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German Pages [665] Year 1999
Hartmann II. (1544-1585) (3D 1568 Anna Maria Gräfin von Ortenburg (gest. 1607)
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Abb. 12: Freiherr (seit 1608 Graf) Michael Adolf von Althan (1574-1636). U m 1600. Kupferstich von Lukas Kilian nach einem G e m ä l d e des kaiserlichen H o f m a l e r s H a n s von Aachen.
Kroess, Geschichte, Bd. I I / l , S. 277f. Da Carmignano di Brenta, San Lorenzo da Brindisi, Bd. 2, S. 136 A. 10. Vgl. ebd., S. 83 f., 136-138, 142 f., 145 und 158-160, sowie Bd. 4/1, S. 152, 158, 163 f. und 168 f. 472 Forstreiter, Anfänge, S. 1 1 9 f . A . 124; MacHardy, Nobility, S. 211. 473 Vgl. Hauser, Althann, S. 6 6 - 7 6 ; Briefe und Akten, Bd. 7, S. 43; Rill, Anfänge, S. 74; Stanke, Geschichte des Kremser Jesuitenkollegs, S. 12f. Jedenfalls konvertierte Althan nicht erst im Jahre 1626, wie Schimert, Päzmäny, S. 104, 504 u. ö., irrtümlich annimmt. Evans, Habsburgermonarchie, S. 138 (engl. Originalausg. S. 177), läßt Althan gar erst in seinem Todesjahr 1636 konvertieren. 471
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dolf II. zum Landesobristen von Österreich unter der Enns ernannt 474 , und am 28. November desselben Jahres erhob ihn der Kaiser als ersten seines Geschlechts in den Grafenstand. 475 Der Haustradition der Jesuiten bei St. Anna in Wien zufolge 476 konvertierte Michael Adolf von Althan während des Pontifikats von Clemens VIII. (1592-1605) infolge eines plötzlichen Bekehrungserlebnisses. Als der junge Freiherr einmal in Prag über die Karlsbrücke ritt, „da sähe er in der Mitte der Brucken ein sehr kostbahres / und künstliches Crucifix-Bild / welches die Catholische in hohen Ehren hatten [...]". Der lutherische Freiherr habe sich über die Ehrenbezeigungen, die dem Kruzifix von den katholischen Passanten erwiesen wurden, ereifert und gedacht: „O eine unleydentliche Thorheit der Papisten! einem Holtz / und Stein ein solche Ehr beweisen / als wann sie Christum vor Augen hätten!" Er habe im Vorbeireiten das Kruzifix wütend angeblickt und den Hut trotzig „vest an sein Haubt" gedrückt. Da habe sich Gott seiner erbarmt und ihn durch ein Wunder bekehrt: „Kaum ware er [an] der Bildnuß vorbey geritten / da sihet er augenscheinlich / daß vor denen Füssen seines Pferds die Brücke sich zertheile / ein entsetzlicher Abgrund und Tieffe biß zu dem Wasser / wohin er sich schon gestürm zu werden glaubte / seye: Sein Schrocken ware so groß / daß er sich nicht verwüste; nachdeme er sich erholet hatte / vermerckte er / woher dise Gefahr entstanden: Bereuet unverzüglich die Unehr / welche er der Bildnuß seines gecreutzigten Erlösers zugefiiget hat: Kehret sich alsobalden um / steiget vor der Bildnuß von dem Pferd / fallet auffseine Knye / und verehret dieselbe viel demüthiger / als ungebärtig er selbe vorhero verunehret hat. Von dannen ware sein erster Weeg nach dem Collegio der Gesellschaft JEsu, allwo er als ein unverhoffter Gast erstlich mit Verwunderung / nach erkandter Ursach mit Freuden empfangen / und nach gebührender Zeit im Catholischen Glauben vollkommen unterrichtet ist worden." 4 7 7
Diese Bekehrung, heißt es weiter in dem apologetischen Bericht, sei ein aufsehenerregendes, vieldiskutiertes Ereignis gewesen. „Ihro Päbstliche Heiligkeit Clemens der VIII. da sie davon seynd berichtet worden / haben ihre Freude gegen ihme schriftlich bezeiget [,..]." 478 Der namentlich nicht genannte Jesuit, der 1713 die zitierte und an eine Heiligenvita erinnernde Lebensbeschreibung Michael Adolfs von Althan im Druck erscheinen ließ, betonte ausdrücklich: „Sein Bekehrung geschähe nicht auß Hoffnung deß Hoff-Gunst / sondern auß erkandter / dem Wort Gottes gemesser Warheit / demnach weilen er in seinem Irrthum nicht unaufferbaulich gelebet hatte / ware er nach seiner Bekehrung ein Spiegel der Tugendsamen Jugend." 479 Michael Adolf von Althan ist ein Musterbeispiel eines Repräsentanten der entstehenden länderübergreifenden, „gesamtösterreichischen" Aristokratie in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts. Er war einer von damals noch sehr wenigen sowohl in den österreichischen als auch in den böhmischen Ländern und Landtagen verankerten Adeligen, die auch ungarische Magnaten waren. 480 Nach seiner Konversion wurde er der wohl bedeutendste aristokratische Förderer des Jesuitenordens in der Habsburgermonarchie. Im Jahre 1616 stiftete er das Kremser Jesuitenkolleg und 1624 die Kollegien in Iglau, Znaim und Komorn. 481 Außerdem 474
Hauser, Althann, S. 69. Ebd., S. 70; Frank, Standeserhebungen, Bd. 1, S. 17. 476 „Was in hernach folgenden 12. Capituln von Ihro Excellenz Herrn Graffen Michael Adolph von Althann erzehlet wird / ist von einer treuen Feder in denen Jahr-Büchern deß Prob-Hauß s. Annae Societatis JESU in Wienn auffgezeichnet worden [...]." Seelen-eyfFriger Hoff-Herr (Wien 1713), „Voranrede", fol. 2". (Althan wurde übrigens 1636 in der Kirche des Profeßhauses der Jesuiten in Wien, also in der Kirche Am Hof, begraben.) 477 Ebd., S. 8 f. 471 Ebd., S. 10. 479 Ebd., S. 12. 480 Schimert, Päzmäny, S. 34, 104 und 125 A. 15. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nahm die Zahl der österreichischen und mährischen Familien entstammenden ungarischen Magnaten deutlich zu, blieb aber weiterhin begrenzt. Ebd., S. 109. 4,1 Vgl. u. a. Hauser, Althann; Rill, Die Anfänge des Kremser Jesuitenkollegs; Stanke, Die Geschichte des Kremser Jesuitenkollegs, S. 12-31; Tenora, Jesuitske missie, S. 777-780 und 851 ff.; Kroess, Geschichte, 475
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war er - gemeinsam mit Charles de Nevers und den Brüdern Bernardino, Pietro und Giovanni Battista Petrignani - einer der Gründer des 1618 konstituierten Ritterordens „Ordo Militiae Christianae" bzw. „(Ordre de la) Milice Chretienne" (oder „Militia Christiana" oder „Santa Militia"). 482 Der Hauptinitiator des in erster Linie mit dem Ziel der Befreiung Griechenlands von der osmanischen Herrschaft gegründeten Ordens war Karl von Gonzaga, Herzog von Nevers, Rethel und (seit 1621) Mayenne, Gouverneur der französischen Provinzen Champagne und Brie und seit 1627 bzw. 1631 (dem Jahr des den Mantuanischen Erbfolgekrieg beendenden Friedens von Cherasco483) regierender Herzog von Mantua (Abb. 13). 484 Er hatte von seinem Vater eine ambivalente politische Stellung geerbt: Ludovico Gonzaga hatte sich 1549 in Frankreich niedergelassen und hatte am französischen Hof zu den princes etrangers, also zu der illustren Gruppe der souveränen Fürstenhäusern entstammenden Träger französischer Titel 485 gehört. Karl von Nevers stand wie sein Vater lange in den Diensten des französischen Königs, ohne unmittelbar dessen Souveränität unterworfen zu sein. 486 Sein Vater Ludovico war der Chef einer der drei damals existierenden Linien des Hauses Gonzaga, seine Mutter Henriette war eine Prinzessin aus dem Hause Kleve. Seine Großmutter väterlicherseits war die letzte überlebende Erbin der (seit 1305 regierenden) Markgrafen von Monferrato aus dem Hause Palaiologos, sie entstammte also der 1453 von den Osmanen entthronten oströmischen Kaiserdynastie, als deren legitimer Erbe Karl von Nevers sich fühlte. 487 Er nahm im Jahr 1602 am kaiserlichen Ungarnfeldzug teil und wurde am 22. Oktober 1602 - wenige Wochen, bevor Hans Christoph von Puchheim das gleiche Schicksal ereilte488 - bei einem Sturmangriff auf Ofen durch eine türkische Kugel schwer verwundet.489 Spätestens seit dem Jahr 1612 beschäftigte er sich ernsthaft mit der Vorbereitung eines Kreuzzugs zur Befreiung der den Türken tributpflichtigen christlichen Bewohner der Peloponnes, die bereits 1609 durch Emmissäre (zwei Erzbischöfe und drei Bischöfe) mit ihm in Kontakt getreten waren, und des Balkans. 490 1 6 1 5 wandte er sich mit Appellen um Unterstützung des großen Vorhabens an die Könige von Frankreich und Spanien sowie an den Grafen Michael Adolf von Althan, der auch den Kaiser, Erzherzog Ferdinand und den Herzog von Bayern informieren und fur die Unterstützung des Vorhabens gewinnen sollte.491 Gleichzeitig befaßte sich Nevers seit 1615 mit der Organisierung eines Ritterordens, unter dessen Ägide der Kreuzzug proklamiert werden sollte. Der neue Orden sollte ursprünglich „Orden vom Heiligen Grab"
Bd. II/l, S. 2 8 3 - 2 9 4 ; Hanuy (Hg.), Petri Cardinalis Pazmäny epistolae, Bd. 1, S. 4 7 8 (Erzbischof Päzminy an König und Kaiser Ferdinand II., s. d. [November 1625]): „In Comor caeperat D(ominu)s Comes ab Althan missionem Patrum, nec sine ingenti fructu. Nunc illa missio est intermissa. Obsecro, Majestas V(estr)a pro salute tot animarum missionem hanc a Patribus obtinere ac sustentare dignetur." 481 Der Biograph Karls von Nevers bezeichnet den Grafen Althan als „bras droit du due de Nevers en Autriche" in der Kreuzzugs- und Ritterordensfrage. Baudson, Charles de Gonzague, S. 175. 483 Zu den höchst komplizierten erb- und lehensrechtlichen sowie machtpolitischen Ursachen und Implikationen des Mantuanischen Erbfolgekriegs und zur schließlichen Teilung der Erbmasse siehe jetzt Parrott, T h e Mantuan Succession; geraffter: ders., A .prince souverain', S. 1 7 0 - 1 8 6 . 484 Zusammenfassend: Parrott, A,prince souverain'. 485 Vgl. ζ. B. Labatut, Les dues et pairs de France, S. 3 5 1 - 3 5 5 ; Mettam, T h e French Nobility, S. 128 f. 486 Parrott, T h e Mantuan Succession, S. 54; ders., A .prince souverain', bes. S. 1 5 4 - 1 5 8 . Zu seiner Souveraineti de Charleville an der nordfranzösischen Grenze ausführlich Cremer, Der Adel in der Verfassung des Ancien Regime, S. 1 1 5 - 2 9 9 . 487 Vgl. Parrott, Charles de Nevers, bes. S. 22 f. (Stammtafel) und 3 0 - 3 2 , und ders., A,prince souverain', bes. S. 152 f. (Stammtafel) und 1 6 1 - 1 6 3 . (Vincenzo I. von Gonzaga-Mantua, der Schwiegervater Kaiser Ferdinands II., war ein Cousin Karls von Nevers.) 488 489 450 4,1
Siehe oben S. 125 f. Baudson, Charles de Gonzague, S. 4 9 - 5 2 ; Humbert, Nevers, S. 86. Fagniez, Le P^re Joseph, Bd. 1, S. 125 ff.; Cremer, Der Adel, S. 1 4 4 - 1 5 1 . Cremer, Der Adel, S. 153 f.
T y p o l o g i e d e r adeligen K o n v e r t i t e n
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Abb. 13: Reiterbildnis Karls I. von Gonzaga, Herzogs von M a n t u a ( 1 5 8 0 - 1 6 3 7 ) . Kupferstich von Alberto Ronco.
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heißen, die Malteser konnten jedoch eine Namensänderung durchsetzen, sodaß er schließlich den Namen „Ordre de la Milice Chrestienne" (oder „Ordo Militiae Christianae") erhielt. 492 Nevers gewann ftir seinen Plan unter anderem die Unterstützung von Pere Joseph 493 , des berühmten Kapuzinerpaters, Hugenotten- und Orientmissionars, Mystikers, Dichters und - als Mitarbeiter („Graue Eminenz") des 1616 zum Staatssekretär ernannten, aber 1617 wieder entlassenen späteren Kardinals Richelieu - Machtpolitikers. 494 Ende August 1616 versprach die Königin-Mutter Maria von Medici, die Gründung des Ordens mit 1,2 Millionen Pfund zu subventionieren. Im Jahr 1617 bemühte sich der Herzog von Nevers bei Kaiser Matthias um die Durchmarscherlaubnis fiir ein eventuelles polnisches Kreuzzugsheer durch habsburgisches Territorium. Der wichtigste Propagator des Kreuzzugs- und Ritterordensplanes am Kaiserhof war Michael Adolf von Althan, mit dem Nevers im Frühsommer 1615 über Vermittlung des kaiserlichen Feldherrn Henri Duval Graf Dampierre brieflich in Kontakt getreten war. Graf Althan hatte ihm damals volle Unterstützung seiner Kreuzzugspläne versprochen. 495 Auch der Kapuzinerpater Valerian Magni 496 war an den Vorbereitungen der Ordensgründung beteiligt. Ende August 1616 kam er in dieser Angelegenheit auf Einladung des polnischen Königs Sigismund III. in Warschau an. Es gelang dem Grafen Althan und P. Valerian, den König für die Kreuzzugs- und Ordenspläne zu gewinnen. 497 Im Februar 1617 reiste der Kapuziner von Warschau nach Rom, um Papst Paul V. die Pläne des polnischen Königs und des Grafen Althan über die Gründung eines neuen Ritterordens darzulegen (sowie um ihn über das Vorhaben des Königs zu informieren, den Kapuzinerorden in Polen einzuführen). 498 Nachdem die Vorbereitungen für die Gründung eines aus einer französischen (bzw. französisch-flandrisch-lothringischen), einer italienischen (bzw. italienisch-spanischen) und einer „östlichen", deutsch-polnisch-ungarisch-österreichischen Wurzel zusammengewachsenen Ritterordens abgeschlossen waren, reiste der künftige Ordensgroßmeister Karl von Nevers Anfang November 1618 persönlich nach Mitteleuropa (Prag, Krakau, Olmütz, Wien). Die Gründungsversammlung der dem Schutz der Muttergottes und des Erzengels Michael unterstellten „Militia Christiana" fand in Anwesenheit der drei wichtigsten Gründerväter und künftigen Leiter der drei Ordensprovinzen - des Herzogs von Nevers, des Italieners Giovanni Battista Petrignani (stellvertretend fiir die drei Brüder Petrignani) und Michael Adolfs von Althan - am 16. November 1618 in Olmütz in der Kirche des wenige Jahre zuvor gegründeten Kapuzinerklosters statt; die Predigt hielt P. Valerian Magni. 499 In den ersten Monaten des
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Ebd., S. 156f. Bürgerlicher Name: Frar^ois Le Clerc D u Tremblay, Baron de Maffiers. Laut einem wohl im Jahre 1616 entstandenen Memoire des Herzogs von Nevers fiir den spanischen König kam Pere Joseph am Tag des heiligen Franziskus (4. Oktober) des Jahres 1615 zu ihm und erzählte ihm, er habe am Michaelstag (29. September) eine Vision gehabt, in der ihm der göttliche Wunsch offenbart worden sei, daß Nevers das Kommando bei einer Aktion zur Vernichtung des Osmanischen Reiches übernehme. Leitsch, Pere Joseph, S. 167 f. A. 7. 4,4 Vgl. Fagniez, Le Pere Joseph, bes. Bd. 1, S. 120-181 (Le projet de croisade, 1616-1625); Huxley, Graue Eminenz, bes. S. 131-170; Andreas, Pater Joseph. Nicht zugänglich war mir das wichtige, aber äußerst seltene (vgl. Huxley, Graue Eminenz, S. 348 f.) Werk von Louis Dedouvres, Politique et apötre. Le Pere Joseph de Paris, 2 Bde. (Paris 1932). Eine pointierte Zusammenfassung des Kenntnisstandes über die Rolle des Pere Joseph im Zusammenhang mit den Plänen einer Türkenliga in den Jahren 1616 bis 1625 bietet Leitsch, P£re Joseph. 455 Tapii, La politique itrangfcre de la France, S. 278-281; Baudson, Charles de Gonzague, S. 103-133. 49,5 Siehe S. 123 f. und Kapitel 16.2. 4.7 Leitsch, Pere Joseph, S. 163. 4.8 Ebd.; Cygan (Hg. und Bearb.), Valerianus Magni. „Vita prima", S. 231 f.; Sousedik, Valerian Magni (1983), S. 30 f. 4 " Tapi^, La politique etrangere, S. 282-285; Cygan (Hg. und Bearb.), Valerianus Magni. „Vita prima", S. 43 f. (bes. Anm. 34) und 232. 493
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Jahres 1619 rühmte sich Nevers am Kaiserhof damit, in Frankreich für den geplanten Kreuzzug 6.000 Mann zu Fuß und 2.000 Reiter anzuwerben. Die damals von anderen Sorgen geplagten Wiener Minister fragten ihn naheliegenderweise, ob er nicht bereit wäre, diese Truppe zur Verfugung zu stellen, um die kaiserliche Armee im Kampf gegen die böhmischen Ketzer und Rebellen zu unterstützen. Nevers erklärte sich unter bestimmten Bedingungen und unter der Voraussetzung, daß sein König zustimme, dazu bereit. 500 Am 8. März 1619, nachdem die päpstliche Erlaubnis aus Rom eingelangt war, hielt der neue Orden in Wien in Anwesenheit des zwölf Tage danach gestorbenen Kaisers Matthias und seines Nachfolgers, des Königs Ferdinand von Böhmen und Ungarn, die erste feierliche Versammlung ab. 501 Im Bereich des Heiligen Römischen Reiches hatte der „Ordo Militiae Christianae" nur wenige Jahre Bestand, obwohl der „östliche", der Autorität Althans unterstehende Zweig des Ordens 1628 noch existierte, aber wohl nur mehr nominell und mehr in der Erinnerung als in der Realität. 502 Immerhin gingen die mit Wissen des polnischen Königs Sigismund III. der 1613 mit Kaiser Matthias einen Bündnis- und Handelsvertrag abgeschlossen hatte 503 und der mit dem neuen Kaiser Ferdinand II. verschwägert war - im Herbst 1619 zur Unterstützung des Kaisers im Kampf gegen die aufständischen Stände seiner Länder und gegen den siebenbürgischen Fürsten Gabriel Bethlen in Südpolen durchgeführten Werbungen auf die Initiative des Ordens und insbesondere zweier Konvertiten, der Grafen Michael Adolf von Althan und Georg Drugeth von Homonnay, zurück. Ende November 1619 zog der vor Bethlen nach Polen geflohene oberungarische Magnat Georg Drugeth von Homonnay an der Spitze von rund 11.000 Kosaken über die Karpaten und fiel in Oberungarn ein. Er zwang Bethlen, der zuvor ganz Ungarn erobert hatte, zum Rückzug und verschaffte damit der kaiserlichen Seite eine wichtige Entlastung. 504 Nicht zuletzt auf Anregung Althans hatten sich bereits 1617 in Warschau, mit stiller Einwilligung des polnischen Königs, polnische, deutsche, ungarische, siebenbürgische, walachische und moldauische Fürsten und Adelige in einer Art Ritterorden - der „östlichen" Wurzel und Vorläuferinstitution der 1618 gegründeten „Militia Christiana" - vereinigt, dessen Zweck in der Aufstellung eines Korps von 12.000 bis 15.000 Mann bestand, an dessen Spitze sie nach Konstantinopel marschieren wollten. 505 Während des Böhmischen Aufstands engagierten sich die um Althan gruppierten Elemente der „Militia Christiana" statt im antiosmanischen im antiprotestantischen Kampf: in den militärischen Operationen, die schließlich in die Schlacht am Weißen Berg mündeten. 506 Im Januar 1624 ernannte Papst Urban VIII. den von illusionären Idealen und (blutrünstigen) idealen Illusionen geleiteten Karl von Nevers (Tapie charakterisierte ihn treffend als „personnage exalte"507) zum Großmeister des neuen Ordens und verwandelte die „Milice 500
Tapie, La politique etrangere, S. 304 f. Ebd., S. 320 Α. 1. Vgl. Mericka, Rad Krest'anskeho rytirstva; Humbert, Nevers; Baudson, Charles de Gonzague, S. 172-194; Prochäzka, Militaria Bohemica, S. 91; Hochedlinger, „Freundschaft", S. 122 und 151 (Literaturhinweise). 302 Fagniez, Le Perejoseph, Bd. 1, S. 179f. 501 Vgl. Macürek, Ceske povstäni, S. 7 - 1 1 . Einer der wichtigsten Punkte des (zunächst geheimgehaltenen) Vertrags betraf die Zusicherung gegenseitiger Hilfe fiir den Fall von Aufständen unter den eigenen Untertanen. 504 Gindely, Geschichte des böhmischen Aufstandes, Bd. 2, S. 288-290; Depner, Das Fürstentum Siebenbürgen, S. 26-138; Broucek, Kampf um Landeshoheit, S. 26 f. und 29 f.; Tapii, La politique etrangere, S. 401 und 408 f.; Heinisch, Habsburg, I. Teil, S. 152-165; Winkelbauer, Nervus Belli Bohemici, S. 191 f. und 211 f. - Georg Drugeth von Homonnay war ein im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts zum Katholizismus konvertierter Magnat mit großem Landbesitz in Oberungarn und ein persönlicher Rivale des 1613 praktisch von der Pforte eingesetzten Fürsten von Siebenbürgen Gabriel Bethlen. Vgl. Schimert, Päzmäny, S. 48 f., 59, 82, 95, 172 f., 190, 197 f., 254 f. und 366. 505 Humbert, Nevers, S. 89-95. 506 Ebd., S. 96. 507 Tapie, La politique etrangere, S. 336. 501
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Chretienne" de facto aus einer von den politischen Mächten unabhängigen Laienarmee unter Ausnützung der Eitelkeit ihres wichtigsten geistigen Vaters und Gründers „in eine Art Dritten Orden im Dienste der päpstlichen Politik". 508 Daraufhin stellte der Orden im Jahre 1625 (also noch vor Ausbruch des Mantuanischen Erbfolgekrieges 1628), nachdem er am 10. Mai 1625 endlich die päpstliche Bestätigung erhalten hatte, seine Tätigkeit, jedenfalls aber seine Wirksamkeit praktisch ein - unter anderem infolge des Mangels an Unterstützung von selten des Kardinals Richelieu, des neuen (seit April 1624) Leiters der französischen Politik, und wegen der Zerstörung der kleinen Ordensflotte (sechs Galeonen) durch die Hugenotten unter dem Kommando von Benjamin de Rohan, Herzog von Soubise. Überdies war der Orden in Spanien mit der Begründung, daß es hier bereits sieben Militärorden gebe, nicht zugelassen worden. Und der Kaiser hatte damals angesichts der Schwierigkeiten in seinen Erblanden und mit einigen Reichsfiirsten keinerlei Interesse daran, den Friedenszustand mit dem Osmanischen Reich zu gefährden. Das levantinische Unternehmen scheiterte letztlich an der europäischen Mächtekonstellation und an der innenpolitischen Situation Frankreichs und der Habsburgermonarchie. 509 Der Plan eines antiosmanischen Kreuzzugs blieb angesichts der in Kriegen und Bürgerkriegen zum Ausdruck kommenden inner- und zwischenstaatlichen Konflikte des „konfessionellen Zeitalters" Episode, aber immerhin eine für die religiöse und politische Mentalität der ihn verfolgenden katholischen „Milites Christiani" aus West-, Mittel- und Osteuropa höchst bezeichnende Episode. Diese wurden zu dem Projekt von einem exaltierten, kosmopolitischen (im ursprünglichen Wortsinn „katholischen") und militanten Katholizismus inspiriert, der sowohl dazu bereit war, im jeweils eigenen Land die Gegenreformation aktiv zu unterstützen, als auch überall in Europa die Ungläubigen mit der Waffe in der Hand zu bekämpfen. 510 Die stark vom Neuhumanismus (in der Nachfolge Winckelmanns und Herders) beeinflußten europäischen Philhellenen, insbesondere die großteils der Generation der Befreiungskriege angehörenden deutschen Philhellenen, die 1821 bis 1832 den schließlich erfolgreichen griechischen Freiheitskampf gegen die Türkei unterstützten, dürften mit ihren zwei Jahrhunderte früher lebenden Vorgängern nicht allzuviel gemeinsam gehabt haben. 511 Ernst von Kollonitsch (1582-1638) Der aus der österreichischen Linie eines ursprünglich kroatischen Geschlechts stammende lutherische Freiherr (seit 1637 Graf) Ernst von Kollonitsch (Abb. 14), ein ausgezeichneter Kriegsmann in kaiserlichen Diensten 512 , war um 1620 (infolge der Heirat mit Sabina Eleonora Freiin von Sonderndorf im Jahre 1607 513 ) im Besitz der Herrschaft Kirchberg am Walde im niederösterreichischen Waldviertel, zu der auch das Patronat über die der Pfarre Kirchberg inkorporierte Filial- und Marienwallfahrtskirche Hoheneich gehörte. 514 Mit seiner angeblich M " Der Papst soll die Ordensstatuten erstmals am 23. Februar 1624 und endgültig am 10. Mai 1625 approbiert haben. Leitsch, Pere Joseph, S. 168 A. 15. m Humbert, Nevers, S. 104-108; Baudson, Charles de Gonzague, S. 210-226; Huxley, Graue Eminenz, S. 154; Cremer, Der Adel, S. 163-168; Cygan (Hg. und Bearb.), Valerianus Magni. „Vita prima", S. 44 A. 34; Leitsch, Pere Joseph. - Der „Ordo Militiae Christianae" würde ohne Zweifel eine monographische Untersuchung verdienen. 5,0 Fagniez, Le Pere Joseph, Bd. 1, S. 150 f. Die nüchterne Beurteilung von Tapie, La politique etrangere, S. 282, geht wohl nicht fehl: „Cetait la un de ces projets de seconde zone que les gouvernants gardent ä portee de leur main, pour les utiliser, ä l'occasion, mais sans leur accorder d'avance un grand credit." Ebd. weist Tapie darauf hin, daß ein Kreuzzug Charles d'Albert, Herzog von Luynes, dem Günstling und Favoriten Ludwigs XIII., auch die Gelegenheit verschafft hätte „d'occuper, au loin, une noblesse turbulente". s " Zur „Frühphase des europäischen Philhellenismus" (1453-1750) siehe Pfeiffer, Studien. 5.2 Wurzbach, Biographisches Lexikon, 12. Teil, S. 359. 5.3 Plesser, Zur Kirchengeschichte des Waldviertels, S. 482; F. Weissensteiner, Reformation und Gegenreformation, S. 53 und 117. 5.4 Schimka, Zusammensetzung, S. 145.
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1621 plötzlich erfolgten, im Jahre 1623 schließlich öffentlich bekundeten Konversion zum Katholizismus ist eine von Kollonitsch selbst bezeugte Wunderlegende verbunden. Die zeitnächsten Nachrichten über dieses Wunder stammen von Mag. Johannes Cammerlander, der von 1631 bis 1662 Pfarrer von Kirchberg war und der zur Belebung der Hoheneicher Wallfahrt und mit dem Ziel der Erlangung eines päpstlichen Ablasses für die Wallfahrtskirche detaillierte Wunderberichte verfaßte. Einen davon sandte er im Februar 1640 an den Passauer Offizial Johannes Bartholomäus Kobolt von Tambach 515 , einen weiteren an den Zwettler Zisterziensermönch und späteren Abt Bernhard Linck, der ihn seinen vor 1646 im Manuskript fertiggestellten ,Annales Austrio-Clara-Vallenses"516 inserierte (ohne Angabe des Datums) 517 . Cammerlander berichtet, am Fest Maria Geburt (also am 8. September) des Jahres 1621 habe sich das mit Zustimmung des Patronatsherrn Kollonitsch von dem lutherischen Prädikanten Timotheus Textor (Weber) versperrte und verbarrikadierte Südtor der Hoheneicher Kirche vor den Augen des aus einem Versteck die Szene beobachtenden Freiherrn auf wunderbare Weise geöffnet, nachdem ein aus Südböhmen kommender Wallfahrerzug die Kirche umrundet hatte. Als Augenzeugen des Wunders führt Cammerlander insbesondere den Kirchberger Pfleger und einen herrschaftlichen Jäger an. Das „Wunder" 518 öffnete dem lu-
'"s Abgedruckt bei Plesser, Beiträge, S. 4 8 1 ^ 8 5 . 5li Coreth, Geschichtschreibung, S. 92 f. 517 Linck, Annales Austrio-Clara-Vallenses, Bd. 2, S. 581 f. (Gundinger, Kollonitsch, bietet nur eine romanhaft ausgeschmückte Version dieser Quelle.) Pfarrer Alois Plesser meinte noch 1895: „Da bei dieser Begebenheit sowohl Täuschung als auch Betrug ausgeschlossen zu sein scheint, und auch eine natürliche Erklärung nicht angeht, so wird man darin wohl ein
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therischen Grundherrn nach dessen eigener Aussage die Augen und war der Anlaß seiner Bekehrung zur „alleinseligmachenden" Religion. Das Ereignis soll einen solchen Eindruck auf ihn gemacht haben, daß er sich zunächst nach Wien und dann im geheimen in das Stift Zwettl begab, um sich dort in der katholischen Lehre unterrichten zu lassen. Nach mehr als eineinhalb Jahren legte er 1623 in der Kirche des Stiftes Zwettl in die Hände von Abt Johann Seyfried 519 das Tridentinische Glaubensbekenntnis ab. Der Abt, so berichtet Cammerlander, habe Kollonitsch - wie 30 Jahre früher in Saint-Denis der dortige Abt und der Erzbischof von Bourges König Heinrich IV. von Frankreich - mit den Pontifikalien bekleidet beim Portal der Stiftskirche erwartet, um ihn an der Hand zum Hochaltar zu fuhren. In Gegenwart einer großen Volksmenge habe er nach dem Evangelium das Glaubensbekenntnis mit lauter Stimme so feierlich und ausdrucksvoll gesprochen, daß viele in Tränen ausgebrochen seien; anschließend habe er zum ersten Mal nach katholischem Ritus die heilige Kommunion empfangen. Sodann sei er nach Kirchberg auf sein Schloß zurückgekehrt. Dort habe er den zu diesem Zweck zusammengerufenen Untertanen seine Bekehrung bekanntgegeben und habe sie aufgefordert, es ihm gleichzutun, falls sie seine Untertanen bleiben wollten, oder auszuwandern. Angeblich verließen nur wenige die Herrschaft, die anderen traten zur römischen Kirche über. 520 Am 7. August 1623 entließ Kollonitsch den Pastor Timotheus Textor mit der beachtlichen Abfertigung von 300 Gulden und unter Überlassung der vorjährigen (Getreide-)Ernte. 521 Gernot Heiß hat die ansprechende, freilich unbeweisbare Vermutung geäußert, „daß nicht nur Eigennutz sondern auch die Sorge um die Untertanen zu dieser Entscheidung führten, nachdem ,Strafaktionen' kaiserlicher Söldner und Plünderungen durch Truppen der böhmischen Konföderierten die Herrschaft aufs schwerste verwüstet hatten". 522 Wie dem auch sei: Die Konversion Kollonitschs kann sicherlich nur mit Vorbehalten als „plötzliche Konversion" bezeichnet werden, da zwischen dem (angeblichen) Bekehrungserlebnis und dem öffentlichen Bekenntnis zum römisch-katholischen Glauben mehr als eineinhalb Jahre verstrichen. Heinrich Wilhelm von Starhemberg (1593-1675) Die Starhemberger waren, nachdem sie in dem 1572 durch einen Vergleich beendeten Rechtsstreit mit den Herren von Liechtenstein und mit dem Landesfursten den Großteil des Erbes der 1559 in männlicher Linie ausgestorbenen Schaunberger behaupten hatten können, unmittelbares Eingreifen der göttlichen Allmacht, also ein Wunder erblicken müssen." Plesser, Hoheneich, S. 476. Im Gegensatz dazu schrieb der Kirchenhistoriker und Journalist Theodor Wiedemann — ebenfalls ein katholischer Priester - im Jahre 1880 rationalistisch-aufgeklärt (Wiedemann, Geschichte, Bd. 2, S. 639): „[...] Kollonitz Hess doch seinen persönlichen Vortheil über seinen Protestantismus walten, schloss sich an Ferdinand II. an, fingirte ein Wunder, begab sich nach Zwettl und trat in die katholische Kirche." 519 Der Heiligenkreuzer Professe P. Johannes Seyfried, ein gebürtiger Schlesier, war 1612 auf Intervention Klesls und des Kaisers von der Wahlkommission zum Abt erklärt worden, obwohl die sieben Zwettler Konventualen den Zwettler Subprior P. Christoph Bendel gewählt hatten. Dazu und zu seiner Regierungszeit vgl. zusammenfassend Kubes/Rössl, Stift Zwettl, S. 65. 320 Linck, Annales Austrio-Clara-Vallenses, Bd. 2, S. 583; Plesser, Hoheneich, S. 466 f., 4 7 5 - 4 7 7 und 480-485; Wiedemann, Geschichte, Bd. 2, S. 639-641; F. Weissensteiner, Reformation und Gegenreformation, S. 117-120. 521 Plesser, Zur Kirchengeschichte des Waldviertels, S. 483. - Eine andere, weniger bekannte, gleichfalls bereits von Bernhard Linck überlieferte, von der Überzeugungskraft eines Mariengnadenbildes auf den damals noch protestantischen Freiherrn handelnde und in Ungarn spielende Wunderlegende verlegt die Bekehrung Emsts von Kollonitsch bereits auf einen nicht näher genannten früheren Zeitpunkt (wohl 1619). Linck, Annales Austrio-Clara-Vallenses, Bd. 2, S. 582f.; Wurzbach, Biographisches Lexikon, 12. Teil, S. 359. 522 Heiß, Gegenreformation, S. 219f.; Renate Zedinger Schloß sich dieser Ansicht an (Bruckmüller/Urbanitsch [Red.], 996-1996. ostarrichi - Österreich, S. 439). Zur Plünderung und Brandschatzung von Schloß und Markt Kirchberg und der umliegenden Dörfer sowohl durch kaiserliche Hilfsvölker als auch durch die Armee der aufständischen Böhmen in den Jahren 1619 und 1620 siehe Plesser, Zur Kirchengeschichte des Waldviertels, S. 482 f.
Typologie der adeligen Konvertiten
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das mächtigste Herrengeschlecht des Landes ob der Enns. 523 Heinrich Wilhelm von Starhemberg wurde als ältester Sohn des überzeugten Calviners und Freundes von Tschemembl, Reichard von Starhemberg, geboren. Auf seiner gemeinsam mit seinem Bruder Gundaker und einem Präzeptor unternommenen, rund fünf Jahre dauernden Kavalierstour verbrachte er die Jahre 1608 bis 1610 in Genf, dem geistigen Zentrum des Calvinismus. Weitere wichtige Stationen der Reise waren Lyon, Grenoble, Marseille, Paris, Heidelberg, Frankfurt am Main, Padua, Florenz, Neapel und Rom. 524 Nach dem Tod des Vaters (1613) trat er im Jahre 1616 in Hof- und Kriegsdienste des Kaisers Matthias. Nach dem Regierungsantritt Ferdinands II. wurde er dessen Mundschenk und Kämmerer. 525 In den Jahren nach dem Oberösterreichischen Bauernaufstand des Jahres 1626 und nach der Beendigung der bayerischen Pfandschaft im Mai 1628 erfaßte die vom Kaiser betriebene Gegenreformation in Österreich ob der Enns auch den Adel. Dessen Angehörigen blieb nur die Wahl auszuwandern oder zum Katholizismus überzutreten. Im Sommer 1628 antwortete Heinrich Wilhelm, der mit seinen Brüdern wiederholt in Wien weilte, seiner Mutter auf deren Mahnungen, den väterlichen Glauben ja nicht zu verlassen, noch, er denke gar nicht daran und sei bereit, mit freudigem Herzen alle Heimsuchungen zu ertragen. 526 In der Folge scheint Heinrich Wilhelm den Plan gefaßt zu haben, seine Güter zu verkaufen und auszuwandern. Anfang September 1629 schrieb er an seine Mutter, er werde in Linz von den kaiserlichen Räten wie ein Gefangener behandelt. 527 Das genaue Datum der selbst für seine Familie überraschenden Konversion Heinrich Wilhelms ist nicht festzustellen. Sie muß jedenfalls im Laufe des Jahres 1630 erfolgt sein. 528 Die Motive können nur vermutet werden. Heinrich Wilhelms Biograph hat dazu die folgende, letztlich spekulative Einschätzung geäußert: „Stand auf der einen Seite ein ungewisses Schicksal in fremden Ländern, so war auf der anderen die Aussicht auf Karriere, und gerade ein Mensch mit gesundem Ehrgeiz wie Heinrich Wilhelm wird davon nicht unberührt geblieben sein." 529 Heinrich Wilhelm von Starhemberg heiratete nach seiner Konversion Susanna von Meggau, eine der fünf Töchter des Grafen Leonhard Helfried von Meggau, der sowohl unter Kaiser Matthias als auch unter Ferdinand II. einer der einflußreichsten Männer am Kaiserhof war (unter anderem war er 1621-1626 Statthalter in Österreich unter der Enns und, als Nachfolger Gundakers von Liechtenstein, 1626-1637 Obersthofmeister Kaiser Ferdinands II.). 530 Heinrich Wilhelm machte nach seiner Konversion, zweifellos nicht zuletzt dank der Protektion seines Schwiegervaters, Karriere am Hof des späteren Kaisers Ferdinands III. 1631 wurde er zum Hofmarschall des Königs ernannt. Nach dem Tod
523 G. Ulbrich, Grafen von Schaunberg, bes. S. 171-199; Stülz, Zur Geschichte der Herren und Grafen von Schaunberg, S. 226-229 und 357 f.; Heilingsetzer, Zwischen Bruderzwist und Aufstand in Böhmen, S. 76-78; S. Haider, Herren und Grafen von Schaunberg, S. 25. ''" Heilingsetzer, Heinrich Wilhelm von Starhemberg, S. 16 ff. 525 Ebd., S. 27 f. „Ich bin zwar von hochen chatollischen personen mit disputirn hart angehalten worden, jedoch durch die gnade Gottes mir solches nit allein keinen zweiffei in meiner religion verursacht, sondern in Forschung und nachsuchung der streitschrifften (damit ich ihnen mit einem grund mein glauben verantworten könne) ich gewisslich in meiner religion gesterkt und mit vil freudigeren hertzen werde die heimsuchungen ausstehen und ertragen mögen." Ebd., S. 42 A. 53. 527 Ebd., S. 43. 528 Ebd., S. 44. 52 ' Ebd., S. 45. 530 Vgl. Starzer, Beiträge, S. 218-225; Schwarz, Privy Council, S. 300-302; Grüll, Weinberg, S. 15-18. Bei der unter dem Vorsitz des Kaisers erfolgenden Eröffnung des Testaments des Grafen Meggau am 23. April 1644 im Geheimen Rat in der Wiener Hofburg waren anwesend: Erzherzog Leopold Wilhelm, Fürst Gundaker von Liechtenstein, die Grafen Maximilian von Trauttmansdorff, Wilhelm Slavata, Franz Christoph Khevenhüller und Georg Adam (Bofita) von Martinitz sowie „Johann Matthias Pirckhmair" (gemeint ist offenbar der österreichische Hofkanzler Prick[h]elmayer). Grüll, Weinberg, S. 18.
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Konfession und Konversion
Ferdinands II. wurde er 1637 kaiserlicher Obersthofmarschall und übte dieses Amt durch mehr als 30 Jahre aus. 1643 verlieh ihm Ferdinand III. die Reichsgrafenwürde. 531 War Heinrich Wilhelm von Starhemberg in seiner Jugend ein eifriger, auch in theologischen Streitfragen sehr beschlagener Protestant gewesen, so wurde er mit seiner Konversion zum Katholizismus ein ebenso entschiedener Verfechter der alten Kirche. Schon wenige Monate nach seiner Konversion bemühte er sich, auch seine Verwandten und Bekannten, sofern sie (noch) Protestanten waren, dazu zu bewegen, es ihm nachzumachen. 532 Er stellte sich ganz in den Dienst der Gegenreformation und sorgte dafür, daß die Kinder seiner Untertanen katholisch erzogen wurden. 1639/43 gründete er überdies in Freistadt ein Kapuzinerkloster, in dessen Kirche er sich an der Seite seiner ersten Gemahlin beisetzen ließ. Die Stiftung fiel 1785 dem josephinischen „Klostersturm" zum Opfer. 533 An seinem Onkel Erasmus dem Älteren, dem langjährigen Förderer und Freund Keplers 534 , sowie an seinen jüngeren Brüdern Gundaker und Erasmus dem Jüngeren biß sich der Bekehrungseifer Heinrich Wilhelms die Zähne aus. 535 Der Calvinist Erasmus d. J. von Starhemberg lebte, wie bereits erwähnt, im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts fast ständig in Wien und war mit verschiedenen Persönlichkeiten des katholischen Lagers bekannt, mit einzelnen von ihnen sogar befreundet - „soviel der weit brauch leidet", wie er sich selbst einmal ausdrückte. Auch mit seinen zum Katholizismus konvertierten Brüdern kam der konfessionell tolerant gesinnte Freiherr bzw. (seit 1643) Graf 536 weiterhin gut aus, ohne jemals ernsthaft in Versuchung zu kommen, ebenfalls zu konvertieren. Dem höfischen Leben und weltlichen Amtern und Würden stand er skeptisch gegenüber. 1647 notierte er aus einem konkreten Anlaß enttäuscht, „neue ehren und ämbter machen der armen freind bald vergessen", und: „Honores mutant mores." 537 Der ebenfalls den Kaiserhof meidende Erasmus d. A. von Starhemberg gab 1623 dem Neffen Heinrich Wilhelm gegenüber seiner kritischen Einstellung zum Hof als einem notwendigen Übel mit den folgenden Worten Ausdruck: „gar zu nahen und allzeit oder gar zu fere von hoff zu sein ist beedes nit guett." 538 Gundaker von Dietrichstein (1623-1690) Der Lutheraner Gundaker von Dietrichstein war ein Sohn des Bartholomäus von Dietrichstein, eines Cousins des Kardinals. Er trug sich noch 1640 mit dem Motto „Malo regionem quam religionem mutare" in das Stammbuch des Nürnberger Predigers Johann Saubert ein. Um Vermögens- und Erbschaftsfragen zu regeln, reiste er an den Wiener Hof und nach Graz. Hier ließ er sich mit den Jesuiten in Religionsgespräche ein und faßte schließlich - nach vierzigtägigem Fasten - den Entschluß, zum Katholizismus überzutreten. Im Beisein zahlreicher Standesgenossen legte er (um 1650?) feierlich das katholische Glaubensbekenntnis ab und unternahm anschließend eine Wallfahrt nach Mariazell. Im Jahre 1656 wurde er zum Reichshofrat und zum Reichsgrafen ernannt. 1658 übernahm er das Amt des Oberststallmeisters am Kaiserhof. Von 1675 bis zu seinem Tod war er Oberstkämmerer. 1684 wurde er von Kaiser Leopold
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Heilingsetzer, Heinrich Wilhelm von Starhemberg, S. 51, 59 f. und 66. Ebd., S. 109. 533 Ebd., S. 109 f. 534 Vgl. Heilingsetzer, Ständischer Widerstand, bes. S. 288 f. 535 Sein jüngster Bruder Kaspar (gest. 1646), sein Neffe Bartholomäus (gest. 1676) und seine Großvettern Konrad Balthasar (gest. 1687) und Johann Ludwig (gest. 1666) folgten hingegen seinem Beispiel und konvertierten ebenfalls. Kühne, Schaunberg und Starhemberg, S. 7 7 - 8 4 und 92. Zu Konrad Balthasar von Starhemberg, dem Vater des Verteidigers Wiens gegen die Türken, Ernst Rüdiger (1638-1701), und des bedeutenden Hofkammerpräsidenten und Finanzreformers Gundaker Thomas (1663-1745), sowie zu seiner glanzvollen Laufbahn nach der im Jahre 1639 vollzogenen Konversion siehe Häusler, Schönbühel, bes. S. 50-57. 536 Durch die Erhebung des ganzen Geschlechts in den Reichsgrafenstand im Jahre 1643. 537 Heilingsetzer, Die andere Barockkultur, S. 18, 20 und 22 A. 26. 338 Heilingsetzer, Ständischer Widerstand, S. 288. 532
Proselytenmacherei
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in den Fürstenstand erhoben, nachdem er zuvor Ritter des Goldenen Vlieses geworden war. Er stand auch nach seiner Konversion weiterhin in engem Kontakt mit seinem als Exulant in Nürnberg lebenden Bruder Christian ( 1 6 1 0 - 1 6 8 1 ) . Er starb ohne männlichen Erben und wurde in der Kirche des von ihm gegründeten Kapuzinerklosters in Hollabrunn begraben. 539 Damit breche ich diese Konvertitengalerie ab - in der Hoffnung, daß es geglückt sei, einen Eindruck von der politischen Situation, dem geistigen Klima und, soweit es die in dieser Hinsicht häufig spärlichen Quellen zulassen, den unterschiedlichen individuellen Motiven, die fiir die einzelnen Konversionen maßgeblich waren, zu vermitteln. Anstelle eines Resümees sei noch einmal betont, daß die vorgeschlagene, zugegebenermaßen recht simple Typologie - einerseits Konversionen aus äußeren Gründen versus Konversionen aus inneren Gründen, andererseits Konversionen als Resultat einer längeren Entwicklung versus Konversionen als plötzliche Umkehr - nur ein Hilfsmittel sein soll, konkrete Konversionen in einem zweidimensionalen Koordinatenkreuz zu verorten. Daß dies nicht einmal in quellenmäßig relativ gut dokumentierten Fällen zweifelsfrei möglich ist, dürfte klar geworden sein und ist als ein Hauptergebnis dieses Kapitels festzuhalten. Die mit Bezug auf die Konversion Heinrichs IV. von Frankreich geäußerte Ansicht, es sei fiir die Konfessionswechsel des 16. Jahrhunderts charakteristisch, daß niemand wissen konnte, ob sie aus äußeren oder inneren Gründen erfolgten 540 , konnte immerhin in einigen Fällen relativiert werden. Im großen und ganzen hat sie sich aber bestätigt.
3.3. Proselytenmacherei 3.3.1. Die vergeblichen Versuche Gundakers von Liechtenstein, seine Schwester Katharina von Volkersdorf zum Katholizismus zu bekehren Es ist bekannt, daß sowohl im Adel als auch im Bürger- und im Bauerntum die Frauen dem Ansturm der Gegenreformation im allgemeinen länger und hartnäckiger Widerstand leisteten als die Männer. 541 Katharina, die 1 5 7 2 geborene älteste Schwester Gundakers von Liechtenstein, bestätigt die Regel bzw. Beobachtung, daß Witwen von protestantischen Adeligen besonders fest an ihrem Glauben festhielten. 542 Katharina hatte sich 1 5 9 2 mit dem
539 Schwarz, Privy Council, S. 224f.; Dedic, Exulanten, 1. Teil, S. 132f.; Schnabel, Exulanten, S. 582 und 593; Lechner (Hg.), Handbuch, Bd. 1, S. 326. ''m „ [ . . . ] the whole point about confessional changes in the sixteenth century is that nobody could know whether they were sincere or not." Greengrass, France in the Age of Henri IV, S. 76. 111 Vgl. ζ. Β. Patrouch, Methods, Kap. IV; Reingrabner, Reformation und katholische Restauration, S. 119; Maroli, Reformationszeitalter, Bd. 2, S. 202 f. und 2 3 3 - 2 4 4 ; Gindely, Gegenreformation, S. 239 (über die hartnäckige Weigerung der Frauen von Jungbunzlau, eines ehemaligen Zentrums der Brüderunität, 1626/27 dem Beispiel ihrer - unter Druck - zumindest äußerlich zur katholischen Kirche übergetretenen Männer zu folgen und ebenfalls zu konvertieren); Lernet, Die Gegenreformation in der Herrschaft Weitra, S. 9 9 f. (über den Widerstand von Ehefrauen von Ratsherren der Stadt Weitra, darunter der Frau eines Altbürgermeisters und Mutter des Bannrichters, sowie von zwei Hebammen gegen die 1587 und 1588 unter der Leitung von Melchior Klesl durchgeführte katholische „Religionsreformation" in der Herrschaft Weitra). 542 Patrouch, Methods, S. 257: „Noblewomen shared the religious leanings of their male counterparts. When widowhood allowed them to step individually into our sources, these women are revealed as ardent and effective supporters of their cause." - Esther von Starhemberg, geb. Windischgrätz (1629/30-1697), hielt an ihrem lutherischen Bekenntnis sogar standhaft fest, nachdem sie sich 1651 mit dem seit dem Tod seines Vaters (1638) unter der Vormundschaft seiner Onkel Heinrich Wilhelm und Kaspar zum Katholiken erzogenen Bartholomäus von Starhemberg ( 1 6 2 5 - 1 6 7 6 ) vermählt hatte. Mayr-Kern, Esther von Starhemberg, S. 5, 26f., 47—49, 76 f., 131 f. und 135 f. - Eva Maria von Schallenberg, geb. Tschernembl (gest. 1639), blieb ihrem protestantischen Bekenntnis auch nach der im Laufe des Jahres 1628 erfolgten Konversion ihres Gemahls Karl Christoph von Schallenberg ( 1 5 9 6 - 1 6 2 9 ) als Exulantin sowie nach dessen Tod als Witwe treu. Basti, Caritas Conjugalis, S. 227 f.
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Konfession u n d Konversion
oberösterreichischen Herrn Wolf Wilhelm II. von Volkersdorf(f) 543 vermählt. 544 Dieser war ein überzeugter Lutheraner, Obersterblandbannerträger des Erzherzogtums Österreich ob und unter der Enns, kaiserlicher Kämmerer und Rat und von 1610 bis zu seinem Tod im Dezember des Jahres 1616 Landeshauptmann ob der Enns. Mit ihm erlosch das Geschlecht im Mannesstamm. 545 Die Witwe ließ zur Erinnerung 1617 eine klippenförmige (also quadratische) Medaille mit dem Allianzwappen Volkersdorf-Liechtenstein schlagen. Auf dem Revers befindet sich eine Darstellung der trauernden Frauen und des Apostels Johannes unter dem Kreuz, gerahmt von einem Vers aus dem ersten Johannesbrief: „DAS BLVET IESV CHRISTI M A C H T VNS RAIN V O N ALLER SÜNDE" (Abb. 15). Gemeinsam mit ihren vier Töchtern und einer Nichte webte und stickte Katharina zwischen November 1619 und August 1620 einen prächtigen, laut Inschrift dem Gedächtnis des verstorbenen Gemahls, Vaters und Onkels gewidmeten Tischteppich von 228 mal 190 cm Größe. Es handelt sich dabei um eine heraldische Ahnentafel mit den Wappen von 124 mütterlichen und väterlichen Vorfahren Wolf Wilhelms von Volkersdorf und Katharinas von Liechtenstein. 546
I ι !
Abb. 15: Klippenförmige Medaille, 1617 in Auftrag gegeben von Katharina von Volkersdorf, geb. Liechtenstein, zur Erinnerung an ihren verstorbenen Gemahl Wolf Wilhelm von Volkersdorf. Nachzeichnung.
Katharina verließ Österreich im Zuge der Gegenreformation und ließ sich wahrscheinlich im Jahre 1628 547 in der Reichsstadt Nürnberg nieder, wo sie die letzten 15 Jahre ihres Lebens verbrachte. Sie starb im April 1643 - drei Tage nach dem Tod ihres Bruders Maximilian! - als standhafte und fromme Lutheranerin und wurde, nach großzügigen Stiftungen, in der Kirche des Nürnberger Katharinenklosters beigesetzt. Nach dem Tode Judiths 1621 und Karls 1627 sanken mit Maximilian und Katharina Gundakers letzte Geschwister ins Grab. 548 Gundaker stand mit seiner acht Jahre älteren Schwester spätestens seit 1631 in mehr oder minder kontinuierlichem Briefkontakt. Ein Leitmotiv der Briefe Katharinas waren Klagen 543 Auch Volkerstorf(f) oder Volkensdorf(f) oder Volkenstorf(f). Z u r Familiengeschichte siehe Haider, Herren von (Gleink-)Volkersdorf. 544 Ehevertrag („Heiratsabrede") vom 28. Juni 1592 und Verzichtserklärung Katharinas von Liechtenstein ihrer Familie gegenüber vom 2. August 1592 im HALV, Urkundensammlung u n d K. 518. Z u r Person Katharinas von Liechtenstein vgl. Kat. Adel im Wandel, S. 166 Nr. 6.30 u n d S. 419 f. Nr. 17.41; Schnabel, Exulanten, S. 141, 194, 361, 527 u n d 699. 545 Haider, Herren von (Gleink-)Volkersdorf, S. 25 f.; Bergmann, Medaillen, Bd. 2, S. 2 4 1 - 2 4 5 ; Sturmberger, Tschemembl, S. 111, 131 und 155. 546 Kat. Adel im Wandel, S. 419 f. und 608 f.; Farbabb. ebd., S. 420. 547 Z u r Erlangung der Aufenthaltsberechtigung bediente sie sich der Vermittlung des Nürnberger H a n delsmannes Martin H o f f m a n n . Schnabel, Exulanten, S. 141. 54 * Ebd., S. 527. Vgl. den Brief mit der Todesnachricht, den Katharinas Tochter Maria Maximiiiana von Traun am 30. April 1643 aus N ü r n b e r g an Gundaker von Liechtenstein sandte, im HALV, K. 512.
Proselytenmacherei
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über ihre schlechte finanzielle Lage. 549 Spätestens 1638 setzten die Bemühungen Gundakers ein, seine Schwester zu bekehren. Am 27. Juli dieses Jahres sandte er ihr aus Karlsbad sehr umfangreiche, in der Abschrift rund 30 Seiten umfassende, großteils eigenhändig konzipierte „Rationes dubitandi an fides Lutherana vera sit". 550 Einleitend versuchte er ihr eine Rückkehr ins „vatterland" schmackhaft zu machen indem er ihr mitteilte, ihr Bruder Fürst Maximilian sage oft, „wenn unser frau schwester in diesem land wehre, so woll[t]en wier unnsere krampe tage miteinander zuebringen", und daß sie „das exercitium ihres glaubens", wenn sie in Österreich wohnen würde, zu ihrer vollsten Zufriedenheit in Ungarn nahe der österreichischen Grenze ausüben könnte. Danach folgen die uns zum Teil bereits bekannten Argumente gegen den Protestantismus 551 , von denen die ersten vier, die weiteren aber nur in Auswahl angeführt seien: Erstens sei „dieser glaub ganz neu und vor Lutheri zeit in der weit nicht gewest". 552 Daraus folge, „daß er nicht der rechte glaub sey, als welcher alzeit gewesen ist". In diesem Zusammenhang geht Gundaker unter anderem auf die Worte „sancta" und „catholica" ein, mit denen „die kirchen Christi in dem apostolischen und nicenischen symbolo, welches die ewangelischen und reformierten sowoll als die papisten vor recht annehmen, beschriben und bezeichnet ist". 553 Zweitens sei die Reformation nicht „von einem gottseeligen, exemplarischen mann" durchgeführt worden, sondern „von einem, der da Gott die freywillig und ungezwungen gelobte und versprochene armuth, keuscheit und gehorsamb nicht allein nicht gehalten und gebrochen, sondern auch die Catharinam, deren er beygewohnet, solche brechen machen, ja gelehret, daß diejenigen geistlichen oder ordenspersonen, welche obgemeltes freywillig gelübt und Gott zuegesaget haben, solches zu halten nicht schuldig seye[n]". Außerdem habe Luther „die leuth frey gemacht" vom Gehorsam gegenüber der Kirche und von der individuellen Beichte und habe „auch das fasten und die processiones und andere uralte [...] anreitzungen zur andacht und Übungen des gottesdiensts abgeschafft". 554 Gundaker fuhrt sodann unter anderem eine Reihe von Beispielen an, die zeigen sollen, wie Luther in seiner Bibelübersetzung die Heilige Schrift „an vielen örtern nach seinem belieben" verändert habe. 555 Drittens sei der Glaube der Lutheraner „unbestendig und oft verendert worden, dann wie oft ist die augspurgische confession und die formula concordiae geendert, welches aber des rechten glauben und der rechten kirchen eigenschafft nicht ist". 550 Viertens seien „dieses glauben [s] genossen in ihrer confession uneinig, denn änderst lehret mann zu Tübingen, änderst zu Rostock, Dantzig, Wittenberg, Riga etc., theils lehren eins, die andern 2, 3, 4 sacramenta etc. Diese uneinigkheit aber ist nicht in der rechten kirchen [...]." Im Nizänischen (bzw. im Nizäno-Konstantinopolitanischen) Glaubensbekenntnis heiße es vielmehr: „Credo unam, sanctam, catholicam & apostolicam ecclesiam." Eine solche Uneinigkeit sei daher „bey der pabstischen kirchen nicht zu finden; denn wie der papist in Tarterey, Indien etc. glaubt, allso glaubet der papist in Spanien, Frankreich und Engelland, und untergibt ein jeder papist sein meinung der catholischen kirchen censur und iudicio." 557 Als achtes, ihm offenbar besonders am Herzen liegendes Argument gegen das Luthertum fuhrt Gundaker an, daß „bey denen diesem glauben zuegethanen kheine wunderzeichen geschehen". Die „miracula" seien aber „die eigentliche und allergewisseste zeichen der rechten lehr [...], dieweillen sie ein solches zeugnus sein, welches unfelbarlich allein von Gott und HALV, K. 251. "" HALV, K. 247, Fasz. Aufsätze und Briefe über die Religion, Nr. 7 (großteils eh. Konzept sowie Abschrift von Kanzleihand). Ich zitiere im folgenden nach der Abschrift. Vgl. obenS. 119-125. 552 HALV, K. 247, a. a. O., Nr. 7, S. 1. 5 " Ebd., S. 3. 554 Ebd., S. 4. 555 Ebd., S. 5 ff. 556 Ebd., S. 8. 557 Ebd., S. 8 f.
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von kheinem andern" herkomme. 558 Bei den „papisten" hätten sich durch alle Jahrhunderte bis zur Gegenwart viele Wunder ereignet, und zwar insbesondere „vill klare miracula des allerheyligisten leib und bluets Christi" - unter anderem Hostienwunder im Zusammenhang mit Hostienschändungen durch Juden. So habe ihm, Gundaker, der Kanzler des Grafen Enno von Ostfriesland, Thomas Franzius, ein ehemaliger Lutheraner, selbst erzählt, daß in seiner Vaterstadt Magdeburg von Juden gestochene Hostien geblutet hätten. 559 „Der papisten miracula" seien so zahlreich und darunter seien „so clar und publice facta [...], daß khein betrug darbey vorgeloffen zu sein mit fueg argwehnt werden khan". 560 Nach einer weiteren, in den Brief inserierten theologischen Abhandlung mit dem Titel „Wie mann bald unnd leicht zu sicherer erörterung der strittigen glaubensartikel gelangen könne" 561 , schließt Fürst Gundaker 562 : „Dits habe ich euer liebden aus schuld und lieb zu berichten nicht unterlassen sollen noch wollen, bittend, sie wolle es der wichtigkheit nach erwegen und danebens Gott bitten, dafer sie in dem rechten glauben ist, daß er sie darinnen erhalte 5 6 ', wo nicht, auf den rechten weeg führe, denn es drift die ewige wolfahrt und marter an; und ist nach diesem leben khein verenderung mehr, allso daß, wer dasselbe nicht im rechten glauben endet, ob er gleich die gueten werckh aller heiligen gethan hette, unaussprechliche und unentliche marter leiden mueß, und weill nur ein glauben ist, in dem mann seelig werden khan, allermaßen auch st. Paulus saget ,ein Gott, ein glauben' (denn wiewoll teils vermeinen, daß mann in allen christlichen glauben könne seelig werden, wenn mann nur daneben woll lebet, so ist doch solches falsch, denn entweder ein calvinist oder ein papist mueß verdambt sein, weill wenn des papisten glauben recht ist, der calvinist Gott in der hostia die gebürende anbetung und ehr nicht leisten will und Gott verachtet, oder, da der calvinist recht glaubet, der päpist ein große abgötterei dreibet, indeme er ein bloße oblat als Gott anbetet). Gott hatt euer liebden mit guetem verstand erleichtet, ihnen auch die argumenta unterschidlicher christlicher glauben zu vernehmen geben, dannenhero sie (wie andere in Denemark, Schweden, Tartarei, die nichts darumb wissen zum teil) vor Gott khein endschuldigung der Unwissenheit haben. Winsche hierauf, daß sie Gott erleichten wolle, daß wir hie zeitlich wie in einigkheit der lieb allso [in] Vereinigung im glauben und alsdann dort in Vereinigung mit Gott ewig verbleiben. Darzue helffe Gott, der Heylige Geist, dessen gnad, die allerheyligiste muetter Gottes und der Weisheit und die heylige jungfrau und martirin Catharina, welche (vermüg zeugnus der uralten approbirten kirchenhistorien) allso hoch von Gott erleuchtet gewest, daß sie 40 heydnische philosophi oder weise, die der tiran sie von dem christlichen glauben abwendig zu machen verordnet, mit ihrer Weisheit überwunden und dieselben zu dem christlichen glauben bekehret hatt. Amen. Mein schreiben hatt ein, die ewigkheit aber [hat] khein end."
Eine Antwort Katharinas von Volkersdorf scheint sich nicht erhalten zu haben. Spätestens zweieinhalb Jahre später wiederholte Gundaker seinen Bekehrungsversuch. Der Brief, den er am 12. Dezember 1640 an seine Schwester nach Nürnberg sandte, enthält keine neuen Argumente, aber einen Hinweis darauf, daß es sich dabei nicht erst um den zweiten Versuch handelt. 564 Wenige Tage später schickte Gundaker dem Znaimer Kapuzinerpater Daniel, mit dem Ebd., S. 10. HALV, K. 247, a. a. 0 . , Nr. 7, S. 11 ff. Der Wittenberger Professor der Rechtswissenschaft erhielt seine Bestallung zum Geheimen Rat und Kanzler des Grafen Enno III. von Ostfriesland am 29. September 1599. Der tüchtige Jurist, Redner und Diplomat war bei den ostfriesischen Ständen wegen seiner Versuche, die schwache landesfürstliche Autorität zu stärken, verhaßt; im Jahre 1609 konnte Graf Enno ihn nicht länger als Kanzler halten und mußte ihn entlassen. Franzius kehrte in seine Vaterstadt Magdeburg zurück, wo er im Jahre 1637 als deren Syndikus starb. Reimers, Ostfriesland, S. 191 und 197-199; J. König, Verwaltungsgeschichte Ostfrieslands, S. 3 3 - 3 7 , 6 2 f. u. ö.; H. Schmidt, Politische Geschichte Ostfrieslands, bes. S. 243-246. 560 Ebd., S. 13. 561 Ebd., S. 17-31. Gundaker führt darin - nach dem Grundsatz „extra [vera] ecclesia nulla salus" - unter anderem aus, daß die Frage der Annahme des rechten Glaubens für die Erlangung des ewigen Heils bzw. der ewigen Verdammnis von entscheidender Bedeutung sei. Ebd., S. 26-28, ζ. B. ein Unterabschnitt über die Rechtfertigung und Heilsbedeutung von Messe, Meßopfer und Kommunion. 562 Ebd., S. 28f. 563 Vorlage „erhalten" 564 „[...] dieweil ich darvor halte, daß sie [= Katharina] in dem glauben irret, habe ich aus schuldiger 559
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er wenige Wochen zuvor kontroverstheologische Gespräche geführt hatte 565 , eine Kopie des neuerlichen Schreibens an seine Schwester und bat ihn, er möge im Gebet die heilige Katharina, „deren nahmen unser frau schwester fiehret, umb gueten effect bitten". 566 Wegen ihres schlechten Gesundheitszustands antwortete die Dreiundsechzigjährige erst Ende März oder Anfang April 1641. 567 Sie habe, schreibt sie, ihr Seelenheil Zeit ihres Lebens bedacht und stets „das ewige dem zeitlichen [...] vorgezogen". Auf den Vorhalt ihres Bruders, sie irre im Glauben und befinde sich nicht auf dem rechten Weg, antwortet sie mit einem Bibelzitat (Johannes 14,6): Sie wisse „keinen bösseren wog zu suchen als den mir mein herr Christus selbst gewisen hat, indeme er sich selbst den wog, die warheit und das loben nenet, und dal? niemand zum vatter kumb den durch ihn". Weil sie in jener „religion, wölche ich bis dato bekent und mit beystandt des Heiligen Geist gedenk bis an mein end bestentig zu verharren, also befinde, daß sie aus dem klaren quellbrinlein der h(eiligen) göttlichen schrift herfließt", ersuchte sie ihren Bruder, er wolle ihr „verzeihen, daß ich keiner anderen religion beger nachzuforschen, denn es kann mir keine keinen bösseren wog zeigen". Sie habe die (kontroverstheologische) Schrift, die ihr Gundaker zweimal geschickt habe, gelesen, erklärt eine Disputation darüber aber für sinnlos, „dieweil die römisch catolischen die heilig schrift nicht darzue wolen passieren, ich aber mit unsern h(errn) geistlichen kein andern passieren künnen. [...] Schließe also hiermit, denn ich bey dem verbleib, was ich von jugent auf gelernt hab, nemblich bei meinem catechismo, wölcher ich weiß, daß er aus dem helen quelprunn der heiligen schrift herfließt." In allen anderen Angelegenheiten werde sie ihr Bruder als treue und gehorsame Schwester finden, „in diesem fal aber wissen euer ftirstl. gnaden, daß mann Gott mer schuldig ist als den menschen. Der Allerhöchste göbe, daß wir in einem ewigen seligen loben mit freiden einander sehen mögen." Fürst Gundaker ließ sich mit seinem neuerlichen Antwortschreiben mehr als eineinhalb Monate Zeit. In dem rund ftinfseitigen Brief vom 29. Mai 1641 geht er ausführlich, beinahe Satz für Satz auf das Schreiben seiner Schwester ein. 568 Wie zu erwarten, betont er gegenüber dem reformatorischen „Sola scriptura"-Prinzip Katharinas besonders die Bedeutung des Lehramts der Kirche, und zwar der rechten Kirche, also die apostolische Sukzession des Papstes, der Bischöfe und der Priester der römisch-katholischen Kirche. Da die Heilige Schrift so schwer verständlich sei, sei es nötig, „daß die menschen jemands haben, der ihnen solche recht auslegen und sie in derselben (NB. unfeilbarlich) underweisen khan". Er, Gundaker, „wolte wünschen, daß ihr religion aus der hl. schrifft, wie sie vermeinet, klar herfließe, aber es ist leider nicht. Denn in der hl. schrifft stehet klar: ,Das ist mein leib', ehe dann Christus seinen jüngern das gesegnete brodt gegeben hatt. Dits glauben euer liebden nicht, dann sonsten würden sie, wie billich, khein bedenken haben, solchen anzubetten." Und so weiter und so fort. Bruder und Schwester redeten also - nicht anders als die Gesprächspartner der meisten der zahlreichen Religionsgespräche des 17. Jahrhunderts - aneinander vorbei. 569
christlich- und bruderlicher lieb euer liebden unterschidlich mal nicht allein ermahnt und gebeten, sie wollen disem mit fleiß nachdenken, sondern auch das wenige, so ich in dergleichen Sachen weiß und darzue tauglich zu sein erachtet, euer liebden zuegeschickht mit bit, solches zu lesen [...]." Abschrift im HALV, K. 251. 565 HALV, Hs. 270/1, S. 326, P. Daniel an G. v. L„ Znaim, 28. November 1640 (Abschrift). 56i HALV, Hs. 270/11, S. 465, G. v. L. an P. Daniel, 16. Dezember 1640 (Abschrift). 567 Praesentatum des nicht datierten eh. Schreibens: 10. April 1641. Original im HALV, K. 251; Abschrift ebd., Hs. 123, S. 313f. >6' Teilweise eh. Konzept im HALV, K. 251; Abschrift ebd., Hs. 123, S. 455-459. 569 Dem um das seelische und leibliche Wohl seiner fern von den Verwandten und vom Vaterland lebenden Schwester und/oder die Reputation seines Hauses besorgten Gundaker von Liechtenstein gelang es ebensowenig, seine Schwester Katharina zur Konversion zu bewegen, wie um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert König Heinrich IV. von Frankreich seine Schwester, die ebenfalls auf den Namen Katharina getaufte Herzogin von Lothringen und Bar. Vgl. ζ. B. Taillandier, Heinrich IV., S. 122 f., 277, 317 u. ö. - Zu den wohl berühmtesten Versuchen der Bekehrung eines Katholiken zum Protestantismus im Laufe des
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3.3.2. Weitere Bekehrungsversuche Seit den dreißiger Jahren sind mehrere Fälle überliefert, in denen Gundaker von Liechtenstein sich persönlich darum bemühte, protestantische Adelige zum Übertritt zur katholischen Kirche zu bewegen. Darüber gilt es nun zum Abschluß dieses (allzu) langen Kapitels noch zu berichten. Von seinen Untertanen, die er nötigenfalls durch Anwendung von Zwangsmitteln katholisch machte, und von der Gegenreformation auf seinen österreichischen und mährischen Herrschaften ist in der Folge hingegen nicht die Rede. 570 Es sei aber immerhin erwähnt, daß der Fürst zur Konvertierung von Untertanen und Herrschaftsbeamten noch im Jahre 1638 gutes Zureden Gewaltmaßnahmen vorzog. Zu Beginn dieses Jahres wollte ein akatholischer Bürger und Untertan aus Ungarisch Brod sich als neuer Bürger in Ungarisch Ostra niederlassen. Fürst Gundaker trug dem Ostraer Pfleger daraufhin auf, „er wolle fleißig anwenden, mit sanfftmuth ihn zu dem catholischen glauben zu bringen". 571 Etwa um dieselbe Zeit meldete der Regent dem Fürsten, Matthias Koschischeck (oder Hosischeck), der Pfleger der Herrschaft Wolframitz, die Gundaker vier Jahre zuvor erworben hatte, habe sich „wider verhoffen zu der allein seeligmachenden catholischen religion noch nicht bequemet". Im April forderte Gundaker den Regenten auf, er solle ihn „nochmahls, daß er sich zu der catholischen religion bequeme, vermahnen". 572 Der erste quellenmäßig dokumentierte Fall, in dem sich Gundaker von Liechtenstein persönlich darum bemühte, einen einzelnen Menschen zur Konversion zum Katholizismus zu bewegen, betrifft nicht einen adeligen Standesgenossen, sondern Bernhard Schmid, den Feldsberger Kellermeister des Fürsten Karl und, nach dessen Tod im Februar 1627, des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein. Fürst Gundaker hielt große Stücke aufseine fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten. In dem in der Folge zitierten Brief an seinen Bruder Maximilian aus dem Jahre 1629 schreibt er lobend über Schmid, er sei „ein gueter und wol affectionierter diener". 573 Spätestens im Jahre 1636 führte Gundaker in Wilfersdorf eine 1630 von Schmid verfaßte, in zeitgenössischen Abschriften rund 20 Seiten umfassende Kellerordnung ein. 574 Bernhard Schmid ist offenbar identisch mit dem 1625 in Feldsberg genannten Kellermeister Bernhard, einem hutterischen Bruder, also einem Täufer. Nachdem ein kaiserliches Mandat vom 3. März 1625 die noch im Land Österreich unter der Enns anwesenden Täufer mit der Todesstrafe bedroht hatte, fragte der Feldsberger Pfleger am 30. Juni beim Fürsten Karl an, wie er sich „wegen des Bernhartten Khellner" verhalten solle, der nicht bleiben wolle, wenn die anderen Brüder fortziehen. 575 Offenbar stand Bernhard Schmid im Frühjahr 1629 immer noch dem Feldsberger Weinkeller vor, denn am 3. März dieses Jahres, zwei Jahre nach dem Tod des Fürsten Karl von Liechtenstein und während der Minderjährigkeit des Fürsten Karl Eusebius, über den seine Onkel Maximilian und Gundaker die Vormundschaft führten, begab er sich von Feldsberg nach Wilfersdorf zum Fürsten Gundaker um sich zu erkundigen, ob die Gerüchte, daß er entlassen werden solle, stimmen. Tags darauf berichtete Gundaker in einem eigenhändigen Schreiben seinem Bruder Maximilian von diesem Besuch und von seinen Bemühungen, Schmid zur Konversion zu bewegen. 576 17. Jahrhunderts, nämlich Kaiser Leopolds I. durch die aus Österreich stammende Dichterin Katharina Regina von Greiffenberg (seit der Kaiserkrönung im Jahre 1658), vgl. zuletzt Laufhütte, Plan. 570 Vgl. dazu vorläufig Winkelbauer, Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung. 571 HALV, Hs. 672, S. 72, G. v. L. an den Pfleger zu Ostra, 1. Februar 1638 (Abschrift). 572 Ebd., S. 99 f. und 174 f. 573 Siehe Anm. 576. 574 Abschrift aus dem Jahre 1636 im HALV, Hs. 646, fol. 247-257', mit der Überschrift „Khellerordnung, wie die in den kellern gehalten werden sol undt beschriben worden anno 1636"; eh. Notiz G.s v. L. auf fol. 257': „Anno 1630 gemacht unnd zusammengedragen durch den meister Bernhardt Schmid". Eine weitere Abschrift aus der Zeit um 1637/38 ebd., Hs. 1318, fol. 311-320'. " 5 Mecenseffy(Bearb.), Quellen zur Geschichte der Täufer, Österreich, 1. Teil.S. 377-379, Nr. 296-299. " 6 HALV, K. 247, Fasz. Aufsätze und Briefe über die Religion, Nr. 21, G. v. L. an seinen Bruder Maximilian, Wilfersdorf, 4. März 1629, „von ihr fürstl. gnaden aignen handen" (Abschrift).
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Schmid bekannte, daß er nicht gerne wegziehen wolle, bevor der junge Fürst, „seines [d. h. Schmids] alten herrn, ja vatters söhn", nicht wenigstens ein Jahr regiert hätte; über diesem Treuebekenntnis brach er in Tränen aus („darüber ihme die äugen überloffen"). Gundaker antwortete ihm, er wisse nichts von einer bevorstehenden Entlassung, sollte sie jedoch tatsächlich erfolgen, „so würde es ohne zweifl wegen der religion sein". Daraufhin ermahnte der katholische Fürst den taufgesinnten Kellermeister, „er solle sich erkundigen, was die catolische religion sei, so werde er durch Gottes gnad sehen, daß sie billich anzuenehmen seie", und zählte ihm unter anderem folgende „motiva [conversionis]" auf: Erstens: „Weil alle christen bekennen, daß der rechte glaub alzeit gewesen sei [...], so mueß der, so da vermeldet, den rechten glauben zue haben, zeigen, wo sein glaub vor 2, 3 und 800 jaaren gewesen sei [...]." Zweitens: „Daß man schwerlich aus den disputationibus in der religion könne herauskommen, wenn man nicht einen rechten richter suecht [...]." Drittens: „Daß die heilige schrift dieser richter nicht sein könne, denn wenn die frag vorfeit 1.° welche unter den dreien - als die bäpstische, evangelische oder calvinische - bibl die rechte sei, item 2.° welche büecher in die bibl gehören oder nicht, so kan die bibl solches nicht urtlen." Viertens könne dieser Richter auch nicht jeder einzelne Christ sein, der in der Taufe oder durch sein Gebet den Heiligen Geist empfangen habe. Vielmehr sei (fünftens) „die römisch kirchen billich vor den rechten richter zue halten und zue hören, weil sie nicht irren kann, denn s. Paulus sagt, sie sey der grundt, darauf die warheit gebaut ist". Christus verspreche ihr- und nicht den einzelnen Menschen! - den Heiligen Geist (zu senden), und zwar zu dem Zweck, daß „er sie in alle warheit leite". Christus befehle auch bei Strafe, die Kirche zu hören. Sechstens hätten sich alle Heiden zum katholischen Glauben und zu keinem anderen bekehrt. Siebentens habe Christus zweimal „gemeldet", daß die, die an ihn glauben, ebensolche, ja größere Wunder („miracula") tun werden als er; und diese Wunder gebe es nur „bey den bapisten". Achtens erklärte Fürst Gundaker dem .häretischen' Kellermeister das Sakrament des Altars. Besonderen Wert legte Fürst Gundaker auf sein neuntes und letztes Argument: „Weil die Wiedertäufer alle haerirn in dem, daß sie vorgeben, der rechte glaub sey, wo die gueten werckh sein, hab ich ihm vermeldet, das sey nicht, denn sonsten müßte ein frommer calvinist, türk, jud etc. auch den rechten glauben haben, und daß sie confiindiern den rechten glauben mit dem lebentigen glauben [...]." Die Frage, was der rechte Glaube sei und wer den rechten Glauben habe, könne ausschließlich mit Hilfe des Verstandes beantwortet werden. Die Frage, wer ein guter Christ sei, hingegen habe mit dem Willen zu tun und müsse davon streng geschieden werden, denn es sei „ein unterschied" zu „wissen, was man thuen soll, und thuen, was man thuen soll". Die guten Werke seien nicht das Zeichen „des rechten glauben, aber wol des lebendigen". Bei der grundlegenden Frage nach dem rechten Glauben gehe es um die Frage, „was der willen Gottes sey, welchem nach er von uns bedient sein wolle, gleich wie die Instruction, so ein herr seinem diener gibt, in welcher er ihm erklert, wie er will von ihm bedient sein. Ist nun die lehr (die instruction) falsch und nicht nach Gottes (des herrn) willen, und der, [der] es empfangen, dient derselben nach embsig, so dient er, ungeacht er vleißig derselben nachkombt, Gott (seinem herrn) nicht recht." Dieser Vergleich des Willens Gottes mit dem Willen eines irdischen Herrn ist höchst bezeichnend für das Selbstverständnis des Fürsten und Grundherrn Gundaker von Liechtenstein. Ob er Bernhard Schmid mit seinen Argumenten beindrucken und womöglich gar zur Konversion bewegen konnte, geht aus den Quellen nicht hervor, es ist aber unwahrscheinlich. Am 4. August 1634 schickte Fürst Gundaker eine Abschrift eines von ihm größtenteils eigenhändig konzipierten kontroverstheologischen „discurs" an den Grafen Karl von Hoditz. 577 Dieser war ein Sohn des 1612 gestorbenen, von Erzherzog Matthias in den Grafen577 HALV, K. 247, a. a. O., Nr. 20, achtseitiges, größtenteils eh. Konzept G.s v. L. mit folgenden eh. Vermerken: auf der ersten Seite links oben: „der frau von Traun geben"; auf der letzten Seite rechts unten: „geschikt dem herrn Carl graf von Hoditz. 4. Aug. 1634."
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stand erhobenen Georg Qirifk]) von Hoditz, des bekannten mährischen Kriegsmannes und Freundes Karls d. A. von Zerotin. Karl von Hoditz war, ebenso wie sein Bruder Zdenko, zur Zeit des Ständeaufstands 1619/20 noch minderjährig. Die beiden veräußerten aber nach der Erlassung der Erneuerten Landesordnung für Mähren (1628) als Nichtkatholiken ihre Besitzungen in Mähren und emigrierten nach Schlesien. Karl dürfte sich im liechtensteinischen Fürstentum Troppau niedergelassen haben; Zdenko trat später in schwedische Kriegsdienste ein, weshalb ihm sein mährisches Gut Wolframitz konfisziert wurde. Ob Karl später zur katholischen Kirche übertrat, entzieht sich meiner Kenntnis; im Jahre 1641 war er jedenfalls noch Protestant. 578 Der „discurs" Gundakers aus dem Jahr 1634 beginnt mit dem Satz: „Wenn man in religionssachen von jedem glaubensartikl disputieren unnd dieselben alle, in welchen man zweiflig ist, erörtern will, so kombt man nie zum end, denn über manchen einigen 579 punct allein vil bücher von beden teilen geschriben [...]." Es gelte daher, einen Richter zu finden, „welchen Gott selbst zu hören bevohlen hatt oder 580 welcher nicht irren kan". Nach dieser Einleitung wendet sich Fürst Gundaker den drei „unter denen christen" geläufigen Meinungen „von dem rechten richter über glaubenssachen" zu. Die erste Meinung, „daß die bibl der rechte richter sei, aus uhrsach, weil sie Gottes wort ist", verwirft er mit folgenden Argumenten: 1. gebe es „dreierlei biblen, als nemblich die calvinische, bäpstische und luterische", sodaß zuerst erörtert und durch eine andere Instanz - und zwar „notwendig durch menschen" - entschieden werden müsse, „welche die rechte sei"; 2. sei sogar strittig, ob bestimmte Bücher sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments Teil der Bibel seien oder nicht; 3. gebe es viele Punkte „in der christlichen religion", von denen in der Bibel überhaupt nichts zu finden sei (zum Beispiel die Frage der Jungfernschaft der Mutter Gottes nach der Geburt Jesu oder die Feier der Sonn- und Feiertage); 4. bestehe, abgesehen vom Wortlaut und vom Textcorpus, keine Einigkeit „de vero sensu, welchen der Heilige Geist intendieret"; zum Beispiel würden die Worte „Hoc est corpus meum" ganz unterschiedlich ausgelegt, „als von den calvinisten, es bedeute nur Christi leib, von den bapisten, es werde transsubstantiert in den leib Christi, [und] von den evangelischen, es verbleibe brod und wein". Desgleichen lehnt Gundaker die zweite Meinung ab, „ein jeder christ" sei, befähigt durch den Empfang der Taufe, für sich selber „richter in glaubenssachen". Nach dem Zeugnis des heiligen Paulus seien nämlich die Gaben des Heiligen Geistes ungleich verteilt. Es stimme auch nicht, daß jeder Christ deshalb sein eigener Richter sein könne, „weil ihm sein geist innerliches zeugnus gibt, daß dise lehr, die er vor recht hellt, recht sei [...]; denn ein türk, ein jud, ein christ, ein heid, jeder haltet darvor, daß sein glaub recht sei und ist dessen in seinem gemüt also vergewißt, daß er sich ehe verbrennen lassen will, als daß er das widerspil bekenen solle" - und doch könne nur einer von den vieren den rechten Glauben besitzen. Gundaker bekennt sich, nach dem bisher Ausgeführten nicht überraschend, zu der dritten Meinung, „die rechte kirchen Gottes sei der rechte richter", und zwar aus folgenden Ursachen: 1. weil Christus der Kirche versprochen habe, den Heiligen Geist zu senden, der sie in alle Wahrheit leiten werde; 2. weil Christus „bei Verlust der seelen seeligkeit" befohlen habe, die Kirche zu hören; 3. weil die Kirche eine Grundveste und ein Pfeiler der Wahrheit sei; 4. weil die Kirche nicht irren könne, da Gott sie ja in alle Wahrheit leite und die Wahrheit auf sie gebaut sei. Die aus diesen Prämissen folgende grundlegende Frage, welche Kirche die rechte Kirche sei bzw. an welchen Zeichen sie erkannt werden könne, beantwortet Fürst Gundaker erwartungsgemäß mit dem Hinweis auf die vier notae ecclesiae des Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses („Credo in [...] unam, sanctam, catholicam et apostolicam ecclesiam"). Das Zeichen der unitas in der Lehre sei „bei denen uncatolischen
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d'Elvert, Hoditz, S. 83-85; Hruby (Hg.), Moravske korespondence a akta, Bd. 2, S. 214 und 238. d. h. einzigen statt getilgtem „unnd"
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nicht, denn wie oft ist die augspurgerische confession verenden worden", und wie verschieden werde in Tübingen, Wittenberg, Rostock, Straßburg etc. gelehrt; „hergegen wie der papist in Indien, Engelland, Spanien glaubt, also glauben und lehren die, so in Polln, Teutschland etc. sein". Und so weiter - die Argumente sind aus der katholischen Kontroverstheologie wohlbekannt, worauf auch Fürst Gundaker selbst hinweist: „Die argumente, welche die calvinisten oder luterischen vorbringen, damit zu probieren, daß die kirche irren kan, findet man vast alle widerlegter in dem Bel[l]armino." Im Jahre 1638 ließ sich Fürst Gundaker mit einem Freiherrn von Rog(g)endorf(f) auf eine geistliche Kontroverse ein und versuchte ihn davon zu überzeugen, daß die katholische Kirche die wahre und alleinseligmachende sei. Offensichtlich handelte es sich um den 1596 geborenen Georg Ehrenreich (II.) von Rogendorf, der im September 1620 in Österreich (zwei Jahre später auch in Mähren 581 ) als Rebell geächtet worden war und das der Familie 1539 von Ferdinand I. verliehene österreichische Obersterblandhofmeisteramt verloren hatte (mit diesem wurde im Oktober 1620 Paul Sixt Trautson belehnt). 582 Der gelehrte, außerordentlich belesene und vielsprachige Freiherr - Fürst Gundaker bezeichnete ihn in einem Brief im Oktober 1638 als „einen von Gott mit verstand wolbegabten und wolbelesenen cavagliero" 583 - emigrierte über die Lausitz, Hamburg, Bremen und Stettin schließlich nach Kursachsen. Wahrscheinlich in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre kehrte er nach Österreich zurück und lebte seither in Wien. Nach dem Westfälischen Frieden wurde er sächsischer Kämmerer, Geheimer Rat und Gesandter am kaiserlichen Hof. Er starb im Jahre 1652 in Wien als überzeugter Calvinist. 1642 wurde Rogendorf unter dem Namen „der Geduldige" in die - 1617 (im Jahr der Zentenarfeier der Reformation!) in erster Linie von Ludwig von Anhalt-Kothen, einem Bruder Christians d. A. von Anhalt, des Feldherrn des „Winterkönigs", gestiftete und bis zu seinem Tod (1650) geleitete - Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen, also in die illustre und wohl bedeutendste deutsche Sprachakademie des 17. Jahrhunderts. 584 Rogendorf war der erste Österreicher unter den Mitgliedern dieser prinzipell überkonfessionellen, de facto aber fast ausschließlich evangelischen585 christlich-patriotischen Gesellschaft. Bereits im Sommer 1641 war allerdings der (bekanntlich katholische) Fürst Ottavio Piccolomini d'Aragona aufgenommen worden, nachdem seine Truppen bei der Verfolgung der Schweden durch das Fürstentum Anhalt hindurch das kleine Land schonend behandelt hatten. 586 Die
581 Während des Ständeaufstands war Georg Ehrenreich von Rogendorf vom mährischen Direktorium als Kommissar zu den (nieder)österreichischen Ständen entsandt worden. d'Elvert, Die Grafen von Rogendorf, S. 50; H r u b y (Hg.), Moravski korespondence a akta, Bd. 1, S. 1 8 8 , 1 9 3 f. u. ö.; Urbdnkovd (Hg.), Povstäni na Morave, S. 320 Nr. 662. 582 Z u dem erst von König Ferdinand I. eingeführten Obersterb(land)hofmeisteramt vgl. Püchl, Erbhuldigungen, bes. S. 28 f. Anm. 16 und 17. 585 HALV, K. 247, Fasz. Aufsätze und Briefe über die Religion, Nr. 12, eh. Konzept eines Schreibens G.s. v. L. an (Herrn von) „Rogendorff", 23. Oktober 1638. - Fürst Christian d. J. von Anhalt charakterisierte Rogendorf im Dezember 1641 in einem Brief an seinen Sekretär mit den Worten: „Er ist zwar wegen verlusts seiner ansehnlichen gühter und allzu vielen studirens bisweilen ein wenig confus, jedoch kan er auch wol seine gedancken beysammen behallten. Ist sonsten gelehrt, beredt, von vielfältiger memoria u n d t Wissenschaft u n d t sprachen, guter conversation, ansehnlich befreundet, gottsehlig u n d t bestendig in der religion, im creutz undt leiden." Conermann (Hg.), Fruchtbringende Gesellschaft, Bd. 3, S. 429 f. 581 Krause (Hg.), Ertzschrein, S. 448 und 492; C o n e r m a n n (Hg.), Fruchtbringende Gesellschaft, Bd. 3, S. 4 2 9 - 4 3 1 . 585 Von den bis 1650 aufgenommenen Mitgliedern dürften 96,2 % (507 von 527) Protestanten gewesen sein, und zwar wahrscheinlich rund zur Hälfte Lutheraner und Reformierte. Erst seit 1626 wurden auch einige Katholiken aufgenommen (17 = 3,2 %), darunter einige fürstliche u n d gräfliche Konvertiten sowie ein katholischer Priester. Conermann (Hg.), Fruchtbringende Gesellschaft, Bd. 2, S. 2 7 - 2 9 . 586 Ebd., Bd. 3, S. 408. Im Jahre 1648 wurde als erster österreichischer Katholik der Graf u n d kaiserliche Feldmarschall Johann Christoph (III.) von Puchheim aufgenommen. Ebd., S. 6 5 5 - 6 5 7 .
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Aufnahme Georg Ehrenreichs von Rogendorf erfolgte auf Empfehlung Christians d. J. von Anhalt, der ein Jugendfreund Rogendorfs aus der Zeit des böhmischen Aufstandes war. Die beiden hatten sich bereits 1612/13 auf der Kavalierstour und Studienreise in Italien kennengelernt. 587 Georg Ehrenreich war - ebenso wie Gundakers Brüder Karl und Maximilian - mit einer mährischen Adeligen vermählt (Johanna Drnovskä von Drnowitz, Erbherrin der Herrschaft Kanitz 588 ), die ihn um 15 Jahre überlebte, als hochbetagte Protestantin in Wien starb und in der lutherischen Pfarrkirche von Ödenburg begraben wurde. 589 Sein Sohn Johann Christian (1635-1701) hingegen trat 1668, typischerweise ein Jahr nach dem Tod der Mutter, zur katholischen Kirche über, war Mitglied des Herrenstandes der Länder Osterreich unter der Enns, Mähren und Böhmen und brachte es zum Kämmerer und Rat Kaiser Leopolds I. und Hauptmann des Brünner Kreises; 1686 wurde ihm der böhmische Grafenstand verliehen, und kurz vor seinem Tod wurde er zum Oberstlandkämmerer von Mähren ernannt. 590 Im September 1638 schrieb Fürst Gundaker an den Freiherrn (Georg Ehrenreich) von Rogendorf, er solle „nicht nachforschen, ob diser oder jener articl des glaubens recht sey (denn diser gestalt kann der herr in vil jahrn nicht zu end kommen, weyl der religionen sovil und in jeder noch mehr articl begriffen seyn), sondern welches der rechte richter sey über die glaubenssachen, zu erörterung dieses ist die vernunfft zu gebrauchen; wenn mann aber denselben durch die vernunfft gefunden hatt, so mueß mann ihm die stritigkheit proponirn, seiner sententiae acquiescirn 591 und weiter nicht mit der vernunfft dieselbe disputirn, ob sie recht oder unrecht ertheylt seye".
Er, Gundaker, habe sich selbst an diesen Grundsatz gehalten, „als ich in der religion irr gewesen". Die Vernunft habe ihn gelehrt, daß verschiedene Christen „dreyerley richter sezen", nämlich „[1.] die heylige schrifft, [2.] den geist, der in dem menschen zeugnus gibt, und [3.] die rechte kürchen". Nach eingehendem Nachdenken habe er sich der Ansicht der „Papisten" angeschlossen, daß die römische Kirche der rechte Richter sei und nicht irren könne. „Als ich nun vermeint, ich habe den rechten richter gefunden, so hab ich über keinen articl die demonstration [von] dessen Wahrheit begert, sondern bloß und allein nachgesehen, was der rechte richter davon urtlt und demselben nach ihn vor recht oder unrecht gehalten." Fürst Gundaker erteilte dem Rogendorfer den Rat, seinem Beispiel zu folgen. 592 Einen Monat später wiederholte er seine Aufforderung an Georg Ehrenreich von Rogendorf, zur alten Lehre und Kirche zurückzukehren, „von welchen meine und seine voreitern leider abgewichen sein". Dadurch werde er, schrieb Gundaker unverblümt, „befördern sein und der seinigen nicht allein ewige, sondern auch zeitliche wolfart, allermaßen den klar erscheinet, wie Gott 5,7
Bircher, Stubenberg, S. 43-50; ders., Österreichs Mitglieder, S. 1056; Conermann (Hg.), Fruchtbringende Gesellschaft, Bd. 3, S. 429. Dank der Fürsprache Rogendorfs und Christians von Anhalt wurden bis zum Jahre 1650 noch drei weitere prominente evangelische Österreicher in die Gesellschaft aufgenommen: 1647 Rudolf von Dietrichstein („der Etzende") und 1648 Erasmus d. J. von Starhemberg („der Leidende") und Johann Wilhelm von Stubenberg („der Unglückselige"). Bircher, Österreichs Mitglieder, S. 1056 f.; vgl. ders., Stubenberg, passim; Conermann (Hg.), Fruchtbringende Gesellschaft, Bd. 3, S. 592-595, 606-608 und 627-630. 588 d'Elvert, Die Grafen von Rogendorf, S. 50. is ' Bergmann, Rogendorf, S. 603-608; Wurzbach, Biographisches Lexikon, 26. Teil, S. 269 f.; Schnabel, Exulanten, S. 48 A. 161, S. 130 A. 427, S. 568 und 683. 5,0 Bergmann, Rogendorf, S. 607; d'Elvert, Rogendorf, S. 50 f.; Wurzbach, Biographisches Lexikon, 26. Teil, S. 270. D. h. sich seinem Urteil fügen. 592 HALV, K. 247, Fasz. Aufsätze und Briefe über die Religion, Nr. 12, Abschrift eines undatierten Schreibens G.s. v. L. an „herrn v. Rogendorff" (29. September 1638?). Ebd. liegen auch mehrere, mit dem Datum 29. September 1638 versehene Blätter mit eh. Notizen Gundakers „pro herrn v. Rogendorff' in lateinischer und deutscher Sprache (je drei Seiten), auf denen sich der Fürst kontroverstheologische Argumente notierte.
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diejenigen, die sich wieder zu derselben religion begeben, segne; dessen exempl ist unser haus, des herrn von Altheimb 593 , von Trautmanstorff etc. [,..]." 5 9 4 Wie bereits erwähnt, konnten diese plumpen Argumente Georg Ehrenreich von Rogendorf nicht beeindrucken, und erst sein Sohn Johann Christian trat 30 Jahre später zur katholischen Kirche über. Zu Beginn des Jahres 1639 korrespondierte Gundaker mit der lutherischen Freifrau Anna Maria Breuner (1583-1642), geborene Trauttmansdorff, der Witwe nach Kaspar Breuner (1580-1615), einem der Führer des protestantischen Adels in der Steiermark.595 Anna Maria schrieb dem Fürsten Gundaker, der sie offenbar zur Konversion zu überreden versucht hatte, „Gott der Heilige Geist hat mich durch das evangelium berueffen und überzeugt in meinem gewissen, welches khein ruehe hat oder findet, ohne in Jesu Christo [...]. Gott hat mir aus gnaden ein khleines fiinckhlein dises glaubens bishero erhallten und das glüende döchtl nit gar ausgeleschet, den bitte ich instendig umb den versprochenen Heiligen Geist, damit ich in der warheit erhallten und gelaittet [werden], auch auf das heilige verdienst Christi leben und sterben müge. Für mich ainfelltige ist Christum liebhaben besser denn alles wissen, den der herr Christus selber sagt, wir sollen Gott lieben von ganzen herzen, ganzer seel und allen ereilten und unsern nechsten als uns selbst, in disen zwayen gebotten hanget das ganze gesez [...]."
Sie ersuchte Gott, er möge sie angesichts des Streits zwischen Luthertum und katholischer Kirche nicht in Versuchung fuhren und nicht in „khlainmüttigkheit [...] fallen lassen, daß ich weder aines oder das ander glauben oder fassen khünte, und in Verzweiflung stekhen". Fürst Gundaker möge sie wegen dieser Erklärung nicht „für stöttig 596 und halsstarrig" halten, „auch khein feindtschafft oder Verachtung" auf sie „werfifen, wie es gemainiglich geschieht; unser Herrgott wolle uns allen genedig sein und unsern wissenden und unwissenden sünden umb seines verdiensts willen verzeihen - wie ich dan nit anders weiß, als: die chatolische sterben letzlich auf nichts anders." 597 Von dem langen Antwortschreiben Gundakers hat sich das eigenhändige Konzept erhalten. Einleitend gibt er seiner immer wieder geäußerten Überzeugung Ausdruck, das Gewissen sei nicht der geeignete Richter zur Entscheidung der Frage, welche Kirche und Religion die wahre sei. 598 Gott habe den Menschen die Vernunft gegeben, „die sollen wir gebrauchen zu seinen ehren; das können wir aber nicht thun, wir erkennen denn ihn und den gottesdienst oder cultus, damit er von uns verehrt sein will. Dits lehret uns die rechte religion - dahero können wir unser vemunfft nicht pesser und Gott wolgefelliger anwenden als in suchung der rechten religion." Es sei nicht genug, Gott um den Heiligen Geist zu bitten. In der „christlichen religion" gebe es viele Punkte, „welche kein mensch mit der vemunfft begreiffen kan, dannenhero kan sie ein mensch, daß sie wahr sein, nicht änderst begreiffen, als durch den glauben". Man müsse daher jemandem glauben - die Frage sei nur, wem: „dem Luthero, dem Calvino, dem bapist oder denenjenigen heiligen, welche diese alle drei und andere christliche secten vor heilig halten. Ich vermeine, diesen heiligen [...]." 5 9 9
5.3 5.4
Althan HALV, K. 247, a. a. O., Nr. 12, eh. Konzept eines Schreibens G.s v. L. an „RogendorfF, 23. Oktober
1638. Lanjus, Die Breuner, Tafel IV, Generation VI, Nr. 16. ' M störrisch 5,7 HALV, K. 247, a. a. O., Nr. 15, „Von der frau Caspar Breinerin, geborne von Trautmanstorff', s. d. (Ende 1638 oder Anfang 1639; Abschrift). „Durch dits, daß einer in seinem gewissen uberzeigt ist, daß er recht glaube, hatt er kein gnuegsame prob, daß er recht glaube, denn man findet unter den türken, juden, heiden, calvinischen, evangelischen, widertaufern und baptisten etc., die da in ihrem gewissen also vest überzeigt sein und nun so vest und unfälbar halten, daß sie den rechten glauben haben, daß sie, ehe sie solches laugneten, den tod und marter linen (wie dann ihr vil solches im werk erzeigt haben)." Ebd., eh., undatiertes Konzept G.s v. L., ζ. T. auf einem Schreiben von Johann Fritz an G. v. L. mit dem Datum 3. Januar 1639. Ebd. m
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Anfang der vierziger Jahre bemühte sich Fürst Gundaker um die Konversion des oberösterreichischen Freiherrn Erasmus des Jüngeren von Starhemberg (1595-1664), der (im Unterschied zu seinen Brüdern) seinem calvinistischen Glaubensbekenntnis treu geblieben war, seit 1627 hauptsächlich in Wien lebte und erst im Jahr vor seinem Tod ins Exil nach Regensburg ging. 600 Als ein Hauptargument dienten Gundaker wieder einmal die „miracula". Im Mai 1642 schrieb er an Starhemberg: „Nachdem der herr, alls wir miteinander von der religion conversiert, meines behalts vermeldet, wenn er vergwißt 601 wehre, daß rechte miracula von denjenigen, die die römische catholische religion gelehrt haben, zu bestettigung, daß ihre lehre von Gott herkomme und Gott wollgefellig seie, [bewirkt worden seien,] so könte er nicht laugnen, daß dieselbe recht unnd von Gott seie". Deshalb habe er ihm das beiliegende Schriftstück „schickhen wollen mit winschung, daß es ein zu Gottes ehren und des herrn heyl gereichenden effect erlange". 602 Starhemberg bedankte sich, „daß meiner seelen hail mit anweisung auf denjenigen weeg, welchen euer fiirstl. gnaden ihro selbsten erwehlet, sie ihr allso wolmeinentlich angelegen sein und zu solchem ende den wider beykomenden 603 tractatum de miraculis" ihm gnädig habe zukommen lassen. Er habe die Schrift abschreiben lassen und wolle „mit ehister mußweil, auch mit reiffem, in solchen wichtigkheiten gezimmendem nachdenken dieselbte fleißig durchlesen, erwegen und, wann ich die ehr haben werde, euer fiirstl. gnaden persöhnlich aufzuwarten, alsdann meine meinung und gedanken hierüber in underthenigkheit gerne eröffnen". 604 Der zwölfseitige lateinische Traktat, den Gundaker dem Herrn von Starhemberg überschickte, trägt die Uberschrift „Quod Christiana religio vera sit, ex eo capite probatur, quod miraculis confirmatur". Nach Auskunft einer eigenhändigen Notiz Gundakers auf der ersten Seite handelt es sich dabei zum Teil um ein Exzerpt aus dem im Vorjahr erschienenen Buch des Kapuziners Valerian Magni, Judicium de Acatholicorum et Catholicorum regula credendi". 605 Im November 1644 machte sich Fürst Gundaker erbötig, eine Abschrift des kontroverstheologischen Traktats, den er 1638 seiner Schwester Katharina nach Nürnberg geschickt hatte 606 , an einen offenbar nach wie vor lutherischen Grafen von Kollonitsch zu senden, um ihm „zu der rechten erkhandtnus dessen, so ich vor recht unnd ihme ersprießlich halte, zu verhelffen". 607 Graf Kollonitsch dankte und erklärte sich bereit, die Schrift zu lesen, obwohl er wegen seiner Religion keinerlei Skrupel oder Zweifel habe. 608 Daraufhin überschickte ihm Gundaker „die angeregte, religionscontroversias betrefende schrifft" und äußerte den Wunsch, „daß sie zu des herrn Seelenheil gereiche". 609 In den Jahren 1645 und 1646 pflegte Fürst Gundaker von Marburg in der Untersteiermark aus, wohin er sich auf der Flucht vor den Schweden zurückgezogen hatte, offenbar mehr oder minder enge gesellschaftliche Kontakte mit dem Freiherrn Günther (Gunther) von Herberstein (1594—1655) aus der Gutenhagschen Linie 610 dieses in zahlreiche Linien ge-
600
Siehe oben S. 100 und 142-144. "" überzeugt 602 HALV, Hs. 157, S. 346, G. v. L. an Herrn (Erasmus) von Starhemberg, 24. Mai 1642 (Abschrift). 603 D. h. hiemit retournierten. 604 Ebd., S. 376, Erasmus d. J. von Starhemberg an G. v. L., 2. Juni 1642 (Abschrift). 605 HALV, K. 247, a. a. O., Nr. 3; mit eh. Korrekturen und folgender eh. Notiz G.s v. L.: „Missum Domino Erasmo a Starnberg, 24. Maii 1642. Partim excerptum ex Valeriani Magni Capucini libro De catolicorum regula credendi." Dabei befindet sich auch ein vierseitiges Konzept mit eh. Ergänzungen G.s v. L. und der Dorsalnotiz „Adiunctum attinens ad scriptum [...] signatum N.° 3". Vgl. dazu Kapitel 16.1. 606 Siehe Kapitel 3.3.1. 607 HALV, Hs. 272, S. 740, G. v. L. an einen Grafen Kollonitsch, 8. November 1644 (Abschrift). m Ebd., S. 813 f-, Graf Kollonitsch an G. v. L„ 1. Dezember 1644 (Abschrift). 605 Ebd., S. 819, G. v. L. an Graf Kollonitsch, 9. Dezember 1644 (Abschrift). Zu der großen, seit 1482 herbersteinischen Herrschaft Gutenhag bei Marburg siehe Pirchegger,
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spaltenen, ursprünglich steiermärkischen Adelsgeschlechts, sowie mit dessen Gemahlin Eva Regina, einer geborenen Starhemberg (1599-1663). Eva Regina war eine Tochter von Erasmus d. Ä. von Starhemberg (1575-1648) 6 1 1 , der Zeit seines Lebens dem evangelischen Bekenntnis treu blieb, 1628 nach Regensburg auswanderte, aber die letzten 15 Lebensjahre mit Duldung des oberösterreichischen Landeshauptmanns Hans Ludwig von Kuefstein auf seinem Sitz Gstettenau verbrachte, „wo er sich ganz der Kontemplation und der Lektüre hingab".612 Ihr Bruder Johann Reichard ( 1 6 0 8 - 1 6 6 1 ) konvertierte ebenso wie ihre Cousins Heinrich Wilhelm (1593-1675) und Kaspar (1598-1646) sowie eine Reihe weiterer Familienangehöriger zum Katholizismus.613 Sie selbst war jedenfalls 1646 noch evangelisch, ebenso wie zum Beispiel der geistig bedeutendste ihrer Cousins, Erasmus d. J. von Starhemberg, der seinem calvinistischen Bekenntnis bis zum Tod die Treue hielt. 614 Nachdem Fürst Gundaker im Sommer 1646 bei einem Besuch in Gutenhag mit der Frau von Herberstein und mit ihrem Gemahl über (kontrovers)theologische Fragen „conversiert" hatte, übersandte er den beiden im Juni und im September 615 seine zwei jüngsten, in den Marburger Mußestunden verfaßten theologischen Werke, nämlich eine im Jahr 1645 geschriebene „Controversia von einerlei und bederlei gstalt"616 (also über die Frage der Kommunion sub una und sub utraque specie) sowie einen „Bericht, durch was vor mitl einer den rechten glauben erkennen unnd erlangen kan" 617 . Zur Beantwortung der Frage, welchen Eindruck die zwei Traktate auf Eva Regina von Herberstein gemacht haben und ob sie als Katholikin oder als Protestantin gestorben ist, stehen mir keine Quellen zur Verfugung. Auf den Inhalt der beiden Schriften werde ich später eingehen.618 Noch als fiinfundsiebzigjähriger Greis widmete sich Fürst Gundaker der Bekehrung von adeligen Standesgenossen. Zu Weihnachten 1655 schrieb er aus seinem Schloß Wilfersdorf an den berühmten jesuitischen Kontroverstheologen P. Jodok (Josse) Kedd 619 , es sei „in daUntersteiermark, S. 3 2 - 3 5 . - Die Gutenhagsche Linie ist eine der neun Nebenlinien der Jüngeren Haupdinie der Freiherren, später Grafen von Herberstein. Sie wurde von Günthers Vater Johann Friedrich begründet und ist im Jahre 1772 ausgestorben. Wurzbach, Biographisches Lexikon, 8. Teil, S. 326 und Stammtafel II. - Graf Georg Günther (Gunther) von Herberstein, der Sohn und Erbe Günthers von Herberstein, wurde übrigens am 31. Mai 1677 nach jahrelangen heftigen Streitigkeiten (u. a. um Fischerei- und Jagdrechte) von Untertanen der Herrschaft Ebensfeld, der Nachbarherrschaft der von seinem Vater 1639 gekauften Herrschaft Wurmberg, erschlagen. Gubo, Georg Gunther von Herberstein; Pirchegger, Untersteiermark, S. 7 8 - 8 0 . " 1 Wurzbach, Biographisches Lexikon, 37. Teil, Beilage: Stammtafel der Fürsten und Grafen von Starhemberg. 612 Heilingsetzer, Ständischer Widerstand, bes. S. 288 f. 6,3 Siehe oben S. 100 und 142-144. 614 Siehe oben S. 105 sowie Heilingsetzer, Die andere Barockkultur, und Conermann (Hg.), Fruchtbringende Gesellschaft, Bd. 3, S. 6 0 6 - 6 0 8 . 615 Am 25. September 1646 überschickte Fürst Gundaker dem Guardian des Laibacher Franziskanerklosters „einen bericht, durch was fur mitl einer den rechten glauben erkhennen und erlangen khan", sowie „ein ausfierung betreffend die communion sub una und sub utraque, welliches bedes wür neulich der frau von Herberstein zu Gutenhaag, mit der wiehr, als wiehr neulich alda gewest, von diesen materien conversiert, zuegeschickht haben". HALV, K. 247, Fasz. Aa. 298, G. v. L. an P. Paul, Guardian zu Laibach, Marburg, 25. September 1646 (Konzept). 6.6 Ebd., C (= Q 14); Vermerk von der Hand G.s v. L.: „Dem herrn Gunter von Herberstein geschikt von Marburg nach Gutenhaag den 28. Junii 1646." 6.7 Ebd., B; eh. Vermerk G.s v. L.: „Von eignen handen gemacht im Aug. 1646 und im Septemb. dem herrn Günter von Herberstein vor sein gemahlin geschikt." 6 " Siehe Kapitel 16.1. 619 P. Jodok Kedd SJ wurde 1597 in Emmerich geboren und starb 1657 in Wien. Er wirkte vor allem als Prediger und Kontroversschriftsteller in Böhmen, Schlesien, Ungarn, Regensburg und W i e n und verfaßte rund 80 polemische Schriften in lateinischer, deutscher und flämischer Sprache. Der 1653 in seiner Geburtsstadt Breslau zur katholischen Kirche übergetretene Angelus Silesius (Johann Scheffler) widmete ihm seine Bekenntnisschrift „Gründliche Ursachen und Motive" und sandte sie ihm nach Regensburg zur Übersetzung ins Lateinische. L. Koch, Jesuiten-Lexikon, Sp. 971; Sommervogel, Bibliotheque, Bd. 4, Sp. 9 5 8 - 9 7 7 .
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hieigem revier ein evangelischer freyherr, welcher, weillen er uns sehr lieb und angenemb, also wür sehr hoch verlangen, denselben zu dem alleinseeligmachenden catholischen glauben zue permoviren". Er habe mit ihm unter anderem über die Frage der Kommunion unter einer oder beiderlei Gestalt „konferiert" und habe ihm anschließend schriftlich Argumente für die katholische Lehre übermittelt. Nunmehr ersuchte der Fürst den gelehrten Jesuiten, er möge „des evangelischen landtherrn" Gegenargumente „substantiose, nervöse sed breviter widerlegen". 620 P. Kedd scheint der Bitte Gundakers nicht entsprochen zu haben. Somit endete auch dieser letzte Bekehrungsversuch des Fürsten Gundaker mit einem Mißerfolg.
620
HALV, Hs. 604, S. 504, G. v. L. an P. Kedd, Wiersdorf, 24. Dezember 1655 (Abschrift).
4. Dienste und Gnaden Amterlaufbahn im Fürsten- und Staatsdienst und für geleistete Dienste empfangene Belohnungen
4.1. Selbstverfaßte Cursus bonorum et officiorum und Bemühungen um eine kaiserliche „Gnadenabfertigung"
I m hohen Alter von 7 2 Jahren schrieb Fürst G u n d a k e r von Liechtenstein i m O k t o b e r 1 6 5 2 in s e i n e m S t a m m s c h l o ß W i l l e r s d o r f e i n e n B r i e f a n s e i n e n S o h n F e r d i n a n d J o h a n n . D a r i n erteilte er i h m u n t e r a n d e r e m d e n R a t , er m ö g e , w e n n es i h m d i e n l i c h e r s c h e i n e , d a r aufhinweisen, „daß ich ihr mayestät eltister würkhlicher geheimer rath und dero hochlöbl. hauses 55jahriger würkhlicher diener bin, daß in meiner ambasciata stracks nach des vorigen kaysers [d. h. Ferdinands IL] wähl [1619] an Chursachsen ich die gnadt von Gott gehabt, daß der löbl. churfurst sich auf ihrer mayestät seidten erklert (und darnach Schlesien in ihr mayestät devotion wider gebracht), da ich doch comm(ission) gehabt, ihne nur zur neutralitet zu bewegen; daß ich zweymahl wegen meiner treu, einmahl von den Böhmen und graffen von T h u m [1619] und einmahl von den Schweden [1645], das erstemahl mitverlust über 200.000 fl., das andere mahl mit verlust 247.000 fl. in treidt, wein und vieh, abbrennung 2 Schlösser, 3 herliche mühlen, 6 schäffel- und mayrhöff, 4 dörfer etc. [...], schaden gelitten. [... ] Im fahl deine liebden meinen Vorschlag, den ich hab gemacht gehabt, was ich des kaysers Ferdinandi 2^' söhn [sc. Erzherzog Leopold Wilhelm] habe imprimiren wollen und wie der geheimbe rath möchte gehalten werden, zu handen bringen, so wollen sie denselben, da sie khein bedenken haben, dem churfürsten zu Maintz oder andern zeigen, darmit sie daraus sehen, ob ich etwas in politicis verstehe. Herr Gebhardt [d. i. der - überaus fähige - Reichshofrat Justus Gebhardt] hatt es gelesen, mich umb erlaubnus solches abzuschreiben gebetten, vermeldend, es seye darin das fundament eines rechtschaffenen regenten begriffen." 1 A u s f u h r l i c h e r g e d a c h t e F ü r s t G u n d a k e r s e i n e r u m d a s H a u s Ö s t e r r e i c h e r w o r b e n e n Verd i e n s t e in B e i l a g e n z u s e i n e n G e s u c h e n u m e i n e d e r v o n F e r d i n a n d II. u n d F e r d i n a n d III. trotz der ständigen Finanznöte - so freigebig verteilten kaiserlichen „ G n a d e n r e k o m p e n s e n " u n d „ G n a d e n b e w i l l i g u n g e n " . 2 D e r a r t i g e G e s u c h e s c h i c k t e er v o n 1 6 4 9 , n a c h d e m er w e g e n seiner Schwerhörigkeit v o n der T e i l n a h m e an d e n Sitzungen des G e h e i m e n Rates e n t b u n d e n w o r d e n w a r 3 , bis z u s e i n e m T o d b e i n a h e j ä h r l i c h a n d e n K a i s e r u n d e i n f l u ß r e i c h e B e r a t e r d e s -
' HALV, Hs. 278, S. 367 f., G. v. L. an F. J. v. L „ W i e r s d o r f , 26. Oktober 1652 (Abschrift). Vgl. ζ. B. d'Elvert, Beiträge, Bd. 4, S. CCXXIV, C C X X X I V und CCXLIVf.; Hurter Geschichte, Bd. 8, S. 283 f.; Loebl, Beiträge, S. 660 ff. - Die nicht zuletzt wegen der relativ schlechten und unregelmäßigen Besoldung der Geheimen und der anderen Räte so wichtigen (vgl. Neudegger, Raths- und Hofexpeditions-Reformation, S. 21 f., 29, 42 f. und 50) „Gnadenrekompensen" und „Gnadenbewilligungen" scheinen allerdings eher selten tatsächlich ausgezahlt worden zu sein, jedenfalls höchstens in Raten: So gewährte Ferdinand II. im Januar 1630 dem scheidenden Hofkammerpräsidenten Anton Wolfradt eine „abfertigung und gnadenrecompens" in der gewaltigen Höhe von 100.000 Gulden rheinisch, die auf die Konfiskationen im Reich angewiesen, aber, wenn überhaupt, dem Begnadeten nur zu einem geringen Teil tatsächlich überwiesen wurden. Hopf, Anton Wolfradt, Abt. I, S. 30 f. und 43 f. A. 72. 3 Siehe Kapitel 4.6. 2
160
Dienste und Gnaden
s e l b e n . 4 I m F e b r u a r 1 6 5 5 beispielsweise s a n d t e er v o n U n g a r i s c h O s t r a aus derartige K o n v o lute (Briefe m i t je vier Beilagen) einerseits a n Kaiser F e r d i n a n d III., andererseits an die F ü r sten M a x i m i l i a n v o n D i e t r i c h s t e i n ( O b e r s t h o f m e i s t e r des Kaisers) u n d J o h a n n W e i k h a r d v o n A u e r s p e r g (seit d e m T o d des G r a f e n T r a u t t m a n s d o r f f der einflußreichste Vertraute Ferdin a n d s III. u n d D i r e k t o r d e s G e h e i m e n R a t e s ) sowie an d e n O s t e r r e i c h i s c h e n H o f k a n z l e r J o h a n n M a t t h i a s Prickheimayer, Freiherr v o n G o l d e g g , d e n H o f k a m m e r r a t D r . C l e m e n s R a d o l d t u n d d e n H o f k a m m e r p r ä s i d e n t e n D a v i d U n g n a d G r a f v o n W e i ß e n w o l f . 5 E r ersuchte die A d r e s s a t e n d a r u m , m i t ihrer „vilgültigen i n t e r v e n t i o n " behilflich z u sein, d a ß der Kaiser ihn - n a c h j a h r e l a n g e n vergeblichen V e r s u c h e n - e n d l i c h „ m i t einer g n a d e n a b f e r t i g u n g [ . . . ] a l l e r g n ä d i g s t " b e d e n k e n m ö g e . 6 In einer B e i l a g e 7 ließ er seine D i g n i t ä t e n u n d M e r i t e n R e v u e passieren: 1 5 9 9 ( i m Alter v o n 19 J a h r e n ) trat er als K ä m m e r e r in die D i e n s t e des Erzherzogs M a t t h i a s , 1 6 0 5 w u r d e er Verordneter des niederösterreichischen H e r r e n s t a n d e s , 1 6 0 6 ern a n n t e ihn Kaiser R u d o l f II. z u m H o f k a m m e r r a t ; 1 6 1 3 ü b e r n a h m er das D i r e k t o r i u m der kaiserlichen H o f k a m m e r ; zwischen 1 6 1 4 u n d 1 6 1 7 w u r d e er z u m L a n d e s h a u p t m a n n in Ö s t e r r e i c h o b der E n n s , L a n d m a r s c h a l l in Ö s t e r r e i c h u n t e r der E n n s , O b e r s t h o f m e i s t e r des Erzherzogs J o h a n n K a r l (des e r s t g e b o r e n e n S o h n e s F e r d i n a n d s v o n Innerösterreich, des späteren K a i s e r s ) 8 u n d O b e r s t h o f m e i s t e r der Kaiserin A n n a „ p o s t u l i [ e ] r t " , n a h m aber keines dieser A m t e r an. I m J a h r 1 6 1 8 w u r d e er v o n Kaiser M a t t h i a s zweimal n a c h Schlesien g e s a n d t , u m die d o r t i g e n F ü r s t e n u n d S t ä n d e v o n einer „ c o n i u n c t i o n " m i t d e n a u f s t ä n d i s c h e n b ö h m i schen S t ä n d e n a b z u h a l t e n ( b e k a n n t l i c h o h n e E r f o l g ) . B e i der zweiten S e n d u n g n a c h Breslau h a b e ihn „als kayserl. c o m m i s s a r i u m der p ö f e l m i t s t e i n w u r f f e n in die fenster vervolget". I m f o l g e n d e n J a h r 1 6 1 9 w u r d e er als G e s a n d t e r zu d e n K u r f i i r s t e n v o n M a i n z , Trier, K ö l n u n d der Pfalz sowie z u m H e r z o g v o n Bayern „ a b g e o r d n e t " . I m A n s c h l u ß d a r a n begleitete er Fer-
4 Anfang Juni 1649 wurde Fürst Gundaker von Ferdinand III. in Audienz empfangen, und er äußerte die Bitte, der Kaiser möge „sich ehist wegen meiner gebetnen gnad resolvieren [...], denn wenn ichs genießen solle, so sei periculum in mora, weil albereit 70 jaar verhanden sein. Darüber sie [sc. Ihre Majestät] gelacht und ihr vorbringen zu lassen vermeldet [...]." HALW, Κ. Η 834, Fasz. HT. 23, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Wien, 12. Juni 1649 (eh.). In einer dem Kaiser am 2. Oktober 1649 übergebenen Bittschrift ersuchte Gundaker darum, der Kaiser möge dem Hofkammerpräsidenten befehlen, sein (Gundakers) Anfang April 1649 durch den Grafen Walter Leslie eingereichtes „memorial, eine kayserl. gnad betretend" im Geheimen Rat referieren und darauf einen Bescheid erteilen lassen. Am 20. Oktober 1649 erging tatsächlich ein kaiserliches Dekret in dieser Sache. Der Kaiser erklärte sich grundsätzlich bereit, dem Gnadenbegehren des Fürsten Gundaker zu willfahren - derzeit könne aber nichts bewilligt werden, da der Kaiser „bey jeziger schweren zeit mit allerhand großen, maistens zu des allgemainen Weesens notturfften unentpährlich erforderten starken ausgaben so gahr überheufft" sei, „benebens die darzu benöttigte mittl noch immerzue mehr und mehr ermanglen wollen". HALV, K. 244, sowie Hs. 274, S. 63 f., 67f., 285, 317 u. ö. - In dem Konzept einer Bittschrift an den Kaiser vom 3. April 1649 mit eh. Ergänzungen und Korrekturen Gundakers steht einleitend die folgende Begründung, die sich auch in den Bittschriften der folgenden Jahre findet (in spitzen Klammern Ergänzungen nach dem Wortlaut eines Konzepts aus dem Jahre 1653): „Dieweil bey e(uer) k(aiserl.) m(ayestät) hochlöbl. haus die gewohnheit und das herkommen ist, daß sie ihre langwierige diener mit ertheilung gnaden in Vermehrung stands, titul oder guts zu bedenkhen und zu belohnen pflegen, als habe ich solches zu genießen nicht vernachlessigen wollen." HALV, K. 244. 5 HALV, Hs. 604, S. 60-62. Die Fürsten Auersperg und Dietrichstein erklärten sich am 3. Mai bzw. am 26. April 1655 dazu bereit, das Ihrige zum Gelingen der Sache beizutragen. Ebd., S. 206. 6 Zitiert nach dem an Maximilian von Dietrichstein geschickten Exemplar. MZA Brno, G 140, K. 644, Fasz. 2838, S. 1-4. 7 Beilage C. Ebd., S. 17-24. - Eine fast Wort fur Wort gleichlautende Zusammenstellung hatte Gundaker bereits am 1. November 1653 dem Kaiser übersandt. Vgl. HALV, K. 244; ebd. auch „Fürsten Gundackers meriten undt dignitaeten, aus denen actis zuesambengetragen" (s. d.). 8 In einem am 10. Januar 1644 Kaiser Ferdinand III. unterbreiteten Gutachten schreibt Gundaker von Liechtenstein, Erzherzog Ferdinand habe 1614 an Kaiser Matthias schriftlich die Bitte gerichtet, er möge Gundaker erlauben, das Obersthofmeisteramt bei seinem Sohn anzutreten, der Kaiser habe es aber nicht bewilligt. HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat, 1620 ff.", Subfasz. „Gutachten wegen des Obersthofmeisteramts fur Erzherzog Ferdinand, 10. Jänner 1644".
Cursus bonorum et
officiorum
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dinand II. „cum titulo geheimen raths" zur Kaiserwahl nach Frankfurt. Da weder in Bamberg noch in Nürnberg Kutschen aufzutreiben waren, gelang es ihm nur mit M ü h e und mit Verzögerungen, seinen nächsten großen Auftrag auszuführen, nämlich die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen dazu zu bringen, im Konflikt zwischen dem Kaiser und dem Pfalzgrafen neutral zu bleiben. Gundaker betrachtete es offenbar zeitlebens als seinen größten politischen Erfolg, daß es ihm in Dresden gelang, den Kurfürsten dazu zu bewegen, sich nicht nur neutral zu erklären, sondern offen auf die Seite des Kaisers zu treten, eine starke Armee auszurüsten und mit dieser dem Kaiser Schlesien zurückzuerobern. (Ob die Entscheidung Johann Georgs von Sachsen, der ja auch von einem Teil der aufständischen Böhmen als Kandidat für die Wenzelskrone ins Auge gefaßt wurde, tatsächlich eine Folge der Gesandtschaft Gundakers von Liechtenstein nach Dresden war, braucht uns hier nicht zu interessieren. 9 ) Die Aufzählung der in Diensten der Habsburger ausgeübten Amter und Kommissionen Gundakers endet mit dem Hinweis, daß er 1621 (recte 1620) Geheimer Rat Ferdinands II. und 1637 Ferdinands III. geworden sei, dessen ältester Geheimer Rat und ältester Kämmerer er zur Zeit der Bitte um eine kaiserliche „Gnadenabfertigung" war. Die Bemühungen des alten Fürsten Gundaker um einen materiellen Beweis der kaiserlichen „Gnade" (Gunst) waren nicht von Erfolg gekrönt. Ende Februar 1655 schrieb er verbittert an seinen Sohn Hartmann, der Hinweis auf die traurigen Staatsfinanzen sei nur eine Ausrede, andere, wie zum Beispiel Fürst Auersperg, erhielten nach wie vor große Gnadengelder. Er begreife nicht, warum gerade ihm „die gewöhnliche gnadenabferttigung" verweigert werde, „welche auch ainem trabanten, wann er nimmer dienen khan, ertheilt wirdt, und der ich niemals einzige gnad außer [des] fürstenstands bekommen, ja ihr mayestät und den ihrigen mehr geben, als [ich] jemahls von vier kaysern, dennen ich gedient, empfangen". Da es aber nun einmal „der brauch" sei, „daß man bey hoff importun sein und incessanter anhalten mueß", so ersuchte er seinen Sohn, die im vorangegangenen Absatz erwähnten Schreiben durch seinen Sekretär Wolfgang Hoffmayr oder, falls er nicht zugegen ist, durch den Sollizitaror übergeben zu lassen. 10 Die letzte Bittschrift in dieser Sache samt Schilderung der eigenen Verdienste übersandte Fürst Gundaker noch im Juli 1658, wenige Wochen vor seinem Tod, an den soeben gewählten, aber noch nicht gekrönten neuen Kaiser Leopold I. 1 1 Es ist bezeichnend, daß Gundaker mit keinem Wort den unrühmlich endenden Höhepunkt seiner politischen Karriere erwähnt, seine Tätigkeit als Obersthofmeister Ferdinands II. Als Graf Franz Christoph Khevenhüller (Abb. 16) den Fürsten Gundaker am 31. Dezember 1638 für seine vor dem Abschluß stehenden „ A n n a l e s Ferdinandei" u m ein Porträt (siehe unten Abb. 41) und eine „relation von dero vornemben verrichten diensten" ersuchte 1 2 , dankte ihm Gundaker bereits wenige Tage später von Wilfersdorf aus dafür, „daß er mir diese ehr anthuen, den mangl meiner meritorum mit seinem favor supliern und die fama seiner benignitet dadurch dilatiern will". Was seine unter Ferdinand II. geleisteten „Verrichtungen und dienst" betreffe, habe er diese „aigentlich nicht mehr in der gedechtnus". Er zählt dann im wesentlichen die auch in den Gesuchen um eine „Gnade" genannten Punkte
Vgl. Kapitel 4.5. HALV, K. 244, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 27. Februar 1655. " HALV, Hs. 608, fol. 188b und folgende (nicht foliiert). (Leopold I. wurde am 18. Juli 1658 von den Kurfürsten zum römisch-deutschen Kaiser gewählt und am 1. August gekrönt; Fürst Gundaker starb am 5. August 1658.) 12 HALV, K. 244. Zur Verwendung von Akten und privaten Korrespondenzen als Quellen fiir die „Annales Ferdinandei" siehe Peball, Quellenlage, bes. S. 17-22. Vgl. auch Dinklage, Kärnten um 1600, S. 1 1 - 1 6 und passim. - Der biographische Artikel über Gundaker von Liechtenstein in Khevenhiller, Conterfet Kupfferstich, 2. Teil, S. 17f., ist recht fehlerhaft: „WolfFerstorff" statt Wilfersdorf; der Vater habe „Herman" geheißen (recte Hartmann); die Angabe, Fürst Gundaker sei 1624 Obersthofmeister geworden, könne nicht stimmen, denn: „Anno 1634. ist erst der Fürst von Eggenberg von seiner Obrist-Hoffmeister-Stelle abgetreten, vnd hat sich auff seine Güter retiriret, m u ß es also 1634. heissen." 9
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Dienste u n d Gnaden
Abb. 16: Graf Franz Christoph Khevenhüller von Frankenburg (1588-1650). Kupferstich.
auf und schließt immerhin mit dem Satz, er sei Kaiser Ferdinands II. „cammerer, hofcammerpraesident, geheimer rahtt und obrister hofmeister" gewesen sowie Direktor des Geheimen Rats im Jahre 1636. 13 In den Gesuchen um eine „Gnadenrekompens" seit 1649 hingegen wird, wie gesagt, die Ausübung des Obersthofmeisteramts mit Stillschweigen übergangen. Im folgenden verzichte ich darauf, die Amterlaufbahn Gundakers von Liechtenstein in aller Breite und mit sämtlichen Einzelheiten nachzuzeichnen, da dies bereits Oskar von Mitis vor knapp 90 Jahren getan hat, auf dessen wichtigen Aufsatz hier nachdrücklich verwiesen sei.14 Ich konzentriere mich vielmehr auf ausgewählte Punkte und Fragestellungen, die fur das Verständnis der weiteren Kapitel dieses Buches nötig sind oder über den Einzelfall hinaus von Interesse sein könnten. Der Vollständigkeit halber wird es aber doch auch nötig sein, einen Uberblick über die jahrzehntelange Tätigkeit Gundakers von Liechtenstein im Fürstenund Staatsdienst zu geben.
4.2. Geld- und Darlehensgeschäfte mit dem Kaiser Karl von Liechtenstein besaß außerordentliche Fähigkeiten als Finanzmann und Ökonom, die es ihm ermöglichten, den Habsburgern und der kaiserlichen Hofkammer immer wieder große Geldsummen vorzustrecken. Nicht zuletzt diesen Fähigkeiten verdankten er und in seinem Sog die jüngeren Brüder Maximilian und Gundaker ihren sozialen Aufstieg.
13 14
HALV, K. 244, G. v. L. an F. Chr. Khevenhüller, Wolfersdorf, 7. Januar 1639 (Konzept). Mitis, Anteil.
Geld- u n d Darlehensgeschäfte mit dem Kaiser
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Während des Langen Türkenkriegs (1593-1606) spielten neben Großkaufleuten und Bankiers wie Lazarus Henckel von Donnersmarck 1 5 nicht zuletzt erbländische Aristokraten und zwar unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis - eine bedeutende Rolle als Kreditgeber Rudolfs II. 16 Der wichtigste von ihnen dürfte Karl von Liechtenstein gewesen sein. 1598 beispielsweise gewährte er zusammen mit seinen Brüdern dem Kaiser ein Darlehen in der Höhe von 100.000 Talern. 17 Anfang Januar 1602 erteilte Rudolf II. der Böhmischen Kammer den Befehl, den Brüdern Karl, Maximilian und Gundaker von Liechtenstein den schuldigen Betrag von 42.432 Talern fur gelieferten Proviant an Wein und Getreide zu bezahlen. 18 1605 beliefen sich die Forderungen Karls an den Kaiser trotzdem bereits auf 410.000 Gulden. 1 9 Es wurde nicht ganz zu Unrecht gesagt, Karl habe „mehr vom Finanzmann als vom Staatsmann" gehabt. Seine Tätigkeit am Präger Kaiserhof in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts sei „überwiegend finanzpolitischer Art" gewesen; er habe „durch Heranziehung böhmischen Klostergutes die Finanzen des Kaisers, seines Schuldners, sanieren" wollen. 20 Peter Stenitzer hat das Darlehensgeschäft zu Recht als eine der „gewinnbringendsten Möglichkeiten unternehmerischer Tätigkeit frühneuzeitlicher Adeliger" bezeichnet. 21 Ein Kreditgeber des Kaisers, der wenigstens einen Teil seines Geldes Wiedersehen oder zumindest eine regelmäßige Verzinsung des Kapitals erreichen wollte, mußte allerdings schon aus diesem Grunde danach trachten, ein möglichst nahes persönliches Verhältnis zum Kaiser, einen Sitz im Geheimen Rat oder eine Position in einer der Zentralbehörden zu erlangen. Selbst aus dem Bericht, den Dr. Esaias Leuker am 21. Mai 1625 aus Wien an Maximilian von Bayern absandte, spricht aus Erfahrung kommende Bitterkeit, obwohl Leuker nicht gerade der Vertreter eines Mannes ohne Namen und Einfluß am Kaiserhof war: Es sei notorisch, daß, „wer hie geltsachen und ausständige bezalungen zu urgiern, ander gstalt schwerlich, imo fast nie zu keiner schleunigen expedition gelangt, er gebe dan selbs dozu die mitl an die hant und seie derselben selbs mächtig, oder daß mans durch andere weg (e[xempli] g[ratia] große schmiralia), wan mans sagen dörfte, zu werk richte". Wenn Eggenberg, Harrach, Liechtenstein, Kardinal Dietrichstein, Wallenstein, Meggau etc. beim Kaiser oder beim Hofkammerpräsidenten „mit iren praetensionen aufgezogen kommen, so sein die oren gegen allen anderen praetendenten, solt auch gleich dorüber das ganz römisch reich zu grünt gehen, allenthalben verstopft". 22
" Henckel war wahrscheinlich der wichtigste Financier der kaiserlichen Hofkammer im Langen Türkenkrieg. Allein zwischen 1595 und 1600 brachte er fast eine Million Gulden an Vorschüssen („Antizipationen" in Form von kurzfristigen, großteils zinslosen Wechseldarlehen) auf die Türkensteuern aus dem Reich auf, das war fast ein Drittel der in diesem Zeitraum von Reichspfennigmeister Zacharias Geizkofler aufgenommenen Wechsel im Gesamtwert von 3,45 Millionen Gulden. J. Müller, Verdienste, S. 273-277. Vgl. auch Kallbrunner, Henckel. " Nicht nur einzelne Adelige fungierten als Kreditgeber der Krone, sondern immer wieder übernahmen auch die Stände der einzelnen Länder Teile der Schulden des Landesfiirsten zur Tilgung. So beglichen etwa die niederösterreichischen Stände allein zwischen 1593 und 1601 Hofschulden in der Höhe von 800.000 Gulden. Stangler, Landtage, S. 113. Vgl. auch ebd., S. 112-115; W. Schulze, Landesdefension, passim; Burkert/ Ziegerhofer, Finanzen, S. 35. 17 Falke, Geschichte, Bd. 2, S. 138. 18 Die böhmischen Landtagsverhandlungen und Landtagsbeschlüsse, Bd. 10, S. 250, Nr. 206. " Falke, Geschichte, Bd. 2, S. 141. 20 Meyer (Bearb.), Nuntiatur Ferreri und Serra, S. LXXIII. 21 Stenitzer, Der Adelige als Unternehmer, S. 51. - Zu den landesfürstlichen Kammergütern als Pfandobjekten und Instrumenten der Kreditschöpfung sowie zum „Darlehensgeschäft in Kompensation zur Wertschöpfung aus landesfurstlichen Grundherrschaften [...] als einer der konkretesten Realisierungsbereiche unternehmerischer Tätigkeit des Adels in der frühen Neuzeit" siehe am Beispiel Österreichs unter der Enns Knittler, Adelige Grundherrschaft, bes. S. 95-97, und ders., Habsburgische „Domänen", bes. S. 72, 76 und 88 f. 22 Briefe und Akten, N. F., 2. Teil, Bd. 2, S. 213f.
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Dienste u n d Gnaden
Die materielle Basis für die Vergabe von Krediten sowie für die Finanzierung des standesgemäßen Lebensstils waren natürlich die Erträge der Grundherrschaften und der Eigenwirtschaften, insbesondere des Getreide- und Weinbaus. So lieferte Gundaker von Liechtenstein beispielsweise im Jahre 1601 (also noch als Protestant) zur Verproviantierung der kaiserlichen Armee 150 Mut schweres Getreide (Roggen und Weizen), 150 Mut Hafer und 2.026 Eimer Wein um ingesamt 15.302 Gulden. 23 Beim Verkauf der Eigenbauprodukte hielt sich Gundaker von Liechtenstein an die Maxime der Gewinnoptimierung. So machte er zum Beispiel im Februar 1640 seinem Güterregenten Johann Fritz den Vorschlag, das Getreide auf der Herrschaft Ebergassing großteils mahlen zu lassen und anschließend, und zwar nach Möglichkeit von den eigenen Untertanen (d. h. in der Robot), das Getreide uijd das Mehl allmählich nach Wien führen zu lassen, dort in Getreidekästen zu speichern und erst dann möglichst teuer zu verkaufen, wenn die Getreidepreise in Wien den Höchststand erreicht haben. Der Regent solle über diesen Vorschlag nachdenken und, wenn er der geäußerten Ansicht beipflichte, Vorschläge erstatten, wie man sich „mit genuegsamen kästen" versehen könnte (möglichst auf dem Areal von Gundakers Wiener Palais).2 Im Oktober desselben Jahres schrieb Fürst Gundaker an Elias Wiesner, seinen Bevollmächtigten in der Markgrafschaft Mähren, er solle sich bemühen, in Olmütz sowie in Neisse und anderen schlesischen Städten alljährlich Kaufleute aus Mähren und Schlesien „zu erlangen", die sich bereiterklärten, Gundaker um große Summen österreichische und/oder mährische Eigenbauweine abzukaufen. „Wann ihr mir", fugte er hinzu, „stete khauffleuth auf große summen allso zuebringt, so solt ihr auch nicht dabey erdürsten." 25 Übrigens widersprach der gewinnorientierte Handel, insbesondere der Großhandel in Gestalt des Verkaufs der Eigenbauprodukte, keineswegs dem zeitgenössischen Adelsethos und der persönlichen Standesehre des Adeligen (was Konflikte zwischen Adeligen und Städten keineswegs ausschloß, sondern im Zuge der allgemeinen Kommerzialisierung der Grundherrschaften vielmehr heraufbeschwor). 26 So heißt es etwa in der 1682 in erster Auflage erschienenen „Georgica curiosa" Wolf Helmhards von Hohberg ganz im Sinne der von Gundaker von Liechtenstein 1640 geäußerten Überlegungen, der adelige Hausvater solle das Getreide verkaufen, „wann es am meisten gilt und am gelegensten ist zu verfuhren". Zu diesem Behufe sei es zweckmäßig, in der nächsten Stadt, in der Getreidemärkte abgehalten werden, ein Haus oder einen Getreidekasten zu besitzen, wo man das Getreide lagern könne, um es im günstigsten Moment zu verkaufen. 27
4.3. Landstand zwischen Landesfürst und Ständen Die fur die einzelnen Staaten und Territorien Europas unterschiedlich zu beantwortende Frage nach der Stellung der „Amtsträger zwischen Krongewalt und Ständen", d. h. in erster Linie zwischen Landesfürst und Adel, ist für das Verständnis der politischen Struktur, der
23 HALW, Κ. Η 171, „Verzaichnus was herr Gundagger, herr von Liechtenstain [...] ao. 1601 an schwerem getraidt, habern und weinen in die kayserliche profiant keuflich hergeben". Zu den Proviantlieferungen G.s v. L. in den Jahren 1601 und 1602 und dem daraus resultierenden Rechtsstreit Gundakers mit dem damaligen kaiserlichen Oberproviantmeister in Österreich und Ungarn, Hans Bernhard von Fünfkirchen, siehe ebd., Κ. Η 171 und Η 1254, sowie N Ö L A St. Pölten, Abt. Ständisches Archiv, Ständische Registratur, Fasz. G - 6 - 1 0 . 24 HALV, Hs. 270/11, S. 68 f., G. v. L. an den Regenten, Ebergassing, 25. Februar 1640 (Abschrift). 25 Ebd., S. 383 f., G. v. L. an (Elias) Wiesner, 10. Oktober 1640 (Abschrift eines eh. Schreibens). 26 Vgl. Stollberg-Rilinger, Handelsgeist und Adelsethos, bes. S. 278 f. und 287-289; Scheichl, Das Wirtschaften des Adels, S. 34f.; Stenitzer, Der Adelige als Unternehmer, bes. S. 45f. und 58; Winner, Adeliger Stand, bes. S. 75-81; Held, Selbstverständnis, S. 46f.; V. Reinhardt, Scipione Borghese, S. 131 und passim; Burkert, Landesfurst und Stände, S. 226-234; Roegele, Das „Systema der Familie", S. 142. 27 Zitiert nach O. Brunner, Adeliges Landleben, S. 300.
Landstand zwischen Landesfiirst und Ständen
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Macht- und Entscheidungsmechanismen der europäischen (Fürsten-)Staaten der frühen Neuzeit von größter Bedeutung. 28 Das Problem kann hier nicht grundsätzlich erörtert werden. Im folgenden wird nur am konkreten Beispiel Gundakers von Liechtenstein ein Blitzlicht auf die höchste Ebene dieser Thematik geworfen. Seit seiner Ernennung zum Bischof von Wien im Jahre 1598 war Melchior Klesl Mitglied des niederösterreichischen Herrenstandes, und er wurde rasch zum Führer der sich innerhalb dessen formierenden katholischen Partei. Es gilt als sein Verdienst, daß durch die „Konjugation" der katholischen Mitglieder des Herrenstandes im Jahre 1600 die Basis fur ein formelles Bündnis des katholischen Teils der Stände Österreichs unter der Enns gelegt wurde. 29 Im Februar 1604 kam es auf dem Landtag im Zuge des Konflikts um die Wahl eines Nachfolgers fur den zurückgetretenen evangelischen Herrenstandsverordneten Adam von Puchheim zum offenen Bruch zwischen dem protestantischen und dem katholischen Adel, nachdem sich der Landmarschall Siegmund von Lamberg geweigert hatte, die Wahl des Protestanten Ludwig von Starhemberg zu verkünden. 30 Am 3. Februar 1605 wurde auf dem von den Protestanten boykottierten Landtag von den nur 14 Anwesenden (darunter zwei Protestanten) Gundaker von Liechtenstein zum Verordneten gewählt. 31 Im Herrenstand waren nunmehr beide Verordnetenstellen in der Hand von Katholiken, die somit die Majorität im Verordnetenkollegium innehatten. Aufgrund eines Kompromisses mit den protestantischen Herren wurde die Amtszeit der Verordneten auf maximal vier Jahre beschränkt. 32 Gundaker von Liechtenstein übte das Verordnetenamt jedoch nur etwas mehr als eineinhalb Jahre aus, vom 21. Februar 1605 bis zum 3. Oktober 1606. Dann folgte er d e r - höchstwahrscheinlich von seinem Bruder Karl, der nach zweieinhalbjähriger Abwesenheit vom Kaiserhof soeben wieder dessen Leitung übernommen hatte, angeregten - kaiserlichen Bestellung zum Hofkammerrat in Prag. 33 Von März bis Juni 1606, während der Auseinandersetzungen über die Frage eines Friedensschlusses mit der Pforte, war er der Gewährsmann des Prager Nuntius Ferreri bezüglich der Haltung der niederösterreichischen Stände, die ebenso wie die Stände der anderen Länder (Böhmen, Mähren, Ungarn etc.) auf einen raschen Friedensschluß drängten. 34 Wahrscheinlich in Erfüllung seiner Amtspflichten als Verordneter verfaßte Gundaker ein nur in Gestalt eines undatierten Fragments 35 überliefertes Gutachten mit Reformvorschlägen für das Kriegswesen, das einige originelle und zukunftsweisende Anregungen enthält. Diese wurden wohl unter anderem durch zeitgenössische Entwicklungen in den Niederlanden - die von manchen Autoren mit dem Etikett „militärische Revolution" versehene oranische Heeresreform 36 - inspiriert, jedenfalls aber
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Vgl. etwa Gerhard, Amtsträger. Bibl, Stände, S. 175; Erdmann, Khlesl, S. 13 f., 20, 78 ff. und passim. 30 Bibl, Stände, S. 177-183; Erdmann, Khlesl, S. 91 ff. " Bibl, Stände, S. 189 ff. 32 Ebd., S. 190; Erdmann, Khlesl, S. 100 ff.; Kuefstein, Studien, 3. Teil, S. 38. 33 NÖLA St. Pölten, Abt. Ständisches Archiv, Hs. 66, „1604, 1605 et 1606"; Wißgrill, Schauplatz. In: Heraldisch-genealogische Zeitschrift 2 (1872), S. 31; HALV, K. 244, „Anbringen" G.s v. L. an die drei oberen Stände des Erzherzogtums Österreich unter der Enns, praes. 13. Februar 1612; Abschrift der Quittung über den Empfang von rund 2.263 Gulden „Remuneration" (Wien, 12. Juni 1613) ebd. An .Amtsbesoldung" erhielt Gundaker aus dem ständischen Einnehmeramt halbjährlich 400 Gulden. Vgl. u. a. ebd., Quittung vom 12. September 1606. 34 Meyer (Bearb.), Nuntiatur Ferreri und Serra, Nr. 727b, 730b, 734e und 792b. 33 Von Heischmann völlig zu Recht in das erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts verlegt. Heischmann, Anfänge, S. 47 A. 98. 36 Einführung der „Salven"-Technik („Kontremarsch"), Erhöhung der Disziplin der Soldaten durch systematischen Drill (Exerzieren) und Ausrüstung der gesamten Feldarmee der Republik der Vereinigten Niederlande mit Waffen derselben Größe und desselben Kalibers in den neunziger Jahren des 16. und im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts durch die Befehlshaber der Armee der nördlichen Niederlande, die Grafen Moritz und Wilhelm Ludwig von Nassau. Zusammenfassend: Parker, Die militärische Revolution, S. 39^44. 29
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Dienste u n d G n a d e n
von dem großen Gutachten seines Bruders Karl aus dem Jahre 1601. 37 Gundaker betont die Notwendigkeit militärischer Kameradschaft einerseits, des Exerzierens andererseits: Die Obristen sollten sich ihren Befehlshabern und diese den Mannschaften gegenüber und schließlich die Fußknechte und Reiter untereinander wie Brüder verhalten. Die Obristen und Befehlshaber müßten die Soldaten darin üben, ihre Waffen leicht und rasch „mit den wenigsten gaukeleien" zu gebrauchen. Weiters forderte Gundaker „einerlei Ladung" für die Musketen, Schützenrohre und Arkebusen - also eine Standardisierung der Kaliber und der Munition! 38 Es komme nicht auf die Zahl der Söldner an, sondern auf ihre Disziplin („gehorsam") und Kriegstüchtigkeit („erfahrenheit"), deren unerläßliche Voraussetzung eine regelmäßige Besoldung sei. Ahnlich wie sein Bruder Karl im Jahre 1601 und der Reichspfennigmeister Zacharias Geizkofler im Jahre 1603 kam Gundaker zu dem Schluß, daß die kontinuierliche Unterhaltung des Heeres billiger käme als die bisher übliche halbjährliche Abdankung. 39 Am 31. Mai 1606 gelang es Bischof Klesl, innerhalb der Landstände von Österreich unter der Enns einen aus 16 Prälaten, 29 Herren und 18 Rittern bestehenden katholischen Bund zur „erhaltung unndt erweitterung der religion" ins Leben zu rufen. 40 Die - soweit ich sehe - nur in einer Abschrift ohne Nennung der Namen der Signatare überlieferte Konföderationsurkunde 41 wurde vielleicht von allen drei Liechtenstein-Brüdern unterschrieben. Jedenfalls wurde Gundaker, der jüngste von ihnen, zu einem der insgesamt neun Herren im „Ausschuß", also im Exekutivorgan des neugegründeten Bundes, gewählt. 42 Mitte September 1609 besuchte Peter de Vischer, der Agent des Erzherzogs Albrecht an den Höfen in Wien und Prag, Gundaker von Liechtenstein auf dessen Bitte hin mehrmals auf seinem Schloß in Wilfersdorf. Er überredete Gundaker, nach Wien zu kommen, um an dem gerade tagenden Landtag teilzunehmen und König Matthias dazu zu bewegen, zwischen seinem Bruder Karl und Bischof Klesl zu vermitteln. Klesl, so berichtete Vischer nach München, habe ihm gesagt, er erwarte „H. Guntackers hereinkunft [...] mit verlangen, dan er ihn von herzen liebe". Er wolle „allerhand mit ihm reden", ja Gundaker solle „bald in legatione verschickt werden", er sei beim König „in gar guetem praedicament". 43 Gundakers politisch
37
Vgl. oben S. 59. M i t diesem Vorschlag eilte Gundaker seiner Zeit weit voraus. Zwar äußerte auch der Hofkriegsrat bereits 1615 in einem Gutachten die Ansicht, daß die „Schäfte und röhr" neu anzuschaffender Musketen von gleicher Länge u n d gleichem Schrot sein sollten, doch wurde erst 1722 eine einheitliche Feuerwaffe für das gesamte kaiserliche Fußvolk systemisiert (durch die Verteilung von Musterflinten an alle für die Heeresverwaltung arbeitenden Gewehrfabrikanten). 1767 genehmigte Joseph II. den Antrag, für alle Waffen der Armee ein einheitliches Kaliber einzuführen, aber erst 1808 war die Neubewaffnung der gesamten Infanterie mit dem Infanteriegewehr-Modell 1798 vollzogen. Die Kavallerie genoß bis 1750 das Privileg, ihre Waffen nach Belieben im In- oder Ausland einkaufen zu dürfen. Heischmann, Anfänge, S. 202 mit Anm. 624. 38
59 Ebd., S. 4 7 - 4 9 . Vgl. zu diesem Themenkreis auch die im Jahre 1612 im Auftrag des Fürsten Karl von Liechtenstein von dessen O b e r h a u p t m a n n (kein militärischer Rang, sondern der Chef der Herrschafts- u n d Güterverwaltung; vgl. Haupt, Fürst Karl, Textbd., S. 38) Georg Fuchs verfaßte Defensionsordnung für Böhmen, Mähren und Österreich ob u n d unter der Enns, in der u. a. - ganz im Sinne Machiavellis, Lazarus von Schwendis, der Grafen Moritz, Wilhelm Ludwig und Johann von Nassau, aber auch Herzog Maximilians von Bayern - die Abkehr vom Söldnerwesen und die „Rückkehr" zu einem Volksheer auf der Basis der allgemeinen Wehrpflicht propagiert wird: Schier (Bearb.), Wehrverfassung, und Frauenholz, Entwicklungsgeschichte, Bd. 3/2, S. 8 0 - 1 0 0 . 40 Bibl, Stände, S. 197 ff.; Erdmann, Khlesl, S. 108 ff. 11 N Ö L A St. Pölten, Abt. Ständisches Archiv, Hs. 149, fol. 3 1 5 - 3 1 8 , „Verainigung der cathollischen in Österreich unter der E n n ß auf einem ausschuß im prelaten-, herrn- u n n d t ritterstandt, die erhaltung u n n d t erweitterung der religion betr." (.Actum Wien, den Junii 1606."). Eine Ausfertigung (mit Siegeln und Unterschriften) findet sich im N Ö L A , Abt. Ständisches Archiv, weder unter den Akten der Ständischen Registratur (Fasz. A - 4 - 1 0 ) noch unter den Ständischen Urkunden. 42 Ebd., Hs. 149, fol. 318; Bibl, Stände, S. 197 (ebd., S. 197 f., die N a m e n der anderen Ausschußmitglieder). 43 Briefe und Akten, Bd. 7, Nr. 72, bes. S. 66 f. u n d 71 f.
Landstand zwischen Landesfürst u n d Ständen
167
viel aktiverer und einflußreicherer Bruder Karl versöhnte sich im November 1609 tatsächlich - zumindest äußerlich - mit Klesl.44 Er spielte damals offenbar mit dem Gedanken, nach dem Tod Rudolfs II. nicht König Matthias, sondern Erzherzog Albrecht zur Kaiserwürde zu verhelfen, bemühte sich aber andererseits sehr darum, Rudolf und Matthias zusammenzubringen und zu versöhnen. 45 Nach den turbulenten Ereignissen des Jahres 1609 erneuerte Klesl am 1. Februar 1610 die Konföderation der katholischen Stände Niederösterreichs, die von König Matthias bereits zehn Tage später konfirmiert wurde. 46 Die beiden Exemplare der Konföderationsurkunde im Niederösterreichischen Landesarchiv tragen nur die Unterschrift Karls von Liechtenstein, nicht aber jene seiner Brüder Maximilian und Gundaker. 47 Im Juni 1610 wurde ein Kompromiß zwischen den protestantischen und den katholischen Ständen in der Verordnetenfrage geschlossen.48 Seit 1611 kam es dann infolge der Gegnerschaft Karls von Liechtenstein, seiner Brüder Maximilian und Gundaker, Seifried Christoph Breuners und einiger anderer malkontenter katholischer Herren gegen den allmächtigen Bischof Klesl zu einer Spaltung des katholischen Lagers innerhalb der niederösterreichischen Stände, von der die Protestanten weiter profitieren konnten, nachdem ihnen und ihren Untertanen von König Matthias bereits am 19. März 1609 mit der sogenannten Kapitulations-Resolution freie Religionsausübung zugestanden worden war. 49 Am Wiener Februar-Landtag des Jahres 1615 gelang Klesl immerhin die Erneuerung der 1610 prolongierten katholischen Konföderation für weitere drei Jahre. 50 Allerdings wurden die mit 1. März 1615 datierten Konföderationsurkunden von den katholischen Gegnern Klesls nicht unterzeichnet; daher sucht man unter den Signataren die drei Liechtenstein-Brüder vergeblich.51 Die charakteristische Zwitterstellung Gundakers von Liechtenstein - als Mitglied des Herrenstandes von Österreich unter der Enns einerseits, Rat und Kämmerer des Landesfiirsten andererseits - zwischen den Ständen und dem Fürsten, zwischen „Land und Hof", kommt sehr gut in einem Schreiben zum Ausdruck, das Gundaker am 22. Juni 1616 an den protestantischen Herrn Bernhard von Puchheim richtete. 52 Der Landmarschall habe ihm, Gundaker, mehrmals „lassen ansagen in das landhaus [sc. zu den Landtagssitzungen] zu kommen", worauf er sich stets entschuldigt habe. Daraufhin hätten ihn mehrere Ständemitglieder angesprochen, „vermeinend, ich wolte mich, vielleicht anderer interessen wegen, enteußern von beratschlagung des gemeinen nutzen". Um nicht „in ungleichen argwöhn [zu] gerahten", berichtete er Puchheim, „daß dessen allein dits die ursach, weilen ich erachte, daß mir nicht gebüre, bei erledigung der landtagsproposition in Stenden zu sitzen, alldieweilen ich dieselbe in dem geheim- und deputierten rahtts-collegio hab helfen beratschlagen und zusammendragen, dannenhero in Stenden weiter mein votum darzu zu geben ich billich bedenken drage, in sonderer erwegung, daß die stend solches gegen mir mit fueg anden möchten, weilln vor " Ebd., Nr. 165, S. 167. 45 Schwarz, Privy Council, S. 286. 46 Bibl, Stände, S. 221-227; Erdmann, Khlesl, S. 142 ff 47 NÖLA St. Pölten, Abt. Ständisches Archiv, Ständische Registratur, Fasz. A - 4 - 1 0 , fol. 77-99. Ein Exemplar ist von 16 Prälaten, 29 Herren (an erster Stelle: Karl Fürst von Liechtenstein) und 19 Rittern gesiegelt und unterschrieben, das andere nur von 12 Prälaten, 22 Herren und 14 Rittern. 18 In den nächsten vier Jahren amtierten zwei Prälaten, je zwei protestantische Herren und Ritter und je ein katholischer Herr und Ritter als Verordnete, sodaß das Verordnetenkollegium aus je vier Protestanten und Katholiken bestand. Bibl, Stände, S. 237. " Erdmann, Khlesl, S. 157 ff. 50 Bibl, Stände, S. 245 A. 7; Erdmann, Khlesl, S. 179. 51 NÖLA St. Pölten, Abt. Ständisches Archiv, Ständische Registratur, Fasz. A - 4 - 1 0 , fol. 127-144 und 174-190. Eines der beiden erhaltenen Exemplare wurde von 13 Prälaten, 15 Herren (an erster Stelle Bischof Melchior Klesl!) und 16 Rittern gesiegelt und unterschrieben, das andere von 8 Prälaten, 12 Herren und 11 Rittern. 52 HALV, K. 245, eh. Konzept („ex domo").
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Dienste u n d G n a d e n
disem 53 von ihnen geschlossen worden, daß kein wirklicher rahtt, zu geschweigen einer, der die proposition selber hart machen helffen, solchen consultationen beiwohnen solle, welchem schluß ich selbst beigewohnet und ratificiert". Im November 1618 wurde Gundaker von Liechtenstein von Kaiser Matthias durch den Mund des Geheimen Rates Karl von Harrach (Abb. 17) das Landmarschallamt in Österreich unter der Enns angetragen. Am 12. November wandte er sich von Schloß Wilfersdorf aus in einem durch eigene Stafette („cito, cito, cito") überbrachten Schreiben an seinen Bruder Karl um Rat und eröffnete ihm seine Bedenken, das Amt anzunehmen. 54 Gundaker gibt in dem Schreiben zunächst seiner grundsätzlichen Uberzeugung Ausdruck, „daß meines erachtens pesser ist in einem dienst zu sein, welches wegen man steets an dem ortt ist, wo der herr sich befindet, denn es ist annehmblicher wegen der geselschafft, unnd die merita werden pesser in acht genommen in der nehnde als in der ferne". Man könne sich „in diesem dienst" (dem Landmarschallamt) nur wenige „obligiern", und außerdem „nur die innwohner des landts". Falls er den Dienst annehme, so bewege ihn „nichts als vocatio", also die Berufung durch den Kaiser und Landesfiirsten; „bei derselben soll aber auch sein sufficientia, die, sagt man, gebe Gott, wenn man seinem beruff volge". Gundaker befürchtete aber, daß es ihm so gehen könnte „wie dem pfaffen im predigen, welchen man vertröstet, der Heilige Geist werde schon kommen unnd i[h]m beistehen". Jedenfalls: „[...] mit schaden unnd auf gnaden diene ich nicht." Er müsse zumindest neben den Lasten des Dienstes „auch ein commodum haben, welches da recompensiert meine ungelegenheiten unnd unlust [...]. Ich begere nicht reich dabei zu werden, aber keinen schaden will ich auch nicht leiden, unnd ein jeder guter diener ist seines lohns wertt."
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53 54
seinerzeit HALV, K. 245, eh. Schreiben.
Abb. 17: Graf Karl von Harrach zu Rohrau (1570-1628). Kupferstich.
Landstand zwischen Landesfürst und Ständen
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Als Entscheidungshilfe notierte sich Gundaker die fur und gegen die Übernahme des Landmarschallamts sprechenden Argumente und wog sie gegeneinander ab. 5 5 Unter den „Incommoda des ambts" schreibt er an erster Stelle im Hinblick auf die „administratio iustitiae", man mache sich dabei auf alle Fälle Feinde, „denn alzeit ein teil [also eine der Streitparteien] offendiert wirdt". Der Landmarschall müsse „zwischen den landtsrechten", also zwischen den Sitzungen des Landmarschallischen Gerichts, „allein iudiciern", was eine „schwere Verantwortung" sei. Außerdem werde das Amt verachtet, „weil kein execution ist". Was die Landtagshandlungen betreffe, so sei es schwer, beide Teile zu „contentiern", den Landesfiirsten und die Stände. „Man dregt offt von hoff aus dem landtmarschall schwere Sachen auf, die sich nicht also bei den Stenden thun lassen, dardurch kombt man in ungnad." Es herrsche große Unordnung in den Landesangelegenheiten und Landtagshandlungen, und es sei „schweer, bei so vil köpfen ein Ordnung anzurichten". Es gebe „Uneinigkeit unter den Stenden, sowol wegen der religion als unter 56 dem herrn- unnd ritterstand". Im Hinblick auf seine Person und deren Eignung für das Amt schließlich („ratione meiner persohn") notierte Gundaker stichwortartig die folgenden Bedenken: „Unkosten; versaumnus zu haus; allhie verbunden; schlechte Unterhaltung. Kein erfarnheit des landtsbrauchs unnd der rechten. Unvermögen der gedechtnus unnd des redens; hab wol vermeint, der usus werde es verpessern durch Übung in den rähten, hab es aber nicht befunden." Zur Rubrik „Commoda" fiel dem frommen Freiherrn nichts weiter ein als: „Merito bei Gott." Darauf folgen sogleich die „Conditiones, mit welchen der dienst anzunehmen". An erster Stelle heißt es, der Kaiser möge „Verordnung thun, daß scherfere execution beschehe, unnd diejenigen, so sich widersezen, bestraffen, denn in ihr m(ayestät) diensten" amtieren „und nicht gehorsamt werden, ist derselben spöttlich". Um „das ambt in mehrern respect zu bringen", möge der Kaiser ihn, Gundaker, zum Geheimen Rat ernennen, „denn der respect oder despect ihrer mayestät officier gibt oder nimbt dero reputation". Sobald das Landobristenamt „vaciert", möge es ihm der Kaiser zusätzlich zum Landmarschallamt verleihen, „denn es sonst darzu gehört. Ich kan auch dardurch zum teil mehrere vota auf mein seittn bringen, denn die untergebnen kriegsofficier dependiern zum teil von demselben officio." Weiters möge ihm der Kaiser für die bisher seit 20 Jahren geleisteten Dienste „ein gnad thun" sowie nach der Übernahme des neuen Amtes „ein solche Unterhaltung geben, daß ich das meine nicht einbießen dörfe; denn man muß sich wegen des ambt stattlich halten, die bsoldung ist schlecht, mit geschenken sich zu behelffen spöttlich, insonderheit bei denen, so die iustici administriern, unnd wenn man erbar procediert, so sein die geschenk desto schlechter." Außerdem wollte sich Gundaker ausbedingen, daß ihm erlaubt werde, von Zeit zu Zeit zu Hause, das heißt vor allem in seinem Schloß und auf seiner Herrschaft Wilfersdorf, nach dem Rechten zu sehen. Schließlich: Da beide Majestäten seine Gemahlin „vor andern mit mererm titl (nemblich ,maumb' 5 7 ) begnadet unnd gewürdigt", mögen sie ihr auch vor anderen den Vortritt lassen („die stell geben"). Wie nicht anders zu erwarten und wie Gundaker selbst wohl gehofft, jedenfalls aber vorhergesehen hatte, war der Kaiser nicht bereit, auf alle aufgezählten Bedingungen einzugehen, Gundaker hingegen ebensowenig, auch nur eine davon aufzugeben, sodaß es nicht zur Übernahme des Landmarschallamtes durch ihn kam. Ausschlaggebend war wohl letztlich die „eigenthümliche Doppelstellung" 5 8 des Landmarschalls als Vertrauensmann und Organ sowohl der Stände als auch des Fürsten, die Gundaker von Liechtenstein in der kritischen politischen Situation des Novembers 1618 befurchten " Ebd., zwei undatierte Blätter mit eh. Notizen G.s v. L. * zwischen 57 Muhme 58 Wretschko, Marschallamt, S. 146 und passim; Hassinger, Landstände, S. 1015; vgl. auch O. Brunner, Land und Herrschaft, S. 426.
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Dienste u n d Gnaden
ließ, zwischen die Fronten zu geraten. 59 Erst nach 1620 wurden der Landmarschall von Österreich unter der Enns und die Landeshauptleute der übrigen Erbländer „fast ganz" zu Instrumenten des Hofes und des fürstlichen Absolutismus. 60 Die Konflikte zwischen den katholischen und protestantischen Ständen Niederösterreichs - unter anderem über die Frage einer Trennung der Kassen - schwelten auch in der zweiten Hälfte der 1610er Jahre weiter fort. Endlich wurde die Bestellung eines paritätisch besetzten Schiedsgerichts in Aussicht gestellt, zu dem am 11. März 1619, wenige Tage vor dem Tod des Kaisers Matthias, neben anderen die katholischen Herren Seifried Christoph von Breuner und Gundaker von Liechtenstein deputiert wurden. 61 Nachdem am 4. Juni eine von Katholiken und Protestanten beschickte Konferenz im Wiener Landhaus zusammengetreten war, kam es am folgenden Tag zur „Sturmpetition" und Ende des Monats zur Sezession eines bedeutenden Teils des evangelischen Adels nach Horn. Am letzten Tag des Jahres 1619 wurde Gundaker von Liechtenstein als kaiserlicher Kommissär zu einer Versammlung friedenswilliger, mit der Politik der „Horner" nicht einverstandener evangelischer Adeliger entsandt, die sich tatsächlich zum Verzicht auf einen Anschluß an die „Confoederatio Bohemica" verpflichteten. 62 Gleichzeitig schlossen am 15. Januar 1620 die Abgesandten Friedrichs von der Pfalz als Königs von Böhmen und der „rebellischen" nichtkatholischen Stände Böhmens, Mährens, Nieder- und Oberösterreichs, Schlesiens und der beiden Lausitzen in Preßburg ein Verteidigungsbündnis mit Gabriel Bethlen, der am 8. Januar vom Preßburger Reichstag einstimmig zum „Fürsten von Ungarn" gewählt worden war, und den ungarischen Ständen. Bethlen einigte sich allerdings bereits tags darauf mit Kaiser Ferdinand auf einen mit Ende September befristeten Waffenstillstand, in dem Ferdinand faktisch auf den Besitz
" Im schlimmsten Fall konnte diese Stellung für den „Mann zwischen den Fronten" letal enden: Der württembergische Rat Matthäus Enzlin, der wichtigste Ratgeber und Favorit des Herzogs Friedrich von Württemberg (1592-1608), unterstützte die ständefeindliche Politik des Herzogs. Dieser stützte sich 1607 bei der „Zertrümmerung der verfassungsrechtlichen Basis der Stände" auf ein von Enzlin verfaßtes Rechtsgutachten. Nach dem überraschenden Tod des Herzogs kam es zu einer ständischen Restauration, und Enzlin wurde der Prozeß gemacht. Nach der Verurteilung zu lebenslänglicher Haft unternahm er mehrere Befreiungsversuche. In einem neuerlichen Prozeß vom Tübinger Hofgericht zum Tod verurteilt, wurde Enzlin schließlich im November 1613, genau fünf Jahre bevor Gundaker von Liechtenstein das Landmarschallamt angeboten wurde, hingerichtet. NDB, Bd. 4, S. 542 f.; vgl. demnächst den Beitrag von Ronald G. Asch in dem vermutlich von John F. Elliott und Laurence Brockliss hrsg. Band mit den Referaten des Symposiums „The World of the Favourite 1550-1700", das 1996 in Oxford veranstaltet wurde. Im Falle Gundakers von Liechtenstein war die Lage nicht so dramatisch; es ging eher darum, daß Gundaker fürchtete, es keiner der beiden Seiten recht machen und sich insbesondere beim Fürsten keinen „Ruhm" erwerben zu können. 60 Hoyos, Ernst von Traun, Teil I, S. 54.— Wenn Graf Blümegen noch im 18. Jahrhundert den Landmarschall als „homo principis et homo statuum" (Wretschko, Marschallamt, S. 146) charakterisieren konnte, so ist zu berücksichtigen, daß die Stände damals bereits allmählich in die einheitliche Staatsverwaltung integriert wurden; von einem verfassungsmäßigen „Dualismus" konnte spätestens seit der Staatsreform von 1749 keine Rede mehr sein. 1764/65 hob Maria Theresia in den einzelnen böhmischen und österreichischen Ländern die meisten Organe der Landstände (den ständischen Ausschuß, das Raitkollegium und die Viertelskommissäre) auf. Das Verordnetenkollegium, das in Hinkunft alle Geschäfte der Stände besorgen sollte und dessen Mitglieder der landesfiirstlichen Bestätigung bedurften, erhielt vom Hof eine schriftliche Instruktion. Den Vorsitz im Verordnetenkollegium übernahm der Landeshauptmann bzw. (in Niederösterreich) der Landmarschall. An die Stelle der ständischen Viertelskommissäre traten die staatlichen (bzw. landesfürstlichen) Kreishauptleute. Während der Alleinregierung Josephs II. wurde 1782/84 die ständische Landesverwaltung mit der staatlichen Provinzverwaltung zusammengelegt, die ständische Verfassung fand ihr vorläufiges Ende. Unter Leopold II. wurde die ständische Verfassung zwar restituiert, die Stände waren aber kein eigenständiger politischer Machtfaktor mehr. Ja, im Jahre 1808 bewilligte Kaiser Franz den Ständemitgliedern der böhmischen und österreichischen Länder (übrigens rote) Uniformen, während Uniformen für die Staatsbeamten erst 1815 eingeführt wurden. Vgl. ζ. B. Beidtel, Staatsverwaltung, Bd. 2, S. 25, 49, 60 f. und 258; Bibl, Restauration, S. 7 f., 31 und passim; Putschögl, Behördenorganisation, S. 57 f.; Petrin, Stände, S. 19 f.
" Bibl, Stände, S. 272. 62 J. Schmid, Politik der Stände, S. 213-215.
Landstand zwischen Landesfurst und Ständen
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Ungarns verzichtete und Bethlen den Erwerb der schlesischen Fürstentümer Oppeln und Ratibor in Aussicht stellte. Am 13. Juli 1620 huldigten 19 Prälaten, 32 katholische und 39 protestantische Herren, 30 katholische und 47 protestantische Ritter sowie Vertreter der 18 landesfürstlichen Städte und Märkte im Wiener Landhaus dem Kaiser als Landesfiirsten. Rund 150 protestantische Adelige blieben der Huldigung fern und wurden im September und Oktober 1620 geächtet.63 1624 und endgültig 1627 wurde die Zahl der Verordneten der niederösterreichischen Stände von acht auf sechs (je zwei aus dem Prälaten-, Herren- und Ritterstand) reduziert, wobei es bis zur Revolution des Jahres 1848 blieb und wodurch den Katholiken die Majorität im Verordnetenkollegium endgültig gesichert wurde.64 Seit 1629 durfte nur mehr Katholiken die Landstandschaft verliehen werden. Deshalb sowie infolge von Konversionen und Emigrationen waren um 1650 nur noch rund 35 Prozent der niederösterreichischen Adeligen (etwa 150 von 420) evangelisch, während es 1620 noch fast drei Viertel gewesen waren.65 Am 28. Januar 1635, wenige Monate vor Abschluß des Präger Friedens, charakterisierte sich Gundaker von Liechtenstein in einem Brief an den Oberstkanzler des Königreichs Böhmen Wilhelm Slavata als ein führender Verfechter der Bewilligung der - beinahe den Ruin des Landes und seiner Bewohner heraufbeschwörenden - landesfiirstlichen Proposition durch den mährischen Landtag: „Ich bitte, der herr welle l(hrer) m(ayestät) m i c h unterthenigst bevehlen m i t vermelden, ich verhoffe, sie werden m i t d e r o e r b m a r g r a f f t u m b M e r e r n gehorsamisten allerunterthenigsten stend bewilligung allergnedigist zufriden sein; u n n d o b w o l wir [= die m ä h r i s c h e n Stände] uns u n n d unsern u n t e r t h a n e n d a m i t bis in das m a r c h gegriffen u n n d ich der m e i n u n g b i n , d a ß i(hr) m(ayestät) [ . . . ] m i t einer vil w e n i g e m q u o t a w e h r e n allergnedigist zufriden gewesen, so ist d o c h m e i n m o t i v o gewest, so h o c h wie vor e i n e m jaar anjezo die q u o t a zu sezen, d a m i t i(hr) m(ayestät) sehen, d a ß wir unser Schuldigkeit gegen ihr, u n s e r m landsfiirsten, u n n d gegen unserm vatterland der mügligkeit nach aufs eußeriste jezt, da die zwangsmitl uns n i c h t a n b e d r o e t werden, n i c h t weniger als vor, da wir dieselben von d e m allgemeinen landsverderbenden tyrannischen m o n s t r o [sc. von der Kriegsfuria] zu b e f u r c h t e n gehabt, leisten, auch daraus a r g u m e n t i e r n u n d sich versichern k ö n n e n , d a ß wir aus edlem g e m ü t unser unterthenigste lieb u n n d schuld, u n n o t des Zwangs, jederzeit nach v e r m ö g e n erzeigen werden."
Andererseits gab Gundaker aber zu bedenken, daß es in Zukunft nicht mehr möglich sein werde, eine derart hohe Kontribution zu bewilligen, ohne daß diese die durch den Krieg verarmten Landleute und Untertanen „an ihrem leib unnd an ihren weib unnd kindern mit hunger unnd kummer erspahren müssen, ihr vil dadurch gedrungen werden, von haus und hoff zu lassen unnd ihre kinder im elend zu verlassen". Der einzige Ausweg bestehe darin, „den lieben werden friden zu ergreiffen", weshalb Gundaker den Kaiser „unterthenigst" bat, er wolle „dahin drachten", diesen zu erlangen; eine bessere Friedenschance als jetzt werde sich nicht mehr bieten.66 Am 13. September 1644 empfahl Gundaker dem Grafen Slavata, der Kaiser solle dem Grafen Christoph Paul von Liechtenstein als Landeshauptmann von Mähren befehlen, das von ihm begehrte Gutachten wegen der Einfuhrung eines neuen Modus contribuendi in der Markgrafschaft nicht bis auf die Zeit nach dem Landtag zu verschieben, sondern sogleich zu erstellen - „welches wir dem herrn als ein sonderer befurderer ihr mayestät dienst und boni publici wol meinende nicht verhalten wollen".67
63
S i e h e ζ. B . B i b l , Stände, S. 2 7 6 - 3 0 9 ; J . S c h m i d , Politik der Stände; Kretschmer, S t u r m p e t i t i o n .
64
B i b l , Stände, S. 3 1 7 - 3 2 3 .
65
Reingrabner, Adel und R e f o r m a t i o n , S . 1 8 ff.
66
H A L W , Κ . Η 1 7 2 , Fasz. „Anschlag- und projecte eines neuen m o d i c o n t r i b u e n d i i m m a r g g r a f t h u m
M ä h r e n " , G . v. L . an G r a f Slavata, „ L i e c h t e n s t e i n " ( M ä h r i s c h K r o m a u ) , 2 8 . J a n u a r 1 6 3 5 (zur G ä n z e e h . K o n zept). 67
S O A T r e b o r i , Zweigstelle J i n d f i c h u v H r a d e c , R A Slavatu, P i s e m n o s t i j i n d f i c h o h r a d e c k y c h Slavatü,
V i l e m Slavata, K . 1 8 , Fasz. „ U r e d n i k o r e s p o n d e n c e " . S i e h e dazu Kapitel 5 . 9 .
