die ganze Komplexität von „Einwanderung“ als sozialer Praxis einfangen lässt. Diese „Praxis“ hat viele Beteiligte und Erscheinungsformen: Migranten mit ihren unterschiedlichen Motiven und Zielen, kommunale Behörden, Arbeitgeber, Vermieter, Bildungsinstitutionen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Nachbarschaften usw., die alle mit ihren Interessen, Erwartungen und Handlungen Einwanderung gestalten. Schon seit 1963 befasste sich in Köln eine „Arbeitsgemeinschaft“ aus kommunalen Ämtern, Parteien und Verbänden mit der „Gastarbeiter“-Frage und auch kirchliche Ein-
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richtungen, wie die Caritas, wurden früh aktiv. Von diesen Anfängen ausgehend ließe sich als ein Strang der Kölner Einwanderungsgeschichte deren politische Wahrnehmung und administrativ-sozialpolitische Beeinflussung untersuchen. Aus stadthistorischer Perspektive von herausragender Bedeutung ist die Entstehung (national)spezifischer Einwanderermilieus und ethnisch segregierter Stadtviertel, die in Köln sehr ausgeprägt zu beobachten sind. Hier lassen sich Reichweite und Grenzen von Integrations- bzw. Exklusionsprozessen verfolgen – in der Struktur der Wohnviertel, in der Alltagsgeschichte der Straßenöffentlichkeit, im Vereinsleben oder in der Entwicklung einer kleinbetrieblichen Einwandererökonomie: Eine Geschichte der „Kölner Büdchen“ könnte in dieser Hinsicht äußerst aufschlussreich sein. Schließlich bietet der lokalgeschichtliche Zugang zur Einwanderung viele Möglichkeiten, die wechselseitige Wahrnehmung, das Miteinander, aber auch Neben- und Gegeneinander von Einwanderern und „Einheimischen“ zu studieren. Man muss dabei nicht allein an den jüngsten Kölner Moscheenstreit und fremdenfeindliche Mobilisierung denken, obwohl auch das zur Einwanderungsgeschichte gehört. Auch die Ausbreitung ethnischer Gastronomie und der damit zusammenhängende Wandel der Nahrungsgewohnheiten, die von Maren Möhring im Rahmen ihrer historischen Habilitationsschrift an der Kölner Universität untersucht wurden, gehören in diesen Zusammenhang: als Beispiele interkultureller Austauschprozesse in einer Einwandererstadt. Zweitens: Kölner De-Industrialisierungsgeschichte. Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre erreichte die Gesellschaft der Bundesrepublik einen bemerkenswerten Wendepunkt. Bis dahin war sie immer mehr Industriegesellschaft geworden, d. h. der Anteil der Beschäftigten in der gewerblichen Produktion war seit Einsetzen der Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer weiter gestiegen. Jetzt kippte der Trend unwiderruflich in die Gegenrichtung: Zwischen 1970 und 2004 nahm der Anteil der gewerblich Beschäftigten in der Bundesrepublik von 48 auf 31 Prozent ab, der Anteil der im Dienstleistungssektor Beschäftigten kletterte auf 67 Prozent. Der Übergang in die nachindustrielle Dienstleistungsgesellschaft ist zweifellos einer der wichtigsten wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Umbrüche in der Geschichte der Bundesrepublik, der sich zudem auch noch mit dem Ende des großen Nachkriegsbooms und dem Beginn einer Phase zunehmender Arbeits-
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marktrisiken, einer schleichenden Überforderung des Sozialstaats und neuen Formen sozialer Ungleichheit überschnitt. Seit einiger Zeit beginnen sich Historiker nicht nur mit dem Verlauf und den Folgen von De-Industrialisierungsprozessen im Allgemeinen, sondern auch mit ihren Erscheinungsformen auf der stadtgeschichtlichen Ebene zu befassen. Was bedeutetet dieser säkulare Übergang für die rheinische Metropole Köln, die zwar nie eine ausgeprägte Monostruktur entwickelt hatte, wie sie in extremer Form in den schwerindustriell geprägten Ruhrgebietsstädten vorherrschte, deren Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt aber doch in starkem Maße industriell geprägt waren? Immerhin hatten Maschinenbau, Automobilindustrie und Großchemie den wirtschaftlichen Wiederaufstieg der Stadt nach dem Krieg ganz wesentlich getragen. 1961 waren noch rund 46 Prozent der Kölner Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe beschäftigt, 2007 waren es noch 17,5 Prozent – 82 Prozent übten Dienstleistungstätigkeiten aus. Verlauf und Konsequenzen dieser rasanten Tertiarisierung der Kölner Wirtschaft können unter verschiedenen Gesichtspunkten thematisiert werden, nur einige seien kurz angerissen. Ein erster Aspekt betrifft den konkreten Ablauf des De-Industrialisierungsprozesses: den Bedeutungsverlust industrieller Fertigungsbetriebe, den Abbau gewerblicher Arbeitsplätze und die Aufgabe städtischer Gewerbestandorte. All dies hatte Auswirkungen auf die Entwicklung des Kölner Arbeitsmarktes, auf das städtische Steueraufkommen, auf die Beanspruchung von Sozialleistungen und auf die Struktur und Qualität ganzer Stadtviertel. De-Industrialisierungsvorgänge hatten nicht allein wirtschaftliche Konsequenzen, sondern berührten die Lebenschancen tausender Menschen, lösten soziale Abstiege aus, entwerteten berufliche Qualifikationen und zwangen zu Neuorientierung, zerrütteten die Reste alter Arbeitermilieus. Man kann die Geschichte dieses Strukturwandels als Verlust-, Belastungs- und Krisengeschichte erzählen. Man kann und muss sie aber auch als Geschichte von aktiver Gestaltung und Gewinn erzählen. Wie gingen die kommunale Politik, wie die örtliche Wirtschaft und ihre Verbände mit den Herausforderungen des Strukturwandels um? Welche Strategien verfolgte man mit welchem Erfolg? Welche Handlungsspielräume hatten lokale Akteure, in welchem Verhältnis standen diese zu anderen politischen Ebenen in Land, Bund oder EG/EU? In diesen Zusammenhang gehören auch die Projekte zur Konversion citynaher Gewerbeareale. Die konfliktreiche Geschichte des Stollwerck-Geländes wäre ein Beispiel hierfür, aber auch der Umbau des ehemaligen Güter-
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bahnhofes zum „Mediapark“ und als jüngste, noch nicht abgeschlossene Entwicklung, die komplette Neugestaltung des Rheinauhafens. Manches ist hier noch sehr im Fluss und man wird sehen, was schon genügend abgeschlossen und aus historischem Blickwinkel studierbar ist. Eine attraktive Untersuchungsperspektive ergäbe sich jedenfalls aus der Frage nach den Akteuren und Strategien des Strukturwandels im Spannungsfeld von kommunalen Gestaltungsansprüchen und wirtschaftlichen Interessen. In diesem Zusammenhang ließe sich auch die Geschichte der Medien- und Kulturbranche thematisieren. Die Geschichte Kölns als Medien- und Kulturstadt weist natürlich über den Zusammenhang von De-Industrialisierung und Tertiarisierung weit hinaus und hat das Zeug zu einem eigenständigen Themenfeld. Das Historische Archiv hat sich bei der Erforschung des Kölner Kulturbetriebs vor allem in den ersten drei Nachkriegsjahrzehnten ja schon verdient gemacht. Wenn man davon ausgehend die 1970er- und 1980er-Jahre in den Blick nähme, kämen neue, attraktive Untersuchungsgegenstände auf den Tisch: Die „alternative“ Kunst- und Kulturszene, die in den 1970er-Jahren noch von den Impulsen der Protestbewegungen in den 1960er-Jahren zehrte, oder die Ansiedlung neuer Medienkonzerne im Zusammenhang mit der Öffnung von Rundfunk und Fernsehen für private Anbieter. Sei es aus wirtschaftshistorischer oder kulturhistorischer Sicht – die Geschichte der „Kulturwirtschaft“ in Köln ist allemal ein lohnendes und für die Stadt besonders charakteristisches Untersuchungsfeld. Drittens: Erfindung und Inszenierung Kölner Lokalidentität. Zur Geschichte moderner Gesellschaften und damit auch moderner Großstädte gehört es, dass sie sich in einem dauernden Spannungsverhältnis zwischen Desintegration und Integration, Differenzierung und Bindung bewegen. Individualisierung und Anonymisierung in der Großstadt, Migration und soziale Mobilität, wirtschaftlicher Strukturwandel und der Niedergang traditioneller sozialer Milieus, elektronische Massenmedien und die moderne Popularkultur kann man sicher auch als Faktoren ansehen, die Desintegration und Differenzierung fördern. All dies wird man auch in einer Großstadt wie Köln in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorfinden und beschreiben können. Aber man findet gerade in Köln auch viele Beispiele für ein ausgeprägtes lokales Identitätsbewusstsein. Wieweit dieses die Desintegrationstendenzen einer post-modernen Großstadt tatsächlich dämpfte, sei einmal dahingestellt und soll hier