172
Dienste und Gnaden
Ich mache nun einen zeitlichen Sprung, da sich Gundaker von Liechtenstein offenbar erst in den Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder mehr oder minder grundsätzlich über die Rolle der Stände und der Landtage sowie das prekäre Verhältnis zwischen H o f und Ständen schriftlich geäußert hat. A m 13. November 1653 schrieb er an seinen Sohn Ferdinand Johann, der Bedenken geäußert hatte, ob er an dem bevorstehenden mährischen Landtag teilnehmen und das Wort ergreifen solle: „Wofehr deine liebden resolvirt sein, auf den landtag [zu ziehen] und wie es des lands algemeine notturfft und ihr mayestät dienst erfordert zu reden und wegen einziges particularinteresse nicht zu laviern (wie sie vormahls gethan haben, sub spe, solches bey hoff zu genießen, welches aber sie nicht, sondern dagegen odium und mißcredit bey denen landtleuten erlangt), so rahtt ich ihnen in allweeg, daß sie dahin ziehen, den dadurch werden sie bey Gott verdienst und [bei] den Stenden ehr und credit erlangen und die vota an sich ziehen, indem sie sehen, daß deine liebden sich des lands wollfahrt annehmen; und wenn solches beschicht, so wirdt der hoff deine liebden auch müessen in acht nehmen, sehend, daß sie die potens sein im land [...]; recte faciendo neminem timeas." 6 8
Elf Tage später riet Gundaker seinem Sohn, auf dem mährischen Landtag eine zwischen Ständen und H o f vermittelnde Position einzunehmen, jedenfalls aber nicht zu sehr die Interessen des Hofes zu vertreten: „Wann deine liebden auffm landtag geraden weg hindurchgehen und nicht zu starck auff ihrer mayestät noch auch zu viel auff der herrn ständt seidten inclinieren wollen, so rathen wir in alle weg, daß sie hinziehen, dann sie derogestaldt meritum bey Gott und credit bey denen ständen erlangen werden; und haben sie sich nicht zu befahren®, daß man solches bey hoff übel auffnehmen werde, allermaßen wir dann selbst erfahren, daß, als wir für diesem 7 " die landtäg in Österreich frequentirt und zue Zeiten dem landtsfursten nicht in allem beygefallen, man solches bey hoff nie geandet oder übel auffgenohmen hatt." 7 1
Ebenso wie bei H o f und im Geheimen Rat 7 2 , waren auch in den Landtagen die Sitzordnung und der Vortritt eine große Sorge der neuen Fürsten. In seinen letzten Lebensjahren, von 1656 bis 1658, beschäftigte sich Fürst Gundaker mit diesem Problemkreis aus Anlaß der Frage der Erlangung der Session am mährischen Landtag durch seinen Sohn Hartmann. Konkret ging es um die Befürchtung, Fürst Ferdinand von Dietrichstein ( 1 6 3 6 - 1 6 9 8 ) , der Sohn Maximilians, des Neffen und Erben des Kardinals Franz von Dietrichstein, könnte dem um 23 Jahre älteren Fürsten Hartmann den Vortritt und Vorsitz im Brünner Landhaus streitig machen. Ferdinand von Dietrichstein war seit dem Tod seines Vaters im November 1655 Chef des Hauses Dietrichstein und Oberstkämmerer der Markgrafschaft Mähren, deren Landeshauptmann er später wurde ( 1 6 6 4 - 1 6 6 6 ) . Anschließend wechselte er in den „reinen" Hofdienst und war seit 1667 Mitglied des Geheimen Rates und Obersthofmeister der Kaiserin Margarita Teresa und von 1683 bis zu seinem Tod Obersthofmeister Kaiser Leopolds I . 7 3 A m 1. Januar 1657 schrieb Fürst Gundaker an Hartmann, daß die Fürsten laut Inhalt der Verneuerten Landesordnung für die Markgrafschaft Mähren sowie gemäß „üblicher Observanz" die Session dem Alter nach haben, weshalb er, Hartmann, vor dem Fürsten von Dietrichstein zu sitzen habe, „ohngeachtet derselb ein landsofficium bedienet", denn die Verneuerte Landesordnung bestimme ausdrücklich, „wann ein fürst ein königl. officium hette, solle er nit unter denen landtofficirem, sondern bey denen fursten der Ordnung nach, wie gemelt, sitzen". Desgleichen habe Hartmann nach seiner Aufnahme als mährischer Landstand den Sitz auch vor seinem jüngeren Bruder Ferdinand zu nehmen, der bereits seit etlichen Jahren Mitglied des mährischen Herrenstandes war. Gundaker ging so weit, das Beharren auf
6,1 HALV, Hs. 279, S. 796 f., G. v. L. an F. J. v. L , Wilfersdorf, 13. November 1653 (Abschrift). " zu befürchten 70 seinerzeit 71 HALW, Κ. Η 1657, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Wilfersdorf, 24. November 1653. 72 Siehe Kapitel 7.1. 73 Schwarz, Privy Council, S. 220 f.; Valka, Dijiny Moravy, Teil 2, S. 142.
Landstand zwischen Landesfiirst und Ständen
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dem rechtmäßig beanspruchten Vorsitz oder Vortritt als gottgefälliges Werk zu bezeichnen: Wenn man deshalb bei H o f in Ungnade falle, so gelte die Devise „recte faciendo neminem timeas", und falls man tatsächlich „wegen dessen et propter iustitiam leiden solte, hette man dahingegen bey Gott dem Allmechtigen ein meritum, auch anderwerttige belohnung zu hoffen". 7 4 Fürst Hartmann antwortete seinem Vater, er werde sich ganz an seine Befehle halten 7 5 , woraufhin Gundaker noch einmal wiederholte, „daß wir gantz khein einziges bedenkhen ersehen, warumben deine liebden vor des fiirst von Dietrichstein, auch fiirst Ferdinands liebden im landthaus in sessione die praecedenz nicht haben solten". 7 6 So schnell fugte sich Fürst Hartmann dem väterlichen Willen dann doch nicht. Rund ein Jahr später überschickte der fast 78jährige Fürst Gundaker seinem Sohn wahrscheinlich von einem Sekretär oder von seinem Marschall (bzw. Marschallamtsadministrator) Christian Karl (von) Brandis verfaßte „Motiva" zu der grundsätzlichen Frage, warum sich Fürst Hartmann „zue der session und stimb" in der Markgrafschaft Mähren „fähig machen" solle 7 7 : „Erstlich ex capite boni publici, dann weillen die fürsten nicht privatae sondern publicae personae seien, auch darfiir geachtet und gehalten werden, ligd ihnen auch dahero billich ob, für 7 8 anderen Privatleuten das publicum zue befördern." Hartmann hielt dem entgegen, es gebühre sich nicht, daß der Sohn zu Lebzeiten des Vaters erbe (wohl als Kritik an seinem Bruder Ferdinand Johann gemeint) 7 9 , und ohne Begüterung in Mähren könne er nicht Landstand werden. Als zweites Argument fur sein Begehren ließ Gundaker ins Treffen fuhren, daß Hartmann „ein gebohrner und begüetterter vasallus des ertzhauses Österreich" und deshalb verpflichtet sei, das „publicum interesse" dieses Hauses und der von diesem „dependierenden" Länder nach Kräften zu fördern, was „bey dennen landsversamblungen ahn meisten und nutzlichsten erfüllet werden" könne. „Drittens, das privatum oder proprium interesse belangend", könne Fürst Hartmann durch seine Anwesenheit bei den Landtagsversammlungen „dahin verhelften", daß ihm und seinen Gütern bei den Landsanlagen, Kontributionen „und derley gravaminibus die billige gleichheit verschafft oder ertheilt" und außerdem die Wohlfahrt seines ganzen Hauses „befiirdert" werde. Es werde ihm, Hartmann, „durch beschaidentliche manier und discretion" zweifellos gelingen, auch in verschiedenen anderen Fragen die Mehrheit des Landtags auf seine Seite zu ziehen, wodurch er sich „sowohl beymb königl. hoff als dem gantzen vatterlandt im respect, ehr und lieb [...] stabilieren" werde. Viertens sei nicht zu befürchten, daß sich Fürst Hartmann, wenn er bei öffendichen Zusammenkünften sein Votum „rotunde, deutsch und vertreulich" abgebe, dadurch bei H o f „ein offension" zuziehe, denn, wenn man spüre, „daß ein solches votum getreulich und mit discretion gegeben worden, auch ahnnebenst in der billigkheit fundirt", so werde es sowohl „bey der hochen landsobrigkheit als [auch] meniglich verstendigen landman mehrs gelobt und aestimirt als in üblen vermerket werden, allermaßen" - so fügte der Schreiber hinzu „dann auch deroselben herr vatter fiirst Gundackhers fiirsd. gnaden vormahls, wie sie dennen landtägen beygewohnet, in votando ihnen khein blath fürs maull genohmen, sondern liebere 8 0 geredet und darumben niemahls offensam verspührt, außer daß sie bey keyser Matthia einsmahls desthalben ungleich ahngeben worden. Nachdem sie aber audientz genohmen und ihrer mayestät die bewandnus des voti representirt, haben sie selbige darbey acquiescirt und ihnnen destwegen khein ungnad wiederfahren lassen." Hartmann möge also danach trachHALV, K. 40, G. v. L. an H. v. L„ Ostra, 1. Januar 1657. HALV, Hs. 606, S. 17f., H. v. L. an G. v. L„ o. O., 7. Januar 1657 (Abschrift). 76 Ebd., S. 23 f., Gundaker an Hartmann, Ungarisch Ostra, 20. Januar 1657 (Abschrift). 77 HALV, Hs. 608, S. 41—43, „Motiva, warumb ihr fiirsd. gn. fiirst Hartman zue der session und stimb im marggraffthumb Mähren sich fähig machen solten", mit Marginalien des Fürsten Hartmann (Abschrift; Beilage zu einem Brief Hartmanns an Gundaker, o. O., 22. Februar 1658). 7« vor 79 Siehe Kapitel 9.3. 80 frei (libere) 7< 75
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Dienste und Gnaden
ten, am Landtag „die vota nach sich [zu] ziehen", wodurch er in der Folge „bey hoff aestimirt" werden „und dardurch alsdann aldorten seine privata negotia desto besser" werde „beförderen khönnen". Auf diesen Punkt antwortete Hartmann trocken: „Es khann kheiner zween herrn dienen." Die Erfahrung zeige vielmehr, daß zum Beispiel Graf Althan am letzten mährischen Landtag „wegen freyer redung sehr große verweis von hoff" erhalten habe. Fünftens, so Fürst Gundaker (bzw. dessen Marschall Brandis), werde man, ebenso wie man sich durch die von ihm empfohlene Vorgehensweise „aestimation bey hoff und im land" erwerben könne, im gegenteiligen Fall „weder bey hoff, weder im land, weder bey gericht noch denen collegiis, auch fast meniglich nicht geschezet" werden. Sechstens erfordere „auch ratio status des ftirstl. hauses, daß alzeit einer von ihnen in publico officio bey hoff und im land seie". Darauf erwiderte Hartmann nur: „Den 6. tcn punct laß ich fürst Carls liebden verandwortten", das heißt, diese Forderung könne sich nur an Fürst Karl Eusebius als Chef und Regierer des Hauses Liechtenstein richten, nicht aber an ihn, den (ältesten) Sohn des noch am Leben befindlichen Chefs einer Nebenlinie des Hauses. Siebentens und letztens versuchte Gundaker seinem Sohn die Erwerbung der Session auf dem mährischen Landtag durch den Hinweis schmackhaft zu machen, daß er durch die Teilnahme an den Ständeversammlungen nicht an der Besorgung seiner Privatangelegenheiten gehindert werde und daß er gleichzeitig mit verschiedenen anwesenden Kavalieren „ein interteniment und guete conversations" haben, „auch zuer zeiten mitm vogl oder hunden vor der statt" sich „ein spasso machen" könne.81 Hartmann widersprach auch dem Rat des Vaters, sich um ein Landesamt in der Markgrafschaft Mähren zu bemühen. Er gab seiner Uberzeugung Ausdruck, daß man durch die Übernahme eines Landesamtes unweigerlich in Gewissenskonflikte komme, „indeme der hoff die schnittereyen begehrt, das landt aber es nicht ertraget. Contradiciret man dem hoff, so ist ein lärm, thuet man, was der hoff will, so handlet man wider das gewissen und [gegen] das vermögen des landes." Nichtsdestoweniger werde er aber demnächst für sich selbst und seinen 17jährigen Sohn Maximilian Jakob Moritz („Mäxel") vom Kaiser den Kämmererschlüssel „begehren", und zwar „mehrers honoris causa als weitere hoffdienst zue praetendiren, damit man nicht meine, daß man den hoff verachte".82 Fürst Gundaker war offenbar davon überzeugt, daß die Interessen des Hofes, der Landstände und der einzelnen Ständemitglieder miteinander vereinbar waren und daß im Interesse sowohl des Gemeinwohls aller Landesbewohner als auch des Wohles des liechtensteinischen Hauses und seiner Untertanen eine aktive Beteiligung der dazu jeweils berechtigten Fürsten von Liechtenstein an den Landtagen und in der Landespolitik unumgänglich und von Nöten war.
4.4. Finanzreformer und Hofkammerpräsident Im Jahre 1599 trat Gundaker von Liechtenstein nach der Rückkehr von der Kavalierstour im Alter von 19 Jahren als Kämmerer in die Dienste des Erzherzogs Matthias. Anfang Oktober 1606 wurde er, nachdem er sich bereits als Verordneter des niederösterreichischen Herrenstandes mit Finanzfragen beschäftigt hatte, von Kaiser Rudolf II. als Hofkammerrat nach Prag berufen - wie gesagt sehr wahrscheinlich auf Anregung seines Bruders Karl. Im „Bruderzwist" stand Gundaker ebenso wie Karl auf der Seite Matthias', sodaß er 1613 zum niederösterreichischen Kammerrat ernannt und mit der Aufgabe betraut wurde, für die Zeit
" Vgl. auch Kapitel 5.9. HALV, Hs. 608, S. 39-41, H. v. L. an seinen Vater Gundaker, 22. Februar 1658 (Abschrift; Hervorh. Th. W.). Zur Bedeutung der Kämmererwürde am Hof Ferdinands II. und Ferdinands III. (unter anderem als Instrument der Integration des „alten" und des „neuen" Adels der österreichischen, böhmischen und ungarischen Länder) jetzt vor allem Hengerer, Der Hof Kaiser Ferdinands III., bes. S. 62-92. 82
Finanzreformer und Hofkammerpräsident
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der Abwesenheit des Kaiserhofes die Direktion („Inspektion") der Hofkammer zu fuhren. 83 Nachdem mit dem Tod Rudolfs II. die Zweiteilung der Zentralbehörden ein Ende genommen hatte, erhielt Seifried Christoph von Breuner, der Präsident der Niederösterreichischen Kammer, ebenfalls im Jahre 1613 den Auftrag, eine Reform („Reformation") des völlig darniederliegenden Kammerwesens in die Wege zu leiten. Breuner wählte Gundaker von Liechtenstein zu seinem Mitarbeiter, und es scheint, daß dieser „alsbald die Seele der Sache war". 84 Am 13. Oktober 1613 Schloß Gundaker eine große Denkschrift ab, in der er ausfuhrlich die Grundlagen und die seiner Ansicht nach wichtigsten Inhalte der Reform darstellt. Als Hauptmaßnahmen schlägt er unter anderem vor, die Hofkammer und die Länderkammern zu visitieren, durch Lokalaugenschein die Mängel im Salz- und Bergwesen sowie in der Verwaltung der Kammergüter festzustellen, hohe Beamte und Geheime Räte um Gutachten zu ersuchen und - unter anderem durch merkantilistische Maßnahmen - die Kammereinkünfte zu erhöhen. Durch seine Vorschläge machte er sich offenbar viele Feinde, sodaß er Anfang März 1614 um seine Entlassung ersuchte. Immerhin wurde seinem Vorschlag gemäß durch Erlaß der Hofkammer vom 22. September 1614 einer großen Zahl von Inhabern hoher Amter am Kaiserhof und in den Ländern aufgetragen, Vorschläge für Verwaltungsreformen und zur Verbesserung der Finanzlage zu machen. Gundaker wurde die Aufgabe übertragen, die zahlreichen (mindestens 18) eingegangenen Gutachten und Denkschriften zu sichten und darüber in der zur Beratung der Angelegenheit eingesetzten Kommission zu referieren. Es scheint, daß er in den Verhandlungen der Kommission eine führende Rolle spielte. Die Frage des Bischofs Klesl, unter welchen Bedingungen er bereit sei, die Leitung des Kammerwesen zu übernehmen, beantwortete er in Form eines neuerlichen großen Gutachtens, das er am 18. Mai 1615 überreichte. Darin erklärt er ausdrücklich, er könne sich zur Übernahme des Hofkammerpräsidiums nur nach grundlegenden Reformen entschließen („daß ich ohne vorgehende guete reformation das camerwesen nicht übernehmen khann, da ich änderst euer khayserl. mayestät zu nuzen und mir zu ehren dienen soll"). Es müsse zuvor ein annäherndes Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben herbeigeführt und der verlorene Kredit der Hofkammer wiederhergestellt werden. 85 Da diese Bedingungen unter den gegebenen Umständen unerfüllbar waren, übernahm Gundaker das Hofkammerpräsidium nicht. In der kaiserlichen Resolution vom 3. November 1615 zur Reform des Hof- und Kammerwesens finden sich aber viele der von ihm geäußerten Gedanken. 8 6 Gundaker nützte übrigens offenbar im Herbst 1615 seine Mußestunden zu intensiven theoretischen Studien und legte eigenhändig eine Handschrift mit Exzerpten aus verschiedenen Schriften zu Themen aus der Logik, Dialektik und Rhetorik an. 8 7 Mit Beginn des Jahres 1620 88 - anderen Angaben zufolge erst im Mai, kurz nach seiner Ernennung zum Geheimen Rat - übernahm Gundaker von Liechtenstein als Vertrauensmann des neuen Kaisers das Amt des Hofkammerpräsidenten, das er Kaiser Matthias dreimal
" Mitis, Anteil, S. 4 3 ff. " Ebd., S. 46. Vgl. auch Starzer, Beiträge, S. 2 2 6 - 2 2 9 . " HALV, K. 244, Gutachten G.s v. L„ wie die Kammerreformation vorzunehmen sei; übergeben am 18. Mai 1615 (Konzept mit eh. Korrekturen und Ergänzungen Gundakers). s6 Vgl. Mitis, Anteil, S. 4 6 - 7 0 , und unten Kapitel 5.2 mit den dort angeführten Quellen. - Zu der Kritik Klesls an Breuner wegen der mangelnden Zahlungsfähigkeit der Hofkammer (Dezember 1615) vgl. HammerPurgstall, Khlesl's [ . . . ] Leben, Bd. 3, S. 1 2 9 - 1 4 0 , 3 0 8 - 3 1 0 und 3 1 8 - 3 3 7 . 87 HALV, Hs. 2031: „Compendium Dialectic^ collectum ex informatione diversorum in scriptis et dictis. A.° 1615. a Gundacgero b(aro) de Lichtenstein." Fol. 9': „Act. Viennae. 1615. Autumno." ™ Am 4. Januar 1620 meldete der Fuggersche Nachrichtendienst aus Graz nach Augsburg: „Herr graf [sie!] Gundakher von Liechtenstein ist in Österreich hof-cammer-president worden [ . . . ] . " Neuhofer (Hg.), Fuggerzeitungen, S. 75. (Der Autor der erhalten gebliebenen 57 Briefzeitungen aus Graz an Hans Fugger d. J. und Hans Ernst Fugger aus den Jahren 1618 bis 1622 ist Friedrich David Schaller, seit 1612 Sekretär der Innerösterreichischen Hofkammer; vgl. ebd., S. 2 7 - 3 6 und passim.)
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Dienste u n d Gnaden
abgeschlagen hatte. Neuerliche Versuche, unter Anknüpfung an die 1613 begonnene Reformarbeit das Kammerwesen und die kaiserlichen Finanzen zu sanieren, scheiterten spätestens im Mai 1622 endgültig. Gundaker legte daraufhin sein Amt nieder. Im Oktober 1623 wurde es von Abt Anton Wolfradt von Kremsmünster übernommen. 89
4.5. Gesandtschaften (1618/19) Der Eintritt Gundakers von Liechtenstein als Akteur in die „große", d. h. in die Außenpolitik und die Diplomatie erfolgte im Sommer des Jahres 1618, wenige Monate nach dem Prager Fenstersturz. Die erste Aufgabe, die ihm vom Hof übertragen wurde, war der Versuch, die Schlesier vom Anschluß an die aufständischen Böhmen abzuhalten. Für 1. Oktober 1618 war der schlesische Fürstentag nach Breslau einberufen worden, auf dem über das Verlangen der Böhmen nach Waffenhilfe entschieden werden mußte. Die böhmischen Stände beriefen sich dabei auf das böhmisch-schlesische Ständebündnis vom Juni 1609. Die nach Breslau entsandte kaiserliche Gesandtschaft mit Gundaker von Liechtenstein an der Spitze, die übrigens erst in letzter Sekunde ihre mit 22. September datierte Instruktion und die Kredenzbriefe erhalten hatte 90 , stieß bei den Schlesiern auf taube Ohren. 91 Die große Mehrheit der schlesischen Fürsten und Stände ließ das Argument, das böhmische Hilfsbegehren richte sich gegen den Landesfursten, dem sie durch Eid und Lehensrecht verbunden seien, nicht gelten. Sie wiesen die Forderungen der kaiserlichen Kommissäre nach Beendigung der Rüstungen am 12. Oktober und neuerlich am 29. November 1618 in aller Form zurück und erklärten sich bereit, den Böhmen mit 1.000 Reitern und 2.000 Mann zu Fuß gegen den Kaiser beizustehen. 92 Sie stellten unter der militärischen Führung des Herzogs Johann Georg von Jägerndorf eigene Truppen auf, die bereits Ende November an der Seite der Armee der böhmischen Stände die Grenze zu Niederösterreich überschritten. 93 Am 20. März 1619 starb Kaiser Matthias. Im Frühjahr 1619 hatte man am Hof des künftigen Kaisers Ferdinand II. nur noch geringe Hoffnungen auf die Vermittlung möglichst aller Kur- und Reichsfursten einschließlich des Pfalzgrafen im Konflikt mit den aufständischen Ständen der böhmischen und der Erbländer. Mit umso größerem Nachdruck wurde an der Wiedererrichtung der Katholischen Liga gearbeitet, die Ende Mai 1619 endlich zustandekam. 94 Am 19. März 1619, als Kaiser Matthias bereits im Sterben lag, wurde Gundaker " Mitis, Anteil, S. 70-73; Hopf, Anton Wolfradt, Abt. I, S. 15-31. Siehe auch unten Kapitel 5.2. 50 Am 24. September 1618 wandte sich Gundaker von Liechtenstein von Eisgrub aus in einem dringenden Schreiben („bei tag unnd nacht vortzuschiken") an den Geheimen Rat, Oberstkämmerer und Verwalter des Obersthofmeisteramts Leonhard Helfried von Meggau und ersuchte ihn, er möge sich darum kümmern, daß ihm raschestmöglich die bei seiner Abreise aus Wien noch nicht ausgefertigte Instruktion zugestellt werde, da ansonsten „mein reisen unnd commission ganz umbsonst ist, denn ich keme zu spatt". Original des eh. Briefes (datiert „Eisgrub am montag nach st. Mathei tag abents umb eilff uhr 1618") heute im SOA Litomefice, Zweigstelle Zitenice, LR, RA, Β 54, fol. 1 f. " Vgl. die gedruckte zweite Instruktion für die kaiserlichen Kommissäre (Gundaker von Liechtenstein, Niklas von Burghaus und Wenzel von Zedlitz) vom 11. November 1618 und die von den schlesischen Fürsten und Ständen am 29. November erteilte Antwort (benutztes Exemplar: Universitätsbibliothek Wien, Signatur I 262.073), vor allem aber HALV, K. 245, Fasz. „Mission bei den schlesischen Ständen 1618", sowie Palm (Hg.), Acta publica, Jg. 1618, S. 213-348. ' 2 Palm (Hg.), Acta publica, Jg. 1618, S. 242-263, 293-307 und passim; Skala, Historie cesld (ed. Tieftrunk), Bd. 2, S. 408, 460 und passim; Hurter, Geschichte, Bd. 7, S. 346-348; Gindely, Geschichte des böhmischen Aufstandes, Bd. 1, S. 407 f. 93 Bahlcke, Regionalismus und Staatsintegration, S. 408 f. 94 Nachdem die geistlichen Kurfürsten und der Bischof von Bamberg-Würzburg den ersten Schritt gemacht hatten (Oberweseler Abschied, 26. Januar 1619) und nachdem König Ferdinand am 27. April 1619 definitiv auf ein drittes, österreichisches Direktorium verzichtet hatte, kam die Wiedererrichtung der Katholischen Liga in zwei Direktorien (einem rheinischen und einem oberländischen) Ende Mai 1619 endlich zustande. Vgl. Neuer-Landfried, Katholische Liga, S. 158-170.
Gesandtschaften (1618/19)
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von Liechtenstein mit dem doppelten Auftrag der Bitte um Vermittlung („Interposition") und der Betreibung der Wiedererrichtung der Liga zu Herzog Maximilian von Bayern, zum Pfalzgrafen Friedrich, zu den Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln sowie zum Fürstbischof von Speyer entsandt. 95 Die Gesandtschaft zu Kurmainz hatte auch den Zweck, den Erzkanzler zur möglichst baldigen Ausschreibung eines Wahltags zu vermögen. 96 Am 5. April wurde Gundaker in München von Herzog Maximilian, am 13. April (wohl in Bruchsal) vom Fürstbischof von Speyer (Philipp Christoph von Sötern 97 ), am 16. April in Heidelberg vom Pfalzgrafen, am 17. April von der Pfalzgräfin Elisabeth, am 20. und 21. April in Aschaffenburg zweimal vom Kurfürsten und Erzbischof von Mainz (Johann Schweikard von Kronberg 98 ), am 23. April in Koblenz vom Kurfürsten und Erzbischof von Trier (Lothar von Metternich 99 ) sowie am 27. und 28. April in Arnsberg zweimal vom Kurfürsten und Erzbischof von Köln (Ferdinand von Bayern 100 ) in Audienz empfangen. Daraufhin setzte er seine Gesandtschaftsreise fort, und am 2. Mai empfing ihn in Paderborn nochmals der Kölner Kurfürst, der seit 1618 auch Fürstbischof von Paderborn war. Um den 10. Mai kam er zum zweiten Mal an den Heidelberger Hof, und am 16. Mai berichtete er in München dem Herzog von Bayern über den bisherigen Verlauf seiner Reise. Am 21. und 22. Mai wurde er in Salzburg von Erzbischof Markus Sittikus von Hohenems empfangen. Im folgenden gebe ich nur einige wenige Hinweise auf das Zeremoniell und die Gundaker als Vertreter des römischen Königs gewährten Ehren, worauf er selbst großes Augenmerk legte. Der politische Inhalt der Gespräche würde zu sehr vom Thema dieses Buches wegführen - abgesehen davon, daß es mir nur zum Teil gelungen ist, die darauf bezüglichen chiffrierten Notizen Gundakers zu entziffern (im ursprünglichen Wortsinne!). Uber die Audienz in München berichtete Gundaker seinem Bruder Karl, Herzog Maximilian habe ihn an der Tür der Audienzstube empfangen, sei an seiner rechten Seite geblieben und habe ihn sitzend und mit bedecktem Haupt angehört. Der Herzog, fährt er stolz fort, habe „in der gegebnen audienz in die 1 3 / 4 stund zugebracht, welches mit einzigem gesandten in vilen jähren nicht geschehen zu sein unterschidliche vorgeben". In der Antwort auf Gundakers schriftlichen und mündlichen Vortrag erbot sich Maximilian unter anderem, König Ferdinand mit Rat und Tat zu assistieren.101 Am Hof des Pfalzgrafen stand, wohl unter anderem in Ermangelung einer Gesprächsbasis in politischen Fragen, das Gesellschaftliche im Vordergrund. Nach der Audienz bei der Kurfürstin wurde Gundaker in den berühmten, seit 1614 von Salomon de Caus im Geschmack der italienischen Spätrenaissance ausgestalteten Garten des Heidelberger Schlosses („Hortus Palatinus") 102 geführt, wo ihm der Kurfürst ein paar Schritte entgegenkam und ihn fragte, ob sich König Ferdinand am Bauen „de95
Die Instruktionen tragen das Datum des 25. März. Gleichzeitig wurde der Reichshofrat Peter Heinrich von Stralendorf zu Kursachsen und Kurbrandenburg entsandt. Documenta Bohemica, Bd. 2, Nr. 256. 96 HALV, K. 245, Fasz. „Mission im Reich, 1619", König Ferdinand an G. v. L„ Wien, 19. März 1619; undatierte, von Ferdinand unterschriebene „Gehaime neben-puncten für herrn Gundacker herrn zue Liechtenstain, welche bey Maintz, Tryer, Cöln, Bayrn unnd Speyr zue observiern"; Originale der Instruktion für die Missionen G.s v. L. zu Maximilian von Bayern, zu den Kurfürsten von Mainz, Köln und Trier, zum Pfalzgrafen Friedrich und zum Bischof von Speyer, Wien, 25. März 1619; eh. Notizen Gundakers dazu sowie über den Verlauf der einzelnen Gesandtschaften; etc. Siehe auch Wacha, Allhie seyn wir, S. 127 f. 97 Gatz (Hg.), Bischöfe 1648 bis 1803, S. 468-471. 98 Litzenburger, Kurfiirst Johann Schweikard von Kronberg; Gatz (Hg.), Bischöfe 1448 bis 1648, S. 654-656. 99 Gatz (Hg.), Bischöfe 1448 bis 1648, S. 4 7 ( M 7 2 . ,0 ° Gatz (Hg.), Bischöfe 1648 bis 1803, S. 107-111. "" HALV, K. 245, Fasz. „Mission im Reich, 1619", Brief Gundakers an Karl, München, 9. April 1619 (eh., zum Teil chiffriertes Konzept; Vermerk auf S. 1: „Der herr bruder wolle niemandts andern lassen den brief disciferiern"). 102 Der Hortus Palatinus blieb ein Fragment, nachdem die Arbeiten im Herbst 1619 eingestellt worden waren. Vgl. zuletzt R. Zimmermann, „Hortus Palatinus".
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lectiere", wieviele Kinder er habe, „ob er lust zu jagen" habe „und zu was gejäd" etc. Das Gespräch drehte sich weiters um die „balletti", „concerti" und ganz allgemein „le bon temps" am Heidelberger Hof. Die Kurfürstin zeigte Gundaker ihre reichhaltige Gemäldegalerie, der Kurfürst sprach von seinen Bauplänen und von seinem anstrengenden Tagesablauf. Am selben Tag führte Gundaker aber immerhin mit dem Kanzler des Pfalzgrafen auch ein Gespräch über die Frage, ob die Böhmen zu Recht oder zu Unrecht befürchteten, daß König Ferdinand den Majestätsbrief anders als seine Vorgänger, d. h. zu ihren Ungunsten, auslege. 103 Am 22. April berichtete Gundaker dem Geheimen Rat Karl von Harrach über die Audienzen beim Fürstbischof von Speyer und beim Pfalzgrafen sowie über die beiden Audienzen beim Mainzer Kurfürsten. 104 Fürstbischof Philipp Christoph von Sötern, dessen seit 1613 neuerrichtete Stiftsfestung Udenheim im Vorjahr von pfälzischen und badischen Truppen zerstört worden war 1 0 5 , erkundigte sich unter anderem danach, unter welchen Bedingungen der Herzog von Bayern bereit sei, der neuzugründenden Katholischen Liga beizutreten. Bei der Audienz in Aschaffenburg am 20. April im „gemach" des Kurfürsten und Erzkanzlers ließ man den Gesandten des Königs Ferdinand „an der obern stell sizen". Der Kurfürst küßte das Beglaubigungsschreiben nach dessen Empfang, und als Gundaker ihm die Grüße des Königs übermittelte, stand er auf und verbeugte sich. Nach seinem Vortrag und der ziemlich unverbindlichen Antwort des kurfürstlichen Kanzlers darauf wurde Gundaker zu einem privaten Gespräch in das Zimmer des Kurfürsten gebeten, wo ihm, ebenso wie am Münchener Hof, gestattet wurde zu sitzen und das Haupt bedeckt zu halten. Auch bei der zweiten Audienz erhielt Gundaker auf die Kardinalfrage, ob Kurmainz König Ferdinand „mit volk und geld beistehen wolten", eher ausweichende Antworten. Schließlich bewirkten aber die politischen Ereignisse der Jahre 1618 und 1619 bei dem in religionspolitischer Hinsicht ursprünglich gemäßigten und kompromißbereiten Erzkanzler Johann Schweikard von Kronberg doch ein Umdenken. Er „trat fxir die Schaffung einer funktionsfähigen und gut gerüsteten Liga ein" und wurde, nachdem diese Ende Mai 1619 zustandegekommen war, einer ihrer beiden Direktoren. Er hatte auch erheblichen Anteil an der Kaiserwahl Ferdinands II. am 28. August 1619- 1 0 6 Am 23. April kam Gundaker in Koblenz an. Am nächsten Tag hörte er zunächst die Messe bei den Jesuiten, anschließend wurde er wieder in sein Quartier kutschiert, und zwar, wie er sich sorgfältig notierte, „mit 6 weißen hengsten", deren samtenes und ledernes Geschirr mit Messing beschlagen war. Der Kurfürst von Trier kam ihm „bis vor die stiegen in den hof endtgegen", wo er ihn empfing, vorgehen ließ und ihm die rechte Hand reichte. Lothar von Metternich hörte Gundakers Vortrag stehend an und antwortete, es sei nötig, die Sache zu beratschlagen; Gundaker möge sich gedulden. 1 0 7 Kurfürst Ferdinand von Köln antwortete Gundaker bei der Audienz am 28. April auf dessen Äußerung, der Kurfürst könne die Parteien vergleichen, ausweichend, „man verdiene Undank bei beden teillen". Er wolle das Anbringen schriftlich beantworten. Wenn der Wahltag gut verlaufe, werde „hofentlich hernach das übrige sich schiken". 108 Auf der Rückreise über Paderborn, Heidelberg, Augsburg, wo er an ihn adressierte Post vom Wiener Hof vorfand, und München wurde Gundaker am 21. und 22. Mai auch vom ,03 HALV, K. 245, a. a. O., gedächtnisprotokollartige Notizen G.s v. L. (Notiz auf einem der Blätter: „Extract ex mem[oria]"). 104 Ebd., „Relation von Speir, Heidlberg und Menz", Mainz, 22. April 1619 (eh., ζ. T. chiffriertes Konzept G.s v. L. mit dem Vermerk: „NB. Was durchstrichen ist, das hab ich dem h. v. Harrach nicht geschriben."). 105 Gatz (Hg.), Bischöfe 1648 bis 1803, S. 469. 106 Gatz (Hg.), Bischöfe 1448 bis 1648, S. 655 f. 107 HALV, K. 245, a. a. O., „Relation der Verrichtung bei Trier zu Coblenz" (Blatt mit eh. Notizen G.s v. L ) . 108 Ebd., weiteres Blatt mit eh. Notizen Gundakers.
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Erzbischof von Salzburg empfangen. Beim Abschied, notierte er sich, habe sich Markus Sittikus „gar höflich und cordialiter mit teutschem herzen erboten" und geäußert, „mein persohn zu kennen" sei ihm „gar angenehm gewest, soll ihn besuchen". Der Erzbischof habe sogar sein Gutachten über das Modell des (seit 1614 im Bau befindlichen) neuen Salzburger Domes „begert". 109 Im Juli 1619 befand sich Gundaker im Gefolge Ferdinands II. auf der Reise nach Frankfurt zur Kaiserwahl. 110 Am 21. Juli wurde er von München aus neuerlich zum Pfalzgrafen gesandt, um ihn über die Kriegsereignisse in den böhmischen Ländern und in den Erblanden zu informieren, um „Interposition" zu ersuchen und dazu zu bewegen, persönlich zur Kaiserwahl nach Frankfurt zu kommen. 111 Friedrich von der Pfalz rechnete damals freilich bereits mit der Erlangung der Wenzelskrone. Nach der einstimmigen Wahl am 28. August (zwei Tage nach der Wahl Friedrichs von der Pfalz zum König von Böhmen) und der Kaiserkrönung Ferdinands II. am 9. September wurde Gundaker am 22. September von Würzburg aus als Gesandter an die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg abgefertigt, um ihnen über den Einfall Gabriel Bethlens in Oberungarn zu berichten und sie dringend zu ersuchen, dem Reichsoberhaupt militärische Hilfe zu leisten. Er sah sich jedoch in Nürnberg unverrichteter Dinge zur Umkehr gezwungen. 112 Unmittelbar nach Abschluß des für den Fortgang des Krieges so wichtigen Münchener Vertrages zwischen Kaiser Ferdinand II. und Herzog Maximilian von Bayern am 8. Oktober 1619, ja bereits in den Tagen davor setzte am Kaiserhof noch in München eine fast hektische Betriebsamkeit mit dem Ziel der Abfertigung von Sondergesandten ein: Gundakers von Liechtenstein neuerlich nach Sachsen und Brandenburg, Maximilians von Trauttmansdorff nach Rom und Florenz, Wratislaws von Fürstenberg nach Brüssel und Paris, Jakob Ludwigs von Fürstenberg nach Amberg zum Pfalzgrafen sowie Rudolfs von Helfenstein zu den Bischöfen von Würzburg und Bamberg. Weiters ließ der Kaiser Schreiben an den Herzog von Württemberg und andere Reichsfiirsten ausfertigen. 113 Der nach Dresden entsandte und dort am 18. Oktober eingetroffene Gundaker von Liechtenstein sollte das Mißtrauen des mächtigsten lutherischen Reichsstands über die Rüstungen der Katholischen Liga (Bayerns und der geistlichen Kurfürsten) zerstreuen, einen Stein in das Puzzle der Isolierung der aufständischen Stände der habsburgischen Länder und des Pfalzgrafen einfügen und nach Möglichkeit den Kurfürsten Johann Georg für eine aktive Unterstützung der Sache des Kaisers gewinnen, jedenfalls aber für die Behandlung des böhmischen Aufstands als Reichsangelegenheit - und zwar im Sinne der Wiener Vorstellungen. Gundaker legte dem sächsischen Kurfürsten zwei Tage nach seinem Eintreffen in Dresden in einer Audienz die Absichten des Kaisers bezüglich der Einberufung eines Kurfürstentags und m
Ebd., „Änderte Verrichtungen zu München, Salzburg" (eh. Notizen Gundakers). Markus Sittikus von Hohenems hatte fiir den Neubau des Salzburger Domes im April 1614 einen zweiten Grundstein anstelle des bereits von Wolf Dietrich von Raitenau gelegten setzen lassen. Stahl, Marcus Sitticus, S. 157 f. Khevenhiller, Annales Ferdinandei, Teil 9, Sp. 402; Hurter, Geschichte, Bd. 8, S. 32f.; Welti, Kaspar von Hohenems, S. 211. - Zu den Frankfurter Kaiserwahlen und -Icrönungen von 1612, 1619 und 1658 siehe jetzt v. a. Wanger, Kaiserwahl und Krönung. "' HALV, K. 245, a. a. O., Instruktion König Ferdinands fur G. v. L., München, 21. Juli 1619; weiters drei ζ. T. eh. Berichte Gundakers ebd. („Relatio", Augsburg, 22. Juli 1619; „Relatio 2.'", Frankfurt, 30. Juli 1619; „3." Relatio", o. O. [Frankfurt], 2. August 1619). - Hurter, Geschichte, Bd. 8, S. 34f. 112 F. Müller, Kursachsen, S. 295. Vgl. die diese Mission betreffenden Akten im HALV, K. 245, a. a. O. Uber die Probleme Gundakers vor seiner Abreise aus Würzburg mit der Zustandebringung der Instruktion und der Auftreibung eines Wagens oder wenigstens eines Pferdes siehe seinen undatierten („Wirzburg, den 7br. 1619") Brief an den Obersthofmeister Hans Ulrich von Eggenberg im Steiermärkischen Landesarchiv, Archiv Herberstein, Eggenberg Urkunde 60 (gedruckt - fälschlich mit dem Datum „26. September 1619" versehen - bei Zwiedineck-Südenhorst, Hans Ulrich von Eggenberg, S. 154—157). 1,3 HALV, K. 245, a. a. O., Instruktion Ferdinands II. fiir G. v. L., München, 4. Oktober 1619, und weitere Akten; F. Müller, Kursachsen, S. 293-302; Κ. A. Müller, Forschungen, Bd. 3, S. 321 f.; Hurter, Geschichte, Bd. 8, S. 130f.; Briefe und Akten, N. F., 1. Teil, Bd. 1,S. 256 A. 2; Tumbült, Sendung.
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in der Folge eines Reichstags dar und trug die Bitte um „Interposition" Kursachens bei Kurpfalz und Böhmen in der Königsfrage vor. Derartige Vermittlungsbemühungen Sachsens waren damals freilich bereits längst im Gange - bekanntlich ohne Erfolg: am 4. November 1619 wurde Friedrich von der Pfalz im Prager Veitsdom mit der Wenzelskrone gekrönt. 114 Am 21. Oktober war Gundaker von Liechtenstein nach Brandenburg weitergereist. Seiner dortigen Werbung blieb der angestrebte Erfolg versagt: Kurfürst Johann Sigismund lehnte am 28. Oktober sowohl einen Reichstag als auch einen Kurfurstentag ab. Gundaker kehrte daraufhin am 2. November nach Dresden zurück. Dem inzwischen in Dresden eingetroffenen bayerischen Gesandten Lorenz von Wensin gelang es, den sächsischen Räten das Mißtrauen in die katholischen Rüstungen und Absichten weitgehend zu nehmen. Dennoch lehnte Kursachsen in dem Bescheid, der Liechtenstein am 7. November erteilt wurde, einen Reichstag als unzweckmäßig ab, forderte aber die möglichst rasche Einberufung einer persönlichen Zusammenkunft der Kurfürsten (nicht unbedingt eines regulären Kurfiirstentages) zur Vorbereitung eines Kompositionstages, der die Religionsbeschwerden der Reichsstände behandeln sollte - notfalls ohne Beteiligung der protestantischen Bewegungspartei. 115 Gundaker, der zuvor noch in Würzburg verhandelte, legte das Dresdener Schreiben vom 7. November und den Bericht über seine Gesandtschaft erst am 20. Dezember in Wien vor. 116 Nachdem Kursachsen bereits wenige Tage nach dem Bescheid an Gundaker von Liechtenstein umfangreiche militärische Werbungen eingeleitet hatte, Schloß der Kurstaat im März 1620 ein gegen Böhmen und den „Winterkönig" gerichtetes Angriffsbündnis mit dem Kaiser.117 Damit war die Niederlage der rebellierenden Stände endgültig so gut wie unabwendbar. Der Sieg der Armeen des Kaisers und der Katholischen Liga am 8. November auf dem Weißen Berg vor den Toren Prags war eine logische Folge der erfolgreichen kaiserlichen Bündnispolitik und des überlegenen finanziellen und militärischen Potentials der Habsburger, der Wittelsbacher und der Katholischen Liga.118 Im Dezember 1620 sandte der siegreiche kaiserliche General Graf Buquoy die Brüder Maximilian und Gundaker von Liechtenstein nach Mähren, um mit den Offizieren des ständischen Kriegsvolks zu verhandeln. Den beiden gelang es, das Ständeheer fur die Neutralität zu gewinnen, indem sie ihm kaiserlichen Pardon garantierten, besonders aber durch das Versprechen des Brünner Dezemberlandtags, den gesamten ausständigen Sold zu bezahlen. 119
4.6. Geheimer Rat Der von Ferdinand I. am 1. Januar 1527 mit einer eigenen Instruktion versehene, bis zum Regierungsantritt Ferdinands II. (1619) aus maximal acht Mitgliedern bestehende Geheime Rat war bis zur Etablierung der Geheimen Konferenz um die Mitte der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts das bedeutendste zentrale Regierungsorgan der Habsburgermonarchie, in dem alle wichtigen Entscheidungen des Kaisers vorbereitet wurden, gleichgültig ob sie das Reich, die Außenpolitik, die Erblande, die böhmischen Länder oder Ungarn betrafen. 120 Da
1H F. Müller, Karsachsen, S. 295-301 und passim. Zu den Bemühungen des Dresdner Hofes um „Mediation" und „Interposition" zwischen Wien und Prag bis zum Tod des Kaisers Matthias siehe ebd., S. 148-224, und Bartecek, Saskä politika. 115 F. Müller, Kursachsen, S. 297-299 und 304; Th. Schulze, Die kursächsische Politik, S. 16—19; Briefe und Akten, N. F., 1. Teil, Bd. 1, S. 266 f. A. 2. 116 F. Müller, Kursachsen, S. 309 f. 117 Ebd., S. 300-302 und 333-356; Gotthard, „Politice seint wir bäbstisch", bes. S. 297-299. Vgl. Winkelbauer, Nervus Belli Bohemici. " ' Hruby, Ladislav Velen ζ Zerotina. In: C C H 35 (1929), S. 497. 120 Siehe v. a. Schwarz, Privy Council. Vgl. auch Groß, Kampf (von Schwarz nicht benützt); B&enger, Finances, S. 37-42; zuletzt: Hengerer, Der Hof Kaiser Ferdinands III., S. 48-61 und 87 f., wo zurecht die „Sonderstellung des geheimen Rates zwischen Hofstaat und Verwaltung" betont und daraufhingewiesen wird,
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seit 1 6 2 0 so gut wie alle Adeligen am H o f und im Geheimen Rat katholisch waren, spielten konfessionelle Gegensätze für die Formierung höfischer Parteiungen keine Rolle mehr; wegen der Bevorzugung von Katholiken hatten sie freilich auch davor, spätestens seit R u d o l f II., nur eine untergeordnete Bedeutung gehabt - jedenfalls was den Geheimen Rat betrifft. Die Parteien (im vormodernen Sinne von Parteiungen, Gruppen, Cliquen) formierten sich nunmehr ausschließlich nach Kriterien wie Landsmannschaft, Patronage- und Klientelbeziehungen, (außen)politische Orientierung oder persönliche Feindschaft bzw. Rivalität. 1 2 1 In der Regierungszeit Ferdinands II. ( 1 6 1 9 - 1 6 3 7 ) läßt sich eine „Eggenberg-Partei" ausmachen, der neben dem fast allmächtigen Hans Ulrich von Eggenberg in erster Linie Abt Anton Wolfradt von Kremsmünster ( 1 6 2 3 - 1 6 3 0 Hofkammerpräsident, seit 1 6 3 1 Fürstbischof von Wien), der Präsident des Hofkriegsrats Rambaldo di Collalto und der österreichische Hofkanzler J o hann Baptist Verda von Werdenberg angehörten. Seit etwa 1 6 3 3 trat der „Eggenberg-Partei" eine ebenfalls informelle Gruppe um den König von Ungarn und B ö h m e n , den späteren Ferdinand III., gegenüber. Dieser dürften insbesondere Franz Christoph Khevenhüller, Wilhelm Slavata und Gundaker von Liechtenstein angehört haben. Nach 1 6 3 7 fiel die Leitung der Staatsgeschäfte in die Hände dieser Partei, die sich in den lernen Lebensjahren Ferdinands II. um den Thronfolger versammelt hatte. Z u m einflußreichsten M a n n avancierte freilich der über den Partei(ung)en stehende Maximilian von TrauttmansdorfF, seit 1 6 3 3 Obersthofmeister des Königs bzw. (seit 1 6 3 7 ) Kaisers Ferdinand III. sowie Direktor des Geheimen Rates. 1 2 2 D e r Geheime Rat tagte fiir gewöhnlich im Plenum, das heißt daß jeweils alle am Kaiserhof weilenden Geheimen Räte an den Sitzungen teilnahmen. Unter anderem wegen der wachsenden Zahl der Geheimen Räte ( 1 6 2 8 waren es ungefähr 1 5 , 1 6 3 6 etwa 2 0 ) 1 2 3 kam es seit ungefähr 1 6 2 8 fallweise und seit 1 6 5 2 häufiger zur Bildung von Ausschüssen („Deputationen"). Die - zwei bis vier - „deputierten Räte" hatten eine bestimmte Frage zu untersuchen und ihr Votum in Form eines gemeinsamen Gutachtens zu unterbreiten. 1 2 4 In den sechziger Jahren wurden die Deputierten Räte dann zu einer Institution mit fester personeller Zusammensetzung, die alle durch den Geheimen Rat zu entscheidenden Fragen vorzubereiten und vorzuberaten hatte. 1 2 5 Anfang Mai 1 6 2 0 wurde Gundaker von Liechtenstein von Ferdinand II. in den Geheimen Rat berufen, nachdem er ihn bereits 1 6 1 3 zum Kämmerer ernannt hatte. 1 2 6 A m 6 . August legte er vor den Geheimen Räten Leonhard Helfried von Meggau, Maximilian von TrauttmansdorfF und Hans Ludwig von U l m den Eid als Geheimer Rat ab. 1 2 7 Im selben M o -
daß ihm als persönlichem Beratergremium des Herrschers („Geheimer Rat des Kaisen"!) keinerlei behördliche Autonomie zugekommen sei. Zur Entstehung und Funktionsweise der vor allem fiir die kaiserliche Außenund Reichspolitik höchst bedeutsamen Geheimen Konferenz siehe jetzt die gründlichen, die weitverstreuten Quellen erschließenden Arbeiten von Stefan Sienell. 121 Vgl. Winkelbauer, Parti tchfcque. 122 Vgl. Schwarz, Privy Council, passim (bes. S. 114-142), sowie Ruppert, Politik; nunmehr auch Hiller, Esterhäzy, sowie Winkelbauer, Parti tchique. 125 Siehe Schwarz, Privy Council, S. 114-116. Es bildete sich jedoch spätestens unter Ferdinand III. ein aus den fiinf bis sieben ständig anwesenden und stets maßgeblichen Räten bestehender „innerer Kreis des [Geheimen] Rates" heraus. Die übrigen Geheimen Räte wurden den Ratssitzungen nur fallweise beigezogen. Hengerer, Der Hof Kaiser Ferdinands III., S. 60 f. 124 Schwarz, Privy Council, S. 130 f.; Fellner/Kretschmayr, ÖZVI/1, S. 50-52. Sienell, Geheime Konferenz (Staatsprüfungsarbeit), S. 6-9; ders., Geheime Konferenz (Diss.), S. 47-107. 126 Ein Schreiben des Kaisers an Gundaker vom 7. Mai 1620 (praes. 14. Mai), in dem er aufgefordert wird, sich unverzüglich an den Kaiserhof zu begeben, ist an „unsern gehaimben rath und camerer" adressiert. HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat, 1620 ff.". - Ernennung zum Kämmerer (1613): Hengerer, Der Hof Kaiser Ferdinands III., S. 79. 127 Mitis, Anteil, S. 74 Α. 1. Der Reichshofrat Hans Ludwig von Ulm war 1612 nach dem Tod Kaiser Rudolfs II. auf Vorschlag des Kurfürsten und Erzkanzlers Johann Schweikard von Mainz von Kaiser Matthias
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nat (vielleicht auch bereits zu Jahresbeginn 128 ) wurde er zum Hofkammerpräsidenten ernannt. Im November dieses Jahres ließ Hans Ulrich von Eggenberg dem Hofpfennigmeister befehlen, an Gundaker von Liechtenstein vom 1. August 1620 an eine jährliche Hofbesoldung als Geheimer Rat in der Höhe von 2.000 Gulden auszuzahlen. 129 Dazu kamen jährlich 1.000 Gulden „Zubuße", 1.200 Gulden Tafelgeld und ein Salzdeputat. 130 Zur Zeit der bayerischen Gesandtschaft nach Wien im Januar und Februar 1621, die vor allem über die Frage der Ersetzung der bayerischen Kriegskosten zu verhandeln und eventuell die Bedingungen der Verpfändung Österreichs ob der Enns auszuhandeln hatte, fungierte Gundaker als einer der Ubermittler der kaiserlichen Stellungnahmen und Resolutionen. 131 Am 17. August 1621 sprachen sich im Geheimen Rat Harrach, Trauttmansdorff, Liechtenstein und Stralendorf gegen die pfandweise Übergabe Oberösterreichs an Bayern aus. Nur Eggenberg war dafür, sein Votum war jedoch das entscheidende. 132 Im Januar und Februar 1622 nahm der Geheime Rat und Kämmerer Gundaker von Liechtenstein an der Reise des Kaiserhofes von Wien nach Innsbruck teil, wo der seit 1616 verwitwete Ferdinand II. mit Eleonora von Gonzaga Hochzeit feierte (Abb. 18). 133 Auf der Rückreise nach Wien war Gundaker am 12. Februar bei der Sitzung des Geheimen Rates in Salzburg anwesend 134 , ohne Zweifel auch bei den weiteren Zusammenkünften des Geheimen Rates im Verlauf dieser Reise. Anschließend nahm er an der Reise des Kaisers und der Kaiserin nach Regensburg zum Reichstag teil. 135 Im Juli 1622 war er in Ödenburg bei der Besichtigung der ungarischen Krönungsinsignien und der am 26. Juli erfolgten Krönung der Kaiserin Eleonora zur Königin von Ungarn anwesend. Den Geheimen Räten Maximilian von Trauttmansdorff und Gundaker von Liechtenstein wurde sogar die ehrenvolle Aufgabe übertragen, gemeinsam mit den beiden Kronhütern (Graf Stephan Pälffy und Baron Paul Apponyi) die Stephanskrone und die übrigen ungarischen Krönungsinsignien im Odenburger Rathaus zu erheben und in feierlichem Zug in die damalige Franziskanerkirche und spätere (seit 1802) Benediktinerkirche, in der sowohl die Sitzungen des seit Mai tagenden ungarischen Reichstags als auch die Krönung stattfanden, zu bringen. 136 Seit seiner Erhebung in den Reichsfurstenstand im September 1623 betonte Gundaker hartnäckig die Prärogativen seines neuen Standes, was eine ganze Reihe von Präzedenzkonflikten zur Folge hatte. 137 Als er zu Neujahr 1624 an den Hof kam, wurde er zu seiner Überais Nachfolger Leopolds von Stralendorf zum Reichsvizekanzler ernannt worden und wurde 1622 von Ferdinand II. in den Freiherrnstand erhoben. Schwarz, Privy Council, S. 374-376; Koenig, Reichsvizekanzlerschaft, S. 8, 25 f. und passim. 128 Siehe oben S. 174 f. 129 HALV, K. 246, a. a. O., Ordonnanz Eggenbergs vom 16. November 1620 (Abschrift). 130 Ebd. und HALV, Hs. 157, S. 20. 131 Briefe und Akten, N. F., 1. Teil, Bd. 2, S. 81 f. 132 Ebd., S. 325 Α. 1. 133 In der tschechischen „Botin der alten böhmischen Begebenheiten" des Priesters des Kreuzherrenordens Jan Frantisek Beckovsky (1658-1725) wird Gundaker von Liechtenstein in der Aufzählung des kaiserlichen Hofstaats nach Fürst Christian d. J. von Anhalt, Hans Ulrich von Eggenberg, Karl von Harrach und Maximilian von Trauttmansdorff an fünfter Stelle genannt. Rezek (Hg.), Poselkyne, Bd. 2, S. 362-364. - Zu den eher bescheidenen Hochzeitsfeierlichkeiten siehe den Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 42, S. 426, und Schindler, Von Mantua nach ödenburg, S. 274-276. Die Kosten für die Hochzeit beliefen sich trotz des reduzierten Aufwandes immerhin auf rund 260.000 Gulden. Bues, Das Testament der Eleonora Gonzaga, S. 320 f. 134 Briefe und Akten, N. F., 1. Teil, Bd. 2, S. 471 f. A. 2. 135 Khevenhiller, Annales Ferdinandei, Teil 9, Sp. 1625. " 6 HHStA Wien, Ältere Zeremonialakten, K. 2, fol. 103. Zu den Odenburger Krönungsfeierlichkeiten des Jahres 1622, in deren Rahmen es nach neuesten Forschungen zur ersten Opernaufführung am Kaiserhof gekommen sein dürfte (unter führender Mitwirkung des Mantuaner Monteverdi-Schülers und „Startenors" Francesco Campagnolo), jetzt vor allem Schindler, Von Mantua nach Ödenburg. 137 Vgl. Kapitel 7.1.
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raschung nicht mehr zu den Sitzungen des Geheimen Rates eingeladen. Eggenberg schrieb ihm, daß dies nicht als Dienstentlassung aufzufassen, sondern nur mit Rücksicht auf zu befürchtende Rangstreitigkeiten erfolgt sei. Am 7. März 1624 wiederholte er, Gundaker genieße weiterhin das Vertrauen des Kaisers, er möge sich jedoch wegen der Sessionsfrage gütlich mit den einzelnen Geheimen Räten einigen. Gundaker hingegen ersuchte den Kaiser wiederholt erfolglos um eine Resolution in der Präzedenzfrage. Umso überraschender ist seine Anfang August 1624 erfolgte Ernennung zum Obersthofmeister und die Verleihung der Anrede „Oheim". 138 Nach eigener Aussage sowie nach Ausweis von Protokollnotizen in den Papieren Karls von Harrach 139 war Gundaker zumindest in der ersten Hälfte des Jahres 1625 bei den Sitzungen des Geheimen Rates meistens zugegen. 140 Nach seiner Resignation als Obersthofmeister im November 1625 zog er sich auf seine Güter zurück und scheint bis zum Jahre 1633 nur ganz selten an Sitzungen des Geheimen Rates teilgenommen zu haben. 141 In welchem Umfang er 1633 seinen Dienst als Geheimer Rat wieder aufnahm, ist unklar. Von Ende Oktober 1636 bis Januar 1637 fungierte Gundaker von Liechtenstein in Wien als Mitglied bzw. Direktor des Geheimen Rates und der provisorischen Regierung, die der Kaiser dem für die Zeit seiner Abwesenheit mit seiner Vertretung betrauten Erzherzog Leopold Wilhelm an die Seite gestellt hatte. 142 Am 5. Oktober 1636 schrieb Ferdinand II. aus Regensburg in einem Handschreiben an Gundaker, er erinnere sich, „mit was embsigen, getreuen vleiß und eyfer seine liebden, wann sy sich zu Wienn anwesend befunden, ihro die besuechung meines geheimben raths mit dero ganz vernunfftigen consiliis zu meiner gnädigisten satisfaction jederzeit angelegen sein lassen". Daher ersuche er ihn, dies nun auch bei seinem Sohn Leopold Wilhelm zu tun und sich unverzüglich nach Wien zu begeben. Am 14. Oktober ersuchte auch Erzherzog Leopold Wilhelm den Fürsten Gundaker, sich ehebaldigst bei ihm in Wien einzustellen und den Sitzungen des Geheimen Rates beizuwohnen. Am 23. Oktober 1636 antwortete Gundaker sowohl dem Kaiser als auch dem Erzherzog, er werde sich dem kaiserlichen Befehl gemäß bei Leopold Wilhelm einstellen und ihm „aufwarten". 143 Gundaker war über die überraschende Berufung in ein fürstliches Amt wenig erfreut. Ebenfalls am 23. Oktober 1636 schrieb er an den österreichischen Hofkanzler Johann Baptist Verda von Werdenberg, daß ihm die Berufung „zu diser zeit, da mit meinen wenigen doch vornembsten beam ten ein verenderung beschicht", sehr ungelegen komme, er werde aber dennoch dem kaiserlichen Befehl Folge leisten. Er hoffe aber, er werde entweder durch die Rückkehr des Kaisers „oder durch Verordnung einer andern persohn an meiner statt" bald wieder entlassen werden und nach Mähren zurückkehren können, „denn ich derselben [sc. der kaiserlichen Majestät] alda bei dem meinigen lieber als in Österreich dienen will". 144 Am 23. November 1636 ersuchte der ungarische und böhmische König Ferdinand, der künftige Kaiser Ferdinand III., den Fürsten Gundaker von Regensburg aus darum, während der bevorstehenden Abwesenheit seines Bruders Leopold Wilhelm von Wien, der im Begriff stand, über Passau zur Krönung Ferdinands zum römischen König ebenfalls nach Regensburg zu reisen, in der Hofburg zu wohnen und den königlichen Kindern - dem 1633 geborenen Erzherzog Ferdinand Franz, dem späteren König Ferdinand IV., und der 1634 gebore138
Mitis, Anteil, S. 74 f. AVA Wien, FA Harrach, K. 673, Fasz. „Im Geheimen Rat. 1612ff.", Protokolle der Sitzungen des Geheimen Rates am 28. April und 8. Mai 1625. "i0 Vgl Gross, Reichshofkanzlei, S. 175, und Mencik, Hofrathssitzungen, S. 10. 141 Vgl. Mitis, Anteil, S. 83 f., und unten Kapitel 7.1.1. 142 HALV, K. 246, Fasz. „Gundaker am Hof zu Wien, Oktober 1636 bis 1637". Vgl. Mitis, Anteil, S. 84 f. 143 HALV, K. 246, a. a. O., Abschriften des kaiserlichen und des erzherzoglichen Handschreibens und eh. Konzepte der Antworten Gundakers. 144 Ebd., eh. Konzept eines Briefes Gundakers an Werdenberg vom 23. Oktober 1636.
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nen Erzherzogin Maria Anna - „in allem dem, was etwan vorfalen möchte", aufzuwarten. 145 Am 30. November ließ Leopold Wilhelm die Instruktion fur Gundaker von Liechtenstein und die anderen deputierten Geheimen Räte (Seifried von Breuner, Statthalter des niederösterreichischen Regiments; Hans Christoph Löbl, Stadtobrist zu Wien; u. a.) ausfertigen. Er betraute Gundaker mit dem Direktorium des hinterlassenen Geheimen Rates. 146 Im Dezember 1636 und Januar 1637 berichtete Fürst Gundaker regelmäßig dem König und (in italienischer Sprache) dessen Gemahlin Maria Anna sowie deren Obersthofmeister, dem Grafen Khevenhüller, daß es den seiner Obhut anvertrauten Kindern gut gehe, daß sie fröhlich und bei guter Gesundheit seien. 147 Spätestens nach der Rückkehr des Kaisers nach Wien und dessen Tod am 8. Februar 1637 beendete Fürst Gundaker sein kurzes Intermezzo als „wirklicher", d. h. aktiver Geheimer Rat und begab sich wieder auf seine Güter, um auch unter Ferdinand III. nur vereinzelt bei Sitzungen des Geheimen Rates zu erscheinen. 148 Die venezianischen Gesandten Zeno und Contarini schrieben in dem Bericht, den sie im Jahre 1638 aus Anlaß des Regierungsantritts des neuen Kaisers über dessen Hof verfaßten, daher völlig zu Recht, der Geheime Rat Fürst Liechtenstein sei schon recht alt, halte sich hauptsächlich auf seinen Gütern auf und habe sein Amt vor allem ehrenhalber inne. 149 Die seit 1637 vom Hofzahlamt mit mehr oder minder großer Verspätung ausgezahlte „geheime Ratsbesoldung'1 von jährlich 2.000 Gulden bezog er zunächst praktisch für eine Sinekure, seit 1639 gewissermaßen als Honorar für seine umfang- und inhaltsreichen Denkschriften. 150 Die von Gundaker im Jahre 1642 eingemahnten ausständigen „Hofbesoldungen" aus den Jahren 1620 bis 1642 in der Höhe von 45.326 Gulden scheinen jedoch nicht nachgezahlt worden zu sein. 151 Am 8. Juni 1645 schrieb Gundaker, der vor den Schweden nach Marburg in der Untersteiermark geflohen war, an seinen Sohn Ferdinand, er habe im Geheimen Rat, an dessen Sitzungen er offenbar nur sporadisch teilnahm, dem Grafen Trauttmansdorff und anderen „gesagt, daß ich wegen mangl des gehör im geheimen rath nichts nutzen khan". 152 Nichtsdestoweniger schickte am 7. November 1645 der niederösterreichische Statthalter Johann Franz Graf Trautson im Auftrag des Kaisers, der sich mit dem Hof vor den Schweden nach Linz zurückgezogen hatte, dem Fürsten Gundaker aus Wien ein kaiserliches Handschreiben nach Marburg, in dem dieser aufgefordert wurde, sich unverzüglich nach Wien zu verfugen, um - ähnlich wie im Oktober 1636 - als „director" den Vorsitz in dem in Wien hinterlassenen „gehaimben und deputirten rathscollegio" zu übernehmen. 153 Gundaker antwortete Trautson am 14. November, er habe den Kaiser informiert, daß er derzeit nicht in Wien wohnen könne, da seine beiden Häuser mit der Pest infiziert seien und das ehemals Bonacinasche Haus „zu eng" sei. Er hoffe, der Kaiser werde seine Absage nicht ungnädig aufnehmen. 154 In einem langen, tags darauf verfaßten Schreiben an den am kaiserlichen Hoflager weilenden Geheimen Rat Franz Christoph Khevenhüller legte Gundaker die Hintergründe für die 145
Ebd., König Ferdinand an G. v. L., Regensburg, 23. November 1636. Ebd., Ausfertigung der Instruktion. 1(7 Konzepte ebd. 148 Etwa am 24. November 1637 und am 31. Oktober 1639. Mitis, Anteil, S. 85 A. 2. 149 „[...] il Prencipe di Liectristain e buon uecchio, stä per il piü alli suoi stati, et Ii serue il carrico piü per honore, che per altro." Fiedler (Hg.), Relationen, Bd. 1 (FRA 11/26), S. 187. 150 Vgl. Kapitel 5. HALV, Hs. 157, S. 19-24, 548 und 572. HALV, Hs. 273, S. 241 f. und 249 f. (Abschriften). HALV, K. 246, Fasz. „Vorsitz in der zu Wien zurückgelassenen kaiserlichen Regierung. 21. Oktober 1645". Dem Schreiben Trautsons liegt neben dem kaiserlichen Handschreiben (Linz, 31. Oktober 1645) auch eine Abschrift der am 21. Oktober 1645 in Linz ausgefertigten Instruktion fur die hinterlassene Regierung (die Geheimen Räte Gundaker von Liechtenstein, Rudolf von TeufFenbach und Johann Franz Trautson sowie eine Reihe von Mitgliedern der Zentralbehörden und des niederösterreichischen Regiments) bei. 1,4 HALV, Hs. 273, S. 406 f. (Abschrift). Das Schreiben Gundakers an den Kaiser (Marburg, 15. November 1645) ebd., S. 406, und K. 246, a. a. O. (Abschriften). 146
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Absage dar. 1 5 5 Er wisse nicht, „warumb mann anjetzo mich a longe zu dieser Verrichtung erfordert, da man doch vor diesem nicht mich, sondern einen [sc. den Grafen Khevenhüller bzw. den Grafen Siegmund Ludwig von Dietrichstein; siehe unten] a longe darzue beruefen hatt". Sollte der Kaiser wider Verhoffen auf seiner Berufung beharren, so möge er allergnädigst verordnen, „daß ich nicht so unbillich von hoff aus tractirt werde und meine praetension allso gar hindangesezet werden (allso daß ich nach hof zu komen mich vast Schemen mueß vor denen leiten, die es wissen)". Er begehre keine Gnadengabe, „sondern nur, daß meine gehorsamiste anbringen nicht, wie bishero beschehen, unvorbrachter, erligener oder gar verlorner oder unverbscheideter verbleiben, daß die anweisungen mir nicht wider endzogen, die execution wider meine debitores mir nicht gesperrt und N B . daß ihr mayestät zu bezahlung meiner bey ihr mayestät habenden richtigen anforderungen mich dahin allergnedigst anweisen wollen, daß ich und meine erben die contributiones von meinen güetern in Mähren und Österreich in abschlag dessen, so ihr mayestät mir schuldig, bis zu endtlicher bezahlung meiner jezt gemelten anforderungen innenhalten 1 5 6 mögen, welche, weil meine gütter alle destruirt, jährlich wenig ausdragen werden und allso ihr mayestät diese anweisung gar nicht beschwerlich ist, weil ich dadurch wol in zweintzig jähren nicht khan bezalt werden".
In einer Beilage spezifizierte Gundaker seine Forderungen. Er beginnt mit der folgenden Lamentation: „ O b ich wol nunmehr vier römischen kaysern in unterschiedlichen functionen gedient und nunmehr zum andern mahl alles das meinige meiner treu wegen verlossen und dabey vil verlohren und schaden gelitten, so habe ich doch nicht allein khein besoldung, die mir laut ambtschein über 2 1 . 0 0 0 fl. ausstendig ist, sondern auch kheine andere gnad als den fiirstenstand, den ich der gebür nach schäze (obwol derselbe bey hof schlechtlich in acht genohmen wird, allso daß er auch weder in der Capellen, vor ihr mayestät tafl noch in dem fahren kheine stell h a t t ) 1 5 7 , dann auch 6 0 . 0 0 0 fl. und 14.000 fl. auf dem Pfanerischen h a u s 1 5 8 empfangen habe."
Es folgt eine Aufzählung der offenen Forderungen Gundakers an den Kaiser sowie der Gundaker seiner Ansicht nach zu Unrecht auferlegten Zahlungen (insbesondere an Kreditoren der mährischen Herrschaften und Güter, die Gundaker vom Kaiser gekauft hatte). Stets seien ihm Exekutionen gegen seine Schuldner verwehrt „und derendtgegen allen meinen creditorn wider mich schieinig ertheilet worden". Desgleichen könne er über die Liquidation der ostfriesischen Zinsen keine Sentenz erlangen. Auch die Erfolglosigkeit seiner langjährigen Bemühungen um das Herzogtum Teschen wurmte ihn sehr. 159 Fürst Gundaker wollte offenbar speziell gebeten werden und blieb, da auf sein Schreiben an den Kaiser keine Antwort erfolgte, im sicheren Marburg, wodurch er sich verständlicherweise die - nicht lange andauernde - Ungnade Ferdinands III. zuzog. Noch am 26. Juni 1646 schrieb Fürst Ferdinand aus Linz an seinen Vater: „Unterschiedliche bey hof verwundern sich, daß euer furstl. gnaden nicht naher Wien kommen undt das auffgetragene directorium daselbst ahngenohmen, so ihr mayestät zimblich empfunden haben sollen." 1 6 0 Gundaker erwiderte, Ferdinand möge denjenigen, die ihm das sagten, „anzeigen, daß wir nicht wissen, was i(hrer) m(ayestät) vor ursach wir geben hetten solches zu empfinden, dieweil wir [...] sie nur gebeten, daß sie uns wegen der pest und auf ditsmal wolten endtlassen [...], daneben aber vermeldet, daß wir i(hrer) m(ayestät) verrern allerdgnedigisten willen und befelch erwarten und deme sodann gehorsamist nachleben werden. Hetten nur i(hr) m(ayestät) uns intimieren lassen, daß sie ein weeg als den andern wollen, daß wir [...] nach Wien sollen, so wehre es geschehen. N u n aber ist uns auf unser schreiben von i(hrer) m(ayestät) gantz khein bescheid zuekommen [ . . . ] . "
HALV, K. 246, a. a. O . (Konzept), und Hs. 273, S. 4 0 2 - 4 0 6 (Abschrift); < . . . > : nur im Konzept. einbehalten 157 Vgl. Kapitel 7. " " Vgl. Kapitel 12.1. 155
,ifi
159 160
Z u den beiden zuletzt genannten Punkten siehe Kapitel 17.3. HALW, Κ. Η 827, Fasz. HT. 18, F. J . v. L. an G . v. L „ Linz, 26. Juni 1646.
Geheimer Rat
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Als Gundaker sich erkundigte, woran das liege, habe Graf Khevenhüller ausrichten lassen, „daß es i(hr) m(ayestät) dabey haben verbleiben lassen; dannenhero wir nicht unfiiglich darvor gehalten, daß i(hr) m(ayestät) uns desselben directorii [...] endlassen haben." In einem Postskriptum enthüllte Gundaker die tieferen Gründe seiner Verstimmung: Er hätte, schreibt er, vielmehr selbst „ursach gehabt zu einer empfindung, weil i(hr) m(ayestät) vormals, als sie verreist von Wien und die kayserin allda gelassen, nicht mir, da ich doch in der nehende war, sondern dem grafn Kevenhiller das directorium hinterlassen (welches aber noch zu endschuldigen wehre, weil die keiserin allda verblieben und der graf Kevenhiller, neben deme er geheimer rahtt, auch ihr obrister hoffmeister gewesen); daß aber hernach, als die kayserin und der graf Kevenhiller von Wien wegkgezogen, ich praeterirt und solches dem grafen von Dietrichstein 1 aufgedragen worden, und anjetzo, da die pest zu Wien [...] grassirt, [man] mir es angedragen hatt, das ist ein schlechte erzeigung einer gnad, da doch, wenn i(hr) m(ayestät) vermeint, mich damals, da gleich der herr obrister hoffmeister graf von Trautmansdorff verreist ist, zu gebrauchen, weil ich der eheste und negste geheime rahtt bin, sie mich hetten, wie ich vermeine, zu sich nach hoff fordern sollen [...]."
Am 27. Januar 1647 übermittelte Graf Trauttmansdorff dem Fürsten Gundaker aus Osnabrück Neujahrswünsche und fügte hinzu: „Daß aber euer fiirstl. gnaden ihre von Gott habende fürtrefliche talenta, mit welchen sie ihrer kayserlichen mayestät und dem allgemeinen wesen noch viel ersprießliche guete dienst zu leisten vermögen, in otio verzehren solten, vermeine ich, werde so wenig für ihre kayserliche mayestät als euer fiirstl. gnaden selbst sein, sondern ich wolte unmaßgeblich darfur halten, weilen es deroselben fast1*** beschwerlich sein würde, wann sie bey noch habenden gueten kreften ob sich selbst sitzen und ihre zeit in der langweil zuebringen solten, euer fiirstl. gnaden möchten sich wider nacher hof verfliegen, allda es dann an ihrem stand gebührenden occupationen nicht mangeln wirdt." 1 1 ^
Seit dem Frühjahr 1647 nahm Fürst Gundaker daraufhin zunächst, wie es scheint ziemlich regelmäßig, tatsächlich an den Sitzungen des Geheimen Rates teil. Am 15. Februar 1648 teilte er Maximilian von Trauttmansdorff mit, daß er nach der Rückkehr aus der Steiermark „dem geheimen rhat beygewohnt" habe. Er brachte jedoch dem Kaiser gegenüber vor, „daß ich wegen zugenomenen mangl des gehörs in dem consessu des geheimen rhats nichts ersprießliches i(hr) k(ayserl.) m(ayestät) leisten khan, weill ich deswegen weder die v o r k o m mende proposition noch die daryber ervolgende vota und i(hrer) k(ayserl.) m(ayestät) schluß vernemmen khan", während er früher zwar auch nicht die Verlesung aller Propositionen durch die Sekretäre und die Voten aller Räte verstanden habe, aber immerhin jene der meisten sowie den kaiserlichen Schluß. Er ersuchte den Kaiser daher darum, ihn von der Teilnahme am Geheimen Rat zu dispensieren und ihm nur von Fall zu Fall eine Proposition zur Stellungnahme schriftlich zu übermitteln. Ferdinand III. stellte es ihm daraufhin anheim, wann immer er wolle in den Geheimen Rat zu kommen oder auch nicht. Der Kaiser kündigte an, er werde den Hofkanzler (den österreichischen Hofkanzler Dr. Prickhelmayer) zu Gundaker schicken, damit er mit ihm über die Form und den Wortlaut des von Gundaker erbetenen diesbezüglichen Dekrets das Einvernehmen pflege. Gundaker setzte daraufhin ein Konzept für ein kaiserliches Dekret auf, das auch die Bestimmung enthielt, man solle ihm weiterhin immer in den Geheimen Rat „ansagen" und die Geheime Ratsbesoldung und die „regalia" wie einem Wirklichen Geheimen Rat auszahlen. Das Konzept wurde daraufhin im Sommer 1647 zur Ausfertigung an den kaiserlichen Hof geschickt, der sich Anfang Juli von Linz nach Prag begeben hatte. Die erste Fassung fiel gemeinsam mit anderen Schriftstücken den Schweden in die Hände; die daraufhin abgeschickte zweite Fassung weigerte sich der Hofkanzler am 8. Dezember 1647 in der von Gundaker gewünschten Form ausfertigen zu
165 164
wohl Siegmund Ludwig Graf von Dietrichstein HALW, Κ. Η 827, a. a. Ο., G. v. L. an F. J. v. L„ Marburg, 30. Juni 1646 (Konzept). sehr HALV, Hs. 108, S. 21 (Abschrift).
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Dienste u n d G n a d e n
lassen. Gundaker ersuchte Trauttmansdorff daher, er möge ihm zu dem Dekret in der gewünschten, nach Gundakers Ansicht mit der kaiserlichen Bewilligung völlig übereinstimmenden Form verhelfen. 165 Spätestens seit dem 30. Oktober 1647, nach der Rückkehr des Königs (Ferdinands IV.) aus dem Jagdschloß (Kaiser-)Ebersdorf nach Wien, nahm Fürst Gundaker wieder regelmäßig an den drei- bis viermal pro Woche stattfindenden Sitzungen des Geheimen Rates teil. Er ersuchte die Geheimen Räte, die anderen den Sitzungen beigezogenen Räte (Reichshofräte etc.) und die Sekretäre, möglichst laut vorzulesen bzw. zu sprechen. Er konnte dennoch nur einige wenige Redner verstehen. Daß er in diesen Monaten - wohl nur im Fall der Abwesenheit des Königs - das Direktorium im Geheimen Rat mehr schlecht als recht führte, läßt sich leicht ausmalen. Am 14. März 1648 schrieb er an Trauttmansdorff, er habe „dem directorio bishero abgewartet, aber nicht also vermögt, wie ich gern gewolt". Er ersuchte daher den Kaiser und den Obersthofmeister, ihn von der Leitung des Geheimen Rates zu dispensieren. 166 Am 7. August 1648 wandte sich Gundaker neuerlich an den Grafen Trauttmansdorff mit der Bitte um Intervention. Trotz emsigen Sollizitierens beim Hofkanzler, dem vor wenigen Monaten in den Freiherrenstand erhobenenen Dr. Prickheimayer, Freiherrn von Goldegg, sei es ihm nicht gelungen, eine Ausfertigung des Dekrets betreffend seine Befreiung von der Verpflichtung zur Teilnahme an den Sitzungen des Geheimen Rates zu erlangen. Eigenhändig fugte Gundaker dem von Kanzleihand verfaßten Schreiben noch hinzu: „Wenn i(hr) m(ayestät) anders sich resolviert unnd bevohlen haben, so ist der hofcanzler unschuldig; wenn er aber über sich selbst sich i(hrer) m(ayestät) Verordnung widersezte, so wehre es ein unverantwortliches assumptum wider i(hr) m(ayestät) unnd ein unbilliches procedere gegen mir." 167 Am 11. Oktober 1648 war es dann endlich soweit: der Kaiser befreite Gundaker von Liechtenstein von der „ordinari besuechung des geheimben raths" und stellte es ihm frei und anheim, „wan und soofft sie etwo auf ansagen dem geheimben rath beywohnen wollen". 168 Von der von Gundaker gewünschten Fortzahlung der Geheimen Ratsbesoldung ist in dem Dekret freilich nicht ausdrücklich die Rede. Zumindest fallweise nahm Gundaker von Liechtenstein auch weiterhin an Sitzungen des Geheimen Rates teil. Am 9. Februar 1649 resolvierte sich Ferdinand III., nachdem er sich die von Fürst Gundaker von Liechtenstein und Fürst Wenzel Eusebius von Lobkowitz, seit 1646 Herzog von Sagan, „in puncto praecedentiae in dero geheimen rath" vorgebrachten Argumente „umbstendlich" hatte referieren lassen, daß Fürst Gundaker als der ältere Geheime Rat bei den Sitzungen des Geheimen Rats die erste und der Herzog von Sagan die zweite Stelle einnehmen solle. 169 Anfang Juni wurde Gundaker vom Kaiser in Audienz empfangen. Dabei bedankte er sich fur die Resolution über die vom Fürsten von Lobkowitz „movierte differenz". Zu den Sitzungen des Geheimen Rates wurde er zu seinem Leidwesen nun nicht mehr geladen, worüber er sich neuerlich beim Grafen Trauttmansdorff beklagte. 170 Mit Erfolg: Im Juli 1649 dankte er den Grafen Trauttmansdorff und Martinitz dafür, daß sie ihn zu Sitzungen des Geheimen Rats einladen hatten lassen, um ihn dort um seine Meinung zu befragen.
165 AVA Wien, FA Trauttmansdorff, K. 142, Fasz. Ff. 8/Nr. 36, fol. 7 7 - 7 9 , G . v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Wien, 15. Februar 1648. 166 Ebd., fol. 80, G . V. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Wien, 14. März 1648. Am 9. Mai 1648 bekannte Fürst Gundaker dem Grafen Trauttmansdorff, „daß ich kheinen der geheimen rähtt außer des graffen Trautsohn mit seinem voto vernehmen khan; das beschwerlichste aber unter allem ist mir, daß ich den regier(ungs-)canzler nicht verstehen khan, weil meistesteils österreichische Sachen vorkommen, er sie übersiecht und die peste Information in seinem voto geben khan". Ebd., fol. 8 7 - 8 9 , hier fol. 88. 167 Ebd., fol. 97. Prickhelmayer/Goldegg galt im übrigen als überdurchschnittlich bestechlich (Hengerer, Der H o f Kaiser Ferdinands III., S. 46, 51 A. 388, 97 f. und 130). "* HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat". 169 Ebd. sowie Hs. 274, S. 17 (Abschrift). 170 HALW, Κ. Η 834, Fasz. HT. 23, G. v. L. an seinen Sohn H a r t m a n n , Wien, 12. Juni 1649 (eh.).
Obersthofmeister (1624/25)
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Er lehnte die Einladungen aber dankend ab, „weil ich weder die proposition noch [den] schluß vernehmen kan". 1 7 1
4.7. Obersthofmeister (1624/25) Der Obersthofmeister war seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts der ranghöchste der vier obersten Hofwürdenträger am Kaiserhof (Obersthofmeister, Obersthofmarschall, Oberstkämmerer und Oberststallmeister). Er hatte seit den Hofreformen Ferdinands I. (Hofordnungen der Jahre 1527 und 1537) einerseits repräsentative und zeremonielle Ehrenfunktionen und andererseits Leitungs- und Kontrollfunktionen in der allgemeinen Hofverwaltung. 1 7 2 Er war, kurz gesagt, „sowohl oberster Zeremonienmeister bei allen feierlichen Anlässen [...] als auch Hauptverantwortlicher für den gesamten Hofstaat in Disziplinarangelegenheiten und wirtschaftlichen Fragen". 1 7 3 Meist war er gleichzeitig Direktor, jedenfalls aber im Unterschied zu den anderen Inhabern von Hofämtern - ausnahmslos Mitglied des Geheimen Rates. Johann Ulrich von Eggenberg war nur bis 1621 Obersthofmeister Kaiser Ferdinands II., dann trat er dieses Amt für kurze Zeit an Leonhard Helfried von Meggau (Abb. 19) ab, der es bereits von 1617 bis 1619 bei Kaiser Matthias innegehabt hatte und auch im Jahre
Abb. 19: Graf Leonhard Helfried von Meggau (1577-1644). Kupferstich.
171 HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat", „1649. Den 5. Julii dem g(rafen) v. Trautmansdorff gesagt und den 16. dem g(rafen) v. Martiniz communiciert" (eh. Konzept G.s v. L.). 172 Mencik, Beiträge, S. 452-464; Zolger, Hofstaat, S. 66-79; Drasarovä, Dvür Rudolfa II., S. 44-51. 175 Plodeck, Hofstruktur, S. 92. Zu den Aufgaben und zur Stellung des Obersthofmeisters (Mayordomo Mayor) im Spanischen Hofzeremoniell um die Mitte des 17. Jahrhunderts siehe Hofmann, Hofzeremoniell, S. 83 und passim.
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Dienste u n d Gnaden
1626, nach der Resignation Gundakers von Liechtenstein, wieder übernahm und bis zum Herrscherwechsel im Jahre 1637 ausübte. Eggenberg blieb jedoch bis zu seinem Tod im Jahre 1634 Direktor des Geheimen Rates und erhielt sich „auch fernerhin in seiner überragenden Stellung als erster Ratgeber des Kaisers"174. Nicht zuletzt infolge der unerschütterlichen Vertrauensstellung Eggenbergs bei Ferdinand II. verlor das Amt des Obersthofmeisters nach 1621 etwas an Autorität, was Gundaker von Liechtenstein anscheinend nicht wahrhaben, jedenfalls aber nicht akzeptieren wollte.175 Nach seiner Besoldung zu schließen, hatte Gundaker von Liechtenstein das Obersthofmeisteramt vom 1. September 1624 bis zum 20. November 1625 inne. 176 Er unterschrieb jedoch bereits am 20. August einen Brief an den böhmischen Oberstkanzler Lobkowitz als „obrister hofmeister".177 Im August und September 1624 erteilte Fürst Karl von Liechtenstein, der erfahrene Hofmann und seinerzeitige Obersthofmeister Rudolfs II., seinem Bruder von Prag aus durch die Hand seines Sekretärs eine Reihe von Ratschlägen für die Ausübung seines neuen Amtes sowie für die Einrichtung seines Hofstaats.178 Am 7. August 1624 riet Karl seinem Bruder, das Obersthofmeisteramt anzunehmen aber möglichst nicht mehr im Geheimen Rat zu erscheinen, sondern dem Kaiser anzubieten, zu wichtigen Fragen außerhalb des Geheimen Rates seine Ansicht „ad partem" zu eröffnen - offenbar zur Vermeidung von Präzedenzstreitigkeiten mit dem Fürsten Eggenberg und mit dienstälteren Geheimen Räten179, aber auch um einen persönlichen Einfluß auf den Kaiser zu gewinnen. Gundaker vermerkte in margine seine gegenteilige Uberzeugung, daß er im Geheimen Rat bleiben müsse, selbst um den Preis des „Nachsitzens" hinter dem Fürsten Eggenberg. Weiters riet Fürst Karl seinem Bruder, er solle zunächst „nit vill von reformation reden noch voriges procedere tadlen, dan dadurch sie ihnen böse officia machen und nit allein der officierer180 haaß auff den hals laden, sondern den forsten von Eggenberg, als ob er hierunter tangiert und seinem officio nit genueg gethan hette, selbst disgustieren wuerden". Er solle sich insbesondere den Fürsten von Eggenberg und den Herrn Karl von Harrach dadurch „obligieren", daß er ihnen alle wichtigen den Hofstaat und insbesondere dessen Verbesserung betreffenden Sachen persönlich mitteile und gleichsam ihren Rat einhole. „Die reputation belangendt, sollen euer förstl. gnaden ihr solche aus dem khopff schlagen und gedenkhen:,Forma viros neglecta decet', und daß solche, wan sie affectiert, feindtschafft und Verachtung bringt und nit in den festini181 noch ansehlicher stattlicher librea182 (deren auch mein gn. fürst und herr [d. h. Fürst Karl] sich nit gebraucht), sondern in bona administratione iustitiae bey den von dem obristen hoffmaister dependierenden officieren bestehe." Gundaker brauche auch nicht zahlreiche Diener sondern nur einen Hofmeister, einen Stallmeister, einen guten Sekretär, vier Edelleute („vom adl") und acht (korrigiert aus: sechs) Pagen. Einer der Edelleute und zwei von den Pagen sollten stets der Gemahlin Gundakers „auffwarten". Es habe nichts zu bedeuten, daß Gundaker fürstlichen Standes sei, da man wohl wisse, „daß ein fürst bey hoff den
174 Thiel, Innerösterreichische Zentralverwaltung II, S. 514. - Als Obersthofmeister leitete Meggau von 1626 bis 1637 offenbar in Abwesenheit Eggenbergs, der als Statthalter von Innerösterreich nur selten in Wien weilte, die Sitzungen des Geheimen Rates. Er faßte jeweils die Diskussionsbeiträge zusammen und wies, im Einvernehmen mit den anderen Raten, den Sekretär des Geheimen Rates, Matthias Arnoldin, an, die Zusammenfassung der Diskussion und die Entscheidung in das Protokoll einzutragen. Hiller, Nikolaus Esterhäzy, S. 25. 175 Schwarz, Privy Council, S. 33-39. 176 HALV, Hs. 157, S. 20. 177 SOA Litomerice, Zweigstelle Zitenice, LR, RA, Β 54, fol. 13 f. 178 Die Briefe Gundakers, auf die Karl durch die Feder seines Sekretärs antworten ließ, haben sich offenbar nicht einmal als Konzepte erhalten. Vgl. auch Mitis, Anteil, S. 76-81. 179 Siehe Kapitel 7.1.1. 180 der Hofbeamten "" Festivitäten 182 Livree
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hoff nit fiiihre, den 1 8 3 er sonst in seiner ordenlichen residentz wegen allerhandt commoditeten zu fuhren pflege". Für seine eigenen Angelegenheiten solle Gundaker einen oder mehrere Boten halten, die wöchentlich die Wochenzettel „und minutissimas relationes, was bey den herrschafften geschiecht, avisieren, auch sonst in wirtschafftsachen einen verständigen man haben, der monatlich von einer herrschafft zu der andern ritte, die mengl und unordnungen abstehe und wie er eins und das ander befindt euer ftirstl. gnaden guetachtlich referierte". 184 Am 28. August setzte der Sekretär des Fürsten Karl die Liste der Ratschläge fort. Wenn er im letzten Brief von der - abgesehen von den selten stattfindenenden großen Banketten Unnötigkeit der Feste und stattlicher Livree geschrieben habe, so habe Fürst Karl sich damit nicht auf Gundakers Gemahlin und Töchter bezogen; im Gegenteil solle Gundaker in dieser Hinsicht, insbesondere was die fürstlichen Fräulein betrifft, „nichts sparen, dan ein ziertes roß allzeit besser als ein unziehrtes pariere". Diese Bemerkung bezieht sich wohl darauf, daß auf Kosten des Vaters herausgeputzte Töchter sich erfahrungsgemäß weniger leicht väterlichen Verheiratungsplänen widersetzten. (Am 18. September ließ Fürst Karl seinem Bruder schreiben, je eher er seine Töchter verheirate, desto besser sei es.185) Es sei hingegen nicht nötig und koste nur viel Zeit und Geld, für am Kaiserhof angekommene Gesandte und fremde Herren Bankette auszurichten. Gundaker möge auch nicht sofort, also kurz nach der Erhebung in den Fürstenstand, damit beginnen, fürstlichen Aufwand samt aufwendigem Zeremoniell zu treiben, sondern damit bis zu einem Reichstag zuwarten. Es bestehe sonst die Gefahr, daß er von den anderen Adeligen am Hof ausgelacht werde. Was die Diener und das Gesinde betrifft, legte Fürst Karl großen Wert auf die Bedeutung der Pagen. „Es seye kein hoff nichts ohne paggi und könne man drey vom adl leichter als der paggi entrathen." Da Gundaker ja einen Stallmeister und einen Kämmerer halte, so könnten die Pagen von diesen „in der zucht gehalten und ihnen der dienst alternative nach wochen oder täg zum auffwartten ausgeteilt werden. Ihre fiirstl. gnaden [also Fürst Karl] brauchen die paggi zu nichts anders als auff der gassen und bey der tafl zum dienen; die haben ihren eignen hoffmeister, welches doch ihre fiirstl. gnaden bey euer fiirstl. gnaden wegen des Stallmeisters und cammerlings nit fiir notwendig achten." Viele Kammerdiener statt der Pagen zu halten schicke sich nicht, denn die Kammerdiener seien nicht adelig „und geben die zier nit". Außerdem sei es „vill schwärer alte esl abzurichten als junge". In Italien seien die Pagen lauter Kinder von Kaufleuten und Bauern, in Deutschland hingegen verstehe man unter dem Wort Pagen ausschließlich Adelige. Fürst Karl bot sich an, seinem Bruder einige zu schicken. Gundaker notierte dazu, sie sollten schön und nicht zu groß sein, „damit ich bei den auslendischen ehr einlege". Wenn die Pagen nicht gerade Dienst haben, fährt der Sekretär des Fürsten Karl fort, dann sollen sie reiten, fechten und schreiben lernen, ja diejenigen, die schreiben können, sollen auch dann, wenn sie vor der Kammer des Fürsten Gundaker aufwarten, die Protokolle abschreiben. Als vorbildliche Beispiele fuhrt Karl zwei prominente österreichische Protestanten an: „Herr Reichardt Strein 186 und herr Jörger 187 , beede wizige herrn, haben die canzley in ihrer antecamera gehaltten, dadurch sie nit allein leichter expediert, weil sie die canzley an der
" 5 Vorlage „dan" "" HALV, K. 246, Sekretär Karls v. L. an G. v. L., Prag, 7. August 1624 (Vermerk auf der ersten Seite von der Hand Gundakers: „I. f. g. f. Carls v. Liechtenstein gutachten, wie i. f. g. zu hof sich halten sollen mit deren tafl, sizen, endgegengehen."). 1,5 Ebd., Seketär Karls v. L. an G. v. L., Prag, 18. September 1624. IM Zu Reichart Streun von Schwarzenau (1538-1600) siehe v. a. die im Literaturverzeichnis angeführten Arbeiten von Karl Großmann. 187 Wahrscheinlich der vielseitig begabte, in zweiter Ehe mit einer Liechtenstein verheiratete Helmhard VIII. Jörger (1530-1594), der u. a. von 1568 bis zu seinem Tod Präsident der Niederösterreichischen Kammer war; vielleicht auch sein jüngerer Bruder, der bedeutende Kriegsmann, Hofkammerrat und Ständepolitiker Wolfgang V. Jörger (1537-1614), der im Jahre 1581 zusammen mit seinen Brüdern den Liechtenstein die oberösterreichische Herrschaft Steyregg abkaufte. Siehe Wurm, Jörger, S. 80-92, 98-110 und passim.
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Dienste u n d Gnaden
handt gehabt, sondern auch die cancellisten vill vleißiger ihren dienst verrichtet." Die Kammerdiener in eine Livree zu kleiden sei „contra decorum, weil dieselbe allein auff die diener, so auff der gassen aufwartten" gehöre wie Lakaien, Kutscher und Reitknechte. Bezüglich der Sitzordnung an der Tafel rät Karl seinem Bruder Gundaker, in seinem Haus nicht nur zur Tafel kommende Geheime Räte, sondern auch Präsidenten (der Hofkammer, des Reichshofrats, des Hofkriegsrats) „vorsizen" zu lassen: „Euer fiurstl. gnaden sollen alles weniger thun als ihr gebüerth und humilitatem affectieren. Est enim tanta virtus, ut etiam superbi illam affectent." Gundaker solle sich zuweilen auch unterhalb der Fräulein (also seiner eigenen Töchter) setzen, um deutlich zu demonstrieren, daß er den Geheimen Räten und Präsidenten nicht „simpliciter und immediate" den Ehrenplatz an der Tafel gewähre, „sondern mehrers ex cortesia". 188 Eine Woche später instruierte Karl seinen Bruder zunächst über die Art und Weise des Begleitens und Entgegengehens bei Hof. Gesandten geistlicher Fürsten („ambasciadori di cappella") und Fürsten gehe man so weit entgegen, wie sie einem selbst entgegengehen. Vornehme Gesandte von deutschen Fürsten sowie die Präsidenten (der großen Behörden) begleite man nach Aufhebung der Tafel bis ans Ende der Tafelstube, Geheime Räte bis an die Stiege. Man halte sich aber nicht stur an diese Regeln, sondern wende sie flexibel an, sodaß „neben der gravitet auch die hofflichkeit gerühmbt werde". Gundaker solle „gewisse stunden zur audientz halten" und die Parteien, sofern es sich nicht um vornehme Leute handelt, gleich von Anfang an daran gewöhnen. 189 Das Schreiben des Sekretärs des Fürsten Karl vom 18. September beginnt mit der Wiederholung des Ratschlags, Gundaker solle am besten überhaupt nicht in den Geheimen Rat kommen. So habe es auch der Herr von Dietrichstein (Adam von Dietrichstein, der Vater des Kardinals) als Obersthofmeister Rudolfs II. (in den ersten Jahren von dessen Regierungszeit) gehalten, um nicht „dem alten herrn Trautson" (Johann Trautson), der bereits vor ihm Geheimer Rat gewesen war, weichen zu müssen. Gundaker solle nur dann in den Geheimen Rat gehen, wenn der Kaiser ihm „guetwillig die stell gäbe" oder wenn die anderen Geheimen Räte ihm „guetwillig wichen"; man könne sie jedenfalls nicht dazu zwingen, ihm den Vorsitz zu überlassen. Uberhaupt hätten bei Hof nicht die Geheimen Räte die Autorität, sondern die, denen der Kaiser am meisten vertraue, wie die Beispiele des Kardinals Klesl und des Fürsten Eggenberg zeigten. 190 Fürst Gundaker habe „die mid", dem Kaiser in vielen Sachen gute Ratschläge zu geben und sich dadurch „in ein aestimation [zu] bringen". Was die Frage der Abgabe des ersten Votums im Geheimen Rat betrifft, meinte Fürst Karl, er halte seinen Bruder fur ebenso „wizig" wie den Grafen von Meggau; Gundaker werde sich aber erinnern, daß Meggau, wenn er als erster votiere, nur ausgelacht werde. 191 Wenn Gundaker nur dann in den Geheimen Rat gehe, wenn er „extraordinariter" dazu aufgefordert wurde, dann werde er auch „extraordinariter gesezt werden". Er solle vertraulich mit dem Fürsten von Eggenberg „communicieren" und insgesamt „lustig und buon compagno sein" und „mißgunst und feindtseligkeit meiden". Er könne sich vor allem dadurch „ein lob machen", indem „die riforma, sonderlich im anfang, nit gar zu genau angestelt wierdt". Gundaker solle, wie Karl bereits am 4. September geschrieben hatte, seine „kunst nit auff einmall offenbaren", denn „je besser einer diene, je mehr hasser und neider einer habe". 192 Im übrigen solle er „unsern herrn Gott lassen ein gueten man sein, auch sehen, wie es fiirst Maximilian machen, der seye buon compagno, bringe sich hindurch und vergebe gleichwol nichts". 193
185
1.1 1.2 1,5
HALV, K. 246, Sekretär Karls v. L. an G. v. L„ Prag, 28. August 1624. Ebd., ders. an dens., Prag, 4. September 1624. Sinngemäße Wiedergabe eines zum Teil unleserlich gemachten Satzes. Zum Teil unleserlich gemacht. W i e A n m . 189. HALV, K. 246, Sekretär Karls v. L. an G. v. L„ Prag, 18. September 1624.
Obersthofmeister ( 1 6 2 4 / 2 5 )
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Ausgestattet m i t diesen u n d n o c h weiteren, unter anderem die Verbesserung der H o f ö k o n o m i e betreffenden Ratschlägen seines erfahrenen Bruders, allerdings z u m Teil gegen dieselben, m a c h t e sich G u n d a k e r im O k t o b e r 1 6 2 4 m i t viel Elan an eine R e f o r m des gesamten kaiserlichen H o f s t a a t s u n d an eine Revision der Instruktion, d. h. der K o m p e t e n z e n , des Obersthofmeisters sowie der Instruktionen der anderen H o f b e a m t e n . In einer a m 4. O k t o b e r d e m Kaiser iibergebenen Bittschrift schrieb G u n d a k e r unter anderem, d a ß einige bei H o f e „schreyen [ . . . ], ich wolle reformiern (vox odiosa in corde et auribus impuris), da ich d o c h die novitates hasse, u n n d kheinen begere zu reformiern, der nicht sein instruction deformiert h a t " . 1 9 4 A m 2 4 . O k t o b e r 1 6 2 4 überschickte er d e m Kaiser K o n z e p t e verbesserter neuer Instruktionen für zahlreiche H o f b e a m t e . Er berief sich dabei darauf, d a ß sich der Kaiser bei der Ü b e r t r a g u n g des O b e r s t h o f m e i s t e r a m t e s an ihn ausdrücklich resolviert habe, „ d a ß sie [sc. Ihre kaiserliche Majestät] dero hoffstatt in eine guete, richtige u n d bestendige o i d t n u n g bringen wollen u n d mir gnedigist anbevohlen, m e i n fleiß u n d m u e h hierinnen a n z u w e n d e n " . 1 9 5 Wenige T a g e später übergab G u n d a k e r d e m Kaiser eine D e n k s c h r i f t mit weiteren Vorschlägen zur Wiederherstellung der guten O r d n u n g a m H o f u n d in den einzelnen H o f s t ä b e n u n d mit Fragen betreffend seine eigenen K o m p e t e n z e n . Er ersuchte Ferdinand, für die E i n h a l t u n g seiner Instruktion zu sorgen, die vorsehe, d a ß er i m N a m e n des Kaisers f r e m d e Fürsten e m p fangen u n d „inn allen publicis acribus die nechste person bey eur mayestät sein solle". Weiters regte er, unter ausdrücklicher B e n e n n u n g der M o t i v e - 1. wirtschaftliche (merkantilistische), 2. moralisch-religiöse (Furcht vor d e m Z o r n u n d der Strafe G o t t e s ) u n d 3. ständische Argum e n t e (Aufrechterhaltung der optischen Unterscheidbarkeit der Stände) - die Erlassung einer Kleider- u n d L u x u s o r d n u n g 1 9 6 a n . 1 9 7 Vermutlich i m Frühjahr 1 6 2 5 ersuchte G u n d a k e r den Kaiser neuerlich u m Erläuter u n g einiger P u n k t e seiner Instruktion. Er wollte wissen, o b die B e f o l g u n g u n d etwaige Veränderungen der Instruktionen, die L e g u n g von R e c h n u n g e n u n d die F ü h r u n g von Inventaren i m Bereich des O b e r s t k ä m m e r e r - u n d des Oberststallmeisteramtes der Kontrolle
1.4 Ebd., Fasz. „Rangstreit im Geheimen Rat, 1623 ff.", „Anbringen" G.s v. L. an den Kaiser, Reinkonzept (oder Abschrift). 1.5 Ebd., Fasz. „Akten und Gutachten im Obersthofmeisteramt, 1624/25", G. v. L. an Ferdinand II., 24. Oktober 1624 (Konzept). Vgl. u. a. Hampel-Kallbrunner, Beiträge, bes. S. 3 1 - 5 6 ; Stolleis, Pecunia, bes. S. 3 5 - 5 0 und 165-175; Baur, Kleiderordnungen; Dinges, Der „feine Unterschied"; ders., „Lesbarkeit der Welt"; Bulst, Kleidung. 1,7 „1. zu verhüetung, daß mann bey ermangletem geldt im landt umb vill unnuze Sachen das geldt nicht mehr aus dem landt fiiehre; 2. zu verhüetung der überschwencklichen, vonn Gott verhaßten unnd offtmahls gestrafften hoffart [...]; 3. daß ein ordtnung und unterschiede unter den stennden zu erkhennen sey, welches eur mayestät und denselben zu ehren geraichet, allermaßen inn andern wolgeordtneten lannden breuchig ist, dann dergestallt mann der herren, adelichen, burger unnd handtwerchsleuth, mann- und Weibspersonen nicht voneinander khennen khan." HALV, K. 246, a. a. O., „Allerunterthenig- und notwendiges anzeigen", s. d. [27. Oktober 1624] (Konzept). - Ahnlich und in derselben Reihenfolge der Argumente heißt es in der am 20. Juni 1626 im Druck herausgegebenen Kleiderordnung Maximilians I. von Bayern: Aus dem wachsenden Kleiderluxus folge, „daß vil Gelt vnnützer weiß / und zu etlicher wissentlichen schaden / vnnd endtlichen verderben außgeben: Den Außländischen Handlsleuthen in die Handt gestossen / auch andern Vnhail vnd inconuenientien, sonderlich aber der lieben Jugendt zu aller Vppigkeit / Hoffart / vnd leichtfertigem Wandl anlaß und befiirderung gegeben, auch dahero die baarschafft zu dergleichen vnnothwendigen Pracht mehr / dann zu täglicher Vnderhaltung ihr I vnd ihrer Haußgenossen angewendet wirdt. Als haben wir zu abschneidung dessen / auch vorkommung [...] Vnheyls / vnaußbleiblichen Straf vnd Zorn Gottes / auß Landtsfürstlicher Vätterlicher fiirsorg nit länger wollen vmbgehen / hierinnen zu remedirn, vnd allen bißhero in Kleydern / vnd andern Leibszierden verspürten vberfluß / nach gestalt jetziger läuff / auch eines jeden Standts herkommen und Profession, nach laut vnd außweisung folgender Ordnung einzuziehen / auch darob mit allem Emst halten zulassen / damit ins künfftig / so wol vnder den höhern / als nidem Standts Personen besser / als anhero der vnderschied gesehen / vnd erkennt werden möge." Zit. nach Baur, Kleiderordnungen, S. 120. Vgl. den Überblick über die Motivierung der bayerischen Kleiderodnungen vom 14. bis 18. Jahrhundert ebd., S. 120-128.
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Dienste u n d G n a d e n
des Obersthofmeisters unterstünden oder nicht. Weiters beanspruchte Gundaker unter Berufung auf seine Instruktion das Recht, nicht nur neu in Dienst genommene Reichshofräte, sondern auch Hofkammer- und Hofkriegsräte sowie ungarische Räte auf den Kaiser zu vereidigen. Die böhmischen Räte nahm er aus, „dann der gebrauch bezeuget, daß solche den aydt allein vor eur mayestät kaiserlichen person thuen". Sodann ersuchte Gundaker den Kaiser darum, die Angehörigen aller vier Hofstäbe sowie die Geheimen Räte und den Obersthofmeister der Kaiserin ausdrücklich dazu zu verpflichten, sich vor dem Antritt von Reisen beim Obersthofmeister bzw. bei dem diesem (als Hilfsorgan) unterstehenden Hofkontrollor ab- und nach der Rückkehr zurückzumelden, damit er das Absenzenbuch ordentlich führen lassen könne. Andernfalls „würde aus dem obristhofmeisterambt nur ein kuchlmeisterambt, welches, wenn es bei meines dienst zeitten beschehen solle, mir bei meinen nachkommen im ambt spetlich sein würde". Weiters schreibe ihm seine Instruktion vor, vierteljährlich zusammen mit dem Obersthofmarschall (1612-1626 Wolf Siegmund von Losenstein 198 ) das gesamte Hofpersonal zu mustern. 1 9 9 Überdies möge der Kaiser anordnen, daß der Einkauf von Viktualien in Hinkunft; stets im Beisein des Hofkontrollors erfolge, wie es in dessen Instruktion vorgesehen sei. Schließlich stellte Gundaker die „Vertrauensfrage" und bat den Kaiser um Antwort, warum anderen Geheimen Räten viele „einkhombende Sachen communiciert werden, die mir nicht communiciert werden". Der Kaiser setze offenbar wenig Vertrauen in seine Verschwiegenheit, „daß solches mir zu spott geraichet", da er infolgedessen nicht über die Vorgänge bei Hof Bescheid wisse und auch nicht mit Ratschlägen dienen könne. 2 0 0 Am 6. Juli 1625 erfolgte endlich eine kaiserliche Resolution auf Gundakers Anfragen und Ansprüche. Der Kaiser entschied, daß die dem Oberstkämmerer und dem Oberststallmeister unterstehenden Beamten nur von ihrem unmittelbaren Chef abhängen und daß die Rechnungslegung der Angehörigen der Kammer nur dem Oberstkämmerer unterstehe. Die Oberststallmeisteramtsrechnungen hingegen sollten, „wie von alters herkhomen", in Gegenwart des Obersthofmeisters aufgenommen werden. Was die Befolgung der Instruktionen und die Führung der Inventare durch das Personal des Oberstkämmerer- und des Oberststallmeisterstabes betrifft, so unterstanden sie in dieser Hinsicht nicht dem Obersthofmeister. Dieser hatte jedoch weiterhin die Evidenz über „das hoffgesindt" zu fuhren und dieses vierteljährlich gemeinsam mit dem Obersthofmarschall zu mustern. Alle Einkäufe sollten in Gegenwart des Hofkontrollors erfolgen. Bezüglich der Vereidigung der Hofbeamten und der Beamten der Behörden und Kanzleien wurde entschieden, daß die Präsidenten der Hofkammer und des Hofkriegsrats den Eid dem Kaiser persönlich leisten und nur die neu aufgenommenen Reichshofräte vom Obersthofmeister vereidigt werden sollten, nicht aber die ungarischen und die böhmischen Räte, Kanzler und Kanzleiangehörigen. Die Beamten aller vier Hofstäbe sollten weiterhin verpflichtet sein, sich vor Reisen beim Obersthofmeister abzumelden. Von dieser Bestimmung wurden die Geheimen Räte ausdrücklich ausgenommen. Diese waren, wenn sie vom Kaiser Urlaub erhielten, nicht verpflichtet, dies dem Obersthofmeister zu melden. Das gleiche galt für den Obersthofmeister der Kaiserin, der „von meinem obristen hoffmaisterambt genzlich eximiert sein" sollte. Der Kaiser gestand auch zu, daß der Obersthofmeister alle fremden Fürsten empfangen möge. Zu dem Vorschlag der Erlassung einer Kleider- und Luxusordnung kündigte Ferdinand an, er werde „die Sachen durch hierzue deputierte daugliche commissarios in consultation und berathschlagung ziehen lassen". Immerhin stellte er Gundaker in Aussicht, „die ratscollegia und derselben praesidenten und
Vgl. oben S. 87 f. Z u m Obersthofmarschallamt am Kaiserhof in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts siehe Strobl v. Albeg, Obersthofmarschallamt, S. 56-63 und passim. 200 HALV, K. 246, a. a. O., „Specialdeclaration oder erleuterung des obristhoffmeisters instruction", s. d. (Konzept mit eh. Verbesserungen und Ergänzungen G.s v. L.).
Obersthofmeister (1624/25)
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heubter" ermahnen zu lassen, „mit ime obristhoffmaister vermüg der alten hoffordnungen guete correspondenz zu halten". 201 Die nicht einmal 15 Monate dauernde Amtszeit Gundakers als Obersthofmeister endete am 20. November 1625 nach zwei - ja was: Eklats? Skandalen? Affären? - mit Gundakers Rücktritt. Bereits am 7. November 1624 hatte Gundaker - offenbar nachdem er vom Kaiser Urlaub erhalten hatte, um nach seinen Gütern zu sehen - von Schloß Wilfersdorf aus zu bedenken gegeben, daß „alle dienst ein incommodum auf sich haben, wenn derjenige, so sie bedienet, kein commodum dabei hatt", sodaß es „schweer ankombt darinnen zu verharren". Er ersuchte den Kaiser daher, seinem Bruder Karl als böhmischem Statthalter nochmals zu befehlen, „daß er mir vor allen andern von den jezigen confiscationen dasjenige, so mir e(uer) m(ayestät) aus dem behmischen rendambt zu endtrichten angeschaft, bezahle [...]; da ich durch dits mitl nicht zu geld komme, so kan ich den dienst, wie gern ich wolte unnd solte, nicht [wieder] andreten, denn bei allem vleiß ich bis dato nicht über 4.000 fl. aufbringen können." 202 Am 24. August 1625, einem Sonntag und zugleich Festtag des Apostels Bartholomäus, wollte Gundaker von Liechtenstein nach dem Bericht Khevenhüllers in der Hofburgkapelle vor den „Cavalliern von Toison", also den Rittern des Ordens vom Goldenen Vlies, des exklusiven habsburgischen Hausordens, Platz nehmen. Daraufhin standen Fürst Zdenko Adalbert Popel von Lobkowitz und Graf Leonhard Helfried von Meggau, zwei Vliesritter, auf und verließen die Kapelle. 203 In der Folge stellte man in der Kapelle zwei Bänke auf, „eine Fürstenund [eine] Goldene Vließ-Banck". Nach kurzem wurde die zweite Bank wieder abgeschafft. „Doch weil die Goldene Vließ-Banck bey dem Hause Oesterreich und Burgund ein uralter Gebrauch, ist sie wieder restituiret worden." 204 Dieser Konflikt war der Anlaß fur Gundakers erstes, nicht angenommenes Rücktrittsgesuch. In seiner eigenen Darstellung stellt sich die Affäre in der Burgkapelle im Rückblick folgendermaßen dar: Nachdem er Obersthofmeister geworden sei, habe der Kaiser „proprio motu, nicht auf mein begehren" in der Kapelle eine Bank für die Fürsten und eine Bank „vor die vom Toison" aufstellen lassen. Wegen der „importunitet" der Vliesritter habe der Kaiser beide Bänke in Gundakers Gegenwart, aber ohne sein
201 Ebd., „Resolution über etliche puncten, darüber sich euer kayserl. may. obristhoffmaister zu bescheiden begert", Wien, 6. Juli 1625. Siehe auch Mencik, Beiträge, S. 458 f. 202 HALV, K. 246, a. a. O., G. v. L. an Ferdinand II., 7. November 1624 (eh. Konzept). 203 Zdenko Adalbert Popel von Lobkowitz war, gleichzeitig mit Johann Ulrich von Eggenberg, am 26. Mai 1620 zum Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies ernannt und am 29. August 1621 in Wien durch den Kaiser investiert worden; Leonhard Helfried von Meggau war am 12. April 1622 gemeinsam mit dem Fürsten Karl von Liechtenstein ernannt worden und hatte die Collane am 8. September 1622 aus der Hand des Kaisers empfangen. Pinedo y Salazar, Historia, Bd. 1, S. 315 f. und 321 f. Während der Regierungszeiten Matthias', Ferdinands II. und Ferdinands III. wurden neben den vier Genannten folgende Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies aus den Kreisen des Wiener Hofadels kreiert, die mit Ausnahme Albrechts von Wallenstein, Nikolaus' von Esterhäzy und Johann Antons von Eggenberg Mitglieder des kaiserlichen Geheimen Rates waren (ebd.; Jahr der Kreierung [sofern angeführt] und Seitenangabe in runden bzw., falls aus anderer Quelle eruiert [Vollständigkeit wurde nicht angestrebt!], in eckigen Klammern): Paul Sixt Trautson Graf von Falkenstein (1612; S. 303); Wratislaw Graf von Fürstenberg (S. 313 f.); Franz Christoph von Khevenhüller (S. 322); Georg Ludwig von Schwarzenberg (1624, investiert erst 1628; S. 337); Albrecht von Wallenstein (1628; S. 333-335); Rambaldo von Collalto (1627; S. 340 f.); Nikolaus Graf von Esterhäzy (1628; S. 345); Karl von Harrach (1627; starb bereits 1628, ohne investiert worden zu sein; S. 345 f.); Adam von Waldstein (starb 1638 vor dem Empfang der Investitur; S. 348); Maximilian Fürst von Dietrichstein (1634; S. 350); Maximilian von Trauttmansdorff (1634; S. 351); Seifried Christoph von Breuner (S. 354); Rudolf von Teuffenbach ([1638]; S. 354); Wilhelm Slavata ([1644]; S. 358); Wenzel Eusebius Fürst von Lobkowitz ([1644]; S. 358f.); Heinrich von Schlick ([1644]; S. 359); Johann Anton Fürst von Eggenberg ([1644]; S. 359); Ottavio Piccolomini (S. 360); Francesco Carretto Marchese di Grana (S. 360 f.); Georg Adam Borita von Martinitz (S. 365); Johann Adolf von Schwarzenberg (1650; S. 370); Johann Franz Trautson (1652; S. 374); Johann Maximilian von Lamberg (S. 375 f.); Bernhard Ignaz Borita von Martinitz (1655; S. 379). 204
Khevenhiller, Annales Ferdinande!, Teil 10, Sp. 712 f.
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Dienste u n d Gnaden
Vorwissen wieder entfernen lassen. Danach sei die Bank fur die Ordensritter wieder aufgestellt worden, die Fürstenbank aber nicht. Die Folge sei gewesen, daß alle Botschafter und Hofbeamten „ihr stell zu hoff" hatten, Fürst Gundaker als Obersthofmeister aber nicht. 205 Die Auseinandersetzungen über die Stellung der Vliesritter in der Kirche waren übrigens mit dem Ausscheiden Gundakers von Liechtenstein aus dem Obersthofmeisteramt im November 1625 nicht beendet. Anläßlich der Krönung Ferdinands III. zum König von Ungarn in der Ödenburger Franziskanerkirche am 8. Dezember 1625 (in der traditionellen Krönungsstadt Preßburg wütete damals die Pest) 206 fanden sie eine Neuauflage. Fürst Lobkowitz beklagte sich am Tag der Krönung in einem Brief an seine Frau Polyxena, daß in der Kirche zunächst keine eigene Bank für 'die Mitglieder des Ordens vom Goldenen Vlies hätte aufgestellt werden sollen, obwohl sie sowohl unter Kaiser Matthias als auch unter dem jetzigen Kaiser immer ihre Bank gehabt hätten. Lobkowitz war überzeugt, daß dem Namen und der Autorität des Ordens Schaden zugefügt würde, wenn den Ordensrittern zugemutet würde, sich unter die Fürsten zu mischen. Nach komplizierten Verhandlungen mit dem Grafen Meggau, dem Fürsten Eggenberg und Kaiser Ferdinand II., der wegen dieses Problems schließlich sogar nach Spanien schrieb und Philipp IV. als Ordensgroßmeister um eine Entscheidung ersuchte, saß Lobkowitz schließlich auf einer eigenen Bank mit Karl von Harrach und Maximilian von Trauttmansdorff in der Nähe der Botschafter. Um in Zukunft ähnliche Probleme zu vermeiden, entschied Ferdinand II. unmittelbar nach der Krönung, in Hinkunft weder fiir die Fürsten noch fur die Vliesritter eine eigene Bank aufstellen zu lassen. 207 Am 20. November 1625 berichtete Gundaker seinem Bruder Karl über die Motive und Umstände seiner an diesem Tag tatsächlich erfolgten Resignation und Dienstentlassung. Als Hauptursachen führte er das Scheitern seiner Bemühungen um eine Reform und Verbesserung der Hofordnung und Hofökonomie, den daraus resultierenden Autoritätsverlust seiner Person und seines Amtes bei den anderen Hofämtern und bei seinen eigenen Untergebenen sowie den Unwillen des Kaisers angesichts der ständigen Behelligung mit Fragen der Hofordnung an. Außerdem hätten ihm die Amtspflichten (vormittags Geheimer Rat, nachmittags Empfang von Parteien, Kontrolle von Tagzetteln und Rechnungen) keinerlei Zeit fiir die Besorgung seiner eigenen Angelegenheiten gelassen. Er habe auch fur seine Mühen offenbar „khein recompens weder in ehren noch in guet zu hoffen". Daher sei er nunmehr „ganz und gar entschlossen", seine „zeit auf den giettern zuezubringen". Dort sei er allerdings nicht gut eingerichtet. Insbesondere mangelte es ihm an einem guten, auch der tschechischen Sprache mächtigen Regenten und an einem guten Waidmann. 208 Noch im November schickte Gundaker seinem Bruder einen weit ausfuhrlicheren, auch die den Rücktrittsentschluß letztlich tatsächlich auslösenden Ereignisse referierenden Bericht. Man habe ihm häufig in seine Amtskompetenzen eingegriffen und ihm sogar öffentlich „despect" bewiesen. Erfolglos habe er sich mehrmals beim Kaiser beklagt und um Abstellung der Mißstände gebeten. Auch dem Fürsten Eggenberg habe er „solches angezaigt, welcher aber vermeltet, er neme sich umb die hofsachen nichts an". Als er kürzlich beim Grafen von Fürstenberg gegessen habe, habe dieser ihn gefragt, ob (im Hofkeller) steirische Weine vorhanden und ob sie gut seien. Gundaker bejahte, worauf Fürstenberg „begert, wir sollen darumben nach hof schickhen". Gundaker kam dem Begehren nach, der Kellner weigerte sich
205 HAL.V, K. 36, G. v. L. an seinen Kanzler, Mährisch Kromau, 30. September 1631 (Konzept; „NB. Ursachen, warumb i. f. gn. nicht nach hoff wollen"). 20i Holcik, Krönungsfeierlichkeiten, S. 30. 207 Lutter, Politicky a spolecensky zivot, S. 117 A. 6. 208 HALV, K. 246, a. a. 0 . , G. v. L. an seinen Bruder Karl, 20. November 1625 (Abschrift). Zu der im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts allgemein wachsenden Belastung der fürstlichen Räte und Beamten durch die Ausdehnung der Dienststunden und die Klagen insbesondere der adeligen Räte darüber vgl. Stolleis, Grundzüge der Beamtenethik, S. 451 f.
Obersthofmeister (1624/25)
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aber mit Berufung auf einen kaiserlichen Befehl, den gewünschten Wein herauszurücken. Als Gundakers Diener dies „in beysein der cavaglier referiert", was für ihn „spetlich" gewesen sei, befahl er am folgenden Morgen dem Küchenmeister, den Kellner zum Profosen legen zu lassen. Der Küchenmeister führte den Befehl aus und sagte zum Kellner, „er solle sich nuer bey uns [also bei Gundaker] anmelten, so werde weiter nichts daraus werden, wier seyen nicht so scharpf". Der Kellner ließ sich widerstandslos zum Profosen fuhren, befolgte jedoch den Rat des Küchenmeisters nicht, da er sich anscheinend keiner Schuld bewußt war. Als dies der Kaiserin Eleonora, die sich offenbar als kaiserliche „Hausmutter" fur das Hauswesen und die damit verbundene Vorratshaltung zuständig fühlte, hinterbracht wurde, ließ sie Gundaker nach der Ursache seines Vorgehens fragen. Dieser ließ ihr ausrichten, er werde sogleich nach Hof kommen und ihr die Ursache persönlich mitteilen. Dies geschah, da Gundaker von der Kaiserin nicht vorgelassen wurde, durch deren Obersthofmeister, den Grafen Maximilian von Dietrichstein. Dieser gab daraufhin Gundaker bekannt, der Kaiser habe das - Gundaker zu dessen Ärger unbekannte - Verbot bezüglich der steirischen Weine tatsächlich erlassen. Gundaker befahl trotzdem nicht, den Kellner freizulassen, und zwar, wie er seinem Bruder ganz offen schrieb, „weill er sich des khuchlmeisters rath nach nicht diemietigen wollen und hernach auch umb entlassung der straff nicht gebetten". Am folgenden Morgen schickte die begreiflicherweise erboste Kaiserin einen Kammerdiener zu Gundaker mit der Aufforderung, den Kellner freizulassen, woraufhin Gundaker in Gegenwart des Oberststallmeisters, des Grafen Bruno von Mansfeld, den Auftrag gab, der Türhüter solle jemanden zum Küchenmeister schicken mit dem Befehl, den Kellner zu entlassen. Durch diese Affäre zog sich Gundaker offenbar den Unwillen der Kaiserin zu, der nach seiner eigenen Aussage noch durch ein Mißverständnis vergrößert wurde: Eleonoras Kammerdiener habe ihr berichtet, daß Gundaker gesagt habe, er lasse den Kellner nur frei, wenn es der Kaiser befehle („wans ier mayestät schaffen"), während er in Wirklichkeit gesagt habe, er werde tun, was die Kaiserin befehle („was i[hr] m[ayestät] schaffen"). Weiters war Gundaker ungehalten über die am nächsten Tag ausgesprochene Aufforderung des Fürsten Eggenberg, er solle „die notturfft auf unser tafel" - also ζ. B. den Wein - „nicht von hof nemen". Der Kaiser habe die daraufhin bereits zum zweiten Mal ausgesprochene Bitte um Entlassung aus dem Obersthofmeisteramt gewährt, „verhoffent, wir werden dem gehaimben rathsdienst wie vor abwartten". Gundaker erschien der lakonische Bescheid des Kaisers („der schlechte secco bschaidt") befremdlich, „und dahero erachtet, daß i(hr) m(ayestät) unsern dienst wenig schezen, weil sie uns lieber desselben endlassen, als diese angezognen impedimenten unsers diensts remediert". Gundaker gab dem Kaiser daher zur Antwort, es „seye unns laid, daß wir unser mihe und treu so ubl angelegt haben, wier wollen auch dem ainen dienst nicht abwarten, denn weil wir sehen, daß unsere verdienst und erbarkeit bey ihr mayestät so wenig eingewurzelt, daß ein jede calumnia unverhörter unser dieselbe ausrauffet 2 0 9 , alls hetten wir auch bei aller bemiehung wenig gnadt zu ersehen unnd uns kheines schuzes zu getrösten". Als Gundaker anfragte, ob er sich auf seine Güter begeben dürfe, erhielt er den Bescheid, er möge nur „hinziehen", wodurch er sich zusätzlich beleidigt fühlte („welches wier billich hoch empfunden") und darüber sogar erkrankte. Offenbar erwartete er, ausdrücklich gebeten zu werden, wenigstens seine Tätigkeit als Geheimer Rat fortzusetzen. Gundaker ersuchte daraufhin nochmals um eine (Abschieds-)Audienz, die ihm der Kaiser auch gewährte, allerdings nur um ihm mitzuteilen, „was hin ist, das seye hin", die Stelle im Geheimen Rat bleibe ihm aber weiterhin. Ein „gueter freund" hinterbrachte Gundaker später, der Kaiser habe nach der Audienz gesagt, „der fürst von Liechtenstein ist ein fromber, erbarer man, allein in disem ambt haben wier kheine khöpf zusamen gehabt". 2 1 0
2M 2,0
ausreißt, ausrupft HALV, K. 246, a. a. O., G. v. L. an seinen Bruder Karl, „9br. 1625" (ζ. T. eh. Konzept).
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Dienste u n d Gnaden
Auf weiteren losen Blättern notierte sich Gundaker wahrscheinlich kurz vor oder nach seinem Rücktritt unter anderem: „Klage ich [sc. über die Nichtbefolgung von Befehlen], so ists ihr mayestät verdrießlich, inndeme sie vermainen, daß ich hiebey mein ambition und nicht ihr mayestät ambts reputation suche." 211 Ein Hauptstreitpunkt, der dem Rücktritt vorausging, war das Beharren Gundakers auf einem besonderen Platz in der Hofburgkapelle und bei anderen Gelegenheiten. Unterhalb des florentinischen Botschafters könne er nicht stehen, denn sonst müßte er auch den Botschaftern der Kurfürsten weichen, was nicht üblich sei, „und da ichs gleich gern ihr mayestät zu gehorsamb thete, so verweisen es mir andere [...]. Unter den gemainen leuthen zu stehen ist mir spötlich; alles aber khan durch abwesenheit remedirt werden." 212 Er habe wegen der Überhäufung mit Amtsgeschäften keine Zeit für seine eigenen Sachen, sodaß er um teures Geld „merere leut" 213 unterhalten müsse. 214 Allem Anschein nach hatte das vorläufige Scheitern der Hofkarriere Gundakers von Liechtenstein (und um ein solches handelt es sich bei seinem vom Kaiser angenommenen Rücktrittsangebot) damit zu tun, daß er sich zu wenig auf den „strategischen Einsatz der Höflichkeit" verstand. Er hielt sich nicht an die Empfehlung der Autoren der Hofschulen des 16. und 17. Jahrhunderts, sich bei Hof stets freundlich und sanftmütig zu verhalten, da man damit mehr erreichen könne als mit Härte, Starrsinn und der Berufung auf Rechte, wo doch in Wahrheit die Gnade des Fürsten das entscheidende Kriterium war, das über das Schicksal der Hofleute entschied. 215 Berechnung und Opportunismus spielten im Verhalten Gundakers zwar durchaus eine Rolle, er dürfte jedoch im November 1625 seine Prätensionen zu hoch geschraubt, sozusagen zu hoch gepokert haben. Die Ausübung des Obersthofmeisteramtes durch Gundaker von Liechtenstein 1624/25 war zwar nur eine kurze Episode. Die gescheiterten Reformversuche des Fürsten Gundaker blieben am Hof jedoch in Erinnerung, und als im Jahre 1650 oder 1651 - also noch zu seinen Lebzeiten - einer Kommission aufgetragen wurde, die Instruktionen der vier Hofstäbe durchzusehen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, griff sie in ihrem Bericht bei der Behandlung der Instruktion des Obersthofmeisters auf die Anregungen Gundakers von Liechtenstein bzw. auf die auf dessen Anfragen hin am 6. Juli 1625 ergangene kaiserliche Resolution zurück. 216
4.8. Erhebung in den Fürstenstand (1623) und Verleihung des Palatinats (1633) Am 12. September 1623 erhob Kaiser Ferdinand II. die Freiherren Gundaker und Maximilian von Liechtenstien - unter Uberspringung des Grafenstandes - in den erblichen Reichsfürstenstand. 217 In dem Fürstendiplom für Gundaker (es handelt sich um ein Pergamentlibell mit angehängter goldener Bulle)218 wird die Erhebung allgemein mit der Erhöhung des Glanzes des Kaiserthrons und des Heiligen Römischen Reiches sowie der „mil2
" Ebd., „Ursachen worumben ihr fr. g. das obristhofmaisterambt resignirt", s. d. Z u m Beharren Gundakers auf der Praezedenz und dem Vorsitz im Geheimen Rat und in der Hofburgkapelle vgl. Kapitel 7. 2.3 eh. Korrektur aus: „ainen regenten" 2.4 HALV, K. 246, a. a. O., „Ursachen des abzugs vom obristhofmaisterambt", s. d. 2.5 Beetz, Höflichkeit, S. 188-191. 2 " Vgl. das „Guettachten wegen der hofifordnung über des obristen hoffmaisters instruction" vom 27. Februar 1651 im AVA Wien, FA Harrach, K. 797; zusammengefaßt bei Mencik, Beiträge, S. 459-462, und Strobl v. Albeg, Obersthofmarschallamt, S. 60-62. Zu einem Kompetenzstreit zwischen Obersthofmeisteramt und Hofkammer in den ersten Jahrzehnten der Regierung Leopolds I. siehe die Akten im AVA Wien, FA Harrach, K. 796, Oesterreich, Hofstaat, Obersthofmeisteramt, Teil 3. 2,7 Eine gute Analyse der Erhebungen in den weltlichen Reichsfürstenstand von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des Alten Reiches bietet Th. Klein, Erhebungen. 2 " HALV, Urkundensammlung, 12. September 1623 (b); Konzept: AVA Wien, Reichsadelsakten; Abschrift ζ. B. in HALV, K. 30. 2.2
Fürstenstand u n d Palatinat
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digkait" des Kaisers und speziell mit den Verdiensten Gundakers und seiner Vorfahren, insbesondere zur Zeit des Aufstands großer Teile der evangelischen Stände der böhmischen und österreichischen Länder sowie Ungarns (1618-1620) begründet.219 Nachdem Fürst Gundaker im Jahre 1628 dem Kaiser ein vereinzeltes und seit 1631 eine Reihe von weiteren Gutachten unterbreitet hatte220 und seit 1632 in unregelmäßigen Abständen wieder an Sitzungen des Geheimen Rates teilgenommen hatte, verlieh Ferdinand II. ihm und seinen Erben („in der Primogenitur") als Zeichen der wiedererlangten kaiserlichen Gnade und zum Dank für die dem Haus Österreich geleisteten Dienste am 14. November 1633 das große Palatinat221 und erhob im Dezember desselben Jahres die Herrschaften Mährisch Kromau und Ungarisch Ostra zu einem Fürstentum 2 2 2 Gemeinsam mit der Verleihung des Titels eines Kaiserlichen Pfalz- und Hofgrafen (Comes Palatinus) erteilte der Kaiser, neben einer Reihe minder bedeutender, ausdrücklich die folgenden Rechte: Ernennung von Notaren, Legitimierung unehelich Geborener bürgerlichen und adeligen Standes (mit Ausnahme von Fürsten, Grafen und Freiherren), Freilassung von Sklaven, Erklärung der Volljährigkeit, Wiederherstellung der Ehre von Ehrlosen („ins infames restituendi" oder „ius restitutionis famae"), Kreierung von Doktoren, Licentiaten, Magistern, Baccalaurei und Poetae laureati, Verleihung von Wappenbriefen an Bürgerliche, Einhebung einer Getränkesteuer in seinen Städten, Märkten, Flecken und Dörfern („Privilegium imponendae accisae"), Betreibung von Bergwerken, Bau von Schlössern und befestigten Sitzen und Errichtung von Wochen- und
2 " „Wiewol die höche römischer kaiserlicher würdigkait durch macht ires erleuchten trones hievor nicht allain zu erleuchtung unnd würden, sonndern auch zur notturfft unnd zierung des heiligen römischen reichs großmächtigkait mit fiirsten, ständten unnd hochen edlen geschlächten gezieret ist, yedoch sintemalen durch absterben der menschen solche hoche geschlächte ye zu zeitten in mangel unnd abnemmen gerathen, unnd ye mehr die kaiserliche hochhait dieselben irem stattlichen herkommen, wolhaltten unnd verdienen nach mit höchern ehren unnd würden fiiersihet unnd begäbet, ye herrlicher der tron kaiserlicher mayestett dardurch gezieret unnd scheinbarlicher gemacht, auch die untterthonen bey erkanndtnus kaiserlicher mildigkait unnd irem schuldigen gehorsambe erhaltten unnd zu adelichen tugendten, ehrlichen ritterlichen thatten unnd getreuen, stäthen unnd beständigen diensten bewegt unnd geraitzet werden. [...] Wann wir nun gnädigclich angesehen, wahrgenommen unnd betrachtet der sambtlichen herrn von Liechtenstain uhralt herrlich herkommen, auch welcher gestalt furnemblich der wolgeborne, unser lieber getreuer Gundackher herr von Liechtenstain unnd Nicolspurg auff Mährischen Cromaw, Ostro [.Mererisch Cromaw, Ostro': im Konzept im AVA am Rand mit Bleistift nachgetragen], Wilferstorff, Mistelbach, Polstorff unnd Ringelsdorff, unser gehaimber rath unnd cammerer, sich zum zwaiten mahl durch heurath mit ansehenlichen königclichen, auch chur- unnd fürstlichen heusern befreundet unnd verwahnt gemacht hat [,sich zum zwaiten mahl' bis .gemacht hat' fehlt im Konzept im AVA], auch die fiirtrefflichen, ansehenlichen nutzunnd ersprüeßlichen dienste, so ire vorelltern von villen hundert jähren hero weilendt unsern hochgeehrten vorfahren, römischen kaisern, königen, dem heiligen reiche unnd unserm löblichen ertzhaus Österreich, furnemblich aber obbesagter Gundackher herr von Liechtenstain [...] weilendt beeden unsern geliebten herrn vettern, vättern unnd nächsten vorfahren, kaiser Rudolffen dem andern unnd kaisern Matthiae [...], auch uns seider unsern angetrettnen kaiser-, königclich- unnd landtsfurstlichen regierungen in ansehenlichen legationen unnd schickhungen sowol außer- als innerhalb des heiligen römischen reichs zu fiirnemmen königen, potentaten, chur- unnd fiirsten, auch sonsten in trag- unnd Verrichtung fiirtrefflicher hoffunnd landambter und in andere mehr wege zu allerseitts gnädigistem wolgefallen, belieben unnd genüegen zu seinem selbst sonnderbarem rhuemb, furnemblich bey unnd untrer denen vor ettlich verschinenen jähren angespunnen unrhuen, rebellionen unnd widerwerttigkaiten mit auffrecht gehorsamister trewe unnd standthafftigkait, auch ye zuweilen nicht ohne merckliche gefahr seines leib unnd lebens, auch guettem thail verlust seiner herrschafften, landt, haab unnd güetter stäths willig unnd unverdrossenlich erzaigt unnd bewisen hatt, solches noch täglichs thuet unnd fürohin nicht weniger zu laisten unnd zu ertzaigen des gehorsamisten erpiettens ist, auch wol thuen kann, mag unnd solle."
Siehe Kapitel 5.4, 5.5 und 5.7. HALV, Urkundensammlung, Wien, 14. November 1633; Konzept im AVA Wien, Reichsadelsakten. Im April 1635 war das Diplom noch immer nicht ausgefertigt (vgl. unten S. 202). 222 Siehe Kapitel 9.1. 220 221
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Dienste und Gnaden
Jahrmärkten auf seinen Gütern und Herrschaften, Verleihung von Lehen („ius investiendi") sowie das Münzrecht auf eigenes Münzbild (unter eigenem Bildnis). Anfang August 1643 wandte sich Fürst Gundaker mit der Bitte, seinen Palatinatsbrief um das Privilegium nobilitandi zu erweitern, an Ferdinand III., da dieses Recht auch in dem seinerzeit dem Grafen, nunmehr Fürsten Maximilian von Dietrichstein erteilten Palatinatsbrief enthalten sei. 2 2 3 Johann Stuber, der Hofmeister seines Sohnes Ferdinand Johann, berichtete am 8. August, er habe das Gesuch dem Kaiser übergeben. 224 Nachdem die Bitte mehrmals (im Januar 1644, im Juni 1647, im Juni 1650, im April und Mai 1651, im Februar 1652 und vermutlich noch öfter) wiederholt und verschiedentlich - v. a. beim Reichsvizekanzler Ferdinand Siegmund Graf Kurz - sollizitiert worden war 2 2 5 , erweiterte Ferdinand III. am 23. Oktober 1654 endlich das von seinem Vater verliehene Palatinatsdiplom um die Befugnis zur Nobilitierung. 2 2 6 Zwischen 1524 und 1806 vergaben die römisch-deutschen Kaiser insgesamt etwa 100 sogenannte große Comitive. 2 2 7 Empfänger des großen Palatinats waren von den Anfängen unter Karl IV. im 14. Jahrhundert bis zur Auflösung des Reichs ausschließlich kaisertreue Adelsfamilien - als Belohnung und Ansporn für andere; im Palatinatsbrief für Gundaker von Liechtenstein aus dem Jahre 1633 heißt es ausdrücklich, das Palatinat werde ihm verliehen „zu etwas ergözlichkeit und erkandtnus dessen [sc. seiner Verdienste um das Haus Österreich] und damit auch andere zu dergleichen diensten umb sovil desto mehr geraizet werden". 2 2 8 Fürst Gundaker machte von den mit dem Palatinat verbundenen Rechten einen sehr sparsamen Gebrauch. Das wahrscheinlich etwa seit der Mitte der dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts vor allem als Repräsentations- und Ehrenrecht aufgefaßte Münzrecht 2 2 9 übte er überhaupt nicht aus, während es seinem Bruder Karl, Paul Sixt Trautson, Hans Ulrich von Eggenberg, Albrecht von Wallenstein und einigen anderen gleichzeitig bzw. wenige Jahre zuvor noch als bedeutende Einnahmequelle diente bzw. gedient hatte. 2 3 0 Als Gundaker 1629 für sein Mündel Karl Eusebius zu münzen begann, wurde ihm dies vom Kaiser untersagt. 231 Die gundakarische Linie des Hauses Liechtenstein münzte erst nach dem Aussterben der Karlischen Linie, und zwar erstmals im Jahre 1728. 2 3 2 Auch das Recht der Erhebung in den Adelsstand wurde von Angehörigen der gundakarischen Linie erst nach dem Aussterben der älteren Hauptlinie (1712) ausgeübt, und zwar erstmals im Jahre 1717. 2 3 3 Nach dem derzeitigen Kenntnisstand erteilte Fürst Gundaker nicht mehr als fünf Wappenbriefe, den ersten 1637 und den letzten 1650. 2 3 4 Der Verleihung ging fur gewöhnlich
HALV, Hs. 271, S. 364f. (Abschrift). Ebd., S. 372 (Abschrift). 225 Ebd., S. 364 (Marginalnotiz); HALV, Hs. 277, Repertorium s. v. „Nobilitandi Privilegium", und Hs. 278, S. 55 f. 226 HALV, Urkundensammlung, (Kaiser-)Ebersdorf, 23. Oktober 1654; Konzept im AVA Wien, Reichsadelsakten. 227 Arndt, Entwicklung, S. XII A. 37. Zur Typologie der Palatinatsbriefe (großes, kleines und institutionelles Palatinat) siehe ebd., bes. S. VIII-XV. 228 Ebd., S. XX; HALV, Urkundensammlung, a. a. O. Vgl. auch Ribbe, Ämterkauf. 225 Holzmair, Münzgeschichte, S. 6: „Wenn die Prägetätigkeit der österreichischen Standesherren auch kaum je eine geldwirtschaftliche Notwendigkeit war, so ist sie doch erst in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege zu einer bloßen Angelegenheit der Repräsentation und der Demonstrierung eines auszeichnenden Rechtes geworden." 230 Vgl. Holzmair, Münzgeschichte; Schulz, Beiträge; ders., Münzrechtsverleihungen; Nohejlovä-Pritovä, Münzwesen. Vgl. auch unten Kapitel 13.1. 251 Schulz, Beiträge, S. 53. 232 Ebd., S. 16. Vgl. v. a. Missong, Münzen. 233 Arndt (Bearb.), Hofpfalzgrafen-Register, Bd. 1, S. 77 f. 234 Ebd., S. 76 f. 223 224
Fiirstenstand u n d Palatinat
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eine Supplikation des zu Privilegierenden voraus. Johann Fritz, der langjährige Regent (Oberhauptmann) über die Güter und Herrschaften Gundakers, ersuchte seinen Herrn im Jahre 1642, er möge ihm „als dero nunmehr alten getreuen diener ein wappen dero gn(ädigsten) erkhandtnus und belieben nach solcher gestalten in fiirstl. gnaden ertheilen, daß nicht allein ich mich, sondern mein weib [und] kinder, auch meine brüder, derselben kinder und allso alle unsere erben und nachkhomen sowol weiblichen als männlichen geschlechts von unserm stamen und nahmen sich dessen vor jedermeniglichen ohne eintrag und verhindernus fiieglich gebrauchen, erfreuen und genießen können und mögen". Am 13. Dezember 1642 beschied Gundaker seinen Regenten im Hinblick auf dessen Person, Frau und Erben positiv, „vor seinen bruder aber, weil er nicht adeliche dienst wie er bedient, ists nicht verwilligt; doch khan wol in das diploma einverleibet werden, wenn der supplicant ohne leibserben abstürbe, daß das wappen auf seinen bruder erbte." 235 Der Wappenbriefwurde jedoch nicht sogleich ausgefertigt, denn Ende Februar 1643 wiederholte Fritz seine Bitte. 236 Wenige Tage später war es dann soweit: Am 4. März 1643 unterfertigte Fürst Gundaker auf Schloß Wilfersdorf den erbetenen Wappenbrief für den gebürtigen Wilfersdorfer, der Gundaker bis dahin vier Jahre als Pfleger und neun Jahre als Regent gedient hatte. Er erlaubte dem Regenten, seiner „hausfrau" und ihren Erben, in einem mit einem Stechhelm gezierten Schild das „alte", in gelb (gold) und rot geteilte liechtensteinische Wappen zu fuhren, und zwar mit einem gekrönten halben roten Greif im oberen Feld, der in der rechten „prazen" ein weißes Kreuz und in der linken „pratzen" eine Weintraube hält, und einem von einem weißen Kreuz bekrönten grünen Hügel im unteren Feld. 237 Wahrscheinlich im November 1650 kam der aus Mährisch Kromau gebürtige Severin Kärpischek im eigenen und im Namen seines Bruders Johannes supplicando um die Verleihung eines Wappens ein. Severin stand damals seit 26 Jahren in den Diensten des Fürsten Gundaker. Er hatte ihm vier Jahre als „Knabe", drei Jahre als Gehilfe der Oberhauptleute, zwei Jahre als „Kanzleiverwandter" in der Hofkanzlei, anderthalb Jahre als Kastner, vier Jahre als Rentschreiber, fünf Jahre als Buchhalter, anderthalb Jahre als Verwalter des Regentenamts und seither fünf Jahre als Pfleger und Hauptmann der Herrschaften Rabensburg und Hohenau gedient. Johannes Kärpischek befand sich seit über 15 Jahren in Gundakers Diensten. Er hatte ihm fünf Jahre als Hofkanzleijunge und seither durch mehr als zehn Jahre als Hofkanzleiregistrator gedient. 238 Bereits am 6. Dezember 1650 ließ Gundaker den Wappenbrief für die beiden Brüder ausstellen 2 3 9 Zwischen 1645 und 1654 sprach Gundaker von Liechtenstein neun Legitimationen Unehelicher bzw. Restttutiones famae aus. 240 Zum Beispiel restituierte er im Jahre 1650 die Ehre des aus Mistelbach gebürtigen Fleischhauers Matthias Köppler, der nach einem Diebstahl fur ehrlos erklärt worden war. Er ermöglichte ihm damit die Wiederausübung seines Handwerks, die ihm ansonsten trotz erfolgter Abbüßung der Strafe verwehrt geblieben wäre. 241 Unter ausdrücklicher Berufung auf den Palatinatsbrief erteilte Fürst Gundaker im Februar 1642 dem zur Herrschaft Wilfersdorf gehörenden Markt Obersulz, der damals weder einen Wochen- noch einen Jahrmarkt abhielt, zwei Jahrmärkte (am ersten Sonntag nach Ostern und am Leopolditag) und einen Wochenmarkt (jeden Samstag), nachdem ihn die Obersulzer im Jahre 1635 erstmals darum gebeten hatten. 242 Dieser Verleihung gingen jah23i
HALV, Hs. 157, S. 573 (Abschrift). HALV, Hs. 271, S. 99a (Abschrift). 237 Ebd., S. 111-114 (Abschrift). 238 HALV, Hs. 275, S. 381 (Abschrift). 239 Ebd., S. 389-392 (Abschrift). 240 Arndt (Bearb.), Hofpfalzgrafen-Register, Bd. 1, S. 77 f. 241 HALW, Κ. Η 1296, Konzept der am 24. Mai 1650 in Schloß Ebergassing ausgestellten Urkunde. 242 Hinweis im HALV, Urkundensammlung, 3. Februar 1642. Vgl. die Vorakten im HALW, Κ. Η 1295 und Η 1296. 236
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Dienste u n d G n a d e n
relange Verhandlungen mit den umliegenden Marktorten (Poysdorf, Mistelbach, Asparn, Zistersdorf, Großschweinbarth, Jedenspeigen, Drösing u. a.) voraus. Ende April 1635 schrieb Fürst Gundaker in dieser Angelegenheit von Liechtenstein (Kromau) aus an seinen Wiener Anwalt Dr. Michael Wiersing. Er teilte ihm mit, daß ihn die Untertanen in seinem Markt Obersulz ersucht hätten, ihnen zur Verleihung eines Jahr- und eines Wochenmarktes zu verhelfen. Es sei Dr. Wiersing sicher bewußt, daß in solchen Fällen die Obrigkeit das Begehren der Untertanen üblicherweise „intercedendo" an den Kaiser als Landesfiirsten gelangen lasse, von wo es an die Niederösterreichische Regierung weitergeleitet werde. Diese schicke es an die benachbarten Marktorte um zu erfahren, ob sie Einwände gegen die Verleihung der Marktrechte hätten. „Dieweillen ihre kayserliche mayestät uns einen palatinat[sbrief] mit inserierten underschiedlichen Privilegien, darunter auch die jähr- und wochenmarckht zu geben einverleibt ist, bei der reichskanzlei auszuferttigen allergnädigst verwilliget und wier derselben ausferttigung täglich erwartten [!], als weren wier gedacht, obgemelten unsem underthanen den gebettnen jähr- und wochenmarckht crafft angeregten privilegii [...] selbst zu ertheillen, vorhero aber den benachbarten obrigkheitten [...], damit sie sich hernach wider unser ertheilung des jähr- und wochenmarkts nicht sezten, zuezuschreiben, jedoch ganz unvermeld, daß wier solch Privilegium haben, dann wier wollen nicht, daß sie wissenschafft davon haben, weill zu besorgen, daß es etliche ex invidia zu verhindern sich bemüehen m ö c h t e n . " 2 4 ^
Dr. Wiersing riet dem Fürsten dringend von dem Vorhaben ab, die umliegenden Herrschaften und Marktorte von sich aus um Bericht anzugehen, denn das könnte ihm als Eingriff „in des landtsfiirsten hoheheitt und iurisdiction" ausgelegt werden, worauf „gar ein hohe strafferfolgen könte, sonderlich weilen das palatinat noch nit gefertigt". Überdies erstrecke sich das Recht des Fürsten Gundaker, Marktrechte zu verleihen, seiner Ansicht nach nur auf des Fürsten „eignes territorium", während Obersulz „mit andern hern gemischt" sei. 2 4 4 Gundaker akzeptierte das Gutachten seines Anwalts grundsätzlich, gab ihm aber zu bedenken, daß Obersulz zwar nicht sein alleiniges „eignes territorium" sei, sondern „mit andern herrn gemischt", daß er dort aber die Markt- und Landgerichtsobrigkeit innehabe. 245 Fürst Gundaker führte die der Verleihung der Marktrechte an die Obersulzer vorangehenden Verhandlungen mit den interessierten Bürgern und Grundherren (u. a. mit dem Grafen Rudolf von Teuffenbach als Inhaber der Herrschaft Zistersdorf) schließlich doch im eigenen Namen, ohne Vermittlung der Niederösterreichischen Regierung oder Kammer. 2 4 6 Wie es scheint, bediente sich Gundaker der ihm vom Kaiser durch die Verleihung des Palatinats übertragenen Privilegien nur sehr selten und fast ausschließlich zur Belohnung bzw. zur Wiederherstellung der Ehre von eigenen Untertanen, Beamten und untertänigen Gemeinden (Wappenbriefe fur die Gemeinde Obersulz 1642 und die Stadt Mährisch Kromau 1644 2 4 7 , Marktrecht fiir Obersulz). Eine Ausnahme bilden nur die vier (oder fünf) in den Jahren 1645 und 1646 (oder bis 1647) in Marburg an der Drau beurkundeten Legitimationen. 2 4 8 Wie die schließlich erfolgreiche Bemühung um das allem Anschein nach niemals ausgeübte Privilegium nobilitandi zeigt, war das Palatinat fiir Gundaker von Liechtenstein vor allem als äußeres Zeichen der kaiserlichen Gnade von Bedeutung, dessen Nichtbesitz ein rangmäßiges Zurückfallen hinter andere Neufiirsten und Hofadelige signalisiert hätte. HALW. Κ. Η 1295, G . v. L. an Dr. Wiersing, Liechtenstein, 28. April 1635 (Konzept). Ebd., Dr. Wiersing an G . v. L . , W i e n , 15. Mai 1635. U m 1590 hatte Obersulz 98 Häuser. Davon waren 59 der Herrschaft Wilfersdorf Untertan, die übrigen 39 verteilten sich auf mehrere Herrschaften (mehr als die Hälfte davon, nämlich 20, gehörten zur Herrschaft Matzen des Herrn Karl von Herberstein). Graf, Viertel unter dem Manhartsberg, S. 185, Nr. 427. 245 HALW, Κ. Η 1295, G . v. L. an Dr. Wiersing, Wilfersdorf, 1. Juni 1635 (Konzept). 246 Vgl. die ebd. verwahrten Akten. 247 Siehe Kapitel 11.3.5. 241 Arndt (Bearb.), Hofpfalzgrafen-Register, Bd. 1, S. 76. 243
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5. Ratschläge für Kaiser und Erzherzöge Die Gutachten und Denkschriften Gundakers von Liechtenstein Henry F. Schwarz äußerte zu Recht eine hohe Meinung von den Fähigkeiten und Fachkenntnissen Gundakers von Liechtenstein: „To judge from his activities in connection with the attempted reform of the Hofkammer in 1614-1615, and the numerous opinions which he sent privately to the Emperor, Liechtenstein was a man of more than ordinary understanding and ability. His suggestions for the reform of the financial side of the government as well as of the central administration in general, his clear analysis of political problems, give evidence of high intelligence."1 Für uns sind Gundakers Gutachten und Denkschriften aber nicht nur Zeugnisse für die Ansichten eines einzelnen begabten, erfahrenen und kenntnisreichen Mannes, sondern eine erstrangige Quelle fiir die politischen Anschauungen und Reformvorstellungen des katholischen, im Hof- bzw. Staatsdienst stehenden oder dem Kaiserhof zumindest nahestehenden katholischen Hochadels der österreichischen und böhmischen Länder in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Dabei ist es nicht so wesentlich, daß die Reformvorschläge Gundakers von Liechtenstein - im Unterschied etwa zu jenen Emsts von Traun 2 - vielfach nicht oder erst nach dem Tod des Autors realisiert wurden. Die wohlwollende Zustimmung, auf die Gundakers Gutachten stießen, legt den Schluß nahe, daß zumindest einige der fuhrenden Männer am Kaiserhof sowie die Kaiser selbst die Vorschläge gerne befolgt hätten, wenn es die Umstände (Adelsopposition vor und Kriegswirren nach 1618) erlaubt hätten. Überdies enthalten die Gutachten zahlreiche „Insiderinformationen" über die Zustände am Kaiserhof und bei den Zentralbehörden.
5.1. Vorschlag betreffend die Errichtung einer Ritterakademie in Wien (1612) Gleich der erste bekanntgewordene Vorschlag, den Gundaker von Liechtenstein dem Kaiser und österreichischen Landesfursten machte, nämlich seine 1612 vorgelegte Idee, die kaiserliche Landschaftsschule in Wien in eine Ritterakademie umzuwandeln, wurde von Oskar von Mitis „zu den interessantesten Episoden unserer [d. h. der österreichischen] Erziehungsgeschichte" gezählt.3 Die Denkschrift wurde am 30. Juni 1612 Kaiser Matthias über-
1 Schwarz, Privy Council, S. 125. Vgl. auch das Urteil Jean Birengers über die Reformvorschläge Gundakers von Liechtenstein: „Ses difftrents projets de reforme sont le produit de son experience." Berenger, Pour une enquete, S. 184. ! „Im Gegensatz etwa zu Gundakar von Liechtenstein, der immer wieder ausgezeichnete Ideen hatte, sie aber nicht durchführen konnte, gelang es Emst von Traun, seine Vorstellungen in die Tat umzusetzen." Hoyos, Ernst von Traun, Teil I, S. 92. ä Mitis, Anteil, S. 88.
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Ratschläge fiir Kaiser u n d Erzherzöge
geben. 4 Das Liechtensteinische Hausarchiv verwahrt zwei Exemplare (Konzepte oder Abschriften) davon. Auf jenem Stück, das zur Gänze von Gundakers eigener Hand stammt, steht als kurze Zusammenfassung des Inhalts: „Wie man den adl erziehen soll; wie man den adl in des herrn [sc. des Landesherrn!?] dienst zu nutz ieben und wol abrichten kan." Das von Kanzleihand stammende Exemplar trägt den Vermerk: „Guettachten wegen anrichtung einer academia." 5 Einleitend bekundet Gundaker, der damals 32 Jahre alt war, seine Uberzeugung, „daß zu gueter education und disciplin der jugend vor allen die academien, allermaßen dieselben von langer zeit hero in Frankhreich und Italien gewest, auch neulich in Niderland und Hessen 6 angericht worden, sehr nutz- und dienstlich" seien, da in ihnen Lehrmeister gehalten würden, „die da unterrichten erstlich in allerley sprachen, als französisch, spänisch, welsch, ungerisch, böhmisch etc., zum andern in allerley freyen künsten, als in mathematica, architecture civili und militari, musica etc., [und] zum dritten in allerley adelichen exercitien, als reiten, fechten, turniern, voltegiern, dantzen und dergleichen". Deshalb macht Gundaker den Vorschlag, „dergleichen anzurichten". Als „nuzbarkeiten, welche sowoll dem landsfursten als denen löbl. landtstenden in gemein und in privato zu sondern nuzen aus anrichtung obgemelter academia endstehen werden", fuhrt er erstens die Kostenersparnis an („gereichet solches zu erspahrung unkostens, den dieser gestald kan die jugend mit dem halben theil des unkostens, so sie anjezo in frembden landen anwenden mueß, allerley sprachen, freye künst und exercitia in ihren vatterland lehrnen"). Zweitens biete eine derartige Erziehung im Land den Eltern und Verwandten der jungen Adeligen wegen der Möglichkeit persönlicher Inspizierung und Kontrolle sowohl der Schüler als auch der Hofmeister und Präzeptoren eine größere Sicherheit „gueter erziehung der jugend, als wenn sie die noch fast kündische jugend in die ferne mit den praeceptoribus verschikhen". Drittens könne „die jugend, wen sie erstlich in der kindheit die sprach gelernet, alsdann, wan sie erwaxen ist und mehrers iudicium bekommen hatt, mit mehrerm nuzen die frembden lender durchreisen". In reiferem Alter könne die Jugend auch das, was man „bey verlustrierung der lender observiren solte", besser begreifen, nämlich „die gebreuch und ritus der nationen, gelegenheit des lands etc.". Andererseits dürfe man mit dem Erlernen der Fremdsprachen nicht zu lange zuwarten, da es die Jugend sonst sehr hart ankomme, „insonderheit wegen der pronunciation". Viertens gereiche die Errichtung einer adeligen Akademie im besonderen der Stadt Wien zum Nutzen, denn viele Fremde und Einheimische würden ihre Kinder zur Erziehung hinschicken, wodurch der Absatz aller Waren vergrößert würde. Außerdem fördere die Existenz einer derartigen Akademie den Ruf einer Stadt im Ausland, wie die Beispiele von Padua, Bologna, Siena, Pisa, Perugia und vieler anderer italienischer Städte zeigten. Fünftens würden davon sowohl die Landstände als auch der Landesfürst profitieren. Nicht nur würden sich erstere dadurch „vor sich selbst zu ihren landsdiensten unter ihren mitgliedern guete, wolqualificirte leuth erziehen", sondern auch der Landesfürst würde dann umso lieber „seine rahttscollegia mit in tugenten exercirten landtleuten ersezen". Was dem Land daran gelegen sei und was es für einen großen Nutzen daran habe, daß die landesfurstlichen Räte „mit verstendigen adelichen landleuten" besetzt seien und nicht mit bürgerlichen und/ 4
Das beweisen sowohl die Formulierungen „als hab ich e. k. m. dergleichen anzurichten hiemit gehör, proponiern wollen", „hab ich [...] euer kayserl. mayestät zu gemüeth fuhren wollen" etc. im Reinkonzept (HALV, K. 244), als auch Gundakers Hinweis in einem Brief an seinen Sohn Ferdinand Johann im Jahre 1653 (HALV, Hs. 279, S. 247 [Abschrift]). Mitis, Anteil, S. 88, nennt, offenbar irritiert durch die durchgestrichene Anrede auf dem eh. Exemplar: „Durchleichtigister ertzherzog, genedigister fürst und herr", fälschlich Erzherzog Ferdinand als Adressaten. - Möglicherweise wurde die Denkschrift bereits vor der Krönung Matthias' zum König von Ungarn (1608) konzipiert. 5 HALV, K. 244. 6 Nämlich das 1598 gegründete Collegium Adelphicum Mauritianum in Kassel. Vgl. Conrads, Ritterakademien, S . 1 1 5 - 1 3 1 und 157-159.
Errichtung einer Ritterakademie in Wien
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oder aus fremden Nationen stammenden Räten, das sei „aus den alten und gar neuen Historien kundbar". Sechstens sei es fur die Landstände sowohl löblich und rühmlich als auch nützlich, derartige „tugenden, adeliche künste und exercitien in ihrem vatterlandt [zu] pflanzen". Siebentens erwerbe sich dadurch „das land ein affection der frembden nationen", denn für gewöhnlich werde ein tugendsames adeliges Gemüt gegen jene Orte, an denen es etwas Gutes empfangen oder gerlernt hat, „mit lieb und dankh affectionirt". Achtens diene es auch dem Landesfiirsten, wenn die „ingenia" der adeligen Jugend „exercirt und excoliert" werden, da sie dadurch „habiliores werden, in frid- und kriegszeiten zu wichtigeren sachen" gebraucht zu werden. 7 Nach Gundakers Vorstellungen sollte die Ritterakademie offenbar von den Landständen auf deren Kosten im Gebäude der wenig florierenden kaiserlichen Landschaftsschule 8 untergebracht und betrieben werden. Die Stände, schlug er vor, mögen den Kaiser gehorsamst „umb die landtschaftsschuel" bitten, „dieweil diesergestalt ihr mayestät und das land ohnedas wenig nutzen davon haben". Die katholische kaiserliche Landschaftsschule war 1565 eröffnet worden und seit 1568 in einem in unmittelbarer Nähe des Dominikanerklosters gelegenen Neubau untergebracht. Sie wurde seither mit - insbesondere infolge der Religionsstreitigkeiten und wegen Finanzierungsschwierigkeiten - eher mäßigem Erfolg und Zulauf auf Kosten des Kaisers und der (nur zum Teil adeligen) Eltern der Zöglinge, die ein Kostgeld zu entrichten hatten, als humanistische Lateinschule gefuhrt. Im Jahre 1612 stand ihr als Rektor Andreas Lechler vor, Professor der Logik und Dialektik und viermaliger Rektor der Wiener Universität. 9 Kaiser Matthias soll auf Gundakers Anregung hin tatsächlich den Befehl gegeben haben, in Wien eine Ritterakademie einzurichten und dazu Gundaker von Liechtenstein und Karl von Harrach, der möglicherweise im selben Jahr 1612 zum Geheimen Rat ernannt wurde 10 , deputiert haben. 11 Die Sache verlief allerdings im Sande. Im Jahre 1616 unterbreitete ein Italiener namens Alessandro Massaria Malatesta den niederösterreichischen Ständen zwei Offerte zur Errichtung und Betreibung einer Ritterakademie. Die - konfessionell zerstrittenen - adeligen Stände gingen auf das Angebot nicht ein. 12 Als die kaiserliche Landschaftsschule im Jahre 1623 den Jesuiten übergeben wurde, versprach Ferdinand II., dem Adel ein Äquivalent dafür zu verschaffen. Das Thema tauchte in den folgenden Jahrzehnten immer wieder auf, jedoch lange Zeit ohne konkretes Ergebnis. In seinen im November 1641 dem Kaiser übergebenen Gedanken über die Reform der Zentralverwaltung kam Gundaker von Liechtenstein auch auf seinen Akademieplan zurück. Er
7 Der ganze Vorschlag beweist die Richtigkeit des Urteils, der Fächerkanon der Ritterakademien stelle „einen Kompromiß zwischen Machtstaatserfordernissen (moderne Sprachen, politische Wissenschaft, Festungsbau, römisches Recht, Lehnsrecht, Geschichte) und adligem Standesbewußtsein (Genealogie, Heraldik, Fechten, Reiten, Ritterspiele etc.) dar, angereichert mit humanistischen Elementen". Braungart, Hofberedsamkeit, S. 62. 8 Nicht zu verwechseln mit der 1546-1554 und 1576-1578 von den protestantischen Ständen in Wien in einem Haus bei den Minoriten betriebenen, 1578 nach Horn und 1584 in das liechtensteinische Mistelbach verlegten und 1592 aufgelösten protestantischen Landschaftsschule. Vgl. Hübl, Die Schulen, S. 366-371; Reingrabner, Zur Geschichte der protestantischen Landschaftsschule; Heiss, Konfession, S. 23, 40 fF. und 49 ff. - Eine Hauptaufgabe der protestantischen „Landschaftsschulen" in den nieder- und innerösterreichischen Ländern in der zweiten Hälfte des 16. und im frühen 17. Jahrhundert bestand darin, die jungen Adeligen zu befähigen, ihren Glauben und ihre Privilegien bzw. die Rechte des Landes, insbesondere der adeligen Landstände, gegenüber dem katholischen Landesfiirsten und seinen Beamten und Behörden rhetorisch-argumentativ zu verteidigen. Heiß, Argumentation fiir Glauben und Recht. 9 Wolf, Landesschule; Hübl, Die Schulen, S. 371-382; Klingenstein, Aufstieg des Hauses Kaunitz, S. 141. 10 Schwarz, Privy Council, S. 243. " HALV, Hs. 279, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand, Ungarisch Ostra, 22. März 1653 (Abschrift). 12 Heischmann, Anfänge, S. 212 f.
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Ratschläge für Kaiser und Erzherzöge
schlug vor, in den böhmischen und österreichischen Ländern mehrere Akademien zu errichten, „in welchen der adl mit weniger Unkosten und mit mehrerer Sicherheit als in frembden landen allerlei sprachen und adeliche exercitia und scientien erlernen khan". 13 Um die Mitte des 17. Jahrhunderts berieten die niederösterreichischen Stände wiederholt über die Frage, ob es nicht sinnvoll und dem Vaterland nützlich wäre, eine Akademie zu errichten, in der die adelige Jugend in den adeligen Übungen und in fremden Sprachen unterwiesen würde, um auf diese Weise die bisher zu deren Erlernung außer Land gebrachten Gelder im Land zu halten. Aus diesem Anlaß holte Gundaker von Liechtenstein 1653 sein vor vierzig Jahren verfaßtes Gutachten hervor und beteiligte sich damit wahrscheinlich an der Diskussion. 14 Möglicherweise übersandte er im März 1654 eine Abschrift des Gutachtens an die niederösterreichische Regierung. Leider läßt es sich aber nicht beweisen, daß sich die folgende Notiz in den „Digesta Consuetudinum et Rerum Judicatarum Excelsi Regiminis Inferioris Austriae" des 1662 gestorbenen niederösterreichischen Regimentsrates und Regimentskanzlers Dr. Johann Baptist Suttinger auf Gundakers Gutachten bezieht: „Von aufrichtung ainer landtschafftsschuell oder collegii fur die adeliche jugendt ist ein schönes, ausführliches guttachten bey der registratur verhanden, de dato 5. Martii 1654." 15 Daher muß auch die Frage unbeantwortet bleiben, ob Gundaker nach vier Jahrzehnten sein Gutachten unverändert wiederholt bzw. was er daran verändert hat. 1658, im Todesjahr des Fürsten Gundaker, erbauten die niederösterreichischen Stände für die Unterrichtung der jungen Kavaliere eine landschaftliche Reitschule in der Roßau, bei der ursprünglich auch die geplante adelige Akademie entstehen sollte. Die Reitschule ging jedoch vor Ausführung des Plans im Juli 1683 auf Befehl Ernst Rüdigers von Starhemberg gemeinsam mit allen anderen Gebäuden in den Wiener Vorstädten in Flammen auf. Nach langen Beratungen wurden die Reitschule und die Akademie der niederösterreichischen Stände endlich im Jahre 1692 in neu errichteten Gebäuden (Hauptgebäude, Sommer- und Winterreitschule, Stallungen fur die 40 Schulpferde, Stadel und Schmiede) in der Alserstraße, auf dem späteren Areal der Oesterreichischen Nationalbank, eröffnet. 16 Die Akademie bestand bis 1749. 17 Die Grundlage fiir die Einrichtung der unter dem Protektorat des Kaisers von den Ständen geführten und finanzierten Akademie bildete der am l . M ä r z 1663 erstattete Bericht einer von den Landständen eingesetzten Kommission. 18
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Mitis, Anteil, S. l l l f . Am 22. März 1653 ersuchte Fürst Gundaker von Ungarisch Ostra aus seinen Sohn Ferdinand, das „guttachten, wie man ein academie auff- und ahnrichten solle", das er vor Zeiten „dem kayser Mathiae [...] übergeben" habe und das er ihm, Ferdinand, seinerzeit überlassen und offenbar nicht zurückerhalten habe, in Abschrift zu überschicken. Fürst Ferdinand erwiderte am 23. März, er könne das Gutachten bisher nicht finden, werde aber weiter suchen. Am 26. Juli wiederholte Gundaker seine Bitte. Es dauerte bis zum 17. November 1653, bis Ferdinand seinem Vater endlich mitteilen konnte: „Nach langen suechen hat sich das guettachten wegen auffrichtung einer academia [...] gefunden"; am 24. November quittierte Gundaker von W i e r s d o r f aus dankend den Empfang des Gutachtens. HALV, Hs. 279, S. 247, 279, 611 f., 805 und 808f. Einige der Originale der betreffenden Briefe liegen im HALW, Κ. Η 1657. 15 N Ö L A St. Pölten, Abt. Ständisches Archiv, Hs. 182, fol. 277'. Das Gutachten findet sich weder unter den Akten der Ständischen Registratur (Fasz. B - 8 - 8 / 1 - 3 ) noch in dem in Frage kommenden Ständischen Buch Nr. 314 im NÖLA. Das Archiv der Niederösterreichischen Regierung aus dieser Zeit ist fast vollständig verloren. Feigl/Petrin, Quellen, S. 51. In der Hs. 603 des HALV findet sich kein Hinweis auf ein Schreiben G.s v. L. an die Niederösterreichische Regierung oder die Stände des Landes Österreich unter der Enns in den ersten Monaten des Jahres 1654 (freundliche Auskunft von Frau Dr. Evelin Oberhammer). 16 A. Mayer, Akademie; Hübl, Die Schulen, S. 382-393; Conrads, Historie; Druck des kaiserlichen Privilegs fiir die landständische Akademie aus dem Jahre 1694 in Codex Austriacus, Teil 1, S. 10-15. 17 1751 kaufte die Hofkammer die Gebäude und ließ sie demolieren. An ihrer Stelle wurde eine Kaserne errichtet, die spätere Alserkaserne. Nach deren Demolierung im Jahre 1912 entstand auf ihrem Areal das Gebäude der Oesterreichischen Nationalbank. Czeike, Lexikon, Bd. 1, S. 61 f., und Bd. 3, S. 673. " Vgl. A. Mayer, Akademie, S. 315-320; Hübl, Die Schulen, S. 383 f. 14
Errichtung einer Ritterakademie in Wien
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Über das Programm der Akademie informiert eine von den Ständen 1692 in einer deutschen und einer lateinischen Version in Druck gegebene Werbeschrift („Benachrichtigung" bzw. „Publica dilucidatio"), in der es - ganz in Ubereinstimmung mit dem vor 80 Jahren gemachten Vorschlag Gundakers von Liechtenstein - heißt, es sei seit langem bekannt, daß die adelige Jugend der kaiserlichen Erblande bisher in die Fremde verschickt werden mußte, um dort „mit grossen Unkosten/ Wagnuß/ vnd Gefahr" die adeligen Künste und Wissenschaften zu erlernen, was ab sofort in der neuen ständischen Akademie erfolgen könne.19 Norbert Conrads konnte in seiner Habilitationsschrift nachweisen, daß der Gedanke der Errichtung von Standesschulen für den Adel mit spezifischen Lehrplänen in Deutschland sehr stark von dem Akademieplan beeinflußt wurde, den der Hugenotte Francois de la Noue, ein Angehöriger der um Vermittlung zwischen den Bürgerkriegsparteien bemühten Gruppe der Politiques, 1587 in französischer Sprache vorlegte und der 1592 auch in einer deutschen und 1601 in einer von dem gelehrten böhmischen Herrn Radslav Kinsky (Vchynsky ze Vchynic a ζ Tetova) besorgten lateinischen Ausgabe erschienen ist.20 Als Vermittler diente besonders der braunschweigische Stallmeister Georg Engelhard von Löhneysen, der sich in seinem 1609 und 1610 in zwei Bänden mit kaiserlichem Privileg erschienenen kompilatorischen Werk „Gründlicher Bericht della Cavalleria" als Plagiator La Noues betätigte.21 Ein Grundgedanke La Noues bestand in der sinnvollen Vorbereitung der jungen Adeligen auf die Kavalierstour, wodurch eine Abkürzung des Auslandsaufenthalts und damit eine Kostensenkung erreicht werden könne.22 Der Vorschlag Gundakers von Liechtenstein könnte also sowohl durch die Lektüre La Noues - sei es in der französischen, deutschen oder lateinischen Fassung des Originals, sei es in der kürzlich erschienen Bearbeitung durch Löhneysen - inspiriert worden sein als auch durch die Kenntnis des 1594 eröffneten Collegium illustre in Tübingen, bei dem es sich um „die erste deutsche Ritterakademie" handelte.23 Conrads hat mit Bezug auf den im Wiener Kriegsarchiv verwahrten Entwurf für das 1628 von Wallenstein in seiner Residenz Güstrow im Herzogtum Mecklenburg gegründete „fürstliche Ritter-Collegium" gemeint: „Erstmals wird hier im römisch-deutschen Reich die Akademiebezeichnung für eine Adelsschule angewandt."24 Das stimmt nicht; derzeit scheint es so, daß dies im Jahre 1612 in dem referierten Vorschlag Gundakers von Liechtenstein der Fall war. Die nur von 1629 bis zum Erscheinen Gustav Adolfs in Mecklenburg im Frühjahr 1631 arbeitende Güstrower Akademie war allerdings wohl tatsächlich „die erste katholische Adelsakademie auf deutschem Boden".25 Wäre Liechtensteins Vorschlag, der zweifellos unter anderem im Zusammenhang mit der Verlegung der kaiserlichen Residenz von Prag nach Wien zu sehen ist, realisiert worden, so wäre diese Pionierrolle Wien zugefallen.
" N Ö L A St. Pölten, Abt. Ständisches Archiv, Ständische Registratur, Fasz. B - 8 - 8 / 3 , fol. 79-492 (zahlreiche Exemplare der lateinischen und etliche Exemplare der deutschen Version der Werbeschrift); Csiky-Loebenstein, Studien zur Kavalierstour, S. 4 l 0 f . ; Conrads, Historie, S. 123f.; Abbildung der Titelblätter: Hübl, Die Schulen, S. 388. - In Ubereinstimmung mit den von Gundaker von Liechtenstein bereits 1612 geäußerten Bedenken untersagte Kaiser Joseph II. 1781 Adeligen unter dem Alter von 28 Jahren, „wo man erst die wahre Reife der Überlegung erhält", außer Landes zu reisen und begründete das Verbot wie folgt: „Erfahrung und Beweise haben mich hinlänglich belehret, daß die Gewohnheit, junge Leute in die Fremde vor ihren reifen Jahren und besonders unter Leitung von Hofmeistern reisen zu machen, wo nicht schädlich, so doch wenigstens ganz unnütz sey." Zitiert nach Kühnel, Kavalierstour, S. 367 A. 10. 20 Conrads, Ritterakademien, S. 26-39, 87-104, 326-332 (Edition des Akademieplans) und passim. 21 Ebd., S. 87 f. und 100-104. " Ebd., S. 99. 23 Ebd., S. 105-115. 24 Ebd., S. 207. " Ebd., S. 208.
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Ratschläge für Kaiser und Erzherzöge
5.2. Gutachten betreffend die Reform der Hofkammer (1613—1622) Gundakers umfangreiche Gutachten zur Reform der Hofkammer aus den Jahren 1613 und 1615 wurden oben bereits kurz resümiert (Kapitel 4.4). Seine Tätigkeit als niederösterreichischer Kammerrat seit 1613 und als Hofkammerpräsident in den Jahren 1620 bis 1622 wurde von Oskar von Mitis recht ausfuhrlich dargestellt 26 , sodaß ich mich hier auf ausgewählte Beobachtungen und Vorschläge Gundakers beschränken kann. In seinem am 13. Oktober 1613 in Wiener Neustadt fertiggestellten Gutachten 2 7 regte Gundaker unter anderem an, vom Herzog von Bayern und vom Bischof von Würzburg Berichte zu erbitten, „wasgestalt sye ire cameralia, welche sehr graviert unnd verwüert gewesen, reformiert"; ja man könnte sogar teilweise „leuth, so sie in gemelten reformationen gepraucht", fur die geplante Reformation der kaiserlichen Hofkammer „begern", also erfahrene Praktiker der Finanzreform aus Bayern oder Würzburg heranziehen. 28 In einer eigenhändigen Ergänzung forderte Gundaker, man solle nach der Visitation der Hofkammer, der Länderkammern, aller Amter und Kammergüter und nach der Beratschlagung der Reform die Beschlüsse „durch ein fiirnehme, verstendige, vleißige unnd nicht interessierte persohn" umsetzen lassen. Derselben müßten alle nötigen Vollmachten erteilt werden in Anbetracht der Erwartung, daß derjenige, der dieses Werk vornehmen werde, „sich sehr verhaßt machen wirdt bei den unterthanen, weil sie jezt schlechte gaben geben, bei den officieren [d. h. den Beamten der Ämter und der Kammergüter], so jezt großen nutz davon haben, bei den cammerofficieren, so ihre smiralia davon haben, welches allen dreien bei diser reformation würde verendert werden. Es muß auch ein solche persohn vergwißt sein einer recompens von ihr meiestät, in erwegung der großen feinndtschafft und müe, so sie ihr von allen auf den hals ladet, unnd damit sie desto weniger ursach hette, durch smiralia von anrichtung ihr meiestät nuz sich abhalten zu lassen. Verstendig muß ein solche persohn sein, damit sie sich nicht durch ein jedes wahrscheinendes [?] argument von dem proposito dissuadieren ließe. Vornem muß die persohn sein, damit sie bei den cämmern und officieren ein respect h a b e . " 2 '
Von den konkreten Vorschlägen und Kritikpunkten Gundakers seien nur einige herausgegriffen. Er regt unter anderem an, zu Hofkammerräten nur solche Männer zu ernennen, die zuvor lange Zeit in einer oder mehreren Länderkammern gedient haben, um in der Zentrale jeweils Fachleute für einzelne Länder und Länderkammern betreffende Fragen zur Verfugung zu haben. 3 0 Wenn die Länder Steuern unter der Bedingung bewilligen, daß davon Schulden der Hofkammer an Mitglieder der Landstände bezahlt werden, so komme man, wie er gehört habe, dem nicht nach, sondern setze je „nach favor bey hof' auf die Liste der zu Bezahlenden wen man wolle. Das mache die Stände „unwillig zu den contributionen, weil sy sehen, daß man von irem aignen gelt, wider zuesag, frembde bezahlt und sy praeteriert". 31 Ein großer Mißbrauch bestehe auch in der Anweisung von Gläubigern der Hofkammer auf bestimmte Amter, obwohl deren Kassen leer oder jedenfalls fur die Bezahlung der angewiesenen Schulden bzw. Zinsen nicht ausreichend sind. „Solche anschaffungen werden selten bezaldt ohne partiden 32 der ambtleut", wodurch die Parteien zu Schaden kommen, die Unteramtleute hingegen sich bereichern. 33 Man sage jedem Gläubiger die Priorität in den Anweisungen zu, könne das Versprechen aber natürlich nur einem von ihnen halten, wodurch die übrigen betrogen und alle mißtrauisch werden. Man mache „die anweisungen in Mitis, Anteil, S. 4 6 - 7 3 . HALV, K. 244, Konzept des am 13. Oktober 1613 abgeschlossenen Gutachtens über die „Reformation" der Hofkammer und der Länderkammern mit eh. Korrekturen und Ergänzungen G.s v. L. 28 Ebd., S. 2. 29 Ebd., S. 2 f. 30 Ebd., S. 5. 31 Ebd., S. 8. 32 Betrügereien 33 Ebd., S. 9. 26
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Gutachten betreffend die Reform der H o f k a m m e r
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der lista n i c h t n a c h der prioritet des d a t u m s der verschreibung, s o n d e r n n a c h g u n s t zu h o f f , dahero trauth darnach kheiner [ . . . ] . " M a n beraube die A m t e r ihres Bargelds, sobald m a n wisse, d a ß sie etwas in der Kassa h a b e n , s o d a ß die Kreditgeber, die darauf a n g e w i e s e n sind, n i c h t bezahlt w e r d e n k ö n n e n ; dadurch g e h e der Kredit verloren. M a n weise n a c h e i n a n d e r unterschiedliche Parteien a u f ein u n d dieselbe E i n n a h m e („gefäll oder landtsbewilligung") an, ja „ m a n n weist die leuth an a u f felligkheiten, d i e zuvor m i t z e h e n f a c h s o h o c h e n anw e i s u n g e n , als die e i n k h o m e n ertragen, beschwert sein". 3 4 N a c h der A u f z ä h l u n g einer R e i h e fiskalischer M a ß n a h m e n zur E r h ö h u n g der E i n n a h m e n entwickelt Gundaker, unter a n d e r e m inspiriert v o n G e d a n k e n seines Bruders Karl 3 5 , ein regelrechtes frühmerkantilistisches R e f o r m p r o g r a m m : „Zu Vermehrung der einkhomen gehört die bereichung [!] der lender, dann wann die lender reich sein, so khönnen sy mehr dem landtfursten bewilligen, kan auch im nottfall geld aufgebracht werden. Die lender werden bereicht [!] durch populierung der stett, dann wo vil volckhs, da geschieht vil arbaith, dieselb würdt versilbert, dardurch khombt das geldt in das landt; denn wie es yezt beschaffen, so fiiert man die materialia, als kupfer, heut, eisen etc., roeh aus dem landt unnd bringts verarbeiter wider herein; da müessen es die im land theur bezahlen: des khaufmans unnd fuhrmans, so es hinausfuhrt, gewinn, des handtwerkers, so es verarbeit, des fuhrmans, so es hereinfuhrt, des kaufmans, so außer land damit handlet, gewinn, welches geld sonst im land blibe und aus frembden lendern hereingeführt würde. Daß aber die stett populiert werden mögen, mueß volgendtes in acht genohmen werden: Daß man niederlagen, handtwerckher unnd gewerb in die stett bringe, solches khann geschehen 1 d a ß man die, so an andern örtern solche handtwerckher verlegen unnd den credit bey ihnen haben, herzuebringe durch gelegenheiten unnd freyheiten, so man ihnen gibt auf etlich jähr [...]. 2.° Mann mueß auch darob sein, daß die handtwerckher ihre arbeith sehr gueth unnd umb ein wenigs wolfailer als anderer örter machen. Durch solche güte unnd wolfailigkheit der wahren bekhombet das orth alsbaldt den zuelauff unnd ein credit unnd werden alle khaufleith von vorigen örtern divertiert, weil man alda schlechtere unndt teurere wahren khaufft; 3.° daß man die materialia, als heut, woll, khupfer, eisen etc., unverarbeiter nicht hinauslaßt, so müessen die handtwerckher, so dergleichen verarbeiten, nothwendig in das landt khommen unnd ir nahrung alda, wo sie die materialia fiinden, suechen; 4 ° verpieten, daß niemandts anderer als diejenigen, welche dieselben handtwerckher verlegen, dergleichen wahren, wie man im landt machet, hereinbringt, unnd das nuhr so lang, bis daß manns genuegsam in disem landt machet, alsdann mueß mans ganz verpietten; 5.° kheinen burger einnehmen, der nicht ein hanndtwerckh khann unnd treibt unnd yedem anyezo inwohnendem burger, so nicht ein handtwerckh treibt, wann er ains khann, zu treiben anbevelchen, oder, khann er kheins, bevelchen, daß er ain handtwercher zum innmann 3 '' in das haus nehme." W i e n , ergänzt Gundaker, solle m a n „nicht m e h r populieren", es sei bereits volkreich g e n u g , h i n g e n aber W i e n e r N e u s t a d t , Korneuburg, Krems, St. P ö l t e n etc. D i e Folge werde sein, d a ß das U m l a n d der Städte seine Agrarprodukte besser vermarkten k ö n n e ; es bereichere „also der burger d e n baurn, der baur d e n herrn, die herrn ihren landtsfiirsten". Es f o l g e n Vorschläge zur F ö r d e r u n g des Exporthandels, unter a n d e r e m d u r c h die R e g e l u n g der Schiffahrtsverhältnisse a u f M o l d a u u n d Elbe. W i e n e r N e u s t a d t solle zu e i n e m Z e n t r u m der eisenverarbeitend e n G e w e r b e g e m a c h t w e r d e n (dieser Vorschlag w u r d e 1 6 5 7 d u r c h d i e G r ü n d u n g der „ N i e derländischen
Armaturmeisterschaft",
der
,,erste[n]
staatlich
kontrollierte[n]
Waffen-
s c h m i e d e Österreichs" 3 7 , realisiert 3 8 ), Laa an der T h a y a durch A n s i e d l u n g v o n T u c h - , Filz-,
54 35
Ebd., S. 29 f. Am Rand neben dem Beginn des betreffenden Abschnitts findet sich die Notiz „f(ürst) Carl". Ebd.,
S. 13. 36
als (Unter-)Mieter Valentinitsch, Standorte, S. 40. 3! Zur Ansiedlung von Plattnern, Büchsenmachern, Klingenschmieden, Feuerschloßmachern und anderen Spezialisten fur die Waffenproduktion aus den spanischen Niederlanden, Aachen und Solingen in Wiener Neustadt im Jahre 1657 siehe Posch, Armaturmeisterschaft, und Hoyos, Ernst von Traun, Teil I, S. 60. - Die Begründung einer leistungsfähigen „Rüstungsindustrie" in den Erblanden wurde übrigens - vom Vorbild der von Wallenstein auf seinen böhmischen Besitzungen aus dem Boden gestampften Waffen- und Munitionserzeugung einmal abgesehen - unter anderem durch Gutachten Gundakers von Liechtenstein aus dem Jahre 1642 (siehe unten S. 238), Raimondo Montecuccolis vom Dezember 1648 und des Hofkriegsrates aus dem 37
210
Ratschläge für Kaiser u n d Erzherzöge
Hut- und Kotzenmachern zu einem Mittelpunkt der wollverarbeitenden Gewerbe. Herr Breuner (Seifried Christoph von Breuner, der Präsident der Niederösterreichischen Kammer) habe bereits damit begonnen, in Linz Gold und Seide verarbeiten zu lassen.39 Weitere umfangreiche Kapitel des Gutachtens betreffen unter anderem die Verbesserung des kaiserlichen Salzwesens, die Erhöhung der Rentabilität der Eigenwirtschaft und der Renteneinnahmen der Kammergüter sowie die Tilgung oder wenigstens Verringerung der riesigen Schuldenlast und die Analyse der Ursachen des gefallenen Kredits des Kaisers. Am 18. Mai 1615 übergab Gundaker von Liechtenstein Kaiser Matthias ein zweites großes Gutachten zu der Frage, wie die Kammerreformation vorzunehmen sei.40 Er konzentrierte sich dabei auf vier Punkte, nämlich „erstlich, was die bestellung der camer sey und in wee ein guete bestellung der camer bestehe; zum andern, was für praeparatoria und vorberaittungen darzue nothwendig sein; zum dritten, was vor ein methodus und Ordnung sol gehalten werden, nach welcher man die praeparatoria berathschlagen solle; zum viertten, wen ains nach dem andern auf vorbeschehene berathschlagung von euer khayserl. mayestät resolvirt ist worden, wie man es solle fürderlich in das werckh richten." 41 Von den zahlreichen Vorschlägen seien wiederum nur ein paar herausgegriffen. So äußert Gundaker etwa seine Überzeugung, daß es nötig sei, die Länderkammern und deren Beamte jährlich oder zumindest alle zwei Jahre zu visitieren, also die Böhmische, die Schlesische, die Niederösterreichische und die Ungarische Kammer der strengen Befehlsgewalt und Kontrolle der Hofkammer zu unterstellen. 42 Dieser absolutistisch-zentralistische Grundtenor des Gutachtens steht im Gegensatz zu einem im Vorjahr von Wilhelm Slavata, dem Präsidenten der Böhmischen Kammer, unternommenen (und gescheiterten) Versuch, die seit 1527 bzw. 1568 bestehende Unterordnung der Böhmischen Kammer unter die Hofkammer aufzuheben 43 , sowie zu der seit dem Reichstag von 1608 von den ungarischen Ständen immer wieder - allerdings mit in der Praxis eher geringem Erfolg - zum Ausdruck gebrachten Auffassung, die Ungarische Kammer in Preßburg sei von der Wiener Hofkammer unabhängig und ihr gleichgeordnet 44 . Nach dem ausdrücklichen Vorbild Spaniens und Frankreichs regt Gundaker von Liechtenstein weiters an, die Mauten, ja sogar das kaiserliche Münzwesen im Lizitationswege an die Meistbietenden zu verpachten. Auch das Monopol des Handels mit bestimmten Waren könne an einzelne Großhändler verpachtet werden (Appaltsystem).45 Gundaker wiederholt
Jahre 1650 inauguriert, die ebenso wie die zitierte Denkschrift Gundakers merkantilistisch-fiskalistischen Geist atmen: Durch die Realisierung des Vorschlags, in Hinkunft die Waffen fur die kaiserliche Armee ausschließlich in den Erbländern zu kaufen, bleibe, heißt es in dem hofkriegsrätlichen Gutachten, „das geld im land und bey ihren [sc. der kaiserlichen Majestät] unterthanen, die commertien werden dardurch gestörckt und ihre unterthanen, indem sie hiedurch was verdienen und erwerben, [werden] ihre contributiones dem landtesfiirsten desto leichter abzufiehren die mittel gemacht". Zitiert nach Hoyos, Ernst von Traun, Teil I, S. 58. Zu Montecuccolis Gutachten siehe Veltzi (Bearb.), Ausgewählte Schriften, Bd. 2, S. 134 f., und H. Kaufmann, Montecuccoli, S. 48 f. Zu den Standorten der österreichischen Rüstungsproduktion in der frühen Neuzeit im allgemeinen sowie zu seit 1627 aktenkundigen Plänen der Wiener Regierung, „in den österreichischen Erbländern eine fabriksmäßige Waffenproduktion aufzuziehen", siehe Valentinitsch, Standorte (das Zitat auf S. 39); zu „Eisenlandschaften und Rüstungszentren" im 16., 17. und 18. Jahrhundert zusammenfassend Sandgruber, Ökonomie und Politik, S. 87 f. und 115-117. 39
Gutachten G.s v. L. vom 13. Oktober 1613 (wie Anm. 27), S. 13-16. Konzept mit eh. Korrekturen und Ergänzungen G.s v. L. im HALV, K. 244. 41 Ebd., S. 2 f. 42 Ebd., S. 5. 43 Roubik, Slavatuv pokus. Vgl. auch Bahlcke, Regionalismus, S. 7 2 - 7 5 und passim; Volf, Dvorskä komora. 44 Vgl. Timon, Verfassungs- und Rechtsgeschichte, S. 688 ff.; Th. Mayer, Verhältnis; Nagy, Ungarische Kammer. 45 Zum Appaltsystem vgl. Srbik, Exporthandel. 40
Gutachten betreffend die Reform der Hofkammer
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auch seine Ansicht, daß die Erhöhung der Einkünfte des Kaisers unter anderem davon abhängig sei, „daß man die lender bereiche mit populierung euer khayserl. mayestät stötte durch anrichtung underschiedlicher trafichen; den durch die menge des volckhs, welches den trafico führt, [werden] die victualien [...] desto reichlicher versilbert, dardurch die landleuth und deren underthanen geltreicher werden, dahero sie alsdan euer khayserl. mayestät die landtsbewilligungen (welche euer khayserl. mayestät größter reichtumb sein) desto leichter und reichlicher geben können". 46 Unter den zu „populierenden" Städten Österreichs unter der Enns fuhrt er diesmal neben Wiener Neustadt, Korneuburg, Krems und St. Pölten ausdrücklich auch Retz, Hainburg und Bruck an der Leitha als Beispiele an. 47 Im Mai 1622, nach zweijähriger Tätigkeit als Hofkammerpräsident, verfaßte Gundaker von Liechtenstein noch einmal ein Gutachten wegen Bestellung des Kammerwesens. 48 Neu gegenüber den früheren Gutachten ist unter anderem der Vorschlag, der Kaiser solle sich zur Erhöhung der Einnahmen in Böhmen und Mähren in allen Städten den Weinschank und das Bierbrauen vorbehalten und als Monopole verpachten („inn bstandt verlassen"), desgleichen den Weinschank im Land ob der Enns, das ja damals an Bayern verpfändet war. 49 Im übrigen werden die bereits 1613 und 1615 vorgeschlagenen Maßnahmen zur Erhöhung der Einnahmen, Verminderung der Ausgaben, Verringerung der Schuldenlast und Verbesserung des Kredits wiederholt, wobei Gundaker ausdrücklich betont, daß viele davon erst nach Beendigung des Krieges realisiert werden könnten. 50 Die Verbindung von fiskalischen und merkantilistischen Motiven findet sich in der staatswissenschaftlichen und kameralistischen Literatur und in Fürstenspiegeln erst seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert. Anders als bei den Merkantilisten und Kameralisten des folgenden Jahrhunderts, gibt es bis in die späten achtziger Jahre des 16. Jahrhunderts noch kaum Vorschläge, die Steuerkraft der Untertanen durch gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen zu erhöhen. Gegen Ende des 16. und in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts kam es im „Anti-Machiavellismus"51 katholischer Autoren und Fürsten, der in Wirklichkeit ein „gemäßigter Machiavellismus" war - des italienischen Priesters und Begründers der gegenreformatorisch-katholischen Version der Staatsräson Giovanni Botero 52 , des Herzogs Maximilian von Bayern 53 oder dessen Beichtvaters Adam Contzen SJ 54 - zu 46
Gutachten vom 18. Mai 1615 (wie Anm. 40), S. 9. Ebd., S. 11. 48 Konzept mit eh. Korrekturen und Ergänzungen G.s v. L. im HALV, K. 244. 49 Ebd., fol. 2'. 50 Ebd., fol. 3'. 51 Siehe jetzt v. a. Bireley, The Counter-Reformation Prince, wo u. a. der Nachweis geführt wird, daß der ,Anti-Machiavellismus" mit seiner (wie bei Machiavelli selbst) zentralen Thematisierung des prekären Verhältnisses (der Dialektik) von Erscheinung und Realität (Sein und Schein, Meinung und Wahrheit) ein Hauptelement der Gegenreformation und der Barockkultur war, insbesondere in Italien, Spanien, den Spanischen Niederlanden und im Heiligen Römischen Reich. 52 Meinecke, Idee der Staatsräson, S. 76-82 u. ö.; Schumpeter, Geschichte der ökonomischen Analyse, S. 221 f.; Firpo, Introduzione; Ε. A. Fischer, Botero; Mösslacher, Die italienischen Merkantilisten, S. 131-165; Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 13, S. 352-362; De Mattei, „Ragion di Stato", S. 50-91, 259-265 und passim; Stolleis, Arcana imperii, S. 8 f. u. ö.; Münkler, Im Namen des Staates, S. 16 f., 124-126, 202-207, 280-285 u. ö.; Behnen, Arcana, bes. S. 136-144; Bireley, The Counter-Reformation Prince, S. 45-71 und passim. " Schon dem jungen Herzog war der unmittelbare Zusammenhang zwischen Geld und Macht vollkommen bewußt. Am 21. Juni 1598, im Jahr seines Regierungsantritts, schrieb er an seinen Väter: „Ich siehe haltt, dass sowol bei geistlichen als weltlichen nur auf die ragion di stato gesechen wirdt und daß der respectiert wirdt, der vil land oder vil gelt hat [...], wie mich dann gedunkht, es soll dis werkh [sc. die Übertragung des Bistums Passau durch Clemens VIII. an einen Habsburger statt an einen Wittelsbacher] uns ursach geben, auf dise geltsachen eußerist acht zu geben, und da wir da wol steen, so werden wir den geltgeizigen Welschen wenig, sonder sie uns nachlauflfen." Zitiert nach Dollinger, Kurfürst Maximilian, S. 299, und Albrecht, Auswärtige Politik, S. 2. 47
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Ratschläge fur Kaiser u n d Erzherzöge
einer theoretischen „Einbeziehung des ökonomischen und wirtschaftspolitischen Aspekts in den Begriff der Staatsräson", „zu einem dialektischen Umschlag: Sein eigenes (fiskalisches, ökonomisches) Interesse, je mehr es sich steigert, zwingt den Herrscher umso mehr, das Gemeinwohl zu fördern, sein Nutzen wird abhängig vom Wohlstand, von der Förderung, mindestens vom Gewährenlassen des Wohlstands der Bevölkerung." 55 Noch während des 17. und 18. Jahrhunderts war die gesamte Wirtschaftspolitik der europäischen Staaten fest im Fiskalismus verwurzelt. Alle wirschaftspolitischen Maßnahmen des (von Adam Smith systematisierten und so genannten 56 ) Merkantilismus 57 hatten - zumindest längerfristig - eine Erhöhung der Staatseinnahmen zum Ziel, die unter anderem durch eine Vermehrung der Zahl der Steuerträger (Populationistik) und durch eine Erhöhung der Steuerleistung bzw. Steuerkraft (Leistungsfähigkeit) der einzelnen Steuerzahler (Stichworte: „Vermehrung der Nahrungswege" durch „Introduzierung der Manufakturen"; Ausweitung der Binnennachfrage und der „inländischen Konsumption"; landesfiiirstliche „Bauernschutzpolitik") erreicht werden sollte. Ökonomische und machtpolitische Zielsetzungen waren eng verbunden. 58 In der Habsburgermonarchie fand der Merkantilismus seinen bekanntesten theoretischen Ausdruck im sogenannten Kameralismus, „jenem literarischen Niederschlag der absolutistischen Verwaltungspraxis, der mit scharfer Betonung das fiskalische Interesse in den Mittelpunkt stellt". 59 Die aus dem Reich eingewanderten „österreichischen" Kameralisten Johann Joachim Becher60, Wilhelm von Schröder 61 und Philipp Wilhelm von Hörnigk 62 etablierten ihre Wissenschaft als Berater Leopolds I. und seiner Minister. 63 Die Aufgabe, bei deren Lösung sie mithelfen sollten, war die Anlage eines grö-
54 Zu den fürstenireundlichen und ständefeindlichen, frühkameralistischen und frühabsolutistischen wirtschafts-, finanz- und steuerpolitischen Ansichten des einflußreichen Jesuiten Adam Contzen (1573-1635, seit 1624 Hofbeichtvater Maximilians von Bayern) sowie zu deren Einfluß auf die politischen Testamente des Kurfürsten Maximilian (insbesondere die wahrscheinlich von Contzens Ordensbruder und Amtsnachfolger Johannes Vervaux verfaßten „Monita Paterna" von 1639) siehe Seils, Staatslehre, S. 143-147, und Malisch, Katholischer Absolutismus, S. 159-180. „Contzen hat als einer der ersten den Zusammenhang von Wirtschaft und Machtstaat erkannt." Seils, Staatslehre, S. 190. „So wie Contzen als Vorbereiter des Kameralismus und Merkantilismus eine wirtschaftspolitische Konzeption entwirft, die[,] aus der Erkenntnis der Notwendigkeit staatlicher Machtsteigerung und deren Zusammenhang mit der Wirtschaftsförderung, dem Staat [die] Beherrschung und Steuerung der gesamten Wirtschaft überträgt, sind wirtschaftspolitische Fragen weder in der betreffenden Literatur noch in der Staatslehre der Zeit in Deutschland behandelt worden." Malisch, Absolutismus, S. 175 f. Zur Wirkung und Rezeption der Staatslehre Contzens siehe Seils, Staatslehre, S. 191-228, wo u. a. zahlreiche Exemplare der Schriften Contzens in den Bibliotheken des Hochadels der Habsburgermonarchie und sein Einfluß auf Gerhard Hilleprand, den Rektor des Wiener Jesuitenkollegs unter Karl VI. und Professor der Theologie und Philosophie an der Universität Wien, nachgewiesen werden. Vgl. auch Bireley, Maximilian von Bayern; ders., The Counter-Reformation Prince, S. 136-161 und passim; Breuer, Oberdeutsche Literatur, S. 145-218; Dieter, Bemerkungen. 55 Dollinger, Staatsräson und Staatsfinanzen, S. 256. " Smith scheint den Begriff „Merkantilsystem" von den Physiokraten übernommen zu haben. Gömmel/ Klump, Merkantilisten und Physiokraten, S. 77. 57 Jedenfalls seiner französischen Spielart (Colbert, John Law), weniger in den wirtschaftlich fortgeschritteneren Staaten England und Holland (Vereinigte Niederlande). 58 Gömmel/Klump, Merkantilisten und Physiokraten, S. 83. " Sommer, Kameralisten, Teil 1, S. 55. 60 Zuletzt Frühsorge/Strasser (Hg.), Becher. 61 Noch immer grundlegend: Srbik, von Schröder; Sommer, Kameralisten, Teil 2, S. 79-123. 62 Zuletzt Brauleke, Leben und Werk. 63 Hörnigks (spätestens seit 1664) und Bechers (seit 1665) Mentor, Cristobal de Rojas y Spinola O F M (1626-1695), der große spanisch-flandrische Ireniker, Mitglied der spanischen Partei am Kaiserhof seit etwa 1660, kaiserlicher Diplomat und Merkantilist, dachte bei seinen wirtschafts-, handels- und zollpolitischen Vorschlägen (Gründung einer Ostindischen Handelskompanie gemeinsam mit anderen deutschen Fürsten wie den Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen, Zoll- und Handelsvertrag zwischen Österreich und Bayern) mehr an die Vergrößerung der kaiserlichen Macht im „Reich" als jener in „Österreich" (übrigens ähnlich
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ßeren Staatsschatzes und die Eröffnung neuer Einkommensquellen. 64 Das Ziel der Merkantilisten und Kameralisten war, kurz gesagt, das ihrer fürstlichen Auftraggeber, nämlich ein potenter, seinen Feinden militärisch überlegener oder wenigstens ebenbürtiger Machtstaat. 65 Sie dachten nicht von der „Wirtschaft" aus, sondern vom Staat her, dem sie empfahlen, zur Lösung seiner Finanzprobleme die Wirtschaft zu instrumentalisieren. Der frühneuzeitliche Staat begann also auch in Österreich im 16. und 17. Jahrhundert „seinen Weg mit einem im Grunde parasitären Verhältnis zur Wirtschaft", einer „Funktionalisierung der Handelswelt fur die Staatshändel". 66 Er tendierte „zu einer Instrumentalisierung des Ökonomischen für den politischen Machtzweck". 67 Die zitierten Gutachten Gundakers von Liechtenstein aus den Jahren 1613, 1615 und 1622 machen deutlich, daß die Kameralisten während der Regierungszeit Leopolds I. nicht einfach „fortgeschrittene" Theorien und Vorbilder aus dem Ausland in das „rückständige" Österreich importierten, sondern an Gedanken anknüpfen konnten, die am Kaiserhof bereits in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts entwickelt, infolge der Wirren des Dreißigjährigen Krieges aber nicht realisiert worden waren. Gundaker von Liechtenstein war freilich, zumindest was theoretische Fragen betrifft, kein origineller und kreativer Denker und Autor. Er bezog sich vielmehr auf Vorbilder, ausdrücklich insbesondere auf die erfolgreichen Reformen der Hofkammer, der Finanzverwaltung und des Steuersystems und die dadurch erreichte Sanierung des Staatshaushalts in Bayern durch Herzog Maximilian seit Beginn seiner Alleinregierung im Jahre 1598; Maximilian von Bayern vertrat im übrigen auch in seiner Wirtschaftspolitik ähnliche merkantilistische Grundsätze wie Gundaker von Liechtenstein in seinen Gutachten der Jahre 1613 und 1615. 68 Der Ruhm der erfolgreichen Finanzreformen Maximilians von Bayern war um 1610 so groß, daß ihn Königin Margarete von Spanien, seine Cousine, Anfang November dieses Jahres durch ihren Beichtvater P. Richard Haller SJ bitten ließ, ihr „in secreto und fur sie allein" in Kürze die wichtigsten Mittel zu nennen, durch die er sein Finanzwesen in den guten Stand gebracht habe, in dem es sich derzeit „mit general ruem und nutz" befinde. 69 Vielleicht dachte Gundaker von Liechtenstein bei seinen Vorschlägen aber auch an die Finanzpolitik des Herzogs von Sully, der seit 1596 den von Heinrich IV. eingesetzten Finanzrat leitete, 1598 einen Haushaltsplan einführte und die Finanzen der französischen Krone sanierte, oder an die Schriften von Barthelemy de LafFemas, der in seinen zahlreichen, zwischen 1596 und 1610 erschienenen Pamphleten und Traktaten unter anderem forderte, durch eine aktive staatliche Gewerbepolitik den Abfluß von Edelmetallen ins Ausland zu verhindern, Manufakturen zu errichten und den Import ausländischer Manufakturwaren zu verbieten. 70
wie Gottfried Wilhelm von Leibniz). Darin sah er eine Voraussetzung fiir das von ihm angestrebte, insbesondere gegen Frankreich (sowie gegen das Osmanische Reich) gerichtete Allianzsystem, das Osterreich, Spanien und möglichst viele deutsche Staaten umfassen und das Reich an die Familie Habsburg binden sollte. Er wollte gewissermaßen durch politisch-militärische Allianzen und Handelsprojekte eine habsburgische Hegemonie im Reich etablieren. Siehe Miller/Spielman, Rojas y Spinola, S. 17 f. und 24-33. u Klingenstein, Between Mercantilism and Physiocracy, S. 191. " Vgl. Heckscher, Merkantilismus, bes. Bd. 2, S. 1 - 3 8 (Der Merkantilismus als Machtsystem). 66 Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, S. 194. 67 Ebd., S. 193. 68 Siehe v. a. Dollinger, Studien; ders., Staatsräson und Staatsfinanzen; ders., Kurfürst Maximilian, bes. S. 252-257, 270-278 und 298-306; Glaser (Hg.), Um Glauben und Reich, Bd. II/2, S. 131 f. und 291-294; zusammenfassend: Heydenreuter, Behördenreform, bes. S. 240 f. Vgl. auch Heydenreuter, Hofrat. " Dollinger, Kurfürst Maximilian, S. 298 f.; ders., Studien zur Finanzreform, S. 11; Glaser (Hg.), Um Glauben und Reich, Bd. II/2, S. 131. In seiner Antwort (Briefkonzept vom 15. Januar 1611) äußerte Herzog Maximilian u. a. folgende Überzeugung: „[...] ein fürst, so nit bei diser jezigen bösen weit reich ist, der het khein authoritet noch reputation, und wo dise 2 nit sein, da muß das publicum bruchen leyden." 70 Gömmel/Klump, Merkantilisten, S. 50-52 und passim.
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Am wahrscheinlichsten aber scheint es mir, daß Gundaker von Liechtenstein die - übrigens auch Herzog Maximilian von Bayern vertrauten 71 - Schriften des piemontesischen Priesters Giovanni Botero gekannt hat, insbesondere seine 1588 und 1589 in erster Auflage erschienen Hauptwerke „Delle cause della grandezza delle cittä" und „Deila ragion di Stato", vielleicht auch seine zwischen 1591 und 1596 unter dem Titel „Le relationi universali" herausgegebene Staatenkunde. 72 Es ist gut möglich, daß Gundaker diese Bücher bereits während seiner Studien- und Bildungsreise, die ihn wenige Jahre nach der Publikation der beiden Hauptwerke Boteros an mehrere oberitalienische Universitäten führte 73 , gelesen hat; vielleicht lernte er die zwei Bücher aber auch in der 1606 in Venedig in einem Band erschienenen, dem Salzburger Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau gewidmeten Ausgabe 74 kennen. Im übrigen waren die Schriften Boteros bereits in den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts an den gegenreformatorischen Höfen in Madrid, München und Graz wohlbekannt 75 und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in österreichischen Adelsbibliotheken „sehr verbreitet" 76 . Meinecke hat die Bedeutung der Lehren Boteros etwas abschätzig, aber wohl treffend charakterisiert: „An Machiavelli gemessen, war er ein mittelmäßiger Kopf. Er hatte nicht wie dieser Ecken und Kanten, an denen man sich wund reiben konnte, und empfahl sich den katholisch-bigotten Höfen der Gegenreformation als ein mildes Gegengift gegen Machiavellis Zynismus und Unkirchlichkeit, ohne daß man dabei auf das Nützliche in Machiavellis Rezepten ganz zu verzichten brauchte." 77 In Boteros Werken finden sich insbesondere die folgenden, auch von Gundaker von Liechtenstein geäußerten Forderungen: Populierung der Städte, Anwerbung ausländischer Facharbeiter und Verbot der RohstofFausfiihr. Botero erblickte in einer großen Bevölkerungszahl die Basis politischer Macht und in der Bevölkerungsvermehrung die Voraussetzung staatlicher Machtentfaltung. 78 Der wahre Reichtum eines Fürsten bestehe im Hab und Gut seiner Untertanen. Große, aus vielen („gewerbefleißigen") Bürgern bestehende Bevölkerung = viel Geld im Land = hohe Steuereinnahmen des Fiskus, lautet die einfache Gleichung: „Wer viele Menschen hat, hat auch viel Geld; denn mit der Größe der Bevölkerung wachsen auch die Steuereinnahmen [,..]." 79 Zu groß sollten die Städte jedoch auch nicht werden, sonst drohen Probleme bei der Versorgung der Stadtbewohner mit Lebensmitteln 80 - hier könnte der Ursprung von Gundakers Ansicht liegen, Wien sei bereits volkreich genug. Der Fürst solle, schreibt Botero, in seiner „Stadt" (Botero unterscheidet - offenbar mit Blick auf die ita-
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Dollinger, Kurfürst Maximilian, S. 255 und 2 8 1 - 2 8 3 (schon sein Vater ließ dem jungen Maximilian Boteros „Della ragion di Stato" vorlesen); ders., Studien zur Finanzreform, S. 12 und 283. 72 Zu der 1611 in München erschienenen Übersetzung der „Relationi universali" durch Aegidius Albertinus siehe van Gemert, Aegidius Albertinus, S. 4 7 2 - 4 7 7 und 805-810. 73 Siehe Kapitel 15.1. 7i Ich habe das Exemplar der Österreichischen Nationalbibliothek benützt (Sign. " 28. W. 34), das (laut Besitzervermerk am Titelblatt) aus der Bibliothek des Probationshauses der Jesuiten bei St. Anna in Wien stammt. 75 Bireley, The Counter-Reformation Prince, S. 45 f. 76 O. Brunner, Adeliges Landleben, S. 162. (Zur Kritik an Otto Brunners bibliotheksgeschichdichen Studien im allgemeinen und zu seiner Abneigung gegen Zahlenangaben und dem daraus resultierenden „Verdacht einer manipulativen Konstruktion [...], die eher auf intuitiver Schau als auf einem empirisch ausgezählten und klassifizierten Befund beruht", im besonderen vgl. Bleeck, Adel und Buch, bes. S. 151-154.) 77 Meinecke, Idee der Staatsräson, S. 78. 78 Botero, Deila ragion di Stato [...]. Con tre libri delle cavse della grandezza delle Cittä (Ausgabe Venedig 1606), S. 200-204 („Ragion di Stato", 7. Buch, Kapitel „Deila gerne" und „Della moltitudine delle genti"); Ε. A. Fischer, Botero, S. 45; Mösslacher, Merkantilisten, S. 156-159; Bireley, The Counter-Reformation Prince, S. 64-68. 75 Zitiert nach Mösslacher, Merkantilisten, S. 145 A. 23. Vgl. auch Ε. A. Fischer, Botero, S. 72. Botero, a. a. O., S. 3 6 7 - 3 7 3 („Delle cause [...]", 3. Buch, Kapitel „Onde sia, che le Cittä non vadono crescendo ä proportione"). Diese Ausführungen haben Botero übrigens die simplifizierende Punze „Vorläufer Malthus'" eingetragen. Vgl. Ε. A. Fischer, Botero, S. 49-56.
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Herrischen Stadtstaaten - nicht immer zwischen „cittä" und „stato") alle Arten von „Industrie" und ausgezeichnete Handwerker aus anderen Ländern ansiedeln.81 Vor allem dürfe er nicht gestatten, daß Rohstoffe wie Wolle, Seide, Holz und Metalle aus seinem Staat ausgeführt werden, da sonst auch die Handwerker das Land verlassen werden und dem Fürsten ihre Steuern entgehen.82 In den „Relazioni universali" bekennt sich Botero ausdrücklich zu der Maxime: „Viel ausführen, wenig einführen", also zu der Leitidee einer aktiven Handelsbilanz.83 Auch einige weitere, bei anderen Gelegenheiten geäußerte Ansichten Gundakers von Liechtenstein stimmen mit jenen Boteros überein, natürlich ohne daß damit bewiesen wäre, daß er tatsächlich dessen Werke gelesen hat; er könnte manches auch aus zweiter Hand haben, insbesondere aus der großen Denkschrift seines Bruders Karl aus dem Jahre 1601. Jedenfalls war er wie Botero ein Gegner des Kleidungsluxus84 und ein Verfechter der Prinzipien der Steuerallgemeinheit und der Steuergerechtigkeit. Die beste Steuer sah Botero in einer Grund- bzw. Realsteuer, deren Höhe nach der individuellen Leistungsfähigkeit, speziell nach dem Besitz der Steuerpflichtigen zu bemessen wäre. Weder dürften die Adeligen die Steuerlast auf das Volk abwälzen noch die Städte auf das Land (die contadi bzw. deren Bewohner, die contadini).85 Während zum Beispiel Bodin, aber auch noch Veit Ludwig von Seckendorff die (direkten) Steuern als außerordentliche und vorübergehende Einnahmen des Staates ansahen, stellte sie Botero mit den Erträgnissen der fursdichen Domänen auf eine Stufe und bezeichnete sie ausdrücklich als ordentliche Einnahmen.86 Dieser Ansicht war wohl auch Gundaker von Liechtenstein87, während sich etwa Johann Joachim Becher noch 1688, in der dritten Auflage seines zuerst 1668 erschienen Werkes „Politische Discurs", als theoretischer Gegner der regelmäßigen Besteuerung (abgesehen von Notzeiten) zu erkennen gab und nach wie vor die Kammergüter und die Regalien für die Hauptgrundlage der Staatsfinanzen hielt.88 Bei Wilhelm von Schröder, einem Anhänger des absolutistischen Fürstenstaats, heißt es hingegen gleichzeitig und ganz im Sinne Boteros unumwunden: „Es kan nicht anders seyn, als daß die unterthanen zu Unterhaltung ihres Fürsten contribuiren, und die onera publica mit müssen tragen helfen, wessenthalben gewisse taxen und anlagen gemacht, und von alters her bewilliget seyn; dieweil auch dieselbe nicht allezeit erklecklich noch zulänglich seyn, so werden derselben alle tage mehr und neue erdacht [.,.]." 89
" „Deue dunque il Prencipe, che vuol render popolosa la sua cittä, introdurui ogni sorte d'industria, e d'artificio; ilche farä, ecol condurreartefici eccellenti da' paesi altrui [...]." Botero, a. a. O., S. 212 („Ragiondi Stato", 8. Buch, Kapitel „Dell' industria"). 81 „[...]: ma sopra tutto e necessario, che non comporti, che si cauino fuordel suo Stato le materie crude; non lana, ne seta, non legnami, non metalli, non altra cosa tale; perche con tal materie se ne vanno anco via gli artefici, e dal traffico della materia lauorata viue molto maggior numero di gente, che della materia semplice; e l'entratede i Prencipi sono di gran lungapiüriccheper l'estrattionedell'opere, chedelle materie [...]." Botero, a. a. O., S. 212f. („Ragion di Stato", 8. Buch, Kapitel „Dell' industria"). Vgl. Ε. A. Fischer, Botero, S. 38,46, 58 f. und 68. 83 Vgl. Ε. A. Fischer, Botero, S. 56 f.; Mösslacher, Merkantilisten, S. 153 f. " Vgl. Ε. A. Fischer, Botero, S. 65 und 68, sowie unten S. 237. " Botero, a. a. O., S. 188 („Ragion di Stato", 7. Buch, Kapitel „Dell' Entrate"). 86 Ebd., S. 187. Vgl. Ε. A. Fischer, Botero, S. 78-81; Mösslacher, Merkantilisten, S. 142 f. - Manche seiner Vorschläge könnte Gundaker von Liechtenstein auch aus den erstmals 1589, also gleichzeitig mit Boteros „Ragion di Stato", erschienenen „Politicorum sive civilis doctrinae libri sex" des niederländischen Humanisten und Hauptvertreters des Neostoizismus Justus Lipsius geschöpft haben. Vgl. Dollinger, Kurfürst Maximilian, S. 2 5 2 - 2 5 7 und passim, sowie Malisch, Katholischer Absolutismus, bes. S. 267-281. 87 Vgl. unten S. 247-253. 88 Becher, Politische Discurs, S. 891 f. Zu Bechers steuertheoretischen Grundanschauungen in aller Kürze: Sommer, Kameralisten, Teil 2, S. 71 f. 89 Schröder, Schatz- und Rentkammer, S. 20.
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5.3. Gutachten über die Schaffung einer antitürkischen Konföderation (1623) und Denkschrift betreffend einen zukünftigen Krieg gegen das Osmanische Reich (1653) Am 6. Januar 1622 Schloß Ferdinand II. mit dem siebenbürgischen Fürsten Gabriel Bethlen den Frieden von Nikolsburg. Trotzdem fiel Bethlen im Herbst des Jahres 1623 mit einer vor allem aus ungarischen Reitern bestehenden Armee von rund 20.000 Mann gemeinsam mit einem etwa 30.000 Köpfe zählenden türkischen Heer neuerlich plündernd und sengend in Oberungarn und von dort aus in Ost- und Südmähren ein, wo er bei Göding ein kaiserliches Heer unter Albrecht von Wallenstein einschloß. Erst im November und Dezember wichen die Invasoren zurück, nachdem der mit einer kaiserlichen Vollmacht versehene ungarische Palatin Stanislaus Thurzo am 18. November mit Bethlen einen Waffenstillstand geschlossen hatte. 90 In dieser Situation verfaßte Gundaker von Liechtenstein am letzten Tag des Jahres 1623 auf seinem Schloß Wilfersdorf ein Gutachten betreffend die Gründung einer Konföderation oder Liga „wider den Türcken" und übersandte es dem Kaiser.91 Im Sinne der „Friedenspartei" am Hof, die unter der Führung des Fürsten Eggenberg und des spanischen Botschafters stand und einen Bruch des Waffenstillstands mit Bethlen und in der Folge mit dem Osmanischen Reich verhindern wollte 92 , meinte Gundaker, der Kaiser besitze infolge des „einheimbischen" Krieges für einen Krieg gegen die Pforte weder Geld noch Kredit und habe außerdem im Innern seiner Länder wegen der Religionsfrage stets Unruhen zu gewärtigen. Er sprach sich daher für ein Defensivbündnis aus, dem der Papst, der König von Polen, Spanien und die kaisertreuen Reichsstände angehören sollten. Eine Beteiligung Frankreichs und Venedigs an dem Bündnis sei nicht zu erwarten. Jedenfalls müsse man unbedingt danach trachten, dem Sultan seine eigenen Untertanen rebellisch zu machen, „welches leichtlich in das werck zu richten, weil die in Europa vast alle undt in Asia ein großer theil derselben Christen undt von ihm hart gehalten sein". In dem 1641 übergebenen Gutachten über die Reform der Zentralverwaltung findet sich auch ein Punkt, in dem Gundaker empfiehlt, einen etwaigen Krieg „wider den Türcken" an den Flüssen Donau und Save zu fuhren, die festen Orte auf dem Land zu zerstören, stattdessen auf den Flußinseln Festungen zu bauen und sie „mit Teutschen [zu] besetzen". 93 Im Januar 1653 verfaßte der alte Fürst Gundaker, der sich bereits im Jahre 1606 als Verordneter des niederösterreichischen Herrenstandes mit zeitgemäßen Reformen des Kriegswesens befaßt hatte 94 , noch einmal eine Denkschrift über einen künftigen Krieg gegen das Osmanische Reich. Während deren Ausarbeitung wandte er sich brieflich an Michael D'Asquier, den langjährigen Hofdolmetscher für orientalische Sprachen 95 , und ersuchte ihn um die Beschaffung von Fachliteratur, mit deren Hilfe er sich informieren könne über die „beschaffenheit des türkischen regiments, woher nemblich der Türcke diese große macht habe, aus welchen orten und landen er die munition, geldt, profiandt, holz zu der armada maritima und übrige kriegsnoturfiften nehme etc." 96 . Anfang Februar übersandte Gundaker 90 Tadra, Beiträge; Matejek, Morava za tficetilete välky, S. 99-115. Vgl. außerdem Depner, Siebenbürgen; Heinisch, Habsburg. " Abschrift im HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat, 1620 ff.". - Vielleicht kannte Gundaker von Liechtenstein Giovanni Boteros 1614 in Turin erschienenen „Discorso della lega contro il Turco". Vgl. Bireley, The Counter-Reformation Prince, S. 49, 6 0 , 7 0 f. und 131, sowie die Ausführungen über den „Ordo Militiae Christianae" oben S. 136-140. 92 Mitis, Anteil, S. 94. 93 Ebd., S. 115. 94 Siehe Kapitel 4.3. 95 Siehe Meienberger, Schmidt zum Schwarzenborn, und Hiller, Palatin Nikolaus Esterhäzy (Register). 96 HALV, Hs. 279, S. 26, G. v. L. „an den Dasquier", Ungar. Ostra, 13. Januar 1653 (Abschrift). Der Adressat antwortete nicht, weshalb Fürst Gundaker am 28. Februar und nochmals am 5. Juni neuerlich an
Schaffung einer antitürkischen Konföderation
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dem Kaiser ein Gutachten, in dem er Vorschläge für Verteidigungsmaßregeln gegen einen jederzeit zu befürchtenden Friedensbruch und Angriff der Türken, vor allem aber fur die Führung eines Offensivkrieges in Ungarn darlegt. 97 Erstens möge der Kaiser „als des heyl. röm. reichs haubt" auf dem bevorstehenden Reichstag die Kurfürsten und Reichsstände ersuchen sich zu erklären, welche Hilfe sie dem Kaiser leisten wollten, falls „der Türk" den Frieden breche. Weiters müßten die im kaiserlichen Heer ,,eingerissene[n] unordnungen", vor allem der Disziplinmangel und das Plündern der Untertanen des Kaisers, abgestellt werden. Sollte tatsächlich wieder ein Türkenkrieg ausbrechen, so rät Gundaker dringend, ihn nicht nur defensiv, sondern auch offensiv zu führen; Voraussetzung dafiir sei allerdings eine gute „kriegsordnung und disciplin". Bei der Führung eines Türkenkriegs solle sich die kaiserliche Armee niemals von den Hauptflüssen Donau, Save und Theiß entfernen, die an diesen Flüssen liegenden feindlichen Festungen einnehmen und schleifen sowie auf nahegelegenen Inseln neue Festungen errichten. Offener Feldschlachten mit türkischen Armeen solle man sich möglichst enthalten. Zur Kriegsfinanzierung verweist Gundaker auf das Vorbild der Niederlande und Spaniens sowie auf ein von seinem Bruder Karl seinerzeit fiir Kaiser Rudolf II. erstelltes Gutachten, das er aber derzeit nicht zur Hand habe. 98 In einem offensiv geführten Türkenkrieg müsse vor allem dem Proviant- und Nachschubwesen gebührende Beachtung geschenkt werden. Unter anderem möge man die March durch die Anlage von Durchlässen bei den Mühlen fiir große Zillen schiffbar machen. Auch solle man die Kriegsvölker das ganze Jahr unterhalten und den Krieg auch im Winter fortsetzen, wie bereits sein Bruder Karl in dem erwähnten Gutachten Rudolf II. geraten habe. Ferdinand III. bedankte sich fiir das Gutachten und teilte mit, er werde Gundakers „weittere zu unsern kayserl. diensten und unserer erbkönigreich und landen Sicherheit und Wohlfahrt geraichende guette Vorschlag jederzeit gern u 99
vernemmen Nicht einmal ein Jahr später zog Gundaker seine Anregung, die March schiffbar zu machen, wieder zurück: einerseits seien die technischen Probleme zu groß und die Kosten zu hoch, andererseits verteuere der Transport das mährische Getreide und andere Viktualien derart, daß sie in Ungarn, wo Getreide und Nahrungsmittel ohnehin für gewöhnlich billiger seien als in Mähren, nur mit Verlust verkauft werden könnten. 100 Möglicherweise befürchtete Gundaker aber auch, das billige ungarische Getreide könnte den Produkten seiner eigenen Meierhöfe Konkurrenz machen. Vielleicht unter anderem angeregt durch das Gutachten Gundakers von Liechtenstein, vor allem aber wohl aufgrund der Initiative des mährischen Landeshauptmanns Johann von Rottal, der bereits 1650 die Einführung von Gmundener Salz nach Mähren und Schlesien betrieben hatte, ordnete Ferdinand III. an, in Zukunft in Mähren das Salz möglichst nicht mehr mit Fuhrwerken, sondern auf dem Wasserweg zu befördern. In kaiserlichem Auftrag
D'Asquier schrieb, er möge ihm ein deutsches, lateinisches, italienisches oder französisches Buch verschaffen, das „von dem türkischen kayser, dessen form und weis zu regieren, seinen einkhomen, aus welchen lendern er sie erhebt, macht zu wasser [und] land, zu roß und fueß, seinen ministris, austheillung oder ambter mit was authoritet, woher er die munition und profiand nehme, in summa, welches da ausfuhrlich das gantze türkische wesen beschreibe". Ebd., S. 490. 97 HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat, 1620ff.", G. v. L. an Ferdinand III., Ungar. Ostra, 5. Februar 1653 (Konzept); Abschrift in HALV, Hs. 279, S. 100-108. " Knapp zwei Monate später bedankt sich Gundaker bei seinem Sekretär Scherffer fiir die Übersendung des am 12. März erbetenen Gutachtens des seeligen Fürsten Karl, „wie man oeconomiam militarem im krieg wider den Türkhen anrichten köne", sowie für die Mühe des Suchens. HALV, Hs. 279, S. 264, G. v. L. an Scherffer, Ungar. Ostra, 23. März 1653 (Abschrift). Zu dem großen Gutachten Karls von Liechtenstein aus dem Jahre 1601 siehe oben S. 59. 99 HALV, K. 246, a. a. O., Ferdinand III. an G. v. L„ Regensburg, 27. Februar 1653. 100 HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat, 1620 ff.", „Guettachten, die March nicht schiffreich zu machen, gemacht den 30. Januarii 1654" (Konzept).
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war seit Ende Oktober 1 6 5 3 der kaiserliche Hofarchitekt, Hofingenieur und „Mroundkünstler" (Petr Fidler) Filiberto Luchese in Mähren unterwegs, um die Möglichkeit einer Regulierung bzw. Schiffbarmachung der March zu überprüfen und ein Gutachten samt Kostenvoranschlag und Zeitplan vorzulegen. Dabei besuchte er im Dezember auch seine Bauherren, den Fürsten Gundaker von Liechtenstein in Ungarisch Ostra und den Grafen Johann von Rottal in Holleschau. 101 Letzterer war 1 6 4 1 in den Reichsgrafenstand erhoben worden und hatte im Jahre 1 6 5 0 Wenzel Eusebius von Lobkowitz die Herrschaft Holleschau abgekauft, wo er sich ab 1652/53 von Luchese ein modernes, vom Palazzo Farnese in Rom inspiriertes Residenzschloß errichten ließ. 1 0 2 Am 13. Februar 1 6 5 4 legte Luchese sein Gutachten vor, demzufolge die Schiffbarmachung der March grundsätzlich möglich war, allerdings unter der Voraussetzung der Anlage von (mindestens) 15 Klausen und von Kanälen in einer Gesamtlänge von 1 3 . 6 6 0 Klaftern (knapp 2 6 km). Auf kaiserlichen Druck wurde im Mai 1 6 5 4 in Brünn eine Kommission der mährischen Stände eingesetzt. Das Projekt schlief jedoch bald ein und geriet, nachdem seit 1 6 6 9 im Zusammenhang mit dem Vorschlag Johann Joachim Bechers, österreichische und ungarische Weine nach Holland zu exportieren, sogar einige Jahre über den Plan eines Donau-March-Oder-Kanals deliberiert worden war, zwar nicht in Vergessenheit, wurde aber nicht realisiert. 103
5.4. Gutachten über die Möglichkeiten eines Friedensschlusses (1633 und 1642) Nach der Schlacht bei Lützen am 16. November 1 6 3 2 fehlte es am Kaiserhof nicht an Stimmen, daß nun, nach dem Tod Gustav Adolfs von Schweden, der Augenblick gekommen sei, den grauenvollen Krieg zu beenden. 104 Reichsvizekanzler Stralendorf stellte dem Kaiser die bei Fortfuhrung des Krieges drohende Gefahr eines „Totalruins" eindringlich vor Augen. A m 28. Januar 1 6 3 3 unterbreiteten deputierte Räte dem Kaiser eine hoffnungslose Schilderung der militärischen Lage, ja sie warnten sogar davor, die gegenreformatorische Politik ohne Abschwächung beizubehalten. 105 In dieser kritischen politischen Situation
Siehe Kapitel 13.3.2. d'Elvert, Die Grafen von Rottal, S. 18 f.; Fidler, Architektur des Seicento, S. 180-183; Skalecki, Deutsche Architektur, S. 214—217. - Römische Palazzi dienten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch in anderen Fällen als Vorbilder von Adelsschlössern und Stadtpalästen in den habsburgischen Ländern. So ist die Fassade des um 1689 von Enrico Zuccalli entworfenen und durch Domenico Martineiii ab 1692 umgestalteten und fertiggestellten Stadtpalais Kaunitz-Liechtenstein in Wien ein „Zitat" von Berninis Palazzo ChigiOdescalchi. Lorenz, Domenico Martineiii, S. 3 4 - 3 9 und 2 2 7 - 2 3 5 . "" Fichna, Untersuchungen, S. 1 5 - 2 3 , 3 6 - 5 5 und 7 5 - 8 6 ; Fidler, Architektur des Seicento, S. 144, 172 f. und 179; ders., Filiberto Luchese, S. 188 f. Zu Bechers Weinausfuhrprojekt siehe künftig Landsteiner, Wiederaufbau oder Transformation? Zu den im Verlauf des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gefaßten aber (mit Ausnahme einiger Regulierungsmaßnahmen) nicht verwirklichten Plänen, die March von ihrer M ü n d u n g in die Donau bis Olmütz schiffbar zu machen, vgl. d'Elvert, Geschichte der Verkehrs-Anstalten, S. 2 5 6 - 2 7 9 und 2 9 1 - 2 9 4 , sowie ders., Ueber die Schiffbarmachung. 104 Zum Forschungsstand siehe zuletzt den monumentalen, von Kathrin Bierther bearbeiteten, in 4 Teilbden. erschienenen Band über den Prager Frieder von 1635 in der Reihe Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Neue Folge, 2. Teil, Bd. 10, bes. l . T e i l b d . (Erschließungsband), S. *38-*45 (Die Beratungen am Kaiserhof über die Friedensfrage nach dem Tode König Gustav Adolfs [Dezember 1632 bis Februar 1633]). los Srbik, Wallensteins Ende, S. 52 f. Die Autoren des Gutachtens, über das Pekar wohl zurecht urteilte, es laufe „recht eigentlich auf eine unverhohlen ablehnende Kritik aller bisherigen gegenreformatorischen Politik" hinaus, sind unbekannt. Das Gutachten ist aber insofern von besonderer Relevanz, als es von einigen der einflußreichsten Geheimen Räte ausdrücklich gutgeheißen wurde, nämlich vom Wiener Bischof Anton Wolfradt, von Graf TrauttmansdorfF und vom Reichsvizekanzler Stralendorf. Briefe und Akten, N. F., 2. Teil, Bd. 10, 1. Teilbd., S. *39f. mit Anm. 60. 101
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Möglichkeiten eines Friedensschlusses
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fühlte sich auch Gundaker von Liechtenstein, der im November 1625 den Kaiserhof verlassen und sich auf seine Güter zurückgezogen hatte, zu einer Stellungnahme verpflichtet. Er überreichte seine „bedeutungsvolle Denkschrift" (Srbik) jedoch nicht unmittelbar dem Kaiser, sondern übersandte sie am 26. Januar dem Grafen Trauttmansdorff zu beliebigem Gebrauch. 1 0 6 Fürst Gundaker geht von der Tatsache aus, daß es sich um einen „krieg zwischen Christen" handle, den man selbst „mit zimblicher ungelegenheit" vermitteln solle. Durch eine weitere Fortsetzung des Krieges mache sich der Kaiser im Römischen Reich verhaßt, seine Länder würden „je lenger je mehr verderbt", der Handel liege darnieder, den Untertanen werde es unmöglich sein, „daß sie continuiren khönnen, die contributiones zue geben". Die Untertanen seien bereits „schwirig" und es stehe zu befurchten, daß sie zum Feind überliefen, falls dieser in die Erbländer eindringe - „wegen der schweren exactionen" und „wegen der gezwungnen reformation in religione". 1 0 7 Das vorhandene bzw. aus den Ländern noch herauszupressende Geld reiche kaum mehr für neue Werbungen. Wegen der rückständigen Soldzahlungen drohten nicht bloß Meutereien, sondern es sei auch zu befürchten, daß die Obristen und Befehlshaber der kaiserlichen Armee vom Kaiser abfallen könnten. Wenn der Kaiser und Spanien weiter auf Eroberungen setzten, bestehe - da es England, Frankreich, Dänemark, Schweden, Polen, Moskau, der Sultan, Venedig, der Papst etc. nicht zulassen würden, „daß das haus Oesterreich solte Teutschland dominiren" - die Gefahr, daß das Haus Österreich sogar seine Erblande verlieren könnte. „His suppositis" rät Fürst Liechtenstein dem Kaiser ohne Umschweife und ohne Wenn und Aber, er möge danach trachten, „ehist einen mittelmeßigen friden [zu] machen". Gundaker beruft sich bei diesem Ratschlag, einen Kompromißfrieden zu schließen, ausdrücklich auf Wallenstein, der ihm persönlich gesagt habe, daß er „auch zum friden inclinirt" sei. Merkwürdigerweise hatte ausgerechnet Fürst Liechtenstein nicht einmal ein Jahr später entscheidenden Anteil an der Ermordung des Friedländers. 1 0 8 Graf Trauttmansdorff übergab die Denkschrift zwar nicht dem Kaiser, er hat aber offensichtlich „ihre Ausführungen im Sinne des Urhebers verwertet". 1 0 9 Die wachsende Friedensbereitschaft des Wiener Hofes traf, nach der blutigen Liquidierung des WallensteinProblems, im Jahre 1634 mit Spannungen im evangelischen Lager zusammen, wodurch im November 1634 die Unterzeichnung der Pirnaer Notein und endlich am 30. Mai 1635 der Abschluß des Prager (Sonder-)Friedens zwischen dem Kaiser und Kursachsen ermöglicht wurde. 1 1 0 Ende Januar 1635 hatte Fürst Gundaker in einem Brief an Wilhelm Slavata seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, der Kaiser versündige sich geradezu an den verarmten
106 AVA Wien, FA Trauttmansdorff, K. 101, Nr. X. 3. 84, G. v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Mährisch Kromau, 26. Januar 1633; Edition: Hallwich (Hg.), Briefe und Akten, Bd. 3, S. 7 5 0 - 7 5 4 , das Votum der deputierten Räte vom 28. Januar 1633 ebd., S. 7 5 4 - 7 6 7 . Srbik, Wallensteins Ende, S. 5 3 - 5 5 , referiert das Gutachten des Fürsten Gundaker ausfuhrlich und charakterisiert dessen Ausführungen mit Emphase und Pathos als „Darlegungen, die dem staatsmännischen Sinne und dem aufrechten Wesen ihres Urhebers zur Ehre gereichen und deren rückhaltlose Beherzigung dem deutschen Volke viele Jahre der schwersten Kämpfe, unersetzlichen Verlust an Blut und Nationalwohlstand, an kostbarem Volksboden und wertvollster Volkskraft hätte ersparen können". 107 Zu diesem Passus vgl. Repgen, Kurie, Bd. 1/1, S. 3 0 3 f . A. 23. ' 0 ! Siehe Kapitel 5.5. ' m Srbik, Wallensteins Ende, S. 55. 110 Zu den Friedensbestrebungen im Reich und am Kaiserhof in den Jahren 1634 und 1635 siehe Wandruszka, Reichspatriotismus, S. 2 1 - 3 6 . Durch den Prager Frieden wurde das Restitutionsedikt von 1629 suspendiert, der 12. November 1627 als neues Normaldatum festgesetzt und die Gründung einer (kaiserlichen) Reichsarmada angeordnet, innerhalb derer jedoch in der Folge den Kurfürsten von Bayern, Sachsen und Brandenburg selbständige Kommandos über detachierte Armeekorps überlassen werden mußten. Vgl. - neben ebd., S. 5 6 - 8 8 , und Repgen, Kurie, Bd. 1/1, S. 2 9 3 - 3 8 8 - Haan, Ferdinand II.; jetzt v. a. Briefe und Akten, N. F., 2. Teil, Bd. 10/1—4.
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Ratschläge fiir Kaiser und Erzherzöge
„landleuten und unterthanen", wenn er die Chance, „den lieben werden friden zu ergreiffen", ungenützt verstreichen ließe. 111 Zahllose Schlachten, Belagerungen und Gefechte und etliche Kriegserklärungen, Waffenstillstände und Friedensschlüsse später äußerte Gundaker von Liechtenstein Anfang Juli 1642 noch einmal seine Ansichten über die Möglichkeiten eines Friedensschlusses, die er in Form einer schriftlichen Erörterung von Ebergassing aus dem Grafen Werdenberg übersandte. 1 1 2 Bei der Friedenstraktation sei erstens danach zu trachten, daß der Kaiser und die katholischen Kur- und Reichsftirsten „beisammen stehen und nicht voneinander abgesondert werden". Zweitens solle man sich darum bemühen, daß man zunächst „in visceribus des heiligen römischen reichs (als mit Hessen, Lüneburg) ein harmonia unnd frid mache (denn dise Uneinigkeit foviert den feind); und wenn das reich unter sich mit dem haubt eins ist, so hatt es einen und mer auslendische potentaten nicht zu furchten." Der dritte Punkt betrifft eine besonders heikle Frage, die 1648 tatsächlich in dem von Fürst Gundaker angeregten Sinne geregelt werden sollte 113 : „Daß Spanien von dem friden nicht ausgeschlossen werde. Da aber ja solches von teils nicht zugelassen unnd dise fridstractation dadurch verhindert werden soke, so wird vermuetlich pesser sein vor das teutsche und spänische haus Österreich, daß Spanien von diser tractation ausgeschlossen bleibe, dann wann dadurch der frid in Teutschland und pro consequens in ihr mayestät königreichen und erblendern ervolgt, so können alsdann ihr mayestät Spanien mechtig assistiern, da hergegen ihr mayestät solches diser gestalt nicht thun können unnd daneben sich und ihre königreiche und erblender consumieren."
Sollte man derzeit keinen vollkommenen Frieden schließen können, so wäre vielleicht ein mehrjähriger Waffenstillstand „nicht unrahttsamb". Dadurch könnten sich das Reich und die Erbländer erholen. Außerdem sei Kardinal Richelieu bereits alt (er starb tatsächlich nur fünf Monate später); nach seinem Tod werde in Frankreich zweifellos eine „große mutation" erfolgen. Graf Werdenberg antwortete dem Fürsten Gundaker, der Inhalt seines Briefes stimme mit dem überein, was kürzlich (im Geheimen Rat) in dieser Angelegenheit beratschlagt und vom Kaiser resolviert worden sei. 1 1 4 Nach zweieinhalb weiteren Kriegsjahren herrschte gegen Ende des Jahres 1644 am Wiener H o f - als Folge der völlig desperaten militärischen, politischen und finanziellen Lage - die Erkenntnis, daß der Kaiser nun unbedingt einen Friedensschluß anstreben müsse. 1 1 5 Am 1. Januar 1645 holte Ferdinand III. vom engsten Kreis seiner Geheimen Räte Einzelgutachten über die Frage ein, welche Möglichkeiten es denn noch gäbe, zu einem Frieden zu gelangen. Der Böhmische Kanzler Georg Adam Borita Graf von Martinitz zog am 4. Januar ein niederschmetterndes Resümee: Die Finanzen des Kaisers seien er-
' " HALW, Κ. Η 172, Fasz. „Anschlag- und projecte eines neuen modi contribuendi im marggrafthum Mähren", G. v. L. an Graf Slavata, „Liechtenstein" (Mähr. Kromau), 28. Januar 1635 (zur Gänze eh. Konzept). Vgl. auch Kapitel 4.3. 112 HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat, 1620 ff.", G. v. L. an GrafWerdenberg, Ebergassing, 2. Juli 1642 (eh. Konzept). Ganz im Sinne des Werdenberg überschickten Gutachtens, zum Teil sogar mit denselben Worten, verfaßte Gundaker zwei Wochen später auch ein direkt an den Kaiser gerichtetes Schreiben. Ebd., G. v. L. an Ferdinand III., Ebergassing, 17. Juli 1642 (eh. Konzept). 113 Zu der schließlichen Separation des Reiches und des Kaisers von Spanien, d. h. der Sprengung des Bündnisses der beiden habsburgischen Linien, und zum Ausschluß Spaniens aus dem Frieden des Kaisers und des Reichs mit Frankreich vgl. u. a. Immler, Maximilian I., S. 363-374; Dickmann, Frieden, S. 259-273 und 477-488; Ruppert, Politik, 344-355; Repgen, Ferdinand III., S. 159 f.; Elliott, Imperial Spain, S. 349-360; Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, S. 198-204. 1,4 HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat, 1620ff.", eh. Schreiben des Grafen Werdenberg an G. v. L „ Wien, 21. Juli 1642. Mi Zur Verschlechterung der militärischen Lage des Kaisers im Jahre 1644 vgl. ζ. B. Ruppert, Politik, S. 72-75.
Möglichkeiten eines Friedensschlusses
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schöpft, die Provinzen großteils ruiniert, die Untertanen fast ausnahmslos verarmt; alle sehnten sich nach dem Frieden. 116 Zur Beschaffung des für die Verstärkung der kaiserlichen Armee dringend benötigten Geldes schlugen die Räte unter anderem den Verkauf oder die Verpfändung von Mauten, ja von Städten, Festungen, Kammergütern oder gar (Teilen) von Kronländern (insbesondere an Bayern und Venedig) sowie die möglichste Reduzierung der Hofausgaben vor. In den Erblanden müsse das aus den Niederlanden stammende und von den Schweden mit Erfolg praktizierte Kantonalsystem 117 eingeführt werden, d. h. den einzelnen Regimentern sollten Bezirke angewiesen werden, die ihnen als Winterquartier, Werbungs-, Proviant- und Ausrüstungsbasis - auch während des Feldzugs - zu dienen hätten. Auf diese Weise wollte man nicht zuletzt verhindern, daß die Soldaten das Land ausplünderten und völlig ruinierten, da sie sich damit selbst schaden würden. Die Länder sollten darüber hinaus das traditionellerweise der unmittelbaren Landesdefension dienende Landesaufgebot stellen. Sondersteuern - neue Aufschläge auf Wein, Mehl, Holz, Getreide, Wolle etc. (Akzisen), Vermögens- und Kopfsteuern 118 - sollten, auch gegen den Widerstand der Stände, eingeführt werden, um die letzten Kräfte der Länder zu mobilisieren. Georg Adam von Martinitz machte sogar den bemerkenswerten, soweit ich sehe erst 1655 realisierten Vorschlag119, Delegierte der Stände aller Länder („quoddam commune consilium provinciarum") zur Beratung der zu ergreifenden Maßnahmen nach Wien zu berufen. 120 Mehrere Geheime Räte (der Oberstkanzler von Böhmen Wilhelm Slavata, der ehemalige langjährige kaiserliche Gesandte in Spanien Franz Christoph von Khevenhüller und der Hofkammerpräsident Ulrich Franz von Kolovrat) empfahlen dem Kaiser (wie es scheint etwa gleichzeitig mit dem diesbezüglichen Entschluß Ferdinands III.), sich selbst zur Armee zu begeben, um auf diese Weise sowie durch öffentliche und private inbrünstige Gebete und Anrufungen Gottes, der Jungfrau Maria und der Heiligen Wenzel und Leopold das Waffenglück zu erzwingen. 121 Am 29. März 1645, drei Wochen nach der für die kaiserliche Armee und das bayerische Hilfskorps mit einer vernichtenden Niederlage endenden Schlacht bei Jankau, legte Ferdinand III. im Rahmen einer großen, zu Ehren der Gottesmutter in Wien abgehaltenen Bittprozession vor dem Gnadenbild der Schottenmuttergottes im Stephansdom das Gelübde ab, auf einem öffentlichen Platz eine Mariensäule zu errichten. 122 Als Vorbild diente ihm die 1638 auf Anordnung seines Schwagers 116 „Licet in rei veritate et notorietate, aeraria Maiestatis Vestrae totaliter sint exhausta, provinciae maiori ex parte ruinis involutae et destructae, subditi pauculis demptis pauperes, omnes belli taedio fracti, spe omni meliorum abiecta, pacis etiam turpis avidi." Zitiert nach Ruppert, Politik, S. 365. 117 Gutachten Ferdinand Siegmunds von Kurz, Prag, 30. Januar 1645: „Dann was den feindt [sc. die Schweden] starckh macht, ist nit die güette, sonder die viele unnd weitte seiner quartier." Zitiert nach ebd., S. 393. " ' Vgl. Codex Austriacus, Teil 1 (Wien 1704), S. 96. " ' Vgl. Beer, Finanzwesen, S. 231 f.; Krofta, Snahy, S. 221 f. 120 „(...) opinarer oportunum, ut ex quavis provincia uti Bohemia, Moravia, Silesia, Austria Inferiori, Superior!, Stiria, Carinthia, Camiolia duo vel unus deputarentur, qui in aula Maiestatis Vestrae continue assistant et quasi quoddam commune consilium provinciarum ex 16 personis formetur; qui a singulis provinciis vel plenam vel aliquam saltern habeant potestatem, quibuscum necessitates conferi et eorum auxilio, consilio et opera, quae necessaria forent, a provinciis commodius exigi possent, quibus Maiestas Vestra uteretur hinc inde in suas provincias pro re nata ablegandis, quae res, credo, multa facilitate! et provinciarum singularum in Maiestatis Vestrae Augustam domum et personam magis affectos et confidentes redderet animos, cum viderent eorum etiam votis rem communem geri." Gutachten Georgs von Martiniz vom 4. Januar 1645, zitiert nach Ruppert, Politik, S. 366. 121 Ebd., S. 7 5 - 7 9 und 364-400. 122 Uber die im Mai 1647 erfolgte Errichtung und feierliche Einweihung der Immaculata-Säule auf dem Platz Am Hof (vor der Kirche und dem Profeßhaus der Jesuiten!), bei der (bzw. bereits durch einen feierlichen Akt am 18. März 1647) der Kaiser Maria zur Herrin und Patronin Österreichs erwählte und sich, seine Kinder, Völker, Heere und Provinzen der jungfräulichen Gottesgebärerin weihte, ließ übrigens 1648 niemand anderer als Wilhelm Slavata in Wien einen Bericht drucken. Vgl. oben S. 118 f. und die dort in Anm. 369 ge-
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Ratschläge fur Kaiser u n d Erzherzöge
Maximilian errichtete Münchener Mariensäule, jenes berühmte Denkmal des marianischen Staatskults mit dem in die Gestalt eines elegischen Distichons gepreßten politischen Programm: „Rem, Regem [!], Regimen, Regionem, Religionem / Consserva Bavaris, Virgo Maria, tuis!" 1 2 3 In der hoffnungslosen Situation des Jahres 1645 stimmte auch Fürst Gundaker brieflich in den Chor der Stimmen der aktiven Geheimen Räte ein. In einem eigenhändigen Schreiben an einen von diesen, den niederösterreichischen Statthalter Johann Franz Graf Trautson, meinte er, die Erbländer seien zum Teil vom Feind besetzt und würden von ihm ausgesaugt. Die Finanzquellen der Steiermark, Kärntens, Krains, Tirols und Österreichs ob der Enns seien zuwenig, um den Krieg fortsetzen zu können. Ungarn tue „nichts oder wenig", Spanien sei mit sich selbst beschäftigt, die Länder der Kurfürsten mit Ausnahme Bayerns seien „alle ausgemerglt", fast alle Reichsstädte seien entweder neutral oder dem Kaiser feindlich gesinnt. „Den friden wirdt mann anjetzo machen miessen nicht wie wir (weil mann ihn, da wir in raeliori statu gewesen, nicht geschlossen und billichen dingen nach machen können, oder mehr auf anderer als auf unnsere conservation gesehen), sondern wie andere wollen, und je ehe je pesser, den da mann es lenger verziecht, so wird die Sachen, wie bishero auch beschehen, je lenger je schwerer gemacht." 1 2 4 Die Kriegslage schien keinerlei Möglichkeit einer erfolgversprechenden Offensive mehr zu bieten, und überdies drohte Maximilian von Bayern, bei mangelnder Friedens- und Konzessionsbereitschaft des Kaisers notfalls einen Separatfrieden mit Frankreich zu schließen. 125 In dieser Zwangslage verfaßte Ferdinand III. am 16. Oktober 1645 - nach Einholung und auf der Grundlage von Gutachten der Geheimen Räte Trauttmansdorff, Martinitz, Kolovrat, Kurz, des österreichischen Hofkanzlers Dr. Matthias Prickheimayer und des Hofkriegsratspräsidenten Heinrich Graf Schlick - auf dem Linzer Schloß eigenhändig eine (übrigens erst 1962 publizierte) Geheiminstruktion für seinen Obersthofmeister und engsten politischen Vertrauten Maximilian von Trauttmansdorff, der einen Monat später als neuer kaiserlicher Prinzipalgesandter zu den Verhandlungen in Münster und Osnabrück abreiste. Die Instruktion zeigt, daß man am Kaiserhof im Herbst dieses „annus horribilis (Jankau!) et mirabilis (Brünn!)" nunmehr zu fast allen, jedenfalls aber zu realistischen Bedingungen zum Frieden bereit war. 1 2 6 Bereits am 26. September hatte der kurbayerische Hofkammerpräsident und Geheime Rat Dr. Johann Mändl aus Linz dem Kurfürsten berichtet, die Geheimen Räte des Kaisers wünschten Frieden „quocunque modo und baldt". 1 2 7 Aber auch nach dem Eintreffen Trauttmansdorffs in Münster Ende November 1645 gingen die Versuche weiter, den Ausgang der Verhandlungen durch Erfolge auf dem Schlachtfeld zu beeinflussen, worauf hier nicht mehr eingegangen werden kann. nannte Literatur. - Bereits 1640 hatte Ferdinand III., der wie sein Vater marianischer Sodale war, in ein Album einer Löwener Kongregation die folgende, an Maria gerichtete W i d m u n g eingetragen: „Tibi ego me, meosque Conjugem ac Liberos, Tibi Romanorum Imperium, cui me Deus praefecit, Tibi regna a majoribus accepta, Tibi tutelaeque tuae Populum et Exercitus meos, Tibi tuoque Filio militantes, committo. Tu me in tuum admitte, qui Filio tuo, qui Tibi, qui utriusque honori vivo, regno, pugno. Tuus igitur ego ero, Maria. Tui erunt quicunque mei, Tua erunt ditiones et regna mea et Imperium, Tui Populi et exercitus, Tu eos protege, Tu eis vince, Tu in eis regna et impera. Ita voveo M D C X L Tuus Pietate et Justitia Ferdinandus." Zitiert nach Piesch, D o m i n a Austriae, S. 532. - 1638, im Jahr der Errichtung der Münchener Mariensäule, hatte übrigens auch Ludwig XIII. von Frankreich sein Königreich der Gottesmutter geweiht. Pillorget, L'image, S. 48. 124
Hubensteiner, Vom Geist des Barock, S. 118. HALV, Hs. 273, S. 2 0 6 f., G . v. L. an Graf Trautson, o. O . (Marburg/Maribor), 25. April 1645 (Ab-
schrift). Vgl. Immler, Maximilian I., S. 6 2 - 2 1 3 . Dickmann u . a . (Bearb.), Acta Pacis Westphalicae, Serie I, Bd. 1, S. 4 4 0 - 4 5 2 ; Ruppert, Politik, S. 1 2 9 - 1 3 8 ; Repgen, Ferdinand III., S. 158 f.; zuletzt: Winkelbauer, Finanznot und Friedenssehnsucht. 127 Immler, Maximilian I., S. 187. Siehe die Gutachten der kaiserlichen Geheimen Räte von Ende September 1645: Dickmann u. a. (Bearb.), Instruktionen, S. 4 4 0 - 4 5 2 (in den Fußnoten). 125
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.Gutachten wegen des Fridlenders'
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5.5. „Gutachten wegen des Fridlenders" (1633/34) Die bekannteste Denkschrift Gundakers von Liechtenstein ist wohl sein wahrscheinlich bereits Mitte Dezember 1633 verfaßtes 128 und am 11. Januar 1634 - d. h. am Vorabend der schriftlichen Erklärung der Offiziere der kaiserlichen Armee für Wallenstein („Erster Pilsener Schluß" vom 12. Januar 1634) - im geheimen Kaiser Ferdinand II. übergebenes „Gutachten wegen des Fridlenders". 129 Seit dem Sommer des Vorjahres hatte sich die Entfremdung zwischen Kaiser Ferdinand II. und seinem Generalissimus (Abb. 20) infolge der Erkenntnis, daß die kaiserliche Armee de facto zur Armee Wallensteins geworden war, zu der festen Uberzeugung gesteigert, Wallenstein müsse abgesetzt werden. Darauf drängten im Dezember 1633 nicht nur seine Gegner am Kaiserhof wie der Hofkriegsratspräsident Heinrich Graf Schlick sowie der Kurfürst von Bayern (dessen alte Gegnerschaft zu Wallenstein sich im Sommer
Abb. 20: Albrecht von Wallenstein, Herzog von Friedland, Herzog von Sagan etc. (1583-1634). Kupferstich.
I2
« Pekaf, Wallenstein, Bd. 2, S. 251 A. 51. HALV, K. 246, Original in Libellform mit den Ringsiegeln Kaiser Ferdinands II. und seines Sohnes, des Thronfolgers und Königs Ferdinand (eh. Vermerk G.s v. L. auf beigelegtem Zettel: „Gutachten wegen des Fridlenders, so ich ihr mayestät übergeben 11. Januar 1634."). Editionen: Mitis, Anteil, S. 103-110; Lorenz (Hg.), Quellen zur Geschichte Wallensteins, Nr. 120. - Die im geheimen überreichte Denkschrift wurde dem Fürsten Gundaker offenbar vom Kaiser (oder von dessen Sohn) wieder zurückgestellt, „so daß heute das Original wieder im Hausarchiv der regierenden Fürsten von Liechtenstein verwahrt wird". Die beiden vorletzten Blätter des Gutachtens sind herausgeschnitten; es ist also die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, „daß sie vielleicht noch einen Text enthielten, der sofort beseitigt werden mußte". Mitis, Anteil, S. 96 f. - Der Kaiser „erbat sich offenbar solche Gutachten von den meisten seiner Räte". Pekaf, Wallenstein, Bd. 1, S. 601. 129
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Ratschläge fiir Kaiser u n d Erzherzöge
1633 in blanken Haß verwandelt hatte) und dessen außerordentlicher Gesandter in Wien, Bartholomäus Richel, sondern auch der spanische Sonderbotschafter Ifiigo Velez de Guevara y Tassis, Conde de Ofiate, dem Gundaker von Liechtenstein bereits in den Jahren 1617 bis 1619 während dessen Zeit als spanischer Gesandter am Kaiserhof nahegestanden war. (Ein Einfluß Ofiates auf das im folgenden zu besprechende Gutachten ist weder nachzuweisen noch auszuschließen.) Um die Jahreswende 1633/34 herrschte am Kaiserhof noch Unschlüssigkeit über die beste Art der Entfernung Wallensteins. 130 Es scheint, daß in diesem Augenblick das Gutachten Gundakers von Liechtenstein, der erst seit kurzem wieder an den Sitzungen des Geheimen Rates teilnahm und den Srbik als „Wortführer einer gemäßigten, unparteiischen Mittelgruppe" charakterisiert hat, auf den Kaiser einen besonderen Eindruck machte. „Es kann kein Zufall sein, daß die ganzen Richtlinien, die Ferdinand dann einhielt, in dieser Denkschrift bereits vorgezeichnet sind." 131 Fürst Gundaker geht in seinem Gutachten von dem politischen Grundsatz aus: „Es ist zwar von allen das beste zu praesumiren, in politicis aber soll man das ergste, was probabiliter beschehen khan, supponiren unnd providiren, wenn einer es in das werckh sezen will, daß er es nicht thun khönne." 132 Im Zuge einer bemerkenswerten Analyse des Verhaltens Wallensteins während seines zweiten Generalats spricht er unter anderem von dessen „angebornen unersättligkeit unnd ambition", davon, daß er es „hoch andet, daß ihn euer mayestät [im Jahre 1630] vom generalat abgethon", und davon, „daß er das spanische volckh, weil es nicht von ihm dependirt, im reich nicht haben wollen". Leidenschaftslos betont Gundaker, er wolle weder Wallensteins Verdienste verkleinern noch seine Verfehlungen vergrößern; er bezichtigt ihn allerdings des Ungehorsams gegen den Kaiser, der schweren Schädigung des Hauses Österreich, der Erblande und der katholischen Religion. Im guten lasse sich keine Verbesserung seines Verhaltens erreichen, da er im Ungehorsam bereits zu sehr verhärtet sei. Solange er die Armee kommandiere, könne er jeden Versuch verhindern, seine Autorität über das Heer durch eine Einschränkung seiner Vollmachten zu verkleinern. Es gebe daher „kein anders mittel, als daß er von dem generalat abgesezt werde". Auch dies könne nicht mehr gütlich („mit guetem") erreicht werden. Man müsse vielmehr zunächst die „kriegshäubter" gewinnen, sich auf einen neuen Oberkommandierenden - am besten den Thronfolger, König Ferdinand - „resolviren" und dann Wallenstein absetzen. Damit dieser keinen Verdacht schöpfe, solle man „unterdessen den stilo oder procedere von hof gegen ihm nicht mutiren, sondern wie zuvor und nicht weniger tractiren". Nach der Absetzung kann ihn der Kaiser verhören lassen und (nach einem Prozeß?) bestrafen oder belohnen. Nun folgen die entscheidenden Sätze: „Wenn aber befunden wird, daß ohne privirung seines lebens euer mayestät ihn nicht wol versicherter absezen khönnen, so vermeine ich, weil die iustitia omnes actiones nostras praecedere debet, wider dieselbe nicht gebührt zu rathen noch zu thun, und menschenbluet nicht oxenbluet ist, daß sie zwen oder drey demselben confidentiores räth, welche gewissenhaft unnd in rechten gar wol gegrünndet sein, lassen in gehaimb recht unnd grünndlich informiren, was der generalissimus wider euer mayestät gethon, was vor indicia sein seiner verern intention, was vor particularia vorgeloffen, in was gefahr euer mayestät persohn, hochlöbliches haus, lander
130 Zur Vorgeschichte und Entstehung des Urteils vgl. Srbik, Wallensteins Ende, S. 41-111; Pekar, Wallenstein, Bd. 1, S. 508-691; Suvanto, Wallenstein, S. 179-358. (Zur Kritik an Suvantos umstrittenem Buch: G. Lutz, Wallenstein.) Siehe nunmehr auch die gründliche Untersuchung der rechtlichen Aspekte des kaiserlichen Vorgehens gegen Wallenstein im Januar und Februar 1634 bei Kampmann, Reichsrebellion, S. 101-172. (Vgl. auch die prägnante Zusammenfassung Sturmbergers: „Die äußerste Not des Staates dispensiert vom positiven Recht, nicht aber vom göttlichen Recht. Der Kaiser als oberster Richter konnte auf das ordentliche Rechtsverfähren verzichten und den Herzog zum Tode verurteilen [?], weil für das Staatswesen Gefahr im Verzug war - allerdings nach eingehender Untersuchung, ob hiedurch das göttliche Recht nicht verletzt werde." Sturmberger, Ferdinand II., S. 181.) ,3 ' Srbik, Wallensteins Ende, S. 102. 132 Dieses und die folgenden wörtlichen Zitate nach dem Original im HALV, K. 246.
.Gutachten wegen des Fridlenders"
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unnd die religion gesezt sein; darüber von ihnen guetachten begern, ob euer mayestät, wenn sie kein anders gar sichers mittel haben ihn abzuesezen, ihn ohne offension der iustiti des lebens priviren khönnen. Befind sichs nicht, so ists nicht 1 3 3 zue thun, es gehe gleich zue wie da wöll, denn umb keine Sachen in der weld wider Gott zue handien. Permitirts aber die iustitia, so ists zue exequiren, euer mayestät persohn, haus, länder, religion unnd sovil unschuldige tyranisierte aus der gefahr unnd bedrangnus dadurch zue salviren. Denn wenn euer mayestät ihn wider recht des lebens priviren ließen, so theten sie, was sie mit recht nicht thun sollten, hergegen wenn sie ihn desselben mit recht priviren unnd dardurch obgemeltes meistentheils erlangen khönnten unnd solches nicht theten, so unterließen sie das, was sie mit recht nicht unterlassen khönnen, denn extremis malis extrema remedia adhibenda, unnd pro conservatione status soll man alles thun, was nicht wider Gott ist."
Wie bereits ein Jahr zuvor 134 , rät Gundaker schließlich dem Kaiser dazu, möglichst bald Frieden zu schließen, da sonst Meutereien in der Armee und Brandschatzungen der Städte zu befurchten seien. Der Kaiser möge bedenken, „daß khein friedschluß so praeiudicirlich und ignominiosus ist (wenn man den statum durch kein anders mittel dann durch den fried erhalten kan) als der Verlust des status, unnd wenn man denselben nur erhelt, daß man leichter die ignominiam des friedsschluß repariren, als den statum widerumb erlangen khan". Er möge notfalls auch schwere Friedensbedingungen (im Klartext wohl: auch die Preisgabe des Restitutionsedikts von 1629) akzeptieren, „denn das lezte unnd ergste übel und der größte spott, so einem hohen potentaten widerfahren kan, ist, den statum verlieren". Bald nach der Mitte des Monats Januar beauftragte der Kaiser - ganz gemäß dem Rat des Fürsten Gundaker - drei seiner engsten Vertrauten, nämlich den Fürsten Eggenberg, den Grafen TrauttmansdorfF und den Wiener Bischof Anton Wolfradt, mit der Untersuchung und Beantwortung der Frage, ob er das Recht habe, den Herzog von Friedland des Lebens zu berauben. Bemerkenswerterweise wurden nicht einmal der Thronfolger, Lamormaini (dieser wurde erst am Tag der Entscheidung um sein Gutachten als Beichtvater ersucht) und Ofiate ins Vertrauen gezogen. Am 24. Januar „fielen die Würfel": Ferdinand II. beschloß, Wallenstein durch ein Patent seines Kommandos zu entheben und dieses bis zur Wiederbesetzung dem Generalleutnant Matthias Graf Gallas zu übertragen („Erstes Absetzungspatent"). Am selben Tag befahl er - nach dem Zeugnis Lamormainis - den vier verläßlichsten hohen Offizieren (Generalleutnant Gallas, Generalwachtmeister Ottavio Piccolomini und den Generälen Johann Graf Aldringen und Rudolf Graf Colloredo), „das Haupt und die vornehmsten Mitverschworenen, wenn irgend möglich, gefangenzunehmen und nach Wien zu bringen oder als überführte Schuldige zu töten". 135 Der Schluß des Dramas ist bekannt: Auf Befehl des Stadtkommandanten von Eger, Gordon, und zweier weiterer kaiserlicher Offiziere, Butler und Leslie, wurde Wallenstein am Abend des 25. Februar 1634 von Kapitän Walter Deveroux mit einer Partisane in seinem Zimmer getötet. Heinrich von Srbik hat dem Gutachten Gundakers von Liechtenstein für das kaiserliche Vorgehen gegen Wallenstein große Bedeutung beigemessen. 136 Christoph Kampmann hat diese Bedeutung zuletzt - wie ich glaube zu Recht - relativiert. „Grundsätzlich", meinte er, „wäre im einzelnen zu überprüfen, inwieweit das Gutachten Gundakers von Liechtenstein aus der Zeit vordem Bekanntwerden des Ersten Pilsener Reverses und der schweren Vorwürfe Piccolominis gegen Wallenstein die kaiserlichen Maßnahmen nach dem Ersten Pilsener Revers beeinflußt hat." Es seien zwar einerseits „Parallelen zwischen verschiedenen Anregungen
Bei Mitis (Anteil, S. 109), Srbik (Wallensteins Ende, S. 103) und anderen bisher stets „ist nichts" statt „ists nicht". 134 Vgl. Kapitel 5.4. Srbik, Wallensteins Ende, S. 109-111; Pekar, Wallenstein, Bd. 1, S. 599-616. (Pekaf, a. a. O., Bd. 2, S. 259, nimmt an, daß an der Beratung am 24. Januar auch Slavata teilgenommen habe.) Zur Kontroverse zwischen Srbik und Pekar in der „Wallensteinfrage" vgl. die jüngste Zusammenfassung der Standpunkte bei Kampmann, Reichsrebellion, S. 2-A. 136 Srbik, Wallensteins Ende, S. 102 und 109. Siehe oben, S. 219. Hans Sturmberger hat sich der Ansicht Srbiks angeschlossen: Sturmberger, Ferdinand II., S. 180 f.
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des Gutachtens und dem später durchgeführten Vorgehen unverkennbar" (Einholung der Gutachten der Räte, strikte Geheimhaltung, Täuschung Wallensteins durch Aufrechterhaltung des normalen Briefverkehrs u. a.), andererseits seien „einzelne Vorschläge Liechtensteins nachweislich schon vor der Vorlage des Gutachtens eingeleitet worden oder gehörten zur üblichen Regierungspraxis des Wiener Hofes", etwa die bereits Anfang Januar eingeleitete Gewinnung der „kriegshäubter" (Gallas, Piccolomini, Aldringen, Colloredo) vor der Absetzung Wallensteins. 137 Wahrscheinlich ist die Kennzeichnung der Denkschrift durch ihren „Entdecker" Oskar von Mitis immer noch die treffendste und unverfänglichste: „Mitten aus den Beratungen des Geheimen Rates entstanden, faßt Liechtensteins Gutachten in klarer und erschöpfender Weise das Urteil der gemäßigten Hofkreise zusammen [ . . . ] . " 1 3 8
5.6. Der Fürstenspiegel Gundakers von Liechtenstein (1639 bzw. 1648) Die Schrift, mit der sich Gundaker von Liechtenstein einen Platz in der Geschichte der katholischen Staatslehre und des katholischen Fürstenbildes im 17. Jahrhundert gesichert hat, ist eine 1 6 3 9 verfaßte und später erweiterte, in die Form eines Fürstenspiegels gekleidete Denkschrift, in der er zum Teil seine in den vergangenen Jahrzehnten verfaßten Gutachten prägnant und übersichtlich zusammengefaßt hat. 1 3 9 Eine erste Fassung der Schrift wurde im Juni 1 6 3 9 dem 25jährigen Erzherzog Leopold Wilhelm und im November 1 6 4 1 dessen Bruder, dem regierenden Kaiser Ferdinand III. übergeben. 1 4 0 Die etwas erweiterte Fassung übergab Fürst Gundaker im August 1 6 4 8 ebenfalls Ferdinand III. und im Jahre 1 6 5 7 nach dessen Tod neuerlich dem Erzherzog Leopold Wilhelm, der im April 1 6 5 7 zunächst die Leitung der Staatsgeschäfte übernommen hatte und in den ersten Monaten der Regierung Leopolds I. sein wichtigster Berater war. 1 4 1 Der vielleicht treffendste Titel für die Schrift findet sich auf dem Ex-
Kampmann, Reichsrebellion, S. 126 f. und 130. Mitis, Anteil, S. 96. (Nichts Neues bietet der etwas unfachmännische Aufsatz von Seger, Gundacker von Liechtenstein und Albrecht von Wallenstein.) 135 ÖNB, Cod. 10.286; mehrere Exemplare im HALV, K. 248. Edition: Eymer (Hg.), Gutachten; jetzt auch bei Hammerstein (Hg.), Staatslehre, S. 541-566. Die Erläuterungen Notker Hammersteins („Verfasser der Schrift", „Historischer Kontext" und „Stellenkommentar", S. 1172-1178) enthalten gravierende Fehler, die unter anderem darauf zurückzuführen sind, daß er nicht einmal den grundlegenden Aufsatz von Mitis, Anteil, zu kennen scheint. (Kurioserweise fuhrt er als Literaturhinweise auf S. 1208 nur zwei Titel an, in denen Gundaker von Liechtenstein und sein Gutachten mit keinem Wort erwähnt werden!) Andere Fehler resultieren „bloß" aus mangelnder Kenntnis der Verhältnisse in der Habsburgermonarchie im 17. Jahrhundert (sowie der österreichisch-bairischen Mundart). Ein paar krasse Beispiele: Hammerstein verwechselt Erzherzog Leopold Wilhelm mit seinem Neffen Kaiser Leopold I. (S. 1173 und 1175); „in der gehe" heißt nicht „in der Eile" (S. 554), sondern „im Jähzorn"; „landtleüt" sind im gegebenen Kontext nicht „Untertanen des Kaisers, welchen Landes auch immer" (S. 1177), sondern (adelige) Mitglieder der Stände eines bestimmten Landes; mit „gubernator" ist gerade nicht der „Landeshauptmann" (S. 1177) gemeint, sondern der Statthalter des Landesfursten. Immerhin ist es nützlich und erfreulich, daß der Text des Fürstenspiegels Gundakers von Liechtenstein nunmehr in einer (relativ) leicht zugänglichen Ausgabe vorliegt, die sich allerdings in der Textgestaltung ganz an die erste, nicht völlig fehlerfreie Edition durch W. Eymer vor mehr als 90 Jahren hält. 137
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w° HALV, K. 248, Exemplar (Abschrift) der Denkschrift mit dem eh. Vermerk G.s v. L.: „Geheimen rahtts bestellung, dem erzh. Leopold übergeben im Junio des 1639 jaars. / I(hrer) m(ayestät) übergeben den 16. 9br. 1641." - Erzherzog Leopold Wilhelm war 1639 Fürstbischof von Passau, Straßburg, Halberstadt und Olmütz sowie Bischofsadministrator von Bremen und Magdeburg. Im selben Jahr wurde er zum Hoch- und Deutschmeister gewählt und vom Kaiser zum Generalissimus bestellt. Gatz (Hg.), Bischöfe 1648 bis 1803, S. 265-267. 141 HALV, K. 248, Exemplare (Abschriften) mit folgenden Vermerken: 1. „Gutachten wegen education eines jungen fursten. Geheimen rahtts bestellung. / Ihr mej. übergeben im Aug. 1648."; 2. „Gutachten wegen education oder information eines jungen fürsten und ein manier, wie der geheimbe rath könne nutzlich gehalten werden. Von [...] fürst Gundacker etc. verfaßt und ihrer durchlaucht ertzherzog Leop. Wilhelmb anno
Der Fürstenspiegel Gundakers von Liechtenstein
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emplar, das Fürst Gundaker im Dezember 1652 seinem Neffen Karl Eusebius, dem Chef und Regierer des Hauses Liechtenstein, übersandte: „Instructio et consilium pro principe re«14?
gente. Einleitend definiert Gundaker die gute Regierung, ein Hauptthema jedes Fürstenspiegels, folgendermaßen: „Das guete regiment ist und bestehet in diesem, daß der regierende fiirst dardurch erlange und befiirdere vorderist und 1. Gottes ehr und cultum, 2. seiner lender wolfahrt und wolstand, 3. seines hauses conservation und aufnehmen und 4. seiner persohn reputation und aestimation." 143 Der erste Punkt bestehe in der Förderung der katholischen Religion und der „ausrottung der unkatolischen vermitels information durch guete geistliche und dann ausschafung der obstinaten". Dabei sei jedoch „große discretion zu gebrauchen". Zweitens werde Gottes Ehre befördert „durch abstellung und bestrafung der ofendichen laster (als fluchen, schweren, wucher, unkeischheit)", drittens durch Förderung des Gottesdienstes mittels guter Pfarrer. Zu diesem Zweck soll der Fürst die Bischöfe und die Ordensprovinziale, notfalls auch den Papst und die Ordensgeneräle ersuchen, die Pfarren und Klöster „zum öfftem durch uninteressirte fromme geistliche" visitieren zu lassen. Der zweite Hauptzweck eines guten Regiments, die Förderung der Wohlfahrt der Länder des Fürsten, wird erstens durch deren Beschützung im Krieg und den Bau von Festungen und die Anlage von Vorräten an Geschütz, Munition und Waffen in Friedenszeiten erfüllt. Das Landvolk soll der Fürst in den Waffen „üben und trillen, denn sie dadurch nit allein zu der landsdefension, sondern auch, wann es die notturfft erfordert, daß sie geworben werden sollen, zu desto eherm und pesserm gebrauch habiliores werden". 144 Die nun folgenden merkantilistischen Ratschläge stimmen zum Teil wörtlich mit den entsprechenden Passagen in Gundakers Denkschriften zur Reform des Kammerwesens von 1613 und 1615 überein. 145 Durch die Vermehrung der Bürger- und Bauernschaft und die Bereicherung des Adels werde „die landsbewilligung desto leichter und ergäbiger gemacht". Die Mauten solle der Fürst nicht zu sehr erhöhen, denn einerseits wäre es „wider das gewissen", andererseits steige mit der Höhe der Mauten die Zahl der Mautumgehungen und -hinterziehungen. Gundaker behandelt die Punkte 3 (Bewahrung und „aufnehmen" des fürstlichen Hauses) und 4 (Reputation 146 und Astimation der Person des Fürsten) seiner Definition einer guten Regierung nicht in eigenen Abschnitten, sondern im Rahmen der Darstellung der vier Mittel, die zur Erlangung einer guten Regierung behilflich seien: 1. „ein guetes judicium des regierenden fürsten"; 2. gute Räte und Beamte 147 ; 3. Geld; 4. „kriegsnotturfften". Von besonderer Bedeutung sei in erster Linie „das guete judicium" des Fürsten, d. h. die Urteilsfähigkeit des Fürsten, seine Fähigkeit, aus mehreren Vorschlägen seiner Räte jeweils den besten auszuwählen und zu resolvieren. Ein gutes „ingenium" sei für einen regierenden Fürsten hin1657 eingeschikt worden. / Es ist aber dieses gutachten vorhero, anno 1648, ihrer mayt. Ferdin. 3'" übergeben, worden." 1,2 Ebd. Daß das Exemplar fiir Karl Eusebius bestimmt war, geht aus dem Praesentatvermerk hervor: „Praes. Feldesperg 14. Xbris 1652." 143 Dieses und die folgenden Zitate aus einem weiteren, undatierten Exemplar der Schrift im HALV, K. 248, mit folgendem Rubrum: „In was das guete regiment eines fiirsten bestehe und was der finis oder die intention eines guten regenten sein solle." Bei Eymer, Gutachten, „existimation" statt „aestimation"; in Cod. 10.286 der Ö N B „existination" von anderer Hand verbessert aus „existinatio" (sie!). 144 Vgl. dazu Kapitel 5.9. 145 Vgl. Kapitel 5.2. 146 Zur zentralen Rolle der Reputation des Fürsten in der anti-machiavellistischen Staatslehre im allgemeinen und bei Giovanni Botero, Justus Lipsius, Diego Saavedra Fajardo, Adam Contzen und Carlo Scribani im besonderen vgl. Bireley, The Counter-Reformation Prince, S. 54-57, 82-84, 198-200, l47f., 171-177, 223-225 u. ö.; Botero, Deila Ragion di Stato [...]. Hrsg. v. L. Firpo, bes. S. 120-131 und 413-443. 147 In einem wieder durchgestrichenen eh. Nachtrag G.s v. L. in der Fassung von 1639/1641 heißt es begründend: „Denn es ist unmüglich, daß ein regierender fiirst selbst alles der noturflft nach übersehen und ausarbeiten noch alle nuzliche vorschleg erdenken kan."
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gegen nicht von so großer Wichtigkeit, da es durch die verschiedenen Ratskollegien und die von diesen unterbreiteten Vorschläge suppliert werden könne. Die Entscheidungen dürfe der Fürst aber nicht den Räten überlassen, denn er komme sonst in den Verdacht, nicht regieren zu können oder zu wollen oder sich vor Entscheidungen zu furchten, was einem Fürsten zur „disreputation" gereiche. Das gute „judicium" könne erstens durch Bittgebete gefördert werden 1 4 8 ; zweitens durch gute Erziehung und Unterweisungen, „insonderheit mit impression der axiomatar- [sie!] oder maximarum politicarum, cameralium, bellicarum, iustitiariarum, nach welcher ein gueter regent sein regierung anstellen solle", sowie durch das Lesen „der historien" und ihre Erklärung und Anwendung auf die Gegenwart; schließlich drittens durch Gespräche mit frommen, verständigen und erfahrenen Leuten. Zur Heranbildung von guten Räten und Beamten seien Schulen, Universitäten und Akademien 1 4 9 einzurichten, in denen „die leit in politicis instruirt und ad politica munia subeunda habiles gemacht werden". Deren Leiter („superintendentes") hätten die Bestqualifizierten mit Anfuhrung ihrer Begabungen und Neigungen dem Fürsten zur Anstellung zu empfehlen. Die jungen Leute sollen sodann in verschiedene Ratsgremien gesetzt, in Kommissionen gebraucht und vornehmen Gesandten als Begleiter mitgegeben, schließlich selbst als Residenten und Gesandte an Fürstenhöfen sowie als Statthalter verschiedener Länder verwendet werden, „denn dadurch erlangen sie cognitionem rerum et hominum und des landsfiirsten und der benachtbarten fursten lender und können alsdann dem landsfursten desto grindtlichern und ersprießlichem rahtt ertheilen, wenn ein negotium aus einem seiner oder anderer land zu berathschlagen vorgebracht wird. Aus diesen werden alsdann die pesten geheimen rähtt, und dieser lezte modus hatt das dominium der Römer erweitert und bishero [jenes] der Venediger erhalten." Z u m Kriegswesen könne die (adelige) Jugend erstens durch den Unterricht des Fortifikationswesens und der Kriegsgeschichte in der (zu gründenden 1 5 0 ) (Ritter-)Akademie befähigt werden; zweitens durch den Einsatz an der Militärgrenze; drittens durch die gemeinsame Verwendung mit alten und erfahrenen Männern in Kriegskommissionen; viertens durch die Entsendung in die Niederlande oder anderswohin, „wo der krieg mit Ordnung und mit allerley vortl gefurht wirdt". Die Statthalter und hohen Beamten sowie die einzelnen Amter in Wien und in den Ländern soll der Fürst regelmäßig visitieren lassen. Wenn „landleit", also Mitglieder der Stände aus einem seiner Länder, an den Hof kommen, so soll sie der Fürst darüber befragen, wie sich der Statthalter und die anderen Beamten und Räte verhalten und wie das Land regiert wird. Um Ehrlichkeit, Gründlichkeit und Fleiß seiner Räte zu kontrollieren, soll er von Zeit zu Zeit dieselbe Angelegenheit hintereinander und unabhängig voneinander zwei verschiedenen Räten zur Untersuchung und Berichterstattung übergeben und jeden falsch Berichtenden bzw. Ratenden je nach den Umständen hart bestrafen. Wenn er diese Kontroll- und Vorsichtsmaßregeln unterlasse, so mache er sich mitschuldig und beschwere sein Gewissen „mit der Unrechten sentenz, die er auf falsche relation ertheilet". 151 Verdiente, gehorsame, treue und fleißige Diener soll der Fürst belohnen, nachlässige, ungehorsame und ihren eigenen Nutzen verfolgende hingegen bestrafen. Bei der Bestrafung solle der Fürst (zwecks Erzielung einer möglichst großen Abschreckungswirkung) darauf achten, „ut dolor ad paueos, rumor vero et timor ad multos perveniat". 152 Vgl. oben S. 221 f. Hans Jakob Wagner von Wagenfels, der Erzieher Josephs I., hat noch 1691 die Errichtung der Wiener Mariensäule „als das eigentliche Geheimnis der erfolgreichen Politik Ferdinands III. im Dreißigjährigen Kriege bezeichnet". Repgen, Ferdinand III., S. 147. 149 Vgl. Kapitel 5.1. Siehe ebd. 151 Dieser letzte Punkt steht in der Handschrift der Ö N B und daher auch in den Editionen von Eymer und Hammerstein ganz am Schluß der Schrift. 152 Hammerstein (Hg.), Staatslehre, S. 554, macht den Satz durch die - gekennzeichnete, also bewußte Auslassung einiger Worte unverständlich: Der Fürst solle „in Acht nehmmen, ut Dolor perveniat".
Der Fürstenspiegel Gundakers von Liechtenstein
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Das dritte Mittel, das zu einer guten Regierung gehöre, sei das Geld - „quia pecunia est nervus rerum agendarum", fugt Gundaker hinzu und greift damit eine antike Sentenz auf, die schon im 16. Jahrhundert (meist in der Form „pecunia nervus rerum" oder „pecunia nervus belli") zu einem Gemeinplatz der politischen Literatur geworden war. 153 Rechtmäßige Mittel, mit denen der Fürst (mehr) Geld erlangen kann, seien: 1. die bereits behandelte, durch eine merkantilistische Wirtschaftspolitik zu erzielende Bereicherung der Länder, „denn dadurch, wie gemelt, die landsbewilligungen erleichtert und ergebiger gemacht werden"; 2. die „rechte und nutzbare anstellung" der wichtigsten Kammergefälle, „als das salzwesen, die gold-, silber-, queksilber-, kupfer- und eisenbergwerk"; 3. die Verbesserung und Ertragssteigerung der Kammergüter. Der Fürst solle bald nach seinem Regierungsantritt beratschlagen lassen, wie man die unnötigen Ausgaben abstellen, die zu hohen Ausgaben vermindern und die Einkünfte erhöhen könne. Von großer Bedeutung sei die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des Kredits der fürstlichen Kammer, was unter anderem durch die Konvertierung hoch verzinster kurzfristiger in niedrig verzinste langfristige Kredite erreicht werden könne. Die Mauten solle der Fürst - nach italienischem, französischem und spanischem Vorbild - im Versteigerungswege an den Meistbietenden verpachten. Das vierte Mittel zur Erreichung einer guten Regierung, die rechtzeitige Beschaffung der „kriegsnotturfften" (Waffen, Munition, Geschütz, geübtes Volk zu Fuß, gute Kriegsoffiziere und Pferde) könne ein Fürst unter Beherzigung der im Abschnitt über die Beförderug der Wohlfahrt der Länder angeführten (merkantilistischen) Ratschläge „in diesen lendern [also in den österreichischen und böhmischen Erbländern] guet und überflüßig [...] haben und erziglen". Als wichtigste „qualiteten und eigenschaften" eines guten Regenten bezeichnet der Autor, „1. daß er von seinen fromen und gehorsamen underthanen geliebt, herendgegen 2. von denen bösen und ungehorsamen gefürchtet und 3. von beeden geschezt und aestimirt werde". Die erste Eigenschaft erlange man durch Leutseligkeit („affabilitet") und durch die willige Erteilung von Audienzen, durch Belohnung der Guten und Beschützung der Witwen, Waisen, Armen und Bedrängten sowie die „administrirung der gerechtigkheit", aus der auch die zweite Eigenschaft resultiere, nämlich die Furcht. An anderer Stelle (im „Gutachten wegen des Fridländers" 154 ) hatte Gundaker einige Jahre zuvor betont: „[...] nach der religion ist die administratio iustitiae das Gott wohlgefälligste werkh und vornehmbste officium principis." 155 Der Herrscher solle sich auch verschiedener kleinerer Laster wie der Unmäßigkeit und Unkeuschheit enthalten, da sie die „existimation" der Person des Regenten vermindern. Grundsätzlich solle sich der Fürst möglichst vieler Tugenden befleißigen, „dieweil ihme gebürt, weil er superior ist authoritate, daß er auch die ihme untergebenen virtute superire, daß er denselben damit vorleichte und mit seinem gueten
Vgl. Stolleis, Pecunia nervus rerum; Winkelbauer, Geld; ders., Nervus Belli Bohemici, bes. S. 223. Auch in dem 1632 erstmals im Druck erschienenen anonymen Fürstenspiegel „Princeps in compendio" wird das Geld als „nervus bellorum" bezeichnet. Bosbach (Hg.), Princeps in Compendio, S. 112 (Punctum XXI). 154 Siehe Kapitel 5.5. Mitis, Anteil, S. 106. Ganz ähnlich erscheint die Justitia in dem nicht einmal zwei Jahre zuvor in erster Auflage erschienenen „Princeps in compendio" als die wichtigste Fürstentugend und ihre „administratio" als die erste Pflicht des Fürsten: „Princeps itaque ad hoc imprimis attendat, ut iustitiam stricte et exacte observet, quod tunc potissimum fiet, si omnibus aequale ius et iustitiam administrabit [...]." Bosbach (Hg.), Princeps in Compendio, S. 93 (Punctum IV). Auch in der ebenfalls den Geist der Gegenreformation und des Absolutismus atmenden geheimen Instruktion Philipps II. von Spanien für seinen Sohn aus dem Jahre 1598 ist die Justitia (nach der bzw. als Ausfluß der Frömmigkeit) das vornehmste Kennzeichen eines guten Fürsten: „Dalla religione dunque, che deve essere principalmente infissa nel cuore e nell' animo vostro, procederä come dal sole il lume la giustitia [...]." Turba, Beiträge, S. 431. Zur Justitia als wichtigster Herrschertugend siehe auch Kraus, Herrscherbild, S. 17f.
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exempl sie darzue anreize, vornemblich aber darumb, daß er dadurch Gottes seegen zu seinem regiment erlange und erhalte". Gundaker von Liechtenstein empfiehlt dem Adressaten seiner Schrift, Befehle und Aufträge nicht einem ganzen Ratskollegium (der Hofkammer, dem Hofkriegsrat, dem Reichshofrat) zu erteilen, sondern immer einem einzelnen Rat, der sich dafür dann verantworten müsse und sich nicht hinter seinen Kollegen verstecken könne. Der erste Teil der Schrift schließt mit dem Ratschlag, der regierende Fürst möge anordnen, daß die wichtigsten „negotia", die in einem Ratskollegium zur Beratschlagung anstehen, vom Präsidenten des Gremiums vor der Sitzung den Räten mitgeteilt werden, damit sie sich darauf vorbereiten und die „rationes pro et contra" in Ruhe erwägen können. Damit leitet Gundaker zurti letzten Abschnitt seiner Denkschrift über, in dem er sich mit einem guten „modus consultandi" fur den Geheimen Rat als jenem Kollegium, in dem „aller andern collegien wichtigiste rathschleg und guetachten enucleirt, raffinirt 156 und resolvirt, auch denselben nach hernach exequirt werden sollen", befaßt. 157 Derzeit sei es im kaiserlichen Geheimen Rat so bestellt, daß die Sekretäre in Gegenwart des Kaisers die zu beratenden, oft sehr langen Schriftstücke verlesen, worauf die Geheimen Räte sofort „ex tempore" ihre Meinung sagen. Nur selten traue sich jemand nachzufragen oder um Wiederholungen zu bitten. Hingegen wisse er, Gundaker, aus eigener Erfahrung, daß jedesmal, wenn der Kaiser bei einer Sitzung des Geheimen Rates nicht zugegen ist, die Geheimen Räte, wenn die vorgetragene Sache ihnen nicht genug bekannt ist oder sie etwas überhört oder falsch verstanden haben, um Wiederholung oder Erläuterung der Angelegenheit durch einen besser informierten Rat ersuchen, „ja auch in der Sachen untereinander offt und lang widerpart gehalten und allso dieselbe vill pesser ausgearbeitet und reiflicher als in der kayserl. mayestät gegenwarth berathschlaget und geschlossen haben". Es lasse sich beim gegenwärtigen „modus consultandi" des Geheimen Rates gar nicht verhindern, daß aufgrund übereilt erstatteter Voten immer wieder unreife und unkluge Beschlüsse gefaßt werden. Man müsse den Geheimen Räten noch mehr als den anderen Ratskollegien Gelegenheit geben, „das proponirte negotium reiflich zu erwegen", was derzeit nicht der Fall sei. Um dem skizzierten Ubelstand Abhilfe zu verschaffen, schlägt Fürst Gundaker vor, „ 1. daß der geheime rahtt nicht in dero gegenwarth, sondern in einem absonderlich hierzue verordneten gemach gehalten wurde, dann hierdurch wurde mit viel mehrerer freyheit von den geheimen rähtten das, was sie nicht recht gehört oder verstanden, erkundigt, der ermanglende bericht eingezogen, auch untereinander die Sache disputirt, enucliert und erörtert werden. 2. Wann ein wichtige Sachen zu berathschlagen vorfeit, daß derjenige geheime rahtt, so das collegium dirigirt, die stimmen samlet und schließt, denen andern voran anzeigte, was sie berathschlagen sollen und eine zeit benennete, wenn sie dieselbe sach zu berathschlagen vornehmen wollen, damit sie unterdessen zeit haben, dieselbe reiflich zu erwegen und allso ihr meinung darauf desto grindtlicher ertheilen könten [...]."
Der Direktor des Geheimen Rates solle also die Tagesordnung der Sitzungen rechtzeitig bekanntgeben. Der Geheime Rat solle, fährt Gundaker fort, stets sein Gutachten über die ihm von den anderen Ratskollegien vorgelegten Schriften samt Begründung kurz und bündig dem Kaiser übergeben. Die Voten müßten von allen Geheimen Räten, die der entsprechenden Meinung sind, unterschrieben werden. Wenn sich die Geheimen Räte nicht einigen können, sollen sie namentlich unterschriebene Vota separata abgeben. Der Kaiser könne dann
156 Bei Eymer, Gutachten, S. 21: „reassumirt"; in Cod. 10.286 der Ö N B „reassumiert" von anderer Hand verbessert (vielmehr verschlechtert) aus „raffiniert". 157 In einem anonymen und undatierten, wohl aus dem Jahr 1611 und aus dem Umkreis des Erzkanzlers und Kurfürsten von Mainz stammenden Gutachten heißt es über den Geheimen Rat, daß in ihm „nicht allein die statsachen" traktiert werden, sondern daß alles, was vom Reichshofrat, von der Hofkammer und vom Hofkriegsrat beschlossen wurde, „zu dem geheimen als dem obristen rath zur approbation oder Verbesserung deferirt und gewiesen wird". Fellner/Kretschmayr, Ö Z V 1/2, S. 371 f.; Koenig, Reichsvizekanzlerschaft, S. 24.
Der Fürstenspiegel Gundakers von Liechtenstein
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die Voten lesen oder sich vorlesen lassen und sie sodann „approbiern, verwerfen oder verendern" bzw. sich einem der Voten anschließen. 1 5 8 Es sei untunlich, daß der Kaiser alle Geschäfte einem einzigen (Favoriten bzw. Vertrauten) anvertraue. Vielmehr solle der Kaiser im Geheimen Rat durch die Aufteilung der Kompetenzen, das heißt: durch die Einfuhrung des Referentensystems eine Arbeitsteilung einfuhren und die wichtigsten Sachen dergestalt auf die Geheimen Räte aufteilen, daß ζ. B. die Kriegssachen dem des Kriegswesens am besten Kundigen übergeben werden. Dem Kaiser bleibe es aber unbenommen, daneben besonders wichtige „und den andern räthen zu wissen nit nothwendige Sachen" nur „den vertrautesten allein" anzuvertrauen. „Wenn", und damit schließt die Denkschrift etwas abrupt, „eine von diesen Sachen im geheimben rath vorkombt", dann solle „derjenige, deme dieselbe anbevohlen ist, seine meinung" als erster sagen, „zu mehrern liecht den andern, weil er in derselben den pesten bericht hart". Der rhetorisch wenig elegante Schluß ist wohl darauf zurückzufuhren, daß es sich bei den Ausführungen über den „modus consultandi" des Geheimen Rates um eine Art Anhang oder Exkurs handelt. Der „eigentliche" Schluß der Schrift wäre dann in jener Passage zu sehen, in der der Autor den regierenden Fürsten auffordert, seine Untertanen an Tugend zu überragen und ihnen ein leuchtendes Vorbild zu sein, um dadurch Gottes Segen für seine Regierung zu erlangen und zu bewahren. Und daß Gottesfurcht und Frömmigkeit die Grundlage aller anderen (Fürsten-)Tugenden waren, verstand sich an den habsburgischen und wittelsbachischen Höfen im 17. Jahrhundert von selbst. 1 5 9 Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich bei der vorliegenden Denkschrift nicht in erster Linie um einen Fürstenspiegel mit der in dieser literarischen Gattung üblichen besonderen Betonung und Kennzeichnung der Fürstentugenden. 1 6 0 Anders als etwa der um 1 6 3 0 im engeren Umkreis des Kaiserhofs von einem unbekannten Autor 1 6 1 verfaßte, die Prinzenerziehung am Wiener H o f vom zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts bis zu Joseph II. prägende „Princeps in compendio" 1 6 2 , erteilt Gundaker von Liechtenstein vielmehr als erfahrener Hof- und Staatsmann vor allem aus jahrzehntelanger Praxis gewonnene konkrete Ratschläge zur Verbesserung und Reform der Finanzen, des Kriegswesens, der Zentralverwaltung bzw. der Einrichtung der Ratskollegien sowie des Geheimen Rates. Es ist vielleicht nicht übertrieben, wenn man in den letzten Absätzen der 1657 zum zweiten Mal dem Erzherzog Leopold Wilhelm überreichten Denkschrift einen ersten Geschäftsordnungsentwurf fiir die Im „Princeps in compendio", in dem der Fürst allerdings im Gegensatz zu Gundakers von Liechtenstein Fürstenspiegel aufgefordert wird, dem Geheimen Rat stets persönlich zu präsidieren, heißt es ganz analog: „Cum vota consiliariorum suorum collegerit, non erit necesse pluralitati se accommodare [...], sed quae opinio melior illi [dem Fürsten] videbitur, hanc eligat et resolvat et ubi videbitur emendet ac propriam adiungat." Bosbach (Hg.), Princeps, S. 9 3 (Punctum III). 159 Vgl. Kraus, Herrscherbild, S. 6 - 1 3 (S. 11: „Gottes Gnade ist also notwendig zum Erwerb der Macht wie zu ihrer Erhaltung"). 160 Vgl. R. A. Müller, Fürstenspiegel; ders., De Christiani Principis Officio; Singer, Fürstenspiegel; Hammerstein (Hg.), Staatslehre, S. 1 0 8 0 - 1 0 8 5 ; Mühleisen/Stammen (Hg.), Politische Tugendlehre, darin bes. Stammen, Fürstenspiegel. 161 Konrad Repgen hat die Vermutung geäußert, „es dürfte ein philosophisch und theologisch geschulter Jurist gewesen sein". Repgen, Ferdinand III., S. 145. 161 Redlich, Princeps in compendio; Sturmberger, „Princeps in compendio" (S. 192 f. Hinweis, daß noch Joseph II. durch den Feldmarschall Karl Graf Batthyiny „die Prinzipien des Regierens aus dem Fürstenspiegel der Ferdinandeischen Epoche kennenlernte"; zur - altmodischen und traditionellen - Erziehung Josephs II. vgl. zusammenfassend Beales, Joseph II, Bd. 1, S. 4 3 - 6 8 ; zu Batthyiny: Binder, Carl Graf Batthyany); Coreth, Pietas Austriaca, S. 9 f.; Koväcs, Einflüsse geistlicher Ratgeber, S. 86 und 89; Kraus, Herrscherbild; R. A. Müller, De Christiani Principis Officio, S. 3 4 3 f. - Berenger, Pietas austriaca, S. 4 0 4 f., vertrat noch 1993 die ältere, von Gottlieb Eucharius Rinck, dem Biographen Leopolds I., tradierte, aber seit dem vor 90 Jahren erschienenen Aufsatz von Redlich überholte Ansicht, Ferdinand II. habe den „Princeps in compendio" selbst verfaßt, und zwar für seinen jüngeren Sohn Leopold Wilhelm. (1974 zitierte Berenger zwar den genannten Aufsatz Redlichs, schrieb aber im Widerspruch zu dessen Inhalt, „man" schreibe den „Princeps in compendio" Wilhelm Lamormaini zu: Berenger, Pour une enquete, S. 183 f.)
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sich zwischen 1664/65 und 1669 entwickelnde Geheime Konferenz sieht - ob nun tatsächlich ein kausaler Zusammenhang besteht oder ob die Reform „in der Luft lag" und auch in anderen Köpfen konzipiert wurde, muß dahingestellt bleiben. 163 Noch plausibler aber scheint es zu sein, die Vorschläge Gundakers von Liechtenstein mit den - nach früheren (seit 1628/30), später wieder abgebrochenen Ansätzen - im Jahr 1657 wieder auftauchenden und sich in den sechziger Jahren zur Institution verfestigenden Deputierten Räten in Zusammenhang zu bringen. Diese hatten in einer jeweils bestimmten Angelegenheit dem Geheimen Rat vorzuarbeiten, indem sie Vorschläge ausarbeiteten, die dann durch den Geheimen Rat bzw. den Kaiser akzeptiert oder verändert werden konnten. 164 Auf die Ubereinstimmung mancher Ratschläge des Fürsten Gundaker mit solchen des anonymen „Princeps in compendio" hat bereits Oswald Redlich hingewiesen. Es ist durchaus möglich, ja sogar wahrscheinlich, läßt sich aber nicht eindeutig nachweisen, daß Gundaker den zuerst 1632 (in einer heute verschollenen Ausgabe) im Druck erschienenen „Princeps in compendio" gekannt hat. 165 Er ist jedoch sicherlich nicht dessen Autor. Das von Gundaker von Liechtenstein gezeichnete Fürstenbild stimmt aber jedenfalls mit dem des „Princeps in compendio" vollkommen überein. Konrad Repgen hat konstatiert, die beiden Schriften seien „zwei zentrale Texte aus der Welt Ferdinands III., die das gleiche Thema behandeln, sich aber nicht nach außen richteten, sondern für den internen Gebrauch bestimmt waren. Sie beschrieben das Herrscherbild als ein Normensystem und zogen aus diesen Normen Konsequenzen." Ihre geschichtliche Bedeutung liege „nicht in der Originalität der einzelnen Gedanken - was hier gesagt wird, steht alles auch in vielen anderen Fürstenspiegeln, die sich zudem von unseren Texten durch die geschliffenere Qualität ihrer sprachlichen Form (man denke an Erasmus von Rotterdam) oder durch die viel weiter ausgebreitete Gelehrsamkeit ihrer Argumentation (man denke an Justus Lipsius) abheben mögen. Bei unseren Denkschriften handelt es sich um relativ nüchterne Gebrauchstexte. Ihr Wert liegt in ihrer Tatsächlichkeit." 166 Wenn Gundaker den Fürsten auch nicht ausdrücklich als Vater seiner Untertanen bezeichnet wie der Autor des „Princeps in compendio" und Maximilian von Bayern in seinen „Monita paterna" von 1639 167 , so paßt seine Denkschrift doch gut in den Rahmen der frühneuzeitlichen Theorie von der Vaterrolle des Fürsten, von seiner patriarchalischen Herrschaft (Analogie von Hausvater und Landesvater). 168 Wenn ich mich nicht irre, so weist der büro-
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Redlich, Weltmacht des Barock, S. 50 f. Berenger, Finances, S. 43-45, geht soweit, Gundaker von Liechtenstein als „le theoricien le plus complet de la reforme operife par l'empereur Leopold" zu bezeichnen; seine Empfehlungen zur Reform des „modus consultandi" des Geheimen Rates seien im Jahre 1665 (dieses Jahr gilt Birenger als Gründungsjahr der Geheimen Konferenz) mit einer einzigen Ausnahme (der Kompetenzaufteilung zwischen den Mitgliedern der Geheimen Konferenz bzw. den Deputierten Räten) in Kraft getreten. Siehe auch Berenger, Pour une enquete, S. 183-187. 164 Redlich, Princeps in compendio, S. 111 f.; Sienell, Geheime Konferenz (Staatsprüfungsarbeit), S. 6 - 9 ; ders., Geheime Konferenz (Diss.), bes. S. 12—25. 165 Redlich, Princeps in compendio, S. 109-112. Sturmberger geht meines Erachtens zu weit, wenn er schreibt („Princeps in compendio", S. 194): „Er [Gundaker v. L.] hat freilich sehr gut den Fürstenspiegel von 1632 gekannt, und gewisse Partien des Princeps, namentlich der Abschnitt über die Religion, spiegeln sich in Liechtensteins Schrift deutlich wider." Vgl. auch die glänzende Analyse der beiden Texte bei Repgen, Ferdinand III., S. 144-149. 166 Repgen, Ferdinand III., S. 144 f. - Beide Werke „schöpfen aus dem Gedankenkreise, der den Hof Kaiser Ferdinands II. wie des III. beherrschte und durch den Geheimen Rat und den persönlichen Verkehr Gemeingut der am Hofe lebenden Staatsmänner geworden war. Sollte daher der Verfasser des .Princeps' noch durch einen Zufall bekannt werden, so dürfte sein Name wohl im Freundeskreise Gundackers zu finden sein." Mitis, Anteil, S. 100 f. 167 Vgl. Kraus, Herrscherbild, S. 17 f. " 8 Vgl. u. a. Münch, .Obrigkeit im Vaterstand'; Frühsorge, Begründung der .väterlichen Gesellschaft'; ders., Oeconomie des Hofes; Kraus, Herrscherbild, S. 17f.; ders., Maximilian I., S. 25 und 44 und passim;
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kratische und nüchterne Grundtenor der Schrift aber auch bereits auf die Vorstellung des aufgeklärten Absolutismus vom Fürsten als dem „Ersten Diener des Staates" voraus. Bezeichnenderweise verliert Gundaker von Liechtenstein im Unterschied zum „Princeps in compendio", in dem die „recreationes honestae [...] principe dignae" in einem eigenen Abschnitt behandelt werden 169 , auch kein Wort über erlaubte Zerstreuungen und Vergnügungen des Fürsten. 170
5.7. Denkschrift über die Reform der Zentralverwaltung des Habsburgerreiches (1641/42) Bevor sich Gundaker von Liechtenstein Ende der vierziger Jahre endgültig aus dem Geheimen Rat zurückzog 171 , faßte er zu Beginn dieses Jahrzehnts seine zum Teil sehr originellen Gedanken zur Reform der Zentralverwaltung in einer Denkschrift zusammen, die Oskar von Mitis als „das reifste Werk, das wir seiner Feder verdanken", bezeichnet hat. 172 Im November 1641 überreichte er dem Kaiser eine erste, zum Teil nur stichwortartige Fassung, und am 23. Januar 1642 schickte er dem Monarchen auf dessen ausdrücklichen Wunsch eine ausfuhrlichere Version. 173 Zu Beginn des ersten Kapitels („Politische Sachen") schickt Fürst Gundaker voraus, daß die meisten in der Folge vorgeschlagenen Maßregeln erst nach Kriegsende durchgeführt werden könnten, man solle sie aber bereits nun besprechen und beschließen, um nach dem Friedensschluß keine Zeit zu verlieren. Man solle von allen Kollegien und Statthaltern („gubernatorn") Gutachten einholen, was in ihrem Bereich „ab- oder anzustellen sey". Weiters solle man das (Haus-)Archiv revidieren und bei allen Gesandtschaften Kanzleien mit ordentlichen, die Amtszeiten der einzelnen Gesandten überdauernden Registraturen einrichten lassen sowie anordnen, daß die verschiedenen kaiserlichen Gesandten und Residenten untereinander korrespondieren. 174 Für „hochnothwendig" hält Gundaker neuerlich 175 die regelmäßige Visitierung der Statthalter und der Leiter von Amtern und Behörden. Wie bereits 1624 als Obersthofmeister 176 , regt er neuerlich die Erlassung einer Kleider- und Luxusordnung an - vielleicht nach dem Vorbild der 1566 von Maximilian II. für die niederösterreichischen Länder erlassenen „Reformation der Ferdinandeischen Kleiderordnung", in der erstmals beim Tuch ein für die Kaufleute geltendes partielles Einfuhrverbot auftaucht, eher aber nach dem Muster der Patente zur Aufwandsbekämpfung aus den Jahren 1595, 1603 und 1633 177 , möglicherweise aber auch nach italienischen Vorbildern und/oder in Kenntnis der Schriften Giovanni Boteros (darauf könnte der von Gundaker verwendete Begriff „pregmatica" hindeuten: das italienische Wort „prammatica" konnte auch ohne Attribut soviel wie „legge sun-
Duchhardt, Herrscherbild, S. 32 f.; Pillorget, L'image du Prince, S. 46-48; Schochet, Authoritarian Family; Braungart, Hofberedsamkeit, S. 37 f. Bosbach (Hg.), Princeps in Compendio, S. 109 (Punctum XVII). 170 Vgl. aber Kapitel 14. 171 Siehe oben S. 188 f. 172 Mitis, Anteil, S. 101. 173 Konzepte beider Versionen im HALV, K. 246, mit folgenden eh. Aufschriften des Fürsten Gundaker: 1. „Also ists i(hrer) m(ayestät) übergeben worden im 9br. 1641, aber das unterstrichne ist ausgelassen worden"; 2. „Also ists i(hrer) m(ayestät) auf begem den 23. Jan. 1642 geschikt worden." Edition der umfangreicheren zweiten Fassung: Mitis, Anteil, S. 110-118. 174 Ich zitiere hier und im folgenden, wenn nicht anders angegeben, nach der ausfuhrlicheren Fassung von Januar 1642. 175 Vgl. S. 208 und 210. 176 Vgl. Kapitel 4.7. 177 Hampel-Kallbrunner, Beiträge, S. 48 f.
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tuaria", also Gesetz zur Regelung des Aufwands bzw. Luxus bedeuten 178 ); dadurch könne man unnötige Ausgaben und überflüssigen Luxus („bracht") verhüten und „das gelt im land behalten". Auch die Errichtung einer Ritterakademie 179 schlägt Gundaker wiederum vor. Echt „machiavellistisch" und zugleich ein theoretischer Beitrag zur Schaffung eines länderübergreifenden „österreichischen" Adels ist der Vorschlag, ungarische Adelige dadurch „im zaum [zu] halten (wie Spanien die Genueser [sc. im Herzogtum Mailand])", daß man sie dazu bewegt, tief im Inneren der Erbländer Österreich, Mähren und Schlesien Güter zu kaufen, „damit, wenn einer oder der ander wider ihr mayestät sich aufleinen wölte, durch besorgenden verlust der in ihr mayestät erblanden habenden güetter davon abgehalten wurde". Es folgen unter anderem Vorschläge, die sich auf die Geschäftsordnung des Geheimen Rates beziehen und die uns bereits aus Gundakers Fürstenspiegel bekannt sind. Um den ungarischen Landtag (bzw. Reichstag) zu entmachten („zu verhietung der clamorum, factionen und protraction der landtäg"), sollen die ungarischen Stände dazu bewegt werden, 1. ein fiir alle Mal einen Termin festzusetzen, zu dem alljährlich der Landtag spätestens geschlossen werden muß, und 2. zu beschließen, daß auf dem Landtag keine Gravamina von Mitgliedern der Stände mehr angenommen werden sollen, es sei denn, der Beschwerdeführer habe das Gravamen oder die Gravamina zuvor beim Kaiser angebracht und könne nachweisen, „daß ihme khein ausrichtung der gebüer nach beschehen seie". 180 In der stichwortartigen Fassung der Denkschrift von November 1641 finden sich noch einige weitere Punkte, die dann nicht in die ausfuhrlichere Version übernommen wurden und deren Bedeutung zweifelhaft ist, u. a.: „Böhmische sprach" und „Intentio pro domo Austriaca". Möglicherweise wollte Fürst Gundaker ursprünglich auch eine Propagierung des Erlernens der tschechischen Sprache, die er selber nur schlecht beherrschte, durch Adelige der Erbländer und insbesondere durch nicht-tschechische Adelige mit Indigenat in Böhmen oder Mähren sowie das Lesen von Messen für das Haus Habsburg (Meßintention) vorschlagen. 181 Im zweiten Kapitel („Geistliche Sachen") fordert Gundaker zunächst, ebenso wie in seinem Fürstenspiegel, man solle die Bischöfe („die herren ordinarios provinciarum") ersuchen, möglichst bald und oft ihre Diözesen visitieren zu lassen; ebenso sollen die „praelaturen", also die alten Klöster, visitiert werden. Man solle vom Papst die Erlaubnis einholen, einige reiche Stifte in adelige Stifte mit obligater Ahnenprobe umzuwandeln, um „den adl in seinem esse dadurch desto reiner zu erhalten". Auch adelige Damenstifte sollen gestiftet werden, desgleichen Alumnate und Schulen, neue Klöster hingegen nicht, denn diese seien „nicht so nötig ad propagandam fidem catolicam". Im dritten Kapitel werden Justizangelegenheiten behandelt. In Mähren gebe es zu viele Mauten („auf funff meil drey"); die überflüssigen seien abzustellen. In Österreich müsse dringend eine Gerichtsordnung erlassen werden. (Ende Dezember 1656 wurde nach langen Vorarbeiten tatsächlich eine umfangreiche, das formelle und materielle Strafrecht umfassende Landgerichtsordnung für östereich unter der Enns erlassen.182) Das neue königliche Tribunal in Mähren solle wieder abgeschafft, das mährische Landrecht hingegen „wie sich gebürt" gehalten werden. Justizsachen sollen im Geheimen Rat nicht (mehr) vorgebracht und behandelt werden. Außerdem solle man den Umstand abstellen, daß die Juden 25 Prozent Zinsen nehmen dürfen. 171 Vocabolario della Lingua Italiana, compilato da Pietro Fanfani (Firenze 1855), S. 1219, s. v. „prammdtica" („Riforma delle pompe, Legge suntuaria"). 179 Vgl. Kapitel 5.1. Z u m letzten Punkt vgl. Berenger, Les „Gravamina". 181 Zur Meßintention und zum damit eng zusammenhängenden Meßstipendium siehe Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 5, S. 203-205, und Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 4/1, S. 191 und 340 A. 24; Wetzer und Wehe's Kirchenlexikon, 2. Aufl., Bd. 8, Sp. 1424-1426; LThK, 2. Aufl., Bd. 7, Sp. 354 f. IS2 Druck: Codex Austriacus, Teil 1, S. 659-728.
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Im Kapitel „Hoffsachen" regt Gundaker an, „einen gewissen hoffstatt [zu] resolviern" (offenbar um ein weiteres Wachstum desselben zu unterbinden) und einen Zeremonienmeister zu halten sowie ein Protokoll mit den „terminis ceremoniarum" zu führen, „damit man ein nachrichtung haben könne bey den sollenniteten und ambasciaten". 1651 schlug dann die bereits erwähnte 183 Kommission vor, ein Zeremonialhandbuch anzulegen. 184 Im Jahre 1652 schließlich setzt die Reihe der Zeremonialprotokolle ein, in denen alles festgehalten ist, „was an jedem Tag um die Person des Herrscherrs öffentlich bei Hofe zugeht und geschieht": der öffentliche Kirchgang des Kaisers und des Hofes, der Empfang von Gesandten und Würdenträgern, Belehnungen, öffentliche Trauern und Feste, an denen der Kaiser teilnahm, Hofreisen etc. 185 Aus dem deutlich längeren Kapitel „Kriegssachen" können an dieser Stelle nur einige Punkte herausgegriffen werden. Zunächst nimmt Fürst Gundaker einen 1652/53 am Beispiel Mährens 186 wieder aufgegriffenen Vorschlag vorweg: Man solle von erfahrenen Obristen Gutachten einholen, wie das Grenzwesen, also die Einrichtung der Militärgrenze, zu bestellen sei und auf welche Weise in den einzelnen Ländern eine Defensionsordnung, insbesondere gegen die Einfalle der Ungarn, einzurichten sei. Die Grenzen in Ungarn sollen künftig „mit mehr Teutschen" besetzt werden. Damit ist vermutlich zweierlei gemeint: erstens die Ansiedlung von aus den Erbländern und dem Reich stammenden Wehrbauern im Bereich der Militärgrenze und zweitens die Verlegung „deutscher", d. h. im Reich und in den Erbländern geworbener Soldaten in die „Granitzhäuser", also in die Festungen an der ungarischen und kroatischen Türkengrenze. 187 Den Punkt, daß die in Ungarn stationierten und operierenden Regimenter von den ungarischen Adeligen („landleuten") und Untertanen unterhalten werden sollen, hat Gundaker im Konzept - ebenso wie einige andere Vorschläge - durchgestrichen. Die Grenzen gegen Ungarn solle man in der Steiermark und von der Donau bis Polen womöglich durch Landesaufgebote („mit landwehren") gegen Einfälle absichern. Weiters soll man die Grenzen besichtigen lassen und Gutachten einholen, wie sie zu befestigen seien. Wenn im Reich endlich Friede sein werde, solle man viele Adelige nach Ungarn „hinab" in Kriegsdienste „recommandieren, damit sie sich darzu habilitieren" und auf diese Weise der Kaiser im Notfall „gute commandanten und exercitatum militem" zur Verfügung habe. Für einen etwaigen offensiven Türkenkrieg empfiehlt Gundaker dieselben Maßnahmen wie in seiner Denkschrift von 1653 188 sowie eine ganzjährige Kriegführung („bellum continuum") mit einem stehenden Heer, wie sein Bruder Karl bereits im Jahre 1601 Kaiser Rudolf II. nahegelegt hatte. Im Kapitel „Cameralia" wiederholt Gundaker noch einen alten Vorschlag seines Bruders Karl: man solle die Soldaten (anstelle eines Teils ihres Soldes) mit Schuhen, Kleidung, Pferden, Waffen und Viktualien verlegen lassen. Nach einem Friedensschluß im Reich solle man „anderstwo [gemeint ist wohl: in Ungarn gegen die Osmanen] einen krieg erwecken, damit die kriegerischen gemüter allda occupirt werden", denn sonst sei zu befürchten, daß der Friede 189 im Reich nicht lange Bestand haben werde. Bezüglich der Sicherung der mährischen und schlesischen Grenzen gegen Ungarn verweist der Autor ausdrücklich auf sein eigenes Gutachten aus dem Jahre 1628. 190 Das letzte und (nach dem ersten) zweitumfangreichste Kapitel der Denkschrift ist den „Cameralia" gewidmet. Man solle für die einzelnen Ausgabenposten ganz bestimmte Einnah-
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Siehe Kapitel 4.7. Mencik, Beiträge, S. 460 f. 1,5 Bittner, Gesamtinventar, Bd. 2, S. 297 f. Vgl. Kapitel 5.9. 187 Vgl. u. a. Krajasich, Militärgrenze; Rothenberg, Militärgrenze; Käser, Freier Bauer und Soldat. 188 Vgl. Kapitel 5.3. "" Gundaker schreibt im Konzept irrtümlich „der krieg". 190 Vgl. Kapitel 5.9. 184
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men (der Hofkammer und der Länderkammern) „deputiern" und Änderungen bei Strafe verbieten. Die von den Ländern fast jährlich „ordinarie" bewilligten und bezahlten Kontributionen solle man ebenfalls „zu gewissen und zu denen nothwendigisten ausgaben verordnen und in der landstend handen lassen". Gundaker plädiert also für die Aufrechtergaltung der dualistischen Spaltung des Finanz- und Steuersystems in das landesfurstliche „Camerale" (gespeist aus den nicht in den jeweiligen Ländern bzw. Ländergruppen wieder ausgegebenen Uberschüssen der Länderkammern und der Hofkammer) und das landständische „Contributionale" der einzelnen Länder mit getrennten Behörden und Bürokratien zur Verwaltung der beiden Gruppen von Steuern und Einkünften. Nach dem Friedensschluß sollen die kaiserlichen Einkünfte viergeteilt werden. Ein Teil soll zur Bestreitung der Kosten des kaiserlichen Hofstaats und der Hofstaaten der Kaiserin, des Erzherzogs (Leopold Wilhelm) und der Prinzen verwendet werden, ein anderer zur Schuldentilgung, der dritte zur Anlegung eines Schatzes für Notfälle und der vierte Teil fiir Vorbereitungen in Friedenszeiten „zum krieg defensive und ofensive zu fuhren, insonderheit gegen dem Türcken". Die weiteren Vorschläge betreffen unter anderem folgende Punkte: Die Mauten sollen verpachtet werden. Offenbar nach dem Vorbild der Güterkomplexe des hohen Adels und mancher Klöster und Prälaten sollen Oberhauptleute und Visitatoren für die Kammergüter angestellt werden, die die Pfleger im Zaum halten und kontrollieren sollen. Zur Förderung des Handels schlägt Gundaker bereits aus seinen Gutachten von 1613 und 1615 vertraute Maßnahmen vor. 191 Zukunftsweisend ist die der Schaffung eines Überblicks über alle Einnahmen und Ausgaben dienende Forderung nach Kasseneinheit in der Zentrale: Alle von den Länderkammern nicht zur Bezahlung ihrer Beamten und im Bereich ihrer Ämter und Kammergüter wieder verausgabten Einnahmen sollen im Hofzahlamt zusammenlaufen. Ebenso sollen alle Ausgaben und Anschaffungen nur aus der Kasse des Hofzahlamts erfolgen; die Kriegsausgaben sollen zwar weiterhin aus dem Kriegszahlamt bestritten werden, aber - wenn ich die nicht ganz klaren Ausführungen richtig interpretiere - beim Hofzahlamt in Evidenz gehalten werden. Das Hofzahlamt soll also die Funktion einer Haupt- oder Generalkassa übernehmen. Sowohl der Hofzahlmeister als auch der Kriegszahlmeister sollen dem Kaiser wöchentlich „zetl" mit der Gegenüberstellung aller in der abgelaufenen Woche erfolgten Einnahmen und Ausgaben sowie der Zahlungsreste übergeben. 192 Ebenfalls der Schaffung eines Überblicks und der Beendigung der Von-derHand-in-den-Mund-Politik der Hofkammer sollte der Vorschlag dienen, „tafln" - geradezu im Sinne der vormärzlichen, seit 1828 erscheinenden „Tafeln zur Statistik der österreichischen Monarchie"! - zu folgenden Themen anzulegen: „über die lender, der einkomen und ausgaben, über militia, hoffstatt und anders etc., der güldpferd, der Soldaten zu roß unnd fließ, jeder sotten artigliera". Die Denkschrift schließt mit einem lakonischen Satz, der als Ceterum censeo des großen Verfechters von Kontrollen und Visitationen gelten kann: „Alle ämbter visitiern lassen." Die Forderung der Kasseneinheit war bereits Anfang Juli 1624 vom damaligen Hofkammerpräsidenten Anton Wolfradt erhoben worden. Er hatte vorgeschlagen, eine einzige Hauptkassa einzurichten und dergestalt direkt der Hofkammer zu unterstellen, daß alle Einkünfte der Länderkammern in die Hauptkassa fließen und die Kammern und die diesen unterstehenden Ämter in den einzelnen Ländern nur über Anweisung der Hofkammer Zahlungen vornehmen dürften. Im Juni 1625 forderte Abt Anton sogar, daß in die zu errichtende Hauptkassa nicht nur die „geföll" aller Länderkammern und Ämter fließen sollten, sondern auch „der länder contributiones und verwilligungen und einkommen, wie die nahmen haben mügen". Von der zentralen Hauptkassa sollten die Gelder dann nach Bedarf teils in das Hofzahlamt und teils in das Kriegszahlamt „deputirt und ausgethailt" und von dort „die angewiesenen partheyen [...] contentirt und bezahlt werden". Der Vorschlag wurde jedoch
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Vgl. Kapitel 5.2. Vgl. Loebl, Beiträge, S. 648-656.
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nicht ausgeführt. Noch im Februar 1628 wurde die Hofkammer angewiesen, sie solle über den Vorschlag „wegen bestellung des general-cassa-werkhs [...] besser nachsezen, benebens auch qualificirte subjecta nachdenkhen und namhaft machen". 193 Die zitierte Anregung Gundakers von Liechtenstein von 1641/42 zeigt, daß die Idee einer Generalkassa nicht realisiert wurde - vielleicht einer der Gründe, weshalb Anton Wolfradt 1629 um Enthebung von seinem Amt als Hofkammerpräsident ersuchte, die ihm der Kaiser Anfang Januar 1630 gewährte. 194 Zur Erläuterung seines Vorschlags, eine Kleider- und Luxusordnung („pregmatica") zu erlassen, verfaßte Fürst Gundaker am 2. September 1642 eine weitere, an den Grafen (Georg Adam) von Martinitz adressierte Denkschrift, die er dann doch nicht (oder nicht zur Gänze) übergab. 195 Einleitend schreibt er hier, ganz ähnlich wie in dem im Oktober 1624 in seiner Funktion als Obersthofmeister unterbreiteten Vorschlag196: „Der finis oder intention, warumben man ein pregmatica macht, ist unterschidlich: 1. das geld im land zu erhalten; 2. übrigen pracht (als der da zu hofart, geiz, Ungerechtigkeit uhrsach gibt und Gottes zorn und straff nach sich ziehet) abzustellen; 3. einen unterschid der stend zu machen." Zur Erreichung des ersten Zieles gebe es ein besseres Mittel als eine „pregmatica", nämlich das Verbot der Einfuhr von ,,unnotwenige[n] wahren und andere[n] Sachen" aus dem Ausland. Ein bequemes, aber erst nach Ende des Krieges praktikables Mittel, um stattdessen mehr Geld ins Land zu bringen, könne er auf Wunsch des Kaisers bekanntgeben. Zur Erreichung des zweiten und dritten Ziels sei es notwendig, eine Ordnung zu machen, „wasgestalt sich unterschidliche mans- und weibspersohnen als burger, doctor, von adl herrn oder graven, fiirsten bekleiden und mit anderm bedragen sollen". Es sei zu verordnen, wer (in der Öffentlichkeit) in Seide - das Hauptimportgut des Luxuskonsums! - gekleidet gehen darf. Das „übrige geprämwerk" (Verbrämungen) mit Borten, Knöpfen und Spitzen sowohl an der Kleidung von Personen von Stand als auch an den Livreen sowie mit echtem und falschem Silber und Gold müsse abgestellt, mit Samt ausgeschlagene Kutschen („sametene carozze") und vergoldetes und versilbertes Geschirr verboten werden. Es sei festzulegen, was für Sättel und Schabracken („wäldräpe") jeder nach seinem Stand verwenden, wieviele (Edel-)Knaben und Lakaien er halten, wieviele Speisen er an gewöhnlichen Tagen und bei Hochzeiten auf die Tafel setzen lassen darf, wer in Kutschen und wer mit sechs Pferden fahren darf. Eventuell könne man gleichzeitig mit der „pregmatica" eine Ordnung erlassen, „wie man jeden im schreiben tituliern solle", denn die Titulaturen seien „so hoch gestiegen", daß man Nicht-Adeligen in Briefen mit der Anrede „edl gestreng", Adeligen mit „hoch- und wol edl geborn", nicht privilegierten Herren und Grafen mit „hoch- und wolgeborn" und Fürsten mit „durchleuchtigist gnedigist [...] heuchlt und schmeichlt". Es sei durch Patente zu publizieren, daß jeder, der jemanden anzeigt, der gegen die Luxus- und Kleiderordnung verstoßen hat, anonym bleiben und einen festgesetzten Anteil der Geldstrafe bekommen soll. Noch nützlicher als die Erlassung einer „pregmatica" wäre es - und hier greift Gundaker wieder einmal seine merkantilistischen Vorschläge aus den Jahren 1613 und 1615 a u f 9 7 - , wenn der Kaiser anordnete, daß bestimmte Dinge wie ζ. B. Eisen, Kupfer, Häute und Wolle " 3 Hopf, Anton Wolfradt, 1. Abt., S. 2 3 - 2 8 . Ebd., S. 29 f. - Der für eine vorausschauende und rationelle Finanzpolitik essentielle Ubergang von der Fondswirtschaft zum „System der fiskalischen Kasseneinheit" sowie zur Erstellung eines einheidichen Staatsbudgets fand in Österreich in zwei Schritten im Rahmen der Haugwitzschen und der Kaunitzschen Staatsreform um die Mitte des 18. Jahrhunderts statt. Siehe ζ. B. Th. Mayer, Geschichte der Finanzwirtschaft, S. 2 5 7 - 2 5 9 . 1,5 HALV, K. 246, eh. Konzpept G.s v. L. mit folgender Notiz: „Politica. NB. Camerale. Pregmatica, dem graffen von Martiniz communiciert [ . . . ] . Vorschlag, das geld im land zu erhalten und mehrers herein zu bringen. Dits ist ihr nicht geben worden." Siehe Kapitel 4.7. 1,7 Siehe Kapitel 5.2.
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nicht mehr roh und unverarbeitet aus dem Land geführt werden dürfen. Aus dem Eisen beispielsweise solle man im Inland Rüstungen, Pistolen, Musketen etc. erzeugen. Die Wafifenproduktion liege im übrigen auch im Interesse der „ratio status", denn an Waffen leide der Kaiser derzeit deshalb Mangel und müsse sie um teures Geld importieren, weil sie nicht in seinen Königreichen und Ländern erzeugt würden. In vielen Städten in den genannten Erbländern bestünden große Kapazitäten fur die Verarbeitung der verschiedenen Rohprodukte, da sich derzeit viele Bürger mehr mit Ackerbau und Weinbau beschäftigten als mit Handwerken und Handel. In Wiener Neustadt etwa könne man die Verarbeitung des Eisens und des Kupfers „anstellen", in Korneuburg, Tulln, Retz, Hainburg, Eggenburg, Laa etc. die Verarbeitung der Wolle und der Häute. Dadurch würden die Städte und das Land volkreicher, der Absatz von Getreide und Wein würde steigen und infolgedessen würden „die contributiones leichter und reicher" gegeben werden können. Die Förderung der Ansiedlung spezialisierter Handwerker und deren Versorgung mit Aufträgen sei nur durch Kaufleute (Verleger!) möglich, denen man als Gegenleistung für die Anlockung der Spezialisten aus dem Ausland ein (Handels-) Privileg erteilen müsse, „denn ohne avantagio wird keiner sich in diese müe und gefahr und kein handwerksmann von seinem ort sich wegkbegeben". Gundaker führt als Beleg ein Beispiel aus seiner Zeit als Hofkammerrat unter Kaiser Matthias an: Damals habe sich ein Brüsseler Handelsmann erbötig gemacht, in Österreich die in den spanischen Niederlanden blühende Tapisserie- und Gobelinweberei („die niderlendischen tapezereien") in derselben Qualität und zu niedrigeren Verkaufspreisen, als sie damals hierzulande gängig waren, einzuführen, wenn ihm dafür auf einige Zeit ein Verkaufsmonopol für „dergleichen tapezereien" gewährt werde. Die Bedingung sei ihm aber abgeschlagen worden. Gundakers Denkschrift schließt mit einer Verteidigung der Nützlichkeit von Monopolen unter bestimmten Umständen: „Nun sein zwaar die monopolia verboten, wenn sie dem bono publico schedlich sein, weil aber dises nicht allein demselben nicht schedlich sondern nuzlich wehre gewest (indem es die ausführung des gelds vor solche wahren verhindert und dagegen die einfuhrung desselben befördert und daß vil in disem land durch dises handwerk genört würden verursacht hette), alls vermeine ich, man hette es ex conscientia nicht verwehren sondern zulassen sollen." 198 Dieser Ansicht schlossen sich die Wirtschaftspolitiker und -theoretiker der folgenden Generation an. So privilegierte Leopold I. 1669 die „Seiden-Fabrica" in Österreich unter der Enns - d. h. die 1666 auf Anregung und unter dem „Management" von Johann Joachim Becher vom Hofkammerpräsidenten Georg Ludwig von Sinzendorf in seinem Schloß Walpersdorf eingerichtete Seidenmanufaktur - und verbot die Einfuhr der von dieser erzeugten Produktsorten. 199 1 670 erteilte der Kaiser der Orientalischen Compagnie auf 25 Jahre ein Privilegium zur Errichtung einer Tuchfärberei in Schwechat 2 0 0 ,1672 dem Linzer Bürger und Handelsmann Christian Sind ein Privileg auf eine in Linz zu errichtende Wollzeugfabrik.201 Becher war zwar bekanntlich ein prinzipieller Gegner der Monopole, aber eben nur jener Monopole, die dem Endzweck der „Negotien" widersprachen, der darin gelegen sei, daß im Inland „viele Menschen ihre Nahrung darvon haben". 202 Bereits vor der Tätigkeit Bechers, Schröders und Hörnigks in Österreich befaßte sich die Hofkammer seit 1656 mit der Frage, wie man die Einfuhr von Luxusartikeln verhindern könne. Am 22. März 1659 wurde schließlich ein kaiserliches Patent erlassen, in dem das Tra-
"* Mitis, Anteil, S. 102, zitiert statt „ex conscientia [...] zulassen sollen" den durch Unterstreichen getilgten Halbsatz „bona conscientia wol zulassen können". 1M Kroissmayr, Walpersdorf, S. 1 9 9 - 2 0 2 ; Hassinger, Becher 1 6 3 5 - 1 6 8 2 , S. 1 5 5 - 1 5 9 ; ders., Bechers Bedeutung, S. 2 3 2 - 2 4 6 ; Otruba (Hg.), Fabriksprivilegien, S. 1 8 - 2 5 , 4 8 - 5 0 und 135 f. 200 Otruba (Hg.), Fabriksprivilegien, S. 1 3 8 - 1 4 0 . 201 Ebd., S. 1 4 0 - 1 4 2 . 202 Zitiert nach Sommer, Kameralisten, 2. Teil, S. 4 9 f.
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gen von Luxuswaren, „so nicht in unserem Lande hergestellt werden", kategorisch untersagt wurde. Damit waren vor allem folgende aus Frankreich, den Niederlanden und Italien importierte Waren gemeint: Gold- und Silberschmuck, Seide und Spitzen, gold- und silberdurchwirkte Stoffe und ebensolche Borten. Die Ordnung des Jahres 1659 ist relativ kurz und behält näherere Bestimmungen ausdrücklich einer „Generalpragmatica" vor. Diese wurde schließlich 1671 in Gestalt des großen Leopoldinischen Luxuspatents erlassen. 203 Während Gundaker von Liechtenstein auch den Kleidungs- und sonstigen Luxus der Herren, Grafen und Fürsten reglementiert sehen wollte, klammen das Luxuspatent des Jahres 1671 allerdings die drei oberen Stände (Prälaten, Herren und Ritter) und die wirklichen kaiserlichen Räte ausdrücklich aus (nicht hingegen die Nobilitierten ohne Besitz der Landstandschaft). 2 0 4 Erst das kaiserliche Luxuspatent vom 29. April 1686 stellte auch für die Aristokratie geltende Wertobergrenzen für Luxusartikel auf (zum Beispiel je Elle 10 Gulden für golddurchwirkte Stoffe, 6 Gulden fur goldene Spitzen und silberne Borten etc.); samtene Roßdecken sowie vergoldete und versilberte Kutschen wurden gänzlich verboten. 2 0 5 Dem am 22. März des Jahres 1659 erlassenen Luxuspatent war übrigens eine dem Kaiser vom niederösterreichischen Herrenstand am 8. Februar dieses Jahres übergebene Beschwerdeschrift gegen den Ritterstand vorausgegangen, in der die Herren den Kaiser ersuchten, in der „vorhabenden policeyordnung" diverse eingeschlichene Mißbräuche wie ζ. B. die Verwendung der Intitulierung ,wohledel geboren' und .hochwohledel geboren' und die Prätendierung des Prädikats .gnädig' durch die Ritter sowie in den Kleidungen abzustellen. 206 Der Herrenstand sei dem Fürstenstand gewichen und habe ihm den Vorzug gelassen, „ungeacht sy beede ein corpus repraesentiren". Der Ritterstand hingegen versteife sich darauf, daß in der Polizeiordnung Maximilians II. (aus dem Jahre 1568) beide Stände (Herren und Ritter) „in einem gradu gesezt" seien „und kein unterschid zwischen ihnen gemacht worden" sei. 2 0 7 Deshalb habe die Beratschlagung des Entwurfs einer neuen Polizeiordnung in den Ausschüssen nicht fortgesetzt werden können. Als Argument für die Aufrechterhaltung einer scharfen Trennung der Stände führten die niederösterreichischen Herren unter anderem an, daß der Kaiser daraus nicht nur den Vorteil ziehe, treue Diener mit Erhebung aus dem einfachen Adel und dem Ritterstand in den Grafen- und Herrenstand begnaden zu können, „sondern bey manchem, dem die ehr mehr als das geldt beliebt, große ausgaben ersparen" zu können. Bezüglich des Kleidungs- und sonstigen Luxus zeichneten die um ihre soziale Distinktion bangenden und (wie erwähnt zunächst vergeblich) nach policeylicher Reglementierung verlangenden Herren ein düsteres Bild. Es ergebe sich aus der täglichen Erfahrung, daß „der ritterstandt und adl dem herrnstandt sowohl in ldaidungen, fahren, tractamenten, praedicaten, liebereyen 2 0 8 als haltung der pages und anderer dienstbotten nichts nachgeben, sondern demselben gleich und bisweilen prächtiger dann der herrnstandt aufziehen will, nach dessen exempl sich die niderigen standtspersohnen reguliren und fast alles auf pracht und luxum anwendten, woraus beschicht, daß der herrnstandt zu salvirung seiner praeeminenz und Vorzug auch tieffer im beud greiften, der ritter- und adlstandt aber, zu continuirung seines prachts, die güetter mit schulden oneriren, ja endlich beede ständt zuesehen müssen, daß durch execution ihre güetter von denen creditoribus zerrissen und hinweggenomben werden. [...] Ingleichem wirdt hierdurch das vermögen im landt geschmöllert, der credit verlohrn, die anzahl der burger und inwohner geringen und zu Verödung des landts anlaß gegeben."
203 Codex Austriacus, Teil 2, S. 152 f.; Hampel-Kallbrunner, Beiträge, S. 49-54; Stolleis, Pecunia, S. 165-175; Lehenbauer, Kleiderordnungen, bes. S. 80-86. 2M Stolleis, Pecunia, S. 174 f. 205 Hampel-Kallbrunner, Kleiderordnungen, S. 55 f.; Druck: Codex Austriacus, Teil 2, S. 159-161. 206 Zitiert nach der Abschrift im SOA Cesky Krumlov, FA Schwarzenberg, Johann Adolf I., Fasz. 374. 207 Vgl. Codex Austriacus, Teil 2, S. 149 (es wird tatsächlich keine Unterscheidung in den Vorschriften fiir „Grafen / Herren und vom Adel" gemacht). 208 Livreen
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Es zeigt sich, daß Forderungen nach Kleider- und Luxusordnungen, die einer treffenden Definition zufolge „u. a. der historisch bemerkenswerte Versuch" waren, „auf die immer dynamischer werdenden sozialen Umschichtungen mit einem Normensystem zu reagieren, das ähnlich wie Adelsnachweise oder Zunftabschließung soziale Mobilität in einer Gesellschaft mit knappen Ressourcen erschweren" sollten 2 0 9 , im 17. Jahrhundert immer weniger moralisch-religiös motiviert wurden als durch „rationale" merkantilistische Argumente, die, besonders wenn sie von sich in ihrer Vorrangstellung bedroht fühlenden sozialen Gruppen vorgebracht wurden, den Eindruck erwecken, „vorgeschoben" zu sein. Kleidungskonkurrenz sollte nicht mehr (nur) deshalb unterbunden werden, um die gottgewollte soziale Ordnung aufrechtzuerhalten, sondern um den Wohlstand des Landes bzw. das abschöpfbare Vermögen seiner Bewohner zu vermehren und damit die Finanzen des Fürsten zu verbessern.
5.8. Gutachten über die notwendige Reform des kaiserlichen Heeres und der Kriegsfinanzen (1642 und 1643) In Kapitel 4.3 war bereits die Rede von dem Gutachten mit Reformvorschlägen für das Kriegswesen, das Gundaker von Liechtenstein im Jahre 1606 als Verordneter des niederösterreichischen Herrenstandes verfaßte. Jahrzehnte später, als sich der Dreißigjährige Krieg langsam seinem Ende näherte, kam er wieder auf seine Beschäftigung mit militärischen Fragen, insbesondere mit notwendigen Reformen des kaiserlichen Heeres, zurück. 2 1 0 Im September 1642 eröffnete er brieflich einem Grafen Martinitz - höchstwahrscheinlich dem ihm befreundeten böhmischen Kanzler Georg Adam Borita von Martinitz 2 1 1 - seine Gedanken über eine Reformation des Heeres. 2 1 2 In undatierten, großteils eigenhändigen Vorarbeiten für ein Gutachten in dieser Angelegenheit macht Gundaker Vorschläge für die endgültige „Verstaatlichung" bzw. „Verkaiserlichung" der kaiserlichen Armee und fur die weitere Beschränkung der Macht der als Kriegsunternehmer agierenden Obristen, zwei miteinander verbundene Entwicklungen, die bereits unmittelbar nach dem Sturz und der Ermordung Wällensteins in Gang gekommen waren. 2 1 3 Auf die Frage, ob es besser wäre, das kaiserliche Heer auf 100.000 Mann zu reduzieren 214 , gibt Gundaker zur Antwort, es komme nicht nur auf die Zahl des Kriegsvolks an, sondern auch auf dessen „Unterhaltung mit geld, proviant und munition", die derzeit in den ausgesogenen Ländern - „durch die generalverderbung des gantzen reichs und der erbländer" - viel schwieriger sei als noch vor einigen Jahren. Es sei besser, 100.000 Mann ordentlich zu unterhalten als 150.000 „mit diser unordnung". Die 150.000 Mann gebe es „nur auf dem papier, machen großen Unkosten, wenig effect". Die Versorgung der Armee mit Brot, Bier, Kleidung, Strümpfen, Schuhen etc. sowie mit Waffen solle „per commissarium generalem" dirigiert werden - eine Idee, die bereits 1643 durch die Ernennung Ernst von Trauns zum Generalkommissär und dann 1647 durch die Schaffung Dinges, Der „feine Unterschied", S. 58; ders., „Lesbarkeit der Welt", S. 96. Zur kaiserlichen Armee in der letzten Phase des Dreißigjährigen Krieges zuletzt zusammenfassend Tepperberg, Das kaiserliche Heer; vgl. auch die ältere Arbeit von Sörensson, Kriegswesen. 2.1 In einem Brief nach dessen Tod im Jahre 1651 nennt Gundaker von Liechtenstein den verstorbenen Grafen Georg Adam von Martinitz seinen „sehr gueten fteundt und protector wider alle unbilligkheiten, so sich etwan eraignet". HALV, Hs. 277, S. 400, G . v. L. an seinen Sohn Ferdinand, Ungarisch Ostra, 15. N o vember 1651 (Abschrift). 2 . 2 HALV, K. 246, Fasz. „Gutachten über die notwendige Reformation des Heeres (1642)", G . v. L. an Graf Martinitz, Wien, 21. September 1642 (eh. Konzept). 213 Vgl. u. a. Hoyos, Ernst von Traun, passim; ders., Armee 1 6 4 8 - 1 6 5 0 ; Allmayer-Beck/Lessing, Kriegsvölker, S. 72; Papke, Miliz, S. 209. 205 2.0
214 Bereits 1630 hatte die kaiserliche Armee unter Wallenstein den bis dahin unerhörten Sollstand von knapp 151.000 Mann (fast 130.000 Mann Fußvolk und 2 1 . 0 0 0 Reiter) erreicht. Sörensson, Kriegswesen, S. 176; Documenta Bohemica, Bd. 4, S. 4 1 7 - 4 4 5 .
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des Generalkriegskommissariats, dessen Leiter Ernst von Traun „alle direction über die politiam und oeconomiam militarem absolute" übernahm, realisiert wurde. 215 Hingegen sollten sich nach Ansicht Gundakers die Soldaten, außer auf (Vor-)Posten und während Belagerungen, selbst mit Munition versehen. Nach Überlegungen zum optimalen Größenverhältnis zwischen Fußvolk und Reiterei und über Zusammensetzung und Umfang der nötigen Feldartillerie äußert sich Gundaker über seine Vorstellungen bezüglich des Kriegsbudgets. Es sollte sich aus folgenden Leistungen der Erbländer sowie Subsidien Spaniens und des Papstes zusammensetzen, wobei insbesondere die veranschlagten Leistungen Böhmens und Schlesiens extrem überhöht erscheinen: Österreich ob und unter der Enns 1,000.000 fl. und Proviant Steiermark 800.000 fl. Böhmen 6,000.000 fl. in Geld und in Proviant Mähren 450.000 fl. und Proviant Schlesien 6,000.000 fl. in Geld und in Proviant Spanien 600.000 fl. Papst 37.000 fl. Im Gegensatz zu diesem Wunschtraum sollten von den der Finanzierung des Kriegswesens dienenden direkten Steuern der österreichischen und böhmischen Länder (die ungarischen fielen nicht ins Gewicht) seit 1552 von den böhmischen Ländern 67,5 Prozent und von den österreichischen Ländern 32,5 Prozent aufgebracht werden, eine Relation, die auch zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch (oder wieder) in Kraft war. 216 Die Delegierten der Stände der niederösterreichischen Länder hatten sich 1544 (provisorisch) darauf geeinigt, daß von der auf ihre Länder entfallenden Gesamtsumme Österreich unter der Enns ein Drittel, Österreich ob der Enns ein Sechstel sowie Steiermark, Kärnten, Krain und Görz zusammen die andere Hälfte tragen sollten. 217 Warum in der obigen Aufstellung Gundakers Kärnten, Krain und Görz fehlen, weiß ich nicht zu sagen, ebensowenig warum er die Leistungen Böhmens und Schlesiens so unrealistisch hoch ansetzte. Von den Kontributionen der böhmischen Länder entfiel in den Jahrzehnten um 1600 im allgemeinen etwa die Hälfte auf Böhmen selbst und die andere Hälfte auf Schlesien, Mähren und die beiden Lausitzen. 218 Grosso modo nach dem von Georg Adam von Martinitz zehn Jahre zuvor vorgeschlagenen Muster 219 wurde im Jahre 1655 auf einer Konferenz kaiserlicher Vertrauensleute in Preßburg, einem unter den veränderten politischen Verhältnissen nach der Schlacht am Weißen Berg unternommenen erneuten Versuch eines Ausschußlandtages von Vertretern aller habsburgischen Länder mit Ausnahme Tirols und der ungarischen Länder, ein neuer Verteilungsschlüssel ftir die direkten Steuern (und für Einquartierungen der kaiserlichen Armee) ausgehandelt. Diesem zufolge sollten die (seit 1623/35 um die beiden Lausitzen reduzierten) böhmischen Länder von jeder Militärkontribution künftig zehn Teile und die österreichischen Länder (ohne Tirol) acht Teile zahlen, was einem Verhältnis von 55,6 zu 44,4 entspricht. In den folgenden Jahren waren vor allem die böhmischen und die österreichischen Länder untereinander über die auf sie entfallenden Quoten uneinig. 1668 wurde bei einer Konferenz von Vertretern der Hofstellen die „Generalproportion" von 10 zu 8 zwar bestätigt, jedoch die „Spezialproportion" der beiden Länderkomplexe neu geregelt. Von den zehn Teilen, die auf die böhmischen
2,5 Hoyos, Emst von Traun, Teil II (das Zitat aus der kaiserlichen Instruktion für Ernst von Traun vom 18. Februar 1647 auf S. 27). Siehe auch unten S. 243 f. Das Generalkriegskommissariat, dem das gesamte „Oeconomicum" des Kriegswesens (einschließlich der Ausarbeitung der Feldzugsbudgets, schließlich des gesamten Militärbudgets) oblag, war dem Hofkriegsrat und der Hofkammer untergeordnet. 216 Vgl. u. a. Urbänek, Cesi a välky turecke, S. 121. 2,7 Mensi, Geschichte der direkten Steuern, Bd. 1, S. 117 f. 21" Ebd., S. 92f.; Urbänek, Cesi a valky turecke, S. 121. 2 " Vgl. oben S. 220 f.
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Länder entfielen, sollte in Hinkunft Böhmen die Hälfte und von der anderen Hälfte Schlesien zwei und Mähren ein Drittel entrichten; den Anteil der österreichischen Länder sollten je zur Hälfte die innerösterreichischen Länder sowie Österreich ob und unter der Enns aufbringen, wobei der Anteil Oberösterreichs die Hälfte des niederösterreichischen ausmachen sollte. 220 Auch die von Spanien erhofften Subsidien setzte Gundaker unrealistisch hoch an. Zwar hatte Spanien dem Kaiser noch 1637 bis 1640 insgesamt 1,6 Millionen Gulden an Subsidien überwiesen 221 , in den vierziger Jahren erlaubte aber die finanzielle, militärische und innenpolitische Situation Spaniens keine Fortzahlung der Unterstützungsgelder. 222 Vom Papst erwartete Gundaker nur einen eher symbolischen Betrag, aber selbst dieser war unsicher. Unter Urban VIII. (1623-1644) blieben, mit Ausnahme der Jahre 1632 bis 1634, nennenswerte Subsidien der Kurie fur die kaiserliche Kriegführung aus. 223 Im Dezember 1643 verfaßte Fürst Gundaker ein Gutachten mit Vorschlägen, „pessere disciplinam und oeconomiam militarem wol zu bestellen", das er dem Kaiser mündlich vortrug und dessen Bruder Leopold Wilhelm 224 in schriftlicher Form übermittelte. 225 Als Vorbild fur „die norma, wie i(hrer) m(ayestät) armee zu discipliniern, wie sie zu armiern, zu recroutiern, zu remontiern, zu bezahlen, zu profiantiern und in allem zu unterhalten" sei, stellt Gundaker zunächst ganz allgemein die unter dem Kommando des Kurfürsten von Bayern stehende Reichsarmee hin. Was die sich im Plündern, Rauben etc. äußernde „indisciplina" der Soldaten in den Quartieren und auf dem Marsch betrifft, so hänge sie zwar - wie von den Soldaten als Entschuldigung angeführt wird - tatsächlich damit zusammen, daß man ihnen den zustehenden Sold und Proviant vorenthält, dies sei jedoch nicht zuletzt eine Folge der Tatsache, daß die kaiserlichen Soldaten die Erbländer „verderben und dadurch die contributiones und mitl zu bezahlung mindern" und überall wo sie hinkommen den Bauern die Rösser und Wägen, ja sogar das Leben nehmen und das Getreide zu Feld und Dorf „verderben und den anbau verhindern". Derartige Schandtaten könnten nur durch drakonische Bestrafung der Verantwortlichen vom Generalleutnant abwärts hintangehalten werden. Ebenso könne die „indisciplina in kriegsfactionen und dreffen" nur durch scharfe Strafmaßnahmen verhindert werden („qui enim ferro nutriuntur, iugo ferreo reguntur"). In puncto Militärökonomie bzw. Kriegsfinanzen sei es zu allererst nötig, einen Überschlag zu machen, welche fur das Kriegswesen zur Verfugung stehenden Einnahmen der Kaiser an Reichskontributionen und aus den von den Landtagen bewilligten Kontributionen in Geld, Getreide, Pferden etc. zu erwarten habe und fur wie viele Reiter, Fußvolk und Artillerie die Mittel im kommenden Jahr reichen werden. „Auf wieviel fueßvolk, reiterei und artigleria nun die obgemelte summa kieken wird, soviel und nicht mehr derselben solle man unterhal220 Beer, Finanzwesen, S. 231. Bereits 1679 wurde, als Ergebnis einer in Wien und zweier in Prag abgehaltener Konferenzen, provisorisch ein neuer Schlüssel vereinbart, demzufolge das tatsächliche Verhältnis wieder zu Ungunsten der böhmischen Länder verschoben wurde. In zwei Konferenzen des Jahres 1682 wurde schließlich festgelegt, daß in Hinkunft von der österreichischen Ländergruppe (ohne Tirol) 6 1/4 Teile (= 34,7 %) und von der böhmischen Ländergruppe 11 3/4 Teile (= 65,3 %) postuliert werden sollten, ein Verhältnis, das in der Praxis der folgenden Jahrzehnte nicht immer eingehalten wurde. Ebd., S. 232; Krofta, Snahy, S. 221 f. 221 Ernst, Spanische Subsidien, S. 302. Vgl. jetzt v. a. dies., Madrid und Wien, S. 17 f., 71 f., 74-79, 88-90, 116-120, 176-186, 193-200, 211-225, 251-253, 273-281 und passim. 222 Vgl. ζ. B. Elliott, Imperial Spain, S. 333-360. 223 Vgl. Albrecht, Zur Finanzierung, bes. S. 400-405. Für die Jahre nach 1635 fehlen derartige Untersuchungen, doch dürfte die Bedeutung der päpstlichen Subsidien auch nach 1635 nicht im entferntesten die Summen der Jahre 1618 bis 1623 erreicht haben. 224 Erzherzog Leopold Wilhelm war vom Herbst 1639 bis zur Niederlage der kaiserlichen Hauptarmee bei Breitenfeld am 2. November 1642 und neuerlich ab Mai 1645 Oberkommandierender der kaiserlichen Armee mit großen Vollmachten. Broucek, Leopold Wilhelm. 225 HALV, Hs. 71, S. 7 0 9 - 7 1 3 (Abschrift).
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ten (denn es wirdt ein kleinere, wolbestelte [armee] pessere dienst als ein größere, unordentliche armee leisten); und die übrigen schlechtesten, NB. nicht nach gunst oder ansehen der obristen persohnen, sondern nach notturflft ihrer mayestät dienst" solle man „reformieren oder abdanken". Kurz: „Ihr meiestät muß nicht sagen: ich will so viel volk halten, sondern: ich kan so viel volk halten." 226 Nicht vollzählige Regimenter solle man durch Zusammenlegung mit anderen auffüllen, wodurch auch die derzeit unnötig hohe Zahl der kostspieligen Stäbe reduziert würde. Die freien, zu keinem Regiment geschworenen Reiter seien „bey henken abzuschaffen". Schuhe, Stiefel, Kleider, Waffen, Pferde und Zeug solle man den Soldaten in Abschlag ihrer Besoldung geben. Insbesondere solle mit Emst darauf geachtet werden, daß das zur Bezahlung der Soldaten gedachte Geld ihnen tatsächlich gegeben wird und nicht an den Händen der Befehlshaber kleben bleibt. Das könne dadurch geschehen, daß der Sold nicht den Befehlshabern (den Obristen und Hauptleuten) übergeben, sondern von den (Kriegs-)Kommissären direkt an die Soldaten ausgezahlt wird. Man müsse genau kontrollieren, ob die Befehlshaber ihre Regimenter tatsächlich mit so vielen Soldaten verstärkt haben, wie sie behaupten. Es sei nicht genug, daß der Kaiser vom Hof aus verordnen lasse, daß man eine bestimmte Summe zur Bezahlung oder Verstärkung der Regimenter, zum Ausbau des Artillerieparks oder zum Kauf von Proviant verwenden solle, „sondern man muß erstlich ein- vor allemal dem general-commissario oder in mangl dessen jedem particular-commissario, der bey einer oder der andern i(hrer) m(ayestät) armee verordnet ist, mit ernst befehlen und darob halten, daß er darob sei, daß dasjenige geld", das der Kaiser zu einer bestimmten Ausgabe verordnet hat, in der bestimmten Zeit auch tatsächlich dafür verwendet wird. Jeder Kommissär und jeder Proviantmeister solle dem Kaiser monatlich einen Extrakt seiner Einnahmen und Ausgaben schicken. In Ermangelung eines Generalkommissärs könne der Kaiser je einem Mann aus dem Hofkriegsrat und aus der Hofkammer auftragen, zusammen die Einhaltung des Gesagten und insbesondere die Tätigkeit des Feldproviantmeisters und der Oberkommissäre scharf zu überwachen. Am nützlichsten wäre aber doch „ein gueter general-commissari". Es mangle nicht oder am wenigsten an der guten Verordnung von Hof aus, sondern an deren Exekutierung. Ende April 1645 meinte Graf Georg Adam von Martinitz, dem Fürst Gundaker im September 1642 sein erstes Gutachten übermittelt hatte, in einer Besprechung mit Erzherzog Leopold Wilhelm, dem Gundaker sein zweites Gutachten zugeschickt hatte, für die Herstellung einer guten „oeconomia" bei der Armee sei ein Generalkommissär einzusetzen. Leopold Wilhelm setzte neben diesen von ihm selbst protokollierten Vorschlag sein „placet". 227 1647 griff 226
Zumindest in der staatswissenschaftlichen und kameralistischen Theorie war der Grundsatz, daß sich die Ausgaben des Fürsten bzw. des Staates - ebenso wie jene des Privatmannes - nach seinen Einnahmen zu richten hätten, fast allgemein anerkannt. Noch Johann Heinrich Gottlob von Justi, der sich den idealen Staatshaushalt als Überschuß-Etat vorstellte, vertrat ihn in seinen Schriften. Vgl. Justi, System, §§ 45-48; Grimmig, Justi und Sonnenfels, S. 27 f., 39 f. und 43; E. Klein, Justi, S. 178 f. und 185. Erst Joseph von Sonnenfels begründete in Österreich um 1770 die - die tatsächlichen Gegegebenheiten rechtfertigende - Lehre, daß sich im Staatshaushalt - anders als im privaten Haushalt - die Höhe der Einnahmen nach jener der (unter Rücksichtnahme auf die Wirtschaftskraft des Landes festgesetzten) Ausgaben zu richten habe und nicht umgekehrt: „Die zureichende Summe der öffendichen Einkünfte ist eine Größe, die sich auf die Größe des Aufwandes bezieht. Daher, um jene zu bestimmen, diese vorher muß gefunden werden. Hier entfernet sich die Staatshaushaltung vollkommen von den Grundsätzen der Privatökonomie." Sonnenfels, Grundsätze, 3. Teil, § 13. Ein früher „Vorläufer" dieser Lehre war der reformierter Philologe und Rektor des Danziger Gymnasiums Bartholomäus Keckermann, der bereits in seiner 1606 gehaltenen Politikvorlesung die damals revolutionäre Ansicht vertrat, die Einnahmen müßten dem - wachsenden - Umfang der staatlichen Aufgaben entsprechen und sich daher nach den Ausgaben richten. Vgl. Krüger, Finanzstaat Hessen, S. 20-23. 227 Broucek, Leopold Wilhelm, S. 37. Martinitz hatte bereits in dem die „aeconomiam [!] militarem, sine qua impossibile amplius etiam exiguo tempore durare" betreffenden Punkt seines Gutachtens vom 4. Januar 1645 unter anderem angeregt: „Sit generalis commissarius cum suis substitutis [...]." Ruppert, Politik, S. 367.