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nicht weiter verfolgt werden. Es geht mir auch nicht so sehr um die folkloristische Ebene der „Kölschen“ Lebensart, die mit historischen Methoden wohl nur schwer zu fassen ist. Für lohnend und machbar würde ich dagegen aber vertiefende Studien zur kollektiven Erinnerung, zur Identitätspolitik der Stadt und zur Stadtrepräsentation halten, also zu den öffentlich kommunizierten Identifikationsangeboten und Stilisierungen angeblicher oder tatsächlicher Kölner Besonderheiten. Bezogen auf die Entstehung moderner Nationen und nationaler Identitätsvorstellungen hat man vielfach untersucht, wie Symbole, Gründungsmythen, politische Feste, populäre Geschichtsbilder und andere „Erinnerungsorte“ dazu beitrugen, Vorstellungen von Zugehörigkeit nach innen und Abgrenzung nach außen zu vermitteln und zu festigen. Man kann diese Perspektive auch für stadthistorische Erkundungen fruchtbar machen, gerade in Köln. Anhand welcher Themen, mit welchen Mitteln und mit welchen Botschaften wurden öffentlich, durch Politiker, kommunale Körperschaften, Künstler und Intellektuelle kollektive Identitätsangebote mit Bezug auf die Stadt entworfen und vermittelt? Für die ersten Nachkriegsjahrzehnte liegen hierzu schon sehr aufschlussreiche Ergebnisse vor, die sich mit der Frage befassen, wie Krieg und NS-Vergangenheit in die öffentlichen Kölnbilder integriert wurden. Die geschichtspolitischen Botschaften des Kölner Domjubiläums von 1948, des Stadtjubiläums von 1950, der Gedenkreden und der Denkmalsetzungen zur Erinnerung an den Bombenkrieg vermitteln das harmonisierende und verklärende Bild einer schuldlosen, aber versöhnungsbereiten Opfergemeinschaft, in deren immer wieder beschworenem Durchhalte-, Überlebens- und Aufbauwillen angeblich „typisch kölnische Charakterzüge“ und Qualitäten aufscheinen. Angeblich schuldloses Leid, Niedergang und Wiederaufbau verschmolzen so zu einem Vergangenheit und Gegenwart sinnhaft verbindenden, Trost und Identität verheißenden Narrativ. Erst Mitte der 1970er-Jahre thematisierte eine Ausstellung des Kölner Stadtmuseums die Verbindung zwischen dem NS-Regime und der Zerstörung Kölns im Krieg und erst ab Mitte der 1980er-Jahre gehörte die Betonung dieser historischen Kausalzusammenhänge zum Standard jeder offiziellen Gedenkrede zur Erinnerung an die Stadtzerstörung. Mit wie viel Aufwand die Kölner Stadtverwaltung der 1940er- und 1950erJahre das „Kölnbewusstsein“ ihrer Bürger zu stimulieren versuchte, lässt sich auch am Wirken des „Amtes für Kölnisches Volkstum“ verfolgen, das sich von 1947 bis 1958 unter seinem Leiter Joseph Klersch darum
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bemühte, lokalem Brauchtum wieder Leben einzuhauchen, es neu zu erfinden und etwa die „Schull- und Veedelszöch“ als besonders volksnahe Karnevalsvariante zu propagieren. Diese Arbeiten zur Kölner Identitätspolitik der ersten Nachkriegsjahre haben bis jetzt keine systematische Fortsetzung für die folgenden Jahrzehnte gefunden. Vielversprechend dürften sie sein, zumal sich die Akteure, Erscheinungsformen und z. T. wohl auch Inhalte änderten. So wäre etwa noch genauer zu verfolgen, wie es der Kölner Brauereiindustrie seit den 1950er-Jahren gelang, das „Kölsch“ als identitätsstiftende lokale Biermarke so überaus erfolgreich zu etablieren und konkurrierende Biere aus dem Markt zu drängen. Eine ähnlich geglückte Neuerfindung von Lokaltraditionen kann man in den Kölner Weihnachtsmärkten sehen, die sich national und international größter Popularität erfreuen und als Inbegriff traditioneller Weihnachtsbräuche gelten, tatsächlich aber erst seit 1970 ausgerichtet wurden. Auch die kritische, gegenkulturelle Aufladung Kölner Lokalidentität, etwa