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man den Vorschlag Martinitz' - und damit den Vorschlag Gundakers von Liechtenstein - wieder auf und ernannte Ernst von Traun zum Generalkriegskommissär. 228 Dieser ging in den folgenden Jahren bei der Einrichtung der „oeconomia militaris" und bei seinen Maßnahmen zur „Verstaatlichung" der Armee zum Teil genau nach den - freilich in der Natur der Sache liegenden - Vorschlägen Gundakers von Liechtenstein vor. So zwang er zum Beispiel die Kommissäre dazu, über alle Ausgaben genau Rechnung zu legen. Alle Armeestellen, Garnisonen und Festungen wurden regelmäßig visitiert und inspiziert. Unterschlagungen von Kommandanten wurden möglichst durch strenge Kontrollen unterbunden. Traun sprach sich im Juli 1649 dafür aus, gegen unredliche Kommandanten und Obristen mit „abschrüklicher strafe" zu verfahren. Die unentwegten Kontrollen der fiir gewöhnlich gefälschten Musterungs- und Standeslisten dürften allmählich zu einer gewissen Besserung der Verhältnisse gefuhrt haben. Das Generalkriegskommissariat führte nicht nur Listen über die Stärke der Kompanien und Regimenter, sondern auch über die Bestände der Magazine, über den Generalstab und über die hohen Generälen gelieferten Naturalien. Durch möglichst penible Quittierung sämtlicher Lieferungen gewann das Generalkriegskommissariat eine Ubersicht über den Zustand der einzelnen Regimenter. 229 Alle diese Maßnahmen, die sich auch Gundaker von Liechtenstein nicht besser ausdenken hätte können, dienten nicht zuletzt der Erstellung der Feldzugsbudgets. Bereits Ende Dezember 1647 forderte der Hofkriegsrat vom Generalkriegskommissär ein Gutachten zu der Frage, wieviel Kontribution der Kaiser von den Ländern fordern solle.230 Philipp Hoyos hat die Bedeutung des Generalkriegskommissariats unter Ernst von Traun (1647-1651) treffend umrissen: „Die Listen und die Kontrollen des Generalkriegskommissariats über die Obristen sind das wichtigste Mittel zur Verstaatlichung' der Heere [...]. Das Generalkriegskommissariat war gewissermaßen der Katalysator, durch welchen die ursprünglich viel unabhängigeren Obristen zu Berufssoldaten und damit Befehlsempfängern des Staates wurden. [...] So stellt das Kommissariat ein wichtiges Mittel zur Ausbildung des Absolutismus dar, seine Entwicklung bedeutet das Ende einer eigenständigen Macht bei der Armee." 231 Und diese Entwicklung, kann man hinzufügen, war ganz im Sinne des Fürsten Gundaker.
5.9. Vorschläge und Gutachten zu einzelne Länder (insbesondere Mähren) betreffenden Fragen Gundaker von Liechtenstein verfaßte auch eine Reihe von Gutachten und Denkschriften zu „landespolitischen" Fragen, auf die hier nur kursorisch eingegangen werden kann. Am 31. August 1628 übermittelte er aus seiner Residenz Mährisch Kromau dem Kaiser ein Gutachten zu der immer wieder aktuellen und auf dem bevorstehenden Brünner Landtag und Landrecht zu beratenden Frage, wie die Marchgrenze gegenüber Einfallen aus Oberungarn gesichert werden könnte. 232 Der Hauptgedanke besteht in dem Vorschlag, die VerteidiUB
Vgl. Hoyos, Ernst von Traun, Teil II. Ebd., S. 51-62. 230 Ebd., S. 58 f. Mit der - auch von Gundaker von Liechtenstein geforderten - Erstellung von Feldzugsbzw. Heeresbudgets war ein erster Schritt zu einer vorausplanenden Budgeterstellung getan. Die ersten einigermaßen systematischen, freilich unvollständigen und unvollkommenen Voranschläge der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben - getrennt nach Cameral- und Militäretat sowie verbunden mit Vorschlägen fiir die Beschaffung von Geld zur Deckung des zu erwartenden Defizits - lassen sich erst in den Jahren um 1700 feststellen. Z u m Zwecke der Überwachung der Bedeckung des Militärerfordernisses war damals die 1697 eingesetzte, aus den Vorständen der Böhmischen und der Österreichischen Hofkanzlei, des Hofkriegsrats, der Hofkammer und des Generalkriegskommissariats bestehende „Deputation" der Hofkammer übergeordnet. Vgl. Fellner/Kretschmayr, Ö Z V 1 / 1 , S. 60-63, und 1/3, S. 24-38, sowie Mensi, Finanzen, S. 80 f. und passim. 231 Hoyos, Ernst von Traun, Teil II, S. 59 f. 232 Abschrift im HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat, 1620ff.". Zum mährischen Kriegswesen im 16. und frühen 17. Jahrhundert siehe v. a. Kamenicek, Zemske snemy, Bd. 2, S. 170-400. 229
Einzelne Lander (insbesondere Mähren) betreffende Fragen
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gungslinie nicht erst an bzw. hinter der March zu errichten, sondern bereits an der Donau (bei Theben) sowie an den (Karpaten-)Pässen zwischen Oberungarn einerseits, Mähren und Schlesien andererseits bis zur polnischen Grenze. Den vor allem aus schneller Reiterei bestehenden feindlichen Heeren (Gundaker nennt ausdrücklich die Erfahrungen mit den Truppen Bocskais und Bethlens) könne man im Gebirge und in den Wäldern viel erfolgreicher Widerstand leisten als an den Ufern der March, insbesondere wenn sie zugefroren ist oder wenig Wasser fuhrt. Dadurch könnte nicht nur ganz Mähren gesichert werden, sondern auch Böhmen, Schlesien und Österreich nördlich der Donau. Die Idee, Mähren und Osterreich gegen militärische Einfalle aus Oberungarn bereits an den diesseits und jenseits der Landesgrenzen gelegenen Karpatenpässen zu verteidigen, war natürlich nicht neu. Zumindest seit der Krönung Ferdinands I. zum König von Ungarn im November 1527 lag der Gedanke nahe. Im Jahre 1566 etwa faßte der mährische Landtag den Beschluß, zum Schutz gegen türkische Einfalle die Berge in ganz Ostmähren „wieder" zu verhauen, vor allem aber an der Landesgrenze an den Karpatenpässen. 233 Zehn Jahre später wurde den mährischen Vertretern auf dem bevorstehenden Generallandtag der Länder der böhmischen Krone aufgetragen, auf den Beschluß geeigneter Maßnahmen zur Verteidigung der Grenze gegenüber Ungarn gegen türkische Einfälle zu dringen, und zwar unter anderem durch die Besetzung der Bergpässe.234 Während der Landeshauptmannschaft Karls von Liechtenstein beriet der mährische Landtag 1605, zur Zeit des Bocskai-Aufstands, über die Verlegung geworbener Söldner und eines Teils des Landesaufgebots in die Grenzburgen und an die Karpatenpässe. Diese Pläne wurden jedoch nur zum geringsten Teil realisiert. Es wurden zwar Besatzungen in Städte und Burgen in Südostmähren gelegt, die Karpatenpässe blieben aber frei. 235 In den Jahren 1652 und 1653 befaßte sich der bereits über siebzigjährige Fürst Gundaker eingehend mit einer Defensionsordnung für die Markgrafschaft Mähren, und zwar naturgemäß wiederum insbesondere mit Verteidigungsmaßregeln an der Grenze gegenüber Ungarn. Im September 1652 schrieb er an Louis Raduit de Souches, den berühmten Verteidiger Brünns gegen die Schweden im Jahre 1645, der damals das militärische Kommando in Mähren innehatte und sich besonders um den Ausbau der Befestigungsanlagen (vor allem der Städte Olmütz, Mährisch Neustadt, Brünn und Ungarisch Hradisch) bemühte. 236 Gundaker von Liechtenstein regte in seinem Schreiben an, der Kaiser möge zwei Dinge anordnen, über die er, Gundaker, dringend mit de Souches zu „conferiren" wünschte: 1. die Pässe gegen Ungarn durch eine Kommission zu besichtigen, um zu sehen, wie man sie gegen Einfälle ungarischer und türkischer Reiter schützen könne; 2. daß eine Landesdefensionsordnung erstellt werde und die Untertanen in Städten und Dörfern „in armis mit den drillen geübt und abgerichtet würden". Den zu erwartenden Einwand, die Untertanen könnten dann die Waffen gegen ihre Obrigkeiten richten „und rebelisch werden", entkräftete Gundaker mit dem Hinweis, dies könne leicht verhindert werden, und zwar erstens dadurch, „daß die obrigkeiten ihre underthanen gebührend halten und sie nicht tirannisiren"; sollte es durch den einen oder anderen Grundherrn dennoch geschehen, so sei der Kaiser „als die höchste obrigkeit" verpflichtet, die Obrigkeiten davon abzuhalten und zu bestrafen; wenn das geschehe, „so werden die underthanen khein motivum haben, wider ihre obrigkeiten sich aufeuleinen". Zweitens könnten die Waffen, mit denen man die Untertanen exerziert, in der Verwahrung der Obrig233 234 235
Kamenicek, Zemske snimy, Bd. 2, S. 294 f. Ebd., S. 315. Ebd., S. 368 f. und 377. Zu den Pässen und Bergübergängen zwischen Mähren und Schlesien ebd.,
S. 414. 236 Unter der Bedingung, binnen drei Jahren zum Katholizismus überzutreten (er war damals noch Hugenotte), hatte de Souches 1646 das Inkolat in Mähren erhalten, 1649 hatte ihm der Kaiser das Gut Jaispitz im Znaimer Kreis verkauft. 1652 erhielt er das Inkolat in Böhmen, später auch die Landstandschaft in Österreich unter der Enns sowie das Indigenat in Ungarn. Broucek, Louis Raduit de Souches, S. 128 f.; Schwarz, Privy Council, S. 350 f.
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keiten gehalten werden. Da er vorhabe, seine Untertanen „durch drillung" zur Verteidigung der Stadt und der Herrschaft Ungarisch Ostra „habiles" zu machen, ersuchte Gundaker Feldmarschalleutnant de Souches überdies um Ubersendung zweier zu diesem Zweck brauchbarer Männer aus seinem Regiment. 237 De Souches antwortete kurz angebunden, Fürst Gundaker möge sich mit seinen Anregungen an den Kaiser wenden. Zu der Bitte um zwei Männer zur Exerzierung der Untertanen der Herrschaft Ostra bedauerte er mitteilen zu müssen, vom Kaiser ausdrücklichen Befehl zu haben, keinen einzigen Mann aus seinem Regiment ohne kaiserlichen Konsens und Bewilligung des Generalleutnants (Ottavio Piccolomini) „loszulassen", sondern im Gegenteil das Regiment zu verstärken. 238 Fürst Gundaker wandte sich daraufhin tatsächlich direkt an Ferdinand III. Zur Vermittlung bediente er sich der Dienste seines am kaiserlichen Hof weilenden Sohnes Ferdinand Johann. Am 13. November 1652 teilte ihm dieser mit, daß er dem Kaiser in einer Audienz über den Vorschlag seines Vaters, eine Landesdefensionsordnung fiir Mähren zu erstellen, berichtet habe, woraufhin der Kaiser den Fürsten Gundaker um ein ausführliches Gutachten gebeten habe. 239 Ende April des nächsten Jahres übersandte dieser dem Kaiser das erbetene Gutachten, in dem er zunächst seinen bereits 1628 gemachten Vorschlag wieder aufgriff. 240 Es sei vor allem nötig, die Beschaffenheit der Pässe zwischen Österreich, Mähren und Schlesien einerseits und Ungarn andererseits genau zu erkunden, um im Ernstfall geeignete Maßnahmen zu ihrer Verteidigung gegen ungarische und türkische Angriffe ergreifen zu können. Er selbst habe bisher drei ungarische Einfälle erlebt, nämlich jene Bocskais, Bethlens und Rakoczis, wodurch er und seine Untertanen großen Schaden erlitten hätten, „dessen wir uns bis dato noch nicht erhollen können". Mit der Erkundung solle man einen fähigen Ingenieur betrauen, dem von den an der Grenze begüterten Landleuten Hilfe geleistet werden müsse. Der ungarische Palatin, die hinterlassenen Räte in Österreich, der mährische Landeshauptmann und der schlesische Oberamtsverwalter seien um Gutachten zu ersuchen. Weiters sei es nötig, um im Ernstfall die Pässe und die Grenzen verteidigen zu können, daß - nach dem ausdrücklich genannten Vorbild italienischer Staaten (v. a. Florenz), Bayerns und der Pfalz 241 - die Untertanen in Städten, Märkten und Dörfern beizeiten (anfangs an allen Sonn- und Feiertagen, später nur alle ein bis zwei Monate) „abgericht und, wie man es zu nennen pflegt, gedrillt würden, daß sie die musqueten und andere gebreuchliche waffen gebrauchen, menagiern, auch in zug- und Schlachtordnungen, Wendungen und scharmizel hurtig sich schiken könnten". Gegen diesen Vorschlag gebe es zwei Einwände: erstens, daß dann die Untertanen die Waffen gegen ihre Erbobrigkeiten, ja sogar „ungetreue landleut" ihre Untertanen gegen den Landesfursten gebrauchen könnten; zweitens, daß die so abgerichteten Untertanen wenig nützlich seien, wenn es darum gehe, dem Feind Widerstand zu leisten. Den ersten Einwand entkräftete Gundaker mit den bereits aus seinem Schreiben an de Souches bekannten Argumenten sowie mit dem Hinweis darauf, daß die in Grenznähe lebenden Untertanen nicht zum Aufstand gegen ihre Erbobrigkeiten oder den Landesfürsten neigten; überdies könne im schlimmsten Fall ein Untertanenaufstand mit wenig geworbenem Kriegsvolk rasch niedergeworfen werden. Der zweite Einwand treffe nur dann zu, wenn die „abgerichteten" Bauers- und Bürgersleute in freiem Feld eingesetzt oder nicht mit geworbenen Soldaten vermischt und mit kriegserfahrenen Befehlshabern versehen würden. In geschlossenen Schanzen und an befestigten Pässen aber „können und werden sie, wenn man ihnen kriegserfahrne
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HALV, Hs. 278, S. 282 f., G. v. L. an de Souches, Ungar. Ostra, 8. September 1652 (Abschrift). Ebd., S. 295, de Souches an G. v. L„ 15. September 1652 (Abschrift). Vgl. Kapitel 11.4. 239 Ebd., S. 434 (Abschrift). 210 HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat, 1620 ff.", Gutachten G.s v. L. an den Kaiser betr. Defensionsordnung, Ungar. Ostra, 29. April 1653 (Konzept mit eh. Korrekturen und Ergänzungen des Autors); Abschrift in HALV, Hs. 279, S. 3 8 9 ^ 0 2 . 211 Vgl. Frauenholz, Entwicklungsgeschichte, Bd. 3/2, bes. S. 3 - 2 8 samt Anhang und Beilagen. 238
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guete officier zugibt, ersprießliche dienst woll leisten, insonderheit wider die Ungern, welches gemeinlich meistenstheils ein zusammengesambletes baurnvolkh ist, so da durch hoffnung gueter beud aufgewüglt und zusambengebracht wirdt". Mit seinem Vorschlag, die Bürger und Bauern zur Landesverteidigung heranzuziehen und militärisch zu exerzieren, griff Fürst Gundaker nicht nur auf die Tradition des Landesaufgebots und des Landesdefensionswesens zurück 242 , sondern vielleicht auch - bewußt oder unbewußt - auf die „Confoederatio Bohemica", die revolutionäre Staatsverfassung, die am 31. Juli 1619 von den auf dem Generallandtag in Prag versammelten Ständen aller fünf Länder der böhmischen Krone verabschiedet worden war. Da es (aus Geldmangel) schwer sei, mit geworbenem Kriegsvolk „aufzukommen", wurde in der Konföderationsurkunde bestimmt, jedes Land solle darauf bedacht sein, wie die Untertanen in den Dörfern und Städten zu Roß und zu Fuß exerziert werden können. Die Waffen der Bauern, heißt es weiter, sollen von den Obrigkeiten verwahrt und den Untertanen nur zur Übung herausgegeben werden. 2 4 3 Zumindest in den königlichen Städten hatte es in Mähren aber schon früher, jedenfalls seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Ansätze zu einer militärischen Exerzierung der Bevölkerung gegeben. 244 Als Ausfluß seiner Beschäftigung mit wirtschaftlichen Fragen und als durch den Kauf mährischer „Rebellengüter" einschlägig Geschädigter verfaßte Fürst Gundaker eine Denkschrift über die Anlage von Hypothekenbüchern, die er 1631 Ferdinand II. und 1638 Ferdinand III. unterbreitete. Aus eigener bitterer Erfahrung wußte er über die Gefahr Bescheid, die aus der Tatsache erwuchs, daß fast täglich in Stadt und Land Grundbesitz verkauft oder beliehen wurde, ohne daß die Käufer oder Darlehensgeber über die auf diesem haftenden Schulden zuverlässig informiert waren. Endlose Prozesse und eine schwere Schädigung des Handels und des Kredits seien die unvermeidlichen Folgen der Nichtexistenz von Hypothekenbüchern. 245 Ebenfalls als Betroffener und sich durch die in Mähren gegenwärtig bestehende, auf der altertümlichen Besteuerungseinheit der Gültpferde basierende direkte Steuer benachteiligt Fühlender, aber auch im Interesse der kaiserlichen Finanzen verfaßte Gundaker von Liechtenstein seit 1632 zahlreiche Gutachten und Projekte bezüglich eines neuen „Modus contribuendi" in der Markgrafschaft Mähren. 246 Insbesondere an Wilhelm Slavata (1628-1652 Oberstkanzler des Königreichs Böhmen) und dessen Nachfolger Johann Hartwig von Nostitz (Oberstkanzler 1652-1683) sowie an Jaroslav Borita von Martinitz (1628-1638 Oberstlandhofmeister und 1638-1649 Oberstburggraf) und dessen Söhne Bernhard Ignaz (1649/50 Oberstlandkämmerer und 1651-1685 Oberstburggraf und Statthalter von Böhmen), Georg Adam (1632-1651 Böhmischer Kanzler) und Maximilian (1651 Oberstlandrichter, 1656 Oberstlandkämmerer, 1658 Oberstlandhofmeister von Böhmen) als die fuhrenden Repräsentanten des Adels der böhmischen Länder im Geheimen Rat richtete er zahlreiche Schreiben in dieser Sache. In einem langen Brief an Jaroslav von Martinitz aus dem Jahre 1644 beispielsweise nennt Gundaker die seiner Ansicht nach vier wichtigsten Dinge, auf die es bei der
2.2 Vgl. u. a. Loebl, Landesverteidigungsreform; Wrede, Geschichte, Bd. 5, S. 7-81; Frauenholz, Entwicklungsgeschichte, Bd. 3/2; Zimmermann, Militärverwaltung, S. 18-22. 2.3 Documenta Bohemica, Bd. 2, S. 162 Nr. 72. Vgl. Bahlcke, Regionalismus und Staatsintegration, S. 427f. und 436. 244 Vgl. Kamenicek, Zemske snimy, Bd. 2, S. 183-185. - Zu den gescheiterten Bemühungen um eine gemeinsame Defensionsordnung fiir die böhmischen Länder zwischen 1566 und 1606 vgl. Bahlcke, Regionalismus, S. 187-195. 245 HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat, 1620 ff."; Mitis, Anteil, S. 98 f. 246 HALW, Κ. Η 172, Fasz. „Anschlag- und projecte eines neuen modi contribuendi im marggrafthum Mähren" (1632-1666). Ein eh. Konzept eines Schreibens G.s v. L. an Ferdinand III. vom 12. August 1641 mit einem Bericht über die ungerechte Verteilung der Kontribution in Mähren befindet sich unter den Akten der Herrschaft Ungarisch Ostra im HALW, Κ. Η 1176.
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Einführung eines gerechteren und effizienteren Steuersystems ankomme: erstens, daß „die gleichheit in diesem bestehe, daß, wer viel hatt" - sc. an liegenden Gütern - „viel, wer wenig hatt, wenig, wer nichts hatt, nichts gebe"; zweitens „was mann schezen solle" (die Größe oder den Wert der Grundstücke; alle Grundstücke oder nur die Äcker, Weingärten und Wiesen oder aber auch die Häuser; nur die Grundstücke der Untertanen oder auch die Gründe, Teiche, Meierhöfe, Schäfereien etc. der Obrigkeiten); drittens „wie teuer mann es schezen solle"; und schließlich viertens „wer es schezen solle" (die obrigkeitlichen Pfleger oder die untertänigen Richter und Geschworenen oder von den Ständen eingesetzte Kommissäre). 247 In den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts wurde in Mähren die Kontribution einerseits nach der Zahl der Untertanen und andererseits nach den sogenannten Gültpferden (einer als Steuereinheit dienenden Vermögensgröße) bezahlt, das heißt zum Teil als Kopfsteuer und zum Teil als Vermögens- oder Einkommens- bzw. Grundsteuer. Von 1620 bis 1631 wurde die direkte Steuer ausschließlich nach der Zahl der Untertanen eingehoben, ab dem Jahr 1632 hingegen nur nach den Gültpferden. 248 Die ungleichmäßige Verteilung der Gültpferde auf die einzelnen Herrschaften und Güter, auf deren Grundlage die Repartition der vom Landtag bewilligten Kontribution erfolgte, führte zu zahllosen Beschwerden und Klagen, sodaß der Brünner Landtag des Jahres 1634 den Beschluß faßte, eine allgemeine Schätzung aller Herrschaften und Güter durch eigene Kommissionen (je eine fur jeden der fünf Kreise) durchführen zu lassen. Die Kommissionen bestanden aus acht Mitgliedern, je zwei aus jedem Stand. 249 Gundaker von Liechtenstein hingegen sprach sich - erfolglos - dafür aus, die wirtschaftlich genutzten Grundstücke und die Häuser der Untertanen durch Bürgermeister, Richter, Rat oder Geschworene jedes Ortes unter Beiziehung zweier „erbarer verstendiger" Schätzleute aus der Gemeinde verzeichnen und in der Gegenwart der ganzen Gemeinde schätzen zu lassen. 250 Fürst Gundaker wurde bei seinem Vorschlag vielleicht bereits von ähnlichen Motiven geleitet wie genau 150 Jahre später Kaiser Joseph II., der die Vermessung der „fruchtbringenden" untertänigen Grundstücke, die der Josephinischen Steuerreform und dem Josephinischen Kataster zugrundeliegt, durch Bauern vornehmen ließ, allerdings unter Leitung der Herrschaftsbeamten. 251 Diese waren aber, nach dem Urteil eines vormärzlichen Kenners der Materie, bereits während der Zeit der Mitregierung Josephs II. (1765-1780) „eigentlich zu Staatsbeamten" gemacht worden. Der leitende Herrschaftsbeamte war um 1770/80 „der Sache nach" bereits „eine landesherrliche Obrigkeit erster Instanz". 252 Der 1634 gefaßte Visitationsplan der mährischen Stände wurde schließlich nur in Ansätzen realisiert; die Ungleichheit „in contribuendo" nach Gültpferden dauerte an. 2 5 3 Erst im Jahre 1642 wurde ein ernsthafter Versuch einer Revision der Gültpferde unternommen. Ende 1643 lag tatsächlich ein neues Verzeichnis der Gültpferde vor. Aber auch nach dieser zu wenig radikalen Revision verstummten die Klagen über die ungleichmäßige Verteilung der Gültpferde nicht, im Gegenteil, sie wurden noch lauter. 254 Im Juli 1650 berichtete Fürst Gundaker einem Grafen von Martinitz (wahrscheinlich dem böhmischen Kanzler Georg Adam), daß am Brünner Landtag am 19. Juli gegen seinen Widerstand und den Widerstand einiger weiterer Ständemitglieder neuerlich beschlossen worden sei, „die berathschlagung eines modi contribuendi, welchemnach die kinftigen lands247
Ebd., G. v. L. an Graf Martinitz, Brünn, 3. Dezember 1644 (Konzept). Novotny, Moravsky berni system, S. I46f. 249 Ebd., S. 147f. 250 HALW, Κ. Η 172, „Elaborat des Fürsten Gundacker über Güterschätzung", 1. Juli 1634 (Konzept). Einer darauf außen angebrachten Notiz ist zu entnehmen, daß der Vorschlag 1655 wieder aufgegriffen und am 21. Juni dem Grafen Nostitz überschickt wurde. 251 Vgl. Rozdolski, Steuer- und Agrarreform, S. 30-41 und passim. 2,2 Beidtel, Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 161-163. 255 Novotny, Moravsky berni system, S. 148. 254 Ebd., S. 149-154. 248
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anlagen mit mehrerer durchgehender gleichheit könten angelegt werden", auf den nächsten Landtag zu verschieben.255 Er sei der Meinung, daß die mährischen Stände niemals einen neuen, gerechteren Steuermodus beschließen werden, wenn es ihnen der Kaiser nicht noch einmal ausdrücklich befehle und zu diesem Zweck am besten einen außerordentlichen Landtag einberufe. Gundaker legte seinem Schreiben Kopien der Vorschläge, die er 1644 den mährischen Ständen vorgetragen und am 19. Juli 1650 wiederholt hatte, der dagegen vorgebrachten Einwände sowie seines am 18. Juli 1650 im Brünner Landhaus abgegebenen Votums bei. In letzterem gibt er unter anderem seiner Uberzeugung Ausdruck, daß, wenn eine „durchgehende gleichheit in denen landsanlagen" bestehen solle, jede Herrschaft die Landsanlagen nicht nur von den Grundstücken ihrer Untertanen geben müsse, sondern - trotz des derzeit noch gegebenen Widerstands der Landleute dagegen - auch von ihren eigenen liegenden Gütern (Äcker, Wiesen, Weingärten, Wälder etc.) und Wirtschaftsbetrieben (Teiche, Schäfereien etc.). „Ich meinentheils", fährt Gundaker fort, „wenn ich meinen eigenen nutzen erwegete, so riete ich, daß mann die landsanlagen nur allein auf der underthanen griind schlagen solle. Weil ich aber ihr mayestät allergn(ä)d(ig)sten willen und befelch, dann auch die justizi und die allgemeine wollfahrt der landsinwohner, die da eine gleichheit erfordert, meinem aigenen nuzen vorziehe, und ich destwegen daher erfordert worden und da bin, darum, daß ich eine gleichheit anzustellen einrahtten solle, so khan ich mit guetem gewissen kheiner andern meinung sein, als daß die landtleut von ihrem aigenthumb auch die landsanlagen endtrichten sollen." Er sei sich bewußt, daß es unmöglich sei, „einen solchen modum contribuendi zu erfinden", bei dem es keinerlei Ungerechtigkeiten und Betrügereien gebe, man müsse sich aber wenigstens darum bemühen. Um den Vorschlag Gundakers, auch die obrigkeitlichen Grundstücke und Wirtschaftsbetriebe zu besteuern, richtig beurteilen zu können, ist ein kleiner steuergeschichtlicher Einschub nötig. Wie revolutionär dieser Vorschlag war, erhellt zum Beispiel aus der Tatsache, daß in Kärnten die Grundherren noch in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts, am Vorabend der Theresianischen Steuerreform, auf dem Standpunkt beharrten, daß „die unterthanen alleine alle und jede, die herrschaften aber gar keine contributiones zu praestiren verbunden wären".256 Ja selbst nach den theresianischen Reformen um die Mitte des 18. Jahrhunderts mußten (um von Ungarn ganz zu schweigen) auch in den österreichischen und böhmischen Ländern die Untertanen weiterhin den Großteil der direkten Steuerlast tragen. Im Jahre 1777 zum Beispiel machte das von den Grundherren zu entrichtende Dominicale in Oberösterreich nur 15,8 Prozent der gesamten Kontributionssumme aus, in Niederösterreich 16,7 und in der Steiermark 21,8 Prozent, der überwiegende Großteil entfiel auf das von den Untertanen aufzubringende RusticaleP7 Vom 16. Jahrhundert bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die - kontinuierlich, zum Teil auch sprunghaft steigenden direkten Steuern in den böhmischen und österreichischen Ländern fast zur Gänze von den Untertanen aufgebracht bzw. von den Grundherren auf die Untertanen überwälzt. In der Steiermark etwa hatten die Untertanen schon bei völlig korrekter Reparation der Gültsteuer in der Regel den weitaus größten Teil dieser von 1495 bis 1740 fast jährlich eingehoben Steuer zu tragen. Viele Herren forderten von ihren Untertanen jedoch überhöhte Steuern, und zwar einerseits durch Einforderung auch jenes Teils, den eigentlich der Grundherr aus eigenem Säckel hätte tragen sollen, andererseits durch Forderung überhaupt nicht bewilligter Beträge.258 Der erstmals 1633 veranlagte, ebenso wie die Gültsteuer zur Finanzierung des
HALV, Hs. 275, S. 226-236 sowie drei weitere, nicht paginierte Seiten, G. v. L. an Graf Martinitz, Rabensburg, 23. Juli 1650 (Abschrift). Walter, Ö Z V I I / l / l , S. 120-123. 2,7 Hartmann, Steuersystem, S. 160f. A. 517 und 519 und S. 196. "" Mensi, Geschichte der direkten Steuern, Bd. 1, S. 57-68 und 208-254. Konkrete Beispiele bei Pichler, Gülteinlage, S. 488 ff.
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Militate dienende „Zinsgulden" wurde fast ohne Ausnahme bis in die theresianische Zeit jedes Jahr gefordert. Der Anteil der Herren an dieser Steuer sank kontinuierlich; seit 1710 lag er regelmäßig unter 10 Prozent, in 25 Jahren überhaupt bei Null. 259 In Österreich unter der Enns wurde - zusätzlich zu der seit den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts üblichen Besteuerung nach den Gültpfunden - seit 1584 jedes bewohnte Haus (bzw. jede Feuerstätte) mit einem Gulden direkter Steuer belegt („Hausgulden", „Rauchfanggulden"). 260 Diese „Urbarsteuer" blieb keine bloße Gebäudesteuer, sondern entwickelte sich zu einer Art Grundsteuer mit sehr primitiver Veranlagungsform. Seit 1688 kam zum Hauptanschlag der meist viel größere sogenannte „Interimsanschlag" hinzu, der bald (wegen seiner Fälligkeitstermine) als Quartalsteuer bezeichnet wurde. Seit 1700 schwankte der Hauptanschlag zwischen zwei und vier, die Quartals teuer zwischen acht und zwölf Gulden. „Die Urbarsteuer wurde anfangs ausschließlich, später größtenteils von den Untertanen getragen." 261 Bis 1748 wuchs die Hausabgabe auf 24 Gulden an. 262 Die Herrengült hingegen blieb von 1542 bis 1752 unverändert. 263 In Böhmen wurden seit den letzten Jahren der Jagiellonenherrschaft, spätestens aber seit 1526 die in Form von Vermögenssteuern ausgeschriebenen Steuern in der Praxis von den Obrigkeiten, in deren Händen sich Subrepartition und Einhebung der Steuern befanden, fast zur Gänze auf die Untertanen überwälzt. 264 Die nach der Niederwerfung der Ständerevolte von 1547 zur Bestrafung der königlichen Städte angeordnete „ewige Biersteuer" machte bald bis zu einem Drittel des gesamten böhmischen Steueraufkommens aus. 265 Die 1567 eingeführte Haussteuer war ein um den Preis einer höheren Belastung der Städte erzielter Erfolg des böhmischen Adels, der sich damit endlich von der Vermögenssteuer und bis 1593 praktisch von jeder Steuerpflicht befreien konnte. 266 Ende 1593 willigten die böhmischen Stände erstmals seit dem (völlig fehlgeschlagenen) Türkenfeldzug des Jahres 1566 ein, fur das Landesaufgebot einen Teil der direkten Steuern aus eigenem Säckel zu bezahlen. 267 Ab 1593/94 wurden die Herrschaftsbesitzer gemäß der Zahl der bäuerlichen Ansässigkeiten auf ihren Gütern besteuert; die Eigenwirtschaft der Herren blieb steuerfrei. 268 Erst 1631, im Jahr des Einfalls der Sachsen nach Böhmen, war der Adel durch die Gefahr, die seinen großteils noch jungen Reichtum bedrohte, wieder zu einer stärkeren Beteiligung an den direkten Steuern gezwungen. 269 Die seit 1595 von den höheren Ständen pro Untertan geforderte Steuer traf allerdings besonders die kleinen Adeligen schwer. Für die großen Dominien mit steigenden Einnahmen aus der Eigenwirtschaft hingegen war diese Steuer keine besonders große Belastung. Das böhmische Steuersystem begünstigte also die großen Herren auf Kosten der „armen" Adeligen, d. h. vor allem der großen Zahl der Ritter. 270 Nach 1593, vor allem seit 1595 ruhte die böhmische Steuerlast (direkte und indirekte Steuern) zu einem überproporMensi, Geschichte der direkten Steuern, Bd. 1, S. 3 4 2 - 3 4 9 und 4 8 5 f . ; Pichler, Belastung, S. 8 7 f . Zuletzt Seeger, Geschichte der ständischen Steuern, S. 2 2 4 - 2 3 2 . - Die Methode, die Untertanen nach der Anzahl ihrer Feuerstätten zu besteuern (ein Gulden von jedem Rauchfang oder Haus), geht auf einen Vorschlag zurück, den der steirische Landeshauptmann Hans Ungnad von Sonneck ohne Erfolg auf der Prager „Ländertagung" im Winter 1 5 4 1 / 4 2 gemacht hatte. Vgl. Mensi, Geschichte der direkten Steuern, Bd. 1, S. 7 4 - 8 0 und 1 2 9 - 1 3 3 ; Loserth/Mensi, Ländertagung; Krofta, Snahy, S. 1 6 0 - 1 7 3 . 255 260
Mensi, Finanzgeschichte, S. 44. N Ö L A St. Pölten, Abt. Ständisches Archiv, Hs. 1013/1, fol. 5. 263 Ebd., fol. 6. 264 Mika, Poddany lid, S. 2 7 0 - 2 7 4 . Zur y Überwälzung der eigentlich auf die Obrigkeiten entfallenden Steuer auf die Untertanen siehe auch Placht, Ceski dane, S. 1 5 6 - 1 5 9 . 261
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265 2α 267 268 269 270
Gindely, Geschichte der böhmischen Finanzen, S. 9 4 und passim. Ebd., S. 9 5 f. und 1 1 0 ff.; Placht, Ceske dane, S. 9 2 - 1 2 0 , 1 4 3 und passim; Volf, Umriß, S. 1 0 2 - 1 0 5 . Placht, Ceske dane, S. 1 5 3 f. Gindely, Geschichte der böhmischen Finanzen, S. 1 0 2 f . und 1 1 1 . Placht, Ceske dane, S. 1 4 4 . Ebd., S. 1 4 6 .
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tional hohen Teil auf den Bewohnern der königlichen Städte, vor allem den Handwerkern. Die Bevölkerung der böhmischen Städte (vielleicht ungefähr ein Vierzehntel der Gesamtbevölkerung) bezahlte 1552 bis 1567 ein Fünftel bis ein Viertel der direkten und indirekten böhmischen Steuern, 1567 bis 1595 ein Drittel bis zwei Fünftel, 1596 bis 1618 rund ein Viertel 271 und im Jahre 1637 knapp 29 Prozent. 272 Die höheren Stände (d. h. vor allem die Adeligen, aber auch die Prälaten und der Klerus) sicherten sich ihre privilegierte Stellung also unter anderem dadurch, „daß sie den Stand der königlichen Städte an den Rand der wirtschaftlichen Katastrophe brachten". 273 Bis 1666 lastete das Militare in Böhmen gänzlich auf den Untertanen in Dorf und Stadt. Erst seit dem Jahre 1667 übernahmen die Obrigkeiten einen allmählich wachsenden Teil der Militärsteuer. 274 Nach diesem steuergeschichtlichen Exkurs kehren wir nach Mähren in das Jahr 1650 zurück, zu den Diskussionen um die Einführung eines neuen Modus contribuendi. Die Beratungen und Auseinandersetzungen zogen sich noch jahrelang hin. In ihrem Verlauf hat Gundaker von Liechtenstein noch viel Papier und Tinte verbraucht, worauf hier nur in Auswahl eingegangen werden kann. Am 22. Februar 1653 sandte er wieder einmal ein langes Gutachten in dieser Sache an den Kaiser (über Vermittlung des Obersthofmeisters Maximilian von Dietrichstein, der übrigens von 1618 bis zu deren Tod 1638 mit einer Nichte Gundakers verheiratet gewesen war). 275 Daraufhin forderte Ferdinand III. die mährischen Stände durch Reskripte aus Regensburg am 31. Januar und am 14. Februar 1654 auf, den bisherigen Modus collectandi nach Gültpferden aufzugeben und durch einen geeigneteren zu ersetzen, der ebenfalls auf einer Schätzung des Werts der Güter basieren sollte. Den kaiserlichen Reskripten ist ein bemerkenswertes Gutachten des Fürsten Gundaker (datiert Ostra, 2. Januar 1654) beigelegt, das inhaltlich mit dem erwähnten Gutachten vom 22. Februar 1653 übereinstimmt. 276 Als Ursache für die Ungleichheit der Verteilung der Gültpferde gibt Gundaker an, daß es in jedem der fünf Kreise der Markgrafschaft: Mähren bestimmte Personen (Kommissäre) gebe, die mit der „Reduktion" der Gültpferde betraut sind, und zwar je eine Person aus dem Prälatenstand, zwei Herren und zwei Ritter sowie einen Vertreter des vierten Standes (der königlichen Städte). Gemeinsam mit den Kreishauptleuten und den Landesbeamten seien das im ganzen Land rund 50 Personen. Die Kommissäre schonten bzw. bevorzugten bei der „Reduktion" der Gültpferde vor allem sich selbst, ihre Verwandten und die, „denen sie affectionirt sein", sowie die Kreishauptleute und Landesbeamten, „die sie respectiren müessen und deren sie in vielmahligen vorfallenheiten bedörffen". Worum deren Last erleichtert werde, um denselben Betrag müsse jene der übrigen vergrößert werden; daraus entstünden die Ungleichheiten, Bedrückungen und Klagen. Der Kaiser habe bisher die Stände vergeblich aufgefordert, sich auf einen gerechteren Besteuerungsmodus zu einigen. Das komme daher, daß jene entscheidenden Akteure aus der ungerechten Repartition der Gültpferde „profit" ziehen. Fürst Gundaker fuhrt konkrete Beispiele an: Der Landeshauptmann (Johann von Rottal) habe im Hradischer Kreis fünf Herrschaften, denen die Zahl der Gültpferde von 11,25 auf 1,875 (sie!) reduziert worden sei. Die Zahl der Gültpferde der zwei Herrschaften des Oberstlandkämmerers (Gabriel von Serdnyi277) sei von 7,0 auf 1,625 herabgesetzt wor271 Wenn man den nunmehr eingeführten Anteil der höheren Stände abzieht, zeigt sich, daß die Städte mehr als die Hälfte dessen zahlten, was die Untertanen des ganzen Königreichs bezahlten. Ebd., S. 149. 272 Ebd., S. 146-149. 275 Ebd., S. 148. 274 Vgl. ebd., S. 58 f. 275 HALW, Κ. Η 172, Fasz. „Anschlag- und projecte" (wie Anm. 246), Konzept des Gutachtens; HALV, Hs. 279, Repertorium, S. 45 (das Gutachten wurde nicht in das Kopialbuch eingetragen). 276 Novotny, Moravsky berni system, S. 154-157. Gundakers Gutachten vom 2. Januar 1654 konnte ich im Liechtensteinischen Hausarchiv nicht finden. Da es sich aber nur um eine Wiederholung des Gutachtens vom 22. Februar 1653 zu handeln scheint, zitiere ich im folgenden nach diesem. 277 d'Elvert, Beiträge, Bd. 4, S. LVIII.
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den. Im Gegensatz dazu sei die Zahl der Gültpferde seiner, also Gundakers, Herrschaft Ungarisch Ostra nur von 7,0 auf 5,875 vermindert worden. Fürst Gundaker schlägt dem Kaiser drei mögliche neue Arten der Steuererhebung vor: 1. nach dem Wert der - neu zu schätzenden - Güter; 2. die alte mährische Methode, die bis zum Jahr 1632 in Kraft war, d. h. nach der Zahl der Untertanen (diese Methode werde derzeit in Böhmen, Ober- und Niederösterreich, der Steiermark, Kärnten und Krain angewendet); 3. die schlesische Methode - diese sei die beste. Dort würden nicht nur die Güter der Untertanen zur Steuer veranlagt, sondern auch der Besitz der Stände. 278 Diese Methode sei den Ständen bereits einmal vorgeschlagen, von diesen aber abgelehnt worden, da sie nicht wie Bauern behandelt werden wollten. Dieser Einwand habe jedoch keine Basis, denn in Osterreich würden auch die Herrengüter besteuert, und die Stände blieben trotzdem Herren. Falls sich der Kaiser fur die erste Methode entscheide, so nennt Gundaker eine Reihe von Punkten, die dabei im Auge zu behalten seien. Die Schätzung der Güter solle jedenfalls nicht durch von den Ständen ernannte Kommissäre erfolgen, denn dann würde sich an der Ungleichheit und Ungerechtigkeit der Steuerverteilung nichts ändern, sondern durch die vereidigten Vertreter der lokalen Untertanen (Bürgermeister, Richter, Rat, Geschworene und zwei ehrbare, verständige Leute aus der Gemeinde) als die besten Kenner der lokalen und individuellen Besitzverhältnisse und Bodenqualitäten in Gegenwart der ganzen Gemeinde. Der Tenor des Gutachtens Gundakers läßt sich so zusammenfassen: Nachdem die mährischen Stände die wiederholte „landtsfurstliche vätterliche vermahnung", einen gerechteren Modus contribuendi einzuführen, nicht befolgten, möge der Kaiser die Einwände der Stände nicht mehr beachten und die notwendige Reform des Steuersystems „aus landsfurstlicher macht eheist" durchführen bzw. die raschestmögliche Durchführung den Ständen und dem Amt der Landeshauptmannschaft „expresse befehlen". Der Kaiser sei dazu „pro administratione justitiae und zu behelff der bedrängten" sogar verpflichtet. Die mährischen Stände bzw. die obersten Landesoffiziere wiesen die Anschuldigungen des Fürsten Gundaker empört zurück und gingen zum Gegenangriff über. 279 Anfang März 1654 berichtete Gundaker seinem Sohn Hartmann von Ostra aus, er habe „den Brandis" (seinen Marschallamtsverwalter) nach Brünn gesandt, um zu erkunden, „was wegen eines andern modi contribuendi tractirt und geschlossen wirdt" und um „nach beschaffenheit" bei einigen Ständemitgliedern zu intervenieren, auf daß „ein gleicherer und billicherer modus" beschlossen werde. Er habe ihm auch befohlen, mit seinem Anwalt Dr. Albrecht zu beraten, ob es ratsam sei, „ein anbringen wegen der reduction der güldpferd an ihr mayestät zu verfassen (denn bey dennen Stenden es anzubringen ists vergebens)". 280 Zwei Wochen später informierte er Hartmann, er habe Brandis neuerlich nach Brünn geschickt, wo dieser „in confidentia" in Erfahrung gebracht habe, daß der Landeshauptmann (Graf Rottal) und Graf Kaunitz (der mährische Oberstlandrichter Leo Wilhelm Graf Kaunitz) 281 die übrigen Stände gegen ihn, Gundaker, „aufgewikelt und dahin persuadirt haben", im Namen der gesamten mährischen Stände eine Schrift zu verfassen und dem Kaiser zu überschicken, in der unter anderem behauptet werde, Gundakers Intention bei seinem Vorschlag der Einführung eines neuen Modus contribuendi sei es gewesen, „dardurch denen landsinwohnern in hiesigem marggraffthumb Mähren die von uhralters hero conservirte libertet und freyheit in consultando zu benehmen". Diesen - nicht ganz von der Hand zu weisenden - Vorwurf gründeten die Stände auf die in Gundakers Vorschlag enthaltene Anregung, der Kaiser möge „unsern
27S 279 280
Vgl. J. R. Wolf, Steuerpolitik. Novotny, Moravsky berni system, S. 157. HALV, Hs. 603, S. 155 f., Fürst Gundaker an Fürst Hartmann, Ungar. Ostra, 2. März 1654 (Ab-
schrift). 2,1
Auflösung der Chiffren („253" und „125") mit Hilfe einer der Listen in HALV, K. 603.
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oder einen andern aequiorem modum contribuendi zu introduciren denen ständen expresse und determinate allergnädigst anbefehlen". 282 Um sich gegen die Angriffe zu verteidigen, schrieb Gundaker noch am selben Tag an den Kaiser sowie an den Fürsten Auersperg, da er „in dero persohn unnd verspührte affection [...] ein sonderbahres billiges vertrauen trage", mit der Bitte, das Schreiben an den Kaiser „nebenst vielgültiger commendation" zu übergeben und ihm dazu zu verhelfen, daß ihm eine Abschrift dessen, „was von denen ständen wider mich disfals wird eingebracht werden", übermittelt werde. 283 Der Standpunkt des Fürsten Liechtenstein setzte sich am Kaiserhof grundsätzlich durch: Am 25. April 1654 erließ Ferdinand III. in Regensburg eine Resolution an die mährische Landeshauptmannschaft, in der er mitteilte, er sehe keinerlei Grund, den Fürsten zu bestrafen; vielmehr erkenne er „aus dessen öffters widerholten protestationen sovil, daß er solches aus bloßer gerechter intention unsers diensts und das vatterlandts wolfarth zue befördern [...] gemeint habe". Andererseits resolvierte der Kaiser aber, er lasse es im übrigen beim Beschluß der mährischen Stände beruhen; das heißt, er machte sich den Vorschlag Gundakers nicht zu eigen. 284 Wohl nicht zuletzt durch die Initiative des mittlerweile 75jährigen Fürsten Gundaker, der nicht mehr auf den Landtagsversammlungen, sondern von seiner Residenz Ungarisch Ostra aus auf den Entscheidungsprozeß Einfluß zu nehmen versuchte, kam aber endlich Bewegung in die Sache. Im Dezember 1655 beschloß der Brünner Landtag schließlich die Einfuhrung eines neuen Kontributionssystems, worauf es in den Jahren 1656 und 1657 zur sogenannten ersten Lahnenvisitation in Mähren kam. Der neuen Steuerbemessungseinheit, auf die alle Arten des durch Kommissionen geschätzten Liegenschaftsbesitzes der bäuerlichen Untertanen und der Bürger reduziert wurden, gab man - unter Rückgriff auf den seit dem Hochmittelalter gebräuchlichen Begriff „lan" (Hufe) - den Namen „berni lan" (Steuerhufe). Die Visitationskommissionen bestanden aus Vertretern der vier Stände, die an Ort und Stelle aus jeder Untertanengemeinde vier Personen auswählten und vereidigten. Diese hatten darauf zu achten, daß kein Gemeindemitglied falsche Angaben machte. Die Herrschaftsbeamten mußten den Kommissären die Grundbücher vorlegen und auch im übrigen nach Möglichkeit behilflich sein. 1658 wurde die mährische Kontribution erstmals nach dem neuen System repartiert. 285 Auf die Vorgeschichte der in den Jahren 1669 bis 1679 durchgeführten zweiten Lahnenvisitation kann ich hier nicht mehr eingehen. Im Juni 1662 wurde in einer Ständeversammlung in Brünn jedenfalls noch einmal des von Gundaker von Liechtenstein seinerzeit vorgeschlagenen Modus contribuendi gedacht, der jedoch weder vom Kaiser noch von den Ständen angenommen worden sei. Im Jahre 1665 beteiligte sich auch Fürst Ferdinand Johann von Liechtenstein an den Diskussionen über eine neuerliche Änderung des mährischen Steuersystems. Die Protokolle der zweiten Lahnenvisitation bildeten bis zur Einfuhrung des Theresianischen Katasters, also bis nach der Mitte des 18. Jahrhunderts, die Grundlage fur die alljährliche Repartition der vom mährischen Landtag bewilligten direkten Steuern. 286 Abschließend seien noch ein paar weitere, kleinere „landes-" bzw. „lokalpolitische" Gutachten Gundakers von Liechtenstein erwähnt. Anfang Mai 1648 übersandte er dem Kaiser ein Gutachten betreffend die Donauregulierung bei Nußdorf. 287 Im Juli desselben Jahres
" 2 HALV, Hs. 603, S. 166 f., Gundaker an Hartmann, Ungar. Ostra, 17. März 1654 (Abschrift). 283 Ebd., S. 167-170. Ebd., S. 479 f. (Abschrift). 285 Novotny, Moravsky berni system, S. 157-171. 2,6 Vgl. ebd., bes. S. 171-192; Heidler, Moravskä kontribuce; FiSer, Länove visitace; Matejek, Län; ders., Länovä soustava. 287 HALV, Hs. 602, S. 112-114, Gutachten betr. das „wassergebäu" an der Donau bei Nußdorf, Wien, 2. Mai 1648 (Abschrift).
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regte er an, nicht Korneuburg, sondern die Stadt Laa an der Thaya zu befestigen, denn diese könne in Österreich die Viertel ober und unter dem Manhartsberg und in Mähren den ganzen Znaimer und einen Teil des Brünner Kreises „dominiren" und sei schwer zu belagern. 288 Anfang Mai 1649 schließlich riet er dem Wiener Stadtkommandanten, d. h. dem Kommandanten der Wiener Stadtguardia (1643-1668 war dies Don Hannibal von Gonzaga 289 ), Müßiggänger und Bettler bei den Wiener Fortifikationsbauten als Schanzarbeiter einzusetzen und die Zigeuner abzuschaffen. 290
i!
» Ebd., S. 167, G. v. L. an den Kaiser, Wien, 8. Juli 1648 (Abschrift). " Veltze, Stadtguardia, S. 23, 43-46, 152 f. und 160 f. 2,0 HALV, Hs. 274, S. 101 f., G. v. L. an den Stadtobristen zu Wien, Ebergassing, 4. Mai 1649 (Abschrift). 2
6. Freundschaft, Patronage und Sollizitierung Methoden der Durchsetzung eigener Interessen am Kaiserhof und bescheidene Formen aktiver Patronage 6.1. Patronage und Klientel am Kaiserhof Der im Vergleich zum Staat des aufgeklärten Absolutismus des 18. Jahrhunderts oder des bürokratischen Absolutismus und des Liberalismus des 19. Jahrhunderts viel stärker informelle und persönliche Charakter der Macht- und Herrschaftsausübung und die unscharfe Trennung von „Öffentlichem" und „Privatem" in den europäischen Territorialstaaten des 16. und 17. Jahrhunderts erhöhten die Bedeutung von Freundschafts-, Patronage- und Klientelbeziehungen („Klientelnetze"). Diese hatte es natürlich auch schon früher gegeben und gibt es bis zum heutigen Tag (moderne Stichworte: „Seilschaften", „Lobbies", „Protektion", „Intervention" etc.). Hauptsächliche Bindemittel eines Klientelnetzes waren (und sind) Verwandtschaft und „Freundschaft", wobei letztere nicht selten aus jener resultierte oder jene zur Folge hatte. 1 So hätte beispielsweise Gundaker von Liechtenstein ohne die Fürsprache seines älteren Bruders Karl aller Wahrscheinlichkeit nach keine so (jedenfalls bis zum Jahre 1625) reibungslose Karriere im Hof- und Staatsdienst gemacht und, nach seinem Rückzug vom Hof und nach dem Tod des Bruders, ohne die Unterstützung von „Freunden" im Geheimen Rat und am Hof wie Maximilian von Trauttmansdorff oder Georg Adam von Martinitz seine Interessen und Ansprüche noch viel schlechter oder überhaupt nicht durchsetzen können. Wolfgang Reinhard hat in einer grundlegenden Studie das Konzept der „Verflechtung" („Netzwerk", vom englischen „network") historischer Führungsgruppen am Beispiel der römischen Oligarchie um 1600 erprobt.2 Ausgehend vom Quellenbefund beschränkte er sich bei seiner Analyse der Klientelverhältnisse und Gruppenbildungen auf vier „Gattungen persönlicher Beziehungen", nämlich Verwandtschaft, Landsmannschaft, Freundschaft und Patronage, und stellte gleichzeitig fest, daß Verwandtschaft, Freundschaft und Patronage sich in der Praxis oft überlagern und nicht säuberlich getrennt werden können. 3 Die Bezeichnung
' Vgl. ζ. B. Ari£s/Duby (Hg.), Geschichte des privaten Lebens, Bd. 3, S. 17 f., 30-41 und 462-474. Überblicke über das Forschungskonzept „Patronage und Klientel" seit den sechziger Jahren bieten Nolte, Patronage und Klientel, sowie - mit Schwerpunkt auf dem 16. und 17. Jahrhundert - Asch, Introduction, S. 16-24, Kettering, The Historical Development of Political Clientelism, dies., Friendship and Clientage, und M^czak, Aristocratic Household. Zur „Verwandtschaft" (definiert als „vertikale und horizontale Beziehungen zwischen Personen, die sich aufgrund ihrer agnatischen oder kognatischen Abstammung miteinander verbunden fühlen") als „Strukturprinzip religiöser Gemeinschafts- und Verfassungsbildung in Kirche und Mönch tum des Mittelalters" - mit einem Ausblick auf Verwandtenförderung und Familienpolitik in Ratsgremien, landesfürstlichen und anderen Behörden sowie Professorenkollegien im 16. und 17. Jahrhunden - siehe Schreiner, .Consanguinitas'. 1 Reinhard, Freunde und Kreaturen. Vgl. zuletzt ders., Amici e creature. 3 Reinhard, Freunde und Kreaturen, S. 32-41. Vgl. auch Mat'a, Aristokraticki prestiz, Kap. 5.4 und 5.5, bes. bei Anm. 244: „Freunde waren alle diejenigen, in deren Umkreis man sich das ganze Leben über bewegte, sei es infolge von verwandtschaftlichen, gesellschaftlichen oder Patronageverbindungen."
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Freundschaft, Patronage u n d Sollizitierung
„Freunde" war oft nichts anderes als „der traditionelle höfliche Euphemismus für die Klienten". 4 Die enge Verbindung von Verwandtschaft und Freundschaft im Verständnis der frühen Neuzeit ging schon aus der vielzitierten Definition des Aristoteles hervor, derzufolge ein Freund jemand ist, dem man gut gesinnt ist, und zwar entweder aufgrund von Blutsverwandtschaft oder aufgrund eines anderen Gutes, das jener besitzt.5 Alle vier von Reinhard verwendeten Kategorien kann man jedenfalls mit Gewinn auch bei Untersuchungen der „Oligarchie" des Wiener Hofes anwenden. 6 Henry F. Schwarz und John I. Coddington haben in ihrer Analyse der Sozialstruktur des kaiserlichen Geheimen Rates zwischen 1600 und 1674 auf die bemerkenswert engen Familienbande zwischen Mitgliedern des Geheimen Rates aufmerksam gemacht. Vielfach war Verwandtschaft (durch Konnubium, „Frauentausch") aber nicht die Ursache sondern die Folge einer Ratsmitgliedschaft. So waren beispielsweise Karl von Liechtenstein und Franz von Dietrichstein bereits Geheime Räte lange bevor die älteste Tochter des einen mit dem Neffen und Erben des anderen verheiratet wurde. 7 Auch Hans Ulrich von Eggenberg und Karl von Harrach hatten ihre hohen Ämter bereits inne, bevor Graf Leonhard VII. Karl von Harrach, der älteste Bruder des Kardinals, Prinzessin Maria Franziska von Eggenberg heiratete. Die Ernennung des Grafen Ernst von Oettingen (1648-1659 Präsident des Reichshofrats) zum Geheimen Rat hingegen war zweifellos von der Tatsache beeinflußt, daß er ein Cousin Johann Georgs zu Hohenzollern-Hechingen (Reichshofratspräsident 1609-1623) und auch mit dem Geheimen Rat Johann Ernst von Fugger (Reichshofratspräsident 1632-1637) verwandt war. Das Amt eines Präsidenten des Reichshofrats war von 1582 bis 1708 beinahe im Besitz eines „Familienclans": Mit wenigen Ausnahmen waren alle Inhaber ziemlich eng miteinander verwandt. 8 Nicht viel anders verhielt es sich zeitweise mit dem (seit der Schaffung der Osterreichischen Hofkanzlei im Jahre 1620 stark an Bedeutung verlierenden) Reichsvizekanzleramt9: Vater, Onkel und Großvater von Ferdinand Siegmund Graf Kurz hatten dieses Amt bereits innegehabt, bevor er selbst es zwischen 1637 und 1659 ausübte. In anderen Fällen war der Aufstieg in den inneren Kreis des Wiener Hofadels aber tatsächlich nicht die Ursache, sondern eine Folge der „richtigen" Eheverbindungen. Die mährischen Kaunitz (Leo Wilhelm und sein Sohn Dominik Andreas) verdankten ihren Aufstieg im Lauf des 17. Jahrhunderts der verwandtschaftlichen Verbindung mit dem 4
W. Weber, Prudentia gubematoria, S. 239. Ganz ähnlich, am Beispiel Roms in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Reinhard, Amici e creature, S. 315: Amico sei häufig „kein Begriff fiir eine partnerschaftliche Do-ut-des-Beziehung, sondern eine euphemistische Bezeichnung des Patrons fiir seine Klienten. Das ergibt sich spätestens daraus, daß der Klient seinerseits es nicht wagen darf, sich amico zu nennen, sondern sich selbstverständlich als humilissima creatura des Patrons bezeichnet." Siehe zu diesem Fragenkreis auch - am Beispiel der Beziehungen zwischen adeligen Patronen und Klienten bzw. „Freunden" in Frankreich im 16. und 17. Jahrhundert - Kettering, Friendship and Clientage, ζ. Β. S. 143: „In early modern French, the word amis also meant supporters or allies, clients and patrons." 5 .Amicus notat personam, cui quis bene vult, vel propter sanguinis cognationem, vel propter aliud bonum in ille existens; sive illud sit honestum, sive jucundum, sive utile." Hier zitiert nach W. Weber, Prudentia gubematoria, S. 241. - Zu Fragen der Klientel, Patronage und Verflechtung („networks") am Kaiserhof im 17. Jahrhundert zuletzt Hengerer, Der Hof Kaiser Ferdinands III., bes. S. 124—150. 6 Press, Kriege und Krisen, passim, betont zu Recht die große Bedeutung von „Oligarchisierungstendenzen" auf allen gesellschaftlichen Ebenen für die deutsche und österreichische Geschichte im 17. Jahrhundert. 7 Zur außerordentlich engen verwandtschaftlichen Verflechtung zwischen den neufurstlichen Häusern Liechtenstein (Karlische Linie), Dietrichstein und Eggenberg im 17. Jahrhundert durch „Frauentausch" siehe Jüngling, Heiraten, S. 336-340, besonders die Tafel auf S. 337. Das Konnubium zwischen den Fürstenhäusern Liechtenstein und Dietrichstein „entwickelte sich zum Kern eines weitgespannten Netzes verwandtschaftlicher Verbindungen, die sich über wichtige Hofchargen und Patronagen erstreckten. Einbezogen in dieses durch Heiraten gefestigte Geflecht waren neben den Eggenberg, den Kaunitz, den Mansfeld und den Trauttmansdorffvor allem führende Militärs des Dreißigjährigen Krieges [...]." Ebd., S. 339. ' v. Gschließer, Reichshofrat, S. 182f„ 196-199, 212f„ 229, 234f„ 237 und passim; Schwarz, Privy Council, S. 233 f., 249-252, 316-318 und passim. ' Vgl. Kretschmayr, Reichsvicekanzleramt.
Patronage und Klientel am Kaiserhof
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einflußreichen Haus Dietrichstein. Leo Wilhelm vermählte sich mit Maria Eleonore von Dietrichstein, der Tochter des Fürsten Maximilian, des Neffen und Erben des Kardinals. Er starb im Alter von nur 41 Jahren als mährischer Oberstlandrichter, bevor er die eingeschlagene Laufbahn durch die Ernennung zum Landeshauptmann und zum kaiserlichen Geheimen Rat hätte krönen können. Sein Sohn Dominik Andreas wurde 1685, mit 30 Jahren, zum Geheimen Rat und elf Jahre später zum Reichsvizekanzler ernannt. 10 Die böhmische Linie der Kaunitz hingegen war vom „Schicksal" weniger begünstigt, denn Rudolf, der (katholische!) Sohn des älteren Bruders von Leo Wilhelm, heiratete Elisabeth von Waldstein (Wallenstein), die Tochter des spätestens seit Anfang 1634 am Kaiserhof diskreditierten Friedländers, sodaß sich ihm „jene Möglichkeiten und Aussichten" verschlossen, „die Leo Wilhelm seinen Nachkommen durch die Verbindung mit dem Hause Dietrichstein eröffnet hatte". 11 Die Geheimen Räte während des zweiten Drittels des 17. Jahrhunderts, von denen - abgesehen insbesondere von den seit der Mitte des 17. Jahrhunderts neu aufsteigenden ungarischen Magnatenfamilien (Esterhazy, Batthyany, Pälffy etc.) - fast alle Mitglieder der österreichischen Hocharistokratie im 18. und 19. Jahrhundert abstammten, erfüllten das Ideal der Habsburgermonarchie wie kaum eine andere Institution oder soziale Gruppe: Sie bildeten „eine aus Mitgliedern verschiedener nationaler Gruppen zusammengesetzte Körperschaft, die durch Verwandtschaftsbande und Staatsdienst fest zusammengehalten wurde". 12 Hans Jürgen Jüngling hat in einer Studie über die Heiratspolitik der Angehörigen des Hauses Liechtenstein im 17. und 18. Jahrhundert betont, daß sich hinter einer gezielten Heiratspolitik „immer Strategien zur Aufrechterhaltung bzw. Erweiterung von ökonomischer, sozialer und politischer Macht" verbargen. Kurz: „Adelsheiraten standen ganz im Zeichen des .splendor familiae'." 13 Seit etwa 1600 verloren im Konnubium des Adels der österreichischen Erbländer und der böhmischen Länder „regional strukturierte Heiratskreise" an Bedeutung, „ohne sich jedoch völlig aufzulösen; ein zentrales auf den Wiener Hof justiertes System von konnubialen Beziehungsnetzen, in denen die Liechtenstein zusammen mit den Dietrichstein die überragende Rolle spielten, gewann stattdessen ein immer stärkeres Gewicht." Die durch Standeserhöhungen aus den alten Herrenstandsfamilien hervorgegangenen neuen Fürstenund Grafenhäuser absorbierten die bzw. verbanden sich mit den seit 1620 in den Erblanden und in den böhmischen Ländern die Landstandschaft erwerbenden Obristenfamilien der kaiserlichen Armeen des Dreißigjährigen Krieges (Leslie, Gallas, Montecuccoli, Piccolomini fOttavio Piccolomini wurde 1650 selbst in den Reichsfiirstenstand erhoben], Tilly u. a.) und den sich ebenfalls in den österreichischen und böhmischen Ländern niederlassenden Familien des Reichsadels (Salm-Neuburg, Salm-Reifferscheidt, Löwenstein-Wertheim-Rochefort, Fürstenberg u. a.). „Durch sein Konnubium mit Grafenfamilien aus dem Reich, mit während des Dreißigjährigen Kriegs in Böhmen [und Mähren] ansässig gewordenen Fürstenund Grafenfamilien und seit dem Ende des 17. Jahrhunderts auch mit ungarischen Magnatenfamilien, sowie dem daraus resultierenden gegenseitigen Austausch der jeweiligen Heiratskreise wirkte das Haus Liechtenstein gleichsam als Scharnier zwischen Adelskonfigurationen unterschiedlichster geographischer Provenienz. Damit leistete es einen Beitrag fur das Zusammenwachsen der habsburgisch orientierten Adelswelt."14 10 Zu Leben und Laufbahn Dominik Andreas', des Großvaters des Staatskanzlers Wenzel Anton, siehe Klingenstein, Der Aufstieg des Hauses Kaunitz, S. 41-74. " Ebd., S. 37 f. 12 Schwarz/Coddington, Social Structure, S. 405-410 und die genealogischen Tafeln S. 411—418, das Zitat auf S. 410; Fellner/Kretschmayr, Ö Z V 1/1, S. 283-285. - Patronage und Nepotismus der Grafen von Schönborn zwischen der Mitte des 17. und der Mitte des 18. Jahrhunderts sind zu bekannt, als daß an dieser Stelle noch einmal darauf eingegangen werden müßte. Siehe die im Literaturverzeichnis angeführten Studien von Alfred Schröcker sowie Roegele, Das „Systema der Familie", und Press, Patronat und Klientel, S. 30-32. 13 Jüngling, Heiraten, S. 333. Vgl. unten Kapitel 17. 14 Ebd., S. 344 f.
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Freundschaft, Patronage u n d Sollizitierung
Das soeben Gesagte legt nahe, daß der Kategorie „Landsmannschaft" keine besondere Bedeutung bei der Partei- und Klientelbildung am Kaiserhof im allgemeinen und im Geheimen Rat im besonderen zukam. In einer kleinen Studie konnte ich aber immerhin zeigen, daß um die Mitte des 17. Jahrhunderts österreichischen Aristokraten die böhmischen bzw. tschechischen Hofadeligen, insbesondere die Geheimen Räte unter ihnen (Wenzel Eusebius Fürst Lobkowitz, Wilhelm Slavata, Jaroslav Bofita von Martinitz, dessen ältester Sohn Georg Adam sowie Maximilian von Waldstein), als zusammengehörige Gruppe oder Partei erscheinen konnten. 15 Unter Übernahme eines von Heinz Noflatscher verwendeten Begriffs habe ich vorgeschlagen, sie als „landsmannschaftliche Faktion"16 zu charakterisieren. Gut 20 Jahre später, zu Beginn der siebziger Jahre des 17. Jahrhunderts, konnte am Kaiserhof von einer böhmischen oder gar tschechischen Partei nicht mehr die Rede sein. Nach dem Sturz des Fürsten Lobkowitz im Oktober 167417 gehörte kein einziger tschechischer Adeliger mehr dem innersten Kreis der Entscheidungszentralen am Wiener Hof an. 18 Heinz Noflatscher konnte nachweisen, daß im Zentrum der kaiserlichen Standeserhebungen und Gnadenakte in Tirol während der Amtszeit des Österreichischen Hofkanzlers Johann Paul Hocher (1667-1683), eines vorderösterreichischen homo novus, der seine Karriere als Advokat in Bozen, Hofkanzler in Brixen und Regimentskanzler in Innsbruck begonnen und seit 1665 in Wien fortgesetzt hatte19, der „Freundschaftsverband" Hochers stand.20 „Hocher führte in Wien offensichtlich alte Seilschaften fort: der Briefadel stützte sich und zog sich in engem Verbund gegenseitig hoch."21 Ronald G. Asch hat in seinem glänzenden Buch über den Hof König Karls I. von England (1625-1640) die enorme Bedeutung des Hofes als „point of contact" zwischen der Krone und der sozialen Führungschicht, also dem Adel, herausgearbeitet22 und die Rolle des Hofes als „Patronagemarkt" oder „Patronagebörse" in den Mittelpunkt seiner Untersuchung gestellt.23 William Beik konnte in einer dem Verhältnis von französischer Königs- bzw. Staatsmacht und Provinzaristokratie am Beispiel des Languedoc im zweiten und dritten Viertel des 17. Jahrhunderts gewidmeten Studie nachweisen, daß sämtliche von ihm untersuchten politischen Institutionen von Klientel-Netzwerken beherrscht wurden und daß Herrschaft und Amtsgewalt („authority") im französischen Absolutismus unter Ludwig XIII. und Ludwig XIV. nichts Anonymes, sondern etwas sehr Persönliches waren.24 Für derart vielseitige und überzeugende Analysen, die unter anderem aus zahlreichen Editionen der „Papers", „Letters", „Journals", „Memorials" und „Memoir(e)s" bzw. „Papiers",
15
Winkelbauer, Notiz. " Noflatscher, .Freundschaft' im Absolutismus, S. 473. 17 Vgl. A. Wolf, Lobkowitz, S. 4 0 5 ^ 2 6 . " Erst 1690 wurde Franz Ulrich Graf Kinsky (1634-1699), der im April 1683 als Nachfolger des Grafen Johann Hartwig von Nostitz zum Obersten Böhmischen Kanzler ernannt worden war, in die Geheime Konferenz berufen. Nach dem Tod des Österreichischen Hofkanzlers Theodor Heinrich von Strattmann im Oktober 1693 wurde Kinsky „zum vertrautesten Berater des Kaisers und immer mehr zum Lenker der Außenpolitik". Gutkas, Die führenden Persönlichkeiten, S. 74. Vgl. auch Macek, Die Länder der böhmischen Krone, S. 240 f., und Evans, Habsburg Monarchy, S. 144 f. " Kurzbiographie: NDB, Bd. 9, S. 287 f. 10 Noflatscher, .Freundschaft' im Absolutismus, S. 480-504. 21 Ebd., S. 502. 22 Asch, Hof, S. 2, 10, 16, 18ff., 28 und passim. Aschs Definition des (Königs-)Hofes lautet folgendermaßen: „[...] jener topographische, soziale und kulturelle Raum, der den Ort des königlichen .Hofhaltens' bildet - in seiner Funktion als Forum politischer Entscheidungen und Auseinandersetzungen, als Markt für Ämter, Privilegien und andere von der Krone zu vergebende Vorteile und Machtchancen, als Szene fürstlicher Repräsentation und vor allem als .point of contact' zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen." Ebd., S. 15 f. 23 Ebd., S. 18f., 61, 88, 103f., 121, 213, v. a. aber S. 288-388 (Hof und Patronage). 24 Beik, Absolutism and Society, bes. S. 15 f. und 223-244.
Patronage und Klientel am Kaiserhof
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„ L e t t r e s " , „ C o r r e s p o n d a n c e s " , „Journals" u n d „ M e m o i r e s " v o n H ö f l i n g e n u n d Politikern s c h ö p f e n u n d a u f z u m Teil ausgezeichnete m o d e r n e B i o g r a p h i e n u n d a n d e r e V o r s t u d i e n aufb a u e n k o n n t e n , fehlen für die H a b s b u r g e r m o n a r c h i e des 1 7 . J a h r h u n d e r t s derzeit weitgeh e n d die G r u n d l a g e n . E i n e w i c h t i g e Voraussetzung wäre das V o r h a n d e n s e i n v o n A k t e n - u n d Briefpublikationen u n d v o n B i o g r a p h i e n v o n m i n d e s t e n s e i n e m D u t z e n d d e r einflußreichsten M ä n n e r a m Kaiserhof. F ü r die Regierungszeiten L e o p o l d s I. u n d seiner S ö h n e liegen i m m e r h i n b r a u c h b a r e , w e n n g l e i c h meist ältere u n d a u f F r a g e n der P a t r o n a g e f o r s c h u n g n u r ausn a h m s w e i s e A n t w o r t e n g e b e n d e B i o g r a p h i e n so p r o m i n e n t e r H ö f l i n g e u n d in kaiserlichen D i e n s t e n s t e h e n d e r Politiker u n d Heerfiihrer wie R a i m o n d o G r a f M o n t e c u c c o l i 2 5 , J o h a n n W e i k h a r d v o n A u e r s p e r g 2 6 , W e n z e l Eusebius v o n L o b k o w i t z 2 7 , F r a n z Paul v o n L i s o l a 2 8 , J o h a n n F r i e d r i c h v o n S e i l e r n 2 9 , F r i e d r i c h Karl v o n S c h ö n b o r n 3 0 , des M a r k g r a f e n
Hermann
v o n B a d e n 3 1 u n d des Prinzen E u g e n v o n S a v o y e n 3 2 v o r . 3 3 F ü r die erste H ä l f t e des 1 7 . J a h r h u n d e r t s h i n g e g e n gibt es - abgesehen v o n d e r uferlosen W a l l e n s t e i n - L i t e r a t u r 3 4 sowie v o n d e n w e i t g e h e n d a u f die D o k u m e n t a t i o n d e r A u ß e n - u n d d e r zwischenstaatlichen Politik bes c h r ä n k t e n „Briefe(n) u n d A k t e n zur G e s c h i c h t e des Dreißigjährigen K r i e g e s " 3 5 u n d d e n „ A c t a Pacis W e s t p h a l i c a e " 3 6 - n u r w e n i g e Q u e l l e n p u b l i k a t i o n e n u n d B i o g r a p h i e n v o n H o f adeligen u n d kaiserlichen Politikern, u n d überdies eher v o n s o l c h e n aus d e r zweiten R e i h e o d e r v o n s o l c h e n , die „ n u r " in e i n e m d e r L ä n d e r der M o n a r c h i e u n d n i c h t (anschließend) a m K a i s e r h o f u n d / o d e r in den Z e n t r a l b e h ö r d e n Karriere m a c h t e n : v o n A b t u n d F ü r s t b i s c h o f A n t o n Wolfradt37, Heinrich W i l h e l m von Starhemberg38, Hans Ludwig von Kuefstein39,
25 H. Kaufmann, Montecuccoli (mit gebührender Berücksichtigung der in vielem an Fürst Gundakers diesbezügliche Aktivitäten [siehe Kapitel 4.1 und 7] erinnernden, ftir einen Hofadeligen der Barockzeit typischen, eifersüchtigen Jagd Montecuccolis nach kaiserlichen Auszeichnungen, Erhebung in den Fürstenstand und anderen, nicht zuletzt finanziellen, Gnadenbeweisen auf S. 68—75); Edition der wichtigsten Schriften (Abhandlungen, Gutachten, Vorschläge, Aufzeichnungen, Berichte etc.) Montecuccolis (in deutscher Übersetzung): Veltzi (Bearb.), Ausgewählte Schriften (in Bd. 1, S. C X I I I - C X X X I I I , eine Übersicht über die in der Edition nicht berücksichtigten Schriften).
Mecensefiy, Im Dienste dreier Habsburger. A. Wolf, Lobkowitz. Vgl. auch die Kurzbiographie bei Kalista, Cechove, S. 1 7 7 - 1 8 9 . 28 Pribram, Lisola, ist freilich mehr eine Analyse der österreichischen Außenpolitik in der frühen Regierungszeit Leopolds I. als eine Biographie. Zuletzt: Baumanns, Das publizistische Werk, bes. S. 1 2 7 - 1 6 1 . 29 Turba, Seilern. 30 Hantsch, Schönborn. " Beese, Hermann von Baden. Siehe v. a. die Kapitel 4.1 (Hermanns Stellung am kaiserlichen Hof) und 4.7 (Förderung des Markgrafen Ludwig Wilhelm und anderer Generäle). 32 V. a. Braubach, Prinz Eugen. 33 Trotzdem konstatierte Karl Gutkas auch für die Jahrzehnte zwischen 1680 und 1740 völlig zu Recht: „Es gehört zu den Eigenheiten der österreichischen Geschichtswissenschaften, daß nur von wenigen Männern der Führungsschicht Biographien vorliegen." Gutkas, Die fuhrenden Persönlichkeiten, S. 86 Α. 1. Vgl. aber als nützliche kurze Überblicksdarstellungen diesen Aufsatz von Gutkas und Heilingsetzer, Prinz Eugen und die Führungsschicht, sowie die dort in den Fußnoten verzeichnete Literatur. 34 Gindely, Waldstein; G. Wagner, Wallenstein; Mann, Wallenstein; Diwald, Wallenstein; Pekaf, Wallenstein; Srbik, Wallensteins Ende; Suvanto, Wallenstein; G. Lutz, Wallenstein; Janäcek, Valdstejn; ders., Valdstejnova pomsta; Ernstberger, Wallenstein als Volkswirt; Geiger, Wallensteins Astrologie; Kampmann, Reichsrebellion; zuletzt: Polisensky/Kollmann, Wallenstein; wichtige Quelleneditionen: Hallwich (Hg.), Fünf Bücher Geschichten Wallensteins; ders. (Hg.), Briefe und Akten zur Geschichte Wallensteins; Lorenz (Hg.), Quellen zur Geschichte Wallensteins. 26
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Bisher sind insgesamt 25 Bde. erschienen. Vgl. Albrecht, Briefe und Akten. In unserem Zusammenhang ist bes. auf H. Hageneder (Bearb.), Diarium Lamberg 1 6 4 5 - 1 6 4 9 , zu verweisen. - Bei den Documenta Bohemica Bellum Tricennale illustrantia handelt es sich um eine nicht ganz befriedigende Mischform aus Edition und Regestenwerk. 37 Hopf, Wolfradt; Hujber, Wolfradt. 31 Heilingsetzer, Heinrich Wilhelm von Starhemberg. Zu Heinrich Wilhelms als Kommandant und Leiter der Verteidigung Wiens im Jahre 1683 berühmt gewordenem Schwiegersohn (!) Ernst Rüdiger siehe die 35
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Freundschaft, Patronage und Sollizitierung
E m s t v o n T r a u n 4 0 u n d L e o W i l h e l m v o n K a u n i t z 4 1 . I m Z u g e des w i e d e r e r w a c h t e n Interesses der tschechischen G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g an d e n a d e l i g e n Eliten B ö h m e n s u n d M ä h r e n s vor u n d n a c h 1 6 2 0 ist s o e b e n eine E d i t i o n der erhaltenen Teile des T a g e b u c h e s A d a m s d. J . v o n Waldstein erschienen.42 E i n e A u s n a h m e bildet seit l a n g e m die - i n s b e s o n d e r e in der tschechischen H i s t o r i o g r a p h i e u m s t r i t t e n e 4 3 - sehr g u t d o k u m e n t i e r t e u n d u n t e r s u c h t e Persönlichkeit Karls v o n Z e r o tin, d e s h a b s b u r g t r e u e n Führers der evangelischen S t ä n d e M ä h r e n s . 4 4 D i e s e r d ü r f t e der einzige A r i s t o k r a t der b ö h m i s c h e n u n d österreichischen L ä n d e r i m s p ä t e n 16. u n d in der ersten H ä l f t e des 17. J a h r h u n d e r t s sein, dessen Briefwechsel u n d Papiere z u e i n e m nicht u n b e trächtlichen Teil ediert s i n d . 4 5 H i n g e g e n g i b t es n a c h wie vor keine m o d e r n e K l e s l - B i o g r a p h i e . 4 6 Pavel Balcareks k o n z i s e B i o g r a p h i e d e s K a r d i n a l s D i e t r i c h s t e i n s c h ö p f t d a s ü b e r a u s reichhaltige A k t e n m a t e r i a l i m M ä h r i s c h e n L a n d e s a r c h i v bei w e i t e m nicht a u s . 4 7 H e r b e r t H a u p t b e s c h r ä n k t sich in seiner g r u n d l e g e n d e n A r b e i t u n d Q u e l l e n p u b l i k a t i o n zu K a r l v o n L i e c h t e n s t e i n i m wesentlichen a u f dessen H o f s t a a t u n d S a m m e l t ä t i g k e i t 4 8 , u n d die an sich ausgezeichnete A r b e i t Karel Stloukals über d e n Anteil K a r l s v o n L i e c h t e n s t e i n an der Regier u n g R u d o l f s II. bricht 1 6 0 7 a b 4 9 . D i e E g g e n b e r g - B i o g r a p h i e v o n Z w i e d i n e c k - S ü d e n h o r s t leidet a m Verlust des Großteils des Archivs u n d der p e r s ö n l i c h e n Papiere des „ P r e m i e r m i n i sters" F e r d i n a n d s I I . 5 0 M ö g l i c h s t u m f a s s e n d e m o d e r n e B i o g r a p h i e n v o n K a r l v o n L i e c h t e n -
(fehlerhafte) Biographie von Thürheim sowie zusammenfassend Heilingsetzer, Ernst Rüdiger Graf Starhemberg. 39 Welsersheimb, Kuefstein. Siehe auch Khinast, Beiträge. 40 Hoyos, Ernst von Traun. 41 Hruby (Hg.), Lev Vilem ζ Kounic, barokni kavalir (Edition einer leicht gekürzten tschechischen Übersetzung des bislang unpublizierten, großteils deutsch, hie und da auch spanisch und italienisch geschriebenen Tagebuchs der Reise nach Italien und Spanien 1635/36 mit ausfuhrlicher Einleitung und Kommentar); Klingenstein, Leo Wilhelm von Kaunitz; dies., Der Aufstieg des Hauses Kaunitz, S. 26-40. 42 Die mit einer ausfuhrlichen Einleitung, einem historischen Kommentar und ausgezeichneten Registern versehene und reich bebilderte Edition hat die Buchbinderei leider erst nach der Fertigstellung des Manuskripts des vorliegenden Buches verlassen. Sie umfaßt die eigenhändigen Eintragungen Waldsteins in gedruckten Kalendern aus den Jahren 1602-1607, 1609, 1611, 1612, 1614-1617, 1629, 1631 und 1633. Koldinski/Mata (Hg.), Denik rudolfinskeho dvofana. Siehe auch Koldinska, Svet Adama mladsiho ζ Valdstejna. 43 Vgl. etwa Välka, Karel starsi ze Zerotina. 44 Chlumecky, Carl von Zierotin; Odlozilik, Karel starsi ze Zerotina; Hruby, Karl der Altere von Zierotin; Korkisch, Karl von Zerotin; Kopecky, Karel starsi ζ Zerotina; Välka, Karel starsi ze Zerotina; Rejchrtovä, Listy. 45 Chlumecky, Carl von Zierotin, Beilagen-Bd.; Brandl (Hg.), Spisy; Dvorsky (Hg.), Dopisy; H. Schulz (Hg.), Neue Briefe Karls von Zierotin; Rejchrtova (Hg.), Karel starsi ze Zerotina. Weitere Korrespondenzen mährischer Adeliger aus den Jahren 1620 bis 1636 bei Hruby (Hg.), Moravske korespondence a akta; siehe auch ders. (Hg.), Etudiants tcheques. 44 Hammer-Purgstall, Khlesl's [...] Leben (mit rund 1100 Beilagen); Kerschbaumer, Kardinal Klesl. Siehe immerhin die materialreichen Dissertationen von M. Berthold, A. Eder, H.-G. Erdmann, A. Kummerer, M. Lohn und E. Schimka sowie den kenntnisreichen Abriß von Rainer, Kardinal Melchior Klesl. 47 Balcärek, Kardinal Frantisek ζ Ditrichstejna. Wichtigste Akteneditionen: Trampler (Hg.), Correspondenz; Snopek (Hg.), Akta. 4 ! Haupt, Fürst Karl. 49 Stloukal, Karel ζ Lichtenstejna. Es handelt sich um die Druckfassung von Stloukals Dissertation. Im Nachlaß Sdoukals im Archiv des Prager Nationalmuseums befindet sich übrigens ein rund 280 Seiten (196 Seiten Reinschrift und 83 Seiten Beilagen) umfassendes Manuskript aus dem Jahre 1913 mit dem Titel „Beiträge zur Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung in der Zeit Rudolf II.", das vermutlich wegen des Kriegsausbruchs ungedruckt geblieben ist (Archiv Närodniho muzea ν Praze, fond Karel Sdoukal, Karton 41). Diesen Hinweis verdanke ich Jaroslav Cechura, dem Leiter des genannten Archivs. 50 Zwiedineck-Südenhorst, Hans Ulrich Fürst von Eggenberg. Zeiller, Biographische Studien, bietet wenig Neues. Vgl. oben S. 95-97.
Patronage und Klientel am Kaiserhof
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stein, Kardinal Klesl, Kardinal Dietrichstein, Zdenko Adalbert Popel von Lobkowitz 5 1 , Paul Sixt von Trautson 52 , Hans Ulrich von Eggenberg, Johann Baptist Verda von Werdenberg 5 3 , Maximilian von Trauttmansdorff 5 4 , Ottavio Piccolomini 5 5 , Franz Christoph Khevenhüller 5 6 , Wilhelm Slavata 57 , Jaroslav Borita von Martinitz 5 8 und manchen anderen wären dringende Desiderate. Die beste biographische Arbeit über einen barocken Aristokraten der böhmischen und österreichischen Länder, die explizit auf Fragen der Patronage eingeht, ist Zdenek Kalistas Darstellung der Jugend von Humprecht Johann (Jan) Czernin von Chudenitz, die leider nur bis zum Beginn der Karriere Humprecht Johanns am Wiener Hof Anfang der fünfziger Jahre des 17. Jahrhunderts reicht. 59 Da es Humprecht Johann zunächst nicht möglich war, direkt in die Umgebung des Kaisers oder des Thronfolgers (Ferdinands IV.) vorzudringen, unternahm er den Versuch einer Karriere im neu eingerichteten Hofstaat des Erzherzogs Leopold Ignaz, des zweitgeborenen Sohnes Ferdinands III., der später in der Nachfolge seines Vaters als Leopold I. die Kaiserkrone tragen sollte. Im Februar 1 6 5 0 entschloß sich Ferdinand III., zu Pfingsten (5. Juni) den zehnjährigen Erzherzog „von den weibern weckh zu thun" (Graf Lamberg) und ihm einen kleinen Hofstaat einzurichten. A m 2 2 . Februar erklärte sich Johann Maximilian von Lamberg, der A j o Leopold Ignaz', unter bestimmten Bedingungen bereit, das A m t des Obersthofmeisters zu übernehmen. 6 0 Im Mai 1 6 5 0 schrieb Hermann Czernin, der Großonkel Humprecht Johanns, an seinen alten Freund Lamberg und schlug ihm vor, seinen Großneffen als Kämmerer in den neu einzurichtenden Hofstaat des Erzherzogs aufzunehmen. A m 15. Juni konnte Graf Lamberg Hermann Czernin mitteilen, daß Humprecht Johann v o m Kaiser als Kämmerer des Erzherzogs Leopold Ignaz bestätigt worden sei. 61 Humprecht Johann Czernin knüpfte rasch Kontakte zu führenden Persönlichkeiten des Wiener Hofes, u. a. zu dem alten Wilhelm Slavata, zu Georg Adam von Martinitz und Graf Ru-
51 Vgl. die biographische Skizze von Kalista, Cechovi, S. 69-82 (S. 81: „Eine eigene Monographie über Lobkowitz gibt es nicht, obwohl das Material zu ihm im Raudnitzer Archiv sehr reichhaltig ist."). Zuletzt, auf der Basis der (spanischen) Korrespondenz zwischen Lobkowitz und seiner Frau Polyxena aus den Jahren 1620/ 21 bis 1627/28: Kutisovä, Zdenek Vojtech Popel ζ Lobkovic; Lutter, Politicky a spolecensky zivot. " Vorläufig: Bergmann, Medaillen, Bd. 2, S. 227-236; Hadriga, Die Trautson, S. 63-82; Schober, Urkunden, passim. " Siehe zuletzt Tersch, Prudenter (sehr gehaltvolle Studie zum „Giornale" Werdenbergs). 54 Siehe vorläufig Schwarz, Privy Council, S. 127-129 und 372-374; ADB, Bd. 38, S. 531-536; H. Wagner, Diplomaten; Ruppert, Politik, S. 35 und passim; Hengerer, Der Hof Kaiser Ferdinands III., S. 102-108 und passim. " Siehe immerhin die exzellente Studie von Barker, Army, S. 61-111. 56 Vorläufig: Stülz, Jugend- und Wanderjahre; A. Wolf, Geschichtliche Bilder, Bd. 1, S. 113-171; Czerwenka, Die Khevenhüller, S. 350-392; Dinklage, Kärnten um 1620. 57 Noch immer heranzuziehen: Jirecek, Leben; Dobias, Slavata (endet 1611); A. Wolf, Geschichtliche Bilder, Bd. 1, S. 306-363. In (nicht allzu ferner?) Zukunft ist eine Biographie Slavatas von Petr Mat a zu erwarten. i s Vom Archiv dieses einflußreichen katholischen „Zeloten" und Verfechters des böhmischen Staatsrechts haben sich leider nur geringe Reste erhalten. Vgl. PoliSensky, Der Krieg und die Gesellschaft, S. 199, und Volf, Jaroslav Borita ζ Martinic. 59 Kalista, Mlddi. - Wichtige Impulse für die künftige Forschung gibt die 1997 an der Prager Karlsuniversität approbierte, hoffentlich bald im Druck vorliegende Diplomarbeit von Petr Mat a, der sich in dieser synthetischen und analytischen, zum Teil auf der Auswertung ungedruckter Tagebücher und Korrespondenzen beruhenden Studie neben anderen Fragen auch eingehend mit den „Karrieremustern" und den gesellschaftlichen Verbindungen böhmischer und mährischer Adeliger im 16. und 17. Jahrhundert befaßt hat. 60 H. Hageneder (Bearb.), Diarium Lamberg, S. XXVIII; dies., Rombesuch, S. 217; Lackner, J. F. Portia, S. 381. " Kalista, Mlidi, Textbd., S. 221 f. Zu Hermann Graf Czernin, insbesondere zu seiner höchst erfolgreichen Großbotschaft nach Konstantinopel 1644/45, siehe zuletzt G. Wagner, Österreich und die Osmanen, bes. S. 342-383.
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Freundschaft, Patronage und Sollizitierung
dolf Colloredo. 6 2 In einem undatierten Brief an seine Mutter Susanna aus dem Jahre 1650 erwähnt Humprecht Johann ausdrücklich Wilhelm Slavata als seinen Patron. 63 1651 verlobte er sich mit der schönen Marchesa Maria Diana (oder Diana Maria) da Gazoldo, einer aus einer alten Mantuaner Adelsfamilie stammenden Hofdame der dritten Gemahlin Ferdinands III., der Kaiserin Eleonora von Gonzaga. 6 4 Kurz nach der Verlobung ernannte der über diese Verbindung sehr erfreute Kaiser Humprecht Johann zum kaiserlichen Kämmerer. Es scheint, daß die Ehe unter der unmittelbaren Patronanz des Kaisers und der Kaiserin geschlossen wurde. 65 Am 26. Mai 1652 fand die Hochzeit statt, die vor allem ein Hoffest war. Mancher tschechische Adelige, aber - zumindest im ersten Moment - auch seine Mutter waren mit der Vermählung Humprecht Johanns mit einer „Fremden" gar nicht einverstanden. Die Ehe bewirkte jedenfalls eine Verstärkung der kosmopolitischen kulturellen Orientierung Humprecht Johanns und eine noch engere Verbindung mit der Wiener Hofgesellschaft. 66 Er scheint sich aber trotzdem weiterhin als Tscheche bzw. Böhme gefühlt zu haben. Jedenfalls wird er von Bernhard Ignaz von Martinitz im Jahre 1654, nach dem Tod Ferdinands IV., in einem Brief ausdrücklich als Vertreter der Tschechen (bzw. der Böhmen) und des böhmischen Adels in der Umgebung des zukünftigen Kaisers Leopold apostrophiert. 67 Auch die Tatsache, daß sich das Braut- bzw. Ehepaar im Jahr der Verlobung oder der Vermählung oder jedenfalls wenig später von dem Präger Maler Karel Skreta in Gestalt eines Kryptoporträts als Dido und Aeneas (oder Paris und Helena?) porträtieren ließ, spricht dafür, daß sich Czernin weiterhin mit seiner böhmischen Heimat verbunden fühlte. 6 8 Die „Notlösung" des Jahres 1650, eine Stelle im Hofstaat des zweitgeborenen Kaisersohnes, entpuppte sich nach dessen Thronbesteigung für den ehrgeizigen „Kämmerer der ersten Stunde" als Glücksfall. Im Jahre 1660 entsandte der neue Kaiser seinen Vertrauten als Gesandten nach Venedig. Humprecht Johann versah diese - sehr undankbare - Mission bis 1663. Etliche Jahre später wurde er in den Geheimen Rat und in den Orden vom Goldenen Vlies aufgenommen. Er machte zwar keine große politische Karriere, Leopold I. wandte sich aber immer wieder persönlich an ihn und fragte ihn in schwierigen Angelegenheiten um Rat. Vor allem aber betätigte sich Humprecht Johann Czernin in großem Stil als Sammler, Bauherr, Musik- und Literaturfreund und widmete sich der Verwaltung seiner Herrschaften und Güter. 6 9
Kalista, Mlidi, Textbd., S. 224. Ebd., Anmerkungsbd., S. 106 A. 342. Vgl. auch die Briefe der Mutter an ihren Sohn Humprecht Johann aus den Jahren 1644 bis 1654 bei Dvorsky (Hg.), Zuzana Cerninova ζ Harasova. 64 Graf Georg Adam von Martinitz war übrigens mit einer Prinzessin von Castiglione aus einer Nebenlinie des Hauses Gonzaga verheiratet gewesen. Als er seine Frau am Abend des 24. Februar 1636 — also während der Regierungszeit des ebenso wie später sein Sohn und Nachfolger mit einer Eleonora von Gonzaga vermählten Kaisers Ferdinand II. - in seinem eigenen Haus in Wien in flagranti beim Ehebruch mit dem aus Lucca stammenden Oberstleutnant Fabio Diodati ertappt und dieser auf ihn geschossen hatte, wurde Diodati von den Dienern des Grafen getötet. R. Becker, Aus dem Alltag, S. 336-340. 65 Zu Eheverträgen und Eheschließungen zwischen Mitgliedern des Hofstaats des Kaisers und der Kaiserin in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts siehe Bastl/Heiß, Hofdamen und Höflinge. 66 Kalista, Mlädi, Textbd., S. 244-254; Dvorsky (Hg.), Zuzana Cerninova ζ Harasova, S. 33-41, 269-274 und 278-296; Muk, Po stopäch, bes. S. 88-93. - Die Ehe endete 1666 in einem Fiasko und wurde 1674 geschieden. Mata, Aristokratickä prestiz, Kap. 5, bei Anm. 82. 67 Kalista, Mlädi, Anmerkungsbd., S. 119 A. 503. Zum weiteren Lebensweg Humprecht Johanns siehe die Kurzbiographie bei Kalista, Cechove, S. 201-211, sowie Pekaf, Kniha ο Kosti, Teil 1, S. 146-174, und Muk, Po stopäch, passim. 68 Das Bild befindet sich heute in der Prager Nationalgalerie. J. Neumann, Karel Skreta, S. 171-173 und Abb. 111. " Vgl. u. a. Kalista (Hg.), Korespondence cisafe Leopolda I., und ders., Cesk^ baroko, S. 202-204 und 292 f. Zur Sammeltätigkeit Humprecht Johann Czernins siehe nunmehr zusammenfassend Slavicek (Hg.), Artis pictoriae amatores, S. 372-379 (in englischer Sprache) sowie S. 144-169. 62 63
Vertrauensmänner u n d „Freunde" am H o f
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Thomas M. Barker hat einiges Licht auf die Rolle geworfen, die Wenzel Eusebius von Lobkowitz als Patron der kaiserlichen Armee gespielt hat. Fürst Lobkowitz übernahm vom Jahr 1644 an allmählich die Leitung des kaiserlichen Hofkriegsrates, weil der kränkliche Hofkriegsratspräsident Heinrich Graf Schlick dazu immer weniger in der Lage war. Anfang März 1652 wurde Lobkowitz offiziell zum Nachfolger des 1650 verstorbenen Grafen Schlick ernannt. 70 Seine „Klienten", meist adelige Offiziere und Kriegsunternehmer, aber auch einfache Soldaten, wandten sich häufig mit Bittschriften an den Fürsten, der imstande war, „Gnaden" (Einkünfte, Auszahlung ausständiger Besoldungen, Lehen, Sinekuren, Anstellungen etc.) zu verleihen oder jedenfalls zu vermitteln. Insbesondere der (niedere) tschechische Adel scheint mit großem Respekt, ja mit Verehrung auf ihn geblickt zu haben. Vor allem zur Zeit der Reduktion der kaiserlichen Armee zwischen 1648 und 1660 kam dem Herzog von Sagan als Patron und „Patronagemakler" der Armeeoffiziere besondere Bedeutung zu.71 Wenn in der Folge von Patronage die Rede ist, so handelt es sich dabei zumeist um eine Mischform aus „Benefizialpatronage" und „Protektionspatronage", um zwei von Ronald Asch geprägte Begriffe aufzugreifen. Bei der Benefizialpatronage geht es weniger um eine dauerhafte soziale Beziehung als um ein punktuelles Handeln zugunsten des Klienten (Vergabe von Amtern, Vorteilen und „Benefizien" aller Art, Zuerkennung von Rechten, Bestätigung von Ansprüchen, Entscheidung von Rechsstreitigkeiten im Sinne des Klienten). Die Protektionspatronage (Patronat) hingegen ist eine mehr oder minder dauerhafte Schutzbeziehung (meist zwischen einem „Mächtigen" und einem Mindermächtigen). „Freundschaft" in unserem Kontext ist ein Patronatsverhältnis zwischen zwei sozial etwa Gleichrangigen, von denen der eine aber dem Machtzentrum näher steht oder über mehr Entscheidungskompetenz verfugt.72 Der Patron schlechthin am Kaiserhof war natürlich der Kaiser selbst. Entscheidend fiir die Erwirkung kaiserlicher Gnadenakte oder Resolutionen im Sinne des Petenten war die persönliche Nähe zum Herrscher. Anstelle des oder zusätzlich zum direkten persönlichen Einwirken auf den Monarchen in einer formellen Audienz oder gar im zwanglosen Gespräch gab es aber noch andere Methoden, die Entscheidung des Kaisers oder einer Behörde bzw. eines Ratsgremiums des Kaisers (Geheimer Rat, Hofkammer, Hofkriegsrat etc.) oder/und des Reichs (Reichshofrat, Reichskammergericht, Reichstag etc.) im eigenen Sinne zu beeinflussen. Einigen dieser Methoden wollen wir uns nun anhand von konkreten Beispielen zuwenden.
6.2. Vertrauensmänner und „Freunde" im Geheimen Rat und in den Zentralbehörden Im Mai 1621, ein Jahr nach seiner Berufung in den Geheimen Rat, beklagte sich Gundaker von Liechtenstein bei seinem Bruder Karl, er sei „herren- unnd gnadenlos". Aus dem Brief geht auch hervor, daß er jedenfalls von Hans Ulrich von Eggenberg nicht gefördert wurde, daß er sich aber darum bemühte, den Favoriten des Kaisers günstig zu stimmen. Das Hofkirchensche Haus in Wien sei ihm bereits eingeantwortet worden und der Schenk- und Schirmbrief darüber ausgefertigt gewesen, er habe aber bemerkt, daß „man" danach trachte, die Frau (Margarethe) von Hofkirchen darin zu belassen und die tatsächliche Übergabe des Hauses an ihn, Gundaker, zu verschieben; „und weil ich gesehen, daß es herr von Egg(enberg) gern also gesehen, so hab ich es guttwillig heimgesagt (den ich hette es doch nie bekommen) [...]; denn man muß die favoriti in gutem willen erhalten, nec licet contra ipsos calcitrare."7i
70
Meienberger, Schmid zum Schwarzenborn, S. 129. Barker, Army, S. 120-122. 11 Asch, Hof, S. 289-292. 75 HALV, K. 251, G. v. L. an seinen Bruder Karl, Wien, 12. Mai 1621, P.S.; Hervorh. T h . W. Z u m Verhältnis G.s v. L. zu Fürst Eggenberg siehe auch Kapitel 7.1.1. 71
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Freundschaft, Patronage u n d Sollizitierung
Mit der Erhebung in den Fürstenstand 1623 und der kurzfristigen Ausübung des Obersthofmeisteramtes 1624/25 und dann seit der Wiederaufnahme der Tätigkeit als Geheimer Rat im Jahre 1633, vielleicht auch infolge des Todes des ihm nicht immer wohlgesonnenen Fürsten Eggenberg (die, jedenfalls zeitweilige, Abneigung war wohl gegenseitig) im Jahre 1634 und des Kardinals Dietrichstein 1636, verbesserte sich die Stellung Gundakers von Liechtenstein am Kaiserhof deutlich. Den Kardinal Dietrichstein (Abb. 21) hatte Fürst Gundaker stets als ausgesprochenen Widersacher empfunden. Im August 1630 beispielsweise schrieb er von diesem im Zusammenhang mit den auf den Herrschaften Mährisch Kromau und Ungarisch Ostra lastenden Schuldforderungen ausdrücklich, „er craht 74 nicht pro sondern contra me". 75 Ende September desselben Jahres äußerte er die Vermutung, der Kardinal hintertreibe seine Bemühungen, das Gut Wolframitz zu erwerben, um sich den Oberstburggrafen (Adam d. J. von Waldstein) zu „obligiern", damit „er ihm künfftig desto lieber Selowitz per Saar und Polina eintausche" 7 6 1 631 beschwerte sich Gundaker darüber, „daß ich nie keinen schütz wider des cardinals ungleiche einquarttierung- und verderbungen meiner undterthanen und wider andere seine unbilligkheiten von ihr m(ayestät) gehabt und noch nicht habe, ungeacht sie wissen, daß er mein und meines haus wollfahrt neidig und verhinderlich ist". 77 Doch damals fühlte er sich wohl nicht mehr gänzlich „her-
Abb. 21: Kardinal Franz Fürst von Dietrichstein, Bischof von Olmütz (1570-1636). Kupferstich.
74
kräht AVA Wien, FA Trauttmansdorff, Κ. 157, fol. 194 f., eh. Schreiben G.s v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Mährisch Kromau, 19. August 1630. 76 Ebd., fol. 186, ders. an dens., Kromau, 28. September 1630. 77 HALV.K. 36, G. v.L. an seinen Kanzler (Dr. Michael Schießel), Kromau, 30. Septemberl631 (Konzept). 75
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ren- unnd gnadenlos", sondern hatte einige „Freunde" am Hof und im Geheimen Rat, an die er sich mit seinen Anliegen wenden konnte. Auch scheint sich sein Verhältnis zu Hans Ulrich von Eggenberg deutlich verbessert zu haben. So berichtete Gundakers Kanzler Dr. Michael Schieße! seinem Herrn am 10. August 1631, er habe am Vortag beim Fürsten Eggenberg Audienz gehabt und dabei mit Freuden wahrgenommen, daß er gegen Gundaker von Liechtenstein ein „gerechter und bestendiger, wollmeinender [...] freindt und guetthatter" sei. Eggenberg habe versprochen, „in dem geheimben rath nach müglichkeit das beste" zu tun, damit dem Fürsten Gundaker seinem Begehren gemäß gegen die Kreditoren der Herrschaften Kromau und Ostra „geholffen werden möge".78 Tatsächlich erging am 6. September 1631 ein Befehl Kaiser Ferdinands II. an Kardinal Dietrichstein, keinem Gläubiger, der mit seiner Schuld nicht in der von Gundaker von Liechtenstein akzeptierten und approbierten Liste verzeichnet war, gegen Fürst Gundaker die Exekution zu gewähren, sondern im Gegenteil dafür zu sorgen, daß dieser von anderen Kreditoren in keiner Weise durch das Landrecht oder sonstige Exekutionsprozesse „weiter angefochten" werde.79 Ein Jahr zuvor, nach einem für ihn ungünstigen Urteil des Olmützer St. Johannis-Landrechts im Juni 1630 (Bewilligung der Exekution von auf Kromau und Ostra liegenden Schulden)80, hatte Gundaker noch zornig und verbittert an den Grafen Wilhelm Slavata und an Herrn Otto von Nostitz (siehe weiter unten) geschrieben: Wenn ihn der Kaiser nicht endlich gegen den Ansturm der Gläubiger schütze, so müsse er „gedenkhen [...], daß Gott dits uns zur billicher straff verordnet habe und dannenhero solches billich wo nicht gaudenter, doch aequanimiter dragen; wollen aber verhoffen, Gott habe uns ihr mayestät und dero herrn räth zur belohnung und nicht zu straff verordnet."81 Bis zu seinem Tod im Jahre 1650 war Maximilian von Trauttmansdorff (Abb. 22) der wichtigste Ansprechpartner und „Patron" Gundakers von Liechtenstein am Kaiserhof und im Geheimen Rat. Anfang April 1645 bezeichnete er ihn ausdrücklich als seinen „eintzigen patron zu hoff". 82 Vermutlich im Oktober 1622, als die Entscheidung über Gundakers Bitte um Verkauf der Herrschaften Mährisch Kromau und Ungarisch Ostra an ihn unmittelbar bevorstand83, wandte er sich vertrauensvoll an Trauttmansdorff: „Mein vertrauter großer herr Max! Ich vernehme, morgen werde mein Sachen wegen der mererischen güter vorkommen, bitte, dabei officium amici zu thun, sovil ohne offension der justici sein kan." Es stimme, daß er - für den Fall, daß es nicht anders sein könne - angeboten habe, 600.000 Gulden für die Herrschaften zu geben. Wenn sich der Kaiser sträube und erst die Schätzung der Güter abwarten wolle, „so bekehme der ertzherzog Leopold sein geld nicht".84 Trauttmansdorff möge sich und ihn vor Schaden behüten.85 Am 11. März 1630, als Fürst Gundaker wegen des täglich erwarteten Todes seiner schwerkranken vierundzwanzigjährigen Tochter Elisabeth so betrübt und „turbiert" war, „daß ich vast nicht weiß, was ich thue, dahero mir der herr mein unordenliches schreiben nicht wolle in üblem aufnehmen", wandte er sich mit der Bitte an Trauttmansdorff, er möge ihn weiterhin „patrociniern". Konkret ging es um die leidige Frage,
78
HALW, Κ. Η 1102, Fasz. Nn. 7, Kanzler Michael Schießel an G. v. L„ Wien, 10. August 1631. " Μ ZA Brno, A 3, Nr. 15, fol. 231 f. !0 Vgl. die Akten im HALW, Κ. Η 1102. Auf einer „Information, wie c(ontra) Nachod zu procedieren wegen seiner Anforderung auf Cromau. [...] Zu Olmütz, Johanni Ao. 1630. 27. Juni", notierte G. v. L. empört: „NBNBNB. Großes unrecht, so nie erhört worden in Merern." " Ebd., G. v. L. an Graf Slavata und „in simili an herrn von Nostitz", 12. Juli 1630 (Konzept). Si HALV, Hs. 273, S. 186-188, G. v. L. an GrafTrauttmansdorff, 2. April 1645 (Abschrift; S. 188: „[...] so habe ich mein Zuflucht zu euer liebden als meinem eintzigen patron zu hoff [...]"). " Vgl. Kapitel 9.1. " Zu den schließlich tatsächlich von Fürst Gundaker dem Erzherzog Leopold bezahlten 300.000 Gulden vgl. unten S. 341 f. " AVA Wien, FA Trauttmansdorff, Κ. 157, fol. 224 f., eh. Schreiben G.s v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, o. O., o. J.
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Freundschaft, Patronage und Sollizitierung
Abb. 22: Graf Maximilian von Trauttmansdorff (1584-1650). Kupferstich von Frans van Beusekom
nach
einem Gemälde von Anselm van Hülle.
wer die Forderungen der Kreditoren der von Gundaker erworbenen mährischen Herrschaften befriedigen solle. Gundaker ersuchte darum, in dieser Frage mit ihm in Wien eine Kommission anzustellen, zu der jemand von den Geheimen Räten, von der (Österreichischen) Hofkanzlei und von der Böhmischen Kanzlei abgeordnet werden solle. Als Wunschkandidaten („mir wehre lieb") nannte Gundaker den Grafen Trauttmansdorff selbst, den Grafen (Wilhelm) Slavata, den Herrn (Otto) von Nostitz, den Vizepräsidenten der Hofkammer (Vinzenz Muschinger) und den Hofkammerrat Hieronymus Bonacina. Graf Trauttmansdorff möge dies auch dem Herrn von Nostitz „communiciren cum commendatione [...], denn [ich] habe nicht zeit gehabt, ihm auch zu schreiben". 86 Knapp drei Wochen später dankte Gundaker dem Grafen Trauttmansdorff für sein Kondolenzschreiben. Er habe von seiner Tochter vernommen, daß der Graf sich seiner Sachen annehme. Dieser fördere damit den Dienst des Kaisers und die Gerechtigkeit und obligiere sich ihn noch mehr als bisher; er wolle sich dafür „gewiß bevleißen, solches umb den herrn und die seinen zu verdienen". Man habe ihm gesagt, der Herr von Nostitz „erzeige sich was widrig gegen mir"; Gundaker betonte, daß er ihm dazu keinerlei Anlaß gegeben habe und Schloß mit den dankbaren Worten: „Ich muß mich der freund wider die feind gebrauchen und am sichersten derjenigen, die albereit mit einem nuzen auf der prob bestanden sein, unter welchen der herr [also Trauttmansdorff] unicus ist [..,]." 8 7
Ebd., fol. 183 f., eh. Schreiben G.s v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Wien, 11. März 1630. "7 Ebd., fol. 190 f., eh. Schreiben G.s v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Wilfersdorf, 30. März 1630. ,6
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Ende Juli klagte Gundaker neuerlich, daß man seinen Kreditoren - insbesondere dem Grafen Georg von Nachod, dem mährischen Oberstlandrichter und (in Abwesenheit des Kardinals Dietrichstein) Verwalter des Amtes der mährischen Landeshauptmannschaft 88 , und dem Herrn Low („Leb") 8 9 - die Exekution bewilligt habe und diese bereits darangingen, sich auf seinen mährischen Gütern einführen zu lassen, obwohl er sich stets erbötig gemacht habe, die Gläubiger zu bezahlen, wenn man (also die Hofkammer) ihm dafür „sichere widerbezahlungsmittl" (nämlich im Besitz der Hofkammer befindliche Schuldbriefe) einräume. Er ersuchte Trauttmansdorff daher, „er wolle mit seiner wollvermügigen interposition die sach dahin dirigirn, damit doch ihr mayestät der hofFcammer anbevelchen, daß sye uns endheben oder die tractation vortgestelt [und] uns sichere mitl zur widerbezahlung eingeraumbt [werden] ; interim aber wolle der herr auch verhelfen, daß bis zu end derselben alle execution wider uns eingestelt werde." 9 0 Drei Wochen später wiederholte Gundaker seine Klage und die Bitte, Trauttmansdorff „alls ein liebhaber der iustiti und schüzer der bedrängten wolle bei i(hrer) m(ayestät), die mir jederzeit iustitiam und schuz zugesagt, und bei den andern herren rähten verhelffen, daß ich zue billigkeit gelangen möge". Da er trotz „so embsiges anhalten und bitten bei i(hrer) m(ayestät) und bei den collegien" nichts ausrichte, so sehe er sich gezwungen, sich an den Herzog von Bayern und Kurfürsten von Köln zu wenden, ihn von der ganzen Angelegenheit in Kenntnis zu setzen und um Fürsprache beim Kaiser zu ersuchen 9 1 Trauttmansdorff versprach daraufhin, er werde sowohl bei den „expeditionen" als auch beim Kaiser (bei „ihr keyserl. mayestät unserm allergnedigsten herrn selbsten") in der Sache „embsig, fleißig und alleruntertenigist sollicitieren" und dem Fürsten Gundaker „hoffentlich [...] billiche resolution erwerben", riet aber dringend davon ab, den Kaiser beim Kölner Kurfürsten Ferdinand von Bayern zu verklagen und diesen um Interzession zu ersuchen. 9 2 Fürst Gundaker replizierte, er wolle diesem Rat vorläufig folgen, betonte aber, der Kaiser habe ihm mehrmals persönlich gesagt, „ich hette mich zu deroselben [Majestät] alles dessen zu versehen, was sich einer zu seinem allergnädigsten und gerechten herrn zu versehen hatt". Deshalb tue es „so vil weher, daß ich, bei allen denen schriftlichen und mündlichen informationibus und embsigen 1/2 jehrigen sollicitiern sowol bei den collegien alls bei i(hrer) m(ayestät) selbst in so billicher sachen, welche doch vornemblich i(hrer) m(ayestät) hand, sigl, credit und hochheit angehet, hillfflos gelassen werde". Er begehre vom Kaiser keine Gnade, „sondern allein iustiti und schuz wider Unbilligkeit", nämlich die Einhaltung der vom Kaiser im Kaufvertrag über Kromau und Ostra eingegangenen und mit Unterschrift und Siegel bekräftigten Verpflichtungen. Er ersuchte Trauttmansdorff, er möge, da Gefahr im Verzug sei, „von mir vorgebettner und von ihme aus sonderbarer freundtschafft anerbottner maßen, meinem zu ihm habenden vertrauen nach, die sachen hellfen befördern", und teilt ihm noch mit, daß er auch den Obersthofmeister (Graf Meggau) gebeten habe, „dise meine sachen der billigkeit nach zu favorisiern". 93 Kurz vor Weihnachten wandte sich Gundaker wieder mit einem Hilferuf an Trauttmansdorff und entschuldigte sich einleitend, „daß ich ihn so oft mit meinen sachen
88 d'Elvert, Die Grafen von Nachod und Lichtenburg, S. 1 8 - 2 2 . Georg von Nachod, ein Schwiegersohn Karls von Zerotin, war übrigens Konvertit; er dürfte 1623 oder 1624 von der Brüdergemeinde zur katholischen Kirche übergetreten sein. Ebd., S. 21 f.
" Max(imilian) Low von Rozmitäl. d'Elvert, Die Freiherren Low von Rozmitäl, S. 95 f.; ders., Beiträge, Bd. l . S . 180, 336, 3 4 7 , 3 5 6 u. ö. 90 AVA Wien, FA Trauttmansdorff, K. 157, fol. 196, G. v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Teschen, 29. Juli 1630 (Kanzleihand, Schluß eh.). " Ebd., fol. 194 f., eh. Schreiben G.s v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Mährisch Kromau, 19. August 1630. 92 HALW, Κ. Η 1102, Maximilian von Trauttmansdorff an G. v. L., Regensburg, 31. August 1630. " AVA Wien, FA Trauttmansdorff, Κ. 157, fol. 188 f., eh. Schreiben G.s v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Kromau, 19. September 1630.
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molestiere. Die ursach ist das vertrauen, so ich hab in sein lieb gegen mir und in sein erbares, gewissenhaftes unnd verstendiges gemüt". Er habe noch immer keinen kaiserlichen Bescheid erlangt. „Unterdessen fallen die creditores hauffenweis ohne allen rechtsproceß der l(andes)ordnung nach auf mich [...]. Bitte demnach, er wolle mein negotium i(hrer) m(ayestät) meliori forma recommendiern, ihr ausfuren, wie [un] recht mir hierdurch beschehe und wie hoch i(hrer) m(ayestät) gewissen und ehr dabei interessiert sei [ . . , ] . " 9 4 Ende April und Mitte Juni 1632 schickte Gundaker von Liechtenstein zunächst aus Wilfersdorf seinen Rat und Vizekanzler Georg Wilhelm Dümler und dann aus Ostra seinen Vizemarschall Simon von Berg zu Maximilian von TrauttmansdoriF, u m ihn über seinen Streit mit „Signor Bonacina" - dem Hofkammerrat Hieronymus Bonacina - zu informieren, der sich weigerte, Gundaker eine Schuldforderung zu quittieren, die diesem von der Hofkammer als teilweiser Ersatz für die Bezahlung der auf Kromau und Ostra lastenden Schulden abgetreten worden war. 9 5 Im November schrieb Fürst Gundaker in dieser Sache schließlich aus Kromau einen ausfuhrlichen Brief an den Grafen Trauttmansdorff. Er habe vernommen, daß sein dem Kaiser überschicktes „anbringen wider den Bonacina" vom Landmarschallischen Gericht und von der Niederösterreichischen Regierung mit dem geforderten Gutachten wieder „nach hoff gegeben worden" sei. D a er erfahren habe, daß Trauttmansdorff „zu befurderung der iustiti vorderst, wie auch mir in billichen Sachen zu patrociniern geneigt" sei, so ersuchte er ihn, er „wolle verhelffen, damit mir die execution so schieinig wider gemelten Bonacina in re liquidissima erteilt werde, allermaßen dieselbe bis dato meinen creditorn wider mich ervolgt ist". 9 6 Ende November 1639, nachdem ihn Gundaker wieder einmal u m Unterstützung gebeten hatte (diesmal in der seit 1608 beim Reichshofrat anhängigen ostfriesischen Streitsache 9 7 ), teilte Maximilian von Trauttmansdorff dem Fürsten mit, er habe sogleich beim Reichshofratspräsidenten (Johann Freiherr von der Reck 9 8 ) interveniert. Die Sache sei bisher noch nicht verhandelt worden, er, Trauttmansdorff, werde aber durch seinen Sekretär weiter sollizitieren lassen, und er kündigte ausdrücklich an, daß er „im übrigen bey allen occasionen euer fiirstl. gnaden gehorsambe angenehme dienst zu erweisen allezeit bevlissen sein werde". 9 9 Trauttmansdorff blieb tatsächlich „am Ball", war jedoch skeptisch bezüglich des Prozeßausgangs: „Mit der praetension aber in Ostfrieslandt", äußerte er im Mai 1642, „ist zue zweiflen, ob solliches mittel derzeit möchte zue sinnen können gebracht werden, doch wirdt nit undterlassen werden, hierumben allen thuenlichen möglichen versuech zue thuen." 1 0 0 Ende Oktober 1644 beklagte sich Gundaker bei Trauttmansdorff, daß er trotz emsigen Sollizitierens beim Reichshofratspräsidenten von der Reck zu keinem Urteil des Reichshofrats in der Frage der Liquidation der fälligen ostfriesischen Zinsen gelangen könne. Er sei daher gezwungen, „mein Zuflucht zu euer liebden zu nehmen, dienstlich bittend, sie wollen in disem, wie in anderm beschehen, mein befürderer sein [ . . . ] " . 1 0 1 Fürst Gundaker maß der rechtzeitigen „Vorinformation" wohlgesonnener Entscheidungsträger am Kaiserhof große Bedeutung fiir den Ausgang von Streitfällen zu. Im Januar
54 Ebd., fol. 185, eh. Schreiben G.s v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Kromau, 21. Dezember 1630. " Ebd., fol. 199 f., G. v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Wilfersdorf, 30. April 1632, und Ungarisch Ostra, 15. Juni 1632 (Beglaubigungsschreiben). * Ebd., fol. 201 und 204, eh. Schreiben G.s v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Kromau, 22. November 1632. 97 Vgl. unten Kapitel 17.3.1. " Vgl. v. Gschließer, Reichshofrat, S. 185-187, 234-237 u. ö.; Schwarz, Privy Council, S. 327 f. " HALV, Hs. 269/1, S. 370 f., Graf Trauttmansdorff an G. v. L„ Wien, 28. November 1639 (Abschrift). ,0° HALW, Κ. Η 590, ders. an dens., 21. Mai 1642; Abschrift im HALV, Hs. 157, S. 362. 101 AVA Wien, FA Trauttmansdorff, K. 162, Fasz. Ff. 27, Nr. 91", eh. Schreiben G.s v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Rabensburg, 26. Oktober 1644.
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1642 übermittelte er seinem im Sommer 1640 bestellten Agenten am Kaiserhof Johann Franz von Immendorffer102, der vor allem mit der Betreibung der „Ostfriesischen Sache" beim Reichshofrat und den Bemühungen um das Herzogtum Teschen befaßt war 103 , folgende allgemeine Maßregel, wie er vorzugehen habe 104 : „Wenn wir euch anbringen an i(hr) m(ayestät) oder an ein keiserl. collegium (als N B N B N B r[eichs]h[off]r[ath], hofcamer, kriegsrath, regierung etc.) schiken, so sollet ihr solches alzeit zuvohr, ehe ihr es übergebt, etlichen herrn rähtten, unsern gueten freunden, zu lesen geben, damit sie dadurch desto pesser informieret seien : nur in der Abschrift in HALV, Hs. 157, S. 5 4 - 5 6 . 105 Siehe v. Gschließer, Reichshofrat, S. 237 und passim; Schwarz, Privy Council, S. 3 1 6 - 3 1 8 . "* v. Gschließer, Reichshofrat, S. 2 2 7 f. u. ö. 107 Ebd., S. 217 f. und passim. Von Fürst Gundaker und seinen Korrespondenzpartnern wird er konsequent „Haugwitz" genannt. 108 Ebd., S. 205 u. ö. m Ebd., S. 2 3 2 u. ö. 110 Fellner/Kretschmayr, Ö Z V 1 / 2 , S. 223. " ' HALW, Κ. Η 590, Fasz. „Ostfriesland. Korrespondenz mit dem Sollizitator Christoph Stainmüller. 1 6 4 5 - 1 6 4 6 " , G. v. L. an Stainmüller, Marburg, 29. Januar 1646 (Konzept). 1.2 v. Gschließer, Reichshofrat, S. 2 0 6 - 2 0 8 u. ö.; Sellert, Ordnungen, 2. Halbbd., S. 175 und 335. 1.3 HALW, Κ. Η 598, Fasz. R. 4/4, Dr. Melander an G. v. L„ Wien, 29. April 1634. 103 104
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und ihm, Gundaker, „nach so langer zeith die gebettene justiti ertheilt werdte". 114 Im Januar 1637 sandte Gundaker im selben Tenor verfaßte Briefe an Melander und an den Reichshofrats-Vizepräsidenten Peter Heinrich von Stralendorff 115 und stellte ihnen für den Fall eines Urteils in seinem Sinne eine „würckhliche danckhbarkheit" in Aussicht. 116 Im März 1639 übermittelte Fürst Gundaker das Konzept eines an seinen Amsterdamer Sollizitaror in der ostfriesischen Streitsache (Samuel Bloemaert) gerichteten Schreibens an Melander, da er den Brief ohne Melanders „vorwissen und gutheißen" nicht ausfertigen wollte, „damit wir etwa nicht etwas praeiudicierliches schreiben". Der Fürst - also eine Partei! - ersuchte Dr. Melander - also einen der Richter! - , „er wolle das concept [...], da es vonnöten, corrigieren und uns mit seinem gutachten stündlich wider zuschicken". 117 Im März 1642 empfahl Gundaker seinem Sohn Hartmann, er solle sich, wenn er in einer wichtigen Rechtssache einen guten Rat benötige, gleichgültig ob es sich um eine Reichsangelegenheit, eine mährische oder eine österreichische Sache handelt, an Hermann von Questenberg wenden. Dieser sei „vor diesem" (nämlich 1626-1637) lange Zeit Reichshofrat gewesen 118 und habe ausgezeichnete Rechtskenntnisse, ein gutes „natural judicii", große Erfahrung „und ein gewaltige federn und singularem practicam". Er, Gundaker, kenne am kaiserlichen Hof niemanden, der ihm vorzuziehen sei, „und weil dann er insonderheit, sowol auch sein bruder [Gerhard] sich jederzeit unser guter freindt erzeigt und unsertwegen sich gem bemiehet, alls werden deine liebden an ihme einen getreuen und gueten rahtt finden". 119 Vier Jahre zuvor, als Hermann von Questenberg angeblich die Konfiskation und Einziehung seiner Güter (darunter des zwischen den Dörfern der Herrschaft Wilfersdorf liegenden Gutes Erdberg) drohte, war sich Gundaker von Liechtenstein nicht zu gut gewesen, Johann Maximilian von Lamberg „aus sonderbarem zu ihme habenden vertrauen unndt jederzeit verspürten affection gegen uns" zu bitten, er möge ihm „die freundtschafft erzeigen, wenn er vernimbt, daß die condemnation unndt confiscation" der Güter Questenbergs gewiß sei, noch vor der Bekanntgabe der Konfiskation dem Kaiser, dem Obersthofmeister TrauttmansdorfF und dem Hofkammerpräsidenten Ulrich Franz von Kolovrat eine Bittschrift Gundakers um Überlassung der konfiszierten Güter zu überreichen. Immerhin hatte Gundaker einleitend betont, daß er Questenberg die Konfiskation nicht vergönne. 120 Im Januar 1646 schrieb Gundaker an seinen Sollizitaror am Kaiserhof Christoph Stainmüller, daß er den Reichshofrat Justus Gebhardf121 ftir seinen „pesten freindt bei h o f ' halte und trug ihm auf, sich in allen Geschäften bei ihm Rat zu holen, „mit Vermeidung, daß solches zu thuen wir euch anbefohlen hetten". 122 Daneben wandte sich Gundaker um diese Zeit wiederholt mit der Bitte um rasche Erledigung der ostfriesischen Angelegenheit an den Reichshofratsvizepräsidenten Tobias von Haubitz. 123 In den dreißiger und vierziger Jahren hielt sich Gundaker von Liechtenstein in Angelegenheiten, die die böhmischen Länder betrafen, besonders an die fuhrenden Vertreter des tschechischen bzw. böhmischen Adels im Geheimen Rat, die Grafen Georg Adam von Marti-
114
HALW, Κ. Η 593, Fasz. F. 85, G. v. L. an Dr. Melander, s. d. [1637] (teilw. eh. Konzept). v. Gschließer, Reichshofrat, S. 176f., 202f. und passim; Schwarz, Privy Council, bes. S. 361 f. 116 HALW, Κ. Η 593, Fasz. F. 85, G. v. L. an Stralendorff und „mutatis mutandis" an Melander, Wilfersdorf, 24. Januar 1637 (Konzept). 117 HALW, Κ. Η 594, Fasz. 86/5, G. v. L. an Dr. Melander, Liechtenstein, 22. März 1639 (eh. Konzept). 1.8 V. Gschließer, Reichshofrat, S. 216 f. u. ö.; Sellert (Hg.), Ordnungen, 2. Halbbd., S. 335. 1.9 HALV, Hs. 157, S. 229, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, 13. März 1642 (Abschrift). 120 HALV, Hs. 672, S. 330-332, G. v. L. an Lamberg, 10. September 1638 (Abschrift). Ebd., S. 332, der Wortlaut der schließlich wohl nicht übergebenen Bittschrift an den Kaiser. 121 v. Gschließer, Reichshofrat, S. 220 f. u. ö. 122 HALW, Κ. Η 590, Fasz. „Ostfriesland. Korrespondenz mit dem Sollicitator Christoph Stainmüller. 1645-1646", G. v. L. an Stainmüller, Marburg, 11. Januar 1646 (Konzept). 123 Ζ. B. ebd., G. v. L. an Herrn von „Haugwitz", Marburg, 21. Dezember 1645 (eh. Konzept). 115
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Abb. 23: Graf Georg Adam Borita von Martinitz (1602-1651). Kupferstich.
nitz (1632-1651 Böhmischer Kanzler; Abb. 23) und Wilhelm Slavata (1628-1652 Oberstkanzler des Königreichs Böhmen), aber auch weiterhin an Maximilian von Trauttmansdorff. Im August 1630 hatte sich Gundaker noch darüber beklagt, Slavata habe einen kaiserlichen Befehl, „nur [um] mir zu schaden", nicht sofort der Hofkammer intimiert 124 , und im September 1630 hatte er ihm den Vorwurf gemacht, er favorisiere (als böhmischer Oberstkanzler) in dem Streit um die auf den Herrschaften Kromau und Ostra haftenden Schulden seine (Gundakers) Gegner, die Kreditoren, insbesondere den Grafen (Georg von) Nachod und Herrn „Leb", das ist Maximilian Low von Rozmitäl. 125 Später scheint sich das Verhältnis zu Slavata verbessert zu haben. Im Zuge der Bemühungen um die Durchsetzung seines Anspruchs auf Ausübung der Mitregentschaft im Herzogtum Teschen bzw. des Erbrechts der Kinder aus seiner Ehe mit Elisabeth Lukretia von Teschen sandte Gundaker am 1. März 1638 von Wilfersdorf zwei - mutatis mutandis - gleichlautende Schreiben an Martinitz und Slavata mit folgendem Wortlaut: „Der herr wirdt sich ohne zweiffei noch zu erinnern wissen, daß ich kurz vor ihr kayserl. mayestät verraisen demselben ein undertenigistes supplicieren das herzogthumb Teschen betr. ubergeben habe [...]. Weill ich dan ein sonders großes vertrauen hab in des herrn aufrichtig gemütt, gutten verstandt und practica und jederzeit gegen mir erzeigten gutten affection, so bitte ich den herrn, er wolle verhülfflich sein, damit obgemeltes mein anbringen an ihr khayserl. mayestät ehest woll expedirt werde [...]; undt bitten den herrn, er wolle dieser Sachen halber bei ihr mayestät zu einer allergnedigisten resolution verhülfflich sein und dabei der bei ihr khayserl. mayestät durch die römische königin, den herzog Ferdinand [offenbar Ferdinand von Wittelsbach, Her-
AVA Wien, FA Trauttmansdorff, K. 157, fol. 194 f., G. v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Kromau, 19. August 1630. Ebd., fol. 188 f., G. v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Kromau, 19. September 1630.
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zog von Bayern und Kurfürst von Köln] und erzherzog Leopoldi Wilhelmb vor mich in dieser sach eingewente ansehentliche commendationes in consideration nehmen und in voto derselben ingedenckh sein." 12
Ganz ähnliche Schreiben ergingen am 2. März 1638 an den Bischof von Wien (Anton Wolfradt) und an den Grafen Trauttmansdorff („[...] Weill ich dan ein sonders vertrauen hab zu euer liebden aufrechtigkheit, authoritet bey ihr mayestät und affection gegen mir [...]"). 127 Im Mai 1642 schrieb Gundaker seinem in Laxenburg weilenden Sohn Hartmann, er möge einen hier nicht weiter interessierenden Sachverhalt dem Grafen Slavata, „der oft hinaus kombt, sagen, denn er ist mein guter freund". 128 Im November 1640 hatte Slavata allerdings geschrieben, er könne in der Teschner Sache nicht behilflich sein, denn „nachdem besagte handlung nicht durch mich sondern andere gegangen, so hab ich bedenken, mich in dieselbe einzudringen; verhoffe auch, bey eur furstl. gnaden umb sovil mehr hierinnen entschuldiget zu sein, weiln die Sachen wichtig und dieselbe ad partem zu negociren mir nicht gebühren will."129 Die wichtigste Vertrauensperson Gundakers von Liechtenstein am Kaiserhof in allen mit den böhmischen Ländern zusammenhängenden Fragen war und blieb Geog Adam von Martinitz. Im August 1640 beispielsweise teilte dieser dem Fürsten Gundaker, der ihm eine Bittschrift betreffend das Herzogtum Teschen übersandt hatte, mit: „Euer furstl. gnaden anbringen des herzogthumb Teschen betr. habe ich alsobaldt bey der ersten audienz noch zu Melkh ihr mayestät allerunterthenigist referirt [...]." Der kaiserliche Bescheid könne bei der Kanzlei behoben werden.130 Ende November 1649 überschickte Gundaker seinem Sollizitaror Michael Haunberger ein offenes Schreiben an den Grafen von Martinitz mit dem Auftrag, es diesem nach Verschließung zu übergeben und ihm anschließend zu sagen, er, Gundaker, habe zwar auf Martinitz' Rat hin „die Kislische Sachen zu referirn" bei dem Sekretär Holdorfer (wohl Clemens von Holdorff, Sekretär der Böhmischen Kanzlei131) sollizitieren lassen. Weil ihm aber bewußt sei, „daß sein, des herrn grafen, einziges wort mehr als unser sollicitirn bey ihme, secretario, vermag, allso ersuecheten wir den herrn grafen, ihn, secretarium, dahin zu vermögen, daß er diese Kislische sache zu eheistem referat und also zu ihr kayserl. mayestät resolution richte und befördere".132 Am 15. November 1651 schrieb Gundaker an seinen Sohn Ferdinand Johann, der ihm die Nachricht vom Tod des Böhmischen Kanzlers Martinitz übermittelt hatte, er habe diese Nachricht „sehr ungern vernohmen, dann wir an ihme gewißlich einen sehr gueten freundt und protector wider alle unbillichkheiten, so sich etwan eraignet, verlohren haben, welchem Gott genaden wolle". Gundaker war sogar der Meinung, der Landeshauptmann von Mähren (Johann Graf Rottal133) „werde des herrn graffen von Martiniz seel. todt nicht ungehrn sehen".134 Zu den Ansprechpartnern Gundakers von Liechtenstein im Geheimen Rat gehörte auch der bereits mehrfach genannte, einem schlesisch-lausitzischen Adelsgeschlecht entstammende Otto von Nostitz, der von 1622 bis zu seinem Tod 1630 (deutscher) Vizekanzler des Königreichs Böhmen bei der schlesischen und lausitzischen Expedition (d. h. für Schlesien
126 HALV, Hs. 672, S. 126 f., G. v. L. an Graf Martinitz und „in simili mutatis mutandis an graven Schlawata et ceteris", 1. März 1638 (Abschrift). 127 Ebd., S. 116 f., G. v. L. an den Bischof von Wien und „in simili mutatis mutandis an h. graven Trautmanst.", Wilfersdorf, 2. März 1638 (Abschrift). 12 ' HALV, K. 272, Korrespondenz H.s v. L„ eh. Schreiben G.s v. L. an seinen Sohn Hartmann, Liechtenstein, 17. Mai 1642. 129 HALW, Κ. Η 827, Wilhelm Slavata an G. v. L„ Regensburg, 23. November 1640. 130 HALV, Hs. 270/1, S. 212, Graf Martinitz an G. v. L„ Regensburg, 10. August 1640 (Abschrift). Fellner/Kretschmayr, Ö Z V 1 / 2 , S. 232. 132 HALV, Hs. 274, S. 347, G. v. L. an Haunberger, Ebergassing, 30. November 1649 Abschrift). 133 d'Elvert, Die Grafen von Rottal, S. 18-20. 131 HALV, Hs. 277, S. 400, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand, Ostra, 15. November 1651 (Abschrift).
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und die beiden Lausitzen) war. 135 Besonders in den das Herzogtum Teschen betreffenden Streitfragen 136 scheint er zumindest zeitweise die Interessen Gundakers von Liechtenstein vertreten zu haben. Bereits am 12. September 1625, drei Wochen nach dem Tod des letzten männlichen Teschner Piasten, der von seiner Schwester Elisabeth Lukretia, der zweiten Gemahlin Gundakers, beerbt wurde, informierte Gundaker seinen Bruder Karl, der Herr von Nostitz habe ihm versprochen, „er wolle darob sein, daß mir nicht unrecht geschehe". 1 3 7 Drei Tage später ersuchte er Nostitz „als meinen aufrechten getreuen freund", ihn in dieser Angelegenheit zu unterstützen und äußerte zugleich seine Hoffnung, Maximilian von Trauttmansdorff „werde mich auch nach billigkeit favorisiern, allermaßen ich vor diesem 1 3 8 effective gespürt mit großer obligation". 1 3 9 Am 20. Januar 1626 schrieb Gundaker an Nostitz, er habe ihn „alzeit vor einen erlichen, aufrechten, die iustiti liebhabenden mann, bescheidnen unnd vernünftigen politico unnd meinen großen freund erkendt, also daß ich das vertrauen zu ihm habe, daß, sovil ohne offension der iustiti sein kan, er vor mich handien wird". 1 4 0 Anfang November 1627 wandte sich Gundaker neuerlich mit der Bitte an Nostitz, er möge „in diser sach seinem beiwohnenden verstand unnd meinem zu ihm habenden vertrauen nach vigiliern und wo es nott informiern, damit nicht auf widrige relationes mir schedliche resolut i o n s von hoff ervolgen". 141 Im Januar 1628 ersuchte Gundaker seinen Bruder Maximilian, er möge „durch den fiirsten von Eggenberg, graf von Trautmanstorf, vornemblich aber durch den herrn von Nostitz, welcher sich gar eyferig in volgender Sachen erzaigt, verhelffen, daß die commission im Teschnischen zwischen mir und meiner gemahlin vorgehe [ . . . ] " . 1 4 2 Ende Juli 1630 ersuchte er sowohl Nostitz als auch Trauttmansdorff, die Exekution gegen seine mährischen Herrschaften zu verhindern und mit ihrer „wollvermügigen interposition die Sachen dahin [zu] dirigieren". 143 Ein Jahr später, bereits nach Nostitz' Tod, berichtete Gundaker jedoch seinem Kanzler, sein Bruder Fürst Karl habe Nostitz sehr geachtet und ihm 6.000 Gulden geschenkt, er selbst habe ihm 1.000 Gulden verehrt. Nostitz habe ihm aber trotzdem „nie nichts guets, aber viel böses gethan". 1 4 4 Und im Mai 1630 hatte er sich geäußert, er sehe, daß die Sachen des Hauses Liechtenstein bei der Böhmischen Kanzlei nicht befördert werden, obwohl Graf Slavata und Herr von Nostitz „dessen guete freund zu sein sich vernehmen lassen". 1 4 5 Diese Worte zeigen exemplarisch, wie kritisch und vorsichtig man Beteuerungen der Freundschaft und des Vertrauens in Briefen an einflußreiche Politiker und Höflinge beurteilen muß. Ein Musterbeispiel von taktischer Heuchelei dürfte Gundakers Bitte um Interzession an den Obersthofmeister Graf Meggau aus dem September 1630 darstellen. Gundaker ersuchte Meggau, den er höchstwahrscheinlich nicht ausstehen konnte 1 4 6 , er möge sich dafür einsetzen, daß er Zu Otto von Nostitz, dem Begründer der berühmten Nostitz-Bibliothek (heute Josef Dobrovsky-Bibliothek), die sich seit über 300 Jahren im Nostitz-Palais auf der Prager Kleinseite befindet, siehe v. Gschließer, Reichshofrat, S. 204f., und Schwarz, Privy Council, S. 314f., vor allem aber Slavicek (Hg.), Artis pictoriae amatores, S. 304-307. (Den reichsten Teil der Nostitz-Bibliothek bildet im übrigen die Sammlung des zweiten Otto von Nostitz, der 1664 ohne Nachkommen starb.) ' * Siehe Kapitel 17.2 und 17.3.2. 137 HALW, Κ. Η 826, G. v. L. an seinen Bruder Karl, Feldsberg, 12. September 1625 (eh.). 13ä früher, seinerzeit 1)5 HALV, K. 251, G. v. L. an Otto von Nostitz, Ostra, 15. September 1625 (eh.). 140 Ebd., ders. an dens., Wiersdorf, 20. Januar 1626 (eh.). 141 Ebd., ders. an dens., Wilfersdorf, 3. November 1627 (eh.). 142 HALW, Κ. Η 825, Fasz. HT. 5, G. v. L. an seinen Bruder Maximilian, Wilfersdorf, 12. Januar 1628 (Abschrift). 143 HALW, Κ. Η 1102, G. v. L. an Herrn von Nostitz und „in simili" an Graf von Trauttmansdorff, 29. Juli 1630 (Konzept). 144 HALV, K. 36, G. v. L. an seinen Kanzler, Kromau, 30. September 1631 (Konzept). 145 HALW, Κ. Η 826, Fasz. HT. 17, G. v. L. an Balthasar Hoffmann, 5. Mai 1630 (Konzept). 146 Vgl. S. 195 f.
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(Gundaker) der Verpflichtung, die Kreditoren der Herrschaften Kromau und Ostra zu befriedigen, enthoben werde, „allermaßen ich weiß, daß der herr wegen seiner habenden authoritet in dem geheimen rahtt, bei der hofc(ammer) und bei graf Slavata, alda es steket, wol vermag und ich ein sonders vertrauen in den herrn seze, daß er mich in diesem, soweit er mein bitt vor billich erkenet, favorisieren werde".147 Seinem Sohn Ferdinand Johann erteilte Gundaker 1644 den Rat, „cum falso falsus eris, es sey dann, daß man einen wol brüglen148 kan". Ferdinand Johann hatte während seines Aufenthalts in Teschen bei seiner Mutter „vor der furstin gesagt, daß man bei hoff 149 nicht halte, was man zusagt". Gundaker rügte seinen Sohn fur dieses öffentliche Bekenntnis: „das ist gar ubel beschehen, denn weil es andere gehört, so kan es vor ihr mayestät kommen und bei ihr mayestät und den räthen haß verursachen. Deine liebden sein gar zu frei im reden [...] und offt offensive; hernach sagt es einer dem andern, sie werden einmal in händl damit kommen." 150 Fürst Gundaker selbst hatte übrigens auch keine hohe Meinung von den am Kaiserhof herrschenden Kreisen und Zuständen. Im Oktober 1639 hatte er seinem Sohn Hartmann geschrieben, derzeit bedürfe „einer fast mehr hoffineze als valor, sich bey hoff in credit zu erhalten" und ihm dringend davon abgeraten, sich in kaiserliche Kriegsdienste zu begeben, denn wegen des Chaos in der kaiserlichen Armee begebe man sich dadurch „in höchste gefahr seiner ehr".151 In Angelegenheiten, die die Stellung der neuen Fürsten am Kaiserhof betrafen, wandte sich Fürst Gundaker an Wenzel Eusebius von Lobkowitz.152 Im März 1648 schrieb er an seinen Sohn Ferdinand Johann, Fürst Lobkowitz habe ihn „jederzeit mer geliebt und geehrt", als er, Gundaker, sich um ihn verdient gemacht habe. Er wolle ihm gerne mit seinen Diensten „correspondiren", umso mehr, als ihn auch dessen Eltern (Zdenko Adalbert und Polyxena) „sehr geliebt [...] und solches in allen gelegenheiten im werk erwisen" hätten. 153 Diese Zuneigung endete wenige Monate später abrupt, als Fürst Lobkowitz die Präzedenz vor dem Fürsten Gundaker prätendierte. Ein weiterer Ansprechpartner Gundakers von Liechtenstein im Geheimen Rat war Maximilian von Dietrichstein (Abb. 24), der von 1618 bis zu deren Tod 1638 mit Gundakers Nichte Anna Maria, der erstgeborenen Tochter des Fürsten Karl von Liechtenstein, verheiratet war. Im August 1655 wandte sich Fürst Gundaker von Ungarisch Ostra aus an den am Kaiserhof in Wien weilenden Fürsten Dietrichstein mit der Bitte um Interzession beim Hofkammerpräsidenten David Ungnad von Weißenwolf und beim Hofkammerrat Dr. Clemens Radoldt. Es ging um Gundakers Forderungen an die Hofkammer und die vom Kaiser erbetene kaiserliche „Gnadenabfertigung".154 Da Maximilian von Dietrichstein zehn Wochen nach Erhalt des Briefes verstarb, wird man annehmen können, daß er nicht (mehr) viel in dieser Sache ausrichten konnte.
147 HALW, Κ. Η 1102, G. v. L. an den Obersthofmeister Graf von Meggau, 20. September 1630 (eh. Konzept). prügeln ' 4 ' am Kaiserhof 150 HALW, Κ. Η 827, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Rabensburg, 28. September 1644. 151 HALV, Hs. 269, S. 423-425, G. v. L. an H. v. L„ Wien, 18. Oktober 1639 (Abschrift). 152 Siehe Kapitel 7.1.2. 153 HALV, K. 35, Fasz. „Präzedenzstreit mit dem Fürsten Lobkowitz", G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Wien, 3. März 1648 (eh.). " 4 Die entscheidenden Zeilen des Schreibens lauten folgendermaßen: „Wann mir dann wissend, daß eurer liebden bey besagten herrn hoffcammer-praesidenten und [herrn] Radold viel vermögen; also dieselbe ich dienstfreundtl(ich) anlange, sie wollen mich dits orts mit ihrer wolmügenden befurderung favorisieren und durch dero commendation sie dahin disponiren, umb damit obbesagte meine angelegenheiten beide mit allerehisten vorgenohmen und zu gewinschter expedition gebracht werden mögen." MZA Brno, G 140, K. 447, Nr. 1911/131, G. v. L. an Maximilian von Dietrichstein, Ostra, 13. August 1655 (praes. 28. August 1655).
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Abb. 24: Fürst Maximilian von Dietrichstein (1596-1655). Kupferstich.
Nach der Mitte der fünfziger Jahre hatte Fürst Gundaker offenbar wieder, ähnlich wie dreieinhalb Jahrzehnte früher, keine einflußreichen Patrone am Kaiserhof; er hatte alle überlebt. Nach dem Tod Trauttmansdorffs 1650, Georg Adams von Martinitz 1651, Wilhelms von Slavata 1652 und Maximilians von Dietrichstein 1655 setzte Gundaker seine Hoffnungen möglicherweise vor allem auf den 1655 in den Geheimen Rat aufgenommenen letzten Oberstkämmerer Ferdinands III. (in den Jahren 1655-1657) Don Annibale Gonzaga, Marchese di Mantua-Bozzolo, den begabten General, Kommandanten der Wiener Stadtguardia und späteren Feldmarschall, Ritter des Goldenen Vlieses, Fürsten und (1666-1668) Präsidenten des Hofkriegsrats 155 , und auf den Niederösterreichischen Statthalter und ehemaligen Landmarschall von Österreich unter der Enns Johann Franz Graf Trautson156. Am 4. Mai 1657 ersuchte Fürst Gundaker von Ostra aus seinen Sohn Hartmann, er möge im Zuge seiner bevorstehenden Reise nach Wien „alle daselbtige guete bekhannde [...] von unns begrüeßen", und zwar an erster Stelle Don Hannibal Gonzaga, „welchen wier absonderlich lieben", sowie die Grafen (Johann Franz von) Trautson, (Hans Christoph von) Puchheim, (Ernst von) Traun und (Ernst von) Oettingen und den Hofkammerpräsidenten Georg Ludwig von Sinzendorf. 157 Ende Januar 1645 betonte Gundaker in einem Schreiben an den Kanzler seines Neffen, des Fürsten Karl Eusebius, der Statt-
ADB, Bd. 9, S. 368; Veltzi, Statdtguardia, S. 43-46, 152f. und 160f.; Schwarz, Privy Council, S. 236f.; Hengerer, Der Hof Kaiser Ferdinands III., S. 42f., 46, 58 f., 60, 68, 80, 91, 94 und 150 A. 1008. ,i6 Johann Franz Trautson war 1637-1642 Landmarschall, von 1642 bis zu seinem Tod im Jahre 1663 Statthalter und seit 1648 Geheimer Rat. Siehe Hadriga, Die Trautson, S. 83-91, hier 86; Schwarz, Privy Council, S. 369 f. HALV, Hs. 606, S. 164, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 4. Mai 1657 (Abschrift).
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halter Trautson sei „mein gueter freind". 1 5 8 Im April desselben Jahres empfahl er kurz vor seiner Flucht vor den Schweden in die Untersteiermark seine österreichischen Herrschaften und Untertanen dem „gnedigen schütz" des Grafen Trautson. Gleichzeitig empfahl er übrigens seinen ehemaligen Regenten Johann Fritz fiir die Übernahme in kaiserliche Dienste und ersuchte Trautson, er möge sich Fritz „vor andern inn ihr mayestät diensten, darbey er seinen gebreichigen fleiß und treue nicht spahren würdet, zu gebrauchen unnd darzue zu befördern anbefohlen sein lassen". 1 5 9
6.3. Agenten, Sollizitaroren und Advokaten Anläßlich der Bemühungen Gundakers von Liechtenstein um eine kaiserliche „Gnadenabfertigung" haben wir bereits von seiner 1655 geäußerten Uberzeugung gehört, „daß man bey hoff importun sein und incessanter anhalten m u e ß " 1 6 0 , u m sein Ziel zu erreichen. 1 6 1 Bereits 1646 hatte Gundaker gegenüber demselben Adressaten, seinem Sohn Hartmann, gemeint, es sei ihm einmal von einem Geheimen Rat, „der zimblich vil vermag, berichtet worden, man müsse sich bei disem hoff [also dem Kaiserhof] ichts 1 6 2 daran kehren, wen man einmal abgewiesen wirdt, den man erhalte offt etwas durch importunitet". 1 6 3 Bei Prozessen vor dem Landmarschallischen Gericht in Österreich unter der Enns und in seine niederösterreichischen Herrschaften betreffenden Angelegenheiten bediente sich Gundaker von Liechtenstein offenbar der Hilfe des niederösterreichischen Landschreibers (1638), Regimentsrates (1648) und Regimentskanzlers (1651) Dr. Johann Baptist Suttinger (von Thurnhof), des vielleicht bedeutendsten österreichischen Juristen des 17. Jahrhunderts. 1 6 4 Im Oktober 1645 jedenfalls teilte er seinem Sekretär Wolfgang Hoffmayr mit, der Landschreiber Dr. Suttinger sei „unser gar gueter freindt" und habe „sich alles guets gegen uns" durch den Regenten (Oberhauptmann) Johann Christoph Fritz „anerboten". Hoffmayr und Fritz sollen sich daher bei ihm, „weil er ein vornehmer, erfahrener und verstendiger mann, nicht allein in bey dem landmarschalchischen gericht hangenden, sondern auch in andern unnsern Sachen nach beschafenheit seines berichts und guetachtens gebrauchen". 1 6 5 Als Rechtsbeistände in seinen Prozessen bediente sich Fürst Gundaker natürlich gelehrter Juristen als Anwälte. Meist hatte er sogar mehrere Advokaten - ζ. B. einen für die österreichischen, einen für die mährischen und einen für die Reichssachen. Die Nennung ihrer N a m e n und der H ö h e ihres Salärs würde nur ermüden und sei daher unterlassen. Interessant ist insbesondere der im Jahre 1640 erfolgte Ubergang von einer fixen Jahresbesoldung (etwa 150 Gulden plus ein Faß Wein) zu einer leistungsabhängigen Honorierung: Im Februar dieses Jahres faßte Gundaker den Entschluß, den Advokaten künftig ein niedrigeres Fixum und dafür „daneben, wann sie ein action uns zum pesten erhalten, allezeit ein Verehrung zu geben".166
158 159 M 161 162 163
HALV, Hs. 273, S. 62, G. v. L. „an fürst Carls cantzler", 28. Januar 1645 (Abschrift). Ebd., S. 193 f., G . v. L. an Graf Trautson, 8. April 1645 (Abschrift). HALV, K. 244, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 27. Februar 1655. Siehe Kapitel 4.1. nichts HALV, K. 272, eh. Schreiben G.s v. L. an seinen Sohn Hartmann, Marburg (Maribor), 31. Oktober
1646. Wesener, Einflüsse und Geltung, S. 50 f. HALV, Hs. 273, S. 378, G. v. L. an Hoffmayr, 23. Oktober 1645 (Abschrift). HALV, Hs. 270/11, S. 7 3 - 7 5 , G. v. L. an den Niederösterreichischen Regimentskanzler Dr. Karl von Perger, 24. Februar 1640 (Abschrift). - Ebd., S. 200 f.: Bestallungsdekret G.s v. L. fiir Dr. Johann Konstantin Kirchmayr als Anwalt „in unseren Privatangelegenheiten", Wien, 3. Juni 1640 (Abschrift). Kirchmayr soll eine ordentliche Registratur anlegen und monatlich über den Stand der Prozesse berichten. Für seine M ü h e bekommt er 100 Gulden Jahresgehalt sowie ein Extrahonorar ftir jeden gewonnenen Prozeß. 164
165
Bestechung oder „Laudemium" und „Rekompens"?
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Mindestens ebenso wichtig für den Ausgang eines Prozesses wie die Tätigkeit der Advokaten waren die Aktivitäten der Sollizitaroren und Agenten. (Soweit ich sehe, werden beide Begriffe in den Quellen praktisch synonym verwendet; jedenfalls scheint sich die Tätigkeit eines Sollizitarors nicht von jener eines Agenten unterschieden zu haben.) Im folgenden versuche ich, den Vorgang des Sollizitierens am Beispiel des von Gundaker von Liechtenstein am Reichshofrat geführten Prozesses wegen der „Ostfriesischen Schuld" und seiner Bemühungen um das Herzogtum Teschen zu veranschaulichen. Die von Fürst Gundaker und seinen Advokaten, Agenten und Sollizitaroren im Laufe der Jahrzehnte produzierten Schriftstücke und Akten füllen Dutzende von Kartons, sodaß ich weder an dieser noch an anderer Stelle des Buches erschöpfend auf diese beiden Prozesse eingehen kann. Um ein Beispiel zu geben: Allein vom 14. September 1640 bis zum 1. Januar 1641 sandte Gundaker 16 zum Teil lange Briefe an Johann Franz von Immendorffer, seinen Agenten am Kaiserhof, und dieser selbst expedierte zwischen dem 4. September 1640 und dem 14. Januar 1641 19 Gegenschreiben. 167 Am 24. November 1640 beispielsweise beauftragte Gundaker seinen Agenten, aus der Böhmischen Kanzlei Abschriften etlicher Schriftstücke zu besorgen, und zwar mit Hilfe von Mittelspersonen, „denn wenn man weiß, daß wir sie haben wollen, so werden sie sie schwerlich aus der canzlei geben". Nötigenfalls solle er die Kanzleibeamten bestechen („darvor spendirn"), er, Gundaker, werde ihm die Auslagen erstatten lassen. Der Stallmeister des Grafen Slavata (also des böhmischen Oberstkanzlers), ein gewisser Schanatschky, habe ihm „zugesagt, weil er selbst den zutrit in die behaimische canzlei hatt, er wolle sie uns zu bekommen bemüet sein (welches ihr aber vor andern geheimb halten wolet); dahero, wover er zu Regenspurg ist, so ersucht ihn dessentwegen in unserem nahmen". Wenn Immendorffer die Abschriften bekommen habe, so solle er sie dem Anwalt Dr. Leixlring übermitteln und Gundaker selbst Kopien davon schicken. 168 Am 27. Januar 1646 erging in Linz endlich wieder ein Urteil des Reichshofrats in der „Ostfriesischen Schuldsache", nachdem die früheren, seit 1638 ergangenen Sentenzen von der beklagten Seite nicht erfüllt worden waren. Der von Gundaker von Liechtenstein beklagte Graf Ulrich zu Ostfriesland wurde schuldig gesprochen, dem Kläger sowohl von den im „Berumer Vertrag" des Jahres 1600 in Aussicht gestellten 165.000 Reichstalern als auch von den 1622 im „Wiener Vertrag" vereinbarten 135.000 Reichstalern „a tempore morae" Zinsen zu zahlen. Die von Liechtenstein am 18. November 1637 übergebene Liquidation wurde als richtig akzeptiert. 169
6.4. Bestechung oder „Laudemium" und „Rekompens"? U m Bestechungen und Korruption zu erschweren, war am Reichshofrat den fiir einen bestimmten Prozeß zuständigen Referenten der direkte Kontakt mit den Parteien untersagt. 1 7 0 Die Amtsverschwiegenheit der Reichshofräte hatte unter anderem den Zweck, daß es den Parteien unmöglich oder jedenfalls möglichst schwer gemacht werden sollte, den für ihren Prozeß zuständigen Referenten zu ermitteln und - unter Umgehung des Rechtsweges direkten Kontakt mit ihm aufzunehmen. 1 7 1 Dennoch ließen sich Richter sowohl des Reichs-
" 7 HALW, Κ. Η 589, Fasz. „Ostfriesland. Korrespondenz des Fürsten Gundacker mit dem Agenten Immendörfer. 1640-1642". 168 Ebd., G. v. L. an Immendorffer, 24. November 1640 (großteils eh. Konzept). Ausfertigung des Reichshofratsurteils de dato Linz, 27. Januar 1646, im HALW, Κ. Η 595, Fasz. F. 94; Abschriften u. a. in HALW, Κ. Η 590. Siehe unten Kapitel 17.3.1. 170 v. Gschließer, Reichshofrat, S. 80 und 472; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 333. 171 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 337; ders., Ordnungen, 1. Halbbd., S. 202 ff., 220 f., 225 f. und 256 f.; 2. Halbbd., S. 158 f., 170 f. und 212 ff. Zur Unbestechlichkeit und Verschwiegenheit als zentralen Eigenschaften eines „guten Beamten" im 16. und 17. Jahrhundert vgl. Stolleis, Grundzüge der Beamtenethik, S. 464-466 und 468-470.
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hofrats als auch des Reichskammergerichts immer wieder von Sollizitanten bestechen. 172 Besonders Brandenburg-Preußen ist es im 18. Jahrhundert gelungen, sich die Reichshofräte durch Geld- und Amterverteilungen gefügig zu machen. Es scheint, daß sowohl am Reichshofrat als auch am Reichskammergericht die Sollizitatur - also die Betreibung eines Prozesses durch von den Parteien besoldete Sollizitaroren und Agenten - nicht selten (um nicht zu sagen regelmäßig) von undurchsichtigen Geschäften begleitet wurde. 173 Im September 1640 äußerte sich Fürst Hartmann seinem Vater Gundaker gegenüber, man müsse einem namentlich nicht genannten Vertrauensmann am Kaiserhof, nämlich einem der zwei die Sache Gundakers betreibenden Reichshofräte, „ehist" 100 Reichstaler „(doch occulto) schenken", damit er dem Fürsten Gundaker „in der ostfrisischen Sachen wohl dienen wirdt", und dem anderen, offenbar höherrangigen Reichshofrat (dem Reichshofratspräsidenten von der Reck?) 100 Dukaten, und zwar „mit Verheißung eines mehrern" für den Fall eines günstigen Prozeßausgangs. Das Geld könnte der Agent Immendorffer übergeben, man müßte diesem aber einschärfen, daß er den Beschenkten sage, er solle ihnen das Geld geben, wisse aber nicht warum, „damit sie [sc. die Beschenkten] keinen argwon fassen, als wenn sie apert würden". 174 Im Dezember 1644 ersuchte Fürst Gundaker den Reichshofratspräsidenten von der Reck, der Exekution gegen den Grafen Ulrich von Ostfriesland ihren Lauf zu lassen. Er wolle sich dafiir „gewiß allso dankbar erzeigen, daß der herr dadurch verursachet werden wirdt, mir in andern etwas zu gefallen zu thuen". 175 Am 15. November 1645 beklagte sich Gundaker von Liechtenstein bei dem Geheimen Rat Franz Christoph Khevenhüller unter anderem darüber, daß seine Bitt- und Beschwerdeschriften an den Hof und an die Zentralbehörden des Reichs und der Erbländer „aufgehalten, nicht vorgebracht, verlohren, auch nicht expedirt" würden, „wie dann unter andern auch ein [Hofkammer-]secretari allso mit meinen anbringen umbgangen ist, indeme er sie in 18 monathen nicht vorgebracht, ungeacht ich embsig sollicitiern lassen, ja sie gar verlegt, allso daß ich sie zum andernmal nach den 18 monathen von neuem einbringen miessen und zulezt nach drei monathen den bescheid ertheilt, daß die hoffbuchhalterei mit der von mir verfaßten abreittung 17 *' nicht vortkhommen könne, es seie dann, daß ich meine anforderungen liquidiere, und solches seie (welches aber nicht war ist) lengst meinem sollicitatori angedeutet worden. Und nachdem im Februario dieses jahrs ein abreittung durch eine commission von der hoffcamer aus mit zueziehung eines hofbuchhalterischen gepflogen und gemacht, solche in die hoffcamer gegeben und lengst alda resolvirt worden, so khan ich doch der hoffcamer bescheid von ihme bis dato nicht haben und werde allso 2 1/2 jähr von ihme aufgehalten."
Auf einem eigenhändigen, dem Konzept angeklebten Zettel nennt der wütende Fürst Gundaker den Namen des Hofkammersekretärs, dessen Indolenz oder Unbestechlichkeit ihn offenbar aufs höchste erzürnte: „Dises thut der Wagner" - wohl der kaiserliche Rat und Hofkammersekretär Georg Wagner 177 - „ungeacht ich ihm ein nahmhaftes honorarium, wover er mein anbringen zu schieiniger guter expedition befurdert, zugesagt. Mich bedunkt, er wolle es vorahn 178 haben und hernach dannoch nichts thun. Ich weiß nicht, ob der Wagner
172
V. Gschließer, Reichshofrat, S. 50, 62, 80, 328, 333, 366, 377, 472 und 485. - Zu den Bestechungsaktionen der obderennsischen Stände am Prager Kaiserhof im allgemeinen und beim Reichshofrat im besonderen während des Bauernkriegs im Jahre 1597 („Verehrungen" für Geheime Räte, Reichshofräte und andere mit dem Bauernkrieg befaßte Beamte) siehe Sturmberger, Tschernembl, S. 68-79. 173 Sellen, Prozeßgrundsätze, S. 338f. Vgl. ders., Ordnungen, 1. Halbbd., S. 167ff., 220f. und 256f.; 2. Halbbd., S. 85 ff. 174 HALV, K. 251, Fasz. Korrespondenz des Fürsten Gundaker mit Fürst Hartmann und Agent Stuber [...] 1640, H. v. L. an seinen Vater Gundaker, Regensburg, 4. September 1640. 175 HALV, Hs. 272, S. 833, G. v. L. an den Reichshofratspräsidenten, 18. Dezember 1644 (Abschrift). 176 Abrechnung 177 Georg(ius) Wagner wird im Hofstaatsverzeichnis des Jahres 1636 (Druck: 1637) als „consiliarius caesareus et camerae aulicae secretarius" gefuhrt. Fellner/Kretschmayr, Ö Z V 1 / 2 , S. 226. 17! im voraus
Bestechung oder „ L a u d e m i u m " und „Rekompens"?
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schieiniger vortgienge, wenn i(hr) m(ayestät) ihn mit derjenigen materi, daraus man die wagenschmier siedet, schmieren ließe." 1 7 9 Anfang Februar 1646 teilte Sollizitaror Stainmüller dem Fürsten Gundaker mit, der Reichshofrat von Haubitz („Haugwitz") und der Reichshofratssekretär Paul T(h)oma(s) hätten ihm mitgeteilt, die ostfriesische Sache sei vor wenigen Tagen endlich im Reichshofrat erörtert, entschieden und expediert worden. Haubitz habe sich erbötig gemacht, alles, was Fürst Gundaker in der genannten Sache noch befehlen werde, auszuführen. Gleichzeitig habe er beweglich darüber geklagt, wie schlecht es derzeit um die Reichshofräte bestellt sei, „müeßten ihrer besoldung entrathen". „Bey deme verblib es nit, sondern wurde mir genuegsamb zu verstehen gegeben, ich wolte euer furstl. gnaden solches gehors(amst) remonstriren und überschreiben; worauf nun solches angesehen seie, geruhen dieselben gnädigst zu erwegen." 1 8 0 Fürst Gundaker verstand den Wink mit dem Zaunpfahl: Anfang Mai 1646 teilte er Wolfgang Hoffmayr, dem Sekretär seines Sohnes Hartmann, mit, daß er beabsichtige, denjenigen Reichshofräten, „die da bey sprechung des sentenz wegen unserer ostfrisischen sache gesessen", als „laudemium" 1 8 1 400 Gulden und dem Sollizitaror Stainmüller als Honorar 24 Gulden geben zu lassen. Gundakers Regent übergab Hoffmayr das Geld, der es im Juli und August an die Empfänger verteilte. Tobias von Haubitz, der sich, da er in Abwesenheit des Präsidenten das Direktorium im Reichshofrat führte, offenbar als Vizepräsident des Reichshofrats gerierte 182 , erhielt 100 Gulden, die Reichshofräte Justus Gebhardt, Dr. Georg Ludwig Lindenspir (Lindenspühr) 1 8 3 , Johann Söldner, Johann Walderode 184 und Dr. Johann Krydelle 185 sowie der Sekretär Paul Toman (Thomas) je 50 Gulden. Herrn von Haubitz versprach Gundaker überdies, ihm nach dem Ende des Krieges ein Faß guten Weines zukommen zu lassen. Lindenspir, Krydelle und Walderode quittierten eigenhändig den Empfang des „Laudemiums", für den Freiherrn von Haubitz quittierte ein Sekretär (?), die drei anderen weigerten sich offenbar, eine Quittung über den Erhalt des Geldes auszustellen (Abb. 25). 1 8 6 Das Urteil des Reichshofrats war zwar ganz im Sinne Gundakers. D a sich die beklagte und verurteilte Seite nicht daran hielt, zog sich der Prozeß aber weiter in die Länge. Aus einer mir nicht bekannten Quelle entnahm Fürst Gundaker die Vermutung, daß als Referent in der ostfriesischen Sache der Reichshofrat Dr. Johann Kal(d)tschmi(e)d 1 8 7 eingesetzt worden sei, woraufhin er sich im Januar 1653 zweimal brieflich an diesen wandte. Kaltschmid antwortete, daß es ihm als Rat „gar nit gebühren will, ainigen referenten zu eröffnen", er sei aber der Mei-
179 HALV, K. 246, Fasz. „Geheimer Rat, 1620 ff.", Beilage Α zu dem Konzept eines Schreibens G.s v. L. an Franz Christoph Khevenhüller (Marburg, 15. November 1645). Am selben Tag schrieb Fürst Gundaker auch an seinen Sollizitaror am Kaiserhof, Christoph Stainmüller, und trug ihm auf, nötigenfalls den Grafen Khevenhüller zu bitten, „daß er dahin verhelfen wolle, daß i(hr) m(ayestät) allergnädigst bevehlen, daß ohne verreren aufschub die [ostfriesische] sach expediert werde". HALW, Κ. Η 590, Fasz. „Ostfriesland. Korrespondenz mit dem Sollicitator Christoph Stainmüller. 1645-1646", G . v. L. an Stainmüller, Marburg, 15. November 1645 (Konzept; die zitierte Passage eh.). HALW, Κ. Η 590, a. a. Ο., Stainmüller an G. v. L „ Linz, 6. Februar 1646. 181 Das mittellateinische Wort laudemium heißt in diesem Zusammenhang offenbar soviel wie „Handlohn" oder „Ehrengabe". Vgl. H R G , Bd. 2, Sp. 1643-1647. 182 Nach v. Gschließer, Reichshofrat, S. 218, bewarb sich von Haubitz 1645 um die damals unbesetzte Vizepräsidentenstelle, der Kaiser entschied jedoch, die Stelle bis auf weiteres nicht wieder zu besetzen. Erst mit kaiserlichem Dekret vom 27. März 1648 erhielt von Haubitz die Stelle. 183 Ebd., S. 246 f. u. ö. 184 Ebd., S. 240f. u. ö. 185 Ebd., S. 254 f. 186 HALW, Κ. Η 590, Fasz. „Ostfriesland. Korrespondenz mit dem Sekretär des Fürsten Hartmann, Wolfgang Hoffmayr. 1645-1655", G. v. L. an Hoffmayr, Marburg, 4. Mai 1646 (Konzept); Hoffmayr an G. v. L., Wien, 15. Dezember 1646; Quittungen (Conradt Mießig für Herrn Haubitz: Wien, 14. Juli 1646; Lindenspir: Linz, 17. Juli 1646; Krydelle und Walderode: Wien, 25. August 1646). " 7 v. Gschließer, Reichshofrat, S. 240 f.
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Freundschaft, Patronage u n d Sollizitierung
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/er - t^fyif· Abb. 25: Quittungen der Reichshofräte Dr. Johann Krydelle und Johann Walderode über den Empfang eines „Laudemiums" von je 50 Gulden rheinisch vom Fürsten Gundaker von Liechtenstein. Wien, 25. August 1646.
nung, „wan die publica sich nit allzusehr uberheuffen, die Sachen khönnen baldt referirt werdten". 188 Gleichzeitig forderte Fürst Gundaker seinen Sohn Hartmann auf, sich persönlich zum Reichstag nach Regensburg zu begeben, um die Angelegenheit an Ort und Stelle zu betreiben. Er erklärte sich bereit, für die Kosten der Reise aufzukommen und zu diesem Zweck sein Silber und seine Kleinodien, eventuell auch ein zur Herrschaft Ebergassing gehörendes Dorf zu versetzen. Allein an Verehrungen fur den Reichshofratspräsidenten und den in der Sache referierenden Reichshofrat sowie um „die meiste herrn reichshoffräth zu stipendiern" seien mindestens 2.000 Reichstaler nötig. 189 Anfang Februar 1653 erteilte Gundaker seinem "" HALW, Κ. Η 590, Fasz. „Ostfriesland. Korrespondenz mit dem Sollicitator Georg Schmidt. 1653 bis 1654", G. v. L. an den Reichshofrat Kaltschmid, Ostra, 10. und 28. Januar 1653 (Konzepte); Kaltschmid an G. v. L., Regensburg, 30. Januar und 17. Februar 1653. "" HALW, Κ. Η 589, Fasz. „Ostfriesland. Korrespondenz mit dem Fürsten Hartmann", eh. Randglossen G.s v. L. auf einem Brief seines Sohnes Hartmann an ihn, Wilfersdorf, 28. Januar 1653.
Bescheidene Formen aktiver Patronage (Empfehlungsschreiben)
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neuen Sollizitaror am Kaiserhof, Georg Schmidt, den Auftrag, sich insgeheim zu bemühen, den Namen des Referenten ausfindig zu machen und ihm mitzuteilen, damit er „a parte" bei diesem intervenieren könne. 1 9 0 Schmidt antwortete im März aus Regensburg, es sei ihm trotz „reichung einer recompens" noch nicht gelungen, den Namen des Referenten zu eruieren, da es strengstens verboten sei, „in dergleichen fällen das geringste nit zu entdeckhen". 191 Gundaker wandte sich neuerlich an den Reichshofrat Dr. Kaltschmid und eröffnete ihm, er sei „vor gewiß berichtet", daß ihm die Revisionsschrift des Grafen von Ostfriesland und deren Zurückweisung durch ihn, Gundaker, „ad referendum" zugestellt worden sei. Er ersuchte ihn, „mich unbeschwert in verthrauen zu berichten", wann er mit dem Referat fertig sein werde, damit er zum richtigen Zeitpunkt beim Reichshofratspräsidenten (Ernst Graf von Oeningen) - „doch ohne ainzige benamung des herms" - sollizitieren lassen könne. Dafür stellte Fürst Gundaker dem Hofrat eine „wirkhliche danckhbarkeit" in Aussicht. 1 9 2 Im April teilte der Sollizitaror Schmidt mit, aus den Worten, die er dem Reichshofrat Kaltschmid entlockt habe, mutmaße er, „daß er principalreferend(arius) in der ostfrisischen sach sein muß". Derzeit habe anscheinend der Koreferent die Akten in Händen. „Were es nun sein mechte, wil ich gegen einer Verehrung sehen, daß solcher zu erfahren und alsdan gehorsamst mit eheistem namhaft möge gemacht werden." 1 9 3 Im September schrieb Gundaker seinem Sohn Hartmann, es sei ihm eingefallen, daß durch den kaiserlichen Beichtvater P. Johann Gans SJ „viele partheyensachen vorgebracht und zur schleunigen expedition offtmahls befurdert werden". Er halte es daher fur ersprießlich, P. Gans durch Hartmanns Sekretär Hoffmayr eine Kopie der in Regensburg übergebenen Schrift auszuhändigen. 194 - Und so weiter ad (paene) infinitum! 195 Gundaker von Liechtenstein bediente sich also zum Teil etwas zweifelhafter, aber zweifellos allgemein üblicher Methoden, um zu seinem Recht zu kommen. Er hatte bei seinen wie es scheint eher harmlosen Bestechungs- und Beeinflussungsversuchen sicher kein Unrechtsbewußtsein, sondern er war der Uberzeugung, nur auf diese Weise die Tätigkeit der Reichshofräte und anderer Beamter und Würdenträger etwas beschleunigen zu können. Daß in allen Konflikten, die er im Laufe seines langen Lebens austrug, das Recht stets auf seiner Seite war, davon war er fest überzeugt.
6.5. Bescheidene Formen aktiver Patronage (Empfehlungsschreiben) Jedenfalls seitdem Gundaker von Liechtenstein nach der Erhebung in den Fürstenstand (September 1623) nur mehr selten an den Sitzungen des Geheimen Rates teilnahm 1 9 6 , ist er nur in bescheidenen Formen selbst als Patron tätig geworden. Diese Tätigkeit schlug sich in Empfehlungsschreiben 197 nieder, von denen mir nicht viel mehr als ein gutes Dutzend be-
Ebd., G. v. L. an Schmidt, Wiersdorf, 3. Februar 1653 (Konzept). Ebd., Schmidt an G. v. L „ Regensburg, 24. März 1653. 1,2 Ebd., G. v. L. an Kaltschmid, Wiersdorf, 13. März 1653 (Konzept). - Am 2. April 1653 schrieb Gundaker aus Ostra an seinen Sohn Hartmann und meinte unter anderem: „Den referenten in ostfrisischer Sachen belangend, vermeinen wir noch, es seye der Kaldschmid, dann man selbe nicht leicht pflecht zu verwechseln." HALV, Hs. 279, S. 297 (Abschrift). HALW, Κ. Η 589, a. a. Ο., Schmidt an G. v. L „ Regensburg, 28. April 1653. " 4 Ebd., G. v. L. an H. v. L., 8. September 1653 (Konzept). - Fürst Gundaker hatte sich übrigens am 3. Oktober 1640 brieflich an Pater Gans gewandt und ihn gebeten, er möge sich beim Kaiser fur sein Gesuch, den Fürsten Ferdinand Johann mit dem Herzogtum Teschen zu belehnen, verwenden. Abschrift des eh. Briefs im HALV, K. 251. " 5 Vgl. Kapitel 17.3.1. Vgl. Kapitel 4.6, 4.8 und 7.1.1. " 7 Zu den Empfehlungsschreiben als zentraler Quelle fiir die Rekonstruktion von Patronage- und Klientelsystemen siehe zuletzt Reinhard, Amici e creature, bes. S. 319-325. Reinhard betont die Ubiquität von persönlichen Empfehlungen in einer Zeit, in der „rational standardisierte und konsequent formalisierte Rekrutierungsverfahren noch nicht flächendeckend verbreitet sind" und in der die Verwaltungssysteme und die an 190
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Freundschaft, Patronage und Sollizitierung
kanntgeworden sind. Ohne Zweifel hat sich eine größere Zahl nicht erhalten oder ist mir bei meinen Archivstudien entgangen. Das erste derartige Schreiben richtete Gundaker noch vor der Erhebung in den Fürstenstand am 2 0 . Februar 1 6 2 2 an seinen Schwager, den Grafen Johann III. von Ostfriesland. Er teilte ihm mit, daß der Kaiser seinen verwaisten Schwager, den Herzog Friedrich Wilhelm von Teschen, den letzten seines Hauses, nach Brüssel an Erzherzog Albrecht und die Infantin Isabella Clara Eugenia sowie, „weil er lust zum kriegswesen hat", an den Marchese Spinola „commendirt" habe, „vomemblich zu dem ende, damit er unter der protection unnd Vorschub zuvorderist ihrer fiirstl. durchlaucht, dann auch des signor marchese in den scientien, exercitien unnd sprachen bey so vornemben cavaglieri unterschiedtlicher nationen, wie bey jenigen hoff mehrers als bey den andern zu finden, einen solchen habito fasse, wie seinem standt woll anstehet, welches, da es beschicht, ihr mayestät zu sonderm nuz geraichen khann, weil er neben ihr durchlaucht dem bischoff vonn Preslau [Erzherzog Karl] und neben meinem herrn bruedern der ainzige catholische fürst inn Schlesien ist". Aus diesen und anderen Gründen empfahl Gundaker seinerseits seinen jungen Schwager dem Grafen von Ostfriesland, „sambt meiner herzliebsten gemahlin bittent, sy wollen ihm zu obgemeltem allem anlaitung und Vorschub geben, damit er inn occupation dessen vor böser gesellschafft abgehalten werde [...]. Inn diesem erlangen sie bey Gott, ihr mayestät und dem herzog ein merito, unnd ich verdiene es als ein mir selbst erzaigte wolthat etc." 198 A m 28. Mai 1 6 2 4 bestellte Fürst Karl von Liechtenstein Joseph Gandelmo (Gandelmus) zum Hofmeister seines dreizehnjährigen Sohnes Karl Eusebius und seines elfjährigen Neffen Hartmann. Im Bestallungsbrief sicherte er ihm 1 . 0 0 0 Gulden Jahresbesoldung, freie Tafel und zwei Diener zu. Unter Fürst Karl Eusebius brachte es Gandelmo später bis zum Hofmarschall. 1 9 9 Es scheint, daß Gandelmo von Fürst Gundaker, dem Vater Hartmanns, ausgewählt und seinem Bruder Karl empfohlen worden war. Gundaker gab dem nach Prag aufbrechenden Hofmeister jedenfalls am 22. Mai ein eigenhändiges Empfehlungsschreiben mit, das es verdient, in extenso zitiert zu werden: „Weil der Gantelmo nunmehr den dienst anzudreten nach Prag ziehet, also hab ich ihn hiemit recommendiern wollen, mitt bitt, ihn versprochnermaßen zu unterhalten und in allen vorfallenden gelegenheiten sein pestes zu befördern, denn ich verhoffe, er werde es gar wol verdienen können und wollen, weil er eines guten natural, ingenii und Verstands, wol gestudiert, unterschidlicher sachen, so ein cavagliero wissen soll, erfahren, vil land gesehen, unser haus affectionniert, die kinder sehr liebt und von ihnen geliebt wirdt, und, wie sie erzogen sollen werden, von e(uer) l(iebden) und mir berichtet, welches alles zu seinem antreteten dienst gute requisita sein und villeicht nicht bald in einem subiecto beisamen zu finden. Bei dem allen aber ist er als ein mensch unvolkommen, derowegen ihn dann euer liebden ihrem guten verstand nach werden wissen zu supportiem, zu informiern und zu lieben."^®" Rund eineinhalb Jahrzehnte später empfahl Fürst Karl Eusebius, der inzwischen die Nachfolge seines Vaters Karl als Chef und Regierer des Hauses Liechtenstein angetreten hatte, seinerseits seinem Onkel Gundaker, der die Absicht hatte, seinen jüngeren Sohn Ferdi-
Umfang zunehmenden Verwaltungsapparate „stärker auf persönlicher Dienertreue als auf abstrakter Diensttreue" beruhten. Er unterscheidet am Beispiel der Empfehlungsschreiben in der Korrespondenz des Kardinalnepoten während des Pontifikats Pauls V. Borghese 1605 bis 1621 zwischen „Allerweltsempfehlungen" und „ernstgemeinten Empfehlungen"; letztere „mußten stärker spezifiziert und ausdrücklich als solche gekennzeichnet sein". Reinhard mahnt deshalb zu kritischer Vorsicht vor Überinterpretationen und zur Skepsis, was den „Wirkunsgrad von Empfehlungen" anbetrifft. 1,8 HALV, K. 251, G. v. L. an Graf Johann zu Ostfriesland, o. O., 20. Februar 1622 (Abschrift oder Reinkonzept). Haupt, Fürst Karl, Textbd., S. 36 f. (Hartmann figuriert hier irrtümlich ebenfalls als Sohn des Fürsten Karl); ders., Leidenschaft, Quellenbd., S. 183 A. 440 und Register S. 551. 200 HALV, K. 270, G. v. L. an seinen Bruder Karl, W e r s d o r f , 22. Mai 1624. (Joseph von Gandelmo starb im Dezember 1652 als Hofmarschall des Fürsten Karl Eusebius in Feldsberg; Kippes, Feldsberg, S. 34.)
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nand Johann „in frembde landen zu verschicken", den Sohn seines Regenten Johann Wenzel Sedlnitzky von Choltitz, der bei ihm seit zwei Jahren als Edelknabe aufwarte. Gundaker möge ihm „vergönnen", seinem Sohn auf der Kavalierstour „zue dienen". 2 0 1 Im Jahre 1626 wandte sich Fürst Gundaker zweimal mit schriftlichen Interventionen an den böhmischen Oberstkanzler Zdenko Adalbert Popel von Lobkowitz. Im Februar ersuchte er ihn, dem berühmten Uhrmacher Jost Burgi, der damals möglicherweise gerade an der heute zu den Prunkstücken der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums gehörenden „Bergkristalluhr" für den Fürsten Karl von Liechtenstein arbeitete 2 0 2 , dabei behilflich zu sein, in den Besitz eines ihm vom Kaiser bewilligten Privilegiums „über ein mathematisches instrument" zu gelangen. „Er wierdt", schließt Gundaker, „sich gegen eur liebden seinem erbieten nach schon mit etwas vonn seiner kunst und handtarbeit, als uns nit zweifeln will, einstellen, und wir wollen es benebens umb eur liebden fr(eundlich) beschulden." 2 0 3 Ein halbes Jahr später ersuchte Gundaker den Fürsten Lobkowitz, er möge durch seine mündliche oder schriftliche „intercession" beim Kaiser Paul Mihaly (Mihäl, Michel, Michael), dem ehemaligen Pfleger der Herrschaft Wilfersdorf, zu der von ihm erbetenen Nobilitierung verhelfen. Er, Gundaker, habe für Mihaly bereits beim Kaiser „beweglich intercedirt". Er sei in Ungarn schon nobilitiert und verdiene die Erfüllung seines Wunsches „seines wolverhalltens" wegen. Das Empfehlungsschreiben schließt wieder mit einer für Patronageaktivitäten zwischen Gleichrangigen typischen Formel: „Solches wierdt umb eur liebden er gehorsamblich verdienen, und [wir] wollen es in dergleichen unnd andern fällen hinwiderumb fr(eundlich) beschulden." 2 0 4 Gundakers Patronage war erfolgreich: Anfang Oktober 1626 wurde Paul Mihaly der erbländische Adel verliehen (bzw. bestätigt). 2 0 5 Im Oktober 1 6 3 7 bemühte sich Johann Baptist Reuch(e)l von Schwarzenthai, Rat Gundakers von Liechtenstein, um die Aufrechterhaltung der ihm vom verstorbenen Kaiser Ferdinand II. wegen seiner dem Haus Österreich geleisteten Dienste gewährten Einquartierungsfreiheit seines Hauses in Wien. Auf Reuchls Bitte hin wandte sich Fürst Gundaker an den kaiserlichen Obersthofmeister und Direktor des Geheimen Rats Maximilian von Trauttmansdorff und ersuchte ihn darum, das dem Kaiser übergebene Memorial Reuchls, wenn es im Geheimen Rat zu Sprache kommt, zu befürworten. Gundaker hob hervor, daß Reuchl „uns und unnserm haus langwierige getreue dienst" geleistet habe. 2 0 6 Im April 1638 schrieb Fürst Gundaker neuerlich an Trauttmansdorflf und teilte ihm mit, sein Schwiegersohn Nikolaus Graf Fugger und seine Tochter Juliana seien im Begriff nach Wien zu reisen, um eine Schuldforderung zu sollizitieren. Sie seien „der meinung, durch hilff und favor meines herrn [d. h. Trauttmansdorffs] dieselbe zu erlangen" und hätten „derowegen mich umb commendation an denselben gebeten, die ich hiemit auf das eiferigste thue, wiewol übervlissig, dieweil ich weiß, daß mein herr ohnedas geneigt, der billigkeit nach jedermennigklich (insonderheit aber denenjenigen, die mit dem ihrigen ifhrer] mjayestät] treulich gedient und das sovil mehr, wann sie bedrangt sein) zu verhelffen". 2 0 7 Im Februar 1640, nachdem er gehört hatte, daß bei der Abtei Lambach in Oberösterreich ein neuer Prälat gewählt werden solle und der Kaiser das Ernennungsrecht besitze, empfahl Fürst Gundaker für diesen Posten auf dessen Bitte hin Achatius Schratt, den Bruder des
HALV, Hs. 270/1, S. 7 f., Κ. E. v. L. an G. v. L„ 14. Dezember 1639 (Abschrift). Haupt, Fürst Karl, Textbd., S. 67, 74, 104 A. 72 und 104 A. 9, und Quellenbd., S. 290, Nr. 753. 203 SOA Litomerice, Zweigstelle Zitenice, LR, RA, Β 54, fol. 15 f., G. v. L. an Zdenko Adaiben Popel von Lobkowitz, Teschen, 7. Februar 1626. 204 Ebd., fol. 17 f., ders. an dens., Prag, 8. August 1626. 205 Frank, Standeserhebungen, Bd. 3, S. 240. 206 AVA Wien, FA Trauttmansdorff, K. 138, Fasz. Ff. 3, Nr. 13, fol. 20, G. v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Wien, 31. Oktober 1637. 207 Ebd., K. 157, fol. 209, eh. Schreiben desselben an dens., Wilfersdorf, 20. April 1638. 201
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ehemaligen Präzeptors seines Sohnes Ferdinand Johann, Johann Ludwig Schratt. 208 Achatius Schratt sei seit 24 Jahren Mitglied des Benediktinerordens, seit 17 Jahren Doktor der Theologie, seit 20 Jahren Stadtpfarrer von Steyr und seit sieben Jahren Prior des Klosters Garsten und habe „sich auch in dem reformationswesen [also in der katholischen Religionsreformation 209 ] euferig und rhiimblich gebrauchen lassen". 210 Gleichzeitig ersuchte Gundaker den Grafen Trauttmansdorff, er möge mithelfen, „daß unser geh(orsami)ste intercession bey i(hrer) k(ayserl.) m(ayestät) gueten effect erlange". 211 Gewählt und vom Kaiser bestätigt wurde jedoch nicht Achaz Schratt 212 , sondern Placidus Hieber, während dessen langer Regierungszeit (von 1640 bis zu seiner Ermordung [!] im Jahre 1678) Stift Lambach seine heutige Gestalt erhielt und unter dem die frühbarocke Kirche mit den Altarbildern von Joachim von Sandrart entstand. 213 Achaz Schratt (oder Schrott) blieb bis 1653 Pfarrer von Steyr - auch bei der Abtwahl in Garsten im Jahre 1642 kam er nicht zum Zug. 214 Das letzte mir bekannte Empfehlungsschreiben richtete der alte Fürst Gundaker im März 1651 an seinen eigenen Sohn Ferdinand Johann. Auf dessen Ersuchen empfahl er ihm den Tischler Theophilus Gränitzer, den er vorher selbst bei der Ausstattung des Kromauer Klosters verwendet hatte. Ferdinand Johann antwortete umgehend, er wolle „Theophilum Gränitzer [...] euer furstl. gnaden recommendation genießen lassen". 215 Da Gundaker von Liechtenstein seit dem Rücktritt als Obersthofmeister 1625 selbst Patrone am Kaiserhof benötigte, war er wenig geeignet, für andere als solcher zu dienen. Immerhin unterhielt er selbst einen meist eher bescheidenen Hofstaat, war Dienstgeber einer Reihe von Kanzlei- und Herrschaftsbeamten, beschäftigte Künstler und Handwerker und war der Vater männlicher und weiblicher Heiratskandidaten für Hochadelige aus den Erbländern und aus dem Reich.
6.6. „Schutz und Schirm" der Untertanen Eine nicht zu übersehende und nur auf den ersten Blick nicht hierher gehörige Facette der von Gundaker von Liechtenstein ausgeübten Patronage ist die Gewährung von „Schutz und Schirm" in seiner Funktion als Grundherr, bei der er sich stets seiner Position, seines Einflusses und seiner Verbindungen bediente. 216 Gundaker war sich der Schutzverpflichtung gegenüber seinen Untertanen Zeit seines Lebens bewußt. Dabei erstreckte er seine Sorge um das Wohl der Untertanen ganz selbstverständlich auch auf ihr Seelenheil. Im Januar des Jahres 1603, wenige Monate nach seiner eigenen Konversion, erschien Gundaker von Liechtenstein in Begleitung mehrerer geistlicher Herren in seinem Schloß Wolfersdorf, um die „Religionsreformation" durchzufuhren, nachdem er am Sonntag zuvor in der Predigt hatte 208 Diese Information entnehme ich einem Schreiben G.s v. L. an Johann Ludwig Schratt vom 7. September 1638; Abschrift in: HALV, Hs. 672, S. 329 f. 209 Siehe ζ. B. Piringer, Ferdinands III. katholische Restauration. 2,0 HALV, Hs. 270/11, S. 71 f., G. v. L. an Kaiser Ferdinand III., Ebergassing, 24. Februar 1640 (Abschrift). 211 Ebd., S. 71, G. v. L. an Graf Trauttmansdorff, Ebergassing, 24. Februar 1640 (Abschrift). 212 Der aus Linz stammende Achaz Schratt trat 1615 in das Kloster Garsten ein, wo er bereits im folgenden Jahr die Profeß ablegte, und studierte in Wien Theologie. 1618 feierte er seine Primiz. Nach dem Abschluß seiner theologischen Studien wurde er im Herbst 1620 vom Prior von Garsten als Pfarrer in Steyr eingesetzt, wo er nicht unmaßgeblichen Anteil an der Durchführung der Gegenreformation hatte. Schiffmann (Hg.), Die Annalen des Wolfgang Lindner, S. 283, 302, 323, 382, 402 f. u. ö. Nicht einmal erwähnt wird Schratt in Pritz, Garsten und Gleink, und in Friess, Garsten. 213 Vgl. ζ. B. Eilenstein, Lambach; Schober-Awecker, Plazidus Hieber. 214 Pritz, Steyr, S. 389 und 438; Friess, Garsten, S. 6-20. 215 HALV, Hs. 277, S. 70 und 85, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Ebergassing, 18. März 1651, und dessen Antwortschreiben vom 22. März (Abschriften). 216 Vgl. O. Brunner, Land und Herrschaft, S. 263-268; ders., Adeliges Landleben, S. 286.
.Schutz und Schirm" der Untertanen
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verkünden lassen, „wessen die obrikheit mit ihnen, undterthannen, gesinnet". Der größte Teil der ins Schloß bestellten Untertanen aus den Dörfern und Märkten der Herrschaft Wolfersdorf beugte sich - nach theologischen Disputen - den scharfen Ermahnungen („starkh admonition", „vätterliche vermahnung") und gelobte Gehorsam. Daraufhin erhielten sie den Segen der anwesenden Geistlichen, und ihr Grundherr versprach ihnen ausdrücklich Gnade und Schutz („gratia et protectio"). 2 1 7 In erster Linie sind hier Gundakers wiederholte Versuche zu erwähnen, seine Untertanen in Österreich und Mähren vor (übermäßigen) Militäreinquartierungen und Kontributionsforderungen sowie vor Marodeuren in Schutz zu nehmen. In der Militärkanzlei des kaiserlichen Oberkommandierenden Karl Bonaventura von Longueval, Grafen von Buquoy haben sich Teile eines in dieser Hinsicht exemplarischen Briefwechsels aus dem Sommer 1620 erhalten. Am 23. Juli dieses Jahres wandten sich Richter, Rat und Gemeinde von Mistelbach an ihren am H o f in Wien weilenden Grundherrn und ersuchten ihn flehentlich um Hilfe gegen die erpresserischen Kontributionsforderungen der in Laa an der Thaya stationierten kaiserlichen Soldaten (des Obersten und späteren Feldmarschalls Rambaldo Grafen von Collalto) sowie gegen streifende und brandschatzende Ungarn im Sold der mährischen Stände (gegen die die Kaiserlichen offenbar keinerlei Schutz boten). 2 1 8 Gundaker von Liechtenstein wandte sich daraufhin umgehend an den Kaiser und ersuchte ihn untertänigst, er möge verfugen, daß die wöchentliche Kontribution der Mistelbacher nach Laa gänzlich eingestellt und aufgehoben werde. 2 1 9 Wenige Tage später ließ Ferdinand II. ein Schreiben an Feldmarschall Buquoy ergehen, in dem er ihm - „in obachtnembung sein von Liechtenstains treue dienstlaistung und dessen underthonen beclagende unmügligkhait" - „genedigist" anzuordnen befahl, daß die Garnison von Laa künftig die Mistelbacher mit Kontributionforderungen verschone. 2 2 0 Nachdem sich Gundaker von Liechtenstein bei Ferdinand II. über die großen Belastungen der von ihm soeben erworbenen Herrschaft Mährisch Kromau durch die Reiterei (zwei Kompanien) des kaiserlichen Obersten Hans Christoph Löbl von Greinburg beschwert hatte, befahl der Kaiser am 2. Dezember 1622 von Regensburg aus dem Kardinal Dietrichstein, daß nur eine Kompanie auf der Herrschaft bleiben und der Rest anderswohin kommandiert werden solle. 221 Am 2. Januar 1623 entschuldigte sich der Kardinal bei Gundaker von Liechtenstein auf dessen am Vortag in Kromau verfaßtes Schreiben hin, es stehe nicht in seiner Macht, den Obersten und den Stab anderswo einzuquartieren, sondern dafür sei der Generalfeldoberstleutnant Geronimo Carafa, Marchese di Montene(g)ro zuständig. 2 2 2 Ende Januar 1623 befahl Ferdinand II. nach wiederholter Intervention Gundakers dem Kardinal neuerlich, die auf den Gütern Gundakers einquartierten Soldaten unverzüglich zu verlegen, jedenfalls aber höchstens eine Kompanie zu belassen. 223 2,7 DAW, Reformation, Nr. 261: Undatiertes und nicht unterschriebenes Visitationsprotokoll (Wilfersdorf, Montag, 20., bis Freitag, 24. Januar; das Jahr 1603 konnte mit Hilfe von Grotefends Taschenbuch der Zeitrechnung ermittelt werden). Vgl. Wiedemann, Reformation und Gegenreformation, Bd. 3, S. 314-317 (ohne Jahresangabe); Winkelbauer, Sozialdisziplinierung, S. 329-335. 21! SOA Tiebon, RA Buquoyü, Militärkanzlei Karl Bonaventura von Buquoy, Nr. 295, Schreiben von Richter, Rat und Gemeinde von Mistelbach an G. v. L., Mistelbach, 24. Juli („in vigilia s. Jacobi apostoli") 1620. 2 " Ebd., G. v. L. an Ferdinand II., praes. 27. Juli 1620. 220 Ebd., Ferdinand II. an Buquoy, Wien, 1. August 1620. - In der Militärkanzlei Buquoy befinden sich zahllose Berichte aus den Jahren 1619 und 1620 von Plünderungen und Kontributionserpressungen (Brandschatzungen) von Dörfern, Märkten, Städten und Schlössern durch kaiserliche Soldaten unter Mißachtung der Salva Guardia. 221 Documenta Bohemica, Bd. 3, S. 150, Nr. 460. 222 MZA Brno, G 140, K. 140, Fasz.417, fol. 176, Kardinal Dietrichstein an G. v. L „ Nikolsburg, 2. Januar 1623 (Konzept). 223 Ebd., fol. 134 f., Ferdinand II. an Kardinal Dietrichstein, Regensburg, 31. Januar 1623.
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Freundschaft, Patronage u n d Sollizitierung
Die manchmal mit heftigen Invektiven gegen die seiner Ansicht nach fur ungerechte Bedrückungen seiner Untertanen Verantwortlichen wie Kardinal Dietrichstein als Gubernator der Markgrafschaft Mähren, Graf Johann von Rottal als Landeshauptmann von Mähren oder bestimmte Kreishauptleute einhergehenden Bemühungen Gundakers von Liechtenstein um Befreiung seiner Herrschaften und Untertanen von Militäreinquartierungen oder wenigstens deren Verminderung sowie zur Hintanhaltung der militärischen Exekution von Steuerschulden seiner Untertanen wiederholten sich bis kurz vor seinem Tod noch oft. Hier müssen zwei weitere Beispiele genügen. Um seinen Beschwerden an den Kaiser größeren Nachdruck zu verleihen, bediente sich Fürst Gundaker der Vermittlung der bereits weiter oben in diesem Kapitel genannten Vertrauensleute am Hof. So übermittelte er beispielsweise am 13. Mai 1648 eine Abschrift seiner am 11. Mai bei Ferdinand III. eingebrachten Bitt- und Beschwerdeschrift wegen „unbillicher" Militäreinquartierungen auf der Herrschaft Ungarisch Ostra an den Obersthofmeister Maximilian von Trauttmansdorff. Im Begleitbrief heißt es: „Hiebey was ich nothtrungentlich an ihr mayestät gelangen lassen mueß von wegen der continuierenden und zuwider ihr kayserlichen mayestät begnadung und befelch von dem grafen von Rotal mir und meinen underthanen beschehenen bedrangnus, darbey ich euer liebden dienstlich bitte, sie wollen verhelfen, daß ich und die meinigen wider diese unbilligkheit geschuzet werden, damit ich nicht ursach habe, solches gegen seiner persohn selbst zu resentiern, denn ich und die meinigen nicht bedacht sein, diejenigen bedrangnussen, die er [Landeshauptmann Graf Rottal] uns zuwider ihr mayestät befelch anthuet, von ihme zu leiden [,..]." 2 2 ^
Da das Steuerwesen, soweit es das Contributionaleund nicht das Cameralebtttzi, bekanntlich in den Händen der Stände der einzelnen Länder lag225, mußte Gundaker von Liechtenstein seine Untertanen gegen zu hohe Besteuerung auch auf den Landtagen und gegenüber den obersten Landesbeamten verteidigen. Dabei versteht es sich von selbst, daß er in dieser Sache auch im eigenen Interesse tätig wurde: Von Kontributionen und Militäreinquartierungen ausgesogene Untertanen konnten ihrem Grundherrn die von diesem geforderten Abgaben und Arbeitsleistungen nicht in der gewünschten Höhe erbringen - was echtes Mitleid und Verantwortungsbewußtsein fiir das Wohl der Untertanen natürlich nicht unbedingt ausschließt.22" Auf einen ausfuhrlichen Bericht des Verwalters zu Ostra vom 23. März 1656, demzufolge die ersten der völlig verarmten und zum Teil bereits hungernden Untertanen nach Ungarn entwichen waren, antwortete Fürst Gundaker: „Denen armben underthanen wollen wir auff alle mögliche weis succurriren und an die handt greififen, gestaldten wir dann wegen münderung der hohen auffgebürdten contributionen-last erst ohnlengst bey ihrer kayserlichen mayestät aufFs beweglichste [...] und anjetzo wegen einstellung der schedlichen executionen ahnwiderumben flehentlich einkommen, hoffend, es werde endlich die billigkeit erfolgen."227 Am 1. Februar 1657 ersuchte Gundaker von Liechtenstein die mährischen Stände wieder einmal dringend um die Reduzierung der Zahl der Gültpferde der Herrschaften Ostra und Steinitz. Gleichzeitig wandte er sich mit der Bitte um Unterstützung seines Anliegens an den Landeshauptmann (Gabriel von Serenyi) sowie an die vom Landesfiirsten ernannten Landtagskommissare228 Veit Georg Holicky Graf von Sternberg, Hofkammerrat Wenzel Hegenmüller und Melchior Ledenitzky von Ledenitz.229 224 AVA Wien, FA Trauttmansdorff, K. 142, Fasz. Ff. 8/Nr. 36, fol. 90, G. v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff, Wien, 13. Mai 1648. 225 Vgl. ζ. B. Winkelbauer, „Das Geld est sanguis corporis politici". 226 Vgl. ζ. B. Winkelbauer, Robot und Steuer, bes. Kapitel 12 (Staatssteuern versus Feudalabgaben). 227 HALV, Hs. 605, S. 135-145, Verwalter zu Ostra an G. v. L„ Ostra, 23. März 1656; G. v. L. an den Verwalter zu Ostra, Wilfersdorf, 29. März 1656; Bittschrift G.s v. L. an den Kaiser, Wilfersdorf, 29. März 1656 (Abschriften). 228 Rezek, Dejiny Cech a Moravy ηονέ doby, Bd. 1, S. 495. 229 HALV, Hs. 606, S. 49 ff., G. v. L. an die Stände der Markgrafschaft Mähren sowie an die genannten vier Männer, Ostra, 1. Februar 1657 (Abschriften).
„Schutz und Schirm" der Untertanen
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Für gewöhnlich trat Fürst Gundaker nötigenfalls persönlich auf dem Landtag auf, um eine Senkung der seinen Untertanen auferlegten Lasten zu fordern. Am 1. März 1657 mußte er sich aber an Ferdinand von Dietrichstein, den Oberstlandkämmerer der Markgrafschaft Mähren, wenden und ihm mitteilen, er sei fest entschlossen gewesen, an dem soeben eröffneten Landtag teilzunehmen „und unserer erarmbten hochbeschwerden underthanen gravamina denen sämmentlichen herrn ständen auffs beweglichiste zu hinterbringen und deren abhelff- und allerbilligste sublevirung [d. h. eine Verringerung des Steueranschlags] zu urgiren". Am 7. Februar habe ihn aber „das laidige podagra [...] auffs allerhärteste angegriffen", sodaß er an der Reise zum Landtag verhindert worden sei. Sein Sohn Hartmann, der ihn vertreten hätte sollen, sei in Wien ebenfalls „in unpößligkheit gerathen", weshalb weder er selbst noch sein Sohn „unseren unterthanen zum pesten" persönlich auf dem Landtag „erscheinen können". Deshalb ersuchte Fürst Gundaker den Fürsten Dietrichstein „vetterlich" (Ferdinand von Dietrichstein war der Sohn und Erbe des 1655 gestorbenen Maximilian von Dietrichstein, der mit der ältesten Schwester des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein vermählt gewesen war), er möge „unns die besondere hohe angenehme freundtschafft und gedachten unseren in grund ruinirten, gantz trostlosen unterthanen die barmbhertzigkeit erweisen und verhelffen [...], umb damit deren hochfiirdringende beschwehrnussen der billigkeit nach behertziget und sodann bey wehrender jetziger versamblung eine solche willfährige remedirung verstattet werde, allermaßen in unseren an die herren ständt verfasseten zweyen anbringen [...] gebetten worden". 230 Aus den in Abschrift beigelegten Beschwerdeschriften geht hervor, daß die Untertanen der Herrschaft Ostra nach Gundakers Überzeugung zwischen 1641 und 1657 insgesamt fast 40.000 (einer anderen Berechnung zufolge mehr als 32.000) Gulden Kontribution „über die billigkheit", also zu viel erlegen hatten müssen. 231 Die Zahl der Gültpferde der Herrschaft Ostra wurde dennoch, allen Bemühungen des Fürsten Gundaker zum Trotz, vom mährischen Landtag des Jahres 1657 nicht reduziert.
230
M Z A Brno, G 140, K. 468, Nr. 1926/44, G. v. L. an Ferdinand von Dietrichstein, Ostra, 1. März
1657. Ebd., Abschriften der (undatierten) Beschwerdeschriften an die Stände der Markgrafschaft Mähren.
7. Rangkonflikte Verpflichtung gegenüber dem eigenen Haus und den Nachkommen oder persönliche Ehrsucht? Die in den europäischen Gesellschaften und insbesondere an den Fürstenhöfen und im diplomatischen Zeremoniell besonders von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts allgegenwärtigen Präzedenzstreitigkeiten und die ebenso ubiquitären Auseinandersetzungen um den Gebrauch der richtigen bzw. „ungebührlicher" Anreden, Titel und Titulaturen sind nur zwei Seiten derselben Medaille.1 In beiden Fällen geht es um die Stellung des einzelnen in der sozialen Rangordnung, die in der streng hierarchischen Gesellschaft der frühen Neuzeit im allgemeinen und an den Fürstenhöfen im besonderen zentrale Bedeutung für dessen Selbstverständnis hatte. 2 Der vom einzelnen Menschen - als Individuum, als Angehöriger einer sozialen Gruppe bzw. eines „Hauses" oder als Vertreter eines anderen (insbesondere eines Fürsten) oder einer souveränen Republik - beanspruchte Rang realisierte sich in der entsprechenden Repräsentation in allen mehr oder minder öffentlichen Akten, Veranstaltungen und Zeremonien. Es war zur Bewahrung der (Standes-)Ehre unbedingt nötig, daß die vorgegebene bzw. beanspruchte („prätendierte") Stellung in der Rangordnung der jeweiligen Gesellschaft (des Hofes, des Standes, des Dorfes, der Stadt, der Korporation etc.) im jeweiligen „Zeichensystem" oder „Kode" zur Darstellung gebracht wurde. Das höfische Leben, auf das ich mich in der Folge konzentriere, „stellt sich [... ] als ein einziger, nahezu unendlicher Prozeß der Konstitution von Zeichen dar, in denen das Ich der Hofleute sich angemessen - d. h. der jeweiligen Bedeutung und Stellung bei Hof entsprechend - ausgedrückt und repräsentiert finden konnte" ? Die große Bedeutung der Repräsentationen, also der .Äußerlichkeiten", hat wohl unter anderem damit zu tun, daß man - anders als in der Zeit der Renaissance und der Aufklärung - gemäß der „ba1 Vgl. etwa die zahllosen Präzedenzstreitigkeiten („selbst in der Kirche und sogar zwischen Freunden und Bundesgenossen") und die damit eng zusammenhängenden Konflikte um die Gewährung bzw. Verweigerung der Anrede „Exzellenz" auf dem Westfälischen Friedenskongreß: Dickmann, Der Westfälische Frieden, S. 206-212. 2 Vgl. ζ. B. van Dülmen, Kultur und Alltag, Kap. IV (Stand und Ehre). H. Bauer, Barock, S. 170, bemerkt treffend: „Der Diskurs über die Rangordnung wurde als Diskurs über die Weltordnung geführt, und dementsprechend wurde der angenommene Rang auch in den Bildern von der olympischen Hierarchie afifirmiert." Speziell zur Bedeutung der Rangordnung und deren Repräsentation bei Hofe Winterling, „ H o f , S. 21: „Die am meisten ins Auge fallende gesellschaftliche Funktion des Hofes ist die der Repräsentation politisch-sozialer Rangverhältnisse. Generell gilt für Adelsgesellschaften, daß der eingenommene oder beanspruchte Rang des einzelnen einer äußeren, sichtbaren Manifestation bedarf." 3 Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, Bd. 2, S. 27. „Der Zwang zur Repräsentation des Ranges ist unerbittlich." Elias, Die höfische Gesellschaft, S. 99. „Mit der Zuweisung des Status ging die Verpflichtung einher, diesen Status öffentlich zu machen, sich zu ihm in allem zu bekennen, ihn zu veräußerlichen, unabhängig davon, ob er ein Ergebnis von Geburt, ererbtem oder erworbenem Reichtum, von Können, Gönnerschaft oder Eheschließungwar." Schlechte, Nachwort, S. 19 f. Vgl. auch H. Bauer, Barock, S. 168-173; zuletzt (am Beispiel der Rang- und Sitzordnungsstreitigkeiten auf den frühneuzeitlichen Reichstagen) Stollberg-Rilinger, Zeremoniell. Zu der großen Rolle, die der Bewahrung der Ehre (cest, poctivost etc.) in der Mentalität der tschechischen Adeligen des 16. und 17. Jahrhunderts zukam, siehe Mat'a, Aristokratickä prestiz, bes. Kap. 1.2 (Prestiz).
Rangkonflikte
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rocken" Erkenntnistheorie zur „Idee" der Dinge nur mit Hilfe von Zeichen vordringen konnte, die fähig waren, diese zu repräsentieren. 4 Die soziale Welt sollte „lesbar" sein, was durch die Sichtbarmachung der sozialen Hierarchie und der Herrschaftsverhältnisse mittels eines von allen Beteiligten verstandenen Kodes ermöglicht wurde. 5 Fragen der „Präeminenz, Session und Präzedenz" wurde besonders im 17. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts so große Bedeutung beigemessen, daß darüber dicke und gelehrte Bücher geschrieben wurden. 6 Damit hängt auch ein Grundzug der von zahlreichen europäischen Autoren insbesondere des 17. Jahrhunderts vertretenen Lebensauffassung zusammen, daß nämlich die Welt ein Theater und der Mensch ein Schauspieler sei.7 Als vollkommenes Abbild des theatrum mundi galten und gelten in geradezu topischer Weise der Hof und die Scheinhaftigkeit (Sehen und Gesehenwerden!) des Hoflebens, in dessen Rollenspiel (das Hofzeremoniell als Textbuch eines Theaterstücks!) sich die vanitas des Welttheaters beispielhaft spiegelte.8 Andererseits hatten die auf der symbolischen Ebene ausgetragenen Rangkonflikte aber durchaus einen „harten" materiellen Kern oder, anders formuliert, einen Zusammenhang mit den ökonomischen und sozialen Interessen der Beteiligten. Karin J. MacHardy hat, unter Verwendung der Terminologie und des analytischen Werkzeugs von Pierre Bourdieu, Prestige, Reputation und sozialen Rang der Adeligen der frühen Neuzeit als „symbolisches Kapital" charakterisiert. Je höher der soziale Rang eines Adeligen gewesen sei und je mehr „symbolisches Kapital" er besessen habe (das heißt: je mehr „Ehre" ihm von seinen Standesgenossen zugebilligt wurde), desto bessere Möglichkeiten habe er gehabt, bei Hof und von den Ständen Ressourcen zu mobilisieren. Rangkonflikte zwischen Adeligen seien daher keine Streitereien um leere Würden gewesen, sondern Kämpfe um den Zugang zu einer Ressource (ζ. B. „Nähe zum Herrscher"), durch die man in den Besitz des Schlüssels zur Erlangung anderer Ressourcen kommen konnte, die ihrerseits „Differenzgewinne" abwerfen konnten. 9 Es fand eine „Desymbolisierung oder Verschleierung des materiellen Interesses" statt. 10 Norbert Elias hat in seiner Anfang 1933 - am Vorabend der Emigration nach Paris (später London) - so gut wie abgeschlossenen, aber erst 1969 in überarbeiteter Form gedruckten Frankfurter Habilitationsschrift 11 am Beispiel des französischen Königshofes unter Ludwig XTV. den „nie erlöschenden Konkurrenzkampf um Status- und Prestigechancen" sehr einprägsam geschildert und ziemlich plausibel, aber in mancher Hinsicht auch einseitig und klischeehaft analysiert.12 Steigen oder Fallen in der Rang-
4 Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, Bd. 2, S. 27 f. Zum Barock als - im Gegensatz zu Renaissance und Aufklärung - durch und durch vom Statusdenken beherrschtes Zeitalter vgl. Beetz, Höflichkeit, S. 263 ff. 5 Zur Metapher von der „Lesbarkeit der Welt" siehe am Beispiel der Kleidung Dinges, Der „feine Unterschied", und ders., „Lesbarkeit der Welt". 6 Ζ. B. Crusius, Tractatus [...] De Praeeminentia, und Lünig, Theatrum Ceremoniale historico-politicum, Kap. 2 und passim. 7 Vgl. ζ. B. W. Barner, Barockrhetorik, bes. S. 86-131. ' Vgl. ebd., S. 117-124; H. Bauer, Barock, S. 147-181 und 217-285; Hengerer, Der Hof Kaiser Ferdinands III., S. 25f., 40f., 65f., 157-175 und passim; V. Bauer, Hofökonomie, S. 30-45. - Zu den Beziehungen zwischen der Stellung der böhmischen Adeligen des 16. und 17. Jahrhunderts in der hierarchischen Ordnung der Aristokratie und deren symbolischem Ausdruck (Sitzordnung im Landtag etc.) im Rahmen eines komplexen semantischen Systems und den damit verbundenen Rangkonflikten siehe jetzt die wegweisenden Ausführungen bei Mat'a, Aristokratickä prestiz, Kap. 2. ' MacHardy, The Rise of Absolutism, S. 429. 10 Schreiner/Schwerhoff, Verletzte Ehre, S. 10 f. " Zur Entstehungsgeschichte des Buches im Frankfurt der frühen dreißiger Jahre siehe ζ. B. Chartier, Figuration, und Körte, Über Norbert Elias, bes. S. 111-122. 12 Elias, Die höfische Gesellschaft, S. 135-144, 158 ff. und 181 ff. und passim. Zur Kritik an Elias und seinem auf zu schmaler und überdies einseitiger Quellen- und Literaturbasis errichteten Modell zuletzt Duindam, Myths of Power. Vgl. auch die nützliche Zusammenfassung der Argumente der „revisionistischen" Historiker des Absolutismus bei Henshall, Myth of Absolutism (zum Hof und zur Herrschaftspraxis Ludwigs XIV. bes. S. 35-60).
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Rangkonflikte
Ordnung der höfischen Gesellschaft habe „für den höfischen Menschen soviel" bedeutet, „wie fiir den Kaufmann Gewinn oder Verlust in einem Geschäft. Und die Erregung eines höfischen Menschen über das drohende Sinken seines Rangs und seines Prestiges war nicht geringer als die Erregung eines Kaufmanns über einen drohenden Kapitalverlust, eines Managers oder Beamten über einen drohenden Verlust an Karriere-Chancen."13 Der „Ordnung", genauer der als „gottgewollt" aufgefaßten statischen, hierarchisch gestuften Ordnung, wurde in der gesamten frühen Neuzeit „der Rang einer fundamentalen Gesellschaftskategorie zugesprochen".14 Ähnliches gilt Rir den daraus resultierenden Zwang zur sozialen Distinktion (im Sinne von Abgrenzung als Auszeichnung).15 Jeder „Stand", aber auch jedes Individuum sollte im Idealfall „seinen Platz" im „Körper" der Gesellschaft, des Staates und (gegebenenfalls) des Hofes haben und damit verbunden seine spezifische „Ehre". 16 Daraus mußten, insbesondere aufgrund des Widerspruchs zwischen „statischen" Verhaltensvorschriften und der Idealvorstellung einer wohlgeordneten Gesellschaft ohne soziale Konflikte einerseits und der durch Mobilität geprägten Realität andererseits17, unweigerlich Konflikte entstehen. Wer den ihm zustehenden bzw. von ihm beanspruchten Platz und die damit verbundene Ehre nicht verteidigte, der verlor die letztere, nicht zuletzt in den Augen (bzw. Köpfen) seiner Standesgenossen. „Es entsprach der Dialektik des überhöhten Ehrbegriffs, daß der Verlust an Achtung in der Öffentlichkeit besonders stark empfunden wurde."18 Die meisten der alltäglichen Streitigkeiten, Bezichtigungen, Beschimpfungen, Beleidigungen („Injurien") und Tätlichkeiten in den Dörfern und Städten der frühen Neuzeit erklären sich ebenso wie die Präzedenz-, Zeremoniell- und Titulaturstreitigkeiten an den Fürstenhöfen und in den Landtagen sowie zwischen Fürsten bzw. ihren diplomatischen Vertretern „aus dem Bestreben, die eigene Ehre [bzw. die Ehre seiner Familie oder seines Herrn] auf dem Weg der retorsiven Selbsthilfe zu schützen und zu verteidigen".19 Die Rangstreitigkeiten an den Höfen (sowie auf den Reichsversammlungen20) bildeten ein unentwirrbares Gemenge aus Aktionen und Reaktionen. Norbert Elias hat mit feiner Ironie davon gesprochen, daß bei Hof jeder einzelne „mit Beachtung der geringsten Nuancen" darüber gewacht habe, „daß der bestehende Zustand des Ranggleichgewichts aufrechterhalten blieb, wenn nicht gerade er selbst damit beschäftigt war, es zu seinen Gunsten zu ändern".21 Die Quellen - auch die weiter unten zitierten Briefe Gundakers von Liechtenstein - sprechen tatsächlich dafür, daß die „Grundidee" des Lebens der Adeligen in der Erhaltung und Steigerung der Ehre der Familie (des „Hauses") und in der Pflege eines standesgemäßen Lebensstils bestand.
Elias, Die höfische Gesellschaft, S. 144. Münch, Grundwerte, S. 66. 15 „Das Sozialverhalten der Frühmoderne, ob es sich im Privatbezirk alltäglicher Interaktion oder im öffentlichen Rahmen gemeinsam vollzogener Festrituale bewegt, besteht nachgerade in der Konturierung und Kundgabe sozialer Distinktion." Beetz, Höflichkeit, S. 180. Vgl. ebd., S. 2 4 8 f. und 2 6 6 fF.; zu Abgrenzung als Auszeichnung Dinges, Der „feine Unterschied", und ders., „Lesbarkeit der Welt". 16 Vgl. Zunkel, Ehre, Reputation; H R G , Bd. 1, Sp. 8 4 6 - 8 4 9 ; Schreiner/Schwerhoff, Verlente Ehre; Dinges, Ehre; Vogt/Zingerle, Zur Aktualität des Themas Ehre; Basti, Feuerwerk und Schlittenfahrt. 13 14
Schulze, Die ständische Gesellschaft, S. 3, 13, 16 und passim. " Zunkel, Ehre, Reputation, S. 21. Vgl. ζ. B. Sommer-Mathis, Theatrum und Ceremoniale, wo auf der Grundlage der Älteren Zeremonialakten und der Zeremonialprotokolle des Wiener HHStA zeremonielle Konflikte und deren Beilegung am Beispiel der Rang- und Sitzordnungen bei theatralischen Veranstaltungen am Wiener Kaiserhof von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts untersucht werden. " Münch, Grundwerte, S. 71 f. J ° Zu den Rangstreitigkeiten zwischen einzelnen Reichsständen reiches Material bei J. J. Moser, Teutsches Staats-Recht, 4. Teil, S. 3 4 5 - 3 8 0 ; 35. Teil, S. 4 8 5 - 5 5 2 ; 36. Teil, S. 1 - 1 3 7 . 21 Elias, Die höfische Gesellschaft, S. 135. - Mark Hengerer hat für den Wiener H o f im 17. Jahrhundert ein starkes „Bedürfnis nach zeremonieller Konstanz" konstatiert, eine allgemeine Furcht vor jeder Neuerung (novitä) - „vorausgesetzt natürlich, die ,nouitä' begünstige einen nicht selbst". Hengerer, Der H o f Kaiser Ferdinands III., S. 165 A. 1094. 17
Rangkonflikte und Präzedenzstreitigkeiten
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„Die Ehre war dem Adeligen wichtiger als die Ansammlung von Vermögen." 22 Man kann ergänzen: Diese diente ihm in erster Linie zur Steigerung jener. An den frühneuzeitlichen Fürstenhöfen wurde die mittelalterliche Tradition der adeligritterlichen Standesehre modifiziert „durch das individuelle Streben nach äußerlichem Ansehen oder Reputation, deren Maßstäbe weniger durch die Standestradition als durch Herrscher und höfische Gesellschaft gesetzt wurden". 23 Der Höfling - im Sinne von Baldesar Castiglione 24 („II libro del cortegiano", 1528), Eustache du Refuge („Traicte de la Cour ou Instruction des Courtisans", 1611), Nicolas Faret („L'honneste homme, ou l'Art de plaire ä la Cour", 1630) oder Baltasar Graciän („Oräculo manual y arte de prudencia", 1647) - „suchte seine Ehre in seines Fürsten Gnade und Gewogenheit". 25 Diese idealtypische Formulierung mag vielleicht fur manche Fürstenhöfe der italienischen Renaissance oder für den französischen Königshof im 17. Jahrhundert bzw. für Teile der französischen Hofaristokratie zutreffend sein, fur den Kaiserhof ist sie es nur mit (noch größeren) Einschränkungen. Zumindest konkurrierte das Ideal des Hofmannes in Mitteleuropa noch während des gesamten 17. Jahrhunderts mit dem alten, von ritterlichen Traditionen bestimmten Selbstbewußtsein des Adels.26 Es wird sich zeigen, daß nach der Auffassung von fuhrenden Vertretern der Wiener „Hofaristokratie" sich der Kaiser durch Nobilitierungen, Rangerhöhungen und Berufungen in Ratskollegien selbst präjudizierte. Er oder sein Vorgänger war es zwar, der die rangerhöhenden Dignitäten aus Gnade und aus eigener Machtvollkommenheit verlieh, nach deren Verleihung sollte er sich aber „gefälligst" an die daraus resultierenden Konsequenzen halten bzw. dafür sorgen, daß sich andere, etwa die Standesgenossen der Begnadeten, daran hielten. Die reale Position eines Adeligen bei Hof und in der adeligen Gesellschaft war das Produkt aus mindestens zwei Größen: dem quasi äußerlichen („objektiven") Rang des Betreffenden aufgrund seines Standes und seines Amtes einerseits, der aktuellen („subjektiven") Gunst des Monarchen andererseits.27 Diese Ambivalenz und dieses labile Gleichgewicht von „Standes-" und .Amtshierarchie" einerseits, „Gnaden-" oder „Gunsthierarchie" andererseits schuf einen fruchtbaren Nährboden für Rangkonflikte und Präzedenzstreitigkeiten.28
7.1. Rangkonflikte und Präzedenzstreitigkeiten 7.1.1. Streitigkeiten betreffend die Sitzordnung im Geheimen Rat Die an einem Hof geltende Rangordnung konkretisierte sich in erster Linie im Zeremoniell (Begrüßungszeremoniell, Tafelzeremoniell etc.), in den Titulaturen, im „Vorsitzen", „Vorstehen" und in der „Präzedenz" („Vorgehen", „Vorreiten" und „Vorfahren"), also in den 22
van Dülmen, Entstehung, S. 137. Zunkel, Ehre, Reputation, S. 17. Bzw. seiner Übersetzer, Bearbeiter, Nachahmer, Kritiker und Zensoren: vgl. Burke, Die Geschicke des Hofmann. Zur Rezeption des „Cortegiano" im deutschen Sprachraum von der Mitte des 16. bis zur Schwelle des 18. Jahrhunderts siehe Ley, Castiglione. 25 Zunkel, Ehre, Reputation, S. 20. 26 Vgl. ζ. B. W. Barner, Barockrhetorik, S. 369-374. Zum Ideal des „honnete homme" und zur Theorie der Honnetete in Frankreich um die Mitte und in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zuletzt zusammenfassend Zuber, Honnetete. 27 Daß es sich am Hof Ludwigs XIV. ähnlich verhielt, betont Elias, Die höfische Gesellschaft, S. 138 f. „Hoher Adel gab immerhin ein gewisses begrenztes Maß von Unabhängigkeit vom König, die natürlich niemals in offene Widersetzlichkeit ausarten durfte." Ebd., S. 183. - Vgl. dazu auch die glänzende Analyse von Winterling, Der Hof der Kurfürsten von Köln, S. 112-115 und 122. 2 ' Zur „Gunsthierarchie" an den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Höfen vgl. die treffenden Bemerkungen bei Winterling, „Hof", bes. S. 16 und 20. Siehe zuletzt Bastl/Heiss, Hofdamen und Höflinge, bes. S. 233 f., wo die aus dem Spannungsverhältnis zwischen den beiden Hierarchien entspringende „Variationsmöglichkeit im Zugang zum Fürsten" als „Motor des höfischen Lebens" charakterisiert wird. 23 24
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Rangkonflikte
Sitzordnungen (an der Tafel bzw. den Tafeln während der Mahlzeiten, in der Kirche, in den Ratsstuben etc.) und in den Prozessionsordnungen (bei kirchlichen Prozessionen wie etwa der Fronleichnamsprozession, ja selbst beim Kommuniongang in der Kirche, bei Ausfahrten des Hofes, Erbhuldigungszügen, Begräbnissen etc.). 29 Diese Ordnungen waren vielfach nicht schriftlich niedergelegt, sondern durch das Herkommen und die an den einzelnen Höfen geltenden Bräuche und Gewohnheiten bestimmt, die nicht selten verschiedene Auslegungen erlaubten und durch Gnadenakte des Fürsten präzisiert und modifiziert wurden. Das war einer der Gründe, weshalb es nicht nur bei öffentlichen Zeremonien, sondern selbst im Geheimen Rat und vermutlich auch in anderen Ratskollegien immer wieder zu Rangkonflikten kam. So beanspruchte etwa im Jahre 1565 Leonhard von Harrach 30 als Obersthofmeister des neuen Kaisers Maximilian II. überall, also auch in den Sitzungen des Geheimen Rates, den Vorsitz vor Johann Trautson, dem damaligen Präsidenten dieses Kollegiums und ehemaligen Verwalter des Obersthofmeisteramtes und Favoriten Kaiser Ferdinands I. 31 Als Trautson nicht weichen wollte, drohte Harrach mit der Niederlegung aller Amter. Auf Vermittlung Peters von Mollart wurde der Streit schließlich durch einen Kompromiß beigelegt. Der Kaiser bestätigte Harrach in einem eigenen Reskript in allen „actibus publicis und privatis" den Vorrang, Vortritt und Vorsitz, wogegen dieser auf den Vorsitz im Geheimen Rat „guetwillig" verzichtete. 32 Im Herbst des Jahres 1602 kam es am Prager Kaiserhof zu einem Rangstreit zwischen Karl von Liechtenstein und dem Ende August neu in den Geheimen Rat berufenen Friedrich von Fürstenberg. Liechtenstein war zwar nicht nur der dienstältere Geheime Rat, sondern (allerdings nur provisorisch) Präsident des Geheimen Rates und Verwalter des Obersthofmeisteramtes, aber bloß ein österreichischer Freiherr, Fürstenberg hingegen war Reichsgraf. Er verweigerte die Ablegung des Diensteides, um sich nicht dabei Liechtenstein unterordnen zu müssen. Ende Oktober faßte dieser den Entschluß, den Hof zu verlassen. Dieser Rangstreit ging nahtlos in den nächsten über, diesmal ausgetragen zwischen Fürstenberg und dem neuen provisorischen Verwalter des Obersthofmeisteramtes, Jakob von Breuner. Fürstenberg verkündete öffentlich, er werde sofort um seine Entlassung ansuchen, sollte ihm Breuner übergeordnet werden. Am 18. November 1602 legte Fürstenberg schließlich doch in der Gegenwart des Kaisers den Diensteid als Geheimer Rat ab. 33 Im Dezember 1602 gelangte Liechtenstein fur einige Monate wieder zu seinen alten Ämtern. 34 Es scheint, daß Gundaker von Liechtenstein seit seiner Erhebung in den Fürstenstand im September 1623 nicht mehr zu Sitzungen des Geheimen Rates eingeladen wurde, da man d. h. der Kaiser bzw. Fürst Eggenberg, der Direktor des Geheimen Rates, der wenige Monate vor Gundaker ebenfalls in den Reichsfiirstenstand erhoben worden war - befürchtete, es 29 „Das Ceremoniell, das die Etikette einschließt, ist Substrat der Geschichte, ein hochkomplexes Zeichensystem als Ausdrucksträger der historischen Zustände." Frühsorge, Vom Hof des Kaisers zum ,Kaiserhof', S. 238. Vgl. u. a. H. Bauer, Barock, S. 147-181 (Zeremoniell und Repräsentation). 30 Zu seinem Lebenslauf siehe Harrach, Rohrau, 1. Teil, S. 43-58, wo die folgende Episode allerdings nicht erwähnt wird. " Hans Trautson verwaltete das unbesetzte Obersthofmeisteramt in den Jahren 1550/51, 1553/54, 1558/59 und wohl auch 1563/64; von 1567 bis 1575 war er wirklicher Obersthofmeister. Drasarovä, Dvür Rudolfa II., S. 75 f. 32 Mencik, Beiträge, S. 453 f.; Hadriga, Die Trautson, S. 54 und 56 (ohne Kenntnis des Ausgangs des Konflikts). - Nach dem bisher Ausgeführten ist es klar, daß es sich bei der folgenden Bemerkung von Henry F. Schwarz zur Verleihung des Obersthofmeisteramtes an Gundaker von Liechtenstein (siehe Kapitel 4.7) um reine Spekulation handelt: „Whether it was given him in good faith, or whether it was an expedient move on the part of his adversaries to embarrass him, is not clear." Schwarz, Privy Council, S. 126. Schwarz bezieht sich offenbar auf Mitis, Anteil, S. 76, wo es sogar heißt, man werde bei der Berufung Gundakers zum Obersthofmeister „doch wohl an eine geschickte Intrigue denken dürfen". 33 Stloukal, Karel ζ Lichtenstejna, S. 77-81; Stieve, Verhandlungen über die Nachfolge, S. 107; Schwarz, Privy Council, S. 230. 34 Vgl. oben S. 59.
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werde mit dienstälteren aber rangniedrigeren Geheimen Räten zu Konflikten wegen der Sitzordnung kommen. In einem undatierten, vermutlich aus den letzten Wochen des Jahres 1623 stammenden eigenhändigen Brief teilte Eggenberg dem Fürsten Gundaker jedenfalls mit, er sei keineswegs vom Kaiser aus dem Dienst entlassen, im Gegenteil, seine Person werde von Ihrer Majestät „wol existimiert". Daß man ihn nicht in den Rat berufen habe, sei darauf zurückzuführen, „daß man sich besorgt, es möchten vielleicht wegen der session differenzen entstanden sein, wellche man lieber verhüetet gesehen". 35 Ende Januar 1624 berichtete Gundaker seinem Bruder Maximilian über den bisherigen Hergang der Affäre. 36 Nach Erhalt des erwähnten Briefes aus der Feder Eggenbergs erklärten sich Herr (erst seit 1627 Reichsgraf 37 ) Karl von Harrach und Graf Maximilian von Trauttmansdorff bereit, Gundaker von Liechtenstein im Geheimen Rat nachzusitzen. Der Kaiser wollte aber vor Erteilung einer Resolution noch die Rückkehr des von Wien abwesenden Verwalters des Obersthofmeisteramtes, des Grafen von Meggau, abwarten. Daraufhin zog sich Gundaker mit Vorwissen des Fürsten Eggenberg auf seine Güter zurück. Nach der Ankunft Meggaus in Wien ließ Gundaker den Fürsten Eggenberg durch den österreichischen Hofkanzler Johann Baptist Verda ersuchen, ihm zu einer kaiserlichen Resolution in der Sessionsfrage zu verhelfen. Eggenberg ließ ausrichten, „er wolle sich nit einmischen", Gundaker möge sich schriftlich direkt an den Kaiser wenden. Gundaker ersuchte nunmehr seinen Bruder Maximilian, Eggenberg dazu zu bewegen, doch für ihn beim Kaiser zu intervenieren und dem Kaiser miauteilen, daß Gundaker ihn bitte, er möge „die dignitet, so sie unns aus gnaden erthailt, manuteniern" - mit anderen Worten: der Kaiser habe durch die Verleihung der Fürstenwürde Α gesagt, er solle nun auch Β sagen, indem er festlege, daß Gundaker im Geheimen Rat den nichtfiirstlichen Geheimen Räten ohne Ausnahme vorzusitzen habe. Als wichtigste „motiva", die ihn dazu bewegten, die höhere „session zu praetendirn", führte Gundaker an: „1.° Daß inn allen zusambenkunfften im reich, in Teutschlandt, an des teutschen kaiser[s] hoff (spänische breuch gehen unns nichts an) die fiirsten ihr besonndere stell unnd banck haben. 2.° Daß, wie inn gehaimben und allen räthen ein jüngerer rath herrnstandts ainem eitern rath des ritterstandts vorgehet, also auch solches unter den rähten fiirsten- und herrnstandts sein solle. 3.° Weil der fürst vonn Zollern abgangen. 3 8 4.° Weil der graf von Meggau vor diesem vermeldt, er weiche kainem im gehaimben rath als fiirstenstandts. 5.° Weil ihr mayestätt disfalls zu disponiern, warumb sie mit dem gr(afen) von Meggau tractiern wollen."
Gleichzeitig wandte sich Gundaker auch selbst an den Fürsten Eggenberg und ersuchte ihn nochmals, fiir ihn beim Kaiser zu intervenieren. 39 Eggenberg antwortete dem weiterhin auf seinen Gütern einer kaiserlichen Resolution harrenden Fürsten Gundaker erst am 7. März 1624. Es sei Gundaker sicherlich nicht verborgen geblieben, daß es der Kaiser lieber gesehen hätte und immer noch lieber sähe, „daß sich die herren collegae selbst undereinander vertreulich underredet und verglichen hetten". Gundaker werde wissen, was er in der Sache weiter zu tun habe. Jedenfalls habe sich an der kaiserlichen Gnade ihm und seinem Haus gegenüber nichts geändert. 40 Anfang August 1624 wurde Gundaker von Liechtenstein zu seiner eigenen Überraschung zum Obersthofmeister ernannt 41 , was wohl als Affront gegenüber Meggau interpretiert werden muß. Am 17. August verfaßte er einen langen Brief an den Hofkanzler Verda
35 HALV, K. 246, Fasz. „Rangstreit im Geheimen Rat, 1623 ff.", Hans Ulrich von Eggenberg an G. v. L., „1623". 36 Ebd., G. v. L. an seinen Bruder Maximilian, Wilfersdorf, 31. Januar 1624. 37 Harrach, Rohrau, 1. Teil, S. 82. 38 Der Geheime Rat Johann Georg Fürst zu Hohenzollern-Hechingen war im Herbst 1623 gestorben. Schwan, Privy Council, S. 249-252. 35 HALV, K. 246, a. a. O., G. v. L. an Fürst Eggenberg, 31. Januar 1624 (eh. Konzept). 40 Ebd., a. a. O., Johann Ulrich von Eggenberg an G. v. L., Wien, 7. März 1624. 41 Vgl. Kapitel 4.7.
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Rangkonflikte
von Werdenberg. 42 Er teilte ihm mit, daß er bereit sei, an den Sitzungen des Geheimen Rates teilzunehmen, sofern es „ohne versaumnus des obr(isten) hofmeisterambts" möglich sei, ja „daß ich ohne verlezung meines nahmens außer des geheimen rahtts nicht sein kan, so lang ich bei hof bin, denn wiewol das obr(iste) hofmeisterambt in eußerlichem mehrerer auctoritet ist als der geheime r(ahts) dienst, so ist doch diser in substantia auctoritatis in universali mehr als der ob(rist)-hofmeisterdienst, aus ursach, daß alle und insonderheit die vornembsten, als bapst, Sp(anien), c(ur)f(ürsten), die bei i(hrer) k(aiserlichen) m(ajestät) negotia haben, der geh(eimen) rähtt, des obr(isten) hofmeisters aber allein die hofparteien bedörffen; dahero mir dann verklienerlich 43 wehre, wenn ich bei hoff bin, daß ich [...] mit wenigerer auctoritet als vor 44 zu hoff sei,n solte." Verda möge ihn wenigstens über die wichtigsten Angelegenheiten, die in seiner Abwesenheit im Geheimen Rat behandelt werden, auf dem laufenden halten und ihm Kopien der wichtigsten Schriftstücke zukommen lassen. Zur Erhaltung seines Namens und um „den leuten das maul zu stopfen" sei es allerdings unumgänglich nötig, daß er „dem geheimen r(aht) bisweillen würklich beiwohnen muß", was er aber ohne „verenderung der session" nicht „mit ehren" tun könne. Als Argumente dafür führte er unter anderem an, daß der Kardinal Dietrichstein im Geheimen Rat Rudolfs II. „den andern vorgesessen" sei, desgleichen der Landgraf von Leuchtenberg. Es sei in allen Räten der Brauch, daß ein neu in den Rat aufgenommenes Mitglied aus dem Herrenstand den älteren Räten aus dem Ritterstand Vorsitze. Um so mehr sei es „conveniens, daß ein fürst, ungeacht er ein jüngerer rahtt ist, den ältern r(ähten) herrenstandts vorsize, weilln gleicher und ein weiterer unterschid ist zwischen dem fursten- und herrenstand als zwischen dem herrenund ritterstand". So werde es auch bei den Kriegsobristen gehalten, bei denen „die allersubtilesten punti d'honore in acht genommen werden"; so seien die älteren Obristen stets dem Herzog von Sachsen45 „in der session gewichen". Weiters sei es in den „teutschen landen" bei allen „conventibus und sollenniteten" üblich, daß die Fürsten ihre „absonderliche stell" haben. Dazu komme noch, daß er, Gundaker, nunmehr auch das Amt des Obersthofmeisters innehabe. Es ging Gundaker ums Prinzip: er kündigte an, auf alle Fälle fast nie in den Geheimen Rat zu kommen und diesem in den seltenen Fällen seiner Anwesenheit zwar Vorsitzen zu wollen, aber keine „negotia" (Referate) zu übernehmen. Im übrigen stehe es dem Kaiser frei zu erklären, daß für die Sitzordnung im Geheimen Rat bei künftigen Neueintritten von Fürsten in denselben ausschließlich die Anciennität maßgeblich sein solle. Der Kaiser ließ seinem neuen Obersthofmeister ausrichten, er solle im Geheimen Rat an derselben Stelle sitzen wie vor der Erhebung in den Fürstenstand. Im September 1624 verfaßte der mit diesem (offenbar mündlich erfolgten) Bescheid unzufriedene Fürst Gundaker eine Bittschrift an den Kaiser, die am 4. Oktober übergeben wurde. 46 Er könne sein Fernbleiben vom Geheimen Rat nicht länger mit den Amtsgeschäften als Obersthofmeister entschuldigen. Wenn „die gehaimben räth unnd ich inn der ante-camera sein unnd ihr mayestätt lassen ihnen allein ansagen, so binn ich immediate vonn ihr mayestätt ausgeschlossen; lassen sie dann ansagen und ich khombe nicht, so gillt meine entschuldigung mit der ambtsgeschäfifts-occupation nichts, dann ich damahls damit nit occupiert binn." Wenn er dem Geheimen Rat nicht mehr beiwohne und doch am Hof weile, so sei das für
42
Ebd., G. v. L. an Herrn Verda, o. O., 17. August 1624 (eh. Konzept). verkleinerlich = ehrenrührig 44 früher 45 Julius Heinrich, Herzog von Sachsen-Lauenburg 46 HALV, K. 246, a. a. O., „Anbringen" an den Kaiser, Konzept mit eh. Einfügungen und Korrekturen G.s v. L. mit der Aufschrift: „per geh(eimen) r(at) und sess(ion), pr(aes). 4. 8br. 1624"; im folgenden zitiert nach dem Reinkonzept (oder Abschrift) mit der Aufschrift: „I. f. gn. anbringen per session im geh. rahtt, Septemb. a. 1624". 43
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seine „existimation" sehr nachteilig, „weil ich den partheyen nicht mehr wie vor khan befurderlich sein, allermaßen dann noch vill derselben aus dem reich unnd andere, die negotia bey eur kayserl. mayestät haben, schrifft- und mündtlich mich ersuechen unnd umb befürderung ihrer anbringen bitten, denen ich aber, mir zu spott, mit warheit kheinen andern beschaidt geben khan, als, weil ich außer des gehaimben raths sey, daß ich ihnen nichts mehr wie zuvor befiirderlich sein khiinne". Andererseits sei es ihm aus den uns bereits aus dem Schreiben an Verda bekannten Gründen „praejudicierlich", im Geheimen Rat an derselben Stelle zu sitzen wie früher, weshalb er den Kaiser ersuchte, ihn im Geheimen Rat vor den nichtfiirstlichen Mitgliedern sitzen zu lassen. Die Abschlagung dieser dringenden Bitte war ein wesentlicher Grund fiir Gundakers Resignation als Obersthofmeister im November 1625. Am 2. August 1631 erhob Kaiser Ferdinand II. den am folgenden Tag von Kardinal Dietrichstein im Wiener Stephansdom zum Bischof geweihten Abt von Kremsmünster Anton Wolfradt (Abb. 26) und „in gratiam ipsius" alle seine Nachfolger auf dem Wiener Bischofssitz in den Reichsfiirstenstand 47 - vielleicht als Ersatz für die vom Kaiser seit Dezember 1629 vergeblich betriebene Verleihung des Kardinalshutes an Abt Anton, der seit 1623 als Nachfolger Gundakers von Liechtenstein das Amt eines Hofkammerpräsidenten ausübte 48 . Als Gundaker von Liechtenstein nach zweieinhalbjähriger Abwesenheit vom Hof (seit dem weiter unten behandelten kaiserlichen .Affront" während eines Ringelrennens im September 1629) im Februar 1632 nach Wien kam, vom Kaiser gnädig aufgenommen und wieder zu den Sitzungen des Geheimen Rates eingeladen wurde, weigerte er sich dem Fürsten Eggen-
Abb. 26: Anton Wolfradt (1582-1639), seit 1631 Fürstbischof von Wien. Kupferstich.
47 Sammlung der älteren K.-K. Lf. Gesetze und Verordnungen, 1. Abt., S. 42, Nr. 22; Hopf, Anton Wolfradt, Abt. II/2, S. 13; Pitschmann, Abt Bonifaz Negele, S. 24f.; ders., Kaiserliche Bemühungen, S. 82f. 48 Vgl. Pitschmann, Kaiserliche Bemühungen.
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Rangkonflikte
berg gegenüber, Fürstbischof Anton nachzusitzen. 49 Drei Tage lang saß Gundaker nach dem den Vorsitz führenden Eggenberg an zweiter Stelle, vor dem Bischof von Wien. Dieser beklagte sich darüber vermutlich beim Kaiser. Jedenfalls teilte Eggenberg am Abend des dritten Tages Gundaker mit, daß der Kaiser „der reichsordnung nach aus affection gegen dem geistlichen stand" wolle, daß der geistliche Fürstenstand dem ganzen weltlichen Fürstenstand vorgehe, weshalb er es gerne sähe, daß Gundaker dem Bischof im Geheimen Rat „die stell"50 über ihm gebe, ungeachtet er „elter in fiierstenstannd unnd in geheymen rath-dienst" sei. Gundaker gab zur Antwort, er sei stets bereit, sich dem Willen des Kaisers zu „accomodiern", ersuche den Kaiser jedoch, ihm dies nicht zuzumuten oder ihm wenigstens sein Nachgeben auf andere Weise zu kompensieren. Am nächsten Morgen sagte er dem Fürsten Eggenberg, er sei bereit, dem Bischof zu weichen, aber nur unter der Bedingung, daß andere weltliche Fürsten - also insbesondere Eggenberg selbst! - dies ebenfalls tun. Daraufhin machte Eggenberg darauf aufmerksam, daß er im Reich immatrikuliert sei, Fürst Gundaker hingegen nicht. Gundaker wollte aber dem Bischof nicht als einziger Fürst weichen, insbesondere deshalb, „weill es die posteritet angehet", d. h. weil er dadurch seine Nachkommen zu deren Nachteil präjudizieren würde und diese ihm berechtigte Vorwürfe machen könnten. Der Kaiser beharrte auf seiner Resolution, verfügte jedoch, daß in Hinkunft im Geheimen Rat die Fürsten nicht mehr auf einer eigenen Bank den anderen Geheimen Räten gegenübersitzen sollten, sondern alle in einer Reihe, Bischof Anton an erster, Gundaker an zweiter, der Obersthofmeister Meggau an dritter Stelle usw. Gundaker äußerte daraufhin am 15. Februar Eggenberg gegenüber den Wunsch, der Kaiser möge dafür „in andern ein demonstration" gegen ihn machen, „also daß die leuth sagen könten, ich hette mier nichts praejudiciert durch diese weichung, ihr mayestät zu gehorsamen, weill ihr mayestät mich dagegen in andern begnadet haben". Doch stellte er alles auf Eggenbergs „wollgefallen" und bat ihn, „er wolle die ehr des stanndts unnd des diensts, so ich durch sein promotion erlangt, als mein vetter unnd promotor mier helfen erhalten". Mit der Kompensation meinte Fürst Gundaker vermutlich die von ihm seit Jahren vergeblich betriebene Verleihung des Herzogtums Teschen. Dazu kam es jedoch nicht, vielmehr reiste er anderntags wieder auf seine Güter ab. Am 23. Februar 1632 begründete er in einem Brief an Eggenberg seine Abreise damit, daß er dem Kaiser mit seiner Person „disturbo gemacht und villeicht [...] nur verdruß verursacht hette", weshalb er es auch unterlassen habe, dem Kaiser vor der Abreise aufzuwarten, was zweifellos ein schwerer Affront seinerseits war.51 Etwa gleichzeitig schrieb er auch an den Beichtvater des Kaisers, P. Wilhelm Lamormaini, und an Fürst Maximilian von Dietrichstein und warb um Verständnis fur sein Verhalten. 52 Lamormaini antwortete am 27. Februar ausweichend und legte Gundaker nahe, sich über die Sessionsfrage gütlich zu verständigen. 53 Am 28. Februar schrieb Gundaker an seinen Bruder Maximilian, der gerade im Begriff stand nach Wien zu reisen, und informierte ihn über die Angelegenheit. 54 Er hätte keine Bedenken, überhaupt nicht mehr an den Sitzungen des Geheimen Rates teilzunehmen, „wenn es mir nicht spettlich [wäre] unnd meine widerwertigen dadurch ein froloken hetten". Graf Trauttmansdorff habe ihm geraten, er solle dem Bischof „simpliciter weichen", also ohne jede 49 HALV, K. 246, Fasz. „Rangstreit im Geheimen Rat, 1623 ff.", undatierte „Relatio". Anton Wolfradt war übrigens ebenso wie sein väterlicher Freund und unmittelbarer Vorgänger auf dem Wiener Bischofsstuhl, Melchior Klesl, der Sohn eines Handwerkers: er wurde 1581 in Köln als Sohn eines Schneiders geboren. Pitschmann, Kaiserliche Bemühungen, S. 80. 50 „Stelle": hier und im folgenden prägnant für „Ehrenstelle". Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 10/2, Sp. 2182. 51 HALV, K. 246, a. a. O., G. v. L. an Johann Ulrich von Eggenberg, Feldsberg, 23. Februar 1632 (Konzept). 52 Ebd., undatierte Konzepte. 53 Ebd., Gulielmus Lamormaini an G. v. L„ Wien, 27. Februar 1632. 54 Ebd., G. v. L. an seinen Bruder Maximilian, Wilfersdorf, 28. Februar 1632 (eh. Ausfertigung).
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Entschädigung für sein Nachgeben. Er, Gundaker, wisse jedoch nach wie vor nicht, wie er das ohne Beschädigung seiner Ehre („ohne verklienerung") tun könne. In einer Eingabe an den Kaiser berief sich Fürst Gundaker Anfang August 1632 neuerlich darauf, daß es ihm „bei der posteritet verweislich were" und er sich zu Recht eine üble Nachrede zuziehen würde, wenn er dem Bischof von Wien im Geheimen Rat „simpliciter" wiche und damit ein Präjudiz schaffe. Der Kaiser möge dies aber nicht so auffassen, „alls wolle ich mit euer mayestät disputiern". 5 5 Vermutlich aus der vorösterlichen Zeit (Mitte März) des Jahres 1633 stammt ein undatiertes Schreiben eines Grafen Harrach (wohl des Obersthofmarschalls Leonhard Karl von Harrach), in dem er Gundaker von Liechtenstein mitteilt, der Kaiser habe sich entschlossen, für die fürstlichen Bischöfe im Geheimen Rat und in der (Hofburg-)Kapelle eine eigene Bank zu errichten. 5 6 Dadurch, vor allem aber durch die von ihm später geradezu als Kompensationsgeschäft bezeichnete Erhebung seiner mährischen Herrschaften zu einem Fürstentum und die Verleihung des großen Palatinats wurde es Gundaker von Liechtenstein ermöglicht, ohne Gesichtsverlust wieder an den Sitzungen des Geheimen Rates teilzunehmen. 5 7 Im November 1636 kam es zwischen Gundaker von Liechtenstein, dem damals das Direktorium über die hinterlassenen Geheimen und Deputierten Räte anvertraut war 5 8 , und dem Fürstbischof von Gurk, Sebastian Graf Lodron ( 1 6 3 0 - 1 6 4 3 ) 5 9 , einem Nepoten des Salzburger Erzbischofs Paris Graf Lodron und Günstling des Erzherzogs und Bischofs von Passau, Straßburg, Halberstadt und ab dem kommenden Jahr auch Olmütz, Leopold Wilhelm von Österreich, zu einem analogen Rangkonflikt wie 1632 zwischen Fürst Gundaker und dem Bischof von Wien. Sebastian von Lodron war seit dem Jahr 1636 Geheimer Rat und Oberstkämmerer und seit 1637 Obersthofmeister Leopold Wilhelms. 6 0 Am 23. November 1636 erklärte der Erzherzog dem Fürsten Liechtenstein, daß er es gerne sähe, wenn er „der session halber" dem Bischof von Gurk auch im Geheimen Rat „wiche", weil er ihm außerhalb des Rats „die stell gebe". Zwei Tage später berichtete Gundaker dies dem österreichischen Hofkanzler Graf Werdenberg nach Regensburg. Er weigerte sich, dem Begehren nachzukommen und kündigte an, er werde sich notfalls „gern wider heimbbegeben". M a n möge dies ruhig dem Kaiser berichten, „und da auch i(hr) m(ayestät) erklerten, daß ich unter ihr liebden sizen solle, so würde ich darvor i(hr) m(ayestät) bitten und lieber mich von dem rahtt absondern und nach haus ziehen alls solches vollziehen". Er habe sich, betont er, nicht im mindesten u m seine Berufung nach Wien bemüht. 6 1 A m 1. Dezember wiederholte Gundaker seinen Bericht über die ihm angetane „Zumutung wegen der session des herrn bischofs von Gurgk liebden" und schilderte den weiteren Verlauf der Affäre. Er habe an den Sitzungen der Geheimen und Deputierten Räte nur teilgenommen, wenn der Bischof von Gurk nicht anwesend war und werde es auch weiterhin so halten. Gundaker setzte sich offenbar vorläufig durch, denn Erzherzog Leopold Wilhelm scheint Sebastian von Lodron angewiesen zu haben, dem Geheimen Rat fernzubleiben. 6 2 Werdenberg antwortete am 13. Dezember, die strittige Präzedenzsache sei
Ebd., G. v. L. an Ferdinand II., 2. August 1632 (Konzept). Ebd., Harrach an G. v. L., o. O., o. D. („[...] jezo auf die österlichen feiertag [...]"). 57 „Dem verstorbenen Cremsmünster [!] zu weichen haben ihr mayestät mit uns tractiern lassen, und wür [sind] freywillig abgewichen, dahingegen und derohalben uns sodann ihr mayestät unsere in Mähren gelegene güetter in ein furstenthumb erhebt und mit dem palatinat begnadet haben." HALV, Hs. 602, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, 10. Oktober 1648 (Abschrift). ss Vgl. oben S. 184 f. " Siehe Obersteiner, Bischöfe von Gurk, S. 374-380. 60 Ebd., S. 375. 61 HALV, K. 251, G. v. L. an Graf Werdenberg, Wien, 25. November 1636 (eh. Konzept). 62 HALV, K. 246, Fasz. „Fürst Gundaker am Hof zu Wien, Oktober 1636 bis 1637", G. v. L. an Graf Werdenberg, Wien, 1. Dezember 1636 (eh. Konzept). 55 56
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zwar referiert worden, es sei aber noch keine Resolution erfolgt, „dan ihr mayestätt allergnädigst vermeldet, sie wollen der sach weiter nachdencken" 6 3 Am 24. Januar 1637 wandte sich Fürst Gundaker in dieser Angelegenheit direkt an Ferdinand II. Es sei ihm mündlich berichtet worden, daß der Kaiser resolviert habe, der (Fürst-) Bischof von Gurk solle im Geheimen Rat über ihm sitzen. Daraufhin habe er sich mit Vorwissen Erzherzog Leopold Wilhelms „nach haus begeben". Er habe auf diese Weise von zwei Übeln das kleinere gewählt, da er es fur ratsamer gehalten habe, „außer rahts zu sein und zu leiden das, so zu verendern in meiner macht nicht stehet, als demselben dergestalt beizuwohnen und zu leiden das, was ich verendern khan", und zwar „zu verhiettung meiner persohn und meinesgleichen nachkommenden praeiudicii, so ich ihnen consequenter durch disen eingang gemacht hette". 64 Er sei der Meinung („aber ohne gehorsamste maßgebung"), man hätte ihm die Sessionsproblematik mitteilen sollen, als man ihn (am 5. Oktober 1636) nach Wien berief. In diesem Fall hätte er sich rechtzeitig entschuldigen und die Berufung ausschlagen können. Abschließend ersucht Gundaker den Kaiser um Entschuldigung dafür, ihn mit diesem Bericht „molestiert" zu haben und befiehlt sich untertänigst in seine kaiserliche und landesfurstliche Gnade. 65 Der weiter unten behandelte Rangstreit Gundakers von Liechtenstein mit Wenzel Eusebius von Lobkowitz in den Jahren 1648 und 1649 bezog sich auch auf die Session im Geheimen Rat. Die kaiserliche Entscheidung fiel schließlich zugunsten des Fürsten Gundaker als des älteren Geheimen Rates aus.66 In späterer Zeit dürfte das Problem der Sitzordnung im Geheimen Rat durch die ausnahmslose Beschränkung auf das bürokratische Kriterium des Dienstalters gelöst worden sein. Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts jedenfalls scheint für die Sitzordnung im Geheimen Rat nur mehr die Anciennität maßgebend gewesen sein. 67
7.1.2. Die Session der neuen Fürsten am Kaiserhof und deren Rangordnung untereinander Bei den bisher behandelten Konflikten um die Position Gundakers von Liechtenstein im Geheimen Rat ging es im Kern um die Frage der Stellung der neuen Fürsten in der Rangordnung am kaiserlichen Hof. 1631 beklagte sich Fürst Gundaker darüber, daß der Fürst von Anhalt 68 und der Herzog von Sachsen69, obwohl sie beide keine Erstgeborenen seien, vor dem Kaiser den Hut aufsetzen (dürfen), während er und sein Bruder Maximilian ihn in der Hand halten (müssen) - „stehen neben ihnen wie ihre diener". Seines Erachtens sollten die (neuen) Fürsten, egal ob erstgeboren oder nicht, ebenso wie die alten Granden vor dem spanischen König den Hut aufsetzen, „denn wier reichsfiirsten sein des keisersgrandes"7° Die Zahl
HALV, K. 251, Johann Baptist Graf von Werdenberg an G. v. L., Regensburg, 13. Dezember 1636. Der Jurist und Reichspublizist Dominicus Arumaeus hatte in seiner 1621 in Gießen erschienenen „De sessionis praerogativa oratio" und in seinem 1630 in Jena herausgekommenen „Commentarius juridico-historico-politicus de Comitiis Romano-Germanici Imperii" ganz in diesem Sinne ausdrücklich erklärt, es sei den hohen Herren („magnatibus") gleichsam angeboren, „Rang und Würde ihrer Familie in den Vordergrund ihres Handelns zu stellen. Nähmen sie darauf nicht empfindlichste Rücksicht, so täten sie Unrecht gegenüber sich selbst und ihren Nachkommen." Einem Aufklärer wie Christian Thomasius hingegen „waren [um 1690] Präzedenzkonflikte nur mehr lächerlich, während das Zeremonialwesen an den Höfen doch zur gleichen Zeit noch immer weiter verfeinert, immer akribischer dokumentiert wurde." Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, S. 107 und 127. 63
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65 HALV, K. 246, Fasz. „Rangstreit im Geheimen Rat, 1623 ff.", G. v. L. an Ferdinand II., Wien, 24. Januar 1637 (Abschrift). 66 Siehe Kapitel 7.1.3. 67 Rohr, Ceremoniel-Wissenschaft Der großen Herren, S. 2 6 7 f. und 2 7 0 f. M wohl der als Oberst in kaiserlichen Diensten stehende Fürst Ernst von Anhalt-Bernburg " wohl der kaiserliche Oberst Julius Heinrich, Herzog von Sachsen-Lauenburg 70 HALV, K. 36, G. v. L. an seinen Kanzler, Kromau, 30. September 1631 (Konzept; Hervorh. Th. W.).
Rangkonflikte und Präzedenzstreitigkeiten
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der seit einer Entscheidung Karls V. im Jahre 1520 vom König als ranghöchste Gruppe der spanischen Aristokratie anerkannten Grandes de Espana in den Königreichen Kastilien, Aragon und Navarra war viel größer als die der neuen Reichsfursten - 25 im Jahre 1520, 32 zu Beginn des 17. Jahrhunderts, 41 im Jahre 1627 und 113 im Jahre 1707 7 ' aber Angehörige der zwei oberen Klassen der Granden durften tatsächlich in Gegenwart des Königs den Hut aufbehalten, sodaß Gundakers Enttäuschung darüber, dal? der Kaiser ihm und seinem Bruder dieses Privileg nicht gewährte, nicht überraschend ist.72 Später bemühte sich Gundaker von Liechtenstein um eine Grundsatzentscheidung Ferdinands III. in dieser Angelegenheit. Im Februar 1648 schrieb er an seinen Sohn Ferdinand Johann, er wäre schon zufrieden, wenn der Kaiser den Fürsten eine bestimmte Stelle in der Kirche, in der Kapelle, bei der Tafel und im Fahren „assignieren" würde, denn alle bei Hof hätten ihre Stelle, nur die Fürsten nicht. Wenn der Kaiser mit dem Hofstaat in einer Kirche am Gottesdienst teilnehme, so werde nur für die Botschafter und fiir die Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies eine Bank vorbereitet, für die Fürsten, die doch die Vornehmsten nach den Botschaftern seien, hingegen nicht; sie müßten sich in die Bank der Geheimen Räte zwängen.73 Bei Ausfahrten des Hofes fahre ein Markgraf (von Baden, Brandenburg etc.) nach dem Oberststallmeister „immediate vor dem keiser, und wir fursten sollen vor dem stallmeister [...] fahren, welches wider des keisers begnadung ist, die da vermöge, daß er uns neue reichsfursten NB. associere denen andern reichsfursten, dergestalt, daß wir in allen actibus und sollenniteten etc. derselben genießen und denselben zugesellt sein sollen. Wann nun
" Elliott, Imperial Spain, S. 114 und 314; ders., Philipp IV., S. 173; Dominguez Ortiz, La sociedad espafiola, Bd. 1, S. 219f.; ders., The Golden Age ofSpain, S. 114; Thompson, Nobility, S. 192 f. Andere Zahlen - vielleicht wegen der Nichtdifferenzierung zwischen den grandes und den anderen tituhs (das sind die in der Hierarchie der spanischen Aristokratie unmittelbar unter den Granden rangierenden übrigen Herzöge, Markgrafen und Grafen) - bei Atienza Hernandez, ,Refeudalisation', S. 254 f. (etwa 100 gegen Ende des 16. Jahrhunderts, rund 3 0 0 um 1700). Näheres zur spanischen grandeza im 17. Jahrhundert im allgemeinen und zu einzelnen grandes und tituhs bei Dominguez Ortiz, La sociedad espafiola, Bd. 1, bes. S. 2 0 9 - 2 2 2 . Vgl. auch die von einem Uberblick über die Geschichte des spanischen Adels in der frühen Neuzeit eingeleitete Quellensammlung von Garcia Hernän, La nobleza, bes. S. 22, 9 6 - 9 8 und 1 1 7 - 1 1 9 . 72 Die Granden waren in drei Klassen unterteilt: Angehörige der ersten konnten ihren Hut aufsetzen, bevor sie mit dem König zu sprechen begannen, Angehörige der zweiten begannen zu sprechen und setzten dann den Hut auf, und ein Angehöriger der dritten Klasse durfte den Hut erst aufsetzen, wenn das Gespräch mit dem König beendet und er auf seinen Platz zurückgekehrt war. Elliott, Philipp IV., S. 173 f. Zur Aristokratie in den Ländern der Kronen von Kastilien und Aragon im 17. Jahrhundert und ihrer unter den valimientos von Lerma und Olivares schrittweise reduzierten, seit dem Fall des letzteren im Januar 1643 aber wieder stark anwachsenden sozialen und politischen Bedeutung vgl. u. a. Thompson, Nobility (S. 192 zur Sonderstellung der Granden am Madrider Hof: „They alone had the right of access to the king, to remain covered in his presence, to carry his coffin, to be addressed as ,cousin', to be informed personally of the great events of State"); Dominguez Ortiz, The Golden Age of Spain, S. 1 1 2 - 1 1 9 ; Stradling, Philip IV, bes. S. 1 5 1 - 1 7 1 ; Atienza Hernandez, ,Refeudalisation'; Yun Casalilla, Castilian aristocracy. 73 Diese Angabe des Fürsten Gundaker findet ihre Bestätigung durch gedruckte Beschreibungen der Krönungen Ferdinands IV. zum König von Böhmen am 5. August 1646 im Prager Veitsdom und zum König von Ungarn am 16. Juni 1647 in der Preßburger Martinskirche. In beiden Fällen befanden sich in nächster Nähe des Kaisers und des Königs eigene Sitze fiir den Spanischen und den Venezianischen Botschafter und - nur in Preßburg - fiir Kardinal Harrach und den päpstlichen Nuntius Camillo de Melzi; nur in Prag saßen etwas unterhalb, ebenfalls auf eigenen Sitzen, die Herzöge Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg, Georg von Brieg und Liegnitz und Silvius Nimrod von Württemberg. Gegenüber dem Altar stand bei beiden Krönungen eine Bank fiir die Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies, daneben (also nicht in der Mitte) eine Bank (fiir die Fürsten und) fiir die (übrigen) Geheimen Rate. In Prag war 1646 offenbar kein Fürst Liechtenstein anwesend. In Preßburg 1647 saßen auf der mit rotem Samt behängten Bank für die Fürsten und die Geheimen Räte Fürst Karl Eusebius und Fürst Hartmann von Liechtenstein, Ferdinand Siegmund Graf Kurz, Ulrich Franz von Kolovrat und der Hofkanzler Matthias Prickheimayer, auf der Bank „fiir die Cavallieri deß Güldenen Vellus" hingegen Maximilian Fürst von Dietrichstein, Wilhelm Graf Slavata und Georg Adam Bofita Graf von Martinitz. HHStA Wien, Ältere Zeremonialakten, K. 2, Nr. 8 und 11.
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Rangkonflikte
einer, der kein fürst ist, zwischen uns sizet oder fahret, so werden wir von denen andern reichsfiirsten abgesondert." In einem Postskriptum rät Fürst Gundaker seinem Sohn mit bemerkenswerten Argumenten 74 , er möge sich in dieser Sache an Wenzel Eusebius von Lobkowitz (Abb. 27) wenden: „Weil dann der fürst von Lobk(owitz) bei hoff wol angesehen und favorisiert ist, auch vil geheime rähtt seiner nation sein, so kan es keiner pesser zu weeg richten als er." Man könnte ein Konzept aufsetzen, durch das, wenn es von Lobkowitz im Namen Gundakers von Liechtenstein dem Kaiser überreicht würde, hoffentlich das Ziel zu erreichen sei.75 Ferdinand Johann antwortete aus Prag, Fürst Lobkowitz sehe derzeit keine Möglichkeit, „eine pragmaticam (so änderst nichts als ein gewisser aussaz undt Ordnung ist, wie es mit denen fürsten und herren wegen der titul, ceremonien, sessionen im stehen undt gehen, zue hof, zue kirchen undt sonsten überall gehalten werden solle) auffzurichten"; man müsse mit der Sache noch etwas zuwarten. Fürst Lobkowitz habe ihm aber gesagt, er wolle danach trachten, daß in der Burgkapelle eine eigene Fürstenbank aufgerichtet werde; in diesem Fall werde er sich selbst nicht mehr auf die Bank der Vliesritter, sondern auf die Fürstenbank verfügen. 76
Abb. 27: Fürst Wenzel Eusebius von Lobkowitz, Herzog von Sagan (1609-1677). Kupferstich von Philipp Kilian.
74
Vgl. Winkelbauer, Notiz. HALV, K. 35, Fasz. „Präzedenzstreit mit dem Fürsten Lobkowitz (1648-1649)", G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Wien, 22. Februar 1648 (eh.). 76 HALV, K. 38, F. J. v. L. an seinen Vater Gundaker, Prag, 26. Februar 1648. Im selben Sinne auch ein weiterer Brief Ferdinand Johanns an seinen Vater vom 18. März 1648 (Abschrift in HALV, Hs. 602, S. 76-78.) Zu den Konflikten um die Position der Vliesritter in der Wiener Burgkapelle und bei der Krönung Ferdinands III. in ö d e n b u r g im Jahr 1625 siehe oben S. 195 f.; zur großen Bedeutung der Sitz- und Präze75
Rangkonflikte u n d Präzedenzstreitigkeiten
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Eine Woche später schrieb Fürst Gundaker, der Kaiser tue den Fürsten „aus absonderlichen gnaden die ehr, wan wir das erste mal nach hof kommen, daß er den huet ruket". Wenn sogar der Kaiser, „unser herr", auf diese Weise einen Unterschied zwischen den Fürsten und Personen niedrigeren Standes mache, so sei es noch „vil billicher, daß auch öffentlich in locis publicis destwegen ein differenz zu halten verordnet werde". Zur Zeit Kaiser Rudolfs II. seien die Botschafter in der Kapelle auf der linken Seite des Oratoriums und die Fürsten auf der rechten Seite, näher gegen den Hochaltar hin, gestanden. Unter Ferdinand II. sei in der Wiener Hofburgkapelle und in Wiener Neustadt und dann auch in den anderen (Hof-) Kirchen auf der Evangelienseite, gegenüber der Bank der Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies, eine Fürstenbank aufgestellt worden. Wegen der „importunitet" eines der Ordensritter seien beide Bänke abgeschafft, einige Zeit später aber „die toisonbank" wieder aufgestellt worden, die Fürstenbank hingegen nicht. 77 Am 18. Mai 1648 wandte sich Gundaker direkt an den Fürsten von Lobkowitz. Die bevorstehende kaiserlichen Hochzeit (zwischen Ferdinand III. und Maria Leopoldine, der Tochter seines Onkels Leopold von Tirol) und Königskrönung sei eine gute Gelegenheit, den Kaiser dazu zu bewegen, den Fürsten „in der Capellen, bey der tafl und im fahren" eine eigene Stelle zuzuweisen. Er, Gundaker, mache Lobkowitz darauf aufmerksam und äußere die Bitte, „weil sie [sc. Seine Liebden] bey ihr mayestät in authoritate und meiste herrn gehaimbe räth ihre landtsleith und verwände sein, auch anjezo underschidliche fiirsten hinkomen werden, euer liebden wollen sollches zu wörk zu richten bemiehet sein und dadurch, was ihnen selbst zuestedt, befördern helffen und den ganzen furstenstandt ihnen mehrers obligieren". 78 Fürst Lobkowitz antortete umgehend, meinte aber, er werde nichts ausrichten können. 79 Fürst Gundaker äußerte sich daraufhin, wenn man in der Sache etwas beim Kaiser anbringen und ausrichten wolle, so müsse es nicht durch einen einzelnen Fürsten, sondern durch sämtliche („Neu"-)Fürsten gemeinsam geschehen. Er setzte seine Hoffnungen aber weiterhin in erster Linie auf Lobkowitz: „Dieweil aber der fürst von Lobkowiz bey hof in ansehen, auch die meisten herrn geheimen räth seine landtsleuth und verwarnen sein, er durch sein authoritet und deren affection und beystandt die sach woll incaminieren kindte [...]." 80 Im September 1648 wandte sich Gundaker von Liechtenstein mit seinem Anliegen direkt an den Kaiser. Die Verneuerte Landesordnung (VLO) des Königreichs Böhmen bestimme in den Artikeln 28 bis 30, daß Herzöge und Fürsten anderen hohen Standespersonen vorzugehen und vorzusitzen haben. 81 Er wolle verhindern, daß ihm andere Reichsfursten den
denzordnung in der Burgkapelle und in anderen Kirchen, in denen der Kaiser und der Hof an Messen teilnahmen, als einem der „Kommunikations- und Informationszentren" des Wiener Hofes: Hengerer, Der Hof Kaiser Ferdinands III., S. 121-124, 160, 164 f. und 167 f. 77 HALV, K. 35, Fasz. „Präzedenzstreit mit dem Fürsten Lobkowitz", G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Wien, 3. März 1648 (eh.). n HALV, Hs. 602, S. 124, G. v. L. an Fürst Lobkowitz („von i. f. gn. aignen handen"), Wien, 18. Mai 1648 (Abschrift). 79 Ebd., S. 142, Fürst Lobkowitz an G. v. L., 20. Mai 1648 (Abschrift). " Ebd., S. 143, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Wien, 30. Mai 1648 (Abschrift). " In den Beratungen der zur Ausarbeitung der Verneuerten Landesordnung eingesetzten Kommission ebenso wie in denen der Superrevisionskommission war man zu dem Schluß gekommen, es sei am besten, die neuen Fürsten und Grafen dem Herrenstand einzuverleiben und aus ihnen keine neuen Stände zu bilden. „Durch die erneuerte Landesordnung (A[rtikel] 27 und 28 [der VLO für Böhmen bzw. 26 und 27 der VLO fur Mähren]) und die spätere Praxis wurden die Verhältnisse so geordnet, daß [bei allen Landtagen, Landrechten und anderen Zusammenkünften in den Ländern der böhmischen Krone] innerhalb des Herrenstandes die Herzoge den ersten, die Fürsten den zweiten, die Grafen den dritten und die einfachen Herren den vierten Rang einnahmen. Den obersten Landesoffizieren war der Rang unmittelbar nach den Fürsten angewiesen, wenn sie nicht etwa selbst dem Fürstenstand angehörten. Da der Kaiser sich insbesondere dem Grafen Maximilian von TrauttmansdorfF wegen seiner glänzenden politischen und finanziellen Dienstleistungen, dem Adam von Waldstein und Jaroslav von Martinitz und dem Herrn Wilhelm von Slawata wegen ihrer bewährten
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Rangkonflikte
Vorwurf machen könnten, er habe die Beanspruchung des ihm zustehenden Ranges vernachlässigt. Gundaker hoffte offenbar, der Kaiser werde auf der Grundlage der Verneuerten Landesordnung die von Fürst Ferdinand Johann apostrophierte „Pragmatica" über die am Kaiserhof geltende Rangordnung ausarbeiten lassen. Artikel 2 8 der am 15. Mai 1 6 2 7 erlassenen V L O für Böhmen und damit gleichlautend Artikel 2 7 der am 10. Mai 1 6 2 8 erlassenen V L O für Mähren bestimmte: „Die hertzogen sollen vor denen fursten ihre session haben und dem alter nach sitzen, nach ihnen die fursten, gleichermaßen dem alter nach. Da auch ein hertzog oder fürst ein königliches land-officium hätte, soll er nicht under denen land-officirern, sondern bey denen hertzogen und fursten, der Ordnung nach wie gemeldt, sitzen, die vota aber [sollen] nach der land-officirer ämbter colligirt werden." 82 In Artikel 2 9 der böhmischen und in Artikel 2 8 der mährischen Landesordnung wurde den Geheimen Räten und Kämmerern Maximilian Graf Trauttmansdorff, Wilhelm Graf Slavata, Adam von Waldstein und Jaroslav Borita Graf Martinitz - übrigens als Folge einer 1 6 2 5 beim Kaiser eingebrachten Supplik der drei zuletzt Genannten 8 3 - sowie den jeweils ältesten männlichen Nachkommen Slavatas 84 und mit Einschränkungen auch der Primogenitur der drei anderen, gleichgültig ob sie gerade Landesämter innehaben oder nicht, vom 20. Lebensjahr an bei allen Landtagen, Landrechtssitzungen und sonstigen Zusammenkünften in den böhmischen Ländern „die Session und Stelle" unmittelbar nach den weltlichen Fürsten und vor allen anderen Grafen und Herren (sowie vor den Inhabern von Landesämtern) verliehen. 8 5 Im Artikel 2 9 der V L O fur Mähren erhielt auch der Hofkriegsratspräsident Graf Rambaldo von Collalto und nach dessen Tod der jeweilige Primogenitus die Session unmittelbar hinter den weltlichen Fürsten zugestan-
Anhänglichkeit verpflichtet fühlte, sie aber doch nicht in den Fürstenstand erheben wollte, so bestimmte er, daß sie stets den ersten Platz nach den Fürsten und vor den obersten Landesoffizieren einnehmen sollten. Auch die erstgeborenen Nachkommen Slawatas sollten sich dieses Rechtes fur alle Zukunft erfreuen, die erstgeborenen Nachkommen der anderen drei Grafen aber stets nur den Vorrang vor den übrigen Grafen, aber hinter den Oberstlandoffizieren haben. Graf Wilhelm von Slawata wurde noch besonders damit begnadigt, daß er und seine Erben sich .Grafen und Regierer des Hauses Neuhaus Koschumberg' nennen durften. Ferdinand III. vermehrte später die Reihe der privilegierten Geschlechter, indem er den Grafen Zdenko von Stambach, Wenzel von Würben, Johann Sigmund von Thun, Christoph Paul von Liechtenstein[-Castelcorno] und Julius von Salm[-Neuburg] dieselben Rechte erteilte, wie sie sein Vater den Grafen von Trauttmansdorff, Waldstein und Martinitz erteilt [hatte]. Auffallend ist es, daß der Oberstburggraf Adam von Sternberg, der doch auch in den Grafenstand erhoben worden war, nicht in gleicher Weise ausgezeichnet wurde; wahrscheinlich hat ihn sein Gutachten über die in der Landesordnung einzuleitenden Veränderungen ganz besonders dieser Gnade unwürdig gemacht. Vielleicht wäre auch Martinitz nicht ausgezeichnet worden, wenn er nicht bei dem Fenstersturze eine so hervorragende, allerdings passive Rolle gespielt und wenn ihn nicht sein katholischer Eifer besonders empfohlen hätte." Gindely, Gegenreformation, S. 476 f. 82 H. Jirecek (Hg.), Verneuerte Landes-Ordnung Böhmen, S. 39; ders. (Hg.), Verneuerte Landes-Ordnung Mähren, S. 36; HALV, K. 35, a. a. O., Eingabe G.s v. L. an den Kaiser, 13. September 1648 (Abschrift). Siehe auch die vorhergehende Anm. 83 Siehe Mat'a, Aristokraticka prestiz, Kap. 2.1, bei Anm. 53-77. 84 Die Bevorzugung der Slavata-Primogenitur war offenbar eine Folge der kaiserlichen Privilegien vom 1. November 1625 und 18. Mai 1626, mit denen - in Anknüpfung an die ehemalige Sonderstellung des Regenten des Hauses Rosenberg bei Sitzungen des böhmischen Landrechts und Landtags - Wilhelm Slavata und dem jeweiligen Primogenitus die Führung des Titels „Regent des Hauses Neuhaus" {vladar domu hradeckeho) erlaubt wurde. Mat'a, Zrozeni tradice, bei Anm. 53-55. 85 H. Jirecek (Hg.), Verneuerte Landes-Ordnung Böhmen, S. 41; ders. (Hg.), Verneuerte Landes-Ordnung Mähren, S. 36 und 38; HALV, K. 35, wie Anm. 75. - Die Sitzordnung im böhmischen Landtag stellte sich seit 1627 folgendermaßen dar: 1. die Herzöge; 2. die Fürsten; 3. Maximilian von Trauttmansdorff, Wilhelm Slavata und seine Primogenitur, Jaroslav von Martinitz und Adam von Waldstein; 4. die obersten Landesbeamten aus dem Herrenstand; 5. die Primogenitur nach Trauttmansdorff, Martinitz und Waldstein; 6. die Beisitzer des Landrechts, des Kammmer- und des Hofgerichts; 7. die Grafen; 8. die übrigen Herren nach dem Alter ihrer Familie. Mat'a, Aristokraticka prestiz, Kap. 2.1, bei Anm. 65. Diese neue Hierarchie im böhmischen Herrenstand galt aber nur auf der symbolischen Ebene (Sitzordnung), nicht aber auf der praktischen Ebene (Reihenfolge bei der Stimmabgabe): ebd., bei Anm. 74.
Rangkonflikte und Präzedenzstreitigkeiten
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den (mit Ausnahme der Geheimen Räte). 8 6 In den Jahren 1637 und 1642 verlieh Ferdinand III. diese Auszeichnung auch den Grafen von Salm-Neuburg und Würben (Wrbna). 87 Im Jahre 1652 ließ sich Gundaker mit seinem Neffen Karl Eusebius auf eine Diskussion darüber ein, wie man in seinem eigenen Haus und an seiner eigenen Tafel adelige, aber nichtfurstliche Gäste einerseits, Fürsten andererseits „tractieren" solle. Karl Eusebius machte Maximilian von Dietrichstein und zum Teil auch seinem Onkel Gundaker zum Vorwurf, geladenen Kavalieren bei der Tafel, im Zimmer und im Wagen die Präzedenz zu gewähren. Alle Kavaliere bei Hof, auch die österreichischen, böhmischen und mährischen, prätendierten in einem Fürstenhaus „die ober stell, sonst werden sie aufs eyßerist disgustirt", mit dem Argument, in ihrem Lande sei der Fürstenstand kein eigener Stand, sondern gehöre zum Herrenstand, „welchen sye zwar in publico weichen, aber in den heysern die gleichförmige cortesie praetendirn". Karl Eusebius war der Ansicht, unter diesen Umständen sei es am besten, überhaupt keine nichtfurstlichen Herren einzuladen. Er lobe sich den Herzog von (Pfalz-)Neuburg, der sich bereits im vorhinein geweigert habe, einem, der ihn heimsuchen wollte, die Hand zu geben und ihm ausdrücklich gesagt habe, er ersuche ihn, um ihn nicht disgustieren zu müssen, von einem Besuch lieber Abstand zu nehmen; er müßte ihm sonst jedenfalls den Vortritt verweigern. „Also thun sie auch zu Rom. Sie sagen zuvor, wie sye einen tractiren wollen. Dises aber gehet bey dem kayserlichen hoff nit an, sondern sye wollen von nichts anderm hören, als daß man ihnen die handt und ober stell geben solle, sonst werden sie aufs höchst disgustirt, absonders die ministri." 8 8 Gundaker antwortete, es sei ihm insbesondere um eine Korrespondenz und Absprache zwischen den neuen Fürsten „wegen der termini die [!] cortesia und wegen der ceremonien" zu tun, damit keiner den anderen darin präjudiziere. Er und die Seinigen würden sich gerne der Meinung der anderen neuen Fürsten „conformiren". Das würde der Aufrechterhaltung des Friedens und der Einheit dienen, „welche zu erhaltung und aufnehmung unserer aller neue fiirstenstandt nuzlich und nothwendig ist". Gundakers Ansicht nach wäre, gemäß der Reihenfolge der Erhebung in den Fürstenstand, dies die gegebene Rangordnung unter den neuen Fürsten: 1. Karl Eusebius von Liechtenstein („propter successionem patris"), 2. Eggenberg, 3. (Hohen-)Zollern, 4. der (Wild- und) Rheingraf, 5. Gundaker von Liechtenstein, 6. Dietrichstein, 7. Lobkowitz, 8. Nassau und 9. Piccolomini. Er, Gundaker, habe dem ehemaligen Landeshauptmann von Mähren Graf Christoph Paul von Liechtenstein-Castelcorno und dem Oberstjägermeister und ältesten kaiserlichen Kämmerer (Michael Johann) Graf Althan in seinem Haus im Gehen und im Sitzen „die oberhandt" offeriert, sie hätten sie, wie viele andere auch, aber nie annehmen wollen. „Daß die cavaglieri diese und andere praeeminenzen suechen, habe ich ihnen nicht vor übel, denn sie versuchen, ob sie dits und mehreres erhalten können, aber woll denen, die sie ihnen wider Schuldigkeit geben oder zuelassen, denn sie machen aus der cortesia ein gerechtigkeit; dahero ist dits Orths nicht eines jeden praetension ihm zu verwilligen, sondern [nur] soweit es der vernunfft nach und gebührenden allgemeinen observation in usu ist." Das von den „cavaglieri bey hoff", einschließlich der österreichischen, böhmischen und mährischen, verwendete Argument, daß in ihrem Land der Fürstenstand zum Herrenstand gehöre, sei im Hinblick auf die Stimmabgabe („quoad Votum") im Landtag zutreffend, im Hinblick auf die Session aber in Böhmen und in Mähren nicht mehr (seit der Promulgation der Verneuerten Landesordnung 1627 bzw. 1628). Kein Kavalier in den genannten drei Ländern könne sich seines Erachtens beschweren, wenn er von einem Reichsfursten so traktiert werde wie die schlesischen Standesherren von den schlesischen Fürsten. Mit den Geheimen Räten und mit hohen Hof- und Landesbeamten sowie Kriegsoffizieren sei „ein mehrere cortesia zu halten". Die neuen Fürsten mögen sich entweder H . Jirecek (Hg.), Verneuerte Landes-Ordnung Mähren, Art. 29; d'Elvert, Die Fürsten Collalto, S. 74 f. ®7 d'Elvert, Die Grafen Salm-Neuburg, S. 3. " HALV, Hs. 278, S. 272 f., Κ. E. v. L. an seinen Onkel Gundaker, 16. August 1652 (Abschrift). 16
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auf die oben angeführte Rangordnung (von Liechtenstein bis Piccolomini) einigen oder aber darauf, „daß wir ohne praeiudicium eines oder des andern" überall so, „wie wir nacheinander dahin kommen, die stell nehmeten", also auf die völlige Gleichrangigkeit aller neuen Fürsten. So werde es seinem Vernehmen nach in den (Spanischen) Niederlanden sowie zwischen gleichrangigen alten Reichsfiirsten wie Hessen, Baden, Württemberg etc. gehalten. 89 Fürst Karl Eusebius erwiderte, die Hauptursache der (Rang-)Konflikte zwischen den neuen Fürsten liege seines Erachtens darin, „daß kein einigkeit zwischen diesen standt" herrsche „und einer dem andern müßgünstig" sei „und nur trachtet, wie einer dem andern vorgezogen werde, destwegen freundte bey hoff suechet mit titulierung und gebung der praecedenz in ihren heusern". Dadurch präjudiziere sich der Betreffende nicht nur selber, sondern er schade damit allen Standesgenossen. Wer von den neuen Fürsten es nicht ebenso mache, verhindere den Fortgang seiner Geschäfte bei Hof und werde „vor hoffertig" ausgeschrieen. „Es wirdt schwer zu endern sein, dann die fiirsten wollen nit beyeinanderhalten, und die praeiudicia, so schon eingeloffen, werden schwer zu verendern sein." Dadurch geschehe dem Fürstenstand ein großes Unrecht, „wie aber viel unbilliches auf der weit beschicht, so gehet dieses werkh auch also hin, und wegen der hoffart der andern, so sich denen fiirsten gleich schäzen und gleichförmige cortesie in ihren heusern und wagen praetendiren, mueß der furstenstandt leiden." 90 Anfang Oktober 1652 riet Fürst Gundaker seinem Sohn Ferdinand Johann, mit den Fürsten Lobkowitz, Piccolomini und Dietrichstein zu „conferieren", denn Lobkowitz habe sich einmal ihm gegenüber geäußert, „wir neue fiirsten solten uns vergleichen", daß einer dem anderen ohne Präjudiz vorgehen und Vorsitzen könne. Soviel er gehört habe, werde es in den Niederlanden von den niederländischen Fürsten so gehalten; jedenfalls habe ihm das, wenn er sich recht erinnere, der Fürst von Dietrichstein gesagt, der die niederländischen Gewohnheiten gut kenne, da er am Brüsseler Hof erzogen worden sei.91 Ende desselben Monats ersuchte Gundaker seinen Sohn, sich zu erkundigen, „was der herzog Heinrich Julius [von Sachsen-Lauenburg], fürst von Lobkowitz, fürst Picolomini vor einen termino halten bei der tafl und vorgehen in ihrem haus, ob sie allen cavaglieri die ober stell geben, ob sie bei der tail ein eigene und in quo loco ein stell stets behalten, gleich wie der herr graf von Trautmanstorff ob(rist)hof(meister) gethan hatt". 92 Im August 1656 befaßte sich Karl Eusebius von Liechtenstein wegen der bevorstehenden Krönung Leopolds I. zum König von Böhmen, an der er teilzunehmen beabsichtigte, mit der Frage, ob Fürsten berechtigt seien, dem kaiserlichen Obersthofmeister vorzugehen. Fürst Gundaker antwortete seinem Neffen auf dessen Anfrage, daß er das diesbezügliche Dekret Kaiser Ferdinands II. in seiner Kanzlei nicht finde; er könne sich aber genau erinnern, daß eine Resolution dieses Inhalts zu Zeiten des Fürsten Eggenberg ergangen und gegenüber dem damaligen Obersthofmeister Meggau tatsächlich praktiziert worden sei. 93 Graf Trauttmansdorff habe, als er noch könglicher Obersthofmeister gewesen sei (also vor 1637), „in der hoffnung, auch kayserlicher obrister hofifmaister zu werden, auff anstififtung des graffen von Meggau [des damaligen kaiserlichen Obersthofmeisters] auff alle weis sich bemühet, unns die praecedenz zu benehmen und zu dem ende seltzambe practichen gebraucht", die er ihm lieber bei nächster Gelegenheit mündlich mitteilen wolle. Trauttmansdorff habe aber dann als kaiserlicher Obersthofmeister niemals den Vortritt vor Fürst Gundaker („vor unserer") prätendiert und, soweit er sich erinnern könne, auch nicht vor seinen Söhnen. 94
89
HALV, K. 39, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, Ostra, 15. September 1652; Konzept mit vielen eh. Ergänzungen und Korrekturen G.s v. L. ebd.; Abschriften ebd. sowie Hs. 278, S. 291-294. 90 HALV, Hs. 278, S. 307f., Κ. E. v. L. an seinen Onkel Gundaker, 27. September 1652 (Abschrift). " HALV, K. 39, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Ostra, 1. Oktober 1652, eh. Postscriptum. 92 HALV, K. 212, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann (nach Prag), Wien, 29. Oktober 1652 (eh.). 93 HALV, Hs. 605, S. 299, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, Ostra, 23. August 1656 (Abschrift). 94 Ebd., S. 304, G. v. L. an Κ. E. v. L., Ostra, 28. August 1656 (Abschrift).
R a n g k o n f l i k t e u n d Präzedenzstreitigkeiten
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Wohl um dieselbe Zeit wandte sich Gundaker von Liechtenstein, der ebenfalls an der Prager Königskrönung teilnehmen wollte, an den Grafen Walter Leslie, einen einflußreichen Höfling 95 , und ersuchte ihn, den Kaiser dazu zu bewegen, ihm eine Stelle bei Hof (in der Kapelle, bei der Tafel und im Fahren) zuzuweisen, und zwar vor anderen, d. h. vor allen nichtfiirstlichen Personen.96 Der Kaiser möge den Grundsatz beherzigen, „daß unicuique tribuendum, quod suum est", sowie die Maxime, daß „diejenige ehrengnaden, die eine obrigkheit ihren undergebenen erzeigt, der obrigkheit selbst zu ehren gereichen, indeme andere und frembde die undergebenen destwegen, weil sie ihr obrigkheit selbst mit gnad vor andern ehret, auch desto mehr ehren und diese denen undergebenen von frembden angethane ehr der obrigkheit zu mehreren reputation gereichet, indeme mann ihre undergebene mehr als andere reveriret, wie dann an denen grandes di Spagna zu sehen; denn weil sie ihr natürlicher könig und herr mehrers und vor andern seinen hohen officiern und untergebenen ehret, so werden sie auch von andern und auslendern desto mehrers geehret, welches alles dann endtlich ihr mayestät dem könig selbst zu mehrerer reputation gereichet."
Gleichzeitig informierte Fürst Gundaker den Grafen Leslie über die seit Kaiser Ferdinand II. am Kaiserhof übliche Rangordnung bzw. ersuchte um kaiserliche Erläuterungen, wie es damit zu halten sei. In der Burgkapelle habe Ferdinand II. für die Fürsten auf der Evangelienseite eine eigene Bank aufstellen lassen, gegenüber der Bank der Vliesritter („toisonbank"). Die Fürstenbank sei aber wieder entfernt worden; er, Gundaker, wisse nicht warum. 97 Bisher hätten die Fürsten in der Kapelle die Stelle unmittelbar nach den Botschaftern und vor dem Obersthofmeister innegehabt. Allerdings seien viele der Ansicht, die nächste Stelle nach den Botschaftern gebühre dem Obersthofmeister. Ferdinand II. habe aber, als der Obersthofmeister Graf Meggau den Fürsten nicht weichen wollte, „declariret, daß der obriste hofmeister denen forsten weichen solle". Was das Fahren betreffe, so sei es üblich, daß die Botschafter und die Fürsten zwischen den Wägen des Kaisers und des Oberststallmeisters fahren. 98 Im Widerspruch dazu stehe die ihm, Gundaker, überbrachte Ansicht des Oberststallmeisters (Franz Albrecht Graf Harrach 99 ), „daß er zwaar denen im römischen reich immediate gesessenen regierenden fiirsten, denen übrigen reichs- oder andern unter ihr mayestät gesessenen fiirsten aber nicht mit seinem wagen weichen wolle. Nun aber haben ihr kayserl. mayestät vermög unserer habenden diplomati [!] uns in den stand der andern reichsfursten gesezt und uns denselben zuegesellet, dergestalt, daß wir in allen acribus publicis uns derselben stell und praeminenz [!] wie sie gebrauchen sollen; dannenhero rechtmeßig zu urtln, daß kheiner, der da nicht ein fiirst ist, zwischen andern reichsfürsten und zwischen uns, die wir durch einen kayser aus dem haus Oesterreich in den reichsfürstenstand erhebt worden sein, seine stell haben solle."
Im letzten Absatz wird die Frage der „stell im aufwarten, wenn ihr mayestät tafl halten", behandelt. Gundaker habe gesehen, daß andere Reichsfürsten auf der Stufe („stafl") auf der rechten Seite, dort, wo die Tafel des Kaisers stehe, beim Fenster gestanden seien und die Botschafter bei der Tür der „ordinari rahttstueben" und daß der Kaiser ihnen befohlen habe, den Hut aufzusetzen. Graf Leslie möge den Kaiser fragen, wie er es in dieser und anderer Hinsicht gehalten haben wolle. Ein ungelöstes und wiederholt Auseinandersetzungen verursachendes Problem war die Rangordnung der neuen Fürsten untereinander. Im Jahre 1648 kam es zu einem Rangkonflikt zwischen den Fürsten Karl Eusebius und Gundaker von Liechtenstein einerseits und Wenzel Eusebius von Lobkowitz andererseits, der keineswegs gewillt war, die von Gundaker
" Vgl. zuletzt N D B , B d . 14, S. 3 3 1 f. 96
HALV, K. 2 4 6 , Fasz. „Rangstreit im G e h e i m e n Rat, 1 6 2 3 ff.", undatierte „Information" (mit Beilage
A) G . s v. L. an G r a f Leslie (Konzept mit eh. Korrekturen). 97
1 6 3 1 hatte Fürst Gundaker als G r u n d unverblümt die „importunitet" der Vliesritter genannt. Siehe
o b e n S . 195 f. " In Wahrheit war es eben nicht üblich. Vgl. S. 2 9 9 f. " Vgl. Harrach, Rohrau, 1. Teil, bes. S. 1 0 0 - 1 0 3 .
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Rangkonflikte
vier Jahre später vorgeschlagene siebente Stelle in der Rangordnung der Neufiiirsten zu akzeptieren. Am 17. September 1648 informierte Gundaker seinen Sohn Ferdinand Johann über die Prätension des Fürsten Lobkowitz, den Chefs der beiden Linien des Hauses Liechtenstein vorzugehen. Fürst Dietrichstein sei ihm „unnothwendigerweis in praeiudicium seiner nachkhommen" gewichen (obwohl der Kardinal Dietrichstein vor Zdenko Adalbert Popel von Lobkowitz in den Fürstenstand erhoben wurde). Lobkowitz berufe sich auf zwei Argumente: Erstens auf die Böhmische Landesordnung, derzufolge er Gundaker vorgehen wolle, da dieser kein Herzog sei, er aber schon (Herzog von Sagan). Gundaker vertrat hingegen die Ansicht, er sei sehr wohl ein Herzog, da er mit dem Herzogtum Troppau mitbelehnt sei. Aber selbst wenn er, Gundaker, kein Herzog sei bzw. wäre, so beziehe sich die Verneuerte Landesordnung, die „nur ein provincial- und localordnung" sei, jedenfalls nur auf die Landtagsberatungen in Böhmen, und in diesem Land habe er, Gundaker, ohnehin keinen Besitz. (Gundaker „vergaß", daß die Verneuerte Landesordnung der Markgrafschaft Mähren eine gleichlautende Bestimmung enthält.) Außerhalb des Böhmischen Landtags gelte vielmehr der Grundsatz, daß ein Reichsfurst mehr sei als ein schlesischer Herzog 100 , und er sei älter im Reichsfurstenstand als Fürst Lobkowitz und sein Vater. Das zweite Argument bezog sich darauf, daß Lobkowitz ein in die Reichsmatrikel aufgenommenes Gut besitze (nämlich die in der Oberpfalz, also im Bayerischen Reichskreis gelegene Gefürstete Grafschaft Sternstein 101 ) und bei den Reichs- und Kreisversammlungen Sitz und Stimme habe, Karl Eusebius und Gundaker von Liechtenstein hingegen nicht. Dagegen wandte Gundaker ein, daß sich dieses Argument nur auf Reichs- und Kreistage beziehen könne, auf denen die Fürsten von Liechtenstein ohnehin nichts zu tun hätten, nicht aber auf den kaiserlichen Hof. Reichsfiirsten und andere deutsche Fürsten seien ein einheitlicher Stand, „und wie diejenigen, so eines stands sein, nacheinander in ein rahtscollegium angenohmen werden, allso sitzen sie demselben nach". Deshalb könne Fürst Lobkowitz nicht mit Fug prätendieren, „die session im geheimen raht vor mir zu haben". 102 Am 12. Oktober 1648 wurde dem Kaiser als Gegendarstellung zu einem „Memorial" des Fürsten von Lobkowitz eine ausführliche „Information" Gundakers von Liechtenstein in dieser Angelegenheit überreicht. 103 Fürst Gundaker beruft sich darin im wesentlichen auf die soeben referierten Argumente und bringt diverse Beispiele dafür, daß ein und derselben Person je nach Ort und Umständen von denselben Herren manchmal die Präzedenz gewährt werde, manchmal nicht. So gehe der Fürst von Lobkowitz im Geheimen Rat den anderen Geheimen Räten vor, bei Versammlungen der Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies hingegen säßen ihm die Grafen Khevenhüller, Trauttmansdorff und Slavata vor. Im niederösterreichischen Landhaus sitze ihm, Gundaker, ein an Jahren älterer Graf oder Freiherr vor, außerhalb desselben gehe er ihm nach. Der alte Fürst Eggenberg habe seine Session in der Kapelle „und in andern acribus" bereits eingenommen, bevor er im Reichsfürstenrat Sitz und Stimme erlangte. „Dahero gibt die session und votum im reichsfiirstenrahtt denen fürsten kheine Vermehrung der fürstlichen dignitet noch bey anderen actibus eine praecedenz. [...] Es ist alhie
"M Mit dieser Auffassung stehen die wiederholten Bemühungen schlesischer Mediatherzöge - insbesondere der Piasten in Liegnitz, Brieg und Wohlau - um den Reichsfiirstentitel im 17. Jahrhundert in Einklang. Vgl. M. Weber, Verhältnis, S. 97-118. "" Die reichsunmittelbare Herrschaft Neustadt an der Waldnaab wurde von Kaiser Ferdinand III. am 23. August 1641 zu einer immediaten Reichsgrafschaft mit Fürstentumsrecht unter dem Namen Sternstein erhoben. Original des Diploms (Pergamentlibell mit anhängender goldener Bulle) im SOA Litomerice, Zweigstelle Zitenice, LR, RA, G 4. Vgl. auch die sarkastische Bemerkung von J. J. Moser, Teutsches Staats-Recht, 35. Teil, S. 175: ,Λη unmittelbaren Gütern besitzet dises Haus [Lobkowitz] bloß eine kleine Herrschafft in der obern Pfalz, welche aber doch den Nahmen einer gefursteten Graffschafft Sternstein führen muß." 102 HALV, K. 35, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Ebergassing, 16. September 1648. 103 Abschriften der am 12. Oktober 1648 Kaiser Ferdinand III. übergebenen „Information" in HALV, K. 35, und Hs. 602, S. 222-232.
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nicht zu thun u m b die session und votum im reichsfurstenrahtt, sondern bey euer kayserl. mayestät geheimen rath und hoffhaltung, und zwar in dero erblanden." In den sieben Jahren, die seit der 1 6 4 1 erfolgten Zubilligung von Sitz und Stimme im Reichsfiirstenrat an den Herzog von Sagan vergangen sind, sei Gundaker ihm sowohl im Geheimen Rat als auch außerhalb desselben stets vorgegangen und vorgesessen und somit „gegen ihme in posseß vel quasi praecedentia gewest und gebliben". Als weitere Argumente nennt Gundaker neben zahlreichen anderen, daß sein Fürstentum Liechtenstein in Mähren zwar kein Herzogtum sei, dafür aber im Unterschied zum Herzogtum Sagan kein Lehen, sondern freies Eigentum. Er, G u n daker, sei zwar nicht Regierer des Hauses Liechtenstein, er sei aber dem Vater des Fürsten von Lobkowitz, obwohl er Regierer des Hauses Lobkowitz gewesen sei, stets vorgegangen. G u n daker ersucht den Kaiser daher, er möge ihm nicht zumuten, nun plötzlich dem Fürsten Lobkowitz die Präzedenz zuzugestehen. Wenzel Eusebius von Lobkowitz versuchte, die Argumente Gundakers von Liechtenstein in einer dem Kaiser am 2 7 . Oktober 1 6 4 8 übergebenen ,Gegenanzeige' zu widerlegen. 1 0 4 Er sei durch die Verleihung des Herzogtums Sagan in einen höheren Stand als sein verstorbener Vater versetzt worden, und er sei „als ein würkhlicher regierender herzog, der mit einem alten, von viel hundert jähren bestehenden herzogthumb und dessen regalien, praeeminentien und hochheiten investirt" sei, „einem andern, der nur titulotenus in fiirstenstandt erhebt, von rechts und gewohnheit wegen billich vorzuziehen". Überdies sei er beim jüngst gehaltenen Reichstag zu Regensburg nach Ausweis des jüngsten Reichsabschieds aus dem Jahre 1 6 4 1 in die Zahl der wirklichen Reichsfiirsten aufgenommen worden und habe dadurch das „ius sessionis et voti" im Fürstenrat erlangt, „dahero ich ihme, fiirsten Gundackhern zu Liechtenstein, keiner ainigen possession der praecedenz vor mir gestendtig sein khan". Dieser sei kein wirklicher Reichsfurst, sondern gehöre zu jenen Fürsten, „welche nur titulares aut honorarii" Fürsten seien. Er, Lobkowitz, weiche als ein neuer Herzog und Reichsfurst den älteren fürstlichen Familien im Reich (d. h. auch jenen ihrer Mitglieder, die nicht Sitz und Stimme im Fürstenrat haben), sei aber nicht schuldig, dem Fürsten Gundaker von Liechtenstein „als einem einheimbischen fiirsten, der auch noch neu ist undt khein herzoglichen standt noch das ius sessionis et voti im reichsfiirstenrath überkhommen, dasselbe zu thuen". Seine Gefiirstete Grafschaft Sternstein sei in die Reichsmatrikel eingelegt, was Gundaker von Liechtenstein von seinem Fürstentum Liechtenstein nicht behaupten könne, wenn es vielleicht auch reicher und größer sei, obwohl er, fugte Lobkowitz maliziös hinzu, nicht wisse, „wo es gelegen sey". I m Geheimen Rat seien stets nicht nur die geistlichen, sondern auch die weltlichen Fürsten den älteren Geheimen Räten vorgesessen. Er, Lobkowitz, begehre auch nicht, den älteren Geheimen Räten im Votieren vorzugreifen; das Votieren lasse sich von der Session gut trennen. Das könne gerade am Beispiel Gundakers von Liechtenstein demonstriert werden, indem er dem Obersthofmeister (TrauttmansdorfF) Vorsitze, aber erst nach ihm sein Votum abgebe. Er könne aber nicht zugeben, daß Fürst Gundaker ihm im Geheimen Rat in den seit 1 6 4 1 verstrichenen sieben Jahren vorgesessen sei, „weilen er im gehaimben rath, seither ich bin würckhlicher gehaimer rath gewesen [d. h. seit 1 6 4 5 ] , neben mir sich nicht befunden". Drei Monate später wandte sich Gundaker von Liechtenstein im Vertrauen an Maximilian von TrauttmansdorfF, der sich ihm gegenüber gesprächsweise geäußert hatte, die Entscheidung in der „Lobkowitzischen Sache" sei „ein wichtiges und etwas schweres werkh" und bedürfe daher „einer haubtberathschlagung". 1 0 5 Gundaker verwahrte sich unter anderem gegen die vom Fürsten Lobkowitz vorgenommene grundsätzliche Unterscheidung zwischen „würkliche(n) reichsfiirsten" und Titularfürsten, denn „die kayserliche conferierung der reichsfiirstlich- oder -gräflichen dignitet macht einen zu einem reichsfiirsten oder reichsgra,M 105
Abschriften im SOA Litomerice, Zweigstelle Zitenice, LR, RA, G 4, Fasz. 16, und im HALV, K. 35. HALV, K. 35, G. v. L. an Graf TrauttmansdorfF, Wien, 23. Januar 1649 (Abschrift).
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fen und nicht die session oder votum". Er, Gundaker, habe dem Herzog von Sagan billigerweise vorzugehen, weil er sowohl im Fürstenstand als auch im Geheimen Rat älter sei als er. A m 9. Februar 1 6 4 9 erging endlich ein kaiserliches Dekret wegen der Sitzordnung im Geheimen R a t . 1 0 6 Ferdinand III. gibt darin bekannt, er habe sich nach reiflicher Überlegung resolviert, daß der Herzog von Sagan im Geheimen Rat nach dem Fürsten von Liechtenstein als älterem Geheimen Rat die zweite Stelle einnehmen solle. D e r Kaiser entschied sich also für die prinzipielle Gleichrangigkeit von weltlichen Reichsfursten mit und ohne Sitz und Stimme im Reichsfurstenrat und sprach Gundaker von Liechtenstein als dienstälterem G e heimem Rat konsequenterweise „die Stelle" im Geheimen Rat vor Wenzel Eusebius von L o b kowitz zu. Im Verzeichnis des Hofstaats Ferdinands III. aus dem Jahre 1 6 5 5 wird Gundaker von Liechtenstein daher in der Liste der 19 Geheimen Räte nach Kardinal Ernst Adalbert von Harrach an zweiter Stelle geführt, vor (in dieser Reihenfolge) den Fürsten Wenzel von Lobkowitz, Maximilian von Dietrichstein, Ottavio Piccolomini, Johann Weikhard von Auersperg und Hannibal Gonzaga. 1 0 7 A m 7. M a i des Jahres 1 6 5 1 ereignete sich in Prag ein Präzedenzkonflikt zwischen Fürst Ferdinand Johann von Liechtenstein und dem am 8. O k t o b e r des Vorjahres (also keineswegs bereits 1 6 3 4 , wie die letzten Worte von Schillers „Wallenstein"-Trilogie suggerieren 1 0 8 ) in den Reichsfürstenstand erhobenen Ottavio Piccolomini 1 0 9 (Abb. 2 8 ) . Seiner eigenen Darstellung zufolge hielt sich Fürst Ferdinand Anfang Mai 1 6 5 1 in Prag auf, um Geschäfte zu erledigen, und er wurde vom Abt des Prämonstratenserstiftes Strahov zum Fest der Erhebung und Translation des Körpers bzw. der Reliquien des heiligen Norbert eingeladen, das am vierten Sonntag nach Ostern begangen wurde. 1 1 0 (Die Reliquien des 1 5 8 2 heiliggesprochenen Ordensgründers Norbert von Xanten waren 1 6 2 7 - nicht zuletzt infolge der Initiative des im Vorjahr zum Kardinal ernannten Erzbischofs von Prag Ernst Adalbert von Harrach, vor allem aber auf Betreiben des Strahover Abtes Kaspar von Questenberg 1 1 1 - aus Magdeburg nach Strahov überfuhrt worden.) Er sei, berichtet Fürst Ferdinand J o h a n n weiter, der Einladung gefolgt und habe sowohl am Gottesdienst in der Stiftskirche als auch an der anschließenden Mahlzeit in der Abtei teilgenommen, zusammen mit zahlreichen geistlichen und weltlichen Personen, darunter dem Kardinal Harrach, dem Fürsten Piccolomini und zwei königlichen Statthaltern und obersten Landesbeamten: dem Oberstlandhofmeister 1 1 2 Christoph Ferdinand Popel von Lobkowitz 1 1 3 und dem Präsidenten der Böhmischen Kammer Wilhelm Albrecht von Kolovrat 1 1 4 . Als man zur Tafel schritt, habe Fürst Piccolomini „die ober handt oder stelle gewaltthätiger weise" vor dem - um 2 3 Jahre jüngeren - Fürsten Ferdinand J o hann genommen. Als dieser sich nach Aufhebung der Tafel bei Harrach über „derley neuerungen" beschwerte, habe der Kardinal geantwortet, fur die anschließende Prozession müsse „zu Verhüttung aller unruhe, widerwillens undt Unglücks" unbedingt ein K o m p r o m i ß gefunden werden. Das beste wäre es, wenn keiner der beiden Streithähne an der Prozession teil-
Abschriften des Dekrets im HALV, K. 35, und Hs. 274, S. 17. Fellner/Kretschmayr, ÖZV1/2, S. 229. 108 „Wallensteins Tod" endet bekanntlich mit den Worten „Dem Fürsten Pikkolomini". "" Druck der wichtigsten diese Standeserhöhung betreffenden Urkunden und Akten bei Bergmann, Piccolomini. 110 HALV, K. 35, „Kurtze relation was sich zwischen mir, fürst Ferdinand Johann v. Liechtenstain, undt fürst Piccolomini liebden der praecedenz halber zu Prag eraignet", s. d. (1651). 111 Vgl. ζ. B. Kräsl, Arnost hrabe Harrach, S. 450 und 557. (Kardinal Harrach ernannte den heiligen Norbert am 30. April 1627 zum böhmischen Landespatron.) 112 Der Oberstlandhofmeister war, nach dem Oberstburggrafen, der zweithöchste Landesbeamte des Königreichs Böhmen. Die obersten Landesbeamten wurden gemäß den Bestimmungen der Verneuerten Landesordnung von 1627 „in Abwesenheit des Königs königliche Statthalter genannt". Toman, Staatsrecht, S. 52. 113 Rezek, Dejiny Cech a Moravy nove doby, Bd. 1, S. 67. 1,4 Ebd., S. 66. 106 107
Rangkonflikte und Präzedenzstreitigkeiten
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Abb. 28: Graf (seit 1650 Fürst) Ottavio Piccolomini (1599-1656). Kupferstich von Lukas Vorsterman d. A. nach einem Gemälde von Gerard Segers.
nähme. Liechtenstein erklärte sich bereit, auf den Vorschlag einzugehen, jedoch nur unter der Bedingung, „daß dieser actus weder mir noch den meinigen nicht praejudicirlich sein solle", was Piccolomini akzeptiert habe. Fürst Ferdinand betonte, er wäre von diesem „verhässigen werckhe" gerne enthoben, zumal er an Piccolomini jederzeit einen guten Freund gehabt habe und auch „viel nutzliche Sachen undt kriegsreguln bey letzterem feldtzug" von ihm gelernt habe. Nach eingehender Beratschlagung mit seinen Verwandten und anderen vornehmen Personen habe er es aber nicht für tunlich befunden, die Sache auf sich beruhen zu lassen, „in betrachtung das uhralte herkommen meines hauses, die ansehentliche verwandtschafft außer undt inner des römischen reichs undt euer mayestätt landen, undt zwar mit königlichen, churfiirstlichen undt anderen uhralten häusern". Kardinal Harrach hat den Vorfall in einer ausführlichen Eintragung in seinem in italienischer Sprache geführten Tagebuch festgehalten. Er habe selbst am Altar des heiligen Norbert, dessen Reliquien vor dem Altar auf einem mit Kerzen und Fackeln geschmückten Katafalk lagen, die Messe gesungen. Als man anschließend zur Tafel schritt, habe ihn Herr Christoph Popel auf den Konflikt („competenza") zwischen den beiden Fürsten aufmerksam gemacht. Er, Harrach, habe sich aber geweigert, den Zeremonienmeister zu spielen, und habe allein den Vorsitz an der Tafel übernommen. Fürst Ferdinand habe versucht, sich an seiner Rechten zu piazieren, Piccolomini sei ihm aber zuvorgekommen. Daraufhin sei Fürst Liechtenstein stehen geblieben. Der Kardinal wollte keinen der beiden um den Vorrang Streitenden beleidigen und reichte daher keinem von beiden die Speisen, um sie nicht einem zuerst reichen zu müssen. Beim Trinken wandte er sich mit dem ersten Trinkspruch an Liechtenstein, aber auf das Wohl Piccolominis, und mit dem zweiten an Piccolomini, aber auf das Wohl des Fürsten Ferdinand. Letzterer habe ihm „ad partem" in aller Ruhe („senza rissentimento") gesagt, er könne angesichts dieses Affronts („con questo affronto") nicht länger bleiben, er wolle aber an der Prozession mit den Reliquien teilnehmen und dabei den ersten
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Rangkonflikte
Platz einnehmen. Der Kardinal riet ihm von diesem Vorhaben ab, damit nicht noch größere Konfusion entstehe, denn Piccolomini habe mehr Anhänger als er. Harrach versprach sich zu bemühen, auch Piccolomini dazu zu überreden, nicht an der Prozession teilzunehmen. 115 Fürst Ferdinand ging sofort auf diesen Vorschlag ein. Am nächsten Morgen übersandte er dem Kardinal ein kurzes Schreiben („un polizzino") mit der Bitte, er möge ihm mit ein paar Worten („con quatro parole") darlegen, auf welche Argumente sich Piccolomini am Vortag bei seinem Präzedenzanspruch gestützt habe. Am selben Morgen des 8. Mai, notierte Kardinal Harrach in seinem Tagebuch, habe die Gemahlin des Fürsten Ferdinand (Dorothea Anna, eine geborene Gräfin Lodron und Witwe nach dem kaiserlichen Generalleutnant Matthias Graf Gallas, die er am 7. Juli des Vorjahres geheiratet hatte 116 ) vor der Zeit einen Sohn geboren, der kurz nach der Geburt gestorben sei. Viele hätten diese Fehlgeburt auf die Aufregungen wegen des Rangkonflikts ihres Mannes mit dem Fürsten Piccolomini am Tag davor zurückgeführt. 117 Piccolomini war nach dem Tod Peter Melanders in der Schlacht von Zusmarshausen im Mai 1648 wieder in kaiserliche Dienste getreten und war seither als Generalleutnant und Oberkommandierender der kaiserlichen Armee - abgesehen vom Kaiser - der oberste Vorgesetzte des Obristen Ferdinand von Liechtenstein. 118 Er begründete seinen Anspruch auf Präzedenz in der Öffentlichkeit jedoch nicht oder nicht in erster Linie darauf, sondern auf die Erhebung in den Reichsfiirstenstand, auf den Vorsitz vor Fürst Maximilian von Dietrichstein im Geheimen Rat sowie auf die Tatsache, daß er Regierer einer Linie seines Hauses war, Ferdinand von Liechtenstein jedoch ein zweitgeborener Sohn, dessen Vater noch am Leben war. Piccolomini war ein pracht- und kunstliebender Aufsteiger, der in seinem nordböhmischen Schloß Nachod, das von 1620 bis 1634 Adam Erdmann Trcka von Lipa, dem Schwager Wallensteins, gehört hatte und das ihm nach der Ermordung Wallensteins und Trckas vom Kaiser geschenkt worden war, glanzvoll Hof hielt - und zwar nicht erst seit seiner Erhebung in den Reichsfiirstenstand. Bereits seit den dreißiger Jahren war er Auftraggeber zahlreicher niederländischer (insbesondere Brüsseler und Antwerpener 119 ) und italienischer Maler, Kupferstecher, Gobelinweber, Goldschmiede, Harnischmacher etc. Der wichtigste Anstoß fiir die Aufnahme eines wahrhaft fürstlichen Lebensstils war wohl die - als Dank für den im Juni 1639 in der Schlacht von Thionville (Diedenhofen) gegen die Franzosen errungenen entscheidenden Sieg erfolgte - Ernennung zum Herzog von Amalfi im Königreich Neapel durch den spanischen König Philipp IV., der ihn auch zum Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies machte. 120 Im Zuge des groß angelegten Um- und Ausbaus des ehemals smifickyschen Re-
115 Um einen öffentlichen Konflikt und Skandal zu vermeiden, war Kardinal Harrach selbst im Jahr 1635 lieber zu Hause geblieben, als er bei der Hochzeit Heinrich Slavatas mit Anna Polyxena Michna den Gesandten des Kaisers und des Königs weichen hätte sollen. Mat'a, Aristokraticka prestiz, Kap. 2, Anm. 105. 1.6 Falke, Geschichte, Bd. 2, S. 376f. 1.7 AVA Wien, FA Harrach, Hs. 457, fol. 24 v -25"; ebd., K. 145, F. J. v. L. an Kardinal Harrach, s. d. (8. Mai 1651). Zur Biographie Piccolominis siehe Elster, Piccolomini-Studien; Heydendorff, Korrespondenzen; Barker, Piccolomini; ders., Army, S. 61-111; Polisensky, Der Krieg und die Gesellschaft, S. 167 f., 182-193, 197-199 und passim; Pfaffenbichler, Schlachtenbild, Bd. 3, S. 69-80; Conermann (Hg.), Fruchtbringende Gesellschaft, Bd. 3, S. 408 f.; Bücheler, Von Pappenheim zu Piccolomini, S. 123-143 und 208-220. 1 " Am bekanntesten ist die für die Ausstattung von Schloß Nachod bestimmte, aus zwölf großformatigen (ca. 2 mal 2,8 m) Schlachtenbildern bestehende „Piccolomini-Serie" des 1592 in Antwerpen geborenen Brüsseler Hofmalers Pieter Snayers, die 1639 begonnen und 1651 vollendet wurde. Nach dem Tod Piccolominis (1656) übernahm Erzherzog Leopold Wilhelm die trotz wiederholter Bitten und Klagen des Malers noch nicht bezahlten Bilder, von dem sie in kaiserlichen Besitz gelangten. Heute befinden sich die Gemälde im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien. Pfaffenbichler, Schlachtenbild, Bd. 1, S. 149-160, Bd. 2, S. 110-112, und Bd. 3, S. 69-87; Allmayer-Beck, Das Heeresgeschichtliche Museum, Bd. 2, S. 76-96. 120 Pinedo y Salazar, Historia, Bd. 1, S. 360; Siebmacher's [...] Wappenbuch, Bd. I, 3. Abt., 3. Reihe A: Die Fürsten des Heil. Rom. Reiches, 2. Teilbd., S. 216 f.
Rangkonflikte u n d Präzedenzstreitigkeiten
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naissance-Schlosses in Nachod ließ Piccolomini unter anderem im Großen Saal ein Deckenfresko mit dem Thema „Der triumphale Einzug des Fürsten Ottavio Piccolomini in den Olymp des Kriegsruhms" anbringen. Das Gefolge, mit dem er und seine Gemahlin (eine geborene Prinzessin von Sachsen-Lauenburg) 1654 zum Reichstag nach Regensburg reisten, bestand aus nicht weniger als 71 Personen. 121 Die vom Fürsten Ferdinand von Liechtenstein in der zitierten Sachverhaltsdarstellung apostrophierte Beratschlagung mit seinen Verwandten hat sich in einem Briefwechsel zwischen Karl Eusebius von Liechtenstein als Regierer des Hauses, seinem Onkel Gundaker und den Brüdern Hartmann und Ferdinand niedergeschlagen, der im folgenden nur in den Grundzügen referiert werden kann. Am 10. Mai sandte Ferdinand seinem Vater eine Nachricht über den Vorfall, die den Adressaten am 18. Mai in Wilfersdorf erreichte. Als man nach dem Festgottesdienst zur Tafel geschritten sei, habe Fürst Piccolomini ihm „per forza und eingetrungener weis den vorsitz genohmen". Der folgende Bericht stimmt im wesentlichen mit der bereits eingangs zitierten Darstellung überein. 122 Gundaker fühlte sich wahrscheinlich an seinen eigenen Rangkonflikt mit dem jungen Fürsten Eggenberg im Jahre 1629 erinnert 123 und meinte am 19. Mai seinem älteren Sohn Hartmann gegenüber, „weill der fürst Ferdinandt noch filius familias ist, so hette er recte ohne praeiudicium weichen können". Aus einem Schreiben des Kardinals Harrach 124 entnehme er aber, „daß Piccolomini über alle ihre mayestät fursten, die nicht im reich possessionirt sein, der praecedenz sich anmaße". 125 Tags darauf berichtete Gundaker seinem Neffen Karl Eusebius über den Vorfall und wiederholte seine Ansicht, Fürst Ferdinand, „weil er noch filius familias und sub potestate patria ist, hette" Piccolomini „ohne praejudiz derzeit woll weichen und die praecedenz ihme vergönnen können", führte aber auch das Gegenargument an, daß Ferdinand bereits lange vor Piccolomini Fürst gewesen sei. Aus dem erwähnten Schreiben des Kardinals Harrach „spüert man, daß des fürst Picolomini liebden allen ihrer mayestät underthenigsten fursten, welche kheine würkliche session und votum im reich haben, vorzugehen praetendirt". Da dies „in unsers gantzen fürstlichen hauses praejudiz und nachtheil directe ziehlen thuet", ersuchte Gundaker den Regierer des Hauses Liechtenstein darum, ihm seine „meinung und rahtt zu eröfnen". 126 Das Beispiel des Herzogs von Friedland (also Wallensteins), der allen schlesischen Fürsten vorgesessen sei, ließ Gundaker nicht gelten. Dies sei „nicht zu verwundern, weniger in consequenz zu ziehen, gestaldt er durch seine damahls habende macht sich so hoch erhoben, daß es ihme - mehr aus forcht als aus liebe, jedoch unrüemblicher weis - ist verwilligt worden". 127 Auf den Rat seines Vaters Gundaker ersuchte Fürst Ferdinand die Reichshofräte Dr. Wilhelm Bidenbach, Justus Gebhardt und Johann Crane 128 sowie Jakob Rodeni(us), den Kanzler des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein, um Gutachten. 129 Wilhelm Bidenbach bezeichnete die Argumente Ferdinands als billig, wohlbedacht und gut fundiert. Aus der Tatsache, daß Piccolomini im Geheimen Rat dem Fürsten Dietrichstein Vorsitze, folge noch nicht, daß er den Fürsten von Liechtenstein vorgehen solle.
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' Elster, Piccolomini-Studien, S. 135-142. HALV, Hs. 277, S. 165 f., F. J. v. L. an seinen Vater Gundaker, 10. Mai 1651 (Abschrift). 123 Vgl. Kapitel 7.1.3. 124 AVA Wien, FA Harrach, K. 145, Kardinal Harrach an Ferdinand v. L„ Prag, 8. Mai 1651 (eh. Konzept des Kardinals auf dem Schreiben des Fürsten Ferdinand an ihn vom selben Tag; Abschrift im HALV, Hs. 277, S. 166): Piccolomini beanspruche die Präzedenz vor allen „Principi di questi paesi hereditarii sudditi di S. M." mit Ausnahme der Fürsten von Eggenberg und von Lobkowitz. 125 HALV, Hs. 277, S. 165, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Wilfersdorf, 19. Mai 1651 (Abschrift). 124 HALV, K. 35, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, Wilfersdorf, 20. Mai 1651. Ebd., G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Wilfersdorf, 8. Juli 1651. 125 Siehe v. Gschließer, Reichshofrat, bes. S. 220 f., 230 f. und 259 f. 129 „Khurze relation, was etlicher herren reichshoffrat wegen der entstandenen differentien [...] meinungen und gutachten sein", 2. August 1651. Abschriften im HALV, K. 35, und Hs. 277, S. 293-295.
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Rangkonflikte
„Daß fürst Piccolomini ime persuadire und vermeine, wegen des geheimen rhats und generalats denen fursten von Liechtenstein vorzuegehen, khan es leztlichen sein, doch nicht allen [orts] und nicht alzeit, dan als geheimer rhat gehet er denen vor, welche nach ime in den geheimen rhat khommen, als general gehet er denen vor, die er zue feld commandirt; außer diesen actis aber wirdt es ime schwerlich zuegelassen, einem fiirsten von Liechtenstein vorzuegehen, welcher doch sowoll als die fursten von Liechtenstein kheine würkliche session im reich hatt, die fiirsten von Liechtenstein aber lengst vor ime in den fiirstenstandt erhebt."
Johannes Crane wollte sich nicht festlegen: die Argumente Ferdinands von Liechtenstein seien „gar schön", aber wer wisse, welche Argumente Fürst Piccolomini habe. Er riet jedenfalls davon ab, den Kaiser um eine Entscheidung zu bitten, da Piccolomini derzeit „in dem höchsten beruef und renome seiner meriten" sei und man ihn ungern „disgustirete". Justus Gebhardt erteilte den Rat, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen, da niemand aus der Tatsache, daß Fürst Ferdinand dem Fürsten Piccolomini ein einziges Mal gewichen sei, fur das Haus Liechtenstein ein Präjudiz ableiten könne. Jeder werde darin eher eine „discretion und cortesiam" als eine „Schuldigkeit" erkennen. Sollte der Fall aber doch dem Kaiser vorgebracht werden, so würde die Präzedenz ohne Zweifel dem Fürsten Piccolomini zugesprochen werden „als i(hrer) k(ayserl.) mayestät general-leitenambt, würklichen geheimen rhat und jezt albereit von den chur- und reichsfürsten, auch von den gesambten reichsstenden erkhandten und angenomenen fürsten". Kanzler Rodeni meinte, man solle in der Sache „ganz dissimuliren" - bekanntlich einer der Schlüsselbegriffe der zeitgenössischen Handbücher und Ratgeber fiir den erfolgreichen Hofmann! 130 - und jedenfalls derzeit auf keinen Fall beim Kaiser um eine Entscheidung einkommen. Im übrigen stehe Fürst Piccolomini derzeit wegen des Friedensschlusses131 beim Kaiser in so hohem Ansehen, daß man ihm als Geheimem Rat und Generalleutnant die Präzedenz wohl nicht abschlagen würde. - Der Konflikt löste sich ein paar Jahre später von selbst: Piccolomini starb bereits 1656 ohne eheliche Kinder und ohne reichsunmittelbare Güter erworben zu haben. 132 Ein spezielles Problem war das Rangverhältnis zwischen fürstlichen Söhnen zu Lebzeiten des Vaters einerseits, regierenden Grafen (und Rittern des Ordens vom Goldenen Vlies) andererseits. Im Mai 1644 ersuchte Gundaker von Liechtenstein seinen älteren Sohn Hartmann um Bericht, ob ihm der Obersthofmeister GrafTrauttmansdorff in der (Burg-)Kapelle und anderswo den Vortritt bzw. Vorsitz („die stell") gewährt habe; dem Fürsten Ferdinand Johann, Hartmanns jüngerem Bruder, gebe er sie jedenfalls nicht. Er möge Fürst Karl Eusebius fragen, ob man sich darauf einlassen solle. Er, Gundaker, „vermeine von nein", denn Ferdinand Johann sei zwar nicht Primogenitus, es sei aber „in Teutschland" nicht wie in Italien, Spanien und Frankreich der Brauch, „daß die secundogeniti nicht als fiirsten gehalten werden, sondern sie haben vor andern standspersohnen als fursten den Vorgang". Es habe sogar den Anschein, daß Graf Slavata Ferdinand Johann „die stell" nicht geben wolle. 133 Fürst Hartmann antwortete, so weit er sich erinnern könne, habe ihm Trauttmannsdorff stets den Vortritt bzw. Vorsitz angeboten und ihn ihm, wenn er angenommen habe, bei der Tafel, in der Kirche und bei anderen Gelegenheiten (ζ. B. bei einer Fechtvorfiihrung in Regensburg) auch tatsächlich gewährt. Wenn er aber bereits im Kirchenstuhl gestanden sei, wenn Hartmann kam, habe er ihm „die stell" zwar angeboten, er, Hartmann, habe sie aber „aus höf-
130
Siehe ζ. B. Burke, Die Geschicke des Hofmann, S. 42, 5 1 , 1 2 0 , 1 2 8 , 1 3 1 und 142 ff. (dissimulare = sich verstellen, sich nichts anmerken lassen). 131 Gemeint ist höchstwahrscheinlich nicht die Unterzeichnung der Westfälischen Friedensverträge im Oktober 1648 und deren Ratifizierung vier Monate später, sondern der Nürnberger Exekutionstag von Mai 1649 bis Juli 1650, an dem Piccolomini als kaiserlicher Hauptgesandter teilnahm und in dessen Folge durch die Demobilisierung der Armeen der Dreißigjährige Krieg erst wirklich beendet wurde. Vgl. Oschmann, Exekutionstag. 132 Klein, Erhebungen, S. 155. (Ottavio Piccolomini wurde von den Enkeln seines ältesten Bruders Enea beerbt, der 1619 in kaiserlichen Diensten bei Bechin gefallenen war.) 133 HALV, Hs. 272, S. 283 f., G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, 13. Mai 1644 (Abschrift).
Rangkonflikte und Präzedenzstreitigkeiten
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ligkheit" nicht angenommen. Fürst Karl Eusebius sei der Meinung, Hartmanns Bruder solle dem Obersthofmeister nicht weichen und noch viel weniger „dem Slawata". 1 3 4 Ein paar Monate später bekundete Gundaker seinen Willen, daß Ferdinand Johann „keineswegs dem herrn obr(isten) hoffmeister weiche". Wenn es nicht anders sein könne, so solle er lieber die Gelegenheit meiden, „doch sine suo praeiudicio", denn der Fürst von Lobkowitz habe ihm gesagt, der verstorbene Kaiser habe, als ihm der Obersthofmeister Graf Meggau nicht weichen wollte, resolviert, daß die Fürsten dem Obersthofmeister vorgehen sollen. 1 3 5
7.1.3. Weitere Präzedenzstreitigkeiten Im Sommer des Jahres 1629 scheint Gundaker von Liechtenstein während eines Wienaufenthalts zwar nicht an den Sitzungen des Geheimen Rates, wohl aber am gesellschaftlichen Leben des Hofes teilgenommen zu haben; außerhalb des Rates war ihm ja der Vorrang vor den nichtfürstlichen Geheimen Räten nie bestritten worden. Am Sonntag, den 16. September veranstaltete Graf Slavata ein Ringelrennen 136 , an dem sich neben anderen Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg und Johann Anton von Eggenberg, der 19jährige Sohn des Fürsten und seit dem Vorjahr Herzogs von Krumau Johann Ulrich von Eggenberg, der sich unter den Zuschauern befand, beteiligten. Fürst Gundaker ritt seine erste „carera" gleich nach dem Pfalzgrafen. Danach kam der Obersthofmeister Meggau zu ihm und teilte ihm mit, daß der (zuschauende) Kaiser gleich zu Beginn verordnet habe, daß der junge Herzog von Krumau an zweiter Stelle nach dem Pfalzgrafen rennen solle und danach die Geheimen Räte. Am 20. September entschuldigte sich Gundaker von Liechtenstein schriftlich bei Hans Ulrich von Eggenberg. Er versicherte, nach dieser Information durch den Obersthofmeister „nach euer liebden söhn gerennt" zu haben und ersuchte ihn, er möge „mir nicht in üblem aufnehmen, daß ich die erste carera vor dero herrn söhn gerennt, weil der error ervolgt ist aus Unwissenheit". Das Motiv, warum er zunächst vor Johann Anton von Eggenberg ritt, hat Gundaker im Konzept durchgestrichen: Er habe gedacht, ihm gebühre die Präzedenz vor dem jungen Herzog, da dieser derzeit noch „nicht herr vor sich selbst und noch filius familiae" sei. Wenn er gewußt hätte, daß der Kaiser befohlen habe, daß die Herzöge den Fürsten „vorgehen", wie er nun vom Herrn von Nostitz erfahren habe, so würde er es unterlassen haben. Es wäre ihm allerdings „vil leichter ankommen", von Beginn an nach dem jungen Herzog zu rennen, als die Reihenfolge später verändern zu müssen. Durch die „unordenliche ankündigung" des kaiserlichen Willens habe er sich öffentlichen Spott zugezogen. Jedenfalls entzog er sich dem - tatsächlichen oder vermeintlichen - Hohn wieder einmal durch den Rückzug auf seine Güter. 1 3 7 Im September 1631 beklagte sich Gundaker darüber, daß ihm der Kaiser „niemals kein reparation gethan" habe „wegen des affronto, so sie mir thuen lassen vor 2 jaarn bei dem ringlrennen (indem sie bevolhen, ich solle nach dem jungen fiirsten von Eggenberg rennen, da ich doch albereit einmal vor ihm gerend habe und der pfalzgraf von Neuburg und andere meiste, daß es unrecht sei, vermeldet, weill er filius familiae und nichts eigens hatt), ungeacht ich solches guettwillig gethan, ihrer mayestät zu gehorsamen und dem alten fiirsten von Eggenberg, so damals gegenwertig war, zu ehren, wiewol ich gewüßt, daß mir solches in publico zu spott gereichet und ich [es] zu thuen nicht schuldig gewest bin." 1 3 8
Ebd., S. 293 f., Hartmann v. L. an seinen Vater Gundaker, 16. Mai 1644 (Abschrift). HALV, K. 272, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Rabensburg, 1. September 1644 (eh.). 136 Beim Ringelrennen wurde mit der Lanze (Rennstange) nach einem frei aufgehängten Ring gestochen. Bei dem Wiener Ringelrennen anläßlich der Hochzeit Karls II. von Innerösterreich, des Vaters Ferdinands II., mit Maria von Bayern im Jahre 1571 mußte jeder Teilnehmer dreimal zum Ring reiten. Wenn er diesen mit seinem Stecheisen berührte, gewann er ein Kleinod, traf er so gut, daß der Ring daraufhängen blieb, zählte der Treffer doppelt. Vocelka, Habsburgische Hochzeiten, S. 45 und 77-82. 137 HALV, K. 35, G. v. L. an Johann Ulrich von Eggenberg, 20. September 1629 (eh. Konzept). HALV, K. 36, G. v. L. an seinen Kanzler, Kromau, 30. September 1631 (Konzept). 1M
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Rangkonflikte
1641, also elf Jahre nach dem Vorfall, brachte Fürst Gundaker seinem Neffen Karl Eusebius gegenüber sein Bedauern über das geschilderte Verhalten beim Ringelrennen zum Ausdruck. Er hätte damals der kaiserlichen Aufforderung, nach dem jungen Fürsten von Eggenberg zu rennen, nicht nachkommen, sondern wegreiten sollen. Es könne aber Karl Eusebius „und unsern haus nichts praejudicieren, was wir aus narheit oder aus cortesia des fürsten von Eggenberg (der da uns zu diesem stand geholffen) gethan haben. Dits ist ein anstifftung gewest des grafen von Meggau, so damals nach uns obrister hoffmeister ist gewesen, einen Widerwillen wider uns gehabt und den alten fürsten von Eggenberg allso leken wollen." 139 Der Gundaker angetane Affront sei sowohl vom Pfalzgrafen als auch von allen anderen Teilnehmern (1631 waren es, wie zitiert, nur die meisten gewesen) für ein Unrecht gehalten worden. 140 Zu Beginn des Jahres 1631 war der Rang strittig, der den Töchtern Gundakers von Liechtenstein aus erster Ehe - Juliana (* 1605), Maximiliane (* 1608) und Anna (* 1615) bei Hof zugestanden wurde. Am 13. Februar 1631 berichtete Fürst Gundakers Vizemarschall Simon Friedrich von Berg seinem in seiner Residenz Kromau weilenden Herrn, der Beichtvater der Kaiserin habe ihm mitgeteilt, daß der Kaiser angeordnet habe, den fürstlichen Fräulein dieselbe Stelle zu geben, welche die Tochter des Fürsten von Eggenberg vor ihrer Verehelichung innegehabt hatte. 141 Fürst Gundaker verfaßte daraufhin eine Eingabe an den König von Ungarn und Böhmen, den künftigen Kaiser Ferdinand III., die er Berg mit dem Auftrag übersandte, das Schreiben dem Grafen von Werdenberg, da er ihm „so woll affectioniert" sei, zu zeigen und ihn um Rat zu bitten. Falls Werdenberg empfehle, das Schreiben dem König zu übergeben, so solle Berg dem nachkommen. 142 Ende September zeigte sich Gundaker erbittert darüber, daß seine Töchter, wenn sie sich an den Hof begaben, der Obersthofmeisterin (der Gräfin Meggau) und anderen nichtfiirstlichen Damen nachgehen mußten. Er selbst könne wegen der üblen Traktierung durch den Kaiser (u. a. während seiner Zeit als Obersthofmeister 1624/25, bei dem Ringelrennen des Grafen Slavata im Jahre 1629 und nun im Zusammenhang mit den auf Kromau und Ostra lastenden Schulden und mit seinen vergeblichen Bemühungen um das Herzogtum Teschen) nicht an den Hof kommen. „Nehme ich meine kinder mitt, so werden sie von jedermann spöttlich tractiret (denn wie der herr seinen hund tractiret, also halten ihn die diener)." Er könne seine Töchter also nicht mitnehmen, obwohl es sehr wichtig wäre, da sie sonst „an ihrer wollfahrt und heurathen verhindert werden" und obwohl er der Meinung sei, daß seine Töchter eine „solche war" seien, die, wenn man sie kennen würde, rasch Absatz fände („bald anwehrung bekemme"). Wenn er aber ohne seine Töchter an den Hof käme, so würde es scheinen, „sie seyen also beschaffen, daß ich mich ihrer scheme; beedes zu meiden, verbleibe ich abwesend." 143 Gundaker entschied sich also bewußt dafür, die Heiratschancen seiner Töchter zu vermindern, indem er ihnen keine Gelegenheit gab, auf dem Heiratsmarkt des Kaiserhofes präsent zu sein. 144 Anfang September 1644 teilte Gundaker seinem Sohn Hartmann mit, daß seine unverheirateten Töchter Anna (* 1615) und Marianne (* 1621) nicht nach Wien an den Hof reisen wollen, um an der Hochzeit des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein mit der Prinzessin Johanna von Dietrichstein teilzunehmen, weil er selbst „nicht hineinziehe" und da es ungewiß sei, ob man - insbesondere die spanischen Hofdamen - ihnen als Verwandten des 139
HALV, Hs. 123, S. 71-73, G. v. L. an Κ. E. v. L., Liechtenstein (= Kromau), 17. Januar 1641 (Ab-
schrift). 140
HALV, Hs. 602, S. 220 f., G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, 10. Oktober 1648 (Abschrift). HALV, K. 35, Simon Friedrich von Berg an G. v. L , Wien, 13. Februar 1631. 142 Ebd., G. v. L. an den König, 26. Februar 1631, sowie an Berg, 28. Februar 1631 (eh. Konzepte). ,43 HALV, K. 36, G. v. L. an seinen Kanzler, Kromau, 30. September 1631 (Konzept). 144 Vgl. dazu etwa Bastl/Heiss, Hofdamen und Höflinge, bes. S. 209, wo auf „die enge verwandtschaftliche und .freundschaftliche' Verflechtung des habsburgischen höfischen Adels" aufmerksam gemacht wird, „der seinen Kindern durch diese Beziehungen die Aufnahme in den Hofdienst, die höfische Karriere und vor allem den höfischen Heiratsmarkt eröffnete". 141
Rangkonflikte und Präzedenzstreitigkeiten
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Bräutigams den Vortritt („die stell") gewähren werde. Er selbst halte es allerdings fur sicher, daß man sie ihnen nicht geben werde, „denn die spä(nischen) däme weichen niemands als den heiligen". 145 Zwei Tage nach der Hochzeitsfeier teilte Gundaker seiner Tochter Maximiliane von T h u m mit, die Hochzeit sei „stattlich und wol abgangen. Ich und Anna und Mariana sein nicht darauf gewest; ich wegen mangel an fueß, sie wegen daß die spänischen hofdämes die stell den befreindten 146 nicht geben wollen." 147 Im Januar 1651 ersuchte der Fürst seinen Sohn Ferdinand Johann, der sich damals in Prag aufhielt, er und seine Gemahlin mögen es sich angelegen sein lassen, für seine ledigen Töchter - die 36jährige Anna und die 30jährige Marianne - in Böhmen oder Schlesien „gute heuratsgelegenheiten [...] zu erlangen". 148 Auch Fürst Karl Eusebius war damals auf der Suche nach geeigneten Heiratskandidaten für seine Cousinen. Er gab der Uberzeugung Ausdruck, es sei „pesser nicht zu heurathen als übell", und riet seinem Onkel, die Angelegenheit durch Geistliche und durch mit den fürstlichen Fräulein nicht verwandte Personen betreiben zu lassen, „dann durch die frembde beschihet das fuglicher als durch die befreundte". 149 Anna blieb ledig und starb bereits drei Jahre später, Marianne hingegen vermählte sich - nach mehreren fehlgeschlagenen Heiratsprojekten und nach der Uberwindung des anfänglichen Widerstandes ihres Vaters und ihres Bruders Ferdinand Johann 1 5 0 - im November 1652 mit dem um acht Jahre jüngeren Grafen Heinrich Wilhelm von Schlick. 151 Im Herbst des Jahres 1651 kam es zu einem Konflikt um die Session auf dem mährischen Landtag zwischen Ferdinand Johann von Liechtenstein und Jakob Mercurian, dem Propst des Olmützer Domkapitels, der seit kurzem für den sich als Statthalter in den Spanischen Niederlanden aufhaltenden Bischof und Erzherzog Leopold Wilhelm als Administrator des Bistums Olmütz fungierte. 152 Nach einem Bericht aus Brünn vom 10. November 1651 nahm Herr Mercurian gleich nach Eröffnung des Landtags am oberen Eck der rechten Seite der Tafel unmittelbar nach dem Landeshauptmann Platz und beanspruchte das erste Votum unter den Mitgliedern des Herrenstandes. Als Argument führte er an, „daß er als administrator des bischofflichen stiffts Ollmüz einen fursten repraesentire". Fürst Ferdinand Johann ließ ihn aber nicht „vorziehen". Schließlich wurde der Kompromiß gefunden, daß Fürst Ferdinand von Liechtenstein wie bisher das erste Votum beim Herrenstand haben solle, Herr Mercurian aber das erste Votum beim geistlichen Stand. 153 Fürst Ferdinand selbst berichtete seinem Vater einen Tag später, Herr Mercurian habe, als man zum ersten Mal zur Konsultation über die soeben vorgetragene kaiserliche Land-
I4i 147
HALV, K. 272, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Rabensburg, 1. September 1644 (eh.). den Verwandten HALV, Hs. 272, S. 549, G. v. L. an seine Tochter, die Gräfin von T h u m , 11. September 1644 (Ab-
schrift). 148
HALV, K. 520, G. v. L. an F. J. v. L„ Wien, 21. Januar 1651 (eh.). ' HALV, Hs. 277, S. 34 f., Κ. E. v. L. an G. v. L„ 7. Februar 1651 (Abschrift). 150 Siehe HALV, K. 520. 151 Am 13. September 1652 hatte Marianne von Teschen aus ihren Vater angefleht, den überschickten Heiratsvertragsentwurf zu unterschreiben und zu retoumieren. Gleichzeitig hatte sie der Hoffnung Ausdruck gegeben, ihr Vater werde nicht so unbarmherzig sein „und diejenige berschon sein, die ihres kinds unglik ferlangt". Gundaker gab seinen Widerstand gegen diese Ehe schließlich unter Protest auf, teilte Marianne aber am 8. Oktober mit, daß er „mit dieser sach gantz nichts verrers zu thun haben will". Am 27. April 1653 erklärte sich Gundaker seiner Gemahlin Elisabeth Lukretia gegenüber „aus sonderbahrer gnad und vätterlicher affection" zu seiner Tochter bereit, den Ehekontrakt zu unterschreiben - unter der Bedingung, daß dieser zuvor in einigen Punkten abgeändert bzw. erweitert werde. HALV, K. 520. 1.2 Zu Mercurian siehe d'Elvert, Beiträge, Bd. 4, S. LXI; ders., Zur Geschichte des Erzbisthums Olmütz, S. 111 Α. 1 und S. 116-122; Rezek, Dejiny Cech a Moravy nove doby, Bd. 1, S. 270 und 276 (als Vorname das eine Mal Jakob [„Jakub"], das andere Mal Johann [„Jan"]). 1.3 HALV, Hs. 277, S. 380f., ein gewisser Wagner an den Regenten, Brünn, 10. November 1651 (Abschrift). Vgl. zu dem Konflikt, seiner Vorgeschichte und seinen Folgen d'Elvert, Zur Geschichte des Erzbisthums Olmütz, S. 110-126. ,4
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Rangkonflikte
tagsproposition schreiten wollte, nicht nur vor allen königlichen obersten Landesbeamten, sondern auch vor den fürstlichen Personen die Präzenz und das erste Votum im Herrenstand prätendiert, „gleich als wann sein herr principal, der bischoff, selbsten zur stelle wehre". Dies habe allgemeines Befremden hervorgerufen, sodaß der Landtag unverrichteter Dinge auseinandergegangen sei. Mercurian sei schuld daran, „daß in zween tagen keine sessiones gehalten worden" seien. Die kaiserlichen Landtagskommissäre hätten den Vorschlag gemacht, die Angelegenheit „nacher hoff umb die decision zu berichten". Schließlich hätten sich die beiden Parteien unter Protest und bis zu einer kaiserlichen Entscheidung auf den bereits angeführten Kompromiß geeinigt, worauf die Landtagsberatungen endlich aufgenommen werden konnten. 154
7.2. Titel und Prädikate Das ausgeprägte Statusdenken und der Zwang zur sozialen Distinktion in der höfischen Gesellschaft der Spätrenaissance und des Barocks bewirkten - in der Habsburgermonarchie und am Kaiserhof ebenso wie in den deutschen Territorialstaaten - eine eifersüchtige Wachsamkeit über den Gebrauch der richtigen Titel, die besonders im 17. und frühen 18. Jahrhundert durch die steigende Tendenz zur Titelinflation noch verschärft wurde. 155 Rudolf II. erließ (wahrscheinlich um 1608) ein Generale fur die Erzherzogtümer Österreich ob und unter der Enns, dessen erklärtes Ziel es war, die eingerissenen „Excess in denen Titulaturen / und Praedicaten" und die daraus resultierenden „Confusiones" abzustellen. Grafen und Herren sollte künftig nicht mehr der angemaßte Titel ,Hoch- und Wohlgeboren' gegeben werden, es sei denn, „daß einer oder der andere in specie darmit begnadet wäre / oder wurde", sondern nur der herkömmliche Titel .Wohlgeboren'. Einfachen Adeligen wurde befohlen, sich künftig nicht mehr .Herr (von)' zu nennen oder sich des Prädikats .gnädig' zu bedienen, sondern sich stattdessen als,Edel-fester N.' zu titulieren. Rittern sollte der Titel ,Edler gestrenger Herr N.' zukommen. Der Gebrauch der Bezeichnungen .Gemahl' und .Frau Gemahlin' sowie gegenüber den Töchtern des Wortes .Fräulein' wurde auf Grafen und Herren beschränkt. Und so fort. 156 Ferdinand II. und Ferdinand III. bestätigten diese Bestimmungen im wesentlichen. 157 In seiner in Kapitel 5 1 5 8 erwähnten Beschwerdeschrift aus dem Jahre 1659 berief sich der niederösterreichische Herrenstand auf das Generale Rudolfs II. und forderte, seinen Inhalt in die geplante Policeyordnung aufzunehmen. 159 Sowohl das Policeypatent das Jahres 1659 als auch die zwischen 1671 und 1697 von Leopold I. erlassenen Policeyordnungen und Erläuterungen dazu bezogen sich jedoch nur auf die Kleidung und sonstigen materiellen Luxus, nicht jedoch auf Titel. 160 Im Jahre 1675 ließ der Kaiser immerhin dem niederösterreichischen Landmarschall durch die niederösterreichische Regierung befehlen, den Kanzleien den Auftrag zu erteilen, in Hinkunft den Titel .Wohlgeboren' nur mehr Herren zu geben sowie jenen neu in den Herrenstand erhobenen Personen, denen er ausdrücklich verliehen wurde. 161
154
HALV.Hs. 277, S. 398 f., F. J. v. L. an seinen Vater Gundaker, 11. November 1651 (Abschrift). Vgl. u. a. Beetz, Höflichkeit, S. 249-252; Plodeck, Hofstruktur, S. 78 f., 82 und 88; Endres, Adel in der frühen Neuzeit, S. 18 und 72f.; Rohr, Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen, S. 54-105; ders., Ceremoniel-Wissenschaft Der großen Herren, S. 415-437. Codex Austriacus, Teil 2, S. 335 f. 157 Vgl. ebd., S. 179f. und 336f. 158 Siehe oben S. 239. 159 Dem Kaiser vom niederösterreichischen Herrenstand am 8. Februar 1659 übergebene Beschwerdeschrift gegen den Ritterstand, zitiert nach der Abschrift im SOA Cesky Krumlov, FA Schwarzenberg, Johann Adolf I., Fasz. 374. Vgl. Codex Austriacus, Teil 2, S. 152-166. 161 Ebd., S. 334 f.
Titel u n d Prädikate
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Gundaker von Liechtenstein legte, ebenso wie seine Standesgenossen, großen Wert auf den Gebrauch der korrekten Titel und Titulaturen. Wenn er nicht sicher war, wie er jemanden titulieren solle, unterließ er das Briefschreiben sicherheitshalber lieber ganz. Im Mai 1625 beispielsweise teilte er dem bayerischen Gesandten am Kaiserhof gesprächsweise mit, er würde Herzog Maximilian von Bayern gern bisweilen schreiben, sei sich aber wegen des zu benutzenden Titels im unklaren. 162 Im Juni desselben Jahres korrigierte er eigenhändig ein Heft mit den Titeln, Anreden, Eingangs- und Schlußformeln sowie Unterschriften, mit denen er aus seiner Kanzlei „unterschiedlichen standespersonen zuzuschreiben pfleget". Dieses Handbuch für den Kanzleigebrauch enthält 31 Rubriken, vom Kaiser bis bis zum Handwerker. 163 Wahrscheinlich etwa gleichzeitig legte Gundaker mit eigener Hand ein Heft mit den Titulaturen und Höflichkeitsformeln fur Schreiben an geisdiche Würdenträger und Kleriker vom Kardinal abwärts an. 164 Im März 1640 dankte Georg Lorenz Parzmeyr, der Sekretär des Fürsten Gundaker, in dessen Namen dem Sekretär des Bischofs von Osnabrück (Franz Wilhelm von Wartenberg) fur die Nachricht, daß in einem Schreiben Gundakers von Liechtenstein an den Bischof das Prädikat .hochgeboren' ausgelassen worden sei. Die Ursache liege darin, daß dem Schreiber von anderer Seite irrtümlicherweise gesagt worden sei, es sei nicht üblich, den geistlichen Fürsten dieses Prädikat zu geben. Man werde dies in Hinkunft aber in acht nehmen. 165 Im Dezember 1641 gab Fürst Gundaker dem Fürsten Karl Eusebius den Rat, dem jungen Herzog von (Pfalz-)Neuburg 166 den von ihm geforderten Titel ,Euer Durchlaucht' nicht zu geben, da er ihm nicht zustehe. Es sei „bey hoff der brauch, daß man dergleichen Sachen versucht", man solle sich jedoch nicht darauf einlassen. Karl Eusebius würde sonst sich selbst und anderen Reichsfiirsten und schlesischen Fürsten präjudizieren. Gundaker verglich das Verhalten bei Hof mit den wiederholten Versuchen seines Hundes Paris, auf Sesseln zu liegen: „Mein Parisl, der versuecht auf den sesseln zu ligen. Gestatt man es, so gratiert er; jagt man ihn wegkh, so thuet er gleichwol denselben schon, als wen es nicht sein ernst gewest wehre und versuechts ein anders mal wider. Also mueß man bey hoff thun, wer etwas erhalten will; erhelt mans nicht, so laß man es darbey verbleiben." 167 Im Juni 1637 reagierte Herr Seifried Leonhard von Breuner, der Sohn des niederösterreichischen Statthalters Seifried Christoph von Breuner, sehr verstimmt auf einen Brief des Fürsten Gundaker. Dieser habe ihm „wie einem paurn" geschrieben, indem er ihn mit „unsern grueß und alles guets etc." angeredet habe. Fürst Gundaker trug daraufhin seinem Sekretär auf, sich sogleich zu Herrn Breuner zu verfügen und ihm zu sagen, falls er nicht seinem Stand
162
Briefe und Akten, N. F., 2. Teil, Bd. 2, S. 214. HALV, K. 36, „Formular, darinnen begrieffen, wie der durchleuchtig hochgeborn fiirst und herr herr Gundackher fiirst v. L. u. N. etc. [...] aus dero cantzley [...] unterschiedlichen standespersonen zuzuschreiben pfleget", Wien, 3. Juni 1625: 1. Kaiser; 2. König; 3. Erzherzoge; 4. Kurfürsten; 5. vornehme regierende Reichsfiirsten; 6. Reichs- und andere Fürsten; 7. vornehme Reichsgrafen; 8. die übrigen Reichsgrafen; 9. Geheime Räte; 10. Statthalter („Gubernatores") von Ländern; 11. Generalleutnant aus dem Herrenstand; 12. vornehme Herren; 13. Angehörige des neuen Herrenstands; 14. adelige Geheime Räte; 15. adelige Reichshofräte; 16. adelige Regenten; 17. adelige Geheime Räte von Kurfürsten; 18. Adelige alten Standes; 19. Adelige neuen Standes; 20. adelige Hofmeister von Fürsten; 21. adelige Diener; 22. Doktoren, die Reichshofräte, ercherzogliche und kurfürstliche Kanzler sind; 23. Doktoren, die fürstliche Kanzler und Räte sind; 25. nichtadelige Diener; 26. Pfleger; 27. vornehme kaiserliche Städte; 28. Reichsstädte; 29. Universitäten; 30. Kaufleute und Bürger; 31. Handwerker. IM Ebd. 165 HALV, Hs. 270/11, S. 101, Georg Lorenz Parzmeyr an den Sekretär des Bischofs von Osnabrück, Ebergassing, 13. März 1640 (Abschrift). 166 Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1615-1690, seit 1685 Kurfürst), der Sohn des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm. 167 HALV, K. 251, G. v. L. an Κ. E. v. L„ Dezember 1641 (Abschrift eines eh. Briefes), und Hs. 270/11, S. 439-441 („ohne datum"). 163
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Rangkonflikte
entsprechend tituliert worden sei, könne es sich nur um einen Fehler der Kanzlei handeln, „weill wier ihne als unsem gueten freund jederzeit zu lieben und zu ehren willig sein". Der Sekretär solle sich bei der Hofexpedition gründlich erkundigen, ob der junge Herr Breuner auch den Titel ,Hoch- und Wohlgeboren' habe oder, als Primogenitus, erst nach dem Tod seines Vaters, dem der Titel im Jahre 1624 vom Kaiser verliehen worden war. 168 Gundaker von Liechtenstein war selbst, wenn ihm jemand - und sei es der Kaiser - einen ihm seiner Ansicht nach zustehenden Titel nicht gab, sehr empfindlich. Unter den Motiven für seinen Rücktritt vom Obersthofmeisteramt im November 1625 nannte er die Weigerung Ferdinands II., ihm von der Kanzlei den Titel „Herzog von Troppau und Jägerndorf' geben zu lassen. 169 Trotz wiederholter Bemühungen und Supplikationen gelang es Gundaker auch in den folgenden Jahrzehnten nicht, vom Kaiser den Befehl an die Böhmischen Hofkanzlei zu erwirken, ihm das heißersehnte Prädikat eines Herzogs von Troppau und Jägerndorf (mit diesen schlesischen Herzogtümern war zunächst sein Bruder Karl und später dessen Sohn Karl Eusebius belehnt) zu geben. Die endgültige Ablehnung - mit der Begründung, diese Titel gingen erst nach Aussterben der Karlischen Linie des Hauses Liechtenstein auf die Gundakarische Linie über - durch Kaiser Ferdinand III. in seiner Funktion als König von Böhmen erfolgte am 9. März 1649. 170 Im Mai 1630 sandte Fürst Gundaker ein tschechisches Schreiben des Grafen Georg von Nachod, des Oberstlandrichters von Mähren, ungeöffnet zurück an den Absender, weil er in der Adresse nicht mit .osvicenemu' (,dem durchlauchtigen'), sondern nur mit ,vysoce urozenemu' (,dem hoch- und wohlgeborenen') tituliert wurde. Daraufhin sandte ihm die Kanzlei des Grafen Nachod ein deutsches Schreiben mit dem Titel .hochgeboren', das Gundaker auch nicht annahm, sondern ebenfalls zurückschickte. Später mußte er zugeben, daß er damals noch nicht wußte, daß ein Reichsgraf nicht verpflichtet („schuldig") war, einem Reichsfürsten einen höheren Titel als .hochgeboren' zu geben. Auf den Verlauf des von Gundaker von Liechtenstein beim Mährischen Landrecht bzw. vor dem Amt der mährischen Landeshauptmannschaft in dieser Titelfrage angestrengten Prozesses einzugehen, würde an dieser Stelle zu weit fuhren. 171 Im Januar 1638 teilte Gundaker seinem Bruder Maximilian mit, der im Oktober des Vorjahres zum Landeshauptmann der Markgrafschaft Mähren ernannte Graf Julius von Salm 172 habe ihn in einem Schreiben nicht, wie es korrekt gewesen wäre, mit „durchleuchtig hochgeborn gnediger fürst etc." tituliert, sondern er habe den Titel „durchleuchtig" ausgelassen. „Weil dan solches zu Verkleinerung unsers standts gemeint zu sein scheint" und weil die Sache deshalb auch ihn (Fürst Maximilian) angehe, informiere er ihn darüber und ersuche ihn um Auskunft, ob Graf Salm auch ihn auf die zitierte Art tituliere. 173 Gut zwei Jahre später wandte sich Gundaker direkt an den Kaiser. Er übermittelte ihm Kopien von an ihn, Gundaker, adressierten Schriftstücken des Landeshauptmanns und des königlichen Tribunals der Markgrafschaft Mähren. Er wisse nicht, ob es des Kaisers gnädigster Befehl sei, „diesen
168 HALV, K. 36, Schreiben eines gewissen Tscheuch (?) an Abraham Prieschen (?), den Sekretär des Fürsten G. v. L., Wien, 15. Juni 1637, und Konzept eines Antwortschreibens des Fürsten Gundaker an seinen Sekretär, Liechtenstein (= Kromau), 19. Juni 1637; Schwarz, Privy Council, S. 210-212; Maurer, Breuner, S. 63 f. HALV, K. 246, Fasz. „Akten und Gutachten im Obersthofmeisteramt", G. v. L. an seinen Bruder Karl, 20. November 1625 (Abschrift). ,7 ° HALV, K. 31, „Decretum per imperatoriam regiamque maiestatem in Consilio Bohemico", Wien, 9. März 1649. 171 Vgl. die Akten im HALV, K. 36, u. a. ein undatiertes eh. Konzept G.s v. L. mit einem Bericht über den Verlauf der Angelegenheit. m Vgl. d'Elvert, Die Grafen Salm-Neuburg am Inn, S. 2 - 4 . 173 HALV, Hs. 672, S. 51, G. v. L. an seinen Bruder Maximilian, Wilfersdorf, 22. Januar 1638 (Abschrift). Weitere Akten zum Titelstreit mit dem Grafen Salm aus den Jahren 1638 und 1639 ebd., K. 36.