in der Rock- und Popszene der 1970erJahre – an die Gruppen BAP, floh de cologne, die frühen Bläck Fööss oder auch an Klaus den Geiger könnte man denken – verdient genauere Beachtung, ebenso wie die Entwicklung des offiziellen Stadtmarketings und die professionalisierte Entwicklung und Propagierung von „Stadt images“. An Stoff und Untersuchungsgegenständen für eine Geschichte der Kölner „Stadtrepräsentation“ (Adelheid von Saldern) dürfte es nicht fehlen. Zu erwarten sind jedenfalls aufschlussreiche und an die breitere kulturhistorische Forschung anschlussfähige Befunde zum Wandel lokaler Identitätskonzepte in der Moderne und Postmoderne. Viertens: Zivilgesellschaft und lokale Öffentlichkeit. Mit der Frage nach den Themen und Initiatoren zugkräftiger Identifikationsangebote und lokaler Images ist bereits das Problem angesprochen worden, wie in einer Millionenstadt so etwas wie Zugehörigkeitsempfinden und Bindung entstehen kann. Dieses Problem lässt sich auch noch anders fassen und zum historischen Untersuchungsgegenstand machen. Seit gut zwanzig Jahren wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung, weniger breit auch in der historischen Forschung, unter dem Stichwort „Zivilgesellschaft“ danach gefragt und geforscht, was in modernen, individualisierten und anonymisierten Gesellschaften Zusammenhalt und Verantwortlichkeit für die allgemeinen Dinge ermöglicht. Die sehr verzweigte und kontroverse Debatte um Begriffe und Theorien braucht uns an dieser Stelle nicht
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zu interessieren. Wichtig ist, dass mit der Frage nach zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und Organisationen ein Thema auf die historische Forschungsagenda gesetzt wird, dass sich besonders gut für lokalgeschichtliche Untersuchungen eignet. Gefragt ist nach Akteuren, Praktiken, Handlungsformen, in denen sich Stadtbürger organisieren und – dem Anspruch nach – gemeinwohlorientiert engagieren, ohne dass sie dies gewissermaßen „beruflich“ tun. Wenn man diese Gegenstandseingrenzung weit versteht, könnte man auch die kommunalpolitisch agierenden Parteien einbeziehen. Selbstverständlich sind auch die politischen Parteien ein zentrales Thema stadthistorischer Studien, zu dem ja auch für Köln schon einige Publikationen vorliegen. Hierauf möchte ich an dieser Stelle allerdings nicht weiter eingehen, um das Thema deutlich von der institutionalisierten Ebene von Politik (Wahlen, Stadtparlamente, Bürgermeister, Dezernenten etc.) zu unterscheiden. Stattdessen sollen beispielhaft zwei Untersuchungsgegenstände erwähnt werden, über die sich vermutlich ein guter Zugang zur Entwicklung des Verhältnisses zwischen zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation, lokaler Öffentlichkeit und städtischer Politik finden ließe. Was dabei im einzelnen von den Beteiligten unter „Gemeinwohl“ verstanden wird, und ob deren Aktivitäten tatsächlich gemeinwohlförderlich waren, wäre selbst natürlich erst durch konkrete Untersuchung zu klären. Als erstes wäre auf die Vereine der Stadt hinzuweisen. Vereine waren seit ihrem Aufblühen im 19. Jahrhundert die geradezu klassischen Orte bürgerlicher wie bürgerschaftlicher Vergemeinschaftung. Und auch wenn sie sich oft überörtlich organisierten und z. T. zu hierarchisch gegliederten Großorganisationen entwickelten, spielte sich das eigentliche „Vereinsleben“, die Zusammenkünfte der Mitglieder, ihre konkrete Vereinsarbeit, ihre Kommunikation und ihr geselliger Austausch doch auf lokaler Ebene ab. Was blieb davon in der dynamisierten und mobilen, in raschem Wandel begriffenen Großstadt nach 1945 übrig? Kann man noch davon sprechen, dass bürgerschaftliches Engagement in Vereinsaktivitäten fassbar war? Welche Rolle spielten Vereine als Orte der Kommunikation, der Kontakt- und Beziehungspflege, der sozialen Vernetzung in einer Stadt, in der soziale Beziehungen zwar einerseits durch zunehmende soziale, berufliche und geographische Mobilität anonymisiert worden waren, in der aber andererseits die alteingesessenen Familien und Honoratioren, die Urkölner, die ihre halb ironische, halb ernst gemeinte Distanz und Überlegenheit gegenüber den „Imis“ gern pflegten und stilisierten, vielfach