Titel und Prädikate
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stylum und manier gegen mir und andern dero unterthenigsten fursten gebrauchen zu lassen"; in diesem Falle werde er sich „wie in allem [...] deroselben allergnedigsten disposition" unterwerfen. Falls aber nicht, so bitte er, der Kaiser möge dem Landeshauptmann und dem Tribunal befehlen, wie sie sich verhalten sollen. 174 Im Januar 1645 übersandte Fürst Gundaker dem Kanzler des Fürsten Karl Eusebius ein Schreiben des niederösterreichischen Landmarschalls Johann Franz Graf Trautson und ersuchte ihn, Fürst Karl Eusebius zu fragen, ob er der Ansicht sei, Gundaker solle das Schreiben unbeantwortet an den Absender zurückschicken, da er darin nicht korrekt tituliert werde. Gundaker selbst sprach sich - „weil ich wie andere des landmarschalchs favor bedarf, sonsten auch der herr landmarschalch mein gueter freind ist" - dafür aus, den Versuch zu unternehmen, „mit guten die mutation styli" zu erlangen. Er wolle aber keinesfalls sich und seinesgleichen präjudizieren. 175 Im Jahre 1655 beschwerten sich die Fürsten Karl Eusebius und Gundaker von Liechtenstein bei Hof darüber, daß ihnen vom niederösterreichischen Landmarschall (Ernst Graf von Abensberg und Traun) „sub termino ,herr fürst' und nicht ,ihr fürstliche gnaden' zugeschrieben worden" sei. Da es in Österreich unter der Enns keinen eigenen Fürstenstand im Landtag gebe und die Fürsten als Herren betrachtet würden, entschied Kaiser Ferdinand III. am 30. Juni 1656, daß der Landmarschall in seinen Amtsbefehlen, Bescheiden und sonstigen amtlichen Schriften gegenüber den Fürsten von Liechtenstein weiterhin die herkömmliche Titulierung verwenden solle.176 Die neuen Fürsten bedienten sich seit ihrer Erhebung in den Fürstenstand in Briefen und anderen Schriftstücken des Plurals („Wir", „Unser") und des Prädikats „von Gottes Gnaden" als Bestandteil ihres Titels. So beginnt und endet beispielsweise ein Brief Gundakers von Liechtenstein an Kardinal Dietrichstein aus dem Jahre 1635 folgendermaßen: „Unnsere freundtliche diennst unnd was wür mehr liebs unnd guets vermögen zuvor. Hochwürdigist, hochgeborner fürst, hochgeehrt vielgeliebter herr unnd vetter. / Euer liebden übersennden wür hiemit ain kayserliches schreiben [...]. / [...] Datum auf unnserem Schloß Liechtenstain, dem 2. Augusti anno 1635. / Gundackher, von Gottes gnaden des heyligen römischen reichs fürst von unnd zu Liechtenstain, in Schlesien, zu Troppaw, Jägerndorf, Teschen unnd Großen Gloggaw hörzog, grave zu Rittperg, römischer kayserlicher mayestätt gehaimer rhat unnd cammerer. / [eigenhändig:] dienstschuldiger vetter / G(undaker) f(ürst) v(on) u(nd) zu Liechtenstein." 177
Nach der Mitte des 17. Jahrhunderts löste dieser seit der Durchsetzung der Souveränitätsidee nur souveränen Fürsten zustehende Kanzleistil178 offenbar bei den landesfurstlichen Beamten am Kaiserhof und in den Erbländern, aber auch bei den Kaisern selbst Befremden aus. Am 17. Februar 1688 ratifizierte Leopold I. den Antrag der niederösterreichischen Regierung, den Fürsten zu verbieten, in an die Regierung gerichteten Schriftstücken den Plural (,Wir\ ,Uns' etc.) zu verwenden. 179 Am 24. August 1717 untersagte Karl VI. den Fürsten Liechtenstein und Dietrichstein als mährischen Landsassen, sich in ihren obrigkeitlichen Verordnungen und in Privatschreiben des Plurals und des Prädikats ,νοη Gottes Gnaden' sowie
,7
·' HALV, Hs. 270/11, S. 148, G. v. L. an Ferdinand III., Wien, 26. April 1640 (Abschrift). HALV, Hs. 273, S. 62, G. v. L. an den Kanzlet des Fürsten Karl, 28. Januar 1645 (Abschrift). 176 NÖLA St. Pölten, Abt. Ständisches Archiv, Hs. 182, fol. 1 5 2 M 53' und 707"; Codex Austriacus, Teil 2, S. 334 (hier sind die Namen der Beschwerdeführer nicht genannt). 177 MZA Brno, G 140, K. 179, Fasz. 567, fol. 9. 178 Nachdem Kaiser Ferdinand II. 1636 mit der Erhebung in den Reichsfiirsten- und den Reichsgrafenstand noch ausdrücklich das Recht übertragen hatte, „ut se Dei Gratia tales scribere debeant et possint", berichtet Veit Ludwig von Seckendorff in seinem 1656 erschienenen Hauptwerk „Teutscher Fürstenstaat", daß jetzt nur noch Besitzer der Landeshoheit die Formel „Von Gottes Gnaden" verwenden. Dreitzel, Monarchiebegriffe, Bd. 2, S. 516 f. Zur staatstheoretischen Diskussion über diese Formel im Bereich des Heiligen Römischen Reiches von etwa 1600 bis 1848 vgl. ebd., S. 515-528. ,7 ' NÖLA St. Pölten, Abt. Ständisches Archiv, Hs. 182, fol. 707r~v. 175
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Rangkonflikte
eines d e n kaiserlichen u n d k ö n i g l i c h e n R e s k r i p t e n u n d D i p l o m e n ä h n l i c h e n Stiles „circa res et p e r s o n a s M o r a v i a e " zu b e d i e n e n . S o l c h e a u f die B i l d u n g eines Staates i m Staate bzw. eines S t a n d e s i m S t a n d e abzielende Prärogativen s t ü n d e n ausschließlich d e m K a i s e r als L a n d e s f i i r sten zu. D i e in M ä h r e n l a n d s ä s s i g e n F ü r s t e n m a c h t e n keinen b e s o n d e r e n S t a n d aus, s o n d e r n sie seien e b e n s o wie die G r a f e n u n d Freiherren M i t g l i e d e r des zweiten, also des H e r r e n standes. D e m Regierer des H a u s e s L i e c h t e n s t e i n stehe n u r das Vorrecht des Vorsitzes a u f der rechten Seite i m L a n d t a g zu. In ihren u n m i t t e l b a r e n R e i c h s h e r r s c h a f t e n - S c h e l l e n b e r g a m O b e r r h e i n 1 8 0 u n d T a r a s p i m U n t e r e n g a d i n (heute G r a u b ü n d e n ) 1 8 1 - bleibe es d e n F ü r s t e n Liechtenstein u n d D i e t r i c h s t e i n u n b e n o m m e n , sich g e g e n ü b e r ihren U n t e r t a n e n der F o r m u lierungen .Wir', , U n s ' etc. u n d ,νοη G o t t e s G n a d e n ' z u b e d i e n e n , e b e n s o g e g e n R e i c h s s t ä d t e , Reichsfiirsten u n d a n d e r e R e i c h s s t ä n d e , deren L a n d s a s s e n sie nicht sind, nicht j e d o c h in M ä h r e n ( u n d in Ö s t e r r e i c h ) . N u r d e m B i s c h o f v o n O l m ü t z w u r d e der G e b r a u c h der g e n a n n ten Titel g e s t a t t e t . 1 8 2
180 Im Jahre 1699 von dem hoch verschuldeten Grafen Jakob Hannibal III. von Hohenems erworbene kleine reichsunmittelbare Herrschaft, die von Thomas Klein als „zu großen Hoffnungen [nämlich auf die Erwerbung von Sitz und Stimme im Reichsfiirstenrat] berechtigende[s] Fleckchen Reichsunmittelbarkeit" bezeichnet worden ist. Klein, Erhebungen, S. 142. 181 Tarasp war eine kleine (aus dem Dorf Fontana und einigen Weilern bestehende) Herrschaft und Burg (diese existiert noch) im Unterengadin, die 1239 von Graf Albert III. von Tirol gekauft, im 14. Jahrhundert an die Vögte von Matsch gekommen und 1464 von Herzog Siegmund von Tirol zurückgekauft worden war. 1652/53 an Graubünden und in den 1680er Jahren von diesem an die Fürsten von Dietrichstein verkauft, wurde Tarasp von Kaiser Leopold I. für reichsunmittelbar erklärt und war bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts de facto eine österreichische Enklave in Graubünden. Wilhelm Baum, Sigmund der Münzreiche (Bozen 1987), S. 266 f.; Mally, Der Österreichische Kreis, S. 66; Palme, Frühe Neuzeit, S. 181. - Johann Jakob Moser meinte im Jahre 1748 zu der Fiktion der Reichsunmittelbarkeit von Tarasp: „Dises Fürstlichen Hauses [Dietrichstein] sämtliche Güter ligen in den Oesterreichischen Erb-Landen und unter dessen [sc. des Hauses Österreich] Landes-Hoheit. Zwar ist ein Gut, oder Herrschafft, Trasp in Tyrol, davon ftir exemt erkläret worden, um den Fürsten von Dietrichstein zu Sitz und Stimm bey dem Reichs-Convent zu qualificiren; ich sorge aber, wann man inspectionem ocularem einnimmt, werde wenig oder nichts von dieser Landes-Hoheit anzutreffen seyn." J. J. Moser, Teutsches Staats-Recht, 35. Teil, S. 177. - Die Rolle, die Tarasp für die Fürsten von Dietrichstein innehatte, spielte ftir die Lobkowitz die von Ferdinand III. zur Gefürsteten Grafschaft mit dem Namen Sternstein erhobene Herrschaft Neustadt an der Waldnaab in der Oberpfalz und ftir die Auersperg die 1663 erworbene schwäbische Grafschaft Tengen an der Biber nördlich von Schaffhausen, die von Leopold I. ebenfalls zur Gefürsteten Grafschaft erhoben wurde. M. Weber, Verhältnis, S. 201 und 204 f. 182
d'Elvert, Beiträge, Bd. 1, S. 715 f.
8. Session und Votum Die Bemühungen des Hauses Liechtenstein um Sitz und Stimme im Reichsfiirstenrat bis zum Tod des Fürsten Gundaker Aus den Ausführungen des vorhergehenden Kapitels geht klar hervor, daß die 90 Jahre währenden, einmal mehr, einmal weniger intensiven Bemühungen der Fürsten von Liechtenstein um „Sitz und S t i m m e " auf d e m Reichstag und im Reichsfiirstenrat 1 in erster Linie eine Folge des Konkurrenzkampfes gegen neufiirstliche Standesgenossen in den deutsch-böhmischen Erblanden waren, hinter die man rangmäßig zurückzufallen drohte (vor allem die Eggenberg, Lobkowitz, Dietrichstein, Auersperg und Schwarzenberg), wenn es nicht gelang, wie diese die Reichsstandschaft auf der Fürstenbank und damit eine Virilstimme im Fürstenrat zu erringen. 2 Trotz aller Bemühungen erlangten die Fürsten von Liechtenstein erst 1707 Sitz und Stimme a u f der Fürstenbank des schwäbischen Kreistages, und erst am 15. Februar 1713 erfolgte die feierliche Einführung des fürstlich Liechtensteinischen Gesandten in den Reichsfiirstenrat auf d e m seit 1663 in Regensburg tagenden Immerwährenden Reichstag. 1719 wurden endlich die im schwäbischen Reichskreis gelegene reichsunmittelbare Herrschaft Schellenberg und die Reichsgrafschaft Vaduz (erworben 1699 bzw. 1712) vom Kaiser zum Fürstentum Liechtenstein erhoben. 3 Die 1623 bzw. 1624 in den Reichsfiirstenstand erhobenen Fürsten von Eggenberg und von Lobkowitz waren auf kaiserlichen D r u c k v o m Reichsfiirstenrat unter gewissen Bedingungen (vor allem der „angemessenen" Ausstattung mit reichsunmittelbaren Gütern) bereits 1641 z u m folgenden Reichstag zugelassen („admittiert") und schließlich 1653 in den Reichsfiirstenrat introduziert worden. 4 1654 wurden die Chefs der 1624, 1650 und 1653 in den
' D e m aus einer geistlichen und einer weltlichen Bank zusammengesetzten Reichsfiirstenrat gehörten neben den mit der Reichsstandschaft ausgestatteten Fürsten auch die reichsständischen Grafen, Herren und nichtftirstliche Reichsadelige und nichtgefiirstete Prälaten an. Nur die Fürsten besaßen Virilstimmen, wobei es im Verlauf des 16. Jahrhunderts allmählich zu einer Territorialisierung der fürstlichen Stimmen kam, sodaß ein Fürst, der mehrere Territorien in seiner H a n d vereinte, auch über mehrere Stimmen auf dem Reichstag verfugte. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 9 7 - 9 9 ; Domke, Viril-Stimmen. Vgl. Schlip, Die neuen Fürsten; T h . Klein, Erhebungen. J. J. Moser, Teutsches Staats-Recht, 9. Teil, S. 1 5 3 - 1 6 8 und 2 7 3 - 2 7 9 ; 35. Teil, S. 185 f. („Die meiste Lichtensteinische Güter seynd mittelbar und in denen Oesterreichischen Erb-Landen gelegen; in Schwaben aber hat dieses Haus etwas gar weniges unmittelbares, deme man den Nahmen eines Fürstenthums nur darum beygeleget hat, daß es den Schein habe, als seye der Herr Innhaber zu Sitz- und Stimm-Recht auf dem ReichsConvent qualificirt"); Lünig, Theatrum Ceremoniale historico-politicum, 1. Teil, S. 1063 f. (,Actus Introduct i o n s " am 15. Februar 1713); T h . Klein, Erhebungen, S. 142f. (Datum der Introduktion irrtümlich 1715); Schlip, Die neuen Fürsten, S. 267 und 285; Press, Die Entstehung des Fürstentums Liechtenstein. 2 5
4 J. J . Moser, Teutsches Staats-Recht, 9. Teil, S. 12-23; T h . Klein, Erhebungen, S. 153 f.; Schlip, D i e neuen Fürsten, S. 2 7 5 - 2 7 8 . Z u dem Konflikt der Fürsten Eggenberg und Lobkowitz mit den Gesandten der „alten", nicht in eigener Person erschienenen Reichsfürsten u m den Vortritt beim Z u g von der kaiserlichen Residenz zum D o m und vom D o m zum Rathaus anläßlich der Eröffnung des Regensburger Reichstags im Jahre 1653 siehe auch Crusius, Tractatus, S. 7 0 9 - 7 1 3 , und Lünig, Theatrum, 1. Teil, S. 17.
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Reichsfurstenstand erhobenen erbländischen Adelshäuser der Dietrichstein, Piccolomini und Auersperg introduziert. 5 Im selben Jahr wurden die Grafen von Waldstein in das Reichsgrafenkollegium aufgenommen, nachdem Albrecht von Wallenstein 1617 in den Reichsgrafenstand und 1623 in den Reichsfurstenstand erhoben worden war und sich die waldsteinische Reichsfürstenwürde mit der Ermordung Wallensteins 1634 erledigt hatte. 6 Der Präsident des Reichshofrats Johann Adolf Graf von Schwarzenberg wurde 1670, zugleich mit seinem Amtsantritt, gefurstet und 1674, nach der Erhebung seiner Grafschaft Schwarzenberg in Franken zur Gefursteten Grafschaft, ohne Schwierigkeiten in den Reichsfürstenrat eingeführt. 7 Die Fürstenwürde der 1664 gefursteten und 1667 in den Reichsfurstenrat eingeführten Landgrafen von Fürstenberg schließlich ging 1716 auf die kaisertreue Kinzigtaler Linie über.8 Eine Ebene unter dem Kampf um die „hofkulturelle Hegemonie in Europa" (Volker Bauer) zwischen Rom, Paris, Wien (um 1600 Prag), Madrid und London war etwa seit der Mitte des 17. Jahrhunderts im Rahmen der „höfischen Gesellschaft des Reiches" (Aloys Winterling) ein Konkurrenzkampf „um Status und Prestige innerhalb der hohen Reichsfiirstengesellschaft" im Gange: Innerhalb der überregionalen, hierarchisch gegliederten Fürstengesellschaft des Heiligen Römischen Reiches „herrschte Konkurrenz im Streben nach Macht und Prestige, nach Erhöhung des Ranges [...] und nach Steigerung der Ehre des Hauses, den typischen Werten adligen Daseins". 9 Ebenso wie die Höfe der spätestens seit dem Westfälischen Frieden de facto souveränen, über das ius belli acpacis verfügenden deutschen Territorialfursten standen auch die Häuser und Höfe der erbländischen Neufiirsten „in einem beständigen Prestigewettbewerb" untereinander. 10 Die so lange erfolglosen Bemühungen des Hauses Liechtenstein um Sitz und Stimme auf der Reichsfürstenbank bzw. auf dem Reichstag gehen offenbar auf die Initiative des Fürsten Gundaker zurück. Voraussetzungen für die Erlangung der Reichsstandschaft auf der Fürstenbank waren die Empfehlung des Kaisers und die Zustimmung des kurfürstlichen und des fürstlichen Kollegiums sowie reichsunmittelbarer, jedenfalls keiner fremden Landeshoheit unterworfener Besitz und die Übernahme eines angemessenen Beitrags zu den Reichsanlagen. 11 Soweit ich sehe, war die Verleihung von Sitz und Stimme auf der Reichsfiirstenbank an das fürstliche Haus Liechtenstein erstmals im Jahre 1629 - also zur Zeit der Vormundschaft Gundakers und seines jüngeren Bruders Maximilian über den künftigen (ab 1632) Chef und Regierer des Hauses, Karl Eusebius von Liechtenstein - Verhandlungspunkt einer Konferenz der Gesandten der vier katholischen Kurfürsten anläßlich des Ligatages in Heidelberg. Die Kurfürsten betrachteten dieses kaiserliche Ansinnen als „präjudizierliche Sache" und beschlossen am 10. März, ein gemeinsames Protestschreiben dagegen an Ferdinand II. zu schik5 J. J. Moser, Teutsches Staats-Recht, 9. Teil, S. 28-114; Th. Klein, Erhebungen, S. 154 f.; Schlip, Die neuen Fürsten, S. 279-283; A. Müller, Der Regensburger Reichstag von 1653/54, S. 225-231; Ruville, Die kaiserliche Politik, S. 86-89; Redlich, Weltmacht des Barock, S. 37 f. Ottavio Piccolomini starb bereits 1656 kinderlos, ohne reichsunmittelbare Güter erworden zu haben. Th. Klein, Erhebungen, S. 155. 6 Th. Klein, Erhebungen, S. 149 f. Die Fürsten Portia verloren Sitz und Stimme im Reichsfurstenrat, die Johann Ferdinand von Portia 1662 provisorisch erlangt hatte, nach dessen Tod im Jahre 1665 und nach dem schon zwei Jahre später erfolgten Tod seines einzigen Sohnes Johann Karl wieder. Ebd., S. 156 f.; ProbsztOhstorff, Die Porcia, S. 118-184. 7 Th. Klein, Erhebungen, S. 157; v. Gschließer, Reichshofrat, S. 243 f. u. ö.; Schwarz, Privy Council, bes. S. 336-340; Schwarzenberg, Geschichte, S. 116-127, bes. 119 und 122-125. 8 Th. Klein, Erhebungen, S. 158. Die Fürsten (seit 1707) von Lamberg hatten nur wenige Jahre (1709-1714) Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat. Der 1711 geflirstete Obersthofmeister Kaiser Josephs I., (Johann) Leopold Donat von Trautson, wurde nicht zum Reichsfurstenrat admittiert. Ebd., S. 162. Zu den Erhebungen ungarischer Magnaten in den Reichsfurstenstand vgl. ebd., S. 175-177. 9 Winterling, Der Hof der Kurfürsten von Köln, S. 154. 10 V. Bauer, Die höfische Gesellschaft, S. 123. " Schlip, Die neuen Fürsten, S. 270.
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ken. 12 Die Fürsten von Liechtenstein waren den anderen „neuen Fürsten" auf dem Weg zur Erlangung von „Sitz und Stimme" also einen Schritt voraus, fielen dann aber zurück und wurden, wie erwähnt, 1641 bzw. 1654 von den Häusern Eggenberg, Lobkowitz, Dietrichstein (dem die endgültige Zulassung zu Sitz und Stimme im Reichsfiirstenrat allerdings erst 1686, nach der in diesem Jahr erfolgten Erwerbung von Tarasp 13 , gewährt wurde 14 ), Piccolomini (bereits 1656 ausgestorben) und Auersperg überholt, 20 Jahre später auch von den Fürsten von Schwarzenberg. Wie ist es dazu gekommen, daß Karl Eusebius von Liechtenstein bei diesem „Peersschub" um die Mitte des 17. Jahrhunderts leer ausging? Ich kann im folgenden die riesigen Aktenberge, die das Liechtensteinische Hausarchiv unter dem Titel „Sitz und Stimme" verwahrt, nicht einmal annähernd ausschöpfen. Es soll nur demonstriert werden, welche Bedeutung die männlichen Vertreter des Hauses Liechtenstein (insbesondere jene der Gundakarischen Linie) der Erlangung einer Virilstimme im Reichsfiirstenrat im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts beimaßen und welche Rolle Fürst Gundaker in den diesbezüglichen Bestrebungen spielte. Im Juli 1635 beglückwünschte Gundaker den dem Hofleben ansonsten fernstehenden Karl Eusebius von Liechtenstein (Abb. 29) zu dem Entschluß, bei der bevorstehenden Wiener Hochzeit zwischen der (25jährigen) Erzherzogin Maria Anna und dem (65jährigen) Kurfürsten Maximilian von Bayern dem Kaiser aufzuwarten. Gundaker gab seinem Neffen den Rat, seine schönsten Wandteppiche (Gobelins) und Kleinodien und sein (Tafel-) Silber nach Wien bringen zu lassen und die Gelegenheit zu nützen, die anwesenden Reichsfiirsten und kurbayerischen Adeligen zu Gast zu laden. Er solle sich auch bei dem bayerischen Kurfürsten „insimuliern" (offenbar im Sinne von „insinuieren", also einschmeicheln), da er über große Autorität im Reich verfüge „und unserm haus künfftig gutes thun" könne, „insonderheit wenn wir begerten, im reich matriculiert zu werden". 15 Ende November des folgenden Jahres berichtete der damals als Direktor des hinterlassenen Geheimen Rates in Wien weilende 16 Fürst Gundaker seinem Bruder Maximilian, da er vernommen habe, „daß die fürsten, welche im römischen reich immatriculiert sein, große praeeminentien und praerogativen vor andern fürsten haben, welche nicht matriculirt sein", habe er sich im Namen des gesamten Hauses mit dem kurfürstlich bayerischen Agenten am Kaiserhof mündlich darüber unterredet, wie das Haus Liechtenstein zu der begehrten Einverleibung in die Reichsmatrikel gelangen könnte. Als Grund dafür nannte er, daß der bayerische Kurfürst die größte Autorität unter den Kurfürsten besitze und „unns" (dem Haus Liechtenstein oder dem Fürsten Gundaker?) gewogen sei. Zur Beförderung der Sache plante Gundaker einerseits, den zur Königskrönung Ferdinands III. nach Regensburg aufbrechenden Erzherzog Leopold Wilhelm um „commendation an die churfürsten" zu ersuchen, andererseits wollte er selbst entsprechende, von Karl Eusebius und Maximilian von Liechtenstein sowie ihm selbst unterzeichnete Schreiben an die Kurfürsten ergehen lassen mit der Bitte, auf dem nächsten Reichstag die Admittierung des Hauses Liechtenstein zu Sitz und Stimme im Fürstenrat zu unterstützen. 17 Dem bayerischen Agenten stellte Gundaker für den Fall, daß er dem Haus Liechtenstein zu der begehrten Immatrikulation verhelfe, im Namen des ganzen Hauses „ein ansehliches praesent" in 12
Briefe und Akten, N.F., 2. Teil, Bd. 4, S. 165, 305 und 311. Siehe S. 320, Anm. 181. 14 Maximilian von Dietrichstein wurde 1654 in den Reichsfiirstenrat mit Sitz und Stimme aufgenommen, bei seinem Erben und Nachfolger Ferdinand wurde aber an der Bedingung, zuvor reichsunmittelbaren Besitz zu erwerben, unerschütterlich festgehalten. Von 1664 bis 1671 unternommene Bemühungen des Fürsten Ferdinand, Sitz und Stimme im Fürstenrat noch vor dem Erwerb eines Reichsgutes zu erlangen, schlugen fehl. Vgl. M Z A Brno, G 140, K. 418, Fasz. 1859. " HALV, K. 38, eh. Schreiben G.s v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, Liechtenstein (= Mährisch Kromau), 8. Juli 1635. " Vgl. oben S. 184 f. 17 HALV, K. 38, G. v. L. an seinen Bruder Maximilian, Wien, 30. November 1636. 13
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Abb. 29: Fürst Karl Eusebius von Liechtenstein (1611-1684), vor einer Statue des Schmerzensmannes knieend. Wohl um 1632. Kupferstich.
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Aussicht. Dem Rat und ehemaligen Erzieher König Ferdinands (III.) und des Erzherzogs Leopold Wilhelm, Dr. Elias Schiller18, stellte er ein „memorial umb intercession an die churfüersten" sowie eine Genealogie des Hauses Liechtenstein und eine ausführliche Darstellung des Problems zu und äußerte die Bitte, dem Erzherzog und wenn nötig auch dem König und dem Kaiser darüber zu berichten. Er ersuchte Dr. Schiller auch, mit dem Grafen (Werner Tserclaes von) Tilly, der seit 1627 mit der jüngeren Tochter von Gundakers Bruder Karl vermählt war, und mit dem kurbayerischen Agenten „zu incaminierung dises werckhs" zu korrespondieren. 19 Der Regensburger Reichstag der Jahre 1640 und 1641 20 löste bei Gundaker von Liechtenstein neuerlich intensive Aktivitäten aus, die jedoch beim Fürsten Karl Eusebius, der als Regierer des Hauses eigentlich „gefordert" gewesen wäre, (wiederum) nur auf eher geringes Interesse stießen. Im November 1640 antworte der kaiserliche Generalkommissär Werner Tserclaes Graf Tilly dem Fürsten Gundaker auf eine Anfrage, er nehme an, der verstorbene Kaiser habe Johann Ulrich von Eggenberg als wirkliches Reichsmitglied aufgenommen und ihm darüber eine Urkunde ausgestellt, woraufhin die Kurfürsten und Reichsfiirsten ihn und die Seinen akzepierten und Session und Stimme bei den Reichsversammlungen zusagten. Durch die Immatrikulierung könne dies nicht geschehen sein, da die Fürsten von Eggenberg „nichts im reich haben". Seines Erachtens wäre es für das fürstliche Haus Liechtenstein leicht, ebenfalls Sitz und Stimme auf der Reichsfiirstenbank zu erlangen, „wan fiirst Carl sich nur darumb annemben will". An der Präzedenz Johann Antons von Eggenberg, des Sohnes des verstorbenen Fürsten Johann Ulrich von Eggenberg, vor Karl Eusebius von Liechtenstein werde sich dadurch freilich wohl nichts ändern, denn es werde heißen: „Qui prior tempore, potior iure." 21 Fürst Gundaker vertrat im Januar 1641 in einem Brief an seinen Neffen Karl Eusebius hingegen die Ansicht, daß dieser - abgesehen von der Reichsfiirstenbank, auf der er aber ohnehin über keine Session verfugte - in der Kirche und bei allen anderen öffentlichen Zusammenkünften dem jungen Fürsten von Eggenberg vorzusitzen und vorzugehen habe, da Karl Eusebius' Vater samt seiner Primogenitur früher in den Reichsfiirstenstand erhoben worden sei als die Herren von Eggenberg; es sei denn, Karl von Liechtenstein sei nicht in den Ä«cMiirstenstand erhoben worden, „sondern nur simpliciter in [den] fiirstenstand", was er aber nicht glaube. „Fürst Max(imilian) aber und mir und den meinigen gehen des fiirsten von Eggenberg liebden und dero erben von billigkheit wegen vor, weil der fiirst von Eggenberg seel. ehe als wir beede ein reichsfiirst worden ist." Er sei außerdem der Meinung, daß die Reichsfiirsten allen schlesischen Fürsten und Herzögen vorzugehen hätten. So sei zum Beispiel der verstorbene Fürst von Eggenberg an der Tafel des Grafen Slavata in Wien dem Herzog Franz Albrecht zu Sachsen nach-, dem alten Herzog von Brieg aber vorgesessen.22 Am 6. März 1641 eröffnete Gundaker seinem Neffen Karl Eusebius ausführlich seine Ansichten über die, wie er glaubte, derzeit guten Chancen, die Zulassung des Hauses Liechtenstein mit Sitz und Stimme im Reichsfiirstenrat zu erreichen. 23 Session und Votum unter den Fürsten auf den Reichsversammlungen könne man nicht ohne den vorhergehenden Erwerb von Gütern im Reich oder, allerdings nur „ex speciali gratia" des Kurfiirstenund des Fürstenkollegiums, durch Hinterlegung einer zu diesem Zweck gebundenen Summe Geldes erlangen. Als Gründe für seinen Optimismus, eine Ausnahmeregelung für " R. Schreiber, Erzherzog Leopold Wilhelm, S. 14-17, wo die Vermutung geäußert wird, Dr. Schiller könnte der Autor des „Princeps in compendio" sein. " Ebd., ders. an dens., Wien, 13. Dezember 1636. 20 Vgl. Bierther, Reichstag von 1640/1641. 21 HALV, Hs. 270/1, S. 338 f., Graf Tilly an G. v. L„ Tillysburg, 17. November 1640 (Abschrift). Abschrift der Anfrage Gundakers vom 9. Oktober 1640 in Hs. 270/11, S. 378. 22 HALV, Hs. 123, S. 71-73, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, Liechtenstein (= Kromau), 17. Januar 1641 (Abschrift). 23 HALV, Hs. 123, S. 186-192, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, 6. März 1641 (Abschrift).
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das Haus Liechtenstein erwirken zu können, führte Gundaker neben anderen an, daß ihm die Kurfürsten von Bayern, Köln (Ferdinand von Wittelsbach) und Sachsen (Johann Georg I.) und der Pfalzgraf (Wolfgang Wilhelm) von Pfalz-Neuburg bekannt und wohlgesonnen seien, der Markgraf von Baden (Wilhelm von Baden-Baden) ihm und den Seinigen sogar sehr wohlgesonnen und ebenso wie Sachsen-Lauenburg (Herzog Julius Heinrich oder der kaiserliche Feldmarschall Herzog Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg), Mecklenburg (Herzog Adolf Friedrich I. von Mecklenburg-Schwerin?) und Lüneburg nahe verwandt sei (die beiden letzteren waren mit den Schwestern seiner ersten Gemahlin verheiratet gewesen). Der Kaiser werde seine „interposition und commendation kheinesweegs abschlagen, weil dits alles ohne praeiudicium i(hrer) m(ayestät) über uns und das unserige habende hochheit und jurisdiction wol sein khan, und weil wir alle in vornehmen würcklichen diensten sein". Die letzte Bemerkung bezieht sich offenbar darauf, daß Fürst Karl Eusebius seit 1639 zum ersten (und letzten) Mal ein öffentliches Amt ausübte, nämlich die Oberhauptmannschaft in Ober- und Niederschlesien. Er legte dieses Amt allerdings noch im Laufe des Jahres 1641 nieder. 24 Damit die Erlangung von Sitz und Stimme „könne forderlich in das werck gerichtet werden", sei insbesondere folgendes nötig: 1. daß Fürst Karl Eusebius einen (bevollmächtigten) Vertreter nach Regensburg entsende und sich möglichst persönlich an den Ort des Reichstags verfuge; 2. daß er sich an den Kaiser wende mit der Bitte um dessen „bewegliche und höchstvermögende interposition unnd commendation"; 3. daß er ein bzw. zwei Ansuchen an das reichsfiirstliche und das kurfürstliche Kollegium richte; 4. daß er denjenigen hohen Beamten, „die da vil hiebey vermögen", wie dem kurmainzischen Kanzler und den Kanzlern und Sekretären der Reichsfürsten „und auch gar ihren principaln", zur Belohnung („remuneration") Pferde aus seinen Gestüten verspreche, „den ihrer vil sein notturffitig, haben auch dergleichen gern, sonderlich wenn es was raro ist, wie die scheken"; 5. daß er seinen Gesuchen Ahnentafeln der Fürsten von Liechtenstein beilege. Zum letzten Punkt fugte Gundaker die stolze Bemerkung hinzu: „Ich vermeine, es werde mit uns nicht so vil difficult« haben als mit dem fursten von Eggenberg (ohne allen rhuemb und Verachtung zu melden), den er ist neues schlechtes herkommens und verwandtnus, dahero dann auch die reichsfiirsten [...] nicht gern neben des fursten von Eggenberg liebden sizen wollen [...]. Wir aber haben unsere ahnen, also daß wir auf die hohen stiffter komen können und sein, insonderheit ich, vast mit allen heusern im reich verschweigert und verwant." Erst am 30. August 1641, knapp sechs Wochen, bevor der Reichstag am 10. Oktober verabschiedet wurde, war es endlich soweit, daß die von Gundaker seit neun Monaten betriebene Eingabe der Fürsten Karl Eusebius, Maximilian und Gundaker von Liechtenstein mit der Bitte um Unterstützung ihres Begehrens nach Verleihung von Sitz und Stimme im Reichsflirstenrat endlich dem Kaiser übergeben wurde. Für den Fall der Admittierung erklärten sich die Fürsten von Liechtenstein bereit, sich so schnell wie möglich im Reich begütert zu machen und ab der Erlangung von Session und Votum nach Proportion zu den allgemeinen Reichsanlagen beizutragen. 25 Am 26. September ermahnte Gundaker seinen Neffen, er solle möglichst rasch nach Regensburg reisen, da man ihm von dort berichtet habe, der Fürst von Eggenberg sei bereits auf dem Weg dorthin, um „die session zu nehmmen", und der Fürst von Lobkowitz halte sich zum selben Zweck bereits am Ort des Reichstages auf. 26 Am 3. Oktober erging eine kaiserliche Resolution auf die am 30. August übergebene Supplikation. Die Antragsteller wurden darin beschieden, sie müßten zunächst wie andere, „so dergleichen admission in den reichsfiirstenrath begehren und in ihrer kayserl. mayestät erblanden begüttert sein", noch vor der eventuellen Erlangung des kaiserlichen Konsenses zur Er24 25 26
Falke, Geschichte, Bd. 2, S. 307. HALV, K. 38, Fotokopie der im HHStA Wien erliegenden Eingabe. HALV, K. 38, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, Liechtenstein, 26. September 1641.
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teilung von Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat Reverse über folgende Punkte ausstellen: 1. sich weiterhin gegen den Kaiser als Erzherzog von Österreich unverändert „alles gebührenden respects [zu] gebrauchen"; 2. sich nicht unter Berufung auf den Reichsfurstenstand und dessen Privilegien der Befolgung der Landesordnungen und Landtagsschlüsse in den Erblanden zu „entschlagen"; 3. die Reichsanlagen ohne Schmälerung der in den Erbkönigreichen und Ländern zu entrichtenden Kontributionen zu bezahlen. 2 7 Damit schlief die Angelegenheit zwar nicht ganz ein, aber sie „köchelte" gewissermaßen jahrelang auf Sparflamme, da die Introduzierung in den Reichsfiirstenrat nur auf einem Reichstag erfolgen konnte. Ende September 1648 bezeichnete Fürst Ferdinand Johann von Liechtenstein es beispielsweise als ratsam, „daß man mitl suechte, wie man ein immediatfiirstenthumb haben khönnete", u m künftig Kompetenz- und Präzedenzstreitigkeiten mit anderen neuen Fürsten zu vermeiden. Graf Tilly habe ihm einmal gesagt, daß die Markgrafschaft Burgau in Vorderösterreich leicht zu bekommen wäre. 2 8 Im Vorfeld des Regensburger Reichstages von 1 6 5 3 / 5 4 2 9 wurden die Aktivitäten wieder intensiver. Im Jahre 1652 ging die Initiative zur Wiederaufnahme der Bemühungen um Sitz und Stimme von Gundakers soeben zitiertem Sohn Ferdinand Johann sowie neuerlich vom Fürsten Gundaker selbst aus. Am 3. Juni 1652 antwortete Fürst Karl Eusebius, der Chef und Regierer des Hauses Liechtenstein, seinem Vetter Ferdinand, der ihm in dieser Angelegenheit geschrieben hatte, er lasse es sich „belieben", von den drei Grafschaften Ottenburg, Neuburg am Inn und Zimmern jene zu kaufen, die am billigsten zu erhalten sei. Er werde sich beim Freisinger Domdechant erkundigen, ob fiir die Erlangung von Session und Votum auf der Fürstenbank der Besitz einer Grafschaft ausreichend sei. Er sei jedenfalls nicht bereit, „das gewisse", d. h. seine Besitzungen in den böhmischen und österreichischen Ländern, fur „das ungewisse" hinzugeben. Im übrigen sei er der Uberzeugung, daß sein „altes diploma", also der Fürstenbrief seines Vaters Karl, ein ausreichendes „fundam e n t u m " fiir den Reichsftirstenstand sei. Dies sei auch das einzige Argument, mit dem er weiterhin vor Eggenberg und Lobkowitz die Präzedenz beanspruchen könne. Wenn er sich bei seinem Begehren um Sitz und Stimme hingegen auf ein „neues fundament", nämlich auf die Begüterung im Reich, berufen werde, so werde er nichts anderes sein als der jüngste der neuen Reichsfursten, da ihm Eggenberg und Lobkowitz in diesem Punkt u m etliche Jahre zuvorgekommen seien. Er bzw. sein Vater sei aber bereits mit dem D a t u m des Fürstendiploms „ein würkhliches mitglied des heyl. römischen reichs" geworden. Schließlich seien auch die habsburgischen Erblande Teile des Reiches („partes imperii"). Im Schwäbischen oder in einem anderen Kreis begütert zu sein „ist nichts mehrers als in Österreich begüttert zu sein". Er sehe nicht ein, warum er beim Reichstag u m etwas ansuchen solle, über das er ohnehin bereits seit langem verfuge. Der Besitz von Session und Votum diene ohnehin zu nichts anderem, „als nur bey einem reichstag, wann mann aldorten ist, 100.000 fl. rhein. zu spendieren". Fürst Ferdinand möge „ruhiger schlaffen, dann wir schon von einer langen zeit ein mitglid und inwohner des heyl. römischen reichs sein, und dörffen diese gnad gar nit von dorten [sc. vom Reichstag] begehren noch praetendiren". Dieses Schreiben an Fürst Ferdinand sei „etwas lang" ausgefallen, „weilln mich aber euer liebden in dieser materi mit Stetten plagen, so hab ich demselben meine meinung disfals austrukhlich schreiben wollen". 3 0
Ebd., Kaiserliche Resolution, Regensburg, 3. Oktober 1641. " HALV, Hs. 602, S. 217f., F. J. v. L. an seinen Vater Gundaker, 30. September 1648 (Abschrift). Zur Markgrafschaft Burgau vgl. u. a. Nebinger, Entstehung und Entwicklung, und Wüst, „Ius superioritatis territorialis". " Vgl. v. a. A. Müller, Reichstag von 1653/54. 30 HALV, Hs. 278, S. 172-176, Fürst K. E. v. L. an seinen Vetter Ferdinand Johann, Feldsberg, 3. Juni 1652 (Abschrift). 27
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Am 26. Juni 1652 machte Fürst Gundaker seinem Neffen Karl Eusebius den Vorwurf, er kümmere sich zu wenig um das Aufnehmen seines Hauses, und begrüßte gleichzeitig den von Karl Eusebius geäußerten Entschluß, die Bemühungen, Sitz und Stimme im Reichsfurstenrat zu erlangen, fortzusetzen bzw. wiederaufzunehmen. Um die Session und damit die Präzedenz vor den Fürsten von Eggenberg und Lobkowitz und eventuell auch vor Zollern zu erhalten, sei dringend die Erwerbung eines reichsunmittelbaren Gutes (eines immediaten Fürstentums oder einer immediaten Gefürsteten Grafschaft) nötig. 31 Noch im Juni 1652 legte Fürst Gundaker seinem Neffen in einem langen, in der Abschrift elf Seiten umfassenden Brief dar, wie man seiner Ansicht nach von den Reichsfürsten angenommen werden könne. 32 Wenn es Karl Eusebius gelänge, ein altes Fürstentum wie die Gefurstete Grafschaft Görz oder die Markgrafschaft Burgau zu erlangen, das von alters her die Session auf dem Reichstag habe, so säße er nach der Introduktion sowohl dem Fürsten Eggenberg als auch dem Fürsten Lobkowitz vor, die vom Reichsfiirstenkollegium zwar bereits angenommen seien und die Session bewilligt hätten, diese aber noch nicht „possedieren"; ja vielleicht sogar, wenn es ihm gelänge, die Exemtion von Troppau und Jägerndorf und eventuell auch von Glatz zu erlangen, „weill es vornehme stuckh und bey weiten pesser als Grädiska 33 und des fürsten von Lobkowiz stettlein 34 " seien. Gesetzt den Fall, Karl Eusebius erlangte nur ein immediates Gut, das erst zu einem Fürstentum erhoben werden müßte, und er müßte „hac ratione" dem Fürsten Lobkowitz nachsitzen, so sei es doch besser diesem nachzusitzen, „als wenn man das werkh gar erligen leßt", da man sonst allen, die künftig angenommen werden, nachgehen müßte, wie etwa den Fürsten Maximilian von Dietrichstein und Ottavio Piccolomini, deren Admission und Introduktion sich bereits abzeichnete. Um zu einem reichsunmittelbaren Gut zu kommen, schlug Fürst Gundaker erstens vor, Erkundigungen einzuziehen, ob die Markgrafschaft Burgau zu verkaufen sei. Von Erzherzog Ferdinand Karl von Tirol (der bekanntlich ein sehr kostspieliges, seine finanziellen Möglichkeiten übersteigendes Hofleben pflegte) vermute er, „sey sie leicht zu bekommen, dann er verkaufft und versezt, was er kan". Es sei aber möglich, daß in einen etwaigen Verkauf Burgaus auch der Kaiser und der König von Spanien einwilligen müßten. (Gundaker war sich nicht im klaren darüber, ob die Markgrafschaft Burgau ein Reichslehen oder ein österreichisches Lehen war.) Am besten wäre es, die Grafschaft Görz zu „erlangen", die ein Reichsstand sei, alte Session habe und unter den Gefürsteten Grafschaften des Reichs den zweiten Rang einnehme. Die dritte Möglichkeit wäre, Troppau und Jägerndorf von der Jurisdiktion des Königs von Böhmen eximieren zu lassen, sodaß es unmittelbar vom Kaiser „dependire". In diesem Fall würde man den Fürsten von Lobkowitz und Eggenberg nachgehen müssen. In die „Alienierung" schlesischer Fürstentümer müßten allerdings die übrigen schlesischen Fürsten einwilligen. Viertens wäre es eine Möglichkeit, die Grafschaft Glatz „eximirter [zu] erlangen". Dies dürfte leichter einzurichten sein als die Eximierung Troppaus und Jägerndorfs, da Glatz, soviel er wisse, weder zum böhmischen Landtag noch zum schlesischen Fürstentag „gezogen" werde. Dazu müßte man den König, also Ferdinand IV., „disponieren", da der Kaiser ihm Glatz übergeben habe. Schließlich bliebe noch die Alternative, Güter „zusamen51 HALV, K. 39, Fasz. 1652, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, Rabensburg, 26. Juni 1652. - Karl Eusebius hatte gemeint, er sehe nicht ein, warum es zur Erlangung von Sitz und Stimme im Reichsfurstenrat nötig sein sollte, ein reichsunmittelbares Gut zu erwerben; die österreichischen Länder und die Krone Böhmen, wo er seit langem reich begütert sei, seien schließlich auch „partes imperii". HALV, Hs. 278, S. 171 f., Κ. E. v. L. an G. v. L., Feldsberg, 6. Juni 1652 (Abschrift). 32 HALV, Hs. 278, S. 213-223, undatierte Abschrift eines Schreibens, eingetragen unter „Junius"; Verfasser und Adressat sind nicht genannt, es geht aber aus dem Inhalt hervor, daß das Schreiben an den Fürsten Karl Eusebius gerichtet ist, und zwar von seinem Onkel Gundaker, da Fürst Ferdinand Johann vom Verfasser als „mein söhn" bezeichnet wird. 33 Gradisca; sie unten S. 330 f. 34 Neustadt an der Waldnaab in der Oberpfalz
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zukauffen, eine starke massa daraus zu machen" und vom Kaiser deren Erhebung zu einem Fürstentum zu erlangen. Immediate Güter würden aber kaum zu bekommen sein, und mediate werde kein Fürst, unter dessen Landeshoheit sie lägen, aus seiner Jurisdiktion eximieren lassen. Falls es doch (um teures Geld) gelänge, so würde Fürst Karl Eusebius „bey solcher beschaffenheit" dem „immediatstettle[i]n" des Fürsten Lobkowitz - der um die Mitte des 16. Jahrhunderts von Ladislaus d. J. von Lobkowitz erworbenen und 1641 vom Kaiser zu einer Gefiirsteten Grafschaft mit dem Namen Sternstein erhobenen Herrschaft Neustadt an der Waldnaab in der Oberpfalz (im Bayerischen Reichskreis) 35 - nachgesetzt werden. Gundaker regte an, Troppau und Jägerndorf gegen Görz oder Burgau einzutauschen und nötigenfalls zur Aufbringung von Bargeld die böhmischen Herrschaften, ja eventuell sogar einige der mährischen Güter zu verkaufen. Auf diesem Wege könnte der König Troppau und Jägerndorf bekommen, sodaß vielleicht aus diesem Grund Ferdinand IV. und der Graf von Auersperg, der seit 1645 dessen Obersthofmeister war, den Plan unterstützen würden. Der möglichst rasche Verkauf der böhmischen Herrschaften sei auch deswegen angezeigt, da, wie er gehört habe, der Fiskus in Person des Kammerprokurators demnächst den Prozeß wegen deren angeblich unrechtmäßigen Erwerbs durch den Fürsten Karl (bzw. wegen dessen Schuld an der Münzverschlechterung während der „Kipper- und Wipperzeit" der Jahre 1621 bis 1623) gegen dessen Sohn Karl Eusebius eröffnen bzw. wiederaufnehmen werde, was dann im Jahre 1654 tatsächlich geschah. 36 Auf die eine oder andere Weise müsse es jedenfalls gelingen, noch vor der Eröffnung des Reichstags reichsunmittelbaren Besitz zu erwerben, „will man änderst unsers hauses verklienerung 3 7 verhieten, also, daß wir allen, die erst angenohmen worden [d. h. zur Aufnahme in den Reichsfiirstenrat admittiert worden sind] und auf negstkünfftigen reichstag unfehlbarlich angenohmen werden, miessen nachgehen". Falls Karl Eusebius nicht bereit sei, sich persönlich nach Prag zu verfugen, um Sondierungsgespräche in dieser Sache zu fuhren, so wäre er, Gundaker (er war damals 72 Jahre alt!), nötigenfalls bereit, dies zu übernehmen, wenn ihm Karl Eusebius seinen Kanzler und etwas Bargeld für ein standesgemäßes Auftreten beistellen würde, „den mein söhn fürst Ferdinands liebden und ich bestehen sehr übel mit unseren einkommen". Falls die Realisierung einer der fiinf angedeuteten Möglichkeiten gelänge, so müßte sich Karl Eusebius zumindest einen Monat lang zum Reichstag nach Regensburg begeben, um sich bei den Kurfürsten und den übrigen Reichsständen „zu insinuiren" und auf diese Weise das Werk zu befördern und zur Reife zu bringen. Falls er dazu nicht bereit sei, so möge er den Fürsten Ferdinand an seiner Stelle schicken. Auf mehreren Seiten des Briefes widerlegt Gundaker die falschen Vorstellungen (man kann ruhig sagen: die Illusionen und Ausflüchte) seines Neffen betreffend die zwischen den Reichsfürsten geltende Rangordnung und die für die Erlangung von Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat geltenden Bedingungen. Ich nenne nur ein einziges Beispiel: Karl Eusebius hatte die Ansicht geäußert, es sei nicht nötig, sich beispielsweise im Schwäbischen Reichskreis zu begütern, denn die böhmischen und österreichischen Länder, wo er bereits reich begütert sei, seien ebenso „partes imperii" wie Schwaben. Darauf antwortete Gundaker: „Diese lender, darinnen euer liebden wohnen, sein ja partes imperii, mann fordert aber die darin gesessenen nicht, sondern nur allein den landtsfürsten zu denen reichsconventibus, gleich wie nur die landtleut 3 8 und nicht alle die im landt gesessene zu denen landtägen." Wenn Karl Eusebius etwa bereits durch seine Güter in Österreich ein Reichsmitglied wäre, „so wehre es der
" Siehe ζ. B. Mally, Der Österreichische Kreis, S. 64; M . Weber, Verhältnis, S. 201 und 205; Mat'a, Aristokratickä prestiz, Kap. 3, Anm. 20. * Vgl. Falke, Geschichte, Bd. 2, S. 3 0 9 - 3 1 2 ; Gindely, Gegenreformation, S. 3 4 8 - 3 6 2 ; Oberhammer,
Viel ansehnliche Stuck, S. 42. 37 31
Verkleinerung, hier: (moralische) Herabsetzung, Ehrverletzung Mitglieder der Landstände
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burgermaister von Wien auch", ja jeder österreichische Herr und selbst jeder „bierbreuer". Es sei zwar klar, daß Karl Eusebius ein Reichsfurst sei, deshalb sei er aber noch lange kein Reichsmitglied (d. h. Mitglied der Reichsstände), geschweige denn, daß er Sitz und Stimme im Reichsfiirstenrat hätte. Ja, der Kaiser solle auf die Frage des Fürsten Piccolomini, wer (sc. von den neuen Fürsten) Reichsfiirsten seien, sogar geantwortet haben, nur Eggenberg und Lobkowitz. „Das eitere diploma^' gibt zwar, daß der es hatt ein elterer reichsfurst ist, aber gantz nicht, daß er in des reichsfiirstenstandt collegium als ein mitglied angenohmen seie, noch weniger aber, daß er sessionem und votum in dem reichsfiirstenrath habe. Der furstenbrief gibt zwar den reichsfurstenstandt und die praecedenz vor denjenigen, die daneben kein mehrere dignitet im römischen reich haben, aber vor denenjenigen nicht, die da daneben dem reichsfurstenstandt auch andere mehrere reichsdignitet haben. Diese Ordnung der praecedenz geben die reichsfiirsten."
Gleichzeitig (also im Juni 1652) legte Gundaker ein „verzaichnus, was zu einem und dem andern der 5 vorschleg beförderlich oder verhinderlich sein könte", an. 4 0 Noch vor den vierseitigen, von Kanzleihand verfaßten Text setzte er eigenhändig das folgende Notabene: „Man muß von denen anderen vorschlegen nichts melden, bis daß man augenscheinlich sieht, daß es mit Gerz nicht sein kan." Den ersten und zweiten Vorschlag betreffend Görz und Burgau sei die Unterstützung des „grafen von Goldegk", also des Österreichischen Hofkanzlers Dr. Matthias Prickhelmayer (seit 1647 Freiherr [sie!] von Goldegg) nötig. Damit er „zu allen desto williger und embsiger wehre" und um „sein assistenz zu erlangen", müßte man ihm („NBNBNB") ein „donatif' von etlichen tausend Gulden versprechen, sonst werde er „nichts thun". Der Fürst von Eggenberg soll ihm (für die Erhebung Gradiscas zu einer Gefursteten Grafschaft?) 10.000 Gulden gegeben haben. Außerdem müsse man den „favor" des „grafen" von Dietrichstein erlangen, d. h. des Geheimen Rates und Präsidenten der Innerösterreichischen Kammer Siegmund Ludwig von Dietrichstein 41 . Die „assistenz" des Königs (Ferdinands IV.) könnte man erlangen durch den Hinweis darauf, daß er für den Fall eines Tausches von Görz gegen Troppau und Jägerndorf die beiden genannten schlesischen Herzogtümer vom Kaiser bekommen könnte. Wegen Burgau würde es mehr Schwierigkeiten geben als wegen Görz, da man darüber sowohl mit Erzherzog Ferdinand Karl von Tirol als auch mit dem Kaiser „tractieren" müßte; überdies wäre vielleicht der spanische Botschafter dagegen, weil Burgau in der Mitte des Reiches („in meditullio imperii") gelegen sei. Mit Görz könne der Plan auch deshalb leichter realisiert werden, da man bei Hof, wie er vernommen habe, diese Grafschaft wenig schätze. Was die Exemtion bereits im Besitz des Fürsten Karl Eusebius befindlicher oder erst zu erwerbender Güter (in erster Linie der Herzogtümer Troppau und Jägerndorf) betrifft, so war Gundaker der Meinung, man könne diese um 100.000 Gulden oder Reichstaler erlangen, „weil die hoffeammer avida des gelds und jezt mehr als nie wegen des großen unkostens zum reichstag notturfftig ist". Am 6. Juli 1652 ersuchte Fürst Gundaker seine Tochter Juliana, die seit 1636 mit Graf Nikolaus Fugger verheiratet war, sie möge über eine Reihe von Punkten, die die angeblich derzeit verkäufliche Markgrafschaft Burgau betreffen, Erkundigungen einziehen. Sollte die Markgrafschaft nicht zu verkaufen sein, so möge Juliana sich erkundigen, ob vielleicht eine andere immediate Grafschaft oder andere reichsunmittelbare Güter zu verkaufen seien.·42 Wenige Tage später faßte Gundaker die Grafschaft Cilli ins Auge. Er gab Karl Eusebius den Rat, durch seinen Beichtvater, einen Dominikaner, der in den innerösterreichischen Klöstern seines Ordens Generalprokurator gewesen sei, Erkundigungen einziehen zu lassen. Vor allen der ältere Fürstenbrief HALV, K. 3 9 , Fasz. 1 6 5 3 (sie!). 41 v. Hoffinger, Haus Dietrichstein, S. 6 f.; Schwarz, Privy Council, S. 2 2 6 . 42 HALV, K. 2 5 1 , G. v. L. an seine Tochter Gräfin Fugger, Wilfersdorf, 6. Juli 1 6 5 2 (Konzept; liegt unter .Liechtenstein, Prinzessin Anna"). 35
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anderen in Frage kommenden Gütern aber möge Karl Eusebius Ansprüche auf die bedeutende, der Republik Venedig benachbarte Grafschaft Götz erheben „und davon nicht abstehen, bis man augenscheinlich befindet, daß es zu erlangen unmiglich ist". Dafür seien keine Kosten zu scheuen. Weiters in Erwägung gezogen wurden neuerlich die Exemtion der schlesischen Herzogtümer Troppau und Jägerndorf und die Erwerbung der Grafschaft Glatz. 43 Während es Johann Anton von Eggenberg im Jahre 1647 gelungen war, Ferdinand III. einen Teil der Grafschaft Görz mit dem Hauptort und Kapitanat Gradisca samt Aquileja - gegen den Protest der Görzer Landstände - mit aller Landeshoheit und Gerichtsbarkeit um 315.000 Gulden und gegen den Verzicht auf alle Forderungen nach Erstattung der enormen Kosten seiner Gesandtschaft an den päpstlichen Hof im Jahre 1638 abzukaufen und zur reichsunmittelbaren Gefürsteten Grafschaft Gradisca erheben zu lassen 44 , wurde aus dem Erwerb der übrigen Teile der Grafschaft Götz (d. h. der „restlichen", wenn ich richtig zähle elf Kapitanate) durch Karl Eusebius von Liechtenstein nichts. Auch die anderen bereits genannten, von Gundaker erwogenen Pläne, zu denen noch die - 1639 mit dem Aussterben des Hauses Salamanca-Ortenburg an den Kaiser zurückgefallene und 1640 an die Brüder Widmann, die fünf Söhne eines Villacher Großhändlers, verkaufte - Grafschaft Ortenburg als weiteres „Objekt der Begierde" hinzukam, zerschlugen sich. 45 Noch aber hatten vor allem Fürst Gundaker und seine beiden Söhne die Hoffnung nicht aufgegeben, Sitz und Stimme im Reichsftirstenrat für das Haus Liechtenstein zu erwerben, und zwar, falls sich der Regierer des Hauses weiterhin mehr oder minder desinteressiert oder destruktiv zeigen würde, eventuell für die eigene Linie und deren männliche Erben. Im Januar 1653 riet Gundaker seinem Sohn Hartmann, er solle sich zu diesem Zweck sowie zur Sollizitierung der „ostfriesischen Sache" persönlich zum Reichstag nach Regensburg begeben. 4 6 Er erklärte sich bereit, für die Reisekosten (es ist die Rede von mindestens 5.000 Reichstalern) aufzukommen. Hartmann äußerte Bedenken, die Session fur die Gundakarische Linie zu betreiben. Er fürchtete, dadurch nicht nur Fürst Karl Eusebius „einen hochen disgusto", sondern eine „genzliche unainigkeit" des Hauses Liechtenstein zu verursachen, „worüber sodann nebenst vieller frolockhung der genzliche underganng unnsers hauses leuchtlich erfolgen möchte". Gundaker notierte dazu eigenhändig, er wolle „lieber einig- als Uneinigkeit erhalten"; sollte Karl Eusebius daraus eine Uneinigkeit „schöpfen" wollen, so tue er „unmeßig". Er, Gundaker, lasse sich durch Fürst Karl jedenfalls nicht beirren, „denn ihm endgehet nichts daduerch, wenn gleich mein lini die reichsfiirstliche session erlangt, unnd fürst Carl wird sie nicht bekommen, denn er procediert so lablasser weis 47 in dieser sach (wie er dann vorigen conventstag [d. h. auf dem Reichstag von 1640/41] solches genzlich neglegiert hatt), daß einem der magen dabei weh thun solle, und scheinet, daß man ihn gleichsamb mit gewalt darzu persuadieren muß, wie er denn mein und des fiirsten Ferdinand liebden anmahnung hierzu ut plurimum übl aufgenohmen und destwegen widerwertige grobe antworten erteilt. Daher ich resolviert bin, die session zu praetendieren, es thue fiirst Carls liebden was sie wollen."
43
HALV, K. 39, Fasz. 1652, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, W i e r s d o r f , 10. Juli 1652. Czoernig, Görz, Bd. 1, S. 337 f. und 936-943; Erläuterungen zum Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer, I. Abt., 4. Teil, S. 262ff.; Heydendorff, Eggenberg, S. 162 und 164-174; Maliy, Der Österreichische Kreis, S. 64 f.; jetzt vor allem (gestützt auf Akten der innerösterreichischen Zentralbehörden sowie den Bericht einer von Fürst Johann Christian von Eggenberg 1686 nach Gradisca entsandten Visitationskommission) Valentinitsch, Grafschaft Gradisca. (Mit dem Aussterben der Fürsten von Eggenberg im Mannesstamm im Jahre 1717 fiel die Grafschaft Gradisca an die Habsburger zurück; 1754 wurde sie - auf Drängen der Görzer Stände - wieder mit der Grafschaft Görz vereinigt.) 45 Zum Kauf der Grafschaft Ortenburg durch den erst vor kurzem in den Reichsfiirstenstand erhobenen Johann Ferdinand Porcia im Jahre 1662 siehe Probszt-Ohstorff, Die Porcia, S. 143-146. * HALW, Κ. Η 589, Fasz. „Ostfriesland. Korrespondenz mit dem Fürsten Hartmann", G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 18. Januar 1653. 47 so lau 44
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Zu der Nachricht seines Sohnes Hartmann, er habe Karl Eusebius kürzlich in Feldsberg besucht und ihn „zu befürderung unnsers hauses hochheit unnd digniteten so bereith als willigst" erfunden, notierte Gundaker verbittert, er und Fürst Ferdinand hätten für ihre Bemühungen von Karl Eusebius bisher nur Undank und Kritik empfangen, „dahero ich auch bedacht bin, nicht ein wort dieser session-sach halben gegen ihr liebden vorthin zu melden". 48 Anfang März, mehr als drei Monate vor dem Zusammentritt des Reichstags, widerlegte Gundaker noch einmal die von Hartmann vorgebrachten, gegen eine Reise nach Regensburg sprechenden Argumente. Es stehe „einem jeden von unserm haus frey, sein und der seinigen erhöhung zu suechen, zumahlen auch solches in aller weit rüehmblich und darzue alle generöse gemüetter von naturn stimulirt und angedriben werden, und solches der erbainigung vielmehr conform als zuwider ist". 49 Durch eine etwaige Introduktion Gundakers in den Reichsfurstenrat werde Fürst Karl Eusebius „gantz nichts benohmen noch praejudicirt". Die Introduktion des einen tue der des anderen überhaupt keinen Eintrag. 50 Ende April 1653 bot Gundaker dem Regierer des Hauses Liechtenstein doch noch einmal seine Hilfe bei dem Projekt der Erwerbung der Markgrafschaft Burgau an. Vor allem aber teilte er ihm mit, daß er und sein Sohn Hartmann für den Fall, daß Karl Eusebius nicht gewillt sei, die auftretenden Schwierigkeiten zu überwinden, bedacht seien, mittels der ihnen ohne Zweifel in Kürze zugesprochenen ostfriesischen Gelder „für unns und unsere männliche descendenten, jedoch mit inserirung auff begebende fäll [d. h. für den Fall des Aussterbens der Gundakarischen Linie] euer liebden und dero männliche linie, umb dieses negotium uns anzunehmen". Gundaker erklärte aber, er wolle Karl Eusebius in keiner Weise vorgreifen. 51 Zwei Tage später notierte sich Fürst Gundaker eigenhändig, was zur Erlangung der Session nunmehr zu tun sei52: Sobald das Urteil des Reichshofrats in der ostfriesischen Sache „uns zu gutem" erfolgt sei, müsse man sogleich „die session praetendieren" und zu diesem Zweck Schreiben an den Kaiser und an die Kurfürsten mit der Bitte um „commendation" und „intervention" bei den Reichsfürsten ergehen lassen, „daß sie mich und meine männliche successores in der Primogenitur ad sessionem & votum annehmen wollen". Zum selben Zweck müsse man Schreiben an den Markgrafen von Baden, den Pfalzgrafen von Neuburg, den König (bzw. die Königin) von Schweden, die Herzöge von Holstein und Mecklenburg und den Landgrafen von Hessen verfassen und außerdem nach Regensburg noch Blankette („carte blanche") mitnehmen. Sodann solle man das kaiserliche und die kurfürstlichen Empfehlungsschreiben dem Reichsfürstenkollegium übergeben mit dem Anerbieten, von der Summe, die der Graf von Ostfriesland ihm, Gundaker, schuldig sei und die ihm neulich vom Reichshofrat zuerkannt worden sei, 600.000 Reichstaler im Heiligen Römischen Reich bei Reichsständen bzw. in Reichsstädten so lange anzulegen, bis sich ihm eine Gelegenheit biete, um diese Summe Güter zu erwerben, „die da endtweder immediate unter dem heiligen römischen reich gelegen unnd fürstliche güter sein oder in ein furstenthumb erigiert werden". Bis dahin müsse man sich dazu verpflichten, „unterdessen die gebüerende reichsanlag jedesmals davon zu bezahlen demjenigen anschlag nach, wie es der löbl. reichsfiirstenstand vor billich erkennen wird". Am 18. Dezember 1653 erklärte sich der Reichsvizekanzler Ferdinand Siegmund Graf Kurz bereit, bezüglich der Erlangung der Session im Reichsfurstenrat für den Fürsten Gundaker nichts zu unterlassen, „soviel ich nur darbey thuen khann". 53 Fünf Tage später faßte
4!
HALW, Κ. Η 589, Fasz. „Ostfriesland. Korrespondenz mit dem Fürsten Hartmann", Hartmann v. L. an seinen Vater Gundaker, Wilfersdorf, 28. Januar 1653, und eh. Randglossen Gundakers auf diesem Brief. 49 Ebd., G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 6. März 1653 (Konzept). 50 HALW, Κ. Η 590, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, o. O., 20. März 1653. 51 HALV, K. 39, Fasz. 1653, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, Ostra, 27. April 1653. 52 HALW, Κ. Η 590, „Information auff den reichstag", Ostra, 29. April 1653 (eh. Konzept G.s v. L.). 53 HALV, Hs. 603, S. 15, Graf Kurz an G. v. L„ 18. Dezember 1653 (Abschrift).
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der Reichsfürstenrat den Beschluß, die Fürsten von Dietrichstein, Piccolomini und Auersperg „in ansehung ihrer dem heyligen römischen reich und gemeinem wesen erwiesenen hochersprießlichen diensten" zur Session und Stimme im Reichstag zuzulassen, ohne auf der Erfüllung der dazu „sonst erforderten requisiten" zu bestehen. Er ermahnte die drei nur, sich so rasch wie möglich mit immediaten Reichsgütern zu versehen. Sollten sie zu ihren Lebzeiten keine immediaten Reichsgüter erwerben, so sollten ihre Erben „der fürstlichen session und voti ehender nicht theilhafftig sein, bies sie die ermanglende praestanda praestirt haben werden". 54 Daraufhin machte Gundaker seinem Neffen Karl Eusebius den Vorwurf, wenn er „dieses negotium mit rechten ernst angriffen und eyfferig, wie andere gethan, urgirt" hätte, dann wäre er genauso wie Dietrichstein, Piccolomini und Auersperg „zur session und stimm [...] admittirt worden". Um so dringender sei es nun, daß Karl Eusebius so rasch wie möglich nach Regensburg reise. Er möge sich „obbesagtes negotium und also die vermehr- und befürderung unsers hauses auffnehmen mit mehrerm ernst angelegen sein lassen". Bisher habe er, Gundaker, „ersehen", daß dies nicht der Fall gewesen sei, ja Karl Eusebius habe bis dato nicht einmal den Eid auf die Erbeinigung geleistet noch wolle er ihn leisten, „welches scandalosum und wider gwissen ist; und weil dero herr vatters liebden mit solcher langwiriger mühe und eyffer dits herliche fundament, darauff unser haus auffgebauet werden solle und khan, gelegt, eur liebden von derselben wegen dessen Vollziehung ihnen desto eyfferiger sollen angelegen sein lassen".55 Eine Woche später ermahnte Gundaker seinen Sohn Hartmann, sobald ihn Gott der Allmächtige von seinem Katarrh befreit haben werde, sofort die Reise nach Regensburg fortzusetzen, um „die admission ad sessionem und votum für uns und unsere mannliche linia sambt der praecedenz vor denen nach uns angenohmenen neuen fursten" persönlich zu urgieren. Die Sache sei äußerst dringend und müsse vor der Ausfertigung der kaiserlichen Erklärung, daß in Hinkunft niemand mehr vor Erfüllung aller Bedingungen zur fürstlichen Session und Stimme zugelassen werden solle, zur Reife gebracht („maturirt") werden. 56 Am 22. Januar 1654 verfaßte Fürst Gundaker eine Art Denkschrift, in der er die uns großteils bereits bekannten Punkte und Argumente zusammenfaßte und die er seinem Sohn Hartmann auf die Reise nach Regensburg mitgab. Unter anderem befaßte er sich neuerlich mit der immer noch aktuellen Frage der Erwerbung der Markgrafschaft Burgau. 57 Am 17. Februar schrieb Fürst Hartmann aus Regensburg, sollte man die Session nicht vor den (anderen) neuen Fürsten haben können, so wollte er „nicht ein kreizer darumb geben". Fürst Karl Eusebius habe ihm eine Vollmacht übersandt, er, Hartmann, habe ihn aber nochmals aufgefordert, persönlich nach Regensburg zu kommen und die Sache „seinem obligo nach als regierer des hauses" selbst zu betreiben oder wenigstens Geld zu schicken, „damit man schmiren khan", da ohne Geld nichts gehe („quia sine ipso factum est nihil"). Er sei bereit, das Seine zum Gelingen des Werkes beizutragen, doch müsse er alles „per indirectum" im Namen des Fürsten Karl Eusebius tun, um sich nicht zu verfeinden. 58 Gundaker begrüßte in seiner Antwort die Bemühungen seines Sohnes, die Bestechungsversuche inklusive, „denn es ist khein pesserer modus procedendi in denen allerwichtigisten geschefften, als die zuelassigen mitl zu befiirderung des gueten und zu abwendung des üblen fleißig zu gebrauchen (denn Gott operirt per media und will derowegen, daß wir das unsere auch - neben bitt umb seinen seegen und erwartung desselben - dabey leisten und derowegen die media licita darzue anwenden)". Hartmann solle aber auch Gott um seinen Segen bitten und im übrigen unbe-
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Ebd., S. 20f., „Conclusum im reichsfürstenrath", 23. Dezember 1653 (Abschrift). " HALV, K. 40, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, Ostra, 13. Januar 1654. Ebd., G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 20. Januar 1654. 57 HALV, Hs. 603, S. 36—40, „Session betr. i. f. gn. f. Hartman nacher Regensp(urg) gegeben worden", Ostra, 22. Januar 1654 (Abschrift). M Ebd., S. 135 f., H. v. L. an seinen Vater Gundaker, Regensburg, 17. Februar 1654 (Abschrift).
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kümmert sein, „denn was das negotium vor einen ausgang nehmen wird, also wird es den vorhabenden zum pesten gereichen, denn Gott liebt uns, weiß pesser als wir, was uns nuzet, und ist ihm sehr angenehm, seiner providenz sich zu untergeben und auff sein allmacht und liebe sich zu verlassen, und uns sehr nutzlich (quia sperantem in Domino misericordia circumdabit59 et nemo speravit in Domino et confusus est 60 )". Es sei besser, die Session nach den bereits admittierten neuen Fürsten zu erhalten als überhaupt nicht über Sitz und Stimme zu verfugen, denn erstens werde ein introduzierter Reichsfiirst im Römischen Reich, in Italien und Frankreich „viel mehr als allein ein titularis reichsfiirst geschezt", und zweitens sei es „ein mehrere dignitet, weil ein solcher zu denen römischen reichsnegotien sein votum geben khan". Außerhalb von Reichsversammlungen dürfe man den anderen neuen Fürsten keinesfalls mehr, wie bisher geschehen, „weichen".61 Als Hauptgrund, warum Fürst Karl Eusebius im Januar und Februar 1654 nicht endlich doch zum Reichstag nach Regensburg reiste, führt er selbst an, daß er seine angeblich im siebenten Monat schwangere Gemahlin Johanna (eine geborene Dietrichstein) nicht alleine lassen wollte. Anfang Februar schrieb er an seinen Schwager Maximilian von Dietrichstein, er habe ihn zwar um ein Quartier in Regensburg gebeten und sei „auch gentzlich willens gewesen", sich auf die Reise zu machen; „so hat mich aber mein liebste gemahel also hoch gebeten, bei ihren jüngsten iblen gehabten zustandt [...] sie nicht zu verlassen". Um sie in der bevorstehenden kritischen Phase der Schwangerschaft „mit meiner abwehsenheit nicht trostlohs zu lassen und in steter gemühtsbeengstigung" und wegen ,,unser[m] große[n] unglük mit beden söhnen" 62 habe er sich entschlossen, „bei ihr in diser gefährlichen zeit, weil sie sich wie gemeldt unlengst hat übel befunden, zu verbleiben und das bluet den guet vorzusetzen" , 63 Die Sorge war nicht unbegründet: Der am 30. Mai 1654 geborene Sohn Franz Euseb starb bereits nach wenig mehr als einem Jahr. Am 3. März 1654 legte der Bevollmächtigte des Hauses Liechtenstein im Namen der Fürsten Karl Eusebius, Gundaker, Hartmann und Ferdinand Johann von Liechtenstein bei den Kurfürsten, Fürsten und Ständen des Heiligen Römischen Reiches und deren Botschaftern und Abgesandten gegen die bevorstehende Introduktion der neuen Fürsten Protest ein, insbesondere „in puncto praecedentiae", und ersuchte darum, die Introduktion mindestens bis zur Beilegung der Präzedenzstreitigkeiten zu verschieben. Sollte die Introduktion aber nicht aufgeschoben werden, so möge dem Haus Liechtenstein wenigstens ausdrücklich vorbehalten werden, daß die Fürsten Dietrichstein, Piccolomini und Äuersperg „und andere" nicht befugt sein sollten, daraus ein Argument für ihre Präzedenz abzuleiten, sobald es dem Haus Liechtenstein später auch gelänge, zu Sitz und Stimme admittiert zu werden.64 Am 7. März faßte der Reichsfürstenrat dessenungeachtet den Beschluß, die Fürsten Salm, Dietrichstein, Nassau, Piccolomini und Äuersperg zu introduzieren.65 Immerhin verbanden 18 Gesandte ihr zustimmendes Votum mit einem Vorbehalt betreffend die Rechte, d. h. insbe-
Psalm 31,10. Jesus Sirach 2,10. 61 HALV, Hs. 603, S. 1 3 6 - 1 3 8 , G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 2. März 1654 (Abschrift). 62 Im November 1652 waren die am 31. Oktober geborenen Zwillinge Franz Dominik und Karl Josef gestorben, sodaß Karl Eusebius nach knapp zehnjähriger Ehe noch immer ohne Sohn und männlichen Erben dastand (Johann Adam Andreas wurde erst 1662 als letztes Kind geboren). G. Wilhelm, Stammtafel, Tafel 3. 59
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63 M Z A Brno, G 140, K. 447, Nr. 1911/133, eh. Schreiben des Fürsten Κ. E. v. L. an Fürst Maximilian von Dietrichstein, Feldsberg, 1. Februar 1654 (Hervorh. T h . W.). 64 Ebd., K. 32, Fasz. 138, „Copia protestationis des furstl. hauses Liechtenstein contra introductionem der neuen fürsten in puncto praecedentiae, praesent. ad prothocollum Austriacum im fürstenrath", 3. März 1654.
" Vgl. u. a. T h . Klein, Erhebungen, S. 148 f., 151 f. und 154 f.; zu den zahlreichen Linien der Grafen, dann Fürsten von Nassau siehe etwa Schwennicke (Hg.), Europäische Stammtafeln, N.F. 1, Tafel 1 0 8 - 1 2 1 , bes. 1 1 6 - 1 2 0 , und Münch, Nassau.
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sondere die Präzedenz des Hauses Liechtenstein. 66 Am Morgen des 10. März, unmittelbar vor der Introduktion der erbländischen Fürsten Maximilian von Dietrichstein, Ottavio Piccolomini und Johann Weikhard von Auersperg in den Reichsfürstenrat, wiederholte der fürstlich Liechtensteinische Bevollmächtigte im Namen der Fürsten Karl Eusebius, Gundaker, Hartmann und Ferdinand Johann von Liechtenstein den Protest gegen den Ausschluß des Hauses Liechtenstein von der Introduktion und beharrte auf dem Anspruch seiner „herren principalen" auf der Präzedenz vor den genannten „drey neuen herren fiirsten".67 Am 18. März machte Gundaker seinem Neffen Karl Eusebius schwere Vorwürfe. Er habe sich das so wichtige Werk zu wenig angelegen sein lassen und habe dazu von Anfang an keine Energie und Leidenschaft („fervorem") aufgewendet. Seine Nachlässigkeit und sein laues Engagement und Vorgehen („languidum procedere") seien daran schuld, daß er nun nicht wie die drei anderen admittiert worden sei, obwohl er der Erbeinigung zufolge verpflichtet wäre, „unsers hauses auffnehmen, nutzen und fromen eußeristes fleißes zu befördern und zu vermehren, allermaßen dann zu dem ende fürst Max(imilian) seelig und wir dero herrn vatters seelig und ihrer linien die praeeminenz sambt ansehlichen regalien, so sonst auf uns gefallen wehren, cedirt haben". Es sei fur das Haus Liechtenstein auch „ein rechter spott", daß Karl Eusebius am Reichstag nicht wie alle anderen Reichsfursten und Reichsgrafen einen (ständigen) Bevollmächtigten habe. Karl Eusebius möge dem Kaiser mündlich das Angebot machen, wenn er ihm und seinem Geschlecht durch seine „kayserliche authoritet und intervention" dazu verhelfe, ebenfalls zu Session und Votum admittiert zu werden (und zwar wenn irgend möglich vor Eggenberg, Lobkowitz, Dietrichstein, Piccolomini und Auersperg), dann wolle er dem Kaiser 30.000 oder 50.000 Reichstaler an barem Geld zahlen („dann das baare geld bey hoff viel vermag") und überdies einen bestimmten Anschlag in einem der Reichskreise übernehmen. Gleichzeitig müßte er sich an Kurmainz und andere Reichsfursten oder deren Botschafter wenden, und zwar ohne Wissen der bereits angenommenen Fürsten, denn sonst würden diese sich bemühen, „unsere admission in allerweg zu verhindern". Da aber nun die Beschälzeit herannahe und sich Karl Eusebius dafür mehr als für „alle dero und unsers hauses angelegenheiten" interessiere, so werde er die Reise nach Regensburg „vermuethlichen ausschlagen". In diesem Fall müsse er zumindest dem Fürsten Hartmann unverzüglich eine Vollmacht (eventuell in Form eines Blanketts) sowie eine erkleckliche Summe Bargeld übersenden, da „sowohl der abwesenden chur- und fiirsten gesanden als andere ministri, so hierunter was vermögen, nothwendiglich müessen geschmürt werden", sonst werde alles vergebens sein. 68 Noch im selben Monat schrieb Gundaker an Hartmann, wenn er sehe, daß Karl Eusebius „zu erhaltung der session und praecedenz mit rechtem ernst nicht cooperiren" wolle, so solle er sich bemühen, diese „für uns und unsere männliche linie" zu erlangen und zu diesem Zweck dem Kaiser 10.000 oder 20.000 Taler von den ostfriesischen Geldern „offeriren" mit dem Versprechen, diese sogleich in die (Hof-)Kammer zu „verehren", sobald in der ostfriesischen Sache die Exekution bewilligt werde. 69 Am 30. März replizierte Karl Eusebius, er habe lange überlegt, ob er Gundaker auf seinen „sehr unbescheidene [n] briefF' überhaupt antworten solle. In Ansehung des Alters „und offters leibsschwachheiten" seines Onkels habe er sich dann doch dazu entschlossen. Er gab
66 HALV, K. 40, Auszug aus dem Reichsfurstenratsprotokoll und Schreiben des österreichischen Gesandten im Reichsfiirstenrat, Johann Oswald Hartmann, Regensburg, März 1654 (Tagesangabe fehlt). 67 Ebd., „Reiterirte fiirstl. liechtensteinische protestation und reservation in puncto praecedentiae", eingelegt am 10. März/28. Februar 1654. " H A L V , Hs. 603, S. 173-177, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, Ostra, 18. März 1654 (Abschrift; Marginalien auf einem Brief des Fürsten Karl Eusebius an seinen Onkel Gundaker, Datum 13. Februar, praes. 12. März 1654). " Ebd., S. 194, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 27. Mätz 1654 (Abschrift).
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seiner H o f f n u n g Ausdruck, dieser werde sein Teil dazu beitragen, „die guette affection zwischen unns zue ehrhalten", was allerdings „mit dergleichen scharffen brieffen (so doch alle ohne fundament sein und leicht zue widerlegen wehren) nicht beschehen wird". Karl Eusebius sprach seine Überzeugung aus, daß es zum Nutzen des Hauses notwendig sei, „die lieb unnd einigkheit in allweg zue erhalten", und fuhr fort: „Das schnarchen wollen euer liebden brauchen gegen dero dienet, mit denen sie zue schaffen haben, bei uns hafftet es nicht, thuen es nicht achten; verlangen in übrigen euer liebden freindtschafft zue haben, so sie die unserige auch verlangen thuen." Das nötige Geld habe er Hartmann längst überwiesen. 7 0 Daraufhin entschuldigte sich Gundaker umgehend für den von ihm angeschlagenen Ton: „Was ahnbelanget, daß wir ihnen in dieser materia etwas stark zuegeschriben, befinden wir zwahr ahnjetzo, daß sie solches billig anden, es ist aber nicht bös gemeint, sondern nur in der Verfassung excedirt worden, dahero auch euer liebden solches in unguetten nicht vermärckhen wollen." 7 1 A m 17. April 1654 schrieb Fürst Gundaker an seinen Sohn Hartmann nach Regensburg und sprach sich für den Plan aus, dem Kaiser für die Bestätigung der Präzedenz der Fürsten von Liechtenstein vor den in den Reichsfurstenrat introduzierten neuen Fürsten Bargeld anzubieten (zwischen 2 0 . 0 0 0 und 50.000 Reichstaler). Dies sei tatsächlich viel besser, als wenn man sich weiterhin um den Kauf der Markgrafschaft Burgau bemüht hätte, unter anderem deshalb, da man sonst den Räten des Innsbrucker Erzherzogs je 8.000 oder 10.000 Gulden „hette verehren müessen". Hartmann möge sich um eine Audienz beim Kaiser bemühen und ihn darum bitten, den Fürsten Karl Eusebius und seine „successores primogeniti" zu Session und Votum als Reichsfursten anzunehmen, und zwar dergestalt, daß Karl Eusebius „den Vorzug in sessione et voto vor den fürsten von Eggenberg, Zollern, Sallm, Lobkowitz, Nassaw und vor denen neulich angenohmenen fiirsten habe". Dafür wolle Fürst Karl Eusebius aus Dankbarkeit eine bestimmte S u m m e Bargeld in die kaiserliche (Hof-)Kammer zahlen. Hartmann solle in der Audienz sofort die von Karl Eusebius bewilligte Maximalsumme nennen, „weillen ihr mayestät geld begürig und betürfftig sein, und das geld viel vermag". 7 2 Gundakers Brief kam zu spät. Der Reichstag war bereits Ende März 1654 praktisch beendet. Anfang April begann die Revision des Reichsabschieds, d. h. des Entwurfs der Mainzer Kanzlei durch kaiserliche Kommissare und eine paritätische Ständedeputation. 7 3 A m 13. April erging ein vom Reichsvizekanzler Graf Kurz gezeichnetes kaiserliches Dekret, mit dem auf die von Fürst Hartmann im Namen seines ganzen Hauses vorgebrachte Bitte u m Admission zu Session und Votum im Reichsfurstenrat die Antwort erteilt wurde, daß der Kaiser „genaigt und erbietig" sei, „die gesambte fiirsten von und zu Liechtenstein" auf dem nächsten Reichstag den Kurfürsten und Ständen des Reiches zur Admission „bester gestalt zu recommendiren". 7 4 Damit war sowohl die Bemühung um Admission noch während des laufenden Reichstags gescheitert als auch das Begehren nach Bestätigung der Präzedenz vor den anderen neuen Fürsten. Es kam wie es kommen mußte und wie Fürst Gundaker befürchtet hatte: A m 21. April 1654 befahl Kaiser Ferdinand III. seinem Obersthofmeister Maximilian Fürst von Dietrichstein, beim Obersthofmeisteramtsprotokoll ad notam zu nehmen, „daß die bey disem reichstag ad votum et sessionem introducirete Arsten Lobkowitz, Salm, Dietrichstein, Nassau-Hadamar, Picolomini, Nassau Moritz [d. i. Nassau-Dillenburg bzw. Nassau-Siegen] und Auersperg bey allen khünfftigen reichstagen und reichsversamblungen, worbey ihre römische kayserliche oder königliche mayestät sich befinden werden, in undt außer der kirchen und actibus publicis auf den für die regirendte
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Ebd., S. 207f., Κ. E. v. L. an seinen Onkel Gundaker, 30. März 1654 (Abschrift). Ebd., S. 2 1 1 , G . v. L. an Κ. E. v. L., Ostra, 2. April 1654 (Abschrift). HALV, K. 40, G . v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 17. April 1654. A. Müller, Reichstag von 1653/54, S. 4 3 2 ^ 4 1 . HALV, K. 40, Kaiserliches Dekret, Regensburg, 13. April 1654.
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reichsfirsten zubereithen und mit rothen sammet beklaiten stillen 7 ' oder bänkhen ihre sitz und orth neben anderen regierendten reichsfirsten nehmen mögen und sollen, soofft deren einer oder mehr geist- oder weltlich regierendte reichsfirsten bey solchen reichstagen oder versamblungen sich einfinden würde".7® (Da die Brüder Johann Christian und Johann Seifried von Eggenberg damals erst dreizehn und zehn Jahre alt waren, wurde 1654 kein Fürst Eggenberg in den Reichsfiirstenrat introduziert.)
Am Morgen des 17. Mai 1654, des Tags der Publikation des Reichsabschieds, trug der Kaiser dem Obersthofmeister Dietrichstein auf, den anwesenden, bei diesem Reichstag introduzierten weltlichen Fürsten „anzuedeutten", daß sie auf dem Weg in den und aus dem Dom sowie in der Ritterstube, wo den Kurfürsten, Fürsten und Ständen der Reichsabschied vorgelesen wurde, ihr Haupt „wie die regierende reichsfiirsten" mit dem Hut bedecken sollen. Piccolomini, Auersperg, Lobkowitz, Salm und Dietrichstein kamen dieser Aufforderung selbstverständlich mit größter Genugtuung nach. 77 Karl Eusebius von Liechtenstein wurde also auf dem Reichstag von 1653/54 zu Session und Votum im Reichsfiirstenrat weder admittiert noch introduziert. Sein laues Engagement in dieser Sache, das ihm von seinem Onkel Gundaker zum Vorwurf gemacht wurde, könnte auch damit zu tun haben, daß er - abgesehen von den erwähnten Sorgen um seine hochschwangere Gemahlin und der damit zusammenhängenden prekären Hoffnung auf einen männlichen Erben - während dieses Reichstages handfestere politische Probleme hatte. Kurbrandenburgische Forderungen machten ihm nämlich den Besitz des Herzogtums Jägerndorf streitig. In dieser Angelegenheit blieb er erfolgreich, was allerdings nicht nur in seinem, sondern auch im direkten Interesse des Kaisers in seiner Funktion als König von Böhmen und damit schlesischer Landesfurst lag.78 Daß auch dem Fürsten Gundaker die Introduktion nicht gewährt wurde, lag wahrscheinlich nicht zuletzt daran, daß es nicht gelang, die ostfriesischen Gelder rechtzeitig flüssig zu machen und als „Schmiermittel" einzusetzen.79
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Stühlen SOA Litomerice, Zweigstelle Zitenice, LR, RA, G 4, Fasz. 16, Attestation des Obersthofmeisters Maximilian von Dietrichstein, Regensburg, 16. Mai 1654. Am Tag nach der Ausstellung dieser „Attestation" wurde der Reichsabschied verlesen, und am 18. Mai verließ der Kaiser Regensburg. Bein, Schlesien, S. 107. 77 HHStA Wien, Ältere Zeremonialakten, K. 4, fol. 191-196 (Auszug aus dem Hofprotokoll, Regensburg, 17. Mai 1654). 78 Bein, Schlesien, S. 99-118, bes. 100, 102f„ 106f. und 112. 79 Vgl. Kapitel 17.3.1, bes. S. 535. 76
9. Das Fürstentum Liechtenstein in Südmähren Ein kurzlebiges erbländisches Titularfurstentum 1 Im Dezember 1622 schenkte Kaiser Ferdinand II. die von seinem Vetter Rudolf II. im Jahre 1601 dem letzten Rosenberger Peter Wok abgekaufte Herrschaft Krumau 2 , das größte Dominium des Königreichs Böhmen, samt dem Schloß und der Stadt Krumau, allen Städten, Vorstädten, Marktflecken, Dörfern, Meierhöfen, Mühlen usw., weiters die Stadt Prachatitz mit allem Zubehör und den Markt Wallern mit drei Dörfern sowie die alten Rechte der Herrschaft Krumau gegenüber den Klöstern Goldenkron und Hohenfurth in Südböhmen und außerdem Weinberge bei Krems und Stein in Österreich dem Direktor seines Geheimen Rates und Obersthofmeister, Johann Ulrich von Eggenberg. Nicht eigens erwähnt wird in der Schenkungsurkunde die eng mit der Herrschaft Krumau verbunden e m Herrschaft Netolitz. Im Februar 1623 wurde Eggenberg in den Fürstenstand erhoben. Zwei Jahre später verlieh ihm der Kaiser das Große Palatinat, mit dem unter anderem das Münzrecht verbunden war. Im April 1628 schließlich bestätigte Ferdinand II. die Schenkung Krumaus und erhob die Herrschaft gleichzeitig zu einem Fürstentum mit dem Titel eines Herzogtums. Hans Ulrich von Eggenberg und seine direkten Nachkommen nannten sich ab diesem Zeitpunkt Herzöge von (Böhmisch) Krumau. Ebenso wie Gundaker von Liechtenstein die Herrschaft Mährisch Kromau, wovon im folgenden die Rede sein wird, übergab auch Eggenberg die Verwaltung von Böhmisch Krumau frühzeitig seinem Sohn Johann Anton. Der Titel „Herzog von Krumau" erlosch mit dem Tod Johann Christians von Eggenberg im Jahre 1717 und seiner Großtante Maria Ernestina, einer geborenen Schwarzenberg, im Jahre 1719. Dem neuen Eigentümer Krumaus, dem Fürsten Adam Franz von Schwarzenberg3, gelang es aber bereits 1723, von Karl VI. das Recht, den Titel „Herzog von Krumau" zu fuhren, fiir den Mannesstamm seines Geschlechts zu erlangen. Am Festtag des böhmischen Landespatrons Wenzel (28. September 1723) wurde die Herrschaft Krumau im Umfang der Urkunde aus dem Jahre 1628 „von neuem zu einem fiiirstenthumb erhebt und mit dem herzoglichen titul geziert".4
1 Eine Kurzfassung einer früheren Version dieses sowie eines Teils des elften Kapitels (Kapitel 11.3) wurde 1995 auf einer Tagung in Krumau vorgetragen und ist inzwischen im Tagungsband erschienen (Winkelbauer, „Fürstentum Liechtenstein"). 2 Vgl. Kubikovä, Κ prodeji. (Die Kaufverträge datieren vom 11. September 1600 und vom 24. Oktober 1601.) 3 Maria Ernestina von Eggenberg setzte 1717 testamentarisch ihren Neffen Adam Franz von Schwarzenberg zum Universalerben der in Böhmen gelegenen eggenbergischen Herrschaften und Güter ein. Schwarzenberg, Geschichte, S. 130 und 156; Heydendorff, Fürsten und Freiherren, S. 186 f. 4 Schwarzenberg, Geschichte, S. 160; Zälöha, Ke vzniku nekdejsiho ceskokrumlovskeho vevodstvi; Heydendorff, Eggenberg, S. 144—152. Zu den zwischen 1623 und 1630 durch Kauf von Hans Ulrich von Eggenberg in Südböhmen zu Krumau, Prachatitz und Netolitz hinzuerworbenen Herrschaften und Gütern (insbesondere die Herrschaften Chejnow, Worlik, Klingenberg, Ratiboritz, Drslawitz und Winterberg) siehe Zäloha, Prehled vyvoje eggenberske drzavy.
Mährisch Kromau und Ungarisch Ostra
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Die Schenkung Krumaus an Hans Ulrich von Eggenberg war der Lohn fur langjährige treue Dienste, unter denen die finanziellen vielleicht die wichtigsten waren. 5 Zdenek Kalista hat den Sachverhalt treffend zusammengefaßt: „Eggenberg legte sein Geld - anfangs handelte es sich noch nicht um sehr hohe Summen - zur politischen Unterstützung Ferdinands an, und zwar bereits zu einer Zeit, als dieser als steirischer Herzog und Erbe der gewaltigen Schulden nach seinem Vater unter drückendem Geldmangel litt. Dadurch erwarb er sich Kredit beim Herrscher. An dieser Finanzpolitik hielt er auch fest, nachdem Ferdinand den gesamten Besitz der jüngeren Linie des Hauses Habsburg und das römische Kaisertum geerbt hatte. Das brachte ihm unermeßlichen Gewinn ein - einerseits dadurch, daß er seine Ferdinand in Zeiten der Not geliehenen Gelder [...] unter günstigen Umständen zurückerhalten konnte, andererseits deshalb, weil die Bereitwilligkeit [man könnte auch sagen: die Risikobereitschaft], mit der er einst seinen Herrn ohne Gewinnsucht unterstützt hatte, ihm einen Anspruch darauf verlieh, für diese treuen Dienste einen angemessenen Lohn in Form verschiedener Geschenke aus dem riesigen Grundbesitz zu erhalten, den Ferdinand als Sieger im Krieg gewonnen hatte. Der unmittelbare Anlaß fur die Schenkung Krumaus war allerdings ein ganz besonderer und ehrenvoller Dienst: Hans Ulrich von Eggenberg hatte im Herbst 1 6 2 1 am Hof zu Mantua im Namen des Kaisers um die Hand der Prinzessin Eleonora Gonzaga angehalten und die Braut dann auch in dessen Vertretung zum Altar gefuhrt. 7
9.1. Der Verkauf der Herrschaften Mährisch Kromau und Ungarisch Ostra an Gundaker von Liechtenstein und ihre Erhebung zum „Fürstentum Liechtenstein" Im Jahre 1 6 2 2 8 wurde die große, im Znaimer Kreis gelegene Herrschaft Mährisch Kromau dem ins Ausland geflohenen Obersterblandmarschall des Königreichs Böhmen Berthold Bohobud von Leipa, der 1 6 1 9 / 2 0 Mitglied der mährischen Direktorialregierung und Oberstjägermeister des „Winterkönigs" Friedrich von der Pfalz gewesen war, konfisziert. 9 Die im Hradischer Kreis gelegene Herrschaft Ungarisch Ostra und die sogenannten „Kunowitzischen Güter" Louka, Kunowitz und Hluk gehörten bis zur Konfiskation Johann Bernhard von Kunowitz, einem weiteren Mitglied des mährischen Direktorenkollegiums zur Zeit des Ständeaufstands der Jahre 1 6 1 9 / 2 0 . 1 0 Der Verkauf dieser Herrschaften und Güter an Gundaker von Liechtenstein im Oktober 1 6 2 2 war unter anderem eine Folge hoher Darlehen, die Gundaker dem Kaiser bzw. der Hofkammer gewährt hatte. A m 9. April 1 6 2 2 , kurz nach seinem Rücktritt als Hofkammerpräsident 1 1 , wandte sich der Geheime Rat Gundaker von Liechtenstein mit einer Bittschrift an Ferdinand II. und ersuchte ihn um eine Gnade, da er fur seine langen treuen Dienste bisher keine andere „gnadenergezligkeit" empfangen habe als das ihm vom Kaiser geschenkte Haus (in Wien) und 3 0 0 Gulden „Unterhaltung" pro Monat während der Zeit der Besetzung seines Gutes (Wil-
s Eggenberg war bereits in Graz im ersten und zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts praktisch einer der Bankiers Erzherzog Ferdinands. Vgl. Zwiedineck-Südenhorst, Hans Ulrich von Eggenberg, bes. S. 50 ff.; zuletzt P. W. Roth, Hans Ulrich von Eggenberg. 6 Kalista, Stolen' andelu a dablü, S. 117. 7 Schindler, Von Mantua nach Ödenburg, S. 261 und 271-276. 8 Der endgültige Urteilsspruch des Sondergerichtshofes erging am 7. November 1622. Vgl. ζ. B. Stanek, Moravskokrumlovsko, S. 21 f. ' ÖNB, Cod. 14.793, fol. 22"-24"; immer noch beste Edition des Confiscations- und Crida-Protocolls von 1624 bei d'Elvert, Beiträge, Bd. 1 (SchrHStS 16), S. 237-280, hier S. 246. Vgl. Prokes, Nekolik pfispevkü, S. 76f., 115-124 und passim; Η. Brunner, Herren von Lippa, Schluß, S. 472-484; ders., Groß-Tajax, S. 131-135; R. Dvorak, Dejiny Moravy, Bd. 1, S. 573 f. 10 Vgl. ζ. B. Urbankova (Hg.), Povstini na Morave; Hruby, Odhady; Knoz, Κ osudum; ders., Pobelohorske konfiskace. " Vgl. Kapitel 4.4.
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Das Fürstentum Liechtenstein in Südmähren
fersdorf) durch den Feind (Heinrich Matthias Graf Thum). Der Kaiser möge seine „angeborne freygebigkeit unnd keiserliche hochheit erwegen, scheinen unnd würken lassen".12 Um den 7. Mai konkretisierte er seine Bitte und ersuchte den Kaiser „unterthenigist", ihm „aus gnaden" die mährische Herrschaft Kromau oder, falls er mit dieser bereits anders diponiert habe, Ostra mit den anderen Kunowitzischen Gütern zu verleihen, und zwar „ohne den darauf ligenden Schuldenlast".13 Am 14. Mai wandte er sich an Johann Ulrich von Eggenberg („meinen herrn") und ersuchte ihn, „er wolle durch seinen favor ihr meyestät keiserliches hoches und jedermann gutes zu thun ohnedas ganz feuriges gemütt bewegen, damit deroselben gnad mich erleuchte unnd durch dero wohlthaten in dero diensten zu consumiern mich noch mehrers endtzünde", und er machte sich unverblümt erbötig, sich dafür auch materiell erkenntlich zu zeigen („mit einem dankzeichen"). 14 Am 4. Juni 1622 ersuchte Gundaker von Liechtenstein in Odenburg, wo sich der Hof wegen des Landtags und der bevorstehenden Krönung der Kaiserin Eleonora zur Königin von Ungarn aufhielt, Erzherzog Leopold, den Gubernator und späteren Landesfursten von Tirol, um „gnedigiste commendation" beim Kaiser. Er habe für seine dem Haus Österreich durch mehr als drei Jahrzehnte geleisteten treuen Dienste bisher so gut wie keine Gnaden empfangen. Nunmehr seien dem Kaiser aber „die mitl an die hand gegeben, den getreuen diener zu belohnen" und die großen Schäden, die er infolge seiner Treue erlitten habe (während des Ständeaufstands 1618 bis 1620 einer Spezifikation zufolge 237.000 Gulden, seine Untertanen 379.000 Gulden) zu ersetzen. Der Erzherzog möge ein gutes Wort für ihn einlegen und seinem Empfehlungsschreiben, wenn es ihm nicht beschwerlich oder bedenklich wäre, drei oder vier eigenhändige Worte hinzufügen, „als welche unzweiflich einen großen nachdruck geben werden". 15 Vielleicht dank der Intervention Erzherzog Leopolds wurden Gundaker acht Tage später 142.500 Gulden, die er dem Kaiser als Darlehen gewährt hatte, mit 7 Prozent Verzinsung dergestalt auf die Herrschaft Kromau pfandweise verschrieben, daß ihm diese nach erfolgter Publikation (der Konfiskation) und nach dem Ende des Prozesses gegen die „Rebellen" eingeantwortet und die darauf haftenden Schulden vom Kaufpreis abgezogen werden sollten. 16 Am 13. Juli 1622 wurden ihm, ebenfalls in Odenburg, 25.000 Reichstaler, gerechnet zunächst zu je 4 1/2, nach Bescheid vom 23. Juli zu je 6 Gulden (also 150.000 Gulden), zu den gleichen Bedingungen auf die Herrschaften Ostra und Wessely (von dieser ist später keine Rede mehr) und die anderen Kunowitzischen Güter verschrieben. 17 Am 20. Juni 1622 hatte der Kaiser Kardinal Dietrichstein als Gubernator der Markgrafschaft Mähren um Bericht und Gutachten zu der Bitte Gundakers ersuchen lassen. Dietrichstein antwortete am 20. Juli, angesichts der Verdienste Gundakers von Liechtenstein, seiner Brüder und Vorfahren und da der Kaiser dringend Geld brauche und Gundaker „ein haubtguett nit zu ainer gnad, sondern kaufweis an sich zu bringen praetendirt", könne mit ihm „tractirt" werden, „in wie hohe summa er sich einzulassen entschlossen" sei. Der Verkauf solle aber erst nach Beendigung der geplanten Kommission (zur Schätzung des Werts der konfiszierten Güter) und des laufenden Prozesses (gegen die „Rebellen") vollzogen werden. 18 Am 16. August 1622 wandte sich Gundaker noch einmal brieflich an Eggenberg und ersuchte ihn um Fürsprache beim Kaiser. Es sei ihm beschwerlich, daß er nun bereits seit über 12
HALV, K. 246, Fasz. „Bitte an den Kaiser um eine Gnade (Kromau und Ostra), 1622", „Gehorsamstes) anbringen und allerunterthenigstes bitten", 9. April 1622 (eh. Konzept). 13 Ebd., Abschrift eines undatierten „Memorials" G.s v. L. an Ferdinand II. („vier wochen" nach dem 9. April 1622); irrtümlich von Archivarshand mit dem Vermerk „1622 (Juni)" versehen. 14 Ebd., eh. Konzept eines Schreibens G.s v. L. an einen namentlich nicht genannten Empfänger, höchstwahrscheinlich an Eggenberg, 14. Mai 1622. 15 HALV, K. 246, a. a. O., G. v. L. an Erzherzog Leopold, Odenburg, 4. Juni 1622 (eh. Konzept). 16 HALV, Urkundensammlung, Odenburg, 12. Juni 1622; d'Elvert, Beiträge, Bd. 3, S. 339. 17 HALV, Urkundensammlung, Odenburg, 13. Juli 1622; d'Elvert, Beiträge, Bd. 3, S. 341. " Μ ZA Brno, G 140, K. 137, Fasz. 410, fol. 108-110.
Mährisch Kromau u n d Ungarisch Ostra
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vier Monaten auf eine kaiserliche Resolution warte. Der Kaiser habe erklärt, daß er ihn in puncto Gnadenerweisung mit den anderen Geheimen Räten gleichhalten werde. Derzeit sehe es aber nicht danach aus. 19 Am 18. Oktober 1622 wurde Gundaker von Liechtenstein beschieden, daß der Kaiser bewilligt habe, ihm die Herrschaften Kromau und Ostra „vor anderen" zu verkaufen, wenn er die (von ihm selbst angebotene) Kaufsumme in der Höhe von 600.000 Gulden „alsobaldt" bar erlegen wolle. 20 Am 23. Oktober erging im Namen Ferdinands II. eine Resolution der Hofkammer an Kardinal Dietrichstein, er solle Herrn Gundaker von Liechtenstein die Herrschaften Kromau und Ostra samt den Kunowitzischen Gütern, die ihm um 600.000 Gulden überlassen worden seien, binnen längstens acht Tagen völlig einantworten. Gundaker sollte die Kaufsumme dergestalt erlegen, daß er einerseits die vom Kaiser seinem Bruder Erzherzog Leopold „deputierten" 300.000 Gulden bezahlte und andererseits auf der Grundlage einer von Kardinal Dietrichstein zu erstellenden Liste 300.000 Gulden an die Gläubiger der Herrschaften Kromau und Ostra auszahlte. Sollten sich die auf den genannten Herrschaften lastenden rechtmäßigen kaiserlichen Schulden auf mehr als 300.000 Gulden belaufen, „so solle er, der von Liechtenstain, mehrers nit als 300.000 fl. zu bezahlen schuldig sein, und wollen wir das übrige zu bezahlen auf uns nemben und ihme von Liechtenstain derentwegen schadlos und von den creditorn unperturbierter haltten". 21 Tags darauf beurkundete der Kaiser diesen Verkauf und stellte Gundaker von Liechtenstein bezüglich der auf Kromau, Ostra und den Kunowitzischen Gütern haftenden „schulden unnd onera" eine Schadloserklärung aus. Er verpflichtete sich mit Unterschrift und Siegel, diese Schulden selbst abzustatten und Liechtenstein gegen alle Kreditoren und Forderungen zu schützen und schadlos zu halten. 22 Es scheint, daß Dietrichstein alle Kreditoren, die auf Kromau und Ostra lastende Forderungen hatten, zur Bezahlung an Gundaker von Liechtenstein verwies. Der Kaiser forderte den Kardinal auf Gundakers Klage hin am 12. Mai 1623 auf, das schon vor Monaten verlangte Verzeichnis der auf den beiden Herrschaften lastenden Schulden zusammenzustellen und in der Liste deutlich zu machen, wer von den Gläubigern „denen rebellen zugehörig" sei und wer von ihnen „denen rebelln in wehrender rebellion" Förderung („fiirstandt") angedeihen habe lassen. Bis zur Fertigstellung dieser Liste solle er keine Gläubiger mehr auf Liechtenstein anweisen. 23 Am 3. Juli schrieb Ferdinand II. an Dietrichstein, Gundaker von Liechtenstein habe ihm berichtet, daß der Kardinal ihm die mährischen Herrschaften und Güter noch immer nicht eingeantwortet habe. Da Gundaker von der Kaufsumme unter anderem bereits 300.000 Gulden an Erzherzog Leopold bezahlt habe, forderte der Kaiser den Kardinal auf, die Einantwortung nicht länger hinauszuzögern. Gleichzeitig befahl er neuerlich, endlich die Liste der auf Kromau, Ostra und den Kunowitzischen Gütern haftenden Schulden zu erstellen.24 Dietrichstein antwortete am 10. Juli, er habe in Befolgung dieses kaiserlichen Befehls umgehend den dafür deputierten Kommissären das Nötige aufgetragen und außerdem die geforderte Liste erstellen lassen.25
" HALV, K. 246, a. a. O., G. v. L. an Eggenberg, 16. August 1622 (etwas chaotisches eh. Konzept). Eine eh. Supplikation G.s v. L. an den Kaiser, deren Original sich heute im MZA Brno, G 140, K. 140, Fasz. 417, fol. 156 f., befindet, dürfte aus dem Herbst des Jahres 1622 stammen. 20 d'Elvert, Beiträge, Bd. 3, S. 347. 21 MZA Brno, G 140, K. 139, Fasz. 414; d'Elvert, Beiträge, Bd. 3, S. 348; Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 54. Vgl. auch d'Elvert, a. a. O., S. 344, 350, 409 u. ö. 22 HALV, Urkundensammlung, Wien, 24. Oktober 1622. 23 MZA Brno, G 140, K. 141, Fasz. 421, fol. 51 f. Vgl. auch ebd., fol. 53-56. 21 Ebd., K. 140, Fasz. 423, S. 120ff. und 135ff. Ebd., S. 124ff.,dieeh. Supplikation G.s v. L. an Ferdinand II., auf die dieser sich in dem ersten der zwei zitierten Schreiben an den Kardinal bezog und die er diesem Schreiben offenbar beilegte. 25 Ebd., S. 132f. und 139ff. Vgl. auch ebd., S. 144ff.
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Wahrscheinlich Anfang September 1623 ersuchte Gundaker den Kaiser, er möge der Hofkammer befehlen, mit ihm abzurechnen und ihm eine „hauptquittung" über die vollständige Erlegung der 600.000 Gulden Kaufsumme auszuhändigen, und überdies verordnen, daß ihm von der Böhmischen Kanzlei der Kaufbrief ausgefertigt werde. Daraufhin befahl Ferdinand II. am 13. September - einen Tag nach der Erhebung Gundakers und Maximilians von Liechtenstein in den Fürstenstand - dem Kardinal Dietrichstein, mit Gundaker ordentlich abzurechnen, ihn entsprechend dem Ergebnis der Abrechnung zu quittieren und darüber Bericht zu erstatten. Da sich ergab, daß auf den Herrschaften Kromau und Ostra über die von Gundaker bereits bezahlten bzw. zu bezahlenden 300.000 Gulden hinaus noch etwa 100.000 Gulden weitere Schulden hafteten, wies der Kaiser Dietrichstein am 28. September an, danach zu trachten, diese Schulden mit Hilfe anderer konfiszierter Rebellengüter zu begleichen. 26 Anfang Mai 1624 hatte Gundaker nach eigenen Angaben neben den 300.000 Gulden an Erzherzog Leopold insgesamt 242.756 Gulden an Schulden bezahlt, die auf Kromau, Ostra und den Kunowitzischen Gütern versichert gewesen waren (34 Einzelposten). 27 Am 20. August 1624 ersuchte der designierte Obersthofmeister von seinem Schloß Wilfersdorf aus den böhmischen Oberstkanzler Lobkowitz, den Erbkaufbrief über Kromau, Ostra und die Kunowitzischen Güter mit dem von ihm, Liechtenstein, gewünschten Wortlaut ohne Änderungen ausfertigen zu lassen.28 Nachdem Fürst Gundaker am 1. September 1624 das Obersthofmeisteramt angetreten hatte, ließ der Kaiser am 18. September endlich den erbetenen Kauf- und Schirmbrief in deutscher Sprache ausstellen. Ferdinand II. verpflichtete sich darin unter anderem, den Verkauf auf eigene Kosten der Mährischen Landtafel einverleiben zu lassen.29 Am 27. September 1624 teilte der Kaiser dem Kammerprokurator in Mähren mit, daß er Fürst Gundaker von Liechtenstein die Herrschaften Kromau und Ostra sowie die anderen Kunowitzischen Güter verkauft „und dieselben in die landtaffel unsers erbmarggraffthumbs Mähren einzuverleiben gnädigsten befelch gegeben" habe. Da er Fürst Gundaker unter anderem versprochen habe, ihn „wegen aller an- und zuesprüchen, so anjezo auf erwentten herrschafften und güettern sein möchten, zue verdretten und schadlos zu haldten", befahl der Kaiser dem Kammerprokurator, „daß du auf künfftigen fall, da sich etwan creditores befinden und obbesagte güetter in anspruch nehmen würden, mehrbesagte ihre liebden oder dero erben in unserm nahmen solcher güetter halber auch unerwarttet unsers fernem befelchs in allem gebührendermaßen vertrettest und verthaidigest". 30 Am 25. Juni 31 1625 ließ Kaiser Ferdinand II. schließlich in Wien zwei tschechische Erbkauf- und Schirmbriefe betreffend den Verkauf der Herrschaften Mährisch Kromau und Ungarisch Ostra an seinen Geheimen Rat, Kämmerer und Obersthofmeister Gundaker von Liechtenstein ausstellen. Der Kaiser verkaufte einerseits Herrschaft, Stadt und Schloß Mährisch Kromau, das öde Schloß („zamek pusty") Tempelstein, die Burgen Hrubschitz, Alexowitz und Töstitz, die Stadt Eibenschitz, die Märkte („miesteczka") Hosterlitz, Rouchowan und Proßmeritz sowie 30 Dörfer mit allem Zubehör um eine nicht genannte Summe Geldes an den Fürsten Gundaker. 32 Im zweiten Diplom beurkundete Ferdinand II. den Verkauf von Herrschaft, Stadt und Schloß Ungarisch Ostra samt „daselbtigter vorstatt" (heute: Ostrozske M Z A Brno, G 140, K. 142, Fasz. 4 2 5 , fol. 4 f. und 10 f. Ebd., Κ. 144, Fasz. 4 3 3 , S. 3 5 5 ff., Hofkammer an Kardinal Dietrichstein, Wien, 8. Mai 1 6 2 4 . 2 ' S O A Litomerice, Zweigstelle Zitenice, LR, RA, Β 54, fol. 13 f. 25 HALV, Urkundensammlung, Wien, 18. September 1 6 2 4 . Notiz auf der Außenseite: „Diser [Kaufbrief] ist nicht in die landtafl, sondern die behmisch zwen eingelegt worden." 30 M Z A Brno, G 1, Nr. 8 . 8 0 9 (Abschrift). 31 A m Mittwoch nach dem Tag Johannes des Täufers. 32 HALV, Urkundensammlung, Wien, 25. Juni 1 6 2 5 ; M Z A Brno, G 1, Nr. 8 . 8 1 0 (Abschrift des tschechischen Kaufbriefe, Wien, 25. Juni 1 6 2 5 ) ; Moravske Zemskd Desky, Kraj Brnensky, Bd. 3, S. 494—496. 26 27
Mährisch Kromau und Ungarisch Ostra
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Predmesti), das „schlößl" im D o r f Louka, die Schlösser zu Kunowitz und Hluk mit samt den gleichnamigen Marktflecken, die Märkte Hroznova Lhota und Niwnitz sowie 17 Dörfer „mit allen pfarrlichen colaturen und kürchengerechtigkeiten, so auf diesen herrschafften und güettern ligen" und mit allem Zubehör, allen Untertanen etc., „dergestalt, wie es Johann Bernhardt von Kunowiz in derjenig- muthwillig-schändtlichen und vor wenig jähren gewesenen rebelion fiscalweis zur straff verfallen". Der Kaufpreis wird auch in der Ostra betreffenden Urkunde nicht genannt („umb ein gewisse summa geldts, welche er [Gundaker von Liechtenstein] uns fiir voll und unfehlbarlich in unser hoffcammer baar erlegt und bezahlt"). Kaiser Ferdinand übernahm ausdrücklich alle auf den verkauften Herrschaften und Gütern haftenden Schulden und sagte zu, sie auf eigene Kosten in die mährische Landtafel einlegen und Gundaker von Liechtenstein zuschreiben zu lassen. 33 Die Herrschaft Kromau wurde nach der Konfiskation auf 6 0 0 . 9 6 2 Gulden geschätzt. 34 1632 berichtete der Pfleger aus Ostra, daß die Herrschaft Ostra samt den anderen Kunowitzischen Gütern 5 6 4 . 0 0 0 Gulden wert sei. 3 5 Es kann also kein Zweifel daran bestehen, daß Fürst Gundaker seine mährischen Herrschaften und Güter, ebenso wie viele andere adelige Kriegsgewinnler in den ersten Jahren des Dreißigjährigen Krieges, zu äußerst günstigen Bedingungen erworben hat. Zwar hatten die Herrschaften und ihre Untertanen unter den Kriegsfolgen schwerstens zu leiden und war ihr (Markt-)Wert tatsächlich stark gesunken, aber der Kaufpreis entsprach nominell nur etwa der Hälfte, real - infolge der Inflation der „Kipper- und Wipperzeit" - vielleicht kaum mehr als einem Zehntel des Vorkriegswertes. Der nach Bargeld lechzende Fiskus (in Gestalt der Hofkammer) verkaufte alle konfiszierten Herrschaften mit beträchtlichem Verlust. 36 Gundaker von Liechtenstein stellte nicht in Abrede, die mährischen Herrschaften mit „Langer Münze" bezahlt zu haben, rechtfertigte sich aber damit, der Kaiser habe „der langen münz [ . . . ] den valorem geben; ists nicht recht, bin ich nicht schueldig" - im Gegenteil, er habe als damaliger Hofkammerpräsident 37 „die lange münz zuzulassen widerrahten". 3 8 Wegen der immer hoffnungsloseren Liquidität der Hofkammer und wohl auch aus später Reue über die Verschleuderung der konfiszierten Rebellengüter versuchten der Kaiser, die Hofkammer und die mährischen Landesbeamten seit dem Jahre 1626 mit verschiedenen Methoden, Gundaker von Liechtenstein doch noch zur Übernahme und Begleichung weiterer auf Kromau und Ostra haftender Schulden zu bewegen bzw. zu zwingen, insbesondere wenn es sich bei den Inhabern der Schuldverschreibungen um dem H o f nahestehende Personen handelte wie zum Beispiel den Hofhandelsmann Johann Baptist Bergamasco bzw. dessen Erben. 3 9 Gundaker setzte sich gegen derartige Zumutungen nach Kräften zur Wehr oder bemühte sich wenigstens um Kompromisse, Moratorien und Zahlungsaufschübe. Es würde zu weit führen und Autor und Leser ermüden, den daraus resultierenden Prozessen und Rechtshändeln, Exekutionen bzw. Exekutionsandrohungen, Fristerstreckungen und Moratorien im Detail nachzugehen und den Inhalt der von Gundaker von Liechtenstein, seinen Anwälten, den Kreditoren und deren Rechtsvertretern, dem
33 HAL.V, Urkundensammlung, Wien, 25. Juni 1625; Moravske Zemske Desky, Kraj Olomoucky, Bd. 3, S. 4 9 3 f. Zitiert nach der Abschrift einer deutschen Ubersetzung des tschechischen Originals im MZA Brno, G 2, Nr. 381a/2. 34 M Z A Brno, G 140, K. 131, Fasz. 391, undatierte Schätzung der Herrschaft Mährisch Kromau. 35 HALW, Κ. Η 1103, Johann Ostrowsky, Pfleger zu Ostra, an G. v. L„ Ostra, 8. Dezember 1632. 36 Vgl. Hruby, Odhady, S. 138 f. 37 Vgl. Kapitel 4.4. 3S HALW, Κ. Η 1102, G. v. L. an seinen Kanzler Dr. Michael Schießel, 24. Juli 1631 (Abschrift eines eh. Schreibens). 39 Dazu Fürst Gundaker im Juli 1631 in dem soeben zitierten Schreiben an seinen Kanzler Dr. Schießel: „Den Bergamasco muß ich halt zahlen, weil es ihr mayestät also schaffen, denn der lcaiser ist herr, ihm gebürt zu schaffen, mir als unterthan zu gehorsamen."
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Das Fürstentum Liechtenstein in Südmähren
M ä h r i s c h e n L a n d r e c h t , diversen kaiserlichen K o m m i s s ä r e n etc. in diesem Z u s a m m e n h a n g p r o d u z i e r t e n A k t e n b e r g e zu r e f e r i e r e n . 4 0 V e r m u t l i c h n a c h d e m Vorbild des 1 6 2 8 geschaffenen H e r z o g t u m s B ö h m i s c h K r u m a u , w a h r s c h e i n l i c h a u c h , u m seinen N a c h b a r n , d e n österreichischen H o f k a n z l e r J o h a n n Baptist Verda v o n W e r d e n b e r g 4 1 (Abb. 3 0 ) , z u ü b e r t r u m p f e n , m ö g l i c h e r w e i s e sogar, u m d e m ( n a t ü r lich viel a m b i t i o n i e r t e r e n ) Vorbild des 1 6 3 4 bereits wieder zerschlagenen H e r z o g t u m s Friedl a n d in N o r d b ö h m e n n a c h z u e i f e r n 4 2 , b e m ü h t e sich G u n d a k e r v o n L i e c h t e n s t e i n , v o m Kaiser eine R a n g e r h ö h u n g seiner m ä h r i s c h e n H e r r s c h a f t e n zu erlangen. D r . J o h a n n Baptist V e r d a ist ein Musterbeispiel eines sozialen Aufsteigers, h i n t e r d e m G u n d a k e r n i c h t z u r ü c k s t e h e n wollte. E r s t a m m t e aus einer B ü r g e r f a m i l i e aus G a n d r i a a m L u g a n e r See u n d k a m 1 6 0 0 a n d e n H o f E r z h e r z o g F e r d i n a n d s n a c h Graz, w o er innerösterreichischer K a m m e r p r o k u r a t o r u n d ein e n g e r Vertrauter E g g e n b e r g s w u r d e , bis er a m 1. N o v e m b e r 1 6 1 9 in W i e n sein neues A m t als „der österreichischen L a n d e H o f v i z e k a n z l e r " a n t r a t . A l l m ä h l i c h k a m es - t r o t z des W i d e r s t a n d s des Reichsvizekanzlers u n d des Erzkanzlers - z u r B i l d u n g einer eigenen Ö s t e r reichischen H o f k a n z l e i u n t e r der L e i t u n g Verdas (seit 1 6 2 3 Freiherr, seit 1 6 3 0 G r a f v o n W e r d e n b e r g ) , dessen H e r r s c h a f t N a m i e s t a n d e r O s l a w a ( i m Z n a i m e r Kreis) g e m e i n s a m m i t der H e r r s c h a f t Rossitz u n d d e m G u t S t r u t z ( i m B r ü n n e r Kreis) 1 6 3 0 z u einer Grafschaft e r h o b e n wurde.43
40 Vgl. u. a. HALW, Κ. Η 1102, Fasz. Nn. 7 (Schuldforderungen und Prätensionen an G. v. L. wegen Kromau und Ostra), und Η 1896 (darin u. a. Fasz. „Schuldforderungen der Familie Pergamasco und der Frau Susanna von Kunowitz auf Ostra und Kunowitz, 1 6 2 1 - 1 6 5 5 " ) ; M Z A Brno, A 3, Nr. 15, fol. 231 f.; M Z A Brno, F 177, K. 356, Fasz. 137; M Z A Brno, G 140, K. 153, Fasz. 4 6 4 , S. 2 2 8 - 2 4 9 ; K. 162, Fasz. 4 9 8 , S. 7 9 - 8 7 ; K. 163, Fasz. 503, fol. 17f.; K. 167, Fasz. 518, fol. 9ff.; K. 169, Fasz. 522, S. 3 3 5 f . und 3 6 8 - 3 8 0 ; K. 174, Fasz. 546, S. 3 6 4 - 3 7 0 ; K. 693, Fasz. 3.249, 20. Oktober 1639; HALV, Hs. 2 7 3 , S. 9 9 - 1 0 5 ; d'Elvert, Beiträge, Bd. 1, S. 163, 191, 193, 197, 246f., 351, 358 und 405; Bd. 3, S. 358, 363, 366, 3 8 6 , 388, 390f., 4 0 3 und 440; Bd. 4, S. 27. 41 Fidler, Architektur des Seicento, S. 7 0 f.; Thiel, Die innerösterr. Zentralverwaltung, Teil 2, S. 5 0 8 - 5 1 0 . 42 Die von Wallenstein im Zuge der auf die Schlacht am Weißen Berg folgenden Konfiskationswelle erworbenen, 1624 zum Fürstentum und 1625 zum Herzogtum Friedland erhobenen Herrschaften und Güter umfaßten praktisch ganz Nordostböhmen. Der Friedländer plante in größerem Maßstab als die anderen Inhaber von Fürsten- und Herzogtümern innerhalb der habsburgischen Erblande. Er machte aus Friedland einen frühmerkantilistischen Staat im Staate, verwandelte einen großen Teil seiner Herrschaften in Kammergüter und schuf ein eigenes friedländisches Lehenssystem, an dessen Spitze er selbst stand. Er regierte im Herzogtum Friedland in der Praxis beinahe als souveräner Landesherr. Vgl. Ernstberger, Wallenstein als Volkswirt; Gorge, Beiträge zur Geschichte der Konfiskationen; Diwald, Wallenstein, S. 2 2 2 - 2 4 7 ; Cornej, Vliv pobelohorskych konfiskaci, S. 1 8 5 - 1 9 1 ; ders./Felcman, Rozvrstveni feudälni tfidy ν severovychodnich Cechäch; Grundmann, Wallenstein als Bauherr; Janäcek, Jicin. 43 Bergmann, Medaillen, Bd. 2, S. 3 4 7 f . und 349; d'Elvert, Exemtion, S. 17f.; Tersch, Prudenter, S. 91. Zu Werdenbergs Ankaufspolitik siehe in Hinkunft Landsteiner, Wiederaufbau oder Transformation (im Manuskript S. 2 8 - 3 0 und Tab. 3). - Werdenbergs Hauptresidenz war aber nicht Namiest, sondern das 1620 erworbene Grafenegg in Niederösterreich: „Wie Wallensteins Friedland so sollte Werdenbergs Grafenegg zum Zentrum eines kleinen Musterstaates werden [...]." Tersch, a. a. O., S. 103. Siehe auch Tietze (Bearb.), Sammlungen des Schlosses Grafenegg, bes. S. 2 - 4 . Zu Werdenbergs kirchlichen Stiftungen (Kapuzinerkloster in Mödling, Konvikt fur 24 adelige Studenten in der Grafschaft Görz etc.) vgl. Bergmann, a. a. O., Bd. 2, S. 351, und die im September 1648 in der Wiener Michaelerkirche gehaltene Leichenpredigt des Barnabiten Don Florentius Schilling: Schilling, Todten-Gerüst, S. 5 3 - 5 5 ; zu seinem bereits zu Lebzeiten errichteten Epitaph in der Michaelerkirche zuletzt Tüchert, Renaissancegrabmäler, S. 44—47. - Die Herrschaften Namiest und Rossitz mit den beiden prächtigen Renaissanceschlössern sowie das Gut Strutz hatte Karl von Zerotin von seinem Vater Johann d. A. von Zerotin geerbt. 1628 verkaufte er sie seinem Schwager Albrecht von Wallenstein, der sie - er diente offenbar nur als Strohmann - um 3 5 3 . 0 0 0 fl. an Werdenberg weiterverkaufte. (Zerotin hatte sich 1604 in dritter Ehe mit einer Schwester Wallensteins vermählt.) Zum Bau sowie zur malerischen und Stuckausstattung des Schlosses Rossitz siehe jetzt das schöne Buch von Knoz, Renesance a manyrismus.
Mährisch Kromau u n d Ungarisch Ostra
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Abb. 30: Graf Johann Baptist Verda von Werdenberg ( 1 5 8 2 - 1 6 4 8 ) . Kupferstich.
Die Bemühungen Gundakers von Liechtenstein waren von Erfolg gekrönt: Am 20. Dezember 1633 erhob Kaiser Ferdinand II. als König von Böhmen und Markgraf von Mähren mit einem bei der Böhmischen Hofkanzlei ausgefertigten Diplom die Herrschaften Mährisch Kromau und Ungarisch Ostra sowie alle anderen Herrschaften und Güter, die Fürst Gundaker und seine Erben in Mähren erwerben und dem neuen Fürstentum inkorporieren würden, auf Gundakers Bitte hin „zu der dignitet und würde eines furstenthumbs" mit dem Namen Liechtenstein und änderte den Namen der Stadt Kromau in Liechtenstein, und zwar „also unnd dergestalt, daß es nun hinfiiro zu ewigen zeiten ein fiirstenthumb sein und sambt der Stadt den namen Lichtenstein haben, auch von männiglichen darfiir gewürdiget, geachtet, erkennt und also genennet werden" solle. Der Kaiser befahl allen Untertanen, insbesondere aber den mährischen Landesbeamten, sie sollten dieses neuerrichtete Fürstentum Liechtenstein „also achten, halten und erkennen, nennen und tituliren". 44 Der unmittelbare Anlaß fur die Erhebung Kromaus und Ostras zum „Fürstentum Liechtenstein" im Dezember und fur die Verleihung des Großen Palatinats an Gundaker von Liechtenstein im November des Jahres 1633 dürfte der Wunsch des Kaisers gewesen sein, es dem Fürsten Gundaker zu ermöglichen, ohne Gesichtsverlust wieder an den Sitzungen des Geheimen Rates teilzunehmen und dort dem Fürstbischof von Wien „nachzusitzen". Für die Umbenennung einer bedeutenden Herrschaft (bzw. zweier großer Herrschaften) und einer Patrimonialstadt in den Geschlechtsnamen des Besitzers gibt es meines Wissens in den böhmischen und österreichischen Ländern im 16. und 17. Jahrhundert kein Vorbild. Als im Jahre 1521 die Brüder Wilhelm, Wolfgang und Georg von Rogendorf durch Karl V. in den 44 HALV, Urkundensammlung, Wien, 20. Dezember 1633 (Pergamendibell); zahlreiche Abschriften, ζ. Β.: Μ ZA Brno, F 177, K. 371, Fasz. 5; Druck: Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 6 2 - 6 4 . 45 Vgl. oben S. 2 9 5 - 2 9 7 .
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Das Fürstentum Liechtenstein in Südmähren
Reichsfreiherrenstand und ihre Herrschaft Pöggstall im südlichen Waldviertel zu einer Reichsfreiherrschaft erhoben (und in der Reichsmatrikel mit zehn Mann Fußvolk veranschlagt46) wurde, hat der Kaiser, wie es in der Urkunde vom 3. Mai 1521 heißt, aus besonderer Gnade gegenüber den drei Brüdern „ihrem Schloß Peckstall denselben namen abgenommen / und den namen Rogendorff geschöpft und gegeben". Die Namensänderung betraf also nicht den Markt, sondern nur das Schloß Pöggstall.47 Die Umbenennung des 1623 als „Rebellengut" konfiszierten Dorfes und der Veste Winaritz im Jungbunzlauer Kreis in „Neu Waldstein" durch den Kaiser im Jahre 1626, nachdem es drei Jahre zuvor von Adam von Waldstein, dem Hofmeister des Königreichs Böhmen, gekauft worden war, kommt als Anregung wohl nicht in Frage. 48 Es könnte aber durchaus sein, daß Gundaker von Liechtenstein zur Umbennenung Kromaus in Liechtenstein durch die Umbenennung des toskanischen Dorfes Corsignano durch Papst Pius II. (Enea Silvio Piccolomini) in Pienza (d. h. Piusstadt) im Jahre 1458 inspiriert wurde. 49 Wahrscheinlicher ist freilich die Kenntnis teilweise vergleichbarer französischer Beispiele aus dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts: um das Jahr 1607 ließ Herzog Charles de Nevers aus dem Hause Gonzaga, Inhaber der souveränen Seigneurie Arches (später Charleville) an der nordöstlichen Grenze Frankreichs und Gouverneur der französischen Provinzen Champagne und Brie50, an der Maas, in den südlichen Ausläufern der Ardennen, den Bau einer Residenzstadt beginnen, der er den Namen Charleville verlieh.51 Charles' Schwager Heinrich von Orleans, Herzog von Longueville, trug sich ernsthaft mit dem nicht realisierten Gedanken, in seinem Fürstentum Neuchatel (Neuenburg) eine Planstadt mit dem Namen Henriopolis zu errichten. 52 1608/09 gründete Maximilien de Bethune, Herzog von Sully, der berühmte hugenottische ,Finanzminister' {surintendant des finances) Heinrichs IV., im Fürstentum Boisbelle, das er 1605 Charles de Nevers abgekauft hatte, im heutigen Departement Cher in Mittelfrankreich eine Stadt und gab ihr zu Ehren seines königlichen Herrn den Namen Henrichemont. 53 Im August 1631 schließlich, zwei Jahre vor der Schaffung des Fürstentums Liechtenstein in Mähren, erhob Ludwig XIII. die unbedeutende Seigneurie Richelieu in der Touraine zu Ehren des Kardinals und Herzogs Armand Jean du Plessis de Richelieu zum Herzogtum (duche-pairie). Der Kardinal ließ in der Folge in der Nachbarschaft seines gleichnamigen Schlosses eine Idealstadt errichten, der er den Namen Richelieu gab und die er mit Steuer- und Handelsprivilegien bedachte, um Bewohner anzulocken. 54 Im Jahre 1634 kaufte Fürst Gundaker von der Kaiserin Eleonora um 48.000 Gulden das der Herrschaft Kromau benachbarte Gut Wolframitz 55 , das dem Grafen Zdenko von Hoditz wegen Eintritts in schwedische Kriegsdienste konfisziert und vom Kaiser seiner Gemahlin ge-
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Mally, Der Österreichische Kreis, S. 59. Bergmann, Rogendorf, S. 545 f.; Neidhart, Aus der Geschichte Pöggstalls, S. 133 f.; Neunlinger, Beiträge, S. 68-70. 48 Bilek, Dejiny konfiskaci, Bd. 1, S. 70. Ich danke Tomas Knoz für den Hinweis auf diese Stelle. 49 Vgl. Heydenreich, Pius II. 50 Zu dieser schillernden Figur der europäischen Politik im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts siehe jetzt vor allem den exzellenten Aufsatz von Parrott, A .prince souverain' and the French crown. Zu seinen Kreuzzugsplänen, die ihn mit dem hohen Adel der Habsburgermonarchie in Kontakt brachten, vgl. oben S. 136-140. " Parrott, A ,prince souverain', S. 159. Näheres über die Principaute souveraine d'Arches et de Charleville im 17. Jahrhundert bei Cremer, Der Adel in der Verfassung des Ancien Regime, S. 115-299, über die Gründung der Stadt Charleville bes. S. 169-187. 52 Parrott, A,prince souverain', S. 160. 53 Dickerman/Walker, Monuments of His Own Magnificence. 54 Wischermann, Richelieu; Knecht, Richelieu, S. 198 f. " HALV, Urkundensammlung, Wiener Neustadt, 16. Dezember 1634 (Kaiserin Eleonora verkauft mit Zustimmung ihres Gemahls das Gut Wolframitz um 48.000 fl. mährisch an Fürst G. v. L.; Pergamentlibell); Abschriften des Erbkaufbriefs und der „kauffabred" gleichen Datums zwischen Kaiserin Eleonora und G. v. L. in HALV, K. 246, Μ ZA Brno, F 177, K. 356, Fasz. „Statek Olbramovice", und MZA Brno, G 140, K. 180, fol. 122 ff. 47
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schenkt worden war. Das Gut bewahrte zunächst eine gewisse Selbständigkeit (bis 1660 wurden eigene Rechnungen gefuhrt), wurde aber schließlich fest in die Herrschaft Mährisch Kromau eingegliedert, nachdem es Karl Wenzel, dem Bruder des verstorbenen Grafen Zdenko von Hoditz, 1649 als Folge des Westfälischen Friedens 56 restituiert und von diesem 1651 dem königlich polnischen Leibarzt Kraft verkauft worden war; von letzterem kaufte Fürst Ferdinand Johann von Liechtenstein Wolframitz im Jahre 1657 ein zweites Mal. 57 Nachdem die mährischen Landeshauptleute Kardinal Dietrichstein und dessen Nachfolger Graf Salm das Privileg vom 20. Dezember 1633 respektiert und sich dementsprechend verhalten hatten, weigerten sich die Obersten Landesoffiziere seit 1641, die Gültigkeit des Diploms anzuerkennen, da es nicht in die Mährische Landtafel eingelegt worden war. Fürst Gundaker weigerte sich seinerseits, die für die Einlage der Urkunde in die Landtafel von den Landesoffizieren geforderte hohe Taxe von mehreren tausend Gulden zu entrichten. Das Privileg sei ohnehin so oder so gültig. 58 Ein Majestätsgesuch Gundakers in dieser Sache59 wurde von der Böhmischen Hofkanzlei am 28. November 1641 dahingehend beschieden, Fürst Gundaker möge sich bis zu der demnächst zu erwartenden Publizierung einer Taxordnung für die Markgrafschaft Mähren gedulden. 60 Ende März 1642 beschwerte sich Gundaker von Liechtenstein gegenüber Andreas von Osteschau 61 , dem Kreishauptmann des Znaimer Kreises, darüber, daß das (1636 von Ferdinand II. errichtete) Mährische königliche Tribunal 62 „unser residenzstatt unsers fiirstenthumbs Liechtenstein (welche vor diesem Mährisch Crumaw genandt gewest) vorsezlich nicht Liechtenstein, sondern Crumaw nennet". Dies geschehe aus dem Grund, daß die Obersten Landesoffiziere - im Widerspruch zu dem darüber erteilten landesfurstlichen Privileg - der Meinung seien, „unser fürstenthumb Liechtenstein" sei so lange nicht als Fürstentum anzuerkennen und so zu nennen, bis das Privileg in die mährische Landtafel eingelegt worden sei, wofür man von ihm 4.000 Gulden Taxe verlange. Er, Gundaker, sei gesonnen, „hinfuro dergleichen schreiben nicht anzunehmen" und sich beim Kaiser „auf das höchste wieder dasselbte zu beschweren, da sie den nahmen Cromau und nicht Liechtenstein darinen sezen werden". 63 Im April 1642 wandte sich Fürst Gundaker in dieser Angelegenheit, wie angekündigt, mit einer Bittschrift an Kaiser Ferdinand III. (über die Böhmische Hofkanzlei), nachdem er
56 HALV, Hs. 272, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ebergassing, 27. November 1649 (Abschrift). Zu einem analogen Kärntner Beispiel vgl. Deuer, Karlsberg, S. 8 und 10. 57 MZA Brno, F 177, K. 356; d'Elvert, Hoditz, S. 84; Stanek, Moravskokrumlovsko, S. 31; Hanik, Mor.-Krumlovsky okres, S. 276f.; Gorge, Z u m Besirzwechsel, S. 177f.; Bilek, Dejiny konfiskaci, 2. Teil, S. 869 Anm. - Zur Vorgeschichte des Erwerbs von Wolframitz siehe AVA Wien, FA Trauttmansdorff, Κ. 157, fol. 222 (undatierter Brief G.s v. L. an Maximilian von Trauttmansdorff), 186 (ders. an dens., Kromau, 28. September 1630) und 192 (ders. an dens., Kromau, 12. Dezember 1639); MZA Brno, F 177, K. 356 und 357; MZA Brno, G 2, Nr. 630; MZA Brno, G 140, K. 132, Fasz. 392, Subfasz. betr. das Gut Wolframirz; K. 168, Fasz. 520, S. 234-236; K. 169, Fasz. 522, S. 345 f. - Zur Restitution 1649 und zum Wiederkauf von Wolframitz 1657 sowie zu den daraus resultierenden Streitigkeiten zwischen Ferdinand Johann und seinem Vater Gundaker von Liechtenstein siehe MZA Brno, F 177, K. 356 und 357, sowie HALV, K. 251 und Hs. 275, S. 374-377. 58 MZA Brno, F 177, K. 371, Fasz. 5, G. v. L. an seinen Bevollmächtigten in Mähren, Elias Wiesner, Rabensburg, 7. Mai 1641. " HALV, Hs. 123, S. 810, G. v. L. an Ferdinand III., 22. November 1641 (Abschrift). 60 MZA Brno, F 177, K. 371, Fasz. 5. " Siehe d'Elvert, Die Grafen von Osteschau, S. 85. 62 Vgl. dazu v. a. VaJkü, Studie (eine mustergültige behördengeschichtliche und aktenkundliche Monographie). 63 MZA Brno, F 177, K. 371, Fasz. 5, G. v. L. an Herrn von Osteschau, 31. März 1642 (Konzept); Dekret des Mährischen Tribunals an Fürst G. v. L„ Brünn, 15. Mai 1642. Vgl. auch den Brief G.s v. L. an seinen Sohn Hartmann vom 27. Mai 1642 im HALV, Hs. 157, S. 352 (Abschrift).
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zuvor mit dem Grafen Wilhelm Slavata, dem Oberstkanzler des Königreichs Böhmen, Rücksprache gehalten hatte, der ihm allerdings vergeblich empfohlen hatte, von der Forderung nach Bestrafung des Tribunals Abstand zu nehmen. 64 Als der Erfolg ausblieb, bequemte sich Gundaker am 20. November 1644 in einem Schreiben an die Obersten Landesbeamten der Markgrafschaft Mähren endlich, diese zu ersuchen, die Einlage des Diploms in die Landtafel vornehmen zu lassen. Nach der am 1. Januar 1647 erfolgten Ubergabe der Herrschaften Kromau (bzw. Liechtenstein) und Wolframitz an Fürst Ferdinand Johann, den jüngeren Sohn des Fürsten Gundaker, äußerten jedoch die Landesbeamten ihrererseits Bedenken, das Diplom vom 20. Dezember 1633, den „Marburger Vertrag" vom 1. Januar 1647, den Revers des Fürsten Ferdinand Johann, den Konsens des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein und etliche andere Schriftstücke in die Landtafel einzulegen. 65 Schließlich wurde das kaiserliche Diplom zusammen mit den genannten anderen Schriftstücken am 18. Januar 1648 aber doch der Landtafel einverleibt, wofür eine Taxe in der Höhe von 5.000 Gulden entrichtet werden mußte. 66 Am 13. Oktober 1644 teilte Gundaker seinem Sohn Ferdinand Johann unter anderem mit, er sei bestrebt, die Herrschaft Wolframitz und die 1643 vom Fürsten Maximilian ererbte Herrschaft Steinitz dem Fürstentum Liechtenstein zu inkorporieren. Damals vertrat er noch die Ansicht, aus dem Fürstentum Liechtenstein könne weder die Herrschaft Kromau noch die Herrschaft Ostra „excipieret" werden, denn der Kaiser habe beide Herrschaften gemeinsam zum Fürstentum erhoben. Außerdem wäre es „spettlich", wenn das Fürstentum nur aus einer einzigen Herrschaft bestünde. 67 Ursprünglich hatte Gundaker vorgehabt, Kromau bzw. Liechtenstein eines Tages seinem erstgeborenen Sohn Hartmann und Ostra dem jüngeren Sohn Ferdinand Johann als Wohnsitz und zur Verwaltung zu übergeben. Nachdem er sich 1644 entschlossen hatte, genau umgekehrt Kromau dem jüngeren Sohn und Ostra dem Primogenitus zu übergeben, ersuchte er am 14. November dieses Jahres den Kaiser, er möge verordnen, „daß nicht die statt, so vor Cromau genand, sondern Ostra den nahmen Liechtenstein habe", da er, Gundaker, es für passender („convenientius") erachte, „daß die ordinariwohnung des possessoris des fürstenthumbs den nahmen desselben" trage 6 8 Spätestens nach der Ubergabe von Kromau an den Fürsten Ferdinand Johann am 1. Januar 1647 endet tatsächlich der Gebrauch des Namens Liechtenstein fiir die Stadt Mährisch Kromau auch in den Kanzleien und im Umkreis der Mitglieder der Familie Liechtenstein. Während zum Beispiel die Briefe des Piaristenpaters Joseph a Jesu Maria an Fürst Ferdinand Johann aus dem Jahre 1646 noch mit „Liechtenstein" datiert sind, trägt ein Schreiben von P. Antonius a Sancto Joanne vom 1. Februar 1647 bereits die Adresse „Crumlov die [!] Moravia" und den Präsentatvermerk „pr. Cromaw, den 11. Feb. 1647". 69 In den 1650er Jahren griff Fürst Gundaker im Zuge seiner Bemühungen, Ungarisch Ostra zu einer repräsentativen Residenzstadt zu machen 70 , sein erstmals 1644 geäußertes Bestreben auf, den Namen „Liechtenstein" auf seine neue Residenzherrschaft und Residenzstadt
" Μ ZA Brno, F 177, K. 371, Fasz. 5, Bittschrift, s. d. (28. April 1642), und Schreiben Gundakers an seinen Sohn Hartmann, Rabensburg, 12. Mai 1642. Ebd. u. a. weitere Bittschriften Gundakers von Liechtenstein an den Kaiser in derselben Angelegenheit, s. d. (21. August 1642 und 22. Mai 1647). " Ebd., Schreiben Gundakers an unbekannt, Marburg, 27. Dezember 1646 (Konzept). Vgl. unten Kapitel 9.3. 66 Ebd., Landtafelauszüge, und HALV, K. 38 und 250, Attestation des Registrators und Expeditors über die am 18. Januar 1648 in die königliche Landtafel einverleibten „instrumenta", Brünn, 10. März 1649. 67 HALW, Κ. Η 827, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Groß-Tajax, 13. Oktober 1644. 68 HALV, K. 38, G. v. L. an Ferdinand III., Rabensburg, 14. November 1644 (Abschrift). ® MZA Brno, G 2, Nr. 231/Fasz. Nikolsburg. - Stanek, Moravskokrumlovsko, S. 30, fuhrt die Wiederverwendung des Namens Kromau seit 1647 fälschlicherweise einzig und allein auf „scharfe Proteste der mährischen Stände" zurück. 70 Vgl. Kapitel 11.4.
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Ostra transferieren lassen. Ende Januar 1654 fragte Fürst Hartmann an, ob sein Vater noch gesonnen sei, den Namen „Liechtenstein" von Kromau auf Ostra zu übertragen und was er, Hartmann, in dieser Sache tun solle.71 Gundaker antwortete, es sei nicht nötig, den Kaiser in dieser Sache noch einmal anzugehen, sondern man müsse sich seines Erachtens nur bei der Mährischen Landtafel anmelden mit der Bitte, die Namenstransferierung in die Landtagsgedenkbücher („pamätky snemovni") oder eventuell, falls es für nötig befunden wird, gegen Entrichtung der vorgesehenen Taxe in die Landtafel einzutragen. 72 An der Jahreswende 1656/57 ging Gundaker daran, die Herrschaft Ostra seinem Sohn Hartmann zu übergeben. Er meinte, bei dieser Gelegenheit könnte endlich „dem fiirstenthumb [!] Ostra das praedicat Liechtenstein zugeeygnet" und gleichzeitig diesem Fürstentum die 1643 vom Fürsten Maximilian ererbte Herrschaft Steinitz sowie Landshut inkorporiert werden. Es sei nicht nötig, dazu den Kaiser um Erlaubnis zu fragen, denn kraft seines Palatinatsbriefes sei er befugt, „aller unserer herrschafft- und landen nahmen nach unserm belieben zu verändern und andere zuzuaygnen". 73 Gundakers Marschallamtsverwalter Karl (von) Brandis sprach sich gegen diesen Plan aus. Unter anderem bezeichnete er die Meinung, die Herrschaft Ostra sei bereits als ein Fürstentum in die Landtafel eingelegt, als irrig. Es scheine, daß „die dignitas des furstenthumbs" durch das kaiserliche Diplom vom 20. Dezember 1633 „principaliter" auf Kromau erteilt worden sei, auf Ostra und die übrigen inkorporierten Güter aber „nur als accessoria". Man müßte also versuchen, vom Kaiser ein neues Diplom zu erwirken, mit dem Ostra zu einem Fürstentum erhoben würde. Einfacher und „vieleicht genueg" wäre es, nur das Prädikat Liechtenstein ordentlich auf Ostra „versezen zu lassen".74 Ende Februar 1658 ersuchte Fürst Gundaker den mährischen Oberstlandschreiber Ledenitzky, die Übertragung des Namens Liechtenstein von Kromau auf Ostra bei der nächsten Session der königlich mährischen Landtafel vorzubringen und zu betreiben. 75 Dieser antwortete, die Sache gehe das königliche Amt an; erst nach dessen Zustimmung sei eine Eintragung in die Landtafel möglich. 76 Bereits zwei Tage vor Erhalt dieser Antwort teilte Gundaker unter Berufung auf die ihm durch den Palatinatsbrief von Kaiser Ferdinand II. verliehenen Rechte dem königlichen Amt der Landtafel sowie der Landeshauptmannschaft der Markgrafschaft Mähren mit, er trage Verlangen danach, daß der Name Liechtenstein „alhieigen unnseren residenzschloß und herrschafft Ostra zugeeygnet" und diese bei allen Kollegien und Instanzen der Markgrafschaft Mähren so „intitulirt und von meniglichen also geachtet, erkhendt und genent" werden. Er ersuchte die Adressaten zu verordnen, daß dies gegen Entrichtung der gebührenden Taxen in den Landtagsgedenkbüchern vermerkt und durch ein Patent im Land publiziert werde. 77 Die Realisierung dieses Wunsches wurde unter anderem durch den Tod des Fürsten Gundaker am 5. August desselben Jahres verhindert. Nachdem Fürst Ferdinand Johann im Januar 1666 gestorben und in der Kromauer Pfarrkirche beigesetzt worden war, wandte sich dessen älterer Bruder und Erbe Hartmann mit einer Bittschrift an den Kaiser, die am 8. Juni 1669 übergeben wurde. 78 Er fuhrt darin aus, daß die Herrschaft Kromau, nachdem sie Fürst Gundaker seinem zweitgeborenen Sohn Ferdinand Johann überlassen hatte, von diesem bei ihrem alten Namen gelassen wurde, „indeme er es selbst als ein zu meines geschlechts stamhauses erhebtes furstenthumb vor dem primo genito zu besüzen selbst ungebührlich erachtet" habe. Da nach dem Tode seines Bru71
HALV, Hs. 603, S. 45 f., Hartmann v. L. an seinen Vater Gundaker, 28. Januar 1654 (Abschrift). Ebd., S. 48f., G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 29. Januar 1654 (Abschrift). 75 HALV, Hs. 606, S. 1 f., G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 1. Januar 1657 (Abschrift). 74 Ebd., S. 5-7, Brandis an Fürst Hartmann v. L., Ostra, 6. Januar 1657 (Abschrift). 75 HALV, Hs. 608, Nr. 44, G. v. L. an Herrn Ledenitzky, Ostra, 27. Februar 1658 (Abschrift). 76 Ebd., Nr. 71, Ledenitzky an G. v. L„ 14. März 1658 (praes. 19. März) (Abschrift). 77 Ebd., Nr. 65, „Anbringen" G.s v. L. an das königl. Amt der Landtafel und die Landeshauptmannschaft in Mähren, 17. März 1658 (Abschrift). 7S MZA Brno, F 177, K. 371, Fasz. 5. 72
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Das Fürstentum Liechtenstein in Südmähren
ders die Herrschaft Kromau erblich an ihn, Hartmann, der in Mähren nach dem Tod Gundakers im Jahre 1658 zunächst nur Ungarisch Ostra und Steinitz geerbt hatte, gefallen war, ersuchte er den Kaiser, das Diplom vom 20. Dezember 1633 beim nächsten mährischen Landrecht noch einmal publizieren zu lassen, den Namen Liechtenstein für die Stadt und das 1633 neugeschaffene Fürstentum zu bestätigen und zu befehlen, daß jedermann ihn verwende. Ende Januar 1671 richtete Fürst Hartmann zwei gleichlautende Schreiben an die Grafen Nostitz (zweifellos Johann Hartwig von Nostitz, der Nachfolger Slavatas als böhmischer Oberstkanzler 79 ) und Sternberg (wohl Adolf Wratislaw von Sternberg, der Vizepräsident des Präger Appellationsgerichts und spätere Prager Oberstburggraf 80 ). Was „die Veränderung des namens Cromau in Lichtenstein" betreffe, könne er nicht verstehen, warum der Kaiser ihn „desjenigen ohne ursach depossessioniren" wolle, wo es doch nur um die „confirmation" einer Privilegierung gehe, deren er bereits „durch ein keyserliches Diploma in posseß" sei. Es stimme nicht, daß sich sein Vater Fürst Gundaker dessen begeben habe. Er habe den Namen nur für kurze Zeit im Familienkreis („inter privatos parietes") suspendiert, „weillen dise herrschafft meinem herrn bruedern seel. zum genuß ist übergeben worden". Fürst Hartmann ersuchte die Grafen Nostitz und Sternberg, die Sache „mit allen umbstenden" (in der Geheimen Konferenz) referieren zu lassen „und mit ihrem hochgültigen voto [zu] secundieren". 81 Die Bemühungen des Fürsten Hartmann um die Wiederbelebung des vor einem knappen Vierteljahrhundert sanft entschlafenen erbländischen Titularfiirstentums Liechtenstein fielen bereits in die Zeit des erstarkenden landesfiirstlichen Absolutismus und blieben vergeblich. Nach der Erhebung der im schwäbischen Reichskreis gelegenen reichsunmittelbaren Herrschaft Schellenberg und der Grafschaft Vaduz zum Fürstentum Liechtenstein im Jahre 1719 82 ist die kurzfristige Existenz des Fürstentums Liechtenstein in Südmähren weitgehend in Vergessenheit geraten.
9.2. Lage und Größe des Fürstentums Liechtenstein Das Fürstentum Liechtenstein in Südmähren bildete keine territoriale Einheit. Die beiden Hauptbestandteile, die Herrschaften Mährisch Kromau und Ungarisch Ostra, lagen sogar in verschiedenen, nicht einmal benachbarten Kreisen, wo sie jeweils die mit Abstand größten Herrschaften waren. Die Entfernung zwischen der Ostgrenze der im Znaimer Kreis gelegenen Herrschaft Kromau und der Westgrenze der im Hradischer Kreis gelegenen und im Osten an Oberungarn grenzenden Herrschaft Ostra betrug ungefähr 65 km (Luftlinie). 83 Die Herrschaft Kromau hatte um 1600 etwa 1.500 Untertanenhäuser. Vor 1619 lag sie unter den Herrschaften Mährens nach der Zahl der Untertanen (1604/06: 1.586, 1618/19: 1.497) an sechster Stelle. Wegen des Krieges, dessen Folgen erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts endgültig überwunden worden sein dürften, zählte man bei der Lahnenvisitation von 1656/57 nur 929 besiedelte und 1.064 öde Ansässigkeiten auf der Herrschaft und 1672 auch erst 985 besiedelte und 1.008 öde Ansässigkeiten. 84 Mit (nach dem Dreißigjährigen Krieg) rund 11.000 Hektar Ackerland und Weingärten (63.189 Metzen) war die Herrschaft Mährisch Kromau flächenmäßig die größte von Mähren. Auf der Herrschaft Ungarisch Ostra zählte man im Jahre 1656 1.086 und im Jahre 1671 1.266 besiedelte Ansässigkeiten; vor dem
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Schwarz, Privy Council, S. 313 f. Rezek, Dejiny Cech a Moravy nove doby, Bd. 2, S. 8 und 23; Bd. 3, S. 295, 298 und 302. 81 MZA Brno, F 177, K. 371, Fasz. 5 (Konzept). 82 Vgl. Press, Die Enststehung des Fürstentums Liechtenstein. 83 Radimsky/Trantirek (Hg.), Tereziansky katastr moravsky, Kartenbeilagen. 84 Stanek, Moravskokrumlovsko, S. 9 f., 14, 53 und 55. Kordiovsky, Jihomoravskd liechtenstejnska panstvi, S. 212, bietet davon abweichende Zahlen.
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Krieg waren es 1.911 gewesen. 8 5 Einer herrschaftsinternen Zählung zufolge gab es auf der Herrschaft Ostra im Januar 1642 immerhin 1.122 hausgesessene Untertanen (1 Lehnet, 3 8 6 Halblehner, 2 6 2 Viertellehner, 28 Achtellehner und 4 4 5 Hauer). 8 6 Bei der ersten Lahnenvisitation wurden im Jahre 1657 in der Herrschaft Kromau samt dem inkorporierten G u t Wolframin etwa 2 9 9 , 2 Lahnen (= Steuereinheiten) gezählt, 15 Jahre später, bei der zweiten Lahnenvisitation, bereits 352,6 Lahnen. Die Herrschaft Ostra umfaßte 1657 3 2 2 Lahnen, 1672 hingegen 355,3 Lahnen. Der Anteil der Lahnen der Herrschaft Kromau (mit Wolframitz) an der Gesamtsumme der Lahnen im Znaimer Kreis stieg zwischen 1657 und 1672 von 12,2 auf 13,9 Prozent, jener der Lahnen der Herrschaft Ostra an der S u m m e der Lahnen im Hradischer Kreis von 14,9 auf 16,0 Prozent. 8 7 Unter der Voraussetzung, daß in allen Herrschaften die gleichen Kriterien Anwendung fanden, würde das bedeuten, daß in den liechtensteinischen Herrschaften die Kriegsfolgen etwas rascher beseitigt wurden als im Kreisdurchschnitt.
9.3. Kriegsschäden 1645/46 und Übergabe der Herrschaft Mährisch Kromau an Fürst Ferdinand Johann 1647 Die Pläne Gundakers von Liechtenstein, auf Dauer in Liechtenstein vulgo Kromau zu residieren, wurden durch den Schwedeneinfall des Jahres 1645 zunichte gemacht. A m 2. September 1645 berichtete der Regent Johann Christoph Fritz dem Fürsten Gundaker, der schwedische Oberbefehlshaber Lennart Torstensson habe die Belagerung Brünns aufgehoben und habe sich mit seinem Stab und der Hauptarmee neuerlich nach Mistelbach, also in den (gemeinsam mit Poysdorf) wichtigsten Marktort der Herrschaft Wilfersdorf, begeben, wo er bereits am 14. April sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. 8 8 Die schwedische Armee stehe von Wilfersdorf bis Ladendorf auf den großteils ungemähten Wiesen und in den benachbarten Dörfern und Torstensson lasse alles geschnittene Getreide im Umkreis von zwei Meilen bei seinen Regimentern zusammenfuhren und in den Wiesen Brunnen graben. 8 9 A m 4. September brach die schwedische Armee Richtung Wolkersdorf auf (um die Winterquartiere zu beziehen), nachdem sie das Lager bei Mistelbach und das übriggebliebene Getreide verbrannt hatte. In Ostra hatten die Schweden vor ihrem Aufbruch die herrschaftliche Mühle, den Reitstall beim Schloß sowie das Tor und die Brücke zur Vorstadt in Brand gesteckt. 9 0 A m schlimmsten aber hatte es Liechtenstein vulgo Kromau getroffen. A m 4. Oktober 1645 schrieb Fürst Ferdinand Johann an seinen Vater Gundaker, er habe, u m die Herrschaft Liechtenstein vor dem äußersten Verderben zu bewahren, seinen Aufwarter und Vizestallmeister Johann Wilhelm Miller nach Liechtenstein geschickt. Er ersuchte seinen Vater um eine Vollmacht für die „völlige gubernierung" der Herrschaft Liechtenstein. 9 1 Gundaker antwortete am 18. Oktober 1645 betrübt: „Daß das Schloß und herrschafft: Liechtenstein allso verheert und verderbet worden, schmerzet uns am allermeisten herzlich, weil denselbigen ort wir uns zue unserer wohnung erweit und die überige zeit unsers lebens allda zu verzehren vermeinet haben." 9 2 A m 30. Oktober berichtete Fürst Gundaker dem Kaiser, daß der Feind alle seine Güter ruiniert und alle Vorräte verzehrt, mitgenommen oder vernichtet habe, mit Ausnahme
Kordiovsky, Jihomoravskä liechtenstejnska panstvi, S. 213. HALV, Hs. 157, S. 536 f. 87 MZA Brno, A 8, L 2, K. 592, foi. 3-8: „Combination" der Lahnen im Hradischer und Znaimer Kreis bei der ersten und zweiten Lahnenvisitation. 88 Vgl. Thiel, Aus der Schwedenzeit Poysdorfs. 89 HALV, K. 251, Fritz an G. v. L „ Wien, 2. September 1645. 90 Ebd., ders. an dens., Wien, 6. September 1645. " HALV, Hs. 273, S. 369f. (Abschrift). " Ebd., S. 371-374 (Abschrift). 85
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von Ebergassing, das aber durch die steten Einquartierungen und Durchzüge des kaiserlichen Kriegsvolkes ebenfalls „ganz und gar verderbt" sei. Das Schloß zu Liechtenstein sei völlig verwüstet, sogar Eisen und Holz seien aus den Wänden gebrochen, die Stadt „ganz ausgesaugt", sechs Dörfer, vier Meier- und Schafhöfe sowie das Schloß Hrubschitz niedergebrannt worden. Auf der Herrschaft Ostra seien die Märkte Hluk und Kunowitz, die neuerbaute Mühle bei der Stadt sowie die Ställe beim Schloß niedergebrannt worden, auf der Herrschaft Rabensburg vier Dörfer sowie eine Mühle, ein Schaf- und ein Meierhof, das Schloß Wilfersdorf und drei Dörfer auf der Herrschaft samt den Meierhöfen, Schäfereien, Stadeln und Getreidekästen. Auf der Herrschaft Steinitz schließlich hätten die Schweden mehrere Dörfer niedergebrannt und die Teiche abgegraben. 93 Einer Aufstellung aus dem April 1647 zufolge haben die Schweden auf den Herrschaften Liechtenstein, Ostra, Steinitz, Boskowitz, Rabensburg und Wilfersdorf in den Jahren 1645 und 1646 unter anderem „hinwegkgenohmen, vertriben und zu nichten gemacht": 38 Zugpferde, 296 Zugochsen, 856 Melkkühe, 180 Kälber und Jungochsen, 868 Schweine, rund 24.000 (!) Schafe, fast 5.600 Hühner, Kapaunen, Truthähne, Gänse und Enten, rund 21.400 Eimer Wein, 1.147 Eimer Bier, 25 Eimer Branntwein, 60 Eimer Weinessig, 5 Eimer Bieressig, 87 Eimer „weinläger"94, rund 1.400 Mut Weizen, 900 Mut Roggen und 1.000 Mut Hafer sowie größere Mengen von Erbsen, Mehl, Kleie, Malz und Hopfen. Insgesamt erlitt Fürst Gundaker durch den Schwedeneinfall einen Schaden von mehreren hunderttausend Gulden. 95 Durch eine am 1. Januar 1647 in Marburg in der Untersteiermark ausgestellte Urkunde übergab Gundaker von Liechtenstein seinem Sohn Ferdinand Johann auf dessen Bitte hin anstelle von 300.000 Gulden in bar (150.000 Gulden Legat aus dem Erbe des 1643 gestorbenen Fürsten Maximilian plus 150.000 Gulden vom künftigen väterlichen Erbe) die im Jahre 1645 von den Schweden und seither durch Einquartierungen kaiserlicher Truppen arg verwüstete Herrschaft Liechtenstein, „vor96 und jetzt wüderumb Mererisch Cromau genend", einschließlich des Gutes Wolframitz, damit Ferdinand Johann leichter in den Besitz des Herzogtums Teschen gelangen möge, worüber er mit dem Kaiser in „tractation" stand. 97 Als unmittelbares Motiv für die Übergabe der Herrschaft gibt Gundaker an, daß er seinem Sohn derzeit „wegen der spolierung und in grund verhörung 98 unseres fürstenthumbs Lichtenstein und [der anderen] güter und ermangleten credits in ihr khayserl. mayestät länder" nicht mit Bargeld aushelfen könne. Ein Verkauf bzw. Tausch der weiterhin zum Gundakarischen Fideikommiß gehörigen Güter Kromau und Wolframitz gegen andere Güter (gedacht war zunächst in erster Linie an Teschen) sollte nur mit Zustimmung des Regierers des Hauses Liechtenstein und aller Agnaten möglich sein. Gleichzeitig zedierte der Vater seinem jüngeren Sohn 150.000 Gulden rheinisch von den Schulden, die der Kaiser an ihn hatte. Weiters übergab er ihm die drei ehemals Bonacinaschen Häuser in Wien, wofür Ferdinand Johann seiner Schwester Marianne anstelle seines Vaters 18.000 Gulden sowie jährlich 2.000 Gulden „underhaltung" zahlen sollte, „solang der feind in Merren und an dessen gränizen würckhlich mit den armeen oder guarnisonen anjezo verharret". Gundaker verpflichtete sich auch, die Urkunde in die mährische Landtafel einlegen zu lassen.99 Ferdinand Johann ging am selben Tag seinerseits in einem Revers die Verpflichtung ein, nach dem Tod seines Vaters keine weiteren Forderungen an seinen älteren Bruder Hartmann zu stellen und erklärte sich für voll93 Ebd., S. 384-386, G. v. L. an Ferdinand III., 30. Oktober 1645, samt Beilage „Schäden, die da, sovil mir wissend, bishero auf meinen güetern geschehen sein" (Abschriften). Ή Leger, Gelegen Bodensatz im Faß nach der Gärung " HALW, Κ. Η 172, „Verzaichnus aller Sorten viech, traidt, weinn und gedrenk [...]", darauf Vermerk von der Hand G.s v. L.: „ult(imo) April. 1647. Verzeichnus der Scheden in mobilien und stabili." % früher 97 Vgl. Kapitel 17.3.2. 9S Verheerung 99 Siehe oben S. 348.
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ständig befriedigt. Am 17. Januar 1647 erteilte Fürst Karl Eusebius als Chef und Regierer des Hauses Liechtenstein seinen Konsens zu dieser Regelung. 100 Damit endete, wie sich später herausstellte endgültig 1 0 1 , die kurze, nur knapp 14 Jahre dauernde Existenz des Episode gebliebenen (Titular-)Fürstentums Liechtenstein in Südmähren. Dieses ist trotzdem ein sprechender Beleg für das Geltungsbedürfnis und Repräsentationsstreben des „nachweißenbergischen" hohen Adels, insbesondere der „neuen Fürsten", in Böhmen, Mähren und Österreich, die sich durch Kumulierung und Maximierung kaiserlicher Gnadenbeweise und Privilegien und durch die Pflege eines „fürstlichen Lebensstils" über ihre Standesgenossen zu erheben suchten.
100 Ausfertigungen der Urkunde Gundakers, des Reverses Ferdinand Johanns und des Konsenses Karl Eusebius' v. L. in MZA Brno, F 177, K. 410; Abschriften ebd., K. 329, Fasz. 9, und im HALV, K. 250. Die Urkunde des Fürsten Gundaker und den Revers des Fürsten Ferdinand Johann siegelten als Zeugen Georg Bartholomäus Khiesel Graf zu Gottschee, Obersterblandjägermeister in Krain und der Windischen Mark, Obersterbtruchseß der fürstlichen Grafschaft Görz, kaiserlicher Kammerer und Herr der Burg und Herrschaft Obermarburg, sowie Günther und Ernst Friedrich Freiherren zu Herberstein, Erbkämmerer und Erbtruchsessen in Kärnten. "" Vgl. oben S. 348.
10. Hofstaat, Hofhaltung und Zeremoniell Versuche, einen fürstlichen Lebensstil zu pflegen 1 Die sehr weite, kürzlich von Aloys Winterling vorgeschlagene Definition von Hof „das erweiterte ,Haus' eines Monarchen" 2 - ist fiir unsere Zwecke immer noch zu eng, denn sie schließt die Höfe des Adels im allgemeinen, der im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts in den Reichsfürstenstand erhobenen erbländischen Adeligen und Adelsfamilien im besonderen aus.3 Die von Volker Bauer vorgelegte (Ideal-)Typologie der deutschen Höfe im 17. und 18. Jahrhundert berücksichtigt ebenfalls explizit nur die Höfe von souveränen Territorialfiirsten. 4 Die Frage, ob es einen eigenen Ideal- oder Realtypus Hof der erbländischen Neufürsten des 17. und 18. Jahrhunderts gegeben habe, läßt sich beim gegenwärtigen Forschungsstand nicht beantworten. Vielleicht lassen sich manche der nicht unbedingt über einen Kamm zu scherenden Höfe der Neuflirsten des 17. Jahrhunderts irgendwo zwischen den von Bauer skizzierten Typen „zeremonieller H o f und „hausväterlicher H o f einordnen. Den „vorrangigen Daseinszweck" des zeremoniellen Hofes in Bauers Typologie bildete „die Repräsentation fürstlicher Standesehre, die sich in prächtigen, kostspieligen Festlichkeiten ausdrückte, besonders aber auch im Hofzeremoniell [...]". 5 Am hausväterlichen Hof hingegen sei „die Umgebung des Fürsten nicht als exklusive Sphäre seiner Verehrung" gestaltet worden, „sondern eher als Haushalt, der der väterlichen Autorität des Fürsten unterworfen war". Dieser habe den Hof „im Sinne der von der .Hausväterliteratur' propagierten Normen" geleitet, „und so stand dieser Hoftyp, der in seinen äuße-
1 Dieses Kapitel deckt sich zum Teil wörtlich mit den entsprechenden Abschnitten in Winkelbauer, Repräsentationsstreben, und ders., Zur Hofhaltung der österreichischen Neufürsten. 2 „Dabei meint ,Haus' eine räumlich-sachliche, soziale, wirtschaftliche und herrschaftliche Einheit im Sinne von Otto Brunners .ganzem Haus'." Winterling, „Hof", S. 14. 3 „Unter .Monarch 1 soll dasjenige Mitglied einer Adelsgesellschaft verstanden werden, das über das eigene .Haus' hinausgehende .politische' Herrschaft über andere, konkurrierende Adlige erfolgreich beanspruchen und dadurch monopolartig über gesellschaftlich knappe Güter wie Macht, Ehre und Reichtum verfügen kann. .Erweitert' meint in quantitativer Hinsicht, daß andere adlige .Häuser' an Umfang übertroffen werden, insbesondere durch die Anzahl derjenigen dauernd oder vorübergehend anwesenden Personen, die nicht zum .Haus' im ursprünglichen Sinn gehören. Es bedeutet in qualitativer Hinsicht, daß sich die sozialen Beziehungen an einem Hof durch besondere Strukturen der Kommunikation und Organisation sowie durch gesamtgesellschaftliche Funktionen von denen in adligen .Häusern' unterscheiden." Ebd. - In noch stärkerem Ausmaß gilt dies etwa für die Definition von Hof, die Ronald G. Asch seiner Studie über den Hof König Karls I. von England zugrundegelegt hat: „[...] jener topographische, soziale und kulturelle Raum, der den Ort des königlichen .Hofhaltens' bildet - in seiner Funktion als Forum politischer Entscheidungen und Auseinandersetzungen, als Markt für Amter, Privilegien und andere von der Krone zu vergebende Vorteile und Machtchancen, als Szene fürstlicher Repräsentation und vor allem als .point of contact' zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen." Asch, Der Hof Karls I., S. 15 f. 4
V. Bauer, Die höfische Gesellschaft in Deutschland. Siehe auch Winterling, Die frühneuzeitlichen Höfe in Deutschland. 5 Zusammenfassende Definition bei V. Bauer, Die höfische Gesellschaft, S. 62.