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noch das Sagen hatten? Verfestigten Vereine solche Ausgrenzungspraktiken zwischen Alteingesessenen und „Neukölnern“ oder waren sie im Gegenteil Integrationsschleusen? Eine ganze Reihe interessanter Fragen, die sich leicht verlängern ließe. An Untersuchungsgegenständen mangelt es ebenfalls nicht, man denke nur an den traditionsreichen Kölner Männergesangsverein, den Kölnischen Kunstverein, den Rotary Club Köln am Rhein oder an die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit – um nur einige prominente Vereine zu nennen. Natürlich könnte man auch an die Karnevalsvereine denken. Zweitens bieten sich Untersuchungen zu den neuen Formen bürgerschaftlichen Engagements an, die in den späten 1960er-Jahren aufkamen und dann vor allem die 1970er- und 1980er-Jahre prägten. Zu denken wäre an die verschiedenen Bürgerinitiativen und Bürgerproteste, die sich überwiegend außerhalb und z. T. gegen die etablierten Parteien und Vereine organisierten. Durch sie flossen Aktionsformen aus der außerparlamentarischen Protestbewegung der 1960er-Jahre in die kommunale Öffentlichkeit ein und wiesen ganz neue Formen politischer Mobilisierung auf. Die Proteste gegen den Stadtautobahnbau, die Aktivitäten der „Bürgerinitiative Südliche Altstadt“ im Zusammenhang mit der Sanierung des Severinsviertels, der Stollwerck-Konflikt und die lokalen Alternativmedien der 1970er- und frühen 1980er-Jahre sind prominente Beispiele dafür. Auch hier kann man nach sozialen Trägern, Vernetzungsformen und Kommunikationsstrukturen, nach dem Verständnis von „Gemeinwohl“ und nach den Beziehungen zur „offiziellen“ Politik fragen. Beide, sowohl die traditionellen Vereine als auch die Neuen Sozialen Bewegungen im Köln der 1970er-Jahre, waren Teil der lokalen Zivilgesellschaft und stadtbürgerlicher Öffentlichkeit. Selbstverständlich kann man sich viele weitere Fragen an die Kölner Geschichte der neuesten Zeit vorstellen. An dieser Stelle sollte es aber weniger um die Beschreibung eines umfassenden zeithistorisch-stadtgeschichtlichen Forschungsprogramms gehen, als vielmehr um sondierende Überlegungen dazu, welche Bedingungen zukünftige Untersuchungen zur jüngsten Vergangenheit der Stadt erfüllen sollten, damit sie unter den Widrigkeiten nach dem Archiveinsturz machbar und an aktuelle Interessen und Felder der historischen Forschung anschlussfähig sind. Plädieren möchte ich einerseits für Themen, die einen Brückenschlag zwischen den unverwechselbaren Besonderheiten der Kölner Stadtgeschichte und den allgemeinen Entwicklungen der bundesrepublikanischen Gesellschaft er-
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möglichen. Davon kann die Stadtgeschichte in vielfacher Hinsicht profitieren. Andererseits ist es erforderlich, die Themen so zu schneiden, dass Historikerinnen und Historiker aus den zahlreichen unterschiedlichen Quellenbeständen der Stadt schöpfen können. Dass dies die Materialien aus dem Historischen Archiv nicht ersetzen kann, versteht sich von selbst. Es ist daher sehr zu hoffen und zu wünschen, dass die Restaurierungsarbeiten rasch vorankommen und dabei den Überlieferungsteilen, zu denen keine Sicherungskopien oder Zweitüberlieferung vorliegen, nach Möglichkeit Priorität eingeräumt wird. Auch sollten solche Teilbestände, die der Katastrophe in Außenmagazinen unbeschädigt entgangen sind, rasch wieder zugänglich gemacht werden. Die Folgen der Katastrophe werden die Historikerinnen und Historiker, die sich für die Geschichte Kölns interessieren, noch auf viele Jahre spüren. Aber trotz aller Widrigkeiten wird die Forschung weitergehen. Dafür werden die harte Arbeit der Archivarinnen und Archivare, das Interesse der Kölner an der Geschichte ihrer Stadt und die Neugier der Historiker schon sorgen. Prof. Dr. Ralph Jessen, Professor für Neuere Geschichte am Historischen Seminar der Universität zu Köln