Hofstaat, Hofhaltung und Zeremoniell
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ren Formen bescheiden und altmodisch wirkte, unter dem Primat der Ökonomie und der Frömmigkeit". 6 Die Hauptaufgabe der Hofhaltung, des Hofzeremoniells und der vielfältigen Formen der Repräsentation, des Kunstmäzenatentums und des Luxuskonsums der neuen Fürsten bestand in der Demonstration und im Nachweis einer dem neuen Stand gemäßen, eben fürstlichen Lebensführung. Die neuen Fürsten standen auf einer imaginären Bühne, deren Publikum sich in erster Linie aus den hochadeligen Standesgenossen am Kaiserhof und in dessen Gravitationsfeld sowie im Reich zusammensetzte. Adressaten des höfischen Schauspiels waren also nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, die eigenen Untertanen und die Angehörigen des eigenen Hofstaats oder (in den schlesischen Fürstentümern) der Landstände, die es zu domestizieren und zu disziplinieren gegolten hätte - wie an dem von Norbert Elias modell-, aber auch etwas klischeehaft beschriebenen und analysierten Hof des französischen Sonnenkönigs, dieser „Versorgungs- und Bändigungsanstalt für den Adel"7. In diesem Punkt besteht eine strukturelle Funktionsähnlichkeit zwischen den neufürstlichen Höfen in den böhmischen und österreichischen Ländern bzw. in Wien und den Höfen deutscher Territorialfürsten wie beispielsweise Kurköln, Hannover oder Württemberg. „Adressat der höfischen Propaganda" der letzteren „war weniger der jeweilige landsässige Adel als das Kollegium der Reichsfürsten insgesamt, die zusammen die .höfische Gesellschaft des Reiches' (Winterling) bildeten, zu deren Statusmerkmalen eben auch ein bestimmtes Niveau der Hofhaltung gehörte. Diesen Standard zu erreichen, war das Hauptmotiv der Fürsten bei der Ausgestaltung ihrer Residenzen, wogegen die .innenpolitische' Wirkung der Höfe von zweitrangiger Bedeutung war."8 Die Höfe der „alten" geistlichen und weltlichen deutschen Fürsten und Kurfürsten sowie in beschränktem Maße auch die Höfe der Neufürsten bildeten im 17. Jahrhundert zusammen die höfische Gesellschaft des Reiches, deren Mittelpunkt der Wiener Hof war.9 Dieser war zugleich „österreichisch-erbländischer Territorialhof, als kaiserlicher [Hof] der Hof des Reichsoberhauptes und darüber hinaus Mitbewerber um die hofkulturelle Hegemonie in Europa". 10 Eine Ebene unter dem Kampf um die apostrophierte „hofkulturelle Hegemonie in Europa" zwischen Rom, Paris, Wien, Madrid, London etc. war im Rahmen der „höfischen Gesellschaft des Reiches" ein Konkurrenzkampf „um Status und Prestige innerhalb der hohen Reichsfürstengesellschaft" im Gange: Innerhalb der überregionalen, hierarchisch gegliederten Fürstengesellschaft des Heiligen Römischen Reiches „herrschte Konkurrenz im Streben nach Macht und Prestige, nach Erhöhung des Ranges [...] und nach Steigerung der Ehre des Hauses, den typischen Werten adligen Daseins". 11 Ebenso wie die Höfe der spätestens seit dem Westfälischen Frieden de facto souveränen, über das ius belli acpacts verfügenden deutschen Territorialfürsten standen auch die neufürstlichen Höfe „in einem beständigen Prestigewettbewerb" untereinander.12 Trotzdem unterschieden sich Hofhaltung und Zeremoniell in den Häusern der Neufürsten (sei es auf ihren ländlichen Residenzschlössern oder in den Stadtpalästen) wohl vielfach nur graduell von
Ebd., S. 70. Elias, Die höfische Gesellschaft, Taschenbuchausg., S. 295 und passim. Zur Kritik an Elias' Hofmodell und seiner Uberschätzung der Macht Ludwigs XIV. und Unterschätzung der Macht der französischen Aristokratie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vgl. jetzt bes. Duindam, Myths of Power. - Bereits vor der erst 1969 erfolgten Drucklegung von Elias' Habilitationsschrift hatte Carl Hinrichs 1951 den Fürstenhof als „Organ des absoluten Staates zur Bändigung der Aristokratie durch Rangabstufung und Zeremoniell" beschrieben. C. Hinrichs, Staat und Gesellschaft im Barockzeitalter, S. 215. ' V. Bauer, Die höfische Gesellschaft, S. 96. Vgl. Winterling, Der H o f der Kurfürsten von Köln, S. 1 5 3 - 1 5 6 . 9 Vgl. V. Bauer, Die höfische Gesellschaft, S. 111 ff. und 116 f. 10 Ebd., S. 119. " Winterling, Der Hof der Kurfürsten von Köln, S. 154. 12 V. Bauer, Die höfische Gesellschaft, S. 123. 6
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Hofstaat, H o f h a l t u n g u n d Zeremoniell
jenen in den Häusern ähnlich wohlhabender nichtfiirstlicher Angehöriger der die Ländergrenzen transzendierenden „österreichischen" oder „erbländischen" Aristokratie. 13
1 0 . 1 . Die Zusammensetzung des Hofstaats 10.1.1. Der Hofstaat des Fürsten Karl von Liechtenstein Golo Mann schreibt in seiner Wallenstein-Biographie, der Held seines Buches sei von den drei neuen Herzogen (Liechtenstein, Wallenstein und Eggenberg) „im Grunde doch der einzige" gewesen: „Die anderen hatten Güter; sie hatten keinen Staat. Kein Hof umgab sie; sie waren ja selber nur Höflinge." 14 Er hat natürlich nicht ganz unrecht, aber die Unterschiede waren nur graduell, obwohl man im Falle Wallensteins konzedieren muß, daß hier die Quantität tendentiell in Qualität umschlug. Jedenfalls stimmt es nicht, daß die Fürsten von Liechtenstein - in erster Linie der Regierer und Chef des Hauses, Fürst Karl und sein Sohn Karl Eusebius, aber auch Fürst Gundaker - keinen Hof(staat) besaßen. Er war allerdings viel kleiner als jener Wallensteins, der im Jahre 1633 rund 900 Personen (den Obersthofmeister, den Geheimen Rat, den Oberstkämmerer, den Vizestallmeister, vier Kammerherren, zwei Mundschenken, den Hofquartiermeister, 17 Fürschneider, die Kriegskanzlei, je zwölf Kammerdiener, Musikanten und Edelknaben - und so weiter und so fort; allein die „Kuchelpartei" umfaßte 66 Personen!) sowie 1.072 Pferde zählte. 15 Der Hofstaat des Kaisers Matthias hatte im Jahre 1615 - einschließlich Reichshofrat, Hofkammer, Hofkriegsrat, die Hofkanzleien (ohne die ungarische) und rund 200 Hartschiere und Trabanten - „nur" rund 800 Personen umfaßt. Die kaiserliche Küche und der Keller waren mit 63 Personen etwa gleich stark besetzt wie jene Wallensteins 15 Jahre später. 16 Der Hofstaat Rudolfs II. hatte im Jahre 1576 nicht mehr als 531 Personen umfaßt. Erst unter Karl VI. explodierte der kaiserliche Hofstaat und erreichte 2.175 Köpfe. 17 Im April 1609 zog sich Fürst Karl von Liechtenstein - enttäuscht darüber, daß Erzherzog Matthias ihn nicht anstelle von Kardinal Klesl zu seinem neuen Favoriten machte - nach Eisgrub zurück. 18 Die Jahre 1612 bis 1618 verbrachte er großteils auf seinen Gütern. Er benützte die Muße für die Neuorganisierung seines Hofstaats und der Verwaltung seiner Herrschaften. Der Hofstaat umfaßte grundsätzlich - ähnlich wie der kaiserliche oder jener Wallensteins und anderer Reichsfursten - folgende Teile 19 : 1. die Kammer als innersten Bereich des Hofes mit den adeligen „Aufwartern" (Söhnen adeliger Familien, die insbesondere bei der fürstlichen Tafel den Tischdienst verrichteten) und seit 1618 den der Aufsicht eines eigenen Edelknabenhofmeisters unterstellten Edelknaben; zur Kammer gehörten weiters die Kammerdiener und wohl auch die Leibbalbiere und Leibmedici;
13 Vgl. ζ. B. den Empfang, den der böhmische Oberstkanzler Johann Hartwig Graf Nostitz von Rieneck im Jahre 1660 in seinem Wiener Palais gab. Berger, Quellenmaterial, S. 82 f. Zur Entwicklung der Hofhaltung des steirischen Adels in den Jahrzehnten um 1600 siehe Härtel, Patrimoniale Hofhaltung. M Mann, Wallenstein, S. 302. 15 Schottky, Ueber Wallensteins Privatleben, S. 1 7 4 - 1 7 7 . Vgl. auch Förster, Wallenstein als Feldherr und Landesfurst, S. 150 f., 159 f. und 376 ff. 16 HHStA Wien, Obersthofmeisteramt, Sonderreihe, Nr. 184/77: Hofstaat des Kaisers Matthias, 29. März 1615. Teilweise ediert bei Fellner/Kretschmayr, ÖZV1/2, S. 2 0 2 - 2 0 6 . 17 Mikoletzky, Der Haushalt des kaiserlichen Hofes, S. 668 f. Siehe v. a. Topka, Hofstaat. Zum Kaiserhof im allgemeinen vgl. u. a. Evans, Die Habsburger; Ehalt, Ausdrucksformen; Press, The Habsburg Court; ders., The Imperial Court; Klingenstein, Der Wiener Hof. Vgl. oben S. 61. Zum Verhältnis zwischen Kardinal Klesl und Karl von Liechtenstein im Geheimen Rat Matthias' siehe u. a. Schwarz, Privy Council, S. 65 ff. und 70 f. " Nach Haupt, Fürst Karl, Textbd., S. 3 3 - 3 9 und 7 7 - 8 5 .
Die Zusammensetzung des Hofstaats
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2. die Kanzlei; 3. die dem Küchenmeister unterstehende Küche; 4. den eng mit der Küche verbundenen, vom Kellner verwalteten (Wein-)Keller; 5. den fürstlichen Marstall, der vom Marschall geleitet wurde, dem der Stallmeister als direkter Vorgesetzter des Stallpersonals untergeben war; 6. die vom Gardarober verwaltete „Guardaroba", die sowohl die persönliche Kleidung des Fürsten als auch den Kunstbesitz und das Inventar der fürstlichen Hauskapelle (Meßgewänder, Kirchensilber etc.) sowie die Schneiderei umfaßte; 7. seit 1623 die durch die Ausscheidung des Gold- und Silbergeschirrs aus der „Guardaroba" geschaffene Silberkammer, die vom Silberkämmerer betreut wurde; und schließlich 8. das Orchester. Dazu kamen noch, neben anderen, die Lakaien und die Trabanten sowie der häufig wechselnde (Hof-)Kaplan. Dem fürstlichen Hof nebengeordnet waren die Domänenverwaltung, an deren Spitze der Oberhauptmann stand (die Gestüte unterstanden übrigens nicht dem vom Marschall geleiteten Marstall, sondern den Pflegern bzw. Hauptleuten der jeweiligen Herrschaft), und die Regierung für die Herzogtümer Troppau und Jägerndorf (Kanzler und Räte; seit 1626 ein Statthalter für beide Herzogtümer). 20 Die Leitung des gesamten Hofwesens oblag dem Hofmeister. Wahrscheinlich um 1612 (jedenfalls vor der Verleihung des Herzogtums Troppau im Jahre 1614) entwarf Fürst Karl eine Instruktion für seinen Hofmeister, von der sich nur ein Konzept erhalten hat. Aus der Instruktion geht unter anderem hervor, daß dem liechtensteinischen Hofstaat damals unter anderem folgende leitende Funktionsträger angehörten, die dem Hofmeister über ihre Ausgaben Rechnung legen mußten: Kämmerer, Stallmeister, Pfennigmeister, Silberkämmerer, Küchenmeister und Kellner.21 In einem weiteren, wahrscheinlich etwa gleichzeitigen Konzept heißt es abschließend, der Hofmeister solle „in allem nach seinem besten verstanndt unnd vermögen auf unser haus unnd hofstadt 22 sein vleißiges, getreues unndt stettiges aufsehen haben unnd darunter alles das betrachten unnd hanndien, so unnser unnd unnser gemahlin und hauses ehr, reputation unnd nutzen befördert, das widerspil wenden, wie einem getreuen, verstendigen hofmaister gebürth unnd wir ihme solches genediglich anver- unnd zutrauen". 23 Dank zweier erhalten gebliebener Hofstaatsverzeichnisse24 sind auch Angaben über die absolute Größe des Hofstaats Karls von Liechtenstein möglich - allerdings nur für die Jahre 1611/12 und etwa 1616.1611/12 umfaßte das besoldete „Hofgesinde" 65 Personen 25 , wenige Jahre später (wahrscheinlich 1616) aber bereits rund 140 26 . Das jüngere und umfangreichere der beiden Verzeichnisse ist - im Anschluß an die Anführung des (Hof-) Kaplans, des Marschalls, des Stallmeisters und der zehn Aufwarter' - folgendermaßen gegliedert: die ,Kanzleipartei' (zwölf Personen), die ,Kammerpartei' (17 Personen), die ,Kuchelpartei' (16 Personen),
20
Vgl. v. a. ebd., S. 33-39. HALW, Κ. Η 1, „Instruction, Staat und Ordnung" Fürst Karls von Liechtenstein für seinen Hofmeister (Konzept mit Tintenkorrekturen, s. d.). 22 mit Bleistift verbessert aus: „auf unns, unser gemahlin unnd unnser ganze hofstadt" 23 HALW, Κ. Η 1, „Instruction und Ordnung des hoffmaisters" (undatiertes Konzept mit Bleistiftkorrekturen). 24 Sie wurden von Haupt, Fürst Karl, nicht herangezogen. 25 HALV, K. 47, „Verzeichnuß ihrer fürstl. gn. hoffgesindt unndt was jeder jahrlichen geldtbesoldung hatt", mit dem Vermerk: ,Λ· 1611 undt 1612 ist also bezahlt worden laut Kirchners geführter zahlambtsraittungen." 26 HALW, Κ. Η 2, „Verzaichnuß ihrer fürstlich gnaden auffwartter, officianten unndt anderes hoffgesindes", undatiert. Der in dem Verzeichnis vorkommende (Heinrich) Pfuel(l) ist nur im Jahre 1616 als Edelknabe am Hofe des Fürsten Karl nachweisbar. Haupt, Fürst Karl, Textbd., S. 100 A. 20. Ohne diese Nennung ließe sich die Entstehungszeit des Verzeichnisses immerhin auf die Jahre 1614 bis 1617 einengen. 21
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sechs Lakaien, zwölf Trabanten, vier Haiducken und Schützen, die,Stallpartei' (sieben Personen), acht Stallknechte der adeligen Angehörigen des Hofstaats, je sechs Kutscher und Vorreiter, 13 Tafeldecker und Jungen der Edelleute (davon einer gestrichen) sowie das Frauenzimmer' (15 Personen). Weitere fünf Personen werden als Deputatbezieher gefuhrt. Ein charakteristisches Merkmal jedes Hofstaats war (und ist) die Livree, ohne die „kein Haus als begründet, d. h. als materiell ausgestattet und öffentlich vorzeigbar gelten" konnte. Sie gehörte „zu den wesentlichen materiellen und symbolischen Äußerungsformen von häuslicher Herrschaft und repräsentativer Lebensführung". 27 Aus Repräsentationsgründen legte auch Karl von Liechtenstein großen Wert auf die modische Eleganz der Livree seiner Dienerschaft. Namhafte Beträge für die Neuanschaffung und Ergänzung von Livreen sind seit dem Einsetzen der Hofiahlamtsbücher im Liechtensteinischen Hausarchiv im Jahre 1604 belegt. Anläßlich der Einholung der Braut des Erzherzogs Matthias ließ Fürst Karl im Herbst des Jahres 1611 seine Bediensteten neu einkleiden. Am 11. November 1611 zahlte er für die neuen Livreen an verschiedene Kaufleute insgesamt mehr als 1.100 Gulden. 28
10.1.2. Der Hofstaat des Fürsten Gundaker von Liechtenstein Leider hat sich kein Verzeichnis des Hofstaats Gundakers von Liechtenstein erhalten. Der einzige Einblick in dessen Zusammensetzung zu einem bestimmten Zeitpunkt stammt aus dem Jahre 1655, nachdem der zahlenmäßige Höhepunkt längst überschritten war. Es scheint, daß Fürst Gundaker im Zusammenhang mit der Einrichtung seiner Residenz in Mährisch Kromau in den Jahren zwischen etwa 1630 und 1645 am intensivsten darum bemüht war, einen repräsentablen Hofstaat zustandezubringen. Der Hofstaat wurde von einem Marschall geleitet, der nach der Erhebung Gundakers in den Fürstenstand - wahrscheinlich irgendwann zwischen 1627 29 und 1630 - an die Stelle des Hofineisters trat. Vermutlich handelt es sich bei diesem Wandel nur um einen Wechsel der Bezeichnung für dieselbe Funktion, nämlich die Leitung des gesamten Hofwesens. 30 In die Instruktion für den Wilfersdorfer Pfister (Schloßbäcker) fügte Gundaker von Liechtenstein Ende November 1614 eigenhändig folgenden Passus ein: „Pfister soll alle wochen mit dem pfleger wegen des brots, so auf die wierdtschafft gangen, und mit dem hofmeister und kuchlschreiber wegen des brots, so auf die hofhaltung gangen ist, abreitten 31 " . 32 Im Jahre 1612 und wohl auch noch 1614 war Albrecht Piwnitzky Hofmeister Gundakers von Liechtenstein. 33 Im Jahre 1617 versah dieses Amt Johann Baptist Reuch(e)l von Schwarzenthai, der im Oktober 1637 als Rat des Fürsten Gundaker wiederbegegnet. 34 Spätestens in den dreißiger Jahren trat im Formular der Bäckers27
Völkel, Römische Kardinalshaushalte, S. 159. Siehe auch Hengerer, Der Hof Kaiser Ferdinands III.,
S. 171. 2S
Haupt, Fürst Karl, Textbd., S. 63. Im Jahre 1627 begegnet Daniel Hein als Hofmeister Gundakers von Liechtenstein. HALV, K. 251. 30 In den deutschen Territorien nahm im 16. und 17. Jahrhundert ursprünglich fast überall der Hofmeister den ersten Rang im Hofstaat ein „und behielt ihn im süddeutschen Raum in Hanau, Baden, Württemberg, Pfalz und Bayern. Im norddeutschen Raum dagegen wurde der Hofmeister aus seiner leitenden Position vom Marschall bzw. dem späteren Hofmarschall verdrängt, und zwar in der Mark Brandenburg, in Braunschweig, Sachsen, Anhalt und Hessen." Plodeck, Hofstruktur, S. 96. Vgl. auch ebd., S. 99-102. Zur „Personalunion" von Hofmeister und Marschall am Hof der weifischen Sekundogenitur in Dannenberg im Jahre 1604 siehe Reinbold, Fürstlicher Hof und Landesverwaltung, S. 64 ff. " abrechnen 32 HALW, Η 1254, „Pfisters instruction", mit eh. Vermerk G.s v. L.: „Correcta ult(im)o 9bris 1614" (Konzept). 33 Am 18. Januar 1612 legte Basilius Walther, der neue Pfleger der Herrschaft Wilfersdorf, vor dem Hofmeister Albrecht Piwnitzky und vor Johann Ehrmann, dem Pfarrer von Wilfersdorf, den Eid auf seine Instruktion ab. HALW, Κ. Η 1286, Pflegersintruktion und Memorial (von G. v. L. ratifiziert am 14. März 1613). 34 AVA Wien, FA Trauttmansdorlf, K. 138, Fasz. Ff. 3, Nr. 13, fol. 20; HALW, Κ. Η 593, Fasz. F. 82, Wilhelm von Knyphausen an G. v. L., Lutzburg, 4. März („stylo correcto") 1617, und G. v. L. an seinen „ge25
Die Zusammensetzung des Hofstaats
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Instruktion an die Stelle des Hofmeisters der Marschall. 35 Ein Hofmeister Gundakers von Liechtenstein wird bereits in den Instruktionen für den Pfleger der Herrschaft Wilfersdorf und fur den Wilfersdorfer Kellner aus dem Jahre 1603 erwähnt. 36 In der Instruktion für den Wiener Hausmeister des im Vorjahr in den Fürstenstand erhobenen Gundaker von Liechtenstein werden 1624 als Hofstaatsangehörige ausdrücklich Hofmeister, Stallmeister und Küchenmeister genannt. 37 Im Jahre 1642 verließ der im Januar 1629 in den Reichsadelsstand erhobene Simon Friedrich von Berg38 die Dienste des Fürsten Gundaker. Spätestens seit 1630 39 hatte er als sein Vizemarschall fungiert, ein Amt, das er 1642 noch immer innehatte 40 und in dem ihm in diesem Jahr Vinzenz Martin Wisinger nachfolgte. 41 Bereits Anfang August 1641 hatte sich Gundaker mit dem Gedanken getragen, Wisinger als „vicemarschall und stallmeister" und „den Cornell", das ist Johann Cornelius Kelterman, „zum camermeister über die camerordnung und pagi aufzunehmen". 42 Im Jahre 1638 ersuchte Fürst Gundaker den Wiener Residenten des Herzogs von Mantua darum, ihm eine Person „zu gubernierung unserer hoffstatt" zu empfehlen. Dieser schlug ihm tatsächlich jemanden vor, den Gundaker einzustellen entschlossen war. Sollte er bisher kein „haus regirt" haben, so wollte er ihn trotzdem aufnehmen, und zwar „nach qualitet" entweder als Mundschenk, Vorschneider oder Kämmerer, „den wo er gewest ist, hat er woll dienen lernen können". 43 1 639 war Georg Gottfried Reittenspieß von Weillern Rat und Marschall Gundakers von Liechtenstein. 44 Im Oktober 1643 ersuchte Fürst Gundaker Johann Stuber, den Hofmeister seines Sohnes Ferdinand Johann, er möge sich bemühen, in Wien jemanden aufzutreiben, der in Abwesenheit des (Vize-?)Marschalls Johann Cornelius Kelterman („Cornell") „unsern vicemarschalchdienst und beineben auch den stall versehen thete". Er habe zwar vorgehabt, einen gewissen Pfefferkorn „dahin abzurichten", sehe aber nun, daß dies eine vergebene Mühe sei und wolle daher „lieber eine andere qualificirte persohn zu derlei dienst aufnehmen" 45 In den folgenden Jahren wurde Kelterman (Keldermann) möglicherweise zum Vizemarschall degradiert und der Marschallposten unbesetzt gelassen. Im Jahre 1655 begegnet uns Keldermann noch immer als Vizemarschall.46 Von Ende August 1655 bis zum Tod des Fürsten Gundaker fungierte sein vormaliger Sekretär Christian Karl (von) Brandis als Marschallamtsverwalter.47 treuen und hofmeister, Johan Baptista Reuchl", 26. April 1617 (Konzept). Zu Reuchel (Reichel, Reischel) siehe auch unten S. 363 sowie Kapitel 14.7. 3i HALV,Hs. 646,fbl. 119 v -120 v (Abschrift, 1636),undHs. 1318,fol. 89-90·(Abschrift,um 1637/38). 56 HALW, Κ. Η 1254, „Neue Instructionen aufWilferstorff. 1603. Instruction pflegers dienst betreffendt", sowie ebd., „Khellners instruction und Verrichtung" (Konzept). Eigenhändiger Nachtrag G.s v. L. im Formular der Pflegersinstruktion (23. April 1603): „Item was ich zu meiner hausnoturflft bedarf, würdt hoffmeister ein verzeichnus dessen unterschreiben; die verzeichnus des empfangen wirdt mein gemahl unterschreiben." 37 HALW, Κ. Η 1, „Instruction des hausmaisters", Wien, I. Mai 1624 (Konzept). - Im Jahre 1639 war Martin Weninger fürstlicher „kuchelmeister". HALV, Hs. 269. 38 Frank, Standeserhebungen und Gnadenakte, Bd. 1, S. 76. 39 HALW, Κ. Η 825, Fasz. HT. 10, und Κ. Η 1198. 40 AVA Wien, FA Trauttmansdorff, Κ. 157, fol. 200; HALW, Κ. Η 73, Akt Tharoul, Η 74, Akt Wirsing, und Η 1198; HALV, Hs. 157, 269 und 671; etc. 41 HALV, Hs. 157, S. 88. 42 HALV, K. 272, Korrespondenz Hartmanns v. L., G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Liechtenstein, 1. August 1641 (eh.). 43 HALV, Hs. 672, S. 209 f. und 226-229, G. v. L. an seine Tochter Maximiliane, Liechtenstein, 14. und 21. Mai 1638 (Abschriften). 44 HALV, Hs. 270/1, nach S. 118 (unpaginiert). - Im Jahre 1637 war Johann Baptist Reuchel von Schwarzenthai Rat Gundakers von Liechtenstein gewesen. AVA Wien, FA Trauttmansdorff, K. 138, Fasz. Ff. 3, Nr. 13, fol. 20. 45 HALV, Hs. 271, S. 549, G. v. L. an Stuber, 2. Oktober 1643 (Abschrift). 46 HALV, Hs. 604, ζ. B. S. 325. 47 Siehe unten S. 362.
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Leiter der (Hof-) Kanzlei des Fürsten Gundaker war um 1630 der Rat und Kanzler Dr. Michael Schießel (oder Schiestel).48 1640 rühmte Gundaker seinen ehemaligen Kanzler als einen Mann, „welcher nicht allein in jure und in canzleisachen, sondern auch in oeconomicis, mintz- und bergwerksachen sehr wol erfahren (utinam et conscientia bona dotatus) gewest und neben der canzley auch die ganze wirdschafftsachen aller herrschafften, allermaßen anjetzo von der canzley abgesonderter der regent thuet und der canzleydirector damit nichts zu thuen hatt", geleitet habe. 49 Da in der Kanzlei Gundakers von Liechtenstein in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre die ein- und auslaufenden Schriftstücke und Briefe noch nicht in Kopialbücher eingetragen wurden, sind wir über seinen Hofstaat in dieser Zeit nur durch die weiter unten referierten vier Ordnungen (zwei Hofstaats] Ordnungen und zwei Kammerordnungen) aus der Zeit um 1632 informiert. Auf die Tätigkeit der ebenfalls zum Hofstaat gehörenden Kanzlei, wie sie aus den vom Fürsten Gundaker selbst verfaßten Kanzlei- und Registraturordnungen von 1636 und 1641 hervorgehen 50 , kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. 51 Hier seien nur die weiteren namentlich bekannten Kanzleichefs genannt. Georg Wilhelm Dümler war im Jahre 1632 als Nachfolger Dr. Schießeis Rat und Vizekanzler des Fürsten Gundaker von Liechtenstein. 52 Auf ihn folgte Dr. Johann Ulrich Wolff, der zuvor viele Jahre Rat der Stadt Regensburg und des Herzogs von Münsterberg und Regierungsrat des Kurfürsten von Bayern gewesen war. 53 Am 1. Oktober 1639 wurde Hans Georg von Wangarek als fürstlicher Rat und Direktor der forstlichen Hofkanzlei Gundakers von Liechtenstein vereidigt. 54 Ende März 1640 ersuchte Fürst Gundaker den mährischen Landesadvokaten Elias Wiesner, seinen am 11. März 1639 bestallten Bevollmächtigten in der Markgrafschaft Mähren (beim Königlichen Tribunal, bei der Landtafel und beim Landrecht) 55 , er möge ihm „einen guten secretarium oder, ist er höhers titls würdig, rahtt und directorn der canzley erlangen". 56 Der Kandidat sollte unHALW, Κ. Η 826, G. v. L. an Dr. Schießel, Kromau, 4. Oktober 1631 (Konzept oder Abschrift). Vgl. u. a. ebd., Κ. Η 1102 und 1198. 49 HALV, Hs. 270/11, S. 427 f., G. v. L. an den Kanzler des Fürsten Κ. E. v. L„ 28. November 1640 (Abschrift). Anfang August 1642 wird Schießel von Gundaker als „weylandt unser gewesener canzler" bezeichnet. HALV, Hs. 157, S. 427 f. 50 1. Kanzlei- und Registraturordnung vom Juni 1636: HALW, Κ. Η 3, „ I N S T R U C T I O N , wie in der füerstl. Liechtensteinischen hofcantzley das prothocoll, die Schriften unnd die registratur gehalten werden solle, anno 1636" (Konzept; Vermerk auf der ersten Seite: „Gemacht von ihr fuerstl. gn. selbst eignen handen im Junio anno 1636"); auf einem zweiten Exemplar dieser Instruktion bzw. Ordnung im selben Aktenkarton findet sich folgende Notiz: „Instruction. Act(um) 1636. Dise ist cassiert und ein andere gemacht worden anno 1641." - 2. Kanzlei- und Registraturordnung vom Januar 1641: HALW, Κ. Η 2, „Cantzley-ordnung, anno 1641 von ihr fiirstl. gn. selbst gemacht" (von G. v. L. unterschriebene und gesiegelte Ausfertigung; Vermerk von Fürst Gundakers Hand auf der ersten Seite: „Von ir fürstl. gn. selbst gemacht im Januario 1641. jaars."). " Siehe künftig Winkelbauer (Hg.), Gundaker von Liechtenstein als Grundherr. - Die Protokolle der Hofkanzlei Gundakers von Liechtenstein setzen im Juli 1636 ein und reichen bis zu seinem Tod im Jahre 1658. Sie sind eine zentrale Quelle für die letzten zwei Lebensjahrzehnte des Fürsten Gundaker, obwohl sie keineswegs vollständig sind. Viele Stücke fehlen ohne jede Erwähnung, andere, insbesondere nicht deutschsprachige, sind nicht protokolliert worden; im Einlaufprotokoll steht in solchen Fällen häufig nur der lapidare Vermerk: „Ein wallisch schreiben von X. Y." Überdies wurden Beilagen nur sehr selten protokolliert. 52 AVA Wien, FA TrauttmansdorfF, K. 157, fol. 199. 53 HALV, Hs. 270/11, S. 427 f., G. v. L. an den Kanzler des Fürsten Κ. E. v. L„ 28. November 1640 (Abschrift); HALW, Κ. Η 74, Akt J. U. WolfF. 54 HALV, Hs. 269/11, S. 425f. (Abschrift). " HALW, Κ. Η 74, Akt Wiesner. Zu Wiesner siehe auch d'Elvert, Beiträge, Bd. 4, S. LXXV. 56 Im Sommer 1641 legte Elias Wiesner, nachdem er Kanzler des Fürsten Maximilian von Dietrichstein geworden war, das Amt eines Bevollmächtigten Gundakers von Liechtenstein zurück. HALV, K. 251, G. v. L. an Maximilian von Dietrichstein, 29. August 1641 (Konzept). Wiesners Nachfolger als Bevollmächtigter des Fürsten Gundaker in Mähren wurde zunächst der ehemalige Landeshauptmann des Herzogtums Jägerndorf und nunmehrige kaiserliche Rat sowie Rat und Lehenshofrichter des Erzherzogs Leopold Wilhelm, Ludwig von Tharoulle (Tharoul, Tarol), der dieses Amt bereits 1637 und 1638 ausgeübt hatte
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verheiratet und nach Möglichkeit katholisch, eventuell lutherisch, aber jedenfalls kein Kalvinist sein, und er sollte bereits in Kanzleien gedient haben und treu und fleißig sein. 57 Dem Kanzler des Fürsten Karl Eusebius gegenüber begründete Gundaker sein Beharren auf einem unverheirateten Mann ganz offen damit, daß er einem solchen weniger zahlen müßte als einem Verheirateten. Nur notfalls wollte er den verheirateten Friedrich Maximilian Rethel (Röthel, Röttl) einstellen.58 Zwei Tage später beklagte sich Gundaker beim selben Adressaten darüber, daß Kanzler und Sekretäre bisher immer nur kurz in seinen Diensten geblieben seien. Jene, die bei Dienstantritt nichts gekonnt hätten, seien aus seinen Diensten getreten, sobald er sie ,,abgericht[et]" gehabt habe, und diejenigen, die bereits etwas gekonnt hätten, hätten den Dienst verlassen, sobald sie durch ihn am kaiserlichen Hof etwas bekannt gemacht worden seien, „allso, daß wir nur steets ein schuelmeister gewest und mehr müehe als commodum von ihnen gehabt". 59 Ende November erklärte sich Gundaker bereit, Rethel den Ratstitel zu geben, nicht aber den Titel eines Kanzlers oder Vizekanzlers, da er bisher verschiedenen Personen einen dieser beiden Titel gegeben, damit aber nur „ungelegenheit" gehabt habe. Er habe sich daher vorgenommen, niemandem mehr den Titel Kanzler oder Vizekanzler zu geben, dafür aber „einen andern rhüemblichen nahmen", nämlich „canzleydirector" oder so ähnlich. Die Tafel sollte Rethel bei den adeligen Angehörigen des Hofstaats „und nach gelegenheit bisweilen bey uns" haben; ein Diener wurde ihm bewilligt, der an der Tafel „der von adl diener" unterhalten werden sollte. „Die wohnung solle er zu hoff haben." An Besoldung in Geld wollte ihm Gundaker maximal 400 Gulden im Jahr geben. 60 Anfang Juli 1642 versuchte Gundaker, den 50 Jahre alten Dr. Freidenreich, der unter anderem am pfalz-neuburgischen Hof „pro cancellario" gedient hatte, als Kanzler zu gewinnen. Nach kurzer Bedenkzeit lehnte dieser ab, und zwar insbesondere mit der Begründung, er habe gehört, daß Fürst Gundaker ein allzustrenger Herr sei.61 Als Sekretär Gundakers von Liechtenstein bzw. in seiner Kanzlei fungierte 1628 Karl Niklas Grenzer 62 , 1640 Georg Lorenz Parzmeyr63, 1642/43 Franz Kögler64, 1648 ein gewisser Kirchmeier 65 und ein gewisser ScherfFer66 und von 1649 bis 1655 Wolfgang
(MZA Brno, G 140, K. 693, Fasz. 3249; HALV, Hs. 123, S. 755f., und Hs. 672, S. 51; Siebmacher's [...] Wappenbuch, Bd. IV, 11. Abt.: Der Adel von Oesterreichisch-Schlesien, S. 95). Am 25. Januar 1643 wurde dann der kaiserliche Rat und königliche Kammerprokurator in Mähren (Michael) Bohuslav Zniowsky von Korkynie als Bevollmächtigter bestallt (HALW, Κ. Η 75); zu Zniowsky siehe d'Elvert, Beiträge, Bd. 4, S. LXXV. 57 HALV, Hs. 270/11, S. 129, G . v. L. an Elias Wiesner, Ebergassing, 31. März 1640 (Abschrift). " In demselben Schreiben legte Fürst Gundaker ein Bekenntnis zu einem einfachen und klaren Stil ab. Er ersuchte den Kanzler des Fürsten Karl Eusebius um Auskunft, ob des Friedrich Maximilian Röthel, der, wie gesagt, als Sekretär oder Kanzler Gundakers im Gespräch war, „stylo im reden und concepten [...] allemode mit neu erdachten wertern und phrases ist oder ob er unnothwendig weitleifig, wie in Schlesien breichig, seie, denn ein und der ander gefeit mir nicht (sondern schlecht [d. h. einfach, schlicht] und clar)". Ein anderer vorgeschlagener Kandidat namens Dreßler habe „ein gar allamodisch stylo, allso daß wir khaum verstehen können, was er schriftlich zu verstehen geben will". Ebd., S. 390 f., G . v. L. an den Kanzler des Fürsten Κ. E. v. L., Liechtenstein, 14. Oktober 1640 (Abschrift). " Ebd., S. 392f., ders. an dens., 16. Oktober 1640 (Abschrift). Ebd., S. 427f., ders. an dens., 28. November 1640 (Abschrift). 61 HALV, Hs. 157, S. 4 0 8 und 410, Johann Stuber (Hofmeister des Fürsten F. J. v. L.) an G . v. L„ 2. und 3. Juli 1642 (Abschriften). 62 HALW, Κ. Η 591. 65 HALV, Hs. 270/11, ζ. B. S. 101. M HALV, Hs. 157, ζ. B. S. 499 f.; HALW, Κ. Η 67, Akt Franz Kögler. 65 Vielleicht Dr. (Johann) Konstantin Kirchmayr (Kirchmaier, Kirchmeyr, Khürchmayr etc.), der am 3. Juni 1640 als Anwalt G.s v. L. in seinen .Privatangelegenheiten' bestallt wurde und 1641 bis 1643 als dessen Rat und Anwalt bezeichnet wird. HALV, Hs. 270/11, S. 200 f., und HALW, Κ. Η 66, Akt Dr. Constantin Kirchmaier. Im Januar 1642 titulierte Fürst Hartmann Dr. Kirchmayr als seinen Rat und Anwalt und Gehei60
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Hof(f)may(e)r 67 . Am 31. August 1655 erließ Fürst Gundaker in seiner Residenz Ungarisch Ostra ein Dekret an den Hofstaat, mit dem er sämtlichen „hoff-, Cammer- und stallbediente[n]" befahl, für die Dauer der Abwesenheit des Vizemarschalls seinem Sekretär Christian Karl Brandis in allem Gehorsam zu leisten. 68 Im Jahre 1657 fungierte Brandis (noch immer?) als Marschallamtsadministrator. 69 Zumindest seit den dreißiger Jahren stand meist auch ein Hofltaplan in den Diensten des Fürsten Gundaker. 70 Im Juli 1633 ist Dr. theol. Samuel Warner(us), Kanoniker des Stiftes Haug vor Würzburg, als sein Hofkaplan belegt. Im Jahre 1639 war es ein P. Ulrich (Udalricus) Kolmansteiner 71 , danach wiederum „Dr. Samuel" (Warner), unter dessen namentlich nicht bekanntem Nachfolger sich Fürst Gundaker im März 1642 mit der Bitte an seinen Wiener Buchfuhrer wandte, er möge ihm mitteilen, ob er ein Missale Romanum (das 1614 erschienene neue „Rituale Romanum") lagernd habe und was es koste, da er ein solches „in unserer hoffcapelln [...] von nöten" habe. 72 Ende Mai dieses Jahres war der Fürst mit seinem Hofkaplan nicht mehr zufrieden, sodaß er sich um die Erlaubnis des päpstlichen Nuntius am Kaiserhof bemühte, ihm den Kapuzinerpater Wilhelm Parth „zu einem caplan zu überlassen". Am 20. Oktober kündigte R Wilhelm tatsächlich an, er wolle noch diese Woche in Gundakers Dienste eintreten und ersuchte gleichzeitig dringend darum, ihm die Hälfte seiner Jahresbesoldung von 100 Reichstalern im voraus zu bezahlen. Am 3. November übersandte ihm der Fürst die erbetenen 50 Reichstaler durch den Stallmeister seines Sohnes Hartmann unter der Bedingung, daß Ε Wilhelm sein Versprechen einlöse, bei ihm erstens „die capellanei [zu] versehen", zweitens von Zeit zu Zeit „auf unnser erinnern [zu] predigen" und drittens die Seelsorge („curam [sc. animae]") seines Vetters Bernhard Friedrich von Liechtenstein zu übernehmen. Fürst Gundaker verpflichtete sich dafür seinerseits, den Pater „bey unserer von adl tafel wie andere in essen und trinken gebührend aus [zu] halten". Erst am 21. November dankte P. Wilhelm und versprach, er werde sich bei nächster Gelegenheit „hinausverfügen". 73 Bereits im Juni 1643 berichtete Fürst Gundaker seinem Sohn Hartmann, er habe dem Hofkaplan seines im April verstorbenen Bruders Maximilian schreiben lassen, er möge für einen Jahressold von 200 Gulden als Kaplan zu ihm kommen und seinen Vetter Bernhard Friedrich „instruieren"; er furchte jedoch, er werde nicht kommen. 74 Im Herbst 1644 schied Hofkaplan Peter Bilsteni aus dem Dienst des Fürsten Gundaker aus, sodaß dieser Anfang November P. J o h a n nes Gelenus darum ersuchte, ihm einen Nachfolger vorzuschlagen. Dieser nannte daraufhin den aus dem Kölnischen stammenden, etwa vierzigjährigen ehrwürdigen Herrn Rudgerus a Grünberg als geeigneten und willigen Kandidaten. Er sei ein Priester „eines gutten lebens", allerdings kein Prediger, aber ein exemplarisches Leben sei eine „stete predig". Gundaker könne ihn auch zunächst nur für eine Probezeit einstellen, um festzustellen, „ob er gen hoff tauglich" sei. Der Fürst bedankte sich und ersuchte P. Johannes, den Kandidaten zu bitten, er möge sich men Hofsekretär der verwitweten Kaiserin Eleonora: HALW, Κ. Η 1296, Η. v. L. an Dr. Kirchmayr, Wilfersdorf, 9. Januar 1642 (Ausfertigung mit Antworten Dr. Kirchmayrs in margine). 66 HALV, Hs. 602 (1648). Vielleicht ein Verwandter von Andreas Scherffer (seit 1635 A. Sch. von Scherffenstein), der 1631-1655 Registrator (seit 1635 Sekretär und Registrator) des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein war, oder vielleicht mit diesem identisch. HALW, Κ. Η 70, Akt Andreas Scherffer. 67 HALV, Hs. 274 und 604. 1643 war Wolfgangus Hoffmayr Sekretär des Fürsten H. v. L. HALW, Κ. Η 65, Akt Hofmayr. 68 HALV, Hs. 604, S. 344, „Decret an die hoffstatt", Ostra, 31. August 1655 (Abschrift). 69 HALV, Hs. 606, ζ. B. S. 277. 70 Vgl. auch Kapitel 16.5. 71 HALV, Hs. 270/1. 72 HALV, Hs. 157, S. 171, G. v. L. an Severus Esch, 1. März 1642 (Abschrift). 73 HALV, Hs. 157, S. 355, 499 f., 533 und 546 f., G. v. L. an Johann Stuber, 29. Mai 1642; P. Wilhelm Parth an G. v. L., 20. Oktober und 21. November 1642; G. v. L. an Ε Wilhelm, 3. November 1642 (Abschriften). 74 Ebd., G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, 10. Juni 1643 (Abschrift).
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solange gedulden, bis Gundaker aus Brünn nach Liechtenstein zurückgekehrt sei, da er sich soeben anschicke, zum Landtag zu verreisen. Fünf Wochen später antwortete P. Johannes, er erwarte noch immer stündlich die gnädige Resolution des Fürsten, und er äußerte sein Befremden darüber, daß ihm zu Ohren gekommen sei, man „sollicitiere" von Rabensburg aus um einen Priester und Hofkaplan. Unterdessen sei ihm noch ein weiterer geeigneter Priester untergekommen namens Walter (Gualterus) Rettich, „ein gelehrter philosophus und theologus, ein guter prediger, der geraiset, und zweifelt mir nicht, daß er auch seine sprachen könne". 75 Fürst Gundaker nahm schließlich den zweiten Kandidaten in Dienst. Im Februar 1645 ersuchte er den päpstlichen Nuntius de Melzi um die Erlaubnis fur seinen Hofkaplan und Holprediger („sacellanus ac concionator noster aulicus") Gualterus Rettich, bei seinen Hofleuten und als Hilfe fur seine Pfarrer Beichte zu hören. Der Nuntius erteilte angesichts des um die katholische Kirche so hoch verdienten Bittstellers die Erlaubnis umgehend. Im September berichtete der Fürst P. Joannes Gelenus teilweise kritisch über den neuen Hofkaplan: „Der caplan wartet der heyl. meß vleißigob [...]. In deme, was ich ihmebefilch (als bisweilen etwas geistliches zu überlesen oder mir schreiben zu helfen), ist er langsamb, und scheinet vast, daß er das otium praedominieren lassen wolle f...]·" 7 6 Hofkaplanposten waren, jedenfalls in den Augen der Hofkapläne, nicht zuletzt Sprungbretter für Pfarrerposten in Patronatspfarren. An Walter Rettich als ehemaligen Hofkaplan erging Ende Januar 1648 allerdings ein abschlägiger Bescheid auf dessen Bitte um eine Pfarrstelle.77 Im Oktober 1631 erteilte Fürst Gundaker seinem Kanzler Dr. Michael Schießel den Auftrag, einen Kammerdiener, „so wol schreiben könte", und nach Möglichkeit auch einen Musikdirektor („directorem musicae") aufzutreiben. 78 Ende März 1641 ließ der Wiener Hausmeister Gundakers (Erhard Schaller) ein Regal, das er von einem Orgelmacher reparieren hatte lassen, und eine Baßgeige, der er neue Saiten aufziehen hatte lassen, wieder nach Liechtenstein transportieren; dies ist einer der ganz wenigen Hinweise auf die Musikpflege am Hofe Gundakers von Liechtenstein. 79 In den Jahren 1637 bis 1643 begegnet Johann Reischl als fürstlicher Kammerdiener. 80 Er dürfte mit Johann Baptist Reichel (oder Reuchl) identisch sein, der von 1621 bis 1623 Hofmeister des Fürsten Karl von Liechtenstein war und im Dezember 1621 von Ferdinand II. in den erbländischen Adelsstand mit dem Prädikat „von Schwarzenthai" erhoben wurde. 81 Der letzte namentlich bekannte Kammerdiener Gundakers von Liechtenstein war der um die Jahreswende 1656/57 genannte Bartholomäus Mechtler. 82 Jedenfalls in den dreißiger und vierziger Jahren gab es am Hof des Fürsten Gundaker stets einige Edelknaben (1655 waren es nicht mehr als zwei), deren Namen nur ausnahmsweise bekannt sind. Im Oktober 1641 ersuchte Hans Geraltowsky von Geraltowitz, ein „vasal 75
HALV, Hs. 272, S. 672, 753 f. und 847 f, G. v. L. an P. Joannes Gelenus, 4. und 14. November 1644; P. Joannes Gelenus an G. v. L., 9. November und 22. Dezember 1644 (Abschriften). 76 HALV, Hs. 273, S. 118f., 142f. und 344f„ G. v. L. an den päpstlichen Nuntius (Camillus de Melzi, Erzbischof von Capua), 19. Februar 1645; Antwortschreiben des Nuntius mit Beilagen, Wien, 26. Februar 1645; G. v. L. an P. Joannes Gelenus, 20. September 1645 (Abschriften). 77 HALV, Hs. 602, S. 20, G. v. L. an seinen gewesenen Hofkaplan „Gualterum Rettich", Wien, 28. Januar 1648 (Abschrift). 7 ' HALW, Κ. Η 826, G. v. L. an Dr. Schießel, Kromau, 4. Oktober 1631 (Konzept oder Abschrift). 79 HALV, Hs. 123, S. 278, Hausmeister in Wien an G. v. L„ 29. März 1641 (Abschrift). ,0 HALV, Hs. 269; HALW, Κ. Η 73, Akt Wolfgang Uhl, Η 74, Akte Johann Andreas Weylechner und Johann Ulrich Wolff, sowie Η 1198. - Am 17. Februar 1650 wurde in Wien in Gegenwart dreier Bediensteter des Fürsten Gundaker von Liechtenstein (des Sollizitarors Michael Haunberger, des langjährigen Marschalls Johann Cornelius] Kelterman und des Registrators Johann Kärpischekh) sowie des Kammerdieners und des Hausmeisters des Grafen von Althan die Verlassenschaft des ehemaliegen Kammerdieners des Fürsten Gundaker Philipp Nidermair inventarisiert. HALV, Hs. 275, S. 37 f., Verlassenschaftsinventar (Abschrift). " Haupt, Fürst Karl, Textbd., S. 36; Frank, Standeserhebungen, Bd. 4, S. 164. "2 HALV, Hs. 606, S. 5.
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und landsaß" des fürstlichen Hauses Liechtenstein im Herzogtum Jägerndorf, den Fürsten Gundaker darum, seinen Sohn Ernst Friedrich als Edelknaben aufzunehmen und „in gueter scharffer disciplin durch ihr fürstl. gnaden hoffofficier instruieren und dergestalt halten" zu lassen.83 Bereits wenige Wochen später erklärte Gundaker, er hätte ihn gerne, „weilen er unsere fürstl. hauses vasall ist, [...] befördern helffen wollen"; er sei ihm aber „für einen knaben" zu groß und „dem spielen also sehr ergeben, daß [er] einsmal seine überschleg, handkrausen, 2 hembder, etlich par strimpf, die sporen, das band vom huet, die handschuech, messer, schnupftiecher und sein rosarium zu verspielen sich nicht gescheichet" habe. Außerdem sei er ein Meister der Lüge, habe „unsere hoffleut despectirt und lügen gestraffet" und sich sogar „mit unsern knaben etlichmal herumbgeschlagen und mit entblößten degen bey nächtlicher zeit einem under ihnen in unserm fürstl. Schloß vorgewartet und alle uneinigkheit an unserm fürstl. hoff erweket". Beim Aufwarten erzeige er sich „gar grob, unverschampt und unadelich". Aus den genannten Gründen habe er ihn wieder abfertigen lassen. Fürst Gundaker ersuchte daraufhin seinen Bevollmächtigten in der Markgrafschaft Mähren, sich um etliche Knaben im Alter von 12 oder 13 Jahren umzuschauen, „denn solche knaben seint leichtlich abzurichten und von ihrer unart zu dem gueten zu lenken". 84 Um 1630/31 wird ein gewisser Georg Kottwitz als Stallmeister Acs Fürsten Gundaker genannt. 85 Im März 1642 wurde dem Fürsten ein junger Adeliger aus dem Reich namens von Hackh(en) als Stallmeister „oder sonst zum adelichen dienst" empfohlen. Er habe als Hauptmann bei der Artillerie gedient, wolle aber nun, nachdem er sich in Böhmen mit einer Adeligen verheiratet habe, „wegen weibs und kinds" die Kriegsdienste aufgeben und in die Dienste eines Fürsten treten. 86 Gundaker antwortete, er würde den Empfohlenen gern zu sich „herausberuffen" und, „da er uns gefellig", in Dienst nehmen - wenn er nicht verheiratet wäre; da er „mit weib und kind beladen" sei, würde es ihm, Gundaker, jedoch „gar zu ungelegen sein, neben ihme auch sein weib und kind zu unterhalten. Däfern ihme aber gefellig were, sein weib und kind selbst zu unterhalten oder sich allhie in unserer statt Liechtenstein auf ein haus niderzulassen (dessen gelegenheit nicht mangln unnd so gut und zum teil pesser als in denen königlichen steten sein), und im fall er catholisch ist, wäre uns nit zuwider, darbey auch seine person bey unserm hoff mit diensten zu accommodiern." 87 Anfang Juni 1643 wollte der Silberkämmerer des Fürsten Gundaker seinen Dienst quittieren. Gundaker trug daraufhin dem Pfleger zu Liechtenstein auf, den Dragoner Stefan Vogl zu fragen, „ob er nicht wiederumb den silbercamerlingdienst annehmen will". 88 Die Bedeutung der Livrierung der Hofstaatsangehörigen wurde weiter oben bereits kurz charakterisiert. 89 Ende August und Anfang September 1642 schrieb Fürst Gundaker seinem Vizemarschall Wisinger wegen der Beschaffung des Tuchs für neue Livreen.90 Anfang September 1654, rund vier Jahre vor seinem Tod, konstatierte der Fürst, daß „unserer leuth liverey gantz zerrissen und dahero sie nothwendig zu bekleiden sein". Er entschloß sich also, auf Martini seinen Hofstaat in eine neue Livree zu kleiden, und zwar nicht schwarz, da die Hoftrauer (am 9. Juli war Ferdinand IV. an den Pocken gestorben) ohnehin nicht lange dauern werde und er nicht „nach hoff' komme. Sicherheitshalber erkundigte sich Gundaker bei seinem Sohn Hartmann, ob er meine, daß man dies bei Hofwomöglich „übel aufifnehmen" werde. 91 Es dau83 84 85 86 87 88 89 ,0
HAJLV, Hs. 123, S. 731, Hans Geraltowsky von Geraltowitz an G. v. L„ 8. Oktober 1641 (Abschrift). Ebd., S. 755f., G. v. L. an Tarol (Taroul), 24. Oktober 1641 (Abschrift). HALW, Κ. Η 825, Fasz. HT. 11, „Informatio pro haerede [...]", 13. Dezember 1631, Punkte. HALV, Hs. 157, S. 169, Johann Vogler an G. v. L„ 3. März 1642 (Abschrift). Ebd., S. 171, G. v. L. an Johann Vogler, 12. März 1642 (Abschrift). HALV, Hs. 271, S. 247, G. v. L. an den Pfleger zu Liechtenstein, 4. Juni 1643 (Abschrift). Siehe oben S. 358. HALV, Hs. 157, S. 448a und 454, G. v. L. an Wisinger, 31. August und 3. September 1642 (Abschrif-
ten). " HALV, Hs. 603, S. 522, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 1. September 1654 (Abschrift).
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erte dann allerdings ein Jahr länger als geplant, bevor im November und Dezember 1655 der Hofstaat des Fürsten Gundaker wirklich neu livriert wurde. Das Tuch dafür wurde in Trebitsch, einem der Zentren der Tuchmacherei in Mähren, eingekauft. Die nötige Leinwand stammte aus dem Burggrafenamt der Herrschaft Wolfersdorf. Das Zubehör (Bänder, Fäden, Zwirn, Hutschnüre, Knöpfe etc.) wurde in Wien eingekauft. 16 Livreehüte überschickte auf Wunsch ihres Vaters Gundaker die Gräfin Maximiliane von T h u m . Folgende 20 Personen erhielten damals neue Livreen: zwei (Edel-)Knaben, vier Lakaien, je ein Kammerdiener, Silberkämmerer, Koch, Küchenschreiber und Kanzleischreiber sowie neun „persohnen im stall" (vermutlich mit dem Stallmeister an der Spitze).92 Dazu kamen zweifellos noch etliche nichtlivrierte Angehörige des Hofstaats, insbesondere der Vizemarschall und der Kanzleidirektor. Im Januar 1653 erklärte Fürst Gundaker seinem Sohn Hartmann, den er aufforderte, sich persönlich nach Regensburg zum Reichstag zu begeben, es sei nicht nötig, dort Tafel zu halten oder sonst standesgemäß aufzutreten. Falls das der Fall wäre, müßte sich sein Hofstaat zumindest folgendermaßen zusammensetzen: vier „von adl", sechs Pagen, acht Lakaien, vier Kutscher, sechs Gardisten („di guardia"), ein Sekretär - etc. Es genüge für den Zweck einer Reise nach Regensburg aber völlig, ein oder zwei Adelige, einen Kammerdiener, einen „balbierer", zwei Pagen („knaben"), einen Sekretär, zwei Lakaien und zwei „kleper" mitzunehmen, „dann deine liebden kommen hin zu negotiern, nicht i(hr) m(ayestät) zu bedienen und alda zu verbleiben". Immerhin erteilte Gundaker seinem Sohn den Rat, in Regensburg eine Reiselivree machen zu lassen.93
10.1.3. Der Hofstaat des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein Der Hofstaat des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein, des Sohnes und Nachfolgers des 1627 gestorbenen Fürsten Karl, umfaßte im Jahre 1655 insgesamt 108 Personen. 94 Bis Ende der siebziger Jahre erlebte der Personalstand mehr als eine Verdoppelung auf zirka 240 Personen. Die Ursachen sind zum Teil im Ausbau der Zentralverwaltung und der Leibjägerei zu suchen, vor allem aber in der Vergrößerung des Gestüts: die Zahl der Reit-, Sattel-, Gestüt- und Fohlenknechte, der Vorreiter, Kutscher und Schmiede stieg von rund 40 auf etwa 130. Die Garde (Hauptmann, Korporal und rund 25 berittene Leibgardisten), die neunköpfige Musik, die Küche, die Zahlen der Lakaien, Kammerdiener, Aufwarter, Hofhandwerker und Edelknaben sowie das „Frauenzimmer" blieben fast unverändert. 95 Die jährlichen Ausgaben für die Hofhaltung des Chefs und Regierers des Hauses Liechtenstein betrugen 1632 bis 1637 durchschnittlich 51.653 Gulden (so hoch vor allem wegen der Italienreise von Karl Eusebius in den Jahren 1635 bis 1637), gingen in den vierziger und fünfziger Jahren auf knapp 26.000 Gulden zurück, um im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts - unter dem Fürsten Johann Adam Andreas (Hans Adam) - auf 110.000, ja 143.000 Gulden hinaufzuschnellen. 1632 bis 1637 machten die Kosten der Hofhaltung rund 51 Prozent der gesamten Ausgaben des Fürsten aus, in den vierziger und fünfziger Jahren zwischen 40 und 48 Prozent. Unter Hans Adam stiegen die Hofhaltungskosten in absoluten Zahlen zwar stark an, ihr Anteil an den Gesamtausgaben sank aber - infolge der sprunghaften Erhöhung der Einkünfte auf höchstens ein Drittel. 96
92 HALV, Hs. 604, S. 4 2 5 ^ 2 7 , 436, 456, 465 f. und 504 f., G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Willersdorf, 11. November 1655, mit Einschluß; Verzeichnis des am 24. November 1655 in Trebitsch um 230 fl. 30 kr. erkauften Livreetuchs; Befehl G.s v. L. an den Pflegamtsverwalter und den Burggrafen der Herrschaft Wilfersdorf, Wilfersdorf, 4. Dezember 1655; „Liverey betr." Verzeichnis, 7. Dezember 1655; Gräfin von T h u m an G. v. L., 21. Dezember 1655 (Abschriften). 93 HALW, Κ. Η 589, Fasz. „Ostfriesland. Korrespondenz mit dem Fürsten Hartmann", eh. Randglossen G.s v. L. auf einem Brief seines Sohnes Hartmann an ihn, Wilfersdorf, 28. Januar 1653. 94 Stekl, Ein Fürst hat und bedarf viel Ausgaben, S. 85 A. 17. 95 Ebd., S. 69 f. * Ebd., S. 71 (Tab. 2).
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Hofstaat, H o f h a l t u n g u n d Zeremoniell
Der zahlenmäßige Umfang (nicht aber die Kosten) des Hofstaats des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein war vergleichbar mit dem Hofstaat eines kleinen bis mittleren souveränen Reichsftirsten.97 Der Hofstaat des absolutistisch regierenden Landgrafen Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt zum Beispiel zählte im Jahre 1709 rund 2 6 0 Personen. Während jedoch der Hofstaat des über keinen souveränen Staat verfugenden Neufursten Karl Eusebius von Liechtenstein zwischen 1655 und etwa 1680 von 108 auf cirka 240 Personen anwuchs, blieb der Umfang des Hofstaats der ständig mit hoher Verschuldung, zeitweise sogar gegen den drohenden Staatsbankrott kämpfenden hessen-darmstädtischen Landesfürsten zwischen 1630 und 1 7 1 0 so gut wie konstant. 98 Der Hofstaat eines anderen prominenten Regierers eines neufürstlichen Hauses und Altersgenossen des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein, jener des Fürsten Wenzel Eusebius von Lobkowitz ( 1 6 0 9 - 1 6 7 7 ) und seiner Gemahlin, war deutlich kleiner als der Hofstaat des Regierers des Hauses Liechtenstein. Im Jahre 1640 bestand er aus 75 und zehn Jahre später aus 89 Personen (Hofstaat des Fürsten 39, Hofstaat der Fürstin 26 und Frauenzimmer 24 Personen) 99 . Aufschlußreich könnte ein Vergleich der Höfe erbländischer Neufursten mit den Höfen schlesischer Fürsten 100 und mit den Höfen ungarischer Magnaten im 17. Jahrhundert sein, insbesondere mit den Höfen von Angehörigen der 16 „Supermagnatenfamilien" der Esterhäzy (1687 in den Reichsfiirstenstand erhoben), Batthyäny (1764 in den Reichsfiirstenstand erhoben), Forgach, Thurzo, Pälffy, Illeshazy, Karolyi, Zrinyi, Nadasdy, Erdödy, Draskovich, Csaky, Zichy, Revay, Drugeth und Frangepän. Sowohl die Türkengefahr und die Dreiteilung Ungarns als auch die Abwesenheit eines Königshofes nach 1526 sowie die im Vergleich zu den österreichischen und böhmischen Ländern größere politische Macht der ungarischen Stände und des ungarischen Adels im allgemeinen, der Magnaten im besonderen dürften zu einer manchmal umfangreicheren und differenzierteren Hofhaltung gefuhrt haben. Zu den
97 Rainer A. Müller verwendet im Hinblick auf die Größe der Fürstenhöfe den Terminus „Mittlerer Fürstenhof', der im 16. Jahrhundert etwa 1 0 0 - 1 7 0 Personen umfaßt habe, im 17. Jahrhundert 2 0 0 - 3 0 0 und im 18. Jahrhundert 3 5 0 - 5 0 0 Personen. Der „Mittlere Fürstenhof' steht in der Typologie Müllers zwischen dem „Grafenhof' (im 17. Jahrhundert aus 1 2 0 - 1 5 0 Personen bestehend) und dem „Fürsten- bzw. KurfurstenhoP, der im 17. Jahrhundert 6 0 0 - 8 0 0 Personen umfaßt habe. R. A. Müller, Fürstenhof, S. 30. Vgl. Hoferichter, Der Hofstaat Ernst Ludwigs. " SOA Litomerice, Zweigstelle Zitenice, LR, RA, Η 10, Fasz. 2, fol. 2 7 7 - 2 8 2 . 100 Eine Abschrift eines 1636 angelegten und 1646 reformierten Buches mit den Formularen der „vornembsten und notwendigsten" Instruktionen der Hof- und Wirtschaftsbeamten und -bediensteten des katholischen Reichsgrafen Georg von Oppersdorf - Pfandherr von Oberglogau, Landeshauptmann des 1634 durch den Tod Wallensteins wieder an die böhmische Krone zurückgefallenen schlesischen Erbfurstentums Glogau, kaiserlicher Rat und Kämmerer und Landvogt der Markgrafschaft Oberlausitz - befindet sich im SOA Litomerice, Zweigstelle Zitenice, LR, RA, Η 18, Fasz. 4, fol. 1 - 7 2 . Das mir nur handschriftlich vorliegende Buch wurde laut Vermerk auf dem Titelblatt „Gedruckt zu Oberglogaw in ihr gräffl. gn. hofiftruckerey durch Georgium Hancke im jähr nach Christi geburth MDCXLV1". Es enthält die Formulare der Instruktionen des Kaplans (in lateinischer Sprache) und des Regenten (in deutscher Sprache); der Hauptmänner der Herrschaften Oberglogau, Friedek und Ratibor; des Hofmeisters, des Stallmeisters, des Jägermeisters und des Roßbereiters („ist es eine person, so giebt man sie einem miteinander, seind ihrer mehr, so schreibt man einem jeglichen die seine heraus"); der Aufwarter; der Hofmeisterin; des Sekretärs „oder eines anderen canzleyverwandten"; des Kammerdieners; der Edelknaben und anderer Knaben; des Kapellmeisters und der Musikanten; des Kapellendieners (= Mesners); der Rentschreiber (zu Oberglogau, Friedek und Ratibor); der Korn- und Fischschreiber; der Forstmeister oder Waldreiter; des Küchenmeisters (inklusive „kuchelordnung zu Glogaw und wo die hoffstatt ist außer der andern herrschaft bediente, so ihr deputat haben"); der Köche; des Kellermeisters; des Tafeldeckers; der Gärtner; der Leibschützen, Haiducken und/oder Lakaien; des Bäckers; des Mälzers; der Wäscherin sowie der Torhüter. Weiters enthält das Buch eine Malz- und Bräuhausordnung; eine „Ordnung der speisen vor des ambtmans tisch, sofern er kein deputat und die taffei nit oben hat"; (Speise-)Ordnungen fur die Kutschen- und Fuhrknechte, Schaffer und Schafferin „und [die] holomken" (Schergen, von tschech. holomek) sowie fur die Wächter, die Torhüter und das Gesinde beim Schloßvorwerk.
H o f - u n d Tafelzeremoniell
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augenfälligsten Unterschieden zwischen den ungarischen Magnaten und den böhmischmährisch-schlesisch-österreichischen Aristokraten des 17. Jahrhunderts gehören die Privatarmeen (Banderien) der Magnaten, die nicht zuletzt auf Klientelbeziehungen zwischen den sehr zahlreichen kleinadeligen Servitoren (familiares) und den magnatischen Patronen basierten. Im Vergleich zu den mit Einquartierungen kaiserlicher Soldaten und mit landesfurstlichen Steuern schwer belasteten Güter- und Herrschaftskomplexen der erbländischen Aristokraten nehmen sich die Besitzungen der ungarischen Magnaten - jedenfalls bis zum Beginn der „Reconquista" Ungarns im Jahre 1683 - tatsächlich wie kleine Königreiche aus.101 Die Hofhaltung der Neufiirsten war andererseits wahrscheinlich vielfach unabhängiger vom Kaiserhof als etwa jene der in Rom residierenden Kardinäle vom päpstlichen Hof (wohl aber nicht als jene der Kardinallegaten). Fürst Karl Eusebius von Liechtenstein riet in seinem um 1680 verfaßten politischen Testament seinem Sohn und Nachfolger Johann Adam Andreas dringend davon ab, in kaiserliche Dienste zu treten. Wenn er seinen eigenen Geschäften selbst vorstehen wolle (und das sei unbedingt nötig), könne er nicht ständig bei Hof, das heißt in der kaiserlichen Residenzstadt Wien wohnen - was im übrigen auch zu teuer käme. „Damit du aber dennoch dein unterthänigste Schuldigkeit deiner höchsten obrigkeit erweysen mögest, so werdest du zweymahl im jähr seiner keyserl. mayestät aufwarten, ein monath im sommer, das andere in herbst, allezeit bey alldorten ein monath verbleiben, damit deine negotia nicht länger zu haus [d. h. auf den böhmischen, mährischen und österreichischen Herrschaften und in den schlesischen Herzogtümern Troppau und Jägerndorf] rasten. 1 0 ^ In selbiger zeit erzeugest du ihro k(aiserl.) may(estät) deine Schuldigkeit, erfrischest dich widerum ein wenig unter dem adl, nimest ihre gutte maniren widerum an, siehst was neues und die mode von kleydern, caressierest bey hof die ministros und deine gutte freund und machest dich geliebt von allen [...].·"»
Daß keineswegs alle Standesgenossen diesen Idealen folgten, sondern daß viele sich in dauernde kaiserliche Dienste begaben, zeigt neben vielen anderen das Beispiel des Fürsten Wenzel Eusebius von Lobkowitz, der seit 1650 seinen ständigen Wohnsitz in Wien hatte und (bis zu seinem Sturz im Jahre 1674) nur mehr selten auf seine Güter kam, in das 1646 erworbene schlesische Herzogtum Sagan sogar überhaupt nie mehr.104
10.2. Hof- und Tafelzeremoniell Das am Hof des Fürsten Gundaker von Liechtenstein in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts gebräuchliche Hofzeremoniell läßt sich mit Hilfe von vier Ordnungen (je zwei Hofordnungen und Kammerordnungen, von denen nur je eine mit Sicherheit von Gundaker von Liechtenstein stammt) wenigstens teilweise rekonstruieren. Es handelt sich um drei undatierte Konzepte bzw. Entwürfe105 sowie eine ausgefertigte, von Gundaker unter-
101 Vgl. ζ. B. Szakäly, T h e Early O t t o m a n Period, S. 91 f.; Peter, T h e Later O t t o m a n Period and Royal Hungary, S. 111 f.; Schimert, T h e Hungarian Nobility in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, S. 174 f. 102 Hans Adam solle seine Residenz mehrmals jährlich wechseln. Den Winter solle er in Troppau, Jägerndorf oder Lischbitz in Schlesien verbringen, Mitte Februar nach Feldsberg übersiedeln, um den 24. Juni nach Wien ziehen, Mitte Juli zurück nach Feldsberg oder nach Mährisch Aussee bzw. auf das dortige Gestüt Dobrau oder nach Schlesien oder nach Schwarzkosteletz in Böhmen. Instruktion (Politisches Testament) von Fürst Karl Eusebius, Abschrift (18. Jahrhundert), Schloß Vaduz, Bibliothek, Sign. VA 5 - 2 - 2 , S. 262 f. 103 Ebd., S. 256 f. I0< A. Wolf, Fürst Wenzel Lobkowitz, S. 38. Zu seinem Hofstaat siehe die eher dürftigen Bemerkungen ebd., S. 37f. "" HALW, Κ. Η 1, zwei undatierte Konzepte einer H o f o r d n u n g eines Fürsten von Liechtenstein (um 1630?); ebd., Κ. Η 2, „Instruction auf ihr fiirstl. gn. hoffstatt, zu dero gnädigisten correctur", undatiertes Konzept mit eigenhändigen Ergänzungen und Korrekturen G.s v. L. (um 1630/35?); ebd., zwei ebenfalls undatierte Entwürfe einer „Cammerordnung" (Instruktionen des Kammermeisters in Ichform, wahrscheinlich jenes des Fürsten Gundaker; 2. Drittel des 17. Jahrhunderts?). Diese Texte sowie die in der folgenden Anmer-
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schriebene Kammerordnung vom 31. Januar 1632 106 . In der zuletzt genannten Ordnung für das „Herz" des Hofstaats, eben die Kammer, wird unter anderem bestimmt, daß der Kammermeister die Edelknaben und die Kammerdiener zur Gottesfurcht, zum Meßbesuch, am Morgen, vor und nach dem Essen sowie vor dem Schlafengehen zum Gebet und fünfmal jährlich zur Beichte und Kommunion anhalten soll. Wenn die Knaben keinen eigenen Präzeptor haben, hat er dafür zu sorgen, daß sie sich im Schreiben, Lesen und Rechnen üben, zum Ministrantendienst „abgerichtet" werden und in der Kammer, bei Tisch - gemäß der Tischordnung - und auf der Gasse mit gebührender Reverenz „aufwarten". Auch sollen die Edelknaben dort, wo sie gerade „aufwarten", stets drei oder vier Bücher haben, „weltliche undt geistliche, die einer oder der andere, wer will, [während des Aufwartens] lesen mag", um daraus „andacht oder andere tugend, künst oder historien" zu lernen. Sie sollen bei Audienzen und wenn der Fürst ausgeht (ζ. B. in die Kirche) in der Tafelstube in einer Reihe nebeneinanderstehen und aufwarten, desgleichen, von den Knaben abgesondert, die Lakaien. Im Wochenturnus muß einer der Edelknaben stets in der Antecamera bereit sein, um Aufträge des Fürsten entgegennehmen zu können, die er dann nicht selbst ausführen, sondern einem anderen Knaben oder einem Lakaien „schaffen" soll. Vornehme Fremde soll der Kammermeister beim Fürsten ansagen, andere Audienz begehrende Personen der diensthabende Knabe. Der Kammermeister soll diejenigen, die er ansagt, bis zur Tür des Zimmers, in dem die Audienz gegeben wird, begleiten. Falls Gäste warten müssen, soll er sie „mit conversation unterhalten und nach der audientz wider weckhbeleyten, nach qualitet der perschonen". Wenn der Fürst und seine „fürstlichen khinder" von der Tafel oder sonstwo in ihr Zimmer gehen, soll der Kammermeister anschließend ebenfalls in die Kammer eintreten „unndt mit gebüerender reverentz wider weckhgehen". Der diensthabende Edelknabe muß dem Fürsten im Winter in der Früh das Wasser zum Waschen rechtzeitig bringen lassen, damit es sich etwas erwärmen kann, und allmorgendlich den Leibstuhl und das Harnglas durch den diensthabenden Lakaien hinaustragen, säubern und mit wenig Wasser wieder hineintragen lassen. Wenn der Fürst ausgeht, soll der diensthabende Knabe es dem Vizemarschall melden lassen, damit dieser dem Gesinde befehle, dem Fürsten aufzuwarten; den Schlüssel der Tür zum (Audienz-)Zimmer des Fürsten sowie vielleicht zu der dahinter liegenden Fürstenwohnung (eventuell bestehend aus Kabinett, Schlafzimmer und Garderobe) 107 soll der Knabe in Verwahrung nehmen. Bei Ausfahrten des Fürsten sollen zwei Knaben mitreiten, von denen der eine das Mantelfelleisen (also den Reisesack) mit sich führen soll, der andere die Büchsen. Bei Uberlandreisen muß der Kammermeister anfragen, wer von den „Kammerpersonen" mitgenommen wird. Er soll auch oft anwesend sein, wenn sich der Fürst an- und ausziehen läßt, und er soll dabei selbst Handtuch, Taschentuch, Hut, Mantel, Degen etc. darreichen. Die Edelknaben sollen in allem so „gehalten werden" wie die zum Hofstaat gehörenden Adeligen; sie sollen daher „kheine schlechte servitia thun, sondern der camerdiener; dahero sollen sie auch bei der taffell die täller von den[en] von adl nit, sondern die camerdiener unndt laggeyen nemen «. infi Die undatierte Hofstaatsordnung (um 1630/35?) enthält unter anderem eine „Aufwartungsordnung auf der gassen und auch im veld", derzufolge an Sonn- und Feiertagen, wenn der Fürst und/oder seine Kinder in die Kirche fahren, das gesamte Gesinde aufwarten und sie kung genannte Ordnung sind Teil eines Quellencorpus, das ich zur Edition in den FRA, 3. Abt. (Fontes iuris), vorbereite. 106 HALW, Κ. Η 2, „Cammerordnung", W i e r s d o r f , 31. Januar 1632. 107 Vgl. Fidler, Architektur des Seicento, S. 306. Vielleicht war das an anderer Stelle „retirata-zimmer" (siehe S. 377) genannte Zimmer des Fürsten Gundaker in Schloß Wilfersdorf aber auch ein „Allzweckzimmer", das sowohl als Empfangs- als auch als Arbeits- und Schlafzimmer diente. Die wachsende Zahl der Gemächer und die Spezialisierung ihrer Funktionen sind Erscheinungen, die in den Schlössern deutscher Fürsten erst im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts zum Durchbruch kamen. "" Kammerordnung vom 31. Januar 1632 (wie Anm. 106).
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in hierarchischer Ordnung in die und aus der Kirche begleiten muß. Wenn der Fürst ausreitet oder ausfährt, sollen immer zwei Lakaien mitgehen, um das Pferd des Fürsten und des Stallmeisters (oder dessen, der seinen Dienst versieht) während des Auf- und Absitzens zu halten. Wenn der Fürst in der Stadt reitet sowie wenn er auf Reisen durch einen Ort kommt, sollen die Lakaien in seiner unmittelbaren Nähe gehen. Wenn er in der Stadt fährt, sollen sie zu beiden Seiten der Kutschpferde und die Edelknaben und die anderen Diener neben dem Wagen in nächster Nähe des Fürsten gehen, damit er ihnen jederzeit etwas befehlen kann. Wenn man an den Werktagen zur Messe läutet, sollen der Marschall, der Kammer-, der Stallund der Küchenmeister (oder diejenigen, die ihren Dienst versehen), „darob sein, daß diejenigen, so jedem ubergeben sein und nicht in ihrem dienst damals nötig zu thuen haben, der heyl. meß beywohnen, und da es nicht beschicht, inen damals ihre ordinari per ein malzeit abziehen". Das heißt: wer nicht an der täglichen Frühmesse teilnimmt, bekommt bei der nächsten Mahlzeit nichts zu essen. Das Kernstück der Hofstaatsordnung bildet die Tafelordnung. In dem bei Tische einzuhaltenden Zeremoniell manifestiert sich der Ranganspruch des Fürsten Gundaker besonders deutlich. Ausgehend von dem Grundsatz, „daß Essen ein Statusvorgang ersten Ranges ist, der auch im Alltag nach Ritualen verlangt" 109 , diente Essen bei Hofe nicht nur der Nahrungsaufnahme, sondern in hohem Maße der Demonstration der gesellschaftlichen Position des der Tafel Vorsitzenden „Hausvaters", der im vorliegenden Fall das spanisch-burgundische Hofzeremoniell seinen relativ bescheidenen Möglichkeiten angepaßt hatte. 110 Die Speisung des Hofstaats erfolgte an allen Höfen gemäß der hierarchischen Gliederung und Rangordnung der gespeisten Personen. „Von der Fürsten- und Herrentafel bis zum Gesindetisch saß man nach Rang und Stand und - soweit es das Frauenzimmer betraf - auch nach Geschlecht geschieden." 111 In unserem Zusammenhang interessiert in erster Linie die „fürstliche" bzw. „adelige Tafel", d. h. jene Tafel, an der die am Hof des Fürsten Gundaker anwesenden und zur Tafel geladenen Adeligen Platz nahmen. Niemand durfte ohne Bewilligung des Marschalls oder dessen, der seinen Dienst versah, zur adeligen Tafel geladen werden oder sich dazusetzen. Der Vorschneiderdienst wechselte wöchentlich. Wer an der Reihe war vorzuschneiden, mußte sich vor der Mahlzeit, sobald durch Trommeln oder Läuten das Zeichen zum Anrichten gegeben wurde, zur Küche verfügen und, wenn man die Speisen auftrug, vor diesen hergehen. Die Edelknaben, der (diensthabende) Kammerdiener, der Leibschneider und das Kanzleipersonal sollten sich, wenn es ihr Dienst zuließ, zum Speisentragen einfinden. Nur notfalls sollten auch die - sozial niedriger stehenden - Lakaien Speisen auftragen. Die Aufträger mußten vor der fürstlichen Tafel dem Vorschneider die Speisen der Reihe nach „mit reverenz" (also mit einer Verbeugung) darreichen, dieser übernahm sie und stellte sie auf die fürstliche Tafel. Sobald die Speisen aufgetragen waren, hatte er es - mit gehöriger Verbeugung („buk") 112 - dem Fürsten zu melden. Sobald sich dieser an den Tisch gesetzt hatte, mußte der Vorschneider „mit diefer reverenz" an den Tisch treten, die Serviette mit Handkuß vom Tisch nehmen und über die Schulter oder auf „die wehr" (Degen oder Dolch?) legen. Im Verlauf der eigentlichen Mahlzeit führten Vorschneider, Edelknaben, Kammerdiener und Lakaien einen regelrechten Tanz mit zahlreichen Verbeugungen zwischen der Küche, der Kredenz und der fürstlichen Tafel auf. 113 Am zeremoniellen Auf- und 109 Völkel, Kardinalshaushalte, S. 342. Vgl. Haslinger, Küche und Tafelkultur, bes. S. 8 - 1 8 , vor allem aber Bastl/Heiss, Tafeln bei Hof (eine ausgezeichnete Analyse der Hochzeitsbankette Kaiser Leopolds I. in den Jahren 1666, 1673 und 1677). Vgl. u. a. Kern (Hg.), Hofordnungen; Hofmann, Das Spanische Hofzeremoniell (zum Tafelzeremoniell S. 67-71, 157 und 168-173); Paravicini, The Court of the Dukes of Burgundy. '" Löwenstein, Voraussetzungen, S. 267. 112 In der Quelle wird zwischen „buk" und „reverenz" differenziert. Mir ist allerdings nicht klar, worin der Unterschied bestand. " 3 Vgl. dazu die treffende Definition von Jörg Jochen Berns: „Das höfische Zeremoniell ist die Choreographie der höfischen Gesellschaft." Berns, Festkultur, S. 300.
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Abtragen der Speisen bis zu Obst und Konfekt waren alle Hofadeligen, Aufwarter, Edelknaben, Kammerdiener, Lakaien, der Sekretär, der Leibschneider und das Kanzleipersonal beteiligt. Die Stühle sollten möglichst nicht von Lakaien, sondern von Edelknaben und anderen Aufwartern beim Niedersetzen gehalten und beim Aufstehen weggenommen werden. Der Hofkaplan mußte beim Benedicite und beim Deo gratias anwesend sein (offenbar um vorzubeten). Das Gießbecken zum Händewaschen mußte der Silberkämmerer dem Vorschneider und demjenigen, der das Handwasser zu geben hatte, darreichen. Wenn viele fremde und vornehme Herren oder gar Fürsten am Mahl teilnahmen, sollte man vor und nach dem Essen zwei Gießbecken reichen. Die adeligen Hofstaatsangehörigen („die von adl"), die Aufwarter, Edelknaben, Kammerdiener, Lakaien, besonders an Sonn- und Feiertagen sowie wenn sie keine Arbeit zu verrichten hatten und wenn Fremde bei der fürstlichen Tafel waren auch der Sekretär, der Leibschneider und die „canzleipersonen", mußten sich vor der Mahlzeit in der Tafelstube einfinden und mindestens eine Viertelstunde lang aufwarten. Anschließend sollten die letzteren („nach gebierenter reverenz") an ihre jeweiligen Arbeiten gehen und für den Fall, daß „vornehme frembde" anwesend waren, sobald man Obst und Konfekt abservierte wieder in der Tafelstube zum Dienst antreten und „solang, bis man nach der malzeit das handwasser und handtücher aufgehoben hat, bei der tafl aufwarten". 114 Der Sinn dieses Zeremoniells wird in der undatierten Kammerordnung, die wahrscheinlich fur den Kammermeister Gundakers von Liechtenstein bestimmt war, in aller Deutlichkeit ausgesprochen. Die Edelknaben, heißt es dort, sollen bei der fürstlichen Tafel nicht herumgaffen, sondern stets Obacht haben, ob eine der an der Tafel sitzenden Personen etwas nötig hat, um sie augenblicklich nach Gebühr bedienen zu können - „damit man mit ehrn und ruehm bestehe". Es soll auch immer ein Knabe bei der Kammertür sitzen, um sie aufzumachen, sobald jemand hinein- oder herausgeht, ,der Reputation (d. h. dem guten Ruf) zuliebe' {„per amor [del]l[a] reputatione").115 Ehre und Ruhm des Hauses Liechtenstein und seiner Angehörigen: ihre Beförderung war der Zweck des gesamten Repräsentationsstrebens und Hofzeremoniells der Fürsten von Liechtenstein in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und darüber hinaus. Aus Mangel an Geld und an geeigneten Köchen riet Fürst Hartmann daher seinem Vater Gundaker im Oktober 1656 - immerhin nicht einmal ein Jahr nach der Anschaffung neuer Livreen fur dessen Hofstaat - davon ab, bei seinem Wienaufenthalt Tafel zu halten, „[...] dann, da man taffei haltet, mueß man stattlich tractiren, sonst lachet man einen aus und dreibet das gespött daraus". 116 Die im vorigen Absatz zitierte Kammerordnung oder Instruktion des Kammermeisters dürfte eine Weiterentwicklung der Kammerordnung des Jahres 1632 sein. Neu oder leicht modifiziert sind insbesondere die folgenden Punkte: Wenn der Fürst in der Nähe „ausraist", sei es auf die Jagd oder sonst wohin, sollen zwei Edelknaben mit ihm reiten. Wenn er eine weite Reise unternimmt, soll man ihn rechtzeitig fragen, wieviele Knaben und Kammerdiener mitkommen sollen. Der Kammermeister muß die Ordnung in der Kammer vom Aufstehen und Waschen der Knaben, Kammerdiener und Lakaien (die Knaben und Kammerdiener und der diensthabende Lakai sollen mindestens eine Stunde vor dem Fürsten aufstehen) über das Wecken und Ankleiden des Fürsten bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Fürst schlafen geht, überwachen. „Wann ir fiirstl. gnaden zum schlaffen zu gehn rueffen, gebuert mir [d. h. dem Kammermeister] doch, da ich beihendig, vohran mit hinein zue gehen und auflzu]warthen, daß die knaben und cammerdiener den fürsten fleißig abziehen unnd thails Sachen von klaidem nit auf die erde, wie maniche im geprauch haben, legen oder
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schrift).
„Instruction auf ihr fiirstl. gn. hoffstatt [...]" etc. (wie Anm. 105). Entwurf oder Konzept einer Kammerordnung, s. d. (wie Anm. 105; Hervorhebungen Th. W.). HALV, Hs. 605, S. 344, H. v. L. an seinen Vater Gundaker, 19. Oktober 1656, Postskriptum (Ab-
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werffen. Nacher, wan der fiirst in die Cammer geht und sich niderlegt, gebuert mir zu fragen, welche stundt ir fiirstl. gnaden bevelhen dieselben aufzuweichen, nacher ob ir fürstl. gnaden waitters nichts bevelhen wollen, letzlichen mit gebüerlicher reverentz hinauszugehen; unndt wan der fürst nun schlaffen ist, uberall besehen, wo was vonnötten aufzuräumen sei undt zue seubem, den staub, spinnen abputzen von tische, sessln, bildern und alles in die Ordnung in der stille beraiten, damit nichts unordentliches befunden würde. Soliches khan auch verrichtet werden durch ein knaben, wan der fürst in der kirchen oder sonsten etwo aus ist, auch also mit aufpethn und oft uberziehen waiß. [...] In die camer khan ich gehn, wann ich will, mich sehen zu lassen, ob nit der fiirst was bevelhen wurde, außer ir fiirstl. gnaden haben was wichtiges zu negotirn, solches eingehen von mir einzustellen zur selben zeit; item wan der fiirst allein oder mit dero gefiirsten freullein 1 von der tafl hinein in die camer gehen, dieselben zue belaitten za nimi 11 ® und ein weil darinnen stehen, ob nit etwo ir fiirstl. gnaden was bevelhen werden, wo nit, mit gebürlicher reverentz fora a n d e r " werden ir fiirstl. gnaden bederffen, werden sie mich schon nacher rueffen lassen."
Die Edelknaben soll der Kammermeister fleißig zum Gebet „und zu hörung der heilligen meß" anhalten und nötigenfalls dafür sorgen, daß stets zwei von ihnen mit Windlichtern ministrieren, an Hochfesten vier. Sie sollen auch zum Lesen, Schreiben und Rechnen sowie „zu allerlei sprachen" angehalten werden, insbesondere wenn sie einen Präzeptor haben, „gebürliche reverentz mit kissung der händen sollen sie lehrnen und desselbe nit fuchtlet 120 ". „Nit fuchtlet", das heißt wohl: ohne Affektiertheit, mit einer gewissen Lässigkeit und scheinbaren Spontaneität, für die Castiglione in seinem berühmten Dialog die vielzitierten Worte „sprezzatura" und „disinvoltura" verwendet hat. 121 Der Kammermeister soll auch auf alles bei der Tafel „und wo vonnötten" gut achtgeben, die Knaben zum Gehorsam anhalten und ihnen nicht erlauben zu trinken, zu spielen, zu lügen und allerlei Streiche zu treiben. Die Knaben sollen sich sauber halten „mit anlegen, waschen, kämpin, negl abschnaiden, klaider, schuech, stifl geputzter zu haltten, das haar aufraiben, sauber eingenestlter, strimpf aufgepuntner halten, unnd also forthan, was jungen leutten vonnötten und wol ansteht, demselben nachzustreben". In ihrem Zimmer sollen sie immer sauber aufbetten und auskehren, „nit wie im saustall". In der fürstlichen Tafelstube und allenthalben sollen sie sich „zichtig ohne einiges unnottwendiges geschrai und bieberaitraibung [...] accomodirn, die mäntl, hüette oder anders nit auf die fiirstl. tafl, wo die spaisen pflegen zue sein, zu legen, sondern dieselben an andere stellen zue thun". Die Audienzen regelt die Kammerordnung folgendermaßen: Wenn fürstliche Personen, Grafen, Herren, kaiserliche Räte, Hof- oder Kammerräte zur Audienz kommen, soll sie der Kammermeister „alsbalden" beim Fürsten anmelden, selbst wenn der Fürst gerade etwas zu „negotirn" hat, sie auf Befehl des Fürsten „hineinfuhren" und anschließend hinausgehen. Wenn jemand von den Genannten über Nacht bleibt, soll er sie gemeinsam mit anderen „officirn" des Fürsten in ihr Zimmer geleiten. Wenn es aber nur eine „adeliche persohn" ist und der Fürst zu „negotirn" hat, soll man mit dem Ansagen zuwarten „bis nach verrichter fürstlichen negotien und interim etwas mit demselben discurirn". Wenn der Fürst in der Kammer alleine ißt, während man draußen noch nicht bei der Tafel sitzt, soll der Kammermeister hineingehen und dem Fürsten das Handtuch und das Wasser reichen; wenn man aber draußen bereits „zur tafl" sitzt, können es der Kammerdiener und die Knaben verrichten, ebenso auf Reisen und an anderen Orten. Wenn sich der Fürst das Haupt waschen läßt, muß der Kammermeister darauf achten, daß die Lauge oder das Wasser " ' In Frage kommen vor allem folgende Töchter des Fürsten Gundaker von Liechtenstein: Maximiliane (geb. 1608, seit 1642 vermählt mit Matthias Graf Thurn-Valsassina), Anna (1615-1654, unverheiratet) und Maria Anna (geb. 1621, seit 1652 vermählt mit Heinrich Wilhelm Graf Schlick), aber auch Töchter seines Sohnes Hartmann und seines Neffen Karl Eusebius (vgl. G. Wilhelm, Stammtafel, Tafel 3 und 4). "* hinter ihnen, nach ihnen (tschechisch) " ' hinausgehen (italienisch) 120 fuchtelnd 121 Vgl. etwa Burke, Die Geschicke des Hofmaniu S. 43f., 8 4 - 8 7 , 9 1 , 9 5 , 110f., 128ff., 147ff., 158 und 177 f.
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Hofstaat, H o f h a l t u n g u n d Zeremoniell
und die sonstigen dazu nötigen Dinge sauber sind und daß auch die Hände derer, die dem Fürsten das Haupt waschen, ebenfalls „sauber gewaschen" sind. In einer weiteren undatierten Hofordnung eines Fürsten von Liechtenstein, möglicherweise des Fürsten Gundaker, aus etwa derselben Zeit wird der Dienst der Edelknaben, abgesehen vom Dienst an der Tafel, folgendermaßen geregelt: Sie sollen sich alle noch bevor der Fürst aufsteht vor seinem Zimmer einfinden und dort - ebenso wie die Kammerdiener und die Lakaien - den ganzen Tag „aufwarten", es sei denn, daß sie auf Befehl des Fürsten „occupiert weren, zu fechten, tanzen oder andere Übungen, die sie zu lernen von mir anbevohlen wurden. D a das geschieht, werden ihnen gewisse stunden darzu genent werden. Wenn die [Übungen] vorüber, sollen sie alsbald sich wider vor meinem zimmer befinden. Aus dem haus soll durchaus keiner ohne erlaubnus des stalmeisters, es sei aus was uhrsach es wolle, gehen; da einer aber dawider thete, soll er von demselben mit der ruten gestrafft werden." Es ist zwar von eine Garde die Rede, was eher gegen Gundaker und für seinen Neffen Karl Eusebius als Autor der Hofordnung sprechen würde, es geht aber auch daraus hervor, daß die „guardi" erst aufgestellt werden sollte: „Wenn dieselbe gar beieinander und gekleit sein wirdt, alsden wirdt ihres diensts halben Ordnung geben werden." Welche Bedeutung man der Sitzordnung bei der Tafel zumaß, wurde bereits an anderer Stelle erwähnt. 1 2 2 Von besonderer Wichtigkeit war die Sitzordnung natürlich dann, wenn Gäste geladen waren. Fürst Zdenko Adalbert Popel von Lobkowitz, der Oberstkanzler des Königreichs Böhmen, berichtete in den 1620er Jahren seiner Frau Polyxena häufig aus Wien über Mittag- und Abendessen in seinem oder einem anderen Haus. Er ging dabei nie auf die Inhalte der Gespräche oder auf die Speisen ein, sondern immer nur darauf, wie man um die Tafel gessessen war. Den Ehrenplatz am Haupt der Tafel nahm für gewöhnlich der Gastgeber ein, der bedeutendste Gast saß zu seiner Rechten (manchmal auch zu seiner Linken), und dann folgten der Reihe nach die anderen geladenen Adeligen nach der Stellung und Autorität, deren sie sich am H o f und unter den Hofleuten erfreuten. 1 2 3 Der Platz an der Tafel (am Kopfende oder wie weit davon entfernt, an der rechten oder linken Seite, neben wem, mit dem Rücken zur Wand oder zum Eingang usw.) und andere Zeichen, durch die der Rang der betroffenen Personen ausgedrückt wurde (Höhe, Bespannung und Art der Sitzgelegenheiten, H ö h e der Lehnen etc.) wurden außerordentlich ernst genommen. 1 2 4 Der Hofstaat des Fürsten Gundaker von Liechtenstein war höchstwahrscheinlich auch auf seinem Höhepunkt um 1640 deutlich kleiner als etwa der des Fürsten Wenzel Eusebius von Lobkowitz. Dieser speiste damals an neun Tafeln (die fürstliche Tafel nicht mitgerechnet) 75 Personen. An der fürstlichen Tafel speisten nur der Fürst und die Fürstin. An der ersten Tafel saßen der Hofmeister, der Hausmeister, der Stallmeister, der Aufwarter, ein Herr Kraus (vielleicht der 1638 genannte Vizestallmeister Jeremias Kleophas Kraus von Krausenfels 1 2 5 ), der Sekretär und ein Leutnant namens Niedermeyer (vielleicht der Kommandant der Garde). Die zweite Tafel war die Frauenzimmertafel (zwölf Personen), die dritte die Edelknabentafel (zwei Edelknaben des Fürsten und drei der Fürstin, drei Kammerdiener und zwei Feldtrompeter), die vierte jene der Lakaien (fünf Personen). Die fünfte Tafel befand sich in der Küche; an ihr wurden drei Köche, der HofHeischhacker und der Hofbäcker gespeist. An der sechsten Tafel saßen („in des wirths Stuben") sieben Personen, darunter „der Gi(r)zitschko" (wohl von tschechisch „Jificek", also „Jörgl" - wahrscheinlich derselbe, der in einer Hofstaatsliste aus dem Jahre 1645 als „silberjung" charakterisiert wird 1 2 6 ), ein Tafeldecker, der Wirt und die Wirtin sowie ein Kanzlist. Die siebente Tafel war die größte; an ihr
122 123 ,2< 125 126
Vgl. S. 3 0 3 f. und 3 0 8 - 3 1 2 . Lutter, Politicky a spolecensky Vgl. insbesondere Bastl/Heiss, Freundlicher Hinweis von Dr. Freundlicher Hinweis von Dr.
zivot, S. 113 f. und 121. Tafeln bei Hof, v. a. S. 1 9 6 - 2 0 2 . Eduard Mikusek. Eduard Mikusek.
H o f - und Tafelzeremoniell
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nahmen die 15 Angehörigen der Stallpartei Platz (die beiden Leibkutscher des Fürsten und der Fürstin, deren Vorreiter, je drei weitere Kutscher und Vorreiter sowie fünf Edelknechte). An der achten Tafel saßen je zwei Küchenjungen und Küchenweiber und je ein Torwärter und Einheizer, an der neunten Tafel schließlich die fünf Knechte der Oberbeamten. 127 Fürst Karl von Liechtenstein hatte - vermutlich um 1615 - an sieben Tafeln 94 Personen gespeist. An „derer von adell taffei" saßen 20 Personen, an der „cammerdiener taffei" acht Personen, an der „officir tafifel" 20 Personen, an der „edelknaben taffei" zehn Personen und an der „trabantten taffel", der „stalparttey taffei" und der „kutscher undt heyducken taffei" je zwölf Personen. 128
127 SOA Litomerice, Zweigstelle Zitenice, LR, RA, Η 10, Fasz. 2, fol. 60-65, „Verzeichnuß des gesindts, so sich [...] bey ihr fiirstl. gnaden zu Lobcowitz hoffscatt befinden thuet undt wie eine jede tafel gespeiset wirt, aufgesezt den 1. Dec. 1640". I2! Undatierte „Speiseordnung" aus der Zeit des Fürsten Karl von Liechtenstein im HALW, Κ. Η 2; zitiert nach Haupt, Fürst Karl, Textbd., S. 99 A. 5.
11. R e s i d e n z e n Die Residenzschlösser und Residenzstädte Gundakers von Liechtenstein 11.1. Zur Terminologie Reichsrechtlich konnte sich spätestens seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die „Residenz" eines („alten" oder „neuen") Reichsfürsten nur auf einem reichsunmittelbaren Territorium befinden, in dem der betreffende Fürst die Landeshoheit selbst ausübte. 1 „Schlechte Fürsten", die der Landeshoheit eines anderen Fürsten unterworfen waren, konnten seit der Durchsetzung der Souveränitätsidee im 17. Jahrhundert streng genommen keine Residenz besitzen2, jedenfalls nur in einem reichsunmittelbaren Territorium. Diese Rechtsauffassung setzten die Kaiser gegenüber den erbländischen Fürsten aber erst seit etwa 1700 durch, etwa gleichzeitig mit dem Verbot der Verwendung des Plurals („Wir", „Uns" etc.) und des Prädikats „Von Gottes Gnaden" 3 . In „Die Durchläuchtige Welt" (Hamburg 1699) wird vermerkt, Nikolsburg sei zwar die tatsächliche Residenz der Fürsten von Dietrichstein, nominell hingegen Tarasp.4 Am 15. Juli 1720 und neuerlich am 8. Februar 1726 untersagte Kaiser Karl VI. in Reskripten an die Böhmische Statthaiterei dem Regierer des Hauses Lobkowitz, Philipp Fürst von Lobkowitz, „sein Schloß zu Raudnitz eine Residenz zu nennen". 5 Im 17. Jahrhundert war man mit dem Begriff noch großzügiger, im 18. Jahrhundert wurde er weitgehend restriktiv gehandhabt und im 19. Jahrhundert, nach der Auflösung des Reiches, der Säkularisierung der geistlichen und Mediatisierung vieler weltlicher Fürstentümer, war jeder Sitz einer standesherrlichen Familie eine Residenz („im Sinne eines Hauptwohnsitzes"). 6
' Vgl. bes. Eiermann, Requisita Dignitatis, S. 18-26; außerdem Patze/Paravicini, Zusammenfassung, und Neitmann, Was ist eine Residenz (S. 43, einen Satz Peter Moraws über die Landesherrschaft im späten Mittelalter variierend: „Nach alldem läßt sich Residenz kaum definieren, eigentlich nur beschreiben"), sowie Moraw, Was war eine Residenz. - Es ist mir allerdings nicht gelungen, in einer der gängigen barocken Sammlungen der Reichsabschiede und der kaiserlichen Wahlkapitulationen eine reichsrechtliche Definition des Begriffs „Residenz" zu finden. 2 Vgl. Dreitzel, Monarchiebegriffe, Bd. 1, S. 195-197. 3 Vgl. Kapitel 7.2. 4 Eiermann, Requisita Dignitatis, S. 19 A. 64. Zu Tarasp siehe oben S. 320, Anm. 181. 5 [Weingarten (Hg.)], Continuatio Codicis Ferdinandeo-Leopoldino-Josephino-Carolini, Bd. 3: 1728-1731, S. 116-123, hier 119. ' Eiermann, Requisita Dignitatis, S. 21 f. Friedrich Karl von Moser definierte „Residenz" im Jahre 1755 folgendermaßen: „Die Residenz ist die ordentliche, beständige Wohnung des Regenten an dem Ort, wo der eigentliche Sitz des Hofs und der Collegien ist. Hier ist der Regent eigentlich zu Haus [...]." Ε C. v. Moser, Hof-Recht, Bd. 2, S. 252. In Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexikon wird „Residenz" 1742 definiert als „diejenige Stadt, in welcher ein Potentat, oder Fürst sein Hoflager hält, daselbst auch die obern Collegia, als Regierung, Hofgericht, Cammer und andere, so die gemeinen Angelegenheiten des Landes zu besorgen haben, verbleiben". Zedier, Universal-Lexikon, Bd. 31, Sp. 717.
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Demgegenüber definiere ich „Residenz" hier pragmatisch als längerfristigen Aufenthaltsort eines Hochadeligen (bekanntlich waren auch Könige und Kaiser Adelige) mit gemischten Funktionen wie Repräsentation, Zeremoniell, Administration, Jurisdiktion, Rekreation (Jagd, Feste, Tanz, Theater etc.), Produktion und Lagerhaltung. 7 Im Unterschied zum Stadtpalais in der Kaiserresidenz (Wien bzw. Prag) und in den Landeshauptstädten Wien, Prag, Brünn, Linz etc. handelte es sich bei einer adeligen Residenz um einen ganzen Komplex von Gebäuden innerhalb oder in unmittelbarer Nachbarschaft einer Kleinstadt, über die der adelige Herr die Stadtherrschaft ausübte, in der er, seine Vorfahren oder Vorgänger ein Kloster gegründet hatten, über deren Pfarre er für gewöhnlich das Patronat innehatte und in deren Pfarr- oder Klosterkirche sich eventuell die Grablege seiner Familie befand. 8 Neben dem Schloß, den Schloßstallungen und dem Schloßgarten (eventuell mit Lusthaus, Grotte, Brunnen, Teich etc.) sowie manchmal einem Tiergarten, einem Ballhaus und einer Reitschule gehörten dazu häufig eine Mühle, ein Meierhof, eine Brauerei, ein Weinkeller, eine oder mehrere Scheunen und ein Getreidekasten. Im Schloß selbst oder in weiteren Nebengebäuden befanden sich nicht nur die Wohn-, Repräsentations- und Empfangsräume des Schloßherrn (gegebenenfalls auch seiner Gemahlin und seiner Söhne und Töchter), sondern auch Räume für die Unterbringung des „Hofstaats", der Kanzlei, der Buchhalterei und des Archivs, fiir den Pfleger und die anderen Herrschaftsbeamten, für Jäger, Heger, Gärtner und Gesinde sowie für die Schloßbäckerei. 9 Mit den Worten von Zdenek Hojda: „Hier konzentrierte sich die Verwaltung der Herrschaft als eines bis zu einem gewissen Grad autonomen Staates im Staate, und das Niveau des Landsitzes war so zugleich ein symbolischer Ausdruck dieser Souveränität." 10 Die Residenz, insbesondere das Residenzschloß, seine künstlerische Ausgestaltung und sein Inventar waren Elemente jenes Zeichensystems, das den Rang des Herrn und Besitzers in der höfischen und adeligen Gesellschaft zum Ausdruck brachte. 11 Daneben diente die Residenz natürlich auch rein „praktischen" Zwecken, die aber mit der Repräsentationsfunktion in Zusammenhang standen: Aus den Erträgen der herrschaftlichen Wirtschaftsbetriebe und den Leistungen der Untertanen wurde der repräsentative Aufwand finanziert, und die Ausübung obrigkeitlicher Funktionen (ζ. B. Rechtsprechung, Erlassung von Policey-, Wirtschafts- und Kirchenordnungen fur den Bereich der Herrschaft) war untrennbarer Bestandteil des adeligen Selbstverständnisses. Friedrich Polleroß hat darauf hingewiesen, daß der „Mikrokosmos eines barocken Herrschaftssitzes" nicht nur Schloß und Park umfaßte, sondern auch darin befindliche Gartenpavillons, Eremitagen oder Gartentheater. „Nicht zuletzt sind aber auch alle Arten von Wirtschaftsgebäuden zu nennen wie Marställe und Getreidespeicher sowie vor allem die Meierhöfe, die selbst auf den meisten barocken Ansichten als dazugehörig ausgewiesen werden. Darüberhinaus sind aber sowohl zur Zeit der Reformation als auch der Gegenreformation die den Herrschaftssitzen zugeordneten Pfarrkirchen und Familienmausoleen zu beachten [...].
Vgl. zuletzt Buzek/Sak/Vorel, Adelige Höfe und Residenzen. Prolegomena zu einer Typologie des Adelsschlosses in Mitteleuropa im 17. Jahrhundert und zu seiner räumlichen Struktur bietet Fidler, Architektur des Seicento, S. 3 0 9 - 3 4 1 . ' Die Beamten und Hofleute und die kleinadelige Klientel der Herren von Rosenberg in der zweiten Hälfte des 16. und im frühen 17. Jahrhundert, die zum Teil „unter dem Schloß" von Krumau wohnten, bildeten eine Gruppe, deren Vielfalt, Prestige, professionelles und kulturelles Niveau von keinem „Magnatenhof' der österreichischen und böhmischen Länder im 16. und 17. Jahrhundert auch nur annähernd erreicht wurden - mit der kurzfristigen Ausnahme des Hofstaats und der Klientel Albrechts von Wallenstein. Vgl. Büzek, Die Quellen finanzieller Einnahmen; ders., Mezi dvorem, rezidencnim mestem a rytirskou tvrzi; ders., Klientela Pernstejnu a Rozmberku; ders., Regionale Ämter. " Hojda, Rezidence ceske slechty, S. 163. 11 „Das Schloß war nicht nur ein Herrschersitz oder ein Verwaltungszentrum des Dominiums. Es war auch der Ausdruck des Machtanspruches und dessen bauliche Repräsentation." Fidler, Architektur des Seicento, S. 313 f. Vgl. auch oben Kapitel 7. 7
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Im Zuge der Gegenreformation konnte das Herrschaftsgebiet darüberhinaus mit den Lieblingsheiligen des Herrschaftsinhabers sozusagen ,markiert' werden." 12 Zdenek Hojda hat zurecht die Notwendigkeit betont, die Bautätigkeit eines böhmischen (oder österreichischen) Adeligen der Barockzeit als funktionale Einheit zu behandeln und alle in seinem Besitz befindlichen Schlösser, Stadtpaläste und Wirtschaftsgebäude als strukturierten Komplex aufzufassen. Im Stadtpalast konzentrierte sich, insbesondere seit der Mitte des 17. Jahrhunderts und in erster Linie bei Hofadeligen (also solchen, die ein Hof- oder Staatsamt innehatten), meist das Theater- und Musikleben, hier befanden sich die Bibliotheken, die Kunst- und Gemäldesammlungen. Die Residenzen auf den Dominien konnten gegliedert sein in Haupt- und Nebenresidenzen, Sitze von Haupt- und Nebenlinien der Familie, erstund nachgeborenen Söhnen. Daneben gab es verschiedene Lust- und Jagdschlösser sowie vor allem der Wirtschaftsverwaltung dienende kleinere Schlösser und Bauten. „Natürlich waren diese Bauten auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene nicht selten ein Ausdruck erfüllter und unerfüllter Prätensionen, auf der Ebene des täglichen Lebens waren sie aber vor allem ein Ausdruck praktischer Notwendigkeiten. Die barocke Adelsresidenz, die ihre militärischen Funktionen bereits fast gänzlich verloren hatte, erfüllte die neuen Ansprüche an einen bequemeren Wohnstil." 13 Als „Residenzstadt" bezeichne ich in der Folge, unter Übernahme einer Definition von Petr Vorel, eine Stadt, die von einem bedeutenden Hochadelsgeschlecht bzw. Hochadeligen („Magnaten"), dem in den böhmischen und österreichischen Ländern mehrere große Herrschaften gehörten, als Hauptsitz gewählt wurde. 14 „Die Obrigkeit hatte hier außerordentlich großes Interesse am Aussehen der Stadt und zögerte nicht, in den Ausbau zu investieren oder ihn direkt zu leiten. [...] In der Stadt [bzw. im dortigen Schloß] war nicht nur die Verwaltung der die Stadt umgebenden Herrschaft untergebracht, sondern wir finden dort häufig auch die übergeordnete Verwaltung sämtlicher Familiengüter (Regentschaft). Damit hing der relativ umfangreiche Beamtenapparat zusammen, der mit dem Leben der Stadt recht eng verbunden «IS
war. ° Der Stadtherr zeigte besonderes Interesse an der Entwicklung der Handwerke und des Handels in seinen Residenzstädten. Eine weitere von Vorel angeführte Eigenschaft der Residenzstädte, nämlich ihre Funktion als Zentren des regionalen politischen Lebens (im Rahmen der vom Adel dominierten Ständegemeinde und der Kreise und Kreistage)16, trat allerdings nach 1620 kaum mehr in Erscheinung. 17 Hingegen spielten die konfessionelle und kulturelle Orientierung des Herrn und die Vermittlung neuer kultureller, religiöser und künstlerischer Anregungen für das Aussehen und den Charakter der Residenzstädte auch nach 1620 eine große Rolle, allerdings nicht mehr unter den dominierenden Vorzeichen eines evangelischen Bekenntnisses und der Renaissance sondern unter jenen der Gegenrefor12
Polleroß, Adelige Repräsentation, S. 52. Vgl. bes. Berger, Quellenmaterial. " Hojda, Rezidence, S. 164. Jaroslav Pänek hat zuletzt betont, daß es sich bei den hierarchisch und funktional gegliederten ländlichen und städtischen Residenzen einiger der bedeudendsten Adelshäuser der böhmischen (und österreichischen) Länder um 1600 (Rosenberg, Pemstein, [Popel von] Lobkowitz, Zerotin, Liechtenstein) um ein „komplexes aristokratisches Residenznetz" handelte, um ein „ausgedehntes und Fest zusammengefügtes Residenzsystem". Pänek, Der Adel in den Böhmischen Ländern 1550-1650, S. 274—279. 14 Vorel, Mesta jako sidla feudälnich vrchnosti, S. 128 f. 15 Ebd., S. 129. Nicht zugänglich war mir Petr Vorel, Poddanskä residencni mesta 16. stoleti ν Cechäch a na Morave (ungedr. Diss., Praha 1994). 16 Vgl. besonders Vorel, Dvory aristokratü. " Eine Ausnahme bildet Nikolsburg, das unter Kardinal Dietrichstein zu einem erstrangigen kulturellen und politischen Zentrum Südmährens oder vielmehr Mährens und der Habsburgermonarchie (Dietrichstein war seit 1620 nicht bloß Bischof von Olmütz, sondern auch mit großen Vollmachten ausgestatteter Gubernator der Markgrafschaft Mähren) ausgebaut wurde. Vgl. Buzek/Sak/Vorel, Adelige Höfe und Residenzen, S. 193 und 196 (zu Nikolsburg) sowie 194 (zum In-den-Hintergrund-Treten der politischen Funktion der Adelsresidenzen auf dem Land im Verlauf des 17. Jahrhunderts).
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mation und des Frühbarocks. Die Gründung von Klöstern, Schulen oder Spitälern diente stets insbesondere der Erhöhung des gesellschaftlichen Prestiges des Stifters und seiner Residenz - ob es sich nun um einen protestantischen „Landadeligen" um 1580 handelte oder um einen katholischen „Hofadeligen" um 1630. Die Neugestaltung der Adelsresidenzen in den böhmischen und österreichischen Ländern in barocken Formen erfolgte in mehreren Wellen zwischen der Mitte des 17. und der Mitte des 18. Jahrhunderts. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts finden sich infolge des Dreißigjährigen Krieges dazu nur erste Ansätze, vor allem wurden damals aber die sozialen Grundlagen für die Bautätigkeit des neuen „österreichischen" Adels sowie der „triumphierenden" katholischen Kirche gelegt. Gundaker von Liechtenstein hat an seinen Schlössern nur wenig gebaut 18 , er schlüpfte gewissermaßen in diese „Gehäuse der höfischen Gesellschaft" 19 nur hinein und adaptierte sie mit relativ geringem Aufwand nach seinen Vorstellungen. In den ersten 25 Jahren des 17. Jahrhunderts war das Wilfersdorfer Schloß der „Hauptwohnsitz" Gundakers von Liechtenstein. In den folgenden 20 Jahren bevorzugte er das viel repräsentativere Schloß in Mährisch Kromau (seit Ende 1633 „Liechtenstein"). In den letzten zehn Jahren seines Lebens, nach der Ubergabe Kromaus an seinen Sohn Ferdinand Johann, standen dem Fürsten Gundaker vier Schlösser als Aufenthaltsort zur Auswahl, drei in Osterreich unter der Enns und eines in Mähren: sein „Stammschloß" in Wilfersdorf, das 1643 von seinem Bruder Maximilian geerbte Schloß Rabensburg und die Schlösser Ungarisch Ostra und Ebergassing, die Mittelpunkte zweier nach 1620 konfiszierter und 1622 bzw. 1636 von Gundaker erworbener Herrschaften. 20 Nachdem er um 1630 begonnen hatte, Kromau als Hauptresidenz einzurichten, entschloß er sich zwanzig Jahre später, seine Residenz nach Ostra zu verlegen. Ende September 1650 schrieb er an seinen Sohn Hartmann, wegen der „steten wohnung" werde man sich auf Ostra resolvieren müssen, „denn zu Rabenspurg taugt es nicht meines erachtens, wie es dann auch zu fürst Max(imilians) liebden zeiten unter den dienern vil kranke gegeben, zu WilferstorfFkan man wegen des neuen baues vor einen jar nicht wohnen, [und] zu Ebergassing bedunkt mich sei gar ein zu feuchte lufft wegen der wässer unnd wisen, die da vast nie ausdrukern". 21 Ein gutes Jahr später bedauerte Fürst Gundaker, am Wilfersdorfer Schloß mit Umbauarbeiten begonnen zu haben, sodaß man derzeit dort nur „ganz ungelegner und wegen der neu zugerichten zimmer mit gefahr der gesundheit und ohne losierung einziges fremden unterkommen" könne. Er selbst habe in Wilfersdorf vor der Übersiedlung nach Ostra so „ungelegen, unsauber und unordenlich" gewohnt („losiert"), daß die (Edel-)Knaben und die Lakaien in seinem „retirata-zimmer" schlafen mußten „und aller blunder darinnen ligt". In Rabensburg könnte er im Sommer und im Winter stets wohnen („den früling und herbst aber nicht wegen ungesunds"), wenn der Pfleger dem seinerzeitigen Befehl, die Zimmer bei der Tafelstube herzurichten, nachgekommen
" Vgl. Kapitel 13.3. " Stürmer, Gehäuse der höfischen Gesellschaft. 20 Da ich auf Ebergassing in der Folge nicht mehr eingehen werde, sei an dieser Stelle festgehalten, daß die südlich von Schwechat im Viertel unter dem Wienerwald gelegene Herrschaft dem Freiherrn Andreas von Thonradi konfisziert und 1623 an den Hofkammerrat Hieronymus Bonacina verkauft worden war, nach dessen Tod im Jahr 1636 sie von seinen Erben an Gundaker von Liechtenstein kam: im September 1637 schrieb Fürst Gundaker in Schloß Ebergassing bereits Briefe (siehe unten S. 442, Anm. 182; in der vorhandenen Literatur wird als Jahr des Verkaufs der Herrschaft an Bonacina meist 1633 angegeben, als Datum der Inbesitznahme durch Gundaker von Liechtenstein bzw. seinen Sohn Hartmann frühestens 1640). Topographie von Niederösterreich, 2. Teil, S. 415; Wolkan, Ächtung, S. 203; Büttner, Burgen und Schlösser in N Ö , Bd. 1,1, S. 36-39; Steindl, Beiträge zur Heimatkunde, S. 32 f. 21 HALW, Κ. Η 589, Fasz. „Ostfriesland. Korrespondenz mit dem Fürsten Hartmann", G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Wien, 29. September 1650 (eh. PS). (Das von den Freiherren von Thonradi um 1600 errichtete Renaissanceschloß Ebergassing liegt an der Fischa, in der „Feuchten Ebene" des südlichen Wiener Beckens.)
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wäre. So aber müsse er es bleibenlassen, „denn in dem kleinen stübl mag ich nicht gefangen sein". Zu Ebergassing sei es ihm „nicht tauglich noch ratsamb wegen der großen wind". Er sei daher entschlossen, in Ostra „ordinari zu wohnen, dann es mir am pesten hie gefeit wegen der unterschidlichen weider, wasser, spacierwegen und hin und her ligenden wirtschaften". 2 2
11.2. Wilfersdorf Herrschaft und Schloß Wolfersdorf fielen bei der Erbteilung des Jahres 1598 an den 18jährigen Gundaker von Liechtenstein. Von dem ehemals weitläufigen, vierflügeligen, mit Bastionen, Vorwerk und Graben umgebenen frühbarocken Wasserschloß (Abb. 31) ist heute, nachdem es Fürst Alois I. im Jahre 1802 wegen Baufälligkeit zum Großteil abtragen ließ, nur noch der Westflügel vorhanden. 23
Kupferstich von Georg Matthäus Vischer.
Bereits im Jahre 1601 erließ Gundaker eine umfangreiche Polizeiordnung für seine Untertanen, und nach seiner eigenen Konversion machte er sich noch im Jahre 1602 daran, seine Untertanen - einschließlich der Bewohner der Märkte Mistelbach, Poysdorf und Wilfersdorfin den Schoß der „alleinseligmachenden" katholischen Kirche zu führen. Im April 1603 verfaßte er neue Instruktionen für den Pfleger, den Rentschreiber, den Bierschreiber und den Kastner der Herrschaft Wilfersdorf sowie fiir den Poysdorfer und den Wilfersdorfer Kellner und für den Wilfersdorfer Meier. 24 Er betätigte sich also intensiv als adeliger Hausvater und verbrachte
22
HALV, K. 251, G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 15. November 1651 (eh. Konzept). Jenne, Documenta Liechtensteiniana, Teil 2 (unpag.); Büttner/Madritsch, Burgen und Schlösser in N Ö , Bd. 14, S. 153-155; Benesch u. a. (Bearb.), Dehio-Handbuch, Niederösterreich nördlich der Donau, S. 1290 f. 24 Eine mit einer ausfuhrlichen Einleitung versehene Edition der Polizeiordnung und der Instruktionen ist in Vorbereitung: Winkelbauer (Hg. u. Bearb.), Gundaker von Liechtenstein als Grundherr. Vgl. vorläufig 23
Mährisch Kromau bzw. Liechtenstein
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viel Zeit, wenn er nicht gerade in Wien weilte, in seinem damals einzigen Schloß. Während des Böhmischen Krieges (1618-1620) wurden Schloß und Herrschaft des Parteigängers des Kaisers von der Armee der böhmischen Stände besetzt und arg mitgenommen. Im Mai 1621 schrieb Gundaker aus Wien an seinen Bruder Karl nach Prag, er sei vom Kaiser (als Hofkammerpräsident?) „des diensts entlassen" worden. Er war unschlüssig, ob er ohne Amt, als bloßer „aufwarter", mit dem Hof nach Regensburg ziehen sollte. Als einen Grund, sich nicht sofort auf seine Güter zurückzuziehen, nannte er den traurigen Zustand von Schloß und Herrschaft Wilfersdorf: „Wehre Wilferstorff, wie es gewesen, wolte ich den hoff nicht viel irren." 25 Auch nach der Verlegung der Hauptresidenz nach Mährisch Kromau hielt sich der nunmehrige Fürst mit seinem Hof häufig in Wilfersdorf auf. Am 13. August 1637 war der Hochzeitszug der Erzherzogin Cacilia Renata, der künftigen Königin von Polen, in dem sich (von Wien bis Nikolsburg) auch die Brüder der Braut, Kaiser Ferdinand III. und Erzherzog Leopold Wilhelm, befanden, zu Gast in Schloß Wilfersdorf. Jakob Hannibal von Hohenems, der als Oberststallmeister die Erzherzogin Claudia von Medici-Tirol zur Hochzeit nach Wien und Warschau begleitete, berichtete seinem Vater über die gar herrliche Traktierung der kaiserlichen Majestät, der Durchlauchtigkeiten und ihres Gefolges mit Essen und Trinken durch den Fürsten Gundaker. 26 Im Juni 1640 schrieb Fürst Gundaker von Wilfersdorf aus an Johann Fritz, den Regenten (Oberhauptmann) seiner Herrschaften und Güter: „Ich habe dahie den lustgartten allso zuegerichter befunden, daß er villmehr ein unlust- als ein lustgarten ist und genent werden khan." Es sei eine Schande, daß der Regent „in einer Sachen, die ich oder meine kinder alda ann meisten genießen und steets vor äugen haben", dem Pfleger, dem Burggrafen und dem Gärtner ungestraft eine derartige Nachlässigkeit durchgehen lasse.27
11.3. Mährisch Kromau bzw. Liechtenstein Als Hauptresidenz diente Gundaker aber seit Ende der zwanziger Jahre das Schloß Mährisch Kromau. Die Residenzstadt (Abb. 32) selbst war sehr klein und hatte nur geringe wirtschaftliche Bedeutung. 28 Das Lahnenregister aus dem Jahre 1672 verzeichnet in der Stadt Kromau 89 Häuser, und zwar 25 angesessene Wirte mit Grundbesitz, 24 Handwerker ohne eigenen Acker, 18 angesessene Judenhäuser sowie folgende seit 1657, dem Jahr der ersten Lahnenvisitation, erfolgte Neugründungen bzw. Wiederbesiedlungen: zwei neue Wirtschaften mit je 24,5 Metzen Grundbesitz, zwölf neuangesessene Handwerker ohne nennenswerten Grundbesitz (je 3/4 Lahn Feld) und acht neue Judenhäuser mit je einer halben Lahn. 29 Die Stadt Kromau war viel kleiner und wirtschaftlich viel weniger bedeutend als die seit den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts zur Herrschaft Kromau gehörende ehemals königliche Stadt Eibenschitz. 30 Mährisch Kromau und Eibenschitz verhielten sich zueinander ein bißchen ähnlich wie Böhmisch Krumau und Budweis, mit dem Unterschied, daß es den Rosenbergern nicht gelungen ist, Budweis zu erwerben.
ders., Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung, und ders., Grundherrschaft, Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung. 25 HALV, K. 251, eh. Schreiben G.sv. L. an seinen Bruder Karl (Wien, 12. [korrigiert aus: 10.] Mai 1621). 26 Welti, Kaspar von Hohenems, S. 344 f. 27 HALV, Hs. 270/11, S. 215, G. v. L. an den Regenten, Wilfersdorf, 10. Juni 1640 (Abschrift). 21 Die in Abb. 32 reproduzierte Zeichnung aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts befindet sich heute im Brünner Stadtarchiv in der Sammlung von Abbildungen und Plänen mährischer Städte im Bestand der Handschriften der Mitrovsky-Bibliothek. Die Legende zu der Vedute hat sich nicht erhalten. Diese Hinweise verdanke ich Frau Mag. Marta Sedläkovi vom Brünner Denkmalamt. 29 Sloschek, Mährisch Kromau, S. 72f. Zur Geschichte der Kromauer Judengemeinde siehe ebd., S. 166-174. 30 Sebela/Vanek, Hromadny nälez, S. 5.
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11.3.1. Das Residenzschloß Das im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts erbaute Schloß Mährisch Kromau (Abb. 33) mit den prächtigen dreigeschoßigen Arkaden an drei Seiten des Hofes, dem gewaltigen Turm, den Nebengebäuden (insbesondere dem Marstall mit seinem repräsentativen, mit einer tschechischen Inschrift versehenen Spätrenaissanceportal) und dem Garten bildete einst die größte Schloßanlage der Renaissance in Mähren. Ausführender Architekt war der 1574 verstorbene Leone Garove aus Bissone am Luganer See, dessen Grabstein sich in der Kromauer Pfarrkirche bis zum heutigen Tag erhalten hat. 3 1 U m 1600 verwaltete Karl von Zerotin nach dem Tod seines Verwandten Johann von Leipa als Vormund des minderjährigen Berthold Bohobud von Leipa die (schwer verschuldete) Herrschaft Kromau. 3 2 Die katholische Adelspartei zettelte 1598/99 eine Intrige gegen Zerotin an (neben anderen war Siegm u n d von Dietrichstein, der Bruder des Kardinals, führend daran beteiligt). Eines der Ziele bestand darin, nach Zerotins geplanter Verurteilung wegen Hochverrats einen Angriff auf das Zentrum der Brüderunität in der zur Herrschaft Kromau gehörenden Stadt Eibenschitz durchführen zu können. 3 3 Der Hochverratsprozeß scheiterte zwar kläglich, aber im Jahr
Abb. 33: Blick in den Arkadenhof des Schlosses Mährisch Kromau. Fotografie.
Stanek, Moravskokrumlovsko, S. 12 f.; Zlüva, Zämek. Die Herrschaft Kromau grenzte übrigens direkt an die Dominien Namiest und Rossitz Karls von Zerotin. Stanek, Moravskokrumlovsko, S. 9. 33 In Eibenschitz bzw. in dessen Vorstadt war um 1500 ein bedeutendes Zentrum der Brüderunität entstanden, das in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Prerau als mährische Brüdermetropole ablöste (seit 1558 Sitz desy Bischofs Jan Blahoslav, der 1571 in Mährisch Kromau starb). 1562 wurde hier die berühmte, 1578 in die Zerotin'sche Veste Kralitz verlegte Druckerei gegründet. 1575 wurde die Eibenschitzer Brüderschule um das höhere Lateinstudium erweitert und dadurch ein „Brüdergymnasium" begründet, dessen Rektor der aus Wittenberg berufene Professor Esrom Rüdi(n)ger wurde (er wirkte in Eibenschitz bis 1588). Ob31
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1602 mußte Zerou'n nach seinem Ausschluß aus dem Mährischen Landrecht die Verwaltung Kromaus an den Katholiken Ladislaus Berka von Dubä abtreten. Dieser vertrieb sofort die nichtkatholischen Geistlichen von der Herrschaft und ersetzte sie durch katholische Priester. Als aber Berthold Bohobud noch im selben Jahr 1602 fur volljährig erklärt, dadurch dem Einfluß der Katholiken entzogen und in seinen Kromauer Besitz eingeführt wurde, mußten die katholischen Priester wieder den evangelischen Predigern weichen. In der Bürgerschaft der Stadt Kromau gab es damals praktisch keine Katholiken. Die Pfarrkirche befand sich im Besitz der Brüderunität. 34 Noch 1617 waren nach Auskunft Martin Zeillers in Eibenschitz mit Ausnahme einiger Italiener keine Katholiken anwesend, und diese verfügten über keine eigene Kirche. In Zeillers Beschreibung vermitteln die Stadt und ihr Umland ein gutes Beispiel der in Mähren vor 1620 herrschenden religiösen Toleranz: Lutheraner, Utraquisten, Angehörige der Brüderunität, Hutterer (Täufer), „Schweizerbrüder", Schwenckfeldianer und Juden, aber auch Katholiken lebten friedlich mit- bzw. nebeneinander. 35 In den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts war der Hof des Obersterblandmarschalls des Königreichs Böhmen Berthold Bohobud von Leipa einer der größten und prunkvollsten in Mähren. Zum Kromauer Schloß gehörte damals eine eigene gedeckte Reithalle, in den Schloßstallungen befanden sich rund fünfzig arabische und türkische Pferde. 36 In Merians Topographie heißt es über Kromau: „Ist ein kleines Städtlein / ziemlich schlecht gebauet / darinnen es auch Juden gibt: hat aber ein ansehnlich und prächtiges Schloß / mit herrlichen Zimmern / stattlichem Marstall / schönen Gärten und anderm / versehen / in welchem Anno 1617. König Ferdinand der Ander in Böheim / ehe er noch Kaiser gewesen / über Nacht blieben / und Königlich tractirt worden ist. Gehörte selbigesmal Herrn Bertolden von Lippa / oder Leippe / des Königreichs Böheim Erb-Marschallen / so allhie Hof gehalten König Friedrich V. von der Pfalz, der nach der Königskrönung in Prag und der Huldigung in Iglau am 4. Februar 1620 als Gast Pertold Bohobuds von Leipa in Kromau weilte, rühmte insbesondere die Tapeten (Wandteppiche) und das Inventar („die Schönheiten") des Schlosses, die sich seinem Bericht an seine Gemahlin zufolge mit jenen der Münchener Residenz und seines eigenen Residenzschlosses in Heidelberg messen konnten. 38 Der Höhepunkt der eher halbherzigen und - vor allem infolge des Krieges - von Geldnot geprägten Versuche des Fürsten Gundaker von Liechtenstein, Mährisch Kromau zu einer repräsentativen frühbarocken Residenzstadt umzugestalten, fällt in die dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts. Von der Hofhaltung des Fürsten Gundaker und dem dabei eingehaltenen Zeremoniell in Kromau und in der österreichischen Residenz Wilfersdorf können wir uns am ehesten mit Hilfe der am 31. Januar 1632 erlassenen Kammerordnung und der wahrscheinlich ungefähr gleichzeitigen Hofstaatsordnung, deren Kernstück die Tafelordnung ist, ein Bild machen. 39
wohl das Niveau der Schule seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert sank, bestand sie bis kurz nach der Schlacht am Weißen Berg. Um 1600 hatte die Brüdergemeinde von Eibenschitz etwa 300 Mitglieder (rund ein Zehntel der Gesamtbevölkerung der Stadt), darunter auch etwa 30 mit deutscher Muttersprache. Als letzter Bischof mußte nach Ostern 1623 Georg Erastus an der Spitze der letzten verbliebenen Brüder Eibenschitz auf ausdrücklichen Befehl Gundakers von Liechtenstein verlassen, in dessen Hände die Gebäude und Grundstücke der Exulanten übergingen. Sebela/Vanek, Hromadny nalez, S. 5-12; Seibt (Hg.), Bohemia Sacra, S. 106-108 und 138f.; H r u b y (Hg.), Korespondence a akta, Bd. 1, S. 35 f., 69f., 299-303, 320f. und 428 f. 34 Odlozilik, Karel st. ze Zerotina, S. 95 f., 100 und 102.; Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 51. 35 Poremba, Martin Zeiller, S. 80-83. 36 Odlozilik, Karel st. ze Zerotina, S. 14. 37 Merian, Topographia Bohemiae, Moraviae et Silesiae, S. 94. 3! H . Brunner, Herren von Lippa (1911), S. 477. 39 Vgl. Kapitel 10.2.
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Gundaker konnte sich des prächtigen, kostbar ausgestatteten und eingerichteten Schlosses nur rund zwei Jahrzehnte erfreuen. Einem Bericht des im Herbst 1645 nach Kromau entsandten Aufwarters und Vizestallmeisters des Fürsten Ferdinand Johann namens Johann Wilhelm Miller vom 14. November 1645 ist zu entnehmen, daß die Schweden nach 26wöchiger Besetzung Kromaus die 21 Geschütze („stück") mitgenommen und nach Korneuburg geführt und das Schloß, das ihnen als Stall gedient hatte, völlig devastiert zurückgelassen hatten. Über den traurigen Zustand des Schlosses nach dem Abzug der Schweden heißt es in dem Bericht: „Das Schloß ist sehr verderbet, aber besser ist es als wanns verbrent wer. Der größte schad ist, daß die mobilien aus sindt, sessel, diren, bettstatten verbrant, ofen und fenster eingeschlagen. Euer fiirstl. gnaden zimmer ist etwas sauber und ganz geblieben, denn der commendant dariennen gewohnet [...]. Das dach oberhalb euer fiirstl. gnaden zimer ist ganz abgetragen gewesen, habs alsbald wider machen lassen, wie auch überall an dächem, damit diesen winter das nasse wetter dem gemeur nicht schade. Der saal ist ganz voll mit pferden gestanden, wie auch alle gewelber, ober und niedere zimer und allso vol salvo honore mit dung, daß man ihn diesen windter wirdt schwerlich herausbringen können, dann der inwendige platz ist so vol, daß der tung bis an die eisen unter die geng gehet, welcher eisen auch etliche abgebrochen seindt, wie auch auf dem großen saal die schließen, daran der boden 4 0 gehangen, daß er einer gueten zwerchhand 41 gesunken. Habs dem meister Hans Zimmerman befohlen, daß er wieder bender lasse machen undt vereide, daß nicht mehr sinke. Euer fiirstl. gnaden antecamera ist ein kuchel gewesen, in der kleinen tafelstueben haben sie getroschen, gleich bei euer fiirstl. gnaden antecamera. In dem zimmer, da ihre fiirstl. gnaden fiirst Hartmann vor diesen gewohnet, haben sie den poden ganz durchgraben und pistollen gesucht, denn einer, weiß nicht wer, gesagt, es sollen auf ein ganz regiment pistollen da vergraben sein. In i(hr) fiirstl. gnaden der freile 42 zimer hatt der predikant getroschen, in dero schlafcamer sein kuchel gehabt, in dem fraunzimer gewohnt und eine stattliche kindstauf da gehalten. In anderen allen zimmern seindt pferdt undt vich gewesen und ein schlechter unterschied der sauberkheit zwischen denen, wo sie gewohnet. Im marstal seindt die pfeiller alle nidergeschlagen, oberhalb die zimmer auch ganz verderbet und vol mit pferden gestanden. [...] Am preuhaus und mühlen ist khein schad geschehen, wenn man nur geld hette, etwas von weizen einzukhauffen, malz zu machen [...]. Vom tiergarten seindt alle spalten 4 ^ alle verbrendt, aber die pfeiler stehen noch alle. Die pulfermill ist auch ganz verderbet." 4 4
Damit hatte Kromau als Residenz Gundakers von Liechtenstein mit einem Schlag ausgedient. Am 1. Januar 1647 übergab Fürst Gundaker Herrschaft und Schloß seinem Sohn Ferdinand Johann 4 5 , der im September seinen Vizestallmeister Johann Wilhelm Miller zum neuen Hauptmann der Herrschaft Mährisch Kromau (samt Wolframitz) ernannte 4 6
11.3.2. Privilegierung und versuchte Populierung der Stadt Mährisch Kromau (Liechtenstein) In den Jahren ab etwa 1630 bemühte sich Fürst Gundaker, die durch Truppendurchzüge und Einquartierungen drangsalierte und durch Pest und Feuersbrünste schwer geschädigte Stadt Kromau „wieder in ein besseres Auskommen zu bringen". 47 Die Stadt war beispielsweise im Jahre 1624, neben etlichen weiteren Städten (ζ. B. Znaim), im Zuge des Einfalls Bethlen Gabors nach Mähren geplündert worden. 4 8 Am 1. Februar 1635 bestätigte und erweiterte Fürst Gundaker mit einer im „fürstlichen Schloß Liechtenstein" ausgefertigten Urkunde als „von Gottes gnaden des heil. röm. reichs 40
die (gewölbte) Decke eine gute Handbreite 42 Fräulein 43 Zaunspelten (Spelte = längliches, schindelartig dünn gespaltenes Holz) 44 HALV, Hs. 273, S. 420-422. Sehr fehlerhafter Druck bei Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 68 f. 4 > Siehe Kapitel 9.3. " HALW, Κ. Η 68, Akt J. W. Miller, Eid und Revers des neuen Hauptmanns der Herrschaft Mährisch Kromau, J. W. Miller, Kromau, 28. September 1647. 47 Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 56. 4 * Stanek, Moravskokrumlovsko, S. 25. Vgl. Matejek, Morava za tricetileci välky, S. 99-135. 41
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fürst von undt zue Liechtenstein [ . . . ] " die Privilegien der Bürgerschaft „unserer fürstlichen residenzstadt Liechtenstein". 4 9 A m 3. Mai 1637 faßte Gundaker in seinem „fürstlichen residenzschloß Liechtenstein" in einem an alle potentiellen neuen Bürger der Stadt Liechtenstein gerichteten Patent die wichtigsten Punkte der zwei Jahre zuvor erfolgten Privilegierung zusammen und stellte darüber hinaus konkrete Unterstützungen seitens der Herrschaft: in Aussicht. Seine „residenzstatt Liechtenstein" sei, heißt es darin, „mit volgenden freiheiten begabt": 1. Befreiung von aller Robot, „außer daß sie zehen mall des jahrs in unserm Liechtensteiner wald jagen und in dem wasser umb die statt zuer sommerszeit durch ihre dienstbotten das gras ausrauffen und das rohr abschneiden lassen sollen"; was der Fürst nicht erwähnt, ist die Verpflichtung der Bürger, anstelle der Robot von jedem Haus jährlich 3 Gulden Robotgeld zu zahlen; 2. dürfen die Bürger frei abziehen, „wenn sie nicht mehr allda wohnen wollen, und sein nicht verbunden, wie sonsten in Mährern der brauch ist, und allda sie wegen unnserer steeten hoffhaltung guete nahrung haben"; 3. dürfen sie ihr H a b und Gut ihren Verwandten frei testieren; 4. sind sie von der Pflicht der Waisenstellung befreit; 5. dürfen sie mit fremden Weinen handeln, diese in die Stadt einführen und dort verkaufen. Hier unterschlägt der Fürst folgenden Passus des Privilegs vom 1. Februar 1635: „Under diesen weinen sein aber allein diejenigen verstanden, die sie von uns oder unsern nachkommen, herren dieser Stadt, kauffen, denn keine andere sein in die Stadt zu führen einzigem inwohner erlaubt, bey verlust des weins oder so viel gelts, als derselbe wein werth ist." Sodann kündigen seine fürstlichen Gnaden an, daß sie, mit dem Ziel, „allerlei handtwerchs- und handlsleuth" in die Stadt zu bringen, „zu erlangung dessen und zu mehrerm ihrem vortl und befüerderung denselben zum verlag ihres handtwerchs allerlei hilff und vorstreckhung thuen wollen". Der Fürst macht sich erbötig, allen mit Wolle arbeitenden Handwerkern (Stricker, Tuchmacher, Huter etc.) Wolle, den Lederern, Sattlern, Riemern, Schustern, Weißgerbern, Kürschnern usw. Leder und Felle, den Seilern, Leinwebern etc. Hanf, den Wagnern Holz, den Schlossern und Schmieden Eisen, denjenigen, die mit Wein oder Getreide handeln wollen, Wein und Getreide und so fort - kurz, „allen und jeden handtwerchsleuthen, was einem jeden zu seiner handtwerchsnotturfft befüerderlich sein möchte und wir aus unsern herrschafften haben können", vorzustrecken (d. h. sie damit zu verlegen). Überdies verspricht der Stadtherr zur Erbauung von Häusern und Werkstätten Holz, Ziegel und Kalk „auf lange termin" zu borgen und fur die einzelnen Hankwerke „nach eines jeden handtwerchs notturfft" Ordnungen zu erlassen. „Wer nun lust hatt, sich hieher zu begeben, der solle sich bei dem gestrengen vösten unserm pfleget allhir und lieben getreuen Vinzenz Martin Wiesinger von Wiesowitz anmelden, von deme er allen gebüerunden beschaid zu erwartten hatt." 5 0 A m 20. August (?) 1637 verlieh Fürst Gundaker - unter Berufung auf das ihm von Kaiser Ferdinand II. am 14. November 1633 verliehene Palatinat - der Stadt Kromau bzw. Liechtenstein zusätzlich zu den zwei bestehenden Jahrmärkten am 1. Mai (Philipp und Jakob) und am 11. November (Martini) zwei weitere Jahrmärkte am 20. Januar (Fabian und Sebastian) und am 20. August (Bernhardi), von denen jener im Januar ein Roß- und Viehmarkt sein sollte. Von dieser neuen Freiheit hat die Stadt jedoch offenbar keinen oder jeden49 Abschrift im Μ ZA Brno, F 177, K. 328, Fasz. 9. In dem ebd., K. 329, Fasz. 9 (früher: G 2, Nr. 231/ 15) verwahrten Konzept des Diploms („Ihrer fürstlichen gnaden leztste resolution, wie sie denen Cromauern ihre Privilegien wieder geben wollen") sind die Worte „fürstlichen residenzstatt Liechtenstein" von Gundaker von Liechtenstein eigenhändig am Rand nachgetragen. Druck: Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 58-62. M Z A Brno, F 177, K. 328, Fasz. 9 auch eine 1647 angefertigte deutsche Übersetzung der Privilegien der Stadt Kromau aus den Jahren 1437, 1475, 1540 und 1613. Daraus geht unter anderem hervor, daß die Robotbefreiung den Bürgern bereits 1437 vom damaligen Grund- und Stadtherrn Berthold von Leipa gewährt worden war. 50 M Z A Brno, F 177, K. 329, Fasz. 9, „Privilegia der statt Liechtenstein", 3. Mai 1637 (Konzept mit eh. Einfügungen G.s v. L.).
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falls nicht lange Gebrauch gemacht. Sie kam vielmehr im Jahre 1667 bei Fürst Hartmann neuerlich um das Recht der Abhaltung zweier Jahrmärkte ein, und zwar nicht der 1637 von Fürst Gundaker, sondern der am 21. Juni 1458 auf Intervention Heinrichs von Leipa durch König Georg von Podiebrad bewilligten.51 Fürst Ferdinand Johann forderte die Stadtgemeinde 1655 auf, ihm Vorschläge zu unterbreiten, wie die Kromauer Wochenmärkte gehoben werden könnten. 52 Die Versuche Gundakers von Liechtenstein, die wirtschaftliche Prosperität seiner (Residenz-)Stadt und seiner Untertanen und Bürger zu fördern, war nichts Außergewöhnliches. Andere neue Stadtherren und Besitzer konfiszierter Rebellengüter verhielten sich ähnlich. Die Motive dafür waren einerseits materieller (nur von wirtschaftlich halbwegs gut situierten Bürgern und Untertanen konnten mit Aussicht auf Erfolg hohe Abgaben und Steuern eingetrieben werden), andererseits ideeller Natur: Durch das Florieren „seiner" Stadt konnte der Stadtherr seine hochadelige Reputation ins rechte Licht rücken. Ein Freiherr, Graf oder gar Fürst, der in einem besseren Dorf residierte, lief Gefahr, sich vor seinen Standesgenossen lächerlich zu machen. Vinzenz Muschinger von Gumpendorf (gest. 1628) und sein Schwiegersohn Ferdinand Siegmund Freiherr (später Graf) Kurz beispielsweise förderten seit 1624 das Zunftwesen der den Puchheimern konfiszierten Stadt Horn im Waldviertel durch die Verleihung neuer Zunftordnungen fiir Schneider, Leinweber, Zimmerleute, Hufschmiede, Hafner, Binder, Fleischhauer, Schuhmacher, Bäcker, Tuchmacher und Müller. Graf Kurz förderte das darniederliegende herrschaftliche Bräuhaus in Horn und erwirkte 1653 auf das Ersuchen der Bürgerschaft hin ein kaiserliches Privileg, durch das der Stadt die Abhaltung eines dritten Jahrmarktes erlaubt wurde. In weit überdurchschnittlichem Maße förderte Graf Kurz seit etwa 1647 das Tuchmacherhandwerk, für das er einen herrschaftlichen Verlag einrichtete. Seit 1652 ließ er sogar in der Raabser Vorstadt fur die großteils aus Mähren (Iglau!) kommenden neuen Tuchmacher 30 Kleinhäuser, eine herrschaftliche Taverne und - nach dem Vorbild der „Heiligen Kapelle" in Altötting in seinem Geburtsland Bayern - eine Kapelle errichten. 53 Als Vorbild für den Grafen Kurz kommt Albrecht von Wallenstein in Frage, der in seinem nordböhmischen Herzogtum Friedland seit etwa 1630 einen unter anderem die Tuchmacherei umfassenden Zwangsverlag für die möglichst pünktliche und billige Versorgung seiner Armee mit Nahrungsmitteln, Uniformen, Waffen und Munition eingerichtet hatte. 54 Während Wallenstein jedoch „nur" - in der Form des sogenannten Zunftkaufs - die verschiedenen Handwerke seines Herrschaftsbereichs mit riesigen Aufträgen bedachte und die Zünfte unter Androhung strenger Strafen dazu zwang, die Liefertermine einzuhalten und die von ihm diktierten Preise zu akzeptieren, griff Graf Kurz selbst in die Produktion ein - in Gestalt einer großteils dezentralisierten, fiir einzelne Arbeitsgänge aber zum Teil auch zentralisierten Manufaktur - und ließ auf Lager produzieren. 55
11.3.3. Klostergründung Zu einer (Residenz-) Stadt eines hohen katholischen Adeligen gehörte spätestens seit dem Spätmittelalter unbedingt ein Kloster. Gleichzeitig mit der „Klosteroffensive" Ferdinands II. und seines Sohnes in Wien, Prag, Graz, Brünn, Linz und den kleineren landesfürstlichen
" MZA Brno, G 13, Nr. 379 ([Anton] Lux [der letzte Prior des 1782 aufgehobenen Kromauer Paulinerklosters], Merkwürdigkeiten, Quellenanhang: Urkundenabschriften), fol. 46—48 (enthält nur die ersten fünfeinhalb Seiten des Jahrmarktsprivilegs; nach fol. 48 fehlen - seit längerer Zeit, da die Foliierung ohne Lücke weiterläuft - zwei Lagen, d. i. 8 Blätter). Zur Jahrmarktsverleihung 1458: Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 35. " Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 71. " Vgl. Forstreiter, Anfänge, S. 87 f. und 93; M. Klein, Beiträge; Winkelbauer, Wir, die armen Untertanen, bes. S. 52-55; ders., Streik; ders., Manufaktur und Gewerbe. 54 Vgl. Emstberger, Wallenstein als Volkswirt, passim, bes. S. 15 f. und 77-80. " Winkelbauer, Manufaktur und Gewerbe, S. 61 f.
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Städten und Märkten gründeten zahlreiche hohe Adelige in ihren Städten und Märkten in den böhmischen und österreichischen Ländern ebenfalls Klöster und Kollegien.56 Ein Musterbeispiel ist etwa die Gründung des Minoritenklosters in Asparn an der Zaya in den Jahren 1624 (Berufung und Ankunft der ersten drei Minoriten) bis 1632 (Vollendung des Klostergebäudes und Ausstellung des Stiftbriefs) durch den Geheimen Rat, Erbkämmerer und Landmarschall von Österreich unter der Enns bzw. (1626-1640) Statthalter des Regiments der niederösterreichischen Lande 57 Seifried Christoph von Breuner. 58 Karl von Liechtenstein war bereits in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts an dem Plan beteiligt, das Benediktinerkloster Brevnov bei Prag bzw. die von diesem abhängigen Propsteien, insbesondere Stift Raigern bei Brünn, aufzulösen und mit ihren Gütern ein Jesuitenkolleg zu dotieren; der Plan erwies sich jedoch als undurchführbar. 59 Bald danach, im Jahre 1605, begründete er dann aus eigenen Mitteln Kloster und Spital der Barmherzigen Brüder in Feldsberg - den ersten Konvent dieses Ordens, den er in Rom kennengelernt hatte, nördlich der Alpen. 60 Die eigentliche Stiftung und der Bau des Konventsgebäudes, der Kirche und des Spitals erfolgten aber erst mehr als ein halbes Jahrhundert später durch den Fürsten Karl Eusebius. 61 Am 23. Juli 1617 schlossen die Brüder Karl und Maximilian von Liechtenstein in Posorschitz mit dem aus Oberitalien stammenden Brünner „Maurer" Andrea(s) Erna einen Vertrag über den Neubau der (Wallfahrts-)Kirche von Wranau. 62 Erna verpflichtete sich, die alte Kirche abzubrechen und den Neubau samt den Altären gemäß dem Plan von „Joan Marie, Baumeister", das ist Giovanni Maria Filippi 63 (wie Erna ein Oberitaliener, der bis Ende 1616 in Prag wirkte; von ihm stammt unter anderem das Matthiastor der Prager Burg), auszuführen. 64 1633 stiftete Maximilian bei der neuen Kirche, die zur Klosterkirche gewidmet wurde, ein Kloster des strengen Reformordens der Paulaner und dotierte es mit der Herrschaft Morschitz. 65 Unter der Kirche war von Andrea Erna die liechtensteinische Familiengruft als Grablege aller Zweige der Familie (nur Fürst Gundaker und seine Nachkommen sind in der Pfarrkirche von Wilfersdorf bestattet 66 ) errichtet worden, in der, wenige Jahre nach seinem Tod, als erster Fürst Karl (gest. 1627) beigesetzt wurde. Die Gruft scheint aber erst später vollendet worden zu sein, denn noch 1654 wurde Johann Baptist Erna mit ihrer Fertigstellung beauftragt. 67 Das Motiv für den Bau der Wranauer Kirche und die Stiftung des Klosters faßte Pater Francis Talbert, der damalige Korrektor des Wranauer Konvents, um die Mitte des 17. Jahrhunderts so zusammen 68 : „Intelligebat enim piissimus Princeps [sc. Maximiiianus] (cujus foelicem memoriam nulla exedent saecula) tum propriae saluti melius consulere: tum Excellentissimae Domui suae splendidiorem contribuere lucem non posse (quamvis per sua He56
Vgl. ζ. B. Kerschbaumer, Geschichte des Bisthums St. Pölten, Bd. 1, S. 460-476. Bis 1628 nur Österreich unter der Enns, seither wieder Österreich ob und unter der Enns. " Vgl. Maurer, Geschichte des Marktes Asparn an der Zaya, S. 132-149, 156-160 und 410-442; ders., Seifried Christoph Graf Breuner, S. 66-68; Starzer, Beiträge, S. 237 f. und 241; Riedling, Regesten zur Geschichte der Pfarre und des Minoritenklosters zu Asparn an der Zaya, S. 141 f. und 158-167. " Chlumecky, Carl von Zierotin, S. 246; Dudik, Raygern, Bd. 2, S. 105-112; Falke, Geschichte, Bd. 2, S. 142 ff. 60 Heimbucher, Orden und Kongregationen, 2. Aufl., Bd. 2, S. 249. 61 Topographie von Niederösterreich, Bd. 3, S. 43; Kippes, Feldsberg, S. 73-77. 62 HALW, Κ. Η 469, Fasz. Posorschitz 3. Paulanerkloster Wranau. 65 Kudelka, Architektur, S. 282. 64 Es ist also nicht nötig zu vermuten, „daß Erna nach 1626 oder 1633 in Vranov die Pläne Giovanni Giacomo Tencallas ausführte, die wiederum [...] eine ,idea prima' von Giovanni Maria Filippi reflektierten", wie dies Fidler, Architektur, S. 138 A. 299, zu tun scheint. 65 Falke, Geschichte, Bd. 2, S. 263 f. (Das Wranauer Paulanerkloster wurde im Jahr 1784 aufgehoben.) a G. Wilhelm, Die Fürsten von Liechtenstein, S. 118. 67 Kudelka, Architektura, S. 288. 68 Vgl. oben S. 94 (mit deutscher Zusammenfassung des folgenden lateinischen Zitats). 57
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roica facta immortalem dederit) nisi hunc locum Intemeratae Virgini sacrum, temporum, ac haereticorum injuria pene collabentem munificentissima manu reparando." 69 In Mährisch Kromau hatte Vinzenz (Cenek) III. von Leipa, der (übrigens schwer verschuldete und in zweiter Ehe mit Adelheid von Wallsee vermählte) Obersterblandmarschall des Königreichs Böhmen, der durch einen Gütertausch mit seinem älteren Bruder Berthold im Februar 1346 Stadtherr von Mährisch Kromau geworden war, nach der Pest der Jahre 1348 und 1349 ein Kloster des Bettelordens der Augustinereremiten gestiftet. Die in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre des 14. Jahrhunderts erbaute, 53 Meter lange Klosterkirche wurde dem Apostel Bartholomäus geweiht. Nach seinem Tod im Jahre 1363 wurde der Stifter in der Corpus-Christi-Kapelle der Klosterkirche beigesetzt. Im Zuge der Hussitenkriege flohen die Augustinermönche 1424 aus Kromau in ihr Mutterkloster, St. Thomas in Brünn. Um 1455 bezogen sie das verödete Kromauer Kloster wieder, fanden aber den Großteil des auf Stiftungen zurückgehenden Grundbesitzes in fremden Händen, wohl vor allem von utraquistischen Adeligen. Der 1496 aus der Vormundschaft seines späteren Schwiegervaters Wilhelm von Pernstein entlassene utraquistische Stadtherr Heinrich IX. von Leipa entzog dem Familienkloster seinen Schutz. Wahrscheinlich um 1500 verließen die wenigen noch verbliebenen Mönche neuerlich die Stadt und zogen nach Brünn, woraufhin das Kromauer Kloster dem Verfall preisgegeben bzw. als Baumaterial verwendet wurde. 70 In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts standen nur noch die mit Stroh bedeckten Außenmauern des eingestürzten Chores der Klosterkirche aufrecht. 71 Nachdem Mährisch Kromau 1622 in der Person Gundakers von Liechtenstein einen katholischen Stadtherrn erhalten hatte, wandte sich Johann Vinzenz Barnabaeus, der Prior des Brünner Thomas-Stiftes und Generalvikar der Augustinereremiten Mährens, wahrscheinlich gegen Ende des Jahres 1629 mit dem Ziel der Wiederherstellung des Kromauer Klosters an den Fürsten Gundaker. Dieser stellte daraufhin eigenhändig einen Fragenkatalog zusammen, der am 12. Januar 1630 an den Prior geschickt wurde. Gundaker stellte darin unter anderem folgende Fragen: ob die Augustiner bereit wären, sich zu verpflichten, Schule zu halten „bis auf die logicam inclusive"; „was sie vor personen bedörffen neben den priestern per 6, 8, 10 oder 12 priester"; „wieviel Unterhaltung begert wird auf 1 priester in wein, bier, meel, gersten, brein 72 , heiden 73 , schmalz, holz, fisch und geld das jähr". Nach Erhalt der Antwort auf seine Fragen wolle er sich „resolviren, ob ichs denen patribus Augustinianis und auf wieviel priester stiften will".74 Der Prälat lehnte am 12. Februar 1630 unter Berufung auf die Regel und die Gewohnheiten seines Ordens die Forderung, Schule zu halten, dezidiert ab. 75 Ende Mai 1630 erklärte sich Fürst Gundaker in einem Schreiben an Barnabaeus für den Fall, daß der Generalvikar „das kloster wider erheben, die kirchen bauen, der fundation nach mit geistlichen ersezen und den gottesdienst wirdt verrichten lassen", dazu bereit, „nicht aus Schuldigkeit, sondern aus gnaden und ex elemosina diejenigen einkommen, welche bewisen werden, daß sie zuvor zue dem kloster gehört und wir genießen, wider ervolgen zue lassen".76 Im Fe-
" Talben, VRANOVIVM, fol. 2 v -3'. 70 Janetschek, Augustiner-Eremitenklöster, S. 10-13; ders., Augustiner-Eremitenstift S. Thomas in Brünn, Bd. 1, S. 18, 58 f., 76 und 96; H. Brunner, Die Herren von Lippa, in: Z V G D M S 13 (1909), S. 212 und 214-217; 14 (1910), S. 136, 142 f., 309 und 322-328; Sloschek, Geschichte des Augustinerklosters in Mähr. Kromau, S. 8 6 - 9 0 und 119-121; Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 3 4 - 3 6 und 134-147. 71 „[...] nec aliud de antiquitate fabricae quam collabentis chori parietes Stramine cooperti apparent." MZA Brno, F 177, K. 330, Fasz. 14, Vertrag zwischen G. v. L. und Prior Dr. Georg Gladich, Mährisch Kromau, 30. (sie!) Februar 1634 (vgl. weiter unten). 72 Hirse 73 Buchweizen 74 MZA Brno, G 12, II, Nr. 122a, fol. 14. 75 Ebd., fol. 11 f., Prior J. V. Barnabaeus an Fürst Gundaker, Brünn, 12. Februar 1630. 7 ' MZA Brno, G 2, Nr. 678/1, G. v. L. an Fr. J. V. Barnabaeus, Kromau, 31. Mai 1630.
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bruar 1631 bestand der Brünner Prälat ausdrücklich auf der Herausgabe des Klosterbesitzes, woraufhin Gundaker die Verhandlungen abbrach. 77 Bereits Anfang des Jahres 1631 hatte Fürst Gundaker dem Propst des Benediktinerstiftes Raigern (Georg Adalbert Kotelik von Horstein) bei einer persönlichen Begegnung in Brünn seine Absicht kundgemacht, in Kromau in dem wiederzubelebenden Kloster eine Lateinschule zu errichten. In einem eigenhändigen, am 10. April im Kromauer Schloß verfaßten Schreiben machte der Fürst das Angebot, Schule und Kloster den Raigerner Benediktinern anzuvertrauen und ersuchte den Propst, sich deshalb mit dem Abt des Mutterklosters Bfevnov ins Einvernehmen zu setzen. Der Abt antwortete dem Prior am 2. Mai, das weitere Vorgehen möge mit Kardinal Dietrichstein abgesprochen werden, und stimmte für den Fall einer raschen Adaptierung des Kromauer Klostergebäudes grundsätzlich zu, das neue Ordenshaus probeweise mit zwölf „Individuen" zu besiedeln. Der Plan zerschlug sich jedoch aus nicht näher bekannten Gründen. 78 Anfang Oktober äußerte sich Fürst Gundaker von Kromau aus gegenüber seinem Kanzler, es wäre ihm „sehr lieb, daß patres dahero ehist kehmen". Er wolle „keinen unnkosten unnd ungelegenheit ansehen" und sei der Meinung, „das haus könte gar woll zugericht werden". Er plante damals, für den Unterhalt des Konvents dem Kromauer Kloster die Pfarre Groß-Tajax samt dem Zehent zu inkorporieren. 79 Nach dem Tod von Johann Vinzenz Barnabaeus, des Priors des Brünner Augustinerklosters, im Dezember 1631 nahm der Fürst die Verhandlungen mit dessen Nachfolger Dr. Georg Gladich, einem geborenen Kärntner, der zuvor Provinzial der Steiermark und Kärntens gewesen und dessen Wahl durch den Brünner Konvent auf die dringende Empfehlung des Kaisers bzw. von dessen Obersthofmeister Hans Ulrich von Eggenberg hin erfolgt war, wieder auf. 80 Am 16. April 1633 machte Gundaker dem Prälaten das Angebot, die Rechte des Augustinerordens am Kromauer Kloster bzw. dessen Ruine um 500 Gulden abzulösen. 81 Am 9. Juli 1633 schlossen Gundaker und Gladich endlich auf Schloß Kromau - in „erwegung der ausbraittung der heilligen catholischen, allein seeligmachenden religion" - einen das verfallene Kloster betreffenden Vertrag. Gegen Zahlung von 1.000 Gulden übergab der Generalvikar und Prior des Mutterklosters von Kromau dem Fürsten alle Rechte des Ordens an dem genannten Kloster. Den Vertrag unterschrieben und siegelten neben den zwei Genannten noch P. Jakob Kirschner, Prior des (15 km südlich von Mährisch Trübau gelegenen) Augustinerklosters zu Gewitsch 82 , und Dr. theol. Samuel Warner(us), Kanoniker im Stift Haug vor Würzburg und Hofkaplan des Fürsten Gundaker. 83 Am „30. Februar" („die vero mensis Februarii trigesima", recte vielleicht am 13. oder 28. Februar) 1634 erneuerten Fürst Gundaker und Prior Georg in Gegenwart aller sieben Priester des Brünner Konvents („convocatis 77
Janetschek, S. Thomas, S. 5. Dudik, Raygern, Bd. 2, S. 160 f. 7 ' HALW, Κ. Η 826, G. v. L. an seinen Kanzler Dr. Michael Schießel, Kromau, 4. Oktober 1631 (Konzept oder Abschrift). Zu dem im Januar 1631 geäußerten Vorschlag Gundakers, um 20.000 Gulden in Kromau ein Piaristenkolleg zu errichten, siehe unten S. 391. Wie aus den Annalen der Böhmischen Provinz des Kapuzinerordens hervorgeht, scheint der Fürst bereits im Jahr 1630 auch mit diesem Orden Vorgespräche über eine etwaige Einfuhrung in Mährisch Kromau geführt zu haben. Rabas, Räd kapucinsky, S. 60. '"Janetschek, Augustiner-Eremitenklöster, S. 12 f.; ders., S. Thomas in Brünn, S. 222-225 und 229-233; Sloschek, Geschichte des Augustinerklosters, S. 121—124; ders., Mährisch-Kromau, S. 143-145 (hat in beiden Arbeiten irrtümlich Johann Gladich); MZA Brno, G 2, Nr. 678/1, Schreiben des Fürsten G. v. L. an den Prälaten Johann Vinzenz Barnabaeus, Kromau, 31. Mai 1630 (Konzept oder Abschrift). " MZA Brno, G 12, fbl. 16f., G. v. L. an den Augustiner-Provinzial zu Brünn, 16. April 1633 (Konzept). 82 P. Jakob war im Februar 1632 im ersten Wahlgang einstimmig zum neuen Prior des Brünner Klosters gewählt worden, hatte die Wahl aber nicht angenommen, um die Kür des kaiserlichen Kandidaten Georg Gladich zu ermöglichen. Janetschek, S. Thomas in Brünn, S. 229 f. 83 Original im MZA Brno, F 177, K. 330, Fasz. 14. Konzepte einer deutschen und einer lateinischen Version des Vertrags ebd., G 12, II, Nr. 122a, fol. 19ff. 78
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omnibus sacerdotibus suae familiae, coram quibus [Dominus Prior] praesentem hanc scripturam legi curavit") den Vertrag in lateinischer Sprache - unter der Voraussetzung der Erlangung des päpstlichen Konsenses und der Zustimmung des Ordensgenerals der Augustiner. 8 4 Am 2. Dezember 1634 bewilligte das zuständige Kardinalskollegium in Rom im Namen des Papstes den Vergleich, und am 7. Dezember erteilte auch der Generalprior der Augustinereremiten, ebenfalls in Rom, seine Zustimmung („contractum [...] confirmamus et approbam u s " ) . 8 5 Ende November 1635 bestätigte schließlich auch der Kaiser als König von Böhmen und Markgraf von Mähren den Vertrag zwischen dem Fürsten Gundaker und dem Prälaten Georg Gladich. 8 6 Den Schlußpunkt unter den Rechtsakt setzten am 13. Dezember 1636 die Mönche des Brünner Augustinerklosters, indem sie eine Q u i t t u n g über den Erhalt der vereinbarten 1.000 Gulden ausstellten. 87 Fürst Gundaker trug sich nun zunächst mit dem Gedanken, „zu der ehre Gottes, zu nutz unserer seelen, zu nachvolg unserer erben und zu aufnehmung unserer underthanen" ein mit einer Schule verbundenes Weltpriesterkollegium in seiner Residenzstadt zu stiften, dem er auch die Pfarre zu inkorporieren gedachte. 8 8 Aufgabe des Priesterkollegiums sollten die Seelsorge (täglich mindestens zwei Messen, an Sonn- und Feiertagen Messe und Vesper mit Musik, Spendung der Sakramente etc.) und Kinderlehre sowohl in Kromau als auch in den umliegenden Dörfern Rakschitz, Ribnik, Dobrinsko und Rottigl sein. Die Schüler sollten zum täglichen gemeinsamen Meßbesuch verpflichtet werden. Der zugleich als Schulinspektor fungierende Propst (oder Dechant) sollte „under seiner direction" drei Vikare, einen Schulrektor und zwei Schulmeister haben. Für die Priester sollte auf Kosten des Fürsten Gundaker eine Dechantei samt drei Stuben für die Schule gebaut werden. In der ersten Klasse sollten die Kinder im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet werden, in der zweiten in den Grundlagen der lateinischen Sprache, im Deklinieren und Konjugieren, in der dritten schließlich vom Rektor „also, daß sie congrue lateinisch reden und schreiben können usque ad syntaxin inclusive". In allen drei Klassen sollte an Sonn- und Feiertagen der Katechismus „geübt" und überhaupt „die jugendt neben gueter moralitet und insonderheit in der pietet fleißig" unterwiesen werden. Der Rektor sollte „auch die cantorey under seiner direction haben" und „sambt denen schuelmeistern mit derselben die hl. meß, vesper, begräbnussen und andere gottesdinst der gebühr nach vleißig bedienen". Abschließend behielt Fürst Gundaker in dem Entwurf gebliebenen Stiftbrief sich und seinen Nachkommen das Recht vor, fiir den Fall, „daß es mit der weltlichen clerisey kein gueth thuen wurde unnd die frucht dem uncosten nicht correspondirte [...], solche fundation zu enden und dieselbe in ein spiral der armen oder wiederumb in ein closter, welches ordens wier wollen, oder in ein anders pium opus zu verwenden, ohne einig scrupul oder jemands einrede oder Verhinderung". 8 9 Diesen Plan ließ Fürst Gundaker offenbar rasch wieder fallen und beschloß, den damals modernsten Orden der katholischen Kirche, der sich der Erziehung und Bildung der Jugend widmete, nach Liechtenstein (Kromau) zu berufen: den von dem in R o m wirkenden katalanischen Adeligen Joseph von Calasanz(a) 1602 gegründeten, 1614 und neuerlich 1617 von
81 Μ Z A Brno, F 177, K. 330, Fasz. 14. Abschrift ebd., G 12, II, Nr. 122a, fol. 22 ff. Fürst Gundaker beschäftigte sich persönlich eingehend mit der genauen Textierung und den einzelnen Formulierungen des Vertrags. Vgl. die Vertragsentwürfe ebd., fol. 2 0 - 3 7 . 85 M Z A Brno, G 2, Nr. 678/1 (Originale); ebd., Nr. 2 3 1 / 1 6 (Abschriften). Weitere Abschriften ebd., G 12, II, Nr. 122a, fol. 24 und 38 f. " M Z A Brno, G 2, Originalurkunde vom 29. November 1635 (Pergamentlibell mit anhangendem großen Siegel Kaiser Ferdinands II.); ebd., Nr. 2 3 1 / 1 6 (Abschrift). 87 M Z A Brno, G 2, Nr. 231/16, Original der von Prior und Generalvikar Georg sowie sechs weiteren „Fratres" unterschriebenen Quittung. " M Z A Brno, F 177, K. 331, Fasz. 14 (früher; G 2, Nr. 231/50), undatierter Entwurf für einen Stiftbrief mit eh. Einfügungen Gundakers, wahrscheinlich aus dem Jahre 1635. " Ebd.
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Paul V. als Kongregation mit einfachen Gelübden eingerichteten und 1 6 2 1 von Gregor XV. zum religiösen Orden mit feierlichen Gelübden (als viertes Gelübde - neben jenen der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams - das der Jugenderziehung) erhobenen „Ordo Clericorum Regularium Pauperum Matris Dei Scholarum Piarum", im deutschen Sprachraum verballhornt zu „Piaristen". 90 Der Entschluß Gundakers dürfte nicht zuletzt auf den Rat des Kardinals und Olmützer Bischofs Franz von Dietrichstein zurückgehen, der Joseph von Calasanz bereits 1 5 9 2 in Rom kennengelernt haben könnte. 9 1 Nachdem 1625/26 der von den Kardinälen Dietrichstein und Klesl unterstützte Plan der Gründung eines Piaristenkollegs in W i e n - sei es am Widerstand der Jesuiten oder an der Ablehnung der in W i e n bereits ansässigen Bettelorden - gescheitert war 9 2 , hatte Dietrichstein im Jahre 1 6 3 1 die Piaristen in Mähren eingeführt und in seiner Stadt Nikolsburg die erste Schule und das erste Kolleg dieses Ordens außerhalb Italiens gegründet. 9 3 Anfang April desselben Jahres trafen die ersten sieben Ordensmänner in Nikolsburg ein. 1 6 3 3 hatte die aus einer (dreiklassigen) deutschen Knabenschule und einer Lateinschule (seit 1 6 3 8 vier bzw. fünf Gymnasialklassen plus Klasse der Arithmetistae) bestehende Nikolsburger Schule angeblich bereits 4 0 0 Schüler. 9 4 Sie war damit eines der wichtigsten Instrumente der Gegenreformation in (Süd-)Mähren. In den fünfziger Jahren schwankte die Zahl der Nikolsburger Piaristenschüler in allen acht bzw. neun Klassen zwischen 2 0 0 und 3 0 0 . In den siebziger Jahren stieg die Zahl wieder auf mehr als 4 0 0 9 5 In das Jahr 1 6 3 3 fällt die Gründung des ebenfalls in Südmähren - in unmittelbarer Nachbarschaft zur Herrschaft Ungarisch Ostra Gundakers von Liechtenstein - gelegenen Piaristenkollegs in Straßnitz durch den Herrschaftsinhaber Franz Freiherr bzw. (seit 1 6 3 6 ) Reichsgraf Magni, einen jüngeren Bruder des berühmten Kapuziners Valerian Magni und Günstling des Kardinals (im September 1 6 2 7 bezeichnete Franz von Magni den Kardinal ausdrücklich als seinen Protektor und Schutzherrn). 9 6 Das Straßnitzer Piaristenkolleg trat übrigens an die Stelle einer dort zuvor unter dem Schutz der früheren Herrschaftsinhaber, der
50 Vgl. u. a. Picanyuol, Joseph v. Calasanza; ders., Piaristen; Ausenda, Chierici regolari; ders., Scolopi; Endl, Wirken der Piaristen; Sdntha (Hg.), Epistulae ad s. Josephum Calasanctium, S. V1I-XXII (Introductio) und passim. " „[...] auf Einrathen des damaligen mährischen Herrn Landeshauptmannes und zugleich Olmützer Fürstbischofes Frantzens Kardinal v. Ditrichstein bath [Gundaker von Liechtenstein] sehr höflich den Stifter der frommen Schulen, [den] Heiligen Josef von Calasanz, um die Einführung der Väter dieses Ordens allhier [...]." MZA Brno, G 13, Nr. 422a (Lux, Merkwürdigkeiten der Stadt Mährisch Kromau), fol. 8"-9'. Vgl. Santha, Cardinalis princeps Franciscus Dietrichstein, bes. S. 46 f. 92 Winner, Studien, S. 89-91. Die Gründung einer Niederlassung der Piaristen in Wien (Kollegium Maria Treu in der späteren Josefstadt) kam erst im Jahre 1697 zustande. Vgl. ebd., S. 91-113. 93 Zur Geschichte der Niederlassungen des Piaristenordens in Mähren und Böhmen siehe vor allem Α. A. Neumann, Piariste, und Zemek/Bombera/Filip, Piariste. 94 A. A. Neumann, Piariste, S. 79. Balcdrek, Italovi, S. 30, spricht von 400 Schülern des „Nikolsburger Gymnasiums". Die Zahl bezieht sich aber auf die gesamte Schule. 1655 bis 1658, als die Blütezeit des Kollegiums unter Kardinal Dietrichstein allerdings bereits vorüber war, zählte man in allen Gymnasialklassen zusammen im Schnitt bloß 80 Schüler. Vyslouzil, Beitrag, S. 26. Vgl. auch Zemek u. a., Piarist^, bes. S. 7 - 1 3 und 31 f., sowie Wotke, Piaristenschulen, bes. S. XIII. 95 A. A. Neumann, Piarist^, S. 79. % d'Elvert, Grafen von Magnis, S. 26-28; Wotke, Piaristenschulen, S. Vllf.; A. A. Neumann, Piariste, S. 37-44 und passim; [Santha], Comes Franciscus Magni, S. 5 f. und passim; Balcärek, Frantiäek Magnis; Zemek u. a., Piaristi, S. 14-16 und 36 f. - Der Offizier und Militärberater des Kaisers (1626 Oberst, 1631 wirklicher Hofkriegsrat, 1644 Feldmarschalleutnant) sowie Diplomat in Diensten des Kaisers und des Königs von Polen Franz von Magni, seit 1636 Reichsgraf von Straßnitz, war ein mit Michael Adolf von Althan vergleichbarer Förderer der gegenreformatorischen Orden in Mähren: Er stiftete, nachdem er im Jahre 1628 die vormals zerotinsche Herrschaft Straßnitz erworben hatte, nicht nur Kloster, Kirche und Schule der Piaristen in seiner Residenzstadt Straßnitz, sondern war auch an der Gründung der Kapuzinerklöster in den königlichen Städten Znaim, Iglau und Brünn beteiligt. d'Elvert, Grafen von Magnis, S. 28; Balcärek, Frantisek Magnis, S. 10.
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Herren von Zerotin, existierenden Schule der Brüderunität. Straßnitz gehörte damals zu den größten Städten Mährens und war für die Rekatholisierung Südostmährens von strategischer Bedeutung. 97 Graf Franz Magni betonte im August 1641 in einem Schreiben an Joseph von Calasanz, welch große Rolle die Piaristen bei der Bekehrung der „Häretiker" in Straßnitz spielten. 98 Im September 1647 unterstrich auch sein Bruder P. Valerian Magni in einem Brief an Francesco Ingoli, den Sekretär der Kongregation „de Propaganda Fide", den großen Anteil der Straßnitzer Piaristen an der Bekehrung der Bewohner der Stadt. Die Schüler kämen nicht nur aus der näheren Umgebung, sondern sogar aus Ungarn. 99 1634 brachte Kardinal Dietrichstein die Piaristen auf seine Herrschaft Leipnik nahe der Mährischen Pforte (nordöstlich von Prerau), wo er ihnen - ebenso wie Graf Magni in Straßnitz - die ehemalige Schule und das Versammlungshaus der Brüderunität übergab. Mit Schreiben vom 25. August 1634 schuf der 1632 von Urban VIII. zum Ordensgeneral auf Lebenszeit ernannte Joseph von Calasanz die zunächst nur aus drei mährischen Klöstern und Kollegien bestehende neue Ordensprovinz Germania. In Leipnik wurde das Noviziat der neuen Ordensprovinz eingerichtet. Die von Kardinal Dietrichstein inaugurierte Absicht des Grafen Michael Adolf von Althan, gegen Ende seines Lebens ein Piaristenkolleg in dem nur neun Kilometer nördlich von Mährisch Kromau gelegenen Oslawan zu gründen, wurde durch den Tod Althans vereitelt. Er starb 1636, im selben Jahr wie Kardinal Dietrichstein. 1632 trug sich auch Leo Wilhelm Graf Kaunitz mit dem Gedanken, in Austerlitz ein Piaristenkolleg zu stiften. Am 18. und 19. Dezember 1635 tagte unter dem Vorsitz Dietrichsteins in Kremsier das erste Provinzialkapitel, auf dem insgesamt nur acht Mitglieder aus allen drei mährischen Piaristenkollegien anwesend waren. Sie wählten drei Rektoren und den Genuesen Giovanni Stefano Spinola (Ordensname: P. Ioannes Stephan us a Matre Dei), der früher die Provinz Ligurien geleitet hatte und mit dem Kardinal Dietrichstein 1630 in Genua den Plan der Gründung des Nikolsburger Kollegs besprochen hatte, zum Provinzial.100 In dieser Situation trat Fürst Gundaker von Liechtenstein, der im übrigen spätestens seit Beginn des Jahres 1631 mit dem Gedanken der Einfuhrung der Piaristen in Kromau gespielt hatte 101 , in Kontakt mit Joseph von Calasanz. Bereits am 26. November 1636 stimmte der Ordensgeneral dem Plan der Stiftung eines Piaristenklosters in Liechtenstein (Kromau) zu. Nach Ostern 1637 (das Osterfest fiel in diesem Jahr auf den 12. April), nachdem P. Spinola, der Provinzial, der sich zunächst ablehnend verhalten hatte 102 , den Bauplatz und den Plan
" Die von Balcärek, FrantiSek Magnis, S. 15, angeführte Zahl von 694 Häusern fur die Stadt Straßnitz allein ist aber wohl doch zu hoch gegriffen; vielleicht handelt es sich dabei um die Zahl der Häuser der ganzen Herrschaft. Der Maria-Theresianische Kataster aus der Mine des 18. Jahrhunderts verzeichnet für die Stadt Straßnitz 394 Häuser (130 in der Stadt, 256 in den Vorstädten und 14 „Chalupen"): Radimsky/Trantirek (Hg.), Tereziänsky katastr moravsky, S. 84, Nr. 42. " [Säntha], Comes Franciscus Magni, S. 7 und 18 A. 25. " Cygan, Anteil Valerian Magnis, S. 365 und 370. (Zur Tätigkeit und Bedeutung Ingolis, des ersten Sekretärs der „Propaganda" in den Jahren 1622 bis 1649, sowie zu seiner Gegnerschaft gegenüber Jesuiten und Englischen Fräulein vgl. insbesondere Metzler, Ingoli.) 100 Vgl. u. a. Balcärek, Italovi; ders., Kardinal Frantikk ζ DitrichStejna, S. 85-94; Säntha, Dietrichstein, S. 78; A. A. Neumann, Piaristi, S. 31-37 und passim. 101 Vgl. den folgenden Satz in dem am 28. Januar 1631 in Nikolsburg geschriebenen Brief des - zusammen mit Kardinal Dietrichstein - um die Einführung der Piaristen in Mähren höchst verdienten, 1579 in Antwerpen geborenen Dr. Johann Baptist Gramay an Joseph von Calasanz: „Ian enim plures harum Provinciarum Magnates a me informati de Sanctiss(i)mo V(est)ro Instituto, decreverunt P(at)res vestros petere, inter quos Exc(ellentissi)mus Princeps de Lichtestain offert deponere viginti millia [!] florenorum ad aedificandum in Civitate residentiae suae ordinariae Monasterium pro P(at)ribus v(est)ris [...]." Sintha (Hg.), Epistulae, S. 489. 102 Am 24. Dezember 1636 schrieb er an J. v. Calasanz, daß er sich mit Händen und Füßen gewehrt habe, die Stadt des Fürsten Gundaker („la sua Cittä") als Standort eines neuen Kollegs und Klosters zu akzeptieren, „conoscendo io molto bene non esser utile per la n(ost)ra povera principiante Religione una cosi pernitiosa fbndatione". Sintha (Hg.), Epistulae, S. 1114.
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genehmigt hatte, befahl der Fürst, mit den Bauarbeiten zu beginnen. Auf der Reise nach Liechtenstein im Mai 1637 war P. Spinola von dem Laienbruder Ioannes Verdun a S. Maria begleitet worden. Fr. Ioannes berichtete am 24. Mai 1637 dem Ordensgeneral über den Fürsten Gundaker, er sei ein gütiger Fürst („un benigno principe"), der den Piaristen großes Wohlwollen entgegenbringe. Das Kloster werde an einem schönen Ort liegen, der ihm viel besser gefalle als Straßnitz. Er habe sich über den Fürsten bei den Seinen („dalli suoi") erkundigt, die gesagt hätten, er sei nicht so geizig („tenace"), wie die Fama gehe. 103 Beim Abschied habe der Fürst ihm zweimal die Hand gegeben. Merkwürdig ist der folgende Satz über die Bewohner der Stadt: Die Männer seien Deutsche, aber der Großteil der Frauen seien Tschechen („Boheme"), was freilich auch bedeuten könnte, daß nur die Männer beide Landessprachen beherrschten. 104 Nach dem Bericht der 1672 von dem damaligen Subprior Fr. Adam Koloczany verfaßten Hausgeschichte des Kromauer Paulinerklosters wurde nach Ostern 1637 in Anwesenheit des Fürsten Gundaker und weiterer Angehöriger des fürstlichen Hauses Liechtenstein der Grundstein des Kromauer Piaristenklosters gelegt.105 In die Küche und in den Garten wurde eine Wasserleitung gelegt. 106 Aus dem noch aufrecht stehenden Sanctuarium (Presbyterium und Chor) der alten gotischen Kirche wurde die neue Klosterkirche gebaut, ein neuer Turm für drei Glocken wurde hinzugefiigt. 107 Das Schulgebäude mit Räumen für sechs Klassen wurde an der Stadtmauer errichtet, und zwar gegen den Willen der Patres Piarum Scholarum, die den Neubau - in erster Linie wegen der Ruhe der Religiösen, aber auch wegen der größeren Bequemlichkeit für die Schüler 108 - lieber vor der Kirche gesehen hätten. 109 Die Baufiihrung oblag zunächst (im Jahre 1638) Meister Pietro Colomba (Columba), der aber im Februar 1639 den Dienst des Fürsten Gundaker verließ, Anfang Juni des folgenden Jahres noch einmal bestallt wurde, seinen Verpflichtungen jedoch nicht nachkam und daher im November 1640 gekündigt und 1641 von dem Brünner Baumeister Andrea Erna abgelöst wurde, der bereits Ende April 1639 einen mit ihm verwandten, aus Italien herbeigerufenen Maurermeister nach Liechtenstein geschickt hatte und den der Fürst seit November 1640 als Bauleiter zu gewinnen bemüht gewesen war. 110 Der im April 1638 als Visitator nach Mähren entsandte P. Petrus Casani a Nativitate B(eatae) M(ariae) V(irginis) besuchte Anfang Juni 1638 auch Mährisch Kromau/Liechtenstein, wo er Fürst Gundaker („Princeps ille Condoccus") zwar nicht antraf. Der Kromauer
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Zur Freigebigkeit als adeligem Wert und zu dem damit verbundenen „labilen Gleichgewicht zwischen Verschwendung und Geiz" siehe Mat'a, Aristokraticka prestiz, Kap. 3.4. 104 Säntha (Hg.), Epistulae, S. 1214. Vgl. Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 42: Im 16. Jahrhundert entwickelte sich „aus der ursprünglich deutschen und katholischen Stadt des 13. Jahrhunderts ein fast völlig tschechisches Gemeinwesen". 105 MZA Brno, G 10, Hs. 107, fol. 9"-10'. 106 Ebd., fol. 10'. 107 Ebd. „[...] cum ob meliorem Scholarium commoditatem, tum et vel maxime ob religiosorum quietem [...]"· m
MZA Brno, G 10, Hs. 107, fol. 10-11'. HALV, Hs. 672, S. 460, G. v. L. an den Regenten, 27. November 1638; Hs. 269/11, S. 48 und 162, G. v. L. an Andrea Erna („Meister Andre") in Brünn, Liechtenstein, 4. Februar und 8. April 1639; Hs. 269/1, S. 160, Andrea Erna an G. v. L„ Brünn, 28. April 1639; Hs 270/11, S. 193, Abrede G.s v. L. mit Meister P(i)etro Columba aus Brünn „wegen vollstendiger erhebung des clostergebeues zu Liechtenstein", Wien, 3. Juni 1640; ebd., S. 424, G. v. L. an Andrea Erna, 27. November 1640 (G. hat dem „maister Peter [...] die bestallung aufgekündet" und ersucht den Meister Andre, die Aufsicht über den Bau des Klosters sowie des Lusthauses im Schloßgarten zu übernehmen); ebd., S. 442, ders. an dens., Liechtenstein, 4. Dezember 1640; Hs. 123, S. 167, G. v. L. an Allman, 27. Februar 1641; ebd., S. 597, G. v. L. an Andrea Erna, 30. Juli 1641; ebd., S. 733, ders. an dens., 11. Oktober 1641 (Abschriften). Siehe auch F. Wilhelm, Materialien zur Kunstförderung, Sp. 36 f.
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Hauptmann des Fürsten habe ihm aber gemeinsam mit dem Architekten genau erläutert, wie das Kloster gebaut werden solle. Nach dessen Fertigstellung werde sicherlich nichts fehlen, was zu einem Kloster gehöre. 111 Kurz vor Weihnachten 1639 informierte Gundaker seinen Pfleger zu „Liechtenstein", er sei „willens [...], das closter - wils Gott - künfftiges jar völlig aufzupauen, wover es die kriegsunruhe nicht verhindern wird". Der Pfleger solle alle Vorbereitungen treffen und die Untertanen im Winter Holz, Steine, Ziegel und Kalk zur Baustelle fuhren lassen. Der Fürst hatte die Absicht, „den obern stockh des closters durch und durch zu gewölben" und trug dem Pfleger auf, Gutachten von den Meistern Peter (Pietro Colomba) und Andre (Andrea Erna) in Brünn einzuholen. 112 Am 2. Januar 1641 berichtete P. Honuphrius Conti a SS. Sacramento, ein Neapolitaner, der von 1638 bis 1659 an der Spitze der Deutschen Ordensprovinz der Piaristen stand, dem Ordensgeneral, das Kloster in „Liechtenstan" sei noch nicht fertig. 113 Elf Tage später schrieb er aber zufrieden nach Rom, der Bau schreite voran und werde sehr bequem und schön, aber dennoch nicht dem Armutsgelübde des Ordens widersprechend. Der Fürst wolle das Kloster im laufenden Jahr so weit fertigstellen, daß es von den Patres bezogen werden könne und habe ihn um ein Verzeichnis der nötigsten Dinge, die Maße der Tische, Bänke („scabelli"), Betten etc. gebeten. 1 1 4 Ein halbes Jahr danach besuchte der Provinzial neuerlich Liechtenstein/Kromau. Er berichtete am 14. August, das Kloster sei fast fertig, es müßten nur noch einige Wände verputzt werden, und vor den Fenstern fehlten die Eisengitter. Für den Schulunterricht wolle der Fürst ein Haus hinter dem Konventsgebäude einrichten lassen. Er, P. Conti, halte das sowohl für die Patres wie fur die Knaben fur nicht sehr bequem. Als er aber gesehen habe, daß der Fürst auf seiner Meinung beharrte, habe er ihm gesagt, er möge es machen wie er wolle. Der Fürst möchte, daß im bevorstehenden November bereits sechs Patres und Fratres im Kloster wohnen. Er (P. Conti) werde aber nicht einwilligen, solange nicht die Einrichtung des Klosters fur den gesamten vorgesehenen Konvent im Umfang von 15 Mitbrüdern fertig sei. 1 1 5 P. Ambrosius Leailth a S. Maria, der Rektor des Nikolsburger Piaristenkollegs, berichtete am 1. Oktober 1642 sehr pessimistisch über die Stiftung des Fürsten Gundaker. Das Interesse des Fürsten an seiner Stiftung sei erkaltet, er verliere darüber kein Wort mehr. Er wolle wohl in dieser Notzeit die Stiftung aufgeben. Der Bau sei immer noch nicht fertig, die Mau-
1
" „ [ . . . ] sed qui civitatis gubernacula tractat simul c u m architecto o m n e m nobis illius extruendae d o m u s
rationem exposuit, et certe, c u m perfecta fuerit, nihil in ea, q u o d ad reiigiosam d o m u m pertineat, desiderabitur". P. Casani an J . v. Calasanz, Nikolsburg, 8. Juni 1 6 3 8 . Säntha ( H g . ) , Epistulae, S. 123. 112
HALV, H s . 269/11, G . v. L. an den Pfleger zu Liechtenstein (= K r o m a u ) , Ebergassing, 2 0 . Dezember
1 6 3 9 (Abschrift). 113
„II C o n v e n t o non e ancora perfectionato." Säntha ( H g . ) , Epistulae, S. 174; ders., Dietrichstein, S. 7 8 .
IH
„ S o n o stato a Liectenstain dal Sig(no)r Principe C o n d o c h e r o , et ho visto quella Fabrica, la quale riu-
scirä assai c o m m o d a et bella, non perö contraria alla n(ost)ra Povertä. [ . . . ] " Säntha (Hg.), Epistulae, S. 176. Vgl. auch ebd., S. 9 4 2 , den Brief des P. H . Orselli v o m 3 0 . M ä r z 1 6 4 2 über die W i e d e r a u f n a h m e der Bautätigkeit nach der Winterpause u n d die Absicht des Fürsten Gundaker, „di far fine alia fabrica, che senz'altro quest'anno sarä Stabilita". 1,5
„ [ . . . ] vi m a n c a intonacare alcune p(are)te et farvi certe suffitte, et di sotto alle finestre farvi lecancellate
di ferro, quale esso vorrebbe farne di senza, m a io gli ho detto, che in ogni m o d o le facci fare, poi che non si ne p u ö fare di m e n o per la clausura. Circa le scuole vuole [Fürst Gundaker] addubbare certa casa dietro Γ n(ost)ro convento, et ivi farle, io n o n acconsentivo per essere di m o l t o s c o m m o d o , si per Ii padri, c o m e per Ii figlioli, m a vedendo, che stava confirmato nel suo parere, l'ho detto che facci c o m e gli piace [ . . . ] . II suo pensiero sarebbe che per il prossimo S. M a r t i n o vi andassero ad habitare da sei p(ad)ri et f(rate)lli, m a io, so non ha perfectionato il tutto, con le supellettili per tutta la famiglia, che haveranno d a essere 15, non lo contentero, se pure altrimente non mi comandasse v(ostra) p(aternitä) [ . . . ] . " Ρ C o n t i an J. v. Calasanz, Nikolsburg, 14. August 1641. Säntha ( H g . ) , Epistulae, S. 189 f. Vgl. auch den Brief des P. Hyacinthus Orselli a S. Gregorio, des Sekretärs des Provinzials R C o n t i , v o m 10. August 1641 (ebd., S. 9 2 0 ) , sowie das Schreiben des Provinzials an G . v. L „ Nikolsburg, 23. August 1641, im Μ Z A Brno, G 2, Nr. 2 3 1 .
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Residenzen
ern noch nicht ausgetrocknet. 116 Und am 12. Oktober meinte P. Ambrosius, die Stiftung des Fürsten Gundaker ziehe sich in die Länge. 117 Zu Weihnachten 1642 äußerte sich Fürst Gundaker, er sähe es gerne, daß die Patres im kommenden Frühjahr „das closter zu Liechtenstein bezügen und bewohneten". 118 Im Februar 1643, nachdem die Piaristen trotz wiederholter Einladung niemanden zur Besichtigung des Baus entsendet hatten, teilte ihnen Fürst Gundaker mit, „wann sie etwa zu gemeltem kloster kheinen lust hetten, so wehre uns angenehmb, daß sie es uns beyzeiten anzeigeten, hiermit wir uns mit anderen ordenspersohnen zu versehen wüßten". 119 Mitte März berichtete Gundaker seinem Sohn Hartmann, die Patres Piae Scholae hätten sich gegen ihn verlauten lassen, „als ob sie einen schlechten lust hetten, das kloster zu Liechtenstein" zu beziehen. Der Grund liege seiner Ansicht nach darin, „daß sie in Pohlen etliche fundationes angenohmen, welche ihnen annemblicher" seien. Er möchte zwar nichts lieber, als daß die Piaristen das Kloster bewohnten, und zwar „einig und allein wegen der schuelen, damit dardurch auch der statt etwas möchte geholffen werden". Hartmann möge sich aber vorsorglich bei einem „vornehmen" Kapuziner oder Barfüßer (d. h. Franziskaner) erkundigen lassen, ob sie Interesse an dem Kloster hätten. 120 Im April 1643 verfaßte Fürst Gundaker ein „Memorial" betreffend die für das Kloster nötigen Tischlerarbeiten. Daraus geht unter anderem hervor, daß die Schule sechs Klassenzimmer umfaßte, eines für die Rechenklasse, eines fur die Schreibklasse, zwei fur die beiden Lateinklassen, eines für die kleinen Knaben und ein sechstes, dessen Bestimmung nicht spezifiziert ist. Gundaker erteilte den Befehl, der Tischler solle alles so machen, wie es die Patres verlangen, „damit sie desto eher das closter bewohnen können". 121 Am 2. Mai berichtete der Pfleger, den Piaristen seien die Fenster der Zellen zu klein, „wollens lieber größer haben". Außerdem begehrten sie „eine gantze biblioteca in büchern" sowie eine Apotheke und eine Tischlerei. 122 Ende Mai 1643, kurz vor der Beendigung der Bauarbeiten am Kloster, setzte der Provinzial dem Fürsten Gundaker seine Vorstellungen über dessen Dotierung und Einrichtung auseinander. Die anderen Fundatoren von Piaristenkollegien in Deutschland, Böhmen und insbesondere in Polen, schreibt P. Honuphrius, assignierten für jeden Konventualen pro Jahr fur Viktualien, Kleidung, Reisespesen, Medikamente etc. 50 Reichstaler, das seien 75 Gulden rheinisch. 123 In einem dem Schreiben beigelegten Verzeichnis ist aufgelistet, was an Inventar und „hausrat" flir Kirche, Sakristei, Küche, (große und kleine) Speisekammer, Refektorium, Oratorium, Garderobe, Krankenwohnung (zwei Krankenzimmer), Gästezimmer, (15 oder 16) Zimmer (Zellen) der Patres, Bibliothek, Garten, Tischlerei, Bäckerei, Kreuzgang, Keller und schließlich für die Schulklassen anzuschaffen sei. Allein die Liste des nötigen Inventars der Klosterkirche und der Sakristei umfaßt 66 Posten, darunter ein Tabernakel mit fünf Vorhängen in fünferlei Farben, eine Monstranz, ein geweihter Stein für jeden Altar, zwei Beichtstühle, eine Kanzel, ein Kruzifix, ein Prozessionskreuz, ein Himmel oder
116 „In quanto alia fondatione del prencipe Gondacker ogni cosa va molto freddo. Ne una parola parla piü il prencipe. Io credo che habbia pocha voglia di far fondatione in questo tempo cosi stretto. La fabbrica non b finita. Li muri non sono ancora asciutti, talche sopra questa fondatione non si puo far fondamento [...]." Sdntha (Hg.), Epistulae, S. 687. 117 „La fondatione del prencipe Gundacker andarä in longo." Säntha (Hg.), Epistulae, S. 690. " ' HALV, Hs. 157, S. 596, G. v. L. an den Pfleger zu Liechtenstein, 23. Dezember 1642 (Abschrift). " ' HALV, Hs. 271, S. 79, G. v. L. „an die p(atres) piae scholae", 10. Februar 1643 (Abschrift). 120 Ebd., S. 115 f., G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, 14. März 1643 (Abschrift). - Die Fürsten Gundaker und Maximilian von Liechtenstein gehörten übrigens zu den Wohltätern des Wiener Franziskanerklosters von St. Hieronymus. Kopallik/Holzland, Geschichte, S. 34 f. 121 HALV, Hs. 271, S. 134-136, G. v. L., „Memorial der tischlerarbeit, so zu verfertigen in dem Liechtensteinischen clostergebeu vonnöthen ist", Raab, 8. April 1643 (Abschrift). 122 Ebd., S. 172, „Verzaichnus, was zum klostergebeu noch vonnöthen ist", 2. Mai 1643 (Abschrift). 123 Μ ZA Brno, G 2, Nr. 231, P. Conti an G. v. L„ Nikolsburg, 27. Mai 1643; Druck: Säntha (Hg.), Epistulae, S. 295 f.
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Baldachin fiir die Prozessionen und ein zweiter „ober den hochaltar", Bänke für die Kinderlehre 1 2 4 , 24 Messingleuchter fiir das Heilige Grab „sambt einer zahl amplen und alles darzue notturfftiges", eine Chororgel, „ein stuel, vor welchem man khan niderknien und ein siz darneben, darinnen man khan in der sacristey beicht heren" sowie „ein begräbnus 1 2 5 für die patres und ein andere (wann es doch euer fiirstl. gnaden gefallen ist) fiir die schueler und andere andehtige der religion". Für die Tischlesungen sollten in dem an allen vier Wänden mit Holz getäfelten Refektorium etliche Bücher vorhanden sein, nämlich ein Martyrologium, eine Bibel, „das leben der heiligen und andere dergleichen notwendige nuzliche biecher in den notwendigen sprachen" sowie eine „schlagende uhr, damit man die Ordnung des closters erhalten khan". Die Einrichtung der Zimmer der Patres sollte sich folgendermaßen zusammensetzen: ein „tischlein" und ein Stuhl, ein Bett mit einem Strohsack, einem Kopfkissen aus Stroh und zwei Decken, ein Kerzenleuchter mit Putzer, ein Nachtgeschirr, ein irdenes „gschirrle" fiir das Weihwasser, Schreibzeug und fiir die Wände ein hölzernes Kreuz und ein papierenes Bild. D a ß sich der Tagesablauf im Kloster und in der Klosterschule nach der Uhr richtete, wird einerseits durch die Forderung nach einer Schlaguhr für das Refektorium unterstrichen, andererseits durch die Bitte um insgesamt drei Handglocken: eine fiir den Kreuzgang, „damit die patres zusammenzurieffen", eine zweite, „in die schuel zu leitten", und eine dritte, „die stundzeichen darmit den schuelen 1 2 6 zu geben". 1 2 7 Mitte Juni 1643 waren Kloster und Schule endlich weitgehend fertiggestellt. 1 2 8 Im Dezember trug Fürst Gundaker dem Pfleger auf, alles Nötige verfertigen und vorbereiten zu lassen, damit die Patres möglichst bald einziehen könnten. An Geld wolle er es nicht „erwinden lassen". 1 2 9 Ende August übersandte er aus Rabensburg als Erstausstattung der Klosterbibliothek 34 Bücher nach Liechtenstein, von denen der Großteil (25 Bände) aus seinen eigenen Beständen stammte, ζ. B. die Sonntags- und Feiertagspredigten des berühmten Jesuiten Georg Scherer, zwei Werke des noch berühmteren Kardinals Robert Bellarmin SJ, die Papstviten des Humanisten Bartolomeo Piatina und weitere Predigten, unter anderen von dem polnischen Dominikaner Abraham Bzovius. Dazu kamen neun Bände, die Gundaker um 4 9 Gulden bei seinem Wiener „Buchfiihrer" hatte kaufen lassen: eine Bibel, drei Missalien, eine Bibelkonkordanz, ein Martyrologium Romanum, ein Rituale R o m a n u m sowie der „Flos Sanctorum" des spanischen Hagiographen und Ordenshistorikers Pedro de Ribadeneira SJ und das weitverbreitete (in mindestens 2 2 Sprachen übersetzte) „Exercitium de perfectione" eines weiteren spanischen Jesuiten, des Asketen Alonso Rodriguez. 1 3 0 Es dauerte bis zum Herbst 1644, bis zwei Piaristen in den Neubau einzogen, nachdem Fürst Gundaker den in Nikolsburg residierenden Vertreter des in Leitomischel in Böhmen weilenden 121 Die Gläubigen mußten den Gottesdiensten also stehend beiwohnen, nur fiir den Katechismusunterricht am Sonntagnachmittag („Kinderlehre") gab es Sitzbänke in der Kirche (vermudich in der Kapelle). 125 eine Gruft (?) 126 den Klassen - oder Verschreibung fiir „den schuelern" 127 M Z A Brno, G 2, Nr. 231, Beilage („Der notwendige hausrat") zu dem in Anm. 123 zitierten Brief vom 27. Mai 1643. HALV, Hs. 271, S. 2 7 0 , Pfleger zu Liechtenstein an G . v. L „ 10. Juni 1643 (Abschrift). 129 Ebd., S. 708, G . v. L. an den Pfleger zu Liechtenstein, 19. Dezember 1643 (Abschrift). 130 HALV, Hs. 2 7 2 , S. 514 f., „Vertzaichnus der bücher, welche in das kloster nacher Liechtenstein sein geschickht von Rabenspurg", 27. August 1644 (Abschrift). - Bei einer Inventur wurden im April 1655 in der Bibliothek des seit neun Jahren verlassenen Klosters 7 8 Bücher vorgefunden, die sich teilweise in einem sehr schlechten Zustand befanden (15 Bücher werden als „libri illegibiles" bzw. „libri illegibiles et vetustissimi" bezeichnet, bei einigen fehlten Anfang und Ende, „ein teutsches buech von der Römer gebürlichen werckhen" war „sehr zerrissen"). Z u dem Grundstock aus dem Jahre 1644 waren unter anderem ein „Lutherischer catechismus, teutsch", ein Buch über das Briefschreiben, eine „Ars medicinalis" des Galenus, ein antikatholisches, 1616 in Heidelberg gedrucktes Buch und ein „Liber chimichus, in quo sunt pictae ampulae" gekommen. M Z A Brno, G 2, Nr. 678/4, „Catalogus librorum in monasterio repertorum", Mährisch Kromau, 24. April 1655.
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Provinzials Ende Juli und am 22. September dringend aufgefordert hatte, das Kloster zu beziehen „und die institution der jugend" vorzunehmen 131 : P. Josephus Weicker a Jesu Maria und Fr. Lucas Covatzt a S. Ludovico, also ein Priester und ein Laienbruder. 132 Fürst Gundaker einigte sich mit den Patres darauf, ihnen pro Jahr fur jede ständig im Kloster wohnende Person 75 Gulden zu geben, dafür aber keine Naturalien und Viktualien. 133 Da die Schulklassen noch nicht fertig waren, begann P. Joseph am 2. November 1644 im Kloster „in den zimmern, welche zu unserer notturfft erbauet" mit dem Unterricht in zwei Klassen (einer Lese- und Schreibklasse und einer Rechenklasse) sowie mit Beichthören und Krankenbesuchen. Er hoffte, bald auch mit dem Predigen und anderen Gottesdiensten in der Klosterkirche beginnen zu können. 134 P. Joseph hatte sich bereits im April beim Fürsten Gundaker über die mangelnde Hilfsbereitschaft und Höflichkeit des Pflegers/Hauptmanns („capitaneo di Liectenstain") beklagt. 135 Ende November forderte der Fürst den Pfleger auf, „dieweil wir die geistl(ichen) piarum scholarum mit miehe, uns zu trost und zu aufnehmen der statt an seel, ehr und gut, dahin gebracht", er solle sie, seinem früheren Befehl gemäß, „wol und freindtlich tractieren". 136 Zu Beginn des Jahres 1645, noch vor der Katastrophe des Schwedeneinfalls, kam es zu einem Konflikt zwischen dem Liechtensteiner Pfarrer Theodor Mayer und dem neuen, vom Pfarrer offenbar als unliebsame Konkurrenz betrachteten Kloster. Angeblich untersagte der Pfarrer mit Unterstützung des Pflegers „denen leutten" heimlich und öffentlich, ja sogar von der Kanzel herab, in der Klosterkirche am Gottesdienst teilzunehmen und zu beichten. Angeblich ließ er am Samstag, den 8. Januar durch den Stadtdiener bei fünf Groschen Strafe von Haus zu Haus verbieten, im Kloster an einem Gottesdienst teilzunehmen. Daraufhin verwies Fürst Gundaker dem Pfleger zornig dieses Vorgehen, „dann weder der pfarrer noch ihr gedenken sollet, daß wir das kloster für die gens, sondern für die menschen, daß sie dem gottesdienst darinen abwarten, haben erbauen lassen, unnd wäre pesser, wann der pfarrer und ihr anstatt eueres saufens und spielens in dem kloster dem gottesdienst abwarten thetet". 137 Der Pfarrer stellte die Vorwürfe in Abrede und warf den Patres vor, ihre Klage nur auf Gerüchte gegründet und ihn dadurch verleumdet zu haben. 138 Vergeblich forderte Fürst Gundaker seit dem Sommer 1644 139 - in Verkennung der Existenzprobleme des Ordens 140 und der Tatsache, daß es damals in allen fünfHäusern der Provinz
131 HALV, Hs. 272, S. 420, G. v. L. an den P. Minister Piarum Scholarum, 30. Juli 1644 (Abschrift); ebd., S. 572, ders. an dens., 22. September 1644 (Abschrift). 132 Santha (Hg.), Epistulae, S. 731. 133 HALV, Hs. 273, S. 26, G. v. L. an den Pfleger zu Liechtenstein, 11. Januar 1645 (Abschrift). 134 MZA Brno, G 2, Nr. 231, P. Josephus a Jesu Maria an G. v. L., Liechtenstein, 12. November 1644. Zum Schulwesen der Piaristen in Mähren und Böhmen im 17. Jahrhundert vgl. allgemein Zemek u. a., Piariste, S. 93-110. 135 MZA Brno, G 2, Nr. 231, P. Iosephus a Jesu Maria an G. v. L„ Liechtenstein, 18. April 1644. m HALV, Hs. 272, S. 791, G. v. L. an den Pfleger zu Liechtenstein, 27. November 1644 (Abschrift). 137 HALV, Hs. 273, S. 26, G. v. L. an den Pfleger zu Liechtenstein, 11. Januar 1645 (Abschrift). ,3i Ebd., S. 59 f., Pfarrer von Liechtenstein an G. v. L., 25. Januar 1645 (Abschrift). '3® MZA Brno, G 2, Nr. 231, P. Josephus a Jesu Maria (der in Abwesenheit des Provinzials die Korrespondenz führte) an G. v. L., Nikolsburg, 30. September 1644: der Fürst möge „sich gnedig erklären", was er gesonnen sei, „neben brott, wein, bier und holz, sovil die notturfft erfordert, auff 15 persohnen in numerata pecunia zu diesem gottseeligen werckh zu verschaffen". Vgl. insbesondere HALV, Hs. 273, S. 61 f., G. v. L. an den Provinzial der Piaristen, 28. Januar 1645, und ebd., S. 133 f., die Antwort des Provinzials, Leitomischl, 12. Februar 1645 (Abschriften). '4C Am 11. Juli 1646 schrieb P. Alexander a S. Bernardo (d. i. Alexander Novari) aus Leitomischl in Böhmen an J. v. Calasanz: „[...] parum abest, ut ex his provinciis, in quibus summa cum consolatione nostrorum fundatorum et totius christianitatis non mediocri utilitate viget, non funditus eradicetur." Säntha (Hg.), Epistulae, S. 898. P. A. Novari war 1640 vom Provinzial nach Leitomischl entsandt worden, um den Bau des neugegründeten Kollegs zu überwachen. 1641 war er zum ersten Superior dieses Hauses ernannt worden. Ebd., S. 832.
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zusammen nur neun Priester gab 141 - die Entsendung von insgesamt 15 Patres. Der Ordensgeneral (Minister Generalis) der Piaristen, Joseph von Calasanz, und seine Assistenten waren nach Intrigen einiger Ordensmitglieder im Januar 1643 von Papst Urban VIII. von ihren Amtern suspendiert worden. Gleichzeitig wurde dem Orden verboten, Novizen aufzunehmen und neue Konvente zu errichten. Im März 1646 degradierte Innozenz X. den Orden zu einer einfachen Kongregation ohne Gelübde nach dem Muster des Oratoriums des Philippus Neri. 1 4 2 Erst 1656 erhob Alexander VII. die Piaristen wieder zu einer Kongregation mit einfachen Gelübden; 1669 wurde der Orden von Clemens IX. in alle früheren Rechte eingesetzt. In Mähren und Polen behielten die Piaristen freilich de facto alle Ordensrechte auch zwischen 1646 und 1656 bzw. 1669 immer bei. 143 In der ersten Hälfte der vierziger Jahre konzentrierten die transalpinen Piaristen die Ausbreitung ihrer Tätigkeit besonders auf Polen, wo unter dem Neapolitaner (Carlo) Honuphrius Conti, dem dritten Provinzial des Piaristenordens in der Ordensprovinz Germania, 1642 auf Einladung des polnischen Königs Wladislaw IV. und dessen Kanzlers, des Fürsten Georg Ossolinski, eines Freundes der Brüder Franz und Valerian Magni 1 4 4 , zwei neue Kollegien gegründet wurden (eines davon in Warschau). Dazu kamen noch die 2 6 Wochen dauernde Besetzung Kromaus durch die Schweden und der Ausbruch der Pest im Jahre 1645. 1 4 5 Überdies meinten die Patres im Jahre 1643, daß aus der Stadt Liechtenstein selbst nicht mehr als zehn Schüler zu erwarten seien; zusammen mit den potentiellen Schülern aus der Umgebung rechneten sie damals mit nur 3 0 bis 4 0 Kandidaten. 146 Alle diese Faktoren spielten zusammen und führten dazu, daß die Kromauer Stiftung von den Piaristen im Dezember 1646 endgültig verlassen und im September 1658 auch rechtlich aufgegeben wurde. 147 Zunächst aber harrte P. Josephus Weicker a Jesu Maria, der Superior des nie die ihm zugedachte Aktivität - insbesondere was den Schulbetrieb betrifft 148 - entfaltenden Piaristen-
141
U n d zwar: drei in Straßnitz, je zwei in Nikolsburg, Leitomischl und Leipnik und einen in Liechten-
stein, weiters vier Kleriker und neun „fratelli Operarii". Vier davon starben 1 6 4 5 an der Pest. Santha (Hg.), Epistulae, S. 8 7 4 . 142
Vgl. u. a. Cygan, D e r Anteil Valerian Magnis. In einem Schreiben vom 3 1 . Juli 1 6 4 6 an die S. C o n -
gregatio de Propaganda Fide setzte sich Fürst Gundaker fur das Institutum Scholarum Piarum ein. Santha (Hg.), Epistulae, S. 7 3 5 und 7 3 8 . A m 9. J u n i 1 6 4 6 hatte er (aus Marburg/Maribor) in einem Brief an Joseph von Calasanz geschrieben: „ [ . . . ] io dubito grandemente di loro ordine, pregando pur la Divina Bontä che lo conserva et augmenti, stimandolo per il piü utile per la Christiana republica, offerendomi d'assistere, purche sia per tempo avisato, con che, come et ove posso." Ebd., S. 7 3 7 . 143
Cygan, D e r Anteil Valerian Magnis, S. 3 7 0 .
,44
P. Valerian und sein Bruder Franz setzten sich in R o m , insbesondere bei der Congregatio de Propa-
ganda Fide, vehement fiir den Piaristenorden ein. Vgl. Santha, Nonnullae litterae, bes. S. 1 1 - 1 8 (Valerian Magnis Apologie der Piaristen, M a i 1 6 4 6 ) ; ders., P. Valerianus Magni; ders., C o m e s Franciscus Magni; Cygan, D e r Anteil Valerian Magnis. 145
Vgl. Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 6 6 - 7 0 . Z u den Beziehungen der Magni-Brüder zum polnischen
König und zu Fürst Ossolmski siehe u. a. Cygan, Verhältnis; ders., Ubertritt; ders., Valerian Magni und die Frage der Verständigung. - In einem Bericht an Fürst Gundaker aus Kromau/Liechtenstein heißt es im November 1 6 4 5 , es gäbe auf der Herrschaft nach dem Abzug der Schweden nicht einmal genug Vorräte, um einige Herrschaftsbeamte zu ernähren; „den R J o s e f erhalten wir hir khaum, wil ganz wegk, habe euer fiirstl. gn. ganz underthenig bitten wollen [ . . . ] ihme zu schreiben und zu ermahnen, weilen er so lang geblieben und dem cultu divino vorgestanden, daß er von den armen underthanen nicht weiche; was miglich ist zu seiner unterhalt und des brueders [= Fr. Lukas] wird ihme ervolgt, als von fleisch, bier, wein, brot, kheine khuchelspeisen, schmalz und salz sindt nicht verhanden." HALV, Hs. 2 7 3 , S. 4 2 0 - 4 2 2 (Abschrift). H
* A. A. Neumann, Piariste, S. 7 9 . P. Grien an J . v. Calasanz, Nikolsburg, 17. Dezember 1 6 4 6 : „ [ . . . ] habbiamo resoluto di lasciar ad tem-
pus la casa di Liechtenstein." Santha (Hg.), Epistulae, S. 5 4 7 ; vgl. ebd. 7 3 4 f. und passim; Sloschek, MährischKromau, S. 145 und 1 5 7 f.; F. W i l h e l m , Materialien, Sp. 3 6 f . Vgl. auch Μ Z A Brno, G 10, Hs. 1 0 7 , fol. 1 1 ' " . (Später hinzugefügte Marginalie fol. 1 l v : „Die Piaristen verlassen Kromau, ohne daß ihre Stabilirung daselbst jemals sey zustande k o m m e n . " ) 141
Einer anderen, aber offenbar falschen Angabe zufolge hielten die Piaristen in Kromau seit 1641 die
vier unteren Klassen der Lateinschule ab. Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 145 und 157.
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ldosters in Liechtenstein, während der schwedischen Besetzung der Stadt auf seinem Posten aus. Er wurde sogar von den schwedischen Soldaten versorgt und feierte im Sommer 1 6 4 5 ungehindert Gottesdienste im Kloster, während gleichzeitig ein Prädikant Gottesdienste im Schloß hielt. 1 4 9 Nach dem Tod des Stadtpfarrers Theodor Mayer wurde er wegen der Ausnahmesituation, aber auch infolge des großen Priestermangels 150 vom Olmützer Konsistorium mit der Providierung der Pfarren Liechtenstein, Hosterlitz und Wolframitz betraut. 151 Im Dezember 1645, nach dem Ende der schwedischen Besetzung, ersuchte ihn Fürst Gundaker, weiter in Liechtenstein auszuharren, Gottesdienste zu halten „und die armen leith ohne administrirung der hochheiligen sacramenten nicht [zu] hinderlassen". 152 Im August 1 6 4 6 verließ P. Joseph dennoch das Kloster und begab sich nach Wien. Er erhielt im November desselben Jahres auf seine Bitte hin ein päpstliches Breve mit der Erlaubnis, das Ordenskleid aus- und den Talar eines Weltpriesters anzuziehen, um Pfarrer werden zu können. 1 5 3 Am 6. Februar 1 6 4 7 berichtete der Kromauer Pfleger bzw. Hauptmann 1 5 4 an Fürst Gundaker, Pater Joseph habe „bey seinem abweichen von hinnen unterschidliche viele mobilien, auch etliche kirchensachen" mitgenommen. Er sei von Wolframitz, „welche pfarr zwar ihme conferirt gewesen, aber über 14 tag nicht versehen", bei Nacht „abgezogen". 155 Der Paulinermönch Adam Koloczany führte 1 6 7 2 als Hauptgrund für die Aufgabe des Kromauer Klosters durch den Piaristenorden die große Armut der neuen Stiftung an. Vom Stifter („ex arce") sei - nach dem Schwedeneinfall 1645 - wenig Hilfe („parum solatii") gekommen, von der verarmten Bürgerschaft noch weniger. Auch habe es in der Nachbarschaft der Stadt keine hohen Adeligen („magnates") gegeben, die dem Kloster Geld hätten zukommen lassen, sei es fur Meßstiftungen, sei es fiir Grablegen in der Klosterkirche oder einfach als Almosen. 1 5 6 Am 12. Januar 1 6 4 7 riet Fürst Gundaker von Marburg in der Steiermark aus seinem Sohn Ferdinand Johann, er solle den Piaristen, die daran dachten, nach Kromau zurückzukehren, „kheinen völligen posseß einräumen, damit, wenn sie nicht taugen oder ihr orden nicht mehrers solidirt wird (wie wir dann vermeinen, wenn es bey dem ertheilten bäbstlichen breve verbleibt, daß ihr orden wird dissolvirt werden), deiner liebden die hand offen sey, andere ordenspersohnen dahin zu bringen. Wann deine liebden aber sehen, daß ihr orden einen bestand zu haben veri simili ist, so sein sie vor allen andern allda zu setzen, im widrigen aber andere ordensleut, die da schuel hielten, und da dits nicht sein khan, parfußer 1 5 7 , die gehen aus
149 HALV, Hs. 273. S. 304, Aufwartet des Fürsten F. J. v. L. (d. i. J. W. Miller) an G. v. L., 2. August 1645 (Abschrift). 150 1634 waren in Mähren von den 6 3 6 Pfarren nur 2 5 7 besetzt. Balcärek, Italove, S. 30. Vgl. den Brief von P. Joseph Weicker a Jesu Maria an den Fürsten Hartmann von Liechtenstein vom 7. Juli 1646, wo er sich rühmt, zur Zeit der schwedischen Besetzung und während der Pest nicht nur im Kloster Liechtenstein ausgeharrt zu haben, sondern der ganzen Herrschaft und allen dahin geflohenen Untertanen zur Seite gestanden zu sein. M Z A Brno, G 13, Nr. 379, fol. 5 5 v - 5 6 v (Abschrift). 152 HALV, Hs. 273, S. 424, G. v. L. an P. Joseph in Liechtenstein, 6. Dezember 1645 (Abschrift). Sintha (Hg.), Epistulae, S. 898 f. und 901. - Am 28. August 1646 schrieb P. Alexander a S. Bernardo aus Leitomischl an den Fürsten Gundaker, P. Joseph („havendo preso in odio la vita nostra religiosa") denke daran „di ritornarse nel secolo, con farsi sacerdote secolare et parochiano". M Z A Brno, G 13, Nr. 379, fol. 57 v (Abschrift). Siehe auch ebd., Nr. 422a (Lux, Merkwürdigkeiten), fol. 9 r _ v : „Da den Piaristen verbothen war, Neuling [= Novizen] aufzunehmen und den Professoren [sie, statt Professen] der Austritt aus diesem Orden erlaubt war, so nahm dieser so nützliche Orden dergestalt ab, daß ihrer hier [sc. in Kromau] nur zwei mehr übrig waren: ein Priester Josef von Jesu Maria und ein Laibruder Lukas vom heil. Ludwig, und auch diese verließen das hiesige Kollegium." 154 Wahrscheinlich der Anfang Oktober 1645 vom .Aufwarter" des Fürsten Ferdinand Johann als Nachfolger des (vor den Schweden) geflohenen Pflegers als neuer Pfleger der Herrschaft Liechtenstein installierte vormalige Rentschreiber Martin Sigl. (Vgl. HALV, Hs. 273, S. 213 und 361.) Das (halbbrüchig geschriebene) Schriftstück ist nicht signiert. 155 M Z A Brno, F 177, K. 330, Fasz. 14. 1,6 M Z A Brno, G 10, Hs. 107, fol. l l r . 157 Franziskaner
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ad missiones, da sie es aber nicht annehmen wolten, capuciner", denn diesen wäre Kromau „gar gelegen" am Weg zwischen ihren Klöstern in Znaim und B r ü n n . 1 "
Sechs Wochen später wiederholte Gundaker seine Ansicht, daß er es fur den Fall der Aufhebung des Piaristenordens für das beste halte, das Kloster den „p(atribus) Franciscaner[n] oder Capucciner[n]" zu übergeben. 159 Am 20. Oktober 1653 charakterisierte Fürst Ferdinand Johann in einem an seinen Vater Gundaker gerichteten Schreiben die einzelnen Orden, die für eine Neubesetzung des Kromauer Klosters in Betracht kamen und die sich bei ihm darum beworben hatten: Benediktiner einzuführen habe er unter anderem deswegen Bedenken, „weillen sie bey ihnen pflegen prälaten zue haben; solte mans darzue kommen lassen, so müeßte ich selbsten ihme als einem ausm geistlichen stände nachgehen". Zu den Karmelitern trage er „gar kein herz oder affection mehr, empfinde dieselbte gar eines undankbahren gemüehtes". 160 Die Franziskaner, die nur von Almosen leben, würden sich wegen der Armut der umliegenden Orte nicht erhalten können; „zuedeme warten sie nur ihrem chor ob, dociren nicht, dienen auch zuem gemeinen nutzen oder wesen nichts". Zum Orden der Pauliner, einer ungarischen Eremitenkongregation, trage er derzeit „die mehriste zuenaigung". Sie hätten sich, berichtete Fürst Ferdinand Johann, ihm gegenüber nicht nur erboten, „die jugendt zue instruieren unndt humaniora zu dociren, sondern auch dem pfarrer aufF begehren mit administrirung der sacramenten undt haltung des gottesdienst möglichste assistenz zue laisten. Dahero bedunckte mich, man mit diesen religiösen ahm besten fahren würde." 161 Es kam jedoch in den folgenden Jahren zunächst noch nicht zur Berufung von Paulinern nach Kromau. Am 17. März 1655 teilte Fürst Ferdinand Johann seinem Vater mit, daß er im Begriff stehe, das Kromauer Kloster mit zwölf Angehörigen des Bettelordens der Serviten („Ordo Servorum Beatae Mariae Virginis") „zu besezen" und diesen Orden „aus intervention meiner gemahlin liebden dahie zu introduciren" sowie das Kloster unter anderem mit dem zum Fideikommiß gehörigen Dorf Biskupitz zu bestiften und dem Fideikommiß als Ersatz das von ihm selbst (am 15. September 1649) gekaufte Dorf (bzw. Gut) Marschowitz 162 einzuverleiben. Er ersuchte Gundaker um sein Gutachten dazu. 163 Die dem Schreiben beigeschlossene „Fundation, wie ihr fiirstl. gnaden fürst Ferdinand das closter zu Cromaw stifften wollen" (Datum: Residenzschloß Mährisch Kromau, 14. März 1655), versah Fürst Gundaker mit Randglossen. Der Entwurf des schließlich doch nicht ausgefertigten Stiftbriefes hat die Form eines Vertrages mit P. Clemens Maria Pock, dem Prior des seit etwa 1644 in Bau befindlichen Servitenklosters in der Rossau zu Wien 164 , und zweien seiner Mitbrüder. Als Intention der geistlichen Stiftung wird darin unter anderem angeführt, daß dadurch „die statt in etwas civilisiert und widerumb in ein aufkomen gebracht" werden solle, wozu Gundaker in margine trocken notierte: „Nicht durch dises mittel, sondern durch handtwerker [und] traffici muß solches gerichtet werden." Als Zweck des Klosters und der diesem angeschlossenen Schule bezeichnete Ferdinand Johann
MZA Brno, G 12, Nr. 379, fol. 55' (am 16. April 1800 angefertigte Abschrift). HALV, Hs. 108, S. 23 f., G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, 24. Februar 1647 (Abschrift). Gundakers älterer Sohn Hartmann wurde übrigens später einer der größten Förderer des 1622 von Kaiser Ferdinand II. gestifteten Karmeliterklosters und seiner vom Kaiser als Siegesdenkmal zur Erinnerung an die Schlacht am Weißen Berg errichteten Kirche im unteren Werd (der späteren Leopoldstadt) bei Wien. Tomek, Das kirchliche Leben, S. 249. HALV, Hs. 279, S. 7 8 1 - 7 8 3 (Abschrift). Unzulänglich zitiert bei Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 146. " 2 Stanek, Moravskokrumlovsko, S. 32; MZA Brno, Ε 51, II, Κ. 1, Akt A 14 (Verhandlungen des Fürsten F. J. v. L. mit den Serviten wegen der Ubergabe des Kromauer Klosters, März 1655 bis Februar 1656). 163 HALV, Hs. 604, S. 182 f. (Abschrift). 164 Die Grundsteinlegung für die Klosterkirche erfolgte - nach bedeutenden Stiftungen Ottavio Piccolominis und anderer Adeliger, aber auch von Bürgern - im Jahre 1651, die Kirchweihe erfolgte erst 1670. Vgl. Häusler, Schönbühel, S. 71 f.; K. Lechner, Serviten in der Rossau, S. 12-22. 160
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weiters, daß dadurch „die jugendt catechisirt" und von den Patres „im lesen, schreiben und verstehen, auch reden, deutsch [und] böhmisch", sowie im Rechnen und in der Musik unterrichtet werde, „umb den gottsdienst desto ansehentlicher (so [wohl] in der pfarr dahie als in closter) zue halten", sowie um Ministranten heranzuziehen („zue ziglen"), und zwar sowohl fiir die Pfarrwie für die Klosterkirche. Gegen die Verpflichtung zum Schulunterricht wandten die Serviten ein, „daß ihr heil, orden ein geraume zeit hero denen untern schuelen nicht gepflogen, umb willen die Observanz der tag- und nachtlichen chorsbeywohnung mießte nothwendig eingestelt und also auch des ordens institutum gebrochen werden". Anläßlich des Vorschlags Ferdinand Johanns, er wolle in diesem Falle die Serviten nur dazu verpflichten, einen weltlichen Schulmeister zu halten und die Schulaufsicht zu fuhren, bezeichnete sein Vater Gundaker die Unterrichtung der Jugend neuerlich als Hauptintention der Stiftung: „Wann sie nicht selbst die jugendt dociren wollen, ist unrathsamb, sie, Serviten, aufzunehmen, zumahlen an diesem das meiste gelegen [...]." 165 Die starke Betonung der Bedeutung der Schulstiftung hängt wohl auch mit der schlechten Qualität des Unterrichts in der Kromauer Pfarrschule zusammen. Fürst Ferdinand Johann schrieb in einem der an seinen Vater gerichteten Briefe: „Die schulmeister unterrichten gar schlecht, daß keiner von den buben seinen eigenen namen schreiben kann. Der pfarrer lehrt nur alle 14 tage den katechismus, und ist die frag, ob er ihn selber versteht." 166 Am 3. Mai 1655 übersandte Fürst Gundaker die zitierten Glossen von Ostra aus an seinen Sohn nach Kromau. Im Begleitbrief machte er ihn außerdem darauf aufmerksam, daß der verstorbene Fürst Maximilian von Liechtenstein „vormahls Vorhabens gewesen" sei, „besagten Serviten ein fiindation aufzurichten", wovon man ihm aber abgeraten „und hergegen die Pauliner vorgeschlagen" habe. 167 Am 10. Juni schrieb Gundaker an seinen Sohn Ferdinand Johann, „daß, weilen durch die vorhabende stifftung die schuelhaltung (als auff welche die principal-intention gerichtet ist) nicht erlangt wirdt, gantz unrathsamb ist, diese neue patres, sondern einen anderen orden, der da schuel halten will, zu introduciren, oder wegen des cultus divini nutzlicher, einen alten reformirten orden, als parfueßer etc. anstatt derselben einzuführen; dieselbe können ebensowohl dennen pfarrherrn helffen und auff den schuelmaister acht haben, und ist unnoth, ihnen ein aigenes einkommen zu verordnen, denn sie können gar woll von dem allmosen leben, wann die herrschafift auffkombt, weilen sie nahend gelegene statt und märkht 8 hatt, darzue auch die obrigkeit (wie zu Niklspurg beschicht) hilffleisten khann [...].
Ende Juli erteilte Gundaker seinem Sohn noch einmal Ratschläge betreffend die eventuelle Übergabe des Kromauer Klosters an die Serviten und schärfte ihm ein, wie wichtig es sei, bei Verhandlungen mit Geistlichen sehr vorsichtig vorzugehen und nur ganz eindeutige Verträge mit ihnen abzuschließen: „Man muß caute mit den geistlichen tractiern und patti chiari machen, den sie scrutiern gern." 169 Nachdem Alexander VII. die Piaristen 1656 wieder zu einer Kongregation mit einfachen Gelübden erhoben hatte, schrieb Fürst Gundaker am 22. Mai 1656 von Ostra aus an Fürst Ferdinand Johann: „Weilen der orden piae scholae von ihrer bäbstl. heyl(igkeit) von neuem approbirt und bestettiget, also vermeinten wir, deine liebden dieselbe in das closter daselbst anwiderumben aufnehmen solten, sie seindt sehr nutzlich für die jugend, exemplarisch und
165 MZA Brno, F 177, K. 331, Fasz. 14, „Fundation" des Klosters (Schloß Mährisch Kromau, 14. März 1655; halbbrüchiges Konzept von Fürst Ferdinand Johann mit zum Teil eh. Glossen des Fürsten Gundaker); Abschrift: HALV, Hs. 604, S. 184-193. 166 Zit. nach Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 146. 167 HALV, Hs. 604, S. 193 (Abschrift). HALV, K. 251, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Ostra, 10. Juni 1655. MZA Brno, Ε 51, II, Κ 1, Akt A 14, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Ostra, 29. Juli 1655, eh. Ergänzung. Zur Geschichte des Servitenordens in den habsburgischen Ländern vgl. Häusler, Schönbühel, S. 68-78.
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leben modeste." 170 Ferdinand Johann antwortete am 26. Mai, „daß ich dem patri provinciali und patri priori zu Wienn in der Rossau servitenordens nechst verschinener tagen, als sie dahier bey mir wegen des alhiesigen closters gewesen, so weit die parola gegeben, daß, wofehrn sie diejenige conditiones und puncta, so ich ihnen vorgeschlagen, eingehen und adimpliren würden, ich ihrem orden das closter einraumben und verstiefften wolte". Die Angelegenheit werde dem Ordensgeneral und dem Generalvikar vorgetragen sowie auf dem bevorstehenden Provinzkapitel der Serviten in Innsbruck am 3. Juli beraten werden. 171 Bereits am 1. Juni replizierte Fürst Gundaker, indem er die Vorteile der Einfuhrung der Patres Piae Scholae in Kromau so zusammenfaßte: „[...] dann 1. deroselben eygentliche profession gleich denen Jesuitern die jugend in pietate, studiis, bonis moribus, arithmethica etc. zu instruiren, dardurch dann die schuelen zu Cromaw mit der zeit in a u f n e h m e n gerathen und consequenter den stättl ein merkhlicher nutzen, deiner liebden aber ein reputation zuewachsen würde, gestalten dann, da deine liebden etwa zu mehreren mittein gelangeten und unter dero guardie etwa einen fechter und unter dero hoffbedienten einen bereiter halten (sinthemahlen sie ohne das einen stallmaister halten), dergestalt die von adel im landt kinder umb so lieber aldahin schickhen und dieselbe den feyertägen und sonst, wann frembde cavallier hinkomben, ihro auffwartten wurden. 2. Lassen sie sich mit einem wenigeren als die Serviten beschlagen. 3. Hindert nichts, daß deine liebden mit ermelten Serviten sich albereit eingelassen, dann weillen mit ihnen annoch nichts beschlossen noch ratihcirt, sie ohne bedenkhen darvon ablassen und widerumben abschieben mögen." 1 7 2
Schließlich wandte sich Fürst Ferdinand Johann an die ungarische Eremitenkongregation der Pauliner, nicht zuletzt auf Empfehlung des Oberstlandrichters und späteren Obersdandschreibers von Mähren, des Ritters Melchior Ledenitzky (Ledenicky) von Ledenitz 173 , eines ehemaligen Zöglings einer Paulinerschule. Nach kurzen Verhandlungen erklärten sich die beiden Generaldefinitoren des „Ordo Sancti Pauli Primi Eremitae", P. Alexius Ederer und P. Johannes Johkay, am 22. Juni 1657 dazu bereit, das verlassene Kromauer Kloster zu den vom Fürsten Ferdinand Johann gestellten Bedingungen zu übernehmen. Ferdinand Johann versprach dem Orden die Zession einer Hofkammerschuld von 30.000 rheinischen Gulden sowie die Schenkung des Gutes Marschowitz und des Freihofs in dem Dorf Dobfinsko. Dafür verpflichteten sich die Pauliner, die Jugend in der christlichen Lehre, im Lesen und im Schreiben zu unterrichten, zu predigen und nötigenfalls den Pfarrern in der Seelsorge auszuhelfen.17'4 Da die Mönche nur eine niedere Lateinschule halten würden, behielt sich Fürst Ferdinand Johann das Recht vor, in Kromau noch ein weiteres Kloster fur den Jugendunterricht zu gründen und zu fundieren. Am 28. Oktober 1657 führte der Fürst die ersten Pauliner in Kromau ein. Erst nach dem Einlangen der Erlaubnis des Olmützer Konsistoriums nahmen die Pauliner in Gegenwart des Ordensgenerals Martin Borkowich am 14. Juli 1658 das Kloster feierlich in Besitz. Am 16. September 1658 schließlich verzichtete der Provinzial der Provinz Germania des Piaristenordens im Namen seines Ordens auf das Kromauer Kloster. 175 Am 24. August 1657 trat Fürst Ferdinand Johann dem Kloster, unter Bezugnahme auf die „Fundation" vom 22. Juni, die in Aussicht gestellte Hofkammerschuld in der Höhe von 30.000 170
HALV, Hs. 605, S. 196f„ PS (Abschrift). Ebd., S. 207 f. (Abschrift). 172 Ebd., S. 208f. (Abschrift). 173 Vgl. Rezek, Dejiny Cech a Moravy nove doby, Bd. 1, S. 94 und 495; Bd. 2, S. 123 und 245. Ledenitzky bemühte sich seit 1652 um die Einführung der Pauliner in Mähren. Vgl. MZA Brno, Ε 51, II, K. 3, Akt L 17. 174 MZA Brno, Ε 51, II, K. 3, Akt Κ 3, Originalurkunde (Papierlibell mit aufgedrücktem Papiersiegel), Wien, 22. Juni 1657. Eggerer, Fragmen panis, S. 364 f.; Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 146 f.; ders., Geschichte des Augustinerklosters, S. 125-128; Zäk, Österreichisches Klosterbuch, S. 223. - Zur Vorgeschichte der Einführung der Pauliner in Kromau und zur Gründung ihres Klosters aus der Sicht des Haushistorikers Fr. Adam Koloczany, der im Jahre 1672 als Subprior „Annua Monasterii Crumloviensis [...]" verfaßte, vgl. auch MZA Brno, G 10, Hs. 107, fol. 12-27.
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rheinischen Gulden ab. 176 Am selben Tag schenkte er dem Kloster das Gut Marschowitz im Wert von 6.000 Gulden und den Freihof in Dobrinsko samt allen dazugehörigen Grundstücken und 150 Schafen. 177 Vier Tage später übertrug seine Gemahlin Dorothea Anna Maria, eine geborene Gräfin Lodron, dem Kloster die Eigentumsrechte an dem Freihof zu Rakschitz, den sie von ihrem Gemahl am 20. Februar desselben Jahres erhalten hatte, samt der eingebrachten Ernte und 148 Schafen. 178 Ledenitzky („Ledetzky") steuerte zu der Stiftung angeblich 4.000 Gulden bei. Im März des Jahres 1657, kurz vor der Übergabe des Kromauer Klosters an die Pauliner, war übrigens der an erster Stelle von Ferdinand Siegmund Graf Kurz unterzeichnete Stiftbrieffür Kloster und Gymnasium der Piaristen in Horn unterzeichnet worden. Graf Kurz war, nachdem sich sein Plan, die Jesuiten nach Horn zu berufen, zerschlagen hatte, 1642 mit den Piaristen und 1648 mit den Franziskanern mit dem Ziel der Stiftung eines Klosters und einer diesem angeschlossenen Schule in Horn in Verbindung getreten. 1656 waren die Verhandlungen des Stadtherrn mit dem Piaristenorden zu einem erfolgreichen Abschluß gekommen; Ende Februar 1657 trafen die ersten vier Piaristen in Horn ein. In den kommenden Jahren begannen sie, drei „deutsche" Schulklassen und ein - ab dem Schuljahr 1661/62 sechsklassiges - Gymnasium zu fiihren. 179
Abb. 34: Das ehemalige Kloster in Mährisch Kromau. Fotografie (um 1960).
176
Μ ZA Brno, Ε 51, II, K. 3, Akt Κ 5 (Original der Zessionsurkunde), und Κ. 1, Akt A 3 (Abschrift). Ebd., K. 2, Akt D 1. ,7S Ebd., K. 3, Akt L 16. 175 Kreschnicka, Schola Pia Hornana, S. 7 - 1 3 und passim; Forstreiter, Anfänge, S. 101-105; G. Winner, Studien, S. 1 - 5 und 4 2 ^ 5 . 177
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Die Mönche des Paulinerklosters in Mährisch Kromau unterrichteten bis zum Jahre 1777 stiftungsgemäß in den vier niederen Klassen der dem Kloster angeschlossenen Lateinschule. Die Einstellung des Unterrichtsbetriebs überlebte das Kloster nur um neun Jahre; im März 1786 wurde es aufgehoben. Die Besitzungen fielen an den Religionsfonds, in den Klostergebäuden wurde - wie in so vielen von Joseph II. aufgehobenen Klöstern - eine Bandfabrik eingerichtet, die aber bald wieder einging. 180 11.3.4. Neubau der Pfarrkirche Bereits Ende des Jahres 1620 hatte auf der Herrschaft Kromau die Verfolgung der Nichtkatholiken begonnen, insbesondere jene der Täufer und der Angehörigen der Brüderunität. Unter Fürst Gundaker bestand dann die einzige Möglichkeit der Bewahrung des Besitzes im Übertritt zum katholischen Glauben.181 Unmittelbar nach der Einantwortung der Herrschaft Kromau setzte Gundaker am 8. Dezember 1622 auf der Pfarre Eibenschitz Nikolaus Hrubsky ein, der bis dahin Pfarrer in Mödlau gewesen war. 182 Am 14. März 1626 ersuchte Fürst Gundaker den Olmützer Bischof und Kardinal Dietrichstein um die Neubesetzung der Kromauer Pfarre und präsentierte ihm P. Gallus Ferdinandus Kaliwoda, damals Pfarrer zu Mödritz. 183 Am 11. Februar 1626 wandte sich Fürst Gundaker an das Brünner Jesuitenkollegium mit der Bitte um einen oder zwei Patres zur Unterstützung des Werks der Gegenreformation auf der Herrschaft Mährisch Kromau. Der Rektor des Brünner Kollegs, Thomas Zatting [?], entgegnete hierauf am 4. März desselben Jahres, daß er bedaure, wegen des Priestermangels das verdienstliche Werk nicht unterstützen zu können, und gab den Rat, der Fürst möge sich an den Provinzial P. Gregor Rumer wenden, der es sicher nicht unterlassen werde, ihm aus einem anderen Kolleg Hilfe zukommen zu lassen.184 Der Erfolg der schließlich tatsächlich im Jahre 1626 auf der Herrschaft Kromau missionierenden Jesuiten war gering: 50 Kommunikanten und vier bekehrte Wiedertäufer. Damals wird noch ein evangelischer Pastor namens Georg Hlauschka genannt, obwohl die Stadt schon einen katholischen Pfarrer besaß. Im Jahre 1627 betrieben zwei Patres aus Brünn fünf Wochen lang das Bekehrungswerk und gewannen bis zum ersten Adventsonntag in Kromau und Eibenschitz 800 Personen - mehr oder weniger oberflächlich - für den „alleinseligmachenden" Glauben. 1632 waren in Kromau neuerlich zwei Jesuiten aus Znaim acht Wochen lang tätig. 185 Als die Kromauer Stadtpfarrkirche im Jahre 1630 einem Brand zum Opfer fiel, begann Fürst Gundaker (nach einer anderen Angabe erst im Jahre 1645, also nach der schwedischen Besetzung) mit einem Neubau bzw. der Wiederherstellung der Brandruine. 186 Er dürfte den Abschluß der möglicherweise auf einem Entwurf des Brünner Baumeisters Andrea Erna187 basierenden Arbeiten an der Pfarrkirche seiner Residenzstadt Liechtenstein/Kromau nicht mehr erlebt haben (einer anderen Quelle zufolge wurden sie allerdings bereits im Jahre 1646 beendet). Gundaker hatte die Kirche „von Grund auf neu zu bauen angefangen, theils aus Gottesseligkeit, theils weil er für sich und seine Nachfolger hier seine Ruhestätte zu haben gesinnt war [...]". Am 31. Oktober 1660, rund zwei Jahre, nachdem Fürst Gundaker gestorben und in der Pfarrkirche seiner Stammresidenz Wilfersdorf bestattet worden war, wurde die Sloschek, Geschichte des Augustinerklosters, S. 131 f. "' Stanek, Moravskokrumlovsko, S. 25-27. 182 Ebd., S. 32. 183 Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 128. ,M MZA Brno, G 13, Nr. 422b, fol. 468'. "" Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 55. Ebd., S. 65 und 128; Stanek, Moravskokrumlovsko, S. 33. 1,7 Nachdem die Pfarrkirche von Ostra am 11. Juli 1644 abgebrannt war, wandte sich Gundaker am 20. Februar 1645 von Rabensburg aus an Meister Andre in Brünn und ersuchte ihn, möglichst bald nach Ostra zu kommen und für den Neubau der Kirche „wie selbte soll erbauet werden, ein designio oder abrüß [...] zu machen" (Konzept des Schreibens im HALW, Κ. Η 1148).
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neue Kromauer Pfarrkirche, die mit Ausnahme des Presbyteriums, des Portals und des unteren Teils des Turmes völlig umgestaltet worden war, durch den Olmützer Weihbischof Johannes Gobbar feierlich eingeweiht (anderen Angaben zufolge erst am 3. Oktober 1666, d. h. nach dem Tode des Fürsten Ferdinand Johann). 188 11.3.5. Wappenbrief Am 30. Juni 1644 erteilte Fürst Gundaker - unter Berufung auf die ihm von Kaiser Ferdinand II. am 14. November 1633 erteilten „herrlich- und stattlichen begnadungen, Privilegien, immuniteten und hohheiten" 189 und das kaiserliche Diplom vom 20. Dezember 1633, mit dem das „Fürstentum Liechtenstein" geschaffen worden war, sowie auf die Bitte von „burgermeister, richter und rath unserer fürstlichen residenzstadt Liechtenstein" hin 1 9 0 - der Stadt Liechtenstein einen Wappenbrief. Er fügte den liechtensteinischen Wappenschild (in gelb und rot geteilt) mit Fürstenhut (bzw. „herzoghüttlein") in das „von alters hero gehabte" Stadtwappen (in blauem Feld ein auf grünem Rasen stehender, zinnenbekrönter Turm mit rotem Kegeldach, geöffnetem Tor und Schußgatter, darüber ein Fenster etc.) ein. 191 Die wegen der Kriegsverwüstungen, der hohen Steuern, einer Feuersbrunst und infolge von Seuchen völlig verarmten „Bürger und Untertanen" der Stadt Liechtenstein ersuchten den Fürsten Gundaker daraufhin, er möge ihnen ein neues Stadtsiegel (Petschaft) verehren. Der Fürst dürfte der Supplikation stattgegeben haben, denn im Kromauer Stadtmuseum befand sich noch in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ein alter Siegelstempel mit der Umschrift „Sig(illum) Civitatis de Lichtenstaini". 192
11.4. Ungarisch Ostra Ungarisch Ostra und dessen Schloß (Abb. 35) entwickelten sich in den letzten Lebensjahren des Fürsten Gundaker zu seiner Hauptresidenz. Im September 1652 schrieb er an den Regenten seiner Güter, er sei „resolvirt", sich in Ostra „ein ordinari residenz [...] zuzurichten" und daher das Städtchen „aufzubringen", sodaß es nicht nur dem Namen nach („nomine") sondern tatsächlich („re") ein „stettlein" sei. Dies pflege durch Akademien (!), Hofhaltung, einen florierenden Handel und prosperierende Handwerkerzünfte zu geschehen. Er beabsichtige daher, Händlern und Handwerkern, die sich in Ostra niederlassen wollen, sechs bis zehn Freijahre zu versprechen und sie von der „in Mährern gebreuchlichen leibaigenschafft" zu befreien. Er würde auch gern die jüdischen Händler durch christliche ersetzen. Er wolle die Juden „aus der statt haben", sie aber nicht völlig vertreiben, sondern in der Vorstadt oder vor der Brücke, wo die „fischerheusl" gewesen seien, ansiedeln. 193
' " MZA Brno, G 13, Nr. 422a (Lux, Merkwürdigkeiten), fol. 9V (1660); Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 70 und 128f. (1666). Vgl. Kapitel 4.9. 1,0 HALV, Hs. 272, S. 338, „Supplication der Liechtensteiner" (Abschrift). '" Konzept mit eh. Einfügungen Gundakers in MZA Brno, F 177, K. 329, Fasz. 9; Abschrift in HALV, Hs. 272, S. 338-342. Edition der wichtigsten Passagen des Privilegs nach einer Abschrift ohne Abbildung des Wappens (MZA Brno, F 177, K. 377, Sign. 6/XIII, Nr. 2) in Müller/Starha, Znakovä privilegia, S. 36, Nr. 81. Vgl. auch Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 64, und Carek, Mestske znaky, S. 256. 1.2 Sloschek, Mährisch-Kromau, S. 64 f. 1.3 HALV, Hs. 278, S. 289f., G. v. L. an den Regenten, Ostra, 16. September 1652 (Abschrift). - Am 7. Februar 1654 teilte Fürst Gundaker im letzten Satz einer Art Strafpredigt den Bürgern der Stadt Ostra, die des Namens „Bürger" nicht würdig seien, mit: „Es solle auch künfftig kheiner das burgerrecht alhie genießen, er dreibe dann selbst ein handtierung oder habe einen handtierer oder handwerker im haus, dann da es nicht beschicht, soll ihnen zu verkhauffen auferlegt und sie aus dem stättl wegkgeschafift werden." HALW, Κ. Η 148, Abschrift des ebd. erliegenden eh. Konzepts (dort fehlt der zitierte Satz) von Kanzleihand mit folgendem Vermerk: „Dasjenige, so zu Gottes ehren, zu des stättls großem pesten, zu ihrem und ihrer kinder nuzen und zu
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Abb. 35: Schloß Ungarisch Ostra. Fotografie (1956).
Der Judenschaft der Stadt Ostra kam der bedrohliche Plan des Stadtherrn offenbar rasch zu Ohren, und sie wandte sich flehentlich an den Fürsten Hartmann um Hilfe. Daraufhin gab dieser seinem Vater zu bedenken, daß man angesichts des Ruins der mährischen Herrschaften und des neuerlich erschallenden Türkengeschreis nicht an eine Verminderung, sondern an eine Vermehrung der Bevölkerung Ostras denken sollte. Man beziehe von den wenigen Juden derzeit jährlich ein gewisses und stetes Einkommen von rund 400 Gulden (Zins, Herrschaftsgaben und „landsanlagen") und könne sie überdies zu verschiedenem anderen „gebrauchen und nuzen". Die von den Handelswegen abseitige Lage Ostras und die in der Herrschaft Ostra ihr Unwesen treibenden Räuberbanden ließen vermuten, daß es schwer sein werde, christliche Händler und Handwerker anzulocken. In der völlig offenen, überhaupt nicht befestigten Vorstadt von Ostra könnten die Juden keine Nacht „sicher undt ohne gefahr" schlafen, ja es wäre ein Pogrom seitens des Pöbels zu befürchten, sodaß sich die Juden, wenn man sie aus der Stadt vertriebe, nicht in der Vorstadt ansiedeln, sondern gänzlich von der Herrschaft weichen würden. Für etwaige christliche Zuzügler, die in Ostra ein Haus bauen wollten, gäbe es in der Stadt noch genügend Platz. Er wisse auch nicht, „ob man die ausschaffung der juden, sintemahlen es nit allein ihre babstliche heyligkeit, sondern auch die römische kayserliche mayestät in dero residenzen erleiden und vermog landtagschluß passirt werden, gewissens halber zu thuen schuldig wehre". 194 In Befolgung eines kaiserlichen Befehls, aber wohl auch im Zusammenhang mit der Verlegung seiner Residenz nach Ostra, erneuerte Fürst Gundaker um die Jahreswende 1652/53 der gebüer einer statt und burgerschafft; es werden jedoch durch nachfolgenden verweis nur allein durch[aus] nachlessige gemeinet, im übrigen alles zue aller pestem ahngesehen ist. Vorgelesen worden den 7. Febr. 1654." '*' HALV, Hs. 279, S. 113-118, Hartmann v. L. an seinen Vater Gundaker, 31. Januar 1653, und Bittschrift der Judenschaft von Ostra an den Fürsten Hartmann (Abschriften).
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seine Bemühungen, die begonnene 195 , aber unvollendet gebliebene Gegenreformation der Stadt und der Herrschaft Ungarisch Ostra erfolgreich abzuschließen. Da ich mich im vorliegenden Buch nicht näher mit der Rolle befassen kann, die Gundaker bei der Durchführung der Gegenreformation auf seinen Gütern spielte, sei an dieser Stelle wenigstens stellvertretend für die vielen anderen jenes Dekret, das er am 8. Januar 1653 an den Hauptmann der Herrschaft Ostra erließ, in extenso zitiert: „Dieweillen die röm. kayserl., auch zu Hungern undt Böhaimb königl. mayestät noch verstrichenen jahrs 1652 gantz ernstlich und allergenedigst ahnbefohlen, daß alle und jede in dero erblendern befundliche uncatholische zu dem allgemeinen, einig und allein seligmachenden urallten cahtolischen glauben sich gemösthalten und also ein jeglicher auf damahligem heyl. Osterfest (wie sonsten alle jähr) zu beichten undt vor seinem ordinario oder pfahrherrn die hochheyl. communion zu empfangen schuldig sein oder, da solches nicht beschehe, des christlichen nahmens gantz und gar unwürdig, nach seinem absterben des geweichten erdtreichs in geringstem nicht zu genießen haben, auch überdas als von Gott undt der cahtholischen khirchen verworfifen und in die ewige verderbnus werden gestürzt werden 1 9 ^; wiewohlen wir nun augenscheinlichen sehen, daß diesem ihrer kayserl. undt königl. mayestät so heylsamben allergnedigsten befelch bis dato von vielen auf unserer herrschafft nicht gehor(sam) nachgelebt und dahero wir billiche ursach hetten, sie, wie in andern orthen beschehen und noch beschehen wird, der scherffe nach zu straffen; dennoch aus guter liebe und bahrmherzigkeit, so wir zu unsem undterthanen dragen, wollen wir ihnen sambentlich, die da nicht wahrhafft dem catholischen glauben beygethan oder sonst auf diese heulige christnachtfeyertag gebeuchtet und communicirt haben, nochmahlen zum überfluß und zum lezten in allem ernst gnedigst anbefollen haben: befehlen und wollen emstlich, daß selbe alle und jede alsobaldt izundt nach Ordnung, wie es ihnen der alhier anwesende Patri [!] Adalbertus 19 ^ und pfahrherrn verordnen 19 ® werden, zu der beycht undt heyl. communion gehen undt also der catholischen kirchen und ihrer kayserl. undt königl. mayestät wie auch unserm ernstlichen gnedigsten befelch ein gnüegen leisten sollen. Wofern aber solches nicht würdt gebührend beobachtet werden, werden wir gezwungen werden, die da von ihr kayserl. mayestät anbefollen und in andern der erblanden bereits practicirte militärische und zwangexecution vor die handt zu nehmen und mitels derselben sie zum gehorsam zu bringen wissen; wirdt ein jeder späniger 1 9 9 unnsere harte straf undt schwere ungnadt unausbleiblichen zu erwartten haben. Befehlen derohalben nochmahlen hiemit euch gnedig und ernstlich, nicht allein allen pfarrhern auf euerer anvertrauten herrschafft solches aus unserm gnedigsten befelch, daß sie es auf der cantzl verkündigen, zu insinuiren, sondern auch so offt es die not erfordert und von ihnen, pfarrherrn, wirdt begert werden, brachio seculari im werckh beyzustehen, auch dieses alles in böhmische sprach vertiren [zu] lassen und bey erstem ratschlag vor- und abzulesen, denen pfarrherrn aber ein exemplar auf behemische sprach, daß sie es gleichsfals auf der cantzel ablesen, zu ertheilen. Dem ihr werdet recht zu thun wissen [ . . . ] "
Am 4. Juli 1643 hatte Fürst Gundaker einen „Discurs [...] über des feinds einfall in Mähren" verfaßt, in dem es von Ostra heißt, die Stadt sei weder mit einer Mauer noch einem Wall „verwehrt" und nur mit den Wirtschaftsbeamten und 20 Musketieren besetzt. 201 Zu Weih195 So hatte Gundaker zum Beispiel am 24. November 1627 dem Hauptmann und dem Pfarrer zu Ostra befohlen: „Nachdem uns gewissenshalber obligt, unserer officir und unterthanen seelen wolfahrt zu der ehr Gottes zu befiirdern und wir genzlich entschlossen und wollen, daß sowol alle und jede officir alls unterthanen hieiger ganzen herrschafft Ostra zur catholischen religion informiert und alspald ein anfang gemacht werden soll, als haben wir euch beede hierzue anstatt unserer, weil wir selbsten nit zur stell sein und brachium saeculare gebrauchen mügen, zu commissarien verordnet, allso und dergestallt, daß ihr alsbald und sonderlich bey den vornembsten officirn und unterthanen einen anfang machet, und wo sich jemand, kheinen ausgenomben, nach empfangner information den catholischen glauben anzunehmen stetig und ungehorsamb erzeigen wüerde, daß ihr in krafft dis allen vollkhombenen gewallt und macht haben sollet, alles zu befürderung und Vollziehung solcher reformationscommission anzuordnen und vorzunemben, auch mit linden oder scharfen mittlen, mit gefenknus oder andern Strafifen, nach gestallt ihres erzeigens gegen ihnen zu procediern, alls wir dessen selbst befuegt sein und macht haben." HALW, Κ. Η 1178, Konzept des Befehls an Hauptmann und Pfarrer zu Ungarisch Ostra, Ostra, 24. November 1627.
" 6 Vgl. Piringer, Ferdinand des Dritten katholische Restauration, S. 109 ff. " 7 P. Adalbert Martinides SJ (vgl. unten S. 508). ' " Vorlage „verordnet" Widerspenstige(r) 200 HALV, Hs. 279, S. 13f., Ostra, 8. Januar 1653 (Abschrift). 201 HALV, Hs. 271, S. 326 (Abschrift).
Ungarisch Ostra
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nachten 1652 teilte er nun dem mährischen Landeshauptmann Graf Johann Rottal mit, er gedenke im kommenden Frühling „unser schloß und stättlein zu Ostra" zu befestigen, da es an einem „haubtpaß" gegen Ungarn gelegen sei, und ersuchte ihn um eine „beysteuer" des Landes zu diesem dem ganzen Land zum Nutzen gereichenden Werk. 202 Im März 1653 wandte sich Fürst Gundaker an einen gewissen Hauptmann Fuchs 203 und eröffnete ihm, er wolle Ostra „etwas verschanzen lassen" und seine Untertanen „und sonderlich solche, welche bey vorkommender kriegsempörung anhero Zuflucht nehmen", in den Waffen exerzieren lassen. Er ersuchte Fuchs, er möge ihm zu diesem Zweck einen geeigneten Drillmeister vermitteln, und falls „einige Soldaten verhanden" wären, die Handwerker seien oder in Belagerungen und Feldzügen Erfahrungen gesammelt und die Lust hätten, sich in Ostra anzusiedeln, so möge er sie ihm ebenfalls schicken. Er wolle fur sie Häuser bauen lassen und jedem einzelnen ein Privileg erteilen, mit dem er ihn von der in Mähren üblichen Form der Untertänigkeit befreien und ihm das Recht, wie in Österreich gegen Stellung eines Stiftmannes frei abziehen zu dürfen, verbriefen werde. Schließlich ersuchte Gundaker den Hauptmann Fuchs, er möge selbst nach Ostra kommen, denn er bedürfe seines guten Rates. 204 Fuchs antwortete, er käme gerne sofort nach Ostra, aber der Kaiser wolle es ihm nicht erlauben. Er werde sich aber jedenfalls bemühen, einen Drillmeister und Soldaten aufzutreiben, die bereit seien, sich in Ostra niederzulassen. 205 Im März 1656 kam Gundaker auf seinen offenbar noch nicht realisierten Plan zurück, die Untertanen der Herrschaft Ostra militärisch drillen zu lassen. Zu diesem Zweck wandte er sich an den Geheimen Rat, Feldmarschall und Vizepräsidenten des Hofkriegsrats Graf Johann Christoph von Puchheim und berichtete ihm, er habe Ostra zum Schutz gegen die häufigen Einfälle aus Ungarn „etwas [...] verschantzen lassen". Da es im Ernstfall zur Defension an geeigneten Leuten mangle, sei er gesonnen, einen Teil seiner Untertanen auf der Herrschaft Ostra im Gebrauch von Musketen, Piken und anderen Waffen „abrichten zu lassen". Dazu brauche er einen Drillmeister, der nicht adelig sein müsse, aber zuvor in Kriegsdiensten gewesen sein und möglichst an der Verteidigung eines belagerten Ortes teilgenommen haben sollte, etwa einen Hauptmann, Leutnant, Fähnrich oder Feldwebel. Wenn er etwas tschechisch könnte, wäre es besser, es sei aber nicht unbedingt nötig. Gundaker machte sich erbötig, dem Betreffenden, wenn er sich als fähig erweise, einen Jahressold auszusetzen und ihm ein Haus in Ostra zu übergeben, mit Freiheiten wie in Österreich. Schließlich ersuchte Gundaker den Feldmarschall, nach einer geeigneten Person Nachfrage halten zu lassen und diese an ihn zu verweisen.206 Puchheim ließ noch im selben Monat dem in Mähren das militärische Kommando fuhrenden General De Souches durch den Hofkriegsrat befehlen, Fürst Gundaker eine taugliche Person zu vermitteln. De Souches entschuldigte sich damit, er könne ein „derley subiect" nicht zur Hand bringen. Anfang März 1657 wandte sich Gundaker daraufhin noch einmal an Graf Puchheim und wiederholte die ein Jahr zuvor geäußerte Bitte. 207 Noch Ende Januar 1658, rund zwei Monate nach dem Tod des Grafen Puchheim und sechs Monate vor seinem eigenen, ersuchte Gundaker seinen Sohn Ferdinand Johann, ihm einen „experimentirten drillmeister", dem er zugleich das Kommando über die Herrschaft Ostra „in militaribus" übergeben wolle, zu vermitteln. 208 202 HALV, Hs. 278, S. 436, ,An die herrn stendt in Mähren", Brünn, 24. Dezember 1652, „ist aber nicht ausgefertigt, sondern dem herrn landtshaubtman graffen von Rottall gezeigt worden" (Abschrift). 203 Sollte es sich um den (Ober-)Hauptmann Georg Fuchs handeln, der im Jahre 1612 im Auftrag des Fürsten Karl von Liechtenstein eine Defensionsordnung für Böhmen, Mähren und Österreich ob und unter der Enns verfaßt hatte? Vgl. oben S. 166 Anm. 39. 204 HALV, Hs. 279, S. 248 f., G. v. L. an Hauptmann Fuchs, Ostra, 22. März 1653 (Abschrift). 205 Ebd., S. 837, Hauptmann Fuchs an G. v. L„ 6. April 1653 (Abschrift). 206 HALV, Hs. 605, S. 142, G. v. L. an Graf Puchheim, W i e r s d o r f , 25. März 1656 (Abschrift). 207 HALV, Hs. 606, S. 95, ders. an dens., Ostra, 2. März 1657 (Abschrift). "" HALV, Hs. 608, Nr. 22, G. v. L. an seinen Sohn Ferdinand Johann, Brünn, 31. Januar 1658 (Abschrift).
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Im Juli 1653 erließ Fürst Gundaker für seine Residenzstadt ein die Bauordnung und den Brandschutz betreffendes Dekret. Darin befahl er dem Hauptmann der Herrschaft Ostra, Andreas Baworowsky, „denen hiesigen jezigen und künfftigen burgermaister, richter, rath und der gantzen christen- sowol auch der jüdischen gemein anzuzeigen und alles ernst aufzuerlegen", daß sie in Zukunft kein Haus in der Stadt weder „auffbauen noch vermauern sollen", ohne zuvor den Rat des hiesigen Maurers gepflogen zu haben. Dieser habe ihm versprochen, ihnen Ratschläge zu erteilen, „dadurch sie dan dieses gut erlangen, daß sie mit pesserer zier und bestendiger, eben mit demjenigen unkhosten, den sie sonsten übel anwenden werden, bauen können". Widrigenfalls solle der Hauptmann die Bürger alles, was sie ohne den Rat des Maurers gebaut haben, wieder „einreißen lassen". In Zukunft durften im ganzen „stättl" die Wände keines Hauses und keines anderen Gebäudes mehr aus Holz errichtet werden, sondern ausschließlich aus gebrannten Ziegeln oder aus Stein, oder wenigstens dergestalt, daß zunächst ein tragendes Gerippe aus Ziegeln oder Stein errichtet wurde und sodann die Zwischenräume mit Lehm gefüllt wurden. Die Dächer durften nicht mehr mit Stroh oder Schilf gedeckt werden, die Rauchfänge mußten zur Verminderung der Brandgefahr fest gemauert werden. 2 0 9
11.5. Rabensburg Die seit 1385 in liechtensteinischem Besitz befindliche Grenzfeste Rabensburg in der Aulandschaft der March war der Lieblingsaufenthaltsort des Fürsten Maximilian von Liechtenstein. Er ließ die bereits im 16. Jahrhundert zu einem befestigten Renaissanceschloß (einer dreigeschoßigen Vierflügelanlage mit annähernd quadratischem, arkadengeschmücktem H o f ) umgebaute mittelalterliche Burg um 1600 um einen zunächst freiste-
Abb. 36: Schloß Rabensburg. Um 1670. Kupferstich von Georg Matthäus Vischer.
HALV, Hs. 279, S. 604f., Ostra, 21. Juli 1653 (Abschrift).
Rabensburg
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henden Einfahrtstrakt im Südwesten erweitern 210 und spätestens in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts großzügig ausbauen und mit modernen Bastionen versehen (Abb. 36). Neben anderen Bauten (insbesondere einer freistehenden neuen Schloßkirche südlich des Alten Schlosses) ließ er nordöstlich vom Alten Schloß einen 66 Meter langen neuen Trakt mit einem großen Saal und weiteren Repräsentationsräumen errichten, der durch einen Quertrakt mit dem alten Schloß verbunden wurde. Der vergrößerte zweigeschoßige Einfahrtstrakt im Süden, das Alte Schloß und zwei Verbindungstrakte im Westen sowie der dreigeschoßige Trakt im Norden bildeten einen trapezförmigen Ehrenhof. Der Festsaal war ursprünglich reich mit Stuckpilastern, Gesimsen, Wand- und Tafelgemälden ausgestattet. Von der einstigen repräsentativen Pracht ist heute fast nichts mehr zu sehen, da das Schloß seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht mehr als Residenz diente. 211 (Nachdem die Schweden 1645 die Rabensburger Pfarrkirche zerstört hatten, diente der große Saal oder ein Teil desselben bis 1765 der Gemeinde als Ort fiir die Feier der Gottesdienste. 212 ) Im Herbst des Jahres 1652 stellte Fürst Gundaker, der Schloß und Herrschaft Rabensburg 1643 geerbt hatte, Überlegungen an, das Schloß, dessen Fortifikationswerke im Oktober 1646 auf kaiserlichen Befehl demoliert worden waren, um sie nicht ein zweites Mal den Schweden in die Hände fallen zu lassen 213 , wieder zu befestigen. 214 Abbildungen aus den Jahren 1672 und 1720 zeigen 215 , daß die Befestigungen tatsächlich erneuert wurden - ob noch unter Fürst Gundaker oder erst später, entzieht sich meiner Kenntnis.
210
Vgl. die Ansicht aus dem Jahre 1607 bei Fidler, Architektur des Seicento, Abb. 121. Ebd., S. 131-133 und Abb. 121-132; Büttner, Burgen und Schlösser in N Ö , Bd. 13, S. 147-149. 212 Weinbrenner, Feste Ravensburg. 2,3 Vgl. HALW, Κ. Η 519, Fasz. „Schwedische Belagerung des Schlosses Rabensburg". Anfang September 1646 bestand noch die Absicht, Schloß Rabensburg zu sprengen. Am 17. Oktober aber befahl der Hofkriegsrat im Namen des Kaisers Georg Adam von Kuefstein, bei der ihm aufgetragenen Demolierung der Fortification und des Schlosses Rabensburg die zwei Bollwerke (Bastionen) nur teilweise abzureißen, und zwar ohne Sprengung. 214 HALW, Κ. Η 1104, Fasz. „Grenze gegen das Königreich Ungarn", G. v. L. an seinen Sohn Hartmann, Ostra, 7. Oktober 1652 (Konzept). 215 Fidler, Architektur des Seicento, Abb. 122 und 123. 2,1
12. Vom Stadthaus zum Adelspalais Absteigquartiere und Statussymbole Jeder einigermaßen wohlhabende österreichische, böhmische und mährische Adelige des 17. und 18. Jahrhunderts, der am Kaiserhof präsent sein und/oder an den Landtagen, eventuell auch an den Landrechtssitzungen teilnehmen wollte bzw. der ein Hofamt oder ein Landesamt innehatte oder anstrebte, setzte seinen Stolz darein, in Wien, Prag, Brünn oder Linz (mindestens) ein möglichst komfortables und repräsentables Haus mit getrennten Räumen fiir den Herrn und die Dame und für die Unterbringung des Personals und etwaiger Hofstaatsangehöriger, möglichst auch von Gästen, sowie mit Festsaal, Kapelle, Stallungen, Wagenremise und Wirtschaftsräumen zu besitzen. 1 Etwa seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, vor allem aber seit dem Ende der Türkengefahr im Jahre 1683 - also in der Hauptsache erst nach der in diesem Buch behandelten Zeit - wurden viele Adelshäuser durch Umbauten in veritable Paläste umgewandelt. Häufig wurden auch die als zu klein und zu wenig repräsentativ empfundenen Häuser niedergerissen und nach der Zusammenlegung mehrerer Grundparzellen Neubauten aufgeführt, die - etwa auf der Freyung, in der Herrengasse und am Minoritenplatz - das Wiener Straßenbild teilweise bis zum heutigen Tag prägen. 2 Seit der Verlegung des Kaiserhofes von Prag nach Wien im Jahre 1612 verwandelte sich die Donaumetropole mehr und mehr aus einer Bürger- in eine Adelsstadt. Während sich 1566, als Wien seit mehr als vier Jahrzehnten königliche und seit rund einem Jahrzehnt kaiserliche Residenzstadt war, erst 26 Prozent der Häuser in nichtbürgerlichem Besitz befanden, waren es 1664 bereits etwa 44 Prozent, die rund drei Viertel des gesamten Bauareals der Stadt (des heutigen ersten Bezirks) einnahmen. Im Hochbarock wurde die Haupt- und Residenzstadt der Habsburgermonarchie vollends zu einer Stadt des Hofes, der Kirche und des Adels: 1779 waren nur mehr 45 Prozent der Häuser und nicht mehr als ein Achtel der Stadtfläche im Besitz von Bürgern. Die Zahl der Adelshäuser stieg von 59 im Jahre 1563 über 109 im Jahre 1664 auf 327 im Jahre 1779 (jeweils ohne Einbeziehung des Beamtenadels und sonstiger Nobilitierter). Ein wachsender Teil der bürgerlichen Händler, Handwerker und Angehörigen von Dienstleistungsberufen wohnte nicht mehr in eigenen oder in anderen Bürgern gehörenden Häusern, sondern war Mieter in einem Adelshaus. Nur Mitglieder der obersten Schicht der Aristokratie mit eigener Hofhaltung konnten es sich leisten, je einen Palast in der Stadt und - etwa seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts - in der Vorstadt („Gartenpalast", „Palazzo in villa") zur Gänze für sich, Familienangehörige, Dienerschaft und Hofstaat zu reservieren.3
' Für das 17. Jahrhundert vgl. v. a. Fidler, Architektur des Seicento, S. 357-383 und passim. Zur aristokratischen „Bauwut" nach 1683 siehe u. a. Pircher, Verwüstung und Verschwendung; Grimschitz, Barockpaläste; Dibble, Architecture and ethos. Vgl. auch E. Haider, Verlorenes Wien, und den reich illustrierten Bildband Kraus/Müller, Palais. 3 Näheres bei Lichtenberger, Die Wiener Altstadt, Textbd., S. 98-110, 120-122 und passim; dies., Wien, S. 246, 250 f. und passim; Berger, Quellenmaterial, passim. 2
Fürst Gundakers Wiener Häuser
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In den Wiener Stadtpalästen der Hocharistokratie befanden sich, jedenfalls im Hochbarock um 1700, im Erdgeschoß meist Wirtschaftsräume (Küche, Speisekammer etc.), Stallungen, Wagenremisen und eventuell auch Wach- und Gesindestuben. Das Hauptgeschoß („Piano nobile") mit den herrschaftlichen Wohn- und Prunkräumen lag in der Regel im ersten Stock. Darüber befanden sich meist die Appartements fur Familienmitglieder, Gäste und hohe Bedienstete. In den Obergeschoßen und im abschließenden Mezzaningeschoß wurden das nieder Dienstpersonal und das Gesinde untergebracht. Die Raumfolge im Piano nobile war von dem jeweils geltenden Zeremoniell und dem Ranganspruch des Hausherrn geprägt. 4 Im geometrischen oder ideellen Zentrum des Appartements des Hausherrn lagen für gewöhnlich das Audienz- oder Präsenzzimmer und der dem Schlafgemach vorgelegte Paraderaum. Die zentrale Raumgruppe des Stadtpalais insgesamt bestand aus Vestibül, Treppenhaus und Prunksaal. 5 Dazu konnte noch eine Kapelle kommen.
12.1. Fürst Gundakers Wiener Häuser Im Gefolge der Achtungen und Konfiskationen nach der Schlacht am Weißen Berg gelangte Gundaker von Liechtenstein in den Besitz zweier Häuser in Wien, von denen heute keine Spur mehr vorhanden ist. Ferdinand II. schenkte ihm das in der Herrengasse im Bereich des zu Beginn der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts errichteten Hochhauses (Herrengasse 8) gelegene einstöckige Haus, das dem Freiherrn Georg Andreas von Hofkirchen, dem Oberbefehlshaber der niederösterreichischen ständischen Truppen in den Jahren 1619 und 1620, gehört hatte, bis er am 12. September 1620 geächtet und sein Eigentum beschlagnahmt worden war (Abb. 37). Das Haus befand sich - nur durch eine schmale Gasse (die sogenannte Brunngasse) getrennt - in unmittelbarer Nachbarschaft des alten, seit 1443 im Besitz der Familie (damals des Fürsten Karl) befindlichen Liechtensteinischen Freihauses (Herrengasse 6). 6 Ein größeres, auf dem Bauernmarkt gelegenes Haus (Bauernmarkt 6 = Brandstätte 4 = Kramergasse 1) mit vier Geschoßen verkaufte der Kaiser im Frühjahr 1622 an Gundaker, nachdem es dem protestantischen Handelsmann Joachim Pfanner 1620/22 konfisziert worden war. 7 Das Haus wurde 1873 von der Wiener Stadtbaugesellschaft erworben, niedergerissen und durch einen Neubau ersetzt.8 Wenn ich die Quellen richtig interpretiere, so ließ Gundaker von Liechtenstein in dem Haus in der Herrengasse keine groß angelegten Umbauten, sondern nur Ausbesserungs- und Reparaturmaßnahmen vornehmen. 9 Immerhin hat sich eine von Gundaker eigenhändig be* Z u m Zusammenhang von Zeremoniell und Raumfolge in barocken Schlössern und Palais ist immer noch die komparatistische Studie von Baillie, Etiquette, grundlegend, der die von ihm selbst erhobene Forderung, Schlösser und Paläste „not as empty architectural shells but as machines for living in" zu behandeln (S. 199), in mustergültiger Weise erfüllt hat. 5 Fliri, Treppenhäuser, S. 22-25. 6 Bermann, Alt- und Neu-Wien, S. 866 (irrtümlich „Georg Adam Freiherr von Hofkirchen"); Harrer, Wien, Bd. 7, S. 128 f. („Adam Freiherr von Hofkirchen"); Kisch, Straßen und Plätze, S. 479 f.; R. Müller, Wiens räumliche Entwicklung, S. 367f.; Feuchtmüller, Herrengasse, S. 45-51; E. Haider, Verlorenes Wien, S. 19-23; Hübel, Protestanten, Teil 2, S. 54 f.; Schuh, Reformation, S. 119 (vgl. auch die Stammbäume der Hofkirchen ebd., Anhang S. 6, und in Topographie von Niederösterreich, Bd. 5, S. 307). - Die beiden benachbarten liechtensteinischen Häuser in der Herrengasse waren, bevor sie 1913 abgerissen wurden, um 1718 zu einer weitläufigen, dreigeschoßigen Palastanlage mit zwei Portalen und 17 Fensterachsen und um 1792 neuerlich in klassizistischen Formen umgebaut worden. 7 HALV, Urkundensammlung, Wien, 14. März 1622; HALW, Κ. Η 1198, Abschriften des Kaufbriefe. Zu Pfanner vgl. Hübel, Achtungen, S. 26-28; ders., Protestanten, Teil 2, S. 105 f. Siehe auch den Bericht des Fürsten H a n m a n n von Liechtenstein vom 5. Juli 1657 an den Marschallamtsadministrator Christian Karl Brandis, wie sein Vater Gundaker in den Besitz des Pfannerischen Hauses gekommen ist: HAL.V, Hs. 606, S. 188 f. ' Harrer, Wien, Bd. 1, 3. Teil, S. 721. ' Vgl. HALW, Κ. Η 1201, Fasz. Hausbau Gundakers v. L. in der Herrengasse.
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Vom Stadthaus zum Adelspalais
Abb. 37: Ansicht des seit 1620 im Besitz Gundakers von Liechtenstein befindlichen Hauses in der Herrengasse in Wien im Jahre 1674. Aquarellierte Federzeichnung auf Papier, 51 X 58 cm.
schriftete, leider undatierte - wahrscheinlich aus der Mitte der 1620er Jahre stammende und ziemlich grobe Planskizze erhalten, wie er sich die Raumeinteilung des Hauptgeschoßes nach einem geplanten Umbau vorstellte (Abb. 38). Etwa in der Mitte des trapezförmigen Hauses sollte das einem seit der italienischen Frührenaissance gängigen Typus folgende, längsrechteckige Treppenhaus mit zwei parallelen, durch eine Wangenmauer voneinander getrennten gegenläufigen Treppenläufen 10 zu liegen kommen, von deren oberem Podest man nach Norden (Richtung Schottentor) in den großen (Fest-)Saal eintreten können sollte. Von diesem weiter nach Norden wäre man in die Tafelstube gekommen, von dort in die Antecamera und weiter in die Audienzstube. Von der letzteren hätte man einen Gang betreten können, von dem eine Tür in die Schreibstube des Fürsten führen sollte. Nur von dort aus sollte man das Briefgewölbe (also das Archiv) betreten können. Vom Saal nach Süden (Richtung Michaelerplatz) sollte man in die neu zu errichtende Kapelle kommen. Südlich von Treppenhaus und Kapelle und nördlich des stark verkleinerten Innenhofes sollten die Aus- und Ankleidestube des Fürsten („abzügstübl"), seine Schlafkammer, eine „saleta" und ein „cabinet" zu liegen kommen. Von den zwei zuletzt genannten Räumen sollten sich offenbar Fenster (oder Türen?) in die Kapelle öffnen. Von einem schmalen Gang sowie von der Saletta und dem Kabinett wäre man in die westlich und südlich des Hofes gelegenen Räume des Frauenzimmers und der Kinderstube gekommen. Bei den beiden rein funktionalen und nicht repräsentativen Wendeltreppen (eine am Ende des Ganges hinter der Schreibstube des Fürsten, die zweite neben der Frauenzimmerkammer, in der Südostecke des Palastes), von denen die erstgenannte bereits vor dem geplanten Umbau vorhanden war, handelt es sich wohl um Dienstbotentreppen. 11
,0 Z u m Typus des zweiarmig gegenläufigen Treppenhauses („italienischer Typus") vgl. Fliri, Treppenhäuser, S. 46-56. " Vgl. ebd., S. 26 f.
Fürst Gundakers Wiener Häuser
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Abb. 38: Skizze für den geplanten, aber nicht ausgeführten Umbau des Freihauses Gundakers von Liechtenstein in der Herrengasse in Wien mit eigenhändiger Beschriftung des Fürsten Gundaker. Raumeinteilung des Hauptgeschoßes nach dem geplanten Umbau. Wahrscheinlich um 1625.
Auf einem ebenfalls undatierten Zettel notierte sich Fürst Gundaker, welche Räume das Palais in der Herrengasse nach dem Umbau in beiden Geschoßen umfassen sollte.12 Im Erdgeschoß, wohl hauptsächlich unter den Räumen des Fürsten und unter dem Saal, waren vorgesehen: Küche, Speisgewölbe, Kochstube, Silberkammer, Gesindestube, Gesindekammer, Zimmer für die adeligen Hofstaatsangehörigen („von adl zimmer") und Kanzlei; Stall; Zimmer für das Stallgesinde; Krankenzimmer; Treppenhaus. Im ersten Stock: Saal, Tafelstube, Audienzzimmer, „mein zimmer" (die Schreibstube des Umbauplanes), Garderobe (wohl das „abzügstübl" des Planes) und Schlafkammer; Kapelle. Der Frauen- und Kinderbereich sollte - vermutlich im Erdgeschoß und im ersten Stock - umfassen: Frauenstube, Kabinett, Kinderzimmer, Frauenzimmer, Kammer, zwei Garderoben, Küche, Apotheke, Kinderstube, Bad und „abzühstibl" (An- und Auskleidezimmer beim Bad). Weiters waren vorgesehen: Eisgrube, Keller, Schuppen (?) fur Holz und Heu, (Getreide-) Kasten, eine Remise für fünf Wägen sowie ein Garten und ein Müllsammelplatz („ortt per mist"). Im April 1631 schrieb Gundaker von Liechtenstein an seinen Bruder Maximilian, er sei schon lange entschlossen, sein Haus auf dem Bauernmarkt zu verkaufen und aus dem Haus in der Herrengasse unter Einbeziehung zweier kleiner Nachbarhäuser „ein palatium zu bauen". An der Realisierung dieses Plans werde er dadurch gehindert, daß er dazu gezwungen werde, die auf seinen (mährischen) Gütern haftenden Schulden zu bezahlen, wodurch ihm „gleichsamb das geldt aus den hannden genohmben" werde. 13 Nachdem der seit Mitte der zwanziger Jahre projektierte großzügige Umbau nicht realisiert worden war, verpachtete Fürst Gundaker sein Haus in der Herrengasse im Jahre 1629
12 ,J
HAJLW, Κ. Η 1201, a. a. Ο. HALW, Κ. Η Π 9 8 , G. ν. L. an seinen Bruder Maximilian, Kromau, 10. April 1631 (Konzept).
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V o m Stadthaus zum Adelspalais
um 500 Gulden rheinisch pro Jahr an den Bischof von Mantua (Vincenzo Agnello Soardi), 1632 um 600 Gulden an Graf Philipp von Mansfeld, 1635 an Fürst Johann Anton von Eggenberg und seit 1637 an den Wiener Bürger Hanns Sailler.14 Im November 1649 bot er das Haus, das einen Wert von ungefähr 20.000 Gulden besitze, seinem Neffen Karl Eusebius zum Kauf an. Dieser bekundete im Dezember sein grundsätzliches Interesse an einer Erwerbung des Hauses, bezeichnete aber den von Gundaker genannten Schätzwert bzw. Kaufpreis als überhöht; er wolle dafür nicht mehr als 10.000 Gulden bezahlen. Gundaker wisse selbst, daß, wer immer das Haus kaufe, in Wirklichkeit nur den Bauplatz kaufe, da das alte Haus „nit gebaut" sei.15 Daraufhin kam der Verkauf offenbar nicht zustande. Das ehemals bürgerliche und im Prinzip weiterhin hofquartierpflichtige 16 Haus auf dem Bauernmarkt bzw. dessen Piano nobile überließ Fürst Gundaker - vermutlich nolens volens immer wieder prominenten Männern für Aufenthalte am Kaiserhof, etwa zu Beginn des Jahres 1627 dem Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, im Herbst 1632 dem Primas von Ungarn Peter Pazmany, der Ende März desselben Jahres in Rom aus den Händen Urbans VIII. den Kardinalshut empfangen hatte (nachdem er bereits im November 1629 zum Kardinal ernannt worden war) 17 , und im Sommer 1637 - auf Ersuchen des Kaisers dem polnischen Botschafter. 18 Im März 1654 erteilte Ferdinand III. in Regensburg - vielleicht als schwachen Trost für die Verweigerung der Introduktion in den Reichsfurstenrat 19 Gundaker von Liechtenstein auf dessen Bitte hin und in Ansehung seiner dem Kaiserhaus durch 55 Jahre geleisteten Dienste für das Haus auf dem Bauernmarkt die Quartierfreiheit, solange es im Besitz des Hauses Liechtenstein sein werde. 20 Aus einem undatierten, aus der Zeit um 1640 stammenden Verzeichnis geht hervor, daß es in Gundakers Haus auf dem Bauernmarkt fünf Keller, Ställe fur 29 Pferde, 15 Gewölbe (davon elf im Erdgeschoß - einschließlich Silberkammer und „guardaroba" des Fürsten), sechs Küchen (einschließlich Waschküche), eine Badstube, einen Brunnen, 17 Stuben, zwölf Kammern, drei Säle (je einen im ersten, zweiten und dritten Stock) und zwei unausgebaute Räume gab. Die Räume des Fürsten Gundaker befanden sich im ersten Stock. Es handelte sich um insgesamt sechs Stuben, von denen eine als „ihrer fürstl. gnaden ante-camera" diente, die Schlafstube des Fürsten mit einem angrenzenden kleinen Gewölbe, den mit Marmor gepflasterten Saal, die Küche, die Stube, „darinn ihr fiirstl. gnaden leutt essen", sowie deren große Kammer. Im selben Stock befand sich auch die Wohnung (Küche, Stube und Kammer) des (Georg Gottfried) Reittenspieß (von Weillern), der 1639 Rat und Marschall des Fürsten Gundaker war. 21 Im zweiten Stock befanden sich die Räume des Fürsten Ferdinand und der fürstlichen Fräulein, also der unverheirateten Töchter Gundakers. Der Hausmeister Erhard (Schaller) wohnte im dritten Stock. 22 Seit 1622 - offenbar auch schon unter dem Vorbesitzer Joachim Pfanner - waren einzelne Räume des Hauses vermietet, zum Beispiel ein
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HALW, Κ. Η 1198 und Η 1205. HALW, Κ. Η 1205, G. v. L. an seinen Neffen Karl Eusebius, Wien, 10. November 1649; Κ. E. v. L. an G. v. L., Feldsberg, 6. Dezember 1649. 16 Zum Wiener Hofquartierwesen im 17. Jahrhundert vgl. v. a. Kallbrunner, Hofquartierwesen, und ders., Wohnungssorgen (Quellensammlung); zuletzt: Spielman, City, S. 75-100 und passim. 17 Vgl. ζ. B. Besse, Le Borromie magyar. " Vgl. die einschlägigen Briefe im HALV, K. 251; Päzmänys Schreiben an den Fürsten Gundaker vom 31. August 1632 ist abgedruckt bei Hanuy (Hg.), Petri Cardinalis Päzmäny epistolae, Bd. 2, S. 352f. " Vgl. Kapitel 8. 20 HALV, Urkundensammlung, Regensburg, 18. März 1654; HALV, Hs. 603, S. 42 f. und 412-415. Zur (befristeten oder unbefristeten) Befreiung von der Quartierspflicht als Lohn für Verdienste vgl. Kallbrunner, Hofquartierwesen, bes. S. 29 f., und ders., Wohnungssorgen, S. 30—42. 21 Vgl. oben S. 359. 22 HALW, Κ. Η 1198, „Verzeichnuß der zimmer, gewelber und stallungen, so in ihrer f. gn. haus auf dem alten pauernmarckt verhanden", s. d. 15
Das Haus in Brünn
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als Laden dienendes Gewölbe und ein kleiner Keller an den Bürger und Buchbinder Samuel Müller. Seit Georgi 1628 vermietete Fürst Gundaker ein Gewölbe samt kleinem „gewölbl" und Keller um 40 Gulden Jahreszins an den Buchfuhrer (d. h. Buchhändler) Severus Esch, bei dem er in den folgenden Jahren Stammkunde wurde. Ein Jahr später vermietete er ihm um 65 Gulden Jahreszins auch mehrere Zimmer im dritten Stock. 23 Von 1639 bis 1646 war Gundaker von Liechtenstein auch im Besitz zweier Häuser in der Singerstraße (heute Nr. 16), die im Jahre 1628 von dem Hofkammerrat Hieronymus Bonacina käuflich erworben worden waren. 24 Da Fürst Gundaker weder von diesem noch von dessen Erben eine Schuldforderung gütlich einbringen konnte, kam es zur Klage und im März 1639 zur gerichtlichen Einantwortung der Häuser an den Fürsten, der sie kraft des am 1. Januar 1647 in Marburg in der Untersteiermark geschlossenen Vertrages seinem Sohn Ferdinandjohann übergab. Dieser verkaufte sie im Februar 1650 an seine Schwester Marianne, verehelichte Gräfin von Schlick. Im Jahre 1653 erwarb der Hofkammerrat und bekannte Alchemist Johann Konrad von Richthausen Freiherr von Chaos 25 die Häuser, und mit Kaufvertrag vom 5. Juli 1654 kamen sie in den Besitz des kaiserlichen Generals Louis Raduit de Souches. 26
12.2. Das Haus in Brünn Im Jahre 1641 kaufte Fürst Gundaker um 500 Gulden von dem mit seiner Nichte Anna Maria verheirateten Fürsten Maximilian von Dietrichstein ein adeliges Freihaus in Brünn in der Nähe des Fröhlichertores, des nordwestlichen Stadttores von Brünn. 27 Es handelt sich um den in unmittelbarer Nähe von Handwerkerhäusern und Fleischbänken gelegenen Vorgänger des heutigen Hauses Nr. 23 in der Ceska ulice, vormals Rudolfsgasse/Veselä ulice 23. Nach Auffassung der Zeitgenossen des 17. Jahrhunderts lag das Haus jedoch nicht in der späteren Rudolfsgasse, sondern in der Hinteren Fröhlich(er)gasse (Ulice Zadni Veselä), der heutigen Veselä ulice. 28 Im Jahre 1655 war das Haus bereits im Besitz des Fürsten Hartmann, später seines Sohnes Maximilian Jakob Moritz, der es jedoch im Jahre 1689 verkaufte. 29
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HALW.K. Η 1198. Zu Bonacina und seinen Finanzaktivitäten siehe u. a. d'Elvert, Beiträge, Bd. 3, S. 364-366, 375-377 und passim, sowie Bd. 4, S. LXVI und passim. " Zu ihm vgl. u. a. Srbik, Abenteurer, S. 56, und Evans, Habsburgermonarchie, S. 258 und 260. 26 Harrer, Wien, Bd. 5, 1. Teil, S. 20-22; HALV, Hs. 275, S. 42 f. (Abschrift des Kontrakts zwischen Fürst Ferdinand Johann v. L. und seiner Schwester Marianne, Wien, 25. Februar 1650). 27 HALV, K. 251, G. v. L. an Maximilian v. Dietrichstein, Liechtenstein, 10. März 1641 (Konzept); Maximilian v. Dietrichstein an G. v. L., Nikolsburg, 29. April 1641; ders. an dens., Nikolsburg, 24. August 1641; HALV, Hs. 275, S. 226, G. v. L. an einen Herrn von Roggendorf, Rabensburg, 17. Juli 1650 (Abschrift). 28 Archiv mesta Brna, Hs. 13, fbl. 93 r , und Alois Gödl, Topographie der Brünner Häuser (Manuskript), Konvolut 13/6, fbl. 4425 f. Ich danke TomiS Knoz, ohne dessen Hilfe und Spürsinn mir die genaue Lokalisierung des Hauses nicht möglich gewesen wäre. 29 Ebd., Gödl-Topographie, Konvolut 13/6, fbl. 4426. 24
Farbtafel I: Ahnentafeln ( „ S t a m m b ä u m e " ) des Vaters (oben) u n d des ältesten Sohnes (unten) des Fürsten G u n daker von Liechtenstein, die beide den N a m e n H a r t m a n n trugen. D a s Original der Ahnentafel H a r t m a n n s d. A . ( 1 5 4 4 - 1 5 8 5 ) dürfte im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts hergestellt worden sein, das Original der Ahnentafel H a r t m a n n s d. J . ( 1 6 1 3 - 1 6 8 6 ) entstand wohl u m die Mitte des 17. Jahrhunderts. D i e im 18. Jahrhundert noch im Liechtensteinischen Archiv vorhandenen Originale sind seither offenbar verlorengegangen. Abgebildet sind im 18. Jahrhundert fur die Grafen Harrach angefertigte K o p i e n (die Kopie der Ahnentafel H a r t m a n n s d. Ä. ist undatiert, jene H a r t m a n n s d. J . und eine etwas schlechter erhaltene, hier nicht abgebildete Ahnentafel des Fürsten G u n d a k e r sind laut Aufschrift im Jahre 1 7 4 7 angefertigt worden). Deckfarben und Tinte auf Pergament, 70 X 55 cm (Hartmann d. A.) und 95 X 63 cm (Hartmann d. J.).
Farbtafel II: Ganzfiguriges Knabenporträt des k n a p p vierzehnjährigen Freiherrn (seit 1623 Fürsten) G u n d a k e r von Liechtenstein. 1593. U n b e k a n n t e r Maler, Ol auf Leinwand, 2 0 0 X 144 cm (mit R a h m e n ) .
Farbtafel III: R e i t e r b i l d n i s des F ü r s t e n G u n d a k e r v o n L i e c h t e n s t e i n vor d e m H i n t e r g r u n d seiner R e s i d e n z s t a d t M ä h r i s c h K r o m a u ( d a m a l s L i e c h t e n s t e i n ) m i t s e i n e m R e s i d e n z s c h l o ß (links) u n d d e m v o n i h m gestifteten P i a r i s t e n k l o s t e r (rechts). U m 1 6 4 0 . U n b e k a n n t e r Maler, Ö l auf Leinwand, 83 X 6 6 c m .
Farbtafel IV: „Paradieslandschaft" (oben) u n d „Landschaft mit Vögeln" (unten). Ölgemälde von Roelandt Savery. Wohl im Jahre 1625 von G u n d a k e r von Liechtenstein in Auftrag gegeben, im O k t o b e r 1628 vollendet u n d Anfang 1629 nach Wien überschickt. Öl auf Kupfer, 42 x 57 cm.
13. Bildende Künste und Repräsentation Künstler und Handwerker im Dienste eines Mannes, der nicht so konnte wie er wollte Verglichen mit seinem älteren Bruder Karl 1 und dessen Sohn und Erben Karl Eusebius 2 nehmen sich die - fiir einen Hochadeligen des 17. Jahrhunderts selbstverständlichen 3 Aktivitäten Gundakers von Liechtenstein als Bauherr, Kunstsammler und Auftraggeber bildender Künstler recht bescheiden aus. 4 Die Ursachen dafür sind im wesentlichen in seinen geringeren finanziellen Möglichkeiten, aber auch in den politisch-militärischen und ökonomischen Turbulenzen des Dreißigjährigen Krieges zu suchen. Deshalb, aber auch wegen des Vorhandenseins eines gründlichen Aufsatzes, in dessen Beilagenteil zahlreiche (freilich keineswegs alle) Quellen aus dem Liechtensteinischen Hausarchiv zur „Kunstförderung durch Fürst Gundacker von Liechtenstein" aus den Jahren 1 6 3 8 bis 1 6 5 7 W o r t fiir W o r t abgedruckt sind 5 , sowie wegen der unzureichenden kunsthistorischen Kompetenz des Autors kann bzw. muß dieses Kapitel eher kurz ausfallen.
13.1. Splendor familiae 6 Karl von Liechtenstein ließ seinem Schwiegervater Jan Sembera Cernohorsky von Boskowitz im Jahre 1 6 0 0 in der Brünner Minoritenkirche an der Stelle des heutigen Hochaltars ein aufwendiges Grabdenkmal in Gestalt eines großen Baldachinaltars mit vier marmornen Säulen errichten. 7 Die Errichtung dieses Hochgrabs war zweifellos weniger ein Akt der Pietät, als vielmehr ein Teil der im folgenden zu skizzierenden Politik der Demonstration des „splen' Siehe Haupt, Fürst Karl I. von Liechtenstein. Siehe Fleischer, Fürst Karl Eusebius; Haupt, Von der Leidenschaft zum Schönen. 1 Vgl. etwa Slavicek (Hg.), Artis pictoriae amatores; Hojda, Le grandezze d'Italia; ders. (Hg.), Kultura baroka; Kühnel, Die österreichische Adelskultur; Vorderwinkler, Die Kunstkammer des Grafen Joachim von Windhag; jetzt besonders das anregende Buch von DaCosta Kaufmann, Court, Cloister, and City, passim. 4 Vgl. insbesondere G. Wilhelm, Die Fürsten von Liechtenstein; Liechtenstein. The Princely Collections; Haupt, Rara sunt cam, Lorenz, Nichts Brachtigeres kart gemachet werden, Polleroß, Dem Adl und fiirstlichen Standtgemes Curiosi. 5 F. Wilhelm, Materialien zur Kunstförderung. Wilhelm hat vor allem die von 1636 bis 1658 erhaltenen Kopialhücher ausgewertet, nur zu einem geringen Teil aber die in den Akten des Liechtensteinischen Hausarchivs - verstreut und zum Teil an ganz unvermuteten Orten - liegenden Originalkorrespondenzen, sodaß ich im folgenden vor allem fiir die Zeit vor 1636 eine Reihe von bisher unbekannten Nachrichten bringen kann (so waren zum Beispiel die 1628 einsetzenden Beziehungen des Fürsten Gundaker zu dem Utrechter Maler Hendrick Bloemaert Franz Wilhelm erst seit dem Jahre 1638 bekannt). 6 Die folgenden Ausführungen decken sich zum Teil wörtlich mit dem gleichbetitelten Abschnitt in Winkelbauer, Repräsentationsstreben. - Beispiele von Familienpolitik und Familiensolidarität im böhmischen Adel des 16. und 17. Jahrhunderts referiert und analysiert Mat'a, Aristokraticka prestiz, Kap. 5.2. Sembera, Päni ζ Boskovic, S. 115; Horejsi u. a., Die Kunst der Renaissance und des Manierismus in Böhmen, S. 219 A. 72. (Das Denkmal wurde 1731 im Zuge des Umbaus der Minoritenkirche demoliert.) 2
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Bildende Künste und Repräsentation
dor familiae", des Ruhmes des eigenen Hauses, das als rechtmäßiger Nachfolger der mährischen Herrenfamilie Boskowitz legitimiert werden sollte, deren Wappen - ein weißer Kamm im roten Feld - in das liechtensteinische Familienwappen aufgenommen wurde. 8 Kompromißlose und zielbewußte Aktivität im eigenen und im Interesse der Familie, sozusagen ad maiorem domus gloriam, zieht sich wie ein roter Faden durch die vor allem an ihre Standesgenossen gerichtete „Öffentlichkeitsarbeit" der drei Liechtenstein-Brüder. Karl von Liechtenstein beschäftigte sich seit den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts intensiv mit der Geschichte und Genealogie seines Hauses und mit den Taten seiner Vorfahren, damit er und seine Brüder ihnen besser nacheifern könnten, wie er 1598 an Hugo Blotius, den Präfekten der kaiserlichen Hofbibliothek, schrieb.9 Der große LiechtensteinStammbaum von Hieronymus Megiser aus dem Jahre 1617 (Druck 1631), der die Ahnenreihe der Liechtenstein - über die Kuenringer und das oberitalienische Adelsgeschlecht der Este - bis in die Antike zurückverfolgt, erfüllte in hervorragender Weise den Wunsch Karls, „der neuerworbenen Machtfiille des Hauses Liechtenstein" - 1608 Fürstenstand, 1614 Belehnung mit dem schlesischen Herzogtum Troppau etc. - „durch eine möglichst lückenlose und ansehnliche Ahnenreihe zusätzlichen Glanz zu geben". 10 Die genealogische Herleitung von den Este erinnert an die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts aufgekommene Fiktion, die Rosenberger stammten von dem römischen Adelsgeschlecht der Orsini ab. 11 Als Vorbild für derartige Abstammungssagen diente wohl das Kaiserhaus: Die Habsburger hielten sich bereits um 1300 für eine deutsche Nebenlienie des römischen Hauses Colonna, gaben diese Abstammungssage aber in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf, „so daß sich ihrer im 16. Jahrhundert die Hohenzollern zu versichern vermochten". Im 16. und 17. Jahrhundert war die Theorie der Abstammung der Habsburger von den Pierleoni recht verbreitet, nachdem „Heinrich Gundelfingen um das Jahr 1476 die Sage von der Abstammung der Habsburger aus dem Geschlechte Colonna höchstwahrscheinlich in völlig bewußter Absichtlichkeit durch die von den Pierleoni ersetzt hatte". 12 Seit der Erhebung in den Fürstenstand bemühte sich Karl von Liechtenstein kontinuierlich darum, das Wappen seines Hauses zu bessern und zu mehren. Nur ein einziges Mal ersuchte Fürst Karl für eine Besserung seines Wappens um die Zustimmung des Kaisers: Am 7. April 1620 erging ein kaiserliches Dekret aus der Reichshofkanzlei, mit dem es Karl und seinen Brüdern Maximilian und Gundaker gestattet wurde, das Wappen der ausgestorbenen Herren von Kuenring in ihr Familienwappen aufzunehmen. 13 Im übrigen scheint Karl das
' Unter ähnlichen Umständen vermehrte Johann Georg von Schwanberg, der Erbe Peter Woks von Rosenberg, 1614 das Schwanbergische Wappen um die rosenbergische Symbolik, und der mit der Erbtochter Lucia Ottilia von Neuhaus verheiratete Wilhelm Slavata nahm 1616 mit kaiserlichem Segen das Wappen der Herren von Neuhaus in sein Familienwappen auf. Mat a, Zrozeni tradice, bei Anm. 30 f. ' Vgl. Mitis, Tengnagels Studien; G. Wilhelm, Fürst Karl von Liechtenstein. Am 11. Juni 1598 schrieb er „ex arce" in Feldsberg an Hugo Blotius, verbunden mit der Bitte um einschlägige Werke zur österreichischen Geschichte („quae ad unam Austriacam historiam pertinent"): „Coepi iam antea cupiditate quadam, ut spero, non impubanda, in memoria revocare et ex omni antiquitate conquirere avos et progenitores, qui rebus pro patria praedarfc gestis familiam nostram claram celebremque reddidere: non, quod quibusdam solenne est, insolescam, sed, quod sic ä nobis fieri deceat, me potius et fratres excitem ad gloriosae virtutis illorum imitationem." ÖNB, Cod. 9737', fol. 73. 10 Haupt, Fürst Karl, Textbd., S. 45 f. " Vgl. Pinek, Posledni Rozmberkove, S. 24, 26-28, 257-259, 290 f. und passim, sowie Mat'a, Zrozeni tradice, und die dort in Anm. 66 angeführte Literatur. 12 Lhotsky, Apis Colonna, die Zitate auf S. 36 und 39. Zu analogen phantastischen Stammbäumen aus dem späten 17. Jahrhundert (das „Theatrum genealogicum" der Fürsten Esterhäzy aus dem Jahre 1687 und die „Harrachsche Ahnenrolle" von 1698) siehe Bastl/Heiss, Hofdamen und Höflinge, S. 228 und die dort in Anm. 133 angeführte Literatur. 13 HALV, Urkundensammlung, 7. April 1620, und ebd., K. 30. Vgl. G. Wilhelm, Fürst Karl, S. 10; ders., Siehst hie diß Wappen abgemalt, S. 208. - Die Brüder Karl, Maximilian und Gundaker von Liechtenstein ver-
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Recht der Wappenverleihung, das in dem ihm 1607 verliehenen großen Palatinat enthalten war, so ausgelegt zu haben, daß er nunmehr auch befugt sei, sein eigenes Wappen aus eigener Machtvollkommenheit zu verändern und zu bessern. Zusammen mit dem Palatinat verlieh Kaiser Rudolf II. seinem Obersthofmeister Karl von Liechtenstein auch das Münzrecht, das dieser aber erst seit 1614 in seiner Münzstätte Troppau ausübte (Abb. 39). 15 Die Münzprägetätigkeit der österreichischen Standesherren war zwar vor dem Dreißigjährigen Krieg, wie die Beispiele Karl von Liechtenstein und Paul Sixt von Trautson zeigen, durchaus eine gewinnbringende Tätigkeit und wurde erst danach „zu einer bloßen Angelegenheit der Repräsentation und der Demonstrierung eines auszeichnenden Rechtes" 16 , doch gilt zweifellos auch für Karl von Liechtenstein, mit dem die Münzprägung der österreichischen Neufürsten unter eigenem Bildnis und in eigener Münzstätte
Abb. 39: Halbtaler des Fürsten Karl von Liechtenstein, geprägt 1614 in seiner Münzstätte Troppau. Der Avers zeigt den Fürsten Karl im Profil, der Revers trägt sein Wappen, bekrönt von einem Spangenhelm und überhöht vom liechtensteinischen Fürstenhut.
beginnt, der folgende Satz, den Albrecht von Wallenstein im Dezember 1628 in einem tschechisch geschriebenen Brief verwendete: „Ich tue dies nicht wegen des Gewinns, sondern wegen der Reputation." 17 Im Sommer 1626 hatte Wallenstein zunächst befohlen, auf dem Revers seiner Münzen den frommen Wahlspruch „Dominus Protector Meus" durch seine stolze persönliche Devise „Invita Invidia" („Dem Neid zum Trotz") zu ersetzen; zwei Tage später entschied er sich für die Umschrift „Sacri Romani Imperii Princeps". 18 Sicherlich aus Prestigegründen forcierte er vor allem die Prägung von Goldmünzen. Es machte ihm nichts aus, wenn er durch das Umprägen von Geldpagament pekuniäre Verluste erlitt; es ging ihm in erster Linie darum, möglichst viele Gold- und Silbermünzen mit seinem Bildnis unters Volk bzw. in Umlauf zu bringen. 19 Auch alle Münzen Karls von Liechtenstein zeigen auf dem Avers das Portät des Münzherrn im Profil, das damit den Bewohnern der böhmischen und österreichischen Länder fast ebenso vertraut war wie jenes des Kaisers. Welche Mengen von Münzen Fürst Karl in Umlauf brachte, wird aus der Fundstatistik des Münzkabinetts im
kauften 1597 die Kuenringische Erbschaft, die nach dem Tod Hans Laslas von Kuenring an die Herren von Liechtenstein gefallen war, an Hans Wilhelm von Schönkirchen. HALV, Urkundensammlung, 5. September 1597. 14 G. Wilhelm, Fürst Karl, S. 8. 15 Vgl. Missong, Die Münzen des Fürstenhauses Liechtenstein; Holzmair, Münzgeschichte der österreichischen Neufiirsten, S. 31-35; Schulz, Beiträge zur Münzgeschichte, S. 50-58. 16 Holzmair, Münzgeschichte, S. 6 und 11. 17 Zitiert nach Nohejlovä-Prätovä, Das Münzwesen Albrechts von Wallenstein, S . l l . " Ebd., S. 9. " Ebd., S. 13 f.
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Bildende Künste u n d Repräsentation
Wiener Kunsthistorischen Museum deutlich, wo die Münzen Karls von Liechtenstein mit deutlichem Abstand vor denen Wallensteins den ersten Platz einnehmen. 20 Zwischen 1613 und 1619 - zu der Zeit hielt er sich hauptsächlich auf seinen Gütern auf - plante Fürst Karl, wie wir aus zwei heute nicht mehr auffindbaren Verzeichnissen von seiner Hand wissen, die Deckengemälde im Schloß Feldsberg durch neue ersetzen zu lassen, die Darstellungen aus seinem eigenen Leben und aus der Familiengeschichte zum Thema haben sollten. 21 Das erste Verzeichnis sieht neben den Wappen der Lehensleute, dem Stammbaum, den Ahnen und den Herrschaften Karls unter anderem die Abbildung folgender Höhepunkte seiner Biographie vor: die Erhebung in den Fürstenstand (1608), die Belehnung mit dem Herzogtum Troppau (1614) und die Gewährung der Präzedenz durch die Landstände von Mähren und Osterreich unter der Enns (1612). Dem zweiten Dokument zufolge sollten die Deckengemälde unter anderem Karl als Obersthofmeister Kaiser Rudolfs II. (1600-1603 und 1606/07), als Landeshauptmann (1604-1606) und Oberstlandrichter (1599-1600) von Mähren zeigen, außerdem wie er (im November 1611) die Braut des Königs Matthias einholte (die Erzherzogin Anna, eine Tochter Ferdinands von Tirol) und wie er (im August 1605, im Krieg gegen Bocskai) die Stadt Skalitz (in Oberungarn) einnahm. Mit einem ähnlichen, noch weitergehenden Vorhaben trug sich im Jahre 1629, zwei Jahre nach dem Tod des Fürsten Karl, dessen jüngster Bruder Gundaker. Dieser hatte damals vor, die Taten und Erfolge der drei Brüder bildlich darstellen zu lassen - „unserm geschlecht zu ehren", wie er an seinen Bruder Maximilian schrieb. 22 In dem „Verzaichnus, was zu ehren des fürstlichen hauses Liechtenstein gemahlt werden könnte", das diesem Schreiben beiliegt, steht an erster Stelle - bezeichnend für die größere Ernsthaftigkeit der Konversion Gundakers - das Thema „Wie alle drey gebrüeder herren von Liechtenstein wider zue der catholischen religion tretten". Zu diesem Bild führte er näher aus: „Religio vel ecclesia catolica in trono reicht das creutz vel aliud allen dreyen [sc. Brüdern], so darvor knien." Es folgen: „2. Wie beede fürsten von Liechtenstein, Maximilian und Gundackher, vom kayser Ferdinandt zue fürstlichen standt erhebt werden. 3. Wie alle drey fürsten von Liechtenstein vom kayser Ferdinando mit dem herzogthumb Troppau und Jegerndorf belehnt werden." Für letzteres Bild fügte Gundaker ein genaues Konzept bei: Der Kaiser sitzt auf dem Thron, zu seinen Füßen Juno mit dem Pfau, der am Hals das österreichische Wappen trägt, und Honos. Die drei Brüder knien, „fürst Carl etwas vornen und in der mitten", der Kaiser übergibt zwei Fahnen mit dem fürstlichen Wappen oder zwei Hüte auf einem Becken. „Stehen herumb Eggenberg, Lobkowitz, die gehaimbe hofofficir, lauter contrafect, alla romana geklait, in den schildten ihre wappen." Danach folgen Vorschläge für die die drei Brüder im einzelnen betreffenden Bilder, zunächst Fürst Karl: 1. Wie ihn Kaiser Rudolf II. zum Geheimen Rat macht, 2. wie er ihm den Titel „Hoch- und Wohlgeboren" verleiht, 3. wie er ihn zum Obersthofmeister macht, 4. wie er ihn zum Landeshauptmann von Mähren macht, 5. wie er General der Mährer gegen die Ungarn bei Skalitz ist, 6. wie ihn der (spätere) Kaiser Matthias zum Fürsten macht, 7. wie er ihm Troppau gibt, 8. wie ihm Kaiser Ferdinand II. Jägerndorf gibt und 9. wie er ihn zum Vizekönig von Böhmen macht. Zum Ruhm seines Bruders Maximilian schlägt Gundaker zwei Bilder vor, die ihn als General der Artillerie des Königs Matthias und Kaiser Ferdinands II. zeigen, sowie weitere sieben Belagerungs-, Eroberungs- und Schlachtenszenen. Für sich selber schlug er als Sujets vor: die Heirat mit Teschen (sie; was zählte war nicht die 1616 erfolgte Vermählung mit einer bestimmten Frau - Elisabeth Lukretia Herzogin von Teschen - , sondern der
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Schulz, Beiträge, S. 129. Fleischer, Fürst Karl Eusebius, S. 9 ff.; Haupt, Fürst Karl, Quellenbd., Dok. Nr. 216a und 389a. F. Wilhelm, Materialien zur Kunstförderung, Sp. 27-29.
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daraus resultierende Anspruch auf deren Herzogtum) sowie Porträts seiner Person als Hofkammerpräsident, als Geheimer Rat und als Obersthofmeister. Das Programm Karls von Liechtenstein für Schloß Feldsberg wurde offenbar nur zum Teil realisiert. Noch im Januar 1639 schrieb Fürst Maximilian an seinen Neffen Karl Eusebius, den Sohn und Erben des Fürsten Karl: „Belangent die gemähl im großen saal zu Veldtsperg vermeinen wier, weil aldort drei große lähre pläz sein, daß euer liebden in einem, wie dero herr vatter seel. zu [der] catholischen religion sich bequembt, in dem andern, wie er generalcommissarius in Böhmen worden, in dem dritten, wie ihre majestät ihme zum herzog zu Troppau undt Jägerndorf gemacht haben, mahlen ließen." 23 Im Oktober desselben Jahres Schloß Fürst Karl Eusebius mit dem Maler Johann Baptist Gidoni einen Vertrag über die Ausmalung des Großen Saales im Schloß Feldsberg „vermög des ihme gegebenen abriß". 2 4 Fürst Maximilian ließ - vielleicht angeregt durch den erwähnten Vorschlag Gundakers eine Reihe von siebzehn „factiones und belegerungen", an denen er persönlich beteiligt war, malen, die sich bei der Inventarisierung seines Nachlasses im Jahre 1644 im (neuen) Saal des Schlosses Rabensburg, dem Hauptsitz Maximilians, befanden. Die Gemälde stammten wohl von Johann Hostitz, der seit 1613 Hofmaler des Fürsten gewesen war. 25 Fürst Gundaker verfolgte, wahrscheinlich mit modifiziertem Programm und in (stark) reduziertem Umfang, noch in den Jahren 1640 und 1650 sein bisher nicht verwirklichtes Vorhaben aus dem Jahre 1629. Jedenfalls erteilte er im Juni 1640 einem kürzlich in Wilfersdorf angekommenen Maler (wohl dem weiter unten genannten Stefues) den Auftrag, vier große Leinwände vorzubereiten, „denn ich wolte gern mich, meinen herrn bruder [Maximilian], vetter [Karl Eusebius] und söhn [Hartmann] zu roß, so groß als das leben ist, abcontrafieren lassen". 26 Und im Januar 1650 bat er seinen Neffen Karl Eusebius um einen „abriß, etwo auf ein halben pogen papier mit färben angestrichner" des Porträts des mit einem Herzogsmantel bekleideten Fürsten Karl. 27 Alle diese Gemälde(serien) sollten die Verdienste der drei Brüder um das Haus Österreich und ihren Anspruch auf einen besonderen Rang - womöglich vor allen anderen Adeligen der Habsburgermonarchie - unterstreichen. Aus diesem aggressiven und, in der kompromißlosen Verteidigung des beanspruchten Ranges, defensiven Selbstbewußtsein, das sich als Differenzierungsmittel unter anderem des Anspruchs auf Gewährung des Vortritts (in der Hofburgkapelle, im Geheimen Rat etc.) und bestimmter Titel (Anreden, Prädikate) bediente, resultierten zahlreiche Rang- und Präzedenzstreitigkeiten. 28 Auch der jahrzehntelange Kampf der Fürsten von Liechtenstein um „Sitz und Stimme" am Reichstag u n d im Reichsfurstenrat war, wie bereits ausgeführt, vor allem ein Kampf gegen neufürstliche Standesgenossen in den deutsch-böhmischen Erblanden, hinter die man rangmäßig zurückzufallen drohte, wenn es nicht gelang, wie diese die Reichsstandschaft auf der Fürstenbank und damit eine Virilstimme im Reichsfurstenrat zu erringen. 2 9 Desgleichen diente auch die Stiftung von Klöstern durch finanzkräftige Adelige nicht zuletzt der Demonstration des Ranges und der Macht, aber auch der Frömmigkeit der Stifter und der Stifterfamilie. 30
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Fleischer, Fürst Karl Eusebius, S. 10 f. Ebd., S. 30. " HALV, Hs. 272, S. 817, „Vertzeichnus der tittel auf den landschaffteln auf dem saal zu Rabenspurg"; F. Wilhelm, Materialien, Sp. 30. 26 HALV, Hs. 270, S. 224, G. v. L. an (den Wilfersdorfer Pfleger) Tahlhamer, Rabensburg, 18. Juni 1640 (Abschrift). 27 HALV, Hs. 275, S. 17, G. v. L. an Κ. E. v. L„ Ebergassing, 16. Januar 1650 (Abschrift). 2 " Vgl. Kapitel 7. 2 ' Vgl. Kapitel 8. 10 Vgl. Kapitel 11.3.3. 24
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Bildende Künste und Repräsentation
13.2. Gundaker von Liechtenstein als Dienst- und Auftraggeber von Malern und als Kunstsammler Kunstmäzenatentum und Sammeltätigkeit der Fürsten von Liechtenstein in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts können hier nur gestreift werden. 31 Das Zentrum der Sammlungen des Fürsten Karl bildeten die vor allem nach der Erhebung in den Fürstenstand (1608) erworbenen Spitzenwerke der Goldschmiede- und Steinschneidekunst, bei denen es sich um repräsentative Schauobjekte für die Kredenz handelte (Gefäße aus edlen Steinen, aus Bergkristall, Achat und Jaspis). Rudolf Distelberger konstatierte treffend einen „deutlichen Zusammenhang" zwischen der Entstehung und Entwicklung der fürstlichen Kunstkammer einerseits, dem „persönlichen Aufstieg Fürst Karls in politischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht" andererseits.32 „Der Fürst konnte seine Stellung in der Gesellschaft mit dem Rang illustrieren, den die edlen Steine im Reich der Natur bzw. die kostbaren Artefakte in der Hierarchie der Dinge einnahmen." 33 Eine Sonderstellung nahmen die Herrschaftszeichen ein (die beiden 1614 von einem Olmützer Goldschmied verfertigten Marschallstäbe 34 und der zwischen 1623 und 1626 von Juwelieren und Goldschmieden aus dem Umkreis der Prager Hofwerkstätte angefertigte, übrigens seit 1781 verschollene Herzogshut 35 ) sowie das Goldene Vlies. In der Gemäldegalerie setzte ein systematischer Ankauf erst unter Karl Eusebius in der Mitte der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts ein. 36 Zur Musikpflege am Hof der regierenden Linie der Fürsten von Liechtenstein sei nur bemerkt, daß Fürst Karl ein eigenes, von einem besoldeten Hofkapellmeister geleitetes Orchester unterhielt. Berühmt waren seine Hoftrompeter. 37 Fürst Karl Eusebius hatte in den 1650er Jahren in seinem Hofstaat eine neunköpfige Musikkapelle mit Trompetern und Paukern. 38 Die als standesgemäße fürstliche Betätigung betrachtete Pferdezucht erreichte - in den Gestüten Dobrau (auf der Herrschaft Mährisch Aussee), Eisgrub und Lundenburg - ihren Höhepunkt unter Karl Eusebius. 39 Die Aktivitäten des Fürsten Gundaker als Auftraggeber von bildenden Künstlern und als Kunstsammler bewegten sich infolge seiner beschränkten finanziellen Möglichkeiten innerhalb ziemlich enger Grenzen. Nach einem Höhepunkt in den Jahren um 1630, als sich mit Hendrick Bloemaert ein überregional bedeutender Maler an seinem Hof aufhielt, war seine jahrzehntelange Suche nach einem guten Hofmaler von Mißerfolgen gekennzeichnet.
13.2.1. Hofmaler In den mir zu Verfugung stehenden Quellen (ältere sind wohl als verloren zu betrachten) ist erstmals im Jahre 1627 davon die Rede, daß Fürst Gundaker von Liechtenstein sich um die Gewinnung eines Hofmalers bemühte. Im Dezember dieses Jahres berichtete er seinem Kunsthändler und Sollizitaror in der Angelegenheit der „Liquidation" der ostfriesischen Gel-
31 Vgl. v. a. Haupt, Fürst Karl; ders., Rara sunt cara, Götz-Mohr, Karl I. von Liechtenstein; Lorenz, Nichts Brachtigeres kan gemachet werden; G. Wilhelm, Die Fürsten von Liechtenstein; Liechtenstein. The Princely Collections. 32 Distelberger, Werke der Goldschmiede- und Steinschneidekunst, S. 75. 33 Ebd., S. 72. 34 Haupt, Fürst Karl, Textbd., S. 51, und Quellenbd., Dok. Nr. 265 f. 35 Es handelte sich um eine stilistisch zwischen der Rudolphinischen Kaiserkrone und dem Österreichischen Erzherzogshut stehende, reich mit Diamanten, Rubinen und Perlen verzierte goldene Lilienzackenkrone. G. Wilhelm, Herzogshut; Liechtenstein. The Princely Collections, S. 33-35. 36 Fleischer, Fürst Karl Eusebius, S. 37 ff.; Haupt, Rara sunt cara, S. 131. 37 Haupt, Fürst Karl, Textbd., S. 36. 38 Stekl, Ein Fürst hat und bedarf viel Ausgaben, S. 69. 35 Fleischer, Fürst Karl Eusebius, S. 25 und 33; Haupt, Rara sunt cara, S. 115 ff.; ders., Stallungen edler Pferde. Zur fürstlichen „Equipage" („die in Farbe und Form harmonisch aufeinander abgestimmte Einheit von Pferden, Wagen und Dienerlivree") siehe ders., Rara sunt cara, S. 119 ff.
Fürst Gundaker als Auftraggeber und Kunstsammler
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der 4 0 , dem Amsterdamer Handelsmann Samuel Bloemaert 4 1 , der „recommendirte mahler" habe sich „wider alle gebüer" nicht bei ihm in Wilfersdorf eingestellt. Da er aber gerne einen Maler hätte, ersuchte er Bloemaert, er möge sich bemühen, ihm einen anderen „zuezuweisen". 4 2 Dieser erwiderte, die Maler seien für gewöhnlich „lichte vogels". 43 Er kenne aber in Utrecht einen vortrefflichen Maler namens (Abraham) Bloemaert, der mit ihm selbst nicht verwandt sei. Dieser habe einen Sohn namens Heinrich (Hendrick), der ebenfalls Maler sei und sich zur Zeit in Rom aufhalte. Er habe mit dem Vater gesprochen, der sich damit einverstanden gezeigt habe, daß sein Sohn zu Fürst Gundaker käme, und ihm in diesem Sinne nach Rom geschrieben habe. 4 4 Gundaker dankte und erklärte Ende April 1628, Hendrick Bloemaert „solle uns in gnaden befohlen sein, wan er an unsern fiirstl. hoff ankomben wird". 4 5 Utrecht war damals - trotz des 1 5 8 0 erlassenen Verbots öffentlicher katholischer Gottesdienste - die Hochburg des Katholizismus in den Vereinigten Provinzen (um 1 6 2 0 sollen sich unter den etwa 3 0 . 0 0 0 Einwohnern der Stadt ungefähr 8 . 0 0 0 Katholiken befunden haben), und der 1566, im Jahr des großen Bildersturms in den Niederlanden, in Gorinchem geborene und 1593 nach Utrecht übersiedelte Abraham Bloemaert war mit seiner Elemente des Manierismus und des Klassizismus verschmelzenden Kunst der vornehmste katholische Maler des Landes. Nicht zuletzt aus diesem Grund empfahl er sich dem Fürsten Gundaker. „Seine Kunst spiegelt einen leidenschaftlichen und militanten, durch enge Kontakte zu Jesuiten genährten Katholizismus wieder, den er an seine Söhne weitergab." 46 Hendrick Bloemaert war unter diesen der bedeutendste Maler, er erreichte aber nicht das außerordentliche Format seines Vaters. 47 Anfang November 1628 konnte Fürst Gundaker nach Amsterdam melden, Abraham Bloemaerts Sohn sei bei ihm angekommen. 4 8 Einen Monat später brachte Roelandt Savery, der im Oktober zwei Landschaftsgemälde fiir den Fürsten Gundaker abgeliefert hatte 4 9 , dem Samuel Bloemaert aus Utrecht einige Kupferstiche von Abraham Bloemaert fiir dessen Sohn, „der nun in dienst von euer fürstlichen durchlaucht ist", um sie gemeinsam mit den Gemälden nach Wien senden zu lassen. 50 Vermutlich sollten die Kupferstiche Hendrick Bloemaert als Vorlagen fiir Gemälde dienen. Es geht aus den mir zur Verfugung stehenden Quellen nicht hervor, wie lange sich Hendrick Bloemaert tatsächlich am H o f des Fürsten Gundaker aufhielt. Möglicherweise waren es rund zweieinhalb Jahre. 5 1 Spätestens im September 1631 jedenfalls war er wieder in Utrecht.
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Letztere Funktion übte Samuel Bloemaert spätestens seit 1624 aus. Vgl. Kapitel 17.3.1. Siehe Nieuw nederlandsch biografisch woordenboek, Bd. 1, Sp. 374. HALW, Κ. Η 591, Fasz. Mm. 37, G. v. L. an S. Bloemaert, Wilfersdorf, 10. Dezember 1627 (Kon-
zept). Ebd., S. Bloemaert an G. v. L., Amsterdam, 11. Januar 1628. Ebd., ders. an dens., Amsterdam, 1. Februar 1628. Zu Abraham Bloemaert ( 1 5 6 6 - 1 6 5 1 ) , der rund ein halbes Jahrhundert lang das Haupt der Malerschule von Utrecht war, und seinem ältesten Sohn aus zweiter Ehe Hendrick Bloemaert ( 1 6 0 1 / 0 2 - 1 6 7 2 ) siehe jetzt vor allem Roethlisberger/Bok, Abraham Bloemaert and his Sons; außerdem Liechtenstein. The Princely Collections, S. 2 5 2 - 2 5 4 ; Saur Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 11, S. 5 4 7 - 5 5 1 . Die Utrechter Malerschule nahm in den Niederlanden eine Sonderstellung ein. Seit etwa 1620 „Caravaggism became the trademark o f the school of Utrecht, unparalleled in the other Dutch schools". Roethlisberger/Bok, a. a. O., S. 32. 43
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HALW, Κ. Η 591, Fasz. Mm. Roethlisberger/Bok, Abraham Ebd., bes. S. 4 3 7 - 4 4 1 . HALW, Κ. Η 591, Fasz. Mm. Vgl. unten Kapitel 13.2.2. HALW, Κ. Η 591, Fasz. Mm.
38, G. v. L. an S. Bloemaert, Wilfersdorf, 28. April 1628 (Konzept). Bloemaert and his Sons, Bd. 1, S. 15 f., 5 6 7 - 5 7 0 und passim. 38, G. v. L. an S. Bloemaert, 3. November 1628 (eh. Konzept). 39, S. Bloemaert an G. v. L„ Amsterdam, 5. Dezember 1628.
" Der Aufenthalt Hendrick Bloemaerts am Hof Gundakers von Liechtenstein war bisher nicht bekannt; vgl. v. a. F. Wilhelm, Materialien, und Roethlisberger/Bok, Abraham Bloemaert, Bd. 1, S. 589: „[...] on 6 May 1627, when putting his signature to a small drawing [...], he [= Hendrick Bloemaert] specifically stated
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Bildende Künste u n d Repräsentation
Anfang Oktober 1631 feierte er in seiner Heimatstadt Hochzeit mit der Tochter eines Rechtsanwalts und Malerkollegen seines Vaters, nachdem Mitte September der Heiratsvertrag unterzeichnet worden war. 52 Am 7. Oktober teilte Fürst Gundaker von Kromau aus Samuel Bloemaert mit, Hendrick Bloemaert 53 habe ihm - wohl noch vor der Konzipierung des Heiratsvertrags - geschrieben, „daß er sich wider in dise lande zu begeben willens" sei. Samuel Bloemaert möge ihm „andeutten [...], daß er bald und zu uns komme, denn wir wollen ihme bei uns oder anderer ortten gar guette glegenheit machen". 54 Wahrscheinlich etwa gleichzeitig mit der Gründung einer Familie eröffnete Hendrick, nachdem er Haushalt und Werkstatt seines Vaters verlassen hatte, eine eigene Werkstatt und verbrachte den Rest seines Lebens in Utrecht, wo er seit 1643 wiederholt zum Vorstand der Malergilde gewählt wurde und im Dezember 1672 gestorben ist. Die dreißiger Jahre waren seine produktivste Zeit, und vermutlich dachte er nie ernstlich daran, an den Hof Gundakers von Liechtenstein zurückzukehren. 55 1 642 schrieb Gundaker von Liechtenstein, der Maler Hendrick Bloemaert sei „vor diesem bey uns in diensten gewesen". 56 Heute befindet sich in den Kunstsammlungen des Fürsten von Liechtenstein kein einziges Gemälde von Hendrick Bloemaert. Es ist aber recht wahrscheinlich, daß sich unter den nach Auskunft zweier Inventare 57 in den Jahren 1644 und 1652 im Wiener Palais des Fürsten Gundaker befindlichen Gemälden auch Werke dieses von Gundaker hochgeschätzten Malers befanden - falls sie nicht zum Zeitpunkt der Inventarisierung alle in Gundakers Zimmer in einem der (Residenz-)Schlösser gehangen sind. In Betracht kommt insbesondere das 1630 datierte und signierte Gemälde des hl. Hieronymus, das sich heute in der Graf Harrach sehen Gemäldegalerie im Schloßmuseum Rohrau befindet: In beiden Inventaren der Gemälde des Fürsten Gundaker ist auch ein „S. Hieronymus" verzeichnet! Im Jahre 1629, also während des Aufenthalts von Hendrick Bloemaert in den Schlössern und auf den Gütern Gundakers von Liechtenstein in Österreich und Mähren, dedizierte dessen Vater Abraham eine seiner besten Graphiken, die von seinem Sohn Cornells 58 - mit kaiserlichem und königlich französischem Privileg - in Kupfer gestochenen „Vier Kirchenväter", dem Fürsten Gundaker (Abb. 40). 59 Der letztlich von Raffaels berühmtem Fresko „Disputa sul Sacramento" in der Stanza della Segnatura des Vatikans inspirierte Stich zeigt die vor dem ausgesetzten Allerheiligsten über die Geheimnisse der Menschwerdung Gottes und der Eucharistie grübelnden und disputierenden vier Lateinischen Kirchenväter. Die konsekrierte Hostie ist auf einer Altarmensa in einer Monstranz zur Anbetung ausgesetzt, das Altarbild im Hintergrund zeigt das Letzte Abendmahl. Zwei in Wolken herabschwebende Engel präsentieren ein Buch mit auf die Eucharistie bezogenen Sätzen aus dem Alten und Neuen Testament. Die Taube des Heiligen Geistes bekrönt die Szene. Es handelt sich insgesamt um ein explizites Bekenntnis zum katholischen Dogma der Transsubstantiation. Aus den spärlich erhaltenen Quellen geht leider nicht hervor, ob Gundaker den Stich in Auftrag gegeben hat. Dies ist aber wohl doch zu vermuten, jedenfalls muß der Zeichner bzw. der Stecher für das korrekt wiedergegebene, von einem Fürstenhut bekrönte Wappen ein Muster gehabt haben. Drei Jahre später diente die Graphik Abraham Bloemaert als Vorlage für ein großes Altargemälde. 60
that he was staying in Rome at the time [...]. After this there elapsed several years from which work of his is known, but otherwise no documentation, until his presence in Utrecht in 1631 is again established." 52 Roethlisberger/Bok, Abraham Bloemaert, Bd. 1, S. 589 f. und 628 f. 53 Im Konzept steht irrtümlich „Samuel Biomarth". 54 HALW, Κ. Η 591, Fasz. M m . 39, G. v. L. an S. Bloemaert, Kromau, 7. Oktober 1631 (Konzept). " Roethlisberger/Bok, Abraham Bloemaert, Bd. 1, S. 437-512 und 588-600. 56 HALV, Hs. 157, S. 139, G. v. L. an S. Bloemaert, 28. Februar 1642 (Abschrift). 57 Druck: Fleischer, Fürst Karl Eusebius, S. 235-238. 58 Zu Cornells Bloemaert (ca. 1603-1692), der seit 1633/34 ständig in Rom lebte, siehe Roethlisberger/ Bok, Abraham Bloemaert, Bd. 1, S. 513-526. 59 Ebd., S. 301-304. 60 Ebd., S. 304.
Fürst G u n d a k e r als A u f t r a g g e b e r u n d K u n s t s a m m l e r
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Abb. 40: „Die vier lateinischen Kirchenväter disputieren über das Geheimnis der Eucharistie." Gezeichnet von Abraham Bloemaert, in Kupfer gestochen von dessen Sohn Cornells. D e m Fürsten G u n d a k e r von Liechtenstein als „seinem allergnädigsten H e r r n " von Abraham Bloemaert dediziert im Jahre 1629.
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Bildende Künste u n d Repräsentation
Zu Beginn des Jahres 1637 - nach einer Lücke in den einschlägigen Quellen - hören wir davon, daß Fürst Gundaker einem Schreiben an Samuel Bloemaert einen Brief an Hendrick Bloemaert beilegte, mit der Bitte, den Brief nach Utrecht weiterzuleiten und eine etwaige Antwort nach Liechtenstein (= Kromau) zu schicken. 61 Es scheint, daß Hendrick Bloemaert den Fürsten bereits seit einigen Jahren damit vertröstete, sein jüngerer Bruder Adriaen werde sich in seine Dienste begeben. 62 Nach einer Italienreise arbeitete Adriaen Bloemaert in den Jahren 1637 und 1638 in den Diensten des Erzbischofs Paris Graf Lodron und des Abts von St. Peter und Rektors der Universität, Albert Keuslin, in Salzburg. 63 In der dortigen Alten Universität haben sich in der Aula academica, die 1631 als Kongregationssaal für die Marianische Kongregation (Rosenkranzbruderschaft), der alle Studenten angehörten, erbaut wurde, acht Ölgemälde von Rosenkranzgeheimnissen und ein großes ehemaliges Altarbild (Christus als zürnender Richter [bzw. als Pestblitze-Schleuderer], bei dem Maria für die sündigen Menschen Fürsprache einlegt, über einer Gruppe von Heiligen) von seiner Hand bis heute erhalten. 64 Anschließend war Adriaen Bloemaert in den Diensten des kaiserlichen Kämmerers und Verordneten der oberösterreichischen Landschaft Kaspar von Starhemberg 65 in Linz tätig, vor allem aber malte er von 1638 bis 1640 in Freistadt im Auftrag des Magistrats (Richter, Bürgermeister und Rat) ein großes (4,5 mal 3,1 Meter), künstlerisch äußerst bemerkenswertes neues Hochaltarbild fiir die Stadtpfarrkirche (Martyrium der hl. Katharina), teilweise in der Manier Rubens' oder seiner Schüler (vielleicht nach einer Stichvorlage?), und im Auftrag eines wohlhabenden Bürgers ein kleineres und weniger qualitätvolles Bild für den Hochaltar der Liebfrauenkirche (Anbetung der Heiligen Drei Könige). 66 Es gelang Gundaker von Liechtenstein nicht, Adriaen Bloemaert zu sich zu locken. 67 Im September 1639 schrieb Kaspar von Starhemberg, er habe Adriaen Bloemaert auf Gundakers Bitte hin mehrmals beweglich und ernsthaft zugesprochen, er möge dem Wunsch des Fürsten entsprechen, der Maler habe sich aber stets damit entschuldigt, „er habe angefrimbte arbeit, vor welcher Verrichtung er nicht verreisen könne. Mich aber will bedunken", setzte Starhemberg hinzu, „der guete gesell habe schlechten lust, sondern liebe mehr sein freiheit, damit er dem trunk, deme er zimblich ergeben, besser abwarten möge." 68 Im Oktober 1639 erklärte sich Adriaen Bloemaert von Linz aus prinzipiell dazu bereit, in die Dienste des Fürsten Gundaker zu treten, falls er ihm mehr zu zahlen bereit sei als seinerzeit seinem Bruder (Hendrick) - wohl ein Beleg dafiir, daß der „sparsame" Gundaker den Utrechter Maler relativ schlecht besoldet hatte; zuvor müsse er aber noch seine „gedingte
" HALW, Κ. Η 593, Fasz. 85, G. v. L. an S. Bloemaert, Liechtenstein, 8. Januar 1637 (eh. Konzept). 62 Zu Adriaen Bloemaert (um 1610/13-1666) siehe jetzt Roethlisberger/Bok, Abraham Bloemaert, Bd. 1,S. 531-537 und 609 f. 63 Heinisch, Paris Graf Lodron, S. 112; HALV, Hs. 672, S. 474, G. v. L. an den Salzburgischen Agenten in Wien (Hans Adam Laa), 23. Februar [recte wohl: Oktober] 1638 (Druck: F. Wilhelm, Materialien, Sp. 42 f.); HALV, Hs. 269/11, S. 18, G.v. L. an Hans Adam Laa, Liechtenstein, 15. Januar 1639; ebd., Hs. 269/1, S. 20 f., Η. A. Laa an G. v. L , praes. 3. Februar 1639 (Abschriften). 64 Tietze (Bearb.), Die profanen Denkmale der Stadt Salzburg, S. 141-143; Euler u. a. (Bearb.), DehioHandbuch Salzburg, S. 573; Roethlisberger/Bok, Abraham Bloemaert, Bd. 1, S. 533-535. 65 Zu Starhembergs Konversion im Jahre 1633 siehe oben S. 100. * Etzlstorfer, Die Altarblätter des Mühlviertels, S. 19-22, 95, 139-143 und 148-150 (S. 140: „Bloemaerts Katharinenbild stellt zweifelsohne das qualitätvollste und künstlerisch bemerkenswerteste Altarbild des ganzen Mühlviertels dar"); Roethlisberger/Bok, Abraham Bloemaert, Bd. 1, S. 535 f. Vgl. F. Wilhelm, Materialien, Sp. 32 f. und 4 2 ^ 5 . 47 Drei Briefe G.s v. L. an Kaspar von Starhemberg in dieser Angelegenheit vom 16. August, 30. September und 11. November 1639 befinden sich im O Ö L A Linz, Archiv Starhemberg (Bestand Riedegg), Briefsammlung, K. 66, Fasz. Liechtenstein-Briefe; die beiden ersten sind - nach dem Kopialbuch im HALV ediert bei F. Wilhelm, Materialien, Sp. 43 f. " HALV, Hs. 269/1, S. 305, Kaspar von Starhemberg an G. v. L„ Linz, 6. September 1639 (Abschrift); Druck: F. Wilhelm, Materialien, Sp. 43 f.
Fürst G u n d a k e r als Auftraggeber u n d K u n s t s a m m l e r
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arbeith" in Freistadt zu Ende fuhren, wofür er kaum weniger als zwei Jahre benötigen werde. 6 9 Der Fürst antwortete Adriaen Bloemaert ungnädig, es habe ihm nicht gebührt, „uns so vill jähr mit vergebenen Vertröstungen aufzuhalten". Er könne weder zwei Jahre auf ihn warten noch ihm eine höhere Besoldung zusagen, da ihm seine Arbeit (d. h. seine Kunstfertigkeit) noch unbekannt sei und er auch nicht wisse, ob diese der Arbeit seines Bruders „vorzuziehen" (und daher besser zu bezahlen) sei. 7 0 Z u Beginn der 1640er Jahre verpflichtete Gundaker für kurze Zeit einen sonst unbekannten Maler namens Stefues. Im Juni 1640 schrieb der Fürst aus Rabensburg an den Wilfersdorfer Pfleger, er solle dem in Wilfersdorf angekommenen Maler „anzeigen", er möge „unterdessen etwo ein hübsche landschafft, darinnen Velsen, so vill miglich natürlicher färb, und fallende wasser sein", malen, „ich wolte darnach allerlei unterschidliche Sachen darein mahlen lassen". 7 1 Bereits im September sah sich der Fürst genötigt, den Maler Stefues aufzufordern, sich seiner Zusage gemäß alsbald nach Wilfersdorf zu verfugen und sein Versprechen einzulösen, „uns auf ein zeit mit eurer kunst hieraußen auf unserm schloß zu dienen". 7 2 In den nächsten Jahren setzte Gundaker seine Hoffnungen, einen guten Hofmaler anzuwerben, wieder auf Adriaen Bloemaerts älteren Bruder Hendrick sowie auf den (Wiener?) Maler Johann Jakob Eisen (Eysen), der ebenfalls bereits einmal (in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre als Nachfolger Bloemaerts?) in Gundakers Diensten gestanden war. Ende Februar 1642 schrieb er an Hendrick Bloemaert nach Utrecht, er sei willens, ihn „in unnsere dienst allerlei zu mahlen vor andern anzunehmen, weil uns euer persohn und hand bekhandt ist". 7 3 Gleichzeitig erkundigte sich der Fürst bei dem namentlich nicht genannten Maler in Mistelbach, wo sich Hans Jakob Eisen derzeit aufhalte. 7 4 Der Mistelbacher Maler antwortete, soviel er wisse, befinde sich Eisen zur Zeit in R o m . 7 5 Im August 1643 teilte Fürst Gundaker Johann Hostitz, dem alten Hofmaler seines verstorbenen Bruders Maximilian, dessen Kräfte und Augenlicht bereits sehr nachgelassen hatten und der sich damals in Gundakers Haus in Wien aufhielt, mit, daß er keine Aufträge für ihn habe und empfahl ihm, sich an den Fürsten Karl Eusebius zu wenden, der „steets mahlen leßt". Hostitz antwortete, er sei in den Diensten des seligen Fürsten Maximilian, in denen er von Jugend auf gestanden sei, alt geworden. Sein Augenlicht sei im Abnehmen und er sehne sich nach Ruhe, nicht nach neuen Diensten. Fürst Maximilian habe ihm testamentarisch auf Lebenszeit den Unterhalt vermacht. 7 6 Hostitz verbrachte schließlich seinen Lebensabend am H o f des Fürsten Karl Eusebius und erhielt gemäß einer letztwilligen Verfugung des Fürsten Maximilian eine jährliche Pension von 100 Gulden, zu der, wie es scheint, Fürst Gundaker die Hälfte beitrug. 7 7 65 HALV, Hs. 269/1, S. 342, Adriaen Bloemaert an G . v. L „ Linz, 18. Oktober 1639 (Abschrift); Druck: F. Wilhelm, Materialien, Sp. 44 f. 70 HALV, Hs. 269/11, S. 432, G . v. L. an Adriaen Bloemaert, Ebergassing, 10. November 1639 (Abschrift); Druck: F. Wilhelm, Materialien, Sp. 45.
" HALV, Hs. 270, S. 224, G . v. L. an den Wilfersdorfer Pfleger Tahlhamer, Rabensburg, 18. Juni 1640 (Abschrift). 72 Ebd., S. 344 f., G . v. L. an den Maler Stefues, Wilfersdorf, 7. September 1640 (Abschrift); Druck: F. Wilhelm, Materialien, Sp. 4 5 f. 73 HALV, Hs. 157, S. 138, G . v. L. an Hendrick Bloemaert, 28. Februar 1642 (Abschrift). 71 Ebd. 75 Ebd., Maler zu Mistelbach an G . v. L., 7. März 1642 (Abschrift). - 1665 zahlte Fürst Karl Eusebius von Liechtenstein „Johann Jacob Eyssen von Schütt, bürgerl. mahlern in Wien", fur zehn Gemälde rund 150 Gulden; 1677 und 1679 kaufte er weitere Gemälde Eisens. Fleischer, Fürst Karl Eusebius, S. 38, 53, 6 5 und 2 1 9 - 2 2 1 . Siehe auch Faßbinder, Studien zur Malerei, Bd. 1, S. 2 4 2 f., und Haupt, Leidenschaft, Quellenbd., Register S. 547. 76 HALV, K. 2 5 1 , G . v. L. an Johann Hostitz, undatiertes eh. Konzept (um den 8. August 1643); Hostitz an G . v. L., Wien, 10. August 1643. 77 F. Wilhelm, Materialien, Sp. 34.
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Nun ist, zweifellos nicht zuletzt infolge der Kriegswirren, ein knappes Jahrzehnt keine Rede mehr von Bemühungen Gundakers von Liechtenstein um einen (Hof-)Maler. Im April 1652, wahrscheinlich im Zusammenhang mit den Vorbereitungen für die Verlegung seiner ständigen Residenz nach Ungarisch Ostra, teilte er seinem Marschallamtsverwalter Kaspar Brandis mit, „daß wir einen gueten mahler verlangen". Er möge ihm (in Wien) „einen gueten, der da benehens auch ein guete practicam, landtschafften zu mahlen, habe, zuwegen bringen". Er habe seinerzeit einen niederländischen (Hof-)Maler namens „Heinrich Blumaert" gehabt, „so eines wolbekanten und berüembten mahlers, nemblichen des Abraham Blumaerts söhn gewesen, [...] welcher, nachdem er von uns wegk und in Niderlandt gereist, geheurath und zu Utrecht sich aufgehalten, vielleucht auch noch alda wohnhaft ist, und ohne zweifei ein gar gueter mahler aus ihm worden ist". Brandis solle Gundakers beiliegendes Schreiben mit der Bitte um Vermittlung eines guten Malers an Hendrick Bloemaert mit sicherer Gelegenheit an dessen gegenwärtigen Aufenthaltsort schicken; der Fürst zweifelte nicht, Hendrick Bloemaert „werde sich gern bemüehen, uns einen tauglichen zuzubringen". Sollte Hendrick Bloemaert aber bereits tot sein, so ersuchte Gundaker den Marschallamtsverwalter, ihm einen geeigneten, unverheirateten Maler zu vermitteln, dem er, falls er sich bewähre, 200 rheinische Gulden pro Jahr sowie „die freye taffei, logiament und übrige accommodation" in Aussicht stellte.78 Am 22. Juni 1652 sandte Fürst Gundaker aus Rabensburg einen kürzlich aufgenommenen Maler nach Feldsberg zu Joseph Gandelmo, dem Hofmarschall des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein. Er, Gundaker, wolle „gern sehen", was der Maler könne, Gandelmo möge ihn daher das Bild der Himmelfahrt Mariens - wohl die weiter unten genannte Himmelfahrt von Rubens! - in der dortigen Kapelle (der 1653 oder Anfang 1654 abgerissenen Schloßkapelle?79) kopieren lassen. Die Erlaubnis des Fürsten Karl Eusebius habe er bereits eingeholt. 80 Im November 1652 erklärte sich Hendrick Bloemaert in einem Brief, in dem er auch vom Tod seines Vaters im Januar 1651 Mitteilung machte, dazu bereit, sich in Utrecht um einen Maler für den Fürsten Gundaker zu bemühen. Gundaker bedankte sich umgehend nach Erhalt des Schreibens aus Utrecht und versicherte, er werde den Maler „dergestalt halten, daß er wird ursach haben wo nicht stets, doch ein lange zeit bey uns zu verbleiben, welches ihm dan auch nicht gereuen wirdt, dann nicht allein wir, sondern auch fiirst Carls liebden 81 zuvoderst schöne stuckh von dem Guido Reni, Rubens und andern fürnehmbsten, berümbten mahlern hatt, welche wir willens abcopyren zu lassen". Überdies habe er (Gundaker) oft Kavaliere zu Besuch, „welche da die mahlerey besehen", sodaß „sich einer wirdt lobwürdig machen könen". Auf die Nachricht vom Tod Abraham Bloemaerts reagierte Gundaker mit der Äußerung seiner Uberzeugung, der Verstorbene habe sich mit seinem Werk ewigen Nachruhm gesichert: Er sei „zwahr an leib gestorben, aber nicht ahn der fama 82 , dann er durch hinterlassung so herlicher stuckh ein ewige gedechtnus erworben" habe. 83
78 HALV, Hs. 278, S. 138, G. v. L. an Kaspar Brandis, W i e r s d o r f , 19. April 1652 (Abschrift); Druck: F. Wilhelm, Materialien, Sp. 51 f. - Am 2. Mai 1652 schrieb Gundaker von Rabensburg aus in dieser Sache einen weiteren Brief an Kaspar Brandis. Er solle Hendrick Bloemaert schreiben, „daß, wann er mit begertem mahler nicht wirdt aufkhommen können, er solches euch berichten wolle zu dem ende, damit solchenfalls bey aldaigen vornehmen mahlern durch euch uns ein tauglicher zuwege gebracht werden möge". HALV, Hs. 278, S. 145 (Abschrift). 79 Siehe Fleischer, Fürst Karl Eusebius, S. 22. 80 HALV, Hs. 278, S. 190, G. v. L. an Gandelmo, Rabensburg, 22. Juni 1652 (Abschrift). " Fürst Karl Eusebius 82 Vorlage „famo" 83 HALV, Hs. 279, S. 16 f., G. v. L. an Hendrick Bloemaert, Ostra, 10. Januar 1653 (Abschrift); Druck: F. Wilhelm, Materialien, Sp. 52 f.
Fürst Gundaker als Auftraggeber u n d Kunstsammler
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Im August 1653 ersuchte Fürst Gundaker den Wiener Maler Christian Knör 8 4 , er möge ihm einen guten Maler nach Ostra schicken, er wolle nämlich im Schloß „etliche altartaffel und allerley andere Sachen" malen lassen. Der Maler habe in Ostra Arbeit auf ein oder eineinhalb Jahre. 85 Sechs Wochen später schrieb Gundaker, er habe sich mit dem nach Ostra gekommenen Maler Cornelius Norbert Geißbrechts 8 6 nicht über die Besoldung einigen können. Daraufhin sei er auf einige Zeit vom Fürsten Hartmann aufgenommen worden. Knör möge daher Geißbrechts' „compagno" nach Ostra schicken, er wolle ihm neben der Tafel bei den Edelleuten, einem Zimmer und einem Jungen zum Farbenreiben 100 Gulden Besoldung geben lassen. 87 Seinem Sohn Hartmann gab Fürst Gundaker den Rat, er solle den Maler nach Kupferstichvorlagen malen lassen; jene „des Peter Rubens sein sehr guet" . 8 8 Etwa gleichzeitig ersuchte er Wolfgang Hoffmayr, den in Regensburg beim Reichstag weilenden Sekretär des Fürsten Hartmann, er möge sich für ihn um einen Historien- und Bildnismaler bemühen. Wenn er auch in der Landschafts- und Perspektivmalerei versiert wäre, so werde er ihm umso lieber sein. Je nach Qualität des Malers sei er bereit, ihm neben der Tafel bei den Edelleuten, einem Zimmer und einem Gehilfen jährlich zwischen 80 und 200 Gulden Besoldung zu geben. 8 9 Im Januar 1654 wandte sich Gundaker neuerlich an Christian Knör und ersuchte ihn, er möge ihm einen anderen „tauglichen" Maler „zueweg bringen", da der derzeit bei ihm in Ostra befindliche „nicht viel verstehet" und außerdem „so capriccioso und empfindtlich" sei, „daß, wann man ihn was corrigirt oder ein und anders, wo er gefehlet, anzeiget, er gleich aufpuechet 9 0 und darvongehen will". Es genüge, wenn der neue Maler im Figurenmalen „zimblich guet" wäre, sodaß er „nach einem kupferstich etwas woll copiren und solches woll coloriren und mit austheillung und disponirung der färben zimblich woll mahlen kan". Gut wäre es, wenn er außerdem imstande wäre, Grotesken, Blumen und Tiere sowie Tischlerarbeit imitierende Deckengemälde zu malen. 91 Einen Monat später wiederholte Gundaker die Bitte und ersuchte gleichzeitig neuerlich Wolfgang Hoffmayr, er möge sich in Regensburg nach einem geeigneten Maler umsehen. 9 2 Ende März berichtete Gundaker seinem Sohn Hartmann nach Regensburg, der Maler sei „abgezogen" und er trage großes Verlangen nach einem anderen. Er müsse kein Landschaftsmaler, sondern nur imstande sein, „zierathen" im (Ostraer) Schloß nach Kupferstichen gut zu malen und zu kolorieren; „je universaler er aber ist, je lieber es uns ist". 93 Hartmann antwortete, es seien „dergleichen leut zu Wien besser zu erlangen" als in Regensburg. 94 Ende Mai 1655 erneuerte Gundaker wieder einmal die Bitte an Christian Knör, ihm einen guten Maler „zuwege zu bringen". 9 5 Im Oktober wandte er sich mit derselben Bitte abermals an ihn, da er „gern altär und dergleichen mallen lassen" wolle. Wenn der neue Maler „sovil als der durch euch uns zugebrachter maller von Hamburg khan, werden wür gar wol mit ihm zufriden sein". 96
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Seit 1651 in Wien nachweisbar, malte Christian Knör unter anderem einige nicht erhaltene Altarblätter für die Preßburger Schloßkapelle. Thieme/Becker, Lexikon, Bd. 21, S. 20. " HALV, Hs. 279, S. 640, G. v. L. an Christian Knör, Ostra, 11. August 1653 (Abschrift). " Er ist in keinem der benützten Nachschlagewerke nachweisbar. " HALV, Hs. 279, S. 711, G. v. L. an Christian Knör, Ostra, 25. September 1653 (Abschrift). " Ebd., S. 714, G. v. L. an H. v. L„ Ostra, 27. September 1653 (Abschrift). " Ebd., S. 711 f., G. v. L. an Hoffmay(e)r, Ostra, 23. September 1653 (Abschrift). M aufstampft " HALV, Hs. 603, S. 27, G. v. L. an Christian Knör, Ostra, 17. Januar 1654 (Abschrift). 92 Ebd., S. 76 f. und 78, G. v. L. an W. Hoffmayr und an Christian Knör, Ostra, 13. Februar 1654 (Abschriften). Am 14. Juli 1654 wiederholte G. v. L. seine Bitte an Christian Knör noch einmal (ebd., S. 439). " Ebd., S. 198, G. v. L. an H. v. L„ Ostra, 29. März 1654 (Abschrift). 94 Ebd., S. 271, H. v. L. an G. v. L„ (Regensburg), 9. April 1654 (Abschrift). " HALV, Hs. 604, S. 213, G. v. L. an Christian Knör, Ostra, 27. Mai 1655 (Abschrift). " Ebd., S. 396, ders. an dens., W i e r s d o r f , 14. Oktober 1655 (Abschrift).
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Bildende Künste u n d Repräsentation
Am 5. Januar 1656 berichtete Gundakers Sollizitaror aus Wien, Knör und der offenbar ebenfalls kontaktierte kaiserliche Hof- und Kammermaler Frans Luyckx 97 hätten noch keinen tauglichen Maler gefunden. 9 8 Zwei Wochen später konnte er melden, Knör habe (endlich) einen Maler „uberkommen". 9 9 Nach kaum einem halben Jahr teilte Fürst Gundaker Christian Knör mit, der Maler Hans Christoph tauge „gantz und gar nit" und sei „der schlechste unter allen, die ihr uns jemahls zugewisen habt", denn er könne „weder copiern noch, wenn man ihm ein kupferstich gibt, denselben nach etwas zu mahlen, die färben dem bild, so er dem kupferstich nachmachen soll, geben und austheillen, weder in contrafecten, viel weniger aber etwas guets aus aigner invention machen". Knör habe ihm seinerzeit einen aus Hamburg gebürtigen Maler geschickt, „welcher uns guetten contento gegeben hatt und derowegen wir ihn gern lenger behalten hetten, er aber, weil er luterisch gewesen, nit bleiben wollen aus beysorg, er würde catholisch werden. Dahero, wenn wir wieder einen dergleichen haben könten, so wehre es uns gar lieb, den wir endschlossen sein, den erstgemelten mahler abzufertigen." 100 Im September 1652 hatte Fürst Gundaker dem Regenten (d. h. dem Oberhauptmann über die Herrschaften und Güter) aufgetragen, sich auf den österreichischen Herrschaften um einen Untertan umzusehen, der dazu geeignet wäre, dem Maler als Gehilfe an die Hand zu gehen, ihm die Farben zu reiben und die Leinwand zu grundieren. Er, Gundaker, wolle „den mahler dahin bereden, daß er ihn zuegleich in der mahlerey instruire". 101 Drei Jahre später wandte er sich in einem eigenhändigen Schreiben an seinen Wiener Sollizitaror Johann Märthl. Er habe einen etwa fünfzehn- oder sechzehnjährigen Waisen, „der großen lust hatt zum mahlen" und den er gerne zu einem Meister in die Lehre geben wolle. Märthl möge mit Christian Knör darüber reden, ob und unter welchen Bedingungen er ihn annehmen und unterrichten wolle. „Er khan zwar nicht teutsch reden, verstehet es aber zimblich und wird es bald lehrnen reden, wenn er unter lauter teutschen sein wirdt." 1 0 2 Zehn Monate später schrieb Gundaker in einem Postskriptum zu dem im vorhergehenden Absatz zitierten Brief an Knör, er habe „einen jungen, so unser underthan, welcher sehr großen lust zue der mahlerey" habe. Er habe sich selbst beigebracht, „allerley zue reissen" (d. h. zu zeichnen). Gundaker ersuchte Knör, er möge den Jungen in die Lehre nehmen; zum Farbenreiben und zum Grundieren der Leinwände sei er bereits zu gebrauchen. 103 Christian Knör war offenbar nicht bereit, den tschechischen Autodidakten in die Lehre zu nehmen. Zu Beginn des Jahres 1657 schrieb Gundaker an Frans Luyckx, er habe von seinem Kammerdiener erfahren, daß er bereit sei, einen dem Fürsten untertänigen Waisenknaben auf drei Jahre zu sich zu nehmen und ihn im Malen zu unterrichten. Gundaker bedankte sich, kündigte an, nach Erhalt der schriftlichen Zustimmung des Malers den Knaben nach Wien „hinein[zu]schikhen" und gab der Hoffnung Ausdruck, „er werde die mühe an diesen knaben nicht übel anwenden, sondern dessen einen ruhmb haben, weil der knab hoffentlich das mahlen gar woll begreiffen wirdt", da er „sehr großen lust darzue" habe und sich von Kindheit an damit beschäftigt habe, sodaß, „als man ihn zur schreiberey und andern Sachen hatt gebraucht", man ihn von der Malerei, „zu welcher er stets lust gehabt", durch Bestrafung
" Zu diesem siehe Ebenstein, Der Hofmaler Frans Luycx; Lhotsky, Geschichte der Sammlungen, Bd. 1, S. 347, 355 und 371; Faßbinder, Studien zur Malerei, Bd. 1, S. 92-99, und Bd. 2 (Kat.), S. 80-85; Turner (Hg.), The Dictionary of Art, Bd. 19, S. 831 f. " HALV, Hs. 605, S. 5 f., Sollizitaror zu Wien an G. v. L„ 5. Januar 1656 (Abschrift). " Ebd., S. 35, ders. an dens., 18. Januar 1656 (Abschrift). 100 Ebd., S. 248f., G. v. L. an Christian Knör, Ostra, 11. Juli 1656 (Abschrift); Druck: F. Wilhelm, Materialien, Sp. 53 f. "" HALV, Hs. 278, S. 289, G. v. L. an den Regenten, Ostra, 16. September 1652 (Abschrift). 102 HALV, Hs. 604, S. 359, G. v. L. an den Sollizitaror zu Wien, Ostra, 15. September 1655 (Abschrift). "" HALV. Hs. 605, S. 249, G. v. L. an Christian Knör, Ostra, 11. Juli 1656, PS (Abschrift) (fehlt im Druck bei F. Wilhelm, Materialien, Sp. 53 f.).
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abhalten habe müssen. 104 Luyckx erklärte sich unter der Bedingung, daß Fürst Gundaker fur alle Unkosten, die Kleidung und das Lehrgeld in der Höhe von 100 Reichstalern (in Form von Viktualien oder Geld) aufkomme, prinzipiell bereit, den betreffenden Knaben als Lehrling aufzunehmen. Gleichzeitig sandte er einen jungen Maler nach Ostra, „verhoffend, er werde ihro fürstlichen gnaden guete satisfaction geben, weilen er mir vor vielen anderen wegen seiner kunst gefallen hatt". 105 Der Fürst antwortete, „daß der für uns zuegewisene mahler" durch jemand anderen abgeworben worden sei und er nicht nach Ostra kommen wolle. Es sei ihm aber unterdessen ein anderer Maler aus Wien empfohlen und bereits nach Ostra gebracht worden, mit dem er es versuchen wolle. Falls es sich zeige, daß er seine Kunst „mittelmeßig oder zimblichen verstehet", wolle er ihm „den bewußten knaben untergeben" und diesen erst später, „wann er wird in etwas ergriffen haben", nach Wien verdingen. 106 Möglicherweise handelte es sich bei dem im Januar 1657 in Ostra angekommenen Maler um den in Lemberg geborenen polnischen Maler und Radierer Matthias (Maciej) Morawa (oder Morava, auch Marowa), von dem Szenen aus der Leidensgeschichte Christi und Heiligendarstellungen bekannt sind. 107 Am 2. November 1657 schrieb Fürst Gundaker jedenfalls in einem Brief an den Offizial und das Konsistorium der Diözese Olmütz, „unnser hoffmahler nahmens Matthias Marowa, von Reissisch Lemberg gebürtig", sei am Morgen des 27. Oktober tot in seinem Bett aufgefunden worden. 108 Dies ist der letzte Hinweis auf einen Hofmaler des Fürsten Gundaker von Liechtenstein, zehn Monate vor dessen eigenem Tod.
13.2.2. Landschaftsmalerei Wie bereits aus dem vorhergehenden Abschnitt deutlich wurde, hegte Fürst Gundaker eine besondere Vorliebe für die von niederländischen (vor allem flämischen) Malern wie zum Beispiel Pieter Bruegel d. Ä., Gillis van Coninxloo, Joos de Momper und Lucas van Valckenborch im 16. Jahrhundert als eigenständige Bildgattung begründete Landschaftsmalerei 109 , ja er betätigte sich sogar selbst als Landschaftsmaler. 110 Wahrscheinlich im Jahre 1625 erteilte er dem seit 1619 in Utrecht als Meister der dortigen St. Lukasgilde111 tätigen, auf Tier- und Landschaftsbilder sowie Blumenstilleben spezialisierten flämischen Maler und Zeichner Roelan(d)t Savery einen Auftrag über zwei Landschaftsgemälde. 112 Er hatte Savery zweifellos während dessen Tätigkeit am Prager (und Wiener) Kaiserhof in den Jahren 1604 bis etwa 1613 kennen und schätzen gelernt. 113 Anfang März 1627 erkundigte sich Gundaker bei sei-
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